Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung: Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union? [1 ed.] 9783428533510, 9783428133512

Die justizielle Zusammenarbeit in der EU erreicht allmählich eine Intensität, die bis vor kurzem nur zwischen kleineren,

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Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung: Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union? [1 ed.]
 9783428533510, 9783428133512

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Schriften zum Strafrecht Heft 213

Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union?

Von

Paweø Nalewajko

a Duncker & Humblot · Berlin

PAWE è NALEWAJKO

Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

Schriften zum Strafrecht Heft 213

Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union?

Von

Paweø Nalewajko

a Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Process Media Consult GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-13351-2 (Print) ISBN 978-3-428-53351-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-83351-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2009/2010 von der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Juni 2009 fertig gestellt. Ein Teil der bis November 2009 erschienenen Literatur und Rechtsprechung konnte noch berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. Uwe Scheffler, für die Betreuung der Arbeit, für wertvolle Anregungen und für die Anfertigung des Erstgutachtens. Frau Prof. Dr. Gudrun Hochmayr danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Aufrichtiger Dank gebührt zudem Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Andrzej J. Szwarc für stetige Diskussionsbereitschaft und Unterstützung. Ich widme diese Arbeit meinen Eltern für ihren Beistand und unendliche Unterstützung – nicht nur während der Promotion. Zu großem Dank verpflichtet bin ich auch meinen Gasteltern Sabine und Klaus Baumgarten, die aufmunternd und unterstützend mich stets begleiten. Für jegliche Unterstützung und geduldige Durchsicht des Manuskripts möchte ich besonders Daniel Sauer danken. Meine Dankbarkeit gilt auch denjenigen Personen, die mich in den letzten Jahren in Berlin, Frankfurt (Oder), Poznan, Freiburg i. Br., Bialystok und anderswo privat und beruflich unterstützt, gefördert und inspiriert haben. Ein besonderer Dank gilt Ania, Martin und Dagmara. Berlin, im Frühjahr 2010

Paweł Nalewajko

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Teil 1 Internationale Zusammenarbeit in Strafsachen

27

§ 1 Entwicklung, Begrifflichkeiten und Grundmodelle internationaler Zusammenarbeit in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Marksteine und Hauptakteure der Kooperationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. (Grund-)Modelle der justiziellen Zusammenarbeit und ihre Übertragbarkeit auf die EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Das „deutsche Modell“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Das „Schweizer Modell“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Das US-amerikanische Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4. Das Modell der nordischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 5. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 § 2 Justizielle Zusammenarbeit im „Europäischen (Straf-)Rechtsraum“ . . . . . . . . . . . . . 47 I. Europäische Kriminalpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Handlungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Schutz der finanziellen Interessen der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Wegfall von Grenzkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 c) Organisierte Kriminalität und Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 d) Schwächen der traditionellen justiziellen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . 53 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Kompetenzrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Im Verfassungsvertrag und Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

10

Inhaltsverzeichnis III. Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. „Corpus Juris“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Das „Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege“ . . . . . . . . . . . . . 62

Teil 2 Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

64

§ 3 Herkunft und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 I. Anerkennungsfacetten – einführende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 II. Anerkennung im Gemeinschafts- und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 III. Anerkennung in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Leitlinien des Europäischen Rates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Maßnahmenprogramm der Kommission zur Umsetzung des Anerkennungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Aufnahme in die Europäische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4. Weiterentwicklung im Haager Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5. Aktueller Stand der Umsetzung des Anerkennungsgrundsatzes in Strafsachen 75 a) Angenommene Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 b) Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 c) Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 6. Ausblick – Lissabonner Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 IV. Exkurs: Zivilsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 § 4 Funktionsweise des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 I. Anerkennungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Wirkungserstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Automatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3. Die Frage der Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Als Verhältnis zu den Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Als Rechtsmodus in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 c) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

Inhaltsverzeichnis

11

III. Gegenseitigkeitskomponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 IV. Vertrauenskomponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Vertrauen in der kooperationsrechtlichen Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Das Konzept des gegenseitigen Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Der Grundgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3. Vertrauensstärkende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 V. Exkurs: Anerkennung als Rechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Geltung und Bedeutung von Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Einordnung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . 106

§ 5 Rahmenbedingungen für die Umsetzung und Anwendung gegenseitiger Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Rechtliche Ausgestaltung justizieller Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Instrumenteller Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Institutioneller Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 II. Kritikpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Probleme des Rahmenbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Anwendung von Rahmenbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 aa) Gegenseitige Anerkennung als Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Actus-contrarius-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 cc) Ermessen des Rates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Wirkung von Rahmenbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 aa) Parallelität zur Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 bb) Rahmenbeschlusskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Umsetzung von Rahmenbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 aa) Umsetzungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Umsetzungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 cc) Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

12

Inhaltsverzeichnis 2. Demokratische Legitimation des Anerkennungskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. EuGH-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Kooperationspraxis – Kontrolle der Anwendungseinheitlichkeit . . . . . . . . 137 c) Aussichten und Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4. Institutionelle Unterstützung der Anerkennungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 140 III. Die Schutzklausel für Justiz und Inneres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 IV. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

Teil 3 Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

146

§ 6 Die Rechtsstellung der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 II. (Grund-)Rechtsgarantien in transnationalen Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Europaratsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Einfluss auf die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Einfluss auf der EU-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Bedeutung für das Anerkennungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. EU-Recht-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Der Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Auswirkung auf die Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 c) Effektive Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 d) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Nationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Traditionelle Konzepte zur Stellung des Individuums im Rechtshilferecht. 164 b) Umfang der geltenden Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 c) Geltung der nationalen Grundrechte im Anerkennungskonzept . . . . . . . . . 167 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Inhaltsverzeichnis

13

II. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 § 7 Beiderseitige Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Bedeutung und Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II. „Kompromisslösung“ im Anerkennungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 III. Begründung der „Kataloglösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Die Schwere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung . 185 IV. Kritikpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Erforderlichkeit beiderseitiger Strafbarkeit als Voraussetzung justizieller Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Garantiefunktion der beiderseitigen Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Kooperationspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2. Unbestimmtheit der Kataloglösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Rechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Kooperationspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 V. Alternative Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 VI. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 § 8 Relevanz und Grenzen der gegenseitigen Anerkennung beim Abbau traditioneller Kompatibilitätsvorbehalte in der justiziellen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 I. Prinzip der Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Fehlende Gegenseitigkeit als Grund zur Verweigerung der Anerkennung eines Europäischen Haftbefehls? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 II. Grundsatz der Spezialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 III. Der Schutz eigener Staatsangehöriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Streit über die Bedeutung der Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Wegfall des Schutzes vor Auslieferung durch den Heimatstaat . . . . . . . . . . . 206

14

Inhaltsverzeichnis 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 IV. Rechtshilfeverweigerung wegen Eigenschaft der Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 V. Anwendbarkeit eines ordre-public-Vorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 VI. Sonstige rechtliche Kooperationshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. Tatverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2. Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 4. Strafunmündige und Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 5. Härtefälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 6. Die Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 VII. Exkurs: Haftgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 VIII. Wegfall der politischen Kontrollinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 IX. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

§ 9 Gefahr von Zuständigkeitskollisionen und forum shopping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 II. Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Auf der EU-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. In der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

§ 10 Probleme des Beweistransfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 I. Regelungen im Bereich der Gewinnung und Erhebung von Beweismitteln . . . . 241 1. Allgemeine Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Ansätze des Konzepts des EU-weit verkehrsfähigen Beweises . . . . . . . . . . . . 242 3. Europäische Beweisanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Inhaltsverzeichnis

15

II. Hindernisse einer EU-weiten Verkehrsfähigkeit von Beweisen . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Unterschiede in der Erhebung und Verwertung von Beweisen . . . . . . . . . . . . 245 2. Grundsatz der Unmittelbarkeit im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Justizielle Kontrolle und Unterschiede in der Ausgestaltung des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 4. „Beweismittelshopping“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 III. Alternative und ergänzende Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Europäisches Beweiszulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Schweizer Modell und Meistbegünstigungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 3. Andere Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 IV. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

§ 11 Gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 I. Aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Hintergrund der Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2. Gegenstand der gegenseitigen Anerkennung in angenommenen und geplanten Rechtsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 3. Zielsetzung: Wiedereingliederung und Resozialisierung von Verurteilten . . . 263 II. Art und Umfang der anzuerkennenden Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 1. Anpassungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2. Änderungen nach der Vollstreckungsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 III. Grundsatz ne bis in idem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 IV. Kontumazialurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. Aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 V. Gegenseitige Anerkennung der Wirkung von Verurteilungen . . . . . . . . . . . . . . . 283 VI. Exkurs: Der Informationstransfer zwischen den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . 284 1. Austausch von Informationen aus dem Strafregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Datenschutzrechtliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 VII. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

16

Inhaltsverzeichnis Teil 4 Rückblick und Ausblick

292

§ 12 Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

Abkürzungsverzeichnis a.A. ABl. Abs. AEUV a.F. AHRG AIDP AnwBl AöR Art. Aufl. Bd. BGBl. BGE BGHSt BRAK BRD BR-Drs BT-Drs BVerfG BVerfGE bzw. CMLRev. Colum.L.Rev. Comp. L. Yb. CrimLR CYELS DAG ders. d. h. DÖV DriZ DVBl EEA EGBG EGV EJN ELJ E.L.Rev.

anderer Ansicht Amtsblatt Absatz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Österreichisches Gesetz über Auslieferung- und Rechtshilfe LAssociation Internationale de Droit Pnal Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Band Bundesgesetzblatt Entscheidungssammlung der schweizerischen Bundesgerichte Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrepublik Deutschland Drucksache des Bundesrats Drucksache des Deutschen Bundestags Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise Common Market Law Review Columbia Law Review Comparative Law Yearbook Criminal Law Review Cambridge Yearbook of European Legal Studies Deutsches Auslieferungsgesetz v. 1930 derselbe das heißt Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsche Richterzeitung Deutsches Verwaltungsblatt Die Einheitliche Europäische Akte Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäisches Justizielles Netzwerk European Law Journal European Law Review

18 Emory Intl L.Rev.

Abkürzungsverzeichnis

Emory International Law Review http://www.legalabbrevs.cardiff. ac.uk/displaydetails?portal=false&abbr=Emory+Int%27 l+L.Rev. &title=5192 EMRK Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten EP Europäisches Parlament EPS Europejski Przegla˛d Sa˛dowy etc. et cetera ETS European Treaty Series, die amtliche Sammlung der Übereinkommen des Europarats EU Europäische Union EUAlÜbk Das Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957 EU-AuslÜbk Das Übereinkommen über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU von 1996 EuGH Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften EuGRZ Europäische Grundrechtszeitschrift EuGVÜ Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 1968 EuHb Europäischer Haftbefehl EuHbG Europäisches Haftbefehlgesetz EuHbRb Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten EuInsVO Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren von 2000 EU-JZG Österreichisches Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union EuR Europarecht (Zeitschrift) EuRhÜbk Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen von 1959 EU-RhÜbk Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der EU von 2000 Eur.J.Crime Cr.L.Cr.J. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice Eurojust Europäische Einheit für justizielle Zusammenarbeit EUV Vertrag über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Nizza EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht f. folgende(r) ff. fortfolgende Fn. Fußnote FS Festschrift GA Goltdammers Archiv für Strafrecht GBl. Gesetzesblatt gem. gemäß GewArch Gewerbearchiv GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ggf. gegebenenfalls GLJ German Law Journal

Abkürzungsverzeichnis GMBl h.M. H.R.L.Rev. HRRS Hrsg. Hs. ICLQ i.d.F. i. e.S. I.L.Q.

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Gemeinsames Ministerblatt herrschende Meinung Human Rights Law Review Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung Strafrecht Herausgeber Halbsatz International and Comparative Law Quarterly in der Fassung im engeren Sinn International Law Quarterly http://www.legalabbrevs.cardiff.ac.uk/dis playdetails?portal=false&abbr=I.L.Q.&title=2645 IntInsR Internationales Insolvenzrecht IPBPR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts IRG Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen i.S.d. im Sinne der/des Is.L.R. Israel Law Review i.S.v. im Sinne von i.V.m. in Verbindung mit i.w.S. im weiteren Sinn JA Juristische Arbeitsblätter J.C.L. Journal of Criminal Law http://www.legalabbrevs.cardiff.ac.uk/dis playdetails?portal=false&abbr=J.C.L.&title=1506 J.Intl Aff. Journal of International Affairs JR Juristische Rundschau J Scand Stud Criminol Journal of Scandinavian Studies in Criminology and Crime Prevention Crime Prev Jura Juristische Ausbildung JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung KOM Legislativvorschläge und sonstige Mitteilungen der Kommission an den Rat und/oder die anderen Organe sowie die entsprechenden vorbereitenden Dokumente kpk Kodeks poste˛powania karnego (polnische Strafprozessordnung) KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft LCP Law and Contemporary Problems lit. littera (lat.), der Buchstabe m.w.N. mit weiteren Nachweisen Neth. J. Intl Law Netherlands Journal of International Law NJ Neue Justiz NJW Neue Juristische Wochenschrift NK Neue Kriminalpolitik Nr. Nummer NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung

20 OLAF OLG PiP PJZS RabelsZ RIDP RitsLRev. Rn. S. SDÜ SEK SIS Slg. sog. SR StGB StIGH StPO StraFo StV TREVI

u. a. UA ÜberstÜbk ULRev. UNO U.Pa.L.Rev. USA usw. u. U. v. VE VerfO vgl. Vol. vs. VUWLR West.Pol.Q. WiRO wistra WRP WÜV

Abkürzungsverzeichnis Office europen de lutte anti-fraude (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung) Oberlandesgericht Pan´stwo i Prawo Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue Internationale de Droit Pnal = International Review of Penal Law Ritsumeikan Law Review Randnummer Seite Das Schengener Durchführungsübereinkommen von 1990 interne Dokumente, die mit Entscheidungsprozessen und der allgemeinen Funktionsweise der Kommissionsdienststellen zusammenhängen Schengener Informationssystem Sammlung der Entscheidungen des EuGH sogenannte(r) Systematische Rechtssammlung in der Schweiz Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof Strafprozessordnung Strafverteidiger Forum Der Strafverteidiger (Zeitschrift) Terrorisme, Radicalisme, Extrmisme, Violence (Internationale Einheit zur internationalen Bekämpfung von Terrorismus, Radikalismus, Extremismus und Gewaltkriminalität) unter anderem Unterabsatz Das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen von 1983 Utrecht Law Review United Nations Organization (Organisation der Vereinten Nationen) University of Pennsylvania Law Review United States of America und so weiter unter Umständen von, vom Entwurf eines Verfassungsentwurfes für Europa Verfahrensordnung vergleiche Volume (Band) versus (gegen) Victoria University of Wellington Law Review The Western Political Quarterly Wirtschaft und Recht in Osteuropa Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wettbewerb in Recht und Praxis Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

Abkürzungsverzeichnis ZaöRV z. B. ZEuS ZIS zit. ZLR ZRP ZStW z.T.

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für europarechtliche Studien Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil

21

Einführung Die europäische Integration hat eine Stärke entwickelt, die sich auf verschiedene Ebenen und Rechtsgebiete – darunter auch das Strafrecht – auswirkt. In den Vordergrund der europäischen Gesetzgebung ist die Sicherung des unionsweiten Rechtsraums getreten und diese vollzieht sich sowohl im institutionellen wie auch instrumentellen Bereich. Die Verwirklichung der Idee, einen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen“ (Art. 29 Abs. 1 EUV, nun Art. 67 AEUV), sowie anderer Unionsziele, die ein hohes Maß an Sicherheit anstreben, bedarf eines tauglichen Instrumentariums. Als Panazee für die Schwächen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU ist der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung konzipiert worden, der sich bereits als wichtigste Leitlinie europäischer Strafrechtsentwicklung etabliert hat.1 Die Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung wird auf dem Gebiet der Strafjustiz als einer der wichtigsten und vielversprechendsten Tätigkeitsbereiche der Europäischen Union erachtet. Dieses zum ersten Mal auf der Tagung des Europäischen Rates im Juni 1998 in Cardiff2 erwähnte Prinzip avancierte im Oktober 1999 auf der Ratstagung in Tampere zum „Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen“ innerhalb der Europäischen Union.3 Mittlerweile ist der Grundsatz in mehreren Rahmenbeschlüssen umgesetzt und seine weitere Anwendung für die Jahre 2005 – 2010 im Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union4 gesichert worden. Für die Erhaltung dieser Dynamik soll das nächste Mehrjahresprogramm (das Stockholmer Programm) Sorge tragen.5 Die Bedeutung für die Entwicklung eines (Straf-) Rechtsraumes betont auch die Aufnahme des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung in den Vertrag über eine Verfassung für Europa6 und den Lissabonner Vertrag.7 1

So Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 681. Vgl. die Schlussfolgerung des Vorsitzes Nr. 39, abrufbar unter: http://www.europarl.eu ropa.eu/summits/car1_de.htm. 3 Vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes Nr. 33 ff., abrufbar unter: http://www.europarl. europa.eu/summits/tam_de.htm. 4 ABl. Nr. C 053 v. 3. 3. 2005, S. 1; vgl. auch KOM(2005) 184 v. 10.5.2005. 5 So in der Mitteilung der Kommission – Justiz, Freiheit und Sicherheit in Europa seit 2005: Evaluierung des Haager Programms und des Aktionsplans v. 10. 6. 2009, KOM(2009) 263. 6 ABl. Nr. C 190 v. 16.12.2004. 7 Vertrag zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. C 306 v. 17. 12. 2007, S. 1 ff.; konsolidierte 2

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Das von der europäischen Kriminalpolitik favorisierte schnelle und pragmatische Konzept von Sicherheit und Effektivität ist von seinen Gegnern, die es für eine tagespolitisch geprägte Maßnahme halten, heftig angegriffen worden.8 Danach sei der Anerkennungsgrundsatz – „Trojanisches Pferd“ oder „Wolf im Schafspelz“9 – in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen unhaltbar, denn durch ihn würden nicht Freiheiten, sondern die Beschränkung von Freiheit im Strafprozess10 und die Loslösung von rechtsstaatlichen Grundsätzen11 verwirklicht. Aufgrund mangelnder Harmonisierungsarbeiten, welche der Einführung des Grundsatzes hätten vorangestellt werden sollen,12 wird des Weiteren die „Nivellierung der Bürgerrechte“13 und die Durchsetzung der jeweils punitivsten Strafrechtsordnung14 befürchtet. Dagegen wird der mit der Einführung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung erfolgte Durchbruch mit einer kopernikanischen Wende verglichen15 und für die Beibehaltung als wichtiges Steuerungsprinzip16 und die „substantielle Ausfüllung eines unionseinheitlichen Rechtsraums“ plädiert.17 Der Grundsatz ermögliche ein

Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. Nr. C 115 v. 9. 5. 2008, S. 1 ff. 8 Die Diskussionen wurden zutreffend von Ahlbrecht/Rosenthal pointiert: „An dem Prinzip scheiden sich die Geister, zumal auch die vielfache Kritik weitgehend ungehört verhallt“, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 1052. 9 Schünemann, Fortschritte und Fehltritte in der Strafrechtspflege der EU, GA 2004, S. 202; Braum bezeichnet ihn auch als „eine Art Alleskleber europäischer Integration“, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 682. 10 Wolter, Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union, in: Hirsch/Wolter/Brauns (Hrsg.), FS Kohlmann, S. 714; ähnlich Albrecht, Eine unabhängige Judikative als Gegengewicht zur Erosion europäischer Strafrechtsprinzipien?, KritV 2008, S. 53; Nettesheim, Grundrechtskonzeption des EuGH, EuR 2009, S. 40. 11 Werner, Grenzen und Möglichkeiten europäischer Strafrechtspflege, S. 307. 12 Gmez-Jara Dez beschreibt dies prägnant: „,cart of mutual recognition has been put before the ,horse of harmonization“, European Arrest Warrant and the Principle of Mutual Recognition, eucrim 1 – 2/2006, S. 23. 13 Albrecht, Eine unabhängige Judikative als Gegengewicht zur Erosion europäischer Strafrechtsprinzipien?, KritV 2008, S. 53; ähnlich Schünemann, Bürgerrechte ernst nehmen bei der Europäisierung des Strafverfahrens!, StV 2003, S. 118; Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 690; differenzierter Satzger, Das Strafrecht als Gegenstand europäischer Gesetzgebungstätigkeit, KritV 2008, S. 33. 14 Schünemann, Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene, ZRP 2003, S. 187. 15 Schlussanträge des Generalanwalts in der Rs. C-303/05 (Advocaten voor de Wereld) Rn. 41; vgl. auch Sakowicz, Some reflections on the mutual recognition as a mode of governance in EU Justice and Home Affairs, in: Pływaczewski (Hrsg.), Current problems of the Penal Law and Criminology, S. 496 m.w.N. 16 von Bubnoff, Terrorismusbekämpfung – eine weitere Herausforderung, NJW 2002, S. 2674. 17 Bezug nehmend auf Beweismittel von Bubnoff , Legislative Gestaltung des europäischen Rechtsraums und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten, in: Pache (Hrsg.), Die Europäische

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neutrales Verfahrensmodell18 und lasse die Rechtspositionen des Verfolgten im Wesentlichen unangetastet.19 Schließlich wird auch darauf hingewiesen, dass er einen „Mittelweg zwischen einem eigenständigen EU-Verfahren und einem Anschluss an rein nationale Strafverfahren“20 darstelle und mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität eine Lösung sei „um die nationale Identität und Staatlichkeit in einem einheitlichen europäischen Rechtsraum zu wahren“.21 Abgesehen von der hier offen gelassenen Frage, ob ein kategorischer Widerstand gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der bereits alle Kooperationsbereiche infiltriert hat, überhaupt noch sinnvoll erscheint22, würde das Ausblenden von aktuellen Entwicklungen sie weder verändern noch rückgängig machen. Es bedarf somit einer kritischen Begleitung, die ausgehend von den erfolgten Reformen Problembereiche aufzeigt und konstruktive Lösungsansätze bietet. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die während der Vorbereitung dieser Arbeit im Jahre 2007 in Frankfurt am Main erschienene Monographie von Juppe „Die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen in Europa“. Wie im Titelzusatz deutlich wird, konzentriert sich diese Bearbeitung auf die Wiedergabe historischer Grundlagen sowie die (überwiegend an Maßstäben innerstaatlicher Rechtsstandards orientierte) Untersuchung aktueller und zukünftiger Problembereiche. Mit der vorliegenden Arbeit soll das Ziel einer möglichst umfassenden Darstellung der Anwendungsfelder und -probleme des Anerkennungsgrundsatzes fortgesetzt werden. Abgesehen von notwendigen Ergänzungen im Hinblick auf die Funktionsweise und Tragfähigkeit des Grundsatzes in der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, bieten hierzu auch die seit 2007 erfolgte Entwicklung des Anerkennungskonzeptes und deren Resonanz in der Literatur, Rechtsprechung der nationalen Gerichte sowie des EuGH einen Anlass. Für eine neue Perspektive zur Betrachtung aktueller und zukünftiger Problembereiche sorgt dabei der Lissabonner Vertrag, worin der Grundsatz

Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 117 (mit dort signalisierten Einschränkungen). 18 Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 2004, S. 356; Kotzurek, Gegenseitige Anerkennung und Schutzgarantien bei der Europäischen Beweisordnung, ZIS 2006, S. 126; kritisch Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 682. 19 So Böse in Bezug auf den EuHb, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in der transnationalen Strafrechtspflege in der EU, in: Momsen/Bloy/Rackow (Hrsg.), Fragmentarisches Strafrecht, S. 246. 20 Gaede bezüglich des auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung basierenden Sonderstrafverfahrens einer europäischen Staatsanwaltschaft, Nullum judicium sine lege, ZStW 2003, S. 847; vgl. Klip, European Criminal Law, S. 23. 21 BVerfG-Urteil v. 18. 7. 2005, 2 BvR 2236/04 (Darkanzali), Rn. 75; Pernice, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes – Europäische Justizpolitik im Lichte von Pupino und Darkanzali, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, FS Meyer, S. 376. 22 Dazu Vogel, Licht und Schatten im Alternativ-Entwurf Europäische Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 422; ähnlich Ormazabal Snchez, Espacio penal europeo y mutuo reconocimiento, S. 215 f.

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der gegenseitigen Anerkennung als Grundlage europäischer Kooperationsentwicklung in Strafsachen bestätigt wird. Unter institutionellen, pragmatischen, rechtsstaatlichen und materiellen Gesichtspunkten soll untersucht werden, inwiefern die auf der EU-Ebene getroffenen Lösungen zur tatsächlichen Entstehung eines „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ beitragen. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit das Anerkennungskonzept das richtige Heilmittel für die Schwächen der bisherigen justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen darstellt. Auf der Suche nach den Antworten wird im Rahmen dieser Arbeit eine schwerpunktbezogene Analyse der Gefahren und Vorteile, welche die Anwendung dieses einerseits verheißungsvollen, andererseits jedoch unberechenbaren Grundsatzes in sich birgt, dargestellt. Dies erfordert Klarheit über die bisherige Kooperationsentwicklung, denkbare Alternativen sowie den Handlungsbedarf und die Handlungsmöglichkeiten bei der Ausgestaltung des europäischen „(Straf-) Rechtsraumes“ (Teil 1). Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Anerkennungsgrundsatz setzt Kenntnis seiner Herkunft und Entwicklung sowie Verständnis seiner Wirkungsweise, die ihrerseits von Rahmenbedingungen für seine Umsetzung und Anwendung abhängt, voraus (Teil 2). Eine dem komplexen Anerkennungskonzept gerechte Beurteilung seiner Tragfähigkeit als Grundlage justizieller Zusammenarbeit in der EU kann nur unter Einbeziehung mehrerer, darunter auch im Spannungsverhältnis stehender Kriterien, wie der Effektivität der Strafverfolgung und der Sorge um die Rechtsstellung von betroffenen Personen, erfolgen (Teil 3). Der für die Markierung von Grenzen der gegenseitigen Anerkennung maßgebliche Aspekt der Rechtsstellung von Betroffenen hängt u. a. von bestehenden Verfahrensgarantien, Einflüssen des Anerkennungskonzepts auf traditionelle Rechtshilfevorbehalte (wie z. B. den Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit) und Prüfungskompetenzen im Vollstreckungsstaat sowie der Frage der Zuständigkeitsregelung in transnational geführten Strafverfahren ab. Dabei ist – schon aufgrund von Unterschieden im Gegenstand und Umfang der Anerkennungspflichten – gesondert auf die Problematik des Beweistransfers und der Vollstreckungshilfe von sog. Endentscheidungen einzugehen. Den abschließend zu formulierenden Schlussbetrachtungen (Teil 4) soll somit (auch wenn aufgrund des Umfangs dieser Arbeit nicht alle Probleme genannt oder mit Rücksicht auf die teilweise noch unvollendete legislative Grundlage abschließend untersucht werden können) ein möglichst weites und differenziertes Anwendungsspektrum des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den EU-Mitgliedstaaten zugrunde liegen.

Teil 1

Internationale Zusammenarbeit in Strafsachen Der Kooperationsgedanke ist tief in der Rechtsgeschichte verwurzelt.1 Der Wandel der Souveränitätsbegriffes2 und die Überwindung der auf der Überzeugung par in parem non habet imperium (iurisdictionem) basierenden Isolation der Staaten sind u. a. auf die kriminologischen Folgen soziodemographischer Veränderungen und ansteigender Mobilität von grenzübergreifend agierenden Straftätern zurückzuführen.3 Aus der Erkenntnis, dass das Strafrecht „gezwungen ist, über die Grenzen des Heimatstaates hinauszugehen“4, entstanden Ideen und Rechtsinstrumente, deren Umsetzung zur Etablierung unterschiedlicher internationaler Kooperationsmodelle im Bereich des Strafrechts geführt hat.

§ 1 Entwicklung, Begrifflichkeiten und Grundmodelle internationaler Zusammenarbeit in Strafsachen I. Marksteine und Hauptakteure der Kooperationsentwicklung Als „institutionales habitat“ für die Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit wird insbesondere der Europarat angesehen.5 Dem Europarat fehlt zwar die Legitimation, um selbst zu einem „Motor der Integration“6 zu werden, jedoch dürfen die Grundlagenforschung, Vorarbeiten für völkerrechtliche Vereinbarungen und der Weg 1

Als ältestes Beispiel für die Zusammenarbeit wird die Auslieferungsvereinbarung zwischen dem Pharao Ramses II und dem Hethiterkönig aus dem Jahre 1280 v. Chr. angesehen; weitere Beispiele bei Zimmermann, La coopration judiciaire internationale en matire pnale, S. 1; Becker, Grundprinzipien des Auslieferungsrechts, Jura 1988, S. 233. 2 Lapidoth, Sovereignty in Transition, J. Intl Aff. Nr. 2/1992, S. 325. 3 Dazu Fijnaut, Transnational Crime and the Role of the United Nations in Its Containment through International Cooperation: A Challenge for the 21st Century, Eur.J.Crime Cr.L.Cr.J. Nr. 8/2000, S. 119; den Boer, Rozwj wspłpracy policji: rys historyczny, in: Beczała (Hrsg.), Układ z Schengen, S. 33 f. 4 von Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 122, 131 m.w.N. 5 Van den Wyngaert, Eurojust and the European Public Prosecutor in the Corpus Juris Model: Water and Fire?, in: Walker (Hrsg.), Europes Area of Freedom, Security and Justice, S. 202; Pradel, Wege zur Schaffung eines einheitlichen Europäischen Rechtsraums, in: Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, S. 61. 6 Ligeti, Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union, S. 51 f.

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zu deren erfolgreichem Abschluss nicht unterschätzt werden.7 Wohl das bedeutsamste völkerrechtliche Abkommen des Europarates und zugleich die erste grenzüberschreitend geltende Menschenrechtskodifikation8 ist die Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950. Obwohl der innerstaatliche Rang der EMRK unterschiedlich ist,9 tragen die vom EGMR herausgearbeiteten Grundsätze zur Etablierung von Mindeststandards bei. Daher wird, zu Recht, dem System des Menschenrechtsschutzes des Europarates die Funktion eines „Katalysators“ im Prozess der Europäisierung des Strafrechts zugeschrieben.10 Der Prozess der Intensivierung der Zusammenarbeit in Strafsachen wurde, trotz anfänglicher Schwierigkeiten,11 auf der EU-Ebene konsequent gefördert.12 Mit diversen Aspekten der inneren Sicherheit13 befassten sich die allmählich ins Leben gerufenen TREVI I – IV („Terrorisme, Radicalisme, Extremise et Violence“), bis ihre Aufgaben durch den Maastrichter Vertrag in die Zusammenarbeit unter der dritten

7 Vgl. Vogler, Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats, Jura 1992, S. 586 ff.; Waltos´/Wa˛sek, Harmonizacja prawa karnego w Europie z polskiej perspektywy, Palestra Nr. 11 – 12/1996, S. 14 f.; Pradel, Wege zur Schaffung eines einheitlichen Europäischen Rechtsraums, in: Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftstrafrecht in der Europäischen Union, S. 59 f.; Weyembergh, La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale entre les Etats membres de lUnion europenne: mise en perspective, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 28. 8 Peters, Einführung in die EMRK mit rechtsvergleichenden Bezügen zum deutschen Grundgesetz, S. 1. 9 Gem. Art. 59 Abs. 2 GG gilt die EMRK in Deutschland als einfaches Bundesgesetz, BVerfGE 74, 358, 370; in Polen genießen ratifizierte internationale Verträge, gem. Art. 92 Abs. 2 der polnischen Verfassung, im Kollisionsfall mit den Bestimmungen einfacher Gesetze den Vorrang (dazu Hoffman´ski, Konwencja Europejska a prawo karne, S. 37 ff.); am seltensten genießt die EMRK den Verfassungsrang (das ist der Fall z. B. in Österreich oder in der Schweiz); nach Ambos, Internationales Strafrecht, § 10, Rn. 8. 10 Hecker, Europäisches Strafrecht, § 3, Rn. 20. 11 Z. B. im Hinblick auf die Effizienz politischer Zusammenarbeit, dazu Ligeti, Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union, S. 54 f.; Dannecker, Strafrecht der Europäischen Gemeinschaft, in: Eser/Huber (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 1991; zu „informeller intergouvernementaler Zusammenarbeit“ vgl. Gleß/Lüke, Strafverfolgung über die Grenzen hinweg, Jura 1998, S. 71. 12 U. a. wurde 1962 von der Kommission ein Vorhaben eingeleitet mit dem Ziel, einen Vorschlag eines Übereinkommens über die Verfolgung und Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen zu erarbeiten. Dazu gehörten auch Themen wie: Verantwortlichkeit von Beamten, Betrugsbekämpfung sowie grenzüberschreitende Führung eines Strafverfahrens und Vollstreckung fremder Urteile. Diese weitreichenden Arbeiten mussten 1966 aufgrund des Vetos Frankreichs eingestellt werden. Dazu Zagaris/ Fantauzii, International Criminal Law in a European Integration Context, Comp. L. Yb. Nr. 11/ 1992, S. 12 f. 13 Wie z. B. Rowdytum der Fußballfans, Drogenschmuggel, Waffenhandel, Geldwäsche, Straftaten gegen Umwelt; dazu Zielin´ska, Integracja Europejska w dziedzinie prawa karnego – stan obecny i perspektywy, in: We˛drychowski (Hrsg.), Prawo Unii Europejskiej w wewne˛trznym porza˛dku prawnym pan´stw członkowskich, S. 183.

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Säule eingegliedert wurden.14 Verbindliche Regelungen der inneren Sicherheit, Einwanderung, Grenzkontrollen (Aufhebung der Binnengrenzen, Stärkung der Außengrenze, SIS), polizeilichen Zusammenarbeit sowie des Asylrechts in der EU sind mit den Schengener Abkommen15 in Kraft getreten. Durch seine Eingliederung in die acquis communautaire16 wurde dem ursprünglichen Ziel: ein einheitliches Schutzniveau und die Gewährleistung eines gemeinsamen Standards der Zusammenarbeit zu erreichen, um die Interessen der beteiligten Länder auf dem Gebiet der Strafverfolgung zu sichern,17 Nachdruck verliehen. Schnell gelangte man zum Schluss, dass Veränderungen in den nationalen Strafrechtssystemen nur dann möglich sind, wenn die EG/EU über einen tauglichen Handlungsapparat verfügt. Der Maastrichter Vertrag schrieb für die Zusammenarbeit in den strafrechtlich relevanten Bereichen den Weg des politischen Kompromisses vor.18 Der Gegenstand der Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres wurde durch Art. K.1. EUV u. a. auf die Bekämpfung von Betrügereien im internationalen Maßstab beschränkt.19 Der Amsterdamer Vertrag setzte den Ausbau der bereits im Maastrichter Vertrag statuierten Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres („dritte Säule“) fort. Art. 29 Abs. 1 EUV bestimmt das Ziel: einen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen“. Zu dessen Verwirklichung wurde auch ein neues Instrumentarium eingeführt.20 Für einen weiteren Umbruch sorgte der Europäische Rat während der Tagung in Tampere (15./16. Oktober 1999). Laut der Stimme der europäischen Kriminalpolitik plädierte er für einen echten europäischen Rechtsraum und eine grenzüberschreitende Kriminalitätsverhütung und -be-

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Zu anderen Kooperationsformen: CELAD (Comit Europen de la Lutte Anti-Drogue), GAM (Groupe dAssistance Mutuelle), Arbeitsgruppe für justizielle Zusammenarbeit, vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 12, Rn. 2 m.w.N. 15 Übereinkommen von Schengen v. 14. 6. 1985 (Schengen I), GMBL 1986, S. 79 ff. und Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen v. 19. 6. 1990 (SDÜ), BGBl. 1993 II S. 1010. 16 Dazu Rokicka, Wła˛czenie acquis Schengen w ramy prawne Unii Europejskiej, Studia Europejskie Nr. 2/2000, S. 77; Epiney, Rechtshilfe in Strafsachen in der EU, EuZW 2003, S. 422. 17 Ausführlicher hierzu Maron´, Intagracja europejska a prawo karne, S. 49 ff.; Nilsson, From Classical Judicial Cooperation to Mutual Recognition, RIDP Vol. 77/2006, S. 58. 18 Albrecht/Braum, Kontingentes „Europäisches Strafrecht“ in actio: Schwerpunkte, Konturen, Defizite, KritV 2001, S. 313; vgl. auch Weyembergh, La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale entre les Etats membres de lUnion europenne: mise en perspective, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 31 ff. 19 Ausführlicher Gleß/Lüke, Strafverfolgung über die Grenzen hinweg, Jura 1998, S. 73 ff. 20 An großer Bedeutung hat insbesondere der Rahmenbeschluss gewonnen, der neben gemeinsamen Standpunkten, Beschlüssen und Übereinkommen als eine Rechtsform für Maßnahmen des Rates in Art. 34 Abs. 2 EUV vorgesehen ist; vgl. Albrecht/Braum, Deficiencies in the Development of European Criminal Law, ELJ Nr. 3/1999, S. 298 f.

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kämpfung.21 Besondere Bedeutung („Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit“) kommt dabei dem auf die Strafsachen übertragenen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zu, der für radikale Veränderungen der traditionellen Kooperationsgrundsätze sorgt. Das Ziel, „ein gemeinsamer europäischer Ermittlungs- und Strafverfolgungsraum“, wird des Weiteren u. a. durch Eurojust und das Europäische Justizielle Netz (EJN) gefördert. Zusammenfassend zu dieser, ohne Anspruch auf Vollständigkeit geschilderten, Entstehung des rechtlichen und institutionellen Rahmens für das (weit verstandene) „europäische Strafrecht“22 soll angemerkt werden, dass die Dynamik der Kooperationsentwicklung auf der europäischen Ebene vom Paradigmenwechsel im Nationaldenken und wachsenden Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander zeugt. Der Prozess der zunehmenden Stärkung der Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU scheint genauso unaufhaltsam zu sein, wie die Integrationsdynamik unumkehrbar ist. Diskussionen in der Literatur, auf der nationalen und auf der EU-Ebene deuten aber zugleich darauf hin, dass der Preisgabe von jus puniendi Grenzen gesetzt sind und die „sensible Balance“23 zwischen dem staatlichen Strafgewaltmonopol und der Einflussnahmemöglichkeit der EU gewahrt werden muss. Wegweisend für die zukünftige Kooperation ist aktuell der Lissabonner Vertrag, mit dem die Neugestaltung der institutionellen und instrumentalen Grundlagen für die Zusammenarbeit erfolgt.

II. Grundbegriffe Internationale Zusammenarbeit in Strafsachen stellt einen Oberbegriff für alle Beziehungen zwischen Staaten dar, die auf Unterstützung von weitverstandenen Strafverfahren gerichtet sind.24 Nach dem traditionellen Verständnis besteht die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Durchführung von Tätigkeiten durch den ersuchten Staat, die geeignet sind, die Verfolgung und Bestrafung von Verstößen gegen 21 Laut Nr. 5 der Schlussfolgerungen des Gipfels dürfen Straftäter keine Möglichkeiten finden, die Unterschiede in den Justizsystemen der Mitgliedstaaten auszunutzen. Dieses Ziel soll durch eine bessere Vereinbarkeit, eine stärkere Konvergenz der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen und Entscheidungen in der gesamten Union erreicht werden; Schlussfolgerungen sind abrufbar unter: http://www.europ arl.europa.eu/summits/tam_de.htm#annexe. 22 Verstanden zum einen als eine Rechtsmaterie sui generis, die sowohl strafrechtsbezogenes Völker-, Gemeinschafts- und Unionsrecht als auch das durch die letztgenannten beeinflusste nationale Strafrecht umfasst; zum anderen auch als Institutionen, deren Befugnisse sich auf die Strafverfolgung erstrecken oder strafrechtliche Probleme aus den Bereichen der europäischen Kriminalpolitik und Strafrechtsdogmatik; vgl. Hecker, Europäisches Strafrecht, § 1, Rn. 5 ff.; Grzelak, Organy ochrony prawnej w obszarze wolnos´ci, bezpieczen´stwa i sprawiedliwos´ci Unii Europejskiej, in: Jasin´ski/Smoter (Hrsg.), Obszar wolnos´ci, bezpieczen´stwa i sprawiedliwos´ci Unii Europejskiej, S. 373 ff. 23 Braum, Europäische Strafgesetzlichkeit, S. 399. 24 Lach, Europejska pomoc prawna w sprawach karnych, S. 37 f.

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das Strafrecht des ersuchenden Staates auf dessen Ersuchen zu erleichtern.25 Außer herkömmlichen Rechtshilfehandlungen können darunter auch Kooperationsmechanismen wie u. a. die Vorbeugung von Jurisdiktionskonflikten oder bestimmte Harmonisierungsmaßnahmen fallen.26 Als „justiziell“ wird sie selbst dann bezeichnet, wenn sie von einer Regierung initiiert wird, sofern sie auf die Unterstützung eines Strafverfahrens ausgerichtet ist. Der Kooperationsgedanke basiert auf der Völkersolidarität und kann sowohl einem gemeinsamen Ziel, wie z. B. internationaler Sicherheit, als auch einem partikulären Ziel eines kooperierenden Staates, wie z. B. der Durchsetzung seines Strafanspruchs, dienen.27 Innerstaatlich wird in der Regel der präzisere Begriff der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen verwendet.28 Darunter ist jede Unterstützung, die auf Ersuchen für ein ausländisches Strafverfahren gewährt wird, zu verstehen.29 Der Rechtshilfebegriff umfasst danach alle Tätigkeiten auf dem Gebiet der Rechtspflege, von den Vorfeldermittlungen bis zur Vollstreckung,30 die zwischen unabhängigen Staaten erfolgen.31 Zum einen handelt es sich dabei um ein (Hilfs-)Verfahren des ersuchenden Staates, welches wegen eines dort geführten Hauptverfahrens eingeleitet wurde.32 Zum anderen ist es – aus der Perspektive des ersuchten Staates – ein sui-generis-Verfahren, das ohne ein inländisches Strafverfahren geführt wird und sowohl Elemente eines Strafals auch eines Verwaltungsverfahrens aufweist.33 Der strafrechtliche Charakter wird bejaht, wenn das unterstützte Verfahren die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage oder eine Entscheidung über strafrechtliche Verantwortung betrifft.34 25

Zimmermann, La coopration judiciaire internationale en matire pnale, S. 5. Vgl. z. B. Bestimmungen des Art. 31 EUV, Lach, Europejska pomoc prawna w sprawach karnych, S. 37 f. 27 Villareal Corrales, La coopracion internacional en materia penal, S. 78 ff. 28 In den common-law-Ländern meistens als judicial assistance bezeichnet und nur auf Fälle eingeschränkt, wo eine tatsächliche Inanspruchnahme eines Gerichts notwendig ist, vgl. Lach, Europejska pomoc prawna w sprawach karnych, S. 43 m.w.N. 29 Vgl. Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, S. 4; Płachta, Przekazywanie skazanych pomie˛dzy pan´stwami, S. 207 m.w.N; vgl. auch § 59 Abs. 2 IRG. 30 Vgl. Kolasin´ski, Pomoc prawna i dore˛czenia w poste˛powaniu karnym przeciwko cudzoziemcom w Polsce, in: Szwarc (Hrsg.), Przeste˛pczos´c´ przygraniczna, S. 60. 31 Zimmermann, La coopration judiciaire internationale en matire pnale, S. 5; Popp schließt auch die Möglichkeit der Unterstützung von internationalen Gremien (z. B. Tribunale) ein, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, S. 4. 32 Waltos´, Proces karny, S. 43; so auch (am Beispiel des Auslieferungsverfahrens) Böhm/ Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 594. 33 Lach, Europejska pomoc prawna w sprawach karnych, S. 45 f.; vgl. Płachta, Przekazywanie skazanych pomie˛dzy pan´stwami, S. 209; Spinellis, Securing Evidence Abroad – A European Perspective, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, S. 362. 34 Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, S. 4; Zimmermann, La coopration judiciaire internationale en matire pnale, S. 6; vgl. auch IRG-KommentarLagodny, § 1, Rn. 2; zur Unterscheidung zwischen Rechtshilfe, Amtshilfe und „Polizeihilfe“ vgl. Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 53 ff. 26

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Traditionell umfasst die Rechtshilfe die Auslieferung/Einlieferung, die sog. Vollstreckungshilfe (Rechtshilfe i. w. S., vgl. 48 ff. IRG) und sog. „sonstige“ oder „kleine Rechtshilfe“ (minor legal assistance, 59 ff. IRG).35 In der Praxis stellt die Auslieferung den wichtigsten Rechtshilfebereich dar.36 Die sonstige Rechtshilfe umfasst Unterstützungshandlungen wie u. a. Gerichtszustellungen, Durchsuchungen und Beweismittelbeschlagnahme sowie die Durchführung von anderen Handlungen zu Beweiszwecken.37 Teilweise verzichtet man auf diese Unterteilung und zählt zur Zusammenarbeit in Strafsachen insgesamt 6 Grundinstrumente: die Auslieferung, (sonstige) Rechtshilfe, Übergabe von Strafgefangenen, Strafvollstreckung, Strafverfolgungsübernahme sowie die Beschlagnahme von Erträgen aus Straftaten.38 Von dem traditionellen Verständnis der internationalen Kooperation weicht das EU-Konzept der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ab. Unter Strafsachen fallen alle Formen der Reaktion eines Staates auf ein Verhalten, das mit seinen sozialen Werten unvereinbar erscheint und geahndet wird. Dies schließt auch Elemente der Täterrehabilitation und strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen ein.39 Die EU-Postulate bezüglich der Zusammenarbeit in Strafsachen deuten auf eine Abkehr vom sog. „Ersuchens-Prinzip“, wonach einem souveränen Staat ein beim Vorliegen eines Ersuchens eines anderen Staates ausgedehnter Entscheidungsspielraum zustehe, ob er dem Ersuchen stattgibt.40 Zu betonen ist auch der rein justizielle Charakter der Zusammenarbeit, der als direkte Kooperation zwischen den Justizbehörden der Mitgliedstaaten verstanden wird und in der Eliminierung politischer Einflussnahme in der Entscheidungsfindung besteht.41 Im Vergleich zur klassischen Amts- und Rechtshilfe kommt es zur deutlichen Reduktion der Ablehnungsgründe.42 Der konturlose Gedanke der Völkersolidarität bekommt auf der EU-Ebene somit die Gestalt einer konkreten Verpflichtung, die auf Basis gegenseitigen Vertrauens und mithilfe gegenseitiger Anerkennung zur Beschleunigung und Erleichterung einzelner Rechtshilfehandlungen führt. 35

Zimmermann, La coopration judiciaire internationale en matire pnale, S. 7; Lach, Europejska pomoc prawna w sprawach karnych, S. 44. 36 Dabei betreffen (so in Deutschland) ca. drei Viertel eingehender Ersuchen Zwecke der Strafverfolgung und ein Viertel die Strafvollstreckung gefällter Urteile; Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 596 m.w.N. 37 Ausführlich dazu Ahlbrecht, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 994 ff. 38 Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 6. 39 Unter Strafsachen sollen auch Maßnahmen fallen, „soweit sie erforderlich sind, um sicherzustellen, dass juristische Personen für Straftaten, die zu ihren Gunsten von natürlichen Personen, die leitende Positionen in der juristischen Person innehaben, begangen wurden, verantwortlich gemacht werden können.“ KOM(2000) 495 v. 26.7.2000. 40 Zum „Ersuchensmodell“ (the request model) Klip, European Criminal Law, S. 318 ff. 41 Vgl. die Erwägungsgründe zum Rahmenbeschluss über den EuHb Nr. 1, 5, 7 und 11; vgl. de Kerchove, LEurope Pnale: Bilan et Perspectives, in: Moore/Chiavario (Hrsg.), Police and Judicial Co-operation in the European Union, S. 341. 42 Dazu Sieber, Die Zukunft des Europäischen Strafrechts, ZStW 2009, S. 18 f.

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Das traditionelle System horizontaler Zusammenarbeit, wobei Organe von zwei oder mehr unabhängigen Staaten involviert sind43 und allein die involvierten Staaten als Zurechnungsobjekte für jegliches hoheitliche Handeln in Frage kommen,44 wird allmählich in der EU in ein gemischtes Kooperationsmodell mit vertikalen Elementen umgewandelt.45 Vertikale Zusammenarbeit ist durch Einschaltung einer internationalen Institution, die meistens koordinierende Aufgaben übernimmt, gekennzeichnet. Auf der Ebene sind somit neben den Staaten weitere (supranationale) Zurechnungssubjekte tätig, was ggf. bei der Frage der Verantwortlichkeit für hoheitliches Tätigwerden mitberücksichtigt werden muss.46 Beispiele hierfür stellen in der polizeilichen Zusammenarbeit Europol und in der justiziellen Zusammenarbeit Eurojust dar. Eine weitgehende Teilnahme von solchen Organen sieht insbesondere der Vorschlag für die Europäische Staatsanwaltschaft vor.47 Im Ergebnis nähert sich das europäische Kooperationsmodell der Weise an, in der rechtlich, historisch und kulturell eng verbundene Länder oder gar innerstaatliche justizielle Behörden miteinander zusammenarbeiten.

III. (Grund-)Modelle der justiziellen Zusammenarbeit und ihre Übertragbarkeit auf die EU Eine nähere Betrachtung der Entwicklung und Funktionsweise einzelner Kooperationsmodelle ermöglicht zum einen Rückschlüsse zur Gestaltung und Funktionsweise justizieller Zusammenarbeit in einer konkreten, rechtlich und politisch bedingten Situation. Von den in der internationalen Kooperationspraxis verschiedenen denkbaren Modellen lassen sich zum anderen Elemente aufzeigen, die bereits von dem entstehenden eklektischen Kooperationskonzept der EU-Mitgliedstaaten aufgenommen wurden oder in der Zukunft inkorporiert werden könnten. Je nach der Zusammenwirkung von rechtssetzender und normenanwendender Tätigkeit auf zentrale und dezentrale Instanzen kann insbesondere zwischen dem sog. „deutschen“, schwei-

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Cassese, International Criminal Law, S. 356; vgl. auch Knoops, Theory and Practice of International and Internationalized Criminal Proceedings, S. 309 ff. 44 Ziegenhahn, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, S. 117. 45 So Lach, Europejska pomoc prawna w sprawach karnych, S. 46; dazu auch Klip, European Criminal Law, S. 354 ff. 46 Ziegenhahn, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, S. 117. 47 Van den Wyngaert, Eurojust and the European Public Prosecutor in the Corpus Juris Model: Water and Fire?, in: Walker (Hrsg.), Europes Area of Freedom, Security and Justice, S. 215; Lach, Europejska pomoc prawna w sprawach karnych, S. 53 m.w.N.; vgl. auch Dirkzwager, The Shifting Boundaries of European and National Enforcement: a Case Study of Customs Law, in: Vervaele (Hrsg.), Compliance and Enforcement of European Community Law, S. 258 ff.

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zerischen, US-amerikanischen sowie dem nordeuropäischen Kooperationsmodell unterschieden werden.48 1. Das „deutsche Modell“ Das deutsche Kooperationsmodell ist von der stärksten Zentralisierung sowohl auf der Ebene des materiellen als auch des prozessualen Rechts gekennzeichnet. Bereits 1860 machten die Juristen auf die „Dringlichkeit und das Bedürfnis einer gemeinsamen Strafgesetzgebung“ aufmerksam.49 Das Ende von neun deutschen Strafrechten setzten endgültig das Reichsstrafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 und die Reichsstrafprozessordnung vom 1. Februar 1877. Das einheitliche, bundesweit geltende Strafrecht sensu largo ist seither verfassungsrechtlich abgesichert und prägt die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet.50 Das Prädikat „deutsch“ ist insofern irreführend, als dieses Modell auch auf andere Länder zutrifft, die durch eine konsolidierte Struktur und ein einheitlich geregeltes Strafrecht und Strafprozessrecht gekennzeichnet sind. Charakteristisch für dieses Modell ist, dass die Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden durch ein zentralistisches Element geprägt ist.51 Das kann wie in Deutschland der Bund oder einfach der Staat in allen nicht föderalistisch strukturierten Ländern sein. Das äußerlich Erkennbare an dem Modell ist die Tatsache, dass es ein vereinheitlichtes, für das ganze Staatsgebiet geltendes Strafrecht und Strafprozessrecht (Strafprozessordnung) gibt. Die historischen Erfahrungen Deutschlands werden als gutes Beispiel dafür interpretiert, dass die Vereinheitlichung eine „Chance zur Überwindung der alten Strukturen“ biete und ein schnell erzielbares Ergebnis ermögliche.52 So wurde dieser Gedanke in manchen Vorschlägen auf dem Gebiet des internationalen Rechts aufgegriffen und sogar zur Idee einer „Weltrechtsordnung“ oder „civitas maxima“53 mutiert.54 48

Sieber, Memorandum für ein Europäisches Modellstrafgesetzbuch, JZ 1997, S. 372; eine andere Systematisierung (Ersuchensmodell, Anerkennungsmodell und Verfügbarkeitsmodell) schlägt Klip vor, European Criminal Law, S. 318 ff. 49 Ein maßgeblicher Erfolg wurde in den Grenzen des Norddeutschen Bundes mit der Durchsetzung des Vorrangs des einheitlichen Bundesstrafrechts vor dem Partikularrecht erzielt; vgl. Art. 2, S. 1 Verfassung des Norddeutschen Bundes v. 1867; zit. nach Sieber, Europäisches Strafrecht, ZStW 1991, S. 959; ders., Memorandum für ein Europäisches Modellstrafgesetzbuch, JZ 1997, S. 372. 50 Vgl. Art. 2 Reichsverfassung v. 1871; Art. 13, S. 1 Weimarer Reichsverfassung v. 1919 und Art. 31, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. 51 Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, S. 136. 52 Sieber, Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, ZStW 1991, S. 959; ders., Memorandum für ein Europäisches Modellstrafgesetzbuch, JZ 1997, S. 372. 53 Nach Lapidoth, Sovereignty in Transition, J.Intl Aff. Nr. 2/1992, S. 327. 54 Bereits 1927 fand in Warschau die erste internationale Konferenz statt, die sich mit der Problematik der internationalen Strafrechtsangleichung auseinander setzte; vgl. I. Confrence Internationale pour lUnification du Droit Pnal, Actes de la Confrence, Paris 1929. Auch in der Nachkriegszeit fand der Gedanke eines weltweit einheitlichen Strafrechtssystems seine Anhänger, die darin jedoch eine ideelle Wunschvorstellung sahen; vgl. Cies´lak, W kwestii

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Das voraussehbare Scheitern der Idee eines Weltrechts lässt sich vermutlich nach wie vor am besten mit der These Montesquieus begründen, dass „die Gesetze jeder Nation so sehr einem bestimmten Volk eigen seien, dass es eines großen Zufalls bedurfte, wenn sie auch einer anderen Nation genehm sein könnten“.55 Selbst das gelockerte Verständnis vom Strafrecht als Prärogative staatlicher Souveränität56 und Einigkeit darüber, dass fundamentale Grundsätze wie z. B. Rechtswidrigkeit oder Schuld in mehreren Rechtsordnungen Anwendung finden,57 ändert nichts an der Tatsache, dass das Strafrecht zu den Rechtsgebieten zählt, die wegen starker kultureller und gesellschaftlicher Verbundenheit den universalistischen Tendenzen in der Rechtsentwicklung nur sehr begrenzt nachgeben können.58 Zum anderen kann selbst eine Gesetzesangleichung keine Einheitlichkeit der Gesetzesanwendung gewährleisten.59 Parallel zur Angleichung der Regelungsbereiche müsste daher auch eine Angleichung von allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen und wesentlichen Funktionszusammenhängen der jeweiligen Strafrechtssysteme erfolgen.60 Eine Wiederbelebung mie˛dzynarodowej unifikacji prawa karnego, Zeszyty Naukowe Wydziału Prawa i Administracji UG, Nr. 7/1979, S. 67; dazu auch Maierhöfer, „Aut dedere – aut iudicare“, S. 307 m.w.N.; Vogler, Bemühungen um eine europäische Strafvereinheitlichung, in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsreform und Rechtsvergleichung, S. 144 ff. 55 Montesquieu, Der Geist der Gesetze, S. 6; ähnlich von Savigny: „Das Recht wird nicht gemacht. Es wächst mit dem Volke, bildet sich aus mit diesem und stirbt endlich ab, so wie das Volk seine Eigentümlichkeit verliert“, in: Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, in: Grundgedanken der Historischen Rechtsschule, 1948, S. 5. 56 Vgl. Ligeti, Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union, S. 16; Delmas-Marty, The European Union and Penal Law, ELJ Vol. 4/1988, S. 87. 57 Vgl. Jescheck, Die Strafgewalt übernationaler Gemeinschaften, ZStW 1953, S. 496 f.; zu den gemeinsamen Fundamenten in den europäischen Strafrechtssystemen vgl. Nuotio, The Emerging European Dimension of Criminal Law, in: Asp/Herlitz/Holmqvist (Hrsg.), Flores juris et legum, FS Jareborg, S. 533 ff. 58 Rüter warnt vor dem Vermischen der Strafrechtssysteme, das zu einer „Brühe, die keinem schmeckt“ oder zu einer Art „strafrechtliche(m) Esperanto“ führe, in: Harmonie trotz Dissonanz, ZStW 1993, S. 42; Perron spricht in diesem Zusammenhang von „nationaler Fixierung des (Straf)Rechts“ und „Verfestigung unterschiedliche(r) nationale(r) Rechtskulturen, die auf Komplexität und Eigendynamik der nationalen Rechtssysteme und mangelnde rechtsvergleichende Erfassung von Unterschieden zurückzuführen sind.“, Sind die nationalen Grenzen des Strafrechts überwindbar?, ZStW 1997, S. 283 ff. 59 Dies verdeutlicht Rüter am Beispiel der im Wortlaut derzeit ähnlichen Betäubungsmittelgesetze und des Tatbestandes der Sterbehilfe Deutschlands und der Niederlanden, Harmonie trotz Dissonanz, ZStW 1993, S. 34 und 37 f.; Weigend erweitert diese Überlegungen um Schwangerschaftsabbruchsverhalten und Betrug, Strafrecht durch internationale Vereinbarungen – Verlust an nationaler Strafrechtskultur?, ZStW 1993, S. 787 ff.; dazu auch Zieschang, Europäisierung des Strafrechts, ZStW 2001, S. 268. 60 So Perron, Sind die nationalen Grenzen des Strafrechts überwindbar?, ZStW 1997, S. 297 ff. An solchen konzeptionellen Hindernissen scheiterte beispielsweise 1971 ein von der Assemble des Europarates initiiertes Projekt für die Ausarbeitung eines einheitlich geltenden europäischen Strafgesetzbuchs bereits in der Phase der Konsultation; Model Penal Code for Europe, Memorandum prepared at the request of the legal affairs committee of the Council of Europe (Nr. AS/Jur (22)45). Das Utopische an Strafrechtsvereinheitlichung verdeutlicht auch

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des Gedankens an ein für alle Mitgliedstaaten gemeinsames Strafrecht erscheint, bis auf Maßnahmen zur Mindestangleichung bestimmter Kriminalitätsbereiche61 oder Vorschläge in bereichsspezifisch ausgelegten Initiativen wie Corpus Juris, nicht zur Debatte zu stehen. So bleibt auch die Bezeichnung „europäisches Strafrecht“ ein rechtstechnischer Arbeitsbegriff und kein (formaljuristischer) Rechtsbegriff.62 2. Das „Schweizer Modell“ Nach einem anderen Kooperationsprinzip funktioniert die strafrechtliche Zusammenarbeit in der Schweiz, wo viele Zuständigkeitsbereiche, darunter teilweise auch das Strafrecht, bei den Kantonen verblieben sind.63 Das materielle Strafrecht ist im Laufe der Zeit, ähnlich wie in Deutschland, vereinheitlicht und gilt seit der Annahme des schweizerischen StGB in der Volksabstimmung von 1942 für das ganze Land. Die Eigenart des Schweizer Kooperationsmodells besteht in der dezentralisierten Ordnung im Bereich des Strafprozessrechts.64 Landesweite Regelungen im Strafverfahren wurden nur dann getroffen, wenn dies zur Durchsetzung des materiellen Rechts notwendig war.65 Eine bundesweite Regelung interkantonaler Zusammenarbeit befindet sich im schweizerischen Strafgesetzbuch (Art. 339 – 362 chStGB). Für eine kollisionsfreie Strafverfolgung in der Schweiz sorgen die Art. 339 ff. chStGB, die den Gerichtsstand regeln.66 Da die örtliche Zuständigkeitsbestimmung des chStGB das Scheitern eines ähnlichen Vorhabens innerhalb einer kleineren regionalen Staatengemeinschaft von Benelux-Staaten, dazu Rüter, Harmonie trotz Dissonanz, ZStW 1993, S. 43. 61 Z. B. Geldfälschungsdelikte, Menschenhandel, Geldwäsche, Terrorismus, illegaler Drogenhandel, Kinderpornographie; ausführlich dazu Hecker, Europäisches Strafrecht, S. 393 ff. 62 Albrecht/Braum, Kontingentes „Europäisches Strafrecht“ in actio: Schwerpunkte, Konturen, Defizite, KritV 2001, S. 313 f.; Jung, Konturen und Perspektiven des europäischen Strafrechts, JuS 2000, S. 417 ff.; ähnlich Hamm, Grundprinzipien eines europäischen Strafrechts, in: Vogel/Grotz (Hrsg.), Perspektiven des internationalen Strafprozessrechts, S. 55 f. 63 Zur historischen Entwicklung: Hauser, Der Strafprozeß in der Schweiz und seine Besonderheiten, in: Jung (Hrsg.), Der Strafprozeß im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, S. 85. 64 Zum Stand der Diskussionen um Vereinheitlichung im Bereich des Strafprozessrechts siehe Homepage des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements http://www.ejpd.admin. ch/ejpd/de/home/themen/sicherheit/ref_gesetzgebung/ref_strafprozess.html; dazu auch Kuczyn´ska, Wsplny obszar poste˛powania karnego w prawie Unii Europejskiej, S. 175. 65 Wie z. B. im Bereich der Zuständigkeitsregelungen oder der interkantonalen Rechtshilfe. Im Rahmen der sog. Effizienzvorlage wurde neulich der Bundesjustiz die Verfolgung bestimmter Delikte (insbesondere Bekämpfung der organisierten Kriminalität, bzw. Wirtschaftskriminalität) zugewiesen, zit. nach Wohlers, Strafverfolgungskompetenzen im Bundesstaat, in: Schünemann (Hrsg.), Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung, S. 69 ff.; vgl. auch Hauser, Der Strafprozess in der Schweiz und seine Besonderheiten, in: Jung (Hrsg.), Der Strafprozeß im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, S. 88. 66 Der primäre Gerichtsstand wird durch den Ort bestimmt, an dem die strafbare Handlung ausgeführt wurde (forum delicti comissi). Die übrigen Gerichtsstände sind Erfolgsort, Wohnort und Heimatort. Wurde eine strafbare Handlung in mehreren Kantonen ausgeführt, sind die

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für die Kantone nicht zwingend ist,67 können in bestimmten Fällen ausdrückliche oder konkludente Vereinbarungen über einen abweichenden Gerichtsstand getroffen werden (forum prorogatum).68 Art. 356 chStGB normiert eine allgemeine Verpflichtung zur gegenseitigen Rechtshilfe zwischen den Kantonen untereinander und dem Bund. Ausnahmen von der Pflicht sind nur bei politischen und Pressedelikten vorgesehen, sofern die Verfolgung übernommen wird. Bei der Verbesserung der interkantonalen Zusammenarbeit in nicht vereinheitlichten Rechtsbereichen werden interkantonale Konkordate bevorzugt.69 Um eine effiziente Bekämpfung der Kriminalität durch Förderung der interkantonalen Zusammenarbeit zu gewährleisten, wurde ein gesamtschweizerisches Konkordat über die Rechtshilfe und die interkantonale Zusammenarbeit in Strafsachen ausgearbeitet.70 Nach dem am 5. November 1992 angenommenen Konkordat71 sind die ihm beigetretenen Kantone (inzwischen sind es alle) verpflichtet, sich auf dem Gebiet des Strafrechts im Verfahren und beim Vollzug von Urteilen gegenseitig zu unterstützen, was in der Praxis bedeutet, dass die Rechtshilfe ohne Prüfung der Zweckmäßigkeit von Amtshandlungen zu gewähren ist.72 Die Rechtshilfe kann auf zweierlei Weise erfolgen: entweder nimmt eine Behörde auf dem Gebiet eines anderen Kantons die Maßnahmen selbst vor (sog. Modell der unmittelbaren Geltungserstreckung)73 oder sie ersucht um Hilfe bei der örtlich zuständigen Behörde. Im ersten Fall wendet die Untersuchungs- oder Gerichtsbehörde in einem anderen Kanton eigenes Prozessrecht an74 (Art. 4 des Konkordats) und kann sowohl Sitzungen, Augenscheine und Verhandlungen als auch Verfahrenshandlungen wie Festnahmen, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen vornehmen (Art. 3 – 14 des Konkordats). In einem solchen Fall bedarf Behörden jenes Kantons zuständig, in dem die Untersuchung zuerst angehoben wurde (forum praeventionis). Unter dem Anheben einer Untersuchung ist eine Handlung von Polizei oder Strafbehörde zu verstehen, aus der erkenntlich wird, dass die handelnde Behörde jemanden einer strafbaren Handlung verdächtigt. Bei mehreren Straftaten in verschiedenen Kantonen ist von mehreren gleichzeitig agierenden Behörden die Behörde zuständig, die sich mit der Verfolgung der mit der schwersten Strafe bedrohten Tat befasst. Wohlers, Strafverfolgungskompetenzen im Bundesstaat, in: Schünemann (Hrsg.), Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung, S. 56 m.w.N. 67 Zwingend ist für die Zuständigkeitsübertragung an ein Kanton, dass in diesem Kanton ein örtlicher Anknüpfungspunkt für die Straftat besteht; vgl. BGE 120 IV 286. 68 Sowohl bei negativen als auch bei konsensuell nicht gelösten positiven Zuständigkeitskonflikten entscheidet über den Gerichtsstand die Anklagekammer des Bundesgerichts; Hauser/Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, § 33, Rn. 42. 69 Seit 1848 wurden von den Kantonen über 700 Konkordate in unterschiedlichen Bereichen abgeschlossen, nach BADAC – Datenbank der Schweizer Kantone und Städte, abrufbar unter: http://www.badac.ch/DE/accueil.html. 70 SR 351.71. 71 Das Konkordat ist am 23. 8. 1994 in Kraft getreten. 72 Hauser/Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, § 44, Rn. 31. 73 Sieber, Die Zukunft des Europäischen Strafrechts, ZStW 2009, S. 19. 74 Dieser eindeutige Widerspruch zum Grundsatz locus regit actum (Art. 359 Abs. 2 chStGB) ist nach BGE 122, 1996, I 86 E. 3 zulässig.

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die mit Genehmigung eines kantonalen Gerichts angeordnete Handlung bei ihrer Vornahme in einem anderen Kanton auch keiner weiteren richterlichen Zustimmung am Vornahmeort.75 Mit Ausnahme von Fällen, die die Inanspruchnahme der Polizei erfordern (Art. 6 des Konkordats), reicht eine Benachrichtigung der zuständigen Behörde des Kantons, in dem die Verfahrenshandlung durchgeführt wird, aus (Art. 3 Abs. 3 i.V. m. Art. 11 des Konkordats). Die Zulässigkeit der Rechtsmittel gegen einen Entscheid bezüglich einer Durchsuchung oder Beschlagnahme richtet sich auch nach den Vorschriften des mit der Sache befassten Kantons (Art. 12 des Konkordats). Dieser Kanton trägt auch alle Verfahrenskosten (Art. 14 des Konkordats). Im zweiten Fall handelt die ersuchte Behörde nach eigenem Prozessrecht (Art. 15 – 23 des Konkordats). Die ersuchende Behörde und die Parteien (bzw. ihre Vertreter) können bei den vorgenommenen Verfahrenshandlungen anwesend sein, soweit dies das Recht des ersuchten Kantons vorsieht und die ersuchende Behörde es verlangt (Art. 17 des Konkordats). Das Recht des Rechtsmittels ist dasjenige des mit der Durchführung der Rechtshilfe befassten Kantons (Art. 18 des Konkordats). Die Rechtshilfe wird unentgeltlich gewährt, allerdings trägt die mit der Sache befasste Behörde die Kosten für eventuelle Übersetzungen, Dolmetscher, Vorladungen, Expertisen, wissenschaftliche Arbeiten und Gefangenentransporte allein. 3. Das US-amerikanische Modell Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen in den USA ergibt sich ähnlich wie in Deutschland aus der Verfassung, ist aber durch Zuständigkeitsverschiebung zugunsten der Einzelstaaten gekennzeichnet („limited powers“ des Bundes)76 und führt zu einer strengen Abgrenzung zwischen einzel- und bundesstaatlicher Zuständigkeit im Bereich der Rechtssetzung und -anwendung.77 Von dieser Dezentralisierung sind sowohl das materielle als auch das prozessuelle Strafrecht betroffen.78 Demzufolge verfügen die beiden Strafrechtsebenen auch über eine autonome Strafgerichtsbarkeit (Bundes- und Landesgerichte).79 Die beiden Rechtsebenen unterschei-

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Hauser/Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, § 44, Rn. 41. Dazu mehr bei Dubber, Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, S. 5; Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 67. 77 Die Dezentralisierung und das Fehlen einer hierarchischen Organisation sind zwei prägende Strukturelemente der amerikanischen Strafjustiz; Herrmann, Der amerikanische Strafprozeß, in: Jung (Hrsg.), Der Strafprozeß im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, S. 135 m.w.N.; vgl. auch Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 69. 78 Nebeneinander gelten ein einheitliches Bundesstrafrecht und 50 einzelstaatliche Strafrechte. Nicht mitgezählt wurden der District of Columbia, der Regierungsbezirk der Hauptstadt Washington, der über eigenes Recht verfügt, und das einheitliche Militärstrafrecht (Uniform Code of Military Justice). 79 Das State Law wird von den Gerichten der einzelnen Staaten angewendet. Die Gerichte des Bundes sind nur für die Auslegung und Anwendung der Bundesgesetzte (Federal Law) zuständig; Dubber, Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, S. 2 ff.; Feeney/Hermann, 76

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det u. a., dass es im Gegensatz zum State Law im Federal Law keine auf dem Common Law basierenden Delikte gibt.80 Wann welches Recht zur Anwendung kommt, wird in der Verfassung geregelt.81 Eine intensivierte justizielle Zusammenarbeit zwischen den Staaten begann in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als deutlich wurde, dass eine rechtliche Isolation nur den längst auf dem ganzen US-Gebiet agierenden Straftätern zugute kam.82 Die Rechtsgrundlage für eine enge interstaatliche Zusammenarbeit legt die amerikanische Verfassung in der full faith and credit clause83 fest. Mit der Klausel wollten die amerikanischen Verfassungsväter ein harmonisches Neben- und Miteinander verschiedener rechtlicher Regelungen in den Einzelstaaten sicherstellen. In mehreren Entscheidungen wurde allerdings bekräftigt, dass die Klausel auf die strafrechtliche Zusammenarbeit nur eingeschränkt Anwendung findet und keine Verpflichtung zur Anerkennung oder Vollstreckung von Urteilen eines anderen amerikanischen Staates statuiert.84 Eine weitere Verfassungsnorm bezieht sich auf die „Auslieferung“ zwischen den amerikanischen Staaten.85 Eine Verpflichtung zur Anerkennung und Vollstreckung von Übergabeersuchen ist auch ausdrücklich in § 3182 des 18. Teils (Straftaten und Strafverfahren) des US Code geregelt. Inwiefern diese auf die Verfassungsvorschrift gestützte bundesrechtliche Vorschrift die interstaatOne Case – Two Systems, S. 3; Hirschberg, Das amerikanische und deutsche Strafverfahren, S. 13 f.; Sieber, Europäisches Strafrecht, ZStW 1991, S. 960 m.w.N. 80 Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 68. 81 Die vertikale Gerichtsbarkeitstrennung erleidet in manchen Fällen Ausnahmen, wo nach der Erschöpfung des einzelstaatlichen Instanzweges (z. B. bei der Überprüfung einer behaupteten Verfassungsverletzung) ein Bundesgericht angerufen werden kann; Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 69; Blakesley, The individual as Subject of International Cooperation in Criminal Matters, S. 549 f. 82 Logan, Horizontal Federalism in an Age of Criminal Justice Interconnectedness, U.Pa.L.Rev. Vol. 154/2005, S. 264 u. 266 f. 83 Artikel IV, Sec. 1 der US-Verfassung lautet: „Full faith and credit shall be given in each state to the public acts, records, and judicial proceedings of every other state. And the Congress may by general laws prescribe the manner in which such acts, records, and proceedings shall be proved, and the effect there of.“ 84 Richard, The US approach to mutual confidence, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 272; vgl. auch Williams vs. North Carolina, 317 U.S. 287, 294 Nr. 6 (1942): „It has been repeatedly stated that the full faith and credit clause does not require one state to enforce the penal laws of another.“; Clark vs. Gladden, 432 P. 2d 182, 185 (1967): „No state is required to take notice of foreign convictions in sentencing those who violate its own criminal laws. Each state is free to give foreign convictions such force as it deems proper in the administration of local sentencing policy.“; Nelson vs. George, 399 U.S. 224, 229 (1970): „The Full Faith and Credit Clause does not require that sister States enforce a foreign penal judgment.“ 85 Art. IV, Section 2, Clause 2 lautet: „A person charged in any state with treason, felony, or other crime, who shall flee from justice, and be found in another state, shall on demand of the executive authority of the state from which he fled, be delivered up, to be removed to the state having jurisdiction of the crime.“

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liche Zusammenarbeit beeinflussen könnte, blieb anfangs umstritten86, bis der US Supreme Court entschied, dass die Auslieferungsklausel einen verbindlichen Charakter habe.87 Für die Regelung der strafrechtlichen Zusammenarbeit en detail sind die einzelnen Staaten zuständig. Die Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltung setzen das Federal Law und die US-Verfassung. Um Beeinträchtigungen des Bundesrechts und der Rechte von Staaten zu vermeiden, wurde 1926 ein einheitlicher Auslieferungsakt, der Uniform Criminal Extradition Act (UCEA), ausgearbeitet.88 Mit wenigen Ausnahmen89 ist er in jedem Staat angenommen worden.90 Neben dem Modellstrafgesetzbuch (Model Penal Code), das 1961 vom American Law Institute ausgearbeitet wurde91, sind die Uniform Acts eines der wichtigsten rechtsharmonisierenden Instrumente in den USA.92 Trotz der Harmonisierungsmaßnahmen ist die Behandlung „fremder“ Entscheidungen selbst bei Nachbarstaaten uneinheitlich. Die Rechtswirkung, die der Entscheidung eines anderen Staates verliehen wird, variiert von Staat zu Staat, wobei es grundsätzlich zwei Modelle gibt, die von den Einzelstaaten bei der Urteilsanerkennung angewendet werden.93 Der sog. „internal approach“ ähnelt einem Exequaturverfahren und besteht in einer Überprüfung einer fremden Entscheidung im Lichte des eigenen Rechts. Wie umfangreich eine solche Überprüfung ist, hängt vom einzelnen Staat ab.94 Manche Staaten verzichten auf die Überprüfung 86

In der Entscheidung Kentucky vs. Dennison, 65 U.S. (24 How.) 66, stellte das Gericht fest, dass der Bund eine solche Verpflichtung zur Vollstreckung von Ersuchen anderer Staaten nicht auferlegen dürfe und die Vorschrift einen lediglich deklaratorischen Charakter aufweise. 87 Dennison-Fall, Puerto Rico vs. Branstad, 483 U.S. 219 (1987). 88 Vgl. The Uniform Criminal Extradition Act, Colum.L.Rev. Vol. 32, Nr. 8/1932, S. 1411 ff. 89 Mississippi und South Carolina. 90 Die Uniform Acts werden von der National Conference of Commissioners on Uniform State Law ausgearbeitet und haben keinen rechtsverbindlichen Charakter. Zum Recht werden sie erst dann, wenn die gesetzgebenden Organe einzelner Staaten sie annehmen. 91 Zum Model Penal Code vgl. Dubber, Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, S. 2 ff. 92 Zu den wichtigsten Uniform Acts im Bereich der Zusammenarbeit in Strafsachen zählen des Weiteren: im Bereich der Überwachung von auf Bewährung entlassenen Straftätern: „Uniform Act for Out-of-State Parole Supervision“; zur Sicherung der Teilnahme am Verfahren von Zeugen aus andern Staaten: „Uniform Act to Secure Attendance of Witnesses“; und im Bereich der Urteilsvollstreckung: „Uniform Enforcement of Foreign Judgments Act“. 93 Zu den Modellen ausführlich Logan, Horizontal Federalism in an Age of Criminal Justice Interconnectedness, U.Pa.L.Rev. Vol. 154/2005, S. 262 ff. 94 Ob ein „internal“ oder „external aproach“ angewendet wird, hängt auch davon ab, was mit der Entscheidung eines anderen Staates beabsichtigt wird. Der Staat New York überprüft z. B. bei Fällen schärferer Bestrafung von Wiederholungstätern, ob eine fremde Entscheidung „im Wesentlichen“ mit einer eigenen vergleichbar wäre („essential elements test“) vgl. N.Y. Penal Law § 70.04(1) (b)(i) „The conviction must have been (…) in any other jurisdiction of an offense which includes all of the essential elements of any such felony for which a sentence to a term of imprisonment in excess of one year (…) is authorized in this state.“.

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und erkennen die Rechtskraftwirkung einer fremden Entscheidung an („external approach“).95 Eine ähnliche Uneinheitlichkeit der Kooperationspraxis lässt sich im Hinblick auf die Einhaltung des Verbots der Doppelbestrafung (Double-Jeopardy-Verbot) feststellen. Nach der Doppelsouveränitätsdoktrin kann eine strafbare Tat „Friede und Würde“ zweier Regierungen (des Bundes und des Einzelstaates) verletzen.96 Kommt es zu einer sukzessiven Verfolgung derselben Person wegen derselben Tat von zwei auf verschiedenen Ermächtigungsgrundlagen handelnden Souveränen, steht dem das verfassungsrechtlich97 verankerte Double-Jeopardy-Verbot nicht entgegen.98 Seine Wirkung entfaltet das Verbot nur bei wiederholter Strafverfolgung des Bundes oder des Einzelstaates. Vermehrte Versuche, die Doppelsouveränitätsdoktrin auf gesetzlicher Ebene in den Einzelstaaten einzuschränken, erwiesen sich aufgrund starker regionaler Unterschiede und Abweichungen in der Anwendung von gesetzlichen Einschränkungen99 als wenig effizient. 4. Das Modell der nordischen Staaten Ein Beispiel für enge justizielle Zusammenarbeit stellt das Kooperationsmodell der nordischen Staaten (Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden) dar. Parallelen in der Intensität lassen sich auch in der Zusammenarbeit der Beneluxländer100 oder, im Hinblick auf die tatsächliche Ausgangslage, bei Commonwealth-

95 Ähnliche Unterschiede verdeutlicht die Anwendung Pam Lychner Sexual Offender Tracking and Identification Act v. 1996 (Pub, L, No, 104 – 236, 110 Stat, 3093), wonach bestimmte Straftaten (z. B. Vornahme von Sexualhandlungen an Minderjährigen, Kinderpornographie oder Nötigung zur Kinderprostitution) registrierungspflichtig sind und die Täter für Lebenszeit registriert werden und alle drei Monate Angaben zum Aufenthaltsort aktualisieren müssen. Angesichts dessen, dass die Staaten die vorgegebene Liste von Sexualverbrechen modifiziert und meistens erweitert haben (z. B. gehören in South Carolina dazu auch Voyeurismus und in North Dakota Exhibitionismus), ist fraglich ob eine „fremde“ Verurteilung wegen eines solchen Verbrechens zur Registrierung des Verurteilten führen muss. Dazu Logan, Horizontal Federalism in an Age of Criminal Justice Interconnectedness, U.Pa.L.Rev. Vol. 154/ 2005, S. 280 ff. 96 Vgl. Heath vs. Alabama, 474 U.S. 82, 88 (1985); vgl. Vervaele, The transnational ne bis in idem principle in the EU Mutual recognition and equivalent protection of human rights, ULRev. Nr. 1/2005, S. 114. 97 Vgl. Fifth Amendment der US-Verfassung „No person shall (…) be subject for the same offense to be twice be put in jeopardy of life or limb.“. 98 Eine Ausnahme stellt der District of Columbia dar, der unmittelbar der Regierung unterstellt ist; nach Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 72. 99 Z. B. begrenzen die Einzelstaaten ihre Anwendung auf bestimmte Verfahrensgegenstände oder Delikte; Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 76 m.w.N. 100 Vgl. Mix, Die Vollstreckungsübernahme im internationalen Strafrecht, S. 117 und 197 m.w.N.; dazu auch de Schutter, International Criminal Law in Evolution: Mutual Assistance in Criminal Matters Between the Benelux Countries, 14 Neth. J. Intl Law 1967,

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Staaten101 feststellen. Ähnlichkeiten in den nordischen Rechtssystemen und gegenseitiges Vertrauen ermöglichen eine intensive Zusammenarbeit in vielen Bereichen,102 darunter im Bereich justizieller und polizeilicher Kooperation103. Eine Intensivierung der regionalen Zusammenarbeit ist aber auch auf die Schaffung des Nordischen Rates 1952 zurückzuführen.104 Der Rat versteht sich als ein interparlamentarisches Forum, das Empfehlungen für die intergovernamentale Kooperation ausarbeitet. Eine rechtliche Grundlage für den Nordischen Rat stellt der Helsinki-Vertrag dar,105 welcher die Zusammenarbeit in mehreren Bereichen regelt.106 In Strafsachen soll die Zusammenarbeit durch Rechtsharmonisierung, grenzüberschreitende Ermittlungen und Verfahrensführung (Art. 5 des Vertrages) sowie Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen aller Vertragsparteien erleichtert werden (Art. 7 des Vertrages). Eine Beschleunigung und Vereinfachung der Zusammenarbeit wird durch direkte Kommunikation der zuständigen Behörden untereinander, ohne Inanspruchnahme der jeweiligen Außenministerien, ermöglicht (Art. 42 des Vertrages). Im Laufe der Rechtshilfepraxis sind zusätzlich mehrere Maßnahmen zur Erleichterung der Kooperation in Strafsachen ausgearbeitet worden,107 darunter auch viele, die den Gedanken der gegenseitigen Anerkennung verkörpern.108 S. 382 ff.; Swart, General Observations, in: Swart/Klip (Hrsg.), International Criminal Law in the Netherlands, S. 7 f m.w.N. 101 Dazu Mc Clean, International Co-operation in Civil and Criminal Matters, S. 196 ff. 102 Als Beispiel kann die bereits 1965 vollzogene Aufhebung von Personenkontrollen an den gemeinsamen See- und Landesgrenzen im Rahmen der nordischen Passunion dienen, dazu Ziegenhahn, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, S. 108 f.; vgl. auch von Hofer, Crime and Reactions to Crime in Scandinavia, J Scand Stud Criminol Crime Prev Vol. 5/2004, S. 148. 103 Zur polizeilichen Zusammenarbeit vgl. Holmberg, Policing and the Feeling of Safety: the Rise (and Fall?) of Community Policing in the Nordic Countries, J Scand Stud Criminol Crime Prev Vol. 2/2001, S. 171 ff. 104 1953 fand seine erste Sitzung statt, ausführlicher Dolan, The Nordic Council, West.Pol.Q. Vol. 12, Nr. 2/1959, S. 511 ff.; Asp erwähnt die ersten Gespräche zwischen den Vertretern der nordischen Staaten zu Beginn der vierziger Jahre als Anfang einer informellen Zusammenarbeit und den Vertrag von 1948 zwischen Schweden, Dänemark und Norwegen als Inspiration für die danach entwickelte Zusammenarbeit, The Nordic „System“ for Mutual Recognition in Criminal Matters, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 224. 105 Abkommen über die Kooperation zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden v. 23.3.1962. 106 Z. B. Kultur (Art. 8 – 13), Soziales (Art. 9 – 17), Wirtschaft (Art. 18 – 25), Transport und Kommunikation (Art. 26 – 29), Umweltschutz (30 – 32). 107 Insbesondere Maßnahmen im Bereich der Auslieferung, Verfahrensunterstützung und Urteilsvollstreckung; vgl. Lahti, Sub-Regional Co-operation in Criminal Matters: The Experience of the Nordic Countries, in: Eser/Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, S. 306 ff.; die Arbeiten an der Verwirklichung dieser vertraglichen Bestimmung wurden 1960 – 1984 durch ein speziell zu diesem Zweck berufenes Strafrechtskomitee geführt; Takala, Nordic Cooperation in Criminal Policy and Crime Prevention, J Scand Stud Criminol Crime Prev Vol. 5/2004, S. 132.

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Die Zusammenarbeit der nordischen Staaten basiert auf unterschiedlichen Rechtsquellen: den Verträgen zwischen den nordischen Staaten, multilateralen EU-Verträgen, harmonisierten Vorschriften in den wichtigsten Rechtsbereichen, gemeinsamen Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung und einer gewohnheitsrechtlich gefestigten Praxis.109 Die letzterwähnte Praxis (customary practise), ist ein wichtiges Fundament und Motor der engen und intensiven Kooperation.110 Ein wichtiges Beispiel hierfür stellt der „Nordic Extradition Act“ dar, der die Form einer Vereinbarung zwischen den nordischen Staaten und nicht die eines völkerrechtlichen Vertrages hat, aber trotzdem gleichlautend in die nationalen Rechtssysteme übernommen worden ist. Das vereinfachte Auslieferungsverfahren unterscheidet sich auf vielen Ebenen von dem traditionellen Auslieferungsverkehr mit anderen Staaten. Zum einen können, bis auf wenige Ausnahmen (u. a. politisches Delikt und Territorialitätsvorbehalt), eigene Staatsangehörige an einen anderen nordischen Staat ausgeliefert werden.111 Zum anderen macht sich die Tendenz bemerkbar, bei der Auslieferung zwischen den nordischen Staaten auf die Anforderung der beiderseitigen Strafbarkeit schrittweise112 bzw. (wie das beim „Nordischen Haftbefehl“113 der Fall ist) ganz zu verzichten. Schließlich betrifft die Einschränkung in Bezug auf das Strafmindestmaß bei der Auslieferung an einen anderen nordischen Staat grundsätzlich nur Geldstrafen.114 Bei eventuellen Zuständigkeitskonflikten wird als forum ein Staat gewählt, in dem die Ermittlungen am effektivsten durchgeführt werden können. Dabei muss zwischen 108

Dazu Strandbakken, The Nordic Answer to the European Arrest Warrant: The Nordic Arrest Warrant, eucrim 3 – 4/2007, S. 138 f. 109 Takala, Nordic Cooperation in Criminal Policy and Crime Prevention, J Scand Stud Criminol Crime Prev Vol. 5/2004, S. 139. 110 Simson schreibt in diesem Zusammenhang auch von einer konventionslosen Basis der Zusammenarbeit, die auf gegenseitigem Vertrauen und Freiwilligkeit basiert, Das Nordische Strafvollstreckungsgesetz Schwedens, ZStW 1965, S. 174; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 952. 111 Die Entscheidung über Auslieferungsersuchen wird vom Innenminister und nicht, wie bei Auslieferungsersuchen anderer Staaten, vom Außenminister getroffen; Takala, Nordic Cooperation in Criminal Policy and Crime Prevention, J Scand Stud Criminol Crime Prev Vol. 5/2004, S. 170 ff. 112 Träskman, Should we Take the Condition of Double Criminality Seriously?, in: Jareborg (Hrsg.), Double Criminality, S. 139. 113 Ein einschlägiges Übereinkommen wurde von den nordischen Justizministern während eines Treffens in Skagen (Dänemark) am 21. 6. 2005 ausgearbeitet und von den Regierungsvertretern in Kopenhagen am 15. 12. 2005 unterschrieben, dazu Strandbakken, The Nordic Answer to the European Arrest Warrant: The Nordic Arrest Warrant, eucrim 3 – 4/2007, S. 138 f.; zur aktuellen Entwicklung in den nordischen Ländern Sieber, Die Zukunft des Europäischen Strafrechts, ZStW 2009, S. 19. 114 Vgl. Takala, Nordic Cooperation in Criminal Policy and Crime Prevention, J Scand Stud Criminol Crime Prev Vol. 5/2004, S. 180; zur ähnlichen Lösung des „Nordischen Haftbefehls“ Strandbakken, The Nordic Answer to the European Arrest Warrant: The Nordic Arrest Warrant, eucrim 3 – 4/2007, S. 139.

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den Interessen der Strafverfolgung und den Interessen des Beschuldigten abgewogen werden und je nach dem Abwägungsergebnis wird entschieden, ob die Strafverfolgung im ursprünglichen Staat fortgesetzt oder ob sie an einen anderen übertragen wird. Die Staatsanwaltschaften, die bei der Strafverfolgungsübertragung entscheidungsbefugt sind, arbeiten auch in diesem Bereich auf der Grundlage einer Vereinbarung, die in der Praxis den Rechtsrang eines völkerrechtlichen Vertrages genießt.115 Auf eine enge Zusammenarbeit deutet auch der Grad der Unterstützung, die einem Strafverfahren eines anderen nordischen Staates gewährt werden kann. So sind beispielsweise Zeugen, die in einem der nordischen Staaten ihren ständigen Aufenthaltsort haben, verpflichtet, vor dem Gericht eines anderen nordischen Staates zu erscheinen.116 Diesbezügliche Rechtshilfeersuchen, die aus „Drittstaaten“ kommen, werden zwar berücksichtigt, die ersuchte Person kann aber weder verpflichtet werden vor dem ersuchenden Gericht auszusagen, noch können als Folge des Nichterscheinens Zwangsmittel ausgeübt werden.117 Das Vertrauen in die Rechtsordnung anderer nordischer Staaten findet seinen Ausdruck in der gegenseitigen Urteilsanerkennung. Bereits 1948 wurde zwischen Dänemark, Norwegen und Schweden ein auf Geldstrafen beschränktes Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Strafurteilen abgeschlossen.118 Die Vollstreckung von Urteilen in Schweden, Dänemark, Finnland, Island und Norwegen ermöglicht aktuell das Nordische Vollstreckungsgesetz.119 Die Vereinheitlichung der Gesetze in diesem Rechtshilfebereich wurde mit der Verabschiedung einheitlicher nationaler Gesetze zur Vollstreckung von Strafurteilen (wie z. B. das finnische Gesetz 1963/326) abgeschlossen. Nach diesem Gesetz können Urteile über Geldstrafen, Einziehungen und Freiheitsstrafen, die in einem nordischen Staat gefällt wurden, in einem anderen Staat vollstreckt werden.120 Obwohl den zuständigen Behörden das Ermessen zusteht, ein fremdes Judikat anzuerkennen oder es abzulehnen,121 gilt 115 Nach Takala, Nordic Cooperation in Criminal Policy and Crime Prevention, J Scand Stud Criminol Crime Prev Vol. 5/2004, S. 168. 116 Vgl. sec. 1 The Act on the Obligation to Appear before a Court of Another Country in Certain Cases; sec. 9 regelt diese Verpflichtung für die Verfahrensparteien; zit. nach Takala, Nordic Cooperation in Criminal Policy and Crime Prevention, J Scand Stud Criminol Crime Prev Vol. 5/2004, S. 155. 117 Takala, Nordic Cooperation in Criminal Policy and Crime Prevention, J Scand Stud Criminol Crime Prev Vol. 5/2004, S. 155. 118 Vgl. Strandbakken, The Nordic Answer to the European Arrest Warrant: The Nordic Arrest Warrant, eucrim 3 – 4/2007, S. 138. 119 Z. B. in Schweden v. 22. 5. 1963/29. 6. 1969, Simson, Das nordische Vollstreckungsgesetz Schwedens, ZStW 1965, S. 167; das Gesetz ist wiedergegeben bei Grützner, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Teil IV. 120 So z. B. in Finland, nach Takala, Nordic Cooperation in Criminal Policy and Crime Prevention, J Scand Stud Criminol Crime Prev Vol. 5/2004, S. 185. 121 Asp, The Nordic „System“ for Mutual Recognition in Criminal Matters, in: de Kerchove/ Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 225.

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das Nordische Vollstreckungshilfesystem aufgrund des Wegfalls formaler Hindernisse als ein besonders einfaches, schnelles und effizientes Rechtshilfesystem.122 Bei dem Modell handelt es sich prinzipiell um ein Konzept „freiwilliger“ Anerkennung, die aber aufgrund langjähriger guter Praxis und eines verfestigten Vertrauens einen Regelfall darstellt. 5. Schlussfolgerungen Die Erfahrungen mit der Entwicklung und Funktionsweise einzelner Kooperationsmodelle liefern wertvolle Informationen zur Gestaltung und Funktionsweise justizieller Zusammenarbeit in einer konkreten rechtlich und politisch bedingten Situation. So erscheint, schon vor dem Hintergrund mangelnder Rechtsgrundlagen und eines effektiven Instrumentariums,123 eine Rechtsvereinheitlichung in Staatengemeinschaften wie der EU weder durchführbar noch erwünscht. Einerseits reicht das teilweise als „europäisches Strafrecht“ verstandene gemeinsame rechtskulturelle Erbe124 nicht aus, um der europäischen Integration die notwendige Kraft zu verleihen.125 Zahlreiche Partikularismen der Strafrechtssysteme spiegeln bestimmte Werte sowie die Vielfalt der Strafrechtskulturen126 wider und eine Vereinheitlichung würde, andererseits, die Gefahr der Deregulierung von (an konkreten Bedürfnissen bemessenen und innerhalb einzelner Staaten ausgewogenen) Strafrechtssystemen mit sich bringen.127 Die Anlehnung an ein nationales Kooperationskonzept wie das „deutsche Modell“ kommt hier daher in engen, alle Mitgliedstaaten und/oder die Gemeinschaft betreffenden Bereichen in Frage. Zugleich lässt die sukzessive Vertikalisierung der Zusammenarbeit, ihr rein justizieller Charakter sowie die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von strafrechtlichen Entscheidungen128 die Schlussfolgerung zu, dass sich das europäische Kooperationsmodell im Bereich des Kooperationsrechts der Weise nähert, in der innerstaatliche justizielle Behörden miteinander zusammenarbeiten. Als Basismodell oder Erfahrungsquelle für die justizielle Zusammenarbeit ist das „Schweizer-Modell“ aus Gründen, auf die Jescheck vor über 50 Jahren aufmerksam 122

So Mix, Die Vollstreckungsübernahme im internationalen Strafrecht, S. 122. Dazu unter § 2 II. 124 Darunter sind Einflüsse des römischen Rechts der Antike, des römisch-kanonischen Rechts, der ethischen Vorstellungen des Christentums und der Philosophie der Aufklärung zu verstehen; hierzu Kühl, Europäisierung der Strafrechtswissenschaft, ZStW 1997, S. 786; Bacigalupo, Die Europäisierung der Strafrechtswissenschaft, in: FS Roxin, S. 1373. 125 Nuotio, Should Criminal Law be our Common European Concern?, in: Heiskanen/ Kulovesi (Hrsg.), Function and Future of European Law, S. 225 f. 126 Bolle, Reforming Criminal Law, Eur.J.Crime Cr.L.Cr.J. Nr. 4/1999, S. 387; Wechsler, Codification of Criminal Law in the United States: The Model Penal Code, Colum.L.Rev. 1968, S. 1425. 127 Zur Wahrung der Kohärenz innerhalb eigener Rechtsordnung vgl. Zieschang, Europäisierung des Strafrechts, ZStW 2001, S. 267. 128 Vgl. unter § 1 II. 123

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gemacht hat, interessant. Das schweizerische Recht verbindet „mit hoher Qualität den unschätzbaren Vorteil der Dreisprachigkeit“ und „[ist] für alle Mitgliedstaaten ein fremdes Recht“.129 Im europäischen Kooperationskonzept und in aktuellen Debatten wurde auf die EU-ähnliche Ausgangslage in der Schweiz teilweise aufmerksam gemacht und insbesondere im Zusammenhang mit der Europäischen Staatsanwaltschaft und der Durchsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung130 diskutiert. Auch das im Schengenbereich geltende Recht erlaubt in einigen Fällen – wie grenzüberschreitende Observation oder Nacheile (Art. 40 f. SDÜ) – auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Schengen-Staates zu agieren. Die Verwirklichung einer transnational agierenden Strafverfolgung nach dem „Schweizer-Modell“ setzt jedoch sowohl einen faktisch höheren Integrationsgrad,131 als auch Mechanismen voraus, die einem eventuellen Missbrauch unterschiedlicher Verfahrensstandards und Einbußen in der Rechtsstellung von Betroffenen vorbeugen würden.132 Das US-amerikanische Modell weist schon aufgrund der Dezentralisierung im Bereich des Straf- und Strafprozessrechts Ähnlichkeiten mit den EU-Staaten auf. In der EU fehlt es jedoch zum einen am autonomen Bundesstrafrecht, zum anderen an ähnlicher Qualität rechtlicher und politischer Überschneidungen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. Der Versuch einer Intensivierung der Zusammenarbeit ist auf der EU-Ebene u. a. mit dem Scheitern des Ratifikationsprozesses des Verfassungsvertrages vereitelt worden.133 Noch davor wurden jedoch Arbeiten, die sich an dem USamerikanischen Modell orientieren, innerhalb der sog. Dritten Säule initiiert. Das auffälligste Beispiel ist die Einführung des an das Vorbild der full faith and credit clause in der US-Verfassung angelehnten Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens.134 Dieser Grundsatz stellt ein Fundament für das aktuell forcierte Kooperationsmodell der EU dar, das auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung aufbaut. 129

Jescheck, Die Strafgewalt übernationaler Gemeinschaften, ZStW 1953, S. 512. Vgl. Art. III-158 und III-171 VE; vgl. auch Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft v. 11. 12. 2001, KOM(2001) 715. 131 Vgl. Meuters, Leitung und Kontrolle grenzüberschreitender Ermittlungen, S. 217 ff.; Vogel, Licht und Schatten im Alternativ-Entwurf Europäische Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 407. 132 Vorgeschlagen wurde u. a. das „Schweizer-Modell“, um die Meistbegünstigungsklausel zu ergänzen, sodass der transnational Verfolgte in den Genuss aller Rechte käme, die vom Entscheidungs- und Vollstreckungsstaat gewährt werden (Schünemann, Grundzüge eines Alternativ-Entwurfs zur europäischen Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 376). Dabei ist allerdings fraglich, wie sich ein „begünstigendes“ mixtum compositum mehrerer strafprozessrechtlicher Kautelen und die damit verbundene Kontrollintensität auf das gewünschte Ergebnis – die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit – auswirken; vgl. Vogel, Licht und Schatten im Alternativ-Entwurf Europäische Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 409. 133 Im Hinblick auf die Zusammenarbeit in Strafsachen vgl. insbesondere Teil II des Verfassungsentwurfs („Die Charta der Grundrechte der Union“, „Justizielle Rechte“) und Teil III, Kapitel IV, Abschnitt 4 („Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen“). 134 Vgl. Arbeitsunterlagen des Europäischen Konvents, Vermerk v. 16. 10. 2002, CONV 346/02. 130

§ 2 Justizielle Zusammenarbeit im „Europäischen (Straf-)Rechtsraum“

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Das Modell der nordischen Staaten bezieht sich auf die Zusammenarbeit souveräner Staaten, von denen jeder ein eigenes Straf- und Strafprozessrecht hat. Die historisch und kulturell bedingte Parallelität in der Rechtsentwicklung der nordischen Staaten schuf die Grundlagen für eine enge regionale Zusammenarbeit. Dabei beruhen die gemeinsam getroffenen Maßnahmen und eine fortschreitende Rechtsintegration, sei es im Auslieferungsrecht oder im Bereich der Urteilsanerkennung, teilweise auf gutnachbarlicher Kooperationspraxis und sind Ausdruck auf diesem Wege gewonnener Erfahrungen. Trotz der Unterschiede im Integrationsgrad135 sowie im Hinblick auf den kulturellen, soziologischen, politischen und rechtlichen Hintergrund lassen sich auch in der Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten Parallelen zum nordischen Kooperationsmodell feststellen. Dazu gehören insbesondere der schrittweise Verzicht auf rechtshilferechtliche Kontrollmechanismen wie beispielsweise die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit und die Inanspruchnahme von Rechtsinstrumenten, denen der Anerkennungsgedanke immanent ist. Insgesamt ist jedoch festzuhalten, dass der Eigenart der Europäischen Union nur ein auf die Kooperationsbedürfnisse, -bereitschaft und Kompetenzgrenzen angepasstes Modell gerecht werden könnte.

§ 2 Justizielle Zusammenarbeit im „Europäischen (Straf-)Rechtsraum“ Ein Kooperationskonzept, das final die Schaffung eines „(Straf-)Rechtsraumes“ anstrebt, setzt Klarheit über Ziele und Mittel voraus, was einerseits die Verifikation des legislativen Handlungsbedarfs sowie der Aspirationen der europäischen Kriminalpolitik und anderseits Gewissheit über Grenzen rechtlicher Vorgaben erfordert.

I. Europäische Kriminalpolitik Gemessen an der traditionellen Auffassung, wonach sich die Kriminalpolitik mit der Frage beschäftigt, wie die Strafrechtsordnung zu verändern ist, um den inneren Frieden in der Gesellschaft besser zu gewährleisten,136 könnte das Existenzrecht der europäischen Kriminalpolitik bezweifelt werden.137 Im Gegensatz zu den nationalen Rechtsordnungen erlaubt das rechtliche Korsett der Verträge nur einen wesent135

Nuotio, Should Criminal Law be our Common European Concern?, in: Heiskanen/ Kulovesi (Hrsg.), Function and Future of European Law, S. 225 f.; zu „guter regionalen Praxis“ im Rahmen des sog. „kleinen Grenzverkehrs“ vgl. Kahlke, Eurojust: auf dem Weg zu einer europäischen Staatsanwaltschaft? Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen innerhalb der Europäischen Union, S. 35 m.w.N. 136 Meier, Kriminologie, § 1, Rn. 8. 137 So auch Bacigalupo, Die Europäisierung der Strafrechtswissenschaft, in: Schünemann u. a. (Hrsg.), FS Roxin, S. 1363; Filopoulos, Europarecht und nationales Strafrecht, S. 31 ff. m.w.N.

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lich limitierteren Rückgriff auf die strafrechtlichen Maßnahmen und Instrumente. Unübersehbar ist gleichzeitig, dass auf der EU-Ebene entwickelte Maßnahmen einen ansteigenden Einfluss auf die Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten ausüben. Trotz mangelnder genuiner Strafrechtsordnung stellt die EU auch Ziele auf, die durchaus als Vorgaben für eine Kriminalpolitik interpretiert werden können. Die Entstehung eines „(Straf-)Rechtsraumes“ wird u. a. auf den Schutz des Binnenmarktes und das Voranschreiten der Unionsintegration gestützt,138 zum anderen als „europäische Sicherheitsvorsorge“139 angesehen. Bei der Durchsetzung dieser Ziele handelt es sich um einen multidimensionalen und dynamischen Prozess, dem der oben zitierte traditionelle Kriminalpolitikbegriff nicht mehr gerecht wird.140 Würde man aus diesem Grund die systematisierende und ordnende Planung der mit den Verträgen zu vereinbarenden strafrechtlichen Maßnahmen verweigern, wäre mit gesteigerter Atomisierung und Widersprüchlichkeit einzelner Maßnahmen zu rechnen. 1. Handlungsbedarf Noch bevor die Idee des europäischen Rechtsraumes ihren normativen Ausdruck fand, vermehrten sich die Stimmen, die mehr Kompatibilität der einzelnen nationalstaatlichen Kodifikationen verlangten, einen Wandel des Strafrechtsgegenstandes weg von individuellen hin zu kollektiven Rechtsgütern prophezeiten oder vor Internationalisierung krimineller Aktivitäten warnten.141 Seit der Einführung von Art. 29 EUV verfolgt die EU das Ziel, den Bürgern in einem Rechtsraum ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten. Die Durchführung dieses Ziels knüpft an eine Reihe von Maßnahmen sowohl präventiven als auch repressiven Charakters an.142 Diese Entwicklungen werden von Diskussionen begleitet, in denen einerseits auf die Verpflichtung zur Abwehr von Angriffen auf die Grundfreiheiten der Unionsbürger hingewiesen wird.143 Dabei wird der Handlungsbedarf für bestimmte Bereiche (z. B. Schutz der finanziellen Interessen) und/oder aufgrund bestimmter Kriminalitätsphänomene (wie Terrorismus oder organisierte Kriminalität) gesehen und durch Faktoren wie soziopolitische Veränderungen, Wegfall der Grenzkontrollen, Internationalisierung des 138 Murschetz, The Future of Criminal Law within The European Union – Union Law or Community Law Competence?, VUWLR Nr. 38/2007, S. 147. 139 Abetz, Justizgrundrechte in der Europäischen Union, S. 146. 140 Vogel, Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 52; vgl. auch Wittkämper/Krevert/Kohl, Europa und die innere Sicherheit, S. 362. 141 Nach Stiebig, Strafrechtsetzungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft und Europäisches Strafrecht: Skylla und Charybdis einer europäischen Odyssee?, EuR 2005, S. 469 m.w.N. 142 Vgl. Schlussfolgerungen von Tampere (Kriminalitätsbekämpfung, Punkt Nr. 41 und Strafrechtsharmonisierung, Erweiterung der Europol Befugnisse, Punkte 48 und 45). 143 Vogel, Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 527; differenzierter: Monar, The Problems of Balance in the EU Justice and Home Affairs and the Impact of 11 September, in: Anderson/Apap (Hrsg.), Police and Justice Co-Operation and the New European Borders, S. 167.

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Handels und dadurch bedingter Anstieg der Wirtschaftskriminalität, Mobilitätsanstieg sowie Informatisierung der Gesellschaft begründet.144 Anderseits werden die Umwandlung des Strafrechts zum Sicherheitsrecht145 befürchtet und eine starke Akzentuierung der generalpräventiven Strafzwecke sowie die Vorverlagerung der Strafbarkeit kritisiert.146 Eingewandt wird auch, dass die Mitgliedstaaten genötigt werden, ihre Gesetze und Politik an europäische, auf mangelnden Erkenntnissen147 oder fraglichen Prämissen aufbauende Vorgaben anzupassen.148 a) Schutz der finanziellen Interessen der EU Zu den Bereichen, die einer strafrechtlichen Absicherung bedürfen, wird insbesondere der Schutz der finanziellen Interessen der EU gezählt.149 Eine finanzielle 144 Vgl. Wittkämper/Krevert/Kohl, Europa und die innere Sicherheit, S. 159 ff.; Pieth, Internationale Harmonisierung von Strafrecht als Antwort auf transnationale Wirtschaftskriminalität, ZStW 1997, S. 756 ff. m.w.N.; Monar, Justice and Home Affairs after Amsterdam: The Treaty Reforms and the Challenge of their Implementation, in: Monar/Wessels (Hrsg.), The European Union after the Treaty of Amsterdam, S. 292 f.; Hetzer, Europäisches Strafrecht im administrativen Rechtsstil, ZRP 2003, S. 256 f. 145 Albrecht schreibt auch vom „Systemschutz-Strafrecht“, das „mit politischen Steuerungsaufgaben aufgeladen“ wird, Die vergessene Freiheit, Strafrechtsprinzipien in der europäischen Sicherheitsdebatte, S. 168; Das Recht auf Freiheit und Sicherheit ist in Art. II-66 des Verfassungsentwurfs (Art. 6 der Europäischen Grundrechtecharta, Art. 5 EMRK) zum „europäischen Grundrecht“ erhoben worden; dazu Calliess, Strafzwecke und Strafrecht, NJW 1989, S. 1338 m.w.N.; Schmidt-Jortzig lehnt Sicherheit als subjektives Recht ab und sieht in der Sicherheitsgewähr ein allgemeiner Zweckverwirklichung dienendes staatliches Obligo, Grenzen der staatlichen Strafgewalt, in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, S. 511; Dannecker stellt die Sicherheit als zielbestimmenden Wert im Strafrecht in Frage und kritisiert die Unschärfe des Sicherheitsbegriffs, Die Dynamik des materiellen Strafrechts unter dem Einfluss europäischer und internationaler Entwicklungen, ZStW 2005, S. 742 f. 146 Vgl. Scheffler, Freund- und Feindstrafrecht, in: Kriminalpolitik und ihre wissenschaftliche Grundlagen, FS Schwind, S. 129 ff.; Albrecht, Die vergessene Freiheit, Strafrechtsprinzipien in der europäischen Sicherheitsdebatte, S. 166; Nelles, Europäisierung des Strafverfahrens – Strafprozessrecht für Europa, ZStW 1997, S. 730 f. 147 Meier betonte 2003: „Ebenso wie alle anderen Fachdisziplinen stellt das Zusammenwachsen Europas auch die Kriminologie vor neue Herausforderungen, die trotz ihrer auf der Hand liegenden kriminalpolitischen Relevanz gegenwärtig nur von Einzelnen und erst in Ansätzen aufgegriffen und analysiert werden. Die empirischen Befunde sind rar.“, Kriminalität in einem Europa ohne Grenzen, in: Zieschang/Hilgendorf/Laubenthal (Hrsg.), Kriminalität in Europa, S. 131. 148 Vgl. Glaeßner/Lorenz, Europäisierung der Politik innerer Sicherheit – Konzept und Begrifflichkeiten, in: Glaeßner/Lorenz (Hrsg.), Europäisierung der inneren Sicherheit, S. 7; Baukloh/Glaeßner/Lorenz, Vergleichende Beobachtungen zur Europäisierung der inneren Sicherheit, in: Glaeßner/Lorenz (Hrsg.), Europäisierung der inneren Sicherheit, S. 245 m.w.N. 149 Vgl. Held, Europäische Kriminalpolitik, in: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, S. 36; Zoll, Die Europäisierung des Strafrechts aus der polnischen Sicht, ZStW 2005, S. 750; Musil, Umfang und Grenzen europäischer Rechtssetzungsbefugnisse im Bereich des Strafrechts nach dem Vertrag von Amsterdam, NStZ 2000, S. 68; Corstens/ Pradel, European Criminal Law, 2002, Rn. 2.

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Schädigung erfolgt vor allem durch Kriminalitätserscheinungen wie Subventionsbetrügereien im Rahmen der europäischen Landwirtschaftsförderung, Korruption der europäischen Amtsträger und Steuerhinterziehung.150 Abgesehen von Rechtsakten auf diesem Gebiet,151 wurde für interne und externe Untersuchungen auch eine unabhängige Behörde – das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) – eingerichtet.152 Eine weitgehende Reform des Kooperationskonzepts sieht das „Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft“ vor.153 Bemängelt wird jedoch das Fehlen empirischer Argumente154 und zuverlässiger Angaben,155 die einen radikalen Reformbedarf eindeutig rechtfertigen würden. Als fraglich gilt auch die Dimension des Problems. Während die Kommission in den meisten Fällen einen grenzüberschreitenden Charakter sieht, geben andere Quellen an, dass 70 % der Fälle nur auf einen Mitgliedstaat beschränkt sind.156 b) Wegfall von Grenzkontrollen Ein weiterer Faktor in der Sicherheitsvorsorge ist die Aufhebung von Grenzkontrollen. Ein Teil der Literatur sieht im Grenzwegfall eine Erleichterung für Straftä150

Sieber, Bekämpfung des EG-Betrugs und Perspektiven der europäischen Amts- und Rechtshilfe, ZRP 2000, S. 187 m.w.N. 151 U. a. Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der EG v. 26. 7. 1995 (ABlEG Nr. C 316 v. 27. 11. 1995), das samt seinem ersten Protokoll v. 27. 9. 1996 (ABlEG 1996 Nr. C 313.) am 17. 10. 2002 in Kraft getreten ist; dazu Hetzer, Korruptionsbekämpfung in Europa, NJW 2004, S. 3746; zu Bestimmungen über Befugnisse der Kommission vgl. Verordnung Nr. 2988/95 (ABl. Nr. L 312 v. 23. 12. 1995, S. 1 ff.) mit späteren Ergänzungen; vgl. auch auf Art. 280 Abs. 4 EGV gestützten Richtlinienvorschlag zur Stärkung „des strafrechtlichen Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, insbesondere durch Annäherung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten“, KOM(2001) 272; kritisch dazu Satzger, Auf dem Weg zu einem Europäischen Strafrecht – Kritische Anmerkungen zu dem Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, ZRP 2001, S. 552. 152 Ausführlich Haus, OLAF – Neues zur Betrugsbekämpfung in der EU, EuZW 2000, S. 745. 153 KOM(2001) 715 v. 11. 12. 2001; dazu Brüner/Spitzer, Der Europäische Staatsanwalt – ein Instrument zur Verbesserung des Schutzes der EU-Finanzen oder ein Beitrag zur Verwirklichung eines Europas der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, NStZ 2002, S. 393 ff.; vgl. auch Radtke, Der Europäische Staatsanwalt. Ein Modell für Strafverfolgung in Europa mit Zukunft?, GA 2004, S. 1 ff. 154 So Meier, Kriminalität in einem Europa ohne Grenzen, in: Zieschang/Hilgendorf/ Laubenthal (Hrsg.), Kriminalität in Europa, S. 137; ähnlich Groenhuijsen/Fijnaut, A European Public Prosecution Service: Comments on the Green Paper. Eur.J.Crime Cr.L.Cr.J. 2003, S. 327; a. A. Radtke, Der Europäische Staatsanwalt – ein Modell für Strafverfolgung in Europa mit Zukunft?, GA 2004, S. 10. 155 Die statistischen Angaben hierzu liefern leider nur Daten über alle aufgedeckten Unregelmäßigkeiten, ohne zwischen strafbaren und strafwürdigen Verhalten zu unterscheiden; Tiegs, Betrugsbekämpfung in der EG, S. 36 ff. 156 So die Vertreterin des Vereinigten Königreichs, KOM(2003) 128, Fn. 40 m.w.N.

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ter157 und eine Erschwerung der Strafverfolgung, die mit anderen Maßnahmen kompensiert werden sollte.158 Dies erscheint insofern zutreffend, als mit der Abschaffung von Einreisebeschränkungen die Mobilität auf dem EU-Gebiet weitgehend ermöglicht wird. Des Weiteren könnte auf die polizeistrategische Bedeutung von Grenzen (Identitätskontrollen und Durchsuchungen) abgestellt werden, die sowohl die Festnahme von fahndungsmäßig gesuchten Straftätern ermöglicht als auch potenzielle Straftäter abschreckt.159 Dagegen wird zu Recht eingewandt, dass der Beitrag, den diese Kontrollen zum Erhalt der inneren Sicherheit leisten „sowohl qualitativ als auch quantitativ äußerst gering ist“.160 Sie mögen bei Gelegenheitsdelikten, Betäubungsmittelkriminalität oder Personenfahndung161 ihre Funktion erfüllen, nicht aber bei gut geplanten und organisierten Verbrechern,162 was der Mangel an signifikanten Veränderungen in der Kriminalitätsrate nach dem Wegfall von Grenzkontrollen verdeutliche.163 .

c) Organisierte Kriminalität und Terrorismus Die Sicherheitssteigerung und die Notwendigkeit einer intensivierten Strafverfolgung wird des Weiteren auf „Internationalisierung und hohe[n] Entwicklungsgrad or157 Schwind fasst den Gedanken zur Grenzabschaffung prägnant: „(z)um Totlachen für Ganoven“, Kriminologie, § 31 Rn. 13, und weist auf größere Fluchträume hin, ebd.; vgl. auch Gleß, Brauchen neue Vollzugsräume neue Kontrollformen?, ZStW 2002, 636 ff. 158 Schübel, Wie gut funktioniert die Strafverfolgung innerhalb Europas? – Eine Bestandsaufnahme am Beispiel terroristischer Gewalttaten, NStZ 1997, S. 105; ebenso Klip, Harmonisierung des Strafrechts – eine fixe Idee?, NStZ 2000, S. 627; ähnlich Sieber, Memorandum für ein Europäisches Modellstrafgesetzbuch, JZ 1997, S. 370; Hecker, Europäisches Strafrecht als Antwort auf transnationale Kriminalität, JA 2002, S. 724; kritisch Hassemer, Ein Strafrecht für Europa, in: Zieschang/Hilgendorf/Laubenthal (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalität in Europa, S. 15; Zieschang, Chancen und Risiken der Europäisierung des Strafrechts, ZStW 2001, S. 262. 159 Zur präventiven Wirkung vgl. Wehner, Die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den Schengen-Staaten unter besonderer Berücksichtigung des SIS, in: u. a. Achermann (Hrsg.), Schengen und die Folgen, S. 131 m.w.N. 160 So Kühne gestützt auf die Grenzschutzstatistiken, Kriminalitätsbekämpfung durch innereuropäische Grenzkontrollen? Auswirkungen der Schengener Abkommen auf die innere Sicherheit, S. 49. 161 Auch in Kriminalitätsbereichen, „wo der Täter über den Begehungsort nach Belieben disponieren kann, ohne dass dabei der Vorteil, den er sich von der Tat verspricht, verloren geht“, Weigend, Strafrecht durch internationale Vereinbarungen – Verlust an nationaler Strafrechtskultur?, ZStW 1993, S. 793. 162 Vgl. Kattau, Strafverfolgung nach Wegfall der europäischen Grenzkontrollen, S. 52 f.; auf Schwierigkeiten empirischer Erfassbarkeit macht aufmerksam Kühne, Kriminalitätsbekämpfung durch innereuropäische Grenzkontrollen? Auswirkungen der Schengener Abkommen auf die innere Sicherheit, S. 49. 163 Dazu Brübach, Die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf dem Gebiet Inneres und Justiz, unter besonderer Berücksichtigung der Asyl- und Einwanderungspolitik sowie der polizeilichen Zusammenarbeit, S. 30 m.w.N.

