Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung [1 ed.] 9783428587803, 9783428187805

2 Abs. 2 JGG verzahnt das Erwachsenen- und Jugendstrafrecht derart, dass die allgemeinen Vorschriften des Straf- und Str

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Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung [1 ed.]
 9783428587803, 9783428187805

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 309

Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung Von

Alexa Anna Zierer

Duncker & Humblot · Berlin

ALEXA ANNA ZIERER

Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 309

Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung Von

Alexa Anna Zierer

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Ralf Kölbel, München Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-18780-5 (Print) ISBN 978-3-428-58780-3 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Dezember 2021 fertiggestellt und im darauf folgenden Sommersemester von der Juristischen Fakultät der LudwigMaximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Die mündliche Doktorprüfung fand am 23. Mai 2022 statt. Danken möchte ich besonders Herrn Prof. Dr. Ralf Kölbel für die Möglichkeit zur Promotion und die ausgezeichnete Betreuung. Er hat die Entstehung dieser Arbeit von Anfang an begleitet, wichtige Impulse gegeben, war jederzeit für Fragen ansprechbar und hat mir gleichzeitig überaus großzügige Freiräume gewährt. Nicht nur in fachlicher, sondern auch in persönlicher Hinsicht war und ist er mir ein Vorbild. Dank gebührt überdies Herrn Prof. Dr. Matthias Krüger für die Anfertigung des Zweitgutachtens. Die Arbeit ist während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ludwig-Maximilians-Universität München am Lehrstuhl von Prof. Dr. Ralf. Kölbel entstanden. Ich möchte mich beim gesamten Lehrstuhlteam für die schöne Zeit bedanken, welche ich immer in positiver Erinnerung behalten werde. Besonderer Dank gilt hierbei Ramona Weisenbach, Dr. Maria Laura Böhm und Alessandro Giannini, welche mir wertvolle Denkanstöße gaben. Für den inspirierenden Austausch und unermüdlichen Zuspruch möchte ich mich zudem bei meinen Freunden Julia Lebe, Lisa-Marie Miller, Dr. Matthias Fervers, Andreas Riedl und Viktoria Riederer bedanken. Bei Letzteren beiden außerdem für die kritische Lektüre des Manuskripts. Gewidmet ist die Arbeit meiner Familie: Meinen Eltern, die mir während der gesamten Studiums- und Promotionszeit immer zur Seite standen. Sie sind mir Vorbilder, Ratgeber und Freunde zugleich. Ebenso meinem Mann und besten Freund Johannes Zierer. Außerdem meinem treuen Wegbegleiter Günther. Landshut, im Oktober 2022

Alexa Zierer

Inhaltsverzeichnis A. Wunsch nach Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Jugendspezifisches teleologisches Trennungsmodell versus Einheitsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das jugendspezifische teleologische Trennungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Einheitsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eigener Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23 26 27

C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . 29 I. Die empirisch-kriminologischen Grundlagender jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Das Menschenbild im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht . . . . . . . . . 29 2. Die Lebensphase Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 a) Begriff Jugend  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 b) Besonderheiten der Lebensphase Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 aa) Biologischer und psychologischer Blickwinkel . . . . . . . . . . . . 32 bb) Soziologischer Blickwinkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 c) Charakteristische Handlungsformen junger Menschen . . . . . . . . . . 36 d) Erhöhte Prägbarkeit Jugendlicher und Heranwachsender . . . . . . . . 38 3. Moral und Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a) Zusammenhang zwischen Moral und Delinquenz . . . . . . . . . . . . . . 38 b) Moralentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 4. Jugendkriminalität als ubiquitäres, normales und episodenhaftes Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Ubiquität und Normalität der Jugenddelinquenz . . . . . . . . . . . . . . . 40 b) Episodenhaftigkeit der Jugenddelinquenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 c) Schlussfolgerung auf normativer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 d) Delinquenz als Teil des Normsozialisierungsprozesses junger Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 e) Ergänzende Perspektive: Entwicklungsdynamische Theorien und Forschungsstand zum Delinquenzabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 aa) Die Alterstheorie von Greenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Die Wechselwirkungstheorie von Thornberry . . . . . . . . . . . . . 45 cc) Die Theorie der altersabhängigen informellen Sozialkontrolle von Sampson und Laub  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 dd) Forschungsstand zum Delinquenzabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . 46 ee) Konsequenzen auf normativer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

8 Inhaltsverzeichnis 5. Abmilderung dysfunktionaler Interventionen durch eine jugendgemäße Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Erkenntnisse der Sanktionsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Etikettierungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 c) Schlussfolgerungen für die jugendgemäße Auslegung . . . . . . . . . . 50 II. Dogmatische Grundlagen des jugendspezifischen teleologischen Trennungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Auslegungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) Bedürfnis nach jugendgemäßer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Jugendgemäße Auslegung oder jugendgemäße Rechtsfortbildung . 53 d) Die allgemeine Gesetzesbindung als Grenze der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 e) Ziele der jugendgemäßen Auslegung – objektive versus subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Begründung der jugendgemäßen Auslegung anhand der Auslegungskanones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 c) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Verfassungsrechtliche Aspekte der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . 60 a) Vereinbarkeit der jugendgemäßen Auslegung mit dem Gesetzlichkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 aa) lex praevia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 bb) lex scripta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 cc) lex certa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 dd) lex stricta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Der Subsidiaritätsgrundsatz als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 c) Verfassungsrechtliche Verankerung des Grundsatzes der positiven Spezialprävention und des Erziehungsgedankens . . . . . . . . . . . . . . 64 d) Verfassungsrechtliche Verankerung des Verbots der Schlechterstellung und des Gebots der Besserstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4. Internationale Grundlage der jugendgemäßen Auslegung: Die UNKinderrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 a) Allgemeines zur UN-Konvention über die Rechte des Kindes . . . . 67 b) Das Kindeswohlprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 aa) Regelungsgehalt des Kindeswohlprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Bedeutung des Kindeswohlprinzips in der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 cc) Bedeutung des Kindeswohlprinzips für die jugendgemäße Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

Inhaltsverzeichnis9 III. Jugendgemäße Auslegung als präferierter Weg – Abgrenzung zu anderen Vorgehensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Ersetzt § 3 JGG eine jugendgemäße Auslegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Jugendgemäße Auslegung anstelle einer Flucht in das Prozessrecht  . 72 3. Ersetzt das jugendstrafrechtliche Rechtsfolgensystem den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4. Jugendgemäße Auslegung anstelle eines eigenständigen Deliktskatalogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 IV. Zusammenfassende Feststellung: Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung als rechtsgebietsspezifische Auslegungsmaxime . . . . . . . . . . . 75 V. Voraussetzungen der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Ausreichende empirisch-kriminologische Grundlage . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Notwendigkeit der Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten auf normativer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Kein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 VI. Leitfaden der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Der Grundsatz der positiven Spezialprävention und der Erziehungsgedanke als Auslegungsleitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Der Grundsatz der positiven Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Der Erziehungsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 aa) Der jugendstrafrechtliche Erziehungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . 81 bb) Kritik am Erziehungsgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 cc) Die Funktionen des Erziehungsgedankens – ein Reformulierungsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Das Verbot der Schlechterstellung und das Gebot der Besserstellung als weitere Auslegungsleitlinien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Das Verbot der Schlechterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Das Gebot der Besserstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Kriterienkatalog: Junge Menschen versus Erwachsene  . . . . . . . . . . . . 86 a) Kriterienkatalog als Orientierungshilfe für die jugendgemäße Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 b) Erkenntnisquellen für die Erstellung eines Kriterienkatalogs . . . . . 87 aa) Marburger Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 bb) Kriterien nach Esser/Fritz/Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 cc) Bonner Delphi-Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 c) Der entwickelte Kriterienkatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . 93 I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands  . . . . . . 93 1. Jugendstrafrechtliche Ausprägung der Lehre der Sozialadäquanz . . . . 93 a) Grundaussage der Lehre der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 b) Jugendstrafrechtliche Ausprägung der Lehre der Sozialadäquanz . 94 2. Gruppenbezogene Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Das Für und Wider der Peergroup . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

10 Inhaltsverzeichnis aa) Jugendgruppen als essenzielle Sozialisationsinstanz . . . . . . . . 95 bb) Die Gruppenzugehörigkeit als situativer Faktor der Jugenddelinquenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 cc) Gruppendynamische Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (1) Übersummativität gruppendynamischer Prozesse . . . . . . . 98 (2) Lösungsansätze für die dogmatische Verortung gruppendynamischer Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen jugendtypischem Verhalten und den allgemeinen Vorschriften durch den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Die jugendgemäße Auslegung ausgewählter Tatbestände mit Gruppenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Bandendiebstahl § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB und Bandenraub § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Schwerer Bandendiebstahl § 244a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 cc) Gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und gemeinschaftlicher Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB . . . . . . . . 107 dd) Die Mittäterschaft § 25 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Scheinwaffenproblematik im Rahmen der §§ 244 Abs. 1 Nr. 1b, 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Allgemeine Kritikpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Verschärfte Problemstellung im Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . 112 4. Der Gewaltbegriff am Beispiel der §§ 249, 255 StGB . . . . . . . . . . . . . 113 a) Der Gewaltbegriff im allgemeinen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Restriktive Handhabung bei jungen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . 113 5. Der Begriff der Drohung am Beispiel des § 241 StGB . . . . . . . . . . . . 115 a) Der Bedrohungstatbestand im allgemeinen Strafrecht  . . . . . . . . . . 115 b) Jugendgemäße Ausformung des Bedrohungstatbestands . . . . . . . . . 116 6. Jugendgemäße Auslegung der Bagatellkriminalität am Beispiel des Schwarzfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Zielvorgabe: Entkriminalisierung im Bereich der Bagatellkriminalität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Jugendgemäße Auslegung des Schwarzfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Allgemeine Argumente für eine restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals „erschleichen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Jugendspezifische Argumente für eine restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals „erschleichen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 7. Jugendgemäße Auslegung ausgewählter Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Problemfall: Geringer Altersunterschied zwischen den Beteiligten  125 b) Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

Inhaltsverzeichnis11 c) Jugendgemäße Auslegung der §§ 176 Abs. 1 Nr. 1, 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Subjektive Aspekte der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Jugendgemäße Auslegung des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dolus directus zweiten Grades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dolus eventualis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Normative Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Jugendgemäße Auslegung spezifischer Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Jugendgemäße Auslegung ausgewählter Anwendungsbeispiele . . . . . . a) Tötungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mordmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mordlust  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Niedrige Beweggründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Gemeingefährliche Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verdeckungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Straßenverkehrsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Jugendgemäße Auslegung der Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Irrtumsproblematik bei jungen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene der Rechtswidrigkeit – die rechtfertigende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwilligungsfähigkeit nach dem Einheitsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einwilligungsfähigkeit nach dem jugendspezifischen teleologischen Trennungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene der Schuld  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Jugendgemäße Auslegung der Rücktrittsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . .

128 128 129 129 130 130 131 132 133 133 133 136 136 137 139 140 141 142 143 144 144 146 147 147 147 149 151

E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. Die Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Überblick über die bisherige Handhabung der Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Zwingender Charakter der Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Ermessenslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Jugendstrafrechtliche Vermögensabschöpfung nach dem jugendspezifischen teleologischen Trennungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Rechtsnatur der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung . . . . . . . . 158 b) Begründung der hier vertretenen Lösung anhand der aufgestellten Auslegungsleitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

12 Inhaltsverzeichnis c) Vermeidung eines Wertungswiderspruchs mit dem Ausschluss der Geldstrafe im Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 d) Keine Aushöhlung des § 15 Abs. 2 Nr. 2 JGG . . . . . . . . . . . . . . . . 161 e) Kein Ausschluss der jugendgemäßen Auslegung durch den Willen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 f) Kein Allheilmittel – die §§ 421 und 459g Abs. 5 StPO . . . . . . . . . 163 II. Jugendgemäße Auslegung der Nebenstrafe und der Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Fahrverbot  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Gründe für eine jugendgemäße Auslegung des Fahrverbots . . . . . . 165 b) Konkrete Ausgestaltung einer jugendgemäßen Auslegung des Fahrverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Entziehung der Fahrerlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Gründe für eine jugendgemäße Auslegung der Entziehung der Fahrerlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Konkrete Ausgestaltung einer jugendgemäßen Auslegung der Entziehung der Fahrerlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . 169 bb) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 cc) Die Sperrfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Führungsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Führungsaufsicht im allgemeinen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Übertragbarkeitstest der Varianten der Führungsaufsicht auf das Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 aa) §§ 7 Abs. 1 JGG, 68 Abs. 2 StGB als Rechtsgrundlage? . . . . 172 bb) §§ 2 Abs. 2 JGG, 68 Abs. 2 StGB als Rechtsgrundlage? . . . . 173 cc) Weitere Argumente gegen die Anwendung der Führungsaufsicht kraft Gesetzes im Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 c) Jugendadäquate Anwendung des § 68 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . 174 III. Das Absehen von Strafe im Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Anwendbarkeit des § 60 StGB im Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Jugendgemäße Auslegung des § 60 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Jugendgemäße Auslegung des Merkmals „offensichtlich verfehlt“  177 b) Jugendgemäße Auslegung des Strafbegriffs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 IV. Jugendgemäße Auslegung der Kronzeugenregelung nach § 46b StGB . . 179 F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . I. Besondere Schutzbedürftigkeit junger Menschen im Strafverfahren . . . . II. Jugendadäquate Verfahrensausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Jugendgemäße Auslegung der Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Haftgrund der Wiederholungsgefahr gem. § 112a StPO . . . . .

181 181 183 184 184 184 185

Inhaltsverzeichnis13 (1) Die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (2) Wiederholungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Haftgrund gem. § 112 Abs. 3 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) DNA-Identitätsfeststellung nach § 81g StPO  . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Straftat von erheblicher Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 bb) Negativprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 cc) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Ableitung allgemeiner Prinzipien für die jugendgemäße Auslegung der Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Jugendgemäße Auslegung der notwendigen Verteidigung . . . . . . . . . . 192 3. §§ 153, 153a StPO und der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Anwendbarkeit der §§ 153, 153a StPO im Jugendstrafrecht . . . . . 195 b) Jugendgemäße Auslegung der §§ 153, 153a StPO . . . . . . . . . . . . . 196 4. Sitzungspolizeiliche Gewalt des Vorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5. Aspekte der jugendgemäßen Auslegung im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 6. Urteilsabsprachen im Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Argumente für die Verständigung im Jugendstrafverfahren . . . . . . 201 b) Kritische Stellungnahme zu den vorgebrachten Argumenten . . . . . 202 c) Argumente gegen die Verständigung im Jugendstrafverfahren . . . . 203 d) Urteilsabsprachen im Jugendstrafverfahren nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 e) Jugendgemäße Ausgestaltung der Verständigung im Jugendstrafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 aa) Allgemeine Anwendungsprinzipien der Verständigung im Jugendstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Unzulässige Verständigungsinhalte im Jugendstrafrecht . . . . . 207 (1) Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (2) Bewährung nach den §§ 21 ff., 27 ff. JGG . . . . . . . . . . . . . 208 (3) Unzulässige Sanktionsschere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (4) Zusage einer Sanktionsobergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 cc) Bindungswirkung der Verständigung im Jugendstrafrecht . . . . 209 7. Beweisverwertungsverbote und der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Die Abwägungslehre im Erwachsenenstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Die Abwägungslehre nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 c) Jugendgemäße Auslegung der §§ 136, 136a StPO . . . . . . . . . . . . . 211 8. Einschränkung von Opferrechten durch den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

14 Inhaltsverzeichnis a) Spannungsverhältnis zwischen Opferrechten und den Leitgedanken des Jugendstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Die Nebenklage im Gefüge der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . 215 aa) Die Nebenklage im Erwachsenenstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Dysfunktionale Effekte der Nebenklage im Jugendstrafrecht . 215 cc) Jugendgemäße restriktive Auslegung der Nebenklagevoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 dd) Zulässigkeit der Nebenklage in verbundenen Verfahren gegen Jugendliche und Erwachsene bzw. Heranwachsende . . 218 ee) §§ 472 StPO, 74 JGG und der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Jugendgemäße Auslegung des § 406d Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . 219 d) Jugendgemäße Auslegung des § 406e StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 e) Jugendgemäße Auslegung des § 406f StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 f) Jugendgemäße Auslegung der psychosozialen Prozessbegleitung gem. § 406g StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 g) Jugendgemäße Auslegung des § 406h StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 9. Aspekte der jugendgemäßen Auslegung im Zusammenhang mit der Authentizität der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Jugendgemäße Auslegung der Einwendungen gegen die Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) § 354 Abs. 1a StPO und der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 G. Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung – Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

Abkürzungsverzeichnis I. Allgemein a. A. andere Ansicht Abs. Absatz a. F. alte Fassung AG Amtsgericht Alt. Alternative AO Abgabenordnung Art. Artikel Aufl. Auflage BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BeckOKGrundgesetz Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz BeckOKJGG Beck’scher Online-Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz BeckOKStGB Beck’scher Online-Kommentar zum Strafgesetzbuch BeckOKStPO Beck’scher Online-Kommentar zur Strafprozessordnung BeckRS Beck-Rechtsprechung BezG Bezirksgericht BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen BKA Bundeskriminalamt BMJ Bundesministerium der Justiz BMJV Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz BR-Drs. Bundesratsdrucksache BT-Drs. Bundestagsdrucksache BtMG Betäubungsmittelgesetz BVerfG Bundesverfassungsgericht BzgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise DVJJ Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen

16 Abkürzungsverzeichnis EGGVG

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz

EGStGB

Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch

EGStPO

Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

et al.

et alii (und andere)

etc.

et cetera

EU

Europäische Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

e. V.

eingetragener Verein

f./ff. folgende/fortfolgende Fn. Fußnote FS Festschrift gem. gemäß GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GVG Gerichtsverfassungsgesetz HansOLG

Hanseatisches Oberlandesgericht

Hrsg. Herausgeber i. S. d.

im Sinne des

ISRD3

International Self-Report Delinquency Study

i. S. v.

im Sinne von

i. V. m.

in Verbindung mit

JGG Jugendgerichtsgesetz KFN

Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen

KG Kammergericht KRK

Übereinkommen über die Rechte des Kindes

LG Landgericht MPI Max-Planck-Institut MPU

Medizinisch-Psychologische Untersuchung

MüKoStGB

Münchener Kommentar zum StGB

MükoStPO

Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung

Nr. Nummer OLG Oberlandesgericht ORRG Opferrechtsreformgesetz PKS

Polizeiliche Kriminalstatistik

PsychPbG

Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren

Rn. Randnummer

Abkürzungsverzeichnis17 S. Seite/Satz SGB VIII

Achtes Buch Sozialgesetzbuch

SK-StPO

Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung

sog.

so genannten/r/s

StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StrEG

Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen

TV Tatverdächtige TVBZ Tatverdächtigenbelastungszahl u. a.

und andere/unter anderem

U-Haft Untersuchungshaft UN-Kinderrechts-  konvention

Übereinkommen über die Rechte des Kindes

Var. Variante VG Verwaltungsgericht vgl. vergleiche VwGO Verwaltungsgerichtsordnung WD

Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages

z. B.

zum Beispiel

ZPO Zivilprozessordnung ZSHG Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz

II. Zeitschriften Ann N Y Acad Sci

Annals of the New York Academy of Sciences

Brit J Criminol

The British Journal of Criminology

DAR

Deutsches Autorecht

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DVBI

Deutsches Verwaltungsblatt

Forens Psychiatr   Psychol Kriminol

Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie

FPR

Familie Partnerschaft Recht

FuR

Familie und Recht

GA

Goltdammer’s Archiv für Strafrecht

HRRS

Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht

JA

Juristische Arbeitsblätter

J Abnorm Child  Psychol

Journal of Abnormal Child Psychology

18 Abkürzungsverzeichnis J Dev Life Course  Criminology J Exp Criminol J Pers Soc Psychol JR Jura JuS JZ KrimJ KriPoZ KritV

Journal of Developmental and Life-Course Criminology

Journal of Experimental Criminology Journal of Personality and Social Psychology Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristen Zeitung Kriminologisches Journal Kriminalpolitische Zeitschrift Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft MschrKrim Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform NJ Neue Justiz NJW Neue Juristische Wochenschrift NK Neue Kriminalpolitik NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-RR NStZ-Rechtsprechungsreport Strafrecht NZFam Neue Zeitschrift für Familienrecht NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht NZWiSt Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht RdA Recht der Arbeit RdJB Recht der Jugend und des Bildungswesens RPsych Rechtspsychologie StraFo Strafverteidiger Forum StV Strafverteidiger SVR Straßenverkehrsrecht VRS Verkehrsrechts-Sammlung ZAR Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik ZfJ Zentralblatt für Jugendrecht ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZJJ Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe ZJS Zeitschrift für das Juristische Studium ZKJ Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZVS Zeitschrift für Verkehrssicherheit

A. Wunsch nach Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten im Strafrecht Auf dem Pausenhof einer Schule kam es zu einer Knutscherei zwischen dem dreizehn Jahre alten Andreas und der vierzehnjährigen Julia. Die beiden führten eine einvernehmliche intime Beziehung. Am Tag darauf hatte ­Andreas seinen vierzehnten Geburtstag und kaufte sich zur Feier des Tages ein Eis in einer Eisdiele. Dabei erreichte er eine Fußgängerbrücke, die über eine Bundesstraße führt. „Dort fasste er den Plan, Steine auf die unter der Brücke hindurch fahrenden Autos zu werfen, um bei dem Aufprall der Steine auf den Autos laute Knallgeräusche zu hören. Darüber, dass eine solche Aktion Leib und Leben der Insassen gefährden könnte, machte [er] […] sich keine Gedanken, wenngleich er früher schon einmal im Radio gehört hatte, dass es in Zusammenhang mit Steinewürfen auf Autos zu teils dramatischen Unfällen kommen kann.“1 Andreas setzte seinen Plan um und warf gezielt mit Steinen auf einzelne Autos. Jedoch verfehlte er die Fahrzeuge knapp. Keiner der Insassen wurde an Leib oder Leben verletzt.2 Hat sich Julia tatsächlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern gem. § 176 Abs. 1 StGB i. V. m. § 2 Abs. 2 JGG strafbar gemacht? Und ist in ­Andreas Verhalten wirklich ein versuchter heimtückischer Mord mit gemeingefährlichen Mitteln nach §§ 211, 22, 23 Abs. 1 StGB i. V. m. § 2 Abs. 2 JGG zu sehen? § 2 Abs. 2 JGG verzahnt das Erwachsenen- und Jugendstrafrecht derart, dass die allgemeinen Vorschriften immer dann gelten, wenn im spezielleren3 JGG nichts anderes bestimmt ist. Unter dem Begriff der allgemeinen Vorschriften sind dabei solche Normen im strafrechtlichen Kontext zu verstehen, die unabhängig vom Alter des Täters gelten.4 Das JGG enthält für das materielle und prozessuale Strafrecht keine erschöpfende Regelung. Hinsichtlich des materiellen Strafrechts modifiziert das JGG insbesondere die Rechtsfol1  LG Bonn, Urteil vom 26.04.2016 – 28 KLs – 920 Js 860/15 – 11/15 –, Rn. 9, juris. 2  Selbst konstruierter Fall angelehnt an LG Bonn, Urteil vom 26.04.2016 – 28 KLs – 920 Js 860/15 – 11/15 –, juris. 3  Bohnert, NJW 1980, 1927 (1928); Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 109 ff.; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 5; Radtke, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 10 Rn. 1. 4  BT-Drs. 1/4437, S. 3.

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A. Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten im Strafrecht

gen, sodass die Prüfung der Strafbarkeit auch für Jugendliche und Heranwachsende anhand der allgemeinen Tatbestände zu erfolgen hat. Lediglich die Verantwortlichkeit wird in § 3 JGG besonders normiert. Strafprozessual sind in den §§ 33 ff. JGG Spezialvorschriften enthalten. Darüber hinaus sind wiederum die Vorschriften der StPO heranzuziehen. Es stellt sich die Frage, ob die Strafbarkeitsprüfung von Julia und Andreas tatsächlich genauso vorgenommen werden sollte wie bei Erwachsenen oder ob die Besonderheiten der jugendstrafrechtlichen Regelungsmaterie bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften zu beachten sind. Der vorliegende Sachverhalt legt die Idee der Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten nahe. Jugendliche bzw. Heranwachsende und Erwachsene befinden sich in verschiedenen Lebensphasen und unterscheiden sich in ihren typischen Denk- und Verhaltensweisen.5 Sie durchleben einen Reifungsprozess vielschichtiger Art. Bereits die entwicklungstypischen Besonderheiten junger Menschen und der oftmals damit einhergehende unterschiedliche Bedeutungsgehalt von jugendlichem und erwachsenem Verhalten6 geben Anlass für eine zwischen jungen Menschen und Erwachsenen differenzierende strafrechtliche Handhabung. Die jugendliche Lebensrealität weist zudem eine stärkere Nähe zu bestimmten Delikten auf, weshalb eine Gleichbehandlung jugendlichen und erwachsenen Verhaltens eine größere Straftatbegehungsund Strafverfolgungswahrscheinlichkeit für junge Menschen nach sich zieht.7 Dies bringt ein erhöhtes Risiko dysfunktionaler Sanktionsfolgen mit sich, die gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden vor dem Hintergrund des Ziels der künftigen Legalbewährung tunlichst zu vermeiden sind.8 Auch der Gesetzgeber hat nun zumindest an einer Stelle das Bedürfnis der Beachtung jugendtypischer Besonderheiten erkannt und mit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder in § 176 Abs. 2 StGB eine einschränkende Regelung normiert.9 Danach kann das Gericht von Strafe absehen, „wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus“. Trotz der sehr begrüßenswerten Intention des Gesetzgebers, auf das sexuelle Erprobungsverhalten junger Menschen Rücksicht zu nehmen10, darf Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 169 (172). ZJJ 2021, 40 (40 f.). 7  Kölbel, ZJJ 2021, 40 (42). 8  Kölbel, ZJJ 2021, 40 (42). 9  BGBl. I 2021 S. 1810. 10  BT-Drs. 19/23707, S. 38: „Für das ungestörte Durchlaufen der einzelnen Entwicklungsphasen ist es wichtig, dass dem Kind beziehungsweise Jugendlichen ein 5  Günter, 6  Kölbel,



A. Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten im Strafrecht21

nicht übersehen werden, dass die Befassung des Gesetzgebers mit den entwicklungstypischen Besonderheiten junger Menschen und der daraus resultierenden Frage nach einer differenzierenden strafrechtlichen Handhabung einen absoluten Ausnahmefall und nicht die gewünschte Regel darstellt.11 Die Straftatbestände des StGB gelten über den Mechanismus des § 2 Abs. 2 JGG altersübergreifend und demnach gleichermaßen für Jugendliche bzw. Heranwachsende und Erwachsene. Genauso verhält es sich hinsichtlich der endlosen neu geschaffenen Strafbarkeitserweiterungen. Allerdings unterbleibt insoweit fast immer eine Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit der über § 2 Abs. 2 JGG automatisch eintretenden Mitbetroffenheit junger Menschen. Auch im Strafprozessrecht und im Sanktionenrecht, insbesondere bei der Einführung der Neuregelungen zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, ist diese Problematik virulent.12 Jugendspezifische Besonderheiten befinden sich im Gesetzgebungsprozess nach wie vor in einem „toten Winkel“. Dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung in § 176 Abs. 2 StGB ein Bedürfnis nach der Berücksichtigung jugendspezifischer Besonderheiten zwar im Grundsatz anerkennt, sich aber trotzdem nicht umfassend mit der Thematik beschäftigt und die Erkenntnis, dass eine äußerst vage Ermessensregelung wie § 176 Abs. 2 StGB zwar ein erster Ansatz ist, aber doch deutlich hinter dem wünschenswerten Maß an Berücksichtigung der jugendlichen Besonderheiten zurückbleibt, macht eine eingehende Befassung mit dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung erforderlich. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden zunächst das hier vertretene jugendspezifische teleologische Trennungsmodell und das Einheitsmodell gegenübergestellt, um im Verlauf der Arbeit die Vorzugswürdigkeit des ersten Ansatzes zu demonstrieren. Nach dem Einheitsmodell sind die allgemeinen Vorschriften gleichermaßen auf Jugendliche bzw. Heranwachsende und Erwachsene anzuwenden, es sei denn, es ist im JGG ausdrücklich etwas anderes normiert. Demgegenüber sind nach dem jugendspezifischen teleologischen Trennungsmodell, also dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung, bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften stets der empirisch erfassbare Teil der sozialen Realität junger Menschen und die Leitgedanken des JGG zu berücksichtigen. Dies betrifft sowohl die materielle als auch die prozessuale Prüfung sowie die im Jugendstrafrecht anwendbaren StGBFreiraum sexueller Selbsterprobung mit (annähernd) Gleichaltrigen verbleibt. Eine Bestrafung solcher Fälle würde jedoch darauf hinauslaufen, für die sexuelle Entwicklung wichtige Handlungen zu kriminalisieren und damit die vom Gesetzgeber an sich gewünschte Möglichkeit des Kindes zur ungestörten Ausbildung der sexuellen Selbstbestimmung zu konterkarieren“. 11  Eine genaue Analyse der Thematik findet sich bei Kölbel, ZJJ 2021, 40 (41 f.). 12  Kölbel, ZJJ 2021, 40 (42).

22

A. Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten im Strafrecht

Rechtsfolgen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung erstmalig in systematischer Art und Weise aufzubereiten. Um den Bedarf der Berücksichtigung entwicklungstypischer Besonder­ heiten im Rahmen der Rechtsanwendung gegenüber Jugendlichen und He­ ranwachsenden zu verdeutlichen, werden die empirisch-kriminologischen Grundlagen der jugendgemäßen Auslegung herausgearbeitet. Hierzu ist es erforderlich, sich mit den Unterschieden der Denk-, Verhaltens-, und Reaktionsweisen junger Menschen und Erwachsener auseinanderzusetzen. Sodann folgt die Erörterung der dogmatischen Grundlagen der jugendgemäßen Auslegung. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang die Begründung des Grundsatzes der jugendgemäßen Auslegung anhand der Auslegungskanones. Anknüpfungspunkt ist insoweit § 2 JGG. Außerdem muss eine Befassung mit den verfassungsrechtlichen Aspekten einer solchen Auslegung erfolgen. Überdies ist deren internationale Grundlage zu erörtern. Im Folgenden wird die jugendgemäße Auslegung anderen Möglichkeiten zur Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten, wie § 3 JGG, der Flucht in das Prozessrecht, dem jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgensystem und einem eigenständigen Deliktskatalog gegenübergestellt und ihre Vorzugswürdigkeit demonstriert. Folglich wird die jugendgemäße Auslegung als rechtsgebietsspezifische Auslegungsmaxime etabliert und deren Voraussetzungen benannt. Zudem wird ein Leitfaden für deren Anwendung aufgestellt. Insoweit sind der Erziehungsgedanke, der Grundsatz der positiven Spezialprävention und das Verbot der Schlechterstellung Jugendlicher und Heranwachsender gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenslage herauszustellen. Es schließt sich die Entwicklung eines Kriterienkatalogs als Orientierungshilfe an. Diesem allgemeinen Teil folgen ein materieller Teil, ein Abschnitt, der sich mit der Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen beschäftigt und ein prozessualer Teil nach. Im Zuge derer werden die erörterten Grundlagen auf konkrete Anwendungsbeispiele übertragen. Auf materiellrechtlicher Ebene der jugendgemäßen Auslegung erfolgt die Aufarbeitung zahlreicher Beispiele auf allen Prüfungsebenen. Einer der Schwerpunkte liegt dabei auf der Behandlung gruppenbezogener Delikte. Zudem werden die Anfangsbeispiele erläutert und einer jugendgemäßen Auslegung zugeführt. Der Abschnitt zu den im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen befasst sich insbesondere mit der Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht. Im Rahmen der prozessrechtlichen Ebene der jugendgemäßen Auslegung steht die besondere Schutzbedürftigkeit junger Menschen im Strafverfahren im Mittelpunkt. Sodann wird die Bedeutsamkeit einer jugendadäquaten Verfahrensausgestaltung betont. Abschließend werden wesentliche Gesichtspunkte der jugendgemäßen Auslegung auf prozessualer Ebene anhand einzelner, ausgewählter Beispiele herausgearbeitet.

B. Jugendspezifisches teleologisches Trennungsmodell versus Einheitsmodell I. Das jugendspezifische teleologische Trennungsmodell Nach der jugendspezifischen teleologischen Herangehensweise sind bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften stets die besonderen empirischen Erkenntnisse hinsichtlich junger Menschen und die Leitgedanken des JGG zu berücksichtigen und durch eine jugendgemäße Auslegung zu verwirklichen. Den altersbedingten Eigenarten Jugendlicher und Heranwachsender und den „ ‚qualitativen Unterschieden‘ äußerlich identischen Verhaltens“1 junger Menschen und Erwachsener soll auf diesem Weg bei der Norminterpretation Raum verschafft werden. Schon Peters brachte dies zutreffend auf den Punkt: „In dem gleichen Maß wie der Jugendliche sich vom Erwachsenen unterscheidet, muß sich auch die Anwendung des allgemeinen Strafrechts beim Jugendlichen von der Handhabung beim Erwachsenen abheben.“2 Danach ergeben sich andersartige Anforderungen an die strafrechtliche Prüfung bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden und Erwachsenen. Es genügt demnach entgegen dem Einheitsmodell nicht, jugendspezifische Besonderheiten nur gelegentlich und zufällig im Rahmen der allgemeinen Dogmatik zu beachten. Vielmehr sind die Unterschiede zwischen jungen Menschen und Erwachsenen prinzipiell zu berücksichtigen. Im Zuge dieser zwingenden Einbeziehung der Jugendspezifika in die Prüfung kann sich eine jugendgemäße Auslegung in zwei verschiedenen Spielarten mit fließenden Übergängen präsentieren. Einerseits kann eine jugendgemäße Auslegung darin bestehen, entwicklungsspezifische Besonderheiten bei der Subsumtion unter die allgemeine Dogmatik zu beachten. Es wird also an der üblichen Interpretation eines Merkmals festgehalten, an dessen fallkonkretes Vorliegen werden aber strengere Anforderungen gestellt. Dies führt dann zu einer zurückhaltenderen Handhabung bei Jugendsachverhalten. In manchen Fällen kann der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung aber auch zu einem altersspezifisch abweichenden Normverständnis führen. Die geltende Dogmatik wird also ­ jugendspezifisch verändert. Dies kann sogar zur Nichtanwendbarkeit einzelner Normen führen. Das Jugendstrafrecht stellt gegenüber dem allgemeinen Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 28. Werdendes Jugendstrafrecht, S. 7 f.

1  Eisenberg/Kölbel, 2  Peters,

24 B. Jugendspezifisches teleologisches Trennungsmodell vs. Einheitsmodell

Strafrecht nach dieser Sichtweise ein „aliud“3 dar und nicht nur eine punk­ tuelle Modifikation. Daher muss stets die Vereinbarkeit der allgemeinen Vorschriften mit den empirischen Erkenntnissen zum Jugendalter und den Leitgedanken des JGG im Wege eines „Übertragbarkeitstests“4 festgestellt werden. „Wie wir heute bei gesetzgeberischen und exekutiven Entscheidungen die Umweltverträglichkeit prüfen, muß im Strafrecht die Jugendverträglichkeit geprüft werden.“5 In der jugendstrafrechtlichen Literatur6 und Rechtsprechung7 wird vereinzelt eine systematische und zwingende Berücksichtigung jugendspezifischer Besonderheiten bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften gefordert. StraFo 2017, 267 (267 f.). in: BMJV, Berliner Symposium zum Jugendkriminalrecht und seiner Praxis, S. 9 (29). 5  Ostendorf, in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (336). 6  Mehr oder minder weitgehende Auseinandersetzung mit der Fragestellung: Peters, Werdendes Jugendstrafrecht, S. 7 f.; Peters, in: Sieverts, Handwörterbuch der Kriminologie, S. 455 (459); Peters, Strafprozeß, S. 561; Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 115; Stock, MschrKrim 1987, 352 (352); Wingerter, StV 1987, 309 (309); Schaal/Eisenberg, NStZ 1988, 49 (49); Ostendorf, in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (332 ff.); Bringewat, NStZ 1992, 315 (316 f.); Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (198); Schlüchter, ZRP 1992, 390 (394); Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S.  436 (441 ff.); von Nerée, StV 1993, 212 (213); Trenczek, ZRP 1993, 184 (185 ff.); Märker, Vorsatz und Fahrlässigkeit bei jugendlichen Straftätern, S. 280; Kuhn, Verfahrensfairneß im Jugendstrafrecht, S. 75 f.; Glandien, NStZ 1998, 197 (198); Amelung, NStZ 1999, 458 (459); Eisenberg, NStZ 1999, 281 (281); Albrecht, Jugendstrafrecht, S.  92 ff.; Rentzel-Rothe, DVJJ-Journal 2000, 191 (192); Eisenberg, NStZ 2001, 556 (557); Nothacker, Jugendstrafrecht, S. 14; Albrecht, Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß?, S. 109; Ostendorf, StV 2002, 436 (441); 2. Jugendstrafrechtsreform-Kommission der DVJJ, DVJJ-Journal Extra Nr. 5 2002, S. 11 f.; Lüderssen, in: Amelung, FS Schreiber, S. 289 (295); Höynck, ZJJ 2005, 34 (35); Hüls, ZJJ 2005, 22 (23); Humberg, Jura 2005, 376 (382); Eisenberg, DRiZ 2006, 120 (120 f.); Eisenberg/ Haeseler, JR 2006, 303 (303); Kett-Straub, ZRP 2007, 260 (260); Eisenberg/Schmitz, NStZ 2008, 95 (96); Eisenberg, NStZ 2008, 698 (698 f.); Pollähne, ZJJ 2008, 4 (6 ff.); Weide, SVR 2008, 230 (231); Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 47; Altermann, in: Müller/Sander/Válková, FS Eisenberg, S. 233 (244); Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 199; Brehm, Fragen der Weiterentwicklung des jugendkriminalrechtlichen Rechtsfolgensystems, S. 204; Möller, StraFo 2009, 92 (95); Eisenberg, ZJJ 2010, 330 (330 f.); Knauer, ZJJ 2010, 15 (17 ff.); Nix/Möller/ Schütz, Einführung in das Jugendstrafrecht für die soziale Arbeit, S. 63; Sommerfeld, ZJJ 2011, 92 (93 f.); Eisenberg, HRSS 2012, 23 (23); Eisenberg, ZKJ 2012, 54 (54); Eisenberg, ZJJ 2012, 204 (206); Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 59; Reisenhofer, Jugendstrafrecht in der anwaltlichen Praxis, § 2 Rn. 18; Eisenberg, JA 2013, 34 (37); Rentzel-Rothe, StV 2013, 786 (786 ff.); Kotz/Rahlf, Praxis des Betäubungsmittelstrafrechts, Kapitel 9 Rn. 22; Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 67; Lehmann3  Höynck, 4  Kölbel,



I. Das jugendspezifische teleologische Trennungsmodell25

Demgegenüber ist in der Literatur zum Erwachsenenstrafrecht eine ein­ gehende Aufarbeitung der Thematik überhaupt nicht vorzufinden. Deutlich wird dies anhand einer Auswertung der Kommentarliteratur zu § 10 StGB. Häufig wird die Problematik nicht einmal erwähnt.8 Nur einige wenige Autoren weisen darauf hin, dass das allgemeine Strafrecht nur dann anwendbar ist, wenn sich im JGG keine abweichenden Regelungen finden und wenn die allgemeinen Vorschriften den jugendstrafrechtlichen Grundsätzen nicht zu­ widerlaufen, sondern zu jugendgemäßen Ergebnissen führen.9 Eine darüberhinausgehende Erörterung einer altersspezifischen Auslegung unterbleibt Björnekärr, Der Gruppenbezug jugendlicher Delinquenz, S. 210 ff.; Gundelach, Die Führungsaufsicht nach der Vollverbüßung einer Jugendstrafe, S. 42; Eisenberg, ZJJ 2016, 33 (36); Huhle, Die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 164; Eisenberg, StraFo 2017, 283 (283 ff.); Kölbel, in: BMJV, Berliner Symposium zum Jugendkriminalrecht und seiner Praxis, S. 9 (29); Kölbel, ZJJ 2017, 279 (280); Griego, Möglichkeiten und Grenzen der Entkriminalisierung von Bagatelltaten im Jugendstrafrecht, S. 148 ff.; Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (337 ff.); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 35; Schady/Sommerfeld, ZJJ 2018, 219 (223); Eisenberg, JR 2019, 598 (599); Berberich/Singelnstein, StV 2019, 505 (506); Eisenberg, NStZ 2019, 222 (222 f.); Mitsch, NStZ 2019, 681 (681 f.); Bausch, Die Berücksichtigung der individuellen Entwicklung bei der Auslegung strafrechtlicher Normen am Beispiel des dolus eventualis, S. 210: vertritt eine alters- und entwicklungsadäquate Gesetzesauslegung losgelöst vom Anwendungsbereich des JGG; Franzke, ZJJ 2020, 273 (273 ff.); Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn.  30  ff.; Ostendorf, in: Drenkhahn u. a., FS Dünkel, S. 667 (672); Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 8 ff.; Eisenberg, ZJJ 2021, 150 (152); Kölbel, ZJJ 2021, 40 (43 f.); Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 1 Rn. 10; Stefanopoulou, HRRS 2021, 301 (301 ff.) zieht § 3 als Grundlage für eine jugendadäquate subjektive Zurechnung heran; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 15 ff.; Putzke, in: Gertler/ Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 2 Rn. 1a, 16; Puschke/Fett, ZJJ 2022, 92 (92 ff.); Güde, in: DVJJ, Jugend, Recht und Öffentlichkeit – Selbstbilder, Fremdbilder, Zerrbilder, S. 193 (202); Franzke, in: DVJJ, Jugend, Recht und Öffentlichkeit – Selbstbilder, Fremdbilder, Zerrbilder, S. 205 (211 ff.). 7  BayObLG, NJW 1992, 1520 (1521); LG Itzehoe, StV 1993, 537 (538); AG Saalfeld, NStZ-RR 2004, 264 (264); BVerfG, NJW 2008, 281 (282 f.); AG Rudolstadt, NStZ-RR 2012, 341 (342); BVerfG, StV 2014, 578 (579 f.); AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 249 (250); AG Rudolstadt, ZJJ 2018, 63 (65); LG Münster, NStZ 2018, 669 (669 ff.). 8  Heger, in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, § 10; Joecks/Jäger, Strafgesetzbuch, § 10; Hartmann, in: Dölling u. a., Gesamtes Strafrecht, § 10; Fischer, Strafgesetzbuch, § 10; von Heintschel-Heinegg, in: von Heintschel-Heinegg, BeckOKStGB, § 10. 9  Saliger, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, § 10 Rn. 1; Eser/ Weiser, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 10 Rn. 1; Werle/Jeßberger, in: Cirener u. a., Leipziger Kommentar StGB, § 10 Rn. 1; Basak, in: Matt/Renzikowski, Strafgesetzbuch, § 10 Rn. 1; Radtke, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 10 Rn. 2; Zöller, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, AnwaltKommentar StGB, § 10 Rn. 1; Satzger, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, Strafgesetzbuch, § 10 Rn. 1.

26 B. Jugendspezifisches teleologisches Trennungsmodell vs. Einheitsmodell

aber. Folglich bleibt klärungsbedürftig, ob sich die Autoren hiermit einer so stringenten und weitgehenden Berücksichtigung jugendspezifischer Besonderheiten, wie im Rahmen des jugendspezifischen teleologischen Trennungsmodells vertreten, anschließen, oder ob sie dem Einheitsmodell zugehörig sind.

II. Das Einheitsmodell Nach dem Einheitsmodell10 sind die allgemeinen Vorschriften, insbesondere das StGB und die StPO, gleichermaßen auf Jugendliche bzw. Heranwachsende und Erwachsene anzuwenden, es sei denn, es ist im JGG ausdrücklich etwas anderes normiert. Auch die Auslegung der Normen und die Subsumtion erfolgt nach denselben Grundsätzen wie im Erwachsenenstrafrecht. Entwicklungstypischen Besonderheiten wird über die ausdrücklich normierten JGG-Vorschriften hinaus nicht durchgängig in systematischer Weise Rechnung getragen, sondern sie werden allenfalls zufällig im Einzelfall berücksichtigt, ohne dass ein dahingehendes Prinzip anerkannt wird. Die allgemeinen Vorschriften gelten also mit altersgruppenübergreifender Einheitlichkeit. Auf diesem Standpunkt befindet sich überwiegend auch die Rechtsprechung.11 10  Kornprobst, JR 2002, 309 (312); Altenhain, NStZ 2011, 272 (272); Schaffstein/ Beulke/Swoboda, Jugendstrafrecht, Rn. 163 ff.; einige lehnen eine jugendgemäße Auslegung zwar prinzipiell ab, gestatten aber im Einzelfall die Berücksichtigung jugendspezifischer Besonderheiten im Rahmen wertausfüllungsbedürftiger Begriffe: Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 1 Rn. 4, § 2 Rn. 26; Laubenthal/Baier/ Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 64; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 6, 11; Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 41; Laue, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 2 JGG Rn.  23 ff.; Putzke, in: Gertler/Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 1 Rn. 21 f.; Dallinger/ Lackner, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 5 ff. differenzieren darüber hinaus zwischen materiellen und prozessualen Regelungen. Einerseits postulieren sie, dass „die Auslegung der gesetzlichen Tatbestände bei Jugendlichen und Erwachsenen stets den gleichen Grundsätzen“ folgen müsse. Andererseits sei hinsichtlich der allgemeinen Prozessvorschriften zu prüfen, ob sie nicht „den Grundgedanken und dem Geist des JGG“ widersprechen. „In diesem Falle ist die Vorschrift im Jugendstrafverfahren entweder überhaupt nicht oder doch nur mit gewissen Modifikationen anwendbar“. 11  Beispielhaft hierfür ist die explizite Ablehnung einer jugendgemäßen Auslegung in der Rechtsprechung zu § 244a StGB: LG Koblenz, NStZ 1988, 197 (197); BGH, Beschluss vom 20.08.1997 – 2 StR 306/97 –, juris; BGH, NStZ-RR 2000, 343 (344); BGH, NStZ 2008, 625 (625 f.) und zur Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht: LG Trier, Urteil vom 27.09.2017 – 8031 Js 20631/16 jug. 2a Ns –, Rn. 23, juris; BGH, Beschluss vom 24.01.2019 – 5 StR 475/18 –, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 28.01.2019 – 1 Ss 180/18 –, Rn. 11 ff., juris; LG Limburg, Urteil vom 25.03.2019 – 2 Ns – 2 Js 57115/18 –, Rn. 27, juris; LG Köln, NStZ-RR 2019, 232 (232); BGH, NStZ 2019, 221 (222); BGH, Urteil vom 08.05.2019 – 5 StR 95/19 –, Rn. 6 ff., juris; OLG Zweibrücken, Urteil vom 27.05.2019 – 1 OLG 2 Ss 11/19 –, Rn. 9, juris; BGH, Be-



III. Eigener Standpunkt27

Die Vertreter des Einheitsmodells wenden gegen eine jugendgemäße Auslegung folgende Gesichtspunkte ein: Zunächst fehle es für eine derartige Auslegung an der gesetzlichen Legitimation.12 Altenhain führt an, dass § 2 Abs. 2 JGG „keine Ermächtigung zu einer den Wortlaut überspielenden teleologischen Auslegung“ darstelle.13 Auch Laue hält eine jugendspezifische Auslegung mit § 2 JGG für unvereinbar.14 Außerdem werde die Einheit der Rechtsordnung in Frage gestellt15 und es werde verpasst, den jungen Menschen die „elementaren Grundsätze von Recht und Unrecht“ zu vermitteln16, sodass die Internalisierung des Strafrechts behindert werde.17 Überdies entstehe der Eindruck der Beliebigkeit und Disponibilität strafrechtlicher Verbote18, sodass das Prinzip der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit staat­ lichen Strafens gefährdet sei.19 Zudem liege in dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 Abs. 2 GG und das Gebot der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG.20

III. Eigener Standpunkt Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird das jugendspezifische teleologische Trennungsmodell vertreten und der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung als rechtsgebietsspezifische Auslegungsmaxime etabliert. Bei der jugendgemäßen Auslegung handelt es sich danach um eine bei jeder Gesetzesanwendung zu beachtende Maxime. Denn die allgemeinen Vorschriften sind nicht immer in der Lage, die jugendspezifische Lebensrealität adäquat zu erfassen, da sie auf die Lebenswirklichkeit, die Fähigkeiten und den Entwicklungsstand erwachsener Menschen zugeschnitten sind. Das Einheitsmodell stellt demzufolge ein zu formales Vorgehen, losgelöst von empirischen Erkenntnissen hinsichtlich der Besonderheiten des Jugendalters, dar.

schluss vom 17.06.2019 – 4 StR 62/19 –, Rn. 7 ff., juris; OLG Hamm, BeckRS 2020, 21462. 12  Putzke, in: Gertler/Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 1 Rn. 22. 13  Altenhain, NStZ 2011, 272 (272). 14  Laue, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 2 JGG Rn. 23. 15  Dallinger/Lackner, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 5; Kornprobst, JR 2002, 309 (312). 16  Kornprobst, JR 2002, 309 (312). 17  Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 26; Laubenthal/Baier/ Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 64. 18  Kornprobst, JR 2002, 309 (312). 19  Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 26; Laubenthal/Baier/ Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 64; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 11. 20  Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 26.

28 B. Jugendspezifisches teleologisches Trennungsmodell vs. Einheitsmodell

Ziel ist es, die Grundlagen einer solchen jugendgemäßen Auslegung zu erarbeiten. Zum einen werden die empirisch-kriminologischen Grundlagen dieser Auslegung erörtert, zum anderen deren dogmatisches Fundament. Dabei werden die Argumente der Vertreter des Einheitsmodells entkräftet. Weiterhin wird erläutert, warum das jugendspezifische teleologische Trennungsmodell anderen Vorgehensweisen vorzuziehen ist. Es werden ihre Voraussetzungen erläutert und es wird ein Leitfaden für diese Auslegung formuliert. Sodann werden diese allgemeinen Gesichtspunkte auf materielle und prozessuale Anwendungsbeispiele übertragen. Außerdem wird eine jugendgemäße Auslegung bei den im Jugendstrafrecht anwendbaren StGB-Rechtsfolgen erörtert.

C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung I. Die empirisch-kriminologischen Grundlagen der jugendgemäßen Auslegung 1. Das Menschenbild im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht „Nichts ist so entscheidend für den Stil eines Rechtszeitalters wie die Auffassung vom Menschen, an der es sich orientiert“.1 Es stellt sich also die Frage: „Wer ist es eigentlich, den wir strafen wollen?“2 Der Großen Strafrechtskommission habe „als Leitstern das Bild eines Menschen [vorgeschwebt] […], der kraft der Erfahrung seines Schicksals Prinzipien des rechten Handelns zu erkennen sucht, Werte zu achten weiß und seine mitmenschlichen Beziehungen als Stück seiner eigentlichsten Existenz empfindet“.3 Das Erwachsenenstrafrecht fußt danach auf dem Menschenbild eines in seiner Persönlichkeit ausgereiften und gefestigten Menschen, der die Grundprinzipien des gemeinschaftlichen Zusammenlebens verinnerlicht hat. Es geht von einer freien und verantwortlichen Person aus4 und hat einen Menschen im Blick, der über einen reichen Erfahrungsschatz und ein ausgeprägtes Wertesystem verfügt und so die Fähigkeit zu normgerechtem Verhalten aufweist5. Dieses Bild passt auf einen jungen, sich noch entwickelnden Menschen ohne ausreichende Erfahrungen nicht.6 Jugendliche und Heranwachsende haben noch keine stabile Persönlichkeit und verfügen noch nicht über ein Der Mensch im Recht, S. 9. Vom Wesen des Täters, S. 9. 3  Jescheck, Das Menschenbild unserer Zeit und die Strafrechtsreform, S. 13. 4  Jescheck, Das Menschenbild unserer Zeit und die Strafrechtsreform, S. 20; Würtenberger, Kriminalpolitik im sozialen Rechtsstaat, S. 23 f.; Märker, Vorsatz und Fahrlässigkeit bei jugendlichen Straftätern, S. 141; Knauer, in: Asholt u. a., Grundlagen und Grenzen des Strafens, S. 59 (71). Zum Menschenbild des Grundgesetzes: BVerfG, NJW 1976, 947 (948); BVerfG, NJW 2020, 905 (914); BVerfG, NJW 2020, 1049 (1052). 5  Jescheck, Das Menschenbild unserer Zeit und die Strafrechtsreform, S. 13; Märker, Vorsatz und Fahrlässigkeit bei jugendlichen Straftätern, S. 142 ff. 6  Märker, Vorsatz und Fahrlässigkeit bei jugendlichen Straftätern, S. 142. 1  Radbruch, 2  Wolf,

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

gefestigtes Werteverständnis, also ein ausgebildetes Verständnis von Recht und Unrecht.7 Daher kann ihnen durch das Strafrecht auch nicht das gleiche Verhalten wie Erwachsenen abverlangt werden. Die Frage, wen wir bestrafen wollen, ist also im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht verschieden zu beantworten. Wir wollen nicht einfach nur den Täter bestrafen, sondern im ersten Fall einen erwachsenen Täter, im zweiten Fall einen jugendlichen oder heranwachsenden Täter. Das Jugendstrafrecht muss demnach evidenzbasiert ausgestaltet sein, sich also an empirischen Erkenntnissen zu den jeweiligen Altersgruppen orientieren. Bereits auf mate­ riell-rechtlicher Ebene ist folglich mit einer jugendgemäßen Auslegung anzusetzen. Aber auch hinsichtlich der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen und im Prozessrecht müssen jugendgemäße Modifikationen vorgenommen werden. Ein einheitliches Menschenbild im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht sollte daher aufgegeben werden, um der besonderen Entwicklungsphase junger Menschen gerecht zu werden. Es gibt eben nicht „das eine und allein richtige Menschenbild“.8 2. Die Lebensphase Jugend a) Begriff Jugend Vorab ist zu klären, welches Verständnis von Jugend der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt. Denn eine allgemein verbindliche Definition existiert nicht.9 Kern dieser Dissertation ist die Begründung einer jugendgemäßen Auslegung des geltenden Rechts anhand empirischer und dogmatischer Gesichtspunkte. Ausgangspunkt ist dabei § 2 JGG. Damit muss der vorliegende Jugendbegriff methodisch an das JGG anknüpfen, wenngleich sich Entwicklungs- und Reifeprozesse immer weiter nach hinten verschieben und es so zu einer Ausdehnung der Jugendphase kommt.10 Zudem sind gewisse Konturen für die strafrechtliche Rechtsanwendung erforderlich, sodass eine an die jeweiligen individuellen Entwicklungs- und Reifungsprozesse angepasste Auslegung11 zu vage erscheint. Der geltende persönliche Anwendungsbereich des JGG soll nicht in Frage gestellt werden und es soll nicht auf die DiskusJugendstrafrecht, Rn. 16. in: Albrecht u. a., FS Schüler-Springorum, S. 415 (415). 9  Schüler-Springorum, in: Vogler, FS Jescheck, S. 1107 (1109); Göppinger/Bock, Kriminologie, § 24 Rn. 36. 10  Raithel, Jugendliches Risikoverhalten, S. 14 ff.; Bausch, Die Berücksichtigung der individuellen Entwicklung bei der Auslegung strafrechtlicher Normen am Beispiel des dolus eventualis, S. 20 ff. 11  Bausch, Die Berücksichtigung der individuellen Entwicklung bei der Auslegung strafrechtlicher Normen am Beispiel des dolus eventualis, S. 210. 7  Schaffstein/Beulke/Swoboda, 8  Kaufmann,



I. Die empirisch-kriminologischen Grundlagen31

sion über die Verschiebung der Strafmündigkeitsgrenze sowie über die Anwendbarkeit des JGG auf Heranwachsende eingegangen werden. Nach § 1 Abs. 2 JGG ist Jugendlicher, „wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist“. Wenn im Folgenden von Jugend bzw. jungen Menschen gesprochen wird, ist demgemäß die Altersspanne von 14 bis einschließlich 20 Jahren gemeint.12 b) Besonderheiten der Lebensphase Jugend Der Weg des jungen Menschen ist dadurch geprägt, dass er „im Wachstum seiner seelischen, geistigen und körperlichen Kräfte unter Bewältigung der für sein Alter typischen Entwicklungsschwierigkeiten in eine sittliche und rechtliche Ordnung hineinwachsen“ muss.13 Die Lebensphase Jugend ist durch biologische, psychische, aber auch soziale Umbrüche geprägt14 und geht mit „Spannungen, Unsicherheiten und Anpassungsschwierigkeiten, häufig auch in der Aneignung von Verhaltensnormen“15, einher. Delinquentes Verhalten junger Menschen ist „zum ganz überwiegenden Teil entwicklungs­ typischer Ausdruck einer Auseinandersetzung mit den zentralen Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz“.16 Damit sind die Ausgangsbedingungen der strafrechtlichen Rechtsanwendung bei jungen Menschen und Erwachsenen grundverschiedene.17 Erwachsene sollten im Falle einer Normalentwicklung die genannten Schwierigkeiten überwunden haben. Für junge Menschen hingegen stellen sie die typische Lebensrealität dar. Dem Entwicklungsstand junger Menschen entsprechende und daher normale Eigenschaften sind diesen nicht in gleicher Weise vorwerfbar wie Erwachsenen, die den „normativ zu respektierenden Entwicklungs- und Schonraum ‚Jugend‘ “18 schon hinter sich gelassen haben. Oberste Maxime sollte daher sein, jungen Menschen mit Toleranz gegenüberzutreten und die vielen Unterschiede in den Lebensphasen Jugendlicher bzw. Heranwachsender und Erwachsener, mithin die entwicklungstypischen Besonderheiten junger Menschen, durch eine jugendgemäße Auslegung bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften in jedem Einzelfall zu berücksichtigen. Dadurch soll vermieden werden, junge Men12  Göppinger/Bock, Kriminologie, § 24 Rn. 38 weisen darauf hin, dass üblicherweise eine Orientierung am Regelungsbereich des JGG erfolgt. 13  Peters, in: Sieverts, Handwörterbuch der Kriminologie, S. 455 (457). 14  BVerfG, NJW 2006, 2093 (2095); Knecht, Kriminalistik 2008, 55 (56); Oerter/ Dreher, in: Oerter/Montada, Entwicklungspsychologie, S. 271 (274). 15  BVerfG, NJW 2006, 2093 (2095). 16  Greve/Montada, in: Oerter/Montada, Entwicklungspsychologie, S. 837 (848). 17  BVerfG, NJW 2006, 2093 (2095). 18  Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 93.

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

schen „mit der Totalität des Strafrechts zu überfallen“.19 Im Folgenden sollen daher die Charakteristika der jugendlichen Lebensphase beleuchtet werden. Es gibt insoweit zahlreiche Entwicklungstheorien.20 Vorliegend wird ein viele Aspekte der Entwicklungstheorien vereinendes bio-psycho-soziales Ver­­ständnis von Reifung und Entwicklung herangezogen.21 aa) Biologischer und psychologischer Blickwinkel Aus biologischer Sicht steht die Pubertät im Mittelpunkt der Lebensphase Jugend. Sie ist ein Reifungsvorgang mit weitreichenden körperlichen Veränderungen, der aber auch psychische Umbrüche nach sich zieht.22 Jugendliche und Heranwachsende unterscheiden sich von Erwachsenen „in ihrer Entscheidungsfindung, Handlungsplanung und Handlungsdurchführung“.23 Befunde der Entwicklungspsychologie zeigen, dass junge Menschen besonders hinsichtlich der für die Straftatbegehung relevanten Persönlichkeitsmerkmale noch nicht mit Erwachsenen gleichgestellt werden können.24 Charakteristisch für die Lebensphase Jugend sind Irritationen in der Gefühlswelt, das Bedürfnis nach Auflehnung gegen das Althergebrachte und die Ablehnung von Autoritäten. Kennzeichnend sind weiterhin ein ungefestigtes Wertgefüge, leichte Beeinflussbarkeit und Verführbarkeit, ein hohes Maß an Körperlichkeit, fehlende Antizipationsfähigkeit und Lebenserfahrung, ein unsicherer Realitätsbezug und der Wunsch nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung.25 Außerdem ist „sensation seeking“ typisch für die jugendliche Lebensphase.26 Junge Menschen verfügen über einen starken Erlebnisdrang und legen ein ausgeprägtes Experimentierverhalten an den Tag.27 Sie wollen ihre eigenen Kräfte und Grenzen austesten.28 All dies kann delinquentes Verhalten fördern.29 in: Vogler, FS Jescheck, S. 1107 (1131). bei von Buch/Köhler, RPsych 2019, 178 (183 ff.). 21  Ebenso: von Buch/Köhler, RPsych 2019, 178 (188). 22  Quenzel/Hurrelmann, Lebensphase Jugend, S.  30; Weichold/Silbereisen, in: Schneider/Lindenberger, Entwicklungspsychologie, S. 239 (242 f.). 23  Günter, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 169 (172). 24  Günter, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 169 (177). 25  Oerter/Dreher, in: Oerter/Montada, Entwicklungspsychologie, S.  271 (316); Göppinger/Bock, Kriminologie, § 24 Rn. 53; Weichold/Silbereisen, in: Schneider/Lindenberger, Entwicklungspsychologie, S. 239 (246). 26  Steinberg/Cauffman, Law and Human Behavior 1996, 249 (259 f.). 27  Mietzel, Wege in die Entwicklungspsychologie, S. 341. 28  Dölling, in: Schneider, Internationales Handbuch der Kriminologie Band 1, S. 469 (491); Walter/Neubacher, Jugendkriminalität, Rn. 165 weisen auf die bedeutende Rolle des experimentellen Lernens im Jugendalter hin. 19  Schüler-Springorum, 20  Überblick



I. Die empirisch-kriminologischen Grundlagen33

Das Gehirn eines Jugendlichen bzw. Heranwachsenden unterscheidet sich von dem eines Erwachsenen.30 Die Hirnreifung ist ein langwieriger Prozess, der erst circa mit dem 25. Lebensjahr als abgeschlossen angesehen werden kann.31 Bis zur vollständigen Ausreifung des Gehirns ist ein Ungleichgewicht charakteristisch. Und zwar zwischen den früher reifen Arealen, dem limbischen System und dem Belohnungssystem einerseits und dem noch nicht voll ausgereiften präfrontalen Kortex andererseits.32 Erstere sind besonders für Emotionen verantwortlich.33 Letzterer ist das kognitive Kontrollsystem und beeinflusst so die Fähigkeit zur Planung, Handlungskontrolle und Risikoabwägung.34 Er ist maßgeblich für ein situationsangemessenes Sozialverhalten.35 Es besteht daher lange Zeit ein „Missverhältnis zwischen der impulsiven Emotionalität (auch: Aggressivität) und der Selbststeuerungsfähig­keit“.36 Durch den asynchronen Prozess der Hirnreifung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Handlungen stärker durch Belohnung und Emotionen als durch rationale Entscheidungsprozesse beeinflusst werden.37 Junge Menschen sind zwar grundsätzlich in der Lage, rationale Entscheidungen zu treffen, in emotional aufgeladenen Situationen kann sich aber das limbische System gegenüber dem präfrontalen Kortex durchsetzen, sodass Emotionen anstelle von rationalen Überlegungen handlungsleitend sind.38 Diese erschwerte Impulskontrolle begünstigt delinquentes Verhalten in jungen Jahren.39 Das erläuterte Ungleichgewicht „stellt möglicherweise die neuronale Basis des jugendtypi29  Göppinger/Bock, Kriminologie, § 24 Rn. 53; Reisenhofer, Jugendstrafrecht in der anwaltlichen Praxis, § 1 Rn. 5. 30  Steinberg, Brain and Cognition 2010, 160 (160). 31  Knecht, Kriminalistik 2008, 55 (57); Veroude u. a., Developmental Cognitive Neuroscience 2013, 63 (63); Dünkel/Geng/Passow, ZJJ 2017, 123 (124). 32  Casey/Jones/Hare, Ann N Y Acad Sci 2008, 111 (113); Konrad/Firk/Uhlhaas, Deutsches Ärzteblatt International 2013, 425 (428); Dünkel/Geng/Passow, ZJJ 2017, 123 (125); Konrad/König, in: Lohaus, Entwicklungspsychologie des Jugendalters, S. 1 (13); Weichold/Silbereisen, in: Schneider/Lindenberger, Entwicklungspsychologie, S. 239 (246); von Buch/Köhler, RPsych 2019, 178 (188 f.). 33  Konrad/Firk/Uhlhaas, Deutsches Ärzteblatt International 2013, 425 (428). 34  Casey/Jones/Hare, Ann N Y Acad Sci 2008, 111 (113); Donald, A mind so rare: the evolution of human consciousness, S. 198; Konrad/Firk/Uhlhaas, Deutsches Ärzteblatt International 2013, 425 (427); Dünkel/Geng/Passow, ZJJ 2017, 123 (125); Weichold/Silbereisen, in: Schneider/Lindenberger, Entwicklungspsychologie, S. 239 (246); von Buch/Köhler, RPsych 2019, 178 (188 f.). 35  Donald, A mind so rare: the evolution of human consciousness, S. 198. 36  Knecht, Kriminalistik 2008, 55 (57). 37  Konrad/Firk/Uhlhaas, Deutsches Ärzteblatt International 2013, 425 (428); Konrad/König, in: Lohaus, Entwicklungspsychologie des Jugendalters, S. 1 (13). 38  Casey/Jones/Hare, Ann N Y Acad Sci 2008, 111 (122). 39  Knecht, Kriminalistik 2008, 55 (57); Konrad/Firk/Uhlhaas, Deutsches Ärzteblatt International 2013, 425 (425).

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

schen risikoreichen Verhaltens dar“.40 Dementsprechend konnten Josef et al. zeigen, dass die höchste individuelle Risikobereitschaft bei Jugendlichen beobachtet werden kann. Mit dem Älterwerden nimmt die Risikoneigung dann wieder ab.41 bb) Soziologischer Blickwinkel Jugendliche und Heranwachsende stehen vor der Herausforderung, sich in eine neue soziale Rolle einzufügen. Zum einen müssen sie sich von der Herkunftsfamilie lösen und schrittweise ihre Selbstständigkeit entwickeln, zum anderen haben sie die Aufgabe, sich in der Welt der Erwachsenen mit all ihren Anforderungen zurechtzufinden.42 Demnach kann von jungen Menschen nicht erwartet werden, dass sie die gesellschaftlichen und rechtlichen Anforderungen gleichermaßen verinnerlicht haben wie Erwachsene. Sie müssen erst erlernen, sich in das geltende Wertesystem einzufügen. Die Fähigkeit, komplexe Situationen zu beurteilen, hängt nämlich maßgeblich davon ab, wie vertraut die jeweilige Person mit solchen Situationen ist.43 Daher erscheint es zweifelhaft, dass junge, unerfahrene Menschen in belasteten und unstrukturierten Situationen, wie sie Straftaten darstellen, beim Erfassen und Verstehen dieser Situationen und beim Abwägen von Entscheidungen Erwachsenen gleichgestellt werden können.44 Zudem schreitet die psychosoziale Entwicklung langsamer voran als die ­kognitive.45 Demgemäß ist die Urteilsfähigkeit junger Menschen gegenüber derer Erwachsener durch verschiedene Faktoren beeinträchtigt.46 Zu nennen sind insbesondere die „Orientierung an der Gleichaltrigengruppe“, worauf in einem eigenen Kapitel eingegangen wird, die erhöhte Risikobereitschaft, „die geringere Fähigkeit, sich selbst zu kontrollieren“ aber auch „eine einge40  von Buch/Köhler, RPsych 2019, 178 (189); inhaltlich ebenso: Casey/Jones/ Hare, Ann N Y Acad Sci 2008, 111 (121); Konrad/König, in: Lohaus, Entwicklungspsychologie des Jugendalters, S. 1 (14); Mietzel, Wege in die Entwicklungspsychologie, S. 341. 41  Josef u. a., J Pers Soc Psychol 2016, 430 (443). 42  Oerter/Dreher, in: Oerter/Montada, Entwicklungspsychologie, S. 271 (317 ff.); Förtig, Jugendbanden, S. 95; Dölling, in: Schneider, Internationales Handbuch der Kriminologie Band 1, S. 469 (491). 43  Ward/Overton, Developmental Psychology 1990, 488 (490 ff.); Günter, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 169 (172); Günter, ZJJ 2011, 15 (17). 44  Günter, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 169 (172); Günter, ZJJ 2011, 15 (17). 45  Günter, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 169 (172); Steinberg u. a., American Psychologist 2009, 583 (583); Günter, ZJJ 2011, 15 (17). 46  Steinberg/Scott, American Psychologist 2003, 1009 (1014).



I. Die empirisch-kriminologischen Grundlagen35

schränktere zeitliche Perspektive mit geringerem Planungshorizont“.47 Die Untersuchungen von Steinberg et al. zeigen, dass selbstreflexive kognitive und psychosoziale Handlungskontrollfähigkeiten im Altersverlauf zunehmen.48 Junge Menschen sind demgemäß weniger als Erwachsene in der Lage, mögliche Handlungsfolgen zu antizipieren.49 Sie orientieren ihre Handlungen kaum an eventuellen Langzeitfolgen, sondern haben primär Kurzzeitfolgen im Fokus.50 Jugendliche und Heranwachsende haben ferner häufiger mit Statusinkonsistenzen und -unsicherheiten zu kämpfen. Ihre soziale Position ist ambivalent.51 Moffitt bezeichnet diese Lücke zwischen bereits vorhandener biologischer, aber noch nicht zuerkannter sozialer Reife als „maturity gap“.52 Einerseits wird erwartet, dass junge Menschen den Anweisungen der Erwachsenenwelt folgen, andererseits wird ein hohes Maß an eigenverantwortlicher Leistungserbringung gefordert.53 Die körperliche Reifung junger Menschen hat sich nach vorne verlagert, während sich die Zeiten der Ausbildung und der Abhängigkeit von den Eltern nach hinten verschieben.54 Dies äußert sich oft in dem bereits beschriebenen Phänomen der Auflehnung gegen Autoritäten.55 „In diesen Jahren erlebt der Jugendliche eine quälende Diskrepanz zwischen seinen natürlichen Strebungen (Ablösung von Eltern, Wunsch nach Intimpartnerschaft, Teilhabe am Erwachsenenleben mit Konsum von Genussmitteln, Luxusgütern, Teilnahme am motorisierten Strassenverkehr, etc.) und dem Ist-Zustand.“56 Sie befinden sich in einer „Gemengelage von Abhängigkeit und Autonomie“57. Delinquente „Jugendliche sind Täter und Opfer gleichermaßen: Täter von Straftaten und Opfer der zunehmenden sozialen Anforderungen, die an sie gestellt werden.“58 47  Günter, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 169 (172); Günter, ZJJ 2011, 15 (17). 48  Steinberg u. a., American Psychologist 2009, 583 (590 ff.). 49  Dünkel/Geng/Passow, ZJJ 2017, 123 (126). 50  Günter, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 169 (172); Günter, ZJJ 2011, 15 (17). 51  Förtig, Jugendbanden, S. 96 f.; Scherr, in: Dollinger/Schmidt-Semisch, Handbuch Jugendkriminalität, S. 17 (22). 52  Moffitt, in: Cicchetti/Cohen, Developmental Psychopathology, S. 570 (579 ff.) bzgl. Adolescence-Limited Antisocial Behavior. 53  Förtig, Jugendbanden, S. 97. 54  Knecht, Kriminalistik 2008, 55 (57). 55  Weichold/Blumenthal, in: Lohaus, Entwicklungspsychologie des Jugendalters, S. 169 (174). 56  Knecht, Kriminalistik 2008, 55 (57). 57  Scherr, in: Dollinger/Schmidt-Semisch, Handbuch Jugendkriminalität, S. 17 (22). 58  Märker, Vorsatz und Fahrlässigkeit bei jugendlichen Straftätern, S. 162.

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

c) Charakteristische Handlungsformen junger Menschen Genau wie die Lebensphasen unterscheiden sich daran anknüpfend die Modalitäten der Tatbegehung junger Menschen und Erwachsener. Der Deliktsbegehungscharakter variiert häufig anhand von Altersgruppenmerkmalen.59 Charakteristisch für die Tatbegehung durch jugendliche und heranwachsende Täter ist der Gruppenbezug, die Tatausführung in öffentlichen Räumen und die spontane, unüberlegt-emotionale, unorganisierte, gelegenheitsergreifende und erlebnisorientierte Art und Weise.60 Aufregungs-, Spannungs- und Nervenkitzel-Komponenten sind wesentlich für das Geschehen.61 Abenteuerlust ist zudem ein häufiger Beweggrund für delinquentes Verhalten.62 Delikte können obendrein als „soziale Events“ erscheinen.63 Zu nennen ist ferner der „ ‚Erprobungscharakter‘ vieler Delikte“ und das „spielerische Ausnutzen normativer Grenzen“.64 Imponiergehabe ist außerdem kennzeichnend.65 Die allgemeinen Vorschriften werden dieser „sozialen Realität jugend­ lichen Verhaltens häufig nicht gerecht, da sie sich unausgesprochen am Verhalten Erwachsener orientieren“.66 Trotz äußerlich identischen Verhaltens kann sich der Bedeutungsgehalt bei jungen Menschen und Erwachsenen unterscheiden.67 Denn junge Menschen erfüllen den in den Tatbeständen typisierten Unrechtsgehalt häufig nicht in gleichem Maß wie Erwachsene.68 ZJJ 2021, 40 (42). Kriminologie, § 24 Rn. 47; Walter/Neubacher, Jugendkriminalität, Rn. 10; Reisenhofer, Jugendstrafrecht in der anwaltlichen Praxis, § 1 Rn. 5; Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 48 Rn. 18; speziell zur Ladendiebstahlskriminalität: Leitgöb/Birklbauer/Hirtenlehner, in: Niggli/Marty, Risiken der Sicherheitsgesellschaft, S. 384 (388); speziell zum Gruppenbezug: Eassey/Buchanan, in: Krohn/Lane, The Handbook of Juvenile Delinquency and Juvenile Justice, S. 199 (199 ff.); Boman, in: Krohn u. a., Handbook on Crime and Deviance, S. 479 (479 ff.); Bentrup, in: ­Boers/Reinecke, Delinquenz im Altersverlauf, S. 243 (243); Wallner/Weiss, in: Wallner u. a., Devianz und Delinquenz in Kindheit und Jugend, S. 39 (51 f.). 61  Zur Ladendiebstahlskriminalität: Leitgöb/Birklbauer/Hirtenlehner, in: Niggli/ Marty, Risiken der Sicherheitsgesellschaft, S. 384 (388); zu Wohnungseinbrüchen: Meenaghan, Brit J Criminol 2020, 742 (749 ff.). 62  Zur Ladendiebstahlskriminalität: Leitgöb/Birklbauer/Hirtenlehner, in: Niggli/ Marty, Risiken der Sicherheitsgesellschaft, S. 384 (388). 63  Zur Ladendiebstahlskriminalität: Leitgöb/Birklbauer/Hirtenlehner, in: Niggli/ Marty, Risiken der Sicherheitsgesellschaft, S. 384 (388). 64  Herriger, in: Brusten/Herriger/Malinowski, Entkriminalisierung, S. 1 (18). 65  Günter, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 169 (177). 66  Trenczek, ZRP 1993, 184 (184). 67  Kölbel, ZJJ 2021, 40 (40 f.). 68  Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (202). 59  Kölbel,

60  Göppinger/Bock,



I. Die empirisch-kriminologischen Grundlagen37

Zudem berühren bestimmte Tatbestände „den Status, den Entwicklungsstand und Verhaltensmuster“ junger Menschen mehr, als dies bei Erwachsenen der Fall ist.69 Jugendtypisches Verhalten weist demnach per se eine größere Nähe zum Regelungsbereich mancher Tatbestände auf als das für Erwachsene gewöhnliche Verhalten und steigert dadurch die Wahrscheinlichkeit für delinquentes Verhalten junger Menschen.70 Wenn auf diese erhöhte Straftatbegehungswahrscheinlichkeit ohne eine Differenzierung zwischen jungen Menschen und Erwachsenen bei der Strafrechtsprüfung reagiert wird, führt dies zu einer größeren Strafverfolgungswahrscheinlichkeit als bei Erwachsenen und damit einhergehend auch zu einem höheren Risiko für junge Menschen, mit abträglichen Sanktionsfolgen belastet zu werden.71 Hierdurch wird deutlich, dass „sanktionsbewehrte Verbotsnormen bei jungen Menschen de facto eine stärkere Beschränkungs- und grundrechtsverkürzende Eingriffswirkung als bei anderen Altersgruppen entwickeln können“.72 Verstärkt wird dies durch das ohnehin höhere Entdeckungs- und Anzeigerisiko junger Menschen wegen der vermehrt im öffentlichen Raum stattfindenden Tatbegehung.73 Es mag sein, dass auch erwachsenentypisches Verhalten zu manchen Tatbeständen, wie beispielsweise solchen der Wirtschaftskriminalität, einen größeren Bezug aufweist, allerdings geht das geltende StGB gerade von dem typischen Verhalten Erwachsener aus und berücksichtigt so bereits das für diese gewöhnliche Verhalten, wohingegen jugendtypische Besonderheiten verkannt werden. Demgemäß muss durch eine jugendgemäße Auslegung eingegriffen werden. Durch diese sollen die allgemeinen Vorschriften der empirisch erfassbaren sozialen Realität junger Menschen adäquat angepasst werden und einer Kriminalisierung aufgrund der natürlichen Verhaltensweisen junger Täter entgegengesteuert werden. So kann sichergestellt werden, dass sich die Andersartigkeit junger Menschen und Erwachsener auch auf normativer Ebene widerspiegelt und eine verstärkte Belastung Jugendlicher und Heranwachsender mit abträglichen Sanktionsfolgen vermieden wird.

