Grundinformation Eschatologie [2 ed.] 9783846358252

Die Perspektive der Hoffnung Dieses Lehrbuch bietet eine umfassende Einführung in die Eschatologie in der Perspektive de

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Grundinformation Eschatologie [2 ed.]
 9783846358252

Table of contents :
Frontmatter
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Table of Contents
Vorwort
1. Prolegomena
1.1 Geschichtliches zum Eschatologiebegriff
1.1.1 Die Lebenswelt und die Frage nach der Zukunft
1.1.2 Die Herkunft des Eschatologiebegriffs und sein Gegenstandsbereich
1.1.3 Die Geschichte des Stellenwertes der Eschatologie im Rahmen der christlichen Lehre im 20. Jh.
1.1.4 Die Geschichte der Eschatologie im Rahmen der Geistesgeschichte der Neuzeit
1.2 Die Ableitung des Gegenstandsbezugs der Eschatologie aus dem Wahrwertnehmen
1.2.1 Wahrwertnehmen
1.2.2 (Post-)Systematische Theologie als Selbstreflexion christlichen Wahrwertnehmens
1.2.3 Eschatologie als Reflexion des christlichen Lebens aus dem Erwartungshorizont des Wahrwertnehmens
1.3 Die Logik des Erwartungshorizonts in unserer Alltagssprache
1.3.1 Das Erwartete und das Überraschende sowie das Vermutete und das Unvermutete (adventus und futurum)
1.3.2 Das Erhoffte und das Befürchtete sowie das Zufriedenstellende und das Enttäuschende
1.3.3 Wünsche erster und zweiter Ordnung
1.3.4 Die Zukunft als Möglichkeitshorizont
1.3.5 Das Eschatische und das Eschatologische
1.4 Die Gliederung der Eschatologie
2. Vom Eschatos zu den Eschatoi
2.1 Begründungswege eschatologischer Aussagen
2.1.1 Fehlwege der Begründung
2.1.2 Der Eschatos als Grund eschatologischer Aussagen?
2.2 Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens
2.2.1 Glaube als Art und Weise des Wahrwertnehmens und als Weglinienperspektive
2.2.2 Rechtfertigung und promissio als Inhalt der Glaubenserfahrung
2.2.3 Minimalbestimmungen des in der Glaubenserfahrung vorausgesetzten eschatischen Grundes
2.2.4 Die Selbstpräsentation des eschatischen Grundes
2.3 Die Eschatoi als Grund christlichen Glaubens und Hoffens
2.3.1 Ökonomische und immanente Trinität in ihrem Verhältnis
2.3.2 Gottes Handeln an der Welt
2.3.3 Gottes Wesen als trinitarisches Liebesabenteuer
2.3.4 Gottes Wesen als geordnetes Liebesabenteuer
2.3.5 Gottes Eigenschaften
2.3.6 Von den Eschatoi zurück zu dem Eschatos
3. Das Eschaton
3.1 Zeit und Ewigkeit
3.1.1 Modelle von Zeit und Ewigkeit und ihre Derivate
3.1.2 Das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit im Verhältnis zu seinem eschatischen Grund
3.2 Raum und Unendlichkeit
3.2.1 Modelle von Raum, Welt sowie Himmel und Unendlichkeit und ihre Derivate
3.2.2 Heims Theologie der Räume und des Kontinuums
3.2.3 Das Verhältnis von Raum und Unendlichkeit vor dem Hintergrund seines eschatischen Grundes und Zieles
3.2.4 Eine leibphänomenologische Kritik des Raumdenkens
3.3 Das Gute, das Wahre sowie das Schöne
3.3.1 Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leides in der Welt (Theodizee)
3.3.2 Gottes Allmacht als Allwirksamkeit
3.3.3 Das Gute, das Schlechte und das ethisch Neutrale
3.3.4 Göttlich-kreatürliche Kooperation
3.3.5 Transformationen
3.3.6 Das Gute, das Wahre – sowie das Sch ne
3.3.7 Die Möglichkeit mehrerer denkbarer Vollendungsgestalten des Reiches Gottes
4. Die Präeschata
4.1 Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung
4.1.1 Die Verwandlung der Welt (renovatio)
4.1.2 Die Vernichtung der Welt (annihilatio)
4.1.3 Bewertungskriterien
4.1.4 Schöpfungstheologische Entscheidungshilfe
4.1.5 Fundamentaleschatologische Entscheidungshilfe
4.1.6 Die Vollendung der Welt jenseits von Vernichtung und Erneuerung in Gott
4.1.7 Ethische Relevanz
4.2 Der Tod des Menschen
4.2.1 Die Rede vom biologischen Tod
4.2.2 Die Leib-Seele Problematik und die biblische Tradition
4.2.3 Mensch und Tod in der Tradition christlicher Theologie
4.2.4 Probleme des gegenwärtigen theologischen Todesverständnisses
4.2.5 Der Mensch als imago dei und als Person
4.2.6 Sünde und Tod
4.2.7 Ethische, seelsorgliche und liturgische Aspekte
4.3 Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte
4.3.1 Vorneuzeitlicher und neuzeitlicher Millenarismus
4.3.2 Postmillenarismus
4.3.3 Prämillenarismus
4.3.4 Amillenaristisches Christentum und ethische Konsequenzen
4.3.5 Exkurs: Die Vorzeichen des Jüngsten Tages und der Parusie Christi
5. Die Eschata
5.1 Die Parusie Christi und der Jüngste Tag
5.1.1 Probleme der Parusie
5.1.2 Die biblische Vorstellung der Parusie Christi und ihre geschichtlichen Voraussetzungen
5.1.3 Exemplarische Umgänge der Tradition mit der Parusie
5.1.4 Das eschatische Zusammenkommen mit unserem Herrn
5.1.5 Ethische Implikationen von Parusievorstellungen
5.2 Die leibliche Auferstehung der Toten
5.2.1 Die Entstehung von Auferstehungsvorstellungen der urchristlichen Tradition
5.2.2 Modelltypen der Theologiegeschichte
5.2.3 Exkurs: Die Lehre von den Zwischenzuständen
5.2.4 Die Auferstehungsleiblichkeit der Geschöpfe als Medium kommunikativer Beziehungshaftigkeit im Werden des trinitarischen Gottes
5.2.5 Ethische Implikationen
5.3 Das Gericht und seine Ausgänge
5.3.1 Historisches
5.3.2 Die Vorordnung der Lehre von den Gerichtsausgängen
5.3.3 Das Gericht als Prozess
5.3.4 Ethische Implikationen
5.4 Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes
5.4.1 Systematische Aspekte der Rede vom Reich Gottes in Schrift und Theologiegeschichte
5.4.2 Die Vollendung des Reiches Gottes in „begrifflicher“ Betrachtung
5.4.3 Bilder der eschatischen Realität im Vergleich mit der „begrifflichen“ Betrachtung
5.4.4 Zurück aus der Zukunft
Backmatter
Glossar
Literaturverzeichnis
Bibelstellenverzeichnis
Paragraphenverzeichnis
Personenregister
Sachregister

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In seinem Lehrbuch geht Markus Mühling der Eschatologie, der Lehre von den letzten Dingen, auf den Grund. Der Autor widmet sich der Wurzel eschatologischer Aussagen ausgehend von Gottes­ lehre und Christologie und stellt verschiedene Modelle zum Verhältnis von Ewigkeit und Zeit, Raum und Unendlichkeit vor. Logische Klammer des Lehrbuchs ist der ständige inhaltliche Rückbezug zu vorletzten und letzten Dinge, deren ethische, seelsorgliche und liturgische Implikationen ebenfalls in den Blick genommen werden. Abschließend entwirft Mühling ein eigenes Konzept von den letzten Dingen.

Grundinformation Eschatologie 2. A.

Theologie | Religion

Markus Mühling

Grundinformation Eschatologie 2. Auflage

ISBN 978-3-8252-5825-2

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Dies ist ein utb-Band aus dem Verlag Vandenhoeck & Rupprecht. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

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11.10.18 14:12

Markus Mühling

Grundinformation Eschatologie Systematische Theologie aus der Perspektive der Hoffnung

Vandenhoeck & Ruprecht

9783825249731_Bauks_Theologie_AT.indb 3

11.10.18 14:12

Markus Mühling ist Professor für Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal.

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb.de Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. 2., überarbeitete Auflage © 2022, Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Chora_Anastasis.jpg Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: le-tex publishing services, Leipzig

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com UTB‐Band‐Nr. 2918 ISBN 978‐3‐8385‐5825-7

9783825249731_Bauks_Theologie_AT.indb 4

11.10.18 14:12

Inhalt

Vorwort ............................................................................ 11 1. Prolegomena................................................................. 1.1 Geschichtliches zum Eschatologiebegriff ..................... 1.1.1 Die Lebenswelt und die Frage nach der Zukunft .. 1.1.2 Die Herkunft des Eschatologiebegriffs und sein Gegenstandsbereich ............................ 1.1.3 Die Geschichte des Stellenwertes der Eschatologie im Rahmen der christlichen Lehre im 20. Jh. .............................. 1.1.4 Die Geschichte der Eschatologie im Rahmen der Geistesgeschichte der Neuzeit.......... 1.2 Die Ableitung des Gegenstandsbezugs der Eschatologie aus dem Wahrwertnehmen ..................... 1.2.1 Wahrwertnehmen ............................................ 1.2.2 (Post-)Systematische Theologie als Selbstreflexion christlichen Wahrwertnehmens.... 1.2.3 Eschatologie als Reflexion des christlichen Lebens aus dem Erwartungshorizont des Wahrwertnehmens........ 1.3 Die Logik des Erwartungshorizonts in unserer Alltagssprache .............................................. 1.3.1 Das Erwartete und das Überraschende sowie das Vermutete und das Unvermutete (adventus und futurum)................. 1.3.2 Das Erhoffte und das Befürchtete sowie das Zufriedenstellende und das Enttäuschende .... 1.3.3 Wünsche erster und zweiter Ordnung................. 1.3.4 Die Zukunft als Möglichkeitshorizont................. 1.3.5 Das Eschatische und das Eschatologische ............ 1.4 Die Gliederung der Eschatologie ................................

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Inhalt

2. Vom Eschatos zu den Eschatoi........................................ 2.1 Begründungswege eschatologischer Aussagen .............. 2.1.1 Fehlwege der Begründung................................. 2.1.2 Der Eschatos als Grund eschatologischer Aussagen? ............................... 2.2 Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens.... 2.2.1 Glaube als Art und Weise des Wahrwertnehmens und als Weglinienperspektive ....................................... 2.2.2 Rechtfertigung und promissio als Inhalt der Glaubenserfahrung ..................................... 2.2.3 Minimalbestimmungen des in der Glaubenserfahrung vorausgesetzten eschatischen Grundes ....................................... 2.2.4 Die Selbstpräsentation des eschatischen Grundes .. 2.3 Die Eschatoi als Grund christlichen Glaubens und Hoffens............................................................. 2.3.1 Ökonomische und immanente Trinität in ihrem Verhältnis .......................................... 2.3.2 Gottes Handeln an der Welt .............................. 2.3.3 Gottes Wesen als trinitarisches Liebesabenteuer... 2.3.4 Gottes Wesen als geordnetes Liebesabenteuer ...... 2.3.5 Gottes Eigenschaften ........................................ 2.3.6 Von den Eschatoi zurück zu dem Eschatos ..........

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3. Das Eschaton ................................................................ 101 3.1 Zeit und Ewigkeit ..................................................... 102 3.1.1 Modelle von Zeit und Ewigkeit und ihre Derivate ................................................... 102 3.1.2 Das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit im Verhältnis zu seinem eschatischen Grund....... 125 3.2 Raum und Unendlichkeit .......................................... 131 3.2.1 Modelle von Raum, Welt sowie Himmel und Unendlichkeit und ihre Derivate ..... 131 3.2.2 Heims Theologie der Räume und des Kontinuums .................................................... 154 3.2.3 Das Verhältnis von Raum und Unendlichkeit vor dem Hintergrund seines eschatischen Grundes und Zieles .............. 156 3.2.4 Eine leibphänomenologische Kritik des Raumdenkens ................................................. 158

Inhalt

3.3 Das Gute, das Wahre sowie das Schöne ....................... 160 3.3.1 Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leides in der Welt (Theodizee) ..................................................... 161 3.3.2 Gottes Allmacht als Allwirksamkeit.................... 167 3.3.3 Das Gute, das Schlechte und das ethisch Neutrale............................................... 169 3.3.4 Göttlich-kreatürliche Kooperation ..................... 170 3.3.5 Transformationen ............................................ 174 3.3.6 Das Gute, das Wahre – sowie das Schöne ............ 175 3.3.7 Die Möglichkeit mehrerer denkbarer Vollendungsgestalten des Reiches Gottes............. 180 4. Die Präeschata .............................................................. 183 4.1 Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung ........................................................... 183 4.1.1 Die Verwandlung der Welt (renovatio) ................ 184 4.1.2 Die Vernichtung der Welt (annihilatio) ............... 191 4.1.3 Bewertungskriterien......................................... 195 4.1.4 Schöpfungstheologische Entscheidungshilfe ........ 197 4.1.5 Fundamentaleschatologische Entscheidungshilfe .. 201 4.1.6 Die Vollendung der Welt jenseits von Vernichtung und Erneuerung in Gott ................. 201 4.1.7 Ethische Relevanz ............................................ 203 4.2 Der Tod des Menschen.............................................. 206 4.2.1 Die Rede vom biologischen Tod......................... 207 4.2.2 Die Leib-Seele Problematik und die biblische Tradition ........................................... 215 4.2.3 Mensch und Tod in der Tradition christlicher Theologie ....................................... 221 4.2.4 Probleme des gegenwärtigen theologischen Todesverständnisses..................... 224 4.2.5 Der Mensch als imago dei und als Person ............ 238 4.2.6 Sünde und Tod ................................................ 246 4.2.7 Ethische, seelsorgliche und liturgische Aspekte .... 254 4.3 Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte ......................................................... 259 4.3.1 Vorneuzeitlicher und neuzeitlicher Millenarismus ................................................. 260 4.3.2 Postmillenarismus ........................................... 266 4.3.3 Prämillenarismus............................................. 273 4.3.4 Amillenaristisches Christentum und ethische Konsequenzen..................................... 280

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8

Inhalt

4.3.5 Exkurs: Die Vorzeichen des Jüngsten Tages und der Parusie Christi ............................ 284 5. Die Eschata .................................................................. 287 5.1 Die Parusie Christi und der Jüngste Tag ...................... 288 5.1.1 Probleme der Parusie ....................................... 288 5.1.2 Die biblische Vorstellung der Parusie Christi und ihre geschichtlichen Voraussetzungen.............................................. 292 5.1.3 Exemplarische Umgänge der Tradition mit der Parusie ................................................ 295 5.1.4 Das eschatische Zusammenkommen mit unserem Herrn .......................................... 307 5.1.5 Ethische Implikationen von Parusievorstellungen ........................................ 312 5.2 Die leibliche Auferstehung der Toten .......................... 315 5.2.1 Die Entstehung von Auferstehungsvorstellungen der urchristlichen Tradition .................................... 316 5.2.2 Modelltypen der Theologiegeschichte ................. 321 5.2.3 Exkurs: Die Lehre von den Zwischenzuständen ... 332 5.2.4 Die Auferstehungsleiblichkeit der Geschöpfe als Medium kommunikativer Beziehungshaftigkeit im Werden des trinitarischen Gottes .................. 336 5.2.5 Ethische Implikationen ..................................... 342 5.3 Das Gericht und seine Ausgänge ................................ 343 5.3.1 Historisches .................................................... 344 5.3.2 Die Vorordnung der Lehre von den Gerichtsausgängen ........................................... 348 5.3.3 Das Gericht als Prozess ..................................... 372 5.3.4 Ethische Implikationen ..................................... 383 5.4 Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes ......................................................... 385 5.4.1 Systematische Aspekte der Rede vom Reich Gottes in Schrift und Theologiegeschichte .. 387 5.4.2 Die Vollendung des Reiches Gottes in „begrifflicher“ Betrachtung................................ 394 5.4.3 Bilder der eschatischen Realität im Vergleich mit der „begrifflichen“ Betrachtung ...... 403 5.4.4 Zurück aus der Zukunft .................................... 417

Inhalt

Glossar ............................................................................. 419 Literaturverzeichnis........................................................... 429 Bibelstellenverzeichnis....................................................... 443 Paragraphenverzeichnis ..................................................... 447 Personenregister................................................................ 450 Sachregister ...................................................................... 456

9

Vorwort

Dem christlichen Glauben ist eine genuine Hoffnung zu eigen. Es ist eine Hoffnung, die nach vorne drängt, die sich nicht mit dem Bestehenden begnügt, und die kritisch den gegenwärtigen Zustand von Welt, Gesellschaft und Kirche hinterfragt, mit ihm nicht zufrieden ist und ihn daher von der Zukunft der Vollendung des Reiches Gottes her zu verändern sucht. Gleichzeitig ist sie sich aber dieser Zukunft so gewiss, dass sie gelassen und entspannt in diesem Abenteuer der christlichen Hoffnung leben kann. Wenn Sie auch die Veränderung sucht, so weiß sie auch, dass diese nicht ihr eigenes menschliches Werk ist, sondern dass jedes menschliche Werk nur als Mitarbeit an dem des dreieinigen Gottes verstanden werden kann. Die christliche Hoffnung ist dadurch, wenn sie selbst nicht entstellt ist, von totalitären und intoleranten Tendenzen befreit. Gleichzeitig ist die christliche Hoffnung auch reflektierte Hoffnung, die sich nicht nur geistlich, sondern auch geistig entfalten will und die das entfaltete und so vertiefte Verständnis ihrer selbst wieder zurück in die Lebenswelt einbindet und einfaltet, und zwar auf gemeinschaftliche Weise. Ohne eschatische Hoffnung ist christliches Leben und christlicher Glaube nicht denkbar, wie ohne die eschatologische Reflexion dieser Hoffnung Theologie ihre Identität verlöre. Ich freue mich, dass nun, nach nahezu 15 Jahren, eine Neuauflage wünschenswert erscheint. Obwohl eine solche schon länger angefragt war, hat sie doch verzögert erscheinen müssen, was wesentlichen Veränderungen des Buches geschuldet ist. Dabei handelt es sich um folgende sachliche Änderungen: – Der Gedanke der „Grundinformation“ war schon in der ersten Auflage in einer zweifachen Bedeutung verstanden, wurde hier aber noch einmal in die eine Richtung verstärkt, während die andere dringend abzuschwächen war: „Information“ mag im Technozän primär die Transmission von Datenbeständen bedeuten, sei es synchron von einem Medium zum anderen, sei es diachron

12

Vorwort

über die Zeiten. Genau dieses technische Informationsverständnis ist aber zumindest dafür mitverantwortlich, dass falsche und mitunter gefährliche Vorstellungen von theologischer wie allgemein wissenschaftlicher Lehre und Forschung überhandnehmen, die man unter der Rubrik der Funktionalisierung von Wissenschaft subsummieren könnte. Darum ging es weder in der ersten Auflage, noch weniger in der aktuellen. Nicht der wichtigste, knappste Datenbestand hinsichtlich einer christlichen Lehre soll dargestellt und leicht digestiv aufbereitet werden. Vielmehr meint Information primär informare, d. h. keinen zu verarbeitenden Datenbestand, sondern einen Bildungsprozess, der uns formt und gestaltet. Dieser Bildungsprozess erfolgt auf einem Weg durch einen Grund, der das Leben in Hoffnung selbst ist. Daher handelt es sich bei ihm nicht nur um Information, sondern auch um Grundinformation. Diese Konzeption war zwar schon in der ersten Auflage federführend, wurde aber noch einmal deutlicher herausgestrichen, was am veränderten Untertitel „Theologie im Abenteuer der Hoffnung“ deutlich werden soll. – Inhaltlich zeigt sich die Veränderung vor allem darin, dass wesentliche Einsichten der (Post-)Systematischen Theologie1 aufgenommen wurden: Eine Gründung der Eschatologie im Handlungsbegriff, wie in der ersten Auflage, wäre zwar immer noch möglich gewesen. Da aber jedes menschliche Handeln selbst immer nur als Reaktion auf primär widerfahrendes Wahrwertnehmen denkbar ist, erschien es sinnvoll, nun hier den sachlichen Ausgangspunkt zu suchen. Auch andere theologische Veränderungen sind den Einsichten geschuldet, wie sie sich während der laufenden Forschung an diesem Hauptprojekt ergeben. – Die auffälligste strukturelle Änderung besteht in der Ergänzung von Leitsätzen in Thesen zu Anfang wichtiger Argumentationen, die in 100 Paragraphen dargestellt werden. Diese Paragraphen ersetzen die zusammenfassenden Abschnitte der ersten Auflage. Diese waren durch den didaktischen Gedanken veranlasst, dass man erst nach einer verstandenen Argumentation einen Weg zusammenfassen kann. Obwohl dieser Gedanke richtig bleibt, so tritt hier eine andere didaktische Überlegung in den Vordergrund: Treten solche Thesen und Leitsätze an den Anfang einer Argumentation, erhalten Leserin und Leser dadurch einen Ausblick auf das Terrain, das im Folgenden durchschritten wird. Das weckt Neugier und strukturiert den Weg von Anfang an. Diese Paragraphen

1 Vgl. Mühling, M., PST I.

Vorwort

wurden nun auch durchnummeriert und in ein eigenes Verzeichnis aufgenommen, so dass sie leichter zu finden sind. Ein eigenes Paragraphenverzeichnis war insofern notwendig, als dass die alte Gliederungsstruktur beibehalten wurde, um den Anschluss an die erste Auflage herzustellen. Das vorliegende Buch weist also eine doppelte Gliederung auf: die des Inhaltsverzeichnisses und die der Paragraphen. Was aus dem Vorwort von 2007 seine Gültigkeit behalten hat, sei im Folgenden kurz angeführt: „[…] Einerseits gibt es einen traditionellen Bestand christlicher Zukunfts- und Jenseitshoffnungen, der sich in den schriftlichen, bildlichen und musikalischen Zeugnissen der Tradition zeigt, andererseits scheint die Theologie der Neuzeit nicht nur Vorsicht mit entsprechenden Aussagen über die Zukunft oder das Jenseits walten zu lassen, sondern oft auch gänzlich zu schweigen. […] Dies ist umso erstaunlicher, als dass das 20. Jh. zu Recht als das Jahrhundert der Eschatologie bezeichnet wurde.2 Zahlreiche theologische Konzeptionen sind schon in ihren Fundamenten dezidiert eschatologisch ausgerichtet. Dabei zeigt sich aber, dass „Eschatologie“ die unterschiedlichsten Dinge bezeichnen kann und sich auf keinen einheitlichen Gegenstandsbereich bezieht. Obwohl „Eschatologie“ ursprünglich die Lehre von den letzten Dingen oder Ereignissen bezeichnete, ist diese Begriffsverwendung heute eher selten. Die entsprechenden Fragestellungen sind allerdings weder aus dem gelebten Glauben noch aus der Theologie verschwunden. Sie sind eher ausgewandert und werden an anderen dogmatischen Lehrorten mitverhandelt. Aus der geschilderten Problemlage heraus entstand damit die Absicht, hier ein systematisch theologisches Lehrbuch der Eschatologie vorzulegen. Dabei galt es, verschiedene Anforderungen zu berücksichtigen: – Eine […] theologische Darstellung kann nicht einfach als Konzeptionsgeschichte und Geschichte der Eschatologie geschrieben werden, sondern bedarf einer sachlichen, thematischen Gliederung. Da gegenwärtig über eine solche aber kein Konsens besteht, bestand die Aufgabe darin, eine sachliche Gliederung vorzulegen, die zugleich alle einschlägigen Themen behandelt, die sowohl der Neuling in der Thematik als auch der Fortgeschrittene erwartet. […] Aus den genannten Forderungen ergab sich folgender Aufbau: Im ersten Kapitel der Prolegomena wird in die historische Entwicklung der Eschatologie eingeführt und es wird der Frage der Lebenswelt nachgegangen, auf welche Weise die christliche Hoffnung […] erscheint. […] Das zweite Kapitel befasst sich mit der Bedingung der Möglichkeit der Begründung eschatologischer Aussagen. Dabei zeigt sich, dass besonders hinsichtlich der Frage nach dem Grund der christlichen Hoffnung immer schon Bereiche berührt werden, die traditionell an anderen Orten verhandelt worden sind. Das dritte Kapitel fragt sachlich nach dem Letztgültigen, indem gefragt wird, wie unsere Lebenswelt mit Zeit, Raum, Wahrheit, Schönheit und Güte überhaupt auf das Ewige bezogen sein kann. Die beiden letzten Kapitel stellen den Hauptteil des Buches dar und bieten eine […] theologische

2 Vgl. Schwöbel, C., Die letzten Dinge zuerst?.

13

14

Vorwort Darstellung der „Lehre von den Letzten Dingen“. Kapitel vier behandelt dabei die Frage nach dem Geschick unserer Welt, wie wir sie kennen, die Frage nach dem persönlichen Tod und die Frage nach der Zukunft der Gesellschaft. Dabei handelt es sich streng genommen um vorletzte, nicht um letzte Fragen, so dass diese Themen als „Präeschata“ bezeichnet werden. Das fünfte Kapitel behandelt dann die eigentlich letzten Fragen der christlichen Hoffnung nach der Wiederkunft Christi, Auferstehung, Gericht und der Gestalt der eschatischen Realität. Das letzte Teilkapitel hat dabei zusammenfassenden Charakter, indem es die positionellen Entscheidungen des Buches zusammenträgt. Der Charakter der Grundinformation wird unterstrichen, indem der Anmerkungsapparat auf ein Minimum beschränkt wurde, neben einem Personen- und Sachregister auch ein Bibelstellenregister sowie ein Glossar geboten wird und im vierten und fünften Kapitel stets nach praktischen Folgen der Themen gefragt wird. Dies können erste Hinweise für weiterzuführende ethische Probleme, aber auch auf Probleme von Seelsorge und Liturgie sein. […]“

Vollständig erhalten bleibt natürlich auch der Dank an alle in der ersten Auflage genannten Personen. Dennoch scheint es mir angemessen, an dieser Stelle meinen Dank denjenigen Personen abzustatten, die konkret an der Überarbeitung der zweiten Auflage beteiligt waren: Bich Nhi Dang und Johanna Knotte. Christliche Hoffnung ist „reflektierte“ Hoffnung. Diese „Reflexion“ als Entfalten, Zurückfalten und Zusammenfalten der Gehalte der Hoffnung reduziert diese aber keinesfalls. Vielmehr hoffe ich, dass dieses Buch bei der Lektüre auch ein wesentliches Kennzeichen der christlichen Hoffnung erkennen lassen möge: dass sie uns gnadenhaft mehr schenkt, als wir zu träumen je gewagt hätten. Markus Mühling

Bergisch-Born, Jubilate 2021

1.

Prolegomena

1.1

Geschichtliches zum Eschatologiebegriff

1.1.1

Die Lebenswelt und die Frage nach der Zukunft

§1 Aus allgemeinanthropologischen Gründen und aus Gründen §1 Die Notwendigkeit der Praxis des christlichen Glaubens ist die Theologie genötigt, sich der Eschatologie mit Eschatologie zu beschäftigen. In zahlreichen Lebenssituationen stellt sich explizit die Frage nach der Zukunft. „Was wird morgen sein? Was wird in einigen Jahren sein? Wie werde ich leben? Wie werden meine Kinder leben?“, um nur einige Fragen zu nennen. Neben diesen privaten Fragen nach der Zukunft gibt es auch die Fragen nach der gesellschaftlichen Zukunft und auch die nach der Entwicklung der natürlichen Welt. Natürlich bleibt es nicht bei diesen Fragen nach einer rein innerweltlichen Zukunft. Jeder Mensch macht für sich selbst die Erfahrung, dass im Laufe seines Lebens Handlungsmöglichkeiten abnehmen, man für bestimmte Lebenswege offen ist, für andere hingegen nicht mehr. Man ist somit mit der Erschöpflichkeit des Daseins konfrontiert: Die natürlichen Ressourcen sind endlich. Ab einem Alter von 25 Lebensjahren muss man etwa Sport treiben, um die Muskelmasse zu erhalten. Aber neben solchen harmlosen Beispielen der Endlichkeit des Lebens gibt es natürlich auch bedrängendere Beispiele, Krisensituationen, etwa wenn man mit Leid, Krankheit oder Tod konfrontiert ist, sei es bei Nahestehenden oder an der eigenen Person. In solchen Situationen drängt sich nicht nur die Frage nach einem Sinn des Lebens auf, sondern ganz grundsätzlich die Frage nach einer die Endlichkeit der Welt – wie wir sie kennen – transzendierenden Zukunft. „Was kommt nach meinem Tod? Gehen mein Sein und das meiner Mitmenschen einem

16

Prolegomena

Ziel entgegen oder läuft es buchstäblich gegen die Wand? Geht die ganze Welt einem Ziel entgegen, oder erschöpft auch sie sich?“ Diese und ähnliche Fragen sind alltäglich für jeden, der pastoral tätig ist – sei es als Pfarrerin oder Pfarrer in der Seelsorge, sei es als Religionslehrerin oder -lehrer im Religionsunterricht oder auch als kirchlicher Mitarbeiter, etwa in einem Besuchsdienstkreis. Diese Fragen sind gewissermaßen Alltagsfragen und es gibt zwei grobe Möglichkeiten, wie mit diesen Fragen umzugehen ist. Die eine Möglichkeit wäre anzunehmen, dass man zu all dem nichts sagen kann, weil keiner wirklich eine Antwort weiß. Die andere Möglichkeit wäre davon auszugehen, dass der christliche Glaube dazu etwas zu sagen hat. Im ersten Falle gäbe es auf die entsprechenden Fragen nicht wirkliche Antworten, die Beantwortung der Fragen wäre dem Einzelnen überlassen, aus christlicher oder theologischer Sicht wäre nichts zu den Fragen und Problemen beizutragen. Im zweiten Falle hingegen wäre der Theologe – gleich in welcher Rolle, als Pfarrer, Religionslehrer oder was auch immer, er spricht – ein Gesprächspartner, von dem eine bestimmte Kompetenz erwartet wird. Dies heißt nicht, dass der Theologe diese Fragen seinem Gesprächspartner autoritativ beantworten sollte. Aber es hieße, dass er fachkundigen Rat geben könnte. Deutlich wird die Rolle des Theologen hier, wenn man sie mit der des Arztes vergleicht: Man kann naiv von einem Arzt im Krankheitsfalle erwarten, dass er einen einfach gesund macht. Man kann aber auch erwarten, dass er eine Diagnose stellt, mögliche Therapiekonzepte nennt und einen möglichen Verlauf einer Krankheit unter bestimmten Bedingungen prognostiziert. Letzteres wäre sicher eine vernünftige Erwartung an einen Arzt. Was freilich kaum jemand erwartet, ist, dass ein Arzt uns im Krankheitsfall alleine lässt, indem er uns einfach den Namen einer Krankheit nennt, dazu aber nichts weiter: Keine Prognose, keine Behandlungsmöglichkeiten, gar nichts. Einen solchen Arzt hielten wir für inkompetent und wir würden vermuten, dass er seine Pflicht, sich entsprechend zu bilden, verletzt hat. Wendet man diesen Vergleich nun auf unsere Situation an, hieße das: Ein Pfarrer oder ein Religionslehrer, der auf Zukunftsfragen und insbesondere auf diejenigen Zukunftsfragen, welche die Welt transzendieren, keine oder nur die pauschale Antwort gibt, „Tja, dazu kann wohl niemand etwas sagen“, beginge eine Verletzung der Treue zu seinem Beruf. Will man diese Falle vermeiden, gibt es nur eine Möglichkeit: Man muss sich mit diesen Fragen beschäftigen, und als Theologe auf methodisch kontrollierte Weise. Diese Notwendigkeit ergibt sich nicht nur aus den angesprochenen allgemeinmenschlichen Fragehorizonten, sondern auch aus dem Leben des christlichen Glaubens selbst. Die Gebetspraxis des Bittgebets ist in die Zukunft gerichtet. Das Vaterunser hat

Geschichtliches zum Eschatologiebegriff

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die Bitte um das Kommen des Reiches Gottes als unaufgebbaren Bestandteil. Im apostolischen Glaubensbekenntnis spricht sowohl der zweite als auch der dritte Artikel vom Zukünftigen: Der zweite Artikel, also der auf Christus bezogene, spricht von der Wiederkunft Christi und dessen Gerichtshandeln. Der dritte, dem Geist gewidmete Artikel spricht von der Auferstehung und dem ewigen Leben. Auch aus Gründen des Selbstverständnisses des christlichen Glaubens ist es also nötig, sich mit den genannten Fragen zu beschäftigen. Der theologische Teilbereich, der diesen Fragen gewidmet ist, ist die Eschatologie. Was aber ist Eschatologie genau? Wenn man sich mit dieser Frage befasst, erscheint es zunächst zweckmäßig, sich mit der geschichtlichen Entwicklung des Begriffs zu beschäftigen. 1.1.2

Die Herkunft des Eschatologiebegriffs und sein Gegenstandsbereich

1.1.2.1

Eschatologie als Lehre von den Eschata

§2 – Eschatologie kann erstens die Lehre von allen möglichen Zukunfts- und Jenseitsvorstellungen bezeichnen. – Eschatologie kann aber zweitens auch die Lehre von den letzten Dingen, den letzten Ereignissen sein. Diese können wiederum in einem zeitlichen oder in einem ontischen Sinne verstanden werden.

§2 Eschatologie als Zukunftslehre und als Lehre von den letzten Dingen

Der Begriff Eschatologie ist in der altprotestantischen Orthodoxie, Die letzten Dinge genauer der lutherischen altprotestantischen Orthodoxie entstanden. Die altprotestantische Orthodoxie ist die Theologie des späten 16. bis 18. Jahrhunderts und sie ist gekennzeichnet durch eine wissenschaftliche Gesamtdurchbildung der Theologie. Wissenschaftssprache ist in dieser Zeit noch Latein. Johann Gerhard (gest. 1637), ein bedeutender früher lutherischer Vertreter, schließt seine Dogmatik mit dem locus De novissimis, „Über die letzten Dinge“, und bezieht sich dabei auf eine biblische, wenn auch apokryphe bzw. deuterokanonische Bibelstelle, auf Sir. 7,36 (40).3 Ein Schüler Gerhards, Philipp Heinrich Friedlieb (gest. 1663), benutzt daraufhin als einer der ersten

3 Vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 39.

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Prolegomena

das Kunstwort Eschatologie.4 Erst nachdem im Zeitalter nach der Orthodoxie im Gefolge der Aufklärungstheologie bei Karl Gottlieb Bretschneider (gest. 1848) u. a. nun schon die Wissenschaftssprache Deutsch etabliert ist,5 setzt sich der Terminus allgemein durch und wird schließlich auch von anderen Konfessionen übernommen. Schon in dieser Zeit ist es nicht eindeutig, wofür der Terminus eigentlich stehen soll. Einerseits wird er als Bezeichnung für jegliche Jenseits- und Zukunftsvorstellungen verwandt, auch außerchristliche. Andererseits wird er – wie schon bei Johann Gerhard der Terminus der novissima – für die binnenchristliche Lehre „von den Letzten Dingen“, die Eschata (pl.) gebraucht. Was diese letzten Dinge sind, ist allerdings umstritten und uneinheitlich. Gerhard bezog sich auf die mittelalterliche Lehre von den quattuor novissima, von den vier letzten Dingen, Tod, Gericht, Hölle und ewiges Leben, und ergänzt sie um die Themen der Auferstehung der Toten, da das Gericht voraussetzt, dass die Toten an ihm als Lebendige teilnehmen können, und um die Lehre von der Vernichtung der Welt, der consummatio mundi als kosmisches Pendant zum individuellen Tod der menschlichen Person.6 Man kann nun fragen, in welchem Sinne es sich hier um „letzte Dinge“ handelt. Johann Gerhard selbst verstand die novissima in einem zeitlichen Sinne: Es geht um das, was zeitlich zuletzt kommt. Damit ist klar, dass es letztlich nicht um eine allgemeine christliche Lehre von der Zukunft geht. Denn würde man die Zukunft als gesamte betrachten, dann würde man nicht nur von letzten, sondern auch von vorletzten Dingen sprechen müssen, von Ereignissen, die uns hier eigentlich schon bekannt sein können. Dies ist z.T. auch der Fall: Denn der Tod beispielsweise ist eine vorletzte, keine letzte Sache, wie Karl Gottlieb Bretschneider später bemerkt.7 Man könnte freilich den Begriff der Eschata, der letzten Dinge, auch anders, nicht zeitlich verstehen, als Lehre von den logisch oder ontologisch letztgültigen Dingen. Auch dieser Gebrauch findet sich in dieser Zeit, aber dieser Sinn ist älter, wenn man nicht auf die Wortbedeutung achtet, denn vom finis ulitimus, vom letzten Ziel der Welt, ist in den Dogmatiken schon lange vor der Rede von den novissima oder den Eschata die Rede, und im Rahmen der Rede vom letzten Ziel können durchaus auch verschiedene Teilthemen behandelt werden.8

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Vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 37. Vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 102–105. Vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 41–47. Vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 104. Zur Gestaltung des Lehrstücks im Mittelalter vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata.

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Wichtig anzumerken ist auch, dass es nicht einheitlich ist, welche Themen man unter die Eschata fasst. Dies variiert nicht nur aufgrund des Kriteriums eines zeitlichen oder eines ontologischen Verständnisses der Eschata, sondern ist auch von mannigfachen formalen Diskussionen um die Gestaltung der Dogmatik sowie inhaltlichen Gesichtspunkten abhängig. In der Spätorthodoxie beispielsweise versucht man, dem sich damals allgemein herausgebildeten Wissenschaftsbegriff Rechnung tragend, die Theologie als positive Wissenschaft von einer Ziel- oder Zweckbestimmung her zu verstehen: Jede Wissenschaft muss einen Zweck angeben, den sie zu erreichen hat, und die Mittel, mit denen dies geschieht. Da als Zweck die ewige Seligkeit des Menschen angegeben wird, wird nun dieses Thema nicht mehr in der Lehre von den letzen Dingen verhandelt, sondern gelangt an den Anfang der Systematik, in die Prolegomena oder Fundamentaltheologie, während nun paradoxerweise in der Lehre von den letzten Dingen gar nicht mehr von diesem letzten Zweck, der Seligkeit oder dem ewigen Leben die Rede ist, sondern nur noch vorletzte Dinge behandelt werden.9 Man sieht also: Schon am Anfang des Begriffsgebrauchs des Wortes „Eschatologie“ ist durchaus nicht sicher, auf welche Gegenstände sich diese Lehre beziehen soll. Nichtsdestotrotz sind aber die einzelnen Themen der klassischen Eschata, selbst dort wo sie noch nicht als solche bezeichnet werden, durchaus wichtig, denn sie erscheinen z.T. zwar nicht mehr in einem geschlossenen Lehrkomplex am Ende der Dogmatik, sehr wohl aber an anderen wichtigen Stellen im Verlauf der ganzen Dogmatik, etwa in der Gotteslehre, in der Christologie oder in der Soteriologie. Dieser Sachverhalt ist signifikant, denn er deutet darauf hin, dass einerseits die klassischen Eschata für die Dogmatik als Ganzes unverzichtbar erscheinen, dass andererseits aber auch andere klassische Themen der Dogmatik für die Lehre von diesen letzten Dingen unverzichtbar erscheinen. Damit ist aber fraglich, ob es sich überhaupt um einen geschlossenen Lehrkomplex handelt. Im 19. Jahrhundert verändert sich der Eschatologiebegriff, indem nicht mehr die Eschata, die letzten Dinge, im Mittelpunkt stehen. Bevor wir aber diese Entwicklung nachzeichnen, sei angemerkt, dass der hier identifizierte Gebrauch von Eschatologie als Lehre von den letzten Dingen selbstverständlich nicht aufhört. Er existiert weiter, unter veränderten Bedingungen, etwa im konfessionell-konservativen Luthertum. Diese Bezeichnung ist insofern etwas irreführend, als es

9 Vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 69–80.

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Die Spätorthodoxie

Die letzten Dinge in anderen dogmatischen loci

Die konfessionelle Theologie des 19. Jh.

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Prolegomena

sich dabei in der Regel gerade nicht um eine einfache Repristinationstheologie handelt, die ängstlich am Alten festhalten will, sondern um eine Theologie, die bemüht ist, Erfahrung, Bekenntnis, Schrift und praxis pietatis zu verbinden, wie es vor allem in der sog. frühen Erlanger Schule geschieht. Einer der späteren Theologen dieser früheren Erlanger Schule, Franz Herman Reinhold von Frank (gest. 1894), hält nicht nur an der Rede von den Eschata fest, sondern kann hier sogar einen Themenbereich aufnehmen, der eigentlich durch die reformatorischen Bekenntnisschriften ausgeschlossen war: die Rede vom tausendjährigen geschichtlichen Reich vor dem letzten zeitlichen Ende.10 Aufgrund der Abwehr der „Schwärmer“ standen die Reformatoren einer positiven Aufnahme dieses Lehrstücks nicht nur skeptisch gegenüber, sondern Philipp Melanchthon (gest. 1560) schloss es in der Confessio Augustana geradezu aus,11 mit der Folge, dass es die altprotestantische Orthodoxie auch nicht aufnahm. Da diese Lehre, auch Chiliasmus genannt, aber in der Volksfrömmigkeit auch im Protestantismus überlebt hatte, erscheint es nicht unplausibel, dass die Erlanger Theologie des 19. Jh., die theologisch das Programm einer auf Frömmigkeit achtenden Theologie vertrat, diese Lehre aufnehmen konnte. Kirchengeschichtliche Umstände kamen hinzu, denn die Erlanger Theologen hatten im 19. Jh. um die Einheit der bayerischen Kirche zu kämpfen und konnten eine freikirchliche Auswanderung der erweckten Kreise um Wilhelm Löhe (gest. 1872) mit Erfolg verhindern.12 1.1.2.2

§3 Eschatologie als Lehre von dem Letztgültigen und als historischer Begriff für die apokalyptische Lehre Jesu

Eschatologie als Lehre von dem Eschaton

§3 – Eschatologie kann drittens die Lehre von dem Letztgültigen (n.) sein. Auch dieses Letztgültige kann u.U. zeitlich verstanden werden, wird aber meist in anderen Kategorien ausgedrückt, etwa in Form eines ontischen Geschehenssinnes bei Paul Tillich. – Eschatologie kann viertens als historischer Begriff für den zukunftsbezogenen oder apokalyptischen Charakter der Lehre und des Lebens Christi verstanden werden. Sei es historisierend wie bei Albert Schweitzer oder sei dies systematisch positiv wertend.

10 Vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 164. 11 Vgl. CA 17, BSLK, 72. 12 Zur Erlanger Theologie vgl. Beyschlag, K., Erlanger Theologie.

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Zwar findet der Eschatologiebegriff im 19. Jh. breite Verwendung, das heißt jedoch nicht, dass auch der Gegenstand der Eschatologie einen besonderen Aufschwung genommen hätte. Vielmehr ergeben sich jetzt eine Reihe von Veränderungen, die schließlich im 20. Jh. in einen neuen Eschatologiebegriff münden. Hier ist zunächst einmal Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (gest. 1834) zu nennen. In der ersten Auflage seiner „Glaubenslehre“ verwendet er den Begriff noch nicht, dann allerdings in der zweiten Auflage, wenn auch sparsam. Wichtiger aber als diese explizite Verwendung Schleiermachers ist sein Umgang mit dem Lehrstück. Da für Schleiermacher nur solche Aussagen eigentlicher Gegenstand der Dogmatik sein können, die einen spezifischen christlichen Bewusstseinszustand des Menschen beschreiben – so dass seine Theologie in einem weiteren Sinne als Erfahrungstheologie gekennzeichnet werden kann –, sich die Gegenstände der christlichen Zukunftshoffnung aber nicht erfahren lassen, kommt es zu folgenden Umbildungen: Den Ausdruck „letzte Dinge“ lehnt Schleiermacher begreiflicherweise ab, denn gemäß seines Ansatzes kann es nicht um substanzhaft verstandene Dinge oder reale Ereignisse gehen.13 Allerdings kann das Lehrstück auch nicht einfach aus der Dogmatik verbannt werden. Einerseits sind die traditionellen Gegenstände der Eschatologie, die Eschata, kritisch vor dem Wahrheitsbewusstsein zu prüfen. Damit gelangt Schleiermacher zu einem kritischen und historischen Umgang mit dem Eschatologiebegriff.14 Andererseits ergeben sich wichtige sachliche Gesichtspunkte: Schleiermacher schreibt in einem neuen Paradigma, dem Paradigma einer Bewusstseinstheologie. Dies bringt es mit sich, dass für denjenigen, dem die Theologie Schleiermachers noch nicht so vertraut ist, einiges zunächst befremdlich vorkommen mag. Daher sei es an dieser Stelle gestattet, etwas auszuholen.15 In Christus ist die stetige Kräftigkeit des Gottesbewusstseins erschienen, d. h., das Bewusstsein der schlechthinnigen Abhängigkeit dominiert beständig über das Sündenbewusstsein des sinnlichen Selbstbewusstseins. Durch den Gemeingeist der Kirche pflanzt sich nun diese stete Kräftigkeit des Gottesbewusstseins geschichtlich in der Gesellschaft fort. Dieser Ansatz impliziert zweierlei: In Christus verbindet sich sowohl Individuelles, denn hier ist die stete Kräftigkeit des Gottesbewusstseins in einem partikularen Menschen verwirklicht, als auch Kollektives, denn dieses ist von Anfang an auf die Gemeinschaft der Kirche ausgelegt und nicht für sich selbst da. Für die Eschatologie 13 Vgl. Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §159, 416–421. 14 Vgl. Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §158, 416. 15 Vgl. Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §3–6.15–19.91–112.115–125.

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Das Letztgültige

Prophetische Lehrstücke bei Schleiermacher

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Prolegomena

Historisierung des Eschatologiebegriffs und „konsequente Eschatologie“ bei Weiß und Schweitzer

bedeutet dies nun, dass Schleiermacher ein Thema in den Mittelpunkt stellt, das – verglichen mit der Tradition – als eigenes Lehrstück ein neues Thema ist: Das Thema der Wiederkunft Christi.16 Wichtige Kennzeichen seiner Eschatologie sind die Lehren von dem Fortbestehen der menschlichen Persönlichkeit, denn diese Auffassung ist „in dem Glauben an die Unveränderlichkeit der Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur in der Person Christi“17 mit enthalten, und die Kirche in ihrem Vollendungszustand.18 Schleiermacher nennt nun diese eschatologischen Themenbereiche „prophetische Lehrstücke“,19 womit gemeint ist, dass sie im Unterschied zu den eigentlichen dogmatischen Lehrstücken nicht aus der Bewusstseinserfahrung ableitbar sind. Die erste angesprochene Linie, die Historisierung des Eschatologiebegriffs findet unmittelbar in den 30er Jahren eine Fortsetzung, wenn Karl-Ludwig Weizel den Begriff der Eschatologie nun auch in die historische und exegetische Wissenschaft einführt.20 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird dies breit übernommen und man betont, etwa bei Johannes Weiß (gest. 1914) und Albert Schweitzer (gest. 1965), aber auch bei vielen anderen, geradezu den eschatologischen Charakter des Neuen Testaments und der Lehre Jesu im Besonderen.21 Für unsere Zwecke ist es hier zunächst wichtig festzustellen, dass die exegetische Verwendung des Begriffs ein Import aus der Dogmatik ist, der zu einem neuen Begriffsgehalt führt: Weiß und Schweitzer identifizieren das Reich Gottes als zentrales Thema der Verkündigung und der Handlungen Jesu. Das Reich Gottes bezeichnet dabei eine transzendente, außerweltliche Größe, die in unmittelbarer Kürze einbrechen und der bisherigen Welt und Geschichte ein Ende machen wird. Schweitzer bezeichnet dies als „konsequente Eschatologie“,22 die es aber gerade als unzulässig erscheinen lässt, sich auf das Reich Gottes als ethische Größe zu beziehen. Denn die Parusieerwartung, die Erwartung der Wiederkunft Christi, beschreibt mit ihrem Ausbleiben offenbar kein korrektes Gottesverhältnis. Das Christentum der Zeit Schweitzers darf sich daher gerade nicht an der Eschatologie orientieren, sondern soll die Begründung seiner Sittlichkeit auf

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Vgl. Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §160, 421–423. Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §158, 410. Vgl. Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §157, 408–410. Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §159, 420. Vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 123–126. Vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 221–233.279–298. Vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 282.

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anderem Wege gewinnen. Bei Schweitzer ist damit der konsequent historische oder historisierende Eschatologiebegriff vollendet. Aber auch die andere Linie der Begriffsverwendung Schleiermachers, die Reduktion des Lehrstücks auf letztlich einen einzigen dogmatischen Themenbereich und die Zurückhaltung oder gar Ablehnung der Lehre von den letzten Dingen bzw. deren Transformation wird aufgenommen und entfaltet sich weiter. Besonders deutlich wird dies gegen Ende des Jahrhunderts bei Albrecht Ritschl (gest. 1889). Ritschl verwendet den Eschatologiebegriff vornehmlich dort, wo er auch primär als Historiker und Exeget spricht, im ersten und zweiten Band seines Hauptwerks, der „Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung“, nicht jedoch im dritten dogmatischen Band.23 Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass er noch vor der eschatologischen Inflation in den exegetischen Wissenschaften schreibt, die von seinem Schwiegersohn Johannes Weiß maßgeblich mit angestoßen wurden. Der Sache nach erscheint auch dort Eschatologisches, allerdings transformiert, wie wir noch im Detail sehen werden. Hier genügt es anzumerken, dass auch Ritschl in einem neuen Paradigma arbeitet, allerdings in einem anderen als Schleiermacher. Er bezieht sich auf seinen Göttinger Kollegen in der Philosophie – Herrmann Lotze (gest. 1881) – und auf Immanuel Kant (gest. 1804) und setzt den Gedanken des Zwecks und der Persönlichkeit an die Basis seines Denkens: Gott ist Persönlichkeit und daher immer auf einen Zweck bezogen. Dieser ist Liebe und der Gegenstand dieser Liebe ist das Reich Gottes als Reich der in der Perspektive Gottes immer schon verwirklichten Zwecke der Sittlichkeit. Lediglich für den Menschen treten Mittel und Zweck auseinander.24 Diese Gedanken ermöglichen es Ritschl, ein eigentlich genuines „letztes Ding“, das Reich Gottes, in den einen Mittelpunkt seiner Theologie zu stellen, die gern als Ellipse mit zwei Brennpunkten beschrieben wird.25 Auch der traditionelle Gedanke der Auferstehung und des ewigen Lebens kann so integriert werden, wenn diese Themen auch nur selten erscheinen: Ewiges Leben bedeutet, in Übereinstimmung mit dem wahrhaften Selbstzweck der Sittlichkeit zu leben und sich darin nicht durch bedrängende Übel hemmen zu lassen.26 Sicherlich, diese Interpretation des Reiches Gottes mag nicht dem exegetischen Befund entsprechen, wie sich nur wenige Jahre später zeigen wird. Aber auch Ritschls Denken

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Vgl. Ritschl, A., RuV 3. Vgl. Mühling, M., Versöhnendes Handeln, 49–54. Vgl. Ritschl, A., RuV 3, 6. Vgl. Ritschl, A., Unterricht, §23, 18.

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Reduktion auf den Reich-GottesGedanken bei Ritschl

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Prolegomena

bedeutet damit einen Schritt weg von der Eschatologie als Lehre von den letzten Dingen hin zur Eschatologie als Lehre von dem Eschaton. Das Eschaton bei Noch eine Menge Theologen könnten genannt werden, die diesen Paul Tillich Weg ebnen. Vollständig verwirklicht ist dieser Gedanke dann Ende der 20er Jahre des 20. Jh. bei Paul Tillich (gest. 1965). Tillich führt den Begriff des Eschatons, der heute geläufig ist, programmatisch in die Theologie ein. Nach Tillich ist es nicht sinnvoll, von einem Ende der Geschichte zu sprechen und einem Danach des Eschatons, denn dies würde die damit angeblich aufgehobenen Kategorien eines Zeitverlaufs sachlich gerade fortsetzen.27 Vielmehr müsse man davon ausgehen, dass alles Seiende jederzeit auf einen transzendenten Geschehenssinn bezogen ist, der nicht allein mit den Kategorien des Anfangs, sondern auch mit den Kategorien eines nicht zeitlich verstandenen Ziels zu beschreiben ist. So definiert Tillich programmatisch: „Das ‚Eschaton‘ ist ausdrücklich gesagt statt ‚die Eschata‘, d. h. die letzten Dinge, wie es im biblischen und theologischen Sprachgebrauch üblich ist. Die Änderung soll andeuten, dass es sich in der Eschatologie nicht um Dinge (das heißt hier: um Geschehnisse) handelt, die einmal am Ende der Tage abrollen werden, sondern um den Sinn des Geschehens überhaupt, sofern es auf etwas zugeht. Das aber, worauf das Geschehen zugeht, ‚das Letzte‘, ist nicht selbst wieder ein Geschehen, sondern der transzendente Geschehenssinn. Daher der Gebrauch von Eschaton.“28 Dieser Gebrauch des singulären Verständnisses des Gegenstands der Eschatologie bürgert sich im Folgenden ein und wird, wie bei Wolfhart Pannenberg, auch dort beibehalten, wo man sehr wohl ein Ende der Geschichte zu denken wagt. 1.1.2.3

§4 Eschatologie als Lehre von dem Eschatos Der Letztgültige

Eschatologie als Lehre von dem Eschatos

§4 – Eschatologie kann fünftens die Lehre von der letztgültigen Person, von Jesus Christus bezeichnen. Aber auch damit hört die Sprachverwirrung, was denn eigentlich der Gegenstand von Eschatologie und was damit Eschatologie selbst ist, noch nicht auf. Eschatologie kann sich nicht nur sachlich auf die Einzahl, auf das Letztgültige beziehen, sondern auch personal auf „den Letzten“ oder „Letztgültigen“. Auch diese Linie deutet sich bei Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher an, denn dieser hatte ja die 27 Vgl. Tillich, P., Eschatologie und Geschichte (Original), 1040. 28 Tillich, P., Eschatologie und Geschichte (ND) , 128ff, vgl. ebd. 291.

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Wiederkunft Christi als eigenes neues gewichtiges Element seiner „prophetischen Lehrstücke“ identifiziert. Dies kommt deutlich bei dem vielleicht doch mehr an Georg Wilhelm Friedrich Hegel (gest. 1831) als an Schleiermacher orientierten, aber letztlich ganz eigenständigen und kaum zu unterschätzenden Theologen Isaak August Dorner (gest. 1884) zum Ausdruck, der der sogenannten Vermittlungstheologie zuzurechnen ist, einer Strömung im 19. Jh., die die konfessionell-traditionellen Anliegen und die verschiedenen Aufnahmen neuzeitlicher Paradigmen verbinden will. Dorner diagnostiziert, dass Eschatologie immer mit Christologie als der Lehre von Christi Person verbunden ist. Da aber alles Sein auch teleologisch ausgerichtet ist und einem Ziel entgegen geht, trifft sich in der Eschatologie sowohl immens Zeitgemäßes als auch Praktisches mit dem Zentrum des Christentums. Dabei ist das Christentum in der geschichtlichen Entwicklung Höhepunkt einer teleologischen oder eschatologischen Religion und damit eine adäquate Erfassung von Wirklichkeit und Geschichte. Durch die enge Verbindung von Eschatologie und Christologie kann auch Dorner die Wiederkunft Christi, die Parusie, in den Mittelpunkt stellen. Dabei wird aber nicht einseitig die Eschatologie von der Christologie her bestimmt, sondern auch das Umgekehrte geschieht. Dies zeigt sich deutlich daran, dass Dorner von der Inkarnation, der Fleischwerdung des ewigen Logos in Jesus Christus (wie es auch in der ostkirchlichen Tradition geschieht), als erste Parusie sprechen kann, so dass erste und zweite Parusie verbunden werden. Mit dieser Verbindung gerät die Eschatologie nun in das Zentrum des christlichen Glaubens und kann eine ungemein kritische Kraft entfalten.29 Noch deutlicher und nun sogar in expliziter Weise wird als Gegenstand der Eschatologie der Eschatos, Christus, bei Martin Kähler (gest. 1912) Ende des 19. Jh. bestimmt. Kähler betreibt Geschichtstheologie und sieht die Bedeutung der Eschatologie darin, dass sie den Sinn der Geschichte erschließt.30 Dies erinnert zunächst und wahrscheinlich nicht unzufällig an die späteren Ausführungen seines Schülers Paul Tillich, hat aber doch letztlich eine ganz andere Bedeutung. Denn Kähler kann nicht wie Tillich vom Eschaton in sächlicher Weise sprechen. Denn die Geschichte ist zwar auf das Übergeschichtliche bezogen, aber Geschichtliches und Übergeschichtliches sind nur in der realen Person des Christus verbunden. Kähler, der den Anspruch hat, eine dezidiert biblische Theologie zu entwickeln, ist

29 Vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 193–201. 30 Vgl. Kähler, M., Dogmatische Zeitfragen II, 497.

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Eschatologie als Christologie bei Dorner

Der Eschatos bei Kähler

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Prolegomena

wahrscheinlich einer der radikalsten christozentrischen Theologen, die man sich vorstellen kann. Er transformiert und zentralisiert so gut wie alle theologischen loci schon in ihrer fundamentaltheologischen Grundlegung auf Christus hin. Fundamentaltheologisch kann man nämlich von Christus in dreifacher Gestalt sprechen: Vom historischen Christus, vom übergeschichtlichen Christus und vom realen Christus, der beide vereinigt.31 Kähler versucht damit das Problem des sogenannten „garstigen Grabens“32 der Geschichte zu lösen, das in der Frage besteht, wie zufällige Geschichtswahrheiten überzeitliche Gültigkeit haben können. Da der geschichtliche Christus aber, wie es die historische Eschatologie von Johannes Weiß und Albert Schweitzer ergeben hat, unabweislich auf dessen Wiederkunft und das zukünftige Reich Gottes zielt, kann es ohne Eschatologie keine Christologie geben. Die Lehre von Christi Person ist für Kähler derart zentral, dass er auch in der theologischen Fachterminologie alles auf Christus hin personalisiert: So heißt die Lehre von der Versöhnung nicht Soteriologie, Lehre von der Rettung, sondern Soterologie, Lehre vom Retter. Die gleiche christologische Zentrierung geschieht auch mit der Eschatologie: „Die eschatologische Soteriologie wird eben auch Soterologie sein müssen […]. Somit ergibt sich der Grundsatz, dass jedes eschatologische Dogma unmittelbar oder mittelbar eine Aussage von dem geschichtlichen lebendigen Christus sein muss.“33 Damit wird Eschatologie „im Grunde Christologie, Aussage von Christi Person und Werk“34 , und Kähler kann diesen Anspruch auch mit Bezugnahme auf die klassischen letzten Dinge nachweisen. Denn abgesehen vom Thema des Todes gilt: „Was sonst oben aufgezählt ist, das sind alles Aussagen vom Lebendigen Christus; er kommt, er richtet, er vollendet die Welt, er ist unser Leben, wie ja auch seine Wiederkunft unsere Auferweckung bringt. So kennen wir eigentlich nicht eine Anzahl von letzten Dingen, sondern nur eine ‚letzte‘ Person, die sie freilich auch nur sein kann, weil sie auch die ‚erste‘ ist.“35 Der Eschatos im Auch diese Linie der Personalisierung des Gegenstands der Es20. Jh. chatologie in der Person Christi setzt sich im 20. Jh. fort, z.T. bei Karl Barth (gest. 1968) oder Walter Kreck36 (gest. 2002), vor allem aber

31 Vgl. Kähler, M., Wissenschaft, 92f. 217f. 222 und Kähler, M., Lehre von der Versöhnung, 43–51.54.58.62. 32 lessing, G.E., Werke, Darmstadt 1996, 12. 33 Kähler, M., Wissenschaft, 441f. 34 Kähler, M., Dogmatische Zeitfragen II, 500. 35 Kähler, M., Dogmatische Zeitfragen II, 490f. 36 Vgl. Kreck, W., Die Zukunft des Gekommenen.

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bei John A.T. Robinson (gest. 1983) im englischen Kontext, der nun in den 60er Jahren des 20. Jh. dezidiert vom Eschatos spricht: „Die Treue gegenüber dem christozentrischen Charakter aller neutestamentlichen Theologie würde von uns fordern, immer von ho eschatos zu sprechen – nicht die letzte Sache, sondern der letzte Mensch, das heißt Jesus Christus.“37 Damit erhalten wir, wenn wir die Geschichte des Begriffs vor allem bis Fünf Bedeutungen ins 19. Jh. betrachten, mindestens fünf unterschiedliche Verständnis- von Eschatologie se des Gegenstands und damit auch der Bedeutung von Eschatologie: Eschatologie als Lehre von allen möglichen Zukunftsvorstellungen, Eschatologie als Lehre von den letzten Dingen, Eschatologie als historischer Begriff für die Verkündigung Jesu, Eschatologie als Lehre von dem Letztgültigen im sächlichen Verständnis und Eschatologie als Lehre von dem Letztgültigen im personalen Verständnis. Letztlich liegen diese unterschiedlichen Begriffsbestimmungen, die auch im 20. Jh. verwendet werden, mit Ende des 19. Jh. nebeneinander vollständig vor. Wird man sich zwischen einer von ihnen entscheiden müssen, haben alle ihre particula veri, oder wird man eine ganz andere Begriffs- und Gegenstandsbestimmung des Eschatologiebegriffs finden müssen? Bevor wir diese Fragen entscheiden können, ist es sinnvoll, sich zunächst einer anderen geschichtlichen Betrachtung zuzuwenden, der Geschichte der Bedeutung der Eschatologie im Rahmen der christlichen Lehre. Denn es ist zu vermuten, dass eine Bestimmung dieser Bedeutung auch für die Gegenstandsbestimmung von Nutzen sein dürfte. 1.1.3

Die Geschichte des Stellenwertes der Eschatologie im Rahmen der christlichen Lehre im 20. Jh.

§5 Zur Entwicklung der Eschatologie im 20. Jh.: §5 Zur Entwicklung → Mit dem Ende des 1. Weltkrieges scheitert der ethische Opti- der Eschatologie im 20. Jh. mismus, das Christentum könne sich innergeschichtlich in der Gesellschaft verwirklichen. In der Dialektischen Theologie und ihr verwandten Strömungen wird die Eschatologie neu geschätzt, weil Zeit und Ewigkeit als strikt voneinander unterschieden gedacht werden, die Ewigkeit die Zeit aber zu allen Zeitpunkten richtet.

37 Robinson, J.A.T., In the End God, 56, Übersetzung nach Schwöbel, C., Die letzten Dinge zuerst?, 449.

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→ Durch die neue Bewertung der Botschaft Jesu vom Reich Gottes als einer realisierten, erfahrbaren, aber noch nicht vollendeten Letztgültigkeit erfährt auch der historische Eschatologiebegriff eine Aufwertung, weil er nun systematisch anschlussfähig ist. → Damit entsteht das Problem, wie sich gegenwärtige eschatische Erfahrung und zukünftige eschatische Hoffnung, wie sich axiologische und teleologische Eschatologie zueinander verhalten. Da dieses Problem letztlich die Frage betrifft, wie sich menschlich allgemeine Wahrheitserkenntnis und Offenbarungserkenntnis zueinander verhalten, wird die Eschatologie zu einem fundamentaltheologischen Thema. → Der ambitionierteste Versuch der positiven Auflösung dieser Fragen findet sich bei Wolfhart Pannenberg, indem die Zukunft Gottes, der keine Zukunft außer sich selbst hat, und ihre Vorwegnahme in Christus die ganze Geschichte und Natur bestimmt. → In der Theologie Jürgen Moltmanns, der schwarzen Theologie und der Befreiungstheologie ist die Eschatologie grundlegend für das Verständnis des Christentums und Motor für dessen weltverändernde Kraft. → In verschiedenen evolutiven Eschatologien wie sie christlicherseits an Teilhard de Chardin exemplifiziert werden können, wird in das umfassende Zukunftsdenken auch der Bereich der natürlichen Welt einbezogen und auf Christus hin zentriert. Während das Letztgültige bei Karl Barth, Paul Tillich, Rudolf Bultmann und mit Einschränkungen auch bei Paul Althaus als transzendent und jedem zeitlichen Moment gleich nah verstanden wird, wird es bei Wolfhart Pannenberg, Jürgen Moltmann, der Befreiungstheologie und Teilhard de Chardin spezifisch zeitlich oder zukünftig verstanden. Die ersten Bedeutungen könnten damit als ein eschatologischer Typus „von oben“, die letzteren als eschatologischer Typus „von vorne“ klassifiziert werden. 1.1.3.1 Marginalisierung der Eschatologie Anfang des 20. Jh. und Aufschwung im 20. Jh.: Eschatologien „von oben“

Eschatologien „von oben“

Die Tatsache, dass die verschiedenen Begriffsbedeutungen von Eschatologie sich bereits im 19. Jh. ausgebildet haben, könnte zu der Vermutung Anlass geben, auch der Stellenwert der Eschatologie sei in dieser Zeit besonders hoch. Dies ist aber nicht der Fall. Vielmehr kann Ernst Troeltsch (gest. 1923) zu Anfang des 20. Jh. konstatieren, dass

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„das eschatologische Bureau […] heutzutage meist geschlossen“38 sei. Den Grund dafür kann Troeltsch auch angeben: Das eschatologische Bureau ist geschlossen, weil es sich mit Dingen beschäftigen müsste, die für den christlichen Glauben gerade keine Relevanz und keine sichere Basis haben, „denn die Gedanken, die es begründeten“ haben „die Wurzel verloren“.39 Nicht erst Ende des 20. Jh., sondern bereits in dessen Mitte hat sich diese Situation allerdings vollständig geändert. Der bedeutende röm.-kath. Theologe Hans Urs von Balthasar (gest. 1988) weist darauf – das Zitat Troeltschs aufnehmend – deutlich hin, wenn er diagnostiziert, dass das eschatologische Bureau seit der Wende zum 20. Jh. Überstunden mache.40 Mit den Veränderungen, die in der theologischen Landschaft nach Barth dem ersten Weltkrieg entstanden, und die vor allem darin bestanden, dass aus der liberalen Theologie die dialektische Theologie hervor trat, wuchs auch die Bedeutung der Eschatologie. Der ethische Optimismus des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jh., der z.T. sogar in der Ansicht münden konnte, die Werte des Christentums gingen in der Gesellschaft auf, und damit der Gedanke eines wirklich christlichen Abendlandes, erschien mit dem 1. Weltkrieg vollständig gescheitert. Damit trat auch wieder die Eschatologie in den Vordergrund. So kann Karl Barth in der berühmten zweiten Auflage seines Römerbriefs von 1922 behaupten, dass „Christentum, das nicht ganz und gar und restlos Eschatologie ist, […] mit Christus ganz und gar und restlos nichts zu tun“41 habe. Damit wird die Eschatologie nicht mehr als ein Spezialthema der Dogmatik gesehen, sondern als deren umfassende Determinante. Der Grund besteht für die dialektische Theologie darin, dass sich das Christentum mit dem Einbruch der völlig transzendenten Ewigkeit in die Zeit und die Geschichte befasst, die jede historische Situation richtet, indem es in jedem Moment die Zeit aufhebt und ihre Grenze bildet. Dieses Verständnis der Ewigkeit erscheint auch bei Theologen, die Tillich nicht direkt der dialektischen Theologie zuzurechnen sind, wie Paul Tillich, der den Begriff des sächlich und singularisch verstandenen Eschatons in die Theologie einführte. Wir sahen schon, dass dies bei Tillich den transzendenten Geschichtssinn bezeichnet. Diese Ewigkeit kann zu jedem Moment in die Zeit einbrechen, so dass es zu besonders qualifizierten Momenten in der Zeit kommt. Ein solcher Moment, in dem das Ewige in die Zeit einbricht, wird von Tillich als kairos 38 39 40 41

Troeltsch, E./Troeltsch, M./le Fort, G.v., Glaubenslehre, 36. Troeltsch, E./Troeltsch, M./le Fort, G.v., Glaubenslehre, 36. Vgl. Balthasar, H.U. v., Eschatologie, 403. Barth, K., Römerbrief, 298.

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Prolegomena

Bultmann

Realisierte Eschatologie bei Dodd

Cullmann

bezeichnet und zunächst noch nicht christologisch qualifiziert. Hier ereignet sich das Ewige in der Zeit.42 Auch in der an Martin Heidegger (gest. 1976) orientierten Existentialtheologie Rudolf Bultmanns (gest. 1976) findet man ähnliche Gedanken: Normalerweise wird die menschliche Geschichte und Existenz von ihren Bedingungen der Vergangenheit bestimmt, so dass der Mensch in der Welt gefangen und durch weltliche Bezüge bestimmt ist. Diese Beschreibung versteht sich als eine Erklärung des Sünderseins des Menschen. Christus befreit von Sünde, indem er als das Ende der Geschichte den Menschen von seiner Bestimmung durch die Vergangenheit befreit. Dies geschieht in der Verkündigung, im Kerygma, das uns zuruft, unsere Existenz in jeder Situation ganz von Gott und damit nicht mehr von den Verstrickungen der Welt bestimmen zu lassen.43 Bei allen drei Theologen bestimmt damit der eschatologische Gehalt das Gottesverhältnis in umfassender Weise, weil Zeit und Ewigkeit dialektisch aufeinander bezogen sind. Auch der historische Gebrauch des Eschatologiebegriffs wurde im 20. Jh. aufgegriffen und vollständig neu bewertet: Charles Harold Dodd (gest. 1973) trat 1935 mit der breit aufgenommenen These hervor, die Verkündigung Jesu könne gerade nicht im apokalyptischen Sinne verstanden werden, den Johannes Weiß und Albert Schweitzer herausgearbeitet hätten. Vielmehr bedeute Jesu Botschaft vom Reich Gottes nach Mk 10,15 und Mk 1,14, dass das Reich Gottes gerade als gegenwärtige Wirklichkeit angebrochen sei. Damit ist das Reich Gottes ein in den Verkündigungstätigkeiten Christi real erfahrbarer Sachverhalt, dessen vollständige universale Realisierung allerdings noch aussteht. Dennoch ändert sich damit die Bedeutung: Während die konsequente Eschatologie Schweitzers davon ausgegangen war, die Verkündigung Jesu beziehe sich auf etwas letztlich Unerfahrbares und nicht Eingetretenes, geht Dodd davon aus, dass sie gerade einen Erfahrungshorizont in der jeweiligen Gegenwart bereitstellt, der es nun auch ermöglicht, von Eschatologie zu reden.44 Oscar Cullmann (gest. 1999) versucht im Folgenden, anhand einer Untersuchung über das Geschichtsverständnis der lukanischen Theologie, das Verhältnis des „noch nicht“ und „doch schon“ des Reiches Gottes näher zu bestimmen. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die Zeit Jesu als eschatisch bestimmte „Mitte der Zeit“ die Zeit und die Geschichte neu definiert. Nicht die Profangeschichte bestimmt

42 Vgl. Tillich, P., Eschatologie und Geschichte (Original), 1034ff. 43 Vgl. Bultmann, R., Eschatologie. 44 Vgl. Dodd, C.H., Kingdom.

Geschichtliches zum Eschatologiebegriff

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die Heilsgeschichte, sondern die Heilsgeschichte bestimmt, was Zeit eigentlich ist.45 Mit den genannten Positionen ergaben sich aber auch neue Pro- Neue Probleme bleme: Einerseits scheint sich Eschatologie radikal mit der Ewigkeit zu beschäftigen, die nur in einem kritischen Verhältnis zur Zeit stehen kann, andererseits scheint sie sich aber gerade auf etwas in der Zeit Erfahrbares zu beziehen, sei es, dass diese Ewigkeit in irgendeiner Weise in die Geschichte einbricht oder die gesamte Geschichte von dem Mittelpunkt der Heilsgeschichte in Jesus Christus her neu qualifiziert. Viele der Positionen zur Eschatologie im 20. Jh. können als Versuch einer Beschäftigung mit diesem Problem verstanden werden. Am Anfang dieser Beschäftigung ist die Eschatologie des Luthe- Axiologie und raners Paul Althaus (gest. 1966) zu nennen, dessen Lehre von den Teleologie bei Althaus Letzten Dingen46 in vier Auflagen das wohl wichtigste Lehrbuch der Eschatologie im 20. Jh. darstellen dürfte, allerdings mit jeweils gewichtigen Änderungen in den verschiedenen Auflagen. In den frühen Auflagen unterscheidet Althaus einen axiologischen von einem teleologischen Eschatologiebegriff. Der axiologische Begriff bezieht sich darauf, dass in jeder Philosophie und Weltanschauung von letztgültigen Werten die Rede sein muss.47 Althaus übernimmt mit dem Begriff der Axiologie den Sprachgebrauch aus der Wertphilosophie Wilhelm Windelbands (gest. 1915).48 Der teleologische Sinn bezieht sich hingegen auf das spezifisch Christliche eines Geschichtszieles, das Paul Althaus aber nicht innergeschichtlich verstehen will.49 Da Althaus kritisiert wurde, dieser doppelte Eschatologiebegriff bezeichne so divergente Gegenstände, dass sie nicht vermittelbar seien, da insbesondere dem axiologischen Eschatologiebegriff jede Basis in der Erfahrung der christlichen Offenbarung fehle, gibt Althaus diese Distinktion schließlich in der vierten Auflage seines Buchs auf, ohne sie jedoch sachlich aufzulösen.50 Wie immer man den Versuch von Althaus letztlich bewerten mag, so muss man doch anerkennen, dass man hier den Versuch findet, einen allgemeinanthropologischen Eschatologiebegriff mit einem spezifisch christlichen zu vermitteln und unter der gleichen Problemstellung zu behandeln.

45 Vgl. Cullmann, O., Christus und die Zeit. Zu Tillich, Bultmann, Dodd und Cullmann vgl. auch Schwöbel, C., Die letzten Dinge zuerst?, 443–450. 46 Vgl. Althaus, P., Die letzten Dinge. 47 Vgl. Althaus, P., Die letzten Dinge, 16–22. 48 Vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 387. 49 Vgl. Althaus, P., Die letzten Dinge, 22. 50 Zur Diskussion vgl. Hjelde, S., Das Eschaton und die Eschata, 406–429.

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Prolegomena

1.1.3.2 Pannenberg

Eschatologien „von vorne“

Dem Problem von Allgemeingültigkeit menschlicher Erkenntnis einerseits und christlicher Offenbarung andererseits widmet sich auch Wolfhart Pannenberg seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Hier finden wir wohl den anspruchsvollsten und ambitioniertesten Versuch, aufzuzeigen, dass die Eschatologie nicht nur ein zentrales Lehrstück des christlichen Glaubens ist, sondern das Ganze der Theologie bestimmt. Menschen können nur dann von Gott wissen, wenn sich Gott selbst zu erkennen gibt. Diese Einsicht des späten Karl Barth, mit der Barth versuchte, den radikalen Gegensatz zwischen Zeit und Ewigkeit, Mensch und Gott, zu überwinden, wird auch von Pannenberg aufgenommen. Pannenberg geht aber davon aus, Einsichten der religionsgeschichtlichen Schule der exegetischen Wissenschaften aufnehmend, dass sich Gott als Geschichte offenbart: Die ganze Geschichte muss als Gottes Sich-selbst-erschließen verstanden werden. Damit ist die Offenbarung Gottes aber erst am Ende der Geschichte abgeschlossen und verständlich.51 Dieses Ende der Geschichte ist aber in der Auferstehung Christi, die der frühe Pannenberg als historisches Ereignis versteht, vorweggenommen, so dass dem Christen das Ende der Geschichte bekannt und Gott offenbar sein kann.52 Damit ist die Auferstehung Christi überhaupt das einzige Ereignis in der Geschichte, dem wahrhaft universale Bedeutung zukommt. Freilich kann diese universale Bedeutung von der Geschichtswissenschaft nicht selbst erkannt werden, weil diese immer mit Analogien und Vergleichen arbeitet, die Auferstehung Christi aber per definitionem unvergleichlich und analogielos sein muss, da sie ja gerade eine Prolepse, eine Vorwegnahme des einzigartigen Endes der Geschichte ist.53 Die Folgen betreffen die ganze Dogmatik einschließlich der Fundamentaltheologie: Die Schöpfung ereignet sich etwa primär in der Zukunft und kommt aus der Zukunft auf uns zu. Durch Christus – den ewigen Logos als generatives Prinzip der Besonderheit – verwirklicht sich fortwährend Neuheit in der gesamten Schöpfung und im Evolutionsprozess.54 Pannenberg kann Gedanken der Prozessphilosophie Alfred North Whiteheads (gest. 1947) und der die Evolutionstheorie positiv aufnehmenden Theologie Pierre Teilhard de Chardins (gest. 1955) kritisch aufnehmen. Der Wahrheitsbegriff 51 Vgl. Pannenberg, W., Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung, 95–98. 52 Vgl. Pannenberg, W., Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung, 103–106. 53 Vgl. Pannenberg, W., Wissenschaftstheorie und Theologie, 60–73 und Pannenberg, W., Auferstehung Jesu. 54 Vgl. Pannenberg, W., ST, Bd. 2, 79–96.132–138.

Geschichtliches zum Eschatologiebegriff

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wird durch eine universale Kohärenz all dessen, was als wahr erkannt ist, in der Einheit der Wahrheit im Eschaton bestimmt.55 Wenn Gott die alles bestimmende Wirklichkeit ist – ein Begriff den Pannenberg von Bultmann übernimmt – dann kann das Sein Gottes nicht ohne dessen Herrschaft gedacht werden. Nun ist diese zwar in Jesus Christus schon angebrochen, aber unter gegenwärtigen Bedingungen noch umstritten. Erst in der Zukunft wird sich damit Gott als Gott erweisen.56 Kurz: Gott ist bei Pannenberg die Macht der Zukunft, der seine eigene Zukunft ist, weil er die Zukunft in sich und aus sich hat und so wahrhaft frei ist. Während bei Pannenberg die begriffliche Durchdringung und Moltmann Darstellung einer eschatologisch fundierten Theologie in ihrem Gesamtzusammenhang im Vordergrund steht, findet sich bei Jürgen Moltmann zwar ein Entwurf, der ebenfalls den fundamentaltheologischen Charakter der Eschatologie betont, indem das Problem der Zukunft als Gegenstand christlicher Theologie identifiziert wird,57 dessen Spezifikum aber gerade darin besteht, auf die praktischen und ethischen Implikationen christlicher Eschatologie aufmerksam zu machen. Moltmann kann Strukturen der neomarxistischen Philosophie Ernst Blochs aufnehmen, ohne deren materialistische Basis teilen zu müssen. Die christliche Hoffnung ist vielmehr in Jesus Christus begründet, der auch als der Auferstandene immer der Gekreuzigte bleibt, so dass christliche Eschatologie stets eine eschatologia crucis ist. Aus dieser Offenbarung ist zu erkennen, dass die Geschichte auf das Reich Gottes zielt. Der Christ erhält aus einer Differenz zwischen dieser Hoffnung auf die Zukunft Christi und der Erfahrung seiner Gegenwart Kraft zur Kritik an Bestehendem. Infolge dieser Zukunftshoffnung wird er in Welt und Gesellschaft gesandt. Seine Motivation besteht nicht einfach aufgrund des Erwartungshorizonts bestehender sozialer Rollen. Dabei bleibt die volle Verwirklichung des Reiches Gottes unter einem eschatologischen Vorbehalt, da sie der Zukunft Christi vorbehalten ist. Diesen ethischen Impetus der Handlungsmotivierung gerade Befreiungstheologien durch den eschatologischen Charakter des Christentums hat Moltmanns Theologie mit verschiedenen kontextuellen Theologien der

55 Vgl. Pannenberg, W., Wahrheit, Gewißheit und Glaube, und Pannenberg, W., ST, Bd. 1, 58–72. 56 Vgl. Pannenberg, W., ST, Bd. 1, 251–281. 57 Vgl. Moltmann, J., Theologie der Hoffnung, 12: „Es gibt […] nur ein wirkliches Problem der christlichen Theologie, das ihr von ihrem Gegenstand her gestellt ist […]: das Problem der Zukunft“.

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Prolegomena

Befreiung gemeinsam. So ist beispielsweise in der schwarzen Theologie James H. Cones die Hoffnung gerade auf die Zukunft des Reiches Gottes der Motivationsgrund, den Befreiungskampf gegen Unterdrückung auch dort fortsetzen zu können, wo er nach weltlichzweckrationalen Gründen vergeblich erscheint.58 Für Gustavo Gutiérrez als Klassiker der lateinamerikanischen Befreiungstheologie ist die Eschatologie der Schlüssel des christlichen Glaubens, der gleichzeitig Zugang zu Geschichte, Politik und Erlösung bietet und gegen Fehlverständnisse dieser Begriffe wappnet: Im eschatologischen Lichte kann Geschichte nicht als Bestimmung unterdrückender Mächte verstanden werden, Politik ist kein Privileg mächtiger Unterdrücker und Erlösung wird nicht unpolitisch spiritualisiert.59 Auch dieser gesamtgesellschaftliche ethische Impetus dieser genannten Theologien kann als ein Teilaspekt der Bedeutung der Vermittlung spezifisch christlicher Offenbarungsgehalte mit allgemeinmenschlichen Zugängen verstanden werden, allerdings auf der Ebene gemeinsamen, gesellschaftlichen Handelns. Ein anderer Aspekt dieses Vermittlungsproblems wird deutlich, wo es um die natürliche Welt geht. In der Neuzeit und vor allem seit dem 19. Jh. wird die natürliche Welt Gegenstand der Untersuchung eines hohen Niveaus vielfach ausdifferenzierter Naturwissenschaften. Damit stellt sich schon innerhalb der Naturwissenschaften, die durch ihren besonderen methodischen Ansatz den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben, die naturphilosophische Frage nach der Einheit der Natur und der Wirklichkeit, unbeschadet derer Spezialbereiche. Noch mehr ist das Gespräch mit Naturwissenschaften und Naturphilosophie von Seiten der Theologie aus nötig, will man den Gedanken der Einheit der Wirklichkeit nicht aufgeben. Und auch in diesem Aspekt des Vermittlungsproblems zwischen spezifisch christlichem Gehalt und Allgemeinheitsanspruch erlangt die Eschatologie im 20. Jh. höchste Bedeutung. Teilhard de Chardin Dies kann an der umfassenden kosmischen Eschatologie des Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin veranschaulicht werden. Teilhard geht davon aus, dass sich die gesamte Welt in einem unterschiedlich gestuften evolutiven Prozess befindet. Dies sind die Wirklichkeitsbereiche der unbelebten Kosmosphäre, der belebten Biosphäre, der bewussten Noosphäre und schließlich der Christosphäre. Die gesamte Genese des Kosmos zielt dabei auf die eschatische, evolutive Christogenese. An diesem Punkt Omega wird schließlich „die in allen Dingen lautlos angewachsene Gegenwart Christi jählings“60 offen58 Vgl. Cone, J.H., Black Theology, 249. 59 Vgl. Gutiérrez, G., Befreiung, 223. 60 Teilhard de Chardin, P., Der göttliche Bereich, 189.

Geschichtliches zum Eschatologiebegriff

bar werden. Proleptisch vorweggenommen ist diese Vollendung der Christogenese der Welt in der Eucharistie, die – gedeutet mithilfe der klassisch tridentinischen Transsubstantiationslehre – in der Verwandlung von Wein und Brot in Blut und Fleisch Christi die Christogenese als Verwandlung des Universums in Christus vorwegnimmt. Gegen Ende des 20. Jh. haben Teilhard, Pannenberg u. a. auch zu nicht explizit christlichen, sondern spezifisch naturphilosophischen Eschatologien Anlass gegeben, so etwa in der „Physik der Auferstehung“ des Physikers Frank J. Tipler, der davon ausgeht, dass es den evolutiven Nachkommen der Menschheit gelingen wird, Herr über die naturgesetzlichen Bedingungen des Kosmos zu werden, so dass am Ende in einem kleinen Augenblick genügend Energie zur Verfügung stehen wird, um alle Personen als Simulationen wieder zum Leben zu erwecken und um den Anfang der Geschichte des Kosmos zu inaugurieren.61 Doch mit der Erwähnung Tiplers sind wir schon bei der Erwähnung nichttheologischer Eschatologien angekommen, die es hier zurückzustellen gilt. Neben Eschatologien, die spezifischen Wert auf die Diskussion mit nichtreligiösen Bereichen der Wirklichkeitserkenntnis legen, gibt es Ende des 20. Jh. auch Eschatologien, die versuchen, die Existenz anderer Religionen, insbesondere das für das Christentum wichtige Judentum, mit in ihre Zukunftshoffnung aufzunehmen, wie es z. B. bei Friedrich-Wilhelm Marquardt (gest. 2002) und jüngst bei Henning Theißen geschieht.62 In allen genannten Beispielen für die Bedeutungsgeschichte der Eschatologie im 20. Jh. kommt dabei die Betonung des Eschatischen zum Tragen. Dieses Eschatische, Letztgültige wird aber in unterschiedlicher Weise gedeutet, so dass es bei Barth, Tillich, Bultmann und z.T. Althaus jedem Geschichtsmoment transzendent und gleich nah verstanden wird, bei Tillich, Moltmann, der Befreiungstheologie und Teilhard de Chardin als zukünftig. Die Untersuchung der Bedeutungsgeschichte der Eschatologie hat damit aber gerade nicht das gewünschte Ergebnis gebracht: Zwar hat die Bedeutung der Eschatologie in allen Bereichen der Theologie im 20. Jh. einen starken Aufschwung genommen, aber gerade dadurch konnte keine Präzisierung des Eschatologiebegriffs und der Frage nach dem Gegenstand dieser Lehre erreicht werden. Im Gegenteil scheint der Bedeutungsaufschwung eine Inflation der Rede von Eschatologie und eschatologischer Termini mit sich gebracht zu haben, die den Begriff gerade ausweitet und eine Bestimmung geradezu 61 Vgl. Tipler, F.J., Physik der Unsterblichkeit, 264–245. 266–269. 62 Vgl. Marquardt, F.W., Was dürfen wir hoffen?, und Theißen, H., Eschatologie und das Judentum.

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Tipler

Die Bedeutungsgeschichte der Eschatologie im 20. Jh.

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Prolegomena

unmöglich erscheinen lässt. Man wird daher bei der Gegenstandsund Begriffsbestimmung andere Wege als die der geschichtlichen Untersuchung und der Wortverwendung nutzen müssen. Bevor wir uns diesen Wegen zuwenden, ist es aber noch nötig, die beschriebene innertheologische Entwicklung der Eschatologie in die weitere Geistesgeschichte der Neuzeit einzuordnen. 1.1.4

Die Geschichte der Eschatologie im Rahmen der Geistesgeschichte der Neuzeit

§6 Eschatologie und pluralistische Situation

§6 Die Zunahme der Bedeutungsvielfalt des Eschatologiebegriffs der christlichen Theologie entfaltet sich in, mitten und unter einer Inflation und Pluralisierung von geistesgeschichtlichen Deutungskonzeptionen der phänomenal vorliegenden Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit menschlicher Kultur.

Perfektibilität des Menschen und der Mensch als Subjekt der Geschichte als Signatur der Neuzeit

Betrachtet man die Neuzeit, ist es nicht einfach, diesen gesamten Zeitraum unter eine gemeinsame geistige Signatur zu stellen. Dennoch sei hier ein knapper Interpretationsvorschlag unterbreitet, um die oben beschriebenen Entwicklungen der christlichen Eschatologie besser verstehen zu können. Ein wesentlicher Gedanke der Aufklärung dürfte der weitgehende Verzicht auf den Erbsündengedanken sowie die prinzipielle Perfektibilität des Menschen sein, d. h. dessen Fähigkeit, sich und die Gesellschaft im Laufe der Geschichte vervollkommnen zu können,63 mehr noch als eine neue Vernunftgläubigkeit. Damit ändert sich aber das Bewusstsein von Zeit und Geschichte. Dürfte für den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Menschen die Zukunft etwas gewesen sein, das auf ihn zukommt, so schreitet der Mensch nun in die Zukunft. Konnte die altprotestantische Orthodoxie noch die mittelalterliche Lehre von den quattuor novissima aufnehmen, also die Vorstellung von Ereignissen, die auf die Geschichte des Menschen aus der Zukunft zukommen, so empfindet der Mensch sich nun zukunftsoffen und selbst in die Zukunft schreitend. Ist die Zukunft aber prinzipiell offen, so ist es nun verständlich, dass der Mensch, um diese Zukunft und damit sich selbst gestalten zu können, selbst nach verschiedenen, Geschichte und Zukunft regulierenden Gesetzmäßigkeiten sucht. Dies kann, wie im Falle Kants, einfach der transzendente, nicht zukünftige Gedanke des Postulats der Unsterblichkeit der Seele zur Sicherung der Sittlichkeit sein, es kann sich aber 63 S.u. Kap. 4.3.

Geschichtliches zum Eschatologiebegriff

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auch um explizite Geschichtstheorien handeln. Im 19. Jh. ist hier vor allem Hegel zu nennen, der die Gesetzmäßigkeit der Geschichte in einem dialektischen Prozess sieht, der in seiner Gesellschaft zu einem Ende gekommen ist. Im Anschluss an Hegel versuchen Links- und Rechtshegelianer auf diesem Grundgedanken aufbauend eine eigene Deutung der Zukunft und Geschichte. Während die Rechtshegelianer das Ende dieses Prozesses prinzipiell transzendent verorten, verorten es die Linkshegelianer im Geschichtsprozess selbst, wenn auch in Zukunft, wie es besonders am Beispiel des Marxismus deutlich wird.64 Aber auch verschiedene Evolutionstheorien, sei es der klassische Darwinismus oder auch ein wissenschaftstheoretischer Evolutionismus, der davon ausgeht, dass sich die Wahrheit im Diskurs im Laufe der – wenn auch nur ideal gedachten – Geschichte realisiert (Charles Sanders Peirce, gest. 1914),65 können als Antworten auf dieses Problem gedeutet werden. Auch der neokantische teleologische Zweckgedanke Hermann Lotzes,66 die Vorstellung Friedrich Nietzsches (gest. 1900) im Begriff der Macht den Schlüssel zur Geschichte gefunden zu haben,67 oder der Verzicht auf direkte Gesetzmäßigkeiten in der Geschichte zugunsten einer Erforschung derselben mittels des Analogieprinzips im Historismus68 sind Antworten auf dieses Problem. Interessant ist aber, dass die neue Suche nach Gesetzmäßigkeiten der geschichtlichen Zeiterfahrung offensichtlich unausweichlich ist, denn sie erscheint selbst dort, wo eine prinzipielle Perfektibilität des Menschen geleugnet wird, wie bei Oswald Spengler (gest. 1936), der aufgrund einer Schicksalsbestimmtheit von der Entwicklung des Untergangs des Abendlandes spricht.69 Im 20. Jh. geschieht letztlich nichts anderes, nur dass sich die man- Pluralisierungen im nigfachen Antwortversuche, den phänomenalen Geschichtsverlauf 20. Jh. mittels Gesetzmäßigkeiten zu deuten, sich nun weiter pluralisieren: Man findet naturphilosophische Betrachtungen, die die Erfahrung der Offenheit der Zukunft auf die eine oder andere Weise leugnen und damit ein deterministisches Geschichtsbild vertreten, genauso wie den ungebremsten Fortschrittsoptimismus der 70er Jahre, die erneute, neohegelianische Rede vom Ende der Geschichte in der Durchsetzung der Demokratisierung nach Ende des Kalten Krieges bei Francis

64 65 66 67 68 69

Vgl. Schwarz, H., Die christliche Hoffnung, 136–139. Vgl. Peirce, C.S., Collected Papers, Bd. 5, 407. Für einen knappen Überblick zu Lotze vgl. Schmidt-Japing, J.W., Lotze. Vgl. Fleischer, M., Nietzsche. Vgl. Scholtz, G., Historismus. S.u. Kap. 4.3.

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Prolegomena

Fukuyama70 oder eine pessimistische, neospenglerische Aufnahme des Gedankens einer Verfallsgeschichte durch einen Kampf der Kulturen.71 In all diesem Suchen nach Gesetzmäßigkeiten der Geschichte und Zukunft wird die Basis dieser Gedanken, die prinzipielle Offenheit und Kontingenz der Zukunft, von extrem deterministischen Beispielen abgesehen, gerade nicht geleugnet, sondern als Bedingung ihrer Möglichkeit vorausgesetzt. Nach Ende des Fortschrittsoptimismus der 70er Jahre und dem Bewusstsein der ökologischen Krise in den 80er Jahren bildet die postmoderne Situation Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jh. hier keine Ausnahme oder bringt gar ein neues Problem hervor, sondern radikalisiert dieses Problem menschlicher Geschichtsdeutung: Es könnte so etwas wie das Ende der Paradigmen eingetreten sein, weil nun innerhalb einer Kultur verschiedene Geschichtsdeutungskonzepte miteinander genauso konkurrieren, wie eine einzelne Person einer Pluralität von Lebensgeschichtsdeutungen und damit von Identitätsdeutungsangeboten ausgesetzt ist. Das Interessante ist nun, dass nicht, wie noch zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie, letztlich ein christliches Geschichtskonzept der christlichen Hoffnung in Konkurrenz zu den genannten Deutungskonzepten tritt oder sich in Wechselwirkungen mit diesen entfaltet, sondern dass es selbst einer Binnenpluralisierung unterliegt: Es gibt nun nicht mehr das christliche Verständnis der Geschichte, das christliche Verständnis der Zeit, das christliche Verständnis des Reiches Gottes, sondern diese Verständnisse erscheinen selbst pluralisiert. Konsequenz dieser Entwicklung kann aber nicht sein, auf ein Ringen um ein adäquates Verständnis dieser eschatischen Probleme zu verzichten. Denn falls die Wirklichkeit zeitlich oder geschichtlich ist und der Mensch nicht auf sein Handeln verzichten kann, wird er – so oder so – eine Vorstellung der Zukunft und der Geschichte haben, und diese Vorstellung kann dann der Realität mehr oder weniger angemessen sein. Wir unterliegen mit den Worten Peter L. Bergers dem Zwang zur Wahl,72 und zwar auch gerade darin, wie wir unsere geschichtliche Existenz deuten. Gerade weil die Nichtwahl keine reale Handlungsoption ist, ist das Realitätsprinzip gewahrt.

70 S.u. Kap. 4.3. 71 S.u. Kap. 4.3. 72 Vgl. Berger, P.L., Der Zwang zur Häresie, 14–45.

Die Ableitung des Gegenstandsbezugs der Eschatologie aus dem Wahrwertnehmen

1.2

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Die Ableitung des Gegenstandsbezugs der Eschatologie aus dem Wahrwertnehmen

Unsere begriffsgeschichtliche Untersuchung hat eine Vielzahl von Eschatologie und Begriffsverwendungen ergeben, die heute allesamt in Gebrauch sind. menschliches Wahrnehmen Eine systematische Gegenstandsbestimmung wird darauf insofern Rücksicht nehmen müssen, als sie deren Anliegen immerhin aufnehmen sollte. Wir fragen daher zunächst nach einem breiten Eschatologiebegriff, der aus der Phänomenalität menschlicher Erfahrung stammt, genauer aus dem Begriff des Wahrwertnehmens. Diese Ableitung ist nicht die einzig mögliche. Auch der Handlungsbegriff könnte als Grundlage dienen, weil Handeln immer vor einem Zukunftshorizont erfolgt. Allerdings erfolgt schon die Wahrnehmung vor einem Zukunftshorizont, ist aber ihrerseits durch den Handlungsbegriff vorausgesetzt. Daher ist dieser Ansatz basaler. 1.2.1

Wahrwertnehmen

§7 Grunderschließend ist der Begriff des Wahrwertnehmens: 1. Aus §7 Wahrwertnehmen dem primären Wahrwertnehmen erscheint sowohl das Wahrgenommene als auch der Wahrnehmende. Dabei hat das Wahrgenommene einen relativen Primat, weil es den Wahrgenommenen passiv affiziert, ein Widerfahrnis auslöst, das zu einem Respons herausfordert. 2. Im Wahrwertnehmen wird unmittelbar eine sinnhafte Einheit wahrgenommen. 3. Dieses unmittelbare Wahrwertnehmen ist vermittelt durch Narrationen, die Wahrnehmen, das Wahrgenommene und den Wahrnehmenden bilden. 4. Wahrwertnehmen ist fallibel und daher realistisch. 5. Wahrwertnehmen ist nicht nur selbst narrativ, sondern das Wahrgenommene selbst ist nur narrativ und sequenzhaft verständlich, vor einem Erinnerungshorizont und vor einem Erwartungshorizont. Was immer Menschen tun, sie nehmen stets wahr. Sogar nichtmenschliches Leben nimmt wahr, wir beschränken uns hier aber auf das menschliche Leben. 1. Im Wahrnehmen sind wir zunächst ganz vom Wahrgenommenen bestimmt oder affiziert. Grundlegend ist hierbei eine bestimmte Art von Passivität, die aber nicht eine menschliche Inaktivität bedeutet. Vielmehr löst jede solche Wahrnehmung einen Respons unsererseits aus. Dabei kann es sich um affektives Erschrecken, Freude, kognitive Reaktionen wie das Nachdenken über das Wahrgenommene,

Was ist Wahrnehmen? Der Primat des Wahrgenommenen

40

Prolegomena

Aufforderungscharaktere oder affordances

Das Medium der Narrationen

ästhetisches Betrachten oder Handlungen handeln. Unsere Aktivität ist dabei aber stets reaktiv, denn primär sind wir vom Wahrgenommenen bestimmt. Man kann sich das leicht verdeutlichen. Achten wir einmal nur auf die visuelle Wahrnehmung, fällt auf, dass wir selbst in unserem Gesichtsfeld nur „geisterhaft“ erscheinen, und das auch nur, wenn wir bewusst darauf achten: Nur verschwommen, am Horizont des Wahrgenommenen, erscheint halb durchsichtig die eigene Nase und die eigenen Wangen.73 Das Wahrgenommene, was immer es ist, ist also im Wahrnehmen primär. Erst aus diesem Wahrnehmen und einer Folge von Wahrnehmen erscheint, allerdings unwillkürlich, die Unterscheidung von Wahrnehmendem und Wahrgenommenen. 2. Was wahrgenommen wird, sind keineswegs wertlose Fakten oder Dinge, die wir neutral beschreiben könnten, sondern Aufforderungscharaktere oder affordances, wie es in der ökologischen Psychologie heißt.74 Ich nehme so nicht die Steigung eines bestimmten Winkelgrades auf meinem Weg wahr, sondern unmittelbar einen beschwerlichen (oder angenehmen) Weg. Ein Kliff an einer Steilküste erfordert es, auf der einen Seite entlanggehen zu können, auf der anderen Seite hinunterzufallen. Das Wahrgenommene hat daher schon sinnhafte, ja werthafte Bedeutung. Erst durch sekundäre Reflexion, werden Fakten und Werte getrennt; ursprünglich und unmittelbar sind sie verbunden in der Einheit des Wahrnehmens. Daher ist Wahrnehmen immer Wahrwertnehmen.75 Man kann sich das leicht an Situationen verdeutlichen, in denen wir aufgrund einer Wahrnehmung reaktiv handeln können, ohne kognitive Interpretationsleistungen zu vollbringen. Wer beim Autofahren vor sich einen Ball auf die Fahrbahn rollen sieht, kann nur dann adäquat reagieren und bremsen, wenn er den Ball unmittelbar als Kinderspielzeug wahrnimmt. Nähme man ihn nur als Kugel mit einer bestimmten Farbe wahr, und würde man räsonieren müssen, welchen Wert diese Kugel auf der Fahrbahn besäße, hätte man das folgende Kind vermutlich schon längst überfahren. 3. Obwohl die Wahrnehmung in diesem Sinne unvermittelt erfolgt, ist dieses Wahrwertnehmen doch stets vermittelt, und zwar durch Geschichten oder Narrationen, in denen und durch die unser Wahrnehmen gebildet wird. Wer noch nie von Ball spielenden Kindern gehört hat, nimmt den Ball in unserem Beispiel möglicherweise gar nicht erst wahr. Die Geschichten, in denen wir gebildet werden,

73 Vgl. Ingold, T., Life of Lines, 99. 74 Vgl. Gibson, J.J., Ecological Approach to Visual Perception, 129. 75 Vgl. Mühling, M., PST I, 39–68.

Die Ableitung des Gegenstandsbezugs der Eschatologie aus dem Wahrwertnehmen

schärfen, gestalten und formen dabei gleichursprünglich unser Wahrwertnehmen und uns selbst. Dabei muss es sich nicht unbedingt um selbst erlebte Geschichten handeln. Nicht unsere Bildungshistorie ist das Medium, das unser Wahrwertnehmen vermittelt und dessen vermittelte Unmittelbarkeit erzeugt, sondern die Narrationen, die Geschichten im Sinne von sequenzhaften Folgen mit Überraschungen, ob sie nun real oder fiktiv sind, sind das Medium, in dem wir wahrwertnehmen. 4. Wahrwertnehmen ist realistisch. Wahrwertnehmen selbst ist schon fallibel, kann der Wirklichkeit mehr oder weniger entsprechen und damit zu mehr oder weniger angemessenen Responsen führen. Damit sind gleich zwei Verfallsformen abgelehnt: Weder ist ein naiver Abbildrealismus angebracht, noch ein Konstruktivismus. Beide Verfallsformen machen den gleichen Fehler: Sie beginnen nicht bei der Einheit des Wahrwertnehmens, sondern setzen auf ein Vorurteil der Moderne, das darin besteht, dass man die Unterscheidung von Subjekt und Objekt für grundlegend hält. Dann hat man das Problem zwischen beiden vermitteln zu müssen. Der Abbildrealismus meint, das Objekt erzeuge ein Abbild im Geist des Subjekts. Der Konstuktivismus meint, der Geist des (individuellen oder kulturellen) Subjekts projiziere Gehalte auf die Außenwelt. Beides ist aber vor dem Hintergrund dieses phänomenologischen Realismus falsch, weil Wahrwertnehmen primär ist, und erst daraus die Unterscheidung von Wahrnehmendem und Wahrgenommenem emergiert. 5. Wahrnehmen ist dynamisch. Wahrgenommen werden nicht Standbilder, die zu Bewegungen kombiniert werden, sondern eine Bewegung in Konstanz. Narrationen und Geschichten sind also nicht nur das, was das Wahrwertnehmen vermittelt, sondern der Wahrgenommene und der Wahrnehmende werden im sequentiellen Zusammenhang einer primären Narration wahrwertgenommen. Primäre Narrationen sind solche, die gelebt werden, bevor sie erzählt werden können.76 Jede Wahrwertnehmungsgegenwart ist daher nicht nur in einer Spannung auf die vergangenen Sequenzen (Retention), sondern auch in einer Spannung auf die Zukunft (Protention) bezogen, auf einen Erwartungshorizont. Es liegt nahe, den Eschatologiebegriff auf diesen im Wahrwertnehmen beinhalteten Erwartungshorizont zu beziehen. Bevor dies geschehen kann, ist allerdings noch ein Wort über die Aufteilung der Systematischen Theologie zu verlieren.

76 Vgl. Mühling, M., PST I, 70f, und dazu MacIntyre, A., Verlust der Tugend, 283.

41

Phänomenologischer Realismus

Die Dynamik des Wahrnehmens

42

Prolegomena

1.2.2

§8 Definition und Aufteilung der Post-Systematischen Theologie

(Post-)Systematische Theologie als Selbstreflexion christlichen Wahrwertnehmens

§8 Eine Reflexion über menschliches Wahrwertnehmen ist selbst ein Wahrwertnehmen. Da Wahrwertnehmen immer narrativ vermittelt ist und eine unabtrennbare, werthafte Komponente besitzt, ist diese Reflexion immer nur religiös-weltanschaulich gebunden möglich. (Post-)Systematische Theologie ist die methodisch-kontrollierte Selbstreflexion auf menschliches Wahrwertnehmen, die ihre weltanschaulichen Voraussetzungen explizit mit thematisiert. Sie kann als Religionsphilosophie, Fundamentaltheologie, Dogmatik, Ethik, Ökumenische Theologie, Missions- und Religionswissenschaft oder als Eschatologie betrieben werden.

Gehen wir davon aus, dass es sich bei der Systematischen Theologie um die methodisch-kontrollierte Selbstreflexion des christlichen Wahrwertnehmens handelt,77 ist (Post-)Systematische Theologie als Reflexion eine Tätigkeit, die nicht nur etwas von ihr unterschiedenes betrachtet, sondern die selbst ein Respons dieses christlichen Wahrwertnehmens ist. Eine weltanschaulich neutrale Thematisierung oder Reflexion des christlichen Wahrwertnehmens ist also letztlich nicht möglich. Daher ist Systematische Theologie eine Art der Reflexion, die sich ihrer Perspektivität nicht nur bewusst ist, sondern diese explizit immer mitreflektiert. Die Disziplinen der Die unterschiedlichen klassischen Disziplinen der Systematischen Post-Systematischen Theologie können dann nicht als verschiedene Wissens- oder GeTheologie genstandsbereiche verstanden werden, sondern als Betrachtung des einen Gegenstands – des christlichen Wahrwertnehmens – unter je unterschiedlichen Aspekten, die sich aus der phänomenalen Analyse des Wahrwertnehmens selbst ergeben: Dogmatik befasst sich mit dem Aspekt des Wahrgenommenen, d. h. der Selbstpräsentation des dreieinigen Gottes in der Verschränkung der Geschichte des Evangeliums mit der Lebensgeschichte des Wahrnehmenden. Ethik befasst sich mit den lebensweltlichen Responsen der Wahrnehmenden auf das Wahrgenommene. Ökumenische und interkulturelle Theologie befassen sich mit dem christlichen Wahrwertnehmen, insofern es immer gemeinschaftlich mit anderem Wahrwertnehmen verbunden Methodischkontrollierte Selbstreflexion christlichen Wahrnehmens

77 Vgl. Mühling, M., PST I, 25–30.

Die Ableitung des Gegenstandsbezugs der Eschatologie aus dem Wahrwertnehmen

43

ist. Die Prinzipienlehre, auch Prolegomena oder Fundamentaltheologie genannt, und in anderer Weise die Religionsphilosophie befassen sich mit der Struktur und Analyse des Wahrwertnehmens selbst. 1.2.3

Eschatologie als Reflexion des christlichen Lebens aus dem Erwartungshorizont des Wahrwertnehmens

§9 Eschatologie thematisiert das Ganze des christlichen Glaubens hinsichtlich des Aspekts des im phänomenalen Wahrwertnehmen mitgegebenen Erwartungshorizonts. Unter Inanspruchnahme von 1.Kor 13,13 könnte man auch sagen: Während sich die Dogmatik auf den Glauben und die Ethik auf die Liebe bezieht, bezieht sich die Eschatologie auf die Hoffnung dieses Wahrwertnehmens.

§9 Eschatologie als (Post-)Systematische Theologie unter dem Aspekt der Hoffnung

Ein Element des Wahrwertnehmens bleibt bei dieser Betrachtung aber noch außerhalb der Reflexion: die Betrachtung der christlichen Praxis aus der Perspektive des Elements des Erwartungshorizonts, der im Wahrwertnehmen ja immer mitgegeben ist. Dies definieren wir als den Gegenstand von Eschatologie. Ist diese Definition einsichtig, gibt es sofort Implikationen für den Eschatologiebegriff: Der Eschatologiebegriff ist selbst kein Teilthema der Dogmatik. Wenn Eschatologie im Rahmen der Dogmatik erscheint, erscheint sie dort genauso wie alle anderen Aspekte des Begriffs des Wahrnehmens, so dass von je einem Aspekt aus die anderen mitthematisiert werden müssen. Das heißt aber auch: Eschatologie befasst sich mit dem Ganzen der christlichen Praxis oder des christlichen Glaubens und müsste daher alle anderen Elemente einschließlich der klassischen Loci der Dogmatik unter dem ihr eigenen Aspekt des Erwartungshorizonts des christlichen Wahrnehmens mitthematisieren. Eschatologie hätte demnach einen weiteren Umfang als klassisch angenommen und normalerweise ausgeführt. Auch wir werden im Rahmen dieses Lehrbuchs dieses Programm nicht vollständig ausführen können, sondern einen pragmatischen Kompromiss bieten, nach dem die traditionellen Themen der Eschatologie im Vordergrund stehen und den Grundgedanken, dass es sich bei Eschatologie um einen Aspekt der Darstellung des Ganzen des christlichen Glaubens handelt, nur soweit zum Tragen kommen lassen, wie es nötig ist. Die Gegenstandsbestimmung der Eschatologie nicht als ein Teilbereich, sondern als eine Perspektive auf die (Post-)Systematische Theologie hat einen doppelten Vorteil: Einerseits kann das Anlie-

Eschatologie und der Erwartungshorizont des Wahrnehmens

Vorteile

44

Prolegomena

gen derjenigen Theologen aufgenommen werden, die wie Karl Barth, Wolfhart Pannenberg, Jürgen Moltmann u. a. der Ansicht sind, dass das Christentum als Ganzes Eschatologie ist. Im Unterschied etwa zu Pannenberg ist die eschatologische Beschreibung des Christentums aber kein exklusiver Weg, neben dem nicht auch andere Beschreibungen denkbar wären. Vielmehr kann andererseits auch das Anliegen von Theologen wie Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher aufgenommen werden, die darauf hinweisen, dass die Eschatologie nicht in den gleichen Bereich wie die Dogmatik gehört, wenn diese sich mit der christlichen Praxis aus der Perspektive des Glaubens befasst. Im Unterschied zu Schleiermacher wird der Gegenstand der Eschatologie aber nicht aus der Erfahrung ausgenommen, sondern es handelt sich bei der Systematischen Theologie als Dogmatik um die Erfahrung des Glaubens im Lichte der Hoffnung und bei der Systematischen Theologie als Eschatologie um die Erfahrung der Hoffnung unter den Bedingungen des Glaubens.

1.3

Alltagssprache und Zukunft

Wir wenden uns nun der Frage zu, wie man sich dem Erwartungshorizont menschlichen Wahrwertnehmens nähern soll. Hier können wir an der Alltagssprache anknüpfen, denn die Alltagssprache kennt zahlreiche Ausdrücke, die sich auf diesen Zukunftsraum beziehen wie „erwarten, erhoffen, befürchten, überrascht sein, unverhofft, imaginieren, vorstellen, enttäuscht sein“ und viele mehr. Darunter sind zwei miteinander verbundene Begriffspaare wichtig, weil wir sie in der Alltagssprache unbewusst in einer sehr festen Bedeutung benutzen. Es handelt sich dabei um das Begriffspaar „erwarten“ und „überrascht sein“ einerseits und das Begriffspaar „erhoffen“ und „befürchten“ andererseits. 1.3.1

§10 Die intellektiven Ausdrücke der Sprache unseres Erwartungshorizontes – Futur und Advent

Die Logik des Erwartungshorizonts in unserer Alltagssprache

Das Erwartete und das Überraschende sowie das Vermutete und das Unvermutete (adventus und futurum)

§10 Die Ausdrücke dessen, was man erwarten kann und dessen, von dem man prospektiv überrascht sein kann, bilden den Erwartungshorizont. Zum Erwartungshorizont kann auch eine Horizont-

Die Logik des Erwartungshorizonts in unserer Alltagssprache

45

erweiterung gehören, d. h. man erwartet das Unvermutete, indem man retrospektiv überrascht wird. Im Alltag haben solche Erwartungen des Unvermuteten einen Erfahrungsgrund, der es u.U. erlaubt, das absolut Unvermutete zum relativ Unvermuteten werden zu lassen. Eschatologie hat die Aufgabe, den Erfahrungsgrund christlicher Erwartung zu benennen und die Möglichkeit einer Unterscheidung des absolut Unvermuteten (adventus) vom relativ Unvermuteten (futurum) wahrzunehmen. Die Ausdrücke „erwarten“ und „überrascht-sein“ sind Ausdrücke Die Logik der zweiter Ordnung, die sich auf einen Satz oder eine Proposition bezie- Überraschung hen. Wir benutzen Ausdrücke wie „ich erwarte, dass …“ und anstelle der drei Punkte kann ein vollständiger Satz stehen. Ebenso verhält es sich mit dem Überrascht-Sein: „ich bin überrascht, dass …“. Beide Begriffspaare richten sich dabei dergestalt auf den Erwartungshorizont der Zukunft, dass sie sich nicht direkt auf Ereignisse beziehen, sondern auf eine unserer Haltungen auf mögliche zukünftige Ereignisse. Diese Haltung ist dabei eine intentionale geistige Einstellung, die im Falle dieses Begriffspaares beschreibt, wie unsere Vernunft als Fähigkeit, auch die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Ereignisse abzuschätzen, zu diesen Ereignissen steht. Die Begriffspaare lassen sich folgendermaßen ineinander umformen: (1) „es ist erwartet, dass …“ (2) „es ist nicht erwartet, dass …“ heißt „es wäre überraschend, dass …“ Entsprechend gilt: (3) „es wäre nicht überraschend, dass …“ heißt „es wird erwartet, dass …“ (4) Daneben gibt es noch zwei weitere Verneinungen, die möglich sind: (5) „es wird erwartet, dass nicht …“ heißt „es wäre nicht überraschend, dass nicht …“ (6) „es wird nicht erwartet, dass nicht …“ = „es wäre überraschend, dass nicht …“78 Beispiele: Wenn ich also nicht erwarte, heute Besuch zu bekommen, dann ist es überraschend, heute Besuch zu bekommen. Wenn ich nicht überrascht bin, heute Besuch zu bekommen, dann habe ich den Besuch erwartet, etc. 78 Ep = „es ist erwartet, dass …“; ÜPp = „es wäre überraschend, dass …“: –Ep=ÜPp; –ÜPp=Ep; –E–p=ÜP–p; –ÜP–p=E–p.

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Prolegomena

Wichtig ist nun, dass diese Ausdrücke auch kombiniert oder iteriert werden können und dadurch jeweils eine andere Bedeutung erhalten. Denn an einem Geburtstag kann ich „erwarten, dass ich überrascht werde“. Ferner gibt es noch einen ganz anderen Gebrauch von „überrascht-sein“, der überhaupt nicht prospektiv mit „es wäre überraschend, dass …“, sondern nur retrospektiv wiedergegeben werden kann: (6) „es ist überraschend, dass …“ heißt „es war unvermutet, dass …“ Denn in den Ausdrücken (1)–(5) ist das Überraschende immer noch das, was ich prospektiv in meinem Erwartungshorizont vorliegen habe, während sich mein Erwartungshorizont durch den retrospektiven Gebrauch verschiebt. Während nun in der normalen Aussagenlogik ein Satz nicht gleichzeitig wahr und nicht wahr sein kann, weil er dann widersprüchlich ist, kann man den retrospektiven Gebrauch von „überrascht-sein“ – also das Unvermutete – genau durch einen solchen, hier aber nur scheinbaren Widerspruch ausdrücken: (7) „es ist überraschend, dass …“, bzw. „es war unvermutet, dass …“ heißt „es war nicht erwartet, dass …“ und „es wäre nicht überraschend gewesen, dass …“.79 Entsprechend lässt sich auch das Vermutete bestimmen: (8) „es war vermutet, dass …“ heißt „es war erwartet, dass …“ oder/ und „es wäre überraschend gewesen, dass …“ Das prospektiv Überraschende und das retrospektiv Überraschende

Diese letzte Art von Überraschendem, das Unvermutete, spielt nun in der Eschatologie eine wichtige Rolle, da wir uns hier mit Letztgültigem, d. h. dem innerweltlichen Transzendenten beschäftigen. Während das Erwartete und das prospektiv Überraschende immer aus unserer gegenwärtigen Welterfahrung abgeleitet werden können, gilt dies für das retrospektiv Überraschende oder Unvermutete offensichtlich nicht. Damit haben wir freilich ein Problem. Denn gilt in diesem Falle nicht „Worüber man nicht reden kann, muss man schweigen“80 ? Offensichtlich ist auch dies nicht so, denn die Iterierung dieser Ausdrücke kann sehr wohl auch so geschehen, dass eine retrospektive Überraschung oder das Unvermutete erwartet wird: „Ich erwarte, überrascht zu werden und weiß nicht wie“. Offensichtlich gibt es im Falle der Iterierung einen Grund, warum man erwartet, überrascht zu werden, der aus dem bisherigen narrativen Medium

79 ÜRp=–Ep&–ÜPp. 80 Wittgenstein, L., Tractatus, 7.