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ganisierter Kriminalität“164 und auf Terrorismusgefahr165 gestützt. So soll, vor dem Hintergrund der Zunahme organisierter Kriminalität und ihrer „Leistungskraft“, die konventionelle Rechtshilfe versagen.166 Seit den Anschlägen des 11. September 2001 ist auch auf dem parallelen Gebiet der Antiterrorpolitik eine sehr dynamische Entwicklung zu verzeichnen.167 Die Reichweite der EU-Antiterrorgesetzgebung erweckt Bedenken in Bezug auf Grundrecht-, Rechtsschutz- und Demokratiefragen.168 Kritisiert wird auch, dass die Terroranschläge die sicherheitspolitische Debatte stärker beeinflussen als konzeptionelle Überlegungen zur Kriminalitätsbekämpfung und Prävention.169 Für ein rationales Konzept der Kriminalpolitik in Bezug auf die organisierte Kriminalität fehle es wiederum an scharfen begrifflichen Konturen170 und klaren Angaben über die Gefahrendimension sowie empirischen Argumenten für die Strafverfolgungsintensivierung.171

164 de Kerchove, LEurope Pnale: Bilan et Perspectives, in: Moore (Hrsg.), Police and Judicial Cooperation in the European Union, S. 337. 165 U. a. Zypries, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Verfassung der EU, in: Walter Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht (Hrsg.), S. 33; vgl. die Erklärung des Rates zum Kampf gegen den Terrorismus – EU-Bull. 3 – 2004, Nr. I-30; zu früheren Maßnahmen Michalska-Warias, Przeciwdziałanie przeste˛pczos´ci zorganizowanej na tle rozwia˛zan´ europejskich, in: Leszczyn´ski (Hrsg.), Prawne problemy członkostwa Polski w Unii Europejskiej, S. 242 ff. 166 Hetzer, Europäisches Strafrecht im administrativen Rechtsstil, ZRP 2003, S. 257; ders., Europäische Kriminalpolitik im Spiegel einer „selbstverliebten Wissenschaft“, Kriminalistik 2004, S. 312. 167 Ausführlich über zahlreiche Maßnahmen der Antiterrorpolitik Saurer, Die Ausweitung sicherheitsrechtlicher Regelungsansprüche im Kontext der Terrorismusbekämpfung, NVwZ 2005, S. 276. 168 Gusy, Möglichkeiten und Grenzen einer europäischen Antiterrorpolitik, GA 2005, S. 222 ff. 169 Baukloh/Glaeßner/Lorenz, Vergleichende Beobachtungen zur Europäisierung der inneren Sicherheit, in: Glaeßner/Lorenz (Hrsg.), Europäisierung der inneren Sicherheit, S. 256; ähnlich Sinn, Rechtsvergleichende Beobachtungen der europaweiten Strafverfolgung der organisierten Kriminalität, NK 2007, S. 104. 170 Albrecht/Braum, Deficiencies in the Development of European Criminal Law, ELJ 3/ 1999, S. 306 f.; Sinn, Rechtsvergleichende Beobachtungen der europaweiten Strafverfolgung der organisierten Kriminalität, NK 2007, S. 101; Brübach, Die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf dem Gebiet Inneres und Justiz, unter besonderer Berücksichtigung der Asyl- und Einwanderungspolitik sowie der polizeilichen Zusammenarbeit, S. 31 ff. 171 So Meier in Bezug auf die Aussagekraft der Europol-Berichte, Kriminalität in einem Europa ohne Grenzen, in: Zieschang/Hilgendorf/Laubenthal (Hrsg.), Kriminalität in Europa, S. 138 f.; Brübach, Die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf dem Gebiet Inneres und Justiz, unter besonderer Berücksichtigung der Asyl- und Einwanderungspolitik sowie der polizeilichen Zusammenarbeit, S. 33 m.w.N.

§ 2 Justizielle Zusammenarbeit im „Europäischen (Straf-)Rechtsraum“

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d) Schwächen der traditionellen justiziellen Zusammenarbeit Der strukturelle Einwand gegen bisherige Zusammenarbeit in Strafsachen bezieht sich auf ihre „political atrophy“.172 Beklagt wird, dass aufgrund eines Ratifikationsnotstandes nach langen Verhandlungen eine Papiersammlung von Konventionen bis zu Zusatzprotokollen entstehe173 und die beabsichtigte und erhoffte Erleichterung internationaler Zusammenarbeit wieder nur formell und nicht tatsächlich eintrete.174 Abgesehen von unterlassenen oder verzögerten Ratifizierungen sind exzessiv erklärte Vorbehalte („Angstklauseln“) im Stande, nicht nur eine zügige Erledigung der Rechtshilfeersuchen zu erschweren,175 sondern auch die der Zusammenarbeit zugrunde liegende Idee der internationalen Solidarität zu untergraben.176 Im Hinblick auf die geltenden Regelungen wurde beklagt, dass die Menge an Regelungen keine Gesamtplanung erkennen ließe177 und der erschwerte Überblick im „Vorschriftendschungel“ zu erheblichen Anwendungsproblemen führe.178 So werden Übereinkommen sowohl in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten als auch innerhalb eines Mitgliedstaats inkohärent angewendet,179 es treten schwierige Konkur-

172 Nach Delmas-Marty, The European Union and Penal Law, in: Collected Courses of the Academy of European Law 1997, Bd. VIII-1., S. 190. 173 Nilsson, International cooperation to fight organized crime – the Titanic scenario, in: Asp/Herlitz/Holmqvist (Hrsg.), Flores juris et legum, FS Jareborg, S. 525 f.; ähnlich Van den Wyngaert, Eurojust and the European Public Prosecutor in the Corpus Juris Model: Water and Fire?, in: Walker (Hrsg.), Europes Area of Freedom, Security and Justice, S. 203; vgl. Bartsch, Overcoming Obstacles in Achiving Wide Adherence to Multilateral Instruments: Some Comments from the European Perspective, in: Yepes-Enrquez/Tabassi (Hrsg.), Treaty Enforcement and International Cooperation in Criminal Matters, S. 493; Jescheck, Möglichkeiten und Probleme eines europäischen Strafrechts, FS Jhong-Won Kim, S. 957. 174 Płachta, To samo inaczej nazwane, Rzeczpospolita v. 4. 10. 2003, S. C3; vgl. JimenoBulnes, European Judicial Cooperation in Criminal Matters, ELJ Nr. 9/2003, S. 621 ff. 175 Schübel, Wie gut funktioniert die Strafverfolgung innerhalb Europas? – Eine Bestandsaufnahme am Beispiel terroristischer Gewalttaten, NStZ 1997, S. 109. 176 Schübel beschreibt am Beispiel des EuAlÜbk, wie die Angstklauseln den Sinn und Zweck des Übereinkommens aushöhlen können, Wie gut funktioniert die Strafverfolgung innerhalb Europas? – Eine Bestandsaufnahme am Beispiel terroristischer Gewalttaten, NStZ 1997, S. 107; vgl. auch Weigend, Grundsätze und Probleme des deutschen Auslieferungsrechts, JuS 2000, S. 106. 177 Jung, Konturen und Perspektiven des europäischen Strafrechts, JuS 2000, S. 424. 178 Bartsch schreibt in diesem Zusammenhang von „a serious potential risk of duplication, overlap and possibly divergence and contradiction.“, Overcoming Obstacles in Achiving Wide Adherence to Multilateral Instruments: Some Comments from the European Perspective, in: Yepes-Enrquez/Tabassi (Hrsg.), Treaty Enforcement and International Cooperation in Criminal Matters, S. 495; ähnlich Schomburg, Die Rolle des Individuums in der Internationalen Kooperation in Strafsachen, StV 1998, S. 153. 179 Schlussbericht über die erste Begutachtungsrunde. Rechtshilfe in Strafsachen, ABl. EG C 216 v. 1. 8. 2001, S. 16; vgl. auch Mackarel, ,Surrendering the Fugitive – The European Arrest Warrant and the United Kingdom, J.C.L. Vol. 71/2007, S. 364.

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renzprobleme auf180 und die lange Erledigungsdauer schadet allen Beteiligten und der Rechtssicherheit.181 Angesichts der rechtlichen und institutionellen Veränderungen in der EU ist schließlich die Notwendigkeit manch traditioneller Prüfungsvorbehalte und Rechtshilfeverweigerungsgründe – des nationalrechtlichen cordon sanitaire182 – fraglich geworden. Eine Panazee für die Schwächen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen soll insbesondere die seit der Ratstagung in Tampere forcierte Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung darstellen.

2. Stellungnahme Vor dem Hintergrund, dass Europa immer stärker zu einem einheitlichen kriminalgeographischen Raum zusammenwächst183, drängt sich zunächst der Gedanke auf, dass „Vergemeinschaftung der Kriminalität“ mit der „Vergemeinschaftung der Verbrechensbekämpfung“ einhergehen soll.184 Die gut organisierten Straftäter sind freier in der Auswahl des Ortes ihrer Straftat und die Fluchträume sind viel größer geworden. Begünstigt wird die transnationale Kriminalität durch Ursachen technischer (z. B. Nutzung von weltumfassenden Datennetzwerken), wirtschaftlicher (Internationalisierung der Märkte) und politischer (Abbau von Einschränkungen im grenzüberschreitenden Personen-, Waren- und Dienstleistungsverkehr) Natur.185 Eine Verfestigung der Zusammenarbeit im Bereich der Verbrechensbekämpfung könnte auch der allgemeine Kooperationsgrad der Mitgliedstaaten begründen.186 Die gewährleisteten Freiheiten fördern Mobilitätsdynamik, sei es touristisch, arbeits- oder ausbildungsbedingt,187 an die auch „normale Kriminalität“ (nicht organisierte Kriminalität) ange180

Z. B. bei Kollisionen lex posterior derogat legi priori mit dem Grundsatz der Spezialität lex specialis derogat legi generali, Vogel, Abschaffung der Auslieferung, JZ 2001, S. 940. 181 Peter, Zielkonflikte zwischen Rechtsschutz und Effizienz im Recht der internationalen Amts- und Rechtshilfe, in: Ehrenzeller (Hrsg.), Aktuelle Fragen der internationalen Rechtshilfe, S. 191; vgl. Beispiele bei Schübel, Wie gut funktioniert die Strafverfolgung innerhalb Europas? – Eine Bestandsaufnahme am Beispiel terroristischer Gewalttaten, NStZ 1997, S. 106. 182 Hecker, Die Europäisierung der inneren Sicherheit, DÖV 2006, S. 274. 183 Schünemann, Die Rechte des Beschuldigten im internationalen Ermittlungsverfahren, StraFO 2003, S. 346; Hecker, Sind die nationalen Grenzen des Strafrechts überwindbar?, JA 2007, S. 561 m.w.N.; Wittkämper/Krevert/Kohl, Europa und die innere Sicherheit, S. 5. 184 Hetzer, Europäische Kriminalpolitik im Spiegel einer „selbstverliebten Wissenschaft“, Kriminalistik 2004, S. 310 und 313. 185 Sieber, Grenzen des Strafrechts, ZStW 2007, S. 4 ff. und 17 ff. 186 Klip zählt die EU zu der am engsten kooperierenden Staatengemeinschaft der Welt, Harmonisierung des Strafrechts – eine fixe Idee?, NStZ 2000, S. 628.; vgl. auch Ziegenhahn, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, S. 86 m.w.N. 187 Dazu kommt die Mobilität im Wirtschaftsbereich (Verlagerung von Fabrikstätten, Steuerdomizilen und Entscheidungszentren); ausführlich Pieth, Internationale Harmonisierung von Strafrecht als Antwort auf transnationale Wirtschaftskriminalität, ZStW 1997, S. 756 ff.

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schlossen ist.188 Dies resultiert im Anstieg von Strafverfahren, deren Aufklärung, Aburteilung oder Sanktionierung sich nicht vollständig innerhalb der Grenzen eines Mitgliedstaates erledigen lässt189 und effektiver Rechtshilfeinstrumente bedarf. Eine rationale Wahl der Mittel kann dabei nicht erfolgen, solange das anvisierte Ziel die Form einer konturlosen, abstrakten Gefährdung hat – insbesondere wenn als Maßstab für die Verhältnismäßigkeit der Eingriffe „grobe Einschätzungen des Bedrohungspotenzials“190 dienen, die dann als worst-case-Szenarien dargestellt werden. Die im Umriss skizzierten Argumente bezüglich des Schutzes der finanziellen Interessen der EU, des Abbaus der Binnengrenzen oder der organisierten Kriminalität verdeutlichen die Unstimmigkeiten in den Prämissen der Sicherheitspolitik, auf deren Grundlage bereits Maßnahmen getroffen wurden. Abgesehen von Mängeln in konzeptuellen Phasen,191 bestehen weitere Ursachen hierfür auch in Fehleinschätzungen des Risiko- und Gefahrenpotenzials, das eines komplexeren Konzepts zur Erfassung von zuverlässigen Daten über die tatsächliche Sicherheitslage bedarf.192 Zutreffend erscheint in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass der Missbrauch des Sicherheitsarguments zur Entstehung einer Bedrohungslage führt, von der sich der „Kooperationsschub“ ernährt.193 So erwartet die vom Vorhandensein des „kriminellen 188 Albrecht, Die Europäisierung des Strafrechts und die innere Sicherheit in Europa, in: Bundeskriminalamt (Hrsg.), Kriminalitätsbekämpfung im zusammenwachsenden Europa, S. 39 m.w.N.; Schroeder, Die Übertragung der Strafvollstreckung, ZStW 1998, S. 81. 189 Schlussbericht über die erste Begutachtungsrunde. Rechtshilfe in Strafsachen, ABl. EG C 216 v. 1. 8. 2001, S. 15 und 17; vgl. Weigend, Grundsätze und Probleme des deutschen Auslieferungsrechts, JuS 2000, S. 105. 190 Meier, Kriminalität in einem Europa ohne Grenzen, in: Zieschang/Hilgendorf/Laubenthal (Hrsg.), Kriminalität in Europa, S. 138 f.; Hamm, Grundprinzipien eines europäischen Strafrechts, in: Vogel/Grotz (Hrsg.), Perspektiven des internationalen Strafprozessrechts, S. 61. 191 Hassemer bemängelt fehlende Objektivität und schreibt von „kleinen Expertengruppen, die im Auftrag spezifischer Interessen Partikel eines gemeinsamen Strafrechts beraten und beschließen“, Ein Strafrecht für Europa, in: Zieschang/Hilgendorf/Laubenthal (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalität in Europa, S. 21. 192 Vgl. „Study of a risk-based methology across the EU“ – eine von der Kommission finanzierte Studie, die von Dezember 2001 bis Dezember 2002 an den Universitäten in Ghent und Mailand in Zusammenarbeit mit dem Transcrime-Joint Centre on Transnational Crime und dem Swedish Council for Crime Prevention durchgeführt wurde; dazu Vander Beken, Measuring organised crime in Europe, A feasibility study of risk-based methology across the European Union, S. 105, S. 249. 193 Baukloh/Glaeßner/Lorenz, Vergleichende Beobachtungen zur Europäisierung der inneren Sicherheit, in: Glaeßner/Lorenz (Hrsg.), Europäisierung der inneren Sicherheit, S. 262; Monar, The Problems of Balance in the EU Justice and Home Affairs and the Impact of 11 September, in: Anderson/Apap (Hrsg.), Police and Justice Co-Operation and the New European Borders, S. 166 ff.; Träskman spricht in diesem Zusammenhang vom „Rechtspopulismus“, A good criminal policy is more than just new law, in: Heiskanen/Kulovesi (Hrsg.), Function and Future of European Law, S. 218; Nuotio, Should Criminal Law be our Common European Concern?, in: Heiskanen/Kulovesi (Hrsg.), Function and Future of European Law, S. 228 m.w.N.; ähnlich Kühne, Der erstaunliche Bedeutungszuwachs des Strafrechts: Gibt es Wachstumsgrenzen?, in: FS Müller-Dietz, S. 429.

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Notstands“194 überzeugte Gesellschaft konkrete Maßnahmen und sichtbare Erfolge, ungeachtet (oder unbewusst) der Einbußen in den Freiheitsrechten.195 Dabei sorgen integrationsstimulierende Maßnahmen wie der Anerkennungsgrundsatz,196 dessen Expansion allmählich alle Bereiche justizieller Zusammenarbeit betrifft, zugleich für einen zusätzlichen „Integrationssog“. Die Aufgabe einer rationalen Kriminalpolitik besteht hier darin, einerseits kohärent auf die Herausforderungen der Integrationsdynamik zu reagieren, andererseits die Reaktionsstärke strafrechtlicher Maßnahmen auf den sorgfältig ermittelten tatsächlichen Handlungsbedarf zu adjustieren.197 Andererseits besteht das Risiko, dass das Strafrecht zum Hauptinstrument der gesellschaftlichen Kontrolle mutiert198 und die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zerstört wird.199 Dabei ist Strafrecht zum einen nicht nur Strafbegründungsrecht, sondern auch Strafbegrenzungsrecht,200 das dem Bürgerschutz- und Abwehrrecht gegen staatliche Intervention dient. Zum anderen hängt die Sicherheit vielmehr von der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems ab201 und ein Rückgriff auf strafrechtliche Maßnahmen soll nur als letztes Mittel in Erwägung gezogen werden. Zu beachten ist schließlich, dass das Gelingen von Reformen strafjustizieller Kooperation von bestimmten Voraussetzungen abhängen kann (wie dem Vorhandensein eines hohen Maßes an gegenseitigem Vertrauen) sowie einer entsprechenden normativen Vorbereitung (z. B. im Hinblick auf die uni194

Albrecht, Eine unabhängige Judikative als Gegengewicht zur Erosion europäischer Strafrechtsprinzipien?, KritV 2008, S. 41. 195 Baukloh/Glaeßner/Lorenz, Vergleichende Beobachtungen zur Europäisierung der inneren Sicherheit, in: Glaeßner/Lorenz (Hrsg.), Europäisierung der inneren Sicherheit, S. 258; vgl. Hilgendorf, Nationales oder transnationales Strafrecht? Europäisches Strafrecht, Völkerstrafrecht und Weltrechtsgrundsatz im Zeitalter der Globalisierung, in: Dreier/Forkel/Laubenthal (Hrsg.), Raum und Recht, S. 341 f.; differenzierter Monar, Die politische Konzeption des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: vom Amsterdamer Vertrag zum Verfassungsentwurf des Konvents, in: Müller-Graff (Hrsg.), Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 35. 196 Hecker, Die Europäisierung der inneren Sicherheit, DÖV 2006, 276 f. 197 Die Grenzen markiert hier, als europarechtlicher kriminalpolitischer Maßstab, das Verhältnismäßigkeitsprinzip; dazu Satzger, Das europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip als Maßstab für eine europäische Kriminalpolitik, NK 2007, S. 93; vgl. auch Lahti, Towards an International and European Criminal Policy?, in: Liber Amicorum Bengt Broms, S. 233. 198 Vgl. Calliess, Strafzwecke und Strafrecht, NJW 1989, S. 1342 f.; Sˇugmann Stubs/Jager, Europäisches Strafrecht als Instrument europäischer Integration?, KritV 2008, S. 65; Braum, Neue Fundamente für ein europäisches Strafrecht, KritV 2008, S. 3. 199 Hirsch, Bemerkungen zum Schutz der Grundrechte im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ der Europäischen Gemeinschaft, KritV 2006, S. 310; vgl. Ignor, Die Zukunft des Strafverfahrens – Abschied vom Rechtstaat?, ZStW 2007, S. 927. 200 Asp benennt diesen immer dynamischeren Prozess bildhaft als „the bicycle-theory“, Harmonisation and Cooperation within the Third Pillar – Built in Risks, CYELS 2001, S. 19. 201 Calliess, Strafzwecke und Strafrecht, NJW 1989, S. 1343 m.w.N.; Träskman sieht die Lösung in „kriminalitätsvorbeugende(n) Maßnahmen nicht strafrechtlicher Art“, A good criminal policy is more than just new law, in: Heiskanen/Kulovesi (Hrsg.), Function and Future of European Law, S. 211 f.

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onsweite Gewährleistung bestimmter Verfahrensrechte) bedarf. Das Effektivitätsstreben202 alleine rechtfertigt die Einbuße in der Normativität nicht203 und darf, wie es z. T. beim Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung befürchtet wird,204 nicht zur Abkoppelung vom prinzipiengeleiteten System führen.205

II. Kompetenzrahmen 1. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Abgesehen von einem politischen Kompromiss über Zukunft und Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit, und zwar im Hinblick auf sowohl materiellrechtliche als auch prozedurale Aspekte, sind die Veränderungen auf diesem Gebiet durch ein rechtliches Korsett eingegrenzt. Der „Auftrag“ zur Verbesserung der Justizzusammenarbeit findet seinen normativen Ausdruck in Art. 29 ff. EUV.206 Der Kompetenzrahmen erstreckt sich hier auf die gesamte Strafrechtspflege einschließlich der Rechtsprechung.207 Eingeschlossen sind sowohl Maßnahmen zur Gefahrenabwehr als auch Maßnahmen zur Strafverfolgung.208 Zur Konkretisierung von einzelnen Aspekten engerer Zusammenarbeit verweist Artikel 29 Abs. 2 (2. Spiegelstrich) auf die Artikel 31 lit. a bis d und Artikel 32 EUV. Dabei wird die Aufzählung in Artikel 31 lit. a bis d EUV eher als „eine Prioritätenliste“ denn als abschließende Auflistung von Kompetenzen ausgelegt.209 Art. 31 lit. a EUV bezieht sich allgemein auf die Erleichterung und Beschleunigung zwischenstaatlicher Zusammenarbeit. Eine Form der Rechtshilfe – die Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung oder Vollstreckung – betrifft lit. b. Kompetenzen zur Koordinierung und Annäherung des Strafverfahrens und des materiellen Strafrechts der Mitgliedstaaten, die über den Rahmen einer justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden hinausgehen, sind unter lit. c bis e vorgesehen. Eine „schrittweise Annahme von Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschrif202 Vom „Siegeszug des Effizienzdenkens“ schreibt in diesem Zusammenhang Jung, Einheit und Vielfalt der Reformen des Strafprozessrechts in Europa, GA 2002, S. 66. 203 Hassemer, Freiheitliches Strafrecht, S. 232; Radtke pointiert zutreffend, dass Effektivität der Strafverfolgung kein „zentraler Orientierungspunkt“ der Strafverfahrensausgestaltung sein darf, Der Europäische Staatsanwalt – ein Modell für Strafverfolgung in Europa mit Zukunft?, GA 2004, S. 11. 204 Dazu unter § 6. 205 Albrecht, Europäische Informalisierung des Strafrechts, StV 2001, S. 69. 206 Vogel, Harmonisierung des Strafrechts in der Europäischen Union, GA 2003, S. 315 f. 207 Eingeschlossen sind Ermittlungs-, Gerichtsverfahren und Strafvollstreckungsverfahren; von der Groeben/Schwarze-Wasmeier, Art. 31 EUV, Rn. 14. 208 Calliess/Ruffert-Brechmann, Art. 29, Rn. 5. 209 von der Groeben/Schwarze-Wasmeier, Art. 31 EUV, Rn. 14 ff. m.w.N.

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ten über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen“ ermöglicht (für Bereiche der organisierten Kriminalität, des Terrorismus und des illegalen Drogenhandels) Art. 31 Abs. 1 lit. e EUV. Eine solche Einschränkung fehlt in Art. 29 Abs. 2 UA 3 EUV, der sich im Hinblick auf eine Annäherung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten generell auf Verhütung und Bekämpfung der organisierten oder nichtorganisierten Kriminalität bezieht.210 Eine gezielte Angleichung nationaler Regelungen kann dabei auch für die Gewährleistung justizieller Zusammenarbeit über den Regelungsgehalt von lit. a und b hinaus nötig sein.211 Ein Beispiel hierfür stellt die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung der Kompetenzkonflikte (lit. d) zur kollisionsfreien Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung dar. Ähnliche Bedeutung kann im Hinblick auf die Verbesserung der weit verstandenen Justizzusammenarbeit den Einflüssen des EU-Rechts auf das nationale Strafrecht zukommen. Nach dem Gedanken inhärenter Kompetenzen („implied powers“)212 oder dem effet-utile-Prinzip soll aus den bereichsbezogenen Sachkompetenzen eine „kriminalstrafrechtliche Ergänzungskompetenz“213 (Annexkompetenz) hergeleitet werden.214 Die sog. „gemeinschaftsfreundliche Mindermeinung“215 und der EuGH216 stützen sich in der Begründung auf Art. 135 und Art. 280 Abs. 4 EGV.217 Die Gemeinschaft besitze zwar keine „originäre strafrechtliche Zuständigkeit“, eine Teilharmonisierung sei aber zulässig, wenn sie für die Gewährleistung voller Wirksamkeit der Gemeinschaftspolitiken geeignet und erforderlich ist.218

210 Zur Bestimmung des Umfangs der Harmonisierungskompetenz: Schwarze-Böse, Art. 31 EUV, Rn. 10. 211 von der Groeben/Schwarze-Wasmeier, Art. 31 EUV, Rn. 40. 212 Vgl. Ehlers, Ungeschriebene Kompetenzen, Jura 2000, S. 323 ff. 213 von Bubnoff, Institutionelle Kriminalitätsbekämpfung in der EU, ZEuS 2002, S. 218. 214 Ambos, Internationales Strafrecht, § 11, Rn. 4 m.w.N. 215 Tiedemann, Lehren von der Straftat im Allgemeinen Teil der Europäischen Rechtssysteme, GA 1998, S. 107 f.; Delmas-Marty, in: Delmas-Marty/Vervaele (Hrsg.), The implementation of the Corpus Juris in the Member States, S. 369 ff.; zit. nach Ambos, Internationales Strafrecht, § 11, Rn. 4. 216 U. a. EuGH-Urteil v. 13. 9. 2005, Rs. C-176/03; dazu Wegener/Greenawalt, (Umwelt-) Strafrecht in europäischer Kompetenz!, ZUR 2005, S. 585 ff.; vgl. Kritik von Braum, Europäische Strafgesetzgebung: Demokratische Strafgesetzlichkeit oder administrative Opportunität?, wistra 2006, S. 121 ff. 217 Dabei zweifelte die Europäische Kommission an der Tauglichkeit des Art. 280 EGV als strafrechtliche Ermächtigungsgrundlage und bemühte sich um die Einführung des Art. 280a ohne den umstrittenen Satz: „Die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten und ihre Strafrechtspflege bleibt von diesen Maßnahmen unberührt.“; KOM(2000) 608 v. 29. 9. 2000, S. 3. 218 EuGH-Urteil v. 13. 9. 2005, Rs. C-176/03, Rn. 47 ff.; vgl. auch Rs. C-440/05 bezüglich des Rahmenbeschlusses 2005/667/JI des Rates über die Bekämpfung der Meeresverschmutzung durch Schiffe v. 12. 7. 2005, ABl. Nr. L 255 v. 30. 9. 2005, S. 164.

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In diesem Zusammenhang stellt sich die bereits mehrfach diskutierte219 Frage nach den Grenzen der „Strafrechtseuropäisierung“. Vor einer Strafrechtsexpansion im Hinblick auf die Art. 29 Abs. 2 UA 3 EUV i.V.m. 31 lit. e EUV soll insbesondere das in Art. 2 Abs. 2 EUV festgelegte Subsidiaritätsprinzip das in Art. 29 Abs. 2 verankerte Merkmal der Erforderlichkeit und der aus Art. 31 lit. e EUV abgeleitete Begriff der „Mindestharmonisierung“ schützen.220 Zentrale Bedeutung kommt auch dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EGV) zu, wonach eine Rechtsnorm nur dann von den Gemeinschaftsorganen erlassen werden kann, wenn sich dafür eine Ermächtigungsgrundlage aus den Gründungsverträgen erschließt.221 Die Existenz einer solchen Ermächtigung für den Erlass von strafrechtlichen Vorschriften wird bestritten, da die Abgabe eines solchen, als Prärogativ des staatlichen Monopols empfundenen Bereichs der gesetzgeberischen Tätigkeit, dem tatsächlichen Willen der Vertragsparteien entsprechend, expressis verbis, hätte geregelt werden müssen.222 Die Diskussion wird durch eine primärrechtliche Klarstellung der umstrittenen Kompetenzproblematik im Vertrag von Lissabon (dazu unten) entschärft,223 wobei zu erwarten ist, dass selbst diese Reform viele Probleme der Strafrechtseuropäisierung ungelöst lässt224 oder, wie in weiteren Abschnitten der Arbeit zu erörtern sein wird, gar neues Konfliktpotenzial mit sich bringt.

219 U. a. Kaiafa-Gbandi, Der europäische Versuch der Gestaltung von gemeinsamen Strafvorschriften, in: Anagnostopoulos (Hrsg.), Internationalisierung des Strafrechts, S. 70 m.w.N.; Streinz, Schleichende oder offene Europäisierung des Strafrechts?, in: Dannecker u. a. (Hrsg.), FS Otto, S. 1031 m.w.N.; Cuerda, ¿Ostentan ius puniendi las Comunidades Europeas?, Hacia un Derecho penal econmico europeo, Estudios Jurdicos, S. 626. 220 Vander Beken, Freedom, Security and Justice in the EU, in: Klip/Van der Wilt (Hrsg.), Harmonisation and harmonising measures in criminal law, S. 97; Schünemann, Fortschritte und Fehltritte in der Strafrechtspflege der EU, GA 2004, S. 197 f. 221 Ambos, Internationales Strafrecht § 11, Rn. 1 m.w.N. 222 Weitere Argumente stellt Kaiafa-Gbandi dar, Der europäische Versuch der Gestaltung von gemeinsamen Strafvorschriften, in: Anagnostopoulos (Hrsg.), Internationalisierung des Strafrechts, S. 72 m.w.N.; vgl. auch Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 64; Filopoulos, Europarecht und nationales Strafrecht, S. 19, 34 f. 223 Zu Lösungsvorschlägen nach der Aufhebung der dritten Säule im Verfassungsentwurf und im Vertrag von Lissabon Rosenau, Zur Europäisierung im Strafrecht, ZIS 2008, S. 9; kritisch Zeder, Mindestvorschriften der EU im materiellen Strafrecht: Was bringt der Vertrag von Lissabon Neues?, ERA Forum 2008, S. 225 f. 224 Z. B. im Hinblick auf die sog. Anweisungskompetenz, wenn bei detaillierten Vorgaben in den Richtlinien (insbesondere genauen Angaben zu Art und Maß der Strafe), der Umsetzungsspielraum des nationalen Gesetzgebers beinahe auf Null reduziert wird, vgl. Jung/ Schroth, Das Strafrecht als Gegenstand der Rechtsangleichung in Europa, GA 1983, S. 263; Hugger, Strafrechtliche Anweisungen der Europäischen Gemeinschaft, S. 59 ff.

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2. Im Verfassungsvertrag und Vertrag von Lissabon Der Versuch einer Reform auf diesem Gebiet scheiterte mit der Ablehnung des Vertrages über die Verfassung für Europa (VE).225 Die strafrechtlich relevanten Neuerungen betrafen u. a. eine primärrechtliche Verankerung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung sowie die Klarstellung der Strafsetzungskompetenz im Bereich des Schutzes der finanziellen Interessen der EU (Art. III-321, III-415 VE).226 Der „Durchbruch für ein europäisches Strafrecht im engeren Sinn“227 sollte durch unmittelbar anwendbare „europäische Gesetze“ (Art. I-33 UA 2 VE) gewährleistet werden. Ähnliche Grundüberlegungen hinsichtlich Strafsachen wurden in Kapitel 4 AUEV aufgenommen. Die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen beruhende justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen soll, unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und -traditionen, die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten mitumfassen (Art. 82 Abs. 1 AEUV). Im Rahmen der mit den Mitgliedsstaaten geteilten Zuständigkeit (Art. 4 Abs. 2 lit. j EUV in der Fassung des Lissabonner Vertrages) können das gestärkte Europäische Parlament und der Rat durch Richtlinien Mindestvorschriften festlegen, soweit dies zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich ist (Art. 82 Abs. 2 AEUV). Nach Art. 83 Abs. 1 AEUV können Straftatbestände durch Richtlinien in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festgelegt werden. Dabei handelt es sich um Mindestvorschriften für Straftaten, die aufgrund der Art, der Auswirkungen oder einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben.228 Ausdrücklich vorgesehen wurde schließlich diese Kompetenz für Gebiete der Unionspolitik, auf denen Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, soweit die Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften für eine wirksame Durchführung unerlässlich ist (Art. 83 Abs. 2 AEUV). Die Grenzen der „Strafrechtseuropäisierung“ markieren 225

ABl. v. 18. 7. 2003, Nr. C/169, S. 1. Weggelassen wurde in diesem Zusammenhang der umstrittene Vorbehalt des Art. 280 Abs. 4 EGV („Die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten (…) bleibt unberührt“); dazu Tiedemann, Strafrecht im Europäischen Verfassungsvertrag, in: Müller-Dietz u. a. (Hrsg.), FS Jung, S. 988 f.; vgl. auch Kainer, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nach dem Verfassungsvertrag, in: Jopp/Matl (Hrsg.), Der Vertrag über eine Verfassung für Europa, S. 283. 227 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 7, Rn. 42 m.w.N. 228 Die anschließende Aufzählung beinhaltet: Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität. Diese Liste kann der Rat einstimmig im Beschlusswege und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments um andere Kriminalitätsbereiche, die die in Art. 83 Abs. 1 AEUV genannten Kriterien erfüllen, erweitern. 226

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schließlich das Verhältnismäßigkeitsprinzip und ein strafrechtsspezifischer Schonungsgrundsatz (Art. 5 und Art. 4 Abs. 2 EUV in der Fassung des Lissabonner Vertrages).229 Die Einschränkung an Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich der Strafrechtssetzung soll durch eine „Notbremse“ teilweise kompensiert werden. So kann ein Mitgliedstaat bei Entwürfen von Richtlinien, die grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berühren würden, eine Aussetzung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens und seine Fortsetzung in Strukturen des Europäischen Rates herbeiführen (Art. 83 Abs. 3 AEUV). Wird dort kein Einvernehmen erzielt, steht einer Gruppe von mindestens neun Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu, auf der Grundlage des betreffenden Entwurfs eine verstärkte Zusammenarbeit zu begründen. Für die Koordinierung und Unterstützung der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden230 ist Eurojust zuständig (Art. 85 AEUV), der als Keimzelle der Europäischen Staatsanwaltschaft konzipiert wurde (vgl. Art. 86 AEUV).

III. Reformvorschläge 1. „Corpus Juris“ Unter den Reformvorschlägen, die in Expertengruppen ausgearbeitet wurden, verdient vor allem des „Corpus Juris strafrechtlicher Regelungen zum Schutze der finanziellen Interessen der EU“231 eine Erwähnung. Die insbesondere zur damaligen Zeit radikalen Ideen dieses Projektes umfassten die Herausarbeitung eines allgemeinen und eines besonderen Teiles („Europa-Delikte“232) der Regelungen auf dem Gebiet des weit verstandenen Wirtschaftsstrafrechts. Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit könnten danach sowohl natürliche Personen als auch juristische Personen (zu Geldstrafen bis zu 10 Millionen Euro sowie zusätzlichen Strafen, wie die Bekanntmachung der Verurteilung) gezogen werden.233 Art. 18 Corpus Juris sieht des Weite229 Heger, Perspektiven des Europäischen Strafrechts nach dem Vertrag von Lissabon, ZIS 2009, S. 409 m.w.N. 230 Der Tätigkeitsbereich von Eurojust kann nach Art. 85 AEUV Folgendes umfassen: Einleitung und/oder Koordinierung von strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen sowie Vorschläge zur Einleitung/Koordinierung von strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen, die von den zuständigen nationalen Behörden durchgeführt werden, sowie Verstärkung der justiziellen Zusammenarbeit, unter anderem auch durch die Beilegung von Kompetenzkonflikten und eine enge Zusammenarbeit mit dem Europäischen Justiziellen Netz. 231 Delmas-Marty/Vervaele (Hrsg.), The implementation of the Corpus Juris in the Member States, Antwerpen 2000. 232 Betrügereien zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts, Ausschreibungsbetrug, Bestechlichkeit und Bestechung, Missbrauch von Amtsbefugnissen, Amtspflichtverletzung, Verletzung des Dienstgeheimnisses, Geldwäsche und Hehlerei sowie Bildung einer kriminellen Vereinigung. 233 Rosenau, Zur Europäisierung im Strafrecht, ZIS 2008, S. 11.

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ren die Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft vor, die bei Haushaltsverletzung der EU eingeschaltet werden soll. Signifikant ist auch, dass in einigen Bestimmungen (Art. 24 Abs. 1 lit. b, Art. 25 und Art. 33 Corpus Juris) die Idee der gegenseitigen Anerkennung rekurriert wird.234 Das breite Spektrum an Neuerungen des Projekts rief heftige Kritik hervor. Zum einen wurde eine Instrumentalisierung des Strafrechts zum Schutz von Interessen einer Institution ohne Rücksicht auf die europäischen strafrechtlichen Traditionen befürchtet.235 Zum anderen bemängelten die Kritiker die fehlende Realitätsnähe des Projekts sowohl in Hinsicht auf seine Umsetzbarkeit als auch Praktikabilität.236 „Corpus Juris“ bleibt zwar ein theoretisches Modell, aber die einzelnen Ideen, sei es in Bezug auf die institutionelle Veränderung in der Strafverfolgung (Europäische Staatsanwaltschaft) oder der Anerkennungsgedanke, werden immer wieder in weiteren Vorschlägen aufgegriffen. 2. Das „Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege“ Ein im Regelungsumfang komplexeres Vorhaben stellt das „Gesamtkonzept für europäische Strafrechtspflege“237 dar. In das Gewand eines Vorschlags für einen europäischen Vertrag zur Regelung transnationaler Strafverfahren gekleidet, liefert das Projekt eine umfassende Kodifizierung zu transnationalen Strafverfahren, die der „demokratisch-rechtsstaatlichen Ursubstanz des europäischen Strafrechts“238 entsprechen soll. Der Leitgedanke des Entwurfs besteht in einer Stärkung von Beschuldigtenrechten und einer solchen Ausgestaltung der international geführten Strafverfahren, die den Integrationsgrad berücksichtigen würde. Beide Ziele werden u. a. durch Gewährleistung von bestimmten Verfahrensgarantien, eine Absage an das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, Rückkehr zur Anforderung beiderseitiger Straf234

Ormazabal Snchez, Espacio penal europeo y mutuo reconocimiento, S. 35; Van den Wyngaert, Mutual Recognition and the Corpus Juris, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 217 f. 235 Abetz, Justizgrundrechte in der Europäischen Union, S. 277 m.w.N. 236 Vgl. Szwarc, Corpus juris z perspektywy polskiego prawa karnego, in: Czapska u. a. (Hrsg.), Zasady procesu karnego wobec wyzwan´ wspłczesnos´ci, Ksie˛ga ku czci Prof. Stanisława Waltosia, S. 92 ff.; Kaiafa-Gbandi, Der europäische Versuch der Gestaltung von gemeinsamen Strafvorschriften – Die materiellrechtlichen Regelungen des Corpus Juris nach dem neuen Entwurf von Florence, in: Anagnostopoulos (Hrsg.), Internationalisierung des Strafrechts, S. 65 ff.; Braum, Das Corpus Juris – Legitimitat, Erforderlichkeit und Machbarkeit, JZ 2000, S. 493 ff.; Hassemer, Corpus Juris: Auf dem Weg zu einem europäischen Strafrecht?, KritV 1999, S. 133 ff.; ders., Ein Strafrecht für Europa, in: Zieschang/Hilgendorf/Laubenthal (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalität in Europa, S. 20. 237 Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, München 2006. 238 Vgl. Schünemann, Einleitende Worte zur Eröffnung der wissenschaftlichen Konferenz: Ein Gesamtkonzept für europäische Strafrechtspflege in Thessaloniki/Griechenland am 26. und 27. Mai 2006, im Internet unter: http://www.eu-strafrecht-ae.jura.lmu.de/archivdateien/Einlei tende_Worte.pdf.

§ 2 Justizielle Zusammenarbeit im „Europäischen (Straf-)Rechtsraum“

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barkeit und Anlehnung an das sog. „Schweizer-Modell“ gefördert. Das Projekt sieht u. a. Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Ermittlungsstaates (Art. 2 ff.) und Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens (Art. 5 ff.) vor.239 Das zentrale Anliegen stellen aber die Neuregelung des Europäischen Haftbefehls (Art. 7 ff.) und die Festlegung von detaillierten Vorgaben für eine europäische Vollstreckungsübernahme (Art. 17 ff.) dar. Hervorzuheben ist im Hinblick auf die Rechtsstellung von Betroffenen die Stärkung der Verteidigung (Art. 32 ff.). In Bezug auf ein Europastrafrecht wird im Projekt ein Vierstufenmodell vorgestellt, dass ein Zusammenspiel von unterschiedlichen Vorgehensweisen (von Entpönalisierung über Neutralität im Hinblick auf nationales Strafrecht, dessen Harmonisierung bis zur Schaffung eines genuinen Europastrafrechts) näher erörtert. Signifikant sind dabei die Mitberücksichtigung von europäischen Organen (insbesondere Eurojust) und europäischen Gerichten, die das Risiko „nationaler Beliebigkeit“ minimalisieren sollten.240 Positiv wurde das Projekt vor allem im Hinblick auf die Stärkung der Rechtsstellung von Betroffenen aufgenommen: Es solle eine „dogmatisch fundierte und ausgewogene Linie ins System bringen“.241 Abgesehen von auch auf diesem Feld festgestellten Mängeln242 wurde der Entwurf als zu „rückwärtsgewandt“243 und „unausgewogen“244 kritisiert. Trotz der Kritik stellen, wie in weiteren Teilen der Arbeit zu zeigen sein wird,245 bestimmte Grundgedanken und Regelungen Lösungsvorschläge dar, um die das aktuell entstehende Kooperationskonzept ergänzt werden könnte.

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Dazu unter § 9. Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 60. 241 Beukelmann, Europäisches Strafrecht – Update, NJW-Spezial 2007, S. 87. 242 So z. B. im Hinblick auf die Institution des Eurodefensor, Mitchell, Stellungnahme zum Konzept eines „Eurodefensor“ als Mittel zur Stärkung der Verteidigungsrechte in transnationalen Strafverfahren (Korreferat), in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 201 ff. 243 Vogel, Die Zukunft der europäischen Integration auf dem Gebiet der Strafrechtspflege, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 127 ff. 244 Seitz, Europäischer Haftbefehl und Europäische Vollstreckungsübernahme (Korreferat), in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 165. 245 Vgl. z. B. unter § 8 VII. 240

Teil 2

Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung § 3 Herkunft und Entwicklung Die Rechtsfigur der Anerkennung in der Rechtswissenschaft ist kein Urheberkonzept oder eine neue Errungenschaft des europäischen Gesetzgebers. Dieses Instrument, von dem hauptsächlich im Kontext europäischer (Rechts-)Integration gesprochen wird, erlangte seine Popularität lange bevor Valery Giscard dEstaing von der Schaffung eines „europäischen Rechtsraums“ sprach.1 Ihre Universalität und Vielgestaltigkeit ermöglichte auf mehreren Rechtsgebieten die Überbrückung vieler materiell- und prozessrechtlicher Unterschiede in Verfahren mit grenzüberschreitenden Elementen und erübrigte teilweise Harmonisierungs- sowie Rechtsvereinheitlichungsbemühungen.2 In diesem Abschnitt der vorliegenden Arbeit liegen die Schwerpunkte bei einer rechtsvergleichenden Darstellung des Werdegangs der gegenseitigen Anerkennung3 und ihrer Anwendung bei der Kooperation von EU-Mitgliedstaaten.

I. Anerkennungsfacetten – einführende Bemerkungen Im kolloquialen Verständnis des Begriffes bedeutet „Anerkennung“ einen Vorgang, durch den ein Ist-Zustand bestätigt und auf die Möglichkeit einer abweichenden Annahme verzichtet wird.4 Das Anerkannte wird danach, je nach seinem Charakter, als gültig, verbindlich oder rechtmäßig empfunden. In der Wissenschaft erfährt der Begriff der Anerkennung eine interdisziplinäre Bedeutung und wird u. a. zu einem

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Berühmte Ausgabe Le Monde v. 6. 12. 1979. Streinz pointiert dieses Ziel des Konzepts der gegenseitigen Anerkennung als Erhalten „kulinarische(r) Vielfalt in Europa statt europäischem ,Einheitsbrei“, Europarecht, Rn. 936. 3 Angesichts der bereits vorliegenden Darstellung des Werdegangs dieser Rechtsfigur wird hier lediglich ergänzend auf einzelne Etappen der Etablierung des Anerkennungskonzepts eingegangen; vgl. Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 11 – 34 und S. 44 – 48; vgl. auch Weyembergh, La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale entre les Etats membres de lUnion europenne: mise en perspective, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 25 ff. 4 Vgl. Michaels, Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland, S. 50 f. 2

§ 3 Herkunft und Entwicklung

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rechtlichen, philosophischen und theologischen Phänomen.5 Als rechtstechnisches Instrument gilt Anerkennung insbesondere als Modus der Kooperation,6 dessen Wurzeln auf eine lange Begriffstradition deuten.7 Im Hinblick auf die Bedeutung dieser kooperationsrechtlichen Komponente bei der Erleichterung der Rechtshilfe innerhalb des Norddeutschen Bundes8 und deren Auswirkung auf die Bildung eines Nationalstaates wird dem Anerkennungsgedanken zusätzlich eine politische Dimension zugeschrieben.9 Die Fortentwicklung auf der internationalen Ebene könnte in der Einschaltung und Anerkennung einer supranationalen Gewalt, welche die Aufgaben der Sicherung des Friedens und der Sicherheit unparteiisch wahrnimmt, erblickt werden.10 Die Rechtskraft eines Urteils des IStGH ist in allen Vertragsstaaten anzuerken-

5

Dazu von Schild, Anerkennung: interdisziplinäre Dimensionen eines Begriffs, S. 7. Als „wesensimmanent“ für die Rechtshilfe bezeichnet die gegenseitige Anerkennung Böse, Die strafrechtliche Zusammenarbeit in Europa, S. 14. 7 Zu solchen historischen Beispielen werden u. a. gezählt: Vollstreckungsübereinkünfte zwischen den unabhängigen Staaten in Norditalien oder die Rheinschifffahrtskarte v. 17. 10. 1868, die eine Vollstreckung von Entscheidungen der belgischen, deutschen, niederländischen und französischen Rheinschifffahrtsgerichte ermöglichte. Als eine der ersten strafprozessualen Vorschriften, die auf die Vollstreckung der ausländischen Entscheidungen abzielte, gilt der 1859 in die Strafprozessordnung des Königreichs Hannover eingeführte Art. 231 Abs. 3 (betreffend Auslieferung oder Strafvollstreckung), dazu Grützner, Die zwischenstaatliche Anerkennung europäischer Strafurteile, NJW 1969, S. 345 m.w.N.; ergänzend: Spiecker, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkung ausländischer Urteile, S. 37; zur Anerkennungsgeschichte im Internationalen Verfahrensrecht vgl. auch Martiny, Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. III/1, S. 11. 8 Innerhalb des deutschen Bundes wurden die Mitgliedstaaten ausdrücklich verpflichtet, Strafurteile (Geldstrafen und Freiheitsstrafen mit einer Dauer von bis zu sechs Wochen) anderer Mitgliedstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken; vgl. Das Gesetz des Norddeutschen Bundes betreffend die Gewährleistung der Rechtshilfe v. 21. 6. 1869, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1869, 305; vgl. auch Hahn/Mugdan, Die gesammelten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. 1 GVG, Abt. 1, S. 167. 9 Braum spricht in diesem Zusammenhang von Anerkennung, die einen „Rechtsmodus des Übergangs zur politischen Einheit“ darstellt, Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 683; vgl. auch Pauly, Zu Grund und Grenzen der Legitimität von Nationalstaatlichkeit, KritV 1995, S. 42 ff. Ein interessantes Beispiel für die (Teil-)Anerkennung fremder Gerichtsurteile stellt das Dekret des Staatschefs J. K. Piłsudski v. 23. 12. 1918 dar, wonach alle Urteile deutscher Gerichte auf dem seit 1918 polnischen Gebiet, die sich auf enumerativ genannte Straftaten beziehen (z. B. Mord, Raub, Zuhälterei), anerkannt werden. Bei anderen Urteilen, bei denen es sich um eine Straftat „minderen Gewichts“ handelte, wurden kraft des zitierten Dekrets die verhängten Strafen halbiert, vgl. Dziennik Praw Pan´stwa Polskiego Nr. 21 v. 28. 12. 1918, Pos. 73. 10 Unzweifelhaft das markanteste Beispiel für einen Umbruch in der universellen Strafhoheit der Vertragsstaaten war die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH). Zu den früheren internationalen Tribunalen zählen insbesondere der internationale Militärgerichtshof von Nürnberg, das Internationale Militärgericht von Tokio (IMGFO), ad hoc – Gerichtshof in den Haag (ICTY) und in Arusha (ICTR); vgl. Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 105. 6

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

nen (Verbot ne bis in idem).11 Eine ähnliche Anerkennungs- und Befolgungspflicht der EGMR-Urteile resultiert für die beklagten Vertragsstaaten der EMRK.12 Die Vielseitigkeit und Universalität der Rechtsfigur der Anerkennung macht sie zu einem in vielen Rechtsgebieten angewandten rechtstechnischen Instrument. Im Völkerrecht handelt es sich bei der Anerkennung um ein einseitiges Rechtsgeschäft – eine allgemeine Erklärung eines Völkerrechtssubjekts, die die Akzeptanz einer Tatsache oder des Anspruchs eines Völkerrechtssubjekts ausdrückt.13 Begegnet wird dieser Rechtsfigur bei der Anerkennung von Staaten, Regierungen, Rechtsverhältnissen, bestimmten Ansprüchen als auch Rechtssätzen.14 Eine allgemeine Verpflichtung zur Anerkennung der Hoheitsakte anderer Staaten besteht im Völkerrecht jedoch nicht.15 Im Europarecht wird Anerkennung allmählich zum „Generalprinzip“16, das bereits mehreren vergemeinschafteten Bereichen zu Grunde lag und eine dynamische Entwicklung innerhalb der dritten Säule erlebte. Als Modus zwischenstaatlicher Kooperation in Strafsachen wurde auf die Anerkennung u. a. in den regionalen Staatengemeinschaften wie den skandinavischen oder den Benelux-Ländern17 zurückgegriffen. Das Verfolgen gemeinsamer Ziele und der Schutz gemeinsamer Werte18 führte zur Entstehung einer Reihe von internationalen Übereinkommen, die den Anerkennungsgedanken (in unterschiedlichem Ausmaß) mitberücksichtigt haben.19 Das 11

Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 13 Rn. 37. Vgl. Art. 46 Abs. 1 EMRK; dieser Anerkennungspflicht wird meistens durch das Einräumen einer Wiederaufnahme des Verfahrens (z. B. Art. 540 § 3 der polnischen Strafprozessordnung, § 359 Nr. 6 StPO) nachgegangen. 13 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 427; zit. nach Michaels, Anerkennungspflichten im Verwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland, S. 51. 14 Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 394; Ipsen, Völkerrecht, § 22, Rn. 1 ff.; vgl. auch Morgenstern, Recognition and Enforcement of Foreign Legislative Administrative and Judicial Acts which are Contrary to International Law, I.L.Q. Nr. 4/1951, S. 326 ff. 15 Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 370 f.; Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, S. 10 ff.; Beyer, Rechtsnormenerkennung im Binnenmarkt, S. 44 m.w.N. 16 So Masing in der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG bezüglich des EuHbG, Wortlautprotokoll abgedruckt bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 197. 17 Vgl. Grützner, Schritte auf dem Weg zu einem Europäischen Strafrecht, NJW 1961, S. 2185; dazu auch unter § 1 III. 4. 18 Grützner, Die zwischenstaatliche Anerkennung europäischer Strafurteile, NJW 1969, S. 347 m.w.N. 19 Europäisches Übereinkommen über die Überwachung bedingt verurteilter oder bedingt entlassener Personen, SEV-Nr.:051; Europäisches Übereinkommen über die Ahndung von Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr, SEV-Nr.:052; Europäisches Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen, SEV-Nr.:070; Europäisches Übereinkommen über die Übertragung der Strafverfolgung, SEV-Nr.:073; Europäisches Übereinkommen über die internationalen Wirkungen der Entziehung der Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge, SEV-Nr.:088; Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen, SEV-Nr.:112; Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen, SEV-Nr.:167; Überein12

§ 3 Herkunft und Entwicklung

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wichtigste Beispiel hierzu stellt das Schengen-Durchführungsübereinkommen (SDÜ)20 dar, nach dessen Art. 54 einheitliche Regeln zur Rechtskraft-Anerkennung21 gelten und final zum Strafklageverbrauch führen. Festzuhalten ist, dass der Anerkennungsmodus in mehreren Anwendungsformen vorzufinden ist. Den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten ist der Kern – der Anerkennungsgedanke, der zur Erstreckung der territorial eingeschränkten Wirkung justizieller Akte auf das Ausland führt – gemeinsam. Eine weitere Gemeinsamkeit stellt das Vertrauen in das ausländische Rechtssystem und die Gleichwertigkeit der anzuerkennenden Entscheidungen dar.22 Art, Umfang und Folgen einer konkreten Anerkennungsformel hängen stark mit dem Anwendungsgebiet zusammen, was eine Möglichkeit genereller Aussagen deutlich reduziert. Im Fokus dieser Arbeit steht der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung samt rechtsgebietspezifischen Regelungen als zentrales Element des aktuell in Strafsachen umgesetzten Kooperationskonzepts der EU. Ergänzend und in der Argumentation unterstützend wird auch auf die Anwendung dieser Rechtsfigur auf anderen Rechtsgebieten eingegangen.

II. Anerkennung im Gemeinschafts- und Unionsrecht Im europäischen Wirtschaftsrecht stellt die Rechtsfigur der Anerkennung ein erfolgreiches Mittel zum Abbau sog. technischer Schranken bei der Verwirklichung des Binnenmarktes dar.23 Als Herkunftslandprinzip24 wird der Anerkennungsgedanke kommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten, SEV-Nr.:141; zit. nach Moreillon/Willi-Jayet, Coopration judiciaire pnale dans lUnion europenne, S. 305 ff. 20 BGBl. 1993 II S. 1010. 21 Eicker, Transnationale Strafverfolgung, S. 134. 22 Als „Akt des Vertrauens“ bezeichnet Anerkennung Stunz, Vertrauen in fremde Gerichtsverfahren, S. 5. 23 Die „Schlüsselfigur zur Verwirklichung des Binnenmarktes“ sehen darin Grabitz/HilfRandelzhofer/Forsthoff, Art. 47, Rn. 16. 24 Ein Teil der Literatur trennt scharf zwischen dem Herkunftslandprinzip und der gegenseitigen Anerkennung mit der Begründung, dass das aus der Rechtssache Cassis de Dijon hergeleitete Beschränkungsverbot keines formellen Anerkennungsaktes bedarf. Das Unterscheidungsmerkmal betrifft somit die Kontrolle der Tätigkeit: Beim Herkunftslandprinzip werden die ausländischen Standards anerkannt und auf ihre Gleichwertigkeit wird schlicht vertraut. Beim Prinzip der gegenseitigen Anerkennung kommt es im Bestimmungsland dagegen zu einer Überprüfung der Gleichwertigkeit der im Herkunftsland erfüllten Marktzugangsregeln; dazu ausführlich Rieger, Die gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen und berufsrechtlichen Wirkungen von Herkunftslandprinzip und Bestimmungslandprinzip, GewArch 2006, S. 1 m.w.N.; dagegen sieht de Hoyos Sancho im Herkunftslandprinzip nur eine radikale Form der gegenseitigen Anerkennung, die in automatischer Anerkennung der im Herkunftsland festgelegten rechtlichen Standards besteht, Euro-orden y causas de denegacin de la entrega, in: Arangüena Fanego u. a. (Hrsg.), Cooperacin judicial penal en la Unin Europea, S. 226; zum Teil wird auch vertreten, dass das Herkunftslandprinzip auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung fuße (Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 111) bzw. die

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

zum Bestandteil der Regelungen des vergemeinschafteten Warenverkehrs25 und öffnet den Weg zur Rechtsintegration im europäischen Wirtschaftsraum.26 Der EuGH bekräftigt in seinen Entscheidungen zur Warenverkehrsfreiheit, dass jedes Produkt, welches in einem Mitgliedstaat in den Verkehr eingeführt wurde, gleichfalls Verkehrsfreiheit in anderen Mitgliedstaaten genießen soll.27 Auf der Grundlage von Art. 28 und 29 EGV (Art. 34 und 35 AUEV) stellte der EuGH das Verbot auf, Handelsregelungen der Mitgliedstaaten anzuwenden, die unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell den innergemeinschaftlichen Handel behindern können.28 Die Rechtsprechung des EuGH wurde von der Kommission aufgegriffen und als „Neue Strategie“29 zur Grundlage ihrer Binnenmarktkonzeption gemacht.30 Das Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes deutet auf einen Paradigmenwechsel in der Gestaltung des Binnenmarktes31 und bestimmt für die sofortige und uneingeschränkte Anwendung des Anerkennungskonzepts alle Bereiche, „in denen eine Harmonisierung der Vorschriften und Normen nicht aus gesundheits-, sicherheits- oder industriepolitischen Gründen als wesentlich angesehen wird“.32 Außer dem freien Verkehr von Waren wurde auch im Dienstleistungsbereich (Art. 49 ff. EGV, Art. 56 ff. AEUV) die Anwendung des Herkunftslandprinzips als Alternative zu Harmonisierungsmaßnahmen in Erwägung gezogen. Auf diese Weise will die

gegenseitige Anerkennung das rechtliche Instrument zur Verwirklichung des Herkunftslandprinzips sei (Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Art. 47, Rn. 18). 25 Streinz, Europarecht, Rn. 977; Weyer, Freier Warenverkehr und nationale Regelungsgewalt in der Europäischen Union, S. 215 ff.; ähnlich Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, S. 363. 26 Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 2004, S. 355; Braum spricht von der „Erweiterung wirtschaftlicher Freiheiten europäischer Bürger“, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 687. 27 Vgl. insbesondere: EuGH-Urteil, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 ff. (Dassonville); EuGH-Urteil, Rs. 120/78, Slg. 1979, 651 ff. (Cassis de Dijon); EuGH-Urteil, Rs. 178/84, Slg. 1987, 1227 ff. (Reinheitsgebot). 28 EuGH-Urteil, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 ff. (Dassonville); dazu Oppermann, Europarecht, § 23, Rn. 35; Beyer, Rechtsnormenerkennung im Binnenmarkt, S. 55 ff. 29 „Die generelle Stoßrichtung der Kommission in diesem Bereich ist es, vom Ansatz der Rechtsangleichung wegzukommen und das Gewicht auf die gegenseitige Anerkennung und die Gleichwertigkeit der nationalen Regeln zu legen.“, KOM(1985) 310 v. 14. 6. 1985. 30 Ensthaler, Rechtsharmonisierung zur Verwirklichung des Binnenmarktes, in: ders. (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt – Stand und Perspektiven, S. 25; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 12 Rn. 43. 31 „Da der Rat (…) anerkannt hat, daß die Ziele der nationalen Gesetzgebung im wesentlichen gleichwertig sind, könnte die gegenseitige Anerkennung grundsätzlich eine wirksame Strategie zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes für den Handel sein. Eine solche Strategie läßt sich vor allem auf die Artikel 30 bis 36 EWG-Vertrag stützen, wonach nationale Maßnahmen verboten sind, die den freien Verkehr übermäßig und in ungerechtfertigter Weise beschränken“, KOM(1985) 310 v. 14. 6. 1985. 32 KOM(1985) 310 v. 14. 6. 1985, S. 22.

§ 3 Herkunft und Entwicklung

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EU den Raum ohne Binnengrenzen u. a. für den Dienstleistungs-33 und elektronischen Geschäftsverkehr34 (Art. 14 Abs. 2 EGV, Art. 26 AEUV) verwirklichen. Auch hier wird z. T. das Strafrecht der Mitgliedstaaten tangiert35 und dessen Anwendung im Hinblick auf ausländische Dienstanbieter eingeschränkt.36 Da eine vollständige Charakteristik aller Bereiche des EU-Rechts, in denen die gegenseitige Anerkennung zur Anwendung kommt, den Umfang dieser Arbeit sprengen würde, sei daher nur noch auf die primärrechtliche Verankerung des Anerkennungsgedankens hingewiesen. Art. 293 EGV sieht die Möglichkeit der gegenseitigen Anerkennungen von Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 EGV vor und erwähnt die gegenseitige Anerkennung von richterlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen (vgl. nun Art. 81 Abs. 2 AEUV). Art. 47 EGV (53 AUEV) handelt von der gegenseitigen Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen. Danach werden von Mitgliedstaaten Ausbildungsbedingungen, die in einem anderen Mitgliedstaat zur Aufnahme und Ausübung von Tätigkeiten erfordert werden, als ausreichende Qualifikation anerkannt, um vor Ort eine vergleichbare Tätigkeit einzugehen.37 Zusätzlich von Anerkennung sprechen Art. 65 lit. a 3. Spiegelstrich EGV (vgl. nun Art. 81 AEUV) betreffend gerichtliche und außergerichtliche Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes und 149 EGV (165 AUEV) betreffend Diplome und Studienzeiten zur Förderung der Mobilität der Lernenden und Lehrenden.38 Eine ausdrückliche Verankerung erfuhr die gegenseitige Anerkennung auch im durch die EEA eingefügten Art. 100b Abs. 1 UA 2 a.F. EGV. Aufgrund mangelnder Kooperationsbereitschaft der Mitgliedstaaten39 wurde diese Bestimmung im Amsterdamer Vertrag gestrichen. Der Lissabonner Vertrag sieht zusätzlich die Möglichkeit 33

Vgl. Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12. 12. 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. L 376 v. 27. 12. 2006, S. 36, nach deren ursprünglicher Fassung der Dienstleistungserbringer einzig den Rechtsvorschriften des Landes unterliegen sollte, in dem er niedergelassen ist (Art. 16 des Richtlinienvorschlags). Unter dem Druck der damit hervorgerufenen Diskussionen in den Mitgliedstaaten wurde Art. 16 ff. „entschärft“ und auf das frühere Herkunftslandprinzip verzichtet; dazu Albath/Giesler, Das Herkunftslandprinzip in der Dienstleistungsrichtlinie – eine Kodifizierung der Rechtsprechung?, EuZW 2006, 38 ff.; vgl. auch BT-Drucksache 15/6008 v. 30. 9. 2005. 34 Vgl. Richtlinie 2000/31/EG v. 8. 6. 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. L 178 v. 17. 7. 2000, S. 1 ff. 35 Vgl. Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 196. 36 Ausführlich Altenhain, Europäisches Herkunfts- und nationales Strafanwendungsrecht, in: Zieschang u. a. (Hrsg.), Kriminalität in Europa, S. 111 ff. m.w.N.; Kudlich, Herkunftslandprinzip und internationales Strafrecht, HRRS Nr. 8/2004, S. 278. 37 Niehof, Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Gemeinschaftsrecht, S. 1. 38 Ausführlicher Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 18 ff. 39 Vgl. Kommissionsmitteilung über „Handhabung der gegenseitigen Anerkennung einzelstaatlicher Vorschriften nach 1992. Schlussfolgerungen aus der Erfassung noch bestehender Handelshemmnisse nach Art. 100b EG-Vertrag“, KOM(93) 669 v. 15. 12. 1993.

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

vor, Maßnahmen zur objektiven und unparteiischen Bewertung zu erlassen, um insbesondere die umfassende Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung zu fördern (Art. 70 AEUV). Über den Inhalt und die Ergebnisse dieser Bewertung sollen das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente unterrichtet werden. Festzuhalten ist, dass das Anerkennungskonzept eine flexible, jedoch selbst in diesem Bereich immer wieder Kontroversen hervorrufende Lösung zur Herstellung des gemeinsamen Marktes darstellt. Es bedarf daher Einschränkungen und ergänzender Harmonisierung, um das Ziel der Beseitigung unterschiedlicher nationaler Produkt- und Qualifikationsstandards zu erreichen.40

III. Anerkennung in Strafsachen 1. Leitlinien des Europäischen Rates Die Idee der Anwendung auf Strafsachen ist auf den Regierungsvorschlag während der britischen Präsidentschaft zurückzuführen.41 Begründet wird dies durch die Notwendigkeit der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Der Anerkennungsgrundsatz soll in seiner Anwendung die einzelstaatlichen Rechtssysteme zu enger Zusammenarbeit befähigen und stärken. In Punkt 39 der Schlussfolgerungen der Ratstagung in Cardiff (15./16. 06. 1998)42 erwägt der Europäische Rat zum ersten Mal die Anwendung für „eine weitergehende gegenseitige Anerkennung der Entscheidungen von Gerichten der jeweils anderen Mitgliedstaaten“. Dieser lapidaren Aussage wurde eine konkrete Aufgabenzuweisung zur Ermittlung von Anwendungsmöglichkeiten für die gegenseitige Anerkennung entnommen. Nach Cardiff traf sich der Europäische Rat am 11./12. Dezember 1998 in Wien. Dort hat er den Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vom 3. Dezember 199843 angenommen.44 Der Aktionsplan, bekannt auch als „Wiener Plan“45, sieht im Bereich der justiziellen 40 Ähnlich (schon 1993) Streinz, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZLR 1993, S. 31; zur Parallelität in der Durchsetzung der gegenseitigen Anerkennung und Harmonisierung in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen vgl. Asp, Mutual Recognition and the Development of Criminal Law Cooperation within the EU, in: Husabø/Strandbakken, Harmonization of criminal law in Europe, S. 31 ff. 41 Dazu Mitsilegas, The Constitutional Implications of Mutual Recognition in Criminal Matters in the EU, CMLRev. Nr. 43/2006, S. 1278; vgl. auch (späteres) Dokument der britischen Delegation an K4-Komitee, doc. 7090/99 v. 29. 3. 1999. 42 Im Internet unter: http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressdata/ de/ec/54313.pdf. 43 ABl. Nr. C 19 v. 23. 1. 1999, S. 1 ff. 44 Punkt 83 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes unter http://www.consilium.europa.eu/ ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/00300-R1.D8.htm. 45 Moreillon/Willi-Jayet, Coopration judiciaire pnale dans lUnion europenne, S. 326.

§ 3 Herkunft und Entwicklung

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Zusammenarbeit in Strafsachen u. a. vor, dass innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags Maßnahmen im Hinblick auf die Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen und ihrer Vollstreckung ergriffen werden (Punkt 45 lit. f des Aktionsplanes). Aufgegriffen wurde das Anerkennungskonzept während der Ratstagung in Tampere (15./16. 10. 1999). In den Schlussfolgerungen Nr. 35 – 3746 wurde ein grober Umriss der zukünftigen Anerkennungspolitik dargestellt. Die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen ist dort zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen innerhalb der Union erklärt worden. Der Europäische Rat hat sich für eine Ausweitung des Annerkennungsgrundsatzes auch auf im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ergangene Anordnungen ausgesprochen. Insbesondere waren solche Anordnungen gemeint, „die es den Behörden ermöglichen, Beweismaterial rasch sicherzustellen und leicht zu bewegende Vermögensgegenstände zu beschlagnahmen“. Danach sollen in einem Mitgliedstaat rechtmäßig erhobene Beweise auch in jedem anderen Mitgliedstaat zugelassen sein. Die Kommission ist beauftragt worden, ein Umsetzungsprogramm auszuarbeiten, in dem konkrete Umsetzungsvorschläge für den Anerkennungsgrundsatz genannt werden. Zur Erleichterung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung sollten gemeinsame Mindeststandards festgelegt werden. 2. Maßnahmenprogramm der Kommission zur Umsetzung des Anerkennungsgrundsatzes Der Aufforderung des Rates zur Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes in der strafrechtlichen Zusammenarbeit ist die Kommission im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen nachgegangen.47 In dem einführenden Teil des Programms werden Vorteile der Anerkennungspolitik hervorgehoben. Außer der Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten solle die gegenseitige Anerkennung auch den Schutz der Persönlichkeitsrechte verstärken. Sie biete bessere Voraussetzungen für die soziale Wiedereingliederung von Straftätern und gewährleiste, dass eine in einem Staat ergangene gerichtliche Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat nicht wieder in Frage gestellt wird, was die Rechtssicherheit stärke. Es wird auch bekräftigt, dass gegenseitige Anerkennung in allen Stadien des Strafverfahrens, „sowohl vor und bei der Urteilsfindung als auch im Anschluss daran“, angestrebt werden muss. Das „ehrgeizige Vorhaben“, wie die Kommission selbst die Umsetzung des Anerkennungsgrundsatzes bezeichnet, ist in dem Maßnahmenprogramm in fünf Stadien zerlegt worden.

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Im Internet unter: http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/ de/ec/00200-r1.d9.htm. 47 ABl. Nr. C 012 v. 15. 1. 2001, S. 10 ff.

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

In einem ersten Stadium sollten in den Mitgliedstaaten rechtskräftig ergangene Entscheidungen in Strafsachen anerkannt werden können. Dies bedarf u. a. einer Neugestaltung des Verbots der doppelten Strafverfolgung und eines Informationsaustausches über gefällte Entscheidungen sowie strafzumessungsrelevanter Angaben (wie z. B. strafrechtliche Vergangenheit des Täters).48 Die zweite Etappe betrifft die „Erleichterung“ der Vollstreckung von Anordnungen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens. Gemeint sind hier Anordnungen in Bezug auf die Sicherstellung von Beweismaterial und das Einfrieren von Guthaben. Einer der Schwerpunkte der zweiten Gruppe besteht in der Ausarbeitung von Instrumenten zur Lösung positiver Kompetenzkonflikte innerhalb der Union.49 Die dritte Etappe ist der gegenseitigen Anerkennung von Strafurteilen gewidmet. Als zentrales Problem dieser Maßnahmengruppe wird die Diversität der Sanktionsarten50 und der unterschiedlich ausgeformte Schutz eigener Staatsangehöriger in den Mitgliedstaaten angesehen.51 Ausführliche Überlegungen zur Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes bei der Vollstreckung stellte die Kommission zur Debatte im Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union.52 Die vierte Etappe des kommentierten Maßnahmenprogramms umfasst Entscheidungen im Rahmen der Überwachung nach einem Strafverfahren. Der Anerkennungsgrundsatz soll dabei eine EU-weite Zusammenarbeit bei der Kontrolle der verhängten Auflagen oder Überwachungs- und Unterstützungsmaßnahmen erleichtern.53 Für die Begutachtung der Fortschritte bei der Umsetzung des Annerkennungsgrundsatzes innerhalb aller vier dargestellten Bereiche wird die Schaffung eines Evaluierungsmechanismus (fünfte Etappe) in Erwägung gezogen.54

3. Aufnahme in die Europäische Verfassung Das Scheitern des Ratifikationsprozesses hinderte den von den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten beschlossenen Vertrag über eine Verfassung für 48

Vgl. Maßnahmen Nr. 1 – 4 des kommentierten Maßnahmenprogramms. Ermöglicht werden soll insbesondere eine Übertragung von Strafverfahren auf andere Mitgliedstaaten, wozu die Koordinierung der nationalen Staatsanwaltschaften durch Eurojust in Erwägung gezogen und die Bedeutung eines ungestörten Informationsaustausches hervorgehoben wird; vgl. Maßnahmen Nr. 11 und 12 des kommentierten Maßnahmenprogramms. 50 Dazu unter § 11 II. 51 Die Maßnahmen der Untergruppe „Haftstrafen“ zielen auf die Schaffung eines effektiven Überstellungssystems ab, das einerseits Anerkennung und sofortige Vollstreckung einer rechtskräftig ergangenen Entscheidung ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit des Überstellten ermöglicht (vgl. Maßnahmen Nr. 13 und 15), anderseits dem Gedanken der Resozialisierung entspricht und die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen erleichtert (vgl. Maßnahme Nr. 16). 52 KOM(2004) 334; ausführlich Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 47. 53 U. a. durch „Optimierung“ des Europäischen Übereinkommens v. 30. 11. 1964 über die Überwachung bedingt verurteilter oder bedingt entlassener Personen (vgl. Maßnahme Nr. 23). 54 Vgl. Gruppe Nr. 5: „Gegenseitige Begutachtung“, Maßnahme Nr. 24. 49

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Europa am Inkrafttreten, beraubte ihn jedoch nicht seiner Bedeutung für die Auslegung des geltenden und zukünftigen supranationalen Rechts.55 Die Bestimmungen der Tampere-Ratstagung zur gegenseitigen Anerkennung sind in den VE aufgenommen worden.56 Mit der förmlichen Verankerung des Anerkennungsgrundsatzes sollte die Unklarheit der Bestimmungen von Art. 30 und 31 EUV aufgehoben werden, die derzeit der Anwendung der gegenseitigen Anerkennung nicht hinreichend gerecht werden und zu vage sind.57 Die Verfassungsbestimmungen sollten auch dafür Sorge tragen, dass gegenseitige Anerkennung mit der voranzutreibenden Strafrechtangleichung in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht wird.58 Der Verfassungsentwurf sieht für die Durchsetzung des Anerkennungskonzepts ein neues rechtliches Instrumentarium vor.59 Zur Sicherstellung der EU-weiten Anwendung der Anerkennung aller Arten von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen können Regeln und Verfahren in europäischen Gesetzen oder Rahmengesetzen bestimmt werden (Artikel III-270 Abs. 1 lit. a VE). Zusätzlich zu den Regeln und Verfahren können durch ein europäisches Rahmengesetz Mindestvorschriften festgelegt werden (Artikel III-270 Abs. 2 VE). Die europäischen Gesetze und Rahmengesetze sollen im Gegensatz zu den Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen unmittelbar wirken. Ausnahmen in der Anwendung der gegenseitigen Anerkennung ermöglicht das 9. Protokoll, wonach Übergangsmaßnahmen für die 10 neuen Beitrittskandidaten getroffen werden können, falls die Durchführung oder Anwendung von Rahmenbeschlüssen oder anderen einschlägigen Verpflichtungen, Instrumenten der Zusammenarbeit oder Beschlüssen in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung ernste Mängel oder die Gefahr ernster Mängel schafft (Artikel 28).60 4. Weiterentwicklung im Haager Programm Das Scheitern des Ratifikationsprozesses beendete zwar die Diskussionen um die strafrechtlichen Fragen des Verfassungsentwurfs,61 gefährdete aber die Durchsetzung 55

Tiedemann, Strafrecht im Europäischen Verfassungsvertrag, in: Müller-Dietz u. a. (Hrsg.), FS Jung, S. 987. 56 Vgl. insb. Artikel III-270 Abs. 1 VE (Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen als Grundlage der justiziellen Zusammenarbeit); Art. III-257 Abs. 3 VE; Art. I-42 Abs. 1 lit. b VE (Förderung des gegenseitigen Vertrauens); ausführlicher Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 47 f.; vgl. auch: Arbeitsunterlagen des Europäischen Konvents, Übermittlungsvermerk v. 31. 5. 2002, CONV 69/02, S. 77; Suhr, in: Calliess/Ruffert, VerfEU, Art. I-42, Rn. 42. 57 CONV 426/02 v. 2. 12. 2002, S. 8; vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 9, Rn. 26; Ormazabal Snchez, Espacio penal europeo y mutuo reconocimiento, S. 39. 58 CONV 426/02 v. 2. 12. 2002, S. 8. 59 Vgl. auch Arbeitsunterlagen des Europäischen Konvents, Bericht des Vorsitzenden der Gruppe X „Freiheit, Sicherheit und Recht“ v. 2. 12. 2002, CONV 426/02, S. 365. 60 Dazu unter § 5 III. 61 Vgl. Weigend, Der Entwurf einer Europäischen Verfassung und das Strafrecht, ZStW 2004, S. 275; Hassemer, Strafrecht in einem europäischen Verfassungsvertrag, ZStW 2004,

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des Anerkennungskonzepts nicht. Seine Fortsetzung ist im Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union gewährleistet worden.62 Das vom Europäischen Rat angenommene Mehrjahresprogramm (abgekürzt: Haager Programm) rekurriert die Ziele des Vertrags über eine Verfassung für Europa und listet zahlreiche Bereiche auf, bei denen die Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes für die Gewährleistung der Sicherheit in Europa notwendig sei. In den Schlussfolgerungen drückt der Europäische Rat Zufriedenheit über die nach der Ratstagung in Tampere in den Jahren 1999 – 2004 erfolgten Arbeiten aus. Sie bereiteten „ein Terrain für eine auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen beruhende justizielle Zusammenarbeit“ vor.63 Erwünscht sei weiterhin eine uneingeschränkte Umsetzung des Anerkennungsgrundsatzes in allen Phasen des Strafverfahrens.Seine Weiterentwicklung soll sich insbesondere auf Erhebung und Zulässigkeit von Beweismitteln, Regelung der Kompetenzkonflikte, Gewährleistung des Grundsatzes ne bis in idem und die Vollstreckung rechtskräftiger Urteile über die Verhängung von Freiheitsstrafen oder anderer Sanktionen erstrecken.64 Um eine möglichst optimale Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes zu gewährleisten, sollen zum einen gleichwertige Standards für die Verfahrensrechte in Strafverfahren gewährleistet, zum anderen die Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten gebührend berücksichtigt werden. Diese Zielsetzung ist erstens bei der Ausarbeitung eines Rahmenbeschlusses über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union und des Rahmenbeschlusses über die Europäische Beweisanordnung zu berücksichtigen. Zweitens soll eine Aufstellung von Mindestregeln in Bezug auf bestimmte Verfahrensaspekte zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen in Erwägung gezogen werden. Dies gelte auch für die Annäherung des materiellen Strafrechts bei „schwerwiegenden Deliktbereichen mit grenzüberschreitender Dimension“.65 Die Kommission ist mit der Ausarbeitung eines Umsetzungsprogramms zu den Haager Postulaten beauftragt worden. Zusätzlich sollten, um den Informationsaustausch zu fördern, Vorschläge zur Vernetzung einzelstaatlicher Register vorbereiten werden. In der dem Rat und dem Europäischen Parlament vorgestellten Mitteilung, schilderte die Kommission einen Teil des Aktionsprogramms zur Umsetzung des Haager Programms für die Jahre 2005 – 2007.66 Rückblickend sieht die Kommission S. 304; Kreß, Das Strafrecht auf der Schwelle zum europäischen Verfassungsvertrag, ZStW 2004, S. 445; Kaiafa-Gbandi, Europäisches Strafrecht – Die Perspektive des Grundrechtsschutzes nach dem Verfassungsentwurf für Europa, KritV 2004, S. 3; Bacigalupo, Bemerkungen zu strafrechtlichen Fragen des Verfassungsentwurfs, ZStW 2004, S. 326. 62 ABl. Nr. C 053 v. 3. 3. 2005, S. 1. 63 Vgl. Punkt 3.3.1. ff. des Haager Programms. 64 Vgl. Punkt 3.3.1. des Haager Programms; vgl. Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 704. 65 Vgl. Punkt 3.3.2. des Haager Programms. 66 KOM(2005) 195 v. 19. 5. 2005.

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sichtbare Erfolge des Haager Programms, zieht jedoch für die Bereiche „gegenseitige Anerkennung in Strafsachen“ und „polizeiliche Zusammenarbeit“ (u. a. aufgrund der als zu langsam beurteilten Fortschritte) eine gemischte Bilanz. Als Ursachen hierzu werden u. a. das Einstimmigkeitserfordernis in der dritten Säule, mangelnder Rückgriff auf formale Vertragsverletzungsverfahren zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Umsetzung und Verzögerungen bei der Umsetzung der EU-Instrumente auf nationaler Ebene gesehen.67 Einige dieser Mängel werden voraussichtlich unter Geltung des Lissabonner Vertrages auf der Grundlage des Stockholmer Programms sukzessiv behoben. 5. Aktueller Stand der Umsetzung des Anerkennungsgrundsatzes in Strafsachen Das vorgestellte Maßnahmenprogramm ist in mehreren Punkten bereits verwirklicht worden. Anhand der folgenden Bestandsaufnahme wichtigster, auf dem Anerkennungsgrundsatz basierender Rechtsakte soll u. a. das breite Anwendungsspektrum gegenseitiger Anerkennung sowie ihre Etablierung zu einer Leitlinie europäischer Strafrechtsentwicklung68 veranschaulicht werden. a) Angenommene Rechtsakte Die „erste konkrete Verwirklichung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung“ stellt der Europäische Haftfehl dar.69 Da ein förmliches und komplexes Auslieferungssystem als inadäquat für die Rechtshilfe zwischen den EU-Mitgliedstaaten erachtet wurde,70 hat der Rat der Justiz- und Innenminister der Mitgliedstaaten der EU bereits am 13. Juni 2002 den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (im Folgenden als EuHbRb bezeichnet) verabschiedet.71 Dabei stützte der Rat den Rahmenbeschluss insbesondere auf Art. 31 lit. a und b, Art. 34 Abs. 2 lit. b. Eine Erleichterung der europaweiten Strafverfolgung bezweckt auch der Rahmenbeschluss vom 22. Juli 2003 über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union.72 Danach ist jede Sicherstellungsentscheidung73, die von einer Justizbehörde 67

Dazu Mitteilung der Kommission – Justiz, Freiheit und Sicherheit in Europa seit 2005: Evaluierung des Haager Programms und des Aktionsplans v. 10. 6. 2009, KOM(2009) 263. 68 So Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 681. 69 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 6 EuHbRb. 70 Vgl. z. B. „Prävention und Bekämpfung der organisierten Kriminalität – Eine Strategie der Europäischen Union für den Beginn des neuen Jahrhunderts“, ABl. Nr. C 124 v. 3. 5. 2001, S. 1 ff. 71 ABl. L 190 v. 18. 7. 2002, S. 1 ff. 72 ABl. L 196 v. 2. 3. 2003, S. 45 ff. 73 Unter „Sicherstellungsentscheidung“ ist jede von einer zuständigen Justizbehörde des Entscheidungsstaats getroffene Maßnahme zu verstehen, mit der vorläufig jede Vernichtung,

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eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Strafverfahrens erlassen wurde, in jedem anderen Mitgliedstaat anzuerkennen und zu vollstrecken (Art. 1 des zit. Rahmenbeschlusses). An diese, im Bereich der Beweismittel, fragmentarische Regelung knüpft der Rahmenbeschluss vom 18. Dezember 2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen an.74 Damit soll eine effektive Zusammenarbeit in Bezug auf Erlangung und Verwendung in Strafverfahren in der EU o.g. Beweismittel sichergestellt werden. Darunter fallen u. a. Beweise, die z. B. von Dritten bereitgestellt wurden, aus einer Durchsuchung oder aus durchgeführten Ermittlungen stammen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 7 des zit. Rahmenbeschlusses). Auf die Schaffung effektiver Instrumente zum Kampf gegen Kriminalität, dessen Hauptmotiv wirtschaftlicher Gewinn ist, zielt der Rahmenbeschluss vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten75 ab. Er knüpft an den gleichnamigen dänischen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss76 an und soll gewährleisten, dass alle Mitgliedstaaten über entsprechende effiziente Regelungen dieser Materie verfügen. Im sachlichen Zusammenhang steht der Rahmenbeschluss vom 6. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen.77 Er richtet sich auch gegen wirtschaftlichen Gewinn aus Straftaten und ermöglicht die Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Strafen oder Maßnahmen, die zur endgültigen Einziehung von Vermögensgegenständen führen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 8 des zit. Rahmenbeschlusses). Gegen übermäßige Anwendung der Untersuchungshaft und die festgestellte Ungleichbehandlung zwischen „gebietsfremden Beschuldigten“, die öfter als Gebietsansässige in Untersuchungshaft genommen werden,78 richtet sich der Rahmenbeschluss vom 23. Oktober 2009 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft79. Auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung sollen danach entsprechende Überwachungsanordnungen EU-weit vollstreckt werVeränderung, Verbringung, Übertragung oder Veräußerung von Vermögensgegenständen verhindert werden soll, deren Einziehung angeordnet werden könnte oder die ein Beweismittel darstellen könnten (Art. 2 lit. c. des zit. Rahmenbeschlusses). 74 ABl. L 350 v. 30. 12. 2008, S. 72 ff. 75 ABl. L 68 v. 15. 3. 2005, S. 49 ff. 76 Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten, ABl. C 184 v. 2. 8. 2002, S. 3 ff. 77 ABl. L 328 v. 24. 11. 2006, S. 59 ff. 78 Grünbuch über die gegenseitige Anerkennung von Überwachungsmaßnahmen ohne Freiheitsentzug im Ermittlungsverfahren KOM(2004) 562 v. 17. 8. 2004; statistische Daten hierzu liefert Morgenstern, Pre-trial/remand detention in Europe: facts and figures and the need for common minimum standards, ERA Forum 2009, S. 529. 79 ABl. L 294 v. 11. 11. 2009, S. 20 ff.

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den, mit dem Ziel bei gebietsfremden Beschuldigten Anwendung von Maßnahmen ohne Freiheitsentzug zu fördern, gleichzeitig aber durch die Überwachungsmaßnahme ein ordnungsgemäßes Verfahren nicht zu gefährden (vgl. Art. 2 Abs. 1 des zit. Rahmenbeschlusses). Den Impuls für die Arbeiten an der Vollstreckung strafrechtlicher Verurteilungen gab Art. 31 lit. a EUV, wonach dazugehörige Fragen zum gemeinsamen Vorgehen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen einbezogen sind.80 Bereits in Tampere sprach sich der Rat für die „Ausarbeitung eines Instruments“ aus, „durch das sichergestellt wird, dass Geldstrafen, die gegen eine natürliche oder juristische Person von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig verhängt werden, durch den Wohnsitzstaat eingetrieben werden können“81. Ein auf alle rechtskräftigen Entscheidungen, in denen einer natürlichen oder juristischen Person eine Geldstrafe oder Geldbuße auferlegt wird, anzuwendender Vorschlag eines Rahmenbeschlusses geht auf die Initiative des Vereinigten Königreichs, der Französischen Republik und des Königreichs Schweden82 zurück. Auf diese Initiative gestützt wird die angesprochene Materie verbindlich im Rahmenbeschluss vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen83 geregelt. Art 6 des zit. Rahmenbeschlusses verpflichtet die zuständigen Behörden im Vollstreckungsstaat, die übermittelte Entscheidung „ohne jede weitere Formalität“ anzuerkennen, mit Ausnahme von Fällen, in denen einer der vorgesehenen Ablehnungsgründe vorliegt. Neben der Verbesserung der Vollstreckungshilfe soll der Erleichterung der sozialen Wiedereingliederung der verurteilten Person der Rahmenbeschluss vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union84 zugutekommen. Danach sollen Urteile, die aufgrund eines Strafverfahrens wegen einer Straftat für eine bestimmte Zeit oder auf unbestimmte Zeit Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehende Maßnahmen verhängen („Sanktion“, vgl. Art. 1 lit. b des zit. Rahmenbeschlusses), gegenseitig anerkannt und vollstreckt werden. Des Weiteren wurde der Rahmenbeschluss vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen85 angenommen. Dessen Leitgedanke ist es, den Mit80

Die Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes bei der Vollstreckung stellte die Kommission zur Debatte im Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. 81 Schlussfolgerung Nr. 37 des Europäischen Rates von Tampere und die Maßnahme Nr. 18 des Maßnahmenprogramms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung. 82 ABl. C 278 v. 2. 10. 2001, S. 4. 83 ABl. L 76 v. 22. 3. 2005, S. 16 ff. 84 ABl. L 327 v. 5. 12. 2008, S. 27 ff. 85 ABl. L 337 v. 16. 12. 2008, S. 102 ff.

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gliedstaat, in dem der Beschuldigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zur Anerkennung und „Vollstreckung“ der angeordneten Überwachungsmaßnahme ohne Freiheitsentzug zu verpflichten. Dies soll ermöglichen, dass der Beschuldigte an seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort zurückkehrt und die Überwachungsmaßnahme in seinem gewohnten Umfeld durchgeführt wird. Auf diese Weise soll dem Resozialisierungsgedanken bei verurteilten Personen, die nicht im Urteilsstaat leben, aber auch der Verbesserung des Opferschutzes und dem Schutz der Allgemeinheit entsprochen werden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 8 des zit. Rahmenbeschlusses). Schließlich ist für die Gewährleistung der auf Anerkennung basierenden Maßnahmen auch die Frage des Informationsaustausches wichtig.86 Besondere Bedeutung kommt hier den Informationen über die in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilung zu, damit diese in einem neuen, wegen einer anderen Straftat eingeleiteten, Strafverfahren berücksichtigt werden könnte. Die Bewertung der strafrechtlichen Vergangenheit eines Täters, die Berücksichtigung eventueller Rückfälligkeit und entsprechende Festlegung der Art der Strafe sowie der Einzelheiten des Strafvollzugs ermöglicht der Rahmenbeschluss vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren.87 Danach sollte eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilung gleichwertige tatsächliche bzw. verfahrens- oder materiellrechtliche Rechtsfolgen haben, wie eine solche nach dem innerstaatlichen Recht im Inland ergangene Entscheidung (vgl. den Erwägungsgrund Nr. 5 des zit. Rahmenbeschlusses). Eine Harmonisierung von konkreten Rechtsfolgen (wie z. B. Verschärfung der Strafe bei Wiederholungstätern) wird mit dem Rahmenbeschluss nicht beabsichtigt und bleibt somit dem nationalen Recht überlassen. b) Vorschläge Eine Verstärkung der Strafverfolgungseffizienz bezweckt der Vorschlag zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft.88 Beabsichtigt wird u. a., dass durch die automatische gegenseitige Anerkennung die Grenzen der internationalen Rechtshilfe und der Auslieferung überwunden werden.89 Nach Artikel III-274 VE sollte die Europäische Staatsanwaltschaft grundsätzlich zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union zuständig sein. Die Befugnisse der Europäischen Staatsanwaltschaft könnten allerdings vom Rat auf die Be86 Vgl. Weißbuch betreffend den Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen und deren Wirkung innerhalb der Europäischen Union, KOM(2005) 10 v. 25. 1. 2005; dazu ausführlicher unter § 11 VI. 87 ABl. L 220 v. 15. 8. 2008, S. 32 ff. 88 Vgl. das Grünbuch der Kommission zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft; KOM(2001) 715 v. 11. 12. 2001; ausführlich dazu Scheuermann, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im geltenden und künftigen Europäischen Strafrecht, S. 105 ff. 89 KOM(2001) 715 v. 11. 12. 2001, Rn. 123.

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kämpfung von schwerer Kriminalität ausgedehnt werden. Eine ähnliche Regelung sieht der Lissabonner Vertrag in Art. 86 AEUV vor. Bei mangelnder Einstimmigkeit besteht zusätzlich die Möglichkeit, dass das Funktionieren dieser Behörde auf einen Teil der Mitgliedstaaten (mindestens neun) begrenzt wird. Ein weiterer Schritt in der Vollstreckungshilfe soll die Ausweitung der Wirksamkeit von Sanktionen in Form von Rechtsverlusten betreffen. Einzelne Regelungen zu Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten existieren bereits in geltenden Rahmenbeschlüssen und Richtlinien.90 Einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates über eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Bezug auf Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten hat bereits 2002 Dänemark eingereicht.91 Diese Initiative bezieht sich auf die berufsausübungseinschränkenden Maßnahmen mit Ausnahme von Fahrerlaubnisaberkennungen (Art. 1). Ohne eine Annerkennungspflicht wird die letztgenannte Materie durch das nur von wenigen Mitgliedstaaten ratifizierte Übereinkommen von 1998 über den Entzug der Fahrerlaubnis92 geregelt.93 Aus der Mitteilung über Rechtsverluste infolge strafrechtlicher Verurteilungen in der Europäischen Union94 lässt sich darauf schließen, dass weitere Vorhaben auf diesem Gebiet bevorstehen. Einige Initiativen, Vorhaben und Vorschläge bezwecken eine Verbesserung der Lage von Beschuldigten oder eine Stärkung der Rechte von Betroffenen in transnationalen Strafverfahren. Im Hinblick auf die Gewährleistung des Grundsatzes ne bis in idem sind u. a. die Initiative Griechenlands bezüglich der Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des ne-bis-in-idem-Prinzips95 und das Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren96 zu erwähnen. Aktuell diskutiert wird der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss

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Dazu unter § 11 I. 2. ABl. C 223 v. 19. 9. 2002, S. 17 f. 92 ABl. C 216 v. 10. 7. 1998, S. 1 ff. 93 Vgl. auch Richtlinie 91/439/EWG des Rates v. 29. 7. 1991 über den Führerschein, ABl. L 237 v. 24. 8. 1991, S. 1, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29. 9. 2003, ABl. L 284 v. 31. 10. 2003, S. 1, geänderten Fassung und Urteil des EuGH v. 20. 11. 2008, Rs. C-1/07: Es ist „einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer Fahrberechtigung abzulehnen, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, auf dessen Inhaber im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, wenn auch erst nach der Erteilung des fraglichen Führerscheins, angewendet wurde, sofern dieser Führerschein während der Dauer der Gültigkeit einer Maßnahme der Aussetzung der im erstgenannten Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis ausgestellt wurde und sowohl diese Maßnahme als auch der Entzug aus zum Zeitpunkt der Ausstellung des zweiten Führerscheins bereits vorliegenden Gründen gerechtfertigt sind.“; dazu auch Saurer, Anerkennungsgrundsatz und Rechtsmissbrauch im europäischen Fahrerlaubnisrecht, Jura 2009, S. 260 ff. 94 KOM(2006) 73 v. 21. 2. 2006. 95 ABl. C 100 v. 26. 4. 2003, S. 24 ff. 96 KOM(2005) 696 v. 23. 12. 2005. 91

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zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren,97 der u. a. ein Verfahren für den Informationsaustausch über laufende Strafverfahren vorsieht.98 Um der mit dem Anerkennungsautomatismus geschaffenen Gefahr der Beeinträchtigung von Verfahrensrechten vorzubeugen, ist ein Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union99 ausgearbeitet worden. Die Kommission vertritt darin die Meinung, dass in Bereichen, für die das Maßnahmenprogramm die Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes vorsieht, gemeinsame prozessuale Mindestnormen gelten sollten. Das vorgeschlagene Maßnahmenpaket soll gewährleisten, dass trotz des staatenübergreifenden Elements in internationalen Strafverfahren ein faires Gleichgewicht zwischen den Verfahrensparteien i.S.d. des Grundsatzes der „Waffengleichheit“, garantiert wird.100 Schließlich wird das selbe Ziel – Stärkung der u. a. durch gegenseitige Anerkennung geschwächten Rechtsstellung von Betroffenen – im Grünbuch über die Unschuldvermutung101 verfolgt. Das Grünbuch listet bestimmte Verfahrensgarantien auf, die das Schutzrecht der Unschuldvermutung gewährleisten. Gemeint sind hier insbesondere Verfahrensregeln und -grundsätze: zur Untersuchungshaft: Der Angeklagte darf ohne triftige Gründe nicht in Untersuchungshaft gehalten werden, zur Beweislast: Die Schuld des Angeklagten muss vom Staat bewiesen werden; sowie die Grundsätze: in dubio pro reo und nemo tenetur se ipsum accusare.102 c) Gesamtbetrachtung Der in Cardiff und Tampere vorgestellte Wunsch, die justizielle Zusammenarbeit auf den Anerkennungsgrundsatz zu stützen, ist in vielen Strafrechtsbereichen Realität geworden. Ein umfassendes Maßnahmenprogramm sieht seine Anwendung in allen Verfahrensstadien vor. Umfangreiche Vorbereitungen und Konsultationsverfahren sind eingeleitet worden, um in den verbleibenden, kooperationsrelevanten Bereichen Anerkennungsfähigkeit zu gewährleisten. Einen wichtigen Beitrag („indirekte Harmonisierung durch die Postulation gegenseitiger Anerkennung“) leistet hierzu auch der EuGH im Wege des Richterrechts.103 Die dargestellte Bestandsaufnahme von 97

Ratsdok. 8535/09 v. 18. 5. 2009; vgl. auch die Initiative mehrerer Mitgliedstaaten für einen Rahmenbeschluss zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren, ABl. Nr. C 039 v. 18. 2. 2009, S. 2 ff. 98 Zu dieser Problematik unter § 9. 99 KOM(2004) 328 v. 28. 4. 2004; vgl. auch den Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über das Recht auf Verdolmetschung und Übersetzung in Strafverfahren v. 8. 7. 2009, KOM(2009) 338. 100 KOM(2004) 328 v. 28. 4. 2004; vgl. auch unter § 6 I. 2. c). 101 KOM(2006) 174 v. 26. 4. 2006. 102 Vgl. die Studie „The Laws of Evidence in Criminal Proceedings throughout the European Union“, abrufbar unter: http://www.cybex.es/AGIS2005/docs/Study%20Law%20Socie ty%20of%20England%20and%20Wales.pdf. 103 Geiger, Strafrechtssetzung aus Luxemburg?, EuZW 2002, S. 705; EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007, C-303/05, Rn. 28 (Advocaten voor de Wereld); EuGH-Urteil v. 17. 7. 2008, C-66/08,

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Rechtsakten, Vorschlägen und anderen Vorhaben, die den Anerkennungsgedanken verkörpern, verdeutlicht das Ausmaß und die Dynamik vorgenommener Reformen und bringt konzeptuelle Mängel des reformatorischen Vorgangs ans Licht. Die Vorgehensweise bei der Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung soll von der einer Maßnahme zugeteilten Prioritätsstufe abhängen. In der Begründung des Maßnahmeprogramms heißt es: „die gegenseitige Anerkennung hat mancherlei Erscheinungsformen und unterschiedliche Modalitäten in Abhängigkeit von der Art der jeweiligen Entscheidung bzw. Strafe (…) Die Aufteilung der Maßnahmen in die Bereiche hängt ab vom Bestehen und dem Inhalt bestimmter Parameter, die für die Effizienz des Verfahrens ausschlaggebend sind.“104 Zu den genannten Parametern zählen insbesondere: Anwendungstragweite auf alle oder nur bestimmte Delikte, Beibehaltung oder Abschaffung des Erfordernisses der beiderseitigen Strafbarkeit, Mechanismen für den Schutz der Rechte von Dritten, Opfern und verdächtigten Personen, Festlegung der gemeinsamen Mindestnormen, unmittelbare oder mittelbare Vollstreckung der betreffenden Entscheidung und Bestimmung und Tragweite der Anerkennungsverweigerungsgründe. Ungeklärt bleibt jedoch, wie die einzelnen Modalitäten oder Parameter gewichtet werden sollen. Eine eindeutige Antwort auf diese Frage erschließt sich auch nicht deduktiv. Höchste Priorität genießen beispielsweise die Heilung der Auslieferungsschwächen, Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften und das Einfrieren von Guthaben mit dem Ziel ihrer Einziehung oder der Rückgabe an die Opfer von Straftaten. Die drei Beispiele zeigen, dass es sich dabei um Maßnahmen handelt, die, anknüpfend an das zitierte modus procedendi, nicht nur unterschiedliche Parameter aufweisen, sondern auch unterschiedlich umsetzungsbedürftig sind. Dagegen sind bestimmte Harmonisierungsmaßnahmen oder Maßnahmen zur Vertrauensstärkung, die ihre kollisionsfreie Anwendung gewährleisten und das vorausgesetzte hohe Maß an Vertrauen appretieren würden, im Maßnahmenprogramm zweitrangig.105 Rn. 31 f. (Kozlowski); EuGH-Urteil v. 1. 12. 2008, Rs. C-388/08 PPU (Leymann und Pustovarov), Rn. 51. 104 Vgl. Einführung zum Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, ABl. Nr. C 12 v. 15. 1. 2001, S. 11 ff.; dazu auch Brants, Procedural safeguards in the European Union: Too little, too late?, in: Vervaele (Hrsg.), European Evidence Warrant, S. 106. 105 Vgl. dazu Salditt, Doppelte Verteidigung im einheitlichen Raum, StV 2003, S. 137; Bantekas, The principle of mutual recognition in EU criminal law, E.L.Rev. Nr. 37/2007, S. 370; zur Notwendigkeit vorausgehender Harmonisierungsmaßnahmen vgl. Weyembergh, La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale entre les Etats membres de lUnion europenne: mise en perspective, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 54; a. A. Vernimmen, A propos de la reconnaissance mutuelle des dcisions sentencielles en gnral, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 149; Morn Martnez, La decisin marco de 22 de julio de 2003 relativa a la ejecucin en la UE de las resoluciones de embargo preventivo de bienes aseguramiento de pruebas, in: Moreno/Arroyo Zapatero Luis (Hrsg.), La prueba en el espacio europeo de libertad, seguridad y justicia penal, S. 64 f.

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

Die Fortsetzung und Intensivierung der im Jahre 2000 angefangenen Arbeiten an der Umsetzung des Anerkennungsgrundsatzes wurde im Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union106 für die Jahre 2005 – 2010 beschlossen. Das Stockholmer Programm soll die Entwicklung eines europäischen Rechtsraums fortsetzen und die Erstreckung der gegenseitigen Anerkennung auf alle Verfahrensabschnitte vollbringen. Diese Pläne und bereits erarbeitete Vorschläge für weitere Rahmenbeschlüsse, die voraussichtlich auf der Grundlage des Lissabonner Vertrages als Richtlinien verabschiedet werden, lassen keinen Zweifel daran, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung „kriminalpolitische Legitimationsvokabel europäischer Strafrechtsentwicklung“107 bleibt. Bei der Bestimmung der Reihenfolge der angenommenen Rechtsakte zeigt sich in der Entwicklung immer mehr das Risiko, dass weniger die aufgestellten Parameter oder die legislative Notwendigkeit, sondern – wie u. a. beim EuHbRb108 – die politische Komponente Überhand nimmt. 6. Ausblick – Lissabonner Vertrag Die Durchsetzung des Anerkennungskonzepts in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sorgt für vielstimmige Diskussionen, in denen immer wieder betont wird, dass das Strafrecht schon wegen seiner starken nationalen und kulturellen Prägung nicht dieselbe Disponibilität für die „Internationalisierung“ aufweist, wie das beispielsweise im Handelsrecht der Fall ist: „Die Strafrechtspflege ist keine wirtschaftliche Tätigkeit, der Richter kein Unternehmer, der Waren oder Dienstleistungen über die Grenzen seines Heimatstaates hinaus anbieten möchte.“109 Im Gegensatz zu den Gütern stellten justizielle Entscheidungen keinen ökonomischen Wert dar, die Strafrechtsmärkte seien nicht wettbewerbsfähig, sie seien vielmehr ein Staatsmonopol.110 Unterschiedlich ist auch die Ausgangslage: Während bei der Herstellung des Binnenmarktes die Warenvermarktung auf „verschiedenen nationalen – im wesentlichen aber gleich strukturierten Märkten“ erfolgt111, sind die Straftaten nicht selten nur dem Namen nach ähnlich.112 Trotz einer Anlehnung des Anerkennungsgrundsatzes an das europäische Freizügigkeitskonzept wird damit auf dem Gebiet der justizi106

Vgl. KOM(2005) 184 v. 10. 5. 2005. Oder „wichtigste Leitlinie gesamteuropäischer Innen- und Rechtspolitik“, Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 681. 108 Vgl. Wegner, Vorschlag der Europäischen Kommission für einen Europäischen Haftbefehl, StV 2003, S. 105; Sinn/Wörner, The European Arrest Warrant and Its Implementation In Germany – Its Constitutionality, Laws and Current Developments, ZIS 2007, S. 205. 109 Böse, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in der transnationalen Strafrechtspflege in der EU, in: Momsen/Bloy/Rackow (Hrsg.), Fragmentarisches Strafrecht, S. 236. 110 Klip, European Integration and Harmonisation and Criminal Law, in: Curtin u. a. (Hrsg.), European Integration, S. 132 f.; ders., European Criminal Law, S. 351. 111 Satzger, Gefahren für eine effektive Verteidigung im geplanten europäischen Verfahrensrecht, StV 2003, S. 141 f. 112 Vgl. Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 23. 107

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ellen Zusammenarbeit in Strafsachen ein anderes Ziel anvisiert und eine andere Wirkung erreicht.113 Mit der Anerkennung wird im Binnenmarkt ein freier Verkehr von Waren, Personen und Dienstleistungen gefördert. Somit weist der Anerkennungsgrundsatz einen essentiellen Bezug zu den wirtschaftlichen Grundfreiheiten auf. Ein derartiger Bezug fehlt in Strafsachen, deren Grundlage öffentliche Strafverfolgungsbelange und das gemeinsame Interesse der Mitgliedstaaten „an einer wechselseitigen Förderung ihrer Strafrechtspflege“114 sind. Bei Übertragung eines Rechtskonzepts115 müssen daher die Unterschiede zwischen den Rechtsgebieten gebührend berücksichtigt werden.116 Für den Bereich der Strafjustiz erscheint es daher nötig das bisher Erreichte kritisch zu reflektieren und Divergenzen aufzudecken. Zahlreiche Adaptationsmaßnahmen zur möglichst kollisionsfreien Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen sieht der Vertrag von Lissabon vor. Gegenseitige Anerkennung ist dort als einer der Bausteine des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vorgesehen (Art. 67 Abs. 3 und 4 AEUV). Die Möglichkeit der verstärkten Zusammenarbeit soll bei der gegenseitigen Anerkennung durch Mehrheitsentscheidungen vereinfacht werden.117 Eine umfassende Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung soll u. a. mittels objektiver und unparteiischer Bewertung durch die Behörden der Mitgliedstaaten gefördert werden (Art. 70 AEUV). Nach Art 82 Abs. 1 AEUV stellt der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen neben der Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten einen der Pfeiler der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Union dar. Diese Vorschrift beinhaltet zugleich Rechtsgrundlagen, wonach vom Europäischen Parlament und dem Rat Maßnahmen verabschiedet werden, die für die Funktionsfähigkeit der gegenseitigen Anerkennung von zentraler Bedeutung sind. Einerseits handelt es sich dabei insbesondere um Regeln und Verfahren, die zur Sicherstellung einer umfassenden Anerkennung festgelegt werden (lit. a), andererseits um Maßnahmen zur Vermeidung und Lösung von Kompetenzkonflikten zwischen den Mitgliedstaaten (lit. b).118 Die am weitesten gehende Maßnahme zur Erleichterung der gegensei-

113

Vgl. Hecker, Europäisches Strafrecht, § 12, Rn. 58. Böse, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in der transnationalen Strafrechtspflege in der EU, in: Momsen/Bloy/Rackow (Hrsg.), Fragmentarisches Strafrecht, S. 237. 115 Andreou spricht von einer „Weiterentwicklung des rechtshilferechtlichen Anerkennungsprinzips durch Übertragung des Konzepts des im EG-Recht geltenden Herkunftslandprinzips“, Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 76. 116 Zu Kontrollemechanismen vgl. Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 23. 117 Fischer, Der Vertrag von Lissabon, S. 45. 118 Mittelbar (beispielsweise über Stärkung des gegenseitigen Vertrauens) können die Anwendung der gegenseitigen Anerkennung auch die vorgesehenen Maßnahmen zur Förderung der Weiterbildung von Richtern, Staatsanwälten und Justizbediensteten (lit. c) sowie zur Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden oder entsprechenden Behör114

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tigen Anerkennung stellt die in Abs. 2 vorgesehene Möglichkeit dar, durch Richtlinien Mindestvorschriften festzulegen. Der Regelungsgegenstand von Mindestvorschriften wird auf Aspekte eingeschränkt wie die Zulässigkeit von Beweismitteln, die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren und die Rechte der Opfer von Straftaten, kann aber durch einen einstimmigen Beschluss des Rates und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments auf „sonstige spezifische Aspekte des Strafverfahrens“ erweitert werden. Zusätzlich sieht Art 83 AEUV zwei weitere Möglichkeiten vor, auf demselben Wege Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen durchzusetzen: die „Bekämpfung“ bestimmter grenzüberschreitender Kriminalitätsphänomene (Abs. 1) und die strafrechtliche „Absicherung“ einer wirksamen Durchführung der Politik der Union auf einem bestimmten Gebiet (Abs. 2).119 Zutreffend wird kommentiert, dass im Vertrag von Lissabon im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit „eine programmatische Ausrichtung“ auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen erfolgt.120 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Reformvertrag über mehrere Instrumente verfügt, mit deren Hilfe die Anwendung gegenseitiger Anerkennung in Strafsachen erleichtert werden kann. Die Adaptationsmechanismen zielen hauptsächlich auf die Anpassung nationaler Strafrechtsordnungen an das Bedürfnis einer möglichst umfangreichen Anwendung der gegenseitigen Anerkennung. Die bereits erwähnte „Notbremse“121 zur Wahrung „grundlegender Aspekte“ nationaler Strafrechtsordnungen soll jedoch bei den erwähnten Rechtsgrundlagen für den Erlass von Mindestvorschriften im Richtlinienwege ermöglichen, auf Antrag eines Mitgliedes des Rates das ordentliche Gesetzgebungsverfahren auszusetzen und in der Struktur des Europäischen Rates fortzusetzen. Für Probleme können allerdings die auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 AEUV mehrheitlich getroffenen Maßnahmen zur gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen schon deswegen sorgen, weil der überstimmte Mitgliedsstaat über keine „institutionalisierte Blockademöglichkeit“ verfügt.122 Abzuwarten bleibt auch, ob und inwieweit die Mechanismen für die Suche nach gemeinsamen Lösungen genutzt werden oder der Weg der verstärkten Zusammenarbeit in Mitgliedsstaatengruppen beschritten wird.

den der Mitgliedstaaten im Rahmen der Strafverfolgung sowie des Vollzugs und der Vollstreckung von Entscheidungen (lit. d) fördern. 119 Dazu bereits unter § 2 III. 1. 120 Müller-Graff, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Lissabonner Reform, EuR 2009, Beiheft 1, S. 116. 121 Art. 82 Abs. 3 und Art. 84 Abs. 3. 122 Heger, Perspektiven des Europäischen Strafrechts nach dem Vertrag von Lissabon, ZIS 2009, S. 411.

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IV. Exkurs: Zivilsachen Seit der Ratstagung in Tampere verläuft die Entwicklung des Anerkennungskonzepts in Straf- und Zivilsachen grundsätzlich parallel.123 Zur Schaffung eines gemeinsamen Rechtsraums ist die Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes, abgesehen vom Wirtschaftsrecht, auch auf das Personen-, Familien- und Erbrecht erstreckt worden.124 In der Umsetzung des Grundsatzes in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen wird jedoch eine Fortsetzung des längst staatsvertraglich praktizierten Kooperationsmodells gesehen.125 Als wichtigste Beispiele der staatsvertraglichen Praxis sind hier die Übereinkommen von Brüssel (1968) und von Lugano (1988) zu nennen, welche die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen regeln.126 Abgesehen von Art. 293 EGV (u. a. Vereinfachung der Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung richterlicher Entscheidungen) wurden binnenmarktrelevante Maßnahmen im Bereich der zivilrechtlichen Kooperation insbesondere auf Art. 65 EGV gestützt. Nach dem Lissabonner Vertrag sind die Bestimmungen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen im wesentlichen in Art. 81 AEUV übernommen worden. Die in Tampere formulierte Zielsetzung für das Zivilrecht betrifft den Abbau der „Zwischenverfahren“ bei den Titeln aufgrund geringfügiger verbraucher- oder handelsrechtlicher Ansprüche und bei bestimmten familienrechtlichen Urteilen.127 Im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen128 ist diesem Auftrag durch Vorschläge zur Abschaffung des Exequaturverfahrens und Aufhebung aller Gründe zur Anerkennungsablehnung weitgehend nachgegangen worden.129 Das Haager Programm sah eine Erweiterung der Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes auf dem Gebiet des Erbrechts, des Ehegüterrechts sowie des Kollisionsrechts in 123

Monar, Justice and Home Affairs after Amsterdam: The Treaty Reforms and the Challenge of their Implementation, in: Monar/Wessels (Hrsg.), The European Union after the Treaty of Amsterdam, S. 291 f.; Wasmeier sieht im europäischen Zivilrecht das Vorbild für die Anerkennung justizieller Entscheidungen in Strafsachen, Stand und Perspektiven des EU-Strafrechts, ZStW 2004, S. 321; Knöfel spricht hinsichtlich des Verhältnisses von Zivil- zu Strafsachen sogar vom „Schwestergebiet“, Vier Jahre Europäische Beweisaufnahmeverordnung – Bestandsaufnahme und aktuelle Entwicklungen, EuZW 2008, S. 269. 124 Vom „Weg zur umfassenden Zivilrechtsgemeinschaft“ schreibt in diesem Zusammenhang Mansel, Anerkennung als Grundprinzip des Europäischen Rechtsraums, RabelsZ 2006, S. 682 ff. 125 Zu der langjährigen Anerkennungspraxis in Zivilsachen vgl. Pontier/Burg, EU Principles on Jurisdiction and Recognition and Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters according to the case law of the European Court of Justice, S. 1 ff., S. 27 ff. 126 Nach Maliszewska-Nienartowicz, Uznawanie orzeczen´ w sprawach cywilnych i handlowych w prawie wsplnotowym, Monitor Prawniczy Nr. 1/2005, S. 53 ff. 127 Nr. 34 der Schlussfolgerungen des Rates. 128 ABl. Nr. C 12 v. 15. 1. 2001, S. 1 ff. 129 Kohler, Der europäische Justizraum und das Gemeinschaftskollisionsrecht, IPRax 2003, 401 ff.

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

Scheidungssachen vor.130 Genauso wie im Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit sind mehrere Maßnahmen zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung bereits geltendes Recht.131 Weitere Reformen, insbesondere die generelle Abschaffung des Exequaturverfahrens und die Erstreckung der gegenseitigen Anerkennung auf alle übrigen Rechtsbereiche, sieht das Stockholmer Programm vor. Angesichts dessen, dass die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen eine Politik der EU im Zusammenhang mit dem freien Personenverkehr ist, können zur Umsetzung des Anerkennungsgrundsatzes auch unmittelbar geltende Verordnungen eingesetzt werden.132 Trotz dynamischer Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen gibt es auch in diesem Bereich viele Hindernisse, die eines Rückgriffs auf „eine Notbremse“ bedürfen können. Dies illustriert u. a. der Krombach/Bamberski-Fall133, der im Jahre 2000 vom EuGH entschieden wurde. In dem Fall wurde gegen den deutschen Staatsangehörigen Krombach in Frankreich wegen des Todes einer vierzehnjährigen französischen Staatsangehörigen ein Ermittlungsverfahren geführt. Obwohl ihm die Anklage zugestellt wurde, ist er vor den französischen Gerichten nicht erschienen. Die Cour dassises verurteilte ihn in Abwesenheit und ohne anwaltliche Vertretung wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge ohne Tötungsabsicht zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Mit weiterem Urteil verurteilte sie ihn im Adhäsionsverfahren ferner – ebenfalls in Abwesenheit – zur Zahlung von 350.000 FRF Schadensersatz. Der Bundesgerichtshof wandte sich an den EuGH bezüglich der Auslegung des Art. 27 Nummer 1 (ordre-public-Vorbehalt) des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen134. Der EuGH entschied, unter Berufung auf die Grundrechte, die sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergeben, und die Rechtsprechung des EGMR, dass eine Urteilsanerkennung abgelehnt werden darf (in diesem Fall: des Adhäsionsurteils), sofern das Gericht des Urteilstaates dem Verurteilten versagt hat, sich verteidigen zu lassen.135

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Vgl. Punkt 3.4.1.ff. des Haager Programms. Eine aktuelle Liste der angenommenen Rechtsakte: http://ec.europa.eu/justice_home/ fsj/civil/recognition/wai/fsj_civil_recognition_general_de.htm.; vgl. auch Weber, Europäisches Zivilprozessrecht und Demokratieprinzip, S. 7 ff. 132 Z. B. Verordnung (EG) Nr. 44/2001 („Brüssel I“) v. 22. 12. 2000, ABl. 2000 Nr. L 160, S. 1 ff.; Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren („Brüssel II“) v. 29. 5. 2000, ABl. 2000 Nr. L 160, S. 1 ff.; Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über Ehe- und Sorgerechtssachen („Brüssel IIa“) v. 27. 11. 2003, ABl. 2003 Nr. L 338, S. 1 ff. 133 EuGH v. 28. 3. 2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000 I-1935. 134 Art. 27 Abs. 1 lautet: „Eine Entscheidung wird nicht anerkannt (…), wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem sie geltend gemacht wird, widersprechen würde“; vgl. Stein, Neuere Entwicklungen bei der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von zivilrechtlichen Urteilen in Europa, WiRO 2003, S. 291 m.w.N. 135 Dazu Stunz, Vertrauen in fremde Gerichtsverfahren, S. 301; vgl. auch Urteil des EGMR v. 13. 2. 2001, 29.731/96 (Krombach). 131

§ 4 Funktionsweise des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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Die kurz geschilderte Entwicklung der Umsetzung des Anerkennungsgrundsatzes im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen deutet auf einen dynamischeren Europäisierungsprozess, als dies im strafrechtlichen Bereich der Fall ist. Zum einen ist dies auf die Kooperationsbereitschaft der Mitgliedstaaten und die staatsvertraglich gepflegte Tradition einer engen Zusammenarbeit zurückzuführen.136 Zum anderen verfügte die Union in dem zivilrechtlichen Bereich z. T. über andere Rechtsinstrumente und Rechtsgrundlagen und kann ihre Maßnahmen schneller und effektiver durchsetzen. Der Lissabonner Vertrag „vereint“ strafrechtliche und zivilrechtliche Bestimmungen im Titel V AEUV und unterstreicht die Bedeutung beider Rechtsmaterien für den gemeinsamen Rechtsraum. Selbst jedoch im Bereich zivilrechtlicher Zusammenarbeit sorgen Maßnahmen wie die Abschaffung des Exequaturverfahrens und der Wegfall der Anerkennungsversagungsgründe, darunter insbesondere ordre public, für Diskussionen.137 Als Hauptargument für die Beibehaltung bestimmter „Notbremsen“ werden Unterschiede in den Verfahrensstandards genannt. Wie im Fall Krombach/Bamberski verdeutlicht wurde, handelt es sich nicht nur um die Unterschiede innerhalb eines Rechtsgebiets, sondern angesichts gegenseitiger Verschränkung der Rechtsmaterien um die Vergleichbarkeit der Standards innerhalb ganzer Rechtsysteme.