ZJJ 2018, 33 (35). Kriminologie, § 24 Rn. 16 ff.; Eisenberg, ZJJ 2018, 33 (35); Kölbel, ZJJ 2021, 40 (42). 71  Kölbel, ZJJ 2021, 40 (42); am Beispiel der §§ 113 ff. StGB hierzu Puschke/Fett, ZJJ 2022, 92 (93 f.). 72  Kölbel, ZJJ 2021, 40 (42). 73  Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 92 f. 69  Eisenberg,

70  Eisenberg/Kölbel,

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

d) Erhöhte Prägbarkeit Jugendlicher und Heranwachsender Die sich noch in der Entwicklung befindenden Jugendlichen und Heranwachsenden zeichnen sich gegenüber Erwachsenen auch durch ihre stärkere Prägbarkeit aus. Junge Menschen sind positiv wie negativ stärker beeinflussbar, da sie in ihrer Persönlichkeit noch nicht abschließend gefestigt sind.74 Die Kriminologie spricht insofern von der besonderen Umweltabhängigkeit der Jugendkriminalität.75 Dies ergibt sich auch aus entwicklungskriminologischen Ansätzen, wonach stark delinquente junge Menschen ihr Verhalten positiv verändern können, wenn beispielsweise soziale Bindungen aufgebaut werden und eine gesellschaftliche Integration gelingt.76 Damit kann eine jugendadäquate Auslegung, welche die Erkenntnisse über die besondere Entwicklungsphase junger Menschen auf normativer Ebene umsetzt, besonders erzieherisch und spezialpräventiv wirksam und förderlich sein. Diesen positiven Aspekt der erhöhten Prägbarkeit Jugendlicher und Heranwachsender sollte sich der Rechtsanwender durch eine dementsprechende Vorgehensweise zunutze machen. 3. Moral und Jugendstrafrecht a) Zusammenhang zwischen Moral und Delinquenz Moral ist „ein System aus Überzeugungen, Werten und zugrunde liegenden Urteilen über richtiges und falsches menschliches Handeln“.77 Für die vorliegende Arbeit ist bedeutsam, dass ein gewisser Zusammenhang zwischen einer geringer ausgeprägten Moralentwicklung und dem Hang zu delinquentem Verhalten existiert.78 „Die Fähigkeit eines Individuums, das Recht bzw. Unrecht der eigenen Handlungen zu erkennen und diese Erkenntnis als handlungsrelevant in das eigene Erleben und Verhalten zu integrieren, bildet die wesentliche Voraussetzung für ein normgerechtes, nichtdelinquentes Verhalten.“79 74  WD 7 – 015/08, S. 5; Tondorf/Tondorf, Psychologische und psychiatrische Sachverständige im Strafverfahren, Rn. 204; Heinz, Sekundäranalyse, S. 83; Schaffstein/ Beulke/Swoboda, Jugendstrafrecht, Rn. 20. 75  Exner, Kriminologie, S. 155. 76  Laub/Rowan/Sampson, in: Farrington/Kazemian/Piquero, The Oxford Handbook of Developmental and Life-Course Criminology, S. 295 (295 ff.). 77  Gerrig/Dörfler/Roos, Psychologie, S. 427. 78  Blass, in: Brusten/Malinowski, Jugend – ein soziales Problem?, S. 203 (208); Schepers, in: Reinecke/Stemmler/Wittenberg, Devianz und Delinquenz im Kindes- und Jugendalter, S. 189 (198); Kattermann, Moralentwicklung und Kriminalität, S. 244. 79  Busch, Rechtspsychologische Begutachtung delinquenter Heranwachsender, S. 33.



I. Die empirisch-kriminologischen Grundlagen39

Basierend auf einer Metaanalyse von insgesamt 50 Studien kommen Stams u. a. zum Schluss, dass deviante Jugendliche ein geringeres moralisches Urteilsvermögen aufweisen als konform agierende junge Menschen.80 Auch Raaijmakers et al. konnten zeigen, dass ein niedrigeres moralisches Urteilsvermögen mit einer Zunahme der Delinquenz einhergeht.81 Andere halten neben dem moralischen Urteilsvermögen vor allem die moralische Motivation für ausschlaggebend.82 Diese wird definiert als „die Bereitschaft, das als richtig Erkannte auch unter persönlichen Kosten zu tun“.83 Eine höhere moralische Motivation senkt die Wahrscheinlichkeit für de­ linquentes Verhalten.84 b) Moralentwicklung Die Moral bildet sich erst mit dem Älterwerden nach und nach aus. Ausgehend von Piagets Überlegungen entwickelte Kohlberg ein Modell, wonach unterschiedliche Stufen der Moralentwicklung existieren.85 Er geht davon aus, dass sich die Perspektive mit zunehmendem Alter von einer stark egozentrierten Sichtweise hin zu einem komplexeren moralischen Urteilsvermögen entwickelt und auch andere Mitglieder der sozialen Gemeinschaft berücksichtigt.86 Weyers entwickelte das Modell der sechs Phasen der Entwicklung rechtlichen Denkens. Auch hier ist die Entwicklung altersabhängig.87 Pöge und Schepers haben gezeigt, dass die Stabilität von Moral in jungen Jahren grundsätzlich schwankt, aber im Laufe der Jugend zunimmt. Diese Stabilitätszunahme vollzieht sich nicht linear, sondern eher wellenförmig.88 Die Entwicklung der Moral ist damit bei jungen Menschen noch nicht abgeschlossen.89 Bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden und Erwachsenen ist die moralische Urteilsfähigkeit im Allgemeinen also nicht gleichermaßen

u. a., J Abnorm Child Psychol 2006, 697 (697). Hoof, International Journal of Behavioral Development 2005, 247 (247 ff.). 82  Doering/Kemme/Zähringer, Praxis der Rechtspsychologie 2014, 163 (172). 83  Nunner-Winkler, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 146 (148). 84  Doering, in: Dölling/Jehle, Täter – Taten – Opfer, S. 451 (466); Doering/ Kemme/Zähringer, Praxis der Rechtspsychologie 2014, 163 (172). 85  Kohlberg, Die Psychologie der Moralentwicklung, S. 123 ff. 86  Kohlberg, Die Psychologie der Moralentwicklung, S. 123 ff. 87  Weyers, Journal für Psychologie 2012, 1 (1 ff.) 88  Pöge/Schepers, in: Wallner u. a., Devianz und Delinquenz in Kindheit und Jugend, S. 235 (243, 252 f.). 89  Pöge/Schepers, in: Wallner u. a., Devianz und Delinquenz in Kindheit und Jugend, S. 235 (252 f.); Kattermann, Moralentwicklung und Kriminalität, S. 34. 80  Stams

81  Raaijmakers/Engels/Van

40

C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

vorhanden.90 Die geringere moralische Beurteilungskompetenz junger Menschen im Vergleich zu Erwachsenen kann damit delinquentes Verhalten begünstigen. Die moralische Motivation nimmt anders als das moralische ­Urteilsvermögen im Jugendalter ab, bevor sie im Erwachsenenalter wieder ansteigt.91 Auch insoweit ist also ein relevanter Unterschied zwischen jungen Menschen und Erwachsenen festzustellen. Die geringere moralische Motivation im Jugendalter kann als eine mögliche Ursache für delinquentes Verhalten in dieser Altersphase betrachtet werden.92 Auf diese Erkenntnisse muss im Wege der jugendgemäßen Auslegung reagiert werden. Dies folgt insbesondere auch daraus, dass eine Strafnorm immer Ausdruck einer Verhaltenserwartung ist. Wer diesen Erwartungen nicht gerecht wird, kann sanktioniert werden.93 Wenn aber an junge Menschen nicht die gleichen Verhaltenserwartungen wie an Erwachsene gestellt werden können, dürfen sie nicht in gleichem Maße sanktionierbar sein. 4. Jugendkriminalität als ubiquitäres, normales und episodenhaftes Phänomen a) Ubiquität und Normalität der Jugenddelinquenz Jugenddelinquenz kann nicht als „Wurzel des Rückfallverbrechertums“ aufgefasst werden.94 Sie ist ubiquitär und eine normale Begleiterscheinung im Laufe der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen.95 Demnach kann sie als konstituierender Bestandteil des Jugendalters bezeichnet werden.96 Moralentwicklung und Kriminalität, S. 319. Praxis der Rechtspsychologie 2014, 163 (172). 92  Doering/Kemme/Zähringer, Praxis der Rechtspsychologie 2014, 163 (172). 93  Sessar, in: Walter/Koop, Die Einstellung des Strafverfahrens im Jugendstrafrecht, S. 26 (37). 94  Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 12. 95  Sessar, in: Walter/Koop, Die Einstellung des Strafverfahrens im Jugendstrafrecht, S. 26 (28, 34); Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (446); Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 18 f.; Reuband, in: Dollinger/Schmidt-Semisch, Handbuch Jugendkriminalität, S. 259 (262 ff.); Dollinger/Schabdach, Jugendkriminalität, S. 115 f.; Göppinger/Bock, Kriminologie, § 24 Rn. 48; Boers u. a., MschrKrim 2014, 183 (186); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie § 48 Rn. 15; Schumann, in: Dollinger/Schmidt-Semisch, Handbuch Jugendkriminalität, S. 261 (261); Boers, MschrKrim 2019, 3 (7); Walburg/Verneuer, in: Boers/Reinecke, Delinquenz im Altersverlauf, S. 121 (130); Wallner/Weiss, in: Wallner u. a., Devianz und Delinquenz in Kindheit und Jugend, S. 39 (44); Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 13. 96  Oberwittler, in: Albrecht/Groenemeyer, Handbuch soziale Probleme, S. 772 (792). 90  Kattermann,

91  Doering/Kemme/Zähringer,



I. Die empirisch-kriminologischen Grundlagen41

Dies gilt freilich nicht uneingeschränkt für alle Straftaten. Es gibt schwere Deliktsverwirklichungen, die keineswegs normal sind.97 Der Großteil der Jugendlichen und Heranwachsenden verübt demgegenüber eher Delikte im Bereich der Bagatell- und Massenkriminalität, während schwere Delikte nur von einer kleinen Randgruppe der Intensivtäter begangen werden.98 Die Mehrauffälligkeit junger Menschen ergibt sich bereits aus den Hellfeldbefunden. Für das Jahr 2021 weist die PKS einen Tatverdächtigenanteil der 14- bis 18-Jährigen von 8,2 % und der 18- bis 21-Jährigen von 8,0 % aus.99 Die Tatverdächtigenbelastungsziffer betrug bei Jugendlichen 4.454 und bei He­ ranwachsenden 4.988, während sie im Erwachsenenalter ab 21 Jahren bei nur 1.674 lag.100 Aus Täterbefragungen in der Dunkelfeldforschung wird klar, dass es kaum junge Menschen gibt, die während ihrer Entwicklung nicht zumindest eine Straftat begangen haben, sich also vollkonform verhalten.101 Delinquentes Verhalten ist die Regel, nicht die Ausnahme. Jugenddelinquenz ist also kein abnormes Defizit in der Entwicklung junger Menschen, das zum staatlichen Einschreiten zwingt. Jugendliche und Heranwachsende befinden sich, wie Düring dargelegt hat, vielmehr in einem Zustand „normaler Ano­ malie“.102

97  Sessar, in: Dünkel/van Kalmthout/Schüler-Springorum, Entwicklungstendenzen und Reformstrategien im Jugendstrafrecht im europäischen Vergleich, S. 67 (69); ­Boers, MschrKrim 2019, 3 (7). 98  Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (446); Oberwittler u. a., Soziale Lebenslagen und Delinquenz von Jugendlichen, S.  21 ff.; Boers, MschrKrim 2019, 3 (7); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, Einleitung Rn. 3. 99  BKA, PKS 2021, T20-Bund-TV. 100  BKA, PKS 2021, T40-Bund-TVBZ-deu. 101  Oberwittler u.  a., Soziale Lebenslagen und Delinquenz von Jugendlichen, S.  21 ff.; Lösel/Bliesener, Aggression und Delinquenz unter Jugendlichen, S. 45 ff.; Baier, Entwicklung der Jugenddelinquenz, S. 31 ff.; Reuband, in: Dollinger/SchmidtSemisch, Handbuch Jugendkriminalität, S. 259 (262 ff.); Woll, Kriminalität bei Berufsschülern, S. 93 f.; einen zusammenfassenden Überblick liefert: Oberwittler, in: Albrecht/Groenemeyer, Handbuch soziale Probleme, S. 772 (790 f.); Wittenberg/Wallner, in: Reinecke/Stemmler/Wittenberg, Devianz und Delinquenz im Kindes- und Jugendalter, S. 27 (32 ff.); Dollinger/Schabdach, Jugendkriminalität, S. 115 f.; Farrington/Piquero/Jennings, Offending from Childhood to Late Middle Age, S. 37; Boers u.  a., MschrKrim 2014, 183 (186); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 48 Rn. 15; Enzmann u. a., A Global Perspective on Young People as Offenders and Victims, S.  19 ff.; Schumann, in: Dollinger/Schmidt-Semisch, Handbuch Jugendkriminalität, S. 261 (261); Boers, MschrKrim 2019, 3 (7); Walburg/Verneuer, in: Boers/ Reinecke, Delinquenz im Altersverlauf, S. 121 (141); Wallner/Weiss, in: Wallner u. a., Devianz und Delinquenz in Kindheit und Jugend, S. 39 (44). 102  Zitiert nach: Webler, in: Simonsohn, Jugendkriminalität, Strafjustiz und Sozialpädagogik, S. 75 (78).

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

b) Episodenhaftigkeit der Jugenddelinquenz Außerdem ist die Jugenddelinquenz ein passageres Phänomen.103 Der episodenhafte Charakter der Jugendkriminalität zeigt sich vor allem darin, dass die meisten der strafrechtlich erfassten Jugendlichen bzw. Heranwachsenden nicht oder nur noch selten erneut auffällig werden.104 Selbst bei den Intensivtätern wird die Auffälligkeit mit dem Älterwerden immer geringer, sodass von einem Abbruchprozess ausgegangen werden kann.105 Dieses graduelle Hinauswachsen aus der Devianz wird durch die kriminologische Verlaufs­ forschung gestützt. Der glockenförmige Verlauf der als „gesellschafts- und kulturübergreifendes Phänomen“106 angesehenen Age-Crime Curve verdeutlicht, dass die Prävalenz kriminellen Verhaltens von der späten Kindheit bis zur Jugend zunimmt, dann aber im frühen Erwachsenenalter wieder deutlich abnimmt.107 Augenscheinlich kommt es in aller Regel zu einer Spontanre103  Sessar, in: Walter/Koop, Die Einstellung des Strafverfahrens im Jugendstrafrecht, S. 26 (33); Albrecht, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 254 (255); Göppinger/Bock, Kriminologie, § 24 Rn. 50; Reuband, in: Dollinger/Schmidt-Semisch, Handbuch Jugendkriminalität, S. 259 (282); Boers u. a., MschrKrim 2014, 183 (187 f.); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 48 Rn.  13 f., 27; Boers, MschrKrim 2019, 3 (8); Walburg/Verneuer, in: Boers/Reinecke, Delinquenz im Altersverlauf, S. 121 (121); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, Einleitung Rn. 5. 104  Göppinger/Bock, Kriminologie, § 24 Rn. 50; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, Einleitung Rn. 6. 105  Spieß, in: Kuratorium der Polizei-Führungsakademie, Jugendkriminalität in Deutschland, S. 11 (26 ff.); Piquero, in: Liberman, The Long View of Crime, S. 23 (33 ff.); Dollinger/Schabdach, Jugendkriminalität, S. 143 ff.; Boers u. a., MschrKrim 2014, 183 (188); Boers/Krawinkel, Intensivtäterschaft und Delinquenzabbruch, S.  46 ff.; Boers/Herlth, MschrKrim 2016, 101 (102); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 55 Rn. 6 ff.; Boers, MschrKrim 2019, 3 (19, 23, 34); Reinecke, in: Boers/Reinecke, Delinquenz im Altersverlauf, S. 145 (176 f.); Walburg/Verneuer, in: Boers/Reinecke, Delinquenz im Altersverlauf, S. 121 (141). 106  Oberwittler, in: Albrecht/Groenemeyer, Handbuch soziale Probleme, S. 772 (792). 107  Mischkowitz, Kriminelle Karrieren und ihr Abbruch, S. 1; Stelly/Thomas, Einmal Verbrecher – immer Verbrecher?, S. 293; Eisner, The Annals of the American Academy of Political and Social Science 2002, 201 (202 ff.); Sampson/Laub, Criminology 2003, 301 (311 ff.); Junger-Tas, in: Junger-Tas u. a., The Many Faces of Youth Crime, S. 69 (81); Farrington/Piquero/Jennings, Offending from Childhood to Late Middle Age, S. 37; Boers u. a., MschrKrim 2014, 183 (187 f.); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 48 Rn. 13; Boers, MschrKrim 2019, 3 (8); Reinecke, in: Boers/Reinecke, Delinquenz im Altersverlauf, S. 145 (176 f.); Walburg/Verneuer, in: Boers/Reinecke, Delinquenz im Altersverlauf, S. 121 (121); Wallner/Weiss, in: Wallner u. a., Devianz und Delinquenz in Kindheit und Jugend, S. 39 (40); demgegenüber steht die Kontinui­ täts- oder Persistenzannahme: Blumstein/Cohen, The Journal of Criminal Law and Criminology 1973, 561 (573 ff.); Moffitt, Psychological Review 1993, 674 (674 ff.)



I. Die empirisch-kriminologischen Grundlagen43

mission. Damit erledigt sich das delinquente Verhalten von selbst, also unabhängig von formellen Kontrollinterventionen, und geht mit dem Älterwerden kontinuierlich auf das gesellschaftliche Normalmaß zurück.108 c) Schlussfolgerung auf normativer Ebene Es stellt sich die Frage: „Wie würde ich – als Staatsanwalt, als Richter, auch als Jugendgerichtshelfer, auch als Leiter eines Diversionsprogramms – handeln, und wie würde ich mein Handeln begründen, wenn nicht nur der Ausschnitt registrierter straffällig gewordener Jugendlicher, sondern wenn alle oder fast alle straffällig gewordenen Jugendlichen mit ihren entwicklungsbedingten Straftaten bekannt werden würden? Die Antwort, die hierauf gegeben wird, müsste auch für die Behandlung des Einzelfalls Gültigkeit haben.“109 Die Erkenntnisse zur Normalität, Ubiquität und Episodenhaftigkeit der Jugenddelinquenz bedeuten gleichzeitig, dass Kriminalität im Jugendalter zum Großteil Ausdruck der jugendlichen Lebensphase und auf nicht abgeschlossene Reifungsprozesse zurückzuführen ist. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur Erwachsenendelinquenz. Die meisten jungen Menschen wachsen mit dem Älterwerden aus der Kriminalität heraus, sodass es nicht nötig ist, das „scharfe Schwert“ des Strafrechts gleichermaßen über jungen Menschen zu schwingen wie über Erwachsenen. Hinzu kommt, dass das vorrangige Ziel des Jugendstrafrechts die Legalbewährung junger Täter ist. Wenn sich die Delinquenz im Rahmen der Spontanremission aber von selbst erledigt, ist es legitim, das strafrechtliche Einschreiten angemessen im Wege der jugendgemäßen Auslegung herabzusetzen. Dies ist überdies sinnvoll, da mit der Normalität und Ubiquität der Jugenddelinquenz eine erhöhte Straftatbegehungswahrscheinlichkeit und damit auch eine erhöhte Strafverfolgungswahrscheinlichkeit einhergeht, sodass junge Menschen erneut ein höheres Risiko haben, mit abträglichen Sanktionsfolgen belastet zu werden. Die jugendgemäße Auslegung stellt ein geeignetes Instrument dar, um diese empirischen Erkenntnisse auf normativer Ebene adäquat zu berücksichtigen. differenziert zwischen Adolescence-Limited und Life-Course-Persistent Antisocial Behavior, wobei er für letztere von einer lebenslangen individuellen Tatbegehungshäufigkeit auf hohem Niveau ausgeht. 108  Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 15; Göppinger/Bock, Kriminologie, § 24 Rn. 50 f.; Dollinger/Schabdach, Jugendkriminalität, S. 146 f.; Boers u. a., MschrKrim 2014, 183 (187 f.); Boers, MschrKrim 2019, 3 (8); Walburg/Verneuer, in: Boers/Reinecke, Delinquenz im Altersverlauf, S. 121 (141); Wallner/Weiss, in: Wallner u. a., Devianz und Delinquenz in Kindheit und Jugend, S. 39 (53 f.); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, Einleitung Rn. 5. 109  Sessar, in: Walter/Koop, Die Einstellung des Strafverfahrens im Jugendstrafrecht, S. 26 (41).

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

Sie stellt also ein passendes Vorgehen dar, um auf den glockenförmigen Verlauf der Age-Crime Curve und damit auf die Sonderphase Jugend angemessen zu reagieren. Das verdeutlicht das folgende Schaubild110:

Jugendgemäße Jugendgemäße Auslegung Auslegung

d) Delinquenz als Teil des Normsozialisierungsprozesses junger Menschen Ferner kann die weite, aber nur vorübergehende Verbreitung der Delinquenz Jugendlicher und Heranwachsender als regulärer Teil des Normsozialisierungsprozesses angesehen werden.111 Das Erlernen normkonformen Verhaltens vollzieht sich nicht theoretisch, sondern durch Probierverhalten im Wege der tatsächlichen Grenzüberschreitung und durch das Herausfordern der sozialen Reaktion.112 Die erläuterte Spontanremission ist sodann Ausdruck einer „erfolgreich verlaufenden Normsozialisation durch die primären Sozialisationsinstanzen Familie, Schule, Gleichaltrige“ und darf nicht durch das Strafrecht konterkariert werden.113 Daher sind dem Entwicklungsstand 110  Angeleht an: DeLisi, in: Morizot/Kazemian, The Development of Criminal and Antisocial Behavior, S. 51 (52). 111  Sessar, in: Walter/Koop, Die Einstellung des Strafverfahrens im Jugendstrafrecht, S. 26 (34); Boers, MschrKrim 2019, 3 (8); Zur Funktionalität der Normabweichung: Durkheim, Die Regeln der soziologischen Methode, S. 156 ff. 112  Boers, MschrKrim 2019, 3 (8). 113  Boers u. a., MschrKrim 2014, 183 (188).



I. Die empirisch-kriminologischen Grundlagen45

der Jugendlichen und Heranwachsenden angepasste, zurückhaltende, angemessene soziale Reaktionen angezeigt, die dann zur Verinnerlichung und Akzeptanz der Normgeltung führen.114 e) Ergänzende Perspektive: Entwicklungsdynamische Theorien und Forschungsstand zum Delinquenzabbruch Eine ergänzende Perspektive im Rahmen der Age-Crime Debatte bieten ausgewählte entwicklungsdynamische kriminologische Theorien und der sich daraus entwickelte Forschungsstand zum Delinquenzabbruch. aa) Die Alterstheorie von Greenberg Nach Greenberg lässt sich Jugenddelinquenz durch den besonders großen anomischen Druck in dieser Lebensphase erklären. Er resultiert aus einer Kluft zwischen Zielen, welche materieller und nicht-materieller Art sein können und den vorhandenen legalen Mitteln.115 Laut Greenberg basiert der Kriminalitätsrückgang auf zwei Aspekten: Einerseits sinkt mit dem Älterwerden der beschriebene Druck, insbesondere weil der Einzelne durch die mehrheitliche Aufnahme einer Berufstätigkeit über legale Erwerbsquellen und damit legale Mittel verfügt. Andererseits führt eine Kosten-Nutzen-Abwägung mit dem Älterwerden eher zu einer Entscheidung gegen kriminelles Verhalten. Denn es droht der Verlust, beispielsweise des Berufs, der Partnerschaft oder der sozialen Reputation.116 bb) Die Wechselwirkungstheorie von Thornberry Thornberry erklärt Kriminalität durch ein Zusammentreffen von geschwächten Bindungen und lerntheoretischen Aspekten. Dies wird mit sozial­ strukturellen Überlegungen verbunden.117 Die insoweit maßgeblichen Einflussfaktoren verändern sich in Abhängigkeit des Alters und sie stehen im Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit.118 Für den Abbruch krimineller 114  Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (446); Boers, MschrKrim 2019, 3 (8). 115  Göppinger/Bock, Kriminologie, § 12 Rn. 37 f.; Bock, Kriminologie, Rn. 260 f. 116  Bock, Kriminologie, Rn. 262. 117  Thornberry, Criminology 1987, 863 (863). 118  Nach Thornberry, Criminology 1987, 863 (866) sind folgende Variablen maßgeblich: die Bindung an die Eltern (attachment to parents), das Verpflichtungsgefühl gegenüber der Schule (commitment to school), der Glaube an konventionelle Werte (belief in conventional values), der Kontakt zu delinquenten Gleichaltrigen (associations with delinquent peers), die Übernahme delinquenter Werte (adopting delinquent

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

Karrieren sieht Thornberry die Einbindung in konventionelle Aktivitäten, wie die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit, und die Verpflichtung gegenüber der eigenen Familie als wesentlich an.119 cc) Die Theorie der altersabhängigen informellen Sozialkontrolle von Sampson und Laub Nach der Theorie von Sampson und Laub ist delinquentes Verhalten und die diesbezügliche Entwicklung im Lebenslauf maßgeblich von der sich je nach Alter verändernden informellen sozialen Kontrolle, sprich von geschwächten sozialen Bindungen, geprägt.120 Dabei sind für den Prozess des Zurückgehens der Delinquenz auf das gesellschaftliche Normalmaß sogenannte positive turning points maßgeblich.121 Darunter versteht man „die Entstehung oder Stärkung protektiver Faktoren“, wie beispielsweise die Familiengründung oder den Beginn einer als positiv empfundenen Berufstätigkeit.122 Hierdurch können neue Verpflichtungen entstehen, die geregelte Alltagsroutinen und stärkere Kontrollen durch das berufliche und familiäre Umfeld mit sich bringen. Gleichzeitig können sich soziale Bindungen entwickeln, die es aufrechtzuerhalten gilt.123 dd) Forschungsstand zum Delinquenzabbruch Diese Überlegungen waren der Anstoß für umfangreiche Forschung zum Delinquenzabbruch.124 Es haben sich dabei soziale, individuelle und integrative Ansätze entwickelt.125 Die erste Herangehensweise hebt die Entstehung neuer konventioneller Bindungen, wie stabile Arbeitsverhältnisse, Partnerschaft und familiäre Beziehungen hervor.126 Individuelle Auffassungen betovalues) und die Durchführung krimineller Handlungen (engaging in criminal behavior). 119  Thornberry, Criminology 1987, 863 (886). 120  Laub/Sampson, Criminology 1993, 301 (301 ff.); Sampson/Laub, Crime in the Making, S.  6 ff.; Laub/Sampson, Shared Beginnings, Divergent Lives, S. 194. 121  Laub/Sampson, Shared Beginnings, Divergent Lives, S. 114 ff. 122  Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 55 Rn. 39; ausführlich hierzu: Laub/Sampson, Shared Beginnings, Divergent Lives, S. 114 ff. 123  Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 55 Rn. 39. 124  Boers, MschrKrim 2019, 3 (27). 125  Boers, MschrKrim 2019, 3 (27). 126  Sampson/Laub, Crime in the Making, S. 139 ff.; Stelly/Thomas, Einmal Verbrecher – immer Verbrecher?, S. 293; Laub/Sampson, Shared Beginnings, Divergent Lives, S. 194; Stelly/Thomas, Kriminalität im Lebenslauf, S. 208 ff., 261 f.; Loughran/ Nagin/Nguyen, Social Problems 2017, 30 (30 ff.).



I. Die empirisch-kriminologischen Grundlagen47

nen die Notwendigkeit eines kognitiven Wandels hin zu einem Selbstkonzept der Konformität (Human Agency).127 Hinsichtlich der integrativen Ansätze lässt sich mittlerweile ein empirischer Konsens feststellen.128 Hiernach ist die Interaktion zwischen neuen sozialen Bindungen und neuem kognitiven Selbstkonzept maßgeblich für den Delinquenzabbruch.129 ee) Konsequenzen auf normativer Ebene Die beschriebenen entwicklungsdynamischen kriminologischen Theorien und der sich daraus entwickelte Forschungsstand zum Delinquenzabbruch legen nahe, dass es lohnend ist, unterstützend auf die Entwicklung einer sozial integrierten Lebensführung, insbesondere die Aufnahme einer Berufstätigkeit und die Gründung einer eigenen Familie, hinzuwirken. Diesbezüglich dysfunktionale Interventionen müssen tunlichst vermieden werden, um die gewünschte Spontanremission nicht zu verhindern. Dieses Ziel kann durch eine jugendgemäße Auslegung des Strafrechts anvisiert werden. Im folgenden Kapitel wird dargestellt, wie dysfunktionale strafrechtliche Interventionen durch den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung abgemildert werden können. Dieses zukunftsorientierte Vorgehen erscheint erfolgversprechender als bestehende Ursachen der Delinquenz anzugehen, die häufig weit zurück liegen. 5. Abmilderung dysfunktionaler Interventionen durch eine jugendgemäße Auslegung a) Erkenntnisse der Sanktionsforschung Im Jugendstrafrecht klaffen Ziel und Realität nicht nur auseinander, sondern repressives staatliches Eingreifen kann entgegen seiner Zielrichtung delinquentes Verhalten sogar fördern. Dabei wirken die Sanktionen umso desintegrativer, je intensiver sie sind.130 Schon Viehmann hat festgestellt, dass „intensivere Reaktionen eher schädlichere Wirkungen aufweisen als 127  Maruna, Making Good, S. 85 ff., 117 ff.; Paternoster u. a., J Dev Life Course Criminology 2015, 209 (209 ff.). 128  Boers/Herlth, MschrKrim 2016, 101 (111 ff.); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 55 Rn. 41; Boers, MschrKrim 2019, 3 (28). 129  Farrall/Bowling, Brit J Criminol 1999, 253 (261); Giordano/Schroeder/Cern­ kovich, American Journal of Sociology 2007, 1603 (1603 ff.); Carlsson, Brit J Criminol 2012, 1 (1 ff.); Farrall u. a., Criminal Careers in Transition, S. 43 ff., 96 ff. 130  Nagin/Cullen/Jonson, Crime and Justice 2009, 115 (143  f.); Bales/Piquero, J Exp Criminol 2012, 71 (71 ff.).

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

behutsame und daß Zuwarten erfolgreicher zu sein scheint als Zupacken“.131 In diesem Zusammenhang existieren zahlreiche Hinweise auf die Entwicklungsschädlichkeit strafrechtlicher Reaktionen und deren delinquenzverstärkende Effekte.132 Dies resultiert daraus, dass konforme Sozialbeziehungen behindert werden und vielmehr die Anbindung an delinquente Gleichaltrige begünstigt wird133, schulische und berufliche Problemlagen vertieft werden134 und das Selbstbild der Jugendlichen und Heranwachsenden negativ beeinflusst wird135. All das erschwert den gewollten Delinquenzabbruch enorm.136 Auch Albrecht stellt fest, dass „das Eingreifen in einer krisenhaften Situation eher verstärkend auf typische alltägliche Problemlagen Jugendlicher einwirkt, üblicherweise zu erwartende Normalisierungsprozesse verhindert“ und Rückfallkriminalität miterzeugt.137 Studien im Rahmen der Procedural Justice-Forschung haben außerdem gezeigt, dass die Qualität des strafrechtlichen Vorgehens weit reichende ­Wirkungen zeitigt. Die Art und Weise des Vorgehens der Strafverfolgungsinstitutionen hat besonders für die Normbefolgungsbereitschaft erhebliche Relevanz.138 Von den Tätern als unfair und unangemessen empfundene Interventionen können zu Ärger- und Trotzreaktionen, also Abwehrreaktionen gegenüber Polizei und Justiz führen und damit einhergehend auch delinquenzsteigernd wirken.139 Zudem verschlechtern als ungerecht empfundene Verfahren und Reaktionen die Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen und die anschließende Legalbewährung.140 Es kann infolgedessen zu einer Desta131  Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neu­ regelung, S. 436 (451). 132  Sessar, in: Walter/Koop, Die Einstellung des Strafverfahrens im Jugendstrafrecht, S. 26 (45 f.); Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 20 f., 43 ff.; Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (450 f.); Lopes u. a., Crime and Delinquency 2012, 456 (475 ff.); Barrick, in: Farrington/Murray, Labeling Theory, S. 89 (89 ff.); Murray u. a., in: Farrington/Murray, Labeling Theory, S.  209 (224 ff.); Wiley, J Dev Life Course Criminology 2015, 411 (423 ff., 427); ­Boers/Herlth, MschrKrim 2016, 101 (118); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie § 54 Rn. 12 ff., § 55 Rn. 34 f.; Boers, MschrKrim 2019, 3 (30 ff.); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, Einleitung Rn. 8. 133  Bernburg/Krohn/Rivera, Journal of Research in Crime and Delinquency 2006, 67 (67 ff.); Schulte, in: Boers/Reinecke, Delinquenz im Altersverlauf, S. 431 (451 ff.). 134  Bernburg/Krohn, Criminology 2003, 1287 (1287 ff.); Schumann, in: Dessecker, Jugendarbeitslosigkeit und Kriminalität, S. 43 (55 f., 64 f.). 135  Krohn/Lopes/Ward, in: Farrington/Murray, Labeling Theory, S. 179 (196 ff.). 136  Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 55 Rn. 43. 137  Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 33. 138  Kölbel, in: Zabel/Kretschmer, FS Schild, S. 49 (58). 139  Sherman, Journal of Research in Crime and Delinquency 1993, 445 (459 ff.). 140  Tyler, Why People Obey the Law, S. 161 ff.; Sprott/Greene, Crime and Delinquency 2010, 269 (283 f.); Penner u. a., Law and Human Behavior 2014, 225 (230 ff.).



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bilisierung des Rechtsbewusstseins kommen.141 Diese Erkenntnisse basieren darauf, dass ein faires Vorgehen dem Adressaten zeigt, dass er ein „angemessen gewürdigtes und vollwertiges Mitglied der durch die betreffenden Autoritäten repräsentierten Gruppe ist“.142 Dabei sind Anerkennung und Respekt Werte, die von den allermeisten Menschen geteilt werden.143 Eine faire Behandlung vermittelt dem Einzelnen einerseits ein erhöhtes Selbstwertgefühl, andererseits wird auch das Verpflichtungsgefühl gegenüber dem Kollektiv verstärkt. Demzufolge wird der Einzelne ihm gegenüber eher Normbefolgungsbereitschaft zeigen und auch unerwünschte Gruppenentscheidungen annehmen.144 b) Etikettierungsansätze Im Zusammenhang mit dysfunktionalen Wirkungen strafrechtlicher Maßnahmen sind auch die Etikettierungsansätze zu nennen. Diese ersetzen nicht die anderen Theorien zur Kriminalitätserklärung, sondern ergänzen sie um das Phänomen der sekundären Devianz.145 Im Laufe des Lebens kommt es zu einer ersten strafrechtlich erfassbaren Handlung, also einer primären Abweichung, deren Ursache nach dieser Theorie irrelevant ist. Oftmals handelt es sich um die hier in Rede stehende ubiquitär auftretende, normale und episodenhafte Jugenddelinquenz. Die hierauf folgende strafrechtliche Reaktion löst den Prozess der Etikettierung aus. Im Zuge dessen wird die betreffende Person stigmatisiert und ihr werden von außen Persönlichkeitsmerkmale zugeschrieben, welche sie in ihr Selbstbild übernimmt. Die sekundäre Abweichung entsteht, indem der Betroffene das neu erworbene Selbstbild zur Richtschnur seines Handelns macht. Er verhält sich dann genau so, wie man es von „so einem“ erwartet. Dadurch wird ein sich hinaufschaukelnder Spiralverlauf angestoßen.146 Damit gehen auch Desintegrationswirkungen in Form von Lebensführungsnachteilen einher. Zu nennen sind Freiheitseinschränkungen, finanzielle Einschränkungen und verminderte Bildungs- und Arbeitsmarktchancen. Dazu kommt die soziale Isolation gegenüber konform lebenden Mitbürgern und die oftmals daraus resultierende Anbindung an de141  Dölling, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 38 (57). 142  Kölbel, in: Zabel/Kretschmer, FS Schild, S. 49 (58). 143  Kölbel, in: Zabel/Kretschmer, FS Schild, S. 49 (58). 144  Tyler, Why People Obey the Law, S. 173 ff.; Kölbel, in: Zabel/Kretschmer, FS Schild, S. 49 (58 f.). 145  Bock, Kriminologie, Rn. 208; Lemert, in: Lüderssen/Sack, Seminar Abweichendes Verhalten I, S. 433 (433 ff.) etablierte den Begriff der sekundären Devianz. 146  Lemert, in: Lüderssen/Sack, Seminar Abweichendes Verhalten I, S. 433 (433 ff.); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 8 Rn. 3; Meier, Kriminologie, § 3 Rn. 91 ff.

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

linquente Peers.147 Diese Stigmatisierungswirkungen legen einem möglichen Delinquenzabbruch wiederum Steine in den Weg. Zahlreiche Studien kamen zu dem Ergebnis, dass die Strafverfolgung entgegen ihrer Zielrichtung kriminogene Wirkung entfaltet.148 Wenn von einer deliktisch ähnlich vorbelasteten Personengruppe eine Teilgruppe infolge eines Delikts sanktioniert wird, während die andere Teilgruppe nicht mit einer Sanktion belastet wird, stellt sich die zukünftige Devianz bei der sanktionierten Teilgruppe als höher heraus.149 Dieser die Delinquenz fördernde Einfluss kommt besonders bei jugendlichen und heranwachsenden Tätern zum Tragen, da die Identitätsbildung in dieser Lebensphase noch stark beeinflussbar ist. Je früher es im Leben zu einer Etikettierung kommt, desto eher wird die Rollenzuschreibung in das Selbstbild übernommen.150 Auch empirisch wurde besonders bei formellen Interventionen in der Jugendphase eine Delinquenzzunahme festgestellt.151 c) Schlussfolgerungen für die jugendgemäße Auslegung Die jugendstrafrechtlichen Sanktionen knüpfen im Ausgangspunkt an die verwirklichten Straftatbestände an. Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten zwar gem. § 18 Abs. 1 S. 3 JGG im Jugendstrafrecht nicht, wirken jedoch über die in ihnen verbürgten gesetzlichen Grundentscheidungen mittelbar doch auf Strafzumessungsebene in das Jugendstrafrecht hi­ nein.152 Da ein höherer Strafrahmen gerade auch einen höheren Schuldgehalt der Tat impliziert, kann sich die materielle Einstufung der Tat durchaus auswirken.153 Die Jugendrichter orientieren sich nämlich bei der Sanktionierung in der Praxis an der Tatschwere.154 Daher ist es angezeigt, bereits auf Tatbestandsebene eine jugendgemäße Auslegung vorzunehmen, um damit in umgekehrt mittelbarer Weise den dysfunktionalen Interventionswirkungen entgegenzuwirken. Wie die Erkenntnisse der Sanktionsforschung belegen, zahlt sich ein milderes Vorgehen nämlich aus. So können negative Sozialbeziehungen, Problemlagen und negative Selbstbildzuschreibungen abgemildert werKriminologie, § 8 Rn. 5; Boers, MschrKrim 2019, 3 (32). MschrKrim 2016, 101 (116); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 8 Rn. 4; Boers, MschrKrim 2019, 3 (30 ff.). 149  Barrick, in: Farrington/Murray, Labeling Theory, S. 89 (89 ff.). 150  Boers/Herlth, MschrKrim 2016, 101 (116); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 8 Rn. 6. 151  Lopes u. a., Crime and Delinquency 2012, 456 (475 ff.); Murray u. a., in: Farrington/Murray, Labeling Theory, S. 209 (224 ff.); Wiley, J Dev Life Course Criminology 2015, 411 (423 ff., 427). 152  Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 18 Rn. 11. 153  Förtig, Jugendbanden, S. 177. 154  Förtig, Jugendbanden, S. 177. 147  Eisenberg/Kölbel, 148  Boers/Herlth,



I. Die empirisch-kriminologischen Grundlagen51

den. Außerdem wird durch die Behandlung bereits auf Tatbestandsebene eine unnötige Belastung durch das Strafverfahren vermieden. Denn Jugendliche nehmen bereits das Verfahren selbst als eigene Sanktion wahr.155 Sofern ein Ausscheiden des relevanten Verhaltens auf Tatbestandsebene auch durch eine jugendgemäße Auslegung nicht möglich erscheint, muss das Verfahren jugendadäquat ausgestaltet werden. Auch die Procedural Justice-Forschung legt ein jugendadäquates Vorgehen nahe. Junge Menschen sollten das strafrechtliche Vorgehen möglichst als fair und angemessen empfinden, um das angestrebte Ziel der Legalbewährung zu fördern. Dies erfordert es, auf deren entwicklungstypische Besonderheiten einzugehen. Denn Jugendliche und Heranwachsende werden es als ungerecht empfinden, wenn ihre jugendtypischen Besonderheiten gegenüber Erwachsenen nicht bereits auf materieller und prozessualer Ebene und bei den im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen berücksichtigt werden. Ein faires jugendadäquates Agieren der Strafverfolgungsbehörden kann also die Strafrechtskonformität fördern. Das kann durch eine jugendgemäße Auslegung sichergestellt werden. Auch um den beschriebenen Etikettierungseffekten entgegenzuwirken, ist es lohnend, bereits auf Tatbestandsebene anzuknüpfen und jugendgemäß auszulegen. Für das Labeling ist nämlich nicht nur entscheidend, ob eine strafrechtliche Verfolgung stattfindet, sondern auch weswegen. Je nachdem verändert sich das Selbstbild und das dementsprechende Handeln. Wie erläutert, wirken schädliche Etikettierungen bei Jugendlichen und Heranwachsenden aufgrund ihrer größeren Beeinflussbarkeit stärker, sodass diese gegenüber Erwachsenen durch eine jugendgemäße Auslegung entlastet werden müssen. Zudem ist es auch angezeigt, die genannten erzieherisch und spezialpräventiv abträglichen Lebensführungsnachteile besonders bei jungen Menschen abzuwenden, um der gewünschten Spontanremission keine Steine in den Weg zu legen. Obendrein kann das Verfahren zu negativen Zuschreibungen führen, sodass auch dieses jugendgemäß ausgestaltet werden muss. Auf diesem Weg kann verhindert werden, dass sich die ubiquitäre, normale und episodenhafte Jugenddelinquenz durch eine nicht jugendadäquate Rechtsanwendung zu einer kriminellen Karriere verfestigt.

155  Albrecht,

Jugendstrafrecht, S. 31 f.

52

C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

II. Dogmatische Grundlagen des jugendspezifischen teleologischen Trennungsmodells 1. Auslegung a) Auslegungsverbot Ein Blick in die Historie zeigt, dass die Väter des Gesetzlichkeitsprinzips ein Bedürfnis nach Auslegung noch abgelehnt haben.156 Nach Montesquieus Worten „Les juges ne sont que la bouche qui prononce les paroles de la loi“ sind die Richter nur der Mund, der die Worte des Gesetzes ausspricht. Einer eigenen Interpretation durch den Richter sei der Gesetzeswortlaut demnach nicht zugänglich.157 Auch Beccaria postulierte ein derartiges Auslegungsverbot. Friedrich II. hatte ein solches für das Preußische Allgemeine Landrecht vorgesehen. Umgesetzt wurde ein Auslegungsverbot schließlich im Bayerischen StGB von 1813.158 b) Bedürfnis nach jugendgemäßer Auslegung Ungeachtet der geschilderten historischen Perspektive besteht heute Einigkeit, dass die unausweichliche Distanz zwischen dem konkreten Fall einerseits und den generell-abstrakten Normen andererseits den Bedarf nach Auslegung zum Vorschein bringt.159 Auslegen ist „ein vermittelndes Tun, durch das sich der Auslegende den Sinn eines Textes, der ihm problematisch geworden ist, zum Verständnis bringt“.160 Inhalt und Reichweite einer Norm werden demnach immer erst durch die Auslegung in ihrer Gänze erfasst.161 Die generell-abstrakten allgemeinen Vorschriften sind für erwachsene Täter formuliert und vernachlässigen die Besonderheiten der jugendlichen Lebensphase. Damit diese Normen sowohl der Lebenswirklichkeit erwachsener als auch junger Menschen gerecht werden, bedürfen sie der Auslegung. Im Erwachsenenstrafrecht ist die allgemeine Auslegung maßgeblich. Im Jugendstrafrecht kommt die jugendgemäße Auslegung hinzu. Der konkrete Fall ist bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden und Erwachsenen verschiedenartig zu beurteilen und muss mit der abstrakt-generellen Norm in jugendadäquater Weise in Einklang gebracht werden. Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 26. nach: Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 26. 158  Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 26. 159  Bydlinski/Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, S. 24. 160  Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 133. 161  Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 28. 156  Roxin/Greco, 157  Zitiert



II. Dogmatische Grundlagen des teleologischen Trennungsmodells53

c) Jugendgemäße Auslegung oder jugendgemäße Rechtsfortbildung Im Folgenden soll die Frage beantwortet werden, ob es sich bei dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung tatsächlich um eine Form der Auslegung handelt oder vielmehr um Rechtsfortbildung. Maßgebliches Differenzierungskriterium ist dabei der Wortlaut. Solange sich die gefundenen Erkenntnisse noch im Rahmen des Wortsinns bewegen, handelt es sich um Auslegung. Wird der Wortsinn überschritten, liegt eine ergänzende Rechtsfortbildung vor.162 Ansatzpunkt für die Überprüfung des Grundsatzes der jugendgemäßen Auslegung an diesem Maßstab ist der Wortlaut des § 2 Abs. 2 JGG. Danach gelten die allgemeinen Vorschriften nur, soweit im JGG nichts anderes bestimmt ist. Dort ist in § 2 Abs. 1 JGG mit dem Grundsatz der positiven Spezialprävention und dem Erziehungsgedanken etwas anderes bestimmt, sodass die allgemeinen Vorschriften nach dem Gesetzeswortlaut stets in Übereinstimmung mit diesen Prinzipen angewendet werden müssen. Auch die implizit normierten Leitlinien des Jugendstrafrechts bestimmen etwas anderes im Sinne des § 2 Abs. 2 JGG. Unter „gelten nur, soweit“ kann nach dem Wortsinn sowohl die Modifikation der allgemeinen Vorschriften als auch deren gänzliche Nichtanwendbarkeit verstanden werden. Demzufolge befindet sich die hier vertretene jugendgemäße Auslegung innerhalb des Wortsinns des § 2 Abs. 2 JGG und der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung stellt tatsächlich eine Form der Auslegung und keine Rechtsfortbildung dar. d) Die allgemeine Gesetzesbindung als Grenze der jugendgemäßen Auslegung Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung muss in jedem Fall die anerkannten Grenzen der Gesetzesmethodik wahren. Zu beachten ist also stets die allgemeine Gesetzesbindung, die aus „Gründen der Rechtsstaatlichkeit“ unverzichtbar ist.163 Der Grundsatz der Gesetzesbindung ist dabei „unabdingbare Voraussetzung für Gewaltenteilung und Demokratieprinzip“.164 Verfassungsrechtlich unzulässig ist eine Gesetzesmethodik, die „den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird“.165 Die ge162  Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 143; Bydlinski/Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, S. 81. 163  BVerfG, NJW 2011, 836 (838 Rn. 53). 164  Höpfner, RdA 2018, 321 (322). 165  BVerfG, NJW 2012, 669 (671 Rn. 56).

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

setzgeberischen Grundentscheidungen müssen demnach akzeptiert werden.166 Übertragen auf die jugendgemäße Auslegung verlangt die allgemeine Gesetzesbindung, dass der Gesetzgeber nicht von einer uneingeschränkten altersgruppenübergreifenden Anwendbarkeit der jeweils in Rede stehenden allgemeinen Strafnorm ausgeht. Die Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten darf ausweislich der Gesetzesmaterialien demnach nicht ausdrücklich als irrelevant eingestuft worden sein.167 Diese Voraussetzung muss im jeweiligen Anwendungsfall geprüft und eingehalten werden. Die genaue Ausgestaltung dieser Bedingung und auch deren Einschränkungen werden gesondert in dem Kapitel Voraussetzungen der jugendgemäßen Auslegung erörtert. e) Ziele der jugendgemäßen Auslegung – objektive versus subjektive Theorie Das Auslegungsziel wird kontrovers diskutiert. Die subjektive Theorie ermittelt den Willen des historischen Gesetzgebers, während die objektive Theorie losgelöst davon auf den gesetzesimmanenten Sinn abstellt.168 Die beiden Theorien können keine absolute Geltung für sich beanspruchen. Kritikpunkt an der subjektiven Theorie ist, dass sich das Gesetz auf diesem Weg nicht an die heutigen Gegebenheiten sowie die aktuellen empirischen Erkenntnisse anpassen kann. Denn der historische Gesetzgeber konnte naturgemäß nicht alle möglichen Veränderungen in seine Überlegungen miteinbeziehen.169 Eine adäquate Beachtung der „rechtlichen, sozialen und tatsächlichen Geltungsbedingungen“ sei auf diesem Wege nicht möglich.170 Es wird von „Versteinerung“171 und auch „Zementierung“172 des Rechts gesprochen. Auf der anderen Seite wird die rechtssichernde Wirkung der subjektiven Herangehensweise anerkannt.173 Die völlige Loslösung der objektiven Theorie von den Wertentscheidungen des historischen Gesetzgebers widerspricht dem Gesetzlichkeitsprinzip.174 Zu befürworten ist ein Mittelweg: Einerseits muss in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Art. 97 Rn. 186. ZJJ 2021, 40 (44). 168  Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 137; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 247  f.; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 32. 169  Stellvertretend für viele: Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 138; Hecker, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 1 Rn. 41. 170  Herresthal, Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen, S. 319. 171  Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, S. 181. 172  Henninger, Europäisches Privatrecht und Methode, S. 375. 173  Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 22, 41. 174  Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 139; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 32. 166  Meyer,

167  Kölbel,



II. Dogmatische Grundlagen des teleologischen Trennungsmodells55

der heutige Sinngehalt des Gesetzes unter Beachtung aktueller empirischer Erkenntnisse herausgearbeitet werden, andererseits sind aber auch die Wertentscheidungen des historischen Gesetzgebers zu beachten.175 Ziel der Auslegung ist es also, dass Normen durch sie zu jeder Zeit praktikabel bleiben, indem sowohl objektive als auch subjektive Aspekte berücksichtigt werden. Auf diese Weise finden empirische Erkenntnisse zum Jugendstrafrecht jugendadäquat unter Wahrung des Gesetzlichkeitsprinzips Beachtung. 2. Begründung der jugendgemäßen Auslegung anhand der Auslegungskanones Im Folgenden wird der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung durch eine grammatische, systematische, historische und teleologische Auslegung der §§ 2 JGG und 10 StGB untermauert. Die Auslegungskriterien dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Sie ergänzen sich vielmehr gegenseitig.176 a) Grammatische Auslegung Der Wortlaut ist Ausgangspunkt jeder Auslegung.177 Im Wortlaut von § 2 Abs. 2 JGG ist ausdrücklich geregelt, dass die allgemeinen Vorschriften nur gelten, „soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist“. Es ist gerade nicht davon die Rede, dass „in den nachfolgenden Vorschriften“ nichts anderes bestimmt ist. Aus dem Wortlaut folgt demnach, dass sich der Anwendungsvorrang des JGG nicht nur auf die Bestimmungen der §§ 3 ff. JGG bezieht, sondern auch auf § 2 Abs. 1 JGG. „In diesem Gesetz“ sind also auch die spezialpräventive Grundausrichtung des JGG und der Erziehungsgedanke ausdrücklich geregelt und deshalb bei der Auslegung und Anwendung der allgemeinen Vorschriften vorrangig zu beachten.178 Gleiches folgt aus dem Wortlaut des § 10 StGB, der normiert, dass das StGB für Taten von Jugendlichen und Heranwachsenden nur gilt, „soweit im Jugendgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt ist“. Er nimmt insoweit wiederum auf die gesamten Sondervorschriften des JGG Bezug. Etwas anderes bestimmt im Sinne des § 2 Abs. 2 JGG wird auch durch die nicht explizit normierten Leitlinien des Jugendstrafrechts. Obwohl der Gesetzgeber diese allgemeinen Prinzipien nicht positiv festgeschrieben hat, spricht hierfür, dass die jugendstrafrecht­ 175  Ähnlich: Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 251; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 32. 176  Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 140; BVerfG, NJW 2013, 1058 (1062 Rn. 66); Hecker, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 1 Rn. 36. 177  Hecker, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 1 Rn. 37. 178  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 20.

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

liche Spezialität im JGG nicht als abschließend normiert angesehen werden kann. Das Jugendstrafrecht ist eine vielschichtige und von empirischen Erkenntnissen stark beeinflusste Materie. Eine abschließende Regelung erscheint vor diesem Hintergrund kaum möglich. Dies wird auch durch den Wortlaut des § 2 JGG gestützt. Die Überschrift spricht vom Ziel des Jugendstrafrechts, während § 2 Abs. 1 S. 1 JGG festlegt, dass vor allem erneuten Straftaten entgegengewirkt werden soll. Daraus ist zu folgern, dass auch weitere ungeschriebene Ziele des Jugendstrafrechts denkbar sind. Auch die Mittel für die Zielerreichung sind nicht abschließend, denn § 2 Abs. 1 S. 2 JGG normiert nur die vorrangige Ausrichtung am Erziehungsgedanken. Da­ raus lässt sich entnehmen, dass auch andere Leitlinien von Bedeutung sein können. Daher genügt es nicht, dass nur die §§ 3 ff. JGG einen Geltungsvorrang beanspruchen. Vielmehr müssen sich auch der Grundsatz der positiven Spezialprävention, der Erziehungsgedanke und auch die nicht explizit normierten Prinzipien gegenüber widersprechenden allgemeinen Strafvorschriften als speziellere Gestaltungsprinzipien durchsetzen. So formuliert das OLG Karlsruhe zutreffend: „Das JGG schließt dabei das allgemeine Recht nicht nur dort aus, wo es eine ausdrückliche Regelung trifft, sondern schon dort, wo dieses den Grundsätzen des JGG widerspricht, oder wo es zu einem nicht jugendgemäßen Ergebnis führen würde.“179 Somit handelt es sich entgegen der Vertreter des Einheitsmodells bei der jugendgemäßen Auslegung nicht um eine den Wortlaut überspielende Auslegung, sondern sie ist vielmehr im Wortlaut angelegt. § 2 Abs. 2 JGG stellt die gesetzliche Legitimation der jugendgemäßen Auslegung dar. b) Systematische Auslegung Ein weiterer Interpretationsgesichtspunkt ist die systematische Auslegung. Maßgeblich ist dabei die systematische Stellung der Rechtsnorm im Gesamtgefüge des Gesetzes.180 Die spezialpräventive Grundausrichtung des Jugendstrafrechts und der Erziehungsgedanke sind in § 2 Abs. 1 JGG geregelt. Wie bereits erläutert, sind auch die ungeschriebenen Leitlinien in dieser Norm verankert. Der Einwand, dass § 2 Abs. 2 JGG im System nach § 2 Abs. 1 JGG steht und sich daher systematisch nicht auf diesen bezieht, ist zurückzuweisen. Auch nach einer systematischen Auslegung ist davon auszugehen, dass der Grundsatz der positiven Spezialprävention, der Erziehungsgedanke und die ungeschriebenen Leitlinien bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften über § 2 Abs. 2 JGG Beachtung finden müssen. Die herausgehobene 179  OLG

Karlsruhe, NStZ 2000, 485 (485). in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 1 Rn. 89 f.

180  Schmitz,



II. Dogmatische Grundlagen des teleologischen Trennungsmodells57

systematische Stellung der positiven Spezialprävention und des Erziehungsgedankens direkt am Anfang des Gesetzes ergibt sich aus deren überragend wichtigen Bedeutung. Dadurch soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass sich § 2 Abs. 2 nicht auf diese Prinzipien bezieht, sondern im Gegenteil, dass diese besonders zu berücksichtigen sind. Diese Systematik lässt sich bereits an anderen Stellen des geltenden Rechts finden. So wie der Erziehungsgedanke und der Grundsatz der positiven Spezialprävention der Motor des Jugendstrafrechts sind, handelt es sich bei der Menschenwürde um den Motor des Verfassungsrechts. In Art. 1 Abs. 3 GG ist die Rede von den nachfolgenden Grundrechten. Nichtsdestotrotz stellt die in Art. 1 Abs. 1 GG normierte Menschenwürde nach allgemeiner Meinung ein Grundrecht dar.181 Die systematische Stellung ergibt sich auch hier aus der überragenden Bedeutung. So verhält es sich auch bei § 211 StGB, der wegen seiner herauszuhebenden Bedeutung vor § 212 steht und trotzdem eine Qualifikation darstellt.182 Diese Argumentation wird dadurch untermauert, dass der gesamte § 2 JGG, also nicht nur Abs. 2, sondern auch Abs. 1 mit der positiven Spezialprävention, dem Erziehungsgedanken und den ungeschriebenen Leitprinzipien im Teil Anwendungsbereich zu finden ist. Damit sind auch alle genannten Aspekte für die Anwendung des allgemeinen Strafrechts von Relevanz. Die Auslegung darf aus systematischen Gründen zudem keine Vorschrift überflüssig machen.183 Die reine Existenz von § 2 Abs. 2 JGG ist danach ein systematisches Argument für eine jugendgemäße Auslegung, denn die Spezialität der Vorschriften des JGG und damit das Zurücktreten der allgemeinen Vorschriften ergibt sich bereits aus dem Charakter des JGG als Sondergesetz. § 2 Abs. 2 JGG muss eine darüberhinausgehende Bedeutung haben, sonst wäre er inhaltsleer und nutzlos. Diese ist in der Auslegung der allgemeinen Vorschriften anhand der jugendrechtlichen Besonderheiten zu sehen. Es erscheint wenig überzeugend, dass der Gesetzgeber an einer solch systematisch hervorgehobenen Stelle eine nur deklaratorische Norm positioniert.184 Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung ergibt sich laut Nothacker unmittelbar aus der Spezialität der jugendstrafrechtlichen Normen.185 Das Jugendstrafrecht als Teilbereich der Rechtsmaterie Strafrecht zeichnet sich durch seine Eigenständigkeit und Andersartigkeit gegenüber dem allgemei181  Anstatt vieler: Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 1 Rn. 3. 182  So die herrschende vorzugswürdige Lehre anstatt vieler: Kühl, in: Lackner/ Kühl, Strafgesetzbuch, Vorbemerkung §§ 211–222, Rn. 22. 183  Walter, Kleine Rhetorikschule für Juristen, S. 224. 184  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 22. 185  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 115.

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

nen Strafrecht aus.186 Die Bezugnahme auf die Altersgruppe der Jugend­lichen und Heranwachsenden macht das Jugendstrafrecht gegenüber den allgemeinen Normen zum spezielleren Gesetz.187 Wenn nun bei der Anwendung einer allgemeinen Vorschrift im Rahmen der Auslegung dem besonderen Merkmal der Jugend Rechnung getragen wird, kommt darin die Verfestigung und ­Fortentwicklung des speziellen Merkmals zum Ausdruck.188 Nothacker bezeichnet diesen methodischen Ansatz als „teleologische Perseveranz der Spezialität“.189 c) Historische Auslegung Im Rahmen der historischen Auslegung wird das Ziel des historischen Gesetzgebers anhand der Entstehungsgeschichte des Gesetzes und der Gesetzesmaterialien herausgefiltert.190 Das JGG aus dem Jahr 1923 rückte an die Stelle der §§ 55–57 StGB a. F.191 Es wurde damit ein Sonderstrafrecht für junge Menschen geschaffen.192 Dies resultiert aus der Anerkennung der Jugend als besonderer Lebensabschnitt im Übergang zwischen Kind- und Erwachsenensein.193 § 2 Abs. 2 JGG existiert erst seit dem Inkrafttreten des JGG vom 04.08.1953.194 Auch zuvor normierte das JGG schon speziellere Sondervorschriften gegenüber den allgemeinen Normen, sodass § 2 Abs. 2 JGG eine darüberhinausgehende Bedeutung haben muss und zwar die Übertragung der jugendstrafrechtlichen Besonderheiten auf die allgemeinen Vorschriften. Mit dem zweiten JGG-Änderungsgesetz vom 13.12.2007 wurde dann § 2 Abs. 1 JGG in seiner heutigen Fassung eingeführt.195 Diese Norm „bietet allgemein eine Orientierungshilfe für die Auslegung unbestimmter 186  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 143. 187  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 110. 188  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 115. 189  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 115. 190  BVerfG, NJW 2013, 1058 (1062 Rn. 66); Schmitz, in: Joecks/Miebach, MüKo­ StGB, § 1 Rn. 91. 191  Stolp, Die geschichtliche Entwicklung des Jugendstrafrechts von 1923 bis heute, S. 20. 192  Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 22. 193  Stolp, Die geschichtliche Entwicklung des Jugendstrafrechts von 1923 bis heute, S. 44. 194  BGBl. I 1953 S. 751. 195  BGBl. I 2007 S. 2894.



II. Dogmatische Grundlagen des teleologischen Trennungsmodells59

Rechtsbegriffe“.196 Der Gesetzgeber „bekennt sich zum Erziehungsgedanken als Leitprinzip“ und bezeichnet den Erziehungsgedanken als „das wesentliche Standbein für ein eigenständiges Jugendstrafrecht überhaupt“.197 Dadurch wird deutlich, dass dem Gesetzgeber selbst eine Anwendung der allgemeinen Vorschriften vorschwebt, die der Spezialprävention dient und welche den Erziehungsgedanken beachtet. Zudem weist der Gesetzgeber darauf hin, dass bei der Frage, was der künftigen Legalbewährung junger Menschen dient, „die Berücksichtigung von Wirkungszusammenhängen und empirische Einschätzungen im Vordergrund stehen“ muss, weswegen „bei der Auslegung und Anwendung des Jugendstrafrechts normative Erwägungen nicht genügen können“. „§ 2 Abs. 1 verlangt deshalb auch die besondere Beachtung kriminologischer, pädagogischer, jugendpsychologischer und anderer fachlicher Erkenntnisse.“198 Dieser Forderung nach einem evidenzbasierten Jugendstrafrecht kann durch eine jugendgemäße Auslegung entsprochen werden. d) Teleologische Auslegung Daneben gehört die teleologische Auslegung zu den Auslegungskanones.199 Im Mittelpunkt stehen dabei Sinn und Zweck der auszulegenden Norm.200 Vorrangiges Ziel des Sonderstrafrechts für junge Menschen ist gem. § 2 Abs. 1 S. 1 JGG die Legalbewährung Jugendlicher und Heranwachsender. Die empirischen Erkenntnisse zum Jugendalter, insbesondere hinsichtlich Ubiquität, Normalität und Episodenhaftigkeit der Jugenddelinquenz und bezüglich der Dysfunktionalität strafrechtlicher Interventionen, haben eindrücklich verdeutlicht, dass es – um das Ziel der Legalbewährung zu erreichen – unerlässlich ist, die allgemeinen, auf die Lebensrealität Erwachsener zugeschnittenen Vorschriften nicht pauschal, unreflektiert und unmodifiziert auch auf Jugendliche und Heranwachsende anzuwenden. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass Gesetzesänderungen über § 2 Abs. 2 JGG auch im Jugendstrafrecht wirken, obwohl es häufig an einer Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit den Konsequenzen für das Jugendstrafrecht fehlt.201 Die Rechtsanwendung muss den vielfältigen Unterschieden zwischen jungen Menschen und Erwachsenen Rechnung tragen, um die bestmögliche Wirkung zu entfalten. Ziel ist es, die soziale Wirklichkeit Jugendlicher und Heran196  BT-Drs.

16/6293, S. 9. 16/6293, S. 9, 10. 198  BT-Drs. 16/6293, S. 10. 199  Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 616. 200  Hecker, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 1 Rn. 40. 201  Eine genaue Analyse der Thematik findet sich bei Kölbel, ZJJ 2021, 40 (41 f.). 197  BT-Drs.

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

wachsender rechtlich adäquat umzusetzen, denn „ein Rechtssystem soll sich auf Realitäten beziehen“.202 Durch eine jugendgemäße Auslegung kann sichergestellt werden, dass aktuelle empirische Erkenntnisse berücksichtigt werden und die Anwendung der allgemeinen Vorschriften auf Jugendliche und Heranwachsende diesen nicht zuwiderläuft. 3. Verfassungsrechtliche Aspekte der jugendgemäßen Auslegung a) Vereinbarkeit der jugendgemäßen Auslegung mit dem Gesetzlichkeitsprinzip Die Vertreter des Einheitsmodells lasten der jugendgemäßen Auslegung einen Verstoß gegen das Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 Abs. 2 GG an.203 Dem ist entgegenzutreten. Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung lässt die auch gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden unerlässliche Garantiefunktion des Strafrechts unberührt. Die darin enthaltenen Schutzprinzipien lex praevia, lex scripta, lex certa und lex stricta204 werden nicht verletzt. Vorauszuschicken ist folgende Erkenntnis: Ein Rechtsstaat soll den Einzelnen nicht nur durch das Strafrecht, sondern auch vor dem Strafrecht schützen.205 Ein Instrument des rechtsstaatlichen Schutzes zugunsten des Täters ist das Gesetzlichkeitsprinzip.206 Eine jugendgemäße Auslegung verfolgt die gleiche Zielrichtung – sie will den jungen Täter vor altersgruppenübergreifend anwendbaren, für die konkrete Lebensphase aber unpassenden Regelungen schützen. aa) lex praevia Das Rückwirkungsverbot wird von einer jugendgemäßen Auslegung nicht tangiert. bb) lex scripta Der Grundsatz lex scripta besagt, dass Strafgesetze in Schriftform erlassen werden müssen und ein Gewohnheitsrecht zu Lasten des Täters im Strafrecht NStZ 1992, 470 (474). JR 2002, 309 (312); Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 26; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 11. 204  Hecker, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 1 Rn. 6. 205  Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 1. 206  Hecker, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 1 Rn. 6; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 1. 202  Walter,

203  Kornprobst,



II. Dogmatische Grundlagen des teleologischen Trennungsmodells61

untersagt ist.207 Eine die Besonderheiten der jugendstrafrechtlichen Materie berücksichtigende Auslegung zugunsten junger Menschen verletzt dieses Schriftlichkeitsgebot nicht. cc) lex certa Besonders betroffen erscheinen die Prinzipien lex certa und lex stricta. Zu erörtern ist zunächst der Grundsatz lex certa, wonach ein Strafgesetz hinreichend bestimmt sein muss.208 Hierzu führt das Bundesverfassungsgericht aus: Der Bestimmtheitsgrundsatz „verpflichtet den Gesetzgeber auch, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung soll einerseits sicherstellen, dass die Normadressaten vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Sie soll andererseits gewährleisten, dass die Entscheidung über strafwürdiges Verhalten im Voraus vom Gesetzgeber und nicht erst nachträglich von der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt gefällt wird. Das schließt allerdings nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maß der Deutung durch den Richter bedürfen. Auch im Strafrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. Ferner ist es wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen unvermeidlich, dass in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht.“209 Eine jugendgemäße Auslegung ist angesichts der Regelung des § 2 Abs. 2 JGG mit dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar. Die Strafbarkeit ist in den allgemeinen Vorschriften des StGB gesetzlich bestimmt. Ferner ist genau bestimmt, wann die allgemeinen Vorschriften zur Anwendung kommen, und zwar eben nur dann, wenn sie nicht durch vorrangige jugendspezifische Gesichtspunkte überlagert werden. Unter „gelten nur, soweit“ kann nach dem Wortsinn sowohl die Modifikation der allgemeinen Vorschriften als auch deren gänzliche Nichtanwendbarkeit verstanden werden. Der Gesetzgeber bestimmt demnach die Strafbarkeit selbst, indem er einen Regelungsrahmen schafft, der dann durch den Richter im Wege der Auslegung nur konkretisierend ausgestaltet wird. Um zu präzisieren, was unter vorrangigen jugendspezifischen Gesichtspunkten zu verstehen ist und um einer jugendgemäßen Auslegung eine schärfere Kontur zu verleihen, werden vorliegend Auslegungsleitlinien aufgestellt. Allerdings muss beachtet werden, dass sich ein 207  Walter, JA 2013, 727 (730); Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 45. 208  Hecker,

209  BVerfG,

in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 1 Rn. 6. NJW 2007, 1666 (1666 Rn. 10).

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

gewisses Maß an Unbestimmtheit nicht vermeiden lässt.210 Nur so kann eine flexible und damit gerechte jugendadäquate Handhabung erfolgen. Wie erläutert, sind das Gesetzlichkeitsprinzip und der darin verbürgte Bestimmtheitsgrundsatz Prinzipien zum Schutz des Täters, sodass eine jugendgemäße einschränkende Auslegung der Straftatbestände zugunsten des jugendlichen oder heranwachsenden Täters verfassungsgemäß zulässig, ja sogar geboten ist.211 Es wird gerade keine neue Strafbarkeit begründet, sondern die allgemeinen Vorschriften werden in ihrem Anwendungsbereich begrenzt. dd) lex stricta Ferner ist das Analogieverbot zu erläutern. „Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpreta­ tion“.212 Eine darüberhinausgehende Strafbegründung durch Analogie im Wege der Rechtsfortbildung ist untersagt.213 Wie bereits erläutert, handelt es sich vorliegend tatsächlich um eine jugendgemäße Auslegung und nicht um eine jugendgemäße Rechtsfortbildung.214 Außerdem bringt eine jugendgemäße Interpretation gerade nicht die Begründung einer Strafbarkeit, sondern deren Einschränkung zugunsten von Jugendlichen und Heranwachsenden mit sich. Eine solche Täterbegünstigung ist zulässig.215 b) Der Subsidiaritätsgrundsatz als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Eine verfassungsrechtliche Grundlage der jugendgemäßen Auslegung ist das Prinzip der Subsidiarität. Dieser Grundsatz besagt einerseits, dass das strafrechtliche Einschreiten als ultima ratio auf das Notwendige zu beschränken ist. Andererseits statuiert er eine Schutzpflicht, mithin eine Pflicht zum staatlichen Einschreiten, um erforderlichenfalls Rechtsfrieden und Rechts­ sicherheit in der Gesellschaft zu wahren.216 Für die vorliegenden Ausführungen ist die erste Erscheinungsform des Subsidiaritätsgrundsatzes von Bedeutung. Das Strafrecht sollte demnach als schärfstes Instrument sozialer Kon­ Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 69. JA 2001, 153 (162); Eisenberg, DRiZ 2006, 120 (121). 212  BVerfG, NJW 2007, 1666 (1666 Rn. 10). 213  Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 8. 214  Siehe hierzu S. 53. 215  Hecker, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 1 Rn. 6; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 44; Franzke, in: DVJJ, Jugend, Recht und Öffentlichkeit – Selbstbilder, Fremdbilder, Zerrbilder, S. 205 (211 ff.). 216  Röding, in: DVJJ, Jugend im sozialen Rechtsstaat, S. 230 (231). 210  Roxin/Greco, 211  Eisenberg,



II. Dogmatische Grundlagen des teleologischen Trennungsmodells63

trolle mit Zurückhaltung eingesetzt werden.217 Von mehreren gleich e­ ffektiven Vorgehensweisen ist diejenige mit der geringstmöglichen Beeinträchtigungswirkung zu wählen.218 Dies ist Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.219 Dabei handelt es sich um einen in der Verfassung verankerten Grundsatz, welchem als Teil des Rechtsstaatsprinzips gem. Art. 20 Abs. 3 GG in der gesamten Rechtsordnung höchste Bedeutung beigemessen wird.220 Der Subsidiaritätsgrundsatz ist auch und gerade im Jugendstrafrecht als elementares Prinzip anerkannt.221 Nicht nur im Jugendgerichtsgesetz, sondern auch in den internationalen Regelungen im Bereich des Jugendrechts, namentlich in den Regelwerken der Vereinten Nationen und den Entschließungen des Europarats, hat der Subsidiaritätsgrundsatz eine normative Verankerung.222 Er ist nicht auf bestimmte Bereiche des Jugendstrafrechts beschränkt, sondern durchzieht vielmehr das gesamte Rechtsgebiet und erfordert, den strafrechtlichen Kontrollanspruch insgesamt soweit wie möglich zurückzunehmen.223 Die Frage der Verhältnismäßigkeit kann vor dem Hintergrund der jugendspezifischen Besonderheiten wiederum nicht altersgruppenübergreifend einheitlich beantwortet werden.224 Bereits die Erkenntnisse zur Ubiquität, Normalität und Episodenhaftigkeit der Jugenddelinquenz und 217  Roxin, JuS 1966, 377 (382); Röding, in: DVJJ, Jugend im sozialen Rechtsstaat, S. 230 (231). 218  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 151. 219  Walter, NStZ 1992, 470 (473 f.); Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 60. 220  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 150. 221  Peters, in: Sieverts, Handwörterbuch der Kriminologie, S. 455 (458); Not­ hacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S.  150 ff.; Röding, in: DVJJ, Jugend im sozialen Rechtsstaat, S. 230 (231); Trenczek, ZRP 1993, 184 (185); Ostendorf, StV 2002, 436 (445); BVerfG, NJW 2006, 2093 (2095); A ­ lbrecht, in: Richter/Krappmann/Wapler, Kinderrechte, S. 405 (406). 222  Brehm, Fragen der Weiterentwicklung des jugendkriminalrechtlichen Rechtsfolgensystems, S. 149; zur rechtlichen Verbindlichkeit dieser internationalen Vor­gaben für die nationale Gesetzgebung siehe: Brehm, Fragen der Weiterentwicklung des jugendkriminalrechtlichen Rechtsfolgensystems, S. 151 ff.; beachte hierzu auch BVerfG, NJW 2006, 2093 (2097): Es kann „auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht genügende Berücksichtigung vorhandener Erkenntnisse oder auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht entsprechende Gewichtung […] hindeuten, wenn völkerrechtliche Vorgaben oder internationale Standards mit Menschenrechtsbezug, wie sie in den im Rahmen der Vereinten Nationen oder von Organen des Europarates beschlossenen einschlägigen Richtlinien und Empfehlungen enthalten sind, nicht beachtet beziehungsweise unterschritten werden“. 223  Trenczek, ZRP 1993, 184 (185). 224  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 150.

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

zur Dysfunktionalität staatlicher Interventionen gerade im Jugendalter sprechen für eine sehr zurückhaltende strafrechtliche Gesetzesauslegung. Daraus folgt, dass in einem ersten Schritt als mildestes Mittel stets eine jugendgemäße Auslegung durchzuführen ist, um die Anwendung des allgemeinen für junge Menschen zu weit gefassten Strafrechts für diese Altersgruppe zu begrenzen. c) Verfassungsrechtliche Verankerung des Grundsatzes der positiven Spezialprävention und des Erziehungsgedankens Der Grundsatz der positiven Spezialprävention und der Erziehungsgedanke fungieren in der vorliegenden Arbeit als Auslegungsleitlinien im Rahmen einer jugendgemäßen Auslegung. An dieser Stelle soll zunächst nur ihre verfassungsrechtliche Verankerung dargestellt werden. Der Grundsatz der positiven Spezialprävention und damit die Resozialisierung erwächst aus Sicht des Täters aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.225 Der Täter muss die Chance erhalten, sich wieder in die Gemeinschaft einzugliedern.226 Von der Gemeinschaftsperspektive aus betrachtet erfordert das Sozialstaatsprinzip diese „staatliche Vor- und Fürsorge“.227 Das Ziel „möglichst weitgehender sozialer Integration“ beansprucht daher Verfassungsrang.228 Um es bestmöglich erreichen zu können, müssen empirische und kriminologische Erkenntnisse von Verfassungs wegen berücksichtigt werden.229 Auch dem Erziehungsgedanken wohnt das Resozialisierungsziel inne und es ist gleichzeitig dessen verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt.230 Zudem fußt der Erziehungsgedanke auf dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.231 Die verfassungsrechtliche Verankerung des Grundsatzes der positiven Spezialprävention und des Erziehungsgedankens untermauert nochmals deren Stellenwert für die vorliegende Fragestellung. Demgemäß muss jede Anwendung des allgemeinen Strafrechts auf Jugendliche oder Heranwachsenden diesen vorrangigen Leitlinien entsprechen. Schließlich folgt aus der verfassungsrechtlich gebotenen Heranziehung empirischer und kriminologischer 225  BVerfG,

NJW 1998, 3337 (3337). NJW 1973, 1226 (1231). 227  BVerfG, NJW 1973, 1226 (1231). 228  BVerfG, NJW 2008, 281 (283). 229  Ostendorf, ZJJ 2012, 240 (245). 230  BVerfG, NJW 2006, 2093 (2095); BVerfG, NJW 2008, 281 (283). 231  Ostendorf, ZJJ 2012, 240 (243); Gundelach, Die Führungsaufsicht nach der Vollverbüßung einer Jugendstrafe, S. 164 ff. 226  BVerfG,



II. Dogmatische Grundlagen des teleologischen Trennungsmodells65

Erkenntnisse die verfassungsmäßige Notwendigkeit einer jugendgemäßen Aus­legung.232 d) Verfassungsrechtliche Verankerung des Verbots der Schlechterstellung und des Gebots der Besserstellung Zunächst soll wiederum nur auf die verfassungsrechtliche Verankerung des Verbots der Schlechterstellung und des Gebots der Besserstellung eingegangen werden. Deren Bedeutung als Auslegungsleitlinie wird an späterer Stelle erörtert. Das Verbot der Schlechterstellung und das Gebot der Besserstellung sind aus dem Erziehungsgedanken ableitbar.233 Dessen verfassungsrechtliche Verankerung wurde bereits erläutert. Außerdem kann Art. 3 Abs. 1 GG herangezogen werden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG verbietet sich gem. Art. 3 Abs. 1 GG die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem.234 Jugendliche bzw. Heranwachsende und Erwachsene können einer gemeinsamen Bezugsgröße zugeordnet werden, da es sowohl im Erwachsenen- als auch im Jugendstrafrecht darum geht, strafrechtliche Verstöße festzustellen und mit ihnen adäquat umzugehen.235 Im Ausgangspunkt müssen demnach alle potentiellen Täter unabhängig vom Alter gleichbehandelt werden. Bereits hieraus ergibt sich das Verbot der Schlechterstellung Jugendlicher und Heranwachsender gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenslage. Die vorliegende dem Jugendalter angepasste Norminterpretation geht jedoch über das Verbot der Schlechterstellung hinaus. Sie stellt vielmehr eine Besserstellung junger Menschen dar. Nach dem Willkürverbot lässt sich eine Ungleichbehandlung durch einen sachlichen Grund rechtfertigen.236 Für diese hier in Rede stehende Ungleichbehandlung von Personengruppen ist jedoch ein strengerer Maßstab anzulegen.237 Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung.238 Der sachliche Grund für die Ungleichbehandlung von jungen Menschen und Erwachsenen ist in den Besonderheiten der AltersZJJ 2012, 240 (245). Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 24. 234  BVerfG, Urteil vom 23.10.1951 – 2 BvG 1/51 –, BVerfGE 1, 14–66, Rn. 139, juris. 235  Burscheidt, Das Verbot der Schlechterstellung Jugendlicher und Heranwachsender gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenslage, S. 31. 236  Kischel, in: Epping/Hillgruber, BeckOKGrundgesetz, Art. 3 Rn. 24. 237  Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 3 Rn. 19. 238  Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 3 Rn. 19. 232  Ostendorf,

233  Eisenberg/Kölbel,

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

phase Jugend zu sehen.239 Ziel ist es, den entwicklungstypischen Besonderheiten Rechnung zu tragen und so möglichst positiv auf die künftige Legalbewährung der jungen Menschen einzuwirken. Das Differenzierungskriterium muss hinsichtlich des Differenzierungsziels geeignet, erforderlich und angemessen sein.240 Geeignetheit bedeutet Förderlichkeit für die Zielerreichung.241 Eine Ungleichbehandlung von jungen Menschen und Erwachsenen eignet sich nach den empirisch-kriminologischen Erkenntnissen nur dann für die Zielerreichung, wenn den jugendgemäßen Besonderheiten adäquat begegnet wird. Eine der Legalbewährung abträgliche Schlechterstellung Jugendlicher und Heranwachsender gegenüber Erwachsenen verbietet sich daher. Vielmehr ist sogar eine Besserstellung junger Menschen angezeigt. Die Erforderlichkeit verlangt, dass die durch die Ungleichbehandlung bewirkte Belastung nicht weiter gehen darf, als der legitimierende Zweck es rechtfertigt.242 Das Verbot der Schlechterstellung bzw. das Gebot der Besserstellung sind nach den erläuterten empirischen Erkenntnissen auch erforderlich, um das genannte Ziel zu erreichen. Sie sind zum einen effektiv, um das Ziel der Legalbewährung zu verwirklichen. Insofern ist erneut auf die bei jungen Menschen erhöhte Dysfunktionalität strafrechtlicher Reaktionen hinzuweisen. Zum anderen steht ein Verbot der Schlechterstellung bzw. ein Gebot der Besserstellung im Rahmen des Strafrechts in Rede. Es findet also keine völlige Loslösung vom Strafrecht statt, sodass keine milderen, gleich effektiven Mittel ersichtlich sind. Überdies ist die Angemessenheit zu bejahen. Die Nichtschlechterstellung bzw. Besserstellung junger Menschen gegenüber Erwachsenen ist vor dem Hintergrund der Legalbewährung als verfassungslegitimen Schutzzweck von einigem Gewicht, der sich auf Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zurückführen lässt, angemessen. Diese Auseinandersetzung mit Art. 3 Abs. 1 GG zeigt nicht nur, dass das Verbot der Schlechterstellung und das Gebot der Besserstellung im Grundgesetz enthalten sind, sondern auch, dass die Befürchtung der Vertreter des Einheitsmodells, eine jugendgemäße Auslegung gefährde den Gleichheitsgrundsatz243, unbegründet ist.