Die Logik des Erwartungshorizonts in unserer Alltagssprache

des Wahrwertnehmens stammt. Beispielsweise kann dieser Grund mein bevorstehender Geburtstag sein. Dieser Grund kann auch so aussehen, dass in gewissen Grenzen das retrospektiv Überraschende oder Unvermutete dann doch relativ prospektiv überraschend oder relativ unvermutet sein kann: Nämlich dann, wenn ich z. B. erwarte, an meinem Geburtstag durch ein Geschenk überrascht zu werden. In diesem Falle ist das Überraschende dann bzgl. einiger Eigenschaften das prospektiv Überraschende, nämlich hinsichtlich des Charakters als Geschenk, hinsichtlich seiner Konkretion bleibt es aber das retrospektiv Überraschende. Am besten bezeichnet man es daher als das relativ retrospektiv Überraschende. Christliche Eschatologie beschäftigt sich nun genau mit dieser Erwartung des relativ retrospektiven Überraschenden. Denn Christen entnehmen aus ihrer Glaubenserfahrung einen Grund, der sie das retrospektiv Überraschende, das völlig Unvermutete, erwarten lässt. Dabei ist anzunehmen, dass das völlig Unvermutete durch die Art der Glaubenserfahrung aber zum relativ Unvermuteten wird, d. h. dass sich einerseits bestimmte Eigenschaften dessen, was man aufgrund der Glaubenserfahrung erwartet, sehr genau bestimmen lassen, dass andererseits aber andere Eigenschaften völlig unvermutet bleiben. Aber auch über diesen eschatischen Überraschungsvorbehalt macht die christliche Literatur z.T. Aussagen. Diese haben dann allerdings weniger begriffliche Funktion, sondern verbleiben in einer Bildersprache. Da die Unterscheidung zwischen diesen beiden Redearten in unterschiedlichen christlichen Theologien unterschiedlich bestimmt wird, ergeben sich auch unterschiedliche Eschatologien. Diese an der Alltagssprache gewonnene Unterscheidung zwischen dem prospektiv Überraschenden und dem relativ retrospektiv Überraschenden entspricht in etwa der in der Theologiegeschichte gewonnenen Unterscheidung der Zukunftsbegriffe von adventus und futurum.81 Eine wichtige Aufgabe der Eschatologie wird daher darin bestehen, den Grund für die christliche Hoffnung zu spezifizieren und zu fragen, wie weit dieser Grund den alltäglichen Erwartungshorizont derart verschiebt, dass das absolut Unvermutete zum relativ Unvermuteten wird.

81 Diese Unterscheidung wird u. a. von Arthur Rich, Jürgen Moltmann, Emil Brunner, Gisbert Greshake u. a. genutzt; für Belege vgl. Körtner, U.H.J., Evangelische Sozialethik, 100 und Brunner, E., Das Ewige, 26.

47

Eschatologie und das relativ retrospektiv Überraschende

Futurum und Adventus

48

Prolegomena

1.3.2

§11 Die affektiven Ausdrücke der Sprache unseres Erwartungshorizonts

Die Logik der Hoffnung

Das Erhoffte und das Befürchtete sowie das Zufriedenstellende und das Enttäuschende

§11 Menschen blicken prospektiv erhoffend und befürchtend in die Zukunft und retrospektiv befriedigt und enttäuscht. Christliche Eschatologie, so kann man vermuten, hat die Hoffnungen und Befürchtungen sowie das Zufriedengestelltsein und die Enttäuschungen des weltlichen Erwartungshorizonts unter der Perspektive letztgültiger Hoffnungen und Befürchtungen auf der Basis des christlichen Glaubens zu ihrem Gegenstand. Während Erwartung und Überraschung eine intentionale oder geistige Haltung unserer Vernunft auf den Erwartungshorizont der Zukunft darstellen, nehmen wir mit dem Begriffspaar „erhoffen“ und „befürchten“ einen affektiven Respons gegenüber dem zukünftigen Erwartungshorizont ein. Auch der Gebrauch dieser beiden Begriffe folgt in unserer Alltagssprache einer recht strengen Logik, allerdings einer anderen. Beide Begriffe werden folgendermaßen benutzt: (1) „Es wird erhofft, dass nicht …“ heißt „es wird befürchtet, dass …“ (2) „Es wird befürchtet, dass nicht …“ heißt „es wird erhofft, dass …“ Faktisch verbindet man noch eine andere Konnotation mit diesen Ausdrücken, da man in der negativen Ausdrucksweise von (2) nicht einfach eine positive Hoffnung zum Ausdruck bringt, sondern diese für unwahrscheinlicher hält. Manchmal ist der sprachliche Gebrauch bei diesen Begriffen auch etwas verwirrend, weil nicht nur die Verneinung des erhofften Sachverhalts, sondern auch die Verneinung des Hoffens selbst als Furcht wiedergegeben wird: (3) „Ich hoffe nicht, dass …“ heißt „ich fürchte, dass …“ Diese unterschiedlichen wechselseitigen Umformungsmöglichkeiten vom Erhofften und Befürchteten machen es in der Praxis nötig, sehr genau auf den Kontext zu achten, in dem die beiden Ausdrücke gebraucht sind. Während „erwarten“ und „befürchten“ in der Regel prospektiv gebraucht werden, beziehen sich die Ausdrücke „zufrieden sein mit“ und „enttäuscht sein von“ retrospektiv auf die menschlichen Haltungen des prospektiven Erhoffens oder Befürchtens. Diese Ausdrücke diagnostizieren somit eine Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung des Eingetretenen mit dem zuvor Erhofften oder Befürchteten

Die Logik des Erwartungshorizonts in unserer Alltagssprache

49

und geben unsere affektive Einstellung der Lust oder Unlust bezüglich der Geschehnisse wieder: (4) „es ist enttäuschend, dass …“ heißt „es war erhofft, dass …, und es ist nicht geschehen, dass …“ (5) „es ist befriedigend, dass …“ heißt „es war erhofft, dass …, und es ist geschehen, dass …“ Die Bildung weiterer Umformungsmöglichkeiten sei hier der Leserin oder dem Leser überlassen. Für uns ist hier wichtig, dass sich Eschatologie nicht nur einfach mit dem Erwartungshorizont des Erwarteten, Überraschenden, Vermuteten und Unvermuteten – also mit der Haltung der vernünftigen Wahrscheinlichkeit auf zukünftige Geschehnisse – beschäftigt, sondern auch mit der affektiven Haltung des Hoffens, Fürchtens, Zufriedenseins oder Enttäuschtseins. Christliche Eschatologie scheint in der Regel beide Arten zu beinhalten, Erhofftes, wie es in der Rede etwa vom ewigen Leben zum Ausdruck kommt, als auch Befürchtetes, wie es vielleicht die traditionelle Rede vom „Gericht“ zum Ausdruck bringt. 1.3.3

Wünsche erster und zweiter Ordnung

§12 Wünsche zweiter Ordnung bezeichnen die Fähigkeit, sich auf §12 Wünsche erster einen Wunsch erster Ordnung noch einmal wollend beziehen zu und zweiter Ordnung können und steuern wesentlich unser Handeln. Indem sich Eschatologie mit Wünschen erster und zweiter Ordnung und ihrem Grund befasst, ist sie eine praktische und ethische Wissenschaft. Das, was erhofft oder befürchtet wird, richtet sich oft nach unseren Kann man wünschen, Wünschen oder Handlungszielen. Beides muss nicht identisch sein. etwas nicht zu wünschen? Denn ich kann wünschen, dass mir etwas passiv widerfährt, ohne es als Absicht anstreben zu können. Ferner kann ich etwas absichtlich anstreben, ohne dass ich dies wirklich wünsche; ich nehme dann eine auszuführende Handlung in Kauf. Wir gebrauchen dabei den Ausdruck „wünschen“ oder „wollen“ in mindestens zwei unterschiedlichen Weisen: Einmal kann „wünschen“ oder „wollen“ das bedeuten, was ich unmittelbar tun oder erhalten will. Zum anderen kann ich mich aber auf diesen Wunsch erster Ordnung noch einmal wollend beziehen, indem ich diesen Wunsch erster Ordnung will oder nicht will. Diese „Wünsche zweiter Ordnung“ ermöglichen es nach Harry

50

Prolegomena

G. Frankfurt,82 dass ich etwas, was ich bei einem Wunsch erster Ordnung nicht will, dann letztlich doch tue. Ein Beispiel: Ich möchte im Sinne eines Wunsches erster Ordnung nicht wirklich durch den Regen laufen, sondern im Trockenen bleiben: „Ich will jetzt trocken bleiben“. Als Wunsch zweiter Ordnung kann ich diese ungemütliche Tat aber dennoch vollziehen, etwa weil mein Wunsch zweiter Ordnung in diesem Fall davon abhängig sein könnte, dass es medizinisch sinnvoll ist, sich jeden Tag eine Stunde zu bewegen: „Ich will nicht wollen, jetzt trocken zu bleiben“. Ein anderes Beispiel wäre vielleicht Röm 7,19: „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ Während Wünsche erster Ordnung oft von der momentanen affektiven Lage abhängig sein können, werden Wünsche zweiter Ordnung in der Regel von meinem Wahrwertnehmen der Welt, meinen ethischen oder religiösen Vorstellungen gesteuert. Christliche Eschatologie beschäftigt sich auch mit diesen Wünschen zweiter Ordnung und der Frage, wie diese zustande kommen oder motiviert werden. Da diese Wünsche zweiter Ordnung unser Handeln wesentlich beeinflussen, dürfte deutlich sein, dass Eschatologie damit auch eine eminent praktische und ethische Bedeutung hat. 1.3.4

§13 Eschatologie und objektive Elemente des Erwartungshorizonts

Zukunft und Möglichkeit

Die Zukunft als Möglichkeitshorizont

§13 Eschatologie wird sich nicht nur mit den Haltungen, mit denen Menschen in den Erwartungshorizont schreiten, beschäftigen müssen, sondern auch mit den nötigen Verständnissen von Zeit und Ewigkeit. In den drei letzten Teilabschnitten über die Strukturierung alltagssprachlicher Begriffe, die sich mit dem Erwartungshorizont des Handelns befassen, haben wir stillschweigend vorausgesetzt, dass der Erwartungshorizont gegenüber Vergangenheit und Gegenwart auf die Zukunft gerichtet ist und dass diese Zukunft nicht wie Vergangenheit und Gegenwart faktische und aktuale Sachverhalte bezeichnet, sondern mögliche Sachverhalte. Tatsächlich gehen wir in der Alltagssprache in der Regel davon aus, dass die Zukunft das Reich der Möglichkeit ist. Dies beinhaltet die stillschweigende Annahme, dass die Zukunft zumindest in gewissen Grenzen offen und nicht fest determiniert ist. Aber auch diese Prima-facie-Annahme kann sowohl aus phi-

82 Vgl. Frankfurt, H.G., Willensfreiheit.

Die Gliederung der Eschatologie

51

losophischen als auch aus theologischen Gründen bestritten werden und wurde auch bestritten. Beide Meinungen hätten unterschiedliche Auswirkungen auf die Möglichkeit eschatologischer Aussagen. 1.3.5

Das Eschatische und das Eschatologische

§14 Sofern von dem den weltlichen Erwartungshorizont transzendierenden ewigen Erwartungshorizont auf der Basis des christlichen Glaubens sowie ihn beinhaltender Sachverhalte die Rede ist, wird vom Eschatischen gesprochen; sofern dieses Eschatische Gegenstand der wissenschaftlichen Rede ist, ist vom Eschatologischen die Rede.

§14 Das Eschatische betrifft unseren Erwartungshorizont, das Eschatologische die wissenschaftliche Reflexion

Abschließend zu unserer sprachlichen Untersuchung bedarf es noch einer nützlichen Festlegung, die nicht aus der Alltagssprache stammt, sondern eine terminologisch-stipulative Definition ist, die aber zunehmend in der Theologie Verbreitung83 findet. Es handelt sich um die in diesem Paragraphen definierte Unterscheidung zwischen dem Eschatischen und dem Eschatologischen. Das Eschatologische steht zum Eschatischen im Verhältnis einer Metasprache zu ihrer Objektsprache.

1.4

Die Gliederung der Eschatologie

§15 Zunächst ist von den Eschatoi, den trinitarischen Personen §15 Der Aufbau des einschließlich Christus als dem Eschatos im Sinne des Grundes Buches: christlicher Hoffnung zu sprechen (Kap. 2). Darauf ist zu fragen, welche Auffassung vom Eschaton, also vom Letztgültigen oder der Ewigkeit, dieser Grund mit sich bringt (Kap. 3). Letztlich ist nach den konkreten Präeschata, den vorletzten Dingen (Kap. 4) sowie nach den Eschata, den letzten Dingen (Kap. 5), als einzelne Themen der christlichen Hoffnung zu fragen. Die einzelnen Präeschata und Eschata werden unter personaler, sozialer und kosmischer Perspektive in den Blick genommen.

83 Vgl. Härle, W., Dogmatik, 605.

52

Prolegomena

Die Begründung des Aufbaus dieses Buches

Die systematische Ableitung des Eschatologiebegriffs aus dem phänomenalen Wahrwertnehmen sowie dessen Spezifizierung der Untersuchung derjenigen alltäglichen Begriffe, mit deren Hilfe wir sprachlich auf den im Wahrwertnehmen mitgegebenen Erwartungshorizont Bezug nehmen, erlaubt es nun, die Ergebnisse der Begriffsgeschichte des Eschatologiebegriffs zu ordnen und daraus eine Gliederung für das vorliegende Buch zu gestalten. Die Rede von den Eschata als den zeitlich letzten oder ontisch letztgültigen Dingen bringt zum Ausdruck, dass sich menschliches Wahrwertnehmen und Leben immer in einem Erwartungshorizont zukünftiger Ereignisse vollzieht, der einschließt, dass auch das transzendent Unvermutete erwartet wird. Davon zu unterscheiden sind diejenigen präeschatischen Dinge, die sich auf den Erwartungshorizont beziehen, insofern er sich auf vermutete Ereignisse bezieht. Dabei ist aber vorausgesetzt, dass menschliches Wahrwertnehmen immer nur auf Basis eines Vertrauens möglich ist, das nicht nur das bereits Wahrwertgenommene betrifft, sondern auch den Erwartungshorizont. Daher handelt es sich um ein Vertrauen oder einen Glauben, der alle Response, einschließlich des willentlichen Handelns leitet, weil er dem Wahrwertnehmenden gewiss erscheint, so dass dieses Vertrauen für ihn letztgültige Bedeutung hat. Die Erfahrungen unserer räumlichen und zeitlichen Welt sind damit immer in einen Horizont einer Ewigkeitsauffassung gesetzt, einer Auffassung, was das Letztgültige ist. Daher hat auch die Rede von dem Eschaton (n.) ihre Berechtigung. Will man aber von den Eschata, den Präeschata, und dem Eschaton sprechen, muss man auch nach dem Grund der Rede von den Eschata, den Präeschata und dem Eschaton fragen. Aus christlicher Sicht wird dieser Grund nicht unter Absehung von Person und Werk Jesu Christi bestimmbar sein, so dass auch die Rede von dem Eschatos, der letztgültigen Person, ihre Berechtigung hat. Die Untersuchung dieses Grundes christlicher Hoffnung wird dabei zeigen, dass nicht von dem Eschatos als „letzter“ Person, sondern von den Eschatoi als „letzten“ Personen gesprochen werden muss. Damit ist aber der weitere Aufriss des Buches wie in §16 bestimmt. Da der Eschatologiebegriff aus dem phänomenalen Wahrwertnehmen gewonnen wurde, das Wahrnehmen aber stets personale, soziale und kosmische (natürliche) Aspekte beinhaltet, gilt auch § 17. Dabei werden im Anschluss an die jeweiligen Problemformulierungen Typen von Lösungsmöglichkeiten aus der Theologiegeschichte vorgestellt und exemplifiziert, um anschließend einen positionellen Problemlösungsvorschlag zu unterbreiten.

2.

Vom Eschatos zu den Eschatoi

2.1

Begründungswege eschatologischer Aussagen

2.1.1

Fehlwege der Begründung

§16 Weder aus der Schrift allein, noch aus der Verkündigung des historischen Jesus allein, noch aus der Tradition allein, noch aus den Inhalten der Glaubenserfahrung allein lassen sich eschatologische Aussagen begründen. Die Reflexion auf phänomenales Wahrnehmen hat gezeigt, dass sich Wahrnehmen und seine Response stets in einem Erwartungshorizont vollziehen, der durch den Ereigniseintritt zunächst zukünftiger Ereignisse, die retrospektiv überraschend sind, verschoben wird, so dass sich auch das, was nur als retrospektiv überraschend gekennzeichnet werden kann, weil es vor dem Ereigniseintritt überhaupt noch nicht zum Erwartungshorizont gehörte, nun zumindest erwartet werden kann und damit zum nur noch relativ retrospektiv Überraschenden wird: Man erwartet, dass etwas geschehen wird, vielleicht kann man schon bestimmte Eigenschaften benennen, andere bleiben aber unbenennbar. Auch für christliches Handeln im christlichen Erwartungshorizont gilt dies, und sogar in besonderer Weise. Ist dies so, kann gefragt werden, wie diese Unterscheidung zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit im relativ Überraschenden möglich ist, oder anders ausgedrückt: Was ist der Grund der christlichen Erwartung und der Unterscheidung hinsichtlich des Überraschenden? Denkbar wären dabei u. a. folgende Möglichkeiten: 1) Man orientiert sich an biblischen Aussagen über die Zukunft. 2) Man orientiert sich an der Verkündigung Jesu, die die Zukunft betrifft.

§16 Schrift, historischer Jesus, Tradition und Glaubenserfahrung sind je für sich nicht Grund Mögliche Begründungen eschatologischer Rede

54

Vom Eschatos zu den Eschatoi

3) Man orientiert sich an der Tradition und den Bekenntnissen. 4) Man orientiert sich an der Person Jesu. 5) Man orientiert sich an der eigenen Erfahrung des Glaubens. Direkte biblische Aussagen als Grund

Die Tradition als Grund

Der historische Jesus und seine Lehre als Grund

Die erste Möglichkeit, sich einfach an biblischen Zukunftsaussagen zu orientieren, ist kein gangbarer Weg. Denn innerhalb der vielfältigen Sprachwelt des AT und NT wird nur gelegentlich eine Unterscheidung zwischen der Bestimmtheit und Unbestimmtheit des relativ Erwarteten vorgenommen. Viel häufiger handelt es sich um Sprachformen, etwa in der bildgewaltigen Sprache der Offenbarung des Johannes (Apk), die diese Unterscheidung nicht macht. Ferner besitzt die Schrift keine Theologie, sondern eine Pluralität von theologischen Ansätzen ihrer jeweiligen Verfasser und Redaktoren. Entsprechend müsste man auf unterschiedliche Begründungen stoßen, die jeweils unterschiedliche Erwartungen freisetzen. Damit aber stünde man wieder am Anfang. Aber auch wenn all diese Einwände nicht gelten würden, wäre der Weg der direkten Ableitung eschatologischer Aussagen aus Schriftworten nicht gangbar, denn grundsätzliche Erwägungen stehen dem entgegen: Die Schrift ist nicht das christliche Leben, sondern der Umgang mit der Schrift gehört zur christlichen Praxis. Die Schrift ist auch nicht das direkte Wort Gottes, sondern Wort Gottes nur im abgeleiteten Sinn, insofern sie von Jesus Christus als Wort Gottes zeugt. Ferner ist die Grenze zwischen Schrift und Tradition fließend: Es waren Traditionsprozesse, die dem Kanon der Schrift seine heutige Gestalt gegeben haben. Damit kommt man aber auch nicht zur dritten Möglichkeit, die gesamte Tradition als Grund für eschatologische Aussagen anzunehmen. Denn die Tradition ist nichts anderes als das christliche Leben in seiner geschichtlichen und sozialen Gestalt durch die Zeiten hinweg. Wenn wir aber nach dem Grund der Möglichkeiten von Aussagen über eschatologische Aussagen des christlichen Lebens fragen, kann dieser nicht mit dem christlichen Leben selbst identisch sein. Die Schrift ist Wort Gottes, soweit sie auf Jesus Christus verweist. Müsste es dann nicht möglich sein, aus der Verkündigung Jesu den Grund eschatologischer Aussagen zu gewinnen? Diese Möglichkeit würde bedeuten, eschatologische Aussagen auf der historischen Jesusforschung zu begründen. Diese brächte aber ganz unterschiedliche Ergebnisse mit einer großen Bandbreite hervor: Müsste man versuchen, an der „konsequenten Eschatologie“ Albert Schweitzers doch irgendwie positiv anzuknüpfen? Oder wäre die „realisierte Eschatologie“ Charles Dodds der Ausgangspunkt? Aber auch abgesehen von möglichen divergenten Ergebnissen der historischen Forschung

Begründungswege eschatologischer Aussagen

55

ergeben sich eine Reihe von grundsätzlichen Schwierigkeiten: Die historische Forschung beschäftigt sich mit Aussagen oder Schriften des christlichen Lebens und setzt die christliche Praxis daher voraus, kann sie also nicht begründen. Aber selbst wenn dieser Einwand nicht gültig wäre, hätte dies die Konsequenz, dass derjenige der bessere Eschatologe wäre, der der bessere Historiker wäre. Aber auch wenn diese Möglichkeit offen stünde, wäre es keine Begründung, weil auch in der historischen Forschung immer schon vorausgesetzt ist, dass es die Verkündigung der Person Jesu wäre, die hier relevante Ergebnisse liefert, nicht die Verkündigung anderer Personen. Die Entscheidung, dass Schriften, die von dieser und nicht von anderen Personen zeugen, relevante Ergebnisse liefern, kann aber selbst keine Entscheidung historischer Forschung sein. Die Möglichkeit einer direkten Ableitung des Grundes aus dem Die Inhalt der Glaubenserfahrung, d. h. aus dem, was der Christ in sei- Glaubenserfahrung als Grund nem Alltag erfährt, scheidet ebenfalls als Begründung aus: Denn das christliche Leben beinhaltet zwar eschatische Aussagen in ihrer ganzen Vielfältigkeit. Aber da der Gegenstand der Eschatologie gerade dieses Leben ist, kann es nicht sein eigener Grund sein. Auch in diesem Falle wäre man in einer Tautologie gefangen und Eschatologie wäre nichts anderes als eine banale empirische Sammlung von Zukunftsvorstellungen, die bei Christen vorkommen. 2.1.2

Der Eschatos als Grund eschatologischer Aussagen?

§17 Der Grund eschatologischer Aussagen besteht in der Bedingung der Möglichkeit christlichen Wahrwertnehmens, d. h. in der Bedingung der Möglichkeit von christlichem Denken, Glauben, Lieben und Hoffen. Der Grund kann nicht vorschnell mit Christus identifiziert werden, weil innerhalb des christlichen Wahrnehmens Elemente erscheinen, deren Subjekt nicht einfach mit Christus gleichzusetzen ist. Nach dem Grund eschatologischer Aussagen zu fragen bedeutet, die Frage nach der Konstitution christlichen Wahrwertnehmens, d. h. die Frage nach der Konstitution von christlichem Glauben und Hoffen und Lieben, zu stellen.

§17 Die Konstitution christlichen Wahrwertnehmens als Begründung eschatologischer Rede

Auf diese Weise des Scheiterns der anderen Möglichkeiten nach der Die Person Jesu Suche eines Grundes eschatologischer Aussagen kommen wir zur Christi als Grund Möglichkeit, die Person Christi selbst als den Grund verantwortlicher eschatologischer Aussagen anzunehmen. Dies wäre die Möglichkeit,

56

Vom Eschatos zu den Eschatoi

Kählers christologische Begründung der Eschatologie

Vor- und Nachteile der christologischen Begründung

die, beginnend bei Isaak August Dorner und Martin Kähler bis hin zu John A.T. Robinson, oft gewählt wurde. Man stünde ferner im Einklang mit innerbiblischen Begründungsversuchen, wie etwa bei Paulus, der diesen Weg beispielsweise in 1.Kor 15 geht. Es könnte sich daher lohnen, diesen Weg etwas genauer ins Auge zu fassen, exemplarisch am Beispiel Kählers, der hierzu einen der anspruchsvollsten Zugänge liefert: Bei Kähler ist die Eschatologie ganz in der Person Christi begründet, von der Kähler in dreifacher Weise spricht: Ausgangspunkt aller Theologie ist der Christ, der sich durch Erfahrung der Gemeinschaft mit Gott gewiss ist. Diese Gewissheit aber ist die Wirkung der Rechtfertigung, die wiederum die Wirkung des erhöhten und dem Glaubenden präsenten Christus ist,1 der selbst gegenwärtiger Täter des Zustandekommens partikular menschlichen Glaubens ist. Dieser Christus ist der „übergeschichtliche“ Christus.2 Diese Erfahrung des Christus im Leben der Glaubenden ist aber zurückgebunden an den geschichtlichen Christus, wie er durch die Schrift bzw. die Evangeliumsverkündigung erkennbar ist. Das Evangelium ist aber immer auf ein partikulares vergangenes historisches Ereignis, das Christusereignis, d. h. auf das Versöhnungswerk Christi in dessen Leben, Tod und Auferstehung bezogen.3 Dies ist der geschichtliche Aspekt Christi. Der geschichtliche Christus und der übergeschichtlich gegenwärtige Christus praesens sind aber identisch, denn beide zusammen sind der biblische oder reale Christus, der Versöhner. Dieser selbst wird als das Realprinzip des Protestantismus bezeichnet. Dogmatik als wissenschaftliche Aussage über den christlichen Glauben4 findet folglich ihr Materialprinzip in der „Soterologie“, in der Lehre vom Versöhner. Diese beinhaltet die Aspekte des Werkes Christi (geschichtlicher Aspekt) und der Aneignung des Werkes Christi (Soteriologie, übergeschichtlicher Aspekt) sowie davon abgeleitet auch die Lehre von der Person Christi. Entscheidend ist nun, dass nicht einer der beiden Aspekte, material oder formal, überbetont wird.5 Der Vorteil dieses Ansatzes Martin Kählers besteht offensichtlich darin, dass er in der Person Christi die anderen, jeweils als defizitär erkannten Ansätze, integrieren kann, indem die gegenwärtige

1 2 3 4 5

Vgl. Kähler, M., Wissenschaft, 92f. 188. Vgl. Kähler, M., Wissenschaft, 217f. 222. Vgl. Kähler, M., Lehre von der Versöhnung, 46–51. Vgl. Kähler, M., Lehre von der Versöhnung, 58. Vgl. Kähler, M., Lehre von der Versöhnung, 62. Kähler nennt hier Schleiermacher und Menken als Beispiele für jeweils gegenteilige Irrtümer.

Begründungswege eschatologischer Aussagen

Glaubenserfahrung als die Wirkung der Person Christi erkannt wird, indem man zur Person Christi nur durch die Schrift Zugang hat oder indem der übergeschichtliche Christus auch als das die Geschichte zusammenhaltende Prinzip bezeichnet wird und somit auch die Tradition integriert ist. Dennoch ergeben sich auch gegen diesen Ansatz eine Reihe von Bedenken: Ist wirklich Christus überall hier das Subjekt? Wird nicht traditionell die Wirkung der Rechtfertigung dem Geist zugeschrieben? Geht es in der Eschatologie wirklich immer nur um Christus als Subjekt, oder werden hier nicht auch traditionell Aussagen getätigt, die gerade nicht Christus, sondern etwa den Geist (z. B. 1.Kor 15,44) oder den Vater (z. B. Joh 14,2) als Subjekt benennen? Die Stärke von Kählers Ansatz besteht darin, dass er das historische Geschehen um Christus, die Verkündigung dieses Geschehens in der Geschichte von Schrift und Tradition sowie die gegenwärtige Glaubenserfahrung organisch in einem Prinzip verbunden weiß und diese Elemente nicht gegeneinander ausspielt. Die Stärke besteht ferner darin, dass Kählers Ansatzpunkt letztlich zwar bei der Glaubenserfahrung ansetzt, nicht aber bei deren Faktizität – denn dann würde man wieder in den Zirkelschluss des christlichen Lebens fallen und das Faktische zum Normativen erheben –, sondern bei der Frage nach der Konstitution dieses christlichen Glaubens. Obwohl Kähler gewissermaßen zwischen Schleiermacher und Barth schreibt, kann er mit diesem Ansatz Einseitigkeiten vermeiden, weil er Erfahrung nicht gegen Offenbarung ausspielen muss. Die Schwäche seines Ansatzes besteht allerdings darin, dass er innerhalb dieser organischen Verbindung von Christusgeschehen, Schrift, Tradition und Erfahrung das diese Elemente zusammenhaltende Subjekt nur noch willkürlich bestimmen und mit Christus identifizieren kann, so dass plötzlich das Problem entsteht, dass einzelne Elemente seines organischen Begründungsversuchs als dieses einheitliche Subjekt keineswegs die Person Christi benennen. Kählers eschatologischer Begründungsversuch kann damit als Beispiel einer falsch verstandenen Zentrierung aller Theologie auf Christus hin verstanden werden, als Beispiel eines Christomonismus.

57

58

Vom Eschatos zu den Eschatoi

§18 Christlicher Glaube als Weise des Wahrwertnehmens in der Verschränkung der Geschichten

2.2

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

2.2.1

Glaube als Art und Weise des Wahrwertnehmens und als Weglinienperspektive

§18 Christlicher Glaube ist eine Weise des Wahrwertnehmens – weil er das Wahrnehmen bildet – oder eine Weglinienperspektive – weil er sowohl das Werden des Wahrnehmenden als auch das Wahrgenommene bildet – in der Verschränkung der Geschichte des Evangeliums mit der Geschichte der Glaubenden. In dieser Verschränkung der Geschichten erkennt der Glaubende das Evangelium als die Wahrheit, den Kanon und die Richtschnur seiner Lebensgeschichte an, weil er anerkennt, dass sein eigenes Werden durch das Werden des Evangeliums geschieht. Diese Verschränkung bezieht sich nicht nur auf die sekundäre Narrativität – d. h. das durch menschliche Zeichenkommunikation Kommunizierbare –, sondern auch auf die primäre Narrativität – d. h. das Werden des Wirklichen selbst. Die Verschränkung kann auch als starke Immersion beschrieben werden. Weglinien können doppelt beschrieben werden: erstens abstrahiert als transport, der intentional ist, eine Vorgängigkeit von Zielen oder Punkten kennt, ein Netzwerk bildet und der zur Beschreibung klassifikatorisches Wissen benötigt, sowie zweitens realistisch als wayfaring, das attentional ist, eine Vorgängigkeit der Linien vor den Punkten kennt, das ein Gewebe bildet, das narratives Wissen benötigt und prinzipiell unabgeschlossen und offen ist. Die Frage der Glaubenskonstitution, d. h. die Frage, wie Glaube zustande kommt, kann adäquat nur auf die zweite genannte Art und Weise, d. h. wayfaring-artig, beschrieben werden. Sie bedarf daher einer theologischen Beschreibung. Dies erfordert, dass eine Konkordanz zwischen der Erklärung der Glaubenskonstitution mit den Inhalten des Glaubens, d. h. mit den Inhalten des Evangeliums, angenommen wird. Das Zustandekommen von Glauben muss daher als Handeln Gottes verstanden werden, das das menschlich-kommunikative Handeln der Glaubenskommunikation (verbum externum) mit einschließt.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

Glaube ist kein Meinen, Vermuten, keine Lehre, keine Interpretation der Wirklichkeit und auch kein Wirklichkeitsverständnis. Glaube ist eine Weise des Wahrwertnehmens oder auch eine Weglinienperspektive. Glaube ist eine Weise des Wahrwertnehmens in einem doppelten Sinne: Erstens setzt Wahrnehmen immer zunächst ein Vertrauen auf das Wahrgenommene, Erscheinende voraus. Dieses rudimentäre Wahrnehmungsvertrauen ist zwar noch nicht der christl. Glaube, entwickelt sich im Laufe der Wahrnehmungsgeschichte aber zu diesem. Denn zweitens ist das Wahrwertnehmen immer narrativ durch ein Gewebe von Geschichten vermittelt, das uns bildet. Kommt es zur Verschränkung der Geschichte des Evangeliums mit der Geschichte des Glaubenden derart, dass der Glaubende die Geschichte des Evangeliums als mit natürlicher Autorität über seine Lebensgeschichte ausgestattet erkennt, ist christlicher Glaube entstanden, weil das Evangelium nun das Medium des Wahrwertnehmens ist. Der Glaubende erkennt dann nicht mehr die Geschichte des Evangeliums als Teil seiner Lebensgeschichte, sondern seine Lebensgeschichte als Teil des Evangeliums. „Evangelium“ meint hier natürlich keine literarische Gattung. Sondern dasjenige Geschehen der promissio, der Verheißung der guten Nachricht, die in Jesus Christus sicht- und lesbar wird, indem er Menschen in die basileia tou theou immersiv6 hineinzieht. Dieses Hineinziehen und immersive Eintauchen erscheint zunächst ambivalent. Die eine, negative Seite der Ambivalenz: In der Alltagssprache sprechen wir auch davon, dass wir in etwas hineingezogen wurden, wenn wir in narrative Umstände verwickelt werden, mit denen wir lieber nichts zu tun hätten. In eine Flüssigkeit einzutauchen, bedeutet, dass wir uns in einer fremden, für uns lebensfeindlichen Umgebung bewegen. Aus dieser Sprachwelt ist auch der Ausdruck, dass einem das Wasser bis zum Hals steht, entnommen. Die andere, positive Seite der Ambivalenz ist weniger leicht zu beobachten: Taucht man Salz in Wasser, scheint es zu verschwinden. Es verschwindet aber gar nicht, sondern ist nun im Wasser gelöst, und die gelöste, ionisierte Form ist seine natürliche Umgebung. Ursprünglich ist es aus ihr entstanden. Und natürlich verändert sich auch die Umgebung, etwa wenn ein Salz das Wasser färben mag. Der Grund für diese Ambivalenz besteht in einer starken und einer schwachen Immersion: Die schwache Immersion erlebt der Taucher im klaren, warmen Wasser des Roten Meeres. In der Ostsee geht es anders zu: Nach zwei, 6 Den Gedanken, die Immersion theologisch aufzunehmen und die Distinktion einer schwachen und starken Immersion einzuführen, verdanke ich Konstanze Kemnitzer. Vgl. dazu Kemnitzer, K./Roser, M., Immersion.

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Glaube als Art und Weise des Wahrwertnehmens und als Weglinienperspektive Glaube als Art und Weise des Wahrwertnehmens

Die Ambivalenz der Immersion

Schwache Immersion

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

drei Metern in der Tiefe sieht man die eigene Hand nicht mehr, und kalte Strömungen mögen Angst machen. Hier ist man dem Wasser schon mehr ausgeliefert. Aber immer noch bin ich ich, und das Wasser das Wasser. Beim Eintauchen in Poesie, Romane, Phantasieliteratur, Filme, Computerspiele, beim Surfen im net oder auch dem Eintauchen in bürokratische Strukturen ist es nicht anders. Vielleicht können wir uns vom Medium distanzieren (wie beim Tauchen im warmen, klaren Wasser), vielleicht geht es uns an (wie beim Tauchgang in der trüben, kalten Ostsee). Aber wir scheinen doch wir zu bleiben. Geschützt vom Taucheranzug, und wenn wir keinen haben, zumindest von unserer Haut. Wie man eine Playmobilfigur in ein Wasserglas taucht – viel passiert da nicht. Wäre das die Immersion unseres Lebens – und wir reden ja vom Evangelium, das uns in sich hineinzieht – dann wäre das harmlos. Starke Immersion Nun zur starken Immersion: Tauchen wir Salz in Wasser, oder Seife, oder irgendetwas, was sich auflöst – ganz, mehr, weniger: Jetzt verändert sich der eingetauchte Kristall, löst sich an oder gar auf. Auch das Wasser verändert sich: Ändert die Farbe, den Salzgehalt, den pH-Wert, die Ionenströme. Oder man denke an mehrere Pinsel mit Wasserfarben im Wasserglas: Welche Farbspuren ziehen sich hier durchs Wasser, vermischen sich, bilden neue Farben? Oder man denke an Wasser-Öl- oder Wasser-Alkoholmischungen: Welche Schlieren bilden sich hier und lassen Neues entstehen? Neues entsteht, immer wieder, in Bewegung. Im Falle der schwachen Immersion geschieht ein Eintauchen in ein Element, das eigentlich für den Eintauchenden fremd ist. Im Falle der starken Immersion geschieht ein Eintauchen in etwas, aus dem der Eintauchende eigentlich konstituiert ist, das ihm aber fremd geworden ist. Was ist in diesem Bild ursprünglich? Der feste Salzkristall, der dann aufgelöst wird? Oder die Lösung, aus der dann Kristalle ausfallen? In einer Welt des transport, die wir hinter uns gelassen haben (s.u. in diesem Abschnitt), ersteres; in einer Welt des wayfaring letzteres: Immersion bedeutet dann, anzuerkennen und zu leben, dass wir eben nicht einfach in ein fremdes Medium eintauchen, dem wir immun gegenüber wären oder das uns nur oberflächlich angeht. Nein, wir werden beständig in, mit und unter dem Medium und seinen Strömungen. Wir, die Menschen und andere Geschöpfe sind also keine Gegenstände im Wasser, sondern selbst Strudel und Strömungen, oder – um ein anderes Bild7 zu bemühen – wir werden als meteorologische Atmosphärengebilde wie Tief- und Hochdruckgebiete: Ja, es

7 Vgl. Mühling, M., PST I, 294f.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

gibt ein Inneres – aber nur relativ und beweglich, wie das Auge des Sturms als relative Ruhe nicht scharf von den Winden getrennt ist. Ja, wir sind selbstständig – aber nur weil wir in Beziehung sind, so wie jedes Tief vom Hoch lebt und umgekehrt. Ein Hoch kann aber nicht aus der Atmosphäre auftauchen, sich aus ihr herauslösen. Das ist die starke Immersion: Sie ist kein Vorgang in etwas anderes hinein, sondern ist die Anerkennung der Tatsache, dass wir als Geschöpfe immersive Wesen sind, dass wir ohne Immersion also kein Werden (und schon gar kein Sein) haben. Bei der Immersion in die Geschichte des Evangeliums handelt es sich um eine starke Immersion, denn der Glaubende erkennt sich selbst nicht nur durch das Evangelium als befreit, sondern ursprünglich durch das Evangelium geworden. Sein eigenes primärnarratives Werden erfolgte schon immer innerhalb der Geschichte des Evangeliums, und zwar auch dann, wenn dies ihm erst im Laufe seiner Lebensgeschichte durch sekundärnarrative Vermittlung bewusst wurde. Die primäre Narrativität bezieht sich auf das Werden der Wirklichkeit selbst. Das Wirkliche ist kein Sein, sondern stets ein dynamisches Werden von Geschichten, die gar nicht exakt erzählt werden können. Die sekundäre Narrativität besteht in allen sprachlichen und zeichenhaften Formen, mit denen sich Menschen ausdrücken mögen. Das Evangelium hat offensichtlich eine doppelte Bedeutung: Es hat die primärnarrative Bedeutung, dass Menschen überhaupt nur innerhalb der (primärnarrativen) Geschichte des Evangeliums werden und leben können. Und „Evangelium“ hat die sekundärnarrative Bedeutung der Kommunikation des Evangeliums durch Wort, Tat, verbale und nonverbale Zeichen, durch die das Werden des Lebens als Teil des Evangeliums, der frohen Botschaft, erst durchsichtig wird. Die Wirkung dieser Verschränkung der Geschichten ist, dass nun die Narration des Evangeliums alle Erfahrungen und anderen Elemente des Glaubenden inkorporieren kann, so dass das Evangelium nun dasjenige Medium ist, in dem der Glaubende wahrwertnimmt und in dem das Wahrwertnehmen des Glaubenden gebildet wird. Daher ist Glaube eine Art oder Weise des Wahrwertnehmens. Glaube ist aber nicht nur eine Art und Weise des Wahrwertnehmens, sondern er ist auch eine Weglinienperspektive. Was ist damit gemeint? Wir hatten schon gesehen, dass Wahrwertnehmen immer in Bewegung und immer dynamisch verläuft.8 Eine solche Bewegung ist aber keine sekundäre Verbindung von Wahrnehmungspunkten zu Geschichten, sondern eine dauernde Linie oder ein Weg. Der

8 Vgl. o. Kap. 1.2, §7.

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Primäre Narrativität

Sekundäre Narrativität

Glaube als Weglinienperspektive

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

Wahrnehmende hat nie einen Standpunkt, sondern ist immer bewegt. Selbst dann, wenn sich ein Bergwanderer auf einer Alm ausruhen mag, beschreiben seine Organe des Wahrwertnehmens noch Linien und Kurven, weil weder seine Augen, noch seine Haptik, noch seine Umwelt ruht. Der Wanderer nimmt keinen Standpunkt ein, sondern verlässt metaphorisch gesagt ständig jeden möglichen Standpunkt.9 Will man nun dieses reale Wahrnehmen in Bewegung über das in Kap. 1.2.1, §7 Gesagte hinaus beschreiben, wird man diagnostizieren können, dass es sich um eine dynamische Perspektive handelt, die nicht auf Standpunkte reduzierbar ist. Standpunkte erscheinen in der Wirklichkeit nicht. Daher ist eine Perspektive immer die Perspektive einer Weglinie. Der Begriff der Weglinie meint eine zusammenhängende Folge von Wahrwertnehmungen. Wichtig ist hier nun der Aspekt des Wahrwertnehmens, nach dem sowohl der Wahrgenommene als auch der Wahrnehmende aus dem Wahrnehmen selbst erst emergieren, mit einem relativen Primat des Wahrgenommenen.10 Das bedeutet, dass Wahrwertnehmen weder aktiv noch passiv ist, sondern im Sinne des Altgriechischen ursprünglich medial: Aus dem Wahrwertnehmen erscheinen sowohl das Wahrgenommene als auch der Wahrnehmende. Die Weglinie des Wahrwertnehmens ist daher eine, die gleichursprünglich sowohl den Weg als auch den Wahrnehmenden bildet. Das gilt dann auch für den christlichen Glauben als Medium des Wahrwertnehmens: Er ist eine Weglinienperspektive, weil durch ihn gleichursprünglich der Glaubende als auch seine Umwelt gebildet werden.

wayfaring und transport wayfaring: Attentionalität, Gewebe und narratives Wissen

Gleichzeitig ist die Weglinie immer offen für neues Wahrwertnehmen. Sie hat kein Ende und keinen Zielpunkt. Und das gilt auch für den Wahrnehmenden, der selbst nicht nur eine Weglinie hat, sondern eine solche ist, wie für den christlichen Glauben als Weglinienperspektive. Weglinien können auf zwei Arten beschrieben werden. Auf eine realistische und auf eine abstrakte Weise, als wayfaring und als transport.11 Beschreiben wir Weglinien auf eine realistische Weise, als wayfaring, ist die Weglinie vorgängig und das Primäre. Sie setzt sich nicht aus Punkten, Zielen oder Zwischenzielen zusammen, sondern ihre Verknotungen ergeben erst Punkte und vorläufige Ziele. Die Bewegung auf der Weglinie erfolgt attentional, nicht intentional. Damit ist 9 Vgl. Mühling, M., PST I, 59f und dazu Masschelein, J., E-ducating the Gaze. 10 S.o. Kap. 1.2, §7. 11 Vgl. zum Folgenden die ausführliche Darstellung in Mühling, M., PST I, 123–154. Die Unterscheidung wurde ursprünglich eingeführt von Ingold, T., Lines.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

gemeint, dass der Wahrwertnehmende durch die Widerfahrnisse der Umwelt seine Bewegung stets anpasst und verändert. Die Gesamtheit der Weglinien ergeben ein nicht auf Punkte reduzierbares Gewebe, das letztlich das Gewebe der Wirklichkeit selbst ist. Beschrieben werden kann die Weglinie nur mit narrativem Wissen. Beschreiben wir Weglinien abstrahiert, entsteht transport. Hier sind die Punkte vor den Linien vorgängig. Die Bewegung ist nur eine Scheinbewegung, weil idealerweise alle Ziele und Zwischenziele instantan, sofort, ohne Bewegung erreicht würden. Transport verhält sich intentional, nicht attentional, weil nun vor der eigentlichen Bewegung in einer intentio alle Ziele und idealerweise Zwischenziele feststehen müssen. Was während des Weges erscheint, erscheint entweder nur als Hindernis oder aber muss zweckorientiert einsortiert werden. Transport bildet in seiner Gesamtheit kein Gewebe, sondern ein Netzwerk. Beschrieben werden kann das Netzwerk des transport mit klassifikatorischem Wissen. Transportartige Beschreibungen können für bestimmte pragmatische Zwecke sinnvoll sein. Man darf sie nur nicht mit der Wirklichkeit des Wahrwertnehmens verwechseln, die stets ein Gewebe, kein Netzwerk bildet. Der christliche Glaube sieht aber nicht nur, dass transportartige Beschreibungen faktisch eine Abstraktion der Bewegung des wayfaring darstellen, sondern auch, dass die Gefahr der Verwechslung entsteht: Wer das transportartige Netzwerk für real hält, verhält sich der Wirklichkeit nicht mehr angemessen. Das illustriert sehr schön die Geschichte vom barmherzigen Samaritaner (Lk 10,25–37): Dieser verhält sich attentional, er lässt sich im Werden seiner eigenen Weglinie, in seinen Eingeweiden, rühren und vom Hilfsbedürftigen verändern. Priester und Levit hingegen verhalten sich intentional, nehmen den Hilfsbedürftigen, wenn überhaupt, nicht als Teil ihrer Weglinie wahr, sondern als Hemmung und Störung ihrer transportartigen Bewegung. Aber genau damit verhalten sie sich nicht mehr wirklichkeitsadäquat.

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transport: Intentionalität, Netzwerk und klassifikatorisches Wissen

Gefahr der Verwechslung von wayfaring mit transport

Wie kommt aber nun diese christliche Weglinienperspektive oder Art und Weise des Wahrnehmens – oder kurz, der christliche Glaube – zustande? Diese Frage kann auf zwei Weisen beantwortet werden: Auf eine abstrakte und auf eine realistische Art und Weise. Die abstrakte Art und Weise würde versuchen, von jenseits der Abstrakte Weglinienperspektive des christlichen Glaubens zu argumentieren. Beschreibungen der Glaubenskonstitution Dann kann sie sich des klassifikatorischen Wissens und transportartiger Beschreibungen bedienen. Sie kann psychologische, soziologische und biologische – kurz verschiedene, sog. empirische – Komponenten

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

Konkordanz von Inhalt und Zustandekommen des Glaubens

Offenbarung als Selbstpräsentation und das verbum externum

berücksichtigen. Was eine solche Beschreibung aber nicht kann, ist, aus einer Perspektive über dem Gewebe von Weglinien zu operieren. Sie kann hinsichtlich der Weglinien nicht neutral sein, sondern kann nur von ihrer Weglinienperspektive abstrahieren. Das ist im Falle der Beschreibung des Glaubens aber gleich in zwei Hinsichten verheerend: Denn eine Abstraktion von der Weglinienperspektive bedeutet ja gerade das für den Glauben Spezifische auszublenden. Daher würde erstens eine solche Betrachtung ihrem Gegenstand nicht gerecht und zweitens würde sie mit weltanschaulich unreflektierten Vorurteilen der je eigenen, nun aber unverstandenen Weglinienperspektive behaftet sein. Die realistische Art und Weise der Beschreibung muss sich bewusst sein, dass sie das Zustandekommen des christlichen Glaubens nur von der Weglinie des christlichen Glaubens aus selbst beschreiben kann. Eine realistische Beschreibung der Glaubenskonstitution ist daher eine theologische. Eine solche Beschreibung kann durchaus psychologische, soziologische, neurobiologische oder sonstige Faktoren des ersten, inadäquaten Weges einbeziehen. Aber sie sieht auch, dass diese Beschreibungen nie hinreichend sein können. Das Zustandekommen von christlichem Glauben muss also so beschrieben werden können, dass es mit seinem Inhalt nicht in Widerspruch gerät, sondern dass eine Konkordanz von Inhalt und Zustandekommen besteht. Das bedeutet aber, dass es so beschrieben werden muss, dass das Evangelium nicht nur ein autoritatives Medium des Wahrwertnehmens ist, das man einnehmen kann oder nicht, sondern so, dass es auch berechtigt ist, dass das Evangelium diese Rolle spielt – also zum Kanon und zur Richtschnur der Lebensgeschichte des Glaubenden wird. Diese Konkordanz des Inhalts und der Form des Evangeliums führt dazu, dass angenommen werden muss, dass sich in der Verschränkung der wahrwertnehmungsbildenden Geschichten des Evangeliums mit der Lebensgeschichte der Glaubenden dann tatsächlich auch eine Selbstpräsentation oder Selbstidentifikation des Grundes des Evangeliums entbirgt. Diese Selbstoffenbarung Gottes in der Verschränkung der Geschichten nimmt die sekundärnarrative, menschliche Kommunikationstätigkeit in Dienst, geht aber nicht in ihr auf. Glaube kommt jedenfalls nicht ohne menschliches Mitwirken zustande, denn es sind Menschen, die zum Glauben kommen, indem ihnen vom Glauben erzählt wird: Im Religionsunterricht, in der Predigt, durch Diskussionen über den Glauben oder durch biblische Erzählungen, die Väter und Mütter ihren Kindern bei einer Einschlafzeremonie nahe bringen. All diese sekundärnarrativen Sozialisationsleistungen

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

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des Glaubens fasst die reformatorische Tradition unter dem Begriff des „äußeren Wortes“ (verbum externum) zusammen. Damit aber sind die Bedingungen des Zustandekommens von Glauben, wie schon erwähnt, nicht hinreichend beschrieben. Wenn Gott also in der Geschichte des christlichen Wahrwertneh- Glaubenskonstitution mens identifizierbar ist, ist Gott auch in den Ereignissen, die zur Kon- und Evangeliumskonstitution stitution des Evan-geliums führten und über die die Kommunikation des Evangeliums Auskunft gibt, identifizierbar. Daraus folgt: Die Bedingungen, die zum Zustandekommen des Glaubens einer Person in der Gegenwart führen, müssen dieselben sein, die zum Zustandekommen des Evangeliums und zum Zustandekommen der Schrift und Tradition führten, weil „Schrift“ und „Tradition“ Abkürzungsbegriffe für das Ganze des Gewebes der christlichen Weglinienperspektive sind. 2.2.2

Rechtfertigung und promissio als Inhalt der Glaubenserfahrung

§19 Aus der Erfahrung, dass Glaube als Erschließungsgeschehen in der Verschränkung der Geschichten zustande kommt, lässt sich als Inhalt jeder christlichen Glaubenserfahrung, ob bewusst oder unbewusst, Folgendes ableiten: 1. die Wahrwertnehmung der Geschöpflichkeit. 2. die Wahrwertnehmung der Gefallenheit. 3. die Wahrwertnehmung als Versöhnung und Hoffnung auf Vollendung. Dies gilt nicht nur für alles mögliche Erscheinende, sondern auch für den Glauben selbst, so dass folgt: 1. Glaube ist unverfügbar und hat Geschenkcharakter. 2. Glaube hat promissiven, die Gegenwart unter dem Licht der Zukunft deutenden Charakter. Beides lässt sich zusammenfassen in der Bestimmung, dass die einheitliche Grunderfahrung des christlichen Glaubens und Lebens die Erfahrung der Rechtfertigung allein aus Vertrauen auf die Verheißung (promissio) ist.

§19 Auf die Zukunft gerichtete Verheißung als unverfügbare Grunderfahrung christlichen Glaubens und Hoffens

Die Selbsterschließung des Grundes der Verschränkung der Geschich- Rechtfertigung als ten und damit des Glaubens erschließt nicht nur einfach diesen, son- Inhalt des Evangeliums dern führt auch zu einer Erfahrung des Erschließungsempfängers über sich selbst als Wahrnehmenden in Relation zum Erschließungsurheber sowie in Relation zu anderem welthaft Erscheinenden. Der

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

Wahrnehmung der Geschöpflichkeit

Wahrnehmung der Gefallenheit

Wahrnehmung der Versöhnung und Hoffnung auf Vollendung

konkrete Inhalt dieser Selbsterfahrung eines Glaubenden hängt natürlich konkret von seiner je eigenen Lebensnarration ab. Ist aber das im letzten Abschnitt über die Konstitution des Glaubens Gesagte richtig, gibt es einen gemeinsamen, dreifach inhaltlichen Zug der Erfahrung des christlichen Wahrwertnehmens: 1. Da der Glaube auf die Wirklichkeit des Werdens als Ganze bezogen ist, versteht der Glaubende sein Werden sowie das Werden welthafter Sachverhalte als widerfahren, nicht als hinreichend selbstoder weltkonstituiert. Daher wird in der Sprache des Glaubens alles Erscheinende als Geschöpf wahrwertgenommen, was die Haltung des Dankes mit sich bringt. Dabei handelt es sich, theologisch gesprochen, um die Wahrwertnehmung der Geschöpflichkeit. 2. Gleichzeitig erfährt der Glaubende sich selbst und alles Erscheinende in seinem narrativen Zusammenhang des Werdens als ver-rückt und daher als erlösungsbedürftig und prinzipiell nicht hinreichend durch seine eigene Prozessualität perfektionierbar, was die Haltungen der Klage und der Bitte mit sich bringt. Dabei handelt es sich um die Wahrwertnehmung der Gefallenheit. 3. Zuletzt erfährt der Glaubende aber, dass diese Zurechtrückung im Prinzip vom Grund des Werdens im Kreuzesgeschehen inauguriert und daher auch Gegenstand der Hoffnung für eine letztgültige Perfektion der Werdensprozesse ist. Dabei handelt es sich um die Wahrwertnehmung der Versöhntheit und der Vollendungshoffnung. Für den Prozess des Wahrwertnehmens des Glaubens selbst bedeutet dies: Ein Glaubender erfährt seinen Glauben nicht als selbstkonstituiert oder als Gegebenheit desjenigen weltlich Wahrnehmbaren, dass ihn mitkonstituiert, sondern als Gabe oder Geschenk. Der Glaube geht nie in die Verfügungsgewalt des Glaubenden über. Ob ich morgen, d. h. in Zukunft noch glauben und als Christ leben werde, hängt nicht an mir oder den Menschen, mit denen ich zusammenlebe, zumindest nicht ausschließlich.12 Dass ich auch in Zukunft noch aus dem Glauben leben kann, kann ich auch im Glauben nur hoffen. Damit beinhaltet die Erfahrung des Zustandekommens von Glauben aber nicht nur eine Unverfügbarkeit und den Charakter des Glaubens als Geschenk, sondern auch den Charakter der Hoffnung. Inhaltlich kommt dies durch diejenige Form des Evangeliums zu Ausdruck, die promissio genannt wird: Denn inhaltlich werden nicht einfach Geschichten der Vergangenheit erzählt, die Bedeutung für die Gegenwart haben, sondern stets solche Inhalte, die die Zukunft des Heils versprechen und die die Gegenwart schon unter dieser Zukunft

12 Vgl. zur Problematik Härle, W., Glaube als Gottes- und/oder Menschenwerk.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

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begreifen lassen: „Ich werde bei Dir sein“ (Gen 26,3; Ex, 3,12; Jes 43,2). 2.2.3

Minimalbestimmungen des in der Glaubenserfahrung vorausgesetzten eschatischen Grundes

§20 In der Erfahrung der Konstitution christlichen Glaubens und Hoffens sind bestimmte Minimalbestimmungen des Gottesbegriffs als des eschatischen Glaubens- und Hoffnungsgrundes mitgesetzt. Dabei handelt es sich um: – Gott als das, woran der Mensch sein Herz hängt und wovon er sich alles Gute erhofft; – Gott als das, worüber hinaus Größeres nicht denkbar ist; – Gott als diejenige Wirklichkeit, die die geschichtliche Wirklichkeit ganz bestimmt; – Gott als das, was die Zeit zusammenhält; – Gott als die narrative Integration aller narrativen Weglinienperspektiven unter einer besonderen Weglinienperspektive. Die Minimalbestimmungen Gottes dienen als Kriterien einer narrativen Identifikation Gottes, die eine Selbstidentifikation Gottes sein wird und die auf die Frage, wer Gott ist, Antwort gibt. Die Antwort auf die Frage, wer Gott ist, bestimmt die Antwort auf die Frage, was Gott in seinem Wesen ist.

§20 Die Minimalbestimmungen als Kriterien der Identifikation des eschatischen Grundes

Im letzten Abschnitt wurde implizit als Grund des christlichen Glaubens und damit auch der christlichen Hoffnung „Gott“ angegeben. Allerdings war an semantischen Bestimmungen mit „Gott“ nur verbunden, dass es sich um den nichtweltlichen Ursprung der Glaubenserfahrung – d. h. des Wahrwertnehmens im Evangelium – handelt, was freilich noch sehr wenig, genauer, zu wenig ist. Denn von der Vorstellung, was und wer dieser „Gott“ ist, hängt auch ab, wie die Erfahrung des Glaubens aussieht und welcher Art das Heil sein kann, das dieser Glaube erhofft. Dabei sind die Fragen, was Gott ist und wer Gott ist, zu unterscheiden: Die Frage, was Gott ist, zielt letztlich auf das Wesen Gottes, d. h. auf alle diejenigen Eigenschaften, von denen notwendigerweise geredet werden muss, wenn von Gott die Rede sein soll. Die Frage hingegen, wer Gott ist, zielt auf die Identität Gottes, die nicht durch Eigenschaften bestimmt ist. Dabei ist die Frage, was etwas ist, von der Identität dessen, was gemeint ist, abhängig. Norma-

„Was ist Gott?“ und „Wer ist Gott?“

Eigennamen und Narrationen

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

lerweise, bei welthaften Entitäten, kann die Identität durch Referenz hergestellt werden. Ich kann etwa auf einen Gegenstand zeigen, d. h. mich in einen raumzeitlichen Bezug zu diesem Gegenstand stellen und dann untersuchen, um was es sich handelt. Ein solcher raumzeitlicher Bezug muss aber nicht durch deiktische Handlungen, d. h. durch Zeigen, hergestellt werden. Denn grundlegende Identifikation erfolgt zwar im Anschluss an den analytischen Philosophen Peter F. Strawson13 (gest. 2006) durch raumzeitliche Lokalisation. Aber grundlegende Identifikationsmittel können zum einen auch Eigennamen der zu identifizierenden Gegenstände und zum anderen Identitätsbeschreibungen, d. h. Erzählungen der Ereignisse, in die die zu identifizierenden Gegenstände verwickelt sind, sein. Grundlegend sind dabei die Identitätsbeschreibungen, auf die sich Eigennamen beziehen.14 Für den Gottesbegriff bedeutet dies, dass Gott raumzeitlich durch narrative Identitätsbeschreibungen oder Eigennamen lokalisierbar sein wird, wenn er identifizierbar sein soll. Dabei ist letztlich vorausgesetzt, dass es sich bei dieser Identifikation Gottes um eine Selbstidentifikation Gottes handelt, die durch Menschen nur nachvollzogen wird, wenn den in der Glaubenskonstitution implizierten Bedingungen der Passivität und der Unverfügbarkeit des Glaubens nicht widersprochen werden soll. Wir können diesen Zusammenhang von Identifikation und Wesen Gottes noch an einem Beispiel verdeutlichen: So ist die Bedeutung eines Satzes wie „Gott schafft Heil“ erst einsichtig, wenn die Identität dessen, auf den das Wort „Gott“ referiert, deutlich ist. Wird für Gott z. B. „Baal“ eingesetzt, bezieht sich das gemeinte Heil primär auf die Fruchtbarkeit des Bodens und die Beständigkeit des Wetters. Substituieren wir für „Gott“ „der freie Markt“, wird das Heil in materiellem Gewinn bestehen.15 MinimaleigenschafDie Frage der Identifikation ist der Frage nach dem Wesen oder ten Gottes vor dessen den Eigenschaften von Entitäten zwar vorgängig, aber nicht vollstänIdentifikation dig. Einige Mindesteigenschaften müssen beim Identifikationsakt vorausgesetzt werden oder in diesem selbst erscheinen, weil man ein universe of discourse, aus dessen Menge man den in Frage stehenden Gegenstand identifiziert, voraussetzen muss. Dies gilt für den Fall der Identifikation Gottes in besonderer Weise, weil man zur Identifikation Gottes nicht ganz so einfach auf etwas zeigen kann. Es sind daher Minimalbedingungen nötig, die allgemein und recht abstrakt

13 Vgl. Strawson, P.F., Einzelding, 27–37. 14 Vgl. Jenson, R.W., Triune God, 88. 15 Vgl. Jenson, R.W., ST I, 51.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

angeben, was mit „Gott“ gemeint sein kann. Diese Bedingungen dürften durch einen Vorbegriff von Gott erfüllt werden, der sich aus dem allgemeinen Begriff des Glaubens bzw. des Wahrwertnehmens ergibt. Hier ist u. a. an folgende Kandidaten zu denken: [A] Gott ist das, woran der Mensch sein Herz hängt, wovon er sich alles Gute erhofft, bzw. das, was uns unbedingt angeht.16 Die erste Minimalbestimmung stammt aus Martin Luthers (gest. 1546) „Großem Katechismus“ und Luther präzisiert sie, indem das, woran der Mensch sein Herz hängt, als das bestimmt wird, wovon man sich alles Gute erhofft. Diese Minimalbestimmung entstammt damit unmittelbar dem Konstitutionsgeschehen des christlichen Wahrwertnehmens, weil Glaube hier als Vertrauen auf die in die Zukunft gerichtete Zusage des Evangeliums für alle Lebensbereiche verstanden wird. In dieser Minimalbedingung Luthers ist Gott schon auf den Erwartungshorizont menschlichen Handelns bezogen, und zwar unter dem Aspekt, dass innerhalb dieses Erwartungshorizonts stets Positives erhofft wird. Die zweite angegebene Minimalbestimmung Gottes als das, was uns unbedingt angeht, stammt von Paul Tillich und kann als moderne Paraphrase der Bestimmung Luthers gelesen werden. Allerdings hat sie auch den Nachteil, wesentlich abstrakter zu sein, denn ihr ist der Bezug auf den Erwartungshorizont menschlichen Handelns nicht unmittelbar inhärent. In beiden Fällen gilt: Der Glaube als Vertrauen, das an keine Bedingungen gebunden ist, bestimmt zunächst menschliches Wahrwertnehmen von Selbst und Welt, und ist insofern auch handlungsorientierend. Nur etwas, dem man unbedingt vertrauen kann, kann ein Gott sein. [B] Gott ist das, worüber hinaus Größeres nicht denkbar ist.17 Diese Bestimmung stammt von Anselm von Canterbury (gest. 1109) und Anselm baut darauf sogar einen „Gottesbeweis“ auf. Für unsere Zwecke spielt dieser aber keine Rolle. Wichtig ist vielmehr folgender Sachverhalt. Wir hatten in der Beschreibung des Zustandekommens von Glauben diagnostiziert, dass der Glaube von einer „nicht-welthaften“ Bedingung, d. h. von Gott, abhängig ist. Um zu verstehen, was eine „nicht-welthafte“ Bedingung ist, ist Anselms Definition hilfreich, denn mit ihrer Hilfe kann man zwischen Weltlichem und Nicht-Weltlichem, zwischen Endlichem und Unendlichem, zwischen Nicht-Letztgültigem und Letztgültigem, d. h. Eschatischem, unterscheiden: Wenn Gott als endlich gedacht wird, dergestalt, dass noch Größeres denkbar ist, ist nicht Gott, sondern immer noch Welt

16 Vgl. Luther in BSLK, 560; Tillich, P., ST I, 247–51. 17 Vgl. Anselm von Canterbury, Proslogion, 2. Kap, 84.

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„Woran der Mensch sein Herz hängt“ und „das, was uns unbedingt angeht“

„Das, worüber hinaus Größeres nicht denkbar ist“

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

„Die alles bestimmende Wirklichkeit“

„Das, was die Zeit zusammenhält“

gedacht. Erst wenn Gott so gedacht ist, dass Größeres darüber hinaus nicht gedacht werden kann, ist von Gott die Rede. Mit dieser Definition verbinden sich allerdings auch eine Reihe von Schwierigkeiten wie z. B. die Frage, ob sich dieses Unendliche überhaupt denken lässt. Die meisten dieser Schwierigkeiten können wir zurückstellen, eine sei aber dennoch erwähnt: Der Komparativ „größer“ ist immer eine Eigenschaft zweiter Ordnung. Nichts ist an sich größer als etwas anderes, sondern etwas kann nur in Bezug auf etwas größer sein als etwas anderes. Größe an Macht ist etwas anderes als Größe an Liebe, Größe an Ohnmacht, etc. Gedacht ist bei Anselms Bestimmung natürlich an die Perfektion schlechthin. Aber auch Perfektion bleibt abstrakt, wenn nicht spezifiziert werden kann, worauf sie sich bezieht. Dieses „Worauf “ der Größe ist aber abhängig von der Identifikation Gottes. Daher kann Anselms Minimalbestimmung nur als kritisches Prinzip verwandt werden, nachdem Gott schon durch Selbstoffenbarung bekannt ist. [C] Gott ist die alles bestimmende Wirklichkeit.18 Diese Bestimmung stammt ursprünglich von Bultmann, der sie als Reformulierung des klassischen Allmachtsprädikats Gottes benutzt. Sie wurde von Pannenberg aufgenommen19 und dynamisiert: Insofern Wirklichkeit immer als geschichtliche Wirklichkeit zu verstehen ist, muss Gott als die alles bestimmende Wirklichkeit damit auch dasjenige sein, was die gesamte Geschichte bestimmt. Da die Geschichte aber zeitlich zu verstehen ist, kommen wir zu einer weiteren möglichen Bestimmung: [D] Gott ist das, was die Zeit zusammenhält.20 Diese Bestimmung stammt von Robert Jenson und sie trägt der Zeitlichkeit der Geschichte, die als durch Gott bestimmt gedacht werden soll, Rechnung. Denn da die Vergangenheit nicht mehr existiert und die Zukunft noch nicht existiert, steht die Geschichte in Gefahr, auseinander zu fallen ins nicht-Seiende, denn die Zeitlichkeit bewirkt, dass ein Ereignis von einem anderen abgelöst wird und selbst in der Vergangenheit versinkt. Dieses Minimalverständnis Gottes geht davon aus, dass ein sinnvoller Ereigniszusammenhang nicht nur vom Menschen je subjektiv konstruiert wird, sondern im Glauben objektiv, 18 Vgl. Bultmann, R., Welchen Sinn; Pannenberg, W., Wissenschaftstheorie und Theologie, 304f. 19 Vgl. Pannenberg, W., Wissenschaftstheorie und Theologie, 304f. 20 Vgl. Jenson, R.W., ST I, 54f: „gods are eternities of a certain sort […]. Just so also our actions and with them our lives threaten to fall or be torn between past and future, to become fantastic or empty, unplotted sequences of occurrence that merely happen to befall certain otherwise constituted entities. Human life is possible only if past and future are bracketed by reality that reconciles them in present meaning“.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

wenn auch nur rekonstruiert, erfahrbar ist. Alles, was also nicht „die Zeit zusammenhält“, kann nicht Gott sein. Diesem Aspekt wird mit dieser Bestimmung Rechnung getragen und diese Bestimmung kann am hebräischen Text von Ex 3,14 anknüpfen: „Ich werde sein, der ich sein werde“. Begreift man dies als Minimalbestimmung Gottes, verbindet sich hier zweierlei: Gott bleibt als Minimalbestimmung unbestimmbar, weil sich erst in Zukunft erweisen wird, was Gott sein wird. Aber das, was sich in Zukunft erweisen wird, wird mit dem, was jetzt in der Geschichte geschieht und geschehen ist, kohärent sein. Insofern ist Gott, was immer Gott ist, vertrauenswürdig. Damit ergibt sich auch diese Bestimmung als eine Ableitung aus der beschriebenen Glaubenskonstitution. Jensons Minimalbestimmung hat freilich noch den Nachteil, dass nicht klar ist, in welchem Sinne hier „Zeit“ verwandt ist und was unter dieser Integration zu verstehen ist, die Gott oder die Ewigkeit hier leisten soll. Man kann diese Minimalbestimmung aber so abwandeln, dass sie direkt aus der Verschränkung der Geschichten entstammt: [E] Gott ist die narrative Integration aller narrativen Weglinienperspektiven unter einer besonderen Weglinienperspektive. Diese Definition21 besagt Folgendes: Die Welt besteht aus einem Gewebe unterschiedlicher dynamischer Wahrwertnehmungen, also von Weglinienperspektiven, die immer nur sekundär-narrativ erfasst werden können, weil sie selbst primär-narrativ ein Werden oder Geschehen, nicht aber ein statisches Sein sind. Deutlich ist, dass alles Erscheinende nur von einer solchen Weglinienperspektive aus wahrgenommen, erfasst und auch reflektiert werden kann. Zwar können wir mittels der Inversion von wayfaring in transport von diesem Gewebe abstrahieren, aber eine Abstraktion kann nicht zum Gottesbegriff führen, weil sie Wesentliches immer ausblendet und sich damit nicht auf Gott beziehen würde. Dennoch ist gefordert, dass es beim Gottesbegriff um eine Integration aller Weglinienperspektiven geht und gehen muss. Man könnte auch sagen: Gott ist die Geschichte, die alle besonderen Geschichten einschließlich ihrer Verschränkungen integrieren kann. Allerdings entsteht nun das Problem, dass eine solche Narration nicht möglich zu sein scheint, denn die konkrete Weglinienperspektive darf ja nicht verlassen werden. Würde man die konkreten Weglinienperspektiven verlassen, würde man wieder in der Abstraktion des transport enden, indem man z. B. aus konkreten Narrationen die Abstraktion eines allgemeinen Schemas, eines Narrativs22 oder 21 Vgl. Mühling, M., PST I, 542–548. 22 Zur Definition des Narrativs als allgemeines Schema einer Narration vgl. Mühling, M., PST I, 72–74.

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Die narrative Integration aller Weglinienperspektiven unter einer besonderen Weglinienperspektive

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

Die Minimaleigenschaften als notwendige Bedingungen

sogar von Großerzählungen23 macht. Die einzige Möglichkeit, von Gott zu sprechen, ist also, die an sich paradoxe Aussage, dass es sich bei Gott um eine Integration aller konkreten Narrationen in einer konkreten Narration handelt, zu tätigen – oder eben zu sagen, dass es sich um die Integration aller besonderen Weglinienperspektiven unter einer besonderen Weglinienperspektive handelt. Das ist paradox, aber erst dieses Paradoxon lässt die Integration zu nichts weltlichem werden. Denn wäre eine solche Integration welthaft möglich, würde Gott in der Welt aufgehen. Wäre Gott aber keine besondere Weglinienperspektive, wäre er also absolut transzendent, könnte das besonders Erscheinende und sich entwickelnde der Weglinienperspektiven nicht erfasst werden, so dass der Gottesbegriff wieder verfehlt wäre. Jeder menschliche Versuch, eine solche Integration zu finden, wird aber scheitern müssen, weil er an der paradoxen Struktur scheitert. Die menschlichen Versuche, solche Integrationen zu finden, werden in der Tradition Barths Religion genannt24 – und sie sind allesamt zum Scheitern verurteilt. Das ändert sich allerdings, wenn es sich um eine Selbstpräsentation und Selbstidentifikation Gottes handelt. Dann ist die Integration möglich, aber von uns sekundärnarrativ immer noch nicht vollständig erfassbar, weil auch solche Bezeichnungsversuche immer an der paradoxen Struktur des Gottesbegriffs scheitern. Der Mensch ist also darauf angewiesen, dass seine per se unzureichenden Bemühungen um Gotteserkenntnis durch Gott selbst in Dienst genommen und gerechtfertigt werden. Das aber entspricht wieder der Glaubenserfahrung in der Verschränkung der Geschichten, weil hier die Struktur der Rechtfertigung durch die promissio bereits als inhaltliches Kriterium erschienen ist. Dass unsere Erkenntnisbemühungen aber wider den Schein durch Rechtfertigung doch erfolgreich sein können, darum kann man nur bitten. Jede Theologie hat daher in der Klammer des Bittgebets zu erfolgen, wenn sie nicht von vornherein Idolatrie sein soll. Die genannten Minimalverständnisse von Gott schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern beziehen sich auf unterschiedliche Aspekte der Konstitution christlicher Praxis. Ein wesentliches Merkmal aller Begriffe ist, dass sie Regeln sind, die beschreiben, wie über Gott zu denken ist. Diese Denkregeln haben je den Charakter notwendiger Bedingungen: Immer wenn ein Gottesverständnis gefunden ist, das einer Regel, mehreren oder allen Regeln entspricht, kann es sich trotzdem um ein Verständnis handeln, das der Wirklichkeit Gottes 23 Zur These des Endes aller Großerzählungen vgl. Lyotard, J.-F., Postmodern Condition, 9–16. 24 Vgl. Barth, K., KD I/2, §17, 327–391.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

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nicht entspricht, so dass der entsprechende Glaube den Charakter des Aberglaubens hat.25 Die kundige Leserin wird vielleicht eine wichtige Minimaldefini- „Das Sein Selbst“ tion in dieser Aufstellung vermissen: Gott als das Sein selbst.26 Auch diese Definition stammt in dieser Form von Tillich, der damit eine breite scholastische und philosophische Tradition aufnimmt. Auch diese Minimalbestimmung Gottes kann sich auf einen biblischen Text beziehen, nämlich auf die griechische Version von Ex 3,14 der Septuaginta: „Ich bin der Seiende“. Wir verzichten aber hier auf diese Minimalbestimmung, weil sie überflüssig und missverständlich ist. Wenn Gott das Sein selbst ist, ist er der Grund des Seienden. Sofern alles Seiende geschichtlich und wirklich ist, ist mit der Bestimmung Gottes als des Seins selbst also nicht mehr ausgesagt, als dass Gott die alles bestimmende Wirklichkeit ist oder das, was die Zeit zusammenhält, bzw. dass es sich bei Gott um die narrative Integration aller Weglinienperspektiven unter einer besonderen Weglinie handelt. Daher ist der Begriff für unsere Zwecke überflüssig. Der Begriff kann aber auch in einer anderen Form verstanden werden. Gott als das Sein selbst könnte das bezeichnen, was im Wechsel der Ereignisse das Beständige und Unveränderliche, gleichsam eine ewige Gegenwart ist. Ein solches Verständnis findet sich etwa bei Parmenides27 (5. Jh. v.Chr.). Verstünde man Gott als das Sein selbst in dieser Weise, wäre dies nur mit den anderen Minimalbestimmungen kompatibel, wenn das Wechselhafte eigentlich als das nicht Seiende bestimmt würde. Da aber das Wechselhafte gerade Kennzeichen der narrativen Ereignisfolge ist und da die narrative Ereignisfolge eine notwendige Bedingung unseres Ansatzes bei der Erfahrung des Zustandekommens christlichen Wahrwertnehmens ist, setzt ein parmenidisch verstandener Gottesbegriff von vornherein voraus, dass aus der Glaubenserfahrung schlechthin nichts über Gott zu entnehmen wäre. Um dieses Missverständnis abzuwehren, sei dieser Begriff daher hier nicht rezipiert. Die Liste dieser Minimalbestimmungen Gottes gibt uns nun ein Instrumentarium zur Kontrolle an die Hand, wie wir bei der Frage, wer Gott ist (d. h. wie Gott identifizierbar ist), weiter verfahren können. All das, auf das wir bei unseren Versuchen, Gott zu identifizieren, stoßen und diesen Kriterien nicht genügt, kann nicht Gott sein.

25 Luther hat dies für Begriff [A] in anschaulicher Weise gezeigt in BSLK, 560ff. 26 Vgl. Tillich, P., ST I, 273. 27 Vgl. Sextus-Empiricus, adv. math., IX, 193.

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

2.2.4 Die Selbstidentifikation Gottes in Inhalt und Zustandekommen des Evangeliums

Die Identifikation Gottes soll in Einklang mit den Ereignissen erfolgen, die konstitutiv für die Entstehung des Evangeliums bzw. der Schrift sind. Damit ist nicht gemeint, dass einzelne Schrifttexte zur Identifikation Gottes dienen können. Damit ist auch nicht gemeint, dass bei den Entstehungsbedingungen einzelner biblischer Schriften anzusetzen ist. Es geht vielmehr um die Ereignisse, die überhaupt dafür verantwortlich sind, dass ein christlicher Traditions- und Kommunikationsprozess ausgelöst wurde, welcher wiederum für die Existenz gegenwärtigen christlichen Wahrwertnehmens eine notwendige Bedingung ist. 2.2.4.1

§21 Jesu Verkündigung der Gottesherrschaft als neuer Erwartungshorizont

Die Verkündigung Jesu und die Gottesherrschaft

Die Selbstpräsentation des eschatischen Grundes

Jesu Verkündigung des Reiches Gottes als Reich seines Vaters

§21 In Jesu Verkündigung des Reiches Gottes bezieht sich Jesus auf den Anbruch der Herrschaft des Gottes Israels in seinem eigenen Wirken. Dieser Anspruch Jesu transzendiert den Erwartungshorizont seiner Umwelt, bringt ihn in Konflikt mit dieser und so ans Kreuz. Da es sich um eine Theorie des Zustandekommens christlichen Glaubens und Hoffens handelt, ist es zweckmäßig, als ersten Ereigniskomplex bei Jesu Verkündigung einzusetzen: Wir starten daher bei der Verkündigung der Gottesherrschaft oder des Reiches Gottes durch Jesus als grundlegendes Ereignis seines Lebens. Konnte sich Jesus einerseits in die Tradition der Gerichtsprophetie des Täufers stellen, so trägt seine Verkündigung andererseits originäre Züge. Ein Kontinuitätsmoment zur Täufertradition dürfte darin bestehen, dass Jesus seiner Heilsbotschaft nicht mehr primär Erwählungstraditionen zu Grunde legt. Stattdessen werden die Voraussetzungen des jesuanischen Verständnisses der Gottesherrschaft eher in denjenigen Traditionen des Frühjudentums zu suchen sein, die den Gott Israels – eschatologisiert – als Schöpfer und Erhalter der Welt beschreiben.28

28 Z.B. Ps 8; 23; 84; 104; äthHen 84,2–4; Jes 24–27; 33; Mi 4,1ff; AssMos 10. Vgl. Becker, J., Urchristentum, 21.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

Jesu Verkündigung der Gottesherrschaft hat darauf aufbauend einen doppelten Aspekt, einen zukünftigen und einen gegenwärtigen. Der zukünftige Aspekt besteht im Vollendungszustand der Gottesherrschaft, die als Heilsmahl, d. h. als gemeinschaftlicher Genuss der Schöpfungsgaben in Zukunft verstanden wird.29 Der gegenwärtige Aspekt besteht im Anspruch Jesu, dass die Gottesherrschaft in seiner Verkündigung selbst anbricht und gegenwärtig ist. Dieser Anspruch kommt primär in Jesu Handeln zum Ausdruck, d. h. in seinen Mahlgemeinschaften, Gleichniserzählungen, seiner autoritativen Sündenvergebung und seiner Wundertätigkeit als zentrale Aspekte der Gottesherrschaft. Diese sind zum einen mit dem Vollendungszustand verschränkt, wie sich besonders an der singulären Bedeutung der Mahlgemeinschaften zeigen lässt,30 zum anderen auf die Traditionsaufnahme bezogen, denn sie „repräsentieren die geschöpfliche Lebenswelt“.31 Aus Jesu Verkündigung der Gottesherrschaft lässt sich nun Jesu Bedeutung selbst für die Gottesherrschaft eruieren. Hat Jesus nämlich die Gegenwart seiner Verkündigung als Heilswende verstanden, so ist es diese ankommende Gottesherrschaft, „durch die alles andere – übrigens auch die Tora […] – sein Maß und seine Interpretation erhält.“32 Die ankommende Gottesherrschaft ist also einerseits mit Jesu Handeln untrennbar verbunden, so dass Jesu Handeln einen impliziten, unausgesprochenen, aber sehr deutlichen Selbstanspruch enthält. Dieser dürfte noch dadurch als gesteigert erscheinen, dass auch die zukünftige Gottesherrschaft (vgl. Mk 14,25) für Jesus „nicht ohne ihn vorstellbar“33 gewesen sein dürfte. Wenn auch nur schwer eruierbar ist, welche Ereignisse im einzelnen Anlass für Jesu Tod gewesen sind, so dürfte doch sichtbar sein, dass Jesus aufgrund seines Handelns und seiner Verkündigung mit seinem Tod gerechnet haben dürfte und diesen sogar „bewusst“ in Kauf genommen hat. Denn Jesu impliziter Selbstanspruch, dass in ihm die eschatische Wirklichkeit des Reiches Gottes anbricht, bringt ihn unweigerlich in Konflikt mit der Vorstellung der Umwelt, die die Vorstellung teilte, dass das Gesetz letzte, d. h. eschatische Erschließung Gottes ist, so dass dieser Konflikt ihn an das Kreuz führt: „Du bist ein Mensch und machst Dich gottgleich“ (vgl. Joh 5,18 als Interpretation). Mit dem Eintreten von Jesu Tod dürfte sowohl Jesu Verkündigung 29 30 31 32 33

Mt 8,ff parr, vgl. Becker, J., Urchristentum, 20f. Vgl. Becker, J., Urchristentum, 22. Becker, J., Urchristentum, 23. Becker, J., Urchristentum, 27. Becker, J., Urchristentum, 27. Zu nennen ist hier Jesus als Gerichtskriterium zum Einlass, Lk 12,8f parr, und Jesu Erwartung angesichts des Todes, am zukünftigen Mahl teilzunehmen, Mk 14,25 parr

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Gegenwärtige und zukünftige Gottesherrschaft – Jesu konstitutive Rolle

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der Gottesherrschaft als auch Jesu impliziter Selbstanspruch als falsifiziert erschienen sein, was u. a. an der Jüngerflucht deutlich wird.34 Wäre es dabei geblieben, würden wir von den beschriebenen Ereignissen wahrscheinlich nichts wissen. Nun erlebten die Anhänger Jesu allerdings unerwartet und überraschend durch Christophanien, die auf eine Identität von Auferweckung und Erhöhung schließen lassen,35 dass Jesus nicht im Tod geblieben war, sondern lebt. 2.2.4.2

§22 Die Auferweckung Jesu als eschatisches Ereignis

Jesu Auferstehung und die Ostererfahrung der Jünger

§22 Die beiden polaren Thesen, dass die Auferstehung Christi nicht stattgefunden habe und dass die Auferweckung Christi ein historisches Ereignis sei, müssen zugunsten der These der Auferweckung Christi als eschatisches Ereignis aufgegeben werden, d. h. der These der Auferweckung als eines Ereignisses, das nicht dem bisherigen Erwartungshorizont entstammt und damit den Erwartungshorizont menschlichen Wahrwertnehmens zum christlichen Erwartungshorizont verschiebt.

Die Auferweckung Jesu als konstitutives Element jeglicher christlicher Praxis

Wir sind nun soweit fortgeschritten, dass die Auferweckung Jesu als konstitutives Moment der Suche nach dem Grund christlichen Glaubens und Hoffens erkennbar ist. Diese nicht zu unterschätzende Bedeutung ist schon in der Schrift selbst vorausgesetzt, wenn Paulus in 1.Kor 15,14.19 erkennt, dass Christen mit einem hohen Risiko leben: „Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich […]. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christum, so sind wir die elendsten unter allen Menschen“. Damit aber stehen wir vor der Frage, wie die Auferweckung Christi zu verstehen ist. Dabei können wir zwei extreme Meinungen unterscheiden, zwischen denen ein breites Spektrum an Deutungen angenommen werden kann: 1. Jesu Auferweckung hat nicht stattgefunden. 2. Jesu Auferweckung ist ein historisches Ereignis.

Leugnungen der Auferweckung Jesu Christi in Gnosis und Aufklärungstheologie

Ad 1: Die Ansicht, Jesu Auferweckung hätte nicht stattgefunden, ist eine alte These, die in der frühen Aufklärungstheologie prominent war und die in der Geschichte der Christenheit immer wieder aufgenommen wird, so auch Ende des 20. Jh.,36 inhaltlich aber schon 34 Vgl. Becker, J., Urchristentum, 29.72. 35 Vgl. Becker, J., Urchristentum, 31. 36 Zur Diskussion vgl. u. a. Verweyen, H., Osterglaube ohne Auferstehung.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

auf die urchristliche Gnosis etwa des Basilides (2. Jh.) zurückgeht, der meinte, Jesus habe vor der Kreuzigung mit Simon von Kyrene die Gestalt getauscht. Im orphitisch-gnostischen System stirbt nur der Mensch Jesus ohne aufzuerstehen, während der geistige Christus diesen schon vorher verlässt.37 Nach H.E.G Paulus (gest. 1851) etwa sei Christus gar nicht am Kreuz gestorben, sondern lediglich scheintot gewesen. H.S. Reimarus (gest. 1768) leugnet hingegen zwar nicht den Tod Jesu am Kreuz, geht aber davon aus, dass die Jünger Jesu Leichnam gestohlen hätten, um die Auferweckung zu erfinden. Dies sei notwendig gewesen, um vor ihrer Umwelt, insbesondere ihren Familien, ihr Gesicht zu wahren und um ihr Scheitern nicht eingestehen zu müssen. Während Reimarus’ These auf einen Betrugsvorwurf hinausläuft, geht David Friedrich Strauß (gest. 1874) davon aus, dass die in der Schrift berichteten Auferstehungserscheinungen als intrapsychische, unbewusste Vorgänge zu deuten sind. All diesen Deutungen ist ein methodisches Vorgehen gemeinsam: Sie versuchen eine Erklärung der in der Schrift berichteten Auferweckungsberichte auf Basis eines Erwartungs- und Deutungshorizonts, der das aus der üblichen Geschichtswissenschaft Erwartete und Vermutete nicht verschiebt. Damit ist der übliche, alltägliche Erwartungshorizont einer Mischung jeweils unterschiedlicher Narrationen Kanon für das in der Narration des Evangeliums Erscheinende, so dass von vornherein abgestritten werden muss, dass es sich bei der Auferweckung um ein Ereignis gehandelt haben könnte, das retrospektiv und daher absolut überraschend gewesen sein könnte sowie einen neuen Erwartungshorizont konstituiert haben könnte. Weder die Auferweckung noch Leben oder Verkündigung Jesu könnten in diesem Falle irgendeine eschatische oder auch nur positive religiöse Relevanz besitzen. Da aber auch nach den üblichen Methoden der historischen Forschung all diese Thesen jeglichen Gehalts entbehren, weil die Texte weder für einen Jüngerbetrug, noch für rein innerpsychische Vorgänge oder für die Scheintodthese sprechen, können diese Thesen nicht als geschichtswissenschaftliche Thesen angesehen werden, sondern nur als Erklärungsmuster im Rahmen eines anderen, eben nichtchristlichen Erwartungshorizonts und eines anderen, eben nichtchristlichen Wahrwertnehmens. Ad 2: Damit kommen wir zum polaren Gegensatz, der These, die Auferstehung sei ein historisches Ereignis. Diese These wird normalerweise Wolfhart Pannenberg zugeschrieben, der die Meinung vertrat,

37 Vgl. Beyschlag, K., Dogmengeschichte I, 139.141.

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Die Auferweckung Jesu als historisches Ereignis bei Pannenberg

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

die Auferstehung sei jedem, der Augen habe zu sehen, einsehbar.38 Pannenberg geht davon aus, dass es keine historischen Quellen gibt, die die Leerheit des Grabes bestreiten. Damit aber stehe die Deutung dieses Faktums vor der Alternative, die Betrugstheorie anzunehmen, die in einigen recht späten polemischen Texten vertreten wird, oder die Historizität der Auferweckung anzunehmen, die wesentlich besser bezeugt sei, so dass schon mit den Mitteln der historischen Wissenschaft die Auferweckung als historische These ernst zu nehmen sei.39 Die Evidenz verstärkt sich noch, wenn man auf den Charakter der Geschichtswissenschaft achtet. Betreibt man Geschichtswissenschaft mit weltanschaulich historistischem Hintergrund, kann Geschichtswissenschaft nur mit Analogien zwischen Ereignissen zu tun haben und damit per definitionem wirklich Singuläres nicht erfassen. Da aber bei aller Analogizität von geschichtlichen Ereignissen ein gewisser Grad von Singularität und Neuheit Geschichte gerade auszeichnet, ist die rein historistische Geschichtswissenschaft an ihrem Gegenstand gemessen defizitär.40 Eine nicht-defizitäre Geschichtswissenschaft hätte den Gedanken der Singularität mit zu bedenken, der aber nur im Zusammenhang des wahrhaft Allgemeinen verstanden werden kann. Da dieses Allgemeine aber unter geschichtlichen Bedingungen nur die Gesamtheit der Geschichte sein kann, die wiederum nur von ihrem Ende her verstanden werden kann, setzt eine nichtdefizitäre Geschichtswissenschaft eine Antizipation der Totalität von Geschichte voraus. Eine solche kann aber unter den Bedingungen der Geschichte selbst nur geschichtlich erscheinen und müsste damit ein nicht analogisierbares Ereignis sein, da das Ende der Geschichte nicht analogisierbar ist. Wird die Auferstehung als ein solches nicht analogisierbares Ereignis verstanden, das als singuläres Ereignis das Ende der Geschichte vorwegnimmt, darf nun nicht mehr die Auferweckung Jesu mit den Mitteln der herkömmlichen Geschichtswissenschaft untersucht werden, sondern eine nicht-defizitäre Geschichtswissenschaft setzt umgekehrt die Auferweckung Christi und das Handeln Gottes voraus.41 Die Frage, ob die Auferweckung als ein solches Ereignis gelten kann, deutet Pannenberg positiv, indem er darauf hinweist, dass die kanonischen und außerkanonischen apokalyptischen Texte das Ende der Geschichte durch den Gedanken der allgemeinen Totenauferweckung beschreiben. Damit ist die Auferweckung Christi

38 39 40 41

Vgl. Pannenberg, W., Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung, 98. Vgl. Pannenberg, W., Auferstehung Jesu. Vgl. Pannenberg, W., Auferstehung Jesu, 164. Vgl. Pannenberg, W., Der Gott der Geschichte, 117.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

aber als proleptisch vorweggenommenes eschatisches Ereignis, genauer, als vorweggenommenes Ende der Geschichte, bestimmt. Bei all dem kann per definitionem nicht bestimmt werden, was die Auferweckung Christi semantisch bedeutet, denn dies wäre nur durch Analogisierbarkeit erhellbar, was aber per se nicht möglich sein kann. Um also nicht schweigen zu müssen, was bei diesem singulären Ereignis geschehen ist, bedient man sich der Metapher des Aufstehens vom Schlaflager.42 Pannenbergs These ist in ihrer Geschlossenheit eindrucksvoll, aber sie hängt letztlich davon ab, ob man sein Verständnis von Geschichtswissenschaft teilt. Allerdings bleibt selbst dann ein Problem bestehen. Man wies darauf hin, dass ein absolut vertrauensvolles Zeugnis einer Totenauferweckung gar nicht die von Pannenberg angenommene Wirkung – die Konstitution eines neuen umfassenden Erwartungshorizonts – haben müsste. Denn wüssten wir, dass jemand wirklich auferstanden ist, würden wir wahrscheinlich weniger unsere religiösen Überzeugungen revidieren, als unser naturwissenschaftliches Faktenwissen. Wir würden unter Umständen eher unseren relativen Erwartungshorizont ändern, nicht aber unseren absoluten Erwartungshorizont, der unser Wahrwertnehmen formiert. Da die beiden Thesen polare Gegensätze sind, wird man sich zwischen ihnen nicht entscheiden müssen, sondern erkennen, dass diese Polarität auf dem gleichen Fehler beruht, denn das Spektrum zwischen „nicht auferstanden“ und „historisch auferstanden“ basiert jeweils auf der gemeinsamen Anerkenntnis, dass es einen Kanon, einen Vergleichsmaßstab für die Auferweckung gibt, die nicht auf ihr selbst beruht. Daher wird man für eine dritte Option votieren müssen, die diesen Fehler nicht begeht, so dass die Auferweckung Christi mit Ingolf U. Dalferth als „eschatologisches“ bzw. korrekter als eschatisches Ereignis zu bezeichnen ist.43 Ist dies aber richtig, dann handelt es sich bei der Auferweckung Christi tatsächlich um ein Ereignis, das im Vergleich zu allen bisherigen Erwartungshorizonten ein absolut überraschendes Ereignis war und daher in die Kategorie des retrospektiv Überraschenden gehört. Als solches ist es aus den bisherigen Erwartungshorizonten per definitionem nicht ableitbar und damit auch nicht aus diesen Erwartungshorizonten beweisbar, sondern verschiebt den Erwartungshorizont menschlichen Wahrwertnehmens. Damit aber ist es gerade nicht unabhängig erfahrbar von einer Neukonstitution des eschatischen Erwartungshorizonts

42 Vgl. Pannenberg, W., Auferstehung Jesu, 168; Pannenberg, W., ST, Bd. 2, 387. 43 Vgl. Dalferth, I.U., Der auferweckte Gekreuzigte, 82.

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Verhältnis der Thesen der Auferweckungsleugnung und der Historizität der Auferweckung Jesu zueinander

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

einer Person und nicht unabhängig davon erfahrbar, dass menschliche Personen ein christliches Wahrwertnehmen einschließlich eines Hoffens, Glaubens und Handelns erhalten,44 wie es paradigmatisch am Osterzeugen Paulus gezeigt werden kann. Die Auferweckung Jesu antwortet demnach auf zwei Erfahrungen derer, die sie bezeugen: „Jesus ist tot“ und „Jesus lebt“. Die Aussage: „Der Herr ist auferstanden“ beruht damit auf Erfahrung, bleibt aber unverfügbar. Daher kann der Frage nachgegangen werden, warum Menschen die Auferweckung Christi, wenn diese auch menschlichem Begreifen unverfügbar und entzogen bleibt, als absolut überraschendes oder eschatisches Ereignis annehmen. 2.2.4.3

§23 Der Heilige Geist als Ursprung von Auferweckung Christi und Gewissheit der Auferweckung der Christen

Der Heilige Geist als Ursprung der Gewissheit über die Auferstehung Jesu

Auferweckung Christi und kirchenbegründende Auferweckungsgewissheit als Handeln des Heiligen Geistes

§23 Für die Auferweckung Christi und die Auferweckungsgewissheit der Glaubenden wird im Zeugnis der Schrift derselbe Grund angegeben: Das Handeln Gottes des Heiligen Geistes. Dieses Handeln hat eschatischen, letztgültigen Charakter und ist an keine welthaften Voraussetzungen – mit Ausnahme von selbstgesetzten Voraussetzungen – gebunden. Nach den Zeugnissen des neuen Testaments geht es bei der Auferweckung Jesu nicht einfach um das Weiterleben eines Menschen, sondern Auferweckung und Erhöhung können als verschiedene Beschreibungen eines Sachverhalts gedeutet werden. Dieses deutet sich nicht nur in den verschiedenen Auferweckungstraditionen an, die zum Ausdruck bringen, dass Gott der Vater Jesus von den Toten auferweckt hat und dieser infolgedessen als Erhöhter ein personales Leben führt.45 Vielmehr findet sich ein breit bezeugter Sachverhalt, der als Urheber dieser Überzeugung eindeutig den Geist benennt. Die Geisterfahrung, so lässt sich zeigen, setzt nämlich

44 Vgl. Dalferth, I.U., Der auferweckte Gekreuzigte, 69. 45 Z.B. durch die partizipiale Auferweckungsformel, „der Jesus von den Toten auferweckte“ als Gottesprädikation in Röm 1,3b–4; 4,24b; 8,11; 2.Kor 4,14; Gal 1,1, expliziten Bekenntnisformeln 1.Kor 15,3b–4; 1.Thess 4,14a; Röm 4,25; 6,3f.8f, Gebetsrufen an den Erhöhten 1.Kor 16,22; Apk 22,20, Akklamationen Röm 10,9; 1.Kor 8,4–6; 13,3, Christushymnen Phil 2,6–11; 1.Tim 3,16, ein „Predigtschema“ (Becker) 1.Thess 1,9f und schließlich durch die narrativen Erzählungen.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

erst mit der Auferstehungserfahrung ein und durchzieht dann in verschiedener Art und Weise jegliche urchristliche Glaubenserfahrung. Die Tradition des jesuanischen Guts dürfte nämlich nicht vom Geist gesprochen haben, sondern eine solche ihm nur gelegentlich sekundär zugesprochen haben, so dass „Jesus seine Vollmacht […] nicht durch die Inanspruchnahme einer Geistbegabung begründete“46 . Vor allem aber erscheint keine vorösterliche Geistbegabung der Anhänger Jesu, was in auffälligem Gegensatz zur nachösterlichen Inflation von Geistaussagen steht.47 Eine Folge dieser Geisterfahrung war der Anlass der Entwicklung impliziter und expliziter Christologien, von der Anrufung des erhöhten, auferweckten Gekreuzigten als heilsbringender Person im aramäischen marana-tha (1.Kor 16,22) über Aussagen über Christus als Endzeitherrscher, als Menschheitsrepräsentator, präexistentem Schöpfungsmittler und Aussagen zur Gottgleichheit Jesu48 bis zum ersten Auftreten von christlichen Gelegenheitsschriften (Briefen). Kombiniert man dies nun noch mit Aussagen der Schrift, die als Urheber der Auferweckung Christi selbst das Handeln des Geistes benennen (z. B. Röm 1,4), wird man die Ansicht begründen können, dass sowohl die Auferweckung als eschatisches Ereignis als auch die Gewissheit der Glaubenden hinsichtlich der Auferweckung mit dem Handeln des Heiligen Geistes den gleichen Urheber haben. Die Antwort auf die Frage, warum Christen an die Auferweckung Christi glauben, ist damit kurz gesagt: „Weil Gott als heiliger Geist es ihnen selbst gesagt hat.“ Die Bedingungen der Möglichkeit von beidem, der Auferweckung Christi selbst und dem gewissheitschaffenden Handeln des Heiligen Geistes, der dadurch die Gemeinschaft der Kirche konstituiert, sind allerdings nicht rein eschatologische, sondern auch „protologische“ Bedingungen: Beides, Auferweckung und Glaubenskonstitution, ist als Handeln Gottes zu verstehen, insofern dieses Handeln an keine welthaften Voraussetzungen gebunden ist, bzw. nur insoweit an welthafte Voraussetzungen gebunden ist, wie es diese selbst zulässt. In der traditionellen Dogmatik wird dies mit dem Begriff der Schöpfung ohne welthafte Voraussetzungen, mit dem Begriff der creatio ex nihilo benannt. Dieser Charakterzug des gesamten Handelns Gottes findet sich auch bei Paulus, der Totenauferweckung und Glaubenskonstitution in Röm 4,17 (im Anschluss an 2.Makk 7,14.28) parallelisiert.

46 Becker, J., Urchristentum, 30. 47 Vgl. Becker, J., Urchristentum, 29–38. 48 Vgl. Becker, J., Urchristentum, 38–76.

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

2.2.4.4

§24 Die doppelte Hingabe Christi und des Geistes als eschatisches Heil der Welt

Christi Leben, Sterben und Auferweckung als Heil der Welt

Kreuz und Ostern richten alle vorläufigen Erwartungshorizonte

Liebe als zukunfteröffnende Hingabe in der Versöhnung der Welt durch Christus und den Geist

§24 In Kreuz und Auferweckung Christi wird die Sünde zurechtgebracht, indem sich Christus und der Geist den Menschen hingeben, mit der Wirkung, dass alle sündigen und widersprüchlichen, menschlichen Erwartungshorizonte durch die Konstitution des Erwartungshorizonts des christlichen Glaubens und Hoffens relativiert und gerichtet werden. Auf diese Weise entsteht der einzig realitätsgerechte Erwartungshorizont des christlichen Glaubens, der die promissio und damit das Vertrauen einschließt, dass Christi Geschick auch unser Geschick sein wird. Leben, Kreuz und Auferstehung Christi sind aber nicht nur Grund des Glaubens und haben offenbarenden Charakter, sondern sie sind auch Grund der Versöhnung und haben erlösenden Charakter. Eschatologie ist nach Martin Kähler immer Soterologie, Lehre vom Versöhner. Zwar hatten wir gesehen, dass Kähler eine christozentrische Engführung betreibt, die dem Sachgehalt insofern nicht angemessen ist, als Vater und Geist bei Kähler unterbewertet sind; allerdings darf dies nun nicht seinerseits zu einer Unterbewertung von Kählers Einsicht führen, dass Eschatologie auf dem Zentrum des christlichen Glaubens von Kreuz und Auferstehung als Heilsereignis beruhen muss. Wir hätten daher hier nach unterschiedlichen Theorien49 der Versöhnungslehre zu fragen und diese zu vergleichen, wenn wir uns dieser Fragestellung aus der Perspektive des Glaubens, d. h. im dogmatischen Sinne widmen würden. Aus der Perspektive der Hoffnung, also der Eschatologie möge hier allerdings eine stipulative Einführung einer Versöhnungslehre geschehen.50 Aus Kreuz und Auferweckung wird deutlich: Menschen leben immer in vorläufigen Erwartungshorizonten, mit vorläufigen Hoffnungen, Erwartungen und Zielvorstellungen ihres Wahrwertnehmens und Handelns. Diese Erwartungshorizonte bestimmen das interaktionelle Handeln von Menschen, in denen ihre eigenen Identitätsansprüche zum Ausdruck kommen. Kreuz und Auferweckung tran49 Zu einem kurzen Überblick über verschiedene Typen der Versöhnungslehre vgl. Mühling, M., Narnia, dt., 122–133. 50 Die hier angeführte Theorie der Versöhnung nimmt Elemente unterschiedlicher Theologen wie Martin Luther, Thomas Erskine of Linlathen, Rudolf Bultmann, Wolfhart Pannenberg und Eberhard Jüngel auf.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

szendieren nun alle vorgängigen menschlichen Erwartungshorizonte und konstituieren den Erwartungshorizont christlichen Glaubens und Hoffens als eschatischen, letztgültigen Erwartungshorizont. Als letztgültiger Erwartungshorizont transzendiert der christliche Erwartungshorizont alle vorgängigen Erwartungshorizonte und richtet sie: Die vorgängigen Erwartungshorizonte sind nun als sündig und nicht realitätsgerecht erkennbar, ebenso damit die Identitätsansprüche, die Menschen an sich selbst stellen und die Identitätserwartungen, die Menschen aneinander haben. Indem die Auferweckung aber eine Bestätigung von Christi Selbstanspruch und Christi Erwartungshorizont ist, Christi Selbstanspruch aber nichts anderes als die universale Liebe ist (Mt 5,45), können Kreuz und Auferweckung folgendermaßen verstanden werden: Indem Christus an der Liebe zu den Menschen festhält, die sündigen Selbstansprüche der Menschen aber als falsche Liebe gerade dagegen verstoßen, gerät Christus um der perversen Liebe der Sünde willen ans Kreuz, d. h. es handelt sich um ein Hingabegeschehen der Person Christi an die Menschen. Christi Auferweckung durch den Geist und die gleichursprüngliche Glaubens- und Hoffnungskonstitution der Glaubenden kann nun ebenfalls als Hingabe aus Liebe interpretiert werden: Der Geist gibt sich dem toten Christus hin, indem er ihn auferweckt, und er gibt sich den Menschen als Christi Schwestern und Brüder hin, indem er auch an diesen handelt. Eine Handlung lediglich am toten Christus, nicht aber an den Menschen, wäre ausgeschlossen, weil dann gerade die Selbstdefinition Christi mittels des Liebesanspruchs verletzt wäre. Dieses auferweckende, österliche Handeln des Geistes an den Menschen hat nun einen doppelt eschatischen Charakter, einen präsentisch-eschatischen Charakter und einen promissiveschatischen Charakter: Der präsentisch-eschatische Charakter besteht darin, dass das Handeln des Geistes den realitätsgerechten Erwartungshorizont des christlichen Glaubens schafft und damit Christen aus ihren vergangenheitsorientierten, sündigen Erwartungshorizonten und Selbstansprüchen befreit und diese als solche, d. h. als sündig erkennen lässt. In dieser Konstitution des christlichen Erwartungshorizonts als letztgültigem Erwartungshorizont ist aber der promissive Charakter eingeschlossen, indem Menschen erkennen, dass Christi Geschick auch ihres und das der Welt sein wird: Was immer Kreuz und Auferstehung Christi als eschatisches Ereignis bedeuten, dies ist auch uns für die Zukunft verheißen: Christi Geschick wird auch unser Geschick sein.

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Die Hingabe Christi und die Hingabe des Geistes

Der präsentischeschatische und der promissiveschatische Charakter des Handelns des Geistes

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

2.2.4.5

§25 Gottes Selbstidentifikation als „Vater, Sohn und Heiliger Geist“

Die dreifache Selbstidentifikation des eschatischen Grundes

§25 Die Existenz christlichen Glaubens und Hoffens setzt eine Relation dreier Identitätsbeschreibungen Gottes voraus, die aus den drei Metaerzählungen der Geschichte Gottes mit Israel, der Geschichte Gottes in Jesus Christus und der Geschichte Gottes mit der Kirche bestehen, und die später mit den Eigennamen „Vater, Sohn und Geist“ benannt wurden.51 Die Konstitutionsbedingungen liefern damit eine „prototrinitarische Tiefenstruktur“, die sich auch in einzelnen Texten niederschlägt.52 Die damit geschilderten Konstitutionsbedingungen erfüllen alle Voraussetzungen, die als identifizierungsnotwendig für den eschatischen Grund christlichen Glaubens und Hoffens benannt worden sind. Es handelt sich um eine narrative Struktur, die mit der Person Jesu ihren konkreten raumzeitlichen Ort hat, so dass die Person Jesu identifizierbar ist. Jesu Selbstverständnis ist allerdings nicht ohne dessen Verhältnis zur Gottesherrschaft zu erzählen, d. h. zu dem Gott des Alten Testaments, den Jesus als Abba (Vater) anruft. Die lokalisierbare Identitätsbeschreibung, mit der der Eigenname Jesus verknüpft ist, verweist somit auf die Identitätsbeschreibungen, die in der Tradition des AT und des Frühjudentums mit dem Namen Jahwe verknüpft sind und die nicht raumzeitlich mit historischen Mitteln lokalisierbar sein dürften. Gleichzeitig ist durch den Anbruch der Gottesherrschaft im Handeln Jesu und der Gefahr des Scheiterns am Kreuz diese Identitätsbestimmung des Gottes des AT konstitutiv an die Identitätsbestimmung Jesu gebunden. Die Identifikation Jesu ist damit nur im Kontext der Identifikation des Gottes Israels durchführbar, und die Identifikation des Gottes Israels ist nur noch im Kontext der Identifikation Jesu durchführbar. Dass es sich bei den Identifizierungsmöglichkeiten des von Jesus mit Abba angerufenen Gottes nicht um eine Fehlidentifikation handelt, setzt allerdings eine weitere Identitätsbeschreibung voraus, die mit einem Eigennamen verknüpft

51 Der Vatername ist daher auch nicht Ausdruck für die unmittelbare Selbstdurchsetzung Gottes, wie sie von der feministischen Theologie häufig kritisiert wird. Zur Verständigung über die Bedeutung der Trinitätslehre zum Gespräch mit der feministischen Theologie unter besonderer Berücksichtigung des Liebesgedankens vgl. Axt-Piscalar, C., Entzauberung. 52 Vgl. die Untersuchungen in Schwöbel, C., God is Love, 309–312; Schwöbel, C., Rahmentheorie, 138f. 141f; Schwöbel, C., Christology, 127.

Die Konstitution des christlichen Wahrwertnehmens

ist. Diese Identitätsbeschreibung besteht darin, dass in der Geschichte der Kirche die Glaubenden das Handeln des mit dem Eigennamen des Geistes Benannten derart erfahren, dass dieser durch die Vergewisserung der Auferweckung die Korrelation der ersten beiden genannten Identitätsbeschreibungen bedingt. Handelt es sich dabei aber auch um eine Verknüpfung von drei Identitätsnarrationen, die als Identitätsbestimmungen Gottes gelten können? Um dies beurteilen zu können, hatten wir Minimalbestimmungen des eschatischen Grundes als Kriterien benannt: Das Kriterium, nach dem Gott das ist, an das der Mensch sein Herz hängt und von dem er alles erhofft [A] ist erfüllt, denn die Gottesherrschaft, die Jesus verkündigt bzw. Christus, den die Kirche verkündigt, wird gerade als etwas verkündigt, das beansprucht, dass der zum Glauben Gerufene „sein ganzes Herz“ an sie hängt. Das Kriterium, nach dem Gott als die alles bestimmende Wirklichkeit zu bezeichnen ist [C], ist erfüllt, denn die drei Identitätsbeschreibungen sind Beschreibungen von etwas, das gerade beansprucht, die alles bestimmende Wirklichkeit zu sein, indem ein eschatisch-letztgültiger Erwartungshorizont konstituiert wird. Im Detail ließe sich das z. B. an dem Bezug der durch Jesus verkündeten Gottesherrschaft zur Schöpfung oder an dem von der Kirche verkündigten kosmischen Christus zeigen. Das Kriterium, nach dem Gott das ist, was die Zeit zusammen hält [D], ist erfüllt, da einerseits die Identifikationsbeschreibungen Jesu auf die Vergangenheit verweisen, andererseits die Identifikationsbeschreibungen des Geistes eschatologische Valenz haben, so dass Gott hier tatsächlich als „das beschrieben wird, was die Zeit zusammenhält“, was z. B. am im Geist gesprochenen marana-tha der Gemeinde ansichtig wird. Auch das Kriterium, nach dem Gott das ist, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann [B], ist erfüllt. Denn wenn es um die Konstitution eines eschatisch-letztgültigen Erwartungshorizontes beim glaubenden und hoffenden Menschen geht, ist dies nur dann ein eschatischer Erwartungshorizont, wenn er nicht durch andere Erfahrungen übertroffen werden kann. Dann muss aber auch der so identifizierte Urheber durch anderes unübertreffbar sein. Vor allem ist aber die Minimalbedingung, nach der Gott die Integration aller Weglinienperspektiven unter einer partikularen Weglinienperspektive ist [E], erfüllt: Denn hier werden in der besonderen Geschichte Jesu, in dessen Weglinienperspektive, die mit der Geschichte des Vaters und des Geistes verschränkt ist, alle anderen welthaften Weglinienperspektiven, in denen Menschen zu allen Zeiten wahrwertnehmen können, integriert. Dieser Anspruch und diese Identifikation bleibt nicht weniger paradox. Daher ist sie folgerichtig umstritten zwischen denjenigen, die nicht die Geisterfahrung machen und folgerichtig die-

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Gottes Selbstidentifikation und die Minimalbestimmungen Gottes

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

Trinitarische Selbstidentifikation Gottes und trinitarischer Ursprung der christlichen Praxis

§26 Das Verhältnis der „ökonomischen“ zur „immanenten“ Trinität

se Identifikation Gottes als Idolatrie deuten müssen, und denjenigen, die (implizit) diese Geisterfahrung machen und dementsprechend diese Identifikation nicht als Interpretation eines unabhängigen Geschehens, sondern als Wahrnehmung der Selbstpräsentation Gottes verstehen müssen. Die Konstitutionsbedingungen des Evangeliums bestehen also in den Identitätsnarrationen Gottes in der Verschränkung der Geschichten des Vaters, des Sohnes und des Geistes. Besonders interessant ist die Verschränkung dieser aus den Konstitutionsbedingungen des Evangeliums eruierten Identifikationsbeschreibungen mit den Konstitutionsbedingungen christlichen Wahrwertnehmens im Hoffen und Glauben zu allen raumzeitlichen Orten. Gesagt wurde, dass die menschliche Evangeliumskommunikation notwendige Bedingung zur Entstehung von Glauben sei, aber es konnte keine hinreichende Bedingung für das Erscheinen christlichen Glaubens benannt werden. Diese hinreichende Bedingung wird aber nun in den Identifikationsbeschreibungen, die das Evangelium enthält, selbst genannt: Es ist das unverfügbare Handeln des Geistes, das die fehlende Bedingung ist, damit die Entstehung christlichen Wahrwertnehmens einschließlich ihres Hoffens und Glaubens hinreichend erklärt wird. Und dies ist die „Ostererfahrung“, die somit jeder Christ macht. Die Identitätsbeschreibungen dieser identifizierenden Trinität lassen damit insgesamt die Erschließungserfahrungen christlichen Hoffens und Glaubens als wahrnehmbare Trinität erkennen. Dabei meint „wahrnehmbar“ in diesem Satz nicht, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist selbst als Phänomene erscheinen, sondern dass christliches Wahrwertnehmen seine Bedingungen der Möglichkeit nur in der Verschränkung dieser drei Geschichten, der des Sohnes, des Vaters und des Geistes haben kann.

2.3

Die Eschatoi als Grund christlichen Glaubens und Hoffens

2.3.1

Ökonomische und immanente Trinität in ihrem Verhältnis

§26 Die ökonomische Trinität, also Gottes Handeln an der Welt, ist epistemisch, d. h. die menschliche Erkenntnis betreffend, Bedingung der Möglichkeit der immanenten Trinität. Umgekehrt ist Gottes immanente Trinität, also Gottes Sein, ontisch Bedingung der

Die Eschatoi als Grund christlichen Glaubens und Hoffens

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Möglichkeit der ökonomischen Trinität, also für Gottes Handeln in der Welt. Ist die zuletzt gegebene Beschreibung der Bedingungen der Möglichkeit christlichen Wahrwertnehmens – also der Hoffnungs- und Glaubenskonstitution – richtig, dann ist darin nicht nur eine Selbstpräsentation Gottes enthalten, sondern dann lassen sich über diese Selbstidentifikation Gottes Aussagen über Gottes Handeln und Gottes Wesen, d. h. das, was über Gott notwendigerweise gesagt werden muss, treffen. Der Grund dafür ist der folgende: Wenn es sich bei diesem Erschließungsgeschehen um Gott als das, worüber hinaus Größeres nicht denkbar ist, handeln soll, also um Eschatisches, dann muss Gottes Wirklichkeit seiner Offenbarung entsprechen. Man könnte auch sagen: Aufgrund der Treue und Wahrhaftigkeit Gottes ist Gottes Identifikation in der Glaubenskonstitution Selbstoffenbarung Gottes.53 Karl Rahner (gest. 1970) hat diesen Zusammenhang zwischen dem Handeln Gottes an der Welt und dem Sein Gottes in seiner viel beachteten, diskutierten, verbesserten, insgesamt aber weitgehend positiv rezipierten These der Identität von immanenter und ökonomischer Trinität ausgedrückt. Diese These lautet: „Die ‚ökonomische‘ Trinität ist die ‚immanente‘ Trinität und umgekehrt“.54 Was ist damit gemeint? Unter immanenter Trinität versteht man Gottes Sein an und für sich, unter ökonomischer Trinität versteht man das gesamte Handeln Gottes an und mit der Welt. Die These besagt also, dass sich aus Gottes Handeln an der Welt sein Wesen erkennen lässt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Theologen wie Jürgen Moltmann, Wolfhart Pannenberg oder Eberhard Jüngel, die von Gottes Offenbarung als Geschichte, in der Zukunft oder von Gottes Sein im Werden sprechen, diese These mehr oder weniger positiv aufnehmen müssen.55 Allerdings wird man diese These nicht einfach so übernehmen können, als These der Identität. Als solche würde sie nämlich nicht nur besagen, dass aus Gottes Handeln Gottes Sein erkennbar ist, sondern dass Gottes Handeln Gottes Sein ist. Dann aber würden die Gegenstände von Gottes Handeln, also die Welt, selbst zu Gott notwendig dazugehören. Mehr noch: In diesem Falle würde auch das, was 53 Dass es sich bei Offenbarung stets um Selbstoffenbarung Gottes handelt, ist eine Einsicht, die sich besonders seit Hegel und Barth durchgesetzt hat. Zur Bedeutung des Offenbarungsbegriffs vgl. Herms, E., Offenbarung V. 54 Rahner, K., Der dreifaltige Gott als transzendenter Urgrund, 328. 55 Vgl. Jüngel, E., Verhältnis von ökonomischer und immanenter Trinität; Pannenberg, W., ST, Bd. 1, 355f; Moltmann, J., Trinität und Reich Gottes, 177.

Die Selbstidentifikation der Identität Gottes und die Selbstoffenbarung des Wesens Gottes

Identität von „ökonomischer“ und „immanenter“ Trinität bei Rahner

Probleme der Identitätsthese

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

in der Welt geschieht – einschließlich aller vorläufigen Erwartungshorizonte der Menschen und ihrer Sünde –, notwendigerweise zum Eschatischen, nicht Vorläufigen konstitutiv dazugehören. Dies ist aber offensichtlich ein Widerspruch, da das Eschatische dann nicht das Eschatische wäre. Gott würde in der Welt aufgehen, und wäre nicht nur mit ihr in Beziehung. Denn zur Bedingung der Möglichkeit von Beziehungen gehört, dass auch etwas derer, die aufeinander bezogen sind, entzogen bleiben muss. Im eschatischen Erwartungshorizont christlichen Glaubens und Hoffens ist dies deutlich zu greifen: Er ist einerseits eschatisch und unübertreffbar, hat im trinitarischen Handeln Gottes einen festen Grund, ist aber dennoch als Erwartungshorizont per definitionem entzogen oder unverfügbar. Man kann diesen Widerspruch aber einfach vermeiden, indem man die These so präzisiert, wie es eingangs im Paragraphen angegeben ist, indem man zwischen epistemischer und ontischer Bedingung unterscheidet. Die Frage ist nun, auf welche Weise dieses Prinzip anzuwenden ist, d. h. wie Gottes Handeln an der Welt und wie Gott selbst in seinem Wesen zu beschreiben sind. 2.3.2

Gottes Handeln an der Welt

§27 Gottes „Sein“ als Bedingung der Möglichkeit seines Handelns

§27 Das Handeln Gottes an der Welt vollzieht sich als Handeln an einer narrativen und zeitlichen Welt. Daher ist zu erwarten, dass Gottes Sein als Werden so zu denken ist, dass es diese Möglichkeit zulässt.