§ 4 Funktionsweise des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung Bei dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung handelt es sich um ein „Generalprinzip“, das fast allen Politiken zu Grunde liegt.138 Seit seiner Übertragung auf Strafsachen ist er zur kriminalpolitischen Legitimationsvokabel europäischer Strafrechtentwicklung geworden139 und stellt ein umfangreiches Konzept dar, das mehrere rechtliche Dimensionen, wie beispielsweise Anerkennung zur Vollstreckung, Anerkennung zur Hinderung einer Doppelbestrafung oder Anerkennung zur Bestrafung

136 Peers nennt in diesem Zusammenhang auch weitere Gründe wie fortgeschrittene Harmonisierung in mehreren Bereichen des Zivilrechts oder das Vorhandensein von Rechtsgrundlagen zum Erlass von minimalen Standards, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 21 m.w.N. 137 Martiny, Die Zukunft des europäischen ordre public im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, in: Coester u. a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa, S. 544 f. m.w.N.; vgl. Stunz, Vertrauen in fremde Gerichtsverfahren, S. 347 ff. 138 So Masing in der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG bezüglich des EuHbG, Wortlautprotokoll abgedruckt bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 197. 139 Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 682; als Motor der europäischen Integration bezeichnet die gegenseitige Anerkennung Mitsilegas, The Constitutional Implications of Mutual Recognition in Criminal Matters in the EU, CMLRev. Nr. 43/ 2006, S. 1277.

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

von rückfälligen Straftätern betrifft.140 Gekennzeichnet durch andauernde Fortentwicklung, sei es auf der internationalen Ebene oder während der Umsetzung in den Mitgliedstaaten, gilt der Anerkennungsgrundsatz als ein dynamisches Prinzip.141 In diesem Abschnitt der vorliegenden Arbeit wird die Aufmerksamkeit der Funktionsweise des Anerkennungsgrundsatzes und somit dem Anerkennungsmechanismus und dessen Wirkung gewidmet.

I. Anerkennungsmechanismus 1. Wirkungserstreckung Anerkennung ist grundsätzlich eine „Wirkungserstreckung“ einer ausländischen Entscheidung auf das Inland.142 Im Ergebnis führt der Anerkennungsvorgang zu ihrer Beachtlichkeit oder Verbindlichkeit für inländische Gerichte und Behörden.143 Solche Entscheidungen können danach in einem anderen Mitgliedstaat gültig und wirksam sein und ggf. die unmittelbare Grundlage der Vollstreckung bilden.144 Dies geschieht unabhängig davon, ob die Anwendung eigenen nationalen Rechts zum selben Ergebnis führen würde oder nicht. Implizit werden auch die jeweiligen Methoden der Rechtsanwendung145, normative Grundlagen der Entscheidungsfindung und damit (mittelbar) dem im Erstentscheidungsstaat angewandten Recht inhärente politische 140

Asp, The Nordic „System“ for Mutual Recognition in Criminal Matters, in: de Kerchove/ Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 224. 141 Fichera/Janssens, Mutual recognition of judicial decisions in criminal matters and the role of the national judge, ERA Forum 2007, S. 183; Kuczyn´ska, Wsplny obszar poste˛powania karnego w prawie Unii Europejskiej, S. 152. 142 Vgl. Happe, Die grenzüberschreitende Wirkung von nationalen Verwaltungsakten, S. 63 m.w.N.; die Alternative zur Wirkungsrestreckung der sog. Gleichstellungstheorie ausländischer Entscheidungen wird abgelehnt, denn gleichgestellt können nur Entscheidungen gleichen Inhalts werden, den inländische Entscheidungen nicht haben (können), nach MünchKomm ZPO-Gottwald, § 328, Rn. 3 f. m.w.N.; zur Theorie der Wirkungserstreckung (auch als „Modell der Ausdehnung“ genannt) und anderen Theorien vgl. auch Mansel, Anerkennung als Grundprinzip des Europäischen Rechtsraums, RabelsZ 2006, S. 719 ff. 143 Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, S. 139; Klip sieht die Aufgabe der gegenseitigen Anerkennung in einer Transformation einer nationalen Entscheidung in die Unionsordnung, European Criminal Law, S. 351; eine Entscheidung anzuerkennen bedeutet i. d. R. sie als Vollstreckungsbefehl zu akzeptieren, Asp, Mutual Recognition and the Development of Criminal Law Cooperation within the EU, in: Husabø/Strandbakken, Harmonization of criminal law in Europe, S. 29. 144 von Bubnoff, Legislative Gestaltung des europäischen Rechtsraums und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten, in: Pache (Hrsg.), Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 115. 145 Vogel schreibt in diesem Zusammenhang von den nationalen „Methoden des Umgangs mit Strafrecht“, Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 524.

§ 4 Funktionsweise des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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Zielsetzungen eines ausländischen Gesetzgebers anerkannt. In diesem Sinne wird auch von „durch Anerkennung geschaffener Extraterritorialität“ gesprochen:146 Die nationalen Standards müssen extraterritorial anerkannt werden, d. h. sie müssen berücksichtigt und/oder vollstreckt werden.147 Aus dem Wesen der Anerkennung folgt, dass die Grenze der Wirkungserstreckung durch die im Inland tatsächlich eingetretene Wirkung markiert wird.148 Je nach Regelungsbereich können der Gegenstand und der Umfang der Anerkennungspflichten variieren. Das Ausmaß, mit dem der Anerkennungsgrundsatz seine Wirkung in Strafsachen entfaltet, soll im Allgemeinen vom „Bestehen und dem Inhalt bestimmter Parameter, die für die Effizienz des Verfahrens ausschlaggebend sind“149 abhängig gemacht werden. Gemeint sind darunter z. B. die Schwere der Tat (nur sog. schwere Straftaten sollen zuerst für die Anerkennung in Betracht kommen), Beibehaltung oder Abschaffung des Erfordernisses der beiderseitigen Strafbarkeit, Festlegung bestimmter gemeinsamer Mindestnormen (insbesondere bezüglich der Gerichtszuständigkeit) und Bestimmung und Tragweite der Anerkennungsverweigerungsgründe. Im Vergleich zu den traditionellen Rechtshilfemechanismen, denen auch der Anerkennungsgedanke zugrunde lag, wird beim Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung die Äquivalenz der Entscheidungen, die den Justizorganen der EU-Mitgliedstaaten entstammen, hervorgehoben. Während im traditionellen Anerkennungsverfahren eine Inkorporierung ausländischer Entscheidungen ein gesondertes Verfahren (exequatur) voraussetzte,150 sollen in der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten ausländische Entscheidungen ihre Wirkung möglichst ohne „Anpassung“ entfalten. Beim Abbau von Kontrollen, denen ausländische Entscheidungen im traditionellen Rechtshilfeverfahren unterzogen werden,151 und somit, übertragen auf die Strafsachen, einer effizienteren Durchsetzung nationaler Strafverfolgungsansprüche152, kommt dem im Anerkennungskonzept vorausgesetzten Vertrauen in die Gleichwertigkeit justizieller Entscheidungen eine zentrale Bedeutung zu. 146

Nicolaidis/Shaffer, Transnational Mutual Recognition Regimes, LCP Nr. 68/2005, S. 267. 147 Mitsilegas, The Constitutional Implications of Mutual Recognition in Criminal Matters in the EU, CMLRev. Nr. 43/2006, S. 1281. 148 Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, S. 139. 149 ABl. Nr. C 012 v. 15. 1. 2001, S. 11 f.; dazu auch unter: § 3 III. 5. c). 150 Płachta, Uznawanie i wykonywanie zagranicznych orzeczen´ karnych, PiP Nr. 3/1985, S. 97; Nalewajko, Zasada wzajemnego uznawania rozstrzygnie˛c´ sa˛dowych w sprawach karnych, in: Szwarc/Joerden (Hrsg.), Europeizacja Prawa karnego w Polsce i Niemczech – podstawy konstytucyjnoprawne, S. 308 f. 151 Hecker bezeichnet es als Abbau von traditionellen rechtshilferechtlichen Kompatibilitätsvorbehalten, Die Europäisierung der inneren Sicherheit, DÖV 2006, S. 275. 152 In einer wechselseitigen Förderung der Strafrechtspflege sieht Böse die Grundlage der gegenseitigen Anerkennung, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in der transnationalen Strafrechtspflege in der EU, in: Momsen/Bloy/Rackow (Hrsg.), Fragmentarisches Strafrecht, S. 237.

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

2. Automatismus Inwiefern die Anwendung des Anerkennungsprinzips „Überprüfungen“ einer ausländischen Entscheidung ausschließt und zu einer automatischen Anerkennung führt, kann pauschal nicht beantwortet werden. Beim sog. Herkunftslandsprinzip wird die Nachprüfung ausländischer Rechtsstandards weitestgehend eingeschränkt.153 Im Bereich des Gesellschaftsrechtes wird auf Grundlage von Art. 48 EGV sogar vom Grundsatz der automatischen Anerkennung gesprochen.154 Das einfache und schnelle Procedere, welches diese Anerkennungsvariante kennzeichnet, könnte (übertragen auf strafrechtliche Entscheidungen) zur Unsicherheit des Verfahrensverlaufs und -ausgangs führen. Dies insbesondere dann, wenn in einen solchen Verfahrensautomatismus nicht nur verfahrensendende Judikate, sondern z. B. auch der Beweistransfer eingeschlossen wird.155 In einer eingeschränkten Form der gegenseitigen Anerkennung unterliegt das Anerkennungsverfahren einigen Restriktionen und Kontrollen im Vollstreckungsstaat.156 Es handelt sich dabei um eine Übergangsform zwischen der „reinen Lehre“157 des Anerkennungsprinzips und der traditionellen Rechtshilfe. Die Anerkennung einer justiziellen Entscheidung kann danach einigen Kontrollvorbehalten unterliegen und abgelehnt werden, wenn sie bestimmten Anforderungen nicht entspricht.158 Ihre Konformität kann sowohl an europäischen Standards als auch an bestimmten nationalen Rechtsstandards und Normen (wie z. B. rechtsstaatliche Verfassungsstandards oder Straftatbestände bei der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit) gemessen werden.159 Einer ausländischen Entscheidung kommt somit keine automatische Wirkungserstreckung zu. Ihre Anerkennung hängt vom Ergebnis eines Zulässigkeitsverfahrens ab, wo der verbliebene „Restbestand“ an Anerkennungsvoraussetzungen160 geprüft werden muss.161 Die aktuellen Entwicklungen deuten auf die

153

Vogel, Abschaffung der Auslieferung, JZ 2001, S. 940. Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4, Rn. 20 m.w.N. 155 Dazu unter § 10. 156 Von einer Gradation der gegenseitigen Anerkennung spricht in diesem Zusammenhang Asp, Mutual Recognition and the Development of Criminal Law Cooperation within the EU, in: Husabø/Strandbakken, Harmonization of criminal law in Europe, S. 30 f. 157 von der Groeben/Schwarze-Wasmeier, Art. 31 EUV, Rn. 25 m.w.N. 158 Armstrong spricht in diesem Zusammenhang von der „aktiven“ gegenseitigen Anerkennung („active mutual recognition“), die keine direkte Verpflichtung zur Rechtswirkungerstreckung (wie die „passive“ gegenseitige Anerkennung) statuiert, Mutual Recognition, in: Barnard/Scott, The Law of the Single European Market: Unpacking the Premisses, S. 241 f. 159 Vgl. de Hoyos Sancho, Euro-orden y causas de denegacin de la entrega, in: Arangüena Fanego u. a. (Hrsg.), Cooperacin judicial penal en la Unin Europea, S. 232 m.w.N.; Kuczyn´ska am Beispiel des EuHb, Wsplny obszar poste˛powania karnego w prawie Unii Europejskiej, S. 174. 160 So über Prüfungs- und Ablehnungsmöglichkeiten Bönke, Grenzüberschreitende Ahndung von Verkehrsverstößen, NZV 2006, S. 21. 154

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Durchsetzung der eingeschränkten Form gegenseitiger Anerkennung hin.162 Ein genereller Ausschluss jeglicher Kontrollen und somit ein Anerkennungsautomatismus auf dem Strafrechtsgebiet ist nicht in Sicht.

3. Die Frage der Neutralität a) Als Verhältnis zu den Grundfreiheiten Die Anerkennungswirkung wird unterschiedlich – von freiheitseinschränkend über neutral bis zu freiheitserweiternd – beurteilt. Als freiheitserweiternd wird sie grundsätzlich innerhalb der 1. Säule angesehen.163 Im Bereich des Warenverkehrs fördert sie die Gewährleistung europäischer Grundfreiheiten und trägt somit zur Erweiterung des Handlungsspektrums der involvierten Wirtschaftsteilnehmer bei. Bei der Strafverfolgung dagegen käme ihr repressiver Charakter zum Vorschein164 und demzufolge entfaltete sie eine freiheitsbeschränkende Wirkung.165 Auf der anderen Seite wird betont, dass der Anerkennungsgrundsatz als „Komplementärstück zu den Freiheiten“ anzusehen sei166 und ein neutrales Verfahrensmodell ermögliche.167 Festzu-

161 Alleine beim EuHb gibt es 13 Ausnahmetatbestände und einen Grundrechtsvorbehalt in Art. 1 Abs. 3; Böse in der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG bezüglich des EuHbG, Wortlautprotokoll abgedruckt bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 203; kritisch zur Überprüfbarkeit mancher Voraussetzungen Schulz, Anfang und Ende des Ermittelns – Der legitime Verdacht, StraFo 2003, S. 295; ähnlich Hinterhofer, Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl in Österreich, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 208. 162 Einen Automatismus schließt am Beispiel des EuHb auch Tomuschat aus, Ungereimtes – Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 über den Europäischen Haftbefehl, EuGRZ 2005, S. 453; vgl. auch Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 35. 163 Vgl. Herdegen während der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG bezüglich des EuHbG, Wortlautprotokoll abgedruckt bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 189; Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 698; Leutheusser-Schnarrenberger, Der Europäische Beschuldigte, StraFO 2007, S. 269. 164 Murschetz am Beispiel des EuHb, The Future of Criminal Law within The European Union – Union Law or Community Law Competence?, VUWLR Nr. 38/2007, S. 147. 165 Herdegen während der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG bezüglich des EuHbG, Wortlautprotokoll abgedruckt bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 189; Leutheusser-Schnarrenberger, Der Europäische Beschuldigte, StraFO 2007, S. 269; ähnlich Schünemann, Die Rechte des Beschuldigten im internationalen Ermittlungsverfahren, StraFo 2003, S. 348. 166 So Masing mit Begründung, dass den Freiheiten eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für ein Verhalten an dem Ort entspreche, an dem der Täter gewirkt hat, Wortlautprotokoll abgedruckt bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 196; vgl. auch Andreou, Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 40.

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halten ist, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung grundsätzlich zur Steigerung der Effektivität der Strafverfolgung dient. Von der Prämisse ausgehend, dass Strafverfolgungsinteresse und Freiheitsschutz grundsätzlich in einem antinomischen Verhältnis zueinander stehen,168 erscheint die Kritik berechtigt. Anderseits, wie im weiteren Verlauf der Arbeit zu zeigen sein wird, kann eine entsprechend gelenkte und eingeschränkte Anwendung der gegenseitigen Anerkennung die Rechtsposition des Verfolgten unangetastet lassen oder sie auch (wie beim Verbot der Doppelbestrafung) stärken. Im Ergebnis würde ein pauschales Verdikt der vielfältigen Wirkungsweise des Grundsatzes nicht gerecht.

b) Als Rechtsmodus in Strafsachen In der Literatur wird auf der Grundlage der Wirkung des EuHb die Frage der Neutralität des Anerkennungsgrundsatzes auch unter dem Gesichtspunkt seiner Wirkung für den Ausgang eines bestimmten Strafverfahrens analysiert.169 In diesem Zusammenhang wird einerseits vertreten, dass sich durch Anerkennung die jeweils punitivste Strafrechtsordnung durchsetze170, anderseits, dass sowohl die begünstigenden als auch belastenden Entscheidungen gleichermaßen zur Geltung kommen171, oder auch, dass die Wirkung des Anerkennungsgrundsatzes je nach Fallgruppe variiere.172 Das „Verdikt der maximalen Punivität“173 weist auf die Gefahr hin, dass die Anerkennung „zur Kumulation der jeweils niedrigsten Eingriffsschwelle mit der geringsten Kautel“174 führe und eine von der Kontrolle der beiderseitigen Strafbarkeit befreite Anerkennung der Durchsetzung der punitivsten Strafandrohung diene.175 Dieser Kritik 167 Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 2004, S. 356; Kotzurek, Gegenseitige Anerkennung und Schutzgarantien bei der Europäischen Beweisordnung, ZIS 2006, S. 126; a. A. Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 682. 168 Vgl. Braum, Europäische Strafgesetzlichkeit, S. 167. 169 Ausführliche Darstellung der Literaturmeinungen bei Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 135 ff. 170 Schünemann, Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene, ZRP 2003, S. 187; ähnlich Mylonopoulos, Internationalisierung des Strafrechts und Strafrechtsdogmatik, ZStW 2009, S. 74 f. 171 Wasmeier, Stand und Perspektiven des EU-Strafrechts, ZStW 2004, S. 321 f.; vgl. auch Vogel/Norouzi, Europäisches ne bis in idem, JuS 2003, S. 1062; Vogel, Licht und Schatten im Alternativ-Entwurf Europäische Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 411; Buruma, Radikale Toleranz, Auf dem Weg zu einem zweidimensionalen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ZStW 2004, S. 424. 172 Deiters, Gegenseitige Anerkennung von Strafgesetzen in Europa, ZRP 2003, S. 360. 173 Nach Kreß, Das Strafrecht auf der Schwelle zum europäischen Verfassungsvertrag, ZStW 2004, S. 468. 174 Schünemann, Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene, ZRP 2003, S. 187; ders., Europäischer Haftbefehl und gegenseitige Anerkennung in Strafsachen, ZRP 2003, S. 472. 175 Schünemann, Europeizacja prawa karnego niebezpieczen´stwem dla demokratycznego pan´stwa prawnego?, Jurysta Nr. 7 – 8/2004, S. 7.

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wird entgegengehalten, dass nach dem im nationalen und internationalen Strafrecht demokratietheoretisch legitimen Grundsatz der Territorialität des Strafrechts alle Personen der Strafgewalt des Tatortsstaates unterliegen.176 Die Kritik solle daher nicht auf das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gerichtet sein, welches nur „rechtshilferechtlicher Modus“ zur Durchsetzung nationaler Strafverfolgungsansprüche sei, sondern sich in concreto auf einzelne Strafverfolgungsansprüche beziehen.177 Grundsätzlich führt die Anwendung dieses Prinzips nämlich zur Anerkennung sowohl begünstigender als auch belastender Entscheidungen, problematisch sind insbesondere Fälle, in denen wegen Straflosigkeit eines Verhaltens in einem Mitgliedstaat keine Entscheidung, die zum Strafklageverbrauch führen würde, gefällt werden kann, und es gleichzeitig aber in einem anderen „zuständigen“ Mitgliedstaat zur Verurteilung kommt.178 Zu ähnlichen Ergebnissen führen die Fallgruppenlösungen: Das Risiko der Punitivität wird bei Fallkonstellationen bejaht, wo es zwischen verschiedenen Strafordnungen zur positiven Zuständigkeitskollision kommt.179 c) Schlussfolgerungen Festzuhalten ist daher, dass ein „permissiver“ oder „punitiver“ Ausgang eines transnationalen Strafverfahrens in erster Linie vom Strafanwendungsrecht der involvierten Mitgliedstaaten abhängt.180 Die aktuelle Form des Anerkennungskonzepts, die auf einem teilweisen Verzicht auf die Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit und unzureichender Regelung der Zuständigkeitsproblematik181 basiert, schafft Freiräume, die zur Lenkung eines Verfahrensausgangs missbraucht werden können. Unter Berücksichtigung der Interessen des Beschuldigten, der Opfer und der Gewährleistung eines vertrauenswürdigen Kooperationsverhältnisses zwischen den Mitgliedstaaten und nicht zuletzt des Gerechtigkeitswillens soll bei der Kritik die Betonung auf die Manipulationsgefahr und weniger auf das anvisierte Manipulationsziel

176 Vogel, Licht und Schatten im Alternativ-Entwurf Europäische Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 409. 177 Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 2004, S. 360 f. 178 Wasmeier, Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht – Zur Verzahnung des nationalen und europäischen Strafrechts, ZEuS 2006, S. 32; ders., Stand und Perspektiven des EU-Strafrechts, ZStW 2004, S. 322; Andreou schlägt für „Fälle, bei denen die Strafverfolgung unverhältnismäßig erscheint“ die Anwendung des ordre-public-Vorbehalts vor, Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 75. 179 Insbesondere wenn der Handlungs- und Erfolgsort auseinanderfallen; Deiters, Gegenseitige Anerkennung von Strafgesetzen in Europa, ZRP 2003, S. 360; ausführlich Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 136 ff. 180 Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 2004, S. 361 m.w.N.; Deiters, Gegenseitige Anerkennung von Strafgesetzen in Europa, ZRP 2003, S. 359. 181 Der Territorialitätsvorbehalt und der Strafklageverbrauch sind aktuell die wichtigsten „Zügel“ des europäischen Strafanwendungsrechts; vgl. Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 2004, S. 360 f.

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gelegt werden. De lege ferenda stellt weder das Zufallsprinzip182 noch eine Meistbegünstigung eine in dieser Hinsicht das Anerkennungskonzept korrigierende Lösung dar.183 In das Konzept soll vielmehr ein kollisionsrechtlicher Mechanismus zur Begründung des Strafanwendungsanspruchs eingegliedert werden, der aus den rekurrierten Strafverfolgungszielen eine Zuständigkeitsordnung schafft.184

II. Geltung Gegenseitige Anerkennung stellt grundsätzlich eine Art horizontaler und bilateraler Kooperationsform dar.185 Im weiteren Sinne kann durch Anerkennung einer justiziellen Entscheidung die Wirkung in allen Mitgliedstaaten verliehen werden – wie es das res iudicata angesichts des Strafklageverbrauchs nach Art. 54 SDÜ bewirkt.186 Durch Einschränkung des Kontrollermessens in den Mitgliedstaaten kann die Erwirkung eines – für das ganze Gebiet gleichen – Ergebnisses ermöglicht werden187, vorausgesetzt, die Umsetzung von Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten erfolgt getreu den europäischen Vorgaben. Aufschluss über den Anwendungsbereich des Anerkennungsgrundsatzes in Strafsachen gibt das geschilderte Spektrum an Rechtsakten, die auf der europäischen Ebene erlassen oder diskutiert werden.188 Außer Urteilen zählen dazu justizielle Zugriffs- und Überstellungsinstrumente, Ermittlungs- und Verfolgungsmaßnahmen, Beweiserhebungen, Anordnungen zur Einziehung von Verbrechensgewinnen und zur Sicherstellung schmutziger Gelder.189 Im Allgemeinen fallen in den Wirkungsbereich der gegenseitigen Anerkennung verfahrensbeendende Entscheidungen (End182 Z. B. Zufälligkeit einer jeweils früheren Erledigung, die zum Strafklageverbrauch führt, oder einer früheren Einleitung eines Strafverfahrens, die einen möglichen Anerkennungsverweigerungsgrund darstellt; vgl. Schünemann, Grundzüge eines Alternativ-Entwurfs zur europäischen Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 383. 183 Auch quantitative Einschätzungsversuche, inwiefern das befürchtete Punitivitätsrisiko tatsächlich eintreten kann, sollen nicht als Rechtfertigungsargument angewandt werden; a. A. Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 135 und 138. 184 Dazu unter § 9. 185 Klip, European Integration and Harmonisation and Criminal Law, in: Curtin u. a. (Hrsg.), European Integration, S. 125. 186 Asp, The Nordic „System“ for Mutual Recognition in Criminal Matters, in: de Kerchove/ Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 224. 187 Delgado Martn spricht in diesem Zusammenhang von einem Idealfall einer „vollen“ Anerkennung (pleno mutuo reconocimiento), Reflexiones sobre el papel del juez en la Construccin del espacio judicial europeo, in: Moreno/Arroyo Zapatero (Hrsg.), La prueba en el espacio europeo de libertad, seguridad y justicia penal, S. 40. 188 Dazu unter § 3 I. 5. 189 So von Bubnoff, Legislative Gestaltung des europäischen Rechtsraums und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten, in: Pache (Hrsg.), Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 115.

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entscheidungen), die aufgrund materialrechtlich-strafrechtlicher Rechtsvorschriften190 ergangen sind, und bestimmte strafprozessuale Maßnahmen (insbesondere zum sog. „Beweistransfer“).191 Als Endentscheidung gilt, dem Kommissionsvorschlag einer Arbeitsdefinition nach, ein Akt, mit dem die materiell-rechtliche Seite einer Strafsache in verbindlicher Weise geregelt wird, so dass gegen diese kein ordentliches Rechtsmittel mehr eingelegt werden kann oder ein solches keine aufschiebende Wirkung hätte.192 In Erwägung gezogen wurden dabei sowohl gerichtliche Entscheidungen als auch Entscheidungen von Verwaltungsbehörden (soweit eine solche nach dem nationalen Recht in Strafsachen – also z. B. die Verantwortlichkeit von juristischen Personen betreffend – ergeht).

III. Gegenseitigkeitskomponente Der Terminus der Gegenseitigkeit verdient in zweierlei Hinsicht Aufmerksamkeit im Kontext des Anerkennungsgrundsatzes: zum einen als „Zusatz“ beim Anerkennungsgrundsatz (Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung), zum anderen aber auch als Voraussetzung zwischenstaatlicher Rechtshilfe (Prinzip der Gegenseitigkeit193). Der „Gegenseitigkeitszusatz“ in der Prinzipsbezeichnung wird teilweise als irreführend empfunden. Eine Entscheidung werde nicht gegenseitig, sondern nur vom Vollstreckungsstaat anerkannt und von einer Gegenseitigkeit könne nur bei Wechselseitigkeit der Annerkennungen194 (einem „wechselseitigen“ oder „mutuellen“195 Anerkennen mehrerer Entscheidungen) zwischen bestimmten Mitgliedstaaten gesprochen werden. Richtig ist, dass die Gegenseitigkeit als ein Ausdruck politischer Motivation der Mitgliedstaaten verstanden werden soll, wonach ihre nationalen Entscheidungen reziprok anzuerkennen sind.196 Es ist somit kein rechtlicher Hinweis, aus dem insbesondere ein do-ut-des-Verhältnis zwischen kooperierenden Mitgliedsstaaten abgeleitet werden könnte.

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Auch Maßnahmen „nicht-strafrechtlicher Natur“ können eingeschlossen werden, soweit sie strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen begründen, KOM(2000) 495 v. 26. 7. 2000. 191 Ausführlich Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 50 m.w.N. 192 KOM(2000) 495 v. 26. 7. 2000. 193 Dazu unter § 8 I. 194 Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 36 m.w.N.; Scheuermann, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im geltenden und künftigen Europäischen Strafrecht, S. 21. 195 So häufig in anderen Sprachfassungen: mutual recognition, reconocimiento mutuo, reconnaissance mutuelle. 196 Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 36.

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IV. Vertrauenskomponente Vertrauen ist „ganz eindeutig“ eine Grundvoraussetzung für die korrekte Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung.197 Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens stellt zugleich, wie zutreffend von Juppe pointiert, die „unklarste Grundüberlegung“ des Anerkennungskonzepts dar. Dies hängt zum einen mit den unscharfen Konturen des Vertrauensbegriffs198, kaum greifbarer Wertung199 und seiner problematischen Einordnung in die juristische Nomenklatur zusammen.200 Fraglich ist zum anderen, inwiefern das auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens konstruierte Konzept für die Kooperationspraxis tragfähig ist, und schließlich mit welchen Mitteln Vertrauensdefizite kompensiert werden könnten. 1. Vertrauen in der kooperationsrechtlichen Perspektive Es wäre ein Truismus, zu sagen, dass vom vorhandenen Vertrauen der Umfang und die Intensität der Zusammenarbeit abhängen. Es wird im Vertrauen ein Ausdruck von Respekt für die „Güte und Gültigkeit des Strafrechts anderer souveräner Staaten“201 gesehen. Zudem liegt der Vertrauensgedanke mehreren Rechtshilfeprinzipien in den nationalen Rechtsordnungen zugrunde. Als Beispiele können das holländische Recht (Prinzip des gegenseitigen Vertrauens), das englische Recht (principle of respect) oder das in den USA funktionierende rule of non-inquiry erwähnt werden.202 Das Spannungsverhältnis zwischen Vertrauen und Souveränität203 führt in der Regel dazu, dass internationale Rechtshilfe grundsätzlich von Misstrauen geprägt

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So im Anhang zum Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren, KOM(2005) 696 v. 23. 12. 2005, S. 7. 198 Vgl. Wiegand, Rechtsschein und Vertrauen, in: Hof u. a. (Hrsg.), Recht und Verhalten, S. 183; Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, S. 211; Grski/Sakowicz, Zasada wzajemnego uznawania orzeczen´ organw wymiaru sprawiedliwos´ci w sprawach karnych na obszarze Unii Europejskiej, in: dies. (Hrsg.), Zwalczanie przeste˛pczos´ci w Unii Europejskiej, S. 413; Flor, Rflexions sur lide de la „confiace mutuelle“, in: de Kerchove/ Weyembergh (Hrsg.), Scurit et justice: enjeu de la politique exterieure de lUnion europenne, S. 133. 199 Bosbach, Nichtigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes, NStZ 2006, S. 105. 200 Vgl. von Rohr, Evolutionsbiologische Grundlagen des Rechts, S. 141; zum mehrdeutigen Sprachgebrauch rechtsgebietsübergreifend vgl. Lor, Aspekte des Vertrauensschutzes im Strafrecht, S. 9 ff. 201 Schlussanträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston v. 15. 6. 2006 in der Rs. C-467/04 (Gasparini), Rn. 109. 202 de Groot, Mutual trust in (European) extradition law, in: Blekxtoon (Hrsg.), Handbook on the European Arrest Warrant, S. 85; zu rule of non-inquiry vgl. auch Vogler, Auslieferung bei drohender Todesstrafe und Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), in: Geppert/ Dehnicke (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer, S. 488. 203 Dazu Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 33 m.w.N.

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ist,204 dessen Ausdruck mehrere Vorbehalte und Schutzmechanismen zur Kontrolle eventuellen Vertrauensmissbrauchs sind. Dem Abschluss einer völkerrechtlichen Vereinbarung und dem Eingehen einer rechtshilferechtlichen Verpflichtung ging und geht grundsätzlich eine sorgfältige Überprüfung des Vertragspartners hinsichtlich der Einhaltung zahlreicher Standards voraus.205 Auf diese Weise wird das „abstrakte“ Vertrauen konkretisiert.206 In der Aufstellung der Vermutung des gegenseitigen Vertrauens in der kooperationsrechtlichen Praxis zwischen den Mitgliedstaaten kristallisiert sich der Neuerungsgedanke im Rechtshilferecht heraus, der sich grundsätzlich als eine Abkehr vom „klassischen“, durch Misstrauen geprägten Modell207 (wie es sich im Laufe des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts herausgebildet hat) und als Hinwendung zur auf Vertrauen basierenden internationalen Zusammenarbeit in der EU208 beschreiben lässt. 2. Das Konzept des gegenseitigen Vertrauens a) Der Grundgedanke Gegenseitige Anerkennung baut auf dem Fundament des gegenseitigen Vertrauens auf.209 Auf dieser Grundlage erfolgt der sukzessive Abbau von Kontrollmechanismen aus dem traditionellen Rechtshilferecht, der eine effektivere justizielle Zusammenarbeit ermöglichen soll. Das gegenseitige Vertrauen wird sogar teilweise als ein normativer Grundsatz angesehen, der die Regeln zur Rechtsauslegung der Pflichten im Zusammenhang mit der dritten Säule zusammenfasse und eine ähnliche Rolle wie der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit spiele.210 Die ursprüngliche Idee der primärrechtlichen Verankerung der gegenseitigen Anerkennung basierte auf dem unverwirklichten Gedanken der Ergänzung der Verträge

204 Perron am Beispiel des Schutzes eigener Staatsangehöriger, Auf dem Weg zu einem europäischen Ermittlungsverfahren, ZStW 2000, S. 206. 205 Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 34 m.w.N. 206 Zur Unterscheidung zwischen dem „abstrakten“ und „konkreten“ Vertrauen vgl. Delgado Martn, Reflexiones sobre el papel del juez en la Construccin del espacio judicial europeo, in: Moreno/Arroyo Zapatero (Hrsg.), La prueba en el espacio europeo de libertad, seguridad y justicia penal, S. 40 m.w.N. 207 Vgl. de Groot, Mutual trust in (European) extradition law, in: Blekxtoon (Hrsg.), Handbook on the European Arrest Warrant, S. 83; zum „klassischen“ Modell vgl. Lagodny, Die Rechtsstellung des Auszuliefernden in der BRD, S. 29 f. m.w.N. 208 Płachta, Europejski nakaz aresztowania (wydania): kłopotliwa „rewolucja“ w ekstradycji, Studia Europejskie Nr. 3/2002, S. 52. 209 Der Sinn und Zweck des gegenseitigen Vertrauens kann daher als „utilitaristisch“ beschrieben werden; Schlussantrag des Generalanwalts Dmaso Ruiz-Jarabo Colomer v. 8. 4. 2008, C-297/07 (Klaus Bourquain), Rn. 39. 210 Schlussantrag des Generalanwalts Dmaso Ruiz-Jarabo Colomer v. 8. 4. 2008 – C-297/ 07 (Klaus Bourquain), Rn. 45 m.w.N.

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um das aus der amerikanischen Verfassung bekannte full faith and credit principle.211 Mangels einer primärrechtlichen Verankerung betrachtete die Kommission noch 2001 als Grundlage für das gegenseitige Vertrauen die „solide Basis an gemeinsamen Grundsätzen“ (u. a. das Legalitätsprinzip, das Rückwirkungsverbot und der Grundsatz in dubio pro reo), die Bindung an die Verfahrenstandards der EMRK und (prognostiziert) an die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.212 Im Jahre 2005 ergänzte die Kommission, unter Berufung auf das Haager Programm, ihre früheren Ausführungen zum Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens und sah, angesichts der Schwierigkeiten, die bei der Umsetzung des EuHb entstanden sind, einen Bedarf an „vertrauensstärkenden Maßnahmen“.213 b) Kritik Das Konzept des gegenseitigen Vertrauens wird in der Literatur und in der Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt. In der Vermutung des gegenseitigen Vertrauens wird zum einen ein „Ablenkungsmanöver, um die absolute Priorität der Bekämpfung von Verbrechen und Terrorismus zu kaschieren“214 gesehen. Zum anderen wird sie als grundsätzlich „rechtsstaatlich akzeptabel und legitim“215 erachtet, da gemeinsame Standards durch EU-weit geltende Konventionen216, rechtsstaatliche Standards in

211 Richard, The US approach to mutual confidence, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 271 ff.; vgl. auch Stunz, Vertrauen in fremde Gerichtsverfahren, S. 27 ff.; dazu unter: § 1 III. 3. 212 KOM(2001) 715 v. 11. 12. 2001, S. 61; „Dieses Vertrauen beruht insbesondere auf dem gemeinsamen Sockel von Überzeugungen, der durch ihr Eintreten für die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie des Rechtsstaates gebildet wird“, ABl. 2001, C 12, S. 10; von Bubnoff bezeichnet die rechtsstaatlichen Fundamente als gemeinsamen „Sockel“, der gegenseitige Anerkennung „rechtfertigt“, Institutionelle Kriminalitätsbekämpfung in der EU, ZEuS 2002, S. 189; ähnlich Wasmeier, Stand und Perspektiven des EU-Strafrechts, ZStW 2004, S. 321; Vernimmen, A propos de la reconnaissance mutuelle des dcisions sentencielles en gnral, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 148; zu den Argumenten, die das gegenseitige Vertrauen stützen vgl. auch Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 44 f. 213 KOM(2005) 195 v. 19. 5. 2005, S. 6 ff. 214 Baauw, Misstrauen als Grundprinzip der Verteidigung – Zur Zukunft des Strafrechts in Europa, StraFo 2007, S. 353. 215 Masing in der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG bezüglich des EuHbG, Wortlautprotokoll abgedruckt bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 197; ähnlich: Böse, Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen im Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa, in: Schwarze (Hrsg.), Der Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents, S. 154 f. 216 Genson, Une confiance mutuelle qui ne se limite pas au processus de la reconnaissance mutuelle, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 72 f.

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den Mitgliedstaaten,217 primär- und sekundärrechtliche Regelungen und Garantien sowie der bereits erzielte Harmonisierungsstand abgesichert seien.218 Auch in den Urteilen zu Art. 54 SDÜ bringt der EuGH zum Ausdruck, dass „ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme besteht und dass jeder Mitgliedstaat die Anwendung des in den anderen Mitgliedstaaten geltenden Strafrechts akzeptiert, auch wenn die Anwendung seines eigenen nationales Rechts zu einem anderen Ergebnis führen würde“.219 Dieser Feststellung wird häufig das konträre Argument mangelnder Gewährleistung gemeinsamer Standards oder mangelnde Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze entgegengebracht.220 Dabei wird im Einzelnen auf einen allgemeinen Harmonisierungsbedarf221, Harmonisierungsdefizite im Strafrecht und Strafverfahrensrecht222 sowie Verletzungen geltender internationaler Mindestgarantien223 in den Mitgliedstaaten hingewiesen. In der Diskussion wird auch nicht selten die Frage der „Vertrauenswürdigkeit“ der neuen Mitgliedstaaten an-

217 Insbesondere Gewährleistung von Garantien wie Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Richter, vgl. Delgado Martn, Reflexiones sobre el papel del juez en la construccin del espacio judicial europeo, in: Moreno/Arroyo Zapatero (Hrsg.), La prueba en el espacio europeo de libertad, seguridad y justicia penal, S. 38 f.; vgl. de Hoyos Sancho, Euro-orden y causas de denegacin de la entrega, in: Arangüena Fanego u. a. (Hrsg.), Cooperacin judicial penal en la Unin Europea: La orden europea de detencin y entrega, S. 240 f. 218 Vgl. Masing in der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG bezüglich des EuHbG, Wortlautprotokoll abgedruckt bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 197; Andreou, Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 43 ff. 219 EuGH-Urteil v. 11. 2. 2003, C-187/01 u. C-385/01 (Gözütok u. Brügge), Rn. 33; sowie Urteil v. 9. 3. 2006, C-436/04 (Van Esbroeck), Rn. 30; dazu auch Thwaites, Mutual Trust in Criminal Matters: the ECJ gives a first interpretation of a provision of the Convention implementing the Schengen Agreement, GLJ Vol. 4/2003, S. 253 ff.; eine differenziertere Ansicht präsentiert in Schlussanträgen die Generalanwältin Eleanor Sharpston v. 15. 6. 2006 in der Rs. C-467/04 (Gasparini), Rn. 109. 220 BVerfG-Urteil v. 18. 7. 2005, 2 BvR 2236/04 (Darkanzali), Rn. 78 und 118; vgl. aber OLG Celle, 1 ARs 1/05 (Ausl) = StV 2005, 231 f.; EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007 Rs. C-303/05, Rn. 4 und 57; vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Dmaso Ruiz-Jarabo Colomer v. 12. 9. 2006 in der Rs. C-03/05 (Advocaten voor de Wereld). 221 Als Aufgabe des europäischen Gesetzgebers und conditio sine qua non des gegenseitigen Vertrauens, Ortino, The Role and Functioning of Mutual Recognition in the European Market of Financial Services, ICLQ 2007, S. 309 ff. 222 So Leutheusser-Schnarrenberger die Unterschiede in den Mitgliedstaaten hervorhebend, Der Europäische Beschuldigte, StraFO 2007, S. 269. 223 Insbesondere EMRK, dazu Alegre; Mutual trust – Lifting the mask, in: de Kerchove/ Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 44; Murschetz, The Future of Criminal Law within The European Union – Union Law or Community Law Competence?, VUWLR Nr. 38/2007, S. 149; Bachmeier Winter, Obtencin de pruebas en Europa: la funcin del TEDH en la implantancin del principio de reconocimiento mutuo en el proceso penal, Revista de derecho procesal Nr. 1/2006, S. 75 f.; Brants, Procedural safeguards in the European Union: Too little, too late?, in: Vervaele (Hrsg.), European Evidence Warrant, S. 104.

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gesprochen.224 Dabei wird teilweise gefragt, ob das vom Rat postulierte Vertrauen auch nach der Erweiterung der Union tatsächlich besteht,225 und teilweise für Offenheit und Vertrauen in das gegenseitige Funktionieren der nationalen Rechtssysteme aller Mitgliedstaaten plädiert226. c) Stellungnahme Das lediglich im Umriss dargestellte beinahe dichotome Argumentationsspektrum zeigt auf der einen Seite die Komplexität der Faktoren, die das gegenseitige Vertrauen beeinflussen. Auf der anderen Seite verdeutlicht es, dass das aktuelle Vertrauenskonzept auf viel zu subjektiven Kriterien aufbaut, um normative Maßnahmen zu legitimieren.227 Festzuhalten ist, dass aufgrund der rechtlichen Komplexität und dem daraus resultierenden Informationsmangel ein bestimmtes Maß an Vertrauen zur Gewährleistung der Zusammenarbeit notwendig ist.228 Dies setzt jedoch kein „blindes“ oder „absolutes“229 Vertrauen voraus. Ein „absolutes Vertrauen“, das auf „blindem Glauben“230 basierte, würde selbst auf einem einheitlichen Rechtsgebiet keine trag-

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Vgl. Walker, The Problem of Trust in an Enlarged Area of Freedom, Security and Justice: A Conceptual Analysis, in: Anderson/Apap (Hrsg.), Police and Justice Co-Operation and the New European Borders, S. 19 ff.; Nilsson, Mutual Trust and Mutual Recognition of our Differences, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 159; Bantekas, The principle of mutual recognition in EU criminal law; E.L.Rev. Nr. 37/2007, S. 384 f.; Pernice, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes – Europäische Justizpolitik im Lichte von Pupino und Darkanzali, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, S. 367; Descamps, La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnales, in: Flor (Hrsg.), Actualites de Droit Penal Europeen, S. 88. 225 Vgl. von Bubnoff, Legislative Gestaltung des europäischen Rechtsraums und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten, in: Pache (Hrsg.), Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 116; zur Kontrolle von rechtsstaatlichen Garantien in den osteuropäischen Staaten auch Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 802. 226 So u. a. IRG-Kommentar-Gleß, Vor III, Rn. 124. 227 Mitsilegas, The Constitutional Implications of Mutual Recognition in Criminal Matters in the EU, CMLRev. Nr. 43/2006, S. 1306. 228 Vgl. Genson, Une confiance mutuelle qui ne se limite pas au processus de la reconnaissance mutuelle, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 74; Folgen von ungerechtfertigtem Misstrauen verdeutlicht ein Beispiel von Nehm: in einem Fall wurde einem Ersuchen um Auslieferung erst nach drei Jahren entsprochen, da u. a. in der Beweisaufnahme gutachterlich erörtert wurde, ob die auszuliefernde Person in der BRD ein faires Verfahren und menschenwürdige Haftbedingungen erwarteten, Zusammenarbeit der Starsverfolgungsbehörden in Europa, DriZ 2000, S. 356. 229 Smeulers, The position of the individual in international criminal cooperation, in: Vervaele (Hrsg.), European Evidence Warrant, S. 79 f. 230 de Groot, Mutual trust in (European) extradition law, in: Blekxtoon (Hrsg.), Handbook on the European Arrest Warrant, S. 83; vgl. auch Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 825 m.w.N.

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fähige Grundlage eines justiziellen Systems darstellen.231 Eine verbindende Grundlage für gegenseitiges Vertrauen kann des Weiteren nicht ad hoc geschaffen werden, sondern setzt voraus, dass die Mitgliedstaaten sich „wechselseitig ihrer Rechtsstaatlichkeit versichern“232 können. Wie zutreffend von der sog. „Zukunftsgruppe Justiz“233 ausgedrückt, bedeutet gegenseitiges Vertrauen zu schaffen schließlich auch, „über das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und dessen Ausgestaltung immer wieder neu nachzudenken“.234 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Rechtsunterschiede (insbesondere divergierende Verfahrensstandards) in Verbindung mit der Anerkennungspflicht zur Abnahme des gegenseitigen Vertrauens führen (können).235 Trotz der Bekundung, dass das vorhandene Vertrauen für eine effiziente Zusammenarbeit ausreichend sei,236 deuten die Umsetzungsdefizite daraufhin, dass mehrere Mitgliedstaaten das vorausgesetzte hohe Maß an Vertrauen nicht aufbringen können. Insbesondere drückt die Vermehrung von Verweigerungsgründen und Kontrollmechanismen ein Absicherungsbedürfnis aus und wirkt als Korrektiv gegen unerfüllte Voraussetzungen des Vertrauenskonzepts.237 Dies verdeutlicht, dass Vertrauen nicht angeordnet und seine Entstehung lediglich durch vertrauensbildende Maßnahmen gefördert werden kann. 3. Vertrauensstärkende Maßnahmen Die Defizite des Konzepts des gegenseitigen Vertrauens sollten durch vertrauensstärkende Maßnahmen nivelliert werden, was wiederum zur erfolgreichen Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung beitragen und (so in Art. I42 VE) auf diese Weise zur Bildung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts führen sollte. Die genaue Vorgehensweise beschrieb die Kommission in der Mitteilung zur gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in

231 Baauw sieht sogar „organisiertes Misstrauen“ als Charakteristikum jedes Strafverfahrens, Misstrauen als Grundprinzip der Verteidigung – Zur Zukunft des Strafrechts in Europa, StraFo 2007, S. 353; ähnlich Nettesheim, Grundrechtskonzeption des EuGH, EuR 2009, S. 41. 232 Pernice, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes – Europäische Justizpolitik im Lichte von Pupino und Darkanzali, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, S. 367. 233 Es handelt sich um eine auf Initiative des portugiesischen Vorsitzes des Rates der Europäischen Union ins Leben gerufene beratende Gruppe zur Zukunft der europäischen Justizpolitik unter gemeinsamem Vorsitz mit der Europäischen Kommission. 234 Lösungsvorschläge für das künftige Programm der EU im Justizbereich, Ratsdok. Nr. 11549/08 v. 7. 7. 2008. 235 Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 210. 236 So insbesondere der Bericht v. 11. 7. 2007, KOM(2007) 407, S. 2 f. 237 Nilsson bezeichnet diese Vorgehensweise als Ausdruck „gegenseitigen Misstrauens“, Nilsson, Mutual trust or mutual mistrust, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 35.

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

Strafsachen und zur Stärkung des Vertrauens der Mitgliedstaaten untereinander.238 Danach soll das Vertrauen zum Teil durch Legislativmaßnahmen, zum Teil durch „praktische Begleitmaßnahmen“ gestärkt werden.239 Die legislative Tätigkeit des europäischen Gesetzgebers soll innerhalb der ersten Gruppe insbesondere auf einen besseren Schutz der Verfahrensrechte,240 die Unschuldsvermutung,241 die Beweiserhebung in Strafverfahren, Abwesenheitsurteile und die Ausarbeitung von Mindestnormen für die Beweiserhebung sowie die Festlegung von klaren Zuständigkeitsregeln abzielen.242 Die praktischen Begleitmaßnahmen betreffen die notwendige Evaluierung der Umsetzung von einzelnen Maßnahmen, die Unterstützung eines Netzwerks für Angehörige der Rechtsberufe und die Förderung der Juristenausbildung sowie einer „allen Qualitätsansprüchen genügenden Justiz“243. Die letztgenannte Gruppe kommt der Forderung entgegen, dass Vertrauen vor allem auf Wissen aufzubauen sei. Dazu ist zum einen ein Informationsaustausch zwischen den justiziellen Behörden nötig, und zum anderen müssen Misstrauensursachen systematisch identifiziert und behoben werden.244 Im Gegensatz zum VE enthält der Lissabonner Vertrag keine explizite Bestimmung, in welcher der Vertrauensbegriff auftritt. Seine Stärkung kann jedoch im Rahmen der in Art 82 AEUV zur Sicherstellung und Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung vorgesehenen Maßnahmen erzielt werden. Zu denken ist hier insbesondere an die Mindestvorschriften zur Durchsetzung bestimmter Verfahrensstandards, aber auch an andere Maßnahmen zur Förderung der justiziellen Zusammenarbeit 238

KOM(2005) 195 v. 19. 5. 2005. Ausführlich zu Kommissionsvorhaben siehe Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 108 ff. 240 Hierzu siehe Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union, KOM(2004) 328 v. 28. 4. 2004; vgl. Rudolf/ Giese, Ein EU-Rahmenbeschluss über die Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren?, ZRP 2007, 115; Morgan, Le rapprochement des procdures pnales procedural safeguards, RIDP Nr. 77/2006, S. 308. 241 Hierzu siehe Grünbuch über die Unschuldsvermutung, KOM(2006) 174 v. 26. 4. 2006. 242 KOM(2005) 195 v. 19. 5. 2005; vgl. ergänzend Gallagher, Future developments in judicial cooperation in criminal matters, ERA Forum 2009, S. 501 ff. 243 KOM(2005) 195 v. 19. 5. 2005; vgl. auch Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, ABl. C 053 v. 3. 3. 2005, S. 11 f.; ähnlich: Beschluss des Rates v. 12. 2. 2007 zur Auflegung des spezifischen Programms „Strafjustiz“ als Teil des generellen Programms „Grundrechte und Justiz“ für den Zeitraum 2007 bis 2013 (2007/ 126/JI), Erwägungsgrund Nr. 6: „Um das gegenseitige Vertrauen zu vertiefen, sollte nach dem Haager Programm wie folgt vorgegangen werden: Vernetzung der Justiz und ihrer Einrichtungen, Verbesserung der Ausbildung in den Rechtsberufen, Evaluierung der Umsetzung der EU-Politiken im justiziellen Bereich unter voller Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz, Intensivierung der Forschung im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit und Erleichterung gemeinsamer operativer Vorhaben der Mitgliedstaaten zur Modernisierung des Justizwesens.“ 244 Alegre, Mutual trust – Lifting the mask, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 45. 239

§ 4 Funktionsweise des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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in der EU.245 Des Weiteren können vertrauensstärkend die Garantien der Charta246 und ein verstärkter Menschenrechtsschutz beitragen.247

V. Exkurs: Anerkennung als Rechtsprinzip Aufgrund fortschreitender Verdichtung europäischer Regelungen, der Komplexität des Rangverhältnisses normativer Bestimmungen zueinander und der Dynamik richterlicher Rechtfortbildung wird in der Literatur immer deutlicher auf die Unerlässlichkeit einer „Prinzipienlehre“ zur „systematischen Durchdringung der Strukturentscheidungen des europäischen Primärrechts“ aufmerksam gemacht.248 Die Entwicklungsintensität und Regelungsdichte innerhalb der dritten Säule stellen ein gutes Beispiel für ein Phänomen dar, für das rechtstheoretische Erkenntnisse bei der Lösung von Prinzipien- und Regelkonflikten Bedeutung erlangen können. Der Wert der Prinzipienlehre scheint auch durch die Vorrangsstellung des Grundsatzes (Prinzips) der gegenseitigen Anerkennung in justizieller Zusammenarbeit zusätzliche Betonung gefunden zu haben. Dies führt zur Frage nach seiner Verortung im prinzipiengeleiteten Rechtssystem der EU und der daraus resultierenden Folgen für internationale Zusammenarbeit im europäischen Rechtsraum. 1. Geltung und Bedeutung von Prinzipien Das „Gewicht“, und damit die Eigenschaft einer Rechtsordnung anzugehören, wird bei Prinzipien aus unterschiedlichen Quellen hergeleitet. In den positivistischen Geltungskonzepten dominiert der Gedanke „Legitimität restlos in Legalität aufgehen zu lassen“249. Danach wird ein bestimmtes Prinzip zu einem Rechtsprinzip erst dann, wenn es durch positive Anordnung in das Rechtssystem inkorporiert wird.250 Andere Geltungstheorien entfernen sich von den positivistischen Maßstäben und orientieren 245 Ausdrücklich wurde die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens in der ursprünglichen Fassung des Entwurfs der Europäischen Verfassung in Art. III-166 Abs. 2 vorgesehen, der (im Wortlaut zum Teil ähnlich wie Art. 82 AEUV) Maßnahmen zur Festlegung von gemeinsamen Standards bezüglich der Zulässigkeit von Beweismitteln oder der Rechte des Einzelnen im Strafverfahren vorsah; vgl. auch Übermittlungsvermerk des Europäischen Konvents v. 27. 5. 2003, CONV 727/03. 246 Vernimmen, A propos de la reconnaissance mutuelle des dcisions sentencielles en gnral, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnale dans lUE, S. 152. 247 Alegre, Mutual trust – Lifting the mask, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 43. 248 Lais, Das Solidaritätsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 153 m.w.N. 249 Kriele, Recht und praktische Vernunft, S. 125. 250 Vgl. Luf, Zur Geltung von Rechtsprinzipien, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 129 f. m.w.N.

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

sich auch an soziologischen und ethischen Legitimationserwägungen.251 Danach können auch solche Prinzipien in eine Rechtsordnung integriert werden, die aus empirisch-faktischen Gesichtspunkten eine Rechtsqualität besitzen.252 Indizien für eine hohe Relevanz für die Rechtsordnung sind u. a. werttheoretischer Inhalt253, Kohärenz mit anderen geltenden Grundsätzen254, weitgehende Akzeptierbarkeit in rationaler Argumentation255, aber auch, in Anlehnung an die positivistischen Geltungstheorien, der Umfang und die Art der institutionellen Stützung256. Obwohl Rechtsgrundsätze zur Entscheidung in einer konkreten Rechtssache in der Regel zu abstrakt sind, weisen sie die Richtung, in der die einschlägigen Vorschriften aufzufinden sind257, und stellen eine wichtige Grundlage für die Auslegung und Anwendung des Rechts dar.258 Die Eigenständigkeit und die Bedeutung der normativen Kategorie von Prinzipien im Europarecht werden anerkannt, wobei autonome dogmatische Grundlagen in der europäischen Rechtstheorie noch als unterentwickelt gelten.259 Die Begriffe „Grundsatz“ und „Prinzip“ werden in mehrdeutiger Weise verwendet, zum Teil auch als Formel für die Unbestimmtheit und Abstraktheit einer Norm oder als „Rechtfertigungselement“ für die Geltung und Anwendung einer Regel.260 Bestimmte Prinzipien zählen zu Quellen des europäischen Rechts. Dabei wird grundsätzlich zwischen den geschriebenen und ungeschriebenen Grundsätzen unterschieden. In der ersten Gruppe befinden sich Grundsätze des EU-Rechts, die dem Vertrag inhärent sind. Unter den 251 Drei Aspekte der Rechtsgeltung: einen juristischen (die Frage der Rechtserzeugung), einen soziologischen (die Frage der sozialen Wirksamkeit) und einen ethischen (die Frage der rechtsethischen Rechtfertigung) unterscheidet Dreier, Recht – Moral – Ideologie, S. 197 f. 252 Laut Bydlinski besitzen Prinzipien Rechtsqualität, „deren weitgehende Akzeptierbarkeit in rationaler Argumentation aufgewiesen werden kann und die zugleich (…) den Inhalt der jeweils ins Auge gefassten Rechtsordnung (…) bestimmen“, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 65; anders Dworkin, Bürgerrechte ernst genommen, S. 84: „Ein Prinzip ist ein Rechtsprinzip, wenn es in der treffendsten Rechtstheorie, die sich als Rechtfertigung der expliziten festen und institutionellen Regeln der betreffenden Rechtsprechung angeben lässt, eine Rolle spielt“. 253 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 50 ff.; Jareborg, A lecture on Principles, in: Müller-Dietz u. a. (Hrsg.), FS Jung, S. 366. 254 Somek, Rechtssystem und Republik. Über die politische Funktion des systematischen Rechtsdenkens, S. 246. 255 Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 65. 256 Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 84. 257 Larenz, Richtiges Recht, S. 23; für Esser sind Prinzipien solche Normen, welche die Grundlagen abgeben, um eine bestimmtes Gebot zu finden, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S. 51. 258 Larenz, Methodenlehre in der Rechtswissenschaft, S. 474. 259 Lais, Das Solidaritätsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, S. 153 m.w.N.; vgl. auch Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtsystem, eine Untersuchung zu den rechtsdogmatischen, rechtstheoretischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Systemdenkens im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 266. 260 Ausführlich Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtsystem, eine Untersuchung zu den rechtsdogmatischen, rechtstheoretischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Systemdenkens im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 265 f. m.w.N.

§ 4 Funktionsweise des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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ungeschriebenen Grundsätzen kommt den allgemeinen Rechtsprinzipien (oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen) besondere Bedeutung zu.261 Dazu zählen aus dem „Fundus an gemeinsamen Rechtsüberzeugungen“262 (ius commune) geschöpfte rechtliche Aussagen, denen durch den Europäischen Gerichtshof die Geltung und eine höhere Normqualität zugesprochen werden.263 Von den allgemeinen Rechtsgrundsätzen sind die allgemeinen Grundsätze zu trennen. Die allgemeinen Grundsätze werden nicht aus den „externen“ Rechtssystemen sondern ausschließlich aus dem „Geist und System“ des Primärrechts entwickelt.264 Ihre Aufgabe besteht insbesondere in der Strukturierung des Systems durch institutionelle Normen.265 Sie sind somit kein überpositives Recht, und ob die Existenz eines normativ relevanten Grundsatzes im EU-Recht begründet ist,266 muss im Einzelfall am Wortlaut der Verträge geprüft werden. Auf der EU-Ebene sind allgemeine Rechtsprinzipien tragend für die Entwicklung der Grundrechte267 und der Kernbereiche einzelner Rechtsgebiete.268 Sie wirken sich sowohl rechtsfortbildend als auch rechtsschöpfend aus.269 Zum einen werden sie als Auslegungsmaßstäbe des geschriebenen Rechts herangezogen; zum anderen kommt ihnen eine lückenfüllende Aufgabe zu.270 Auch den allgemeinen Grundsätzen kommt eine solche Funktion zu: Auf sie kann man sich sowohl bei der Interpretation des EURechts als System stützen271 als auch rechtliche Lücken schließen.272 Schließlich gel261

Zur Bedeutung allgemeiner Rechtsgrundsätze außerhalb des Gemeinschaftsrechts vgl. Lecheler, Der Europäische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, S. 42 ff. 262 Hallstein, Diskussionsbeitrag, in: Probleme des Schuman Planes, S. 1. 263 Als Trankspositionsquelle kommen sowohl das Völkerrecht als auch das nationale Recht der Mitgliedstaaten in Frage, dazu Steyns, Grenzen der Vertragsänderung: allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts und ihre Bedeutung für die Existenz eines unabänderlichen Kerngehalts im europäischen Primärrecht, S. 58 f.; zu den Schwierigkeiten einer Definitionsbildung vgl. Jacoby, Allgemeine Rechtsgrundsätze, S. 18 ff. 264 Vgl. von der Groeben/Schwarze-Gaitanides, Art. 220 EGV, Rn. 20; zur Uneinheitlichkeit der Begrifflichkeit vgl. Pernice, Grundrechtsgehalte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 27 f.; Gussone, Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union und seine Grenzen, S. 173. 265 Auch z. T. als Strukturprinzipien genannt, dazu Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtsystem, eine Untersuchung zu den rechtsdogmatischen, rechtstheoretischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Systemdenkens im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 264. 266 Bieber/Epiney/Haag nennen „institutionelles Gleichgewicht“ als Beispiel für ein „Prinzip“ ohne normative Aussage, Die Europäische Union, § 4, Rn. 16. 267 Dazu Kingreen, Die Gemeinschaftsgrundrechte, JuS 2000, S. 857 ff.; Ehlers, Die Grundrechte des europäischen Gemeinschaftsrechts, Jura 2002, S. 468 ff. 268 Vgl. Lecheler, Neue allgemeine Rechtsgrundsätze im Gemeinschaftsrecht, S. 25 ff. 269 Dazu Jacoby, Allgemeine Rechtsgrundsätze, S. 209 m.w.N. 270 Mehr dazu bei Lecheler, Der Beitrag der allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Europäischen Integration – Rückblick und Ausblick, ZEuS 2003, S. 347 f.; zur Kritik der auf diese Weise geführten Rechtsfortbildung und -schöpfung vgl. ders., Der Europäische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, S. 180 ff. 271 Schwarze-Schwarze, Art. 220, Rn. 14 f. 272 Gussone, Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union und seine Grenzen, S. 173.

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

ten im Europarecht die allgemeinen rechtstheoretischen Erkenntnisse der Prinzipienlehre273, wonach kollidierende Regeln durch Prinzipien verdrängt werden können und konkurrierende Rechtsgrundsätze abgewogen werden müssen.274 Diese Eigenschaft ermöglicht ein Nebeneinander konkurrierender Rechtsgrundsätze, wobei (je nach tatsächlichen Umständen) einzelne Wertungsgesichtspunkte prävalieren ohne andere außer Kraft zu setzen. .

2. Einordnung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung Schwierigkeiten bei der Einordnung des Anerkennungsgrundsatzes zeigten sich bereits im Gemeinschaftsrecht. Beim Herkunftslandprinzip, dem der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zugrunde liegt,275 wurde teilweise angenommen, dass es sich weder um ein in den Verträgen ausdrücklich erwähntes, noch um ein übervertragliches Rechtsprinzip handelt.276 Die Kommission leitete dagegen den („gemeinschaftsrechtlichen“) Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung unmittelbar aus dem EG-Vertrag ab.277 Basierend auf der Rechtsprechung werden die Ableitung (zum Teil aus den Grundfreiheiten, zum Teil aus den Gemeinschaftsgrundrech-

273

Die Gewichtsdimension der Prinzipien gewährleistet, dass ihre Geltung selbst bei Berücksichtigung eines konkurrierenden Prinzips nicht tangiert wird. Anders als bei Regeln, wo eine Kollision zur Ungültigkeit einer Regel führt, kommt es bei einer Verschränkung von Prinzipien zu einer Abwägung, deren Ergebnis eine Vorrangrelation ist; Alexy spricht in diesem Zusammenhang von einer Optimierungsfunktion der Prinzipien, Theorie der Grundrechte, S. 77 ff.; vgl. auch Neumann, Die Geltung von Regeln, Prinzipien und Elementen, in: Schilcher/ Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 119 ff.; Dworkin, Is law a system of rules?, in: ders. (Hrsg.), The philosophy of Law, S. 43. 274 Beispiele aus der EuGH Rechtsprechung bei Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtsystem, eine Untersuchung zu den rechtsdogmatischen, rechtstheoretischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Systemdenkens im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 269 ff. 275 Kudlich, Herkunftslandprinzip und internationales Strafrecht, HRRS 8/2004, S. 283; vgl. auch de Hoyos Sancho, in: Arangüena Fanego u. a. (Hrsg.), Cooperacin judicial penal en la Unin Europea: La orden europea de detencin y entrega, S. 226. 276 Ohly, Das Herkunftslandprinzip im Bereich vollständig angeglichenen Lauterkeitsrechts, WRP 2006, S. 1401 ff. m.w.N. 277 „Fällt der Akt, mit dem ein öffentlicher Auftraggeber einen Dritten mit der Erbringung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut, nicht unter die Richtlinien für das öffentliche Auftragswesen, so muss er dennoch den Grundsätzen entsprechen, die sich aus dem EG-Vertrag unmittelbar ergeben, insbesondere den Bestimmungen zur freien Dienstleistungserbringung und zur Niederlassungsfreiheit. (…) Zu diesen Regeln und Grundsätzen gehören Gleichbehandlung, Transparenz, Verhältnismäßigkeit, gegenseitige Anerkennung und der Schutz der Rechte des Einzelnen“, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM(2003) 270 v. 21. 5. 2003, Punkt 81; vgl. auch Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, ABl. C 121 v. 29. 4. 2000, S. 2.

§ 4 Funktionsweise des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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ten) des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung und seine Etablierung als allgemeiner Rechtsgrundsatz dem EuGH zugeschrieben.278 Ähnliche Meinungsunterschiede liessen sich im Bereich der dritten Säule feststellen. Eine besondere Bedeutung als rechtsgebietsübergreifendes Strukturprinzip279 sollte dem Anerkennungsprinzip durch die Ernennung zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen in den Schlussfolgerungen des TampereProgramms verliehen werden.280 Die Bindungsstärke der an die Zielvorgaben des Art. 2 EUV gebundenen Leitlinien ist insbesondere politischer Art, mit Ausnahme der intergouvernementalen Säulen GASP und PJZS, wo auch rechtliche Bindungswirkung angenommen werden konnte.281 Auch wenn im Programm von Tampere „das Terrain für eine auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen beruhende justizielle Zusammenarbeit geebnet“ wurde,282 wurde zu Recht eingewandt, dass in der dritten Säule eine ausdrückliche Kompetenz zur gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen in Strafsachen fehlte.283 Bei den Versuchen einer rechtlichen Verankerung von gegenseitiger Anerkennung wurde daher z. T. auf Art. 54 SDÜ hingewiesen284 oder der Anerkennungsgrundsatz in Art. 31 EUV als „ausfüllendes Instrument“ beschrieben.285 Eine denkbare Rechtsgrundlage stellte insbesondere Art. 31 lit. a EUV dar, da darunter auch Maßnahmen verstanden werden, die über den Rahmen der traditionellen Rechtshilfe hinausgehen.286 Die Kritik an Art. 30 und 31 EUV („in vieler Hinsicht zu vage, in mancher

278 Dreher, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht: GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 32 m.w.N. 279 Mansel, Anerkennung als Grundprinzip des Europäischen Rechtsraums, RabelsZ 2006, S. 682; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 12, Rn. 39; zu den Strukturprinzipien zählen die obersten Grundsätze, die wesentliche Merkmale einer Rechtsordnung darstellen und für dieses Rechtsystem oder seine bestimmten Gebiete prägend sind; Tomuschat, Solidarität in Europa, in: Capotorti/Pescatore (Hrsg.), Du droit international au droit de lintgration, Liber Amicorum Pierre Pescatore, S. 754. 280 Dieses Programm ist ein prominentes Beispiel für die faktische „Strahlkraft der Leitlinienkompetenz“ des Europäischen Rates; Vedder/Heintschel von Heinegg-Kretschmer, Art. III-258, Rn. 4. 281 Streinz-Pechstein, Art. 4 EUV, Rn. 3 m.w.N.; von „Ausstrahlung auf das Recht“ spricht in diesem Zusammenhang Di Fabio, Das Kooperationsprinzip – ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Umweltrechts, NVwZ 1999, S. 1154. 282 Vedder/Heintschel von Heinegg-Kretschmer, Art. III-258, Rn. 2. 283 Streinz, Europarecht, Rn. 966; ein Vorschlag von Nilsson betraf die Verankerung der gegenseitigen Anerkennung in Art. 10 EUV als, wie in der amerikanischen Verfassung, fullfaith-and-credit-Prinzip, Decision-Making in EU Justice and Home Affairs: Current Shortcomings and Reform Possibilities, Sussex Institute Working Paper 57, 2001, abrufbar unter: http://www.sussex.ac.uk/sei/1-4-10-1.html. 284 Streinz, Europarecht, Rn. 966. 285 Vedder/Heintschel von Heinegg-Kretschmer, Art. III-269, Rn. 9. 286 von der Groeben/Schwarze-Wasmeier, Art. 31 EUV, Rn. 28 m.w.N.; Zila, Die neuen Schutznormen der Beitrittsabkommen der Europäischen Union, S. 308; vgl. Reichelt, Die

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

Hinsicht aber auch zu restriktiv“287) verdeutlichte jedoch die Notwendigkeit einer förmlichen Verankerung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung im Vertrag. Eine Chance, die Unklarheit über seine genaue Verortung zu beseitigen, wurde mit dem Scheitern des VE zunichte.288 Der Reformvertrag („Vertrag von Lissabon“) verankert nun den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung primärrechtlich und bestätigt ihn als einen allgemeinen Grundsatz.289 Art. 82 AEUV indiziert den formellen Charakter des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung. Im Gegensatz zu den materiellen steht bei den formellen Prinzipien nicht der moralische Wert sondern eine bestimmte Wirkung im Vordergrund.290 Ihre Aufgabe ist es u. a., die Geltung von Normen – unabhängig von ihrem Inhalt – zu gewährleisten.291 Der formelle Charakter muss nicht in jedem Fall mit einer ethischsittlichen Neutralität verbunden werden. Denn auch formelle Prinzipien machen nicht nur die Durchführung einer Prozedur zum Grund (formelle Prinzipien i.e.S.), sondern stellen Folgerungen aus materiellen Prinzipien dar (formelle Prinzipien i.w.S.).292 So ermöglicht gegenseitige Anerkennung die Durchführung einer Prozedur, die in der Bindung an früher ergangene gerichtliche Urteile oder Entscheidungen (vgl. Art. 82 Abs. 1 AEUV) besteht. Bei der Betrachtung des Ursprungs des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung wird deutlich, dass es nicht originär gilt, sondern aus anderen Prinzipien abgeleitet wurde. Im Bereich der Warenverkehrsfreiheit werden beim Herkunftsstaatsprinzip zum einen die Grundfreiheiten, zum anderen das zwingende Erfordernis des gemeinschaftlichen Interesses als Grundlage genannt.293 Innerhalb der dritten Säule basiert das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung einerseits auf dem Solidaritätsgedanken, der jeder Form der Rechtshilfe zugrunde liegt, und dem Vertrauensprinzip, anderseits kann es auf die im Vertrag bestimmten Unionsziele

Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen gemäß Art. 35 Abs. 6 EUV, S. 7 ff. 287 So in: CONV 426/02 v. 2. 12. 2002, S. 8, zit. nach Ambos, Internationales Strafrecht, § 9, Rn. 26. 288 Vom Anerkennungsgrundsatz als einem allgemeinen (Konstitutions-)Prinzip spricht Vedder/Heintschel von Heinegg-Kretschmer, Art. III-269, Rn. 5. 289 Vgl. insbesondere Art. 67, 81, 82 AEUV. 290 den Hartogh, When is a Principle a Formal Principle?, in: Funke (Hrsg.), Akten des Siebenten Internationalen Kant-Kongresses, S. 287. 291 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 120; da Silva, Prinzipientheorie, Abwägungskompetenzen und Gewaltenteilung, in: Sieckmann (Hrsg.), Die Prinzipientheorie der Grundrechte, S. 219. 292 Deutlich wird das am Beispiel von Prinzipien, die die Bindung an die Entscheidungen des Gesetzgebers begründen. Der rein formelle Charakter kommt zur Geltung, wenn die Bindung durch den autoritativen Charakter des demokratisch legitimierten Gesetzgebers begründet wird. Materielle Komponenten werden deutlicher, wenn die Bindungsbegründung auf das Prinzip der Rechtssicherheit gestützt wird; nach Sieckmann, Regelmodell und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, S. 149. 293 Michaels, Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland, S. 221.

§ 5 Rahmenbedingungen für die Umsetzung gegenseitiger Anerkennung

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und -aufgaben gestützt werden.294 Im Gegensatz zu formellen Prinzipien i.e.S. können die Abwägungen, an denen formelle Prinzipien i.w.S. und materielle Prinzipien beteiligt sind, in einer Abwägung materieller Prinzipien münden.295 So müsste beispielsweise zwischen dem Anerkennungsgrundsatz und „seinem Gegengewicht“ in Gestalt des individualrechtlich geprägten Meistbegünstigungsprinzips ein Ausgleich im Sinne praktischer Konkordanz gesucht werden, damit weder Erschwerung einer fairen und rechtsstaatlichen Strafverfolgung noch eine Reduktion von Rechten des Beschuldigten eintritt.296

§ 5 Rahmenbedingungen für die Umsetzung und Anwendung gegenseitiger Anerkennung Seit dem Vertrag von Maastricht verfolgten die Reformen das Ziel der Verbesserung der bestehenden Zusammenarbeit.297 Das Potenzial an institutionellem und instrumentellem Spektrum wird seit Tampere intensiv zur Übertragung des Anerkennungskonzepts auf die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen genutzt. Gescheiterte Reformversuche vor dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages298 illustrieren zugleich, dass der tatsächliche Erfolg internationaler Zusammenarbeit weniger durch visionäre und reformatorische Konzepte auf der EU-Ebene bedingt ist; den beschlossenen Neuerungen muss auch noch Wirksamkeit in den Mitgliedstaaten verschafft werden. Dies hängt von den instrumentellen und institutionellen Rahmenbedingungen ab. Ohne gleiche Verbindlichkeit der europäischen Regelungen kann zum einen das gegenseitige Vertrauen, auf das die Wirksamkeit der gegenseitigen Anerkennung gründet, nicht gewährleisten werden.299 Zum anderen ist ein zuverlässiges

294 Das vorrangige Ziel, das die Unionsarbeiten nach Art. 29 Abs. 1 EUV (nun Art. 67 AEUV) verfolgen, ist die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (vgl. auch Art. 2 Abs. 1 Spiegelstrich 4 EUV). Das hohe Maß an Sicherheit soll im Rechtsraum insbesondere durch polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit im Bereich der Kriminalitätsverhütung und -bekämpfung garantiert werden. 295 Z. B. das Solidaritätsprinzip mit dem Schutz des berechtigten Vertrauens oder das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens mit dem Schuldprinzip; zu der Abwägung von formellen und materiellen Prinzipien vgl. Sieckmann, Regelmodell und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, S. 149. 296 IRG-Kommentar-Gleß/Hackner/Lagodny/Schomburg, Einleitung, Rn. 106, 113a. 297 Lobkowicz, Die innere Sicherheit in der Union in der Perspektive der Regierungskonferenz 1996, in: Leicht (Hrsg.), Regierungskonferenz 1996 – Wohin steuert die EU?, S. 345; dazu auch Ziegenhahn, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, S. 73 ff. 298 Vgl. auch unter § 1 I., § 2 I. 1. d). 299 Pernice, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes – Europäische Justizpolitik im Lichte von Pupino und Darkanzali, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, FS Meyer, S. 385.

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„Gefüge“ notwendig, um die Anerkennungsvorgänge, sowohl für die Verfahrensbeteiligten als auch die zusammenarbeitenden Organe, sicherer zu gestalten. Bei „Gefüge“ ist insbesondere an die bestehenden und künftigen Voraussetzungen für die Umsetzung der kooperationsrechtlichen Regelungen und Instrumente in den Mitgliedstaaten (Umsetzungsbedingungen) und die vorgesehenen Mechanismen zur Gewährleistung sowie deren korrekte Anwendung während der Kooperationspraxis (Anwendungsbedingungen) zu denken. Zu erörtern ist insbesondere, wie sich die existierenden instrumentellen und institutionellen Rahmenbedingungen auf die Kooperationspraxis und die rechtlichen Standards auswirken. Dabei ist einerseits zu klären, inwieweit die Durchsetzung und Steuerbarkeit des Anerkennungskonzepts gewährleistet ist, und andererseits, welche Maßnahmen zu dessen besserer Funktionsfähigkeit beitragen könnten.

I. Rechtliche Ausgestaltung justizieller Zusammenarbeit Einen primärrechtlichen Rahmen erhielt erstmals die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in der Justiz- und Innenpolitik mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht.300 Die Struktur der Europäischen Union wurde seitdem als Tempelmodell mit drei Säulen beschrieben.301 Durch den Vertrag von Amsterdam erfuhr die dritte Säule eine substanzielle Umgestaltung, die sich im instrumentellen und institutionellen Bereich vollzog. In diesem Rahmen erfolgte die dynamische Durchsetzung der gegenseitigen Anerkennung. Mit dem Lissabonner Vertrag kommt es zur Abschaffung der Säulensstruktur und eine bedeutende Reform der primärrechtlichen Regelungen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen tritt in Kraft. Laut des Protokolls über die Übergangsbestimmungen behalten jedoch die davor in diesem Bereich verabschiedeten Rechtsakte ihre Rechtswirkung, bis sie auf der neuen Rechtsgrundlage aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert werden (Art. 9 des Protokolls). Für eine Dauer von maximal fünf Jahren bleiben auch die für PJZS gesondert geregelten Befugnisse der Kommission und des EuGH unverändert (Art. 10 des Protokolls). . . .

300 Art. B Abs. 1, 4. Spiegelstrich EUV (Entwicklung einer engen Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres) sowie Titel VI des EUV (Bestimmungen über diese Zusammenarbeit). 301 Die „erste Säule“ bildet der gemeinschaftsrechtlich geprägte Teil des Europarechts, die „zweite Säule“ die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die „dritte Säule“ bzw. der „dritte Pfeiler“ ist die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres.

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1. Instrumenteller Rahmen Zu den in Art. 34 Abs. 2 EUV vorgesehenen Rechtsformen für Maßnahmen des Rates zählen gemeinsame Standpunkte, Rahmenbeschlüsse, Beschlüsse und Übereinkommen.302 Das wichtigste Gestaltung- und Profilierungsinstrument bei der Etablierung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen in Strafsachen ist der Rahmenbeschluss.303 Seine Einführung bewirkte die Flexibilisierung und Intensivierung der Zusammenarbeit und ermöglichte eine beachtliche (Um-)Gestaltung des nationalen Rechts.304 Als Instrument sui generis, dessen „Integrationsniveau sich zwischen demjenigen des ersten und des zweiten Pfeilers bewegt“305 ist der Rahmenbeschluss zugleich die wichtigste Handlungsform der dritten Säule.306 Seine Einführung war die Antwort auf die Schwächen der EU im instrumentellen Bereich307 und ermöglichte die Forderung nach größerer Effizienz.308 Die Regelungskraft von Rahmenbeschlüssen übersteigt insbesondere die der sog. Gemeinsamen Maßnahme, deren Bindungswirkung immer erst im Einzelfall durch den Rat festgelegt werden musste.309 Im Gegensatz zu den Übereinkommen, die annahmebedürftig sind, stellen Rahmenbeschlüsse bereits getroffene und nur noch umsetzungsbedürf-

302

Die Reihenfolge der Aufzählung in Art. 34 Abs. 2 EUV impliziert keine Rangfolge der Rechtsinstrumente; der Rat kann somit, vorbehaltlich der durch die Natur des gewählten Instrumentes vorgegebenen Grenzen, für die Regelung einer Materie die Wahl zwischen mehreren Handlungsformen haben, EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007, Rs C 303/05, (Advocaten voor de Wereld), Rn. 37. 303 Außer den Rahmenbeschlüssen, die den verfahrens- und darunter kooperationsrechtlichen Aspekten (wie z. B. der Übergabeverfahren aufgrund des EuHb oder der Stellung der Opfer im Strafverfahren) gewidmet sind, betrifft ein Teil das materielle Strafrecht (z. B. der Schutz des Euro). 304 Moreillon/Willi-Jayet, Coopration judiciaire pnale dans lUnion europenne, S. 66; außer der Rahmenbeschlüsse bedient sich der europäische Gesetzgeber nur ausnahmsweise Konventionen (z. B. EU-RhÜbk); kritisch dazu Kuczyn´ska, Wsplny obszar poste˛powania karnego w prawie Unii Europejskiej, S. 32. 305 Wasmeier, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in der Praxis, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 63. 306 Statt vieler: Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10, Rn. 79. 307 Dazu unter § 2 I. 1. d); vgl. auch Brübach, Die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf dem Gebiet Inneres und Justiz, S. 206 f.; Dittrich, Der Schutz der Unionsbürger durch die justizielle Zusammenarbeit, in: Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, S. 108 ff.; kritisch Wasilewski, Rechtsdifferenzierung in einer erweiterten Europäischen Union, S. 80. 308 Schlussanträge des Generalanwalts Damaso Ruiz-Jarabo Colomer v. 12. 9. 2006, Rs. C-303/05, Rn. 65 ff. 309 von Bogdandy/Bast/Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht, ZaöRV 2002, S. 111, zit. nach Weber, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und parlamentarische Demokratie, EuR 2008, S. 92.

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tige Rechtsakte dar.310 Mit Rahmenbeschlüssen sollte des Weiteren „Rechtsbereinigung“ durch die Ersetzung einiger Altübereinkommen erreicht werden. Dabei könnten wesentliche alte Regelungselemente bewahrt und auf eine höhere Stufe der Rechtsqualität gehoben werden.311 Der Lissabonner Vertrag verzichtet auf den Rahmenbeschluss und vereinheitlicht die Handlungsformen für die Ausübung der vertraglich vorgesehenen Zuständigkeiten der Union (vgl. Art. 288 AEUV). In der Übergangszeit sollen jedoch sowohl die vor dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages verabschiedeten Rahmenbeschlüsse als auch neue Maßnahmen (insbesondere Richtlinien) gelten. 2. Institutioneller Rahmen Der Lissabonner Vertrag bringt auch bedeutende Neuerungen im institutionellen Bereich. Für die Übergangszeit von maximal 5 Jahren bleiben Befugnisse der Kommission und des EuGH unverändert und somit bestimmte Elemente des intergouvernemental geprägten institutionellen Rahmens erhalten. Diesen intergouvernementalen Charakter verdeutlichte insbesondere die Zuständigkeitsverteilung und das Zusammenwirken der EU-Organe innerhalb des Verfahrens der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit im Rahmen der PJZS (Art. 34 EUV). Ein konkurrierendes Recht zur Vorlage von Initiativen für Rechtsakte auf dem Gebiet der PJZS stand auch den Mitgliedstaaten zu, wovon die Mitgliedstaaten bei Rahmenbeschlüssen, die den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung einführten, häufig Gebrauch machten. Die Rolle des maßgeblichen Entscheidungsorgans gehörte dem Rat, durch den Entscheidungen einstimmig getroffen werden (Art 34 Abs. 2 S. 1, 1 Hs. EUV).312 Der auf die „Passerelle-Klausel“ des Art. 42 EUV gestützte Vorschlag der finnischen Ratspräsidentschaft, die Einstimmigkeitsvoraussetzung durch das in der ersten Säule praktizierte Mehrheitsprinzip zu ersetzen, ist auf Ablehnung gestoßen.313 Das Europäische Parlament musste vor Annahme des Rechtsaktes Stellung beziehen (obligatorische Anhörung nach Art. 39 Abs. 1 EUV zu den Rechtsakten i.S.d. Art. 34 EUV). Im Gegensatz zu Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EGV entfalteten die Stellungnahmen des Europäischen Parlaments ihre Wirkung allerdings nur innerhalb des Anhörungsrechts, d. h. es musste lediglich sichergestellt werden, 310 Streinz, Der Vertrag von Amsterdam, EuZW 1998, S. 142; ausführlich zu Unterschieden zwischen Rahmenbeschlüssen und Übereinkommen: Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 90 ff. m.w.N. 311 So Grunwald in der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG bezüglich des EuHbG, Wortlautprotokoll abgedruckt bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 207. 312 Zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit um eine „systematische Politik des leeren Stuhls“ auszuschließen vgl. Feik, Die dritte Säule – Kompetenzen und Organe im Überblick, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 13. 313 Nach Weißer, Die Wirkungen von EU-Rahmenbeschlüssen auf das mitgliedstaatliche Recht, zugleich Besprechung von EuGH EuZW 2005, 433 („Pupino“), ZIS 2006, S. 567 m.w.N.

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dass sie durch die Mitgliedstaaten zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt wurden.314 Der Rat war zu keinerlei Übernahme der vorgeschlagenen Abänderungen verpflichtet,315 worin sich auch deutlich der Souveränitätsvorbehalt im Rahmen der PJZS zeigte. Für die Maßnahmen auf Grundlage des Lissabonner Vertrages gilt grundsätzlich das ordentliche Verfahren nach 294 AEUV. Dies bedeutet insbesondere eine erhebliche Stärkung des Euopäischen Parlaments. Für die Vorlage von Initiativen für Rechtsakte ist die Kommission zuständig, wobei sowohl das Europäische Parlament als auch die EU-Bürger (unter Bedingungen des Art. 11 EUV in der Fassung des Lissabonner Vertrages) die Kommission zur Unterbreitung von legislativen Vorschlägen auffordern können. Die Interessen der Mitgliedsstaaten sollen zusätzlich durch Einbindung nationaler Parlamente gestärkt werden (vgl. insbesondere Art. 12 EUVin der Fassung des Lissabonner Vertrages, Art. 69 AEUV und das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit). Die Rolle des EuGH und der Rechtsschutz sind bereits mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages (und später des Vertrages von Nizza316) im Unionsvertrag erheblich erweitert worden.317 In der Übergangszeit von maximal fünf Jahren bleiben die EuGH-Befugnisse unverändert. Die Rechtmäßigkeit, die Auslegung und die Anwendung der im Rahmen der PJZS erlassenen Rechtsakte können laut Art. 46 lit. b EUV nach Maßgabe des Art. 35 EUV vom Gerichtshof überprüft werden.318 Den nationalen Gerichten steht nach Art. 35 Abs. 1 EUV die Möglichkeit zu, das Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH einzuleiten. Art. 35 Abs. 6 EUV ermöglicht die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen im Rahmen der Nichtigkeitsklage.319 Schließlich kann der EuGH nach Art. 35 Abs. 7 EUV bei Streitigkeiten der Mitgliedstaaten bezüglich der Auslegung und Anwendung der gemeinsamen Standpunkte, der Rahmenbeschlüsse und der Beschlüsse des Rates her314

Callies/Ruffert-Brechmann (2. Aufl.), Art. 39, Rn. 1. von der Groeben/Schwarze-Schröder, Art. 39, Rn. 2.; vgl. auch die Minderheitenansicht des Abgeordneten Maurizio Turco: „Das Europäische Parlament, das einzige demokratisch gewählte Organ der Europäischen Union, wird zur Verteidigung dieser Grundsätze einfach nur konsultiert; seine Meinung hat überhaupt kein Gewicht, und nicht selten wird es erst im Nachhinein um seine Meinung gefragt, was ein lästiger, unnützer und kostspieliger bürokratischer Aufwand ist.“, Bericht des Europäischen Parlaments v. 9. 1. 2002, Sitzungsdokument A5 – 0003/2002, S. 8. 316 Dazu Sauerbier/Schütz, Die Jurisdiktion des EuGH im Unionsrecht, JuS 2002, S. 658 ff. 317 Der Vertrag von Maastricht sah in Art. L lit. b i.V.m. Art. K. 3 Abs. 2 lit. c UA 3 lediglich die Möglichkeit vor, eine Zuständigkeit des EuGH zur Auslegung und Anwendung von völkerrechtlichen Übereinkommen im Rahmen der PJZS in dem jeweiligen Übereinkommen zu verankern; Calliess/Ruffert-Suhr, Art. 35, Rn. 4 f.; vgl. auch Streinz, Der Vertrag von Amsterdam – Einführung in die Reform des Unionsvertrages von Maastricht und erste Bewertung der Ergebnisse, EuZW 1998, S. 141 f. 318 Vgl. Egger, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte in der III. Säule, EuZW 2005, S. 655. 319 Schütz/Sauerbier, Die Jurisdiktion des EuGH im Unionsrecht, JuS 2002, S. 661. 315

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angezogen werden.320 Nach der Übergangszeit sollen einheitliche EuGH-Befugnisse nach Art. 251 ff. AEUV gelten.

II. Kritikpunkte In der Beurteilung der bisherigen Entwicklungen der justiziellen Zusammenarbeit wird auf der einen Seite die beachtliche Dynamik der hauptsächlich durch Rahmenbeschlüsse initiierten Entwicklungen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen hervorgehoben.321 Auf der anderen Seite deuten kritische Stimmen322 und Rechtsreformen323 darauf hin, dass das bisherige Rechtskorsett für die auf Vertrauen und eine Mindestharmonisierung gestützte gegenseitige Anerkennung nicht ausreichend sei. Im institutionellen Bereich werden insbesondere erhebliche Einwände gegenüber der „gubernativen“ Rechtssetzung (das sog. „Demokratiedefizit“) geäußert.324 Schließlich werden die Sanktionslosigkeit bei Nichtumsetzung und die lediglich eingeschränkte Kontrolle durch den EuGH kritisiert.325 1. Probleme des Rahmenbeschlusses Auf Mängel in der rechtlichen Ausgestaltung, Anwendung und Umsetzung von Rahmenbeschlüssen weisen sowohl Gegner des Anerkennungskonzepts als auch dessen Initiatoren und Befürworter hin. Trotz des Verzichts auf diese Handlungsform unter dem Lissabonner Vertrag sind auch in den letzten Monaten mehrere Rahmen320 Zu den einzelnen Zuständigkeiten vgl. Knapp, Die Garantie des effektiven Rechtsschutzes durch den EuGH im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, DÖV 2001, S. 13 f. 321 U. a. Wasmeier betont den erheblichen Einfluss der Rahmenbeschlüsse auf die „(Um-) Gestaltung des nationalen Rechts“, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in der Praxis, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 60. 322 So u. a. von Bubnoff, Terrorismusbekämpfung – eine weitere Herausforderung, NJW 2002, S. 2673; vgl. auch Mitteilung der Kommission – Justiz, Freiheit und Sicherheit in Europa seit 2005: Evaluierung des Haager Programms und des Aktionsplans v. 10. 6. 2009, KOM(2009) 263. 323 Vgl. den Verfassungsentwurf und dort vorgesehene europäische Rahmengesetze und Gesetze (z. B. Art. III-270), sowie den Lissabonner Vertrag und die Ersetzung des Rahmenbeschlusses durch eine Richtlinie (z. B. Art. 82 Abs. 2 AEUV). 324 Hierzu Albrecht, Eine unabhängige Judikative als Gegengewicht zur Erosion europäischer Strafrechtsprinzipien?, KritV 2008, S. 39; ders., Thesen zur Entwicklung rechtsstaatlicher Grundlagen europäischen Strafrechts, KritV 2001, S. 280 ff.; vgl. auch Kaiafa-Gbandi, Der europäische Versuch der Gestaltung von gemeinsamen Strafvorschriften, in: Anagnostopoulos (Hrsg.), Internationalisierung des Strafrechts, S.75 m.w.N.; Schünemann, Ein Gespenst geht durch Europa – Brüsseler Strafrechtspflege intra muros, GA 2002, S. 507 f.; Lüderssen, Europäisierung des Strafrechts und gubernative Rechtsetzung, GA 2003, S. 71 ff. 325 Esser, Rahmenbedingungen der EU für das Strafverfahren in Europa, ZEuS 2004, S. 306 f.; vgl. IRG-Kommentar-Gleß, Vor III, Rn. 105 m.w.N.

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beschlüsse verabschiedet worden, die ihre Geltung behalten und in den Mitgliedstaaten noch umzusetzen sind. Abgesehen von der Frage, ob der Rahmenbeschluss für die Etablierung des Anerkennungskonzepts die richtige Rechtsform darstellt,326 gelten die Umsetzungsfreiräume und die daraus resultierende Uneinheitlichkeit der kooperationsrelevanten Regelungen in den Mitgliedstaaten weiterhin als Problem für die justizielle Zusammenarbeit.327 Damit verbunden ist die Frage der mangelnden Durchgriffswirkung dieser Rechtsinstrumente.328 a) Anwendung von Rahmenbeschlüssen Mehrere Rechtshilfeübereinkommen werden durch Rahmenbeschlüsse abgelöst und auf diese Weise wird dem Anerkennungsmodell in beinahe allen Bereichen der justiziellen Zusammenarbeit zum Durchbruch verholfen. Hinsichtlich dieser Vorgehensweise könnte bezweifelt werden, ob und inwieweit Rahmenbeschlüsse bei der Etablierung des Anerkennungskonzepts verwendet werden durften. Wie im Rechtsstreit bezüglich des EuHb eingewandt wurde: Zum einen gehe es „nicht um die Angleichung bestehender nationaler Vorschriften“, dabei sieht Art. 34 EUV nur die Rechtsangleichung und keine gegenseitige Anerkennung vor; zum anderen „könnten durch einen Rahmenbeschluss bereits bestehende internationale Übereinkommen nicht außer Kraft gesetzt werden“329. aa) Gegenseitige Anerkennung als Regelungsgegenstand Der Rahmenbeschluss dient der Angleichung mitgliedstaatlichen Rechts im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Er kann somit zur Verwirklichung aller in Titel VI des EU-Vertrags genannten „Ziele der Union“ herangezogen werden. Gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen findet im EUV zwar keine Erwähnung,330 wird in der Literatur teils als Art. 31 EUV „ausfüllendes Instrument“ gesehen331 bzw. auf Art. 31 lit. a332 und/oder 326 So brachte z. B. Advocaten voor de Wereld VZW vor, der Europäische Haftbefehl hätte in einem Übereinkommen geregelt werden müssen; vgl. EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007, Rs. C-303/ 05 (Advocaten voor de Wereld), Rn. 11. 327 Vgl. Vernimmen/Van Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 19 f. 328 Vgl. von Bubnoff, Terrorismusbekämpfung – eine weitere Herausforderung, NJW 2002, S. 2673. 329 So im Zusammenhang mit dem EuHb Advocaten voor de Wereld VZW; vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Damaso Ruiz-Jarabo Colomer v. 12. 9. 2006, Rs. C-303/05, Rn. 30. 330 Unverwirklicht wurde der Vorschlag, gegenseitige Anerkennung in Art. 10 EUVals, wie in der amerikanischen Verfassung, full-faith-and-credit-Prinzip, zu verankern; Nilsson, Decision-Making in EU Justice and Home Affairs, abrufbar unter: http://www.sussex.ac.uk/sei/1-410-1.html. 331 Vedder/Heintschel von Heinegg-Kretschmer, Art. III-269, Rn. 9.

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lit. c333 EUV gestützt, teils aus den im Vertrag bestimmten Unionszielen und -aufgaben abgeleitet.334 Die berechtigte Kritik hinsichtlich der Grenzen der legislativen Tätigkeit des europäischen Gesetzgebers335 wird durch den Vertrag von Lissabon entschärft.336 Die bisherige legislative Tätigkeit lässt sich nur mit dem umstritenen Argument erklären, dass der Vorgehenskatalog in Art. 31 EUV sich auf eine allgemeine und beispielhafte337 Beschreibung der Bereiche beschränkt, in denen Handlungen zur Verbesserung der justiziellen Zusammenarbeit vorgenommen werden können. Darüber hinaus ist die Unterscheidung zwischen der Rechtsangleichung und der Rechtsvereinheitlichung im Hinblick auf die Funktion und die Reichweite von Rahmenbeschlüssen formeller Natur und reicht nicht für den Einwand „ein Rahmenbeschluss bewege sich außerhalb dessen, was zur Rechtsangleichung gehört.“338 Der EuGH bestätigte zusätzlich, dass Art. 34 Abs. 2 EUV nicht ausschließt, dass sich die Rechtsangleichung auf andere als auf die in Art. 31 Abs. 1 lit. e EUV genannten Bereiche beziehen kann und die gegenseitige Anerkennung (in dem konkreten Fall von Haftbefehlen) die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften339 der Mitgliedstaaten voraussetzt.340 332 Mit der Begründung, dass darunter auch Maßnahmen verstanden werden, die über den Rahmen der traditionellen Rechtshilfe hinausgehen, vgl. von der Groeben/Schwarze-Wasmeier, Art. 31 EUV, Rn. 28 m.w.N.; vgl. Reichelt, Die Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen gemäß Art. 35 Abs. 6 EUV, S. 7 ff. 333 Mit der Begründung, dass sich die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen auf Maßnahmen zur Vereinbarkeit der mitgliedstaatlichen Verfahrensvorschriften untereinander erstreckt, soweit sie zur Verbesserung der Zusammenarbeit erforderlich sind, Geiger, EUV/ EGV, Art. 31 EUV, Rn. 4. 334 Insbesondere Art. 30 und 31 EUV, so in: CONV 426/02 v. 2. 12. 2002, S. 8, vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht, § 9, Rn. 26; Wasilewski, Rechtsdifferenzierung in einer erweiterten Europäischen Union, S. 69. 335 Vgl. Wasmeier, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in der Praxis, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 67. 336 Vgl. insbesondere Regelungen im Lissabonner Vertrag in Art. 82 ff. AEUV. 337 Vgl. den noch deutlicheren Wortlaut in der französischen Fassung „viser entre autres“; zusätzlich zum Wortlautargument wird als Bestätigung dieser Annahme die generelle Funktion der Harmonisierung von Verfahrensvorschriften, die im Vermeiden eines „Befugnis-Shopping“ der Strafverfolgungsbehörden besteht, herangezogen, nach Weißer, Die Wirkungen von EURahmenbeschlüssen auf das mitgliedstaatliche Recht, ZIS 2006, S. 564 m.w.N.; a. A. jedoch im Ergebnis erweiternder Auslegung zustimmend Suhr, Strafrechtsharmonisierung in der Europäischen Union, ZEuS 2008, S. 55 f. 338 Schroeder, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in den Verträgen, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 49. 339 Hier insbesondere Regeln betreffend die Arten der Deliktsbereiche, die von der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit ausgenommen wurden, die Verweigerungsgründe, den Inhalt, die Form und die Übermittlung eines Europäischen Haftbefehls sowie bestimmte Mindestgarantien, Fristen und Modalitäten der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls. 340 EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007, Rs. C-303/05, (Advocaten voor de Wereld), Rn. 38 ff.

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bb) Actus-contrarius-Grundsatz Eine kurze Anmerkung verdient die vom belgischen Arbitragehof aufgeworfene Frage, ob die Regelung einer Materie durch eine bestimmte Rechtsquelle immer nur in Rechtsquellen desselben Ranges durchzuführen ist.341 Demnach hätten der EuHb und der Anerkennungsgrundsatz nicht durch Rahmenbeschlüsse eingeführt werden dürfen, da in der Vergangenheit das Auslieferungsrecht wie auch sonstige Rechtshilfebereiche auf dem Wege zwischenstaatlicher Übereinkommen erfolgten (Actus-contrarius-Grundsatz). Zutreffend wird erwidert, dass die genannten Rechtsquellen denselben Ursprung haben und die obige Regel keinen absoluten Charakter hat.342 Die Wirkung des Rahmenbeschlusses über den EuHb stellt eine völkerrechtlich zulässige Wirkung dar und Art. 40 f. WÜV steht einer Änderung von multilateralen Verträgen nicht entgegen.343 Zum selben Ergebnis kommt man auf dem Gebiet des Unionsrechts: Aufgrund desselben Ursprungs der Rechtsquellen344 kann die Union grundsätzlich die Mitgliedstaaten durch jeden unionsrechtlich zulässigen Rechtsakt verpflichten, in den Beziehungen untereinander das Unionsrecht anstelle völkerrechtlicher Verträge anzuwenden.345 . cc) Ermessen des Rates Die Wahl der Rechtsgrundlage eines gemeinschaftlichen Rechtsakts muss jedoch am Maßstab des Ziels und Inhalts objektiver Überprüfung standhalten.346 Wie tief ein solches Tätigwerden in die Souveränität der Mitgliedstaaten (insbesondere unter Berücksichtigung des Schonungsgebotes des Art. 6 Abs. 3 EUV, nun vgl. Art. 4 Abs. 2 EUV in der Fassung des Lissabonner Vertrages) eingreift, kann mithilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 5 Abs. 3 EGV, nun Art. 5 Abs. 4 EUV in der Fassung

341 So Advocaten voor de Wereld VZW, vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Damaso Ruiz-Jarabo Colomer v. 12. 9. 2006, Rs. C-303/05, Rn. 57 ff. 342 Schlussanträge des Generalanwalts Damaso Ruiz-Jarabo Colomer v. 12. 9. 2006, Rs. C-303/05, Rn. 57 f.; es handelt sich dabei auch um keinen Präzedenzfall, da bestimmte Verträge mehrmals durch andere Mittel durch die Mitgliedstaaten ersetzt wurden; als Beispiel gibt der Generalanwalt das Übereinkommen v. 27. 9. 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, das durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rats v. 22. 12. 2000 ersetzt wurde. 343 Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 104. 344 Dazu Schmahl, Der Europäische Haftbefehl vor dem EuGH: Des Rechtsstreits letzter Teil?, DVBl 2007, S. 1467. 345 So Schilling mit einer Parallele zu Art. 307 EGV, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 104. 346 EuGH-Urteil v. 11. 6. 1991, Rs. C-300/89 (Titandioxid), Rn. 10.

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des Lissabonner Vertrages) beurteilt werden.347 Im Falle des EuHb betonte der Generalanwalt, dass auf der Grundlage des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung die Vollstreckung ausländischer Haftbefehle auf dem eigenen Territorium einer ganzheitlichen Regelung bedürfe, die durch Übereinkommen nicht erzielt werden könne.348 Übereinkommen sind zwar ein milderes, jedoch nicht genauso geeignetes Mittel.349 Ebenfalls bestätigte der EuGH, dass das Ermessen des Rates350 bei der Wahl der Handlungsform nicht überschritten wurde und bekräftigte, dass der dem Rahmenbeschluss gewährte Vorzug u. a. auch aus Gründen „praktischer Wirksamkeit“ geboten war.351 . b) Wirkung von Rahmenbeschlüssen Als eine „Systemschwäche“ werden u. a. die mangelnde Durchgriffswirkung352 und die Umsetzungsnotwendigkeit der Rahmenbeschlüsse auf der nationalen Ebene angesehen.353 Eingewandt wird des Weiteren, dass Rahmenbeschlüsse teilweise als schwächere Anweisungsinstrumente gelten, weil sie als Mittel der intergouvernementalen Zusammenarbeit allein nach völkerrechtlichen (und nicht gemeinschaftsrechtlichen) Maßstäben auszulegen seien.354 Dies solle sich aber mit dem „Pupino“-Urteil geändert haben,355 da das vom EuGH formulierte Ergebnis den

347 Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 102. 348 Schlussanträge des Generalanwalts Damaso Ruiz-Jarabo Colomer v. 12. 9. 2006, Rs. C-303/05, Rn. 62 f.; dazu auch unter § 2 I. 1. d). 349 Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 103; vgl. aber Lenz/Borchardt-Nemitz, Art. 34, Rn. 18: Bei Regelungen, die in den Grundrechtsbereich der Mitgliedstaaten eingreifen oder eine Rechtsgrundlage für solche Eingriffe darstellen, solle die Form des Übereinkommens und nicht des Rahmenbeschlusses gewählt werden. 350 Vgl. Feik, Die dritte Säule – Kompetenzen und Organe im Überblick, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 13. 351 EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007, Rs. C-303/05, (Advocaten voor de Wereld), Rn. 41 f.; Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/ Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 102; ähnlich im Ergebnis Wouters/Naert, Of Arrest Warrants, Terrorist Offences and Extradition Deals, CMLRev. Nr. 4/2004, S. 912 f. 352 Dazu Corstens/Pradel, European Criminal Law, S. 387 ff.; vgl. auch Corstens, Criminal Law in the First Pillar?, Eur.J.Crime Cr.L.Cr.J. 2003, S. 132. 353 So u. a. von Bubnoff, Terrorismusbekämpfung – eine weitere Herausforderung, NJW 2002, S. 2673. 354 Mansdörfer, Einführung in das Europäische Umweltstrafrecht, Jura 2004, S. 298. 355 Heger, Europäisches Umweltstrafrecht, JZ 2006, S. 312.

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Ausschluss der unmittelbaren Wirkung auszuhebeln drohe356 bzw. es bereits „durch die Hintertür“ eingeführt worden sei.357 aa) Parallelität zur Richtlinie Ebenso wie eine Richtlinie i.S.d. Art. 249 Abs. 3 EGV (Art. 288 AUEV) ist der Rahmenbeschluss nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, d. h. den umsetzenden Mitgliedstaaten wird die Wahl der Form und der Mittel überlassen.358 Bei den Richtlinien ist der Wirkungsmechanismus jedoch supranationaler Natur, was sie von den „weitgehend den völkerrechtlichen Wurzeln der intergouvernementalen Zusammenarbeit verhafteten“359 Rahmenbeschlüssen unterscheidet.360 Die Rechtswirkung liegt beim Rahmenbeschluss in der vertraglichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den Inhalt in nationales Recht zu transformieren.361 Bezweckt wird damit kein Gleichklang der Normen, sondern eine insgesamt funktional äquivalente Wirkung. Der Rahmenbeschluss kann schon aufgrund der expliziten Bestimmung in Art. 34 Abs. 2 lit. b EUV keine unmittelbare Wirkung entfalten und keine subjektiven Rechte für die Bürger begründen,362 worin auch ein Unterscheidungsmerkmal zum Gesetz gesehen wird.363

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Adam, Die Wirkung von EU-Rahmenbeschlüssen im mitgliedstaatlichen Recht, EuZW 2005, S. 561; von Unger, Pupino: Der EuGH vergemeinschaftet das intergouvernementale Recht, NVwZ 2006, S. 49. 357 Hillgruber, Anmerkung, JZ 2005, S. 844; vgl. auch Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 93. 358 Lenz/Borchardt-Nemitz, Art. 34, Rn. 9; Harratsch/Koenig/Pechstein, Die Europäische Union, Rn. 1147. 359 Gärditz/Gusy, Zur Wirkung europäischer Rahmenbeschlüsse im innerstaatlichen Recht, GA 2006, S. 226; Hobe, Zu den Wirkungen von EU-Rahmenbeschlüssen im mitgliedstaatlichen Recht, Jura 2006, S. 860; Streinz, Der Vertrag von Amsterdam, EuZW 1998, S. 142; Weißer, Die Wirkungen von EU-Rahmenbeschlüssen auf das mitgliedstaatliche Recht, ZIS 2006, S. 567 m.w.N. 360 Zur Unhaltbarkeit der rein völkerrechtlichen Grundposition Calliess/Ruffert-Suhr, Art. 34, Rn. 15. m.w.N.; vgl. auch den Einwand von Winkler, dass die Unterscheidung „supranational“ und „intergouvernemental“ lediglich deskriptiven und keinen normativen Charakter hat, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 20; zum Streit über die Rechtsnatur von Rahmenbeschlüssen Adam, Die Wirkung von EU-Rahmenbeschlüssen im mitgliedstaatlichen Recht, EuZW 2005, S. 559 f. 361 Herdegen, Europarecht, § 31, Rn. 4. 362 Calliess/Ruffert-Brechmann, Art. 34, Rn. 9; Braum spricht in diesem Zusammenhang von „Ambivalenz des Rahmenbeschlusses“, Europäische Strafgesetzlichkeit, S. 401; der Unionsbürger ist auch, aufgrund des intergouvernementalen Charakters der dritten Säule, kein „Wächter“ über die Einhaltung des Rechts, dazu Wasilewski, Rechtsdifferenzierung in einer erweiterten Europäischen Union, S. 75 m.w.N.

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bb) Rahmenbeschlusskonforme Auslegung Eine bedeutende Annäherung der Wirkung von Rahmenbeschlüssen an die Richtlinie wurde vom EuGH in der Rechtssache Pupino vorgenommen. Der EuGH hat die Pflicht der Konformauslegung nationalen Rechts für das gemeinschaftsrechtliche Instrument der Richtlinie aus der Pflicht der Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftstreue (Art. 10 EGV, nun „Unionstreue“ Art. 4 Abs. 3 EUV in der Fassung des Lissabonner Vertrages) hergeleitet.364 Danach soll aus mehreren vertretbaren Auslegungsvarianten das Ergebnis bevorzugt werden, das mit dem EU-Recht am besten korrespondiert.365 Für den Bereich der PJZS bestätigte der EuGH den Grundsatz der rahmenbeschlusskonformen Auslegung in Anlehnung an die wechselseitige Treuepflicht der Mitgliedstaaten („Unionstreue“).366 Die Grundlage einer solchen Treuepflicht in EUV musste im Gegensatz zu EGV aus mehreren Bestimmungen rekonstruiert werden. Impliziert wird die Loyalitätspflicht bereits durch die Ziele des Art. 1 Abs. 2 und 3 EUV (insbesondere das Kohärenz- und Solidaritätsgebot), die Verpflichtung zur solidarischen Zusammenarbeit bei der Erreichung der Unionsziele (Art. 2 EUV) und durch Kooperationsbereitschaft und -willen (VI. Titel EUV).367 In der Argumentationsweise stützte sich das Gericht auf die Parallelen in der Rechtsnatur der Rahmenbeschlüsse und der Richtlinie368, verdeutlichte die Notwendigkeit „praktischer Wirksamkeit“ von Rahmenbeschlüssen369 und einer kohärenten und solidarischen Zusam363 Dazu Wasmeier, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in der Praxis, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 69. 364 EuGH-Urteile v. 10. 4. 1984, Rs. 14/83, Slg. 1984, S. 1891 (von Colson und Kamann) und Rs. 97/83 Slg. 1984, S. 1921 (Harz). 365 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, S. 340 ff.; vgl. Dannecker in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 2, Rn. 120 ff.; zur Gleichstellung der Gemeinschafts- mit den nationalen Rechtsgütern wird eine gemeinschaftskonforme Auslegung sowohl von Straftatbeständen (z. B. Auslegung des Begriffs des „gewillkürten Abfalls“ – BGHSt 37, 333; EuGH-Urteil v. 28. 3. 1990, Rs. C-359/88; EuGH-Urteil v. 11. 11. 2004 Rs. 457/02) als auch im Bereich der Strafzumessung (EuGH-Urteil v. 14. 7. 1977, Rs. 8/77) gefordert. 366 EuGH-Urteil v. 16. 6. 2005, Rs. C-105/03 (Pupino), Rn. 42 ff.; Generalanwältin Kokott leitet die Pflicht u. a. aus der „Gesamtschau der Bestimmungen des Unionsvertrags“ ab, Schlussanträge v. 11. 11. 1984, Rs. C-105/03, Rn. 25 ff. 367 Weißer, Die Wirkungen von EU-Rahmenbeschlüssen auf das mitgliedstaatliche Recht, ZIS 2006, S. 568; Gärditz/Gusy weisen darauf hin, dass eine solche Verpflichtung nationaler Gerichte auch aus der „Völkerrechtsfreundlichkeit“ des GG abgeleitet werden könnte. Zur Wirkung europäischer Rahmenbeschlüsse im innerstaatlichen Recht, GA 2006, S. 235; vgl. auch Gas, Die Verfassungswidrigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes – gebotener Grundrechtsschutz oder euroskeptische Überfrachtung?, EuR 2006, S. 293 f. 368 EuGH-Urteil v. 16. 6. 2005, Rs. C-105/03 (Pupino), Rn. 31 ff.; vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 11. 11. 1984, Rs. C-105/03, Rn. 28 ff. 369 EuGH-Urteil v. 16. 6. 2005, Rs. C-105/03 (Pupino), Rn. 38; demnach würde es an einer solchen Wirksamkeit mangeln, „wenn die Einzelnen nicht berechtigt wären, sich auf Rah-

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menarbeit370. Das Prinzip der Gemeinschaftstreue wurde im Ergebnis als ungeschriebener Rechtsgrundsatz auch auf das EU-Recht übertragen Die dort bestätigte Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts wurde in der Literatur unterschiedlich aufgenommen. Teils wird eingewandt, das vom EuGH formulierte Ergebnis drohe den Ausschluss der unmittelbaren Wirkung auszuhebeln371 (bzw. sei sie bereits „durch die Hintertür“ eingeführt worden372) oder trage zur ungerechtfertigten Verwischung der Grenzen zwischen EU und EG bei.373 Teils wird die Stärkung des Individualschutzes hervorgehoben374, es wird aber auch geäußert, dass diese Entscheidung keine „umstürzende Neuerung“ darstelle, weil zwar die Pflicht zur europarechtskonformen Auslegung das EGRecht kennzeichnet, jedoch nicht zwingend nur auf diesen Bereich zu begrenzen sei.375 Die Einführung von Rahmenbeschlüssen, das Initiativrecht der Kommission sowie die in Art. 42 EUV vorgesehene Möglichkeit vereinfachter Vergemeinschaftung seien Anzeichen, dass die dritte Säule nicht mehr nur nach völkerrechtlichen Kriterien zu fassen sein würde.376

menbeschlüsse zu berufen, um vor den Gerichten der Mitgliedstaaten eine gemeinschaftskonforme Auslegung des nationalen Rechts zu erreichen“; vgl. Schroeder, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in den Verträgen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 53. 370 EuGH-Urteil v. 16. 6. 2005, Rs. C-105/03 (Pupino), Rn. 41. 371 Adam, Die Wirkung von EU-Rahmenbeschlüssen im mitgliedstaatlichen Recht, EuZW 2005, S. 561; von Unger, Pupino: Der EuGH vergemeinschaftet das intergouvernementale Recht, NVwZ 2006, S. 49. 372 Hillgruber, Anmerkung, JZ 2005, S. 844; ähnlich Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 93; vgl. auch Kowalik-Ban´czyk, Should We Polish it Up? The Polish Constitutional Tribunal and the Idea of Supremacy of EU Law, GLJ 2005, S. 1357. 373 Herrmann, Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationalen Rechts in Strafverfahren, EuZW 2005, S. 436 ff.; Wehnert, Rahmenbeschlusskonforme Auslegung deutschen Strafrechts, NJW 2005, S. 3760 ff. 374 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 125; a. A. Van der Wilt, The principle of reciprocity, in: Blekxtoon (Hrsg.), Handbook on the European Arrest Warrant, S. 74. 375 Gärditz/Gusy, Zur Wirkung europäischer Rahmenbeschlüsse im innerstaatlichen Recht, GA 2006, S. 232; darüber schrieb noch vor dem Urteil in der Rs. Pupino u. a. Harings, Die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, in: Bogdany/Ehlermann (Hrsg.), Konsolidierung und Kohärenz des Primärrechts nach Amsterdam, S. 81; a. A. unter Berufung auf mangelnden Vorrang des Unionsrechts der zweiten und der dritten Säule Klink/Proelß, Zur verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte bei Umsetzungsakten von Rahmenbeschlüssen der Europäischen Union, DÖV 2006, S. 472 m.w.N. 376 Calliess/Ruffert-Suhr, Art. 34, Rn. 19; der rein völkerrechtliche Charakter der unionsrechtskonformen Auslegung wird aber betont bei Haratsch/Koenig/Pechstein, Die Europäische Union, Rn. 1148.