239  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 309; Bringewat, NStZ 1992, 315 (317); Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 82. 240  Kischel, in: Epping/Hillgruber, BeckOKGrundgesetz, Art. 3 Rn. 24. 241  Lang, in: Epping/Hillgruber, BeckOKGrundgesetz, Art. 2 Rn. 26. 242  Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 3 Rn. 22. 243  Kornprobst, JR 2002, 309 (312); Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 26; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 10.



II. Dogmatische Grundlagen des teleologischen Trennungsmodells67

4. Internationale Grundlage der jugendgemäßen Auslegung: Die UN-Kinderrechtskonvention a) Allgemeines zur UN-Konvention über die Rechte des Kindes Die UN-Kinderrechtskonvention ist am 05.04.1992 in Deutschland in Kraft getreten.244 Die Bundesrepublik Deutschland hat den ursprünglich erklärten Vorbehalt, nach dem das Übereinkommen innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung fand, im Jahr 2010 zurückgenommen. Seither gilt die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland uneingeschränkt.245 Dabei handelt es sich um einen Vertrag im Sinne des Art. 59 Abs. 2 GG. Sie hat damit den Rang eines einfachen Bundesgesetzes.246 Das BVerfG hat darüber hinaus festgestellt, dass die Kinderrechtskonvention „als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte und rechtsstaat­ lichen Grundsätze des Grundgesetzes herangezogen“ werden kann.247 Zudem kann es „auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht genügende Berücksichtigung vorhandener Erkenntnisse oder auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht entsprechende Gewichtung […] hindeuten, wenn völkerrechtliche Vorgaben oder internationale Standards mit Menschenrechtsbezug, wie sie in den im Rahmen der Vereinten Nationen oder von Organen des Europarates beschlossenen einschlägigen Richtlinien und Empfehlungen enthalten sind, nicht beachtet beziehungsweise unterschritten werden.“248 Der EuGH bestätigte ebenfalls die Bindungswirkung der UN-Kinderrechtskonvention für die Mitgliedstaaten.249 Gem. Art. 1 der Konvention ist ein Kind im Sinne dieses Übereinkommens „jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt“. Danach kann die UNKonvention über die Rechte des Kindes auch für die vorliegende Thematik fruchtbar gemacht werden, allerdings nur für junge Menschen bis zum 18. Lebensjahr.

244  BGBl. II

1992 S. 990. StV 2011, 625 (627); Rabe von Kühlewein, ZJJ 2011, 134 (134). 246  Pruin, ZJJ 2011, 127 (127); Finger, FuR 2020, 97 (97). 247  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 05.07.2013 – 2 BvR 708/12 – Rn. 21, juris. 248  BVerfG, NJW 2006, 2093 (2097). 249  EuGH, ZAR 2006, 366 (367). 245  Bung,

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

b) Das Kindeswohlprinzip aa) Regelungsgehalt des Kindeswohlprinzips Art. 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention normiert, dass das Wohl des Kindes bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, einen vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkt darstellt. Es wird dabei einerseits auf den Gesetzgeber, andererseits auch auf den Rechtsanwender Bezug genommen. Der Kindeswohlbegriff ist allerdings unbestimmt und wird verschieden interpretiert.250 Für eine Begriffsbestimmung des Kindeswohls wird zum Teil § 1 Abs. 1 SGB VIII herangezogen.251 Danach hat jeder junge Mensch „ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. Andere verstehen unter Kindeswohlprinzip die „Zusammenfassung der Ermöglichungsbedingungen einer kindergerechten körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung“.252 Wieder andere verzichten auf eine Definition und verweisen darauf, dass das Kindeswohl im Lichte der anderen Konventionsrechte bestimmt werden muss.253 Im Kern geht es um positive Entwicklungsförderung. Das Kindeswohlprinzip stellt die „raison d’être“ der Kinderrechtskonvention dar und gewinnt seine besondere Bedeutung daher, dass junge Menschen verletzlicher sind als Erwachsene und ihre Interessen in einer von Erwachsenen beherrschten Welt unterzugehen drohen.254 Aus der englischen Fassung „best interests of the child“ ergibt sich sehr klar, dass es im Wesentlichen darum geht, im Zuge aller staatlichen Handlungen die Interessen des Kindes zu berücksichtigen.255 Dabei kann das Kindeswohlprinzip keinen absoluten Vorrang genießen, ist aber „als Optimierungsgebot mit dem Ziel bestmöglicher Realisierung einzubeziehen“.256 Der erhöhte Schutz gegenüber jungen, sich im Entwicklungsprozess befindenden Menschen durch das Kindeswohlprinzip stellt einen Ausgleich für entwicklungsbedingte Defizite dar.257

Kinderrechte und Kindeswohl, S. 235 ff. von Kühlewein, ZJJ 2011, 134 (135). 252  Keiser, ZStW 2008, 25 (35); Bung, StV 2011, 625 (632). 253  Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, S. 238; Schmahl, Kinderrechtskonvention, Art. 3 Rn. 12. 254  Schmahl, Kinderrechtskonvention, Art. 3 Rn. 1. 255  Schmahl, Kinderrechtskonvention, Art. 3 Rn. 2. 256  Schmahl, Kinderrechtskonvention, Art. 3 Rn. 7. 257  Keiser, ZStW 2008, 25 (36). 250  Wapler, 251  Rabe



II. Dogmatische Grundlagen des teleologischen Trennungsmodells69

bb) Bedeutung des Kindeswohlprinzips in der deutschen Rechtsordnung Bei dem Kindeswohlprinzip handelt es sich um Völkergewohnheitsrecht und daher um einen allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts gem. Art. 25 Abs. 1 GG.258 Demgemäß geht das Kindeswohlprinzip dem einfachen Bundesrecht vor.259 Bei Art. 3 Abs. 1 der Konvention handelt es sich zudem um eine unmittelbar anwendbare self-executing Norm.260 Das Kindeswohl hat ferner eine grundgesetzliche Verankerung. Im Rahmen des Elterngrundrechts des Art. 6 Abs. 2 GG spielt das Kindeswohl die entscheidende Rolle.261 Insoweit zeigen die Systematik der Kinderrechtskonvention und des Grundgesetzes Parallelen. Die Verantwortung für das Kindeswohl nach Art. 18 Abs. 1 S. 2 und 3 KRK haben vorrangig die Eltern oder der Vormund. Bei dieser Aufgabe werden die Vertragsstaaten gem. Art. 18 Abs. 2 KRK nur unterstützend tätig. Genauso ist die Systematik bei Art. 6 Abs. 2 GG ausgestaltet. Grundsätzlich liegt auch hier die Verantwortung bei den Eltern. Über ihre Betätigung wacht der Staat wiederum nur.262 Damit erfordert auch das Grundgesetz eine Beachtung des Kindeswohls im Rahmen des Jugendstrafrechts.263 Außerdem kann das Kindeswohl als „kindesspezifischer Aspekt der Menschenwürde“ begriffen werden.264 Alle natürlichen Personen können uneingeschränkt Träger von Grundrechten sein, so auch Kinder.265 Demzufolge soll das Kindeswohl bei allen nationalen Entscheidungen eine „wesentliche Leitlinie“ und „Richtschnur“266 bzw. „handlungsleitendes Prinzip“267 darstellen.268 Kinderrechtskonvention, Art. 3 Rn. 17. Kinderrechtskonvention, Art. 3 Rn. 17. 260  Rabe von Kühlewein, ZJJ 2011, 134 (135); Wapler, Kinderrechte und Kindeswohl, S.  242 f.; Schmahl, Kinderrechtskonvention, Art. 3 Rn. 5. 261  BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvL 1/11 –, BVerfGE 133, 59–100, Rn. 49, juris: „wesensbestimmender Bestandteil“; Keiser, ZStW 2008, 25 (35); Hofmann/ Donath, Gutachten bezüglich der ausdrücklichen Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz nach Maßgabe der Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention, S. 11. 262  Keiser, ZStW 2008, 25 (35). 263  Rabe von Kühlewein, ZJJ 2011, 134 (134). 264  Keiser, ZStW 2008, 25 (35); Bung, StV 2011, 625 (632). 265  BVerfG, NJW 1968, 2233 (2233). 266  Schmahl, Kinderrechtskonvention, Art. 3 Rn. 4. 267  Rabe von Kühlewein, ZJJ 2011, 134 (136). 268  Die aktuelle Diskussion um die Positivierung von Kinderrechten im Grundgesetz ändert somit nichts an der bereits bestehenden verfassungsrechtlichen Verankerung des Kindeswohlprinzips, eine verfassungsrechtliche Klarstellung könnte aber doch eine positive Signalwirkung mit sich bringen. Ebenso: Hohmann-Dennhardt, 258  Schmahl, 259  Schmahl,

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

cc) Bedeutung des Kindeswohlprinzips für die jugendgemäße Auslegung Auch im deutschen Jugendstrafrecht ist das Kindeswohlprinzip von Bedeutung. Bei der Rechtsanwendung muss stets „die Alternative gesucht und gewählt“ werden, die „am wirksamsten das Wohl des Kindes sicherstellt“.269 Es beinhaltet, dass mildere Eingriffe gegenüber härteren nach Möglichkeit vorzuziehen sind.270 Zudem gebietet es, Stigmatisierungen zu vermeiden. Diesem Vorgehen entspricht eine jugendgemäße Auslegung, bei der bestimmte Verhaltensweisen bereits aus dem Tatbestand herauszufiltern sind. Außerdem legitimiert das Kindeswohlprinzip „begünstigende Regelungen im Verfahrensrecht und steht zugleich einer belastenden erzieherischen Einwirkung vor dem Urteil entgegen“.271 Damit kann Art. 3 Abs. 1 KRK und das dort normierte Kindeswohl auch im Prozessrecht Anknüpfungspunkt für eine jugendgemäße Auslegung sein. Im Mittelpunkt steht es, junge Menschen vor belastenden Ein- und Auswirkungen soweit als möglich zu schützen. Ein hervorzuhebender Gesichtspunkt des Kindeswohlprinzips ist außerdem die bewusste, sorgfältige und nicht nur zufällige Auseinandersetzung mit Be­ langen des Kindes.272 Dem entspricht der hier vertretene Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung, der damit übereinstimmend zur Berücksichtigung ­jugendspezifischer Besonderheiten zwingt. Folglich ist eine jugendgemäße Auslegung eine Spielart des Kindeswohlprinzips. Auch der Erziehungsgedanke, der vorliegend eine der Leitlinien der jugendgemäßen Auslegung darstellt, ist Ausdruck des Kindeswohlprinzips und hat damit neben seiner verfassungsrechtlichen Verankerung auch einen Anknüpfungspunkt in der UN-Kinderrechtskonvention.273

FPR 2012, 185 (187); Benassi/Eichholz, DVBI 2017, 614 (616 ff.); Hofmann/Donath, Gutachten bezüglich der ausdrücklichen Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz nach Maßgabe der Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention, S. 41 f.; Heiderhoff, NZFam 2020, 320 (326); Eufinger, NJ 2021, 53 (55); Zaiane, Soziale Sicherheit 2021, 122 (123 f.). Freilich muss zugleich sichergestellt werden, dass dabei das geltende Verfassungsrecht nicht ins Wanken gerät. Zu diesbezüglichen Problempotentialen einer Verfassungsänderung: Kirchhof, ZRP 2007, 149 (149 ff.); Heiß, NZFam 2015, 532 (536 f.); Becker, in: Uhle, Kinder im Recht, S. 251 (278 ff.); Kirchhof, NJW 2018, 2690 (2691); von Landenberg-Roberg, NZFam 2021, 145 (145 ff.). 269  Krappmann, EthikJournal 2013, 1 (4). 270  Rabe von Kühlewein, ZJJ 2011, 134 (137). 271  Rabe von Kühlewein, ZJJ 2011, 134 (137). 272  Rabe von Kühlewein, ZJJ 2011, 134 (136). 273  Keiser, ZStW 2008, 25 (67); Rabe von Kühlewein, ZJJ 2011, 134 (137).



III. Jugendgemäße Auslegung als präferierter Weg71

III. Jugendgemäße Auslegung als präferierter Weg – Abgrenzung zu anderen Vorgehensweisen 1. Ersetzt § 3 JGG eine jugendgemäße Auslegung? Es stellt sich die Frage, ob § 3 JGG eine jugendgemäße Auslegung überflüssig macht. Schüler-Springorum stellte fest, dass es „einer besonderen jugendstrafrechtlichen Schulddogmatik zur ‚Übersetzung von Begriffen aus dem Erwachsenenstrafrecht‘ “ vor dem Hintergrund des § 3 JGG nicht bedürfe, weil diese Norm eine ausreichende Herunterstufung jugendlicher Straftaten ermögliche.274 Und auch viele andere halten eine jugendgemäße Auslegung vor dem Hintergrund des § 3 JGG für entbehrlich.275 Nichtsdestotrotz muss dieser Annahme entgegengetreten werden.276 § 3 JGG trägt der Diskrepanz zwischen jungen Menschen und Erwachsenen nicht vollumfänglich Rechnung. Gem. § 3 JGG ist ein Jugendlicher strafrechtlich verantwortlich, „wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln“. Erforderlich ist also eine durch Reife implizierte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit.277 Diese muss stets positiv fest­ gestellt werden.278 Zunächst ist zu kritisieren, dass der Reifebegriff „ideologiebefrachtet, am Idealfall orientiert und nicht in einem engeren Sinne messoder berechenbar“ ist.279 Es fehlt an einer verlässlichen Methodik zur Bestimmung der Reife.280 Auch jugendpsychiatrische Erkenntnisse zeigen, dass das Vorliegen der nötigen Reife nicht eindeutig festgestellt werden kann. Hierzu führt der Psychiater Bresser aus: „Das umfangreiche Studium der jugendpsychiatrischen Gutachten und die kritische Durchsicht der diesbezüglichen Literatur haben uns zu der Überzeugung geführt, daß ein Unreifeurteil nach § 3 JGG vom psychiatrischen Gutachter eigentlich nur dann abgegeben werden kann, wenn ein geistiger Entwicklungsrückstand vom Ausmaß des Schwachsinns oder eine gleichartige seelische Abartigkeit vorliegen.“281 Danach wird jeder Jugendliche als reif im Sinne des § 3 JGG zu beurteilen sein, ZStW 2001, 827 (853). Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 5; Laubenthal, JZ 2002, 807 (813); Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 64; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 11; Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 41; Putzke, in: Gertler/Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 1 Rn. 22; Stefanopoulou, HRRS 2021, 301 (302 f.). 276  Ebenso Puschke/Fett, ZJJ 2022, 92 (96). 277  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 3 Rn. 14. 278  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 3 Rn. 11. 279  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 3 Rn. 15. 280  Fischer, Strafmündigkeit und Strafwürdigkeit im Jugendstrafrecht, S. 80. 281  Zitiert nach Bohnert, NStZ 1988, 249 (250). 274  Jeßberger/Kreß,

275  Dallinger/Lackner,

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

sofern er nicht einen erheblichen Entwicklungsrückstand aufweist. Somit hat § 3 JGG „praktisch keinen Anwendungsbereich“.282 Die Besonderheiten der Lebensphase Jugend und die Unterschiede zum Erwachsenenalter werden damit bei sich „normal“ entwickelnden Jugendlichen im Rahmen des § 3 JGG verkannt. Hinzu kommt, dass eine jugendgemäße Auslegung einen anderen Ansatzpunkt hat als § 3 JGG. Letzterer geht von dem individuellen jungen Menschen aus und fragt, ob dieser der Reifeprüfung standhält. Eine jugendgemäße Auslegung greift früher ein, indem sie die Rechtsanwendung generell für alle Jugendlichen und Heranwachsenden modifiziert und so den der gesamten Altersgruppe grundsätzlich anhaftenden Spezifika Rechnung trägt. Zudem ist der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung angesichts der Unanwendbarkeit von § 3 JGG auf Heranwachsende283 unerlässlich. Denn die aufgezeigten jugendtypischen Merkmale sind für die Altersgruppe der Heranwachsenden gleichermaßen charakteristisch. Auch diese befinden sich nach wie vor in der Entwicklung hin zum Erwachsenen und sind noch nicht vollständig ausgereift. Diese kritische Auseinandersetzung mit § 3 JGG zeigt, dass diese Norm allein die Wirklichkeit der Lebensphase Jugend nicht hinreichend in die Rechtsanwendungspraxis einzubringen vermag. Das früher eingreifende Instrument der jugendgemäßen Auslegung ist daher vorzuziehen. 2. Jugendgemäße Auslegung anstelle einer Flucht in das Prozessrecht Im allgemeinen Strafrecht werden laufend neue Tatbestände geschaffen, die dann über den Mechanismus des § 2 Abs. 2 JGG automatisch auch für junge Menschen gelten. Um dieser fortschreitenden Kriminalisierung Jugendlicher und Heranwachsender entgegenzuwirken, flüchten sich die Entscheidungsträger in das Prozessrecht, wobei die Diversion häufig das Mittel der Wahl ist.284 Durch eine Flucht in das Prozessrecht unterbleibt jedoch die Beschäftigung mit den Straftatbeständen, mithin der Grundlage des staatlichen Strafens. Das Problem wird nicht an seiner Wurzel gepackt, sondern die für junge Menschen zu weit reichenden Tatbestände werden erst auf prozessualer Ebene neutralisiert.285 Bereits die Tatsache, dass mehr als zwei Drittel StV 1988, 308 (309). Jugendgerichtsgesetz, § 3 Rn. 2. 284  Ostendorf, in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (331); Trenczek, ZRP 1993, 184 (185); Walter, NStZ 1992, 470 (472). 285  Ostendorf, in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (331); Heinz/Storz, Diversion im Jugendstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland, S. 100; Röding, in: DVJJ, Jugend im sozialen Rechtsstaat, S. 230 (234); Trenczek, ZRP 1993, 184 (185); Walter, NStZ 1992, 470 (472); Kräupl, in: Küper, FS Stree/ Wessels, S. 913 (928); Bochmann, Entwicklung eines europäischen Jugendstrafrechts, S.  149 f. 282  Zieger,

283  Eisenberg/Kölbel,



III. Jugendgemäße Auslegung als präferierter Weg73

der Verfahren im Jugendstrafrecht durch eine Diversionsentscheidung beendet werden286 zeigt, dass diese besser gar nicht in das strafrechtliche System hineingeraten wären.287 „Aus der Wechselwirkung zwischen Tatbestandsfassung und Rechtsfolge ergibt sich, daß, wenn strafrechtliche Folgen entbehrlich sind, bereits der Annahme einer strafrechtlich einschlägigen Tat der Boden entzogen ist.“288 Dies gilt im Jugendstrafrecht umso mehr vor dem Hintergrund der besonders ausgeprägten Dysfunktionalität strafrechtlicher Reaktionen. Außerdem wird die Verbindlichkeit der Tatbestände des StGB durch eine Flucht in das Prozessrecht aufgeweicht.289 Ostendorf stellt zutreffend fest: „Es gibt wenig Sinn, zunächst Härte anzudrohen, dann milde zu reagie­ ren“290 bzw. „zunächst mit Strafdrohungen, Verhaltensweisen einzufordern, bei Nichtbeachtung die Strafandrohung verpuffen zu lassen“291. Eine derartige Widersprüchlichkeit zwischen Strafdrohung und Strafdurchsetzung führt auf lange Zeit zu einem geschädigten Normbewusstsein in der jugendlichen Bevölkerung. Das System verliert seine Glaubwürdigkeit.292 All dies steht der gewünschten Legalbewährung entgegen. Obendrein ist zu beachten, dass Verfahrenseinstellungen nach den §§ 45, 47 JGG gem. § 60 Abs. 1 Nr. 7 BZRG in das Erziehungsregister eingetragen werden. Die in § 61 BZRG aufgelisteten Auskunftsberechtigten sind insbesondere Strafgerichte, Staatsanwaltschaften, Justizvollzugsbehörden, Familiengerichte, Jugendämter und Verfassungsschutzbehörden. Daraus ist ersichtlich, dass eine Diversion auch in ­anderen Verfahren stigmatisierende Wirkung entfalten und damit unvorhersehbare Folgen haben kann.293 Trotz vieler positiver Effekte294 muss aufgrund der genannten Gesichtspunkte ein überstürztes Zurückgreifen auf die Diversion vermieden werden. Es sollte vielmehr ein schrittweiser Filterprozess angestrebt werden. In einem ersten Schritt wird auf Tatbestandsebene jugendgemäß ausgelegt, wenn eine u. a., Jugendstrafrecht, § 7 Rn. 34. ZRP 1993, 184 (185). 288  Walter, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 12 (19). 289  Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (195); Röding, in: DVJJ, Jugend im sozialen Rechtsstaat, S. 230 (235); Bochmann, Entwicklung eines europäischen Jugendstrafrechts, S. 157. 290  Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (195). 291  Ostendorf, in: DVJJ, Jugend im sozialen Rechtsstaat, S. 243 (247). 292  Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (195 f.). 293  Ostendorf, in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (331); von Galen/Beth, in: Goeckenjan/Puschke/Singelnstein, FS Eisenberg, S. 201 (204 f.). 294  Zusammenfassend hierzu: Blau, Jura 1987, 25 (26, 34). 286  Meier

287  Trenczek,

74

C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

Norm aus dem Erwachsenenstrafrecht der Lebenswirklichkeit junger Menschen nicht gerecht wird. Hierdurch werden nicht strafwürdige jugendtypische Verhaltensweisen herausgefiltert. Hinsichtlich der tatsächlich unter ein Strafgesetz subsumierbaren Handlungen kann in einem zweiten Schritt bei Vorliegen der Voraussetzungen durchaus der Weg der Diversion gewählt werden. Dabei ist auch das Verfahren stets jugendgemäß auszugestalten. Hierdurch wird die Diversion wieder von der Regel zur gewollten Ausnahme. 3. Ersetzt das jugendstrafrechtliche Rechtsfolgensystem den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung? Über die Brückennorm des § 2 Abs. 2 JGG greift das Jugendstrafrecht auf die allgemeinen Straftatbestände zurück und auch das Verfahren gilt ausgenommen einiger Sonderregelungen in den §§ 33 ff. JGG für junge Menschen und Erwachsene gleichermaßen. Das Jugendstrafrecht unterscheidet sich vom Erwachsenenstrafrecht daher im Wesentlichen nur durch sein abweichendes Rechtsfolgensystem. Dabei ist gem. § 2 Abs. 1 JGG die positive Spezialprävention das primäre Ziel. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten. Nichtsdestotrotz ermöglicht das jugendstrafrechtliche Rechtsfolgensystem keinen ausreichenden Schutz vor dysfunktionalen Wirkungen295, weil entwicklungstypischen Besonderheiten nicht erschöpfend begegnet werden kann. Zum einen kann sich die Einordnung einer Handlung als tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft wegen der jugendtypischen Besonderheiten als ungerechtfertigt darstellen.296 Zum anderen bleibt dann immer eine gewisse Sanktionierung oder zumindest eine registerrechtliche Erfassung im Raum.297 Auf die damit oftmals einhergehenden abträglichen Folgen, besonders für die zukünftige Legalbewährung, wurde bereits eingehend eingegangen. Es macht also einen wesentlichen Unterschied, ob nur das jugendstrafrechtliche Rechtsfolgensystem eingreift oder ob vorgelagert im Wege der jugendgemäßen Auslegung auf materieller und prozessualer Ebene der jugendlichen Lebensphase Rechnung getragen wird. Der Weg der jugendgemäßen Auslegung ist „konsequenter und zuverlässiger“.298 So werden die strafrechtlichen Normen der Lebensrealität junger Menschen in Abgrenzung zur Erwachsenenwelt tatsächlich gerecht und das Ziel der positiven Spezialprävention erscheint leichter erreichbar. 295  Ebenso 296  Huhle,

Puschke/Fett, ZJJ 2022, 92 (96). Die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeiten-

recht, S. 164. 297  Kölbel, ZJJ 2021, 40 (43); Puschke/Fett, ZJJ 2022, 92 (96). 298  Kölbel, ZJJ 2021, 40 (43).



IV. Zusammenfassende Feststellung75

4. Jugendgemäße Auslegung anstelle eines eigenständigen Deliktskatalogs Ostendorf fordert einen eigenständigen Deliktskatalog für das Jugendstrafrecht.299 Dieser Lösungsansatz ist abzulehnen, weil so die Einheit des Strafrechts aufgebrochen wird.300 Es droht die Gefahr systematischer Friktionen, insbesondere wenn einmal junge Menschen und Erwachsene an einer Tat beteiligt sind. Obendrein folgt die Vorzugswürdigkeit der jugendgemäßen Auslegung bereits aus der Nicht-Existenz eines solchen eigenständigen Deliktskatalogs. Die allgemeinen Tatbestände sind zudem Ausprägung einer Gemeinschaftsmoral und eines grundlegenden Schutzbedürfnisses.301 Im Grundsatz ist diese objektive Grundentscheidung bei jungen Menschen nicht weniger relevant als bei Erwachsenen.302 Um aber trotzdem den jugendtypischen Besonderheiten Rechnung zu tragen und die allgemeinen Tatbestände insoweit anzupassen, ist eine jugendgemäße Auslegung vorzuziehen. Dieser Lösungsweg bietet für junge Manschen die Möglichkeit, im Zuge eines fließenden Übergangs in die Erwachsenenrechtsordnung hineinzuwachsen. So steht der Internalisierung des Strafrechts nichts im Wege.

IV. Zusammenfassende Feststellung: Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung als rechtsgebietsspezifische Auslegungsmaxime Die genannten empirischen und dogmatischen Argumente und auch die Vorzugswürdigkeit gegenüber anderen Vorgehensweisen zeigen, dass eine jugendgemäße Auslegung unerlässlich ist, um der besonderen Entwicklungsphase Jugend gerecht zu werden und das Ziel der künftigen Legalbewährung zu erreichen. Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung soll im Jugendstrafrecht als stets zu beachtende rechtsgebietsspezifische Auslegungsmaxime Fuß fassen. Diese beruht auf den aufgezeigten grammatischen, systematischen, historischen und teleologischen Erwägungen, aber auch auf verfassungsrechtlichen und internationalen Aspekten. So kann sichergestellt werden, dass jugendtypische Besonderheiten nicht nur zufällig, sondern durchgehend auf normativer Ebene berücksichtigt werden. 299  Nach Ostendorf, in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (331 ff.) sollen 1. Tatbestände, die von Jugendlichen und Heranwachsenden generell nicht verstanden werden, 2. Tatbestände, die für Jugendliche und Heranwachsende nicht passen und 3. Tatbestände, die für Jugendliche und Heranwachsende nicht notwendig sind, nicht für Jugendliche und Heranwachsende gelten. 300  Peters, Werdendes Jugendstrafrecht, S. 7. 301  Peters, Werdendes Jugendstrafrecht, S. 8. 302  Peters, Werdendes Jugendstrafrecht, S. 8.

76

C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

V. Voraussetzungen der jugendgemäßen Auslegung303 Kernfrage der jugendgemäßen Auslegung ist, ob die allgemeinen Vorschriften einem „Übertragbarkeitstest“304 auf Jugendliche und Heranwachsende standhalten. Ausgangspunkt ist die Brückennorm des § 2 Abs. 2 JGG. Zunächst ist zu prüfen, ob im JGG eine gegenüber dem allgemeinen Strafrecht ausdrücklich vorrangige Norm existiert. Ist das nicht der Fall, muss ferner eruiert werden, ob die allgemeinen Vorschriften mit den aufgestellten Leitlinien, mithin dem Geist des Jugendstrafrechts, in Einklang stehen. Die Voraussetzungen dieser jugendgemäßen Auslegung werden im Folgenden erörtert. 1. Ausreichende empirisch-kriminologische Grundlage Erste Anwendungsvoraussetzung des Grundsatzes der jugendgemäßen Auslegung ist eine ausreichende empirisch-kriminologische Grundlage, welche die Besonderheiten jugendlichen und heranwachsenden Verhaltens im Vergleich zu Erwachsenen erkennen lässt. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse bilden den Grundstein für einen evidenzbasierten und damit förderlichen Umgang mit jungen Menschen. Dabei muss stets unter Bezugnahme der konkret in Rede stehenden Norm argumentiert werden, um sich nicht in allgemeinen Pauschalisierungen zu verlieren. Das Fundament dieser Voraussetzung wurde bereits zu Beginn der Arbeit gelegt.305 Zudem kann auf den als Orientierungshilfe für eine jugendgemäße Auslegung aufgestellten Kriterienkatalog zurückgegriffen werden. 2. Notwendigkeit der Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten auf normativer Ebene In einem zweiten Schritt muss dargelegt werden, warum den empirischkriminologisch untermauerten entwicklungstypischen Besonderheiten auf normativer Ebene Rechnung zu tragen ist. Es ist demgemäß herauszuarbeiten, warum eine gegenüber Erwachsenen abweichende, auf junge Menschen angepasste strafrechtliche Einordnung angezeigt ist. Hierbei muss auch der Regelungszweck der jeweiligen Norm berücksichtigt werden. Als Hilfestellung können dabei die aufgestellten Leitlinien dienen.

303  Entwickelt

von Kölbel, ZJJ 2021, 40 (44). in: BMJV, Berliner Symposium zum Jugendkriminalrecht und seiner Praxis, S. 9 (29). 305  S.  29 ff. 304  Kölbel,



V. Voraussetzungen der jugendgemäßen Auslegung77

3. Kein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille Aufgrund der bereits erläuterten allgemeinen Gesetzesbindung darf der Gesetzgeber, die in den Schritten eins und zwei aufgezeigte Notwendigkeit einer jugendadäquaten Rechtsanwendung aufgrund entwicklungstypischer Besonderheiten nicht explizit für irrelevant erklärt haben. Er darf mithin nicht von einer uneingeschränkten, altersgruppenübergreifenden Anwendbarkeit der jeweils in Rede stehenden allgemeinen Strafnorm ausgehen. Raum für eine jugendgemäße Auslegung bleibt also grundsätzlich nur dann, wenn kein entgegenstehender Wille der Legislative im Umgang mit der Problematik jugendspezifischer Besonderheiten festgestellt werden kann. Maßgeblich sind dabei die zentralen Gesetzgebungsmaterialien, sprich der Gesetzesentwurf sowie die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz.306 Diese können als „Dokumentation des parlamentarischen Entscheidungsverfahrens“ betrachtet werden.307 Auch das BVerfG ist der Auffassung, dass sich „die maßgebliche gesetzgeberische Grundentscheidung […] unter anderem aus den Gesetzgebungsmaterialien erschließen“ lässt.308 Das eigene Gerechtigkeitsempfinden des Rechtsanwenders darf nicht das des Gesetzgebers unterlaufen.309 Demgemäß verbietet sich eine jugendgemäße Auslegung immer dann, wenn sich der Gesetzgeber zwar mit der Thematik der Jugendspezifika auseinandergesetzt hat, der Rechtsanwender aber der Meinung ist, dass dies in nicht ausreichendem Maße geschehen ist. So kann vermieden werden, dass der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung zu einem Instrument wird, mit dem im Einzelfall beliebige, vom gesetzgeberischen Willen losgelöste Ergebnisse erzielt werden. Auf diesem Weg kann auch der jugendgemäßen Auslegung kritisch gegenüberstehenden Stimmen entgegengetreten werden. Allerdings kann diese Voraussetzung nicht uneingeschränkt gelten. Die bereits angesprochene Diskussion um das Auslegungsziel310 wird hier relevant. Eine rein subjektive Theorie, welche vor allem auf den Willen des historischen Gesetzgebers abstellt, ist nicht in der Lage, die aktuellen empirischen Erkenntnisse zur jugendlichen Lebensphase hinreichend zu berücksichtigen. Die Jugendforschung und damit das Wissen um die Besonderheiten der Altersphase Jugend haben sich erst mit der Zeit herausgebildet und unter306  Ausführlich

hierzu: Wischmeyer, JZ 2015, 957 (965). JZ 2015, 957 (964). 308  BVerfG, NJW 2012, 669 (671 Rn. 51). 309  Dieses Vorgehen entspricht der Rechtsprechung des BVerfG, NJW 2013, 1058 (1062 Rn. 66): „In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen“. 310  S.  54 f. 307  Wischmeyer,

78

C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

liegen obendrein dem stetigen Fortschritt und Wandel.311 Demzufolge hatte der historische Gesetzgeber bei Schaffung einer Norm in der Vergangenheit naturgemäß nicht immer die Möglichkeit, sich mit den aktuellen empirischen Erkenntnissen zur Jugendtypik auseinanderzusetzen, also eine nach heutigem Kenntnisstand vollinformierte legislative Entscheidung zu treffen. Selbst wenn der Gesetzgeber also gewillt gewesen wäre, sich bei der Schaffung der allgemeinen Gesetze mit der Altersphase Jugend zu befassen, hätten ihm die heutigen empirisch-kriminologischen Grundlagen hierzu gefehlt und eine adäquate Beachtung jugendtypischer Besonderheiten im Gesetzgebungsverfahren wäre schier nicht möglich gewesen. Folglich kann eine etwaige Entscheidung des Gesetzgebers für eine altersgruppenübergreifende Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften einer jugendgemäßen Auslegung nicht uneingeschränkt entgegenstehen. Demgemäß stellte auch das BVerfG fest, dass die Bedeutung des gesetzgeberischen Willens und damit der Gesetzgebungsmaterialien mit fortschreitendem Alter der Norm abnimmt, indem es formulierte, dass die Freiheit des Richters bei der Rechtsanwendung „mit zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen Gesetzesbefehl und richterlicher Einzelfallentscheidung“ zunimmt.312 Eine Vorschrift „steht ständig im Kontext der sozialen Verhältnisse und der gesellschaftlich-politischen Anschauungen, auf die sie wirken soll; ihr Inhalt kann und muß sich unter Umständen mit ihnen wandeln. Das gilt besonders, wenn sich zwischen Entstehung und Anwendung eines Gesetzes die Lebensverhältnisse und Rechtsanschauungen so tiefgreifend geändert haben wie in diesem Jahrhundert“.313 Eine rein objektive Theorie – völlig losgelöst vom gesetzgeberischen Willen – widerspricht demgegenüber dem Gesetzlichkeitsprinzip.314 Der vorliegend angestrebte Mittelweg zwischen subjektiver und objektiver Theorie gebietet es, einerseits den heutigen Sinngehalt der Norm unter Beachtung aktueller empirischer Erkenntnisse herauszuarbeiten, andererseits aber auch die Wertentscheidungen des historischen Gesetzgebers in Rechnung zu stellen, allerdings erst ab einem gewissen Zeitpunkt. So kann auch dem Grundsatz der Methodenehrlichkeit Rechnung getragen werden, welcher erfordert, das Vorgehen genau offen zu legen.315 311  Einen Überblick bietet: Griese/Mansel, in: Orth/Schwietring/Weiß, Soziologische Forschung, S. 169 (169 ff.); Krüger/Grunert, in: Krüger/Grunert, Handbuch Kindheits- und Jugendforschung, S. 11 (11 ff.). 312  BVerfG, NJW 1973, 1221 (1225) diese für das Zivilrecht getroffene Aussage wird vorliegend auf das Strafrecht übertragen; siehe außerdem: Schroth, Theorie und Praxis subjektiver Auslegung im Strafrecht, S. 104 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 170 ff.; Schneider, Gesetzgebung, Rn. 136. 313  BVerfG, NJW 1973, 1221 (1225). 314  Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 139; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 32. 315  Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, S. 183 f.



VI. Leitfaden der jugendgemäßen Auslegung79

Die zeitliche Einschränkung der dritten Voraussetzung der jugendgemäßen Auslegung folgt aus § 2 Abs. 1 JGG. Wie bereits ausgeführt, ist der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung in § 2 JGG verankert. Der Gesetzgeber hat sich mit der Schaffung des § 2 Abs. 1 JGG durch das zweite JGG-Änderungsgesetz vom 13.12.2007316 selbst zu den hier maßgeblichen Leitlinien – dem Erziehungsgedanken und dem Grundsatz der positiven Spezialprävention – bekannt.317 Er spricht selbst davon, dass diese Norm „allgemein eine Orientierungshilfe für die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe“ bietet.318 Zudem erlegt sich der Gesetzgeber selbst auf, dass hinsichtlich der künftigen Legalbewährung junger Menschen „die Berücksichtigung von Wirkungszu­ sammenhängen und empirische Einschätzungen im Vordergrund stehen“ muss. § 2 Abs. 1 JGG verlangt deshalb nach Ansicht der Legislative „auch die besondere Beachtung kriminologischer, pädagogischer, jugendpsychologischer und anderer fachlicher Erkenntnisse.“319 Aus dieser Positionierung des Gesetzgebers kann unter Zugrundelegung des lex posterior Gedankens, welcher dem jüngeren Recht den Vorrang einräumt320, geschlussfolgert werden, dass der Gesetzgeber etwaige vorherige legislative Willensentschlüsse hinsichtlich junger Menschen überlagert hat. Ein der jugendgemäßen Auslegung entgegenstehender gesetzgeberischer Wille ist demzufolge erst nach dem 13.12.2007 beachtlich. Nichtsdestotrotz kann ein gesetzgeberischer Wille auch vor diesem Stichtag für eine jugendgemäße Auslegung herangezogen werden, da dann nicht von einer Überlagerung eines Willens durch den lex posterior Grundsatz ausgegangen werden kann. Dieses Vorgehen macht die jugendadäquate Auslegung obendrein zu einem in der Praxis handhabbaren Instrument, da die Gesetzgebungsmaterialien ab diesem Zeitpunkt digital verfügbar sind. Bei der folgenden Erörterung materieller und prozessualer Beispiele sowie bei der jugendgemäßen Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen wird die dritte Voraussetzung sodann nur geprüft, wenn bezüglich der jeweils in Rede stehenden Norm ein gesetzgeberischer Wille nach dem 13.12.2007 vorzufinden ist.

VI. Leitfaden der jugendgemäßen Auslegung Die im Folgenden darzustellenden Leitlinien sind im Rahmen einer jugendgemäßen Auslegung zu berücksichtigen.

316  BGBl. I

2007 S. 2894. 16/6293, S. 9, 10. 318  BT-Drs. 16/6293, S. 9. 319  BT-Drs. 16/6293, S. 10. 320  Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 228. 317  BT-Drs.

80

C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

1. Der Grundsatz der positiven Spezialprävention und der Erziehungsgedanke als Auslegungsleitlinien Die Verfassungsrang beanspruchenden Prinzipien der positiven Spezialprävention und des Erziehungsgedankens sind die Maximen des heutigen Jugendstrafrechts und maßgeblich für die Unterscheidung von Jugend- und Erwachsenenstrafrecht.321 Dies wird in § 2 Abs. 1 JGG deutlich: „Die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines ­Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.“ a) Der Grundsatz der positiven Spezialprävention Eine Leitlinie für den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung ist die positive Spezialprävention. Hervorzuheben ist dabei, dass sich die Strafzwecke des Allgemeinen- und des Jugendstrafrechts unterscheiden. Die positive und negative Generalprävention werden zwar auch im Erwachsenenstrafrecht kritisch gesehen322, im Jugendstrafrecht aber strikt abgelehnt323. Maßgeblicher Strafzweck ist vielmehr die Spezialprävention.324 Hierbei wird wiederum zwischen positiver und negativer Spezialprävention differenziert. Positive Spezialprävention hat die Besserung des Täters im Blick, negative die Abschreckung des Täters hinsichtlich neuer Taten, aber auch die Sicherung der Gesellschaft vor dem Täter.325 Ziel ist nach hier vertretener Ansicht ein „jugendadäquates Präventionsstrafrecht“.326 Hierbei ist die positive vorrangig vor der negativen Spezialprävention.327 Dem entspricht auch der Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 1 JGG, der normiert, dass die Anwendung des Jugendstrafrechts „vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken“ soll. Demzufolge muss die Norminterpretation im Ju321  Bringewat, NStZ 1992, 315 (316); Schlüchter, Plädoyer für den Erziehungsgedanken, S. 31; Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 15. 322  Kinzig, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 46 Rn. 5 f. 323  Nichtsdestotrotz können generalpräventive Effekte als Begleiterscheinung eintreten, was aber nichts an der Zielbestimmung ändert: Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 32; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 1; Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 49; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 5; Laue, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 2 JGG Rn. 2. 324  Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 49. 325  Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 49. 326  Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 53. 327  Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 53.



VI. Leitfaden der jugendgemäßen Auslegung81

gendstrafrecht so ausgestaltet sein, dass sie sich hinsichtlich der positiven Spezialprävention als funktional erweist. Eine jugendgemäße Auslegung muss damit stets die Legalbewährung des jungen Täters im Blick haben und sich daran ausrichten. Dies gilt wegen der Bezugnahme in § 2 Abs. 1 S. 1 JGG auf das gesamte Jugendstrafrecht sowohl auf materieller wie prozessualer Ebene und auch hinsichtlich der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen. Um für die gewünschte Resozialisierung einen optimalen Ausgangspunkt zu schaffen, ist es nötig, die Lebenswirklichkeit junger Menschen in die Rechtsanwendung einzubeziehen. Das Fundament muss ein für junge Menschen angepasster Tatbestand sein. Bereits Roxin stellt hierzu fest, dass „das Urteil ebenso wie der beste und fortschrittlichste Strafvollzug sinnlos sind, wenn ihnen auf Grund der Strafgesetzgebung Menschen unterworfen werden, die den Makel des Kriminellen zu Unrecht tragen“.328 Auch das Verfahren ist so auszugestalten, dass es den entwicklungstypischen Besonderheiten junger Menschen Rechnung trägt. Insgesamt ist daher „besondere Zurückhaltung und jugendadäquate Ausgestaltung“ geboten, um „das Ziel des Jugendstrafrechts gegenüber dem des allgemeinen Strafrechts abzugren­ zen“.329 b) Der Erziehungsgedanke aa) Der jugendstrafrechtliche Erziehungsbegriff Der jugendstrafrechtliche Erziehungsbegriff ist nicht gesetzlich definiert. Um den Erziehungsgedanken aber als Auslegungsleitlinie verwenden zu können, bedarf es einer Konkretisierung. Unter Erziehung ist ein interaktiver Prozess zu verstehen, im Zuge dessen auf eine Person eingewirkt wird, um spezifische Veränderung gemäß einem spezifischen Ziel herbeizuführen.330 Der jugendstrafrechtliche Erziehungsbegriff ist gegenüber diesem pädagogischen Verständnis auf ein bestimmtes Ziel beschränkt, und zwar das Ziel der künftigen Legalbewährung gem. § 2 Abs. 1 S. 1 JGG.331 Zuwider mancher Stimmen332 JuS 1966, 377 (381). ZRP 1993, 184 (185). 330  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 8. 331  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 60; Eisenberg, JR 1987, 485 (487); Viehmann, FuR 1991, 256 (258); Heinz, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 369 (400); Streng, ZStW 1994, 60 (63); Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 31; Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 21; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 9. 332  Schlüchter, ZRP 1992, 390 (392); Putzke, in: Gertler/Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 2 Rn. 8. 328  Roxin,

329  Trenczek,

82

C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

kann also keine Moralbildung und die Entwicklung zu einem guten Menschen mit Musterpersönlichkeit fokussiert werden333. bb) Kritik am Erziehungsgedanken Der Erziehungsgedanke wird immer wieder in Frage gestellt und als „Leerformel“334, „trojanisches Pferd im Rechtsstaat“335, „Füllhorn, aus dem sich nach Bedarf im Einzelfall ebenso Strafschärfendes wie Strafmilderndes ausschütten lässt“336 oder „Lebenslüge des Jugendstrafrechts“337 bezeichnet. Hauptkritikpunkt ist, dass intensive Eingriffe durch den Erziehungsgedanken legitimiert werden. Unter diesem Deckmantel kommt es oftmals zu einer Schlechterstellung junger Menschen gegenüber Erwachsenen.338 Ferner ist das Spannungsverhältnis von Erziehung und Strafrecht anzumerken. Zwischen den Entscheidungsträgern und den jungen Straftätern fehlt es an der für wirksame Lernprozesse nötigen emotionalen Bindung.339 Ein autoritäres, hierarchisches Vorgehen kann vielmehr kontraproduktiv wirken. Die besten Ergebnisse sind erzielbar, wenn die Jugendlichen und Heranwachsenden freiwillig interaktiv und gleichberechtigt mitwirken. Dann kann echte Einsicht und Verantwortungsübernahme als Grundlage einer zukünftigen Verhaltensänderung anstelle einer Abwehrhaltung erreicht werden.340 Darüber hinaus ist das soziale Umfeld ein mitbestimmender Faktor für delinquentes Verhalten junger Menschen, dieses ist dem strafrechtlichen Einflussbereich aber entzogen. Damit können die komplexen Entstehungszusammenhänge von Kriminalität nie vollends durch das Instrument des Strafrechts erfasst werden.341 Zudem ist problematisch, dass Erwachsene jugendliches Fehlverhal333  Heinz, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 369 (400); Weigend, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 152 (152); Ostendorf, StV 1998, 297 (303); Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 35; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 9. 334  Schlüchter, GA 1988, 106 (106). 335  Gerken/Schumann, Ein trojanisches Pferd im Rechtsstaat, S. 1. 336  Nix/Möller/Schütz, Einführung in das Jugendstrafrecht für die soziale Arbeit, S. 50. 337  Streng, DVJJ-Journal 1995, 163 (165). 338  Eisenberg, JR 1987, 485 (485); Streng, ZStW 1994, 60 (69 ff.); Albrecht, Jugendstrafrecht, S.  74 f.; Kemme/Stoll, MschrKrim 2012, 32 (46); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn.  32; Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 52. 339  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 12. 340  Peters, in: Sieverts, Handwörterbuch der Kriminologie, S. 455 (458); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 12. 341  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 13.



VI. Leitfaden der jugendgemäßen Auslegung83

ten ausschließlich aus Erwachsenensicht beurteilen, ohne den Versuch zu unternehmen, sich in die Lage der jungen Menschen hineinzuversetzen.342 Für ein jugendadäquates und damit wirksames Jugendstrafrecht ist es aber erforderlich, dass sich die erwachsenen Entscheidungsträger der jugendlichen Perspektive bestmöglich annähern.343 cc) Die Funktionen des Erziehungsgedankens – ein Reformulierungsversuch „Der Erziehungsgedanke ist nicht ‚überholt‘, bedarf aber einer korrigierenden und klarstellenden Interpretation. Er ist nicht dazu da, das Minus an Unrecht und Schuld zu Lasten junger Menschen durch ein Mehr an wohlmeinendem Eingriff (über) zukompensieren. Legitim und auch notwendig ist seine Verwendung nur insoweit, wie einer Besserstellung junger Täter durch eine Verringerung von Eingriffen und eine förderliche Gestaltung von Sanktionen herbeigeführt werden.“344 Das BVerfG hat den Erziehungsgedanken mit dem Ziel „möglichst weitgehender sozialer Integration“ in Zusammenhang gebracht.345 Dies erfordert einerseits eine Unterstützung bei der Bewältigung von Entwicklungsproblemen, andererseits aber auch dass diese Pro­ bleme durch das Jugendstrafrecht nicht vertieft werden.346 Demzufolge zwingt der Erziehungsgedanke zu einer Folgenorientierung, wodurch das Jugendstrafrecht empirischen Erkenntnissen zugänglich bleibt und somit auf die besondere Entwicklungsphase von Jugendlichen und Heranwachsenden Rücksicht nimmt.347 Im Hinblick auf das Ziel der Legalbewährung sind erzieherisch dysfunktionale Vorgehensweisen dementsprechend zu vermeiden.348 Angestrebt werden muss vielmehr eine entwicklungsfördernde, re­ spektvolle Erziehung, die neben der „notwendigen Orientierung auch einen Freiraum für die Selbsterprobung“ ermöglicht.349 Weiterhin beinhaltet der Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 11. Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 11. 344  Walter, NStZ 1992, 470 (477). 345  BVerfG, NJW 2008, 281 (283). 346  Albrecht, in: Richter/Krappmann/Wapler, Kinderrechte, S. 405 (414). 347  Viehmann, FuR 1991, 256 (258); Heinz, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 369 (399); Brehm, Fragen der Weiterentwicklung des jugendkriminalrechtlichen Rechtsfolgensystems, S. 180. 348  Streng, ZStW 1994, 60 (88); Heinz, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 369 (399); Weigend, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 152 (167); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 14. 349  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 11; so auch: Walkenhorst, RdJB 2016, 469 (473). 342  Eisenberg/Kölbel, 343  Eisenberg/Kölbel,

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

Erziehungsgedanke eine Begrenzungsfunktion, wonach das staatliche Eingreifen soweit als möglich zu reduzieren ist.350 Er erinnert somit an das Subsidiaritätsprinzip. Denn die Erziehung obliegt nach Art. 6 Abs. 2 GG grundsätzlich den Eltern, während dem Staat nur ein Wächteramt zukommt.351 Demnach steht der Erziehungsgedanke „für die gesellschaftliche Entscheidung, jugendlichen Straftätern eine dem Alter gemäße Behandlung zuteil werden zu lassen“352 und für die „größere gesellschaftliche Toleranz gegenüber jugendlichen Straftätern“353 . Der Erziehungsgedanke soll als Leitlinie der jugendgemäßen Auslegung fungieren, um auf Tatbestandsebene, hinsichtlich der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen sowie im Verfahren eine jugendadäquate Rechtsanwendung sicherzustellen. Durch die vorliegende Konkretisierung des Erziehungsgedankens wird dieser hinreichend präzisiert, um ihn als allgemeines Prinzip und Auslegungsleitlinie zu verstehen und vorrangig gegenüber allgemeinen Vorschriften anzusehen sowie gleichzeitig dem Bestimmtheitsgrundsatz zu genügen. 2. Das Verbot der Schlechterstellung und das Gebot der Besserstellung als weitere Auslegungsleitlinien a) Das Verbot der Schlechterstellung Das Verbot der Schlechterstellung ist ein umstrittener354, aber weitgehend anerkannter355 Grundsatz im Jugendstrafrecht. Dessen verfassungsrechtliche 350  Eisenberg, JR 1987, 485 (485); Viehmann, FuR 1991, 256 (258); Heinz, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 369 (406); Schlüchter, ZRP 1992, 390 (391); Walter, NStZ 1992, 470 (471); Streng, ZStW 1994, 60 (85); Swoboda, ZStW 2013, 86 (92); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 32; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 14. 351  Albrecht, in: Richter/Krappmann/Wapler, Kinderrechte, S. 405 (413). 352  WD 7 – 015/08, S. 3. 353  Heinz, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 369 (399). 354  Scheffler, NStZ 1992, 491 (492); Wagner, ZfJ 1992, 392 (398); Geisler, NStZ 2002, 449 (452); Grunewald, NStZ 2002, 452 (456); Fahl, in: Amelung, FS Schreiber, S. 63 (68 ff.); Fahl, NStZ 2009, 613 (615); Schaffstein/Beulke/Swoboda, Jugendstrafrecht, Rn. 575; Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 13. 355  BayObLG, NJW 1961, 2029 (2029); Bohnert, NJW 1980, 1927 (1931); Bottke, ZStW 1983, 69 (90) leitet das verfahrensrechtliche Schlechterstellungsverbot aus dem fair trial Grundsatz ab; Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S.  306 ff.; Bottke, NJW 1987, 1068 (1068); Neuhaus, NStZ 1990, 140 (141); BayObLG, NJW 1992, 1520 (1521); Bringewat, NStZ 1992, 315 (317); Walter, NStZ 1992, 470 (471); LG Itzehoe, StV 1993, 537 (538); Albrecht,



VI. Leitfaden der jugendgemäßen Auslegung85

Verankerung wurde bereits erläutert.356 Danach ist durch Auslegung sicherzustellen, dass Jugendliche bzw. Heranwachsende – abgesehen von den gesetzlich geregelten Fällen – in einer vergleichbaren Situation nicht schlechter gestellt werden als Erwachsene. Nach vorliegendem Verständnis betrifft das Schlechterstellungsverbot das gesamte Strafrecht, also die materiell-rechtliche Ebene, die im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen sowie die prozessrechtliche Ebene. Es geht damit um einen Abgleich sämtlicher Aspekte des Jugendstrafrechts mit denjenigen des Erwachsenenstrafrechts. Dafür spricht der hier vertretene empirisch fundierte, eingriffsbegrenzende und von Strafe weglenkende Grundcharakter des Erziehungsgedankens.357 Zudem ist auf die bei jungen Menschen erhöhte Dysfunktionalität strafrechtlicher Reaktionen hinzuweisen und auf deren schlechtere Verteidigungskompetenz im Verfahren, welche im prozessrechtlichen Teil dieser Arbeit noch eingehend erörtert wird. Das Verbot der Schlechterstellung wird außerdem durch die bereits erläuterte Procedural Justice-Forschung untermauert.358 Gemäß dieser richtet sich die Urteilsakzeptanz und die darauffolgende Legalbewährung junger Menschen danach, ob sie sich fair, insbesondere auch nicht schlechter als andere, behandelt fühlen.359 Strafrechtliche Benachteiligungen wirken demgemäß erzieherisch kontraproduktiv, weil sie „die Entwicklung von Gerechtigkeitsempfinden, Rechtsbewußtsein und Normbefolgungsbereitschaft eines jungen Menschen ungünstig beeinflussen“.360 Auch die bereits angesprochenen Erkenntnisse Shermans stützten das Schlechterstellungsverbot. Danach können als unangemessen und unfair empfundene strafrechtliche Reaktionen zu Ärger- und Trotzreaktionen und damit einhergehend auch zu Delinquenzsteigerungen führen.361 Daher hat sich eine jugendgemäße Auslegung am Verbot der Schlechterstellung junger Menschen gegenüber Erwachsenen zu orientieren. Jugendstrafrecht, S.  82 f.; Laubenthal, JZ 2002, 807 (809); Ostendorf, StV 2002, 436 (441); Eisenberg, DRiZ 2006, 120 (120); Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S.  77 ff.; Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 201 f.; Walter/Neubacher, Jugendkriminalität, Rn. 553; Kemme/Stoll, MschrKrim 2012, 32 (45); Kotz/ Rahlf, Praxis des Betäubungsmittelstrafrechts, Kapitel 9 Rn. 22; Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 178; Dünkel, RdJB 2014, 294 (296); Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 6; Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 61; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 9; Eisenberg, ZJJ 2021, 150 (152); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 23; Laue, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 2 JGG Rn. 21. 356  S.  65 ff. 357  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 24. 358  Ausführlich hierzu bereits S. 48 f. 359  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 25. 360  Mitsch, JR 2017, 8 (15). 361  Sherman, Journal of Research in Crime and Delinquency 1993, 445 (459 ff.).

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

b) Das Gebot der Besserstellung Aus dem genannten eingriffsbegrenzenden und von Strafe weglenkenden Grundcharakter des Erziehungsgedankens kann sich aber auch die Forderung nach einer Besserstellung junger Menschen im Strafrecht ergeben.362 Für eine solche streitet bereits Art. 3 Abs. 1 GG.363 Außerdem ist die sich aus den genannten empirischen Erkenntnissen ergebende besondere Schutzbedürftigkeit junger Menschen anzuführen.364 Ihre spezielle Entwicklungsphase gebietet eine besondere Rücksichtnahme im materiellen Recht, bezüglich der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen sowie im Verfahrensrecht. Vor allem die Strafempfindlichkeit ist bei Jugendlichen und Heranwachsenden größer als bei Erwachsenen, worauf mit strafrechtlicher Zurückhaltung zu reagieren ist.365 Auch weil der Schuldvorwurf gegenüber jungen Menschen geringer ist als bei Erwachsenen, muss eine Besserstellung Jugendlicher bzw. Heranwachsender angestrebt werden.366 Folglich ist auf materiell-rechtlicher sowie prozessrechtlicher Ebene und hinsichtlich der im JGG anwendbaren StGB-Normen eine Besserstellung Jugendlicher und Heranwachsender durch eine jugendgemäße Auslegung umzusetzen. 3. Kriterienkatalog: Junge Menschen versus Erwachsene a) Kriterienkatalog als Orientierungshilfe für die jugendgemäße Auslegung Als Orientierungshilfe für die jugendgemäße Auslegung soll ein Kriterienkatalog mit den wesentlichen Unterscheidungsmerkmalen junger Menschen im Vergleich zu Erwachsenen aufgestellt werden. Dabei wird ausschließlich auf die für den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung relevanten Kriterien Bezug genommen. Selbstverständlich kann der Katalog keine abschließende Auflistung von Unterscheidungsmerkmalen leisten. „Der Unterschied zwischen ‚typisch jugendlichem‘ und ‚typisch erwachsenem‘ Verhalten lässt sich nicht eindimensional für alle denkbaren Fälle bestimmen.“367 Außerdem darf nicht verkannt werden, dass Entwicklungsprozesse komplex sind, sich dynamisch vollziehen – „Pausen, Sprünge und Rückschritte“ sind charakte-

Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 24. hierzu S. 65 ff. 364  Albrecht, Jugendstrafrecht, S.  82; Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 61. 365  Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 61. 366  Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 61. 367  Laue, ZJJ 2017, 108 (109). 362  Eisenberg/Kölbel, 363  Ausführlich



VI. Leitfaden der jugendgemäßen Auslegung87

ristisch368 – und dass gerade auch der Übergang vom Jugendlichen bzw. Heranwachsenden zum Erwachsenen fließend ist.369 Menschen befinden sich ohnehin ihr gesamtes Leben in der Entwicklung.370 Dennoch können Kriterien herausgearbeitet werden, die junge Menschen im Vergleich zu Erwachsenen vermehrt bzw. mit höherer Wahrscheinlichkeit auszeichnen. Diesen jugendspezifischen Besonderheiten muss dann bei materiellen und prozessualen Fragen durch eine jugendgemäße Auslegung Rechnung getragen werden. Durch einen Kriterienkatalog als Orientierungshilfe für eine jugendgemäße Auslegung kann das Auge eines jeden Rechtsanwenders für Jugendcharakteristika geschärft werden und damit einhergehend auf die unerlässliche Berücksichtigung bei der Auslegung hingewirkt werden. Denn wenn das für junge Menschen natürliche und typische Verhalten einen Tatbestand eher erfüllt als das bei einem Erwachsenen der Fall ist, muss dem im Rahmen der Auslegung Geltung verschafft werden. Wichtig ist dabei, dass eine jugendgemäße Auslegung von Aspekten ausgeht, die die gesamte Altersgruppe betreffen. „Der konkrete junge Mensch darf dabei nur einen Anhaltspunkt für die heranzuziehende Altersstufe geben, aber nicht Schablone für die Auslegung sein.“371 Es sollen nach hier vertretener Auffassung nicht die jeweiligen konkreten Entwicklungs- und Reifeprozesse jedes einzelnen Täters bei der Auslegung berücksichtigt werden372, sondern den allgemein der gesamten Altersgruppe typischerweise anhaftenden Besonderheiten durch eine jugendgemäße Auslegung Rechnung getragen werden. Nur so kann die Auslegung einer Kontur zugeführt werden. b) Erkenntnisquellen für die Erstellung eines Kriterienkatalogs Ausgangspunkt der Überlegungen ist § 105 Abs. 1 JGG. Die Norm beschäftigt sich zwar mit der Frage der Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende. Allerdings kann man sich die dort bedeutsam werdenden Herangehensweisen und Erkenntnisse auch im Rahmen einer jugendgemäßen Auslegung zu Nutze machen. Denn durch sie wird deutlich, welche Charakteristika eher jungen Menschen und welche eher Erwachsenen zugeschrieben werden können. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 169 (170). ZJJ 2006, 384 (386); Günter, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 169 (170); Trenczek, ZJJ 2010, 249 (257); Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 7. 370  Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 7. 371  Huhle, Die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 165. 372  So aber Bausch, Die Berücksichtigung der individuellen Entwicklung bei der Auslegung strafrechtlicher Normen am Beispiel des dolus eventualis, S. 20. 368  Günter, 369  Busch,

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

aa) Marburger Richtlinien Eine Herangehensweise sind die vielfach herangezogenen373, 1954 auf einer Tagung von Jugendpsychiatern, Jugendpsychologen und Jugendrechtlern erarbeiteten Marburger Richtlinien.374 Denn diese Merkmale gelten als aussagekräftig „einerseits für eine unreife, noch in der Entwicklung stehende Persönlichkeit und andererseits für eine bereits erreichte (Erwachsenen-) Reife“.375 Allerdings darf nicht unbeachtet bleiben, dass die Marburger Richtlinien erheblicher Kritik ausgesetzt sind.376 Zunächst wird die „fallkonkret verlässliche Feststellbarkeit der Merkmale“ kritisiert.377 Besonders hervorgehoben wird die hohe Subjektivität bei der Beurteilung des Merkmalsvorliegens.378 Obendrein handle es sich um zumeist moralisch wertende, phänomenologische Beschreibungen von Entwicklungsdefiziten ohne klaren

373  Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 93; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 5 ff.; Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn.  98 f.; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 17; Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 76 f.; Laue, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 105 JGG Rn. 21. 374  Deutsche Vereinigung für Jugendpsychiatrie, MSchrKrim 1955, 58 (60): Danach gelten als erwachsenentypisch: „Eine gewisse Lebensplanung“; die „Fähigkeit zu selbstständigem Urteilen und Entscheiden“; die „Fähigkeit zu zeitlich überschauendem Denken“; die „Fähigkeit, Gefühlsurteile rational zu unterbauen“; eine „ernsthafte Einstellung zur Arbeit“ und eine „gewisse Eigenständigkeit zu anderen Menschen“. Als typisch jugendtümlich werden bezeichnet: Eine „ungenügende Ausformung der Persönlichkeit“; „Hilflosigkeit (die sich nicht selten hinter Trotz und Arroganz versteckt)“; „naiv-vertrauensseliges Verhalten“; Leben im Augenblick; eine „starke Anlehnungsbedürftigkeit“; eine „spielerische Einstellung zur Arbeit“; die „Neigung zum Tagträumen“; der „Hang zu abenteuerlichem Handeln“; das „Hineinleben in selbstwerterhöhende Rollen“ und ein „mangelhafter Anschluß an Altersgenossen“. Direkt im Anschluss erweiterte Villinger die jugendtypischen Kriterien. Zitiert nach von Buch/Köhler, RPsych 2019, 178 (190): „Eine der Altersstufe nicht mehr entsprechende Suggestibilität“; „ein Mangel an echter, begründbarer Bindung an andere“; „eine starke Labilität in den mitmenschlichen Beziehungen“; „eine nicht zustande kommende Integration von Eros und Sexus“; „ein Mangel an altersgemäßem Pflicht- und Verantwortungsgefühl“; „eine besondere Neigung zu neurotischen Fehlreaktionen und Fehlhaltungen“; „eine typisch jugendtümliche (phasenspezifische) Unausgeglichenheit und Widersprüchlichkeit“; „die Neigung zu kindlich-jugendlichem Stimmungswechsel aus inadäquatem Anlass“. 375  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 20. 376  Siehe hierzu zusammenfassend: Albrecht, Jugendstrafrecht, S.  107; Gehb/ Drange, ZJJ 2004, 259 (262); Trenczek, ZJJ 2010, 249 (257 f.); Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 5; von Buch/Köhler, RPsych 2019, 178 (189); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 22. 377  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 22. 378  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 22.



VI. Leitfaden der jugendgemäßen Auslegung89

entwicklungstheoretischen Bezug.379 Es wird bezweifelt, dass es sich bei den Kriterien der Marburger Richtlinien tatsächlich um Kennzeichen der jugendlichen Lebensphase handelt, als vielmehr um Merkmale, die vermehrt strafrechtlich registrierten Personen anhaften.380 Hinzu tritt die Problematik der Mehrdeutigkeit mancher Kriterien, sodass nicht zweifelsfrei festgestellt werden könne, ob es sich im konkreten Fall um eine altersbedingte oder pathologische Erscheinungsform handelt.381 Bedenklich erscheint auch eine der Schlüsselfiguren der Tagung in Marburg – ihr Vorsitzender Villinger. Er war einer der Vertreter der NS-Ideologie im Bereich der Jugendpsychiatrie.382 bb) Kriterien nach Esser/Fritz/Schmidt Esser, Fritz und Schmidt haben daran anknüpfend 10 Reifekriterien herausgearbeitet.383 Sie verglichen hierfür die Marburger Richtlinien mit dem psychologischen Konzept der Entwicklungsaufgaben von Havighurst und stellten eine „hohe Übereinstimmung zwischen den beiden Merkmalsklassen“ fest.384 Problematisiert wurde also weniger der Inhalt der Marburger Richtlinien als ihre ungenaue Operationalisierbarkeit und fehlende Normierung.385 Die aufgestellten Kriterien wurden im Rahmen einer Nachuntersuchung validiert.386 Esser stellte im Zuge dieser prospektiven Längsschnitt­ studie fest, dass „diese Merkmale tatsächlich Reife beschreiben“. „Es handelt sich also nicht lediglich um Persönlichkeitsmerkmale, die altersunabhängig eine deviante Entwicklung beschreiben“.387 Nichtsdestotrotz bergen diese Kriterien ein „nicht unerhebliches tautologisches Potential“ und der Aspekt „äußerer Eindruck“ steht im Widerspruch zur ständigen BGH-RechtspreZJJ 2006, 384 (387); von Buch/Köhler, RPsych 2019, 178 (189). Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 22. 381  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 22. 382  Müller, Das ewige Provisorium, S. 60. 383  Esser/Fritz/Schmidt, MSchrKrim 1991, 356 (359): „Realistische Lebensplanung vs. Leben im Augenblick“; „Eigenständigkeit gegenüber den Eltern vs. starkes Anlehnungsbedürfnis und Hilflosigkeit“; „Eigenständigkeit gegenüber Peers und Partner vs. starkes Anlehnungsbedürfnis und Hilflosigkeit“; „ernsthafte vs. spielerische Einstellung gegenüber Arbeit und Schule“; „äußerer Eindruck“; „realistische Alltagsbewältigung vs. Tagträumen, abenteuerliches Handeln, Hineinleben in selbstwerterhöhende Rollen“; „gleichaltrige oder ältere Freunde vs. überwiegend jüngere Freunde“; „Bindungsfähigkeit vs. Labilität in den mitmenschlichen Beziehungen oder Bindungsschwäche“; „Integration von Eros und Sexus“; „konsistente, berechenbare Stimmungslage vs. jugendliche Stimmungswechsel ohne adäquaten Anlass“. 384  Esser/Fritz/Schmidt, MschrKrim 1991, 356 (358). 385  Esser/Fritz/Schmidt, MSchrKrim 1991, 356 (357). 386  Esser, DVJJ-Journal 1999, 37. 387  Esser, DVJJ-Journal 1999, 37 (39). 379  Busch,

380  Eisenberg/Kölbel,

90

C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

chung, wonach das individuelle Erscheinungsbild des jungen Beschuldigten für die Reifebeurteilung nicht ausschlaggebend sei.388 cc) Bonner Delphi-Studie Ziel der Bonner Delphi-Studie war „eine inhaltliche Konkretisierung, Operationalisierung und Systematisierung der Eingangskriterien des §  105 JGG“.389 Durch den Austausch von Experten verschiedener Fachgebiete wurde im Rahmen einer schriftlichen Gruppendiskussion versucht, konsensuale jugend- und erwachsenentypische Merkmale herauszuarbeiten. Die Aussagen der Experten wurden dann in einem verallgemeinernden Prozess zu Items verdichtet.390 Um sicherzustellen, dass die Items nicht nur Stereotype der Experten widerspiegeln, sondern sich vielmehr mit der aktuellen gesellschaftlichen Einschätzung zur Unterscheidung von Jugendlichen und Erwachsenen decken, wurden Nichtexperten befragt, ob sie die Items für diese Differenzierung als geeignet ansehen.391 Insgesamt konnten zehn Entscheidungsalgorithmen generiert werden.392 Die Kriterien der Bonner DelphiStudie sollen ermöglichen, zwischen „eher jugendlichen“ und „eher erwachsenen“ Delinquenten valide zu unterscheiden.393 Aber auch die Bonner Delphi-Studie ist kritischen Stimmen ausgesetzt.394 „Inhaltlich kann diese Methodik freilich nicht zu Maßstäben führen, die über den bisherigen status quo der Handhabung hinausgehen“.395

ZJJ 2006, 384 (387). MschrKrim 2003, 421 (421). 390  Busch/Scholz, MschrKrim 2003, 421 (428). 391  Busch, ZJJ 2006, 384 (388). 392  Zitiert nach Busch, ZJJ 2006, 384 (388 f.): „Soziale Autonomie und Autonomie in der Lebensführung“; „Beziehungen und Partnerschaft“; „Qualifikation und Ziele“; „Werte und Normen“; „Emotionalität und Impulsivität“; „Problem- und Konflikt­ management“; „Kommunikation und Reflexivität“; „Umweltbedingungen“; „Umstände der Tat“; „Beweggründe der Tat“. 393  Busch, ZJJ 2006, 384 (391); auch die Rechtsprechung hat in BGH, ZJJ 2011, 201 (202) bereits auf die Bonner Delphi-Studie verwiesen. 394  Esser/Wyschkon/Schmidt, MschrKrim 2004, 458 (458  f.) weisen darauf hin, dass eine empirische Überprüfung der Kriterien noch ausstehe. Zudem wird die geringe Teilnahmequote kritisiert; Günter, Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2008, 169 (176) bemängelt, dass es an Angaben zur Validität und Reliabilität fehle. 395  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 23. 388  Busch,

389  Busch/Scholz,



VI. Leitfaden der jugendgemäßen Auslegung91

c) Der entwickelte Kriterienkatalog Insgesamt gibt es bisher keine einwandfreie Methodik, um jugendtypisches und erwachsenentypisches Verhalten zu unterscheiden. Die Reifebeurteilung zählt „zu den schwierigsten forensischen Aufgaben“ überhaupt.396 Um dem vorliegenden Kriterienkatalog eine weitreichende wissenschaftliche Anknüpfung, aber auch Akzeptanz zu verschaffen, wird auf die Schnittmenge der dargestellten Herangehensweisen abgestellt. Dabei wird ausschließlich auf die für die vorliegende Fragestellung relevanten Kriterien Bezug genommen. Zudem decken sich die herausgefilterten Kriterien mit den bereits erläuterten biologischen, psychologischen und soziologischen Besonderheiten der Lebensphase Jugend und den genannten charakteristischen Handlungsformen junger Menschen. Auch die sich darin einfügenden Kriterien der Rechtsprechung für die Charakterisierung der jugendlichen Lebensphase werden eingearbeitet.397

MSchrKrim 1991, 356 (356). NJW 1955, 1606 (1606): Oberflächliche Entgleisungen, die auf „mangelndem Widerstandsvermögen gegen böses Spiel, den Lockungen einer plötzlichen Versuchung, dem Herdentrieb, einer falsch verstandenen Kameradschaft oder auf unüberlegter Abenteuerlust beruhen“; BGH, NStZ 1986, 549 (550): fehlende Beherrschung von Zorn und Wut; BGH, NStZ 1987, 366 (366): „Mangel an Ausgeglichenheit, Besonnenheit und Hemmungsvermögen“ sowie Leichtsinn und Unüberlegtheit; OLG Zweibrücken, NStZ 1987, 89 (89): „Hinwendung zu einer Gruppe Gleichgesinnter verbunden mit Unterordnung und Preisgabe individueller Freiräume einerseits und dem Gefühl solidarischer Geborgenheit andererseits“ und „Vorstellungen von Heldenhaftigkeit, ‚Mutbeweis‘ und ‚Imponiergehabe‘ “ sowie „Mangel an Mitgefühl, Selbstsicherheit und Hemmungskraft“; BGH, StV 1994, 608 (608): Auflehnung gegen Bestehendes; BGH, NStZ 2001, 102 (102): Gruppendynamik; AG Rudolstadt, ZJJ 2017, 284 (285): Unüberlegtheit, Unbekümmertheit, Leben im Augenblick unter Missachtung möglicher Folgen, Gruppenzwang, Unfähigkeit einen Konflikt mit anderen Mitteln als Gewalt zu lösen. 396  Esser/Fritz/Schmidt, 397  BGH,

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C. Allgemeines zum Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung

Emotionalität und Impulsivität

Jugend­typische Merkmale

Erwachsenentypische Merkmale

Vorherrschen des Gefühls- und Trieblebens; Stimmungslabilität; Leben im Augenblick

Rationales Urteilen und Entscheiden; konsistente Stimmungslage; Fähigkeit zu zeitlich überschauendem Denken

Schwache Impulskontrolle

Selbstbeherrschung

Abenteuerlust; erhöhte RisikobeAusgeglichenheit und reitschaft; ausgeprägte Experimen- Besonnenheit; Sicherheits­ tierfreude; Leichtsinn und denken Unüberlegtheit Spontaneität und Handeln aus dem Affekt; unüberlegt-emotionale, unorganisierte, gelegenheitsergreifende und erlebnisorientierte Art und Weise der Tatbegehung

Planvolles Vorgehen

Soziale Autonomie

Starker Gruppenbezug; Anlehnungsbedürftigkeit; leichte Beeinflussbarkeit; Nachahmungstendenzen; Imponiergehabe; fehlende Fähigkeit zu selbstständigem Urteilen und Entscheiden

Eigenständigkeit gegenüber anderen Menschen; Fähigkeit zu selbstständigem Urteilen und Entscheiden

Werte und Normen

Ungefestigtes Wertesystem

Gefestigtes Wertesystem

Widerstand gegen Autoritäten

Akzeptanz von Autoritäten

Austesten normativer Grenzen

Akzeptanz normativer Grenzen

Gering ausgeprägte Reflexivität

Ausgeprägte Reflexivität

Unangemessene Ausdrucksform

Angemessene Ausdrucksform

Abgeschwächte Fähigkeit zur Folgenabwägung

Fähigkeit zur Folgenabwägung

Hohes Maß an Körperlichkeit; sportliche Begehungsweise

Geistiges im Mittelpunkt

Kommunikation und Reflexivität

Problem- und Nur begrenzte Fähigkeit, konKonfliktmaflikthafte Situationen zu erkennen nagement

Fähigkeit konflikthafte, Situationen zu erkennen

Eingeschränkter Erfahrungsschatz und Kenntnisstand

Ausgeprägter Erfahrungsschatz und Kenntnisstand

Hang zur Selbstüberschätzung

Realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten

→ Unzulängliches Problem- und Konfliktmanagement

→ Zufriedenstellendes Problem- und Konflikt­ management

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung Hinsichtlich der Strafbarkeitsvoraussetzungen wird im Jugendstrafrecht über § 2 Abs. 2 JGG auf die allgemeinen Vorschriften zurückgegriffen. „Ist das eigentlich richtig? Ist die Tat eines Jugendlichen in ihren äußeren Entstehungsbedingungen und inneren Motivlagen wirklich mit der eines Erwachsenen vergleichbar? Müssen wir nicht gleiche äußere Sachverhalte anders, nämlich der Jugendlichkeit des Täters entsprechend interpretieren?“1 Die pauschale, unreflektierte Übertragung der Vorschriften des allgemeinen Strafrechts auf Jugendliche und Heranwachsende ist abzulehnen. Entsprechend der empirisch-kriminologischen Erkenntnisse müssen entwicklungstypische Besonderheiten berücksichtigt werden. Insoweit ist nochmals darauf hinzuweisen, dass jugendtypisches Verhalten per se eine größere Nähe zum Regelungsbereich mancher Tatbestände aufweist und so nicht nur die Straftatbegehungswahrscheinlichkeit, sondern auch die Strafverfolgungswahrscheinlichkeit und die damit einhergehenden dysfunktionalen Sanktionsfolgen gegenüber Erwachsenen erhöht.2 Richtigerweise muss bei der Prüfung der Strafbarkeitsmerkmale stets eine jugendgemäße Auslegung vorgenommen werden. Dies kann je nach Einzelfall zu einer Modifikation der allgemeinen Vorschriften oder zu deren Nichtanwendbarkeit führen. Im Folgenden werden Anwendungsbeispiele auf allen materiell-rechtlichen Prüfungsebenen erörtert.

I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 1. Jugendstrafrechtliche Ausprägung der Lehre der Sozialadäquanz Im Folgenden wird eine – von Ostendorf entwickelte – Ausdrucksform der jugendgemäßen Auslegung erörtert. Die Sozialadäquanz jugendtypischen Verhaltens.3 Hierzu werden die Gedanken der allgemeinen Lehre der Sozi1  Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (441). 2  Kölbel, ZJJ 2021, 40 (42). 3  Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (202).