Gottes trinitarisches Handeln an der Welt

Das Handeln Gottes an der Welt, also die ökonomische Trinität, ist selbstverständlich auf unterschiedliche Art und Weise beschreibbar. Für unsere eschatologische Perspektive genügt es, eine Beschreibung des Handelns Gottes zu liefern, die auf die Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit der Welt besondere Rücksicht nimmt. Auch dazu gäbe es mehrere Alternativen, die unter dem dogmatischen Gesichtspunkt zu besprechen wären. Unter der eschatologischen Perspektive genügt aber ein Bespiel. Dazu sei die Rekonstruktion des amerikanischen Lutheraners Robert W. Jenson gewählt. Jenson beschreibt Gottes Handeln so, dass der Vater immer der Ursprung allen Handelns Gottes ist, der Sohn immer die Gegenwart und der Heilige Geist immer die Zukunft. Damit ist der Vater der Ursprung, der selbst keinen Ursprung hat und das Handeln des Sohnes und Geistes aus sich entlässt. Umgekehrt ist der Geist die absolute Zukunft, die selbst nicht übertreffbar

Die Eschatoi als Grund christlichen Glaubens und Hoffens

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ist, und der das Handeln von Vater und Sohn aus dem Fall in die Vergangenheit befreit. Dies mag hier als Beispiel genügen. 2.3.3

Gottes Wesen als trinitarisches Liebesabenteuer

§28 Gottes Wesen ist das Werden eines narrativen, eschatischen Lie- §28 Gott wird als besabenteuers, in dem höchste Einheit und höchste Unterschieden- Liebesabenteuer heit verbunden sind, wie sich auch die Koinzidenz von Kontingenz und Güte immer wieder neu ereignet. Die kirchliche Tradition hatte den von Rahner angesprochenen Sachverhalt schon lange vor dem 20. Jh. erkannt und in der traditionellen östlichen wie westlichen Lehrbildung der Trinität festgehalten. Da Gottes Handeln an der Welt ein einheitliches Geschehen der Liebe ist, aber in Gottes Handeln Vater, Sohn und Geist als drei Aktzentren identifizierbar56 sind, muss Gott auch in einer Hinsicht als drei, in einer anderen als eins gedacht werden. Genau dies hat die Tradition getan, im wesentlich in zwei Typen: Der östliche Typus57 geht davon aus, dass man Gott in sich selbst mit den Relationen von Geburt, bzw. Zeugung einerseits und Hervorgang andererseits beschreiben kann. Gott handelt nicht nur an der Welt, sondern konstitutiv für sein eigenes Sein auch an sich selbst, indem der Vater den Sohn gebiert oder zeugt und den Geist hervorgehen lässt. Dieses Handeln ist sowohl für Sohn und Geist, als auch für den Vater konstitutiv gedacht, so dass sowohl das Sein der göttlichen Personen als auch das Wesen Gottes als Gemeinschaft davon abhängen. Wichtig ist nun, dass Zeugung und Hervorgang unterschieden sind, d. h. zwei Arten von Handlungen sind, weil ansonsten auch Sohn und Geist nicht unterscheidbar wären. Allerdings besteht eine Schwierigkeit: Wie soll man sich – ohne die Welt zu denken – eine Unterscheidung von Zeugung und Hervorgang vorstellen, bzw. was ist darunter zu verstehen? Der westliche Typus kann gewissermaßen als Antwort auf diese Frage gelesen werden: Hier spricht man von processiones, von Hervorgängen in beiden Fällen. Aus dem Vater geht sowohl der Geist als auch der Sohn hervor. Um beide noch unterscheiden zu können führ-

56 Die Rede von den trinitarischen Personen als Aktzentren wurde besonders von Pannenberg, W., ST, Bd. 1, 347 profiliert. 57 Vgl. Zizioulas, J., Cappadocian Contribution.

Das östliche Verständnis der immanenten Trinität

Das westliche Verständnis der immanenten Trinität

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

te man zur Zeit Karls des Großen das sog. filioque58 in das nizänische Glaubensbekenntnis ein: der Geist geht aus dem Vater und aus dem Sohn (lat. filioque) hervor. Was ist damit gewonnen? Der Vater ist nun genau der, der aus niemandem hervorgeht, der Sohn der, der aus einem hervorgeht, und der Geist der, der aus zweien hervorgeht. Vater, Sohn und Geist bleiben damit, wenn auch auf sehr abstrakte Art und Weise, auch ohne alle welthaften Assoziationen, unterscheidbar.59 Die Streitigkeiten, welches Modell nun dem Sein Gottes angemessener ist, haben letztlich zur Trennung von Ost- und Westkirche geführt. Für unsere Zwecke ist es aber völlig unerheblich, entscheiden zu wollen, welches Modell nun angemessener ist. Denn in beiden Fällen ist festgehalten, dass auch rein innertrinitarisch die göttlichen Personen unterscheidbar und aufeinander konstitutiv bezogen sind. Gottes Wesen als Die Einheit Gottes ist daher eine Narration, ein Geschehen oder Werden trinitarischer eine Geschichte, man könnte auch sagen: Gottes Sein ist immer schon Liebe eine Narration einschließlich Handeln und Interaktion, auch wenn man die Welt und deren Zeitlichkeit nicht denkt. Und diese Geschichte namens „Gott“ ist sogar näher benennbar, wenn auch weniger mit den Bezeichnungen Zeugung oder Hervorgang, sondern als Gemeinschaft oder Liebe. Gott ist daher eine Liebesgeschichte. Denn wenn der Charakter des Handelns Gottes an der Welt der Charakter der Liebe ist, dann muss auch von Gottes Wesen als Narration der Liebe gesprochen werden. Andererseits verwischt diese Liebe aber auch nicht die Unterscheidung zwischen Vater, Sohn und Geist. Gott ist wirklich so, wie er sich uns zeigt, denn Liebe bedarf des Unterschieds und der Andersheit, sie reduziert nicht zur unterschiedslosen, abstrakten Einheit. Diese Narration oder diese Interaktion ist noch zu spezifizieren. Gemeint ist eine Interaktion in der jeweils ein Liebender in Treue, Wahrhaftigkeit und Vertrauen durch einen Mitgeliebten60 als gemeinsames Projekt 61 auf einen Geliebten so bezogen ist, dass er das Gut des Geliebten zu realisieren beabsichtigt. Dabei sind die Rollen des Liebenden, Geliebten und Mitgeliebten nicht einfach auf Vater, Sohn und Geist zu verteilen, sondern diese sind jeweils für einander Liebender, Mitgeliebter und Geliebter. Die Teilbestimmung der

58 Zum Filioqueproblem in Geschichte und Gegenwart vgl. Oberdorfer, B., Filioque. Geschichte und Theologie eines ökumenischen Problems. 59 Vgl. z. B. Richard von St.Victor, De Trinitate, 5,9–13, 324–336. 60 Vgl. Richard von St.Victor, De Trinitate, 3,11, 192. 61 Der Begriff des gemeinsamen Projekts hat gerade den Vorteil, dass es sich dabei um ein drittes personales Relat handeln kann, aber nicht handeln muss, so dass sich die triadische Grundstruktur trinitarischer Liebe auch umfassender auf den geschöpflichen Bereich anwenden lässt.

Die Eschatoi als Grund christlichen Glaubens und Hoffens

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Liebe als Absicht, das Gut des anderen realisieren zu wollen, lässt sich dabei am besten mit Eberhard Jüngel als Hingabe charakterisieren.62 Diese Liebe ist aber eine Narration, d. h. ein Ereignis, das immer Gott als Abenteuer wieder gelingt und nicht scheitert, ohne dass dieses Immer-wiederGelingen in seinem Werden auf eine Notwendigkeit reduziert werden könnte. Denn Notwendigkeit ist der Liebe fremd. Daher ist es auch eine relationale Geschichte, in der immer wieder die Liebe als das Gute sich kontingent werdend realisiert. Dies lässt sich am besten mit dem Begriff des Abenteuers ausdrücken. Sowohl der deutsche Begriff des Abenteuers bzw. der aventiure als auch der englische des adventure und der franzosische des aventure gehen auf advenire und den adventus zuruck.63 Er erfährt mehrere Wendungen und Bedeutungsverschiebungen, aber es gibt einen gemeinsamen Kern aller Abenteuergeschichten, der darin besteht, dass die Episoden oder Sequenzen nicht einem epischen Plan folgen, sondern ohne Regel, überraschend, aufeinander folgen, wie auch die Zukunft und das Geschehen stets als das Zukommende, Widerfahrende beschrieben werden. Man könnte präzisiert auch sagen: Gemeinsam ist allen Abenteuerbegriffen, dass hier Geschehnisse im Modus des wayfaring beschrieben werden, die kein Netzwerk, sondern ein Gewebe bilden, und in denen Attentionalität, nicht Intentionalität als Tugend gefordert ist. Allerdings ändert sich die Wertung dieser Art des Werdens in verschiedenen Stadien: 1. Im 12. Jh. in der höfischen Literatur sind die Abenteurer kommunitäre Ritter, die auf der Suche nach Ritterlichkeit als Verbindung von Heldenmut und Liebe sind, die sie aber nur widerfahrend erreichen können. Es handelt sich dabei um eine säkularisierte Variante der Kirche als wandernden Gottesvolks. 2. Mit dem Hochmittelalter und dem Verfall des Rittertums verschwindet die positive Konnotation des Abenteuers. Es wird nun negativ konnotiert, als Unternehmen mit ungewissem Ausgang. Im 16. Jh. bleibt diese negative Konnotation erhalten, aber der Abenteuerbegriff erhält nun eine ökonomische Bedeutung, indem er auf wirtschaftliche Unternehmen mit zweifelhaftem Erfolg, häufig als illegale Unternehmungen, bezogen wird. 3. Eine zweite Wende erhält der Abenteuerbegriff im 18. und 19. Jh. mit der Entstehung des klassischen Abenteuerromans. Ab hier ist der Abenteuerbegriff wieder vorwiegend positiv konnotiert. 4. Eine vierte Wende vollzieht sich im 20. Jh. und dauert bis in die Gegenwart an: Der Abenteuerbegriff ist weiterhin positiv konnotiert und wird beinahe bis ins Unkenntliche und Nichtssagende erweitert. Allerdings erhält er auch eine neue strukturelle Zutat: Er wird nun mit einem happy ending garniert, das,

62 Vgl. Jüngel, E., Gott als Geheimnis der Welt, 434. 439f. 444. 63 Vgl. Mühling, M., PST II, Kapitel 30.5.

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

überraschend, notfalls auch mittels eines deus ex machina erzählerisch verwirklicht wird. Diese moderne Begriffsverwendung ist nicht als Verflachung zu kennzeichnen, sondern in ihr ist die Hoffnung ausgesprochen, dass sich gegen jede innere Gesetzmäßigkeit oder Notwendigkeit des Geschehens, also zufällig, letztlich das Gute durchsetzt. Und dies werden wir aufnehmen. Interessant ist allerdings auch, dass Martin Luther, der zu Zeiten der negativen Konnotation des Abenteuerbegriffs schrieb, nicht nur eine „Theologie des Abenteuers“64 entwickelte, sondern darin schon angedacht hat, das Wesen Gottes als Werden eines Abenteuers zu beschreiben, wenn er als Übersetzung von Ps. 93,4 sagte: „Gott ist abenteuerlich in den Höhen“.65

Die Koinzidenz von Kontingenz und Güte kann also zurecht als Abenteuer beschrieben werden. Daher ist die Einheit Gottes als das Werden eines Liebesabenteuers von Vater, Sohn und Heiligem Geist zu beschreiben.66 Gottes Werden ist Advent. 2.3.4

§29 Gottes Liebesabenteuer folgt einer Ordnungsrelation des Lebens der Eschatoi Vater, Sohn und Geist

Geordnete Liebe

Gottes Wesen als geordnetes Liebesabenteuer

§29 Das Werden Gottes ist ein geordnetes Liebesabenteuer im Sinne der Kennzeichen einer Ordnungsrelation. Nicht einfach die Person des Eschatos Christi, sondern die Personen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes sind in ihrer Unterschiedenheit und Gemeinschaft in ihrem narrativen Liebesabenteuer selbst die Eschatoi: Das, worüber hinaus Letztgültigeres nicht zu sagen ist. Man kann sogar mit einem mathematischen „Trick“ die Bedingung der Möglichkeit dieser höchsten Unterschiedenheit in höchster Einheit bestimmen. Er besteht darin, dass man die Relationen in der Ewigkeit Gottes als mathematische Ordnungsrelation beschreibt. Dieses Verfahren hat zwar den scheinbaren Nachteil, dass es sehr abstrakt klingt. Doch dieser Nachteil ist in Wirklichkeit ein Vorteil, denn man verzichtet von vorne herein, sich über Gott etwas vorstellen zu wollen, was man sich aufgrund des eschatischen Vorbehalts noch nicht vorstellen kann. Interessant an diesem Verfahren ist, dass man sich aufgrund der Offenbarung etwas über Gott denken kann, das man

64 Vgl. Mühling, M., PST II, Kapitel 30.5.3. 65 Luther, M., WA DB 11II, 385, 7–25. 66 Vgl. Luther, M., WA, Kapitel 30.5.

Die Eschatoi als Grund christlichen Glaubens und Hoffens

sich nicht vorstellen kann. Man kann also mehr denken, als man sich vorstellen kann. Wie sieht dieses Verfahren nun aus? In allen Beschreibungen der immanenten Trinität, wie sie auch im Einzelnen aussehen mögen, ist vorausgesetzt, dass es sich bei den Relationen zwischen den trinitarischen Personen um eine Ordnungsrelation handelt. Eine Ordnungsrelation ist eine Relation, die sowohl asymmetrisch, irreflexiv als auch transitiv ist. Dies ist zu erklären und am einfachsten geht dies mithilfe eines Beispiels: Eine Ordnungsrelation wird zum Beispiel durch die alphanumerische Sortierung eines Lexikons gebildet, die man sehr schön mit „kommt nach“ beschreiben kann. Diese ist asymmetrisch, denn „Motorrad“ kommt immer vor „Motorroller“, nie umgekehrt. Diese ist auch irreflexiv, denn „Motorrad“ kommt nie nach „Motorrad“. Diese ist auch transitiv, d. h.: Wenn „Motorrad“ nach „Motor“, und „Motorroller“ nach „Motorrad“ kommt, dann kommt auch „Motorroller“ nach „Motor“. Was hat dieses Beispiel mit Gott zu tun? Nun, nichts, außer dass es sich bei den trinitarischen Relationen auch um Relationen mit diesen Eigenschaften handeln muss, die es ermöglichen, dass es einen geordneten Unterschied in Gott gibt. Wir können nicht wie im Falle von „kommt nach“ einen semantischen Gehalt angeben, außer vielleicht den Hinweis, dass diese Ordnung in Gott keine andere als die der Liebe sein kann, wenn das Erschließungsgeschehen christlichen Glaubens und Hoffens stimmt. Traditionell besitzen sowohl der östliche als auch der westliche Typus, von „Hervorgängen“ in Gott zu sprechen, diese logischen Eigenschaften. Der Fehler ist aber, dass man die Art und Weise durch die Worte „Hervorgang“ oder „Zeugung“ mit einem semantischen Gehalt füllt, ohne angeben zu können, worin dieser besteht. Das Werden Gottes folgt also einer Ordnungsrelation. Diese Diagnose wirkt einfach, wir werden aber noch sehen, dass sie für eine ganze Reihe von Sachverhalten der Eschatologie entscheidend ist. Mit all diesen Ausflügen in die Dogmatik haben wir aber nun die Frage beantwortet, dass der Grund der christlichen Hoffnung letztlich nur das Werden des Liebesabenteuers von Vater, Sohn und Geist sein kann. 2.3.5

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Ordnungsrelation: Asymmetrie, Irreflexivität und Transitivität

Gottes Eigenschaften

§30 Die Eigenschaften Gottes als des eschatischen Grundes ergeben §30 Die sich aus dem perfekten Liebesabenteuer, das – Gottes Werden als Eigenschaften Gottes sein Wesen ist. Es handelt sich um

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Vom Eschatos zu den Eschatoi

– – – – – – – – – – – – – – §30 Die Eigenschaften Gottes

Gottes perfekte Hingabe, Gottes perfekte Treue, Wahrhaftigkeit und Vertrauen, Gottes Kontingenz, Freiheit, Überraschung und Advent, Gottes gerechte Freigiebigkeit, Gottes perfekte Verlässlichkeit, Gottes Macht, Handlungs- und Leidensfähigkeit, Gottes differenzierte Bewusstheit, Gottes Medialität, Passivität und Aktivität, Gottes gesprächshafte Kommunikativität, Gottes Leiblichkeit, personale Präsenz und Transzendenz, Gottes Ewigkeit als Gottes Zeit, Gottes Unendlichkeit als Gottes Raum, Gottes Wahrheit, Güte und Schönheit sowie um Gottes dramatische Kohärenz.

Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart sind keine Wesenseigenschaften Gottes, sondern sind in der Schöpfungslehre zu besprechen. Unter Eigenschaften Gottes sollen hier Wesenseigenschaften verstanden werden, d. h. Eigenschaften, die Gott nicht nicht zukommen können. Es wird sich dabei um Eigenschaften handeln, die sich aus Gottes Wesen als trinitarischem Liebesabenteuer ergeben – also gewissermaßen Abstraktionen von diesem sind.67 Dabei handelt es sich um perfekte Hingabe, perfekte Treue und perfektes Vertrauen sowie um perfekte Wahrhaftigkeit. Aus dem Begriff dieser perfekten Liebe ergibt sich ferner Gottes Kontingenz, Überraschung, Advent und Freiheit, die aber nicht die Freiheit einer potentia absoluta ist.

Wesenseigenschaften Gottes sind: – Gottes perfekte Hingabe – Gottes perfekte Treue, Wahrhaftigkeit und Vertrauen Der Begriff der potentia absoluta stammt aus dem Voluntarismus der – Gottes Kontingenz, Spätscholastik und bezeichnet Gottes durch nichts eingeschränkte AllFreiheit, Überraschung und Advent macht. Wenn sich der Begriff der Freiheit Gottes oder der Allmacht darauf

bezieht, das logisch Unmögliche verwirklichen zu können, ist er ein selbstwidersprüchlicher und daher sinnloser Begriff. Bezieht er sich nur darauf, das logisch Mögliche, aber dem Wesen Gottes als Liebe Widersprechende aktualisieren zu können, handelt es sich um einen abstrakten und daher ebenfalls abzulehnenden Begriff. Es ist zwar nicht so, dass Gott das nicht könnte, aber es ist so, dass Gott dies nicht aktualisiert, ja nicht aktualisieren könnte ohne sich selbst zu widersprechen.

67 Zur Eigenschaftslehre vgl. Mühling, M., PST II, Kapitel 31.

Die Eschatoi als Grund christlichen Glaubens und Hoffens

Da Gottes Wesen als sein Werden die prozesshafte Vereinigung von Kontingenz und Güte ist, ist Gottes Werden selbst ein kontingentes Werden, kein absolut notwendiges Sein, wie die Tradition angenommen hatte. Nicolai Hartmann konnte plausibel zeigen, dass der Begriff eines absolut notwendigen Wesens letztlich zu dem eines absolut zufälligen Wesens wird, weil Notwendigkeit nie absolut, sondern nur relativ für etwas anderes sein kann.68 Aus Gottes Kontingenz folgt auch, dass die trinitarischen Personen einander überraschen können, weil ihr Leben selbst Advent füreinander ist. Entsprechend ist die Freiheit des göttlichen Lebens eher als Spontaneität denn als Wahlfreiheit zu verstehen. Gottes perfekte Freigiebigkeit meint zunächst das wechselseitige trinitarische Sich-selbst-Geben der trinitarischen Personen aneinander. Insofern folgt es aus der perfekten Hingabe. Als perfekte Freigiebigkeit geben die trinitarischen Personen dabei metaphorisch gesprochen mehr als sie haben, weil ihre Hingabe ja ihr Werden in der Zukunft des göttlichen Prozesses einschließt. Die perfekte Verlässlichkeit entstammt ebenfalls der perfekten Hingabe und der perfekten Freigiebigkeit. Sie meint zunächst, dass die trinitarischen Personen sich selbst zugunsten der anderen vollständig verlassen. Daraus entsteht dann auch die Verlässlichkeit der Personen untereinander. Sie ist eine dramatische Verlässlichkeit, weil sie die Gottverlassenheit des Kreuzes als Definition Gottes einschließt und nicht von der Auferstehung her nivelliert. Die perfekte Hingabe der trinitarischen Personen aneinander erfolgt jedenfalls nicht ohne den Willen der trinitarischen Personen. Daher sind sie nicht nur Aktzentren,69 sondern auch Handlungszentren. Der Handlungsbegriff bedingt aber, dass sie Macht als Handlungsfähigkeit besitzen, wie auch Leidensfähigkeit im Sinne des Erleidens, Gegenstand des Handelns der jeweils anderen zu sein. Der Handlungsbegriff ist mitnichten ein fundamentalanthropologischer Grundbegriff, sondern selbst primär ein theologischer und erst abgeleitet ein anthropologischer Begriff. Infolgedessen sind auch eine nach den trinitarischen Personen differenzierte Bewusstheit Gottes sowie Passivität und Aktivität der Personen, die sich in der Medialität des Prozesses des Liebesabenteuers treffen, anzunehmen. Man kann den Prozess, der Gott ist, auch als gesprächshafte Kommunikativität verstehen. Dabei ist zunächst einmal Kommunikation

68 Vgl. dazu, auf Nicolai Hartmann zurückgehend, Mühling, M., PST I, 395. 69 Vgl. Pannenberg, W., Systematische Theologie I, 347.

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– Gottes gerechte Freigiebigkeit

– Gottes perfekte Verlässlichkeit

– Gottes Macht, Handlungs- und Leidensfähigkeit – Gottes differenzierte Bewusstheit – Gottes Medialität, Passivität und Aktivität

– Gottes gesprächshafte Kommunikativität

96

Vom Eschatos zu den Eschatoi

– Gottes Leiblichkeit, personale Präsenz und Transzendenz

– Gottes Ewigkeit als Gottes Zeit – Gottes Unendlichkeit als Gottes Raum

– Gottes Wahrheit, Güte und Schönheit

– Gottes dramatische Kohärenz

im Sinne der tatsächlichen Übertragung der Eigenschaften aneinander, nicht im modernen Sinne als Mitteilung zu verstehen, denn nur dann ist sie Zeichen der perfekten Liebe. Und doch ist auch die Metapher des Gesprächs nicht falsch. Sie ist ja von Luther eingeführt70 und jüngst von Schwöbel71 wiederbelebt worden. Wenn man darunter ein narratives Gespräch versteht, in dem sich fortlaufend Neues ereignet, und das von den Personen nicht ablösbar ist, handelt es sich um eine wichtige Beschreibung. Zu nennen ist auch Gottes Leiblichkeit, seine personale Präsenz und Transzendenz. Wenn Leiblichkeit nicht durch Materialität definiert ist, sondern dadurch, Medium des kommunikativen Voneinander-und-Füreinander-Werdens zu sein,72 dann ist Leiblichkeit nicht nur vom Sohn in der Inkarnation als Leiblichkeit für uns auszusagen, sondern auch von den trinitarischen Personen untereinander. Das wirft auch ein neues Licht auf die Inkarnation, weil dieser Gott selbst nicht fremd ist, sondern Gott hier tatsächlich „in sein Eigen“ kommt. Leiblichkeit bedeutet damit personale Präsenz und Verfügbarkeit voneinander und füreinander, die aber immer eine personale Transzendenz und Unverfügbarkeit mit sich bringt. Im Vorgriff auf das nächste Kapitel können wir schon jetzt sagen, dass Gott auch ewig und unendlich ist. Da die Ewigkeits- und Unendlichkeitsauffassungen aber einerseits sehr stark divergieren, andererseits aber diese Eigenschaften für die Eschatologie von besonderer Bedeutung sind, seien sie detailliert im Kapitel über das Eschaton (n.) in Kap. 3.1 und 3.2 besprochen. In den Traditionen des neuplatonischen Denkens und seiner idealistischen Nachfolger wird Gott auch als die Koinzidenz von Wahrheit, Güte und Schönheit bezeichnet. Auch die Eigenschaften dieser Tradition können unter starker Modifikation in unsere Gotteslehre aufgenommen werden. Da diese Themen die Eschatologie besonders betreffen, werden auch diese Eigenschaften und ihre notwendigen Modifikationen im folgenden Kapitel unter 3.3 besprochen. Am Ende der Wesenseigenschaften ist noch Gottes dramatische Kohärenz73 zu nennen. Dramatische Kohärenz hat im Unterschied zu logischer Kohärenz die folgenden Kennzeichen: 1. Die folgenden Sequenzen sind durch die Summe der vorhergehenden ontisch nicht hinreichend bedingt. 70 71 72 73

Vgl. Luther, M., WA 46, 59,26–60,6. Vgl. Schwöbel, C., Gott als Gespräch. Vgl. Mühling, M., PST II, Kapitel 31.4.10. Vgl. Mühling, M., PST II, Kapitel 31.4.15 und zum Begriff der dramatischen Kohärenz an sich Mühling, M., PST I, 317–332.

Die Eschatoi als Grund christlichen Glaubens und Hoffens

97

2. Es entsteht tatsächliche Novität im Eintritt zukünftiger Ereignisse, so dass auch die Menge der Möglichkeiten spontan wächst. 3. Dramatische Kohärenz kann nicht endgültig konzediert werden; sie liegt daher im Modus der Hoffnung vor. 4. Dramatische Kohärenz kann Widersprüche zulassen und sie aufheben bzw. aufbewahren. Auch dieses sind selbstverständlich Eigenschaften des Wesens Gottes als trinitarischen Liebesabenteuers. Vielleicht noch spannender als die Frage, welche Eigenschaften Gott zuzusprechen sind, ist die Frage, welche Eigenschaften Gott nicht zuzusprechen sind, zumindest nicht als Wesenseigenschaften im hier gebrauchten Sinne. Hier gilt es, die Einsicht von Gottfried Thomasius74 (gest. 1875) mit Entschiedenheit aufzunehmen, dass die klassischen Eigenschaften der Allmacht, der Allwissenheit und der Allgegenwart keine Wesenseigenschaften Gottes sind, weil sie sich auf die Relation Gottes zur Welt beziehen, die Welt aber als Geschöpf nicht zum Wesen Gottes gehört und daher Gott auch zu denken wäre etsi mundus non daretur. Ist diese Einsicht richtig, handelt es sich bei Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart nicht um Wesenseigenschaften, d. h. um Eigenschaften, die Gott unmöglich nicht zukommen können. Diese Eigenschaften sind dann konsequenterweise auch nicht im Rahmen der Gotteslehre zu besprechen, sondern im Rahmen der Besprechung des Welt-Gott-Verhältnisses, also der Schöpfungslehre.75 2.3.6

Keine Wesenseigenschaften: Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart

Von den Eschatoi zurück zu dem Eschatos

§31 Die zweite göttliche Person der Trinität, der ewige Logos, ist §31 Die Person nicht nur in der innertrinitarischen Geschichte des Liebesaben- Christi teuers „Gott“ auf die anderen beiden göttlichen Personen bezogen, sondern mit der Schöpfung, wie diese auch, auf die weltliche Geschichte als ganze. Mit der Inkarnation (Fleischwerdung) nimmt er zusätzlich die Menschheit an, d. h. er tritt in das welthafte Beziehungsgefüge selbst ein, indem er eine zweite, geschaffene Geschichte mit einer spezifischen Weglinienperspektive am konkreten spatiotemporalen Ort Palästinas im 1. Jh. erhält. Als Handlung Gottes ist diese Annahme einer menschlichen „Natur“, d. h. Geschichte,

74 Vgl. Thomasius, G., Christi Person und Werk, Bd. 1, 47–54. 75 Vgl. Mühling, M., PST II, Kapitel 33.

98

Vom Eschatos zu den Eschatoi

nicht umkehrbar, sondern gehört nun zur Identität des Sohnes und damit Gottes.

Trennungschristologie

Einigungschristologie

Die beiden „Naturen“ Christi als Beziehungsgefüge und der Perspektivwechsel der Inkarnation

Wir hatten ausgehend von dem Zustandekommen christlichen Wahrwertnehmens von der Verkündigung und dem Geschick Jesu auf die Selbstidentifikation des dreieinigen Gottes geschlossen. Nun müssen wir umgekehrt fragen, was diese Selbstpräsentation Gottes für das Verständnis der Person Christi bedeutet. Klassisch ist diese Frage Gegenstand der Christologie, d. h. die Frage, wer Christus ist. Vorausgesetzt ist dabei, dass Christus der ewige Logos, die zweite Person der Trinität ist. Da Christus aber auch Mensch ist, ist zu fragen, ob dies miteinander vereinbar ist und welche Lösungsmöglichkeiten hier zur Verfügung stehen. Hier lassen sich grob zwei Modelle unterscheiden. Der Typus einer Trennungschristologie, vertreten von der antiochenischen Schule in der alten Kirche, den meisten Theologen des Mittelalters wie z. B. Anselm von Canterbury (gest. 1109) und dem reformierten Teil der reformatorischen Theologie, war der Meinung, dass vorgängig (d. h. vor der Kenntnis der Person Christi) schon feststünde, was „Gottheit“ und was „Menschheit“ bedeute. Diese Begriffe sind gewissermaßen aus der Extrapolation welthaft vorläufiger Erwartungshorizonte und Interpretationsrahmen entnommen. Man kann dies deshalb den Typus einer Trennungschristologie nennen, weil hier Gottheit und Menschheit in der Regel als einander ausschließend konstruiert sind, so dass die Gefahr besteht, dass die Einheit der Person zugunsten der vollen Integrität der „Naturen“ Christi verloren geht. Der andere Typus, vertreten von Teilen der alexandrinischen Schule der alten Kirche, der neuchalzedonensischen Theologie und der lutherischen Tradition, geht davon aus, dass erst in der einen Person Christi sichtbar wird, was „Gottheit“ und „Menschheit“ überhaupt bedeuten können. Diese beiden Begriffe werden erst innerhalb des eschatischen Erwartungshorizonts, der durch die Glaubens- und Hoffnungskonstitution zustande kommt, verständlich. Man kann dies den Typus einer Einigungschristologie nennen, weil er voraussetzt, dass die Einheit der Person vorgängig ist und die Rede von den beiden Naturen erst aus diesem grundlegenden Denkansatz gewonnen wird. Die Art und Weise wie wir hier das Zustandekommen von Glauben durch die Selbstidentifikation des dreieinigen Gottes beschrieben haben, führt uns zum Anschluss an den letzteren Typus: Christus ist primär der ewige Logos, die zweite Person der Trinität. Das bedeutet: Christus ist primär Teil der Liebesgeschichte, die Gott ist. Diese Geschichte ist sowohl für ihn, als auch für den Gottesbegriff

Die Eschatoi als Grund christlichen Glaubens und Hoffens

wesentlich. In der Inkarnation nimmt er eine menschliche „Natur“ an, d. h. er verändert sein Beziehungsgefüge zur Schöpfung: Während der Logos vor der Inkarnation wie auch Vater und Geist nur mit der Schöpfung als Gesamtheit in Beziehung standen, tritt er mit der Inkarnation in das geschöpfliche Beziehungsgefüge selbst ein.76 M.a.W.: Der ewige Logos erhält neben der innertrinitarischen Geschichte eine zweite, menschliche Geschichte dazu. Dies stellt keinen Verzicht auf die Gottheit, also keine kenosis (Entleerung) dar, denn die göttliche Geschichte wird natürlich nicht aufgegeben. Im Übrigen ist dies unproblematisch, denn Eigenschaften wie Allmacht, Allwissenheit etc., die den klassischen Konflikt zwischen menschlichen und göttlichen Eigenschaften bewirkten, haben sich überhaupt nicht als Wesenseigenschaften Gottes erwiesen. Die Inkarnation stellt damit, wie es schon E.W.Chr. Sartorius (gest. 1859) beschrieb, nichts anderes als einen Perspektivenwechsel dar, indem der Logos als Jesus Christus nun eine geschöpfliche Weglinienperspektive erhält: „Das Auge, welches Himmel und Erde mit den Strahlen seines Blicks umfaßt, entäußert sich nicht der Sehkraft, wenn es sich ins Dunkel begiebt oder das Augenlied schließt, sondern nur ihrer mitherrschenden Wirksamkeit; so senkt der Sohn Gottes auf Erden sein allumfassendes Auge und begiebt sich ins menschliche Dunkel und öffnet darin als ein Menschenkind sein Auge als das allmählig aufgehende Licht der Menschenwelt, bis er es zur Rechten des Vaters leuchten läßt in völliger Herrlichkeit.“77

Der Logos steht nun nicht mehr zur Klasse aller geschöpflichen Entitäten als ganzer in Beziehung, sondern er steht zur Schöpfung nun in Beziehung durch Eintritt in das Beziehungsgefüge der menschlichen story einschließlich deren besonderem Verlauf einer Weglinienperspektive an einem konkreten raumzeitlichen Ort. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass die Inkarnation aufgrund der Treue Gottes nicht umkehrbar ist: Die Menschheit als menschliche Geschichte gehört fortan zur Identität Gottes des Sohnes konstitutiv dazu – und damit auch zur Identität aller trinitarischen Personen in der trinitarischen Verlaufsgeschichte des Liebesabenteuers, als das Gott wird.

76 Vgl. Schwöbel, C., Gott in Beziehung, 289. 77 Sartorius, E.W.C., Lehre von der Heiligen Liebe, 126f.

99

3.

Das Eschaton

Nachdem wir als Grund eschatologischer Aussagen den dreieinigen Gott – die Eschatoi – und als grundlegendes Ereignis eschatologischer Aussagen das Versöhnungswerk dieses dreieinigen Gottes in Jesus Christus bestimmt haben, beschäftigen wir uns nun mit dem „Eschaton“, mit dem sächlich Letztgültigen, das in christlichem Glauben, Hoffen und Handeln vorausgesetzt ist. Damit sind Auffassungen über Sachverhalte gemeint, die zwar nicht direkt Hoffnungsbilder betreffen, aber bestimmen, wie diese Hoffnungsbilder aussehen können: Was sind Zeit und Raum und wie ist ihr Verhältnis zum Letztgültigen zu bestimmen, wenn dies als Ewigkeit und Unendlichkeit erscheint? Was ist Wahrheit in dieser Welt und wie ist ihr Verhältnis zum Letztgültigen, wenn dies als Wahrheit bestimmt wird? Und wie ist das Verhältnis dieses Wahren zu anderen Bestimmungen des Letztgültigen, die etwa in der Redeweise der drei klassischen Transzendentalien, des Guten, Wahren und Schönen, zum Ausdruck kommen? Mit welchen Begriffs- und Denkmodellen rekonstruieren wir unser Verständnis von Wirklichkeit? All diese Fragen betreffen das Verhältnis oder die Relation Gottes zur Welt unter einem prinzipiellen Gesichtspunkt, ohne dass auf den Erwartungshorizont christlicher Praxis selbst eingegangen wäre, sondern hier werden Bedingungen und Kriterien gesetzt, wie dieser Erwartungshorizont christlicher Praxis verantwortlich beschrieben werden kann. Es handelt sich bei den ersten drei Problemkomplexen um Fragen, die im Rahmen einer traditionellen dogmatischen Reflexion oft auch ein Teilgebiet der Eigenschaftslehre Gottes behandeln, denn im Rahmen der ersten Frage wird Gottes Vorsehung, im Rahmen der zweiten Frage Gottes Allgegenwart und im Rahmen der dritten Frage Gottes Allmacht thematisiert. Diese erscheinen hier aber nicht als Wesenseigenschaften Gottes, sondern als bestimmte Modalitäten des Handelns Gottes an der Welt.

Das Eschaton als das sachlich Letztgültige der Beziehung zwischen Gott und Welt

102

Das Eschaton

Innerhalb verschiedener philosophischer Denktraditionen könnte man auch angeben, warum diese Fragen nach Zeit und Raum, nach dem Guten, Wahren und Schönen sowie die Frage nach unserem Begriffsapparat diese Funktionen erfüllen können. Da wir aber hier nicht unter Voraussetzung eines bestimmten philosophischen Systems arbeiten, sondern diese Frage selbst als Frage nach unterschiedlichen Begriffs- und Denkmodellen unter christlicher Perspektive behandeln wollen, ist dieses Verfahren in der Eschatologie, anders als bei der Darstellung des christlichen Lebens aus der Perspektive des Denkens in Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie, nicht möglich. Dieses Kapitel, das Bedingungen der Rede der Gottesbeziehung bzw. Bedingungen des Verhältnisses zwischen Letztgültigem und nicht Letztgültigem zum Gegenstand hat, hat gewissermaßen Brückenfunktion und steht einerseits zwischen dem Kapitel über die Eschatoi als Grund des christlichen Hoffens und dem Kapitel über die Präeschata und Eschata als Inhalte christlichen Hoffens. Damit haben wir hier die Rede von dem Eschaton präzisiert, aber auch gegenüber der üblichen unspezifischen Verwendung abgesetzt, die den Terminus einfach für den jüngsten Tag oder die vollendete Welt gebraucht, die hier unter den Eschata thematisiert werden.

Typen der Verhältnisbestimmung von Zeit und Ewigkeit

3.1

Zeit und Ewigkeit

3.1.1

Modelle von Zeit und Ewigkeit und ihre Derivate

An den Beispielen Augustins (gest. 430), Boethius’ (gest. 524) und Richard Swinburnes sollen im Folgenden drei bzw. vier Typen der Verhältnisbestimmung von Zeit und Ewigkeit gewonnen werden: 1. Ewigkeit als Zeitlosigkeit, 2. Ewigkeit als vollständige bzw. partielle Gleichzeitigkeit und 3. Ewigkeit als unendlicher Zeitlauf. Die entsprechenden Konzeptionen wurden gewählt, da man an ihnen die Grundprobleme der entsprechenden Verständnisse von Zeit und Ewigkeit sehr gut darstellen kann. Innerhalb der einzelnen Typen ist es sodann noch nötig, ihre Derivate zu benennen, d. h. diejenigen Konzeptionen, die mit dem jeweiligen Typus in Verbindung gebracht werden können. Abschließend wird durch die Verbindung der so herausgearbeiteten Problemstellung mit der Bestimmung des Grundes eschatologischer Aussagen ein Vorschlag zur Lösung des Problems unterbreitet.

Zeit und Ewigkeit

3.1.1.1

103

Ewigkeit als Zeitlosigkeit

§32 Es lässt sich aus dem 11. Buch von Augustins Confessiones eine §32 Ewigkeit als Verhältnisbestimmung von Zeit und Ewigkeit gewinnen, gemäß Zeitlosigkeit der die Zeit sich rein der geschaffenen und gefallenen Welt eignet und gemäß der die Zeit ihre Realität in der Ausdehnung der Gegenwart der geschaffenen Seele hat. Als akzidentielle Eigenschaft kennt die Seele primär nur die Gegenwart, aber in drei Formen: Als Gegenwart der Vergangenheit (Erinnerung), als Gegenwart der Gegenwart (Wahrnehmung) und als Gegenwart der Zukunft (Erwartung). Ewigkeit ist als radikaler Gegensatz von Zeit primär Zeitlosigkeit. Da die Zeit der gefallenen Seele zukommt wie Akzidenzien ihren Substanzen zuzusprechen sind, Zeit also nicht notwendigerweise zur Seele gehört, besteht ihre Ewigkeitshoffnung darin, durch die intentio als Rücknahme der distentio von der Zeit befreit zu werden. In unterschiedlicher Weise können parmenidische Ewigkeitsmodelle, verschiedene mystische Ewigkeitsmodelle, das Zeitverständnis Kants und das Ewigkeitsverständnis Schleiermachers, aber auch das Ende des Zeitflusses bei Lichtgeschwindigkeit als Variationen des augustinischen Modells verstanden werden. Als Vorteil des Modells kann die Wahrung der kategorialen Differenz zwischen Gott und Welt, zwischen Schöpfer und Geschöpf diagnostiziert werden. Als Nachteile des Modells sind zu nennen: Ein Handeln Gottes ist in Ewigkeit nicht denkbar, es gibt keine positive Bedeutung der Zeit für die Ewigkeit, es ist in der Ewigkeit keine Alterität (Andersheit) denkbar und keine Novität (Neuheit). Als Textgrundlage dient im Folgenden das Verständnis von Zeit, Ewigkeit als wie es Augustin im berühmten 11. Buch der Confessiones darlegt. Zeitlosigkeit bei Augustin Dies ist nicht das einzige Zeitverständnis Augustins, so dass die hier vorzunehmende Typisierung schon bei der Textauswahl geschieht. Nachdem Augustin in Gebetsform Gott Ewigkeit zuschreibt,1 beginnt er mit seinem Nachdenken über Genesis 1,1, indem er eine Explikation dessen liefert, was wir creatio ex nihilo (Schöpfung ohne welthafte Voraussetzungen) zu nennen gewohnt sind (I,1–IX,11).

1 Vgl. Augustinus, A., Conf. 11, I,1: „Numquid, domine, cum tua sit aeternitas.“ Die Zitation bezieht sich auf den lat. Text in Flasch, K./Augustinus, A., Was ist Zeit?, 232.

104

Das Eschaton

In X,12 wird dann das Zeitthema eingeführt, indem Augustin fragt: „Sieh, hängen sie nicht zu sehr an ihrer Vergangenheit, die Leute, die uns fragen: ‚Was machte Gott, bevor er Himmel und Erde machte?‘“2 Augustin will nun nicht lapidar mit dem ihm überlieferten Witz antworten, Gott habe die Hölle für Leute, die zu hohe Dinge erforschen wollen, gebaut,3 sondern er führt die Unzulässigkeit dieser Frage auf die strikte Unvergleichlichkeit von Zeit und Ewigkeit zurück: „Sie sind unvergleichlich. Eine lange Zeit besteht nur aus vielen kleinen Zeitspannen, die vorübereilen und nicht gleichzeitig sein können. Im Ewigen aber geht nichts vorher, dort ist totum praesens, während wahrhaft nullum tempus totum praesens ist.“4 Diese Stelle ist aufschlussreich, weil schon hier, bevor Augustin gefragt hat, was eigentlich Zeit sei, die Unvergleichlichkeit von Zeit und Ewigkeit zum gegenseitigen Ausschluss gesteigert wird: Das totum praesens der Ewigkeit ist nicht die Gegenwart aller Zeit als ganzer. Dies wird ausdrücklich ausgeschlossen. Damit hat Augustin schon hier erreicht, die Zeit auf die Seite des Geschöpflichen zu ziehen, die sich selbst dem Schöpfungswirken Gottes verdankt. Er hat freilich noch nicht gezeigt, warum das möglich ist. Dies versucht Augustin nun im ganzen folgenden 11. Buch zu zeigen und zwar anhand der Frage: „Was ist Zeit?“5 Augustin insistiert sogar: „Die reale Bedeutung und das Wesen der Zeit will ich wissen“6 . Diese Frage gibt das Thema der Untersuchung Augustins an. Und diese Frage ist eine ontologische Frage. Sie ist keine Frage der Naturphilosophie und insofern auch nicht mit Aristoteles’ Behandlung der Zeit im 4. Kapitel dessen „Physik“ zu vergleichen. Es handelt sich auch nicht, wie noch zu sehen sein wird, um eine psychologisierende Deutung einer inneren Zeit, die einer äußeren Zeit entgegenstünde oder um eine transzendentalphilosophische Grundlegung von Zeit im Subjekt, wie moderne Ausleger annehmen mögen. In Confessiones 11 liegt vielmehr eine ontologische

2 Augustinus, A., Conf. 11, X,12: „Nonne ecce pleni sunt uetustatis sua qui nobis dicunt: Quid faciebat deus, antequam faceret caelum et terram?“ (Flasch, K./Augustinus, A., Was ist Zeit?, 244f). 3 Vgl. Augustinus, A., Conf. 11, XII,14: „Alta, inquit, scrutantibus gehennas parabat.“ (Flasch, K./Augustinus, A., Was ist Zeit?, 246). 4 Augustinus, A., Conf. 11, XI,13: “uideat esse incomparabilem et uideat longum lempus nisi ex multis praetereuntibus morulis, quae simul extendi non possunt, longum non fieri; non auterm praeterire quidquam in aeterno, sed totum esse praesens; nullum uero tempus totum esse praesens“ (Flasch, K./Augustinus, A., Was ist Zeit?, 246). 5 Augustinus, A., Conf. 11, XII, 14: „Quid est enim tempus?“ (Flasch, K./ Augustinus, A., Was ist Zeit?, 246). 6 Augustinus, A., Conf. 11, XXIII, 29: „Ego scire cupio uim naturamque temporis.“ (Flasch, K./Augustinus, A., Was ist Zeit?, 262).

Zeit und Ewigkeit

Theorie dessen vor, was Zeit wirklich ist. Es geht um den Realitätsstatus von Zeit, welcher Art von Realität Zeit zukommt. Denn dass Zeit vorhanden ist, steht für Augustin fest. Augustin versucht nun, verschiedene unterschiedliche Realitätsstatus zu untersuchen und überführt die verschiedenen Möglichkeiten in Aporien. Augustins folgende Ausführungen sind nur im Zusammenhang seiner Erklärung von Substanz, Essenz und Akzidenz aus De Trinitate 5–7 verstehbar. Hier spielt Augustin auf die ihm durch die Übersetzung von Marius Victorinus (gest. 363) wahrscheinlich bekannte Isagoge des Porphyrius (gest. 301) an, dessen Erklärungen er aber vollständig umbaut. Am deutlichsten ist hier zunächst der Akzidenzbegriff definiert: Akzidenz ist das, was veränderlich ist.7 Dies ist auffällig, weil Augustin hier nur eine von drei Definitionen von Porphyrius übernimmt.8 Die Folge davon ist wichtig auch für den Substanz- und Essenzbegriff. Substanz wird im Gegensatz zu Akzidenz definiert: Substanz im weitesten Sinne ist das, was nicht Akzidenz ist.9 Dies lässt noch zwei Möglichkeiten zu: Substanz kann das sein, von dem Akzidenzien notwendigerweise ausgesagt werden10 oder, wobei hier der Terminus Essenz Augustin besser passend erscheint, das, was nicht Akzidenz ist und von dem Akzidenzien notwendigerweise nicht ausgesagt werden können.11 Kehren wir mit diesem Befund zu Buch 11 zurück und zur Frage, was Zeit ist, also zur Frage, welcher Realitätsstatus ihr zuzusprechen ist. In XIV,17 stellt Augustin zunächst fest, dass die Zukunft noch nicht ist und die Vergangenheit nicht mehr ist. Da aber auch die Gegenwart nur der sich ständig bewegende Grenzwert zwischen Vergangenheit und Zukunft zu sein scheint, gibt es auch die Gegenwart nicht. Diesem Argument, das schon Aristoteles erwähnt, aber für nicht sehr besprechenswert hält, und dem die Skeptiker besondere Bedeutung für die Irrealität der Zeit zumaßen, begegnet Augustin wieder mit seiner Überzeugung der Existenz der Zeit, die hier von deren Messbarkeit abgeleitet wird.12 Was ist soweit erreicht? Augustin

7 Vgl. Augustin, trin. 5,4[5], in Augustinus, A., trin., CChr.SL 50 209,1f. 8 „1. Akzidenz ist das, was in Erscheinung tritt und verschwindet“, „2. Akzidenz ist das, was ein und demselben der Möglichkeit nach zukommt oder nicht zukommt.“, „3. Akzidenz ist das, was weder Genus, noch Differenz, noch Spezies, noch Proprium ist, jedoch immer in einem Zugrundeliegenden vorhanden ist“, vgl. Wöhler, H.-U., Texte zum Universalienstreit, 12f. 9 Vgl. Augustin, trin. 9, 4–5, Augustinus, A., trin., CChr.SL 50, 301, 28–31. 10 Vgl. Augustin, trin. 7, 5(4), Augustinus, A., trin., CChr.SL 50, 260f. 11 Vgl. Augustin, trin. 7,5(10), Augustinus, A., trin., CChr.SL 50. 12 Vgl. Augustinus, A., Conf. 11, XV,18; Flasch, K./Augustinus, A., Was ist Zeit?, 250–252.

105

Substanz, Essenz und Akzidenz bei Augustin

Die Zeit ist real, aber nicht substanziell

106

Das Eschaton

Die Zeit ist keine akzidentielle Eigenschaft körperlicher Substanzen

distentio animi

zeigt mit diesem Argument, dass die Zeit nicht Substanz ist, aber dass sie dennoch real ist. In XXIII,29 stellt Augustin fest, dass Zeit auch nicht die Gesamtheit der Bewegungen aller Körper, nicht nur der Gestirne, sein kann: „Von einem Gelehrten habe ich gehört, die Bewegungen der Sonne, des Mondes und der Sterne seien die Zeiten, aber ich habe nicht zugestimmt. Wären dann nicht eher die Bewegungen aller Körper die Zeiten?“13 Dieses Argument wird entkräftet, indem Augustin feststellt, dass die Bewegung immer schon in der Zeit stattfindet. Mit diesem Argument richtet sich Augustin übrigens nicht gegen Aristoteles, der die Zeit nicht mit der Bewegung selbst, sondern mit deren Maß identifiziert hatte.14 Dies ist ein wichtiger Unterschied. Denn Augustin kann Zeit im Sinne des Maßes von Bewegung auch positiv gebrauchen. Nur gibt diese aus der Physik stammende Überlegung eben keine positive Antwort auf die ontologische Frage. Aber eine negative: Die Zeit ist nicht nur keine Substanz, sondern auch keine Eigenschaft von körperhaften Substanzen. So kommt Augustin schließlich im Ausschlussverfahren auf seine Lösung: Die Zeit ist distentio animi, eine Ausdehnung der geschaffenen Seele, die streng genommen nur in der als evident behaupteten Gegenwart besteht. Es gibt gar nicht Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern es gibt die Gegenwart von Vergangenem als Erinnertes (praesens de praeteritis als memoria), die Gegenwart von Gegenwärtigem als Anschauen (praesens de praesentibus als contuitus) und die Gegenwart von Zukünftigem als Erwartung (praesens de futuris als exspectatio).15 Die Zeit hat ihre Realität damit in der Seele und, wie Augustin sagt, sonst nirgends.16 Lesen wir dieses Ergebnis wieder vor dem Hintergrund der in De Trinitate explizierten Begrifflichkeit: Die Zeit ist real, insofern sie eine Eigenschaft, und zwar eine akzidentielle Eigenschaft einer geschaffenen körperlosen Substanz, der geschaffenen und gefallenen Seele, konkret distentio animi, ist. Übergehen wir nun Augustins Ausführungen über die Messbarkeit der Zeit und springen zum Ende von Buch 11, so kommt Augustin auf seine Anfangsfrage zurück: Die Frage, was Gott vor der 13 Augustinus, A., Conf.. 11, XXIII, 29: „Audiui a quodam homine docto, quod solis et lunae ac siderum motus ipsa sint tempora, et non adnui. Cur enim non potius omnium corporum motus sint tempora?“; Flasch, K./Augustinus, A., Was ist Zeit?, 262. 14 Vgl. Flasch, K./Augustinus, A., Was ist Zeit?, 117–124. 15 Vgl. Augustinus, A., Conf.11, XX,26; Flasch, K./Augustinus, A., Was ist Zeit?, 258. 16 Vgl. Augustinus, A., Conf. 11, XX, 26: „et alibi ea non uideo“; Flasch, K./ Augustinus, A., Was ist Zeit?, 258.

Zeit und Ewigkeit

Schöpfung gemacht habe, ist sinnlos, weil es in der Ewigkeit keine Ausdehnung, keine distentio gibt.17 Damit kehrt Augustin zu seiner schon eingangs aufgestellten strikten Entgegensetzung von Zeit und Ewigkeit zurück, nicht jedoch ohne darauf hinzuweisen, dass es auch für die Seele eine Ewigkeitshoffnung gibt, nämlich von der distentio befreit zu werden.18 Eine Ewigkeitshoffnung für die Seele besteht nur darin, von dieser Ausdehnung durch eine Eindehnung befreit zu werden (intentio). Wie diese Partizipation an der Ewigkeit aussieht, ist nicht vorstellbar.19 Inwiefern ist das so purifizierte augustinische Zeit-Ewigkeitsverständnis ein Typus für andere Ewigkeitsverständnisse? Es ist ein Typus oder Modell all jener Ewigkeitsverständnisse, die Ewigkeit primär als Zeitlosigkeit beschreiben. Der Vorteil der Rede vom Typus oder Modell ist, dass hier gleiche Strukturen wahrgenommen werden können, ohne dass fragwürdige Rückprojektionen vorgenommen werden müssten. Innerhalb dieser Verhältnisbestimmung sind sowohl christliche als auch vorchristliche Denker zu nennen: Ewigkeit verstanden als „Ewiges Jetzt“ als nunc stans, findet sich schon im vorsokratischen Denken des Parmenides.20 Seit dem Mittelalter sind es häufig die mystischen Ausprägungen der Theologie, die Ewigkeit als Zeitlosigkeit verstehen. Paradigmatisch können hier Meister Eckhardt (gest. 1328) und Heinrich Seuse (gest. 1366) genannt werden.21 Blickt man auf die Neuzeit, fallen so unterschiedliche Denker wie Immanuel Kant und Schleiermacher in diese Kategorie, aber auch in der englischen Romantik, etwa bei S.T. Coleridge (gest. 1834) findet sich dieses Verständnis.22 Kant rechnet Raum und Zeit zu den Formen der Anschauung, die apriorisch, d. h. vor jeder Erfahrung im Subjekt gegeben sind, die aber auch nicht einfach Verstandesbegriffe sind.23 Denn denkt 17 Vgl. Augustinus, A., Conf. 11, XXX, 40: „ubi non est tempus.“; Flasch, K./ Augustinus, A., Was ist Zeit?, 276. 18 Vgl. Augustinus, A., Conf. 11, XXIX.39; Flasch, K./Augustinus, A., Was ist Zeit?, 274. 19 Im Gegensatz zu anderen neuplatonischen Quellen bleibt in Buch 11 allerdings ein Problem: Es fehlt ein wichtiges Element zwischen dem einen Zeitlosen und der Zeit, das, was in neuplatonischer Terminologie als ewiges Leben des nous als Zwischenstufe zwischen dem Einen und der zeitlichen Welt-Seele zu bezeichnen wäre. Vgl. Plotin/Beierwaltes, W., Ewigkeit und Zeit, 43–49. 20 Vgl. Owen, G.E.L., Plato and Parmenides. 21 Vgl. Seuse, H./Sturlese, L./Blumrich, R., Buch der Wahrheit und Haas, A., Naturphilosophische Studien. 22 Vgl. Poulet, G., Timelessness and Romanticism. 23 Vgl. Kant, I., Ende aller Dinge und Kant, I./Weischedel, W., KrV, B46–57.

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Bedeutung für menschliches Hoffen Augustins Verständnis als Modell für ZeitEwigkeitsauffassungen bei …

… Parmenides … der mittelalterlichen Mystik

… der Romantik

… Kant

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Das Eschaton

man sich alles Erscheinende, alle erfahrbaren Gegenstände weg, so bleibt doch die Zeit als Konstante erhalten. Allerdings ist sie auch nicht ein Verstandesbegriff, denn ein solcher wird durch Abstraktion und Verallgemeinerung gebildet. Die Zeit aber ist nicht ein solcher Allgemeinbegriff, der von unterschiedlichen Gegenständen ausgesagt würde, sondern ist vorgängig, als Anschauung vorhanden. Kant fällt dabei insofern in das augustinische Paradigma, als in beiden Fällen die Zeit vom Subjekt ausgesagt werden muss. Allerdings kann die Zeit als Form der Anschauung bei Kant keine akzidentielle Eigenschaft der gefallenen Seele sein, so dass bei Kant ein zeitlos vorgestelltes Subjekt nicht sinnvoll ist. … Schleiermacher Bei Schleiermacher ist Gott als schlechthinnige Ursächlichkeit auch zeitloser Ursprung der Zeit, so dass bei Schleiermacher ein anderer Aspekt in das augustinische Modell passt als bei Kant: weniger das Erleben der Zeit als das Verständnis der Ewigkeit als Zeitlosigkeit. Eine interessante Parallele könnte noch darin gesehen werden, dass Erlösung nach Schleiermacher darin besteht, dass es eine stete Kräftigkeit des Gottesbewusstseins gibt, das über das Sinnenbewusstsein dominiert.24 Das Sinnenbewusstsein ist aber immer zeitlich zu verstehen und markiert, wenn es im Wechsel seines mannigfachen zeitlichen Hin- und Hergerissenseins das Selbstbewusstsein bestimmt, dessen Sündhaftigkeit. Schleiermacher denkt zwar die Erlösung nun nicht als Befreiung vom sinnlichen Selbstbewusstsein, wie sich Augustin die Befreiung vom Zeiterleben der Seele erhofft, sondern eben als Dominanz des Gottesbewusstseins über das sinnlich-zeitliche Selbstbewusstsein. Vergleichbar sind beide Konzeptionen aber darin, dass hier Zeit einen wesentlichen Faktor der gefallenen Welt und damit der Sünde, nicht allein der Schöpfung ausmacht. … Wölfel Augustins Modell ist aber nicht an subjektivitätstheoretische Zeitoder Ewigkeitsverständnisse gebunden. Dies wurde im 20. Jh. durch den Theologen Eberhard Wölfel angedeutet, der in seiner Zeit- und Ewigkeitstheorie die Relativitätstheorie rezipiert. Ohne an dieser Stelle näher auf diese eingehen zu können, sei darauf hingewiesen, dass Raum und Zeit in der Relativitätstheorie nicht mehr wie bei Kant Formen der Anschauung sind und auch nicht mehr objektiv vorliegende Tatsachen der Außenwelt wie bei Newton, sondern als empirisch zugängliche Erscheinungen nun selbst von anderen Dingen abhängig werden. Dies ist in unserem Falle vor allem die Konstante der Lichtgeschwindigkeit, auf die das Phänomen der Zeitdilatation (Zeitdehnung) bezogen ist: Objektiv vergeht die Zeit bei zunehmender

24 Vgl. Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §52, 267–271.

Zeit und Ewigkeit

Geschwindigkeit langsamer, bis beim Erreichen von Lichtgeschwindigkeit nicht mehr davon gesprochen werden kann, dass objektiv Zeit vergeht. Eberhard Wölfel nimmt dies – in mystischer Tradition stehend – zum Anlass zu fragen, ob nicht das Licht bzw. die Lichtgeschwindigkeit ein deutliches Bild von Gottes Ewigkeit sein könnte.25 Eine ähnliche Denkfigur wurde auch Anfang des 21. Jh. in einer nicht-christlichen, esoterischen Deutung der Relativitätstheorie ausgedrückt.26 Kehren wir aber zu unserem reinen Modell zurück und fragen nach den Konsequenzen dieses Ewigkeitsverständnisses: Zunächst ein wichtiger Vorteil: Das christliche Schöpfungsverständnis, nach dem der ewige Gott in seinem Schöpfungshandeln nicht auf weltliche Dinge angewiesen ist (creatio ex nihilo), wird sehr deutlich zum Ausdruck gebracht: Auch die Zeit als Attribut der Geschöpfe gehört zur Geschöpflichkeit. Zeit und Ewigkeit sind kategorial unterschieden. Dies bringt den weiteren Vorteil mit sich, dass Ewigkeit auch nicht von Zeit abhängig ist. Dennoch ist sie nicht, was Karl Barth gefordert hat,27 positiv aus sich heraus bestimmt, sondern steht immer noch in einem Verhältnis zur Zeit, nämlich als deren Negation. Was sind die Nachteile eines solchen Verständnisses? Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es kein positives Verhältnis eines zeitlosen und unveränderlichen Gottes zur zeitlichen Welt geben kann. Ein tatsächlich leidender oder mitfühlender Gott ist kaum denkbar. Aber sogar ein Handeln Gottes im strengen Sinne ist nicht denkbar, da Handeln zumindest Andersheit und Veränderung voraussetzt. Die zeitliche Welt ist, verglichen mit der Ewigkeit Gottes, ein stark defizitärer Seinsmodus. Die religiöse Praxis des Bittgebets kann – ironischerweise, denn Augustin selbst bedient sich in Buch 11 ständig des Gebets – kaum als reale Kommunikation verstanden werden. Auch mit den biblischen Belegen sieht es eher schlecht aus: Buch 11 führt außer des „Im Anfang“ von Gen 1,1 kaum etwas an. Alles in allem kann gesagt werden: Augustins Ewigkeitsbegriff kann die Relevanz zeitlicher Ereignisse auch für die Ewigkeit, die wir in der raumzeitlichen Selbstidentifikation des dreieinigen Gottes als eschatischen Grund der christlichen Hoffnung diagnostiziert hatten, kaum sichern. Gott bleibt letztlich unerkennbar ohne die Möglichkeit einer Selbstpräsentation.

25 Vgl. Wölfel, E., Zeit. 26 Vgl. Niemz, M., Lucy mit c. 27 Vgl. Barth, K., KDII/1, 689.

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Vorteile des augustinischen Modells

Nachteile des augustinischen Modells

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Das Eschaton

3.1.1.2

§33 Ewigkeit als vollständige Gleichzeitigkeit

Ewigkeit als vollständige Gleichzeitigkeit

§33 Im boethianischen Modell sind Zeit und Ewigkeit derart aufeinander bezogen, dass die zeitliche Sequenz in Ewigkeit gleichzeitig, aber in ihrem geordneten Nacheinander, quasi verräumlicht, vorliegt. Als Variationen des Modells der Ewigkeit als vollständiger Gleichzeitigkeit können verschiedene mittelalterliche Verständnisse wie das des Aquinaten, das Verständnis von Albrecht Ritschl, verschiedene naturphilosophische Deutungen des relativistischen Zeitverständnisses und die Zeitphilosophie McTaggarts verstanden werden. Abgesehen von McTaggarts philosophischer Interpretation ist seine Unterscheidung der sprachlichen Wahrnehmung der Zeit mit Hilfe einer „A-Reihe“ (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) und einer „B-Reihe“ (vorher-nachher) hilfreich. Als Vorteile des Modells können diagnostiziert werden: die Wahrung der kategorialen Differenz zwischen Gott und Welt, die Ermöglichung von Alterität auch in Ewigkeit, sowie die positive Bedeutung der Zeit für die Ewigkeit. Als Nachteile des Modells sind anzusprechen: der prinzipielle Determinismus des Modells (Ausschluss von Kontingenz), das problematische Verständnis eines letztlich nur einmalig denkbaren Handelns Gottes und der Ausschluss von Novität (Neuheit) aus der Ewigkeit.

Der zweite zu behandelnde Typus der Ewigkeit als vollständiger Gleichzeitigkeit sei an Boethius’ (gest. 524) Consolatio Philosophiae (Trost der Philosophie) Buch 5 exemplifiziert. Hier erscheint die boethianische Ewigkeitsdefinition im Zusammenhang der Frage, ob sich menschliche Freiheit und göttliche Providenz widerspruchslos vereinbaren lassen. Wir werden zunächst mit Boethius‘ Definition einsetzen und daraufhin einige seiner Argumentationen heranziehen. Boethius und Plotin Zunächst also die boethianische Definition: „Ewigkeit ist […] der vollständige und vollendete Besitz unbegrenzbaren Lebens“28 . Diese Definition erinnert zunächst sehr stark an die Definition Plotins (gest. ca. 270), des Begründers des Neuplatonismus: Ewigkeit sei „Leben, das im Selben verharrt, da es immer das Ganze gegenwärtig hat, nicht Ewigkeit als vollständige Gleichzeitigkeit bei Boethius

28 Boethius, A.M.S., Trost V, 6p (262): „Aeternitas igitur est interminabilis vitae tota simul et perfecta possessio.“

Zeit und Ewigkeit

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jetzt dieses, dann ein Anderes, sondern alles zugleich, und nicht jetzt Anderes und dann wieder Anderes, sondern teillose Vollendung“.29 Nun soll hier gar nicht geleugnet werden, dass es sich bei Boethius um einen Spätneuplatoniker handelt. Aber im Vergleich zu Plotin gibt es einen entscheidenden Unterschied: Plotin entfaltet den Ewigkeitsbegriff als Leben des aus dem Einen sich durch Selbstreflexion entfalteten Geistes (nous), vollständig ohne auf die Zeit zu rekurrieren. Diese tritt erst in einer dritten Stufe als Leben der Seele als Abbild der Ewigkeit in Erscheinung.30 Boethius hingegen bezieht seine Definition sofort auf die zeitliche Welt: Ewigkeit als der Besitz unbegrenzten Lebens „wird aus dem Vergleich mit dem Zeitlichen noch deutlicher erhellt“.31 Und dieser Vergleich entpuppt sich nicht als sich ausschließende Gegenüberstellung zwischen Ewigkeit und Zeit wie bei Augustin, auch nicht als Abbildverhältnis, wie bei Platon, sondern als Gleichzeitigkeit aller zeitlichen Ereignisse: „Was jedoch die ganze Fülle unbegrenzbaren Lebens gleichzeitig umgreift und besitzt […], das wird mit Recht als ewig aufgefasst […] und das muss notwendigerweise […] immer die Unendlichkeit der bewegten Zeit als eine Gegenwart vor sich haben“.32 Nicht entscheidend ist hier, dass Boethius im Gegensatz zu Augustin nicht sofort den Gedanken der creatio ex nihilo auf die Zeit bezieht, denn ein Anfang der Zeit würde sich hier auch nicht störend auswirken. Entscheidend ist: Im Unterschied zu Augustin ist hier die Ewigkeit sofort in ein sehr starkes positives Verhältnis zur Zeit gesetzt, ein noch stärkeres Verhältnis als Abbildlichkeit, wie dies bei Platon der Fall ist. Die Ursache für die starke Relation zwischen Zeit und Ewigkeit ist Vorsehung Gottes: im Kontext der Explikation des Providenzproblems zu suchen. Boe- Prävidenz und Providenz thius sieht nämlich sehr deutlich folgendes Problem: Wenn Gott quasi primordial (ursprünglich) alles voraussieht (praevidere), könnte es keine menschliche Freiheit geben, an der unbedingt festzuhalten ist.33 Ausdrücklich abgewiesen wird hier die Ansicht, diese Voraussicht könne ja eine Voraussicht der menschlichen Entscheidungen sein. Dies würde nichts daran ändern, dass alles Folgende dennoch mit Notwendigkeit geschähe. Boethius dürfte nun der Ansicht sein, dieses Problem auf wahrscheinlich neue Weise zu lösen, denn er sagt, bisher 29 Enn. III,7.3; Plotin/Beierwaltes, W., Ewigkeit und Zeit, 98f. 30 Vgl. Plotin/Beierwaltes, W., Ewigkeit und Zeit, 62–74. 31 Boethius, A.M.S., Trost V, 6p: „quod ex collatione temporalium clarius liquet“; Boethius, Trost, 262. 32 Boethius, A.M.S., Trost V, 6p (262–4): „Quod igitur interminabilis vitae plenitudinem totam pariter comprehendit ac possidet [...], id aeternum esse iure perhibetur, idque necesse est [...] infinitatem mobilis temporis habere praesentem“. 33 Vgl. V. 3.p (236).

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sei die Sache noch nicht sicher genug herausgearbeitet worden;34 er hingegen versuche nun, dies neu zu erhellen. Diese Lösung besteht im Wesentlichen darin, dass nicht von einer Prävidenz, sondern von einer Providenz zu sprechen sei, die sich in Boethius’ Ewigkeitsdefinition bündelt. Während in der Prävidenz alle zeitlichen Ereignisse mit Notwendigkeit geschehen, soll es der Providenzgedanke ermöglichen, dass einige Ereignisse mit Notwendigkeit geschehen, während andere nur mit relativer Notwendigkeit geschehen. Boethius veranschaulicht diese ewige Providenz mit einer Analogie: Das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit gleicht einem Beobachter, der zugleich einen Sonnenuntergang und einen davor wandelnden Spaziergänger beobachtet. Während dem Sachverhalt der untergehenden Sonne eine intrinsische Notwendigkeit zukommt, kommt dem wandelnden Spaziergänger nur eine hypothetische zu: Wenn [A] der Beobachter wirklich einen Spaziergänger wahrnimmt, dann geht [B] auch wirklich jemand spazieren. B ist hier nicht intrinsisch notwendig, sondern nur, insofern A wahr ist. Auf diese Weise35 sähe nun Gott in Ewigkeit Vergangenheit, Gegenwart und vor allem Zukunft, die für den Menschen auseinander fallen, gleichzeitig, ohne dass das ganze zeitliche Geschehen notwendig sei: „Auf eben dieselbe Weise ist das, was die providentia als gegenwärtig sieht, notwendig, obwohl es keine Notwendigkeit von Natur hat. Freilich schaut Gott das Zukünftige, das aus der Freiheit des Willens hervorgeht, als ein Gegenwärtiges. Also geschieht dies, auf das göttliche Schauen bezogen, mit Notwendigkeit, bedingt durch das göttliche Erkennen, für sich betrachtet aber lässt es nicht ab von der absoluten Freiheit seiner eigenen Natur“.36 Menschliche ratio Damit diese Analogie funktioniert, bedarf es freilich noch einer und göttliche erkenntnistheoretischen Prämisse: Das Erkenntnis- bzw. Wahrnehintelligentia mungsvermögen ist derart gestaffelt, dass ein höheres Erkenntnisvermögen alles das, was ein niederes erkennt, mit umgreift, nicht aber umgekehrt. Der Mensch hat als höchstes natürliches Erkenntnisvermögen lediglich die ratio,37 Gott aber die intelligentia. Die intelligentia kann alles erkennen, was auch die ratio erkennt, aber nicht umgekehrt. Die boethianische Explikation der Ewigkeit bzw. der Providenz im Unterschied zur Prävidenz vollzieht sich aber in der ratio und 34 Vgl. Boethius, A.M.S., Trost V, 4.p (246). 35 Vgl. Boethius, A.M.S., Trost V, 6.p (268–70). 36 Boethius, A.M.S., Trost, 6p (268–70): „Eodem igitur modo, si quid providentia praesens videt, id esse necesse est, temetsi nullam naturae habeat necessitatem. Atqui deus ea futura, quae, ex arbitrii libertate proveniunt, praesentia contuetur; haec igitur ad intuitum relata divinum necessaria fiunt per condicionem divinae notionis, per se vero considerate ab absoluta naturae suae libertate non desinunt“. 37 Vgl. Boethius, A.M.S., Trost V, 5.p (258).

Zeit und Ewigkeit

ist daher unzureichend. Wörtlich genommen, würden daher in der boethianischen Explikation der Ewigkeit letztlich relative und absolute Notwendigkeit der gesehenen Ereignisse doch wieder in pure Notwendigkeit kollabieren. Die Differenz lässt sich nur unter dem Vorbehalt aufrechterhalten, dass sie nicht unter menschlicher ratio, sondern unter der weitaus fähigeren göttlichen intelligentia geschieht. Dies heißt aber, um es deutlich zu sagen, dass sich Boethius letztlich einer argumentativen Lösung des Problems verweigert: Freiheit und Notwendigkeit aller Zeiten können in der Gleichzeitigkeit der Ewigkeit zusammen bestehen, wir wissen aber nicht, warum. Aber wir können sagen, warum wir es nicht wissen: Weil wir nicht Gott sind. Das boethianische Ewigkeitsverständnis kann daher mit Recht als unbefriedigend empfunden werden. In der Geschichte der Religionsphilosophie des 20. Jh. wird die boethianische Verhältnisbestimmung von Zeit und Ewigkeit interessanterweise mit einem Bild beschrieben, dass sich bei Boethius in expliziter Form nicht findet, sondern nur angedeutet ist. Offensichtlich beziehen sich hier verschiedene Wissenschaftler jeweils aufeinander, ohne dass sie tatsächlich im Original nachgeschaut hätten. Da diese Ausführungen des 20. Jh. aber leicht verständlich sind, ist es hilfreich, diese hier zu erwähnen: Der Fluss der Zeit gleicht Wandernden im Gebirgstal. So wie diese nicht hinter die nächste, vor ihnen liegende Biegung schauen können, kennt der zeitliche Mensch die Zukunft nicht; und so wie man auch nicht mehr hinter die letzte Biegung schauen kann, geht auch die Vergangenheit im Gedächtnis verloren. Gottes Ewigkeit gleicht nun aber einem Beobachter auf dem höchsten Berggipfel, der die gesamte Zeit gleichzeitig vor sich hat.38 Als etwas moderneres Modell könnte man sich auch eine Filmrolle denken. Die zeitliche Perspektive ist dann die Aufführung des Films in seiner zeitlichen Sequenz, die Ewigkeit Gottes wäre dann die dem Auge gleichzeitig vorliegenden Filmbilder der vollständig ausgerollten Filmrolle. Auch Boethius’ Modell findet sich in vielen verschiedenen Ausprägungen durch die ganze Geistesgeschichte hindurch.

38 Diese Zuschreibung des Berggipfelbildes findet sich explizit etwa bei Brümmer, V., Was tun wir, wenn wir beten?, 41. Bei Boethius findet sich in Boethius, A.M.S., Trost V, 6p (266), lediglich folgende angedeutete Aussage: „providentia […] dicitur, quod porro a rebus infimis constituta quasi ab excelso rerum cacumine cuncta prospiciat“ (Sie wird Vorsehung genannt, weil sie von den niedrigen Dingen fern ist, indem sie quasi von der höchsten Spitze alles vor sich sieht [Übersetzung vom Vf.]).

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Boethius’ Modell im 20. Jh.

Variationen des Modells bei …

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Das Eschaton

Thomas von Aquin (gest. 1274) als Beispiel für eine breite Tradition im Mittelalter39 schließt sich Boethius’ Überlegungen ausdrücklich an.40 … A. Ritschl Eine äußerst interessante Variation findet sich gegen Ende des 19. Jh. bei Albrecht Ritschl.41 Ritschl denkt im System von Herrmann Lotze, in dem Zweckbegriffe die entscheidende Rolle spielen. Gott und Mensch werden durch ihren Zweck definiert. Der Zweck Gottes ist das Reich Gottes, ebenso der des Menschen. In Gottes Ewigkeit ist dieser Zweck immer schon verwirklicht, es gibt keine Differenz zwischen Zweck und Ziel. In des Menschen Perspektive treten Zweck und Ziel aber auseinander, weil die Zwecke der Menschen durch andere widerstrebende Zwecke gehemmt werden. Diese Hemmungen der persönlichen Zwecke bezeichnet Ritschl als die Übel. Weil nun aber Zweck und Ziel auseinander treten, entsteht das zeitliche Erleben der Menschen. Ritschls Auffassung erinnert insofern an das boethianische Modell, als hier die Ewigkeit ebenso auf die gesamte Zeit bezogen gedacht ist. Es unterscheidet sich aber in seinem erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt. Während Boethius von der Zeiterfahrung ausgeht und auf die Ewigkeit schließt, geht Ritschl umgekehrt vor und schließt aus der Ewigkeit als Zweckverwirklichung auf die Zeit als Auseinandertreten von Zweck und Ziel. … Minkowski und Variationen dieses Modells finden sich ebenfalls in der moderEinstein nen relativistischen Zeitauffassung, was kurz erwähnt sei: Das mit der speziellen Relativitätstheorie auftretende, oben schon genannte Phänomen der Zeitdilatation (Zeitdehnung) bringt es nämlich mit sich, dass eine absolut gültige Zeit für alle Orte der Welt nicht mehr denkbar ist. Ist nämlich der Zeitfluss von der Geschwindigkeit der Beobachter abhängig, ist es durchaus denkbar, dass es zwei Beobachter gibt, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen, Beobachter A und Beobachter B. Dabei soll Beobachter A den Beobachter B als gleichzeitig sehen und B ebenso A. Nun ist es aber möglich, dass A ein weiteres Ereignis C beobachtet, das für ihn gleichzeitig ist, während es in der Vergangenheit oder Zukunft von B liegt.42 Dieser Sachverhalt hatte schon H. Minkowski (gest. 1909) dazu geführt, die Zeit als weitere, quasiräumliche Dimension zu verstehen. Diese vierdimensionale Raumzeit wird aber in der Interpretation von H. Minkowski, A. Einstein (gest. 1955) selbst und vielen anderen

… Thomas von Aquin

39 Dies kommt besonders deutlich durch den Terminus sempiternitas zum Ausdruck; vgl. Echternach, H., Ewigkeit. 40 Vgl. Thomas von Aquin, s.th., 1q. 10a. 1c. 41 Vgl. Ritschl, A., RuV 3, 284. 475. 42 Rietdijk, C.W., Proof of Determinism.

Zeit und Ewigkeit

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naturphilosophisch interessierten Naturwissenschaftlern letztlich im boethianischen Modell gedeutet, nach dem entsprechend dann auch die Zukunft feststeht und eine deterministische Welt angenommen werden muss.43 Auch der Cambridger idealistische Philosoph John M.E. McTag- … McTaggart: A-Reihe gart (gest. 1925) denkt in diesen Bahnen. Er macht die wichtige Beob- und B-Reihe achtung, dass wir von Zeit in zwei unterschiedlichen Weisen sprechen: Zum einen benutzen wir Begriffe wie „jetzt“, „damals“ oder „dann“. Diese Begriffe sind zeitlich auf die jeweilige Gegenwart des Sprechers bezogen, so dass die jeweilige Gegenwart hier eine ausgezeichnete Position erhält. McTaggart nennt dies die „A-Reihe“. Zum anderen benutzen wir Begriffe wie „vorher“ und „nachher“, die einfach eine zeitliche Abfolge von Ereignissen diagnostizieren, etwa, wenn wir sagen, dass der zweite Weltkrieg vor dem zweiten Irakkrieg, aber nach dem zweiten peloponesischen Krieg stattgefunden hat. McTaggart nennt dies die „B-Reihe“. Aus einer solchen Aussage ist die jeweilige Gegenwart des Sprechers nicht zu entnehmen, denn dieses sprachliche Erfassen der Zeit ist unabhängig von einer Auszeichnung einer Gegenwart. Soweit ist McTaggart zunächst einmal nur ein guter Beobachter der Wirklichkeit und seine Analyse kann durchaus als sehr hilfreich für das Verständnis der Zeit verstanden werden. McTaggart bleibt aber nicht bei dieser Analyse stehen, sondern behauptet, dass die B-Reihe hinreichend zur Erfassung geschichtlicher Sequenzen sei, allerdings nicht mit der A-Reihe logisch zu verbinden. Da aber an der B-Reihe festgehalten werden muss, aber die A-Reihe für den Zeitbegriff notwendig ist, entscheidet sich McTaggart für die Annahme der Realität der B-Reihe und der Irrealität der A-Reihe – und damit für die Irrealität der Zeit selbst. So rekonstruiert McTaggart letztlich das boethianische Zeitverständnis auf seine Weise, denn wenn von einer ausgezeichneten Gegenwart nicht die Rede sein muss, sind alle Ereignisse der Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart letztlich egalitär; ja mehr noch, die Rede von Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit setzt die als verzichtbar bezeichnete A-Reihe voraus.44 Kommen wir aber zum reinen Modell zurück und betrachten Vorteile des Modells zunächst die Vorteile dieses Verständnisses: Dieses Modell hat gegenüber dem Modell der Ewigkeit als Zeitlosigkeit den Vorzug, dass hierfür vielleicht leichter Belege der frühjüdischen Tradition verbucht werden können, etwa wenn die apokalyptischen Seher im Himmel nicht nur Zukünftiges, sondern auch Vergangenes schauen 43 Vgl. Minkowski, H., Raum und Zeit; Weyl, H., Was ist Materie?, 87; Rietdijk, C.W., Proof of Determinism. 44 Vgl. McTaggart, J.M.E., Unreality of Time.

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Das Eschaton

(äthHen 33,6). Im Vergleich zum ersten Modell ist festzuhalten, dass es einen deutlich stärkeren Bezug zur zeitlichen Welt gibt. Diese wird dadurch deutlich aufgewertet, denn das, was in der Zeit geschieht, kann Bedeutung für die Ewigkeit haben. Gleichzeitig bleibt die kategoriale Differenz zwischen Zeit und Ewigkeit gewahrt. Der ewige Gott kann ferner nun auch als handelnd gedacht werden. Nachteile des Damit wären wir aber auch schon bei den Nachteilen. Gott kann Modells zwar handeln, aber letztlich nur einmal, alles Handeln Gottes kann sich nur als Weltsetzung verstehen, das die gesamte Zeit der Welt einschließlich all ihrer Ereignisse auf einmal setzt. In Zukunft kann nichts geschehen, was nicht schon für den ewigen Gott Realität wäre. Damit wäre zum einen die Freiheit Gottes auf einen einmaligen Akt begrenzt. Zum anderen bedeutet dies aber für die zeitliche Welt, wenn man nicht Boethius’ ratio-intelligentia Unterscheidung folgt, Determinismus. Letztlich geht damit nicht nur die Freiheit Gottes zu handeln, sondern auch die menschliche Freiheit verloren. Das Problem der Herkunft des Bösen muss entweder offen bleiben oder auf das einmalige Handeln Gottes zurückgeführt werden. In besonders einfachen Ausprägungen dieses Modells würde sich auch das Problem stellen, dass dieses Böse verewigt wird. Allerdings stellt sich dieses Problem in der Regel nicht: Wir hatten schon am Beispiel Ritschls gesehen, dass hier das Übel als Zweckhemmung verstanden wird und so zwar Zeit konstituieren kann, aber von vornherein aus dem Begriff der Ewigkeit ausgeschlossen ist. Aber auch in allen anderen Modellen ist die Verewigung des Bösen keine notwendige Konsequenz, wenn man den Endgerichtsgedanken verwendet. Das Endgericht könnte dann nämlich so verstanden werden, dass es zusätzlich zu dem protologischen Handeln Gottes, das die ganze Welt setzt, noch ein zweites, eschatisches Handeln Gottes gäbe, das einem Regisseur vergleichbar wäre, der aus einer fertig gestellten Filmrolle zuletzt noch einige Szenen herausschneidet. Freilich ändert dieses hypothetische erste und zweite Handeln nichts daran, dass letztlich nur ein einziges Handeln Gottes vorliegt. Dann müsste man sagen, dass es in der Perspektive der Ewigkeit bei der Betrachtung des zeitlichen Laufes einige Sequenzen gar nicht gibt, die aus zeitlicher Perspektive vorliegen, nämlich das Böse. Wenn aber in der Zeit mehr geschähe, als in der Ewigkeit, stellt sich die Frage, ob es sich bei einer derart verstandenen Ewigkeit noch um einen eschatischen Sachverhalt handeln kann.

Zeit und Ewigkeit

3.1.1.3

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Ewigkeit als partielle Gleichzeitigkeit

§34 Im Modell der Ewigkeit als partieller Gleichzeitigkeit begleitet §34 Ewigkeit als die göttliche Ewigkeit die jeweilige Gegenwart der Zeit, indem partielle Gleichzeitigkeit Vergangenheit und Gegenwart der Ewigkeit gleichzeitig vorliegen, die Zukunft der jeweiligen Gegenwart aber nur als eine Vielzahl von Möglichkeiten. Das auf Duns Scotus zurückgehende Modell findet seit dem 20. Jh. breiten Zuspruch, so bei Tillich, in Prozessphilosophie und theologie, bei Vincent Brümmer und Peter Geach. Als Vorteile des Modells der Ewigkeit als partieller Gleichzeitigkeit können diagnostiziert werden: Die Ermöglichung von wahrer Kontingenz für die Welt und die Ablehnung eines deterministischen Universums, die Ermöglichung von Alterität (Andersheit) für Zeit und Ewigkeit, die positive Bedeutung der Zeit für die Ewigkeit und ein denkbares Handeln Gottes. Als Nachteile können benannt werden: Ewigkeit schließt immer noch Novität (Neuheit) aus; ferner gerät die kategoriale Differenz zwischen Gott und Welt in Gefahr, aufgeweicht zu werden. Das Modell hat ferner konzeptionelle Probleme mit der Integration des Zeitverständnisses der speziellen Relativitätstheorie. Aufgrund der erwähnten Nachteile wurde dieses Modell modifiziert: Das Modell der Man kann dies den Typus der Ewigkeit als partielle Gleichzeitigkeit Ewigkeit als partielle Gleichzeitigkeit nennen. Vincent Brümmer45 und Richard Swinburne46 kritisieren an dem Modell der vollständigen Gleichzeitigkeit – besonders, wenn man an das Bild des Beobachters auf dem höchsten Gipfel über dem Tale denkt – dass der Fehler in einer Verräumlichung der Zeit bestehe, in einer Reduktion auf quasiräumliche Relationen: Zwar könne die Differenz von vorher und nachher, also die B-Reihe der Zeit, in der Ewigkeit gewahrt werden, nicht aber die Auszeichnung der jeweiligen Gegenwart. Wolle man beides wahren, dürfe das boethianische Modell nur auf die Vergangenheit und Gegenwart, nicht aber auf die Zukunft angewandt werden: Während Gott in seiner Ewigkeit als Gleichzeitigkeit alles Geschehene mit Notwendigkeit gleichzeitig sieht, sieht er in der Gleichzeitigkeit die Zukunft nur als Möglichkeit.47 Wir

45 Vgl. Brümmer, V., Was tun wir, wenn wir beten?, 40–44. 46 Vgl. Swinburne, R., Christian God, 138–139. 47 Vgl. Brümmer, V., Was tun wir, wenn wir beten?, 40–44.

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Das Eschaton

können auch dies in ein Bild fassen und dieses modifizierte boethianische Modell mit einem Beobachter vergleichen, der die Wanderer im Tal begleitet, und einerseits alle hinter ihm Wandernden gleichzeitig sehen kann, weil er diese begleitend mit einem Gleitschirm über diesen in einer erhöhten Perspektive mit fliegt. Gleichzeitig kann er das Tal voraus, einschließlich aller seiner Wegabzweigungen exakt überblicken, aber nicht sehen, welchen Weg die Karawane nehmen wird. Man kann dieses modifizierte boethianische Modell auch so beschreiben, dass einer Sichtweise der Ewigkeit gemäß der McTaggart’schen B-Reihe von Ereignissen nun die indexikalische A-Reihe ergänzt und der Ewigkeit selbst eine Perspektive zugewiesen wird. Diese Modifikation findet sich historisch zum ersten Mal wahrscheinlich bei Johannes Duns Scotus (gest. 1308).48 Auch dieses Verständnis der Ewigkeit als partieller Gleichzeitigkeit hat eine breite theologische und außertheologische Tradition. Wir finden Elemente von ihm verschiedentlich im 20. Jh. bei Paul Tillich,49 in der Prozessphilosophie,50 bei dem philosophischen Theologen Vincent Brümmer51 oder bei dem an Wittgenstein orientierten Religionsphilosophen Peter T. Geach.52 Vorteile des Modells Mit der nur scheinbar kleinen Modifikation gegenüber dem Modell absoluter Gleichzeitigkeit wird erreicht, dass ein deterministisches Weltverständnis aufgegeben wird und sowohl ewiger Gott als auch Mensch immer noch handeln können. Echte Kontingenz ist somit ermöglicht. Das Gebet zwischen zeitlichem Mensch und ewigem Gott kann nun als wirkliche Kommunikation verstanden werden. Nachteile des Neben diesen Vorteilen hat aber auch dieses Konzept NachteiModells le, denn die Differenz zwischen Ewigkeit und Zeitlichkeit ist nun deutlich herabgesetzt. Ferner ermöglicht auch dieses Bild keine wirkliche Neuheit über das Geschehen in der zeitlichen Welt hinaus. Eine philosophische Schwierigkeit besteht darin, dass der Befund der Relativitätstheorie – nach der es kein ausgezeichnetes absolutes Bezugssystem und damit keine einheitliche Gegenwart mehr gibt – mit dem Gedanken der zeitlichen Begleitung Gottes vereinbart werden müsste. Dies ist zwar möglich, aber nur um den Preis, dass bestimmte Bezugssysteme innerhalb der Welt dann mit dieser Gottesperspektive zusammenfallen müssten. Zu denken wäre hier an das Bezugssystem

48 Vgl. Normore, C./Kretzman, N., The Cambridge History of Later Medieval Philosophy, 367. 49 Vgl. Tillich, P., ST III, 473–477. 50 Vgl. Welker, M., Universalität Gottes, 109–137. 51 Vgl. Brümmer, V., Was tun wir, wenn wir beten?, 40–44. 52 Vgl. Geach, P.T., Providence and Evil, 57f.

Zeit und Ewigkeit

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der Erde, das sich christologisch durch die Inkarnation begründen ließe, oder aber auch – und zwar auch in spezifisch nicht-religiösen naturphilosophischen Interpretationen53 – an eine nicht rekonstruierbare Urknallperspektive zu Beginn der Welt. Fragen wir nun nach einer Ewigkeitshoffnung für den Menschen Bedeutung für unter den Bedingungen dieser beiden Ewigkeitsmodelle als absoluter menschliches Hoffen oder partieller Gleichzeitigkeit, kann diese darin bestehen, dass das, was der Mensch in der Zeit erlebt, gewissermaßen verewigt wird. Es bleibt, um die Terminologie der Prozessphilosophie Whiteheads zu nutzen, in der Folgenatur Gottes erhalten, im Gedächtnis Gottes geht nichts verloren oder wird, nach Tillich, essentifiziert.54 Bei diesen Vorstellungen der Verewigung des Zeitlichen bleibt auch Raum für den Gerichtsgedanken: Nicht alles der zeitlichen Ewigkeit bleibt erhalten, sondern nur das, was miteinander kohärent ist. Die Verewigung des Zeitlichen ist somit gleichzeitig eine Reinigung. Was es in diesem Typus von Ewigkeitshoffnungen für den Menschen freilich nicht gibt, ist die Hoffnung auf wirklich Neues und qualitativ Unterschiedenes. Die Ewigkeit fügt der Zeitlichkeit nichts hinzu, sie nimmt ihr nur etwas weg. Ob dieser Ewigkeitstyp daher tatsächlich als ewiges Leben zu bezeichnen ist, das die volle Valenz der Zeit erhält, ist fraglich. 3.1.1.4

Ewigkeit als anfangsloser und endloser Fluss der Zeit

§35 Swinburne unterscheidet eine Topologie, die Ordnung von früher und später, die identisch mit McTaggarts B-Reihe ist, von einer Metrik der Zeit, die sich auf die Länge von Perioden bezieht. Die Topologie ist Gottes Ewigkeit und setzt keine Welt voraus. Die Metrik setzt die Welt als Schöpfung voraus. Vergangenheit und Gegenwart sind Gott gleich gegenwärtig, da sie logisch für uns nur als zwei verschiedene Wahrnehmungsformen der Vergangenheit auseinandertreten. Gott bleibt Herr der Zeit und dennoch bleibt die Zukunft nach Schöpfung der Welt auch für Gott offen, weil Gott dies wünscht. Das Verständnis der Ewigkeit als unendlichem Fluss der Zeit ist zwar biblisch breit bezeugt, wird aber in der theologisch-

53 Vgl. die Beschreibung einer relativistischen Standpunktlogik bei Müller, T., Arthur Priors Zeitlogik, 195ff. 54 Vgl. Tillich, P., ST III, 473–477 und Whitehead, A.N., Prozeß und Realität, 611–627.

§35 Die Charakteristika von Swinburnes Modell der Ewigkeit als unendlichem Zeitfluss

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Das Eschaton

philosophischen Tradition meist abgelehnt und nur selten vertreten. Als Vorteile des Verständnisses der Ewigkeit als unendlichem Fluss der Zeit sind zu diagnostizieren: Kontingenz bei Ablehnung eines Determinismus, eine positive Bedeutung der Zeit für die Ewigkeit und die Ermöglichung von Alterität und Novität für Zeit und Ewigkeit. Als Nachteil bleibt festzustellen, dass der kategoriale Unterschied zwischen Zeit und Ewigkeit verlorenzugehen scheint. Eine Partizipationshoffnung für den Menschen besteht in der Befreiung jeder narrativ externen Metrik der Zeit bei Beibehaltung der narrativen Topologie der Zeit, so dass Langeweile und Zeitdruck ausgeschlossen sind. Ewigkeit als unendlicher Zeitfluss bei Swinburne

Zeit ist periodisch, nie punktuell

Topologie und Metrik der Zeit

Nun erwähnt Boethius noch ein weiteres Ewigkeitsverständnis, das er aber recht lapidar ablehnt: Das scheinbar naive Verständnis der Ewigkeit als endlosem Fluss der Zeit.55 Aber auch dieses Ewigkeitsverständnis ist mit Sorgfalt zu erwägen. Dies soll nicht am Beispiel eines klassischen Autors geschehen, sondern am Beispiel des zeitgenössischen Oxforder Religionsphilosophen Richard Swinburne, der einen der philosophisch anspruchsvollsten Entwürfe zu diesem Typus vorgelegt hat. Swinburne hat seine Überlegungen in zwei Werken vorgetragen, in Space and Time von 1968 und in The Christian God von 1994. Betrachten wir zunächst Swinburnes Zeitverständnis, um daraufhin auf den Ewigkeitsbegriff zu sprechen zu kommen. Swinburne beschreibt zunächst mit Hilfe von vier Prinzipien das Wesen von Zeit. Das erste Prinzip besteht darin, dass Ereignisse in Perioden geschehen, niemals zu Zeitpunkten, die nur Grenzwertcharakter haben. „Jedes Ereignis – einschließlich der bloßen Existenz einer Substanz mit ihren Eigenschaften – ereignet sich über eine Zeitperiode und niemals nur zu einem Zeitpunkt“.56 Konsequenzen dieses Prinzips sind zum einen, dass Momente nur als Grenzwerte zwischen Perioden gesehen werden und dass jede beliebige Zeitperiode in unendlich viele Zeitperioden geteilt werden kann. Das zweite Prinzip unterscheidet eine Topologie von einer Metrik der Zeit: „Die Topologie bezieht sich auf die Ordnung von Ereignissen, die Metrik auf die Länge der Intervalle zwischen ihnen“.57 55 Vgl. Boethius, A.M.S., Trost V,6.p. 56 Swinburne, R., Christian God, 72. Diese und die folgenden Übersetzungen stammen vom Vf. 57 Swinburne, R., Christian God, 75.

Zeit und Ewigkeit

Die Topologie bezieht sich auf die pure Folge realer oder möglicher Ereignisse und ist von Naturgesetzen unabhängig. Die Metrik bezieht sich auf die messbare Dauer von Zeitperioden und basiert auf Naturgesetzen. Die Metrik setzt die Topologie voraus, nicht aber die Topologie die Metrik: „Während die Zeit eine Topologie unabhängig davon besitzt, ob es Naturgesetze gibt, besitzt sie eine Metrik nur dann, wenn es Naturgesetze gibt“.58 Die Metrik setzt den Bestand natürlicher oder künstlicher Uhren voraus, die Topologie nicht. Ohne die Metrik sind unterschiedliche Perioden hinsichtlich ihrer Länge ununterscheidbar, das Konzept der Messbarkeit von Zeit ist sinnlos. Eine Konsequenz dieses Prinzips ist, dass die Metrik der Zeit einen Anfang und ein Ende haben kann, nicht aber die Topologie: Wenn es einen ersten Grenzwert gäbe, ab dem Substanzen erscheinen, so wäre dieser Grenzwert gleichzeitig das Ende einer metriklosen Periode vorher: „Gäbe es keinen Gott und hätte das Universum einen Anfang, dann gäbe es davor keine Substanzen und folglich keine Naturgesetze; dann könnte man zwar davon sprechen, dass es eine Zeit vor dem Universum gab, aber man könnte nicht eine Periode dieser Zeit von einer anderen unterscheiden“.59 Konsequenterweise bezieht Swinburne die augustinische Ansicht von der Geschöpflichkeit der Zeit auf die Metrik, nicht auf die Topologie. Das dritte Prinzip bezieht sich auf eine kausale Reduktion der Zeit: Die Zukunft ist das, was kausal affizierbar ist, die Vergangenheit das, was kausal affizieren kann: „Eine Zeitperiode heißt Zukunft, wenn es logisch möglich ist, dass eine Ursache nun kausal bewirken kann, was dann geschieht; und eine Zeitperiode heißt Vergangenheit, wenn es logisch möglich ist, dass eine damals wirkende Ursache bewirkt haben könnte, was nun geschieht.“60 Eine Konsequenz dieses und des ersten Prinzips ist, dass es nur Vergangenheit und Zukunft gibt. Eine augustinische Gegenwart ist nicht denkbar. Der Unterschied zwischen Erinnerung an Vergangenes und Wahrnehmung von Gegenwärtigem ist nicht kategorialer, sondern kontingent-biologischer Natur: Beides ist ein Bewusstsein von Vergangenem: Wahrnehmung bezieht sich auf Vergangenes, das unvermeidlich und konstant durch den Kausalzusammenhang verbunden in das Bewusstsein tritt. Erinnerung hingegen bezieht sich auf Vergangenes, das nicht konstant, sondern sporadisch in das Bewusstsein tritt und dessen Erinnerung an den Ereigniszusammenhang lückenhaft ist. Für personale Individuen mit nicht menschlichen 58 Swinburne, R., Christian God, 75. 59 Swinburne, R., Christian God, 79. 60 Swinburne, R., Christian God, 81.

121

Zukunft und Vergangenheit beruhen auf kausaler Beeinflussung

Die Gegenwart ist Teil der Vergangenheit

122

Das Eschaton

Hirnstrukturen, so Swinburne, könnte die Differenz von Wahrnehmung und Erinnerung hinfällig sein: „Sowohl Erinnerung als auch Wahrnehmung können sich nur auf vergangene Dinge beziehen. […] Diejenigen Erfahrungen, die durch eine unmittelbare kausale Kette erscheinen […] – das sind dem Bewusstsein unvermeidliche Erfahrungen – […] nennen wir Wahrnehmungen. […] Erinnerungen stehen hingegen nicht konstant vor unserem Bewusstsein, sondern sie erscheinen erratisch. […] Die Unterschiedenheit von Wahrnehmung und Erinnerung hat bei Menschen eindeutig ihre Quelle in den unterschiedlichen Gehirnstrukturen, die unsere Erfahrung mit der Welt vermitteln. Individuen, die sehr verschieden von uns wären, müssten nicht auch eine ähnliche zweifache Bewusstseinsstruktur der Vergangenheit besitzen.“61 Irreversibilität und Indexikalität der Zeit

Swinburnes Ablehnung des boethianischen Modells

Eine weitere Konsequenz der kausalen Reduktion besteht darin, dass der Zeitlauf irreversibel ist. Eine dritte Konsequenz schließt aus, dass die Existenz paralleler Zeitlinien ein sinnvolles Konzept sein könnte. Das vierte Prinzip schließlich bezieht sich auf die Indexikalität der Zeit, nach der die Differenz von früher und später jeweils vom Beobachter in der Zeit abhängig ist und nimmt McTaggarts Unterscheidung einer A-Reihe von Ereignissen und einer B-Reihe von Ereignissen auf: Die B-Reihe bezieht sich, wie erwähnt, nur auf die Ordnung von Ereignissen, unabhängig vom indexikalischen Standpunkt des Beobachters, die A-Reihe bezieht die Ordnung des früher-später relativ zum Beobachter indexikalisch mit ein.62 Kommen wir nun zu Swinburnes Ewigkeitsbegriff. Swinburne unterscheidet zwei mögliche Typen von Ewigkeitsverständnissen: Zum einen das naive, explizit oder implizit nach seiner Aussage im NT bis ins dritte Jahrhundert vorliegende Verständnis der Ewigkeit als unendlichem Zeitfluss und andererseits das seit neuplatonischer Zeit auch im Christentum herrschend gewordene Verständnis von Ewigkeit als Zeitlosigkeit. Dabei ist zu beachten, dass er beide, den hier vorgestellten augustinischen und den hier vorgestellten boethianischen Typus, darunter subsumiert, sich primär aber nur auf den boethianischen Typus bezieht. Die Verschiebung vom biblischen zum augustinisch-boethianischen Typus erkläre sich aus dem scheinbaren Mangel des ersten Verständnisses, das Gott der Vergänglichkeit der Zeit unterordne und ihn zu deren Gefangenen mache: „Es scheint so, als stünde die Zeit außerhalb der Macht Gottes, der in ihrem Lauf gefangen ist. Die kosmische Uhr tickt die Zeit hinweg […] und Gott kann nichts daran ändern. […] Das ist ein Verständnis von Gott als 61 Swinburne, R., Christian God, 90. 62 Vgl. McTaggart, J.M.E., The Nature of Existence, Bd. 2, Kap. 33.

Zeit und Ewigkeit

time’s prisoner“.63 Swinburne geht nun so vor, dass er versucht zu zeigen, dass der boethianische Typ inkohärent ist: Wenn der ganze Lauf zeitlicher Ereignisse in Gottes Gegenwart präsent sei, könne dies entweder heißen, dass Gottes Gegenwart hier ein Moment sei oder eine Periode. Ersteres ist aber durch das erste Prinzip der Zeit ausgeschlossen, nach dem Momente lediglich Grenzwertcharakter haben: „Die wahrscheinlichste Interpretation der Tradition scheint ‚Moment‘ als Zeitpunkt zu verstehen und in diesem Fall steht diese Auffassung im Widerspruch zum ersten Prinzip […]. Ein Sachverhalt muss über eine Zeitperiode andauern, er kann nicht nur zu einem Zeitpunkt bestehen“.64 Wäre Gottes ewige Gegenwart aber als Periode zu deuten, müsste diese identisch mit dem ganzen Zeitlauf sein. Wenn Gott dann aber kausal handeln soll, würde dies die schon von Swinburne als logisch inkohärent angesehene Möglichkeit einer backward causality oder einer gleichzeitigen Verursachung bedeuten oder aber die als sinnlos angesehene Möglichkeit einer parallelen Zeitlinie, die zu unserer in keinem Verhältnis steht. Damit aber hält Swinburne den boethianischen Typus für widerlegt. Demnach bleibt nur die Möglichkeit, zum Typus der Ewigkeit als unendlichem Zeitlauf zurückzukehren und aufzuweisen, dass dies nicht notwendig bedeutet, dass Gott der Zeit Gefangener ist. Dies erreicht Swinburne durch die Unterscheidung zwischen Metrik und Topologie der Zeit. Die Topologie der Zeit ist Gottes Ewigkeit. In ihr ist es sinnlos, von Perioden unterschiedlicher Länge zu reden: „Es gibt keinen Unterschied zwischen einem göttlichen Akt in Gottes Selbstbewusstsein, der eine Millisekunde dauert und einem, der eine Millionen Jahre dauert.“65 Aber es kann, noch bevor es ein Universum von geschaffenen Substanzen und damit Naturgesetze sowie eine Metrik der Zeit gibt, durchaus eine Topologie geben, die auf geordneten mentalen Ereignissen in Gott beruht, ohne dass eine kosmische Uhr, die unablässig abläuft, Gott übergeordnet wäre: „Es gäbe dann keine kosmische Uhr, die abläuft – denn es gäbe keine Naturgesetze.“66 Dabei gilt ferner, dass es im Unterschied zu uns für Gott keinen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Erinnerung gibt, so dass ihm alle „vergangenen Ereignisse“ in gleicher Weise bewusst sind. Die Zukunft aber bliebe „unter Gottes Kontrolle; er müsste keine freien Kreaturen erschaffen. In diesem Fall würde ihn nichts überraschen.“67 63 64 65 66 67

Swinburne, R., Christian God, 138. Swinburne, R., Christian God, 139. Swinburne, R., Christian God, 140. Swinburne, R., Christian God, 142. Swinburne, R., Christian God, 142.

123

Die Topologie der Zeit ist Gottes Ewigkeit

In der Ewigkeit gibt es keinen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Erinnerung

124

Das Eschaton

Die Metrik ist mit der Welt geschaffen

Variationen des Modells

Vorteile des Modells

Nachteile des Modells

Wenn sich Gott aber zur Schöpfung von Naturgesetzen und somit zur Schöpfung einer eine Metrik der Zeit beinhaltenden Welt entschlossen hat, bedeutet dies nicht, dass die Zeit ontisch Gott überzuordnen wäre, da es sich um eine im freien Willen Gottes begründete Selbstauslieferung an die Zeit handelt. Für Gottes Vergangenheit gilt dann das gleiche Bewusstsein ohne den Unterschied zwischen Wahrnehmung und Erinnerung, für Gottes Zukunft gibt es hier aber durchaus die Möglichkeit der Überraschung durch die Zukunft. Dennoch ist Gott dann nicht Gefangener der Zeit: „Die unerwünschten Eigenschaften der Zeit – das Anwachsen von Ereignissen, die nicht geändert werden können, die hinwegtickende kosmische Uhr, die Möglichkeit der Überraschung in der Zukunft – werden nun tatsächlich auch in Gottes Zeit eindringen; aber sie kommen nicht durch Zwang, sondern weil sie eingeladen wurden.“68 Lassen wir es hier dahingestellt sein, ob Swinburnes Auffassung wirklich so scharf dem boethianischen Typus widerspricht, wie er annimmt, oder ob er mit der Indifferenz zwischen Erinnerung und Wahrnehmung nicht doch sachlich ein Anliegen des boethianischen Zeitverständnisses aufnimmt. Hinsichtlich Swinburnes Auffassung, dass Gott eine Zeit vor und nach der Metrik der Zeit hat und hinsichtlich der Möglichkeit von fortgesetzter Neuheit und Überraschung, ist Swinburnes Auffassung wohl tatsächlich eine Exemplifikation des Typus eines Ewigkeitsverständnisses als unendlichen Zeitlaufes. Auch dieses Zeitverständnis hat eine breite Tradition. Wir finden es im 20. Jh. etwa bei dem Neutestamentler Oscar Cullmann,69 der es für das adäquate biblische Zeitverständnis hält, bei dem Religionsphilosophen Nelson Pike70 und in modifizierter Form im physikalistischreduktionistischen Wirklichkeitsverständnis des Physikers Frank J. Tipler.71 Die Vorteile dieses Zeit- und Ewigkeitsverständnisses liegen auf der Hand: Gott kann tatsächlich als handelnd und leidend gedacht werden, ebenso die Welt. Neuheit ist immer wieder möglich. Auch Vollzüge des christlichen Lebens wie das Gebet sind nun als reale Kommunikation denkbar. Freilich liegen auch die Nachteile dieses Verständnisses auf der Hand: Der kategoriale Unterschied zwischen Zeit und Ewigkeit dürfte

68 69 70 71

Swinburne, R., Christian God, 143. Vgl. Cullmann, O., Christus und die Zeit, 69. Vgl. Pike, N., God and Timelessness, 121–129. Vgl. Tipler, F.J., Physik der Unsterblichkeit, 167–181. Die Modifikation besteht bei Tipler darin, dass er von einem Universum mit einer objektiven Endlichkeit als Bedingung für eine subjektive Unendlichkeit des Lebens ausgeht.

Zeit und Ewigkeit

125

weitgehend verschwunden sein, vielmehr ist die zeitliche Welt ein Aspekt der Ewigkeit. Gott geht zwar nicht ganz in der zeitlichen Welt auf, weil er auch vor und nach der Welt unendlich existiert, aber während der Zeit übersteigt er die Welt nicht. Wie sieht die Ewigkeitshoffnung für den Menschen unter diesem Bedeutung für Modell aus? Sie könnte darin bestehen, dass es sich um eine unend- menschliches Hoffen liche Fortsetzung dessen, was wir hier erleben, handelt, wenn auch mit neuer, entscheidender Qualität: Denn ohne Metrik folgen Ereignisse genau dann, wenn sie narrativ folgen müssen. Es gäbe also eine narrative Ereignisfolge, aber weder Langeweile noch Zeitdruck. Aber auch hier kann die Relevanz zeitlicher Ereignisse nicht vollständig erhalten bleiben, denn für ein ewiges Leben menschlicher Einzelner besteht die Gefahr, dass die zeitlichen Ereignisse in der Vergangenheit versinken, wenn menschliches Leben nicht verwandelt würde. 3.1.2

Das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit im Verhältnis zu seinem eschatischen Grund

§36 Die Ewigkeit Gottes ist dessen Wesen und damit das trinitarische kommunikative Beziehungsgefüge, d. h. das Werden des Liebesabenteuers Gott selbst. Eine naturphilosophische Betrachtung der Zeit offenbart nicht deren Wesen, aber deren logischen Charakter als Ordnungsrelation (in der B-Reihe) sowie einige zusätzliche Kennzeichen, von denen die Irreversibilität der Zeit mit der Möglichkeit einer offenen Zukunft, wie sie in der A-Reihe sprachlich erfasst wird, von besonderer Bedeutung ist. Nicht Zeit ist konstitutiv für die Ereignisfolge der Narrativität, sondern Zeit ist ihrerseits narrativ konstituiert. Beide, Ewigkeit und Zeit haben die gleiche logische Struktur einer Ordnungsrelation und sind damit kompatibel. Die Unterschiedenheit der kategorialen Differenz besteht darin, dass die Ewigkeit in ihrem reinen (alle transport-artige Bestimmungen ausschließenden) Werden als wayfaring ontische Bedingung der Möglichkeit der Zeit ist. Diese erweist sich damit als imago dilectionis dei.

§36 Die Ewigkeit ist das trinitarische Beziehungsgewebe des Werdens Gottes. Die Zeit hat den Charakter einer irreversiblen Ordnungsrelation. Die Ordnungsrelation der Ewigkeit ist Bedingung der Möglichkeit der Ordnungsrelation der Zeit.

Ist nun ein Ewigkeitsverständnis denkbar, das die ontische Relevanz Systematische zeitlicher Ereignisse sichern kann? In allen drei Fällen wird eine Vor- Entfaltung eines Zeit-Ewigkeitsmodells stellung der Ewigkeit von der Erfahrung der zeitlichen Welt abgeleitet. Und dies ist theologisch ein Problem. Wenn der Mensch zeitlich ist und eben nicht ewig, kann es dann überhaupt einen Umstand geben, dass er die Ewigkeit begreifen kann? Diesen Umstand kann es geben,

126

Das Eschaton

aber nur dann, wenn sich die Ewigkeit von sich aus dem Menschen erschließt. Eine notwendige Bedingung eines angemessenen Ewigkeitskonzepts aus der Perspektive des christlichen Glaubens setzt dabei die Offenbarung der Ewigkeit in der Zeit voraus. Alle drei bzw. vier zuletzt aufgeführten Ewigkeitsverständnisse beruhen aber auf einer natürlichen Theologie der Zeit. Sie gehen von der Zeit aus und setzen verschiedene Operationen der menschlichen Vernunft an, um die Ewigkeit zu erhalten: die Operation der Negation im Falle Augustins, die Operation der Integration im Falle des Boethius, die der teilweisen Integration im Falle Duns Scotus und die der teilweisen Identifikation im Falle Swinburnes. Obwohl schon Karl Barth diesen methodischen Fehler gesehen hat, ist er ihm doch selbst verfallen.72 Um dies zu vermeiden, gehen wir hier konsequent anders vor, und setzen bei der Offenbarung der Ewigkeit selbst an, um dann erst nach der Zeit zu fragen. In einem dritten Schritt wird dann die Ewigkeit auf die Zeit bezogen. 3.1.2.1

Gottes Ewigkeit

Kommen wir also zurück zur Selbsterschließung Gottes, der wir schon im Rahmen der Frage nach dem Grund der eschatologischen Hoffnung nachgegangen sind. Dort stellten wir fest, dass Gott an und für sich – Gottes immanente oder individuierte Trinität – nicht nur ein Beziehungsgefüge und eine wesentliche Gemeinschaft der Personen Vater, Sohn und Geist ist, sondern dass Gottes Sein ein dauerndes Werden, eine Geschichte, konkret die Geschichte des Liebesabenteuers Gott, ist. Da dies auch ohne die Welt und ihre Zeitlichkeit gelten muss, bedeutet dies, dass wir anerkennen müssen, dass nicht stories in einer vorgängigen Zeit stattfinden, sondern dass umgekehrt Geschichten und ihre Sequenzfolge Zeit konstituieren. Da aber gemäß der Annahme der Einfachheit Gottes alle Eigenschaften Gottes identisch sein müssen, bedeutet dies: Die Offenbarung zeigt uns, dass die Ewigkeit die Liebesgeschichte, als die Gott wird, ist. Damit hat die Ewigkeit eine sequenzhafte Struktur einer Geschichte. Sie ist eine Geschichte, und zwar eine prinzipiell offene. Man kann auch sagen: Die Ewigkeit ist die Zeit Gottes. Allerdings hat man dann nur von einer Sequenzfolge der Zeit, nicht von messbaren Sequenzen gesprochen. Oder um die Terminologie Swinburnes zu nutzen: Die Selbstpräsentation Gottes erschließt die Ewigkeit als eine eigene, spezifische

72 Vgl. Mühling, M., PST II, Kapitel 31.4.11.

Zeit und Ewigkeit

127

Topologie einer geschichtlichen sich entwickelnden Sequenzfolge ohne jede Metrik. Man kann aber noch einen Schritt weitergehen. In Kap. 2.3.4, §29 hatten wir gesehen, dass diese Geschichte die Struktur einer Ordnungsrelation hat, d. h. dass das Verhältnis von Vater, Sohn und Geist ein asymmetrisches, irreflexives und transitives ist: Die Geschichte des Sohnes ist in einer Weise auf die des Vaters bezogen, wie diese umgekehrt nicht auf die des Sohnes bezogen ist. Daher handelt es sich um eine asymmetrische Relation. Gleichzeitig ist aber der Sohn nicht auf die gleiche Weise auf sich selbst bezogen, wie er auf den Vater bezogen ist. Daher handelt es sich um eine irreflexive Relation. Der Geist aber ist auf eine Weise auf den Sohn bezogen, in der auch der Sohn auf den Vater bezogen ist, so dass der Geist in eben derselben Weise auf den Vater bezogen ist. Daher handelt es sich um eine transitive Relation. Diese Kennzeichen einer Ordnungsrelation ermöglichen erst den Charakter von Geschichten überhaupt und die Individuation von Ereignissen innerhalb dieser. Geschichtlichkeit als Narrativität ist damit nicht einfach eine abgeleitete Kategorie, die menschliche Erzähler voraussetzen würde. Sie ist auch nicht eine Kategorie, die zurerst in der geschaffenen Welt anzusiedeln ist. Sie ist vielmehr primär Kennzeichen der Ewigkeit, die Gott ist, und erst sekundär – metaphorisch – von welthaften Ereignissen und Geschichten auszusagen. Die Ewigkeit ermöglicht damit Alterität in Gott. Die Ewigkeit ist die trinitarische Liebe. Martin Luther hat diese Geschichte auch als Kommunikation eines innertrinitarischen Gesprächs beschrieben: „Gleich wie der Vater ein ewiger Sprecher ist, der Sohn in Ewigkeit gesprochen wird, ist also der Heilige Geist in Ewigkeit der Zuhörer“.73 Da sich nun zeigen lässt, dass diese trinitarische Kommunikation selbst eine Ordnungsrelation ist, bedeutet dies, dass die Ewigkeit als Gottes narratives Wesen selbst das Werden des trinitarischen Liebesabenteuers ist. 3.1.2.2

Zeit

Geht man von der modernen Vorstellung der Zeit in der Relativi- Die Zeit ist nicht tätstheorie aus, stellt man fest, dass die Zeit hier keine Konstante wie konstant in der klassischen Mechanik bildet, sondern nun ihrerseits von der neuen Konstante der Lichtgeschwindigkeit abhängig ist.74 Die daraus

73 Luther, M., WA 46, 60,4. 74 Vgl. Wölfel, E., Zeit, hier 22–30.

128

Das Eschaton

Die Zeit ist nicht kontinuierlich

Die Zeit ist irreversibel, asymmetrisch, irreflexiv und transitiv

resultierende Zeitdehnung75 mag uns zwar irritieren, aber die Folgen sind nicht so bedeutend, wie man annehmen mag. Damit ist zwar so etwas wie absolute Gleichzeitigkeit nicht mehr denkbar, aber die Folge der Zeit eines Vorher und Nachher, McTaggarts B-Reihe, bleibt erhalten. Nimmt man nun noch die Quantentheorie hinzu, wird man weiter irritiert, weil nun die Möglichkeit einer diskontinuierlich „tropfenden“ Zeit erscheint, denn es ist sinnlos, von einer Periode, die kürzer als die Plank-Zeit ist, zu sprechen. Es scheint so, als wäre auch die Zeit atomar aufgebaut.76 Es scheint nur prima facie denkbar zu sein, dass sich jede Zeitperiode in immer kleinere Zeitperioden aufspalten lässt. Betrachtet man alle Faktoren und hält die Quantentheorie für eine der Realität angemessene Theorie, erscheint auch die Zeit atomar. Die philosophischen Interpretationen sind beachtlich, weil damit und mit Hilfe anderer Sachverhalte der Quantentheorie gezeigt werden kann, dass Zeit und Raum nicht der umfassende Individuationsrahmen sein können, der einzelne Gegenstände tatsächlich zu Individuen macht. Damit zeigt sich, dass die Zeit es zwar ermöglicht, dass wir mit Hilfe unseres Bewusstseins Dinge identifizieren – einschließlich der narrativen Selbstidentifikation Gottes –, dass aber nicht nur Gott, sondern auch welthafte Gegenstände nicht durch die Zeit selbst individuiert sein können. Wir können zwar nur identifizieren, was auch individuiert ist, aber auch die Individuation welthafter Gegenstände übersteigt das, was wir welthaft identifizieren können. Wie Gottes ökonomische Trinität nicht mit seiner immanenten Trinität identisch sein kann, sondern nur dessen epistemische Voraussetzung ist, so ist offensichtlich auch die Identifikation welthafter Gegenstände nicht mit deren Individuation identisch, sondern nur deren epistemische Voraussetzung. Betrachtet man zusätzlich die Thermodynamik, erscheint die Zeit als irreversibel, so dass auch von der Differenz von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die Rede sein kann.77 McTaggarts Behauptung der Realität alleine der B-Reihe erscheint damit nicht angemessen. Damit dürfte sich die intuitive Erfahrung von Zeit auch naturwissenschaftlich bestätigen lassen. Freilich ist so noch nicht die augustinische Frage, was denn Zeit sei – die Frage nach dem Wesen von Zeit – beantwortet. Aber das ist auch nicht nötig. Was immer Zeit auch sein mag, wir kennen nun einige Kennzeichen von Zeit und können auch deren Leistungsfähigkeit und deren Funktion angeben: Die Zeit 75 Vgl. Wölfel, E., Zeit, 25f. 76 Vgl. Weidemann, V., Das inflationäre Universum, 355. 77 Vgl. Jackelen, A., Zeit und Ewigkeit, 229–237.