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cc) Stellungnahme Zu konstatieren ist, dass (auch bereits vor den weitergehenden Reformen des Lissabonner Vertrages) das Pupino-Urteil eine signifikante Annäherung des Unionsrechts an das supranationale EG-Recht darstellte377. Bestätigt wurde, dass in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen Rahmenbeschlüsse keine schwachen „Anweisungsinstrumente“378 oder „soft law“379 sind. Sie wirken bereits mit dem Inkrafttreten und sind durch die Mitgliedstaaten einschließlich nationaler Behörden und Gerichte zu wahren.380 Die Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung kann, in gewissen Grenzen (dazu unten), die Umsetzungsfreiräume der nationalen Gesetzgeber einschränken und somit die alltägliche Praxis des nationalen Strafverfahrens beeinflussen.381 Für den Grundsatz gegenseitiger Anerkennung bedeutet dies, dass bestimmte Zweifel oder Umsetzungsdefizite auf dem Wege der rahmenbeschlusskonformen Auslegung gelöst werden können.382 Dabei muss beachtet werden,

377 Gärditz/Gusy, Zur Wirkung europäischer Rahmenbeschlüsse im innerstaatlichen Recht, GA 2006, S. 236; auch Pernice sieht u. a. in der Tatsache, dass der Gerichtshof statt von rahmenbeschlusskonformer Auslegung von der gemeinschaftskonformen Auslegung nationalen Rechts spricht, „einen einheitlichen Blick“ des EuGH auf das Unionsrecht und Gemeinschaftsrecht, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, FS Meyer, S. 385; Skouris spricht von einer „Parallelisierung“ von Gemeinschafts- und Unionsrecht, Rechtswirkungen von nicht umgesetzten EGRichtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen gegenüber Privaten, ZEuS 2005, S. 476. 378 Heger, Europäisches Umweltstrafrecht, JZ 2006, S. 312. 379 Bogensberger/Troosters, The end of soft law cooperation: the courts jurisprudence in criminal matters, RIDP Vol. 77/2006, S. 334. 380 Schroeder, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in den Verträgen, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 53; Götz, Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: Ipsen/ Schmidt/Jortzig (Hrsg.), FS Rauschning, S. 196 m.w.N.; Weber, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und parlamentarische Demokratie, EuR 2008, S. 92 m.w.N.; vgl. auch Streinz (mit Hinweis auf 59 Abs. 2 GG), Der Vertrag von Amsterdam, EuZW 1998, S. 142; ähnlich Zott, Der rechtliche Rahmen der innen- und justizpolitischen Zusammenarbeit in der Europäischen Union, S. 285; Bindung nationaler Regierungen und Parlamente verneint Tiedamann, Bemerkungen zur Zukunft des europäischen Strafprozesses, in: Arnold u. a. (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, FS Eser, S. 890. 381 Auf dem Boden des IRG ist beispielsweise an die Berücksichtigung von Entscheidungsparametern des Art. 16 EuHbRb im Wege rahmenbeschlusskonformen Auslegung im Falle mehrer Auslieferungsersuchen zu denken, Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn 854; z. T. zustimmend Tinkl, Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 16. 6. 2005 – C-105/03 (Pupino), StV 2006, S. 36; vgl. auch Kaiafa-Gbandi, Aktuelle Strafrechtsentwicklung in der EU und die rechtsstaatlichen Defizite, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 77. 382 Vgl. OLG Stuttgart, Beschluss v. 26. 10. 2006, 3 Ausl. 52/06: „Bei Europäischen Haftbefehlen ist eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG möglich und geboten, wonach entsprechend dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in den Grenzen des europäischen ordre public (§ 73 Satz 2 IRG) zu berücksichtigen ist, dass der Ausstellungsmitgliedstaat Haftgründe, insbesondere Fluchtgefahr, geprüft und bejaht hat (…) das ist –

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dass Rahmenbeschlüsse als „Leitfaden für die Auslegung des nationalen Rechts“383 anzusehen sind, so können sie schon aufgrund klarer primärrechtlicher Regelung in Art. 34 Abs. 2 lit. b S. 3 EUV keine unmittelbare Wirkung entfalten.384 Fraglich ist somit, wo die Grenze zwischen der rahmenbeschlusskonformen Auslegung und der bei Rahmenbeschlüssen unzulässigen unmittelbaren Wirkung verläuft. Die rahmenbeschlusskonforme Auslegung verschafft keine subjektiven Rechtspositionen.385 Auf das nationale Recht wird ein objektiver Einfluss ausgeübt: „eine unmittelbare ergebnisorientierte Inpflichtnahme der nationalen Entscheidungsträger“ zur Auslegung des nationalen Rechts, was keine unmittelbare Wirkung eines sekundären Rechtsakts der Union voraussetzt.386 Um einen der unmittelbaren Wirkung vergleichbaren Effekt zu vermeiden, darf die Grenze zur Rechtsfortbildung (insbesondere die Wortlautgrenze einer nationalen Vorschrift) nicht überschritten werden. Unionsrechtskonforme Auslegung darf somit das nationale Recht nicht außer Kraft setzen387 und ist nur dann zulässig, soweit das innerstaatliche Recht Auslegungsspielräume belässt.388 Ein genereller Ausschluss der rahmenbeschlusskonformen Auslegung bei Rahmenbeschlüssen, die auf gegenseitiger Anerkennung aufbauen, geht daher zu weit.389 Rahmenbeschlüsse können somit nur soweit analog zur Richtlinie behandelt werden, wieweit es der in Art. 34 II lit. b S. 3 EUV formulierte Ausschluss der unmittelbaren Wirkung zulässt. Für eine Übergangszeit zementiert die Regelung mögen sich auch die Haftgründe von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden – gegenseitig anzuerkennen.“. 383 Nach Kaiafa-Gbandi, Aktuelle Strafrechtsentwicklung in der EU und die rechtsstaatlichen Defizite, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 77. 384 Winkler spricht in diesem Zusammenhang vom „zumindest stark interpretatorischen Effekt“ des PJZS-Rechts, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 20; vgl. auch Egger, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte in der III. Säule, EuZW 2005, S. 653 m.w.N.; vgl. Mißling, Die bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle so gen. umsetzungsgebundener Rechtsakte im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit nach dem EUV, EuR 2007, S. 269. 385 Schroeder, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in den Verträgen, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 56. 386 Schmahl sieht daher in der rahmenbeschlusskonformen Auslegung eine „mindere Form unmittelbarer Wirkungen“, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 20 f. 387 Gärditz/Gusy, Zur Wirkung europäischer Rahmenbeschlüsse im innerstaatlichen Recht, GA 2006, S. 233; zu den Grenzen der rahmenbeschlusskonformen Auslegung vgl. Lorenzmeier, Der Rahmenbeschluss als Handlungsform der Europäischen Union und seine Rechtswirkungen, ZIS 2006, S. 580 f.; vgl. auch BVerfG – Nichtannahmebeschluss v. 24. 11. 2005, 2 BvR 1667/05, Rn. 15. 388 Fetzer/Groß, Die Pupino-Entscheidung des EuGH – Abkehr vom intergouvernementalen Charakter der EU?, EuZW 2005, S. 551. 389 Vgl. aber Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 364.

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von Art. 9 des Protokolls über die Übergangsbestimmungen diese Unterschiede. Rahmenbeschlüsse behalten ihre Rechtswirkung, solange keine Aufhebung, Nichtigkeitsfeststellung oder Änderung (i. d. R. durch Richtlinien) erfolgt. c) Umsetzung von Rahmenbeschlüssen Rahmenbeschlüsse erlauben den Mitgliedstaaten Handlungsfreiheit und Flexibilität bei der Wahl der Form und der Mittel (Art. 34 II lit. b EUV). In der Umsetzungsfreiheit wird zum einen eine wichtige Barriere gegen die Entstehung eines nicht legitimierten europäischen Strafgesetzes gesehen.390 Zum anderen ermöglichen die Öffnungsklauseln die Vornahme notwendiger Anpassungen391 und damit die Wahrung der Kohärenz im innerstaatlichen Recht. Die Kehrseite der Umsetzungsfreiräume ist die Gefahr von Inkongruenzen kooperationsrelevanter Vorschriften.392 Die daraus resultierenden Asymmetrien und Kollisionen können die Anwendung der gegenseitigen Anerkennung einschränken, zu Schwierigkeiten in der Kooperationspraxis führen und ernsthafte Verfahrensrisiken oder anderweitige Beeinträchtigungen des Verfahrensablaufs hervorrufen.393 Verschärft wird diese Gefahr dadurch, dass der EuGH wegen einer nicht ausreichenden Umsetzung nicht bestrafen kann – es droht kein Vertragsverletzungsverfahren.394 390 von der Groeben/Schwarze-Wasmeier, Art. 34, Rn. 8; Calliess sieht die Bedeutung vom Gestaltungsspielraum als materiell-demokratische Legitimation durch nationale Gesetzgeber, Auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Strafrecht?, ZEuS 2008, S. 39 m.w.N.; bei Vorgaben, die so sehr detailliert wären, dass kein Spielraum besteht – was aufgrund der Einstimmigkeit unwahrscheinlich ist – könnte eine Parallele zum Gesetz erblickt werden, vgl. Wasmeier, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in der Praxis, in: Lagodny/Wiederin/ Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 69; vgl. auch Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 23 m.w.N. 391 Heger, Der europäische Haftbefehl: Zur Umsetzung europäischer Vorgaben in Deutschland, ZIS 2007, S. 222. 392 Vgl. Calliess/Ruffert-Suhr, Art. 31, Rn. 15 m.w.N.; Gas, Die Verfassungswidrigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes – gebotener Grundrechtsschutz oder euroskeptische Überfrachtung?, EuR 2006, S. 292. 393 Nilsson verdeutlicht dies am folgenden Beispiel: A entführt B im Land X und bringt ihn ins Ausland (Land Y). Im Land Y telefoniert der Täter und verlangt das Lösegeld. Das Land X erlässt den EuHb wegen Entführung. Im Land Y ist das Telefonat als Erpressung einzustufen und da das Land Y nur das Legalitätsprinzip anwendet, leitet seine Strafverfolgungsbehörde ein Verfahren wegen Erpressung ein. Eine Strafverfolgungsübernahme kommt nicht in Frage (weil z. B. beide Länder keine Parteien der Konvention des Europarates sind und ihre nationalen Vorschriften es nicht zulassen). Falls im Land Y der Territorialitätsvorbehalt (Art. 4 Abs. 7 der EuHbRb) kein fakultativer sondern ein obligatorischer Verweigerungsgrund ist, hat das Land Y keine Wahl und muss zuerst wegen Erpressung verurteilen, obwohl sie nach der Entführung geschehen ist. Danach kann es zusätzlich mit der ne-bis-in-idem-Problematik konfrontiert werden, wenn die Erpressung ein Element der Entführung im Land X ist; Mutual trust or mutual mistrust, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 35 f. 394 Jgouzo, Le dveloppement progressif du principe de reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnales dans lUnion europenne, RIDP Vol. 77/2006, S. 107; Wasmeier,

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aa) Umsetzungspflicht Im Umgang mit den Rahmenbeschlüssen lassen sich zuerst zwei extreme Positionen erkennen: eine „normative Unfreiheit“ bei einer 1:1-Umsetzung395 und eine Nichtumsetzung396. Die erste Variante verkennt, dass die Verbindlichkeit eines Rahmenbeschlusses durch sein Ziel determiniert ist (Art. 34 Abs. 2 lit. b EUV). Die Grenzen des Umsetzungsspielraums bestimmt somit nicht der Gleichklang der Normen sondern die insgesamt funktional äquivalente Wirkung.397 Wie groß der Freiraum und die „Umsetzungsfreiheit“ sind, hängt von den Anforderungen des Rahmenbeschlusses im Einzelfall ab.398 In zweiter Variante wird die Verweigerung der Umsetzung eines Rahmenbeschlusses als ein „nationales Notwehrrecht“ oder eine Notlösung im Rahmen politischer Gestaltungsmacht dargestellt.399 Dieser Erwägung wird zu recht erwidert, dass eine Umsetzungsverweigerung „offenkundig dem Wesen des Rahmenbeschlusses“400 und dem Europarecht widersprechen würde.401 Der nationale Gesetzgeber ist auch aufgrund seiner Zustimmung zu den Verträgen von Amsterdam und Nizza verpflichtet, einen Rahmenbeschluss umzusetzen402, und kann nicht über das Ob, sondern nur über das Wie entscheiden.403

Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in der Praxis, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 66. 395 Zu diesem Einwand bei dem ersten Umsetzungsgesetz zum RbEuHb Böhm, Das neue Europäische Haftbefehlsgesetz, NJW 2006, S. 2592. 396 BVerfG-Urteil, 2 BvR 2236/04, Rn. 81. 397 Vgl. Heger, Der europäische Haftbefehl: Zur Umsetzung europäischer Vorgaben in Deutschland, ZIS 2007, S. 221; im Falle von EG-Richtlinien wurde beispielsweise das Gebot der effizienten Richtlinienumsetzung für nicht eingehalten erklärt, wenn die umgesetzte Regelung einen niedrigeren Rang hatte als das vor der Umsetzung geltende Recht oder wenn es der Umsetzung an Klarheit und Genauigkeit mangelte, EuGH, Rs. 29/84, Slg. 1985, 1661, Rn. 23 und 28 (Kommission/Deutschland); Rs. 363/85, Slg 1987, 1733, Rn. 7 (Kommission/Italien). 398 Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, S. 466. 399 Nach Heger, Der europäische Haftbefehl: Zur Umsetzung europäischer Vorgaben in Deutschland, ZIS 2007, S. 222. 400 Böhm, Das Europäische Haftbefehlsgesetz und seine rechtsstaatlichen Mängel, NJW 2005, S. 2588 m.w.N. 401 Heger sieht darin einen Widerspruch zum Europarecht, „das eben mit dem Vertrag von Amsterdam auch den Vorgaben im Strafrecht mittels Rahmenbeschlüssen bindende Wirkung zuerkennt“, Der europäische Haftbefehl: Zur Umsetzung europäischer Vorgaben in Deutschland, ZIS 2007, S. 222; vgl. auch Weißer, Die Wirkungen von EU-Rahmenbeschlüssen auf das mitgliedstaatliche Recht, ZIS 2006, S. 569 m.w.N. 402 Tomuschat, Ungereimtes – Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 über den Europäischen Haftbefehl, EuGRZ 2005, S. 456. 403 „Die Frage nach dem Ob einer Umsetzung verbietet sich von Europarechts wegen.“, Heger, Der europäische Haftbefehl: Zur Umsetzung europäischer Vorgaben in Deutschland, ZIS 2007, S. 222; Piontek, Europejski Nakaz Aresztowania, PiP Nr. 4/2004, S. 37; MasterniakKubiak, Implementacja europejskiego nakazu aresztowania, PiP Nr. 9/2006, S. 15.

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bb) Umsetzungsspielraum Abgesehen von den extremen Positionen bereiten schließlich die Eingrenzung von Freiräumen und die Uneinheitlichkeit des Umsetzungserfolgs Probleme.404 Das Ausmaß der Unterschiede verdeutlicht das Beispiel der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den EuHb.405 Außer starken Abweichungen bei den Frist- und Formerfordernissen406 ist ein ungleicher Umgang mit den Verweigerungsklauseln auffällig (insbesondere die Vermehrung von Ablehnungsgründen oder die Umwandlung von fakultativen Ablehnungsgründen in obligatorische und vice versa).407 Eingewandt wird in diesem Zusammenhang, dass die Wahl, ob bei fakultativen Ablehnungsgründen die Übergabe tatsächlich verweigert wird, im Rahmenbeschluss der Judikative und nicht dem Gesetzgeber überlassen wurde.408 Diese Ansicht verkennt jedoch, dass die Umsetzungspflicht und der damit verbundene Spielraum eben die Legislative betrifft. Der Staat hat somit während der Umsetzung drei Möglichkeiten: primo kann er von einem fakultativen Ablehnungsgrund absehen; secundo ihn als einen fakultativen Grund umsetzen oder tercero ihn in einen obligatorischen umwandeln,409 soweit das Ziel des Rahmenbeschlusses nicht vereitelt wird410 und (so zumindest in Deutsch-

404

Vgl. Calliess/Ruffert-Suhr, Art. 31, Rn. 15 m.w.N.; vgl. auch von Heintschel-Heinegg/ Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, GA 2003, S. 44 f. 405 Alleine die Zahl der aus dem Rahmenbeschluss übernommenen Gründe für die Nichtvollstreckung des Haftbefehls variiert je nach Mitgliedsstaat zwischen 3 und 10, vgl. Kommissionsbericht v. 24. 1. 2006, KOM(2006) 8; ähnlich der Kommissionsbericht v. 11. 7. 2007, KOM(2007) 407; dazu Lagodny, Die Umsetzung der materiellen Übergabe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen und der Verfahrensregelungen in den Mitgliedsstaaten im Überblick, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 143 ff.; Prignon, Arrest Warrant into National Law, eucrim 1 – 2/ 2007, S. 59. 406 Überblick der Unterschiede bei Hackner, Der Europäische Haftbefehl in der Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte, NStZ 2005, S. 314. 407 Vgl. Länderberichte bei Vernimmen/Van Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 12 ff.; dazu auch KOM(2008) 888 v. 22. 12. 2008. 408 Nilsson, Mutual trust or mutual mistrust, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 35. 409 Lagodny, Die Umsetzung der materiellen Übergabe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen und der Verfahrensregelungen in den Mitgliedsstaaten im Überblick, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 146; die Umwandlung der fakultativen Verweigerungsklauseln in obligatorische durch nationale Gesetzgeber wurde auch im Kommissionsbericht als „zwar zu weit gehend aber möglich“ angesehen, Kommissionsbericht v. 24. 1. 2006, KOM(2006) 8; schärfer beurteilte die Kommission diese Praxis („eindeutig nicht im Sinne des Rahmensbeschlusses“) im KOM(2008) 888 v. 22. 12. 2008. 410 Z. B. bei Ablehnungsgründen betreffend die Abschaffung der Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit und der Anerkennung der Entscheidungen ohne weitere Formalitäten, KOM(2008) 888 v. 22. 12. 2008.

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land) der vom BVerfG postulierten „Pflicht zur grundrechtsschonendsten Umsetzung“ Genüge getan wurde.411 cc) Zusammenfassende Würdigung Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass trotz der Defizite in der Umsetzung die Verbindlichkeit der Rahmenbeschlüsse anerkannt wird.412 „Normativ unfrei“ ist der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung insofern, als dass die europarechtliche Verpflichtung zur Transposition besteht. Im Rahmen der legislativen Tätigkeit hat er jedoch einen Spielraum, dessen Grenzen durch die Zielsetzungen des von Regierungsvertretern erlassenen Rahmenbeschlusses gekennzeichnet sind. Wird die Durchsetzung von Mechanismen gegenseitiger Anerkennung beabsichtigt, darf dieses Ziel nicht auf der Umsetzungsetappe, beispielsweise durch Vermehrung von Ablehnungsgründen, vereitelt werden. Als Orientierungsmaßstab kann das aus der teleologischen Interpretation von Verträgen geschöpfte Argument des effet utile413 herangezogen werden.414 Abgesehen von mitgliedstaatlichen Rechtsvorgaben wird die Umsetzungsfreiheit durch Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EUV eingeschränkt.415 Zwar können einige Umsetzungsmängel auf dem Wege der europarechtskonformen Auslegung beseitigt werden,416 aber eine Sanktionierung mittels der aus dem Gemeinschaftsrecht stammenden „unmittelbaren Wirkung“ ist nicht möglich.417 Eine Verbesserung der „Umsetzungsdisziplin“ in den Mitgliedsstaaten wird bei Richtlinien auf der Grundlage des Lissabonner Vertrages insbesondere durch ver-

411 Vgl. Mißling, Die bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle so gen. umsetzungsgebundener Rechtsakte im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit nach dem EUV, EuR 2007, S. 270; zur Verpflichtung zur grundrechtschonendsten Umsetzung kritisch Gas, Die Verfassungswidrigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes – gebotener Grundrechtsschutz oder euroskeptische Überfrachtung?, EuR 2006, S. 288 ff. 412 Wasmeier, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in der Praxis, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 66. 413 Dazu Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, in: Due u. a. (Hrsg.), FS Everling, Bd. II, S. 1495 f. 414 Noch weitgehender in Anlehnung an die EuGH-Richtlinienansprechung: Reichelt, Die Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen gemäß Art. 35 Abs. 6 EUV, S. 65 f.; Schwarze-Böse, Art. 34, Rn. 6; vgl. aber Haratsch/Koenig/Pechstein, Die Europäische Union, Rn. 1148. 415 Dabei ist u. a. an das Gebot inhaltlicher Bestimmtheit und Klarheit oder das Diskriminierungsverbot zu denken; ausführlicher Reichelt, Die Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen gemäß Art. 35 Abs. 6 EUV, S. 66 f.; Egger, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte in der III. Säule, EuZW 2005, S. 653. 416 Tomuschat, Ungereimtes – Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 über den Europäischen Haftbefehl, EuGRZ 2005, S. 458. 417 Reichelt, Die Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen gemäß Art. 35 Abs. 6 EUV, S. 73 ff.

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stärkte Einbindung des EuGH (nach Maßgabe von Art. 10 des Protokolls über die Übergangsbestimmung) möglich.418 2. Demokratische Legitimation des Anerkennungskonzepts Einer der gewichtigsten Kritikpunkte gegenüber der Gestaltung und Durchsetzung von justizieller Zusammenarbeit in Strafsachen betrifft den Vorwurf des Demokratiedefizits.419 Dabei steht aufgrund grundrechtssensibler Regelungsmaterie insbesondere die Schaffung von Maßnahmen zur Durchsetzung der gegenseitigen Anerkennung im Fokus der Kritik.420 a) Diskussionsstand Die im Rahmen der dritten Säule verabschiedeten Rechtsakte entstanden in einem Gesetzgebungsverfahren, bei dem nur von abgeleiteter demokratischer Legitimation421 gesprochen werden kann. Die Schwächen betreffen sowohl das sog. äußere Demokratiedefizit (indirekte demokratische Legitimation des Rates) als auch das innere Demokratiedefizit (Mängel in der demokratischen Legitimation des Europäischen Parlaments) sowie fehlende Transparenz der Entscheidungsverfahren.422 Einigkeit dürfte insoweit darüber bestehen, dass das oberste Problem der europäischen Kriminalpolitik die Gewährleistung der demokratischen Legitimation des europäischen Strafrechts ist.423 Die Meinungen gehen grundsätzlich dann auseinander, wenn die Frage der Legitimationsstränge erörtert wird. Auf der einen Seite wird eingewandt, dass das Demokratiedefizit sich aufgrund nur begrenzter Machtbefugnisse des Europäischen Parlaments bei Entscheidungen in der 418

Dazu unter § 5 II. 3.; vgl. auch Pitto, Mutual Trust and Enlargement, in: de Kerchove/ Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 58 ff. 419 Dazu u. a. Kaiafa-Gbandi, Der europäische Versuch der Gestaltung von gemeinsamen Strafvorschriften, in: Anagnostopoulos (Hrsg.), Internationalisierung des Strafrechts, S. 75 m.w.N.; vgl. u. a. Albrecht, 11 Thesen zur Entwicklung rechtsstaatlicher Grundlagen europäischen Strafrechts, KritV 2001, S. 280 ff. (insbesondere Thesen 2, 4 und 8). 420 Gmez-Jara Dez, European Arrest Warrant and the Principle of Mutual Recognition, eucrim Nr. 1 – 2/2006, S. 23; Mitsilegas vermisst eine offene, demokratische Debatte, in der die Ziele, der Inhalt und Richtung solcher Maßnahmen besprochen werden könnten, The Constitutional Implications of Mutual Recognition in Criminal Matters in the EU, CMLRev. Nr. 43/ 2006, S. 1288; zu nicht hinreichender parlamentarischen Kontrolle von Rahmenbeschlüssen vgl. auch Zeder, Der Rahmenbeschluss als Instrument der EU-Rechtsangleichung im Strafrecht am Beispiel des Rahmenbeschlusses gegen Geldfälschung, ÖJZ 2001, S. 83. 421 Dazu Zott, Der rechtliche Rahmen der innen- und justizpolitischen Zusammenarbeit in der Europäischen Union, S. 196. 422 Ausführlich Tiedtke, Demokratie in der Europäischen Union, S. 29 ff. 423 Vogel, Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 525; vgl. Hilgendorf, Nationales oder transnationales Strafrecht?, in: Dreier/Forkel/Laubenthal (Hrsg.), Raum und Recht, S. 341.

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dritten Säule des Unionsrechts (lediglich Anhörungsrecht nach Art. 39 Abs. 1 EUV) „aufdrängt“.424 Das deutsche Parlament dürfe demnach Rahmenbeschlüsse, die auf gegenseitiger Anerkennung aufbauen, nicht in das nationale Recht umsetzen.425 Als „Minimum“ müsse ein Initiativrecht und Mitentscheidungsrecht des Europäischen Parlaments vorgesehen werden.426 Das demokratische Prinzip garantiere des Weiteren, dass sich die Bürger grundsätzlich vor denjenigen Strafgesetzen zu verantworten haben, an deren Entstehung sie als Aktivbürger selbst mitwirken konnten.427 Es müsse daher die Stellung von nationalen Parlamenten (auch als „Lakaien von Brüssel“ bezeichnet428) gestärkt werden,429 denn der „autoritäre Charakter“ der aktuellen Gestaltung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Rahmenbeschlusswege „spricht jeder demokratischen Legitimation Hohn.“430 Selbst unter der Geltung des Lissabonner Vertrages, der das Europäische Parlament mitentscheiden lässt (Art. 82 f. i.V.m. Art. 294 AEUV) und nationale Parlamente in das Gesetzgebungsverfahren einbindet (vgl. Art. 69 AEUV), sei das „notwendige Maß an demokratischer Legitimation“ nur unter zusätzlichen Vorbehalten gewährleistet.431 424 Böhm, Das Europäische Haftbefehlsgesetz und seine rechtsstaatlichen Mängel, NJW 2005, S. 2588; Satzger spricht in diesem Zusammenhang von „Machtlosigkeit“ des Europäischen Parlaments (und nationaler Parlamente), Das Strafrecht als Gegenstand europäischer Gesetzgebungstätigkeit, KritV 2008, S. 20; Masing versucht während der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG bezüglich des EuHb (Wortlautprotokoll abgedruckt bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 189) diese Argumentationsweise zu entschärfen und bezieht sich auf das Ergebnis (absolute Mehrheit) der Abstimmung über den EuHb im Europäischen Parlament. 425 Nach Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 296 m.w.N. 426 Vogel, Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 525; ähnlich Sieber, Einheitliches Europäisches Strafgesetzbuch als Ziel der Strafrechtsvergleichung?, in: Duttge u. a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift an Ellen Schlüchter, S. 114. 427 Schünemann, Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene, ZRP 2003, S. 188; ders., Grundzüge eines Alternativ-Entwurfs zur europäischen Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 396 f. 428 Schünemann, Die parlamentarische Gesetzgebung als Lakai von Brüssel? Zum Entwurf des Europäischen Haftbefehlgesetzes, StV 2003, S. 531. 429 Zur aktuellen Lage führt Schünemann aus: „eine Versammlung von Ministern, die in der Regel nur noch die vorherigen Absprachen ihrer Beamten absegnen, oft genug im Wege eines klassischen Kuhhandels Beschlüsse fasst, die in einem immer engmaschiger gezogenen Rahmen die der Idee nach souveränen nationalen Parlamenten verpflichten sollen und damit in Wahrheit diese Souveränität von der Tischplatte fegen.“, Die Zukunft des Strafverfahrens – Abschied vom Rechtstaat?, ZStW 2007, S. 956. 430 Am Beispiel der effizienzorientierten Vorgehensweise bei der Reform des Auslieferungsrechts: Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 123; Abkehr von demokratisch-legitimierter Strafgesetzgebung und Effizienzüberlegungen auf administrativem Wege sieht Braum, Europäisches Strafrecht im administrativen Rechtsstil, ZRP 2002, S. 509; vgl. auch Albrecht, Europäischer Strafrechtstraum: Ein Albtraum?, ZRP 2004, S. 1. 431 U. a. durch Bindung des deutschen Vertreters im Rat bei Entscheidungen nach Art. 82 Abs. 3 und Art. 83 Abs. III AEUV an Weisung des Deutschen Bundestags, BVerfG in der

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Die Erwiderung stützt sich zunächst auf den Einwand, dass Legitimation sich im überstaatlichen Verbund anders konstituiere als innerhalb eines einzelnen Staates.432 Es dürfe insbesondere nicht von „minderer Qualität“ des im EUV vorgesehenen Verfahrens bezüglich der Bindungswirkung ausgegangen werden – derartige Verfahren sind dem EU-Recht bekannt und entfalten unstrittig volle Bindungskraft.433 Hinsichtlich einer stärkeren Ausprägung der Beteiligung des Europäischen Parlaments müsse beachtet werden, dass das Europäische Parlament nicht repräsentieren kann, was es in der „Lebenswirklichkeit“ nicht gibt: ein europäisches Volk.434 Ein Kompromiss im Rat falle im Einzelfall – auch aufgrund erheblicher kultureller und gesellschaftspolitischer Unterschiede – ausgewogener aus als manches nationale Parlamentsgesetz.435 Hingewiesen wird ferner darauf, dass es bereits der Verwirklichung des Demokratieprinzips entsprochen hätte, der schwachen Stellung des Europäischen Parlaments eine starke Beteiligung der nationalen Parlamente vor der Entscheidung über einen Rahmenbeschluss im Rat gegenüberzustellen.436 So könnte u. a. durch Aufstellung geeigneter Kriterien ein parlamentarisches Mitspracherecht bei der Abfassung von Rahmenbeschlüssen437 oder die Rückkopplung der im Rat versammelten Vertreter der Mitgliedstaaten an die nationalen Parlamente gewährleistet werden.438 Was den Einwand aktiver Mitwirkung an der Strafgesetzgebung439 betrifft, wird diesem entgegengehalten, dass demnach nicht der Territorialitätsgrundsatz, sondern das aktive Personalitätsprinzip für die Begründung der Strafbarkeit im internationalen

Entscheidung zum deutschen Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon, NJW 2009, S. 2289. 432 Weber, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und parlamentarische Demokratie, EuR 2008, S. 91 m.w.N. 433 So Schroeder am Beispiel von Art. 308, 251, 133 EGV, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in den Verträgen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 50; vgl. auch Schmahl, Der Europäische Haftbefehl vor dem EuGH: Des Rechtsstreits letzter Teil?, DVBl 2007, S. 1466. 434 Kubiciel, Grund und Grenzen strafrechtlicher Anweisungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft, NStZ 2007, S. 140. 435 Weber, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und parlamentarische Demokratie, EuR 2008, S. 95. 436 Calliess/Ruffert-Suhr, Art. 34, Rn. 21 m.w.N.; skeptisch Griebenow, Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite in Europa, S. 287 ff. 437 Böhm, Das Europäische Haftbefehlsgesetz und seine rechtsstaatlichen Mängel, NJW 2005, S. 2588. 438 Wasmeier, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in der Praxis, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 68; Weber, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und parlamentarische Demokratie, EuR 2008, S. 91 m.w.N. 439 Schünemann, Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene, ZRP 2003, S. 188; ders., Grundzüge eines Alternativ-Entwurfs zur europäischen Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 396 f.

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Recht als herrschend hätte gelten müssen.440 Die Folgen dessen, dass Bürger mit divergierenden Vorschriften der eigenen und der fremden Strafrechtsordnung konfrontiert werden, seien hinnehmbar, solange die Normbefehle einer fremden Strafrechtsordnung erst dann zur Geltung kämen, wenn die jeweilige Person sie auf dem fremden Territorium verwirklicht.441 b) Stellungnahme Zu konstatieren ist, dass die Kritik des Demokratiedefizits innerhalb der dritten Säule berechtigt ist,442 insbesondere wenn Demokratie als „größtmögliche und bestmögliche Teilhabe und Mitbestimmung“443 verstanden wird. Das Europäische Parlament selbst hat sich in einer „Entschließung über die Fortschritte bei der Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ vom 30. November 2006 für die Ausweitung der Mitentscheidung des Europaparlaments in allen Bereichen, die die Rechte der Bürger der Europäischen Union betreffen, ausgesprochen.444 Im Lissabonner Vertrag wird dieser Forderung entsprochen und eine stärkere Beteiligung des Europäischen Parlaments sowie Einbindung der nationalen Parlamente ermöglicht.445 In der Entscheidung zum deutschen Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon, hebt das BVerfG zwar zutreffend die Stärkung von Beteiligungsrechten und Verbesserung der „Durchschaubarkeit des Entscheidens“ hervor, sieht jedoch zugleich einen Widerspruch („Baumuster des Bundesstaates“ ohne vertragliche und demokratische Grundlage) und stellt eine Minderung der Stellung der nationalen Parlamente durch die „Verminderung von Einstimmigkeitsentscheidungen und die 440 Kreß, Das Strafrecht auf der Schwelle zum europäischen Verfassungsvertrag, ZStW 2004, S. 464; vgl. auch Weigend, Der Eckstein als Stein des Anstoßes – Zur Leidensgeschichte des Europäischen Haftbefehls in Deutschland, in: Müller-Dietz u. a. (Hrsg.), FS Jung, S. 1073; Juppe ergänzt die Argumentation um das Beispiel strafmündiger aber noch nicht wahlberechtigter Jugendlicher, Die gegenseitige Anerkennung, S. 128. 441 Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 2004, S. 361 m.w.N.; Deiters, Gegenseitige Anerkennung von Strafgesetzen in Europa, ZRP 2003, S. 359. 442 Vgl. auch Wasilewski, Rechtsdifferenzierung in einer erweiterten Europäischen Union, S. 79; Monar, Die EU als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und die Herausforderung des internationalen Terrorismus, integration 2002, S. 185. 443 Maihofer, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 12, Rn. 84; vgl. aber die kritische Bemerkung von Kubiciel, der die von Rousseau gefassten Worte, dass selbst eine Volksabstimmung nicht die Umsetzung des Allgemeinwohls garantiere, anbringt, Grund und Grenzen strafrechtlicher Anweisungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft, NStZ 2007, S. 136. 444 EP-Nummer des Dokuments: 380.706; abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/ RegData/seance_pleniere/textes_adoptes/definitif/2002/02 – 07/0048/P5_TA(2002)0048_DE. pdf. 445 So wird z. B. im Lissabonner Vertrag im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren vorgesehen (Art. 82 ff. AEUV) und den nationalen Parlamenten die Aufgabe der Wahrung des Subsidiaritätsprinzips aufgetragen (Art. 69 AEUV); zu Regelungen im Verfassungsvertrag vgl. Van den Wyngaert, Eurojust and the European Public Prosecutor in the Corpus Juris Model: Water and Fire?, in: Walker (Hrsg.), Europes Area of Freedom, Security and Justice, S. 205.

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Supranationalisierung“ fest.446 Anzumerken ist auch, dass damit ein gestärktes Europäisches Parlament die erwünschte demokratische Legitimation gewährleisten kann, ist nicht nur eine rechtliche Reform, sondern auch ein gesellschaftlicher Wandel nötig, dessen Anzeichen u. a. eine starke Wahlbeteiligung447 wäre.448 Obwohl beim Europäischen Haftbefehlsgesetz in der mündlichen Verhandlung der Verstoß gegen das Demokratieprinzip breit diskutiert wurde, hat das BVerfG kein unausgleichbares Demokratiedefizit festgestellt. In der im Urteil präsentierten Lösung wurde auf die letztendliche politische Gestaltungsmacht zurückgegriffen, wonach den nationalen Parlamenten ein Recht auf vollständige Verweigerung der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen zustehe.449 Dem vom BVerfG gewählten Ausweg in Form eines nachträglichen Verweigerungsrechts wird zu Recht entgegengebracht, dass zur Verwirklichung des Demokratieprinzips „unter Berücksichtigung von Unionsinteressen“ ein parlamentarisches Mitspracherecht bei der Abfassung von Rahmenbeschlüssen geeigneter wäre.450 Diesen Aspekt betonte auch die Richterin Lübbe-Wolff in der abweichenden Meinung, wonach Defizite in der „Demokratisierung“ „nicht notwendigerweise der Unionsebene zuzurechnen und auf dieser Ebene auszugleichen“ sind, da bessere demokratische Fundierung auch auf nationaler Ebene durch parlamentarischen Einfluss auf das Stimmverhalten der Regierungsvertreter im Rat erreicht werden kann.451 Eine solche Verpflichtung zur Parlaments446

NJW 2009, S. 2279 f. Ergänzend spricht Weber u. a. von „wahrhaft europäische(n) Parteien“, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und parlamentarische Demokratie, EuR 2008, S. 98; vgl. auch Kubiciel, Grund und Grenzen strafrechtlicher Anweisungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft, NStZ 2007, S. 140; Tomuschat weist zu Recht darauf hin, dass einerseits ein demokratisches Defizit beklagt wird, anderseits jedoch die Stärkung des Europäischen Parlaments auf den Vorwurf der „Entstaatlichung“ stößt, Ungereimtes – Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 über den Europäischen Haftbefehl, EuGRZ 2005, S. 456. 448 Zur Stärkung sog. „input legitimacy“ (Beteiligung von Bürgern oder ihrer Repräsentanten an Entscheidungsprozessen) Lenarts/Desomer, New Models of Constitution-Making in Europe: The Quest for Legitimacy, CMLRev. Nr. 6/2002, S. 1217. 449 BVerfG-Urteil, 2 BvR 2236/04, Rn. 81 „Das Europäische Parlament, eigenständige Legitimationsquelle des europäischen Rechts, wird in dem Rechtsetzungsprozess lediglich angehört (vgl. Art. 39 Abs. 1 EU), was im Bereich der dritten Säule den Anforderungen des Demokratieprinzips entspricht, weil die mitgliedstaatlichen Legislativorgane die politische Gestaltungsmacht im Rahmen der Umsetzung, notfalls auch durch die Verweigerung der Umsetzung, behalten.“; kritisch dazu Klink/Proelß, Zur verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte bei Umsetzungsakten von Rahmenbeschlüssen der Europäischen Union, DÖV 2006, S. 473; dazu auch unter § 5 II. 1. c). 450 Böhm, Das Europäische Haftbefehlsgesetz und seine rechtsstaatlichen Mängel, NJW 2005, S. 2588; als „Farce“ bezeichnen eine Verweigerung der Umsetzung Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 1051; vgl. auch Weber, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und parlamentarische Demokratie, EuR 2008, S. 93; vgl. Schroeder, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in den Verträgen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 51. 451 Abweichende Meinung der Richterin Lübbe-Wolff; 2 BvR 2236/04, Rn. 180. „Der Respekt vor der parlamentarischen Mehrheit zuhause dürfte die Regierung – weiß sie eine 447

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zustimmung452 oder Bindung der Regierung an die Stellungnahme des Parlaments (auch als „doppelgleisige“ demokratische Legitimation genannt453) wird häufig in den nord- und nordwesteuropäischen Mitgliedstaaten praktiziert.454 Eine Bindung des deutschen Vertreters im Rat oder des deutschen Regierungsvertreters im Europäischen Rat an Weisungen des Deutschen Bundestags und eventuell des Bundesrats verlangt das BVerfG in der Entscheidung zum deutschen Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon bei Strafsachen (Art. 82 Abs. 3 und Art. 83 Abs 3 AEUV oder 83 Abs. 1 AEUV).455 Durch das Notbremsverfahren (wenn die Berührung „grundlegender Aspekte der Strafrechtsordnung“ von einem Mitglied des Rates geltend gemacht wird) kann der Europäische Rat mit der Entscheidung befasst werden, wobei von den Vertretern der Mitgliedstaaten auch ein nationales Veto auf der EU-Ebene durchgesetzt werden kann. . 3. EuGH-Kontrolle Die Kehrseite des flexiblen Anerkennungskonzepts ist ein bedeutender Grad an Ungewissheit, zu welchen Ergebnissen eine Erstreckungswirkung von Entscheidungen eines Mitgliedstaates in einem anderen Mitgliedstaat führen kann.456 Um den Gefahren für die Verletzung von Individualrechten vorzubeugen und ein angemessenes Gegengewicht gegenüber der Legislative und der Exekutive zu gewährleisten, ist eine starke Judikative notwendig.457 Nach dem Protokoll über die Übergangsbestimmungen sollen die Befugnisse des EuGH in der Übergangszeit unverändert bleiben (Art. 10 Abs. 1 des Protokolls). Das Recht der dritten Säule kennzeichnet nur eine

solche für einen vorgeschlagenen Rahmenbeschluss nicht hinter sich – im Normalfall an einer Zustimmung zu dem fraglichen Rahmenbeschluss hindern und diesen mitsamt seinen Wirkungen für den nationalen Gesetzgeber bereits auf EU-Ebene scheitern lassen.“, Heger, Der europäische Haftbefehl: Zur Umsetzung europäischer Vorgaben in Deutschland, ZIS 2007, S. 222. 452 Wasmeier, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in der Praxis, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 68; Herdegen leitet aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG die Notwendigkeit der parlamentarischen Ermächtigung jedenfalls in Fällen von Rahmenbeschlüssen mit verfassungsändernden Umsetzungspflichten ab, Europarecht, § 31, Rn. 6. 453 Grützner/Pötz/Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 5. 454 Nach Schünemann, Ewigkeitsgarantien im europäischen Strafrecht – Ein Appell an die deutsche Volksvertretung, KritV 2008, S. 14; vgl. auch Satzger, Das Strafrecht als Gegenstand europäischer Gesetzgebungstätigkeit, KritV 2008, S. 36. 455 NJW 2009, S. 2289. 456 Mitsilegas beschreibt überspitzt die gegenseitige Anerkennung als „journey into the unknown“, The Constitutional Implications of Mutual Recognition in Criminal Matters in the EU, CMLRev. Nr. 43/2006, S. 1281. 457 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, S. 259; Albrecht, Eine unabhängige Judikative als Gegengewicht zur Erosion europäischer Strafrechtsprinzipien?, KritV 2008, S. 49.

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eingeschränkte Justiziabilität,458 was als eines der größten institutionellen Defizite angesehen wird459 und durch eine stärkere Einschaltung des EuGH nivelliert werden soll.460 Zum einen wird in der Stärkung des EuGH eine Chance für eine bessere Schutzmöglichkeit von Betroffenen erblickt.461 Zum anderen könnte damit der befürchteten Rechtszersplitterung und Fragmentierung entgegengewirkt462, eine Verbesserung der Durchsetzung und der Anwendung des innerhalb der dritten Säule gesetzten Rechts erzielt463 und somit zu einer harmonischeren Zusammenarbeit beigetragen werden.464 a) Rechtsschutz Angesichts der Ausübung zunehmender Befugnisse in der grundrechtssensiblen Materie justizieller Zusammenarbeit in Strafsachen spielt die Garantie eines effektiven Rechtsschutzes eine zentrale Rolle beim Aufbau des gemeinsamen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.465 Dies betrifft somit auch die gegenseitige Anerkennung und u. a. die Frage, ob der Durchsetzung von niedrigsten Schutzstandards (sog. race to the bottom)466 entgegengewirkt werden kann. Mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages (und später des Vertrages von Nizza) ist der Rechtsschutz im Unionsvertrag erheblich erweitert worden und steht „an der Grenze zum Gemeinschaftsrecht“.467 Ob der EuGH damit den wachsenden Anforderungen des effektiven Rechtsschutzes468 und funktionstüchtiger Zusammen458 von der Groeben/Schwarze-Wasmeier, Art. 35, Rn. 2; Pechstein, Die Justitiabilität des Unionsrechts, EuR 1999, S. 21 f. 459 So u. a. Ruffert, Die unionsverfassungsrechtlichen Grundlagen des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: Pache (Hrsg.), Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 32. 460 Albrecht, Eine unabhängige Judikative als Gegengewicht zur Erosion europäischer Strafrechtsprinzipien?, KritV 2008, S. 49. 461 U. a. Abetz, Justizgrundrechte in der Europäischen Union, S. 104. 462 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, S. 291. 463 Moreillon/Willi/Jayet, Coopration judiciaire pnale dans lUnion europenne, S. 59; Grzelak, Kompetencje ETS w III filarze UE, EPS Nr. 6/2007, S. 17 f. 464 Vgl. Kuczyn´ska, Wsplny obszar poste˛powania karnego w prawie Unii Europejskiej, S. 35 m.w.N. 465 Knapp, Die Garantie des effektiven Rechtsschutzes durch den EuGH im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, DÖV 2001, S. 20 f. 466 Vgl. Albrecht, Eine unabhängige Judikative als Gegengewicht zur Erosion europäischer Strafrechtsprinzipien?, KritV 2008, S. 53. 467 Classen, Die Jurisdiktion des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nach Amsterdam, in: EuR Beiheft 1/1999, S. 89; von Überschreitung des „für die zwischenstaatlichen Strukturen üblichen Rahmen(s)“ spricht von der Groeben/Schwarze-Wasmeier, Art. 35, Rn. 2. 468 Vgl. Ausführungen zum Prinzip der Spiegelbildlichkeit des Rechtsschutzes bei Knapp, Die Garantie des effektiven Rechtsschutzes durch den EuGH im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, DÖV 2001, S. 20.

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arbeit Gewähr leisten kann, ist (zumindest noch während der Übergangsregelung des Lissabonner Vertrages) trotzdem fraglich. Als Schwäche gilt, dass das in Art. 35 Abs. 1 EUV festgelegte Pendant des in der Gemeinschaftspraxis wichtigsten Verfahrens (Art. 234 EGV)469 nur eine begrenzte Zahl an Vorlagegegenständen betrifft470 und die Zuständigkeit des EuGH fakultativ ist (sog. limited system of judicial protection471). Demnach ist die Jurisdiktion grundsätzlich nur für Staaten verbindlich, die, wie Deutschland,472 gemäß Art. 35 Abs. 2 EUV eine entsprechende Erklärung (sog. opt-in-Klausel) abgegeben haben. Auch die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage ist mehrfach eingeschränkt: Überprüft werden können nur Beschlüsse und Rahmenbeschlüsse, soweit das Verfahren innerhalb der ersten zwei Monate nach Kundmachung auf Initiative der Kommission und der Mitgliedstaaten eingeleitet wird.473 Bemängelt wird schließlich eine Klagebefugnis von Individuen474 und des Europäischen Parlaments (etwa bei Verletzungen des Anhörungsrechts nach Art. 39 EUV).475 Die defizitärere Zuständigkeit des EuGH und die unterschiedlich bedingte Zurückhaltung der nationalen Gerichte in der Kooperation mit dem EuGH476 erweckt begründete Bedenken in Bezug auf den Grundsatz eines einheitlichen und effektiven 469

Dazu u. a. Hecker, Europäisches Strafrecht, § 4, Rn. 45 und in § 6. Dazu ausführlicher Wasilewski, Rechtsdifferenzierung in einer erweiterten Europäischen Union, S. 163 m.w.N. 471 Albors-Llorens, Changes in the jurisdiction of the European Court of Justice under the Treaty of Amsterdam, CMLRev. 1998, S. 1278; der fakultative Charakter lässt die mitgliedstaatliche Souveränität berücksichtigen, vgl. Streinz, Der Vertrag von Amsterdam – Einführung in die Reform des Unionsvertrages von Maastricht und erste Bewertung der Ergebnisse, EuZW 1998, 137 ff. 472 In Deutschland regelt die Einzelheiten des Zusammenwirkens ein gesondertes Gesetz (EuGHG v. 6. 8. 1998, BGBl. I S. 2035), nach dessen Art. 1 Abs. 1 jedes Gericht auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen eine Vorabentscheidung des EuGH unter den in Art. 35 EUV festgelegten Bedingungen herbeiführen kann. Abs. 2 statuiert eine Vorlagepflicht der letztinstanzlichen Gerichte. Da der EuGH gesetzlicher Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ist (vgl. BVerfGE 73, 339, 366 ff.) kann das Versäumnis der Vorlageverpflichtung vom letztinstanzlichen Gericht zur Verletzung von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG führen. 473 Feik, Die dritte Säule – Kompetenzen und Organe im Überblick, in: Lagodny/Wiederin/ Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 15. 474 Schmahl, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 23. 475 Im Falle des Europäischen Parlaments wird aber eine Rügemöglichkeit bei Verletzung von Mitwirkungspflichten mithilfe Übertragung auf das Verfahren nach Art. 35 Abs. 6 EUV richterlich entwickelter Klagebefugnis (EuGH-Urteil v. 22. 5. 1990, Rs. C-70/88, „Tschernobyl-Urteil“) angesehen, Wasilewski, Rechtsdifferenzierung in einer erweiterten Europäischen Union, S. 170 m.w.N. 476 In Frage kämen sowohl rechtliche als auch faktische Gründe, darunter die Ausgestaltung von nationalen Rechtsmitteln oder Zweifel, ob der EuGH in der Lage ist, befriedigende Antworten auf die gestellten Fragen zu geben, Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, S. 273. 470

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Rechtsschutzes.477 Die Uneinheitlichkeit in der Vorlageberechtigung kann zu Differenzen im Rechtsschutzniveau und ggf. Ungleichbehandlung in den neuralgischen Bereichen der Strafverfolgung führen.478 Des Weiteren wird bemängelt, dass obwohl Art. 6 Abs. 2 EUV einen Individualrechtsschutz garantiert, ein Individualrechtsbehelf, der dem Einzelnen den effektiven Schutz seiner Rechte in der dritten Säule gewährleisten würde, fehlt.479 Dieser Mangel wird teils mit mangelnder unmittelbarer Wirkung von Unionsrechtsakten gerechtfertigt.480 Teils wird aber auf die Gefahr von mittelbaren Auswirkungen der Maßnahmen und die Notwendigkeit gerichtlicher Kontrolle des „europäischen Strafrechts“ in der dritten Säule aufmerksam gemacht.481 Festzuhalten ist, dass obwohl der Einfluss der Jurisdiktion auf die Zusammenarbeit als erheblich eingeschätzt wird,482 ein effektives Instrument zur Wahrung der Konformität im Bereich Strafsachen fehlt. Es besteht auch das Risiko, dass die EuGH-Urteile nicht in allen Mitgliedstaaten die gleiche präjudizielle Wirkung erreichen und somit die Auslegungseinheitlichkeit des innerhalb der dritten Säule gesetzten Rechts gefährdet wird.483 Dabei gilt die einheitliche Auslegung und Anwendung 477

Vgl. Griebenow, Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite in Europa, S. 253; Wasilewski, Rechtsdifferenzierung in einer erweiterten Europäischen Union, S. 176. 478 Die Mitgliedstaaten können sich aussuchen, ob allen nationalen oder nur letztinstanzlichen Gerichten die Vorlagepflicht eingeräumt wird; Wasilewski, Rechtsdifferenzierung in einer erweiterten Europäischen Union, S. 168; in diesem Zusammenhang macht Kraus-Vonjahr auch auf das Problem der Gleichheit der EU-Bürger aufmerksam: „Je nach Ausgangslage ist der den Bürgern bei gleichem Sachverhalt offenstehende Rechtsweg unterschiedlich.“, Der Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa, S. 242. 479 Vogel/Matt fordern u. a., dass der Beschuldigte nicht auf den „Umwegen“ die Vorabentscheidung durch den EuGH erzwingen muss, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 214; eine Individualnichtigkeitsklage über eine Analogie zu Art. 230 Abs. 4 EGV zieht in Erwägung Schwarze-Böse, Art. 35, Rn. 16 m.w.N. 480 Kein „Systembruch“, weil Unionsrecht keine Pflichten begründet, die gegenüber den Einzelnen selbständig vollzogen werden, Dörr/Mager, Rechtswahrung und Rechtsschutz nach Amsterdam – Zu den neuen Zuständigkeiten des EuGH, AöR 2000, S. 417. 481 Jgouzo, Le dveloppement progressif du principe de reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnales dans lUnion Europnne, RIDP Vol. 77/2006, S. 107 f.; Bogensberger/Troosters, The end of soft law cooperation: the courts jurisprudence in criminal matters, RIDP Vol. 77/2006, S. 334; Ziegenhahn erwähnt u. a. Beeinträchtigungen von Individualrechten durch Durchführungsmaßnahmen nach 34 Abs. 2 EUV oder Mangel im Individualrechtsschutz während des operativen Tätigwerdens von Europol, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, S. 265. 482 Vgl. Weißer, Die Wirkungen von EU-Rahmenbeschlüssen auf das mitgliedstaatliche Recht, ZIS 2006, S. 568 m.w.N. 483 Zum Teil wird daher auch vertreten, dass eine (eingeschränkte) Bindungswirkung von Auslegungsurteilen nur einheitlich für alle Mitgliedstaaten gesehen werden kann – also auch für die Staaten, die eine Unterwerfungserklärung nach Art. 35 Abs. 2 EUV nicht abgegeben haben: Pechstein, Die Justitiabilität des Unionsrechts, EuR 1999, S. 22; Haratsch/Koenig/Pechstein, Die Europäische Union, Rn. 1174; kritisch Wasilewski, Rechtsdifferenzierung in einer erweiterten Europäischen Union, S. 166; vgl. auch Schmahl, Der Europäische Haftbefehl vor dem EuGH: Des Rechtsstreits letzter Teil?, DVBl 2007, S. 1469.

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des Rechts als conditio sine qua non des effizienten Rechtsschutzes.484 Vor dem Hintergrund der Unterschiede in den Strafrechtsordnungen darf effektive justizielle Kontrolle als ein notwendiges Element grenzüberschreitender Kooperation im Anerkennungskonzept nicht fehlen.485 Eine bedeutende Ausdehnung der EuGH-Befugnisse sieht der Lissabonner Vertrag vor, wobei nach einer Sonderregelung (Art. 10 des Protokolls über die Übergangsbestimmung) die Befugnisse in der Übergangsphase unverändert bleiben. Das flexible Regime des Art. 35 EUV sowie die Arbeitsweise des EuGH bleiben aktuell leider hinter den Anforderungen, die durch legislative Tätigkeit innerhalb der dritten Säule geschaffen wurden, zurück.486 In Erwägung gezogen werden soll auch eine substanzielle Verbesserung des prozeduralen Grundrechtsschutzes der Union durch Gewährleistung eines Individualrechtsbehelfs oder eine entsprechende Fortentwicklung des bestehenden Klage- und Urteilsystems.487 b) Kooperationspraxis – Kontrolle der Anwendungseinheitlichkeit Außer auf den oben geschilderten Aspekt des Rechtsschutzes soll auf die Gefahr für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten aufmerksam gemacht werden. Die Einschränkungen und Differenzierungen in der Vorlagebefugnis erhöhen die Gefahr der Rechtszersplitterung und -fragmentierung488 und begünstigen die Entstehung

484 Die Notwendigkeit einheitlicher Auslegung und Anwendung sowohl des Gemeinschaftsrechts als auch der ZBJI-Vorschriften betonte der EuGH bereits 1995: Stellungnahme des Gerichtshofs, Wochenbericht des Gerichtshofs und des Gerichts der ersten Instanz Nr. 15/ 95, Punkt 4; zit. nach Knapp, Die Garantie des effektiven Rechtsschutzes durch den EuGH im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, DÖV 2001, S. 20; vgl. auch Zott, Der rechtliche Rahmen der innen- und justizpolitischen Zusammenarbeit in der Europäischen Union, S. 196. 485 Im einheitlichen Rechtsraum ist auch an stärkere Kontrollmöglichkeiten von Maßnahmen europäischer Ermittlungsbehörden zu denken; zu „mühsamen“ oder sogar z. T. gar nicht möglichen Rechtsschutzmöglichkeiten und institutioneller Kontrolle von Maßnahmen von insbesondere OLAF, Europol und Eurojust (im Bereich der Datenverarbeitung und -weitergabe) vgl. Ahlbrecht, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 1057, 1079, 1094 ff., 1107 f. 486 Ähnlich forderten Abgeordnete des Europäischen Parlaments den Rat auf, die Einschränkungen der Befugnisse des EuGH aufzuheben und die Bearbeitung von Vorabentscheidungsverfahren in den für den Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts relevanten Bereichen zu beschleunigen, EP-Nummer des Dokuments: 380.706; zum neuen Eilvorlageverfahren nach VerfO-EuGH Dörr, Das beschleunigte Vorabentscheidungsverfahren im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, EuGRZ 2008, S. 352 ff. 487 Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 214; Dauses, Braucht die Europäische Union eine Grundrechtsbeschwerde?, EuZW 2008, S. 449. 488 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, S. 291; vgl. auch Kraus-Vonjahr, Der Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa, S. 238; Skouris, Stellung und Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens im europäischen Rechtsschutzsystem, EuGRZ 2008, S. 348.

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eines komplizierten Systems der „variablen Geometrie“489. Dies kann grenzüberschreitende Zusammenarbeit erschweren und zu unberechenbaren Ergebnissen führen. Schließlich fehlt – bis zur „Aktivierung“ der erweiterten EuGH-Befugnisse (vgl. Art. 256 ff. AEUV) – ein Vertragsverletzungsverfahren490, weswegen bisherige Handlungsinstrumente z. T. als „halbherzig“ angesehen werden491 und es den getroffenen Maßnahmen an rechtlichem „Mehrwert“492 mangelt. c) Aussichten und Lösungsvorschläge Die Vorschläge zum Ausgleich der defizitären justiziellen Kontrolle gehen in unterschiedliche Richtungen. Erstens finden sich vermehrt Stimmen, welche die Schaffung einer europäischen Strafrechtsinstanz – eine gerichtliche „Kammer für Freiheit, Sicherheit und Recht“493 oder eine eigenständige „Eurostrafkammer“494 befürworten. Auf diese Weise und durch Veränderungen des Verfahrens soll der Rechtsschutz zügiger, weniger aufwändig und schwerfällig werden. Zweitens zielen die Vorschläge auf die Verbesserung des Individualrechtsschutzes. Dabei soll mittels der Individualbeschwerde die Verletzung der Europäischen Charta der Grundrechte gerügt werden können495 bzw. die Möglichkeit einer Europäischen Verfassungsbeschwerde in Erwägung gezogen werden können.496 Drittens wird auf den ergänzenden Schutz des EGMR hingewiesen497 und vorgeschlagen, die mangelnde Kontrollmöglichkeit des 489

Jour-Schröder/Konow, Die Passerelle des Art. 42 EU-Vertrag – Macht sie die Regeln des Verfassungsentwurfs für einen europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts obsolet?, EuZW 2006, S. 553. 490 Jgouzo, Le dveloppement progressif du principe de reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnales dans lUnion europenne, RIDP Vol. 77/2006, S. 107; Wasmeier, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in der Praxis, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 66. 491 Nach Ziegenhahn, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, S. 84; vgl. Müller-Graff, Justiz und Inneres nach Amsterdam – Die Neuerungen in erster und dritter Säule, integration 1997, S. 279. 492 Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 212; vgl. auch Jour-Schröder/Konow, Die Passerelle des Art. 42 EU-Vertrag – Macht sie die Regeln des Verfassungsentwurfs für einen europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts obsolet?, EuZW 2006, S. 553. 493 Satzger, Gefahren für eine effektive Verteidigung im geplanten europäischen Verfahrensrecht, StV 2003, S. 142; ders., Das Strafrecht als Gegenstand europäischer Gesetzgebungstätigkeit, KritV 2008, S. 31; ähnlich Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 214. 494 Wolter, Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union, in: Hirsch/Wolter/Brauns (Hrsg.), FS Kohlmann, S. 706 f. 495 Vogel, Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 526. 496 Reich, Zur Notwendigkeit einer Europäischen Verfassungsbeschwerde, ZRP 2000, S. 375. 497 Griebenow, Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite in Europa – Die europäische Zusammenarbeit im Bereich Inneres und Justiz, S. 253; für Fälle, wenn keine Erklärung im Sinne des Art. 35 Abs. 2 EUV abgegeben wurde oder der Rechtsstreit die nach Art. 35 Abs. 5 EUV ausgeschlossene Materie betrifft, kann nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges

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EuGH durch einen Beitritt der EU zur EMRK zu beseitigen.498 Subsidiär wird auch die verstärkte Kontrolle durch Gerichte in den Mitgliedstaaten in Erwägung gezogen.499 Möglichkeiten eines verbesserten Rechtsschutzes wurden mehrmals auf der EUEbene thematisiert, Vorschläge unterbreitet500 und einzelne Maßnahmen sogar verwirklicht.501 Ein Beispiel hierzu stellt die Anwendung des Eilverfahrens gemäß Art. 104 b § 2 VerfO/EuGH dar. Konkrete Lösungen liefern ebenfalls sowohl der Verfassungsentwurf als auch der Lissabonner Vertrag. Der Verfassungsvertrag sah eine Erweiterung der EuGH-Zuständigkeit vor, wonach der EuGH grundsätzlich für alle Bereiche des EU-Rechts zuständig wäre (Art. I-29, III-257, III-347 ff. VE).502 Gestärkt wurde insbesondere der Individualschutz, sodass auch jede natürliche oder juristische Person klagebefugt wäre (III-365 Abs. 5 und 6 VE). Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch die Vorschrift des Art. III-369 UA 4a VE, wonach Haftsachen in kürzester Zeit zu entscheiden sind.503 Infolge der Verschmelzung der bisherigen Säulen wird (nach einer Übergangszeit) eine Erstreckung der EuGH-Konnach dem „Matthews“-Urteil (EGMR, Urteil v. 18. 2. 1999, Appl. Nr. 24833/94, HRLJ 1999, 4 = EuZW 1999, S. 200) EGMR eingeschaltet werden. 498 Dippel, Die Kompetenzabgrenzung in der Rechtsprechung von EGMR und EuGH, S. 226, abrufbar unter: http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/dippel-carsten-2004-06-08/ PDF/Dippel.pdf. 499 So z. B. könnte über eventuelle Streitigkeiten bezüglich der Zulässigkeit von Zwangsmaßnahmen in transnationalen Strafverfahren durch die höchste Instanz der Strafgerichtsbarkeit im Vollstreckungsstaat entschieden werden, mit der Begründung, dass die Rechtsfrage „nicht europäischer sondern nationaler Natur ist“; Kommentierung zu Art. 6, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 15 f. 500 Untersucht wurde die Einführung eines Eilvorlageverfahrens (neuartiges Verfahren, das in seiner ersten Phase nicht die Beteiligung sämtlicher Mitgliedstaaten und der Organe vorsähe) oder eines Verfahren, bei dem strengere praktische Vorschriften gelten würden (Übersetzung nur der Vorlagefragen in sämtliche Sprachen, Festsetzung einer Frist zur Äußerung, die kürzer als im beschleunigten Verfahren ist, Festlegung der maximalen Länge der Erklärungen oder Wegfall von schriftlichen Erklärungen bzw. Schlussanträgen des Generalanwalts); Reflexionspapier zur Behandlung von Vorlagefragen, die den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betreffen v. 25. 9. 2006, abrufbar unter: http://curia.europa.eu/de/instit/txtdocfr/docu ments/06208.pdf.; vgl. auch KOM(2006) 346. 501 Dazu Koncewicz, Sa˛d w Luksemburgu moz˙e odpowiadac´ w trybie pilnym, Rzeczpospolita v. 19. 7. 2008; Dörr, Das beschleunigte Vorabentscheidungsverfahren im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, EuGRZ 2008, S. 349 ff. 502 Auch für Klagen gegen Europol und Eurojust (III-365 Abs. 1 und 5) und Klagen gegen Rechtsakte „der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union mit Rechtswirkung gegenüber Dritten“; vgl. auch Vedder/Heintschel von Heinegg-Kretschmer, Art. III-257, Rn. 12; Albrecht, Europäische Informalisierung des Strafrechts, StV 2001, S. 69 ff.; das Fehlen einer Kontrollinstanz über OLAF und Europol bemängelt auch Fijnaut, Police Co-operation and the Area of Freedom, Security and Justice, in: Walker (Hrsg.), Europes Area of Freedom, Security and Justice, S. 274. 503 Die durchschnittliche Verfahrensdauer vor dem EuGH von 25,5 Monaten (Stand 2003) ist für Strafverfahren unzumutbar; Angaben nach Esser, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 587 m.w.N.

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trolle auf den Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auch unter dem Lissabonner Vertrag erreicht.504 Das Vorabentscheidungsverfahren wird verallgemeinert und erweitert505 und die fakultative Zulassung (Art. 35 V EUV) entfällt.506 Bei inhaftierten Personen muss der EuGH „innerhalb kürzester Zeit“ entscheiden (Art. 267 Abs. 4 AUEV). Eine Einschränkung der Zuständigkeit des EuGH sieht Art. 276 AEUV vor. Nicht zuständig ist der Gerichtshof danach für die Überprüfung der Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Polizei oder anderer Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaats. Ausgenommen ist ebenfalls die etwaige Überprüfung der Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit. Eine bereits erwähnte gerichtliche „Kammer für Freiheit, Sicherheit und Recht“ oder ein auf das Strafrecht spezialisiertes Fachgericht könnten auf Grundlage Art. 257 AEUV gebildet werden.507 Festzuhalten ist, dass trotz bevorstehenden Verbesserungen ein Ausbau von judikativen Kompetenzen zum Rechtsschutz in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen einen unverzichtbaren Schritt auf dem Weg zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts darstellt. 4. Institutionelle Unterstützung der Anerkennungsverfahren Eines der zentralen Reformanliegen seit dem Gipfel von Laeken besteht in der Umgestaltung der Strukturen der Union und der Schaffung von Organen und Einrichtungen, die den Herausforderungen einer Union mit (aktuell) 27 Mitgliedstaaten entsprechen können.508 Zu dem 1995 noch auf Grundlage des Art. K3 gegründeten Europol509 sind 1998 das Europäische Justizielle Netz (EJN),510 1999 die Einrichtung der Europäischen Union zur Betrugsbekämpfung (OLAF)511 und 2002 die Europäische

504 Dazu Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, S. 60; Skouris, Stellung und Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens im europäischen Rechtsschutzsystem, EuGRZ 2008, S. 348. 505 Dazu Skouris, Stellung und Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens im europäischen Rechtsschutzsystem, EuGRZ 2008, S. 348. 506 Hatje/Kindt, Der Vertrag von Lissabon – Europa endlich in guter Verfassung?, NJW 2008, S. 1767. 507 Satzger, Das Strafrecht als Gegenstand europäischer Gesetzgebungstätigkeit, KritV 2008, S. 31; zur Entstehung der „Fachgerichtsbarkeit“ auf Grundlage 225a EGV Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 214. 508 von Bubnoff, Institutionelle Kriminalitätsbekämpfung in der EU, ZEuS 2002, S. 185; vgl. auch Meuters, Leitung und Kontrolle grenzüberschreitender Ermittlungen, S. 64 ff. 509 ABl. EG v. 27. 11. 1995 Nr. C 316, S. 1. 510 Auf Grundlage gemeinsamer Maßnahme 98/428/JI v. 29. 6. 1998, ABl. Nr. L 191 v. 7. 7. 1998, S. 4; vgl. auch Art. 31 Abs. 2 lit. c EUV; überspitzt („old-boys-network“) Ahlbrecht, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 1012., zu Aufgaben Rn. 1099. 511 Beschluss der Kommission v. 28. 4. 1999 zur Errichtung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), ABl. 1999 v. 31. 5. 2009 Nr. L 136, S. 20 ff.

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Stelle für justizielle Zusammenarbeit (Eurojust)512 hinzu gekommen.513 Ein immer wieder aufgegriffener Vorschlag betrifft des Weiteren die Einrichtung einer Europäischen Strafverfolgungsbehörde.514 Die konzeptionelle Gestaltung der auf gegenseitiger Anerkennung basierenden Instrumente wird durch interinstitutionelle Zusammenarbeit mit mehreren Einrichtungen mit beeinflusst.515 Eine der wichtigsten Rollen könnte dabei Eurojust zukommen. Errichtet wurde Eurojust als zentrale europäischen Dokumentations- und Clearinginstitution für die grenzüberschreitende justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen.516 Im Vertrag von Nizza unionsrechtlich verankert517 soll Eurojust mit kooperations-

512 Der Beschluss des Rates (2002/187/JI) v. 28. 2. 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (ABl. Nr. L 63 v. 6. 3. 2002, S. 1) ist am 6. 3. 2002 in Kraft getreten. 513 Das Zusammenwirken der Einrichtungen der dritten Säule wie Europol, EJN und Eurojust geht im Ansatz von Komplementarität aus, Brüner/Spitzer, Der Europäische Staatsanwalt – ein Instrument zur Verbesserung des Schutzes der EU-Finanzen oder ein Beitrag zur Verwirklichung eines Europas der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, NStZ 2002, S. 395 und 397. 514 Dazu bereits Corpus Juris zum Schutz der finanziellen Interessen der EG (vgl. unter § 2 III. 2.); spätere Erwähnungen: strafrechtlicher Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft: das Amt eines europäischen Staatsanwalts, KOM(2000) 608 v. 29. 9. 2000, Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM(2001) 715 v. 11. 12. 2001; Art. III-274 VE; Art. 86 AEUV. 515 Eine Einbindung von europäischen Stellen findet beispielsweise beim Rahmenbeschluss über den EuHb statt; in Art. 16 Abs. 2, 17 Abs. 7 ist die Einschaltung von Eurojust möglich; Art. 10 Abs. 1 sieht die Hilfe der Kontaktstellen des Europäischen Justiziellen Netzes (EJN) vor; nach Art. 10 Abs. 4 können die Ausschreibungen im Schengener Informationssystem (SIS) erfolgen; und Art. 7 Abs. 1 ermöglicht die Einrichtung zentraler Behörden, welche die Vollstreckung eines EuHb praktisch und administrativ unterstützen sollen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 9 EuHbRb). 516 Die Entscheidung über die Notwendigkeit einer Stelle zur Koordinierung von Staatsanwälten, Richtern oder bestimmten von den Mitgliedstaaten entsandten Polizeibeamten fiel bereits während der Ratstagung in Tampere; Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rats von Tampere (15.–16. 10. 1999), abrufbar unter http://europa-eu.int/council/off/ conclu/oct99/oct99_de.htm. 517 Vgl. die Erklärung Nr. 2 zur Schlussakte der Konferenz von Nizza v. 16. 2. 2001, ABl. Nr. C 80, S. 70; nach hinzugefügten Art. 31 Abs. 2 EUV lit. a–c gehören zu den Aufgaben: Koordinierung zwischen den für die Strafverfolgung zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, Unterstützung von Fällen schwerer grenzüberschreitender, organisierter Kriminalität und (zusammen mit dem Europäischen Justiziellen Netz) Erleichterung der Erledigung von Rechtshilfe- und Auslieferungsersuchen; zu den Aufgaben vgl. Mitteilung der Kommission v. 22. 11. 2000, KOM(2000) 746; in Deutschland ist am 18. 5. 2004 das Eurojust-Gesetz (EJG; BGBl I, 902) in Kraft getreten, es regelt die Kompetenzen des deutschen Mitglieds von Eurojust und die Bedingungen des Daten- und Informationsaustauschs deutscher Gerichte und Strafverfolgungsbehörden; dazu Esser/Herbold, Neue Wege für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Das Eurojust-Gesetz, NJW 2004, S. 2422 f.

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rechtlichen und operationellen Fragen des ausländischen Rechts befasst sein.518 Es stellt somit ein justizielles Pendant zu Europol dar,519 das jedoch nicht präventiv sondern unterstützend für die repressive Strafverfolgung tätig ist.520 Der Vertrag von Lissabon ermöglicht den weiteren „Ausbau“ von Eurojust bis hin zur Einsetzung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (vgl. Art. 85 i.V.m. Art. 86 Abs. 1 AEUV). Noch innerhalb der dritten Säule getroffene Änderungen führen u. a. zur Harmonisierung und Stärkung von Befugnissen der nationalen Mitglieder von Eurojust und zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Europäischen Justiziellen Netz (EJN).521 Im Hinblick auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung kann Eurojust zwischen den nationalen Behörden auftretende und einvernehmlich nicht behebbare Hindernisse in der Erledigung von Ersuchen und Entscheidungen melden und das Kollegium um eine unverbindliche Stellungnahme diesbezüglich bitten. Auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit wird dem Kollegium die Möglichkeit eingeräumt, über Kompetenzkonflikte und Rechtsanwendungskonflikte (unverbindlich) zu befinden. Auf diese Weise soll zur Vermeidung des forum shopping sowie zu einer besseren Koordination in früheren Verfahrensstadien beigetragen werden. Diese Entwicklungen korrespondieren in Grundzügen mit Literaturvorschlägen, wonach Eurojust die Übertragung von Strafgewalt koordinieren soll522, gehen aber nicht so weit, dass sie über verbindliche Vorschlagsrechte für gezielte Strafverfolgungsmaßnahmen verfügen könnte.523 Durch eine stärkere Einbindung im Vorverfahren könnte Eurojust auch für einen sachgerechten Ausgleich zwischen polizeilicher und justizieller Rechtshilfe sorgen.524 Sollten die Befugnisse über eine unverbindliche Koordinierung hinaus aus-

518 Pache/Schorkopf, Der Vertrag von Nizza – Institutionelle Reform zur Vorbereitung der Erweiterung, NJW 2001, S. 1377. 519 Zum Verhältnis beider Institutionen Gleß, Europol, NStZ 2001, S. 628; Van den Wyngaert, Eurojust and the European Public Prosecutor in the Corpus Juris Model: Water and Fire?, in: Walker (Hrsg.), Europes Area of Freedom, Security and Justice, S. 206. 520 Esser/Herbold, Neue Wege für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Das Eurojust-Gesetz, NJW 2004, S. 2421. 521 Beschluss 2009/426/JI v. 16. 12. 2008 zur Stärkung von Eurojust und zur Änderung des Beschlusses 2002/187/JI über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, ABl. Nr. L 138 v. 4. 6. 2009, S. 14 ff. 522 Vander Beken/Vermeulen/Lagodny, Kriterien für die jeweils „beste“ Strafgewalt in Europa – Zur Lösung von Strafgewaltskonflikten jenseits eines transnationalen Ne-bis-in-idem, NStZ 2002, S. 627; ähnlich Wolter, Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union, in: Hirsch/Wolter/Brauns (Hrsg.), FS Kohlmann, S. 711. 523 von Bubnoff, Legislative Gestaltung des europäischen Rechtsraums und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten, in: Pache (Hrsg.), Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 119; zu dieser Problematik auch unter § 9. 524 Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rats von Tampere (15.–16. 10. 1999); abrufbar unter: http://europa-eu.int/council/off/conclu/oct99/oct99_de.htm; Vander Beken/Vermeulen/Lagodny: Kriterien für die jeweils „beste“ Strafgewalt in Europa – Zur Lösung von Strafgewaltskonflikten jenseits eines transnationalen Ne-bis-in-idem, NStZ 2002, S. 628.

§ 5 Rahmenbedingungen für die Umsetzung gegenseitiger Anerkennung

143

gebaut werden (die Rechtsgrundlage ist nun in Art. 85 Abs. 2 AEUV), ist an eine Kontrollinstanz für die Entscheidungen von Eurojust zu denken.525 Festzuhalten ist, dass die im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit vorgesehenen Institutionen zur Förderung der Funktionsfähigkeit, Effektivität und Sicherheit auf Anerkennung basierender Vorgänge beitragen können. Bedingung hierfür ist, wie am Beispiel von Eurojust gezeigt, deren weiterer Ausbau und kohärente Kooperation.

III. Die Schutzklausel für Justiz und Inneres Eine „Abhilfemaßnahme“ für Mängel in der Umsetzung oder Anwendung der gegenseitigen Anerkennung in den neuen Mitgliedstaaten könnte in der Schutzklausel für Justiz und Inneres gesehen werden.526 In den Beitrittsabkommen527 wurden eine allgemeine Schutzklausel für die Wirtschaft (Art. 37 der Beitrittsakte), eine spezielle Binnenmarktschutzklausel (Art. 38 der Beitrittsakte) und eine spezielle Schutzklausel für die Bereiche Justiz und Inneres (Art. 39 der Beitrittsakte528) vorgesehen. Die letztgenannte Klausel wurde eingeführt, um gravierende Mängel in der zivil- und strafrechtlichen Zusammenarbeit zu beseitigen und insbesondere die im Besitzstand vorgesehenen einschlägigen Rechte und Pflichten vorübergehend auszusetzen.529 Danach wurde die einseitige Aussetzung der Verpflichtungen der „alten“ Mitgliedstaa525

Eine eigenständige „Eurostrafkammer“ schlägt u. a. Wolter vor, Die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union, in: Hirsch/Wolter/Brauns (Hrsg.), FS Kohlmann, S. 712. 526 Vgl. Pitto, Mutual Trust and Enlargement, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 58 ff. 527 Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge v. 16. 4. 2003, ABl. L 236 v. 23. 9. 2003, S. 1.; Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht v. 25. 4. 2005, ABl. L 157 v. 21. 6. 2005, S. 203 ff. 528 Art. 39 Abs. 1: „Treten bei der Umsetzung, der Durchführung oder der Anwendung von Rahmenbeschlüssen oder anderen einschlägigen Verpflichtungen, Instrumenten der Zusammenarbeit oder Beschlüssen in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung im Bereich des Strafrechts im Rahmen des Titels VI des EU-Vertrags und Richtlinien und Verordnungen in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung im Bereich des Zivilrechts im Rahmen des Titels IV des EG-Vertrags in einem neuen Mitgliedstaat ernste Mängel auf oder besteht die Gefahr ernster Mängel, so kann die Kommission für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren ab dem Inkrafttreten dieser Akte auf begründeten Antrag eines Mitgliedstaats oder auf eigene Initiative und nach Konsultation der Mitgliedstaaten angemessene Maßnahmen treffen und die Bedingungen und Einzelheiten ihrer Anwendung festlegen.“. 529 Mitteilung der Kommission – Umfassender Monitoringbericht der Europäischen Kommission über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens v. 25. 10. 2005, KOM(2005) 534.

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Teil 2: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

ten bei der justiziellen Zusammenarbeit mit dem betreffenden Land bezüglich der gegenseitigen Anerkennung von Rechtsinstrumenten im Bereich des Straf- und des Zivilrechts ermöglicht. Diese Schutzklausel kann binnen 3 Jahre nach dem Beitritt530 geltend gemacht werden, wenn in diesen beiden Bereichen ernste Mängel auftreten oder die Gefahr ernster Mängel besteht.531 Die Grundlagen der ernsten Mängel können im legislativen, exekutiven oder judikativen Bereich liegen. Da darunter nur Mängel höherer Intensität fallen, dürften in der Regel für die Überschreitung der vorausgesetzten Schwelle erst anhaltende und schwerwiegende Verstöße gegen die Umsetzungspflicht oder Fälle, in denen die Entscheidungen eines in Frage kommenden Mitgliedstaates nicht „verkehrsfähig“ sind, ausreichen.532 Aufgrund der Einschränkungen auf eine Gruppe von Mitgliedstaaten, der begrenzten Anwendungsdauer und der oben genannten Anforderungen an die Mängelqualität ist die Bedeutung dieser Schutzklausel für die Kooperationspraxis in Strafsachen und für die Gewährleistung einer EU-weit funktionsfähigen gegenseitigen Anerkennung als gering anzusehen.

IV. Schlussfolgerungen Die bisherige Durchsetzung und Anwendung der gegenseitigen Anerkennung war durch den institutionellen und instrumentellen Rahmen der dritten Säule bedingt. Der im Rahmenbeschlusswege vorangetriebenen Etablierung des Anerkennungskonzepts mangelte es an der primärrechtlichen Verankerung, die Klarheit über dessen Umfang und Grenzen schaffen würde. Der Lissabonner Vertrag beinhaltet entsprechende Regelungen, die diese Kritik weitgehend entschärfen. Abgesehen von der bestehenden Möglichkeit des parlamentarischen Einflusses in den Mitgliedstaaten auf das Stimmverhalten der Regierungsvertreter im Rat sind jedoch neue Regelungen zur Nivellierung des die dritte Säule kennzeichnenden sog. Demokratiedefizits zu begrüßen. Die Gestalt der auf der Anerkennung basierenden Instrumente hängt (unabhängig ob bei Rahmenbeschlussen oder wie bald zu erwarten Richtlinien) von der Umsetzungsqualität in den Mitgliedstaaten ab. Dabei besteht das Risiko, dass aufgrund der Unterschiede in der Transposition in das nationale Recht die Erstreckungswirkung einer ausländischen Entscheidung nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang eintritt. Dies kann sowohl die Rechtstellung der Betroffenen tangieren als auch zur Erschwerung der Zusammenarbeit führen. Durch korrektive Wirkung der unions530 Für die Tschechische Republik, Estland, Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowenien und die Slowakei abgelaufen am 1. 5. 2007; bei Bulgarien und Rumänien anwendbar bis 1.1.2010. 531 Mitteilung der Kommission – Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens v. 26. 9. 2006, KOM(2006) 549. 532 Dazu Zila, Die neuen Schutznormen der Beitrittsabkommen der Europäischen Union, S. 310, 316 ff.

§ 5 Rahmenbedingungen für die Umsetzung gegenseitiger Anerkennung

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rechtskonformen Auslegung wird nur ein Teil der geschilderten Defizite ausgeglichen. Für eine effektive Kontrolle der Umsetzung und eine Anwendung der auf gegenseitiger Anerkennung basierenden Instrumente soll verstärkt die Ausweitung der EuGH-Zuständigkeit verwirklicht werden. Zur besseren Koordination der justiziellen Zusammenarbeit und somit zur Förderung der Funktionsfähigkeit, Effektivität und Sicherheit auf Anerkennung basierender Vorgänge kann eine Stärkung und kohärente Zusammenarbeit weiterer Institutionen, wie am Beispiel von Eurojust gezeigt, beitragen.

Teil 3

Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts Die Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes als Grundlage der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sorgt für andauernde Diskussionen, in denen sowohl einzelne Aspekte des Anerkennungskonzepts als auch die Funktionsfähigkeit des auf jenem aufbauenden Kooperationsmodells in toto in Frage gestellt werden. Im Rahmen der vorliegenden, an eben dieser Kritik orientierten Untersuchung werden in diesem Teil Probleme aufgezeigt, deren Lösung für die Gewährleistung der Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts notwendig erscheint. Dabei wird auf die Problematik der beiderseitigen Strafbarkeit, der Umsetzung des Anerkennungsgrundsatzes und seiner Auswirkung auf die Verfahrensrechte eingegangen. Des Weiteren soll die gegenseitige Anerkennung vor dem Hintergrund des Abbaus der Kompatibilitätsvorbehalte, der Gefahr der Nivellierung der Bürgerrechte auf das jeweils niedrigste Niveau („race to the bottom“), des Risikos einer missbräuchlichen Ausnutzung der Zuständigkeitskonflikte (sog. „forum shopping“) sowie der Problematik der Anerkennungsfähigkeit der Beweismittel und der rechtskräftigen, verfahrensabschließenden Entscheidungen untersucht werden. Als Maßstäbe für die Beurteilung der Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts dienen dabei zum einen die kooperationsrechtliche Praktikabilität, die einerseits anhand bisheriger Rechtsprechung, rechtsvergleichender Studien und Literaturkommentare, andererseits auf Grundlage der im ersten Teil entwickelten Kooperationsmodelle untersucht wird; zum anderen Aspekte, wie die Gewährleistung eines ausreichenden Rechtsschutzes, die Vereinbarkeit mit EU-weit geltenden Rechtsstandards und die Kompatibilität mit den Regelungen in ausgewählten Mitgliedstaaten.

§ 6 Die Rechtsstellung der Betroffenen Die Rechtsstellung der Betroffenen stellt den zentralen Bestandteil des „status europaeus“ des Bürgers dar.1 Gegenseitige Anerkennung ist nur dann „legitim und funktional“2, wenn dieser Status durch gemeinsame Standards für Strafverfahren sowie

1 Jung, Einheit und Vielfalt der Reformen des Strafprozessrechts in Europa, GA 2002, S. 65. 2 Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 210.

§ 6 Die Rechtsstellung der Betroffenen

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grundrechtlichen Begleitung und Kontrolle gewährleistet wird.3 Die Auswirkung des Anerkennungskonzepts auf die Rechtsstellung von Betroffenen gehört zugleich zu den komplexesten und kontroversesten Themenkomplexen. Dies ist einerseits auf den Umfang der bereits eingetretenen und beabsichtigten Reformen justizieller Zusammenarbeit zurückzuführen, die zur Erweiterung ohnehin komplexer Rechtsordnungen auf der EU- und Völkerrechtsebene geführt haben.4 Andererseits wird die Analyse dadurch erschwert, dass angesichts unzähliger Unterschiede und defizitärer Harmonisierung der nationalen Strafrechtsordnungen sich kaum alle auf die Rechtsstellung von Betroffenen einwirkenden Kompatibilitätsprobleme prognostizieren lassen. Trotz dieser Einschränkungen lassen sich anhand bereits geltender oder projektierter Rechtsakte, der Rechtsprechung nationaler Gerichte und des EuGH sowie anhand von Literaturmeinungen Probleme aussondern, deren Einflusspotenzial im Hinblick auf die Rechtsstellung von Betroffenen untersucht werden soll.

I. Problemaufriss Zweifellos gehören das Strafrecht und seine Durchsetzung im Prozessrecht zu den Bereichen staatlichen Handelns, bei denen Grundrechtseingriffe sich am schwerwiegendsten auf die Rechtsstellung des Einzelnen auswirken können.5 Dieselbe Grundrechtssensibilität betrifft auch die internationale Rechtshilfe.6 Vor dem Hintergrund der Übertragung des Anerkennungskonzepts und des Effektivitätsstrebens in der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen wird vermehrt auf eine radikale Verschlechterung der Rechtsstellung von Betroffenen aufmerksam gemacht,7 eine „Perpetuierung von Grundrechtseingriffen“, die „auf der Ebene des materiellen Straf-

3

Streinz/Ohler/Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, § 20, III. 1. Zur Erweiterung von Rechtsschutzsystemen („Interlegalität“) vgl. Vogel, Europäische Kriminalpolitik – europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002, S. 519 ff. 5 Streinz/Ohler/Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, § 20, III. 1. 6 Eine Aufzählung von in Frage kommenden Grundrechtseingriffen (am Beispiel der Auslieferung) stellt Merli vor, Europäischer Haftbefehl und nationales Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 126; in Deutschland gefährdet sind u. a. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG (Vollstreckung des EuHb), 13 GG (Vollstreckung eines Durchsuchungsbeschlusses), Art. 19 GG (Vollstreckung einer Überwachung des Fernmeldeverkehrs), nach Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 125; vgl. auch Peter, Zielkonflikte zwischen Rechtsschutz und Effizienz im Recht der internationalen Amts- und Rechtshilfe, in: Ehrenzeller (Hrsg.), Aktuelle Fragen der internationalen Rechtshilfe, S. 190. 7 Vom „Spagat zwischen der angestrebten Beschleunigung und der Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze“ spricht Böhm, Das neue Europäische Haftbefehlsgesetz, NJW 2006, S. 2593; ähnlich Murschetz, Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und seine Umsetzung im EU-JZG, ÖJZ 2007, S. 100; zu Abwägungsproblemen zwischen Verfahrenseffizienz und Individualrechtsschutz vgl. auch Gleß/Spencer, Effizienz und Individualrechtsschutz im Dreiecksverhältnis der sonstigen Rechtshilfe, StV 2006, S. 273 f. 4

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

rechts und Strafverfahrensrechts eines Mitgliedstaates ausgelöst werden“8, befürchtet und für mehr Klarheit darüber plädiert, welche Grundrechte im multidimensionalen europäischen Rechtsgefüge worauf anwendbar sind.9 Die Frage der Rechtsschutzstandards gewinnt auch vor dem Hintergrund der prophezeiten Preisgabe des Rechtsgüterschutzes durch diejenigen Mitgliedstaaten, welche über den bislang höchsten Standard verfügten (sog. „race to the bottom“), Bedeutung.10 Die Diskussion um die Rechtsstellung von Betroffenen gewinnt schließlich vor dem Hintergrund des gegenseitigen Vertrauens, das dem Anerkennungsprinzip zugrunde liegt, an Bedeutung. Die Frage des ausreichenden Rechtsschutzes wird in diesem Zusammenhang als entscheidend für die Rechtfertigung der auf dem Vertrauen basierenden Zusammenarbeit thematisiert.11 Von entscheidender Bedeutung ist die Frage, welche Justizgrundrechte der Beschuldigte geltend machen kann und welcher Prüfungsumfang dem rechtshilfeleistenden Staat zusteht.12 Um daher zu verifizieren, inwieweit die Befürchtungen „erheblicher Gefahr“13 oder gar „Erosion der Beschuldigtenrechte“14 zutreffen, ist zuerst auf die Rechtsgarantien und -mechanismen einzugehen, über welche die betroffenen Personen auf der nationalen (insbesondere in Deutschland) und internationalen Ebene zur Abwehr von durch justizielle Zusammenarbeit bedingte staatlichen Eingriffe verfügen.

II. (Grund-)Rechtsgarantien in transnationalen Strafverfahren 1. Europaratsebene Bestimmte Standards für Strafverfahren ergeben sich zwar aus dem Völkergewohnheitsrecht15 und dem Völkerrecht16, jedoch – zum Teil schon aufgrund einer feh8

Streinz/Ohler/Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, § 20, III. 1. Vgl. Merli, Europäischer Haftbefehl und nationales Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 126. 10 Vgl. Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 134; Albrecht spricht in diesem Zusammenhang von „Nivellierung der Bürgerrechte auf das jeweils niedrigste Niveau im Querschnitt aller Mitgliedstaaten“, Eine unabhängige Judikative als Gegengewicht zur Erosion europäischer Strafrechtsprinzipien?, KritV 2008, S. 53. 11 Vgl. u. a. Gas, Die Verfassungswidrigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes – gebotener Grundrechtsschutz oder euroskeptische Überfrachtung?, EuR 2006, S. 291. 12 Bezug nehmend auf den EuHb Schulz, Vom Anfang und Ende des Ermittelns – Der legitime Verdacht, StraFo 2003, S. 295. 13 Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 295. 14 Schünemann, Bürgerrechte ernst nehmen bei der Europäisierung des Strafverfahrens!, StV 2003, S. 118; Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 690. 15 Dabei ist beispielsweise an Folterverbot und Verbot der Bestrafung ohne ein Verfahren oder aufgrund eines Scheinverfahrens zu denken; dazu Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 208. 9

§ 6 Die Rechtsstellung der Betroffenen

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lenden Durchsetzungsinstanz17 – fokussiert sich die Aufmerksamkeit im Europaratsraum beim Anerkennungskonzept auf die EMRK.18 Verständlich erscheint dies vor dem Hintergrund, dass die Verfestigung bedeutsamster gemeinsamer Standards auf das Europaratsrecht (EMRK und die von den Mitgliedstaaten ratifizierten Protokolle)19 zurückgeführt werden kann. Dies verwundert aber auf den ersten Blick, da die Union (noch) kein Mitglied der EMRK ist.20 Ohne einen Beitritt der EU zur EMRK kann der EGMR nicht über EU-Rechtsakte entscheiden21 – es gilt lediglich eine „Solange“-ähnliche Vermutung der „EMRK-Konformität“.22 a) Einfluss auf die Mitgliedstaaten Diese Lage entschärft teilweise die Tatsache, dass der EGMR das EU-Recht einer indirekten Prüfung unterziehen kann, indem von den Mitgliedstaaten der EMRK verlangt wird, die Garantien auch auf der EU-Ebene durchzusetzen.23 Die Parteistaaten sind zwar grundsätzlich frei in der Wahl der Kooperationsform und -intensität, müssen aber im Stande sein, den vollen Schutz der EMRK zu garantieren.24 In diesem Zu16

Hier insbesondere aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte v. 19. 12. 1966, dessen Art. 7, 9 und 14 den Art. 3, 5 und 6 EMRK nachgebildet sind. 17 Nach Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 208 f. 18 Vgl. in Bezug auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung: Prävention und Bekämpfung der organisierten Kriminalität – Eine Strategie der Europäischen Union für den Beginn des neuen Jahrtausends, ABl. Nr. C 124 v. 3. 5. 2000, Teil 2, Punkt 33 ff.; Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen, KOM(2003) 688 v. 14. 11. 2003, Rn. 41 ff.; vgl. auch KOM(2003) 75 v. 19. 2. 2003; KOM(2005) 195 v. 19. 5. 2005; KOM(2005) 122 v. 6. 4. 2005. 19 Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 208; für unzureichend hält Murschetz das Harmonisierungsergebnis der EMRK unter Verweis auf den unterschiedlichen Ratifikationsstand der Protokolle und zahlreiche Verurteilungen der Mitgliedstaaten durch EGMR, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 348. 20 Dies trotz einer drei Jahrzehnte umfassenden Diskussionsgeschichte; vgl. das Memorandum der Europäischen Kommission v. 10. 4. 1979, EuGRZ 1979, S. 330. 21 Böse, Der Beitritt der EG zur EMRK aus der Sicht des Strafrechts, ZRP 2001, S. 403; siehe ferner Entschließung des Parlaments v. 13. 3. 1996, EuGRZ 1996, S. 169; dazu auch Gaede, Nullum judicium sine lege, ZStW 2003, S. 850 f. 22 EGMR-Entscheidung v. 30. 6. 2005 (Bosphorus Hava Yollari Turizm vs. Ticaret Anonim Sirketi) = NJW 2006, S. 197; dazu Satzger, Das Strafrecht als Gegenstand europäischer Gesetzgebungstätigkeit, KritV 2008, S. 30. 23 Vgl. EGMR-Entscheidung v. 18. 2. 1999 (Mathews) = EuGRZ 1999, S. 200, zit. nach Hirsch, Bemerkungen zum Schutz der Grundrechte im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ der Europäischen Gemeinschaft, KritV 2006, S. 315; dazu auch Busse, Die Geltung der EMRK für Rechtsakte der EU, NJW 2000, S. 1076 ff. 24 Vgl. EGMR-Entscheidung v. 7. 3. 2000, Nr. 43844/98 (T.I. gegen Vereinigtes Königreich); Smeulers, The position of the individual in international criminal cooperation, in: Vervaele (Hrsg.), European Evidence Warrant, S. 83 f.; Klip, The Decrease of Protection under Human Rights Treaties in International Criminal Law, RIDP Nr. 68/1997, S. 307 ff.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

sammenhang darf aber auch nicht vergessen werden, dass der EGMR keine strafrechtliche Superrevisionsinstanz25 ist. Der gewährleistete Individualrechtsschutz hat einen nachträglichen Charakter und die EGMR-Urteile sind reine Feststellungsurteile die völkerrechtlich inter partes verbindlich sind.26 Sie müssen zwar „völkerrechtlich“ befolgt werden, Art. 41 EMRK sieht aber keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung vor.27 Zu betonen ist schließlich, dass nationale Regelungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Berücksichtigung der EMRK divergieren und nicht frei von Spannungsverhältnissen sind.28 b) Einfluss auf der EU-Ebene Rechtliche Transformation wesentlicher materieller EMRK-Grundsätze „im Sinne einer Selbstverpflichtung“29 ermöglichte Art. 6 Abs. 2 EUV.30 Aufgrund der bisherigen Rechtslage war der Beitritt zur EMRK nicht möglich.31 Nach dem Scheitern des Verfassungsvertrages32 erreicht der Lissabonner Vertrag eine erneute Chance auf Veränderung des status quo. Art. 6 Abs. 2 EUV in der Lissabonner Fassung sieht den Beitritt zur EMRK vor – dazu ist aber ein einstimmiger Beschluss im Rat notwendig (Art. 218 Abs. 8 Unterabs. 2 S. 2 AEUV). Die EMRK hätte den Rang eines internationalen Übereinkommens und stünde zwischen Primärrecht und Sekundärrecht (Art. 216 Abs. 2 AEUV).33 Die Bindung der EU-Organe an die EMRK ergibt sich 25

Jung, Konturen und Perspektiven des europäischen Strafrechts, S. 422. Zur Bindungswirkung der EGMR Urteile vgl. Esser, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 276 ff. 27 Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 211. 28 Vgl. alleine den „Görgülü“-Beschluss des BVerfG (BVerfGE 111, 307) – zur Frage der Berücksichtigung der Menschenrechtskonvention und der Souveränität; dazu Schmahl, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 30 f.; auf einen weiteren Aspekt – die vom EGMR gerügten rechtsstaatlichen Probleme in den Mitgliedstaaten – macht u. a. Merli aufmerksam, Europäischer Haftbefehl und nationales Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 131 m.w.N. 29 Werner, Grenzen und Möglichkeiten europäischer Strafrechtspflege, S. 267. 30 Als möglicher Prüfungsmaßstab für europäische Rechtsakte käme EMRK in Frage, kraft der Verweisung in Art. 6 Abs. 2 EUV und „aus eigenem europäischen Verfassungsrecht“ – so Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/ Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 99 und S. 105; zu Schwierigkeiten des Rekurses auf die EMRK auf der EU-Ebene vgl. Braum, Europäische Strafgesetzlichkeit, S. 167. 31 Zur Verneinung der Kompetenz der EG für einen Beitritt vgl. Gutachten v. 28. 3. 1996, EuGH, Slg. 1996, I-1759 (1788 f.) = EuZW 1996, 307 – Gutachten 2/94. 32 Laut Art. I-9 Abs. 2 sollte die EU der EMRK beitreten, was eine Verpflichtung der EU zur Einhaltung der EMRK-Standards begründen und eine Vereinheitlichung der Rechtsschutzstandards ermöglichen würde. 33 Hatje/Kindt, Der Vertrag von Lissabon – Europa endlich in guter Verfassung?, NJW 2008, S. 1767. 26

§ 6 Die Rechtsstellung der Betroffenen

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bis dahin mittelbar durch die in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Unionsgrundrechte.34 Für Kohärenz im Grundrechtsschutz soll Art. 52 Abs. 3 der Grundrechtecharta sorgen. Zu klären ist in rechtstheoretischer Hinsicht nicht unproblematische Frage der Bindung des EuGH an die Rechtsprechung des EGMR.35 Mit dem Beitritt zur EMRK wird EGMR die oberste Grundrechtsinstanz.36 Der EuGH bemüht sich eventuelle Widersprüche zur EMRK auszuräumen37 und orientiert sich in manchen Urteilen eng an der Rechtsprechung des EGMR.38 In der bereits erwähnten Entscheidung vom 16. Juni 2005 (Pupino) wurde u. a. bestätigt, dass Rahmenbeschlüsse so auszulegen sind, dass Grundrechte Beachtung finden – wobei insbesondere die vom EGMR zu Art. 6 der EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) erfolgte Auslegung berücksichtigt wird.39 Dennoch weist die EuGH-Rechtsprechung grade in strafverfahrensrelevanten Fragen Defizite im Rechtsschutz auf. Diese hätten bei einer stärkeren Einbeziehung der EMRK zumindest teilweise ausgeglichen werden können, noch bevor der EGMR dies beanstanden könnte.40 c) Bedeutung für das Anerkennungskonzept In der Literatur wird verstärkt darauf hingewiesen, dass einen Anlass zur stärkeren Einbeziehung der EMRK auch auf gegenseitiger Anerkennung basierende Instrumente bieten und der Anerkennungsgrundsatz selbst keinen Vorrang vor der Men-

34

Esser, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 42 m.w.N. Zum einen wegen der Präjudizbindung der Union an ein Nicht-Unions-Organ und zum anderen wegen der Bindung an obiter dicta des EGMR; Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 213. 36 Ausführlich Schulte-Herbrüggen, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union nach dem Vertrag von Lissabon, ZEuS 2009, S. 362 f. 37 So hat er u. a. im Fall Krombach gegen Bamberski entschieden, dass die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen unterbleiben soll, wenn die Konventionsgarantien des Angeklagten im Urteilsstaat offensichtlich verletzt wurden. Zum Fall bereits unter § 3 IV.; vgl. auch Werner, Grenzen und Möglichkeiten europäischer Strafrechtspflege, S. 300 m.w.N. 38 U. a. Verfahrensdauer als Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK: EuGH, Slg. 1998, 8417 (8499 ff.) = EuZW 1999, S. 115 ff. (Baustahlgewebe/Kommission); weitere Beispiele Szczekalla, in: Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 2 III, Rn. 33. 39 EuGH-Urteil v. 16. 6. 2005, Rs. C-105/03 (Pupino), Rn. 59; vgl. Bruha, in: Heselhaus/ Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 2 I, Rn 7. 40 Solche Rechtsschutzverkürzungen in ergangener Rechtsprechung des EuGH betreffen u. a. Schutz von Anwaltsbüros als Wohnungen (Slg. 1989, S. 2859, „Hoechts v. Kommission“) oder Selbstbelastungsfreiheit (Slg. 1989, S. 3283, „Orkem v. Kommission“), dazu (mit entsprechenden Parallelen zu der EGMR-Rechtsprechung) Gaede, Nullum judicium sine lege, ZStW 2003, S. 852 m.w.N.; vgl. auch Grabenwarter, in: Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta, B III, Rn. 6 m.w.N.; um solche Unterschiede zu vermeiden, zieht Paeffgen die Vorlagepflicht des EuGH bei Auslegung der Grundrechte in Erwägung, Haus ohne Hüter? Die Justizgrundrechte im Mehr-Ebenen-System vom EG/EU-Vertrag, EMRK und Europäischem Verfassungsvertrags-Entwurf, ZStW 2006, S. 345. 35

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

schenrechtskonvention genießt.41 Alleine beim EuHb sollen demzufolge u. a. das Absehen von der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts,42 unzureichende Berücksichtigung des Rechts auf angemessene Beteiligung und Anhörung,43 Unsicherheit über die Belastbarkeit und Vorhersehbarkeit des ausländischen Verfahrensrechts für die Verteidigung,44 Rückwirkungsbeschränkung45 und Recht auf Berufung46 am Maßstab der EMRK gemessen werden. Zugleich wird es aber als fraglich angesehen, ob der „Mindeststandard“ der EMRK den erhöhten Bedarf an Schutz der Grundrechte im Strafverfahren auf Unionsebene ausreichend decken kann.47 Trotz einer Regelungsdichte, die selbst vor dem Hintergrund nationaler Regelungen im Bereich des Strafprozessrechts als hoch eingeschätzt wird,48 lässt die Reichweite der EMRK-Garantien Wünsche offen. Es mangelt u. a. an Standards für die Verwertung konventionswidrig erlangter Beweise, expliziten Regelungen der Strafverteidigung als Institution und spezifischen Verteidigerrechten, wie etwa das Recht auf Akteneinsicht.49 Vermisst werden 41 Vgl. Böse in der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG bezüglich des EuHgG, gestützt auf Art. 1 Abs. 3 des EuHbRb, Wortlautprotokoll abgedruckt bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 204. 42 Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 113; differenzierter zur Notwendigkeit der Tatverdachtsprüfung Werner, Grenzen und Möglichkeiten europäischer Strafrechtspflege, S. 194 f.; dazu auch unter § 8 VI. 1. 43 Vermisst wurde eine entsprechende ausdrückliche Regelung im Rahmenbeschluss über den EuHb und im Hinblick auf Abwesenheitsurteile betont, dass reines Antragsrecht nach Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 EuHbRb (a.F.) nicht der Anforderung des Art. 6 Abs. 1 EMRK entspreche, da nach der EGMR-Rechtsprechung ein neues Verfahren notwendig ist, Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 113, 116; zu aktuellen Entwicklungen im Hinblick auf diese Problematik der Abwesenheitsurteile vgl. unter § 11 IV. 44 Vgl. Gaede, Nullum judicium sine lege, ZStW 2003, S. 870 f. 45 Dies im Hinblick auf den Verzicht auf die in Art. 32 EuHbRb vorgesehene Möglichkeit einer Erklärung, dass Handlungen, die vor dem Rahmenbeschluss über den EuHb begangen wurden, im Rahmen geltender Auslieferungsverträge behandeln werden; von einer solchen Erklärung hat Deutschland, um die Auslieferung von deutschen Kriegsverbrechern an Italien nicht auszuschließen, abgesehen; dazu auch unter § 8 VI. 2. 46 So im Hinblick auf Art. 2 Protokoll Nr. 7 Guild, Crime and the EUs Constitutional Future in an Area of Freedom, Security, and Justice, ELJ Nr. 10/2004, S. 226. 47 Kritisch u. a. Schünemann, Bürgerrechte ernst nehmen bei der Europäisierung des Strafverfahrens!, StV 2003, S. 121 f.; Satzger, Gefahren für eine effektive Verteidigung im geplanten europäischen Verfahrensrecht, StV 2003, S. 139; Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 746; vgl. aber Gaede, Nullum judicium sine lege, ZStW 2003, S. 861 f. 48 Vgl. Werner, Grenzen und Möglichkeiten europäischer Strafrechtspflege, S. 277. 49 Dabei wird zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Ableitung auf der Grundlage von Generalklauseln wie Art. 6 Abs. 1 EMRK vom EGMR nicht immer möglich ist; so Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 211.

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schließlich konkrete Verfahrensanforderungen für einzelne Ermittlungsmaßnahmen und effektivere Durchsetzungsmechanismen.50 d) Stellungnahme Festzuhalten ist zuerst, dass die Rolle von EMRK-Standards im Anerkennungskonzept nicht unterschätzt werden darf.51 Die vom EGMR herausgearbeiteten Grundsätze, sei es nur als Auslegungshilfe, tragen zur Etablierung von Mindeststandards bei. Daher wird zu Recht dem System des Menschenrechtsschutzes des Europarates die Funktion eines „Katalysators“ in dem Prozess der Europäisierung des Strafrechts zugeschrieben.52 Dies bestätigt auch eine grundsätzlich anhaltende Tendenz zur Anerkennung und Beachtung von EMRK-Standards über Art. 6 Abs. 2 EUV in der Rechtsprechung des EuGH.53 Eine noch stärkere Einbeziehung dieser Standards im Anerkennungskonzept wird in der Literatur insbesondere beim EuHb diskutiert. Aus der Tatsache, dass der Auslieferung ein Exekutivakt, aber der Übergabe ein Justizakt zugrunde liegt, wird z. T. auf die Anwendbarkeit von besonderen Garantien eines Untersuchungsgefangenen (5 Abs. 1 lit. f EMRK) geschlossen.54 Große Bedeutung wird zu Recht den in Art. 6 EMRK niedergelegten Verfahrensgarantien beigemessen.55 Ihre Anwendbarkeit könnte mithilfe eines „Prinzips der transnationalen Verfahrenseinheit“56 begründet werden, wonach dem Vollstreckungsstaat die in 50

Dazu Abetz, Justizgrundrechte in der Europäischen Union, S. 302. Vgl. Vogler, Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats, Jura 1992, S. 586 ff.; Waltos´/Wa˛sek, Harmonizacja prawa karnego w Europie z polskiej perspektywy, Palestra Nr. 11 – 12/1996, S. 14 f.; Pradel, Wege zur Schaffung eines einheitlichen Europäischen Rechtsraums, in: Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, S. 59 f.; Weyembergh, La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnales entre les Etats membres de lUnion europenne: mise en perspective, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnales dans lUE, S. 28. 52 Hecker, Europäisches Strafrecht, § 3, Rn. 20. 53 Vgl. Hilf, Europäische Union und Europäische Menschenrechtskonvention, in: Beyerlin (Hrsg.), FS Bernhardt, S. 1193 m.w.N. 54 Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 111 f.; Esser, Die Europäische Menschenrechtskonvention als „zweiter Rahmen“ der Auslieferung in Europa, ERA-Forum 4/2003, S. 82; vgl. Jeker, Der Europäische Haftbefehl aus der Sicht der Verteidigungsrechte, in: Baudenbacher (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen des Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrechts, S. 192.; a. A. hinsichtlich der menschenrechtlichen Belange beim EuHb vertritt Lagodny, Die Umsetzung der materiellen Übergabe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen und der Verfahrensregelungen in den Mitgliedsstaaten im Überblick, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 144; kritisch auch Grützner/Pötz/ Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 21 m.w.N. 55 Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 314; Grützner/Pötz/KreßBöse, Vor § 78, Rn. 22 m.w.N. 56 Schomburg, Die Rolle des Individuums in der internationalen Kooperation in Strafsachen, StV 1998, S. 153. 51

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dem Ausstellungsstaat getroffenen Strafverfolgungsmaßnahmen zugerechnet werden könnten.57 Zunächst ist aber festzuhalten, dass EMRK-Standards nur teilweise den Bedürfnissen der Grundrechtswahrung und des Schutzes vor der Missachtung der Beschuldigtenrechte im Anerkennungsmodell gerecht werden. Obwohl die Strahlwirkung der EMRK auf die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen sowohl durch die Rechtsprechung des EGMR als auch dessen Berücksichtigung in der Rechtsprechung des EuGH und nationaler Gerichte erfolgt, kann darauf kein uneingeschränktes Vertrauen gestützt werden.58 Dies auch vor dem Hintergrund, dass dem aktuell zu Recht als zu wenig wirksam59 und zu langsam empfundenen60 Schutz des EGMR lediglich eine subsidiäre Bedeutung zukommt.61 Aus oben geschilderten Gründen (insbesondere Umfangs- und Geltungsfragen) ist daher insbesondere an genuin europäische Regelungen zu denken, durch die zum einen ausgeschlossen wird, dass die Standards der EMRK unterschritten werden und zum anderen die Anwendung gegenseitiger Anerkennung über die EMRK-Standards hinaus durch Stärkung der Rechte von Beschuldigten und Angeklagten abgesichert werden könnte.62 2. EU-Recht-Ebene Eine Relevanz für die Rechtsstellung von Individuen weisen im EU-recht sowohl primärrechtliche als auch sekundärrechtliche Rechtsakte auf.63 Es dürfte kein Zweifel 57

Esser, Die Europäische Menschenrechtskonvention als „zweiter Rahmen“ der Auslieferung in Europa, ERA-Forum 4/2003, S. 85. 58 Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 746. 59 Vor diesem Hintergrund halten Vogel/Matt „EU-Standards“ für besser durchsetzbar; nicht ohne Bedeutung ist dabei, dass die Möglichkeit der Überprüfung vom EuGH während laufender Verfahren besteht, sowie die Veröffentlichung der Urteile in allen EU-Sprachen, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 211 f. 60 Obwohl der Gerichtshof zwischen 1999 und 2004 mehr als zehnfach so viele Urteile gefällt hat als in den davor liegenden fünf Jahren, lag am 1. 1. 2008 die Zahl der anhängigen Individualbeschwerden bei 103 850, zit. nach Esser, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 15; vgl. auch Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 296 m.w.N. 61 Vgl. Merli, Europäischer Haftbefehl und nationales Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 138. 62 Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 213; Brants, Procedural safeguards in the European Union: Too little, too late?, in: Vervaele (Hrsg.), European Evidence Warrant, S. 106; vgl. Wasmeier, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in der Praxis, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 61 f.; ähnlich Militello, Der Alternativ-Entwurf Europäische Strafverfolgung: ein Januskopf, ZStW 2004, S. 436. 63 Art. 54 SDÜ, Rahmenbeschluss über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, Charta der Grundrechte (Kapitel VI via Art. 6 Abs. 2 EUV vom EuGH in die Rechtsprechung eingebunden) und vereinheitlichende Rechtsprechung des EuGH; mittelbar werden gemeinsame Standards durch Rahmenbeschlüsse (z. B. ne bis in idem Art. 3 Nr. 2, Art. 4 Nrn. 2 und 3

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bestehen, dass die Umsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten grundrechtsgebunden ist64 und sekundärrechtlich verankerte grundrechtsrelevante Garantien beachten muss.65 Im Einklang mit den Grundrechten muss auch das umgesetzte Recht interpretiert werden und zwar noch bevor eine unionsrechts- oder rahmenbeschlusskonforme Auslegung erfolgt.66 a) Der Grundrechtsschutz Für den Grundrechtsschutz auf der EU-Ebene ist zuerst Art. 6 Abs. 1 EUV (nun vgl. Art. 2 und Art. 6 EUV in der Fassung des Lissabonner Vertrages) maßgeblich, wonach die Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit beruht.67 Dem Wortlaut der Verträge ließ sich auch vor der Aufhebung der Säulenstruktur durch den Lissabonner Vertrag keine Differenzierung in der Grundrechtsbindung „der Union“ entnehmen.68 Die „Dachfunktion“ des Art. 6 Abs. 2 EUV und die dem EuGH nach Art. 35 EUV eingeräumte Zuständigkeit ermöglichten die Geltung der Grundrechte und der im EGV verankerten Rechte69 sowie die Übertragbarkeit der vom EuGH entwickelten Grundsätze70 im Unionsrecht.71 Festzuhalten ist, dass, ab-

EuHbRb) etabliert; nach Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 210. 64 Ausführlich Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, S. 153 ff.; vgl. auch Egger, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte in der III. Säule, EuZW 2005, S. 652 ff. 65 Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 26. 66 Daraus wird z. T. ein „indirekter Anwendungsvorrang des Unionsrechts der dritten Säule“ und eine Sperrwirkung für nationale Grundrechte, soweit eine Vorschrift durch den Rahmenbeschluss vollständig und ohne jeden Gestaltungsspielraum determiniert wird, abgeleitet, so: Schmahl, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 21 f.; differenzierter in Bezug auf die Grundrechtsbindung Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, S. 160 f. 67 Zur umstrittenen Terminologie und zu Abgrenzungsfragen zu Menschenrechten, Grundfreiheiten und rechtsstaatlichen Grundsätzen vgl. Pache, in: Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 4, Rn. 28 ff. 68 Vgl. Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 26 m.w.N.; Art. 3 Abs. 1 EUV könnte hierzu als Bestätigung herangezogen werden, so IRG-Kommentar-Gleß, Vor III, Rn. 91. 69 Wie die Diskriminierung nach der Staatsbürgerschaft oder dem Geschlecht, was Art. 47 EUV, wonach das Unionsrecht das Gemeinschaftsrecht nicht berühren darf, bestätigt; nach Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, S. 162. 70 Vgl. EuGH-Urteil v. 27. 2. 2007, Rs. C-354/04 P (Gestoras Pro Amnista), Rn. 51; vgl. auch Egger, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte in der III. Säule, EuZW 2005, S. 655.

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gesehen von den geschilderten Einschränkungen in der Kontrollkompetenzbreite72, die EuGH-Kompetenzen nach Art. 46 lit. b i.V.m. Art. 35 EUV erstmal als mit dem EGV vergleichbar „tief“ angesehen werden konnten.73 Dieses Ergebnis der Grundrechtswirkung bestätigte der EuGH in der Rechtssache „Pupino“ mit dem Hinweis, dass die im Rahmen der PJZS erlassenen Rahmenbeschlüsse im Lichte der in Art. 6 Abs. 2 EUV genannten Grundrechte auszulegen sind.74 Mit Ausnahme von partiellen Regelungen in einzelnen Politikbereichen (z. B. Diskriminierungsverbot in Art. 12, 13, 141 EGV – nun entsprechend Art. 18, 19, 157 AEUV) wurde der Grundrechtsschutz bis dato durch das „Richterrecht“ des EuGH etabliert.75 Mit sukzessiver Anerkennung von Grundrechten76 als allgemeine Gemeinschaftsgrundsätze sollte ein grundrechtsfreier Raum des Unionsrechts vermieden werden.77 Abgesehen vom eigenständigen Katalog der Grundrechtscharta, kommen als Quelle der innerhalb der EU zu achtenden Grundrechte die EMRK und die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten in Frage (vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV in der Fassung des Lissabonner Vertrages). Obwohl die bisherige Entwicklung der Grundrechte vom EuGH recht eindrucksvoll ist78, werden gerade in Bezug auf die Anwendung der gegenseitigen Anerkennung präzisere Garantien

71 Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 21 f; umstritten ist jedoch, ob Art. 6 Abs. 2 als richterlicher Prüfungsmaßstab durch Art. 46 lit. d EUV „aktiviert“ wird (so: Calliess/ Ruffert-Cremer, Art. 46, Rn. 8; ähnlich Sauerbier/Schütz, Die Jurisdiktion des EuGH im Unionsrecht, JuS 2002, S. 662) bzw. die Befugnis zur Kontrolle am Maßstab des gesamten EURechts bereits durch Art. 35 EUV begründet wird (Pechstein, Die Justitiabilität des Unionsrechts, EuR 1999, S. 13). 72 Dazu unter § 5 II. 3. 73 Schmahl, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 19. 74 EuGH-Urteil v. 16. 6. 2005, Rs. C-105/03 (Pupino), Rn. 59; vgl. Bruha, in: Heselhaus/ Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 2 I, Rn 7; im Urteil „Advocaten voor de Wereld“ bejahte der EuGH, dass die Zuständigkeit sich auf die Befugnis erstreckt, Bestimmungen des Unionsprimärrechts auszulegen, um über die Gültigkeit und Auslegung von Sekundärrechtsakten zu entscheiden, EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007, Rs. C-303/05, Rn. 18. 75 Geiger, EU/EGV-Kommentar, Art. 6, Rn. 7; Werner bezeichnet die Rechtsprechung des EuGH als „Transmissionsriemen zwischen Geltungsanspruch und Wirksamkeit“, Grenzen und Möglichkeiten europäischer Strafrechtspflege, S. 264. 76 Zur Entwicklungschronologie vgl. Schmahl, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 8 ff. m.w.N. 77 Als Ziel nennt Lindner „grundrechtliche Bändigung der Gemeinschaftsgewalt“, Fortschritte und Defizite im EU-Grundrechtsschutz – Plädoyer für eine Optimierung der Europäischen Grundrechtecharta, ZRP 2007, S. 55. 78 Für den Bereich der Justizgrundrechte (Rechtsweggarantie, Rechtliches Gehör, Schutz vor überlanger Verfahrensdauer, Unschuldvermutung, das Verbot der Doppelbestrafung, nulla poena sine lege und Rückwirkungsverbot) vgl. Abetz, Justizgrundrechte in der Europäischen Union, S. 73 ff.