94

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

aladäquanz auf für Jugendliche und Heranwachsende typische Verhaltensweisen übertragen. a) Grundaussage der Lehre der Sozialadäquanz Die Lehre der sozialen Adäquanz wurde von Welzel für Handlungen entwickelt, die sich „funktionell innerhalb der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens“ bewegen und damit sozialadäquat sind.4 Demnach erfüllen diese Verhaltensweisen keinen Straftatbestand, obwohl sie dem Wortlaut nach darunter subsumiert werden könnten.5 Welzels Ausgangspunkt für die Entwicklung dieser Lehre war seine kritische Haltung gegenüber der Rechtsgutsverletzungstheorie, welche „die Rechtsgüter nicht im wirklichen sozialen Lebensraum, sondern in einer unlebendigen funk­ tionslosen Welt sieht“.6 Das Recht darf nicht sämtliche Rechtsgutsverletzungen abwehren, sondern nur die für ein sittlich-geordnetes Gemeinschaftsleben absolut notwendigen.7 Jedes Verhalten muss im Strafrecht daher „als sozial bedeutsames Phänomen, als Handlung im sozialen Lebensraum“ verstanden werden.8 b) Jugendstrafrechtliche Ausprägung der Lehre der Sozialadäquanz Der besagte soziale Lebensraum stellt sich für Jugendliche bzw. Heranwachsende und Erwachsene grundverschieden dar. Jugendspezifische Verhaltensweisen werden durch das allgemeine Strafrecht nur unzureichend erfasst. Denn die Verhaltensanforderungen des StGB richten sich an die Erwachsenenwelt und sind mit der jugendlichen Lebensweise und den damit einhergehenden altersspezifischen Verhaltensmustern nicht vollumfänglich vereinbar. Daher müssen bei der Frage der Sozialadäquanz für die verschiedenen Altersgruppen unterschiedliche Maßstäbe angesetzt werden. Bekräftigt wird dies durch die empirischen Erkenntnisse zur Jugendkriminalität. Wenngleich können freilich nicht alle Erscheinungsformen delinquenten Verhaltens als jugendtypisch und damit sozialadäquat eingestuft werden. Es gibt jedoch zahlreiche Tatbestände, die für Jugendliche nicht passend erscheinen, weil sie eine Art und Weise der Deliktsbegehung bestrafen, die jugendtypisch ist.9 Trotz ZStW 1939, 491 (516). Strafrecht Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 33. 6  Welzel, ZStW 1939, 491 (514). 7  Welzel, ZStW 1939, 491 (516). 8  Welzel, ZStW 1939, 491 (516). 9  Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (202). 4  Welzel,

5  Roxin/Greco,



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 95

aller Kritik hinsichtlich der Figur der Sozialadäquanz10 und der Diskussion über die dogmatische Verortung11 ist anzuerkennen, dass „die Sozialadäquanz augenscheinlich bis heute eine wichtige Durchgangsfunktion im Prozess der Dogmatisierung neuer strafrechtlicher Probleme erfüllt“.12 Sie beinhaltet jedenfalls die Erkenntnis, dass sich strafrechtlich relevantes Verhalten an Tatsachen des sozialen Lebens zu orientieren hat.13 Insofern kann sie für den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung fruchtbar gemacht werden. Die Berücksichtigung der sozialen Wirklichkeit Jugendlicher und Heranwachsender im Rahmen der Strafbarkeitsprüfung ist das Fundament einer jugendgemäßen Auslegung. 2. Gruppenbezogene Delikte Es finden sich zahlreiche gruppenbezogene Tatbestände im StGB, welche nicht bedenkenlos auf Jugendliche und Heranwachsende angewendet werden können. a) Das Für und Wider der Peergroup aa) Jugendgruppen als essenzielle Sozialisationsinstanz In der frühen Kindheit spielt sich das Leben vor allem innerhalb der Familie ab, insbesondere die Eltern sind mehrheitlich der soziale Mittelpunkt. Mit fortschreitendem Alter verschiebt sich dies hin zu Gleichaltrigen.14 Für Jugendliche und Heranwachsende ist sodann die Peergroup die bedeutende Sozialisationsinstanz.15 Im Erwachsenenalter verliert die Clique wieder an Wichtigkeit und individuelle Beziehungen rücken in den Fokus.16 10  Zusammenfassend hierzu: Eser, in: Schünemann u. a., FS Roxin, S. 199 (205 ff.); Knauer, ZStW 2014, 844 (853 f.). 11  Siehe zu den verschiedenen Positionen: Knauer, ZStW 2014, 844 (852  f.); Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 34 f. 12  Knauer, ZStW 2014, 844 (855). 13  Dieser Punkt wird von Würtenberger, in: Hohenleitner/Lindner/Nowakowski, FS Rittler, S. 125 (137) aber gerade kritisiert; Zipf, ZStW 1970, 633 (653) hingegen sieht die Lehre der Sozialadäquanz als „eine Nahtstelle zwischen der normativen Rechtswissenschaft und der Rechtssoziologie“; nach Peters, in: Stratenwerth u. a., FS Welzel, S. 415 (429) ist sie „ein Beispiel für das Zusammenspiel juristischer und gesellschaftlicher Betrachtungsweisen“; Eser, in: Schünemann u. a., FS Roxin, S. 199 (205) bezeichnet die Lehre der Sozialadäquanz insoweit als „flexibles Instrument“. 14  Boman, in: Krohn u. a., Handbook on Crime and Deviance, S. 479 (483 f.). 15  Schild, GA 1982, 55 (73); Ostendorf, in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (333); Förtig, Jugendbanden, S. 107; Ferchhoff, Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert, S. 344 f.; Ecarius/Hößl/Berg, in: Ecarius/Eulenbach,

96

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

Die Gleichaltrigengruppe wirkt sich in vielfältiger Hinsicht positiv auf junge Menschen aus: Zunächst hat sie eine besondere Bedeutung für die Entwicklung individueller und sozialer Kompetenzen.17 Zum einen können Konfliktlösungsstrategien erlernt werden.18 Zum anderen wird die „Entwicklung von Enttäuschungsfestigkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Widerstandspotential“ gefördert.19 Grunert versteht „Peers bzw. die Gesellschaft der Gleichaltrigen“ richtigerweise als „potenzielle Bildungsorte“.20 Außerdem ist die Gruppe wichtig für die „Entwicklung von vertrauensvollen Kontakten“ und um „die Erfahrung von Solidarität und Beistand bei Problemen und Krisen zu machen“.21 Junge Menschen können in der Freundesgruppe ein Gefühl von Gemeinsamkeit, Stabilität sowie emotionaler Geborgenheit empfinden.22 In sensiblen Themenbereichen wie der eigenen Gefühlslage und Sexualität, welche im familiären Umfeld häufig ausgespart werden, können Gleichaltrige einen Raum zum Austausch ermöglichen und „emotionalen Halt“ und Unterstützung vermitteln.23 Die Gleichaltrigengruppe bietet obendrein „neuartige Teilnahme- und Selbstverwirklichungschancen“.24 Sie ist eine Spielwiese für die Identitätsfindung.25 Dem entspricht es, dass ein größerer Freundeskreis mit einer größeren Lebenszufriedenheit einhergeht.26 Der ureigene Zweck einer Peergroup liegt daher freilich meist gerade nicht in der Begehung krimineller Handlungen, sondern der Zusammenschluss resultiert aus dem Wunsch nach Zugehörigkeit, Kameradschaft, Abenteuerlust Jugend und Differenz, S. 161 (162); Reisenhofer, Jugendstrafrecht in der anwaltlichen Praxis, § 4 Rn. 39; Lehmann-Björnekärr, Der Gruppenbezug jugendlicher Delinquenz, S. 211; Quenzel/Hurrelmann, Lebensphase Jugend, S. 155  ff.; Huhle, Die Sanktionierung von jungen Menschen im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 162; Boman, in: Krohn u. a., Handbook on Crime and Deviance, S. 479 (483 f.); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 58 Rn. 9; Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 1 Rn. 10. 16  Lehmann-Björnekärr, Der Gruppenbezug jugendlicher Delinquenz, S. 37; Boman, in: Krohn u. a., Handbook on Crime and Deviance, S. 479 (483 f.). 17  Förtig, Jugendbanden, S. 107; Ecarius/Hößl/Berg, in: Ecarius/Eulenbach, Jugend und Differenz, S. 161 (162); Quenzel/Hurrelmann, Lebensphase Jugend, S. 155 ff. 18  Quenzel/Hurrelmann, Lebensphase Jugend, S. 159. 19  Quenzel/Hurrelmann, Lebensphase Jugend, S. 159. 20  Grunert, in: Grunert u. a., Kompetenzerwerb von Kindern und Jugendlichen im Schulalter, S. 9 (15). 21  Quenzel/Hurrelmann, Lebensphase Jugend, S. 155. 22  Oerter/Dreher, in: Oerter/Montada, Entwicklungspsychologie, S.  271 (321); Günter, ZJJ 2011, 15 (21). 23  Quenzel/Hurrelmann, Lebensphase Jugend, S. 158. 24  Quenzel/Hurrelmann, Lebensphase Jugend, S. 157. 25  Förtig, Jugendbanden, S. 107; Oerter/Dreher, in: Oerter/Montada, Entwicklungspsychologie, S. 271 (321). 26  Quenzel/Hurrelmann, Lebensphase Jugend, S. 157.



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 97

und Auflehnung gegen die Erwachsenenwelt, wobei alltagstypische Aktivitäten im Vordergrund stehen.27 Gut funktionierende Freundschaften sind „ein Indiz für die erfolgreiche Bewältigung der Entwicklungsaufgaben im Jugendalter“.28 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass das Zusammenschließen und Agieren in Gruppen ein für Jugendliche und Heranwachsende völlig normales, sozialisatorisch notwendiges Verhalten darstellt. bb) Die Gruppenzugehörigkeit als situativer Faktor der Jugenddelinquenz Die Sozialisation in der Jugendgruppe ist allerdings nicht nur positiv behaftet, sondern bringt auch negative Aspekte mit sich. Peergroups können als „potentielle Gefahrenquellen“ bezeichnet werden29, denn sie tragen neue Einflüsse und Versuchungen an die jungen Menschen heran. Aufgrund der charakterlich noch nicht gefestigten Persönlichkeit und der damit einhergehenden leichteren Beeinflussbarkeit während der Jugendphase kann diesen vielfach nicht standgehalten werden.30 Innerhalb der Gleichaltrigengruppe wird die Gemeinschaft häufig über die eigenen Interessen gestellt.31 Gewalt­ erfahrungen, Verunsicherung, Stigmatisierung und Ängste können Teil des Erlebten sein.32 Auch Mobbing ist keine Seltenheit. Dies kann weitreichende negative Folgen für die weitere Persönlichkeitsentwicklung haben.33 Im Unterschied zur Erwachsenendelinquenz werden Delikte Jugendlicher und Heranwachsender äußerst häufig entweder von einer Gruppe oder zumindest unter dem Einfluss einer Gruppe begangen.34 Die Gruppenzuge­ hörigkeit bildet einen „jugendkriminologisch maßgeblichen situativen Fak­ tor“.35 Der zunehmende Einfluss der Peergroup im Jugendalter ist mit einem

27  Staub, Ursachen und Erscheinungsformen bei der Bildung jugendlicher Banden, S. 213; Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 58 Rn. 8. 28  Quenzel/Hurrelmann, Lebensphase Jugend, S. 157. 29  Ecarius/Hößl/Berg, in: Ecarius/Eulenbach, Jugend und Differenz, S. 161 (163). 30  Günter, ZJJ 2011, 15 (17); Eisenberg, ZKJ 2012, 54 (58); Schaffstein/Beulke/ Swoboda, Jugendstrafrecht, Rn. 20. 31  Lempp, Jugendliche Mörder, S. 177. 32  Ecarius/Hößl/Berg, in: Ecarius/Eulenbach, Jugend und Differenz, S. 161 (175). 33  Quenzel/Hurrelmann, Lebensphase Jugend, S. 159 f. 34  Warr, in: Krohn/Lizotte/Hall, Handbook on Crime and Deviance, S. 383 (384 f.); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 58 Rn. 7; Bentrup, in: Boers/Reinecke, Delinquenz im Altersverlauf, S. 243 (243); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 35. 35  Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 58 Rn. 8; siehe hierzu auch Boers, ­MschrKrim 2019, 3 (21).

98

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

Anstieg der Delinquenz in dieser Lebensphase verbunden.36 Dabei ist die Delinquenz junger Menschen qualitativ und quantitativ umso stärker ausgeprägt, je höher die Zahl der devianten Peers ist.37 Mit der Zugehörigkeit zu einer devianten Freundesgruppe wird der Kontakt zu konformen Peers erschwert und es ergeben sich vermehrt Tatgelegenheiten.38 cc) Gruppendynamische Prozesse (1) Übersummativität gruppendynamischer Prozesse Ein Einzeltäter muss nur mit persönlichkeitseigenen Kräften zurechtkommen, während ein Gruppentäter überdies gruppendynamischen Einflüssen ausgesetzt ist.39 In der Gruppe treten „zusätzlich Kräfte ganz neuer Art“ auf.40 Diese entstehen aus der Dynamik der Gruppe und sind weder auf den Willensentschluss des Einzelnen noch auf die Summe der Willensentschlüsse der Beteiligten zurückzuführen.41 „Die Wirkungen der Gruppe sind über­ summativ“.42 Hieraus können Tatsituationen resultieren, die nicht bzw. nicht nur in der Persönlichkeit des Individuums wurzeln.43 Der Einzelne kann vielmehr „zum Werkzeug von Kräften werden, an deren Zustandekommen er zwar beteiligt ist, die er jedoch gesamtheitlich nicht zu übersehen und auch nicht zu steuern vermag.“44 Die Gruppendynamik kann so dominierend sein, dass der Einzelne ihm persönlichkeitsfremde Handlungen vornimmt, welche 36  Förtig, Jugendbanden, S. 142; Greve/Montada, in: Oerter/Montada, Entwicklungspsychologie, S. 837 (849); Baier u. a., Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt, S. 81 ff.; Warr, in: Krohn/Lizotte/Hall, Handbook on Crime and Deviance, S. 383 (388); Raithel, Jugendliches Risikoverhalten, S. 40; Eassey/Bu­ chanan, in: Krohn/Lane, The Handbook of Juvenile Delinquency and Juvenile Justice, S. 199 (200); Bentrup, in: Boers/Reinecke, Delinquenz im Altersverlauf, S. 243 (243); Wallner/Weiss, in: Wallner u. a., Devianz und Delinquenz in Kindheit und Jugend, S. 39 (55). 37  Wetzels/Enzmann, DVJJ-Journal 1999, 116 (121 ff.); Baier u. a., Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt, S. 81 ff.; Wetzels/Brettfeld, Gewalt und Delinquenz junger Menschen in Bremen 2008–2010, S. 71 ff.; Steketee, in: JungerTas u. a., The Many Faces of Youth Crime, S. 237 (243 ff.); Seyboth-Teßmer, Kinderdelinquenz in Deutschland, S. 205 ff.; Bentrup, Lernprozesse und Jugenddelinquenz, S.  259 ff.; Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 58 Rn. 10. 38  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 5 Rn. 54. 39  Schumacher, NJW 1980, 1880 (1880 f.); Hoffmann, StV 2001, 196 (197). 40  Schumacher, NJW 1980, 1880 (1880). 41  Schumacher, NJW 1980, 1880 (1880). 42  Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881); so auch Förtig, Jugendbanden, S. 150. 43  Schumacher, NJW 1980, 1880 (1880). 44  Schumacher, NJW 1980, 1880 (1880).



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 99

er im Nachgang selbst nicht mehr nachvollziehen kann und die er auf sich alleine gestellt wahrscheinlich nicht begangen hätte.45 Lempp bringt dies auf den Punkt: „Man kann fast bei jeder dieser Gruppentaten mit hinreichender Bestimmtheit sagen, daß keiner der Täter allein psychisch in der Lage gewesen wäre, die Straftat zu verüben.“46 Folgende Gruppenwirkungen beeinflussen das Individuum besonders stark: Zunächst entsteht innerhalb der Gruppe ein enormer Konformitätsdruck. Emotionen und Motivationen der Gruppenmitglieder gleichen sich durch die koordinierende Gruppenkraft immer mehr an und führen dann zu gleichartigem äußerem Handeln.47 Die Gruppe hat zudem eine Verstärkerwirkung. Die vorhandenen Emotionen werden verstärkt und die Hemmschwelle zum Handeln sinkt.48 Außerdem steigt die Risikobereitschaft innerhalb der Gruppe, da die individuelle Verantwortlichkeit an die Gruppe abgegeben wird.49 Indizien zur Identifizierung dieser gruppendynamischen Kräfte sind die Persönlichkeitsfremdheit des Handelns für den Einzelnen, die Plötzlichkeit des Handelns im Gegensatz zu akribischer Planung, die Einheitlichkeit des Tathandelns und das Missverhältnis zwischen Tatanlass und Tatreak­ tion.50 Bei Jugendlichen und Heranwachsenden sind diese Wirkungen stärker zu erwarten als bei Erwachsenen.51 Dies liegt zunächst ganz einfach daran, dass junge Menschen der Gleichaltrigengruppe einen höheren Stellenwert als Erwachsene beimessen und demzufolge Jugenddelikte sehr häufig einen Gruppenbezug aufweisen.52 Zudem kann vornehmlich immer dann mit gruppendynamischen Prozessen gerechnet werden, wenn affektive oder emotionale Kräfte im Gegensatz zu überlegten und planenden Vorgehensweisen beim Zusammenschluss der Gruppe im Mittelpunkt stehen.53 Wie bereits gezeigt, unterscheiden diese Merkmale aber gerade junge Menschen und Erwachsene. Jugendliche und Heranwachsende handeln im Grundsatz spon-

NJW 1980, 1880 (1882). Jugendliche Mörder, S. 179. 47  Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). 48  Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881); Hoffmann, StV 2001, 196 (197); BVerfG, NJW 2008, 281 (282); Reisenhofer, Jugendstrafrecht in der anwaltlichen Praxis, § 4 Rn. 40. 49  Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). 50  Schumacher, NJW 1980, 1880 (1883). 51  Schild, GA 1982, 55 (69 f.); BVerfG, NJW 2008, 281 (282); Lehmann-Björnekärr, Der Gruppenbezug jugendlicher Delinquenz, S. 134. 52  Wallner/Weiss, in: Wallner u. a., Devianz und Delinquenz in Kindheit und Jugend, S. 39 (51 f.); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 35. 53  Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). 45  Schumacher, 46  Lempp,

100

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

tan und emotional, während Erwachsene eher kognitv-planerisch vorgehen.54 Hinzu kommt, dass junge Menschen in ihrer Persönlichkeit noch nicht so gefestigt sind wie Erwachsene und daher leichter durch die beschriebenen Prozesse beeinflussbar sind.55 Insgesamt stellt sich daher im Jugendstrafrecht noch mehr als im Erwachsenenstrafrecht die Frage, ob die aktuelle Handhabung des Gruppenfaktors im Strafrecht angemessen ist oder ob nicht vielmehr empirische Erkenntnisse umgangen werden. (2) L  ösungsansätze für die dogmatische Verortung gruppendynamischer Prozesse Gruppendynamische Prozesse werden vielfach anerkannt, nichtsdestotrotz wird eine entsprechende Berücksichtigung auf rechtlicher Ebene oftmals verneint.56 Diese Gleichsetzung von Einzel- und Gruppentäter ist mit den beschriebenen empirischen Erkenntnissen zum Einflussfeld der Gruppe nicht vereinbar.57 Aber auch insofern ist die dogmatische Verortung dieser gruppendynamischen Wirkungen umstritten. Schumacher löst die Problematik auf Ebene der Schuld. Er ordnet die Auswirkungen der Gruppendynamik als tiefgreifende Bewusstseinsstörung im Rahmen der §§ 20 und 21 StGB ein.58 Jäger verortet die Thematik im „Exkulpationsdreieck von Schuldfähigkeit, Verbotsirrtum und entschuldigendem Notstand, ohne aber diesen Normen (§§ 20, 17, 35 StGB) direkt zu unterfallen“.59 Er ist der Auffassung, dass die Berücksichtigung der gruppendynamischen Wirkungen bestenfalls nach künftigem Recht möglich ist.60 Auch eine Prüfung gruppendynamischer Prozesse im Rahmen des § 3 JGG61 oder innerhalb der Strafzumessung62 erscheint möglich.

GA 1982, 55 (69 f.); Hoffmann, StV 2001, 196 (198). StV 1993, 549 (552); BVerfG, NJW 2008, 281 (282); LehmannBjörnekärr, Der Gruppenbezug jugendlicher Delinquenz, S. 131. 56  Förtig, Jugendbanden, S. 175 f.; Kühl, in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, § 20 Rn. 8; Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 21 Rn. 9; Streng, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 20 Rn. 109; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 34. 57  Schumacher, StV 1993, 549 (552). 58  Schumacher, StV 1993, 549 (552). 59  Jäger, Individuelle Zurechnung kollektiven Verhaltens, S. 47. 60  Jäger, Individuelle Zurechnung kollektiven Verhaltens, S. 47. 61  Hoffmann, StV 2001, 196 (198). 62  Förtig, Jugendbanden, S. 176 ff. 54  Schild,

55  Schumacher,



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 101

Im Jugendstrafrecht ist eine Umsetzung der empirischen Erkenntnisse zu gruppendynamischen Prozessen durch eine jugendgemäße Auslegung vorzugswürdig. Gegenüber den anderen beschriebenen Vorgehensweisen bietet der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung den frühesten und zuverlässigsten Ansatzpunkt. Es kann hierdurch adäquat darauf Rücksicht genommen werden, dass sich die Wirkungen der Gruppendynamik gerade gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden verstärkt bemerkbar machen. b) Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen jugendtypischem Verhalten und den allgemeinen Vorschriften durch den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung Für junge Menschen ist der Gruppenbezug mit seinen positiven, aber auch negativen Aspekten geradezu charakteristisch. In diesem Punkt unterscheidet sich abermals jugend- und erwachsenentypisches Verhalten, weshalb der Gruppenbezug auch in den bei der jugendgemäßen Auslegung als Leitlinie zu beachtenden Kriterienkatalog Eingang gefunden hat. Da Jugendliche und Heranwachsende ihrer Natur nach einen gruppenbezogenen Lebensstil führen, haben sie alleine deshalb schon ein gegenüber Erwachsenen erhöhtes Risiko einen gruppenbezogenen Straftatbestand zu verwirklichen.63 Dabei unterliegen sie obendrein vermehrt gruppendynamischen Prozessen.64 Diese bringen wegen ihrer „Unkontrollierbarkeit“ eine gewisse „Eskalationsgefahr“ mit sich.65 Nichtsdestotrotz muss der Fokus im Jugendstrafrecht besonders auf dem Täter liegen: Die Tatbegehung in der Gruppe ist für junge Menschen im Gegensatz zu Erwachsenen gerade typisch, somit der Normalfall der Deliktsbegehung und kein qualifizierender Umstand.66 „Während bei Erwachsenen ein gemeinschaftliches und arbeitsteiliges Vorgehen zu Recht als Ausdruck besonderer krimineller Energie angesehen wird, kann bei Jugendlichen das Auftreten und Agieren in Gruppen eine alterstypische Aktionsform dar­ stellen“.67 Demgegenüber gilt die im allgemeinen Strafrecht zu Recht vorgenommene Klassifizierung der kollektiven Tatbegehung als Qualifikationstatbestand oder Regelbeispiel über § 2 Abs. 2 JGG bedauerlicherweise auch im JugendZJJ 2018, 33 (35). hierzu genauer S. 98 ff. 65  BGH, NJW 2013, 1379 (1381 f.). 66  Joray, Bandenbildung und Bandendelikte, S. 58; Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (441); Laubenthal, JZ 2002, 807 (813); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 35. 67  2. Jugendstrafrechtsreform-Kommission der DVJJ, DVJJ-Journal Extra Nr. 5 2002, S. 12. 63  Eisenberg, 64  Siehe

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

strafrecht. Trotz der fehlenden Verbindlichkeit der Strafrahmen gem. § 18 Abs. 1 S. 3 JGG ist die rechtliche Einordnung ebenfalls im jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgensystem als Orientierungsmaßstab von Bedeutung.68 So entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen den empirischen Erkenntnissen des Jugendalters einerseits und der strafrechtlichen Handhabung andererseits. Das für junge Menschen absolut normale, für die Sozialisation bedeutsame Gruppenverhalten wirkt sich unrechtssteigernd und damit strafschärfend aus.69 Die Logik zwischen Grunddelikt und Qualifikation wird so aufgebrochen, indem der Regelfall jugendlichen Verhaltens zur Strafschärfung führt. Hierdurch werden Jugendliche und Heranwachsende objektiv benachteiligt.70 Außerdem werden Qualifikationen im Schuldspruch deutlich und in das Erziehungsregister gem. § 5 Abs. 1 Nr. 6 BZRG aufgenommen, was zu den bereits beschriebenen dysfunktionalen Stigmatisierungen führen kann. Die allgemeinen Vorschriften orientieren sich also am Verhalten Erwachsener und nicht an der Lebenswirklichkeit junger Menschen. Diesem Dilemma muss durch eine jugendgemäße Auslegung gruppenbezogener Delikte abgeholfen werden.71 Hiernach sind die an eine gruppenmäßige Begehung anknüpfenden Qualifikationstatbestände und Regelbeispiele des StGB auf Jugendliche und Heranwachsende nicht anwendbar. Diese Vorgehensweise entspricht den aufgestellten Leitlinien. Zunächst ist der Gruppenbezug nach dem Kriterienkatalog ein wesentliches Merkmal zur Unterscheidung jugend- und erwachsenentypischen Verhaltens. Hierauf muss im Wege der Auslegung reagiert werden. Auch der Erziehungsgedanke mit seiner Begrenzungsfunktion und der Mahnung zur empirischen Folgenorientierung geben diese Herangehensweise vor. Nach dem Grundsatz der posi­ tiven Spezialprävention ist die Legalbewährung das vorrangige Ziel des Juin: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 18 Rn. 11. in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (333); Trenczek, ZRP 1993, 184 (187); Eisenberg, ZJJ 2018, 33 (35); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 35. 70  Eisenberg, ZJJ 2018, 33 (35). 71  Für eine Berücksichtigung jugendspezifischer Besonderheiten sprechen sich aus: Staub, Ursachen und Erscheinungsformen bei der Bildung jugendlicher Banden, S. 213; Schild, GA 1982, 55 (73, 81); Ostendorf, in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (333 f.); Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (200); Trenczek, ZRP 1993, 184 (187); Glandien, NStZ 1998, 197 (198); 2. Jugendstrafrechtsreform-Kommission der DVJJ, DVJJ-Journal Extra Nr. 5 2002, S. 11 f.; Eisenberg, NStZ 2003, 124 (124); Eisenberg, DRiZ 2006, 120 (121); Möller, StraFo 2009, 92 (95); Lehmann-Björnekärr, Der Gruppenbezug jugendlicher Delinquenz, S. 210 ff.; Eisenberg, ZJJ 2018, 33 (35); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 35; Sonnen, in: Diemer/Schatz/ Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 8  ff.; Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 1 Rn. 10; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 35 f. 68  Sonnen,

69  Ostendorf,



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 103

gendstrafrechts. Wie bereits erläutert, ist es hierfür nötig, repressives staat­ liches Eingreifen soweit als möglich zu vermeiden.72 Durch die Nichtanwendung gruppenbezogener Qualifikationstatbestände und Regelbeispiele kann dysfunktionalen Interventionswirkungen zumindest mittelbar entgegengewirkt werden. Auch Stigmatisierungen durch Eintragungen in das Erziehungsregister haben möglichst zu unterbleiben. Insoweit macht es für das Labeling einen relevanten Unterschied, ob eine Verurteilung wegen des Grundtatbestands oder der Qualifikation erfolgt. Junge Menschen können es darüber hinaus als ungerecht empfinden, wenn das für sie normale und notwendige Agieren in Gruppen strafschärfend wirkt. Dies kann sich wiederum negativ auf die künftige Legalbewährung auswirken.73 Im Jugendalter ist aufgrund des jugendtypischen Verhaltens die Wahrscheinlichkeit, einen gruppenbezogenen Straftatbestand zu verwirklichen, erhöht.74 Dem Verbot der Schlechterstellung und dem Gebot der Besserstellung Jugendlicher und He­ ranwachsender gegenüber Erwachsener entspricht es daher, gruppenbezogene Delikte für unanwendbar zu erklären.75 Dem Einwand Förtigs, dass Jugendliche sich einprägen, dass sie für Taten in der Gruppe keine Verantwortung übernehmen müssen76, ist entgegenzutreten. Ziel ist es nach der hier vertretenen jugendgemäßen Auslegung gerade nicht, dass Jugendliche und Heranwachsende gar keine Verantwortung trifft oder dass der Gruppenbezug strafmildernd wirkt. Der Grundtatbestand kann nach wie vor erfüllt sein, es soll nur nicht zu denselben Qualifikationstatbeständen und Regelbeispielen kommen wie bei Erwachsenen.

72  Zur Entwicklungsschädlichkeit früher strafrechtlicher Reaktionen: Sessar, in: Walter/Koop, Die Einstellung des Strafverfahrens im Jugendstrafrecht, S. 26 (45 f.); Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 20 f., 43 ff.; Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (450 f.); Boers/Herlth, MschrKrim 2016, 101 (118); Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 54 Rn. 12 ff., § 55 Rn. 34 f.; ­Boers, MschrKrim 2019, 3 (30 ff.); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, Einleitung Rn. 8. 73  Mitsch, JR 2017, 8 (15); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 25. 74  Eisenberg, ZJJ 2018, 33 (35). 75  Eisenberg, NStZ 2003, 124 (124); Möller, StraFo 2009, 92 (95). 76  Förtig, Jugendbanden, S. 176.

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

c) Die jugendgemäße Auslegung ausgewählter Tatbestände mit Gruppenbezug aa) Bandendiebstahl § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB und Bandenraub § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB Die bandenmäßige Tatbegehung stellt im Rahmen der §§ 244 Abs. 1 Nr. 2, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB einen qualifizierenden Umstand dar. „Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyp zu begehen. Ein ‚gefestigter Bandenwille‘ oder ein ‚Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse‘ ist nicht erforder­ lich“.77 Es stellt sich die Frage, ob die bandenmäßige Begehung einer Straftat im Jugendstrafrecht genauso wie im Erwachsenenstrafrecht als erschwerender Umstand zu bewerten ist oder ob die Erfüllung des Bandenbegriffs bei Zusammenschlüssen junger Menschen abzulehnen ist. Zusammenfassend ist noch einmal auf die erläuterten empirisch-kriminologischen Erkenntnisse hinzuweisen. Das Zusammenschließen und Agieren in Gruppen ist für Jugendliche und Heranwachsende ein völlig normales, sozialisatorisch notwendiges Verhalten.78 In diesem Punkt unterscheidet sich diese Altersgruppe von Erwachsenen. Junge Menschen haben damit per se ein größeres Risiko, einen Tatbestand bandenmäßig zu verwirklichen.79 Zudem wirken gruppendynamische Prozesse im Jugendalter stärker.80 Dem entspricht, dass Jugenddelinquenz gegenüber der Erwachsenenkriminalität tatsächlich häufiger einen Gruppenbezug aufweist.81 Diese Erkenntnisse sind auf normativer Ebene umzusetzen und führen zu einer Nichtanwendbarkeit der §§ 244 Abs. 1 Nr. 2, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB im Jugendstrafrecht. Es bedarf also einer jugendgemäßen Auslegung des strafrechtlichen Bandenbegriffs.82 Qualifikationstatbestände sind immer Aus77  BGH,

NStZ 2001, 421 (421). hierzu S. 95 ff. 79  Eisenberg, ZJJ 2018, 33 (35). 80  Genauer hierzu S. 98 ff. 81  Eisenberg, NStZ 2003, 124 (124); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 35. 82  So auch: Staub, Ursachen und Erscheinungsformen bei der Bildung jugend­ licher Banden, S. 213; Schild, GA 1982, 55 (73, 81); Ostendorf, in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (333 f.); Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (200); Trenczek, ZRP 1993, 184 (187); 2. Jugendstrafrechtsreform-Kommission der DVJJ, DVJJ-Journal Extra Nr. 5 2002, S. 11 f.; Eisenberg, DRiZ 2006, 120 (121); Lehmann-Björnekärr, Der 78  Ausführlich



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 105

druck einer Unrechtssteigerung. In Bezug auf die bandenmäßige Tatbegehung sieht Schild den Grund hierfür in dem damit einhergehenden gefährlicheren Täterwillen und nicht alleine in der größeren Gefährlichkeit der Tat oder der Bandenabrede per se.83 Der Zusammenschluss in einer Bande mag bei Erwachsenen Ausdruck erhöhter krimineller Energie und damit unrechtssteigernd sein, bei jungen Menschen ist das aber gerade nicht der Fall.84 Dem entspricht das historische Verständnis von Bandenkriminalität, wonach mittelalterliche Räuberbanden grundsätzlich aus Erwachsenen bestanden.85 Bereits begrifflich fügt sich ein „Abenteuerhaufen“ von jungen Menschen nicht widerspruchslos ein. Der Sinn und Zweck des Qualifikationstatbestands wird bei Jugendlichen und Heranwachsenden verfehlt.86 Das Auftreten und Agieren in Gruppen stellt nämlich eine „alterstypische Aktionsform“ dar.87 Jugendliche und Heranwachsende gleichen einen Mangel an Handlungskompetenz gegenüber Erwachsenen durch das Zusammenwirken in Gruppen aus.88 Insofern muss die Gefährlichkeit des Täterwillens im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht differenziert betrachtet werden. Insgesamt werden die §§ 244 Abs. 1 Nr. 2, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB den jugendtypischen Besonderheiten nicht gerecht. Die Nichtanwendbarkeit der §§ 244 Abs. 1 Nr. 2, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB entspricht außerdem den aufgestellten Leitlinien. Die Vorgehensweise trägt der Begrenzungs- und Folgenorientierungsfunktion des Erziehungsgedankens Rechnung. Auch dem Grundsatz der positiven Spezialprävention wird genüge getan, insbesondere werden durch die Nichtanwendung der Qualifikationstatbestände Stigmatisierungswirkungen vermieden. Zudem kann so eine Schlechterstellung junger Menschen aufgrund ihrer altersentsprechenden Verhaltensweisen gegenüber Erwachsenen umgangen werden und sogar eine Besserstellung erreicht werden.

Gruppenbezug jugendlicher Delinquenz, S. 210 ff.; Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 35; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 8 ff.; Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 1 Rn. 10; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 35 f. 83  Schild, GA 1982, 55 (76). 84  Schmitz, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 244 Rn. 46. 85  Schwind, Kriminologie und Kriminalpolitik, § 28 Rn.1. 86  Staub, Ursachen und Erscheinungsformen bei der Bildung jugendlicher Banden, S. 213. 87  2. Jugendstrafrechtsreform-Kommission der DVJJ, DVJJ-Journal Extra Nr. 5 2002, S. 12. 88  Griego, Möglichkeiten und Grenzen der Entkriminalisierung von Bagatelltaten im Jugendstrafrecht, S. 177.

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

bb) Schwerer Bandendiebstahl § 244a StGB Entgegen der Ansicht des BGH89 ist § 244a StGB nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung nicht auf Jugendliche und Heranwachsende anwendbar.90 Zunächst ist auf die zu den §§ 244 Abs. 1 Nr. 2, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB getroffenen Feststellungen hinzuweisen, welche hier gleichermaßen zum Tragen kommen. Eingeführt wurde der Tatbestand des schweren Bandendiebstahls durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15.07.1992.91 Bei dem Verbrechenstatbestand des § 244a StGB handelt es sich um eine Qualifikation zu § 244 StGB.92 Ziel dieser Norm ist die Bekämpfung der organisierten Kriminalität durch eine erhöhte Abschreckungswirkung wegen der gesteigerten Strafdrohung gegenüber den §§ 243, 244 StGB und durch eine Vorverlagerung der Strafbarkeit gem. § 30 StGB durch die Ausgestaltung als Verbrechenstatbestand.93 Zu der Neuregelung kam es vor dem Hintergrund von „Hehlerringen, die die Verschiebung hochwertiger Kraftfahrzeuge in das Ausland betreiben, dem illegalen Waffenhandel, der Kriminalität im Zusammenhang mit dem ‚Nachtgewerbe‘ und der Schutz­gelderpressung“.94 Allerdings handelt es sich bei Verbrechen der Organisierten Kriminalität und der Delinquenz jugendlicher Gruppen um völlig verschiedene Erscheinungsformen kollektiver Kriminalität. Im Gesetzesentwurf werden Merkmale der Organisierten Kriminalität zusammengefasst: „Unter Organisierter Kriminalität [ist] eine von Gewinnstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten durch mehrere Beteiligte zu verstehen, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig unter Verwendung gewerblicher oder geschäfts­ ähnlicher Strukturen, unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder unter dem Bemühen, auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft Einfluß zu nehmen 89  BGH, Beschluss vom 20.08.1997 – 2 StR 306/97 –, juris; BGH, NStZ-RR 2000, 343 (344); BGH, NStZ 2006, 574 (574); BGH, NStZ 2008, 625 (625 f.). 90  Für eine Berücksichtigung jugendgemäßer Besonderheiten sind auch: Glandien, NStZ 1998, 197 (198); Eisenberg, NStZ 2003, 124 (124); Möller, StraFo 2009, 92 (95); Lehmann-Björnekärr, Der Gruppenbezug jugendlicher Delinquenz, S. 210 ff.; Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, § 244a Rn. 1, 2; Schmitz, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 244a Rn. 2; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 36. 91  BGBl. I 1992 S. 1302. 92  Schmitz, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 244a Rn. 1. 93  BT-Drs. 12/989, S. 1; Möller, StraFo 2009, 92 (93); Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, § 244a Rn. 1. 94  Glandien, NStZ 1998, 197 (198).



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 107

zusammenwirken.“95 Diese mafiösen Strukturen sind bei Jugendbanden im Grundsatz nicht gegeben.96 Ihnen fehlt ein derartiges hohes Maß an Organisation, Planung, Präzision, Qualifikation und Professionalität.97 Aufgrund dessen ist auch der Unrechtsgehalt von Jugendbanden und der Organisierten Kriminalität ein grundverschiedener.98 Auch nach der gesetzgeberischen Intention, welche jedoch im Wortlaut von § 244a StGB nicht zur Geltung kommt, sollen Jugendbanden nicht unter diese Norm fallen.99 Es sollen nicht Gruppen von Straftätern erfasst werden, „die kaum dem Bereich der Organisierten Kriminalität zugerechnet werden können (z. B. Jugendliche, auch Schüler, die bandenmäßig Ladendiebstähle begehen)“.100 Auch in einem weiteren Gesetzgebungsentwurf macht die Legislative deutlich, dass sie gerade im Rahmen des § 244a StGB befürchtet, dass „geringer wiegende Konstellationen einbezogen werden, wie etwa ‚Banden‘ von Jugendlichen“.101 Der Gesetzgeber hat das Wort Bande im Zusammenhang mit Jugendlichen in Anführungszeichen gesetzt, wodurch deutlich wird, dass er Zusammenschlüssen junger Menschen und klassischen Banden einen anderen Sinn beimisst. Zudem ist die Anwendung des § 244a StGB auf Jugendbanden ohne Strukturen der Organisierten Kriminalität unverhältnismäßig. Das volle Spektrum der Ermittlungsbefugnisse gegen die Organisierte Kriminalität auf Jugendbanden anzuwenden, „mutet an wie das Schießen mit Kanonen auf Spat­ zen“.102 cc) Gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und gemeinschaftlicher Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB Die §§ 224 Abs. 1 Nr. 4, 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB knüpfen an eine gemeinschaftliche Tatbegehung an. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB stellt eine Qualifi95  BT-Drs.

12/989, S. 24. StraFo 2009, 92 (95). 97  Lehmann-Björnekärr, Der Gruppenbezug jugendlicher Delinquenz, S. 213. 98  Eisenberg, NStZ 2003, 124 (124); Möller, StraFo 2009, 92 (95); LehmannBjörnekärr, Der Gruppenbezug jugendlicher Delinquenz, S. 211. 99  Glandien, NStZ 1998, 197 (198); Eisenberg, NStZ 2003, 124 (124); Möller, StraFo 2009, 92 (94); Lehmann-Björnekärr, Der Gruppenbezug jugendlicher Delinquenz, S. 208; Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, § 244a Rn. 1; Schmitz, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 244a Rn. 2. 100  BT-Drs. 12/989, S. 25. 101  BT-Drs. 13/8587, S. 64, 66. 102  Möller, StraFo 2009, 92 (94 f.). 96  Möller,

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

kation dar, bei § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB handelt es sich um einen besonders schweren Fall. Das Merkmal „mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich“ ist erfüllt, wenn zwei Beteiligte bewusst zusammenwirken.103 Im Rahmen des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB wird die Unrechtssteigerung des abstrakten Gefährdungsdelikts mit der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit eines gemeinschaftlichen Vorgehens begründet.104 Ebenfalls der Strafschärfung des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB liegt der Gedanke der erhöhten Gefahr zugrunde.105 Wiederum ist dies mit jugendtypischen Besonderheiten nicht zu vereinbaren. Gruppenverhalten ist für junge Menschen im Gegensatz zu Erwachsenen normal, sozialisatorisch notwendig und gerade kein Ausdruck erhöhter krimineller Energie.106 Außerdem ist die Tatbegehung in der Gruppe für junge Menschen bezeichnend. Demgemäß darf dieses jugendtypische Verhalten auch nicht zu einer Unrechtssteigerung führen und so empirischen Erkenntnissen zuwiderlaufen. Eine zwischen jungen und erwachsenen Menschen nicht differenzierende Rechtsanwendung ist unangemessen. Bei den §§ 224 Abs. 1 Nr. 4, 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB handelt es sich um Normen, die „den Status, den Entwicklungsstand und Verhaltensmuster“ junger Menschen mehr betreffen, als dies bei Erwachsenen der Fall ist.107 Damit führt eine einheitliche Anwendung auf Jugendliche bzw. Heranwachsende und Erwachsene zu einer Schlechterstellung junger Menschen.108 Beide Konstellationen führen auch im Jugendstrafrecht zumindest zu einer mittelbaren Strafschärfung. Solche dem Erziehungsgedanken zuwiderlaufende und der positiven Spezialprävention abträgliche Stigmatisierungen müssen aber vermieden werden. Im Rahmen des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB ist außerdem fraglich, ob tatsächlich von einer Gefahrerhöhung für die Polizeibeamten ausgegangen werden kann. Denn meist stehen sich mehrere Polizeibeamte und mehrere Privatpersonen gegenüber, sodass kein Kräfteungleichgewicht zu Lasten der Polizei vorliegt.109 Vielmehr besteht ein Machtgefälle zwischen den mit rechtlichen Eingriffskompetenzen ausgestatteten Polizeibeamten und den zur 103  Fischer, Strafgesetzbuch, § 224 Rn. 23; Dallmeyer, in: Heintschel-Heinegg, BeckOKStGB, § 113 Rn. 31. 104  Hardtung, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 224 Rn. 36 f. 105  BT-Drs. 18/11161, S. 12. 106  Ebenso: Puschke/Fett, ZJJ 2022, 92 (95). 107  Eisenberg, ZJJ 2018, 33 (35). 108  Eisenberg, ZJJ 2018, 33 (35); Puschke/Fett, ZJJ 2022, 92 (95). 109  Dallmeyer, in: von Heintschel-Heinegg, BeckOKStGB, § 113 Rn. 31; Puschke/ Fett, ZJJ 2022, 92 (95).



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 109

Duldung bzw. Folgeleistung verpflichteten jugendlichen Bürgern.110 Die Beamten sind zudem ausgebildet, ausgerüstet und konflikterfahren.111 Der im Jugendstrafrecht besonders wichtige Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erscheint tangiert. Die dritte Voraussetzung der jugendgemäßen Auslegung ist nur hinsichtlich § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB zu prüfen, der durch das 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 23.05.2017112, mithin nach dem 13.12.2007 eingeführt wurde. Die Durchsicht der zentralen Gesetzgebungsmaterialien hat ergeben, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich der Übertragbarkeitsprobleme dieser Norm des allgemeinen Strafrechts auf Jugendliche und Heranwachsende wie so oft keine Gedanken gemacht hat.113 Nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung sind die §§ 224 Abs. 1 Nr. 4, 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden nicht anwendbar.114 dd) Die Mittäterschaft § 25 Abs. 2 StGB Die Mittäterschaft ist „keine besondere Form der Täterschaft, sondern eine Form der Zurechnung fremden Handelns“.115 Mittäterschaft ist dann gegeben, wenn mehrere gemeinschaftlich dieselbe Straftat als Täter begehen, wobei nicht jeder von ihnen alle Tatbestandsmerkmale erfüllen muss.116 Ob die Voraussetzungen der Mittäterschaft bei einem Täter vorliegen, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung festzustellen.117 „Wesentliche An­ haltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein.“118 Die Voraussetzungen der Mittäterschaft müssen jugendgemäß restriktiv ausgelegt werden.119 Zunächst wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich junge Menschen häufiger in Gruppen und damit auch zu zweit aufhalten als ZJJ 2022, 92 (93). ZJJ 2022, 92 (93). 112  BGBl. I 2017 S. 1226. 113  BT-Drs. 18/11161, S. 12; BT-Drs. 18/12153; ebenso: Eisenberg, ZJJ 2018, 33 (34); Puschke/Fett, ZJJ 2022, 92 (97). 114  Eisenberg, ZJJ 2018, 33 (35); ausführlich zu einer jugendgemäßen Anwendung der §§ 113 ff. StGB Puschke/Fett, ZJJ 2022, 92 (92 ff.). 115  Fischer, Strafgesetzbuch, § 25 Rn. 24. 116  Fischer, Strafgesetzbuch, § 25 Rn. 24. 117  Fischer, Strafgesetzbuch, § 25 Rn. 25. 118  BGH, NStZ 1991, 280 (281). 119  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 34. 110  Puschke/Fett, 111  Puschke/Fett,

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

Erwachsene, sodass sie aufgrund ihres jugendcharakteristischen Verhaltens eher mit dem Vorwurf der Mittäterschaft konfrontiert werden. Auch die vermehrt im Jugendalter wirkenden gruppendynamischen Prozesse zwingen zu einer sehr genauen und restriktiven Prüfung der Voraussetzungen der Mit­ täterschaft gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden. Denn gruppen­ dynamische Prozesse können Folgen nach sich ziehen, die nicht auf dem Willensentschluss des Einzelnen beruhen.120 Dann kann aber wohl nicht mehr von einem vorliegenden Tatinteresse oder sogar Tatherrschaftswillen ausgegangen werden. Diesbezüglich ist außerdem zu beachten, dass junge Menschen Situationen oftmals anders wahrnehmen und bewerten als Erwachsene.121 Um wiederum den aufgestellten Leitlinien gerecht zu werden, müssen die vorgenannten jugendtypischen Gesichtspunkte im Rahmen der vorzunehmenden umfassenden Gesamtwürdigung bei der Prüfung des Tat­ interesses und des Tatherrschaftswillens beachtet werden. 3. Scheinwaffenproblematik im Rahmen der §§ 244 Abs. 1 Nr. 1b, 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB a) Allgemeine Kritikpunkte Im allgemeinen Strafrecht erfüllt das Beisichführen einer Scheinwaffe in Gebrauchsabsicht die Qualifikationstatbestände der §§ 244 Abs. 1 Nr. 1b, 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB. Scheinwaffen sind Gegenstände, von denen keine „objektive Gefahr für Leib oder Leben ausgeht, die jedoch bei ihrer Verwendung durch den Täter eine […] vergleichbare Bedrohungswirkung“ wie Waffen oder gefährliche Werkzeuge für das Opfer mit sich bringen.122 Das ist auf erhebliche Kritik gestoßen.123 Anknüpfungspunkt für die Strafschärfung im Zusammenhang mit der Scheinwaffenproblematik ist nicht die objektive Gefährlichkeit des Tatmittels, sondern vielmehr die Einschüchterungs- und Bedrohungswirkung auf der Opferseite.124 Trotzdem verlangt die Rechtsprechung nicht einmal, dass das Opfer auf die Täuschung hineinfällt.125 Insoweit verbleibt dann nur noch die böse Absicht des Täters als Fundament für die Strafschärfung.126 Diesbezüglich stellt sich bereits die Frage, ob tatsächlich von einem gesteigerten verbrecherischen Willen ausgeNJW 1980, 1880 (1880). Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 34. 122  Fischer, Strafgesetzbuch, § 250 Rn. 10. 123  Ausführlich hierzu: Küper, JuS 1976, 645; Eser, JZ 1981, 761. 124  Fischer, Strafgesetzbuch, § 250 Rn. 10. 125  Herzog, StV 1990, 547 (547). 126  Herzog, StV 1990, 547 (547). 120  Schumacher,

121  Eisenberg/Kölbel,



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 111

gangen werden kann oder ob der Gebrauch einer Scheinwaffe nicht vielmehr Ausdruck von Skrupel ist und zeigt, dass der Täter Verletzungen letztlich doch vermeiden möchte.127 Eine Gleichstellung mit den anderen Tatvarianten der §§ 244 Abs. 1, 250 Abs. 1 StGB ist besonders deshalb problematisch, weil der Täter sein Opfer nur täuschen, nicht aber gefährden will.128 Es ist nicht nachvollziehbar, wie die Bedrohung mit einer Scheinwaffe mit der tatsächlichen Herbeiführung der konkreten Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung nach § 250 Abs. 1 Nr. 1c im Strafmaß gleichgesetzt werden kann.129 Zudem enthalten bereits die Grundtatbestände §§ 249, 252, 255 StGB das Tatbestandsmerkmal der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, worüber die objektiv leere Drohung mit einer Scheinwaffe nicht hinausgeht.130 Schein-untaugliche Sachen können die Qualifikation nach der Rechtsprechung des BGH hingegen nicht begründen. Das sind Gegenstände, die offensichtlich ungefährlich sind, deren Täuschungseffekt also nicht im Erscheinungsbild des Gegenstandes selbst liegt, sondern im Schauspieltalent des Täters.131 Auch diese Vorgaben bereiten erhebliche Schwierigkeiten, denn es ist gerade das Wesen der Scheinwaffe, dass die Einschüchterungs- und Bedrohungswirkung durch Täuschung hervorgerufen wird.132 Würde beispielsweise das Opfer eine Spielzeugpistole als solche erkennen, entfällt damit auch die Bedrohungswirkung.133 Außerdem ist die Rechtsprechung zur Scheinwaffenthematik inkonsistent.134 Der BGH hat angemerkt, dass ein Metallgegenstand, der sich wie der Lauf einer Schusswaffe anfühlt und an das Genick des Opfers gehalten wird, eine Scheinwaffe darstellt135, während er in einer anderen Entscheidung ein Metallrohr, das dem Opfer an den Hals gehalten wird, als Schein-untaugliche Sache einordnet.136 Ein Labello wird als ungeeignete Scheinwaffe deklariert137, während ein silbern bemaltes Theatermesser oder eine aus Brot geformte Pistolenattrappe unter die Definition der Scheinwaffe subsumiert StV 1990, 547 (547). JZ 1981, 761 (766); Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, § 244 Rn. 28. 129  Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, § 244 Rn. 28. 130  Küper, NStZ 1982, 28 (29); Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, § 244 Rn. 28. 131  Lesch, StV 1999, 92 (93); Fischer, Strafgesetzbuch, § 250 Rn. 10a. 132  Lesch, StV 1999, 92 (94); Fischer, Strafgesetzbuch, § 250 Rn. 11c. 133  Fischer, Strafgesetzbuch, § 250 Rn. 11c. 134  Hohmann, NStZ 1997, 185 (186); Fischer, Strafgesetzbuch, § 250 Rn. 11 ff. 135  BGH, NStZ 1992, 129 (129). 136  BGH, NStZ 2007, 332 (333 f. Rn. 8). 137  BGH, NStZ 1997, 184 (184). 127  Herzog, 128  Eser,

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werden.138 Fischer kritisiert zu recht: „Weil aber der BGH – bei Betrachtung dieser Gegenstände – meint, die Furcht vor einem Lippenpflegestift (den man nicht sieht und daher für ein Messer oder eine Pistolenmündung hält), sei noch weniger gerechtfertigt als die vor dem Pappmesser und der Brotpistole (auch wenn man diese ebenfalls nicht sieht), wird die Drohung mit ersterem mindestens mit einem Jahr, die mit letzterem mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet, obgleich sowohl der Gefährdungsgrad als auch der subjektive Bedrohtheitsgrad völlig identisch sind. Wenn die Pistole aus Brot ersetzt wird durch eine hellgrün durchsichtige Wasserpistole, die dem Opfer in den Rücken gepresst wird, gilt die ‚Labello‘-Regel. Ist die Wasserpistole schwarz und sieht ‚echt‘ aus, gilt sie nicht. All das ist ungerecht und willkürlich.“139 b) Verschärfte Problemstellung im Jugendstrafrecht Die bereits im Erwachsenenstrafrecht vorgebrachten Kritikpunkte und Widersprüchlichkeiten potenzieren sich gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden. Bei jungen Menschen muss die Annahme eines gesteigerten verbrecherischen Willens noch zurückhaltender als im Erwachsenenstrafrecht erfolgen. Nach dem aufgestellten Kriterienkatalog sind ein ausgeprägtes Experimentierverhalten, aber auch Leichtsinn und Unüberlegtheit charakteristisch für die jugendliche Lebensphase. Mit Scheinwaffen setzen Jugendliche und Heranwachsende „lediglich die vielfache Spielübung aus Kindestagen“ fort.140 Sie verwenden beispielsweise Spielzeugpistolen eher unbedarft, unreflektiert und spielerisch, während sich Erwachsene der bedrohenden Wirkung wohl stärker bewusst sind. Aufgrund dieser empirischen Erkenntnisse ist das Unrecht der Tat bei jungen Menschen im Vergleich zu Erwachsenen gemindert und der Grund für die Strafschärfung entfällt im Jugendstrafrecht. Zudem wird die Scheinwaffenproblematik bei Jugendlichen und Heranwachsenden wegen ihrer jugendtypischen spielerischen Verhaltensweisen eher relevant als bei Erwachsenen, weshalb sie wiederum eine größere Nähe zum Regelungsbereich der §§ 244 Abs. 1 Nr. 1b, 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB aufweisen. Das Schlechterstellungsverbot streitet demnach für eine Nichtanwendbarkeit dieser Normen auf die Scheinwaffenfälle im Jugendstrafrecht. So können auch unnötige und abträgliche Stigmatisierungen vermieden werden, was dem Grundsatz der positiven Spezialprävention dient. Außerdem ist die widersprüchliche und ungerechte Handhabung der Rechtsprechung gerade gegenüber jungen Menschen schädStrafgesetzbuch, § 250 Rn. 11a. Strafgesetzbuch, § 250 Rn. 11a. 140  Ostendorf, in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (333). 138  Fischer, 139  Fischer,



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 113

lich. Sie kann zu Unverständnis und damit zu mit dem Erziehungsgedanken und dem Grundsatz der positiven Spezialprävention nicht zu vereinbarenden dysfunktionalen Wirkungen führen. Der Gesetzgeber selbst hat – ohne ein Wort über das Jugendstrafrecht zu verlieren – zumindest in Bezug auf das Erwachsenenstrafrecht darauf hingewiesen, dass ein einschränkender Ansatz hinsichtlich der Scheinwaffenpro­ blematik verfolgt werden soll.141 Dieser restriktive Ausgangspunkt soll nach hier vertretener Ansicht für Jugendliche und Heranwachsende erweitert werden. Demzufolge sind die §§ 244 Abs. 1 Nr. 1b, 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB für die Fallgruppe der Scheinwaffen zugunsten Jugendlicher und Heranwachsender jugendgemäß auszulegen und in diesen Fällen nicht einschlägig. 4. Der Gewaltbegriff am Beispiel der §§ 249, 255 StGB a) Der Gewaltbegriff im allgemeinen Strafrecht Gewalt gegen eine Person im Sinne der §§ 249, 255 StGB ist jeder körperlich wirkende Zwang zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands.142 Entscheidend ist damit nicht die vom Täter eingesetzte Körperkraft, sondern die beim Opfer eintretende physische Zwangswirkung.143 Die Schwelle zur Gewaltverwirklichung ist damit recht niedrig angesetzt. Der BGH lässt bereits das Sprühen von Deodorant-Flüssigkeit in das Gesicht genügen144, genauso wie das Wegschieben der Hand eines Sterbenden von seiner Hosentasche145. Auch die Drohung mit einer Schusswaffe soll ausreichen.146 Zudem der überraschende Zugriff auf eine Handtasche147 und das Wegreißen eines Rucksacks148. b) Restriktive Handhabung bei jungen Menschen Durch eine jugendgemäße Auslegung sollen die Anforderungen an die einzusetzende Körperkraft und damit die Schwelle der Gewaltverwirklichung 141  BT-Drs.

13/9064, S. 18. in: von Heintschel-Heinegg, BeckOKStGB, § 249 Rn. 6, § 255 Rn. 2. 143  Sander, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 249 Rn. 13, § 255 Rn. 4; zusammenfassende Darstellung der Entwicklung des Gewaltbegriffs bei Fischer, Strafgesetzbuch, § 240 Rn. 10 ff. 144  BGH, NStZ 2003, 89 (89). 145  BGH, NJW 1962, 356 (356). 146  BGH, NJW 1970, 61 (62). 147  BGH, NJW 1963, 1210 (1211). 148  BGH, BeckRS 2015, 2826. 142  Wittig,

114

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

für Jugendliche und Heranwachsende angehoben werden. Aktive Verhaltensmuster und damit einhergehend eine sportliche Begehungsweise sind für Jugendliche und Heranwachsende gerade charakteristisch.149 Dementsprechend findet sich dieser Umstand auch im Kriterienkatalog zur Unterscheidung „typisch jugendlichen“ und „typisch erwachsenen“ Verhaltens. Somit ist eine ausreichende empirisch-kriminologische Grundlage gegeben. Das natürliche Verhalten junger Menschen lässt diese den Gewaltbegriff des allgemeinen Strafrechts leichter erfüllen als Erwachsene. Um dieser erneuten Schlechterstellung durch das allgemeine Strafrecht entgegenzuwirken, ist eine jugendgemäße Auslegung des Gewaltbegriffs angezeigt. Auch der Begrenzungscharakter des Erziehungsgedankens und seine Forderung nach einem evidenzbasierten Jugendstrafrecht verlangen, dass jugendtypische Besonderheiten beachtet werden. Erneut sind Stigmatisierungen entsprechend dem Grundsatz der positiven Spezialprävention zu vermeiden. So ist die zumindest mittelbar wirkende Strafschärfung der §§ 249, 255 StGB als Qualifikationen zu den §§ 242, 253 StGB im Jugendstrafrecht nur gerechtfertigt, wenn erhöhte Anforderungen an den Gewaltbegriff gestellt werden. Demzufolge erfordert eine jugendgemäße Auslegung für die Verwirklichung der Gewalt gegen eine Person bei jungen Tätern ein gewisses Maß an einzusetzender Körperkraft. Ein nur sportliches, flinkes Vorgehen, das beim Opfer aber dennoch eine körperliche Zwangswirkung auslöst, kann nicht genügen. Nötig ist vielmehr eine deutliche Kraftentfaltung, die über das jugendtypische Maß hinausgeht. Zudem ist der Gewaltbegriff für jugendtypische Auseinandersetzungen unter Gleichaltrigen einschränkend auszulegen. Körperliche Auseinandersetzungen werden im Kindesalter als alterstypische Raufereien akzeptiert. Vor diesem Hintergrund erscheint es für Jugendliche und Heranwachsende schwer nachvollziehbar und ihnen auch schwer vermittelbar, dass diese Raufereien mit dem Älterwerden ohne Übergangszeit zu einer Gewalt gegen eine Person werden.150 Die gewaltsame Wegnahme von Gegenständen auf Spielplätzen oder Sportplätzen unter jungen Menschen, beispielsweise die Wegnahme von Bekleidungsgegenständen unter rivalisierenden Fußballfangruppen, erfüllen zwar formal den Tatbestand des § 249 StGB, diese alterstypischen Verhaltensweisen stellen aber oftmals keine Tatbestandsverwirklichung im Sinne der ratio legis dar.151 Der Handlungsunwert bei derartigen jugendtypischen Verhaltensweisen ist deutlich niedriger als bei Erwachsenen und vermag die Einordnung unter den Qualifikationstatbestand nicht zu rechtfertigen.152 „Ein in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (333). DRiZ 2006, 120 (120). 151  Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 92. 152  Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 92. 149  Ostendorf,

150  Eisenberg,



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 115

und dasselbe Vorgehen kann bei Jugendlichen etwas völlig anderes bedeuten als bei Erwachsenen.“153 Wenn Taten aus einem kindlichen, spielerischen Verhalten resultieren und unter annähernd Gleichaltrigen stattfinden, ist eine restriktive jugendgemäße Auslegung des Gewaltbegriffs angezeigt und derartige Verhaltensweisen sind aus dem Qualifikationstatbestand auszunehmen. 5. Der Begriff der Drohung am Beispiel des § 241 StGB a) Der Bedrohungstatbestand im allgemeinen Strafrecht Das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.03.2021154 beinhaltet erhebliche Strafschärfungen hinsichtlich des § 241 StGB. Diese treffen Jugendliche und Heranwachsende über § 2 Abs. 2 JGG ebenso hart wie Erwachsene. Bisher war der Tatbestand auf die Bedrohung mit einem Verbrechen beschränkt. Diese Variante findet sich nun in § 241 Abs. 2 StGB. Dabei wurde der Strafrahmen verschärft. Neu eingefügt wurde § 241 Abs. 1 StGB, wonach auch vom Tatbestand erfasst ist, „wer einen Menschen mit der Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert bedroht“. Schließlich wurde mit § 241 Abs. 4 StGB ein Qualifikationstatbestand hinzugefügt. Geschütztes Rechtsgut im Rahmen des Bedrohungstatbestands ist der individuelle Rechtsfrieden.155 Da es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, ist eine messbare Störung des Rechtsfriedens des konkreten Opfers nicht nötig. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Äußerung objektiv geeignet ist, den persönlichen Rechtsfrieden einer Durchschnittsperson zu beeinträchtigen.156 Erforderlich ist eine sorgfältige Einzelfallprüfung unter Einbeziehung der Gesamtumstände auf objektiver Basis.157 Zu beachten sind dabei die Eigenarten der beteiligten Personen, die zwischen ihnen bestehende Beziehung und der übliche Umgangston, aber auch die Formulierung, der Ort, der Zeitpunkt und der Anlass der Äußerung.158 Unter den Bedrohungstatbestand des § 241 Abs. 1 und Abs. 2 StGB fallen demnach keine Handlungen in: Sieverts, Handwörterbuch der Kriminologie, S. 455 (459). 2021 S. 441. 155  BT-Drs. 19/17741, S. 37. 156  Satzger, Jura 2015, 156 (156). 157  AG Saalfeld, NStZ-RR 2004, 264 (264); AG Rudolstadt, NStZ-RR 2012, 341 (342); Satzger, Jura 2015, 156 (159). 158  AG Saalfeld, NStZ-RR 2004, 264 (264); AG Rudolstadt, NStZ-RR 2012, 341 (342); Satzger, Jura 2015, 156 (159). 153  Peters,

154  BGBl. I

116

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

und Äußerungen, die zwar nach ihrem äußeren Erscheinungsbild den Anschein einer Bedrohung machen, „die aber nach ihrer konkreten Erscheinungsform und den individuellen Gegebenheiten unter besonderer Berücksichtigung der handelnden Personen nicht die Besorgnis zu rechtfertigen vermögen, dass ein ‚normal‘ empfindender Mensch durch sie ernstlich be­ unruhigt und die Ankündigung von ihm als rechtsfriedensstörend empfunden werden könnte.“159 b) Jugendgemäße Ausformung des Bedrohungstatbestands Im Rahmen der erläuterten Gesamtbetrachtung sind bei der Subsumtion im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht unterschiedliche Maßstäbe anzulegen. Hinsichtlich der erforderlichen empirisch-kriminologischen Grundlage ist anzuführen, dass junge Menschen einen anderen Umgangston als Erwachsene pflegen, vor allem gegenüber Gleichaltrigen, aber auch gegenüber Erwachsenen. Oftmals beherrschen „prahlerische, großmäulige Redensarten“ das Geschehen, die „jugendtümlicher Groß- und Wichtigtuerei“ entspringen.160 Es stellt ein spezifisches Verhalten junger Menschen dar, verbal über die Stränge zu schlagen und emotional zu entgleisen.161 Zudem bleiben die Aggressionen meist rein verbaler Natur.162 Unangemessene Ausdrucksformen finden sich daher auch im entwickelten Kriterienkatalog als jugendtypisches Merkmal wieder. Ebenfalls charakteristisch sind eine ausgeprägte Emotionalität und Impulsivität, welche selbstverständlich auch die Kommunikation prägen. Somit sind unangemessene sprachliche Entgleisungen Ausdruck jugendlichen Übermuts und damit der jugendlichen Entwicklungsphase.163 Diese empirischen Erkenntnisse müssen auf normativer Ebene umgesetzt werden, da entwicklungsbedingt normalem Verhalten nicht der Stempel des

159  AG

(342).

Saalfeld, NStZ-RR 2004, 264 (264); AG Rudolstadt, NStZ-RR 2012, 341

160  AG Saalfeld, NStZ-RR 2004, 264 (264); ebenso: AG Rudolstadt, NStZ-RR 2012, 341 (342); Satzger, Jura 2015, 156 (159); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 34; Eisele, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 241 Rn. 4; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 10; Zimmermann, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, AnwaltKommentar StGB, § 241 Rn. 3; Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 1 Rn. 10; Fischer, Strafgesetzbuch, § 241 Rn. 5; Valerius, in: von Heintschel-Heinegg, BeckOKStGB, § 241 Rn. 6.2. 161  Rentzel-Rothe, DVJJ-Journal 2000, 191 (192); AG Rudolstadt, NStZ-RR 2012, 341 (342). 162  Rentzel-Rothe, DVJJ-Journal 2000, 191 (192); Eisenberg, DRiZ 2006, 120 (120). 163  AG Saalfeld, NStZ-RR 2004, 264 (264).



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 117

kriminellen Unrechts aufgedrückt werden darf.164 Das für Jugendliche und Heranwachsende charakteristische Verhalten weist erneut eine größere Nähe zum normrelevanten Bereich auf als das für Erwachsene typische Verhalten. Somit ist vor dem Hintergrund des Schlechterstellungsverbots eine jugendgemäße Auslegung angezeigt. Zudem erwecken Äußerungen junger Menschen aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsbetrachters weniger den Eindruck der Ernstlichkeit als Äußerungen Erwachsener. Sie führen eher zu einer Belästigung als zu einer Bedrohung.165 Verschärft wird die Problematik zusätzlich durch die gesetzliche Neuregelung mit den beschriebenen Strafschärfungen. Diesem Umstand muss in erzieherisch und positiv spezialpräventiv sinnvoller Weise Rechnung getragen werden. Demgemäß ist es besonders wichtig, eine dysfunktionale Norminterpretation durch den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung zu vermeiden. Nach einer jugendgemäßen Auslegung erfüllen die beschriebenen jugendtypischen Verhaltensweisen nicht den Tatbestand des § 241 StGB. Selbst der Gesetzgeber stellt fest, dass „bloße Prahlereien, jugendtypische Wichtigtuereien und nicht ernstzunehmende Großspurigkeiten“ den Tatbestand nicht erfüllen.166 Außerdem wird auf die „Gefahr einer nicht gewünschten Ausuferung der Strafbarkeit von Alltagsäußerungen und Alltagskonflikten“ wie zum Beispiel unter Jugendlichen hingewiesen.167 Äußerungen wie „ ‚Ich knall dir eine‘ […] werden sich durch drohende strafrechtliche Ahndung nicht verhindern lassen, indes zu einer noch weitergehenden Überlastung der Strafverfolgungsbehörden und -justiz führen. Sie werden unfreiwillig außerdem zum unzutreffenden Narrativ vermeintlich kaum beherrschbarer Kriminalitätszunahme gerade auch im Jugendbereich beitragen, die in Wahrheit nur das Resultat der Ausweitung normativer Strafbarkeit durch den Gesetzgeber wäre.“168 Allerdings werden diese Aspekte bezüglich der jugendlichen Lebensphase im Wortlaut konsequent ausgeblendet. Der hier vertretenen Sichtweise entsprechen die folgenden Beispiele aus der Rechtsprechung: Das AG Saalfeld stellte bei einer Äußerung eines Schülers gegenüber seinem Mitschüler nach einer Rangelei, er wisse, wo er wohne und werde mit seinen Kumpels dort vorbeikommen und ihn totschlagen, zutreffend fest: „Prahlerische, großmäulige Redensarten aus jugendtümlicher Groß- und Wichtigtuerei, die unter Berücksichtigung des Gesamtgeschehens von vorn164  AG

Saalfeld, NStZ-RR 2004, 264 (264). Rudolstadt, NStZ-RR 2012, 341 (342). 166  BT-Drs. 19/18470, S. 27. 167  BT-Drs. 19/20163, S. 31 f. 168  BT-Drs. 19/20163, S. 32. 165  AG

118

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

herein nicht als objektiv ernst zu nehmende Verbrechensandrohung angesehen werden können, unterfallen nicht dem Tatbestand des § 241 I StGB.“169 Auch die in momentaner Erregung ausgesprochenen Worte „Ich schlag’ Dich tot!“ eines Jugendlichen gegenüber einer Erzieherin bewertete das AG Rudolstadt zutreffend nicht als Bedrohung im Sinne des § 241 Abs. 1 StGB. Es handelt sich wiederum nur um eine großmäulige jugendtypische Redensart, die der durch Zorn aufgeladenen Situation entsprang.170 6. Jugendgemäße Auslegung der Bagatellkriminalität am Beispiel des Schwarzfahrens Zunächst soll darauf eingegangen werden, warum es generell lohnend ist, im Wege einer jugendgemäßen Auslegung eine Entkriminalisierung im Bereich der Bagatellkriminalität zu erreichen. Im Anschluss wird die jugendgemäße Auslegung des Schwarzfahrens erörtert. Dabei ist stets im Blick zu haben, dass es nirgends steht „und in einer demokratischen Gesellschaft immer wieder neu überdacht und ausgehandelt werden“ muss, „welche Regelverstöße so schwer wiegen, dass man sie zu einer Straftat hochstufen muss oder immerhin darf“.171 Eine Gesellschaft muss sich immer wieder fragen: „Ist in unseren Augen noch immer all das besonders schlimm, was unsere Straftatbestände erfassen? Oder ist es an der Zeit, einen bestimmten Tatbestand zu streichen“172 oder zumindest an die empirischen Erkenntnisse angepasst auszulegen und anzuwenden? a) Zielvorgabe: Entkriminalisierung im Bereich der Bagatellkriminalität Im Hinblick auf die besondere Entwicklungsphase junger Menschen und gemessen an der geringen Schwere der Schädigung gesellschaftlicher und privater Werte im Bereich der Bagatellkriminalität ist es nicht nur zu verantworten, sondern vielmehr anzustreben, dass auf Straftaten Jugendlicher und Heranwachsender zurückhaltend reagiert wird.173 Im Jugendalter ist, wie bereits dargelegt, Delinquenz ubiquitär, normal und nur episodenhaft, was auf Straftaten im Bagatellbereich besonders zutrifft.174 Jugendliche und Heranwachsende sind demgemäß im Bereich der Bagatellstraftaten statistisch über169  AG

Saalfeld, NStZ-RR 2004, 264 (264). Rudolstadt, NStZ-RR 2012, 341 (342). 171  Walter, JA 2013, 727 (728). 172  Walter, JA 2013, 727 (729). 173  Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (449). 174  Siehe hierzu ausführlich S. 40 ff. 170  AG



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 119

repräsentiert.175 Damit einhergehend sind sie staatlichen Intervention häufiger ausgesetzt als Erwachsene.176 Unter dem Punkt Abmilderung dysfunktionaler Interventionen durch eine jugendgemäße Auslegung wurde bereits dar­gestellt, dass strafrechtliche Interventionen die Gefahr in sich bergen, die Spontan­ remission Jugendlicher und Heranwachsender zu verhindern. Besonders hervorzuheben sind dabei negative Etikettierungsfolgen.177 In Anbetracht dessen ist eine Entkriminalisierung im Bagatellbereich erstrebenswert. Zu viele Verbote, insbesondere im Bagatellbereich, wirken ferner kontraproduktiv. Sie stiften Verwirrung, die einzelne Norm verliert an Bedeutung und die Verbote fordern den nach Freiheitsdrang strebenden Menschen gerade zu Normbrüchen heraus.178 Im Besonderen gilt das für junge Menschen. Wie gezeigt stehen sie in dieser besonderen Lebensphase Erwartungshaltungen aus der Erwachsenenwelt grundsätzlich ablehnend gegenüber, wollen ihre Grenzen austesten und über die Stränge schlagen.179 Singuläre Bestrafungen wirken besonders dann dysfunktional, wenn bei Massendelikten kaum jemand entdeckt und bestraft wird. Die ausnahmsweise doch entdeckten und bestraften Jugendlichen und Heranwachsenden zeigen dann Unverständnis hinsichtlich ihrer besonderen Behandlung.180 Außerdem sollten wir „die Strafbarkeitsschraube auch immer wieder, immer mehr zurückdrehen, wenn diese Schraube nicht überdreht werden soll, um sie in wirklichen Notfällen einer defense sociale anziehen zu können.“181 Daher muss sichergestellt werden, dass nicht bloße „Kinkerlitzchen“ die personellen Ressourcen der Verfolgungsinstanzen überbelasten.182 Es müssen vielmehr bei den begrenzten Kapazitäten, Prioritäten gesetzt werden.183 Zudem wird „die besondere Appellationskraft des Strafrechts […] verspielt, wenn auf jugendtypische und Bagatellsachverhalte mit der schärfsten Form ZJJ 2020, 365 (366). ZJJ 2020, 365 (366). 177  Siehe hierzu ausführlich S. 47 ff. 178  Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (196). 179  Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (196). 180  Ostendorf, in: BMJ, Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, S. 325 (336). 181  Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (205). 182  Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (438); Walter, NStZ 1992, 470 (474). 183  Herriger, in: Brusten/Herriger/Malinowski, Entkriminalisierung, S.  1 (19); Trenczek, ZRP 1993, 184 (184); Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (439); Kräupl, in: Küper, FS Stree/Wessels, S. 913 (925). 175  Fett, 176  Fett,

120

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

sozialer Kontrolle reagiert wird“.184 Das „scharfe Schwert“ des Strafrechts sollte nicht durch Gewöhnungseffekte abgestumpft werden.185 Eine Entkriminalisierung verstärkt weiterhin die Selbstjustiz nicht, sondern hat im Gegenteil eine beruhigende Wirkung durch einen realistischen Blick auf die Kriminalitätsbedrohung.186 Außerdem ist eine Akzeptanz für eine Entkriminalisierung ausgewählter Bagatellkriminalität in der Bevölkerung vorhanden.187 b) Jugendgemäße Auslegung des Schwarzfahrens Nach dem Einheitsmodell wird Schwarzfahren durch Jugendliche bzw. Heranwachsende über § 2 Abs. 2 JGG gem. § 265a Abs. 1 Var. 3 StGB als Erschleichen von Leistungen strafrechtlich erfasst. Danach macht sich strafbar, wer „die Beförderung durch ein Verkehrsmittel […] in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten“. In der Rechtsprechung wird angenommen, dass es für das Tatbestandsmerkmal des Erschleichens genügt, dass sich der Täter während der unbefugten Inanspruchnahme der Beförderungsleistung „mit dem Anschein der Ordnungsgemäßheit umgibt“.188 In Bezug auf das Erwachsenenstrafrecht hat das BVerfG entschieden, dass die „Überlistung einer Kontrollmöglichkeit“ oder eine „täuschungsähnliche Manipulation“ verfassungsrechtlich nicht nötig sei.189 Im Jugendstrafrecht müssen andere Maßstäbe bezüglich des Tatbestandsmerkmals Erschleichen angelegt werden. Nach dem jugendspezifischen teleologischen Trennungsmodell kann das bloße „Sichumgeben mit dem Anschein der Ordnungsgemäßheit“ für die Annahme eines Erschleichens nicht ausreichen. Es ist vielmehr das Erlangen der „Beförderung durch manipulatives Einwirken auf, Umgehen von oder Ausschalten von Sicherungseinrichtungen […], die gerade die Entrichtung des Entgelts sicherstellen sollen“ nötig.190 Das „bloße Ausnutzen freien Zugangs oder ungesicherter Verfügbarkeit der Leistung“, also das schlichte Schwarzfahren, genügt nicht zur Tatbestandsverwirklichung.191 ZRP 1993, 184 (184 f.). in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (447). 186  Trenczek, ZRP 1993, 184 (189). 187  Trenczek, ZRP 1993, 184 (189). 188  BGH, NStZ 2009, 211 (212 Rn. 13). 189  BVerfG, NJW 1998, 1135 (1136). 190  Fischer, Strafgesetzbuch, § 265a Rn. 20. 191  Fischer, Strafgesetzbuch, § 265a Rn. 20; ebenso Alwart, JZ 1986, 563 (568); Albrecht, NStZ 1988, 222 (223); Albrecht, Rechtsgüterschutz durch Entkriminalisie184  Trenczek,

185  Viehmann,



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 121

aa) Allgemeine Argumente für eine restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals „erschleichen“ Der Tatbestand der Leistungserschleichung stammt aus einer Zeit, in der Zugangskontrollen üblich waren.192 Der Gesetzgeber hatte dementsprechend bei dem Tatbestandsmerkmal des Erschleichens das Umgehen von Kontrollen im Blick.193 Heute fehlt es hingegen im öffentlichen Personennahverkehr an Zugangskontrollen vor Betreten des Beförderungsmittels, es werden nur stichprobenartige Kontrollen während der Fahrt durchgeführt. Das Schweigen des Gesetzgebers auf die veränderten tatsächlichen Lebensverhältnisse kann nicht ohne weiteres so gedeutet werden, dass sich die ursprüngliche Zielrichtung geändert und den neuen Umständen angepasst hat.194 Um sicherzustellen, dass tatsächlich eine strafwürdige kriminelle Energie gegeben ist, wie sie der historische Gesetzgeber verlangt, muss das Tatbestandsmerkmal im hier vertretenen Sinne ausgelegt werden.195 Dem entspricht, dass das einfache Schwarzfahren einen geringeren Unrechtsgehalt aufweist als ein solches unter Umgehung von Schutzvorrichtungen.196 Zudem ist anzuführen, dass der Tatbestand des § 265a StGB zweierlei erfordert: zum einen die Zahlungsunwilligkeit und zum anderen die Handlung des Erschleichens.197 Indem man für das Merkmal des Erschleichens das Umgeben mit dem Anschein der Ordnungsgemäßheit genügen lässt und auf das Erfordernis des manipulativen Einwirkens auf, Umgehens von oder Ausschaltens von Sicherungseinrichtungen verzichtet, wird eine Handlungsbeschreibung aufgegeben und das Tatbestandsmerkmal verliert seine Begrenzungsfunktion. Da sich der Schwarzfahrer nach außen hin nicht von anderen Fahrgästen unterscheidet, wird das Erschleichen auf die bloße unentgeltliche Inanspruchnahme der Beförderungsleistung reduziert und hat keine eigenrung, S. 60; Schall, JR 1992, 1 (3); Eyers, Die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens in den sog. „Einmalfällen“, S. 43; Ellbogen, JuS 2005, 20 (21); Exner, JuS 2009, 990 (992); Putzke/Putzke, JuS 2012, 500 (502); Lorenz/Sebastian, KriPoZ 2017, 352 (353); Mosbacher, NJW 2018, 1069 (1070); Hefendehl, in: Joecks/Miebach, MüKo­ StGB, § 265a Rn. 122 ff. 192  Alwart, JZ 1986, 563 (566); Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (455); Albrecht, KritV 1996, 330 (338). 193  Fischer, NJW 1988, 1828 (1829); Exner, JuS 2009, 990 (993); Putzke/Putzke, JuS 2012, 500 (504). 194  Fischer, NJW 1988, 1828 (1829); Exner, JuS 2009, 990 (993); Putzke/Putzke, JuS 2012, 500 (502); Lorenz/Sebastian, KriPoZ 2017, 352 (354). 195  Viehmann, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 436 (455). 196  Harrendorf, NK 2018, 250 (256). 197  Alwart, JZ 1986, 563 (566).