Zeit und Ewigkeit

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ermöglicht, dass wir distinkte Ereignisse und Gegenstände identifizieren können. Sie ermöglicht die Wahrnehmung von Unterscheidung und Bezogenheit verschiedener Entitäten, sie ermöglicht tatsächliche Alterität. Dies liegt aber nicht am Wesen der Zeit, sondern an ihrem Charakter als logischer Ordnungsrelation, d. h. als eine Relation die asymmetrisch, irreflexiv und transitiv ist. Zur Erinnerung: 2004 kommt nach 2003, nie umgekehrt. Daher ist die Zeit asymmetrisch. 2004 kommt nie nach 2004. Daher ist die Zeit irreflexiv. Wenn 2005 nach 2004 kommt und 2004 nach 2003 kommt, dann kommt auch 2005 nach 2003. Die Zeit verhält sich also auch transitiv. Letztlich bedeutet dieser Befund nichts anderes, als dass die Zeit nicht basal ist, sondern ihrerseits grundgelegt ist in einer Ereignisfolge von Narrationen. Also finden (primäre) Geschichten nicht in der Zeit statt, sondern die Zeit wird umgekehrt narrativ konstituiert.78 3.1.2.3

Das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit

Nachdem wir nun zunächst die Offenbarung der Ewigkeit für sich Zeit und Ewigkeit und zudann die Zeit analysiert haben, fällt nun eine Verhältnisbestim- haben eine logische Entsprechung mung leicht. Indem Gott eine freie Schöpfung hervorbringt, bringt er eine Schöpfung in Entsprechung zu seiner Ewigkeit hervor, die ihren eigenen Charakter als Ordnungsrelation u. a. in der Zeitlichkeit der Welt findet, was immer auch das „Wesen“ von Zeit sein mag. Die Narrativität der Welt ist damit eine Resonanz der Narration, die Gott ist. Und die Zeitlichkeit der Welt ist imago dilectionis dei. Damit ist es möglich, dass sich die Ewigkeit Gottes zu dieser Schöpfung in ein positives Verhältnis setzt und dennoch kategorial unterschieden bleibt. Der ewige Gott kann die Welt liebend begleiten, ohne deren Eigenständigkeit und Alterität zu verletzen. Dies schließt ein, dass die Welt einen irreversiblen Zeitverlauf besitzt, in dem auch der trinitarische Gott Vergangenheit und Gegenwart als Faktizität, die Zukunft aber als qualifizierten Möglichkeitsraum kennt, den er ungleich stärker und besser lenken kann als dies den Geschöpfen innerhalb der Zeit möglich wäre. Dies ermöglicht sowohl die Freiheit der Ewigkeit Gottes als auch die Freiheit von Personen und die Kontingenz von Ereignissen der zeitlichen Welt: Beide, Gott und dessen personale Geschöpfe, können tatsächlich als handelnd gedacht werden, so dass eine personale Beziehung zwischen Gott und dem personalen Geschöpf möglich ist.

78 Vgl. dazu auch Mühling, M., PST I, 167–206.

130

Das Eschaton

Verkürzt gesagt: Das Verhältnis von Ewigkeit und Zeit entspricht dem Verhältnis von immanenter und ökonomischer Trinität: Jene ist ontische Bedingung der Möglichkeit für diese, diese ist epistemisch hinreichende Bedingung der Möglichkeit für jene. Indem sich Gott in seiner Ewigkeit positiv mit der Zeit in Verbindung setzt, gilt es freilich an einem Punkt einen Widerspruch zum relativistischen Zeitverständnis auszuhalten: Alle bewegten Bezugssysteme erscheinen nun nicht mehr als gleichwertig, sondern die Perspektive Gottes hat sich anscheinend an ein Bezugssystem gebunden, wenn auch offensichtlich nicht an irgendein Bezugssystem, sondern durch die Inkarnation des Logos an das von Kreuz und Krippe. Die Geschichte von Kreuz und Krippe wird damit zum Maßstab, an der sich auch die Zeitlichkeit der Welt messen lassen muss. Bedeutung dieses Was bedeutet dieses Ewigkeitsverständnis nun für unsere EwigModells für keitshoffnungen? Es bedeutet, dass unsere eschatische Ewigkeitshoffmenschliches Hoffen nung darin besteht, durch das Handeln Gottes aus der Ordnungsrelation, die die zeitliche Welt bildet, in das innertrinitarische Beziehungsgeschehen der Liebesgeschichte versetzt zu werden, nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Gnade. Damit partizipieren wir eschatisch am innertrinitarischen ewigen narrativen Gespräch. Dabei bleibt unsere Alterität gewahrt, denn wir werden nicht zum Vater, zum Sohn oder zum Geist. Ferner ist unsere Identität, die wir in unsere Geschichte der zeitlichen Welt leben, gewahrt: Es sind tatsächlich wir und niemand anders, die das eschatische ewige Leben führen. Es ist auch die Möglichkeit echter Neuheit gegeben: Das eschatische innertrinitarische Leben beschränkt sich nicht auf eine Rekapitulation der zeitlichen Welt. Und es ist der Gedanke des Gerichts ermöglicht: Nicht alles, was wir in dieser zeitlichen Welt sind, muss verewigt werden. Diese Ewigkeitspartizipation besteht in der Partizipation an einem dauernden Werden, das allerdings keine Metrik, sondern nur eine topologische, sequenzhafte Folge hat. Die Konsequenz ist, dass das Werden der Ewigkeit keinerlei transport-artige Züge beinhaltet, sondern den Charakter reinen wayfarings besitzt. Pures Werden als wayfaring ist damit primär Kennzeichen des Werdens Gottes und sekundär Kennzeichen der vollendeten geschaffenen Welt. Ohne Metrik erfolgen Sequenzen nach ihrer eigenen inneren Logik, ohne dass eine externe Metrik in Konflikt damit geraten könnte, so dass Zeitdruck und Langeweile undenkbar sind. In diesem Ewigkeitsverständnis, in dem der Bezug von Ewigkeit und Zeit durch die Verschränkung zweier Geschichten samt ihrer Ordnungsrelationen stattfindet, dürfte damit die ontische Relevanz geschaffener, zeitlicher Ereignisse gesichert sein. Ja, mehr noch: Es Die ungeschaffene Ewigkeit ist Bedingung der Möglichkeit der geschaffenen Zeit

Raum und Unendlichkeit

131

dürfte sich sogar benennen lassen, wie die eschatische Ewigkeit in der Welt zeitlicher Ereignisse erfahrbar ist: Wenn Gottes Ewigkeit nach Luther in dessen innertrinitarischer Kommunikation besteht, dann dürften wir die Ewigkeit unter den Bedingungen der Zeit nicht erfahren durch Meditation oder ekstatische Erlebnisse, die versuchen das menschliche Zeiterleben auszublenden, sondern in der ganz alltäglichen Kommunikation des Evangeliums, die in unseren irdenen Gefäßen geschieht. Oder um es mit den Worten Luthers zu formulieren: „Wo und mit wem Gott spricht, sei es im Zorn oder in der Gnade, der ist gewiss unsterblich“.79

3.2

Raum und Unendlichkeit

3.2.1

Modelle von Raum, Welt sowie Himmel und Unendlichkeit und ihre Derivate

So wie Zeit und Ewigkeit in Beziehung gesetzt werden können, ist auch eine Reflexion von Raum und Unendlichkeit für die Eschatologie unabdingbar, da es sich bei glaubenden und hoffenden Wesen wie Menschen immer um leibhafte Wesen im Werden handelt, die durch ihre Bewegungen auch die Erfahrung des Raumes machen. Man könnte erwarten, dass das Problem des Raumes in weiten Punkten ähnlich wie das der Zeit zu behandeln ist. Die Theologie- und Philosophiegeschichte lehren aber, dass dies nur bedingt richtig ist. Phänomenologisch kann man zeigen, dass die Raumerfahrung in gewissem Sinne grundlegender als die der Zeit ist.80 Ferner zeigt sich, dass das Raumproblem weit stärker in die Sakramentenlehre hineinspielt, als dies beim Zeit-Ewigkeitsproblem der Fall ist. Betrachtet man die Philosophiegeschichte, gibt es offensichtlich Behälter oder zwei grundlegende Möglichkeiten, vom Raum zu sprechen. Diese Relation beiden Möglichkeiten wurden interessanterweise nicht als ergänzend verstanden, sondern als einander ausschließende Konzeptionen. Das eine ist das Behältermodell und das andere das relationale Modell. Das Behältermodell vom Raum geht davon aus, dass der Raum die universale Bühne ist, auf der oder in dem sich zumindest das naturhafte Weltgeschehen abspielt. In diesem Modell ist es durchaus sinnvoll anzunehmen, dass es so etwas wie einen leeren Raum gibt. Dieses Raummodell kann entweder so verstanden werden, dass der Raum als unendlich gedacht wird oder dass der Raum als endlich 79 Luther, M., WA 43, 481,32f. 80 Vgl. Mühling, M., PST I, 170–176.

132

Das Eschaton

und begrenzt verstanden wird. Je nachdem, welches Raummodell das beherrschende ist, variieren auch die Zuordnungen eines Gottes- und Unendlichkeitsverständnisses. 3.2.1.1

§37 Charakteristika des Modells des Raumes als unendlicher Container und der korrelierten Unendlichkeitsverständnisse

Raum als unendlicher Container bei … … Demokrit und Leukipp, Newton und Kant

Absoluter Raum als unendlicher Container und ihre Identifizierung oder Distanzierung von Gottes Unendlichkeit

§37 Raum kann als dreidimensionaler, unendlicher und leerer Container verstanden werden. Bei Isaak Newton ist dies der absolute Raum, der in Wirklichkeit existiert, bei Kant nur der Raum als Anschauungsform unseres Erkenntnisapparats. Die Unendlichkeit Gottes kann in diesem Modell entweder identifizierend gedacht werden oder negierend: Im ersteren Fall muss der Raum mit Gott oder Teilen Gottes (Gottes Sensorium) identifiziert werden unter pantheistischen Tendenzen. Im zweiten Fall kann die Unendlichkeit Gottes in keine Beziehung zum Raum und damit zur Natur gesetzt werden. Dieses Raummodell ist sehr alt und findet sich beispielsweise schon bei den Vorsokratikern, wie bei den Atomisten Demokrit (gest. 371 v.Chr.) und Leukipp (5. Jh. v.Chr.), die den leeren Raum als Hintergrund der aus atomaren Partikeln bestehenden Materie betrachten, und zwar prinzipiell als unendlichen Raum.81 Um ein Bild des Mathematikers Bernhard Riemann (gest. 1866) zu gebrauchen: Der Raum ist hier verstanden als „Mietskaserne“, wenn auch als unendliche, in die die Entitäten der Welt quasi einziehen.82 Dieser Raum ist das Nichts, dem somit aber genauso Existenz zuzusprechen ist wie der materiellen Welt. Der Raum ist nach diesem Modell homogen und isotrop, d. h. ohne Mitte, ohne Rand und ohne ausgezeichnete Richtungen. Der Raum wird dergestalt als Kontinuum verstanden, dass ein bestimmter Raumabschnitt in beliebiger Weise unendlich teilbar ist. Dieser Raum wird von den Atomisten als ungeschaffen und ewig gedeutet. Der Raum ist hier letztlich Bedingung der Möglichkeit, um von Gegenständen und ihren Bewegungen zu sprechen. Geht dieses Konzept auch auf die Atomisten zurück und scheint prima facie Plausibilität zu besitzen, so ist es doch in Antike und Mittelalter

81 Vgl. Diels, H., Fragmente der Vorsokratiker 1, Bd. 2, 75. 168. 82 Vgl. Riemann, B., Geometrie, 318.

Raum und Unendlichkeit

erstaunlich wirkungslos geblieben.83 Es verbindet sich zunächst auch nicht mit der mathematischen Erfassung dreidimensionaler Strukturen Euklids, die noch gar nicht mit dem Begriff des „euklidischen Raums“ benannt werden und insofern keine naturphilosophische oder ontische Valenz besitzen.84 Die vollständige Integration der euklidischen Geometrie in das Verständnis des Raumes als unendlichen Behälters erfolgt erst durch Isaak Newton (gest. 1727), der den absoluten Raum von dem metrischen Raum unterscheidet. Der unendliche Raum hat die genannten Eigenschaften, während der metrische Raum sich mit den Maßverhältnissen beschäftigt und von verschiedenen Maßstäben oder Koordinatensystemen abhängig ist, die an diesen absoluten Raum herangetragen werden. Die Einführung des absoluten unendlichen Raumes als Behälter durch Newton erwies sich zwar als pragmatisch, blieb aber umstritten und war stets als ontologische Annahme zu verstehen, da sich dieser absolute Raum empirisch nicht nachweisen lässt. Immanuel Kant (gest. 1804) schloss sich nach langer Entwicklung85 schließlich dem Newtonschen Verständnis an, nachdem er versuchte, mit dem absoluten Raum Newtons verschiedene divergierende Raumverständnisse zu vereinbaren, änderte aber dessen Realitätsstatus: Während Newton von der ontologischen Existenz des absoluten Raumes ausging, ist er für Kant, ähnlich der Zeit, eine apriorische Form der Anschauung. Der unendliche, dreidimensionale Raum gehört nun nicht mehr zur empirischen Wirklichkeit, sondern ist als eine Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung vorgängig im Erkenntnisvermögen des Subjekts verankert.86 Die spannende Frage ist nun, wie und ob sich eine Auffassung der Unendlichkeit Gottes mit dieser Raumauffassung vermitteln lässt. Denn diese Raumauffassung trägt durch ihre Vorstellung der Unendlichkeit bereits selbst eindeutig göttliche bzw. eschatische Züge: Sie bildet den universalen Erwartungshorizont, in dem sich alles, was geschieht und geschehen kann, abspielt und dieser Erwartungshorizont ist per se nicht mehr verschiebbar oder durch einen anderen Erwartungshorizont übertreffbar. Ein Verständnis der Unendlichkeit Gottes kann daher nur in zwei möglichen Typen als Antwort auf dieses Raumverständnis erfolgen, durch Identifizierung oder strikte Negation. Der Weg der Identifizierung Gottes mit dem Raum findet sich bei Newton unter Aufnahme von Gedanken Henry Mores (gest. 1687) 83 84 85 86

Vgl. Evers, D., Raum – Zeit – Materie, 15. Vgl. Evers, D., Raum – Zeit – Materie, 19. Vgl. Jooss, E., Raum, 29–42. Vgl. Jooss, E., Raum, 36.

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Unendlichkeit als Identifikation oder Negation mit dem Raum

Unendlichkeit als unendlicher Raum bei Newton, Spinoza und Clarke

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Das Eschaton

Unendlichkeit als Negation des Raumes

Vorteile und Nachteile des Modells

selbst, wenn Newton den Raum auch nicht vollständig mit Gott identifiziert, sondern den Raum als das Sensorium Gottes, als Gottes Wahrnehmungsorgan bezeichnet.87 Vollständig zu Ende geht den Weg der Identifizierung letztlich Baruch de Spinoza (gest. 1677), der die gesamte Welt als das eine letztgültige Eschatische sieht (deus sive natura), indem der Gottesaspekt die Substanz bezeichnet und die veränderlichen Erscheinungen in der Welt als Attribute dieser Substanz akzidentiellen Charakter besitzen.88 Der Weg dieser Identifizierung ist damit ein pantheistischer Weg, der in der christlichen Tradition selten beschritten wurde und auch keinen exegetisch-biblischen Anhaltspunkt hat, wenn auch Samuel Clarke (gest. 1729), ein Anhänger Newtons, versuchte mit Hilfe eines Zitats aus der Areopagrede („Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch etliche Poeten bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts“, Apg 17,28) diese Newtonsche Unendlichkeitsauffassung mit dem biblischen Glauben zu vermitteln.89 Die andere Möglichkeit ist die der strikten Negation, indem man bestreitet, dass Religion und Glaube auf diese Weise mit dem Raumbegriff der Naturphilosophie in Beziehung gesetzt werden können. Dies setzt einen subjektivitätstheoretischen Ansatzpunkt voraus. Am konsequentesten dürfte dieser Ansatz beim späten Schleiermacher erfolgt sein. Indem Gott als nichts anderes als der Ursprung des subjektkonstitutiven Bewusstseins schlechthinniger Abhängigkeit bestimmt wird, reduzieren sich christliche Aussagen über Raumvorstellungen im Bereich der Schöpfungslehre letztlich auf eine Reflexion der mit dem Begriff der schlechthinnigen Abhängigkeit notwendig gesetzten Endlichkeit des menschlichen Subjekts. Wie Ulrich Barth herausgearbeitet hat, werden religiöse Auffassungen über solche schöpfungstheologischen Sachverhalte damit zur Endlichkeitsreflexion, die es ermöglicht, dass Religion strikt auf jede Welterklärung verzichtet und sich so zu ihrem eigentlichen Wesen befreit, mit der Folge, dass ein Streit zwischen Naturphilosophie und Theologie ausgeschlossen ist.90 Wie ist dieses Raummodell und die mit ihm verbundenen Unendlichkeitsauffassungen zu bewerten? Beiden Typen der Antwortversuche, den unendlichen Gott unter der Bedingung des Raumes als unendlichem Behälter zu denken, ist trotz ihrer Gegensätzlichkeit gemein, dass sie sehr stringent und kohärent arbeiten und darin 87 Vgl. Newton, I., Optics, 238. 88 Vgl. Spinoza, B., Ethica, 98: „Deus, sive substantia constans infinitis attributis, quorum unumquodque aeternam, et infinitam essentiam exprimit, necessario existit.“ 89 Vgl. Clarke, S./Leibniz, G.W., Briefwechsel mit Leibniz, 154. 90 Vgl. Barth, U., Kosmologie.

Raum und Unendlichkeit

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eindrucksvolle Konzeptionen sind. Während aber der Negationstypus die kategoriale Unterschiedenheit von Gott und Welt vollständig wahren kann, ist diese bei dem Identifizierungstypus nicht mehr vorhanden. Wahre Alterität ist in beiden Typen nicht zu denken, was aber letztlich an der vorausgesetzten Raumauffassung liegt. Während der Identifikationstypus ein Handeln Gottes, wenn überhaupt, nur als ein Handeln Gottes an sich selbst und ein Handeln der Kreaturen letztlich gar nicht zulassen kann, sondern zu einer mechanistischen Weltauffassung tendiert, kann der Negationstypus zwar nicht direkt ein Handeln Gottes denken, aber immerhin ein Wirken Gottes, genauer das einer schlechthinnigen, nicht naturwissenschaftlich oder naturphilosophisch erfassbaren Kausalität.91 Die größten Schwierigkeiten dieses Modells bestehen aber in der zugrunde liegenden Auffassung des Raumes als unendlichem Behälter, die nicht nur keine empirische (sondern eine metaphysische Auffassung) ist, sondern auch, wie noch zu sehen sein wird, durch empirische Sachverhalte geradezu in Frage gestellt wird. 3.2.1.2

Raum als endlicher Container und das Unendliche als durch das Endliche Begrenzte

§38 Raum kann zweitens als endlicher, leerer Container gedacht werden. Die Unendlichkeit kann dann als identifizierend oder negierend gedacht werden. Nun ist es aber auch möglich, die Unendlichkeit als vom endlichen Raum begrenzt zu denken, sei es, dass die Unendlichkeit das den Raum Transzendierende ist, oder sei es, dass sie den Raum mit umfasst. Sowohl nach tridentinischer als auch nach der Auffassung des Johannes von Damaskus sind beim Abendmahl göttliche und menschliche Natur Christi – Fleisch und Blut – gegenwärtig, nicht aber Brot und Wein. Bei beiden reformierten Auffassungen von Zwingli und Calvin ist nicht der ganze Christus im Abendmahl, in den Grenzen von Brot und Wein gegenwärtig, denn Christus hat sowohl eine göttliche Natur, die nach dem Modell der relativ begrenzten Unendlichkeit überall gegenwärtig ist, während aber die menschliche Natur als von einem Ort umgrenzt im Himmel als Ort im Raum anwesend

91 Zur Frage, inwieweit der Begriff des Handelns raumhafte Kategorien konstitutiv voraussetzt, vgl. die Diskussion zwischen Preul, R., Problemskizze, der diese Frage bejaht und Schwöbel, C., Handeln Gottes, der diese Frage verneinen kann.

§ 38 Charakteristika des Modells des Raumes als endlicher Container und der damit korrelierten Unendlichkeitsvorstellungen. Ihre Bedeutung für Abendmahlslehre und Christologien in röm.-kath., ostkirchlicher, zwinglianischer und calvinischer Tradition, sowie für die kabbalistische Zim-Zum Lehre

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Das Eschaton

gedacht ist. Hier wird deutlich, warum auch dasjenige Unendliche, das das Endliche mit einbeziehen kann, immer noch als relativ durch das Endliche begrenzt bezeichnet werden muss. Denn es kann nicht zu einer solchen Einheit der Person Christi kommen, dass auch das Unendliche in seiner Unendlichkeit ganz im Endlichen anwesend sein kann. Im tridentinischen Abendmahlsverständnis, im orthodoxen Abendmahlsverständnis und in der ursprünglichen Zim-ZumLehre der jüdischen Kabbala ist das relativ durch das Endliche begrenzte Unendliche zu einer punktuellen Gegenwart im Endlichen unter Ausschluss des Endlichen fähig. In Variation der Zim-Zum-Lehre kann die Selbstkontraktion des Unendlichen auch so verstanden werden, dass im Unendlichen der endliche Raum der Schöpfung entsteht.

Raum als endlicher Container und das aristotelischptolemäische Weltbild

Das zweite Modell kann in gewissem Sinne als Modifikation des ersten Modells verstanden werden, aber, wie auch zu sehen sein wird, als Mischmodell. Das zweite Modell besteht darin, dass Raum immer noch im Behältermodell gedeutet wird, aber nicht mehr als unendlich und unbegrenzt, sondern als endlich gedeutet wird. Dass es sich bei diesem Raumverständnis in gewissem Sinne um eine Modifikation des ersten Modells handelt, ist sofort einsehbar. Dass es auch ein Übergangsmodell zum dritten relationalen Modell darstellt, wird gegen Ende dieses Teilkapitels sichtbar werden. In der griechischen Tradition reicht dieses Modell bis auf Parmenides (5. Jh. v.Chr.) zurück, der den Raum als Kugelgestalt dachte.92 Vorherrschend wird dieses Modell dann schließlich durch den Einfluss des aristotelischen Weltbildes, obwohl Aristoteles’ (gest. 322 v.Chr.) Raumverständnis selbst nicht zu diesem zweiten, sondern eher zum später zu besprechenden dritten Typus gehören dürfte. Welche Elemente des aristotelischen Weltbildes sind es aber, die hier zur Modifikation führen? Grundlegend für Aristoteles ist letztlich die Unterscheidung von Bewegung und unbewegtem Bewegenden. Diese spiegelt sich bei Aristoteles insofern in der Raumauffassung wider, als er nun die Egalität aller Richtungen des atomistischen Raumverständnisses nicht übernimmt, sondern durch die Distinktion oben–unten, etc. ausgezeichnete Richtungen schafft, die es ermöglichen, dass die Körper den ihnen gemäßen Raum einnehmen bzw. dort sind.93 Dies

92 Vgl. Diels, H., Fragmente der Vorsokratiker 1, Bd. 1, 238. 93 Vgl. Evers, D., Raum – Zeit – Materie, 17.

Raum und Unendlichkeit

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führt in letzter Konsequenz zum aristotelischen Weltbild, das dann in nachchristlicher Zeit auch die Basis des stärker empirisch orientierten ptolemäischen Weltbildes wird: Im Mittelpunkt befindet sich die Erde, die von verschiedenen Sphären umgeben ist, von denen der lunaren Sphäre als der Erde nächste Sphäre eine besondere Bedeutung zukommt. Denn der Zwischenraum zwischen Mond und Erde ist einerseits im Gegensatz zu den translunaren Sphären der Ort, der dem Menschen nicht vollständig entzogen ist, andererseits auch der Ort, dessen Kraftwirkungen in besonderer Weise menschliches Leben beeinflussen können. Besonders in der antiken Volksfrömmigkeit ist auch dieser Raum der Luft von positiv und negativ gedachten, teils personalen Wesen (wie z. B. den klassischen Göttern) bevölkert, die diesen Einfluss ausüben. Spuren dieser Vorstellung finden sich in Röm 8,38 sowie im Kolosserhymnus (Kol 1,16). Nach der lunaren Sphäre schließen sich die Planetensphären an, und als letzte und äußerste Sphäre erscheint die Fixsternsphäre. Ihr folgt der empyreische Himmel. Dieses ganze Weltgebäude ist als bewegt gedacht, dergestalt dass diese Bewegung von einem dem Sphärengebäude transzendenten unbewegtem Bewegenden am Laufen gehalten wird. Inwieweit dieses außerhalb des Sphärengebäudes nun angesiedelte unbewegte Bewegende, das im Mittelalter etwa bei Thomas von Aquin mit Gott identifiziert wird, räumlich (oder gar personal) zu denken ist, war eine große Streitfrage. Im Prinzip aber ist bei einer Reihe von Denkern die äußerste Sphäre als Grenze des Raumes gedacht.94 Diese Raumvorstellung weist z.T. Parallelen zu Raumvorstellun- Das gen der hebräischen Tradition auf, auch wenn das vorderorientalische priesterschriftliche Weltbild Weltbild, wie es etwa im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht vorausgesetzt zu sein scheint, ein anderes ist, in dem eine rakia („Feste“, vgl. Gen 1,6) die unter- und überirdischen Chaoswasser von der Erde – als Scheibe gedacht – fernzuhalten scheint.95 Zwar kennt das Hebräische keinen Abstraktbegriff für Raum, aber mit verschiedenen Ausdrücken wie „Himmel und Erde“ wird der endlich gedachte Raum in seiner Gesamtheit bezeichnet. Diese Bezeichnung ist weit mehr als ein bloßer Merismus, der als Stilfigur einzelne Teile für das Ganze nennt. Denn verschiedene Texte deuten an, dass die Erde den dem Menschen zugänglichen Raum bezeichnet, während der Himmel den dem Menschen unzugänglichen und entzogenen Raum der Schöpfung bezeichnet. Dabei erscheint der oder die Himmel, wie es die pluralische Rede dann vor allem in griechischer Übersetzung

94 Vgl. Breidert, W., Raum II. 95 Vgl. Steck, O.H., Schöpfungsbericht, 76–83.

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Das Eschaton

Himmel bei Thomas von Aquin

Kopernikus und Kepler

Probleme der Denkbarkeit eines begrenzten Containers

andeutet, steigerungsfähig zu sein und verschiedene Grade von Entzogenheit widerzuspiegeln. Dabei ist auch der Himmel als endlich gedacht. Denn Gott als Unendlichkeit übersteigt, das sei schon hier bemerkt, auch diesen Himmel, wenn er ihn auch füllt. Z.T. kann der Himmel als blaues Throngewand Gottes gedeutet werden.96 Aufgrund der genannten Ähnlichkeit der Raumvorstellungen konnten sich im Mittelalter dann auch beide Vorstellungen zwangsfrei verbinden. Thomas von Aquin (gest. 1274) unterscheidet beispielsweise drei semantisch streng unterschiedene Gebräuche des Wortes Himmel: Das Wort kann sich auf die sublunare Sphäre des Luftraums beziehen, auf den äußersten Raum zwischen Planetensphären und letzter Sphäre oder aber, und hier wird das gestufte Weltbild verlassen, auf metaphorische Weise auch für die Dreieinigkeit Gottes selbst stehen.97 Man sieht damit, dass dieses Modell des endlich gedachten Raumes als Container im Prinzip weltbildunabhängig verstanden werden muss. Dies bestätigt sich auch mit der kopernikanischen Wende, die mitnichten eine andere Raumauffassung mit sich bringt. Hier steht nun zwar die Sonne im Zentrum, aber noch Johannes Kepler (gest. 1630) denkt die Fixsternsphäre als äußerstes Ende des Raumes.98 Auch unter den Voraussetzungen der modernen relativistischen Kosmologie ist das Modell des Raumes als Container vertretbar. Dies geschieht zwar in der Regel eher selten, ist aber nicht unmöglich. Dabei ist sogar das Modell der Endlichkeit des Raumes denkbar. Denn im Gefolge Riemanns, der eine nichteuklidische, gekrümmte Geometrie entworfen hat, ist es möglich, zwischen Endlichkeit und Begrenztheit zu unterscheiden und den Raum als endlich aber unbegrenzt zu denken. Diese Unterscheidung erscheint zunächst ungewohnt, ist aber nicht nur denk- und berechenbar, sondern auch vorstellbar.99 An dieser Stelle ist zunächst zu fragen, wie eine Unendlichkeitsvorstellung unter den Bedingungen des Raumes als begrenztem Container zu denken ist. Das Problem dabei ist zunächst ein denkerisches: Ist es überhaupt möglich, einen begrenzten Raum zu denken, ohne nicht immer einen jenseitigen Raum denken zu müssen? Wir hatten 96 97 98 99

Zur Rede vom Himmel im AT vgl. Bartelmus, R., Himmel. Vgl. Evers, D., Raum – Zeit – Materie, 119. Vgl. Hübner, J., Theologie Keplers, 186. Vgl. Riemann, B., Geometrie, 316. Die Vorstellbarkeit kann man sich modellhaft im Bild des Möbiusbandes veranschaulichen, das wiewohl begrenzt, so doch eine unendliche, weil einsinnige Fläche besitzt. Es hat zudem den Vorteil, dass man es sich leicht selbst demonstrieren kann: Man nehme einen Papierstreifen, verdrehe ihn in der Längsachse um 180°, klebe ihn zusammen und durchschneide ihn der Längsachse entlang.

Raum und Unendlichkeit

gesehen, dass nach Kant der dreidimensional unendliche Raum eine Form der Anschauung ist. Wenn Kant damit Recht hätte, könnte ein endlich gedachter Raum höchstens denkbar, nicht aber vorstellbar sein. Dieses Problem bildete in der mittelalterlichen Scholastik ein vieldiskutiertes Problem anhand folgenden Gedankenexperiments: Wenn man an der äußersten Sphäre des Weltgebäudes säße, könnte man seine Hand hinausstrecken?100 Diese Problemfassung hat nun in der Tat unterschiedliche Antworten gefunden, darunter auch eine, die die Vorstellung des Raumes als Container prinzipiell überwindet. Darauf werden wir noch zu sprechen kommen. An dieser Stelle gilt es, die Unendlichkeit strikt unter den Bedingungen des Modells zu denken. Dies ist prinzipiell in dreifacher Weise möglich: Durch Identifikation und Negation ähnlich dem ersten Modell und durch die Postulierung eines durch den endlichen Raum begrenzten Unendlichen. Das Identifikationsmodell der Unendlichkeit erscheint im Rahmen dieses Raummodells des begrenzten Containers eher selten. An prominenter Stelle ist es bei Johannes Kepler zu finden, der, ein nicht auf den realen Raum bezogenes Kugelmodell der Trinität von Nikolaus von Kues (gest. 1464) aufnehmend, den Mittelpunkt der Welt, die Sonne, mit dem Vater identifiziert, die äußerste Fixsternsphäre mit dem Sohn und den Zwischenraum zwischen beidem mit dem Heiligen Geist.101 Diese Denkfigur wie auch die des Identifikationsmodells wäre im Modell des unbegrenzten Containers eine pantheistische. Im Gegensatz zu dieser hat sie aber den Nachteil, dass sie sich fragen lassen muss, ob hier überhaupt Unendlichkeit gedacht ist. Denn diese Vorstellung muss ein „Außerhalb“ des begrenzten Raumes als prinzipiell sinnlos ansehen. Dies aber dürfte schwer gelingen, weil sowohl Denkbarkeit als auch Vorstellbarkeit, die als Sinnkriterien fungieren könnten, zumindest nach Kant für den unendlich gedachten Raum gegeben sind. Die zweite Antwortmöglichkeit ist die der Negation: Gott könnte als prinzipiell raumlos gedacht werden, so dass sich die Raumkategorie auf die Unendlichkeit Gottes gar nicht anwenden ließe. In diesem Falle würde man allerdings davon ausgehen müssen, dass Unendlichkeit überhaupt keine räumliche Kategorie ist. Dies bereitet auch keine Schwierigkeit, weil Unendlichkeit als logisches Prädikat zweiter Ordnung verstanden werden kann: Von Unendlichkeit an und für sich zu reden, ist prinzipiell sinnlos, weil sich Unendlichkeit immer auf ein Prädikat erster Ordnung beziehen muss: Man müsste dann 100 Vgl. Buridanus, J., Physik, IV,10. 101 Vgl. Kepler, J., Mysterium Cosmographicum, 23 sowie dazu Hübner, J., Theologie Keplers, 168 und Evers, D., Raum – Zeit – Materie, 126.

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Identifikation der Unendlichkeit mit dem Raum als endlichem Container

Unendlichkeit als Negation des Raumes

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Das Eschaton

angeben können, was unendlich ist. Dies müsste nicht der Raum sein, es wären auch andere Dinge vorstellbar: Weisheit, Güte, Macht, etc. Wir haben Vertreter dieser Position bereits bei der Besprechung des ersten Raummodells kennen gelernt. Ulrich Barth hatte dabei den Anspruch vertreten, dass es dieses Modell im Prinzip ermöglicht, weltbildneutral zu sein. Freilich löst auch das Negationsmodell im Rahmen des Modells des Raumes als begrenztem Container im Gegensatz zu seiner Verwendung im Rahmen des ersten, unendlichen Raummodells die Frage nach dem Verhältnis von Raum zur Unendlichkeit des Raumes nicht, sondern vermeidet es. Unendlichkeit als Die weit viel versprechendere Möglichkeit scheint die der PostuJenseits des lierung eines Unendlichen zu sein, das durch den endlichen Raum begrenzten Raumes begrenzt ist. Diese Vorstellung ist nun tatsächlich sehr gut denk- und vorstellbar: Man stelle sich einen Zahlenstrahl von minus bis plus unendlich vor mit dem Intervall -1 bis +1. Das Intervall -1 bis +1 symbolisiert hier das Endliche, denn es ist eindeutig begrenzt. Die beiden begrenzten, aber unendlichen Intervalle -1 bis -∞ und +1 bis +∞ sind nun beide durch das endliche Intervall begrenzt, selbst aber genauso unendlich und gleichmächtig wie es das unbegrenzte Intervall -∞ bis +∞ wäre. Eine Variante dieses Unendlichkeitsverständnisses, die wir das relativ begrenzt Unendliche nennen können, sieht so aus, dass das Unendliche sowohl den begrenzten Raum als auch das ihn Transzendierende umfasst. Tatsächlich sind diese beiden Vorstellungen Gottes als einem durch das Endliche begrenzten Unendlichen in christlicher Tradition sehr häufig in unterschiedlicher Weise vertretene Vorstellungen. Angedeutet wurde dies schon durch den Befund der hebräischen Bibel, in der sowohl derjenige Bereich der Schöpfung, der mit Himmel zu benennen ist, Gott enthält, diesen aber nicht fassen kann. Auch Augustin scheint diese Vorstellung zu vertreten102 und im Mittelalter war sie sehr prominent. Zu Ehren kommt sie auch in den reformierten und tridentinischen Vorstellungen des Abendmahls und hier erlangt sie sogar einen besonders praktischen und sichtbaren Wert. Um dies zu veranschaulichen sei etwas ausgeholt, indem die Abendmahlsauffassungen Huldrych Zwinglis (gest. 1531), Johannes Calvins (gest. 1564), des Tridentinums und letztlich auch der Ostkirche näher vorgestellt seien in ihrer Bedeutung für das Unendlichkeitsverständnis.

102 Vgl. Flasch, K./Augustinus, A., Was ist Zeit?, XII, 7.

Raum und Unendlichkeit 3.2.1.2.1

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Zwinglis Verständnis des Nachtmahls Christi und seine Bedeutung für den Unendlichkeitsbegriff

Nach Zwingli ist das „Nachtmahl Christi“ bekanntlich eine Gedächt- Eucharistie als Wiedergedächtnis bei nisfeier an das einmalige Kreuzesopfer Christi: Zwingli

„[...] Und weil dieses Wiedergedächtnis eine Danksagung und ein Frohlocken dem Allmächtigen gegenüber ist wegen der guten Tat, die er uns durch seinen Sohn bewiesen hat, und, welcher in diesem Fest, Mahl oder Danksagung erscheint, sich bezeugt, dass er deren sei, die da glauben, dass sie mit dem Tod und Blut unseres Herrn Jesu Christi erlöst sind.“103

Aber als „Wiedergedächtnis“ hat es nicht den Charakter eines Heilsmittels zur Vergegenwärtigung des Heils. Das wird ausdrücklich abgelehnt: „Siebtens glaube, ja weiß ich, dass alle Sakramente so weit davon entfernt sind, die Gnade zu verleihen, dass sie diese nicht einmal herbeibringen oder verwalten. […] Wie die Gnade nämlich vom göttlichen Geist bewirkt oder geschenkt wird […] so fällt dieses Geschenk allein dem Geist zu. Der Geist braucht aber keinen Führer und kein Transportmittel.“104

Entsprechend wird auch eine reale Gegenwart der Person Christi beim Abendmahl abgelehnt: „Ich vertrete aber, dass der Leib Christi wesentlich und real […] weder im Mahl anwesend ist, noch durch unseren Mund und unsere Zähne gegessen wird.“105 Dies heißt nun nicht, dass es mit der Gegenwart Christi gar nichts zu tun hätte. Denn nach Zwingli ist eine Gegenwart in der Kontemplation des Glaubens gegeben: „Ich vertrete, dass in der heiligen Eucharistie […] wahrhaft der Leib Christi anwesend ist in der Schau des Glaubens.“106 Ferner ist zu beachten, dass nach der reformierten christologischen Auffassung, die mit dem größten Teil der mittelalterlichen Tradition dem sog. antiochenischen Typus entspricht, streng zwischen göttlicher und menschlicher Natur zu unterscheiden ist. Dabei sind die Eigenschaften Gottes und des Menschen jeweils getrennt festzustellen. Da Menschen nicht allgegenwärtig sind, Gott aber sehr wohl, kann die göttliche Natur Christi beim Abendmahl anwesend sein, denn das ist sie nach dem Modell relativ begrenzter 103 H. Zwingli, Aktion oder Brauch des Nachtmahls, in: Zwingli, Huldrych, Zwinglis sämtliche Werke IV, Leipzig 1927, 1–24, 15. 104 H. Zwingli, Rechenschaft über den Glauben, in: Zwingli, H., Werke IV, 113. 105 Zwingli, H., Fidei ratio (1530), 87, 48–50: „Sed quod Christi corpus per essentiam et realiter, hoc est corpus ipsum naturale in coena aut adsit, aut ore dentibusque nostris mandatur.“ 106 Zwingli, H., Fidei ratio (1530), 87, 43f: „Credo quod in sacra Eucharistia, hoc est gratiarumactionis coena, verum Christi corpus adsit, fidei contemplatione.“

Keine leibliche Gegenwart Christi

Trennungschristologie

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Das Eschaton

Unendlichkeit sowieso. Das gilt aber nicht für die menschliche Natur und damit auch nicht für die Person Christi. 3.2.1.2.2

Calvins Verständnis des Nachtmahls Christi und seine Bedeutung für den Unendlichkeitsbegriff

Calvins Eucharistieverständnis

Calvins Position unterscheidet sich von der Zwinglis in der Bedeutung des Abendmahls. Auch Calvin ist die Integrität der beiden Naturen Christi wichtig, wichtiger als dessen Personeinheit. Und weil die menschliche Natur nun von einem Ort umgrenzt sein muss, gilt:

Christus ist im Himmel als Ort im Raum

„Denn wir sind nun einerseits fest überzeugt, dass der Leib Christi nach der ständigen Art des menschlichen Leibes begrenzt ist und vom Himmel umschlossen wird, in den er einmal aufgenommen ist, bis er wiederkommt um Gericht zu halten; und deshalb halten wir es andererseits für völlig unstatthaft, ihn wieder unter diese vergänglichen Elemente herabzuziehen.“107

Der Himmel ist hier als Ort im Raum vorgestellt, an dem sich Christus aufhält, zur Rechten des Vaters.108 Dennoch ist das Abendmahl kein reines Gedächtnismahl, sondern im Abendmahl gilt: „Es mag allerdings wohl unglaublich erscheinen, dass Christi Fleisch bei so großer räumlicher Entfernung zu uns dringen kann, um uns zur Speise zu werden; aber wir wollen bedenken, wie weit die Kraft des Heiligen Geistes über unsere Sinne hinausragt […] was räumlich getrennt ist, das wird vom Heiligen Geist in Wahrheit geeint.“109

Die weite räumliche Trennung wird geistig-geistlich überwunden

Das Abendmahl in seinen sichtbaren Zeichen entspricht damit dem unsichtbaren geistigen Geschehen, in dem unser Geist durch den Heiligen Geist im Abendmahl zu Christus „in die Höhe“110 geführt wird. Christus hat zwei Naturen, eine göttliche und eine menschliche. Das Abendmahl hat zwei Naturen, eine sichtbare und eine unsichtbare. Der Mensch hat zwei Naturen: Körper und Seele. Und damit wir im Abendmahl nicht nur mit der göttlichen Natur Christi in Kontakt kommen, sondern auch mit der menschlichen, bringt der Heilige Geist unsere Seelen mit dem ganzen Christus zusammen. Der heilige Geist lässt unseren Geist gewissermaßen Fahrstuhl fahren. „Unsere Seelen werden mit dem Fleisch und Blut Christi nicht anders genährt als wie Brot und Wein das leibliche Leben erhalten und fördern.“111

107 108 109 110 111

Calvin, J., Institutio, IV, 12; 948f. Vgl. Calvin, J., Institutio IV, 17,18; 955. Calvin, J., Institutio IV, 17,10; 947. Calvin, J., Institutio IV, 17,16; 953. Calvin, J., Institutio IV, 17,10; 947.

Raum und Unendlichkeit 3.2.1.2.3

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Das tridentinische und orthodoxe Verständnis des Abendmahls und seine Bedeutung für den Unendlichkeitsbegriff

Nach der röm.-kath. Auffassung ist freilich im Abendmahl der ganze Christus einschließlich seiner beiden Naturen, göttlicher und menschlicher, gegenwärtig. So heißt es im Tridentinum: „Zu Beginn lehrt das heilige Konzil und bekennt offen und ehrlich, dass im segensreichen Sakrament der heiligen Eucharistie nach der Konsekration von Brot und Wein unser Herr Jesus Christus als wahrer Gott und Mensch wahrhaft, wirklich und substanzhaft [Kan. 1] unter der Gestalt jener sinnenfälligen Dinge enthalten ist.“112

Das tridentinische Abendmahlsverständnis kennt die Anwesenheit Christi…

Dies hat man sich nun genauer nach der bekannten Transsubstantiation vorzustellen, wie sie auf dem 4. Laterankonzil dogmatisiert und durch das Tridentinum bestätigt wurde: „durch die Konsekration des Brotes und Weines geschieht eine Verwandlung der … nicht aber die von ganzen Substanz des Brotes in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und Brot und Wein der ganzen Substanz des Weines in die Substanz seines Blutes. Diese Wandlung wurde von der heiligen katholischen Kirche treffend und im eigentlichen Sinne Wesensverwandlung genannt.“113

Substanz ist das, was eine Sache wesentlich ausmacht im Unterschied Transsubstantiation zu den Akzidentien, d. h. den mehr oder weniger belanglosen, auf alle Fälle aber unwesentlichen Eigenschaften. Das heißt also: Nach der Konsekration ist im Abendmahl nur noch Christus gegenwärtig: Fleisch und Blut Christi, aber eben kein Wein und Brot mehr. Dass der Knirschkoeffizient, der Geschmack und das Aussehen von Brot und Wein erhalten bleiben, ist rein akzidentiell und unwesentlich. Und nun zur orthodoxen Auffassung: Zwar hat die Orthodoxe Ostkirchliches EuchaKirche immer Vorbehalte gegen die Transsubstantiationslehre gehabt ristieverständnis und auf eine philosophisch-ontologische Erklärung der Wandlung lieber verzichtet, nicht aber auf die Wandlung, die metabole selbst. Brot und Wein sind nach Johannes Damaszenus (gest. 749) „der vergottete Leib des Herrn selbst“, indem sie „durch Anrufung und Herabkunft des Heiligen Geistes auf übernatürliche Weise […] verwandelt“114 werden. Auch für das röm.-kath. bzw. orthodoxe Verständnis gilt Ähnliches: Zwar ist hier der ganze Christus im Abendmahl gegenwärtig, aber Brot und Wein sind in beiden Fällen nicht mehr da, sondern es

112 Denzinger, H./Hünermann, P., DH, 1636. 113 Denzinger, H./Hünermann, P., DH, 1642. 114 Damaszenus, J., de fide orthodoxa (dt.), IV,13; 86.

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Das Eschaton

Selbstbegrenzung Gottes

Probleme des Modells

scheint nur so. Im Abendmahl kommt zwar die Unendlichkeit zu uns, aber das geht nur, wenn das Endliche ausgespart wird, wenn es an der Stelle, an der früher Brot und Wein waren, jetzt eben nicht mehr Brot und Wein sind; wenn an diesen Stellen außer der menschlichen Natur Christi nichts Geschaffenes mehr da ist. Es kommt zu einer punktuellen Gegenwart von Endlichem und Unendlichem. Dieses Modell einer punktuellen Verbindung findet sich auch in der jüdischen Kabbala: Hier kannte man die Lehre vom Zim-Zum, die zunächst meinte, dass sich die unendliche Gottheit kontrahieren könne, um als ganze am Ort des Tempels gegenwärtig sein zu können.115 Die Zim-Zum-Vorstellung ist auch insofern interessant, als sie schon in der jüdischen Vorstellung Isaak Lurias (gest. 1572) auch in umgekehrter Richtung verstanden werden konnte: Das Unendliche kontrahiert nicht zu einem Punkt, sondern zieht sich im Gegenteil in seiner Unendlichkeit so in sich zurück, dass es einen Freiraum vom Unendlichen schafft und sich damit selbst begrenzt. Dieser Freiraum aber ist nichts anderes als der endliche Raum für Gottes Schöpfung.116 Jürgen Moltmann hat in seiner Theologie diese Vorstellung der Selbstbegrenzung des Unendlichen am weitestgehenden aufgenommen und positiv rezipiert.117 Und in der Tat wird man, wenn man Raum und Gott in diesem Modell zusammen denken will, eine – und sei es nur relative – Begrenzung des Unendlichen durch das Endliche nur als Selbstbegrenzung und Gewähren von Freiraum verstehen können, will man den Begriff Gottes als der alles bestimmenden Wirklichkeit beibehalten. Diese Selbstbegrenzung muss auch nicht im Modell der Räumlichkeit verstanden werden. Wir hatten ja gesehen, dass Endliches und Unendliches als Eigenschaftsbegriffe zweiter Ordnung verstanden werden können, die sich immer auf eine andere Eigenschaft beziehen. Diese muss allerdings nicht unbedingt als Räumlichkeit verstanden werden. In diesem Sinne, als Instrument zur Wahrung von Gottes Souveränität hat auch Eberhard Jüngel dem Selbstbegrenzungsmodell zugestimmt.118 Allerdings sind mit der Einführung der Denkfigur der Selbstbeschränkung weder die Probleme des Verständnisses des Raumes als endlichem Container noch die seiner Verhältnisbestimmung zum Unendlichen gelöst. Diese Probleme kulminieren jetzt im Gegenteil in einer Vielzahl von Aspekten: Selbst als nur relativ vom endlichen 115 116 117 118

Vgl. Evers, D., Raum – Zeit – Materie, 146. Vgl. Evers, D., Raum – Zeit – Materie, 146. Vgl. z. B. Moltmann, J., Trinität und Reich Gottes, 124. Vgl. Jüngel, E., Schöpferische Selbstbegrenzung.

Raum und Unendlichkeit

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Raum Begrenztes ist das Unendliche immer noch im Gegensatz zum endlichen Raum konstruiert. Dies verursacht Probleme: Bestand das Problem der negativen Unendlichkeitsvorstellung darin, dass sich das Unendliche nicht im Endlichen zeigen kann bzw. in kein positives Verhältnis zu ihm gesetzt werden kann, was aber in der Selbstidentifikation der Eschatoi und insbesondere in der Annahme einer menschlichen Natur durch den Sohn als ewigen Logos vorausgesetzt ist, wird hier Gott von vornherein als räumlich-containerhaft verstanden. Dies mündet dann zwar aufgrund der Selbstbegrenzungsfigur nicht in einem Pantheismus, aber in einem Panentheismus: Der reale Raum kann nur deshalb als endlicher Container verstanden werden, weil er ein Teilraum des gesamten Raumes ist, der Gott oder das Unendliche ist. In diesem Sinne erweist sich diese Raumauffassung damit als Variation der Auffassung des Raumes als unendlich gedachtem Container und damit als Variation des pantheistischen Verständnisses von Unendlichkeit. Die logischen Schwierigkeiten, einen endlichen Raum und nicht doch einen unendlichen Raum zu denken, sind damit letztlich ungelöst. Allerdings zeichnen sich in der biblischen Tradition wie auch in der Debatte des Mittelalters über das Raumproblem Ansätze ab, die zu einer völlig anderen Auffassung des Raumes führen: der Auffassung des Raumes als Inbegriff gleichzeitiger Relationen, der wir uns nun zuwenden müssen. 3.2.1.3

Raum als Inbegriff der Ordnung von reversiblen Relationen und Ewigkeit als Relationsgefüge

§39 Raum kann als Inbegriff derjenigen Relationen zwischen körperlichen Entitäten verstanden werden, die nicht nur eine Ordnungsrelation bilden, sondern auch reversibel sind. In der Tradition Luthers ist der ganze Christus, sowohl nach seiner Gottheit als auch nach seiner Menschheit ganz im Abendmahl anwesend, in, mit und unter Brot und Wein. Während in der Inkarnation der ewige Logos an der konkreten raumzeitlichen Perspektive Palästinas partizipiert, partizipiert nun umgekehrt die Menschheit Christi mit der Himmelfahrt an der Perspektive Gottes, d. h. an dem Bezug Gottes an der räumlichen Welt als ganzer. „Himmel“ meint präzise diese wechselseitige, aber asymmetrische Beziehungsmöglichkeit Gottes zu seiner Schöpfung und seinen

§39 Raum als Inbegriff einer reversiblen Ordnungsrelation. Seine Bedeutung für das lutherische Abendmahls- und Himmelfahrtsverständnis sowie für Hegels Unendlichkeitsverständnis

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Das Eschaton

einzelnen Geschöpfen an allen Orten. Himmelfahrt meint dann, dass diese Beziehungsmöglichkeit in der Person Jesu Christi, die als einzige der trinitarischen Personen Mensch wurde, vermittelt ist. Inkarnation, Auferstehung und Himmelfahrt implizieren, dass Gott nicht notwendig auf die Welt bezogen ist, aber faktisch auf die Welt bezogen ist, so dass gilt: Weil Christus im Himmel ist, ist er uns nahe. Nach Hegel ist das schlechte Unendliche immer noch begrenzt, weil es als Gegensatz zum Endlichen konstruiert ist. Erst das Unendliche, das auch ganz im Endlichen sein kann, ist nicht mehr vom Endlichen begrenzt und daher das wahrhaft Unendliche. Raum als Inbegriff von Relationen … bei der Erzählung von Jesu Taufe … im Mittelalter … bei Leibniz

Ein drittes Raummodell geht nicht vom Raum als Container aus, sondern vom Raum als Inbegriff aller gleichzeitigen Relationen zwischen Entitäten. In diesem Modell ist nicht mehr der Raum Bedingung der Möglichkeit von welthaften Gegenständen, Sachverhalten und Prozessen, sondern die welthaften Sachverhalte, d. h. die welthaften Relate und ihre Relationen, sind umgekehrt Bedingung der Möglichkeit des Raumes. Diese Auffassung des Raumes dürfte diejenige gewesen sein, die Aristoteles selbst vertreten hat.119 Auch in biblischer Hinsicht finden sich Ansätze zu einem relationalen Raumverständnis, genauer solche Redeweisen räumlicher Vorstellungen, die sich nicht mehr im behälterhaften Modell verstehen lassen. Das prominenteste Beispiel sind die Perikopen zur Taufe Jesu, in denen davon die Rede ist, dass der Himmel offen steht und sich himmlische und irdische Welt, konkret durch die Figur der Taube, nun in der Person Jesu verbinden (Mk 1,9–11 par). Das Mittelalter schließlich dringt zu dieser Lösung der Raumproblems vor, indem eine Antwort auf die Frage, ob man seine Hand über die letzte Sphäre des endlichen Weltgebäudes hinausstrecken könne, lautet, dass dies möglich ist, nicht weil hinter dem Weltgebäude ein weiterer Raum wäre, was die Endlichkeit des Raumes kompromittieren würde, sondern weil durch das Ausstrecken des Armes der Raum um eben den ausgestreckten Arm erweitert würde.120 Die prominenteste Vorstellung des Raumes als Inbegriff von Relationen hat Gottfried Wilhelm Leibniz (gest. 1716) gegen Newton vertreten. Leibniz definiert im Briefwechsel mit Samuel Clarke Raum als „eine Ordnung des Daseins von Dingen, die man bemerkt, wenn sie gleichzeitig sind“121 . Diese relationale Raumvorstellung kann auch 119 Vgl. Evers, D., Raum – Zeit – Materie, 17–19. 120 Vgl. Buridanus, J., Physik, IV,10. 121 Clarke, S./Leibniz, G.W., Briefwechsel mit Leibniz, 72.

Raum und Unendlichkeit

147

mit der relativistischen Raumauffassung harmonieren und wird von deren Vertretern in der Regel angenommen, wenn die relativistische Raumauffassung auch nicht zwangsläufig die relationale Raumauffassung voraussetzt. Um dies zu verstehen, muss nun zunächst die moderne relativistische Raumauffassung in ihrer Geschichte deutlicher beschrieben werden: Newtons Verständnis des absoluten Raumes als unendlichem … bei Gauß und Container brachte den Nachteil mit sich, dass er empirisch nicht Riemann testbar war und sich mathematisch auf den dreidimensionalen euklidischen Raum beschränkte. Nun vermutete schon Carl Friedrich Gauß (gest. 1855), dass der tatsächliche Raum nicht der euklidischen Geometrie folge, scheiterte aber aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Messgenauigkeit an einer empirischen Überprüfung. Bernhard Riemann (gest. 1866) schließlich lieferte die mathematische Hintergrundtheorie, indem er die mathematische Idee Gauß’ von gekrümmten Räumen auf n-dimensionale Mannigfaltigkeiten, d. h. für gedachte Räume mit beliebig vielen Dimensionen ausdehnte und mathematisch konzeptionalisierte. Albert Einstein (gest. 1955) verband das damit geschaffene Instrumentarium mit dem Gedanken von Ernst Mach (gest. 1916), dass es überhaupt nur relative Bewegungen gebe und der newtonsche Raum infolgedessen abgelehnt werden müsse zur speziellen und später allgemeinen Relativitätstheorie, die empirisch gut bestätigt ist.122 Die Folgen für den Raum bestehen darin, dass nicht nur die Zeit, Längenkontraktion sondern auch der Raum nun von Bewegung und Gravitation abhängt. Wie es eine Zeitdilatation gibt, so auch eine Längenkontraktion. Dieses Verständnis scheint sich nun mit der relationalen Raumauffassung zunächst besser erklären zu lassen, bringt aber auch ein Problem mit sich: Da auch die Zeit keine absolute Konstante mehr ist, kann der Raum nicht mehr wie bei Leibniz als Inbegriff derjenigen Relationen betrachtet werden, die gleichzeitig sind, weil der Begriff einer absoluten Gleichzeitigkeit nicht mehr sinnvoll erscheint. Diese Schwierigkeit lässt sich aber durch Minkowskis Modell der Raumzeit lösen, die er schlicht „Welt“ nannte, in dem Raum und Zeit zur Raumzeit verbunden sind und nicht mehr unabhängig voneinander betrachtbar erscheinen.123 Versteht man dieses relativistische Modell der Raumzeit im Modell des relationalen Raumverständnisses, wird die Zeit keineswegs zwangsläufig zu einer weiteren Raumdimension, sondern räumliche Relationen haben nun zwar auch wie zeitliche Relationen

122 Vgl. Evers, D., Raum – Zeit – Materie, 42–63. 123 Vgl. Minkowski, H., Raum und Zeit.

148

Das Eschaton

Unendlichkeit als Negation des Raumes als Inbegriff von Relationen

Unendlichkeit als Relationsgefüge bei Luther und Hegel

den Charakter der Asymmetrie, Irreflexibilität und Transitivität, wie man schon umgangssprachlich an den Relationen „links neben“, „vor“ und „über“ leicht feststellen kann, aber ihnen fehlt im Gegensatz zu zeitlichen Relationen immer noch das Merkmal der Irreversibilität. Ein vom Ort A nach dem Ort B bewegter Körper kann wieder nach A zurückversetzt werden, während ein von der Zeit t zur Zeit t+1 fortgeschrittener Körper nicht mehr zur Zeit t zurückkehren kann. Naturphilosophisch dürfte die sinnvollste Definition des Raumes im relationalen Modell daher lauten, dass der Raum der Inbegriff derjenigen Relationen zwischen Gegenständen ist, die zwar als irreflexive, asymmetrische und transitive Relationen den Charakter einer Ordnungsrelation tragen, die aber reversibel sind. Wie sehen nun unter dem Modell des Raumes als Inbegriff reversibler Relationen mögliche Unendlichkeitsauffassungen aus? Die Negationslösung steht selbstverständlich auch hier zur Verfügung: Gott oder die Unendlichkeit kann als das definiert werden, das selbst nicht Raum ist, d. h. als das, was selbst nicht relational strukturiert ist und letztlich auch nicht zur Relationierung fähig ist. Dieses Denken ist freilich nicht vollständig durchzuhalten, weil wenigstens eine relationale Aussage notwendig ist, nämlich dass das so verstandene „Unendliche“ wenigstens in der Relation der „Bedingung der Möglichkeit“ zum Raum steht. Allerdings zeigt sich hier auch die Grenze des Versuchs, die Unendlichkeit im Paradigma der Negation denken zu wollen: Denn geht man radikal vor, müssen alle Relationen des Unendlichen zum Inbegriff der Welt als Relationsgefüge geleugnet werden, so dass gerade nicht mehr gilt, dass mit dem Ausscheiden räumlich-weltbildhafter Vorstellungen die Religion zu ihrem Eigentlichen befreit werden kann: Sie hätte nun schlichtweg keine Bedeutung mehr für Welt und Subjektivität. Sinnvoller erscheint es daher, das Unendliche als ein Relationsgefüge zu denken, das sich von sich selbst aus mit dem welthaften Relationsgefüge in Beziehung setzen kann, und zwar auf eine Weise, die es nicht vom endlichen Relationsgefüge der Welt begrenzt sein lässt. Diese Möglichkeit ist schon biblisch in der Verschränkung von Himmel und Erde angedacht, wie es etwa in der Perikope von Jesu Taufe (Mk 1,9–11par) zum Ausdruck kommt und wird vor allem bei Luther unter Aufnahme und Ausbau mittelalterlicher Definitionen im Zusammenhang seiner Abendmahls- und Himmelfahrtslehre entworfen sowie im 19. Jh. von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (gest. 1831) in ihrem abstrakten Gehalt rekonzeptionalisiert.

Raum und Unendlichkeit 3.2.1.3.1

149

Luthers Abendmahlsverständnis und seine Folgen für die Auffassung von Unendlichkeit

Nach Luther ist die Personeinheit Christi der wesentliche Punkt, nicht communicatio wie bei Calvin die Integrität der beiden Naturen. Christus ist eine idiomatum Person. Wenn er zwei Naturen haben soll, bedeutet dies, dass die Eigenschaften der beiden Naturen wechselseitig voneinander ausgesagt werden müssen (communicatio idiomatum). Dies bedeutet, dass beim Abendmahl der ganze Christus gegenwärtig sein muss, einschließlich seiner göttlichen und menschlichen Natur. Soweit scheint Luther mit der römischen und orthodoxen Tradition zu koinzidieren. Aber, und das wird sich noch als spannender Punkt erweisen: Christus ist in, mit und unter Brot und Wein gegenwärtig, wie es aus den lutherischen Bekenntnisschriften zu entnehmen ist.124 Beim Abendmahl ist also sowohl Brot und Wein als auch Fleisch und Blut gegenwärtig. Hören wir Luther selbst zu den Einsetzungsworten des Abendmahls, und zwar zunächst zu zwei komplementären Fehlern, nur den Leib Christi oder nur Brot und Wein anwesend zu sehen: „Es ist ia war und kann niemand leucken, das zwey unterschiedliche wesen nicht Luthers Beurteilung mügen ein wesen sein, als was ein esel ist, das kann ia nicht ein ochse sein […] anderer EucharistieWenn wir nu mit solchem verstand hie yns abendmal komen, so stösset sich hie verständnisse die vernunfft, Denn sie findet, das hie zwey unterschiedliche wesen als brod und leib werden fur ein ding odder wesen gesprochen ynn diesen worten ‚Das ist mein leib‘, Da schüttelt sie den kopff und spricht: Ey, Es kann und mag nicht sein, Das brod sol leib sein, Ists brod, so ists brod, Ists leib, so ists leib, der eins, welchs du wilt. Hie haben nu die Sophisten den leib behalten und das brod lassen faren und sprechen: Das brod vergehe und verlasse sein wesen uber den worten, Und das wörtlin ‚Das‘ zeige nicht auffs brod, sondern auff den leib Christi, da der text spricht ‚Das ist mein leib‘. Vigleph widderumb ficht dagegen und behelt brod und lest den leib faren, spricht, das wörtlin ‚Das‘ zeige auffs brod und nicht auff den leib.“125

Dieser komplementäre Fehler beruht auf einem sprachlichen Missverständnis: „Die Logica leret recht, Das brod und leib […] Gott und Mensch unterschiedliche naturn sind, Aber sie soll auch die Grammatica hören zur hülffe, Welche leret also reden in allen Sprachen: Das wo zwey unterschiedliche wesen ynn ein wesen komen, da fasset sie auch solche zwey wesen ynn einerley rede […] Solche weise zu reden von unterschiedlichen wesen als von einerley, heißen die grammatici Synecdochen, […], als wenn ich einen sack odder beutel zeige odder dar reiche, spreche ich: Das sind hundert gülden, da gehet das zeigen und das wörtlin ‚das‘ auff

124 Luther selbst spricht in BSLK, 709,24f von „in“ und „unter“, die Konkordienformel verwendet dann explizit „in“, „mit“, „unter“ in BSLK, 983,15f und 984, 10f. 125 Luther, M., WA 26, 439, 6–23.

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Das Eschaton den beutel, Aber weil der beutel und gülden etlicher masse ein wesen sind, als ein klumpe, so triffts zu gleich auch die gülden […] Wenn nu hie ein spitzer Vigleph oder Sophist wolt lachen und sagen: Du zeigest mit den beutel, und sprichst, das sind hundert gülden, Wie kann beutel hundert gülden sein? […] Des würden auch die kinder lachen als eines narren odder schertzers, […] Da die zwey wesen ynn ein wesen sind komen, […] der beutel ist hie nicht mehr schlecht ledder odder beutel, sondern ein gold ledder odder geldbeutel.“126

Luther parallelisiert nun dieses Problem mit dem christologischen Problem: Wenn man auf den Menschen Christus zeigt und sagt, „dieser Mensch ist Gottes Sohn“, ist ebenfalls von zwei Naturen oder Klassen die Rede, die aber in der vorgängigen Einheit der Person untrennbar verbunden sind.127 Im Abendmahl geschieht Ähnliches in einer sakramentalen Einheit zwischen dem Leib Christi und den Elementen: Einheit von Brot und Leib

„und wie sie ein ding werden und sind, also heißt und spricht man sie denn auch fur ein ding […] und umb der sacramentlichen einickeit willen recht gered wird: ‚Das ist mein leib‘, mit dem wörtlin ‚Das‘ auffs brod zu deuten, denn es ist nu nicht mher schlecht brod ym backofen, sondern fleischsbrod odder leibsbrod, das ist ein brod, so mit dem leibe Christi ein sacramentlich wesen und ein ding worden ist.“128

Damit ist Luthers Position hinreichend klar. Es versteht sich von selbst, dass damit umfangreiche Revisionen hinsichtlich des Gottes- und Weltverständnisses verbunden sind. Aber für unseren deskriptiven Zweck reicht es aus festzustellen: In der Eucharistie ist der ganze Christus, ungeteilt, zugleich mit Brot und Wein anwesend. Arten der Für Luther ist dies denkbar, weil er mit der scholastischen TraAnwesenheit dition drei Vorstellungen von möglicher Gegenwart kennt, deren erste beide hier abgelehnt werden müssen: Circumscriptive oder localiter heißt eine Anwesenheit eines Körpers im Raum nach seiner Ausdehnung. Definitive heißt eine Anwesenheit von raumlosen Gegenständen, wie einer bestimmten Idee an einem Ort. Beide Arten der Anwesenheit können offensichtlich nicht für das Problem der Anwesenheit Christi im Abendmahl als Erklärungsmuster dienen. Luther kennt aber noch eine dritte Möglichkeit: Repletive heißt eine Anwesenheit, wenn etwas vollständig an allen Orten ist und doch von keinem Ort gefasst wird. Dies wendet Luther auf Gott und infolge-

126 Luther, M., WA 26, 443, 12–444, 31. 127 Vgl. Luther, M., WA 26, 440f. 128 Luther, M., WA 26, 445, 5–12.

Raum und Unendlichkeit

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dessen auch auf den einen Christus einschließlich seiner Göttlichkeit und Menschlichkeit an.129 Offensichtlich ist diese repletive Anwesenheit, soll sie nicht in einer Antinomie enden, nicht unter containerhaften Raummodellen zu verstehen, sondern nur unter relationalen Raummodellen. Und tatsächlich tendiert Luther auch in seinem Verständnis des Himmels zur Auflösung der Vorstellung des Himmels als einem Ort im Raum. 3.2.1.3.2

Die christliche Rede von Himmel und Himmelfahrt Christi und ihre Bedeutung für das Raum- und Unendlichkeitsverständnis

Während in der Alten Kirche Athanasius von Alexandria (gest. 373) die Himmelfahrt primär durch die sessio ad dextram, des Sitzens Jesu Christi zur Rechten des Vaters, verband, um damit die Wesensgleichheit mit Gott dem Vater zum Ausdruck zu bringen,130 deutete das Mittelalter die Himmelfahrt vorwiegend im Rahmen des ptolemäischen Weltbildes. Der Himmel wurde als die äußerste Sphäre des Weltgebäudes verstanden, von der aus Gott zu allen Orten der Erde gleich weit entfernt ist. Thomas von Aquin verstand den Himmel als Ort jenseits der körperlichen und geistigen Schöpfung, zu dem die menschliche Natur Christi durch einen Ortswechsel entschwand, während die göttliche Natur nicht lokalisierbar sei.131 Nur vereinzelt wurden solche Vorstellungen überwunden, etwa bei Albertus Magnus (gest. 1280), der den Himmel nicht als Ort, sondern als die Dreieinigkeit selbst verstand.132 Diese Vorstellung findet sich zwar auch bei Thomas von Aquin, wird dort aber gerade nicht für die Vorstellung der Himmelfahrt Christi fruchtbar gemacht. Für die Reformatoren verband sich die Himmelfahrt eng mit den unterschiedlichen christologischen Vorstellungen wie sie in den Abendmahlsstreitigkeiten zum Ausdruck kamen. Wir sahen schon, dass Calvin letztlich die Himmelfahrt in mittelalterlicher Tradition als ein Entschwinden Christi in den Himmel als einen anderen Ort im Raum verstand.133 Während diese reformierte Vorstellung Schwierigkeiten mit sich bringt, die Personeinheit Christi zu wahren, indem dessen göttliche und menschliche „Natur“ auseinander gerissen werden, betonten Luther, der schwäbische Reformator Johannes Brenz (gest. 1570) und große Teile der lutherischen Orthodoxie die Personeinheit Jesu Christi so, dass die gesamte Person einschließlich ihrer

129 130 131 132 133

Vgl. Luther, M., WA 26, 329–332. Vgl. Athanasius, Apologia contra Arianos, 1,61. Vgl. Thomas von Aquin, s.th. p1,2 q57. Vgl. Magnus, A., de ressurectione, tr.2 q.9 a.3, 286–287. Vgl. Calvin, J., Institutio, IV, 17,12.26.

Die Himmelfahrt Christi … im ptolemäischen Weltbild

… bei Luther und Brenz

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Das Eschaton

menschlichen „Natur“ an der göttlichen Allgegenwart partizipiert.134 Damit wird jede räumliche Himmelfahrtsvorstellung aber unmöglich. Die Himmelfahrt wird einschließlich der sessio ad dextram so gedeutet, dass die Rechte des Vaters nicht ein Ort ist, sondern Gottes Macht, „welche zu gleich nirgent sein kann und doch an allen orten sein mus“135 . Mit der Himmelfahrt ist Christus in allen und außer allen Kreaturen.136 Damit ist die Himmelfahrt Mittel Christi, uns nicht fern, sondern nahe sein zu können.137 Diese später so bezeichnete „Ubiquitätsvorstellung“ ermöglichte es, die Realpräsenz im Abendmahl behaupten zu können. Während die reformierte Vorstellung der Himmelfahrt mit der Wende zum kopernikanischen Weltbild und mit der Entwicklung der modernen Naturwissenschaften in Konflikt geriet, war die lutherische Auffassung mit dem neuen Weltbild kompatibel, wurde aber nicht weiter entfaltet. … in der Neuzeit Seit der Aufklärung wurde eine Lehre von der Himmelfahrt mehr und mehr als mythologische Aussage ausgeschieden bis hin zu Friedrich D.E. Schleiermacher (gest. 1834) und Rudolf Bultmann (gest. 1976).138 Seit dem Neuluthertum des 19. Jh. gibt es allerdings auch eine Gegenbewegung, in der genauso wie in mannigfachen Strömungen der Theologie des 20. Jh. der Himmelfahrtsgedanke wieder positiv aufgenommen wird. Bei Karl Barth (gest. 1968) ist sie immerhin „Abschluss“ der Offenbarungsgeschichte,139 bei Paul Tillich (gest. 1965) ist sie „Teilnahme des Neuen Seins am göttlichen Schaffen“140 , und bei Michael Welker in Aufnahme des biblischen Befundes unter teilweiser Aufnahme prozessphilosophischer Gedanken ist sie die Gegenwart Christi in dem für uns räumlich und zeitlich unbestimmteren und uverfügbareren Teil der Schöpfung.141 Personale Diese Denkversuche bleiben insofern hinter Luthers Ansatz zuTranszendenz rück, als sie entweder weiterhin im Modell des Raumes als Container denken oder aber ganz auf räumliche Vorstellungen verzichten wollen. Eine räumliche Interpretation ist aber unter allen Umständen wichtig, weil der Raum einen wichtigen Aspekt des Lebens darstellt. Denn unter dem relationalen Modell des Raumes ist räumliche Distanz zwischen zwei Orten ein wichtiges Instrument, um die persona134 135 136 137 138

Vgl. Brenz, J., de personali unione. Luther, M., WA 23, 133. Vgl. Luther, M., WA 19, 491. Vgl. Luther, M., WA 12, 562. Vgl. Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §99, 82–89 und Bultmann, R., Neues Testament und Mythologie, 17. 139 Vgl. Barth, K., KD IV/2, 171. 140 Tillich, P., ST II, 175. 141 Vgl. Welker, M., Universalität Gottes, 224–228.

Raum und Unendlichkeit

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le Transzendenz auszudrücken, die allererst Personalität ermöglicht, denn in personaler Transzendenz sind verschiedene Personen voneinander geschieden und so aufeinander bezogen, dass sie wechselseitig kommunikativ verfügbar sind. Ähnlich des Gedankenganges bei der Verhältnisbestimmung zwischen Zeit und Ewigkeit ist nun anzunehmen, dass es nicht der Raum selbst ist, der dies ermöglicht, sondern dessen zugrunde liegende logische Eigenschaften einer Ordnungsrelation. Wir sahen aber bereits, dass eine solche Ordnungsrelation auch der trinitarische Gott in sich selbst ist. Während nun die Inkarnation als Überschneidung der beiden Relationsgefüge von Gott und Welt unter den Bedingungen der welthaften Perspektive verstanden werden kann, ist umgekehrt die Himmelfahrt als die Überschneidung der Relationsgefüge von Gott und Mensch unter den Bedingungen Gottes gemeint. 3.2.1.3.3

Hegels Raum- und Unendlichkeitsverständnis als Kriterium der unterschiedlichen Abendmahlsvorstellungen

Das Problem, in welcher Weise diese Verschränkung des Endlichen mit dem Unendlichen denkbar ist, ist noch nicht gelöst. Denn unter dem relationalen Raummodell soll ja das Unendliche als so im Endlichen anwesend gedacht werden, dass es ganz im Endlichen anwesend sein kann, ohne vom Endlichen begrenzt zu sein. Im Containermodell des Raumes wäre diese Vorstellung schlicht inkohärent. Mit Hilfe des dogmengeschichtlichen Lehrsatzes finitum capax finitum capax infiniti infiniti (das Endliche fassend des Unendlichen) wird nun aber gerade darauf insistiert, dass in der lutherischen Position das Unendliche, also Gott, in der Lage ist, im Endlichen zu erscheinen. Dies gilt für die Person des ewigen göttlichen Logos, der in der menschlichen Natur Christi erscheinen kann und dies gilt für das Abendmahls- und Himmelfahrtsverständnis der lutherischen Tradition. Luther lässt dieses Verständnis sogar in seinem Weihnachtslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ zum Tragen kommen, in der 9.–11. Strophe: „Ach Herr, Du Schöpfer aller Ding – was bist Du worden so gering – dass Du da liegst auf dürrem Gras – woraus ein Rind und Esel aß. Und wär die Welt vielmal so weit – von Edelstein und Gold bereit’ – so wär sie doch dir viel zu klein – zu sein ein enges Wiegelein. Der Sammet und die Seiden dein – das ist grob Heu und Windelein – darauf du König groß und reich – herprangst, als wär’s dein Himmelreich.“

Unter den Bedingungen eines nicht containerhaften Raumverständ- Unendlichkeit bei nisses ist der vorausgesetzte Grundsatz, dass das Unendliche voll- Hegel ständig im Endlichen erscheinen kann, ohne von diesem begrenzt zu sein, zumindest denkbar, wenn vielleicht auch nicht vorstellbar.

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Das Eschaton

Klassisch geschieht dieses Denken der Logik des Unendlichen mit Hilfe von Hegels Unterscheidung zwischen wahrhafter Unendlichkeit und schlechter Unendlichkeit.142 Das Unendliche, das ich mir vorstellen kann und das ich denken kann, ist das, was nicht im Endlichen erscheinen kann. Das heißt aber, dass es begrenzt ist: Eben durch das Endliche. Das wahrhaft Unendliche aber kann dann nur so gedacht werden, dass es nicht durch die Grenzen des Endlichen begrenzt ist und insofern fähig ist, auch ganz ins Endliche einzugehen und den Gegensatz zwischen Endlichem und Unendlichem noch einmal umgreift. Das ist die Pointe der lutherischen Auffassung von der Person Christi und des lutherischen Abendmahlsverständnisses. 3.2.2

Heims Theologie der Räume und des Kontinuums

Karl Heim hat im 20. Jh. wohl den Raumbegriff am weitestgehendsten in die Theologie aufgenommen,143 denn der Raumbegriff spielt hier schon eine Rolle bei der Bestimmung des Gottesbegriffs. Heim geht davon aus, dass in der Neuzeit – seit Giordano Bruno den Gedanken der Unendlichkeit der Welt gedacht und Nietzsche diese Welt positivfröhlich bejaht hatte –, sich auch der Atheismus im Unterschied zu anderen Zeiten gewandelt habe: Er bestreitet nicht mehr einfach die Existenz Gottes, vielmehr bestreitet er, dass es sich bei Ausdrücken wie „Gott“, „Transzendenz“, aber auch Begriffen, die gerade die Unterschiedenheit von Gott und Welt betonen, wie Barths Ausdruck des „unendlichen qualitativen Unterschieds“ um sinnvolle oder verstehbare Begriffe handelt. Heim selbst versucht den Begriff Gottes als Transzendenz kritisch zu retten. Dies geschieht bei ihm mit Hilfe des Raumbegriffs. Inhaltliche und Ein Raum meint bei Heim ein polar strukturiertes Kontinuum. dimensionale So verstanden wäre auch die Zeitstrecke der B-Reihe ein Raum, wenn Jenseitigkeit auch ein eindimensionaler. Auch andere Räume sind dann tatsächliche Räume, wie der Tonraum, der Zahlenraum, etc. Der Begriff des Kontinuums deutet an, dass zwischen zwei inhaltlichen Differenzen je ein dritter räumlicher Ort angenommen werden kann: Zwischen zwei Punkten eines Raumes kann also immer noch ein dritter eingetragen werden. Ferner unterscheidet Heim zwischen einer inhaltlichen und einer dimensionalen Grenze. Eine inhaltliche Grenze wird durch die strukturierende Polarität (oben-unten; links-rechts, vorne-hinten,

Heims Theologie der Räume

142 Vgl. Hegel, G.W.F., Logik I/1, 124–137; dazu auch Pannenberg, W., Unendlichkeit. 143 Vgl. Heim, K., Glaube und Denken; Heim, K., Der Christliche Gottesglaube und die Naturwissenschaften. Vgl. dazu auch Mühling, M., PST I, 211–214. 467–471.

Raum und Unendlichkeit

früher-später, etc.) konstituiert. Eine räumliche Transzendenz lässt sich im Falle einer inhaltlichen Grenze tatsächlich nicht sinnvoll denken. Neben einer inhaltlichen Grenze gibt es aber auch eine dimensionale Grenze, an der sich zwei unterschiedliche Räume oder Polaritäten schneiden. Man stelle sich die x-Achse eines Koordinatensystems vor: Alle Zahlen erscheinen hier polar (größer oder kleiner) sortiert und inhaltliche Grenzen können zwischen beliebigen Intervallen gezogen werden. Nimmt man die Zahl 5 als inhaltliche Grenze an, sind alle Zahlen, die kleiner als 5 sind, transzendent gegenüber den Zahlen, die größer als 5 sind, wenn Transzendenz oder Jenseitigkeit hier inhaltlich bestimmt würde. Nehmen wir nun aber eine zusätzliche Achse an, etwa die y-Achse, haben wir eine dimensionale Grenze und eine dimensionale Transzendenz: Denn alle Zahlen der y-Achse sind ja gegenüber denen der x-Achse jenseitig. Aber dennoch ist natürlich jeder Zahl der x-Achse auch ein y-Wert zuzuweisen. Heim geht nun von dimensional gestuften Räumen oder Dimensionen aus. Dabei dient ihm heuristisch die überaus lesenswerte Erzählung „Flatland“ von Abbot als Vorbild. Denn hier zeigt sich, dass Wesen einer bestimmten Dimensionalität eine höhere Dimensionalität nur durch Widersprüchlichkeit entdecken können (während für Wesen höherer Dimensionalität kein Widerspruch besteht). Der einfachste Raum ist der drei- bzw. vierdimensionale Körperraum, wie ihn auch die Physik kennt. Der Widerspruch, dass ich zugleich Körper und Subjekt bin, deutet auf einen höherstufigen, den Ich-Es-Raum hin, der ersteren beinhaltet. Da ich mich aber immer abhängig von einem tranzendenten Du erfahre, das ebenfalls den Anspruch erhebt, ein Ich zu sein, erscheint ein weiterer Widerspruch, der uns den noch höherstufigen Ich-Du-Es-Raum entdecken lässt. Innerhalb dieses personalen Raumes erscheint nun die Gebetspraxis, die Gott als ein Du anredet, der doch nicht, wie andere Dus, auch in der Körperwelt erschiene. Damit ist das Gebet aber eine widersprüchliche Praxis, die auf das „Irresein“144 der Betenden hinweisen würde – oder eben auf einen noch höherstufigen Raum, in dem wir stehen. Und dies ist dann der Raum der Transzendenz Gottes. Allerdings hat es mit diesem eine Besonderheit auf sich: Während alle geschaffenen Räume polar strukturiert sind, fordert Heim vom Raum Gottes und der göttlichen Transzendenz, dass sie nicht im gleichen Sinne dimensional transzendent sein könnten. Denn auf diese Weise würden wir ja zumindest theoretisch in unendlich gestaffelten dimensionalen Transzendenzen enden. Das göttliche Ursein ist vielmehr

144 Heim, K., Glaube und Denken, 175.

155

Räume höherer Ordnung

Gott als überpolarer Raum

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Das Eschaton

überpolar, es bildet einen überpolaren Raum, in dem alle Polaritäten zur Ruhe kommen. Probleme von Heims So eindrücklich Heims Argumentation auch ist, sie hat einen Transzendenzdenken deutlichen Schönheitsfehler: Denn etwas Überpolares, das jenseits aller Polaritäten wäre, wäre überhaupt kein Raum mehr und hätte überhaupt keine Relationalität mehr. Ein überpolarer Raum ist also in Wirklichkeit ein nichtpolarer Raum – also gar kein Raum. Heim bewegt sich letztendlich auf der Linie, weltlich räumliche Erfahrung für die Unendlichkeit Gottes zu negieren. Und das ist ein Modell, das wir schon kennengelernt hatten. Es führt direkt zu mystischen Konsequenzen. Das wird bei Heim auch deutlich, wenn er alle Polaritäten hier zur Ruhe kommen lässt.145 3.2.3

§40 Unendlichkeit als das Beziehungsgewebe des Werdens Gottes

Das Verhältnis von Raum und Unendlichkeit vor dem Hintergrund seines eschatischen Grundes und Zieles

§40 Die Unendlichkeit Gottes ist die trinitarische Liebesgeschichte selbst, insofern in dieser nicht nur wie in Gottes Ewigkeit Neuheit und Kontingenz eingeschlossen sind, sondern insofern Vater, Sohn und Geist einander gegenüber transzendent oder alteritär sind. Der geschaffene Raum erweist sich dann als imago dilectionis dei, insofern er hier alteritätsstiftend wirkt. Das narrative Beziehungsgewebe, das Gott ist, kann als Gewebe asymmetrischer, irreflexiver und transitiver Relationen zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist verstanden werden. Es ist identisch mit Ewigkeit und Unendlichkeit bzw. mit göttlicher Zeit und göttlichem Raum. Als solches Beziehungsgefüge ist Gott Bedingung der Möglichkeit weltlicher Raumzeit, d. h. mannigfacher ebenfalls asymmetrischer, irreflexiver und transitiver Relationen, von denen die drei uns bekannten Raumdimensionen reversibel sind und von denen die eine uns bekannte Zeitdimension irreversibel ist. Aufgrund dieser Strukturmöglichkeiten ist sowohl eine Begleitung Gottes seiner Geschöpfe in der Zeit als auch eine Anwesenheit Gottes in der Welt denkbar, die durch die Zeit geschaffene Neuheit als Analogon der Ewigkeit Gottes und geschaffene Alterität als Analogon der Unendlichkeit Gottes ermöglicht.

145 Vgl. Heim, K., Glaube und Denken, 207 und dazu Mühling, M., PST I, 471.

Raum und Unendlichkeit

Will man den Weg des Unendlichkeitsverständnisses Heims als Negation aller Relationalität gerade nicht gehen, kann dennoch Gottes Unendlichkeit relational gedacht werden. Verständnisse, die Gottes Unendlichkeit als strukturiertes Relationsgefüge denken, das in unterschiedlicher Weise mit dem räumlichen Relationsgefüge der Welt in Beziehung steht, sind durchaus in der Theologie seit dem 20. Jh. nicht selten. Sie alle in ihren Spezifika aufzuzählen, würde hier den vertretbaren Rahmen sprengen. Erwähnt seien daher hier nur zwei neuere Konzeptionen, die von Dirk Evers und Luco van den Brom stammen. Beide beschreiben Gott als ein trinitarisch strukturiertes Beziehungsgefüge, das zum Beziehungsgefüge der Welt in einem strukturierten Zusammenhang steht. Evers weist dabei besonders darauf hin, dass dieses Verhältnis zwischen den beiden Ordnungsgefügen Gottes und der Welt nicht allein im Modell des Raumes verstanden werden kann, sondern in seiner eschatischen Dimension immer schon Zeitlichkeit impliziert, ohne aber die Gefahr, räumliche Unendlichkeit in Zeitlichkeit auflösen zu wollen.146 Van den Brom legt besonderen Wert darauf, den Begriff unseres weltlichen Raumes als nur metaphorisch abgeleiteten Begriff vom trinitarischen Beziehungsgefüge zu denken und entwirft so ein relationales Verständnis von Gottes Allgegenwart.147 Er gibt sowohl das trinitarische Beziehungsgefüge als auch das welthafte Beziehungsgefüge und die Beziehung zwischen beidem mit der Rede von drei bzw. vier Räumen wieder: Der primäre Raum ist Gott in seiner Trinität selbst, der sekundäre Raum ist der geschaffene Raum und der tertiäre Raum ist das Wirken des Heiligen Geistes als Verbindung des primären und des sekundären Raumes. Luco van den Brom kann mit der Zuweisung des tertiären Raumes als Attribut der Wirkung des Heiligen Geistes erreichen, dass das Verhältnis zwischen Gottes Unendlichkeit und der Endlichkeit der Welt nicht einfach als ein statisches Verhältnis oder als ein Konstitutionsverhältnis gesehen wird, sondern er kann den Aspekt der beginnenden und den Aspekt der sich eschatisch-vollendenden Gottesherrschaft im Bild des tertiären Raumes zusammenfassen: „Durch die Macht des Hl. Geistes entsteht innerhalb des sekundären geschöpflichen Zwischenraums für die Glaubenden ein neuer Raum als Gemeinschaft von Personen, d. h. als Volk Israel bzw. die Kirche als spezieller Kommunikationsraum

146 Vgl. Evers, D., Raum – Zeit – Materie, 152–160. 147 Vgl. Brom, L.J.v.d., Divine presence.

157

Relationale Unendlichkeitsmodelle des 20. Jh. bei …

… Evers

… van den Brom

158

Das Eschaton in via […]. Hier erweckt der Hl. Geist die Hoffnung auf den eschatologischen oder letzten Raum der endgültigen Vereinigung mit dem primären Raum Gottes, d. h. den „Himmel“ als reziproke Kommunikationsgemeinschaft zwischen Gott und der neugeschaffenen Menschheit. Daher wird der Personalität ermöglichende Zwischenraum in Gott nicht verschwinden […], sondern durch die unendlichen Dimensionen dieser ewigen Kommunikation neu konstituiert werden.“148

Nicht ganz deutlich ist, ob van den Brom hier den Raum des gegenwärtigen Geistwirkens und den eschatischen Raum als einen oder als zwei Räume betrachtet, was aber für unsere Zwecke zumindest an dieser Stelle unerheblich ist. Probleme des So vielversprechend solche Versuche auch erscheinen, wir können Raumdenkens uns ihnen nicht unbedacht anschließen. Der Grund dafür besteht in zwei methodologischen Überlegungen, einer theologischen und einer phänomenologischen. Das theologische Problem ist analog zum Problem der natürlichen Theologie der Zeit: Alle genannten Modelle, ob sie nun das Behälter- oder das Relationsmodell des Raumes voraussetzen, operieren wieder mittels verschiedener vernünftiger Modifikationen am vorausgesetzten Raummodell, um die Unendlichkeit zu erreichen. Eine solche natürliche Theologie der Unendlichkeit aber widerspricht der Offenbarungslogik der Theologie. Das phänomenologische Problem besteht darin, dass alle genannten Modelle nur davon ausgehen, wie wir faktisch Raum denken, welche Vorstellungen wir vom Raum bereits gelernt haben. Sie fragen aber nicht, wie uns der Raum tatsächlich erscheint bzw. wie wir den Raum tatsächlich erfahren. Genau dies gilt es aber nun zu bedenken. 3.2.4 Raum als Abstraktion des Wegliniengewebes

Eine leibphänomenologische Kritik des Raumdenkens

Tatsächlich erfahren wir auf unseren leiblichen Weglinienperspektiven gar keinen Raum, weder im Sinne des Containers noch im Sinne einer relationalen Mannigfaltigkeit, wie wir es bisher vorausgesetzt haben. Wir erfahren vielmehr auf den dynamischen Weglinienperspektiven lediglich aus Horizonten emergierendes Werden im Gleichklang mit unserem eigenen Werden. Wir erfahren also lediglich unterschiedliche Weglinien, die mit unserer eigenen Weglinie auf mannigfache Weise verflochten sind und ein sich ständig rekonfigurierendes Gewebe ergeben. Erst wenn wir die gedankliche Abstraktion von diesem Wegliniengewebe hin zu einem transportartigen 148 Brom, L.J.v.d., Raum, hier 65.

Raum und Unendlichkeit

Netzwerk gehen, und gleichzeitig von den Relaten dieses Netzwerks abstrahieren, erhalten wir den Gedanken des Raumes. Erst unter dieser doppelten Abstraktion ist der Gedanke des Raumes als Inbegriff von Relationen oder als endlicher oder unendlicher Behälter oder als polares Kontinuum überhaupt sinnvoll und denkbar. Abstraktionsprodukte haben aber keine ontische Realität, zumindest nicht unbesehen. Daher gibt es den Raum als solchen nicht. Es gibt ihn weder als Behälter noch als Inbegriff von Relationen, weil Abstraktionsprodukte nicht wirklich sind. Die Wirklichkeit des erfahrenen, des phänomenalen Raumes ist die Wirklichkeit des emergierenden Wegliniengewebes. Wir können natürlich fragen, ob diese Wirklichkeit der Schöpfung endlich oder unendlich ist – aber die Antwort hätte mit Theologie nichts zu tun – und damit auch nicht mit der Unendlichkeit Gottes. Dieses erste Ergebnis ist aber auch nicht tragisch, weil wir ja sowieso verpflichtet sind, der Offenbarungslogik des Glaubens zu folgen. Und unter dieser zeigt sich die Unendlichkeit in der Tat selbst in der Erfahrung des Glaubens: Es ist die Erfahrung, dass der dreieinige Gott mir auf meiner eigenen Weglinie entgegen kommt, und dies doch nicht einfach meine Weglinie, sondern die partikulare Weglinie Jesu Christi ist. Auch das erscheint in der Tat widersprüchlich, denn eine besondere Weglinie kann ja nicht eine oder alle anderen Weglinien integrieren. Warum kann sie es nicht? Weil sie als besondere immer begrenzt ist und von anderen Weglinien unterschieden ist. Nun sahen wir aber in Kap. 2.2.3, §20, dass Gott als die Integration aller Weglinienperspektiven unter einer besonderen Weglinienperspektive verstanden werden muss. Auch das ist ein an sich schon widersprüchlicher Begriff. Er ist entweder einfach widersprüchlich und irreal. Dann wäre auch alles christliche Wahrwertnehmen Irrtum. Oder aber ihm entspricht eine Realität, die dann aber auch unser Wahrwertnehmen und unsere gedankliche Reflexion über unser Wahrwertnehmen rechtfertigen muss, weil es aus sich heraus immer aporetisch bliebe. Nehmen wir an, das zweite ist der Fall. Dann sind wir in der Tat berechtigt, reflexive Abstraktionen vorzunehmen. Wenden wir dieses Verfahren hier an, dann erscheint sofort der Begriff Gottes als der Integration aller Weglinienperspektiven unter einer partikularen Weglinienperspektive als strukturäquivalent mit Hegels Begriff des wahrhaft Unendlichen und mit Luthers Begriff der repletiven Anwesenheit. Damit sind wir gerechtfertigt, den Begriff des Unendlichen relational zu verstehen. Aber dieses Verständnis bleibt eine Abstraktion. Können wir vom Unendlichen aber nicht nur abstrakt, sondern auch realistisch sprechen? Ja, dann wenn wir die einzige Sprache

159

Unendlichkeit in der Glaubenserfahrung

Narrative Unendlichkeit

160

Das Eschaton

Der Unterschied zwischen Unendlichkeit und Ewigkeit

anwenden, die das Wegliniengewebe nicht reduziert: die Sprache der Narration. Wir können also in der Tat davon erzählen, wie sich die Unendlichkeit im Endlichen zeigt und selbst zu erkennen gibt. Und das ist es, was bei den biblischen Erzählungen der Taufe Jesu mit dem offenen Himmel oder der Himmelfahrt Christi geschieht. Und das ist es auch, was uns in der primären Narrativität des Abendmahls und der Kommunikation des Wortes Gottes begegnet. Hier erleiden wir die Unendlichkeit Gottes, und zwar ohne dass sie auf besondere („heilige“) Zeiten oder Räume beschränkt wäre. Die Unendlichkeit ist also nichts anderes als das offene trinitarische Liebesabenteuer zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist. Es ist sein eigener „Raum“, der auch das geschaffene Wegliniengewebe hervorbringt. Und so wie sich die Zeit als imago der Ewigkeit erweist, so erweist sich nun auch der Raum als imago der Unendlichkeit. Auch der Raum ist imago dilectionis dei. Damit stellt sich noch einmal neu die Frage, was dann eigentlich der Unterschied zwischen Unendlichkeit und Ewigkeit ist. Denn vom Prinzip der Einfachheit Gottes her gedacht sind wir ja herausgefordert, alle Eigenschaften Gottes als identisch zu denken. Und unsere Erkenntnisgrundlage der Unendlichkeit Gottes hat dies bestätigt. Die Antwort ist allerdings letztlich ganz einfach: Während die Ewigkeit Gottes die Dynamik des göttlichen Liebesabenteuers als Narration ermöglicht, die immer Neuheit und die Koinzidenz von Kontingenz und Güte ermöglicht, meint die Unendlichkeit als der Raum Gottes dessen personale Alterität zwischen Vater, Sohn und Geist. Die Unendlichkeit ist also letztlich die personale Transzendenz zwischen Vater, Sohn und Geist. In ihrer Analogie ist der geschaffene Raum konstituiert – nicht umgekehrt. Der geschaffene Raum ist daher imago dilectionis dei, insofern er Besonderheit durch Beziehung – und damit Alterität, ermöglicht.

3.3

Das Gute, das Wahre sowie das Schöne

Nachdem wir die Frage nach dem Verhältnis von Zeit und Raum zu Ewigkeit und Unendlichkeit erörtert haben, kommen wir nun zur Frage nach dem Guten, Wahren und Schönen. All diese Aspekte sind aus unterschiedlichen Gründen wichtig, vor allem aufgrund einer wichtigen Sachfrage: Bei der Identifizierung des Grundes eschatischer Hoffnung hatten wir nicht nur auf die Personen der Eschatoi rekurriert, wie sie in ihrer Ewigkeit an und für sich sind, sondern waren gerade vom dreieinigen Handeln Gottes in Schöpfung, Versöhnung

Das Gute, das Wahre sowie das Schöne

161

und Vollendung ausgegangen. Wenn aber das Gott-Welt-Verhältnis nicht nur als Schöpfung einer Welt zu bestimmen ist, sondern auch als Versöhnung und Vollendung, dann ist vorausgesetzt, dass es den Widerspruch der Sünde, das Böse und Unvollendete gibt. Dies sind gewissermaßen „negative“ Voraussetzungen jeder Eschatologie. „Negativ“ ist hier nicht in einem ethischen Sinne gemeint, sondern in einem erkenntnistheoretischen: Wenn es nichts Böses gäbe oder die Welt vollendet wäre, dann könnte sich Eschatologie zwar mit dem Eschaton und den Eschatoi befassen, nicht aber mit den Eschata, denn es gäbe dann nichts zu hoffen, weil die faktische Welt schon die eschatische Realität wäre. Eine unvollendete Welt, in der es Böses gibt, evoziert aber die Frage, woher dieses Böse stammt und wie Gottes Verhältnis dazu ist. Diese Frage (unde malum) ist zwar verwandt, aber nicht identisch mit dem Theodizeeproblem, das nicht nach der Herkunft des Bösen fragt, sondern unter seiner Voraussetzung nach der Rechtfertigung Gottes. Aber auch die Frage nach der Herkunft des Bösen soll hier nicht der primäre Zugang zu unserem Thema bilden. Bevor wir daher die hier gestellte Frage präzisieren, soll kurz erwähnt werden, worin üblicherweise das Theodizeeproblem gesehen wird. 3.3.1

Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leides in der Welt (Theodizee)

§41 Das sog. Theodizeeproblem entsteht aus der Unverträglichkeit der gleichzeitigen Behauptung der folgenden vier Sätze: A. Gott ist. B. Gott ist gut. C. Gott ist allmächtig. D. Es gibt Böses. Das Theodizeeproblem selbst ist leicht lösbar, indem einer dieser vier Sätze negiert wird. Die verschiedenen philosophiegeschichtlichen Lösungen können nach der Art dieser Negation in Typen unterteilt werden. Wo die Nichtlösbarkeit des Theodizeeproblems behauptet wird, meint man in der Regel nicht das philosophische Theodizeeproblem, sondern den existentiellen Umgang mit der Erfahrung von Leid.

§41 Das sog. Theodizeeproblem und seine Lösungsmöglichkeiten

162

Das Eschaton

Das Theodizeeproblem

Abschwächung der Existenz des Bösen

Abschwächung der Güte Gottes

Das von G.W. Leibniz149 (gest. 1716) so genannte Theodizeeproblem ist an sich ein philosophisches Problem, das hier in äußerster Reduktion in seiner Hinsicht nach verschiedenen Lösungsstrategien behandelt werden soll. Diese gibt es tatsächlich und sie sind rein formal tatsächliche Lösungen des Problems. Um dies beurteilen zu können, muss man zunächst verstehen, wie das Problem zustande kommt. Das Problem ergibt sich aus der Zusammenstellung (mindestens) der folgenden Sätze: A. Es gibt Leid (Übel) in der Welt. B. Gott ist gut. C. Gott ist allmächtig (und allwissend). D. Es gibt Gott. Es ist leicht zu sehen, dass sich die Sätze A–D zu widersprechen scheinen, wodurch das Problem gebildet wird. Wenn man aber nur einem der Sätze nicht zustimmt bzw. nur einen beliebigen der Sätze verneint, ist das Problem gelöst. Die Geschichte der Lösungsmöglichkeiten dieses Problems kann daher nach der Art der Verneinung der Sätze eingeteilt werden. Ad A) Man kann leugnen, dass es in der Welt Böses oder die Übel gibt bzw. man kann deren Existenz abschwächen. Wenn man dem Leiden einen höheren, positiven Zweck bescheinigen kann, ist das Problem gelöst und es verbleibt zwischen den Sätzen B–C kein Widerspruch. Zu diesem Typus gehören all jene (vornehmlich in neuplatonischer Tradition stehenden) Ansätze, die wie Augustin (gest. 430) davon ausgehen, dass das Böse letztlich keine eigene Existenz hat und nur Mangel an Gutem ist (privatio boni). Da aber universalienrealistisch-neuplatonisch das Gute, das Wahre und das Schöne mit dem Sein identisch sind, ist es lediglich Mangel an Sein und ihm kommt keine eigene Realität zu.150 Ebenso kann man den eigenen Lösungsansatz von Leibniz, der versucht, aufzuzeigen, warum die verschiedenen Arten von Übel ihren guten Sinn haben und damit die aktualisierte Welt tatsächlich die beste aller möglichen Welten darstellt, diesem Typus von Lösungsansätzen zuordnen.151 Ad B) Kann man die Güte Gottes leugnen, besteht freilich auch kein Problem mehr, weil dann Gott das Böse nicht ausschließen würde. Dies bedeutet nun nicht, dass man einen Monismus des Bösen

149 Vgl. Leibniz, G.W., Théodicee. 150 Zur Geschichte des privatio-boni-Gedankens vgl. Hermanni, F., Das Böse. 151 Vgl. Leibniz, G.W., Théodicee, 220f.

Das Gute, das Wahre sowie das Schöne

163

lehren müsste, sondern es genügt schon anzunehmen, dass Gott teilweise gut und teilweise böse wäre oder dass es zwei gleichmächtige Prinzipien gäbe, die widerstreiten, aber nur zusammen die alles bestimmende Wirklichkeit ausmachen. Sieht man von zahlreichen Filmen der Trivialkultur ab, ist dies in klassischer Weise vielleicht der Fall im Zoroastrismus, in der ein guter Gott, Ahura Mazda, und ein böser Dämon, Ahriman, einander gegenüberstehen.152 Im Christentum ist dieser Lösungsansatz fast immer ausgeschlossen gewesen. Lediglich im Manichäismus, einer in der alten Kirche z.T. beliebten Mischreligion, finden sich dualistische Elemente. Polemisch wurde im Mittelalter auch bestimmten ketzerischen Strömungen Dualismus vorgeworfen.153 Es ist ferner möglich, Luthers Rede vom verborgenen Gott so aufzufassen, dass es sich nicht um die Verborgenheit des einen offenbaren Gottes handelt, so dass alles, was über Gott noch eschatisch zu entdecken wäre, mit dieser Offenbarung kohärent wäre, sondern so, dass der verborgene Gott der ist, der Tod und Leben und alles in allem wirkt und dem der offenbare Gott gegenübersteht als ein Gott des Lebenswillens. In diesem Falle, der etwa von Werner Elert (gest. 1954) vertreten wurde, fände man auch innerhalb des Christentums dualistische Lösungen.154 Ad C) Keine Probleme bekommt man auch, wenn man die All- Abschwächung der macht Gottes leugnet. Dieser Typus ist vor allem in neuerer Zeit Allmacht Gottes recht beliebt. Man findet ihn etwa in der auf Alfred North Whitehead (gest. 1947) zurückgehenden Prozessphilosophie bzw. der von ihr beeinflussten Prozesstheologie155 und in populärer Form bei dem jüdischen Philosophen Hans Jonas (gest. 1993).156 Im Prozessdenken geht man davon aus, dass Gott eine doppelte Natur hat, eine primordial nature und eine consequent nature. Die primordial nature ist nichts als pure, apersonale Kausaliät, die die Prozesse des Weltverlaufs inauguriert. Dieser besteht aus actual entities, die sowohl passiv miteinander verbunden sind und sich genießen als sich auch aktiv beeinflussen können. Die aus ihnen sich vollziehenden Ereignisse gehen nicht im Laufe der Zeit verloren, sondern bleiben in der consequent nature Gottes erhalten. Durch die Welt wird damit die ursprünglich nur leere Kausalität Gottes erweitert, Gott gewinnt an Personalität und geht dennoch nicht in der Welt auf.157 Nach Charles Hartshornes

152 153 154 155 156 157

Zum Zoroastrismus vgl. Stausberg, M., Zarathustra. Vgl. Oort, J.v., Manichäismus. Vgl. Volkmann, S., Luthers Lehre vom verborgenen Gott. Vgl. Griffin, D.R., God, Power and Evil. Vgl. Jonas, H., Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Zu Whiteheads Denken vgl. Welker, M., Universalität Gottes.

164

Das Eschaton

(gest. 2000) neoklassischem Theismus ist Gott dabei dennoch perfekt, obwohl er übertrefflich und zuwachsfähig ist, denn er kann durch nichts anderes als durch spätere Stadien seiner eigenen consequent nature übertroffen werden.158 Strukturähnlichkeiten finden sich bei Hans Jonas, der als Jude hinsichtlich des Theodizeeproblems noch vor viel massiveren Schwierigkeiten steht. Denn ist Jahwe die alles bestimmende geschichtliche Wirklichkeit und hat dieser Israel als sein Volk erwählt, kann der Holocaust nicht einfach in die Verantwortung des deutschen Volkes überlassen werden, sondern liegt auch in der Verantwortung des Gottes, der sein eigenes Volk erwählt hat und der Herr der Geschichte ist. Erwählung und Vernichtung schließen sich aber offensichtlich aus. Jonas löst das Theodizeeproblem nun, indem er – mehr literarisch denn formal – einen neuen Schöpfungsmythos erzählt, dessen Pointe darin besteht, dass Gott sich mit der Erschaffung der Welt vollständig seiner Allmacht (und letztlich auch seiner Personalität) entäußert und durch den Weltlauf ähnlich dem Prozessdenken erst wieder dazu gewinnt. Auch im Christentum gibt es Ansätze dieses Denkens, wenn etwa davon ausgegangen wird, dass Gott mit dem Menschen mitleidet, indem er sich am Kreuz und in Christus selbst entäußert. Dieses vor allem im Luthertum stets verbreitete Denken war nun nicht per se als Lösung des Theodizeeproblems gedacht, wurde aber im 20. Jh. u. a. von Moltmann in dieser Hinsicht interpretiert. Selbstverständlich darf es dabei nicht bei einem puren Mitleiden eines sich seiner Allmacht entäußerten Gottes bleiben, denn Mitleid überwindet das Leid nicht.159 Leugnung der Ad D) Man könnte auch die Existenz Gottes an sich leugnen, Existenz Gottes was in der Geschichte der Neuzeit nun nichts Besonderes ist, so dass wir hier auf Beispiele verzichten können. Auch diese Lösung ist problematisch, denn nun verschiebt sich das Theodizeeproblem: Odo Marquard hat darauf aufmerksam gemacht, dass mit dem Tode Gottes das Problem insofern zur „Anthropodizee“ verschoben wird, als nun der Mensch alleine verantwortlich zu machen ist – zumindest für die moralischen Übel – und nun selbst vor dem Richterstuhl steht. Daher lebe der moderne Mensch in einer dauerhaften Situation des Zwanges, sich für alles rechtfertigen zu müssen und auskunftspflichtig zu sein. Dieser Situation könne er mit wenig anderem als der Flucht in die Unbelangbarkeit entgehen.160 Auch Yuval Hararis These, die Mehrheit der westlichen Bevölkerung hänge einer neuen Religion des

158 Vgl. Hubbeling, H.G., Einführung, 180. 159 Vgl. Sölle, D., Gott und das Leiden. 160 Vgl. Marquard, O., Rechtfertigung.

Das Gute, das Wahre sowie das Schöne

165

Dataismus an,161 kann als eine Neustellung des Theodizeeproblems und des Anthropodizeeproblems unter den Bedingungen der Leugnung Gottes gelesen werden: Hier wird die gesamte Wirklichkeit, einschließlich der menschlichen, als Folge von technischer Informationsverarbeitung angesehen. Damit wird nun der Mensch vom Problem der Anthropodizee entlastet und zugleich die Leibniz’sche Denkfigur auf eine interne Logik der Informationsverarbeitung angewandt. Die meisten Lösungen, die sich mit dem Theodizeeproblem beschäftigen, können in diese Typologie eingeordnet werden. Eine im eigentlichen Sinne christliche Lösung ist damit aber noch nicht geboten. Eine christliche Lösung wird vor allem auf zweierlei insistieren müssen. Zum einen stellt das Theodizeeproblem nur einen Teilaspekt eines umfangreicheren Problemkomplexes dar. Das Theodizeeproblem ist nicht identisch mit der Frage unde malum? und es ist nicht identisch mit der Frage nach einem möglichen Sinn des Leides und einer möglichen Überwindung des Leides. Daraus erklärt sich auch, warum die genannten Lösungen – obwohl sie alle echte Lösungen im Sinne einer logischen Argumentation sind – meist nicht überzeugen. Jede Lösung der christlichen Theologie der Frage nach dem Bösen wird aber diese Aspekte, insbesondere den letzten Aspekt, mit einbeziehen müssen. Einige Hinweise darauf gibt Martin Luther in seiner berühmten Luthers Lichterlehre Lichterlehre am Ende von de servo arbitrio. Hier lässt sich unter dem Licht der Vernunft schlechthin keine Lösung finden. Unter dem Licht der Gnade, d. h. Gottes Selbsterschließung in Kreuz und Auferweckung, lässt sich wenigstens für sich persönlich Trost finden, weil man der eigenen Rettung gewiss sein kann, was immer auch geschieht. Das Problem, dass einige aber von Gott verworfen werden, so Luther, werde im lumen gloriae, im eschatischen Licht der Vollendung gelöst, weil man hier erkennen werde, dass auch für die Verworfenen die Verwerfung die höchste Gnade bedeutet. Damit gibt Luther einen eschatischen Ansatz der Lösung des Problemkomplexes, indem er postuliert, dass die eschatisch zurechtgebrachte menschliche Vernunft die Kohärenz erkennen werde.162 Wir können hier nur darauf verweisen, dass in Schöpfung, Versöhnung und Vollendung das Handeln Gottes auch auf die Überwindung des Leides zielt, und damit jeder christliche Lösungsversuch immer in eschatologischer Perspektive

161 Vgl. Harari, Y.N., Dataism is Our New God. 162 Vgl. Luther, M., WA18, 784–785.

166

Das Eschaton

geschehen muss und daher nicht unter die oben genannten Typen des abstrakten Theodizeeproblems zu subsumieren ist. Gegen den möglichen Vorwurf, dies stelle eine Vertröstung auf eine Zukunft dar, gilt es standhaft zu bleiben: Dies ist in der Tat so, aber es ermöglicht, auch im Hier-und-Jetzt anders zu handeln: Prinzipiell nicht-resignativ auch angesichts des Leides und mit der Möglichkeit der Anklage gegen Gott (Hiob), die prinzipiell ein Zeichen des Glaubens als fiducia ist, da der Sprechakt der Anklage nur sinnvoll ist unter der Bedingung, dass man den Angeklagten auch für das Angeklagte verantwortlich hält. Zum anderen aber ist aus christlicher Perspektive zu sagen, dass schon die Frage einer sog. Theodizee, einer Rechtfertigung Gottes vor dem Forum einer (gefallenen) Vernunft, falsch gestellt ist. Sie ist an sich Ausdruck des mangelnden Glaubens als Vertrauen, weil nicht Gott rechtfertigungsbedürftig ist, sondern der Mensch. Damit schließen wir unseren Exkurs zum Theodizeeproblem und kommen wieder zu unserer umfassenderen Frage, die auf unterschiedliche Weise gestellt werden kann: – Warum schuf Gott eine Welt mit der Möglichkeit (oder gar Notwendigkeit?) des Falles, eine Welt mit der Möglichkeit und Wirklichkeit von Leid, und nicht gleich die vollendete Welt bzw. die eschatische Realität? – Warum schuf uns Gott, um uns „zu erlösen und zu heiligen“?163 – Wenn sich der dreieinige Gott selbst in Kreuz und Krippe erschließt, wenn er sich also unter dem Anschein des Gegenteils dessen, was man als Göttliches erwarten würde, erschließt (sub contraria) – was immerhin bedeutet, dass in Kreuz und Auferstehung das Böse zumindest als überwundenes Böses eingeschlossen ist –, warum trägt dann der auferstandene eschatische Christus, der das Bild auch unserer eschatischen Hoffnung ist, immer noch Wunden und Narben? Müsste es nicht eher der Gekreuzigte, nicht aber der Auferstandene sein, der Wunden und Narben trägt? – Wie ist die Rede von der Allmacht Gottes zu verstehen? – Mit Hilfe dieser Fragen soll die viel weitere Frage, was das Gute, Wahre und Schöne letztlich ist, etwas eingegrenzt werden, um sie beantworten zu können. Allerdings sind diese Frageformulierungen immer noch so weit gefasst, dass wir hier im Rahmen eines Lehrbuchs auf eine Geschichte ihrer Beantwortung oder auf verschiedene Typen, sie zu beantworten, verzichten müssen.

163 Luther, BSLK, 660.

Das Gute, das Wahre sowie das Schöne

167

Stattdessen soll eine Lösung vorgeschlagen werden, die an die reformatorische Tradition anknüpfen kann. 3.3.2

Gottes Allmacht als Allwirksamkeit

§42 Luther spricht an verschiedenen Stellen davon, dass Gott alles §42 Allmacht als in allem wirkt. Dieses Verständnis der Allmacht kann unterschied- Allwirksamkeit lich verstanden werden: Es kann so verstanden werden, dass Gott in allen Ereignissen der Welt handelt, dann können wir von Allwirksamkeit sprechen. Es kann aber auch so verstanden werden, dass – vermittelt oder unvermittelt – nur Gott in allen Ereignissen der Welt handelt, dann wäre von Gottes Alleinwirksamkeit zu sprechen. Allein das Verständnis von Gottes Allwirksamkeit ist kohärent, wenn der Offenbarungsbegriff, dem immer auch ein Entzogenheitsmoment inhäriert, sinnvoll sein soll. Nach Luther sind „die Kreaturn […] nur die Hand, Rohre und Mittel, dadurch Gott alles gibt“164 . Folglich handelt Gott in allen Ereignissen und Gottes Allmacht als Beschreibung seines Handelns zur Welt ist kontinuierlich aktualisiert und nicht bloß eine nicht aktualisierte Fähigkeit. Dennoch kann diese Position Luthers unterschiedlich gedeutet werden. Die eine Möglichkeit wäre, von Gottes Alleinwirksamkeit165 zu sprechen. Die andere Möglichkeit wäre, nur den Begriff von Gottes Allwirksamkeit anzunehmen und darauf zu verzichten, Gott allein als den ausschließlich Handelnden zu denken. Selbst in de servo arbitrio – dem Werk Luthers, in dem er Gottes Allmacht am radikalsten beschreibt – findet sich nämlich der Gedanke der Kooperation von Gott und Mensch.166 Um nun zwischen diesen beiden Interpretationen unterscheiden zu können, müssen zunächst beide Verständnisse deutlich und klar herausgearbeitet und nach ihrem Unterschied befragt werden. Danach gilt es, eine systematische, phänomenorientierte Entscheidung zu fällen, nicht lediglich eine exegetische an Luther oder anderen Traditionen orientierte. Allwirksamkeit bedeutet: Gottes aktuales Handeln ist eine notwendige Bedingung jedes Ereignisses, das in der Welt geschieht, einschließlich der Handlungen der Kreaturen, die mit der Fähigkeit begabt sind, Absichten haben zu können. Alleinwirksamkeit hingegen 164 Luther, BSLK, 566, 20–22. 165 Vgl. Althaus, P., Theologie Luthers, 101–107; Lohse, B., Theologie Luthers, 228. 166 Vgl. Reinhuber, T., Kämpfender Glaube, 118.

Allmacht als Allwirksamkeit oder als Alleinwirksamkeit

Allwirksamkeit und Alleinwirksamkeit

168

Das Eschaton

Beweis der Widersprüchlichkeit des Alleinwirksamkeitsbegriffs in Offenbarungsreligionen

bedeutet: Gottes aktuales Handeln ist eine notwendige und hinreichende Bedingung für jedes sich aktual ereignende Ereignis. Daher ist es konsequent zu sagen, dass Gott in diesem Fall der alleinige Täter wäre, auch wenn er andere Ursachen – einschließlich der Absichten von personalen Geschöpfen – als bloße Instrumente benutzen kann. Eine andere Möglichkeit bestünde darin anzunehmen, dass es noch andere Ursachen gibt, einschließlich der Absichten von personalen Geschöpfen, dass aber Gottes Absichten die wichtigsten sind. Gottes Alleinwirksamkeit bedeutet, dass er der Täter von allem ist, was geschieht.167 Man wird nun in der Tat nicht so weit gehen können, dass man annehmen muss, Luther würde das Handeln Gottes in einer solchen Weise beschreiben, dass Gott die Verantwortung für die Sünde zuzuschreiben wäre oder dass Luther eine doppelte Prädestination lehren würde. Oftmals geht man davon aus, dass dies aus theologischen oder religiösen Gründen begrüßenswert, aber nicht logisch kohärent sei.168 Mit Hilfe der folgenden Argumentation soll nun gezeigt werden, dass man sich sowohl theologisch als auch logisch für die Interpretation von Gottes Allmacht als Allwirksamkeit zu entscheiden hat, weil die Auffassung der Allmacht Gottes als Alleinwirksamkeit widersprüchlich und damit sinnlos ist. Wir werden dabei die Voraussetzung machen müssen, dass es in der einen oder anderen Hinsicht notwendig sein wird, die Idee der Entzogenheit oder Verborgenheit Gottes einzuführen. Will man gleichzeitig von einem offenbaren Gott sprechen, der auch ein verborgener Gott ist, dann muss notwendigerweise die Interpretation der Allmacht Gottes als Alleinwirksamkeit verworfen werden. Denn im Falle einer angenommenen Alleinwirksamkeit, könnten nicht nur bestimmte partikulare Ereignisse in der Welt Gottes Selbstidentifikation sein, sondern Gott müsste sich in allen Ereignissen der Welt erschließen. Dann aber müssten Gott und Welt tatsächlich in pantheistischer Weise identisch gedacht werden, oder aber die Begriffe der Offenbarung oder der Selbstidentifikation Gottes müssten als sinnlos angesehen werden. Aus diesem Grunde können wir auch nur vom Offenbarsein Gottes sprechen, wenn wir zugleich von dessen Entzogensein sprechen. Offenbarung ohne Entzug ist undenkbar.