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zum Strafverfahrensrecht und eventuell auch zum Strafvollzug vermisst.79 Nicht unbedenklich ist auch die Art und Weise des Grundrechtsschutzes durch den EuGH. Dies zum einen unter dem Aspekt der Rechtssicherheit, da, wie oben erwähnt, der EuGH zuerst das zu prüfende Grundrecht „finden“ und ausgestalten muss.80 Zum anderen sind solche ungeschriebenen Grundrechte wenig „sichtbar“, was Bedenken hinsichtlich der Grundprinzipien der Transparenz und Bürgernähe erweckt.81 Eine entscheidende Neuerung bringt in diesem Zusammenhang der Lissabonner Vertrag, wonach die in der Charta der Grundrechte verankerten Rechte anerkannt werden.82 Anzumerken ist, dass nach der bisherigen Rechtslage lediglich von „Vorwirkungen“83 dieses Dokuments gesprochen werden konnte.84 Der EuGH hielt an der mangelnden unmittelbaren Rechtsverbindlichkeit der Charta grundsätzlich fest,85 maß ihr gleichwohl eine mittelbare Rechtserheblichkeit bei. Ob mit der Anerkennung der in der Grundrechtscharta verbürgten Rechte alle Defizite des Grundrechtsschutzes auf der Unionsebene ausgegliechen wurden, ist zu bezweifeln. Zum einen geht die Charta im Bereich der justiziellen Rechte materiell nicht über EMRK-Garantien hinaus (als eine Ausnahme gilt ne bis in idem).86 Das Heranziehen allgemeiner Rechtsgrundsätze der Union um ggf. effektiveren Grundrechtsschutz zu gewährleisten wird

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Pernice, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes – Europäische Justizpolitik im Lichte von Pupino und Darkanzali, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, FS Meyer, S. 376; Lösung durch Rückgriff auf die EMRK und die mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen zieht in Erwägung Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 28. 80 Zur Forderung nach „mehr Berechenbarkeit“ vgl. Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 23, Rn. 44. 81 Calliess/Ruffert-Calliess, Art. 1 GrCh, Rn. 5; ähnlich Ritgen, Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, ZRP 2000, S. 373; Paeffgen, Haus ohne Hüter? Die Justizgrundrechte im Mehr-Ebenen-System von EG/EU-Vertrag, EMRK und Europäischem VerfassungsvertragsEntwurf, ZStW 2006, S. 316. 82 Art. 6 Abs. 1 UA 1 EUV in der Lissabonner Fassung. 83 Bezug auf die Grundrechtscharta wurde u. a. in der Rechtsprechung des EuG, in Plädoyers der Generalanwälte beim EuGH und von einigen mitgliedstaatlichen Verfassungs- oder Verwaltungsgerichten genommen; nach Lindner, Grundrechtsschutz gegen gemeinschaftsrechtliche Öffnungsklauseln – zugleich ein Beitrag zum Anwendungsbereich der EU-Grundrechte, EuZW 2007, S. 71 m.w.N. 84 Vom sog. „soft law“ spricht in diesem Zusammenhang Alber, in: Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta, Vor Art. 47, Rn. 9. 85 Zur teilweisen Aufgabe dieser höchstrichterlichen Zurückhaltung vgl. EuGH-Urteil v. 27. 6. 2006, C-540/04; dazu Lindner, Grundrechtsschutz gegen gemeinschaftsrechtliche Öffnungsklauseln – zugleich ein Beitrag zum Anwendungsbereich der EU-Grundrechte, EuZW 2007, S. 71 m.w.N. 86 Alber, in: Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta, Vor Art. 47, Rn. 7.

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dabei durch die Stellung der Grundrechtscharta als Grundrechtsquelle erschwert.87 Zum anderen mangelt es, trotz Aufnahme des Rechtes auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Art. 47) im Kapitel VI. („justizielle Rechte“), an einer Individualbeschwerde.88 b) Auswirkung auf die Betroffenen Umstritten ist, inwieweit die festgestellte Grundrechtsbindung die Rechtsstellung von Betroffenen verbessert und somit die Kritik am Anerkennungsgrundsatz (z. B. im Hinblick auf den Vorwurf der „Perpetuierung der Grundrechtseingriffe“89) entschärft. Eine Grundrechtskontrolle erfasst zwar Maßnahmen, mit denen die gegenseitige Anerkennung durchgesetzt wird, es wird allerdings kein neues Verfahren zur Geltendmachung von Grundrechtsverstößen vorgesehen.90 Während der Übergangszeit (vgl. Art. 10 des Protokolls über die Übergangsbestimmungen) kann der Grundrechtsschutz bei bereits bestehenden Rechtsakten aufgrund der mehrfachen Einschränkungen in der Nichtigkeitsklage91 grundsätzlich nur über das Vorabentscheidungsverfahren in die Interpretation verfahrensrechtlicher Mindestgarantien eingebunden werden.92 Ob das teiloffene Rechtsschutzsystem93 und der Grundrechtsschutz

87 Dazu Schulte-Herbrüggen, Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union nach dem Vertrag von Lissabon, ZEuS 2009, S. 353 f. 88 Lindner, Fortschritte und Defizite im EU-Grundrechtsschutz – Plädoyer für eine Optimierung der Europäischen Grundrechtecharta, ZRP 2007, S. 56 f.; Paeffgen, Haus ohne Hüter? Die Justizgrundrechte im Mehr-Ebenen-System von EG/EU-Vertrag, EMRK und Europäischem Verfassungsvertrags-Entwurf, ZStW 2006, S. 310 ff.; zu der Begründung des Verzichts auf eine ausdrückliche Klagebefugnis (Notwendigkeit einer Ergänzung zu Bestimmungen des Art. 230 EGV, ungeklärten Fragen des Verhältnisses zu anderen Gerichtsbarkeiten sowie Mehrbelastung des EuGH) vgl. Alber, in: Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta, Art. 47, Rn. 36. 89 Streinz/Ohler/Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, § 20, III. 1. 90 von der Groeben/Schwarze-Krück, Art. 46, Rn. 15; vgl. auch v. Danwitz, Aktuelle Fragen der Grundrechte, des Umwelt- und Rechtsschutzes in der Europäischen Union, DVBl 2008, S. 537; Sauerbier/Schütz, Die Jurisdiktion des EuGH im Unionsrecht, JuS 2002, S. 662. 91 Dazu unter § 5 II. 3. 92 Das mitgliedstaatliche Recht kann diesen Grundrechtsschutz fördern, indem z. B. kraft verfassungsrechtlicher Anordnung Vorrang des Völkerrechts angeordnet wird (wie in Art. 94 der niederländischen Verfassung), nach Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 27; vgl. Rudolf/Giese, Ein EU-Rahmenbeschluss über die Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren?, ZRP 2007, S. 115. 93 Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 21; im Ergebnis ähnlich Ziegenhahn, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, S. 267.

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durch Vorlagefrage ausreicht, ist fraglich.94 Einerseits liegt die Aktivierung des Rechtsschutzes grundsätzlich bei den Gerichten in den Mitgliedstaaten, welche die EuGH-Zuständigkeit anerkannt haben. Andererseits sind die von einem Vorabentscheidungsurteil ausgehenden Wirkungen nicht gesichert.95 Dabei ist zu beachten, dass Grundrechte ein unverzichtbares Element im System effektiven Grundrechtsschutzes in Europa sind. Die Qualität des von einer Grundrechtsordnung verbürgten Grundrechtsschutzes ist aber nicht nur materiell am Umfang des Schutzbereichs der Grundrechte oder am Ausmaß ihrer Einschränkbarkeit zu messen. In die Gesamtbeurteilung soll die Möglichkeit, Grundrechtsverletzungen gerichtlich geltend zu machen, einfließen,96 denn für die Wirksamkeit der Grundrechte ist die tatsächliche Intensität des Grundrechtsschutzes entscheidend.97 Spätestens an diesem Punkt ist das Verhältnis zwischen der zunehmenden Eingriffsintensität und dem gewährten Rechtsschutz nicht mehr ausgewogen.98 In Anlehnung an die Konzepte zur Rechtsstellung des Individuums99 liegt der Schluss nahe, dass aufgrund der mangelnden Möglichkeit, eine Grundrechtsverletzung geltend zu machen („und zwar im Sinne eines grundrechtlichen Anspruchs auf Überprüfung des in Frage stehenden Rechtsakts am Maßstab der jeweils einschlägigen Grundrechtsordnung sowie gegebenenfalls auf Aufhebung dieses Rechtsakts“100), der Grundrechtsschutz auf der EU-Ebene zweidimensional ausfällt.101

94 Vgl. aber Gas, Die Verfassungswidrigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes – gebotener Grundrechtsschutz oder euroskeptische Überfrachtung?, EuR 2006, S. 291. 95 Schmahl, Der Europäische Haftbefehl vor dem EuGH: Des Rechtsstreits letzter Teil?, DVBl 2007, S. 1468. 96 Lindner erwähnt in diesem Zusammenhang Popularklage gegen grundrechtsverletzende Rechtssätze, Verfassungsbeschwerde gegen grundrechtsverletzende Einzelakte oder Rechtssätze (z. B. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG), und Individualbeschwerde zum EGMR (Art. 34 EMRK), Fortschritte und Defizite im EU-Grundrechtsschutz – Plädoyer für eine Optimierung der Europäischen Grundrechtecharta, ZRP 2007, S. 56 f. 97 Ritgen, Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, ZRP 2000, S. 372; zum effektiven Grundrechtsschutz als ein wesentliches Element des Grundrechts selbst vgl. BverfGE 24, 367, 401 (Hamburgisches Deichordnungsgesetz). 98 Abetz, Justizgrundrechte in der Europäischen Union, S. 104; ähnlich Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 85 f. 99 Dazu unter § 6 I. 3. a). 100 Lindner, Fortschritte und Defizite im EU-Grundrechtsschutz – Plädoyer für eine Optimierung der Europäischen Grundrechtecharta, ZRP 2007, S. 56 f.; vgl. Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 85. 101 Werner spricht in diesem Zusammenhang von ausschließlich „menschenvölkerrechtliche(n), Staatspflichten“, die zwar inter partes und erga omnes aber nicht gegenüber dem Individuum wirken, und kommt zum Schluss, dass EU-Grundrechte keine Subjektstellung von Betroffenen begründen, Grenzen und Möglichkeiten europäischer Strafrechtspflege, S. 268; vgl. Knapp, Die Garantie des effektiven Rechtsschutzes durch den EuGH im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, DÖV 2001, S. 18.

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c) Effektive Verteidigung Die bereits an mehreren Stellen angedeutete Kritik betont die Gefahr für eine effektive Verteidigung,102 die angesichts der Veränderungen in der justiziellen Zusammenarbeit vor neue Probleme gestellt wurde.103 Abgesehen von sprachlichen Barrieren werden Strafverteidiger mit offensichtlichen Hindernissen wie Rechtsunterschieden104 sowie divergierenden Standards im Hinblick auf die Rechtsstellung des Verteidigers105 und Unterschieden in der Ausgestaltung des Strafverfahrens106 konfrontiert. Die Gegenseitige Anerkennung verschlechtert die Lage insoweit, dass der Betroffene gegen eine Maßnahme im Vollstreckungsstaat vorgehen muss, deren Überprüfbarkeit aufgrund der Anerkennungspflicht eingeschränkt ist, und erst nachträglich im Anordnungsstaat gegen die Anordnung ankämpfen kann, deren Rechtswidrigkeit der Vollstreckung die Grundlage entziehen würde.107 Zusätzlich werden durch gegenseitige Anerkennung grenzüberschreitende Ermittlungen vereinfacht und beschleunigt.108 Verständlich erscheint daher die Schlussfolgerung von Juppe, dass „dem europaweiten Raum einer einheitlichen Strafverfolgung (…) bei weitem kein europaweiter Raum der Strafverteidigung gegenüber [steht]“.109 Trotz Garantie des Art. 6 EMRK110 sind die Vorschläge zu begrüßen, die auf die Nivellierung der Defizite in der Strafverteidigung in transnationalen Strafverfahren ge-

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Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 129. Vortrag von Esser während des Kolloquiums „Strafverteidigung in Europa“ (Universität des Saarlandes, 30. 1. 2004), nach Nitschmann, Strafverteidigung in Europa – Ein Tagungsbericht, GA 2004, S. 663. 104 Dazu Demenko, Vorschläge zur Kooperation im Bereich der Verteidigung und Rechtsbewahrung in einem international geführten Strafverfahren, in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Europäisierung des Strafrechts in Polen und Deutschland – rechtsstaatliche Grundlagen, S. 222 ff.; vgl. auch Delgado Martn, Reflexiones sobre el papel del juez en la Construccin del espacio judicial europeo, in: Moreno/Arroyo Zapatero (Hrsg.), La prueba en el espacio europeo de libertad, seguridad y justicia penal, S. 41. 105 Dies in Bezug auf den unterschiedlich schnellen Zugang zum inhaftierten Mandanten (z. B. in England 36 Stunden, Niederlande bis zu sechs Tage), unterschiedlichen Schutz des Vertrauensverhältnisses (Möglichkeit der Überwachung von Telefongesprächen zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger, Durchsuchungen von Kanzleien), dazu Weigend, „Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen“ Bericht über ein rechtsvergleichendes Forschungsprojekt, in: Nelles/Vormbaum (Hrsg.), Strafverteidigung in Forschung und Praxis, S. 16. 106 Z. B. traditionell common law: England und Wales, USA; traditionell inquisitorisch: Niederlande und Spanien, Weigend, „Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen“ Bericht über ein rechtsvergleichendes Forschungsprojekt, in: Nelles/Vormbaum (Hrsg.), Strafverteidigung in Forschung und Praxis, S. 16. 107 Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 129 m.w.N. 108 Nestler, Europäische Verteidigung bei transnationalen Strafverfahren, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 167. 109 Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 129. 110 Dazu Gaede, Nullum judicium sine lege, ZStW 2003, S. 868 f. 103

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richtet sind.111 Notwendig erscheinen auch Maßnahmen für einen besseren Informationszugang, darunter auch zu ausländischen Vorschriften, deren Kenntnisse für Verteidiger in transnationalen Strafverfahren (wie z. B. Fristenregelung oder Ausgestaltung bestimmter Verfahrensrechte) unabdingbar sind,112 sowie Schulungen hinsichtlich neuer Rechtsinstrumente.113 Zu Recht wird aber auch darauf hingewiesen, dass selbst gegenseitige Anerkennung konsequenterweise dazu führen soll, dass ausländische Verteidiger den inländischen in rechtlicher und praktischer Hinsicht gleichgestellt werden sollen.114 d) Ausblick Einige Rechtsschutzlücken könnten durch entsprechende sekundärrechtliche Unionsrechtsakte geschlossen werden.115 So sah bereits das Haager Programm samt einschlägigem Aktionsplan116 eine Fortentwicklung im Bereich der Wahrung und Förderung von Grundrechten in allen Tätigkeitsbereichen, die Entwicklung gleicher Standards für Verfahrensrechte in Strafverfahren und die Aufstellung von Mindestregeln bezüglich bestimmter Verfahrensaspekte vor. Eine Rechtsgrundlage für z. T. bereits ausgearbeitete Vorschläge zu Verfahrensgarantien117 sieht Art. 82 Abs. 2 b AEUV (Richtlinien zu Mindestvorschriften über die Rechte des einzelnen im Strafverfahren118) vor. Diese Vorschrift ersetzt die missglückte Formulierung in Art. 31

111 U. a. durch Vermittlung und Herstellung von Kontakten zwischen Verteidigern, Koordination der Zusammenarbeit der Verteidiger sowie Vermittlung des notwendigen Wissens, dazu Szwarc, Eurodefensor – Unterstützung der Verteidigung, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 186 f. 112 Lagodny, Die Umsetzung der materiellen Übergabe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen und der Verfahrensregelungen in den Mitgliedsstaaten im Überblick, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 149. 113 Vernimmen-Van Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 15 m.w.N. 114 Vogel, Die Zukunft der europäischen Integration auf dem Gebiet der Strafrechtspflege, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 130. 115 Vgl. Rudolf/Giese, Ein EU-Rahmenbeschluss über die Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren?, ZRP 2007, S. 114; Pernice, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes – Europäische Justizpolitik im Lichte von Pupino und Darkanzali, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, FS Meyer, S. 376. 116 Vgl. Nr. II. 2. und Nr. III. 3. 3. 1.f. des Haager Programms; ABl. EU Nr. C 198 v. 2005, S. 1. 117 Insbesondere der Vorschlag eines Rahmenbeschlusses über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren v. 28. 4. 2004, KOM(2004) 328; von „ehrgeizigen Projekten“ spricht in diesem Zusammenhang Pernice, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes – Europäische Justizpolitik im Lichte von Pupino und Darkanzali, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, FS Meyer, S. 381. 118 „Silberstreifen am Horizont“, – so Schünemann, Ewigkeitsgarantien im europäischen Strafrecht – Ein Appell an die deutsche Volksvertretung, KritV 2008, S. 15; vgl. auch Art. II-270 Abs. 2 VE.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

Abs. 1 lit. c EUV („kryptische Ermächtigung“119), bei der umstritten war, ob sie die rechtsverbindliche Festlegung von solchen Standards ermöglicht.120 Als fraglich gilt jedoch, ob relativ eng formulierte Teilbereiche von Mindeststandards121 des Vorschlages zu einer bedeutenden Stärkung der Verfahrensrechte beitragen.122 Selbst bei Überwindung aller Hindernisse auf der EU-Ebene scheint, drittens, ein Konsens in den Mitgliedstaaten nicht ohne Verluste für die Mindestgarantien möglich zu werden.123 Als eine Notlösung wurde u. a. die Durchsetzung praktischer Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsstandards außerhalb des EU Rahmens oder im Wege der verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 40a EUV in Betracht gezogen.124 Die zweite Alternative – der Weg der verstärkten Zusammenarbeit – wird auch in Art. 82 Abs. 3 AEUV bei Richtlinienentwürfen ausdrücklich vorgesehen. Als weitere Möglichkeit wird die Anwendung von unverbindlichen Empfehlungen hinsichtlich des Verfahrensstandards kurz erwogen, gleichzeitig jedoch verworfen, mit der zutreffenden Argumentation, dass Verfahrensstandards kein „law in the books“ bleiben sollen.125 Schließlich könnte eine Abhilfe in der Einschränkung von gemeinsamen EU-weit geltenden Verfahrensstandards nur auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf der Basis gegenseitiger Anerkennung erblickt werden.126 Auch diese Lösung ist nicht mängelfrei, da sich schwer prognostizieren lässt, ob bei auf den ersten Blick rein nationalen Straf-

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Pernice, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes – Europäische Justizpolitik im Lichte von Pupino und Darkanzali, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, FS Meyer, S. 376. 120 Dazu Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 210; zum bejahenden Gutachten des juristischen Dienstes des Rates vgl. Opinion of the Legal Service, Ratsdokument 12902/04 v. 30. 9. 2004. 121 Zu Rechtsbeistand, Dolmetschung und Übersetzung (dazu der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über das Recht auf Verdolmetschung und Übersetzung in Strafverfahren v. 8. 7. 2009, Ratsdok. 11917/09) und besonders „schutzbedürftigen Beschuldigten“. 122 Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 33; ähnlich („kümmerlicher Istzustand“) Rosenthal, Europäisches Haftbefehlsgesetz, zweiter Versuch, ZRP 2006, S. 105. 123 Dies illustrieren bisherige Verhandlungen: Sechs Mitglieder vermissten eine geeignete Rechtsgrundlage für einen solchen Rechtsakt, fünf wollten grundsätzliche Ausnahmen vom Recht auf anwaltlichen Beistand, dabei postulierten sechs, dass polizeiliche Vernehmung davon ausgenommen wird; einen weiteren Streitpunkt (seitens Spanien) stellte die Kontrolle von Übersetzungsleistungen dar; nach Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 747. 124 Dazu Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 212. 125 Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 212. 126 Richtungweisend: Vermerk des österreichischen Vorsitzes, Ratsdokument 6621/06 v. 21. 2. 2006, S. 5.

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verfahren nicht grenzüberschreitende Elemente auftreten, die einen Rückgriff auf die Rechtshilfe notwendig erscheinen lassen.127 Es scheint somit, dass eine Regelung von Verfahrensstandards,128 die etappenweise beginnend bei U-Haft, Schweigerecht und Unschuldsvermutung als „bahnbrechendes Signal für weitere Standards“129 verwirklicht wird, nicht vermieden werden kann. Dabei wird vor dem Hintergrund der Anwendung der gegenseitigen Anerkennung zu berücksichtigen sein, dass für die Verwirklichung von Freiheiten „nicht der kleinste Nenner von Verteidigungsrechten und weiteren Beschuldigtenrechten, sondern (…) die Summe von Freiheitsrechten“ entscheidend ist.130 Ob dieser auch auf der EU-Ebene zu vernehmende Appell zum Ausbau der Verfahrensgarantien131 erhört und ein „Raum der Beschuldigten- und Verteidigungsrechte“ geschaffen oder verstärkt wird,132 bleibt abzuwarten. 3. Nationale Ebene Mit der Durchsetzung des Anerkennungskonzeptes in justizieller Zusammenarbeit in Strafsachen ist auch die Diskussion über die Tauglichkeit nationaler Grundrechtspositionen sowie über Fragen der Darlegungslast und der Rechtsschutzmöglichkeiten entfacht. Insbesondere bezüglich der Einführung des EuHb wurde eingewandt, der Mensch werde zum „Objekt“ transformiert133.

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Dies verdeutlichen Vogel/Matt am folgenden Beispiel: Bürger des Mitgliedstaates X wurde rechtskräftig in X verurteilt; daraufhin flieht er nach Y und kann nur durch einen Europäischen Vollstreckungshaftbefehl ergriffen werden, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 212. 128 Wie teilweise bereits bei Abwesenheitsurteilen, – dazu unter § 11 IV. 129 Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 213. 130 Wolter, Die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union, in: Hirsch/Wolter/Brauns (Hrsg.), FS Kohlmann, S. 714. 131 Z. B. Parlamentsentschließung 2009/2012(INI) v. 7. 5. 2009, in der eine Übersicht über die bestehenden Rechte in Strafverfahren („letter of rights“) und u. a. das Recht auf juristischen Beistand, auf rechtliches Gehör, auf Beweisbeibringung sowie auf einen Dolmetscher verlangt werden; vgl. auch Äußerungen des EP, Nachweis in den Ratsdokumenten 14390/05 v. 1. 12. 2005 und 8402/06 v. 28. 4. 2006 und 15801/05 v. 4. 12. 2006. 132 Wolter, Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union, in: Hirsch/Wolter/Brauns (Hrsg.), FS Kohlmann, S. 715. 133 Broß, Konstruktive Probleme bei der Einigung Europas – dargestellt am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, in: Griesbaum/Hannich/Schnarr (Hrsg.), Strafrecht und Justizgewährung, FS Nehm, S. 33.

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a) Traditionelle Konzepte zur Stellung des Individuums im Rechtshilferecht Welche Stellung dem Betroffenen in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zukommt, ist insbesondere für das Auslieferungsrecht134 in der Literatur135 ausführlich herausgearbeitet worden. Anzumerken ist daher nur, dass grundsätzlich zwischen einem zwei- und einem dreidimensionalen Modell unterschieden wird. Die traditionelle Konzeption (das sog. zweidimensionale Modell) sieht den Auszuliefernden als bloßes Objekt im Verfahren zwischen den Staaten. Danach genießen nur beteiligte Staaten eine Rechtssubjektsstellung.136 Diese Betrachtungsweise basiert auf der Überzeugung, dass Auslieferungsverfahren einen strikt völkerrechtlichen Charakter haben. Rechte des Betroffenen leiten sich danach lediglich aus dem Einzelauslieferungsvertrag ab, den die Vertragspartner abgeschlossen haben und welcher der zwischenstaatlichen Beziehung zugrunde liegt.137 Mit der Verbreitung der Menschenrechte und den parallel ablaufenden Veränderungen im allgemeinen Völkerrecht wurde der Auszuliefernde zunehmend nicht mehr als Objekt angesehen.138 Als herrschende Meinung etablierte sich eine Konzeption, wonach auch der Betroffene eine Subjektstellung genießt und eigene, sowohl materielle Rechte als auch prozessuelle Rechte139 geltend machen kann (sog. dreidimensionales Modell).140 Diese „Evolution“ einer schlichten bilateralen Vertragsbeziehung zu einem „Dreieckverhältnis“ entspricht besser dem aktuellen Verständnis der Grundrechtsdogmatik141 und der internationalen Kooperation in Strafsachen,142 berücksichtigt die Entwicklungen von Menschenrechtsschutzstandards und ermög-

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Trotz Synergien im Rechtshilferecht werden allgemeingeltende Ansätze für alle grenzüberschreitenden Sachverhalte nur vereinzelt formuliert, vgl. Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 1 ff.; Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 179 ff. 135 Dazu zuletzt Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 48 ff. m.w.N. 136 Vogler, Der Schutz der Menschenrechte bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, ZStW 1993, S. 3 ff. 137 Nach Weigend, Grundsätze und Probleme des deutschen Auslieferungsrechts, JuS 2000, S. 110. 138 Smeulers, The position of the individual in international criminal cooperation, in: Vervaele (Hrsg.), European Evidence Warrant, S. 79. 139 Vgl. Gless/Eymann, „Nachträgliches Verwertungsverbot“ und internationale Beweisrechtshilfe, StV 2008, S. 322 m.w.N. 140 Lagodny, Rechtsstellung des Auszuliefernden in der BRD, S. 11 ff.; Vogel, Abschaffung der Auslieferung, JZ 2001, S. 941; Murschetz, Das „Übergabe“-Verfahren nach dem Europäischen Haftbefehl im Vergleich mit dem herkömmlichen Auslieferungsverfahren, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 89. 141 IRG-Kommentar-Lagodny, § 73, Rn. 6a. 142 Vgl. Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 52.

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licht dem Betroffenen die Verteidigung gegen Eingriffe in seine Grundrechte.143 Vermittelnd wird ergänzt, dass die sukzessive Anerkennung von völkerrechtlichen Vorschriften zur Nivellierung der Unterschiede zwischen den beiden Meinungen führen wird.144 Die vorwiegend anerkannte Subjektstellung des Betroffenen wird auf das Übergabeverfahren auf Grundlage des EuHb übertragen, mit den Argumenten, dass dem Betroffenen im EuHbRb eine zugrundeliegende verfahrensrechtliche Stellung zuerkannt wird und aufgrund des Wegfalls der zweiten Kontrollinstanz („politisches Verfahren“) bestimmte Rechte gewährleistet werden sollen.145 Gestützt wird dieses Argument darauf, dass die Anerkennung nicht automatisch erfolgt, sondern eine Überprüfung materieller Bedingungen voraussetzt.146 Sollte die gegenseitige Anerkennung zur einseitigen Zusammenarbeit führen, in der Rechte bzw. Rechtspositionen von Betroffenen ausgeschaltet werden, wäre dies demnach mit dem „rechtsstaatlichen Empfinden“ nicht zu vereinbaren.147 b) Umfang der geltenden Grundrechte Grundsätzlich könnte unterstellt werden, dass während in Kontinentaleuropa die Einräumung des Vorrangs für die vertragliche Vorschrift als Spezialregelung gegenüber dem nationalen Recht gilt, dagegen in den common-law-Staaten allein das innerstaatliche Recht maßgebend ist.148 En dtail ist diese Frage komplexer, was ein Rechtsstreit zum Umfang der im traditionellen Rechtshilfeverkehr geltenden Grundrechte in Deutschland verdeutlicht. Eine nur sehr eingeschränkte Heranziehung der Grundrechte („Exportverbot“)149 und die Beschränkung auf das völkerrechtliche ius cogens150 wird zum einen mit der Rücksichtnahme auf die Rechtsordnungen anderer Staaten und der Notwendigkeit einer funktionierenden Strafrechtspflege begrün-

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Insbesondere persönliche Freiheit, Privatsphäre und Eigentum, vgl. Peter, Zielkonflikte zwischen Rechtsschutz und Effizienz im Recht der internationalen Amts- und Rechtshilfe, in: Ehrenzeller (Hrsg.), Aktuelle Fragen der internationalen Rechtshilfe, S. 190. 144 Weigend, Grundsätze und Probleme des deutschen Auslieferungsrechts, JuS 2000, S. 111; so z. B. zieht der BGH bei dem italienischen Abwesenheitsverfahren auch Art. 6 Abs. 1 EMRK heran, IRG-Kommentar-Lagodny, § 73, Rn. 6a. 145 Murschetz, Das „Übergabe“-Verfahren nach dem Europäischen Haftbefehl im Vergleich mit dem herkömmlichen Auslieferungsverfahren, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 89 f. 146 Dazu auch unter § 4 I. 2. 147 Murschetz, Das „Übergabe“-Verfahren nach dem Europäischen Haftbefehl im Vergleich mit dem herkömmlichen Auslieferungsverfahren, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 91. 148 Details zu einzelnen Staaten bei Zeidler, Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit im Auslieferungsrecht, S. 35 ff. 149 BVerfGE 75, 1, 17. 150 Vogler, Auslieferungsrecht und Grundgesetz, S. 214 ff.

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det.151 Zum anderen hat diese Lösung den Vorteil, dass Kollisionen zwischen völkerrechtlichen Verpflichtungen und nationalen Schutzpflichten vermieden werden können.152 Für die Stellung von Betroffenen bedeutet dies jedoch, dass der Schutz der Menschenrechte lediglich als Reflex des völkerrechtlich verbindlichen Rechtsstatus, nicht aber als ein subjektives Recht zu verstehen ist.153 Einer anderen Meinung zufolge kann der Auszuliefernde selbst als Rechtssubjekt eigene „Auslieferungs-Gegenrechte“ geltend machen.154 Es erfolgt somit keine Lockerung der Grundrechtsbindung im Bereich der internationalen Rechtshilfe155 und der Betroffene könnte sich nicht nur auf völkerrechtliche, sondern auch auf nationale verfassungsrechtliche Normen berufen.156 Argumentativ wird diese Lösung teils auf das Rechtsstaatprinzip gestützt, wonach grundrechtsfreie Räume vermieden und Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers oder das politische Ermessen eingeschränkt werden sollen.157 Den Vorzug verdient eine differenzierende Ansicht, wonach das ganze Verfassungsrecht im vertraglosen Rechtshilfeverkehr gilt und im vertraglichen Rechtshilfeverkehr der Geltungsumfang des Verfassungsrechts grundsätzlich in Wechselwirkung mit dem Vertragsrecht ermittelt werden soll.158 In der Regel ist eine Annahme eines Rechtshilfehindernisses in den Fällen gerechtfertigt, wenn der Verstoß den Kernbestand einer Garantie159 verletzt. 151 Vogler warnt in diesem Zusammenhang vor „Verabsolutierung der grundgesetzlichen Wertentscheidungen“, Auslieferung bei drohender Todesstrafe und Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), in: Geppert/Dehnicke (Hrsg.), FS Meyer, S. 480. 152 Vgl. Schomburg/Lagodny-Lagodny, § 73, Rn. 14a. 153 Vgl. Weigend, Grundsätze und Probleme des deutschen Auslieferungsrechts, JuS 2000, S. 110; weitere Kritikpunkte (u. a. Verstoß gegen Normen des multilateralen vertragsvölkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes, Entwicklungen in der deutschen und ausländischen Rechtsprechung) IRG-Kommentar-Lagodny, § 73, Rn. 17 ff. 154 Lagodny, Die Rechtsstellung des Auszuliefernden in der Bundesrepublik Deutschland, S. 63 ff. 155 So Werner ausgehend von der Prämisse, dass das Rechtshilferecht ein Sonderfall eines völkerrechtlichen initiierten Grundrechtseingriffs ist, Grenzen und Möglichkeiten europäischer Strafrechtspflege, S. 83 f. 156 Selbst dann, wenn die für Rechtshilfe einschlägige Rechtsgrundlage Grundrechte nicht als ermächtigungsbeseitigende Gegenrechte vorsieht; vgl. IRG-Kommentar-Lagodny, § 73, Rn. 43. 157 Werner, Grenzen und Möglichkeiten europäischer Strafrechtspflege, S. 83 f.; teils wird die völkervertragsrechtlich verankerte Meistbegünstigungsklausel (Art. 43 EMRK, Art. 5 Abs. 2 IPBPR) herangezogen, wonach Grundrechte des Gesetzgebers „nicht deshalb in ihrem Schutzbereich reduzierend interpretiert werden dürfen, um sie dem eventuell niederen Niveau multilateraler Konventionen anzupassen.“, IRG-Kommentar-Lagodny, § 73, Rn. 17. 158 Vgl. Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, § 73, Rn. 47. 159 Böhm/Rosenthal erwähnen in diesem Zusammenhang faires Verfahren (Art. 6 EMRK), Folterverbot (Art. 3 EMRK), Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK), Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) und aus der Grundrechtcharta: Beachtung der Wesentlichkeitstheorie, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das Recht auf Gesundheit (Art. 3), Anhörungs- und Verteidigungsrechte und Gestaltung von beweisrechtlichen Regeln, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn 830.

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c) Geltung der nationalen Grundrechte im Anerkennungskonzept Vor dem Hintergrund des mit dem Anerkennungskonzept eingetretenen Abbaus von Kompatibilitätsvorbehalten und den aktuellen Entwicklungen der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten wird im Schrifttum erneut die Frage der Geltung nationaler Grundrechte als Rechtshilfehindernis diskutiert.160 Die Geltung nationaler Grundrechte wird erstens bei Umsetzungsgesetzen aufgrund deren einfachgesetzlichen Charakters und somit deren Unterordnung unter die Verfassungsvorschriften angenommen.161 Der nationale Gesetzgeber wird dabei als „Organ des Grundrechtsschutzes“ im Rahmen der Umsetzung angesehen.162 Danach darf gegenseitige Anerkennung zu keiner Ausschaltung der Rechte bzw. der Rechtsposition des Betroffenen führen163 und die Garantie des grundrechtlichen Wesensgehalts ist uneingeschränkt zu berücksichtigen.164 Dies wird zweitens mit dem Argument bekräftigt, dass internationale Zusammenarbeit in Strafsachen nicht nur an ausländische Sachverhalte anknüpft, sondern auch mit Grundrechtseingriffen des ersuchten Staates verbunden ist.165 Einzelne Rechtshilfehandlungen sollten als „Teil der gegen den Verfolgten durchgeführten Strafverfolgung“166 angesehen werden (Konzeption der „international-arbeitsteiligen Strafverfolgung“167). Die Aufteilung darf nicht dazu führen, dass der Verfolgte außerhalb des Verfahrensrahmens des ersuchten Staates und des ersuchenden Staates gedrängt wird.168 Drittens wird die Verantwortlichkeit für den Betroffenen aufgrund von Vertrauens- und Rechtsschutz160 Vgl. u. a. IRG-Kommentar-Hackner, § 78, Rn. 11; vgl. auch IRG-Kommentar-Gleß, § Vor III, Rn. 103; Rudolf/Giese, Ein EU-Rahmenbeschluss über die Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren?, ZRP 2007, S. 115. 161 BVerfG-Urteil v. 18. 7. 2005, 2 BvR 2236/04 (Darkanzali), Rn. 74. 162 Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 25; vgl. Haratsch/Koenig/Pechstein, Die Europäische Union, Rn. 1166. 163 Vgl. Murschetz, Das „Übergabe“-Verfahren nach dem Europäischen Haftbefehl im Vergleich mit dem herkömmlichen Auslieferungsverfahren, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 90 f. 164 Baddenhausen/Pietsch, Rahmenbeschlüsse der Europäischen Union, DVBl 2005, S. 1565; vgl. auch IRG-Kommentar-Hackner, Vor § 78, Rn. 11. 165 Merli, Europäischer Haftbefehl und nationales Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/ Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 132. 166 Vgl. BverfGE 61, 28, 34. 167 Vgl. ICTR-Urteil v. 23. 5. 2005, ICTR-98-44 A-A. para. 220 (Juvnal Kajelijeli/The Prosecutor)=NJW 2005, S. 2934 ff.: „Diese Verpflichtungen folgen aus dem Gedanken, dass sich die international-arbeitsteilige Strafverfolgung nicht zu Lasten der festgenommenen Person auswirken darf. Die Anklagebehörde muss ihren Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt nachkommen, und sie ist verpflichtet, sicherzustellen, dass, wenn sie ein Verfahren einleitet, dieses unter Beachtung der Rechte des Angeklagten in das Hauptverfahren übergeht.“; dazu auch IRG-Kommentar-Gleß/Hackner/Lagodny/Schomburg, Einleitung, Rn. 105. 168 Vgl. „Grundsatz der Verfahrenseinheit“, Lackner/Kühl, Art. 51 StGB, Rn. 3.

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defiziten begründet169 und eine Wiederbelebung des Solange-Vorbehaltes des BVerfG170 für möglich gehalten, wenn der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zu „strukturellen Grundrechts- und Rechtsschutzdefiziten führen wird“.171 Demgegenüber wird erwähnt, dass die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes jedenfalls für die Gerichte der EU angenommen werden kann (Vertrauensprinzip).172 Der Verzicht auf die Kontrolle europäischer Rechtsakte am Maßstab nationaler Grundrechte wurde bereits vor dem Lissabonner Vertrag durch denselben Grundrechtsmaßstab des Art. 6 Abs. 1 und 2 EUV in EU und EG begründet.173 Dieser Verzicht sei des weiteren im Anerkennungskonzept notwendig, „wenn nicht das auf gemeinsame Werte und Verfahrensgarantien gestützte, vom verfassungsändernden Gesetzgeber selbst zu Grunde gelegte System von Mindestvorschriften zusammen mit der europarechtlich vermittelten gegenseitigen Anerkennung auf den Kopf gestellt werden soll“.174 Schließlich wird darauf hingewiesen, dass die Vermischung nationaler und völkerrechtlicher Standards zum „schwer zu entwirrenden Begründungsgebräu eigener Art“ führt175 und auf diese Weise eine harmonische Kooperation gefährdet. Für die Subjektstellung von Betroffenen ausreichend sei die Schutzwirkung der beibehaltenen Grundsätze des Rechtshilferechts.176 Der Streit kulminiert letzendlich über die Geltung nationaler Grundrechte in der Frage des Vorrangs des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht. Als Folge des Vorrangs vor dem nationalen Recht werden die Relativierung des nationalen Grundrechtsschutzes und die Anwendung der Grundsätze über Rück169 Vgl. Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 746; IRG-Kommentar-Hackner, Vor § 78, Rn. 11. 170 Danach kann die Geltung nationaler Grundrechte zurückgenommen werden, solange europäische Grundrechte „nach Inhalt und Wirksamkeit dem Grundrechtsschutz, wie er nach dem Grundgesetz unabdingbar ist, im wesentlichen (gleichkommen)“, Entscheidung v. 22. 10. 1986, 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 376. 171 Satzger, Das Strafrecht als Gegenstand europäischer Gesetzgebungstätigkeit, KritV 2008, S. 28; a. A. Schmahl, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 23. 172 BVerfG-Beschluss v. 24. 10. 2003, 2 BvR 1521/03, Rn. 4 (Auslieferung nach Spanien). 173 Pernice, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes – Europäische Justizpolitik im Lichte von Pupino und Darkanzali, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, FS Meyer, S. 389. 174 Pernice, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes – Europäische Justizpolitik im Lichte von Pupino und Darkanzali, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, FS Meyer, S. 390; vgl. Böse, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in der transnationalen Strafrechtspflege in der EU, in: Momsen/Bloy/Rackow (Hrsg.), Fragmentarisches Strafrecht, S. 241; vgl. aber OLG Zweibrücken, Beschluss v. 16. 1. 2008, 1 Ausl. 28/07, Rn. 3 ff. 175 Die Berücksichtigung nationaler Standards kann zum Phänomen der „black box“ führen, in die man hineingeben kann, was man als Ergebnis braucht, IRG-Kommentar-Lagodny, § 73, Rn. 6a. 176 Andreou, Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 162 f.

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nahme der Prüfungskompetenz des Verfassungsgerichts genannt.177 Demnach sollte für den Bereich, in dem der Rahmenbeschluss zwingende Vorgaben macht, der nationale Grundrechtsschutz relativiert und die Prüfungskompetenz der Verfassungsgerichte zurückgezogen werden.178 d) Stellungnahme Bereits für die dritte Säule galt, dass sowohl der Rahmenbeschluss als auch die Umsetzungsakte den Grundrechten i.S.d. Art. 6 Abs. 2 EUVentsprechen mussten.179 Aufgrund einer zusätzlichen Bindung an nationale Grundrechte in den Bereichen, in welchen der Rahmenbeschluss Umsetzungsspielräume belässt,180 erklärte das BVerfG das (Erste) Europäische Haftbefehlsgesetz für nichtig, weil dieses die vom Rahmenbeschluss belassenen Regelungsspielräume nicht grundrechtswahrend genutzt hatte. Diskutiert wurde jedoch, ob ein mit dem Gemeinschaftsrecht181 vergleichbarer Vorrang des Unionsrechts besteht, der die Kontrolle am Maßstab nationaler Grundrechte in den Fällen ausschließt, wo ein Rahmenbeschluss keine Freiräume ermöglicht. Für einen Vorrang des Unionsrechts wurden erstens „Elemente der Supranationalität“182, zweitens materielle und institutionelle Verklammerung des Unionsrechts mit dem Gemeinschaftsrecht in den Vertragszielen (Art. 2 und 3 EUV) und den gemeinsamen Institutionen183 sowie drittens die Grundrechtsbindung nach Art. 6 Abs. 2 EUV genannt.184 Kein „unmittelbarer“ aber „indirekter“ Anwendungsvorrang 177

Grützner/Pötz/Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 20; Schwarze-Böse, Art. 29, Rn. 2 m.w.N. Grützner/Pötz/Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 9 m.w.N. 179 Vgl. Merli, Europäischer Haftbefehl und nationales Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 127 m.w.N.; ähnlich Schmahl in Anlehnung an die Rechtssachen „Pupino“, „Gestoras Pro Amnista“ und „Advocaten voor de Wereld“, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 35. 180 Merli bedient sich u. a. des Beispiels der sog. fakultativen Ablehnungsgründe (Art. 4 und 6 des EuHbRb), Europäischer Haftbefehl und nationales Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 127. 181 Vgl. paradigmatisches EuGH-Urteil v. 5. 2. 1963, Rs. C-26/62, Slg. 1963, 3 (van Gend und Loos/Niederländische Finanzverwaltung). 182 Als „Beitrag zur Kohärenz zwischen der ersten und der dritten Säule“ wird insbesondere die Begründung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung gesehen, Egger, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte in der III. Säule, EuZW 2005, S. 656; Grützner/Pötz/Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 7 m.w.N.; Generalanwalt Ruiz Jarabo Colomer spricht in diesem Zusammenhang von einer „klare(n), gemeinschaftliche(n), Tendenz“, Schlussanträge v. 12. 9. 2006, Rs. C-303/05, Advocaten voor de Wereld, Rn. 43; vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht, § 12, Rn. 3 ff. m.w.N. 183 Grützner/Pötz/Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 7 m.w.N.; eine Integration der Rahmenbeschlüsse in die supranationale Rechtsordnung stützt von Unger auf Wortlaut (Art. 34 Abs. 2 lit. b EUV), Systematik (Art. 3 Abs. 1 EUV) und Teleologie (Art. 1 Abs. 2 EUV), „So lange“ nicht mehr: Das BVerfG behauptet die normative Freiheit des deutschen Rechts, NVwZ 2005, S. 1272. 184 Grützner/Pötz/Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 7 m.w.N. 178

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des Unionsrechts der dritten Säule wurde schließlich auch aus der Verbindlichkeit von EU-Grundrechten in beiden Säulen nicht nur für die europäischen Organe, sondern auch für die Mitgliedstaaten insofern abgeleitet, als diese zwingendes Unionsrecht durchführen.185 Eine nationale Vorschrift dürfte danach nicht mehr an nationalen Grundrechten gemessen werden, wenn und soweit ein Rahmenbeschluss diese Vorschrift vollständig und ohne jeden Gestaltungsspielraum determiniert.186 Andererseits betonten Literaturstimmen, dass ein Vorrang des Unionsrechts sich weder direkt aus dem Primärrecht187 noch aus der Rechtsprechung des EuGH ergab.188 Der Titel VI EUV wurde des Weiteren bewusst nicht in das supranationale System überführt189 und den Rechtsinstrumenten wurde eine unmittelbare Anwendbarkeit abgesprochen.190 Obwohl eine rein intergouvernemental-völkerrechtliche Zuordnung der dritten Säule nicht mehr gerechtfertigt erschien,191 gelang es den supranationalen Ansätzen nicht, die begründeten Zweifel am Anwendungsvorrang zu zerstreuen.

185

So unter Berufung auf EuGH-Urteile in Rs. „Pupino“ und „Gestoras pro Amnista“ Schmahl, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 22 m.w.N.; vgl. Egger, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte in der III. Säule, EuZW 2005, S. 655. 186 Masing, Vorrang des Europarechts bei umsetzungsgebundenen Rechtsakten, NJW 2006, S. 266; Schmahl, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 22. 187 So h. M., Nachweise bei Merli, Europäischer Haftbefehl und nationales Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 129. 188 Vgl. Baddenhausen/Pietsch, Rahmenbeschlüsse der Europäischen Union, DVBl 2005, S. 1564; Fetzer/Groß, Die Pupino-Entscheidung des EuGH – Abkehr vom intergouvernementalen Charakter der EU?, EuZW 2005, S. 551; Merli, Europäischer Haftbefehl und nationales Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 129; weitere Nachweise bei Grützner/ Pötz/Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 6. 189 Übertragung der Hoheitsrechte gemäß Art. 23 Abs. 1 GG, Art. 24 Abs. 1 GG erfolgte nur für die erste Säule der Union; vgl. aber Grützner/Pötz/Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 8 m.w.N. (Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU durch Anerkennung einer zumindest unionsinternen Rechtsfähigkeit der Union oder durch Übertragung von EU-Kompetenzen an die „Mitgliedstaaten in unionsverfassungsrechtlicher Verbundenheit ,zur gesamten Hand“; zur Begründung einer objektiven Bindungswirkung des Unionsprimärrechts und auf dieser Grundlage erlassenen Sekundärrechtsakten über den Rechtsanwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes, vgl. Schmahl, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 35 m.w.N.; Tomuschat, Ungereimtes: Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 über den Europäischen Haftbefehl, EuGRZ 2005, S. 453. 190 von Unger hält die unmittelbare Anwendbarkeit für das entscheidende dogmatische Argument gegen die Geltung des Vorrang-Prinzips im Rahmen der dritten Säule, „So lange“ nicht mehr: Das BVerfG behauptet die normative Freiheit des deutschen Rechts, NVwZ 2005, S. 1272; Mißling, Die bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle so gen. umsetzungsgebundener Rechtsakte im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit nach dem EUV, EuR 2007, S. 269; vgl. aber die Argumentation v. Grützner/Pötz/Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 7 m.w.N. 191 Soweit zustimmend Grützner/Pötz/Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 7 m.w.N.

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Somit stellte ein verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für das Umsetzungsrecht grundsätzlich ein geeignetes Mittel gegen die im Zusammenhang mit der Durchsetzung des Anerkennungsprinzips befürchtete Perpetuierung von Grundrechtseingriffen dar. Positiv konnte dies im Hinblick auf die festgestellten Mängel im unionalen System des Grundrechtsschutzes bewertet werden. Ziel einer europäischen Strafverfolgung muss sein, die Strafverfolgung zu optimieren und gleichzeitig die rechtlich geschützten Interessen von verfolgten Individuen zu wahren.192 Ein zweidimensionales Modell, wonach der Betroffene als „Objekt“ steht, stünde demnach im Widerspruch zur europaweit geltenden Auffassung des Strafverfahrens193 und dem Konzept der gegenseitigen Anerkennung, das erst bei der Bestimmung der Art und des Umfangs in Frage kommender Gegenrechte seine Wirkung entfaltete.194 Damit korrespondiert auch grundsätzlich die Konzeption der international arbeitsteiligen Strafverfolgung, wonach Verantwortungsverlagerung und wechselseitige Abwälzung von Verantwortung auf den jeweils anderen Staat vermieden werden sollen.195 Im Falle der Erfüllung einer Rechtshilfeverpflichtung (z. B. eines an Deutschland gerichteten Ersuchens um Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung) ist der Pflicht so nachzugehen, als handele es sich um ein deutsches Strafverfahren.196 Einer Begrenzung des Anerkennungsprinzips sollte dabei die „Übertragung des Prinzips der individualrechtlichen Meistbegünstigung in die Sprache der Grundrechtsdogmatik“ dienen, wonach: „keines der [im GG, in der EMRK, im IPBPR genannten] Rechte nur deshalb in geringerem Maße gewährt oder in höherem Maße eingeschränkt werden [darf], weil in einem bestimmten Strafverfahren die Behörden 192 Lagodny, Auslieferung und Überstellung deutscher Staatsangehöriger, ZRP 2000, S. 176. 193 Lagodny, ,Extradition without a granting procedure: the concept of ,surrender, in: Blekxtoon (Hrsg.), Handbook on the European Arrest Warrant, S. 44 f. 194 Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, 52 f. 195 Dessen Reichweite bis zur Strafvollstreckung reicht und den Anspruch auf Resozialisierung einschliesst (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG); BVerfG, Beschluss v. 18. 6. 1977, 2 BvR 483/95, 2 BvR 2501, 2BvR 2990/95 = BVerfGE 96, 100; nach IRG-Kommentar-Gleß/Hackner/ Lagodny/Schomburg, Einleitung, Rn. 106; vgl. auch Andreou, Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 68. 196 Eine Ausnahme wird grundsätzlich bei Nichtüberprüfung des Schuldverdachts gemacht. Nach der Konzeption kann ein Staat nicht behaupten, er führe kein Strafverfahren und argumentieren, dass der Eingriff in die grundrechtsgeschützte Positionen einem fremden Strafverfahren diene, wenn gleichzeitig strafprozessuale Handlungen wie Auslieferungshaft, Beschuldigtenvernehmung durchgeführt werden. Im ersuchten Staat soll somit auch dafür Sorge getragen werden, dass u. a. eine Belehrung des Verfolgten über sein Schweigerecht erfolgt und eventuelle ohne Belehrung gemachte Aussagen weder ohne noch auf Grund eines weiteren Rechtshilfeersuchens (Überdehndung der Protokolle oder Vernehmung der Verhörperson) in den ersuchenden Staat gelangen (vgl. das Verwertungsgebot wegen Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 Nr. 2 StPO), nach IRG-Kommentar-Gleß/Hackner/Lagodny/Schomburg, Einleitung, Rn. 108 ff; vgl. auch Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 46 ff.; Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 313.

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oder Gerichte eines anderen Staates tätig werden sollen oder müssen“.197 Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang daran, dass Anerkennung keine automatische Vollstreckung bedeutet und die Überprüfung materieller Voraussetzungen und Übergabehindernisse voraussetzt. Dies könnte dafür sprechen, dass vorausgesetzte Rechtsstaatlichkeit und Beachtung von Grund- und Menschenrechten im Einzelfall überprüft und in Frage gestellt werden können.198 Auch in den Erwägungsgründen zum EuHbRb wird den Mitgliedstaaten die Freiheit zur Anwendung seiner verfassungsmäßigen Regelung des Anspruchs auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren, der Vereinigungsfreiheit, der Pressefreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien belassen.199 Nicht zu übersehen sind aber auch Nachteile dieser Lösung. Erstens kann den Unionsbürgern schwer zugemutet werden „in jedem Mitgliedsstaat gesondert zu prüfen, ob und wie (insbesondere mit welchen Verfahrensgarantien) das von der Union geschaffene Recht dort umgesetzt worden ist und ihn betrifft“.200 Zweitens leidet bei „Flucht ins nationale Verfassungsrecht“ die Vorhersehbarkeit des Verfahrensergebnisses und u. U. das gesamte Kooperationssystem.201 Gegen eine „Alternative des nationalen Alleingangs“202 spricht auch die Notwendigkeit einer einheitlichen unionsrechtskonformen Rechtsauslegung.203 In diesem Zusammenhang erschien zutreffend der Vorschlag, dass der Rechtsschutz bereits von den Unterinstanzen in Kooperation mit dem EuGH (Vorabentscheidungsverfahren) erteilt werdensollte.204 Nach dem Scheitern des Verfassungsvertrages (vgl. Art. I-6 VE)205 setzt der Vertrag von Lissabon das Bestreben um den Anwendungsvorrang des gesamten Unions197

IRG-Kommentar-Gleß/Hackner/Lagodny/Schomburg, Einleitung, Rn. 113b. Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 315 m.w.N. 199 Erwägungsgrund Nr. 12 EuHbRb; Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, § 73, Rn. 139. 200 Szczekalla, in: Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 2 II, Rn. 33. 201 Vgl. IRG-Kommentar-Lagodny, § 73, Rn. 6a; vgl. auch Skouris, Stellung und Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens im europäischen Rechtsschutzsystem, EuGRZ 2008, S. 348. 202 von Unger, „So lange“ nicht mehr: Das BVerfG behauptet die normative Freiheit des deutschen Rechts, NVwZ 2005, S. 1272. 203 Schmahl, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 22; vgl. auch Szczekalla, in: Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 2 II, Rn. 33; Grützner/Pötz/Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 9 m.w.N. 204 Egger, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte in der III. Säule, EuZW 2005, S. 656; Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, § 73, Rn. 156 f.; vgl. auch Skouris, Stellung und Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens im europäischen Rechtsschutzsystem, EuGRZ 2008, S. 348. 205 Ein Vorrang könnte erst mit dem VE (Einbeziehung der PJZS in die Vorrang-Regel) begründet werden, Vedder/Heintschel von Heinegg-Vedder, Art. I-6, Rn. 1; von Unger, „So lange“ nicht mehr: Das BVerfG behauptet die normative Freiheit des deutschen Rechts, NVwZ 2005, S. 1272. 198

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rechts fort. Es mangelt darin zwar an einer expliziten Regelung, was sich mit der „Beseitigung des Verfassungscharakters“ begründen lässt, auf den Vorrang des Unionsrechts deuten jedoch die Erklärung Nr. 17 der Regierungskonferenz 2007, wonach „die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben“ und das beigefügte Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates, worin auf das Urteil Costa/ENEL hingewiesen und betont wird, dass die Nichtaufnahme eines ausdrücklichen Rechtsvorrangs nichts an dessen Existenz ändere.206 Dies führt dazu, dass der Rechtsschutz des Betroffenen beim EU-Recht grundsätzlich von der Anwendung und der Ausgestaltung europäischer Regelungen, darunter der Grundrechtscharta, abhängt.207 Nationale Einwände bezüglich der Unvereinbarkeit mit grundlegenden Aspekten nationaler Strafrechtsordnungen können u. U. während des Legislativverfahrens geltend gemacht werden. Das nationale Recht, abgesehen von den durch Umsetzungsgesetze ausgefüllten Freiräumen,208 kann die Rechtsstellung auch im Rahmen der verbliebenen Zulässigkeitsprüfung beeinflussen.209 Verfassungsrechtliche Einwände und Auslegungsprobleme des EU-Rechts können dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt werden. Desto stärker gilt somit der Apell für „wechselseitiges Bemühen um Kohärenz“210 und Teilnahme am Vorabentscheidungsverfahren um ggf. einer Absenkung der Rechtsschutzstandards entgegen zu wirken. Ein Ausgleich dieser Verkürzung des, im Vergleich mit der Europarats- oder EU-Ebene, i. d. R. effektivsten Schutzes nationaler Rechtsordnung könnte auch durch ein unmittelbares Mittel zur Rüge einer Grundrechtsverletzung angestrebt werden.211

II. Schlussfolgerungen Um zu verhindern, dass „ein europäisches Strafverfahren zum deutlich reduzierten Preis bei den Menschenrechten eingekauft wird“,212 darf gegenseitige Anerkennung im sensiblen Strafrechtsbereich nur unter der Prämisse einer ausgleichschaffenden Achtung der Grundrechte von Betroffenen und der Rechtsstaatlichkeit der Verfahren

206

Nach Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, S. 83. Vgl. Andreou, Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 148. 208 Vgl. Suhr, Strafrechtsharmonisierung in der Europäischen Union, ZEuS 2008, S. 73 f. 209 Dazu unter § 8. 210 Szczekalla in: Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 2 III, Rn. 40. 211 Dazu bereits unter § 5 II. 3. c). 212 Paeffgen, Haus ohne Hüter? Die Justizgrundrechte im Mehr-Ebenen-System von EG/ EU-Vertrag, EMRK und Europäischem Verfassungsvertrags-Entwurf, ZStW 2006, S. 335; vgl. auch Braum, Menschenrechte in der europäischen Rechtspflege, KritV 2006, S. 332 ff. 207

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zur Anwendung kommen.213 Mit anderen Worten: Wo gegenseitige Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen herbeigeführt wird, bedarf es einer der Bedeutung dieses Bereiches entsprechenden „grundrechtlichen Begleitung und Kontrolle“.214 Die Aufgabe, das Anerkennungskonzept in die „europäische Grundrechtsarchitektonik“215 einzukomponieren, ist aktuell zuvorderst den „Grundrechtsarchitekten“ auf der nationalen Ebene, dem EuGH und dem EGMR überlassen. Dem gerichtlichen Rechtsschutz des Einzelnen kommt auch eine Signalwirkung für die grundrechtssensible Ausgestaltung und Umsetzung neuer Kooperationsinstrumente zu. Im grundrechtlichen „Mehrebenen-System“ lassen sich einschlägige Grundrechtsnormen in der EMRK, in der europäischen Rechtsordnung und in den nationalen Verfassungen verorten.216 Obwohl die Strahlwirkung der EMRK auf die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen sowohl durch die Rechtsprechung des EGMR als auch dessen Berücksichtigung in der Rechtsprechung des EuGH und nationaler Gerichte erfolgt, reicht dies für ein uneingeschränktes Vertrauen in der justiziellen Zusammenarbeit nicht aus.217 Trotz der Bindung von Sekundärrechtsakten und deren nationaler Umsetzung in europäische Grundrechte218 ist auch die Kritik nicht von der Hand zu weisen, dass der Schutz der Charta der Grundrechte, „das Bekenntnis“ des Art. 6 EUV (vgl. nun Art. 2 und bestimmter Art. 6 EUV in der Fassung des Lissabonner Vertrages) und die Legislativvorschläge bei „aller gegenseitigen Anerkennung nur unzureichende Mindest- oder Ausschnittsstandards“219 bilden. In der Hoffnung, dass es sich bei den festgestellten Rechtsschutzmängeln um ein Übergangsphänomen handelt, bleiben insbesondere sekundärrechtliche Reformen abzuwarten.220 Inwieweit das Unionsrecht den nun begrenzten Rückgriff auf den

213 Pernice, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes – Europäische Justizpolitik im Lichte von Pupino und Darkanzali, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, FS Meyer, S. 375. 214 Streinz/Ohler/Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, § 20, III. 1. 215 Zit. nach Schmahl, Grundrechtsschutz im Dreieck von EU, EMRK und nationalem Verfassungsrecht, EuR 2008, Beiheft 1, S. 7 m.w.N. 216 Lindner, Fortschritte und Defizite im EU-Grundrechtsschutz – Plädoyer für eine Optimierung der Europäischen Grundrechtecharta, ZRP 2007, S. 55. 217 So auch Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 746; Bedarf an einer „neuen Perspektive“ der Menschenrechte in transnationalen Strafverfahren signalisiert auch Klip, European Criminal Law, S. 425. 218 Vgl. Merli, Europäischer Haftbefehl und nationales Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 127 m.w.N. 219 Wolter, Die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union, in: Hirsch/Wolter/Brauns (Hrsg.), FS Kohlmann, S. 700. 220 Vgl. Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 35 f.

§ 7 Beiderseitige Strafbarkeit

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grundsätzlich umfangreichsten Schutz des nationalen Rechts221 ausgleicht, ist fraglich. Anderseits wäre bedenklich, das „Wächteramt“222 des nationalen Verfassungsgerichts, sowohl im Hinblick auf die Betroffenen als auch aus kooperationsrechtlicher Sicht, dauerhaft als eine ideale Lösung zu betrachten. Besondere Aufmerksamkeit ist daher den bei den nationalen Gerichten verbliebenen Kontrollmechanismen zu schenken. Um negative Folgen zu vermeiden, ist ein „wechselseitiges Bemühen um Kohärenz“223 gefragt. Gleichzeitig soll auf der EU-Ebene stärker für die Herstellung von praktischer Konkordanz zwischen staatlichem und Individualinteresse224 gesorgt werden. Abgesehen von sekundärrechtichen Verfahrensgarantien ist auch an die zügige Ausdehnung voller EuGH-Befugnisse auf die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen sowie in weiterer Perspektive an den Ausbau europäischer Gerichtsbarkeit zu denken.225 Zu erreichen ist ein Gleichgewicht, in dem es weder eine Strafverfolgungsbehinderung noch eine Reduktion von Rechten des Beschuldigten gäbe226 und beide Leitmotive miteinander konform gingen.227

§ 7 Beiderseitige Strafbarkeit Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und der Verzicht auf das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit werden als zwei Ecksteine der Strafrechtseuropäisie221

Dies zeigen rechtsvergleichende Untersuchung der Justizgrundrechte im Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten von Abetz, Justizgrundrechte in der Europäischen Union, S. 40 ff.; zur Bedeutung von mitgliedstaatlichen Systemen vgl. auch Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 21; im Ergebnis ähnlich Ziegenhahn, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, S. 267. 222 Paeffgen, Haus ohne Hüter? Die Justizgrundrechte im Mehr-Ebenen-System von EG/ EU-Vertrag, EMRK und Europäischem Verfassungsvertrags-Entwurf, ZStW 2006, S. 352 ff. 223 Szczekalla, in: Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, § 2 III, Rn. 40. 224 Vander Beken/Vermeulen/Lagodny, Kriterien für die jeweils „beste“ Strafgewalt in Europa – Zur Lösung von Strafgewaltkonflikten jenseits eines transnationalen Ne-bis-in-idem, NStZ 2002, S. 625. 225 Dazu unter § 5 II. 3. c). 226 Ahlbrecht/Lagodny, Einheitliche Strafverfahrensgarantien in Europa? – Eine kritische Bestandsaufnahme, StrafFO 2003, S. 334; im Ergebnis ähnlich IRG-Kommentar-Gleß/Hackner/Lagodny/Schomburg, Einleitung, Rn. 106. 227 Im Schutz der Menschenrechte darf kein Hindernis der internationalen Zusammenarbeit sondern ein Mittel zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit gesehen werden – so Resolutionsentwurf des Kolloquiums zum internationalen Strafrecht, das der Vorbereitung des XV. Internationalen Strafrechtskongresses des AIDP diente, Lahti/Lehtonen, Die Regionalisierung des internationalen Strafrechts und der Schutz der Menschenrechte bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, ZStW 1993, S. 947 f.; vgl. Jung, Einheit und Vielfalt der Reformen des Strafprozessrechts in Europa, GA 2002, S. 74; Vogel, Licht und Schatten im Alternativ-Entwurf Europäische Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 405.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

rung angesehen.228 Die Entscheidung zwischen Abschaffung und Beibehaltung dieses Grundsatzes gehörte zu einer der umstrittensten Fragen beim Erlass des Rahmenbeschlusses über den EuHb und der fehlende Konsens diesbezüglich hätte seine Entstehung beinahe verhindert. Auch das Fortbestehen des EuHb und – in weiterer Perspektive – die Funktionsfähigkeit des aktuellen Kooperationsmodells hingen u. a. von der Entscheidung des EuGH zur Rechtmäßigkeit der „Kataloglösung“ ab.229 Die Übertragung des angesprochenen Kataloges auf andere kooperationsrechtliche Regelungen macht den Umgang mit der beiderseitigen Strafbarkeit zu einem zentralen und zugleich umstrittenen Element des gesamten Anerkennungskonzepts.230 Die Diskussion um das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit im Kontext der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen innerhalb der EU betrifft zum einen die generelle Frage über dessen Beibehaltung, Einschränkung oder Aufhebung. Zum anderen konzentriert sie sich auf den im Anerkennungskonzept beschrittenen Weg der „Kataloglösung“.

I. Bedeutung und Begründung Dieses im Auslieferungsrecht entwickelte Prinzip231, auch als Grundsatz der identischen Norm bezeichnet232, gehört im traditionellen Kooperationsrecht zu den allgemein verwendeten Schranken der Gewährung und Zulässigkeit der Rechtshilfe.233 Das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt in der internationalen Zusammenarbeit in toto in Ausnahmefällen.234 Es handelt sich somit um ein allgemein an228

Schünemann, Die Grundlagen eines transnationalen Strafverfahrens, in: ders. (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 98. 229 EuGH Urteil v. 3. 5. 2007, Rs. C-303/05 (Advocaten voor de Wereld); Michalke, EUKonformität des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl – Advocaten voor de Wereld – Anmerkung zum EuGH Urteil, EuZW 2007, S. 378; Braum, Der Europäische Haftbefehl – Motor europäischer Strafrechtspflege?, wistra 2007, S. 401. 230 Jede Legitimation des Anerkennungsgrundsatzes „steht und fällt mit der Legitimierbarkeit des Wegfalls der beiderseitigen Strafbarkeit“, Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 692; Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 14; Descamps, La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnales, in: Flor (Hrsg.), Actualites de Droit Penal Europen, S. 94. 231 Zeidler, Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit im Auslieferungsrecht, S. 61; Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 145 m.w.N. 232 Schultz, Aktuelle Probleme der Auslieferung – Vorläufiger Generalbericht zum vorbereitenden Kolloquium, ZStW 1969, S. 211; von Moock, Auslieferungsrechtliche Probleme an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, S. 95. 233 Insbesondere soweit es um Austausch von Informationen und Beweismitteln geht; bei Auslieferung unterschiedlich, vgl. Klip, Harmonisierung des Strafrechts – eine fixe Idee?, NStZ 2000, S. 628; vgl. Lagodny, Grundkonstellationen des internationalen Strafrechts, ZStW 1989, S. 1000 f. 234 Beispiele für diese Ausnahmen sind eng zusammenarbeitende Staaten mit ähnlichen kulturellen und rechtlichen Hintergründen (z. B. Beneluxkonvention von 1968 und die Nor-

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erkanntes Prinzip, welches besagt, dass die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat nicht nur in dem ersuchenden Staat unter Strafe gestellt sein muss, sondern ebenso mutatis mutandis durch die Rechtsordnung des ersuchten Staates.235 Ob das Prinzip auch eine allgemeine Regel des Völkerrechts darstellt, wird überwiegend abgelehnt.236 Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit kann entweder in abstracto (bei einem reinen Vergleich der Tatbestandsmerkmale) oder in concreto (mit zusätzlicher Berücksichtigung aller Entlastungsgründe) betrachtet werden, wobei in der Auslieferungspraxis die zweite Bedeutung gebräuchlicher ist.237 Die menschenrechtliche Begründung stützt sich dagegen auf das sog. Individualschutzprinzip, d. h. Schutz des Beschuldigten vor illegitimen Eingriffen in seine Rechtsgüter.238 Dabei wird häufig übersehen, dass das Fehlen der beiderseitigen Strafbarkeit immer seltener auf sog. „qualifizierte Straflosigkeit“239, also grundrechtliche Belange240 oder andere gewichtige Rechtsgründe, die einer Kriminalisierung entgegenstünden, zurückzuführen ist, sondern meistens aufgrund unterschiedlicher kriminalpolitischer Bewertung eines Verhaltens,241 oder mangelnder Reflexion auftritt.242 Vor diesem Hintergrund erodiert die Begründung der beiderseitigen Strafbardischen Vollstreckungsgesetze); es entfällt beispielsweise auch bei der Vollstreckung der Urteile der internationalen Strafgerichte (weil diesen international geltendes materielles Strafrecht zugrunde liegt); Mix, Die Vollstreckungsübernahme im internationalen Strafrecht, S. 197. 235 Vogler/Wilkitzki-Vogel, Kommentar zum IRG, Vor § 1, Rn. 74 f.; Schomburg/Lagodny, IRG-Kommentar, Einleitung, Rn. 64. 236 Li, Die Prinzipien des internationalen Strafrechts, S. 46; Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 196. 237 Dazu Płachta, Zasady i przeszkody ekstradycyjne, Prokuratura i Prawo, Nr. 7 – 8/2000, S. 29; Vogler/Wilkitzki-Vogel, Kommentar zum IRG, Vor § 1, Rn. 75 schreibt von „abstrakter und konkreter Betrachtungsweise“; van Ballegooij/Gonzales, Mutual Recognition and Judicial Decisions in Criminal Matters: a „Rule of Reason“ for Surrender Procedures?, in: Schrauwen (Hrsg.), Rule of Reason: Rethinking another Classic of European Legal Doctrine, S. 172 f. 238 Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 204 m.w.N.; Li, Die Prinzipien des internationalen Strafrechts, S. 234 f.; strafrechtlich wird der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit mit dem Rechtsprinzip nullum crimen sine lege in Verbindung gebracht, Gardocki, Podwjna przeste˛pczos´c´ czynu w prawie ekstradycyjnym, in: Tyszkiewicz (Hrsg.), Problemy nauk penalnych, S. 70 f.; Płachta, The Role of double Criminality in International Cooperation in Penal Matters, S. 111 f.; vgl. auch Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 148 f. 239 Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 147 f. 240 Wenn z. B. Meinungsfreiheit oder ein anderes Grundrecht einer Kriminalisierung entgegensteht. 241 Weil z. B. die Nachteile einer Pönalisierung deren Vorteile überwiegen oder bestimmte Verhalten bis dato kein strafrechtlich relevantes Problem in der konkreten Gesellschaft darstellten. 242 Lagodny, Überlegungen zu einem menschengerechten transnationalen Straf- und Strafverfahrensrecht, in: Arnold u. a. (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, FS Eser, S. 784; Gardocki, Podwjna przeste˛pczos´c´ czynu w prawie ekstradycyjnym, in: Tyszkiewicz (Hrsg.), Problemy nauk penalnych, S. 76 m.w.N.

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keit als Schutzrecht. So lässt sich eine sukzessive Abkehr vom Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit bereits in der justiziellen Zusammenarbeit zwischen nordischen243 und einigen arabischen Staaten sowie im Rahmen des Commonwealth feststellen.244 Als eine historisch gewachsene Ausprägung des Prinzips der Gegenseitigkeit soll durch die Voraussetzung beiderseitiger Strafbarkeit sichergestellt werden, dass auch im umgekehrten Fall die Rechtshilfe nicht verweigert wird – do ut des.245 Die Begründung für das Erfordernis der Doppelstrafbarkeit liegt daher primär in der Wahrung der eigenen Souveränität.246 Nicht zuletzt handelt es sich bei dem Grundsatz um einen Ausdruck der Anerkennung der eigenen Rechtsauffassung und des Misstrauens gegenüber einer grundsätzlich anderen Rechtsordnung.247

II. „Kompromisslösung“ im Anerkennungskonzept Die im Anerkennungskonzept parat stehende Antwort auf die Frage der Anwendbarkeit der beiderseitigen Strafbarkeit besteht in deren teilweiser Aufhebung in einem durch einen Katalog bestimmten Umfang. Obwohl der Rahmenbeschluss über den EuHb der chronologisch erste Akt war, bei dem diese partielle Abkehr vom Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit gelungen ist, ist die Idee innerhalb der dritten Säule schon früher (im Jahre 2000) – im Kontext der Anerkennung von Geldstrafen und des Rahmenbeschlusses über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln – diskutiert worden. Im Vorschlag des letztgenannten Rahmenbeschlusses wurde zuerst auf die Prüfung beiderseitiger Strafbarkeit bei sechs Delikten (illegaler Handel mit Drogen, Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU, Geldwäsche, Euro-Fälschung, Korrup243

Dazu bereits unter § 1 III. 4. Zit. nach Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004 mit Hinweisen auf Übereinkommen über die Zusammenarbeit v. 23. 3. 1962 zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden („Helsinki-Übereinkommen“), Übereinkommen über die justizielle Zusammenarbeit zwischen einigen arabischen Staaten (abgeschlossen 1983 in Riyadh) und das Verfahren der Überstellung verurteilter Personen im Rahmen des Commonwealth von 1986. 245 Turhan, Die Rechtsstellung des Auszuliefernden nach türkischem Recht unter rechtsvergleichender Berücksichtigung des deutschen Rechts, S.15; kritisch Schomburg, Die Rolle des Individuums in der Internationalen Kooperation in Strafsachen, StV 1998, S. 157; Schultz, Das schweizerische Auslieferungsrecht, S. 313; Zeidler, Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit im Auslieferungsrecht, S. 77 ff. 246 Böse, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in der transnationalen Strafrechtspflege in der EU, in: Momsen/Bloy/Rackow (Hrsg.), Fragmentarisches Strafrecht, S. 242; eine Erledigung eines Rechtshilfeersuchens aufgrund eines Straftatbestandes, der nach eigenen Gesetzen nicht gegeben ist, glich der Unterwerfung unter eine fremde Macht, von Moock, Auslieferungsrechtliche Probleme an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, S. 98 m.w.N.; vgl. auch Descamps, La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnales, in: Flor (Hrsg.), Actualites de Droit Penal Europen, S. 94. 247 Stein, Die Auslieferungsausnahme bei politischen Delikten, S. 40. 244

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tion und Menschenhandel) verzichtet.248 Im Juli 2001 wurden vier weitere hingefügt (Terrorismus, illegaler Handel mit Waffen, sexuelle Ausbeutung and Umweltkriminalität)249 und kurz danach (September 2001) der „Handel mit Drogen“ um „psychotrope Stoffe“ und „sexuelle Ausbeutung von Kindern“ um „Kinderpornografie“ ergänzt, sowie „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ hinzugefügt.250 Auf Antrag der britischen Delegation wurde einen Monat später die Liste noch einmal erweitert (Mord, Diebstahl, Erpressung, Entführung, Fälschung, Beihilfe zur illegalen Einwanderung und Betrug, einschließlich Betrug im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln).251 Während der Arbeiten am Entwurf des Rahmenbeschlusses über den EuHb entstand die Idee, den Mitgliedstaaten die Erstellung einer Negativliste mit denjenigen Delikten anzuvertrauen, die vom Anwendungsbereich des EuHb ausgenommen werden sollten.252 Parallel wurden Arbeiten am bereits aus 24 Deliktsgruppen bestehenden Katalog des Entwurfs eines Rahmenbeschlusses über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln fortgesetzt. Dabei ist die Liste wieder ergänzt worden, wobei zum Teil die Schlussfolgerungen der Ratstagung in Tampere (Cyberkriminalität) und zum Teil die Delikte aus dem Annex der Europol-Konvention (schwere Körperverletzung, illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Entführung, Diebstahl in organisierter Form, illegaler Handel mit Kulturgütern, Betrug, Erpressung, Nachahmung und Produktpiraterie, Fälschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit, Fälschung von Zahlungsmitteln, illegaler Handel mit Hormonen) berücksichtigt wurden.253 Während einer Reihe weiterer Erweiterungen (illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen, Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen, Vergewaltigung, Brandstiftung, Verbrechen, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen, Flugzeug- und Schiffsentführung und Sabotage) fiel die Entscheidung, dass der entstandene Katalog sowohl vom Rahmenbeschluss über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln als auch vom Rahmenbeschluss über den EuHb übernommen wird. Im Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und 248 Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 27 m.w.N. 249 Vgl. Art. 2 Abs. 1 des Entwurfs eines Rahmenbeschlusses über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union v. 26. 7. 2001, 10912/01 LIMITE, COPEN 38. 250 Vgl. Art. 2 Abs. 1 des Entwurfs eines Rahmenbeschlusses über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union v. 19. 9. 2001, 11947/01 LIMITE, COPEN 49. 251 Vgl. Art. 2 Abs. 1 des Entwurfs eines Rahmenbeschlusses über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union v. 5. 10. 2001, 12445/01 LIMITE, COPEN 57. 252 Vgl. Art. 2, 27 und Erwägungsgrund Nr. 14, ABl. C 332 E v. 27. 11. 2001, S. 305 – 319. 253 Ausführlich Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 27 f.

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Geldbußen (Art. 5 Abs. 1) wurde der Katalog um weitere sieben Deliktsgruppen erweitert254. Zu Recht wird in der Literatur betont, dass es in Wirklichkeit mehr als 32 bzw. 39 Straftaten sind, weil manche Punkte eine Gruppe von Straftaten abdecken.255 Angemerkt sei auch, dass die vorgestellten Listen von „Deliktsbereichen“ vom Rat einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments jederzeit erweitert werden können. Ergänzend soll hingefügt werden, dass die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit im Anerkennungskonzept bei den Katalogdelikten i. d. R. erst dann entfällt, wenn sie im Ausstellungsmitgliedstaat mit einer Freiheitsstrafe (oder ggf. einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung) im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind.256 Im Gegensatz zur „qualifizierten Anforderung beiderseitiger Strafbarkeit“ („qualified double criminality requirement“), wenn sowohl das Vorliegen einer entsprechenden Straftat im Vollstreckungsstaat als auch ein Mindeststrafmaß erfordert werden, kann dieses System als „einfach/einzeln qualifizierte Anforderung beiderseitiger Strafbarkeit“ (single qualified double criminality) beschrieben werden.257 Angesichts divergierender Grundstrafrahmen in den Mitgliedstaaten wird an der Lösung zu Recht kritisiert, dass dieser Ausgleich für den Wegfall der beiderseitigen Strafbarkeit keine wirkliche Kompensation herbeiführt.258 Bei anderen Straftaten wird die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit der Entscheidung der Mitgliedstaaten überlassen. Diese Möglichkeit wird in den neuesten Rahmenbeschlüssen sogar auf die Ka254

Das sind: gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften verstoßende Verhaltensweisen, einschließlich Verstöße gegen Vorschriften über Lenk- und Ruhezeiten und des Gefahrgutrechts, Warenschmuggel, Verletzung von Rechten an geistigem Eigentum, Bedrohungen von Personen und Gewalttaten gegen sie, einschließlich Gewalttätigkeit bei Sportveranstaltungen, Sachbeschädigung, Diebstahl, Straftatbestände, die vom Urteilsmitgliedstaat festgelegt wurden und durch Verpflichtungen abgedeckt sind, die sich aus im Rahmen des EGVertrags oder des Titels VI EU-Vertrag erlassenen Rechtsakten ergeben; Ahlbrecht spricht in diesem Zusammenhang kritisch von „einer neuen Dimension der Rechtshilfe“, Der Rahmenbeschluss-Entwurf der Europäischen Beweisordnung – eine kritische Bestandsaufnahme, NStZ 2006, S. 71; auch kritisch diesbezüglich Neidhart, Grenzüberschreitende Ahndung von Verkehrszuwiderhandlungen, WiRO 2005, S. 236. 255 Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 14. 256 Vgl. z. B. Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über den EuHb (oder 4 Monate bei einer Verurteilung zu einer Strafe oder der Anordnung einer Maßregel der Sicherung); Art. 3 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln, Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen. 257 van Ballegooij/Gonzales, Mutual Recognition and Judicial Decisions in Criminal Matters: a „Rule of Reason“ for Surrender Procedures?, in: Schrauwen (Hrsg.), Rule of Reason: Rethinking another Classic of European Legal Doctrine, S. 173. 258 So u. a. Schwaighofer am Beispiel der Unterschiede in der Strafandrohung für Grunddelikte in Österreich und Deutschland, Materielle Übergabe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen im Europäischen Haftbefehl, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 77.

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talogtaten erstreckt, wenn ein Mitgliedstaat eine entsprechende Erklärung dem Generalsekretariat des Rates abgibt.259 Festzuhalten ist, dass der Katalog eine Reihe von sehr unterschiedlichen, aneinander gereihten260 „mehr umgangssprachlich als strafrechtlich präzise umschriebenen Tattypen“261 darstellt. Die Kataloglösung ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen erwogener gänzlicher Aufhebung des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit262 und ihrem Fortbestehen im in der traditionellen Rechtshilfe typischen Umfang.263 .

III. Begründung der „Kataloglösung“ Angesichts der Zusammensetzung von teilweise sehr unterschiedlichen Deliktsgruppen und deren Befreiung von der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit stellt sich die Frage, ob die Auswahl der Katalogdelikte begründet ist und damit, ob die entstandene Unterscheidung zwischen Straftaten, bei denen beiderseitige Strafbarkeit geprüft wird, und Straftaten, die von diesem Erfordernis befreit sind, objektiv gerechtfertigt ist.264 Die Zusammensetzung von Katalogdelikten wird einerseits durch die Annahme erklärt, bei den aufgelisteten Straftaten sei entweder aufgrund des Harmonisierungs-

259 Art. 7 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung, Art. 10 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen. 260 Es verwundert u. a. die Reihenfolge der Aufzählung: Betrugsdelikte als achter Spiegelstrich, dann als 20. Spiegelstrich der Betrug selbst; Geldfälschung als zehnter Spiegelstrich, aber die Fälschung von Zahlungsmitteln als 24 Spiegelstrich; Freiheitsberaubung und Geiselnahme an 16. Stelle, Flugzeug- und Schiffsentführung als 31. Spiegelstrich, nach Murschetz, Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und seine Umsetzung im EU-JZG: Anmerkungen zur gegenseitigen Anerkennung, zur beiderseitigen Strafbarkeit und zur Übergabe eigener Staatsbürger, ÖJZ 2007, S. 101. 261 Michalke, EU-Konformität des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl – Advocaten voor de Wereld – Anmerkung zum EuGH Urteil, EuZW 2007, S. 378. 262 Diese Erwägung wurde beim Vorschlag des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen geäußert, zit. nach Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 28 m.w.N. 263 Es wird in der Literatur auch betont, dass die Findung dieses Kompromisses durch die tragischen Ereignisse des 11. 9. 2001 beschleunigt wurde, Nilsson, Mutual trust or mutual mistrust, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La confiance mutuelle dans lespace pnal europen: Mutual Trust in the European Criminal Area, S. 32. 264 EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007, Rs. C-303/05 (Advocaten voor de Wereld) Rn. 13.

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grades oder ihrer Schwere die beiderseitige Strafbarkeit gegeben.265 Andererseits wird auf die „Schwere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ durch die Katalogdelikte abgestellt, die den Verzicht auf die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit rechtfertige.266

1. Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit Ein für die Aufgabe der beiderseitigen Strafbarkeit ausreichender Harmonisierungsgrad wird häufig angezweifelt267 und auf zahlreiche Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten268 hingewiesen. Einzelne Harmonisierungsmaßnahmen und deren Vorschläge unterschiedlichen Umfangs269 lassen sich auf der EU-Ebene feststellen. Dies betrifft: Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung270, Terrorismus271, Menschenhandel272, sexuelle Ausbeutung von Kindern 265 Böse, Mündliche Verhandlung – Wortlautprotokoll, abgedruckt in: Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 206. 266 EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007, Rs. C-303/05 (Advocaten voor de Wereld), Rn. 57. 267 Vgl. Untersuchung aus 2004 von Peers, wonach der entstandene Katalog zum einen Delikte beinhaltet, deren Harmonisierung auf der EU-Ebene bereits angefangen wurde, zum anderen Delikte, die in Maßnahmen von UNO, Europarat oder der Europol-Konvention Erwähnung gefunden haben; vertreten sind jedoch auch Delikte, die auf internationaler Ebene bis dato nicht thematisiert wurden, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 28; vgl. auch Bantekas, The principle of mutual recognition in EU criminal law, E.L.Rev. Nr. 37/2007, S. 369; von HeintschelHeinegg/Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, GA 2003, S. 48; Klip, European Criminal Law, S. 333 ff. 268 Als Beispiel kann hier die Strafbarkeit von Diebstahl, Betrug und Hehlerei dienen: Während sie in Österreich in einigen Fällen mit bis zu sechs Monaten sanktioniert werden, ist in Italien für Diebstahl und Betrug eine Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und drei Jahren und in Deutschland und Polen sogar bis zu fünf Jahren vorgesehen, vgl. Murschetz, Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und seine Umsetzung im EU-JZG: Anmerkungen zur gegenseitigen Anerkennung, zur beiderseitigen Strafbarkeit und zur Übergabe eigener Staatsbürger, ÖJZ 2007, S. 101; ähnlich bei „Betrug“, der überall in der EU strafbar ist, aber was unter dem Begriff jeweils verstanden wird, kann woanders sogar straflos sein, Schwaighofer, Neuordnung des Auslieferungsrechts durch den Europäischen Haftbefehl, in: Grafl/Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 444 m.w.N. 269 Zum Teil handelt es sich dabei um Definitionen und Definitionsvorschläge, zum Teil aber auch um komplexe Regelungen zur strafrechtlichen Verantwortung; das Harmonisierungsergebnis hängt auch von der Verbindlichkeit gewählter Maßnahmen (Verordnung, Richtlinie, Rahmenbeschluss, gemeinsame Maßnahme etc.) und dem in der Maßnahme vorgesehenen Freiraum zur Kriminalisierung bestimmter Verhalten ab; dazu Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 33. 270 Vgl. Definition krimineller Vereinigung in Art. 6. Art. 1 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses v. 24. 10. 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (ABl. L 300 v. 11. 11. 2008, S. 42): ein auf längere Dauer angelegter organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die, um sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen, in Verabredung handeln, um Straftaten zu begehen, die mit einer Freiheitsstrafe

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und Kinderpornografie273, Korruption274, Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften275, Geldwäsche276, Fälschung von Zahlungsmitteln277 und Geldfälschung, einschließlich Euro-Fälschung278, Cyberkriminalität279, Umweltkriminalität280, Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Auf-

oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung im Höchstmaß von mindestens vier Jahren oder einer schwereren Strafe bedroht sind. 271 Rahmenbeschluss 2002/475 v. 13. 6. 2002 zur Terrorismusbekämpfung, ABl. L 164 v. 22. 6. 2002; vgl. auch Bericht der Kommission v. 8. 6. 2004 zur Terrorismusbekämpfung, KOM(2004) 409. 272 Rahmenbeschluss des Rates v. 19. 7. 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels, ABl. v. 1. 8. 2002, L 203, S. 1; vgl. auch Mitteilung der Kommission zur Bekämpfung des Menschenhandels, KOM(2005) 514 v. 18. 10. 2005. 273 Rahmenbeschluss v. 22. 12. 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie, ABl. L 013 v. 20. 1. 2004, S. 44; vgl. auch den aktuellen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses, KOM(2009) 135 v. 25. 3. 2009. 274 Rahmenbeschluss v. 22. 7. 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. L 192 v. 31. 7. 2003, S. 54; vgl. auch Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, ABl. C 195 v. 25. 6. 1997, S. 1; Gemeinsame Maßnahme 98/742/ JI v. 22. 12. 1998, ABl. L 358 v. 31. 12. 1998, S. 2; Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption, angenommen durch die Resolution der Generalversammlung 58/4 v. 31. 10. 2003; Beschluss des Rates v. 25. 9. 2008 über den Abschluss – im Namen der Europäischen Gemeinschaft – des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption, ABl. L 287 v. 29. 10. 2008, S. 1. 275 Dazu unter § 2 I. 1. a); laut Bericht über die Umsetzung des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und seiner Protokolle ist „die mit den Rechtsakten zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften angestrebte Angleichung der Rechtsvorschriften aller 27 Mitgliedstaaten (…) bisher weder formell noch materiellrechtlich in vollem Umfang erreicht worden“, KOM(2008) 77 v. 14. 2. 2008. 276 U. a. Rahmenbeschluss v. 26. 6. 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. L 182 v. 5. 7. 2001, S. 1; Richtlinie 2005/60 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung im Hinblick auf die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. L 309 v. 25. 11. 2005, S. 15; Richtlinie 2008/20/ EG v. 11. 3. 2008 zur Änderung der Richtlinie 2005/60/EG, ABl. L 76 v. 19. 3. 2008, S. 46; vgl. auch Hecker, Europäisches Strafrecht, § 5, Rn. 16, § 8, Rn. 19 ff. 277 Rahmenbeschluss v. 28. 5. 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln, ABl. L 149 v. 2. 6. 2001, vgl. auch den (2.) Kommissionsbericht v. 20. 2. 2006, KOM(2006) 65. 278 Rahmenbeschluss v. 29. 5. 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro, ABl. L 140 v. 14. 6. 2000, S. 1; vgl. auch den (3.) Bericht der Kommission v. 17. 9. 2007, KOM(2007) 524. 279 Rahmenbeschluss v. 24. 2. 2005 über Angriffe auf Informationssysteme, ABl. Nr. L 069 v. 16. 3. 2005, S. 67; vgl. auch Mitteilung v. 22. 5. 2007 zur allgemeinen Politik zur Bekämpfung der Internetkriminalität, KOM(2007) 267; Schlussfolgerungen des Rates v. 27. 11. 2008 über

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enthalt281, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit282, Drogenhandel283, einzelne Straßenverkehrsverstöße284, „Gewalttaten bei Sportveranstaltungen“285, Warenschmuggel und Verletzung von Rechten an geistigem Eigentum286. Es gibt einige Maßnahmen der Vereinten Nationen in Bezug auf illegalen Handel mit Waffen, mit Organen und menschlichem Gewebe, Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme, illegalen Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen, Verbrechen, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen, sowie Flugzeug- und Schiffsentführung.287 Schließlich findet ein Großteil der Katalogdelikte288 (lediglich) eine Erwähnung im Annex der Europol-Konvention. Die Deliktgruppe: Vergewaltigung, Brandstiftung, Sabotage, Sachbeschädigung und Diebstahl lässt sich auf keine auf interna-

eine konzertierte Arbeitsstrategie und konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Cyberkriminalität, ABl. Nr. C 062 v. 17. 3. 2009, S. 16. 280 Richtlinie 2008/99/EG v. 19. 11. 2008 über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt, ABl. L 328 v. 6. 12. 2008, S. 28. 281 Rahmenbeschluss des Rates v. 28. 11. 2002 betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt, ABl. L 328 v. 5. 12. 2002, S. 1; vgl. auch Kommissionsbericht v. 6. 12. 2006, KOM(2006) 770. 282 Rahmenbeschluss v. 28. 11. 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, ABl. L 328 v. 6. 12. 2008, S. 55. 283 Rahmenbeschluss v. 25. 10. 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels, ABl. L 335 v. 11. 11. 2004, S. 8; ABl. L 153M v. 7. 6. 2006, S. 94. 284 Vgl. fragmentarische Regelungen u. a. in der Verordnung Nr. 561/2006 v. 15. 3. 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr, ABl. Nr. L 102 v. 11. 4. 2006, S. 1; ABl. L 70 v. 14. 3. 2009, S. 19. 285 Hierzu lediglich fragmentarische Bestimmungen, z. B. in Entschließung des Rates v. 4. 12. 2006 betreffend ein aktualisiertes Handbuch mit Empfehlungen für die internationale polizeiliche Zusammenarbeit und Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Gewalttätigkeiten und Störungen im Zusammenhang mit Fußballspielen von internationaler Dimension, die zumindest einen Mitgliedstaat betreffen, ABl. Nr. C 322 v. 29. 12. 2006, S. 1. 286 U. a. die Richtlinie 2004/48/EG v. 29. 4. 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. L 157 v. 30. 4. 2004; der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss zur Ahndung der Verletzung geistigen Eigentums v. 12. 7. 2005, KOM(2005) 276 wurde zurückgenommen (ABl. C 71 v. 25. 3. 2009, S. 17); vgl. aber den übereinstimmenden Vorschlag für eine Richtlinie über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, KOM(2005) 276 v. 12. 7. 2005. 287 Dabei handelt es sich meistens um allgemein gehaltene Definitionen, die jedoch z. T. aufgrund Vorbehaltserklärung oder mangelnder Ratifizierung oder einschlägiger Rechtsakte nicht immer EU-weit gelten, so dass in diesem Bereich keine ausreichende Harmonisierung angenommen werden könnte, dazu Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 29 f. 288 Aufgeteilt in: Straftaten gegen Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit, Straftaten gegen fremdes Vermögen und staatliches Eigentum und Betrug und Straftaten gegen die Umwelt.

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tionaler Ebene getroffene Maßnahme zurückführen.289 Es ist somit festzuhalten, dass der Harmonisierungsgrad einzelner Katalogdelikte sehr unterschiedlich ist und als fraglich gilt, ob eine ausreichende Harmonisierung auf der Grundlage von Art. 31 Abs. 1 lit. e EUV je stattfinden kann, da damit lediglich die Annäherung minimaler Standards angestrebt werden kann. Bereits am Beispiel der vorsätzlichen Tötung kann gezeigt werden, dass darunter Verhalten subsumiert werden können, die in manchen Mitgliedstaaten sogar als straflos gelten.290 Selbst im Bereich des Kernstrafrechts weisen die nationalen Rechtsordnungen Unterschiede auf,291 die in concreto zur Verneinung der beiderseitigen Strafbarkeit führen können. Somit kann vom Vorhandensein der beiderseitigen Strafbarkeit, selbst unter Berücksichtigung der erfolgten Harmonisierungsmaßnahmen, nicht bei allen Katalogdelikten ausgegangen werden.292 2. Die Schwere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung In der Argumentation stellt der EuGH im Urteil vom 3. Mai 2007 nicht auf ihr tatsächliches Vorliegen, sondern allein auf die Schwere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ab. Diese rechtfertigende Schwere der Katalogdelikte leitet der EuGH aus ihrer Natur oder aufgrund der angedrohten Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren (vgl. Art. 2 Abs. 2 EuHbRb) ab und bestätigt die Auswahl des Rates durch Rückgriff auf das gegenseitige Vertrauen und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.293 Mit Hilfe des Merkmals der Schwere gelingt 289 Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong? CMLRev. Vol. 41/2004, S. 30. 290 Vorsätzliche Tötung ist in Österreich auch Tötung auf Verlangen und Mitwirkung am Selbstmord, dagegen kriminalisiert deutsches Recht dieses Verhalten bewusst nicht; in anderen Mitgliedstaaten könnte darunter auch Abtreibung subsumiert werden, Murschetz, Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und seine Umsetzung im EU-JZG: Anmerkungen zur gegenseitigen Anerkennung, zur beiderseitigen Strafbarkeit und zur Übergabe eigener Staatsbürger, ÖJZ 2007, S. 101; Keijzer, The double criminality requirement, in: Blekxtoon (Hrsg.), Handbook on the European Arrest Warrant, S. 161; a. A. Böse, Die strafrechtliche Zusammenarbeit in Europa, S. 15 f. 291 Weitere Beispiele nennt Szumiło-Kulczycka, in: Hofman´ski (Hrsg.), Europejski nakaz aresztowania w teorii i praktyce pan´stw członkowskich Unii Europejskiej, S. 169 f.; vgl. auch Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/ Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 108 m.w.N. 292 Ein Überblick über Rechtsprechung deutscher OLG zu einzelnen Deliktsbereichen bei Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 783; zutreffend erscheint somit der Kommentar von Nestler: beiderseitige Strafbarkeit wurde durch „schlichtes Vertrauen darauf ersetzt, dass sich unter den genannten Etikettierungen von Straftaten EU-weit harmonisiertes und weitgehend angenähertes Recht verberge“, Europäisches Strafprozessrecht, ZStW 2004, S. 337. 293 EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007, Rs. C-303/05 (Advocaten voor de Wereld), Rn. 57.

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es dem EuGH, für die Vielzahl unterschiedlicher Deliktsgruppen einen gemeinsamen Nenner zu finden und auf diese Weise ein übergeordnetes Kriterium zu formulieren. Verdeutlicht wird auch, dass nicht etwa das Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit, sondern die öffentliche Sicherheit und Ordnung im ersuchenden Staat das ausschlaggebende Argument für die Vereinfachung der strafrechtlichen Kooperation ist. Fraglich ist jedoch, ob dieses einseitige und allgemeine Kriterium als Rechtfertigung des Verzichts auf die beiderseitige Strafbarkeit standhält, wenn in der Gesamtabwägung auch die Problematik, die im ersuchten Staat auftritt, mitberücksichtigt wird.

IV. Kritikpunkte Die teilweise Aufhebung der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfesselte auf der einen Seite die bereits seit Jahrzehnten geführte Diskussion über ihre Erforderlichkeit im Allgemeinen. Auf der anderen Seite sorgte die Art und Weise für Kritik, wie der Verzicht auf diese Anforderung der traditionellen Rechtshilfe vollzogen wurde. .

1. Erforderlichkeit beiderseitiger Strafbarkeit als Voraussetzung justizieller Zusammenarbeit Die Funktion und Begründung der beiderseitigen Strafbarkeit – und somit auch deren Notwendigkeit – ist Gegenstand einer andauernden und vielschichtigen Diskussion.294 Eingewandt wird erstens, dass der Verzicht auf die Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit dazu führen kann, dass die den Strafrechtsvorschriften innewohnenden Wertvorstellungen in eine fremde Rechtsordnung „exportiert“ werden können.295 Zweitens verhelfe sie dazu, dass eine Person mit staatlicher Gewalt ihrer Freiheit beraubt wird, obwohl im Inland keine Gründe für eine eventuelle Bestrafung vorliegen.296 Somit wird drittens das Prinzip für eine „grundrechtsfundierte Auslieferungsvoraussetzung“ gehalten,297 das „vor dem Hintergrund des innerhalb Europas nicht harmonisierten Strafanwendungsrechts“298 nicht eingeschränkt werden soll.

294

Zu den Anfängen: Jescheck, Die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in Europa, ZStW 1954, S. 531. 295 Becker, Grundprinzipien des Auslieferungsrechts, Jura 1988, S. 235. 296 Schultz, Das schweizerische Auslieferungsrecht, S. 313. 297 Schünemann, Europäischer Haftbefehl und gegenseitige Anerkennung in Strafsachen, ZRP 2003, S. 188; ders., Grundzüge eines Alternativ-Entwurfs zur europäischen Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 396 f. 298 So einige Teilnehmer der Tagung der deutschsprachigen Strafrechtslehrer in Dresden (November 2003) und der Tagung der Europäischen Rechtsakademie in Trier (Mai 2003), nach Kreß, Das Strafrecht auf der Schwelle zum europäischen Verfassungsvertrag, ZStW 2004, S. 465.

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a) Garantiefunktion der beiderseitigen Strafbarkeit Die Rechtfertigung des Erfordernisses der beiderseitigen Strafbarkeit durch das Rechtsschutzinteresse des Betroffenen wird teilweise für nicht überzeugend gehalten.299 Betont wird insbesondere, dass die beiderseitige Strafbarkeit einen „Reziprozitätsgedanken des klassischen zwischenstaatlichen Rechtshilferechts“ zum Ausdruck bringt, und somit nur „souveränitäts-, nicht aber individualschutzorientiert“ wirkt.300 Weder verfassungsrechtlich noch völkerrechtlich lässt sich eine Pflicht begründen, dass der Verfolgte nur dann ausgeliefert werden kann, wenn er auch nach dem Strafrecht des ersuchten Staates als Straftäter anzusehen wäre.301 Das ergibt sich zum einen daraus, dass die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit in der Regel keinen individualschützenden Charakter hat,302 zum anderen ist es darauf zurückzuführen, dass die verfassungsrechtliche Relevanz einen Auslieferungs-Vollzugsakt in den seltenen Fällen303 aufweist, wo der ausländische Staat ein Verhalten bestrafen will, der aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nicht oder nicht in dieser Weise im Inland bestraft werden könnte.304 Der Verzicht auf ihre Überprüfung wird somit sowohl straftheoretisch als auch demokratietheoretisch als grundsätzlich unbedenklich angesehen.305 Angesichts einer EU-weiten Geltung von einheitlichen Menschenrechten und zumindest im Kern vergleichbaren Grundprinzipien pauperisiert ihre Bedeutung als Schutzrecht des Betroffenen306 und ihre Ersetzung durch andere

299

Weigend, Grundsätze und Probleme des deutschen Auslieferungsrechts, JuS 2000, S. 107 m.w.N.; Hartmut schreibt sogar von „Schädlichkeit“ beiderseitiger Strafbarkeit für das Gemeinschaftsrecht („Lücke im Strafschutz“), Zur Angleichung des Straf- und Strafprozessrechts in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, ZStW 1971, S. 548 f. 300 Böse, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in der transnationalen Strafrechtspflege in der EU, in: Momsen/Bloy/Rackow (Hrsg.), Fragmentarisches Strafrecht, S. 242. 301 Lagodny sieht durch den Auslieferungs-Vollzugsakt eine Beeinträchtigung von Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit), die durch das „Prinzip der Völker(rechts)freundlichkeit“ (Art. 25 GG) gerechtfertigt wird, Grundkonstellationen des internationalen Strafrechts, ZStW 1989, S. 996; vgl. Bleckmann, Die Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung, DÖV 1979, S. 316. 302 Juppe verneint die subjektivrechtliche Komponente gänzlich, Die gegenseitige Anerkennung, S. 158 ff. 303 Vgl. Klip, European Integration and Harmonisation and Criminal Law, in: Curtin u. a. (Hrsg.), European Integration, S. 14. 304 Lagodny nennt als Beispiele hierzu bestimmte Einschränkungen in der Meinungsäußerung oder Abhacken der Hand bei Diebstahl, Grundkonstellationen des internationalen Strafrechts, ZStW 1989, S. 997. 305 Vogel argumentiert: „Straftheoretisch ist die Grenze erst bei unvertretbarer, menschenrechtswidriger Strafbarkeit erreicht.“; „demokratietheoretisch“ ist die Anerkennung fremdes Strafrechts unbedenklich, denn „der Verfolgte könne im Vollstreckungsstaat, seinem Heimatstaat, mit demokratischen Mitteln darauf hinwirken, dass diese Entscheidung geändert wird“, Licht und Schatten im Alternativ-Entwurf Europäische Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 410. 306 Bönke, Grenzüberschreitende Ahndung von Verkehrsverstößen, NZV 2006, S. 21.

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Schutzmaßnahmen, wie beispielsweise einen ordre-public-Vorbehalt, kann in Erwägung gezogen werden. b) Kooperationspraxis Die Bedeutung des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit degradiert auch aus kriminalpolitischen Gründen, wie die Effektivitätssteigerung der Strafverfolgung307 und die Eliminierung von „Oasen der Straflosigkeit“,308 und wird in der Kooperationspraxis häufig als eine „nicht mehr notwendige Beschränkung der internationalen Solidarität“ auf strafrechtlichem Gebiet angesehen.309 Seine Abschaffung im Auslieferungsrecht wird des Weiteren auf die Tatsache gestützt, dass die Auslieferung keine eigene Rechtsdurchsetzung des ersuchten Staates, sondern Hilfe zu fremder Strafverfolgung darstellt.310 Im Übrigen wird darauf verwiesen, dass die ratio legis der Pönalisierung eines Verhaltens in anderen Mitgliedstaaten schlicht zu akzeptieren sei.311 Dieser Akzeptanz soll der Gedanke der gemeinsamen Zielsetzung und Verfolgung zugrunde liegen: „Ist man überzeugt, dass die europäischen Staaten eine Interessengemeinschaft bilden, in der jeder Staat an der Erhaltung der Sozialordnung der Partner interessiert ist, so verliert das Erfordernis der Normidentität an Bedeutung“.312 Aus den o.g. Gründen lässt sich seit mehreren Jahren eine Auflockerungstendenz in der Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit im Rechtshilferecht feststellen. Erstens kommt es häufig bei der Prüfung beiderseitiger Strafbarkeit nicht mehr 307 Frieberger kritisiert in diesem Zusammenhang die Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit, die „dem Anerkennungsgrundsatz seinen Hauptvorteil: Geschwindigkeit und Unkompliziertheit wegnimmt“, Mutual Recognition of Final Decisions and Dual Criminality, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnales dans lUE, S. 162; vgl. auch Beispiele bei Lagodny, Überlegungen zu einem menschengerechten transnationalen Straf- und Strafverfahrensrecht, in: Arnold u. a. (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, FS Eser, S. 784. 308 Vgl. Vernimmen, A propos de la reconnaissance mutuelle des dcisions sentencielles en gnral, in: de Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des dcisions judiciaires pnales dans lUE, S. 149 f.; van Ballegooij/Gonzales, Mutual Recognition and Judicial Decisions in Criminal Matters: a „Rule of Reason“ for Surrender Procedures?, in: Schrauwen (Hrsg.), Rule of Reason: Rethinking another Classic of European Legal Doctrine, S. 17. 309 Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass keine Staatengemeinschaft der Welt so intensiv wie die EU zusammenarbeitet; Klip, Harmonisierung des Strafrechts – eine fixe Idee?, NStZ 2000, S. 628. 310 Vogel, Abschaffung der Auslieferung, JZ 2001, S. 942; Weigend, Grundsätze und Probleme des deutschen Auslieferungsrechts, JuS 2000, S. 107. 311 Jescheck argumentiert: „Zieht der ausländische Gesetzgeber den Kreis des strafwürdigen Unrechts weiter als der eigene, so wird er dafür beachtliche Gründe haben, die sowohl in der Rechtstradition wie in besonderen sozialen Verhältnissen liegen können.“, Die Strafgewalt übernationaler Gemeinschaften, ZStW 1954, S. 530; Schomburg, Die Rolle des Individuums in der Internationalen Kooperation in Strafsachen, StV 1998, 157. 312 Jescheck, Die Strafgewalt übernationaler Gemeinschaften, ZStW 1954, S. 530.

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auf die nomoi iuris der Tatbestände an,313 und somit wird keine (Teil-)Identität zwischen den Strafgesetzen des ersuchenden und des ersuchten Staates verlangt. De lege ferenda wird auch postuliert, dass die Justizbehörden, welche die beiderseitige Strafbarkeit überprüfen, bei der Auslegung von Vorschriften auf die Strafbarkeit in genere,314 die bloße Erforderlichkeit der beiderseitigen Sanktionierbarkeit315 oder die Beiderseitigkeit des Rechtsgutschutzes316 abstellen sollen.317 Zweitens kann der Verlust einer „Kontrollmöglichkeit“ mit anderen Rechtsinstrumenten kompensiert werden. Die neueren Auslieferungsverträge bedienen sich beispielsweise anstelle eines positiven Straftatenkatalogs einer Generalklausel, die eine Auslieferung erst bei Straftaten ab einer bestimmten Mindeststrafandrohung zulässt.318 Eine andere Möglichkeit besteht in der Berufung auf die Verletzung einer ordre-public-Klausel oder in der Erklärung eines Vorbehalts, dass einem Rechtshilfeersuchen nur dann stattgegeben wird, wenn es die internationalen Verpflichtungen (wie z. B. Schutz der Menschenrechte) des ersuchten Staates nicht beeinträchtigt.319 c) Zwischenergebnis In der justiziellen Zusammenarbeit in der Europäischen Union in Strafsachen könnte ein gänzlicher Verzicht auf die Voraussetzung beiderseitiger Strafbarkeit erwogen werden. Geboten erscheint es im Hinblick auf die kooperationsrechtliche Praxis und gegenseitige Förderung der Strafverfolgung zwischen den Mitgliedstaaten. Vor dem Hintergrund, dass eventuelle Defizite im Rechtsschutz mit anderen Kontrollmechanismen kompensiert werden können (dazu auch unten), stünden dem Verzicht keine individualschutzfundierten Bedenken entgegen.

313 SA in Krakau v. 27. 10. 1999, II Kaz 244/99, Krakowskie Zeszyty Sa˛dowe 10/1999, Pos. 45; genauso Supreme Court 759 U.S. 309, 312 (1922); Vogler/Wilkitzki-Vogel, Kommentar zum IRG, Vor § 1, Rn. 75; Gostyn´ski, KPK-Komentarz, Art. 604, Rn. 4. 314 Płachta, Kidnapping mie˛dzynarodowy w słuz˙bie prawa, S. 29. 315 Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 147; vgl. Beispiele bei Mix, Die Vollstreckungsübernahme im internationalen Strafrecht, S. 21. 316 Markees, Rapport suisse. Les problmes actuels de lextradition, RIDP Vol. 45/1968, S. 747 f. 317 Im EuAlÜbk (Art. 2 Abs. 1) ist der Grundsatz insoweit „aufgelockert“, als die Unterschiede in der rechtlichen Bewertung kein Rechtshilfehindernis darstellen, wenn der Sachverhalt nur irgendeine inländische Strafvorschrift verletzt; so reicht es beispielsweise, wenn der US-amerikanische Einwanderungs„betrug“ einen Verstoß gegen das Ausländerrecht darstellt; nach Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 663. 318 Gilbert, Aspects of Extradition Law, S. 48; Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 199 m.w.N. 319 Nach Gardocki, Podwjna przeste˛pczos´c´ czynu w prawie ekstradycyjnym, S. 75.

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2. Unbestimmtheit der Kataloglösung Der schwerwiegendste Kritikpunkt gegenüber dem Katalog betrifft die Unbestimmtheit seiner einzelnen Deliktsformen.320 Darin wird einerseits die Ursache für etwaige Verstöße, insbesondere den Grundsatz nulla poena sine lege, den Bestimmtheitsgrundsatz und den Gleichheitssatz erblickt. Darüber hinaus wird auf kooperationsrechtliche Probleme hingewiesen, die aufgrund der Unbestimmtheit der Katalogdelikte das in der Zusammenarbeit vorausgesetzte Vertrauen in Frage stellen. a) Rechtliche Bedenken Wie bereits erwähnt, fokussiert sich die Kritik der Kataloglösung auf die Problematik der Bestimmtheit einzelner dort aufgezählter Delikte. Der erste Einwand betrifft die Beurteilung von Formulierungen des Katalogs am Maßstab des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots. Danach stelle der Katalog, gemessen an den Anforderungen dieser Verfassungsnorm, die „Karikatur einer rechtsstaatlichen Regelung“ dar.321 Der zweite Kritikpunkt zielt auf die Vereinbarkeit der gewählten Lösung mit dem Grundsatz nulla poena sine lege. Der Katalog verletze danach gebotene Bestimmtheitserfordernisse, missachte die Derivate des nulla-poene-Grundsatzes322 und könne zu „Schwierigkeiten“ unter Art. 7 EMRK führen.323 Schließlich betrifft der dritte Vorwurf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung. Die Regelung des Rahmenbeschlusses führe aufgrund unsubstantiierter Definition der Tatbestände, für die die Übergabe verlangt werde, abhängig davon, wo sich der fragliche Sachverhalt ereignet habe, zu einer ungerechtfertigten Un-

320 In der Literatur werden die Katalogdelikte beschrieben als: „unbestimmte Sammelbezeichnung von Delikttypen“, „mehr umgangssprachlich als strafrechtlich präzise umschriebenen Tattypen“ (Michalke, EU-Konformität des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl – Advocaten voor de Wereld – Anmerkung zum EuGH Urteil, EuZW 2007, S. 378), „zum Teil Deliktstypen, zum Teil Kriminalitätsformen“ (Murschetz, Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und seine Umsetzung im EU-JZG: Anmerkungen zur gegenseitigen Anerkennung, zur beiderseitigen Strafbarkeit und zur Übergabe eigener Staatsbürger, ÖJZ 2007, S. 101), „kriminalpolitische Begriffe“ (Nestler, Europäisches Strafprozessrecht, ZStW 2004, S. 337), oder „vage Typologie von Straftaten“ (Braum, Der Europäische Haftbefehl – Motor europäischer Strafrechtspflege?, wistra 2007, S. 404). 321 Schünemann, Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene, ZRP 2003, S. 188; Nestler, Europäisches Strafprozessrecht, ZStW 2004, S. 337; weitere Nachweise bei Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 130. 322 Vgl. Ahlbrecht, Der Rahmenbeschluss-Entwurf der Europäischen Beweisanordnung – eine kritische Bestandsaufnahme, NStZ 2006, S. 72; zur Auswirkung der Abschaffung beiderseitiger Strafbarkeit auf den Grundsatz nulla poena sine lege vgl. auch Linke, Grundriss des Auslieferungsrechts, S. 40. 323 Alegre/Leaf, Mutual Recognition in European Judicial Cooperation: A Step Too Far Too Soon? Case Study – the European Arrest Warrant, ELJ Vol. 10/2004, S. 208; vgl. auch Mitsilegas, The Constitutional Implications of Mutual Recognition in Criminal Matters in the EU, CMLRev. Nr. 43/2006, S. 1289.

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gleichbehandlung der Rechtsunterworfenen. Damit werde in unterschiedlicher Weise über den Freiheitsentzug entschieden, ohne dass dies gerechtfertigt wäre.324 Hinsichtlich des ersten Kritikpunktes stellt sich, abgesehen von der Frage, inwieweit der Katalog anhand deutscher (oder im allgemeinen) verfassungsrechtlicher Grundsätze überprüft werden kann,325 auch die Frage, ob eine Norm wie Art. 103 Abs. 2 GG auf die Deliktsgruppen anwendbar wäre. Zu verneinen wäre dies mit dem Argument, dass niemand auf dieser Grundlage bestraft wird. Die Auslieferung ist in diesem Sinne keine Strafe.326 Somit ist auch die Verletzung des allgemeinen Grundsatzes nullum crimen, nulla poena sine lege fraglich.327 Wie der EuGH es zutreffend formuliert hat, soll diesem Grundsatz nach dem Recht des Ausstellungstaates Genüge getan werden.328 Da der Rahmenbeschluss nicht zur Angleichung der fraglichen Delikte hinsichtlich ihrer Tatbestandsmerkmale oder der angedrohten Strafen führt, ist selbst bei einer wortgenauen Umsetzung der Katalogdelikte die Definition dieser Straftaten und der für sie angedrohten Strafen maßgeblich, die sich aus dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats ergibt.329 Im Hinblick auf den Gleichheitssatz ist zu beachten, dass gleichartige Sachverhalte gleich und unterschiedliche Sachverhalte nach Maßgabe ihrer Unterschiedlichkeit unterschiedlich behandelt werden, sofern eine andere Sachbehandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist.330 Der EuGH rechtfertigt die Unterscheidung zwischen den Straf324

Vgl. EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007, Rs. C-303/05 (Advocaten voor de Wereld), Rn. 53. Dazu unter § 6 I. 3. 326 Böse, Mündliche Verhandlung – Wortlautprotokoll, abgedruckt in: Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 206; Lagodny, Überlegungen zu einem menschengerechten transnationalen Straf- und Strafverfahrensrecht, in: Arnold u. a. (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, FS Eser, S. 783; kritisch Zeidler, Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit im Auslieferungsrecht, S. 95, Andreou, Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 59. 327 Dem Ergebnis zustimmend Murschetz, Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und seine Umsetzung im EU-JZG: Anmerkungen zur gegenseitigen Anerkennung, zur beiderseitigen Strafbarkeit und zur Übergabe eigener Staatsbürger, ÖJZ 2007, S. 101. 328 EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007, Rs. C-303/05 (Advocaten voor de Wereld), Rn. 53; Lagodny, Die Umsetzung der materiellen Übergabe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen und der Verfahrensregelungen in den Mitgliedsstaaten im Überblick, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 145; kritisch im Hinblick auf die Argumentation des EuGH Nettesheim, Grundrechtskonzeption des EuGH, EuR 2009, S. 42. 329 Braum sieht im Katalog aber „materielle Strafbarkeitsbedingungen eigener Art, die mit dem materiellen Strafrecht gleichzusetzen ist“, Der Europäische Haftbefehl – Motor europäischer Strafrechtspflege?, wistra 2007, S. 405; vgl. Feller, The Significance of the Requirement of Double Criminality in the Law of Extradition, Is.L.R. 1975, S. 80; Mylonopoulos, Internationalisierung des Strafrechts und Strafrechtsdogmatik, ZStW 2009, S. 73. 330 Vgl. u. a. EuGH-Urteil v. 14. 12. 2004, Rs. C-210/03, Rn. 70 m.w.N.; vgl. Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 114 m.w.N. 325

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taten, bei denen die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit stattfindet und denen, die davon ausgenommen sind, mit der Schwere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.331 Zum Vorwurf der zur unterschiedlichen Lösung bei vergleichbaren Fällen führenden Unbestimmtheit der Katalogdelikte (die Gleichheit bei der Anwendung der Regelung) weist der EuGH erneut darauf hin, dass der Rahmenbeschluss nicht auf die Angleichung des materiellen Strafrechts der Mitgliedstaaten gerichtet ist und eine solche Angleichung unter dem Titel VI EUV nicht vorausgesetzt wurde. Eine diesbezüglich aussagekräftigere Begründung formuliert der Generalanwalt in den Schlussanträgen. „Gleichheit bedeutet nicht, dass unabhängige Organe eine übereinstimmende Hermeneutik wahren. Es wäre sarkastisch, ein Gesetz als diskriminierend zu beanstanden, weil es unterschiedliche Auslegungen erfahren kann, die über die jeweiligen Rechtsmittelzüge vereinheitlicht werden können.“332 b) Kooperationspraxis Parallel zu den obigen Ausführungen hinsichtlich der Unbestimmtheit der Katalogdelikte und des Gleichbehandlungsgebots zieht der Generalanwalt ein Risiko für die Sicherheit in der Kooperationspraxis in Erwägung, hält es aber aus zwei Gründen für unwahrscheinlich: zum einen, weil ein Austausch von Informationen und die unmittelbare Konsultation zwischen den beteiligten Richtern vorgesehen wurde, und zum anderen, weil im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 35 EUV Zweifel hinsichtlich der Bedeutung eines im Katalog verwendeten Begriffs geklärt werden können.333 Diese Argumentation überzeugt nicht. Es ist erstens fraglich, ob den nationalen Gerichten die Sorge um die EU-weite Einheitlichkeit der Auslegung von Katalogdelikten aufgebürdet werden kann. Alleine durch die Änderungen, die im Umsetzungsverfahren von den nationalen Gesetzgebern vorgenommen wurden, entsprechen die Listen der Delikte in mehreren Mitgliedstaaten nicht mehr dem Katalog des Rahmenbeschlusses. Schon angesichts dessen kann auch der Informationsaustausch nicht zur Einheitlichkeit beitragen.334 Zweitens ist hinsichtlich des Verfahrens nach Art. 35 EUV zum einen auf dessen Verbindlichkeit für die Mitgliedstaaten hinzuweisen,335 zum anderen ist grundsätzlich für die Definition der Straftaten das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats maßgeblich.