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

ständige Bedeutung mehr.198 Dies erscheint vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Verschleifungsverbots von Tatbestandsmerkmalen bedenklich.199 Außerdem spricht der allgemeine Sprachgebrauch dafür, dass ein Erschleichen mehr voraussetzt als das bloße Sichumgeben mit dem Anschein der Ordnungsgemäßheit.200 Systematisch streitet die Ergänzungsfunktion des § 265a StGB gegenüber § 263 StGB und die damit einhergehende Betrugsähnlichkeit für diese Auslegung.201 § 265a StGB ist danach kein Auffangtatbestand für jedes sozialschädliche Verhalten, sondern soll ein Surrogat für die Betrugstatbestandsmerkmale Täuschung und daraus resultierender Irrtum darstellen. „Bestraft werden soll das Umgehen einer potentiell täuschbaren Kontrollperson oder das Überlisten bzw. Überwinden einer Kontrolleinrichtung: In jedem Fall geht es um das aktive Unterlaufen präsenter Präventivkontrolle.“202 Auch ein Vergleich mit den anderen Tatbestandvarianten des § 265a StGB legt die hier vertretene Auslegung nahe.203 Auch unter Beachtung viktimologischer Gesichtspunkte ist die hier ver­ tretene Auffassung verantwortbar. Die Verkehrsunternehmen können selbst strafrechtlichen Schutz auslösen, indem sie Zugangskontrollen installieren.204 Wenn sie dies unterlassen, sind sie weniger schutzwürdig.205 Dem kann auch nicht mit dem Argument entgegengetreten werden, der Verzicht auf Zugangskontrollen mache den öffentlichen Personennahverkehr effektiver und kostengünstiger. Denn dafür gibt es keine empirischen Erkenntnisse, was insbesondere ein Vergleich mit der Handhabung im europäischen Aus198  Alwart, JZ 1986, 563 (568); Albrecht, NStZ 1988, 222 (223); Albrecht, Rechtsgüterschutz durch Entkriminalisierung, S. 60; Schall, JR 1992, 1 (2); Eyers, Die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens in den sog. „Einmalfällen“, S. 43; Ellbogen, JuS 2005, 20 (21); Putzke/Putzke, JuS 2012, 500 (502); Lorenz/Sebastian, KriPoZ 2017, 352 (352); Fischer, Strafgesetzbuch, § 265a Rn. 5 f. 199  Mosbacher, NJW 2018, 1069 (1070). 200  Schall, JR 1992, 1 (2); Ellbogen, JuS 2005, 20 (21); Lorenz/Sebastian, KriPoZ 2017, 352 (353); Mosbacher, NJW 2018, 1069 (1070). 201  Albrecht, NStZ 1988, 221 (224); Alwart, JZ 1986, 563 (567); Schall, JR 1992, 1 (4); Albrecht, KritV 1996, 330 (338); Eyers, Die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens in den sog. „Einmalfällen“, S. 45; Exner, JuS 2009, 990 (993); Putzke/Putzke, JuS 2012, 500 (502). 202  Albrecht, NStZ 1988, 221 (224). 203  Albrecht, NStZ 1988, 221 (224); Fischer, NJW 1988, 1828 (1829); Schall, JR 1992, 1 (4 f.); Ellbogen, JuS 2005, 20 (21); Exner, JuS 2009, 990 (994); Putzke/ Putzke, JuS 2012, 500 (503); Lorenz/Sebastian, KriPoZ 2017, 352 (353); Mosbacher, NJW 2018, 1069 (1070). 204  Albrecht, NStZ 1988, 221 (223); Schall, JR 1992, 1 (6); Lorenz/Sebastian, ­KriPoZ 2017, 352 (354). 205  Harrendorf, NK 2018, 250 (256).



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 123

land zeigt.206 Zudem sind Allgemeinwohlbelange bei einer individualschützenden Norm nicht zu berücksichtigen.207 Dafür sprechen auch kriminologische Erkenntnisse. Ausschlaggebend für das hohe Vorkommen von Beförderungserschleichungen sind hauptsächlich die fehlenden Kontrolleinrichtungen. Nicht die Strafnorm per se hält potentielle Täter von der Tatbegehung ab, sondern die Furcht vor Kontrolle.208 bb) Jugendspezifische Argumente für eine restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals „erschleichen“ Die vorgetragenen Argumente potenzieren sich im Jugendstrafrecht gerade mit Blick auf die Zielvorgabe der Entkriminalisierung im Bagatellbereich und vor dem Hintergrund, dass Jugendliche und Heranwachsende die „kriminologische Hauptproblemgruppe“ im Rahmen des § 265a StGB darstellen.209 Hinzu kommt, dass sich der Kenntnis- und Entwicklungsstand bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden und Erwachsenen unterscheidet. Jungen Menschen ist weniger bewusst, dass eine Leistung auch immer eine Gegenleistung erfordert.210 Intellektuell erscheint es für diese schwerer greifbar, dass ein öffentliches Gut, welches unkontrolliert zugänglich ist, nicht ohne Gegenleistung in Anspruch genommen werden darf. Gerade deshalb ist es bei Jugendlichen und Heranwachsenden besonders wichtig, das Tatbestandsmerkmal des Erschleichens im oben beschriebenen Sinne auszulegen. Nur so kann tatsächlich das Vorliegen eines Unrechtsbewusstseins sichergestellt werden. Den Beförderungsunternehmen entstehen durch Schwarzfahrer hohe finanzielle Einbußen. Allerdings rechtfertigt dies nicht die Einordnung des reinen Schwarzfahrens als strafwürdiges kriminelles Unrecht. Der besonders im Jugendstrafrecht essenzielle Subsidiaritätsgrundsatz gebietet, das Strafrecht dort zurückzunehmen, wo anderweitiger – beispielsweise zivilrechtlicher – Rechtsgüterschutz besteht.211 Strafrecht ist die ultima ratio und hat nicht die Aufgabe, jedermann vor sämtlichen Vermögensschäden zu schützen. Dafür ZJS 2017, 84 (91). JuS 2009, 990 (994). 208  Schall, JR 1992, 1 (8); Eyers, Die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens in den sog. „Einmalfällen“, S. 49. 209  Schwenke, Zur Strafbarkeit der Beförderungserschleichung § 265a, S. 119. 210  Griego, Möglichkeiten und Grenzen der Entkriminalisierung von Bagatelltaten im Jugendstrafrecht, S. 152. 211  Schall, JR 1992, 1 (5); Schwenke, Zur Strafbarkeit der Beförderungserschleichung § 265a, S. 118; Mosbacher, NJW 2018, 1069 (1071); Hefendehl, in: Joecks/ Miebach, MüKoStGB, § 265a Rn. 17; siehe ausführlich hierzu S. 62 ff. 206  Sebastian/Lorenz, 207  Exner,

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

ist das bürgerliche Recht der primäre Apparat. Deshalb ist der „Kreis der strafbaren Vermögensverletzungen“ eng zu fassen.212 Die reine Verletzung von Vertragspflichten strafrechtlich zu erfassen, ist systemwidrig.213 Nichts anderes stellt aber die bloße Schwarzfahrt ohne Hinzutreten weiterer, die kriminelle Energie untermauernder Elemente dar.214 Letztlich wird der Tatbestand der Beförderungserschleichung bei einfachem Schwarzfahren als Druckmittel bei der Durchsetzung zivilrechtlicher Verpflichtungen genutzt.215 Dies demonstriert das Anzeigeverhalten der Verkehrsunternehmen. Von einer Strafanzeige wird abgesehen, sobald ein erhöhtes Beförderungsentgelt als zivilrechtliche Vertragsstrafe vor Ort unmittelbar bezahlt wird.216 Das Strafrecht darf wegen des Subsidiaritätsprinzips jedoch nicht zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche instrumentalisiert werden.217 Jugendliche und Heranwachsende werden überdies durch das Anzeigeverhalten der Verkehrsunternehmen gegenüber Erwachsenen benachteiligt. Junge Menschen verfügen meist nicht über ausreichende eigene finanzielle Mittel, um ein erhöhtes Beförderungsentgelt unmittelbar bezahlen zu können, sodass ihnen eher eine Anzeige droht als Erwachsenen. Bei Minderjährigen kommt folgende Überlegung hinzu: Sie sind beim Schwarzfahren nicht vertraglich zur Zahlung des erhöhten Beförderungsentgelts verpflichtet, da sie selbst nur beschränkt geschäftsfähig sind und eine Einwilligung der Eltern regelmäßig nicht vorliegen wird. Dieser zivilrechtliche Schutz darf nicht durch eine strafrechtliche Norm umgangen werden. Insgesamt lässt sich zusammenfassend feststellen, dass eine jugendgemäße Auslegung des § 265a StGB dazu führt, dass die unbefugte Inanspruchnahme einer unkontrolliert zur Verfügung gestellten Leistung für Jugendliche und Heranwachsende nicht strafbar ist.

212  Albrecht, NStZ 1988, 221 (223); Alwart, JZ 1986, 563 (566); Eyers, Die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens in den sog. „Einmalfällen“, S. 43; Putzke/ Putzke, JuS 2012, 500 (504); Lorenz/Sebastian, KriPoZ 2017, 352 (353); Mosbacher, NJW 2018, 1069 (1071). 213  Schall, JR 1992, 1 (5). 214  Schall, JR 1992, 1 (5 f.). 215  Eyers, Die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens in den sog. „Einmalfällen“, S. 50; Schwenke, Zur Strafbarkeit der Beförderungserschleichung § 265a, S. 114 f. 216  Schwenke, Zur Strafbarkeit der Beförderungserschleichung § 265a, S. 114. 217  Albrecht, KritV 1996, 330 (338); Schwenke, Zur Strafbarkeit der Beförderungserschleichung § 265a, S. 115.



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 125

7. Jugendgemäße Auslegung ausgewählter Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung a) Problemfall: Geringer Altersunterschied zwischen den Beteiligten Mit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.06.2021218 wurde § 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB zum Verbrechen hochgestuft. Auch nach der Neuregelung ist § 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Jeder sexuelle Kontakt mit unter 14-Jährigen ist kategorisch verboten, ganz egal ob es zu negativen Auswirkungen auf das Kind kommt, wer den sexuellen Kontakt initiiert hat und ob dies einvernehmlich geschah. Der Gesetzgeber formuliert selbst, dass „jede sexuelle Handlung mit einem Kind […] als sexualisierte Gewalt gebrandmarkt werden“ soll.219 Es handelt sich um ein „Totalverbot“.220 Diese Lösung mag im Hinblick auf erwachsene Täter überzeugen, denn „ältere und lebenserfahrene Personen dürfen sich nicht eine entwicklungsbedingt noch fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung eines Kindes zunutze machen“.221 Dieses alters- und erfahrungsmäßige Machtungleichgewicht besteht zwischen Kindern und Jugendlichen aber nicht gleichermaßen wie zwischen Kindern und Erwachsenen.222 Bei geringem Altersunterschied handelt es sich vielmehr um Sexualpartner auf Augenhöhe.223 Dies gilt besonders vor dem Hintergrund, dass der jugendliche Reifeprozess eine fließende und kontinuierliche, nicht immer gleichmäßig ablaufende Entwicklung darstellt. „Eine 13-Jährige kann […] ein puppenspielendes Mädchen sein, aber auch ein physisch schon recht weit entwickelter Teenager, bei dem im Kinderzimmer die Pferdeposter längst Boygroup-Starschnitten weichen mussten.“224 Ein 13-jähriges Kind kann reifer sein als ein 14- oder 15-jähriger Jugendlicher. Außerdem verlagert sich die sexuelle Reife und Aktivität immer weiter nach vorne.225 So zählt Küssen bereits zum Erfahrungsschatz der Mehrheit der 14-Jährigen und beinhaltet oftmals auch weitergehende sexuelle Erfahrun-

218  BGBl. I

2021 S. 1810. 19/23707, S. 37. 220  Franzke, in: DVJJ, Jugend, Recht und Öffentlichkeit – Selbstbilder, Fremdbilder, Zerrbilder, S. 205 (217). 221  Kett-Straub, ZRP 2007, 260 (261). 222  Kett-Straub, ZRP 2007, 260 (262); Hörnle, ZIS 2020, 440 (443); Franzke, in: DVJJ, Jugend, Recht und Öffentlichkeit – Selbstbilder, Fremdbilder, Zerrbilder, S. 205 (218). 223  Kett-Straub, ZRP 2007, 260 (262); Hörnle, ZIS 2020, 440 (443). 224  Kett-Straub, ZRP 2007, 260 (262). 225  Kett-Straub, ZRP 2007, 260 (262). 219  BT-Drs.

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

gen.226 Dem werden die starren Altersgrenzen des Tatbestands nicht gerecht.227 Junge Menschen befinden sich in der sexuellen Entwicklung, wollen ihre Sexualität austesten und Erfahrungen sammeln. Sie durchleben die konfliktbehaftete Phase der Pubertät, welche durch Triebhaftigkeit, Neugier und überstark einsetzenden Geschlechtstrieb einerseits und unterentwickelte geistig-seelische Gesamtreifung andererseits geprägt ist.228 Nach alter Rechtslage stellten sich folgende Problemsituationen: „Von zwei befreundeten 13-Jährigen kann schwerlich erwartet werden, dass sie ihre intime Beziehung abbrechen, wenn einer von ihnen vierzehn Jahre alt geworden ist, bzw. ruhen lassen bis der andere ebenfalls diesen Geburtstag gefeiert hat.“229 Selbst eine „eigentlich harmlose Knutscherei zwischen einem gerade 14 Jahre alt gewordenen Jungen und einem noch 13-jährigen Mädchen auf dem Pausenhof könnte daher den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs erfüllen“.230 So erscheint es außerdem befremdlich, wenn ein 14-jähriger nach § 176 StGB verurteilt wird, weil er seine 13-jährige Klassenkameradin im Rahmen gegenseitiger Zuneigung so geküsst hat, dass ein Knutschfleck entstand und ihr mit den Händen an das bedeckte Geschlechtsteil gegriffen hat.231 Auch die Verurteilung eines 15-Jährigen nach § 176 StGB wegen einer sexuellen Beziehung zu seiner 13 Jahre alten Freundin wirft Fragen auf.232 b) Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten durch den Gesetzgeber Der Gesetzgeber hat das aufgezeigte Bedürfnis nach Beachtung jugend­ typischer Besonderheiten erkannt: „Der absolute Schutz vor sexuellen Handlungen, den § 176 StGB Kindern gewährt, steht im Widerspruch dazu, dass es im Einzelfall geradezu Ausdruck der Entwicklung der sexuellen Selbstbestimmung sein kann, wenn Personen unter 14 Jahren sexuelle Handlungen mit annähernd Gleichaltrigen austauschen. Für das ungestörte Durchlaufen 226  Hörnle, ZIS 2020, 440 (443); Franzke, in: DVJJ, Jugend, Recht und Öffentlichkeit – Selbstbilder, Fremdbilder, Zerrbilder, S. 381 (383). 227  LG Limburg, BeckRS 2015, 7831; Renzikowski, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 176 Rn. 22; Franzke, ZJJ 2021, 46 (46) weist darauf hin „dass sich der Übergang vom Kind zum Jugendlichen im Rechtssinne binnen einer ‚juristischen Sekunde‘ am 14. Geburtstag“ vollzieht. 228  LG Freiburg, NStZ-RR 2001, 336 (336). 229  Kett-Straub, ZRP 2007, 260 (262). 230  Kett-Straub, ZRP 2007, 260 (261). 231  Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 10. 232  Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 10.



I. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene des objektiven Tatbestands 127

der einzelnen Entwicklungsphasen ist es wichtig, dass dem Kind beziehungsweise Jugendlichen ein Freiraum sexueller Selbsterprobung mit (annähernd) Gleichaltrigen verbleibt. Eine Bestrafung solcher Fälle würde jedoch darauf hinauslaufen, für die sexuelle Entwicklung wichtige Handlungen zu krimi­ nalisieren und damit die vom Gesetzgeber an sich gewünschte Möglichkeit des Kindes zur ungestörten Ausbildung der sexuellen Selbstbestimmung zu konterkarieren.“233 Durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder wurde mit § 176 Abs. 2 StGB eine einschränkende Regelung eingefügt.234 Danach kann das Gericht von Strafe absehen, „wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus“. Diese Anerkennung jugendtypischer Besonderheiten durch den Gesetzgeber ist zwar ein erster Ansatz, bleibt aber doch deutlich hinter dem wünschenswerten Maß an Berücksichtigung entwicklungstypischer Besonderheiten zurück. Dem „Recht auf Entwicklung“ junger Menschen wird nicht ausreichend Rechnung getragen.235 Problematisch ist, dass es sich bei der Neuregelung in § 176 Abs. 2 StGB um eine äußerst vage Ermessensregelung handelt. Durch das Hantieren mit „höchst unbestimmten Rechtsbegriffen (geringer Unterschied ‚sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad‘)“ wälzt der Gesetzgeber seine Verantwortung auf die Rechtsanwender ab.236 Auch das in dem Gesetzesentwurf enthaltene Beispiel des „einvernehmlichen Zungenkuss[es] zwischen einer vierzehnjährigen und einer dreizehnjährigen Person“237 schafft keine Abhilfe, sondern verstärkt die Problematik zusätzlich. Denn es wird ein weiteres Auslegungsmerkmal – und zwar das der geringfügigen Intensität der sexuellen Handlung – suggeriert, welches sich im Normtext nicht wiederfindet.238 Außerdem ist zu kritisieren, dass es einen wesentlichen Unterschied gerade mit Blick auf negative Stigmatisierungswirkungen macht, ob hinsichtlich eines fraglichen Verhaltens bereits der Tatbestand verneint wird oder ob ein Schuldspruch erfolgt und nur ein Absehen von Strafe im Raum steht. „Denn das Absehen von Strafe bewirkt keine Entkriminalisierung jugendtypischen Sexualverhaltens, vielmehr bleibt es […] bei dem gravierenden sozialethischen Tadel, Täter eines 233  BT-Drs.

19/23707, S. 38. 2021 S. 1810. 235  Franzke, in: DVJJ, Jugend, Recht und Öffentlichkeit – Selbstbilder, Fremdbilder, Zerrbilder, S. 205 (218). 236  Franzke, ZJJ 2021, 46 (47). 237  BT-Drs. 19/23707, S. 38. 238  Franzke, ZJJ 2021, 46 (47). 234  BGBl. I

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

sexuellen Missbrauchs zu sein.“239 Der Gesetzgeber selbst spricht von Brandmarkung.240 Warum eine jugendgemäße Auslegung einer Flucht in das Prozessrecht über § 153b StPO außerdem vorzuziehen ist, wurde bereits eingehend erörtert.241 c) Jugendgemäße Auslegung der §§ 176 Abs. 1 Nr. 1, 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB aa) § 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB Erstrebenswert wäre vielmehr eine jugendgemäße Auslegung, nach welcher der Tatbestand des § 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf Jugendliche generell nicht anzuwenden ist, wenn es sich um einvernehmliche sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Jugendlichen handelt.242 Hierfür sprechen die oben genannten jugendtypischen Besonderheiten und zudem, dass gerade im Bereich der Sexualdelikte für die positive Spezialprävention problematische Etikettierungen tunlichst vermieden werden müssen. Dem wird der Gesetzgeber mit der Neuregelung eines Absehens von Strafe, das im Ermessen des Gerichts liegt, nicht vollumfänglich gerecht. Allerdings ist eine jugendgemäße Auslegung in diesem Sinne in der konkreten Situation ausgeschlossen, da der Wille des Gesetzgebers entgegensteht und es damit an der dritten Voraussetzung des Grundsatzes der jugendgemäßen Auslegung fehlt. Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen der Neuregelung mit den aktuellen empirischen Erkenntnissen zu jugendtypischen Besonderheiten auseinandergesetzt. Zwar hat er die Thematik nicht in absolut zufriedenstellender Weise gelöst, nichtsdestotrotz verbietet die allgemeine Gesetzesbindung in diesen Fällen eine Anwendung des Grundsatzes der jugendgemäßen Auslegung. Der Gesetzgeber hat sich durch die gewählte Konstruktion des Absehens von Strafe klar gegen einen Tatbestandsausschluss entschieden. Das muss akzeptiert werden. Ansonsten würde die dritte Voraussetzung des Grundsatzes der jugendgemäßen Auslegung zur Makulatur. Eine jugendgemäße Auslegung führt allerdings im Rahmen des § 176 Abs. 2 zu einer Ermessensdirektive in Form des intendierten Ermessens243 als verwaltungsZJJ 2021, 46 (47). 19/23707, S. 37. 241  Siehe hierzu S. 72 ff. 242  Kett-Straub, ZRP 2007, 260 (260); zumindest für bestimmte Altersgruppen: Plich, ZJJ 2022, 107 (111); ähnlich: Drohsel, ZRP 2018, 213 (214); als Strafzumessungsgesichtspunkt anerkannt: BGH, NStZ-RR 2013, 291 (291); LG Limburg, BeckRS 2015, 7831; BGH, StV 2017, 40 (40). 243  Siehe hierzu genauer: Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht VwGO, § 114 Rn. 27. 239  Franzke, 240  BT-Drs.



II. Subjektive Aspekte der jugendgemäßen Auslegung129

rechtliche Anleihe. Danach ist bei Vorliegen der Voraussetzungen im Regelfall von einem Absehen von Strafe auszugehen, es sei denn, es handelt sich einmal um einen atypischen Fall. bb) § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB Jedenfalls bei der Regelung des § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB liegt nach Durchsicht der zentralen Gesetzgebungsmaterialien244 aber ein gesetzgeberischer Erwägungsmangel und damit kein entgegenstehender legislativer Wille vor und es bleibt Raum für eine jugendgemäße Auslegung. Ein Absehen von Strafe ist in den Fällen, in denen der Jugendliche die sexuellen Handlungen nur vor dem annähernd gleichaltrigen Kind vornimmt, nicht vorgesehen und es bleibt daher bei einer Strafbarkeit gem. § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Das ist widersinnig und wird den aufgezeigten entwicklungstypischen Besonderheiten keinesfalls gerecht. Aus diesem Grund sollte zumindest § 176a Abs. 1 Nr. 1 auf Jugendliche nicht angewendet werden.

II. Subjektive Aspekte der jugendgemäßen Auslegung Vorsatz, Fahrlässigkeit, aber auch andere Absichten und spezifische weitere subjektive Anforderungen der jeweiligen Tatbestände, sind jugendgemäß auszulegen. Die sich aus der Lebensphase Jugend ergebenden altersspezifischen Besonderheiten sind demnach auch hier zu beachten.245 „Wegen der Besonderheiten der Weltsichten und Vorstellungsbilder, der situativen Per­ spektiven und spezifischen Intentionen junger Menschen können ihnen Vorsatz und spezifische Absichten nicht in der gleichen Weise zugeschrieben werden wie Erwachsenen.“246 Gerade subjektive Tatbestandsmerkmale enthalten oft „wertausfüllungsbedürftige Begriffe, deren Auslegung die Heranziehung von Erkenntnissen anderer Sozialwissenschaften erforderlich macht, 244  BT-Drs.

19/23707, S. 39; BT-Drs. 19/27928, S. 24. Vorsatz und Fahrlässigkeit bei jugendlichen Straftätern, S. 279 f.; Eisenberg, JA 2001, 153 (162); Lüderssen, in: Amelung, FS Schreiber, S. 289 (289 ff.); Eisenberg/Schmitz, NStZ 2008, 95 (96); Eisenberg, ZJJ 2010, 330 (330 f.); Eisenberg, HRSS 2012, 23 (23); Eisenberg, ZKJ 2012, 54 (54 f.); Eisenberg, JA 2013, 34 (37); Kotz/Rahlf, Praxis des Betäubungsmittelstrafrechts, Kapitel 9 Rn. 22; BGH, NJW 2018, 3658 (3659 Rn. 15); Griego, Möglichkeiten und Grenzen der Entkriminalisierung von Bagatelltaten im Jugendstrafrecht, S. 185 ff.; Mitsch, NStZ 2019, 681 (682); Bausch, Die Berücksichtigung der individuellen Entwicklung bei der Auslegung strafrechtlicher Normen am Beispiel des dolus eventualis, S. 223 ff.; Sonnen, in: Diemer/ Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 10; Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 1 Rn. 10; Stefanopoulou, HRRS 2021, 301 (301 ff.); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 30 ff. 246  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 30. 245  Märker,

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

was zwangsläufig zu divergierenden Ergebnissen bezüglich Jugendlichen einerseits und Erwachsenen andererseits führt“.247 1. Jugendgemäße Auslegung des Vorsatzes Nach der Rechtsprechung bedeutet Vorsatz Wissen und Wollen hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale.248 Im Rahmen der allgemeinen Dogmatik ist also stets ein Element des Wissens und ein Element des Wollens erforderlich. Deren Ausprägung variiert dabei je nach Vorsatzform. Eine jugendgemäße Auslegung soll diese geltende Dogmatik um ein weiteres Element anreichern – und zwar die Komponente jugendspezifischer vorsatzkritischer Umstände. So soll sichergestellt werden, dass jugendtypische Besonderheiten nicht zufällig, sondern gezielt und stets beachtet werden. Im Zuge dessen müssen zwingend alle Umstände jugendspezifischer Art zusammengetragen werden, die Zweifel am Vorliegen des Vorsatzes aufkommen lassen. Dabei kann wiederum eine Orientierung am aufgestellten Kriterienkatalog erfolgen. Diese Herangehensweise entspricht der Auslegungsleitlinie des Erziehungsgedankens, da so eine Orientierung an empirischen Erkenntnissen gewährleistet und zugleich der Begrenzungsfunktion des Erziehungsgedankens Rechnung getragen wird. Auch mit Blick auf den Grundsatz der positiven Spezialprävention ist diese vorsatzkritische, zurückhaltende Vorgehensweise positiv zu bewerten. Das Verbot der Schlechterstellung und das Gebot der Besserstellung gebieten es außerdem, den von Erwachsenen abweichenden subjektiven Wahrnehmungen Rechnung zu tragen. a) Dolus directus zweiten Grades Im Rahmen des dolus directus zweiten Grades herrscht das Wissenselement vor. Es muss als vorsatzkritischer Umstand besonders beachtet werden, dass das Wissen um bestimmte Geschehensabläufe von Jugendlichen bzw. Heranwachsenden nicht gleichermaßen verlangt werden kann wie von Erwachsenen. Wie aus dem Kriterienkatalog hervorgeht, haben junge Menschen im Allgemeinen einen geringeren Erfahrungsschatz und auch Bildungs- und Kenntnisstand als Erwachsene. Die Fähigkeit zur Informationsverarbeitung und Risikoeinschätzung ist weniger ausgereift als bei Erwachsenen.249 Jugendtypische Verkennungen müssen demnach bei der Auslegung berücksichtigt werden.250 JA 2001, 153 (162). Strafgesetzbuch, § 15 Rn. 3. 249  Stefanopoulou, HRRS 2021, 301 (302). 250  Eisenberg, ZJJ 2010, 330 (331). 247  Eisenberg, 248  Fischer,



II. Subjektive Aspekte der jugendgemäßen Auslegung131

b) Dolus eventualis Diese Vorsatzform setzt voraus, „dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet.“251 Regelmäßig taucht das Problem der Abgrenzung des dolus eventualis von der bewussten Fahrlässigkeit auf. Diese muss sorgfältig anhand des Wissens- und Wollenselements vorgenommen werden.252 „Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind.“253 Es genügt gerade nicht, allein aufgrund der objektiven Umstände auf die subjektiven zu schließen.254 Im Rahmen der beschriebenen Gesamtwürdigung bedarf es insbesondere gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden der „Erörterung vorsatzkritischer Umstände“.255 Auch hier ist die Prüfung also erneut um das genannte jugendspezifische Element anzureichern. Dabei ist stets zu erwägen, dass junge Menschen den Ernst der jeweiligen Situation nicht erkennen und dementsprechend den Erfolgseintritt nicht als möglich, sondern als fernliegend erachten.256 Sie neigen zur „Unterschätzung der Gefahren und zur Überschätzung der eigenen Fähigkeiten“.257 Die situative Wahrnehmung ist altersspezifisch verzerrt und das gesamte jugendliche Verhalten ist, wie im Kriterienkatalog ausgeführt, eher von Unüberlegtheit, Leichtsinn und Sorglosigkeit als von Besonnenheit und Selbstbeherrschung geprägt. Vorsatz ist durch das Merkmal der Planverwirklichung gekennzeichnet, während bewusste Fahrlässigkeit mit Leichtsinn gleichzusetzen ist.258 Demgemäß wird man aufgrund der Charakteristika junger Täter bei diesen eher von bewusster Fahrlässigkeit als von dolus eventualis ausgehen können. 251  BGH,

NStZ 2013, 538 (539). NStZ-RR 2013, 89 (90); BGH, NStZ 2013, 538 (539). 253  BGH, NStZ-RR 2013, 89 (90); BGH, NStZ 2013, 538 (539); BGH, NStZ-RR 2013, 242 (243); BGH, NStZ 2016, 668 (669). 254  BGH, NStZ-RR 2019, 137 (138). 255  BGH, NStZ-RR 2019, 137 (138); so inhaltlich auch BeckRS 2003, 01203; BGH, NStZ 2014, 35 (35); BeckRS 2019, 21864; BeckRS 2019, 25538. 256  Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 1 Rn. 10; Stefanopoulou, HRRS 2021, 301 (307) fordert „höhere Anforderungen für die Bejahung des Wissenselements im Sinne der Wahrscheinlichkeitstheorie zu verlangen“. Dogmatische Grundlage hierfür sei § 3 JGG. 257  BGH, NStZ 2018, 460 (462). 258  Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 22. 252  BGH,

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

Zu beachten ist auch, dass junge Menschen häufig um die grundsätzliche Gefährlichkeit einer bestimmten Handlung wissen, sich dies aber dann in der fallkonkreten Situation doch gänzlich anders darstellen kann.259 Bei spontanen und unüberlegten Handlungen kann trotz genereller Kenntnis um die Gefährlichkeit der Handlung die „Kraft des Affektes“ und die „Dynamik“ des Geschehens zu einer Verneinung des Vorsatzes führen.260 Dies wird bei Jugendlichen eher als bei Erwachsenen anzunehmen sein, weil sie in ihrer Persönlichkeit noch nicht so stark gefestigt sind und in solchen Momenten eher von der Eigendynamik der Situation übermannt werden. Junge Menschen geraten insgesamt schneller in Überforderungssituationen.261 c) Normative Tatbestandsmerkmale Auch die Unterscheidung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen ist im Rahmen einer jugendadäquaten Gesetzeshandhabung relevant. Vorsatz hinsichtlich deskriptiver Tatbestandsmerkmale setzt eine sinn­ liche Wahrnehmung voraus, während der subjektive Tatbestand bezüglich normativer Merkmale ein geistiges Verstehen erfordert.262 Bei normativen Tatbestandsmerkmalen genügt für die Annahme des subjektiven Tatbestands also nicht allein die Kenntnis der Umstände, sondern auch die Bedeutung der einzelnen Merkmale muss in einer Parallelwertung in der Laiensphäre erfasst werden.263 Hierbei wird auf einen durchschnittlichen Laien abgestellt. Dieses Durchschnittswissen kann von jungen Menschen nicht in gleichem Maße erwartet werden wie von Erwachsenen. Ihnen fehlt es an Erfahrungen und Kenntnissen in verschiedenen Lebensbereichen. Sie sind mit sozialen Normen weniger vertraut als Erwachsene. Bei normativen Tatbestandsmerkmalen ist bei der Auslegung als vorsatzkritischer Umstand stets in Rechnung zu stellen, dass der junge Mensch die Bedeutung des Merkmals aufgrund seines geringeren Ehrfahrungsschatzes und Bildungs- und Kenntnisstandes verkannt haben könnte. Eine problematische Fallgruppe stellen insoweit die Urkundendelikte dar. Bereits Ostendorf fasst diese unter die Tatbestände, die von Jugendlichen bzw. Heranwachsenden generell nicht verstanden werden.264 Weiß ein junger Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 31. Jugendliche Mörder, S. 175; so auch: BGH, BeckRS 2003, 01203; BGH, NStZ-RR 2012, 369 (370); BGH, NJW 2014, 3382 (3383); BGH, NStZ 2016, 25 (26 f.). 261  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 31. 262  Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 57. 263  Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 101. 264  Ostendorf, in: BMJ, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, S. 194 (200). 259  Eisenberg/Kölbel, 260  Lempp,



II. Subjektive Aspekte der jugendgemäßen Auslegung133

Mensch beispielsweise, dass ein mit Strichen beschriebener Bierdeckel eine Urkunde darstellt? Oder dass ein selbst ausgefüllter Entschuldigungszettel in der Schule eine Urkundenfälschung darstellt? Dies muss unter Zugrunde­ legung jugendadäquater Maßstäbe im jeweiligen Einzelfall genau erörtert werden. 2. Jugendgemäße Auslegung spezifischer Absichten Auch bei spezifischen anderen Absichten, wie beispielsweise der Zueignungsabsicht, müssen vorsatzkritische Umstände berücksichtigt werden. Es sind wiederum jugendtypische Besonderheiten und Lebensumstände zu beachten. Ein Beispielsfall ist die Wegnahme einer Skinhead Jacke gegenüber einem nicht zur Gruppe gehörenden Opfer. Die Wegnahme erfolgte in diesem Fall allein, damit das Nichtgruppenmitglied nicht die gruppencharakteristische Jacke trägt und nicht mit der Absicht rechtswidriger Zueignung.265 Bei dem Phänomen des Jacken-Abziehens stehen meist „Abenteuer und Geltungsstreben“ und die „Demonstration von Macht“ im Mittelpunkt.266 Die Zueignungsabsicht ist außerdem zu verneinen, wenn der Jugendliche oder Heranwachsende die Sache nur wegnimmt, um den vorherigen Gewahrsamsinhaber zu ärgern.267 Hinsichtlich junger Menschen muss immer ganz genau und sorgfältig geprüft werden, ob tatsächlich die Absicht rechtswidriger Zueignung vorliegt oder ob es sich beispielsweise nur um einen Streich oder ein Spiel handelt. Davon ist bei jungen Menschen viel eher auszugehen als bei Erwachsenen. 3. Jugendgemäße Auslegung ausgewählter Anwendungsbeispiele a) Tötungsdelikte Nach der Rechtsprechung stellt die Lebensgefährlichkeit einer Handlung das zentrale Indiz für einen Tötungsvorsatz dar.268 Sie ist aber kein „zwingender Beweisgrund“.269 Die Hemmschwellentheorie ist also genau genommen nur ein Hinweis auf den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürin: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 10. Jugendliches Risikoverhalten, S. 38; inhaltlich ebenso: Ohder, Gewalt durch Gruppen Jugendlicher, S. 131. 267  OLG Karlsruhe, ZJJ 2006, 74 (75); AG Rudolstadt, BeckRS 2012, 4301. 268  BGH, BeckRS 2003, 01203; BGH, NStZ-RR 2012, 369 (370); BGH, NStZ-RR 2013, 89 (90). 269  BGH, NStZ 2013, 538 (540). 265  Sonnen, 266  Raithel,

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

digung gem. § 261 StPO und leitet zu einer sorgfältigen Prüfung des Vorsatzes an. Vorzunehmen ist demnach immer eine Gesamtschau unter Einbeziehung aller objektiven und subjektiven Umstände.270 Hierbei sind, wie bereits erläutert, jugendcharakteristische vorsatzkritische Umstände zwingend als drittes Vorsatzelement zu berücksichtigen. Die für junge Menschen spezifischen Eigenschaften können zu einer von Erwachsenen abweichenden Beurteilung des subjektiven Tatbestandes führen. In der Rechtsprechung finden sich Beispiele für eine jugendadäquate Auslegung ohne jedoch als solche bezeichnet zu sein: Ein Angeklagter zielte mit einer Armbrust „in Scharfschützenmanier“ auf seine Freundin. „Ihn faszinierte die Vorstellung, seinen anwesenden Freunden damit zu imponieren, mit der Waffe in der Wohnung tatsächlich zu schießen“.271 Ein solches „Eindruck machen wollen“ und „sich beweisen wollen“ gegenüber Gleichaltrigen ist typisch für die Lebensphase Jugend. Diesem Umstand muss bei der Beurteilung der Frage, ob dolus eventualis oder bewusste Fahrlässigkeit gegeben ist, Rechnung getragen werden. Danach wurde das Wollenselement des dolus eventualis verneint, weil eine tatsächliche Tötung der Freundin nicht geeignet war, „seinen Freunden seine Vertrautheit im Umgang mit der Armbrust und seine Treffsicherheit zu demonstrieren und ihnen zu imponieren“.272 Dieser Fall zeigt, dass jugendcharakteristische Perspektiven, Situationswahrnehmungen und jugendspezifische Intentionen bei der Auslegung des Vorsatzes berücksichtigt werden müssen. Gleiches folgt aus einer Entscheidung, in welcher der Vorsatz unter anderem zu verneinen war, weil „es sich um eine Auseinandersetzung unter Schülern in Anwesenheit einer größeren Anzahl von Mitschülern“ handelte, „denen gegenüber der körperlich unterlegene Angeklagte nicht als Feigling dastehen wollte“.273 In einem weiteren Fall wurde die Tatsache, dass der Angeklagte glaubte, „diese Provokation nicht mehr untätig hinnehmen zu können, ohne vor seinen Bekannten das Gesicht zu verlieren“274 jugendadäquat bei der Vorsatzprüfung beachtet. Des Weiteren wurde in der Rechtsprechung ein Handeln, „um sich selbst zu beweisen“275 und die Intention, „vor den anderen zu demonstrieren, dass er trotz seiner körperlichen Unterlegenheit in der Lage ist, eine solche Auseinandersetzung für sich zu entscheiden“276, jugendgemäß berücksichtigt. Junge Menschen 270  BGH, NStZ 2012, 384 (386); BGH, NStZ-RR 2012, 369 (370); BGH, NStZRR 2013, 89 (90); BGH, NStZ 2013, 538 (539); BGH, NStZ 2016, 25 (26); BGH, NStZ 2019, 468 (469). 271  BGH, BeckRS 2000, 30143443. 272  BGH, BeckRS 2000, 30143443. 273  BGH, NStZ 2003, 369 (370). 274  BGH, NStZ 2012, 384 (384). 275  BGH, NStZ 2020, 290 (290). 276  BGH, NStZ-RR 2008, 370 (371).



II. Subjektive Aspekte der jugendgemäßen Auslegung135

sind außerdem abenteuerlustig und Mutproben sind kennzeichnend. In einem Fall spielten drei junge Menschen „Aufhängen nach Art des russischen Rouletts“. Das Opfer wurde über einer Böschung aufgehängt. Das Seil riss oder der Knoten löste sich, woraufhin das Opfer die Böschung hinunterstürzte. Die Angeklagten wollten nur ein „gefährliches Spiel“.277 Auch diesem Umstand ist im Rahmen einer jugendgemäßen Auslegung des Vorsatzes Rechnung zu tragen.278 Zudem neigen junge Menschen dazu, ihre Grenzen auszutesten und sich gegen Autoritäten aufzulehnen. Daher wurde in folgendem Fall der Vorsatz verneint: Ein junger Angeklagter stach im Rahmen eines Streits mit einem Messer auf den Lebensgefährten seiner Mutter ein. Dem „noch unreifen Angeklagten“ kam es „nach seiner Motivationslage“ darauf an, „in der ‚affektiven Erregungsphase‘, in der er sich befunden habe, dem Lebensgefährten seiner Mutter einen ‚Denkzettel‘ zu verpassen und ihn ‚in die Schranken zu weisen‘. Der Angeklagte habe sich so innerhalb der Familie ‚Freiräume‘ verschaffen, nicht aber – durch die Tötung des Lebenspartners der Mutter – die Familie zerstören wollen“.279 Auch bei Tötungsdelikten leiten Spontanhandlungen, unüberlegtes Vorgehen und Handlungen aus dem Affekt zu einer vorsatzkritischen jugendgemäßen Handhabung an.280 Emo­ tionale Überforderungssituationen treten bei jungen Menschen rascher auf als bei Erwachsenen. So verhält es sich auch in der Situation eines jungen Angeklagten, der das Schreien eines Kindes nicht mehr hören konnte und es deshalb schüttelte.281 Bei jungen Menschen ist auch immer in den Blick zu nehmen, dass ihre Tat eine Imitation von im Internet oder in anderen Medien Gesehenem darstellen kann. Wenn es in ihrer „Vorlage“ nicht zum Todeseintritt kam, kann das für einen jungen Menschen Grund genug sein, auf einen glücklichen Ausgang der Tat zu vertrauen.282 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Rechtsprechung jugendtypische Umstände im Rahmen der geltenden Dogmatik gelegentlich berücksichtigt. Es fehlt aber an einer strukturierten, zwingenden Prüfung jugendtypischer Umstände. Jugendspezifische Besonderheiten sollen nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung nicht nur gelegentlich zu berück277  BGH,

NStZ 1983, 365 (365). NStZ 1983, 365 (365). 279  BGH, BeckRS 1999, 30071125. 280  BGH, Beschluss vom 31. Oktober 1990 – 3 StR 332/90 –, Rn. 8, juris; BGH, BeckRS 2003, 01203; BGH, NStZ 2010, 511 (512); BGH, NStZ 2012, 384 (384); BGH, NStZ 2013, 538 (539); BGH, NStZ 2013, 581 (583); BGH, NStZ-RR 2013, 242 (244); BGH, NStZ 2014, 35 (35); BGH, NStZ 2016, 668 (670); BGH, NStZ 2019, 725 (726). 281  BGH, Beschluss vom 25. August 1992 – 4 StR 365/92 –, Rn. 2, 6, juris; BGH, NStZ 1986, 549 (550): Treten des Säuglings. 282  Eisenberg, ZJJ 2010, 330 (330). 278  BGH,

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

sichtigen sein, sondern sie sind vielmehr zwingend im Rahmen eines zusätzlichen Elements vorsatzkritischer jugendspezifischer Umstände bei der Vorsatzprüfung zu beachten. b) Mordmerkmale Ebenfalls die Mordmerkmale bedürfen einer jugendgemäßen Auslegung.283 Auch hier sind stets und zwingend mordmerkmalskritische Umstände in den Blick zu nehmen. Der Mordparagraph basiert auf der Tätertypenlehre, welche kriminologisch als überholt angesehen werden kann.284 „Bereits deswegen entbehrt die NS-Sprachschöpfung des ‚Mörders‘ und des ‚Totschlägers‘ in den §§ 211 ff. StGB jeglicher empirischer Fundierung“.285 Dies muss umso mehr bei jungen, sich in der Entwicklung befindenden Menschen ohne ausgereifte Persönlichkeit gelten. Etikettierungseffekte durch die Stigmatisierung als Mörder wirken bei Jugendlichen und Heranwachsenden besonders stark, sind abträglich für eine künftige Legalbewährung, obendrein erzieherisch dysfunktional und daher tunlichst zu vermeiden.286 Wegen der für junge Menschen typischen Wesenszüge werden die Mordmerkmale bei ihnen eher erfüllt sein als bei Erwachsenen. Diese für Jugendliche und Heranwachsende spezifische Gedanken- und Handlungsmuster dürfen sich daher nicht zu ihrem Nachteil in der Heraufsetzung vom Totschlag zum Mord auswirken. Im Folgenden wird anhand ausgewählter Mordmerkmale die mordmerkmalskritische Prüfung erläutert. aa) Mordlust „Aus Mordlust handelt, wem es darauf ankommt, einen Menschen sterben zu sehen, wer aus Mutwillen, Angeberei, aus Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens oder aus Zeitvertreib tötet, die Tötung als nervliche Stimulans oder ‚sportliches Vergnügen‘ betrachtet.“287 Bereits die Definitions­ bestandteile der Angeberei und des sportlichen Vergnügens zeigen, dass 283  Mitsch, NStZ 2019, 681 (682) verlangt die „generelle Nichtanwendung des Mordtatbestandes im Falle der Anwendung von Jugendstrafrecht“. Diesen Weg verbietet allerdings die allgemeine Gesetzesbindung als dritte Voraussetzung einer ­jugendgemäßen Auslegung. Denn aus § 105 Abs. 3 S. 2 JGG folgt, dass der Gesetzgeber von einer grundsätzlichen Anwendbarkeit des Mordtatbestands im Jugendstrafrecht ausgeht. Die Norm wurde mit dem Gesetz zur Erweiterung der jugend­gerichtlichen Handlungsmöglichkeiten vom 04.09.2012 eingeführt (BGBl. I 2012 S. 1854). 284  Kreuzer, NK 2016, 307 (311). 285  Kreuzer, NK 2016, 307 (311). 286  Mitsch, NStZ 2019, 681 (682). 287  BGH, NStZ 2019, 680 (681).



II. Subjektive Aspekte der jugendgemäßen Auslegung137

junge Menschen aufgrund ihrer entwicklungstypischen Tatbegehungsweisen eher zum Merkmal der Mordlust neigen als Erwachsene. Dies folgt wiederum aus dem aufgestellten Kriterienkatalog. Hier spielen auch Identifika­ tionspersonen eine entscheidende Rolle. Beispielsweise hat sich in einem Fall ein junger Angeklagter mit der Comicfigur des gewalttätigen Psycho­ pathen Joker identifiziert. Dieses Vorbild ahmte er nach. Er stellte sich die Tötung eines Menschen als spannend vor und wollte ausprobieren, wie sich der Tötungsakt anfühlt.288 In der Lebensphase Jugend kommen solche phantasierealisierenden Handlungen häufiger vor als im Erwachsenenalter.289 Dass diese Nachahmungstaten bei unerfahrenen und in ihrer Persönlichkeit noch nicht gefestigten jungen Menschen anders zu beurteilen sind als bei Erwachsenen, liegt auf der Hand. Infolgedessen muss das Mordmerkmal der Mordlust gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden stark restriktiv ausgelegt werden und jugendtypische Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich des Mordmerkmals ausgeklammert werden. bb) Niedrige Beweggründe Niedrige Beweggründe sind anzunehmen, wenn die Tatantriebe „ ‚nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen‘ “.290 Bei der Beurteilung, ob derartige Beweggründe vorliegen, ist stets eine Gesamtwürdigung vorzunehmen.291 Relevant ist insbesondere das Verhältnis zwischen Anlass und Tat.292 Wenn sich die Tötung als menschlich nachvollziehbar darstellt, sind niedrige Beweggründe zu verneinen.293 In subjektiver Hinsicht muss sich der Täter der Umstände bewusst sein, die seine Tat als niedrig erscheinen lassen.294 Außerdem muss die „Beurteilung als sittlich besonders anstößig seiner Einsicht zugänglich gewesen sein“, wobei die eigene Bewertung des Täters keine Rolle spielt.295 Zudem ist zu prüfen, ob hinsichtlich des Mordmerkmals eine „spezifische Motivationsbeherrschung“ gegeben ist.296 Der Täter muss „ ‚seine gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern‘ “.297 288  BGH,

NStZ 2019, 680 (680). in: Kerner/Kaiser, FS Göppinger, S. 265 (272). 290  Fischer, Strafgesetzbuch, § 211 Rn. 14a. 291  Fischer, Strafgesetzbuch, § 211 Rn. 15. 292  Fischer, Strafgesetzbuch, § 211 Rn. 15. 293  Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, BeckOKStGB, § 211 Rn. 30. 294  BGH, NStZ 2002, 369 (370); BGH, BeckRS 2014, 18815 Rn. 19. 295  Fischer, Strafgesetzbuch, § 211 Rn. 16. 296  Eisenberg, JA 2013, 34 (37). 297  Fischer, Strafgesetzbuch, § 211 Rn. 16. 289  Lempp,

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

Bei dieser Prüfung sind wiederum jugendspezifische Besonderheiten zu beachten.298 Zunächst ist die Frage, ob etwas menschlich nachvollziehbar ist oder nicht, bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden und Erwachsenen abweichend zu beurteilen. In einem Fall war Tatanlass für die jungen Angeklagten, „dass sie sich von einem fremden Erwachsenen keine Grenzen setzen lassen wollten und es nicht duldeten, dass sich jemand in ‚ihre‘ Angelegenheiten einmischt“.299 Diese Beweggründe hat das LG München I als sittlich auf tiefster Stufe stehend beurteilt.300 Allerdings muss festgestellt werden, dass es gerade typisch für Jugendliche und Heranwachsende ist, sich keine Grenzen aufzeigen lassen zu wollen und sich gegen Autoritäten aufzulehnen. Solche für die jugendliche Lebensphase normale und somit nicht vorwerfbare Motive dürfen daher anders als bei Erwachsenen nicht als niedriger Beweggrund klassifiziert werden. Die Antwort auf die Frage nach der menschlichen Nachvollziehbarkeit und damit die Beurteilung als sittlich auf tiefster Stufe stehend hat also die jugendlichen Lebenswelten und charakteristischen Umstände in den Blick zu nehmen. Hierbei kann der entwickelte Kriterienkatalog wiederum eine Hilfestellung bieten. Ein Verhalten, das für eine bestimmte Lebensphase bezeichnend ist, kann daher keinen niedrigen Beweggrund begründen, sondern stellt vielmehr einen jugendtypischen Beweggrund dar. Auch das Bewusstsein um die Umstände, welche die Tat als niedrig erscheinen lassen und die dahingehende Einsichtsfähigkeit ist bei Jugendlichen und Heranwachsenden seltener als bei Erwachsenen anzunehmen und muss daher sorgfältig überprüft und begründet werden. Dies folgt aus dem entwicklungsbedingt verschiedenen Werteverständnis junger Menschen und Erwachsener. Die Einsichtsfähigkeit in die Bewertung als niedriger Beweggrund erfordert ein Verständnis des Kollektivwertesystems. Je länger das Individuum in einem Wertesystem lebt, desto besser kann es diese Werte internalisieren. Daher liegt es auf der Hand, dass ein Erwachsener das herrschende Wertesystem grundsätzlich jedenfalls besser verinnerlicht hat als ein junger Mensch, der sich erst in der Gesellschaft und dem dazugehörigen Wertegefüge zurechtfinden muss.301 Ferner kann das Erkennen eines Missverhältnisses zwischen Anlass und Tat von jungen Menschen nicht in gleichem Maße verlangt werden wie von Erwachsenen. Ihnen fehlt die Lebenserfahrung, um reale Konsequenzen bestimmter Umstände abschätzen zu können. Beispielsweise kann das Ende einer Beziehung für einen jungen Menschen das Gefühl vermitteln, das LeJA 2013, 34 (37). München, BeckRS 2012, 587 Rn. 69. 300  LG München, BeckRS 2012, 587 Rn. 71. 301  Genauer hierzu S. 34. 298  Eisenberg, 299  LG



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ben gehe nicht weiter, während ein Erwachsener, der bereits Trennungen erlebt hat, die Situation anders beurteilen würde. Zudem wird die Motivationsbeherrschung bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden eher zu verneinen sein als bei Erwachsenen. Typischerweise neigen junge Menschen eher zu Spontanhandlungen und Impulsivität. Sie verfügen über eine geringere Selbstbeherrschung als Erwachsene und können daher gefühlsmäßige Regungen schlechter gedanklich beherrschen. Auch die bei Jugendlichen häufiger und stärker wirkenden gruppendynamischen Prozesse können sich abträglich auf die Motivationsbeherrschung auswirken.302 Insgesamt verlangt eine jugendgemäße Auslegung eine stark restriktive Handhabung der niederen Beweggründe bei jungen Menschen. cc) Heimtücke Heimtückisch handelt, „wer eine zum Zeitpunkt des Angriffs bestehende Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tat ausnutzt“.303 Arglos ist dabei, „wer sich zum Zeitpunkt der Tat eines Angriffs nicht versieht“.304 „Arglosigkeit kann auch vorliegen, wenn der Täter dem Opfer zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff aber so kurz ist, dass dem Opfer keine Möglichkeit der Abwehr bleibt“.305 Dieses Verständnis von Arglosigkeit kann im Jugendstrafrecht nicht gleichermaßen Geltung beanspruchen wie im Erwachsenenstrafrecht. Denn das Verhalten Jugendlicher und Heranwachsender zeichnet sich gerade durch ein hohes Maß an Spontaneität und Schnelligkeit aus.306 Es stellt eine Schlechterstellung Jugendlicher bzw. Heranwachsender gegenüber Erwachsenen dar, wenn das oben genannte Begriffsverständnis einfach übertragen wird, weil junge Menschen die Voraussetzungen viel eher erfüllen werden. Sobald also ein für das Opfer sichtbares feindseliges Entgegentreten gegeben ist, ist Heimtücke bei jungen Menschen abzulehnen. Zudem stellt die Heimtücke typischerweise die „Waffe des Schwachen“ dar.307 Junge Menschen weisen gegenüber Erwachsenen eher Merkmale der Schwäche – sei es körperlicher, emotionaler oder kognitiver Art – auf, und sind dementsprechend wiederum durch ihre jugendtypischen Charakteristika ZKJ 2012, 54 (58). Strafgesetzbuch, § 211 Rn. 34. 304  Fischer, Strafgesetzbuch, § 211 Rn. 35. 305  Fischer, Strafgesetzbuch, § 211 Rn. 35c. 306  Eisenberg, JA 2013, 34 (37). 307  Kargl, JZ 2003, 1141 (1144). 302  Eisenberg, 303  Fischer,

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

dem Anwendungsbereich des Mordmerkmals angenähert. Auch deshalb ist das Mordmerkmal der Heimtücke im Jugendstrafrecht besonders restriktiv auszulegen. Das bewusste Ausnutzen wird im Jugendstrafrecht wegen der oft vorliegenden Spontaneität überdies streng restriktiv zu handhaben sein.308 Zudem ist stets zu prüfen, ob das Tatgeschehen nicht durch Elemente des Abenteuers oder des Spiels geprägt ist und ein bewusstes Ausnutzen daher zu verneinen ist. So stellt es sich beim Eingangsbeispiel des Steinewerfens von Autobahnbrücken dar, wenn es dem jungen Täter nur darauf ankommt, den „durch den Aufprall erzeugten Knall auf den Pkw“ zu hören.309 dd) Gemeingefährliche Mittel „Gemeingefährlich ist ein Mittel, wenn es durch seine Anwendung im Einzelfall […] eine Gefahr für eine unbestimmte Anzahl anderer Personen mit sich bringt“.310 Bezüglich dieses objektiven Mordmerkmals ist subjektiv erforderlich, „dass der Täter die mangelnde Beherrschbarkeit der Wirkung des Tötungsmittels und die daraus resultierende Möglichkeit der Gefährdung einer unbestimmten Zahl von Personen an Leib oder Leben kennt oder jedenfalls ernsthaft für möglich hält und einen solchen Gefahreneintritt wünscht oder wenigstens billigend in Kauf nimmt“.311 Ob eine solche Vielgefährlichkeit vorliegt, werden Erwachsene aufgrund ihrer Lebenserfahrung und Übersicht besser einschätzen können als junge Menschen. Für die Lebensphase Jugend ist es kennzeichnend, dass der Ernst der konkreten Situation verkannt wird. Jugendlichen und Heranwachsenden werden zudem manche Geschehensabläufe nicht in den Sinn kommen, da oftmals nur der Spaß an der Sache und die Lust am Abenteuer im Mittelpunkt stehen. Auch hierfür ist das Steinewerfen von Autobahnbrücken beispielhaft. Häufig kommt es den jungen Tätern nur darauf an „den durch den Aufprall erzeugten Knall auf den Pkw“ zu hören.312 Demgemäß muss auch der Mord mit gemeingefährlichen Mitteln bei jungen Menschen äußerst restriktiv angewendet werden. Es ist sicherzustellen, dass der Jugendliche bzw. Heranwachsende die Vielgefährlichkeit erkannt hat und nicht andere jugendtypische Motivationen vorherrschend waren. 308  BGH, 309  LG

juris.

NStZ 2014, 574 (575). Bonn, Urteil vom 26.04.2016 – 28 KLs – 920 Js 860/15 – 11/15 –, Rn. 40,

Strafgesetzbuch, § 211 Rn. 59. in: von Heintschel-Heinegg, BeckOKStGB, § 211 Rn. 76. 312  LG Bonn, Urteil vom 26.04.2016 – 28 KLs – 920 Js 860/15 – 11/15 –, Rn. 40, juris. 310  Fischer,

311  Eschelbach,



II. Subjektive Aspekte der jugendgemäßen Auslegung141

ee) Verdeckungsabsicht Auch das Merkmal der Verdeckungsabsicht kann jungen Menschen nicht gleichermaßen wie Erwachsenen vorgeworfen werden und darf daher nur zurückhaltend Anwendung finden. Das Verwerfliche der Verdeckungsabsicht wird darin gesehen, dass ein Menschenleben ausgelöscht wird, um eine Bestrafung zu vereiteln.313 Voraussetzung für dieses Mordmerkmal ist daher eine rationale Risiko-Nutzen-Abwägung.314 Jugendliche und Heranwachsende sind zu einem solchen rationalen Vorgehen weniger in der Lage als Erwachsene. Wie aus dem Kriterienkatalog ersichtlich, ist vielmehr das Vorherrschen des Gefühls- und Trieblebens und das Leben im Augenblick jugendtypisch. Junge Menschen handeln eher triebhaft, reflexhaft, situations­ gebunden und kopflos-unüberlegt.315 Entscheidungen werden häufig aus dem Bauch heraus getroffen und die Konsequenzen des Handelns werden im maßgeblichen Moment meist nicht überblickt.316 Daher ist bei der Prüfung der Verdeckungsabsicht stets zu hinterfragen, ob diese tatsächlich gegeben ist oder ob es sich dagegen um eine jugendtypische reflexhafte Reaktion auf eine Überforderungssituation handelt. Zudem ist die Fähigkeit junger Menschen, Verantwortung für begangene Handlungen zu übernehmen, im Vergleich zu Erwachsenen grundsätzlich geringer ausgeprägt. Sie werden demnach eher dazu tendieren, etwas ver­ decken zu wollen, was ihnen entwicklungsbedingt nicht in gleichem Umfang wie Erwachsenen vorgeworfen werden kann. Verdeutlichen lässt sich dies anhand der jugendtypischen „Entscheidung eines […] Jugendlichen, einen von ihm versehentlich beschädigten Gegenstand der Eltern ggf ganz zu vernichten oder zu verstecken in der vergeblichen Hoffnung, dadurch einer Sanktion wegen der versehentlich leichten Beschädigung zu entgehen“.317 Dies entspricht einem als „Flucht nach vorne“ beschriebenen jugendspezifischen Phänomen.318 „Wir sprechen dann von ihr, wenn es bei einem primär nicht intendierten Tötungsdelikt nach der ersten Auseinandersetzung mit dem Opfer zu einer kurzen Handlungszäsur kommt, in welcher der Täter plötzlich mit der eigenen Tat konfrontiert wird, die er mit seiner Wertvorstellung nicht in Einklang bringen kann, und die er bei sich selbst stark abwehren möchte. Dies gibt dann offenbar erst den Anlaß zu einer Fortsetzung der aggressiven Handlungen, welche dann oft überschießend im Sinne eines ‚overkill‘ vorgeJA 2001, 153 (162). JA 2001, 153 (162). 315  Eisenberg, JA 2001, 153 (163). 316  Eisenberg, JA 2001, 153 (163). 317  Eisenberg, JA 2001, 153 (163). 318  Lempp, Jugendliche Mörder, S. 172. 313  Eisenberg, 314  Eisenberg,

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

nommen wird.“319 Dies deckt sich mit den Erkenntnissen aus kriminal­ psychologischen Untersuchungen, wonach „bei Tötungsdelikten Jugendlicher und selbst Heranwachsender das von außen erkennbare Motiv ‚Verdeckungsabsicht‘ subjektiv eine geringere Rolle spielt als der naive Wunsch, das Opfer und damit die Tat als solche aus der Welt zu schaffen und damit all das zu beseitigen, was für die eigene Persönlichkeit inkompatibel ist.“320 Diese charakteristische Flucht nach vorne muss klar von der Verdeckungsabsicht abgegrenzt werden, denn es geht nicht darum, die Tat vor den Ermittlungsbehörden zu verdecken, sondern vor sich selbst. c) Straßenverkehrsdelikte Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung gibt ferner im Rahmen der Straßenverkehrsdelikte eine vorsatzkritische Handhabung der subjektiven Tatbestandsmerkmale vor. Im Folgenden soll auf zwei herausgegriffene Beispiele eingegangen werden. Gem. § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB und § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB handelt rücksichtslos, „ ‚wer sich aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit von vornherein Bedenken gegen sein Verhalten nicht aufkommen lässt‘ “.321 Das Vorliegen der Rücksichtslosigkeit muss bei jungen Menschen kritisch geprüft werden. Sofern das Geschehen durch Elemente eines Spiels, einer Mutprobe oder eines Abenteuers, also durch ein jugendlich-unbedachtes Vorgehen geprägt ist, kann nicht von eigensüchtigen Gründen oder Gleichgültigkeit gesprochen werden. Spiel, Mutprobe und Abenteuer bestimmen häufig und typischerweise das Verhalten junger Menschen, sodass gleiches äußeres Handeln bei Erwachsenen und Jugendlichen bzw. Heranwachsenden einer abweichenden Bewertung bedarf.322 Außerdem setzt Rücksicht „eine gewisse Vorerfahrenheit und ein Gefahrenbewusstsein“ voraus, „über welche junge Menschen in ihrer Unbekümmertheit oft noch nicht verfügen“.323 § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB wurde durch das 56. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.09.2017324 eingeführt, wobei eine Auseinandersetzung mit Jugend­ lichen und Heranwachsenden unterblieb.325 Jugendliche Mörder, S. 172. JA 2001, 153 (163). 321  Fischer, Strafgesetzbuch, § 315c Rn. 14, § 315d Rn. 15. 322  Eisenberg, JA 2001, 153 (162); Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 11; Laue, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 2 JGG Rn. 24. 323  Walter, NStZ 1992, 470 (473); Brehm, Fragen der Weiterentwicklung des jugendkriminalrechtlichen Rechtsfolgensystems, S. 202. 324  BGBl. I 2017 S. 3532. 319  Lempp,

320  Eisenberg,



II. Subjektive Aspekte der jugendgemäßen Auslegung143

Im Rahmen des § 316 StGB kann der Vorsatz aufgrund jugendlicher Selbstüberschätzung verneint werden.326 Junge Menschen können ihre Fähigkeit, ein Fahrzeug sicher zu fahren, schlechter einschätzen als Erwachsene.327 Das liegt zum einen an der geringeren Fahrerfahrung, und an der geringeren Erfahrung mit alkoholischen Getränken sowie anderen berauschenden Mitteln, zum anderen aber auch an dem jugendcharakteristischen Merkmal der Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit und der Unterschätzung von Gefahrenlagen.328 Außerdem führt Alkoholkonsum bei jungen Menschen eher zu einer Verschlechterung der Fähigkeit, ein Fahrzeug sicher zu führen als bei Erwachsenen. Dies kann daran liegen, dass sie schneller alkoholbedingt enthemmt werden oder dass neu erworbene, noch nicht über eine längere Dauer gefestigte Fähigkeiten schneller wegfallen.329 Verstärkt wird dies dadurch, dass sich Jugendliche und Heranwachsende an erwachsenen Personen in ihrem Umfeld orientieren und davon ausgehen, dass sie bei entsprechendem Alkoholkonsum gleichermaßen zum Fahren in der Lage sind. Die für die dritte Voraussetzung der jugendgemäßen Auslegung einzig relevante Änderung erfuhr § 316 StGB durch das 56. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.09.2017330, wobei sich der Gesetzgeber ausweislich der zentralen Mate­ rialien nicht mit Jugendlichen und Heranwachsenden befasst hat.331 4. Jugendgemäße Auslegung der Fahrlässigkeit Die Annahme fahrlässigen Verhaltens erfordert die Verletzung einer Sorgfaltspflicht und deren Vorhersehbarkeit.332 Objektiv sorgfaltsgemäß handelt, wer die aus seinem Verhalten resultierenden Gefahren erkennt und sein Handeln darauf einstellt. Hinsichtlich des Sorgfaltsmaßstabes ist auf einen „besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden“ bei Betrachtung der Gefahrenlage ex ante abzustellen.333 Es ist also auf eine objektive, umsichtige und erfahrene Maßstabperson abzustellen.334 325  BR-Drs. 362/16, S. 9; BT-Drs. 18/10145, S. 11; BT-Drs. 18/12936; BT-Drs. 18/ 12964. 326  LG Kaiserslautern, 28.03.2012, – 6035 Js 15792/10 – 1 KLs – zitiert nach BGH, NStZ 2013, 231 (232) mit a. A. 327  Kölbel, ZfJ 1998, 10 (17). 328  BGH, NStZ 2018, 460 (462). 329  Kölbel, ZfJ 1998, 10 (17 f.). 330  BGBl. I 2017 S. 3532. 331  BR-Drs. 362/16, S. 9; BT-Drs. 18/10145, S. 11; BT-Drs. 18/12936; BT-Drs. 18/ 12964. 332  Fischer, Strafgesetzbuch, § 15 Rn. 20. 333  Fischer, Strafgesetzbuch, § 15 Rn. 26. 334  Fischer, Strafgesetzbuch, § 15 Rn. 26.

144

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

In diesem Zusammenhang bedeutet jugendgemäße Auslegung, dass im Anwendungsbereich des Jugendstrafrechts stets fahrlässigkeitskritische ju­ gendspezifische Umstände zu prüfen sind. Die objektive Maßstabperson muss im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht eine andere sein. Wie aus dem Kriterienkatalog ersichtlich sind Erwachsene erfahrener und umsichtiger. Ihnen kann hinsichtlich der Sorgfaltspflichten dementsprechend mehr abverlangt werden als Jugendlichen und Heranwachsenden. Damit ist bezüglich des Sorgfaltsmaßstabes bereits bei der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung auf einen durchschnittlichen jungen Menschen in der sozialen Rolle des Handelnden abzustellen. Die Sorgfaltsanforderungen sind also entsprechend ju­ gendspezifisch anzupassen. Bei der objektiven Vorhersehbarkeit kommt es „auf die nach der Lebenserfahrung zu beurteilende Voraussehbarkeit des Enderfolges“ an.335 Es soll vorliegend nicht – wie Märker336 vorschlägt – ein pauschaler Verzicht auf die unbewusste Fahrlässigkeit bei Jugendlichen vorgenommen werden. Wohl aber muss genau geprüft werden, was ein junger Mensch hätte vorhersehen können. Dies muss restriktiv und mit Blick auf sein Alter erfolgen. Hierbei ist in Rechnung zu stellen, dass junge Menschen über weniger Lebenserfahrung verfügen als Erwachsene und dass sie Risiken und Gefahren schlechter abschätzen können als diese. Eine Auslegung, welche diese entwicklungsspezifischen Besonderheiten nicht berücksichtigt, stellt eine Benachteiligung junger Menschen dar und verstößt somit gegen das Verbot der Schlechterstellung.337 Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung gebietet also bereits auf Ebene der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung und Vorhersehbarkeit, jugendtypische Besonderheiten zu berücksichtigen. Diese sind nicht erst auf Ebene der Schuld zu erwägen. Dort sind aber weiterhin vom Alter unabhängige persönliche Kenntnisse und Fähigkeiten zu beachten. 5. Irrtumsproblematik bei jungen Menschen a) Tatbestandsirrtum Ein Tatbestandsirrtum führt gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB i. V. m. § 2 Abs. 2 JGG zu einem Vorsatzausschluss. Im Rahmen des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB werden nicht nur positive Fehlvorstellungen, sondern auch die ignorantia

in: von Heintschel-Heinegg, BeckOKStGB, § 229 Rn. 8. Vorsatz und Fahrlässigkeit bei jugendlichen Straftätern, S. 279 f. 337  Eisenberg, ZJJ 2021, 150 (152). 335  Eschelbach, 336  Märker,



II. Subjektive Aspekte der jugendgemäßen Auslegung145

facti, also die Abwesenheit einer Vorstellung, erfasst.338 Der Vorsatz muss hinsichtlich aller Merkmale des objektiven Tatbestands vorliegen, insbesondere auch bezüglich des Kausalverlaufs. Eine Zurechnung des Vorsatzes scheidet dabei aus, wenn sich die Abweichung vom Kausalverlauf „nicht mehr in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält und aufgrund eines insoweit veränderten Unrechtsgehalts eine andere rechtliche Bewertung der Tat erfordert“.339 Jugendliche und Heranwachsende sind noch unerfahren und unwissend, was eine sachverhaltsbezogene Fehlvorstellung hinsichtlich der tatbestand­ lichen Voraussetzungen begünstigen kann.340 Typische Geschehensabläufe sind ihnen weniger geläufig und Verkennungen der objektiven Lage sind charakteristisch für das Jugendalter. Zudem sind Unüberlegtheit und Gedankenlosigkeit bezeichnend für Jugendliche und Heranwachsende. Darüber hinaus sind junge Menschen impulsiver als Erwachsene und Emotionen herrschen gegenüber rationalen Entscheidungen vor. All dies ergibt sich aus dem Kriterienkatalog. Diese empirischen Erkenntnisse sind auf normativer Ebene umzusetzen. Denn Jugendliche und Heranwachsende dürfen wegen ihrer natürlichen Eigenschaften nicht schlechter gestellt werden als Erwachsene, sondern müssen vielmehr bessergestellt werden. Außerdem wird es sich als erzieherisch und spezialpräventiv abträglich darstellen, wenn auf die subjektiven Vorstellungen dieser Altersgruppe keine Rücksicht genommen wird. Demgemäß wird ein Tatbestandsirrtum bei jungen Menschen häufiger zu bejahen sein als bei Erwachsenen und muss deshalb stets in die Prüfungsüberlegungen mitaufgenommen werden. Gefordert wird also eine positive Feststellung der Irrtumsfreiheit vergleichbar mit der Prüfung nach § 3 JGG. Insbesondere die ignorantia faci muss wegen der typischen Unüberlegtheit und Gedankenlosigkeit junger Menschen bedacht werden. Überdies muss hinsichtlich einer Abweichung vom Kausalverlauf an die allgemeine Lebenserfahrung eines durchschnittlichen jungen Menschen und nicht an die eines Erwachsenen angeknüpft werden.

in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 16 Rn. 2. NJW 2011, 2065 (2066 Rn. 11). 340  Ostendorf, JZ 1986, 664 (666); LG Ravensburg, NStZ-RR 2007, 353 (354); Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 3 Rn. 19; BGH, NJW 2018, 3658 (3659); Laue, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 3 JGG Rn. 20; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 3 Rn. 43. 338  Joecks/Kulhanek, 339  BGH,

146

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

b) Verbotsirrtum Auch der Verbotsirrtum beschäftigt sich mit der subjektiven Täterperspektive. Bei einem unvermeidbaren Verbotsirrtum entfällt gem. § 17 S. 1 StGB i. V. m. § 2 Abs. 2 JGG die Schuld. Hinsichtlich der Vermeidbarkeit gilt ­folgendes: „Der Täter ist zunächst verpflichtet zur gehörigen Gewissensanspannung unter Aufbietung seiner intellektuellen Erkenntniskräfte, um dadurch das Unrechtmäßige seiner Handlung zu erkennen. Hat er dies unterlassen und es aufgrund dessen in zurechenbarer Weise versäumt, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu erkennen, so war der Irrtum vorwerfbar und somit vermeidbar“.341 Maßgeblich sind in diesem Zusammenhang die konkreten Umstände des Einzelfalls. Es ist auf die individuellen Fähigkeiten des Täters abzustellen, insbesondere auf seinen Bildungsstand und seine Erfahrungen.342 Hinsichtlich der empirisch-kriminologischen Grundlage ist anzuführen, dass junge Menschen grundsätzlich über geringere kognitive Fähigkeiten und Erfahrungswerte als Erwachsene verfügen. Außerdem sind sie weniger reflektiert. Dies ergibt sich wiederum aus dem aufgestellten Kriterienkatalog. Die Fähigkeit zum Erkennen der Rechtswidrigkeit des eigenen Handelns ist bei Jugendlichen und Heranwachsenden geringer ausgeprägt als bei Erwachsenen. Dem entsprechen die Ausführungen zur Moral im Jugendalter.343 Demgemäß können auf normativer Ebene an das Ergebnis der gehörigen Gewissensanspannung nicht die gleichen Erwartungen gestellt werden wie bei Erwachsenen. Bei einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB wird bei jungen Menschen daher eher von einer Unvermeidbarkeit des Irrtums auszugehen sein als bei Erwachsenen.344 Die Folgenorientierungs- und Begrenzungsfunktion des Erziehungsgedankens spricht für diese Herangehensweise. Außerdem entspricht dieses zurückhaltende Vorgehen dem Grundsatz der positiven Spezialprävention.

in: von Heintschel-Heinegg, BeckOKStGB, § 17 Rn. 35. Strafgesetzbuch, § 17 Rn. 8. 343  Ausführlich hierzu S. 38 ff. 344  OLG Hamm, Urteil vom 02.02.1977 – 4 Ss 780/76 –, Rn. 10, juris; Ostendorf, JZ 1986, 664 (665); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 3 Rn. 45. 341  Heuchemer, 342  Fischer,



III. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene der Rechtswidrigkeit147

III. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene der Rechtswidrigkeit – die rechtfertigende Einwilligung 1. Einwilligungsfähigkeit nach dem Einheitsmodell Eine der Voraussetzungen einer wirksamen rechtfertigenden Einwilligung ist die Einwilligungsfähigkeit. Nach der Rechtsprechung ist einwilligungs­ fähig, wer in der Lage ist, „Wesen, Bedeutung und Tragweite“ seiner Entscheidung zu überblicken.345 Über § 2 Abs. 2 JGG wird bei jungen Menschen gleichermaßen verfahren. Allerdings ist die genannte Definition der Rechtsprechung unpräzise und gibt keine hinreichende Entscheidungsgrundlage an die Hand.346 Zudem wird nicht sichergestellt, dass auf jugendtypische Besonderheiten in ausreichendem Maß Rücksicht genommen wird und diese mit in die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit einfließen. Demzufolge können die Kriterien aus dem Erwachsenenstrafrecht nicht eins zu eins übertragen werden. 2. Einwilligungsfähigkeit nach dem jugendspezifischen teleologischen Trennungsmodell Die Prüfung der Einwilligungsfähigkeit muss nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung mit Blick auf die besondere Lebenslage junger Menschen erfolgen.347 Im Folgenden sind Kriterien herauszuarbeiten anhand derer bestimmt werden kann, ob der Jugendliche bzw. Heranwachsende in der Lage ist, seine Einwilligung wirksam zu erklären. Dabei ist der Kerngedanke der Einwilligung in den Blick zu nehmen. Die Einwilligung ist ein „Instrument der Interessenwahrnehmung“348, mithin Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts des Einwilligenden.349 Diesem wird eine Kosten-Nutzen-Abwägung abverlangt, indem er auf ein Rechtsgut zugunsten eines für ihn vorrangigen Interesses verzichtet.350 Die Einwilligungsentscheidung muss zwar nicht objektiv vernünftig sein, sehr wohl muss sie aber „einem zu subjektiv vernünftigen Entscheidungen fähigen Geist entsprin­ 345  BGH,

juris.

Entscheidung vom 13.05.1969 – 2 StR 616/68 –, BGHSt 23, 1, Rn. 9,

346  Amelung, ZStW 1992, 525 (537); Amelung, NStZ 1999, 458 (459); Amelung/ Eymann, JuS 2001, 937 (942). 347  So auch: Amelung, NStZ 1999, 458 (459); Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 1 Rn. 10. 348  Amelung, ZStW 1992, 525 (544); Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (939). 349  Amelung, ZStW 1992, 525 (547). 350  Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (939).

148

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

gen“.351 Als autonom erteilt muss mithin eine Einwilligung gelten, bei der der Einwilligende ohne Verzerrungen entscheidet.352 Einwilligungsunfähig ist hingegen, wer „des Schutzes vor sich selbst bedarf, weil er wegen eines psychischen Defizits […] nicht subjektiv vernünftig mit seinen Gütern umgehen kann.“353 Hinsichtlich der empirisch-kriminologischen Grundlage ist Folgendes anzuführen: Junge Menschen sind nicht gleichermaßen wie Erwachsene in der Lage, mit ihren Rechtsgütern subjektiv vernünftig umzugehen, weshalb sie bei ihrer Einwilligungsentscheidung erhöht schutzbedürftig sind. Die für Jugendliche und Heranwachsende aus dem Kriterienkatalog ersichtlichen typischen Eigenschaften führen dazu, dass ihre Einwilligungsentscheidung häufig auf einer verzerrten Realitätswahrnehmung beruht. Verantwortlich hierfür sind ein ungefestigtes Wertgefüge, Selbstwertprobleme, eine leichte Beeinflussbarkeit, ein ausgeprägtes Experimentier- und Probierverhalten und die damit einhergehende erhöhte Risikobereitschaft.354 Gerade auch der jugendtypische Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit in Bezug auf Gleichaltrige kann psychischen Druck bei jungen Menschen erzeugen und so die Einwilligungsentscheidung beeinflussen.355 „Die Fähigkeit, den Wert eigener Rechtsgüter und die Bedeutung und Risiken ihrer Preisgabe einzuschätzen, ist kein statisches Fixum, sondern prägt sich mit dem Heranwachsen zunehmend aus.“356 Jugendtypisch verzerrte Wertungen führen auf normativer Ebene demnach zum Ausschluss der Einwilligungsfähigkeit und machen so die Einwilligung unwirksam.357 Die Einwilligungsfähigkeit ist nach einer jugendgemäßen Auslegung nur dann gegeben, wenn der Jugendliche oder Heranwachsende den Wert seiner betroffenen Rechtsgüter und die Tatsachen, Folgen und Risiken der gestatteten Handlungen erkennt, gleichzeitig erfasst, welche Alternativlösungen vernachlässigt werden und seine Entscheidung danach ausrichtet.358 Ob die Einwilligung im Einzelfall auf einer verzerrten Wertung des jungen Menschen beruht, lässt sich durch einen Vergleich mit der Wertung eines durchschnittlichen Erwachsenen in vergleichbarer Situation feststelu. a., Strafrecht Allgemeiner Teil, Rn. 132. JuS 2001, 937 (939). 353  Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (942). 354  Amelung, ZStW 1992, 525 (552). 355  Amelung, NStZ 1999, 458 (460). 356  Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rn. 40. 357  Amelung, NStZ 1999, 458 (460). 358  Amelung, NStZ 1999, 458 (460); Amelung, JR 1999, 45 (47); Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (942). 351  Baumann

352  Amelung/Eymann,



IV. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene der Schuld149

len.359 Ein durchschnittlicher Erwachsener würde sich nicht an einer Prügelei als Aufnahmeritual einer Gang beteiligen und so seine Gesundheit für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe riskieren. Ein solches Verhalten ist vielmehr jugendtypisch und beruht auf einem verzerrten Werteverständnis.360 Dabei entspringt die Einwilligungsentscheidung nicht dem eigenen vernünftigen Willen unter Beachtung des Werts der eigenen Rechtsgüter und der Folgen und Risiken der Handlungen, sondern der mangelnden Selbstsicherheit und dem Imponiergehabe gegenüber anderen, mithin jugendtypischen Erwäggrün­ den.