167 Für eine umfassende Erklärung vgl. Schwöbel, C., God: Action and Revelation. 168 Vgl. Althaus, P., Theologie Luthers, 106–107.

Das Gute, das Wahre sowie das Schöne

3.3.3

169

Das Gute, das Schlechte und das ethisch Neutrale

§43 In der Welt gibt es gute, schlechte und indifferente Ereignisse. §43 Das Handeln Diese ethische Indifferenz lässt die Vorstellung zu, dass es keine Gottes und die Güte der Welt absolute Hierarchie der Güte von Ereignissen gibt. Relative ethische Neutralität bedeutet, dass es mehrere unterschiedene Ereignisse gleicher Güte geben kann. Das Handeln des dreieinigen Gottes an der Welt ist eine notwendige Bedingung all dieser Ereignisse. Luther geht erstens davon aus, dass die Güte menschlicher Handlun- Gute, schlechte und gen weder ausschließlich noch in erster Linie in der ausgeführten neutrale Handlungen Handlung selbst besteht, sondern von der handelnden Person abhängt. Allerdings gibt es zweitens dann doch eine Bedeutung, nach der die Güte einer Handlung teilweise auf der Handlung selbst beruht: Nur eine solche Handlung kann als gut bezeichnet werden, die von Gott angeordnet ist, wie z. B. Handlungen, die um des Nächsten willen geschehen. Daraus folgt, dass es Handlungen geben muss, die ethisch neutral sind, nämlich insofern sie nicht schlecht, aber auch nicht von Gott angeordnet sind. Nichtsdestotrotz können sie zu guten Handlungen werden, nämlich dann, wenn der Täter ein Glaubender ist. In de servo arbitrio gibt Luther ein Beispiel: „Wenn wir gewiss dieses Wort nicht ungebraucht lassen wollen, was am sichersten und religiösesten wäre, sollten wir es doch nach gutem Glauben gebrauchend lehren, dass dem Menschen ein freier Wille nicht in Bezug auf das, was über ihm ist, sondern in Bezug auf das, was viel niedriger ist, zu eigen ist, damit er weiß, er habe in Bezug auf seine Fähigkeiten und Besitztümer das Recht gemäß des freien Willens etwas zu gebrauchen, zu tun und zu lassen, wenn auch dies letztlich durch den freien Willen Gottes gelenkt wird, wohin es ihm gefällt.“169

Daraus folgt, dass Luther zwischen guten, schlechten und wahrschein- Gute, schlechte und lich neutralen menschlichen Handlungen unterscheidet. Denn es gibt neutrale Ereignisse Dinge, in denen dem Menschen ein „freier“ Wille zu eigen ist, nämlich dort, wo er letztlich keinen Schaden anrichten kann, bezüglich Dingen, die nicht heilsrelevant sind. Die Menge menschlicher Handlungen ist nun eine Teilmenge der Menge der welthaften Ereignisse.

169 Luther, M., WA 18, 638, 4–9: „Quod si omnino vocem eam omittere nolumus, quod esset tutissimum et religiosissimum, bona fide tamen eatenus uti doceamus, ut homini arbitrium liberum non respectu superioris, sed tantum inferioris se rei concedatur, hoc est, ut sciat sese in suis facultatibus et possessionibus habere ius utendi, faciendi, ommittendi pro libero arbitrio, licet et idipsum regatur solius Dei libero arbitrio, quocunque illi placuerit.“

170

Das Eschaton

Wenn es demnach nicht nur gute und schlechte Ereignisse, sondern auch ethisch neutrale Ereignisse auf dem Gebiet des menschlichen Handelns gibt, dann kann es folglich nicht nur gute und schlechte, sondern ebenso neutrale Ereignisse in der ganzen Welt geben. Wir werden noch sehen, dass die Existenz dieser Kategorie des ethisch Neutralen eine entscheidende Bedingung zum Verständnis des Begriffs von Schönheit ist und damit für Ästhetik überhaupt. Verbinden wir nun diesen Befund mit der Deutung der Allmacht Gottes als Allwirksamkeit aus dem letzten Abschnitt. Dann ergibt sich, dass Gottes Welthandeln eine notwendige Bedingung für gute, schlechte und indifferente Ereignisse ist, wenn auch Gott nicht der verantwortliche Täter für jedes dieser Ereignisse sein muss. Selbst wenn wir unterscheiden könnten, ob partikulare Handlungen wirklich gut, schlecht oder neutral sind, können wir noch nicht Gott als den verantwortlichen Täter partikularer Handlungen identifizieren, seien sie nun gut, schlecht oder ethisch neutral. Absolute und relative Bezüglich des ethisch Neutralen gibt es nun wiederum zwei Mögethische Neutralität lichkeiten es zu verstehen: als absolute Neutralität und als relative Neutralität. Absolute Neutralität bedeutet, dass ein Ereignis weder gut noch schlecht ist. Relative Neutralität bedeutet, dass ein Ereignis zwar den ethischen Wert gut oder schlecht haben kann, aber dennoch in Beziehung zu einem oder mehreren anderen Ereignissen ethisch neutral ist, so dass keines der in Frage stehenden Ereignisse besser ist als die anderen. Abgelehnt wird also nur die Vorstellung, es ließen sich alle Ereignisse strikt durch die Beziehung „besser als“ in eine ethische Hierarchie ordnen. Es kann auf verschiedenen Gütestufen durchaus egalitäre Ereignisse geben. Für unseren Zweck genügt es, den Begriff relativer ethischer Neutralität zu verwenden. 3.3.4 §44 Die Kontingenz der Welt und Gottes Vorsehung des eschatischen Ausganges

Göttlich-kreatürliche Kooperation

§44 Das Verständnis dieser Konzeption der Kooperation zwischen göttlichen, menschlichen und kontingenten Faktoren impliziert, dass, was auch immer die Kreaturen tun werden oder was auch immer aufgrund wahrhafter Kontingenz in einer unterdeterminierten Weise geschieht, Gott so angemessen antworten kann, dass das eschatische Ziel des welthaften Geschehens gesichert ist: Es wird Gottes Absicht entsprechen, d. h. die eschatische Realität wird nichts als gut sein. Sie bedeutet dennoch keine Auflösung der Kontingenz oder der Dynamik. Vielmehr ist die eschatische Realität wie das Werden des Abenteuers Gott zu denken: als ständig eintretende,

Das Gute, das Wahre sowie das Schöne

171

aber nicht begründbare oder aufeinander reduzierbare Koinzidenz von Güte und Kontingenz. Das Verständnis von göttlichem und geschöpflichem Handeln, wie es in den letzten beiden Abschnitten entfaltet wurde, setzt eine spezifische Interpretation von Gottes Ewigkeit in ihrem Verhältnis zur Zeit voraus. Sollen die göttlichen Personen in partikularen weltlichen Ereignissen als Täter verstehbar sein, kann Gottes Ewigkeit nicht im augustinischen Modell der Zeitlosigkeit verstanden werden. Auch der boethianische Ewigkeitsbegriff, der davon ausgeht, dass alle Ereignisse der Welt aus der Perspektive von Gottes Ewigkeit zur selben Zeit geschehen, kann nicht angenommen werden, da es innerhalb dieses Ewigkeitsverständnisses logisch notwendig ist, alle Ereignisse der Welt als eine einzige Handlung Gottes einschließlich einer einzigen Absicht Gottes zu deuten. Ein Verständnis des Handelns der göttlichen Personen, das mehrere partikulare Handlungen Gottes, Reaktionen Gottes auf das Handeln der Geschöpfe und göttlich kreatürliche Kooperation zulässt, wäre unmöglich. Unter der Voraussetzung des oben explizierten Ewigkeitsverständnisses, nach dem Gott selbst als eine ewige Liebesgeschichte verstanden werden kann, die logisch nach einer Ordnungsrelation strukturiert ist und die die Bedingung der Möglichkeit der zeit- und raumhaften Struktur der Schöpfung ist, ist ein entsprechendes Handeln der göttlichen Personen allerdings denkbar. Gottes Ewigkeit lässt die Geschichte des Ereignisprozesses der Welt zu, präzise weil Gott selbst eine Geschichte und ein Ereignisprozess ist, wenn auch ein von der Welt unterschiedener. Der Unterschied besteht in folgendem Sachverhalt: Wenn man mit „Abenteuer“ die Koinzidenz von Güte und Kontingenz meint,170 dann gibt es in weltlichen Geschichten Abenteuer, während Gottes ewige Liebesgeschichte selbst ein Abenteuer ist: Die immer wieder eintretende Koinzidenz von Güte und Kontingenz, ohne dass das eine auf das andere reduziert werden könnte.171 Wie könnte nun diese göttlich-kreatürliche Kooperation zu verstehen sein? Peter T. Geach entwirft dazu eine Deutung anhand eines Schachspielmodells: Gott verhält sich wie ein Schachgroßmeister, die Kreaturen wie Anfänger im Schachspiel. Der Großmeister weiß zwar nicht, was der Anfänger als nächstes exakt tun wird, denn dieser ist für ihn wesentlich unberechenbarer als ein Fortgeschrittener. Aber

170 Vgl. Mühling, M., PST II, Kap. 30.5.5. 171 Vgl. Mühling, M., PST II, Kap. 30.5.4.

Gott als Täter in der Welt

Das Schachspielmodell göttlich-kreatürlicher Kooperation

172

Das Eschaton

Das Renaissancekünstlermodell göttlich-kreatürlicher Kooperation

Wahrhafte Kontingenz

Liebe, Freiheit und Kontingenz

der Schachgroßmeister weiß dennoch, dass er gewinnen wird, was auch immer der Anfänger tun wird.172 Nun kann Geachs Bild tatsächlich als sinnvoll gewertet werden, aber es hat einen großen Nachteil, denn es modelliert die göttlich-kreatürliche Kooperation im Modell eines Kampfes. Man kann aber, will man diesen kriegerischen Aspekt zwischen Gott und Mensch vermeiden, sehr leicht zu einem anderen Bild greifen, das hier vorgeschlagen werden soll: In der Renaissance gab es im Bereich der Künste noch nicht den Genie- und Individualitätsgedanken des 19. Jh. Maler wie Lucas Cranach, Albrecht Dürer, aber auch die großen italienischen Meister, haben zwar oft – aber auch nicht immer – die wichtigsten Elemente ihrer Gemälde selbst entworfen. Die Details der Gemälde jedoch sowie die eigentliche Ausführung in Farbe legten sie in die Hände ihrer Assistenten. Das fertige Gemälde konnte also als Produkt des Meisters verstanden werden, aber auch als Produkt seiner Assistenten und letztlich auch als Produkt kontingenter Faktoren. Dennoch wusste der Meister schon vor der Fertigstellung, dass sein Werk letztlich gut sein und zu den gewünschten Resultaten führen würde. Dieses Bild lässt sich sehr gut als Modell für die Beziehung von göttlichem zu menschlichem Handeln verwenden: Gott erwählt menschliche Akteure und wahrhafte Kontingenz als Kooperatoren in dem Wissen, dass der gesamte Prozess der Welt in seinem eschatischen Ergebnis ausschließlich gut sein wird. Neben göttlichen und menschlichen Absichten ist hier zur Erklärung göttlich-kreatürlicher Kooperation wahrhafte Kontingenz angenommen, d. h. Ereignisse, die nicht perfekt determiniert sind, weder durch natürliche Ursachen noch durch intentionales Handeln. Dieses Verständnis wahrhafter Kontingenz kann als eine notwendige Bedingung angesehen werden, um vor allem von göttlicher Freiheit (und vielleicht auch menschlicher) zu sprechen. Im Rahmen einer Eschatologie kann dies im Unterschied zur Dogmatik nicht vollständig entfaltet werden, sondern es können nur einige Hinweise gegeben werden: Die dogmatische Tradition geht davon aus, dass Gott eine Welt oder zumindest den Menschen in Entsprechung zu seinem Bild geschaffen hat. Wenn Gott aber Liebe ist, dann ist es plausibel anzunehmen, dass Gott die Welt nicht nur aus Liebe geschaffen hat, sondern sie auch zur Liebe bestimmt hat. Dies kommt klassisch im Doppelgebot der Liebe zum Ausdruck, das nun auch als

172 Vgl. Geach, P.T., Providence and Evil, 57f.

Das Gute, das Wahre sowie das Schöne

eine für die Welt und die Geschöpfe seinskonstitutive Regel173 verstanden werden kann. Damit bestimmt Liebe tatsächlich auch das Sein der Welt. Damit aber Liebe Liebe sein kann, muss sie die Möglichkeit zum Widerspruch, also zur Kontingenz der Geschöpfe einschließen. Bei der Doppelregel der Liebe handelt es sich also um eine deontische Regel, d. h. um eine Regel, die gebrochen werden kann. Damit beinhaltet Liebe nicht nur Kontingenz, sondern auch Freiheit, und zwar in einem doppelten Sinne. Zum einen schließt diese Freiheit Spontaneität und Affektivität ein, zum anderen auch Wahlfreiheit in einem spezifischen Sinne, wie noch zu sehen sein wird. Zunächst gilt es festzuhalten, dass die Regel der Liebe für die personalen Geschöpfe zwar nicht aufhebbar, aber verletzbar ist. Wäre die Regel der Liebe nicht verletzbar, wäre es eben keine Liebe. Nun kann gefragt werden, welche Bedingungen logisch möglich sein müssen, damit diese Verletzbarkeit der Liebesregel und damit deren deontischer Charakter gegeben sein können. Wir verknüpfen die Beantwortung dieser Frage mit der Antwort auf die Frage nach der Unvollendetheit der kosmischen Regelmäßigkeiten, d. h. der natürlichen Welt, indem wir folgende These aufstellen: Die Unvollendetheit der kosmischen Regelmäßigkeiten ist notwendige Bedingung für den deontischen Charakter der Doppelregel geschöpflicher Liebe. Diese These lässt sich nicht vollständig beweisen, aber für ihre Plausibilität kann durch ein Gedankenexperiment geworben werden: Das natürliche Regelsystem beinhaltet Kontingenz, Leiden und Tod. Kontingenz bedeutet für empfindungsfähige Geschöpfe notwendigerweise auch die Distinktion von Lust und Leiden. Stellen wir uns nun eine natürliche Welt vor, in der es keine Kontingenz, kein Leiden und keinen Tod gäbe. Könnten in einer solchen Welt einige der Geschöpfe als personale Geschöpfe verstanden werden, die die Regel der Liebe auch übertreten könnten? Mir scheint die plausibelste Antwort eine negative Antwort zu sein: In einem natürlichen Regelzusammenhang ohne Kontingenz und ohne Leid könnten sich keine Geschöpfe ausbilden, die die Möglichkeit hätten, nicht zu lieben. Diese Geschöpfe wären konstitutiv in einen kosmischen Regel(mäßigkeits)zusammenhang des transport eingebunden, in dem sie immer nur Gutes erfahren würden und hätten auf diese Weise gar keine Vorstellung, keinen Begriff einer negativen Wahl. Der Begriff einer solchen Wahlmöglichkeit oder einer solchen Freiheit, wäre damit ein leerer, wenn nicht sogar

173 Zur Unterscheidung konstitutiver von regulativen Regeln sowie zur Unterscheidung von deontischen und adeontischen Regeln vgl. Conte, A.G., Konstitutive Regeln und Deontik.

173

174

Das Eschaton

selbstwidersprüchlicher Begriff und damit ebenso das Verständnis von Liebe. Auf diese Weise kann begründet werden, dass der Begriff wahrhafter Kontingenz zur Ordnung der Schöpfung gehört. Diese wahrhafte Kontingenz widerspricht auch nicht Gottes aktualer Allwirksamkeit. Denn wenn Gott aufgrund eigener Wahl menschliche Absichten zulassen kann, dann kann und muss er auch unterdeterminierte aktuale Ereignisse, also wahrhafte Kontingenz in einer weltlichen Geschichte, zulassen, zumal Kontingenz im Begriff des Liebesabenteuers zum Werden Gottes selbst gehört. Nichtsdestotrotz bleibt sein Handeln an der Welt eine notwendige Bedingung dafür, dass jedes einzelne Ereignis aktual, also verwirklicht werden kann. 3.3.5

Transformationen

§45 Eschatische Transformation des Wertes menschlicher Handlungen

§45 Alle menschlichen Handlungen, einschließlich ihrer guten und schlechten Taten, werden, bezüglich ihrer eschatischen Valenz, in ethisch relativ indifferente überführt, unbeschadet ihres präeschatischen ethischen Wertes.

Der Gerichtsgedanke

Die christliche Hoffnung muss die Vollendung des Reiches Gottes als ein Leben ohne ethische Differenzen, ohne den Bestand von „besser“ und „schlechter“ denken. Man kann nun aber fragen, welchen Beitrag die Welt und ihre Geschichte zu dieser Vollendungsgestalt des Reiches Gottes beiträgt. Ein solcher Beitrag ist nur möglich unter der Annahme des jüngsten Gerichts. Traditionell geht man davon aus, dass nur das Gute überleben kann, während für das Schlechte kein Raum ist. Dies wiederum kann in zweifacher Weise verstanden werden: Einerseits kann man der Meinung sein, dass nur gute Personen der Vollendungsgestalt teilhaftig werden und dass schlechte Personen ewiges Leid zu erdulden haben oder annihiliert werden (s.u. in Kap. 5). Andererseits kann damit gemeint sein, dass nur die guten Ereignisse in das eschatische Leben eingehen und etwas zu deren eschatischen Leben beitragen, während die schlechten Ereignisse einschließlich schlechter menschlicher Handlungen und ihre Effekte keinen eschatischen Platz haben (s.u. in Kap. 5). Unter der Voraussetzung der Rechtfertigungslehre und unter der Voraussetzung der Versöhnung am Kreuz, die es erst real ermöglicht, dass Gott zwischen Sünde und Sünder unterscheidet, dergestalt dass Gott nun den Sünder lieben, aber die Sünde hassen kann, erscheint die zweite ange-

Das Gute, das Wahre sowie das Schöne

175

sprochene Deutung des Gerichts schon an dieser Stelle angemessener zu sein als die erste. Nun haben wir in den letzten Abschnitten aber ein Bild des Handelns Gottes entworfen, das es nötig macht, auch diese zweite Interpretation des jüngsten Gerichts zu verändern. Denn wir haben diagnostiziert, dass es nicht nur gute und schlechte, sondern auch neutrale Ereignisse und Handlungen gibt, zumindest solche, die relativ zueinander ethisch neutral sind. Wenn es nun richtig ist, dass gute und neutrale Handlungen etwas zur eschatischen Realität beitragen können, während schlechte Handlungen und Ereignisse verworfen werden müssen, da das wirklich Schlechte nicht als gut verstanden werden kann und umgekehrt, dann dürfte es möglich sein, dass das Schlechte – und vielleicht aber nicht notwendigerweise auch das Gute – in das relativ ethisch Neutrale transformiert werden kann. Wäre dies möglich, hätte dies einen Vorteil: Ohne dass Menschen etwas für sich selbst leisten würden und ohne dass die Welt etwas zu ihrem soteriologischen Ziel beitragen könnte, das darin besteht, dass nur noch abenteuerlich gute Prozesse geschehen, so dass der Rechtfertigung allein aus Gnade nicht widersprochen wäre, könnten Welt und Mensch doch etwas zu dem eschatischen Ziel beitragen, nämlich insofern dies ethisch neutral ist. 3.3.6

Das Gute, das Wahre – sowie das Schöne

§46 Die Transzendentalien des Guten, Wahren und Schönen haben nicht die gleiche Extension: Das Gute und das Wahre mögen idealerweise koinzidieren, nicht aber das Schöne.

§46 Eschatische Identität des Guten und des Wahren und die Nichtidentität des Schönen

In der neoplatonischen Metaphysik und ebenso in der deutschen Das Gute, Wahre, Klassik fallen das Gute, das Wahre und das Schöne zusammen. In der Schöne im Neuplatonismus neoplatonischen Metaphysik ist dies möglich, weil es die Annahme eines starken Universalienrealismus gibt: Wenn wir gute Dinge in der Welt finden, gute und wahre Sachverhalte in der Erfahrung der Welt wahrnehmen, dann muss das Wahre, das Gute und das Schöne eine Realität in unserer Welt sein. Denn in der Spätantike dachte man im Schema des „Baumes des Porphyrius“. Dieser „Baum des Porphyrius“ oder die arbor porphyriana – benannt Der Baum des nach dem heidnischen Neuplatoniker Porphyrius (gest. 301), der ein ele- Porphyrius mentares Lehrbuch der Spätantike verfasste – ist ein Klassifikationsschema von Begriffen, die jeweils in genus und spezies eingeteilt werden. So kann etwa „Mensch“ als spezies verstanden werden, deren nächst höheres genus

176

Das Eschaton

„Lebewesen“ wäre. Von anderen spezies wie etwa Tieren könnte der Mensch dann durch eine differentia specifica, hier etwa „vernunftbegabt“, unterschieden werden. Auf diese Weise kommen auch Definitionen zustande: definitio fit per genus proximum et differentiam spezificam. Werden Begriffe definiert, werden sie stets als spezies behandelt, die man einordnet, indem man ein nächst höheres genus und eine spezifische Differenz angibt. Wichtig ist nun, dass genus und spezies relative Begriffe sind. Was auf einer Stufe ein genus ist, kann auf einer anderen eine spezies sein: Der Begriff „Lebewesen“ kann als spezies zum nächst höheren genus (z. B. „materielle Körper“) verstanden werden. Auch hier kann eine differentia specifica angegeben werden, etwa „belebt“. Auf diese Weise lassen sich nun alle möglichen Begriffe ordnen und man kommt zu einer Begriffspyramide bzw. anders herum gedacht, zu einem sich verzweigenden Baum. Ganz unten an der Wurzel des Baumes bzw. an der Spitze der Pyramide stünde das Sein selbst, ganz oben in der Krone des Baumes bzw. an der Basis der Pyramide, stünden die Individuen. Da es aber zum Sein kein nächst höheres genus geben kann und da Individuen nicht wie Begriffe durch eine spezifische Differenz bestimmt werden können, gilt: esse non in genere (das Sein ist kein genus) und individuum est ineffabile (das Individuum ist undefinierbar).174 UniversalienMan spricht nun von Universalienrealismus, wenn diesen Allgemeinberealismus griffen, die geordnet werden, Realität zugesprochen wird, während man von Nominalismus spricht, wenn sie nur als Abstraktionen der Individuen gelten. Im Neuplatonismus verstand man diese Begriffspyramide universalienrealistisch als Seinspyramide (und zwar dergestalt, dass je näher eine Ebene am Sein selbst anzusiedeln ist – d. h. je näher eine Ebene der Spitze der Pyramide bzw. der Wurzel des Baumes steht – ihr auch höhere Seinsmächtigkeit zuzusprechen ist).175

Nach dem Klassifikationsschema dieser arbor porphyriana ist es möglich von einer Kategorie zu einer höheren hinaufzusteigen, bis wir zu dem gelangen, was wirklich gut, wirklich wahr und wirklich schön ist, weil höhere Kategorien eine höhere Valenz an Wirklichkeit besitzen. Sowohl in der neoplatonischen Metaphysik als auch im christlichen Neuplatonismus fallen Existenz (Dasein) und Essenz (Sosein) mit dem göttlichen Einen zusammen. Konsequenterweise können wir als Menschen zwar das Gute, das Wahre und das Schöne mit unterschiedlichen sprachlichen Mitteln beschreiben, aber letztlich muss das Gute, das Wahre und das Schöne die gleiche Extension haben: Das Eine oder Gott, das Sein selbst.

174 Vgl. Härle, W., Systematische Philosophie, 76–78. 175 Zum Universalienproblem vgl. Stegmüller, W., Universalienproblem.

Das Gute, das Wahre sowie das Schöne

Aus verschiedenen Gründen ist dieser Zugang hoch problematisch. Vor allem hängt dieses Verständnis von Voraussetzungen ab, die nicht notwendig christlich sind wie dem vorausgesetzten Universalienrealismus. Dieser ist zwar auch nicht notwendigerweise nichtchristlich. Wenn man ihn aber an dieser Stelle annimmt, macht man sich an zentraler Stelle des Gottes- und Weltverständnisses von philosophischen und externen Entscheidungen abhängig. Versuchen wir das damit benannte Problem Schritt für Schritt zu lösen. Zunächst zum Verhältnis des Wahren zum Guten: Alle Ereignisse in der Welt können als Ergebnis göttlich-kreatürlicher Kooperation verstanden werden, dergestalt dass es sich um göttliches Handeln handelt, das Handlungen der personalen Geschöpfe und Effekte wirklicher Kontingenz zulässt. Das bedeutet aber auch, dass darin menschliches Verstehen und menschliche Sprache als Teilmenge kreatürlicher Aktivität enthalten sind. Traditionell wird Wahrheit als die Korrespondenz von Sprache und Wirklichkeit verstanden.176 Diese Definition bringt nun das Problem mit sich, dass sie eine Korrespondenzrelation, eine Beziehung der Übereinstimmung zwischen zwei Relaten mit sich bringt, die zu unterschiedlichen Gattungen von Entitäten gehören: Sprache und Wirklichkeit. Nun sind aber Entitäten unterschiedlicher Gattungen nicht hinsichtlich einer Übereinstimmung vergleichbar. Man kann nicht sinnvollerweise von einer Übereinstimmung von Äpfeln und Birnen sprechen. Alternative Wahrheitstheorien, wie die semantische Wahrheitstheorie von Tarski, Kohärenztheorien oder pragmatische Wahrheitstheorien können als Antwort auf dieses spezielle Problem der klassischen Theorie gesehen werden. Die semantische Theorie von Tarski ändert nichts an der Relation. Diese bleibt die Relation einer Übereinstimmung. Hier werden vielmehr die beiden Relate geändert. Beide Relate gehören nun zur gleichen Klasse von Gegenständen, der Klasse der Sprache: Der Satz „Schnee ist weiß“ ist genau dann wahr, wenn ‚Schnee weiß ist‘ – nun formuliert auf einer anderen Sprachebene.177 Kohärenztheorien arbeiten ebenfalls mit einer einzigen Klasse sprachlicher Entitäten, allerdings ohne Objekt- und Metasprache unterscheiden zu müssen. Das hat zur Folge, dass nun auch die Relation geändert werden muss. Es ist nicht mehr die Relation einer Übereinstimmung, sondern die Relation von Kohärenz, von Widerspruchs-

176 Für einen kurzen Überblick zu den Wahrheitstheorien vgl. Schwöbel, C., Art. Wahrheit. 177 Vgl. Puntel, L.B., Wahrheitstheorien, 41–69.

177

Probleme der neoplatonistischen Zuordnung des Guten, Wahren und Schönen

Das Wahre und das Gute

Die Korrespondenztheorie der Wahrheit

Die „semantische“ Theorie der Wahrheit, Kohärenztheorien und pragmatische Theorien

178

Das Eschaton

Reformulierung der Korrespondenztheorie der Wahrheit in christlicher Perspektive: eine narrative Wahrheitstheorie

freiheit zwischen Aussagen.178 Während nun sowohl die semantische Wahrheitstheorie als auch Kohärenztheorien die beiden Klassen der Relate so ändern, dass nur noch von Sprache die Rede ist, behaupten pragmatische Theorien, dass es sich nicht vermeiden lässt, auch von Realität zu sprechen, wenn wir von Wahrheit sprechen wollen. Also betrachten pragmatische Theorien diejenigen sprachlichen Konzepte am brauchbarsten, die sich am besten in irgendeiner Form im praktischen Handeln bewähren.179 Im Rahmen einer christlichen narrativen Ontologie, die eine Kooperation zwischen göttlichem Handeln und kreatürlichem einschließlich menschlichem Handeln annimmt, lassen sich die klassische Korrespondenztheorie redefinieren und gleichzeitig ihre Schwierigkeiten vermeiden. Denn nun gehören die beiden Relate, also menschliche Sprache als sekundäre Narrativität und die Realität als primäre Narrativität, zur gleichen Klasse von Gegenständen. Beide Narrativitäten sind Ereignisse von Sprachhandlungen: Die primäre Narrativität ist die Klasse der Ereignisse des göttlichen Sprachhandelns als transzendentale Narrativität und die sekundäre Narrativität einschließlich menschlicher Sprache ist die Klasse menschlichen Sprachhandelns. Mit Colin E. Gunton (gest. 2003) können wir daher sagen: „Die Welt ist eine solche Art von Gegenstand, dass sie in Sprache interpretiert werden kann. Sie ist selbst oder hat selbst – metaphorisch! – eine Art von Sprache.“180 Es gibt daher „ein Wechselspiel von Mensch und Welt, in welchem der Mensch sich kosmomorph und die Welt anthropomorph versteht“.181 Daher können beide in einer Beziehung der harmonischen Resonanz stehen. Beachten wir den kategorialen Unterschied zwischen menschlichem Handeln und göttlichem Handeln, zwischen actio Dei und actio hominum bzw. zwischen transzendentaler und primärer Narrativität, können wir Wahrheit folgendermaßen definieren: Wahrheit ist die harmonische Resonanz der sekundären Narrativität mit der transzendentalen Narrativität und deren primärnarrativen Effekten. Diese Wahrheitsdefinition ist aus einer christlichen Binnenperspektive heraus gewonnen. Diese Theorie liefert aber nicht nur eine Definition von Wahrheit, sondern sie erlaubt es auch zu erklären, warum der einzige operationable Nachweis von Wahrheit in pragmatischer Bewährung besteht. Ferner erklärt diese Theorie, warum es sich

178 179 180 181

Vgl. Puntel, L.B., Wahrheitstheorien, 172–204. Vgl. Puntel, L.B., Wahrheitstheorien, 142–171. Gunton, C.E., Actuality of Atonement, 37. Jüngel, E./Ricoeur, P., Thesen zur Metaphorologie, 63.

Das Gute, das Wahre sowie das Schöne

bei der pragmatischen Bewährung nur um eine notwendige Bedingung, nicht aber um eine hinreichende Bedingung für Wahrheit handeln kann: Diese Theorie liefert eine ontologische Beschreibung von verschiedenen Relationen zwischen verschiedenen Arten des narrativen Sich-Ereignens und ist daher eine narrative Theorie der Wahrheit. Als solche hat sie zu berücksichtigen, dass menschliches Handeln einschließlich menschlicher Sekundärnarrativität immer in der Perspektive des Falles der Schöpfung und ihrer Versöhnung zu betrachten ist, also unter der Perspektive von Gesetz und Evangelium. Die menschliche Suche nach Wahrheit und deren Entdeckung in allen Bereichen menschlicher Erkenntnisbemühung und Wissenschaft hängt also nicht allein vom schöpferischen, sondern auch vom versöhnenden und vollendenden Handeln von Vater, Sohn und Heiligem Geist ab. Und daher steht die menschliche Suche nach der Wahrheit unter einem eschatischen Vorbehalt. Nichtsdestotrotz: Eine Folge dieser Wahrheitstheorie ist, dass Wahrheit nun auch ein Gegenstand der Ethik wird: Sind unsere stories mit der story, als die Gott wird, vereinbar, sind sie wahr. Und das können durchaus verschiedene sprachliche Antworten in der Kommunikation mit Gottes Sprachhandeln sein. Resonieren sie nicht harmonisch, sind sie falsch. Welche das sind, bleibt abzuwarten, bis wir von Angesicht zu Angesicht mit Vater, Sohn und Heiligem Geist sprechen. Dennoch gibt es eine wichtige Implikation dieser Theorie: Das Wahre wird nun ein Gegenstand der narrativen Ontologie, der Ethik und der Eschatologie, denn letztlich fällt nun das Wahre mit dem Guten zusammen. Versuchen wir nun aber auch Ähnlichkeiten zwischen dem Schönen und dem Guten (oder dem Wahren) zu finden, so stößt man auf Schwierigkeiten, die eine solche Übereinstimmungsrelation verhindern. In unserer Alltagssprache benutzen wir, wenn es um ästhetische Sachverhalte geht, eine entscheidende Regel: De gustibus non est disputandum – Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Die Schönheit von Dingen oder Sachverhalten mag variieren, aber wir können nicht entscheiden, welcher der zur Debatte stehenden Sachverhalte mehr oder weniger schön ist. Wenn nun aber die Transzendentalien des Guten, Wahren und Schönen eine vollständige Disjunktion bilden, so dass es nichts auf der Welt gibt, das weder mit den Kategorien des Wahren, des Guten oder des Schönen zu erfassen ist, dann ist logisch notwendig das Reich des Schönen exakt das Reich derjenigen Sachverhalte, die den gleichen ethischen Wert teilen, also das Reich des zumindest relativ ethisch Neutralen. Damit ist die Existenz des ethisch Neutralen aber eine notwendige Bedingung der (eigenständigen) Existenz von Schönheit.

179

Die narrative Wahrheitstheorie als eschatologische Wahrheitstheorie Das Gute und das Schöne

180

Das Eschaton

3.3.7

§47 Sinn und Grenze der Rede von Gottes Vorsehung. Das Ziel der Schöpfung einer nicht instantan vollendeten Welt ist das Schöne

Die Möglichkeit mehrerer denkbarer Vollendungsgestalten des Reiches Gottes

§47 Die präeschatischen, ethisch relevanten Ereignisse werden durch den dreieinigen Gott als eschatischer Grund transformiert in Ereignisse ästhetischer Differenz. Menschen und Kontingenz werden Kooperatoren hinsichtlich der ästhetischen Gestalt der eschatischen Welt sein, gleich einem Kunstwerk. Dies ist möglich, weil die Möglichkeit besteht, dass es mehrere denkbare Ziele der Welt geben kann, die in ethischer Hinsicht den gleichen Wert teilen: Eschatisch gibt es theoretisch mehr als eine beste Welt. In ästhetischer Hinsicht allerdings unterscheiden sich diese mehreren besten Möglichkeiten voneinander, nicht an ästhetischer Quantität, sondern an ästhetischer Qualität. Welche dieser Möglichkeiten realisiert wird, ist auch für Gott nicht vorhersehbar. Die göttlichen Personen in ihrem ewigen Liebesabenteuer haben die präeschatische Welt des Werdens geschaffen (und nicht sofort das Werden der eschatischen Realität) zu dem Ziel, in Kooperation mit ihren Geschöpfen spezifische Schönheit zu schaffen. Hinsichtlich der Schönheit ist die Identität der Vollendungsgestalt des Reiches Gottes ein Effekt göttlich-menschlicher Kooperation, nicht aber hinsichtlich der Güte. Dieses Verständnis lässt sich am auferstandenen eschatischen Christus aufzeigen: Der Gekreuzigte trägt Wunden und Narben, verursacht durch die Sünde der Welt. Der Auferstandene trägt diese Narben überwundenen Leides als Zeichen seiner Schönheit. Versucht man nun dieses Kapitel zusammenzufassen, wird man sagen können, dass der Prozess der Welt bestimmt wird durch Gottes Allwirksamkeit und die zugelassenen Aktivitäten seiner Geschöpfe und deren Effekte. Wichtig ist festzuhalten, dass die Geschöpfe nichts zu dem soteriologischen Ergebnis der Welt beitragen können. Es ist für Gott vorhersehbar, dass das eschatische Ziel gut sein wird. Aber da es das ethisch Neutrale gibt, gibt es mehrere denkbare Ausgänge der Welt von gleicher Güte. Mehr noch, das jüngste Gericht kann so verstanden werden, dass die schlechten Handlungen von Menschen – und unter Umständen auch deren gute Handlungen – gerichtet werden, d. h. transformiert in ethisch neutrale Handlungen und deren Effekte. Nichtsdestotrotz können sie etwas zur eschatischen Identität sowohl der partikularen kreatürlichen Personen als auch zur gesamten Gestalt der eschatischen Welt beitragen, die dann als das

Das Gute, das Wahre sowie das Schöne

eine realisierte Ziel dieser unterschiedlichen, ethisch gleich guten, aber ästhetisch variierenden Möglichkeiten verstanden werden muss. Diese Möglichkeiten unterscheiden sich also nicht in ihrer Güte oder Wahrheit, aber in ihrer Schönheit, und zwar nicht in dem Sinne, dass sie mehr oder weniger schön wären als andere, sondern im Sinne von de gustibus non est disputandum.

181

4.

Die Präeschata

4.1

Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung

§48 Biblische Belege existieren sowohl für die Vorstellung einer §48 Biblische Belege eschatischen Verwandlung als auch einer eschatischen Vernichtung für das Geschick der Welt der Welt. Im Folgenden befassen wir uns, wie angekündigt, zunächst mit denjenigen Eschata, die im eigentlichen Sinne gar keine letzten Dinge sind, sondern vorletzte Dinge, da sie sich mit dem innerweltlichen Ende von Welt, Personen und Gesellschaft befassen. Wir setzen an dieser Stelle mit dem kosmischen Aspekt, d. h. dem Geschick der Welt ein, das im Wesentlichen in zwei Typen unterteilt werden kann, dem sich ein weiterer anschließt: die Auffassung der Verwandlung der Welt und die Auffassung der Vernichtung der Welt. Nur scheinbar entsteht ein dritter Typus durch die Annahme, dass Vorstellungen einer Verwandlung oder Vernichtung der Welt von keiner religiösen oder eschatologischen Relevanz seien. Nach Besprechung dieser einzelnen Antworten für das Problem der Frage nach dem Geschick der Welt soll nach einer Problemreformulierung und nach Lösungsmöglichkeiten gesucht werden. Bevor die Sachproblematik angesprochen werden soll, ist es zunächst nötig, sich die biblischen Belege vor Augen zu halten, die durchaus keine eindeutige Sprache sprechen. Zunächst einmal sind Belege zu nennen, die von einer Verwandlung der Welt ausgehen. Nach Joh 3,16f ist der Grund der Sendung des Sohnes in die Welt die Liebe Gottes zur Welt und das Ziel ist die Seligkeit der Welt. Wenn in 1.Kor 15 davon die Rede ist, dass die Menschen verwandelt werden und das Verwesliche mit dem Unver-

Verwandlung oder Vernichtung?

Biblische Belege für eine Verwandlung der Welt

184

Die Präeschata

Biblische Belege für eine Vernichtung der Welt

Uneindeutige biblische Belege

weslichen bekleidet werden wird, scheint dies auch die Möglichkeit für eine Verwandlung der ganzen Welt mit einzuschließen. Bestätigt werden könnte dies durch Röm 8,19–23, wo die Rede davon ist, dass sich die ganze Schöpfung nach Erlösung sehnt, die um des Menschen Willen geknechtet ist. Dies scheint vorauszusetzen, dass eine eschatische Vollendung der Erlösung nicht ohne die nicht-personalen Geschöpfe verstanden werden kann und also nicht als Erlösung von der Welt, sondern als Erlösung der Welt zu deuten ist. Andererseits gibt es aber auch eine Reihe von Belegen, die von einem radikalen Ende der Welt sprechen, in dem Sinne, dass dies letztlich als eine Vernichtung der Welt verstanden werden müsste (Ps 102,25f; Jes 51,6; 1.Kor 7,31; Hebr 1,10f; Apk 20,11). Unter diesen scheint das synoptische Logion Mk 13,31 (vgl. Mt 23,35; Lk 21,33), nach dem Himmel und Erde vergehen müssen, aber das Wort bestehen bleibt, besondere Relevanz zu besitzen. Eine dritte Gruppe von Aussagen lässt sich nicht so einfach dem einen oder dem anderen Typus zuordnen, sondern kann je nach Interpretation als Beleg für beide Auffassungen angenommen werden. Die Rede von der Neuen Schöpfung bei Paulus (2.Kor 5,17; Gal 6,15) oder die Rede von einem neuen Himmel und einer neuen Erde als Ausdrücke für die Gesamtheit von Welt kann einerseits so verstanden werden, dass es sich immerhin um eine Welt handelt, so dass der Kontinuitätsaspekt betont wird, andererseits, wie es auch schriftgemäß zu sein scheint so, dass die alte Welt vergeht und ihr nicht mehr gedacht werden wird (Jes 65,17; 1.Petr 3,13; Apk 21,1.5). 4.1.1

§49 Das Geschick der Welt nach den Verwandlungstheorien

Die Verwandlung der Welt (renovatio)

§49 Die Vorstellungen einer eschatischen Verwandlung der Welt sind die in der Theologiegeschichte am häufigsten geäußerten Vorstellungen des Geschicks der Welt. Sie sind seit Irenäus als Abwehr gnostischer Häresien verstanden, die die Güte der Welt und die Treue Gottes gefährden könnten. Innerhalb dieser Vorstellungen existiert ein breites Spektrum, das von kontinuitätsbetonenden Vorstellungen bis zu diskontinuitätsbetonenden Vorstellungen reicht. Auszuschließen sind aus christlicher Sicht dabei diejenigen kontinuitätsbetonenden Vorstellungen, die die Verwandlung der Welt als weltimmanent verstehen. Die diskontinuitätsbetonenden neuschöpferischen Konzeptionen reichen fast an die Vorstellung der Vernichtung der Welt heran.

Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung

4.1.1.1

Die Verwandlung der Welt in der theologischen Tradition

Die Auffassung, dass die Welt nicht vernichtet, sondern verwandelt (renovatio) wird, ist die bei weitem am breitesten vertretene Auffassung in der Geschichte des Christentums. Interessanterweise sind sich hier, von Details abgesehen, völlig unterschiedliche theologische Schulen und Konfessionen einig. Der Grund dafür dürfte darin bestehen, dass Irenäus von Lyon (gest. 202) die These einer Verwandlung, nicht aber einer Vernichtung der Welt als ein wichtiges Argument gegen die Gnosis bereits in der Alten Kirche formuliert.1 Denn die Gnosis sah die materielle Welt als Produkt eines üblen oder zumindest inkompetenten Schöpfers, so dass eine Erlösung der Welt nicht denkbar war, nur eine Erlösung von der Welt. Irenäus konnte diese Ansicht nicht stehen lassen und die Entstehung der rechtgläubigen Kirche geht so nicht nur in Auseinandersetzung mit der Gnosis einher, sondern auch mit der Entstehung des Gedankens der eschatischen renovatio. Theologisch ist hier festzuhalten: Wenn Gott gut ist und eine Welt geschaffen hat, dann wird er sie auch nicht wieder vernichten. Andernfalls verstieße er gegen die Treue Gottes und damit gegen sich selbst und würde mit sich selbst unidentisch. Für das Mittelalter herrscht recht breite Einigkeit in folgenden, detailliert ausgestalteten Punkten: Die Welt wird verwandelt, weil auch ihre elementaren Bestandteile, nach damaliger Meinung Erde, Wasser und Luft, von der Sünde der Menschen infiziert sind. Da das Feuer seine primäre Heimat nicht im irdischen Bereich der von der Sünde infizierten sublunaren Sphäre hat – also dem Zwischenraum zwischen Erde und Mond –, wird fast der ganze Kosmos auf göttlichen Befehl durch Feuer gereinigt und umgestaltet.2 Eine Ausnahme bilden in der Regel die Gestirne, die nicht von der Sünde infiziert worden sind und für ihren treuen Dienst belohnt werden, indem sie nicht durch Feuer umgestaltet werden müssen, sondern angehalten werden, indem Gott als unbewegter Beweger mit seinem Bewegen aufhört.3 Die weltlichen, körperlichen Substanzen bleiben nach Thomas von Aquin (gest. 1274) bei diesem Reinigungsprozess erhalten, nicht jedoch die Formen. Dies hat zur Konsequenz, dass es keine Pflanzen und Tiere mehr geben wird.4

1 2 3 4

185

Vgl. Lyon, I.v., adv. haer.V, 20,1. Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 54–56.162–169. Vgl. Thomas von Aquin, s.th., 47, q.2, a.2. Vgl. Aquin, T.v., s.c.g., IV, 97.

Die Verwandlungsthese ist ein antignostisches Argument

Verwandlung durch Feuer im mittelalterlichen Denken

186

Die Präeschata

Zurückhaltung bei den Reformatoren

In der reformierten Theologie und in Teilen der lutherischen Theologie bleibt diese Auffassung erhalten und wird nur moderat umgestaltet. Luther selbst geht zwar von einer Verwandlung, nicht einer Vernichtung der Welt aus, enthält sich aber größtenteils Spekulationen über den Ablauf der konkreten Verwandlung. Vielmehr betont er wesentliche Grundzüge dieser Verwandlung: Die Zeit bleibt erhalten, wird aber nicht mehr durch die Himmelskörper mit Stunden, Tagen und Jahren gemessen.5 Noch wichtiger ist, dass Luther das mittelalterlich-aristotelische Schema von Potenz und Akt gewissermaßen umdreht: Nach diesem Schema ist nur das aktual, also gegenwärtig wirklich, was eine Verbindung von materia, d. h. purer Potenz oder Möglichkeit, und Form ist. Luther wendet dies nun auf die Gegenwart und auf die eschatische Zukunft an: „Quare homo huius vitae est pura materia Dei ad futurae formae suae vitam. Sicut et tota creatura, nunc subiecta vanitati, materia Deo est ad gloriosam futuram suam formam. (Daher ist der Mensch dieses Lebens reine Materie, d. h. Möglichkeit Gottes zu dem Leben in seiner zukünftigen Verwirklichung. Gleichwie auch die ganze Schöpfung, die nun der Leere unterworfen ist, mögliche Materie für Gott ist zu seiner zukünftigen ruhmvollen Verwirklichung).“6

Für Luther ist die Verwandlung eigentlich eine Verwirklichung oder Realisierung. Das Leben im Hier und Jetzt ist gar nicht das Wirkliche, Aktuale, sondern nur Mögliches, demgegenüber die eigentliche Wirklichkeit die eschatische Realität sein wird. Diese Verwirklichung wird sich aber offensichtlich an dem, was durch die materiale Potenz des gegenwärtigen Geschehens gegeben ist, orientieren müssen. Dennoch ist die Umwertung, die Luther hier vertritt, signifikant. Das war ihm selbst bewusst, denn alles andere wäre für ihn falscher Immanentismus: „Quia philosophi oculum ita in presentiam rerum immergunt, vt solum quidditates et qualitates earum speculentur, Apostolus autem oculos nostros reuocat ab intuitu rerum praesentium, ab essentia et accidentibus earum, et dirigit in eas, secundum quod futurae sunt (Die Philosophen versenken das Auge so in die Gegenwart der Dinge, dass sie allein deren Washeit und Qualität erblicken, der Apostel aber ruft unsere Augen ab vom Blick auf die gegenwärtigen Dinge, von der Essenz und ihren Akzidentien, und lenkt sie auf das, was sie nach dem Zünkünftigen wirklich sind).“7

5 Vgl. Luther, M., WA 17 II, 253, 19–22; WA 10 III, 194, 10; WA 49, 732, 9–10; WA 12, 596, 26. 6 Luther, M., WA 39/I,177,3–5 [Thesen 35f.]. 7 Luther, M., WA 56,371,3–6.

Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung

Auch Calvin hält sich mit allzu bildlichen Aussagen zurück, er meint in Auslegung zu Mt 24,29, das Ereignis selbst werde zeigen, wie es aussehe. Es werde aber sicherlich so gewaltig sein, dass man meine, die Sterne fielen vom Himmel.8 Die orthodoxe reformierte Theologie wird in ihren Aussagen wieder mutiger, wohl hauptsächlich in Auseinandersetzung mit der orthodoxen lutherischen Theologie, die in weiten Teilen die Vernichtungslehre entwickelt und übernommen hatte. Da Himmel und Hölle als Ort in der Welt verstanden werden, wird eher die Verwandlung des Kosmos als dessen Vernichtung gelehrt.9 Auch unter den Bedingungen der Aufklärung wird diese Verwandlungsvorstellung letztlich beibehalten. Auch lutherische Theologen kehren jetzt zur Verwandlungslehre zurück, indem sie nur von einer Zerstörung des Sonnensystems ausgehen oder davon, dass dem Menschen ein neuer Wohnort zukommen wird.10 Im 19. Jh. gehört auch Kähler zu diesem Typus, wenn auch nun nur noch von „umwälzenden Naturveränderungen“11 gesprochen wird, ohne diese genauer zu spezifizieren. Im 20. Jh. finden sich eine Reihe von Eschatologien, die mehr oder weniger diesem Typus zuzuordnen sind. Exemplarisch mag hier Paul Althaus (gest. 1966) genannt werden, für den der Einbezug der Welt in eschatologische Überlegungen darauf beruht, dass die „Natur in ihrer Selbstzwecklichkeit […] uns [verkündet], dass Gottes Herrlichkeit nicht in der Schönheit seines geistigen Kosmos […] aufgeht, sondern – symbolisch geredet – auch eine sinnliche Seite hat.“12 Wie sich diese Teilhabe der Welt an der eschatischen Wirklichkeit aber denken lässt, bleibt auch hier offen. 4.1.1.2

Die Verwandlung der Welt in der gegenwärtigen Naturphilosophie

Die Nutzung des Motivs der Verwandlung der Welt sowohl unter dem ptolemäischen als auch unter dem kopernikanischen Weltbild scheint zu implizieren, dass das Motiv prinzipiell weltbildneutral ist. Ist diese Vermutung richtig, müssten sich auch entsprechende Aussagen finden, die sich auf das Standardmodell der Kosmologie beziehen. Dies ist in der Tat der Fall, wenn auch der umfassendste Versuch

8 Vgl. Calvin, J., CR 73, 667. 9 Vgl. Kunz, E., Protestantische Eschatologie, 62–63. 10 Vgl. Baumgarten, S.J., Evangelische Glaubenslehre III, 725–725; Reinhard, F.V., Vorlesungen, 680–681. 11 Kähler, M., Wissenschaft, 422. 12 Althaus, P., Die letzten Dinge, 135.

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Die Verwandlungsthese in Orthodoxie und Neuzeit

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Die Präeschata

einer solchen Beschreibung nicht von einem Theologen, sondern von einem Physiker stammt: Frank J. Tiplers „Physik der Auferstehung“. Er verbindet damit allerdings den expliziten Anspruch, den Wahrheitsgehalt theologischer Topoi naturphilosophisch zu reformulieren. Bevor dieser Ansatz vorgestellt werden kann, ist es zunächst nötig, die Prognosen der Zukunft der Welt aus dem weltlichen Horizont gegenwärtiger Naturphilosophie in Grundzügen ins Gedächtnis zu rufen: Das Standardmodell Das Standardmodell der Kosmologie beschreibt die Welt mittels der Kosmologie des der Einstein-Friedmann Gleichungen. Und hier gibt es mehrere Ver20. Jh. laufsmöglichkeiten, die von der Dichte bzw. Masse der Welt abhängen: Wird genau eine spezifische Masse erreicht, würden wir in einem „flachen“ Universum leben, d. h. die Raumzeit würde seit dem Urknall expandieren, bis die Expansionsbewegung langsam zum Erliegen kommt und sich auf einem letztlich statischen Niveau einpendelt. Ist die Masse aber größer, würde die Expansionsbewegung der Welt verlangsamt und sich in einen Rekollaps umkehren. In diesem Fall wäre das Ende der Welt in Entsprechung zum „Big Bang“ ein „Big Crunch“. Ist die Masse aber kleiner, expandiert das Universum immer weiter. Die bei Weitem wahrscheinlichste der drei Möglichkeiten ist die Letzte. Wir wissen sogar, dass wir in einer beschleunigten Welt leben, denn die Expansionsrate steigt, wie empirisch Ende der 1990er Jahre durch Perlmutter, Riess und Schmidt nachgewiesen werden konnte.13 In diesem Fall käme der zweite Hauptsatz der Thermodynamik zum Tragen, der besagt, dass sich in geschlossenen Systemen Energiedifferenzen ausgleichen. Dies würde bedeuten, dass die Welt den sog. „Wärmetod“ stirbt, der vielleicht besser Kältetod zu nennen wäre: Alle Energiedifferenzen gleichen sich aus, die Kernumwandlungsprozesse kommen zum Erliegen, letztlich gibt es in der Welt nichts anderes als egalitäre Materie, die sich in unendlich verlängerter Dauer immer mehr voneinander entfernt. Sollten die Baryonen als Bausteine der Materie letztlich aber instabil sein, würde sich im Laufe der Zeit die Materie sogar in die kosmische Strahlung auflösen. Möchte man nun den Gedanken der Verwandlung der Welt auf die physikalischen Extrapolationen übertragen, scheint nur der unwahrscheinliche Fall eines „flachen“ Universums dies zuzulassen. Weit wahrscheinlicher ist aber derzeit, wenn man die beobachtbare Masse der Materie extrapoliert, das Modell des Wärmetodes. Dieses läuft auf eine dem Weltprozess immanente Lethargie hinaus, während das

13 Vgl. dazu Mühling, M., PST II, Kapitel 36.2.2.

Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung

Big-Crunch Modell ein Vernichtungsmodell bedeuten würde. Allerdings müsste man gut mehr als das zehnfache an dunkler Materie als an sichtbarer Materie postulieren, wollte man ein flaches oder geschlossenes Universum postulieren.14 Ungeklärt ist in allen kosmologischen Modellen jedoch die Frage, warum sich die Welt so entwickelt, wie sie sich entwickelt. Denn es gibt offensichtlich eine Vielzahl von Anfangsbedingungen der Welt, von Konstanten, die diese Entwicklung beeinflussen. Für viele Wissenschaftler war es unbefriedigend, nicht weiter fragen zu können, woher diese Anfangsbedingungen stammen und woher ihre sog. Symmetriebrüche stammen.15 Im letzten Viertel des 20. Jh. zog man zur Erklärung der Gesamtheit dieser unwahrscheinlichen Zufälle oft verschiedene Spielarten des „anthropischen Prinzips“ heran. Es besagt in seiner schwachen Version: Weil es intelligentes Leben im Kosmos gibt, muss das Universum so beschaffen sein, dass die Entstehung von intelligentem Leben möglich ist. Die starke Variante lautet: Das Universum muss so beschaffen sein, dass es intelligentes Leben notwendigerweise hervorbringt. Das „finale“ anthropische Prinzip sagt schließlich: Das Universum ist so beschaffen, dass es intelligentes Leben hervorbringt, das, sobald es entstanden ist, nicht vergeht, sondern Macht über alle physikalischen Mechanismen des Universums erhalten wird.16 Das anthropische Prinzip zeigt deutlich, inwiefern die Kosmologie zwischen Naturwissenschaft und philosophischer Spekulation steht. Die schwache Variante scheint banal zu sein, sagt sie doch nicht mehr als: „Die Welt ist so, wie sie ist, weil sie so ist, wie sie ist“. Nicht zu unterschätzen ist aber, dass damit übermäßigen mathematischen Spekulationen, die zwar nicht mehr an Beobachtungen überprüfbar sind, aber den Anspruch erheben, Modelle zur Erklärung der Welt zu sein, ein Riegel vorgeschoben wird. Nun hat Tipler ein Szenario entworfen, das es erlaubt, das Verwandlungsmodell auch unter den Bedingungen des „Big Crunch“ Modells zu deuten. Tiplers Versuch, eine Auffassung einer dauerhaft bewohnbaren und verwandelten Welt zu entwerfen ist nicht die einzige unter Naturwissenschaftlern,17 aber Tiplers Versuch dürfte der einzige sein, der nicht nur die Auffassung, sondern diese Welt selbst zu konstruieren erlaubt.

14 15 16 17

Vgl. Evers, D., Raum – Zeit – Materie, 342–346. Vgl. Weidemann, V., Cosmology, 173–179. Vgl. Barrow, J.D./Tipler, F.J., The Anthropic Cosmological Principle. Vgl. Evers, D., Raum – Zeit – Materie, 338–342.

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Das Problem der Anfangsbedingungen

Spielarten des „anthropischen Prinzips“

Die Verwandlungsthese Tiplers

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Die Präeschata

Tipler geht in seiner Omegapunkttheorie, dessen Name Gedanken Teilhard de Chardins (gest. 1955) entlehnt ist, davon aus, dass sich Leben und Bewusstsein letztlich auf Informationsverarbeitung reduzieren lassen, so dass das Universum gemäß des finalen anthropischen Prinzips zwar auf Kohlenwasserstoffverbindungen basierendes (menschliches) Bewusstsein hervorgebracht hat, dies aber nicht notwendig an seine chemische „Hardware“ gebunden ist, sondern mittels evolutiver Technik letztlich davon unabhängig wird.18 Diesem Leben wird es gelingen, in die Mechanik des Kosmos selbst einzugreifen, in dem der Wärmetod verhindert und ein Rekollaps mit einem Big Crunch herbeigeführt werden könnte. Er postuliert nun, dass diesem Bewusstsein in einem kurzen Moment vor dem Big Crunch unendlich viel Energie zur Verfügung stehen wird, so dass es zu unendlicher Informationsverarbeitung fähig wird. Diese bedeutet aber, dass trotz der objektiven Zeit eines Sekundenbruchteils eine subjektiv unendlich andauernde Zeit vorliegt, die es dem nun zum Bewusstsein seiner selbst gelangten Universum als entstehenden Gott erlaubt, alle Geschehnisse des Universums – also auch alle lebenden Menschen – als Simulationen ablaufen zu lassen und für diese eine subjektiv umgestaltete, verwandelte und unendliche Welt zu schaffen.19 Möglich wäre es nach Tipler auch, dass dieser Omegapunkt nun auch Herr über die Zeit wird und den Beginn der materiellen Schöpfung selbst inaugurieren könnte.20 Posthumanismus In den letzten 20 Jahren hat sich die verwandte weltanschauliche Philosophie des Posthumanismus entwickelt.21 Hier postuliert man nicht direkt eine Weiterentwicklung des menschlichen Lebens, sondern die Evolution einer Superintelligenz auf Informationsbasis, die alle weitere menschliche Entwicklung – auch den Fortschritt durch Menschen – überflüssig macht. Da diese Superintelligenz aber im Prinzip wohlwollend sein wird, stattet sie die Menschen, die das wollen, mit unbegrenztem, innerweltlichem Leben aus und befriedigt deren Wünsche. Auch hier wird an eine Beherrschung des natürlichen Kosmos durch diese Superintelligenz gedacht.22

18 19 20 21 22

Vgl. Tipler, F.J., Physik der Unsterblichkeit, 163–167. Vgl. Tipler, F.J., Physik der Unsterblichkeit, 264–245. Vgl. Tipler, F.J., Physik der Unsterblichkeit, 266–269. Vgl. Deretic, I./Sorgner, S.L. (Hg.), From Humanism. Vgl. Bostrom, N., Future of Humanity; Bostrom, N., Transhumanist FAQ; Bostrom, N., Superintelligence; Kurzweil, R., Singularity is Near.

Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung

4.1.1.3

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Erneuerung als Neuschöpfung oder Vollendung

Vergleicht man die theologische Tradition des Erneuerungsgedankens Ein breites Spektrum mit Tiplers Entwurf und denen der Posthumanisten, fällt abgesehen von Verwandlungstheorien von deren pantheistischen Implikationen auf, dass die Erneuerung offensichtlich in einem breiten Spektrum von Ansichten begreifbar ist, das polar geordnet werden kann: Auf der einen Seite stehen diejenigen Positionen, die eine derart starke Reinigung der Welt annehmen, dass sie schon fast der annihilatio-Position nahekommen, so dass die erneuerte Welt als Neuschöpfung durch Gottes Schöpfermacht verstanden werden muss. Auf der anderen Seite stehen diejenigen Positionen, die eine Vollendung als Vervollkommnung dieser Welt lehren, im Grenzfall wie bei Tipler und den Posthumanisten auf die Weise, dass diese Vollendung bereits in den Gesetzmäßigkeiten der Welt immanent angelegt ist. Dennoch handelt es sich hier nicht um zwei verschiedene Typen, sondern eher um ein sehr breites Spektrum mit fließenden Übergängen. 4.1.2

Die Vernichtung der Welt (annihilatio)

§50 Die Vorstellung einer eschatischen Vernichtung der Welt erscheint in zwei Varianten: Einerseits die klassische, auf Johann Gerhard zurückgehende Variante, die davon ausgeht, dass die nichtpersonale Welt eschatisch vernichtet wird, weil sie nur mediale Bedeutung für die personale Schöpfung hat, die ihrer eschatisch – wenn Gott zur Welt des Menschen wird – nicht mehr bedarf. Die andere Variante besteht darin, das Problem der eschatischen Zukunft der nicht-personalen Welt als religiös gleichgültig zu werten. Beide Thesen sind gleichwertig oder äquivalent.

4.1.2.1

§50 Die klassische Vernichtungsthese und die Irrelevanzthese als Vernichtungsthese

Die Vernichtung der Welt in der theologischen Tradition

Das Alternativmodell zum Modell der Verwandlung der Welt ist das Die Vernichtung der der eschatischen Vernichtung der Welt. Es ist in der Theologiege- Welt im Denken Gerhards schichte wesentlich seltener anzutreffen und fast ausschließlich auf die lutherische Orthodoxie im Gefolge Johann Gerhards (gest. 1637) beschränkt. Wir werden daher nun zu fragen haben, was Gerhard meint und auf welche Weise er argumentiert. Gerhards These einer Vernichtung der Welt ist fast seine eigene genuine Leistung. Er definiert: „Die Vollendung der Welt oder

192

Die Präeschata

Zerstörung der Welt ist eine Handlung Gottes, durch die er durch Feuer, Himmel, Erde, Meere und alle Geschöpfe, die in ihnen sind, allein Engel und Menschen ausgenommen, in nichts überführt zwecks Manifestation seiner Wahrheit, seines Vermögens und seiner Gerechtigkeit und zwecks der Befreiung der glaubenden Menschen.“23 Er ist sich bewusst, dass er sich gegen die Tradition des wichtigen Scholastikers Petrus Lombardus (gest. 1160) stellt, der seinerseits die allgemeine Meinung der renovatio der Welt verteidigt hat, allerdings nicht frühere Vertreter des annihilatio-Gedankens.24 Diese liegen, wie bemerkt, letztlich in der altkirchlichen Gnosis und wurden daher nur äußerst selten positiv rezipiert.25 Man kann daher fragen, warum ausgerechnet der paradigmatische orthodoxe Lutheraner Gerhard die These der Vernichtung der Welt unterstützt. Dafür hat Gerhard nach Konrad Stock vor allem vier gute Gründe. Argumente für die Erstens sind Gründe der Gotteslehre zu nennen: Das Wort der Vernichtungsthese Schrift hat nicht nur Autorität, sondern ihm allein als Gottes treues Wort kommt wahres Sein zu.26 Die Schrift aber spricht in Mk 13,31par vom Vergehen der Welt bei gleichzeitigem Bestand des Wortes. Damit erfordert es aber die Treue Gottes, die Welt zu vernichten. Möglich ist die annihilatio aufgrund des absoluten Willens Gottes. Würde Gott sich in seinem offenbarten Willen widersprechen, würde er sich selbst untreu und damit nicht mit sich identisch sein. Gott selbst ist aber in sich Sein und Beständigkeit, vollständige Wirklichkeit (actus purus), nicht aber Möglichkeit. Die Welt hingegen ist das wesentlich NichtBeständige, Endliche. Also kann ihr kein ewiger Bestand, auch nicht als von Gott gegebener zukommen. Der Gedanke der Vernichtung der Welt ist damit Ausdruck der schlechthinnigen Unvergleichlichkeit von Gott und Welt und somit letztlich Ausdruck einer implizit unmöglichen Analogisierbarkeit zwischen Gott und Welt.27 Zweitens sind Gründe des Charakters und des Zieles der Welt selbst zu nennen: Die Welt ist in jedem ihrer Ereignisse auf Gottes erhaltendes Handeln als notwendige Bedingung ihres Erscheinens angewiesen. Ihr Zweck ist nur ein mittelbarer: Der Menschen und der Engel Zweck ist die gloria dei, d. h. Gott die Ehre zu geben. Die 23 Gerhard, J., Loci theologici, XXIX, 26: „Consummatio seculi sive destructio mundi est Dei actio, qua per ignem coelum, terram, mare et omnes creaturas, quae in eis sunt, solis angelis et hominibus exceptis, in nihilum rediget ad veritatis, potentiae ac justitiae suae manifestationem et piorum hominum liberationem.“ 24 Vgl. Stock, K., Annihilatio Mundi, 9. 25 So etwa in veränderter Form bei Origenes, vgl. Stock, K., Annihilatio Mundi, 11–12. 26 Vgl. Stock, K., Annihilatio Mundi, 60. 27 Vgl. Stock, K., Annihilatio Mundi, 58–66.

Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung

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Welt dient dem Menschen nur als Lebensmittel und als Mittel der vorläufigen Gotteserkenntnis wie durch einen Spiegel (vgl. 1.Kor 13,12), also bedarf er ihrer in der eschatischen Vollendung nicht mehr. Die Erhaltung der Welt wird gleichsam überflüssig. Gerhard deutet dann auch Röm 19–22, den locus classicus für den renovatioGedanken so, dass die Erlösung der nichtmenschlichen Kreatur zur Freiheit gerade in ihrer Vernichtung besteht.28 Drittens sind Gründe der Art des erhofften eschatischen Heils zu nennen: Die Schau Gottes selbst ist das Heil: „Gott selbst wird, indem er die Welt vernichtet, die Welt des Menschen. Er wird, indem er den Raum und die Zeit menschlichen Existierens aufhebt, selbst Raum und Zeit menschlichen Seins. Das ist der Sinn eschatologischen Heils und dieser hebt den Sinn der bestehenden Welt und so ihr Wesen auf.“29 Eine Neuschöpfung wird somit überflüssig. Viertens sind Gründe der lutherischen Auffassung vom Abendmahl und der Himmelfahrt Christi zu nennen: Während die reformierte Tradition Leiblichkeit von der Räumlichkeit her dachte, so dass eine reale Anwesenheit der Person Christi im Abendmahl nicht denkbar war, weil sie sich im Himmel als Ort im Raum aufhält, sieht die lutherische Tradition aufgrund der gegenseitigen Mitteilung der Eigenschaften Gottes und des Menschen in der Person Christi (communicatio idiomatum) Christus im Abendmahl anwesend, und zwar aufgrund seines Willens (Multivolipräsenz). Gerhard geht noch einen Schritt weiter und leitet nicht wie die reformierte Tradition, Leiblichkeit von Räumlichkeit ab, sondern für ihn ist aufgrund der vorgängigen Realpräsenz Christi im Abendmahl Leiblichkeit vorgängig vor Räumlichkeit und damit nicht an räumliche oder welthafte Strukturen gebunden. Ist aber das Abendmahl und die Person Christi Ausdruck unserer eschatischen Hoffnung, folgt, dass die Welt als eschatischer Sachverhalt auch für Leiblichkeit verzichtbar ist und der annihilatio anheimfällt.30 4.1.2.2

Die Leugnung der Relevanz der Frage als Variante der Vernichtungslehre

Die Frage, ob die natürliche Welt einer Vernichtung oder einer Erneuerung entgegengeht, kann auch schlicht zurückgewiesen werden, wenn man davon ausgeht, dass diese Frage in religiöser Hinsicht keine sinnvolle Frage darstellt. Schließlich hatten auch Luther und 28 Vgl. Stock, K., Annihilatio Mundi, 77–89. 29 Stock, K., Annihilatio Mundi, 123. 30 Vgl. Stock, K., Annihilatio Mundi, 164–167.

Ist die Frage nach dem Geschick der natürlichen Welt überhaupt keine religiöse Frage?

194

Die Präeschata

Die Irrelevanzthese als Variation der Vernichtungsthese

Die Irrelevanzthese bei … … Schleiermacher

… Ritschl

Calvin, wenn auch letztlich der klassischen renovatio-Lehre zugehörig, hier Zurückhaltung geübt. Eine Zurückweisung dieser Frage findet man seit dem 19. Jh. auch häufig, so bei Schleiermacher, bei Ritschl, bis zu breiten Strömen der Theologie des 20. Jh., etwa bei dem Bewusstseinsontologen Ulrich Barth.31 Dennoch wird diese Frage in diesen Fällen letztlich nicht zurückgewiesen, sondern sie wird implizit zugunsten der Vernichtung beantwortet. Denn indem man die Frage nach einer möglichen Zukunft der natürlichen Welt als formal mit der eschatischen Hoffnung des Menschen auf eine Heilszukunft als irrelevant betrachtet, bestreitet man auch inhaltlich, dass die natürliche Welt für letztgültiges geschöpfliches Heil wichtig sein könnte. Dies ist aber exakt der Hintergrund der Gerhard’schen Vernichtungsthese. Über diese allgemeine Denkstruktur hinaus lässt sich dieser Zusammenhang aber auch noch exemplarisch in einzelnen Argumentationen belegen. Schleiermacher (gest. 1834) kennt auch innerhalb seiner prophetischen Lehrstücke keines über die Frage nach dem Geschick der Welt. Innerhalb seiner Behandlung des Parusieproblems findet sich jedoch der signifikante Satz: „Denn ist in Christo das göttliche Wesen mit der menschlichen Natur bleibend vereinigt: so kann auch diese Natur nicht an einem Weltkörper so schollenfest sein, dass sie in seinen nach kosmischen Gesetzen erfolgenden Untergang mit verwickelt werden müsste; sondern alles, was sie betrifft, muss im Zusammenhang mit dieser Vereinigung gedacht und zugleich als eine Tat derselben angesehen werden können.“32 Zwar geht es hier um den Untergang des Körpers Christi, nicht der ganzen Welt, aber die Argumentation erinnert doch stark an Gerhard: Die Vereinigung von Menschheit und Gottheit Christi ist unabhängig von Weltlich-körperlichem. Noch deutlicher ist dieser Zusammenhang bei Albrecht Ritschl (gest. 1889), der in seinem Hauptwerk33 gänzlich auf ein Kapitel über futurische Eschatologie von seiner Systemanlage aus verzichten muss. Denn besteht göttliche wie menschliche Persönlichkeit nur in ihrem Ausgerichtetsein auf ihren Zweck des Reiches Gottes und ist die Funktion der natürlichen Welt keine andere als die Ursache des Auseinandertretens von Zweck und Verwirklichung durch Hemmung, dann besteht Erlösung wesentlich darin, sich nicht durch die Welt am Verfolgen des Zwecks hemmen zu lassen. Dies drückt Ritschl mit den Begriffen der Überwindung bzw. der Herrschaft über die

31 Vgl. Barth, U., Kosmologie. 32 Schleiermacher, F., Glaubenslehre, 423. 33 Vgl. Ritschl, A., RuV 3.

Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung

195

Welt aus, die gerade im Kreuz Christi und der Christen geschieht.34 Sachlich koinzidiert diese Überwindung der Welt und Herrschaft über die Welt mit nichts anderem als mit der Vernichtung der Welt: In der Ewigkeit Gottes gibt es keine Differenz von Zweck und Ziel und damit auch keine Welt. Die Welt hat nur medialen Charakter zur Verwirklichung des Reiches Gottes und ist mit dessen Eintreten überflüssig. Darauf hingewiesen sei noch, dass eine entsprechend modifizierte annihilatio-Position selbstverständlich einen sehr bequemen Umgang mit den kosmologischen Extrapolationen der gegenwärtigen Naturphilosophie erlaubt: Denn die Welt mag in der ewigen Lethargie des Wärmetodes verharren oder in einem Big Crunch zugrunde gehen, beides würde nur die modifizierte annihilatio-Position der eschatischen Relevanzlosigkeit der Welt bestätigen. 4.1.3

Bewertungskriterien

Fragt man nun, welche Position angemessener erscheint, wird man Rechenschaft über die anzuwendenden Kriterien geben müssen. Dies soll hier geschehen. Zunächst könnte man davon ausgehen, dass wie bei Irenäus die Abwehr gnostischer Häresien eine Rolle spielen könnte. Die gnostische Häresie besteht hier darin, dass die Welt letztlich nicht als gut und indirekt auch Gott nicht als gut bezeichnet werden. Dagegen ist zu sagen, dass Gott sehr wohl als gut und sich selbst treu zu denken sein muss und ebenso die Welt als in irgendeinem Sinne gut zu verstehen sein muss, wenn der Grund eschatischer Aussagen in der dreifaltigen Selbstpräsentation Personen des ewigen Liebesabenteuers als Eschatoi in der raumzeitlichen Welt erfolgt. Daraus folgt nun aber überraschenderweise nicht sofort, dass der renovatio-Gedanke zu bevorzugen wäre. Denn wir sahen, dass sowohl Irenäus als auch Gerhard mit dem Argumentationsmuster der Treue Gottes argumentieren können, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln. Als zweites Kriterium könnte das Kontinuitätsproblem veranschlagt werden. Wenn die eschatische Wirklichkeit als wirklich eschatische gedacht werden soll, d. h. als gut und nur gut, muss es eine starke Differenz zwischen Hier-und-Jetzt und der eschatischen Realität geben, denn die eschatische Wirklichkeit kann nicht mit den Übeln des Hier-und-Jetzt behaftet gedacht werden. Andererseits wird aber immerhin so viel Kontinuität nötig sein, dass die Identität

34 Vgl. Ritschl, A., Die christliche Vollkommenheit.

Antignostische Argumente

Das Kontinuitätsproblem

196

Die Präeschata

Die Gratuität der Welt

Hat die natürliche Welt einen Selbstzweck?

derer, die das Heil erhoffen, gewahrt bleibt. Damit würde sich das Problem zu der Frage verschieben, ob welthafte Beziehungshaftigkeit in ihrer geschichtlichen Prozessualität etwas zur Identität geschöpflicher Personen beitragen kann oder muss; eine Frage, der wir im nächsten Kapitel nachgehen werden. Hier bleibt festzuhalten, dass beide Positionen beanspruchen, dieses Kontinuitätsproblem lösen zu können. Die meisten Positionen des renovatio-Gedankens enthalten genügend Diskontinuität, um den eschatischen Charakter der eschatischen Wirklichkeit behaupten zu können. Andererseits ist aber auch das Identitätsproblem wenigstens der personalen Geschöpfe im annihilatio-Typus berücksichtigt. Man könnte ferner fragen, ob nicht die Urheberschaft Gottes und die Gratuität der Welt eine Rolle spielen könnten. Wenn es richtig ist, dass sich in Schöpfung, Versöhnung und Vollendung eine einheitliche Grundstruktur der Unterscheidung von kreatürlichem Wirken und göttlichem Handeln findet, die so beschaffen ist, dass göttliches Wirken an der Welt immer actio ex nihilo sola gratia bedeutet, dann sind zumindest all diejenigen Positionen auszuschließen, die dieser Unterscheidung nicht Rechnung tragen. Dies sind aber letztlich nur immanentistische Positionen wie die Tiplers, in der die eschatische Realität gar nicht als eschatische betrachtet wird, weil nicht auf Basis eines eschatischen Erwartungshorizonts argumentiert wird, sondern rein weltimmanent. Dies führt zu einer ganzen Reihe von Inkompatibilitäten mit dem christlichen Wahrwertnehmen. Das auffälligste Unterscheidungsmerkmal besteht darin, dass hier die Welt in aufklärerischer Tradition als prinzipiell in sich perfektibel gedacht wird, während das Christentum aufgrund des Gedankens der Allgemeinheit der Sünde schon die Möglichkeit eines positiven Weltverlaufs, der innerweltlich in einem Perfektionszustand münden könnte, notwendig leugnen muss. Damit sind zwar alle immanentistischen Positionen wie die Tiplers ausgeschlossen, aber alle anderen Positionen sind zumindest theoretisch denkbar. Vielversprechender könnte der Gedanke der Selbstzweckhaftigkeit der Welt sein. Es könnte theologisch gute Gründe geben, die es erfordern, auch der nichtpersonalen Schöpfung einen Eigenwert zuzugestehen. Dies wird nicht erst nach der ökologischen Wende Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre des 20. Jh. betont, sondern ist schon, wie wir sahen, bei Althaus ausgesprochen (s.o.). Aber selbst wenn man eine Selbstzweckhaftigkeit der Welt annimmt, bedeutet das nicht automatisch eine Entscheidung für den ersten Typ, sondern nur u.U. gegen den annihilatio-Typus. Denn auch im renovatio-Typus kann, wie am Beispiel Thomas von Aquins sichtbar wurde, die Erneuerung

Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung

197

so gedacht werden, dass den Formen der Welt, einschließlich des nicht-personalen Lebens, kein Bestand zukommt. Damit dürfte sich aber die Entscheidungsfrage auf die eine Frage reduzieren lassen, ob und in welcher Weise die nichtpersonale Schöpfung von eschatischem Bestand sein kann. Dies setzt aber zumindest einige schöpfungstheologische Überlegungen sowie Entscheidungen der Fundamentaleschatologie, d. h. Überlegungen, die wir im Kapitel über die Eschatoi und das Eschaton getroffen hatten, voraus. 4.1.4

Schöpfungstheologische Entscheidungshilfe

§51 Wenn Gott erstens schon die nichtpersonale Schöpfung als modifizierte Entsprechung zu seinem Werden als Liebesabenteuer schafft und wenn zweitens diese nichtpersonale Schöpfung in ihrer natürlichen Struktur um des höheren Guts menschlicher Freiheit willen noch unvollendet ist, ist eine eschatische, vollständige Vernichtung der Welt unwahrscheinlich.

§51 Gottes Schöpfungshandeln lässt die Vernichtungsthese unwahrscheinlich erscheinen

Nehmen wir an, dass Gott aus der Liebesgeschichte, als die er selbst Liebe als Motivation wird, in Liebe ex nihilo, d. h. in keinen welthaften Voraussetzungen und Ziel der Schöpfung verankert, anderes Werden werden lässt, dann ist anzunehmen, dass das Konstitutionsprinzip, nach dem diese Schöpfung geordnet ist, ebenfalls als Liebesgeschichte zu beschreiben ist. Dabei kann aufgrund der Differenz von ökonomischer und immanenter Trinität diese geschöpfliche Liebesgeschichte nicht identisch sein mit dem Liebesabenteuer, als dass Gott wird, aber es ist zu erwarten, dass die geschöpfliche Ordnung der Liebe Gottes entspricht. Daher ist auch das geschöpfliche Regelwerk insgesamt als Ordnung der Liebe zu verstehen. Diese Ordnung aber ist differenziert in kosmische Regelmäßigkeiten sowie in soziale und personale Liebesstrukturen, die sich noch einmal unterscheiden lassen in solche, die thetischen Charakter haben – d. h. sie setzen das Sein von Personen ohne dass diese dagegen verstoßen könnten – und in solche, die deontischen Charakter haben – d. h. sie lassen den Personen die Möglichkeit des Verstoßes.35 Die folgenden Explikationen können als Reformulierung des klassischen Gedankens der lex naturalis bzw. der Schöpfungsordnung verstanden werden.36 35 Zu den Distinktionen im Regelbegriff vgl. Conte, A.G., Konstitutive Regeln und Deontik. 36 Zum Begriff der lex naturalis vgl. Mühling, M., Versöhnendes Handeln, 296–298.

198

Die Präeschata

4.1.4.1 Thetische Regeln der Liebe können nicht gebrochen werden

Wenn Gott sich zu einer Schöpfung aus Liebe entschlossen hat, die seiner eigenen Liebe entsprechen soll, bedeutet dies, dass Gott beabsichtigt, liebesfähige und durch Liebesbeziehungen konstituierte Geschöpfe, d. h. Personen hervorzubringen und dafür die notwendigen Bedingungen bereitzustellen. Dieses dauerhafte Schöpfungshandeln Gottes kann als die Setzung von Strukturen verstanden werden, die von den Geschöpfen nicht verletzt werden können. Es handelt sich um personale Strukturen, weil sie letztlich zum Wohl geschöpflicher Personen bestehen. Dieses Handeln Gottes ist mit der Liebe, als die Gott selbst wird, durch die Treue Gottes zu sich selbst, also durch die Wahrhaftigkeit der göttlichen Personen gegeneinander, verbunden. Für die Geschöpfe bedeutet dies eine radikale Asymmetrie in ihrem Verhältnis zu Gott, nämlich dergestalt, dass die Konstitutionsbedingungen ihres eigenen Daseins – ihrer Existenz – ihnen nicht überlassen, sondern unverfügbar sind. Oder konkret: Auch die Menschen als personale Geschöpfe haben nicht die vollständige Fähigkeit, ihre Konstitutionsbedingungen aufzuheben, selbst nicht im Widerspruch der Sünde.37 Dieses thetisch-konstitutive Setzen von geschöpflichen Strukturen durch Gott zerfällt nun in zwei Bereiche: zum einen in den Bereich der kosmischen Regelmäßigkeiten der Liebe und zum anderen in den Bereich derjenigen Konstitutionsbedingungen, gegen die die personalen Geschöpfe nicht verstoßen können. 4.1.4.2

Die kosmischen Regelmäßigkeiten der natürlichen Welt

Thetische Liebesstrukturen

Die unvollendeten kosmischen Regelmäßigkeiten als thetische Liebesstrukturen

Unter diesen Bereich fällt die gesamte apersonale und nichtsoziale geschaffene Welt. Wenn wir von Strukturen der Liebe sprechen, besteht der Vorteil gegenüber dem nicht ganz unproblematischen Begriff des Naturgesetzes darin, dass der Strukturbegriff es leichter erlaubt, von einer Ordnung auszugehen, die dynamisch ist und damit einen geschichtlichen Verlauf und u.U. auch eine Kollaboration der Kreaturen zulässt. Eines der wichtigsten Kennzeichen dieser Ordnung ist ja, dass sie in ihrem Werden dem nur scheinbar ordnungslosen wayfaring folgt und auf realen transport verzichtet. Die Art dieser wayfaring ermöglichenden „Strukturen“ wird Liebe genannt. Damit ist eine weitaus stärkere und inhaltsreichere These verbunden als die

37 Vgl. Luther, M., WA 43, 481,32f.

Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung

199

bloße Feststellung, dass das Handeln Gottes als Liebe zu beschreiben ist. Dies gilt es nun zu zeigen. Zum Ersten setzt Liebe voraus, dass Beziehungshaftigkeit und Wesentliche Alterität nicht nebensächlich sind, sondern zum Werden der Per- Kontingenz der Liebe sonen dazugehören. Der Liebesbegriff beinhaltet zum Zweiten, dass die weltlichen Strukturen Freiheit und Kontingenz ermöglichen oder zulassen. Im Falle der apersonalen Kreatur ist hier freilich nicht an Freiheit im Sinne absichtlicher Wahl zu denken, die Intentionalität impliziert. Hier können wir aber in Analogie zur Freiheit mit Colin Gunton (gest. 2003) von Kontingenz sprechen.38 Die natürliche Ordnung beinhaltet Kontingenz, die als Vorstufe, wenn nicht als eigentlicher Grund39 von Freiheit zu verstehen ist. Ein weiteres wichtiges Kennzeichen des Liebesbegriffs ist mit dem Begriff der Hingabe zu benennen und besteht darin, dass ein Liebender das Gut des anderen will bzw. sich selbst dem Geliebten als Mittel anbietet, indem er in aufmerksamer Attentionalität sein eigenes Werden von dem der Mitkreatur abhängig wahrwertnimmt. Nun ist klar, dass bei der nichtmenschlichen Kreatur keine vollständige Analogie zur Attentionalität vorliegen kann. Die spannendere Frage ist allerdings, ob sie überhaupt erhalten werden kann. Während sich die Beziehungshaftigkeit geschöpflichen Seins kaum leugnen lässt und breit anerkannt wird, ist hier doch zunächst zuzugeben, dass diese Beziehungshaftigkeit in der Neuzeit sehr oft gerade nicht mit dem Liebesmodell erfasst wird, sondern eher mit dem Modell des Raubes, so als bestünde gerade in der apersonalen Welt die Regel des „Fressens-und-Gefressen-Werdens“, das gerade mit Leid und Zwang verbunden ist.40 Nun hat Martin Luther den Mut besessen, diesen Bereich des Beziehungswerdens gerade der nichtpersonalen Natur als Struktur der Liebe zu bestimmen: „Keine Kreatur lebt für sich selbst oder dient sich selbst (außer der Mensch und der Teufel). Die Sonne leuchtet nicht für sich, Wasser fließt nicht für sich, usw. So dient jede Kreatur dem Regelwerk der Liebe und ihr ganzes Wesen ist im Regelwerk des Herrn konstituiert; sogar die Glieder des menschlichen Körpers dienen sich nicht selbst.“41

Luther beschreibt hier das Beziehungswerden der Kreaturen untereinander nicht mit der Qualität des Lebens auf Kosten anderer, sondern

38 Vgl. Gunton, C.E., Relation and Relativity, bes. 152ff. 39 Vgl. Mühling, M., Willensgebundenheit und notwendige Kontingenz. 40 Zu diesem vor allem mit der Lebensphilosophie Nietzsches verbundenen Modell vgl. Welker, M., Konzepte von Leben. 41 Luther, M., WA 5,38.

Die natürliche Welt als Ordnung der Liebe und Hingabe bei Luther

200

Die Präeschata

als Werden für anderes Werden. Die Struktur der Natur ist im apersonalen Bereich eine Wohlordnung des Werdens von Werdendem für anderes Werdende. Anfragen angesichts Freilich ergibt sich auch hier eine phänomenale Anfrage: Auch des Leidens in der Beutetiere haben Leid zu ertragen und geben sich nicht ohne weiWelt teres bereitwillig den Jägern hin, sondern weisen in der Regel ein Fluchtverhalten auf. Ist nicht das ein Werden für anderes Werden – das aber mit Liebe nun wirklich nichts zu tun hat? Wir können dieser Schwierigkeit aber entgegnen, indem wir diese apersonale kreatürliche Liebesordnung als dynamisches Regelwerk verstehen, das selbst noch nicht vollendet ist, sondern erst seiner Vollendung bedarf. Dann stellt sich aber die Frage, warum diese Ordnung nicht sofort vollendet ist. Eine klassische biblische Antwort auf diese Frage findet sich bei Paulus: Das Leiden der apersonalen Kreatur ist nicht um ihrer selbst willen da, sondern letztlich um der personalen Kreatur willen und es wird durch den Heiligen Geist überwunden werden, nämlich dann, wenn die „Kinder Gottes offenbar werden“ (Röm 8,18–25). Ein großer Teil der Auslegung versteht diesen Sachverhalt so, dass Paulus hier bewusst auf Gen 3,15f anspielt und das Leiden der Kreatur um der Sünde der Menschen willen besteht.42 Damit steht diese Auslegung in der breiten christlichen und paulinischen Tradition, die auch den natürlichen Tod als „Sold der Sünde“ begreift. Aufgrund unserer Welterkenntnis ist diese Auslegung aber kaum möglich, denn es lässt sich nicht leugnen, dass auch vor und ohne den Menschen in der apersonalen Kreatur der Tod besteht und dieser u.U. sogar eine wichtige evolutive Funktion erfüllt.43 Aber diese Auslegung ist keinesfalls notwendig. Denn betrachtet man Röm. 8,18–25 genauer, erweist sich, dass hier von der Sünde überhaupt nicht die Rede ist. Das Leiden der apersonalen Kreatur erfüllt eine Funktion für die personale Kreatur und wird überwunden werden. Dies ist zunächst alles. Wir haben bereits im Kapitel 3.3 eine mögliche Antwort auf die Frage gegeben, warum diese geschöpflichen Strukturen unvollendet sind: Diese Unvollendetheit ermöglicht eine besondere Form von Kontingenz und Kontingenz – ob präeschatische oder eschatische – ist eine notwendige Bedingung von Freiheit. Wir haben nun zu fragen, warum diese Art von Freiheit und diese Art von Kontingenz – also Kontingenz, die nicht wie im ewigen Liebesabenteuer Gott

42 Vgl. Wilckens, U., Römer, 154f. 43 Auf die Unabhängigkeit der Übel einschließlich des Todes wies vehement schon Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §76,2; 416f hin. Eine ausgezeichnete Erörterung der Thematik findet sich in Pannenberg, W., Systematische Theologie II, 303–314, bes. 310.

Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung

201

stets mit Güte koinzidiert – in der Schöpfung wichtig ist. Dies heißt aber nun, nach den Strukturen personaler Liebe zu fragen, der wir uns aber erst bei der Besprechung des menschlichen Todes zuwenden wollen. 4.1.5

Fundamentaleschatologische Entscheidungshilfe

Im fundamentaleschatologischen Abschnitt über das Verhältnis des Guten, Wahren und Schönen (Kapitel 3.3) hatten wir gesehen, dass die eschatische Realität gut und nur gut und dass sie schön werden wird. Dabei hatten wir festgestellt, dass es mehrere gute Gänge geben könnte, die sich nicht in ihrem Grad an Schönheit, aber in ihrer Art und Weise des Vollzugs von Schönheit unterscheiden können und dass der Sinn von welthaft gebrochener Kontingenz und menschlicher Freiheit gerade darin besteht, an dieser Art und Weise von Schönheit mitzuarbeiten. Gott bleibt zwar auch Schöpfer der eschatischen Realität in ihrer Güte ex nihilo, also ohne welthafte Voraussetzungen, nicht aber in ihrer konkreten ästhetischen Gestalt. Hier belässt er nicht nur menschlicher Freiheit, sondern auch welthafter Kontingenz eine Mitwirkungsmöglichkeit, ohne die sich die Schaffung einer zunächst unvollendeten, d. h. nicht eschatischen Realität nicht erklären lässt. Daraus folgt aber, dass die natürliche apersonale Welt zwar auch zum Zwecke menschlicher Freiheit besteht, aber nicht nur. Sie hat durchaus eine eigene letztgültige, d. h. eschatische Relevanz, die darin besteht, dass im Weltverlauf durch Zufall etwas zur vollendeten Realität beigetragen wird. Was das freilich sein wird, bleibt uns vorläufig entzogen. 4.1.6

Besteht das Ziel der Welt in Schönheit, ist die Vernichtungsthese unwahrscheinlich

Die Vollendung der Welt jenseits von Vernichtung und Erneuerung in Gott

§52 Die hier vorgeschlagene Lösung besteht darin, dass sowohl welthafte Ereignisse, in die Menschen involviert sind, als auch welthafte Ereignisse, in die keine Menschen involviert sind, eschatisch von der welthaften Narration (mit der Struktur einer faktischen Ordnungsrelation, die sich in Raum und Zeit manifestiert) in die ewige Narration des Liebesabenteuers des dreieinigen Gottes (mit der Struktur einer transzendentalnarrativen Ordnungsrelation) transferiert werden können, aber nicht müssen. Damit ist einerseits der Vernichtungsthese entsprochen und der Verwandlungsthese widersprochen, weil es die raumzeitliche Welt eschatisch

§52 Jenseits von Vernichtung und Verwandlung: Die Vergöttlichung der Welt

202

Die Präeschata

nicht mehr geben wird. Andererseits ist der Verwandlungsthese entsprochen und der Vernichtungsthese widersprochen, weil nicht nur die personale Schöpfung, sondern auch die apersonale Schöpfung transferiert werden wird, wenn uns auch im Hier-und-Jetzt entzogen bleibt wie weit. Eine dritte These jenseits von Vernichtung und Verwandlung

Pannenbergs Überlegungen zu einer Möglichkeit jenseits Vernichtung und Verwandlung

Bei der Besprechung des Zeit- und des Raumproblems im Verhältnis zur Ewigkeit und Unendlichkeit Gottes hatten wir diagnostiziert, dass beide aufgrund des freien Schöpfungshandelns Gottes die gleiche logische Struktur aufweisen: Beide, Gott in und für sich und die Welt haben die Struktur einer Narration, die Ereignishaftigkeit ermöglicht, eine Struktur, die asymmetrisch, irreflexiv und transitiv ist. Die einfachste Lösung des Problems, ob die Welt nun vernichtet oder erneuert wird, besteht darin anzunehmen, dass welthafte Ereignisse eschatisch durch Gnade in die Narration, als die Gott selbst wird, inkorporiert werden können. Dies wäre einerseits dem annihilatioGedanken verwandt, denn Gott selbst würde dann, wie man es nach Gerhard ausdrücken kann, die notwendige Umwelt des Menschen werden. Nicht der Raum und die Zeit der Welt, sondern nur ihre ereignisermöglichende Struktur, d. h. der wahre Raum und die wahre Zeit Gottes, blieben erhalten. Denn Narrationen finden nicht in einem Raum und einer Zeit statt, sondern konstituieren umgekehrt Raum und Zeit.44 Insofern würden Himmel und Erde tatsächlich vergehen können und der göttliche Logos bliebe bestehen. Andererseits könnte dies aber auch als renovatio verstanden werden, weil dann nicht nur für die personale Kreatur gilt, dass sie von Angesicht zu Angesicht lebt, sondern dies auch für die apersonale Kreatur aufgrund ihres eschatischen Eigenwertes möglich ist. Welche spezifischen Ereignisse der apersonalen primärnarrativen Geschichte der Welt in die Liebesgeschichte Gott aufgehoben werden, entzieht sich freilich vorläufig unserer Kenntnis. Diese Lösung mag zunächst überraschen, aber sie ist eine in der neueren Theologiegeschichte, genauso wie in der ostkirchlichen Tradition zumindest vorbereitete Lösung. So heißt es bei Pannenberg: „Die Schwierigkeit, mit dem Gedanken eines Endes der Zeit die Vorstellung des Lebens, sei es auch eines ewigen Lebens, zu verbinden, verschwindet erst, wenn man bedenkt, dass nicht das Nichts, sondern Gott das Ende der Zeit ist. Wie das Endliche vom Unendlichen, so sind die Zeit und das Zeitliche von der Ewigkeit begrenzt. Das Ende des Zeitlichen – auch das Ende von Zeit und Geschichte

44 Vgl. Mühling, M., PST I, Kap. 10–11; 167–226.

Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung

203

überhaupt – bedeutet dann den Übergang in die Ewigkeit. Das kann Teilhabe an Gottes eigenem ewigen Leben bedeuten.“45

Dabei denkt Pannenberg nicht nur an die personale Kreatur, sondern schon die nicht-menschliche Kreatur hat an der Vollendung der Schöpfung teil: „Damit wird die außermenschliche Natur in die Erörterung dieses Themas mit einbezogen […]. Selbstständigkeit in irgendeinem Grade ist eine unerlässliche Bedingung für das Dasein von Geschöpfen neben dem ewigen Sein Gottes.“46

Dass Pannenberg dabei nicht einfach an nichtmenschliche, sondern an personale Geschöpfe denkt, wird aus seiner Schöpfungslehre deutlich, in der der Logos als das generative Prinzip der Besonderheit geschöpflichen Seins fungiert. Bei aller Unterschiedenheit im Einzelnen wird man beispielsweise auch Aussagen von Evers,47 Schwöbel48 und H. Schwarz49 als auf dem Weg zur hier vorgeschlagenen Lösung verstehen können. 4.1.7

Ethische Relevanz

§53 Die nichtchristlichen gnostischen Vorstellungen einer Weltver- §53 Die ethische nichtung führten zu problematischen asketischen und libertinisti- Relevanz des Geschickes der Welt schen Ethiken, während die nichtchristlichen, immanentistischen Vorstellungen einer Weltverwandlung zu problematischen titanischen und tendenziell totalitären Ethiken führen. Die christlichen Vorstellungen vom Geschick der natürlichen Welt lassen demgegenüber einerseits genügend Spielraum, verschiedene verantwortliche Handlungsoptionen in materialethischen Themen wahrnehmen zu können, während sie andererseits einen problematischen Umgang des Menschen mit der Welt ausschließen. Menschen leben im Hier-und-Jetzt, eingebettet in die primärnarrativen Narrationen ihrer Lebenswelt. Ihre Hoffnungen bestimmen dabei ihr Handeln. Das ist auch an der Behandlung unseres hier in Frage stehenden Präeschatons deutlich. Besonders signifikant ist dies, wenn 45 46 47 48 49

Pannenberg, W., Systematische Theologie III, 639. Pannenberg, W., Systematische Theologie III, 689–690. Vgl. Evers, D., Art. Gesetz/Naturgesetz, 371–372. Vgl. Schwöbel, C., Gott in Beziehung, 465. Vgl. Schwarz, H., Eschatology, 529–537.

204

Die Präeschata

Libertinismus oder Askese als ethische Implikation radikaler Vernichtungsthesen

Überschätzung des Menschenmöglichen als ethische Implikation radikaler Verwandlungsthesen

Ist die bemannte Raumfahrt geboten?

wir uns die beiden nicht-christlichen Vorstellung einer Vernichtung oder einer immanentistischen Erneuerung der Welt vor Augen halten. Eine Vernichtung der Welt aufgrund ihrer Minderwertigkeit war zunächst eine Auffassung der Gnosis. Diese Auffassung konnte eine interessanterweise doppelte ethische Haltung hervorbringen. Wenn die Welt einschließlich des eigenen Leibes dem Untergang geweiht ist, kann man entweder ganz asketisch leben, um schon hier einen Vorgeschmack der Hoffnung der Erlösung von der Welt zu bekommen, oder man kann im Gegenteil mit der Welt und dem eigenen Leib verschwenderisch umgehen, weil sie für alles, was eschatisch gültig bleibt, irrelevant sind. So führt eine gnostisch motivierte Hoffnung auf eine Vernichtung der Welt entweder in radikale Askese oder in radikalen Libertinismus. Beides dürfte es tatsächlich als gnostisches Ethos gegeben haben50 und als Typen von Handlungsmotivationsstrukturen dürfte dies auch heute erscheinen. Interessant sind auch diejenigen Hoffnungen, die von einer in der Welt selbst angelegten immanentistischen Erneuerungshoffnung ausgehen. Weil der Mensch selbst zur Welt gehört, bekommt nun entweder der als transport verstandene Mechanismus der Welt oder der Mensch selbst die alleinige Verantwortung für das eschatische Schicksal der Welt. Dies wird sowohl an den Posthumanisten als auch an Tiplers Entwurf und einiger seiner Rezipienten deutlich. So vertritt Carl Sagan (gest. 1996) mit großem publizistischen Aufwand die These, die Zukunft der Menschheit könne nur in der Bevölkerung und Herrschaft über den Kosmos liegen,51 mit der Folge, dass technologische Forschung und bemannte Raumfahrt nicht nur ethisch geboten sind, sondern auch zu politisch und ökonomisch vordringlichen Zielen werden, die als Nebeneffekt auch eine Lösung anderer Probleme, wie die Befriedung der Welt mit sich bringen sollen. Da diese Lösungen anderer Probleme der materialen Ethik Nebeneffekte des Hauptzieles sind, ist ihnen entsprechend weniger Aufmerksamkeit zuzugestehen. Am Rande sei hier schon bemerkt, dass alle innerweltlich vorstellbaren Realisationen einer eschatischen Wirklichkeit tendenziell totalitär werden können. Sicherlich ist dies bei Tiplers Zukunftshoffnung immerhin noch insofern reduziert, weil

50 Zur Gnosis vgl. Beyschlag, K., Dogmengeschichte I, 130–152. 51 Vgl. Sagan, C., Blauer Punkt. Der fast schon missionarisch zu nennende publizistische Aufwand lässt sich auch an Sagans Roman (Sagan, C., Contact) und dessen Hollywoodverfilmung 1997 durch Robert Zemeckis sowie an verschiedenen populärwissenschaftlichen Fernsehsendungen und Buchpublikationen (Sagan, C., Unser Kosmos) ablesen.

Das Geschick der Welt als Vernichtung oder Verwandlung

205

letztlich ein Fernziel angestrebt wird, so dass wir diesen Problemkomplex an einer anderen Stelle behandeln werden. In besonderer Weise handlungsmotivierend kann auch das mit dieser Konzeption verbundene reduktionistische Bild von Leben und Personalität sein, weil es, philosophische Probleme der Identitätsphilosophie übergehend, letztlich eine Einmaligkeit und Besonderheit der Geschöpfe leugnen muss und daher zu einem fragwürdigen, rein materialistischnaturalistischen Umgang mit menschlicher Personalität führen könnte.52 Schwieriger wird die Frage, wenn wir uns im engeren Sinne christlichen Optionen einer renovatio oder einer annihilatio zuwenden. Gerhards annihilatio-Gedanke erkennt der nichtpersonalen Schöpfung lediglich temporären und medialen Wert zu. Eine ethische Haltung, die der nichtmenschlichen Natur einen Eigenwert zugesteht und sie um ihrer selbst willen schätzt, ist insofern kaum möglich. Allerdings ist damit auch nicht zwangsläufig ein verschwenderischer Umgang mit natürlichen Ressourcen verbunden, da ja der mediale Wert für die Weltzeit zugestanden ist. Umgekehrt bedeutet der renovatio-Gedanke nicht, dass es unmöglich wäre, die natürliche Welt nicht zu schätzen, da wir sahen, dass die eschatische Hoffnung von einer so weitgehenden Reinigung bzw. Umgestaltung der Welt ausgehen kann, dass ein Schätzen der Schöpfung um ihrer selbst nicht notwendig dazugehört. Geht man aber davon aus, dass die ganze Schöpfung zumindest Mitwirkung an der die Möglichkeit hat, ihr eschatisches Ziel in Gott durch Gnade zu Bewahrung der Schöpfung finden und so vollendet zu werden, ist es einerseits nicht unwahrscheinlich, auch der nichtpersonalen Schöpfung mit Respekt und Hochachtung zu begegnen, während man andererseits, unbeschadet des Herrschaftsauftrages durch das Motiv der Verwirklichung der eschatischen Wirklichkeit durch die Gnade Gottes auch davon entlastet ist, für diese titanisch und vollständig verantwortlich zu sein. Der Mensch kann nicht die „Bewahrung der Schöpfung“ zu seiner Aufgabe machen, weil dies ein göttliches Werk – präzise das der creatio continuata – ist, sondern nur die Mitwirkung an der Bewahrung der Schöpfung.53

52 Zur Einführung in die Problematik vgl. Clayton, P., Neurowissenschaft. 53 Vgl. Schwöbel, C., Gott, die Schöpfung und die christliche Gemeinschaft, 161f.

206

Die Präeschata

4.2

Der Tod des Menschen

Noch deutlicher als im Falle des Geschicks der natürlichen, apersonalen Welt scheint der Tod des Menschen kein eigentliches Eschaton, sondern eine vorletzte, ja geradezu erfahrbare Tatsache zu sein, die sich nicht nur im durch den Glauben gegebenen letztgültigen Erwartungshorizont verstehen lässt, sondern in beliebigen Alltagserwartungshorizonten, muss doch jeder sterben und macht doch jeder Erfahrung mit dem Sterben und dem Tod anderer. Dennoch trügt diese Ansicht: Schon Epikur von Samos (gest. 270 v.Chr.) wusste: „Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.“54 Man wird daraus wohl nicht wie Epikur folgern können, dass uns der Tod nichts anginge, aber deutlich ist doch, dass der eigene Tod selbst – im Gegensatz zum Sterben – nicht zu der Erfahrungswirklichkeit gehört. Insofern ist es verständlich, wenn der Tod tatsächlich unter den Bedingungen des eschatischen Erwartungshorizonts als eines der letzten bzw. vorletzten Dinge verstanden wird. Freilich ist der Tod des Anderen erfahrbar, denn der Tod ist ein soziales Faktum. Der Tote kann nicht mehr auf uns reagieren, kommuniziert nicht mehr mit uns und hinterlässt in geordneten Kommunikations- und Handlungsbeziehungsgefügen oft eine Lücke, die für die Hinterbliebenen schmerzhaft ist. Tod und Deutlich ist damit zudem, dass die Rede vom Tod die Rede vom Anthropologie Leben voraussetzt, genauer, die Rede vom menschlichen Leben, so dass die Frage, was der Tod denn nun sei, untrennbar mit der Frage verbunden ist, was denn der Mensch sei. Infolgedessen ist hier eine Erörterung, welche Anthropologie innerhalb des eschatischen Erwartungshorizonts konstituiert wird, eine notwendige Bedingung der Rede über den Tod. Die angedeuteten Schwierigkeiten in der Rede vom Tod äußern sich übrigens auch in einer biologischen Betrachtung des Todes des Menschen, die ebenfalls nicht frei von Definitionsproblemen ist. Im Folgenden sollen ausgehend von der Erwähnung moderner Definitionen des biologischen Todes (4.2.1) Todes- und Menschenverständnisse der Geistesgeschichte erläutert (4.2.2–4.2.4) und ausgewählte Probleme des Todesverständnisses erörtert werden, die vor allem in der evangelischen Theologie des 20. Jh. eine große Rolle spielen (4.2.5), damit anschließend eine eigene Lösung vorgeschlagen werden kann, die wesentlich vom Gedanken des Menschen als imago

Geht uns der Tod nichts an?

54 Epikur, Brief an Menoikus, 125.

Der Tod des Menschen

207

dei und Person abhängt und die ein spezifisches Verständnis der Beziehung zwischen Tod und Sünde beinhaltet, wie es durch die Versöhnung durch Christus am Kreuz erschlossen wird (4.2.6–4.2.7). Der Abschluss des Kapitels wird durch ethische und seelsorgliche Überlegungen gebildet (4.2.8). 4.2.1

Die Rede vom biologischen Tod

4.2.1.1

Was ist der biologische Tod?

§54 Im Laufe des Prozesses des Sterbens eines Menschen als des §54 Der Hirntod als irreversiblen Verfalls des Gesamtorganismus eines einzelnen Men- biologisches Todeskriterium schen kann als terminus ad quem ein Zeitpunkt diagnostiziert werden, zu dem keine Gehirnfunktionen mehr feststellbar sind, an die wahrscheinlich Bewusstsein und Selbsterleben gekoppelt sein dürften, und ab dem aktive Aktionen oder Reaktionen auf die Umwelt im Sinne von Handlungen ebenfalls nicht mehr möglich sein dürften. Der Tod scheint der Gegensatz des Lebens zu sein, der Übergang vom Die Problematik Leben zum Tod das Sterben. Wäre es dann nicht sinnvoll, zunächst biologischer Lebensdefinitionen mit einer Lebensdefinition anzufangen und dann zu einer Todesdefinition vorzudringen? Nun bereitet aber schon eine biologische Definition des Lebens radikale Schwierigkeiten. Nicht nur, dass „Leben“ sowohl in unterschiedlicher Weise vom Begriff des Stoffwechsels als auch vom Begriff der Vermehrung her bestimmt werden kann und umgekehrt,55 sondern es lässt sich zeigen, dass biologisch lebende Systeme nur so lange als lebend gelten, wie sie eben nicht tot sind. Das hieße dann umgekehrt, dass eine Bestimmung des Todesbegriffs für den Lebensbegriff nötig wäre.56 Daher ist es nicht möglich, mit einer allgemeinen Lebensdefinition einzusetzen. Wenn aber eine allgemeine Definition zunächst nicht sinnvoll erscheint, dann könnte ein besseres Verfahren darin bestehen, zunächst einmal extensional zu fragen, was Tod und Sterben bedeuten können, indem man sich Beispiele anschaut. Nicht betrachtet werden sollen hier Übergangsgestalten von lebenden zu nicht lebenden Entitäten wie Viren, auf die Todesbegriff und Lebensbegriff nicht in demselben Sinne wie bei zellularem Leben anwendbar sind.

55 Vgl. Hucklenbroich, P., Todesbegriff, 4. 56 Vgl. Hucklenbroich, P., Todesbegriff, 6.

208

Die Präeschata

Im Falle von einzelligen Lebewesen kann unter normaler Entwicklung nicht von einem Tod als Ende des Materials gesprochen werden, da in den durch Zellteilung vermehrten Nachfolgezellen die Ursprungszelle vollständig erhalten ist. Es ist diesbezüglich nicht sinnvoll zu sagen, die Ursprungszelle sei gestorben oder in einigen bzw. allen Nachfolgezellen lebendig, da weder die Ursprungszellen noch die Nachfolgezellen im biologischen Sinne Individuen sind, sondern gerade „Dividuen“, teilbare Entitäten. Damit wäre in der Normalform der Entwicklung einzelligen Lebens zwar der Lebens-, nicht aber der Todesbegriff sinnvoll. Einzelliges Leben kann aber sehr wohl durch äußere Bedingungen wie Nährstoffentzug, Gifteinfluss etc. in der Zellstruktur derart geschädigt werden, dass es zu einer irreversiblen Schädigung, zu einem point of no return kommt, von dem an die Zelle zerfällt und es zum Zelltod kommt.57 Problematik der Rede Schwieriger wird die Rede vom Tod und vom Sterben im Falle vom Tod bei vielzelligen Lebens. Denn hier unterliegen auch die einzelnen Zellen vielzelligem Leben einem Zelltod, der aber nicht identisch mit dem Tod des Organismus ist und mit diesem nichts zu tun hat. Zwar führt umgekehrt der Tod des Organismus letztlich auch zum Zelltod aller seiner Zellen, aber der Tod des Organismus ist hier Ursache, nicht Folge des Zelltodes.58 Ebenso wäre bei einem vollständigen Zelltod aller Zellen eines Organismus auch der Tod des Organismus gegeben, so wie eine verweste Leiche tatsächlich tot ist, aber der Tod ist doch nicht damit identisch. Der vollständige Zelltod wäre dann nur so etwas wie der späteste mögliche Zeitpunkt zur Diagnose des Todes. Nun kann man aber davon ausgehen, dass einzelne Zellverbände eines mehrzelligen Organismus im Schädigungsfalle eine Kettenreaktion auslösen, die zum Tod des gesamten Organismus führt. Dieser „Sterben“ genannte Prozess würde dann eintreten, wenn einzelne funktionsspezifische Zellverbände entsprechend irreversibel geschädigt wären. Man hätte dabei den Beginn des Sterbeprozesses gefunden. In der Praxis ist dies jedoch nicht möglich. Denn es gibt keinen monokausalen Zellverband, der den irreversiblen Sterbeprozess auslösen könnte, sondern es handelt sich um einen variablen, multikausalen Auslöseprozess, der sich durch die moderne Medizin und Transplantationsmedizin

Gibt es bei einzelligen Lebewesen den Tod?

57 Vgl. Hucklenbroich, P., Todesbegriff, 7. 58 Demnach wäre ein Zellstoffwechsel einzelner Zellen oder Zellverbände auch nach dem Tod des Gesamtorganismus möglich. Das übliche Beispiel, die Haare würden auch nach dem Tod noch eine Zeit weiter wachsen, kann dafür jedoch nicht in Anspruch genommen werden, denn es beruht auf einem Missverständnis: Nach dem Tod schrumpft die Haut, so dass die daraus hervorstehenden Körper- und Barthaare länger wirken, vgl. Hörning, M., Medizinische Aspekte, 11.

Der Tod des Menschen

erheblich verschieben kann.59 Damit ist deutlich: Bei mehrzelligen Lebewesen gibt es zwar einen theoretischen, faktisch aber nicht feststellbaren Beginn eines Sterbeprozesses. Wenn der Verfallsprozess des Organismus abgeschlossen ist, kann auf den Tod des Organismus geschlossen werden, der aber nicht mit diesem Abschluss des Verfallsprozesses identisch ist. Anzunehmen ist vielmehr, dass „Tod“ einen Punkt oder einen Teilabschnitt dieses Sterbeprozesses bezeichnet. Ist dies aber richtig, ist anzunehmen, dass Tod und Sterben je nach Art des mehrzelligen Organismus etwas Unterschiedliches bezeichnen. Eine Klärungshilfe könnte damit erreicht werden, wenn wir uns daher auf die Frage des biologischen Todes des Menschen beschränken: Der menschliche Tod galt bis in die 60er Jahre des 20. Jh. als eingetreten, wenn das Herz-Kreislaufsystem und die Atemfunktionen irreversibel geschädigt waren. Entsprechend konnten recht einfache phänotypische Diagnosen vorgenommen werden.60 Auch diese Bestimmungen bedeuteten keine Todesdefinition, sondern einen sehr praktikablen terminus ad quem, der hinreichend schien, um dem allzu unpraktischen terminus ad quem der vollständigen Zellauflösung auszuweichen. Durch den medizinischen Fortschritt ist es jedoch möglich, die Atmungs- und Kreislauffunktion des Körpers auch dann aufrecht zu erhalten, wenn eine Reihe von Zellverbänden und Organen ihre Tätigkeit bereits eingestellt haben. Vor allem ist dies möglich, wenn Hirnfunktionen nicht mehr nachweisbar sind.61 Seit den 60er Jahren wird daher eine bestimmte Art eines irreversiblen Komas,62 der „Hirntod“, als sinnvollste Definition für den Gesamttod eines Menschen angenommen, der nun auch in rechtlicher Hinsicht verbindlich ist. Gemeint ist damit die „irreversibel erloschene Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms“.63 Damit ist klar, dass es sich auch hier nicht um eine Definition des Todeszeitpunktes, sondern des bereits eingetretenen Zustandes des (Hirn-)todes handelt und dass als juristische Todeszeit

59 60 61 62

Vgl. Hucklenbroich, P., Todesbegriff, 8f. Eine Aufzählung findet sich in Jüngel, E., Tod, 34f. Vgl. Hörning, M., Medizinische Aspekte, 12. Nicht jedes irreversible Koma ist nach den Bestimmungen des Transplantationsgesetzes ein Hirntod. Das apallische Syndrom, in dem die Funktionen der Großhirnrinde ausfallen, wird beispielsweise nicht als Hirntod verstanden, vgl. Moskopp, D., Hirntod, 30, auch wenn es zweifelhaft ist, ob ein Patient im Gegensatz zu einem zumindest theoretisch möglichen vollständigen locked-in-Syndrom hier noch ein Erleben besitzt. 63 Vgl. TPG, § 16, Ab. 1, Nr. 2+5.

209

Der Tod des Menschen

Die Problematik des Hirntodes

210

Die Präeschata

damit nicht ein ontischer, sondern ein epistemischer Sachverhalt gilt, nämlich die abgeschlossene Dokumentation des Arztes.64 Deutlich ist damit, dass auch der so festgestellte Hirntod einen terminus ad quem darstellt, der wohl nicht mehr sinnvoll nach vorn verlagert werden kann, wie es die Debatte um einen Teilhirntod zeigt.65 Damit teilt der Hirntod zunächst die Definitionsschwierigkeiten eines jeden Todeskriteriums im Verlauf des Sterbensprozesses. Ähnlich wie es auch keinen festen Zeitpunkt zwischen wachem und schlafendem Bewusstsein gibt, ist anzunehmen, dass es im Verlauf des Sterbeprozesses keine feste Grenze zwischen Leben und Tod gibt, gleich welches Kriterium man in Anschlag bringen will. Warum gilt heute der Zudann ist allerdings auf das seit 1968 in der Definition vorherrHirntod als schende Kriterium des Hirntodes selbst einzugehen. Warum drängt Todeskriterium? sich dies derart in den Vordergrund? Dahinter steht letztlich der Fortschritt der Intensivmedizin, der es erfordert, dass man von dem nun unpraktikablen irreversiblen Herz-Kreislaufversagen abrückt, weil Herz-Kreislaufmaschinen seit den 60er Jahren gebräuchlich sind. Die damit verbundenen ethischen Probleme haben uns an dieser Stelle allerdings nicht zu interessieren. Viel spannender ist die Frage, warum es ein Hirntod ist, der hier als Kriterium gilt. Die Antwort besteht darin, dass dem Gehirn gegenwärtig eine Sonderrolle unter allen Organen des Menschen zugeschrieben wird, insofern das Gehirn in besonderer Weise mit dem Bewusstsein in Beziehung gebracht wird. Was freilich „Bewusstsein“ in biologischer oder medizinischer Hinsicht sein soll, ist ein nicht geringeres Definitionsproblem. Biologisch scheint es einerseits ein Hintergrundbewusstsein zu geben, das für das Gefühl der eigenen Identität und für die Wahrnehmung der Differenz von Realität und Vorstellung verantwortlich ist und ein aktuelles Bewusstsein, in dem Denken, Affekte und Wollen erscheinen. Diese Formen des Bewusstseins sind aber im Gehirn nicht lokalisierbar. Die Großhirnrinde, aber auch der Thalamus und der Hippocampus scheinen mit dem Bewusstsein in wichtiger Weise gekoppelt zu sein. Allerdings gibt es auch eine Reihe von Hirnprozessen, die mit dem Bewusstsein schlichtweg nichts zu tun haben. „Diese Prozesse laufen nicht grundsätzlich anders ab als die, mit denen Bewusstsein verbunden ist. Wieso also kann aus einigen elektrischen Aktivitäten mit minimaler Spannung, die durch ein paar Pfund Zellen geleitet werden, Bewusstsein entstehen? Und wieso passiert so etwas nur im

64 Vgl. Hörning, M., Medizinische Aspekte, 13. 65 Vgl. Reuter, M., Abschied, 154ff; Moskopp, D., Hirntod, 32.

Der Tod des Menschen

Gehirn und nicht in den Erregungszuständen des Herzens oder den Ganglienknoten im Darm? Wir wissen es nicht.“66 Abgesehen davon, dass es dem gegenwärtigen medizinischen Forschungsstand offensichtlich unmöglich ist, einen Grund oder eine Funktionsweise dieser Verbindung zwischen Bewusstseinszuständen und Gehirnfunktionen anzugeben, ist aus philosophischer Sicht noch ein anderes Problem deutlich: Offensichtlich wird der Hirntod als Kriterium des Todes des ganzen Menschen gewählt, weil mit dem Gehirn das Bewusstsein des Menschen verbunden ist. Das Bewusstsein des Menschen ist so etwas wie ein Selbsterleben. Was aber dieses Selbsterleben ist, und warum ausgerechnet dieses Selbsterleben bzw. das Ende des Selbsterlebens oder zumindest das Ende der Koppelung von Selbsterleben und Gehirnzuständen, ausschlaggebend für die Definition des Todes eines Menschen sein soll, ist kein medizinisches, kein biologisches, ja letztlich überhaupt kein naturwissenschaftliches, sondern ein weltanschauliches Problem. Interessanterweise gibt es in Analogie zum breit akzeptierten Begriff des Hirntodes bei Fragen nach dem Lebensbeginn nicht die Bezeichnung einer „Hirngeburt“, d. h. einer möglichen Diagnose, dass diejenigen Hirnfunktionen, deren Fehlen beim Hirntod diagnostiziert wird, nun ihre Funktion aufgenommen haben.67 Und offensichtlich kann bei Lebewesen, die kein Selbstbewusstsein oder keines in der uns geläufigen Form haben, etwa Quallen, das Kriterium des Erlöschens dieses Bewusstseins überhaupt nicht als Todesdefinition angenommen werden. Dennoch sprechen wir auch hier vom Tode. Weniger Probleme bereitet die Diagnose des Hirntodes und ihre Unterscheidung von anderen klinischen Syndromen. Die Kriterien dazu haben sich letztlich seit den 60er Jahren nicht verändert. Obwohl die Bundesärztekammer in Deutschland in ihren Empfehlungen eine Reihe von Revisionen vorlegen musste – auch nach der Einführung des Transplantationsgesetztes von 1997 – liegt dies nicht daran, dass neue medizinische Fakten bekannt geworden wären, sondern allein im Fortschritt der Apparatemedizin und den damit verbundenen Änderungen für technische Diagnoseverfahren (die von Land zu Land im übrigen variieren) begründet.68 Die Nüchternheit dieses Ertrages dessen, was medizinisch über den Tod gesagt werden kann, überrascht.