331

EuGH-Urteil v. 3. 5. 2007, Rs. C-303/05 (Advocaten voor de Wereld), Rn. 59. Schlussanträge des Generalanwalts Damaso Ruiz-Jarabo Colomer v. 12. 9. 2006, Rs. C-303/05, Rn. 97; übereinstimmend im Ergebnis Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 115. 333 Vgl. auch Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 81, Rn. 14. 334 Auf weitere Defizite des Informationsaustausches weist Hinarejos hin: Recent Human Rights Developments in the EU Courts: The Charter of Fundamental Rights, the European Arrest Warrant and Terror Lists, H.R.L.Rev. 2007, S. 800. 335 Dazu unter § 5 II. 3. 332

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Auch in der Literatur wird auf die mit der Unbestimmtheit der Katalogdelikte verbundenen Schwierigkeiten hingewiesen. Erstens ist im Vollstreckungsstaat aufgrund der vagen Formulierung unklar, wann die Prüfung entfallen soll.336 Die auf die Unbestimmtheit zurückzuführenden Kontrollschwierigkeiten führen zur Nicht-Vorhersehbarkeit solcher Kontrollergebnisse337 und wirken sich negativ auf die Gewährleistung des Schutzes aus, der durch den Grundsatz der Spezialität garantiert werden sollte. Selbst bei Delikten, die auf den ersten Blick ausreichend bestimmt sind, entstanden aufgrund mangelnder Harmonisierung zu umfangreiche Auslegungsspielräume.338 Zweitens bestehe zumindest potenziell die Gefahr, dass diese Ungenauigkeit missbraucht wird, um die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit ungerechtfertigt umzugehen.339 Drittens ist eine „Willkürkontrolle“340 auf die Schlüssigkeitsprüfung341 beschränkt (vgl. Art. 15 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über den EuHb)342 und durch unpräzise Deliktsbezeichnungen wesentlich erschwert.343 336 Braum, Der Europäische Haftbefehl – Motor europäischer Strafrechtspflege?, wistra 2007, S. 405. 337 Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 108. 338 U. a. deswegen hat der belgische Gesetzgeber vermerkt, dass Sterbehilfe und Abtreibung nicht unter die Gruppe „vorsätzliche Tötung“ fallen, zit. nach Weyembergh, Les juridictions belges et le mandat darrÞt europen, eucrim 1 – 2/2006, S. 26; vgl. auch Ahlbrecht, Der Rahmenbeschluss-Entwurf der Europäischen Beweisordnung – eine kritische Bestandsaufnahme, NStZ 2006, S. 72. 339 van Ballegooij/Gonzales, Mutual Recognition and Judicial Decisions in Criminal Matters: a „Rule of Reason“ for Surrender Procedures?, in: Schrauwen (Hrsg.), Rule of Reason: Rethinking another Classic of European Legal Doctrine, S. 174; Schwaighofer, Materielle Übergabe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen im Europäischen Haftbefehl, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 78. 340 Murschetz, Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und seine Umsetzung im EU-JZG: Anmerkungen zur gegenseitigen Anerkennung, zur beiderseitigen Strafbarkeit und zur Übergabe eigener Staatsbürger, ÖJZ 2007, S. 102. 341 Vgl. z. B. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 14. 3. 2005 – 4 Ausl. 68/03; weitere Nachweise bei Böhm, Das neue Europäische Haftbefehlsgesetz, NJW 2006, S. 2594. 342 Eine Ausnahme stellt u. a. Österreich dar, wo Überprüfung der Subsumption sogar expressis verbis zulässig ist, Murschetz, Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und seine Umsetzung im EU-JZG: Anmerkungen zur gegenseitigen Anerkennung, zur beiderseitigen Strafbarkeit und zur Übergabe eigener Staatsbürger, ÖJZ 2007, S. 102; in Italien wird darüber diskutiert, ob die zusätzlichen Informationen zu den 32 Deliktsgruppen angefordert werden können; in Großbritannien werden grundsätzlich keine zusätzlichen Informationen angefordert, ausgenommen Fälle, wo ernsthafte Zweifel bestehen; in Holland gibt es bereits ein Urteil des Obersten Gerichtshofs, wo die Übergabe verweigert wurde, weil der Sachverhalt nicht zu den in der Liste aufgeführten Delikten passte, nach Fichera/Janssens, Mutual recognition of judicial decisions in criminal matters and the role of the national judge, ERA Forum 2007, S. 189. 343 Schulz spricht sogar von der Unmöglichkeit einer materiellen Kontrolle und infolge dessen automatischer Anerkennung, Anfang und Ende des Ermittelns – Der legitime Verdacht

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c) Zwischenergebnis Die Bezeichnung der Katalogdelikte kann nicht am Maßstab des materialstrafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes gemessen werden. Dem Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege soll nach dem Recht des Ausstellungsstaates Genüge getan werden. Eine Ungleichbehandlung liegt auf der Rechtssetzungsebene nicht vor, kann aber aufgrund der Bestimmtheitsdefizite und fehlender Kontrollmöglichkeiten bei der Rechtsanwendung nicht ausgeschlossen werden. Mangelnde Bestimmtheit der Katalogdelikte erweitert Auslegungsspielräume und schafft Unsicherheit in der Kooperationspraxis.344

V. Alternative Lösungsvorschläge Bereits während der Arbeiten am Katalog wurde auf Alternativen zur Auflistung von Straftaten hingewiesen.345 Innerhalb der alternativen Lösungsvorschläge wird hier insbesondere auf drei Konzepte eingegangen. Erstens wird der Verzicht auf die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit von deren tatsächlichem Vorliegen abhängig gemacht. Danach wird grundsätzlich entweder auf die Notwendigkeit vorausgehender Harmonisierungsmaßnahmen346 oder eine Einschränkung des Verzichts auf einen bereits harmonisierten Kernbereich, wo „allseitige Strafbarkeit“ gegeben ist,347 abgestellt. Zweitens setzten die Vorschläge eine Zuständigkeitsregelung voraus. Danach kann auf den Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit verzichtet werden, wenn der Anerkennungsanspruch eines Staates nur auf die Taten beschränkt sei, die auf seinem Staatsgebiet begangen worden sind, und die nationalen StrafanwenStraFo 2003, S. 295; vgl. auch Schwaighofer, Neuordnung des Auslieferungsrechts durch den Europäischen Haftbefehl, in: Medigovic (Hrsg.), FS Burgstaller, S. 444 m.w.N. 344 Eine negative Auswirkung auf das gegenseitige Vertrauen zwischen den justiziellen Behörden und somit auf die Kooperationspraxis sieht darin auch Gallagher, Future developments in judicial cooperation in criminal matters, ERA Forum 2009, S. 505. 345 Z. B. der Vorschlag der britischen Delegation betreffend des Abstellens auf die Schwere der Straftat, die auf der Grundlage des Höchststrafmaßes zu definieren wäre (nach Aufzeichnung der britischen Delegation, Gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen: bis zum Dezember 2000 anzunehmendes Maßnahmenprogramm, v. 22. 2. 2000, Ratsdokument Nr. 6375/00, S. 5), oder der Vorschlag Frankreichs zur gänzlichen Aufhebung der beiderseitigen Strafbarkeit beim EU-RhÜbk und deren Ersetzung durch eine essentialinterests-Klausel. 346 U. a. Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong? CMLRev. Vol. 41/2004, S. 23; Klip schlägt eine „freiwillige“ Harmonisierung nach einem Modellstrafgesetzbuch vor, European Integration and Harmonisation and Criminal Law, in: Curtin u. a. (Hrsg.), European Integration, S. 149. 347 Ausgenommen sollen danach Tatbestände sein, die am stärksten divergieren, wie z. B. Abtreibung, Sterbehilfe, manche Sexualdelikte und Teile des Wirtschaftsstrafrechts, Fuchs, Bemerkungen zur gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen, ZStW 2004, S. 367 f.; vgl. auch Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 107.

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dungsansprüche innerhalb der EU im Einklang mit dem interlokalen Strafanwendungsrecht einheitlich auf das Tatortprinzip348 (oder genauer auf den Handlungsort349) zurückgeführt werden. Drittens wird die Ersetzung der Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit durch eine ordre-public-Klausel postuliert. Danach könnte die Gewährung der Rechtshilfe nur in solchen Fällen verweigert werden, in denen das Ersuchen aufgrund eines Verhaltens ergangen ist, das aus besonders gewichtigen Gründen im Vollstreckungsstaat nicht als Straftat anzusehen ist.350 Ergänzend können denkbare Probleme bei einer Unkenntnis von geltenden Vorschriften im Rahmen der Irrtumsproblematik gelöst werden.351 Bei der ersten Lösung, die auf das tatsächliche Vorliegen beiderseitiger Strafbarkeit abstellt, ist es zunächst fraglich, inwiefern die Annäherung von Vorschriften des materiellen Strafrechts durchführbar ist, und ob dies vor dem Hintergrund der Eigenart des Strafrechts und dessen nationaler Prägung erwünscht ist.352 Schonender für die nationalen Rechtsordnungen ist der Vorschlag, die Jurisdiktionskonflikte zugunsten des Tatorts zu entscheiden und somit einen effektiven Schutz vor Ausdehnung der strafrechtlichen Zuständigkeit anderer Mitgliedstaaten zu garantieren.353 Diese Lösung führt des Weiteren zur Förderung von Netzwerken internationaler Zusammenarbeit und setzt keine Korrekturen ausländischer Kriminalpolitik voraus.354 Da die Unterschiede in der Strafbarkeit eines Verhaltens anerkannt werden, sofern die Strafbarkeit am Tatort gegeben ist, liefert dieser Vorschlag keine ausreichende Lösung für die Fälle, in denen der Vollstreckungsmitgliedstaat einen ausländischen Strafverfolgungsanspruch fördern müsste, obwohl das dem Ersuchen zugrunde liegende Verhal348 Zit. nach Kreß, Das Strafrecht auf der Schwelle zum europäischen Verfassungsvertrag, ZStW 2004, S. 465. 349 Deiters, Gegenseitige Anerkennung von Strafgesetzen in Europa, ZRP 2003, S. 361. 350 Lagodny, Überlegungen zu einem menschengerechten transnationalen Straf- und Strafverfahrensrecht, in: Arnold u. a. (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, FS Eser, S. 785; IRG-Kommentar-Lagodny, § 3, Rn. 2 m.w.N. 351 Dazu am Beispiel des Art. 17 S. 1 StGB Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 166 f. 352 Klip macht aufmerksam darauf, dass grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die überwiegende Mehrheit von Verhalten, die in einem Mitgliedstaat als Straftat angesehen werden, in allen anderen Mitgliedstaaten auch kriminalisiert sind, gleichwohl durch anders genannte Tatbestände, European Integration and Harmonisation and Criminal Law, in: Curtin u. a. (Hrsg.), European Integration, S. 14. 353 Meyer, Die künftige Europäische Verfassung und das Strafrecht, in: Arnold u. a. (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, FS Eser, S. 805; Klip, European Integration and Harmonisation and Criminal Law, in: Curtin u. a. (Hrsg.), European Integration, S. 145; das BVerfG ließ zwar die Frage der Folgen von der partiellen Abschaffung der beiderseitigen Strafbarkeit offen, sah jedoch im Merkmal des maßgeblichen Inlandbezuges eine Schutzfunktion vor ausländischen Strafansprüchen, dazu Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 161 f.; vgl. auch Tomuschat, Ungereimtes – Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 über den Europäischen Haftbefehl, EuGRZ 2005, S. 456. 354 Klip, European Integration and Harmonisation and Criminal Law, in: Curtin u. a. (Hrsg.), European Integration, S. 146.

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ten nach seinem Recht aus gewichtigen Gründen keine Straftat darstellt.355 Eine Absicherung für solche Fälle könnte im Wege einer ordre-public-Klausel geschaffen werden. Einen konkreten Vorschlag diesbezüglich für den Auslieferungsverkehr formulierte Lagodny: „Die Auslieferung ist unzulässig, wenn sie gegen ordre public verstößt. […] Im Hinblick auf die Strafbarkeit des einem Ersuchen zugrunde liegenden Verhaltens liegt ein solcher Verstoß vor, wenn das zugrunde liegende Verhalten im ersuchten Staat 1. aus verfassungs-/menschenrechtlichen Gründen oder 2. aus wesentlichen kriminalpolitischen Gründen oder 3. aus sonstigen vergleichbar gewichtigen Gründen nicht bestraft werden würde.“356

Bei Einführung einer solchen Klausel ist an die potenzielle Missbrauchsgefahr zu denken. Um eine ungerechtfertigte Berufung auf ordre public und somit ein Risiko für das gegenseitige Vertrauen zu vermeiden, soll insbesondere eine Begründungspflicht und eine Kontrolle auf der EU-Ebene in Erwägung gezogen werden.

VI. Schlussfolgerungen Die Frage der beiderseitigen Strafbarkeit ist und bleibt die Achillesferse des Konzepts der gegenseitigen Anerkennung. Wie am Beispiel des EuHb gezeigt wurde, ist der Versuch einer grundlegenden Veränderung in Bezug auf den Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit auf halbem Wege stehen geblieben.357 Die Kompromisslösung, die durch Rahmenbeschlüsse auf das Kooperationsgebiet übertragen wird, erweckt Zweifel sowohl hinsichtlich deren Schutzfunktion als auch in Bezug auf eine sichere und harmonische Kooperationsentwicklung zwischen den Mitgliedstaaten. Aufgrund der geschilderten Probleme dürfte mit einer allmählichen Ausweitung der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit seitens der Mitgliedstaaten zu rechnen sein. So hat bereits der polnische Gesetzgeber in Art. 55 Abs. 2 der polnischen Verfassung die Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit zwingend bei Auslieferung (welche die Übergabe aufgrund eines EuHb einschließt) polnischer Staatsbürger verankert.358 Weitere Beispiele stellen die Wiederbelebung der Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit nach § 80 Abs. 2 IRG (bei Taten, die weder einen maßgeb355

Deiters begründet die Förderung ausländischer Verfahren in solchen Fällen mit der europaweiten Freizügigkeit und der Tatsache, dass die Mitgliedstaaten auf die Rechtshilfe angewiesen sind und ihre Gewährung ein „Gebot politischer Klugheit“ sei, Gegenseitige Anerkennung von Strafgesetzen in Europa, ZRP 2003, S. 361. 356 Lagodny, Überlegungen zu einem menschengerechten transnationalen Straf- und Strafverfahrensrecht, in: Arnold u. a. (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, FS Eser, S. 785; IRG-Kommentar-Lagodny, § 3, Rn. 2 m.w.N. 357 Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 92. 358 Dazu Nalewajko, Der Europäische Haftbefehl: aktuelle Entwicklungen in Polen, ZIS 2007, S. 115.

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lichen Inlandsbezug noch einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Staat)359 und die Erklärung Deutschlands bei bestimmten in Artikel 14 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses über die Europäische Beweisanordnung genannten Straftaten beiderseitige Strafbarkeit zu prüfen.360 Ähnliche Beispiele lassen sich auch in weiteren Mitgliedstaaten feststellen361 und mit der Aufrechterhaltung dieser Tendenz ist aufgrund der gelockerten Regelungen hinsichtlich dieser traditionellen Rechtshilfevoraussetzung in den letzten Rahmenbeschlüssen362 zu rechnen. Eine teilweise Aufrechterhaltung des Prinzips der beiderseitigen Strafbarkeit erhält die Illusion aufrecht, dass den rechtlichen und kriminalpolitischen Bedenken hinsichtlich eines Verzichts auf die Überprüfung beiderseitiger Strafbarkeit Rechnung getragen wurde. In Wirklichkeit werden aufgrund der Unbestimmtheit der Katalogdelikte Auslegungsspielräume geschaffen, die eine materielle Kontrolle in Bezug auf beiderseitige Strafbarkeit wesentlich erschweren und einen Zustand der sog. „kreativen Vieldeutigkeit“ (creative ambiguity) schaffen.363 Da unter den durch die Aufzählung ratione criminis entstandenen Bereich beinahe alle rechtshilfefähigen Delikte subsumiert werden können, ist erwägenswert, ob die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit in der justiziellen Zusammenarbeit in der EU nicht gänzlich abgeschafft werden sollte, wie dies im „Nordischen Haftbefehl“ der Fall ist.364 Umso zweckmäßiger erscheint dieses Postulat de lege ferenda vor dem Hintergrund, dass den rechtlichen und kriminalpolitischen Bedenken hinsichtlich des Verzichts auf Doppelstrafbarkeit mit alternativen Lösungen Genüge getan werden kann, die gezielter und flexibler angewandt werden können und weniger Irritationen in der koopera359 Dazu Heger, Der europäische Haftbefehl: Zur Umsetzung europäischer Vorgaben in Deutschland, ZIS 2007, S. 224 f.; kritisch Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 80, Rn. 18. 360 Zu diesen Straftaten gehören: Terrorismus, Cyberkriminalität, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Sabotage, Erpressung und Schutzgelderpressung sowie Betrug; Art. 23 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses über die Europäische Beweisanordnung. 361 Dazu Szumiło-Kulczycka, in: Hofman´ski (Hrsg.), Europejski nakaz aresztowania w teorii i praktyce pan´stw członkowskich Unii Europejskiej, S. 170; vgl. auch Vernimmen-Van Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 12 f.; van Ballegooij/Gonzales, Mutual Recognition and Judicial Decisions in Criminal Matters: a „Rule of Reason“ for Surrender Procedures?, in: Schrauwen (Hrsg.), Rule of Reason: Rethinking another Classic of European Legal Doctrine, S. 17. 362 So wird jeder Mitgliedstaat befugt sein, in einer dem Generalsekretariat des Rates notifizierten Erklärung mitzuteilen, dass er an der Prüfung beiderseitiger Strafbarkeit festhalten wird (vgl. Art. 7 Abs. 4 und Art. 9 Abs. 1 lit. d des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union); von einem „Umdenken“ im Umgang mit der beiderseitigen Strafbarkeit spricht in diesem Zusammenhang Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9, Rn. 42. 363 Płachta, Europejski nakaz aresztowania (wydania): kłopotliwa „rewolucja“ w ekstradycji, Studia Europejskie 3/2002, S. 59; vgl. auch Mackarel, ,Surrendering the Fugitive – The European Arrest Warrant and the United Kingdom, J.C.L. Vol. 71/2007, S. 364. 364 Dazu unter § 1 III. 4.

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tionsrechtlichen Praxis hervorrufen. Zu denken ist hier insbesondere an eine territoriale Begrenzung des Strafanwendungsrechts365 und, angesichts der bestehenden Unterschiede in den Strafrechtsordnungen, einen ordre-public-Vorbehalt, der bei gewichtigen Fällen qualifizierter Straflosigkeit im Vollstreckungsstaat eine „Notbremsung“ ermöglicht.

§ 8 Relevanz und Grenzen der gegenseitigen Anerkennung beim Abbau traditioneller Kompatibilitätsvorbehalte in der justiziellen Zusammenarbeit Die Durchsetzung der gegenseitigen Anerkennung ist mit Einschränkungen und zum Teil mit der Beseitigung von traditionellen rechtshilferechtlichen Kompatibilitätsvorbehalten – dem „nationalrechtlichen cordon sanitaire“366 – verbunden. Im Hinblick auf das Anerkennungskonzept werden eine grundlegende Änderung der bisherigen Regelungen und die Auswirkung auf die Rechte von betroffenen Personen thematisiert.367 Gegenseitige Anerkennung soll in diesem Zusammenhang durch die EU-weite Ausdehnung der sicherheitsbehördlichen und strafgerichtlichen Zwangsbefugnisse Rechtshilfesysteme „herkömmlichen Zuschnitts“ obsolet machen.368 Angesichts dieser Auswirkungen wird auch dafür plädiert, dass die „Elemente der Anerkennung zurückgeschraubt und durch wirkliche Prüfungskompetenzen im Vollstreckungsstaat ersetzt werden.“369 So wie bereits am Beispiel der ausgeklammerten Frage der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgt, sind die Grundsätze der Gegenseitigkeit und Spezialität auf Synergieeffekte zu untersuchen. Vor dem Hintergrund der Auswirkung auf die Rechte von betroffenen Personen ist es des Weiteren fraglich, ob (und eventuell wie) der Abbau von weiteren traditionellen Rechtshilfehindernissen mit der gegenseitigen Anerkennung interferiert. Dabei ist u. a. auf die ordre-public-Regelung und, im Hinblick auf die Eigenschaften des Betroffenen, auf die Frage der Staatsangehörigkeit sowie auf Vorbehalte der Eigenschaft der strafbaren Handlung (politische, militärische, fiskalische Delikte) einzugehen. Abschließend soll auf die Frage der weggefallenen politischen Kontrolleinflussnahme im Anerkennungskonzept eingegangen werden.

365

Dazu unter § 9. Hecker, Die Europäisierung der inneren Sicherheit, DÖV 2006, S. 274. 367 Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 693 ff.; Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 158; vgl. auch Böse, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in der transnationalen Strafrechtspflege in der EU, in: Momsen/Bloy/Rackow (Hrsg.), Fragmentarisches Strafrecht, S. 241 ff. 368 Hecker, Die Europäisierung der inneren Sicherheit, DÖV 2006, S. 277. 369 Asp, Der Europäische Haftbefehl, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 133. 366

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I. Prinzip der Gegenseitigkeit Aus dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung kann die Geltung einer Gegenseitigkeitsvoraussetzung i.S.d. namensverwandten Grundsatzes der Gegenseitigkeit nicht gefolgert werden.370 Expressis verbis wird die Anwendung dieses Grundsatzes beispielsweise im deutschen Recht (§ 5 IRG) durch § 82 IRG ausgeschlossen.371 Ohne Belang ist dabei beispielsweise, ob (während der Umsetzungsfrist) ein Mitgliedstaat den Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl bereits in seinem nationalen Recht umgesetzt hat.372

1. Fehlende Gegenseitigkeit als Grund zur Verweigerung der Anerkennung eines Europäischen Haftbefehls? Allerdings kehrt die Bedingung der Gegenseitigkeit in der deutschen Umsetzungsregelung als fakultativer Verweigerungsgrund im Bewilligungsverfahren zurück (§ 83b Abs. 1 lit. d IRG). Als zusätzlicher Verweigerungsgrund wurde das Prinzip der Gegenseitigkeit auch bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses in der Tschechischen Republik eingeführt (Art. 403 Abs. 2 der tschechischen Strafprozessordnung).373 Eine „Wiederbelebung“ der Gegenseitigkeitsanforderung fand des Weiteren in der Rechtshilfepraxis Spaniens (Audiencia Nacional)374 und Ungarns statt. Nach der Verweigerung der Übergabe im Darkazanli-Fall und der Erklärung der Verfassungswidrigkeit von Umsetzungsvorschriften wurde die Anerkennung europäischer Haftbefehle aus Deutschland unter Berufung auf Nichtbeachtung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens temporär ausgesetzt, mit der Begründung, dass von deutscher Seite nicht verlangt werden durfte, dass die anderen Mitgliedstaaten seine Anträge auf Übergabe von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten akzeptieren.375 Ähnlich argumentierte auch das Bezirksgericht in Stettin376 und machte in der Be370

Vgl. unter § 4 III. Vgl. auch OLG Celle, Beschluss v. 19. 7. 2007, AZ. 1 ARs 18/07 (Ausl), Rn. 15; OLG Celle, Beschluss v. 16. 2. 2005, AZ 1 ARs 1/05 (Ausl), Rn. 31. 372 OLG Karlsruhe, Beschluss v. 22. 9. 2004, AZ 1 AK 42/03, Rn. 1; vgl. Lach, Problemy funkcjonowania europejskiego nakazu aresztowania, EPS Nr. 11/2006, S. 23. 373 Dazu Grzelak, Opinia prawna o dopuszczalnos´ci ograniczenia wykonywania ENA, in: Nowelizacja art. 55 Konstytucji RP przez Sejm V Kadencji, S. 47. 374 Dazu Gmez-Jara Dez, European Arrest Warrant and the Principle of Mutual Recognition, eucrim 1 – 2/2006, S. 24. 375 Zit. nach Kommissionsbericht v. 11. 7. 2007 über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates v. 13. 6. 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, KOM(2007) 407. 376 Beschluss v. 22. 7. 2005, AZ III Kop 24/05; kritisch dazu Hudzik/Paprzycki, Europejski nakaz aresztowania. Glosa do postanowienia s.okre˛g. z dnia 22 lipca 2005 r., III Kop 24/05, EPS Nr. 1/2005, S. 47 f.; Kornobis-Romanowska, Prawne aspekty stosowania decyzji ramowej o europejskim nakazie aresztowania w prawie polskim, Przegla˛d Sejmowy Nr. 4/2006, S. 96; Grzelak, Opinia prawna o dopuszczalnos´ci ograniczenia wykonywania ENA, in: Nowelizacja art. 55 Konstytucji RP przez Sejm V Kadencji, S. 47. 371

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schlussbegründung geltend, dass Deutschland keine Gegenseitigkeit in Bezug auf eigene Staatsangehörige gewährleistet, obwohl alle Mitgliedstaaten zur gegenseitigen Vollstreckung der EuHb verpflichtet sind. Das Ergebnis, dass die BRD ausschließlich berechtigte und Polen ausschließlich verpflichtete Partei ist, führe zur Ungleichbehandlung und verstoße u. a. gegen Art. 32 Abs. 1 (Gleichbehandlungsgrundsatz) der polnischen Verfassung.377 2. Stellungnahme Die Reaktion in den oben genannten Mitgliedstaaten erscheint aus der völkerrechtlichen Gegenseitigkeitsperspektive378 verständlich, steht aber im Widerspruch sowohl mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung als auch mit dem Ziel des EuHbRb,379 der diese Voraussetzung nicht kennt.380 Ähnlich ist die Regelung § 83b Abs. 1 lit. d IRG zu bewerten.381 Eine Verweigerung der Übergabe eigener Staatsangehöriger aufgrund mangelnder Gegenseitigkeit entspricht auch nicht dem Gedanken einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts.382 Als Grundlage des internationalen Rechtshilferechts wirkt das Gegenseitigkeitsprinzip zum einen in numerischer Hinsicht und dient der Gewährleistung einer etwa gleich großen Anzahl der wechselseitig erledigten Rechtshilfeersuchen in den kooperierenden Staaten; zum anderen (sog. inhaltliche Gegenseitigkeit) setzt es voraus, dass bei einer Umkehrung der Sachlage, also auf spiegelbildliches Ersuchen, die Gewährung der Rechtshilfe erwartet werden kann.383 Somit spielt das Prinzip der Gegenseitigkeit im vertraglichen Rechtshilferecht, wo die Voraussetzungen der Rechtshilfegewährung verbindlich festgelegt sind, kaum mehr eine Rolle.384 Insbesondere führt seine Aufgabe zu keinen direkten nachteiligen Verwerfungen für den Einzelnen. Für den Betroffenen ist nämlich bedeutungslos, ob der Staat im umgekehrten Fall zur 377

Beschluss v. 22. 7. 2005, AZ III Kop 24/05. Zur Bedeutung der Reziprozität im Völkerrecht vgl. Kornobis-Romanowska, Prawne aspekty stosowania decyzji ramowej o europejskim nakazie aresztowania w prawie polskim, Przegla˛d Sejmowy Nr. 4/2006, S. 96. 379 Pernice spricht in diesem Zusammenhang vom Verstoß gegen das Unionsrecht, Die horizontale Dimension des Europäischen Verfassungsverbundes – Europäische Justizpolitik im Lichte von Pupino und Darkanzali, in: Derra (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit und Recht, S. 387. 380 Rohlff, Der europäische Haftbefehl, S. 82; Kruszyn´ski sieht darin eine konsequente Folge der Entpolitisierung der Rechtshilfe und einen wesentlichen Unterschied zur Auslieferung, Glosa do wyroku TK z dnia 27 kwietnia 2005 r., P 1/05, Palestra Nr. 7 – 8/2005, S. 289; Van der Wilt, The principle of reciprocity, in: Blekxtoon (Hrsg.), Handbook on the European Arrest Warrant, S. 76. 381 Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 83b, Rn. 8. 382 Vgl. EuGH, Urteil v. 16. 6. 2005 – Rs. C-105/03 (Pupino), Rn. 34; Hudzik/Paprzycki, Europejski nakaz aresztowania. Glosa do postanowienia s. okre˛g. z dnia 22 lipca 2005 r., III Kop 24/05, EPS Nr. 1/2005, S. 48. 383 Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 94 ff. 384 Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 132. 378

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Gewährung der Rechtshilfe verpflichtet ist.385 In der Funktion als Mittel zur Sicherung staatlicher Souveränität386 und der Druckerzeugung gegenüber kooperationsunwilligen Staaten387 behält die Reziprozitätsvoraussetzung ihre Geltung in Bereichen, in denen eine inhaltliche Gegenseitigkeit der Rechtshilfeverpflichtung nicht vertraglich abgesichert ist.388 Im EU-Raum wird daher das Gegenseitigkeitsprinzip als überflüssig, anachronistisch und hinderlich bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität angesehen.389 Festzuhalten ist, dass aufgrund der Schutzrichtung seine Aufhebung für die Rechte des Einzelnen grundsätzlich unbedenklich ist.390 Insbesondere kann dadurch in der oben geschilderten Fallkonstellation der innerstaatlich geltende Gleichheitsgrundsatz nicht tangiert werden.391 Aus kooperationsrechtlicher Perspektive bedeutet der Verzicht prima facie eine Optimierung rechtshilferechtlicher Prozesse.392 Angesichts einer unzureichenden Absicherung funktioneller Einheitlichkeit in der Umsetzung der Rahmenbeschlüsse in den Mitgliedstaaten besteht aber auch die Gefahr, dokumentiert durch die oben beschriebenen Reaktionen in den Mitgliedstaaten, dass das in der justiziellen Zusammenarbeit vorausgesetzte Vertrauen in Frage gestellt werden kann. Die Kommission „bedauert“ die Umsetzungsunterschiede,393 hat aber aktuell grundsätzlich keine effektiven Mittel, um dieser Vorge385 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 133; vgl. den Nichtannahmebeschluss des BVerfG, 2. Senat, 1. Kammer v. 24. 11. 2005, BvR 1667/05, Rn. 16. 386 Vgl. Zuleeg, Der Beitrag des Strafrechts zur Europäischen Integration, in: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, S. 41. 387 Grützner, International Judicial Assistance and Cooperation in Criminal Matters, in: Bassiouni/Nanda (Hrsg.), A Treatise on International Criminal Law, S. 189; Turhan, Die Rechtsstellung des Auszuliefernden nach türkischem Recht unter rechtsvergleichender Berücksichtigung des deutschen Rechts, S. 15. 388 Rohlff nennt als Beispiel für einen sukzessiven Verzicht auf den Grundsatz der Gegenseitigkeit das EuAlÜbk, demzufolge eine Auslieferung grundsätzlich auch dann als zulässig gilt, wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist, Der europäische Haftbefehl, S. 82; Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 132. 389 Ausführlich Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 140 ff. m.w.N. 390 Blakesley/Lagodny, Competing National Laws: Network or Jungle?, in: Eser/Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, S. 77. 391 Dazu Hudzik/Paprzycki, Europejski nakaz aresztowania. Glosa do postanowienia s.okre˛g. z dnia 22 lipca 2005 r., III Kop 24/05, EPS Nr. 1/2005, S. 47 f. 392 Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 143; als Ausnahme, wo die Gegenseitigkeitsanforderung verlangt werden kann, kommen lediglich ausdrücklich vorgesehene Fälle in Frage, wo aufgrund freigeräumter Möglichkeiten bestimmte EU-Regelungen in den Mitgliedstaaten temporär ausgesetzt werden können; vgl. Art. 20 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, wonach Mitgliedstaaten in den Beziehungen zu einem Mitgliedstaat, der von Absatz 2 (Beschränkung der Anwendung des Rahmenbeschlusses für einen Zeitraum von bis zu 5 Jahren) Anwendung gemacht hat, den Grundsatz der Gegenseitigkeit anwenden können. 393 Vgl. Bericht v. 24. 1. 2006, KOM(2006) 8.

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hensweise entgegenzuwirken. Vor dem Hintergrund mangelnder Bereitschaft in den Mitgliedstaaten zur Anspruchnahme des Streitbeilegungsverfahrens nach Art. 35 Abs. 7 EUV besteht eine denkbare Lösung in der Stärkung des Instrumentariums zur Umsetzungskontrolle.394

II. Grundsatz der Spezialität Durch die Spezialitätsbindung sichert der ersuchte Staat, dessen Rechtshilfe nicht unbedingt, sondern unter vereinbarten Bedingungen geleistet wird, Kontrolle über Maßnahmen im Ausland, für die er keine Verantwortung übernehmen will.395 Im Allgemeinen werden primär durch den Grundsatz der Spezialität die Durchsetzung der eigenen Rechtsordnung erleichtert396 und (nur) sekundär die Rechte des Verfolgten geschützt.397 Im Auslieferungsrecht will der Grundsatz der Spezialität sicherstellen, dass der Auszuliefernde ausschließlich wegen der Tat strafrechtlich verfolgt wird, aufgrund derer seine Auslieferung bewilligt wurde.398 In diesem Bereich wird er zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gezählt, woraus sich eine Verpflichtung der nationalen Gerichte zur Überprüfung ergibt, ob die Beachtung dieses Grundsatzes durch die Behörden des ersuchenden Staates in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gewährleistet ist.399 Im Bereich der sonstigen Rechtshilfe400 soll er verhindern, dass bestimmte im Rechtshilfewege erlangte Beweise verwertet werden (Beweisverwertungsgebot).401 Durch die Zweckbindung der ausgetauschten Informationen kommt hierzu zusätzlich eine datenschutzrechtliche Funktion des Prinzips.402 Geltung bean-

394

Dazu unter § 5 II. 3. Vogler, Spezialitätsbindung bei der sog. „kleinen“ Rechtshilfe?, GA 1986, S. 196. 396 Becker, Grundprinzipien des Auslieferungsrechts, Jura 1988, S. 234. 397 Vogler schreibt in diesem Zusammenhang vom „Reflex der völkerrechtlichen Beschränkung der Verfügungsgewalt des ersuchenden Staates“, Spezialitätsbindung bei der sog. „kleinen“ Rechtshilfe?, GA 1986, S. 196 m.w.N.; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 207. 398 Das Verbot wegen anderer Taten zu verfolgen, als diejenigen, die im Rechtshilfeersuchen angegeben und vom ersuchten Staat bewilligt wurden, setzt somit das Erfordernis der Tatidentität voraus; dazu Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 164 m.w.N.; dazu auch EuGH-Urteil v. 1. 12. 2008, Rs. C-388/08 PPU (Leymann/Pustovarov). 399 Becker, Grundprinzipien des Auslieferungsrechts, Jura 1988, S. 233. 400 Zur umstrittenen Geltung vgl. Vogler, Spezialitätsbindung bei der sog. „kleinen“ Rechtshilfe?, GA 1986, S. 195; Zodrow, Der Grundsatz der strafrechtlichen Spezialität im Auslieferungsrecht, S. 91 m.w.N. 401 Dazu Lach, Europejska pomoc prawna w sprawach karnych, S. 149 f. 402 Dazu Andreou, Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 319 f. m. w. N. 395

§ 8 Relevanz beim Abbau traditioneller Kompatibilitätsvorbehalte

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sprucht der Grundsatz im Bereich der Vollstreckung von Sanktionen ohne Freiheitsentzug.403 Mit der Intensivierung der justiziellen Zusammenarbeit unterliegt die Spezialitätsbindung andauernder Relativierung.404 Trotz früherer Pläne, auf den Grundsatz der Spezialität gänzlich zu verzichten, wurde er letztendlich in die endgültige Fassung des EuHbRb in Form eines Regel-Ausnahmekonzepts aufgenommen (Art. 27 EuHbRb).405 Danach kann die Verfolgung einer anderen (als im EuHb aufgeführten) Tat von einer Zustimmung des Vollstreckungsmitgliedstaats abhängig gemacht werden, wobei nicht jede Änderung der Beschreibung des Sachverhalts diese in Art. 27 Abs. 3 lit. g und Abs. 4 des EuHbRb vorgesehenen Zustimmungsverfahren erforderlich macht.406 Zwar kann die Bedeutung des Grundsatzes der Spezialität bei der Einhaltung des rudimentär verbliebenen Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit erblickt werden,407 dennoch ist der Ansicht zuzustimmen, dass seine (wenn auch fakultative) Beibehaltung eine Abkehr von der konsequenten Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung darstellt.408

III. Der Schutz eigener Staatsangehöriger Zum Teil wird die Durchsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung mit der Aufgabe des in vielen Mitgliedstaaten verfassungsrechtlich garantierten Schutzes eigener Staatsangehöriger (insbesondere vor Auslieferung409) in Verbindung ge403

Nach Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 83 h, Rn. 6. Vogel/Wilkitzki-Vogel, Kommentar zum IRG, Vor § 1, Rn. 78; vgl. auch Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 206; Grski/Sakowicz, in: Hofman´ski (Hrsg.), Europejski nakaz aresztowania w teorii i praktyce pan´stw członkowskich Unii Europejskiej, S. 40. 405 Diese Regelung ähnelt den bisherigen Vorschriften zu diesem Prinzip – insbesondere dem Art 10 f. EU-AuslÜbk.; eine gleich aufgebaute Regelung mit weitgehend gleichem Inhalt enthält Art. 18 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU. 406 So EuGH unter Berufung auf die Bedeutung des Grundsatzes der Spezialität sowie das Ziel des EuHbRb im Urteil v. 1. 12. 2008, C-388/08 (Leymann/Pustovarov), Rn. 56 ff. 407 Vogler bezeichnet den Grundsatz der Spezialität als „immanente Bedingung“ der traditionellen Rechtshilfe, die im sachlogischen Zusammenhang mit anderen Grundsätzen des Rechtshilferechts seine Wirkung entfaltet, Spezialitätsbindung bei der sog. „kleinen“ Rechtshilfe?, GA 1986, S. 200 f.; vgl. auch Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 83 h, Rn. 1 m.w.N. 408 Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 100 f. 409 Dies insbesondere in kontinentaleuropäischen Staaten (u. a. Art. 33 der portugiesischen, Art. 55 der polnischen Verfassung); nach Art. 7 Abs. 3 der finnischen Verfassung ist die Auslieferung von der Zustimmung des Auszuliefernden abhängig; Art. 26 der italienischen und Art. 13 Abs. 3 der spanischen Verfassung lehnen die Auslieferung aufgrund politischer Vergehen ab, lassen sie jedoch zu, wenn dies eine internationale Vereinbarung vorsieht (Italien) oder wenn die Auslieferung wegen eines Terroraktes ersucht wurde (Spanien); vgl. Länder404

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bracht. Mit der Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung wird einerseits ein Umgehen von den Staatsbürgern besonders zugesicherten rechtsstaatlichen Grundsätzen befürchtet.410 Als „rechtsstaatlich bedenklich“ wird andererseits die Verpflichtung zur Übergabe eigener Staatsangehöriger vor dem Hintergrund der Einschränkung des Erfordernisses der beiderseitigen Strafbarkeit beurteilt.411 Eine besondere Schutzpflicht des Staates, dass seine Bürger nicht gegen ihren Willen aus der ihnen vertrauten Rechtsordnung entfernt und vor den Unsicherheiten einer Aburteilung im Ausland bewahrt werden, akzentuiert auch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum EuHb.412 Schließlich ist daran zu erinnern, dass sich mit dieser Problematik auch die Verfassungsgerichte in Polen413, Zypern414, Tschechien415 und Belgien416 beschäftigt haben. 1. Streit über die Bedeutung der Garantie Historisch gesehen lag dem Verbot der Auslieferung eigener Staatsangehöriger der Souveränitätsgedanke zugrunde, demzufolge nur der Heimatstaat Kontrollbefugnisse über die eigenen Bürger (i.S.v. Untertanen) ausüben darf.417 Das Auslieferungsverbot resultierte aus der Notwendigkeit der Betonung der nationalstaatlichen Vorrangstellung und aus zwischenstaatlichen Interessenkonflik-

übersicht bei Rinio, Die Auslieferung eigener Staatsangehöriger, ZStW 1996, S. 356 ff.; vgl. auch Dreier, GG-Kommentar-Masing, Art. 16, Rn. 37; in Frankreich wurde dagegen der verfassungsrechtliche Rang des Prinzips der Nichtauslieferung französischer Staatsangehöriger verneint und der Conseil d’Etat entschied am 26. 9. 2002, dass eine Auslieferung eigener Staatsangehöriger möglich ist, zit. nach Pfützner, Der Europäische Haftbefehl und seine Umsetzung in das französische Recht, eucrim 1 – 2/2006, S. 32, Fn. 7. 410 Vgl. Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 134. 411 Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 360. 412 BVerfG-Urteil, 2 BvR 2236/04, Rn. 65; eine prägnante Zusammenfassung der Argumente des BVerfG liefert Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 140. 413 Vgl. Urteil des polnischen Verfassungsgerichts v. 27. 4. 2005, P 1/05, III, abrufbar unter: http://www.law.uj.edu.pl/~kpk/eaw/judicial_decisions/Poland_Constitutional_Court.pdf. 414 Vgl. Urteil des zypriotischen Verfassungsgerichts v. 7. 11. 2005, abrufbar unter: http:// www.law.uj.edu.pl/~kpk/eaw/judicial_decisions/Cyprus_Constitutional_Court.pdf.; dazu Henke, Der Europäische Haftbefehl, S. 19 f. 415 Vgl. das Urteil des tschechischen Verfassungsgerichts v. 3. 5. 2006, abrufbar unter: http://www.law.uj.edu.pl/~kpk/eaw/judicial_decisions/Czech_Constitutional_Court.pdf.; vgl. auch Bericht der Kommission über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates v. 13. 6. 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten KOM(2007) 407 v. 11. 7. 2007. 416 Vgl. Entscheidung des belgischen Verfassungsgerichts v. 13. 7. 2005, abrufbar unter: http://www.law.uj.edu.pl/~kpk/eaw/judicial_decisions/Belgium_Constitutional_Court.pdf. 417 Płachta, Studia Europejskie, Europejski nakaz aresztowania (wydania): kłopotliwa „rewolucja“ w ekstradycji, Nr. 3/2002, S. 64.

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ten.418 Der Begriff der Staatsangehörigkeit, der sich als solcher erst am Ende des 18. Jahrhunderts etablierte, trug dazu bei, dass im Verhältnis Bürger – Staat nicht nur die Pflichten sondern auch die Rechte der Staatsangehörigen sukzessiv zur Geltung kamen.419 Dies führte dazu, dass die Verweigerung der Auslieferung hauptsächlich mit der staatlichen Schutzpflicht gegenüber den eigenen Bürgern sowie mit deren subjektiven Rechten (wie z. B. Heimatwohnrecht) begründet wurde420 und endete bestenfalls in der Verurteilung vor einem nationalen Gericht (Grundsatz „aut dedere aut iudicare“).421 Schließlich liegt diesem Auslieferungsverbot das Misstrauen zugrunde, dass im Ausland ein faires Verfahren und die Gleichbehandlung ausländischer Angeklagten als nicht gewährleistet gelten.422 Somit wird das Verbot der Auslieferung eigener Staatsbürger z. T. als ein Element eines fairen Verfahrens angesehen.423 Dagegen wird u. a. argumentiert, dass die kooperierenden Staaten ein solches Verfahrensdefizit auch in Bezug auf auszuliefernde Ausländer berücksichtigen müssen und Unterschiede in der Behandlung eigener Staatsangehöriger nicht gerechtfertigt erscheinen.424 Des Weiteren wird auf die Vorteile hingewiesen, die mit der Durchführung eines Strafverfahrens am Ort der Handlung verbunden sind.425 Die Nichtauslieferung eigener Staatsangehöriger entspreche auch nicht dem Sinn der RechtshilfeVölkersolidarität im Kampf gegen Kriminalität426 und sei ein Beispiel der „Rechtsxenophobie“427. Schließlich wird in dem Verbot eine Gefahr für die Gegenseitigkeit der Auslieferungspraxis428 im Verhältnis zwischen Staaten gesehen, die ihre Staatsangehörige nicht ausliefern und denjenigen, die bereit sind, das zu tun.429 418 Baier, Die Auslieferung von Bürgern der Europäischen Union an Staaten innerhalb und außerhalb der EU, GA 2001, S. 434. 419 Banaszak, Prawo konstytucyjne, Rn. 324; Scholz/Uhle, Staatsangehörigkeit und Grundgesetz, NJW 1999, S. 1516; ähnlich Flor, La entrega de nacionales del estado miembro de ejecucin de la orden de detencion, in: Arroyo Zapatero/Nieto (Hrsg.), La orden de detencin y entrega europea, S. 207. 420 Vgl. Umbach/Clemens, GG Mitarbeiterkommentar-Allesch, Art. 16, Rn. 17. 421 Rinio, Die Auslieferung eigener Staatsangehöriger, ZStW 1996, S. 356. 422 Deen-Racsmany/Blekxtoon, The Decline of the Nationality Exception in European Union?, The Impact of the Regulation of (Non-)Surrender of Nationals and Dual Criminality under the European Arrest Warrant, Eur.J.Crime Cr.L.Cr.J. Vol. 13/2005, S. 318. 423 Czaplin´ski, Glosa do wyroku TK z dnia 27 kwietnia 2005r., PiP Nr. 9/2005, S. 107. 424 Hofman´ski, Europejski nakaz aresztowania w teorii i praktyce pan´stw członkowskich Unii Europejskiej, S. 70 m.w.N. 425 Lagodny, Auslieferung und Überstellung deutscher Staatsangehöriger, ZRP 2000, S. 176; Rinio, Die Auslieferung eigener Staatsangehöriger, ZStW 1996, S. 385; Baier, Die Auslieferung von Bürgern der Europäischen Union an Staaten innerhalb und außerhalb der EU, GA 2001, S. 429. 426 Denninger/Hoffmann-Riem/Stein, Kommentar zum GG-Zuleeg, Art. 16, Rn. 29. 427 Williams, Nationality, Double Jeopardy, Prescription and Death Sentence as Bases for Refusing Extradition, RIDP Vol. 62/1991, S. 259. 428 Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 204.

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2. Wegfall des Schutzes vor Auslieferung durch den Heimatstaat In der Literatur wird seit mehreren Jahren vom langsamen Verlust der „sacrosant aura“,430 des Verbotes der Auslieferung eigener Staatsangehöriger berichtet. Aufgrund zahlreicher Vorbehalte431 gescheiterte Bestrebungen, diese Schutzpflicht des Staates zu lockern, sind bereits bei Art. 7 Abs. 1 EU-AuslÜbk, der einen grundsätzlich unbeschränkten Auslieferungsverkehr vorsieht, zu sehen.432 Auf dieser Erfahrung basierend, sieht der EuHbRb keine Ablehnung der Übergabe eigener Staatsangehöriger vor, mit der Einschränkung, dass die Überantwortung an die Bedingung einer Rücküberstellung geknüpft werden kann (Art. 5 Abs. 3 des EuHbRb).433 Eigene Staatsbürger sollen dadurch (auch bei allen anderen Rechtshilfetätigkeiten) mit Staatsbürgern anderer Mitgliedstaaten grundsätzlich gleichgestellt werden.434 Diese Regelung des EuHbRb führte u. a. zur Änderung des für zu rigide gehaltenen Verbotes435 des Art. 55 Abs. 1 der polnischen Verfassung.436 Eine Auflockerung des 429 Das Verbot der Auslieferung eigener Staatsbürger wird u. a. in anglo-amerikanischen und skandinavischen Staaten nicht praktiziert und ist daher auch dem zwingenden Völkerrecht nicht zuzuordnen; dazu Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 214 f. m.w.N.; vgl. Płachta, (Non-)Extradition of Nationals: A Neverending Story?, Emory Intl L.Rev. Vol. 13/1999, S. 80. 430 So Blakesley/Lagodny mit Hinweis auf die Niederlande und die Schweiz, Competing National Laws: Network or Jungle?, in: Albin u. a. (Hrsg.), Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, S. 79. 431 Vgl. den von Deutschland eingelegten Vorbehalt, der die Verpflichtung zur Auslieferung eigener Staatsangehöriger ausschließt, Art. 1 Abs. 2 S. 1 BGBl. 1998 II, 2253. 432 Baier, Die Auslieferung von Bürgern der Europäischen Union an Staaten innerhalb und außerhalb der EU, GA 2001, S. 427; Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 215; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 137 f.; vgl. auch Heimgartner, Auslieferungsrecht, S. 180 in Bezug auf die skandinavischen Staaten. 433 Abweichendes galt für Österreich, wo laut Art. 33 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses die Übergabe österreichischer Staatsangehöriger bis zum 31. 12. 2008 verweigert werden konnte; dazu Schwaighofer, Materielle Übergabe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen im Europäischen Haftbefehl, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 79. 434 Dazu Deen-Racsmany/Blekxtoon, The Decline of the Nationality Exception in European Union?, The Impact of the Regulation of (Non-)Surrender of Nationals and Dual Criminality under the European Arrest Warrant, Eur.J.Crime Cr.L.Cr.J. Vol. 13/2005, S. 317. 435 Vgl. Witkowski, Prawo Konstytucyjne, S. 111. 436 Der neue Art. 55 der polnischen Verfassung formuliert im ersten Absatz weiterhin das generelle Verbot der Auslieferung polnischer Staatsangehöriger; Art. 55 Abs. 2 der polnischen Verfassung ermöglicht die Auslieferung polnischer Staatsangehöriger auf Ersuchen eines Staates oder des Internationalen Strafgerichtshofs, wenn dies durch ein ratifiziertes internationales Übereinkommen oder durch ein Gesetz ausdrücklich zugelassen wird, und knüpft die Auslieferung polnischer Staatsbürger an andere Staaten an zwei kumulativ genannte Voraussetzungen: den so genannten Territorialitätsvorbehalt und die Bedingung der doppelten Strafbarkeit; dazu Nalewajko, Der Europäische Haftbefehl: aktuelle Entwicklungen in Polen; ZIS 2007, S. 115.

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traditionell strikten Verbotes der Auslieferung Deutscher437 erfolgte noch vor dem EuHb im Wege der Reform des Art. 16 Abs. 2 GG438 und war (außer mit der Abschaffung des traditionellen Auslieferungshindernisses im Verhältnis der EU-Staaten) mit der Erfüllung der Verpflichtung aus den UN-Sicherheitsresolutionen (zur Einsetzung des Jugoslawien-, bzw. Ruanda-Strafgerichtshofes) sowie dem Beitritt zum RomStatut für einen ständigen internationalen Strafgerichtshof verbunden.439 Vor dem Hintergrund der justiziellen Zusammenarbeit wird die Gleichstellung der EU-Bürger grundsätzlich begrüßt. Einwände betreffen jedoch die mit dem Anerkennungskonzept verbundene Verpflichtung zur Übergabe eigener Staatsangehöriger bei gleichzeitiger Aufhebung beiderseitiger Strafbarkeit in Bezug auf bestimmte „Katalogdelikte“.440 Es wird auch die Gefahr des Umgehens von rechtsstaatlichen Grundsätzen (Art. 16 Abs. 2 GG) befürchtet.441 So hielt das BVerfG die Anforderungen des qualifizierten Gesetzesvorbehaltes aus Art. 16 Abs. 2 S. 2 beim ersten Umsetzungsgesetz des EuHbRb für unerfüllt. Ein schonenderer Eingriff in den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 2 sollte nach Ansicht des BVerfG durch Ausschöpfung von eröffneten Spielräumen und der Möglichkeit einer Übergabeverweigerung bei Taten von Deutschen mit maßgeblichem Inlandsbezug erfolgen.442 . .

437 Strengere frühere Regelungen: Paulskirchenverfassung (§ 189): „Jeder deutsche Staatsbürger in der Fremde stehe unter dem Schutze des Reiches“, Weimarer Verfassung (Art. 112 Abs. 3): „Kein Deutscher darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung überliefert werden.“ Zur Einordnung des Rechts aus Art. 16 Abs. 2 als subjektives Abwehrrecht vgl. Umbach/Clemens, GG Mitarbeiterkommentar-Allesch, Art. 16, Rn. 17; BverfGE 10, 139; Renner, Grundgesetz und deutsche Staatsangehörigkeit, NJW 1999, S. 23; differenzierter Denninger/Hoffmann-Riem/Stein, Kommentar zum GG-Zuleeg, Art. 16, Rn. 28. 438 Gesetz v. 29. 11. 2000, BGBl I 2000, 1633; dazu Walter, Verfassungsrechtliche Hindernisse bei der Ratifikation des Statuts von Rom über die Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs, EuGRZ 2000, S. 305. 439 Lagodny, Auslieferung und Überstellung deutscher Staatsangehöriger, ZRP 2000, S. 175. 440 Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 360; vgl. Flor, La entrega de nacionales del estado miembro de ejecucin de la orden de detencion, in: Arroyo Zapatero/ Nieto (Hrsg.), La orden de detencin y entrega europea, S. 216 f. 441 Juppe bezogen auf Art. 16 GG: „(…) kann festgestellt werden, dass das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung bei der uneingeschränkten Anwendung in Deutschland durchaus einen Verstoß gegen die Rechte aus Art. 16 GG darstellen kann“, Die gegenseitige Anerkennung, S. 134. 442 BVerfG-Urteil v. 18. 7. 2005 – 2 BvR 2236/04, Rn. 84 ff.

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3. Stellungnahme Mit der Überwindung eines generellen Misstrauens in die ausländische (Straf-) Rechtspflege und der „Frustration“ gegenüber anderen Rechtsordnungen443 wird dieses Auslieferungshindernis in der Rechtshilfepraxis u. a. durch die Rückführungspflicht zur Vollstreckung einer im Ausland verhängten Strafe ersetzt.444 Auch hinsichtlich des Individualrechtsschutzes ist eine Unterscheidung zwischen der Auslieferung eines eigenen Staatsangehörigen und eines Ausländers unhaltbar.445 Eine Schutzpflicht des Staates vor Auslieferung eigener Staatsbürger rechtfertigt nur die Überzeugung, dass ein ausländisches Verfahren den rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht entspricht446 und bei einer solchen Gewissheit gebietet der bei der Auslieferung zu beachtende Schutz der Menschenwürde keine Unterscheidung zwischen eigenen Staatsangehörigen und Ausländern.447 Eine Auslieferung an den Tatortstaat kann auch, abgesehen vom abschreckenden Effekt auf die eigenen Staatsangehörigen,448 im Hinblick auf den Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit dazu beitragen, dass der Fall besser aufgeklärt und abgeurteilt werden kann.449 Vor diesem Hintergrund überrascht wenig, dass auch beim EuHb die Unterscheidung zwischen Staatsbürgern und Ausländern grundsätzlich aufgehoben wurde. Im Hinblick auf die prognostizierte Gefahr des Umgehens von rechtsstaatlichen Grundsätzen (Art. 16 Abs. 2 GG) ist festzuhalten, dass die Vorschrift sich auf einen Mindeststandard des allgemeinen Völkerrechts bezieht und somit an den „Kernbestand der Rechtsstaatlichkeit“ anknüpft.450 Dazu werden gezählt: der Grundsatz rechtlichen Gehörs, das Verbot der Doppelbestrafung,451 das Verbot rückwirkender Strafgesetze, die Unschuldsvermutung und der Anspruch, über die erhobenen Vorwürfe informiert zu werden,452 das Recht auf einen Rechtsbeistand und auf effek443 Lagodny, Auslieferung und Überstellung deutscher Staatsangehöriger, ZRP 2000, S. 176. 444 So u. a. Rechtshilfepraxis in den Niederlanden, zit. nach Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 142 f. m.w.N. 445 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 141. 446 Rinio, Die Auslieferung eigener Staatsangehöriger, ZStW 1996, S. 381 ff. 447 Baier, Die Auslieferung von Bürgern der Europäischen Union an Staaten innerhalb und außerhalb der EU, GA 2001, S. 440; vgl. Hofman´ski, Europejski nakaz aresztowania w teorii i praktyce pan´stw członkowskich Unii Europejskiej, S. 70 m.w.N. 448 Lagodny, Grundkonstellationen des internationalen Strafrechts, ZStW 1989, S. 990. 449 Dazu Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 142 m.w.N. 450 Dreier, GG-Kommentar-Masing, Art. 16, Rn. 103 ff. 451 Zimmermann, Die Auslieferung Deutscher an Staaten der Europäischen Union und internationale Strafgerichtshöfe, JZ 2001, S. 237; Vogler/Wilkitzki-Vogel, Kommentar zum IRG, Vor § 1, Rn. 82; Umbach/Clemens, GG Mitarbeiterkommentar-Allesch, Art. 16, Rn. 17. 452 Zimmermann, Die Auslieferung Deutscher an Staaten der Europäischen Union und internationale Strafgerichtshöfe JZ 2001, S. 237.

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tive Verteidigungsmöglichkeiten sowie das Recht nicht gegen sich selbst aussagen zu müssen und die Nichtverhängung der Todesstrafe.453 Vor dem Hintergrund erscheint eine Unterscheidung zwischen „alten“/„guten“ und „neuen“/„schlechten“ EU-Staaten454 sowie die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung ungerechtfertigt.455 Zum Teil wird daher die Stärkung des Schutzes Deutscher vor Überstellung durch das BVerfG456 als eine nicht notwendige „Aufladung des Art. 16 II GG“ angesehen.457 Kritisiert wird die Entscheidung auch vor dem Hintergrund wenig verständlicher Abgrenzung von Straftaten mit maßgeblichen Inlandsbezug458 und der Offenheit des Merkmals der „Wesentlichkeit“.459 Nach der neuen Regelung des EuHbG werden die in der BRD lebenden Ausländer nicht mehr gleichgestellt,460 was zu Recht als „wenig integrationsfreundliche Grundhaltung“461 angesehen wird. Damit wird berechtigt auch die Frage der Gleichheit zwischen Deutschen und EU-Bürgern mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland (Art. 6 EUV, Art. 12 EGV, Art. 21 Abs. 2 der Charta der Grundrechte) in Zweifel gezogen.462 Festzuhalten ist nämlich, dass der 453

Dreier, GG-Kommentar-Masing, Art. 16, Rn. 105. Nach Lagodny, Auslieferung und Überstellung deutscher Staatsangehöriger, ZRP 2000, S. 176. 455 Zimmermann, Die Auslieferung Deutscher an Staaten der Europäischen Union und internationale Strafgerichtshöfe, JZ 2001, S. 237; Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 63; für ausreichend wird gehalten, wenn in Einzelfällen die Auslieferung von bestimmten Verfahrenszusagen (z. B. der Ermöglichung eines erneuten Verfahrens in Anwesenheit des Beklagten) abhängig gemacht werden kann, vgl. Dreier, GG-Kommentar-Masing, Art. 16, Rn. 102 – mit weiteren Beispielen. 456 Böhm, Das Europäische Haftbefehlsgesetz und seine rechtsstaatlichen Mängel, NJW 2005, S. 2588 f. 457 Gas, Die Verfassungswidrigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes – gebotener Grundrechtsschutz oder euroskeptische Überfrachtung?, EuR 2006, S. 286. 458 Zulässig ist eine Auslieferung, wenn die Tat wesentlichen Auslandsbezug aufweist, bei sog. Mischfällen ist gem. § 80 Abs. 2 IRG am Grundsatz beiderseitiger Strafbarkeit festzuhalten sowie eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen; Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 790. 459 Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 792. 460 Der ursprünglichen Vorschrift (§ 80 Abs. 4 IRG i. d. F. v. 21. 7. 2004) lag der Gedanke der Gleichstellung von deutschen Staatsangehörigen mit den „gleichgestellten Ausländern“ zugrunde; Böhm, Das neue Europäische Haftbefehlsgesetz, NJW 2006, S. 2592 f. 461 Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 744; vgl. auch Ahlbrecht, Europäischer Haftbefehl im Interim, eucrim 1 – 2/2006, S. 43; vgl. ferner den Vorlagebeschluss OLG Stuttgart v. 14. 2. 2008, 3. Ausl. 69/07 mit der Frage, ob deutsche Umsetzung des Art. 4 Nr. 6 EuHbRb bei einer Auslieferung zur Strafvollstreckung gegen das Diskriminierungsgebot des Art. 6 Abs. 1 EUV verstößt. 462 Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 867b.; Grützner/Pötz/ Kreß-Böse, § 80, Rn. 6 m.w.N.; der EuGH hat leider die dieses Problem betreffende Vorlagefrage des OLG Stuttgart (ABI. C. 107 v. 26. 4. 2008, S.18) offen gelassen, Urteil v. 17. 7. 2008, Rs. C – 66/08 (Kozłowski); einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung bejahte Generalanwalt Yves Bot in den Schlussanträgen v. 24. 3. 2009 in der Rs. C-123/08 (Wolzenburg), Rn. 48 ff, wenn die Verweigerung der Übergabe von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten vom Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung abhängig gemacht 454

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Schutz vor Unrecht, als gerechtfertigte Einschränkung der gegenseitigen Anerkennung, in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU allen Beteiligten unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit zugutekommen soll.

IV. Rechtshilfeverweigerung wegen Eigenschaft der Straftat Der Abbau von Rechtshilfehindernissen betrifft hier insbesondere Vorbehalte bei politischen, militärischen und fiskalischen Delikten. Bei der ersten traditionellen Auslieferungsausnahme ist von der politischen Verfolgung die Behandlung des sog. politischen Delikts zu unterscheiden.463 Was genau unter politischen Delikten zu verstehen ist, wurde bis jetzt in keiner allgemein geltenden Definition formuliert.464 Diese Unklarheit kann auch missbraucht werden in Fällen, in denen der ersuchte Staat weder ausliefern noch die Gründe für die Nichtauslieferung offenbaren will.465 Einseitige Definitionsvorschläge dieser Auslieferungsausnahme sind meistens universitärer Herkunft und stellen das Resultat zweier entgegengesetzter Beweggründe dar. Einerseits wird versucht, dem Gebot der Nichteinmischung in die Angelegenheiten fremder Staaten (politische Opportunität) Rechnung zu tragen.466 Als Begründung werden auch „ehrbare Motive des politischen Straftäters“ und die „Qualität der freien politischen Betätigung als Bestandteil eines menschenwürdigen Daseins“ angeführt.467 Andererseits geht es um die Verhinderung der Ausnutzung dieser Auslieferungsausnahme in Situationen, die zum elementaren Gerechtigkeitsgefühl in Widerspruch stehen (z. B. Terrorakte).468 Zu Recht werden Attentats-, Tötungs-

wird; vgl. aber Heger, der von einer „Positivdiskriminierung“ von Inländern und keiner relevanten Ausländerdiskriminierung spricht, Der europäische Haftbefehl: Zur Umsetzung europäischer Vorgaben in Deutschland, ZIS 2007, S. 225. 463 Seit der Kodifizierung im belgischen Auslieferungsgesetz von 1833 weit verbreitet in internationalen Verträgen; Becker, Grundprinzipien des Auslieferungsrechts, Jura 1988, S. 235 m.w.N. 464 Stein, Die Auslieferungsausnahme bei politischen Delikten, S. 62 f.; vgl. Definitionsvorschläge bei Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 98 ff. 465 Blakesley/Lagodny, Competing National Laws: Network or Jungle?, in: Eser/Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, S. 77. 466 von Moock, Auslieferungsrechtliche Probleme an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, S. 200; vgl. Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 196 m.w.N. 467 Nach Becker, Grundprinzipien des Auslieferungsrechts, Jura 1988, S. 235 m.w.N.; Murschetz listet drei Argumente zur Begründung des Auslieferungshindernisses bei politischen Delikten auf: politisches (Nichteinmischung), moralisches (selbstlose Motive des Täters) und humanitäres, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 221. 468 Płachta, Zasady i przeszkody ekstradycyjne, Prokuratura i Prawo Nr. 7 – 8/2000, S. 31 f.

§ 8 Relevanz beim Abbau traditioneller Kompatibilitätsvorbehalte

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und Terroristenklauseln469 bei politisch motivierten Straftaten nicht als Auslieferungshindernisse aufgefasst.470 Aufgrund der Überwindung ideologischer Unterschiede sowie des fortschreitenden politischen Zusammenwachsens der EU-Mitgliedstaaten kommt dem Beweggrund politischer Opportunität stetig abnehmende Bedeutung zu.471 Die humanitäre Komponente – der Schutz vor politischer Verfolgung – wird durch Grund- und Menschenrechte (z. B. Art. 3 EMRK, Art. 16a Abs. 1 GG) ausreichend gewährleistet.472 Ein auf das non-refoulment-Prinzip eingehendes473 Rudiment des Verbots wird auch in den Erwägungsgründen des EuHbRb474 gesehen.475 Das Fehlen eines entsprechenden Verweigerungsgrundes, der die Nichtauslieferung aufgrund eines Deliktes mit politischem Bezug ermöglichte, ist daher in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU hinsichtlich der Rechtslage des Einzelnen grundsätzlich unbedenklich.476

469

Dazu Becker, Grundprinzipien des Auslieferungsrechts, Jura 1988, S. 235. Schwaighofer, Materielle Übergabe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen im Europäischen Haftbefehl, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 78. 471 Bereits in Art. 5 Abs. 1 EU-AuslÜbk ist die Möglichkeit der Berufung auf die Nichtauslieferung wegen des politischen Delikts beseitigt worden; Heimgartner, Auslieferungsrecht, S. 107 f.; Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 105 f.; vgl. auch Art. 2 des Zusatzvertrages v. 21. 10. 1986 zum Auslieferungsvertrag zwischen der BRD und den USA, sowie den Entwurf der International Law Association (ILA) zu „Legal Problems of Extradition in Relation to Terrorist Offences“, verabschiedet 1988 in Warschau. 472 Dazu Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 200 f.; vgl. auch Stankiewicz, Azyl i ekstradycja jako instytucje prawa mie˛dzynarodowego, Kultura i Edukacja Nr. 2/2002, S. 62 ff.; Gruszczak, Unia Europejska wobec przeste˛pczos´ci, S. 166. 473 Dazu Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 367. 474 Insbesondere in Nr. 12 der Erwägungsgründe des Rahmenbeschlusses über den EuHb wird darauf hingewiesen, dass eine Übergabe zu verweigern ist, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Haftbefehl zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache oder politischen Überzeugung erlassen wurde. 475 Vgl. Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong?, CMLRev. Vol. 41/2004, S. 16. 476 Aus diesen Gründen erscheint der Vorschlag von Schädel redundant, einen Katalog oder vorzugsweise eine generalklauselartige Regelung für die Ablehnung der Rechtshilfe bei solchen politischen Straftaten vorzusehen, die ausnahmsweise nur nationale Wirkung entfalten und keinen gemeinschaftlichen Bezug aufweisen; die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 116 f.; eine verbindliche Verankerung des Verbots politischer Verfolgung hält Murschetz unter Berufung auf nicht ausreichende einheitliche Rechtsschutzstandards in der EU und die Tatsache, dass politische Delikte auch in der EU vorkommen, für notwendig, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 367 f.; solche Absicherung wurde in manchen Mitgliedstaaten vorgesehen (vgl. z. B. Art. 55 Abs. 4 der polnischen Verfassung; in Österreich § 19 Abs. 4 EU-JZG). 470

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

Aus dem gleichen Grund des Zusammenwachsens Europas sowie einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist das Einräumen einer Möglichkeit der Nichtauslieferung beim Vorliegen sog. militärischer Delikte obsolet geworden.477 So folgt der EuHbRb auch dieser Erkenntnis und verzichtet zu Recht auf diese auf den Schutz der staatlichen Interessen ausgerichtete Ausnahmeregelung.478 Aus Gründen der Herstellung der Wettbewerbsneutralität und unter Berücksichtigung des Gebots der wirtschaftlichen und steuerlichen Kohärenz sowie der Anerkennung des universellen Charakters der durch Steuerstraftatbestände479 geschützten Rechtsgüter ist auch der grundsätzliche Verzicht auf das Rechtshilfehindernis der fiskalischen Tat in der EU verständlich.480 Festzuhalten ist somit, dass die Anerkennungs- und Vollstreckungspflicht von Entscheidungen, denen eins solcher Delikte zugrunde liegt, in seltenen Fällen vorkommen dürfte und grundsätzlich gerechtfertigt erscheint. Eine Absicherung stellt hier die Rückgriffsmöglichkeit auf das verbliebene Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit481 und in berechtigten Fällen auf den ordre-public-Vorbehalt dar.482

V. Anwendbarkeit eines ordre-public-Vorbehalts Die Vereinbarkeit des Anerkennungskonzepts mit ordre-public-Klauseln gilt als umstritten und die Anwendung solcher Vorbehalte wird teils als eine „deutliche Distanzierung“ des Gesetzgebers vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und des gegenseitigen Vertrauens angesehen,483 teils aber auch als unabdingbares Element des Anerkennungskonzepts.484

477 Schwaighofer, Materielle Übergabe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen im Europäischen Haftbefehl, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 78; Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 84 ff. m.w.N., 126 f.; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 201. 478 Schädel zählt in diesem Zusammenhang zur Begründung des politischen Vorbehalts u. a. das Eigeninteresse des ersuchten Staates, den Gedanken der Gegenseitigkeit, den Gedanken der Nichteinmischung, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 110 ff.; vgl. auch Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 261. 479 Ausführlich über diese Gründe in der EU Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 84 ff. m.w.N. 480 Zur Bedeutung von fiskalischen strafbaren Handlungen vgl. Schwaighofer, Materielle Übergabe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen im Europäischen Haftbefehl, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 78. 481 Vgl. Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 368. 482 Soweit es in der nationalen Rechtsordnung vorgesehen wurde; dazu gleich unten. 483 Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, § 73, Rn. 134. 484 Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 347 f.

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1. Begriffsbestimmung Beim ordre public in der Zusammenarbeit in Strafsachen handelt es sich um ein allgemeines Rechtshilfehindernis, das zur Unzulässigkeit der Rechtshilfeleistung führt.485 Der Umfang eines solchen (internationalen) Vorbehalts (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 lit. b EuRhÜbk) bezieht sich auf die Souveränität, die Sicherheit und andere wesentliche Interessen.486 Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (der ordre public i. e. S.) umfasst in der Regel Fälle, in denen eine Rechtshilfehandlung gegen die fundamentalen Grundsätze der Rechtsordnung (verfassungsrechtliche Positionen, aber auch materiellrechtliche oder prozedurale Normen des Zivilrechts, Strafrechts oder des öffentlichen Rechts) des Vornahmestaates verstoßen würde.487 Im Hinblick auf justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU wird auch vom ordre public europen gesprochen, der im Gegensatz zum „nationalen“ ordre public (z. B. § 73 S. 1 IRG) aus dem „gemeinsamen geistigen und politischen Erbe der gemeinsamen europäischen Verfassungstraditionen“ konstruiert wird.488 Ein Beispiel hierzu wird teilweise im Art. 1 Abs. 3 EuHbRb („salvatorische Grundrechtsklausel“489) gesehen und in manchen Mitgliedstaaten490 in die nationale Ordnung (so z. B. in Deutschland, § 73 S. 2 IRG) umgesetzt.491

485

Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, § 73, Rn. 2. Darunter fallen beispielsweise Gefahren für die Existenz und Handlungsfähigkeit des ersuchten Staates, Interessen politischer, militärischer oder wirtschaftlicher Art, Verschlechterung der Beziehungen mit einem Drittland; dazu mit weiteren Beispielen: Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 208 f. 487 Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 209 f. m.w.N. 488 Werner, Grenzen und Möglichkeiten europäischer Strafrechtspflege, S. 293. 489 Kritisch Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 25. 490 Laut dem Kommissionsbericht haben die Verletzung der Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 EuHbRb) oder Diskriminierung (Erwägungsgründe 12 und 13 EuHbRb) zwei Drittel der Mitgliedstaaten in unterschiedlicher Form ausdrücklich eingeführt, KOM(2006) 8 v. 24. 1. 2006; einen allgemeinen, menschenrechtsbezogenen, obligatorischen Verweigerungsgrund implementierten: Österreich, Zypern, Dänemark, Finnland, Griechenland, Spanien, die Niederlande, Litauen, Deutschland, Polen, Rumänien, Slowenien und Großbritannien; zit. nach Hofman´ski (Hrsg.), Europejski nakaz aresztowania w teorii i praktyce pan´stw członkowskich Unii Europejskiej, S. 70 m.w.N. 491 Auf ähnliche Uneinheitlichkeit in der Umsetzung einer Parallelvorschrift (Art. 3) weist die Kommission im Bericht v. 22. 12. 2008, KOM(2008) 888 zum Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen hin: „Nach Ansicht mehrerer Mitgliedstaaten muss dieser Artikel nicht umgesetzt werden (DK, FR, NL). AT und HU haben ihn als Grund für die Ablehnung der Vollstreckung umgesetzt. Zwei Mitgliedstaaten haben auf einschlägige innerstaatliche Rechtsvorschriften verwiesen (LT, SI). FI hat diese Bestimmungen umgesetzt, indem festgelegt wurde, dass die Vollstreckung einer Entscheidung abzulehnen ist, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass das Gerichtsverfahren, das zu der Entscheidung führte, nicht ordnungsgemäß war.“ 486

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2. Diskussionsstand In Bezug auf die justizielle Zusammenarbeit auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung ist umstritten, ob zusätzlich zu den vorgesehenen Verweigerungsgründen in den Mitgliedstaaten die Vornahme einer Rechtshilfehandlung unter Berufung auf ordre public abgelehnt werden kann. Unter Berufung auf „eine der wichtigsten Facetten“ gegenseitiger Anerkennung – „eine in einem Mitgliedsstaat ergangene gerichtliche Entscheidung [wird] in einem anderen Mitgliedsstaat nicht wieder in Frage gestellt“492 – könnte vertreten werden, dass im Rechtshilfeverkehr in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten jeder, auch der europäische, ordre-public-Vorbehalt entfällt.493 Diese Ansicht unterstützt teilweise das Argument, dass vor dem Hintergrund der Bestimmungen von Art. 6 Abs. 2 EUV dem Art. 1 Abs. 3 EuHbRb im Hinblick auf den Grundrechtsschutz nur eine bestätigende Bedeutung zukommt.494 Dagegen wird eingewandt, dass die gegenseitige Anerkennung, auf welcher der EuHb beruht, ein ordre public voraussetzt, wie das beispielsweise in der ersten Säule bei Art. 34 EuGVVO der Fall ist.495 Denkbar seien nämlich Fälle, in denen die Rechtshilfe gegen gemeinsame Elementarprinzipien verstoße.496 Da die „programmatische Erwähnung des Grundrechtsschutzes“ in Erwägungsgründen zu kurzsichtig sei und auf „lebensfremden Prämissen“ – dass der Grundrechtsstandard konstant bleibt – beruhe, bedarf es nach dieser Meinung eines entsprechenden Vorbehaltes im Rahmen der Umsetzung.497 Vor dem Hintergrund der Anerkennung von divergierenden Sanktionen in der EU wird schließlich auch eine europäische ordre-public-Klausel für eine zu schwache Einrede empfunden, denn ihr Inhalt sei das, „was die jeweilige politische Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten gerade noch für normativ vertretbar hält“.498 Danach soll ein ordre public nach dem Vorbild des Art. 6 EGBG konstruiert werden und bei der Vereinbarkeit einer Rechtshilfehandlung auf den Maßstab der Grundrechte abstellen.

492 Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen AblEG Nr. C 12 v. 15. 1. 2001, S. 10. 493 Nach Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, § 73, Rn. 133. 494 Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 105; dazu auch Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, § 73, Rn. 138 (Argument a contrario aus den im Rahmenbeschluss vorgesehenen Verweigerungsgründen). 495 Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 347 f.; vgl. Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 212. 496 So in der Begründung des EuHbG, BT-Dr 15/1718, S. 14; zit. nach Hackner/Schomburg/ Lagodny/Gleß, Das 2. Europäische Haftbefehlsgesetz, NStZ 2006, S. 665. 497 Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 348; eine ähnliche Regelung sieht z. B. Section 21 UK Extradition Act 2003 vor. 498 Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 694.

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3. Stellungnahme Ein klarer und verbindlicher Grundrechtsvorbehalt wird im Anerkennungskonzept nicht zu Unrecht vermisst.499 Art. 1 Abs. 3 EuHbRb500 stellt diesbezüglich nur einen Hinweis darauf dar, dass Grundrechte unberührt bleiben und ist für eine ordre-public-Klausel zu vage.501 Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass die Bedeutung eines solchen Grundrechtsbekenntnisses grundsätzlich nur bei offen gehaltenen Regelungen, die einer grundrechtskonformen Auslegung bedürfen, zur Anwendung kommt und in der Regel zur „Grundrechtslyrik“ verkommt.502 Dieser Mangel verwundert sowohl vor dem Hintergrund anderer Rechtsakte und Vorschläge503, als auch im Hinblick auf die im Kommissionsbericht geäußerte Bestätigung dass „eine Justizbehörde stets berechtigt [ist], die Vollstreckung eines Haftbefehls abzulehnen, wenn sie feststellt, dass das Verfahren infolge einer Verletzung von Artikel 6 EUV und der gemeinsamen Verfassungsgrundsätze der Mitgliedstaaten rechtswidrig ist.“504 Angesichts der Rechtsunterschiede und der schweren Vorhersehbarkeit der auftretenden Rechtshilfeprobleme erscheint in dieser Entwicklungsphase des Anerkennungskonzepts ein europäischer ordre-public-Vorbehalt eine rechts- und kriminalpo499 Vgl. Alegre/Leaf, Mutual Recognition in European Judicial Cooperation: A Step Too Far Too Soon? Case Study – the European Arrest Warrant, ELJ Vol. 10/2004, S. 202; vgl. auch Sieber, Die Zukunft des Europäischen Strafrechts, ZStW 2009, S. 35. 500 Ähnliche Klauseln befinden sich auch in anderen, auf der gegenseitigen Anerkennung beruhenden Rahmenbeschlüssen; vgl. z. B. Art. 3 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen; Art. 3 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union; Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen. 501 Ähnlich Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 347. 502 Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 25. 503 Vgl. Art. 34 EuGVVO (generelle Unzulässigkeit der Anerkennung bei Verstößen gegen den ordre public); Art. 27 EuGVÜ; Art. 22 des Vorschlages für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), KOM(2003) 427 v. 22. 7. 2003; zum anerkennungsrechtlichen ordre public vgl. MünchKommBGB-Junker, Art. 42 EGBG, Rn. 91 m.w.N.; Art. 26 EuInsVO, dazu MünchKommBGB-Kindler, IntInsR, Rn. 593 m.w.N. 504 Bericht der Kommission auf der Grundlage von Artikel 34 des Rahmenbeschlusses des Rates v. 13. 6. 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten KOM(2006) 8 v. 24. 1. 2006; ähnlich auch im früheren Bericht: „Diese Gründe mögen zwar legitim sein. Sie sollten aber, außer wenn sie über den Rahmenbeschluss hinausgehen (…), in der Union nur in Ausnahmefällen geltend gemacht werden.“ KOM(2005) 63 v. 23. 2. 2005; dazu auch Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 25.

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litisch sinnvolle Assekuranz, selbst wenn er (wie es eingewandt werden könnte) dem europäischen Anpassungsdruck nicht lange standhalten sollte.505 Ob eine solche ins nationale Recht umgesetzte Klausel einen Konflikt zwischen nationalen und europäischen Grundrechten vermeiden lässt,506 hängt wesentlich von den nationalen Gerichten ab. Förderlich wäre für die Zusammenarbeit, die im Einzelfall notwendige Konkretisierung grundsätzlich dem EuGH zu überlassen, vorausgesetzt dass der Beschleunigungsgrundsatz es zulässt507, oder ein schnelles Vorabentscheidungsverfahren garantiert wird.508 Zur Begründung kann hinzugefügt werden, dass obwohl es sich bei Klauseln wie beispielsweise dem § 73 S. 2 IRG zwar um nationales Recht handelt, dessen Auslegung jedoch zugleich EU-Recht (Art. 1 Abs. 3 EuHbRb) betrifft.509 So könnte ein solcher ordre-public-Vorbehalt sich zum „Kristallisationskeim“ einer genuin europäischen Klausel entwickeln, die nach Vogel lauten könnte: „Die Leistung von Rechtshilfe an einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union gemäß dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ist unzulässig, wenn sie zu den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde“.510 Ob die „Notbremse des nationalen ordre public“ tatsächlich notwendig ist,511 bleibt abzuwarten.512 Es kann auch nicht pauschal beantwortet werden, ob ein auf nationale Rechtsordnung abstellender ordre public für die Rechtspositionen von Betroffenen besser als ein europäischer ordre public wäre. Nicht unterschätzt werden darf, dass mit dem europäischen ordre public europäische Grundrechtsstandards und EMRK als Maßstab herangezogen werden, was in bestimmten Fällen einen weiteren Schutz für den Einzelnen bieten kann.513 Zu beachten ist schließlich, dass solange die 505

Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, § 73, Rn. 134. Bejahend (am Beispiel § 9 Abs. 4 EU-JZG) Merli, Europäischer Haftbefehl und nationales Verfassungsrecht, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 138. 507 Auslegungsfragen, die dem EuGH nicht vorgelegt werden können, sollen die nationalen Gerichte „im Geist eines europäischen Gerichts“ entscheiden, so Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, § 73, Rn. 157. 508 Eine deutliche Verbesserung stellt die Verkürzung der Entscheidungsdauer des EuGH durch Anwendung des Eilverfahrens gemäß Art. 104 b § 2 VerfO/EuGH dar, dazu Dörr, Das beschleunigte Vorabentscheidungsverfahren im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, EuGRZ 2008, S. 353; Koncewicz, Sa˛d w Luksemburgu moz˙e odpowiadac´ w trybie pilnym, Rzeczpospolita v. 19. 7. 2008. 509 Vogel zieht eine Parallele zu den dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegten Auslegungsfragen zum Umsetzungsrecht von gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien, in: Grützner/ Pötz/Kreß, § 73, Rn. 156. 510 Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, § 73, Rn. 135; vgl. Art. 20 Abs. 3 des über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen. 511 Dies vor dem Hintergrund, dass ihre Anwendung nur in seltenen Fällen in Frage kommen dürfte, vgl. KOM(2006) 8 v. 24. 1. 2006; ähnlich KOM(2005) 63 v. 23. 2. 2005. 512 So auch Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, Das 2. Europäische Haftbefehlsgesetz, NStZ 2006, S. 665. 513 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 212; vgl. aber die unter § 6 II. signalisierten Einschränkungen. 506

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Problematik der ordre public „im nationalen Alleingang“ gelöst wird, die Gefahr der Aushebelung von Sonderregelungen des europäischen Kooperationsrechtes besteht.514 Auch vor dem Hintergrund der Gegenseitigkeit der Rechtshilfe und der Vorhersehbarkeit des Verfahrensablaufs wäre eine einheitliche Regelung der Maßstäbe in dieser Materie zu begrüßen.515

VI. Sonstige rechtliche Kooperationshindernisse Aufgrund des sukzessiven Abbaus von zahlreichen Kompatibilitätsvorbehalten in der justiziellen Zusammenarbeit und der Einschränkung der Kontrollmöglichkeiten der Justizorgane sind Fallkonstellationen denkbar, bei denen eine Anerkennungspflicht einer ausländischen Entscheidung sich als problematisch erweisen könnte. So wäre fraglich, ob als mögliche (vorläufige oder endgültige) Anerkennungshindernisse u. a. ein zweifelhafter Tatverdacht oder Haftgrund, eingetretene Strafverjährung im Vollstreckungsstaat bzw. Berufung auf das Rückwirkungsverbot noch in Frage kommen. 1. Tatverdacht Eine Schuldverdachtsprüfung wird in der Regel in angloamerikanischen Staaten, z. T. als Kompensation für das fehlende Verbot der Auslieferung eigener Staatsangehöriger vorgenommen.516 In Kontinentaleuropa wird ein Verzicht auf die Prüfung des Tatverdachts (Geltung des „formellen Prüfungsprinzips“517) grundsätzlich mit „verfassungsrechtlicher Unbedenklichkeit“518, der Akzentuierung, dass es um Unterstützung eines ausländischen Ersuchens geht519, und Interessen an einer effek-

514 Beim EuHb kommt in Frage u. a. eine Beeinträchtigung der Regelung der Abwesenheitsurteile (zu dieser Problematik unter § 11 IV.), politischer Verfolgung (§§ 6 Abs. 2, 82 IRG), europäischen ne bis in idem (§ 83 Nr. 1 IRG), drohender lebenslangen Freiheitsstrafe (§ 83 Nr. 4 IRG) sowie drohender Todesstrafe (§§ 8, 82 IRG), zit. nach Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 827. 515 Ähnlich Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 826, in Bezug auf gemeinsame europäische Bewertungskriterien und ein gleiches Verständnis der Verhältnismäßigkeitsschranke bei den anzuerkennenden und zu vollstreckenden Strafen (am Beispiel eines Falles, bei dem bei lang zurückliegender Tatzeit, erfolgter Schadenswiedergutmachung und erschwerten Haftbedingungen Vollstreckung einer vom rumänischen Gericht verhängten Freiheitsstrafe von 3 Jahren für Unterschlagung von 5000 E diskutiert wurde) oder der Frage des Verhältnisses der Dauer des Auslieferungsverfahrens zu der zu erwartenden Strafe. 516 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 134 f. 517 Dazu kritisch Schulz, Vom Anfang und Ende des Ermittelns – Der legitime Verdacht, StraFo 2003, S. 296 m.w.N. 518 Schomburg/Lagodny, § 10 Rn. 4. 519 Grützner/Pötz/Kreß-Vogler, § 10, Rn. 19 f.

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tiven Strafrechtspflege begründet.520 Auch der EuHbRb sieht keine Tatverdachtsprüfung vor. In der deutschen Rechtshilfepraxis wird jedoch eine ausnahmsweise auch im vertraglichen Bereich stattfindende Tatverdachtsprüfung für möglich gehalten,521 wenn aufgrund besonderer Umstände die Täterschaft des Verfolgten ausgeschlossen oder im höchsten Maße zweifelhaft ist522 oder Tatvorwürfe im EuHb vorgetäuscht wurden.523 In der Folge könnten einerseits Regelungen, wie § 10 Abs. 2 IRG als generelle „Misstrauensklausel“524 aufgefasst werden, andererseits wird betont, dass die Tatverdachtsprüfung kein Misstrauen gegen die Rechtsstaatlichkeit, sondern ein „begründetes, generelles Misstrauen gegenüber menschlicher Fehlbarkeit bei der Wahrheitsfindung“ ausdrückt.525 Mit dem Argument, dass die Übergabehaft beim EuHb aufgrund des justiziellen Charakters des Übergabeverfahrens der Untersuchungshaft und nicht der Auslieferungshaft nach Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK entspricht, wird des Weiteren die Notwendigkeit der Tatverdachtsprüfung auf Art. 5 Abs. 1 lit. c EMRK gestützt.526 Demgegenüber erscheint zutreffend der Einwand, dass es sich beim EuHb dem Wesen nach um eine Auslieferung handelt.527 Festzuhalten ist, dass eine Tatverdachtsprüfung nur beim Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze im Zielstaat528 in „extrem gelagerten“529 Fällen möglich und

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Graßhof/Backhaus, Verfassungsrechtliche Gewährleistung im Auslieferungsverfahren, EuGRZ 1996, S. 446. 521 Z. B. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 26. 6. 2007, 1 AK 16/06; dazu auch Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 136. 522 Z. B. wenn entgegenstehende Tatsachen vorliegen, die einen sicheren Alibi-Beweis liefern; dazu Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 667 ff. 523 Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 767; vgl. auch Thüringisches OLG, Beschluss v. 17. 12. 2004, Ausl. 7/04; OLG Köln, Beschlüsse v. 19. 10. 2004, 6. Ausl. 222/04 und 3. 11. 2006, 6. Ausl. 57/06; OLG Bamberg, Beschluss v. 9. 2. 2005, 4. Ausl. 6/ 05. 524 Nach Grützner/Pötz/Kreß-Vogler, § 10, Rn. 19. 525 Werner, Grenzen und Möglichkeiten europäischer Strafrechtspflege, S. 197; vgl. Schulz, Vom Anfang und Ende des Ermittelns – Der legitime Verdacht, StraFo 2003, S. 299; Ahlbrecht/ Lagodny, Einheitliche Strafverfahrensgarantien in Europa? – Eine kritische Bestandsaufnahme, StraFo 2003, S. 331. 526 Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 110 ff. 527 von Bubnoff, Institutionelle Kriminalitätsbekämpfung in der EU, ZEuS 2002, S. 231; Grützner/Pötz/Kreß-Böse, Vor § 78, Rn. 21; so ausdrücklich auch im Urteil des polnischen Verfassungsgerichts v. 27. 4. 2005, P 1/05, III. 528 Vgl. Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 115 m.w.N. 529 So Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 83a, Rn. 11; zur Tatverdachtsüberprüfung bei „besonderen Umständen“ vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 18. 6. 2007 – 1 AK 72/06.

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geboten erscheint.530 Darüber hinaus müssten solche Kontrollbefugnisse und damit verbundene Rechtshilfeverweigerungsgründe als unvereinbar mit dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und dem ihm zugrunde liegenden Prinzip des gegenseitigen Vertrauens bewertet werden.531 2. Rückwirkungsverbot Fraglich ist des Weiteren, ob eine Ausnahme von der gegenseitigen Anerkennungs- und Vollstreckungspflicht bei Ersuchen, denen zugrunde liegende Tat zum Zeitpunkt des Begehens keine Straftat nach dem Recht des Vollstreckungsstaates vorlag, zulässig wäre.532 Einerseits werden in solchen Fallkonstellationen Bedenken in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip533 und den Vertrauensschutz im Einzelfall geäußert.534 Andererseits erscheint fraglich, ob das Vertrauen auf das Fortbestehen von bestimmten Rechtshilfehindernissen im Rechtshilfeverkehr als schutzwürdig gilt.535 Dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass es kein Recht auf die Freiheit von Strafverfolgung gibt.536 Das entscheidende Argument für die Unbeachtlichkeit des Rückwirkungsverbots stützt sich in der Begründung darauf, dass es sich hier um Verfahrensrecht und nicht um materielles Strafrecht handelt.537 Diese Ansicht 530 Im Ergebnis zustimmend Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 83a, Rn. 11; IRG-KommentarHackner/Lagodny/Schomburg, § 10, Rn. 31; OLG Stuttgart, Beschluss v. 7. 3. 2007, 3. Ausl. 6/ 2007. 531 Noch weiter geht Böse: „Der Einwand, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung verfassungsrechtlich zwingende Prüfungspflichten nicht beseitigen könne, kann demgegenüber nicht durchdringen, da das Unionsrecht auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht Vorrang beansprucht“, in: Grützner/Pötz/Kreß, § 83a, Rn 11. 532 Böhm/Rosenthal illustrieren diese Problematik mit folgendem Fall: Einem Deutschen wurde für das Jahr 1998 Zugehörigkeit zu einer organisierten und die Hinterziehung von Mehrwertsteuer planenden Verbrechensgruppe vorgeworfen (erst mit der Einfügung von § 370a AO seit 1. 10. 2002 eine strafbare Verbrechensverabredung nach § 30 Abs. 2 StGB), in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 813. 533 Vgl. Weigend, Der Eckstein als Stein des Anstoßes: zur Leidensgeschichte des Europäischen Haftbefehls in Deutschland, FS Jung, S. 1074. 534 Böhm/Rosenthal sprechen sogar von einer „doppelten Rückwirkung“: erstens Verlust des bis zum Inkrafttreten des EuHbG bestehenden Status, demzufolge der Täter für zuvor begangene Taten vor ausländischen Gerichten nicht zur Verantwortung gezogen wird; zweitens aufgrund des weitgehenden Verzichts auf die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit, dass der Täter mit Auslieferung rechnen muss, obwohl die ihm im Ausland vorgeworfenen Tat gar nicht strafbar ist oder erst nach der Tatbegehung unter Strafe gestellt wurde, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 813; Buermeyer, Grundrechtsschutz in Deutschland und Europa: Das BVerfG hebt die Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl auf (zugleich Besprechung von BVerfG 2 BvR 2236/04), HRRS 2005, S. 282. 535 Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 78 Rn. 4 m.w.N. 536 Trechsel, Grundrechtschutz bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, EuGRZ 1987, S. 78. 537 So h. M., dazu Nachweise bei Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 78, Rn. 4; vgl. auch Rn. BT-Drucks. 16/2015, S. 26; Nachweise aus der Rechtsprechung bei Hackner, Der Europäische

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wird auch von der Tatsache unterstützt, dass ein Ablehnungsgrund aufgrund eines Rückwirkungsverbots weder im EuAlÜbk noch im EuHbRb vorgesehen ist.538 3. Verjährung Bei der Institution der Verjährung handelt es sich um eine negative Voraussetzung für Strafverfolgung bzw. Strafvollstreckung und somit um ein Hindernis bei der Verwirklichung des Strafanspruchs.539 Im Rechtshilferecht ist diese Problematik im Themenkomplex der beiderseitigen Verfolgbarkeit angesiedelt540 und stellt u. a. ein Auslieferungshindernis dar.541 Aufgrund unterschiedlicher Verjährungsfristen in den EUMitgliedstaaten542 wird z. T. befürchtet, dass Straftäter bewusst Mitgliedstaaten aussuchen können, wo betreffende Delikte schnell verjähren, und für die Einschränkung der rechtshilferechtlichen Bedeutung der Verjährung zugunsten einer Verbesserung der Inanspruchnahme von Rechtshilfe in der EU plädiert.543 Dieser Forderung wird im Anerkennungskonzept grundsätzlich entsprochen. Im EuHbRb ist Verjährung als ein fakultativer Verweigerungsgrund konzipiert worden (Art. 4 Abs. 4).544 Für die Ablehnung ist danach das Verjährungsrecht des Vollstreckungsmitgliedsstaats einschlägig, soweit hinsichtlich der Handlungen nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit bestand. Ähnliche Bestimmungen sind auch in anderen auf dem Anerkennungsgrundsatz beruhenden Rahmenbeschlüssen zu finden.545 Aufgrund gegenHaftbefehl in der Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte, NStZ 2005, S. 312; a. A. unter Berufung auf Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 15 IPBPR und Art. 7 EMRK Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 216. 538 Verblieben ist nur in Art. 32 EuHbRb die Möglichkeit einer Erklärung, dass Handlungen, die vor dem Rahmenbeschluss über den EuHb begangen wurden, im Rahmen geltender Auslieferungsverträge behandelt werden – wovon auch viele Mitgliedstaaten, ausgenommen u. a. Deutschland, Gebrauch gemacht haben; dazu vgl. auch Heger, Der europäische Haftbefehl: Zur Umsetzung europäischer Vorgaben in Deutschland, ZIS 2007, S. 223. 539 Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 218 f. 540 Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 94. 541 Vgl. § 9 Nr. 2 IRG, Art. 10 EuAlÜbk. 542 So z. B. beim Diebstahl: Österreich ein Jahr, Dänemark zwei Jahre, Frankreich drei Jahre, Portugal fünf Jahre, nach Walter, Neue Verjährungsbestimmungen in deutschen Auslieferungsverträgen, GA 1981, S. 260. 543 So Schädel in Bezug auf Verjährung, die nur als Prozesshindernis auf formalrechtlicher Grundlage qualifiziert wird, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, S. 221 ff. 544 Der Zusammenstellung bei Hofman´ski (Hrsg.), nach, haben bis auf Lettland und Bulgarien alle Mitgliedstaaten diesen Verweigerungsgrund ins nationale Recht umgesetzt, Europejski nakaz aresztowania w teorii i praktyce pan´stw członkowskich Unii Europejskiej, S. 158 f. 545 Vgl. z. B. Art. 9 Abs. 1 lit. e des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der

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seitiger Anerkennung findet grundsätzlich keine konkrete Prüfung der Verjährung des Ausstellungsstaates statt.546 Als problematisch erwiesen sich jedoch Fallkonstellationen, wenn nach bilateralen Verträgen Rechtshilfepflicht (hier Auslieferungspflicht) auch für eine Tat bestand, für die Gerichtsbarkeit des Vollstreckungsstaates gegeben war und die zugleich dort verjährte.547 Die Anwendbarkeit solcher Verträge ist, insoweit sie der Vereinfachung der Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten über die Vorgaben des EuHbRb hinausgehen, zulässig (Art. 31 Abs. 2 EuHbRb).548 Im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Gedanken der gegenseitigen Anerkennung ist festzuhalten, dass diese im Vergleich zum EuHbRb weitergehende Erleichterung der Rechtshilfe dem Ziel des Rahmenbeschlusses nicht widerspricht.549 Eine für alle Mitgliedstaaten zu beachtende Grenze setzt hier Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Satz 2 der Grundrechtscharta, wonach der Verfolgte einen Anspruch auf eine Verhandlung innerhalb angemessener Frist – ohne bewusste oder fahrlässige Verzögerung – hat.550 4. Strafunmündige und Jugendliche Aufgrund der Unterschiede in den Altersgrenzen für strafrechtliche Verantwortlichkeit zwischen den Mitgliedstaaten erscheint fraglich, inwieweit Ausnahmen von der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckungspflicht zulässig sind. Ein (zwingender) Grund zur Verweigerung der Übergabe von Strafunmündigen ist in Art. 3 EuHbRb verankert.551 Als problematisch erwies sich jedoch die Frage, ob eine Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen EuHb auch Fälle betrifft, in denen der Täter zum Jugendstrafverfahren übergeben werden soll. Das polnische Europäischen Union; Art. 7 Abs. 2 lit. c des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen. 546 So Böhm/Rosenthal mit Hinweis auf Ausnahmefälle, wenn die Frage der Verjährung offensichtlich nicht berücksichtigt wurde oder konkrete Hinweise für diesbezügliche Rechtsfehler vorliegen, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 844 m.w.N. 547 Vgl. OLG Bamberg, Beschluss v. 2. 7. 2007, 4 Ausl 49/07, mit der Frage der Anwendbarkeit des Vertrages zwischen BRD und Polen über die Ergänzung des EuAlÜbk v. 13. 12. 1957 (BGBl. 2004 II S. 522). 548 So dürfte auch der zwischen Deutschland und Polen geltende Vertrag als „Ergänzung“ zum EuHbRb Anwendung finden, Böse, Auslieferung nach Eintritt der Verfolgungsverjährung, NStZ 2008, S. 637; a. A. BGH, Beschluss v. 15. 4. 2008 – 4 ARs 22/07 (OLG Bamberg). 549 So auch Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 82, Rn. 8. 550 Vgl. IRG-Kommentar-Lagodny, § 73, Rn. 98; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 26. 6. 2007 – 1 AK 16/06. 551 Art. 9 Abs. 1 lit. g des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, sieht für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU einen fakultativen Ablehnungsgrund vor, wenn die Sanktion gegen eine Person verhängt wurde, die nach dem Recht des Vollstreckungsstaats aufgrund ihres Alters für die dem Urteil zugrunde liegenden Handlungen strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden könnte; vgl. auch Art. 7 Abs. 2 lit. f des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen.

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Oberste Gericht (SN) hat u. a. in Anlehnung an die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses552 festgestellt, dass das Jugendstrafverfahren nicht von der Geltung des EuHbRb umfasst ist.553 Dabei folgte das Gericht der Ansicht554, dass eine Prüfung der Vereinbarkeit des EuHb mit dem ausländischen Recht in besonderen Fällen, bei denen es sich z. B. um die Frage der Zuständigkeit eines ausländischen Organs zum Erlass des EuHb handelt, trotz grundsätzlicher Anerkennungspflicht zulässig ist.555 Auch in einem hinsichtlich des Alters des Betroffenen ähnlich gelagerten Fall lehnte das OLG Karlsruhe eine Übergabe mit der Begründung ab, dass bei einem zum Zeitpunkt der Tatbegehung 17-jährigen deutschen Staatsangehörigen im Falle eines Tatnachweises bei Ahndung der Tat in Deutschland Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen würde.556 Obwohl im traditionellen Auslieferungsrecht das Postulat, Jugendliche von der Auslieferungspflicht auszunehmen, grundsätzlich nicht gehört worden ist,557 ist aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit und Strafempfindlichkeit solcher Personen558 dem Ergebnis aus der oben zitierten Rechtsprechung zuzustimmen. Es bedarf somit einer normativen Klarstellung, wonach der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in solchen Fällen keinen Vorrang vor den Interessen des Beschuldigten (hier insbesondere dem Erziehungs- und Resozialisierungsziel) beanspruchen darf. 5. Härtefälle Durch Krankheit, Alter, Haft oder Transportunfähigkeit bedingte ausdrückliche Übergabehindernisse wurden im Anerkennungskonzept nicht vorgesehen. Nicht durchgesetzt wurde der Kommissionsvorschlag, einen Aufschub der Übergabe aus

552 Zum Thema „Verhütung von Jugendkriminalität, Wege zu ihrer Bekämpfung und Bedeutung der Jugendgerichtsbarkeit in der Europäischen Union“ ABl. EU C 110 v. 9. 5. 2006, S. 80. 553 Beschluss des Obersten Gerichtshofs (Sa˛d Najwyz˙szy) v. 20. 7. 2006, I KZP 21/06. 554 So in Anlehnung an die Entscheidung des irischen High Court v. 9. 9. 2005 und 14. 10. 2005 (2005 36 Ext), sowie an Literaturstimmen: de Groot, Mutual Trust in (European) Extradition, in: Blekxtoon (Hrsg.), Handbook on the European Arrest Warrant, The Hague 2005, S. 91; Impal, The European Arrest Warrant in the Italian legal system. Between mutual recognition and mutual fear within the European Area of Freedom, Security and Justice, ULRev. Vol. 1/2005, S. 70. 555 Dazu auch Hudzik, Europejski nakaz aresztowania a nieletni sprawcy czynw zabronionych, EPS Nr. 8/2006, S. 22 ff. 556 OLG Karlsruhe, Beschluss v. 18. 6. 2007, 1 AK 72/06. 557 So Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, § 73, Rn. 103 m.w.N. 558 Vgl. Resolution (75) 12 on Practical Application of the European Convention on Extradition v. 31. 5. 1975 des Ministerkomitees des Europarates; United Nations Standard Minimum Rules for the Administration of Juvenile Justice Adopted by General Assembly resolution 40/33 („The Beijing Rules“) v. 29. 11. 1985 (abrufbar unter: http://www.unhchr.ch/html/ menu3/b/h_comp48.htm); vgl. auch Art. 8 EMRK, zit. nach Grützner/Pötz/Kreß-Vogel, § 73, Rn. 104.

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humanitären Gründen möglich zu machen.559 Eine Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung des EuHb in solche Fällen dürfte jedoch, sofern nicht ausdrücklich im nationalen Recht vorgesehen,560 unter Berufung auf den europäischen ordre-public-Vorbehalt möglich sein.561 Ein allgemein geltendes Verbot ergibt sich auch aus Art. 3 und Art. 8 EMRK, wonach in concreto untersucht werden soll, ob z. B. aufgrund der Transportunfähigkeit eine Gleichstellung mit einer unmenschlichen Behandlung oder eine Beeinträchtigung des Rechts auf Privat- und Familienleben zur Verletzung von Art. 8 führen würde.562 6. Die Todesstrafe Das Verbot der Todesstrafe gehört zwar nicht zum zwingenden Völkerrecht,563 eine drohende Todesstrafe dürfte in der EU keine Praxisrelevanz aufweisen.564 In theoretisch denkbaren Fällen wäre eine Übergabe trotz mangelnder Aufnahme in den Katalog der Verweigerungsgründe der EuHbRb565 alleine wegen Verstoßes gegen EU-Grundrechte und Menschenrechte nicht zulässig und somit die Verweigerung der Anerkennung möglich.566

VII. Exkurs: Haftgründe Als eines der wichtigsten Probleme des Anerkennungskonzepts wird der dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung immanente Gedanke angesehen, dass der Vollstreckungsstaat einschneidende Maßnahmen anwenden soll, ohne die Gründe

559 Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, KOM(2001) 522 v. 27. 11. 2001. 560 So z. B. Österreich: § 22 AHRG, wonach eine Abwägung zwischen der Schwere der Tat und der die Person treffenden negativen Folgen vorzunehmen ist. 561 Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 83, Rn. 4 m.w.N.; Art. 3 und Art. 7 der Grundrechtscharta. 562 Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 367; ein Überblick über die der Rechtsprechung bekannten Härtefälle bei Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 728. 563 Ausführlich Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 176 f. m.w.N. 564 Dies schon vor dem Hintergrund, dass die Mitgliedstaaten das 6. Zusatzprotokoll zur EMRK ratifiziert haben. 565 Vgl. Kritik an der „Soll-Bestimmung“ in den Erwägungsgründen (Nr. 13) zum EuHbRb von Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 204. 566 Vgl. EGMR-Urteil v. 7. 7. 1989 = EuGRZ 1989, S. 314 ff. (Soering vs. United Kingdom); in Deutschland wäre eine Übergabeverweigerung bei drohender Todesstrafe auf Grundlage von § 8 IRG, der auch im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten gilt, möglich; dazu Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 82, Rn. 6.

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dieser Maßnahmen überprüfen zu können.567 Kritisiert wird in diesem Zusammenhang insbesondere, dass der Vollstreckungsstaat das tatsächliche Vorliegen der Gründe für den Erlass vom EuHb nicht überprüfen kann.568 Hervorgehoben wird, dass gegenseitige Anerkennung nicht dazu führen darf, dass die Kontrolle selbst bei Umständen wie Fluchtgefahr, die im Anerkennungsstaat besser beurteilt werden könnten, eingeschränkt wird.569 Vor dem Hintergrund divergierender Haftgründe in den Mitgliedstaaten570 und der Befürchtung exzessiver Anwendung von Haft sollen danach einheitliche Haftgründe und weniger einschneidende Maßnahmen vorgesehen werden.571 Ein neulich veabschiedeter Rahmenbeschluss zielt auf die Förderung von Alternativen zur Untersuchungshaft in Form von bestimmten Überwachungsmaßnahmen572 ab. Die Durchführung von in einem anderen Mitgliedsstaat angeordneten Auflagen und Weisungen soll ein ordnungsgemäßes Verfahren gewährleisten und den Schutz der Opfer und der Allgemeinheit verbessern und somit die Maßnahmen mit Freiheitsentzug grundsätzlich unter einen spezifischen Subsidiaritätsvorbehalt stellen (vgl. Art. 2 Abs. 1 des zit. Rahmenbeschlusses). Was die Anwendung von Haft betrifft, unterbreitet einen konkreten Vorschlag hierzu der im Rahmen „eines Gesamtkonzepts für die europäische Strafrechtspflege“ formulierte Entwurf einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der Europäischen Union (im Folgenden als Gesamtkonzept bezeichnet).573 Ein vollstreckbarer Haftbefehl wird durch ein so genanntes Gestellungsersuchen (Art. 8 im Gesamtkonzept) an den Vollstreckungsstaat ersetzt, auf dessen Grundlage über die Festnahme und Übergabe entschieden wird. Eine Festnahme wird an die Bedingungen geknüpft, dass ein nationaler Haftbefehl ausgestellt wurde, dringender Verdacht einer nach beiderseitigem Recht strafbaren Handlung besteht (Art. 9 Abs. 1 im Gesamtkonzept) und einer der europäischen Haftgründe vorliegt (die Wiederholungs-, Verdunkelungs- oder Fluchtgefahr) sowie der Einsatz elektronischer Überwachungsmaßnah567

So Asp, Der Europäische Haftbefehl, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 133. 568 Kritisch in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 lit. c EuHbRb Frände, Zu den Haftgründen eines Europäischen Haftbefehls, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 142. 569 Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 777. 570 Z. B. spanischer Haftgrund des sog. „Sozialalarms“, vgl. Kommentierung zu Art. 10, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 22. 571 Alternativ soll an weniger einschneidende Maßnahmen, wie elektronische Überwachung, Meldepflicht oder Reiseverbot, gedacht werden, Asp, Der Europäische Haftbefehl, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 134; Frände, Zu den Haftgründen eines Europäischen Haftbefehls, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 142; vgl. auch Grünbuch über die gegenseitige Anerkennung von Überwachungsmaßnahmen ohne Freiheitsentzug im Ermittlungsverfahren KOM(2004) 562 v. 17. 8. 2004. 572 ABl. L 294 v. 11. 11. 2009, S. 20 ff.; insbesondere Verpflichtung zur Mitteilung des Wohnsitzwechsels, zum Aufenthalt an bestimmten Orten, Meldepflichten, Kontakt- oder Ortverbote bzw. -einschränkungen (vgl. Art. 8 des zit. Rahmenbeschlusses). 573 Zum Konzept auch unter § 2 III. 3.

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men zur Vermeidung der Festnahme keinen ausreichenden Erfolg verspricht (Art. 9 Abs. 3 im Gesamtkonzept). Die europäischen Haftgründe konkretisiert Art. 10 im Gesamtkonzept. Hervorzuheben ist insbesondere, dass die Fluchtgefahr vom „sachnäheren“ Staat, also dem Vollstreckungsstaat, beurteilt werden soll und bei der Prüfung dieses Haftgrundes, das Gebiet der Europäischen Union dem Inland gleichzustellen ist (Abs. 10 Abs. 3 im Gesamtkonzept). Auf diese Weise soll dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der EU entsprochen und eine pauschale Begründung der Fluchtgefahr mit der Ausländereigenschaft des Betroffenen verhindert werden.574 Abgesehen von der „Wiederbelebung“ des Gedankens der beiderseitigen Strafbarkeit sowie der vorausgesetzten Prüfung des Tatverdachts575 ist die Idee der einheitlichen Haftgründe beim EuHb grundsätzlich zu begrüßen. Auf diese Weise könnte eine Einschränkung übermäßiger Haftanwendung herbeigeführt und zur Verwirklichung rechtsstaatlicher Standards im europäischen Haftrecht beigetragen werden.576 Hervorzuheben ist, dass der Vorschlag des Gesamtkonzepts sich auf die drei allgemein anerkannten und häufigsten Haftgründe bezieht.577 Des Weiteren erscheint es beim Vorhandensein der effizienten Übergaberegelung gerechtfertigt, dass die Annahmemöglichkeit der Fluchtgefahr eingeschränkt wird.578 Durch den Einsatz von weniger einschneidenden Maßnahmen wie elektronische Überwachung, u. U. sogar verbunden (wie im Rahmenbeschluss über Überwachungsmaßnahmen, vgl. Erwägungsgrund Nr. 10) z. B. mit der Möglichkeit der Teilnahme an der Verhandlung per Video, wird garantiert, dass justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auch bei Einschränkungen der Haftanwendung effektiv stattfinden könnte. Daran dürfte selbst die bei der Fluchtgefahr im Vollstreckungsstaat vorzunehmende Prüfung des Haftgrundes – angesichts klarer, europaweit geltender und somit bei der Entscheidung im Ausstellungsstaat zu berücksichtigenden Kriterien – nicht viel ändern.579 Der Vorschlag des Gesamtkonzepts erscheint in diesem Umfang als ein wichtiges Postulat de lege ferenda im Hinblick auf die Ergänzung des EuHbRb.

574

Vgl. die Begründung zu Art. 10, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 22; vgl. auch Gercke, Der Haftgrund der Fluchtgefahr bei EUBürgern, StV 2004, S. 678. 575 Dazu bereits oben (§ 7 und § 8 VI. 1.); vgl. die Kritik von Vogel („zu rückwärtsgewandt“), in: Die Zukunft der europäischen Integration auf dem Gebiet der Strafrechtspflege, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 127 ff. 576 Ähnlich im Hinblick auf rechtsstaatliche Standards Seitz, Europäischer Haftbefehl und Europäische Vollstreckungsübernahme, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 163. 577 90 % aller Haftbefehle in der Rechtspraxis der Untersuchungshaft in Deutschland werden mit der Fluchtgefahr begründet, zit. nach Gercke, Der Haftgrund der Fluchtgefahr bei EU-Bürgern, StV 2004, S. 675 m.w.N. 578 Vgl. Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 777 f. 579 Vgl. aber Seitz, Europäischer Haftbefehl und Europäische Vollstreckungsübernahme, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 163 f.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

VIII. Wegfall der politischen Kontrollinstanz Die klassischen Auslieferungsverfahren setzen im Regelfall580 ein Zulässigkeitsverfahren und ein Bewilligungsverfahren voraus. Dabei war das Bewilligungsverfahren als ein Instrument der politischen Machtsausübung und der Souveränitätsdemonstration konzipiert.581 Dieser zweistufige Aufbau hat sich mit Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt582 und hängt mit der sog. Vertragstheorie zusammen, wonach ein Auslieferungsersuchen und die Bewilligung der Auslieferung als Angebot und Annahme im Rahmen eines völkerrechtlichen Rechtsgeschäfts verstanden werden.583 Wegen des rein justiziellen Charakters der Zusammenarbeit in der EU auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung fehlt es an einer Willensübereinstimmung zwischen Völkerrechtssubjekten und somit an einem „speziellen“ völkerrechtlichen Vertrag. Die Verpflichtung zur Rechtshilfe resultiert somit direkt aus dem Rahmenbeschluss und erschöpft sich mit einer richterlichen Verfügung und nicht durch das Handeln der Regierungen der beteiligten Staaten.584 Die endgültige Abschaffung der zweiten Etappe und somit der Abbau der Komplexität, die Verringerung der Verzögerungsrisiken und der Ausschluss des dem Bewilligungsverfahren immanenten, politischen Ermessens ist die wichtigste verfahrenstechnische Neuerung des Kooperationskonzepts.585 So führt dies z. B. beim EuHb zum sog. vereinfachten System der Übergabe, das direkt zwischen den beteiligten Justizbehörden unter fakultativem Einschluss einer lediglich administrativ beteiligten Zentralbehörde (Art. 7 Abs. 1 EuHbRb) erfolgt. Diese Neuerung wird insofern kritisch beurteilt, als dass mit Abschaffung des „letzten Refugium justizfreier Hoheitsakte“586 auch eine Kontrollinstanz weggefallen ist,587 die u. U. der gegensei580 Die Ersetzung des diplomatischen Geschäftsweges durch einen rein justiziellen sehen z. B. Art. 65 SDÜ und 13 EU-AuslÜbk vor. 581 Vogel, Abschaffung der Auslieferung, JZ 2001, S. 937 f. 582 Lagodny, Die Rechtsstellung des Auszuliefernden in der Bundesrepublik Deutschland, S. 29. 583 Dazu Vogler, Auslieferungsrecht und Grundgesetz, S. 34. 584 Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 43 f. 585 Vgl. (bezogen auf den EuHb) Anzeiger der Fortschritte bei der Schaffung eines „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ in der EU v. 16. 12. 2002, KOM(2002) 738; vgl. auch Kruszyn´ski, O niektrych propozycjach rza˛dowego projektu ustawy o zmianie ustawy – Kodeks karny, ustawy – Kodeks poste˛powania karnego oraz ustawy – Kodeks wykroczen´ (w redakcji z dnia 19 sierpnia 2003), Prokuratura i Prawo, Nr. 2/2004, S. 10; ders., Europejski nakaz aresztowania jako forma realizacji idei wzajemnej wspłpracy w zakresie wymiaru sprawiedliwos´ci pomie˛dzy pan´stwami Unii Europejskiej, in: Marek (Hrsg.), Ksie˛ga pamia˛tkowa Profesora Andrzeja Bulsiewicza, S. 198; Prost, Towards Meaningful Adherence to Multilateral Instruments for International Cooperation: the Challenges to Effective Mutual Legal Assistance, in: Yepes-Enrquez/Tabassi (Hrsg.), Treaty Enforcement and International Cooperation in Criminal Matters, S. 481. 586 Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 627. 587 Zeder, Der Europäische Haftbefehl: das Ende der Auslieferung in der EU?, AnwBl 2003, S. 380.

§ 8 Relevanz beim Abbau traditioneller Kompatibilitätsvorbehalte

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tigen Anerkennung zusätzliche Grenzen setzten könnte. Da die Interessen des Betroffenen Gegenstand der Zulässigkeitsprüfung sind,588 wirkt sich der Wegfall dieses zusätzlichen Ermessens nicht negativ auf die Rechtsstellung des Betroffenen aus – vor allem wenn in einer Bewilligungsentscheidung nur staatspolitische Gründe hätten berücksichtigt werden können.589 Wird dagegen (rahmenbeschlusswidrig) ein Bewilligungsverfahren vorgesehen,590 das über die „Verbalnote an den ersuchenden Staat“ hinausgeht,591 kommt es in der Regel zur (unnötigen) doppelten Überprüfung derselben Gesichtspunkte (im Rahmen der Zulässigkeit und bei der Entscheidung über ein Bewilligungshindernis)592 und zur Verlängerung593 und Erschwerung des Übergabeverfahrens594 sowie zur Gefährdung der Gegenseitigkeit und Funktionalität der justiziellen Zusammenarbeit. Der Gebrauch der Möglichkeit politischer Einflussnahme auf das Anerkennungskonzept bei der Vornahme von verrechtlichten Rechtshilfehandlungen ist daher grundsätzlich abzulehnen.