IV. Jugendgemäße Auslegung auf Ebene der Schuld Bei der im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung vorzunehmenden Gesamtwürdigung ist den Unterschieden zwischen jungen und erwachsen Menschen durch eine jugendgemäße Auslegung Rechnung zu tragen. Exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum sind im Jugendalter kein seltenes Phänomen.361 Junge Menschen müssen einen angemessenen Umgang mit Suchtmitteln erst erlernen.362 Es handelt sich dabei um eine eigene Entwicklungsaufgabe.363 Alkoholkonsum sollte im Jugendalter als „ein Stück Nor­ malität im Rahmen der Entwicklung und Identitätsarbeit“ begriffen werden.364 Wie bereits erläutert, sind Risikoverhaltensweisen charakteristisch und entwicklungsbegleitend in dieser Altersphase. Alkohol- und Drogenkonsum ist Ausdruck des ausgeprägten Probier- und Experimentierverhaltens der jugendlichen Lebensphase.365 „Flatrate-Partys“ und „Koma-Saufen“ bzw. „Binge drinking“ sind „neue Phänomene im jugendtypischen Alkoholkonsums-Verhalten“.366 Der Konsum beinhaltet für junge Menschen „den Reiz des Verbotenen“ und den „Reiz des Eindringens in die Erwachsenenwelt“.367 Zudem spielt er sich vor allem in Gruppenkonstellationen ab.368 Straftaten NStZ 1999, 458 (460). NStZ 1999, 458 (460). 361  Heckmann, ZJJ 2009, 322 (325); Möller, ZJJ 2009, 313 (313); Schlieckau, ZJJ 2009, 318 (318 f.); Baier/Schepker/Bergmann, ZJJ 2016, 324 (324); Orth/Merkel, Der Alkoholkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland, S. 15 ff. 362  Walter/Neubacher, Jugendkriminalität, Rn. 266. 363  Baier/Rabold, ZJJ 2009, 292 (292). 364  Litau, Alkoholkonsum als Lernprozess, S. 45. 365  Schlieckau, ZJJ 2009, 318 (319); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 16. 366  Heckmann, ZJJ 2009, 322 (322). 367  Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 14. 368  Schlieckau, ZJJ 2009, 318 (319); Litau, Alkoholkonsum als Lernprozess, S.  39 ff.; Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 14. 359  Amelung, 360  Amelung,

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D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

Jugendlicher und Heranwachsender werden daher häufig unter Alkoholeinfluss begangen.369 Ferner ist zu beachten, dass ein Markt existiert, der junge Menschen zum Alkoholkonsum verleiten möchte. Hierbei ist die Erfindung neuartiger Getränke wie Alko-Pops, jugendtypische Werbung und Sponsoring der genannten Flatrate-Partys zu nennen.370 Alkohol- und Drogenkonsum können sich bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden und Erwachsenen unterschiedlich auswirken. Die enthemmende Wirkung kann bei jungen Menschen besonders ausgeprägt sein. Dies resultiert aus dem biologischen Entwicklungsstadium, dem Reifegrad und der oft geringeren Konsumgewöhnung Jugendlicher und Heranwachsender.371 Speziell Alkohol wirkt Ängste vermindernd.372 Dies kann sich mit der bei jungen Menschen ohnehin schlechteren Impulskontrolle potenzieren. Auch gruppendynamische Prozesse haben eine zusätzliche Verstärkerwirkung. Diese Erkenntnisse müssen auf normativer Ebene bei der Prüfung der Schuldfähigkeit Beachtung finden. Eine solche Vorgehensweise entspricht dem Verbot der Schlechterstellung und dem Gebot der Besserstellung junger Menschen gegenüber Erwachsenen. Auch der Erziehungsgedanke und der Grundsatz der positiven Spezialprävention zwingen zu einer Berücksichtigung der empirischen Erkenntnisse. Demnach dürfen die bei Erwachsenen etablierten Regelungen nicht eins zu eins für Jugendliche und Heranwachsende übernommen werden. Dadurch sollen die besonderen Lebensumstände junger Menschen möglichst umfassend und sachgerecht berücksichtigt werden. Bereits eine Blutalkoholkonzentration unter 3 ‰ kann bei jungen Menschen Indiz für die Schuldunfähigkeit sein.373 Für die verminderte Schuldfähigkeit genügen Werte unter 2 ‰.374 Ebenso sind beim Drogenkonsum die für die Annahme der Schuldunfähigkeit für Erwachsene formulierten Anforderungen gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden herabzusetzen.375 369  Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 15: bezüglich Körperverletzungen Özsöz, ZJJ 2014, 152 (153); zur Gewaltkriminalität Hoops/Holthusen, ZJJ 2019, 155 (155). 370  Heckmann, ZJJ 2009, 322 (327). 371  BGH, NStZ 1984, 75 (76); BGH, BeckRS 1992, 1542; Heckmann, ZJJ 2009, 322 (325); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 37. 372  Heckmann, ZJJ 2009, 322 (323). 373  OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1998, 86 (87); BGH, BeckRS 2012, 23336; Laue, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 2 JGG Rn. 25; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 37. 374  BGH, NStZ 1984, 75 (76); BGH, BeckRS 1992, 31083476; BGH, NStZ-RR 1997, 65 (66); BGH, NStZ 1997, 383 (384); BGH, NStZ-RR 2012, 137 (137 f.); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 15; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 37; Laue, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 2 JGG Rn. 25. 375  Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 16.



V. Jugendgemäße Auslegung der Rücktrittsvoraussetzungen151

Stets ist die Heranziehung eines Sachverständigen angezeigt.376 Ein entgegenstehender Wille des Gesetzgebers liegt ausweislich der Gesetzesmaterialien377 zur hier einzig relevanten Änderung durch das 60. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.11.2020378 nicht vor.

V. Jugendgemäße Auslegung der Rücktrittsvoraussetzungen Auch im Rahmen der Rücktrittsvoraussetzungen ist zu beachten, „dass das Vorgehen und die Situationswahrnehmung von Jugendlichen und Heranwachsenden durch alterstypische Perspektiven und lebensweltliche Verständnisse geprägt sind.“379 Die Rücktrittsvoraussetzungen sind dementsprechend jugendgemäß auszulegen.380 Dabei sind insbesondere die Kategorien fehlgeschlagener Versuch, unbeendeter oder beendeter Versuch und auch die Freiwilligkeit in den Blick zu nehmen. Ein Fehlschlag liegt vor, „wenn der Taterfolg aus Sicht des Täters […] mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt wird“.381 „Beendet ist der Versuch, wenn der Täter glaubt, alles zur Verwirklichung des Tatbestands Erforderliche getan zu haben, dies für möglich hält oder sich trotz Erkenntnis der Möglichkeit einer Tatbestandsverwirklichung keine Vorstellungen von den Folgen seines Handelns macht.“382 „Unbeendet ist der Versuch, wenn der Täter sicher annimmt, zur Vollendung des Tatbestands bedürfe es noch weiteren Handelns.“383 Maßgeblich ist jeweils die Vorstellung des Täters unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (Rücktrittshorizont).384 Hinsichtlich der empirisch-kriminologischen Grundlage ist anzuführen, dass junge Menschen nicht über die gleichen Kenntnisse und Erfahrungen hinsichtlich typischer Geschehensabläufe und spezifischer Gefahrensituatio376  BGH, BeckRS 1992, 1542; BGH, NStZ 2008, 644 (645); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 15. 377  BR-Drs. 167/20, S. 50 ff.; BT-Drs. 19/19859, S. 47 ff.; BT-Drs. 19/23179. 378  BGBl I 2020 S. 2600. 379  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 34. 380  So ebenfalls: Eisenberg, ZJJ 2010, 330 (331); Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 10; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 34. 381  Fischer, Strafgesetzbuch, § 24 Rn. 7. 382  Fischer, Strafgesetzbuch, § 24 Rn. 14a. 383  Fischer, Strafgesetzbuch, § 24 Rn. 14a. 384  Fischer, Strafgesetzbuch, § 24 Rn. 7, 14b.

152

D. Materiell-rechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

nen wie Erwachsene verfügen.385 Dies ergibt sich bereits aus dem erstellten Kriterienkatalog. Außerdem geraten sie schneller in Überforderungssituationen, sodass auch insoweit die subjektive Wahrnehmung verzerrt sein kann. Verkennungen der objektiven Situation sind daher symptomatisch für die jugendliche Lebensphase. Zudem sind Unüberlegtheit und Gedankenlosigkeit kennzeichnend für Jugendliche und Heranwachsende. Sie leben im Augenblick und ihre Fähigkeit zu zeitlich überschauendem Denken ist weniger ausgeprägt als bei Erwachsenen. Überdies ist ihre Fähigkeit zur Folgenabwägung abgeschwächt. Auch das folgt wiederum aus dem Kriterienkatalog. Die von Erwachsenen abweichende Fähigkeit zur Situationswahrnehmung junger Menschen muss bei der Anwendung der oben genannten Definitionen beachtet werden. Es darf nicht von aus Erwachsenensicht vermeintlich klaren objektiven Situationen auf subjektive Wahrnehmungen junger Menschen geschlossen werden. So soll vermieden werden, dass die spezifischen Eigenheiten junger Menschen den Weg zurück in die Legalität verbauen und somit erzieherisch und spezialpräventiv dysfunktionale Wirkungen entstehen. Bei der Annahme eines Fehlschlags oder eines beendeten Versuchs ist damit Zurückhaltung angezeigt. Beim beendeten Versuch kommt noch folgende Überlegung hinzu: Die Rechtsprechung nimmt einen solchen schon dann an, wenn sich der Täter keine Vorstellungen von den Folgen seines Handelns macht. Dieser Aspekt ist auf Jugendliche und Heranwachsende nicht übertragbar. Im Falle der ignorantia facti muss bei jungen Menschen demgegenüber von einem unbeendeten Versuch ausgegangen werden, da sie aufgrund ihrer natürlichen Eigenheiten eher als Erwachsene dazu neigen, sich keine Gedanken über die Folgen ihres Handelns zu machen und teilweise auch noch gar nicht dazu in der Lage sind. Hierfür streiten wiederum das Verbot der Schlechterstellung und das Gebot der Besserstellung. Die Freiwilligkeit setzt voraus, dass „der Täter die Tatvollendung aus selbst-gesetzten Motiven nicht mehr erreichen will“.386 Er muss danach „Herr seiner Entschlüsse sein“ und darf weder durch eine äußere Zwangslage noch durch seelischen Druck von der Vollendung der Tat abgehalten werden.387 Hinsichtlich der empirisch-kriminologischen Grundlage ist zu bemerken, dass die Fähigkeit zu selbstständigem Urteilen und Entscheiden bei jungen Menschen gegenüber Erwachsenen herabgesetzt ist. Sie sind leichter beein385  BGH, Urteil vom 19.05. 2010 – 2 StR 278/09 –, Rn. 29, juris zu jugendtypisch eingeschränkten Kenntnissen über den Verlauf von Brandverletzungen. 386  Fischer, Strafgesetzbuch, § 24 Rn. 19. 387  Fischer, Strafgesetzbuch, § 24 Rn. 19.



V. Jugendgemäße Auslegung der Rücktrittsvoraussetzungen153

flussbar, geraten schneller in Überforderungssituationen und Emotionen sind vorherrschend vor rationalen Entscheidungen. All dies ergibt sich aus dem aufgestellten Kriterienkatalog. Aufgrund dieser jugendtypischen Besonderheiten liegt die Annahme einer äußeren Zwangslage und eines seelischen Drucks nahe. Dementsprechend steht wegen der entwicklungstypischen Besonderheiten Jugendlicher und Heranwachsender eher die Annahme der Unfreiwilligkeit im Raum. Ein Rücktritt infolge einer „nüchternen Abwägung“388 erscheint seltener als bei Erwachsenen. Vor dem Hintergrund des Erziehungsgedankens und des Grundsatzes der positiven Spezialprävention ist es allerdings kontraproduktiv, jungen Menschen durch eine nicht zwischen den Altersgruppen differenzierende Normanwendung die Brücke in die Legalität zu verbauen. Ferner ist dieser Weg vor dem Hintergrund des Schlechterstellungsverbots versperrt. Nach dem Gebot der Besserstellung muss jungen Menschen vielmehr die Chance zum Rücktritt eher offengelassen werden als Erwachsenen. Ihnen muss überdies vermittelt werden, dass ein Abstandnehmen von der Tat per se positiv zu bewerten ist und dementsprechend belohnt wird. Demzufolge müssen die jugendspezifischen Besonderheiten auf normativer Ebene beachtet und die Anforderungen an die Freiwilligkeit modifiziert werden. Nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung ist die Freiwilligkeit zu bejahen, wenn der Täter die Tatvollendung aus selbst- oder fremdgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will. Es genügt damit die Abkehr vom Verwirklichungswillen unabhängig von den Beweggründen.

388  BGH,

NJW 1988, 1603 (1604).

E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen I. Die Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht 1. Überblick über die bisherige Handhabung der Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht a) Zwingender Charakter der Regelungen Nach einer Ansicht ist der Regelungskomplex der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung in den §§ 73 ff. StGB über § 2 Abs. 2 JGG uneingeschränkt auf das Jugendstrafrecht übertragbar, wobei die Vertreter dieser Auffassung die Normen als zwingendes Recht einordnen. Die Wertersatzeinziehung nach § 73c S. 1 StGB ist danach auch dann anzuordnen, wenn das Erlangte nicht mehr im Vermögen des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden vorhanden ist.1 Hierfür spreche die Entscheidung des Gesetzgebers, dass gem. §§ 6, 8 Abs. 3 S. 1 JGG nur ganz bestimmte Nebenfolgen im Jugendstrafrecht ausgeschlossen sind, im Umkehrschluss dazu die Vermögensabschöpfung aber nicht. § 6 JGG sei eine abschließende Ausnahmeregelung, welche nicht mit einem Verweis auf den Erziehungsgedanken umgangen werden könne.2 § 8 1  Noch zur alten Rechtslage mit der Möglichkeit der Härtevorschrift des § 73c a. F.: BGH, NStZ 2011, 270 (271 Rn. 7 ff.); Altenhain, NStZ 2011, 272 (272); BGH, NStZ 2017, 401 (403); zur aktuellen Fassung: LG Trier, Urteil vom 27.09.2017 – 8031 Js 20631/16 jug. 2a Ns –, Rn. 23, juris; Reitemeier, ZJJ 2017, 354 (354 ff.); Brunner/ Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 5; Köhler, NStZ 2018, 731 (731 f.); Korte, NZWiSt 2018, 231 (232 f.); BGH, Urteil vom 24.05.2018 – 5 StR 623/17 und 5 StR 624/17 – Rn. 11 f., juris; BGH, Urteil vom 27.09.2018 – 4 StR 78/18 –, Rn. 10 ff., juris; BGH, Beschluss vom 15.01.2019 – 4 StR 513/18 –, juris; BGH, Beschluss vom 24.01.2019 – 5 StR 475/18 –, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 28.01.2019 – 1 Ss 180/18 –, Rn. 11 ff., juris; LG Limburg, Urteil vom 25.03.2019 – 2 Ns – 2 Js 57115/18 –, Rn. 27, juris; LG Köln, NStZ-RR 2019, 232 (232); BGH, NStZ 2019, 221 (222); BGH, Urteil vom 08.05.2019 – 5 StR 95/19 –, Rn. 6 ff., juris; OLG Zweibrücken, Urteil vom 27.05.2019 – 1 OLG 2 Ss 11/19 –, Rn. 9, juris; BGH, Beschluss vom 17.06.2019 – 4 StR 62/19 –, Rn. 7 ff., juris; Rose, NStZ 2019, 648 (649); OLG Hamm, BeckRS 2020, 21462; Diemer, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 8 Rn. 11 f.; Kulhanek, JZ 2022, 49 (52). 2  Altenhain, NStZ 2011, 272 (272); BGH, NStZ 2011, 270 (271 Rn. 7 ff.); LG Trier, Urteil vom 27.09.2017 – 8031 Js 20631/16 jug. 2a Ns –, Rn. 23, juris.



I. Die Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht155

Abs. 3 S. 1 JGG beschäftige sich außerdem nur mit der Frage einer Koppelung der Rechtsfolgen, sodass dessen Wortlaut nicht gegen den zwingenden Charakter der Normen der Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht he­ rangezogen werden könne.3 § 459g Abs. 5 StPO stelle zudem einen adäquaten Ausgleich für die weggefallene Härteklausel in § 73c StGB a. F. dar.4 Als Argumente für die uneingeschränkte Übertragbarkeit der Einziehungsvorschriften auf das Jugendstrafrecht werden ferner die §§ 76 S. 1 JGG und 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 JGG herangezogen. Zudem wird die Gleichstellung mit einer Geldstrafe deshalb bestritten, weil es bei der Wertersatzeinziehung anders als bei einer Geldstrafe keine Ersatz­ freiheitsstrafe gebe.5 Vertreter dieser Ansicht halten die Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung mit den das Jugendstrafrecht durchziehenden Prinzipien vereinbar6 oder vor diesem Hintergrund sogar förderlich7. b) Ermessenslösung Der erste Strafsenat beabsichtigt, demgegenüber zu entscheiden, dass die Regelungen der §§ 73 Abs. 1, 73c S. 1 StGB im Jugendstrafrecht im Ermessen des Tatrichters stehen.8 Der erste Strafsenat fragte diesbezüglich bei den anderen Strafsenaten gem. § 132 Abs. 3 S. 1 GVG an.9 Ausgangspunkt der Überlegungen war für den ersten Strafsenat der Wegfall der Härtefallklausel des § 73c StGB a. F. Danach konnten erzieherische Gesichtspunkte im Rahmen der Vermögensabschöpfung berücksichtigt werden. Insbesondere konnte die Anordnung unterbleiben, wenn der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden war.10 Die Regelung des § 459g Abs. 5 StPO stelle hierfür kein ausreichendes Surrogat dar.11 Für die Ermessenslösung wird der Wortlaut des § 8 Abs. 3 S. 1 JGG herangezogen, der über § 2 Abs. 2 JGG den allgemeinen Vorschriften vor3  BGH,

Beschluss vom 17.06.2019 – 4 StR 62/19 –, Rn. 11 f., juris. Urteil vom 27.09.2018 – 4 StR 78/18 –, Rn. 11, juris; BGH, Urteil vom 08.05.2019 – 5 StR 95/19 –, Rn. 6, juris; BGH, Beschluss vom 17.06.2019 – 4 StR 62/19 –, Rn. 16 f., juris. 5  BGH, NStZ 2011, 270 (271 Rn. 7 ff.); LG Trier, Urteil vom 27.09.2017 – 8031 Js 20631/16 jug. 2a Ns –, Rn. 23, juris. 6  BGH, Beschluss vom 17.06.2019 – 4 StR 62/19 –, Rn. 14, juris. 7  Altenhain, NStZ 2011, 272 (273). 8  BGH, NStZ 2019, 682 (683 Rn. 8). 9  BGH, NStZ 2019, 682 (683 Rn. 33). 10  BGH, NStZ 2019, 682 (683 Rn. 15 f.). 11  BGH, NStZ 2019, 682 (683 Rn. 21 f.). 4  BGH,

156 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

gehe. Dort sei mit dem Wort „kann“ eine Ermessensregelung normiert.12 Eine zwingende Ausgestaltung dieser Regelungen sei mit dem Grundsatz der Spezialprävention und dem Erziehungsgedanken unvereinbar.13 Außerdem werden systematische Argumente im Zusammenhang mit § 15 JGG aufgeführt.14 Der erste Strafsenat ist überdies der Ansicht, dass „bestehende Zahlungsverpflichtungen gegenüber möglichen Geschädigten […] keine andere Bewertung“ rechtfertigen.15 Der Gesetzgeber habe sich im Übrigen nicht inhaltlich mit den Auswirkungen der Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht auseinandergesetzt.16 Der sechste17, fünfte18, vierte19 und zweite20 Strafsenat haben demgegenüber mitgeteilt, dass sie an ihrer Rechtsansicht festhalten und es sich bei den genannten Regelungen auch im Jugendstrafrecht um zwingendes Recht handle. Der dritte Strafsenat hat erklärt, dass seine Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung des ersten Strafsenats nicht entgegenstehe.21 Mit Beschluss vom 08.07.202022 hat der erste Strafsenat wiederum an seiner Auffassung festgehalten, noch einmal die „mit der Neuregelung verbundenen Friktionen zu dem abgestuften und differenzierten Gesamtgefüge der Rechtsfolgen und Sonderregelungen im Jugendstrafverfahren“23 betont und die Frage des Ermessenscharakters von § 73c S. 1 StGB im Jugendstrafverfahren dem Großen Strafsenat zur Entscheidung gem. § 132 Abs. 2, 4 GVG vorgelegt. Ebendieser hat mit Beschluss vom 20.01.2021 entschieden, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c S. 1 StGB auch im Jugendstrafrecht nicht im Ermessen des Tatgerichts stehe.24 Zur Begründung hat er auf die oben bereits geschilderten Argumente der Vertreter des zwingenden Regelungscharakters der Vermögensabschöpfung zurückgegriffen.25

12  BGH, 13  BGH, 14  BGH, 15  BGH, 16  BGH, 17  BGH, 18  BGH, 19  BGH, 20  BGH, 21  BGH, 22  BGH, 23  BGH, 24  BGH, 25  BGH,

NStZ 2019, 682 (683 Rn. 17). NStZ 2019, 682 (683 Rn. 25 f.). NStZ 2019, 682 (683 Rn. 20). NStZ 2019, 682 (683 Rn. 24). NStZ 2019, 682 (683 Rn. 27). Beschluss vom 01. Dezember 2020 – 6 ARs 15/20 –, juris. ZJJ 2020, 201 (201). NStZ-RR 2020, 261 (261). ZJJ 2020, 306 (306). Beschluss vom 16. Oktober 2019 – 3 ARs 11/19 –, juris. ZJJ 2020, 306 (306 ff.). ZJJ 2020, 306 (308). Beschluss vom 20. Januar 2021 – GSSt 2/20 –, juris. Beschluss vom 20. Januar 2021 – GSSt 2/20 –, Rn. 12 ff., juris.



I. Die Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht157

2. Jugendstrafrechtliche Vermögensabschöpfung nach dem jugendspezifischen teleologischen Trennungsmodell Ungeachtet dieser Uneinigkeiten soll vorliegend eine eigene Lösung ausgearbeitet werden. Die §§ 73 ff. StGB sind grundsätzlich über § 2 Abs. 2 JGG auch im Jugendstrafrecht anwendbar. Allerdings sind die allgemeinen Vorschriften einem „Übertragbarkeitstest“26 auf das Jugendstrafrecht zu unterziehen. Der hier vertretene Lösungsansatz der jugendgemäßen Auslegung27 geht über die Ermessenslösung des ersten Strafsenats hinaus, ist konsequenter und zuverlässiger. Ausgangspunk für eine jugendadäquate Gesetzesanwendung ist die Frage, ob der tatbedingt erlangte Vermögenswert noch im Vermögen des jungen Täters vorhanden ist. Es darf im Rahmen der hier vertretenen Auffassung nur das Erlangte abgeschöpft werden, das noch im Vermögen des jungen Täters existent ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Für den Fall, dass der erworbene Vermögenswert nicht mehr im Vermögen des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden vorzufinden ist, muss eine Vermögensabschöpfung unterbleiben. Insbesondere eine Wertersatzeinziehung im Fall der Entreicherung gegenüber jungen Tätern scheidet demnach aus.28 Dies gilt generell und unabhängig von den konkreten Vermögensver26  Kölbel, in: BMJV, Berliner Symposium zum Jugendkriminalrecht und seiner Praxis, S. 9 (29). 27  Für eine Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten sprechen sich mehr oder weniger weitgehend aus: Eisenberg, StV 2010, 580 (580); Laubenthal/Baier/ Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 430; LG Münster, NStZ 2018, 669 (669 ff.); AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 249 (250 f.); AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 251 (252 f.); AG Rudolstadt, ZJJ 2018, 63 (65); Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (334 ff., 339 ff.); Reh, NZWiSt 2018, 20 (24); Schady/Sommerfeld, ZJJ 2018, 219 (223); Schumann, StraFo 2018, 415 (419); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 96a; Berberich/Singelnstein, StV 2019, 505 (506); Beukelmann, NJW-Spezial 2019, 504 (504); Eisenberg, NStZ 2019, 222 (222 f.); Eisenberg, ZJJ 2019, 286 (286 f.); Eisenberg, JR 2019, 598 (599); Höynck, in: Goeckenjan/Puschke/Singelnstein, FS Eisenberg, S. 245 (257); Kutschelis, NZWiSt 2019, 471 (473); Schady/Sommerfeld, ZJJ 2019, 235 (239 f.); Eckel, ZJJ 2020, 265 (268 ff.) und ZJJ 2021, 381 (382 f.) schlägt eine Regelung de lege ferenda vor; Eisenberg, ZJJ 2020, 203 (204); Ostendorf, in: Drenkhahn u. a., FS Dünkel, S. 667 (672); Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 5; Kölbel/Eisenberg/Sonnen, NStZ 2021, 683 (685); Laue, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 6 JGG Rn. 8 ff.; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 9 ff. 28  Ebenso: Eisenberg, StV 2010, 580 (580); Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 430; LG Münster, NStZ 2018, 669 (669); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 96a; AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 249 (250 f.); AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 251 (252 f.); AG Rudolstadt, ZJJ 2018, 63 (65); Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (340); Schady/Sommerfeld, ZJJ 2018, 219 (223 f.); Schumann, StraFo 2018, 415 (419) unter Bezugnahme auf § 823 Abs. 3 BGB; Berberich/Singelnstein, StV 2019, 505 (506); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 13, 16.

158 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

hältnissen.29 Allerdings ist so nur im Falle von nicht monetären Vorteilen zu verfahren. Wenn es sich bei dem Vorteil um Geld handelt, ist § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2 über § 2 Abs. 2 JGG spezieller.30 Außerdem ist eine gesamtschuldnerische Haftung bei jugendlichen und heranwachsenden Tätern zu vermeiden. Bei mehreren Tatbeteiligen muss die Abschöpfung, je nachdem wer welchen Vorteil erlangt hat, individualisiert werden, um erzieherisch konsequent und sinnvoll zu sein.31 Im Folgenden sollen Argumente für den hier vertretenen Lösungsansatz zusammengetragen und aufgezeigt werden, dass eine uneingeschränkte Übertragung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung auf das Jugendstrafrecht geeignet ist, dessen Grundstrukturen in Frage zu stellen. Die Entscheidung des Großen Strafsenats versperrt diesen Weg nicht, da sie sich lediglich auf die Vorlage des ersten Strafsenats und damit auf die Frage des Ermessenscharakters der Wertersatzeinziehung im Jugendstrafverfahren bezog.32 a) Rechtsnatur der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung Nach einer Auffassung handelt es sich bei der Vermögensabschöpfung um ein kondiktionsartiges Instrument ähnlich der §§ 812 ff. BGB. Die Vermögensabschöpfung habe danach weder Strafcharakter noch eine strafähnliche Wirkung.33 Diese quasi-kondiktionelle Rechtsnatur ist allerdings stark zu bezweifeln.34 Denn das die Vermögensabschöpfung durchziehende Bruttoprinzip ermöglicht einen Zugriff über den erzielten Gewinn hinaus. Aufwendungen im Zusammenhang mit der Tatausführung oder -vorbereitung sind gem. § 73d Abs. 1 S. 2 StGB nicht abzugsfähig. Damit wird durch eine Vermögensabschöpfung nicht nur der Status quo ante hergestellt, sondern darüber hinaus eine Vermögensminderung beim Betroffenen herbeigeführt.35 Dies kann existenzvernichtenden Folgen mit sich bringen.36 Folglich hat die 29  Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (340). 30  Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (340). 31  Eckel, ZJJ 2020, 265 (270). 32  Kölbel/Eisenberg/Sonnen, NStZ 2021, 683 (685). 33  Köhler, NStZ 2017, 497 (498); BGH, NStZ 2018, 400 (400). 34  Julius, ZStW 1997, 58 (90 f.); Gebauer, ZRP 2016, 101 (102 f.); Saliger, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Vorbemerkungen zu den §§ 73 ff. Rn. 5; Reh, NZWiSt 2018, 20 (24); Höynck, in: Goeckenjan/Puschke/Singelnstein, FS Eisenberg, S. 245 (254 f.). 35  Gebauer, ZRP 2016, 101 (102); LG Münster, NStZ 2018, 669 (670); BGH, NStZ 2019, 682 (684 Rn. 25). 36  Saliger, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Vorbemerkungen zu den §§ 73  ff. Rn. 5; LG Münster, NStZ 2018, 669 (670); Berberich/Singelnstein, StV 2019, 505 (506).



I. Die Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht159

Vermögensabschöpfung durchaus den Charakter einer Strafe. Obendrein wurde bei der Einziehung gem. § 74 StGB auch bisher schon einhellig der Strafcharakter anerkannt. Einhergehend mit der sprachlichen Vereinheit­ lichung von Verfall und Einziehung zum Gesamtkomplex der Einziehung sollte auch die Rechtsnatur einheitlich geregelt werden. Nur so entsteht ein tatsächlich einheitliches System.37 Für die vorliegende Fragestellung ist die Rechtsnatur der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung von Bedeutung, da die Notwendigkeit, aber auch die Akzeptanz einer jugendgemäßen Auslegung vor dem Hintergrund der Anerkennung des strafähnlichen Charakters steigt. b) Begründung der hier vertretenen Lösung anhand der aufgestellten Auslegungsleitlinien Ein zentraler – sich aus den Regelungen der §§ 74, 81 JGG ergebender – Grundsatz im Jugendstrafrecht ist die finanzielle Schonung junger Menschen.38 Dieses finanzielle Überforderungsverbot soll als weitere Auslegungsleitlinie für die jugendgemäße Auslegung dienen. Es ist nicht nur eng mit der jugendgemäßen Auslegung orientiert am Erziehungsgedanken und am Grundsatz der positiven Spezialprävention verknüpft, sondern kann vielmehr sogar als logische Fortführung dieser Prinzipien verstanden werden. Daran gemessen ist die uneingeschränkte Anwendung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht kontraproduktiv und höchst dysfunktional und die Auslegungsleitlinien werden ad absurdum geführt. Die Vermögensabschöpfung auch bei Wegfall des Tatvorteils kann zu ökonomischen Zwangslagen führen und damit einhergehend Entwicklungschancen verschlechtern, insbesondere die Chance auf zukünftige Legalbewährung schmälern und damit den Erziehungsgedanken und den Grundsatz der positiven Spezialprävention konterkarieren.39 Junge Menschen vor finanziellen ZRP 2016, 101 (103). StV 2010, 580 (580); AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 249 (251); AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 251 (253); LG Münster, NStZ 2018, 669 (670); AG Rudolstadt, ZJJ 2018, 63 (65); Eisenberg, NStZ 2019, 222 (223); Eisenberg, JR 2019, 598 (599); Höynck, in: Goeckenjan/Puschke/Singelnstein, FS Eisenberg, S. 245 (254); Eckel, ZJJ 2020, 265 (266); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 12. 39  Besonders eindrücklich zeigt sich die Problematik bei Erlösen aus Betäubungsmittelverkäufen – hier hält die Rechtsprechung Werte von 20.0000 Euro (BGH, BeckRS 2017, 121923) und 45.000 Euro (BGH, BeckRS 2020, 36449) für zulässig. Im Fall von Bandenbetrug wurde sogar ein Betrag von über 70.000 Euro gebilligt (BGH BeckRS 2021, 4843). So wie hier: AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 251 (253); LG Münster, NStZ 2018, 669 (670); AG Rudolstadt, ZJJ 2018, 63 (65); Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (335, 340); Berberich/Singelnstein, StV 2019, 505 (507); Eisenberg, NStZ 37  Gebauer,

38  Eisenberg,

160 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

Überforderungssituationen zu schützen, ist unerlässlich, um einen Stimulus für eine erneute Tatbegehung zu vermeiden. Denn finanzielle Ausweglosigkeit gepaart mit der Verpflichtung, Verbindlichkeiten begleichen zu müssen, kann Handlungsdruck für die Begehung weiterer Straftaten erzeugen.40 Die Problematik kommt insbesondere zum Tragen, wenn das Erlangte nicht mehr im Vermögen des jungen Täters vorhanden ist und er die finanzielle Belastung nicht aus eigenen Mitteln bewältigen kann.41 Diese Situation ist bei Jugendlichen und Heranwachsenden besonders häufig gegeben, da es sich als jugendtypisch darstellt, dass das Erlangte verbraucht wird, verloren geht oder weitergegeben wird.42 Es treffen bei jungen Menschen demnach zwei Aspekte typischerweise zusammen, die Anlass zu einer jugendgemäßen Auslegung geben: Entreicherung bei gleichzeitiger Vermögenslosigkeit der jungen Täter.43 Außerdem führt eine Wertersatzeinziehung im Falle der Entreicherung und die damit typischerweise einhergehende finanzielle Überforderungssituation zu einer Überlagerung der eigentlichen tragenden Sanktion und damit zu einer Gefährdung ihres Erziehungserfolgs.44 Die herausgearbeitete Vorgehensweise ist mit den Auslegungsleitlinien vereinbar und entspricht dem für das Recht der Vermögensabschöpfung maßgeblichen Grundsatz „Straftaten dürfen sich nicht lohnen“45. Der junge Täter erwirtschaftet durch die Tat keinen finanziellen Vorteil, weil das noch Vorhandene abgeschöpft wird. So erkennt der Jugendliche bzw. Heranwachsende, dass sich die Tat nicht gelohnt hat und ein Anreiz für eine weitere Tatbegehung wird vermieden.46 Gleichzeitig wird keine finanzielle Überforderungssituation für die Jugendlichen bzw. Heranwachsenden erzeugt, die wiederum Impuls für die Begehung weiterer Straftaten sein kann. Wenn der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen vorhanden ist, fehlt es zudem an einem Bedürfnis, einen als ungerecht empfundenen Zustand zu beenden. Einen ausschweifenden Lebensstil in der Vergangenheit auszugleichen, über2019, 222 (223); Eisenberg, JR 2019, 598 (599); Schady/Sommerfeld, ZJJ 2019, 235 (240); BGH, ZJJ 2020, 306 (309); Eckel, ZJJ 2020, 265 (266); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 13. 40  AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 251 (253); LG Münster, NStZ 2018, 669 (670); Berberich/Singelnstein, StV 2019, 505 (507); Eisenberg, JR 2019, 598 (599). 41  LG Münster, NStZ 2018, 669 (670). 42  Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (335). 43  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, 22. Aufl., § 6 Rn. 11. 44  AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 249 (251). 45  Köhler, NStZ 2017, 497 (498). 46  LG Münster, NStZ 2018, 669 (670).



I. Die Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht161

steigt den Zweck der Vermögensabschöpfung.47 So wird auch vermieden, dass der Erziehungsgedanke durch die Wertersatzeinziehung unzulässigerweise auf reine Vergeltung reduziert wird.48 c) Vermeidung eines Wertungswiderspruchs mit dem Ausschluss der Geldstrafe im Jugendstrafrecht Die uneingeschränkte Anwendung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung auch gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden führt ferner zu einem Wertungswiderspruch mit dem Ausschluss der Geldstrafe im Jugendstrafrecht. Wenn der Täter nicht mehr über den Tatvorteil verfügt, führt die Einziehung zu einem Eingriff gleich einer Geldstrafe in das Vermögen des jungen Menschen, ohne dabei auf dessen tatsächliche Leistungsfähigkeit Rücksicht zu nehmen.49 Untermauert wird dies durch die Tatsache, dass die Verpflichtung zu einer Geldzahlung im Rahmen der Einziehung wie eine Geldstrafe gem. §§ 459g Abs. 2, 459 StPO vollstreckt wird.50 Das Argument der Einheitstheorie, es bestehe in diesem Zusammenhang aber nicht wie bei einer Geldstrafe die Möglichkeit einer Ersatzfreiheitsstrafe, überzeugt nicht. Es kommt bei der Vermögensabschöpfung nicht nur zu einer Gewinnabschöpfung, sondern sie geht darüber hinaus. Es wird nicht nur der Status quo ante hergestellt, sondern es kann zu einer Vermögensminderung beim Betroffenen kommen. Genau das ist das Charakteristikum einer Geldstrafe. Wie im zweiten Schritt für den Fall der Nichtzahlung verfahren wird, ändert nichts an der Rechtsnatur. d) Keine Aushöhlung des § 15 Abs. 2 Nr. 2 JGG Für die hier vertretene Auffassung spricht außerdem die Regelung des § 15 Abs. 2 Nr. 2 JGG. Diese Ermessensnorm stellt eine besondere Regelung der Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht dar.51 Entgegen der Argumentation der Vertreter der Einheitstheorie lässt sich hieraus nicht die Begründung, sondern eine Grenze für die Vermögensabschöpfung gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden entnehmen. Die Norm regelt hinsichtlich der Geldauflage, dass die Einziehung nicht mehr vorhandener Taterträge ausgeschlossen

in: Goeckenjan/Puschke/Singelnstein, FS Eisenberg, S. 245 (257). StraFo 2018, 415 (417); AG Rudolstadt, ZJJ 2018, 63 (65). 49  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 13. 50  Köhler, NStZ 2017, 497 (499); AG Rudolstadt, ZJJ 2018, 63 (65). 51  BGH, NStZ 2019, 682 (683 Rn. 20); BGH, ZJJ 2020, 306 (309). 47  Höynck,

48  Schumann,

162 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

ist.52 Das deckt sich mit § 15 Abs. 1 S. 2 JGG, wonach an den Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen.53 Diese Wertung muss dann aber auch bei der Vermögensabschöpfung gelten, da die spezialpräventiv dysfunktionale Wirkung gleichermaßen zum Tragen kommt. Außerdem würde eine andere Handhabung wertungswidersprüchlich dazu führen, dass der Jugendrichter im Falle der Entreicherung zwar keine Geldauflage anordnen darf, dann aber die Einziehung veranlassen müsste. Über die Hintertür würde es doch wieder zu den gleichen schädlichen Ergebnissen kommen. Auf diesem Weg würde § 15 JGG konterkariert und ausgehöhlt werden.54 e) Kein Ausschluss der jugendgemäßen Auslegung durch den Willen des Gesetzgebers Der hier vertretene Lösungsansatz kollidiert nicht mit dem Willen des Gesetzgebers.55 Die §§ 6, 8 Abs. 3, 76 JGG versperren den Weg für eine jugendgemäße Auslegung nicht, sondern stellen nur klar, dass die Regelungen der Vermögensabschöpfung im Grundsatz auch im Jugendstrafrecht gelten. Nicht mehr und nicht weniger. Auch die jugendgemäße Auslegung geht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der §§ 73 ff. StGB im Jugendstrafrecht aus, nimmt allerdings Modifikationen vor. Über § 2 Abs. 2 sind die speziellen Auslegungsleitlinien wie ein Filter über die allgemeinen Vorschriften zu legen, um sie an die jugendspezifischen Besonderheiten anzupassen. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Gewinnabschöpfung in § 15 Abs. 2 Nr. 2 JGG selbst als „hinreichenden Ersatz“ für den weggefallenen § 16 Abs. 2 a. F. eingestuft, welcher für den Bereich des Jugendstrafrechts allgemein die Anordnung des Verfalls zugelassen hat.56 Darüber hinaus unterlieb ausweislich der Gesetzesmaterialien bis auf die redaktionelle Anpassung des 52  AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 249 (251); AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 251 (253); Schady/Sommerfeld, ZJJ 2018, 219 (224); BGH, NStZ 2019, 682 (683 Rn. 20). 53  AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 249 (251); AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 251 (253); BGH, NStZ 2019, 682 (683 Rn. 20). 54  Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 430; LG Münster, NStZ 2018, 669 (670); Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (340); Schady/Sommerfeld, ZJJ 2018, 219 (224); Schumann, StraFo 2018, 415 (418); BGH, NStZ 2019, 682 (683 Rn. 20); Berberich/Singelnstein, StV 2019, 505 (506); Kutschelis, NZWiSt 2019, 471 (473); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 12. 55  So aber stellvertretend für zahlreiche Entscheidungen des BGH: BGH, NStZRR 2020, 124 (125). 56  BT-Drs. 1/3264, S. 40.



I. Die Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht163

§ 76 S. 1 JGG eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Anwendbarkeit und den widersprüchlichen Konsequenzen der Einziehungsregelungen im Jugendstrafrecht.57 Zudem wird im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 06.10.2020 darauf hingewiesen, dass die Problematik der uneingeschränkten Anwendbarkeit der Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht bisher nicht abschließend durch den Gesetzgeber entschieden wurde, sondern der „höchstrichterlichen Klärung“ obliege.58 An anderer Stelle wird erklärt, dass die „Notwendigkeit jugendstrafrechtlicher Modifizierungen“ im Rahmen eines umfassenden Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes geprüft werden soll.59 Somit ist die dritte Voraussetzung des Grundsatzes der jugendgemäßen Auslegung erfüllt. f) Kein Allheilmittel – die §§ 421 und 459g Abs. 5 StPO Die Vertreter des zwingenden Charakters der Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht spielen die genannten Probleme allein über einen pauschalen Verweis auf die §§ 421, 459g Abs. 5 StPO herunter.60 Der vorliegende „Systembruch“ kann dadurch aber nicht ausgeglichen werden.61 Zunächst ist kritisch zu bemerken, dass die §§ 421, 459g Abs. 5 StPO unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten und § 421 StPO zudem Ermessensspielräume eröffnet.62 Dies kann zu einer uneinheitlichen Rechtsanwendung63 führen und eine tatsächlich zurückhaltende Anwendung der Vermögensabschöpfung ist nicht garantiert.64 Aufgrund der engen Voraussetzungen des § 421 StPO und

57  BT-Drs. 7/550, S. 331; BT-Drs. 18/9525, S. 104; BT-Drs. 18/11640, S. 67; BRDrs. 418/16, S. 119; gleichermaßen: AG Frankfurt am Main, ZJJ 2018, 249 (252 f.); AG Rudolstadt, ZJJ 2018, 63 (65); Schumann, StraFo 2018, 415 (417); Berberich/ Singelnstein, StV 2019, 505 (507); BGH, NStZ 2019, 682 (683 Rn. 27); Eisenberg, JR 2019, 598 (599 f.); Kutschelis, NZWiSt 2019, 471 (472 f.); Ostendorf, in: Drenkhahn u. a., FS Dünkel, S. 667 (671); Kölbel/Eisenberg/Sonnen, NStZ 2021, 683 (684 f.); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 15. 58  S.  33; abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfah ren/Dokumente/RefE_StPO_Fortentwicklung.pdf;jsessionid=B51CFA498E4393BEE 743B4D788777535.2_cid297?__blob=publicationFile&v=2. 59  BT-Drs. 19/27654, S. 40; BR-Drs. 57/21, S. 37 f. 60  Beispielhaft hierfür: Köhler, NStZ 2018, 731 (731); BGH, Urteil vom 08.05.2019 – 5 StR 95/19 –, Rn. 6, juris; BGH, Beschluss vom 17.06.2019 – 4 StR 62/19 –, Rn. 16 f., juris; BGH, ZJJ 2020, 306 (306). 61  Eisenberg, NStZ 2019, 222 (223). 62  BGH, NStZ 2019, 682 (683 Rn. 21); Eisenberg, JR 2019, 598 (599). 63  Rose, NStZ 2019, 648 (649). 64  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 14.

164 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

seines Ausnahmecharakters ist eine hinreichende Berücksichtigung jugendspezifischer Besonderheiten ohnehin nicht möglich.65 § 73c StGB a. F. normierte eine Härteklausel. Durch dessen Streichung finden ein Wegfall der Bereicherung und unbillige Härten außer beim gutgläubigen Drittbegünstigten gem. § 73e Abs. 2 StPO nicht mehr im Erkenntnisverfahren Berücksichtigung.66 Als „Korrekturmöglichkeit“ im Vollstreckungsverfahren wurde § 459g Abs. 5 StPO geschaffen, wonach ursprünglich eine Entreicherung zu einem Unterbleiben der Vollstreckung führen sollte.67 Diese Fallgruppe wurde allerdings durch den Gesetzgeber gestrichen, sodass die Vollstreckung nun nur noch unterbleibt, „soweit sie unverhältnismäßig wäre“.68 Die Bildung von diesbezüglichen Fallgruppen wurde der Rechtsprechung überlassen.69 Dadurch hat der Gesetzgeber die Regelungen zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung ausgedehnt, ohne die Folgen auch im Jugendstrafrecht zu bedenken.70 Zusätzlich dazu, dass folglich im Rahmen von § 459g Abs. 5 StPO die Entreicherung grundsätzlich nicht für die Annahme der Unverhältnismäßigkeit genüge71, greift die Norm erst im Vollstreckungsverfahren ein, sodass die Vertreter der Einheitstheorie die Jugendgerichte zunächst einmal zu einer erzieherisch und spezialpräventiv dysfunktionalen Rechtsfolgenanordnung zwingen, welche dann gegebenenfalls in einem „unkalkulierbaren, intransparenten und durch den Jugendlichen kaum zu beeinflussenden ‚Nachverfahren‘ notdürftig“ korrigiert wird.72 Dieser Mechanismus steht für sich gesehen bereits in einem Spannungsverhältnis zu dem Erziehungsgedanken und zu dem Grundsatz der positiven Spezialprävention. Wie geschildert ist es kontraproduktiv, ein Urteil zu fällen, das im Ergebnis dann doch nicht vollstreckt wird.73 Dies führt zu der im allgemeinen Teil bereits angesprochenen Schädigung des Normbewusstseins. Besser erscheint es daher, das Urteil direkt in passender Form zu verhängen. Dies kann durch die hier vertretene jugendgemäße Auslegung sichergestellt werden. Ferner kann durch eine Lösung im Erkenntnisverfahren eine Doppelbefassung der Jugendstrafjustiz und damit eine Mehrbelastung verZJJ 2020, 265 (268). in: Graf, BeckOKStPO, § 459g Rn. 20. 67  Coen, in: Graf, BeckOKStPO, § 459g Rn. 20. 68  BGBl. I 2021 S. 2106. 69  BT-Drs. 19/27654, S. 111 f. 70  AG Rudolstadt, ZJJ 2018, 63 (65); Schumann, StraFo 2018, 415 (417). 71  BT-Drs. 19/27654, S. 111 f.; dieses Ergebnis wird von Kulhanek, JZ 2022, 49 (52) sogar befürwortet; Eckel, ZJJ 2021, 381 (382) betont die Möglichkeit von Ausnahmen. 72  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, 22. Aufl., § 6 Rn. 13. 73  Eckel, ZJJ 2020, 265 (267). 65  Eckel, 66  Coen,



II. Nebenstrafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung165

mieden werden.74 Obendrein ist die Entscheidung gem. § 459g Abs. 5 S. 1 StPO ohnehin kaum verlässlich, da eine Wiederaufnahme nach § 459g Abs. 5 S. 2 StPO möglich ist. Dieses „Damoklesschwert“ schwebt dann bis zum Ablauf der Vollstreckungsverjährung über den jungen Menschen.75 Hinzu kommt, dass der Wortlaut des § 459g Abs. 5 S. 2 StPO nicht eindeutig normiert, welche Gründe eine Wiederaufnahme ermöglichen. Nach dieser offenen Formulierung könnte die Generierung neuen Vermögens durch eine ­legale Tätigkeit des Jugendlichen ausreichen.76 Das ist aber wiederum erzieherisch und spezialpräventiv kontraproduktiv, da Anreize, einer legalen ­Erwerbstätigkeit nachzugehen, so verringert werden.77 Außerdem wird dem jungen Menschen suggeriert, dass er Altlasten auf seinem Neuanfang mit­ zutragen hat. Insgesamt sind die §§ 421, 459g Abs. 5 StPO demnach kein ausreichendes Korrektiv für die geschilderten negativen Auswirkungen der uneingeschränkten Anwendung der Vermögensabschöpfung auf Jugendliche und Heranwachsende.

II. Jugendgemäße Auslegung der Nebenstrafe und der Maßregeln der Besserung und Sicherung 1. Fahrverbot Der Anwendungsbereich des § 44 StGB wurde ausgedehnt – ein Fahrverbot kann danach nicht mehr nur bei verkehrsbezogenen Straftaten verhängt werden, sondern bei allen Delikten.78 Über die §§ 2 Abs. 2, 8 Abs. 3 S. 2 JGG gilt dies wiederum im Jugendstrafrecht. Vor dem Hintergrund der Auslegungsleitlinien des Erziehungsgedankens und der positiven Spezialprävention erscheint die vollumfängliche Anwendung des § 44 StGB im Jugendstrafrecht jedoch verfehlt.79 a) Gründe für eine jugendgemäße Auslegung des Fahrverbots Zunächst kann ein Fahrverbot für den Jugendlichen bzw. Heranwachsenden entwicklungsschädlich und dementsprechend erzieherisch kontraindiziert sein. Der Erwerb der Fahrerlaubnis ist eine zentrale Entwicklungsaufgabe in ZJJ 2020, 265 (268); Eckel, ZJJ 2021, 381 (382). ZJJ 2020, 265 (267); Eckel, ZJJ 2021, 381 (382). 76  BGH, NStZ 2019, 682 (683 Rn. 21). 77  Eckel, ZJJ 2020, 265 (267). 78  BGBl. I 2017 S. 3202. 79  Ebenso: Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 96; Eisenberg/ Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 6. 74  Eckel, 75  Eckel,

166 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

der Übergangsphase vom Kind zum Erwachsenen mit einem wichtigen Beitrag zur Identitätsentwicklung.80 Der Führerschein verkörpert für jungen Menschen Autonomie und Unabhängigkeit.81 Zudem ist die Automobilität beruflich wie persönlich bedeutsam. Besonders im ländlicheren Raum sind Jugendliche und Heranwachsende auf ein Kraftfahrzeug angewiesen, um ihre Arbeitsstelle zu erreichen, aber auch, um am gesellschaftlichen Leben mit ihren Peers teilzunehmen.82 Obendrein kann ein Führerschein für die Berufsausübung selbst unerlässlich sein.83 Insoweit birgt ein Fahrverbot die Gefahr in sich, Türen zu verschließen.84 Es kann zu „nachhaltiger beruf­licher Benachteiligung oder gar der Existenzvernichtung“ führen.85 Eine sachfremde Verknüpfung von verkehrsfremder Tat und Fahrverbot kann bei jungen Tätern obendrein zu einer Irritation des Gerechtigkeitsempfindens und zu Unverständnis führen und damit auf Ablehnung stoßen, was erzieherisch und spezialpräventiv dysfunktional ist.86 Weiterhin sind Fahrverbote nicht lückenlos überprüfbar. Bei jungen Ver­ urteilten kann der Eindruck entstehen, dass ohne Konsequenz gegen eine jugendstrafrechtliche Anordnung verstoßen werden kann. Auch das ist erzieherisch und spezialpräventiv kontraproduktiv.87 Außerdem wirken Kraftfahrzeuge auf junge Menschen anziehend und faszinierend, sodass ohnehin eine Nichtbefolgung der Sanktion zu erwarten ist.88 Dies kann zu einer „Sank­ tionseskalation“ führen und „diskreditiert das Fahrverbot als allgemeine Sanktion des Jugendstrafrechts zusätzlich“.89 Diese empirisch-kriminologischen Grundlagen müssen auf die normative Ebene übertragen werden. Um § 44 StGB mit dem jugendstrafrechtlichen System verträglich zu machen, muss die Norm jugendgemäß ausgelegt werden.

80  Scholl/Sydow, Mobilität im Jugend- und Erwachsenenalter, S. 13  f.; Mienert, ZVS 2003, 26 (27 ff.). 81  Mienert, ZVS 2003, 26 (27 ff.). 82  Mienert, ZVS 2003, 26 (36 f.); Weide, SVR 2008, 230 (231). 83  Mienert, ZVS 2003, 26 (36 f.); Hettenbach, KrimJ 2007, 33 (36); Weide, SVR 2008, 230 (231). 84  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 6. 85  Streng, ZRP 2004, 237 (238). 86  Streng, ZRP 2004, 237 (238 ff.); Sonnen, DRiZ 2010, 119 (119); Wedler, NZV, 2015, 209 (213 f.); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 96; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 6. 87  Wedler, NZV 2015, 209 (213); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstraf­ sachen, Rn. 96. 88  Sonnen, DRiZ 2010, 119 (119); Wedler, NZV, 2015, 209 (213). 89  Streng, ZRP 2004, 237 (240).



II. Nebenstrafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung167

b) Konkrete Ausgestaltung einer jugendgemäßen Auslegung des Fahrverbots Bei der jugendgemäßen Auslegung des § 44 StGB muss zwischen Verkehrsdelikten und verkehrsfremden Delikten differenziert werden. Im Falle eines Verkehrsdelikts ist stets darzulegen, dass das Fahrverbot erzieherisch nicht kontraindiziert ist und dass es spezialpräventiv sinnvoll ist. Ist das nicht der Fall, muss von der Anordnung eines Fahrverbots Abstand genommen werden. Dies gilt ebenso bei Vorliegen eines der Regelfälle eines Fahrverbots gem. § 44 Abs. 1 S. 3 StGB.90 Bei verkehrsfremden Delikten kommt ein Fahrverbot im Jugendstrafrecht nach § 44 Abs. 1 S. 2 StGB nur „zur Einwirkung auf den Täter“, aber nicht „zur Verteidigung der Rechtsordnung“ in Frage. Dies liegt daran, dass generalpräventive Gesichtspunkte im Jugendstrafrecht außen vor bleiben müssen. Darüber hinaus ist stets positiv festzustellen, dass das Fahrverbot auch neben Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe unentbehrlich ist. Dies folgt zum einen bereits aus § 44 Abs. 1 S. 2 StGB, zum anderen aber auch aus dem Subsidiaritätsgrundsatz im Jugendstrafrecht.91 Dies wird bei einem fehlenden Zusammenhang zwischen Tat und Rechtsfolge kaum einmal gelingen, sodass ein Fahrverbot im Jugendstrafrecht nach den Vorgaben einer jugendgemäßen Auslegung grundsätzlich nur bei Straftaten mit Bezug zum Straßenverkehr in Betracht kommt. Gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist außerdem stets zu prüfen, ob eine Weisung, an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen gem. § 10 Abs. 1 S. 3 Nr. 9 JGG, ausreicht.92 Dieser Lösungsansatz ist nach einer Überprüfung der zentralen Gesetzgebungsmaterialien93 mit dem Willen des Gesetzgebers vereinbar. Dieser hat zwar angemerkt, dass ein Fahrverbot auch in Fällen eines fehlenden Straßenverkehrsbezugs nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 JGG im Jugendstrafrecht in Betracht kommt. Gleichzeitig hat er aber auf die dort zulässigen Sanktionszwecke verwiesen und das „Kriterium einer geeigneten und angemessenen Einwirkung auf den Täter“ betont.94 Hiermit ist die vorliegende Lösung vereinbar, da sie nicht zu einem gänzlichen Ausschluss des Fahrverbots führt. Wenn es einmal gelingen sollte, die fehlende erzieherische Kontraindiktion, die spezialpräventive Förderlichkeit und die einwirkungsbezogene Unentbehrlichkeit zu begründen, ist ein Fahrverbot durchaus zulässig.

Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 7. Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 7. 92  Fromm, DAR-Extra 2014, 754, (755). 93  BR-Drs. 796/16; BT-Drs. 18/11277; BT-Drs. 18/12785, S. 43 ff. 94  BT-Drs. 18/12785, S. 45. 90  Eisenberg/Kölbel, 91  Eisenberg/Kölbel,

168 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

Zudem sollte auch die Fahrverbotsdauer gem. § 8 Abs. 3 S. 2 JGG zurückhaltend gehandhabt werden. Dafür sprechen bereits die Erkenntnisse zur Automobilität als Entwicklungsaufgabe. Außerdem fällt es den jungen ­Menschen in dieser Lebensphase schwerer als Erwachsenen, Verbotsfristen durchzuhalten, ohne erneut gegen das Fahrverbot zu verstoßen.95 Es muss vermieden werden, durch eine zu lange Verbotsdauer, Kettenreaktionen für delinquentes Verhalten auszulösen. 2. Entziehung der Fahrerlaubnis Nach dem hier vertretenen jugendspezifischen teleologischen Trennungsmodell bedarf auch die Entziehung der Fahrerlaubnis gem. §§ 2 Abs. 2, 7 Abs. 1 JGG, 69 ff. StGB einer jugendspezifischen Handhabung.96 a) Gründe für eine jugendgemäße Auslegung der Entziehung der Fahrerlaubnis Für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist wegen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB ein hohes Maß an Standardisierung charakteristisch, was sich mit der stark individualisierenden Ausgestaltung des jugendstrafrecht­ lichen Rechtsfolgensystems nur unzureichend verträgt.97 Nebstdem fokussiert sich die Entziehung der Fahrerlaubnis auf die „schlichte Exklusion“ und „erschöpft sich in der davon ausgehenden Sicherungswirkung“. An positiv einwirkenden Aspekten mangelt es.98 Die beim Fahrverbot bereits beschriebene Automobilität als Entwicklungsaufgabe wird nicht positiv unterstützt, sondern vielmehr verhindert.99 Dies kann sich, wie gezeigt, als entwicklungsschädlich erweisen und somit den aufgestellten Leitlinien zuwiderlaufen. Außerdem ist zu beachten, dass der Reiz des Fahrens bei Jugendlichen und Heranwachsenden durch den Entzug der Fahrerlaubnis nur noch zusätzlich verstärkt wird. Dies kann Folgekriminalität wie beispielsweise Fahren ohne Fahrerlaubnis oder Unfallflucht auslösen, was wiederum dem Erzie95  Wedler, NZV, 2015, 209 (214); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 6 Rn. 8. 96  LG Oldenburg, Blutalkohol 1985, 186 (186); OLG Zweibrücken, StV 1989, 314 (314); BezG Meiningen bei Janiszewski, NStZ 1992, 269 (269 f.); AG Saalfeld, DAR 1994, 77 (78); Wölfl, NZV 1999, 69 (70); AG Saalfeld, VRS 2001, 194 (196); AG Saalfeld, Urteil vom 15.02.2005 – 635 Js 31395/04 – 2 Ds jug –, Rn. 21, juris; AG Oldenburg in Holstein, SVR 2008, 230 (230); Weide, SVR 2008, 230 (231); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 63. 97  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 63. 98  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 63. 99  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 63.



II. Nebenstrafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung169

hungsgedanken und dem Grundsatz der positiven Spezialprävention widerspricht.100 Aufgrund dieser Argumente und vor dem Hintergrund, dass „ein Fahrzeug und die (‚gekonnte‘) Verkehrsteilnahme für junge Menschen eine charakteristische Anerkennungs-, Status- und Selbstwertressource darstellt“101, ist eine jugendadäquate Auslegung der Entziehung der Fahrerlaubnis nötig. Es ist demnach eine zurückhaltende Anwendung der in Rede stehenden Maß­ regel gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden angezeigt.102 Der Gesetzgeber hat sich bei der vorliegend einzig relevanten Änderung durch das 56. Strafrechtsänderungsgesetz nicht mit jugendtypischen Besonderheiten auseinandergesetzt.103 b) Konkrete Ausgestaltung einer jugendgemäßen Auslegung der Entziehung der Fahrerlaubnis aa) Die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB Im Erwachsenenstrafrecht greift die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB, wonach der Täter bei Vorliegen einer der Katalogtaten in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Danach muss die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht näher begründet werden, wenn ein Regelbeispiel i. S. d. § 69 Abs. 2 StGB vorliegt. Nur bei atypischen Fällen sind Ausnahmen von der Regelvermutung zulässig.104 Insgesamt führt die Erfüllung eines Regelbeispiels fast zwangsläufig zu einem Entzug der Fahrerlaubnis.105 Diese Pauschalisierung wird den entwicklungstypischen Besonder­ heiten junger Menschen nicht gerecht. Es wurde bereits eingehend auf die Ubiquität, Normalität und Episodenhaftigkeit der Jugenddelinquenz hingewiesen. Demzufolge kann nicht jede einzelne Straftat eines jungen Menschen eine Indizwirkung für eine charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen auslösen, sondern auch nur Ausprägung der Lebensphase Jugend sein und sich von selbst wieder erledigen.106 Dies gilt umso mehr, da 100  Eisenberg/Dickhaus, NZV 1990, 455 (456); AG Saalfeld, Urteil vom 15.02.2005 – 635 Js 31395/04 – 2 Ds jug –, Rn. 21, juris; Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 15. 101  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 63. 102  AG Saalfeld, Urteil vom 15.02.2005 – 635 Js 31395/04 – 2 Ds jug –, Rn. 21, juris; AG Oldenburg in Holstein, SVR 2008, 230 (230). 103  BR-Drs. 362/16, S. 5; BT-Drs. 18/10145, S. 8; BT-Drs. 18/12936; BT-Drs. 18/12964, S. 4. 104  Wölfl, NZV 1999, 69 (70). 105  Wölfl, NZV 1999, 69 (69). 106  LG Oldenburg, Blutalkohol 1985, 186 (186); Wölfl, NZV 1999, 69 (70 f.).

170 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

die Deliktsexposition für Taten i. S. d. § 69 Abs. 2 StGB bei jungen Menschen ohnehin angehoben ist.107 Im Jugendstrafrecht muss im Rahmen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB stets geprüft werden, ob diese nicht durch jugendspezifische Besonderheiten widerlegt werden kann. Eine Begründung darf nicht unterbleiben, sondern es muss eine besonders sorgfältige, gerechte und am Einzelfall orientierte Prüfung der Erforderlichkeit der Regelentziehung vorgenommen werden.108 Darzulegen ist, ob die Tat tatsächlich Ausprägung einer charakterlichen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ist oder doch nur eine Erscheinungsform der spezifischen Altersphase.109 Dies entspringt insbesondere dem Erziehungsgedanken, der eine Prüfung fordert, die sich dezidiert mit der Person des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden auseinandersetzt. bb) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Gem. §§ 69 Abs. 1 S. 2, 62 StGB ist im allgemeinen Strafrecht bei der Prüfung der Entziehung der Fahrerlaubnis keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Eine jugendgemäße Auslegung dieser Normen führt zu einem hiervon abweichenden Ergebnis. Es muss angesichts des jugendspezifischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes immer geprüft werden, ob auch ein Fahrverbot gem. § 44 StGB oder eine Weisung genügt, um positiv auf ein konformes Verkehrsverhalten hinzuwirken.110 cc) Die Sperrfrist Die Entziehung der Fahrerlaubnis verstärkt die bereits im Rahmen des Fahrverbots beschriebenen beruflichen sowie persönlichen negativen Auswirkungen wegen ihres langfristigen Charakters.111 Aus diesen Gründen müssen die Sperrfrist und deren Aufhebung gem. § 69a StGB abweichend vom allgeJugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 63. Zweibrücken, StV 1989, 314 (314); BezG Meiningen bei Janiszewski, NStZ 1992, 269 (269 f.); Wölfl, NZV 1999, 69 (70); AG Saalfeld, VRS 2001, 194 (196); AG Saalfeld, Urteil vom 15.02.2005 – 635 Js 31395/04 – 2 Ds jug –, Rn. 21, juris; AG Oldenburg in Holstein, SVR 2008, 230 (230); Weide, SVR 2008, 230 (231); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 66. 109  Wölfl, NZV 1999, 69 (70). 110  AG Winsen/Luhe, NJW 1983, 353 (353  f.); AG Saalfeld, Urteil vom 15.02.2005 – 635 Js 31395/04 – 2 Ds jug –, Rn. 21, juris; AG Oldenburg in Holstein, SVR 2008, 230 (230). 111  AG Oldenburg in Holstein, SVR 2008, 230 (230). 107  Eisenberg/Kölbel, 108  OLG



II. Nebenstrafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung171

meinen Strafrecht bestimmt und jugendgemäß bemessen werden.112 Es darf danach nicht nur die Prognose über die Fortdauer der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen und damit die Verkehrssicherheit maßgeblich sein, sondern die Auslegungsleitlinien des Jugendstrafrechts – insbesondere der Erziehungsgedanke und der Grundsatz der positiven Spezialprävention – müssen in den Fokus rücken.113 Die genannten negativen Aspekte der Entziehung der Fahrerlaubnis sind dabei zu berücksichtigen. Außerdem ist in Rechnung zu stellen, dass sich junge Menschen in einem Entwicklungsprozess befinden und das Eignungsdefizit nur vorübergehender Natur sein kann.114 Zudem ist zu beachten, dass eine lange Bemessung der Sperrfrist auf den jungen Menschen entmutigend wirken kann und dadurch zur Nichteinhaltung einlädt. Daraus ergibt sich eine „Verkürzungs-Tendenz“.115 3. Führungsaufsicht a) Führungsaufsicht im allgemeinen Strafrecht Im Erwachsenenstrafrecht gibt es drei Varianten der Führungsaufsicht: Gem. § 68 Abs. 1 StGB kann das Gericht bei bestimmten Delikten Führungsaufsicht anordnen. Nach den §§ 68 Abs. 2, 67b, 67c, 67d Abs. 2 bis 6 StGB tritt im Anschluss an den stationären Maßregelvollzug kraft Gesetzes Führungsaufsicht ein und auch bei den §§ 68 Abs. 2, 68f Abs. 1 StGB erfolgt die Führungsaufsicht nach vollständiger Vollstreckung einer längeren Freiheitsstrafe durch Gesetz. b) Übertragbarkeitstest der Varianten der Führungsaufsicht auf das Jugendstrafrecht Während nach einer Ansicht alle genannten Varianten auf das Jugendstrafrecht zu übertragen sind116, findet nach dem hier vertretenen jugendspezifischen teleologischen Trennungsmodell im Ergebnis nur § 68 Abs. 1 StGB im 112  Eisenberg/Dickhaus, NZV 1990, 455 (456); AG Saalfeld, Urteil vom 15.02.2005 – 635 Js 31395/04 – 2 Ds jug –, Rn. 21, juris; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 67; Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 15. 113  Eisenberg/Dickhaus, NZV 1990, 455 (456); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 67 f. 114  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 67 f. 115  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 67. 116  LG Berlin, ZJJ 2008, 80 (80 ff.); LG Hannover, ZJJ 2008, 82 (82); LG Hannover, ZJJ 2008, 82 (83); Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 437; Brunner/ Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 9 ff.; OLG Bremen, BeckRS 2019, 5983; Fischer, Strafgesetzbuch, vor § 68 Rn. 4.

172 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

Jugendstrafrecht Anwendung.117 Dem Erfordernis eines Gesetzesvorbehalts wird im Jugendstrafrecht in den Fällen der Führungsaufsicht kraft Gesetzes nicht genüge getan.118 Weder die §§ 7 Abs. 1 JGG, 68 Abs. 2 StGB noch die §§ 2 Abs. 2 JGG, 68 Abs. 2 StGB stellen eine taugliche Rechtsgrundlage dar. aa) §§ 7 Abs. 1 JGG, 68 Abs. 2 StGB als Rechtsgrundlage? Bereits aufgrund seines Wortlauts stellt § 7 Abs. 1 JGG i. V. m. § 68 Abs. 2 StGB keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Führungsaufsicht kraft Gesetzes im Jugendstrafrecht dar.119 Er setzt die Anordnung der Führungsaufsicht und damit die Anordnungsentscheidung einer Person voraus.120 Allerdings tritt die Führungsaufsicht kraft Gesetzes gem. § 68 Abs. 2 StGB automatisch – ohne eine Entscheidung des Gerichts – ein, nur im Falle des § 68 Abs. 1 StGB ist eine Anordnungsentscheidung erforderlich.121 Außerdem knüpfen die Normen über die Führungsaufsicht kraft Gesetzes an die Verurteilung zu einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe bzw. deren Vollstreckung an. Das Rechtsfolgensystem des allgemeinen Strafrechts und des Jugendstrafrechts unterscheidet sich jedoch grundlegend. Insbesondere Jugendstrafe und Freiheitsstrafe differieren qualitativ in diversen Punkten.122 Die Heranziehung der §§ 7 Abs. 1 JGG, 68 Abs. 2 StGB überschreitet demnach die Wortlautgrenze und stellt eine auch im Maßregelbereich verbotene Analogie zu Lasten des Täters dar.123 Selbst die Verweisung des § 7 Abs. 1 JGG auf § 61 Nr. 4 StGB ändert hieran nichts.124 Denn § 68 Abs. 1 StGB ist gerade ein möglicher Fall der Führungsaufsicht gem. § 61 Nr. 4 StGB. Von einer Verweisung auf den gesamten Komplex der Führungsaufsicht ist wegen der Einschränkung im Wortlaut auf die Fälle der Anordnung nicht auszugehen. 117  Für eine eingeschränkte Übertragbarkeit der allgemeinen Regelungen auch: Pollähne, ZJJ 2008, 4 (6 ff.); AG Hameln, ZJJ 2008, 83 (83); Gundelach/Nix, ZJJ 2015, 148 (151); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 52 ff. 118  Pollähne, ZJJ 2008, 4 (6 ff.); AG Hameln, ZJJ 2008, 83 (84); Gundelach/Nix, ZJJ 2015, 148 (150 f.); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 52 f. 119  Pollähne, ZJJ 2008, 4 (6); AG Hameln, ZJJ 2008, 83 (83); Sommerfeld, NStZ 2009, 247 (249); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 53. 120  Gundelach, Die Führungsaufsicht nach der Vollverbüßung einer Jugendstrafe, S. 131. 121  Pollähne, ZJJ 2008, 4 (6); Sommerfeld, NStZ 2009, 247 (249); Gundelach, Die Führungsaufsicht nach der Vollverbüßung einer Jugendstrafe, S. 131. 122  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 52. 123  AG Hameln, ZJJ 2008, 83 (83); Sommerfeld, NStZ 2009, 247 (249); Gunde­ lach, Die Führungsaufsicht nach der Vollverbüßung einer Jugendstrafe, S. 162; Gundelach/Nix, ZJJ 2015, 148 (151). 124  So aber: LG Berlin, ZJJ 2008, 80 (80 ff.); LG Hannover, ZJJ 2008, 82 (82); LG Hannover, ZJJ 2008, 82 (83).



II. Nebenstrafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung173

bb) §§ 2 Abs. 2 JGG, 68 Abs. 2 StGB als Rechtsgrundlage? Eine Anwendbarkeit der Normen über die Führungsaufsicht kraft Gesetzes kann auch nicht über § 2 Abs. 2 JGG konstruiert werden125, da § 7 JGG die Maßregeln der Besserung und Sicherung im Jugendstrafrecht abschließend festschreibt und damit etwas anderes bestimmt.126 cc) Weitere Argumente gegen die Anwendung der Führungsaufsicht kraft Gesetzes im Jugendstrafrecht Zunächst spricht die Auslegungsleitlinie des Verbots der Schlechterstellung Jugendlicher bzw. Heranwachsender gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenssituation gegen eine Anwendung der Vorschriften über die Führungsaufsicht kraft Gesetzes im Jugendstrafrecht. Weil erzieherische Gesichtspunkte sowohl bei der Verhängung der Jugendstrafe nach den §§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 2 JGG als auch bei der Vollstreckung gem. § 21 Abs. 2 JGG sowie bei der Einheitsstrafenbildung nach § 31 JGG von Relevanz sind, kann sich die Jugendstrafe länger ziehen als eine Freiheitsstrafe im Erwachsenenstrafrecht. Dies ist in der Praxis dementsprechend zu beobachten.127 Dadurch sind insbesondere die Anwendungsvoraussetzungen des § 68f Abs. 1 StGB bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden eher erfüllt als bei Erwachsenen128, wodurch diese im Fall der Anwendung auch im Jugendstrafrecht benachteiligt werden. Zudem bringt die Tendenz der Verweigerung der Reststrafenaussetzung nach § 88 Abs. 1 und 3 S. 2 JGG mit Verweis auf die Entwicklung des Jugendlichen eine weitere Schlechterstellung für junge Menschen mit sich. Es ist bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden eher die Vollverbüßung im Sinne des § 68f Abs. 1 StGB zu erwarten als im Erwachsenenstrafrecht, weil die Reststrafenaussetzung im Jugendstrafrecht gem. § 88 JGG als Ermessensentscheidung ausgestaltet ist, während sie gegenüber Erwachsenen gem. § 57 StGB unter bestimmten Voraussetzungen obligatorisch ist.129 Die Führungsaufsicht kraft Gesetzes trägt jugendspezifischen Besonderheiten überdies nicht ausreichend Rechnung. Die gesetzlichen Fälle der Führungsaufsicht zeichnen sich in ihren Voraussetzungen durch einen hohen 125  So gehen vor: Sommerfeld, NStZ 2009, 247 (250); OLG Bremen, BeckRS 2019, 5983. 126  Pollähne, ZJJ 2008, 4 (7); Gundelach, Die Führungsaufsicht nach der Vollverbüßung einer Jugendstrafe, S. 210; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 53. 127  OLG München, ZJJ 2004, 198 (198); Pollähne, ZJJ 2008, 4 (8); Fiebrandt, ZJJ 2008, 278 (278). 128  Fiebrandt, ZJJ 2008, 278 (278). 129  Pollähne ZJJ 2008, 4 (8).

174 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

Grad an Pauschalisierung aus, ohne dabei näher auf die jeweilige jugendliche bzw. heranwachsende Person Rücksicht zu nehmen. Dies widerspricht dem individualisierenden Charakter des Rechtsfolgensystems des Jugendstrafrechts.130 Zudem ist die spezialpräventive Funktionalität der Führungsaufsicht fraglich.131 Obendrein mangelt es der Führungsaufsicht wegen ihres primär sichernden, also dem Schutz der Allgemeinheit dienenden Charakters, an der Vereinbarkeit mit der Leitlinie des Erziehungsgedankens.132 Aus all diesen Gründen ist eine jugendgemäße Auslegung nötig, die eine Anwendung von § 68 Abs. 1 StGB im Jugendstrafrecht zulässt, jedoch die §§ 68 Abs. 2, 67b, 67c, 67d Abs. 2 bis 6 und 68 Abs. 2, 68f Abs. 1 StGB aus dem Anwendungsbereich ausschließt. Ein widersprechender Wille des Gesetzgebers ist nicht ersichtlich, da sich dieser im Rahmen der umfassenden Reform der Führungsaufsicht mit dem Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13.04.2007133 mit keinem Wort mit der Anwendung der Neufassung der gesetzlichen Führungsaufsicht im Jugendstrafrecht auseinandergesetzt hat.134 Zudem wäre ein entgegenstehender Wille ohnehin erst ab dem 13.12.2007 für die dritte Voraussetzung der jugendgemäßen Auslegung beachtlich. c) Jugendadäquate Anwendung des § 68 Abs. 1 StGB Wie bereits gezeigt, stehen das Institut der Führungsaufsicht und die Leitlinien des JGG in einem Spannungsverhältnis. Hinsichtlich des § 68 Abs. 2 StGB führt eine jugendgemäße Auslegung zur Nichtanwendbarkeit dieser Norm im Jugendstrafrecht. Bei § 68 Abs. 1 StGB können jugendtypische Besonderheiten im Rahmen des Anordnungsermessens des Gerichts berücksichtigt werden. Zunächst ist hinsichtlich der Gefahrenprognose des § 68 Abs. 1 StGB zu beachten, dass sich junge Menschen noch in der Entwicklung befinden und dass Jugenddelinquenz mehrheitlich episodenhafter Natur ist. Eine Anlassstraftat kann daher weniger als im Erwachsenenstrafrecht die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten begründen. Gemäß dem Grundsatz der Subsi­ diarität sind außerdem stets mildere Maßnahmen in den Blick zu nehmen, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 54. Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 54. 132  Gundelach, Die Führungsaufsicht nach der Vollverbüßung einer Jugendstrafe, S.  173 ff. 133  BGBl. I 2007 S. 513. 134  BT-Drs. 16/1993; BR-Drs. 256/06; BT-Drs. 16/4740; ebenso: AG Hameln, ZJJ 2008, 83 (83); Pollähne ZJJ 2008, 4 (7 f.). 130  Eisenberg/Kölbel, 131  Eisenberg/Kölbel,



III. Das Absehen von Strafe im Jugendstrafrecht175

wie beispielsweise eine Betreuungsweisung nach § 10 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 JGG.135 Da sich die Führungsaufsicht meist mangels erzieherischer Ausgestaltung als dysfunktional erweisen wird, darf nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung ohnehin nur ausnahmsweise von ihrer Anordnung im Jugendstrafrecht Gebrauch gemacht werden.136 Stets unerlässlich sind entsprechende rechtliche Hinweise.137 Die Dauer der Führungsaufsicht ist in § 68c Abs. 1 S. 1 StGB im Erwachsenenstrafrecht auf zwei bis fünf Jahre festgelegt und orientiert sich an der Dauer der Bewährungszeit gem. § 56a Abs. 1 S. 2 StGB. Im Jugendstrafrecht beträgt die Bewährungszeit nach § 22 Abs. 1 S. 2 JGG jedoch nur zwischen zwei und drei Jahren. Nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung muss die Dauer der Führungsaufsicht gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden hieran angepasst werden.138 Dafür spricht auch, dass eine darüberhinausgehende Dauer für junge Menschen überfordernd und entmutigend wirken kann und sich daher erzieherisch als abträglich darstellt.139 Gleichermaßen dysfunktional stellt sich die Anordnung der unbefristeten Führungsaufsicht gem. § 68c Abs. 2 und 3 StGB dar und ist dementsprechend zu vermeiden.140

III. Das Absehen von Strafe im Jugendstrafrecht 1. Anwendbarkeit des § 60 StGB im Jugendstrafrecht § 60 StGB ist eine dem allgemeinen Strafrecht entspringende Norm. Im jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgensystem ist ein Absehen von Strafe demgegenüber weder explizit noch sinngemäß geregelt. Wenn man davon ausgeht, dass es sich bei dem Rechtsfolgensystem des Jugendstrafrechts um eine nicht abschließende Materie handelt141, kann über § 2 Abs. 2 JGG der § 60 135  Pollähne, ZJJ 2008, 4 (9); Laue, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 7 JGG Rn. 18; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 55. 136  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 55. 137  BGH, BeckRS 2014, 10641. 138  LG Berlin, NStZ 2010, 286 (286 f.); Gundelach, Die Führungsaufsicht nach der Vollverbüßung einer Jugendstrafe, S. 195 f.; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 61. 139  LG Berlin, NStZ 2010, 286 (286 f.); Gundelach, Die Führungsaufsicht nach der Vollverbüßung einer Jugendstrafe, S. 195 f.; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 7 Rn. 61. 140  Gundelach, Die Führungsaufsicht nach der Vollverbüßung einer Jugendstrafe, S. 196. 141  BayObLG, NJW 1992, 1520 (1520); Fahl, in: Amelung, FS Schreiber, S. 63 (77); Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 199.