66 Hörning, M., Medizinische Aspekte, 16. 67 Vgl. Moskopp, D., Hirntod. 68 Vgl. Moskopp, D., Hirntod, 26.

211

Bewusstsein, Selbsterleben und Tod

Die Diagnose des Hirntodes

212

Die Präeschata

4.2.1.2

§55 Nahtoderlebnisse

Nahtoderlebnisse als Zugang zur Todesproblematik?

§55 Nahtoderfahrungen sagen nichts über den Tod aus.

Was sind Nahtoderlebnisse?

Die Schwierigkeiten, den biologischen Tod zu erfassen, könnten verschwinden, wenn der Tod empirisch nicht nur aus der Fremdperspektive, sondern auch aus der eigenen Perspektive erfahren und erforscht werden könnte. Und tatsächlich stoßen wir in so gut wie allen Kulturen auf Berichte, in denen Gestorbene und wieder zum Leben Zurückgekehrte von ihren Erlebnissen berichten. Wissenschaftlich gesehen handelt es sich dabei allerdings stets nicht um Tote, sondern um Sterbende, deren Sterbeprozess vor dem point of no return umgekehrt werden konnte. Daher ist die korrekte Formulierung die Rede von „Nahtoderlebnissen“, deren Beschreibung vor allem seit Popularisierungsversuchen aus dem letzten Viertel des 20. Jh. große Beliebtheit vorzuweisen haben.69 Mögen diese Berichte auch z.T. ähnliche Erlebnisse widerspiegeln (Lichtwahrnehmungen, Zeitraffererlebnisse, Zufriedenheit, Unzufriedenheit, Tunnelerlebnisse, Fluggefühle, Out-of-body-Wahrnehmungen), so bleiben doch grundsätzliche Schwierigkeiten bestehen: – Es handelt sich um Nahtoderlebnisse, d. h. um Erlebnisse, die noch vor dem point-of-no-return gewonnen worden sind. – Auch wenn die Erlebnisse Wahrnehmungen entsprechen, so lässt sich über eine Wahrheitsfähigkeit dieser Wahrnehmungen nichts sagen. – Als Ursprung dieser Wahrnehmungen wurde vorgeschlagen: Ersetzung des Wirklichkeitsmodells der Wahrnehmung durch ein Phantasiemodell infolge von Reizentzug; psychische Abwehrreaktion infolge von Todesnähe, Halluzinationen aufgrund eines geänderten Hirnstoffwechsels, soziale Konstruktion einer Phantasiewirklichkeit und dergleichen mehr.70

Helfen uns Nahtoderlebnisse, den Tod medizinisch oder theologisch zu verstehen?

Wie immer dem sein mag: Aus all dem folgt nur, dass durch Nahtoderfahrungen aus medizinischer Sicht über den Tod schlichtweg nichts auszusagen ist. Noch deutlicher muss aus theologischer Sicht dem Interesse an sog. Nahtoderfahrungen begegnet werden. Denn es könnte

69 Vgl. Moody, R.A., Life after Life. Zur Popularisierung beigetragen haben dürfte, neben verschiedenen Publikationen von Kübler-Ross, auch der sehr moralisierende Film „Flatliners“ von Joel Schumacher (USA 1990). 70 Vgl. Hörning, M., Medizinische Aspekte, 18–24.

Der Tod des Menschen

213

sich herausstellen, dass das Interesse an Nahtoderfahrungen darauf beruht, aus der Sicht von vorläufigen, nicht eschatischen Erwartungshorizonten extrapolative Aussagen über den Tod als einen letztlich eschatischen Sachverhalt – d. h. über einen unter den Bedingungen nichteschatischer Erwartungshorizonte immer unverfügbar bleibenden Sachverhalt – treffen zu wollen, was nur als Kategorienfehler, wenn nicht sogar als sündhafter Versuch des Verfügbarmachenwollens von Unverfügbarem beurteilt werden kann. Aus der Sicht christlichen Hoffens und Glaubens wird man in eingeschränkter Weise hinsichtlich aller kulturellen Umgangsformen mit dem Tod – philosophischen, kulturellen, liturgischen, literarischen, soziologischen, psychologischen oder bestattungsgeschichtlichen Beschäftigungen mit dem Tod – diagnostizieren können, dass diese immer dann uninteressant werden, wenn man mit ihrer Hilfe ergründen will, was der Tod denn nun sei. Damit ist nicht gesagt, dass diese kulturgeschichtlichen Beschäftigungen mit dem Tod nicht sehr wertvoll seien und in vieler Hinsicht fruchtbare Ergebnisse bringen können. Dies gilt allerdings nur, sofern sie nicht Antworten auf die Definitionsfrage sein wollen. Aus diesem Grunde sei hier auch auf eine Besprechung der entsprechenden Zugänge verzichtet.71 4.2.1.3

Warum gibt es den biologischen Tod und das Altern?

§56 Altern stellt wahrscheinlich keine biologische Notwendigkeit dar, sondern einen Kompromiss, der aus evolutionstheoretischer Sicht den Reproduktionserfolg erhöhen kann. Aus Sicht von nicht eschatischen Erwartungs- und Interpretationshorizonten – wie etwa aus der Sicht von Biologie und Medizin – kann zwar die Frage nach dem Warum und nach dem Nutzen von Altern, Sterben und Tod beantwortet werden, nicht aber die Frage nach dem Sinn von Altern, Sterben und Tod.

§56 Altern als Kompromiss der Evolution und die Frage nach dem Sinn des Alterns

Wenn im Falle von einzelligen Lebewesen nicht vom Tod zu sprechen Ist der Tod biologisch ist und bei mehrzelligen Lebewesen Regenerations- und Wachstums- notwendig und warum altern wir? prozesse wahrnehmbar sind, ist der Schluss naheliegend, dass Tod und Sterben auch bei mehrzelligen Lebewesen wie bei Menschen keine biologische Notwendigkeit, sondern kontingent sind. In diesem Falle kann man aber fragen, warum das so ist. Die biologische 71 Zu einer leicht lesbaren Kulturgeschichte des Todes vgl. Ariès, P., Geschichte des Todes.

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Die Präeschata

Antwort auf diese Frage ist das Faktum des Alterungsprozesses, der seinerseits in eine Reihe von verschiedenen Vorgängen zerfällt. Einige dieser Vorgänge beruhen auf genetischen Anlagen oder sind dem Prozess der Zellregeneration selbst inhärent: Denn nach der mittlerweile gut bestätigten Telomeren-Hypothese werden bei jeder Zellteilung die nur endlich langen Chromosomen verkürzt, bis ihr Ende erreicht ist und sich die Zelle nicht mehr weiter teilen kann.72 Die meisten dieser Alterungsprozesse stellen keine biochemische Notwendigkeit dar und in bestimmten Fällen gibt es auch Beispiele für die unbegrenzte Reproduktion von Zellen.73 Damit aber verschiebt sich die Frage: Wir müssen sterben, weil wir altern. Warum aber müssen wir altern? Aus biologischer Sicht kann man hier letztlich nur evolutionstheoretisch antworten, indem man zeigt, dass Tod, Sterben und Altern hier Vorteile bringen. Die ältere Antwort der Evolutionstheoretiker lautete dann auch, dass sich abnutzende, d. h. ältere Individuen zugunsten jüngerer und frischerer Individuen in den Tod zurücktreten müssten, um so der Art als ganzer einen Vorteil zu verschaffen. Die Folge dieses Prinzips seien gleichursprünglich Fortpflanzung und Tod. Diese ältere Antwort kann gegenwärtig aber nicht mehr vertreten werden. Denn zum einen zeigen die gerontologischen Studien, dass Tod und Altern nicht biologisch notwendig sind. Zum anderen gibt es nach neueren Auffassungen der Selektion keinen Mechanismus, der auf das Überleben oder den Erfolg einer Art bezogen ist, sondern nur Mechanismen, die auf den Reproduktionserfolg von Individuen bezogen sind. Man kann allerdings die evolutionstheoretische Antwort entsprechend anpassen, wenn man zeigen kann, dass dem Alterungsprozess Mechanismen unterliegen, die dem Individuum in der Jugend Überlebens- bzw. Reproduktionsvorteile bringen, im Laufe der Entwicklung aber zu Altern, Sterben und Tod führen. Ein bestimmtes Gen würde also in der Jugend Vorteile, in der langen Entwicklung aber Nachteile bringen, wobei die Vorteile der Jugendzeit die Entwicklung in der langen Zeit überwiegen. Damit wären Altern und Tod Kompromisse um eines höheren Fortpflanzungsprozesses willen.74 Ein Beispiel mag dies veranschaulichen: „Stellen wir uns vor, ein Gen verändert den Calciumstoffwechsel, so dass Knochen rascher heilen. Dasselbe Gen aber verursacht auch eine langsame und stetige Calciumablagerung in den Arterien. Ein solches Gen könnte durch die Selektion durchaus begünstigt werden, denn viele werden in jungen Jahren von seinen Vorteilen profitieren, wenige aber werden lange 72 Vgl. zum Thema Rössler, R./Kloeden, P.E./Rössler, O.E., Thanatosprinzip. 73 Vgl. Hucklenbroich, P., Todesbegriff, 11. 74 Vgl. Hucklenbroich, P., Todesbegriff, 12f.

Der Tod des Menschen

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genug leben, um der Nachteile der Arterienverkalkung im hohen Alter gewahr zu werden. Selbst wenn das Gen dazu führte, dass jeder bis zum Alter von 100 Jahren stürbe, so würde es sich dennoch ausbreiten, wenn es im Jugendalter auch nur den geringsten Vorteil böte.“75 Selbstverständlich könnten auf eine Frage nach dem Warum oder dem Nutzen des Alterns auch andere, etwa soziologische Antworten gegeben werden. Aber im Grunde verhielte es sich mit diesen Antworten genauso, wie mit möglichen anderen Antworten nach dem Tod, die noch nicht auf Basis eines immer an weltanschauliche Voraussetzungen gebundenen eschatischen Erwartungshorizontes gegeben werden: Sie könnten uns keine befriedigende Antwort geben, zumindest nicht dann, wenn die Frage nach dem Warum von Altern, Sterben und Tod die Frage nach dem Sinn von Altern, Sterben und Tod einschließt. Wir haben uns daher nun den theologischen Antwortversuchen zuzuwenden. 4.2.2

Die Leib-Seele Problematik und die biblische Tradition

§57 In der orphisch-hellenistischen Vorstellung ist der Mensch dualistisch aus Leib und Seele zusammengesetzt, in der hebräischen ist der Mensch monistisch verstanden. In der hellenistischen Welt ist der Mensch Individuum, indem er gerade Seele ist, während der Leib defizitär ist. In der hebräischen Welt ist der Mensch hingegen gerade kein Individuum, sondern er ist Mensch nur in Beziehung zu Gott. In der orphisch-hellenistischen Vorstellung bedeutet der Tod die Befreiung des Menschen zu seiner Eigentlichkeit, während in der hebräischen Welt der Entzug des Lebensatems Gottes die Vernichtung des individuellen Menschen bedeutet. Entsprechend kann der zum Tode verurteilte Sokrates seinen Tod singend begrüßen, während sich die hebräische individuelle Hoffnung auf ein individuelles hohes Alter in Wohlstand und Zufriedenheit richtet. Im Neuen Testament wird die allgemeine Sterblichkeit mit der allgemeinen Sündhaftigkeit in Verbindung gebracht. Gott hat nun nicht nur nicht mehr nichts mit dem Tod zu tun, sondern kann in Christus selbst den Tod erleiden, wodurch sich der Tod für den Menschen verwandelt. Einerseits kann der glaubende Mensch schon im Leben als gestorben bezeichnet werden, andererseits ist der biologische

75 Nesse, R.M./Williams, G.C./Kuhlmann-Krieg, S., Warum wir krank werden, 138.

§57 Die hellenistische, die hebräische Zukunftshoffnung und das neue Todesverständnis durch Jesu Tod und Auferstehung

216

Die Präeschata

Tod nun gerade nicht mehr als Beziehungslosigkeit verstanden. Im Zusammenhang mit dem Gedanken des Endgerichts entsteht der Gedanke eines zweiten Todes.

4.2.2.1

Der Tod als Trennung des Leibes von der unsterblichen Seele in orphisch-hellenistischer Tradition

Um die Optionen des christlichen Todes- und Menschenverständnisses rekonstruieren zu können, sind umfangreiche geschichtliche Ausführungen nötig. Dabei werden wir mit der hellenistischen Tradition einsetzen. Zwar gibt es nicht ein einheitliches Menschen- und Todesverständnis der hellenistischen Tradition. Da wir diese aber nicht um ihrer selbst willen darstellen, sondern um ihrer Bedeutung für Antworten aus der christlichen Tradition, sind hier Beschränkungen sinnvoll. Todesfurcht bei Platon (gest. 347 v.Chr.) beschreibt unter Aufnahme orphischen Platon und pythagoreischen Gedankenguts durch den Mund des zum Tode verurteilten Sokrates folgende Deutung seines bevorstehenden Todes: „Denn eins von beiden ist das Totsein, entweder soviel als nichts sein noch irgendeine Empfindung von irgendetwas haben, wenn man tot ist; oder, wie auch gesagt wird, es ist eine Versetzung und ein Umzug der Seele von hinnen an einen anderen Ort. Und ist es nun gar keine Empfindung, sondern wie ein Schlaf, in welchem der Schlafende auch nicht einmal einen Traum hat, so wäre der Tod ein wunderbarer Gewinn […]. Ist aber der Tod wiederum wie eine Auswanderung von hinnen an einen anderen Ort und ist das wahr, was gesagt wird, dass dort alle Verstorbenen sind, was für ein größeres Glück könnte es wohl geben […]?“76

Hier wird also eine Alternative der Todesdeutung ausgespannt, die in jedem Falle zu einer Beruhigung über den Tod führt: – Entweder der Tod ist wie der absolute Schlaf. Dann ist er, wie bei Epikurs eingangs dieses Kapitels angeführtem Zitat, nicht zu fürchten, weil wir nicht mehr sind, wenn der Tod ist. – Oder es gibt ein Danach, das gerade nicht vom körperlichen, biologischen Tod abhängig ist. Platon nun vertritt die zweite Möglichkeit. Wie ist diese sich nach der griechischen Tradition vorzustellen?

76 Platon, Apologie des Sokrates, 40c–e.

Der Tod des Menschen

Die griechische Tradition geht davon aus, dass das Erkenntnisvermögen, das Willensvermögen und auch die Affekte nicht dem Körper, sondern der unkörperlichen Seele des Menschen zuzusprechen sind. Der Seelenbegriff77 hat dabei mehrere Funktionen und kann gestaffelt erscheinen: Die vegetabile und animalische Seele dient primär zur Erklärung des Lebendigseins, die intelligible Seele darüber hinaus zur Erklärung von Bewusstseinsphänomenen. Diese Seele ist der Identitätskern des Menschen, d. h. das, was den Menschen zum Menschen macht und das, was den Menschen zu diesem Menschen macht. Bei Aristoteles wird dies mit der Distinktion von Materie und Form wiedergegeben, eine Unterscheidung, die auf alles, was ist, angewandt werden kann. Während die Materie pure Potenz und Möglichkeit ist, wird sie von der Form gestaltet und informiert. Im Falle des Menschen ist seine unkörperliche Seele die Form, der Leib aber die Materie. Nun bestehen zwei Alternativen: Man kann, wie es die aristotelische Ontologie nahe legt, annehmen, dass weder Körper noch Seele unabhängig voneinander existieren können, weil die Seele als forma materialis, als Formprinzip der Materie nicht unabhängig von der Materie existieren kann. In diesem Fall wäre die Seele nicht unsterblich, sondern würde mit dem Körper vergehen. Man kann andererseits auch orphisch-platonisierend annehmen, dass im Unterschied zu anderen Verbindungen von Materie und Form der Körper zwar nicht unabhängig von der Seele existieren kann, ohne zu sterben, wohl aber die Seele unabhängig vom Körper existieren kann. Man kann dies nicht nur mit dem Wortspiel soma (Leib) = sema (Grab) ausdrücken, sondern dies auch mit einem drastischen Gleichnis, mit dem Aristoteles die orphische Auffassung beschreibt, verbildlichen: Die Seele ist an den Leib gefesselt, wie Gefangene von wilden Seeräubern an Leichen gefesselt werden, um sie zu quälen.78 Der Tod ist dann nichts anderes als die Befreiung der Eigentlichkeit des Menschen von seinem Gefängnis: Eigentlich ist der Mensch Seele. Die Seele macht den Menschen menschlich und sie individuiert ihn, macht ihn zu diesem Menschen. Der Mensch ist gerade in seiner Seele animal rationale. Damit ist der körperliche Tod nichts anderes als die Befreiung des Menschen. Wenn in hellenistischer Tradition der Mensch sich sowohl selbst erkennen soll (gnothi sauton) und seinen Tod bedenken soll (memento mori), dann ist dies ein identischer und zwar positiver Sachverhalt, in dem der Mensch erkennt, was er ist 77 Zur Seele in Geschichte und Gegenwart vgl. Beuttler, U./Mühling, M./ Rothgangel, M. (Hg.), Seelenphänomene. 78 Vgl. Jüngel, E., Tod, 59. Auf den folgenden Seiten bietet Jüngel eine auch literarisch sehr lesenswerte Darstellung des Sachverhalts.

217

Grundzüge hellenistischer Anthropologie: Körper und Seele

218

Die Präeschata

– nämlich unkörperliche Seele – und wie er in seine Eigentlichkeit befreit werden kann – nämlich durch den Tod.79 Der Tod ist damit gerade nicht das Ende des Menschen, sondern der Anfang seiner Unsterblichkeit, bzw. der Unsterblichkeit seiner Seele. Diese Sichtweise der Verbindung des Menschen von Leib und Seele mit der Prävalenz der Seele stellt de facto eine dualistische Anthropologie dar. Die orphisch-hellenistische Tradition ist freilich in der Antike und Spätantike nicht unbedingt die vorherrschende Auffassung gewesen. Wir sahen schon, dass die epikureische Haltung keine Hoffnung über den Tod hinaus kennt und auch die stoische Auffassung nicht von einem Weiterleben einer individuellen Seele ausgeht. Die Vorstellung, die hellenistische Antike und in deren Folge dann die christliche Antike und die ihr folgende Tradition hätten größtenteils orphischhellenistisch gedacht, wird man mit dem römischen Theologen Joseph Ratzinger in der Tat als Vorurteil bezeichnen können.80 Dennoch bildet die orphische dualistische Konzeption eine gute modellhafte Vorstellung, um biblische Todesverständnisse in ihrer Schärfe davon absetzen zu können. Neuzeitlich Ähnliche Konzeptionen finden sich nicht nur in der Philosophie dualistische der orphisch-hellenistischen Tradition, sondern auch in verschiedeVorstellungen nen neuzeitlichen Philosophien. R. Descartes (gest. 1650) Unterscheidung zwischen res extensa und res intelligibilis läutet den neuzeitlichen philosophischen Dualismus ein und auch I. Kant (gest. 1804) kann die Unsterblichkeit der Seele als ein Postulat der praktischen Vernunft auffassen, das nötig ist, um die Sittlichkeit instand zu setzen.81 Diese Hinweise mögen an dieser Stelle genügen. 4.2.2.2 „Seele“ als „Lebenskraft“ in der biblischen Tradition

Mensch und Tod in biblischer Tradition

Die biblische Tradition des Alten Testaments hat demgegenüber ein vollständig anderes Menschen- und Todesbild. Zwar kann ein hebräisches Wort, nefesh, auch mit „Seele“ übersetzt werden, aber eine korrektere Übersetzung ist „Schlund“, „Rachen“, „Atem“, „Hauch“ oder auch, besonders in der Verbindung nefesh haja „Lebenskraft“, „Lebensatem“ oder „Lebewesen“. Die nefesh meint gerade nicht wie in der hellenistischen Welt die Seele als das Identitätsprinzip, das einen Menschen zu diesem Menschen macht, sie meint gerade nicht den Persönlichkeitskern, sondern eine allgemeine Lebenskraft, die der Mensch, der basar (Fleisch) oder afar (Staub) ist, durch Gott 79 Vgl. Jüngel, E., Tod, 68. 80 Vgl. Ratzinger, J., Eschatologie, 124–127. 81 Vgl. Kant, I., KpV, 122–124.

Der Tod des Menschen

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verliehen bekommt. Sie wird dem Menschen von Gott durch die Nase eingeblasen und ihm eine Zeit lang geliehen, aber sie bleibt Eigentum Gottes, über das der Mensch nicht verfügen kann (Gen 2,7; Jes 10,18). Anders als in der griechischen Welt ist damit keine dualistische Anthropologie gegeben, sondern es ist stets der gesamte Mensch gemeint, und zwar sowohl dann, wenn er als basar oder afar bezeichnet wird, als auch dann, wenn er als nefesh oder leb (Herz) bezeichnet wird. Dies verwundert auch nicht, denn streng genommen sind alles dies körperliche Beschreibungen, die ungetrennt mit geistigen Vermögen existieren. Dennoch ist damit gerade kein materialistisches Menschenbild gemeint: Da der Mensch mit seiner Lebendigkeit identisch ist, die Lebendigkeit aber nur in einer asymmetrischen Relation zu Gott besteht, gilt dies auch für den Menschen: Der Mensch im Allgemeinen und dieser Mensch im Besonderen ist sich selbst nicht verfügbar, sondern er ist das, was er in der Beziehung zu Gott ist (Ps 31,16; 139,16). Um es mit den Worten E. Jüngels zu sagen: Weil der Mensch sich selbst entzogen ist, ist er auf Gott bezogen, oder genauer: Weil er auf Gott bezogen ist, ist er sich selbst entzogen.82 Daher legt es sich auch nahe, die Gottebenbildlichkeit, die Aussage, dass der Mensch zu Gottes zelem (Bild, imago, eikon) und demut (Bild, similitudo, homoiosis) geschaffen ist (Gen 1,26f), in dieser Relation zu deuten. Zur Gottebenbildlichkeit und einer genaueren Beschreibung alttestamentlicher Anthropologie kann jedoch an dieser Stelle nicht mehr gesagt werden.83 Diese Vorstellung des Menschen hat unterschiedliche Auswirkun- Kollektive Hoffnung gen auf das Begreifen des Todes. Zunächst einmal gilt: Wenn Gott sei- in frühen Schichten des Alten Testaments ne Lebenskraft entzieht, ist der Mensch nicht mehr. Die überwiegenden Schriften des Alten Testaments kennen gerade keine individualoder personaleschatische Hoffnung, sondern nur eine Hoffnung für das ganze Volk. Der einzelne Mensch vergeht, verdorrt wie Gras (Ps 90,5), wird zu seinen Vätern versammelt (Ri 2,10) – womit aber nicht ein seliges Familienmeeting gemeint ist, sondern nur, dass die Knochen, die auf den Felsen gehauenen Bankgräben der Eisen-II-Zeit zur Verwesung des Körpers deponiert wurden, von den Bänken in einen 82 Vgl. Jüngel, E., Tod, 81. 83 Vgl. dazu die immer noch lesenswerte Darstellung von Wolff, H.W., Anthropologie des Alten Testaments und Mathys, H.-P., Ebenbild Gottes - Herrscher über die Welt: Studien zu Würde und Auftrag des Menschen. Die Gottebenbildlichkeit ist im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht eng mit dem Herrschaftsauftrag verknüpft, entstammt der Königsideologie und meinte ursprünglich den Menschen als Repräsentanzsymbol der Herrschaft Gottes in der Welt, so wie altorientalische Könige als Repräsentanzsymbol ihrer Herrschaft Bilder in entfernten Bezirken aufstellten und sich selbst als Repräsentanz der Herrschaft bestimmter Götter sahen.

220

Die Präeschata

Beginn der Auferstehungshoffnung in der Apokalyptik

Ein neues Todes- und Hoffnungsverständnis durch Jesu Tod und Auferstehung

Hohlraum für die Knochen gefegt wurden –,84 fährt in die Grube, d. h. in jenes Bankgrab, ohne persönliche Inschrift hinab (1.Kön 2,9; Ps 28,1; Ps 88,4.6; Ps 143,7; Spr 1,12, etc.) oder führt in der scheol ein unterirdisches, schattenhaftes, ja nichtiges Dasein, das gar nicht mehr als Dasein, sondern eigentlich als Vernichtung beschrieben wird: Er ist fern von Gott. Gott ist ein Gott der Lebenden, nicht der Toten, aus der scheol kehrt man nicht wieder, ist in Dunkelheit, Stille, im Vergessen. Alle Unterschiede werden bedeutungslos (Hi 3,19; 7,9f; 10,21; 2.Sam 12,23; Ps 88,13; 94,17; 115,17; Jes 38,18f etc.). Die Toten und der Tod sind für die Hinterbliebenen unrein (Lev 11,24f) und die Praxis einer eventuellen Totenbeschwörung ist zumindest in ideeller Weise mit der Todesstrafe belegt (Lev 19,31.28; Dtn 18,10f; 2.Kön 21,6). Die individuelle Zukunftshoffnung in weiten Teilen des Alten Testaments richtet sich vielmehr darauf, ein gutes und langes Leben in Wohlstand und Zufriedenheit zu führen (Gen 25,8; Hi 42,17, etc.). Erst jüngere Schichten des Alten Testaments scheinen zumindest die Denkbarkeit auch einer individuellen Totenauferstehung vorauszusetzen,85 eine Hoffnung, die sich dann in der zwischentestamentlichen Literatur langsam durchsetzt, so dass zur Zeit Jesu einige Gruppen des Judentums an die individuelle eschatische Hoffnung geglaubt hatten, andere hingegen nicht. Der erste Beleg, der sich auf die Schöpfermacht Gottes bezieht, wird dabei im Zusammenhang der Gerechtigkeitsproblematik vorgetragen (2.Makk 7,14). Zur Zeit der Apokalyptik kann dann davon ausgegangen werden, dass auch das Totenreich Jahwes Macht nicht entzogen ist (Ps 139,8) und dass Jahwe in ferner Zukunft den Tod vernichten wird (Jes 25,8), wobei dies nur für die Angehörigen Israels in der Gemeinschaft gilt (Dan 12,2). Vergleicht man dieses alttestamentliche Menschen- und Todesbild mit dem hellenistischen, fällt auf, dass beide nicht unterschiedlicher sein könnten. In der Umwelt Jesu und der Seinen ändert sich im Vergleich zu der frühjüdischen Zeit hinsichtlich der Todesvorstellungen wenig. Durch die Ereignisse um Jesus selbst entsteht allerdings sowohl ein neues Menschen- als auch Todesverständnis.86 Dies schlägt sich auch schon in den Schriften des Neuen Testaments nieder. Jesus selbst

84 Vgl. Bloch-Smith, E., Burial Practices. 85 Vgl. die Vision über die Auferweckung der Totengebeine in Hes 37. Hier geht es nicht um eine individuelle Heilshoffnung, sondern um ein Bild, das die kollektive Wiederherstellung des Volkes zum Thema hat. Aber auf der Bildhälfte ist zumindest die Möglichkeit dieser Tat Gottes vorausgesetzt. 86 Für detaillierte Analysen vgl. Schnelle, U., Neutestamentliche Anthropologie.

Der Tod des Menschen

221

stirbt einen Tod, der von Paulus als Fluchtod aufgrund des Gesetzes verstanden wird (Röm 5,14.17). Damit ist es das Gesetz, was letztlich tötet, so dass nun der Tod als der Sünde Sold bezeichnet werden kann (Röm 6,23), was im Alten Testament so noch nicht gesagt werden konnte. Die Todesdrohung Jahwes gegen Adam und Eva im Falle der Verbotsübertretung (Gen 2,17) bezieht sich wohl nicht auf die allgemeine Sterblichkeit des Menschen, nur unmittelbar auf Adam und Eva und wird von Jahwe übrigens auch nicht eingelöst, denn sie leben ja weiter. Christus herrscht über Lebende wie Tote (Röm 14,9). Der Glaubende ist auf den Tod Christi getauft (Röm 6,3), erleidet somit den Tod schon im Hier-und-Jetzt und kann daher hoffen, auch im Tod bei Christus zu sein (Phil 1,20f). Damit ist der Tod wesentlich verwandelt: Er ist nun nicht mehr die Beziehungslosigkeit, sondern Christus ist schon dort. Nach Joh 5,24 ist der Glaubende bereits im Hier-und-Jetzt vom Tod in das Leben gegangen, worin eine präsentische Eschatologie zu sehen ist, die von Pauli Seite allerdings kritisiert wird: Der Tod ist der letzte Feind, den Gott besiegen wird (1.Kor 15,26). Nach Apk 20,6.14 besteht aber im Endgericht die Möglichkeit des Ausgangs eines zweiten Todes, der dann gerade eschatisch verewigt ist. 4.2.3

Mensch und Tod in der Tradition christlicher Theologie

§58 In der Geschichte der christlichen Theologie kommt es zu §58 Der Tod in der Verbindungen der hellenistischen mit den in sich schon diversen Tradition biblischen Vorstellungen. Dabei können wie in der Alten Kirche, dem Mittelalter und Zweigen der Reformation (Calvin) eher die hellenistische Tradition federführend sein oder die biblischen Traditionen (Luther). In der Tradition christlicher Theologie verbinden sich sehr bald die biblischen mit den orphisch-hellenistischen und den aristotelischen Vorstellungen des Todes. In kaum einem anderen als diesem anthropologischen Bereich kann sich die Doppelthese der Hellenisierung des Christentums und der Christianisierung des Hellenismus so deutlich veranschaulichen lassen. Der bedeutende Dogmengeschichtler Adolf von Harnack (gest. 1930) vertrat die Auffassung, dass das Dogma, d. h. die sich entwickelnde christliche Lehre in der Alten Kirche, ein „Werk des griechischen Geistes auf dem

Hellenisierung des Christentums und Enthellenisierung des griechischen Geistes

222

Die Präeschata

Boden des Evangeliums“87 sei, so dass die Geschichte des Christentums im Wesentlichen als Verfallsgeschichte des einfachen Evangeliums Jesu Christi von Beginn an zu werten sei, die lediglich durch Ausnahmegestalten durchbrochen worden sei. Diese These hat eine deskriptive und eine normative Seite: deskriptiv, weil man tatsächlich von einer Hellenisierung des Christentums sprechen kann, normativ, weil sich damit die Verfallsthese verbindet. Heute wird man kaum noch annehmen können, dass es ein ursprünglich nicht-hellenistisches Christentum gegeben haben könnte. Man wird daher die Hellenisierungsthese mit der umgekehrten These ausbalancieren müssen, indem man mit W. Elert (gest. 1954) von einer Christianisierung des Hellenismus bzw. einer Enthellenisierung des griechischen Geistes im Laufe der Theologiegeschichte sprechen kann.88 Der Tod bei Augustin

Im Prinzip übernimmt man nun das dualistische Menschenverständnis, das zwischen Leib und Seele unterscheidet, aber die Seele wird in der Regel nicht per se als unsterblich angesehen, sondern ihre Unsterblichkeit beruht auf einer Gabe Gottes. Augustin prägt, wie in so vielem, damit die Todesvorstellung der Alten Kirche, die bis ins Mittelalter erhalten bleibt. So schreibt Jüngel: „Augustin hat eine sehr differenzierte Lehre vom Tod entwickelt, in der er biblisches und platonisches Todesverständnis dadurch zu vereinen versucht hat, dass er theoretisch sogar viererlei Tod unterscheidet: den Tod der Seele, die dennoch unsterblich genannt wird, den Tod des Leibes, den Tod beider zusammen als Tod des ganzen Menschen und den – zweiten – Tod des ganzen, von den Toten auferweckten und also wieder als Einheit von Seele und Leib existierenden Menschen. Der Tod der Seele tritt nach Augustin ein, wenn Gott die Seele verlässt, der Tod des Leibes hingegen, wenn die den Leib belebende Seele diesen verlässt, der Tod des ganzen Menschen aber, wenn eine von Gott verlassene Seele den Leib verlässt; der zweite Tod jedoch ereignet sich, wenn die von Gott verlassene Seele mit dem von der Seele verlassenen Leib so wiedervereinigt wird, dass der von den Toten auferweckte Mensch nur gerade so weit lebt, um ohne Aufhören sterben zu können und so ohne Ende leiden zu müssen.“89

Mensch und Tod bei Calvin

Auch in der Reformationszeit bleibt diese Synthese z.T. erhalten, gerade weil sie für biblisch gehalten wird. Man meinte, sich von der mittelalterlichen Theologie als Verfälschung der biblischen Botschaft abwenden und der Alten Kirche als treuen Nachfolgern des Urchristentums zuwenden zu müssen, was in diesem thematischen Fall aber gerade einen christlichen Neuplatonismus gefördert hat. Dies wird vor allem deutlich bei J. Calvin (gest. 1564): Hier besteht der Mensch aus dem körperlichen Leib und der rein geistigen Seele, die zwar nicht 87 Harnack, A.v., Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. 1, 20. 88 Vgl. Elert, W., Ausgang der altkirchlichen Christologie, 313ff. 89 Jüngel, E., Tod, 118.

Der Tod des Menschen

223

per se unsterblich ist, aber durch ihren Bezug auf Vater, Sohn und Heiligen Geist unsterblich wird. Allein auf die Seele bezieht sich die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Der Tod ist als Trennung von Leib und Seele Strafe der Sünde, für den Glaubenden aber ist der Tod nichts anderes als der Übergang, der transitus in ein besseres Leben, und zwar schon unmittelbar nach der Trennung vom Leib: Da die Seele rein geistig ist, kann sie nicht ruhen oder schlafen, sondern befindet sich in anschauender Aktivität bei Gott und wartet auf den jüngsten Tag, um mit dem wiedererweckten Leib vereinigt zu werden. Entsprechend ist der Tod nichts, was zu fürchten wäre. Zwei Vorstellungen werden von Calvin explizit abgelehnt: Die Vorstellung, die Seele könnte bis zum jüngsten Tag schlafen oder ruhen, sowie die aristotelische Vorstellung, die Seele sei nur das Lebensprinzip des Körpers, das mit dem Körper vergeht und damit einen „Ganztod“ erleidet.90 Ganz anders sieht die Vorstellung des Todes bei Luther aus. Zwar Der Mensch bei behält auch er die Rede von der Seele bei, aber de facto wird sie neu de- Luther finiert. Luther versteht darunter eben nicht mehr den fest definierten, substanzhaften Personkern des Menschen, der die forma substantia des Menschen ausmacht, sondern löst den Seelenbegriff von seinem platonischen und aristotelischen Hintergrund. Seele bezeichnet jetzt die Gottesbeziehung des Menschen, unterschieden von des Menschen Beziehungen zu welthaften anderen Relaten und seiner Beziehung zu sich selbst. Im Prinzip erscheint dieses neue Verständnis des Menschen schon in der „Freiheit eines Christenmenschen“ und wird in der Disputatio de homine elaboriert. Hier dringt Luther auch zu einer neuen Definition des Menschen vor, der nun nicht mehr einfach animal rationale ist, sondern die Definition des Menschen lautet nun homo justificari fide: Das Wesen des Menschen besteht darin, dass er auf Gott im Glauben bezogen ist, dass er passiv von Gott erhalten wird, oder kurz: Menschsein heißt, von Gott durch den Glauben gerechtfertigt zu werden.91 Man mag nun streiten, ob Luther tatsächlich schon die aristote- Der Tod bei Luther lische Ontologie verlässt und eine neue relationale Anthropologie entwirft, oder ob er die mittelalterliche Anthropologie nur biblisch korrigiert. Da Luther biblischer Theologe war, werden sich seine Aussagen wie die des Materials, von dem er abhängig ist, nicht unbedingt immer systematisch darstellen lassen. Entscheidend ist dies zum Verständnis Luthers alles jedoch nicht, denn wie immer man 90 Zur Lehre Calvins von der Seele vgl. Calvin, J., Psychopannychia. 91 Zur Anthropologie Luthers vgl. Ebeling, G., Definition des Menschen und Joest, W., Ontologie der Person bei Luther.

224

Die Präeschata

dies auch sieht, Luthers Anthropologie führt zu einem veränderten Todesverständnis: Der Tod gehört wie auch Sünde und Teufel zu den Verderbensmächten, die über den Menschen Herrschaft besitzen. Der Mensch fürchtet sich vor dem natürlichen Tod, weil er das Ende des Menschen bedeuten könnte und dies bedeutet das Ende von der Bezogenheit zur Welt wie zu Gott. Der Tod ist dabei aber keine natürliche Gegebenheit, sondern ein Verhängnis aufgrund des Zornes Gottes. Durch diese Todesfurcht gewinnt der Tod schließlich auch Macht über die Lebenden. Freilich ist der Tod durch Christus verwandelt, er hat die Gottverlassenheit des Kreuzes ertragen und in Kreuz und Auferstehung den Tod besiegt. Damit ist Christus der „Tod des Todes“ und es kommt auch hier Gott wider Gott zu stehen. Mit diesem Konzept verwandelt sich die Bedeutung des natürlichen Todes für den Menschen. Der natürliche Tod wird nach der Begegnung mit dem richtenden Gott zum Schlaf92 des Menschen bis zur Auferweckung.93 Damit vertritt Luther exakt die Vorstellung, die Calvin ablehnt. Die Vorstellung des Todesschlafes soll auch ein wichtiges Problem lösen: Die beiden biblischen Vorstellungen eines Seins unmittelbar nach dem Tode bei Gott (Phil 1,23 u. a.) und einer Auferstehung am Ende der Zeiten (1.Kor 15 u. a.) können auf diese Weise ausgeglichen werden. Entscheidend ist für Luther, ebenfalls im Gegensatz zu Calvin, dass der Tod mit dieser Konzeption aber nicht seinen Schrecken für den lebenden Menschen verliert: Denn der Tod bleibt Strafe für den Menschen und auch die großen Heiligen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht gern gestorben sind, sondern durchaus mit Todesfurcht gestorben sind.94

§59 Die Vorteile und die Problematik der Ganztodthese

4.2.4

Probleme des gegenwärtigen theologischen Todesverständnisses

4.2.4.1

Die Ganztodthese in der evangelischen Theologie des 20. Jh. und ihre Modelläquivalente in der röm. Theologie

§59 Bei dem Verständnis des Todes des Menschen als „Ganztod“, d. h. als vollständiger Beziehungslosigkeit, scheint es sich um ein biblisches Todesverständnis zu handeln, es passt in seiner relationa-

92 Vgl. Luther, M., WA 17 II, 235. 93 Vgl. Mühling, M., Art. Eschatologie, hier 202. 94 Eine kurze Zusammenfassung der Auffassung Luthers vom Tode bietet Beißer, F., Hoffnung und Vollendung, 60–68.

Der Tod des Menschen

225

len Terminologie gut zum hier vertretenen Ansatz, ist sowohl mit soziologischen, geschichtlichen als auch biologischen Verständnissen des Menschseins kompatibel und nimmt vor allem das, was oben über den biologischen Tod gesagt wurde, sehr ernst. Das Verständnis des Todes als vollkommene Beziehungslosigkeit kann aus Gründen der Treue Gottes, aus Gründen der Identität der menschlichen Person und aus empirischen Gründen in Frage gestellt und modifiziert werden, dergestalt, dass der Tod als das Ende der aktiven Beziehungsmöglichkeiten des Menschen verstanden wird, während die passiven Bezogenheiten nach Härle v.a. in der Gottesbeziehung erhalten bleiben. Auch dieses modifizierte Verständnis ist aus Gründen der Gnadenlehre nicht problemlos. Im 20. Jh. setzt sich eine These in der evangelischen Theologie durch, die von der römischen Theologie, die diese These nicht vertritt, als „Ganztodthese“ bezeichnet wird. Zahlreiche Auseinandersetzungen gingen der weitgehenden Akzeptanz dieser Theorie voraus: Carl Stange (gest. 1959) vertrat sie zunächst gegen Paul Althaus (gest. 1966), der sich ihr im Laufe der Zeit aber doch angeschlossen haben dürfte.95 Theologen, die als kaum gegensätzlicher gerechnet werden wie Karl Barth96 und Werner Elert,97 vertreten diese These ebenso wie Wolfhart Pannenberg,98 Eberhard Jüngel u.v.a.m. Worum geht es in ihr? Wir halten uns hier an die bekannteste Darstellung, die von Eberhard Jüngel gegeben wurde: Der Mensch ist monistisch verstanden kein Wesen aus Körper und einer unsterblichen Seele, sondern einheitlich ein Wesen, das sich selbst entzogen ist und daher mannigfach durch Beziehungen konstituiert ist, vor allem der Beziehung zu Gott. Der Tod bedeutet aufgrund der Sünde als Drang des Sich-Lösen-Wollens des Menschen von Gott den Abbruch aller Beziehungen des Menschen und damit die Beziehungslosigkeit oder die Verhältnislosigkeit des Menschen: „Sünde drängt in die Verhältnislosigkeit. Sie macht beziehungslos. Der Tod ist nun das Fazit dieses Dranges in die Verhältnislosigkeit […]. Tritt der Tod faktisch ein, dann wird das Leben vollends verhältnislos. Der tote Mensch ist seinem Gott für immer entfremdet. Und ohne Gott wird alles verhältnislos.“99

95 96 97 98 99

Vgl. Beißer, F., Hoffnung und Vollendung, 64, Anm. 162; 188f. Vgl. Barth, K., KD III,2, 724–725. Vgl. Elert, W., Der christliche Glaube, 502–506. Vgl. Pannenberg, W., Systematische Theologie I, 599f. Jüngel, E., Tod, 99–100.

Die Ganztodthese der ev. Theol. des 20. Jh.

Die Ganztodthese bei Jüngel

226

Die Präeschata

Durch das Ereignis von Christi Tod und Auferweckung wird der Tod verwandelt, aber dies ändert nichts an der faktischen Definition des Todes als Verhältnislosigkeit: „Wenn aber Gott auch im Tode nicht aufhört, sich zu uns zu verhalten, ja wenn er sich mit dem toten Jesus identifiziert, um sich durch den Gekreuzigten allen Menschen gnädig zu erweisen, dann erwächst mitten aus der Verhältnislosigkeit des Todes ein neues Verhältnis Gottes zum Menschen. Wohlgemerkt: Das neue Verhältnis Gottes zum Menschen besteht darin, dass Gott die von ihm entfremdende Verhältnislosigkeit des Todes selber erträgt.“100

Die Ganztodthese ist allerdings nicht automatisch an eine relationale Ontologie gebunden. Sie ist auch vereinbar mit einer Anthropologie aristotelischer Provenienz: Wenn die Seele als das den Körper informierende Prinzip verstanden wird, das nur im konkreten Menschen besteht, wäre mit dem körperlichen Tod auch der Tod der Seele und damit der Tod des ganzen Menschen gegeben.101 Wiegt die Seele 21 Die Auffassung des Todes als einer Trennung der Seele vom Leib Gramm? muss immerhin den empirisch beobachtbaren Sterbeprozess so deuten, dass er sich nur auf den Leib bezieht. Nötig wäre ferner, nun einen genauen Todeszeitpunkt anzugeben, der dann durch die Trennung von Seele und Körper zu bezeichnen wäre. Dies aber scheint unter der gegenwärtigen medizinischen Vorstellung, die das Sterben als einen Prozess und entsprechend den Tod nicht zu einem festen Zeitpunkt eintreten sieht, nicht denkbar zu sein. Freilich gab es auch kuriose medizinische Experimente, die just dieses Entweichen einer Seele durch angeblichen Gewichtsverlust nachweisen wollten.102 Andererseits relativiert sich aber das biologische Todeskriterium des Hirntodes vor dem Hintergrund des Todes als Verhältnislosigkeit, denn die Präferenz des Hirntodes beruht auf einer ontologischen Voraussetzung, nach der just die Fähigkeiten, die in einer dualistischen Anthropologie der Seele zugesprochen werden, nun als entscheidend für den Tod des Menschen angenommen werden. Genau dies lässt sich aber vor dem Hintergrund des Verständnisses des Todes als Verhältnislosigkeit nicht halten, denn der Hirntod stellt ja gerade keine solche Verhältnislosigkeit dar.

100 Jüngel, E., Tod , 139. 101 Vgl. Beißer, F., Hoffnung und Vollendung, 307. 102 Vgl. MacDougall, D., The Soul. Auch diese Vorstellung wurde jüngst popularisiert durch den Film „21 Grams“ von Alejandro Gonzalez Inarritu (USA 2003). Mangels Interesse wurde das Experiment m.W. nie wiederholt, denn der Gewichtsverlust kann auf zahlreichen anderen Faktoren beruhen. Die Erklärung mittels einer materiellen Seele ist die denkbar unwahrscheinlichste.

Der Tod des Menschen

227

Obwohl die Ganztodthese sich im 20. Jh. in der evangelischen Widerspruch gegen Theologie durchgesetzt zu haben schien und obwohl sie unbestreit- die Ganztodthese bare Vorteile besitzt, ist sie nicht unumstritten geblieben. Im Grunde schloss sich ihr der Mainstream der röm.-kath. Theologie nie an, aber auf der Wende zum dritten Jahrtausend regte sich auch Widerspruch aus den eigenen Reihen evangelischer Theologie, so vor allem von Wilfried Härle, Friedrich Beißer103 und Kirsten Huxel. Die Gründe für die Ablehnung der Ganztodthese variieren dabei genauso wie die vertretenen positiven Auffassungen. So sind Ökumenizität, ein Beachten des faktischen Glaubens der Kirchenmitglieder, seelsorgliche Aspekte und systematische Entscheidungen für Huxel Anlass, nicht nur die Ganztodthese aufzugeben, sondern zur Ansicht der Existenz einer Seele zurückzukehren.104 Härle hingegen kehrt nicht zur dualistischen Anthropologie zurück, sondern modifiziert die Ganztodthese Jüngels an einigen entscheidenden Punkten, übrigens in einer Weise, die von Jüngel als nicht kontradiktorisch zu dessen Position verstanden werden dürfte.105 Härles Kritik geht dabei von einer theologischen, einer anthropologischen und einer empirischen Beobachtung aus, die alle zur gleichen Modifikation führen: Wenn Gott den Menschen geschaffen hat, ist es dann mit der Treue Gottes zu sich selbst vereinbar, wenn Gott diesen Menschen wieder vernichtet? Da Härle diese Frage aus Gründen der Kohärenz der Gotteslehre verneint, kann er sich nicht vollständig der These des Todes als Beziehungslosigkeit anschließen. Wenn der Mensch vollständig vernichtet wird, einschließlich all seiner Beziehungen, dann scheint die Identität der Person verloren zu gehen. Dann aber kann sie auch von Gott an einem theoretisch gedachten jüngsten Tag nicht wieder auferweckt werden. Der Gedanke, dass es sich um eine vollständige Neuschöpfung dieser Person handeln könnte, befriedigt dabei nicht, denn nichts könnte die Identität dieser beiden Personen verbürgen, außer dem Willen Gottes. Dies aber würde bedeuten – hier sei mir eine Ergänzung der härleschen Argumentation gestattet –, dass der Wille Gottes dessen vornehmstes Wesensprädikat wäre und nicht die Liebe Gottes. Abgesehen davon, dass dies

103 Beißer, F., Hoffnung und Vollendung, 308–9 weist darauf hin, dass die particula veri der Ganztodthese darin besteht, dass nicht nur der Körper, sondern auch die geistige Existenz des Menschen den Tod erleidet, so dass nicht einfach von einer Kontinuität von hier und dort gesprochen werden darf. Andererseits kann aber auch nicht eine völlige Diskontinuität herrschen, die zu einer völligen Neuschöpfung führen würde. 104 So Huxel in einem Vortrag an der Ruperto-Carola zu Heidelberg im WS 2005/06, der mittlerweile publiziert ist, vgl. Huxel, K., Unsterblichkeit der Seele. 105 Vgl. Jüngel, E., Tod VII. Dogmengeschichtlich und Dogmatisch.

228

Die Präeschata

Schwierigkeiten der Gotteslehre mit sich brächte, die einen Willkürgott postulieren würden, wäre damit auch gegen das Prinzip der Logizität Gottes106 verstoßen: Denn wenn lediglich Gottes Wille für eine menschliche Person hinsichtlich ihrer Identität entscheidend ist, dann dürfte das nicht nur für eine Person gelten, die jetzt lebt, vernichtet und dann neu geschaffen wird, sondern auch für zwei jetzt gleichzeitig lebende Personen, die durch einen bloßen Willensakt Gottes als identisch erklärt werden können müssten. Dies ist aber offensichtlich widersinnig.

Ebenso wird man empirisch feststellen, dass schon die kreatürlichen Beziehungen zu einem Gestorbenen nicht vollständig abbrechen müssen: Auch nach dem Tod beziehen sich die Angehörigen weiter auf den Toten, in Einzelfällen, d. h. bei hervorragenden Gestalten der Geschichte, geschieht dies auch über Jahrhunderte hinweg. Auch dies spricht gegen die Vorstellung des Todes als vollständiger Verhältnislosigkeit. Härles Lösung besteht darin, den Tod als das Ende der aktiven Beziehungsmöglichkeiten zu verstehen, während die passive Bezogenheit des Menschen erhalten bleibt: teils innerhalb der menschlichen Beziehungen, auf alle Fälle aber von Seiten Gottes zur gestorbenen Person, womit sowohl das Problem der Treue Gottes als auch das Identitätsproblem des gestorbenen Menschen gelöst sind.107 Kritik am Freilich ist auch diese Rücknahme der Ganztodthese nicht vollWiderspruch gegen ständig befriedigend. Man kann von hier aus zwar Luthers berühmtes die Ganztodthese Diktum integrieren, dass derjenige, mit dem Gott spricht, gewiss unsterblich sei,108 aber es erscheinen auch Probleme einer relationalen Anthropologie und des Gott-Welt-Verhältnisses: Gesetzt der Fall, der Mensch ist tatsächlich durch Relationen konstituiert, dann werden auch die welthaften Beziehungen des Menschen, d. h. das, was ein Mensch erleidet und tut, nicht seiner Identität äußerlich sein. Dann aber wäre auch die Sünde des Menschen seiner Identität nicht äußerlich und Gott könnte nicht einfach zwischen Sünder und Sünde unterscheiden, hätte aber, wenn er den Menschen nicht vernichten kann, auch keine Möglichkeit die Sünde zu vernichten. Zudem schiene es so, als wäre jeder Mensch, einmal geschaffen, unsterblich und daher in der Ewigkeit zu Gott gehörig. Abgesehen davon, dass in einem solchen Falle die Schöpfung pantheistisch verstanden werden müsste, würde auch ein neues anthropologisches Problem inauguriert, weil man sich fragen müsste, wie diese Unsterblichkeit des Menschen nun aussieht: Bleibt der Mensch rein passiv, ohne zukünftige reaktualisierte aktive Beziehungsmöglichkeiten auf Gott bezogen, so dass

Der Tod als Ende der aktiven Beziehungsmöglichkeiten des Menschen

106 Zum Prinzip der Logizität Gottes vgl. Mühling, M., Art. Logik. 107 Vgl. Härle, W., Dogmatik, 629–633. 108 Vgl. Luther, M., WA 43, 481,32f. Wörtlich zitiert s.o. Kap. 3.1.

Der Tod des Menschen

229

er gleichsam im Gedächtnis Gottes erhalten bliebe, um einen Terminus des Prozessdenkens zu gebrauchen? Würde er zwangsläufig wieder mit aktiven Beziehungsmöglichkeiten von Gott bedacht werden müssen? Und würde dieser Fall entweder die Notwendigkeit einer apokatastasis panton, einer Allversöhnung bedeuten oder aber gerade andersherum eine Verewigung des Leidens bewusster personaler Kreaturen? Mit diesen Fragen haben wir aber nun ein Problemniveau erreicht, das nicht nur eine Lösung des in Frage stehenden Problems einer Deutung des Todes erschwert, sondern auch bereits zur Behandlung anderer Eschata überleiten würde, so dass wir eine Lösung vorerst zurückstellen müssen. Der hier diagnostizierte Sachverhalt suggeriert, dass es sich bei der Analoge Konzepte im Fragestellung, ob ein Ganztod angenommen werden müsse, um ein röm.-kath. Bereich hauptsächlich protestantisches Problem handelt, bei dem man sich langsam von einem Leib-Seele-Dualismus zugunsten einer relationalen Anthropologie verabschiedet hat. Freilich finden sich unter einer anderen Sprachregelung Äquivalenzen im Bereich der römischen Theologie. Sie hat zwar immer an der Seelenvorstellung festgehalten, diese jedoch nicht immer orphisch-dualistisch verstanden, sondern sie auch in einer Weise relational interpretiert, die der relationalen Vorstellung und dem damit implizierten Todesverständnis als einem Ende der aktiven Beziehungsmöglichkeiten sehr nahe kommt. So geht beispielsweise Joseph Ratzinger davon aus, dass Thomas von Aquins Konzeption der Seele als forma corporalis unter Aufnahme aristotelischen Gedankenguts eine vollständige Veränderung der aristotelischen Anthropologie bedeute, die genuin christlich sei und de facto auf die gleiche relationale Seelendefinition hinauslaufe, die wir schon bei Luther kennen gelernt hatten. Hier ist zwar die Seele das Kontinuitätsprinzip der Identität des Menschen auch im Tod, aber sie ist letztlich nichts anderes als das kommunikative Angesprochensein durch Gott und damit weder substantialistisch noch dualistisch zu verstehen: „Das christliche Unsterblichkeitsverständnis geht entscheidend vom Gottesbegriff aus und hat deshalb dialogischen Charakter. […] Auch Gott hat Unsterblichkeit, oder richtiger: ist Unsterblichkeit als Beziehungsgeschehen trinitarischer Liebe. Gott ist nicht ‚Atom‘, sondern Beziehung, weil er Liebe ist, und darum ist er Leben. […] Die Wegweisung, die von solcher Sicht des Seins ausgeht, lautet: Relation macht unsterblich […]. Die Materie kann kein Konstanz-Faktor im Menschen sein: Sie ist auch während des irdischen Lebens in steter Umbildung begriffen. […] Die Unterscheidung zwischen Seele und Leib ist aus diesem Grund unverzichtbar. Aber diese Dualität ist in der christlichen Überlieferung immer konsequenter […]

230

Die Präeschata so bedacht worden, dass sie nichts von Dualismus an sich trägt, sondern eben erst die Würde und die Einheit des Menschen zum Vorschein bringt.“109

4.2.4.2

Tod und Endlichkeit, Sünde und Geschöpflichkeit

§60 Die gute Endlichkeit des Menschen und der Tod als der Sünde Sold

§60 Das Problem, Endlichkeit des Menschen einerseits als gute Ausstattung seiner Geschöpflichkeit zu sehen und andererseits den Tod als der Sünde Sold und daher gerade nicht als zum Wesen des Menschen gehörend zu sehen, sofern man „Endlichkeit“ und „Tod“ identifiziert, ist ein theologisches Problem, das aber durch den Dialog mit den Naturwissenschaften über die Rolle des Todes noch verschärft wird. Die aktualen Gestalten der sich faktisch findenden Lösungsmöglichkeiten mögen zwar jeweils particula veri einer möglichen Lösung erkennen lassen, sind aber mit nicht zu unterschätzenden Defiziten behaftet.

Wie verhalten sich die Endlichkeit des Menschen und der Gedanke des Todes als der Sünde Sold zueinander?

Ein weiteres wichtiges Problem, das an sich ein theologisches Problem ist, das unabhängig vom Zeitgeist existiert, das aber durch die Debatte mit den Naturwissenschaften im 20. Jh. erheblich verschärft worden ist, ist die Frage, wie Tod und Endlichkeit, Sünde und Geschöpflichkeit einander zuzuordnen sind (s.o. Kap. 4.1). Dieses Problem entsteht im Wesentlichen durch zwei im Allgemeinen als positiv angenommene Sätze: A. Wenn der Mensch Geschöpf ist und nicht Schöpfer und wenn sich Schöpfer und Geschöpf dadurch unterscheiden, dass der Schöpfer unendlich, das Geschöpf aber endlich ist, muss der Mensch als Geschöpf seinem Wesen nach „endlich“ sein. B. Wenn Sünde Beziehungsbruch bedeutet und Beziehungslosigkeit Tod bedeutet, ist die Folge der Sünde der „Tod“. Oder anders ausgedrückt: Der „Tod“ ist der Sünde Sold (Röm 6,23). Vorausgesetzt ist dabei zwar, dass die Sünde als peccatum originale, als Ursünde, allgemeingültig jeden Menschen trifft und auch als ganzen Menschen betrifft, dass sie aber gerade nicht das Wesen des Menschen ausmacht, sondern die Verfehlung oder Zerstörung dieses Wesens bezeichnet. Das zu lösende theologische Problem ergibt sich daraus, dass beide Sätze nicht widerspruchsfrei zusammenpassen müssen: Setzt man

109 Ratzinger, J., Eschatologie, 132f.

Der Tod des Menschen

231

„Endlichkeit“ aus Satz A mit „Tod“ aus Satz B identisch, widersprechen sich A und B. Um dies zu vermeiden, gibt es eine Reihe von Lösungsmöglichkeiten: C. Man leugnet Satz A, d. h. man leugnet, dass „Endlichkeit“ zum Menschen gehört. D. Man leugnet Satz B, d. h. man leugnet, dass der „Tod“ generell eine Folge der Sünde ist. E. Man versucht „Tod“ und „Endlichkeit“ dergestalt zu unterscheiden, dass der Mensch zwar von Natur aus endlich, jedoch nicht sterblich ist. Dabei kann, wenn der biologische Tod einbezogen wird, zwischen zwei Möglichkeiten gewählt werden: E1: Der biologische Tod gehört zur guten Geschöpflichkeit des Menschen und damit zu dessen „Endlichkeit“ und ist nicht identisch mit dem „Tod“ als Sold der Sünde, der in einem speziellen geistigen Tod besteht. Dieser kann entweder mit dem ewigen, „zweiten“ Tod identifiziert werden oder mit einer bestimmten Einstellung des Lebenden zum biologischen Tod. E2: Der biologische Tod wird mit dem „Tod“, der der Sünde Sold ist, identifiziert, nicht mit der Endlichkeit des Menschen. In diesem Fall muss die Endlichkeit des Menschen in anderen empirischen Phänomenen gesehen werden und es muss erklärt werden, warum der biologische Tod auch nichtmenschliche Kreaturen trifft. Durch den Dialog mit den Naturwissenschaften wird dieses Problem verschärft, aber nicht erst gestellt. Die Verschärfung besteht darin, dass der biologische Tod als Motor der Evolution verstanden werden kann, die ihrerseits theologisch als Schöpfungswerkzeug Gottes anzusehen wäre. Allerdings ist eine derartige Einordnung des Todes als Motor der Evolution stark weltanschaulich getränkt. Wir sahen oben in diesem Kapitel, dass nach dem gegenwärtigen Verständnis der Evolution der Tod von Individuen einer Art gerade nicht als Motor, d. h. als notwendiges Prinzip der Evolution, verstanden wird, sondern nur als notwendiges Übel, als Kompromiss, der je nach Einzelfall Reproduktionserfolg ermöglichen kann. Damit würde sich wieder der Druck reduzieren, den biologischen Tod mit der Geschöpflichkeit verbinden zu müssen. Das damit verbundene Problem ist jedoch sekundär, weil es letztlich – wie gesagt – ein rein theologisches Problem ist. Wir besprechen nun die einzelnen Lösungsmöglichkeiten und ihre Bedeutung. – ad C: Das Problem entsteht nicht, wenn man leugnet, dass Endlichkeit zum Menschen gehört. Dies würde allerdings bedeuten, dass man die Schöpfer-Geschöpf-Distinktion einziehen muss. De facto

Ist der biologische Tod kreativer Motor der Evolution?

Gehört die Endlichkeit nicht zum Menschen?

232

Die Präeschata

geschieht dies in allen Wirklichkeitsverständnissen, die in irgendeiner Form – panentheistisch, pantheistisch oder materialistisch – die Welt verewigen. Sehr schön ist dies bei dem Hegelianer Ludwig Feuerbach (gest. 1872) beobachtbar, wenn die Gattungsnatur des Menschen als Gott bezeichnet wird, so dass „zwischen dem göttlichen und menschlichen […] Wesen kein Unterschied ist“.110 Freilich müsste man, wenn man diese Lösung bevorzugt, erklären, warum es den biologischen Tod des Individuums gibt. Dies geht letztlich nur unter der Prämisse, dass man den „biologischen Tod“ auf natürliche Weise gar nicht zur Endlichkeit des Menschen gehörend betrachtet. Dies könnte geschehen, wenn man in platonischer Tradition annimmt, dass der biologische Tod nur die Trennung der unsterblichen und unendlichen Seele von ihrem endlichen Körper sei oder wenn man, wie etwa Tipler,111 davon ausgeht, dass alle personalen Individuen durch ein der Welt inhärentes Gesetz wieder „auferstehen“, so dass der biologische Tod nur eine scheinbare Endlichkeit bedeuten würde. Es versteht sich von selbst, dass Option C mit den Grundsätzen christlicher Theologie kollidiert, so dass sie zwar eine denkbare, aber im Rahmen eines eschatischen Erwartungshorizonts abzulehnende Möglichkeit darstellt. Ist der Tod nicht der – ad D: Der Tod in jeglichem Sinne könnte mit der Sünde nichts Sünde Sold? zu tun haben. Dies ist durchaus eine denkbare Möglichkeit. Sie widerspricht zwar dem christlich-biblischen Zeugnis, aber es ist weder eine undenkbare noch eine vollständig unbiblische Lösung. Denn im Alten Testament ist der Tod an sich noch nicht der Sünde Sold, sondern nur der frühe oder schnelle Tod. Entsprechend wird in der jüdischen Tradition dann auch diese Lösung vertreten. Christlicherseits ist mir aber keine Position bekannt, die ihr entspräche. Vor allem wenn wir hier an einer relationalen Anthropologie festhalten wollen, verbietet sich diese Lösung: Denn wenn Menschsein in irgendeiner Weise mit Sein in Beziehung zusammengebracht wird, wird man auch die Phänomene des Todes und der Sünde in irgendeiner Weise mit der Verletzung von Beziehungen in Verbindung bringen müssen, so dass sich diese Lösung verbietet.

110 Feuerbach, L./Schuffenhauer, W., Wesen des Christentums, 19f. 111 Vgl. Tipler, F.J., Physik der Unsterblichkeit.

Der Tod des Menschen

– ad E1: Die Identifizierung des biologischen Todes mit der guten Endlichkeit der Geschöpfe ist die bei weitem in der Gegenwart bevorzugte Lösung des Problems. Sie erfordert es, den „Tod“, der der Sünde Sold ist, anders zu sehen. In der Regel wird dabei davon ausgegangen, dass die Sünde den biologischen Tod verwandelt bzw. diese Endlichkeit anders erleben lässt. Nach Karl Barth sind die Sterblichkeit und Endlichkeit des Menschen Bedingung dafür, dass die in Christus ein für alle Mal geschehene Erlösung überhaupt wirklich werden kann.112 Insofern ist zwischen gutem und bösem Tod, zwischen dem Tod als Endlichkeit und als Gericht, zwischen dem Tod als natürlichem und als widernatürlichem zu unterscheiden.113 Beides aber lässt sich aktual nicht scheiden, für uns als Sünder begegnet beides in der Einheit des Faktums Tod (das dann durch Christus freilich verwandelt wird).114 Ganz ähnlich heißt es dann bei dem kreativen Barthianer Jüngel:

233

Ist der biologische Tod als zur geschöpflichen Endlichkeit gehörend vom geistlichen Tod als der Sünde Sold unterschieden?

„Das ist das Elend des Todes, das macht ihn bitter: dass wir nicht sterben können Jüngel und doch sterben müssen. De facto ist der Tod etwas anderes als das, was er sein könnte. De facto ist der Tod widernatürlich. De facto ist er ein Fluch […]. Man kann diesen bedeutsamen Sachverhalt zugespitzt durch die These ausdrücken, dass erst das, was wir im Laufe unseres Lebens aus diesem Leben machen, den Tod zu einer unheimlichen Macht macht, die nicht nur den Einzelnen, sondern ganze Gemeinschaften, ja Völker bedroht […]. Er müsste nicht Abbruch, er könnte das rechte Ende sein.“115

Präfiguriert sind diese Lösungsmöglichkeiten Barths und Jüngels Schleiermacher interessanterweise durch Schleiermacher, der zwischen dem Fakt des Todes und unserer Bezugnahme darauf unterschied: Ersteres gehört zur guten Endlichkeit des Menschen, Letzteres steht unter dem Sünden-Gnadengegensatz.116 Damit hat diese Lösung freilich auch etwas Problematisches, denn der „Tod“ als der Sünde Sold, d. h. der Tod als Gericht oder als Folge der Sünde, sei er nun personal durch Gott verhängt oder als in der Sünde selbst liegende Folge gedacht, ist erstens nichts Objektives, sondern nur etwas Subjektives und betrifft daher zweitens gar nicht den Tod selbst, sondern den lebenden und noch nicht gestorbenen Menschen. Wenn aber die Folge der Sünde lediglich ein subjektives, nicht aber zugleich auch ein objektives Ereignis ist, dann ist auch die Sünde nicht ein objektives, sondern nur

112 113 114 115 116

Vgl. Barth, K., KD III,2, 768. Vgl. Barth, K., KD III,2, 728–731. Vgl. Barth, K., KD III,2, 764–765. Jüngel, E., Tod, 94–96. Vgl. Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §76,2, 416f.

234

Die Präeschata

ein subjektives Ereignis, wie auch die Versöhnung in Christus am Kreuz dann jeglicher Objektivität entbehren würde. Dies alles kann aber letztlich nicht angenommen werden. Pannenberg Pannenberg versucht dieser Falle zu entkommen. Er schließt sich zunächst gegen M. Heidegger (gest. 1976) und K. Rahner (gest. 1984), die den Tod als positiven oder negativen Abschluss der Identität unseres Lebens sehen, eher J.-P. Sartre (gest. 1980) an, der jeglichen Tod als Abbruch des Lebens deutet, so dass unsere Identität gerade nicht vollständig, sondern abgebrochen und fragmentarisch erscheint.117 Pannenberg geht nun davon aus, dass die Sünde des Sünders gerade darin besteht, nicht gemäß seiner Geschöpflichkeit endlich sein zu wollen. Der Tod als Strafe besteht nun genau darin, dass er den Menschen bei dieser Endlichkeit behaftet. Damit erscheint der Tod aber als Abbruch unserer Identität. Die Sünde als amor sui, als Nichtannahme der eigenen Endlichkeit, bewirkt nämlich, dass unser Zeiterleben auseinandertritt, mit der Folge, dass das Vergangene immer das nicht gerade Erlebte und damit das Gewesene ist. Würden wir nicht im amor sui leben, sondern exzentrisch korrekt auf Gott ausgerichtet sein, würde gelten:118 „Für dieses Ich […] bedeutet das Ende unseres Lebensprozesses den Tod. Das müsste nicht so sein. Könnten wir als wir selbst, als das endliche Ganze unseres Daseins existieren, dann wäre das Ende als Moment in die Identität unseres Daseins integriert und würde ihm darum kein Ende setzen. Das Ich aber hat in der Ichbezogenheit, die sein Selbstbewusstsein strukturiert, sein Ende stets außerhalb seiner selbst.“119 Ritschl

Pannenbergs Argumentation scheint elegant zu sein, ist aber ebenfalls nicht unproblematisch. Sie ähnelt in ihrer Argumentation sehr stark derjenigen Albrecht Ritschls (gest. 1889), für den das Zeiterleben des Menschen ebenfalls nur durch die Hemmung seines Zweckes durch Übel und widerstreitende Zwecke entsteht. Dies führt dazu, dass der Mensch nach Ritschl dann unsterblich ist, wenn er sich eben nicht in seinen Zwecken hemmen lässt, denn die Unsterblichkeit der Persönlichkeit bezieht sich weder auf die materielle Ausstattung des Menschen noch auf eine eventuelle geistige Seele, sondern allein auf den (in der Liebe des Reiches Gottes bestehenden) Zweck des Menschen. Daher ist Christus gerade im Kreuz, in dem er an seinem Zweck der Gründung des Reiches Gottes festhält, unsterblich und daher sind die Christen gerade im Leiden vollkommen und herrschen 117 Vgl. Pannenberg, W., Systematische Theologie III, 600–602. 118 Vgl. Pannenberg, W., Systematische Theologie III, 603–607. 119 Pannenberg, W., Grundfragen Systematischer Theologie II, 154.

Der Tod des Menschen

unsterblich über die Welt.120 Der Unterschied zwischen Ritschl und Pannenberg besteht – abgesehen davon, dass bei Pannenberg der Identitätsbegriff und bei Ritschl der Zweckbegriff federführend ist – lediglich darin, dass Pannenberg postuliert, dass es ein anderes Erleben der Identität kontrafaktisch geben könnte, während nach Ritschl der (an seinem Zweck festhaltende) Mensch immer schon unsterblich ist, es aufgrund seines Zeiterlebens im Tod nur nicht merkt. Damit erscheint aber bei Pannenberg und Ritschl letztlich das umgekehrte Problem wie bei Barth, Jüngel und Schleiermacher: Der Unterschied zwischen dem Tod als Endlichkeit und zwischen dem Tod als der Sünde Sold kann objektiv benannt werden, kann aber nicht subjektiv erlebt werden. Eine letzte Möglichkeit bliebe noch: den Tod als der Sünde Sold nicht auf den biologischen Tod, sondern auf einen nach der Auferstehung geschehenen „zweiten Tod“ zu beziehen, der die trifft, die im Gericht keinen Bestand haben. Diese Lösung setzt nun freilich schon den Gedanken einer Auferstehung nach dem Tode, eines Gerichts und endlich den Gedanken eines doppelten Ausgangs in einer spezifischen Form voraus, der nicht von einer ewigen Strafe, sondern eben von einer Vernichtung oder Annihilation ausgeht. Obwohl sie sehr voraussetzungsreich ist, ist diese Deutung nicht unmöglich und zumindest – wenn Kohärenz das einzige Kriterium theologischen Denkens wäre – sehr elegant. Faktisch wurde diese Möglichkeit freilich kaum vertreten, zumindest nicht innerhalb der Reihen des als in der einen oder anderen Weise als orthodox geltenden Christentums, sondern bei den Sozinianern.121 Da diese Lösung eine Entscheidung über die anderen genannten Eschata voraussetzt, kann an dieser Stelle nichts weiter dazu gesagt werden. – ad E2: Die letzte Möglichkeit wäre, den „Tod“, der der Sünde Sold ist, mit dem biologischen Tod zu identifizieren und die geschöpfliche Endlichkeit gar nicht mit dem Tod, sondern mit anderen geschöpflichen Gegebenheiten in Beziehung zu setzen, wie Endlichkeit des Wissens, Liebens, der räumlichen Ausdehnung des Menschen, etc. Obwohl sich eine breite theologische Tradition m.E. in diese Richtung bewegen dürfte, da in ihr der biologische Tod einfach mit der Sünde Sold identifiziert wird, findet sich m.W. in der gegenwärtigen lutherischen wie reformierten Theologie kein Konzept, das diesen Lösungsansatz konsequent und widerspruchsfrei wählt. Zwar hält F. Beißer, vielleicht ein wenig 120 Vgl. Ritschl, A., Unterricht, §23, 18. 121 Vgl. Janowski, J.C., Allerlösung. Annäherungen an eine entdualisierte Eschatologie, Bd. 2, 514–518.

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Bezieht sich die Rede vom Tod als der Sünde Sold auf den „zweiten Tod“?

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Die Präeschata

zu schrifttreu, energisch daran fest, dass der biologische Tod ein Übel und eine Strafe Gottes sei und gerade nicht zur Natur und zum Wesen des Menschen gehöre, aber gleichzeitig ist er auch, vielleicht ein wenig zu sehr auf den Zeitgeist achtend, der Ansicht, dass „es […] gewiss nicht zu bestreiten [ist], dass in der vorhandenen Welt das Sterben der Lebewesen notwendig ist.“122 So bleibt hier das Problem letztlich ungelöst. 4.2.4.3

§61 Reinkarnation: Ein Bonmot Wilhelm Buschs. Östliche und mystische Vorstellungen und die Ganztodthese

Reinkarnation bei Platon und im Buddhismus

Exkurs: Außerchristliche Vorstellungen des Geschehens im Tode: Reinkarnation und Aufgehen im Allgemeinen

§61 „Die Lehre von der Wiederkehr ist zweifelhaften Sinns, es fragt sich sehr, ob man nachher noch sagen kann: Ich bin’s“.123 Vorstellungen des Todes als Aufgehen des personalen Erlebens in das Allgemeine sind letztlich identisch mit der These der Vernichtung der Person und besitzen somit Ähnlichkeiten zum Ganztodkonzept. Die Auffassung, dass der Tod der Übergang der Erfahrungswelt des Selbst oder der Seele in andere welthafte Individuen sei, also die Vorstellung einer Reinkarnation oder Seelenwanderung, findet sich in vielen Kulturen, jedoch nicht in der christlich-jüdischen. Am populärsten ist ein Mythos, den Platon im „Staat“ erzählt: Nach dem Tode kommen die Seelen in eine große Reinigungsanlage und können für ihr neues Leben auf der Erde bestimmte Schicksale aus einer endlichen Menge wählen. Die Reihenfolge der Wahl wird durch das Los bestimmt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diejenigen, die zuerst wählen dürfen, auch tatsächlich besser leben werden, denn ihr Erfolg verführt sie zu Überheblichkeit. Anschließend vergessen die Seelen durch einen Trank des Vergessens ihre Wahl, ihr vergangenes Leben und werden wiedergeboren.124 Mannigfache Vorstellungen von Transmigration und Reinkarnation erscheinen auch in der vedantischen Lehre und in buddhistischen Auffassungen. Die buddhistischen Auffassungen sind insofern interessant, als sie gerade nicht von einem Fortbestehen einer individuellen Seele ausgehen, sondern davon, dass 122 Beißer, F., Hoffnung und Vollendung, 311. 123 Busch, W., Schein und Sein, auch als open source im Gutenbergprojekt unter http://gutenberg.spiegel.de/wbusch/scheinsn/schein49.htm. 124 Vgl. Platon, Politeia, Buch 10, 617d–621d.

Der Tod des Menschen

die individuellen Handlungen eines Lebenden sich zu einem apersonalen Karma verfestigen, einem System von Charakterdispositionen, das eine Wiederverkörperung je nach Art dieser Charakterdisposition kennt. Diese muss nicht zwangsläufig auf der gleichen oder einer höheren Stufe, sondern kann auch auf einer niedrigeren Stufe des Lebens geschehen. Dabei sind diese Vorstellungen einer Wiederverkörperung, gleich welcher Stufe, negativ konnotiert, während eine positive Zukunftshoffnung gerade im Aufgehen des Individuellen im Allgemeinen und Nichtigen besteht, da die Individualität des Menschen sowieso nur als Schein gedeutet wird.125 Moderne westliche, vulgäresoterische Rezeptionen dieser Lehre beachten diesen Zusammenhang in der Regel nicht. Das Hauptproblem an dieser Lehre besteht in dem philosophischen Kontinuitätsproblem der Identität, das hier in gesteigerter Form auftritt. Schon in unserer alltäglichen Welt ist personale Identität durch die Zeit eine ontologische Voraussetzung, die nicht beweisbar und nicht notwendig ist. Dies lässt sich durch ein einfaches Beispiel, angeregt durch den Literaten S. Lem (gest. 2006), zeigen. Es ist denkbar, von meiner Person einen identischen Doppelgänger zu produzieren, der all meine Erinnerungen aufweist, mich anschließend nachts umzubringen, ohne dass ich es merke, und durch den Doppelgänger zu ersetzen, der sich dann in seiner Selbstbewusstseinserfahrung für mich hält.126 Dieses fiktive Szenario ist nicht widerlegbar, d. h. es könnte tatsächlich geschehen sein, und es zeigt, dass die Identität eines Subjekts durch die Zeit keine apriorische Tatsache ist, sondern eine ontologische Voraussetzung, die durch soziale und empirische Wahrnehmung in Interaktion einigermaßen plausibel ist. Im Falle des Berichts von Wiedergeburtserfahrungen fehlen diese intersubjektiven Stützen jedoch komplett, so dass sich eine tatsächliche Wiedergeburt einer individuellen Seele in nichts von einer nur eingebildeten Wiedergeburt unterscheiden würde und damit ein semantisch sinnloses Konzept darstellt. Dieser Einwand gilt freilich nicht gegen den erwähnten platonischen Mythos und gegen die Karmalehre, weil beide in dem hier verwandten Sinne gar keine Wiedergeburtsvorstellungen sind: Bei Platon ist es ein Mythos, der einen bestimmten Aspekt der Gerechtigkeit veranschaulichen soll, und die Karmalehre geht gar nicht von einer Weiterexistenz eines mit sich identischen Individuums aus. Sämtliche

125 Vgl. Hick, J., Death and Eternal Life, 297–396. 126 Vgl. dazu die Kurzgeschichte „Die Auferstehungsmaschine“ in Lem, S., Die phantastischen Erzählungen.

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Die Reinkarnationslehre und das Problem personaler Kontinuität

238

Die Präeschata

Belege, die von esoterischer Seite für die Biblizität der Wiedergeburtsvorstellung angebracht werden, sind radikale Missinterpretationen des Befundes, denn der biblische Terminus „Wiedergeburt“ meint biblisch etwas anderes: das Geheiligt-Sein des mit Christus der Sünde gestorbenen und dadurch gerechtfertigten Menschen. Insofern gibt es keinen Christen, der nicht wiedergeboren wäre. Geht der individuelle Eine andere Vorstellung ist die des Aufgehens des Individuellen im Mensch im Tod im Allgemeinen mit dem Tode. Auch solche Vorstellungen verschiedener Allgemeinen auf? Art finden sich in verschiedenen Kulturen. Zu erinnern wäre an die buddhistische Auffassung vom Nirwana oder auch die Auffassung der mittelalterlichen Mystik, nach der die Seele in Gott aufgehen kann wie ein Tropfen Wein in einem Ozean von Wasser bei Heinrich Seuse (gest. 1366).127 Die Vorstellungen sind im Prinzip gleichwertig, da das Allgemeine, wenn es wirklich alle Möglichkeiten umfasst – also auch einen Begriff und seine Verneinung – identisch mit dem Nichts ist, wenn man die nominale Schreibweise überhaupt für zulässig hält. Auf alle Fälle schließt diese Vorstellung Personalität und Subjektivität aus. Obwohl es gerade in neuplatonischer Tradition hier anspruchsvolle Konzepte gibt, brauchen wir uns an dieser Stelle nicht weiter mit ihnen zu befassen, denn es gilt: 4.2.5

Der Mensch als imago dei und als Person

Um die in Frage stehenden Probleme lösen und zu einer verantwortlichen christlichen Sicht des Todes gelangen zu können, wird man den Tod nur vor dem Hintergrund einer christlichen Anthropologie begreifen und eine solche von vornherein nur unter dem eschatischen Erwartungshorizont entwerfen können. Da dieser aber wesentlich durch Leben, Sterben und Auferweckung Christi konstituiert ist, der als wahrer Gott und wahrer Mensch nicht nur Erkenntnisprinzip des Gottseins, sondern auch des Menschseins ist, wird man eine Beschreibung des Menschen jedenfalls nicht ohne Christus liefern können. 4.2.5.1 §62 Personalität als Gottebenbildlichkeit. Die Personalitätstraditionen (Boethius, Alexander und Kant, Richard v. St. Viktor)

Der Mensch als Person in Beziehung

§62 Des Menschen Gottebenbildlichkeit besteht in dessen Personsein. Wichtig geworden sind vor allem drei Personbegriffe: 1. der Personbegriff des Boethius, der die Person durch die Eigenschaft

127 Vgl. Seuse, H./Sturlese, L./Blumrich, R., Buch der Wahrheit, zitiert bei Brümmer, V., Model of Love, 69.

Der Tod des Menschen

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ihrer Vernunftfähigkeit konstituiert sieht, 2. der Personbegriff Alexander von Hales und Kants, die in unterschiedlicher Weise die Person durch ihre Würde konstituiert sehen, und 3. der Personbegriff Richard von St. Viktors, der die Person als wechselseitiges Sein in Beziehung versteht. Richards Begriff ist fruchtbar, aber noch unterbestimmt. Nehmen wir diesen Zusammenhang ernst, wird die Gottebenbildlichkeit des Menschen nach Gen 1,26 in der Beziehungshaftigkeit des Menschen als Person bestehen: Wie Gott eine ungeschaffene Liebesgeschichte dreier göttlicher Personen in Beziehung ist, so ist auch zu erwarten, dass der Mensch ein Beziehungswesen als eine Geschichte ist. Der Personbegriff wäre dann erkenntnistheoretisch und univok sowohl auf Mensch als auch auf Gott anzuwenden. Was aber ist eine Person? Hier gibt es verschiedene Definitionsmöglichkeiten: Nach Boethius (gest. 524) ist eine Person „eine individuelle Substanz einer vernunftfähigen Natur“.128 Nach dieser Definition ist einerseits die Vernunftbegabtheit entscheidend, andererseits die Individualität der Person. Obwohl Boethius diese Definition auf die Personen des trinitarischen Gottes anwendet und von diesen tatsächlich als Individuen spricht, ist dies nicht unproblematisch, denn dann wäre die Einheit der Trinität gefährdet. Da aber ein univoker Personbegriff gefordert wurde, kann der boethianische Personbegriff auch nicht auf den Menschen angewandt werden. Der boethianische Personbegriff ist aber gerade dadurch, dass er Personsein an einem Prädikat, nämlich der Intelligibilität oder Vernunftfähigkeit, festmacht, auch in anderer Hinsicht problematisch, weil eine Person, sei sie nun Engel, Mensch oder Gott, nur so lange als Person gelten kann, wie sie diese Eigenschaft besitzt oder wie sie die Möglichkeit zu dieser Eigenschaft besitzt. Da der boethianische Personbegriff aber als Paradigma eines Typus einer Reihe anderer Personbegriffe gelten kann, so etwa der Personbegriff von John Locke (gest. 1704) oder in der Gegenwart derjenige von Peter Singer,129 kann mit der Ablehnung des Personbegriffs von Boethius der gesamte Typus als ungeeignet für Gott und Mensch bezeichnet werden. Eine andere Möglichkeit wäre, etwa mit Kant und Alexander von Hales (gest. 1245), den Personbegriff durch den Begriff der Würde zu definieren. Bei Alexander von Hales ist eine Person ein durch die

128 Boethius, A.M.S., Contra Eutychen et Nestorium, III, 84,4f. 129 Vgl. Singer, P., Praktische Ethik, 120.

Was ist eine Person?

Ist eine Person eine „individuelle Substanz einer rationalen Natur“ (Boethius)?

Ist eine Person „ein durch die Würde unterschiedenes Individuum“ (Alexander von Hales)?

240

Die Präeschata

Ist eine Person etwas, das man immer auch als Selbstzweck behandeln soll (Kant)?

Ist eine Person ein „nichtmitteilbares Voneinander-her-undzueinander-hinSeiendes“ (Richard von St. Viktor)?

Proprietät der Würde unterschiedenes Individuum.130 Während Boethius Personen von Nichtpersonen abgrenzt, indem er als spezifische Differenz die Vernunftbegabtheit benennt, aber die Individualität der einzelnen Individuen der Gattung der Personen nicht erklären kann, widmet sich Alexander genau diesem Problem: Die Individualität der Personen besteht darin, dass sie sich hinsichtlich ihrer Würde unterscheiden, Nichtpersonen kommt gar keine Würde zu. Der Begriff der Würde dient also sowohl als spezifische Differenz zwischen Personen und Nichtpersonen als auch als Individuationsprinzip. Ersteres ist uns durch die Rede von Begriffen wie Menschenwürde oder Personwürde vertraut, Letzteres weniger, ist aber durchaus verstehbar, wenn man den Begriff der Personwürde in Analogie zum Begriff der Amtswürde gebraucht, die ja auch von Amt zu Amt variiert. Dennoch würde die Definition, so wie sie rein formal lautet, den gleichen Verdikten wie Boethius‘ Definition verfallen. Dies ist aber nur oberflächlich so, weil man fragen kann, was die Eigenschaft der Würde überhaupt sein soll. Bei Alexander von Hales kommt man mit dieser Frage nicht weiter, aber vielleicht hilft Kants berühmte dritte Form des kategorischen Imperativs: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchtest“.131 Sieht man dies als Versuch, den Würdebegriff zu erklären, wäre dieser durch die Selbstzweckhaftigkeit und nicht ausschließliche Mittelhaftigkeit in Handlungsvollzügen definiert. Damit könnte der Würdebegriff in der Tat als spezifische Differenz zu Nichtpersonen fungieren, nicht aber mehr die Individualität der Person erklären. Warum einer Person ferner diese Würde zukommt, bleibt auch in dieser Definition offen. Orientiert man sich an den anderen Definitionen Kants, sieht man, dass auch hier die Vernünftigkeit wieder eine entscheidende Rolle spielt.132 Alles in allem wird man daher sagen können, dass auch diese Definition nicht geeignet ist, die Gottebenbildlichkeit des Menschen als Person zu erklären. Eine andere Definition gibt Richard von St. Viktor (gest. 1173), der eine Person als eine incommunicabilis existentia (ein „nichtmitteilbares Voneinander-her-und-zueinander-hin-Werdendes“) definiert.133 Dieser Personbegriff ist explizit dafür entworfen, sowohl auf göttliche, menschliche als auch engelische Personen anwendbar zu 130 Vgl. Alexander von Hales, Glossa, I, 3, 27 (49f). 131 Kant, I., GMS AA, 66f. 132 Zu den verschiedenen Formen des kategorischen Imperativs bei Kant vgl. Härle, W., Die weltanschaulichen Voraussetzungen, 22–25. 133 Richard von St.Victor, De Trinitate, 4,18, 268.

Der Tod des Menschen

sein.134 Was ist damit gemeint? Als ex-sistentia, als ein Voneinanderher-und-zueinander-hin-Seiendes, ist die Person durch Relationalität gekennzeichnet. Das gilt für göttliche Personen, indem sie immer auf andere göttliche Personen bezogen sind, und für den Menschen, indem er immer auf Gott, den Nächsten und die apersonale Umwelt bezogen ist. Der Mensch ist damit kein Individuum, er ist nicht autark und ein einzelner Mensch ist nicht denkbar. Vielmehr bildet die ganze Menschheit einen Organismus. Dennoch ist der einzelne Mensch eine partikulare Person, deren Besonderheit, also die Eigenschaften, die inkommunikabel sind, gerade durch ihr Sein-in-Beziehung, in Kommunikation, dergestalt gebildet wird, dass in diesen Beziehungen immer ein nichtmittelbarer, quasi entzogener Rest mitkonstituiert wird. Kurz gesagt, Richards Definition steht jenseits von Kollektivismus und Individualismus und ist für unser Problem anwendbar. Allerdings wird man diese Bestimmung noch dynamisieren müssen, indem man Anregungen von Raimundus Lullus aufnimmt, der den Menschen nicht als Substanz, sondern als Tätigkeit und Verb beschrieb: homo est animal homificans.135 Der Mensch ist als Ebenbild Gottes, also als Person, ein nichtmitteilbares Voneinander-her-undzueinander-hin-Werdendes in den drei narrativen Beziehungsgefügen zu Gott, zum Mitmenschen und zur apersonalen Mitschöpfung. 4.2.5.2

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Die Person als Voneinander-her-undzueinander-hinWerdendes

Des Menschen Werden als geschöpfliche Liebe

§63 Der Mensch ist Person als Werden in wechselseitigen, aber unterschiedenen liebenden und narrativen Beziehungen zu Gott, seinen Mitmenschen und seiner apersonalen Umwelt. Da diese Liebesgeschichten als konstitutive Regeln verstanden werden können, bestimmen sie das Werden des Menschen. Da der Mensch dieser Regel im Hier-und-Jetzt nicht entspricht, ist des Menschen Personwerden ein eschatischer Sachverhalt, der ihm im Hier-und-Jetzt verheißen ist und der somit Gegenstand der christlichen Hoffnung bleibt. Nun ist Richards Ausdruck incommunicabilis existentia noch sehr unbestimmt. Er gibt eigentlich nur an, dass Relate immer in Beziehung stehen und Beziehungen immer zwischen Relaten bestehen. Das kann man auch noch so missverstehen, als ob die Relate vorgängig vor der 134 Vgl. Richard von St.Victor, De Trinitate, 4,13.14.16, 256–264. 135 Lullus, R., Die neue Logik, 23.

§63 Des Menschen Werden in Beziehung als eschatische Person im Lichte von Verheißung und Hoffnung

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Die Präeschata

Beziehung wären. Erinnern wir uns aber, dass Gott eine Schöpfung in Liebe in Entsprechung zu seinem eigenen Sein als Liebesabenteuer geschaffen hat, dann ist es einsichtig, dass diese Beziehungen nichts anderes sind als eben wieder eine Liebesgeschichte. In den Kapiteln 3.3 und 4.1 haben wir gesehen, dass Gottes gesamte Schöpfung als primäre Narration der Liebe verstanden werden kann, die bestimmten Regeln folgt. Besprochen hatten wir in Kapitel 4.1 die kosmischen Regelmäßigkeiten der Liebe, die unter den Bedingungen des Hierund-Jetzt noch unvollendet sind. Wir sahen auch, dass es personale Regeln der Liebe gibt, und zwar solche, die durch das Geschöpf nicht gebrochen werden können und daher personale thetische Regeln der Liebe sind, und solche, die durch das Geschöpf gebrochen werden können und daher deontische Regeln sind.136 Beide Arten von Regeln lassen sich im Doppelgebot der Liebe zusammenfassen, so dass der Mensch dasjenige narrative Wesen ist, das durch Liebe zu Gott und zum Nächsten konstituiert ist. Dies ist noch ein wenig erläuterungsbedürftig: Das Doppelgebot der Zielt Gottes Schöpfungsabsicht auf das Hervorbringen einer geschöpfliLiebe als chen Liebe, die seiner Liebe entspricht, zielt es auf das Hervorbringen persoKonstitutivum des Menschen naler Geschöpfe und das heißt auf die Setzung deontisch-konstitutiver Re-

geln der Liebe. Bedingt durch die Schöpfer-Geschöpf Distinktion und durch die Vielheit der Geschöpfe in der konstitutiven Relationalität ihres Seins ist hier der Regelinhalt zweifach zu verstehen: Zum einen ist in Relation zum Schöpfer der Regelinhalt in christlicher Tradition mit Liebe zu Gott, d. h. mit einem filialen asymmetrischen aber dennoch reziproken Liebesverhältnis filialer Liebe, zu benennen und zum anderen zwischen den personalen Geschöpfen untereinander mit dem Regelinhalt der Nächstenliebe, d. h. der Forderung nach geschwisterlichen Liebesverhältnissen. Das Doppelgebot der Liebe bildet daher den Regelinhalt. Es ist selbst Regelergebnis von Gottes thetisch-konstitutiven regelgerechtem schöpferischen Liebeshandeln und insofern für die personalen Geschöpfe nicht aufhebbar. Das Doppelgebot der Liebe kann somit als Teil der lex naturalis aufgefasst werden. Der Regelinhalt ist also paradigmatische, filiale Liebe im Verhältnis zu Gott (d. h. aus der Sicht des Menschen unbedingtes, existenzbestimmendes Vertrauen) und geschwisterliche Liebe der Geschöpfe untereinander. Diese Liebesbeziehungen sind zwar auch als Interaktion zu verstehen, aber es handelt sich dabei um eine Interaktion, in die die interne Struktur menschlichpersonaler Intentionalität in einer besonderen Weise involviert ist, zu der auch die Affektivität des Menschen gehört.

136 Zu den Distinktionen im Regelbegriff vgl. Conte, A.G., Konstitutive Regeln und Deontik.

Der Tod des Menschen

Wichtig für den Regelinhalt sozialer Regeln ist nun, dass die meisten sozialen Regeln einen Regelinhalt besitzen, der Verhalten und Handlungen, nicht aber die interne Struktur menschlicher Intentionalität regeln soll. Das führt dazu, dass diese Regeln, etwa Verkehrsregeln, wenn sie einmal bekannt sind, diejenige Relation betreffen, die unmittelbar vom intellektiven Vermögen zum voluntativen Vermögen besteht: Verkehrsregeln sollen auch dann eingehalten werden, wenn die Einhaltung Unlust erwarten lässt. Die Doppelregel der Liebe gehört nicht zu diesen Regeln, weil deren Regelinhalt nicht nur reale Interaktionsrelationen beinhaltet, sondern gleichursprünglich sich auf die intentionalen Fähigkeiten dergestalt bezieht, dass der Regelinhalt nur dann eingehalten ist, wenn die Willensmotivation unter expliziter Einbeziehung des affektiven Vermögens so geschieht, dass der Wille durch eine Lustempfindung motiviert ist: Ziel ist „Lust und Liebe“ zu Gottes Geboten.137 Man könnte auch sagen: Die „Doppelregel der Liebe ist noch in einem zweiten Sinne doppelt, weil sie damit die Konkordanz zwischen des Menschen Wünschen erster und zweiter Ordnung fordert (s.o. 1.3.3). Oder noch einmal anders: Sie regelt nicht primär das Handeln des Menschen, sondern sein Werden. Dies hat sofort zwei Konsequenzen: Zum einen kann die Nichteinhaltung nicht mit einer anderen sozialen Regel verknüpft sein, die durch Zwang eine Unlustempfindung verspricht. Zum anderen reicht die einmalige Kenntnis der Doppelregel der Liebe nicht aus, weil die Affektivität durch die passiven Relationen direkt (Trieb) oder indirekt durch die reale Erfahrung des intellektiven Vermögens von externen Relaten abhängig ist. Alles in allem bedeutet dies, dass mit der Einbeziehung des affektiven Vermögens in den Regelinhalt gleichursprünglich auch die passive, je aktuale und reale Gerichtetheit des Menschen von externen Relaten (Ereignissen) erscheint. Die Doppelregel der Liebe ist aber nicht nur als deontische Regel zu verstehen, sondern auch als konstitutive Regel und als regulative Regel. Wäre sie nur eine regulative Regel, wäre sie nicht konstitutiv für das Werden der personalen Geschöpfe. Ist sie nicht konstitutiv für das Werden der Geschöpfe, wäre Gottes Schöpferabsicht, eine geschöpfliche Liebesgeschichte in Entsprechung seiner eigenen Liebe hervorzubringen, nicht gegeben und damit wäre letztlich ein Selbstwiderspruch Gottes angenommen: Zwar hat Gott die Freiheit, eine Schöpfung hervorzubringen oder nicht hervorzubringen, gerade weil Gott selbst in sich eine Liebesgeschichte ist. Mit der Wahl einer Schöpfung in Entsprechung zu seiner eigenen Liebe muss die deontische Regel geschöpflicher Liebe aber gerade ebenfalls als konstitutiv für diese Geschöpfe verstanden werden. Dieser konstitutive Charakter der Regel der Liebe personaler Geschöpfe selbst hat freilich nur den Charakter einer

137 Vgl. Luther, BSLK, 661, 36; Luther, M., WA 5, 18–20 u. a.

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Die Präeschata

notwendigen Bedingung, der erst hinreichend unter Einschluss des zu differenzierenden Handelns Gottes ist. Dennoch handelt es sich um ein für das Sein der Geschöpfe konstitutiven Charakter und dies hat wichtige Implikationen: Zum einen ist gegen eine breite Tradition christlicher Theologie standhaft daran festzuhalten, dass sich nicht nur bei Gott Handeln und Sein nicht scheiden lassen, sondern dass dies aufgrund der Konstitutivität der Doppelregel der Liebe auch schöpfungstheologisch für die geschöpflichen Personen gilt. Um es noch deutlicher zu formulieren: Das Handeln von geschöpflichen Personen lässt sich nicht von deren Sein und deren Identität trennen. Der Mensch ist (zunächst), was er tut und erleidet. Dies gilt zunächst auch für die Perspektive Gottes. Um den vielleicht schon aufgebrachten Leser zu beruhigen, ist darauf hinzuweisen, dass dies nicht das letzte Wort in dieser Hinsicht und dass unter soteriologischem Gesichtspunkt hierzu noch etwas zu sagen sein wird. Dennoch ist dies unter schöpfungstheologischer Perspektive wichtig festzuhalten, weil ansonsten aus dem Gott, der wirklich Liebe ist, der Götze des „lieben Gottes“ wird, der harmlos als Diener menschlichen Narzissmus erscheint. Wer die Rechtfertigung als Grundlage der Anthropologie stark machen will, muss zunächst auf die Identität von Sein des Menschen, Handeln des Menschen und Erleiden des Menschen in seinem Werden bestehen. Ferner hat dies auch noch einen weiteren Vorteil: Soweit es sich bei den personalen Geschöpfen um Menschen handelt, erweist sich in diesem Sachverhalt die theologische Anthropologie als anschlussfähig an Anthropologien wie sie aus der Sozialpsychologie George Herbert Meads (gest. 1931) und dem symbolischen Interaktionismus Erving Goffmans (gest. 1982) und T. Shibutanis bekannt sind. Wir können hier auf diese Theorien nicht weiter eingehen und müssen zu deren Vorstellung auf externe Literatur verweisen,138 können aber auf einige Implikationen hinweisen: Das Selbst von Menschen wird zumindest in interaktionellen Zusammenhängen mitgebildet und hinter den unterschiedlichen Rollen von Personen gibt es keine verborgene Personsubstanz. Konkret können wir sagen: Das Selbst wird in seiner Identität durch die in narrativen Zusammenhängen gestellten Identitätsansprüchen und -erwartungen von Personen sowie deren Akzeptanz und Zurückweisung gebildet. Die zweite Implikation besteht darin, dass Sozialität und Personalität als wechselseitig konstitutiv verstanden werden müssen. Dies ist letztlich nichts

138 Vgl. Mead, G.H., Mind, Self and Society, 135–226; Pannenberg, W., Systematische Theologie I, 465f; Pannenberg, W., Anthropologie in theologischer Perspektive, 151–235; Pannenberg, W., Person und Subjekt; Diekmann, E., Personalität, 66–104; Rohls, J., Person und Selbstbewußtsein; Goffman, E., Stigma, bes. 9ff und 67ff; Vate, D.v.d.j., Romantic Love; Mühling, M., Gott ist Liebe, 269–293; Volkmann, S., Zorn Gottes, 30–34.

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anderes als die positive Reformulierung des klassischen Begriffs der Menschheit als Organismus, wie er uns im analytischen-historischen Teil mannigfach begegnete (s.o.) bzw. auch der Menschheit als (geschöpflicher) Liebe. Personen sind keine einsamen Individuen, sondern so wie sich Handlungen nicht vom Sein der Personen trennen lassen, sind die geschöpflichen Personen, konkret die Menschen, auch einander wechselseitig konstitutiv. Da dies eine Implikation der deontisch-konstitutiven Doppelregel der Liebe ist, bedeutet dies auch zugleich: Handlungen partikularer Personen sind nie radikal privatisierbar. Und dies bedeutet auch: Verantwortung und daher auch Schuld sind keine individuellen Phänomene oder unübertragbar, sondern Schuld ist sehr wohl übertragbar, doch dazu mehr im Bereich der Explikation der Sünde.

Das so verstandene Personwerden des Menschen besteht also darin, dass die Person dergestalt als Schnittpunkt von Beziehungen, als Knoten narrativer Fäden, aufgefasst werden muss, dass die Gottesbeziehung als transzendentale Narrativität die weltlichen Beziehungen der Person in der primären Narrativität bestimmt. Da all diese Beziehungen und stories mit Liebe beschrieben werden können, die Liebe aber im Hier-und-Jetzt aufgrund des Falls faktisch verletzt, also ver-rückt ist, ist der Personbegriff ein eschatischer Begriff und die Art und Weise, auf die der Mensch im Hier-und-Jetzt biologisch und soziologisch wird, ist nicht die, in der er eigentlich werden soll. Damit koinzidieren unsere Ergebnisse über den Personbegriff in etwa Ist „Person“ ein mit der an der altkirchlichen Philosophie orientierten Unterscheidung des eschatischer Begriff? Personbegriffs des Metropoliten von Pergamon, John D. Zizioulas. Auch Zizioulas versteht eine Person relational konstituiert, unterscheidet aber eine biologische Hypostase (d. h. Person) des Menschen von einer ekklesialen Hypostase: Das wahre Personsein erhält der Mensch erst in den zurechtgebrachten Beziehungen der Kirche, die biologische Hypostase ist nur eine Abschattung davon.139

Wir können hier präzisieren, dass diese ekklesiale Hypostase eigentlich als eschatische Hypostase zu bestimmen ist, d. h., dass nicht das zurechtgebrachte Beziehungsgefüge der Kirche im Hier-und-Jetzt die Person konstituiert, sondern der Mensch im Hier-und-Jetzt auch in der Kirche, die selbst auch simul justa et peccatrix ist, nur in Hoffnung auf seine eschatische Identität leben kann. Eigentlich ist der Mensch nicht Person, sondern er wird Person. Im Hier-und-Jetzt hat der Mensch sein Personwerden und damit seine Identität nur im Modus der Verheißung. Allerdings wird auch das Personwerden in der

139 Vgl. Zizioulas, J.D., Being as Communion, 50–52; Zizioulas, J.D., Human Capacity and Human Incapacity.

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Die Präeschata

eschatischen Realität nicht als statisches Sein, sondern immer noch als Werden, aber unter anderen Bedingungen, verstanden werden müssen. Wenn dem aber so ist, dann muss im nächsten Abschnitt gefragt werden, warum des Menschen faktisches Sein derart verletzt ist.

§64 Sünde als Ver-rückung des menschlichen Beziehungsorganismus

Pervertiertes Wahrwertnehmen und die Inversion wayfaring in transport

4.2.6

Sünde und Tod

4.2.6.1

Sünde als ver-rückte Liebe

§64 Sünde ist ver-rückte Liebe, betrifft die ganze Menschheit als narrativen Organismus von Personen in Beziehung und ist daher von Person zu Person übertragbar. Ihre Basis ist ein ver-rücktes Wahrwertnehmen und Werden, in dem wayfaring in transport, Attentionalität in Intentionalität und gewebeartige Prozesse in netzwerkartige Strukturen verkehrt werden. Sie äußert sich im Verhältnis zu Gott im falschen Vertrauen, im Verhältnis zu anderen Menschen in der Funktionalisierung anderer Menschen und im Verhältnis zur apersonalen Umwelt in der Pseudopersonalisierung, indem nichtpersonalen Dingen eine Wichtigkeit zugeschrieben wird, die denen von Personen entsprechen. In allen narrativen Dimensionen (zu Gott, den Nächsten und sich selbst) äußert Sünde sich auch in Entkontingentisierungsversuchen und Versuchen der Kontingenzreduktion. Sünde ist in erster Linie als Verletzung der deontisch-konstitutiven Doppelregel der Liebe zu verstehen. Sie ist ein pervertiertes Werden, das nicht wayfaring, sondern transport als konstitutiv betrachtet. Die Verletzung dieser Liebe äußert sich weniger in dem, was man landläufig Lieblosigkeit nennt, sondern darin, dass Sünde eine ver-rückte Liebe ist oder eine Liebe, die ihre eigene Regelgabe sein will.140 Dabei breitet sich die Sünde in allen narrativen Relationsgeflechten des Menschen, in denen er wird – in Beziehung zu Gott, zur personalen 140 Dies zeigt sich m.E. auch deutlich in Gen 2,4–3,24. Indem der Mensch der Versuchung der Schlange, eritis sicut deus, zustimmt, versucht er, selbst Standard des Guten und des Bösen zu sein (Gen, 3,5), was freilich den tatsächlichen Standard des Guten und des Bösen in der Regelgabe durch Gott nicht ablösen kann, aber verhindert, dass dieser erkennbar ist. Die Geschichte erklärt damit die faktische Instinktunsicherheit des Menschen und den Unterschied des Menschen zum Tier, macht aber gegen die gut zu lesende Einführung von Gertz, J.C.H., Grundinformation Altes Testament, 259 gerade keine Aussage über das Wesen des Menschen oder das Humanum.

Der Tod des Menschen

und apersonalen Umwelt sowie in der Selbstbeziehung – aus. Soweit damit die Liebe zu Gott gemeint ist, bedeutet dies, dass an Stelle Gottes nun mannigfache andere Entitäten oder Sachverhalte treten können, an die der Mensch sein Herz gehängt bekommt.141 Dies ist die theologische Grundform der Sünde als Aberglaube oder falsches Vertrauen, die sich dann hinsichtlich der Gottesbeziehung mit gar keinem Vertrauen oder als Misstrauen äußert. Phänomenal ist Sünde zunächst weder ein falsches Handeln, Erleiden, Denken, Wollen noch Fühlen. Sie ist das zwar alles auch; allerdings nur in abgeleiteter Form. Primär ist Sünde ein pervertiertes Wahrwertnehmen und schließlich ein pervertiertes Werden. Beobachtbar wird für den Menschen diese Sünde u.U. dadurch, dass nun die Wünsche erster Ordnung nicht mehr den Wünschen zweiter Ordnung – zu wollen, was man will – entsprechen (s.o. 1.3.3). Denn das Doppelgebot der Liebe ist nicht nur dadurch doppelt, dass es sich auf Gott und Mensch bezieht, sondern auch darin, dass es in der Liebe die Übereinstimmung von Wünschen erster und zweiter Ordnung fordert – also eine Übereinstimmung von Voluntativem und Affektivem. Nun erkennen wir unsere Fähigkeit, Wünsche zweiter Ordnung haben zu können, in der Regel erst dann, wenn sie nicht den Wünschen erster Ordnung entsprechen. Umgekehrt ist unsere Fähigkeit, Wünsche zweiter Ordnung haben zu können, dann eine notwendige Bedingung zur Erkenntnis der Sünde durch den Gesetzescharakter des Doppelgebots. Paulus macht sich diesen Sachverhalt in Röm 7,19 zunutze: „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ Aber auch innerhalb der Forderung nach geschwisterlicher Liebe zwischen den Menschen äußert sich die Sünde, und zwar primär in Erscheinungsweisen, die alle Kennzeichen der Inversion von wayfaring in transport sind, so dass netzwerkartige Strukturen gewebeartige Prozesse ablösen und Intentionalität an die Stelle von Attentionalität tritt. Zu nennen ist zunächst die Funktionalisierung von Personen, indem Personen zu anderen Personen Beziehungen unterhalten, die nicht primär einer personalen Liebesbeziehung entsprechen, sondern einer merkantilen oder einer technischen Beziehung. Personale Beziehungen unterscheiden sich nämlich von merkantilen und technischen Beziehungen dadurch, dass das ausgetauschte, kommunizierte Gut in personalen Beziehungen die Identität der Person ist („ich bin der, der dich liebt“), während in merkantilen Beziehungen die Person primär

141 Vgl. Luther, BSLK, 560.

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Was tragen Wünsche zweiter Ordnung zur Erkenntnis der Sünde bei?

Sünde als Funktionalisierung

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Die Präeschata

(aber nicht nur) eine Funktion für die andere Person erfüllt, indem sie als Lieferant eines nichtpersonalen Guts fungiert. In technischen Beziehungen dient der Nächste ebenfalls als Medium, einen Zweck zu erreichen, allerdings mit dem Unterschied, dass er nun zum Manipulationsobjekt wird. Die Ablösung des Anderen von der eigenen Identität stellt gerade für die Todesproblematik eine gefährliche Versuchung dar: Denn wenn ich nicht wirklich die Person des Anderen liebe, sondern sie nur als Träger von Funktionspositionen sehe, kann ich den Tod scheinbar in den Griff bekommen. In einer literarischen Karikatur sieht das so aus: „‚Du bist doch auch ein Individuum …‘ ‚In einem sehr geringen Maße […]. Du hast sicherlich bemerkt, dass unsere Gesichter sich nicht voneinander unterscheiden, ebenso haben wir die höchste gesellschaftliche Austauschbarkeit erreicht […]. Es gibt in jedem Augenblick in der Gesellschaft bestimmte Arten von Funktionen […]. So gibt es Berufsplanstellen für Herrscher, Gärtner, Techniker, Ärzte, aber es gibt auch Familienplanstellen – für Väter, Brüder, Schwestern und so weiter. Auf jedem dieser Posten ist ein Panter [d. h. ein Mitglied dieser fiktiven Gesellschaft] nur vierundzwanzig Stunden tätig. […] ich weiß heute noch nicht, wer ich morgen sein werde. Der Wechsel der Planstellen erfolgt um Mitternacht durch eine allgemeine Auslosung, auf die kein Lebender Einfluss nehmen kann. Beginnst du nun, die tiefe Weisheit unserer Gesellschaftsordnung zu begreifen?‘ […] ‚Kann man jeden Tag einen anderen Menschen lieben?‘ […] ‚Anhänglichkeit, Achtung, Liebe wurden einst durch ständige Unrast, durch die Befürchtung, die geliebte Person zu verlieren, ausgehöhlt. Diese Angst haben wir überwunden. Denn was immer auch für Erschütterungen, Krankheiten, Kataklismen unser Leben heimsuchen – jeder von uns hat stets einen Vater, eine Mutter, einen Gatten und Kinder. Doch damit nicht genug. Was unveränderlich ist, beginnt nach einer gewissen Zeit zu langweilen, ganz gleich, ob uns Gutes oder Böses widerfährt. Gleichzeitig jedoch verlangt es uns nach einem dauerhaften Schicksal, wir wollen es vor Störungen und Tragödien bewahren. Wir wollen existieren und nicht vergehen, uns verändern und doch von Bestand sein, alles sein, ohne etwas zu riskieren. Diese Widersprüche, scheinbar miteinander unvereinbar, sind bei uns Wirklichkeit.‘[…] ‚Wie werdet ihr mit dem Tod fertig?‘[…] ‚Tod? Das ist ein veralteter Begriff. Es gibt dort keinen Tod, wo es keine Individuen gibt. Bei uns stirbt niemand. […] Überlege, was der Tod bedeutet. Er ist ein Verlust, tragisch durch seine Unabwendbarkeit. Wen verliert der, der stirbt? Sich selbst? Nein, denn ein Toter existiert nicht, und wer nicht existiert, kann nichts verlieren. Der Tod ist eine Angelegenheit der Lebenden – er ist der Verlust eines Nahestehenden. Wir verlieren nie unsere Nächsten.‘ […] ‚Hast du jemals von Meister Oh vernommen?‘ ‚Oh ja. Er ist der Schöpfer unseres Staates. Mit ihm vollbrachte er sein größtes Werk – die Prothese der Ewigkeit.‘“142

142 Lem, S., Sterntagebücher, 119–23.

Der Tod des Menschen

Die zweite Erscheinungsweise ist das spiegelbildliche Fehlverhalten der Pseudopersonalisierung, indem zu nicht personalen Entitäten und Sachverhalten eine quasi-personale Beziehung unterhalten wird. Da die Menschheit einen Gesamtorganismus bildet, der durch die deontisch-konstitutive Doppelregel der Liebe mitkonstituiert wird, ist Sünde zunächst ein Sachverhalt, der das ganze menschliche Beziehungsgefüge betrifft und sich nicht auf die Relate beschränkt. Sünde ist prinzipiell nicht so vorstellbar, dass sie nur ein Relat betrifft. Vielmehr gilt: Ist ein Relat betroffen, gleichgültig, welches dies ist, ist das ganze Beziehungsgefüge betroffen. Daher sind Sünde und Schuld übertragbar. Dieser Sachverhalt findet seinen Ausdruck in der Störung menschlicher Sozialität, darf aber empirisch nicht auf diese beschränkt werden. Da die deontisch-konstitutive Doppelregel der Liebe eben mitkonstitutiv für das Sein des menschlichen Beziehungsorganismus ist, wird dieser nicht einfach nur moralisch, sondern in seinem narrativen Werden geschädigt. Da es sich zwischen menschlicher Personalität und menschlicher Sozialität um einen wechselseitig konstitutiven Sachverhalt handelt, bedeutet die Schädigung des gesamten Organismus auch eine Schädigung der einzelnen Relate. Die dritte Erscheinungsweise, vielleicht noch grundlegender als die ersten beiden genannten, besteht in Entkontingentisierungsversuchen oder Kontingenzreduktionen. Hierin sind Versuche zu sehen, Kontingenzen im Werden auszuschließen, gar nicht mehr zu sehen oder nur epistemisch zu verstehen. 4.2.6.2

249

Sünde als Pseudopersonalisierung Sünde und Schuld sind übertragbar

Sünde als Entkontingentisierung

Chaotisches Leiden und der Tod als Sündenfolge und Zurechtbringungsfolge: Die Konfirmation der Rechtfertigung

§65 Die Folge der Sünde als Verletzung der Regel der Liebe ist, dass der Mensch teilweise diesem seinem ver-rückten Wahrwertnehmen, Wollen und Fühlen überlassen wird – d. h. der teilweisen Regellosigkeit und dem verzweifelten Versuch, dieses teilweise Chaos durch eigenmächtige Regelsetzung in Entkontingentisierungsversuchen beherrschen zu wollen. Epistemisch ist der Mensch missorientiert. Ontisch kommen nur noch die unabgeschlossenen natürlichen Regeln der Schöpfung für ihn in Anschlag und er verfällt chaotischem Leiden, das den Tod als Ganztod – als Beziehungslosigkeit – einschließt, der das Siegel der Sünde ist.