IX. Zusammenfassung Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in der justiziellen Zusammenarbeit nicht ohne Einschränkungen und Vorbehalte funktionieren kann. In Bezug auf den Abbau einzelner Kompatibilitäts- und Prüfungsvorbehalte ist die Frage der Auswirkung der gegenseitigen Anerkennung und die Notwendigkeit eventueller Absicherungen differenziert zu betrachten. Aufgrund der auf die Sicherung staatlicher Souveränität gerichteten Funktion ist der 588 Vgl. Gas, Die Verfassungswidrigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes – gebotener Grundrechtsschutz oder euroskeptische Überfrachtung?, EuR 2006, S. 297. 589 So z. B. in Österreich, vgl. Murschetz, Das „Übergabe“-Verfahren nach dem Europäischen Haftbefehl im Vergleich mit dem herkömmlichen Auslieferungsverfahren, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 90; ähnlich (als rein außen- und kriminalpolitische Zweckmäßigkeitsentscheidung) im Hinblick auf die „klassische Auslieferung“ Lagodny, in: Schomburg/Lagodny, § 29 IRG, Rn. 2. 590 Wie in Deutschland – dazu (in Bezug auf das erste Umsetzungsgesetz) Seitz, Das Europäische Haftbefehlgesetz, NStZ 2004, S. 547; BT-Drs 15/1718, S. 10, v. 15. 8. 2003; zum zweiten Umsetzungsgesetz (nach dem Urteil des BVerfG) vgl. Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 847 ff.; kritisch Weigend, Der Eckstein als Stein des Anstoßes: zur Leidensgeschichte des Europäischen Haftbefehls, in: Deutschland, FS Jung, S. 1076; in der Beibehaltung des Bewilligungsverfahrens sieht Böse einen Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Umsetzung des EuHbRb, in: Grützner/Pötz/Kreß, § 79, Rn. 1 m.w.N.; ähnlich der Kommissionsbericht v. 11. 7. 2007, KOM(2007) 407. 591 So BVerfG im Urteil v. 18. 7. 2005, 2 BvR 2236/04, Rn. 28; Böhm/Rosenthal, Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 616. 592 Vgl. § 80 Abs. 2 S. 4 und § 83b Abs. 1 lit. b IRG. 593 Rosenthal, Europäisches Haftbefehlsgesetz, zweiter Versuch, ZRP 2006, S. 105. 594 Zweifel an der Praktikabilität des Verfahrens äußern u. a.: Ahlbrecht, Europäischer Haftbefehl im Interim, eucrim 1 – 2/2006, S. 41 f.; Weigend, Der Eckstein als Stein des Anstoßes: zur Leidensgeschichte des Europäischen Haftbefehls in Deutschland, FS Jung, S. 1078.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

Wegfall des Grundsatzes der Gegenseitigkeit für die Rechte des Einzelnen unbedenklich. Eine Rechtshilfeverweigerung aufgrund mangelnder Gegenseitigkeit ist mit dem Anerkennungskonzept unvereinbar. Die Rolle des Grundsatzes der Spezialität ist, trotz einer möglichen Bedeutung im Hinblick auf die Sicherung der rudimentär verbliebenen Anforderung beiderseitiger Strafbarkeit und anderer Grundsätze des materiellen Rechtshilferechts, als gering anzusehen. Aufgrund teilweise grundlegender Rechtsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten ist an einen ausdrücklich vorgesehenen ordre-public-Vorbehalt als zusätzliche Einschränkung der Anerkennungspflicht zu denken. Die Lösung dieser Frage „im nationalen Alleingang“ schafft die Gefahr der Aushebelung von Sonderregelungen des europäischen Kooperationsrechts und kann zur Beeinträchtigung der Gegenseitigkeit der Rechtshilfe sowie zur Unvorhersehbarkeit des Verfahrensablaufs führen. Im Hinblick auf die rechtshilferechtliche Stellung eigener Staatsbürger ist festzuhalten, dass der Schutz vor Unrecht als gerechtfertigte Einschränkung der gegenseitigen Anerkennung in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU allen Beteiligten unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit zugute kommen soll. Vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in der EU erscheint der Verzicht auf die Anerkennungs- und Vollstreckungseinschränkung bei politischen, militärischen und fiskalischen Delikten gerechtfertigt. Aufgrund geltender internationaler Standards ist auch die Aufhebung sonstiger Einschränkungen grundsätzlich unbedenklich. Bedarf an legislativen Maßnahmen besteht jedoch insbesondere im Bereich des Haftrechts. Diesbezüglich gilt zu beachten, dass über Freiheitsentzug anhand einheitlicher Verhältnismäßigkeitskriterien entschieden werden soll. Schließlich ist festzuhalten, dass der Gebrauch von der Möglichkeit politischer Einflussnahme bei der Vornahme von Rechtshilfehandlungen mit dem rein justiziellen Anerkennungskonzept grundsätzlich unvereinbar ist.

§ 9 Gefahr von Zuständigkeitskollisionen und forum shopping Ein weiterer im Hinblick auf die gegenseitige Anerkennung zum Ausdruck gebrachter Kritikpunkt betrifft die Frage des Strafanwendungsrechts und der daraus resultierenden Zuständigkeitsüberschneidungen. Aufgrund ausführlicher Untersuchung dieser Problematik bei Juppe595 wird hier auf eine detaillierte Darstellung verzichtet und nur systematisierend und ergänzend auf die Lösungsvorschläge eingegangen. .

595

Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 78 ff. und 139 ff.

§ 9 Gefahr von Zuständigkeitskollisionen und forum shopping

229

I. Problemaufriss Zu Recht wird betont, dass die Regelung der Zuständigkeit in der justiziellen Zusammenarbeit noch wichtiger als im nationalen Recht ist – von der Wahl des forum hängt nämlich das anwendbare Recht ab, was Handlungen von sowohl Verfahrensparteien als auch beteiligten Organen determiniert.596 Problematisch im Hinblick auf die Rechte der Betroffenen und die Prozessökonomie sind auch Fälle, in denen mehrere Strafverfahren gegen dieselbe Person und aufgrund derselben Straftat in verschiedenen Ländern geführt werden (sog. positive Strafgewaltkonflikte).597 Die territoriale „Unbegrenztheit“ der Strafgesetze598 stellt ein Problem in allen Kooperationsmodellen dar, kommt aber insbesondere im Anerkennungskonzept zum Tragen. Kritisiert wird, dass es im System der gegenseitigen Anerkennung „unerträglich ist“, dass jeder Mitgliedsstaat sein Strafanwendungsrecht selbst autonom bestimmt.599 Bis auf die Fälle, wo ein internationales Verbot bzw. internationale Vorschriften eine Grenze setzen, sind die Staaten in der Festlegung ihrer Jurisdiktion grundsätzlich frei.600 Aufgrund eingeschränkter Rechtshilfevorbehalte601 und der gegenseitigen An596 Vgl. Van den Wyngaert, Eurojust and the European Public Prosecutor in the Corpus Juris Model: Water and Fire?, in: Walker (Hrsg.), Europes Area of Freedom, Security and Justice, S. 237; Fuchs, Zuständigkeitsordnung und materielles Strafrecht, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 114. 597 Ormazabal Snchez, Espacio penal europeo y mutuo reconocimiento, S. 195 f.; auf Schwierigkeiten auch bei der Lösung der sog. negativen Jurisdiktionskonflikte weisen Vernimmen-Van Tiggelen/Surano hin, in: Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 17 f.; vgl. auch Mitteilung zur gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen und zur Stärkung des Vertrauens der Mitgliedsstaaten untereinander, KOM(2005) 195 v. 19. 5. 2005. 598 Vgl. Schroeder, Der „räumliche Geltungsbereich“ der Strafgesetze, GA 1968, S. 353 m.w.N.; zur Problematik des Regelungsbereichs und des Geltungsbereichs vgl. Michaels, Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland, S. 56. 599 Fuchs, Bemerkungen zur gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen, ZStW 2004, S. 369. 600 Vander Beken/Vermeulen/Steverlynck/Thomaes, Finding the Best Place for Prosecution, S. 9 f.; ähnlich Gardocki, Zarys prawa karnego mie˛dzynarodowego, S. 138; vgl. auch StIGHUrteil v. 7. 9. 1927, StIGHE 5, 71 ff. (Lotusfall). 601 Die Kommission erwähnt hier insbesondere den weitgehenden Wegfall der beiderseitigen Strafbarkeit und illustriert die Notwendigkeit eines Systems der internationalen Zuständigkeit an einem Beispiel, wo im Mitgliedsstaat A die Euthanasie ein Verbrechen ist, während sie im Mitgliedsstaat B erlaubt ist, sofern die Person mit Sterbewunsch schriftlich ihre Zustimmung zur Tötungshandlung erteilt: „Eine Person, die Euthanasie an einer anderen vorgenommen hat, über eine schriftliche Einwilligung dieser Person verfügt, und im Mitgliedsstaat A für diese Handlung straffrei gehen möchte, könnte es einrichten, daß gegen sie ein Strafverfahren im Mitgliedsstaat B eingeleitet wird und könnte die Tatsache, daß sie über eine schriftliche Einwilligung verfügt, vorerst verschweigen. Nach der Einleitung des Verfahrens würde sie die schriftliche Einwilligung vorweisen und könnte somit einen Freispruch erlangen, der daraufhin vom Staat A anzuerkennen wäre.“, Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen in Strafsachen, KOM(2000) 495 v. 26. 7. 2000.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

erkennungspflicht können aus Angst vor vacuum iuris geschaffene, „ausufernde Strafansprüche“ wesentlich leichter geltend gemacht werden.602 Mit der ungeregelten Frage der Jurisdiktionsgewalt ist eine Reihe weiterer Probleme verbunden. Im Hinblick auf die Kooperationspraxis erscheint es u. a. problematisch, wenn der ersuchte Staat das Vorliegen eines Ersuchen stets zum Anlass nimmt, eigene Ermittlungen wegen konkurrierender Gerichtsbarkeit aufzunehmen603 und ein aufgrund des Personalitätsprinzips eingeleitetes Strafverfahren als Bewilligungshindernis darstellt.604 Schwierigkeiten bereiten auch sog. „Distanzdelikte“, wo der Schaden und der Geschädigte im Ausland lokalisiert sind,605 Konstellationen mit mehreren in unterschiedlichen Ländern agierenden Personen,606 oder Fälle mit Tatbegehung im Internet.607 Der Mangel einer internationalen lis-pendens-Regelung kann des Weiteren bei parallel geführten Strafverfahren u. a. zur Erschwerung der anwaltlichen Vertretung führen.608 In der ungeregelten Zuständigkeitsfrage wird schließlich die Gefahr gesehen, dass ein Mitgliedsstaat für ein bestimmtes Strafverfahren „bestimmt“ wird, in dem die niedrigsten Eingriffsschwellen zu erwarten sind609 oder die punitivste Strafordnung gilt610. Im Allgemeinen geht es um die Vermeidung von Fällen, in denen sich der Beschuldigte oder die Strafverfolgungsbehörde den örtlichen Gerichtsstand (forum) auf solche Weise auswählt, dass der Ausgang des Verfahrens in eine bestimmte Richtung manipuliert werden kann (sog. „forum shopping“).611 Eine Gefahr des forum shopping wird sowohl in der aktuellen Regelung des Rechtshilferechts als auch bei der (diskutierten) Strafverfolgung durch den Europäischen Staatsanwalt gesehen.612

602

Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 80. Vgl. Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn 853 m.w.N. 604 Vgl. Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 360; vgl. auch Böhm/ Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 817; IRG-Kommentar-Gleß/Hackner/Lagodny/Schomburg, Einleitung, Rn. 108 ff. 605 Dazu Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 798. 606 Vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 11. 5. 2007 – 1 AK 3/07 = NJW 2007, S. 2567. 607 Dazu Malek, Strafsachen im Internet, Rn. 66. 608 Vgl. Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren, KOM(2005) 696 v. 23. 12. 2005. 609 Dazu Abetz, Justizgrundrechte in der Europäischen Union, S. 296 f. m.w.N. 610 Vgl. Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 79 m.w.N. 611 Vgl. Jagla, Auf dem Weg zu einem zwischenstaatlichen ne bis in idem im Rahmen der Europäischen Union, S. 32; Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, S. 65 ff. m.w.N.; Fuchs, Zuständigkeitsordnung und materielles Strafrecht, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 112. 612 So Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 140 ff. m.w.N. 603

§ 9 Gefahr von Zuständigkeitskollisionen und forum shopping

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II. Lösungsvorschläge Aufgrund der geschilderten Kritikpunkte veranlasst das Anerkennungskonzept zur Überlegung, wie den positiven Kompetenzkonflikten innerhalb der Union und der Gefahr des forum shopping entgegengewirkt werden könnte. Mehrere Vorschläge unterschiedlichen Umfangs wurden hierzu sowohl auf der EU-Ebene als auch in der Wissenschaft ausgearbeitet. . 1. Auf der EU-Ebene Während der Geltung des Amsterdamer Vertrages613, dessen Art. 31 Absatz 1 lit. d EUV das gemeinsame Vorgehen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen „die Vermeidung von Kompetenzkonflikten zwischen Mitgliedstaaten“ einschließt, wurde auf der EU-Ebene die Koordinierung bei strafrechtlichen Ermittlungen und laufenden Verfolgungen in den Mitgliedstaaten u. a. während der Ratstagung in Tampere,614 und im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung615 angesprochen. Eine fragmentarische Regelung der Zuständigkeitsproblematik ist des Weiteren im Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung616 und im Rahmenbeschluss über Angriffe auf Informationssysteme617 613 Eine Aufzählung von internationalen Übereinkommen bei Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 85; vgl. auch Hecker, Europäisches Strafrecht, § 2, Rn. 59 ff.; frühere Vorschläge für die Beilegung der Jurisdiktionskonflikte bei Lagodny, Grundkonstellationen des internationalen Strafrechts, ZStW 1989, S. 1005; zum geltenden Recht und Vorschlägen de lege ferenda vgl. Vernimmen-Van Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 37 ff. 614 Nummer 46 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere sieht „eine sachgerechte Koordinierung der nationalen Staatsanwaltschaften“ vor. 615 Maßnahme Nr. 11 sieht die Ausarbeitung eines Instruments vor, das die Möglichkeit der Übertragung von Strafverfahren auf andere Mitgliedstaaten bietet; vorgeschlagen wird eine Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten durch Eurojust und die Schaffung – in Anlehnung an den in Artikel 8 des Europäischen Übereinkommens über die Übertragung der Strafverfolgung v. 15. 5. 1972 (SEV-Nr.: 073) – von Kriterien, die die Bestimmung der Zuständigkeiten erleichtern würden; Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, ABl. C 12 v. 15. 1. 2001, S. 10 ff. 616 Rahmenbeschluss v. 13. 6. 2002 zur Terrorismusbekämpfung, ABl. L 164 v. 22. 6. 2002, S. 3 ff.; nach Art. 9 Abs. 2 arbeiten im Falle eines Zuständigkeitskonflikt die betreffenden Mitgliedstaaten zusammen, um darüber zu entscheiden, welcher von ihnen die Straftäter verfolgt, mit dem Ziel, die Strafverfolgung nur in einem Mitgliedsstaat zu konzentrieren; um dies zu erreichen, sollen sich die Mitgliedstaaten jeder Stelle oder jedes Mechanismus bedienen, die in der Europäischen Union zu dem Zweck eingerichtet wurden, sowie die in einer Rangfolge aufgezählten Anknüpfungspunkte berücksichtigen, wonach berechtigt ist: ein Mitgliedsstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Straftat begangen wurde, ein Mitgliedsstaat, dessen Staatsangehöriger der Täter ist oder in dem er gebietsansässig ist, bzw. ein Mitgliedsstaat, aus dem die Opfer stammen, oder ein Mitgliedsstaat, in dem der Täter ergriffen wurde. 617 Art. 10 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses v. 24. 2. 2005 über Angriffe auf Informationssysteme, ABl. L 69 v. 16. 3. 2005, S. 67 ff.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

zu finden. An der Lösung der Jurisdiktionskonflikte kann schließlich auch Eurojust beteiligt werden.618 Einer umfangreichen Analyse wird die Problematik im Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren619 unterzogen. Dort wird ein Drei-Stufen-Verfahren in Erwägung gezogen, wonach zuerst für die Einleitung und Führung eines Strafverfahrens in Frage kommende nationale Behörden festgestellt und informiert werden. Sind zwei oder mehr Mitgliedstaaten an der Strafverfolgung derselben Tat interessiert, müssen dann ihre Behörden (ggf. unter Einschaltung von Eurojust und/oder einer anderen EU-Einrichtung) Kontakt aufnehmen und sich um eine einvernehmliche Einigung bemühen. Im Falle eines mangelnden Konsenses wurde im Schritt 3 ein auf Antrag eines Mitgliedsstaates einzuleitendes Streitschlichtungsverfahren vorgeschlagen. Zusätzlich werden eine verbindliche Entscheidung bezüglich der Kompetenzfrage durch eine dazu berufene EU-Einrichtung und die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung einer solchen Entscheidung in Erwägung gezogen.620 Parallel zum geschilderten Verweisungsverfahren sieht der Vorschlag eine Vorrangregel vor, wonach ab einem bestimmten Verfahrensabschnitt andere Mitgliedstaaten verpflichtet werden könnten, ihre Strafverfolgung auszusetzen oder von der Einleitung neuer Strafverfolgungsmaßnahmen abzusehen. Um eventuellen Änderungen im Verfahrensablauf, die auch die Zuständigkeitsfrage beeinflussen können, gerecht zu werden, wird eine Zuständigkeitsänderung bis zum Zeitpunkt der Anklageerhebung für möglich gehalten. Angesprochen wird schließlich auch die Frage der Vorrangregel, die neben dem Verweisungsverfahren bei der Wahl des Verfahrensstaates maßgeblich wäre. Einen ausformulierten Vorschlag bietet die Initiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des ne-bis-in-idem-Prinzips.621 Nach Art. 3 ist vorrangig das Gericht des Mitgliedsstaats zuständig, das besser in der Lage ist, eine geordnete Rechtspflege zu gewährleisten. Heranzuziehen sind bei der Beurteilung Kriterien wie der Tatort oder die Staatsangehörigkeit bzw. der Wohnsitz des Täters. Zu berücksichtigen ist des Weiteren die Herkunft des Opfers sowie der Ort, an dem der Täter ergriffen wurde. Im Vorschlag wurde auch ein Konsultationsverfahren zur Bestimmung der zuständigen Behörde vorgesehen, dessen Ergebnis für andere Mitgliedstaaten, bis eine rechtskräftige Entscheidung ergeht, verbindlich ist.622 Beiden Gesichtspunkten (Verhinderung von Kompetenzkonflikten und Gewährleistung, dass ein bestimmtes Verfahren vom am besten geeigneten Staat durchge618

Dazu unter § 5 II. 4. KOM(2005) 696 v. 23. 12. 2005. 620 Aufgrund mangelnder Rechtsgrundlage wurde offen gelassen, ob damit ein einzelstaatliches Gericht oder der EuGH betraut werden sollte, KOM(2005) 696 v. 23. 12. 2005. 621 ABl. Nr. C 100 v. 26. 4. 2003, S. 24 ff. 622 Sollte das Verfahren mit keiner rechtskräftigen Entscheidung abgeschlossen werden, werden darüber die entsprechenden Behörden des Mitgliedsstaats, der die Verfolgung als erster eingestellt hat, unterrichtet (Art. 3 lit. c); zum Vorschlag vgl. auch Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 90 f. 619

§ 9 Gefahr von Zuständigkeitskollisionen und forum shopping

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führt wird) versucht der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren gerecht zu werden.623 Der eingeschlagene Weg einer engen Zusammenarbeit soll die Gefahr von gegen dieselbe Person wegen derselben Tat parallel geführten Strafverfahren abwenden624 und einen Konsens über eine effiziente Lösung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten erleichtern (vgl. Art. 1 Abs. 2 des Vorschlags). Zu diesem Zweck wird ein Verfahren für den Informationsaustausch vorgesehen, wonach nationale Behörden zur gegenseitigen Unterrichtung über laufende Strafverfahren verpflichtet werden, wenn „hinreichender Grund“ zur Annahme besteht, dass in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat ein paralleles Verfahren geführt wird.625 Somit verzichtet der Vorschlag auf das in der ursprünglichen Initiative626 empfohlene Kriterium der „maßgeblicher Verbindung“ zu einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten (Art. 5 der kommentierten Initiative).627 Weggefallen sind auch die Regeln und gemeinsame Kriterien, welche die nationalen Behörden zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten bei Einigung über die Durchführung des Strafverfahrens berücksichtigen müssen.628 Lediglich der Erwägungsgrund Nr. 9 des aktuellen Vorschlags instruiert, dass die zuständigen Behörden sich bei der „Herbeiführung eines Konsenses über eine effiziente Lösung“ an bestimmten Kriterien orientieren629 und traditionelle Anknüpfungspunkte630 berück-

623

Ratsdok. 8535/09 v. 18. 5. 2009. Nach Art. 3 lit. a des kommentierten Vorschlags verstanden als Strafverfahren, einschließlich sowohl des Ermittlungs- als auch des Hauptverfahrens, die in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten wegen derselben Tat gegen dieselbe Person anhängig sind. 625 Der hinreichende Grund wäre anzunehmen, wenn beispielsweise die betroffene Person auf ein in einem anderen Mitgliedstaat paralleles Strafverfahren wegen derselben Tat hinweist oder auf eine solche Annahme ein Rechtshilfeersuchen einer zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats schließen lässt (vgl. Erwägungsgrund Nr. 5 des kommentierten Vorschlags). 626 Initiative der Tschechischen Republik, der Republik Polen, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik und des Königreichs Schweden für einen Rahmenbeschluss zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren, ABl. Nr. C 039 v. 18. 2. 2009, S. 2 ff. 627 Danach sollte über „Maßgeblichkeit“ der Verbindung grundsätzlich anhand aufgezählter Kriterien entschieden werden (vgl. Art. 6 i. V. m. Art. 15 Abs. 1 und 2 der Initiative zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren). 628 Dazu gehörten nach Art. 15 der Initiative zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren primär der Tatort und sekundär (beim Vorliegen anderer wichtiger Anknüpfungspunkte) „Faktoren“, wie der aktuelle Aufenthaltsort des Beschuldigten und die „Überstellungsperspektiven“, Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz, der Ort, an dem der meiste Schaden entstanden ist, sowie die Abwägung zwischen den Interessen der Opfer und des Beschuldigten. Zu berücksichtigen waren weiterhin verfahrensrelevante Umstände wie die Erreichbarkeit von Beweismitteln und Zeugen, der erreichte Stand des Verfahrens und seine eventuelle Verknüpfung mit anderen laufenden Verfahren sowie andere Gesichtspunkte, die mit der Verfahrensökonomie zusammenhängen. 629 Dazu verweist der kommentierte Vorschlag auf den Eurojust-Jahresbericht 2003 und auf die „für die Belange der Praxis aufgestellten Leitlinien“. 624

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

sichtigen sollen. Die flexible Gestalt der diskutierten Regelung bestätigen auch der konsensuelle Charakter des Konsultationsverfahrens und der Verzicht auf eine zur verbindlichen Entscheidung befugten Streitbeilegungsinstanz.631 Diese Tendenz zur einvernehmlichen Lösung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren durch ein Verfahren des Informationsaustausches wird in der Initiative mehrerer Mitgliedsstaaten für einen Rahmenbeschluss über die Übertragung der Strafverfolgung beibehalten.632 2. In der Wissenschaft Die Frage der Beilegung von Jurisdiktionskonflikten wird auch in der Wissenschaft aufmerksam verfolgt und kommentiert.633 Um einer gezielten Wahl des Verfahrenslandes vorzubeugen, wird jedoch teilweise für eine detaillierte und zwingende Zuständigkeitsregelung plädiert.634 Ähnlich wie auf der EU-Ebene gehen auch diesbezüglich die Literaturmeinungen von einem entsprechenden Informationsniveau von anhängigen Strafverfahren,635 einem „Diskussionsforum“ für die Vertreter der Mitgliedstaaten sowie gemeinsamen Regeln für die Wahl des besten forum aus.636 Zum Teil wird aber für die Ergänzung des bestehenden Systems durch bindende Re630 Wie der Ort, an dem die Tatbegehung hauptsächlich erfolgt ist, den Ort, an dem der größte Schaden eingetreten ist, den Aufenthaltsort der verdächtigten oder beschuldigten Person und Möglichkeiten für ihre Überstellung oder Auslieferung an andere zuständige Staaten, die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz der verdächtigten oder beschuldigten Person, maßgebliche Interessen der verdächtigten oder beschuldigten Person, maßgebliche Interessen der Opfer und der Zeugen, die Zulässigkeit von Beweismitteln oder Verzögerungen, die eintreten können. 631 Im Falle einer mangelnden Einigung ist nach Art. 12 Abs. 2 des Rahmenbeschlussvorschlags zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren (sofern zuständig) Eurojust zu befassen; ähnlich Art. 16 f. der Initiative zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren. 632 ABl. Nr. C 219 v. 12. 9. 2009. 633 U. a. Biehler/Kniebühler/Lelieur-Fischer/Stein, Freiburg Proposal on Concurrent Jurisdictions and the Prohibition of Multiple Prosecutions in the European Union, Freiburg im Breisgau 2003; Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen? Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz, Berlin 2001; Entwurf einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der Europäischen Union, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, München 2006; vgl. auch Nachweise bei Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 82 ff. 634 Biehler/Gleß/Parra/Zeiter, Analyse des Grünbuchs zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EG und zur Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, S. 32. 635 Anstatt des unklaren Kriteriums der „hinreichenden Gründe“ oder „maßgeblichen Verbindung“ (vgl. unter § 8 III. 3.) werden teilweise konkrete Anhaltspunkte für die Annahme eines „transnationalen Verfahren“ genannt; vgl. Art. 1 des Entwurfes einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der Europäischen Union, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 5. 636 So z. B. Panayides, Conflicts of Jurisdiction in Criminal Proceedings: Analysis and Possible Improvements to the EU Legal Framework, RIDP Vol. 77/2006, S. 114; vgl. Biehler/ Kniebühler/Lelieur-Fischer/Stein, Freiburg Proposal on Concurrent Jurisdictions and the Prohibition of Multiple Prosecutions in the European Union, S. 9 (§ 1 „Determination of forum“).

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geln plädiert, die ohne „zeitraubenden Informationsaustausch“ die Zuständigkeit allein einem einzigen Mitgliedstaat zuweisen.637 Gemeinsam ist den meisten Vorschlägen die Akzentuierung des Bedarfs an einer Konfliktentscheidungsinstanz. Betont wird dabei teilweise, dass die Zuständigkeitslösung durch den EuGH erfolgen soll.638 Als Vorbild dafür wird eine „pre-trial chamber“ wie beim Strafgerichtshof für Jugoslawien oder beim Ständigen Internationalen Strafgerichtshof (Art. 39 Rom-Statut) in Erwägung gezogen.639 In der Diskussion als Entscheidungsträger ist auch Eurojust640 oder, in Anlehnung an Corpus Juris, die Europäische Staatsanwaltschaft.641 Bei den Orientierungsregeln zur Lösung internationaler Kompetenzkonflikte wird insbesondere das Tatortprinzip fokussiert.642 Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, dass am Tatort weniger Beweisschwierigkeiten auftreten und die Strafverfolgung in der Regel einfacher ist.643 Aufgrund der Unbestimmtheit des Tatortbegriffes644 wird als

637 Auf diese Weise sollten die befassten Behörden selbst feststellen können, ob ihr Mitgliedstaat im betreffenden Fall zuständig ist oder nicht, BRAK-Stellungnahme-Nr. 12/2009, abrufbar unter: http://www.brak.de/seiten/pdf/Stellungnahmen/2009/Stn12.pdf. 638 Deiters, Gegenseitige Anerkennung von Strafgesetzen in Europa, ZRP 2003, S. 362; „Europäisches Strafgericht“ in Art. 3 Abs. 2 des Entwurfes einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der Europäischen Union, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 9 f.; von einer „Strafkammer des Europagerichts“ spricht Szwarc, Ein Entwurf von Rechtsvorschriften zur Anwendung des Verbots der mehrfachen Einleitung und Führung von Strafverfahren in den Mitgliedsstaaten der EU gegen einen einer strafbaren Tat Verdächtigten, in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Europäisierung des Strafrechts in Polen und Deutschland – rechtsstaatliche Grundlagen, S. 355. 639 Van den Wyngaert, Eurojust and the European Public Prosecutor in the Corpus Juris Model: Water and Fire?, in: Walker (Hrsg.), Europes Area of Freedom, Security and Justice, S. 238. 640 Panayides, Conflicts of Jurisdiction in Criminal Proceedings: Analysis and Possible Improvements to the EU Legal Framework, RIDP Vol. 77/2006, S. 114; Eurojust ist „erste Entscheidungsinstanz“ (beim Scheitern konsensueller Lösung) in Art. 2 Abs. 4 des Entwurfes einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der Europäischen Union, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 6 ff.; zur Kompetenzerweiterung von Eurojust unter § 5 II. 4. 641 Vander Beken/Vermeulen/Lagodny, Kriterien für die jeweils „beste“ Strafgewalt in Europa – Zur Lösung von Strafgewaltskonflikten jenseits eines transnationalen Ne-bis-in-idem, NStZ 2002, 627 f. 642 Vgl. Rüter, Harmonie trotz Dissonanz, ZStW 1993, S. 45 f.; vgl. Art. 2 Abs. 2 des Entwurfes einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der Europäischen Union, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 5 ff. 643 So schon Lammasch, Über die Wirksamkeit strafgerichtlicher Urteile des Auslandes, Der Gerichtssaal 41 v. 1889, S. 24; Szwarc, Ein Entwurf von Rechtsvorschriften zur Anwendung des Verbots der mehrfachen Einleitung und Führung von Strafverfahren in den Mitgliedsstaaten der EU gegen einen einer strafbaren Tat Verdächtigten, in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Europäisierung des Strafrechts in Polen und Deutschland – rechtsstaatliche Grundlagen, S. 356; kritisch im Hinblick auf die Unschuldvermutung Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 743.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

grundlegender Anknüpfungspunkt der Begehungsort genannt.645 Teilweise wird aber auch der Wohnort des Beschuldigten als Anknüpfungspunkt bevorzugt, mit der Begründung, dass dort die Verteidigung am leichtesten ist, der Beschuldigte in seinem Sprach- und Kulturkreis verbleibt sowie durch diese klare und eindeutige Zuweisungsregel die Gefahr des forum shopping eliminiert wird.646 Außer den „klassischen“ Anknüpfungspunkten, wie Tatortstaat, Staatsangehörigkeit und Wohnort des Täters sowie Ergreifungsort,647 werden in der Literatur auch Kriterien wie der Ort, an dem der Verdächtigte sein Vermögen hat648, oder wo die wirtschaftlichen Folgen der Straftat am schwerwiegendsten sind,649 prozessökonomische Gründe, ein geeigneter Ort für die Vollstreckung der Sanktion im Hinblick auf den Resozialisierungsgedanken oder „andere grundlegende Interessen des Mitgliedsstaates“ berücksichtigt. Das letzte Kriterium soll u. a. die Souveränitätsinteressen, territoriale Integrität, Innen- und Außensicherheit und demokratische Strukturen eines Mitgliedsstaates umfassen.650 Ein weiteres Sachkriterium wird als „charakteristisches Unrecht“ bezeichnet und in Anlehnung an die zivilrechtliche Figur der „charakteris-

644 Dazu BGHSt 46, 212 (Volksverhetzung) = NJW 2001, S. 624 (abstrakte Gefährdungsdelikte); zit. nach Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 743. 645 Schroeder, Der „räumliche Geltungsbereich“ der Strafgesetze, GA 1968, S. 353; ähnlich Masing mit der Begründung, dass den Freiheiten eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für ein Verhalten an dem Ort entspreche, an dem der Täter gewirkt hat, Wortlautprotokoll abgedruckt bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 196; zu „Problemfällen“ bei Distanz- und Dauerdelikten oder mehraktigen Delikten vgl. Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, S. 16 f. m.w.N.; Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 798 m.w.N. 646 Vgl. Fuchs, Bemerkungen zur gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen, ZStW 2004, S. 371; ders., Zuständigkeitsordnung und materielles Strafrecht, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 114 f.; kritisch Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, S. 71. 647 So z. B. die Aufzählung in Art. 2 des Europaratsentwurfs von 1965, Draft European Convention on Conflicts of Jurisdiction in Criminal Matters, European Consultative Assembly, Doc. No. 1873; Recommendation 420 on the Settlement of Conflicts of Jurisdiction in Criminal Matters (1965), European Consultative Assembly, Sixteenth Ordinary Session; dazu ausführlich Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, S. 45 ff. 648 Szwarc, Ein Entwurf von Rechtsvorschriften zur Anwendung des Verbots der mehrfachen Einleitung und Führung von Strafverfahren in den Mitgliedsstaaten der EU gegen einen einer strafbaren Tat Verdächtigten, in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Europäisierung des Strafrechts in Polen und Deutschland – rechtsstaatliche Grundlagen, S. 361 (Art. 3 Abs. 3 Nr. 4 des Entwurfes). 649 Delmas-Marty/Vervaele (Hrsg.), The implementation of the Corpus Juris in the Member States, S. 206 f. 650 Biehler/Kniebühler/Lelieur-Fischer/Stein, Freiburg Proposal on Concurrent Jurisdictions and the Prohibition of Multiple Prosecutions in the European Union, S. 14 f.

§ 9 Gefahr von Zuständigkeitskollisionen und forum shopping

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tischen Leistung“ entwickelt.651 Anhand dieses Kriteriums soll insbesondere die Festlegung des „qualitativ“ besten Tatortstaates bei Transitdelikten ermöglicht werden.652

III. Stellungnahme Vor dem Hintergrund der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung und der steigenden Anzahl transnationaler Strafverfahren erscheint eine Regelung von Jurisdiktionskonflikten und eine Erstreckung des Grundsatzes lis pendens auch auf zwischenstaatliche Beziehungen unabdingbar.653 Nicht ausreichend ist dabei das aktuell geltende Verbot ne bis in idem, das erst bei einer ergangenen Entscheidung einschlägt.654 Erkannt wird dieser Bedarf auch auf der EU-Ebene. So sieht Art. III-270 Abs. 1 lit. b VE die Möglichkeit vor, durch Europäisches Gesetz oder Rahmengesetz Maßnahmen festzulegen, um Kompetenzkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern und beizulegen. Ähnliche Bestimmungen beinhaltet der Lissabonner Vertrag, nach dessen Art. 82 Abs. 1 lit. b AEUV das Europäische Parlament und der Rat nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen zur Beilegung und Verhinderung von Kompetenzkonflikten zwischen den Mitgliedstaaten erlassen.655 Eine zwingende Regelung von Jurisdiktionskonflikten würde in den Mitgliedstaaten, deren Justizsysteme streng dem Legalitätsprinzip folgen, voraussetzen, dass dieser Grundsatz u. U. aufgelockert wird. Dies erscheint gerechtfertigt, denn die Strafverfolgung in einem Mitgliedsstaat dürfte, in einem gemeinsamen Raum der Freiheit, 651 Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung: vom nationalen zum internationalen ne bis in idem, S. 140; zit. nach Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, S. 107. 652 So am Beispiel der Beförderung von Betäubungsmitteln argumentiert Lagodny, dass die Einfuhr rechtsgutnäher als die Ausfuhr ist, denn diese ist grundsätzlich einer Einfuhr vorgeschaltet, in: Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, S. 107. 653 Vgl. Szwarc, Ein Entwurf von Rechtsvorschriften zur Anwendung des Verbots der mehrfachen Einleitung und Führung von Strafverfahren in den Mitgliedsstaaten der EU gegen einen einer strafbaren Tat Verdächtigten, in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Europäisierung des Strafrechts in Polen und Deutschland – rechtsstaatliche Grundlagen, S. 350; Wasmeier hält Regelungen zur Konzentration von Strafverfahren in einem Mitgliedsstaat für „einen unverzichtbaren Baustein im Gefüge des europäischen Rechtsraumes“, Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht – Zur Verzahnung des nationalen und europäischen Strafrechts, ZEuS 2006, S. 35. 654 So auch Biehler/Kniebühler/Lelieur-Fischer/Stein, Freiburg Proposal on Concurrent Jurisdictions and the Prohibition of Multiple Prosecutions in the European Union, S. 12; Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, S. 59; zur Erstreckung des ne-bis-in-idem-Grundsatzes vgl. Lagodny, Grundkonstellationen des internationalen Strafrechts, ZStW 1989, S. 1006. 655 Vgl. auch Vernimmen-Van Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 60.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

der Sicherheit und des Rechts, den Anforderungen einer effektiven Verbrechensbekämpfung genügen.656 Angesichts der Probleme mit internationalen Übereinkommen657 erscheint das Tätigwerden auf der EU-Ebene möglich (Art. 82 Abs. 1 lit. b AEUV) und erwünscht.658 Eventuelle Kollisionen mit geschlossenen Übereinkommen könnten entweder über den lex-specialis-Auslegungsgrundsatz oder auf politischem Wege gelöst werden.659 In der Regelung soll des Weiteren – im Gegensatz zu den diskutierten Lösungen – das „Prinzip der Konsenslösung“ um eine Konfliktentscheidungsinstanz ergänzt werden,660 denn das alleinige Konsultationsverfahren gewährleistet noch keine Einigung.661 Ein Verzicht auf den Informationsaustausch und den Konsultationsprozess könnte zwar zur Beschleunigung des Verfahrens beitragen,662 würde jedoch, abgesehen von der Notwendigkeit umfangreicher Harmonisierungen in allen Mitgliedstaaten, die entscheidende Behörde in Unkenntnis u. U. relevanter Tatsachen bezüglich eines im Ausland geführten Verfahrens lassen. Was die Koordinationsbefugnisse betrifft, so korrespondieren zwar aktuelle Entwicklungen in Grundzügen mit den Vorschlägen, die die „ideale justizielle Vorstufe“663 in Eurojust sehen.664 Den Strafverfolgungsbehörden, genauso wie dem Beschuldigten, sollte aber auch die Anrufung des 656

Vgl. KOM(2005) 696 v. 23. 12. 2005. Dazu Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, S. 86. 658 Bereits im Rahmen der dritten Säule konnte ein entsprechender Rahmenbeschluss nach Art. 34 Abs. 2 lit. b i. V. m. Art. 31 Abs. 1 lit. d EUV (Vermeidung von Kompetenzkonflikten) oder ergänzend lit. c (Verbesserung der justiziellen Zusammenarbeit) verabschiedet werden. 659 Vander Beken/Vermeulen/Lagodny, Kriterien für die jeweils „beste“ Strafgewalt in Europa – Zur Lösung von Strafgewaltskonflikten jenseits eines transnationalen Ne-bis-in-idem, NStZ 2002, 627 f. 660 Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, S. 86; so z. B. der Entwurf einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der Europäischen Union, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 6 ff. 661 Von einem „Symbolcharakter ohne irgendeine verbindliche Regelung“ spricht im Zusammenhang mit der Sanktionslosigkeit im Falle einer fehlenden Einigung der Strafverfolgungsbehörden der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) in der Stellungnahme v. 16. 3. 2009, abrufbar unter: http://www.rechtsanwaelte.at/downloads/21_09_18_strafverf.pdf. 662 Dazu die BRAK-Stellungnahme-Nr. 12/2009, abrufbar unter: http://www.brak.de/sei ten/pdf/Stellungnahmen/2009/Stn12.pdf. 663 Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, S. 126 m.w.N.; zur belgischen Lösung zur Koordination von Zuständigkeitsproblemen durch einen „federal public prosecutor“ mit direkten Kontrollmöglichkeiten für das ganze Staatsterritorium vgl. Van den Wyngaert, Eurojust and the European Public Prosecutor in the Corpus Juris Model: Water and Fire?, in: Walker (Hrsg.), Europes Area of Freedom, Security and Justice, S. 229. 664 Dazu auch unter § 5 II. 4.; eine Darstellung anderer Möglichkeiten bei Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 102 ff.; vgl. auch Lösungsvorschläge bei Vernimmen-Van Tiggelen/ Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 37 ff. 657

§ 9 Gefahr von Zuständigkeitskollisionen und forum shopping

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mit entsprechenden Kompetenzen ausgestatteten EuGH ermöglicht werden, wenn durch die Wahl der Zuständigkeit eine Beeinträchtigung von Interessen droht.665 Auf diese Weise könnte die Gefahr des forum shopping eliminiert werden. Eine solche Zuständigkeitsregelung könnte schließlich auch die mit dem Sinn und Zweck des EuHbRb unvereinbare Praxis unterbinden, das Verfahren bei eigenen Staatsbürgern stets einzuleiten, um auf diese Weise die Übergabe an einen anderen Mitgliedsstaat zu verhindern.666 Eine Zuständigkeitsregelung in der EU setzt, wie bereits im internationalen Privatrecht, ein einheitliches System von Anknüpfungspunkten voraus.667 Berechtigt wird kritisiert, dass eine Vielzahl der in Frage kommenden Kriterien die Überprüfung eventueller Ermessensfehler erschwert.668 Einige relevante Entscheidungsparameter, wie u. a. Schwere und Ort der Straftat, nennt Art. 16 EuHbRb (betreffend Kollisionen zwischen mehreren Auslieferungsersuchen). Vor dem Hintergrund rein justizieller und auf der Anerkennungsbasis erfolgenden Zusammenarbeit kann u. a. auf das unbestimmte Kriterium „anderer grundlegende[r] Interessen des Mitgliedsstaates“ verzichtet werden. Aufgrund zahlreicher Fallkonstellationen ist auch eine Hierarchie der Kriterien abzulehnen.669 Denkbar sind Fälle, wo bis auf den Begehungsort alle Anknüpfungspunkte z. B. auf die Jurisdiktionsgewalt des Herkunftslands des Täters hinweisen.670 In solchen Fällen gilt das Argument: „vertrauen wir dem ausländischen Richter, dass er Ausländer nicht schlechter als Inländer behandelt, sollen wir auch vertrauen, dass der nationale Richter ein gleichermaßen faires Urteil in Bezug auf den Inländer bei Auslandstaten fällt.“671 Aus diesen Gründen ist vielmehr ein flexibles System der Anknüpfungspunkte notwendig, die Lagodny in einer „je-desto“-Relation dargestellt hat. Danach sollten Ausprägungen des Qualitätsprinzips lauten:

665 Biehler/Kniebühler/Lelieur-Fischer/Stein, Freiburg Proposal on Concurrent Jurisdictions and the Prohibition of Multiple Prosecutions in the European Union, S. 15. 666 Dazu in Bezug auf Deutsche Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 818. 667 KOM(2003) 427 v. 22. 7. 2003. 668 Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn 851. 669 Vgl. Biehler/Kniebühler/Lelieur-Fischer/Stein, Freiburg Proposal on Concurrent Jurisdictions and the Prohibition of Multiple Prosecutions in the European Union, S. 14. 670 Z. B. wenn sowohl der Täter, das Opfer als auch die Zeugen einer im Land A begangenen Tat an den Wohnort im Land B zurückgekehrt sind; vgl. auch Biehler/Kniebühler/LelieurFischer/Stein, Freiburg Proposal on Concurrent Jurisdictions and the Prohibition of Multiple Prosecutions in the European Union mit folgendem Fall (S. 14): Ein niederländischer Staatsangehöriger verletzt einen Spanier in Spanien und wird in Belgien verhaftet. Für Spanien als Verfahrensstaat sprechen die Kriterien des Tatorts, der Staatsangehörigkeit des Opfers und verfahrensökonomische Gründe (Beweislage). Die Staatsgewalt der Niederlande begründen die Nationalität des Verdächtigen und Belange der Vollstreckung der Sanktion. Für Zuständigkeit Belgiens spricht dagegen nur der Ergreifungsort. Deswegen schlagen die Autoren entweder die spanische oder die niederländische Jurisdiktion vor. 671 Fuchs, Bemerkungen zur gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen, ZStW 2004, S. 371.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

„Ein Staat sollte um so eher die Strafgewalt zugewiesen bekommen, 1. je mehr dieser Staat der Tatortstaat ist; 2. je mehr Beweismittel in diesem Staat verfügbar sind; 3. je mehr dieser Staat der gewöhnliche Aufenthaltsstaat des Verdächtigen ist; (…) 7. je mehr der „Schwerpunkt des charakteristischen Unrechts“ in diesem Staat liegt; 8. je mehr sonstige Gesichtspunkte einer qualitativ besten Sachentscheidung für diesen Staat sprechen.“672

Obwohl eine Zuweisung des Verfahrens nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten grundsätzlich völkerrechtlich und verfassungsrechtlich unbedenklich ist,673 darf nicht nur Prozessökonomie über Jurisdiktionsgewalt entscheiden, sondern soll auch das materielle Strafrecht mitberücksichtigt werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist hier insbesondere an eine an Art. 4 Nr. 7a EuHbRb angelehnte Klausel zu denken,674 wonach bei einer Tat, die am Handlungsort nicht strafbar ist, kein Strafverfahren in anderen Mitgliedstaaten geführt werden kann.675 Diese Einschränkung der gegenseitigen Anerkennung ist notwendig, um zu vermeiden, dass sich das punitivste Strafrechtsystem in der EU durchsetzt.

§ 10 Probleme des Beweistransfers Im Hinblick auf die seit der Ratstagung in Tampere676 auf der EU-Ebene forcierten Lösungen gilt die Konvertierbarkeit von Beweismitteln in der justiziellen Zusammenarbeit677 und die Beweiszirkulation z. T. als „der neuralgischste Punkt“ der Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes.678 Es stellt sich somit die Frage, ob und 672 Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, S. 132 f. 673 Ausführlich Lagodny unter Einbeziehung des GG, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen?, S. 114 ff. m.w.N. 674 Die Regelung betrifft die Möglichkeit, die Vollstreckung des Haftbefehls zu verweigern, wenn er sich auf Straftaten erstreckt, die nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedsstaates ganz oder zum Teil in dessen Hoheitsgebiet oder an einem gleichgestellten Ort begangen worden sind. 675 Vgl. Fuchs, Zuständigkeitsordnung und materielles Strafrecht, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 114 ff. 676 Vgl. Schlussfolgerung Nr. 36 (abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/summits/ tam_en.htm#). 677 Nelles, Europäisierung des Strafverfahrens – Strafprozessrecht für Europa, ZStW 1997, S. 749. 678 von Bubnoff, Legislative Gestaltung des europäischen Rechtsraums und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten, in: Pache (Hrsg.), Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 116; ders., Der Europäische Haftbefehl, S. 51; vgl. auch Farkas, Kompetenzverteilung, Ermittlungen und Beweistransfer in einem transnationalen

§ 10 Probleme des Beweistransfers

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unter welchen Voraussetzungen der sog. Beweistransfer erfolgen kann. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob und inwieweit die innerhalb der dritten Säule getroffene Lösung die europaweite Verkehrsfähigkeit von rechtmäßig in einem Mitgliedstaat erhobenen Beweisen gewährleisten kann.

I. Regelungen im Bereich der Gewinnung und Erhebung von Beweismitteln 1. Allgemeine Regelungen Die Gewinnung von Beweismitteln in transnationalen Strafverfahren kann entweder durch Inanspruchnahme ausländischer Behörden, das Tätigwerden eigener Behörden im Ausland oder mithilfe von an einer Untersuchung beteiligten supranationalen Organen (z. B. OLAF) erfolgen.679 Den rechtlichen Rahmen für die traditionelle Lösung durch Rechtshilfeersuchen bildet die Konvention des Europarates von 1959.680 Eine bedeutende Reform ist mit dem EU-Rechtshilfeübereinkommen vom Jahre 2000 eingetreten.681 Dazu zählen u. a. eine direkte Übermittlung von Ersuchen zwischen den Justizorganen, die Übergabe von Beweisen, Verfahrensakten und Dokumenten sowie der Informationsaustausch über Straftaten und Straftäter. Die geltende Regel locus regit actum wurde, ähnlich wie in der Zusammenarbeit in Zivilsachen,682 durch forum regit actum ersetzt, was zu einer Verbesserung im Bereich des Beweisrechts führen sollte.683

Strafverfahren, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 119; Kaiafa-Gbandi, Aktuelle Strafrechtsentwicklung in der EU und rechtsstaatliche Defizite, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 80. 679 Ausführlich Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 146 m.w.N.; weiterführend auch Klip, European Criminal Law, S. 256 ff. 680 Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen v. 20. 4. 1959 (ETS Nr. 30), in Kraft seit dem 12. 6. 1962; dazu Ormazabal Snchez, Espacio penal europeo y mutuo reconocimiento, S. 56. 681 Übereinkommen v. 29. 5. 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, BGBl II, Nr. 16 v. 27. 7. 2005, 650. 682 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 v. 28. 5. 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, ABl. L 174, S. 1 ff. v. 27. 6. 2001, dazu Leipold, Das neue Europäische Beweisrecht, RitsLRev. Nr. 20/2003, S. 86 ff.; Schütze, Deutsches internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des europäischen Zivilprozessrechts, Rn. 233. 683 Dazu Gleß, Die „Verkehrsfähigkeit von Beweisen“ im Strafverfahren, ZStW 2003, S. 135; Heger, Europäische Beweissicherung – Perspektiven der strafrechtlichen Zusammenarbeit in Europa, ZIS 2007, S. 553; Kuczyn´ska, Wsplny obszar poste˛powania karnego w prawie Unii Europejskiej, S. 120 m.w.N.; vgl. auch Grzelak, Trzeci filar Unii Europejskiej, S. 183.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

2. Ansätze des Konzepts des EU-weit verkehrsfähigen Beweises Das Konzept des EU-weit verkehrsfähigen Beweises und somit eine grundlegende Veränderung des bisherigen Rechtshilferechts soll nun durch gegenseitige Anerkennung von rechtmäßig in einem Mitgliedstaat erhobenen Beweisen verwirklicht werden.684 Auf den Bedarf an einer entsprechenden normativen Vorbereitung des Konzepts der verkehrsfähigen Beweise deuten kritische Stimmen in der Literatur und die Versuche einer expliziten primärrechtlichen Kompetenzverankerung hin. So sah Art. III-270 Abs. 2 lit. a VE die Möglichkeit vor, Mindestvorschriften betreffend die Zulässigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten durch ein Europäisches Rahmengesetz festzulegen, um gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und somit polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension zu erleichtern. Eine ähnliche Bestimmung enthält Art. 82 Abs. 2 lit. a des Lissabonner Vertrages, wonach durch Richtlinien Mindestvorschriften betreffend die Zulässigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten festgelegt werden könnte. Unter den wenn auch sehr fragmentarischen Regelungen zu Beweisen ist der Rahmenbeschluss vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln685 hervorzuheben. Danach soll u. a. eine im Entscheidungsstaat getroffene Maßnahme betreffend Vermögensgegenstände, die ein Beweismittel darstellen könnten (Sicherstellungsentscheidung), im Vollstreckungsstaat anerkannt und vollstreckt werden (vgl. Art. 1 und 2 des zit. Rahmenbeschlusses). Als Beweismittel wurden Sachen, Schriftstücke oder Daten definiert, die als beweiserhebliche Gegenstände in einem Strafverfahren dienen könnten (Art. 2 lit. e des zit. Rahmenbeschlusses). Das Ziel – das Beweismaterial rasch sicherzustellen und leicht zu bewegende Vermögensgegenstände zu beschlagnahmen686 – erleichtern ein weitgehender Wegfall der Anforderung der beiderseitigen Strafbarkeit (vgl. den Katalog in Art. 3 Abs. 2 des zit. Rahmenbeschlusses) sowie enumerativ vorgesehene Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung (Art. 7 des zit. Rahmenbeschlusses).687 Einzelne Vorschriften in dieser Materie können auch in mehreren anderen Rechtsakten gefunden werden.688 684

Ausführlich hierzu Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 146 ff. m.w.N. ABl. L 196 v. 2. 8. 2003, S. 45. 686 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 2 im Rahmenbeschluss über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union. 687 Vgl. Lach, Zabezpieczenie dowodw i mienia na terenie Unii Europejskiej, in: Sakowicz/Grski (Hrsg.), Zwalczanie przeste˛pczos´ci w Unii Europejskiej, S. 396 f.; Steinborn, Kolizje norm o mie˛dzynarodowej wspłpracy w sprawach karnych w zakresie zabezpieczenia mienia, EPS Nr. 4/2007, S. 16. 688 Vgl. Rahmenbeschluss v. 15. 3. 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren (ABl. L 82 v. 22. 3. 2001, S. 1 ff.), wonach gewährleistet werden muss, dass das Opfer im Verfahren gehört wird und Beweismaterial liefern kann (Art. 3); vgl. auch Entschließung des 685

§ 10 Probleme des Beweistransfers

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3. Europäische Beweisanordnung Am ausführlichsten regelt aktuell die Problematik der Zusammenarbeit bei der Beweiserhebung der Rahmenbeschluss vom 18. Dezember 2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen.689 Der Rahmenbeschluss realisiert zugleich am weitesten die Schlussfolgerungen der Ratstagung aus Tampere in Bezug auf gegenseitige Anerkennung und Verzicht auf Exequatur- und Kontrollverfahren von Beweismitteln aus anderen Mitgliedstaaten.690 Erlassen wird eine Beweisanordnung nach dem Recht des Anordnungsstaates, die dann als Akt des Vollstreckungsstaates unter Berücksichtigung der vom Anordnungsstaat verlangten Formalitäten und Verfahren691 vollzogen wird.692 Sie kann nach Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 des kommentierten Rahmenbeschlusses bestimmt werden, soweit das Beweismittel bei Strafverfahren oder bestimmten Verwaltungsverfahren, bei denen ein Recht auf Einlegung von Rechtsmitteln bei einem für Strafsachen zuständigen Gericht besteht, verwendet werden kann.693 Nach Art. 4 Abs. 2 des kommentierten Rahmenbeschlusses wurden davon ausgenommen (und verblieben somit als Gegenstand der „klassischen“ Rechtshilfe): die Durchführung von Vernehmungen, Entgegennahme von Aussagen oder Einleitung sonstiger Arten von Anhörungen von Verdächtigen, Zeugen, Sachverständigen oder Dritten. Weitere Ausnahmen betreffen sog. „Beweiserhebungen in Echtzeit“ (Überwachung des Telekommunikationsverkehrs, verdeckte Überwachungsmaßnahmen oder die Überwachung von Kontobewegungen) sowie die Durchführung körperlicher Untersuchungen oder Entnahme von Beweismitteln aus dem Körper einer

Rates v. 23. 11. 1995 über den Schutz von Zeugen im Rahmen der Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität, ABl. Nr. C 327 v. 7. 12. 1995, S. 5 ff. und Entschliessung des Rates v. 20. 12. 1996 über Personen, die im Rahmen der Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität mit den Justizbehörden zusammenarbeiten, ABl. Nr. C 10 v. 11. 1. 1997, S. 1 f.; vgl. ferner Ormazabal Snchez, Espacio penal europeo y mutuo reconocimiento, S. 53 f.; zur Regelung des IRG Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 147 f. 689 ABl. L 350 v. 30. 12. 2008, S. 72 ff. 690 Vgl. Kotzurek, Gegenseitige Anerkennung und Schutzgarantien bei der Europäischen Beweisordnung, ZIS 2006, S. 123 ff. 691 So kann die Anordnungsbehörde u. a. die Anwesenheit von „eigenen“ Organen oder die Einhaltung von angegebenen Formalitäten und Verfahren verlangen, es sei denn, derartige Formalitäten und Verfahren stehen wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsstaats entgegen (Art. 13 lit. c und d des kommentierten Rahmenbeschlusses); zum nationalen ordre public – begrüßend im Hinblick auf den Rechtsschutz, aber kritisch bezüglich der Inkonsequenz der Kommission bei der Umsetzung von europaweiter gegenseitiger Anerkennung – Esser, Rahmenbedingungen der EU für das Strafverfahren in Europa, ZEuS 2004, S. 303 f. 692 Gleß bezeichnet sie aus diesem Grund als eine „hybride Maßnahme“, Kommentar zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über eine „Europäische Beweisanordnung“, StV 2004, S. 680. 693 Eingeschlossen sind auch Straf- und Verwaltungsverfahren, für die eine juristische Person zur Verantwortung gezogen oder bestraft werden kann.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

Person694 und Fälle, in denen weitere Untersuchungen (z. B. Sachverständigengutachten, Rasterfahndung695) erforderlich sind. Im Gegensatz zum ursprünglichen Vorschlag wurde im angenommenen Rahmenbeschluss auch die Erlangung von Kommunikationsdaten ausgenommen. Die Ausstellung einer Beweisanordnung ist nach Art. 7 des kommentierten Rahmenbeschlusses zulässig, wenn die angeforderten Beweismittel beim Vorliegen im Anordnungsstaat nach dessen Recht und unter ähnlichen Umständen erlangt hätten werden können und notwendig und angemessen sind (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). Anerkannt und vollstreckt wird die Beweisanordnung unmittelbar von Justizbehörden innerhalb einer vorgesehenen Frist,696 wenn keine Ablehnungs-697 oder Aufschubsgründe698 vorliegen oder vorgesehene Schutzgarantien greifen. Trotz einer umfangreichen Regelung der Problematik des Beweistransfers stellt der kommentierte Rahmenbeschluss nur einen Teil des noch zu realisierenden Vorhabens dar. Geplant sind nämlich weitere Regelungen, welche die verbliebenen Arten der Beweiserhebung ebenfalls in einem oder mehreren, auf gegenseitiger Anerkennung beruhenden, Rechtsakt(en) EU-weit „verkehrsfähig“ machen sollten.699

II. Hindernisse einer EU-weiten Verkehrsfähigkeit von Beweisen Die Durchsetzung und angekündigte Weiterentwicklung des Konzepts der verkehrsfähigen Beweise auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung werden 694 Zellmaterial oder von biometrischen Daten unmittelbar von dem Körper einer Person, einschließlich DNA-Proben oder Fingerabdrücken. 695 Esser, Rahmenbedingungen der EU für das Strafverfahren in Europa, ZEuS 2004, S. 301 f. 696 Hecker sieht darin die „zentrale Innovation“ des Vorschlages über Europäische Beweisordnung, Europäisches Strafrecht, § 12, Rn. 9; den Wegfall des förmlichen Rechtshilfeverfahrens begrüßt auch Gless, Kommentar zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über eine „Europäische Beweisanordnung“, StV 2004, S. 683. 697 Vgl. Art. 13 des kommentierten Rahmenbeschlusses; beiderseitige Strafbarkeit ist nach Art. 14 nicht zu prüfen (siehe aber den Vorbehalt Deutschlands in Art. 23 Abs. 4), wenn eine Durchsuchung oder eine Beschlagnahme zur Vollstreckung der Beweisanordnung nicht notwendig ist oder die Straftat im Deliktskatalog aufgelistet wird; kritisch hierzu Ahlbrecht, Der Rahmenbeschluss-Entwurf der Europäischen Beweisordnung – eine kritische Bestandsaufnahme, NStZ 2006, S. 71 f.; vgl. auch Einwände von Gless im Hinblick z. B. auf Unterlagen bezüglich einer im Ausland (legal) durchgeführten Abtreibung, Mutual recognition, judicial inquiries, due process and fundamental rights, in: Vervaele (Hrsg.), European Evidence Warrant, S. 127. 698 Vgl. Art. 16 des kommentierten Rahmenbeschlusses. 699 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 25 des Rahmenbeschlusses über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen; dazu auch Gallagher, Future developments in judicial cooperation in criminal matters, ERA Forum 2009, S. 509 ff.

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von kritischen Stimmen begleitet. Aufgrund zahlreicher Unterschiede im Beweisrecht der Mitgliedstaaten wird im ungehinderten Beweistransfer u. a. eine Gefahr der Nivellierung der Verfahrensstandards700 und die Zerstörung der dem nationalen Strafprozess inhärenten Verfahrensbalance und die Beeinträchtigung der prozessualen Waffengleichheit befürchtet.701 Der gegenseitigen Anerkennung von Beweisen werden außerdem die Gefahr für die Unmittelbarkeitsmaxime, Unterschiede in der justiziellen Qualitätssicherung der während Ermittlungen erlangten Beweise und das Risiko einer (gezielten) Umgehung von nationalen Zulässigkeitsvorschriften („Beweismittelshopping“) entgegenhalten. 1. Unterschiede in der Erhebung und Verwertung von Beweisen Im Hinblick auf die gegenseitige Anerkennung und die EU-weite Verkehrsfähigkeit von Beweisen ist zuerst auf das Hindernis normativer Unterschiede in der Erhebung und der Verwertung von Beweismitteln einzugehen. Als besonders problematisch erweisen sich Unterschiede in den Beweiserhebungs- und -verwertungsverboten (insbesondere bei Ärzten, Journalisten,702 Rechtsanwälten) und Beschlagnahmeverbote.703 Befürchtet wird auch, dass aufgrund gegenseitiger Anerkennung weitreichende nationale Verfahrensgarantien (wie § 136a StPO) durch weniger strenge Regelungen in anderen Mitgliedstaaten umgangen werden könnten.704 Betont wird des Weiteren, dass nicht nur die rechtmäßige Erhebung eines Beweises, sondern auch seine weitere Übertragung und Verwertbarkeit in einem anderen Mitgliedstaat einer Kontrolle unterliegen soll.705 Andererseits könnten unrechtmäßig erhobene Beweise („fruits of the poisonous tree“706) im Ausland verwertet werden.707 700 Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 298; Perron, Auf dem Weg zu einem europäischen Ermittlungsverfahren, ZStW 2000, S. 218. 701 Nestler, Europäisches Strafprozessrecht, ZStW 2004, S. 346 ff.; Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 152 m.w.N.; dazu (im Hinblick auf EMRK-Standards) auch Gaede, Nullum judicium sine lege, ZStW 2003, S. 876. 702 Zur Durchsuchung der Privatwohnung und des Büros eines deutschen Journalisten durch die belgische Polizei im Auftrag von OLAF und Beschlagnahme von u. a. dessen Computer und Adressbuch vgl. EuGH-Urteil, Rs. T-193/04 v. 15. 10. 2004 und Rs. C-521/04 v. 19. 4. 2005. 703 Dazu Wessing, Zeugnisverweigerungsrechte ausländischer Strafverteidiger, wistra 2007, S. 171 ff.; vgl. auch Gless, Mutual recognition, judicial inquiries, due process and fundamental rights, in: Vervaele (Hrsg.), European Evidence Warrant, S. 125; Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 695. 704 Z. B. im Hinblick auf die in Frankreich durch Täuschung oder in Großbritannien durch Ermüdung erlangten Beweise, Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 47. 705 Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 298; Perron, Auf dem Weg zu einem europäischen Ermittlungsverfahren, ZStW 2000, S. 218. 706 Dazu Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 47. 707 Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 299; dies verdeutlichen auch Beispiele, wonach im Vereinigten Königreich Beweise (unabhängig von der Rechtswidrigkeit ihres Entstehungszusammenhangs) nicht verwertet werden können, die als unzuverlässig gelten, in Frankreich jede Rechtswidrigkeit ein Verwertungsverbot begründet und in Deutschland die

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Weitere Einwände betreffen die in den nationalen Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten divergierenden Kriterien für die Zulässigkeit der Anordnung bestimmter Verfahrensmaßnahmen.708 Abgesehen von differenzierten Rechtsgrundlagen709 werden der Einsatz von bestimmten Ermittlungsmethoden (wie z. B. DNA-Analyse, Überwachung des Fernmeldeverkehrs, kontrollierte Lieferungen, Einsatz verdeckter Ermittler, Einsatz technischer Geräte) vor dem Hintergrund unterschiedlicher Anforderungen an den zugrunde liegenden Tatverdacht710 sowie mangels klarer Regelungen zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus grenzüberschreitenden Ermittlungen711 kritisiert. 2. Grundsatz der Unmittelbarkeit im Strafverfahren Mit der Frage der Verkehrsfähigkeit von Beweismitteln sind Verfahrensgarantien wie der Unmittelbarkeitsgrundsatz eng verbunden. In diesem Zusammenhang wird kritisiert, dass der weitere Einsatz gegenseitiger Anerkennung zur weitgehenden Substitution des Zeugenbeweises durch den Urkundenbeweis führen würde,712 die Hauptverhandlung zu einem „reinen Aktenverfahren“ werden könnte713 und die Praxis gegenseitiger Anerkennung durch mittelbar erlangte Beweise geprägt wäre.714 Ein Risiko für die nötige Balance im Strafverfahren stellen insbesondere „Hybridprozesse“ dar, in denen beispielsweise ein Urkundenbeweis aus dem Ermittlungsverfahren eines Rechtssystems, das die Mitwirkung der Verteidigung schon im Ermittlungsverfahren ermöglicht, in das Hauptverfahren einer Rechtsordnung eingeführt wird, die der „Waffengleichheit“ durch strikte Einhaltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes

Verwertbarkeit vom Abwägungsprozess nach „wechselnden Kriterien über die Verwertbarkeit“ abhängt, nach Kühne, Europäische Methodenvielfalt und nationale Umsetzung von Entscheidungen Europäischer Gerichte, GA 2005, S. 207. 708 Unterschiede zeigt die Überwachung der Telekommunikation, die beispielsweise in Spanien grundsätzlich immer (Art. 579 Nr. 2 der spanischen Ley de Enjuiciamiento Criminal), in Deutschland bei einer Katalogstraftat (§ 100a StPO), in Schweden erst bei einer mit mindestens 2 Jahren bedrohten Straftat und in Niederlanden bei einer mit mindestens 4 Jahren bedrohten Straftat oder einer Katalogstraftat angeordnet werden könnten; zit. nach Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 297 ff.; Tiedamann, Bemerkungen zur Zukunft des europäischen Strafprozesses, in: Arnold u. a. (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, FS Eser, S. 891. 709 Bei grenzüberschreitenden Ermittlungen kann z. T. auf international geltende Regelungen in u. a. SDÜ zurückgegriffen werden, dazu Gleß, Zur Verwertung von Erkenntnissen aus verdeckten Ermittlungen im Ausland im inländischen Strafverfahren, NStZ 2000, S. 58 ff. 710 Dazu Beispiele bei Griebenow, Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite in Europa. Die europäische Zusammenarbeit im Bereich Inneres und Justiz, S. 261 f. 711 Gleß, Zur Verwertung von Erkenntnissen aus verdeckten Ermittlungen im Ausland im inländischen Strafverfahren, NStZ 2000, S. 60 ff. 712 Stellungnahme des Europaausschusses der BRAK v. November 2002, S. 5. 713 Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 299. 714 Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 696.

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nachkommt.715 So wird hervorgehoben, dass, obwohl der Urkundenbeweis in der Hauptverhandlung in Frankreich ein zulässiges Beweismittel ist, er nicht dem Unmittelbarkeitsgrundsatz der StPO entspricht.716 Die Verlesbarkeit der Protokolle (z. B. in Frankreich Art. 310 Code de procdure pnale) und Zulassung der Beweissurrogate in anderen Rechtssystemen kollidieren danach mit dem Vorrang der Zeugenvernehmung und dem Unmittelbarkeitsprinzip (§ 250 StPO).717 Ähnliches gilt im Hinblick auf das im deutschen Strafverfahrensrecht zwar eingeschränkte aber noch zulässige Beweismittel des „Zeugen vom Hörensagen“, wogegen im britischen Jury Trial ein solches Beweismittel aufgrund der Hearsay Rule grundsätzlich unzulässig wäre.718 3. Justizielle Kontrolle und Unterschiede in der Ausgestaltung des Strafverfahrens Ein weiteres Hindernis im Hinblick auf die Verkehrsfähigkeit der Beweise wird in der divergierenden justiziellen Einbindung und Kontrolle strafrechtlicher Ermittlungen719 und der Ausgestaltung des Strafverfahrens720 gesehen. Während in der kontinentalen Praxis ein justizielles Organ mit der Strafverfolgung betraut ist721, auch wenn ein Großteil der Ermittlungen von der Polizei durchgeführt wird, genießt die Polizei in Strafsachen in England und Wales, wo ihr die Last des Nachweises der Schuld des Verdächtigen aufgebürdet ist, mehr Selbständigkeit.722 So werden in der klassisch kontinental geprägten Verfahrensstruktur strafrechtliche Maßnahmen mit großem Eingriffspotenzial von richterlichen Organen auf Rechtmäßigkeit überprüft, was sowohl dem effektiven Rechtsschutz als auch der Qualitätssicherung der während der Ermittlungen erlangten Beweise dient.723 Die im Vergleich zur kontinen715

Weigend, Der Entwurf einer Europäischen Verfassung und das Strafrecht, ZStW 2004, S. 293. 716 Nestler, Europäisches Strafprozessrecht, ZStW 2004, S. 346; Gleß, Die „Verkehrsfähigkeit von Beweisen“ im Strafverfahren, ZStW 2003, S. 139; vgl. auch Weigend, Der Entwurf einer Europäischen Verfassung und das Strafrecht, ZStW 2004, S. 293. 717 Tiedamann, Bemerkungen zur Zukunft des europäischen Strafprozesses, in: Arnold u. a. (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, FS Eser, S. 891 f. 718 Vgl. Höpfel/Huber, Beweisverbote in Ländern der EU und vergleichbaren Rechtsordnungen, S. 75 ff. 719 U. a. im Bereich sog. „präventiver Verbrechensbekämpfung“, dazu Griebenow, Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite in Europa, S. 257 f. 720 Insbesondere als Parteiverfahren im Common Law und als Offizialverfahren im Kontinentalsystem, dazu Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 298. 721 In den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten lassen sich aber auch gemischte Elemente des kontinentalen und des Common-Law-Prozesses vorfinden; Griebenow gibt als eines der Beispiele Dänemark, wo ausgeprägte Ermittlungskompetenz der Polizei und Beibehaltung vom Weisungsrecht der Staatsanwaltschaft zusammentreffen, Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite in Europa, S. 256. 722 Baldwin/Hunt, Prosecutors Advising in Police Stations, CrimLR 1998, S. 521. 723 So am Beispiel Österreichs, Deutschlands, Frankreich und der Niederlande Gleß, in: Gleß/Grote/Heine (Hrsg.), Justitielle Einbindung und Kontrolle von Europol, S. 654 f.

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talen Praxis schwächere richterliche Kontrolle von Ermittlungsverfahren in England und Wales wird mittelbar im Rahmen der Beweisprüfung in der Phase der Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung ausgeglichen.724 4. „Beweismittelshopping“ Eine mangelnde Zuständigkeitsregelung für transnationale Strafverfahren725 wirkt sich negativ auf den Beweistransfer aus. Problematisch erweist sich hier der Konflikt zwischen lex fori und lex loci probationis (Gesetz des Ortes der Beweisaufnahme).726 Parallel zur Gefahr für die nötige Balance im Strafverfahren wird auf das Risiko hingewiesen, dass der transnationale Charakter eines Verfahrens zur gezielten Verwertung von Ermittlungsergebnissen benutzt werden könnte.727 Befürchtet wird „evidence shopping“,728 also eine gezielte Kombinierbarkeit von verfahrensrechtlichen Regelungen nationaler Rechtssysteme der Mitgliedstaaten, um ein erwünschtes Ergebnis im Bereich des Beweisrechts zu erreichen. Auf diese Weise könnten Strafverfolgungsorgane durch Kumulation jeweils niedrigster Eingriffsschwellen und Orientierung an den nationalen Regelungen, die den Beschuldigten am wenigsten Garantien gewährleisten,729 eine enorme Machtkonzentration erlangen.730

III. Alternative und ergänzende Lösungsvorschläge Das in Tampere formulierte Postulat gegenseitiger Anerkennung von Beweismitteln greift das Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft auf.731 Ansätze des europäischen Beweisrechts im Zusammenhang mit dem

724

U. a. durch die Entscheidung über Zulässigkeit der Beweise, dazu Griebenow, Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite in Europa, S. 261. 725 Dazu bereits unter § 9. 726 Dazu Vogel, La prueba transnacional en el proceso penal: un marco para la teora y praxis, in: Moreno/Arroyo Zapatero (Hrsg.), La prueba en el espacio europeo de libertad, seguridad y justicia penal, S. 57; zur Anwendung der Regel forum regit actum vgl. Gonzlez Cano, El proyecto de decisin marco sobre el exhorto europeo de medios de prueba, in: Moreno/ Arroyo Zapatero (Hrsg.), La prueba en el espacio europeo de libertad, seguridad y justicia penal, S. 111. 727 Dazu u. a. Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 152 f. m.w.N. 728 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 48. 729 Weigend, Der Entwurf einer Europäischen Verfassung und das Strafrecht, ZStW 2004, S. 293 m.w.N. 730 Nestler, Europäisches Strafprozessrecht, ZStW 2004, S. 349; ähnlich Salditt, Doppelte Verteidigung im einheitlichen Raum, StV 2003, S. 139. 731 KOM(2001) 715 v. 11. 12. 2001, Rn. 6.3.4.1 ff.; dazu auch Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 149; Spitzer, Der Europäische Staatsanwalt – ein Instrument zur Verbesserung

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Schutz der finanziellen Interessen der EG sind in Corpus Iuris732 zu finden.733 Weitere Lösungsvorschläge zielen auf die Schaffung eines Beweiszulassungsverfahrens sowie die Anwendung des sog. Schweizer Modells ab. In der Literatur wird auch Rechtsharmonisierung oder teilweise Rechtsvereinheitlichung im Bereich einschlägiger Vorschriften thematisiert.

1. Europäisches Beweiszulassungsverfahren Teilweise wird eine Lösung in Erwägung gezogen, die in der Schaffung eines europäischen Beweiszulassungsverfahrens bestünde.734 Danach sollten einheitliche verbindliche Kriterien zur Beweiserhebung und -verwertung für die Verwendung in einem Strafverfahren entwickelt werden.735 Dieses als ein Referenzsystem konzipierte Verfahren würde nur diejenige justizielle Entscheidung als anerkennungspflichtig „zertifizieren“, die bestimmte Mindeststandards erfüllt. Auf diese Weise sollte das Risiko der Kumulation von sowohl jeweils niedrigsten Eingriffsschwellen als auch von Verfahrenshürden eliminiert werden. Die „Filterfunktion“ des Referenzsystems würde auch verhindern, dass Justizorgane eines Mitgliedstaates gezwungen werden könnten, die nach eigenem Recht unzulässigen oder unverwertbaren Beweismittel anzuerkennen und somit zur Einschränkung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung führen. Als Entscheidungsträger kämen grundsätzlich die nationalen Gerichte, ggf. kombiniert mit einer Vorlagepflicht an ein europäisches Gericht bzw. eine „europäische Behörde“ wie Eurojust in Frage, die das Beweiszulassungsverfahren in den Mitgliedstaaten koordinieren und eine einheitliche Anwendung der Vorschriften garantieren des Schutzes der EU-Finanzen oder ein Beitrag zur Verwirklichung eines Europas der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, NStZ 2002, S. 395 f. 732 Art. 32 sieht als zulässig auf dem EU-Gebiet folgende Beweismittel vor: Zeugenaussagen in unmittelbarer Form, audiovisuell in die Verhandlung übertragen oder in der Form eines „Europäischen Vernehmungsprotokolls“, Befragungen des Beschuldigten in unmittelbarer Form oder in der Form eines „Europäischen Befragungsprotokolls“, Erklärungen des Beschuldigten, Dokumente von Sachverständigen, Dokumente, die vom Beschuldigten oder einem Dritten stammen; über Zulässigkeit anderer Beweismittel entscheidet das nationale Recht des Staates, zu dem das Gericht des Hauptverfahrens gehört; nach Art. 33 ausgeschlossen sind Beweise, die unter Verletzung von Rechtsvorschriften (u. a. EMRK-Grundrechte und nationale Garantien) erlangt worden sind; dazu Lach, Europejska pomoc prawna w sprawach karnych, S. 104 f. 733 Ein Vergleich beider Vorschläge bei Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 149 f. 734 Vgl. Gleß, Die „Verkehrsfähigkeit von Beweisen“ im Strafverfahren, ZStW 2003, S. 148 ff. 735 Radtke, Der Europäische Staatsanwalt – Ein Modell für Strafverfolgung in Europa mit Zukunft?, GA 2004, S. 20 m.w.N.; Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 302; Deutscher Richterbund, Stellungnahme zum Grünbuch aus 4/2002, S. 12; vgl. auch von Bubnoff, Legislative Gestaltung des europäischen Rechtsraums und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten, in: Pache (Hrsg.), Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 117.

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würde. Als Orientierungsmaßstab dieses Systems werden Vorgaben der EMRK736 oder die auf Grundlage rechtsstaatlicher Verfahrensstandards in den Mitgliedstaaten gemeinsam entwickelten Standards737 in Erwägung gezogen. Gegen die Idee gemeinsamer Standards für die Zulässigkeit der Erhebung und Verwertung von Beweisen ist jedoch einzuwenden, dass ursprünglich rein nationale Verfahren sich unerwartet zu transnationalen entwickeln können.738 Die Lösung in Form eines Beweiszulassungsverfahrens wäre daher lediglich subsidiär z. B. im Hinblick auf ausgewählte Aspekte des grenzüberschreitenden Beweistransfers739 in Betracht zu ziehen. 2. Schweizer Modell und Meistbegünstigungsklausel Ein Teil der Probleme des transnationalen Ermittlungsverfahrens könnten in Anlehnung an das sog. Schweizer Modell samt der Meistbegünstigungsklausel gelöst werden.740 Übertragen auf die Union bedeutete das Schweizer Modell741 dass die Strafverfolgungsorgane des „ersuchenden“ Mitgliedsstaates auf dem Hoheitsgebiet jedes anderen Mitgliedstaates auch ohne seine Zustimmung nach eigenem Strafprozessrecht tätig werden könnten.742 Das Prinzip der Meistbegünstigung743 garantierte dabei, dass der transnational Verfolgte in den Genuss aller Rechte käme, die vom Entscheidungs- und Vollstreckungsstaat gewährt werden.744 Diese Idee wird teilweise im „Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege“745 aufgegriffen. Danach bestimmen sich die Zulässigkeit, Form und Anfechtbarkeit von Ermittlungshandlungen grundsätzlich nach dem Recht des mithilfe der in 736

Hecker, Europäisches Strafrecht, § 12, Rn. 66; vgl. aber Einwände von Gleß, Die „Verkehrsfähigkeit von Beweisen“ im Strafverfahren, ZStW 2003, S. 149 f. 737 Vgl. Radtke, Der Europäische Staatsanwalt – Ein Modell für Strafverfolgung in Europa mit Zukunft?, GA 2004, S. 20. 738 Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 212 f. m.w.N. 739 Vgl. aber Vorschlag zu „Europäischen Orientierungsregeln“ von Bubnoff, Legislative Gestaltung des europäischen Rechtsraums und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten, in: Pache (Hrsg.), Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 117 f. 740 Schünemann (in Bezug auf die „Europäische Verfassung“), Grundzüge eines AlternativEntwurfs zur europäischen Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 382 m.w.N. 741 Dazu auch unter § 1 III. 2. 742 Nach Vogel, Licht und Schatten im Alternativ-Entwurf Europäische Strafverfolgung, ZStW 2004, S. 407. 743 Zum „Modell“ der Meistbegünstigung vgl. auch Art. 10 Abs. 5 Nr. 5 EU-RhÜbk, wonach sich ein Zeuge bei einer grenzüberschreitenden Videovernehmung sowohl auf das Recht des ersuchten als auch des ersuchenden Staates berufen kann. 744 Schomburg/Lagodny, IRG-Kommentar, Einleitung Rn. 106; Lagodny, Zur Ermessensentscheidung bei einem Antrag eines ausländischen Verurteilten auf Strafverbüßung im Heimatland, JZ 1997, S. 568. 745 Dazu unter § 2 III. 3.

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Art. 2 im Gesamtkonzept genannten Kriterien746 gewählten Ermittlungsstaates (Art. 4 Abs. 3 S. 1 im Gesamtkonzept). Nach diesem Recht können Ermittlungshandlungen in anderen Mitgliedstaaten der dort zuständigen Strafverfolgungsbehörde des Vollstreckungsstaaten überlassen oder selbst vorgenommen werden (Art. 4 Abs. 1 im Gesamtkonzept). Auf diese Weise soll verhindert werden, dass „die unsachliche Mischung und Hybridisierung verschiedener disparater Verfahrensordnungen“ stattfindet.747 Im ersten Fall ist die vollstreckende Behörde verpflichtet, das Recht des Ermittlungsstaates anzuwenden. Lediglich bei Zwangsmaßnahmen besteht eine Verweigerungspflicht, wenn eine Unverträglichkeit der Maßnahme mit der EMRK oder den Grundlagen der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates (ordre-public-Vorbehalt) festgestellt wird (Art. 4 Abs. 2 S. 2 im Gesamtkonzept). Bei besonders schwerwiegenden Maßnahmen, zu denen die Autoren des Projekts die Beschlagnahme von Vermögensgegenständen von erheblichem Wert und den Einsatz von verdeckt ermittelnden Beamten und von V-Leuten zählen748, würde zusätzlich der Grundsatz der Meistbegünstigung gelten. Ihre Durchführung wäre danach nur in solchen Fällen möglich, wenn sie sowohl nach dem Recht des Ermittlungs- als auch des Vollstreckungsstaates zulässig wären (Art. 4 Abs. 4 S. 2 im Gesamtkonzept). Eine ähnliche Abstufung gilt nach Art. 6 im Gesamtkonzept für die Rechtsbehelfe. Alle Ermittlungsmaßnahmen können jedenfalls im Ermittlungsstaat nach dessen Recht angefochten werden.749 Bei Zwangsmaßnahmen bestünde die Möglichkeit, sie zusätzlich durch einen Rechtsbehelf im Vollstreckungsstaat mit der Begründung zu rügen, dass die Maßnahme mit der EMRK oder mit den Grundlagen des Rechts des Vollstreckungsstaates nicht verträglich sei.750 Den Interessen von Betroffenen soll zusätzlich dadurch entsprochen werden, dass Verdächtige und Zeugen an einem leicht erreichbaren Ort innerhalb der EU (vorzugsweise dem Aufenthaltsort) vernommen werden (Art. 5 im Gesamtkonzept). Die Ver746

Dazu unter § 9 II. 2.; so sollen „patchwork-Strafverfahren“ vermieden werden, Satzger, Die Europäische Vollstreckungsübernahme, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 148; vgl. auch Brüner/Hetzer, Nationale Strafverfolgung und Europäische Beweisführung?, NStZ 2003, S. 113. 747 Entwurf einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der EU, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 11. 748 Mit der Begründung, dass es sich bei Beschlagnahme um die „Zerstörung der sozialen Existenz des Beschuldigten“ und beim Einsatz von verdeckt ermittelnden Polizeibeamten und V-Leuten um eine in der Regel „mit staatlicher Provokation gekoppelte und damit (um), eine schon zum ,Feindstrafrecht“ gehörende Maßnahme handelt, Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 13. 749 Was aus den Grundprinzipien der transnationalen Verfahrenseinheit abgeleitet wird, Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 15. 750 Eine Ablehnung der Maßnahme aufgrund des nationalen ordre-public-Vorbehalts soll Eurojust mitgeteilt werden. Eurojust kann gegen eine so begründete Entscheidung einen Rechtsbehelf bei der höchsten Instanz der Strafgerichtsbarkeit im Vollstreckungsstaat einlegen, wodurch „eine die nationalen Egoismen überspielende, europäische Perspektive“ garantiert werden soll – so im Entwurf einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der EU, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 16.

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nehmung muss durch Videoaufzeichnung dokumentiert werden (Art. 5 Abs. 3 im Gesamtkonzept), was von den Autoren des Projekts, insbesondere im Hinblick auf die Erleichterung der Verteidigung751, als „Kernstück“ der im Konzept eingeführten Garantien beurteilt wurde.752 Auf eine in der Amtssprache des Aufenthaltsortes gefasste Vorladung sind sie zum Erscheinen verpflichtet. Beim unentschuldigten Ausbleiben kann das zuständige Organ des Vollstreckungsstaates auf Ersuchen der Strafverfolgungsbehörde des Ermittlungsstaates die Vorführung des Beschuldigten anordnen (Art. 5 Abs. 2 im Gesamtkonzept). Dem Beschuldigten wird zusätzlich ein sicheres Geleit garantiert, das ihm die sichere Rückkehr an seinen früheren Aufenthaltsort und das Umgehen von einschränkenden Vorschriften über den EuHb garantiert.753 Positiv zu bewerten ist das Bemühen um Stärkung des Schutzes der Belange von Betroffenen. Dies ist insbesondere auf die eingebauten Kautelen, die differenzierten Zulässigkeitskriterien der Beweisaufnahme und die vorgesehenen Möglichkeiten der Anfechtung von Ermittlungsmaßnahmen zurückzuführen. Im Hinblick auf das Interesse des Verdächtigen wird an der Lösung kritisiert, dass das Recht des Ermittlungsstaates auf dem Gebiet des Vollstreckungsstaates grundsätzlich direkt angewendet werden kann.754 Diese Kritik entschärfen teilweise die im „Gesamtkonzept“ vorgesehene Abstufung der Zulässigkeitskriterien je nach Schwere der Maßnahme, die Rechtskontrolle am Maßstab der EMRK und die Aufnahme eines nationalen ordre-public-Vorbehalts.755 In Bezug auf den EMRK-Maßstab ist jedoch zu beachten, dass die Vorgaben hinsichtlich des Beweisrechts zu unspezifisch sind756 und der 751

Art. 34 Abs. 4 des Projekts sieht die Möglichkeit vor, dass dem „Eurodefensor“ das Recht auf beobachtende Teilnahme durch „Online-Zuschaltung“ an förmlichen Vernehmungen eingeräumt werden kann. 752 Entwurf einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der EU, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 14; vgl. auch Rose (zur Regelung § 247a StPO), Auslandszeugen im Strafprozeß, wistra 2001, S. 292. 753 Entwurf einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der EU, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 14. 754 Bitzilekis/Kaiafa-Gbandi/Symeonidou-Kastanidou, Alternativüberlegungen zur Regelung transnationaler Strafverfahren in der EU, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 250 ff. Nach dem Alternativvorschlag o.g. Autoren sollen Ermittlungsmaßnahmen „höherer Eingriffsintensität“ (wie Einsatz verdeckter Ermittler, optische und akustische Überwachung von Räumen, kontrollierte Transporte, Aufhebung von Privatgeheimnissen, körperliche Untersuchungen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme und Einziehung von Gegenständen) ausschließlich nach dem Recht des Vollstreckungsstaates von Organen dieses Staates durchgeführt werden. Dabei stünde den Organen des Ermittlungsstaates das Recht anwesend zu sein und die Möglichkeit zur Sicherstellung der Verwertbarkeit des Beweises, Informationen und Anweisungen zu geben zu. Anders bei Maßnahmen „minderer Eingriffsintensität“ (wie Zeugenvernehmung, Beauftragung von Sachverständigen, Augenschein), dort solle das Recht des Ermittlungsstaates Anwendung finden, wobei die (anwesenden) Organe des Vollstreckungsstaates stets eine Unterbrechung verlangen können, wenn die Handlung ihrer Ansicht nach mit der EMRK oder anderen grundlegenden Standards im Vollstreckungsstaat unverträglich ist. 755 Zur Problematik des ordre-public-Vorbehalts vgl. unter § 8 V. 756 So Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 697 m.w.N.

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EGMR alleine der Frage nachgeht, ob die Rechtswidrigkeit zur Menschenrechtsverletzung geführt hat und den aufgestellten Grundsätzen kein allgemeiner Verfahrenszweck zukommt.757 In Anlehnung an weitere Literaturmeinungen ist daher zu konstatieren, dass trotz wichtiger Ansätze die entwickelten Standards im Bereich des Beweisrechts758 nicht reichen, um eine Gesamtkonzeption im Bereich des Strafprozesses ersetzen zu können.759 3. Andere Lösungsansätze Im Hinblick auf die Gewährleistung des Beweistransfers und eine möglichst umfangreiche Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung könnte auch die Harmonisierung nationaler Prozessordnungen in Erwägung gezogen werden. Diese Lösung würde jedoch einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten und wird zu Recht auch im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip als bedenklich eingestuft.760 Als schonender für die nationalen Rechtsordnungen erscheint der Vorschlag zur Schaffung eines supranationalen Strafverfahrensrechts, das beschränkt nur auf die Verfolgung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EG abzielt.761 So wäre die Europäische Strafjustiz (z. B. Europäischer Staatsanwalt und Europäischer Strafgerichtshof) zur Verfolgung von abschließend statuierten Straftaten zuständig. In der supranationalen Strafgewalt mit eigenen Polizei- und Justizorganen, die nach supranationalen Vorschriften unmittelbar europaweit tätig wären, könnte eine Vereinfachung der Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen und Beweisverwertung erzielt werden.762 Dabei müsste in den Mitgliedstaaten keine großflächige Harmonisierung stattfinden. Notwendig wäre jedoch, dass die zwei Strafverfahrensregime durch Kollisionsnormen und Kompetenzregelungen miteinander – wie beispielsweise im „föderalen Parallelismus“ in den Vereinigten Staa-

757 EGMR, Sequeira v. Portugal, Entscheidung v. 19. 7. 2001; zit. nach Esser, Mindestanforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) an den strafprozessualen Beweis, in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines europäischen Beweisrechts, S. 43 m.w.N.; vgl. auch Gaede, Beweisverwertungsverbote und „Beweislastumkehr“ bei unzulässigen Tatprovokationen nach der jüngsten Rechtsprechung des EGMR, HRRS 2008, S. 280. 758 Dazu Smeulers, The position of the individual in international criminal cooperation, in: Vervaele (Hrsg.), European Evidence Warrant, S. 92; Esser, Mindestanforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) an den strafprozessualen Beweis, in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines europäischen Beweisrechts, S. 42 ff.; vgl. auch unter § 6 I. 759 Nestler, Europäisches Strafprozessrecht, ZStW 2004, S. 346 ff. m.w.N.; ähnlich Ormazabal Snchez, Espacio penal europeo y mutuo reconocimiento, S. 89. 760 Hecker, Europäisches Strafrecht, § 12, Rn. 64; ders., Die Europäische Beweisanordnung, in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines europäischen Beweisrechts, S. 36; übereinstimmend im Ergebnis Heger, Europäische Beweissicherung – Perspektiven der strafrechtlichen Zusammenarbeit in Europa, ZIS 2007, S. 555. 761 Vgl. Schwarzenburg/Hamdorf, Brauchen wir ein EU-Finanz-Strafgesetzbuch?, NStZ 2002, S. 623. 762 Griebenow, Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite in Europa, S. 262.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

ten763 – verknüpft werden.764 Aufgrund des legislativen und organisatorischen Aufwands wird die Durchsetzung eines solchen dualistischen Systems zu Recht für wenig realistisch gehalten.765 Offen würde bei dieser Lösung auch die Frage bleiben, wie die traditionelle Rechtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten in den Bereichen reformiert werden kann, welche die finanziellen Interessen der EU nicht tangieren.

IV. Stellungnahme Die für vorrangig gehaltene Frage des Beweistransfers auf der EU-Ebene766 gilt gleichzeitig als eines der umstrittensten Anwendungsfelder und als einer der neuralgischsten Punkte der gegenseitigen Anerkennung. Die Diskussion über die Verkehrsfähigkeit von Beweisen wird insbesondere durch den Konflikt zwischen der Effektivität des Strafverfahrens767 und den Zielen der Wahrheitsfindung und Fairness sowie Verfahrensgarantien polarisiert. Abgesehen von schwer überbrückbaren normativen Unterschieden in der Beweiserhebung und -verwertung768 verkomplizieren die Problematik des Beweistransfers in der EU unterschiedliche nationale Konzepte zur Rolle und Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens769 und Akzentuierung des adver763

Vgl. hierzu Sieber, Memorandum für ein Europäisches Modellstrafgesetzbuch, JZ 1997, S. 372. 764 Vgl. Radtke, Der Europäische Staatsanwalt – Ein Modell für Strafverfolgung in Europa mit Zukunft?, GA 2004, S. 19. 765 So Hecker im Hinblick auf die Souveränitätsvorbehalte der Mitgliedstaaten, Europäisches Strafrecht, § 12, Rn. 65. 766 So, abgesehen von der Kommission, auch das Europäische Parlament und der Rat, vgl. Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zur Qualität der Strafjustiz und zur Harmonisierung des Strafrechts in den Mitgliedstaaten, ABl. Nr. 304 E v. 1. 12. 2005, S. 109 ff. 767 Nach der Auffassung des OLAF-Überwachungsausschusses haben die Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften über die Anerkennung von Beweisen zum Scheitern mehrerer Ermittlungen in grenzüberschreitenden Betrugsfällen geführt, denn die Gerichte erkannten die Zulässigkeit der Beweise nicht an bzw. die Verfahrensregeln, nach denen Beweise erhoben wurden, wurden angefochten; zit. nach Brüner/Hetzer, Nationale Strafverfolgung und Europäische Beweisführung?, NStZ 2003, S. 117. Die Kommission illustriert den Handlungsbedarf am Fall, wo ein Olivenölimporteur falscher Zollanmeldungen zur Umgehung von Agrarzöllen verdächtigt wurde. Beim Transport, Vertrieb und Verkauf hatte er auf in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen zurückgegriffen, so dass die Beweise über das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaften verstreut waren. Bei der Verhandlung hat das Strafgericht des Verfahrensstaats den größten Teil der Beweismittel für unzulässig erklärt, weil sie entweder von einer Verwaltungsbehörde (dem OLAF, der ein Verwaltungsuntersuchungen eingeleitet hatte) oder von der Kriminalpolizei statt einer Staatsanwaltschaft oder einem Ermittlungsrichter erlangt worden waren; zit. nach Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM(2001) 715 v. 11. 12. 2001. 768 Dazu bereits unter § 10 II. 1. 769 Eingeschlossen Überlegungen „zum Verhältnis zwischen Effizienz und Rechtsstaatlichkeit in Ermittlungs- und Strafverfahren, zur Rolle, Funktion und Stellung der Polizei sowie anderer Verfahrensbeteiligter und nicht zuletzt für die Ressource, die für Strafrecht und

§ 10 Probleme des Beweistransfers

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satorisch-kontradiktorischen oder inquisitorischen Verfahrenscharakters770 sowie, nicht zuletzt, die unklaren Kompetenzgrenzen im Bereich der Durchsetzung von Verfahrensrecht auf der EU-Ebene771. Einerseits dürfte ein ausgewogenes Konzept zum Beweistransfer in der EU auch zur Lösung der bisherigen Probleme betreffend den schwer feststellbaren Beweiswert ausländischer Beweismittel, Zweifel über die Wahrung der Beschuldigtenrechte sowie Unklarheiten über deren Verwertbarkeit772 verhelfen. Andererseits stellen Beweise keine „fertigen Produkte“773 dar, die ohne zusätzliche Einschränkungen und Kompatibilitätsvorbehalte unionsweit zirkulieren können.774 Da der Beweistransfer mit dem Export nationaler strafprozessualer Eingriffsmaßnahmen verbunden ist, könnte der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in diesem Bereich durch Atomisierung der Justizförmigkeit des Verfahrens zur Zerstörung der innerprozessualen Balance führen.775 Vor diesem Hintergrund erscheinen Bestrebungen, wonach es grundsätzlich nur einseitig auf die Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung ankommt und die weitere Übertragung und Verwertbarkeit von Beweisen in einem anderen Mitgliedstaat außer Acht gelassen wird,776 als unzureichend.777

Strafverfolgung zur Verfügung gestellt werden“, Griebenow, Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite in Europa, S. 255 f. m.w.N.; ergänzend Farkas, Kompetenzverteilung, Ermittlungen und Beweistransfer in einem transnationalen Strafverfahren, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 119. 770 Vgl. Vogel/Matt, Gemeinsame Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union, StV 2007, S. 210; dazu auch Cassese, International Criminal Law, S. 353 ff. 771 Vgl. Mitsilegas, The Constitutional Implications of Mutual Recognition in Criminal Matters in the EU, CMLRev. Nr. 43/2006, S. 1306. 772 Dazu (Bezug nehmend auf die über Europol aus dem Ausland beschafften Informationen) Perron, Auf dem Weg zu einem europäischen Ermittlungsverfahren, ZStW 2000, S. 209; zur Verwertbarkeit von Beweisen, die unter Verletzung des ausländischen Rechts gewonnen wurden, in Deutschland vgl. Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 48.1 m.w.N. 773 Radtke, Der Europäische Staatsanwalt – Ein Modell für Strafverfolgung in Europa mit Zukunft?, GA 2004, S. 17 m.w.N.; vgl. auch Hecker, Europäisches Strafrecht, § 12, Rn. 58. 774 Zum Bedarf, den unberücksichtigten nationalen Gewährleistungen und höheren Schutzniveaus durch Versagungsgründe einer Beweisanerkennung zu entsprechen, vgl. Weigend, Der Entwurf einer Europäischen Verfassung und das Strafrecht, ZStW 2004, S. 294; von Bubnoff, Legislative Gestaltung des europäischen Rechtsraums und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten, in: Pache (Hrsg.), Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 118; zur Notwendigkeit einer ordre-public-Klausel vgl. Vogel, La prueba transnacional en el proceso penal: un marco para la teora y praxis, in: Moreno/Arroyo Zapatero (Hrsg.), La prueba en el espacio europeo de libertad, seguridad y justicia penal, S. 57 f. 775 Vgl. Gless, Mutual recognition, judicial inquiries, due process and fundamental rights, in: Vervaele (Hrsg.), European Evidence Warrant, S. 128; Scheuermann spricht in diesem Zusammenhang von einer durch Anerkennung bedingten „Trennung der Symbionten“: des Vorund Hauptverfahrens, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im geltenden und künftigen Europäischen Strafrecht, S. 149. 776 Dazu Juppe, Die gegenseitige Anerkennung, S. 150 ff. m.w.N. 777 Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 298.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

Diese Kritik am Konzept der verkehrsfähigen Beweise ist, trotz schwerwiegender Einwände gegenüber dem Vorschlag,778 nur teilweise im Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung berücksichtigt worden.779 Ein Teil der Schutzgarantien für den Vollstreckungsstaat wurde sogar, trotz Gegenstimmen780, aus dem Vorschlag entweder gar nicht oder nur teilweise übernommen. So sah Art. 12 Abs. 1 lit. a und b des Vorschlages vor, dass die Vollstreckungsbehörde die am wenigsten einschneidenden Mittel verwenden soll781 und bei der Vollstreckung der Beweisanordnung das Recht gewährleistet, sich nicht selbst belasten zu müssen (nemo tenetur). Zusätzlich schrieb Art. 12 Abs. 2 des Vorschlages vor, dass bei einer Durchsuchung eine schriftliche Mitteilung vorzulegen (bzw. bei Abwesenheit zurückzulassen) ist, die den Grund für die Durchsuchung, die beschlagnahmten Dinge, Schriftstücke oder Daten sowie die verfügbaren Rechtsmittel nennt. Vorgesehen war ergänzend ein (relatives) Verbot nächtlicher Durchsuchungen. Ein Teil der noch am Vorschlag für den Rahmenbeschluss geäußerten Kritik behält auch beim angenommenen Rahmenbeschluss seine Geltung. Vermisst wurden u. a. Regelungen zur Anwendbarkeit der Beweisverbote und Zeugnisverweigerungsrechte,782 ein Richtervorbehalt,783 Beschlagnahmeverbote784 sowie eine adäquate Regelung für einen grenzüberschreiten778 Ablehnung des Vorschlags aufgrund der Mängel im Schutz der Grundrechte und Voreiligkeit forderte der Ausschuss für Recht und Binnenmarkt in der Stellungnahme für den Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafverfahren 2003/0270(CNS) v. 24. 2. 2004; vgl. auch Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer v. 30. 6. 2004, abrufbar unter: http://www.brak.de/seiten/pdf/Stellungnahmen/2004/30_06_Schr.Praes_Zypries_KISt PO_Europa.pdf. 779 So wurde u. a. der Versagungsgrund der Territorialität (Art. 13 lit. f des kommentierten Rahmenbeschlusses) eingeführt oder die Möglichkeit einer Vollstreckungsverweigerung vorgesehen, wenn die Anordnungsbehörde kein Richter, Gericht, Ermittlungsrichter oder Staatsanwalt war und die Europäische Beweisanordnung nicht von einer dieser Behörden im Anordnungsstaat bestätigt wurde (vgl. Art. 11 Abs. 4 des kommentierten Rahmenbeschlusses). 780 Vgl. Vorschlag bezüglich Mindestverfahrensgarantien für Art. 11a im Entwurf einer legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments v. 15. 10. 2008, A6 – 0408/2008. 781 Diese Bestimmung erwähnt lediglich der Erwägungsgrund Nr. 12 des Rahmenbeschlusses über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen; vgl. Krüßmann, Grenzüberschreitender Beweistransfer durch Europäische Beweisanordnung, StraFO 2008, S. 461 f. 782 Für zu vage werden in diesem Zusammenhang u. a. die Vorgaben gehalten, dass ein Beweismittel nur dann gewonnen werden kann, wenn dieses nach der Rechtsordnung des Anordnungsstaats auch erlangt werden könnte (Art. 7 lit. b des Rahmenbeschlusses); Gleß, Kommentar zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über eine „Europäische Beweisanordnung“, StV 2004, S. 681. 783 Vgl. aber die fakultative Ablehnungsmöglichkeit nach Art. 13 Abs. 1 lit. e i.V.m. Art. 11 Abs. 4 und 5 des kommentierten Rahmenbeschlusses; vgl. auch Krüßmann, Grenzüberschreitender Beweistransfer durch Europäische Beweisanordnung, StraFO 2008, S. 459. 784 Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 697; Kaiafa-Gbandi, Aktuelle Strafrechtsentwicklung in der EU und rechtsstaatliche Defizite, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 76.

§ 10 Probleme des Beweistransfers

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den Rechtsschutz785. Abzuwarten bleibt, ob und inwiefern verfahrensrechtliche Defizite in anderen Rechtsakten nivelliert werden.786 Offen ist aktuell auch die Frage, inwieweit die Umsetzungsspielräume von den Mitgliedstaaten grundrechtsbewusst ausgenutzt werden. Festzuhalten ist, dass mit der Anwendung der gegenseitigen Anerkennung beim Beweistransfer neue Perspektiven justizieller Zusammenarbeit und zugleich neue Gefahren geschaffen wurden. Um zu vermeiden, dass Strafverfahren „zum halben Preis“787 auf Kosten der Rechtsstellung von Betroffenen erlangt werden, ist einerseits die Stärkung von Verfahrensrechten und -garantien in Strafverfahren788 sowie Verteidigungsrechten789 notwendig. Andererseits sind im Hinblick auf die Gefahr des „evidence shopping“ entsprechende Zuständigkeitsregeln zu gewährleisten. Dabei sollen auch die Frage der Leitung und Unterstützung von Ermittlungshandlungen sowie die Hierarchie der involvierten Behörden und das Weisungsrecht geklärt werden.790 Im Hinblick auf die angekündigte Fortsetzung der Arbeiten im Bereich des Beweisrechts besteht Handlungsbedarf hinsichtlich der Problematik des Schweigerechts des Beschuldigten791, der Ausgestaltung der Unschuldvermutung sowie des Unmittelbarkeitsgrundsatzes.792 In diesem Zusammenhang sind u. a. Aussageverweigerungs-

785 Gleß, Kommentar zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über eine „Europäische Beweisanordnung“, StV 2004, S. 682; ähnlich Esser während des Kolloquiums „Strafverteidigung in Europa“ (Universität des Saarlandes, 30. 1. 2004), zit. nach Nitschmann, Strafverteidigung in Europa – Ein Tagungsbericht, GA 2004, S. 663. 786 Zur Notwendigkeit eines Rahmenbeschlusses über Verfahrensgarantien für Angeklagte, vor allem im Hinblick auf die Erhebung und Zulässigkeit von Beweisen vgl. bereits den Entwurf einer legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments v. 22. 3. 2004, A5 – 0214/2004. 787 Gaede, Nullum judicium sine lege, ZStW 2003, S. 877. 788 Von „Geringschätzung der Beschuldigtenrechte“ spricht im Hinblick auf die aktuelle Lage Schünemann, Die Grundlagen eines transnationalen Strafverfahrens, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 99; eine Verbesserung könnte beispielsweise im Rahmen der Fortsetzung und Ausweitung von bereits im Grünbuch der Kommission über Verfahrensgarantien in Strafverfahren – KOM(2003) 75 v. 19. 2. 2003 – genannten Ziele erfolgen. 789 Dazu Salditt, Doppelte Verteidigung im einheitlichen Raum, StV 2003, S. 142; vgl. Abetz, Justizgrundrechte in der EU, S. 299; dazu auch unter § 6 I. 2. d). 790 Vgl. Farkas, Kompetenzverteilung, Ermittlungen und Beweistransfer in einem transnationalen Strafverfahren, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 121 ff. 791 Zu den Unterschieden in Umfang und Ausgestaltung des Schweigerechts des Beschuldigten in den Mitgliedstaaten vgl. Study of the laws of evidence in criminal proceedings throughout the European Union – Summary Report, S. 9 ff., abrufbar unter: http://www.cybex. es/AGIS2005/docs/Study%20Law%20Society%20of%20England%20and%20Wales.pdf.; vgl. auch Braum, Europäisches Strafrecht im administrativen Rechtsstil, ZRP 2002, S. 513; Gaede, Nullum judicium sine lege, ZStW 2003, S. 875. 792 Nach von Bubnoff, Legislative Gestaltung des europäischen Rechtsraums und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten, in: Pache (Hrsg.), Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 118 f.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

gründe,793 das Auftreten anonymer Zeugen794, die Zulässigkeitskriterien der Verlesbarkeit von Protokollen, Beweisverbote und die Frage der eventuellen Beweisumkehrung795 zu berücksichtigen. Betreffend die Beweiswürdigung soll die Verwertbarkeit von sog. Formalgeständnissen (bargaining-Verfahren)796, von Beweisen aus Abwesenheitsverfahren oder solchen, die aus der Tatprovokation stammten,797 sowie Kronzeugenaussagen geklärt werden. Schließlich ist an gemeinsame Kriterien in Bezug auf Vollstreckung von „Ermittlungsmaßnahmen höherer Intensität“,798 deren Kombinierbarkeit eine besondere Gefahr für die Grundrechte des Betroffenen schafft,799 zu denken. Das Beweisrecht wird berechtigterweise als „Seismograph des Verfassungsrechts der Mitgliedstaaten“ angesehen.800 Festzuhalten ist daher, dass ohne entsprechende Vorbereitung das Ergebnis eines auf unkontrollierter Anwendung der gegenseitigen Anerkennung aufgebauten Beweisrechts – „Ein schwer unüberschaubares und inkohärentes Gesamtrechtsgebilde“801 – weder dem Leitgedanken des Europäischen

793

Vgl. Meyer, Die Aussagefreiheit und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2007, S. 26 ff. 794 Unter den Mitgliedstaaten, deren Strafverfahren das Auftreten von anonymen Zeugen zulassen, variieren die Zulässigkeitsanforderungen: z. B. ist es in Estland zulässig, wenn die „Schwere und außerordentliche Umstände der Straftat“ es rechtfertigen; in Frankreich bei Straftaten, bei denen 3 Jahre Freiheitsstrafe drohen; in Portugal bei bestimmten Delikten und bei Straftaten, bei denen 8 Jahre Freiheitsstrafe drohen; unzulässig ist das Auftreten von anonymen Zeugen in Zypern, Italien, Malta und Schweden, Finnland, Luxemburg – wobei in den letzten beiden Mitgliedstaaten die Einführung entsprechender Vorschriften eingeleitet wurde; nach Study of the laws of evidence in criminal proceedings throughout the European Union – Summary Report, S. 12 f. 795 Zu Möglichkeit einer Beweislastumkehrung in Strafverfahren (in 6 Mitgliedstaaten) vgl. Study of the laws of evidence in criminal proceedings throughout the European Union – Summary Report, S. 9. 796 Siehe BGH, Urteil v. 26. 1. 2006, Az. 3 StR 415/02. 797 Diesbezüglich sind auch die vom EGMR entwickelten Kriterien (Abgrenzung zwischen passiver Aufklärung von strafbaren Aktivitäten und unzulässige Anstiftung zur Begehung einer Straftat) zu beachten; dazu Gaede, Beweisverwertungsverbote und „Beweislastumkehr“ bei unzulässigen Tatprovokationen nach der jüngsten Rechtsprechung des EGMR, HRRS 2008, S. 280 ff. m.w.N. 798 Wie z. B. optische und akustische Überwachung von Räumen, kontrollierte Transporte und die Aufhebung von Privatgeheimnissen, dazu Bitzilekis/Kaiafa-Gbandi/SymeonidouKastanidou, Alternativüberlegungen zur Regelung transnationaler Strafverfahren in der EU, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 252. 799 Vgl. Grski/Sakowicz, Bariery prawne integracji europejskiej w sprawach karnych, Materiały Robocze 3/05, S. 11. 800 Braum, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, GA 2005, S. 695; vgl. auch Schulz, Vom Anfang und Ende des Ermittelns – Der legitime Verdacht, StraFo 2003, S. 299; Jung, Einheit und Vielfalt der Reformen des Strafprozessrechts in Europa, GA 2002, S. 65 m.w.N. 801 Hecker, Europäisches Strafrecht, § 12, Rn. 61.

§ 11 Gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen

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Rechtsraums „Schutz der Rechte des Einzelnen durch die Justiz erleichtern“802 entsprechen noch dem Anerkennungskonzept zugute kommen würde.803

§ 11 Gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen Eine Intensivierung der justiziellen Zusammenarbeit im Bereich der Vollstreckungshilfe und zugleich die Stärkung der Rechtsstellung von Betroffenen sollen durch gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen804 erreicht werden. Die positive Wirkung des Anerkennungsgrundsatzes zeigt sich hier insbesondere in der Gewährleistung des Strafklageverbrauchs sowie der Förderung der Resozialisierungsaussichten von Verurteilten. Einer Kommentierung bedürfen jedoch auch Hindernisse, wie u. a. Art und Umfang der verhängten Sanktion sowie Abwesenheitsurteile, die einer uneingeschränkten Anwendung gegenseitiger Anerkennung im Wege stehen.

I. Aktuelle Entwicklungen 1. Hintergrund der Reformen Durch das auf dem Anerkennungsgrundsatz aufbauende Vollstreckungskonzept soll die im Bereich der Vollstreckungshilfe traditionell auf die internationalen Übereinkommen gestützte Zusammenarbeit805 zwischen den Mitgliedstaaten vereinfacht und beschleunigt werden.806 Mit Hilfe von Rahmenbeschlüssen werden Übereinkommen, deren Tauglichkeit für die Anforderungen effektiver Zusammenarbeit aufgrund

802

Vgl. z. B. ABl. C 12/1 v. 15. 1. 2001, S. 1. So auch Gless, Mutual recognition, judicial inquiries, due process and fundamental rights, in: Vervaele (Hrsg.), European Evidence Warrant, S. 128. 804 Darunter versteht die Kommission die Anerkennung von Akten, mit deren Hilfe die materiellrechtliche Seite von Strafsachen in verbindlicher Weise geregelt wird, und gegen welche kein ordentliches Rechtsmittel mehr eingelegt werden kann, bzw. dieses in Fällen, in denen dies noch möglich ist, keine aufschiebende Wirkung hat; Mitteilung der Kommission zur gegenseitigen Anerkennung von Endentscheidungen in Strafsachen, KOM(2000) 495 v. 26. 7. 2000. 805 U. a. das Europäische Übereinkommen des Europarats über die internationale Geltung von Strafurteilen v. 28. 5. 1970; vollständige Aufzählung internationaler Übereinkommen im Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. 806 Wie das z. B. zwischen den nordischen Staaten teilweise gelungen ist – vgl. das Übereinkommen über die Zusammenarbeit v. 23. 3. 1962 zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden („Helsinki-Übereinkommen“); dazu unter § 1 III. 4.; vgl. auch zur Zusammenarbeit unter Benelux-Staaten das Übereinkommen zwischen Belgien, den Niederlanden und Luxemburg über die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen v. 26. 9. 1968. 803

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

zahlreicher Rechtshilfehindernisse, erklärter Vorbehalte oder mangelnder Ratifizierung in Frage gestellt wurde, ersetzt.807 In Anlehnung an die Schlussfolgerungen von Tampere räumte der Rat bereits im Jahr 2000 den Vorrang für die Annahme eines Rechtsakts zur Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen (Maßnahme 18) ein und hat sich u. a. für eine Einschätzung des Bedarfs an modernen Mechanismen zur gegenseitigen Anerkennung von rechtskräftigen Verurteilungen (Maßnahme 14) ausgesprochen.808 Das Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung sah außerdem die Untersuchung der Vereinbarkeit geltender Einschränkungen bei Vollstreckung von Einziehungsentscheidungen809 mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (Maßnahme Nr. 19) und eine „Optimalisierung“ der Anwendung von Regelungen zur Überwachung bedingt verurteilter oder bedingt entlassener Personen810 vor (Maßnahme Nr. 23). Den Schwierigkeitsgrad dieser Vorhaben verdeutlichen Untersuchungsergebnisse, wonach stark ausgeprägte historisch, kulturell und rechtlich bedingte Divergenzen in den strafrechtlichen Sanktionssystemen der Mitgliedstaaten bestehen.811 Angesichts der Zahl von Fragen, die sich aufgrund der Unterschiede u. a. beim Strafmaß, dem Spektrum verfügbarer Sanktionen sowie richterlichem Ermessen812 ergeben, wurde als ein eigenständiges Ziel neben gegenseitiger Anerkennung die Rechtsangleichung in den als vorrangig eingestuften Bereichen in Erwägung gezogen.813

807

Ein Beispiel hierfür ist das Übereinkommen des Europarats über die Überstellung verurteilter Personen von 1983, dessen Anwendung als zu bürokratisch, langsam und schwerfällig kritisiert und eine Reform mittels Zusatzprotokolls ohne ausreichenden Erfolg versucht wurde; ähnlich beim Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Strafsachen von 1991; ausführlich dazu KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004 m.w.N. 808 ABl. C 12 v. 15. 1. 2001, S. 10. 809 Hier insbesondere die Ablehnungsgründe des Art. 18 des Übereinkommens des Europarates v. 8. 11. 1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten. 810 U. a. im Hinblick auf die Gründe der Vollstreckungsablehnung in Art. 7 des Übereinkommens von 1964 über die Überwachung bedingt verurteilter oder bedingt entlassener Personen. 811 Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. 812 Hinzu kommen noch Unterschiede im Hinblick auf das Strafmaß bei Täterschaft und Teilnahme, schulderhöhende oder schuldmindernde Umstände sowie divergierende Vorschriften und Praktiken der Strafvollstreckung (z. B. verschiedene Formen der bedingten Haftentlassung, Straferlass und Strafminderung, Amnestie, Begnadigung usw.); dazu KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. 813 Die Überlegungen stützten sich auf Art. 31 Abs. 1 lit. c EUV, die „Gewährleistung der Vereinbarkeit der jeweils geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten untereinander“ und den Gedanken, dass im europäischen Raum des Rechts gleichartige kriminelle Verhaltensweisen mit gleichartigen Strafen bedroht werden sollten; KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004.