176 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

StGB ebenfalls im Jugendstrafrecht angewendet werden, weil insoweit nichts anderes bestimmt ist. Aber auch wenn man der Ansicht ist, dass das sondergesetzliche jugendstrafrechtliche Rechtsfolgensystem als speziellere Materie das Sanktionensystem des allgemeinen Strafrechts verdrängt und insoweit abschließend ist142, kann § 60 StGB auf das Jugendstrafrecht übertragen werden. Und zwar weil, „höherrangige Gestaltungsprinzipien des Jugendstrafrechts eine Erweiterung seines (geschlossenen) Sanktionensystems gebie­ ten“.143 Ein solches Prinzip stellt das Schlechterstellungsverbot Jugendlicher und Heranwachsender gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenslage dar. Das Verbot der Schlechterstellung ist vor dem Hintergrund der Grundausrichtung des JGG am Erziehungsgedanken und dem Grundsatz der positiven Spezialprävention fundamental.144 Dies macht die Anwendung des § 60 StGB im Jugendstrafrecht nicht nur möglich, sondern unerlässlich.145 Kerngedanke des § 60 StGB ist das Entfallen des Strafbedürfnis, wenn der Täter durch die Tatfolgen per se bereits genügend bestraft ist.146 Dieser Gedanke kann und muss „gleichsam alters- und damit gesetzesübergreifend Gültigkeit beanspruchen“.147 Wenn der Jugendrichter anders als der Richter im Erwachsenenstrafrecht nicht „in freier Entscheidung von jeglicher Ahn­ dung“148 absehen kann, werden Jugendliche und Heranwachsende gegenüber Erwachsenen benachteiligt, also schlechter gestellt. Diese milde, für den Täter günstige Reaktionsform darf im Jugendstrafrecht nicht versperrt sein. Auch gegenüber jungen Menschen kann angesichts der schweren Tatfolgen die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt sein. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass junge Menschen aufgrund ihrer noch instabilen NStZ 1992, 315 (317). NStZ 1992, 315 (317). 144  Siehe hierzu ausführlich: S. 84 ff. 145  BayObLG, NJW 1961, 2029 (2029); AG Osterrode, Niedersächsische Rechtspflege 1971, 262 (262 f.); Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 315; BayObLG, NJW 1992, 1520 (1520 f.); Brunner, JR 1992, 389 (389); Bringewat, NStZ 1992, 315 (317); Scheffler, NStZ 1992, 491 (492); Walter, NStZ 1992, 470 (476); Nix/Möller/Schütz, Einführung in das Jugendstrafrecht für die soziale Arbeit, S. 63; Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 29; Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 473; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 5 Rn. 10; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 13; Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 257; Groß/Kulhanek, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 60 Rn. 2; Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 5 Rn. 23; Satzger, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, Strafgesetzbuch, § 10 Rn. 2; Fischer, Strafgesetzbuch, § 60 Rn. 2; von Heintschel-Heinegg, in: von Heintschel-Heinegg, BeckOKStGB, § 60 Rn. 31. 146  Bringewat, NStZ 1992, 315 (317); Scheffler, NStZ 1992, 491 (491); KettStraub, JA 2009, 53 (53); Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 204; Gräfe, Sinn und System des Absehens von Strafe, S. 40. 147  Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 201. 148  BayObLG, NJW 1992, 1520 (1521). 142  Bringewat, 143  Bringewat,



III. Das Absehen von Strafe im Jugendstrafrecht177

Persönlichkeit durch Schicksalsschläge oftmals stärker negativ beeinflusst werden als Erwachsene.149 Zudem kann durch eine Anwendung des § 60 StGB auch im Jugendstrafrecht eine noch stärkere Individualisierung und damit Anpassung der Rechtsfolgen auf den jeweiligen Jugendlichen bzw. Heranwachsenden erreicht werden.150 Die Rechtsfolgensysteme im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht unterscheiden sich zwar grundlegend, trotzdem spricht das nicht gegen eine Anwendbarkeit des § 60 StGB auf Jugendliche und Heranwachsende.151 Denn die konkrete Anwendung und Auslegung des § 60 StGB gegenüber jungen Menschen hat nach den im JGG vorherrschenden Grundsätzen und Prinzipien zu erfolgen.152 2. Jugendgemäße Auslegung des § 60 StGB a) Jugendgemäße Auslegung des Merkmals „offensichtlich verfehlt“ Für ein Absehen von Strafe gem. § 60 StGB müssen die Tatfolgen für den Täter so schwer wiegen, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Davon ist auszugehen, wenn „sie unter keinem ihrer Leitgesichtspunkte eine sinnvolle Funktion hätte“.153 Von großer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die jeweiligen Strafzwecke. Ob die Verhängung einer Strafe gem. § 60 StGB offensichtlich verfehlt wäre, muss im Jugendstrafrecht anhand der dort dominierenden Grundgedanken bemessen werden.154 Maßgeblich sind hierbei der Erziehungsgedanke und der Grundsatz der positiven Spezialprävention.155 Generalpräventive Überlegungen dürfen hingegen keine Rolle spielen. Anders als im allgemeinen Strafrecht kann ein Absehen von Strafe gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden damit nicht an generalpräventiven Gesichtspunkten scheitern. Dadurch ist der Anwendungsbereich des § 60 StGB im Jugendstrafrecht gegenüber dem Erwachsenenstrafrecht sogar erweitert.156 Diese Auslegung entspricht dem Ge149  AG Osterrode, Niedersächsische Rechtspflege 1971, 262 (263); Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 205. 150  BayObLG, NJW 1992, 1520 (1521); Brunner, JR 1992, 389 (389); Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 203. 151  BayObLG, NJW 1992, 1520 (1521); Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 200. 152  BayObLG, NJW 1992, 1520 (1521). 153  Fischer, Strafgesetzbuch, § 60 Rn. 5. 154  Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 207 f.; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 5 Rn. 10. 155  BayObLG, NJW 1992, 1520 (1521). 156  Brunner, JR 1992, 389 (389); Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 207.

178 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

bot der Besserstellung Jugendlicher und Heranwachsender gegenüber Erwachsenen. b) Jugendgemäße Auslegung des Strafbegriffs § 60 StGB muss nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung bei einer Anwendung im Jugendstrafrecht auf das dort geltende Rechtsfolgensystem angepasst werden. Im Jugendstrafrecht gibt es anders als im Erwachsenenstrafrecht nicht nur Geld- und Freiheitsstrafe, sondern Erziehungsmaß­ regeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe. Würde man nur in den Fällen der Jugendstrafe ein Absehen von Strafe gem. § 60 StGB zulassen, würde das zu einer Schlechterstellung Jugendlicher bzw. Heranwachsender gegenüber Erwachsenen führen. Im Erwachsenenstrafrecht kommt ein Absehen von Strafe sowohl bei einer Geld- als auch bei einer Freiheitsstrafe in Betracht, während es im Jugendstrafrecht nur im Falle einer Jugendstrafe, aber nicht bei Er­ ziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln möglich wäre. Die ausschließliche Bezugnahme auf die Jugendstrafe würde den Anwendungsbereich des § 60 StGB im Jugendstrafrecht zu stark einschränken. Ein Absehen von Strafe wäre dann überhaupt nur in den schwersten Fällen jugendlicher Delinquenz möglich.157 Eine jugendgemäße Auslegung legt daher einen weiten, untechnischen Strafbegriff zugrunde und bezieht in den Strafbegriff des § 60 StGB nicht nur die Jugendstrafe, sondern auch Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel (§ 13 Abs. 3 JGG), welche nicht die Rechtswirkungen einer Strafe im engeren Sinne haben, mit ein.158 Ein Absehen von Strafe ist im Jugendstrafrecht damit als ein Absehen von Sanktionen zu lesen. Bei einer so verstandenen Interpretation des Strafbegriffs müssen stets die Leitprinzipien des Jugendstrafrechts – der Erziehungsgedanke und der Grund­satz der positiven Spezialprävention – im Fokus bleiben.159 Bezogen auf Erziehungsmaßregeln muss § 60 S. 1 StGB demnach folgendermaßen gelesen werden: „Das Gericht sieht von Erziehungsmaßregeln ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, erzieherisch bereits so wirksam geworden sind, dass eine weitere erzieherische Einwirkung auf den Tä157  BayObLG,

NJW 1961, 2029 (2030). NJW 1961, 2029 (2029 f.); Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 315; BayObLG, NJW 1992, 1520 (1520 f.); Brunner, JR 1992, 389 (389); Scheffler, NStZ 1992, 491 (491); Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S.  212 ff.; Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 473; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 5 Rn. 10; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 13; Groß/Kulhanek, in: Joecks/ Miebach, MüKoStGB, § 60 Rn. 2; Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 5 Rn. 23. 159  Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 213. 158  BayObLG,



IV. Kronzeugenregelung nach § 46b StGB179

ter unterbleiben kann.“160 Da Zuchtmittel eine Position zwischen Jugendstrafe und Erziehungsmaßregeln einnehmen und sowohl ahndende wie auch erzieherische Elemente aufweisen, ist wiederum eine gedankliche Umformulierung des § 60 S. 1 StGB angezeigt: Das Gericht sieht von Zuchtmitteln ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind oder erzieherisch bereits so wirksam geworden sind, dass die Verhängung von Zuchtmitteln offensichtlich verfehlt wäre und eine weitere erzieherische Einwirkung auf den Täter unterbleiben kann.

IV. Jugendgemäße Auslegung der Kronzeugenregelung nach § 46b StGB Die hinsichtlich § 60 StGB angeführten Argumente, insbesondere das Verbot der Schlechterstellung Jugendlicher bzw. Heranwachsender gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenslage, sprechen ebenso für eine Anwendung des § 46b StGB im Jugendstrafrecht.161 Allerdings fußen die beiden Normen auf grundverschiedenen Fundamenten. Wie bereits dargestellt, liegt § 60 StGB der Gedanke zugrunde, dass das Strafbedürfnis entfällt, wenn der Täter durch die Tatfolgen per se bereits genügend bestraft ist. Diese Möglichkeit des Absehens von Strafe muss gegenüber Jugendlichen bzw. Heranwachsenden und Erwachsenen gleichermaßen gelten. Die Grundprinzipien des Jugendstrafrechts – der Erziehungsgedanke und der Grundsatz der positiven Spezialprävention – stehen dem nicht entgegen, vielmehr geben sie eine derartige Handhabung vor. Anders verhält sich die Situation bezüglich § 46b StGB. Dieser ermöglicht in Fällen der Aufklärungs- oder Präventionshilfe eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe. Dabei kommt es jedoch zu einem Spannungsverhältnis mit den genannten Prinzipien.162 Zunächst belohnt § 46b StGB die „Il­ loyalität des Kronzeugen“.163 Kronzeugenregelungen verleiten obendrein dazu, unschuldige Dritte zu belasten, um in den Genuss einer Strafmilderung bzw. eines Absehens von Strafe zu kommen.164 Dies läuft dem Erziehungsgedanken zuwider, weil „der junge Mensch den Eindruck gewinnen muß, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 213. ZJJ 2009, 335 (336); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2

160  Altermann, 161  Hüneke,

Rn. 38. 162  Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 27; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 38. 163  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 38. 164  Weider, NStZ 1984, 391 (392) bzgl. 31 BtMG; Frank/Titz, ZRP 2009, 137 (139); Leipold, NJW-Spezial 2009, 776 (776); AG Saalfeld, StV 2007, 16 (16) bzgl. 31 BtMG.

180 E. Jugendgemäße Auslegung der im JGG anwendbaren StGB-Rechtsfolgen

Denunziation zahle sich aus“.165 Außerdem wird an die Offenbarung fremder Taten angeknüpft166, sodass es nicht auf eine innere Auseinandersetzung mit der selbst begangenen Tat sowie die Schuldeinsicht ankommt. Für den jungen Täter stehen damit nicht die Legalbewährung und das Brechen mit dem kriminellen Umfeld im Mittelpunkt, sondern das Sammeln von Erkenntnissen über fremdes strafrechtliches Verhalten.167 Eine Anwendung des § 46b StGB im Jugendstrafrecht kann bei jungen Menschen zudem den Anschein der Verhandelbarkeit von Strafe erwecken.168 Weiterhin ist die Anwendung der Kronzeugenregelung im Jugendstrafrecht vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgebots kritisch zu sehen. Denn das Gericht muss im Verfahren gegen den Kronzeugen weiteren Tatvorwürfen nachgehen und diesbezüglich auch Beweiserhebungen durchführen. Es ist eine „Aufblähung des Verfahrens gegen den Kronzeugen“ zu erwarten.169 Zudem muss es gerade für junge Menschen verwirrend wirken, dass die sog. Präventionshilfe auf der einen Seite über § 46b StGB belohnt wird, auf der anderen Seite aber eine Nichtanzeige sowieso gem. § 138 StGB strafbar ist.170 All dies ist dem Erziehungsgedanken und dem Grundsatz der positiven Spezialprävention abträglich. Aus den genannten Gründen gebietet eine jugendgemäße Auslegung die Nichtanwendbarkeit des § 46b StGB im Jugendstrafrecht.171 Ein Erwägungsmangel des Gesetzgebers liegt vor, da sich dieser nicht mit der jugendlichen Lebensphase beschäftigte.172 Allerdings muss die Mitwirkungsbereitschaft bei der Strafzumessung im Rahmen der allgemeinen Erwägungen durchaus Berücksichtigung finden.173 So können – insbesondere im Jugendstrafrecht unerlässliche – noch individuellere Entscheidungen getroffen werden und Schlechterstellungen gegenüber Erwachsenen abgemildert werden.

165  AG

Saalfeld, StV 2007, 16 (16). ZRP 2009, 137 (139). 167  Frank/Titz, ZRP 2009, 137 (139). 168  Körner, NJW 1982, 673 (676) bzgl. 31 BtMG im Erwachsenenstrafrecht. Genauer zur Problemstellung der Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 201 ff. 169  Frank/Titz, ZRP 2009, 137 (139). 170  König, StV 2012, 113 (113). 171  Ebenso: Kinzig, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 46b Rn. 3; Maier, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 46b Rn. 17; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 38. 172  BR-Drs. 353/07; BT-Drs. 16/6268; BT-Drs. 16/13094; BR-Drs. 172/12; ­BT-Drs. 17/9695; BT-Drs. 17/12732. 173  Maier, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 46b Rn. 17; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 38. 166  Frank/Titz,

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung Im abschließenden Kapitel dieser Arbeit sollen Perspektiven der jugendgemäßen Auslegung auf prozessrechtlicher Ebene dargestellt werden. Im Zuge dessen werden wesentliche Anwendungsgrundsätze anhand einzelner ausgewählter Beispiele herausgearbeitet. Das JGG normiert in den §§ 33 ff. Sondervorschriften für das Strafverfahren. Im Übrigen ist gem. § 2 Abs. 2 JGG wiederum auf die allgemeinen Vorschriften zurückzugreifen. Diese allgemeinen prozessrechtlichen Vorschriften müssen ebenfalls hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf Jugendliche und Heranwachsende überprüft werden. Dabei ist durch eine jugendgemäße Auslegung sicherzustellen, dass auch die strafprozessualen Normen den entwicklungstypischen Besonderheiten junger Menschen gerecht werden. Anlass und Anknüpfungspunkt sind hierbei weniger solche altersbedingten Eigenheiten, die eine besondere Anfälligkeit für die Deliktsbegehung oder eine vom formal tatbestandswertigen Ereignis abweichende lebensweltliche Bedeutung begründen, sondern vielmehr die aus der besonderen Überforderung und Vulnerabilität resultierende Schutz- und Unterstützungsbedürftigkeit junger Menschen im Strafverfahren.

I. Besondere Schutzbedürftigkeit junger Menschen im Strafverfahren Jugendliche und Heranwachsende verfügen alters- und entwicklungsbedingt über geringere soziale Handlungskompetenzen, Lebenserfahrung und Kenntnisse als Erwachsene, womit auch eine geringere Verhandlungs- und Verteidigungskompetenz einhergeht.1 Diese folgt auch aus deren geringeren sprachlichen Fähigkeiten. Sie verwenden häufig den „Jargon der Jugendszene“ und neigen zu „unpräzis-pauschaler“ und „drastischer Ausdrucks­ weise“.2 Das kann im Prozess zu Missverständnissen führen.3 Hinzu kommt, dass Jugendliche über ihre Rechte in der Regel ohnehin besonders schlecht 1  Grisso u. a., Law and Human Behavior 2003, 333; Feld, JCLC 2006, 219 (228 ff., 244 ff.); Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 27; Lamb/Sim, Youth Justice 2013, 131 (134 ff.); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 117. 2  Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 117. 3  Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 117.

182

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

informiert sind, weil sie Inhalt und Bedeutung strafprozessualer Rechtsbelehrungen nur teilweise begreifen.4 Ferner führt das Strafverfahren bei jungen Beschuldigten eher zu intellektuellen und emotionalen Überforderungssituationen als bei Erwachsenen.5 Es kann Einschüchterungseffekte mit sich bringen, die die ohnehin schon stärkere Beeinflussbarkeit junger Menschen „durch Vorhalte, Verdachtsäußerungen oder wertende Feststellungen“ noch zusätzlich verstärken.6 Die Widerstands- und Vorwurfsabwehrfähigkeit gegenüber Autoritäten ist aufgrund des altersbedingten Machtgefälles im Vergleich zu Erwachsenen reduziert.7 Jungen Menschen fällt es demgemäß besonders schwer, ihre Rechte gegenüber den Strafverfolgungsbehörden tatsächlich durchzusetzen.8 Außerdem zeigt sich die Vulnerabilität junger Beschuldigter darin, dass sie insgesamt geständnisbereiter sind als Erwachsene.9 Dies wird schon dadurch deutlich, dass der Tatvorwurf meist eingeräumt wird.10 Bei Jugendlichen kommt es außerdem häufig zu Falschgeständnissen, insbesondere in Drucksituationen.11 Dies führt zu einem Fehlerrisiko, welches sich im Jugendstrafrecht als außerordentlich dysfunktional erweist.12 Es wurde bereits eingehend erörtert, dass Stigmatisierungen im Jugendalter äußerst abträgliche Auswirkungen mit sich bringen.13 Wegen dieser besonderen prozessualen Überforderung Jugendlicher und deren Vulnerabilität, sind sie im Strafverfahren erhöht schutzbedürftig.14 4  Panzavolta u.  a., in: Vanderhallen u. a., Interrogating Young Suspects, S. 305 (323 f.); Sharf u. a., Psychological Assessment 2017, 556; Sim/Lamb, Psychology, Crime and Law 2018, 851. 5  Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 27; Zieger/ Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 117; Artkämper, ZJJ 2021, 231 (237 f.). 6  Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 117. 7  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (281); Lamb/Sim, Youth Justice 2013, 131 (134 ff.); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 117; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, Einleitung Rn. 48. 8  Eisenberg, ZJJ 2017, 186 (188 f.). 9  Eisenberg, NJW 1988, 1250 (1250); Eisenberg, NStZ 1999, 281 (282); Fahl, NStZ 2009, 613 (615); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 70c Rn. 8; zu den entwicklungspsychologischen Hintergründen Cleary, Law and Human Behavior 2014, 271. 10  Panzavolta u. a., in: Vanderhallen u. a., Interrogating Young Suspects, S. 305 (357 f.). 11  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (282); Malloy/Shulman/Cauffman, Law and Human Behavior 2014, 181; Redlich/Shteynberg, Law and Human Behavior 2016, 611; Woody/Forrest, Understanding Police Interrogation, 2020, S. 117 ff.; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 70c Rn. 9 f. 12  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, Einleitung Rn. 48. 13  Eingehend hierzu S. 49 ff. 14  Schäfer, NStZ 1998, 330 (330); Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 117.



II. Jugendadäquate Verfahrensausgestaltung183

Insgesamt ist festzuhalten: „Junge Menschen sind aufgrund ihrer geringen Lebenserfahrung und der intensiven psychischen und körperlichen Entwicklungsprozesse zur Wahrnehmung ihrer Interessen weit weniger in der Lage als Erwachsene. Ihnen gegenüber besteht deswegen eine gesteigerte Fürsorgepflicht des Staates, will er in die Lebensverhältnisse eines jungen Menschen aufgrund straffälligen Verhaltens eingreifen. Die Fairneß, mit der ihnen in gerichtlichen Verfahren begegnet wird, ist wegen der Vorbildhaftigkeit zugleich der glaubwürdigste Beitrag zur Erziehung.“15

II. Jugendadäquate Verfahrensausgestaltung Um der aufgezeigten Schutzbedürftigkeit junger Menschen im Prozessrecht gerecht zu werden, erfordert der Erziehungsgedanke eine jugendadäquate Verfahrensausgestaltung, also eine dem Alter des jungen Beschuldigten angepasste, behutsame Vorgehensweise, die ihn bestmöglich vor belastenden Verfahrensauswirkungen schützt. Art. 13 Abs. 2 RL 2016/800 verlangt, dass Jugendliche „immer auf eine Art und Weise behandelt werden, die ihre Würde schützt und die ihrem Alter, ihrem Reifegrad und ihrem Verständnis entspricht und jegliche besonderen Bedürfnisse einschließlich etwaiger Kommunikationsschwierigkeiten, die sie möglicherweise haben, berücksichtigt“. Erforderlich ist danach stets eine jugendspezifische Kommunikation, die sich an den Kommunikationsgewohnheiten und Verständnishorizonten Jugendlicher und Heranwachsender orientiert.16 Das Verfahren muss darüber hinaus Bloßstellungen und Stigmatisierungen junger Menschen vermeiden und sie so vor Nachteilen für ihre persönliche, soziale und berufliche Entwicklung schützen.17 Kerngehalt des Erziehungsgedankens im Jugendstrafverfahren ist es also, junge Menschen vor schädlichen Auswirkungen des Strafverfahrens auf die weitere Persönlichkeitsentwicklung zu verschonen.18 Darüber hinaus sollten junge Menschen auf ihrem weiteren Weg unterstützt werden und Empowerment dieser Altersgruppe sollte im Fokus stehen. Im Zuge dessen ist darauf hinzuweisen, dass der Erziehungsgedanke und der Fairnessgrundsatz eng miteinander verknüpft sind. Denn Forschungsergebnisse legen nahe, dass die Chancen für eine positive Einflussnahme auf junge Menschen

u. a., NJW 1989, 1024 (1025). ZJJ 2010, 183 (184); Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 64; Riekenbrauk, ZJJ 2014, 200 (204); Artkämper, ZJJ 2021, 231 (237 f.). 17  BGH, NJW 1997, 471 (471). 18  Bottke, ZStW 1983, 69 (95); Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 44. 15  Beulke

16  Ostendorf,

184

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

steigen, je fairer sich diese behandelt fühlen.19 Somit verstärken sich Erziehungsgedanke und Fairnessgrundsatz gegenseitig mit der Folge, dass die „Anforderungen an ein faires Verfahren in Jugendstrafprozessen höher sind als in Verfahren gegen Erwachsene“.20 Art. 6 Abs. 1 EMRK erfordert insbesondere, dass „die noch nicht entwickelten intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten“ im Verfahren in Rechnung gestellt werden.21

III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele 1. Jugendgemäße Auslegung der Zwangsmittel Um den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung bei der Anwendung der Zwangsmittel im Strafverfahren zu erläutern, werden zunächst herausgegriffene Beispiele erläutert. Sodann werden anhand dessen allgemeine Grundsätze herausgearbeitet. a) Untersuchungshaft Im Rahmen des Themenkomplexes der Untersuchungshaft erfordert der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung, folgende Erkenntnis bei der Rechtsanwendung im Blick zu haben: Haftsituationen wirken sich auf junge, sich noch in der Entwicklung befindende Menschen ohne gefestigte Persönlichkeit besonders abträglich aus.22 Der Gesetzgeber selbst bezeichnet die Untersuchungshaft gegen junge Menschen als „eine außerordentlich problematische Maßnahme“.23 So ist hervorzuheben dass, „für Jugendliche und Heranwachsende die Untersuchungshaft ganz besonders schädlich ist, da neben den psychischen und sozialen Folgen des Freiheitsentzuges der Effekt der (Selbst-)Stigmatisierung tritt, der wiederum eine im Entstehen begriffene kriminelle Karriere verfestigen kann.“24 Zudem sind beruflich nachteilige Folgen zu befürchten.25 Gleichzei19  Tyler, Why People Obey the Law, S. 161 ff.; Sprott/Greene, Crime and Delinquency 2010, 269 (283 f.); Penner u. a., Law and Human Behavior 2014, 225 (230 ff.). 20  Knauer, ZJJ 2012, 260 (263). 21  Albrecht, in: Richter/Krappmann/Wapler, Kinderrechte, S. 405 (405). 22  Wagler, Probleme der Verteidigung im Jugendstrafverfahren, S. 108; Weidermann, ZfJ 1989, 111 (111); von Nerée, StV 1993, 212 (212); Villmow, ZJJ 2009, 226 (229); Rentzel-Rothe, StV 2013, 786 (786); Kaspar, in: Knauer, MüKoStPO, § 72 JGG Rn. 4. 23  BR-Drs. 464/89, S. 86; BT-Drs. 11/5829, S. 30. 24  Cornel, MSchrKrim 1987, 65 (72). 25  Villmow, ZJJ 2009, 226 (229).



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele185

tig ist die Altersgruppe der Jugendlichen und Heranwachsenden am stärksten von Untersuchungshaft betroffen.26 Diese schädlichen Auswirkungen der Untersuchungshaft auf die weitere Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen sind aber im Rahmen eines jugendadäquaten, auf die besondere Schutzbedürftigkeit junger Menschen Rücksicht nehmenden Verfahrens zu vermeiden. Diesen Umständen trägt der nur auf Jugendliche anwendbare § 72 JGG lediglich unzureichend Rechnung. Um dem Erziehungsgedanken aber auch dem Grundsatz der positiven Spezialprävention gerecht zu werden, müssen jugend- und heranwachsendentypische Besonderheiten auf normativer Ebene bei der Anwendung der Untersuchungshaftvorschriften berücksichtigt werden. Außerdem geben die Unschuldsvermutung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor, „die Untersuchungshaft auf das Allernotwendigste zu beschränken“.27 Diese beiden Grundsätze sind im Jugendstrafrecht besonders bedeutsam. Der im Verhältnismäßigkeitsprinzip begründete Subsidiaritätsgrundsatz wurde bereits eingehend erörtert.28 Die Unschuldsvermutung folgt aus dem gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden besonders wichtigen Fairnessgrundsatz des Art. 6 Abs. 2 EMRK.29 Speziell bei den Haftgründen können entwicklungstypische Besonderheiten zu einer gegenüber Erwachsenen abweichenden Handhabung führen.30 Im Folgenden sollen zwei Haftgründe analysiert werden. aa) Haftgrund der Wiederholungsgefahr gem. § 112a StPO (1) Die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO setzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat voraus. Es muss sich also um Taten mit überdurchschnittlichem Unrechtsgehalt und Schweregrad handeln.31 Dieses Kriterium der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung ist altersspezifisch differenziert auszulegen. Hierbei ist von Bedeutung, dass sich das Handlungsunrecht Jugendlicher bzw. Heranwachsender und Erwachsener

StV 2013, 786 (786). in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, Strafprozessordnung, Vorbemerkung zu den §§ 112 ff. Rn. 3. 28  S.  62 ff. 29  Gaede, in: Knauer, MüKoStPO, Art. 6 EMRK Rn. 126 ff. 30  Wagler, Probleme der Verteidigung im Jugendstrafverfahren, S. 111; Eisenberg/ Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 72 Rn. 6 ff. 31  Krauß, in: Graf, BeckOKStPO, § 112a Rn. 7. 26  Rentzel-Rothe, 27  Herrmann,

186

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

bei äußerlich identischem Verhalten erheblich unterscheiden kann.32 Außerdem muss dem eigenständigen Sanktionensystem des Jugendstrafrechts mit seinen Abstufungen Beachtung geschenkt werden – wenn die Vortat nur mit Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln sanktioniert wurde, so kann die geforderte schwerwiegende Beeinträchtigung in der Regel nicht bejaht werden.33 Diese Vorgehensweise entspricht obendrein dem im Jugendstrafrecht besonders relevanten Subsidiaritätsgrundsatz. Nach § 112a Abs. 1 S. 2 StPO sind auch solche Taten in „die Beurteilung des dringenden Verdachts einer Tatbegehung im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 einzubeziehen, die Gegenstand anderer, auch rechtskräftig abgeschlossener Verfahren sind oder waren“. Diese Neuregelung stellt eine zusätzliche Verschärfung dar, weil ein konkreter zeitlicher oder sachlicher Zusammenhang zwischen der Anlasstat und früheren Taten nicht mehr nötig ist.34 Allerdings wird auch hier wieder der Unterschied zwischen jungen Menschen und Erwachsenen virulent. Letztere sind in ihrer Persönlichkeit gefestigt, während sich junge Menschen noch in der Persönlichkeitsentwicklung befinden. Zudem ist Jugenddelinquenz ein nur episodenhaftes Phänomen, sodass die meisten der strafrechtlich erfassten Jugendlichen bzw. Heranwachsenden nicht oder nur noch selten erneut auffällig werden.35 Daher ist ein Blick in die Vergangenheit bei den verschiedenen Altersgruppen nicht gleich aussagekräftig. Der junge Beschuldigte hat sich in den meisten Fällen weiterentwickelt und entspricht dem Bild in den abgeschlossenen Verfahren nicht mehr. Aus diesen Gründen ist dieser Teil der Norm für junge Menschen unpassend und muss nach einer jugendgemäßen Auslegung gegenüber jungen Beschuldigten gänzlich unangewendet bleiben. (2) Wiederholungsgefahr Ferner verlangt § 112a StPO eine Wiederholungsgefahr. Diese „muss durch bestimmte Tatsachen begründet werden, die eine so starke innere Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Taten erkennen lassen, dass die Besorgnis begründet ist, er werde die Serie gleichartiger Taten noch vor einer Ver32  von Nerée, StV 1993, 212 (213); Eisenberg, NStZ 1999, 281 (283); Humberg, Jura 2005, 376 (382); Pawlischta, in: Gertler/Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 72 Rn. 13; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 72 Rn. 7c. 33  OLG Oldenburg, StV 2010, 139 (139); OLG Oldenburg, StV 2012, 352 (353); Rentzel-Rothe, StV 2013, 786 (788); OLG Köln, BeckRS 2018, 41408 Rn. 11; Herrmann, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, Strafprozessordnung, § 112a Rn. 13; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 72 Rn. 7d. 34  Herrmann, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, Strafprozessordnung, §  112a Rn. 18. 35  Genauer hierzu S. 42 f.



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele187

urteilung wegen der Anlasstat fortsetzen“.36 Auch diese Negativprognose muss in jugendadäquater Art und Weise vorgenommen werden. Dabei bleiben erneut Vorverurteilungen unterhalb der Jugendstrafe außer Betracht.37 Zudem kann bei jungen Menschen, die sich noch in der Persönlichkeitsentwicklung befinden, schwerlich von verfestigten inneren Neigungen ausgegangen werden.38 Obendrein kann die Negativprognose vor dem Hintergrund der Episodenhaftigkeit der Jugenddelinquenz bei Jugendlichen und Heranwachsenden nur im Ausnahmefall bejaht werden. Der Gesetzgeber hat sich seit dem 13.12.2007 im Rahmen des § 112a StPO nicht mit jugendtypischen Besonderheiten beschäftigt.39 bb) Haftgrund gem. § 112 Abs. 3 StPO § 112 Abs. 3 StPO normiert, dass Untersuchungshaft bei Vorliegen bestimmter schwerer Straftaten auch ohne Haftgrund angeordnet werden darf. Das BVerfG verlangt allerdings eine verfassungskonforme Auslegung der Norm, wonach die Anordnung der Untersuchungshaft nur zulässig ist, wenn „Umstände vorliegen, die die Gefahr begründen, daß ohne Festnahme des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte“. Ein „nach den Umständen des Falles doch nicht auszuschließende[r] Flucht- oder Verdunkelungsverdacht“ oder die „ernstliche Befürchtung, daß der Beschuldigte weitere Verbrechen ähnlicher Art begeht“ kann ausreichen.40 Diese gelockerten Voraussetzungen an die Haftgründe können nicht unreflektiert auf das Jugendstrafrecht übertragen werden. Zunächst muss beachtet werden, dass sich die Untersuchungshaft auf die künftige Entwicklung junger Menschen besonders dysfunktional auswirkt, sei es psychisch, sozial, aber auch beruflich sowie auf die künftige Legalbewährung.41 Gerade vor solchen in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, § 112a Rn. 14. Oldenburg, StV 2012, 352 (353); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, § 112a Rn. 14. 38  von Nerée, StV 1993, 212 (215); Rentzel-Rothe, StV 2013, 786 (788). 39  BR-Drs. 69/09, S. 23; BT-Drs. 16/12428, S. 20; BT-Drs. 16/13145; BT-Drs. 16/12098, S. 19; BT-Drs. 16/13671, S. 9; BT-Drs. 18/4087, S. 13; BT-Drs. 18/4705; BR-Drs. 491/14; BT-Drs. 18/3562; BT-Drs. 18/5254; BR-Drs. 162/16; BT-Drs. 18/8210; BT-Drs. 18/9097, S. 33; BR-Drs. 231/16, S. 10; BT-Drs. 18/8579, S. 13; BTDrs. 18/9699; BR-Drs. 236/16; BT-Drs. 18/9416; BT-Drs. 18/12203, S. 74; BT-Drs. 19/23707; BT-Drs. 19/27928, S. 25 f.; BR-Drs. 255/21; BT-Drs. 19/28678; BT-Drs. 19/30943; BT-Drs. 19/31115, S. 17. 40  BVerfG, NJW 1966, 243 (244). 41  Villmow, ZJJ 2009, 226 (229); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 72 Rn. 3; ca. 50 % der Betroffenen konnten nach der U-Haft nicht in ihr ursprüngliches 36  Schmitt, 37  OLG

188

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

belastenden Auswirkungen sollen junge Menschen aber möglichst geschützt werden. Jugendliche und Heranwachsende verfügen über eine geringere Lebenserfahrung, Handlungskompetenz und auch finanzielle Mittel als Erwachsene, sodass Flucht- oder Verdunkelungsgefahr i. S. d. § 112 Abs. 2 Nr. 2, 3 StPO nur selten bejaht werden kann.42 Mit dieser restriktiven Handhabung verträgt sich die herabgesetzte Voraussetzung und weite Formulierung nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsgefahr nicht. Das BVerfG lässt sogar die Prognose genügen, dass der Täter weitere Taten ähnlicher Art begehen werde. Aufgrund der Episodenhaftigkeit der Jugenddelinquenz kann eine solche Negativprognose jedoch nicht zuverlässig getroffen werden. Auch die bereits im allgemeinen Strafrecht zu § 112 Abs. 3 StPO vorgebrachten Kritikpunkte verstärken sich im Jugendstrafrecht. Darunter fallen zum einen die geringeren Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit.43 Zum anderen ist zu beachten, dass Delikte durch die Polizei oftmals höher eingestuft werden als dies im nachfolgenden Urteil durch den Richter erfolgt.44 Da die rechtliche Einordnung des Geschehens für die Bejahung von § 112 Abs. 3 StPO aber entscheidend ist, kann es insoweit zu einer fehlerhaften Handhabung kommen. Obendrein ist § 112 Abs. 3 StPO Ausdruck von Tatstrafrecht.45 Damit ist die Norm im täterstrafrechtlich geprägten Jugendstrafrecht systemwidrig und nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden nicht anwendbar.46 Der Gesetzgeber hat sich zu einer Anwendbarkeit des § 112 Abs. 3 StPO im Jugendstrafrecht seit dem 13.12.2007 nicht positioniert.47 b) DNA-Identitätsfeststellung nach § 81g StPO § 81g StPO eröffnet über § 2 Abs. 2 JGG auch im Jugendstrafrecht die Möglichkeit der Körperzellenentnahme und der molekulargenetischen Untersuchung zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren. Dies stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gem.

Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis zurückkehren: Spieß, in: Kury, Prävention abweichenden Verhaltens, S. 571 (591); zu den negativen Auswirkungen der U-Haft auf die Rückfallwahrscheinlichkeit: Walker/Herting, Crime and Delinquency 2020, 1865. 42  OLG Hamm, StV 1996, 275 (275); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 72 Rn. 6c, 7/7a. 43  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 72 Rn. 9c. 44  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 72 Rn. 9c. 45  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 72 Rn. 9b. 46  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 72 Rn. 9b. 47  BR-Drs. 491/14; BT-Drs. 18/3562; BT-Drs. 18/5254; BR-Drs. 161/16; BT-Drs. 18/8621; BT-Drs. 18/10509; BT-Drs. 19/23707, S. 46 f.; BT-Drs. 19/27928.



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele189

Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG dar.48 Außerdem besteht bei dieser Maßnahme eine erhebliche Gefahr entwicklungsabträglicher Stigmatisierungen.49 Um dieser negativen Beeinflussung der Legalbewährung junger Menschen entgegenzuwirken und dem Erziehungsgedanken mit seiner Begrenzungs- und Folgenorientierungsfunktion Rechnung zu tragen, bedarf es einer jugendgemäßen Auslegung der in Rede stehenden Norm.50 Ein relevanter entgegenstehender gesetzgeberischer Wille ist nicht festzustellen.51 Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung gebietet eine restriktive Herangehensweise.52 Hierbei ist dreierlei zu beachten: aa) Straftat von erheblicher Bedeutung Eine Straftat von erheblicher Bedeutung muss „mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen“.53 Bei der Prüfung, ob die geforderte Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt, ist zu berücksichtigen, dass sich die Deliktsbegehung von jungen Menschen und Erwachsenen häufig qualitativ unterscheidet und ein geringeres Gewicht aufweist.54 Demzufolge sind die Anforderungen für eine Straftat von erheblicher Bedeutung gegenüber dem Erwachsenenstrafrecht nochmals erhöht. Diese sollte mindestens dem Bereich der schweren Kriminalität zuzurechnen sein. Bei einer Einstellung nach den §§ 45, 47 JGG fehlt es jedenfalls an der geforderten Erheblichkeit.55

48  Eisenberg, in: Eser u. a., FS Meyer-Goßner, S. 293 (293); BVerfG, NJW 2008, 281 (281). 49  Eisenberg, in: Eser u.  a., FS Meyer-Goßner, S. 293 (301); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 42; ausführlich hierzu S. 47 ff. 50  Für eine Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten sprechen sich auch aus: LG Freiburg, NStZ-RR 2001, 336 (336); Eisenberg, in: Eser u. a., FS MeyerGoßner, S. 293 (301 f.); OLG Karlsruhe, DVJJ-Journal 2002, 465 (466); BVerfG, NJW 2008, 281 (282 f.); BVerfG, StV 2014, 578 (579 f.); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 42 f. 51  BR-Drs. 491/14; BT-Drs. 18/3562; BT-Drs. 18/5254; BT-Drs. 19/14747, S. 28; BT-Drs. 19/15161. 52  Rössner, in: Meier u.  a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 28; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 42. 53  Trück, in: Graf, BeckOKStPO, § 81g Rn. 3. 54  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 43. 55  LG Hanau, BeckRS 2015, 07828; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 43.

190

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

bb) Negativprognose § 81g Abs. 1 StPO fordert zudem, dass Grund zu der Annahme besteht, dass gegen den Beschuldigten künftig Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Insoweit ist eine einzelfallbezogene Prognoseentscheidung nötig.56 Stets angemessen zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gem. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.57 Die erforderliche Negativprognose muss bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden und Erwachsenen abweichend vorgenommen werden und jugendtypische Besonderheiten miteinbeziehen.58 Sofern es sich bei der in Rede stehenden Straftat nur um eine jugendtypische Verfehlung handelt, muss das im Rahmen der Negativprognose in Rechnung gestellt werden. Die Begehung zukünftiger erheblicher Straftaten liegt dann eher fern.59 So kann beispielsweise aus der Verurteilung eines 14-Jährigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern aufgrund der Erzeugung eines Knutschflecks am Hals einer 13-Jährigen Klassenkameradin nicht ohne weiteres auf die Begehung weiterer erheblicher Straftaten geschlossen werden.60 Außerdem unterliegt die Negativprognose vor dem Hintergrund der Episodenhaftigkeit der Jugenddelinquenz gesteigerten Begründungsanforderungen.61 Es muss beachtet werden, dass die meisten Jugendlichen und Heranwachsenden aus der Delinquenz herauswachsen, sodass eine negative Zukunftsprognose nicht berechtigt erscheint.62 Erforderlich ist vielmehr eine „atypisch stark ausgeprägte Belastungssituation“ des jungen Beschuldigten.63 Bei „moderater oder erstmaliger Auffälligkeit“ ist die Negativprognose in der Regel zu verneinen.64 Um Jugendliche und Heranwachsende möglichst weitgehend zu schützen, müssen im Rahmen der Prognoseentscheidung die möglichen Auswirkungen der Zwangsmaßnahme auf die weitere Entwicklung der jungen Menschen beachtet werden.65 Dabei ist entscheidend, dass Zwangsmaßnahmen auf

56  BVerfG,

NJW 2008, 281 (282); BVerfG, StV 2014, 578 (578). NJW 2008, 281 (281); BVerfG, StV 2014, 578 (579). 58  BVerfG, NJW 2008, 281 (282). 59  BVerfG, NJW 2008, 281 (282); BVerfG, StV 2014, 578 (578). 60  BVerfG, StV 2014, 578 (579). 61  LG Freiburg, NStZ-RR 2001, 336 (336); Eisenberg, in: Eser u. a., FS MeyerGoßner, S. 293 (301); BVerfG, NJW 2008, 281 (282); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 43. 62  Genauer hierzu S. 42 f. 63  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 43. 64  VG München, StraFo 2004, 52 (53); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 41 jeweils zu § 81b StPO. 57  BVerfG,



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele191

junge Menschen gravierender einwirken als auf Erwachsene. Das liegt zum einen an deren „noch andauernden Labilität“, zum anderen an deren „erhöhter subjektiver ‚Eindrucksfähigkeit‘ “.66 Eine solche Folgenorientierung fordern nicht nur der Erziehungsgedanke, sondern auch das Verbot der Schlechterstellung sowie das Gebot der Besserstellung ein. Außerdem sind belastende Auswirkungen, wie dysfunktionale Stigmatisierungen, wegen der aufgestellten Leitlinien nach Möglichkeit zu vermeiden. „Durch die dauerhafte Speicherung eines unverwechselbaren Erkennungsmerkmals eines Jugendlichen“ kann allerdings „eine ‚Brandmarkung‘ drohen, welche als determinierendes Element die Möglichkeit andauernder Straffreiheit als Grundvoraussetzung sozialer Integration einschränken kann“.67 Hierbei ist vor dem Hintergrund des erläuterten Etikettierungsansatzes einerseits zu berücksichtigen, dass eine Intensivierung von Kontrollen durch die Strafverfolgungsbehörden zu befürchten ist, andererseits muss aber auch beachtet werden, welche Auswirkungen die staatlich formulierte Negativprognose auf die innere Haltung des jungen Beschuldigten in Bezug auf sein künftiges Legalverhalten haben kann. Denn die genannte Brandmarkung kann ein Gefühl der Abstempelung erzeugen und so zu einem ungünstigen Identitätsbildungsprozess füh­ren.68 cc) Zuständigkeit Zuständig für die Zwangsmaßnahme nach § 81g StPO ist nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung gem. §§ 34, 107 JGG der Jugendrichter. So kann sichergestellt werden, dass eine ausreichende Kompetenz im Umgang mit jungen Menschen und hinsichtlich deren jugendtypischen Besonderheiten gewährleistet ist.69 c) Ableitung allgemeiner Prinzipien für die jugendgemäße Auslegung der Zwangsmittel Die erläuterten Beispiele machen deutlich, dass die empirisch-kriminologischen Erkenntnisse bezüglich Jugendlicher und Heranwachsender auch bei 65  Eisenberg, in: Eser u. a., FS Meyer-Goßner, S. 293 (301); BVerfG, NJW 2008, 281 (283); BVerfG, StV 2014, 578 (579). 66  BVerfG, NJW 2008, 281 (283). 67  BVerfG, NJW 2008, 281 (283). 68  Bezjak/Sommerfeld, ZJJ 2010, 72 (74) zu § 81b StPO; eingehend hierzu schon S.  49 f. 69  Eisenberg, in: Eser u. a., FS Meyer-Goßner, S. 293 (302); Bareis, ZJJ 2006, 392 (395); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, § 81g Rn. 15; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 43.

192

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

der Anwendung von Zwangsmitteln auf normativer Ebene berücksichtigt werden müssen. Hierzu halten die aufgestellten Leitlinien an. Jugendgemäße Auslegung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Auswirkungen des jeweiligen Zwangsmittels auf den Entwicklungsprozess Jugendlicher und Heranwachsender beachtet werden müssen und bei befürchteten negativen Folgen möglichst zu vermeiden sind.70 Bedeutsam ist hierbei, dass Zwangsmaßnahmen ähnlich strafrechtlicher Rechtsfolgen von den Betroffenen als Sanktion empfunden werden.71 Sofern eine Klassifizierung einer Straftat als schwerwiegend, erheblich oder ähnliches erforderlich ist, sind bei jungen Menschen besonders hohe Anforderungen zu stellen, da sich deren Handlungsunrecht von dem Erwachsener unterscheidet. Außerdem muss dem jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgensystem Beachtung geschenkt werden. Im Rahmen einer Negativprognose ist stets zu beachten, dass sich jugendliche bzw. heranwachsende Beschuldigte noch in der Entwicklung befinden und dass Jugenddelinquenz ein episodenhaftes Phänomen ist. Zuständig für Zwangsmittel ist nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung gem. §§ 34, 107 JGG der Jugendrichter. So kann eine ausreichende Kompetenz im Umgang mit der jugendlichen Lebensphase gewährleistet werden. 2. Jugendgemäße Auslegung der notwendigen Verteidigung § 68 Nr. 1 JGG normiert, dass im Jugendstrafverfahren ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, wenn dies auch im Verfahren gegen Erwachsene der Fall wäre. Dort regelt § 140 StPO die Fälle der notwendigen Verteidigung. Dem Beschuldigten muss in diesen Konstellationen ein Verteidiger zur Seite gestellt werden, um ihm im Verfahren Beistand zu leisten. Die Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO ist nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung extensiv auszulegen.72 Dort ist normiert, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung auch dann vorliegt, wenn wegen „der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers NStZ 1999, 281 (283); Bezjak/Sommerfeld, ZJJ 2010, 72 (74). NStZ 1999, 281 (283). 72  Ebenso für eine weite Auslegung im Jugendstrafverfahren: LG Gera, StV 1999, 656 (656); AG Saalfeld, NStZ-RR 2002, 119 (119); OLG Brandenburg, NStZ-RR 2002, 184 (184); LG Bremen, NJW 2003, 3646 (3646); Spahn, StraFo 2004, 82 (83); LG Bremen, StV 2005, 61 (62); Mohr, JR 2006, 499 (503); OLG Saarbrücken, StV 2007, 9 (9); Gau, StraFo 2007, 315 (316); OLG Hamm, StV 2008, 120 (120); OLG Schleswig, StV 2009, 86 (86); Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 42; Kotz/Rahlf, Praxis des Betäubungsmittelstrafrechts, Kapitel 9 Rn. 22; Thomas/Kämpfer, in: Schneider, MüKoStPO, § 140 Rn. 54; Krawczyk, in: Graf, BeckOKStPO, § 140 Rn. 41; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 68 Rn.  21, 23 ff. 70  Eisenberg, 71  Eisenberg,



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele193

geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann“. Hiervon ist bei Jugendlichen und Heranwachsenden eher als bei Erwachsenen auszugehen. Dies resultiert aus dem besonderen Schutzbedürfnis junger Menschen im Verfahren. Hinsichtlich der empirischkriminologischen Grundlage ist anzuführen, dass sich noch in der Entwicklung befindende Jugendliche und Heranwachsende zur Wahrnehmung ihrer Interessen vor Gericht weitaus weniger imstande sind als Erwachsene und sich demzufolge nur begrenzt selbst verteidigen können.73 Dies ist auf deren geringere Lebenserfahrung und Handlungskompetenz zurückzuführen sowie darauf, dass sie mit ihren Rechten und deren Durchsetzung nicht gleichermaßen vertraut sind wie Erwachsene.74 Außerdem ist Unerfahrenheit im Umgang mit staatlichen Instanzen kennzeichnend für diese Altersgruppe.75 Auch sprachlich und intellektuell sind sie dem strafrechtlichen Verfahrensgang häufig nicht gewachsen.76 Dies folgt wiederum aus dem aufgestellten Kriterienkatalog. Dieser Mangel an Kompetenzen junger Beschuldigter führt häufig dazu, dass sie sich „dem staatlichen Strafverfolgungs­ apparat machtlos“ gegenübersehen.77 Vor dem Hintergrund des erhöhten Schutzbedürfnisses junger Menschen im Strafverfahren, muss ein Verteidiger jungen Menschen noch mehr als im Erwachsenenstrafrecht unter die Arme greifen und die beschriebenen Selbstverteidigungsdefizite ausgleichen. Wie erläutert, ist Empowerment junger Menschen eine Zielvorgabe im Jugendstrafverfahren, sodass der Verteidiger junge Beschuldigte unterstützen soll, selbstständiger und kompetenter aufzutreten. Der Erziehungsgedanke erfordert eine derartige jugendadäquate Verfahrensausgestaltung. Auch das Verbot der Schlechterstellung und das Gebot der Besserstellung streiten für diese Vorgehensweise. Junge Menschen haben einen gesteigerten „Anspruch auf schärfere Herausbildung und Gewährleistung ihrer Rechte und Verteidigungsmöglichkeiten gegenüber Polizei, StA und Jugendgericht“.78 Zudem obliegt dem Staat ihnen gegenüber wegen des im Jugendstrafrecht besonders wichtigen Grundsatzes des fairen Verfah73  Hierzu

bereits Fn. 1 in diesem Kapitel. u. a., NJW 1989, 1024 (1025); LG Gera, StV 1999, 656 (656); AG Saalfeld, NStZ-RR 2002, 119 (119); OLG Brandenburg, NStZ-RR 2002, 184 (184); LG Bremen, NJW 2003, 3646 (3646); Spahn, StraFo 2004, 82 (83); OLG Saarbrücken, StV 2007, 9 (9); Gau, StraFo 2007, 315 (316 f.); OLG Schleswig, StV 2009, 86 (86); Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 43; Bock, StV 2019, 508 (513). 75  Spahn, StraFo 2004, 82 (83); OLG Schleswig, StV 2009, 86 (86). 76  LG Gera, StV 1999, 656 (656); AG Saalfeld, NStZ-RR 2002, 119 (119); Spahn, StraFo 2004, 82 (83); OLG Schleswig, StV 2009, 86 (86). 77  AG Saalfeld, NStZ-RR 2002, 119 (119). 78  AG Saalfeld, NStZ-RR 2002, 119 (119). 74  Beulke

194

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

rens und des darin enthaltenen Rechts auf effektive Verteidigung „eine besondere Fürsorgepflicht auch bei der Pflichtverteidigerbestellung“.79 „Gerade im Jugendstrafverfahren muss nämlich im Interesse fairer Rechtspflege die grundgesetzlich garantierte Subjektstellung des vom staatlichen Strafanspruch erfassten jungen Menschen gesichert werden“.80 Demgemäß müssen nicht nur die Merkmale der Schwierigkeit der Sachoder Rechtslage und der Mangel an Selbstverteidigungskompetenz, sondern auch die Schwere der Tat und die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge jugendspezifisch weit ausgelegt werden. Hierbei ist außerdem zu beachten, dass Strafen bei jungen Menschen besonders dysfunktional auf die weitere Entwicklung wirken, weshalb die Unterstützung durch einen Verteidiger eher nötig ist als im Erwachsenenstrafrecht.81 Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen des § 140 Abs. 2 StPO nicht zur besonderen Schutzbedürftigkeit ­ und herabgesetzten Verteidigungsmöglichkeit junger Menschen verhalten.82 Auch der Wille des Gesetzgebers im Zusammenhang mit § 68 Nr. 1 JGG steht der vorliegenden Handhabung nicht entgegen.83 Vielmehr weist er selbst darauf hin, dass die Prüfung im Rahmen des § 140 Abs. 2 StPO „sachnotwendigerweise immer auch Aspekte des Kindeswohls“ umfasst.84 Das Kindeswohlprinzip leitet gerade zu einer jugendgemäßen Auslegung an.85 Insgesamt ist eine gegenüber Erwachsenen erweiterte Auslegung des § 140 Abs. 2 StPO auf normativer Ebene angezeigt, sodass regelhaft ein Fall der notwendigen Verteidigung anzunehmen ist. Diese Form der jugendgemäßen Auslegung ist europarechtskonform. Denn für das hier vertretene RegelAusnahme-Verhältnis spricht die Regelungssystematik der Kinderrechtsrichtlinie RL 2016/800.86 Nach Art. 6 Abs. 2 und 3 der Richtlinie sind junge Beschuldigte im Grundsatz von einem Rechtsbeistand zu unterstützen. Nur ausnahmsweise kann nach Art. 6 Abs. 6 und Abs. 8 der Richtlinie unter den dortigen Voraussetzungen von dieser Maßgabe abgewichen werden.

79  LG

Gera, StV 1999, 656 (656). StraFo 2004, 82 (83). 81  Spahn, StraFo 2004, 82 (83); Gau, StraFo 2007, 315 (316). 82  BR-Drs. 213/11, S. 13; BT-Drs. 17/6261, S. 11; BT-Drs. 17/12735, S. 6; BRDrs. 364/19, S. 28; BT-Drs. 19/13829, S. 35; BT-Drs. 19/15151. 83  BR-Drs. 368/19; BT-Drs. 19/13837; BT-Drs. 19/15162. 84  BR-Drs. 368/19, S. 25; BT-Drs. 19/13837, S. 27. 85  Siehe hierzu ausführlich S. 68 ff. 86  Ebenso: Bock, StV 2019, 508 (513). 80  Spahn,



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele195

3. §§ 153, 153a StPO und der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung a) Anwendbarkeit der §§ 153, 153a StPO im Jugendstrafrecht Einige halten die §§ 153, 153a StPO im Jugendstrafrecht für unanwendbar, da sie die §§ 45, 47 JGG demgegenüber als abschließende Sonderregelungen einordnen.87 Nach hier vertretener Ansicht sind die §§ 153, 153a StPO über § 2 Abs. 2 JGG gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden immer dann anwendbar, wenn sie gegenüber den §§ 45, 47 JGG eine erweiterte Einstellungsmöglichkeit eröffnen und so für die jungen Menschen günstigere Regelungen darstellen.88 Hierfür spricht das Verbot der Schlechterstellung Jugendlicher bzw. He­ ranwachsender gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenslage.89 Insbesondere ist hervorzuheben, dass es bei einer Einstellung gem. §§ 153, 153a StPO anders als bei den §§ 45, 47 JGG nicht zu einer Eintragung in das Erziehungsregister gem. § 60 Abs. 1 Nr. 7 BZRG kommt.90 Registereintragungen sind durchaus im Stande, spätere Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden oder des Gerichts negativ zu beeinflussen.91 Im Rahmen der empirisch-kriminologischen Grundlagen der jugendgemäßen Auslegung wurde bereits erläutert, dass Stigmatisierungen gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden besonders dysfunktional sind. Die stigmatisierungsfreie Einstellungschance der §§ 153, 153a StPO darf jungen Menschen deshalb nicht gänzlich verwehrt werden. Alles andere wäre mit dem Erziehungsgedanken und dem Grundsatz der positiven Spezialprävention nicht zu verein87  Fahl, NStZ 2009, 613 (615); Hombrecher, JA 2009, 889 (892); Untersteller, Der Begriff „öffentliches Interesse“ in den §§ 153 StPO und 45 JGG, S. 288; Peters, in: Schneider, MüKoStPO, § 153 Rn. 14; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 45 Rn. 3; Putzke, in: Gertler/Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 2 Rn. 33. 88  Für eine Anwendbarkeit der §§ 153, 153a StPO im Jugendstrafrecht: Bohnert, NJW 1980, 1927 (1931); Nothacker, JZ 1982, 57 (61); Kaiser, NStZ 1982, 102 (104); Bottke, ZStW 1983, 69 (92 f.); Eisenberg, NStZ 1991, 450 (450); LG Itzehoe, StV 1993, 537 (538); Eisenberg, NStZ 1999, 281 (283); Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 28; Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 311; Rechenbach, JA 2019, 64 (65 f.); Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 191 f.; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 45 Rn. 8. 89  Bohnert, NJW 1980, 1927 (1931); Nothacker, JZ 1982, 57 (61); Eisenberg, NStZ 1991, 450 (450); Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 311; Rechenbach, JA 2019, 64 (65); Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 191 f.; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 45 Rn. 8; siehe hierzu ausführlich S. 84 f. 90  Nothacker, JZ 1982, 57 (61); Eisenberg, NStZ 1991, 450 (450); LG Itzehoe, StV 1993, 537 (538); Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 311; Rechenbach, JA 2019, 64 (65); Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 191 f. 91  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 45 Rn. 9.

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F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

baren.92 Die hier vertretene Ansicht entspricht damit den aufgestellten Aus­ legungsleitlinien. § 153 Abs. 1 StPO ist demnach vorrangig gegenüber § 45 Abs. 1 JGG anwendbar, wenn eine richterliche Zustimmung vorliegt oder wenn sie nach § 153 Abs. 1 S. 2 StPO entbehrlich ist. § 153a Abs. 1 StPO ist heranziehbar, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 und 3 JGG nicht vorliegen. Entsprechend verhält es sich im Verhältnis von §§ 153 Abs. 2, 153a Abs. 2 StPO zu § 47 JGG.93 b) Jugendgemäße Auslegung der §§ 153, 153a StPO Die Anwendungsvoraussetzungen der §§ 153, 153a StPO müssen jugendgemäß ausgelegt werden.94 Die Merkmale geringe Schuld des Täters in § 153 StPO und die Schwere der Schuld gem. § 153a StPO sind abweichend vom Erwachsenenstrafrecht zu beurteilen, indem auf altersspezifische Eigenheiten Rücksicht zu nehmen ist. Das Merkmal der geringen Schuld ist im Erwachsenenstrafrecht „eine deliktsspezifisch zu ermittelnde Strafzumessungsschuld, die sich an den Maßstäben des § 46 StGB orientiert“.95 Maßgeblich ist dabei auch die gesetzgeberische Intention, nämlich die Entlastung der Justiz und die kriminalpolitische Funktion. Hier kommt die ultima ratioFunktion strafrechtlicher Sanktionen zum Tragen.96 Genauso stellt sich die Situation bei § 153a StPO und dem Merkmal der Schwere der Schuld dar.97 Für das Jugendstrafrecht ist zunächst zu beachten, dass die Vorwerfbarkeit jugendspezifisch zu beurteilen ist.98 Dem „äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung nach allgemeinem Strafrecht [kommt] keine selbstständige Bedeutung zu“.99 Dies hat nur eine mittelbare Relevanz. Vielmehr ist das „subjektive und persönlichkeitsbegründete Verhältnis“ des jungen Menschen zur Tat entscheidend.100 Dabei ist anzumerken, dass der Schuldvorwurf im Jugendstrafrecht grundsätzlich geringer ausgeprägt ist als im Erwachsenenstrafrecht.101 Dies resultiert daraus, dass der Schuldvorwurf stets

JZ 1982, 57 (61); Bottke, ZStW 1983, 69 (92 f.). Jugendstrafrecht, Rn. 311. 94  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (283); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 45 Rn. 8. 95  Peters, in: Schneider, MüKoStPO, § 153 Rn. 18. 96  Peters, in: Schneider, MüKoStPO, § 153 Rn. 20. 97  Peters, in: Schneider, MüKoStPO, § 153a Rn. 12. 98  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 17 Rn. 46. 99  BGH, NStZ 2013, 289 (290). 100  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 17 Rn. 46. 101  Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 6; Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 61. 92  Nothacker,

93  Laubenthal/Baier/Nestler,



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele197

mit dem Entwicklungsstand der jeweiligen Person zusammenhängt.102 Wie im Rahmen der empirisch-kriminologischen Grundlagen der jugendgemäßen Auslegung erörtert, unterscheiden sich Jugendliche und Heranwachsende in ihrer Entwicklung aber erheblich von Erwachsenen. Dies zeigt sich besonders eindrücklich im aufgestellten Kriterienkatalog. Die Sondersituation junger Menschen führt zu einer gegenüber Erwachsenen grundsätzlich herabgesetzten Schuld. Demgemäß ist bei jungen Menschen auf normativer Ebene im Rahmen des § 153 StPO eher als bei Erwachsenen davon auszugehen, dass die Schuld des Täters als gering anzusehen ist. Auch bei § 153a StPO wird im Jugendstrafrecht seltener als im Erwachsenenstrafrecht die Schwere der Schuld einer Einstellung entgegenstehen. Dies entspricht auch dem im Jugendstrafrecht besonders wichtigen Subsidiaritätsgrundsatz. Ferner ist das Merkmal des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung im Rahmen der §§ 153, 153a StPO jugendgemäß auszulegen. Im Erwachsenenstrafrecht sind dabei spezial- und generalpräventive Gesichtspunkte relevant. Letztere dürfen im Jugendstrafrecht jedoch nicht herangezogen werden.103 Für die Feststellung, dass kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht (§ 153 StPO) bzw. dass dieses durch Auflagen und Weisungen beseitigt werden kann (§ 153a StPO), sind vielmehr der Erziehungsgedanke und der Grundsatz der positiven Spezialprävention von Belang. Von einem fehlenden öffentlichen Strafverfolgungsinteresse ist nach diesen Auslegungsleitlinien immer dann auszugehen, wenn keine weiteren Straftaten des jungen Menschen zu erwarten sind und eine erzieherische Einflussnahme daher nicht geboten ist.104 Dabei ist zu berücksichtigen, dass bereits die Konfrontation mit Polizei und Staatsanwaltschaft, aber auch mit Eltern, Lehrern, Ausbildern und anderen Bezugspersonen von den jungen Menschen als Sanktion empfunden wird und so das erzieherische Einwirkungsbedürfnis entfallen lassen kann.105 Zu beachten ist außerdem, dass es sich bei der Jugenddelinquenz um ein episodenhaftes Phänomen handelt, was maßgeblich gegen ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung im Jugendstrafrecht spricht.106 Der Wille des Gesetzgebers steht der hier vertretenen Auslegung nicht entgegen.107

Jugendgerichtsgesetz, § 3 Rn. 3. NStZ 1999, 281 (283); Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 45 Rn. 10. 104  Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 45 Rn. 10; Schneider, in: Gertler/Kunkel/ Putzke, BeckOKJGG, § 45 Rn. 41. 105  BT-Drs. 11/5829, S. 23. 106  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (283); Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 45 Rn. 10. 107  Relevante Materialien seit 2007: BR-Drs. 491/14; BT-Drs. 18/3562; BT-Drs. 18/5254; BR-Drs. 93/10; BT-Drs. 17/1466; BT-Drs. 17/10164; BR-Drs. 213/11; BTDrs. 17/6261; BT-Drs. 17/12735, S. 16; BR-Drs. 799/12; BT-Drs. 17/12636; BT-Drs. 102  Eisenberg/Kölbel, 103  Eisenberg,

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F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

4. Sitzungspolizeiliche Gewalt des Vorsitzenden Gemäß § 178 GVG kann mit Ordnungsmitteln geahndet werden, wer sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig macht. „Ungebühr ist ein erheblicher […] Angriff auf die Ordnung in der Sitzung […], auf deren justizgemäßen Ablauf […], auf den ‚Gerichtsfrieden‘ und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts“.108 Ungebühr kann im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht nicht gleichermaßen ausgelegt werden, sondern bedarf der Einnahme einer jugendspezifischen Perspektive. § 178 GVG muss also gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden jugendgemäß ausgelegt werden.109 Hinsichtlich der empirisch-kriminologischen Grundlage ist anzuführen, dass junge Menschen entwicklungsbedingt zu unangemessenen Ausdrucksformen neigen. Dies findet sich auch im aufgestellten Kriterienkatalog wieder. Auf den „Jargon der Jugendszene“ und die häufig drastische Ausdrucksweise wurde bereits hingewiesen.110 Die eher als bei Erwachsenen vorkommenden Überforderungssituationen junger Menschen im Strafverfahren und die erhöhte Emotionalität Jugendlicher und Heranwachsender können diese Kommunikationseigenheiten obendrein verstärken. Wegen dieser für Jugendliche und Heranwachsende typischen Verhaltensmuster müssen auf normativer Ebene an ein ungebührliches Verhalten erhöhte Anforderungen gestellt werden.111 Hiervon ist erst bei absoluter Unzumutbarkeit auszugehen. Ein demonstratives Kaugummikauen oder ein in der bestimmten Situation unangemessenes Grinsen überschreitet diese Schwelle nicht.112 Alles andere würde wiederum eine Schlechterstellung junger Menschen gegenüber Erwachsenen aufgrund ihrer natürlichen Eigenheiten darstellen. Auch der im Jugendstrafrecht besonders wichtige Subsidiaritätsgrundsatz streitet für diese Sichtweise. Ein jugendadäquates Strafverfahren erfordert daher die Rücksichtnahme auf Kommunikationsgewohnheiten junger Menschen. § 178 GVG liegt demgegenüber ein „autoritär geprägtes Kommunikationsverständnis“ zugrunde, welches dem Bestreben des Jugendstrafverfahrens, eine „gewisse Verfahrensakzeptanz“ des jungen Beschuldig-

17/13452; BT-Drs. 17/14125; BR-Drs. 796/16, S. 28; BT-Drs. 18/11277, S. 29 f.; BTDrs. 18/12785, S. 25. 108  Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, § 178 GVG Rn. 2. 109  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (283); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 45. 110  Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 117. 111  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (283); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 45. 112  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 45.



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele199

ten zu erreichen, widerspricht.113 Diese Akzeptanz ist aber erzieherisch und positiv spezialpräventiv besonders relevant. Auch Studien im Rahmen der Procedural Justice-Forschung zeigen, dass die Akzeptanz des strafrechtlichen Verfahrens ganz wesentlich für die Normbefolgungsbereitschaft ist und legen so ein jugendadäquates Vorgehen nahe.114 Demzufolge sprechen auch der Erziehungsgedanke und der Grundsatz der positiven Spezialprävention für die hier vertretene Auffassung. Zudem sind bei der Prüfung des Verschuldens jugendtypische Besonderheiten zu berücksichtigen.115 Stets ist in Rechnung zu stellen, dass unangemessene Ausdrucksformen typisch für die Altersphase Jugend und daher per se schon weniger vorwerfbar sind als bei Erwachsenen. Überdies fehlt jungen Beschuldigten ohnehin häufig die Einsichtsfähigkeit hinsichtlich der Verhaltenserwartungen.116 Sie verfügen über weniger Erfahrung und zeigen oft Unsicherheiten im Umgang mit staatlichen Autoritäten, sodass sie häufig in Überforderungssituationen geraten. 5. Aspekte der jugendgemäßen Auslegung im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit Wie bereits beschrieben, ist es essenziell, junge Menschen vor den schädlichen Auswirkungen des Strafverfahrens zu schützen. Diesem Anliegen dient insbesondere der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit. Dabei handelt es sich um einen wesentlichen Grundsatz des Jugendstrafverfahrens, der in den §§ 48, 6 Abs. 1 S. 2 JGG normiert ist. Für Heranwachsende findet sich die relevante Regelung in § 109 Abs. 1 S. 5 JGG. Das Prinzip fußt auf entwicklungspsychologischen und jugendpädagogischen Erkenntnissen.117 Der Ausschluss der Öffentlichkeit dient einerseits dazu, eine „Atmosphäre für eine freie Aussprache zu schaffen“.118 Andererseits steht der „Schutz der Privatsphäre zur Förderung der Integration“ im Mittelpunkt.119 Der Jugendliche soll vor öffentlicher Bloßstellung und den damit einhergehenden entwickJugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 45. hierzu S. 48 f. 115  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (283 f.); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 45. 116  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (284); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 45. 117  Trüg, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 48 Rn. 1; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 48 Rn. 8. 118  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 277. 119  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, 22. Aufl., § 48 Rn. 8. 113  Eisenberg/Kölbel, 114  Ausführlich

200

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

lungsabträglichen Stigmatisierungswirkungen geschützt werden120 und es soll vermieden werden, „diesen in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stellen“121. Es geht darum, „Abstempelung und Ausgrenzung junger Menschen zu vermeiden.“122 Somit kann der Grundsatz der Nichtöffent­ lichkeit als Spezifizierung der Auslegungsleitlinie des Erziehungsgedankens verstanden werden. Nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung muss das Prinzip der Nichtöffentlichkeit auch bei der Übertragung der allgemeinen Vorschriften auf junge Menschen beachtet werden. Nur so können grundlegende Prinzipien des Jugendstrafverfahrens gewahrt werden, insbesondere der junge Beschuldigte vor belastenden Verfahrensauswirkungen geschützt werden. Demgemäß muss eine öffentliche Zustellung gem. §§ 40, 37 Abs. 1 StPO, 185 ff. ZPO gegenüber zur Tatzeit Jugendlichen ausscheiden.123 Andernfalls wird der junge Beschuldigte doch zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, was dem Erziehungs- und Schutzgedanken des Jugendgerichtsgesetzes zuwiderläuft. Ein gesetzgeberischer Wille steht nicht entgegen.124 Auch ist es mit dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit unvereinbar, wenn ein Aushang an der Gerichtstafel unter Nennung des Namens des Jugendlichen und gegebenenfalls sogar des Tatvorwurfs erfolgt.125 Zudem darf nach dem Prinzip der Nichtöffentlichkeit auch kein mit dem Namen des Jugendlichen und dem Tatvorwurf versehener Terminzettel vor dem Sitzungssaal angebracht werden.126 Aus den genannten Gründen sind nach einer jugendgemäßen Auslegung darüber hinaus die §§ 288, 291 StPO gegenüber Jugendlichen unan120  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 276; BGH, NJW 1997, 471 (471); Eisenberg/Haeseler, JR 2006, 303 (303); Trüg, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 48 Rn. 1; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 48 Rn. 3; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 48 Rn. 10. 121  OLG Stuttgart, StV 1987, 309 (310). 122  Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 16. 123  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 279; OLG Stuttgart, StV 1987, 309 (309 f.); Kuhn, Verfahrensfairneß im Jugendstrafrecht, S. 75; Schäfer, NStZ 1998, 330 (330); Eisenberg, NStZ 1999, 281 (286); Eisenberg/Haeseler, JR 2006, 303 (303 ff.); Kuhn, JA 2011, 217 (220); Trüg, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 48 Rn. 1; Valerius, in: Kudlich, MüKoStPO, § 40 Rn. 6; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 9; Sonnen, in: Diemer/ Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 16; Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 48 Rn. 7; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 46; Schmitt, in: MeyerGoßner/Schmitt, Strafprozessordnung, § 40 Rn. 2. 124  BR-Drs. 491/14; BT-Drs. 18/3562; BT-Drs. 18/5254; BR-Drs. 384/18, S. 15 ff.; BT-Drs. 19/4467, S. 19 ff.; BT-Drs. 19/6138. 125  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 46. 126  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 278; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 48 Rn. 14.



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele201

wendbar.127 Auch hier steht kein Wille der Legislative entgegen.128 Ferner muss bei Zeugenladungen und im Rahmen des Schriftverkehrs des Gerichts mit Behörden soweit wie möglich auf eine namentliche Nennung des Beschuldigten und der ihm vorgeworfenen Tat verzichtet werden.129 Im Anwendungsbereich des § 109 Abs. 1 S. 5 JGG gilt das Ausgeführte auch gegenüber Heranwachsenden. 6. Urteilsabsprachen im Jugendstrafrecht Die zentrale Norm für Urteilsabsprachen ist § 257c StPO. Kerngehalt ist meist, dass im Gegenzug für ein Geständnis des Beschuldigten eine mildere Strafe ausgesprochen wird.130 Dieser Mechanismus dient vor allem dazu, der Überlastung der Strafverfolgungsbehörden entgegenzuwirken, indem „müh­ selige und zeitaufwendige Tatsachenermittlungen“ vermieden werden.131 Allerdings sehen sich Urteilsabsprachen bereits im allgemeinen Strafrecht erheblicher Kritik gegenüber.132 Vorliegend soll allein auf die Frage eingegangen werden, ob Urteilsabsprachen dem gem. § 2 Abs. 2 JGG vorzunehmenden „Übertragbarkeitstest“133 genügen. a) Argumente für die Verständigung im Jugendstrafverfahren Für Absprachen im Jugendstrafverfahren wird zunächst die größere Flexibilität, Kommunikationsfreundlichkeit und Konsensorientierung des Jugendstrafverfahrens angeführt.134 Außerdem wird auf das Beschleunigungsgebot verwiesen.135 Zudem sei die Einbindung junger Menschen in die Rechtsfol-

127  Eisenberg,

Rn. 5.

NStZ 1999, 281 (286); Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, § 50

128  BR-Drs. 320/11; BT-Drs. 17/6610; BT-Drs. 17/7560; BR-Drs. 491/14; BT-Drs. 18/3562; BT-Drs. 18/5254. 129  Nothacker, „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im Jugendgerichtsgesetz, S. 278; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 48 Rn. 14. 130  Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 39. 131  Engländer, Examens-Repetitorium Strafprozessrecht, S. 103. 132  Vgl. für einen Überblick: Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 394a. 133  Kölbel, in: BMJV, Berliner Symposium zum Jugendkriminalrecht und seiner Praxis, S. 9 (29). 134  Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 76; Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 209. 135  Mann, Beschleunigungspotential im Jugendstrafverfahren, S. 219 f.; Nowak, JR 2010, 248 (251).

202

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

genentscheidung erzieherisch wertvoll.136 Auch das Verbot der Schlechterstellung Jugendlicher und Heranwachsender in vergleichbarer Verfahrenslage streite für eine Anwendung der Verständigung im Jugendstrafrecht. Dieser Altersgruppe solle nicht die für Erwachsene bestehende Chance auf eine Sanktionsmilderung genommen werden.137 b) Kritische Stellungnahme zu den vorgebrachten Argumenten Die für die Verständigung im Jugendstrafrecht genannten Argumente können gleichermaßen gegen eine Verständigung im Jugendstrafverfahren vorgebracht werden. So lässt sich argumentieren, dass die gesetzlich im Jugendgerichtsgesetz normierten konsensorientierten Instrumente einen abschließenden Regelungskomplex bilden.138 Der junge Beschuldigte soll dem ohnehin schon belastenden Strafverfahren zwar möglichst kurz ausgesetzt sein.139 Allerdings ist eine Verfahrensbeschleunigung „kein von der Ergebnis- und Prozessqualität unabhängiger Eigenwert“.140 Der Beschleunigungsgrundsatz bringt ein Spannungsverhältnis zwischen der Zügigkeit des Verfahrens auf der einen Seite und der Sorgfältigkeit des Vorgehens auf der anderen Seite mit sich.141 In diesem Sinne regelt Art. 13 Abs. 1 der Kinderrechtsrichtlinie RL 2016/800, dass das Verfahren mit Vorrang und der gebotenen Sorgfalt betrieben werden soll. Die Richtlinie misst diesen beiden Prinzipien also gleichen Rang zu.142 Demzufolge mag zwar der Beschleunigungsgrundsatz per se für Absprachen im Jugendstrafrecht sprechen, allerdings kann das gleichrangige Sorgfaltsgebot entgegengehalten werden. Außerdem ist fraglich, ob junge Menschen durch die Versagung der Möglichkeit der Urteilsabsprache tatsächlich schlechter gestellt werden143 und ob eine Verständigung im Jugendstrafrecht wirklich erzieherisch wertvoll ist. Die im Folgenden zu 136  Mann, Beschleunigungspotential im Jugendstrafverfahren, S. 219 f.; Jahn/Kudlich, in: Schneider, MüKoStPO, § 257c Rn. 86; Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 222. 137  Eisenberg, NStZ 2008, 698 (698); Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 185 f.; Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen Rn. 222; Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 57. 138  Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 76. 139  Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 38; Ostendorf, ZJJ 2014, 253 (254); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, Einleitung Rn. 42. 140  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 48. 141  Sommerfeld, ZJJ 2018, 296 (301); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, Einleitung Rn. 42. 142  Sommerfeld, ZJJ 2018, 296 (301). 143  Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 80 f.



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele203

erläuternden Gesichtspunkte zeigen, welche erheblich negativen Aspekte Absprachen speziell im Jugendstrafverfahren nach sich ziehen. c) Argumente gegen die Verständigung im Jugendstrafverfahren Urteilsabsprachen zielen vorrangig auf sanktionsförmige Zugeständnisse im Gegenzug für beweisführungserleichternde Geständnisse ab.144 Im Mittelpunk steht also die Verfahrenseffizienz. Damit geht immer ein zumindest teilweiser Verzicht auf die Ermittlung der materiellen Wahrheit einher.145 Das Ziel der Entlastung der Gerichte durch zügige Verfahren steht demnach in einem Spannungsverhältnis zu einer im Jugendstrafrecht erforderlichen besonders intensiven Auseinandersetzung mit den jungen Persönlichkeiten.146 Im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht ist im Jugendstrafverfahren eine intensivere Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Beschuldigten erforderlich. Der Ermittlungsumfang ist in § 43 JGG geregelt. Danach sollen „die Lebens- und Familienverhältnisse, der Werdegang, das bisherige Verhalten des Beschuldigten und alle übrigen Umstände ermittelt werden, die zur Beurteilung seiner seelischen, geistigen und charakterlichen Eigenart dienen können“. Einzubeziehen ist auch das soziale Umfeld des jugendlichen Beschuldigten. Maßgeblich ist dabei, dass diese Aufzählung keine abschließende ist, vielmehr können sich die Ermittlungen auf alle Merkmale beziehen, welche für eine Gesamtbeurteilung und für eine jugendstrafrechtliche Entscheidung von Relevanz sind.147 Nur so kann eine erzieherisch und spezialpräventiv sinnvolle Sanktion ausgewählt werden.148 Damit wird deutlich, dass Absprachen nicht gleichzeitig Verfahrenseffizienz und entwicklungsangepasste, individuelle und spezialpräventiv sinnvolle Sanktionen im Blick haben können.149 Aus einem sanktionsrechtlichen Zugeständnis folgt also immer auch ein Abschlag von einer dem Erziehungsgedanken und dem Grundsatz der positiven Spezialprävention dienenden Sanktion. Demzufolge widersprechen Urteilsabsprachen im Jugendstrafrecht den wesentlichen Auslegungsleitlinien.150 Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 47. NStZ 2008, 698 (698). 146  Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 84; Eisenberg, NStZ 2008, 698 (698); Knauer, ZJJ 2010, 15 (18); Eisenberg, ZJJ 2012, 204 (206). 147  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 43 Rn. 13. 148  Peters, Werdendes Jugendstrafrecht, S. 42; Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 35. 149  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 47. 150  So auch: Eisenberg, NStZ 2008, 698 (698); Knauer, ZJJ 2010, 15 (18); Streng, Jugendstrafrecht, Rn. 242; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 47. 144  Eisenberg/Kölbel, 145  Eisenberg,

204

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

Die Verständigung bringt ferner den Eindruck der Verhandelbarkeit der Sanktion mit sich, was zu einer „Preisgabe der Glaubwürdigkeit des Prozesses“ und einem „Verlust an Institutionen- und Rechtsvertrauen“ führen kann.151 Aus Sicht des jungen Angeklagten ist das Verfahrensergebnis nicht allein an seinem Erziehungsbedürfnis ausgerichtet, sondern vom Verhandlungsgeschick seines Verteidigers und der Ressourcenknappheit der Straf­ justiz abhängig.152 Dies konfligiert wiederum mit dem Erziehungsgedanken und dem Grundsatz der positiven Spezialprävention.153 Die in Verständigungssituationen gegebene Drucksituation birgt bereits im Erwachsenenstrafrecht die Gefahr falscher Geständnisse in sich.154 Diese Problematik potenziert sich bei jungen Beschuldigten, denn Jugendliche und Heranwachsende weisen eine „reduzierte Überführungsresistenz bzw. ‚bemerkenswerte Geständnisfreudigkeit‘ “ auf.155 Falsche Geständnisse sind besonders im Jugendstrafverfahren eine bekannte Fehlerquelle.156 Junge Men­ schen geraten schneller in Überforderungssituationen, aus denen solche ­unrichtigen Geständnisse resultieren können.157 So verhält es sich auch in der Drucksituation der Urteilsabsprache.158 Den jungen Angeklagten steht ein von ihnen als bedrohlich empfundener Strafprozess mit unklarem Ausgang bevor, wobei ein falsches Geständnis als attraktiver Ausweg hiervon erscheinen kann und auch als Möglichkeit, sich vor einer härteren Sanktion bewahren zu können.159 Zudem ist problematisch, dass sich der Ablauf eines Verfahrens im Rahmen einer Urteilsabsprache gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden rechtstatsächlich kaum gegenüber dem Verfahren im Erwachsenenstrafrecht unterscheidet, sodass ein Verstoß gegen das Gebot jugendgerechter Kommunikation nahe liegt.160

Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 48. NStZ 2009, 613 (615); Knauer, ZJJ 2010, 15 (18); Nowak, JR 2010, 248

151  Eisenberg/Kölbel, 152  Fahl,

(250).