§65 Die Folgen der Sünde und Zusammenfassung über den Menschen als Bild Gottes im Zusammenhang von Sünde und Tod

250

Die Präeschata

Der Mensch ist Ebenbild Gottes als Person in liebender und konstitutiver Beziehung zu Gott, den Mitmenschen und der nichtpersonalen Mitschöpfung. – Aufgrund der Verletzungen der Sünde ist der Personbegriff selbst ein eschatischer Begriff. Der Mensch ist Person nur in der Verheißung. – Die Sünde als versuchte Selbstregelung seines Seins überlässt den Menschen dem unvollendeten Teil kosmischer Regelmäßigkeiten und damit der Regellosigkeit in chaotischem Leiden und Tod als absoluter Beziehungslosigkeit – etsi Christus non daretur. – Da nun aber Christus gestorben und durch den Geist auferweckt ist, verwandelt sich unser Tod: Wir sterben nicht in die Beziehungslosigkeit, sondern in Christus hinein. Damit ist der Tod nun der Verzicht des Menschen, selbstschöpferisch an sich, den Mitmenschen und der apersonalen Umwelt durch eigene Regelungssetzung tätig zu werden und somit die Konfirmation der Rechtfertigung: Der Mensch ist nun passiv rein auf Gott angewiesen. Zudem ist sein Leben in seiner Kindheit zu Ende. – Dieses Konzept setzt eine relational-narrative Anthropologie voraus, in der für die Rede von einer immateriellen, substanziellen Seele kein Raum ist. Dennoch muss der Seelenbegriff nicht aufgegeben werden. Allerdings wird „die Seele“ zu einem narrativen Beziehungsgeschehen, zu einem Werden und Widerfahren, vor allem in der Gottesbeziehung, vermittelt aber durch die welthaften Beziehungen. Man könnte auch sagen: „Seelen“ ist in Wirklichkeit ein Verb: „Ich werde geseelt, in letzter Instanz von Vater, Sohn und Geist, aber immer mit, durch und für Andere.“ – Einen „Ganztod“ der relationalen Beziehungslosigkeit erleidet der Mensch aber dennoch nicht, weil dieser durch Christi Versöhnungstat umgewandelt wird: Das narrative Beziehungsgewebe des Menschen, das im Leben zu dem dreieinigen Gott, zur personalen und apersonalen Mitschöpfung besteht, besteht im Tod nur noch zu Christus als der zweiten Person der Trinität: Der Mensch stirbt in Christus hinein. – Der biologische Tod beruht auf der Unvollendetheit der kosmischen Regelmäßigkeiten und ist faktisch für den Menschen eine Sünden- und Zurechtbringungsfolge. Er gehört als solcher nicht zur endlichen Schöpfung, sondern nur zur unvollendeten endlichen Schöpfung. Die Endlichkeit des Menschen macht sich an allen möglichen anderen Eigenschaften des Menschen

Der Tod des Menschen

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fest, die mit seinem Leben in einer Welt als endlichem Gefüge von Ordnungsrelationen verbunden sind. – Da die nichtpersonale Mitschöpfung teils konstitutiv zum Menschsein dazugehört, ist klar, dass sie von eschatischer Relevanz ist, wenn auch nicht klar ist, inwieweit. Wir sahen, dass Sünde eine Regelverletzung der Doppelregel der Liebe ist, die sich in dem Versuch des eigenen Aufstellens deontischkonstitutiver Regeln äußert, in Entkontingentisierungsversuchen, was zum Scheitern verurteilt ist. In dieser Hinsicht, d. h. in der aufgrund ihrer dem Menschen unverfügbaren Unersetzbarkeit, bleibt die Doppelregel der Liebe als Kennzeichen wahrhaften Werdens weiterhin in Kraft. Da aber andererseits eine Straffolge ausgeschlossen ist, besteht die einzig mögliche Folge der Regelverletzung darin, dass des Menschen Versuch, die Doppelregel der Liebe zu verletzen, ganz einfach teilweise Erfolg hat, und zwar exakt darin, dass es sowohl die soziale als auch die personale Folge ist, dass der Mensch nun der teilweisen Regellosigkeit überlassen ist. Da es sich aber um eine deontisch-konstitutive Regel für das ontische Sein des Menschen handelt, wäre zu erwarten, dass damit der Mensch – und zwar sowohl hinsichtlich dessen personaler als auch sozialer Existenz – instantan dem absoluten Nichtsein verfällt. Dem ist aber nicht so. Vielmehr ist darauf hinzuweisen, dass die Setzung der deontisch-konstitutiven Doppelregel der Liebe nicht Gottes einziges personales Regelsetzungshandeln ist, sondern dass die thetisch-konstitutiven, d. h. die natürlichen Regelmäßigkeiten, vom Menschen nicht gebrochen werden können. Erweisen sich nun aber Letztere als notwendige Bedingung menschlichen Seins, kann der Mensch selbst im Widerspruch gegen sein Werden eben dieses nicht aufheben. Dies ist auch notwendig, denn andernfalls wäre auch Gottes regelgemäßes und regelsetzendes Welthandeln insofern verletzt, als Gott mit der Zulassung der Selbstvernichtung des Menschen auch die Absicht seiner schöpferischen Liebe verleugnen würde, was sofort einen auszuschließenden Selbstwiderspruch im Wesen des Werdens Gottes implizieren würde. Die Folge der Sünde besteht also in partieller Regellosigkeit, in- Partielle sofern nur noch das thetisch-konstitutive Regelwerk menschliches Regellosigkeit als Folge der Sünde Dasein reguliert. Dieses hat aber zwei Aspekte: Zum einen erweist es sich als das Bestehen bloßer Regelmäßigkeiten, zum anderen besteht es aber auch in der Kontingenz, Leiden und Tod einschließenden Nicht-Vollendetheit dieses Regelwerkes. Die Folgen der Sünde sind also so zu benennen, dass nun ontisch dieser Teilbereich des göttlichen Schöpfungshandelns in seinen beiden Aspekten ungebremst für

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Die Präeschata

Missorientierung als Sündenfolge

Chaotisches Leiden als Sündenfolge

den Menschen zum Tragen kommt. Es scheint also einerseits, als ob die einzigen Regeln, nach denen sich die Welt gestaltet, transportartige Regeln seien, also technische und merkantile. Andererseits aber erscheinen Kontingenz und Zufall nicht mehr als Wohltaten, sondern als Bedrohung. In seinem Wahrwertnehmen wird der Mensch blind für das Liebesabenteuer. Kontingenz und Güte sind für ihn auseinandergerissen, er vertraut nicht mehr deren immer wieder neuen und spontanen Koinzidenz. Dies äußert sich zunächst in zwei Aspekten, epistemisch aus der Sicht des Menschen und ontisch: Epistemisch aus der Sicht des Menschen ist eine Folge der Sünde Orientierungslosigkeit oder Missorientierung. Dies gilt zum einen ethisch hinsichtlich der Versuche des Menschen, in der Ausbildung eines Ethos ein eigenes deontisch-konstitutives Regelwerk zu schaffen, weil die Doppelregel der Liebe nun nicht mehr einsehbar und erfahrbar ist. Dies gilt darüber hinaus aber auch für das gesamte intellektive Vermögen des Menschen und kommt darin zum Ausdruck, dass der Mensch nun versucht ist, die beiden Aspekte der thetischkonstitutiven Regelmäßigkeiten isoliert zu verabsolutieren. Dieses kann geschehen, indem der Regelmäßigkeitsaspekt betont wird, indem wayfaring in transport pervertiert wird. Dies ist z. B. der Fall bei deterministisch-naturalistischen Anthropologien. Dieses kann auch geschehen, indem der unabgeschlossene, kontingente Aspekt des thetisch-konstitutiven Regelwerks betont wird. Dies ist der Fall in konstruktivistischen oder skeptizistischen Anthropologien. Ontisch hingegen drückt sich die Regellosigkeit im chaotischen Leiden aus. Der ganze menschliche Organismus und dessen einzelne personale Relate erfahren nun gerade die Kontingenz in ungebremstem, chaotischem Zustand und dies impliziert die Erfahrung chaotischen Leidens. Die Sündenfolge besteht damit gerade nicht in der Erfahrung eines ungebrochenen Tun-Ergehen-Zusammenhanges, nach dem es dem Sünder schlecht ergehen würde, dem Gerechten aber gut. Vielmehr muss die Konstruktion eines solchen Tun-ErgehenZusammenhanges als menschlicher Entkontingentisierungsversuch gesehen werden, der zum Scheitern verurteilt ist. Leiden und Tod treffen den Menschen nun, von Gott zugelassen, in chaotischer, rein zufälliger Form, die vom spontanen sich Ereignen des Guten separiert ist. Damit wird aber auch der biologische Tod des Menschen für diesen zur Belastung. Denn der Tod kann nun zwar nicht mehr als Sold der Sünde im Sinne einer technischen Regelfolge gedeutet werden, aber als Siegel der Sünde: In ihm vollzieht sich das höchste Maß an Regellosigkeit: Der partikulare Mensch ist im Tod vollständig allein, von Gott und den Mitmenschen verlassen: Nur im Tod unter radikal

Der Tod des Menschen

sündhaften Bedingungen ist der Mensch Individuum im radikalen Sinne. Die Aussage des Ganztodes des Menschen als Sündenfolge gilt aber nur etsi Christus non daretur. Nun gibt es aber Christus als die zweite Person der Trinität, die in ihrer Hingabe am Kreuz gerade den Tod der absoluten Beziehungslosigkeit erlitten hat, indem sie sich selbst den Menschen hingegeben hat und die durch die Hingabe des Geistes an den toten Sohn auferweckt wurde. Damit aber verwandelt sich der Tod der Menschen: Mit der Selbsthingabe des Sohnes und des Geistes ist der Tod, und zwar auch als biologischer Tod, in einem Fall überwunden. Die Zurechtbringung ist in dieser Hinsicht zunächst die einmalige partikular raumzeitliche Vollendung der thetisch-konstitutiven Ordnung von Regelmäßigkeiten und aufgrund der Selbsthingabe des Geistes an die Geschöpfe zugleich die Antizipation der eschatischen Vollendung dieses Regelwerkes, insbesondere der eschatischen Überwindung des Todes. Die Zurechtrückung am Kreuz ist die eschatische, aber raumzeitlich neue Verwirklichung des Liebesabenteuers als Koinzidenz von Kontingenz (einschließlich des chaotischen Leidens am Kreuz) und Güte (Auferstehung). Dieser Sachverhalt ist signifikant, denn das thetisch-konstitutive geschöpfliche Regelwerk bedurfte der Vollendung, unabhängig von der Sünde. Damit ist die Zurechtbringung nicht nur ein kosmisches Ereignis des fortgesetzten Schöpferhandelns Gottes, sondern man wird zu folgendem Schluss kommen: Auch ohne die Sünde bedurfte die Welt des Zurechtbringungshandelns des Sohnes und des Geistes. Über die genaue Gestalt eines solchen hypothetischen Zurechtbringungshandelns lässt sich freilich nichts sagen. Stirbt aber die Person Christi als Person des göttlichen, inkarnierten logos, zu dem als Bruder der Menschen die Beziehungen zu allen partikularen Menschen dazugehören, diesen Tod der Verlassenheit, verwandelt sich der Tod der Verlassenheit für alle anderen Menschen, denn für diese ist in dieser Verlassenheit nun Christus aufgrund seines menschlichen Beziehungs- und Narrationsgewebes nun auch als Gott der Sohn anwesend, so dass der sündige Mensch den Tod nicht mehr allein zu erdulden hat. Nun stirbt der Sohn aber in seiner Hingabe an den Menschen, indem er – trotz ausbleibender Antwort – sich auf Vater und Geist verlassen muss, und dies geschieht auch nicht umsonst, wie in der Selbsthingabe des Geistes deutlich wird. Der Tod bedeutet daher, sich der Verlassenheit und als Abbruch aller Handlungsmöglichkeiten sich der puren Passivität auszusetzen. Damit aber bedeutet der Tod der Menschen nun in Konformität zum toten Christus die Konfirmation des Rechtfertigungsglaubens. Und dieses gilt in einem Doppelsinn: Wie die Konfirmation Bestätigung

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Die Verwandlung des Todes durch die Hingabe von Sohn und Geist

Der Tod als Konfirmation des Rechtfertigungsglaubens

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Die Präeschata

der Taufe ist, so ist der Tod die Bestätigung der passiv widerfahrenden Konstitution allen weltlichen Werdens. Und wie die Konfirmation als Übertritt von der Kindheit ins Erwachsenendasein gilt – also als Übertritt einer lebensgeschichtlich kurzen und vorbereitenden Zeit in eine längere und wichtigere Zeit – so ist es auch mit dem Tod: Er markiert das Ende der Kinderzeit und den Eintritt des Eigentlichen – aber das ist, ohne von der Auferstehung gesprochen zu haben, noch nicht ersichtlich. 4.2.7

§66 Probleme der Praxis mit dem Tod

Ethische, seelsorgliche und liturgische Aspekte

§66 Zu den vielfältigen ethischen, seelsorglichen und liturgischen Problemen, die sich mit dem Verständnis des Todes ergeben, gehören u. a.: Probleme des Behandlungsabbruchs, Probleme im Umgang mit Komatösen, Probleme der Transplantationsmedizin, ein problematischer öffentlicher Umgang mit Tod und Sterben, Probleme der Lebenswelt des Alters, die Frage nach der Seelsorge an Sterbenden und an Trauernden, die Frage des öffentlichen wie privaten Gebetes für Verstorbene, die Frage, wer kirchlich bestattet werden sollte sowie die Frage nach unterschiedlichen Beerdigungspraktiken. Ihren genuinen Ort der Vergewisserung im Leben der Glaubenden hat die Verknüpfung des eigenen Todes mit dem Tod Christi in der Taufe. Die mit dem Thema Tod verbundenen ethischen, seelsorglichen und auch liturgischen Probleme sind so vielfältig und gewichtig, dass sie in diesem Buch nicht annähernd besprochen werden können. Wichtig ist auch zu sehen, dass insbesondere das Präeschaton des Todes für die infrage stehenden Probleme nicht ohne andere Eschata wie Auferstehung, Gericht, etc. besprochen werden sollte. Daher mögen an dieser Stelle einige Hinweise und Problemaufzählungen genügen:

– Probleme der Behandlungsaufgabe: Bei einigen Krankheiten stellt sich das Problem, ob die Patienten dem Tode geweiht sind und man nicht entsprechend weniger oder einen anderen Behandlungsaufwand (ggf. Hospiz) betreiben sollte und könnte. Umgang mit – Umgang mit Komatösen: In ähnlicher Weise kann die Frage gestellt Komatösen werden, wie man mit Komatösen umzugehen hat, vor allem, wenn es sich um Formen des irreversiblen Komas handelt.

Probleme der Behandlungsaufgabe

Der Tod des Menschen

– Ethische Probleme der Transplantationsmedizin: Auch hier spielt die Todesauffassung eine entscheidende Rolle, wenn auch mit der Einführung des Transplantationsgesetzes 1997 einige Probleme gelöst worden sein dürften. – Die Abschaffung des Todes in der Gesellschaft: Gestorben wird heute meist nicht mehr in der Familie, sondern im Krankenhaus. Es findet ein Outsourcing des Todes aus der allgemeinen Lebenswelt statt. Durch das Problem der Funktionalisierung von Personen, d. h., indem personale Beziehungen auf merkantile Beziehungen, die austauschbar sind, reduziert werden, wird das Problem des Todes scheinbar erleichtert oder überwunden, denn wenn ein Mensch für den anderen primär eine Funktion erfüllt, ist er leichter ersetzbar. – Die Lebenswelt des Alters: Zum Tod führt das Sterben, zum Sterben oft das Altern. Die Lebenswelt des Alters ist, gerade in ihrer wichtigen Bedeutung für die nördlichen Gesellschaften der Zukunft, noch unzureichend erforscht, sowohl soziologisch als gerade auch theologisch und poimenisch. Oft herrschen hier verschiedene Vorurteile, die das Gespräch mit alten Menschen eher behindern und eine eigene unrealistische Vorstellung des Alters aufbauen. Dazu gehören einerseits die Infantilisierung des Alters und andererseits die Vorstellung, man könnte „alt und weise“ werden, also die irrige Vorstellung, das Alter wäre der Abschluss der Lebensgeschichte einer Person. Demgegenüber wird man darauf hinweisen müssen, dass das Alter zwar spezifische Probleme bietet, die aber letztlich nichts anderes sind als exemplarische Probleme menschlichen In-der-Welt-Seins, die auch theologisch exemplarisch sind.143 Vor allem ist hier daran zu denken, dass zur Geschöpflichkeit auch Endlichkeit und damit Erschöpflichkeit144 gehört, die im Alter besonders auftritt. Aus christlicher Sicht stirbt man nicht „altund lebenssatt“ – auch wenn dies ein berechtigter Traum sein mag –, sondern der Tod wird auch im Alter in den meisten Fällen als Abbruch erlebt werden und das Leben als Fragment, das uns daran erinnert, dass nicht wir selbst die Autoren unserer Lebensgeschichte oder unserer Identität sind. Zudem ist auch der Alterstod zunehmend der Krebstod, der seine ganz besondere Problematik mit sich bringt.145 All das erinnert uns daran, dass

143 Vgl. Drechsel, W., Das Schweigen der Hirten?. 144 Vgl. Schwöbel, C., Verdrängte Geschöpflichkeit. 145 Vgl. Drechsel, W., Der bittere Geschmack.

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Transplantationsmedizin

Das Outsourcing des Todes

Die Lebenswelt des Alters

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Die Präeschata

der Tod aus christlicher Sicht gerade im Abbruch und nicht in der Vollendung des Lebens nichts anderes als die Konfirmation der Rechtfertigung sein kann – und als solcher auch der Übertritt in das wahrhafte Leben im Liebesabenteuer. Seelsorge im hohen Alter und an Sterbenden hat daher nicht – die Situation verachtend – „ressourcenorientiert“ zu erfolgen, sondern ermutigend zum Abenteuer.146 Seelsorge an – Seelsorge an Sterbenden: Ein besonderes Problem bereitete auch Sterbenden die Sterbebegleitung und Seelsorge an Sterbenden. Sie ist ohne Kenntnis der hier genannten Todesverständnisse nicht zu leisten. Darüber hinaus bedarf es auch der Kenntnis der christlichen Auferstehungsgewissheit, der wir uns in einem späteren Kapitel zuwenden werden. Entscheidend ist aber auch hier, dass der Seelsorger nicht als Belehrender auftritt, was schon der personale Respekt verbietet, sondern entscheidend ist, dass er alle möglichen und vielleicht gar nicht ausgesprochenen Fragen eines Sterbenden reflektiert und für sich verantwortende Antworten oder Antwortstrategien gefunden hat, wenn es auch im Seelsorgegespräch vielleicht nie zur entsprechenden Aussprache der Themen kommt. Auch hier ist Ermutigung durch narrative Erzählpraxis wichtig. Seelsorge mit – Seelsorge mit Trauernden: Ein nicht zu unterschätzendes Problem Trauernden bietet auch die Seelsorge mit Trauernden. Hier ist nicht nur in der Praxis, sondern auch in der theoretischen Erforschung der Vergangenheit mit vielen Vorurteilen umzugehen. Zunächst einmal ist festzuhalten: Ohne ein eigenes systematisch-theologisch reflektiertes Todes- und Auferstehungsverständnis ist Seelsorge mit Trauernden schlichtweg nicht zu leisten. Sodann gilt: Wenn das hier vertretene relationale und narrative Menschenverständnis richtig ist, ist Epikurs Auffassung, der Tod ginge uns nichts an, schlichtweg falsch: Der Tod ist dann ein empirischer Sachverhalt, der von uns erlebt werden kann: eben als Tod des Anderen. Da aber der Andere ontisch zu mir dazugehört, ist der Tod des anderen immer auch mein Tod, zumindest meine Verletzung. Stimmt diese relationale Anthropologie, wird man die Versuche, einzelne Trauerphasen zu konstatieren, schlichtweg nur aufgeben können. Denn die Konstruktion einzelner schematischer Trauerphasen entspricht der Sicht der Funktionalisierung von Personen, d. h.

146 Vgl. Schlarb, V., Narrative Freiheit, 197–266.

Der Tod des Menschen

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der Reduktion von Personen auf Funktionspositionen, und geht, wie auch neuere Untersuchungen bestätigen, an der Wirklichkeit vorbei. In Einzelfällen – wie etwa im Mythos der „Schockphase“ – kann es zu gefährlichen Reaktionen des Seelsorgers kommen, hier etwa, weil er fälschlich davon ausgeht, in der Schockphase gäbe es keine „Behandlungsmöglichkeit“. Die Trauerphasenmodelle sind auch insofern hochproblematisch, weil sie implizit Trauer als Krise oder Krankheit verstehen, damit dem christlichen Menschenbild widersprechen und dem oben genannten Outsourcing-Problem des Todes Vorschub leisten. Demgegenüber wird eine zeitgemäße Trauerbegleitung perimortal geschehen und auf die Vielgestaltigkeit und Nichtschematisierbarkeit von Trauervorgängen zu achten haben, ohne spezifische Aufgaben, die in der Trauersituation geleistet werden müssen (Todesrealisation, Raumgabe von Reaktionen, Anerkennung des Verlustes, Übergangsunterstützung, Erinnern und Erzählen als Identitätsrekonstruktion und die Ressourcen- und Risikenevaluation und -prävention), aus dem Blick zu verlieren.147 – Gebet für Verstorbene? Mit der Todesproblematik sind auch ei- Darf man für ne Reihe von Problemen der praxis pietatis und des liturgischen Verstorbene beten? Umgangs verbunden. Dazu gehört die Frage, ob man für Verstorbene beten dürfe. Calvin bejaht zwar die gegenseitige Fürbitte für Lebende, nimmt aber die Toten explizit aus.148 Der Grund für diese Zurückhaltung der Reformatoren besteht darin, dass der Tote im Prinzip in Gottes Hand ist und ihm somit kein Übel mehr zustoßen könne. Gebete für Verstorbene standen nun im Verdacht, verdienstliche Wirkung haben zu können, so dass auf die Aufnahme des Toten bei Gott ein Einfluss ausgeübt werden solle. Dies wäre natürlich der Rechtfertigung kontradiktorisch zuwider und damit abzulehnen. Nun gibt es aber sehr wohl einen guten Grund, der für Gebete – private wie öffentliche – und sonstige liturgische Handlungen am Verstorbenen spricht: Wenn die hier vertretene Anthropologie und das hier vertretene Todesverständnis richtig ist, dann ist der Tod kein individuelles Phänomen, weil der Mensch kein Individuum ist, sondern eine Person in Beziehung. Dann aber betrifft der Tod die Hinterbliebenen genauso wie den Toten: Auch der Tod ist ein Beziehungsgeschehen. Es gibt daher für die Hinterbliebenen keinen besseren Umgang, als

147 Vgl. Lammer, K., Den Tod begreifen. Neue Wege in der Trauerbegleitung. 148 Vgl. Calvin, J., Institutio III, 20,27 (590).

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Die Präeschata

ihre Trauer und ihre Sorge auf Gott den Schöpfer, Versöhner und Vollender zu werfen und das heißt nichts anderes, als für den Toten zu beten. Dies schließt ja nicht automatisch ein verdienstlich gedachtes Gebet ein, sondern ist im Sinne einer normalen Fürbitte zu verstehen. Das Gebet für Tote ist so Anerkennung ihrer und meiner Personalität. Wer darf kirchlich – Wer sollte beerdigt werden? Im Bereich der Volkskirchen wird derbestattet werden? zeit – angesichts anhaltender Austritte – auch über das Problem diskutiert, wer kirchlich bestattet werden sollte: Dabei sind mehrere Kriterien denkbar: A. Der Tote und die nächsten Angehörigen sind Kirchenangehörige. B. Der Tote war kein Kirchenmitglied, aber die nächsten Angehörigen sind Kirchenmitglieder. C. Der Tote war Kirchenmitglied, aber die Angehörigen nicht. D. Sowohl der Tote als auch die nächsten Angehörigen sind keine Kirchenmitglieder. Wenn im Falle A ein Beerdingungsbegehren an eine Pfarrperson herangetragen wird, gibt es in der Regel keine Probleme. Im Falle B entstehen Probleme und Unsicherheiten, weil man oft meint, den Austrittswunsch des Toten berücksichtigen zu müssen und auch gegen den Wunsch der Hinterbliebenen keine kirchliche Bestattung vorzunehmen. Im Falle C ist es denkbar, dass die Angehörigen einen Bestattungswunsch äußern oder nicht. Der Fall D scheint zunächst nicht relevant zu sein. Wenn es richtig ist, dass der Mensch kein Individuum, sondern eine partikulare Person in Beziehung ist, ist auch dieses Problem leicht lösbar. Der Tod ist genauso wenig ein privates Phänomen wie Liebe. Entsprechend ist auch Trauer nicht lediglich ein privates Phänomen, sondern auch ein öffentliches Phänomen, ja als öffentliches Phänomen ist Trauer nicht allein die Verarbeitung von Verlusterfahrungen. Entsprechend gilt, dass es keinen Grund gibt, in einem der Fälle A–D einen Bestattungswunsch zu verweigern. Auch im Falle C und D kann es möglich und sinnvoll sein, eine öffentliche Trauerfeier (ohne Beerdigung) durchzuführen. Die christliche Pflicht der Fürsorge für die Toten hängt nicht an der Taufe und Heilsordnung, sondern an der Liebe als Schöpfungsordnung und bezieht sich entsprechend auf alle Menschen. Welche Beerdigungs- – Beerdigungspraktiken: An sich ist die Frage nach den Beerdigungspraktiken gibt es? praktiken keine eschatologische, dogmatische oder ethische Frage, sondern eine Frage der Tradition. Sie ist nicht heilsnotwendig, sondern gehört zu den Adiaphora. Aber Traditionen sind eben nicht glaubens-, handlungs- und hoffnungslos und in ihnen spiegeln sich der Glaube und die Hoffnung von Menschen

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

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und entsprechend werden Traditionen auch zur Kommunikation von Glaube und Hoffnungen der Menschen. Insofern wäre zu gegenwärtigen Beerdigungspraktiken wie zu ihrer Organisation über Beerdigungsunternehmen eine Menge zu sagen. Wir wollen uns hier jedoch auf das Wichtigste beschränken: Unter dem hier vertretenen relationalen Menschen- und Todesverständnis sind eine Reihe von Bestattungsformen u.U. positiv zu würdigen, von der traditionellen Erdbestattung bis hin zu den an sich hochproblematischen anonymen Bestattungen. Nicht akzeptabel ist aber die Feuerbestattung: Sie stammt ursprünglich aus der orphisch-hellenistischen Tradition und symbolisierte dort, dass der Tod als Trennung von Leib und Seele verstanden wird, indem durch das Feuer der Leib vollständig vernichtet und die Seele befreit wird. Werden dennoch christliche Feuerbestattungen durchgeführt, sollte die Liturgie über das in der jeweiligen Kirche Übliche dringend so ergänzt oder abgeändert werden, dass dieses anthropologische Missverständnis eindeutig ausgeschlossen wird. Im Rahmen einer relationalen Anthropologie muss ferner nach der psychischen Wirkung gefragt werden, die der tatsächlich ausgeführte Entschluss der Angehörigen einer Einäscherung des Körpers der toten Person in Beziehung dann bei diesen hinterlässt. Der toten Person erwachsen selbstverständlich keine Nachteile durch die durchgeführte Praxis, welche immer es sein mag. – Die Taufe als Praxis der Vergewisserung des Sterbens in Christus: Taufe und Tod Völlig anderer liturgischer Art ist die Verbindung von Taufe und Tod. Denn die im Glauben erfahrene Tatsache, dass durch das Zurechtbringungswerk Christi am Kreuz der Glaubende bei seinem Tod nicht in der Beziehungslosigkeit landet, sondern in Christus hinein stirbt, so dass durch den Tod Christi als Heilsereignis auch unser Tod zum Heilereignis werden kann, wird durch Wort und Sakrament im Leben vergegenwärtigt, vor allem in der Taufe, in der der Christ mit Christus mitgestorben ist (Röm 6,8).

4.3

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

Als letztes der „Präeschata“ – d. h. derjenigen Sachverhalte, die nicht Wie wird die eigentlich eschatisch sind, sondern nur die Endvorstellung unseres Geschichte verlaufen? Hier-und-Jetzt betreffen – ist nach der natürlichen und der personalen Welt in diesem Abschnitt die soziale Welt in den Blick zu nehmen. Nur zunächst sieht es so aus, als sei die Frage in Analogie zur Frage

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Die Präeschata

nach der Zukunft der apersonalen natürlichen Welt zu behandeln: als Frage, ob die soziale Welt von eschatischer Relevanz sein kann oder nicht. Denn abgesehen von radikal mystischen Positionen wird die eschatische Relevanz etwa aufgrund der Zentralität des Begriffes des Reiches Gottes nicht geleugnet. Allerdings besteht menschliche Sozialität nicht nur im raumzeitlichen Beieinander von personalen Kreaturen, sondern auch in deren für ihre Identität notwendige Kommunikation und Interaktion. Kommunikation aber ist nie geschichtslos: Sie lebt vom bereits Erkannten und zielt auf das zu Erwartende und zu Gestaltende. Damit aber ist klar, dass die Frage nach einer möglichen präeschatischen Zukunft von Sozialität gleichbedeutend ist mit der Frage nach der Rolle der Geschichte und ihrem Verlauf. Innergeschichtlich differenzieren sich auch unterschiedliche menschliche Interaktionsarten in Institutionen heraus: Religion, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik,149 die eine Gesellschaft bestimmen und sich geschichtlich entwickeln. Und tatsächlich findet sich zu der Art und Weise einer solchen geschichtlichen Entwicklung – allerdings erst seit Beginn der Neuzeit – eine breite Tradition. Hinsichtlich der Frage, wie sich menschliche Sozialität in ihrer Geschichte entwickeln wird, sind zunächst einmal drei Optionen denkbar, die im Verlauf christlicher Theologie auch gedacht worden sind: Man kann annehmen, dass sich die Geschichte innerweltlich im Großen und Ganzen verbessert (4.3.2), man kann annehmen, dass sich die Geschichte innerweltlich im Großen und Ganzen verschlechtert (4.3.3) und man kann dem Gedanken einer Verlaufsgeschichte prinzipiell skeptisch gegenüberstehen (4.3.4). Bevor diese einzelnen Optionen beschrieben werden, ist es nötig, die vorneuzeitlichen Gedanken eines Endes der Geschichte bzw. eines geoffenbarten Geschichtsverlaufs zu benennen (4.3.1). 4.3.1 §67 Unterscheidungen von Apokalyptik, Endzeiterwartung, Millenarismus, Postmillenarismus, Prämillenarismus in säkularer und christianisierter Gestalt

Vorneuzeitlicher und neuzeitlicher Millenarismus

§67 „Apokalyptik“ bezeichnet eine Geisteshaltung, die mit einer prinzipiellen Einsicht in den Geschichtsverlauf rechnet. Endzeiterwartung bedeutet das Bewusstsein, nahe des Endes der Geschichte zu leben. Apokalyptik hingegen bedeutet das Bewusstsein, den verborgenen Geschichtslauf zu kennen. Der Millenarismus, d. h. die Auffassung, dass es am Ende der Geschichte eine Periode einer Heilszeit geben werde, war bis an den

149 Vgl. z. B. Herms, E., Grundzüge sozialer Ordnung.

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

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Rand der Neuzeit in der Geschichte des Christentums nur ein randständiges Phänomen, blüht aber mit der Neuzeit auf. Postmillenarismus bedeutet – und dies ist die ausschließliche Bedeutung, in der er hier verwandt wird –, dass die Entwicklung der Geschichte im Großen und Ganzen positiv und optimistisch beurteilt wird und einer Heilszeit entgegengeht. Prämillenarismus bezeichnet jegliche Geschichtsauffassung, die – quasi vor Erscheinen des Millenniums – eine Verfallsgeschichte der Gesellschaft diagnostiziert. Zusammenfassend verbindet sich mit diesen Unterscheidungen die These, dass der christliche Millenarismus eine christianisierte Form des säkularen, aufklärerischen Millenarismus ist und nicht, dass umgekehrt neuzeitliche Fortschrittsideologien säkularisierte Varianten vorgängiger christlicher Vorstellungen sind.150 In der Spätzeit des Alten Testaments erscheint eine besondere Art von Literatur mit neuen Kennzeichen, die gegenüber der prophetischen Literatur eine neue Sichtweise auf die Geschichte einnimmt, in der sich hebräische mit hellenistischen Gedanken mischen: die „Apokalyptik“. Wir benutzen diesen Terminus im Folgenden in einem systematischen Sinne, der dieser Literaturgattung zwar nahesteht, sich aber nicht auf sie beschränkt. Apokalyptein bedeutet eigentlich „offenbaren“. Aber dennoch ist Apokalyptik nicht einfach Offenbarungstheologie. Spätestens seit der Philosophie Schellings und Hegels verwendet die Theologie den Offenbarungsbegriff in der Regel streng als Selbstoffenbarungsbegriff Gottes: Es ist Gott, der sich selbst offenbart.151 Die Rede von der Apokalyptik benutzt den Offenbarungsbegriff jedoch in einem anderen Sinne: Nicht Gott wird als Objekt offenbart, sondern der Lauf der Geschichte. Die Zukunft der Geschichte wird auf irgendeine Art und Weise offenbart, aufgedeckt und offen gelegt. Wir definieren daher: „Apokalyptik“ bezieht sich auf eine Haltung, die mit einer prinzipiellen Einsicht in den Geschichtsverlauf rechnet. Biblisch findet sich zu solchen Gedanken nur wenig Material. Allerdings gibt es eine Stelle, die zumindest für die Neuzeit der locus classicus der Apokalyptik geworden ist: Apk 20,1–7, eine Stelle, in der von dem „Millennium“ gesprochen wird. Am Ende der Geschichte

150 Vgl. dagegen genau die andere These bei Tuveson, E.L., Redeemer Nation, 39. 151 Vgl. Pannenberg, W., Systematische Theologie I, Bd. 1, 244.

Die „Apokalyptik“

Die biblische Vorstellung des Millenniums

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Die Präeschata

warte auf Erden eine 1000-jährige Heilszeit, zu der der Satan gebunden sei und zu der die Gerechten in einer ersten Auferstehung mit Christus zusammen über die Erde herrschen. Anschließend müsse der Satan für kurze Zeit freigelassen werden und die Welt finde ihr endgültiges Ende. Diese Vorstellung ist zwar biblisch singulär, aber es gibt eine Reihe der frühjüdischen apokalyptischen Literatur, die ebenfalls diese Vorstellung eines Zwischenreiches oder einer Heilszeit am Ende der Geschichte kennt.152 Der Ursprung dieser Vorstellung besteht darin, dass man versucht haben dürfte, den Weltlauf mit dem Lauf der Woche zu parallelisieren, so dass es eine Weltwoche von 7 Tagen gäbe, die dann insgesamt 7000 Jahre währt, wenn man aus Ps 90,4 wörtlich herauslesen wollte, dass ein Tag Gottes tausend Jahre dauere. Die Vorstellung einer Heilszeit am Ende der Geschichte verbindet dann hellenistisch-römische Vorstellungen eines goldenen Zeitalters mit der Vorstellung eines Weltensabbats, einer Heilszeit am Ende der Zeit. Im Einzelnen fallen die Vorstellungen sehr divergent aus. Die Vorstellungen aus Apk 20,1–7 lassen sich nicht einfach in einen tatsächlich kohärenten Handlungsablauf abbilden. Sie sind stark abhängig von einer Neudeutung von Ez 37–48 und finden recht ähnliche jüdische Parallelen in 4.Esr 7,28–33 und syrBar 24–32. War der Entgegen eines weit verbreiteten Irrtums spielte der Glaube an Millenarismus weit ein tausendjähriges Reich, der so genannte Millenarismus oder Chiverbreitet? liasmus, zu den meisten Zeiten der Christentumsgeschichte keine besondere Rolle. Zwar gab es immer wieder eine Naherwartung der Endzeit, aber diese kann sich gerade auch nichtmillenaristisch vollziehen. Vorneuzeitlich findet sich Millenarismus in der Alten Kirche nur gelegentlich, etwa bei Papias (gest. ca. 130) und Justin (gest. ca. 165), in der montanistischen Phase Tertullians (gest. ca. 230), bei Hippolyt (gest. ca. 235) und bei Irenäus von Lyon (gest. ca. 202). Der Osten, insbesondere die alexandrinische Theologie, entwickelte kaum einen Millenarismus, im Westen verschwindet er spätestens mit Augustin (gest. 430).153 Im Mittelalter findet sich dann bei Joachim von Fiore (gest. 1202) eine neue Deutung eines Ablaufs der Welt, die vom älteren Millenarismus unabhängig ist und streng genommen auch keinen Millenarismus darstellt, weil sie nicht das übliche Schema der tausend Jahre benutzt und auch nicht primär auf Apk 20,1–7 fußt, sondern eher eine geschichtsphilosophische Trinitätstheologie darstellt: Nach dem Zeitalter des Vaters und dem Zeitalter des Sohnes beginne nun

152 Vgl. 1.Hen 91,12–17; 2.Hen 32,1–33; 4.Esr 7,26–30 u. a. 153 Zur Geschichte vgl. Blum, G.G., Chiliasmus II (Lit.).

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

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das Zeitalter des Geistes. Diese einzelnen Stadien werden in unterschiedliche Generationen unterteilt und mit dem Gedanken einer Weltwoche ausgeglichen, aber nicht formal synchronisiert: „Auf drei Weltordnungen – status – weisen uns die Geheimnisse der Heiligen Die Lehren von den Schrift: auf die erste, in der wir unter dem Gesetz waren, auf die zweite, in der wir drei Stadien bei unter der Gnade sind, auf die dritte, welche wir schon aus der Nähe erwarten, in der Joachim von Fiore wir unter einer reicheren Gnade sein werden […]. Der erste in der Knechtschaft der Sklaven, der zweite in der Knechtschaft der Söhne, der dritte in der Freiheit. Der erste in der Furcht, der zweite im Glauben, der dritte in der Liebe […] Der erste Status bezieht sich auf den Vater, der zweite auf den Sohn, der dritte auf den Heiligen Geist.“154

Joachims Deutung ist nicht nur als Beitrag zu einer Geschichtstheologie zu verstehen, sondern auch zur frühscholastischen Debatte um das Gottesverständnis. Da Joachim hierbei in Konflikt mit der Autorität des Mittelalters, Petrus Lombardus (gest. 1160), gerät, wird eine Trinitätsschrift auf dem 4. Laterankonzil (1215) – wahrscheinlich zu Unrecht – häretisiert. Denn Joachim meinte nicht, dass sich die göttliche Trinität geschichtlich entfaltet, sondern nur, dass die verschiedenen Stadien der Geschichte den trinitarischen Personen appropriiert werden – d. h. ihnen zugesprochen werden können –, insgesamt aber doch Werk der ganzen Trinität bleiben. Joachims Lehre ist auch insofern nicht millenaristisch, als er mit Augustin davon ausgeht, dass das Millennium als die letzten tausend Jahre der Geschichte die innergeschichtliche Zeit der Kirche ist. Das letzte siebte Zeitalter ist nicht das Millennium. Faktisch erwartet er auch nach dem dritten Zeitalter des Geistes noch den eschatischen Einbruch des Reiches Gottes. Aber dennoch hat wahrscheinlich seine Rede vom Reich Christi als Reich mit einem Ende, das durch das Reich des Geistes übertroffen werden kann, irritiert: sei es seine „orthodoxen“ Gegner oder seine „heterodoxen“ Anhänger, die ihn später millenaristisch deuteten.155 Dennoch gibt Joachim damit immer wieder Anlass, seine Lehre zu Apokalyptik zur eigenständigen apokalyptischen Geschichtssichten zu entwickeln: So Reformationszeit etwa im 14. Jh. bei den Franziskanerspiritualen, bei den Taboriten und bei Müntzers (gest. 1525) rein apokalyptisch motivierter Teilnahme an

154 Fiore, J.v., Concordia Novi ac Veteris Testamenti, Buch 5, 84,112 nach der Übersetzung von Benz, E., Eranos Jahrbuch, 314f. 155 Zu einer systematischen Deutung Joachims vgl. Moltmann, J., Gespräch mit Joachim von Fiore und Moltmann, J., Trinität und Reich Gottes, 221–226.

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Die Präeschata

Die Blüte des Millenarismus seit der Neuzeit

Was sind Postmillenarismus und Prämillenarismus?

den Bauernkriegen und der Katastrophe des Täuferreichs zu Münster (1534–1535).156 Damit dürfte deutlich sein, dass der Millenarismus in der Geschichte des Christentums – und gerade in der Geschichte der Alten Kirche und des Mittelalters – eher eine Ausnahme bildete. Die populäre Vorstellung, gerade diese Zeiten seien von millenaristischen Erwartungen geschwängert gewesen, lässt sich vielleicht mit einer unpräzisen Zusammenschau von Millenarismus mit Endzeiterwartung sehen: Endzeiterwartungen gab es durchaus wahrscheinlich häufig, aber sie sind, wie wir noch sehen werden, gerade nicht mit Apokalyptik und Millenarismus identisch. Denn Endzeiterwartung meint die Haltung, am Ende der Geschichte zu leben. Das schließt nicht notwendigerweise die Apokalyptik als Bewusstsein der Kenntnis des Geschichtslaufs mit ein. Die Lage ändert sich freilich zu Beginn der Neuzeit erheblich: Die Neuzeit ist mit einem Aufblühen des Millenarismus oder Chiliasmus verbunden, dessen Blüte wahrscheinlich in der Gegenwart besteht. Dabei ist oft auch die Rede davon, dass ein breiter Strom neuzeitlicher Geschichtsphilosophie eine säkularisierte Form des Chiliasmus darstellt.157 Dieser These soll hier widersprochen werden: Wenn es Strukturanalogien zwischen dem in der Neuzeit aufblühenden Chiliasmus und nichtspezifisch christlichen Geschichtsauffassungen gibt, erscheint die These, dass das Verhältnis zwischen beiden als einer Säkularisierung, d. h. als einer Entchristlichung vormals christlichen Gedankenguts handelt, m.E. sehr unwahrscheinlich, da in der vorneuzeitlichen Theologiegeschichte der Millenarismus überhaupt kein prominentes Phänomen darstellt. Weit wahrscheinlicher ist die umgekehrte These: dass der christliche Millenarismus, der mit der Neuzeit aufblüht, eine Aufnahme neuzeitlichen, nicht spezifisch christlichen Gedankenguts – gewissermaßen eine Christianisierung aufklärerischen Denkens – darstellt. Um diese These, die nicht nur eine historische These ist, sondern wichtige systematische Implikationen bietet, entfalten zu können, ist allerdings zunächst die Beschreibung der Geschichte des Millenarismus nötig. Um eine Geschichte des Millenarismus geben zu können, ist im Folgenden die Einführung einer doppelten Distinktion nötig: Einerseits ist dies die Distinktion zwischen Postmillenarismus und Prämillenarismus. Historisch wird diese Distinktion eingeführt, um vor allem die Entwicklung des amerikanischen Millenarismus

156 Vgl. Schwarz, R., Apokalyptische Theologie. 157 Vgl. Leppin, V., Chiliasmus III.3.

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

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im 18. und 19. Jh. beschreiben zu können.158 Dabei ist mit Postmillenarismus wörtlich die Vorstellung gemeint, dass die Parusie Christi, also die Wiederkunft Christi, nach dem 1000-jährigen Zwischenreich erfolge, während der Prämillenarismus lehrt, dass die Wiederkunft Christi vor dem Zwischenreich erfolge. Dabei handelt es sich nun nicht um einen müßigen Streit, was am Ende der Geschichte denn nun genau erfolge, sondern es verbinden sich im Amerika des 19. Jh. damit zwei Optionen: Wenn die Wiederkunft Christi erst nach dem Zwischenreich erfolgt, kann die Gegenwart als Verwirklichung oder zumindest als Arbeit an der Verwirklichung des Zwischenreiches gedeutet werden: Postmillenarismus meint eine positive, einer Heilszeit entgegengehende Sicht der Geschichte. Umgekehrt bedeutet Prämillenarismus, dass zum Erscheinen des Millenniums erst die Wiederkunft Christi erforderlich ist und sich – da die Wiederkunft Christi gerade noch nicht geschehen ist – innergeschichtlich gerade keine Heilszeit ereignet, sondern die Geschichte in Gegenwart und Zukunft erst noch der Wiederkunft Christi und folgendem Millennium entgegengeht. Damit aber verbindet sich eine pessimistische Auffassung der Geschichte und der Gegenwart, die eher als Verfallsgeschichte gedeutet wird.159 Andererseits können wir unterscheiden, dass sich entsprechend Säkularer und unserer These Postmillenarismus und Prämillenarismus in einen sä- christlicher Millenarismus kularen (d. h. nicht spezifisch christlichen) und einen christianisierten Typus unterteilen lassen. Nach der Beschreibung der Verschränkung dieser Optionen werden wir entsprechend die genannten Optionen bewerten, in ein Verhältnis setzen und zu der These vordringen, dass unter den Bedingungen des eschatischen Erwartungshorizonts des Christentums keine der vier genannten Formen zu bevorzugen ist, sondern ein nichtmillenaristisches Christentum.

158 Vgl. Schwarz, H., Jenseits von Utopie und Resignation, 203–209. 159 Vgl. Schwarz, H., Jenseits von Utopie und Resignation, 205–209.

266

Die Präeschata

§68 Der säkulare Postmillenarismus

Postmillenarismus in der Aufklärung bei Lessing

4.3.2

Postmillenarismus

4.3.2.1

Säkularer Postmillenarismus

§68 Der säkulare Millenarismus der Aufklärung lehrt, dass sich die Menschheit zunächst auf sittlich niederen Stufen befindet, dass sie sich aber auf eine als innergeschichtlich gedachte sittlich perfekte Sozialgestalt zubewegt, weil das Gute allgemein einsehbar ist. Das Paradigma besteht hier in den grundlegenden Zügen der Weltanschauung der Aufklärung. Um sich diese zu vergegenwärtigen ist es sinnvoll, ein paradigmatisches Werk der Aufklärung zu wählen. Aus diesem Anlass werfen wir einen Blick auf Lessings (gest. 1781) „Erziehung des Menschengeschlechts“. Hier beschreibt Lessing, wie er aus aufklärerischer Sicht die Religion sieht: Die Offenbarung in der Religion verhält sich zur menschlichen Sozialgestalt so, wie sich die Erziehung des einzelnen Kindes zum erwachsenen Menschen verhält.160 Dies hat ein sog. rationalistisches Offenbarungsverständnis zur Folge, nach dem die Offenbarung – gleich welcher Religion – letztlich nichts Neues bekannt geben kann: Erziehung giebt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst haben könnte: sie giebt ihm das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter. Also giebt auch die Offenbarung dem Menschengeschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sondern sie gab und giebt ihm die wichtigsten dieser Dinge nur früher.161

Diese beschleunigende Wirkung der Offenbarung wirkt aber nur bei bestimmten jugendlichen Geistesgestalten der Menschheit. In der Gegenwart gilt: „Die Offenbarung hatte seine [des Menschen] Vernunft geleitet, und nun erhellte die Vernunft auf einmal seine Offenbarung.“162 Entscheidend ist allerdings nicht, dass es das Vermögen der Vernunft ist, das hier der Offenbarung entgegengesetzt wird, sondern entscheidend ist, welcher Inhalt hier erkannt wird. Die Vernunftgemäßheit deutet nur die Allgemeinheit und Natürlichkeit dieses Inhalts an, der aber auch auf niederen Stufen der Menschheit durch Offenbarung bekannt gemacht werden kann:

160 Vgl. Lessing, G.E./Kiermeier-Debre, J., Erziehung des Menschengeschlechts, §1f. 161 Lessing, G.E./Kiermeier-Debre, J., Erziehung des Menschengeschlechts, §4. 162 Lessing, G.E./Kiermeier-Debre, J., Erziehung des Menschengeschlechts, §36.

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte „Und dieses wenigstens lehrte Christus zuerst. Denn ob es gleich bey manchen Völkern auch schon vor ihm eingeführter Glaube war, daß böse Handlungen noch in jenem Leben bestraft würden: so waren es doch nur solche, die der bürgerlichen Gesellschaft Nachtheil brachten, und daher auch schon in der bürgerlichen Gesellschaft ihre Strafe hatten. Eine innere Reinigkeit des Herzens in Hinsicht auf ein andres Leben zu empfehlen, war ihm allein vorbehalten.“163

Der allgemein einsehbare Inhalt von Vernunft und Offenbarung ist also nichts anderes als die Sittlichkeit, d. h. das Sittengesetz oder das Gute um seiner selbst willen. Die allgemeine Einsehbarkeit durch Vernunft wird noch durch die Ablehnung der Lehre von der Erbsünde unterstützt: „Und die Lehre von der Erbsünde. – Wie, wenn uns endlich alles überführte, daß der Mensch auf der ersten und niedrigsten Stufe seiner Menschheit, schlechterdings so Herr seiner Handlungen nicht sey, dass er moralischen Gesetzen folgen könne?“164

Damit wird alles Negative des Menschen, alles Böse, Uneinsichtige etc. letztlich nur auf einen mangelnden Entwicklungsstand und eine mangelnde Aufklärung zurückgeführt. Abgelehnt wird, dass der Mensch notwendigerweise Sünder sei. Die Menschheit entwickelt sich und strebt die vollkommene Aufklärung an: „Er will schlechterdings an geistigen Gegenständen geübt seyn, wenn er zu seiner völligen Aufklärung gelangen, und diejenige Reinigkeit des Herzens hervorbringen soll, die uns, die Tugend um ihrer selbst willen zu lieben, fähig macht.“165 Dieser vollkommene Zustand ist aber kein Grenzbegriff, sondern er ist geschichtlich verwirklichbar und wird in der Geschichte verwirklicht werden: „Oder soll das menschliche Geschlecht auf diese höchste Stufe der Aufklärung und Reinigkeit nie kommen? Nie? Nie? – Laß mich diese Lästerung nicht denken, Allgütiger! – Die Erziehung hat ihr Ziel; bey dem Geschlechte nicht weniger als bey dem Einzeln. Was erzogen wird, wird zu Etwas erzogen […] Nein; sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je überzeugter sein Verstand einer immer bessern Zukunft sich fühlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgründe zu seinen Handlungen zu erborgen, nicht nöthig haben wird; da er das Gute thun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkührliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem blos heften und stärken sollten, die innern bessern Belohnungen desselben zu erkennen.“166

163 164 165 166

Lessing, G.E./Kiermeier-Debre, J., Erziehung des Menschengeschlechts, §61. Lessing, G.E./Kiermeier-Debre, J., Erziehung des Menschengeschlechts, §74. Lessing, G.E./Kiermeier-Debre, J., Erziehung des Menschengeschlechts, §80. Lessing, G.E./Kiermeier-Debre, J., Erziehung des Menschengeschlechts, §81f.85

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Die Präeschata

Auffällig ist hier auch das Pathos Lessings, mit dem eine mögliche Leugnung der innergeschichtlichen Verwirklichung einer wahren sittlichen Sozialgestalt als „Lästerung“ bezeichnet wird. Wir halten damit als fünf Kennzeichen der Aufklärung fest: 1. Der Mensch ist von Natur aus nicht schlecht. 2. Sittlich befindet er sich zunächst auf unteren Stufen. 3. Das sittlich Gute ist allgemein einsehbar. 4. Der Mensch ist daher sittlich perfektibel. 5. Die perfekte menschliche Sozialgestalt wird in Zukunft innergeschichtlich verwirklicht werden. Beispiele des säkularen Postmillenarismus bis in die Gegenwart

Deutlich sein dürfte, dass in diesen Kennzeichen die scheinbar unterschiedlichsten aufklärerischen Ideologien und Geschichtsbilder – sei es die französische Revolution, sei es Hegels (gest. 1831) und Ferdinand Christian Baurs (gest. 1860) dialektisch rekonstruierter Geschichtsverlauf, der im Preußischen Staat gipfelt,167 sei es die marxistische futurisierte Rede von der klassenlosen Gesellschaft168 sowie Ernst Blochs (gest. 1977) Utopie der Hoffnung169 oder auch Francis Fukuyamas Rede vom Ende der Geschichte angesichts des Endes des „Kalten Krieges“170 – ihren gemeinsamen Nenner finden. Deutlich ist dabei auch, dass die ersten Kennzeichen auf das letzte zielen und das letzte Kennzeichen die ersten vier voraussetzt und diese somit zusammenfasst. Dass diese Kennzeichen aufklärerischer Ideologien hier als Millenarismus bezeichnet werden, beruht nicht nur auf einer Strukturanalogie, sondern darauf, dass Lessing – in Anspielung auf Joachim von Fiore bzw. derjenigen, die sich auf ihn berufen haben – diese Verbindung selbst herstellt: „Sie wird gewiss kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, die uns selbst in den Elementarbüchern des Neuen Bundes versprochen wird. Vielleicht, daß selbst gewisse Schwärmer des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts einen Strahl dieses neuen ewigen Evangeliums aufgefangen hatten; und nur darum irrten,

167 Diese Deutung ist freilich umstritten und bezieht sich auf das berühmte Diktum „Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee“ in Hegel, G.W.F., Philosophie des Rechts, §257. 168 Vgl. u. a. Engels, F., Schelling und die Offenbarung, 313: „Das Selbstbewusstsein der Menschheit, der neue Gral, um dessen Thron sich die Völker jauchzend versammeln […] das ist unser Beruf, dass wir dieses Grals Tempeleisen werden, für ihn das Schwert um die Lenden gürten und unser Leben fröhlich einsetzen in dem letzten, heiligen Krieg, dem das tausendjährige Reich der Freiheit folgen wird.“ 169 Vgl. Bloch, E., Prinzip Hoffnung. 170 Vgl. Fukuyama, F., The End of History.

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

269

dass sie den Ausbruch desselben so nahe verkündigten. Vielleicht war ihr dreyfaches Alter der Welt keine so leere Grille; und gewiss hatten sie keine schlimmen Absichten, wenn sie lehrten, dass der Neue Bund eben so wohl antiquiret werden müsse, als es der Alte geworden. Es blieb auch bey ihnen immer die nehmliche Oekonomie des nehmlichen Gottes. Immer – sie meine Sprache sprechen zu lassen – der nehmliche Plan der allgemeinen Erziehung des Menschengeschlechts.“171

4.3.2.2

Christianisierter Postmillenarismus

§69 Der christianisierte Postmillenarismus erscheint in Deutsch- §69 Der christliche land in der optimistischen Haltung einiger Vermittlungstheologien Postmillenarismus und des Kulturprotestantismus des späten 19. Jh., nach deren Vorstellungen sich das Reich Gottes innergeschichtlich verwirklicht, in vielen Zweigen amerikanischer Theologie seit Jonathan Edwards bis hin zur Vorstellung Amerikas als redeemer nation sowie in abgeschwächter Form in denjenigen Theologien des 20. Jh., die von Jürgen Moltmanns „Theologie der Hoffnung“ beeinflusst sind. Gleichzeitig mit der Aufklärung entwickelten sich in ihren neuzeitlichen Zwillingsbrüdern, Pietismus und Erweckung, christliche Formen des Millenarismus, der nun ausgehend von England aufblühte und auch auf den Kontinent abfärbte. Spener (gest. 1705), Francke (gest. 1727) und Bengel (gest. 1752) waren nicht frei von millenaristischen Tendenzen.172 Eine eigentlich strenge postmillenaristische, d. h. kulturoptimistische Haltung trat aber in Deutschland neben der Aufklärungstheologie erst im 19. Jh. mit der Vermittlungstheologie und dem Kulturprotestantismus auf. Unter den zahlreichen Namen, denen man zu Recht oder zu Unrecht die innergeschichtliche Verwirklichung des sittlich gedachten Reiches Gottes in der Kultur zuschreibt, gehört exemplarisch Richard Rothe (gest. 1867). Er schreibt bereits Mitte des Jahrhunderts:

Christlicher Postmillenarismus in der Geschichte und bei …

„In demselben Verhältnis, in welchem dieser allgemeine Staatenorganismus annä- … Richard Rothe herungsweise sich verwirklicht, tritt die Kirche mehr und mehr zurück […] In dem allgemeinen Staatenorganismus ist die moralische Aufgabe auf schlechthin adäquate Weise realisirt.“173

171 Lessing, G.E./Kiermeier-Debre, J., Erziehung des Menschengeschlechts, §86–88. 172 Vgl. Kunz, E., Protestantische Eschatologie, 73–84. 173 Rothe, R., Theologische Ethik, Bd. 2, 473.

270

Die Präeschata

Rothe ist damit der Auffassung, dass die Verwirklichung der universalen Gemeinschaft als sittlich religiöse Aufgabe eine Aufgabe der Frömmigkeit der sichtbaren Kirche ist, deren Erfolg sich aber in der Kultur und im Staat zeigt, so dass sich mit dem kulturellen und politischen Fortschritt die Kirche in den Staat auflöst. Zu beachten ist dabei, dass es sich um eine wirkliche Realisierung innerhalb der Geschichte handelt, deren Zeichen schon jetzt deutlich sichtbar sind: „Der konstruierte allgemeine Staatenorganismus ist, vom Standpunkte der Geschichtsbetrachtung aus angesehen, nichts weniger als ein phantastischer Traum; vielmehr zeigen sich die bestimmten Einleitungen zu seiner künftigen Realisirung, nach Myriaden von Jahrhunderten, bereits sehr deutlich […] Die jetzige Geschichte lässt augenscheinlich den Staat zunehmen, die Kirche (nicht zu verwechseln mit dem wahren, lebendigen Christenthum) abnehmen.“174 … Jürgen Moltmann

In der deutschen protestantischen Theologie des 20. Jh. zeigt sich der Postmillenarismus dann vor allem in denjenigen Positionen, die von einem starken sittlichen Fortschritt und einem ethischen Impetus in ihrer Theorie und Eschatologie ausgehen, auch wenn sie sich nicht auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes beziehen. Dies ist vor allem bei Jürgen Moltmann und der von ihm beeinflussten auch kontextuellen Strömungen der Theologie der Fall. In seiner „Theologie der Hoffnung“ geschieht dies noch größtenteils ohne Verweis auf den historischen Millenarismus. Zunächst bestimmt Moltmann den Menschen selbst als eschatisches Lebewesen: „Der Mensch hat keinen Bestand in sich selber, sonder ist immer in Richtung auf etwas hin unterwegs und verwirklicht sich von einem zukünftigen und erwarteten Ganzen her […]. Anders gesagt: die natura hominis ergibt sich erst von der forma futurae vitae her.“175

Ihre Erfüllung findet diese menschliche Natur dann nicht einfach in der futurisch gedachten Offenbarung Gottes, sondern in der Praxis der Sendung Gottes an die Menschen und d. h. in ihrer eschatisch begründeten ethischen Motivation: „Die Berufung zur gehorsamen Gestaltung der Welt wäre gegenstandslos, wenn diese Welt unveränderlich wäre […] Die Praxis der umgestaltenden Sendung

174 Rothe, R., Theologische Ethik, Bd. 2, 472f. Ob es demgegenüber tatsächlich der hervorragenden Darstellung von Heesch, M., Transzendentale Theorie, 109f entspricht, dass Rothe einen deutlichen eschatologischen Vorbehalt einzieht, weil er in der im Text zitierten Passage von „Myriaden von Jahrhunderten“ spricht, muss allerdings offen bleiben, da sich diese auch auf die Menschheitsgeschichte insgesamt beziehen können und d. h. vornehmlich auf die vergangene. 175 Moltmann, J., Theologie der Hoffnung, 264f.

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte bedarf also einer gewissen Weltanschauung, eines Weltvertrauens und einer Welthoffnung. Sie sucht nach dem real-objektiv Möglichen an dieser Welt, um es zu ergreifen und zu verwirklichen in Richtung auf die verheißene Zukunft der Gerechtigkeit, des Lebens und des Reiches Gottes. Für sie ist darum die Welt ein offener Prozess, in welchem das Heil und das Verderben, die Gerechtigkeit und die Vernichtung der Welt auf dem Spiel stehen […] Der Gehorsam, der aus Hoffnung und Sendung entspringt, vermittelt das Verheißene und Erhoffte mit den realen Möglichkeiten der Weltwirklichkeit. […] Dieser Horizont erfüllt ihn [den Menschen] mit hoffnungsvoller Erwartung und mutet ihm zugleich Verantwortung und Entscheidung für die geschichtliche Welt zu.“176

Obwohl Moltmann hier den Menschen als die Geschichte verantwortungsvoll gestaltend und in positive Richtung verändernd sieht, weiß er diese Tätigkeit doch der Inspiration des Geistes Gottes verdankt: „[Des Menschen] Erfahrung der Wirklichkeit in ihren Veränderungsmöglichkeiten als Geschichte ist auf der anderen Seite aber nicht bedingt durch die Machbarkeit von Geschichte in der Willkür des menschlichen Subjektes […]. Das Subjekt der Weltveränderung ist für ihn darum der Geist der göttlichen Hoffnung […] Er vermittelt das Seiende vielmehr mit der universalen zurechtbringenden Zukunft Gottes.“177

Moltmann ist sich klar, dass der geschichtsverändernde Impetus der Neuzeit eine millenaristische Ideologie darstellt, die es positiv kritisch aufzunehmen gilt. Positiv, weil der Mensch tatsächlich zur Gestaltung der Geschichte aufgefordert ist, kritisch, weil sich dieser Impetus nicht von seinem eschatischen Hoffnungshorizont, der ihn zugleich relativiert, trennen darf: „Die Emanzipation der Vernunft und der Gesellschaft von der geschichtlichen Herkunft ist in der Neuzeit von einem chiliastischen Enthusiasmus getragen. […] Man kann aus dem geöffneten Horizont der neuzeitlichen Geschichte nicht zu immerseienden Ordnungen und immerwährenden Traditionen zurückkehren, sondern muß diese Horizonte in den eschatologischen Horizont der Auferstehung hineinnehmen und damit in der neuzeitlichen Geschichte ihre wahre Geschichtlichkeit entdecken.“178

Erscheint beim frühen Moltmann die Verbindung seiner Position mit dem Millenarismus noch stereotypisch, so wird sie beim älteren Moltmann explizit und unter Verweis auf Joachim von Fiore vollzogen:

176 Moltmann, J., Theologie der Hoffnung, 266. 177 Moltmann, J., Theologie der Hoffnung, 267. 178 Moltmann, J., Theologie der Hoffnung, 279.

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272

Die Präeschata „Fallen Parusie und Reich Christi noch in die Geschichte, oder liegen sie jenseits der Geschichte? Ist ‚irdische Zukunft‘ oder himmlische gemeint? Das ist die Frage nach der Zukunft des symbolisch ‚tausendjährig‘ genannten Reiches, des Chiliasmus. […] Der Chiliasmus ist die immanente Seite der Eschatologie. Die Eschatologie ist die transzendente Seite des Chiliasmus. Darum darf es keinen Chiliasmus ohne Eschatologie geben. Das führt zum politischen Chiliasmus, der in der europäischen Geschichte verhängnisvoll gewirkt hat. Darum darf es aber auch keine Eschatologie ohne Chiliasmus geben. Das führt zur Auflösung der christlichen Hoffnung in die transzendente Sehnsucht und hat in der kirchlichen Geschichte Europas nicht minder verhängnisvoll gewirkt.“179

Der amerikanische Postmillenarismus

Der Postmillenarismus erhält – historisch betrachtet – seinen Namen allerdings durch keine der genannten Ausprägungen, sondern durch seine Ausprägung in der amerikanischen Geistesgeschichte. Hier sahen die Vertreter der amerikanischen Erweckungsbewegung, vor allem im 18. Jh. Jonathan Edwards (gest. 1758),180 die Erweckungsbewegung als Beginn eines neuen Heilszeitalters, das sich über die ganze Welt verbreiten und durch Evangelisation sich langsam ausbreiten würde. Den Ursprung findet dieses Denken mit der puritanischen Einwanderung nach Amerika und dieses postmillenaristische Denken entfaltet sich, indem die amerikanischen Unabhängigkeitskriege als letzter eschatischer Kampf gegen den Satan gedeutet werden, woraus Amerika anschließend als redeemer nation, als Erlösernation für die Welt hervorgeht.181 Mehr ethizistisch war die Bewegung des social gospel orientiert, die im 19. Jh. Methodisten, Presbyterianer und Kongregationalisten ergriff und die hofften, dass Armut und soziale Konflikte innerweltlich überwunden werden könnten.182 Der Postmillenarismus mündet schließlich auch in die amerikanische Vorstellung einer civil religion, d. h. der Vorstellung, dass es einen unausdrücklichen weltanschaulichen, implizit christlichen Konsens

179 Moltmann, J., Gespräch mit Joachim von Fiore, 154f. Vgl. auch Moltmann, J., Trinität und Reich Gottes, 221–226. 180 Vgl. zu Edwards Auffassung, dass die Christianisierung der Neuen Welt als Konversion des letzten Winkels der Erde und damit als Beginn des Millenniums gesehen wird Jewett, R./Lawrence, J.S., Captain America, 57. 136. Die Rede von Amerika als der „Neuen Welt“ ist also stets zweideutig zu betrachten. Symptomatisch heißt es auch in dem Gedicht „America“ von Timothy Dwight von 1771: „Hail Land of light and joy! Thy power shall grow / Far as the seas, which round thy regions flow; / Through earth’s wide realms thy glory shall extend, / And savage nations at thy scepter bend […] / Then, then an heavenly kingdom shall descend, / And every region smile in endless peace; / Till the last trump the slumbering dead inspire, / Shake the wide heavens, and set the world on fire.“ Zit. n. Tuveson, E.L., Redeemer Nation, 105f. 181 Vgl. Jewett, R./Lawrence, J.S., Captain America, 55–61. 182 Vgl. Jewett, R./Lawrence, J.S., Captain America, 136f.

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

273

gäbe, der das Fundament der Gesellschaft bilde und als Minimalkonsens für das abendländische Ethos verantwortlich sei.183 4.3.3

Prämillenarismus

4.3.3.1

Säkularer Prämillenarismus

§70 Säkularer Prämillenarismus liegt dort vor, wo der Geschichts- §70 Der säkulare verlauf insgesamt als Verfallsgeschichte gedeutet wird. Prominente Prämillenarismus Beispiele bestehen in der Geschichtsdeutung Oswald Spenglers am Ende des ersten Weltkrieges, in Gegenwartsdeutungen, die die jeweilige Zeitgeschichte als Verfall betrachten und zumindest noch nominell in einigen postmodernen Geschichtskonzepten. Freilich gibt es nicht nur Geschichtsdeutungen, die apokalyptisch darin sind, dass sie eine positive Entwicklung der Geschichte erkannt zu haben glauben, sondern es gibt auch Geschichtsdeutungen, die davon ausgehen, dass die Geschichte einen negativen Verlauf nimmt und eine Verfallsgeschichte aufweist. Interessanterweise findet sich diese als prämillenaristisch zu bezeichnende pessimistische Auffassung weitaus seltener, und zwar sowohl in ihrer säkularen als auch in ihrer christlichen Variante. Anders als bei der optimistischen postmillenaristischen apokalyptischen Geschichtsdeutung wird man auch nicht einfach von einer Vorgängigkeit des säkularen Typus ausgehen können, sondern eher von einem Nebeneinander. Am populärsten unter den entsprechenden säkularen prämil- Säkularer lenaristischen Geschichtsdeutungen dürfte das bekannte Modell von Prämillenarismus bei Oswald Spengler Oswald Spengler (gest. 1936) sein, das sich vor allem nach dem 1. Weltkrieg in Europa besonderer Beliebtheit erfreute. Spengler deutet die Weltgeschichte in verschiedenen Hochkulturen, die, ähnlich der Entwicklung eines Menschen, in verschiedenen Stadien verläuft. Ein Ziel der Entwicklung des biologischen Organismus eines Menschen, wie der Weltgeschichte wird ausdrücklich geleugnet: Was „das ‚Ziel der Menschheit‘ angeht, so bin ich ein gründlicher und entschiedener Pessimist. Menschheit ist für mich eine zoologische Größe. Ich sehe keinen Fortschritt, kein Ziel, keinen Weg der Menschheit“.184 Diese Aussage bezieht sich allerdings nur auf ein positiv verstandenes Ziel.

183 Der Terminus geht zurück auf Bellah, R.N., Civil Religion. Zur theologischen Deutung vgl. auch Herms, E., Pluralismus aus Prinzip, 472–475. 184 Spengler, O., Untergang des Abendlandes, Bd. 1, 14.

274

Die Präeschata

Denn die einzelnen Kulturen erleben dabei in Analogie zu Frühling, Sommer, Herbst und Winter Wachstums- und Verfallsstadien: Zu Beginn erlebt eine Kultur das Stadium der Vorzeit, dann das der Frühzeit, dann das der Spätzeit und zum Schluss das der Zivilisation.185 Obwohl das Modell nicht einfach ein Verfallsmodell der gesamten Weltgeschichte ist, weil diese letztlich ein abstrakter Begriff ist, handelt es sich auch nicht einfach um ein zyklisches Modell, da eine Zivilisation nach ihrem Tod durch eine andere abgelöst wird. Das Abendland befindet sich nach Spengler derzeit in seinem Zivilisationsstadium, d. h. im letzten Stadium, das durch Verfall gekennzeichnet ist. Dieser äußert sich in einer materialistischen Weltanschauung, dem Abschluss mathematischer Theorien, der Entwicklung der Philosophie zur Fachwissenschaft, der Herrschaft des Geldes und damit der Demokratie und dergleichem. Am Ende herrscht Privat- und Familienpolitik von Einzelherrschern, urmenschliche Zustände dringen in die hochzivilisierte Lebenshaltung ein und die Welt wird als Beute verteilt oder von jungen Völkern sukzessiv erobert.186 Spengler sieht seine eigene Gegenwart – d. h. das frühe 20. Jh. – als Beginn dieser Zivilisationsepoche und rechnet mit ihrem Abschluss etwa um 2200.187 Spengler hat viel Beifall gefunden, auch theologischen. Besonders der Erlanger Lutheraner Werner Elert rezipiert Spengler bis in die Sprache hinein, entwickelt aber selbst keine prämillenaristische Theologie, sondern plädiert für eine Lösung von Christentum und zum Tode geweihter Kultur: „Wer […] in der Gegenwart das Christentum auf eine der dekadenten Mächte als rettenden Bundesgenossen festlegt, […] der bindet den Nachen der Christenheit an ein dem Untergang verfallenes Schiff. Darum gibt es […] nur ein einziges großes Gebot: das Christentum aus den Verschlingungen mit einer untergehenden Kultur zu lösen […]. Je mehr man von der befreienden, klärenden, hoheitsvollen Macht des Christentums überzeugt ist, desto unbefangener wird man das Zerbrechen falscher Stützen erleben.“188

Die Haltung Elerts zur Verfallsgeschichte der Kultur

Für Elert gehört das Christentum, ähnlich wie für Barth die Offenbarung, nicht zur Kultur und kann seine Kraft auch unabhängig von deren geschichtlichen Verlauf bzw. in unterschiedlichen kulturellen Formen eines geschichtlichen Verlaufs entfalten. SäkularAnfang des 21. Jh. wird auch Huntingtons Rede von einer neuen prämillenaristisches Weltordnung, die zu einem clash of civilizations führen könnte, als der Gegenwart bei Samuel Huntington

185 186 187 188

Vgl. Körtner, U.H.J., Weltangst, 217. Vgl. Körtner, U.H.J., Weltangst, 217f. Vgl. Körtner, U.H.J., Weltangst, 218. Elert, W., Kampf um das Christentum, 489.

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

275

eine negative Form der Geschichtsentwicklung gedeutet. Huntingtons Anspruch ist dabei nicht primär ein normativ pessimistischer, sondern er versteht seine Analysen als deskriptiv. In einem berühmten Artikel von 1993, einer daraufhin einsetzenden Diskussion und mehreren Büchern wurde um Huntingtons ursprünglich einfache Thesen viel diskutiert. Wir halten uns hier ganz an den ursprünglichen Artikel. Huntingtons These ist, dass die Konflikte der Neuzeit vom Westfälischen Frieden bis zur französischen Revolution Kriege zwischen Fürsten waren, bis zum ersten Weltkrieg Konflikte zwischen Nationen, bis zum Ende des Kalten Krieges Konflikte zwischen Ideologien und seither Konflikte zwischen Kulturen oder Zivilisationen, die durch objektive Fakten wie vor allem Religion, Sprache, Geschichte, Werte und Gebräuche unterschieden sind.189 Nach Huntington kristallisieren sich sieben bis acht bestimmende Weltkulturen heraus,190 zwischen denen sich verschiedene Arten von Konflikten entwickeln können. Huntington sieht dabei, dass sich als Hauptkonflikt der Konflikt der westlichen Kultur gegen den Rest herauskristallisieren wird, hauptsächlich gegenüber der muslimischkonfuzianischen Allianz.191 Huntingtons Thesen verstehen sich selbst aber deskriptiv und nicht von zyklischen oder Verfallstheorien der Geschichte abhängig, so dass hier nicht von einem expliziten Prämillenarismus gesprochen werden kann.

Man wird festhalten können, dass es ähnlich der Stimmung nach dem 1. Weltkrieg in Europa zu Beginn des 21. Jh. – vor allem nach dem „mythischen“ Datum des 11. Sept. 2001 – ein neues Bewusstsein eines Verfalls der abendländischen Zivilisation gibt, dass sich durchaus mit prämillenaristischem Denken verbinden kann. Interessant ist eine postmoderne Spielart des Prämillenarismus, weil hier das prämillenaristische Denken schon fast in Richtung eines Amillenarismus überwunden wird: In der Postmoderne ist sich vor allem der Philosoph Jacques Derrida (gest. 2004) der Ähnlichkeit von Aufklärung und apokalyptischer Literatur bewusst: Die Apokalyptik will etwas aufdecken und bekannt machen, ebenso die Aufklärung. 189 Vgl. Huntington, S.P., The Clash of Civilizations: „A civilization is thus the highest cultural grouping of people and the broadest level of cultural identity people have short of that which distinguishes humans from other species. It is defined both by common objective elements, such as language, history, religion, customs, institutions, and by the subjective self-identification of people.“ 190 Vgl. Huntington, S.P., The Clash of Civilizations: „Civilization identity will be increasingly important in the future, and the world will be shaped in large measure by the interactions among seven or eight major civilizations. These include Western, Confucian, Japanese, Islamic, Hindu, Slavic-Orthodox, Latin American and possibly African civilization. The most important conflicts of the future will occur along the cultural fault lines separating these civilizations from one another.“ 191 Vgl. Huntington, S.P., The Clash of Civilizations.

Vom säkularen Prämillenarismus zum säkularen Amillenarismus: Die Postmoderne und Jacques Derrida

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Die Präeschata

Die Moderne ist daher durch und durch apokalyptisch und das Apokalyptische ist eine transzendentale Bedingung der Möglichkeit jedes Diskurses.192 Allerdings gibt es bessere und schlechtere Apokalyptik bzw. besseres und schlechteres Aufklären: Während die Aufklärung eben an einer Wahrheit festhalte und andere leugne, sei sie sich ihrer eigenen Prinzipien nicht völlig durchsichtig und offenbar, während die Postmoderne die bessere Aufklärung sei und damit besser der apokalyptischen Struktur entspreche, weil es keine Wahrheit im Singular mehr gäbe, sondern nur Wahrheiten im Plural. Daher handele es sich bei der Postmoderne um eine „Apokalypse ohne Vision, ohne Wahrheit, ohne Offenbarung“.193 Zwar erscheint Ulrich Körtner die „Redewendung von der Postmoderne […] als eine Spielart des Gedankens vom Untergang des Abendlandes“,194 aber im Vergleich zu diesem Gedanken fehlen doch entscheidende Kennzeichen eines Postmillenarismus und eines wahrhaft apokalyptischen Denkens, das gerade in der Schematisierbarkeit und Erkennbarkeit des Geschichtslaufes besteht. Wenn das apokalyptische Aufdecken des Geschichtslaufes gerade darin bestehen soll, dass kein schematischer Verlauf zu erkennen ist, ist der apokalyptische Prämillenarismus im Prinzip zugunsten eines Amillenarismus schon überwunden. 4.3.3.2 §71 Christianisierter Prämillenarismus

Christianisierter Prämillenarismus

§71 Christianisierter Prämillenarismus, d. h. Thesen eines negativ verlaufenden Geschichtsverlaufes, finden sich im angloamerikanischen Bereich in verschiedenen vom Christentum beeinflussten Sekten, im Dispensionalismus, d. h. der Lehre, dass sich die Geschichte in 7 Zeitaltern vollzieht, sowie im deutschen Protestantismus eher ausnahmsweise bei Wilhelm Löhe und I.A. Dorner. Im 19. Jh. kommt es in Amerika nicht nur zu optimistischen postmillenaristischen Strömungen, sondern auch zu pessimistischen prämillenaristischen Strömungen, die gerade nicht davon ausgehen, dass eine Heilszeit schon angebrochen sei oder in naher Zukunft anbreche. Diese prämillenaristischen Strömungen gehen vielmehr davon aus, dass der gegenwärtige Stand der Weltgeschichte ein negativer sei

192 Vgl. Derrida, J., Apokalypse, 55. 193 Derrida, J., Apokalypse, 87. 194 Körtner, U.H.J., Weltangst, 239.

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

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und damit das Ende der Geschichte in Form des jüngsten Tages bald anbreche. Religiöse Bewegungen, die die Grenze des Christentums verlassen Religiöser und zumindest z.T. hierhin gehören, sind die Gründung der Mor- Prämillenarismus in Amerika monen in den 1830er Jahren durch Joseph Smith (gest. 1844), die Berechnung der Ankunft des Endes durch William Miller (gest. 1849) in den 1840er Jahren, was verschiedene religiöse Neugründungen wie die Adventisten auslöste und die Gründung der Zeugen Jehovas durch Charles T. Russell (gest. 1916) Ende des 19. Jh.195 Aber nicht nur in Amerika, sondern auch aus der englischen Erweckungsbewegung des 19. Jh. gehen prämillenaristische, pessimistische Strömungen hervor, so etwa durch Edward Irving (gest. 1834), um den herum die Neuapostolische Kirche entstand. Innerhalb der Grenzen des Christentums wurde der Prämillenarismus im Amerika des 19. Jh. vor allem im sog. Dispensionalismus wirksam, der in den 70er Jahren des 20. Jh. neuen Auftrieb erfuhr. Der Dispensionalismus stellt historisch eine Weiterentwicklung der reformierten Föderaltheologie dar. Die Föderaltheologie ging davon aus, dass Gott mit der Menschheit in verschiedenen Geschichtszeiten nach verschiedenen foedera, d. h. Abkommen oder Verträgen, gehandelt habe. Der Föderalcalvinismus hat nach neueren Untersuchungen offensicht- Föderalcalvinismus lich mehr als eine Wurzel und besitzt Vorläufer in den Theologien des Calvinschülers Kaspar Olevianus (1536–1587) und des Melanchthonschülers Zacharias Ursinus (1534–1583), färbt aber kaum auf deren „Heidelberger Katechismus“ ab. Tatsächlich explizierte Föderalschemata findet man dann bei Johannes Cocceius (1603–1669) und unabhängig von diesem u. a. bei den Schotten John Cameron (1579–1625), Thomas Cartwright (1535–1603), Robert Rollock (1555–1599), William Perkins (1558–1602), William Ames (1576–1633) und schließlich in der Westminster Confession.196 Im Dreierschema von Cameron wird der Bundesbegriff zur Einführung einer bedingten, hypothetischen Gnadengabe (foedus hypotheticum) genutzt. Im foedus naturale, dem Bund der Werke oder Bund des Gesetzes schließt Gott mit Adam als berechtigtem Bundesrepräsentanten der gesamten Menschheit einen Bund bzw. einen Vertrag, in dem die Gabe des Heils konditional an die Gesetzeserfüllung gebunden ist. Da aber Vater und Sohn in Ewigkeit vorhergesehen haben, dass Adam diesen Vertrag brechen würde, schließen sie in Ewigkeit den foedus gratiae, einen Bund der Erlösung, in dem der Sohn zustimmt, für die Sünde des Menschen in Form einer Strafsatisfaktion zu 195 Vgl. Jewett, R./Lawrence, J.S., Captain America, 137. 196 Vgl. Weir, D.A., Foedus naturale; Jinkins, M., Edwards and McLeod Campbell, 422. 403–407.

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Die Präeschata

zahlen, um so den positiv Erwählten Gnade zu verdienen. Von diesem zweiten Bund abhängig ist ein dritter Bund, der foedus gratiae subserviens. Mit Hilfe dieses Vertrages treten die Erwählten in die durch den foedus gratiae garantierte Heilsgabe zu der Bedingung ein, dass sie Heil erlangen, wenn sie Reue und Glauben erweisen.197 Dispensionalismus

Der Dispensionalismus geht auf die Plymouth Brethren, gegründet in den 1830er Jahren in England um John Nelson Darby (gest. 1882), zurück, verbreitet sich durch die Scofield Bible-Übersetzung auch nach Amerika und erlebt durch Hal Lindseys Buch The Late Great Planet Earth von 1970 neue Bedeutung, die sich sogar in der gegenwärtigen Weltpolitik spiegelt.198 Der Dispensionalismus baut inhaltlich die Föderaltheologie dergestalt aus, dass nicht nur von drei foedera oder Abkommen Gottes mit den Menschen ausgegangen wird, sondern von insgesamt sieben Weltabschnitten und sieben unterschiedlichen Abkommen und entsprechenden Zeitaltern (dispensations) Gottes mit den Menschen. „Die sieben Dispensationen sind: die Unschuld (im Garten); das Bewusstsein (bis zur Sintflut); das menschliche Regiment (seit dem Turmbau zu Babel); die Verheißung (seit Abraham); das Gesetz (seit Mose); die Gnade (seit Christus); das Reich (als das kommende Millennium).“199 Alle Dispensationen sind dadurch gekennzeichnet, dass der Mensch versagt und das entsprechende Abkommen wieder bricht. Gegenwärtig befindet sich die Geschichte am Ende der vorletzten Dispensation, nach der die Wiederkunft Christi bevorsteht und das Millennium anbricht, nach dem die Menschheit aber erneut versagt und dem wieder freigelassenen Satan nachfolgen wird. Schließlich endet der Lauf der Welt rein negativ und die eigentlichen Eschata setzen ein.200 Der Dispensionalismus war stets die Triebfeder des sog. christlichen Zionismus, der die Gründung des Staates Israel als notwendig im Heilsplan angesiedelt betrachtet, weil sie ein Zeichen der Treue Gottes sei. Entsprechend erlebte der Dispensionalismus v.a. nach der Staatsgründung Israels einen Aufschwung. Überraschenderweise spielte auch im 21.Jh während der Trump-Ära der Dispensionalismus eine wichtige und nicht zu unterschätzende Rolle im politischen Handeln Amerikas.201 197 198 199 200 201

Vgl. Torrance, J.B., Covenant or Contract?. Vgl. Jewett, R./Lawrence, J.S., Captain America, 138–147. Schwarz, H., Die christliche Hoffnung, 91. Vgl. Schwarz, H., Die christliche Hoffnung, 92. Vgl. Mühling, M., Story oder History? Zur Problematik der Identifikation göttlichen Handelns in zeitgeschichtlichen Ereignissen. Obwohl der sog. rheinische Synodalbeschluss der 1980er Jahre ein wichtiger kirchenpolitischer Schritt zu einer neuen Verhältnisbestimmung zu Israel aus christlicher Sicht war, so dürfen doch dessen theologische Fehler nicht ignoriert werden. Dazu gehört die

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

Im kontinentalen Deutschland entwickelte sich im 19. und 20. Jh. so gut wie kein eigenständiger Prämillenarismus. Zwar dürfte er auch in der Gegenwart vor allem unter zahlreichen Freikirchen blühen, jedoch aufgrund angloamerikanischen Einflusses. In der Mitte des 19. Jh. entwickelt lediglich der konservative Lutheraner Wilhelm Löhe (gest. 1872) wenig paradigmatisch einen Prämillenarismus, der ihn ironischerweise von der von ihm unterstützten amerikanischen Missourisynode trennte, die auf die nichtmillenaristischen Bekenntnisschriften pochte. Löhe schreibt:

279

Gab es einen christlichen Prämillenarismus in Deutschland?

„Die Hoffnung einer Wiederkunft, der Antichristus und der Abfall […] trat in den Wilhelm Löhe Hintergrund, und unbegreiflicherweise bemerkte man nicht, wie eben damit die Liebe erkaltete […] 1800 Jahre sind hingegangen und was hat sich ereignet […]? Was hat sich ereignet? Die Kirche steht, der Abfall in ihr nimmt immer zu, die Massen ergeben sich unverhohlen dem irdischen Getrieb, die Bosheit […] gewinnt immer mehr Ohren und Herzen […]. Auch zu euch dringt der Hahnenschrei, mein Geschrei aus meiner Einsamkeit und Stille; aus der Tiefen heraus schrei ich euch an und gebe mein Zeugnis vom Abfall, von der möglichen nächsten Nähe des Antichristus, der ersten Wiederkunft des Herrn und der ersten Auferstehung […]. Da stehn wir und sehen das Morgenrot der Zukunft leuchten, das Ende kommen und den Herrn mit seiner Auferstehung, und wir sind über und über beschlabbert mit dem Schmutze und der Niederträchtigkeit unsres gemeinen Lebens.“202

Dass es sich hier um Prämillenarismus handelt ist deutlich: Löhe malt das Bild einer Verfallsgeschichte, die in seiner Gegenwart Mitte des 19. Jh. gipfelt, womit der typische prämillenaristische Pessimismus identifiziert wäre. Die Rede von der „ersten Auferstehung“ deutet an, dass Löhe das Ende und ein danach einsetzendes Millennium erwartet. Eine vielleicht gerade noch prämillenaristische Form lässt sich Isaak August Dorner auch bei Isaak August Dorner (gest. 1884) erkennen. Formal lehnt er jeden Millenarismus ab,203 rechnet aber bei gleichzeitiger zunehmender Ausbreitung des Christentums dennoch mit einer Verfallsgeschichte der Welt insgesamt. Diese Auffassung ist insofern bemer-

unkritische Verwendung des Terminus „Zeichen der Treue Gottes“ angesichts der Staatsgründung Israels. Man sah wohl in den 1980er Jahren in Deutschland nicht, in welch verhängnisvolle Tradition man sich damit stellte. Aber selbst, wenn man dieses Fehlurteil nicht in Rechnung stellt, so ist doch deutlich, dass die Identifizierung eines zeitgeschichtlichen Ereignisses mit dem direkten Handeln Gottes einen fatalen Kategorienfehler darstellt, der Narration und Historizität verwechselt. Und diese Verwechselung ist ein Entkontingentisierungsversuch par excellence. 202 Löhe, W., Das Entgegenkommen zur Auferstehung der Toten. Predigt über Phil 3,7–11. 1857, 703–705. 203 Vgl. Dorner, I.A., System II, 942.

280

Die Präeschata

kenswert, als sie eine Antwort auf die Frage bieten kann, warum nach Christi Tod und Auferweckung die Welt insgesamt nicht besser geworden ist, wenn die Rechtfertigung effektiv zu verstehen ist. Dabei sei dahingestellt, ob es sich um eine gute Antwort handelt: „[…] so folgt gerade aus der wachsenden Einwirkung des Christenthums auf die Welt, dass Diejenigen, die gleichwohl im Widerstand beharren, durch die stärkere Offenbarung des Christenthums, um sich ihm gegenüber zu behaupten, zu immer bösartigeren, besonders auch geistigeren Formen des Bösen getrieben und verhärtet werden. So ist dann der Abfall, durch Lüge und den Schein geistlichen Wesens unterstützt, um so verführerischer und ansteckender, und kann dann auch in weiterer Entwicklung und Offenbarung des inneren Zustands sogar äußerer Abfall in weiter Ausdehnung sich anschließen. Den Uebergang dazu bildet aber der innere Abfall durch Verfälschung des Christentums.“204

4.3.4

§72 Amillenarismus und ethische Konsequenzen

Amillenaristisches Christentum und ethische Konsequenzen

§72 Die Hauptströmungen des Christentums im Osten und im Westen waren seit Augustin amillenaristisch, indem sie die 1000 Jahre aus Apk 20,1–7 auf die Zeit der Kirche und damit auf die Gegenwart bezogen. Systematisch bedeutet dies: Der Amillenarismus geht davon aus, dass es keinen offenbarten Geschichtsverlauf – weder zum Guten noch zum Schlechten – gibt. Er bezieht sich auf ein Geschichtsbewusstsein, das davon ausgeht, dass der geschichtliche Zustand der Welt nicht perfektibel ist. Die gegenwärtige geschichtliche Ordnung ist nicht kategorial verbesserbar, die Zeit der Kirche innergeschichtlich nicht überwindbar. Das amillenaristische Christentum verzichtet damit programmatisch auf jede Utopie, die einen innergeschichtlichen Heilszustand annimmt. Ein amillenaristisches Christentum gewinnt seine Gesellschaftsrelevanz durch die Unterscheidung von Gottes welterhaltendem Handeln von Gottes Heilshandeln, die besagt, dass Letzteres Heil hervorbringt und Ersteres nur die notwendige Bedingung davon ist. Gottes erhaltendes Handeln ist zwar nur im eschatischen Erwartungshorizont als Handeln Gottes identifizierbar, unidentifiziert aber in vorläufigen Erwartungshorizonten erfahrbar. Gottes Heilshandeln gehört im Gegensatz dazu genuin zum eschatischen Horizont. Menschliches Handeln in Politik und Ökonomie ist als

204 Dorner, I.A., System II, 940f.

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

281

Mitarbeit an Gottes erhaltendem Handeln zu charakterisieren und hat die Aufgabe, dem Bösen zu wehren, nicht aber, Heil zu schaffen. Als Aufgabe an Gottes Heilshandeln ist hingegen die ihr selbst unverfügbare Verkündigung der Kirche zu verstehen. Die Hauptströmungen des Christentums sind durchweg nicht millenaristisch und nicht apokalyptisch. Im Osten findet der Millenarismus im Gefolge der origenistischen Tradition kaum Anhänger. Euseb von Cäsarea (gest. 339) versucht, einige Millenaristen zu widerlegen. Im Westen versetzt Augustin jeglichem Millenarismus den Todesstoß. Obwohl Augustin zunächst mit millenaristischen Gedanken geliebäugelt hatte, werden diese in vier Kapiteln in De Civitate Dei205 radikal ausgeschlossen, indem das tausendjährige Reich von Apk 20,1–7 auf die gegenwärtige Zeit der Kirche bezogen wird: „Unterdessen herrschen, während der Teufel tausend Jahre angebunden ist, die Heiligen mit Christus ohne Zweifel auch während eben dieser tausend Jahre, welche auf dieselbe Weise zu verstehen sind, nämlich von der nunmehrigen Zeit seit seiner ersten Ankunft […] [anschließend] äussert er sich kurz zusammenfassend, was in diesen tausend Jahren die Kirche tut oder was in ihr gethan wird: ‚Und ich sah Throne und die darauf saßen, und es ward ihnen Gericht gegeben.‘ Man darf nicht glauben, dass Dies vom letzten Gericht gesagt werde, sondern es sind die Throne der Vorsteher und die Vorsteher selber zu verstehen, durch welche die Kirche jetzt geleitet wird.“206

Die ganze Folgezeit sowohl der Alten Kirche als auch des Mittelalters behält diese Interpretation bei und schließt den Millenarismus als Häresie aus.207 Die Reformation schließt sich nicht nur diesem Urteil an, wenn der Millenarismus im 17. Artikel der Confessio Augustana ebenfalls ausgeschieden wird,208 sondern steigert in gewissem Sinne noch diese Interpretation. Denn wenn das tausendjährige Reich das Reich der Kirche gewesen ist und am Ende dieser Zeit der gefesselte Teufel wieder losgelassen wird, war es leicht, die Gegenwart eben auf diese Zeit nach den tausend Jahren zu beziehen: Jetzt ist der Teufel freigelassen und er ist identisch mit dem Papst bzw. mit dem Papsttum. Diese Interpretation der Reformatoren deutet an,

205 206 207 208

Vgl. Augustinus, A., civ., 20,6–9. Augustinus, A., civ., 20,9 (1–2). Vgl. Thomas von Aquin, s.th. III, q77, a1, ad 4; s.c.g. III, 27; IV, 83. Vgl. BSLK, 72, 5–9: „Item, werden hie verworfen auch etlich judisch Lehren, die sich auch itzund eräugen, dass vor der Auferstehung der Toten eitel Heilige, Fromme ein weltlich Reich haben und alle Gottlosen vertilgen werden“.

Ausschluss des Millenarismus bei Augustin und den Reformatoren

282

Die Präeschata

Ethische Folgen des Postmillenarismus

Ethische Folgen des Prämillenarismus

Ist der Millenarismus mit dem christlichen Glauben vereinbar?

dass sie Amillenaristen sein konnten und dennoch in einer endzeitlichen Naherwartung lebten. In den Hauptströmungen sowohl der römischen als auch der protestantischen Theologie erscheint der Millenarismus dann auch in der Folgezeit nicht mehr, mit Ausnahme der oben genannten Erscheinungen. Die ethischen Konsequenzen sind enorm: Denn der Postmillenarismus tendiert unweigerlich zum Totalitarismus, weil es gilt, eine innergeschichtliche Heilshoffnung in der Gegenwart für die innergeschichtliche Zukunft zu verwirklichen. Denn hat man Aufklärung und Einsicht in den Lauf der Geschichte erlangt, sei es durch Vernunft oder sonst auf irgendeine Art und Weise, wird man diejenigen, die von dieser Enthüllung oder Aufklärung nicht überzeugt sind, versuchen, von der gleichen Meinung zu überzeugen oder – falls dies nicht erfolgreich ist – diese Meinungen oder deren Vertreter abzuschaffen. Die Geschichte der Aufklärung ist voll der grausamen Beispiele, die wir uns hier nicht auszumalen brauchen. Gegenüber allen Formen des optimistischen Postmillenarismus erscheint der pessimistischere Prämillenarismus dann wenigstens nicht von dieser ethischen Gefahr – dem unweigerlich einsetzenden Totalitarismus – getragen zu sein. Höchstens bietet sich hier die Gefahr des Stillehaltens oder der verzweifelten selbsterfüllenden Prophezeiung im geschichtlichen Handeln. Gefahren, die immerhin harmloser als die Gefahren des Postmillenarismus sind. Dennoch wird man aus systematischer Sicht sagen müssen, dass beide millenaristischen Formen letztlich mit einem christlichen Wirklichkeitsverständnis nicht vereinbar sind. Denn der apokalyptische Gedanke als solcher, dass es in der Religion um die Offenbarung von Regeln geht, nach denen sich der Geschichtsverlauf vollzieht, ist falsch: Unter den Bedingungen der Konstitution des eschatischen Erwartungshorizonts des christlichen Glaubens gibt es in der Tat eine Erschließung, Enthüllung oder Offenbarung von Letztgültigem. Aber ihr Gegenstand sind nicht zukünftige Geschichtstatsachen, sondern Gott selbst. Offenbarungsursprung und Offenbarungsinhalt sind somit mit dem dreieinigen Gott identisch. Der Millenarismus reduziert auch den Begriff eines personalen Gottes und seiner lebendigen Handlungsmöglichkeiten zu einem letztlich deistischen Gott, d. h. einem Gott, der die Geschichte nur scheinbar mit Kontingenz ausgestattet hat, in Wirklichkeit die Geschichte aber nach einer natürlichen Gesetzmäßigkeit ablaufen lässt, sei es zum Guten oder zum Schlechten. Letztlich erweist sich der Versuch einer apokalyptischen Geschichtsdeutung daher als Versuch, unter vorläufigen Erfahrungshorizonten die Zukunft in den Griff zu bekommen. Millenaristische Formen des Christentums sind damit als Versuch zu werten, das Unverfügbare,

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

hier bestehend in der Zukunft, dem Menschen verfügbar zu machen und haben daher gerade keinen eschatischen Charakter. Ähnlich wie die Konstruktion eines Tun-Ergehen-Zusammenhangs hinsichtlich partikularer Personen und ihren Lebensgeschichten Ausdruck der Sünde ist, ist im sozialen Bereich der Millenarismus Ausdruck der Sünde des Menschen, d. h. des Versuchs einer eigenen Regelungsgabe. Dies alles heißt nicht, dass die apokalyptische Literatur alter Zeiten wertlos wäre. Sie kann auch in anderer Weise rezipiert werden. Ein eindrucksvolles Beispiel davon gibt Wolfhart Pannenberg, der sich sowohl auf die außerkanonische frühjüdische apokalyptische Literatur als auch auf den „Postmillenaristen“ Hegel und dessen Gedanken der Einheit der Wahrheit berufen kann, ohne selbst Postmillenarist zu werden.209 Interessant ist auch, dass Amillenarismus, wie im Falle der Reformatoren, durchaus mit Naherwartung bestehen kann. Die systematische Bedeutung einer nicht millenaristischen Naherwartung besteht dabei darin, dass hier die gegenwärtige Geschichte in einer radikalen Weise relativiert wird und der in ihr Handelnde und Lebende sich in besonderer Weise ihrer Vorläufigkeit bewusst ist. Von Luther wird eine berühmte Anekdote erzählt, die allerdings Mitte des 20. Jh. erfunden worden sein dürfte, die aber nichtsdestotrotz zeigt, dass gerade eine amillenaristische Geschichtsauffassung ein adäquates Handeln in der Geschichte ermöglicht: Gefragt, was er tun würde, wenn morgen die Welt unterginge, antwortete Luther, er wolle einen Apfelbaum pflanzen. Gefragt, warum er dies tun wolle, antwortete er, er wolle dies tun, weil er es sowieso tun wollte. Man wird aber das öffentliche und soziale Handeln von nichtmillenaristischen Christen noch bestimmter beschreiben können: Öffentliche Aufgabe von Christen ist zuallererst die Kommunikation des Evangeliums und dadurch die Mitwirkung an Gottes heilschaffendem, weil glaubenskonstituierendem Handeln, dessen vollständiger Erfolg innerweltlich nicht möglich ist. Von dieser Mitwirkung an Gottes glaubenschaffendem Handeln des Menschen ist aber noch eine andere Art der Mitwirkung an Gottes Handeln zu unterscheiden. Denn um das Evangelium von Kreuz und Auferweckung verkündigen zu können, müssen bestimmte Minimalbedingungen im geschichtlichen Zustand einer Gesellschaft erfüllt sein: Die materiellen Bedürfnisse der Versorgung des Leibes müssen annähernd gestillt sein, geistliche Güter wie Frieden als das Leben in einem Regelwerk

209 Vgl. z. B. Pannenberg, W., Gott der Geschichte.

283

Nicht millenaristische Rezeption der Apokalyptik

Ethische Folgen des amillenaristischen Christentums

284

Die Präeschata

zuverlässiger und erwartungssicherer Gewaltandrohung als grundsätzliches Kennzeichen jeder denkbaren Rechtsordnung210 sind ebenfalls nötig: Verkündigt werden kann auf Dauer nur, wo sichergestellt ist, dass der Verkündiger und die Zuhörer nicht umgebracht werden. Gottes Handeln, das eben diese Güter bereitet, wird als Gottes welterhaltendes Handeln bezeichnet. Es hat keine an sich eschatische Qualität, sondern nur medialen Charakter, so lange die Welt besteht. Auch an diesem erhaltenden Handeln Gottes kann und muss sich der Mensch in seiner Sozialität beteiligen. Diese Mitwirkung des Menschen hat genauso wenig wie das entsprechende Handeln Gottes selbst heilschaffende Qualität: Es zielt nicht auf Heil, sondern nur darauf, dem Bösen zu wehren. Wirtschaft und Politik sowie die Beteiligung an Wirtschaft und Politik sind für den Christen daher eine gebotene Aufgabe, aber immer nur eine vorläufige: Aufgrund des medialen Charakters des erhaltenden Handelns für das Heilshandeln Gottes sind wirtschaftliche und politische Interaktionen nicht von eschatischer Relevanz. Der Unterschied zwischen diesen beiden Handlungsweisen Gottes wie ihre menschliche Beteiligung kann u. a. mit Hilfe der sog. Zwei-Regimenten-Lehre konzeptionell erfasst werden.211 In jüngster Zeit hat Günter Thomas versucht, die Beteiligung des Christen in der Welt als Rede der Beteiligung an Gottes „Weltabenteuer“ darzustellen.212 Dieser Versuch ist v.a. in seiner kritischen Kraft zu würdigen, das christliche Engagement in der Welt als Gestaltung einer bestimmten politischen Option misszuverstehen. 4.3.5

§73 Die Lehre von den Vorzeichen des Endes

Exkurs: Die Vorzeichen des Jüngsten Tages und der Parusie Christi

§73 In der Geschichte des Christentums wurde verschiedentlich versucht, hauptsächlich aus Apk verschiedene Vorzeichen des Weltendes zusammenzustellen oder das Ende zu berechnen. Diese Versuche erweisen sich als unbiblisch und widersprechen dem Grundsatz der Eschatologie, Aussagen auf Basis des Horizonts christlicher

210 Vgl. Herms, E., Rechtsbegründung. 211 Zur Thematik vgl. Härle, W., Zwei-Regimenten-Lehre; Herms, E., Theologie und Politik. Die Zwei-Reiche-Lehre als theologisches Programm einer Politik des weltanschaulichen Pluralismus. 212 Vgl. Thomas, G., Weltabenteuer.

Die apokalyptische Offenbarung der Zukunft der Geschichte

285

Hoffnung zu treffen, weil sie nach der Logik der Extrapolation aus vorläufigen gegenwärtigen Erfahrungshorizonten verfahren. In der Christentumsgeschichte wurde immer wieder versucht, ausgehend von den großen apokalyptischen Schilderungen des Neuen Testaments in Mk 13, Lk 21, Mt 24f, 1.Thess 4,13–18; 1.Thess 5,1–11 sowie Apk, bestimmte, in der Geschichte wahrnehmbare Vorzeichen des Jüngsten Tages und der Wiederkunft Christi zu bestimmen. Entsprechend ihren apokalyptischen Vorbildern betreffen diese Vorzeichen oder Zeichen sowohl die personale als auch die soziale und kosmische Welt. Im Mittelalter gab es eine breite Debatte um die Frage, wieweit man diese Lehre systematisieren könne. So findet man im 12. Jh. eine ausgearbeitete Lehre von meist fünfzehn Vorzeichen, die aber nicht immer identisch sind. Aufgezählt werden u. a.: Anstieg des Meeres, Absinken des Meeres, Auszug der Meerestiere, Brennen aller Gewässer, Hervorbringen eines blutigen Taus von Pflanzen, Einstürzen von Gebäuden und Felsen, Erdbeben und Einebnung der Erde, Wahnsinn und Stummheit der Menschen, Öffnen der Gräber, Fallen der Sterne vom Himmel, Tod aller Lebenden und neue Auferstehung, Brand von Himmel und Erde, allgemeine Auferstehung. Wichtige, auch selbstständig behandelte Ereignisse sind das Erscheinen von falschen Propheten und das Erscheinen des Antichristen, über dessen Identifikation – sei es als Einzelperson oder als Institution – viele Spekulationen angestellt wurden, ein großer Kampf am Tag Gottes gegen das Böse an einem Ort namens Harmagedon nach Apk 16,16, das Erscheinen des Zeichens des Menschensohnes am Himmel nach Mt 24,30, das oft als feuriges Kreuz gedeutet wurde, das Erscheinen des entrückten Henochs (nicht aber des entrückten Elia, da dieser schon in Johannes dem Täufer als wiedergekommen galt) sowie die Bekehrung der Juden zu Christus. Z.T. versuchte man sogar, diesen Ereignissen eine zeitliche Reihenfolge zuzuordnen. Die großen Theologen des Mittelalters waren diesen eher volkstümlichen Vorstellungen gegenüber äußerst skeptisch eingestellt. Thomas von Aquin beispielsweise hält das Auftreten der 15 Vorzeichen für äußerst unwahrscheinlich und mit dem Antichristen beschäftigt er sich nur ein einziges Mal.213 Berechnungen des Endes waren stets biblisch ausgeschlossen (Mk 13,21.32; 1.Thess 5,2) und galten, wenn sie doch vorgenommen wurden, zu Recht als häretisch. Sie verkehren nämlich geradezu die Absicht dieser mannigfachen biblischen

213 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 29–32. 107–111.

Welches sind die Vorzeichen des Endes der Geschichte?

Wie wurde die Lehre von den Vorzeichen des Endes beurteilt?

286

Die Präeschata

Wie kann man heute mit der Idee der Vorzeichen des Endes umgehen?

Rede von den Vorzeichen, indem sie versuchen, das Unverfügbare verfügbar und berechenbar zu machen. Man wird, wenn man nach dem begrifflichen Wert all dieser Vorzeichen fragt, auf wenig theologischen Gehalt im Einzelnen stoßen, aber in ihrer Gesamtheit auf ganz bemerkenswerte Einsichten: 1. Insgesamt zeigen die Vorzeichen gerade keinen geschichtlich perfekten Endzustand von Mensch, Welt oder Gesellschaft, sondern gerade einen heillosen anarchischen Unheilszustand. 2. Damit wird jeder geschichtlich erreichbaren Heilshoffnung aus Sicht der christlichen Hoffnung eine Absage erteilt. 3. Die Ablehnung der Berechenbarkeit des Endes soll das Bewusstsein fördern, in der geschichtlichen Welt in der Vorläufigkeit zu leben und die ethische Mahnung der Wachsamkeit herausstellen. 4. Faktisch beschreiben diese Endzeichen nichts anderes als in den mannigfachen geschichtlichen Situationen tatsächlich erfahrbare Katastrophen, seien es Naturkatastrophen, das Auftreten von Verführern oder Kriege. Dies förderte in vielen Zeiten auch das Bewusstsein, in der Endzeit zu leben und damit indirekt den unter 3. festgestellten ethischen Effekt samt seiner Haltung auf das Hier-und-Jetzt. 5. Besonderes Interesse kam stets dem Antichristen zu. Hier gilt, dass sowohl eine Auflösung ins allgemein Christusfeindliche wie auch eine konkrete Identifikation mit einem geschichtlichen Individuum, sei es ein vergangenes, gegenwärtiges oder zukünftiges, letztlich verfehlt ist. Insbesondere eine Identifikation mit politischen Führergestalten, Systemen oder Institutionen verharmlost die Vorstellung und läuft damit ihrer Aussageintention gerade entgegen: „Es wäre eine unzulässige Abschwächung, wollte man hierunter eine politische Macht verstehen, die zur äußeren Christenverfolgung ausholt. Christenverfolgungen haben die Kirche oft dezimiert, aber nie ernstlich gefährdet. Der satanische Charakter dieser letzten großen Gefahr besteht vielmehr in der inneren Anpassung an die Kirche: Proklamation der Gottesherrschaft im menschlichen Raum, Präsenz Christi – wer kann da widerstehen?“214

214 Elert, W., Der christliche Glaube, 523.

5.

Die Eschata

Nach der Behandlung der Präeschata kommen wir nun zu den eigentlichen Eschata, den „letzten Dingen“. Doch auch hier gilt, dass es sich nicht einfach um eine Nebeneinanderstellung verschiedener Ereignisse handelt, die der christliche Glaube als in Zukunft geschehend erhofft. Vielmehr handelt es sich um einen strukturierten Sachverhalt, ein Ereignis, das in verschiedene, spezifisch aufeinander bezogene Aspekte gegliedert werden kann.1 Da der Grund der christlichen Hoffnung das Sich-selbst-Erschließen des dreieinigen Gottes im Zentrum des christlichen Glaubens in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi ist, kann auch über einzelne erhoffte Ereignisse nicht mehr gesagt werden, als durch die Konstitution des Horizonts letztgültiger Hoffnung in der Zurechtbringung des Menschen durch den dreieinigen Gott in Person und Werk Jesu Christi gesagt werden kann. Dann liegt es aber nahe, das Erscheinen Jesu Christi – die Parusie – als die Konstitution, Wirkursache oder intentional-personale Herkunft der eschatischen Realität zu sehen, das Reich Gottes als die Vollzugsgestalt, das Telos oder die Zielursache der eschatischen Realität – und das heißt nichts anderes als die eschatische Realität selbst –, während die Auferstehung der Toten und das Gericht samt seiner Ausgänge die Handlungsmittel sind, mit denen dies erreicht wird. Damit ist es sinnvoll, Parusie und Reich Gottes als erstes bzw. letztes der Eschata zu behandeln (5.1 und 5.4), die die Frage nach den Handlungsmitteln der Auferstehung (5.2) und des Endgerichts (5.3) rahmen.

1 Vgl. Jenson, R.W., ST II, 314.

Der Sinn der Reihenfolge Parusie – Auferstehung – Gericht – Vollendung des Reiches Gottes

288

Die Eschata

§74 Die Rede von der Parusie Christi und ihre Probleme

Das Marginalisierungsproblem

5.1

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

5.1.1

Probleme der Parusie

§74 Der Gedanke der Parusie Christi, der gegenüber dem deutschen gebräuchlichen Ausdruck „Wiederkehr Christi“ zu bevorzugen ist, erscheint in der dogmatischen Tradition der Gegenwart im Vergleich zu dessen exegetischer Betrachtung und zu dessen beanspruchter zentraler Stellung nur marginal. Dies zeigt sich an einer Funktionalisierung des Gedankens, der die Parusie von der Person Christi löst und nur mit dessen Wirkungen verbindet genauso, wie an dem ontologischen Problem, dass bis in die Gegenwart unklar bleibt, welcher Realitätsgehalt die Rede von der Parusie enthält. Mit der Parusie verbinden sich mehrere Probleme. Zunächst ist das Marginalisierungsproblem zu nennen. Mit dem Thema der Parusie verhält es sich genau umgekehrt wie mit dem Thema des Millenniums: Während das Millennium biblisch nur einmal erwähnt ist und die Beschäftigung in der Neuzeit mit dem Millennium explodiert, verhält es sich mit der Parusie genau andersherum: Die Parusie ist ein neutestamentlicher Zentraltopos, wird aber in systematischer Hinsicht in der Neuzeit bis in die Gegenwart kaum behandelt. Das gilt exemplarisch gerade für solche Positionen, die das Gegenteil behaupten. So stellt zwar Schleiermacher (gest. 1834) die Lehre von der „Wiederkunft Christi“ an den Beginn seiner „prophetischen Lehrstücke“ und gibt ihr damit ein gewisses Gewicht.2 Dennoch führt die Art und Weise der Behandlung zur Marginalisierung der Parusie – und da sie ja den Ausgangspunkt der schleiermacherschen Eschatologie bildet, zur Marginalisierung der Eschatologie insgesamt. Denn einerseits ist die gesamte Eschatologie als „prophetisches Lehrstück“ kein integraler Bestandteil der Dogmatik, andererseits wird das Thema der Parusie inhaltlich beschränkt. Es gehe gerade nicht um die Wiederkehr der Person Christi, sondern nur um deren Wirkung auf die Kirche. Nicht Christus kommt in persona wieder, sondern die Kirche wird, so Schleiermacher, „vollendet“: „Sonach fällt alles, was sich in einem bestimmten Bilde gestalten will, auseinander und es bleibt als wesentlicher Gehalt unseres Satzes, indem wir der leiblichen Gegenwart Christi seine kräftige Wirksamkeit substituieren, dass da die Vollendung der Kirche als Aufhören ihres schwankenden Werdens und Wachsens nur durch

2 Vgl. Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §160, Bd. 2, 421–423.

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

289

einen Sprung möglich ist und […] dieser Sprung durchaus nur dürfe angesehen werden als ein Akt der königlichen Gewalt Christi. […] So geht denn in diesem Lehrstück alles Bildliche, was aber schwankend bleiben muß, von dem Interesse der persönlichen Fortdauer aus, was hingegen sicher aufgestellt werden kann, bezieht sich auf die Vollendung der Kirche.“3

Das Marginalisierungsproblem entpuppt sich, wie das Zitat zeigt, als Das FunktionalisieFolge eines weiteren, grundlegenderen Problems, des Funktionali- rungsproblem sierungsproblems: Auch wenn die zentrale Rolle der Parusie für die Eschatologie anerkannt wird, d. h. wenn anerkannt wird, dass sich über die eschatische Realität schlechthin nichts anderes sagen lässt als das, was bereits in Jesus Christus erschlossen ist, so zeigt sich doch, dass dies auf das Werk Christi, nicht aber auf die Person Christi bezogen wird: Die Parusie deute an, dass in der eschatischen Realität nichts anderes geschehen könne als das, was soteriologisch durch Christus bereits erschlossen sei.4 Dies ist zwar nicht falsch, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Denn die Funktion, d. h. das Werk Christi, ist christologisch nicht von der Person Christi unabhängig. Umso erstaunter kann man sein, wenn beide in der Lehre von der Parusie dann doch entkoppelt werden. Wenn Christus theologisch auf seine Wirkung funktionalisiert wird, Funktionalisierung aber eine Grundgestalt der Sünde ist (§88), dann läuft theologisch offensichtlich einiges schief. Interessant ist letztlich auch das theologisch-innerdisziplinäre Ungleichgewicht: Während es eine Reihe historisch-exegetischer Studien zum Parusieproblem gibt, sieht dies in systematischen Rekonstruktionen eher finster aus. In der neutestamentlichen Wissenschaft stellt die Frage nach der Bedeu- Das Problem der tung, Entstehung und Wandlung der Parusievorstellung in der Urchristen- Parusieverzögerung im Neuen Testament heit ein wichtiges und umstrittenes Feld dar, mit dessen Hilfe man zeitweise glaubte, den Motor der ganzen Urchristentumsgeschichte gefunden zu haben. Die sehr kontroverse Forschungsdiskussion, ob es das Parusieverzögerungsproblem gegeben habe, und wenn ja, welche Rolle es spielte, kann hier nicht referiert werden.5 Aber es ist möglich, einen vorsichtigen Ertrag zu formulieren. Man habe in der zweiten und dritten Generation des Urchristentums die Erfahrung der „Parusieverzögerung“ gemacht, d. h. die Erfahrung, dass sich die Zeit bis zur Parusie des Herrn immer mehr gestreckt

3 Schleiermacher, F., Glaubenslehre, §160, Bd. 2, 423. 4 Vgl. Härle, W., Dogmatik, 609, der ausdrücklich sagt, „dass die christliche Eschatologie gut beraten ist, wenn sie ihren Anknüpfungspunkt nicht primär in der Gotteslehre oder in der Anthropologie sucht, sondern in der Soteriologie“. Entsprechend heißt Härles Abschnitt 15.3.3 zwar „Christi Kommen zum Gericht“ (vgl. ebd., 639), aber es geht nur um seine Funktion des Richtens (642f). 5 Vgl. Grässer, E., Parusieverzögerung und Erlemann, K., Parusieverzögerung.

290

Die Eschata

habe, was nach 60–70 n. Chr. nachhaltig irritiert habe. Der Umgang mit der Verzögerung der Parusie habe sich unterschiedlich vollzogen und spiegelt sich entsprechend unterschiedlich in den urchristlichen Schriften: Die Naherwartung der Parusie konnte erstens anhalten, wenn auch in der Vorstellung einer bis dahin gedehnten Zeit, die nun als Zeit ethischer Bewährung verstanden werden konnte (1.Petr 1,3–12; 4,7; Apk 1,3; 3,11 u. a.), die Naherwartung konnte zugunsten einer individuellen Heilserfahrung in der Gegenwart – insbesondere in der sakramentalen Veränderung des Menschen – zurücktreten (1.Kor 10,4; 15,29; Kol 3,1–4; Eph 2,4ff u. a.) oder man konnte drittens auf die Parusieerwartung vollständig verzichten, indem man im johanneischen Gebiet die Parusie mit der Sendung des Sohnes in die Welt identifizierte, der im individuellen Tod einer glaubenden Person diese mit sich zieht (Joh 3,17f; 5,24f).6

Das ontologische Problem: Welchen Realitätsgehalt hat die Rede von der Parusie?

Das dogmatische Marginalisierungsproblem hat demgegenüber ernst zu nehmende Folgen. Nach Moltmann führte die theologische Vernachlässigung zu einer „phantastischen Verwilderung der Parusieerwartung, die bei vielen christlichen Sekten anzutreffen ist.“7 Und auch in diesem Bereich der Verwilderung der Parusie ist die Marginalisierung wieder Ausdruck einer Funktionalisierung – nämlich dann, wenn die Parusie lediglich als Mittel zum Zweck des präeschatischen Milleniums verstanden wird. Dem Marginalisierungsproblem und dem Funktionalisierungsproblem entspricht dann ein ontologisches Problem: Wenn die eschatische Hoffnung das Erscheinen Christi beinhaltet, kann man die berechtigte ontologische Frage stellen, was denn da eigentlich erhofft werde, d. h. welche Art von Realitätsgehalt Gegenstand der Hoffnung ist. Bei der Frage nach anderen Eschata wird dieses Problem dezidiert behandelt, bei der Parusiefrage hingegen kaum. Das verwundert insofern nicht, weil das Funktionalisierungsproblem mit dem funktionalistischen Fehlschluss einhergeht: Wo man meint, die Funktion von etwas zu kennen, da tritt irrtümlich die ontologische Frage nach der Realität von etwas in den Hintergrund. Wir werden versuchen, diesen Fehlschluss zu vermeiden. Es liegt auf der Hand, dass man erwarten kann, dass das, was bei der Parusie erhofft wird, mit den fundamentaleschatologischen Entscheidungen zusammenhängt, insbesondere, wie man Zeit und Ewigkeit sowie Raum und Unendlichkeit in ihr Verhältnis setzt (s.o. Kap. 3.1 und 3.2). Dabei handelt es sich nicht um eine Einbahnstraße. Man könnte mit Fug und Recht, gerade im Sinne einer narrativen Ontologie, die Parusie

6 Vgl. Becker, J., Urchristentum, 97–101. 7 Moltmann, J., Weg Jesu Christi, 337.

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

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Christi auch zum Ausgangspunkt der gesamten Eschatologie machen. Dass wir hier anders vorgehen, ist letztlich inkonsequent und nur der pragmatischen Darstellung geschuldet. Oftmals besteht ein erster Zugang zu den sachlichen Problemen Terminologische darin, eine terminologische Klärung zu erreichen. Aber auch dies ist Probleme im Falle des Parusieproblems nicht besonders vielversprechend. Im Deutschen ist zumeist von der „Wiederkehr“ Christi die Rede. Aber dies ist letztlich zumindest missverständlich, denn von der Wiederkehr kann nur unter der Prämisse die Rede sein, dass Christus schon einmal da war und gegenwärtig abwesend ist. M.a.W.: Scheinbar nur unter der Voraussetzung einer streng calvinistischen Christologie, die davon ausgeht, dass sich Christus mit der Himmelfahrt zur Rechten des Vaters als einem Ort im Raum als Container befindet, wäre dieser Terminus „Wiederkehr“ – wenn überhaupt8 – zu vereinbaren. Unter der Voraussetzung einer lutherischen Einigungschristologie ist Christus in der Gegenwart anwesend. Diese präsentische Anwesenheit Christi ist aber auch unter nicht spezifisch lutherischen Prämissen denkbar, etwa wenn man sich auf den Christus praesens von Mt 28,20b („und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“) beruft oder wenn man der Tatsache eingedenk ist, dass auch das konkarnatorische Handeln des Geistes nichts anderes als gerade eine Vergegenwärtigung Christi bedeutet. Man wird also im Deutschen nicht von der Wiederkunft Christi reden können, sondern eher vom „Erscheinen“, vom „Kommen“, vom Advent oder der „Kunft“ Christi. All diese Lösungen sind zumindest nicht mit dem genannten terminologischen Problem belastet, lösen aber das sachliche Problem noch nicht. Dieses läuft darauf hinaus, dass offensichtlich verschiedene Formen der Anwesenheit Christi in der Welt gedacht werden können und auch real sind, so dass man nicht nur den Realitätsstatus der Parusie benennen können muss, sondern auch den Unterschied des Realitätsstatus der Parusie im Unterschied zu anderen Formen der Anwesenheit Christi. Bevor wir uns mit den genannten grundsätzlichen Fragen beschäftigen, ist es aber nötig, einen geschichtlichen Überblick zu gewinnen.