§ 11 Gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen

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2. Gegenstand der gegenseitigen Anerkennung in angenommenen und geplanten Rechtsakten Das Regelungsspektrum auf der EU-Ebene betrifft in erster Linie freiheitsentziehende Sanktionen, Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternative Sanktionen, Geldstrafen und Geldbußen sowie Einziehungsentscheidungen. Bei Verurteilungen mit der Folge des Freiheitsentzugs werden (nach dem Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union814) gerichtliche, rechtskräftige Entscheidungen, durch die eine Sanktion gegen eine natürliche Person verhängt wird („Urteile“ Art. 1 lit. a; Art. 8 Abs. 1 des zit. Rahmenbeschlusses) anerkannt. Unter Sanktion ist nach Art. 1 lit. b des zit. Rahmenbeschlusses jede Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßnahme zu verstehen, die aufgrund eines Strafverfahrens wegen einer Straftat für eine bestimmte oder auf unbestimmte Zeit verhängt worden ist. Im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternative Sanktionen ist der Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen815 einschlägig. Gegenstand der Anerkennung sind hier Urteile und gegebenenfalls Bewährungsentscheidungen816 sowie die auf der Grundlage eines Urteils verhängten Bewährungsmaßnahmen817 oder die in einem solchen Urteil enthaltenen alternativen Sanktionen818 samt aller Folgeentscheidungen im Zusammenhang mit diesem Urteil (vgl. Erwägungsgrund Nr. 1 des zit. Rahmenbeschlusses). Bei Sanktionen, die ausschließlich oder zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe eine Geldbuße oder Geldstrafe und/oder eine Einziehungsentscheidung vorsehen, sind Rahmenbeschlüsse über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen819 und der Rahmenbeschluss über die An-

814

ABl. L 327 v. 5. 12. 2008, S. 27 ff. ABl. L 337 v. 16. 12. 2008, S. 102 ff. 816 Definiert als eine auf der Grundlage eines derartigen Urteils ergangene rechtskräftige Entscheidung, mit der eine bedingte Entlassung gewährt wird oder Bewährungsmaßnahmen auferlegt werden (vgl. Art. 2 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen). 817 Auflagen und Weisungen, die einer natürlichen Person nach Maßgabe des nationalen Rechts des Ausstellungsstaats im Zusammenhang mit einer Bewährungsstrafe, einer bedingten Verurteilung oder einer bedingten Entlassung von einer zuständigen Behörde auferlegt werden (Art. 2 Nr. 7 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen). 818 Definiert als eine Sanktion, die keine Freiheitsstrafe, freiheitsentziehende Maßnahme oder Geldstrafe ist und mit der eine Auflage oder Weisung ergeht (Art. 2 Nr. 4 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen). 819 ABl. L 76 v. 22. 3. 2005, S. 16 ff.; vgl. die Initiative des Vereinigten Königreichs, der Französischen Republik und des Königreichs Schweden im Hinblick auf die Annahme eines 815

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wendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen820 einschlägig. Nach dem ersten der Rahmenbeschlüsse werden rechtskräftige Entscheidungen über die Zahlung einer Geldstrafe oder Geldbuße durch eine natürliche oder juristische Person, die in Gerichts- oder bestimmten Verwaltungsverfahren verhängt wurden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 2; Art. 1 lit. a; Art. 6 des zit. Rahmenbeschlusses), anerkannt. Die Verpflichtung zur Zahlung kann Geldbeträge bei Verurteilungen, in bestimmten Fällen eine Entschädigung für die Opfer und/oder Gerichts- und Verfahrenskosten umfassen (vgl. Art. 1 lit. b des zit. Rahmenbeschlusses). Nach dem zweiten der Rahmenbeschlüsse werden Entziehungsentscheidungen anerkannt und vollstreckt, die als Strafe oder Maßnahme in einem Gerichtsverfahren im Anschluss an eine oder mehrere Straftaten verhängt werden und die zum endgültigen Entzug von Vermögensgegenständen führen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 8; Art. 1 Abs. 1, Art. 2 lit. c, Art. 7 Abs. 1 des zit. Rahmenbeschlusses). Gegenstand einer solchen Einziehung können Vermögensgegenstände jeder Art sowie Urkunden oder bestimmte Schriftstücke sein, wenn sie aus einer Straftat herrühren oder das Tatwerkzeug einer Straftat darstellen bzw. aus anderen Gründen einziehbar sind (vgl. Art. 2 lit. d des zit. Rahmenbeschlusses). Geplant sind schließlich auch Maßnahmen zur Ausweitung der Wirksamkeit von Sanktionen in Form von Aberkennung/Verlust von Rechten.821 Der beabsichtigte Gegenstand der Anerkennungen betrifft hier Strafen in Form des Entzugs oder der Einschränkung von Rechten oder Präventivmaßnahmen, die bei natürlichen oder juristischen Personen zur zeitlich begrenzten oder unbegrenzten Ausübung bestimmter Rechte, Ämter oder Tätigkeiten führen, Aufenthaltsverbote an bestimmten Orten oder die die Vornahme bestimmter Handlungen betreffen.822 Fragmentarische Regelungen diesbezüglich sind bereits in andere Rechtsakte aufgenommen worden oder wurden zum Gegenstand von Legislativvorschlägen.823 Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen, ABl. C 278 v. 2. 10. 2001, S. 4. 820 ABl. L 328 v. 24. 11. 2006, S. 59 ff.; vgl. die Initiative Dänemarks zur Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Vollstreckung von Einziehungsentscheidungen in der Europäischen Union, ABl. C 184 v. 2. 8. 2002, S. 8. 821 Maßnahme Nr. 22 im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, ABl. Nr. C 012 v. 15. 1. 2001, S. 10; Dänemark hat 2002 eine Initiative im Hinblick auf die Annahme eines Beschlusses des Rates über eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Bezug auf Entscheidungen über die Aberkennung von Rechten vorgelegt (ABl. C 223 v. 19. 9. 2002, S. 17). 822 Wie Fahrverbot und Entzug der Fahrerlaubnis, Berufsverbot, Landesverbot für Ausländer oder Aberkennung bestimmter staatsbürgerlichen und bürgerlichen Rechte; ausführlich dazu KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. 823 Z. B. Berufsverbot nach Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt (ABl. L 328 v. 5. 12. 2002, S. 1), Art. 4 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie (ABl. L 013 v. 20. 1. 2004, S. 44), Art. 4 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor (ABl. L 192 v. 31. 7. 2003, S. 54); zum Führerscheinrecht vgl. Nachweise bei Saurer, Anerkennungs-

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3. Zielsetzung: Wiedereingliederung und Resozialisierung von Verurteilten Die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von verhängten Sanktionen, die zu einem Freiheitsentzug führen, sollen die soziale Wiedereingliederung der verurteilten Person erleichtern.824 Diese Reform ist insbesondere vor dem Hintergrund zu begrüßen, dass aktuell ein bedeutender Anteil aller Inhaftierten in den Mitgliedstaaten „EU-Ausländer“ sind.825 Die Bedeutung der Resozialisierung betont Art. 10 Abs. 3 IPBPR, wonach der Strafvollzug auf Besserung und Wiedereingliederung hinzielt. Damit diesen Zielen bei der Entscheidung hinsichtlich der Überstellung von Verurteilten der Resozialisierungsgedanke gebührend entsprochen werden kann, soll die Vorbereitung für ein künftiges Leben in Freiheit in dem Staat erfolgen, zu dem der Verurteilte über sprachliche, familiäre, soziale, berufliche oder wirtschaftliche Verbindungen verfügt.826 Das alleinige Anknüpfen an die Staatsangehörigkeit

grundsatz und Rechtsmissbrauch im europäischen Fahrerlaubnisrecht, Jura 2009, S. 260 ff.; Kühner/Otte, Führerscheintourismus ohne Grenzen?, NZV 2004, S. 328 m.w.N.; vgl. auch Art. 45 Abs. 1 der Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134 v. 30. 4. 2004, S. 114 ff.), wonach Bewerber, die wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Bestechung, Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften oder Geldwäsche rechtskräftig verurteilt worden sind, auszuschließen sind. Ähnlichen Ausschluss von öffentlichen Aufträgen und Finanzhilfen sehen Artikel 93 lit. b und e der Verordnung über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaft, ABl. L 248 v. 16. 9. 2002, S. 1 ff., vor. Zwei weitere Richtlinien ermöglichen die Anerkennung einer in einem Mitgliedstaat verhängten Aberkennung des passiven Wahlrechts (Richtlinie über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, ABl. L 368 v. 31. 12. 1994, S. 38 ff. und ABl. L 122 v. 22. 5. 1996, S. 14 ff.; Richtlinie über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, ABl. L 329 v. 30. 12. 1993, S. 34 ff.). Schließlich zählt zu dieser Gruppe auch die Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen v. 7. 9. 2005, die eine Informationspflicht über disziplinar- oder strafrechtliche Sanktionen (ABl. L 255 v. 30. 9. 2005, S. 22 ff.), die sich auf die Ausübung der betreffenden Tätigkeit auswirken könnten, statuiert (Art. 56 Abs. 2). 824 Vgl. Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union; Erwägungsgrund Nr. 1 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen. 825 Genaue Angaben und weiterführende Literaturnachweise bei Morgenstern, Strafvollstreckung im Heimatstaat – der geplante EU-Rahmenbeschluss zur transnationalen Vollstreckung von Freiheitsstrafen, ZIS 2008, S. 76. 826 Erwägungsgründe Nr. 8 und 9 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union; Schroeder, Die Übertragung der Strafvollstreckung, ZStW 1998, S. 466.

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wäre u. a. aufgrund der Mobilität von EU-Bürgern, nicht ausreichend.827 Das Aufrechterhalten der aufgezählten Verbindungen im sozialen Umfeld des Täters kann zur Verringerung der Gefahr eines Rückfalls beitragen. Umgekehrt mindern Isolation, eingeschränkte Fortbildungsmöglichkeiten, Freizeitgestaltung und Besuchsmöglichkeiten seine Resozialisierungschancen.828 Die grundsätzlich im Interesse von Verurteilten vorgesehenen Überstellungs- und Vollstreckungsmechanismen erwecken jedoch Zweifel in Fällen, bei denen dem verhängten Urteil ein im Vollstreckungsstaat nicht strafbares Verhalten zugrunde liegt.829 Eingewandt wird, dass die Anordnung des Strafvollzuges in solchen Fällen rechtsstaatliche Bedenken auslöst und der Resozialisierungsgedanke „ins Leere läuft“.830 Unter Berücksichtigung des Ziels der Resozialisierung – ein künftiges Leben ohne Straftaten und Minimierung schädlicher Folgen des Strafvollzugs831 – könnte jedoch argumentiert werden, dass im Hinblick auf die fortschreitende Integration der Mitgliedstaaten und die ansteigende Mobilität der Unionsbürger eine Förderung dieser Vollzugsziele, die auch über die Grenzen des Vollstreckungsstaates hinausgeht, gerechtfertigt erscheint. Die Vorbereitung auf das künftige Leben setzt nämlich auch das Verständnis voraus, dass die bei einem Auslandsaufenthalt geltenden Gesetze zu befolgen sind.832 Festzuhalten ist daher, dass eventuelle rechtsstaatliche Probleme833 vielmehr die bis jetzt nicht ausreichend gelöste Frage der ordre public-Klausel tangieren und weniger als Ausdruck der Sorge um den Verurteilten anzusehen sind.834 827

So am Beispiel von Ausländern und Wanderarbeitern, die soziale Bindungen mehr im Gastland als in der Heimat haben, Bartsch, Strafvollstreckung im Heimatstaat – Zu einem neuen Übereinkommen des Europarats, NJW 1984, S. 514; vgl. auch Böhm, Die Kozlowski-Entscheidung des EuGH und ihre Auswirkungen auf das deutsche Auslieferungsrecht – Kein „Strafvollstreckungstourismus“ innerhalb Europas, NJW 2008, S. 3184. 828 Bartsch, Strafvollstreckung im Heimatstaat – Zu einem neuen Übereinkommen des Europarats, NJW 1984, S. 513. 829 Zur beiderseitigen Strafbarkeit vgl. unter § 7; einschlägige Regelungen in Rahmenbeschlüssen: Art. 7 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU; Art. 5 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen; Art. 10 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen; Art. 6 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen. 830 Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 365; Schwaighofer, Materielle Übergabe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen im Europäischen Haftbefehl, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 81. 831 Mit Hinweis auf § 2 S. 1 StVollzG Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 80, Rn. 37. 832 So auch Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 80, Rn. 37. 833 Dies insbesondere bei Fällen sog. qualifizierter Straflosigkeit, dazu unter § 7 I. und III. 834 Dazu Grützner/Pötz/Kreß-Böse, § 80, Rn. 37 m.w.N.

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Im Hinblick auf die Vollzugsziele erwecken auch die Einschränkungen in der Zustimmungspflicht der zu überstellenden Personen Bedenken.835 Frühere, auf den Wegfall der Zustimmungspflicht gerichtete Reformversuche836 wurden auf EUEbene im Rahmenbeschluss vom 27. November 2008837 verwirklicht. Danach ist die Zustimmung des Verurteilten entbehrlich, wenn die Urteilsvollstreckung im Mitgliedstaat stattfinden soll, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und in dem er lebt oder in den er nach der Entlassung aus dem Strafvollzug abgeschoben werden würde, bzw. in den er angesichts des Strafverfahrens oder nach der Verurteilung im Ausstellungsstaat geflohen oder auf andere Weise zurückgekehrt ist (Art. 6 Abs. 2 des zit. Rahmenbeschlusses). Der verurteilten Person oder ggf. ihrem gesetzlichen Vertreter ist in solchen Fällen und unter der Voraussetzung, dass er sich im Ausstellungsstaat befindet, lediglich nach Art. 6 Abs. 4 des zit. Rahmenbeschlusses Gelegenheit zur mündlichen oder schriftlichen Stellungnahme gegeben. In der Literatur wird einerseits die Bedeutung der Zustimmung mit dem Gedanken der sozialen Wiedereingliederung in Verbindung gebracht und argumentiert, dass nur der Verurteilte seine Integrationsmöglichkeiten und -wünsche beurteilen kann.838 Andererseits wird hervorgehoben, dass die Zustimmung das Haupthindernis des Vollstreckungstransfers darstellt und diese ist sowohl im Hinblick auf erfolgreiche Sozialisation als auch aus Gründen effektiver Internationalisierung der Strafverbüßung abdingbar.839 Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang daran, dass ein innerstaatlicher Verbüßungsanspruch nicht anerkannt wird.840 Selbst bei einer Wahlmöglichkeit er835

Zu Diskussionen auf der EU-Ebene vgl. Aussprache des Vizepräsidenten der Kommission, Franco Frattini v. 13. 6. 2006 zum Verzicht auf die Zustimmungspflicht in der Initiative Österreichs, Finnlands und Schwedens, die auf die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Urteilen, durch die freiheitsentziehende Strafen oder freiheitsentziehende Maßregeln verhängt werden, zum Zweck der Vollstreckung in der EU. 836 Vgl. das Zusatzprotokoll v. 18. 12. 1997 zum Übereinkommen des Europarates über die Überstellung verurteilter Personen v. 21. 3. 1983, wodurch eine Überstellung unter bestimmten Voraussetzungen unabhängig von der Zustimmung der Person ermöglich wurde; vgl. auch das Europäische Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen v. 28. 5. 1970, dessen Anwendung nicht von der Zustimmung des Verurteilten abhängt. 837 Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU. 838 Ahlbrecht/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 988, mit Hinweis auf das Risiko massiver „Vorfeldverletzungen“ der Niederlassungsfreiheit (Art. 18 EGV); vgl. auch Morgenstern mit dem Argument, dass der Betroffene zum bloßen „Überstellungsobjekt“ werde, Strafvollstreckung im Heimatstaat – der geplante EU-Rahmenbeschluss zur transnationalen Vollstreckung von Freiheitsstrafen, ZIS 2008, S. 82. 839 Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 342 m.w.N. 840 Lemke, Überstellung ausländischer Strafgefangener ohne deren Einwilligung, ZRP 2000, S. 174; der kommentierte Rahmenbeschluss sieht in Art. 4 Abs. 5 auch nur die Möglichkeit vor, dass der Verurteilte die zuständigen Behörden des Ausstellungsstaats oder des Vollstreckungsstaats um die Einleitung eines Verfahrens zur Übermittlung des Urteils und der Bescheinigung ersuchen kann, jedoch ohne den Ausstellungsstaat zur solchen Handlung zu verpflichten.

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scheint es wahrscheinlicher, dass als Kriterium für den Verurteilten weniger Resozialisierungsziele, als bessere Haftbedingungen oder Aussichten auf frühere Haftentlassung in Frage kämen.841 Widersinnig wäre es auch, von Erfüllung des Resozialisierungsgedankens zu sprechen, wenn nach dem Strafvollzug im Urteilsstaat der Entlassene zwingend ausreisepflichtig wäre.842 In solchen Fällen erscheint der Wegfall der Zustimmungspflicht gerechtfertigt. Problematischer sind Situationen, in denen der Wahl des Vollstreckungsstaates das Kriterium der Staatsangehörigkeit des Verurteilten oder sein Fluchtaufenthalt zugrunde liegen. In der ersten Situation kann die Überstellung in sein „verhasstes“ Heimatland dem Inhaftierten und mittelbar der Gesellschaft schaden.843 In der zweiten Variante würden zufällige Staaten als Vollstreckungsorte in Fragen kommen, zu denen der Verurteilte außer der Tatsache des Fluchtaufenthaltes keinerlei Bindung aufweisen könnte. Um zu vermeiden, dass „ein über den Kopf des Inhaftierten betriebener und mit erheblichen Kosten verbundener Überstellungsverkehr quer durch Europa“844 stattfindet, muss sich die Behörde des Ausstellungsstaats in allen Fällen vergewissern, dass die Urteilsvollstreckung der Erleichterung der Resozialisierung der verurteilten Person dient. Eine solche Pflicht, die zur Einschränkung der Ermessensausübung von nationalen Behörden845 führt, wurde in Art. 3 Abs. 1 sowie 4 Abs. 2 des kommentierten Rahmenbeschlusses vorgesehen.846 Die Interessen des Verurteilten können im Rahmen der obligatorischen Anhörung nach Art. 6 Abs. 3 vorgetragen werden. Abzuwarten ist jedoch, inwiefern die Mitgliedstaaten der Umsetzung dieser Vorschriften und deren späterer Anwendung dieser Verpflichtung nachkommen werden.

841

Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 342 m.w.N.; ähnlich Seitz, Europäischer Haftbefehl und Europäische Vollstreckungsübernahme, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 165. 842 Hackner, Der Europäische Haftbefehl in der Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte, NStZ 2005, S. 313. 843 Ahlbrecht/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 988. 844 Ahlbrecht/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 987. 845 Zur rechtsfehlerfreien Ermessensausübung nach Art. 19 Abs. 4 GG i. V. m. dem Resozialisierungsgedanken vgl. BVerfGE 96, 100 ff.; zit. nach Ahlbrecht/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 969. 846 Dazu auch Erklärung des Rates v. 11. 11. 2008: „In Anbetracht des Umstands, dass die erfolgreiche soziale Wiedereingliederung einer verurteilten Person in einem Staat, zu dem sie die engsten Bindungen hat, den in Artikel 3 ausdrücklich aufgeführten und in der Präambel bekräftigten Hauptzweck dieses Rahmenbeschlusses darstellt, und in der Überzeugung, dass es aufgrund des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten nicht der Einführung zusätzlicher Versagungsgründe bedarf, die auf die Nichtvereinbarkeit der Anerkennung des Urteils mit dem Zweck der sozialen Wiedereingliederung abstellen, betont der Rat, dass der Zweck der sozialen Wiedereingliederung für den Ausstellungsstaat bei jeder Entscheidung darüber, ob dem Vollstreckungsstaat das Urteil und die Bescheinigung zu übermitteln sind, ein erstrangiges Kriterium darstellen sollte.“, 15137/1/08, REV 1, COPEN 206.

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II. Art und Umfang der anzuerkennenden Sanktion Einschränkungen in der Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes können in Fällen der Unvereinbarkeit der verhängten Sanktion mit den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats notwendig sein. Das Spektrum der Unterschiede in diesem Bereich verdeutlichen die im Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der EU847 veröffentlichten Untersuchungsergebnisse. Die analysierten Strafrechtssysteme von 15 Mitgliedstaaten weisen Differenzen sowohl im Hinblick auf die Zulässigkeit des lebenslangen Freiheitsentzugs848 als auch im Hinblick auf das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe auf.849 Noch gravierender sind die Unterschiede im Bereich der sog. alternativen Sanktionen, die weder eine Freiheitsstrafe (oder eine Form der Vollstreckung einer solchen Strafe) noch eine Geldstrafe, Einziehung oder Aberkennung von Rechten betreffen.850 Differenzen ergeben sich hier sowohl im Hinblick auf die strafrechtliche Einordnung als auch auf Funktion, Inhalt und Schwere sowie geeignete Kontrollinstanzen.851 . 1. Anpassungsmöglichkeiten Bisherige Lösungen räumten dem Vollstreckungsstaat die Wahl ein, im Urteilsstaat verhängte Sanktionen zu vollstrecken, sie anzupassen oder in eine in diesem Staat für dieselbe Tat vorgesehene Sanktion umzuwandeln.852 Die traditionellen Möglichkeiten der Änderung von zu vollstreckenden Strafen wurden auf EUEbene im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der gegenseitigen An847

KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. Lebenslanger Freiheitsentzug ist in Spanien und Portugal nicht vorgesehen, in England kann eine „mehrmalige“ lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden (vgl. Urteil des polnischen Obersten Gerichtshofs zur Zulässigkeit der Anpassung einer doppelten lebenslangen Strafe – I KZP 30/08 v. 3. 3. 2009). 849 Die Obergrenze liegt in Deutschland und Polen bei 15 Jahren, in Österreich bei 20 Jahren und in Belgien bei 30 Jahren. 850 Die Kommission lehnt den Definitionsvorschlag an den Terminus „community sanctions“ im Anhang der Empfehlung Nr. R (92) 16 des Ministerkomitees des Europarats zu den Europäischen Grundsätzen über nicht im Gefängnis zu vollziehende Strafen und Maßnahmen; vgl. auch die Liste der alternativen Sanktionen und Maßnahmen der Empfehlung Nr. R (2000) 22 des Ministerkomitees des Europarats über die Verbesserung der Umsetzung der europäischen Grundsätze über nicht im Gefängnis zu vollziehende Sanktionen und Maßnahmen v. 29. 11. 2000 sowie der Entschließung Nr. (76) 10 des Ministerkomitees des Europarats zu bestimmten strafrechtlichen Maßnahmen als Ersatz für freiheitsentziehende Strafen v. 9. 3. 1976; zit. nach KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. 851 Als Hauptstrafe, Nebenstrafe oder Nebenfolge der Hauptstrafe; dazu KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004 mit Beispielen aus den Rechtsordnungen gewählter Mitgliedstaaten. 852 Vgl. Bartsch, Strafvollstreckung im Heimatstaat – Zu einem neuen Übereinkommen des Europarats, NJW 1984, S. 516. 848

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erkennung in Frage gestellt.853 Auch die gesammelten Erfahrungen auf dem Gebiet verdeutlichen, dass die Umwandlung der verhängten Sanktion unter dem Gesichtspunkt der effektiven Vollstreckungshilfe nicht unbedenklich ist, insbesondere wenn dadurch die Schwere der Bestrafung gravierend verändert wird.854 Um dies zu vermeiden, wurden in den geltenden Rahmenbeschlüssen die Anpassungsmöglichkeiten teilweise weitgehend eingeschränkt und für involvierte Behörden (Gerichte)855 im Rahmen der Konsultationen die Möglichkeit856 bzw. Pflicht857 zur Suche nach einer konsensuellen Lösung hinsichtlich der Vollstreckungsbedingungen858 vorgesehen. Auf diese Weise können beide Parteien in bestimmten Fällen den Umfang der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung mitbestimmen859 und dem Scheitern der Vollstreckungshilfe860 vorbeugen. Im Hinblick auf die Anpassungsmöglich853

KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004, S. 71. Dies verdeutlicht das Beispiel aus der deutsch-niederländischen Rechtshilfepraxis: Die Niederlande lehnten Vollstreckungsüberstellung bei Betäubungsmittelstraftaten ab, weil die in der BRD verhängte Strafe unangemessen hoch sei; damit die Strafe nicht zu niedrig in den Niederlanden ausfiele, stimmte die BRD dem Umwandlungsverfahren nicht zu, was zum Scheitern der Überstellung führte; zit. nach Ahlbrecht/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 967. 855 Kritisch zur Wortwahl („Behörden“) Morgenstern im Hinblick auf den Richtervorbehalt aus Art. 5 EMRK, Strafvollstreckung im Heimatstaat – der geplante EU-Rahmenbeschluss zur transnationalen Vollstreckung von Freiheitsstrafen, ZIS 2008, S. 81 m.w.N. 856 Vgl. Art. 15 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen; Art. 10 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU; vgl. auch Art. 7 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, wonach die involvierten Behörden vereinbaren können, dass die Einziehung im Vollstreckungsstaat in Form eines zu bezahlenden Geldbetrags, der dem Wert des Vermögensgegenstands entspricht, erfolgen kann. 857 Vgl. Art. 7 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen; vgl. auch Addendum zur Initiative der deutschen und der französischen Delegation v. 15. 1. 2007 betreffend den Entwurf des Rahmenbeschlusses über die Anerkennung und Überwachung von Bewährungsstrafen und alternativen Sanktionen, 5325/07 ADD 1, COPEN 7. 858 Z. B. in Fällen teilweiser Anerkennung des Urteils und teilweiser Vollstreckung der Sanktion bei fehlender beiderseitigen Strafbarkeit bei manchen vom Urteil mitumfassten Verhalten; vgl. Addendum zur Initiative der österreichischen, der finnischen und der schwedischen Delegation v. 24. 1. 2005 betreffend den Entwurf eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Europäische Vollstreckungsanordnung und die Überstellung verurteilter Personen zwischen den Mitgliedstaaten der EU, 5597/05, ADD 1, COPEN 13. 859 Vgl. Art. 10 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU. 860 Durch Zurückziehung der Bescheinigung nach Art. 9 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und 854

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keiten sind, ungeachtet festgestellter Unterschiede,861 die Regelungen bei Geldstrafen bzw. Geldbußen am rigorosesten. Hier ist eine Änderung des Geldbetrages auf das nach innerstaatlichem Recht für Handlungen derselben Art vorgesehene Höchstmaß auf Fälle eingeschränkt worden, wenn die der Entscheidung zugrunde liegenden Handlungen nicht im Hoheitsgebiet des Entscheidungsstaats erfolgten und die Handlungen unter die Gerichtsbarkeit des Vollstreckungsstaates fallen.862 Bei freiheitsentziehenden Strafen oder Maßnahmen sowie Bewährungsmaßnahmen oder alternativen Sanktionen wurden Ausnahmen von der Anerkennungspflicht nur bei Unvereinbarkeit der Dauer oder Art der verhängten Sanktion mit dem Recht des Vollstreckungsstaats vorgesehen. In solchen Fällen kann bei freiheitsentziehenden Strafen oder Maßnahmen, welche die für vergleichbare Straftaten im Recht des Vollstreckungsstaates vorgesehene Höchststrafe überschreiten, ihre Dauer reduziert werden.863 So dürfte beispielsweise die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats die Sanktion an das nach innerstaatlichem Recht für eine vergleichbare Straftat vorgesehene Höchstmaß anpassen, wenn im Ausstellungsstaat eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wurde und eine solche Strafe mit den Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsstaats nicht vereinbar ist.864 Bei Sanktionen, die nach ihrer Art mit dem Recht des Vollstreckungsstaats nicht vereinbar sind, kann eine Umwandlung in eine für vergleichbare Straftaten vorgesehene Strafe oder Maßnahme stattfinden. Diese Strafe oder Maßnahme muss so weit wie möglich der im Ausstellungsstaat verhängten Sanktion entsprechen (weshalb deren Umwandlung in eine Geldstrafe ausgeschlossen wurde) und darf die im Ausstellungsstaat verhängte Sanktion nicht verschärfen (Verbot reformationis in peius).865. alternativen Sanktionen; ähnlich Art. 13 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU. 861 Insbesondere bei der Höchstanzahl der Tagessätze (zwischen 150 in Schweden und 730 in Spanien) sowie deren maximalen Tagessatzhöhe (zwischen 60 EUR in Griechenland und bis zu 5000 EUR in Deutschland); angemerkt sei, dass einige Mitgliedstaaten (Belgien, Luxemburg, die Niederlande, das Vereinigte Königreich und Italien) auch das klassische Summensystem anwenden; ausführlich dazu KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. 862 Art. 8 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen. 863 Art. 8 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU. 864 Addendum zur Initiative der österreichischen, der finnischen und der schwedischen Delegation v. 24. 1. 2005 betreffend den Entwurf eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Europäische Vollstreckungsanordnung und die Überstellung verurteilter Personen zwischen den Mitgliedstaaten der EU, 5597/05, ADD 1, COPEN 13. 865 Ähnliches gilt für die Anpassung der Art und Dauer von Bewährungsmaßnahmen, alternativen Sanktionen oder der bestehenden Dauer der Bewährungszeit (d. h. dem Zeitraum der bedingten Aussetzung des Urteils oder dem Zeitraum der bedingten Entlassung), die so weit wie möglich den im Ausstellungsstaat verhängten entsprechen sollen und nicht die für entspre-

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Zu begrüßen ist die Erstreckung dieser Anpassungsregel auf den EuHbRb.866 Die lapidare Bestimmung in Art. 5 Abs. 3 EuHbRb867 und die Kommissionseinwände gegenüber Mitgliedstaaten, die ein Anpassungsverfahren vorgesehen haben,868 könnten den Eindruck erwecken, dass die im Ausstellungsstaat verhängte Strafe nach Rücküberstellung „1:1“ zu vollstrecken wäre.869 Sollten die Mitgliedstaaten auf die Prüfung beiderseitiger Strafbarkeit auch bei aufgezählten Deliktsgruppen verzichten,870 stellt sich jedoch die Frage, ob und eventuell wie die Umwandlung einer ausländischen Sanktion für ein Verhalten, das nach dem Recht des Vollstreckungsstaates nicht strafbar ist, erfolgen soll. Insbesondere im Bereich der sog. qualifizierten Straflosigkeit871 bestehen Zweifel, ob aus verfassungs- oder wesentlichen kriminalpolitischen Gründen die Vollstreckung, sei es einer fingierten Strafe wie beispielsweise im IRG beim EuHb872 oder der im Ausstellungsstaat verhängten bzw. (soweit überhaupt möglich) die an eine vergleichbare Straftat angelehnte Strafe, in Frage kommt.873 chende Straftaten nach dem Recht des Vollstreckungsstaats vorgesehenen Höchstdauern unterschreiten dürfen; Art. 9 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen. 866 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 12 und Art. 25 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU. 867 „Ist die Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung ergangen ist, Staatsangehöriger des Vollstreckungsmitgliedstaats oder in diesem wohnhaft, so kann die Übergabe davon abhängig gemacht werden, dass die betreffende Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in den Vollstreckungsmitgliedstaat rücküberstellt wird.“ 868 Vgl. Commission staff working document – Annex to the Report from the Commission based on Article 34 of the Council Framework Decision of 13 June 2002 on the European arrest warrant and the surrender procedures between Member States (revised version), SEK(2006) 79 v. 24. 1. 2006. 869 So beispielsweise hat der polnische Gesetzgeber kein Exequaturverfahren vorgesehen, am 3. 3. 2009 hat der polnische Oberste Gerichtshof (I KZP 30/08) bestätigt, dass aufgrund dieses „Übereifers des Gesetzgebers“ die gegen einen polnischen Staatsangehörigen im Vereinigten Königreich verhängte (doppelte!) lebenslange Freiheitsstrafe für Vergewaltigung und schwere Körperverletzung, wofür das plStGB maximal 12 Jahre Freiheitsstrafe vorsieht, als lebenslange Freiheitsstrafe vollstreckt werden soll. 870 Im Gegensatz zu früheren Rahmenbeschlüssen (z. B. EuHbRb) ist jeder Mitgliedstaat befugt, in einer dem Generalsekretariat des Rates notifizierten Erklärung mitzuteilen, dass er an der Prüfung beiderseitiger Strafbarkeit festhalten wird (vgl. Art. 7 Abs. 4 und Art. 9 Abs. 1 lit. d des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU). 871 Dazu unter § 7 I. und III. 872 Vgl. § 80 Abs. 4 S. 1 IRG; zum Problem der Nichtrücküberstellung zur Strafvollstreckung bei fehlender Strafbarkeit im Inland beim ersten Umsetzungsgesetz vgl. Grützner/Pötz/ Kreß-Böse, § 80, Rn. 31 ff. m.w.N.

§ 11 Gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen

271

Unklar bleibt auch, ob und ggf. welche „Orientierungshilfen“ bei der Suche nach einer gleichwertigen „alternativen“ Sanktion vorgesehen werden sollten. Ein Vorschlag hierzu besteht in einem „funktionalen Vergleich“ anhand einer Unterteilung in „funktionale Kategorien“ von (alternativen) Strafen oder Maßnahmen.874 Anhand einer solchen „Matrix“ könnten im Vollstreckungsstaat bei der Umwandlung in eine funktional vergleichbare Sanktion sowohl die Funktion als auch das Ziel der verhängten Sanktion besser eingeschätzt und berücksichtigt werden. Problematisch bleiben jedoch zum einen Fälle, in denen im Vollstreckungsstaat eine entsprechende funktionale Kategorie fehlt. Aufgrund teilweise gravierender Unterschiede liegen zum anderen die Schwächen des Vorschlags in den quantitativen Kriterien, wie Strenge oder Schwere einer Sanktion.875 2. Änderungen nach der Vollstreckungsübernahme An die Art und Höhe der verhängten Sanktion knüpft in der Regel die Möglichkeit der Strafaussetzung, bedingter oder vorzeitiger Haftentlassung bzw. Anordnung einer Ersatzstrafe an. Auch bei diesen Regelungen lassen sich teilweise gravierende Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf rechtliche Konstruktion (z. B. Automatismus), Entscheidungsbefugnis oder Voraussetzungen feststellen.876 Das Ergebnis gegenseitiger Anerkennung könnte u. U. vereitelt werden, wenn beispielsweise aufgrund innerstaatlicher Regelung der vorzeitigen Entlassung ein Verurteilter unmittelbar nach seiner Überstellung in den ersuchten Staat freigelassen werden müsste. Andererseits können auch Fälle auftreten, in denen die Nichtberücksichtigung einer im Ausstellungsstaat in die Strafe „einkalkulierten“ vorzeitigen Entlassung aus der

873

In den Erläuterungen zum Rahmenbeschlussvorschlag wurde nur angedeutet, dass bei teilweiser Verweigerung der Vollstreckung wegen fehlender beiderseitiger Strafbarkeit „die Sanktion nicht aus Eigenem“ angepasst werden darf. „Vielmehr ist die zuständige Behörde des Ausstellungsstaats entsprechend in Kenntnis zu setzen und um eine Mitteilung zu ersuchen, welcher Teil der Sanktion auf die von der Ablehnung erfassten Handlungen entfällt. Erst nach Erhalt dieser Information kann die Sanktion um den vom Ausstellungsstaat bekannt gegebenen Teil herabgesetzt werden.“; 5597/05 ADD 1, COPEN 13 v. 22. 4. 2005. 874 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg in seiner von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie über die „Anerkennung alternativer Sanktionen in der Europäischen Union“ vom Dezember 2001; zit. nach KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. 875 Die Schwierigkeiten einer quantitativen Klassifizierung nach dem US-amerikanischen Modell der „Sentencing Guidelines“ setzt eine in der EU nicht vorhandene bestimmte Einheitlichkeit der alternativen Strafen; KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004 m.w.N. 876 Insbesondere im Hinblick auf bedingte Haftentlassung bei lebenslangem Freiheitsentzug (z. B. mindestens 10 Jahre in Belgien, 15 Jahre in Deutschland, 20 Jahre in Irland, bis zu 30 Jahre in Frankreich) und Möglichkeiten vorzeitiger Entlassung bei zeitigen Freiheitsstrafen (nach Verbüßung eines Drittels der Haftzeit in Belgien, von zwei Dritteln der Haftzeit in Dänemark und Deutschland oder drei Vierteln der Haftzeit in Spanien); Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 732.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

Strafhaft zu übermäßiger Schwere führen kann,877 was ggf. einen Verstoß gegen Art. 5 EMRK begründen könnte.878 In den im Grünbuch879 vorgestellten Vorschlägen wird u. a. die Festlegung einer Mindestfrist diskutiert, während der ein Verurteilter seine Strafe im Urteilsstaat weiter verbüßt880 oder die Bestimmung eines Zeitraumes von „bestimmter Dauer“, die „mit den Zielen des Urteils im Einklang steht“881. In der Literatur und Rechtsprechung wird dabei auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Abweichungen nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung zugunsten des Verurteilten hingewiesen.882 Zur Gewährleistung einer flexiblen Lösung erscheint es vorzugswürdig, von der allgemeinen Regel – nach welcher der Vollzug und ggf. die Aussetzung der verhängten Sanktion sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaats richten (vgl. Art. 9 Abs. 3 ÜberstÜbk) – Ausnahmen vorzusehen, so dass auch in der Phase des Strafvollzugs bestimmte Regelungen des Urteilsstaates ggf. gegenseitig anerkannt und berücksichtigt werden könnten. Ein solcher „Regel-Ausnahme-Mechanismus“ wird zur Umsetzung in den Mitgliedstaaten in geltenden Rahmenbeschlüssen vorgeschlagen: Bei freiheitsentziehenden Strafen oder Maßnahmen richtet sich die Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats.883 Dank des vorgesehenen Informationstransfers kann jedoch die Entscheidung im Ausstellungsstaat bezüglich der Überstellung in Kenntnis über die für eine etwaige vorzeitige oder bedingte Entlassung geltenden Bestimmungen des Vollstreckungsstaats getroffen werden. Es ist des Weiteren möglich, dass bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses ins nationale Recht Regelungen vor877 So wird gerade in Polen ein britisches Urteil (lebenslange Freiheitsstrafe) vollstreckt, bei dem, trotz anderer Bestimmungen des plStGB die erste Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung („parole“), nach Anordnung des Crown Court, nach 9 zwingend zu verbüßenden Jahren (sog. „tariff“) geprüft wird (nach Art. 78 § 3 plStGB erst nach 25 Jahren); dazu ein bestätigendes Urteil des polnischen Obersten Gerichtshofs v. 3. 3. 2009 (I KZP 30/08). 878 Vgl. EGMR-Entscheidung v. 15. 3. 2005, Appl. No. 38704/03 (Veermäe against Finland) mit dem Hinweis, dass eine erheblich längere („flagrantly longer“) Verbüßungszeit im Vollstreckungsstaat die Prüfung des Verstoßes gegen Art. 5 EMRK begründen könnte; zit. nach Morgenstern, Strafvollstreckung im Heimatstaat – der geplante EU-Rahmenbeschluss zur transnationalen Vollstreckung von Freiheitsstrafen, ZIS 2008, S. 81. 879 Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. 880 Z. B. 50 % der verhängten Strafe – so die Empfehlung des Europarats v. 27. 6. 2001, 1527 (2001) über die Funktionsweise des Übereinkommens des Europarates über die Überstellung verurteilter Personen; so auch Art. 29 Abs. 4 des Entwurfs einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der Europäischen Union, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 45. 881 Stellungnahme v. 22. 1. 2003 des Sachverständigenausschusses über die Funktionsweise der europäischen Übereinkommen im Bereich des Strafrechts; zit. nach KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. 882 Vgl. IRG-Kommentar-Gleß/Hackner/Lagodny/Schomburg, Einleitung, Rn. 106 ff. m.w.N.; OLG Köln, Beschluss v. 15. 6. 2007, 2 Ws 272/07. 883 Art. 17 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU.

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gesehen werden, wonach bei der Entscheidung über die vorzeitige oder bedingte Entlassung die vom Ausstellungsstaat angegebenen Bestimmungen (wie der Zeitpunkt eines Anspruchs auf vorzeitige oder bedingte Entlassung) berücksichtigt werden. Offen bleibt, ob der „Informationsaustausch“ zwischen den Mitgliedstaaten auch das Spektrum an Vollstreckungsmodalitäten884 und Unterschiede in Vollzugsbedingungen mitumfassen kann.885 Auch für die Folgeentscheidungen im Zusammenhang mit einer Bewährungsstrafe, einer bedingten Entlassung, einer bedingten Verurteilung und einer alternativen Sanktion886 ist grundsätzlich das Recht des Vollstreckungsstaates maßgeblich.887 Ähnlich wie bei freiheitsentziehenden Strafen oder Maßnahmen können die Mitgliedstaaten während der Umsetzung über den Umfang ihrer Zuständigkeit als Vollstreckungsstaat bei Folgeentscheidungen weitgehend selbst bestimmen.888 Bei Geldstrafen kann, soweit in den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats vorgesehen, eine Ersatzstrafe889 angeordnet werden, wenn die übernommene Entscheidung entweder ganz oder teilweise nicht vollstreckt werden kann. Für die Bestimmung des Strafmaßes ist das Recht des Vollstreckungsstaats maßgeblich, wobei das vom Vollstreckungsstaat angegebene Höchststrafmaß nicht überschritten werden darf.890 Die Regel, wonach das Recht des Vollstreckungsstaats für die Vollstreckung maßgeblich ist, betrifft auch die Einziehungsentscheidung. Dabei darf jedoch die

884

Von der weit verbreiteten Strafaussetzung, über elektronische Überwachung, bis zur Aussetzung/Aufschub der Strafverkündung, offenem Vollzug, fraktioniertem Strafvollzug oder Hausarrest. 885 Vgl. den Einwand von Morgenstern, dass z. B. der deutsche Richter die Umstände des Vollzugs für die Strafzumessungsentscheidung berücksichtigen muss, in: Strafvollstreckung im Heimatstaat – der geplante EU-Rahmenbeschluss zur transnationalen Vollstreckung von Freiheitsstrafen, ZIS 2008, S. 81. 886 Darunter fallen insbesondere Änderungen von Auflagen oder Weisungen oder die Änderung der Dauer der Bewährungszeit, der Widerruf der Vollstreckungsaussetzung oder der bedingten Entlassung und die Verhängung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßnahme im Falle einer alternativen Sanktion oder bedingten Verurteilung. 887 Art. 14 Abs. 1 und 2 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen. 888 Vgl. Art. 14 Abs. 3. des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen. 889 In der Regel erfolgt die Umwandlung der Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe. Es kann jedoch auch gemeinnützige Arbeit (Estland) vorkommen. In einigen Mitgliedstaaten (Finnland, Frankreich) wurden keine Ersatzstrafen vorgesehen; vgl. Bericht der Kommission über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, KOM(2008) 888 v. 22. 12. 2008. 890 Art. 10 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen.

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Nichtanerkennung strafrechtlicher Verantwortlichkeit juristischer Personen891 nicht als Vollstreckungshindernis geltend gemacht oder (ohne Zustimmung des Entscheidungsstaates) eine alternative Maßnahme zur Einziehungsentscheidung (wie z. B. Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt werden.892 Abschließend ist noch anzumerken, dass während jeder Vollstreckung sowohl der Entscheidungsstaat als auch der Vollstreckungsstaat Amnestie oder Begnadigung gewähren können. Eine eventuelle Überprüfung der verhängten Sanktion wurde in jedem Fall dem Entscheidungsstaat vorbehalten.893

III. Grundsatz ne bis in idem Eine der wichtigsten Ausprägungen des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung und zugleich „Gradmesser und Katalysator der strafrechtlichen Integration“894 ist der ne-bis-in-idem-Grundsatz. Die Gewährleistung des Strafklageverbrauchs setzt die Anerkennung von ausländischen Urteilen als gültig und verbindlich voraus. Mittelbar bedeutet dies die Anerkennung der Verkehrsfähigkeit rechtskräftiger Judikate.895 Am umfangreichsten ist die Gewährleistung des Grundsatzes ne bis in idem auf nationaler Ebene (vertikale Anwendung).896 Dieses Ergebnis lässt sich u. a. auf die Anforderungen internationaler Rechtsakte wie Art. 14 Absatz 7 IPBPR und Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK, die auf innerstaatliche Geltung des Prinzips abstellen, zurückführen.897 Eine transnationale Dimension (horizontale Anwendung) 891 Dies trotz des umstrittenen Charakters dieser Haftung (societas delinquere non potest) und obwohl erhebliche Unterschiede bei den Sanktionen gegen juristische Personen zwischen den Mitgliedstaaten festgestellt wurden; vgl. KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. 892 Artikel 12 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen. 893 Art. 11 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen; Art. 13 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen; Art. 19 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU; Art. 19 des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen. 894 Zit. nach Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 119 m.w.N. 895 Vgl. Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 2004, S. 362. 896 Ein Überblick zur innerstaatlichen Geltung des Prinzips im Recht in ausgewählten Mitgliedstaaten bei Radtke/Busch, Transnationaler Strafklageverbrauch in der Europäischen Union, NStZ 2003, S. 281 f.; Dannecker, Die Garantie des Grundsatzes „ne bis in idem“ in Europa, in: Hirsch/Wolter/Brauns (Hrsg.), FS Kohlmann, S. 597 ff.; für Deutschland vgl. Art. 103 Abs. 3 GG, 153c Abs. 2 StPO, 51 Abs. 3 und 4 S. 2 StGB. 897 Dazu Rafaraci, Procedural Safeguards and the Principle of Ne Bis In Idem in the European Union, in: Bassiouni/Militello/Satzger (Hrsg.), European Cooperation in Penal Matters:

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275

des Strafklageverbrauchs zwischen den Mitgliedstaaten wird durch Art. 54 ff. SDÜ garantiert, die weitgehend den Regelungen des Übereinkommens von 1987 zwischen den Mitgliedstaaten der EG über das Verbot der doppelten Strafverfolgung entsprechen.898 Auf die Regelungen des SDÜ bezieht sich die Grundrechtscharta in Art. 50, wodurch die Bedeutung des Grundsatzes ne bis in idem als Grundrecht unterstrichen wird.899 Seine Einhaltung wird des Weiteren durch den entsprechenden in Rahmenbeschlüssen enthaltenen Verweigerungsgrund von Rechtshilfehandlungen gefördert.900 So wird beispielsweise der gegenseitigen Anerkennung europäischer Haftbefehle eine Grenze beim Vorliegen einer auf dem EU-Gebiet ergangenen Aburteilung gesetzt (Art. 3 Nr. 2 EuHbRb). Kritisch ist anzumerken, dass dieser Verweigerungsgrund in letzteren Rahmenbeschlüssen einen lediglich fakultativen Charakter hat.901 Die EU-weite Gewährleistung der Einmaligkeit des Verfahrens ist schließlich Gegenstand auch weiterer Initiativen902, deren Umsetzung im europäischen Kooperationskonzept zur Stärkung des ne bis in idem-Grundsatzes und seiner Verfestigung als „verfahrensrechtlicher Integrationsmotor“903 beitragen könnte. Die Durchsetzung des Anerkennungsgrundsatzes soll die bereits funktionierenden Instrumente wie den erwähnten Art. 54 SDÜ ergänzen und weiterentwickeln.904 Die im Maßnahmenprogramm des Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen vorgesehene ÜberIssues and Perspectives, S. 381 m.w.N.; Dannecker, Die Garantie des Grundsatzes „ne bis in idem“ in Europa, in: Hirsch/Wolter/Brauns (Hrsg.), FS Kohlmann, S. 596. 898 Es kommt zwischen der BRD und weiteren 8 Staaten zur Anwendung (BGBL. II. 2002, S. 600); Art. 54 SDÜ wird auch als erste auf einem Übereinkommen basierende Klausel der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen angesehen, Fichera/Janssens, Mutual recognition of judicial decisions in criminal matters and the role of the national judge, ERA Forum 2007, S. 182 m.w.N. 899 Dazu Dannecker, Die Garantie des Grundsatzes „ne bis in idem“ in Europa, in: Hirsch/ Wolter/Brauns (Hrsg.), FS Kohlmann, S. 611 ff. 900 Vgl. Bezug nehmend auf den EuHbRb Vervaele, The transnational ne bis in idem principle in the EU Mutual recognition and equivalent protection of human rights, ULRev. 2005, S. 116; vgl. auch Morn Martnez, La decisin marco de 22 de julio de 2003 relativa a la ejecucin en la UE de las resoluciones de embargo preventivo de bienes aseguramiento de pruebas, in: Moreno/Arroyo Zapatero (Hrsg.), La prueba en el espacio europeo de libertad, seguridad y justicia penal, S. 70. 901 Z. B. Art. 9 Abs. 1 lit. c des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU; Art. 11 Abs. 1 lit. c des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen. 902 Z. B. die Initiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des ne-bis-in-idem-Prinzips, ABl. C 100 v. 26. 4. 2003, S. 24. 903 Lagodny, Auslieferung und Überstellung deutscher Staatsangehöriger, ZRP 2000, S. 176. 904 So auch Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, S. 148 m.w.N.

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arbeitung geltender Normen „im Lichte einer uneingeschränkten Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung“905, ist jedoch bislang ohne greifbare Ergebnisse geblieben. Der Grund dafür wird von der Kommission in der mangelnden Einigkeit zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich des Umfangs und der Reichweite eines grenzüberschreitenden ne bis in idem lokalisiert.906 Dies mag auf den ersten Blick verwundern, da in der „großzügigen“907 Rechtsprechung des EuGH zu Art. 54 SDÜ die Grenzen der Anerkennungspflicht im Hinblick auf in Vertragsstaaten ergangene Judikate mit der Folge des Strafklageverbrauchs bereits punktuell markiert worden sind. Abgesehen von Verurteilungen (darunter auch zu Bewährungsstrafen908 oder aus verfahrensrechtlichen Gründen nie vollstreckbaren Strafen909) tritt die Sperrwirkung auch bei Freisprüchen selbst mangels Beweises910 oder wegen Eintritts der Verjährung911 ein. Für ausreichend hält der EuGH ebenfalls die Festsetzung einer Geldstrafe durch die Staatsanwaltschaft oder eine Verwaltungsbehörde. Zum Strafklageverbrauch können somit Verfahren führen, in denen die Staatsanwaltschaft ohne Mitwirkung eines Gerichts ein eingeleitetes Strafverfahren einstellt, und lediglich Erfüllung bestimmter Auflagen und Zahlung eines festgesetzten Geldbetrages („Vergleichsverfahren“) fordert.912 Nach bereits wiederholter Rechtsprechung des EuGH ist auch klargestellt worden, dass beim Tatbegriff in Art 54 SDÜ auf autonome europarechtliche Auslegung und auf das Vorhandensein eines Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen unabhängig von ihrer rechtlichen Qualifizierung oder von dem geschützten rechtlichen Interesse abzustellen ist.913 Bei näherer Betrachtung und Berücksichtigung der Formenvielfalt aller in Frage kommenden verfahrensbeendigenden Entscheidungen außerhalb des förmlichen Urteils stellen sich jedoch immer noch zahlreiche Fragen, die der Einigung zur Reichweite eines grenzüberschreitenden ne bis in idem im Wege stehen können. Im Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren914 deutet die Kommission u. a. auf Diskussionsbedarf hinsichtlich der Bestimmung von

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Vgl. ABl. C 012 v. 15. 1. 2001, S. 13. Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren v. 23. 12. 2005, KOM(2005) 696. 907 So Heger, Die Auswirkungen des europäischen Doppelbestrafungsverbots auf die deutsche Strafrechtsprechung, HRRS 2008, S. 414. 908 EuGH-Urteil v. 18. 7. 2007, Rs. C-288/05 (Kretzinger). 909 EuGH-Urteil v. 11. 12. 2008, Rs. C-297/07 (Bourquain). 910 EuGH-Urteil v. 28. 9. 2006, Rs. C-150/05 (Van Straaten). 911 EuGH-Urteil v. 28. 9. 2006, Rs. C-467/04 (Gasparini). 912 EuGH-Urteil v. 11. 2. 2003, verbundene Rechtssachen 187/01 und 385/01 (Gözütok und Brügge). 913 EuGH-Urteil v. 9. 3. 2006, Rs. C-436/04 (Van Esbrock); EuGH-Urteil v. 18. 7. 2007, Rs. C-288/05 (Kretzinger); EuGH-Urteil v. 18. 7. 2007, Rs. C-367/05 (Kraaijenbrink); vgl. auch Bender, Der Transitschmuggel im europäischen „ne bis in idem“, wistra 2009, S. 178. 914 KOM(2005) 696 v. 23. 12. 2005. 906

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anerkennungspflichtigen Entscheidungen915 sowie begrifflicher Eingrenzung von „idem“ hin. Vor dem Hintergrund der Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes gilt auch die Beibehaltung des in Art. 54 SDÜ vorgesehenen Vollstreckungselements („bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann“) als fraglich.916 Schließlich wird im Grünbuch auch auf Klärungsbedarf hinsichtlich dessen hingewiesen, ob und eventuell welche Ausnahmen vom Grundsatz ne bis in idem (z. B. hinsichtlich des Begehungsortes, der Sicherheitsinteressen von Mitgliedstaaten oder Fälle, wenn die Tat von einem Bediensteten des Mitgliedstaats unter Verletzung seiner Amtspflichten begangen wurde) zugelassen werden sollten. Eine Abhilfe, die solche Ausnahmen erübrigen und zugleich das Konfliktpotenzial bei konkurrierenden Ansprüchen reduzieren könnte,917 stellt die Einführung einer ausgewogenen Zuständigkeitsregelung dar.918 Durch die Kombination einer umfangreichen Garantie ne bis in idem und einer Zuständigkeitsregelung könnte auch zum Abbau von Gründen für die Vollstreckungsverweigerung, wie dem Territorialitätsvorbehalt919, und somit zur Stärkung des Anerkennungskonzepts beigetragen werden. Zusammenfassend ist zu betonen, dass sich in der wirksamen Durchsetzung des Strafklageverbrauchs die positive Wirkung der gegenseitigen Anerkennung auf die Rechtsstellung von Betroffenen,920 die Stärkung der Rechtssicherheit innerhalb der Union und die Gewährleistung der Ausübung der Grundfreiheiten (Freizügigkeit)921 zeigt. Der Anerkennungsgrundsatz wirkt hier begrenzend auf die Strafverfolgung und

915 Eine klare Grenzenziehung kann u. a. bei Opportunitätsentscheidungen trotz der zu beachtenden Kriterien der materiellen Rechtskraft und einer sachlichen Prüfung des Geschehens (vgl. EuGH-Urteil v. 10. 3. 2005, Rs. C-469/03 (Miraglia) Probleme bereiten; vgl. Böhm/ Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 698 ff. m. w. Beispielen. 916 Dazu Heger, Die Auswirkungen des europäischen Doppelbestrafungsverbots auf die deutsche Strafrechtsprechung, HRRS 2008, S. 414 ff. 917 Die Auswirkungen eines solchen Konflikts verdeutlicht der „Dost-Fall“ (BGHSt 34, S. 334 ff.): Ein niederländischer Drogenhändler war aufgrund u. a. des Rauschgifthandels mit niederländischen und deutschen Staatsbürger in den Niederlanden 1981 zu 20 Wochen Freiheitsstrafe (Territorialitätsprinzip) und in Deutschland (Weltrechtsprinzip) später wegen derselben Tat zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Sehr kritische Reaktionen der Öffentlichkeit führten aufgrund dieses Verstoßes gegen den Grundsatz ne bis in idem zur Beeinträchtigung der Beziehungen zwischen Deutschland und den Niederlanden; dazu Jagla, Auf dem Weg zu einem zwischenstaatlichen ne bis in idem im Rahmen der Europäischen Union, S. 24 f.; vgl. auch Hecker, Europäisches Strafrecht, § 13, Rn. 6. 918 Dazu unter § 9. 919 Vgl. z. B. Art. 4 Abs.7 lit. a EuHbRb. 920 Kotzurek, Gegenseitige Anerkennung und Schutzgarantien bei der Europäischen Beweisordnung, ZIS 2006, S. 125 m.w.N.; vgl. auch von der Groeben/Schwarze-Wasmeier, Art. 31 EUV, Rn. 27; in Bezug auf Art. 54 SDÜ Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 2004, S. 362. 921 Dazu Heger, Die Auswirkungen des europäischen Doppelbestrafungsverbots auf die deutsche Strafrechtsprechung, HRRS 2008, S. 414.

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im Interesse von Beschuldigten und Verurteilten.922 Diese Begrenzung ist auch notwendig, um zu verhindern, dass die gesteigerte Effizienz der justiziellen Zusammenarbeit, die aus anderen Mitgliedstaaten erlangten Informationen und Perspektiven umfangreicher Unterstützung, zur Wiederaufnahme von den im EU-Ausland abgewickelten Strafverfahren missbraucht werden.923

IV. Kontumazialurteile 1. Problemaufriss Die Frage der Abwesenheitsurteile stellt sich im Anerkennungskonzept sowohl bei einer Überstellung zur Strafvollstreckung als auch bei der Übernahme der Strafvollstreckung. Dass dies nicht nur ein theoretisches Problem ist, bestätigt die Tatsache, dass Urteile in absentia im EMRK-Raum eine gängige Praxis u. a. in Frankreich924, Italien925, Belgien und in Griechenland926 sogar bei längeren Freiheitsstrafen sind.927 Dabei umfasst das fair-trial-Prinzip grundsätzlich auch das Anwesenheitsrecht des Angeklagten in der Verhandlung928 und erstreckt sich nicht nur auf die Hauptverhandlung sondern auch auf Rechtsmittelverfahren.929 Bezweckt wird damit u. a., dass das Gericht seine Überzeugung auf Grundlage der mündlichen Verhandlung aufbauen soll.930 Rechtliches Gehör gehört zu den elementaren Anforderun-

922 Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 2004, S. 364; Bezug nehmend auf das EuGH-Urteil in der Rs. C-187 und 385/01 (Gözütok und Brügge) Fichera/ Janssens, Mutual recognition of judicial decisions in criminal matters and the role of the national judge, ERA Forum 2007, S. 192; Klip spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem anderen Typ der gegenseitigen Anerkennung, European Criminal Law, S. 246. 923 Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, S. 118; als verpasste Chance wird sogar kritisiert, dass das „Können“ einer Strafvollstreckung (hier im Hinblick auf den EuHb) als nicht ausreichend für die Anforderungen von Art. 54 SDÜ vom EuGH (Urteil v. 18. 7. 2007, Rs. C-288/ 05 (Kretzinger) angesehen wurde, so Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 704, mit dem Argument, dass der EuGH die Verpflichtung zur Auslieferung (§ 79 Abs. 1 IRG) übersah. 924 Dazu Pfützner, Der Europäische Haftbefehl und seine Umsetzung in das französische Recht, eucrim 1 – 2/2006, S. 30. 925 Vgl. BGHSt 47, 120, 125. 926 Ein Überblick einschlägiger Regelungen in diesen Ländern bei Klitsch, Der neue EURahmenbeschluss zu Abwesenheitsverurteilungen – ein Appell zur Revision, ZIS 2009, S. 13 ff. 927 Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 676. 928 Blakesley/Lagodny, Competing National Laws: Network or Jungle?, in: Eser/Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, S. 47; EMRK/GG Konkordanzkommentar-Grabenwarter/Pabel, Kap. 14, Rn. 87. 929 EGMR-Urteil v. 21. 9. 1993, ApplNr. 12350/86 (Kremzow v. Austria); zit. nach Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 201. 930 Paul, Das Abwesenheitsverfahren als rechtsstaatliches Problem, S. 23.

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gen des Rechtsstaates931 und dient als Recht dem Angeklagten und der Allgemeinheit.932 Eine Verurteilung in Abwesenheit kann sowohl gegen EMRK als auch gegen nationale Verfassungs- und Strafverfahrensstandards verstoßen.933 Die Anwesenheitspflicht des Angeklagten kann aber andererseits ein Hindernis für eine funktionstüchtige und effektive Rechtspflege darstellen.934 Für eine Vollstreckungsübernahme spricht meistens auch das Resozialisierungsinteresse des Verurteilten.935 Die Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils ist daher nicht von vornherein abzulehnen, sondern ihre Ablehnung vielmehr in solchen Fällen in Erwägung zu ziehen, bei denen der Verfolgte keine Kenntnis von der Durchführung und dem Abschluss des gegen ihn geführten Verfahrens hatte und nachträgliches Gehör936 sowie wirksame Verteidigung ausbleiben,937 wobei Fälle willentlicher Entziehung (sog. Fluchtfälle oder das sog. „Ausbleiben“ des Angeklagten) ausgenommen sind.938 Die Regelung der Frage der Abwesenheitsurteile in verschiedenen Rahmenbeschlüssen zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung ist auf Kritik gestoßen. Einwände betrafen uneinheitliche Regelungen, die zur Erschwerung 931 Ausführlich und mit Beispielen bezogen auf Art. 103 Abs. 1 GG: Schmidt, Die Rechtsprechung zum Recht der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen seit dem Jahr 2000, NStZRR 2005, S. 165. 932 Paul, Das Abwesenheitsverfahren als rechtsstaatliches Problem, S. 8 f. 933 Blakesley/Lagodny, Competing National Laws: Network or Jungle?, in: Eser/Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures for a New Transnational Criminal Law, S. 47. 934 Strenge Anforderungen an die Anwesenheitspflicht kennt u. a. die deutsche und die österreichische StPO, dagegen stellen englische und französische Regelungen nur eine relative Verpflichtung des Angeklagten auf, zu seiner Verhandlung zu erscheinen: bei Fällen von schweren Vergehen vor den crown courts bzw. den cours d’assises, nach Paul, Das Abwesenheitsverfahren als rechtsstaatliches Problem, S. 285; differenzierter im Hinblick auf das Anwesenheitsprinzip in Deutschland Hauck, EU-Rahmenbeschluss zur Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen, JR 2009, S. 145. 935 So im Entwurf einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der EU, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 40; dazu auch unter § 11 I. 3. 936 Im Hinblick auf die Gewährung eines Nachverfahrens genügen grundsätzlich Abwesenheitsurteile aus Frankreich (Rechtsbehelf der „oppostition“) im Gegensatz zu den Urteilen aus den Niederlanden (Rechtsbehelf des „verzet“) und aus Italien (Wiedereinsetzung nach Art. 177 CPP); bei griechischen Abwesenheitsurteilen unterscheidet die Rechtsprechung bei der Prüfung von Anforderungen auf ein ausreichendes Nachverfahren und verneint es bei Vergehen (OLG Stuttgart, StV 1999, S. 263), bejaht aber bei Verbrechen (OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1996, S. 30); zit. nach Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 684. 937 Vgl. Rechtsprechungsangaben bei Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 202 ff. und Paul, Das Abwesenheitsverfahren als rechtsstaatliches Problem, S. 285. 938 OLG Stuttgart, Beschluss v. 9. 1. 2008, 3. Ausl. 134/07: Ein „Fluchtfall“ im Sinne von § 83 Nr. 3 IRG setzt voraus, dass der Verfolgte sich bewusst dem Verfahren entzieht, um eine Strafverfolgung zu vereiteln. Ein bloßer Wechsel des Aufenthaltsorts innerhalb der EU genügt hier nicht; zur Kritik an der Gerichtspraxis bei Annahme von Fluchtfällen vgl. Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 835 ff.

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der Arbeit der Praktiker und Behinderung der justiziellen Zusammenarbeit führen.939 Zum anderen wurde kritisiert, dass die Lösung dieser Problematik in der Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU zum Teil unter den derzeit geltenden Rechtsschutzstandards lag940 (so z. B. im Hinblick auf reines Antragsrecht und mangelndes ausdrückliches Recht auf ein erneutes Verfahren941 und fehlende Anforderungen an eine Benachrichtigung942). Im Hinblick auf die dargestellten Kritikpunkte ist die Regelung des österreichischen Umsetzungsgesetzes des EuHbRb hervorzuheben. Danach ist die Übergabe zulässig, wenn der Betroffene persönlich geladen wurde oder wenn eine sonstige Unterrichtung konform mit Art. 6 EMRK erfolgte (§ 11 Z 1 EU-JZG). Nach § 11 Z 3 Eu-JZG reicht eine einfache Zusicherung der Wiederaufnahmemöglichkeit nicht – es muss versichert werden, dass dem Antrag auf erneutes Verfahren ohne Anführung weiterer Gründe stattgegeben wird.943 Im Gegensatz hierzu lassen § 83 Nr. 3 IRG, Art. 5 Nr. 1 EuHbRb die Frage der Anforderungen an Abwesenheitsurteile zum Teil offen, was in Ausnahmefällen durch Heranziehung vom § 73 S. 2 IRG kompensiert werden kann.944 2. Aktuelle Entwicklungen Angesichts der Gefahr einer Verletzung des Anwesenheitsrechtes und des Risikos divergierender Standards bedarf es eines kohärenten Konzepts für die Anerkennung von Abwesenheitsurteilen. Um zu vermeiden, dass Mitgliedstaaten „im Alleingang“ die Kriterien zur Verweigerung einer Überstellung zur Strafvollstreckung oder der Übernahme der Strafvollstreckung schaffen, wenn das dem Ersuchen zugrunde liegende Urteil in Abwesenheit erging, ist eine einheitliche Regelung auf EU-Ebene notwendig.945

939 Vgl. Erwägungsgründe in der Initiative mehrerer Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen; ABl. C 52 v. 26. 2. 2008, S. 1 ff.; Klitsch, Der neue EU-Rahmenbeschluss zu Abwesenheitsverurteilungen – ein Appell zur Revision, ZIS 2009, S. 16. 940 So in Bezug auf den Auslieferungsverkehr Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 356. 941 Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in: Lagodny/ Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, S. 116. 942 Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 357. 943 Nach Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, S. 358. 944 Vgl. Böhm/Rosenthal, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn 841; vgl. auch Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 213 ff. 945 Böhm/Rosenthal schlagen eine Harmonisierung des Art. 5 Nr. 1 EuHbRb durch Einberufung einer Kommission oder über Eurojust vor, in: Internationales Strafrecht in der Praxis, Rn. 834.

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Diesem Postulat kommt der Rahmenbeschluss vom 26. Februar 2009 entgegen.946 Durch Änderung anderer Rahmenbeschlüsse werden einheitliche Bedingungen zur Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung festgelegt, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen ist, zu der die betroffene Person nicht persönlich erschienen ist (Erwägungsgrund Nr. 6 des zit. Rahmenbeschlusses).947 Dies soll zur Stärkung der Verfahrensrechte, Erleichterung der Zusammenarbeit und Verbesserung der Anwendung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten beitragen (Art. 1 Abs. 1 des zit. Rahmenbeschlusses). Eine Anerkennung darf danach nicht verweigert werden, wenn die Person rechtzeitig persönlich vorgeladen wurde und dabei den vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung erfuhr oder „auf andere nachweisbare Weise“ tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort dieser Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde (vgl. Erwägungsgrund Nr. 7 des zit. Rahmenbeschlusses). Dies jedoch nur, wenn sie auch informiert wurde, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint. Ebenso sollte keine Ablehnung der Anerkennung und Vollstreckung in Fällen vorkommen, wenn die über die anberaumte Verhandlung informierte Person durch einen Rechtsbeistand verteidigt wurde – vorausgesetzt, dass von der betroffenen Person ein entsprechendes Mandat erteilt und sie „tatsächlich“ verteidigt wurde.948 Eine weitere Ausnahme besteht dann, wenn nach der Zustellung des Abwesenheitsurteils und einer ausdrücklichen Belehrung über das Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren und das Recht auf Anwesenheit bei diesem Verfahren die betreffende Person ausdrücklich erklärt hat, dass sie das Abwesenheitsurteil nicht anficht oder innerhalb einer durch das nationale Recht bestimmten Frist keine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren beantragt wurde. Ein Abwesenheitsurteil, das nicht persönlich zugestellt wurde, kann zusätzlich (beim Übergabeverfahren nach dem EuHbRb) vollstreckt werden, wenn die Entscheidung unverzüglich nach der Übergabe zugestellt wird und die betreffende Person (nach der Belehrung) ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren innerhalb einer im EuHb genannten Frist informiert wurde. 946 Rahmenbeschluss 2009/299/JI v. 26. 2. 2009 zur Änderung der Rahmenbeschlüsse 2002/ 584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist, ABl. Nr. L 081 v. 27. 3. 2009, S. 24 ff. 947 Zu den Unterschieden in den einschlägigen Rahmenbeschlüssen vgl. Klitsch, Der neue EU-Rahmenbeschluss zu Abwesenheitsverurteilungen – ein Appell zur Revision, ZIS 2009, S. 16. 948 So u. a. der neu eingefügte Art. 4a Abs. 1 lit. a Nr. 1 im EuHbRb; eine „zweckmäßige“ und „effektive“ rechtliche Unterstützung erwähnt auch der Erwägungsgrund Nr. 10 des Rahmenbeschlusses zur Änderung der Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist.

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Diese grundsätzlich zu begrüßenden Änderungen der bisherigen uneinheitlichen Regelungen für die Anerkennung von Abwesenheitsurteilen entsprechen nur teilweise den Erwartungen an ein kohärentes und grundrechtssensibles Konzept. Obwohl die am Vorschlag949 dieses Rechtsaktes geäußerte Kritik teilweise berücksichtigt wurde,950 bleibt u. a. die Gewährung des Rechts auf Wiederaufnahme oder Berufung problematisch, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen der persönlichen Ladung und Unterrichtung oder der Kenntnis des Betroffenen von der Verhandlung erfüllt wurden.951 Verpasst wurde auch die Chance, im Rahmenbeschluss zusätzlich die Frage der Mindestrechte (insbesondere das Recht auf einen Verteidiger und das Recht auf einen Übersetzer) zu regeln.952 Ob (und wann953) mit dem Rechtsakt auf der normativen Ebene die verfassungsrechtlich relevante Problematik von Abwesen949 Initiative der Republik Slowenien, der Französischen Republik, der Tschechischen Republik, des Königreichs Schweden, der Slowakischen Republik, des Vereinigten Königreichs und der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen und zur Änderung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen und des Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union, ABl. C 52 v. 26. 2. 2008, S. 1 ff. 950 Z. B. im Hinblick auf die Konkretisierung des Rechts auf eine Neuverhandlung und der Formulierung „persönlich vorgeladen“, vgl. Kritik am Vorschlag im Beschluss des Bundesrates, Drucksache 119/08 v. 28. 4. 2008; BRAK-Stellungnahme-Nr. 06/2008, S. 6; vgl. aber weitere Einwände z. B. im Hinblick auf die Entscheidungsfreiheit, ob ein Sachverhalt vom iudex a quo oder iudex ad quem überprüft werden soll, von Klitsch, Der neue EU-Rahmenbeschluss zu Abwesenheitsverurteilungen – ein Appell zur Revision, ZIS 2009, S. 18; differenzierter Hauck, EU-Rahmenbeschluss zur Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen, JR 2009, S. 146. 951 Einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK sieht darin Klitsch, Der neue EU-Rahmenbeschluss zu Abwesenheitsverurteilungen – ein Appell zur Revision, ZIS 2009, S. 19 f.; in der Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer wird u. a. die Mindestregelung kritisiert, die alleine auf das Recht der abwesenden Person nach ihrer Überstellung abstellt, ein neues Gerichtsverfahren zu beantragen; einen weiteren Kritikpunkt stellte die Regelung dar, dass in bestimmten Fällen allein Fristversäumung zur Vollstreckung führen kann, BRAK-Stellungnahme-Nr. 06/2008, Pkt. V. 2. 952 „Gerade im Hinblick auf die erleichterte (gegenseitige) Anerkennung, die erwarten lässt, dass die betroffene Person, die sich in einer Neuverhandlung gegen die Abwesenheitsentscheidung zur Wehr setzen will, häufig weder mit der Sprache noch mit der Rechtskultur des Anordnungsstaates vertraut ist, ist es aber geboten, derartige Mindestrechte – wie etwa das Recht auf einen Verteidiger und das Recht auf einen Übersetzer – zu garantieren“, BRAKStellungnahme-Nr. 06/2008, Pkt. V. 2. 953 Dies angesichts der Möglichkeit der Vorbehaltserklärung nach Art. 8 Abs. 3 des kommentierten Rahmenbeschlusses – vgl. dazu die bereits eingelegte Erklärung Italiens, wonach der Rahmenbeschluss spätestens ab dem 1. Januar 2014 Anwendung auf die Anerkennung und Durchführung von Entscheidungen der zuständigen italienischen Behörden, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, bei der die betroffene Person nicht anwesend war, findet, ABl. Nr. L 097 v. 16. 4. 2009, S. 26.

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heitsurteilen gelöst wird, bleibt abzuwarten. Die „ideale“ Lösung – ein Verzicht auf die Verfahren in absentia in den Mitgliedstaaten – scheint leider trotz steigender Effektivität der Strafverfolgung nicht zur aktuellen Debatte zu gehören.

V. Gegenseitige Anerkennung der Wirkung von Verurteilungen Der bisherige Informationstransfer über strafrechtliche Verurteilungen auf dem EU-Gebiet soll u. a. mit dem Rahmenbeschluss zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren954 verbessert werden.955 Auf einzelne Tatbestände eingeschränkt besteht bereits die Pflicht zur Berücksichtigung der Rückfälligkeit nach Art. 1 des Rahmenbeschlusses zur Änderung des Rahmenbeschlusses über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro.956 Die Kommission beabsichtigt final ein Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, das den nationalen Gerichten die Berücksichtigung strafrechtlicher Vergangenheit eines Täters bei der Festlegung der Art und des Ausmaßes von Strafen957 sowie der Einzelheiten des Strafvollzugs ermöglicht.958 Ergänzend folgen u. a. Maßnahmen, die sich Problemen wie die Feststellung, ob und wo eine Person bereits vorbestraft ist, erschwerter Zugriff auf diesbezügliche Informationen sowie die Schwierigkeit die übermittelten Daten zu verstehen widmen.959 Nach dem Rahmenbeschluss zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen sind die Wirkungen jeder rechts954

ABl. L 220 v. 15. 8. 2008, S. 32. Mit dem Rahmenbeschluss werden die Bestimmungen über die Berücksichtigung strafrechtlicher Verurteilungen in Artikel 56 des Europäischen Übereinkommens v. 28. 5. 1970 über die internationale Geltung von Strafurteilen ersetzt (Art. 4 und Erwägungsgrund Nr. 10 des Rahmenbeschlusses). 956 ABl. L 329 v. 14. 12. 2001, S. 3. 957 Untersuchungen zufolge wird Rückfälligkeit in den Mitgliedstaaten teilweise bei der Strafzumessung berücksichtigt (z. B. in Italien, Belgien und Österreich) oder als erschwerender Umstand vom Richter gewertet (z. B. in Finnland, Dänemark und Spanien); Unterschiede bestehen auch im Hinblick auf den Strafrahmen: eine Überschreitung der Höchststrafe ist u. a. in Österreich, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweden und Portugal möglich; dagegen ist in Finnland, Irland und Spanien das Höchstmaß einzuhalten; dazu Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, KOM(2004) 334 v. 30. 4. 2004. 958 Vgl. Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, ABl. C 12 v. 15. 1. 2001, S. 10; dazu unter § 3 III. 2. 959 Vgl. Weissbuch betreffend den Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen und deren Wirkung innerhalb der Europäischen Union KOM(2005) 10 v. 25. 1. 2005. 955

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

kräftigen Entscheidung eines Strafgerichts, mit der eine Person einer Straftat schuldig gesprochen worden ist („Verurteilung“, Art. 2 des zit. Rahmenbeschlusses) sowohl in der Phase vor dem eigentlichen Strafverfahren (z. B. bei der rechtlichen Einordnung des Tatbestands oder Entscheidung über Strafverfolgung960) als auch während des Strafverfahrens und der Strafvollstreckung zu berücksichtigen (Art. 3 Abs. 2, Erwägungsgrund Nr. 7 des zit. Rahmenbeschlusses).961 Die Gerichte sind verpflichtet einer ausländischen Verurteilung gleichwertige tatsächliche bzw. verfahrens- oder materiellrechtliche Wirkung zuzuerkennen, die das nationale Recht des Staates, wo die erneute Verurteilung erfolgt, für innerstaatliche Judikate solcher Art vorsieht (Art. 3 Abs. 1, Erwägungsgrund Nr. 5 des zit. Rahmenbeschlusses). Gilt beispielsweise in einem Mitgliedstaat der Grundsatz des gleichartigen Rückfalls, wird das Gericht eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilung nur dann berücksichtigen müssen, wenn erforderliche Gleichartigkeit der Straftaten gegeben ist.962 Zu beachten sind auch die im eigenen Recht vorgesehenen Fristen, innerhalb derer frühere Verurteilung rückfallbegründend wirkt, sowie Umstände, die einer solchen Wirkung des Ersturteils entgegenstehen können. Die Ausnahmen von der Anerkennungspflicht sind aus tatsächlichen (z. B. nicht ausreichende Informationen zu ergangenen Verurteilungen) oder rechtlichen Gründen (z. B. wenn der Betroffene wegen einer Tat verurteilt wurde, aufgrund derer keine Verurteilung im Inland möglich wäre oder wenn die früher verhängte Sanktion dem nationalen Recht unbekannt ist) möglich.963 Zusätzlich kann, soweit das innerstaatliche Recht es zulässt, von der Berücksichtigung strafrechtlicher Vergangenheit im Einzelfall aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abgesehen werden, wenn auch durch ein milderes Urteil der Zweck der Bestrafung erreicht wird.964

VI. Exkurs: Der Informationstransfer zwischen den Mitgliedstaaten Die Funktionsweise der auf dem Anerkennungsgrundsatz aufbauenden Rechtsinstrumente setzt einen schnellen und zuverlässigen Informationstransfer zwischen den Mitgliedstaaten voraus.965 Dies betrifft u. a. den Austausch von Informationen aus 960

Wie bei § 154 StPO; vgl. BeckOK-Beukelmann, StPO § 154, Rn. 1. In Deutschland käme eine solche Berücksichtigungspflicht nach §§ 46 und 56 f. Abs. 1 Nr. 1 StGB i. V. m. den Grundsätzen einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung in Frage; nach Hecker, Europäisches Strafrecht, § 12, Rn. 52. 962 So sind beispielsweise nach § 176a Abs. 1 StGB nur (nach Abs. 6 auch im Ausland) abgeurteilte Taten zu berücksichtigen, wenn diese unter § 176 Abs. 1 oder 2 fallen würden. 963 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 6 des zit. Rahmenbeschlusses. 964 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 9 des zit. Rahmenbeschlusses. 965 Hecker weist auch auf die Bedeutung eines angemessenen Informationstransfers für das Konzept international-arbeitsteiliger Strafrechtspflege hin, Europäisches Strafrecht, § 12, Rn. 53. 961

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dem Strafregister, die geschilderte Bedeutung der Kenntnis einer Verurteilung (ne bis in idem) oder eines in einem anderen Mitgliedstaat anhängigen Verfahrens966 und die Festlegung der Art und Höhe von Strafen sowie der Einzelheiten des Strafvollzugs.967 Mit der Verbesserung des Informationstransfers ist die Frage der Schutzmaßnahmen bei der Übermittlung, Speicherung und Weiterwendung solcher Daten unzertrennlich verbunden. Außer den Strafregistereinträgen betrifft dies alle Daten, die mit Hilfe neuer Beschaffungsmöglichkeiten erlangt oder im Rahmen einzelner Rechtshilfehandlungen wie z. B. Übergabe einer gesuchten Person oder aufgrund einer Beweisanordnung zuständigen Behörden anderer Mitgliedstaaten übermittelt bzw. bereitgestellt wurden. .

1. Austausch von Informationen aus dem Strafregister In den bisherigen Mechanismen zum Austausch von Informationen aus dem Strafregister968 stellte die Kommission Mängel fest,969 die die effektive Rechtshilfe im EURechtsraum behindern und einer schnellen Verbesserung bedürfen.970 Eine temporäre Abhilfe im Hinblick auf die Verkürzung der für zu lange erklärten Übermittlungsfristen wurde mit dem Beschluss des Rates vom Jahr 2005971 über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister geschaffen. Danach sollen dafür zuständige Zentralbehörden in den Mitgliedstaaten unverzüglich Informationen zur Verurteilung an Mitgliedstaaten der Staatsangehörigkeit des Verurteilten übermitteln und können Ersuchen um Informationen über Verurteilungen mithilfe eines Formblatts in direkter Zusammenarbeit mit anderen Zentralbehörden ausstellen oder (binnen einer vorgesehenen Frist) beantworten.972 Die Einzelheiten für den Austausch von Strafregisterinformationen zwischen allen Mitgliedstaaten wurden im Rahmenbeschluss vom 26. Februar 2009 über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregis-

966

Dazu unter § 11 III. und § 9. Dazu unter § 11 II. 968 Insbesondere Art. 13 und 22 des Europäischen Übereinkommens v. 20. 4. 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen. 969 Hervorgehoben wurden die Schwierigkeit, rasch festzustellen, in welchen Mitgliedstaaten eine Person bereits vorbestraft ist, die Schwierigkeit, schnell und einfach auf Informationen zugreifen zu können, sowie die Schwierigkeit, die übermittelten Daten zu verstehen; Weissbuch betreffend den Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen und deren Wirkung innerhalb der Europäischen Union KOM(2005) 10 v. 25. 1. 2005. 970 Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister, KOM(2004) 664 v. 13. 10. 2004. 971 ABl. L 322 v. 9. 12. 2005, S. 33. 972 Vgl. Art. 2 und 3 des zit. Beschlusses. 967

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

ter zwischen den Mitgliedstaaten973 geregelt. Vorgesehen wurden u. a. Modalitäten, nach denen ein Mitgliedstaat, in dem eine Verurteilung gegen einen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats ergangen ist („Urteilsmitgliedstaat“), die Informationen über eine solche Verurteilung dem Mitgliedstaat übermittelt, dessen Staatsangehörigkeit die verurteilte Person besitzt („Herkunftsmitgliedstaat“). Der Rahmenbeschluss bestimmt auch Pflichten, die mit der Speicherung solcher Daten verbunden sind und die Modalitäten für die Beantwortung eines Ersuchens um Informationen aus dem Strafregister (darunter auch Fristen – zehn Arbeitstage ab Eingang des Ersuchens). Des Weiteren werden Rahmenbedingungen für den Auf- und Ausbau eines elektronischen Systems zum Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen festgelegt. Einzelheiten zur Durchführung der Rahmenbedingungen für den Auf- und Ausbau eines elektronischen Auskunftssystems wurden im Beschluss zur Einrichtung des Europäischen Strafregisterinformationssystems (ECRIS)974 konkretisiert. Um ein elektronisches System für den Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, sollen Informationen über strafrechtliche Verurteilungen in einer „leicht verständlichen“ Form (mithilfe eines Standardformats) übermittelt werden. Eine Übersetzungsmatrix wäre dafür verantwortlich, dass die angeforderten Angaben in einem entsprechenden sprachlichen Format erhalten werden könnten. Entsprechend vorbereitete Strafregisterdaten sollen jedoch nur in den von den Mitgliedstaaten betriebenen Datenbanken gespeichert werden, so dass ein direkter Online-Zugriff auf die Informationen anderer Mitgliedstaaten nicht möglich sein wird (sog. dezentrales Informationstechnologiesystem). 2. Datenschutzrechtliche Implikationen Wie bereits oben illustriert, ist die Durchsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung eng mit der Entwicklung eines europäischen Netzwerkes zur Weitergabe und Speicherung personenbezogener Daten verbunden. Allein an Beispielen wie die Berücksichtigungspflicht der strafrechtlichen Vergangenheit des Täters oder ne bis in idem wird deutlich, dass das Anerkennungskonzept ohne zuverlässige und effiziente Mechanismen zum Informationsaustausch nicht die prognostizierte Wirkung auf die justizielle Zusammenarbeit entwickeln könnte. Die geplanten bzw. sogar teilweise erprobten Ansätze975 gehen z. T. von weitgehend ungehinderten 973

ABl. Nr. L 093 v. 7. 4. 2009, S. 2 ff.; zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten vgl. KOM(2005) 690 v. 22. 12. 2005. 974 Beschluss 2009/316/JI des Rates v. 6. 4. 2009 zur Einrichtung des Europäischen Strafregisterinformationssystems (ECRIS), ABl. L 93 v. 7. 4. 2009, S. 33 ff.; zum Vorschlag für einen Beschluss zur Einrichtung des Europäischen Strafregisterinformationssystems (ECRIS) vgl. KOM(2008) 332 v. 27. 5. 2008. 975 Ein entsprechendes Pilotprojekt zum elektronischen Datenaustausch durch Vernetzung der nationalen Strafregister zwischen Deutschland, Frankreich, Spanien, Belgien, der Tsche-

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und direkten Zugriffsmöglichkeiten auf die in anderen Mitgliedstaaten gespeicherten Daten aus. In der Abkehr von traditionellen Rechtshilfeprozeduren zur Datenübermittlung zeigt sich einerseits, wie beim Anerkennungsgrundsatz, ein Paradigmenwechsel.976 Andererseits besteht kein Zweifel daran, dass die neuen Entwicklungen auch neue Gefahren im Hinblick auf die grundrechtliche und datenschutzrechtliche Stellung von Betroffenen mit sich bringen. Besonders besorgniserregend sind die Initiativen zur Durchsetzung des sog. Verfügbarkeitsgrundsatzes. Dieser „kleine Bruder des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung“977 soll die Qualität des Informationsaustauschs „durch eine Mischung aus gegenseitiger Anerkennung und gleichberechtigtem Zugang“978 verbessern. Seine Umsetzung bedeutet eine Einräumung des Zugriffsrechts auf bestimmte Datenbanken anderer EU-Staaten979 und ein direktes Abrufrecht von online zugänglichen Informationen oder zumindest Indexdaten.980 Diese weitgehende Erleichterung des Informationstransfers stieß in der Literatur vor dem Hintergrund unzureichender datenschutzrechtlicher Maßnahmen auf heftige Kritik.981 Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte schlug zum einen ein vorsichtigeres graduelles Konzept vor und betonte die Notwendigkeit von EU-weit geltenden wesentlichen datenschutzrechtlichen Garantien.982 Ähnlich im Hinblick auf die Einrichtung des ECRIS wies er auf den Bedarf hoher Datenschutzstandards und u. a. einer expliziten Kommissionszuständigkeit für die gemeinsame Kommunikationsinfrastruktur und eine enge Zusamchischen Republik und Luxemburg startete bereits 2006; zit. nach Meyer, Der Grundsatz der Verfügbarkeit, NStZ 2008, S. 189 m.w.N. 976 Meyer, Der Grundsatz der Verfügbarkeit, NStZ 2008, S. 188. 977 Satzger/Zimmermann, From the traditional models of judicial assistance to the principle of mutual recognition, in: Bassiouni/Militello/Satzger (Hrsg.), European Cooperation in Penal Matters: Issues and Perspectives, S. 360; auf sogar größeres Gefahrenpotenzial des Verfügbarkeitsgrundsatzes im Vergleich mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung weist Vogel hin, Die Zukunft der europäischen Integration auf dem Gebiet der Strafrechtspflege, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 128 f. 978 Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über den Austausch von Informationen nach dem Grundsatz der Verfügbarkeit; MEMO/05/367 v. 12. 10. 2005. 979 Zu Unterschieden in der Reichweite dieses Zugangsrechts in der Initiative Schwedens (ABl. C 281 v. 18. 11. 2004), im Prümer Vertrag v. 27. 5. 2005 (BGBl. 2006 II S. 626) und im Kommissionsvorschlag KOM(2005) 490 v. 12. 10. 2005 vgl. Böse, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Europäischen Union, S. 39 ff. 980 Ausführlich Meyer, Der Grundsatz der Verfügbarkeit, NStZ 2008, S. 188 f. 981 Braum, Europäischer Datenschutz und europäisches Strafrecht, KritV 2008, S. 85 ff.; Meyer, Der Grundsatz der Verfügbarkeit, NStZ 2008, S. 189 ff.; differenzierter Böse, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Europäischen Union, S. 155 ff. 982 Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über den Austausch von Informationen nach dem Grundsatz der Verfügbarkeit, ABl. C 116 v. 17. 5. 2006, S. 8 ff.; vgl. auch den Appel von Europaabgeordneten zur Wahrung des Datenschutzes bei der Umsetzung des Grundsatzes der Verfügbarkeit v. 30. 11. 2006, EP-Nummer des Dokuments: 380.706.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

menarbeit von Datenschutzbehörden hin.983 Schließlich plädierte auch das Europäische Parlament für einen Ausgleich der divergierenden Datenschutzstandards zwischen den Mitgliedstaaten und einzelnen Säulen der EU.984 Eine Konkretisierung und Weiterentwicklung bestehender Garantien985 soll mit dem auf der Rechtsgrundlage von Art. 30, 31 und 34 Abs. 2 lit. b angenommenen Rahmenbeschluss über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden,986 erfolgen.987 Gewährleistet wird u. a. das Recht auf Privatsphäre hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten,988 die zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Feststellung oder Verfolgung von Straftaten oder der Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen direkt zwischen den Mitgliedstaaten oder Behörden (wie z. B. Agenturen oder Einrichtungen der EU) ausgetauscht bzw. an entsprechende Informationssysteme übermittelt werden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 6, Art. 1 Abs. 2 des zit. Rahmenbeschlusses).989 Für den Umgang mit personenbezogenen Daten gelten die Grundsätze der Rechtmäßigkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Zweckbindung. Danach darf 983 Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Einrichtung des Europäischen Strafregisterinformationssystems (ECRIS), ABl. C 042 v. 20. 2. 2009, S. 1 ff. 984 Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zu den Entwicklungen in den Verhandlungen über den Rahmenbeschluss des Rates über den Datenschutz im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, ABl. C 317E v. 23. 12. 2006, S. 872 ff. 985 Maßstäbe setzen hierzu u. a. das Übereinkommen des Europarates v. 28. 1. 1981 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten, Art. 6 EUV, Art. 8 EMRK und Art. 7, 8 der Charta der Grundrechte; Britz, Europäisierung des grundrechtlichen Datenschutzes, EuGRZ 2009, S. 1 ff.; Braum, Europäischer Datenschutz und europäisches Strafrecht, KritV 2008, S. 82 ff. 986 ABl. L 350 v. 30. 12. 2008, S. 60 ff. 987 Vgl. aber auch Art. 10 des Rahmenbeschlusses über die Europäische Beweisanordnung, wonach personenbezogene Daten von dem Anordnungsstaat grundsätzlich „nur“ für Verfahren, für die eine Europäische Beweisanordnung erlassen werden kann, sonstige justizielle und verwaltungsbehördliche Verfahren, die mit diesem Verfahren unmittelbar zusammenhängen, sowie zur Abwehr einer unmittelbaren und ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit verwendet werden können; kritisch noch zum Vorschlag dieser Regelung Ahlbrecht, Der Rahmenbeschluss-Entwurf der Europäischen Beweisanordnung – eine kritische Bestandsaufnahme, NStZ 2006, S. 73; vgl. ferner die Regelung in Art. 9 der Rahmenbeschluss des Rates über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten. 988 Unter personenbezogenen Daten sind nach Art. 2 lit. a des zit. Rahmenbeschlüsses alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person zu verstehen. 989 Einschlägige Datenschutzvorschriften in den Rechtsakten betreffend u. a. die Arbeitsweise von Europol, Eurojust, das Schengener Informationssystem, das Zollinformationssystem und den direkten Zugriff der Behörden der Mitgliedstaaten auf bestimmte Datensysteme anderer Mitgliedstaaten sowie die automatisierte Übermittlung von DNA-Profilen oder Daten aus nationalen Fahrzeugregistern (Beschluss 2008/615/JI v. 23. 6. 2008, ABl. L 210 v. 6. 8. 2008, S. 12 ff.) sollen von dem vorliegenden Rahmenbeschluss unberührt bleiben (vgl. Erwägungsgrund Nr. 39 des kommentierten Rahmenbeschlusses).

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die Erhebung und Verarbeitung nur zur festgelegten, eindeutigen und rechtmäßigen Zwecken erfolgen. Eine eventuelle Weiterverarbeitung von Daten durch befugte Behörden muss mit den Erhebungszwecken vereinbar und im Hinblick auf den zu beabsichtigten Verarbeitungszweck notwendig sowie verhältnismäßig sein. Dies gilt auch für die von einem anderen Mitgliedstaat übermittelten oder bereitgestellten Daten (Art. 11 des zit. Rahmenbeschlusses). Trotz dieser Einschränkungen ist es vor dem Hintergrund mangelnder Zuständigkeitskonflikte und Strafrechtsunterschiede beunruhigend, dass die bei anderen Rechtshilfehandlungen erlangten Informationen u. a. als Grundlage für weitere Strafverfolgung, verwaltungsbehördliche Verfahren oder Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit dienen können.990 Fraglich ist auch, ob eine Weiterverarbeitung von auf diesem Wege erlangten Daten angesichts der erwähnten Verbesserung der Informationsübermittlung991 samt der Einführung von Unterrichtungspflichten zugunsten noch effektiver Strafverfolgung und Gefahrenabwehr notwendig ist. Abzuwarten bleibt, ob Maßnahmen wie die eingeräumte Möglichkeit der Anwendung von strengeren innerstaatlichen Vorschriften (vgl. Erwägungsgrund Nr. 40 des zit. Rahmenbeschlusses) und die Aufsicht unabhängiger Kontrollstellen in den Mitgliedstaaten992 bestehende Gefahren minimalisieren und die Gewährleistung des grundlegenden Freiheitsrechts auf den Schutz personenbezogener Daten sichern.

VII. Schlussfolgerungen Im Gegensatz zu anderen justiziellen Entscheidungen wie z. B. Beweisanordnungen oder Haftbefehlen stößt die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der Endentscheidungen auf weniger Einwände. Dies ist grundsätzlich auf die Tatsache zurückzuführen, dass ein Endurteil – zutreffend ausgedrückt – ein „aus der Heimatrechtsordnung ablösbares Element“993 darstellt. Betont wird zu Recht, dass der Anerkennungsgrundsatz bei solchen Entscheidungen „die logische Folge eines in sich stimmigen Systems“994 ist und dieser soll Anwendung finden, solange ein Endurteil das Ergebnis eines in einem Mitgliedstaat konzentrierten Verfah-

990 Vgl. die strengere Regelung in Art. 8 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses v. 18. 12. 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. Nr. L 386 v. 29. 12. 2006, S. 89 und ABl. Nr. L 200 v. 1. 8. 2007, S. 637). 991 Vgl. auch den Rahmenbeschluss über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wonach die Antwort auf ein dringendes Ersuchen schon innerhalb von 8 Stunden, in anderen Fällen spätestens innerhalb von 14 Tagen erfolgen soll (Art. 4 Abs. 1). 992 Nach der Richtlinie 95/46/EG in den Mitgliedstaaten bereits errichtete Kontrollstellen; zu den Befugnissen vgl. insbesondere Art. 25 des zit. Rahmenbeschlusses. 993 Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 2004, S. 366. 994 So im Kommentar zu Regelungen „Europäischer Vollstreckungsübernahme“, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 31.

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Teil 3: Tragfähigkeit des Anerkennungskonzepts

rens ist.995 Zur Erfüllung dieser Vorbedingung könnte eine für alle Mitgliedstaaten verbindliche Zuständigkeitsregelung verhelfen.996 Die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung umfasst bereits eine breite Palette an Endentscheidungen: freiheitsentziehende Sanktionen, Bewährungsmaßnahmen und alternative Sanktionen, Geldstrafen und Geldbußen sowie Einziehungsentscheidungen. Hinzu kommen auch die Berücksichtigungspflicht der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren sowie die geplante Erstreckung des Anerkennungsgrundsatzes auf sog. Rechtsverluste. Durch die angenommenen Rahmenbeschlüsse soll ein einheitlicher Rechtsrahmen für die Vollstreckungspraxis zwischen den Mitgliedstaaten entstehen und die im Wege internationaler Übereinkommen misslungene Effektivitätssteigerung der justiziellen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet eintreten. Das Erreichen dieses Ziels wird zusätzlich von Maßnahmen zur Verbesserung des Informationstransfers zwischen den Mitgliedstaaten gefördert. Abgesehen vom Effektivitätsgedanken kann ein neues Instrumentarium zur Begünstigung der sozialen Wiedereingliederung von zu Freiheitsstrafen verurteilten Personen beitragen. Dies setzt jedoch voraus, dass die jeweiligen zuständigen Behörden sorgfältig untersuchen, ob die Vollstreckung der Sanktion durch den Vollstreckungsstaat der Verwirklichung des Ziels der Resozialisierung der verurteilten Person dienen würde. Vor dem Hintergrund des Abbaus traditioneller Rechtshilfehindernisse (hier insbesondere die Anforderung der beiderseitigen Strafbarkeit und der Zustimmungspflicht des Verurteilten) sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, mit entsprechender Sensibilität die vorgesehenen Freiräume und Einschränkungen in der Anerkennungspflicht bei der Umsetzung ins nationale Recht zu berücksichtigen, um auf diese Weise einen den Interessen von verurteilten Personen entsprechenden Überstellungsverkehr zu gewährleisten. Angesichts der gravierenden Unterschiede in den Sanktionssystemen der Mitgliedstaaten sind weitere Einschränkungen der Anerkennungspflicht im Hinblick auf die Art und den Umfang der verhängten Sanktionen notwendig. Zu begrüßen sind daher die vorgesehenen Anpassungsmechanismen, die eine Änderungen einer mit den Grundsätzen des Vollstreckungsstaates unvereinbaren Sanktion und auch in der Phase des Strafvollzugs die Berücksichtigung bestimmter Regelungen des Urteilsstaates ermöglichen. Die Auswirkung der signalisierten Mängel (insbesondere die abweichende Regelung beiderseitiger Strafbarkeit, die Vergleichbarkeitskriterien und weitere Einschränkungen bei Sanktionsabänderung) auf die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten hängt zum Teil von den zur Umsetzung befugten nationalen Gesetzgebern und (später) von der Effizienz vorgesehener Konsul-

995

Satzger, Die Europäische Vollstreckungsübernahme, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 147. 996 Dazu unter § 9.

§ 11 Gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen

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tationsverfahren zwischen involvierten Behörden ab.997 Harmonisierende und koordinierende Maßnahmen wurden zwar von der Kommission in Erwägung gezogen, ihr Schicksal ist aber aktuell unklar. In der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten dürfen nicht nur die Interessen des Ausstellungs- und Vollstreckungsstaates, sondern auch des Verurteilten berücksichtigt werden. Der mit dem Anerkennungskonzept beschrittene Siegeszug des Effizienzgedankens bedarf daher auch Einschränkungen, die einen Ausgleich zur Ausweitung der Strafverfolgungsmöglichkeiten schaffen. Ein wichtiger Schritt wurde, trotz signalisierter Mängel, mit der Einschränkung der Anerkennungspflichten bei Abwesenheitsurteilen getan. Es gilt des Weiteren u. a. zu verhindern, dass die aus anderen Mitgliedstaaten erlangten Informationen und Perspektiven umfangreicher Unterstützung zur Wiederaufnahme von den im EU-Ausland abgewickelten Strafverfahren missbraucht werden. Dies betrifft zum einen die datenschutzrechtliche Problematik, die im Rahmen nationaler Regelungen bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Schutz personenbezogener Daten gebührend berücksichtigt werden muss. Zum anderen stellt selbst eine konsequente Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, dessen positive Wirkung sich in wirksamer Durchsetzung des Strafklageverbrauchs zeigt, eine Abhilfe dar. Die ne-bis-inidem-Garantie wirkt sowohl bei Art. 54 SDÜ als auch ihre Verankerung als Anerkennungsverweigerungsgrund in den Rahmenbeschlüssen begrenzend auf die Strafverfolgung, stärkt die Rechtsstellung von Betroffenen und trägt zur Stärkung der Rechtssicherheit innerhalb der EU bei. Die Ausweitung dieser Garantie und ihre Ergänzung durch eine Zuständigkeitsregelung könnte auch zum weiteren Abbau von Gründen für die Vollstreckungsverweigerung wie dem Territorialitätsvorbehalt und somit zur Stärkung des Anerkennungskonzepts beitragen.

997

Fichera/Janssens erwähnen mehrere Beispiele von Fällen, in denen Probleme, die bei der Übergabe auf Grundlage des EuHb aufgetreten sind, auf dem „Konsultationswege“ gelöst wurden, Mutual recognition of judicial decisions in criminal matters and the role of the national judge, ERA Forum 2007, S. 190.

Teil 4

Rückblick und Ausblick § 12 Schlussbetrachtungen Die justizielle Zusammenarbeit in der EU erreicht allmählich eine Intensität, die bis vor kurzem nur zwischen kleineren, historisch und kulturell eng verbundenen Ländern oder gar nur innerstaatlich denkbar war. Dieser Entwicklung auf dem Gebiet des Strafrechts liegt der Gedanke eines gemeinsamen (Straf-)Rechtsraumes zugrunde, der primär zur Gewährleistung der Freiheit und Sicherheit von Unionsbürgern, sekundär aber auch zur Absicherung der Unionsinteressen geschaffen wird. Das Vorhaben, in den Grenzen des bestehenden Kompetenzrahmens für den aus 27 europäischen Staaten bestehenden Staatenverbund eine effiziente Zusammenarbeit zu ermöglichen, erwies sich mit Hilfe des im Gemeinschaftsrecht erprobten Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung als durchführbar.1 Mit gemischter Stimmung aufgenommen, wurde dieser Grundsatz zum tragenden Pfeiler und Motor des weitgehend verwirklichten Kooperationskonzepts zwischen den Mitgliedstaaten und funktioniert dort u. a. als eine Auslegungsregel, als Instrument zur Assimilierung ausländischer justizieller Entscheidungen oder begründet mitunter sogar einen Anerkennungsautomatismus.2 Das breite Anwendungsspektrum gegenseitiger Anerkennung erstreckt sich auf ausgewählte justizielle Entscheidungen aller Strafverfolgungsetappen und umfasst alle Rechtshilfegebiete. Abhängig von dem Verfahrensstadium und der Entscheidungsart ändert sich der Umfang der Anerkennungspflichten, so dass von unterschiedlichen Gestalten des Anerkennungsgrundsatzes ausgegangen werden muss.3 Aufgrund der vielfältigen Wirkungsweise kann grundsätzlich weder von einem repressiven noch einem permissiven Effekt der gegenseitigen Anerkennung ausgegangen werden. Über den Transmissionsriemen des Anerkennungsmechanismus zirkulieren EU-weit einerseits Haftbefehle und Beweisanordnungen, andererseits begründen bestimmte anzuerkennende Endentscheidungen einen Strafklageverbrauch. Die 1 „Unity in Diversity“ sieht in diesem Zusammenhang als Unionsmotto Gallagher, Future developments in judicial cooperation in criminal matters, ERA Forum 2009, S. 500. 2 Nach Vernimmen-Van Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 22 m.w.N. 3 So auch Satzger/Zimmermann, From the traditional models of judicial assistance to the principle of mutual recognition, in: Bassiouni/Militello/Satzger (Hrsg.), European Cooperation in Penal Matters: Issues and Perspectives, S. 348.

§ 12 Schlussbetrachtungen

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Grenzen dieser auf gegenseitigem Vertrauen beruhenden Verkehrsfähigkeit sind nicht mehr politischer oder geographischer Natur, sondern einheitliche rechtliche Schranken, die als Anerkennungs- und Vollstreckungsverweigerungsgründe aufgenommen wurden. Dabei ist insbesondere durch den Abbau der traditionellen Rechtshilfevorbehalte und Kontrollmechanismen sowohl die Kapazität als auch die Geschwindigkeit dieses grenzüberschreitenden Transfers wesentlich gestiegen. Trotz konzeptioneller Schwächen in der Durchsetzung des Anerkennungsmodells4, Mängel des verfügbaren Instrumentariums und fehlender Kontrollmechanismen hinsichtlich der Rechtsumsetzung in den Mitgliedstaaten ist das Ziel – die Erleichterung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen – in pragmatischer Hinsicht als weitgehend erreicht anzusehen.5 Das Gesamtbild des Kooperationskonzepts trübt sich jedoch unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Gesichtspunkte. In dieser Perspektive sind sowohl die instrumentellen (z. B. der Entscheidungsfindungsprozess6) als auch die institutionellen Defizite (insbesondere mangelnde Rechtsschutzmechanismen auf der EU-Ebene) kritisch hervorzuheben. Eine ähnliche Beurteilung gilt für die in vielen Fällen einseitige Orientierung auf Effektivitätssteigerung, die den im Anerkennungskonzept entstandenen Kompensationsbedarf in der Rechtsstellung von Betroffenen ungeachtet ließ. Zu dem (divergierenden) Schutz in den Mitgliedstaaten müssen daher (auch vor dem Hintergrund der Vertrauensstärkung7) verbindliche, EU-weit einheitliche Verfahrensgarantien hinzukommen. Angesichts der Rechtsunterschiede und durch gegenseitige Anerkennung erschwerter Vorhersehbarkeit der auftretenden Rechtshilfeprobleme ist im Hinblick auf die Abschaffung bestimmter traditioneller Kompatibilitätsund Kontrollvorbehalte (z. B. im Bereich der „qualifizierten“ Straflosigkeit) an ent4 Z. B. im Hinblick auf die Reihenfolge der angenommen Rechtsakte, die Inkonsequenz in den Anerkennungsverweigerungsgründen sowie die Komplexität der Anerkennungsinstrumente und mangelhafte Erklärungen zu erlassenen Rechtsakten, was die Umsetzung in den Mitgliedstaaten erschwert; in nationalen Berichten wird jedoch die Herangehensweise aufgrund des „vorsichtigen und schrittweisen“ Charakters z. T. als „strategischer Fehler“ kritisiert, nach Vernimmen-Van Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 17. 5 Auf die Fortsetzung von u. a. Konsolidierungsarbeiten, bessere Koordinierung und den Austausch bewährter Praktiken zwischen den Mitgliedstaaten (z. B. durch Umsetzungsseminare und einschlägige Schulungen) sowie die Sicherstellung, „dass die EU-Bürger sich ihrer Rechte bewusst sind und auf deren Einhaltung vertrauen“, weist die Kommission hin in der Mitteilung – Justiz, Freiheit und Sicherheit in Europa seit 2005: Evaluierung des Haager Programms und des Aktionsplans v. 10. 6. 2009 hin, KOM(2009) 263. 6 Abgesehen von den signalisierten Mängeln in der demokratischen Legitimation von Rechtsakten der dritten Säule wird in diesem Zusammenhang zu Recht die mangelnde Berücksichtigung externer Expertengruppen kritisiert; Vernimmen-Van Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 19, mit Nachweisen aus nationalen Berichten. 7 Beispiele aus der Kooperationspraxis deuten zwar auf steigendes, jedoch nicht immer vorhandenes gegenseitiges Vertrauen hin, das erst „erlernt“ und entwickelt werden muss, vgl. Nachweise aus nationalen Berichten bei Vernimmen-Van Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 20.

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Teil 4: Rückblick und Ausblick

sprechende, für alle Mitgliedstaaten gleiche, zusätzliche Einschränkungen in den Anerkennungspflichten8 zu denken. Die vorzunehmenden Ausgleichvorkehrungen müssen dabei den vom Anwendungsgebiet des Anerkennungsgrundsatzes abhängenden Grad des Risikos für die Betroffenenrechte berücksichtigen.9 Handlungsbedarf besteht schließlich im Bereich der konkurrierenden Jurisdiktionsansprüche, die vor dem Hintergrund gesteigerter Effizienz der justiziellen Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung durch eine entsprechende Zuweisungsordnung reguliert werden können. Abschließend ist zu konstatieren, dass die Bedeutug der gegenseitigen Anerkennung in der dynamischen Entwicklung des Kooperationskonzepts zwischen den EUMitgliedstaaten den Anerkennungsgrundsatz als Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bestätigt. „Konstruktionstechnisch“ fallen jedoch auch Brüche auf, die zur Erfüllung einer dem Eckstein zugeschriebenen tragenden und stabilisierenden Funktion einer Verstärkung bedürfen. Ein notwendiges Bindemittel ist das gegenseitige Vertrauen, dass jedoch „zum Festwerden“ sowohl entsprechende Vorbereitung als auch Zeit benötigt. Die zunehmend stärker werdenden Mauern des (Straf-)Rechtsraumes brauchen dabei auch eine rechtsstaatliche „Auspolsterung“ sowie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Effizienz, Sicherheit und Freiheit. Im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung, Umsetzung und Anwendung der gegenseitigen Anerkennung sind daher gleichermaßen die Verbesserung der justiziellen Zusammenarbeit und die Gewährleistung von Verfahrensgarantien für Betroffene anzustreben. Demzufolge sollen dem Anerkennungsgedanken immanentes gegenseitiges Vertrauen und die Akzeptanz der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten nicht zum Verzicht auf die für die Zusammenarbeit und den Rechtsschutz notwendige Annäherung von Rechtsvorschriften führen.10 Der Lissabonner Vertrag dürfte in diesem Zusammenhang insbesondere als Chance für die Nivellierung der Defizite in Verfahrensrechten und -garantien, die Stärkung des Rechtsschutzes auf der EU-Ebene und mehr Kohärenz in der Umsetzung und Anwendung von Rechtsinstrumenten, die auf gegenseitiger Anerkennung beruhen, gesehen werden. Vor dem Hintergrund vorge8 Hinweise auf Schwierigkeiten betreffen hier u. a. bisherige Regelungen zur Strafmündigkeit, Verjährungsfristen oder die Verantwortlichkeit von juristischen Personen – mit Nachweisen aus nationalen Berichten Vernimmen-Van Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 9 f.; eine „absolute“ Anerkennungspflicht hält Klip zu Recht nur im Falle einer vollen Harmonisierung für möglich, European Criminal Law, S. 94 f. 9 Erste Signale aus den Mitgliedstaaten deuten darauf hin, dass der Anerkennungsgrundsatz in der Praxis weniger Probleme (wegen stärkerer Garantien und der Äquivalenz justizieller Organe) bei Endentscheidungen bereitet; Nachweise aus nationalen Berichten bei VernimmenVan Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 11 f. 10 Die aufgezählten Elemente (Verbesserung der Zusammenarbeit, Gewährleistung des Rechtsschutzes, Akzeptanz der Rechtsunterschiede und ein aus dem gemeinsamen Rechtsraum abgeleitetes gegenseitiges Vertrauen) stellen Vernimmen-Van Tiggelen/Surano als „Parameter“ des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung dar, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 23.

§ 12 Schlussbetrachtungen

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sehener Gesetzgebungsmodalitäten stellt der Vertrag die Union auch vor die Gefahr einer Zersplitterung in Teilsysteme,11 die weder dem Gedanken eines einheitlichen Rechtsraumes noch eines homogenen Rechtsschutzes entsprechen würde.

11

Vom „normativen Flickenteppich in Europa“ spricht in diesem Zusammenhang Albrecht, Eine unabhängige Judikative als Gegengewicht zur Erosion europäischer Strafrechtsprinzipien?, KritV 2008, S. 51; vgl. auch Vernimmen-Van Tiggelen/Surano, Analysis of the future of mutual recognition in criminal matters in the European Union, S. 60 m.w.N.

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Stichwortverzeichnis Abwesenheitsurteil 278 ff. Actus-contrarius-Grundsatz 117 Aktives Personalitätsprinzip 130 f. Anerkennung – als Integrationsmotor 27, 56, 68 – als Prinzip 106 ff. – als rechtstechnisches Instrument 65 f. – als Wirkungserstreckung 88 – Automatismus 78, 90 f., 165, 172 – Bezug zu Grundfreiheiten 83 – freiwillige 45 – Funktionsweise 87 ff. – Herkunft 64 f. – im Dienstleistungs- und elektronischen Geschäftsverkehr 69 – im europäischen Wirtschaftsrecht 67 f., 82 f., 91 – im Haager Program 73 – im Lissaboner Vertrag 79, 82 ff., 87, 108 f. – im Völkerrecht 65, 82 – in dem Verfassungsentwurf für Europa 60, 72 f. – in der Einheitlichen Europäischen Akte 69 – in der EuGH-Rechtsprechung 80, 276 – in internationalen Übereinkommen 66 f. – in Strafsachen 32 f., 70 ff. – in Zivilsachen 85 ff. – interdisziplinäre Bedeutung 64 f. – Neutralität 91 ff. – politische Dimension 65 f. – unparteiische Bewertung 70, 83 – von Beweismitteln siehe Beweisanordnung, europäische – von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen 69 – von Endentscheidungen 95, 259 ff. – von gerichtlichen und außergerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen 69 – von Gesellschaften 69, 90 – von Rechtsverlusten 79, 262

– zwischen Benelux-Staaten 66 Auslieferung 32 – Bewilligungsverfahren 199, 226 ff. – Europäischer Haftbefehl siehe Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren – Schutz eigener Staatsangehöriger vor Auslieferung 203 ff. – Stellung des Betroffenen 164 ff. – Zulässigkeit 198 ff. – zwischen amerikanischen Staaten 29 f. – zwischen nordischen Staaten 43 aut dedere aut iudicare 205 beiderseitige Strafbarkeit – Begründung 175 ff. – im Anerkennungskonzept 178 ff. – qualifizierte Anforderung 180 – Garantiefunktion 187 f. – Individualschutz 187 f. – in Kooperationspraxis 188 f. Bestimmtheitsgrundsatz 190 ff. Beweisanordnung, europäische 74, 84, 197, 240 ff. Beweiszulassungsverfahren 249 f., 250 Corpus Juris 36, 61 f., 235, 249 Datenschutz 202, 286 ff. Demokratiedefizit 128 ff. Double-Jeopardy-Verbot 41 EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) 28, 66, 98, 138 f., 149 ff. EJN (Europäisches Justizielles Netzwerk) 30, 140, 142 EMRK (Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten) 28, 66, 98, 138 f., 149 ff., 156 f., 174, 190, 218, 223, 251 f., 278 ff. Ersuchens-Prinzip 32

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Stichwortverzeichnis

EuGH (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften) 113 f., 133 ff., 153, 156, 159, 173, 235, 276 Eurojust 30, 61, 141 ff., 232, 235, 237, 249 europäische Kriminalpolitik 42 ff. europäische Staatsanwaltschaft 33, 46, 50, 61 f., 78 f., 141 f., 235, 248 europäisches Strafrecht 30, 45 Europarat 27 f., 148 ff. evidence shopping 248, 257 Exequaturverfahren 40, 85 ff., 243 fiskalische Delikte 212 forum shopping 142, 146, 230 f., 239 full faith and credit clause 39, 46, 98 Gegenseitigkeit – als Grundsatz der Rechtshilfe 95, 199 ff. – der Anerkennung 95 Gleichheitsgrundsatz 190 f., 200 f., 209 Grundrechtscharta 156 ff., 173 Grundrechtsschutz – auf der EU-Ebene 155 ff. – auf der nationalen Ebene 165 ff. Grundsätze, allgemeine 105 Handlungsort 195, 240 – Haftgründe 223 ff. – Herkunftslandprinzip 67 f., 90, 106 Informationsaustausch zwischen justiziellen Behörden 72, 78 ff., 80, 102, 233 ff., 241, 273, 286 f. internationale Zusammenarbeit in Strafsachen 30 ff., 45 Jurisdiktionskonflikte 21, 37, 79 f., 83, 93, 142 f., 195, 228 ff. justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen 30 f., 53 – in den USA 38 ff., 45 – in der Schweiz 36 ff., 45 f., 250 f. – zwischen den nordischen Staaten 41 f., 46, 178 f. Konzeption der „international-arbeitsteiligen Strafverfolgung“ 167, 171

Legalitätsprinzip 98, 237 f. lis pendens 230, 237 Meistbegünstigung 94, 109, 171, 250 f., 272 militärische Delikte 212 Modellstrafgesetzbuch 40 ne bis in idem 66 f., 74, 79 f., 231 ff., 274 ff. Nordischer Rat 42 OLAF (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung) 50, 140, 241 ordre public 86 f., 188 f., 195 f., 212 ff., 228, 251, 264 organisierte Kriminalität 51 f., 58 principle of respect 96 politische Delikte 210 f. Prinzip der transnationalen Verfahrenseinheit 153 f. race to the bottom 134, 146, 148 Rahmenbeschluss – Anwendbarkeit 115 ff. – Auslegung 120 ff. – über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren 75, 165, 185, 203, 206 f., 212 f., 214, 218, 220 ff., 239 f., 270, 275, 280 f. – über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen 76, 261 f. – über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft 76 f., 225 – über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen 77, 180, 261 ff. – über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung 77, 261 ff., 272 f. – über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile

Stichwortverzeichnis und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen 77 f., 261 ff. – über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten 76 – über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten 76, 197, 243 f., 256 – über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln 75, 178 f., 242 – Umsetzung 124 ff. – Wirkung 118 ff. – zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren 78, 283 f. Rahmengesetz 73, 237 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 29, 225 Rechtsgrundsätze, allgemeine 104 f. Rechtshilfe, internationale 31 f., 89 f., 108, 164 ff., 198 ff. Resozialisierung 78, 222, 236, 263 ff., 279 Richtlinie 84, 119 f. Rückwirkungsverbot 219 f. rule of non-inquiry 96 Schutz der finanziellen Interessen der EU 49 f., 60 f., 78, 183, 253 f. Solidarität 31 f., 108, 188, 205 Souveränität 27, 35, 96, 113, 178, 213, 236 Spezialität, Grundsatz 202 f.

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Strafregister 285 ff. Strafverfolgungsanspruch 89, 93, 195 Strafverfolgungsübernahme 32, 63 Strafvollstreckung 32, 45, 262 ff. Tatort 93, 195, 232, 235 ff. Tatverdacht 217 ff., 246 Territorialitätsgrundsatz 130 Terrorismus 51 f., 58, 98, 182 Todesstrafe 223 TREVI (Internationale Einheit zur internationalen Bekämpfung von Terrorismus, Radikalismus, Extremismus und Gewaltkriminalität) 28 Unmittelbarkeit, Grundsatz 246 f. Verbot der Doppelbestrafung 41, 87, 232 ff., 274 ff. Verbot reformationis in peius 269 Verfahrensrechte in transnationalen Strafverfahren 74, 80, 102, 161 ff., 257, 281 Verfügbarkeitsgrundsatz 287 Verjährung 220 f. Verteidigung, effektive 160 f. Vertragsverletzungsverfahren 124, 138 Vertrauen, gegenseitiges 32, 42, 44, 67, 81, 96 ff., 154, 168, 190, 199, 212, 219 vertrauensstärkende Maßnahmen 101 ff. Vorabentscheidung 113, 135, 140, 158 f., 172 f., 192, 216 Zuständigkeitskonflikte siehe Jurisdiktionskonflikte