153  Fahl, NStZ 2009, 613 (615); Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 27; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 48. 154  Engländer, Examens-Repetitorium Strafprozessrecht, S. 103. 155  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (282); hierzu schon Fn. 9 in diesem Kapitel. 156  Siehe bereits Fn. 11 in diesem Kapitel. 157  Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 117. 158  Eisenberg, NStZ 2001, 556 (557); Eisenberg, NStZ 2008, 698 (698); Fahl, NStZ 2009, 613 (615). 159  Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 112; Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 222. 160  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 47.



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele205

d) Urteilsabsprachen im Jugendstrafverfahren nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung Auch nach Ansicht des Gesetzgebers werden Absprachen im Jugendstrafverfahren „die besonderen jugendstrafrechtlichen Strafzumessungsregeln und Aspekte des Erziehungsgedankens in der Regel entgegenstehen“.161 Allerdings weist die Legislative in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich darauf hin, dass eine generelle Nichtanwendbarkeit der Verständigung im Jugendstrafrecht unangemessen wäre.162 Aufgrund der dritten Voraussetzung des Grundsatzes der jugendgemäßen Auslegung muss sich eine jugendadäquate Auslegung an diese gesetzgeberische Entscheidung halten. Jugendgemäße Auslegung kann also nicht – wenn es auch wünschenswert wäre – die vollständige Nichtanwendbarkeit des § 257c StPO im Jugendstrafrecht begründen. Sehr wohl kann die jugendgemäße Auslegung des § 257c StPO im Jugendstrafrecht aber zu einer grundsätzlichen Unzulässigkeit im Jugend­ strafrecht führen.163 Ausnahmen von diesem Grundsatz bedürfen eines erheblichen Begründungsaufwands im Hinblick auf die geltenden Auslegungsleitlinien. Der Gesetzgeber weist zutreffend darauf hin, dass „die im erzieherisch geprägten Jugendstrafverfahren häufig angezeigte Erörterung der in Betracht kommenden Sanktionen mit dem Beschuldigten und das Hinwirken auf dessen Mitwirkungsbereitschaft bei deren Umsetzung keine ‚Verständigung‘ im Sinne der vorliegenden Regelungen darstellen.“164 e) Jugendgemäße Ausgestaltung der Verständigung im Jugendstrafverfahren Aufgrund der dargestellten Unvereinbarkeit mit den wesentlichen Grundsätzen des Jugendstrafrechts wird es im Verfahren gegenüber Jugendlichen 161  BR-Drs.

65/09, S. 10; BT-Drs. 16/12310, S. 10; BT-Drs. 16/11736, S. 8. 65/09, S. 10; BT-Drs. 16/12310, S. 10; BT-Drs. 16/11736, S. 8. 163  Ebenso: Eisenberg, NStZ 2001, 556 (557); Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S.  385 ff.; Knauer, ZJJ 2010, 15 (17 ff.); Eisenberg, ZJJ 2012, 204 (206); BGH, BeckRS 2018, 3836 Rn. 3; Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 57; Diemer, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 5 Rn. 26 f.; Putzke, in: Gertler/Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 2 Rn. 31; für eine generelle Unzulässigkeit sprechen sich aus: Fahl, NStZ 2009, 613 (615); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 48; für die grundsätzliche Zulässigkeit sind: Mann, Beschleunigungspotential im Jugendstrafverfahren, S. 216; Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 191; differenzierend: Noak, StV 2002, 445 (447 ff.); Nowak, JR 2010, 248 (252 ff.). 164  BT-Drs. 16/11736, S. 8. 162  BR-Drs.

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und Heranwachsenden zumeist an einem geeigneten Fall im Sinne des § 257c StPO fehlen.165 Wann ein solcher geeigneter Fall einmal vorliegt, kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern ist eine Frage des konkreten Einzelfalls. Dabei sind wiederum die herausgearbeiteten Auslegungsleitlinien maßgeblich. Im Falle der ausnahmsweisen Anwendbarkeit des § 257c StPO im Jugendstrafverfahren müssen die folgenden Aspekte berücksichtigt werden. aa) Allgemeine Anwendungsprinzipien der Verständigung im Jugendstrafrecht Zunächst muss das Gericht das Prinzip der Persönlichkeitserforschung gem. § 43 JGG einhalten.166 Nur im Falle einer umfassenden Kenntnis von Täterpersönlichkeit und -umfeld kann eine geeignete und erzieherisch förderliche Sanktionsentscheidung getroffen werden.167 Dem im Rahmen einer Verständigung abgegebenen Geständnis darf nur dann eine strafmildernde Wirkung entnommen werden, wenn es nicht nur aus taktischen Gründen abgegeben wurde, sondern zumindest auch von Schuldeinsicht und Reue getragen wird.168 Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass ein im Rahmen einer Verständigung abgegebenes Geständnis keine höhere Strafmilderung im Vergleich zu einem Geständnis im Normalverfahren nach sich ziehen darf. Nur so kann das Vertrauen und die Akzeptanz des jungen Beschuldigten in das Strafrechtssystem aufrechterhalten werden. Außerdem muss der Jugendliche bzw. Heranwachsende einen Verteidiger haben.169 So kann zum einen den erläuterten falschen Geständnissen vorgebeugt werden.170 Zum anderen können Benachteiligungen junger Angeklagter ver­ mieden werden, die daraus resultieren, dass Jugendliche und Heranwachsende aufgrund ihrer geringeren Lebenserfahrung, Reifedefiziten, geringeren Handlungskompetenz sowie eingeschränkteren sprachlichen Ausdrucksfä165  Ebenso:

BR-Drs. 65/09, S. 10; BT-Drs. 16/12310, S.10. Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 88; Nowak, JR 2010, 248 (251); Knauer, ZJJ 2010, 15 (18); Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 122; Sauer/Münkel, Absprachen im Strafprozess, Rn. 429; Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 222. 167  Nowak, JR 2010, 248 (251); Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 205. 168  Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 241. 169  BT-Drs. 16/11736, S. 8; Knauer, ZJJ 2010, 15 (18); Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 276 ff.; Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 27; Sauer/Münkel, Absprachen im Strafprozess, Rn. 429; Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 222; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 49a. 170  Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 222. 166  Pankiewicz,



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele207

higkeit weniger als Erwachsene in der Lage sind, für ihre Interessen einzustehen.171 bb) Unzulässige Verständigungsinhalte im Jugendstrafrecht Folgende Aspekte können nach einer jugendgemäßen Auslegung nicht Gegenstand einer Verständigung sein. (1) Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende Die Beurteilung, ob nach § 105 Abs. 1 JGG auf den Heranwachsenden Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommt, darf nicht im Rahmen einer Verständigung erfolgen.172 Das Gericht ist nicht nur den Grenzen des § 257c Abs. 2 S. 3 StPO, sondern auch weiteren zwingenden Vorschriften wie § 105 Abs. 1 verpflichtet.173 Für die vorliegende Ansicht streitet insbesondere der Erziehungsgedanke. Die Beurteilung der Einschlägigkeit von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht darf nicht von der Überlastung der Justizbehörden oder gar dem Verhandlungsgeschick der Beteiligten abhängig gemacht werden, sondern muss sich am Entwicklungsstand des jungen Täters (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) oder am Charakter der von ihm begangenen Straftat (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG) orientieren.174 Auch der Wortlaut des Gesetzes untermauert die hier vertretene Ansicht. Für die Beurteilung nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist der Zeitpunkt der Tat maßgeblich, sodass ein nach der Tat abgelegtes Geständnis keine Rolle spielen kann.175 Im Rahmen des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG kommt es ausschließlich auf die begangene Tat an, sodass auch insoweit ein Geständnis ausgeblendet werden muss.176 171  Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 277; Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 223. 172  BGH, NStZ 2001, 555 (556); Eisenberg, NStZ 2001, 556 (557); Noak, StV 2002, 445 (447); Mann, Beschleunigungspotential im Jugendstrafverfahren, S. 216; BGH, NStZ-RR 2006, 187 (188); Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 242; Fahl, NStZ 2009, 613 (615); Nowak, JR 2010, 248 (252); Knauer, ZJJ 2010, 15 (15, 18 f.); Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 27; Ostendorf/ Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 57; Zieger/Nöding, Verteidigung in Jugendstraf­ sachen, Rn. 222; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 33; Putzke, in: Gertler/Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 2 Rn. 31; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 105 Rn. 2; Laue, in: Joecks/Miebach, MüKoStGB, § 105 JGG Rn. 8. 173  BGH, NStZ 2001, 555 (556); Nowak, JR 2010, 248 (252); Knauer, ZJJ 2010, 15 (19). 174  Eisenberg, NStZ 2001, 555 (557); Knauer, ZJJ 2010, 15 (19). 175  Noak, StV 2002, 445 (447). 176  Noak, StV 2002, 445 (447).

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F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

(2) Bewährung nach den §§ 21 ff., 27 ff. JGG Ferner ist die Frage zu beantworten, ob die §§ 21 ff. JGG, 27 ff. JGG Gegenstand einer Absprache sein können. Hiergegen spricht, dass es sich jedenfalls bei § 21 JGG um eine Vorschrift mit zwingender Rechtsfolge handelt, die aus diesem Grund einer Verständigung nicht zugänglich ist.177 Zudem ist die bei Bewährungsfragen notwendige „vollständige Ermittlung und Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen“ mit dem Instrument der Verständigung nicht vereinbar, denn es steht vielmehr die Verfahrenseffizienz im Vordergrund.178 Hinzu kommt, dass ein im Rahmen einer Verständigung abgegebenes Geständnis keinen Einfluss auf die Sozialprognose und damit die Bewährungsfrage hat, da es im Zuge einer Drucksituation abgegeben wurde.179 (3) Unzulässige Sanktionsschere Dem Jugendlichen oder Heranwachsenden darf im Jugendstrafrecht in keinem Fall eine Sanktionsschere aufgezeigt werden.180 Hierdurch wird Druck ausgeübt, welchem junge Angeklagte deutlich schlechter als Erwachsene widerstehen können.181 Druck- bzw. Überforderungssituationen sind erzieherisch und spezialpräventiv dysfunktional und dementsprechend zu vermeiden.182 (4) Zusage einer Sanktionsobergrenze Es stellt sich die Frage, ob die Zusage einer Sanktionsobergrenze im Gegenzug für ein Geständnis des Angeklagten im Jugendstrafrecht eine zulässige Vorgehensweise darstellt. Nach hier vertretener Ansicht darf eine Sanktionsobergrenze nur dann zugesagt werden, wenn die Voraussetzungen der jeweils in Frage kommenden Sanktionsart auch tatsächlich vorliegen. Das muss zuvor festgestellt werden.183

Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 88. JR 2010, 248 (255). 179  Pankiewicz, Absprachen im Jugendstrafrecht, S. 229. 180  Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 267. 181  Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 267. 182  Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S. 267; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 50. 183  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 50. 177  Pankiewicz, 178  Nowak,



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele209

cc) Bindungswirkung der Verständigung im Jugendstrafrecht Die Bindungswirkung der Verständigung ist im allgemeinen Strafrecht in § 257c Abs. 4 StPO geregelt. Über § 2 Abs. 2 JGG gilt dies dann auch im Jugendstrafrecht. Gem. § 257c Abs. 4 S. 1 StPO entfällt die Bindungswirkung, „wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist“. Problematisch ist insoweit, dass § 257c Abs. 4 S. 1 StPO mit einem nicht mehr tat- oder schuldangemessenen Strafrahmen argumentiert. Diese Überlegung ist der jugendstrafrechtlichen Sanktionsbemessung aber fremd und daher nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung nicht übertragbar.184 Nichtsdestotrotz wäre es kurzsichtig, die Anwendbarkeit von § 257c Abs. 4 S. 1 StPO vollends auszuschließen. Mittelpunkt des Jugendstrafrechts sind der Erziehungsgedanke und der Grundsatz der positiven Spezialprävention. Diese erfordern ein materiell richtiges und gerechtes Urteil, das sich positiv auf den jungen Täter auswirkt. Wenn nun neue bzw. übersehene bedeutsame Aspekte hinzutreten, muss das Gericht die Möglichkeit haben, diese erzieherisch sinnvoll einzubeziehen. Demgegenüber steht jedoch der damit einhergehende Vertrauensverlust beim Jugendlichen oder Heranwachsenden, der wiederum erzieherisch dysfunktional ist. Daher ist ein Mittelweg zu wählen. Das Gericht ist solange an die Verständigung gebunden, wie ihr Inhalt durch die neuen Umstände nicht erzieherisch und spezialpräventiv völlig ungeeignet wird. Falls einmal ein Fall der erzieherischen und spezialpräventiven Ungeeignetheit vorliegt, ist dem jungen Angeklagten genau zu erörtern, warum in dieser Sonderkonstellation die Bindungswirkung entfällt.185 Daneben kann die Bindungswirkung einer Verständigung im Jugendstrafrecht auch gem. § 257c Abs. 4 S. 2 StPO entfallen, wenn der junge Angeklagte sich nicht an die getroffene Absprache hält.186

184  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 50; ähnlich Knauer, ZJJ 2012, 260 (262). 185  Ähnlich: Beier, Zulässigkeit und Modalitäten von Verständigungen im Jugendstrafrecht, S.  287 f. 186  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 50.

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F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

7. Beweisverwertungsverbote und der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung a) Die Abwägungslehre im Erwachsenenstrafrecht Ob ein Rechtsfehler bei der Beweiserhebung ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, muss für jeden Einzelfall gesondert geprüft werden.187 Dabei wird meist die sogenannte Abwägungslehre herangezogen. In die Waagschale werden einerseits das staatliche Strafverfolgungsinteresse und andererseits das Individualinteresse des Bürgers auf Wahrung seiner Rechte geworfen. Besonders zu beachten sind dabei die Schwere des Tatvorwurfs und das Gewicht des Verfahrensverstoßes.188 b) Die Abwägungslehre nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung Die Abwägung zwischen staatlichem Strafverfolgungsinteresse und den Individualrechten des Bürgers muss im Jugendstrafrecht in einer jugendadäquaten Art und Weise erfolgen und sie muss auf die Besonderheiten junger Menschen Rücksicht nehmen. Hierbei sind wiederum die empirisch-kriminologischen Erkenntnisse auf die normative Ebene zu übertragen. Zunächst ist das Strafverfolgungsinteresse gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden geringer.189 Dies folgt zum einen daraus, dass der Schuldvorwurf gegenüber jungen Menschen im Vergleich zu Erwachsenen entwicklungsbedingt grundsätzlich schwächer ausgeprägt ist.190 Zum anderen resultiert dies aus den Erkenntnissen um die Episodenhaftigkeit der Jugenddelinquenz. Jugendkriminalität erledigt sich in den meisten Fällen von selbst und es bedarf keines formellen Einschreitens.191 Außerdem ist zu beachten, dass die Schwere des Tatvorwurfs bei jungen Menschen schwächer ist als bei Erwachsenen. Denn das Handlungsunrecht Jugendlicher bzw. Heranwachsender und Erwachsener kann sich auch bei äußerlich identischem Verhalten erheblich unterscheiden.192 Um die Abwägungslehre der jugendstrafrechtlichen 187  BGH,

NStZ 2019, 227 (228). ZJJ 2012, 260 (261); BGH, NStZ 2019, 227 (228). 189  Knauer, ZJJ 2012, 260 (262). 190  Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 6; Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, Rn. 61. 191  Ausführlich hierzu S. 42 f. 192  von Nerée, StV 1993, 212 (213); Eisenberg, NStZ 1999, 281 (283); Humberg, Jura 2005, 376 (382); Pawlischta, in: Gertler/Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 72 Rn. 13; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 72 Rn. 7c. 188  Knauer,



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele211

Regelungsmaterie weiter anzunähern, sollte das Abwägungskriterium der „Schwere des Tatvorwurfs“ durch das Kriterium „Schwere des erzieherischen Mangels“ ergänzt werden.193 So kann sichergestellt werden, dass der Erziehungsgedanke auch im Rahmen der Abwägung das leitende Prinzip darstellt. Auf der anderen Seite zeigen die empirisch-kriminologischen Erkenntnisse zur Lebensphase Jugend, dass diese Altersgruppe besonders schutzwürdig ist, weswegen ein Eingriff in deren Individualrechte auch besonders schwer wiegt.194 Verfahrensverstöße sind gegenüber jungen Menschen besonders abträglich, weil die Qualität des Strafverfahrens – wie die Procedural JusticeForschung zeigt – wesentlich für die Normbefolgungsbereitschaft ist.195 Insgesamt führt die Abwägungslehre im Jugendstrafrecht daher eher als im Erwachsenenstrafrecht zu einem Beweisverwertungsverbot.196 Dementsprechend sollte die Verwertung rechtsfehlerhaft erhobener Beweise die begründungsbedürftige Ausnahme sein, während ein Beweisverwertungsverbot den Regelfall darstellt. c) Jugendgemäße Auslegung der §§ 136, 136a StPO Es sind Vernehmungen, Spontanäußerungen und informatorische Befragungen zu unterscheiden. „Eine Vernehmung liegt vor, wenn der Vernehmende dem Beschuldigten in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihm Auskunft verlangt“.197 Demgegenüber ist von einer Spontanäußerung auszugehen, wenn jemand von sich aus an eine Ermittlungsperson herantritt und ihr ungefragt Informationen mitteilt.198 Informatorische Befragungen sind Maßnahmen der Verdachtsklärung, wobei noch keine Inkulpationspflicht besteht.199 Nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung ist eine Belehrung gem. § 136 Abs. 1 StPO im Jugendstrafrecht anders als im Erwachsenenstrafrecht nicht nur im Falle einer Vernehmung, sondern auch bei Spontanäußerungen und informatorischen Befragungen erforderlich, und zwar immer dann, wenn sich erste Verdachtshinweise gegen den jungen Menschen ergeben. Insoweit ist der Zeitpunkt gegenüber dem Erwachsenenstrafrecht also 193  Mitsch, NStZ 2019, 681 (682); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 57. 194  Knauer, ZJJ 2012, 260 (262). 195  Ausführlich hierzu S. 48 f. 196  Knauer, ZJJ 2012, 260 (262). 197  Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, § 136a Rn. 4. 198  Schuhr, in: Kudlich, MüKoStPO, Vorbemerkungen zu den §§ 133 ff. Rn. 42. 199  Schuhr, in: Kudlich, MüKoStPO, Vorbemerkungen zu den §§ 133 ff. Rn. 42.

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F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

vorverlagert.200 Andernfalls ist ein Beweisverwertungsverbot a­ nzunehmen.201 Diese Vorverlagerung gegenüber dem Erwachsenenstrafrecht ist wiederum auf die erhöhte Schutzbedürftigkeit junger Menschen zurückzuführen. Hinsichtlich der empirisch-kriminologischen Grundlage ist anzuführen, dass sie zu vorschnellen und unüberlegten Äußerungen neigen und weniger resistent gegenüber Autoritäten sind, sodass eine verstärkte Geständnisbereitschaft und auch falsche Geständnisse an der Tagesordnung sind.202 Selbst wenn die Belehrung formell korrekt erfolgt, sind junge Menschen zudem weniger als Erwachsene in der Lage, das Schweigerecht tatsächlich in Anspruch zu nehmen.203 In der Fallkonstellation der unterbliebenen qualifizierten Belehrung nach vorheriger Nichtbelehrung ist deshalb gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden stets ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen, selbst wenn der junge Beschuldigte denkt, er sei an seine Aussage nicht gebunden.204 Die Voraussetzungen des § 136a StPO sind in Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende eher anzunehmen als bei Erwachsenen.205 Junge Menschen sind im Allgemeinen prägbarer und weniger resistent als Erwachsene, sodass sie von verbotenen Vernehmungsmethoden noch stärker betroffen sind als Erwachsene.206 Außerdem werden sich Jugendliche bzw. Heranwachsende seltener auf eine der in § 136a StPO aufgezählten verbotenen Vernehmungsmethoden berufen, weil sie ihr objektives Vorliegen aufgrund entwicklungstypischer Unkenntnis und Unerfahrenheit bereits seltener erkennen.207 Ein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille ist jeweils nicht ersichtlich.208 200  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (281); Putzke, in: Gertler/Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 2 Rn. 28. 201  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (281); Putzke, in: Gertler/Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 2 Rn. 28. 202  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 70c Rn. 6  ff.; siehe hierzu bereits Fn. 9 und 11 in diesem Kapitel. 203  Eisenberg, ZJJ 2017, 186 (188 f.). 204  Eisenberg, ZJJ 2017, 186 (189). 205  Eisenberg, NJW 1988, 1250 (1250); Eisenberg, NStZ 1999, 281 (281); Rössner, in: Meier u. a., Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 28; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 70c Rn. 17. 206  Eisenberg, NJW 1988, 1250 (1250); Eisenberg, NStZ 1999, 281 (281). 207  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (281). 208  BR-Drs. 816/12, S. 19; BT-Drs. 17/12578, S. 16; BT-Drs. 17/13528, S. 4; BRDrs. 491/14; BT-Drs. 18/3562; BT-Drs. 18/5254; BR-Drs. 796/16, S. 21 ff.; BT-Drs. 18/11277, S. 24 ff.; BT-Drs. 18/12785, S. 24, 59; BR-Drs. 419/16, S. 18; BT-Drs. 18/9534, S. 22; BT-Drs. 18/12830, S. 5 f.; BR-Drs. 364/19, S. 27; BT-Drs. 19/13829, S. 31; BT-Drs. 19/15151; BR-Drs. 368/19; BT-Drs. 19/13837; BT-Drs. 19/15162; BRDrs. 57/21, S. 87 ff.; BT-Drs. 19/27654, S. 81 f.; BT-Drs. 19/30517.



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele213

8. Einschränkung von Opferrechten durch den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung Das deutsche Strafverfahren stärkt Opferrechtspositionen stetig und wird daher auch als verletztenzentriertes Strafverfahren bezeichnet.209 Verletztenrechte des allgemeinen Strafrechts finden über den Mechanismus des § 2 Abs. 2 JGG wiederum im Jugendstrafrecht Anwendung. Vorliegend sollen einige herausgegriffene Opferrechte mit Blick auf deren Überführbarkeit in das Jugendstrafrecht erörtert werden. a) Spannungsverhältnis zwischen Opferrechten und den Leitgedanken des Jugendstrafrechts Zunächst steht der starke Opferbezug in einem Spannungsverhältnis zu der Täterorientierung des Jugendstrafrechts.210 Das Hervorheben von Opferbelangen führt zwangsläufig zu Abstrichen bei der Beachtung von Beschuldigtenbelangen211, was aber gerade im Jugendstrafrecht toxische Wirkungen mit sich bringt.212 Denn der Erziehungsgedanke und der Grundsatz der posi­ tiven Spezialprävention setzen eine eingehende Beschäftigung mit dem jungen Täter und Fokussierung auf diesen voraus.213 Problematisch sind Opferrechte ferner in Bezug auf die Unschuldsvermutung. Diese findet ihre Grundlage in dem im Jugendstrafrecht besonders bedeutsamen Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 2 EMRK und beansprucht als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang.214 Die Unschuldsvermutung besagt, dass der Beschuldigte solange als unschuldig gilt, bis seine Schuld rechtskräftig festgestellt ist. Dies erfordert auch einen unvoreingenommenen Umgang mit dem Beschuldigten.215 Im Rahmen der Verletztenrechte wird aber eine Opferrolle unterstellt, die in einem die Unschuldsvermutung ernst nehmenden Strafverfahren erst an dessen Ende feststehen sollte.216 Für den jungen Menschen entsteht der Eindruck, 209  Kölbel, ZJJ 2015, 58 (59); Kölbel, in: BMJV, Berliner Symposium zum gendkriminalrecht und seiner Praxis, S. 9 (9). 210  Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume Unfreiheit, S. 323 (336). 211  Kölbel, ZJJ 2015, 58 (61); Kölbel, in: BMJV, Berliner Symposium zum gendkriminalrecht und seiner Praxis, S. 9 (15). 212  Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume Unfreiheit, S. 323 (327). 213  Höynck, ZJJ 2005, 34 (35). 214  Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 11. 215  Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 11. 216  Eisenberg, ZJJ 2016, 33 (34).

Juder Juder

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F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

die Rollenverteilung von Täter und Opfer stehe schon vor Prozessende fest, wodurch die in einem Strafverfahren für junge Angeklagte sowieso bestehende Drucksituation noch zusätzlich erhöht wird.217 Verstärkt wird diese Belastungssituation obendrein durch das im Rahmen der Verletztenrechte häufige Hinzutreten weiterer Erwachsener auf Seiten des mutmaßlichen Opfers.218 Die sowieso schon gegebene „Einzingelung“ und „Bloßstellung“ wird nochmals ausgedehnt.219 Das aus dem Fairnessgrundsatz folgende Gebot der Waffengleichheit220 wird tangiert. Aufgrund der besonderen Sensibilität junger Menschen führt die „zahlenmäßige Übermacht professioneller Akteure (namentlich durch die Beteiligung von Opferbeiständen, Psychosozialen Prozessbegleitern sowie Nebenklägern und Nebenklagevertretern)“ zu einer zusätzlichen Entfremdung der Prozesssituation für den jungen Beschuldigten.221 All dies ist erzieherisch und spezialpräventiv abträglich. Drucksituationen wirken sich überdies schädlich auf die Richtigkeit von Geständnissen aus.222 Sie können auf Seiten des jungen Angeklagten zu Kommunikationshürden führen, die der Ermittlung der Wahrheit entgegenstehen.223 Dies zu vermeiden ist besonders wichtig, da die Wahrheitsermittlung Ausgangspunkt und Grundlage einer erzieherisch und spezialpräventiv sinnvollen Sanktion ist.224 Wie im allgemeinen Teil erläutert, ist Jugenddelinquenz mehrheitlich ein Ausdruck der jugendtypischen Entwicklung, nur episodenhafter Natur und stellt die Rechtsordnung somit nicht gleichermaßen wie Straftaten Erwachsener infrage. Zudem sind junge Menschen im Strafverfahren besonders schutzbedürftig. Daher können Verletztenrechte ihnen gegenüber nicht in gleichem Umfang wie gegenüber Erwachsenen bestehen.225 Außerdem ist gerade im Jugendstrafrecht eine Abkehr von stereotypen Opfer- und Täterbildern wünschenswert.226 Die Grenzen sind insbesondere bei der Gewaltdelinquenz fließend.227 Auch darf das private Bedürfnis nach Vergeltung einen jugendadäquaten Verfahrensablauf nicht behindern.228 ZJJ 2016, 33 (34). ZJJ 2016, 33 (34). 219  Eisenberg, ZJJ 2016, 33 (35). 220  Gaede, in: Knauer, MüKoStPO, Art. 6 EMRK Rn. 302 ff. 221  Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (328). 222  Schaal/Eisenberg, NStZ 1988, 49 (50). 223  Schaal/Eisenberg, NStZ 1988, 49 (50); Eisenberg, ZJJ 2016, 33 (35). 224  Eisenberg, NStZ 2017, 540 (540). 225  Velten, in: Wolter, SK-StPO, Vorbemerkungen zu §§ 406d–406l Rn. 9. 226  Höynck, ZJJ 2005, 4 (5). 227  Hosser/Raddatz, ZJJ 2005, 15 (15). 217  Eisenberg, 218  Eisenberg,



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele215

Insgesamt können Opferrechte nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung im Jugendstrafverfahren nur eingeschränkt Geltung beanspruchen.229 Die Verletztenrechte müssen stets auf ihre Vereinbarkeit mit den genannten Leitlinien untersucht werden. Vorliegend soll der Fokus auf der Nebenklage und den allgemeinen Verletztenrechten gem. §§ 406d ff. StPO liegen. b) Die Nebenklage im Gefüge der jugendgemäßen Auslegung Entgegen zahlreicher Stimmen230 wurde die Nebenklage im Jugendstrafrecht unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 JGG für anwendbar erklärt.231 Nichtsdestotrotz müssen die Anwendungsvoraussetzungen jugendgemäß ausgelegt werden. aa) Die Nebenklage im Erwachsenenstrafrecht Im allgemeinen Strafrecht besteht die Nebenklageberechtigung schon, wenn eine rechtlich nicht völlig ausgeschlossene Verurteilungsmöglichkeit hinsichtlich der maßgeblichen Delikte besteht.232 Das zur Nebenklage berechtigende Delikt muss im Erwachsenenstrafrecht daher nicht in der Anklage oder im Eröffnungsbeschluss genannt sein, solange es mit dem angeklagten Sachverhalt eine prozessuale Tat bildet.233 bb) Dysfunktionale Effekte der Nebenklage im Jugendstrafrecht Mit der Nebenklage sind zahlreiche erzieherisch und spezialpräventiv dysfunktionale Effekte verbunden, sodass diese im Jugendstrafrecht der Ausnahmefall bleiben muss. Das ist nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Ausle-

StV 1996, 289 (290); Hüls, ZJJ 2005, 22 (24). in: Wolter, SK-StPO, Vorbemerkungen zu §§ 406d–406l Rn. 9; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 53. 230  Die Bundesregierung warnte vor der Gefahr erheblicher Beeinträchtigungen erzieherischer Belange, BT-Drs. 16/3038, S. 65; auch der Bundesrat wies darauf hin, „dass Gründe der Erziehung nicht entgegenstehen dürfen“, BR-Drs. 550/06, S. 12; zudem sprachen sich zahlreiche andere gegen die Nebenklage im Jugendstrafrecht aus: stellvertretend hierfür: Höynck, ZJJ 2005, 34 (39 f.); Sieveking/Eisenberg/Heid, ZRP 2005, 188 (191 f.). 231  BGBl. I 2006 S. 3416. 232  Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, § 395 Rn. 4. 233  Valerius, in: Knauer, MüKoStPO, § 395 Rn. 40. 228  Franze, 229  Velten,

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F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

gung durch eine restriktive Auslegung der Anwendungsvoraussetzungen sicherzustellen.234 Die Nebenklage führt zu einer asymmetrischen Verfahrenskommunikation und damit einem Kräfteungleichgewicht zulasten des jungen Beschuldigten.235 Er sieht sich durch die Anwesenheit des Nebenklägers einer Übermacht von Anklägern gegenüber, was seine ungehemmte Kommunika­ tionsbereitschaft entgegen dem Gebot der Waffengleichheit zusätzlich einschränkt.236 Dies kann so weit gehen, dass von einer „Verkümmerung des Grundrechts des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG)“ gesprochen werden muss.237 Es wird eine konfrontative Stimmung erzeugt, die eine jugendadäquate Verhandlungsführung erschwert und damit gegen die dem Erziehungsgedanken innewohnende Pflicht zum Schutz Jugendlicher verstößt.238 Zudem entsteht für den jungen Angeklagten, wie eingangs beschrieben, der Eindruck, dass die Rollen von Opfer und Täter schon vor Prozessende verteilt sind.239 Überdies erzeugt die Zulassung der Nebenklage im Jugendstrafrecht eine Gefahr für die Wahrheitsermittlung.240 Ferner wird durch die Nebenklage entgegen dem besonderen jugendstrafrechtlichen Beschleunigungsgebot die Verfahrensdauer erhöht.241 Die Nebenklage führt obendrein zu höheren Strafen sowie einer Kostenerhöhung im Vergleich zu Verfahren ohne Mitwirkung des mutmaßlichen Verletzen.242 Gerade finanzielle Belas234  Ebenso für eine restriktive Handhabung: Sommerfeld, ZJJ 2011, 92 (93); LG Köln, ZJJ 2014, 175 (175); LG Saarbrücken, NStZ 2015, 231 (231); Eisenberg, StraFo 2017, 283 (283); Kölbel, ZJJ 2017, 279 (280); Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (338 f.); Kaspar, in: Knauer, MüKoStPO, § 80 JGG Rn. 26. 235  Kölbel, ZJJ 2015, 58 (61); Kölbel, ZJJ 2017, 279 (281); Kölbel, in: Organi­ sationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (338 f.). 236  Franze, StV 1996, 289 (290); Eisenberg, StraFo 2017, 283 (284); Eisenberg/ Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 80 Rn. 16b. 237  Eisenberg, StraFo 2017, 283 (285). 238  Höynck, ZJJ 2005, 34 (39); Kölbel, ZJJ 2015, 58 (62); Eisenberg, NStZ 2017, 540 (540); Eisenberg, StraFo 2017, 283 (283); Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (338 f.); Kölbel/Eisenberg, StraFo 2019, 75 (76); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 80 Rn. 13. 239  Eisenberg, NStZ 2017, 540 (541); Eisenberg, StraFo 2017, 283 (284); Kölbel, ZJJ 2017, 279 (281); Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (338 f.); Kölbel/Eisenberg, StraFo 2019, 75 (76); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 80 Rn. 16b. 240  Eisenberg, ZIS 2008, 469 (470); Eisenberg, NStZ 2017, 540 (540). 241  Kölbel, ZJJ 2015, 58 (62); Kölbel, ZJJ 2017, 279 (281); Kölbel, in: Organi­ sationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (338 f.). 242  Kölbel, ZJJ 2015, 58 (62); Kölbel, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Räume der Unfreiheit, S. 323 (338 f.); Kölbel/Eisenberg, StraFo 2019, 75 (76).



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele217

tungen sind aber im Jugendstrafrecht besonders abträglich und demgemäß zu vermeiden.243 Auch der Gesetzgeber verfolgt mit der Regelung des § 80 Abs. 3 JGG einen restriktiven Ansatz, welcher nicht durch eine extensive Auslegung umgangen werden darf, sondern vielmehr durch eine enge Auslegung umgesetzt werden muss.244 cc) Jugendgemäße restriktive Auslegung der Nebenklagevoraussetzungen Restriktive Handhabung der Nebenklagevoraussetzungen bedeutet, dass anders als im Erwachsenenstrafrecht ein Verdacht hinsichtlich des Vorliegens einer Straftat im Sinne von § 80 Abs. 3 S. 1 JGG jedenfalls institutionell bejaht werden muss, was entweder in der Anklage, in dem Eröffnungsbeschluss oder einem Hinweis gem. § 265 StPO zum Ausdruck kommen muss.245 Außerdem sind die Voraussetzung „seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt“ in § 80 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 JGG auf alle dort genannten Delikte zu beziehen und nicht nur auf die §§ 239 Abs. 3, 239a und § 239b StGB.246 Hierfür spricht schon der Wortlaut „Verbrechen (…), durch welches“.247 An eine schwere Schädigung oder diesbezügliche Gefahr sind hohe Anforderungen zu stellen.248 Schwere Schädigung erfordert eine Beeinträchtigung von besonderem Gewicht.249 Eine Gefahr setzt die konkrete Schädigungsmöglichkeit voraus.250 Auch bezüglich der in § 80 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 JGG genannten Tatbestände erfordert eine jugendgemäße Auslegung, dass diese hinsichtlich der Schwere denen in den Nr. 1 und 2 entsprechen.251 Sofern sich im Laufe des Verfahrens herausstellt, dass der Tatvorwurf gem. § 80 Abs. 3 S. 1 JGG nicht aufrechterhalten werden kann, muss die Zulassung der Nebenklage im Jugendstrafrecht widerrufen werden.252 Ein gesetzgeberischer Wille steht dieser restriktiven Handhabung nicht entgegen.253 StraFo 2019, 75 (76). ZJJ 2011, 92 (93); LG Köln, ZJJ 2014, 174 (175); Eisenberg, StraFo 2017, 283 (283). 245  Kölbel, ZJJ 2017, 279 (281). 246  Hinz, JR 2007, 140 (142); Kölbel, ZJJ 2017, 279 (280). 247  Kölbel, ZJJ 2017, 279 (280). 248  Eisenberg, StraFo 2017, 283 (283). 249  LG Saarbrücken, NStZ 2015, 231 (231); Eisenberg, StraFo 2017, 283 (283). 250  LG Saarbrücken, NStZ 2015, 231 (231); Eisenberg, StraFo 2017, 283 (283). 251  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 80 Rn. 17a. 252  Eisenberg, StraFo 2017, 283 (285); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 80 Rn. 20c. 253  BT-Drs. 16/12098, S. 43; BT-Drs. 16/13671, S. 18; BT-Drs. 19/14747; BT-Drs. 19/15161, S. 12. 243  Kölbel/Eisenberg, 244  Sommerfeld,

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F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

dd) Zulässigkeit der Nebenklage in verbundenen Verfahren gegen Jugendliche und Erwachsene bzw. Heranwachsende In einem Verfahren gegen mehrere Beschuldigte ist die Nebenklage gegenüber allen – auch Erwachsenen und Heranwachsenden – ausgeschlossen, sofern einer der Beschuldigten Jugendlicher ist und die Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 S. 1 JGG unter Beachtung der jugendgemäßen restriktiven Handhabung zu verneinen sind.254 Jugendgemäße Auslegung bedeutet in verbundenen Verfahren gegen Jugendliche und Erwachsene bzw. Heranwachsende, dass sicherzustellen ist, dass die jugendstrafrechtlichen Leitlinien keinesfalls ausgehöhlt oder unterlaufen werden. Zunächst spricht ein systematisches Argument für die hier vertretene Sichtweise. § 48 Abs. 3 S. 1 JGG regelt, dass die Verhandlung entgegen dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit im Jugendstrafrecht öffentlich ist, wenn in dem Verfahren auch Heranwachsende und Erwachsene angeklagt sind. An einer solchen Regelung fehlt es aber bei der Nebenklage gem. § 80 Abs. 3 JGG, sodass diese Norm das allgemeine Strafverfahrensrecht überlagert.255 Auch die besondere Schutzbedürftigkeit junger Menschen im Strafverfahren streitet für die vorliegende Ansicht. Denn im Falle der Zulassung der Nebenklage im verbundenen Verfahren gegenüber Erwachsenen oder Heranwachsenden können sich die genannten abträglichen Wirkungen gleichermaßen gegenüber dem zu schützenden jugendlichen Beschuldigten auswirken.256 Der Gesetzgeber hat sich mit der Problematik seit dem 13.12.2007 nicht beschäftigt.257 ee) §§ 472 StPO, 74 JGG und der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung Wie bereits erläutert, kann die Nebenklage gem. §§ 472 StPO, 74 JGG mit erzieherisch und spezialpräventiv kontraproduktiven finanziellen Belastungen für den jungen Täter einhergehen.

254  Eisenberg, NStZ 1994, 299 (299); OLG Köln, NStZ 1994, 298 (299); Franze, StV 1996, 289 (293); Graul, NStZ 1996, 402 (402); Möller, StraFo 2003, 173 (174); LG Zweibrücken, BeckRS 2009, 9871; AG Ebersberg, ZJJ 2014, 297 (297); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 80 Rn. 13a. 255  Eisenberg, NStZ 1994, 299 (299); LG Zweibrücken, BeckRS 2009, 9871; AG Ebersberg, ZJJ 2014, 297 (297). 256  Graul, NStZ 1996, 402 (402); Möller, StraFo 2003, 173 (173); LG Zweibrücken, BeckRS 2009, 9871; AG Ebersberg, ZJJ 2014, 297 (297); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 80 Rn. 13a, c. 257  BT-Drs. 16/12098, S. 43; BT-Drs. 16/13671, S. 18; BT-Drs. 19/14747; BT-Drs. 19/15161, S. 12.



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele219

Bereits im Rahmen der Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht wurde eingehend erörtert, dass Jugendliche und Heranwachsende finanziell zu schonen sind. Die Legislative hat sich mit jugendspezifischen Besonderheiten in diesem Zusammenhang nicht auseinandergesetzt.258 Demgemäß muss hier ein intendiertes Ermessen dergestalt angenommen werden, dass im Regelfall von einer Auferlegung der Auslagen abzusehen ist. Sodann sind die Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen.259 Nur in Sondersituationen kann einmal anders entschieden werden, und zwar, wenn eine erzieherische Dysfunktionalität nachweislich nicht gegeben ist.260 c) Jugendgemäße Auslegung des § 406d Abs. 2 StPO § 406d Abs. 2 StPO ist im Jugendstrafrecht jugendgemäß restriktiv auszulegen.261 Einzugehen ist vorliegend insbesondere auf § 406d Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 4 StPO. Nach der Nr. 2 ist dem Verletzten auf Antrag mitzuteilen, ob „freiheitsentziehende Maßnahmen gegen den Beschuldigten oder den Verurteilten angeordnet oder beendet oder ob erstmalig Vollzugslockerungen oder Urlaub gewährt werden, wenn er ein berechtigtes Interesse darlegt und kein überwiegend schutzwürdiges Interesse der betroffenen Person am Ausschluss der Mitteilung vorliegt“. Gem. Nr. 4 sind sodann bei Vorliegen der Voraussetzungen erneute Vollzugslockerungen oder Urlaub mitzuteilen. Der Erziehungsgedanke und der Grundsatz der positiven Spezialprävention gebieten es, jungen Tätern aufgrund ihrer Schutzwürdigkeit einen unbelasteten Neuanfang zu ermöglichen.262 Dies ist Ausprägung der oben beschriebenen jugendadäquaten Verfahrensausgestaltung, wonach junge Menschen vor belastenden Auswirkungen des Verfahrens auf ihre weitere Persönlichkeitsentwicklung zu verschonen sind. Die beschriebenen Mitteilungen werden dem auf normativer Ebene nicht gerecht. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass nicht sichergestellt werden kann, wie der Verletzte mit den gewonnenen Informa­ tionen umgeht, ob er sie also für sich behält oder an Dritte weitergibt. Insofern drohen erneut abträgliche Bloßstellungen und Stigmatisierungen. Daraus resultiert, dass im Jugendstrafrecht anders als im Erwachsenenstrafrecht im 258  BR-Drs. 491/14; BT-Drs. 18/3562; BT-Drs. 18/5254; BR-Drs. 56/15, S. 37 f.; BT-Drs. 18/4621, S. 36 f.; BT-Drs. 18/6906, S. 11. 259  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 74 Rn. 16b. 260  Kölbel/Eisenberg, StraFo 2019, 75 (77). 261  Höynck, ZJJ 2005, 34 (36); Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 383; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 54. 262  Höynck, ZJJ 2005, 34 (36); Hüls, ZJJ 2005, 22 (27); Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 383.

220

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

Regelfall von einem überwiegend schutzwürdigen Interesse des jungen Menschen am Ausschluss der Mitteilung auszugehen ist.263 § 406d Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HS. 2 StPO ist im Jugendstrafrecht unanwendbar, da derart erzieherisch und spezialpräventiv kontraproduktive Mitteilungen jedenfalls nicht ohne ein berechtigtes Interesse erfolgen dürfen. Eine gesetzgeberische Entscheidung steht diesem Vorgehen nicht entgegen.264 d) Jugendgemäße Auslegung des § 406e StPO Das Opferrecht der Akteneinsicht gem. § 406e StPO steht in einem Spannungsverhältnis zu den jugendstrafrechtlichen Leitlinien. Zunächst stellt das Akteneinsichtsrecht einen Grundrechtseingriff, namentlich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, dar.265 Der Eingriff ist im Jugendstrafrecht vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Persönlichkeitserforschung gegenüber dem Erwachsenenstrafrecht nochmals vertieft. Denn gem. § 43 JGG sind im Jugendstrafverfahren Ermittlungen hinsichtlich der Lebens- und Familienverhältnisse, des Werdegangs und aller übrigen Umstände, die der Beurteilung der seelischen, geistigen und charakterlichen Eigenart des Jugendlichen dienen können, erforderlich. Damit erhält der Nebenkläger durch das Akteneinsichtsrecht im Jugendstrafrecht noch mehr persönlichkeitsrechtlich sensible Informationen als im Erwachsenenstrafrecht.266 Wie der Nebenkläger mit diesen Informationen außerhalb des Verfahrens verfährt, ist nicht vorhersehbar und auch nicht beeinflussbar. Falls die Informationen durch den Nebenkläger Dritten zugänglich gemacht werden, kann es zu erziehungsabträglichen Wirkungen, wie beispielsweise Stigmatisierungen, kommen.267 Außerdem ist das in Rede stehende Akteneinsichtsrecht in Bezug auf die Wahrheitsermittlung im Prozess problematisch. Es vermittelt dem Verletzten, 263  Zumindest für eine im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht häufigere Einschränkbarkeit: Schöch, ZJJ 2012, 246 (251). 264  BT-Drs. 16/12098, S. 34; BT-Drs. 16/13671, S. 14, 22; BR-Drs. 213/11, S. 16; BT-Drs. 17/6261, S. 13; BT-Drs. 17/12735, S. 7; BR-Drs. 56/15, S. 26 ff.; BT-Drs. 18/4621, S. 27 ff., 47; BT-Drs. 18/6906, S. 5; BR-Drs. 433/18; BT-Drs. 19/4671; BTDrs. 19/11190. 265  Grau, in: Knauer, MüKoStPO, § 406e Rn. 1. 266  Schaal/Eisenberg, NStZ 1988, 49 (52); Kondziela, Opferrechte im Jugendstrafverfahren, S. 156; Hüls, ZJJ 2005, 22 (26); Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 75; Kaspar, in: Knauer, MüKoStPO, § 80 JGG Rn. 36; Velten, in: Wolter, SK-StPO, Vorbemerkungen zu §§ 406d–406l Rn. 9; Eisenberg/ Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 54. 267  Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 75; Kaspar, in: Knauer, MüKoStPO, § 80 JGG Rn. 36; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 54.



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele221

der zugleich Zeuge ist, einen Wissensvorsprung in der eigenen Zeugenvernehmung, was Zweifel an der nötigen Unvoreingenommenheit aufkommen lässt.268 Diese Problematik verstärkt sich im Jugendstrafverfahren in zweierlei Hinsicht. Einerseits erhält der Verletzte bzw. Zeuge wegen des Persönlichkeitsermittlungsgrundsatzes mehr Informationen.269 Andererseits ist die Wahrheitsfindung im Jugendstrafverfahren noch elementarer als im Erwachsenenstrafverfahren. Nur ein glaubwürdiges Verfahren kann erzieherisch und spezialpräventiv wirksam sein.270 Zu beachten ist ferner, dass die Akteneinsicht zu einer dem jugendstrafrechtlichen Beschleunigungsgebot widersprechenden Verfahrensverzögerung führen kann.271 Nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung ist der an die Nebenklagebefugnis anknüpfende § 406e Abs. 1 S. 2 StPO nicht anwendbar.272 Es kann nicht angehen, dass bei derart erziehungsabträglichen Wirkungen und Grundrechtseingriffen nicht einmal ein berechtigtes Interesse für das Akteneinsichtsrecht kundgetan werden muss und keinerlei Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen erfolgt. Außerdem folgt aus einer jugendgemäßen Auslegung, dass § 406e Abs. 2 S. 1 StPO gegenüber Jugendlichen ein intendiertes Ermessen erhält, sodass bezüglich der personenbezogenen Aktenbestandteile im Regelfall das Akteneinsichtsrecht zu versagen ist.273 Es ist demnach stets, außer bei Vorliegen eines atypischen Falles, davon auszugehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen des jungen Beschuldigten vorliegen. Auch der Untersuchungszweck gem. § 406e Abs. 2 S. 2 StPO erscheint im Jugendstrafverfahren regelmäßig gefährdet. Im Rahmen des § 406e Abs. 2 S. 3 StPO ist das besondere jugendstrafrechtliche Beschleunigungsgebot zu beachten. Ein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille ist nicht ersichtlich.274

Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 73. NStZ 1988, 49 (52). 270  Eisenberg, NStZ 1999, 281 (284 f.). 271  Hüls, ZJJ 2005, 22 (26); Kondziela, Opferrechte im Jugendstrafverfahren, S. 156. 272  Hüls, ZJJ 2005, 22 (26); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 80 Rn. 14. 273  Ähnlich: Schaal/Eisenberg, NStZ 1988, 49 (52); Hüls, ZJJ 2005, 22 (26); Kondziela, Opferrechte im Jugendstrafverfahren, S. 156. 274  BT-Drs. 16/12098, S. 34 ff.; BT-Drs. 16/13671, S. 14, 22 f.; BR-Drs. 829/08, S. 51; BT-Drs. 16/11644, S. 35; BT-Drs. 16/13097; BR-Drs. 491/14; BT-Drs. 18/3562; BT-Drs. 18/5254; BR-Drs. 236/16, S. 67; BT-Drs. 18/9416, S. 65, 105; BT-Drs. 18/12203, S. 6, 19; BR-Drs. 433/18, S. 69; BT-Drs. 19/4671, S. 64  f.; BT-Drs. 19/11190; BR-Drs. 57/21, S. 119 f.; BT-Drs. 19/27654, S. 107 f.; BT-Drs. 19/30517. 268  Zapf,

269  Schaal/Eisenberg,

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F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

e) Jugendgemäße Auslegung des § 406f StPO Dem einfachen Verletztenbeistand gem. § 406f Abs. 1 StPO steht nach einer jugendgemäßen Auslegung kein Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung zu. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit im Jugendstrafrecht.275 § 48 Abs. 2 JGG gestattet nur die Anwesenheit des Verletzten, seines Erziehungsberechtigten und seines gesetzlichen Vertreters. Der Verletztenbeistand gem. § 406f Abs. 1 StPO ist gerade nicht genannt.276 Hinzu kommt wieder die im Jugendstrafrecht besonders relevante Problematik der Ermittlung der Wahrheit. Es entsteht die Gefahr, dass die Zeugenvernehmung, wenn auch nur unbewusst, beeinflusst wird.277 Damit wird § 406f Abs. 1 JGG durch den jugendstrafrechtlichen Grundsatz der Nichtöffentlichkeit überlagert. Genauso verhält es sich bezüglich der Anwesenheit der Vertrauensperson in der Hauptverhandlung gem. § 406f Abs. 2 StPO.278 Hieran ändert auch § 48 Abs. 2 S. 3 JGG nichts, weil § 406f Abs. 2 StPO nicht mehr als Ermessensnorm, sondern als Muss-Vorschrift ausgestaltet ist und somit über den Wortlaut des § 48 Abs. 2 S. 3 JGG hinausgeht.279 Ein legislativer Wille steht dem ausweislich der zentralen Gesetzgebungsmaterialien nicht entgegen.280 f) Jugendgemäße Auslegung der psychosozialen Prozessbegleitung gem. § 406g StPO Die psychosoziale Prozessbegleitung gem. § 406g StPO ist erzieherisch und spezialpräventiv abträglich.281 Durch das Hinzutreten der psychosozialen Prozessbegleitung auf Seiten des mutmaßlich Verletzen wird die Verfahrensbalance zu Lasten des jungen Beschuldigten verschoben.282 Die Waffengleichheit ist aber Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren und im Jugendstrafrecht besonders bedeutsam.283 Nicht nur das mutmaßliche Opfer 275  Schaal/Eisenberg, NStZ 1988, 49 (52); Höffler, in: Knauer, MüKoStPO, § 48 JGG Rn. 15; Schatz, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 48 Rn. 21. 276  Höffler, in: Knauer, MüKoStPO, § 48 JGG Rn. 15; Schatz, in: Diemer/Schatz/ Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, § 48 Rn. 21. 277  Schaal/Eisenberg, NStZ 1988, 49 (52); Eisenberg, NStZ 1999, 281 (285). 278  Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 92 f. 279  Zapf, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren, S. 92 f. 280  BT-Drs. 16/12098, S. 36 f.; BT-Drs. 16/13671, S. 15; BR-Drs. 491/14; BT-Drs. 18/3562; BT-Drs. 18/5254. 281  Eisenberg, ZJJ 2016, 33 (34); Putzke, in: Gertler/Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 2 Rn. 34; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 55. 282  Eisenberg, ZJJ 2016, 33 (34); für das Erwachsenenstrafrecht schon Neuhaus, StV 2017, 55 (59); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 55. 283  Neuhaus, StV 2017, 55 (59).



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele223

bedarf der Unterstützung, des Schutzes und der Fürsorge, sondern gerade auch der mutmaßliche Täter, der sich einem bedrohlichen und mit unklarem Ausgang verbundenen Verfahren gegenübersieht und dieser Situation vielfach nicht gewachsen sein wird.284 Eine davon abweichende Handhabung kann von den jungen Beschuldigten als ungerecht empfunden werden und damit eine ablehnende Haltung hervorrufen, welche wiederum erzieherisch und spezialpräventiv abträglich ist.285 Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass gerade im Jugendstrafrecht die Taten aus „einem sozialen Kontakt- oder gar Beziehungsverhältnis oder aus uneindeutigen Geschehensabläufen heraus entstehen“.286 § 406g StPO steht außerdem in einem Spannungsverhältnis zu der aus dem Fairnessgrundsatz folgenden Unschuldsvermutung, da die Verletzteneigenschaft schon vor Prozessbeginn unterstellt wird.287 So werden selektive Wahrnehmung und Voreingenommenheit bestärkt288, was einem am Erziehungsgedanken zu orientierenden Verfahren widerspricht. Die psychosoziale Prozessbegleitung birgt auch hinsichtlich der Ermittlung des wahren Sachverhalts Probleme. Im Raum steht die Beeinflussung der Aussage des Opfers durch die psychosoziale Prozessbegleitung.289 § 2 Abs. 2 PsychPbG, der eine Beeinflussung des Zeugen durch den Begleiter verbietet, ändert daran nichts, weil Einflussnahmen auch unbewusst erfolgen können.290 Die durch Verletztenrechte erzeugte Drucksituation wirkt sich zudem auf Seiten des mutmaßlichen Täters negativ auf die Wahrheitsfindung aus.291 Auf die abträgliche Wirkung hinsichtlich der Richtigkeit von Geständnissen und die Erzeugung von Kommunikationshürden wurde bereits hingewiesen. Die Ermittlung des tatsächlichen Sachverhalts ist aber Voraussetzung für ein erzieherisch sinnvolles Verfahren. Zudem entstehen wiederum Probleme mit dem Nichtöffentlichkeitsgrundsatz im Jugendstrafrecht. Nichtsdestotrotz geht der Gesetzgeber davon aus, dass die psychosoziale Prozessbegleitung über § 2 Abs. 2 JGG auch im Jugendstrafverfahren Anwendung findet und „nicht im Widerspruch, sondern generell durchaus im Einklang mit dem für das Jugendstrafrecht leitenden Erziehungsgedanken“ Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 55. Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 55. 286  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 55. 287  Neuhaus, StV 2017, 55 (57). 288  Neuhaus, StV 2017, 55 (57). 289  Eisenberg, ZJJ 2016, 33 (34); Neuhaus, StV 2017, 55 (61); Putzke, in: Gertler/ Kunkel/Putzke, BeckOKJGG, § 2 Rn. 34.2; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 55. 290  Genauer hierzu: Neuhaus, StV 2017, 55 (61). 291  Neuhaus, StV 2017, 55 (60). 284  Eisenberg/Kölbel, 285  Eisenberg/Kölbel,

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F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

steht.292 Wegen der Voraussetzung der allgemeinen Gesetzesbindung kann eine jugendgemäße Auslegung daher nicht zur Nichtanwendbarkeit des § 406g StPO im Jugendstrafrecht führen.293 Um die erzieherisch dysfunk­ tionalen Wirkungen aber trotzdem abzufedern, können jugendspezifische Besonderheiten im Einzelfall zu einem Ausschluss des Prozessbegleiters führen.294 Dies kann durch die regelhafte Annahme einer Gefährdung des Untersuchungszwecks gem. § 406g Abs. 4 StPO oder eines wichtigen Grundes gem. §§ 406g Abs. 3 S. 4, 142 Abs. 5 S. 3 StPO erfolgen.295 g) Jugendgemäße Auslegung des § 406h StPO § 406h StPO regelt den qualifizierten Verletztenbeistand und ist nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung im Jugendstrafrecht nicht anwendbar.296 Dies ergibt sich aus den mit der Norm einhergehenden erziehungsund spezialpräventiv kontraproduktiven Wirkungen. Insoweit kann zunächst auf die – bereits im Rahmen der Nebenklage erörterte – Gefahr hingewiesen werden, dass jugendfremde Gesichtspunkte in das Verfahren hineingeschleust werden, da es dem Verletzten vorrangig auf seine eigenen Interessen und nicht auf erzieherische Aspekte ankommt.297 Ferner ist das umfassende Anwesenheitsrecht des qualifizierten Verletztenbeistands gem. § 406h Abs. 2 StPO geeignet, die Wahrheitsfindung zu gefährden. Es besteht die Befürchtung, dass die Aussage des Verletzten bzw. Zeugen durch seinen Wissensvorsprung beeinflusst wird.298 Wie bereits erläutert, ist die Ermittlung der Wahrheit im Jugendstrafrecht vor dem Hintergrund des Erziehungsgedankens und des Grundsatzes der positiven Spezialprävention noch elementarer als im Erwachsenenstrafrecht. Außerdem liegt wie schon bei § 406f StPO ein Verstoß gegen den Nichtöffentlichkeitsgrundsatz vor. § 406h Abs. 3 StPO verweist auf § 397a StPO, wonach nebenklageberechtigte Verletzte in bestimmten schweren Fällen das Recht haben, sich auf Antrag einen Rechtsanwalt als Verletztenbeistand durch das Gericht bestellen zu lassen. Dabei besteht für mittellose nebenklageberechtigte Verletzte die Möglichkeit, hierfür Prozesskostenhilfe zu beantragen. Problematisch ist hieran, dass die entstehenden Kosten oftmals der verurteilte Täter tragen muss (§§ 472 Abs. 1 StPO, 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO). Es wurde bereits an 292  BR-Drs.

56/15, S. 30 f.; BT- Drs. 18/4621, S. 31. aber Eisenberg, ZJJ 2016, 33 (36). 294  Velten, in: Wolter, SK-StPO, Vorbemerkungen zu §§ 406d–406l Rn. 9. 295  Velten, in: Wolter, SK-StPO, Vorbemerkungen zu §§ 406d–406l Rn. 9. 296  Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 80 Rn. 14. 297  Schaal/Eisenberg, NStZ 1988, 49 (51). 298  Schaal/Eisenberg, NStZ 1988, 49 (51).

293  So



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele225

anderer Stelle erörtert, dass junge Menschen finanziell zu schonen sind, da sich finanzielle Belastungen erzieherisch und spezialpräventiv kontrapro­ duktiv auswirken.299 § 74 JGG stellt insoweit keine ausreichende Korrekturmöglichkeit dar, da es sich lediglich um eine Ermessensvorschrift handelt.300 Die dritte Voraussetzung der jugendgemäßen Auslegung ist gewahrt.301 9. Aspekte der jugendgemäßen Auslegung im Zusammenhang mit der Authentizität der Strafverfolgung Die folgenden Beispiele sollen eine generelle Erwägung des Grundsatzes der jugendgemäßen Auslegung verdeutlichen, und zwar, dass gerade gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden stets die Glaubwürdigkeit der Strafverfolgung sichergestellt werden muss. In Bezug auf junge Menschen ist für ein als fair empfundenes Verfahren die Authentizität des Strafverfahrens elementar. Es muss transparent, konsequent und vertrauenswürdig ausgestaltet sein.302 Entscheidungen, die das Rechts- und Gerechtigkeitsgefühl junger Menschen verletzen, sind zu vermeiden.303 a) Jugendgemäße Auslegung der Einwendungen gegen die Vollstreckung Ausgangspunkt ist § 458 Abs. 1 Alt. 3 StPO, der über § 2 Abs. 2 JGG wiederum im Jugendstrafrecht anwendbar ist. Die Norm erfasst grundsätzlich keine Einwendungen gegen den Bestand und die Rechtmäßigkeit der Entscheidung, da die Voraussetzungen des Rechtsmittelrechts nicht umgangen werden dürfen.304 Ausnahmen von diesem Grundsatz existieren nur bei als unerträglich empfundenen Verstößen gegen elementare strafrechtliche Grundsätze.305 Was unter einem Verstoß gegen elementare strafrechtliche Grundsätze zu verstehen ist, ist im Jugendstrafrecht jugendadäquat weit auszulegen. Als Beispiele sind ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot gem. Art. 103 Abs. 3 GG und ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot nach 299  So

auch: Kondziela, Opferrechte im Jugendstrafverfahren, S. 151. Opferrechte im Jugendstrafverfahren, S. 151. 301  BR-Drs. 56/15, S. 32; BT-Drs. 18/4621, S. 32; BT-Drs. 18/6906, S. 7; BR-Drs. 419/16, S. 21; BT-Drs. 18/9534, S. 24; BT-Drs. 18/12830, S. 6; BR-Drs. 364/19, S. 52; BT-Drs. 19/13829, S. 51. 302  Eisenberg, NK 2013, 229 (239). 303  Satzger, in: Schöch u. a., FS Böttcher, S. 175 (184). 304  Eisenberg, ZJJ 2014, 399 (401); Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, § 458 Rn. 9; Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 58. 305  Eisenberg, ZJJ 2014, 399 (401). 300  Kondziela,

226

F. Prozessrechtliche Ebene der jugendgemäßen Auslegung

Art. 103 Abs. 2 GG anzuführen.306 Dies liegt daran, dass gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden eine glaubwürdige Strafverfolgung noch wichtiger ist als im Erwachsenenstrafrecht. Nur eine inhaltlich richtige und nachvollziehbare Entscheidung kann erzieherische und positiv spezialpräventive Wirkung entfalten. Vielmehr sogar führt eine unrichtige Entscheidung zu kontraproduktiven Effekten auf junge Menschen.307 Ein legislativer Willer steht der jugendgemäßen Auslegung nicht entgegen.308 b) § 354 Abs. 1a StPO und der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung § 354 Abs. 1a StPO ermöglicht es dem Revisionsgericht, von der Aufhebung des angefochtenen Urteils abzusehen, wenn nur eine Gesetzesverletzung bei der Zumessung der Rechtsfolge vorliegt und die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. „Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen sogar angemessen herabsetzen.“ Ungeachtet der im Erwachsenenstrafrecht gebotenen verfassungskonformen Auslegung309 ist diese Norm nach dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung im Jugendstrafverfahren unanwendbar.310 Sie steht im Widerspruch mit der im Jugendstrafrecht besonders elementaren Authentizität des Strafverfahrens. Wenn der junge Täter den Eindruck gewinnt, dass eine unrichtige Entscheidung oder auch nur Entscheidungsgrundlage hingenommen wird, verliert das Strafverfahren seine Glaubwürdigkeit und damit auch seine erzieherische und spezialpräventive Wirksamkeit. Zudem wird es für Jugendliche und Heranwachsende noch weniger als für Erwachsene nachvollziehbar sein, dass einerseits ein Fehler festgestellt wird, dieser andererseits aber keinerlei Auswirkungen hat. Nicht nachvollziehbare Entscheidungen sind erzieherisch dysfunktional und daher zu vermeiden.311 Zudem spricht § 37 JGG für die Nichtanwendbarkeit des § 354 Abs. 1a StPO im Jugendstrafrecht. Nur bei dem Tatgericht, aber nicht bei dem Revisionsgericht ist die erzieherische 306  Eisenberg, ZJJ 2014, 399 (401); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 58. 307  Eisenberg, ZJJ 2014, 399 (401 f.); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 2 Rn. 58. 308  BR-Drs. 491/14; BT-Drs. 18/356; BT-Drs. 18/5254; BR-Drs. 642/14; BT-Drs. 18/4097; BT-Drs. 18/5420; BR-Drs. 796/16; BT-Drs. 18/11277; BT-Drs. 18/12785. 309  BVerfG, NStZ 2007, 598 (599). 310  Eisenberg/Haeseler, StraFo 2005, 221 (225); Dehne-Niemann, ZIS 2008, 239 (254); Eisenberg, NK 2013, 229 (238); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 54 Rn. 45. 311  Eisenberg/Haeseler, StraFo 2005, 221 (225); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 54 Rn. 45.



III. Ausgewählte Anwendungsbeispiele227

Befähigung und Erfahrung der Richter sichergestellt.312 Ferner soll das Revisionsgericht im Grundsatz nicht über die konkrete Höhe der Strafe urteilen, da es sich anders als das Tatgericht keinen umfassenden persönlichen Eindruck vom Täter verschaffen kann.313 Diese persönliche Begegnung zwischen dem jungen Angeklagten und dem Gericht ist aufgrund der täterschaftlichen Konzeption des Jugendstrafrechts aber essenziell.314 Eine Rechtsfolgenentscheidung auf bloßer Aktenbasis stellt vor dem Hintergrund des § 79 Abs. 1 JGG, der normiert, dass gegen einen Jugendlichen kein Strafbefehl – also eine Rechtsfolgenfestsetzung ohne Hauptverhandlung – erlassen werden darf, eine Friktion im jugendstrafrechtlichen System dar. Gerade bei jungen Tätern erfordert die Prüfung der Angemessenheit der Rechtsfolgenentscheidung überdies eine Einbeziehung des aktuellen Entwicklungsstandes des jungen Täters. Anders als im Erwachsenenstrafrecht entwickeln sich junge Menschen stetig weiter, sodass eine einmal angemessene Rechtsfolge zu einem späteren Zeitpunkt schon unangemessen sein kann.315 Diese empirisch-kriminologische Erkenntnis muss auf normativer Ebene durch eine Nichtanwendbarkeit des § 354 Abs. 1a StPO gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden umgesetzt werden. Ein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille ist nicht erkennbar.316

312  Eisenberg/Haeseler, StraFo 2005, 221 (225); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 54 Rn. 46. 313  Eisenberg/Haeseler, StraFo 2005, 221 (222); OLG Celle, NStZ 2005, 163 (164). 314  Eisenberg/Haeseler, StraFo 2005, 221 (225); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 50 Rn. 11, § 54 Rn. 46. 315  BGH, NStZ-RR 2010, 56 (57); Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, § 54 Rn. 46. 316  BR-Drs. 491/14; BT-Drs. 18/3562; BT-Drs. 18/5254.

G. Der Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung – Zusammenfassung und Ausblick Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde deutlich, wie stark sich Jugendliche und Heranwachsende von Erwachsenen unterscheiden und wie wenig die geltende Strafrechtspraxis hierauf Rücksicht nimmt. Für junge Menschen stellen biologische, psychische, aber auch soziale Umbrüche die typische Lebensrealität dar, während Erwachsene diesbezüg­ liche Schwierigkeiten im Normalfall bereits überwunden haben. Auch die charakteristischen Handlungsformen junger Menschen und Erwachsener unterscheiden sich, weshalb Jugendliche und Heranwachsende aufgrund ihres natürlichen Verhaltens oftmals eine größere Nähe zu manchen Tatbeständen aufweisen als Erwachsene. Die Wahrscheinlichkeit für delinquentes Verhalten Jugendlicher und Heranwachsender ist darüber hinaus deshalb erhöht, weil die moralische Beurteilungskompetenz und Motivation im Vergleich zu Erwachsenen grundsätzlich geringer ausgeprägt ist. Jugenddelinquenz ist im Gegensatz zur Delinquenz Erwachsener ubiquitär, normal und nur episodenhaft, sodass sich strafrechtliche Auffälligkeiten junger Menschen mit dem Älterwerden mehrheitlich von selbst erledigen. Außerdem wurde auf die Dysfunktionalität strafrechtlicher Reaktionen gerade im Jugendalter hingewiesen. Sie sind in der Lage, konforme Sozialbeziehungen zu behindern, schulische und berufliche Problemlagen zu vertiefen und negative Stigmatisierungen auszulösen, was den gewünschten Delinquenzabbruch erschwert. Nichtsdestotrotz wendet das Einheitsmodell die allgemeinen, für Erwachsene entwickelten Vorschriften ohne systematische Modifikationen auch auf junge Menschen an. Nach dem hier vertretenen jugendspezifischen teleologischen Trennungsmodell, mithin dem Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung, sind die über den Mechanismus des § 2 Abs. 2 JGG anwendbaren allgemeinen strafrechtlichen Vorschriften in einer Art und Weise in Gebrauch zu nehmen, die der empirisch erfassbaren sozialen Realität Jugendlicher und Heranwachsender Rechnung trägt, also insbesondere die Unterschiede gegenüber Erwachsenen bei der strafrechtlichen Rechtsanwendung berücksichtigt. Dabei genügt es nicht, dies nur gelegentlich und zufällig zu tun, vielmehr sind Jugendspezifika prinzipiell zu beachten. So kann dem eingangs beschriebenen Wunsch nach der Beachtung jugendtypischer Besonderheiten entsprochen werden. Eine jugendgemäße Auslegung kann sich in zwei verschiedenen Spielarten präsentieren. Zum einen sind entwicklungsspezifische



G. Zusammenfassung und Ausblick229

Besonderheiten bei der Subsumtion unter die allgemeine Dogmatik zu beachten, was eine restriktivere Handhabung bei Jugendsachverhalten zur Folge hat. Zum anderen kann es erforderlich sein, die geltende Dogmatik jugendspezifisch zu verändern, was sogar zur Nichtanwendbarkeit einzelner Normen führen kann. Die jugendgemäße Auslegung lässt sich nicht nur empirisch, sondern auch dogmatisch untermauern. Eine grammatische, systematische, historische und teleologische Auslegung der §§ 2 JGG, 10 StGB streiten für den Grundsatz der jugendgemäßen Auslegung. Zudem sprechen verfassungsrechtliche Aspekte für das jugendspezifische teleologische Trennungsmodell. Die jugendgemäße Auslegung ist zunächst mit dem Gesetzlichkeitsprinzip, insbesondere mit dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Analogieverbot, vereinbar. Ferner haben die für die jugendgemäße Auslegung relevanten Prinzipien, mithin der Subsidiaritätsgrundsatz, der Grundsatz der positiven Spezialprävention, der Erziehungsgedanke und das Verbot der Schlechterstellung sowie das Gebot der Besserstellung eine verfassungsrechtliche Verankerung. Eine jugendgemäße Auslegung kann zudem als Umsetzung des Kindeswohlprinzips der UN-Kinderrechtskonvention angesehen werden. Die jugendgemäße Auslegung wurde anderen Möglichkeiten zur Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten, wie § 3 JGG, der Flucht in das Prozessrecht, dem jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgensystem und einem eigenständigen Deliktskatalog gegenübergestellt und ihre Vorzugswürdigkeit demonstriert. Folglich wird die jugendgemäße Auslegung als rechtsgebietsspezifische Auslegungsmaxime etabliert. Voraussetzungen der jugendgemäßen Auslegung sind eine ausreichende empirisch-kriminologische Grundlage, die Notwendigkeit der Berücksichtigung jugendtypischer Besonderheiten auf normativer Ebene und kein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille seit dem 13.12.2007. Hierbei sind die aufgestellten Leitlinien, der Erziehungsgedanke, der Grundsatz der positiven Spezialprävention, das Verbot der Schlechterstellung sowie das Gebot der Besserstellung und der entwickelte Kriterienkatalog zu berücksichtigen. Somit ist festzuhalten, dass die eingangs beschriebene Strafbarkeitsprüfung von Julia und Andreas nicht genauso vorgenommen werden sollte wie bei Erwachsenen. Vielmehr sind die Besonderheiten der jugendstrafrechtlichen Regelungsmaterie bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften zu beachten. Julia hat die Voraussetzungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern gem. §§ 2 Abs. 2 JGG, 176 Abs. 1 StGB zwar tatbestandlich erfüllt, eine jugendgemäße Auslegung gebietet aber ein regelhaftes Absehen von Strafe nach § 176 Abs. 2 StGB. Aufgrund einer jugendtypisch mordmerkmalkritischen Prüfung ist Andreas weder Heimtücke noch ein Handeln mit gemein-

230

G. Zusammenfassung und Ausblick

gefährlichen Mitteln vorwerfbar. Es liegt kein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit vor, sondern das Geschehen ist durch Abenteuerlust geprägt. Es kam Andreas nur darauf an, den durch den Aufprall der Steine auf den Fahrzeugen erzeugten Knall zu hören. Zudem erkannte Andreas nicht die Vielgefährlichkeit seiner Handlung, sondern die jugendtypische Motiva­ tionslage war im Vordergrund. Insgesamt wäre es wünschenswert, dass sich der Gesetzgeber vor dem Hintergrund des Übertragungsmechanismus in § 2 Abs. 2 JGG bei seinen künftigen Entscheidungen nicht nur mit den Folgen für das Erwachsenenstrafrecht, sondern auch mit den Auswirkungen für junge Menschen befasst. Die Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit entwicklungstypischen Besonderheiten junger Menschen im Gesetzgebungsverfahren muss von der Ausnahme zur Regel werden. Durch verstärkte gesetzgeberische Umsicht können jugendspezifische Besonderheiten aus dem „toten Winkel“ hervorgeholt und sichtbar gemacht werden. Daher ist eine Begründungsobliegenheit des Gesetzgebers zu fordern, wonach er sich im Gesetzgebungsverfahren zu den Auswirkungen im Jugendstrafrecht verhalten muss. Zielvorgabe ist eine evidenzbasierte Rechtssetzung.

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Stichwortverzeichnis Alkoholkonsum  143, 149 f. Belehrung  211 f. Beschleunigung  201 f., 221 Beweisverwertungsverbot  210 ff. Delinquenzabbruch  46 ff., 50, 228 Drohung  110 f., 115 ff. Dysfunktionale Interventionen  20, 47 ff., 50, 59, 64, 66, 73 f., 83, 85, 93, 102 f., 113, 117, 119, 136, 152, 162, 164, 166, 175, 182, 187, 191, 194, 195, 208, 215, 226, 228 Einsichtsfähigkeit  71, 138, 199 Entkriminalisierung  37, 72, 118 ff.,127 Episodenhaftigkeit  42 f., 49, 51, 59, 63, 118, 169, 174, 186, 188, 190, 192, 197, 210, 214 Erfahrung  29, 32, 92, 96, 125 f., 130, 132, 138, 140, 143 ff., 146, 151, 181, 183, 188, 193, 199, 206 Erziehungsgedanke  53, 55 ff., 59, 64 f., 74, 79, 81 ff., 85 f., 102, 113 f., 146, 150, 154, 156, 159, 161, 164 f., 170 f., 174, 176 f., 179 f., 183, 185, 189, 191, 193, 197, 199 f., 203 ff., 207, 209, 213, 219, 223 f., 229 Etikettierung  49 ff., 70, 102 f., 105, 108, 112, 114, 119, 128, 136, 182 ff., 189, 191, 195, 200, 219, 220 Fahrerlaubnis  165 ff., 168 ff. Fahrlässigkeit  129, 131, 143 Fairness  48 f., 51, 85, 183 ff., 193 f., 213 f., 222 f., 225 Führungsaufsicht  171 ff. Gesetzesbindung  53 f., 77 f., 136, 224

Gesetzlichkeitsprinzip  27, 54 f., 60 ff., 78, 229 Geständnis  182, 201, 203, 206 ff., 212, 214, 223 Gewalt  97, 106, 113 ff., 125 ff., 198 Gleichaltrigengruppe  22, 34, 36, 44, 48, 92, 95 ff., 101 ff., 104 ff., 114 f., 133 f., 139, 148 ff. Gleichbehandlungsgrundsatz  27, 65 f. Handlungsformen junger Menschen  36, 91, 228 Hirnreifung  33 f. Impulsivität  33, 92, 116, 138 f., 145, 150 Jugendbegriff  30 f. Kindeswohlprinzip  68 ff., 194, 229 Kommunikation  90, 93 f. 116, 183, 198 f., 201, 214, 216, 223 Legalbewährung  20, 43, 48, 51, 59, 66, 73 ff., 79, 81, 83, 85, 102 f., 136, 159, 180, 187, 189 Menschenbild  29 f. Moral  38 ff., 146, 228 Mord  19, 136 ff., 229 Nebenklage  215 ff. Notwendige Verteidigung  192 ff. Öffentlichkeit  36 f., 199 ff., 222 ff. Opferrechte  213 ff. Prägbarkeit  38, 212 Procedural Justice-Forschung  48 f., 51, 85, 199, 211

Stichwortverzeichnis263 Prognose  171, 174, 187 f., 190 ff., 208 Pubertät  32, 126 Rechtsfortbildung  53, 62 Risikobereitschaft  34, 92, 99, 130, 148 f. Rücktritt  151 ff. Schuld  149 ff. Schutzbedürftigkeit  22, 86, 148, 181 ff., 185, 194, 212, 214, 218 Schwarzfahren  118 ff. Sexuelle Selbstbestimmung  19 f., 115, 125 ff., 190, 229 Sozialadäquanz  93 ff. Soziale Entwicklung  34 f. Spezialprävention  22, 38, 53, 55 f., 59, 64 f., 74, 80 f., 102, 108, 112 ff., 128, 130, 145 f., 150, 152 f., 156, 159, 164 ff., 169, 171, 174, 176 ff., 195, 197, 199, 203 f., 208 f., 213 ff., 218 ff., 229 Spontanremission  42 ff., 47, 51, 119 Stigmatisierung siehe Etikettierung

Subsidiaritätsgrundsatz  62 f., 84, 123 f., 167, 185, 187, 197, 229 Ubiquität  40 f., 43, 49, 51, 59, 63, 118, 169, 228 Ultima ratio  62, 123, 196 Unschuldsvermutung  185, 213, 223 Untersuchungshaft  184 ff. Urteilsabsprachen  201 ff. Verbot der Schlechterstellung  22, 65 f., 82, 84 ff., 103, 105, 108, 112, 114, 117, 130 144 f., 150, 152 f.,173, 176, 178 f., 180, 193, 195, 198, 202, 229 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  62 ff., 109, 167, 170, 185, 188 Verletztenrechte siehe Opferrechte Vermögensabschöpfung  21 f., 154 ff., 219 Vernehmung  211 f., 222 Verständigung siehe Urteilsabsprachen Vorsatz  130 ff. Waffengleichheit  214, 216 Zwangsmittel  184 ff.