8 Diese Einschränkung muss vorgenommen werden, da auch nach reformierter Auffassung Christi göttliche Natur in der Gegenwart anwesend ist und daher nicht von einer Wiederkehr gesprochen werden kann.

292

Die Eschata

5.1.2

§75 Grundzüge der biblischen Parusietradition

Der „Tag Jahwes“ in der alttestamentlichen Prophetie

Die biblische Vorstellung der Parusie Christi und ihre geschichtlichen Voraussetzungen

§75 Die Rede von der Parusie Christi nimmt die traditionellen Elemente vom Tag Jahwes als Gerichtstag aus der alttestamentlichen Tradition, die Rede vom Kommen eines Menschensohnes aus frühjüdischem Umfeld und die Rede von der Ankunft eines Herrschers aus hellenistischem Umfeld auf und bezieht sie als Hoffnungstag auf die zukünftige Erscheinung Christi. Dieses Erscheinen wird nach neutestamentlichem Zeugnis plötzlich geschehen, umfassend für jeden einsehbar sein, das Endgericht mit sich bringen und nach Paulus das immerwährende Zusammensein der Glaubenden mit ihrem Herrn ermöglichen. Die Parusie Christi war zentraler Bestandteil der urchristlichen Glaubenspraxis, wie es der aramäische Gebetsruf marana-tha (Unser Herr, komm!) veranschaulicht. Die neutestamentliche Vorstellung der Parusie Christi schöpft aus Vorstellungen, die aus dem gesamten frühjüdischen Erwartungshorizont entnommen sind, d. h. genauso aus alttestamentlichen wie hellenistischen Vorstellungen. Daher ist es unerlässlich, zumindest die wichtigsten dieser Motive zu erwähnen. Aus dem Bereich der alttestamentlichen Prophetie stammt ein wichtiges Hintergrundmotiv der Parusie: Die Rede vom jom jahwe, vom „Tag Jahwes“. Die frühe Prophetie von Amos geht offensichtlich davon aus, dass die Rede vom „Tag Jahwes“ dem Volk bekannt gewesen ist als ein positiv erwarteter zukünftiger Tag, möglicherweise, indem erwartet wurde, dass Jahwe sein Volk selbst militärisch zum Sieg führen werde. Amos nun kündigt den Tag Jahwes als Tag des Zorngerichts über Israel an, dem niemand entfliehen kann und an dem jeder Fluchtversuch zum Scheitern verurteilt ist.9 Auch in Zeph 1,7.14–18 handelt es sich um ein totales Vernichtungsgericht, dem niemand entkommen kann. Nach Jes 2,12–17 ist es ein Tag der Egalität, der alle Unterschiede einebnet und das Hohe niedrig macht. Im Gegensatz zu Amos trifft in Jes 13,9 das Gericht des Tages Jahwes aber nur die Sünder. Als zu fürchtender Gerichtstag erscheint der Tag Jahwes auch breit ausgemalt

9 Vgl. Am 5,18–20: „Weh denen, die des Herrn Tag begehren! Was soll er euch? Denn des Herrn Tag ist Finsternis und nicht Licht. Gleich als wenn jemand vor dem Löwen flöhe, und ein Bär begegnete ihm; und er käme in ein Haus und lehnte sich mit der Hand an die Wand, und eine Schlange stäche ihn. Denn des Herrn Tag wird ja finster und nicht licht sein, dunkel und nicht hell.“

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

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in Joel 2,1–12, während in Joel 4,14–15 bereits eine kosmische und soziale Ausweitung stattfindet, indem in das Gericht alle Völker und die Natur mit einbezogen werden. Der folgende Kontext Joel 4,16–17 macht klar, dass dabei das Volk Israels überleben und sich in einem gereinigten Jerusalem aufhalten wird.10

Das Neue Testament nimmt diese Tradition auf. Da Jahwe in der Septuaginta, der griechischen Fassung des Alten Testaments, mit Herr (kyrios) übersetzt wird, bedeutete es keine Schwierigkeit, den „Tag Jahwes“ nun auf den „Tag des Herrn“ als Tag der Parusie Christi zu übertragen. Nach 1.Thess 5,1–11 kommt der Tag des Herrn überraschend wie ein Dieb in der Nacht. Die Christen als Kinder des Lichts werden daraus hervorgehen, aber Paulus benutzt die Stelle dann doch zur Ermahnung der „geistlichen Waffenrüstung“ (1.Thess 5,8). In Mt 24,42–44; 2.Petr 3,10 und Apk 3,3; 16,15 wird dieser Tag Jahwes aufgenommen, besonders hinsichtlich des Moments der Überraschung seines Eintretens. Die ersten Christen konnten also die Hoffnung auf die Ankunft ihres Herrn mit dem alttestamentlichen Bildmaterial des „Tages Jahwes“, eines Zornesgerichtstages deuten. Damit war der überraschende Eintritt genauso wie die Gerichtsvorstellung verbunden, die nun aber zu einer Hoffnungsvorstellung wurde. Eher aus der Apokalyptik stammt die Vorstellung des Kommens des „Menschensohnes“: In der Apokalyptik erscheint „Menschensohn“ in Dan 7,13f; 1.Hen 37–71; 2.Hen 25,16 und 4.Esr 13,3. In Dan 7,13f heißt es: „Ich sah in diesem Gesicht des Nachts, und siehe, es kam einer in des Himmels Wolken wie eines Menschen Sohn bis zu dem Alten und ward vor ihn gebracht. Der gab ihm Gewalt, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker, Leute und Zungen dienen sollten. Seine Gewalt ist ewig, die nicht vergeht, und sein Königreich hat kein Ende.“ Verbunden ist mit der Menschensohnvorstellung, die sich auch hier z.T. schon mit der Messiaserwartung mischt, die Erwartung eines zukünftigen universalen Herrschers.

In den synoptischen Evangelien des Neuen Testaments wird nun „Menschensohn“ mit über 80 Belegen umfassend benutzt, häufig im Munde Jesu als Selbstaussage. Da darunter allerdings keine selbstidentifikatorische Aussage („ich bin der Menschensohn“) zu finden ist, wurde auch vermutet, Jesus könnte einen von ihm unterschiedenen zukünftigen Menschensohn als Endzeitherrscher erwartet haben. In diesem Fall müsste man die Worte des leidenden Menschensohnes als sekundäre Gemeindebildungen betrachten.11 Diese historischen 10 Vgl. Jeremias, J., Tag Jahwes. 11 Zu den historischen Fragen zum Menschensohn vgl. Burkett, D.R., Son of Man Debate und Müller, U.B., Parusie und Menschensohn.

Der „Tag des Herrn“ im Neuen Testament

Das „Kommen des Menschensohnes“

294

Die Eschata

Die ältesten Zeugnisse der Parusieerwartung

Hellenistische Einflüsse

Fragen sind abschließend nicht zu klären, was aber für unsere Zwecke auch nicht wichtig ist, da hier nur wichtig ist, dass die Gemeinde ihre Hoffnung auf die Parusie Christi mit dem Menschensohnmotiv ausdrücken konnte, das sich schnell mit der Vorstellung des Kommens eines Messias, eines zukünftigen Endzeitherrschers verband, der eine Heilszeit mit sich bringt. Die Messiastradition ist aber so breit, dass wir hier nicht annähernd auf sie eingehen können.12 Sicher ist, dass die neutestamentliche Parusieerwartung zu den ältesten Zeugnissen des Neuen Testaments gehört und fest in der praxis pietatis verankert war. Dies macht der einzige uns überlieferte aramäische Gebetsruf des Neuen Testaments deutlich, das maranatha („Unser Herr, komm“) in 1.Kor 16,22 und Apk 22,20, das anzeigt, dass die Parusie nichts war, was man befürchtete, sondern was man erhoffte und um dessen baldiges Kommen man bat. Fragt man aber, wie sich die frühe Christenheit die Parusie ihres Herrn vorgestellt hat, dann stößt man unweigerlich auf Material, das nur zu verstehen ist, wenn man mit hellenistischen Vorstellungen vertraut ist. Der griechische Ausdruck parousia ist ein terminus technicus für die Ankunft eines Gottes oder eines Herrschers, der zuvor abwesend war. Diese Ankunft wurde nach einem bestimmten Ritual gestaltet, zu dem auch gehört, dass eine Eskorte dem Herrscher entgegengeht und diesen ein- bzw. abholt.13

Unter den zahlreichen neutestamentlichen Belegen, die die Vorstellung der Parusie selbst beschreiben,14 ragen vor allem zwei heraus: eine Vorstellung, die Paulus gibt und eine, die sich in der synoptischen Tradition findet. Die Nach 1.Thess 4,13–18 wird unter Feldgeschrei, der Posaune Gottes und Parusievorstellung der Stimme des Engels Christus vom Himmel durch die Luft hinunter komPauli

men, die Toten werden gleichzeitig auferstehen und zusammen mit den Lebenden durch die Luft dem Herrn entgegen gehen, um ihn rituell abzuholen und zu eskortieren. Das Gericht spielt hier interessanterweise keine Rolle, vielmehr wird als Ziel der Parusie die eschatische Realität selbst angegeben und als ein ewiges personales Zusammensein mit Christus bestimmt. In 1.Thess 5,1–11 schließt sich noch der Hinweis auf den überraschenden und plötzlichen Eintritt des Jüngsten Tages, verbunden mit ethischer Mahnung,

12 Zur Verbindung der Menschensohnvorstellung mit der Messiasvorstellung vgl. Becker, J., Urchristentum, 60. 13 Vgl. Auffahrt, C., Parusie I. 14 Vgl. 1.Thess 4,13–18; 5,1–11; 5,23; 1.Kor 1,7; 15,23–28; 16,22; 2.Thess 2,2–8; 1.Petr 1,7; 2.Petr 1,16; 1.Joh 2,28; Jak 5,7; Mk 13; 14,62; Mt 10,23; 24–25; Lk 21; Apk 1,7; 6; 8f; 16; 19,11–16; 22,20; u.v.a.m.

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

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an. In 1.Kor 15 nimmt Paulus zwar diese Vorstellung auf und modifiziert sie z.T., beschreibt aber die Parusie des Herrn selbst nicht mehr. Nach Mk 13,24–27 parr wird der Menschensohn, nachdem die Sterne Die synoptische vom Himmel gefallen sind, auf den Wolken des Himmels in „Kraft und Herr- Parusievorstellung lichkeit“ herabsteigen und seine Engel aussenden, um die Seinen zu sammeln, wobei noch in Mk 13,32–37 betont wird, dass dieser Jüngste Tag überraschend und unberechenbar kommen wird (auch der Sohn, der kommen soll, weiß nicht, wann!), woran sich eine ethische Paränese anschließt. Mt 24,27 betont noch, dass die Parusie so plötzlich, aber auch so umfassend für alle sichtbar geschehen wird, wie sich ein Blitz verästelnd über den ganzen Himmel zieht, so dass eine bisherige menschliche Verkündigung in Form eines Weitererzählens der Parusie Christi nicht nur überflüssig ist, sondern geradezu auf Falschheit hinweist (Mt 24,23).

5.1.3

Exemplarische Umgänge der Tradition mit der Parusie

§76 Im narrations- und zeitlosen Parusieverständnis Tillichs bezieht sich die Rede von der Parusie auf das Mitsein Gottes mit geschöpflichem Sein und ähnelt damit der Rede von der Allgegenwart Gottes, hat aber darin ihr christologisches Spezifikum, dass es um die Gegenwart des unentfremdeten Seins unter den Bedingungen der Entfremdung geht. Damit verdeutlicht es den Sachverhalt, dass auch zurechtgebrachte Menschen immer simul iusti et peccatores sind. Im Rahmen eines übernarrativen oder übergeschichtlichen Parusieverständnisses ist die Parusie Christi jeder Zeit gleich nahe. Dieses Verständnis setzt ein boethianisches Ewigkeitsverständnis (s.o. Kap. 3.1) voraus. Im Falle von Paul Althaus besteht der Realitätsgehalt der Parusie in ihrer Funktion als Offenbarung, deren Spezifikum im Vergleich zur geschichtlichen Offenbarung darin besteht, dass sie nicht werbende, sondern überführende Offenbarung ist. In narrativen oder geschichtlichen Parusieverständnissen bezeichnet die Rede von der Parusie Christi ein Ereignis der Gegenwart Christi in oder am Ende der Geschichte, das in Zusammenhang und Unterschiedenheit von anderen Arten der Gegenwart Christi gedeutet werden muss. Dieser Sachverhalt wird mitunter mit Hilfe von der Rede der mehrfachen Parusie ausgedrückt. Bei Dorner sind dies die Gegenwart Christi in den Osterzeugnissen und im Abendmahl als erste Parusie und die eschatische Parusie als zweiter Parusie, bei Barth wird Dorners erste Parusie noch einmal zweigeteilt. Die Inkarnation wird von beiden nicht der Parusie zugerechnet. Der

§76 Parusieverständnisse der Tradition: geschichtslos, übergeschichtlich, geschichtlich und zyklisch

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Die Eschata

Zusammenhang zwischen Inkarnation und Leben Jesu und dessen eschatischer Erscheinung als sich wechselseitig explizierende Sachverhalte wird bei Pannenberg gezogen. Um der Aporie geschichtlicher Verständnisse der Parusie zu entkommen, die darin besteht, dass das Ende der Geschichte selbst kein geschichtliches Ereignis sein kann, versucht Moltmann ein zyklisches Parusieverständnis zu begründen, das auf zyklischer oder äonischer Zeit fußt und in umgekehrter Bewegung zur Schöpfung als Selbstbeschränkung Gottes dessen Entschränkung darstellt. Damit dringt er nur fast zu einem narrativ-ontischen Verständnis der Parusie vor. Vergleicht man die gegenwärtige dogmatische Zurückhaltung hinsichtlich einer Erklärung der Parusie mit der konkreten Bildfülle und der biblischen Bedeutung, wird man nicht umhinkommen, einen Hiatus diagnostizieren zu können. Angesichts dieser Lücke mag die Frage entstehen, wie die weitere, nachbiblische Tradition mit der Parusie umgegangen ist. Hierzu finden sich freilich mannigfache Vorstellungen, die nicht einfach zu ordnen sind, denn sie hängen von zahlreichen anderen, fundamentaleschatologischen Vorentscheidungen in verschiedenen Hinsichten ab, so dass eine systematische Typologie von Parusielehren notwendigerweise sehr kompliziert werden würde. Im Allgemeinen unterscheidet man in der Alten Kirche und im Mittelalter nicht zwischen dem Eintreten der Parusie Christi und ihren „Vorzeichen“ (s.o. Exkurs zu Kap. 4.3), d. h., man macht gerade nicht den kategorialen Unterschied zwischen Präeschata und Eschata. Bedingt ist dies wohl dadurch, dass man sich meist an das biblische Bildmaterial hält. Z.T. versucht man aber, von der Angabe der Funktion der Parusie Jesu Christi zum Gericht in Herrlichkeit Rückschlüsse auf das Erscheinen Jesu Christi zu ziehen. So gibt es im Mittelalter eine breite Debatte darüber, wie Christus den zu Richtenden erscheinen werde: Ob in Knechtsgestalt, in Herrlichkeit, ob er den Verworfenen genauso erscheine wie den Geretteten, d. h. ob auch die Verworfenen seine Herrlichkeit schauen können, was eine ungerechtfertigte Belohnung darstellen würde, oder nicht, etc.15

Um die Darstellung etwas vereinfachen zu können, gliedern wir das Folgende in diejenigen Positionen, die ein narrations- und geschichtsloses Parusieverständnis vertreten, sich also von einer zeitlichen, innergeschichtlichen Vorstellung eines Jüngsten Tages konsequent verabschieden, indem sie zeitlos die Parusie weder mit Zeit

15 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 48. 144–150.

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

297

noch mit Ewigkeit in Verbindung bringen, in solche Vorstellungen, die an einer übernarrativen und übergeschichtlichen Vorstellung der Parusie in irgendeiner Weise festhalten und so die Parusie in ein gleichzeitiges Verhältnis zur Geschichte setzen, sowie in solche Positionen, die an einer narrativen oder geschichtlichen Bedeutung der Parusie in irgendeiner Weise festhalten. Um die Darstellung zu entlasten und die mit der Parusie verbundenen Probleme zügig einer Problembearbeitung zuführen zu können, beschränken wir uns im Folgenden auf das 19. und 20. Jh. 5.1.3.1

Narrations- und geschichtslose Parusieverständnisse

Paul Tillich (gest. 1965) dürfte derjenige Theologe sein, der die Entge- „Parusie“ als Symbol schichtlichung des Parusiegedankens und damit ein narrations- und der Gegenwart Gottes bei Tillich zeitloses Parusieverständnis am weitesten vorangetrieben hat, indem er zu ihrer Erläuterung vollständig auf zeitliche Begriffe verzichtet. Bei ihm gehört die Rede von der Parusie Christi zur symbolischen Rede. Dies bedeutet bei Tillich keine Abwertung, denn abgesehen von der Bezeichnung des „Sein Selbst“ kann man nur symbolisch über Gott reden. Ein Symbol ist nach Tillich von der Sache, die es bezeichnet unterschieden, partizipiert aber an deren Sein.16 Damit symbolische Rede nicht mit wörtlicher verwechselt werden kann, ist es nötig, sie durch polare Rede auszubalancieren. Wenn man z. B. über Gott als den Lebendigen spricht, dann beinhaltet dies, dass das Symbol der Individualität oder Personalität Gottes durch das der Partizipation Gottes an allem Sein ausbalanciert werden muss und umgekehrt. Das polare Symbol der Partizipation wird dabei mit der Parusie, so Tillich, in Verbindung gebracht: „Solche Sätze […] können fälschlich so verstanden werden, dass es etwas neben Gott gibt, an dem er von außen partizipiert. In Wahrheit schafft Gottes Partizipation das, woran sie partizipiert. Plato gebraucht das Wort parousia für das Anwesendsein der Wesenheiten in der zeitlichen Existenz. Dieses Wort wird später gebraucht für das erste und zweite Erscheinen des transzendenten Christus in der Welt. Par-ousia bedeutet: „Nahe-bei-sein“, „Mit-sein“ – aber auf der Basis des Abwesend-seins, des Getrennt-seins. Ebenso ist Gottes Partizipation nicht eine räumliche oder zeitliche Anwesenheit. Sie ist nicht kategorial, sondern symbolisch. Sie ist die par-ousia, das „Mit-sein“ dessen, was weder hier noch dort ist. […] das Symbol der universalen Partizipation [drückt] die passive Erfahrung der göttlichen Gegenwart als Allgegenwart aus.“17

16 Vgl. Tillich, P., Symbol und Wirklichkeit. 17 Tillich, P., ST I, 283f.

298

Die Eschata

Parusie wird von Tillich hier nicht in erster Linie mit Christus in Verbindung gebracht, sondern in der Gotteslehre verwandt. Dennoch ist christologisches Gedankengut in diesen Ausführungen schon enthalten, denn Tillich verweist darauf, dass es um das „Mit-Sein“ auf der Basis des Getrennt-Seins ginge. Das Getrennt-Sein ist aber konkret menschliches Sein in der entfremdeten Existenz, kurz in der Sünde. Diese ist aber unter den Bedingungen der Existenz in Jesus als dem Christus als dem Neuen Sein im Prinzip überwunden und hier hat die Rede von der Parusie nach Tillich ebenfalls ihr Recht: Die Parusie als Symbol des gerechtfertigten Menschen unter den Bedingungen der Existenz bei Tillich

„In eschatologischer Symbolsprache ist der Christus der, der den neuen Äon bringt. Als Petrus Jesus ‚den Christus‘ nannte, erwartete er das Kommen eines neuen Standes der Dinge durch ihn […] Aber das, was die Jünger erwartet hatten, erfüllte sich nicht. Der Stand der Dinge […] blieb unverändert […] Einer der Wege zur Lösung des Problems war die Unterscheidung zwischen einem ersten und einem zweiten Kommen des Christus. Der neue Stand der Dinge wird mit dem zweiten Kommen, nämlich der Wiederkunft des Christus in Herrlichkeit geschaffen werden. In der Periode zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen ist das Neue Sein nur in ihm gegenwärtig, nicht in der Welt. Er ist das Reich Gottes. […] In eschatologischer Symbolsprache lässt sich das so ausdrücken, daß der Christus das Ende der Existenz ist. Er ist das Ende der Existenz, deren Kennzeichen Entfremdung, Konflikt und Selbstzerstörung sind […] Das Hin und Her zwischen dem ‚schon‘ und dem ‚noch nicht‘ der Erfüllung ist in der Unterscheidung des ersten und zweiten Kommens des Christus symbolisiert. Diese Spannung gehört unabtrennbar zur christlichen Existenz.“18

Tillich bringt hier also nicht einfach den Gedanken der Allgegenwart Gottes mit dem Parusiemotiv in Verbindung, sondern die Tatsache, dass menschliche Existenz – auch dort wo sie geheilt, nicht entfremdet und essentifiziert ist – immer in einer Grundspannung steht, die nicht aufgehoben werden kann. Die Rede von der Parusie ist bei Tillich nur sinnvoll, wenn man von einer ersten und zweiten Parusie spricht, wobei von der zweiten Parusie nicht isoliert gesprochen werden kann. Zwar gibt es im Laufe der Theologiegeschichte häufiger die Rede von einer mehrfachen Parusie Christi (s.u.), aber damit ist nicht immer das Gleiche gemeint. Bei Tillich bezieht sich die Rede von der ersten Parusie einfach auf das geschichtliche Erscheinen des Neuen Seins in Jesus als dem Christus, d. h. auf das, was traditionell Inkarnation genannt wird. Die Rede von der doppelten Parusie bei Tillich bezieht sich auf nichts anderes als auf das Sein des Christen als simul iustus et peccator, d. h. auf die Spannung des christlichen Lebens als existenzverhafteten und sündig entfremdeten Seins einerseits und dem geheilten und zur Partizipation am Neuen Sein fähigen Leben 18 Tillich, P., ST II, 129–131.

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

299

andererseits. Damit hat aber Tillich die Rede von der Parusie faktisch aus der Eschatologie entfernt und in die Gottes- und Versöhnungslehre übertragen, was auch dadurch belegt wird, dass sie in seiner Eschatologie keinen Platz hat. 5.1.3.2

Übernarrative und übergeschichtliche Parusieverständnisse

Ein Theologe des 20. Jh., der diesen Typus beispielhaft veranschaulicht, ist Paul Althaus (gest. 1966). Die Parusie ist ein Ereignis, das im zweiten Modell – dem boethianischen Modell – der Ewigkeit als absoluter Gleichzeitigkeit zu allen Zeiten (s.o.) zu deuten ist: Sie ist nicht geschichtlich, aber allen Zeiten gleich nahe. Erstaunlicherweise ist für Althaus das Problem der Parusie nicht vom Problem des Millenniums unterschieden: „Ferner ist […] die Annahme der Parusie […] ein Widerspruch in sich. […] Alle erleben die Parusie; auch damit ist ihr überzeitlicher Charakter erwiesen, denn die Geschichte ist der Ort nur partikularer Offenbarung. Was soll vollends die Annahme des tausendjährigen Reiches als einer Zwischenepoche bedeuten? […] Denn religiöse und theologische Gründe von irgendwelchem Gewicht hat er nicht […] Die Parusie ist als überzeitliches Ereignis jedem Geschlechte gleich nahe und wird nicht durch eine Endperiode im Besonderen vorbereitet, sondern durch jede Periode. […] Wir halten […] die Erwartung der Parusie in vollem Ernste fest, auch wenn sie uns statt eines endzeitlichen ein überzeitliches Ereignis ist. Das schlichte Vorstellen mag sie immer wieder an das Ende der Geschichte rücken – tatsächlich bedeutet sie ja auch die Aufhebung aller Geschichte, und jene Vorstellungsform ist unbedenklich, solange zugleich festgehalten wird, dass jede Zeit unmittelbar ist zur Parusie. Die Parusie löst sich uns keineswegs auf in die Gewissheit, dass wir durch den Tod alle nacheinander vor Gott gestellt werden und zu Jesus kommen. Sie ist vielmehr eine universale Tatsache, eine gemeinsame und gleichzeitige Erfahrung aller. […] Alle Senkrechten, die wir auf der Zeitlinie errichten, um auf die Ewigkeit, die Parusie, die Vollendung zu stoßen, treffen sich im Überzeitlichen in einem Punkte. […] Wir können also etwa sagen: die Väter sind schon bei Christus, haben Parusie und Gericht erlebt, wir werden das erst erleben und nach uns die anderen Generationen bis hin zur letzten – aber mit alledem drücken wir nur von unserem Standpunkte eine überzeitliche Gleichzeitigkeit aus. Das alles entspricht genau dem Verhältnis Gottes zur Zeit.“19

Althaus stellt damit explizit die nötige Klärung einer Verhältnissetzung des Parusiegedankens zur Zeitlichkeit der Welt her, die wir bei Tillich an dieser Stelle vermissten. Nun kann die Rede von der Parusie aber auch bei Althaus nicht identisch sein mit der Rede von der Ewigkeit, sondern muss sich von ihr spezifisch unterscheiden, da 19 Althaus, P., Die letzten Dinge, 95–98.

Der übergeschichtliche Parusiegedanke im Verhältnis zur Zeitlichkeit bei Althaus

Die Parusie als überführende Offenbarung bei Althaus

300

Die Eschata

es sich ja um das Kommen Christi handelt und das bei Althaus hier explizierte boethianische Ewigkeitsmodell nicht an das Christentum gebunden ist. Eine solche spezifische Differenz findet sich bei Althaus dann auch: „Die Parusie besteht darin, dass Gottes Selbsterschließung in Christus, die als werbende Wirklichkeit durch die Geschichte gegangen ist, nun mehr als überführende Wirklichkeit vor allen steht. Wir können nach allem bisherigen zwar nicht wie viele Theologen von einer „sinnlichen“, „sichtbaren“ Erscheinung für „diese sichtbare Welt“ sprechen – dass die Parusie als Geschichtsakt undenkbar ist, wurde längst deutlich –, aber diese Redewendung hat darin recht, dass sie die übergeschichtliche Offenbarung Jesu von der geschichtlichen, innerlich im Worte durch den Geist um uns werbenden scharf unterscheiden will.“20

Mit dieser Unterscheidung zwischen einer geschichtlich werbenden Offenbarung Christi und einer überführenden Offenbarung gelangt Althaus aber wesentlich über Tillichs Parusiebegriff hinaus, weil es nicht einfach um die Festschreibung der Erfahrung des simul iustus et peccator geht. Althaus dringt dabei in Regionen vor, die es erlauben – unter der Annahme des boethianischen Zeit-Ewigkeitsmodells – den besonderen Realitätsstatus der Anwesenheit Christi in der Parusie näher ins Auge zu fassen. Althaus gelangt fast zu einem narrativen Verständnis von werbender und überführender Offenbarung, in der erstere der Erkenntnisgrund für letztere ist, letztere aber die narrative Realbedingung für erstere. Dass dies eben nur halb gelingt, hat seine Gründe, denn auch bei Althaus stellen sich Probleme ein: Indem Parusieverständnis und Ewigkeitsverständnis parallelisiert werden, müsste das, was für die Ewigkeit gilt, auch für die Parusie gelten. Mithin müsste, wenn die Parusie nicht in der Geschichte stattfindet, sondern als übergeschichtliches Ereignis bezeichnet wird, auch die ereignisermöglichende Struktur einer Ordnungsrelation (s.o. Kap. 3.1) für die Parusie zum Tragen kommen. Das ist aber im boethianischen Ewigkeitsmodell explizit ausgeschlossen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass bei Althaus wie bei Tillich auch die eingangs des Kapitels diagnostizierte Funktionalisierung der Parusie bzw. der Person Christi erscheint: Was die Parusie für die Person Christi selbst bedeutet, wird nicht einmal von der Fragestellung her in den Blick genommen. Wichtig ist nur ihre Funktion: die überführende Offenbarung, die schon zum Gerichtsverständnis überleitet. Althaus ist mit seinem übergeschichtlichen Parusieverständnis nicht alleine, sondern repräsentiert einen großen Strom von Parusieauffassungen.

20 Althaus, P., Die letzten Dinge, 99.

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

301

Exemplarisch seien noch Rudolf Bultmann und der frühe Karl Barth erwähnt. Mit Hilfe eines anderen philosophischen Instrumentariums, aber Ähnlichkeiten bei mit demselben Effekt, versucht auch Rudolf Bultmann (gest. 1976) Bultmann und Barth die Parusie zu vergegenwärtigen, wenn er darauf verweist, dass die „Zukunft der Gottesherrschaft […] auch nicht eigentlich ein Etwas [ist], das einmal kommt im Ablauf der Zeit [… sondern] eine Macht, die die Gegenwart völlig bestimmt, obwohl sie ganz Zukunft ist“.21 Auch in der Theologie des frühen, d. h. des dialektischen Karl Barth (gest. 1968) findet sich eine Entzeitlichung und Entgeschichtlichung der Parusie, denn da jede Zeit letzte Zeit ist, ist jede Epoche unmittelbar zu Gott und der ewige Augenblick steht allen Augenblicken gegenüber.22 5.1.3.3

Narrative oder geschichtliche Parusieverständnisse

5.1.3.3.1

Die Lehre von der mehrfachen Parusie bei Dorner, Barth und Pannenberg

Gelegentlich findet sich in der Theologiegeschichte die Auffassung, Mehrfache Parusie dass von einer mehrfachen Parusie auszugehen ist, etwa bei Ignatius (gest. ca. 110) und Justin (gest. ca. 167).23 Oft wird dabei von einer geschichtlichen, die Geschichte abschließenden oder streng zeitlich nachgeschichtlichen Parusie ausgegangen. Die elaborierteste Gestalt einer Lehre von der mehrfachen Parusie Die zweifache findet sich bei Isaak August Dorner (gest. 1884), der die Lehre von Parusie Dorners der Parusie zu Recht als den Mittelpunkt der ganzen christlichen Eschatologie und als notwendiges Element der ganzen christlichen Vorstellung von der Versöhnung identifiziert.24 Dorner benutzt den Ausdruck Parusie einerseits im Sinne von Gegenwart, andererseits im Sinne von Wiederkunft und unterscheidet eine zweifache Parusie Christi. Die erste Parusie als Christi Gegenwärtigkeit ist nach Dorner

21 22 23 24

Bultmann, R., Jesus, 46. Barth, K., Römerbrief, 482. Vgl. Lea, T.D., Return of Christ. So heißt es im Leitsatz von Dorner, I.A., System II zu §152 auf 927: „Die Einzelnen, wie die Kirche und das Reich Gottes, erwarten ihre Vollendung von der Wiederkunft Christi, die für die ganze Eschatologie des N.T. den Mittelpunkt bildet und nicht bloß der Ueberwindung aller feindlichen Mächte, sondern auch der Verwirklichung der Idee beider dient. Diese Wiederkunft wird durch keine vorherige Entwicklung des Einzelnen und des Ganzen im Diesseits und Jenseits entbehrlich oder müßig, da erst sie die völlige Besiegung der Sünde und des Todes bringt, dem Einzelnen in der Auferstehung, dem Ganzen durch Verklärung der Welt, durch die Ausscheidung des Bösen und die Vollendung der Gemeinde Gottes“, vgl. ebd. 929.

302

Die Eschata „zum Theil als einer unsichtbaren, immer aber als einer realen, gedacht. Jenes, wenn er sagt: wo zwei oder drei versammelt sind, in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen anwesend […]. Die ganze Lehre von seinem Wort und den Gnadenmitteln überhaupt wird erst in ihrem realen göttlich-menschlichen Gehalt verstanden, wenn diese Gnadenmittel als die äußeren Medien angesehen werden, durch die er seine Gegenwart bei den Gläubigen wirksam fortsetzt […]. Aber auch seine sichtbare Wiederkunft hat er verheißen. Dazu gehören seine Wiedererscheinungen nach seiner Auferstehung, die […] ein reales Vorzeichen seiner sichtbaren allgemein erkennbaren Wiederkunft zum Gericht und zur Vollendung der Welt sein sollten.“25

Die erste Parusie ist also teils sichtbar, teils unsichtbar und bezieht sich auf die Ostererscheinungen und den Christus praesens, nicht wie bei Tillich auf die Inkarnation selbst. Die erste Parusie steht zur zweiten im Verhältnis der Vorbereitung, ist aber selbst schon real.26 Das ausgewogene Aufeinanderbezogensein von erster und zweiter Parusie Christi ist aus soteriologischen Gründen wichtig und führt im Falle der Nichtbeachtung zu gravierenden Häresien, die nach Dorner polar konstruiert werden können: Der Parusiegedanke als soteriologisches Kriterium

„In Betreff der irdischen Geschichte des Christenthums stehen sich […] zwei Denkweisen gegenüber. Die eine denkt auch nach Christi Erscheinung die Hauptsache als noch fehlend, das Heil erst jenseitig, das ewige Leben noch nicht als Gegenwart. Dieser Unterschätzung der ersten Erscheinung Christi ist falsche Jenseitigkeitslehre (oder ebionitische Eschatologie). Ihr nähert sich die römische Lehre in Beziehung auf den Einzelnen, sofern sie eine Heilsgewissheit schon im zeitlichen Leben ordentlicherweise nicht zulässt […] Der Glaube und der diesseitige Besitz des ewigen Lebens kann umgekehrt spiritualistisch und in Gleichgültigkeit gegen die Vollendung des ganzen so betont werden, dass es eines Weiteren nicht bedürfe […]. Das ist falsche Diesseitigkeitslehre spiritualistischer Art. […] Die evangelische Eschatologie behauptet daher den rein christlichen Charakter, indem sie die Mitte zwischen jenen zwei Extremen einhält und auf Grund des Gekommenseins des Reiches Gottes die Hoffnung auf ein volles Kommen in erscheinender Kraft für den Einzelnen und für das Ganze bewahrt.“27

Aber nicht nur aus soteriologischen Gründen zur Abwehr von Häresien ist die Zusammengehörigkeit von erster und zweiter Parusie nötig, sondern auch aus Gründen des Heils selbst: Das Heil besteht in einer geheilten personalen Beziehung der Glaubenden zu Christus, die als Liebesbeziehung bzw. „persönliche Lebensgemeinschaft mit Christus“ anzusprechen ist. Die erste Parusie und ihre Ausdruckswei-

25 Dorner, I.A., System II, 930. 26 Vgl. Dorner, I.A., System II, 930. 27 Dorner, I.A., System II, 939f.

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

sen (Abendmahl, etc.) bewirken dabei die Sehnsucht der Menschen, auch sichtbar und real mit ihm zusammen zu sein. Aber auch umgekehrt gilt für Christus: „Denn es ist sein Liebesverlangen, sich so schauen zu lassen und dadurch seine Herrlichkeit mit ihnen zu teilen […]. Der christlichen Frömmigkeit ist wesentlich, die Seligkeit sich nicht außerhalb der Gemeinschaft mit Christus zu denken.“28 Dorners Lehre von der doppelten Parusie versucht also, die Parusie streng von Person und Werk Christi her zu begründen, indem Auferstehung, Aneignung der Versöhnungstat Christi und Christus vergegenwärtigende Wirkung des Geistes sowie eschatische Parusie einschließlich deren Bedeutung für Christus selbst streng zusammengedacht werden sollen. Inwieweit dies als gelingend beurteilt werden kann, bleibt abzuwarten. Karl Barth (gest. 1968) nimmt – ohne auf Dorner hinzuweisen – dessen Lehre von der doppelten Parusie Christi sachlich auf, benennt sie aber um, indem er von einer dreifachen Parusie Christi spricht und sie in strenger Analogie zu seiner Trinitätslehre versteht: Die erste Parusie ist das österliche Erscheinen des Herrn, die zweite Parusie die Vergegenwärtigung Christi im Heiligen Geist in der Kirche und die dritte Parusie ist die Parusie der eschatischen Realität. Barth unterteilt damit noch einmal Dorners Lehre von der ersten Parusie in zwei Parusien. Wie in der Trinitätslehre sind die drei Elemente einerseits zu unterscheiden, andererseits aber auch nicht zu trennen, sondern nach Barths Auffassung perichoretisch aufeinander bezogen: Alle drei gehören zusammen und sind „Formen eines und desselben Geschehens“.29 Ihre Einheit besteht darin, dass sowohl das Osterereignis Endzeit ist als erstes eschatologisches Ereignis, als auch die Mitteilung des Heiligen Geistes und das eschatische Kommen Christi, so dass gilt: „Gerade ‚eschatologisch‘ ist also das Parusiegeschehen in seinem ganzen Verlauf “.30 Worin nun die Besonderheit der dritten Parusie besteht, muss offen bleiben, da sich Barth in dem genannten Kontext mit der ersten Parusie beschäftigt und andere Stellen, an denen die Parusie erwähnt wird, bezüglich dieser Frage nicht weiterhelfen. Die Rede von der dreifachen Parusie Christi hat im Zusammenhang der „Kirchlichen Dogmatik“ damit den primären Sinn, das Osterereignis als eschatisches Ereignis auszuweisen bzw. mit Hilfe des unerläuterten Begriffs der „dritten“ Parusie den der „ersten“ Parusie zu klären. Gegenstand der Betrachtung ist hier Ostern, nicht die Parusie selbst. 28 Dorner, I.A., System II, 942f. 29 Barth, K., KD, IV/3, 340. 30 Barth, K., KD, IV/3, 341.

303

Die Bedeutung der Parusie für Christus

Dreifache Parusie bei Barth

304

Die Eschata

Parusie als unstrittige Form der Gegenwart Christi bei Pannenberg

Die particula veri der Rede von einer mehrfachen Parusie, gleich in welcher Ausformung, besteht darin, dass es sich offensichtlich um einen einheitlichen narrativ-ontologischen Realitätszusammenhang mehrerer Ereignisse handelt. Wolfhart Pannenberg bringt dies deutlich zum Ausdruck. Auch er lehrt faktisch das, was man eine dreifache Parusie nennen könnte, vermeidet aber diesen Ausdruck und spricht davon, dass Inkarnation, Auferstehung und Wiederkunft31 die Einheit eines real unterschiedenen Ereignisses dergestalt bilden, dass die Wahrheit der Inkarnation erst aus der Perspektive Osterns einsehbar ist, die Strittigkeit Osterns aber erst mit der Wiederkunft Christi endet.32 Damit ist aber nicht nur die narrative Zusammengehörigkeit der Ereignisse genannt, sondern auch die spezifische Differenz der Parusie Christi: Sie ist diejenige Form der Anwesenheit Christi, die keine Strittigkeit seiner Anwesenheit mehr zulässt. Darin kann eine parallele Denkfigur zu Althaus Rede von der „überführenden“ Offenbarung (s.o.) gesehen werden. Pannenberg geht aber noch einen Schritt weiter, indem er beschreibt, was unter der Wiederkunft Christi zu denken ist, denn es geht nicht um das „Erscheinen eines vereinzelten Individuums“, sondern um das „Offenbarwerden eines Lebenszusammenhanges, der von dem gekreuzigten Jesus von Nazareth im Lichte der Herrlichkeit Gottes ausgeht“.33 Dieser Lebenszusammenhang besteht darin, dass Pannenberg die paulinische Rede vom Leib Christi zu Recht ernst nimmt und nicht lediglich symbolisch deutet: „Die Gemeinde ist mit Christus zur Einheit eines Leibes, seines Leibes verbunden. […] Nimmt man aber die paulinischen Aussagen über die Kirche als Leib Christi so, wie sie dastehen, dann ergibt sich aus ihnen, dass das neue Leben der Auferstehung, das Leben des auferstandenen Christus, als Aufhebung der zur individuellen Leiblichkeit dieses irdischen Lebens gehörigen Trennung und Verselbständigung der Individuen voneinander zu verstehen ist, ohne dass dadurch die individuelle Besonderheit einfach unterginge. […] Es geht dabei nicht nur um den Punkt der Plötzlichkeit des Ereignisses, sondern vor allem darum, dass es sich nicht auf einen einzelnen Punkt […] im Unterschied zu dessen Umgebung fixieren läßt, sondern die Weite der Schöpfung durchdringt.“34

Die Parusie Christi ist damit ein Ereignis, das unmittelbar auch für die Schöpfung von Bedeutung ist und im Ereignis der Parusie Christi 31 Die Dreiheit kommt bei Pannenberg also anders als bei Barth dadurch zustande, dass er nicht das Christus vergegenwärtigende Handeln des Heiligen Geistes mit zur Parusie zählt, sondern, hier eher Tillich ähnelnd denn Barth, die Inkarnation. 32 Vgl. Pannenberg, W., Systematische Theologie III, 674. 33 Pannenberg, W., Systematische Theologie III, 677. 34 Pannenberg, W., Systematische Theologie III, 675f.

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

305

verbinden sich kollektive eschatische Hoffnung – repräsentiert durch den Gedanken des Reiches Gottes – und individuelle eschatische Hoffnung – repräsentiert durch den Gedanken der Auferstehung von den Toten – in einem Ereignis.35 Damit wird der Mensch aber in der Parusie Christi gerade zu dem, was er anthropologisch ist: ein sich selbst unterscheidendes Seiendes in liebender Beziehung, so dass die Parusie auch als die Vollendung der Welt angesehen werden kann. 5.1.3.3.2

Die Lehre von einer zyklischen Parusie bei Moltmann

Zu den wenigen Theologen, die sich in der näheren Gegenwart um die Moltmanns Kritik am begriffliche Klärung des Parusiebegriffs bemüht haben, gehört auch Parusiedenken Jürgen Moltmann. Immerhin 30-seitige Überlegungen zur Parusie bilden bei ihm den Abschluss der Christologie.36 Seine Lehre von der Parusie ist zunächst einmal von Abgrenzungen bestimmt. Während er ein völlig zeitloses Parusieverständnis wie es bei Tillich exemplifiziert wird, nicht in den Blick nimmt, werden sowohl übergeschichtliche als auch geschichtliche Parusieverständnisse kritisiert: Das Problem an übergeschichtlichen Parusieverständnissen besteht darin, dass dieser Typus „zur Aufhebung jeder real-futurischen Parusieerwartung, wie sie im urchristlichen ‚Maranatha, komm bald‘, ausgesprochen wird, [führt], und zur Umwandlung von Eschatologie in Mystik: ‚Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse‘ (Angelus Silesius).“37 Das Problem von geschichtlichen Parusieverständnissen wie Karl Barths Lehre von der dreifachen Parusie besteht darin, dass die Struktur der Zeitlichkeit gerade auf die eschatische Realität übertragen werde.38 Moltmann meint nun, jenseits dieser beiden Typen und jenseits einer abstrakten Zeitlosigkeit eine weitere Möglichkeit gefunden zu haben, von der Parusie und der Ewigkeit sprechen zu können. Die Parusie geschieht nach Moltmann in „äonischer Zeit“: „‚Äon’ ist nicht die absolute Ewigkeit Gottes, sondern die relative Ewigkeit der- Äonische oder jenigen Geschöpfe, die an seinem ewigen Sein teilhaben, zunächst der Engel im zyklische Zeit Himmel […]. Es ist der geschaffenen Zeit eigen, an irreversiblen Veränderungen erfahren zu werden. Im Vorher und Nachher werden Zukunft und Vergangenheit unterscheidbar. […] Diejenige Bewegung, an der die äonische Zeit oder relative Ewigkeit wahrgenommen wird, ist demgegenüber die Kreisbewegung. […] Der Himmel ist derjenige Bereich der Schöpfung, der Gott schon ganz entspricht, weil er von der Herrlichkeit Gottes schon ganz durchdrungen ist. […] Was der

35 36 37 38

Vgl. Pannenberg, W., Systematische Theologie III, 674. Vgl. Moltmann, J., Weg Jesu Christi, 335–366. Moltmann, J., Weg Jesu Christi, 342. Vgl. Moltmann, J., Weg Jesu Christi, 342.

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Die Eschata Menschensohn auf die Erde bringt, hat also sein Vorbild im Himmel. Der gottentsprechende Himmel ist der Vorraum für die ganz von Gott durchdrungene Schöpfung. […] Die Zeit des Himmels ist gegenüber der irdischen Zeit der Vergänglichkeit die zyklische Zeit des Äon.“39

Ob die Rede von zyklischer, kreisförmiger Zeit und damit die Idee sich ständig wiederholender Ereignisse tatsächlich jenseits der beiden von Moltmann kritisierten Parusiemodelle steht, sei hier dahingestellt. Problematisch ist an der Rede von zyklischen Zeiten, dass damit gerade die Struktur sowohl von Ewigkeit als auch von Zeit als Ordnungsrelation, die Bezogenheit in Besonderheit genauso wie Ereignishaftigkeit ermöglicht, gerade aufgehoben wird, so dass man sich Moltmanns Idee der zyklischen Zeit als Modus der Parusie kaum wird anschließen können. Moltmanns äonische Zeit ist somit der Versuch, die Wahrheit der Vorgängigkeit von Narrativität über Zeitlichkeit anzuerkennen – allerdings noch ohne zu einer wirklich narrativen Ontologie vorzudringen. Die Abgrenzung Moltmanns von den beiden Parusiemodellen und der Anspruch der Begründung eines neuen Typs einer äonischen Parusie stellen aber nur den Bezug der Parusie zu Zeit und Ewigkeit dar und behandelt noch nicht die Frage, was bei der Parusie inhaltlich geschieht. Um diese wichtigere Frage zu beantworten, bezieht sich Moltmann auf seine Schöpfungslehre. In dieser hatte er, anknüpfend an Isaak Lurias (gest. 1572) Gedanken des Zim-Zum, der Schöpfung als Selbstbeschränkung Gottes, gelehrt, dass sich Gott in seiner Allmacht beschränkt und Raum für die Geschöpfe lässt. Dabei entsteht mit der Schöpfung auch die Zeit. Bei der Parusie und dem Jüngsten Tag geschieht nun nach Moltmann das Umgekehrte: Parusie als Selbstentschränkung Gottes als Gegenbewegung zur Selbstbeschränkung Gottes in der Schöpfung

„Übertragen wir diese Denkmöglichkeiten auf das ‚Ende der Welt‘, dann lässt sich sagen, dass die Welt nicht in der Zeit endet, so dass es danach noch Zeit gibt, sondern dass sie mit der Zeit und die Zeit in ihr endet. […] Es scheint in beiden Fällen hilfreich zu sein, zwischen dem ursprünglichen und dem anfänglichen Augenblick und auch zwischen dem letzten und dem eschatologischen Augenblick zu unterscheiden. […] Der eschatologische Augenblick entspricht dem ursprünglichen Augenblick. Er liegt in der Aufhebung der Selbstbeschränkung Gottes durch Gott selbst. Gott entschränkt sich und offenbart seine Herrlichkeit, um in der verklärten Schöpfung alles in allem zu werden. Die geschaffene Zeit endet und die ‚Zeit der Schöpfung‘ vergeht. Die geschaffenen Räume werden aufgelöst und der ‚Raum der Schöpfung‘ vergeht. Himmel und Erde finden ihre endgültige, verklärte Gestalt in Gottes uneingeschränkter Allgegenwart selbst. Jene ursprüngliche Selbstbeschränkung Gottes, die Zeit und Raum der Schöpfung ermöglicht hatte, weicht der umfassenden, alles durchdringenden Selbstentschränkung Gottes.

39 Moltmann, J., Weg Jesu Christi, 355–358.

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

307

[…] Der eschatologische Augenblick hat jene zwei Seiten: Gott entschränkt seine Herrlichkeit und die Schöpfung geht in das Reich der Herrlichkeit ein.“40

Die Stärke dieses Ansatzes besteht darin, dass Moltmann als einer der ganz wenigen die Frage, wie der Jüngste Tag aussieht, d. h. die Frage des Übergangs der präeschatischen in die eschatische Realität, nicht für sinnlos hält und sie zu beantworten versucht. Der Nachteil besteht darin, dass – obwohl es sich bei seiner Lehre von der Parusie um den Abschluss der Christologie handelt – Christus erstaunlicherweise nur funktional erscheint. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass Moltmanns Lehre von der Parusie damit von seiner Schöpfungslehre abhängig wird: Nur wer dieser folgen will, kann auch sein Parusieverständnis teilen. Es scheint so, als wäre Moltmann fast zu einem narrativ-ontischen Verständnis der Parusie vorgedrungen, würde dieses aber im letzten Moment wieder vollständig zurücknehmen. Denn die Narration ist doch offensichtlich das, was sich zwischen dem ZimZum der Schöpfung und der Zurücknahme der Selbstbegrenzung Gottes in der Parusie ereignet; zumindest dann, wenn die äonische Zeit wirklich zyklisch, also nicht narrativ und undramatisch ist. Ähnlich wie in seiner Trinitätslehre, dringt Moltmann hier eben nur fast zu einem narrativ-ontischen Verständnis des Lebens vor. Ohne dies im Einzelnen hier ausführen zu können, scheint Moltmanns Parusieverständnis damit mehr Fragen aufzuwerfen, als es beantworten kann. Immerhin ist es ein Verdienst Moltmanns, diese Fragen überhaupt wieder gestellt zu haben. 5.1.4

Das eschatische Zusammenkommen mit unserem Herrn

§77 Unter einer narrativ-relationalen Ontologie lässt sich sagen, dass die Parusie letztlich nichts anderes als die eschatische Realität selbst unter dem Gesichtspunkt ihres Eintretens bezeichnet. Sie ist konkarnatorisch durch den Geist vermittelt. Während Christus konkarnatorisch durch den Geist uns mittelbar in der Anwesenheit des Christus praesens unter zeitlichen, d. h. unter der narrativen Verlaufsgestalt der Welt, gegenwärtig gemacht wird, so tritt Christus, d. h. die zweite, menschgewordene Person der Trinität, in der Parusie in ein unmittelbares personales Verhältnis zu allen menschlichen Personen und diese treten aus Gnade in ein unmittelbares

40 Moltmann, J., Weg Jesu Christi, 352–354.

§77 Die Parusie als die eschatische Realität unter dem Gesichtspunkt ihres Eintretens

308

Die Eschata

Verhältnis zu Vater, Sohn und Geist (Theosis aus Gnade). Damit gilt: In der Hoffnung auf das Kommen Christi ist alle Hoffnung enthalten. Damit ist sie vom Gedanken des Reiches Gottes als Bezeichnung für die eschatische Realität unter dem Gesichtspunkt ihrer Vollzugsform sowie von Auferstehung der Toten sowie letztem Gericht einschließlich seiner Ausgänge als mediale Verwirklichungsformen der eschatischen Realität unterschieden. Fünf Arten der Gegenwart Christi

Bei der Parusie geht es um die Gegenwart Christi. Doch Gegenwart Christi ist nicht gleich Gegenwart Christi. Traditionell lassen sich mindestens fünf Arten der Gegenwart Christi finden: – die Gegenwart des Schöpfungslogos in der Welt seit der Schöpfung – die Inkarnation des Schöpfungslogos in Jesus Christus – die Ostervergegenwärtigungen Christi – die präsentische Gegenwart Christi im Geist – die Wiederkunft Christi am Jüngsten Tag Parusie meint zwar normalerweise nur die letzte Art der Gegenwart Christi, jedoch zeigen die vielfältigen Versuche, in unterschiedlicher Weise von einer mehrfachen Parusie Christi zu sprechen, dass es sich um Variationen eines narrativen Motivs zu handeln scheint. Es geht immer um die Durchdringung zweier Narrationsgeflechte, des primärnarrativen der Welt und des transzendentalnarrativen des Lebens des dreieinigen Gottes. In der Tradition wurde die erste Art der genannten Gegenwarten oder Durchdringungen, die Gegenwart des Schöpfungslogos, nicht als Parusie bezeichnet, denn hier handelt es sich zumindest vordergründig nicht um die Gegenwart des inkarnierten Logos, der in Christus eine menschliche Natur angenommen hat. Die dritte und die vierte Form der Gegenwart Christi, d. h. die Ostererscheinungen und die Gegenwart Christi im Geist, werden von Dorner zu Recht als eine Form gezählt. Nicht nur zeigen exegetische Befunde, dass Geistausgießung und Osterberichte historisch gleichursprünglich sind.41 Vielmehr gilt auch systematisch, dass die Auferstehungsgewissheit Jesu Christi und die Ostererlebnisse dem konkarnatorischen Handeln des Geistes zuzuschreiben sind (s.o.). Damit gilt es, einen narrativ-christologischen Zusammenhang zwischen folgenden Sachverhalten herzustellen: – die Gegenwart des Schöpfungslogos – die Inkarnation

41 Vgl. Becker, J., Urchristentum, 29–38.

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

309

– Auferstehung Christi und Gegenwart Christi im Geist – Wiederkunft Christi am jüngsten Tag. Vor dem Hintergrund unserer fundamentaleschatologischen Entscheidungen (Kap. 2 und 3) ist die Beschreibung der ersten drei Arten der Gegenwart nicht schwer: Als ewiger Logos, als zweite Person der Trinität ist der Sohn auf die Schöpfung als ganze bezogen und nur zu Vater und Geist unmittelbar narrativ verbunden. Mit der Inkarnation verändert der Sohn seine Perspektive und tritt in das konkrete raumzeitliche Narrationsgeflecht der Schöpfung ein und ist in Jesus Christus nun auch konkret raumzeitlich individuiert und identifizierbar. Mit Auferstehung und konkarnatorischer Geistvergegenwärtigung ist deutlich, dass die ganze Menschheit nun bleibend zur Identität Christi (biblisch gesprochen: zum Leib Christi) gehört und damit auch in Gottes trinitarisches Werden prinzipiell durch Gnade inkorporiert ist. Unter den Bedingungen einer narrativen Ontologie, konkret unter der Bedingung des Weiterbestehens des welthaften raumzeitlichen, primärnarrativen Individuationsrahmens, ist dies jedoch nur möglich, indem jede menschliche Person unmittelbar nicht auf Christus, sondern konkarnatorisch auf die Person des Geistes bezogen ist. Die Parusie Christi meint nun die unmittelbare Gegenwart der Person Christi für jede kreatürliche Person, was nur unter der Bedingung möglich ist, dass – in einer umgekehrten Bewegung zur Inkarnation – die Geschöpfe nun umgekehrt in den trinitarischen Individuationsrahmen der transzendentalen Narrativität des Werdens Gottes selbst inkorporiert werden. Die Parusie bedeutet also nichts anderes als die Theosis durch Gnade. Streng genommen wird dabei nicht nur zu Christus, sondern auch zu Vater und Geist ein unmittelbares Verhältnis hergestellt. Mit der Parusie leben wir in Gott von Angesicht zu Angesicht. Und auch hier ist es der Heilige Geist, der konkarnatorisch handelt: Wie er konkarnatorisch tätig ist, indem er uns im Hier-und-Jetzt Christus präsentiert, so ist er konkarnatorisch, indem er Christus in der Parusie uns präsent macht. Daher ist es richtig, die Eschatologie im dritten Artikel zu behandeln. Dennoch ist es angemessen von der Parusie Christi zu sprechen, weil in dieser unmittelbaren Gegenwart der drei göttlichen Personen für jede kreatürliche Person inhaltlich nichts anderes gelten kann, was schon durch die Gegenwart Christi in Inkarnation, Auferweckung und konkarnatorischer Geistvergegenwärtigung geschieht. Inkarnation und Auferweckung generieren ferner das Evangelium als Heilsversprechen. Heil in christlichem Sinne ist aber nichts anderes als eine personale Liebesbeziehung zu Christus. Diese pro-

Gegenwart des Schöpfungslogos, Inkarnation und Gegenwart Christi im Geist

Die Parusie Christi als unmittelbare Gegenwart und Inkorporation in das trinitarische Beziehungsgefüge aus Gnade

Die Parusie als Erfüllung der Verheißung

310

Die Eschata

missio ist in der Geistvergegenwärtigung nur teilweise erfüllt, weil Liebe auf eine unmittelbare, nicht mehr medial vermittelte Beziehung und ein gemeinsames Werden aus ist. Dies gilt auch in der Beziehung zwischen Christus und den personalen Geschöpfen: Letztere hoffen auf die unmittelbare Gegenwart Christi als ihres Geliebten, aber auch dieser hofft auf die unmittelbare Gegenwart seiner personalen Geschöpfe, da diese seit seiner Auferweckung zu seiner Identität gehören. Mit Pannenberg ist darauf hinzuweisen, dass auch dieses unmittelbare Bezogensein Christi auf uns ein Bezogensein bleibt und keine Auflösung der Person in Christus bedeutet. Personale Transzendenz zwischen Christus, dem Vater und dem Geist bleibt gewahrt. Die Parusie als Damit erledigt sich auch die Frage, ob die Parusie ein geschichtslopersonales Ereignis ses, übergeschichtliches oder geschichtliches Ereignis ist. Die Parusie ist zuallererst ein personal-narratives Ereignis, nämlich das unmittelbare Zusammensein und Zusammenwerden von uns mit Christus und damit auch mit Vater und Geist. Dies ist aber nichts anderes als der Vollzug der eschatischen Realität selbst. Wir sahen, dass nicht Raum und Zeit für die Welt wichtig sind, sondern nur deren logische Struktur einer Ordnungsrelation, die die Besonderheit der Geschöpfe und den Ereignisprozess ermöglicht. Genau diese narrative Struktur weist aber auch Gottes dreieiniges Werden auf. Die Parusie kann daher als Aufgehen der raumzeitlichen Ereignisstruktur bzw. als Aufgehen der Geschöpfe in der Geschichte des Liebesabenteuers (und dessen Individuationsrahmen), als das Gott selbst wird, gedeutet werden bzw. als Verschmelzung des weltlichen und göttlichen Individuationsrahmens unter asymmetrischen Bedingungen. Damit ist die Parusie einerseits zeitlos, weil es keinen Sinn mehr macht, von Raumzeit zu sprechen, wenn die Parusie geschieht. Insofern ist die Rede vom Jüngsten Tag der Parusie nicht verkehrt, weil sie dies symbolisiert. Die Parusie ist aber auch ein übergeschichtliches Ereignis, weil in ihr eine Unmittelbarkeit aller personalen Geschöpfe zu Christus, gleich an welchem raumzeitlichen Ort sie sich auch in der Welt befinden mögen, hergestellt wird. Insofern kann sie gerade kein geschichtliches oder zeitliches Ereignis sein, weil dies diese universale Unmittelbarkeit ausschließen würde. Unter zeitlichen Metaphern kann aber dieser Unmittelbarkeitsaspekt ausgedrückt werden, indem gesagt wird, dass die Parusie gleich einem Dieb in der Nacht, plötzlich und scheinbar unerwartet, jederzeit geschehen kann. Der Christ weiß freilich, dass sie nicht unerwartet, sondern im Gegenteil, sehnlichst erhofft geschieht. Letztlich ist aber auch die Ansicht nicht falsch, dass die Parusie ein geschichtliches Ereignis ist, da die Struktur der Ereignisabfolge

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

311

der Geschichte durch die Parusie nicht aufgehoben, sondern neu geordnet, gerichtet und gewandelt wird. Der Grund, dass alle traditionellen Modelle teils falsch und teils richtig sind, liegt darin, dass die Parusie ein narratives Ereignis ist, das nur verständlich ist unter Anerkennung einer narrativ-relationalen Ontologie. In dem Maße, in dem die traditionellen Modelle nicht zu einer solchen vordringen, verstricken sie sich in die oben genannten Probleme. In unserem Problemlösungsvorschlag ist enthalten, dass die Parusie für jede kreatürliche Person unabhängig von ihrem raumzeitlichen Ort mit Tod und Auferstehung eintritt und der „liebste Jüngste Tag“ (Luther) erlebt wird. Insofern gibt es eine Ähnlichkeit mit dem Konzept Greshakes der Auferstehung im Tode.42 Dennoch ist die Parusie nicht ein rein personales Ereignis, dass Die Parusie als zwischen einem einzelnen Menschen und Sohn, Heiligem Geist und soziales und kosmisches Ereignis Vater geschieht, sondern es ist auch ein soziales und kosmisches Ereignis. Dies folgt notwendig aus dem Gesagten: Ein soziales Ereignis ist die Parusie, weil die Unmittelbarkeit eben für alle Personen gelten soll, so, dass auch deren Beziehung untereinander Gegenstand der Parusie ist. Ein kosmisches Ereignis ist die Parusie, insofern wir diagnostiziert hatten, dass auch die nichtpersonale Schöpfung Anteil an der eschatischen Realität hat, weil sie für Gott einen Selbstzweck darstellen kann. Freilich können wir als personale Schöpfung nicht wissen, in welchem Maß und in welcher Form. Soweit es aber geschieht, wird auch dieser nichtpersonalen Schöpfung Christus vergegenwärtigt.43 Dieser kosmische und soziale Aspekt der Parusie wird aber sinnvoll durch die Rede vom Jüngsten Tag dargestellt. Die in der Parusie eintretende neue Unmittelbarkeit der personalen Beziehung kann aufgrund ihrer Unmittelbarkeit auch mit Althaus als „überführende“ Gegenwart beschrieben werden. Die Tatsache, dass die Parusie als unmittelbare Gegenwart Christi genauso reale Gegenwart Christi ist wie die reale Gegenwart Christi im Geist im Hier-und-Jetzt in Wort und Sakrament, berechtigt zu der Rede von der mehrfachen Parusie. Wie Dorner zeigen konnte, können damit bestimmte Fehlformen der Vorstellung des Heils ausgeschlossen werden. Dazu aber mehr im Abschnitt über die ethischen Implikationen.

42 Vgl. Greshake, G., Auferstehung der Toten, 387. Ähnlich auch Pannenberg, W., Systematische Theologie III, 622–625. 43 Dies ist die particula veri der Rede Teilhard von Chardins von der plötzlichen Christogenese der ganzen Schöpfung, s.o. Kap. 4.1.

312

Die Eschata

5.1.5

§78 Die Bedeutung der Parusie für menschliches Handeln

Ethische Implikationen von Parusievorstellungen

§78 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bedeutung der Hoffnung auf die Parusie Christi als das unmittelbare Zusammenleben mit der Person Christi und den Personen des Vaters und des Geistes für menschliches Handeln darin besteht, 1. dass sich der Hoffende der bleibenden Bedeutung von wayfaring im Unterschied zu transport bewusst ist; 2. dass der Hoffende auf das Abenteuer als die Koinzidenz von Kontingenz und Güte vertraut und Entkontingentisierungsversuchen flieht; 3. dass der Hoffende Leben als Werden und nicht als Sein erkennt; 4. dass sich der Hoffende der bleibenden Bedeutung von personalen Beziehungen der Liebe im Unterschied zu merkantilen oder manipulativen Beziehungen bewusst ist und entsprechend handelt; 5. dass die bildliche Rede von der Plötzlichkeit der Parusie die vertrauende Vernunft des Hoffenden instand setzt, indem diese mit Wachsamkeit (Aufmerksamkeit) und Nüchternheit (tatsächlichem Realitätssinn) begabt wird; 6. dass sich der Hoffende seines Heils gewiss ist, weil bei der Parusie nichts anderes geschehen kann als in anderen Formen der Gegenwart Christi und er infolgedessen zu einem befreiten, gelassenen Handeln Anlass hat; 7. dass der Hoffende in der Verkündigung des Wortes und in der Sakramentsgemeinschaft als der Parusie verwandte, aber unterschiedene und auf diese stets bezogene Formen der Gegenwart Christi, die eschatische Realität unter vorläufigen Bedingungen erleben kann.

Die Parusie ist die unmittelbare Gegenwart Christi in der personalen, filialen Liebesbeziehung zwischen uns und ihm und darin gerade die eschatische Realität selbst in ihrer Konstitution. Damit hat die Parusie auch Folgen für das Handeln im Hier-und-Jetzt: Verordnung von 1. Die Parusie begründet ein Werden von uns im dreieinigen wayfaring über Werden Gottes. Da dieses vollständig frei von transportartigen Betransport stimmungen ist – also kein Netzwerk darstellt, keine Intentionalität kennt und keine Vorgängigkeit externer Ziele –, sondern ein Werden in reinem wayfaring ist, ist diese Art des Werdens auch in der Gegenwart ausgezeichnet. Auch in der Gegenwart hat transport keinen ontischen Wert. Wo in der Gegenwart transport nicht medial höhe-

Die Parusie Christi und der Jüngste Tag

rem wayfaring dient, ist es Ausdruck der Inversion von wayfaring in transport und damit Ausdruck der Sünde. 2. Die Parusie begründet ein Werden von uns im Werden des dreieinigen Gottes als Liebesabenteuer. Ein Abenteuer ist die unbegründete und unbegründbare Koinzidenz von Kontingenz und Güte. Damit ist auch das Abenteuer im Hier-und-Jetzt ausgezeichnet: Wo immer das Abenteuer reduziert werden soll und der abenteuerliche Charakter des Lebens zugunsten einer Regel, die Güte garantieren soll, erstrebt wird, ist damit dem eschatischen Ziel der Welt widersprochen und ein sündhaftes und entfremdetes Leben verwirklicht. 3. Die Parusie begründet ein Werden von uns im dreieinigen Werden Gottes. Da dieses ein Werden und kein Sein ist, führt auch jeder Kontingenzreduzierungsversuch, ein statisches Sein im Hierund-Jetzt erreichen zu wollen, zum Gegenteil dessen, was er erreichen will: zum Tode anstatt zum Leben. 4. Auch im Hier-und-Jetzt erscheinen personale Liebesbeziehungen gegenüber manipulativen Beziehungen und Handelsbeziehungen ausgezeichnet. Denn wenn jede kreatürliche Person in der Parusie in einer unmittelbaren Liebesbeziehung zu Christus steht, werden auch die Beziehungen der Personen untereinander primär als eschatische Liebe zu charakterisieren sein. Durch die Zusammengehörigkeit von Parusie und Gegenwart Christi im Geist im Hier-und-Jetzt sind Christen damit zu ethischem Handeln in Liebe inspiriert und motiviert. Dies schließt eine sorgfältige Unterscheidung ein: Merkantile Beziehungen, d. h. Beziehungen in denen das ausgetauschte Gut für die Identität der Beziehungspartner unwesentlich ist und manipulative Beziehungen, in denen nur einer der Partner über die Identität beider entscheidet, mögen im Hier-und-Jetzt ihr vorläufiges Recht haben, aber sie sind nicht von eschatischer Relevanz. Der Christ wird daher an diese Art von Beziehungen, gleichgültig wie wichtig sie für das Hier-und-Jetzt sein mögen und gleichgültig wie viel Zeit sie in der Lebensgeschichte im Hier-und-Jetzt fordern, nicht allzu stark sein Herz hängen. 5. Dies gilt umso mehr, als die Unmittelbarkeit der Parusie einschließt, dass der Tag des Herrn wie ein Dieb in der Nacht kommt. Damit wird die Unterscheidung zwischen hier erlebbarem Eschatischen und Vergänglichen nicht nur theoretisch ausfallen, sondern der Glaubende weiß um die mögliche Plötzlichkeit und der unabsehbaren Überraschung des Eintritts der Parusie. Zwar ist die Plötzlichkeit als zeitlicher Ausdruck nur eine Umschreibung für die soziale und kosmische Unmittelbarkeit der Parusie, aber diese zeitliche Vorstellung eines möglichen Endes der Geschichte jederzeit hat theologisch und

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Verordnung von Abenteuer

Verordnung von Werden über Sein

Vorordnung personaler Liebesbeziehungen

Wachsamkeit und Nüchternheit

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Die Eschata

ethisch-orientierend nichts Falsches, wenn es auch vielleicht nur ein notwendiges Postulat der vertrauenden Vernunft ist. Diese ersten beiden ethischen Aspekte kommen auch in den neutestamentlichen Paränesen zum Ausdruck, die in der Regel der Rede von der Parusie oder vom Jüngsten Tag folgen: Es wird die zeitliche Unmittelbarkeit ausgedrückt und damit „Wachsamkeit“ gefordert, aber auch „Nüchternheit“ als die Fähigkeit der vertrauenden Vernunft zur rechten Unterscheidung des Wichtigen, d. h. des eschatisch Relevanten, vom Unwichtigen, d. h. eschatisch nicht Relevanten. Heilsgewissheit 6. Parusie und Vergegenwärtigung Christi im Geist gehören zusammen und sind unterschieden. Sie gehören zusammen, weil beides die Gegenwart der Person Christi ist. Sie sind unterschieden, weil nur die Parusie unmittelbare Gegenwart ist, die Gegenwart im Geist aber vermittelt. Dies führt zum kritischen Ausschluss bestimmter möglicher Glaubenshaltungen und ihrer ethischen Implikationen: Schon das Hier-und-Jetzt ist von der Gegenwart Christi bestimmt und damit tatsächlich Heil, das in Heilsgewissheit und Vertrauen angenommen wird. Gegen allen Schein der voreschatischen Welt gilt, dass Röm 8,38f bleibend die Realität im Lichte der Parusie beschreibt: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn.“ Zur Verkündigung des Evangeliums gehört es auch, dass bei der Parusie kein anderer Richterspruch zu erwarten ist als er durch die Verkündigung des Evangeliums aufgrund von Kreuz und Auferstehung geschieht. Das Parusievertrauen bewirkt daher in der Gegenwart Heilsgewissheit und entsprechend ein befreites Handeln gemäß der Rechtfertigung und schließt den Gedanken individueller oder kollektiver Selbstkonstitution von Subjekten aus. Genauso ist die Parusiehoffnung aber Hoffnung darauf, dass das, was jetzt mittelbar erlebt wird, dann unmittelbar gelebt wird, so dass auch Raum für das bleibende Verständnis des Noch-nicht ist: Der Christ ist sich bewusst, dass vor der Parusie kein Ende von Tod, Leid und Schuld zu erwarten ist. Er hat keine „schwärmerische“ Haltung der Welt gegenüber und übt Zurückhaltung gegenüber allen Versuchen einer geschichtlichen, vorbehaltlosen Heilsverwirklichung. Wort und Sakrament 7. Ihren liturgischen Ort der Vergewisserung der Parusie im Leben der Glaubenden besteht dort, wo eine reale Gegenwart Christi auf alle Fälle gegeben ist, wenn auch nicht die reale unmittelbare Gegenwart Christi, sondern die Gegenwart Christi im Geist aufgrund der menschlichen Wort- und Sakramentsverkündigung, vor allem

Die leibliche Auferstehung der Toten

in der Präsenz Christi im Abendmahl, in der die Kirche Christus verkündigt, „bis dass er kommt“.

5.2

Die leibliche Auferstehung der Toten

Die Lehre von der Auferstehung der Toten hat kein eigenes eschatologisches Gewicht: Sie ist Medium für Parusie und Reich Gottes, die als Konstitutions- und Lebensgestalt der eschatischen Realität selbst direkte Inhalte christlicher Hoffnung sind. Inhalt christlicher Hoffnung ist die Auferstehung von den Toten dann nur indirekt, eben insofern als sie nötig ist, damit Parusie und Reich Gottes geschehen können. Die Rede von der Auferstehung des Leibes ist genauer eine Bedingung der Kontinuität, die es ermöglicht, dass kreatürliche Personen die Parusie erleben können. Damit ist sie vom Gedanken des Gerichts unterschieden, das ebenfalls ein Verwirklichungsmittel der eschatischen Realität darstellt, aber gerade die Diskontinuität betont. Durch diesen Zusammenhang der Abhängigkeit der Auferstehungsvorstellung von der Parusie ist aber die christliche Hoffnung immer schon gerichtete und von Gott zurechtgebrachte Hoffnung: Sie kann zwar das allgemeinmenschliche Sehnen nach Dauer über den Tod hinaus in eine unbegrenzte Zukunft44 aufnehmen, aber sie ist nicht mehr identisch mit ihr. Ebenso ist die kritische Rede über die Auferstehung von den Toten wie auch die anderen Eschata nur unter dem eschatischen Erwartungshorizont sinnvoll, nicht im Horizont vorletzter Welterfahrung. Umgekehrt aber wird der eschatische Erwartungshorizont den vorletzten Horizont welthafter Erfahrungen von Christen verändern und richten, so dass es auch hier sinnvoll ist, nach ethischen Konsequenzen des Lehrstücks zu fragen (5.2.4). Das Lehrstück selbst setzt mit einer Beschreibung der biblischen Rede von der Auferstehung von den Toten und der beginnenden Tradition ein (5.2.1), um dann die Tradition christlichen Auferstehungsdenkens mit Hilfe einer Typologie darzustellen (5.2.2). Dabei wird sich zeigen, dass vor allem ein Typus in der Theologiegeschichte eine besondere Rolle gespielt hat und mannigfaches Problemlösungspotential, aber auch Folgeprobleme inaugurierte. Dazu gehört unter anderem die Lehre von den Zwischenzuständen – Aufenthaltsorte zwischen Tod und Auferstehung für verschiedene Personengruppen wie das Fegefeuer, den limbus patrorum (Aufenthaltsort der Gerechten des Alten 44 Zu dieser Denkfigur des Menschen als exzentrisches, weltoffenes und daher auch zukunftsoffenes Wesen, das als anthropologische Konstante über den Tod hinaus hofft, vgl. Pannenberg, W., Was ist der Mensch?, 31–40.

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Die Eschata

Testaments) und den limbus infantium (Aufenthaltsort der ungetauft verstorbenen Kinder) –, die hier in einem eigenen Exkurs behandelt werden (5.2.3). Dieser Vergleich wird zeigen, dass ein Problem bestehen bleibt, das Problem, wie sich personale Kontinuität zwischen dem Hier-und-Jetzt und der eschatischen Realität unter dem Gedanken der Auferstehungsleiblichkeit zusammen denken lassen, das wir dann mit einem eigenen Problemlösungsvorschlag bedenken wollen (5.2.4), bevor wie gewohnt ethische Überlegungen den Abschluss des Kapitels bilden (5.2.5). 5.2.1

§79 Urchristliche Auferstehungsvorstellungen

Spätalttestamentliche Literatur

Die Entstehung von Auferstehungsvorstellungen der urchristlichen Tradition

§79 Zwischen der korinthischen Auffassung einer Leugnung leiblicher Auferstehung zugunsten einer durch das Erlösungswerk Christi unsterblich gewordenen Seele und der paulinischen Auffassung einer Auferstehung eines verwandelten, vom Heiligen Geist bestimmten „Leibes“ besteht im Urchristentum ein weites Feld mannigfacher Versuche, die eschatisch letztgültige Heilshoffnung des Zusammenkommens mit Jesus Christus (Parusie) mit der präeschatischen Erfahrung des weiteren Fortbestehens des Todes auch von Christen zu vermitteln. Im 2. Jh. erweitert sich das Spektrum zu beiden Seiten einerseits durch Aufnahme der orphischen Unsterblichkeitsvorstellung in der Gnosis, andererseits durch die Rede nicht nur von der leiblichen, sondern auch der fleischlichen Auferstehung. In einigen, wahrscheinlich eher späten Passagen des Alten Testaments und in der außerkanonischen frühjüdischen Literatur klingt langsam der Gedanke der Auferstehung der Toten an. In Dan 12,2 sind Spuren der Auferstehung der Toten greifbar, allerdings nur der Toten Israels. Immerhin handelt es sich schon um eine „allgemeine“ Auferstehung, d. h. eine Auferstehung unabhängig von der ethischen Güte der Person. In 2.Makk 7,14.23 findet sich dann ein ganz zentraler und wichtiger Text. Denn hier wird mit dem Verweis auf Gottes Schöpfermacht ein theologischer Möglichkeitsgrund der Auferstehung angegeben. Die Auferstehung bezieht sich hier aber entweder nur auf die Märtyrer oder nur auf die Gerechten und ist damit noch keine allgemeine Auferstehung. In der apokalyptischen Tradition setzt sich der Auferstehungsgedanke in der frühjüdischen Welt dann langsam durch, allerdings nicht so, dass sie allgemeines frühjüdisches Gedankengut

Die leibliche Auferstehung der Toten

geworden wäre. Vor der Zerstörung des Tempels (70 n.Chr.) wird sie nur von einzelnen jüdischen Gruppierungen angenommen. Für die erste Generation des Urchristentums spielt die Auferstehung der Toten noch keine besondere Rolle, eher im Gegenteil. Sowohl bei Johannes dem Täufer als auch bei Jesus erscheint sie nicht. Das Gericht bzw. das Endheil trifft hier die gerade lebende Generation.45 Auch die erste urchristliche Verkündigung, die immerhin die Auferstehung Jesu voraussetzt, spricht nicht von der Auferstehung. Sie erwartet vielmehr das Heil in der Parusie Christi einschließlich des Gerichts. So kann auch Paulus sich dieser Verkündigung anschließen und sie spezifisch verändern, allerdings, wie sich in 1.Thess 1,9f sehen lässt – einer Stelle, in der Paulus traditionelles Gut verarbeitet und andeutet, mit welchen Inhalten er missioniert hat –, ohne auf die Auferstehung von den Toten zu rekurrieren. Vielmehr bekehrten sich die ersten Heidenchristen von der Vielzahl der Götter zu dem einen Gott, um bei der baldigen Parusie des auferstandenen Christus dem göttlichen Gerichtszorn zu entkommen.46 Der erste Hinweis auf die positive Vorstellung der Auferstehung von den Toten findet sich in 1.Thess 4,13–18. Offensichtlich geschah es in der Gemeinde, dass die ersten Gemeindeglieder gestorben waren und nun die Frage entstand, ob und in welcher Weise diese am zu erwarteten Heil der Parusie teilhaben können. Paulus antwortet darauf mit einem „Wort des Herrn“. Ob damit tatsächlich ein Wort des sog. historischen Jesus gemeint ist oder ein Wort des erhöhten Herrn, spielt für unsere Zwecke keine Rolle. Auf alle Fälle deutet dieser Hinweis auf traditionelles Gut hin, d. h., Paulus verweist die Gemeinde auf ihr schon Bekanntes. Damit fällt die Rekonstruktion des traditionellen Gutes nicht mehr schwer: Sie wird sich auf diejenigen Aussagen von 1.Thess 4,15–17 beziehen, die nur die Parusie, nicht aber die allgemeine Auferweckung von den Toten zum Thema haben.47 Indem Paulus nun diese Vorstellung des Heilsereignisses der Parusie mit dem Problem der gestorbenen Brüder in Kontakt bringt, kommt er zu seiner Lösung: Vor der Parusie vom Himmel her werden erst die Toten auferstehen und dann zusammen mit den Lebenden dem Herrn entgegengehen. Paulus interessiert sich hier also nicht für die Art und Weise der Auferweckung, für ihre Ursache oder ihre Möglichkeit. Man kann davon ausgehen, dass sie hier von ihm eigentlich als das verstanden wird, was wir ein präeschatisches Ereignis genannt haben: Um das Problem einzelner Verstorbener zu 45 Vgl. Becker, J., Auferstehung der Toten, 11–13. 46 Vgl. Becker, J., Auferstehung der Toten, 32–45. 47 Für eine Rekonstruktion vgl. Becker, J., Auferstehung der Toten, 51.

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Die erste Generation des Urchristentums

Frühpaulinische Vorstellungen

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Die Eschata

lösen, werden diese einfach kurz vor der Ankunft des Herrn wiederbelebt, damit sie zusammen mit Paulus und den Angeredeten, die bis zur Parusie leben bleiben werden (1.Thess 4,17), dem Herrn begegnen können. Pauli Argumentation hier ist recht schlicht und offensichtlich aus der Not geboren: Man hatte nicht damit gerechnet, dass jemand sterben würde. Als dies doch geschah, war es für Paulus offensichtlich kein besonderes Problem, eine irdische, innerweltliche und nicht-eschatische Wiederbelebung anzunehmen. Wenn wir auch nicht wissen, warum dies für ihn kein Problem war, so ist doch anzunehmen, dass auch Paulus hier von der Schöpfermacht Gottes ausgehen dürfte, zumindest weisen darauf spätere paulinische Aussagen hin. Auferstehung in 1.Kor In der Folgezeit verschärft sich allerdings das Problem gewaltig. Das Ableben von Gemeindegliedern bildet nicht mehr die Ausnahme, sondern wird die Regel, und Paulus ist genötigt, sich prinzipiell dem Problem anzunehmen. Verschärft wird das Problem noch dadurch, dass die Gemeinde in Korinth entweder eigenständig eine eigene Auferstehungsvorstellung herausgebildet oder von anderen Missionaren mitgeteilt bekommen hatte, die Paulus für nicht verantwortbar hält. In 1.Kor 15,12 erwähnt Paulus, dass es korinthische Gemeindeglieder gibt, die von der Auferstehung der Toten nichts halten. Da damit schwerlich gemeint sein kann, dass diese überhaupt keine Hoffnung für die Toten, sondern nur für die bei der Parusie Lebenden annehmen, wird man davon ausgehen können, dass es zwei Problemlösungskonzeptionen gab: die, gegen die Paulus argumentiert, und Pauli eigene Argumentation. Pauli Gegner Die Auferstehungsvorstellung der Auferstehungsleugner: Diese liegt uns nur indirekt vor und im Laufe der Geschichte neutestamentlicher Forschung wurden unterschiedliche Konzeptionen rekonstruiert. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Korinther in orphischhellenistischer Tradition dachten, dass der Leib (soma) „eine lästige Fessel der (pneumatischen) Seele“48 sei. Dann aber wäre die Leiblichkeit der Auferstehung von den Korinthern kritisiert worden und der Tod wäre „nichts als ein Abstoßen des lästigen Leibes von der seit der Erlösung unsterblichen Seele“.49 Die Erlösung im Hierund-Jetzt durch Christus würde demgemäß bewirken, dass die bis dahin dem Tod verfallene Seele unsterblich würde und demgemäß eine starke, wenn auch einseitige, nur die Seele betreffende Kontinuität von Hier-und-Jetzt zur eschatischen Realität bestünde, „wonach

48 Sellin, G., Auferstehung der Toten, 290. 49 Sellin, G., Auferstehung der Toten, 290.

Die leibliche Auferstehung der Toten

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der Weise als wahrhaft Lebender nur scheinbar noch irdisch existiert“.50 Die Herkunft dieser Vorstellung könnte in judenchristlichhellenistischer Tradition zu suchen sein. Denn einerseits ist uns der orphisch-hellenistische Gehalt einiger frühjüdischer Vorstellungen durch Philo von Alexandrien bekannt, andererseits können wir aus 1.Kor 3,5 u. a. annehmen, dass diese Tradition durch Vermittlung eines Missionars, vielleicht Apollos, in Korinth bekannt gewesen sein könnte. Pauli eigene Lösung sieht demgegenüber anders aus: Er hält streng Pauli Lösung an der Leiblichkeit des Heils fest und liefert nun in 1.Kor 15 eine entfaltete Auferstehungstheologie. Der Grund der Auferstehung der Toten ist die Auferstehung Jesu Christi, dessen Schicksal auch unser Schicksal sein wird. Tod und Auferstehung Christi sind dabei in wechselseitiger Relation mit Tod und Auferstehung der Christen verbunden. Wenn man eines leugnet, gleich welches, muss man auch das andere leugnen. Leugnet man aber die Auferstehung Christi, ist das ganze christliche Wirklichkeitsverständnis Unsinn (1.Kor 15,14–19). Diese Lösung wird von Paulus in Röm 6 schließlich noch ausgebaut und mit liturgischen Implikationen verbunden. Im Gegensatz zu 1.Thess 4,13–18 stellt Paulus nun aber nicht nur Überlegungen zu einer christologischen oder besser holistischen Begründung der Auferstehung der Toten an, sondern er entfaltet auch Überlegungen zur Wirklichkeit der Auferstehung, die zu einer veränderten Sicht dessen, was überhaupt bei der Parusie geschieht, führt: Auch hier werden die Toten auferstehen und auch hier geht Paulus noch davon aus, dass Zeitgenossen die Parusie erleben werden, aber es handelt sich bei der Totenauferstehung nicht mehr um eine Wiederbelebung und damit um eine Anpassung der Toten an die Lebenden. Vielmehr handelt es sich um eine Verwandlung des fleischlichen Leibes in einen geistlichen Leib, die auch von den Lebenden vollzogen werden wird (1.Kor 15,51). Damit passt nun Paulus umgekehrt das Geschick der Lebenden bei der Parusie dem der Toten an. Paulus lehrt, dass es eine leibliche Auferstehung geben werde und in der eschatischen Realität die Personen ein soma pneumatikon, einen geistlichen Leib erhalten (1.Kor 15,44), gleichgültig ob sie im Hier-und-Jetzt noch leben oder schon gestorben sind.51 Was aber ist ein soma pneumatikon? Deutlich ist, dass es sich um einen „Leib“ handelt, denn Paulus argumentiert ja gerade gegen die Leugnung der Leiblichkeit der Auferstehung der Korinther. Allerdings ist auch deutlich, dass Leiblichkeit nicht durch

50 Sellin, G., Auferstehung der Toten, 292. 51 Vgl. Becker, J., Auferstehung der Toten, 66–105.

320

Die Eschata

Gegensätzliche Auferstehungsvorstellungen

Auferstehung nach dem individuellen Tod

Sakramentale Verschiebung

Materialität bestimmt ist, denn Fleisch und Blut könne nicht das Reich Gottes erben (1.Kor 15,50). Obwohl Paulus nun viele Überlegungen über verschiedene geschöpfliche Leiber anstellt und auch über die Verwandlung von Leibern, so löst er zwar einige Fragen, wirft aber auch andere auf. Zu den Fragen, die er beantwortet, gehört seine Vorstellung der Differenz zwischen dem Leib im Hier-und-Jetzt und dem Leib der eschatischen Realität: Der eschatische Leib wird unvergänglich und unverweslich sein, kurz, das, was die Tradition incorruptibilitas genannt hat. Auch die Geistigkeit des Leibes kann bestimmt werden. Damit ist nicht gemeint, dass der Auferstehungsleib irgendwie dünnflüssiger, durchsichtiger, glänzender oder unkörperlicher als der fleischliche Leib wäre (wenn auch der Hinweis auf die doxa=Glanz=Herrlichkeit in 1.Kor 15,40f diesen Schluss erlauben würde). Ein fleischlicher Leib ist vielmehr nach Paulus ein Leib, der von welthaften Beziehungen total bestimmt ist, und ein geistlicher Leib ist ein Leib, der ganz vom Handeln der Person des Heiligen Geistes bestimmt ist.52 Zu den Fragen, die er nicht beantwortet, gehört die Frage, was überhaupt ein Leib ist. Interessant ist, dass damit schon in der frühesten Zeit des Urchristentums durch geradezu polare Gegensätze ein derart breites Feld an Auferstehungsvorstellungen abgesteckt ist, in das die Auferstehungsvorstellungen der nachfolgenden Zeit und der dritten Generation des Urchristentums nur noch eingeordnet werden können. So können etwa einerseits Paulus in Phil 1,23 und der Autor des Lukasevangeliums in Lk 23,43 von einer sofortigen Parusieerfahrung nach dem individuellen Tod ausgehen. Wie diese zu deuten ist – ob als exzeptionelles Märtyrerschicksal, als „Auferstehung im Tode“ oder als Parusie aufgrund eines schlafenden Zwischenzustandes – spielt an dieser Stelle keine Rolle. Entscheidend ist, dass diese Vorstellungen eher in Richtung Pauli als in Richtung seiner korinthischen Gegner eingeordnet werden müssen. Freilich sind sie nicht mit der paulinischen Richtung identisch, so dass sich die systematische Frage ergibt, ob und wie sie mit der paulinischen Vorstellung aus 1.Kor 15 abgleichbar sind. Der Widerspruch von 1.Kor 15 und 1.Thess 4,13–18 einerseits zu Phil 1,23 und Lk 23,43 andererseits hat die Entwicklung des Gedankens eines Zwischenzustandes in der Theologiegeschichte sehr begünstigt. So kann aber auch andererseits im Johannesevangelium (vgl. Joh 3,5) eine sakramentalistische Tendenz ausgemacht werden, die ewiges

52 Vgl. Lampe, P., Spiritual Body, 108–110.

Die leibliche Auferstehung der Toten

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Leben als gegenwärtige Heilsgabe im Hier-und-Jetzt durch die Sakramente verstand und auf eine zukünftige Auferstehungsvorstellung verzichtet haben könnte.53 Diese Strömung wäre dann eher in der Nähe des korinthischen Poles der Leugner der leiblichen Auferstehung anzusiedeln. Da diese Auffassung im Johannesevangelium selbst nicht unbestritten bleibt, ist anzunehmen, dass der Evangelist, der diese Tradition verarbeitet und kritisiert, Folgendes gemeint haben könnte: In Joh 3,17f und Joh 5,24ff geht er davon aus, dass sich die Parusie präsentisch im ersten Kommen Christi (also der Inkarnation) sowie in der Anwesenheit des Heiligen Geistes als Parakleten erweist, so dass der im Glauben Stehende bereits vom Tod in das Leben hinüber geschritten ist, ohne dass der damit verbundene Vorstellungs- oder Begriffsgehalt näher bestimmt werden würde. Interessant ist auch die Entwicklung in der weiteren Geschichte Die weitere der Alten Kirche, in der das Spektrum gewissermaßen über seine bei- Entwicklung in der Alten Kirche den Ränder hinaus erweitert wird: Hier bildet sich nämlich einerseits sehr schnell die im Apostolicum kodifizierte (aber in der offiziellen gegenwärtigen deutschen Fassung so nicht übersetzte) Rede von der „Auferstehung des Fleisches“ heraus. Ob dies nun als Reaktion auf übermäßige origenistische Spekulationen hinsichtlich des paulinischen Geistleibes als mathematisch idealen Leib in Form einer Kugelgestalt zu verstehen ist54 oder einfach als Präzision dessen, was ein „Leib“ überhaupt sein soll, sei hier dahingestellt. Auf der anderen Seite wird im gnostischen Bereich die ehemals korinthische Position gewissermaßen radikalisiert, indem die orphisch-hellenistische Vorstellung einer Befreiung der guten oder gar göttlichen Seele vom bösen oder schlechten Leib der Schöpfung im Tod aufgenommen wird.55 5.2.2

Modelltypen der Theologiegeschichte

§80 §80 – Eine Auferstehungsvorstellung des Leibes, nach der nur die Auferstehungstypen der Geschichte unkörperlich gedachte Seele an einer zeitlosen Ewigkeit partizipiert, findet sich bei dem christlichen Neuplatoniker Johannes Eriugena, der eine Verwandlung des Leibes in die Seele lehrt.

53 Vgl. Becker, J., Auferstehung der Toten, 137. 54 Vgl. die Belege bei Ratzinger, J., Eschatologie, 146. 55 Vgl. Daley, B., Eschatologie in der Schrift und Patristik, 103–106.

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Die Eschata

– Vorstellungen, nach denen Auferstehung bedeutet, dass die menschliche Person als Leib an der Ewigkeit, vorgestellt als Zeitund Beziehungslosigkeit, partizipieren könnte, sind inkohärent und erscheinen theologiegeschichtlich nicht. – Die Vorstellung, dass nur Seelisches an der Ewigkeit als Kopräsenz alles Zeitlichen an der Ewigkeit partizipiert und dies als Auferstehung bezeichnet werden würde, wäre nur unter größten Schwierigkeiten denkbar und spielt in der Geistesgeschichte auch keine Rolle. – Die Vorstellung, dass alles zeitliche Geschehen in seiner geistigmateriellen Einheit an der Ewigkeit – verstanden als Gleichzeitigkeit allen Geschehens – partizipiert, ist im 20. Jh. bei so unterschiedlichen Theologen wie Tillich, Barth und Bultmann zu finden. Da diese Vorstellung einer Verewigung personalen Seins aber nicht die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung ist, sind die genannten Theologen dieser gegenüber auch vorsichtig. – Die Vorstellung, dass Auferstehung bedeutet, dass die substantiale, unsterbliche Seele am jüngsten Tag als Beginn einer als Endlosigkeit gedachten Ewigkeit mit einem neu geschaffenen Leib oder einem wiedererweckten Leib verbunden wird, bildet die breiteste Tradition dessen, was als Auferstehung gedacht wird. Dennoch ist diese Vorstellung nicht unproblematisch und führt notwendig zur Frage, was mit der Seele zwischen Tod und Auferweckung geschieht. – Die Vorstellung, dass die Auferweckung bedeutet, dass lediglich der materielle Körper neu geschaffen wird, ist eine monistische, aber materialistisch-reduktionistische Lösung. Gegenwärtig wird sie neben den Posthumanisten von dem Physiker Frank Tipler mit theologischem Anspruch vertreten. Diese Vorstellung kann das Problem der personalen Identität zwischen der menschlichen Person jetzt und einst aus grundsätzlich philosophischen Gründen nicht lösen. – Die nichtreduktionistisch-monistische Vorstellung, dass die als Einheit gedachte Person am jüngsten Tag wieder neu geschaffen wird, indem sich Gott an die Person und ihre Identität erinnert, löst das Identitätsproblem personaler Kontinuität, legt diese personale Identität auch nicht in die Hände des Menschen, sondern in den Willen Gottes. Damit wird aber der Wille Gottes, nicht die Liebe Gottes zu dessen vornehmster Eigenschaft, was zu Problemen der Gotteslehre führt.

Die leibliche Auferstehung der Toten A dualistische Anthropologie

B monistische Anthropologie

A Ewigkeit als Zeitlosigkeit

AA

AB

B Ewigkeit als Gleichzeitigkeit

BA

BB

C Ewigkeit als Endlosigkeit

CA

CB

Die hier aufgestellte Typologie ergibt sich aus der Verschränkung zweier Kriterien, deren eines eine grundlegende Beschreibung des Eschatons, nämlich die konkrete Auffassung der Ewigkeit, darstellt (s.o.), und deren anderes aus einer Beschreibung eines präeschatischen Sachverhalts resultiert, nämlich des Todesverständnisses und der darin implizierten anthropologischen Auffassung (s.o.). Hinsichtlich der Ewigkeitsauffassungen konnten wir vereinfacht ausgedrückt drei Typen von Ewigkeitsvorstellungen modellieren: Ewigkeit als Zeitlosigkeit, Ewigkeit als partielle oder vollständige Gleichzeitigkeit und Ewigkeit als Endlosigkeit. Hinsichtlich des Todesverständnisses waren idealtypisch zwei polare Typen erkennbar: Einerseits Verständnisse vom Menschen, die in orphisch-hellenistischer Tradition bei Abwertung des Leibes radikal zwischen Leib und Seele unterschieden und andererseits monistische Menschenverständnisse, die die Einheit der Person betonten, sei es relational oder noch unter dem alten substantialistischen Paradigma. Daraus ergeben sich dann theoretisch folgende Möglichkeiten: Faktisch spielen die einzelnen Kombinationen in der Theologiegeschichte aber eine äußerst unterschiedliche Rolle; auch systematisch sind nur einige sinnvoll.

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Anthropologie und Ewigkeitsvorstellungen als Kriterien

AA „zeitlos-dualistische“ Auferstehungsvorstellungen: Unter diesen Typus müssten Vorstellungen fallen, die unter Annah- „zeitlos-dualistische“ me der Priorität einer Seele am Gedanken an einer Auferstehung Auferstehungsvorstellungen unter zeitlosen (und raumlosen) Bedingungen festhält. Dies scheint zunächst aus zwei Gründen nicht sinnvoll zu sein: Einerseits scheint die Rede von einer Auferstehung einer per se oder per gratia unsterblichen Seele, die substanzhaft gedacht ist, nicht besonders sinnvoll zu sein. Andererseits scheint auch hier eine Wiedervereinigung mit dem Leib nicht denkbar zu sein, denn dieser ist jedenfalls nicht zeitlos zu denken. Dennoch finden sich in der Theologiegeschichte Auferstehungskonzepte, die unter diesen Typus zu rechnen sind. Sie sind vorwiegend neuplatonischer und mystischer Art. Da der christliche

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Die Eschata

Neuplatonismus in der Vergangenheit eine breite Strömung christlicher Theologie gebildet hat, überrascht es nicht, wenn auch hier die personalen Zukunftshoffnungen mit dem biblischen Terminus „Auferstehung“ belegt werden, haben doch auch christliche Mystiker und Neuplatoniker den Anspruch, in korrekter biblischer Tradition zu stehen. Eriugena Am kohärentesten und weitestgehenden dürfte Johannes (Scotus) Eriugena (gest. 877) die Auferstehung nach diesem Modell verstanden haben: Hier geschieht bei der „Auferstehung“ Folgendes: Im Tod überlebt die Seele, bei der folgenden Auferstehung wird der Leib in die Seele verwandelt, die Seele in den Geist, der Geist in den Intellekt und dieser schließlich in Gott, das überseiende und zeitlose Eine.56 Ein Anklang an die biblische Auferstehungsvorstellung ist hier nur insofern zu sehen, als in 1.Kor 15 ebenfalls von „Verwandlung“ die Rede ist. Diese stufenartige Verwandlung ist bei Eriugena kein Mittel zur Parusie – verstanden als unmittelbare Gegenwart Christi bei den Geschöpfen, die deren personale Transzendenz wahrt. Vielmehr handelt es sich gemäß der neuplatonischen Schöpfungsvorstellung, nach der aus dem einen überseienden Einen das Seiende in verschiedenen Stufen überfließt und sich entfaltet, um eine ontische Gegenbewegung und somit um eine Rückkehr zum Ursprung. Johannes Eriugenas Auferstehungskonzeption wurde 1210 und 1225 kirchlicherseits als häretisch abgelehnt,57 wenn sich auch, etwa bei dem mittelplatonischen Clemens Alexandrinus (gest. ca. 215), schon Vorläufer finden dürften.58 Eine detaillierte Kritik erübrigt sich an dieser Stelle, da es sich lediglich im verbalen Sinne um „Auferstehung“ handelt, nicht jedoch sachlich. Das zum Modell der Ewigkeitsauffassung als Zeitlosigkeit Gesagte (s.o. Kap. 3.1) gilt sinngemäß auch an dieser Stelle. Hier bleibt festzuhalten: AB „zeitlos-monistische“ Auferstehungsvorstellungen: „zeitlos-monistische“ Auferstehungsvorstellungen

Darunter wäre formal eine Auferstehungsauffassung zu verstehen, nach der der nicht in Leib und Seele differenziert gedachte Mensch unter zeitlosen Bedingungen aufersteht. Da eine monistische Auffassung des Menschen entweder relational verstanden werden kann oder aber derart reduktionistisch, dass der Mensch auf seine Materialität reduziert wird, ist ein solches Auferstehungskonzept logisch 56 Vgl. Johannes Scotus Eriugena, De divisione naturae, PL 122, 986C–987C. 57 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 33. 58 Vgl. Staats, R., Auferstehung I/4, 475.

Die leibliche Auferstehung der Toten

325

widersprüchlich. Denn Materialität setzt auf alle Fälle Zeitlichkeit voraus. Aber auch ein relationales Verständnis – sei es des Menschen, sei es Gottes oder irgendetwas Gedachtem – setzt, wenn auch nicht die Zeitlichkeit selbst, so doch deren Struktur voraus (s.o. Kap. 3.1). In der Tat erscheint m.W. in der Theologiegeschichte auch kein Ewigkeitsverständnis, das diesem Typus entspräche. BA „gleichzeitigartig-dualistische“ Auferstehungsvorstellungen: Hierunter wären Auferstehungsvorstellungen zu verstehen, die davon ausgehen, dass nur Geistig-Seelisches an der Ewigkeit partizipiert, wobei Ewigkeit hier als Gleichzeitigkeit aller welthaften Ereignisse verstanden wird. Auch unter dieser Vorstellungsweise scheint der Gedanke der Auferstehung wenig sinnvoll zu sein. Denn es gehört ja geradezu zu diesem Konzept der Ewigkeit, dass ihr sowieso alles Geschehende kopräsent ist, so dass es sinnlos ist, von einer davon getrennten Auferstehung auszugehen. Ferner bereitet es Schwierigkeiten, sich vorzustellen, was eine rein geistig-seelische Kopräsenz zeitlicher Ereignisse in der Ewigkeit ohne leibliches Geschehen bezeichnen soll. Man könnte sich vielleicht vorstellen, dass auch das leibliche Geschehen der Welt einer nicht leiblichen, sondern nur geistig verstandenen göttlichen Ewigkeit kopräsent ist. Das wäre dann beispielsweise gemäß der Prozessphilosophie Gottes „liebende Fürsorge, auf dass nichts verloren gehe“59 . Diese liebende Fürsorge bezieht sich auf die sog. Folgenatur Gottes, die alle welthaften Geschehnisse in sich aufnimmt und auch als Gottes Gedächtnis bezeichnet werden kann. Inwieweit damit in Alfred N. Whiteheads (gest. 1947) Denken eine reine Geistigkeit gemeint ist, sei hier dahingestellt. Dies entspräche dem Versuch, die reine Geistigkeit auf Seiten der Ewigkeit zu verankern. Man könnte umgekehrt auch annehmen, dass nur seelisches Erleben des Weltlaufes in die als Gleichzeitigkeit gedachte Ewigkeit eingeht. Da aber seelisches Erleben kaum ohne Rekurs auf Ereignisse der Raumzeit identifizierbar ist, erscheinen solche Vorstellungen auch m.W. nicht in der Geschichte. Festzuhalten bleibt, dass auch diese Vorstellungen letztlich wenig mit Auferstehung im Sinne eines Mediums des unmittelbaren Zusammenseins mit Christus zu tun hätten. Denn eine Kopräsenz mit Christus wäre hier zwar gegeben, aber stets eine indirekte.

59 Vgl. Whitehead, A.N., Prozeß und Realität, 525.

„gleichzeitigartigdualistische“ Auferstehungsvorstellungen

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Die Eschata

BB „gleichzeitigartig-monistische“ Auferstehungsvorstellungen: „gleichzeitigartigmonistische“ Auferstehungsvorstellungen

Ähnliches gilt letztlich auch für die Vorstellung der Auferstehung als einer Kopräsenz des leiblich-körperlichen Geschehens in der Ewigkeit, die damit selbst leibliche Züge annimmt. Diese Vorstellung ist ein wenig kohärenter als der ihr verwandte Typus BA, aber der Einwand, dass auch dies nicht eine „Auferstehung“ im hier genannten Sinne sein kann, gilt ebenfalls. Interessanterweise findet sich diese Vorstellung einer personalen Ewigkeitshoffnung in der ersten Hälfte des 20. Jh. auch in so unterschiedlichen Eschatologien wie denen Rudolf Bultmanns, Paul Tillichs und Karl Barths.60 In ihren Eschatologien herrscht aber ein deutliches Bewusstsein darüber, dass es sich nicht im strengen Sinne um eine Auferstehungsauffassung handelt. Dies ist vor allem daran sichtbar, dass hier hinsichtlich der begrifflichen Bedeutung von „Auferstehung der Toten“ äußerste Vorsicht herrscht, die nicht als falsches Zögern zu verstehen ist, sondern unter dem vorgestellten Ewigkeitsmodell faktisch passend ist. Selbstverständlich bekommt dann auch der Parusiebegriff bei diesen Theologen eine andere Bedeutung, was besonders radikal bei Tillich sichtbar wurde (s.o. Kap. 5.1). CA „endlosigkeitsartig-dualistische“ Auferstehungsvorstellungen:

Gemeint ist, dass hier unter den Bedingungen einer Leib-SeeleDichotomie und unter Wahrung eines (raumzeitlichen) Ereigniszusammenhanges am Gedanken der Auferstehung als Voraussetzung der Parusie festgehalten wird. Auf den ersten Blick mag auch diese Option ein wenig seltsam erscheinen. Denn wenn die Seele, sei es per se oder per gratia, unsterblich ist, scheint sich die Vorstellung einer Auferstehung erledigt zu haben. Dem ist aber nicht so. Denn die Auferstehung wird nun verstanden als Wiedervereinigung der unsterblichen Seele mit dem Leib. Diese Auffassung bildet bei weitem den größten Traditionsstrom im Christentum, denn er hat viele Vorteile: Integration – Diese Vorstellung bildet ein breites Spektrum ab: Sie kann stark hellenistischer hellenistische Zukunftshoffnungen integrieren, die alles Gewicht Hoffnungen auf die unsterbliche Seele legen wie etwa bei Origenes (gest. 253/ 54) oder Augustin (gest. 430). Selbst der strenge Platoniker Origenes weist die gnostische Meinung, der Leib würde nicht auferste-

„endlosigkeitsartigdualistische“ Auferstehungsvorstellungen

60 Vgl. Barth, K., KD III/2, 760; Tillich, P., ST III, 466–475; Bultmann, R., Geschichte und Eschatologie, 161.

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hen, zurück,61 und ist der Auffassung, dass auch der Körper in einen geistigen Körper verwandelt wird – allerdings erst nachdem die Seelen, die allein das Gericht trifft, gereinigt und geläutert sind.62 Bei Augustin erfolgt die Auferstehung der Seelen schon im diesseitigen Leben, so dass sie unsterblich sind und am jüngsten Tag lediglich die Auferstehung der Leiber erfolgen muss. In verschiedenen Aussagen schwankt Augustin hinsichtlich der Frage, ob zu diesen geistlichen Leibern Materialität im Sinne von Fleisch oder Blut gehört oder ob dies verneint werden muss.63 Welches Potenzial besitzt dieser Typus von Auferstehungsvorstellungen? – Diese Vorstellung scheint zumindest das Problem zu lösen, dass Ausgleich die biblischen Texte enthalten, wenn es Perikopen gibt, die einerseits ein sofortiges Sein-bei-Christus nach dem Tode (Phil 1,23; Lk 23,43) oder gar eine präsentische Eschatologie beinhalten wie im johanneischen Denken, und wenn andererseits an einer futurischen Auferstehung festgehalten wird (1.Thess 4,13–18; 1.Kor 15). Erstere Vorstellung bezieht sich dann auf die Seele, letztere auf die Auferstehung und Wiedervereinigung der Seele mit dem Leib. – Im Wesentlichen wird das Kontinuitätsproblem personaler Exis- Das tenz gelöst: Die Kontinuität des Menschen im Hier-und-Jetzt Kontinuitätsproblem liegt nicht an seiner Materialität, sondern letztlich an der Seele, die als unsterbliche ja den Tod überdauert. Diese in orphischhellenistischer Tradition eigentlich naheliegende Lösung wurde jedoch erst durch viele Diskussionen schwer errungen. Denn es wäre ja möglich, auch dem Leib einen Kontinuitätsaspekt zuzuschreiben, wenn man schon von der Auferstehung des Fleisches spricht. Müsste dann nicht die Identität der Person auch an der Identität der Materieteilchen liegen, aus denen sie besteht? Dieses Problem wurde in der Alten Kirche und im Mittelalter vor allem mit Hilfe der durchaus ernst zu nehmenden Frage diskutiert, was bei der Auferstehung mit Menschen geschehe, die von wilden Tieren oder gar Kannibalen verspeist worden sind. Wäre ihre Auferstehung dann nicht gefährdet, weil deren Materialität nun zur Materialität der ebenfalls auferstehenden Kannibalen gehört? Das Problem wurde unterschiedlich gelöst. Einerseits kann an der Meinung der numerischen Identität mittels der Materie festgehalten werden. Augustin etwa argumentiert, dass die Materie der verspeisten Menschen nicht von den Verspeisenden assimiliert 61 Vgl. Origenes, De Principiis, II, 10. 62 Vgl. Origenes, De Principiis, II, 6,5–6. 63 Vgl. Staats., 477; Daley, B., Eschatologie in der Schrift und Patristik, 201–202.

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Der Leib als Kugel Der leuchtende Leib

– –

Ausgleich von Gewichtsproblemen



Wie alt ist der Auferstehungsleib?



werden kann, so dass eine schiedlich-friedliche Scheidung im Auferstehungsfall möglich ist, indem der ursprüngliche Besitzer die Materie zurückerhält.64 Die andere Meinung, die etwa von Thomas von Aquin (gest. 1274) und Durandus von San Porciano (gest. 1334) vertreten wird, besteht darin, dass darauf hingewiesen wird, dass schon die Materialität des im Hier-und-Jetzt lebenden Körpers von dauernden Stoffwechselvorgängen durchzogen ist und somit nichts zu dessen Identität austragen kann. Thomas’ und Durandus’ Lösung ist es dann auch, hier die Seele als alleiniges Identitätsprinzip einzusetzen.65 Ob Thomas dabei eher wie allgemein angenommen in aristotelischer Tradition steht oder diese gerade zugunsten eines relationalen Verständnisses transzendiert,66 sei dahingestellt. Die Vorstellungen, was genau unter dem Auferstehungsleib zu verstehen ist, sind in mannigfachen Vorstellungen und Bildern unter diesem Modell möglich. Hier findet sich in der Theologiegeschichte ein Sammelsurium von verschiedenen Vorstellungen, die hier unkommentiert aufgezählt werden sollen: Der Leib ist in der Origenes-Schule als Idealleib kugelförmig.67 Der Leib ist wie ein menschlicher Leib, aber, zumindest bei den im Gericht Bestehenden, mit einem leuchtenden Glanz (doxa = Herrlichkeit) versehen oder nach Augustin mit einer wunderbaren verklärten Leichtigkeit.68 Von dem Leib wird in seiner Materialität nach Augustin und Wilhelm von Auxerre (gest. 1231) etwas dazugetan oder etwas weggenommen, je nachdem, ob der Leib eines Menschen im Hierund-Jetzt über- oder untergewichtig ist.69 Der Auferstehungsleib trägt nach Augustin (gest. 430) und Petrus Lombardus (gest. 1160) ein Alter von 32 Lebensjahren, modelliert am auferstandenen Herrn, gleichgültig in welchem Alter er gestorben ist.70

64 Vgl. Daley, B., Eschatologie in der Schrift und Patristik, 202. 65 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 130f; Ratzinger, J., Eschatologie, 147–149. 66 Vgl. Ratzinger, J., Eschatologie, 125–127. 67 Vgl. Ratzinger, J., Eschatologie, 146. 68 Vgl. Daley, B., Eschatologie in der Schrift und Patristik, 202. 69 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 37. 39. 70 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 40.

Die leibliche Auferstehung der Toten

– Der Leib ist als geistiger Leib nach Johannes (Scotus) Eriugena vollständig ohne Materialität und kommt eher der immateriellen Seele gleich.71 Diese unvollständige Aufzählung mag an dieser Stelle genügen. Wichtiger ist, dass neben einem hohen Lösungspotential dieser Position auch wichtige neue Fragen und Probleme durch sie entstehen. Deren Wichtigste sind vor allem zwei: – Was geschieht mit der unsterblichen Seele zwischen Tod und Auferstehung des Leibes? Dieses Problem wird im nächsten Abschnitt gesondert im Exkurs zu der Lehre von den Zwischenzuständen behandelt, da dies in der Theologiegeschichte eine breite Aufmerksamkeit einnahm. – Wenn die personale Identität des Menschen in seiner substantialen, unsterblichen Seele besteht, ist dann noch der Gedanke der Rechtfertigung möglich? Denn wenn die menschliche personale Identität nun einen Selbststand hat und nicht ganz von Gott abhängig ist, verändert sich die ganze Auffassung, wie Gott und Mensch aufeinander bezogen sind und damit auch, was Gott und Mensch jeweils sind.

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Ein immaterieller Leib

Zwischen Tod und Auferstehung

Immaterielle Seele und Rechtfertigung

CB „endlosigkeitsartig-monistische“ Auferstehungsvorstellungen: Unter Verzicht auf eine dualistische Anthropologie und unter Verzicht auf den Gedanken einer immateriellen Seele kann ebenfalls der Auferstehungsgedanke gedacht werden. Dies ist in zweifacher Weise denkbar. Einer reduktionistischen, die die menschliche Personalität nur als Funktion seines Körpers sieht, und einer relationalen. Die reduktionistische Sicht der Auferstehung wird in der Regel selten vertreten. In jüngster Zeit erscheint sie bei den Posthumanisten und in der physikalistischen Reduktion von Frank Tipler. Dieser geht davon aus, dass eine personale Kontinuität sehr wohl reduktionistisch und funktionalistisch möglich ist. Was auferweckt wird, sind Simulationen von uns und unserem gesamten personalen und natürlichen Beziehungsgefüge. Sie sollen aber dennoch identisch mit uns sein.72 Tipler geht sogar so weit zu behaupten, es wäre möglich, dass in der Auferstehungswirklichkeit zwei Männer mit derselben schönsten Frau in der Auferstehungswirklichkeit exklusiv befriedigend sexuell

71 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 33. 72 Vgl. Tipler, F.J., Physik der Unsterblichkeit, 278–279.

„endlosigkeitsartigmonistische“ Auferstehungsvorstellungen

Die reduktionistische Variante

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interagieren können, weil diese nun als doppelte Simulation auferstehen kann und doch identisch sein soll.73 Tipler gibt dies zwar als Frage seiner männlichen Studierenden aus, doch spricht seine sonstige sehr gute theologische Allgemeinbildung dafür, dass er sich bewusst sein dürfte, aus der „Sadduzäerfrage an Jesus“ (Mk 12,18–27 parr) nun die „männliche Studentenfrage an Tipler“ gemacht zu haben. Nun geht es bei der Antwort Jesu nicht um die Identitätsfrage, diese bleibt unbeantwortet. Jesu Antwort, Gott sei ein Gott der Lebenden, nicht der Toten, ist für seine Hörer insofern ebenfalls zweideutig, als damit sowohl daran gedacht sein kann, dass es eine Auferstehung gibt, als auch, dass es gerade keine Auferstehung geben kann, denn der Terminus „Gott der Lebenden“ stammt gerade aus jenen Vorstellungen des Alten Testaments, die noch keine Auferstehung kannten. Die Funktion im Erzählzusammenhang der Passionsgeschichte ist dann auch eine andere: Es geht den Sadduzäern nicht um ein philosophisches Problem, sondern als Leugner der Auferstehung geht es um einen Test, wie und auf welcher Seite Jesus einzuordnen ist. Dieser Einordnung entzieht sich Jesus gerade, indem er hier nicht greifbar bleibt. Gerade das scheint aber Anstoß erweckt zu haben.

Tipler selbst ist sich bewusst, welchen philosophischen Schwierigkeiten er sich gegenübersieht, kann diese aber nicht lösen. Das Identitätsproblem gehört zu den sog. philosophischen Rätseln, die sich mit empirischen oder reduktionistischen Mitteln gerade nicht lösen lassen. Von Stanislaw Lem (gest. 2006) stammt die schon in Kapitel 4.2 erwähnte literarische Veranschaulichung: Man stelle sich vor, es sei möglich, eine exakte Kopie eines Menschen nach dessen Tod anzufertigen mit all dessen Erinnerungen. Ist es dann der gleiche Mensch? Mitnichten, denn dieses Szenario bleibt das gleiche, wenn man diese Kopie einschließlich aller Erinnerungen schon zu Lebzeiten des entsprechenden Menschen herstellen würde. Es handelt sich damit um zwei Menschen mit zwei verschiedenen Identitäten.74 Tipler kennt zwar dieses Argument und er versucht ihm mit dem Hinweis zu begegnen, dass letztlich die physikalischen Muster über die Identität entscheiden,75 aber seine These der Identität bleibt eine rein deklaratorische: Die Identität zwischen der gestorbenen und der auferstandenen Person wird einfach von ihm deklariert, was aber nicht ausreicht, um Lems Einwand zu entkräften. Dieser Einwand gilt nicht nur für Tipler, sondern für alle monistisch-reduktionistischen

73 Vgl. Tipler, F.J., Physik der Unsterblichkeit, 314–317. 74 Vgl. dazu die Kurzgeschichte „Die Auferstehungsmaschine“ in Lem, S., Die phantastischen Erzählungen. 75 Vgl. Tipler, F.J., Physik der Unsterblichkeit, 282–296.

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Auferstehungsvorstellungen, so dass diese als keine brauchbare Option angesehen werden können, sondern als inkohärent ausscheiden. Festzuhalten bleibt: Nun ist aber auch eine relational-monistische Auffassung mög- Die relationale lich. Wir sahen schon bei der Diskussion des Todesverständnisses, Variante dass sich Luther einer solchen Auffassung annähert (s.o. Kap. 4.2). Unter einem solchen Paradigma wäre die Seele nichts anderes als die Beziehung Gottes zum partikularen Menschen. Im Tod würde diese Seele dann nach Luther schlafen,76 was man mit Härle als Ende der aktiven Beziehungsmöglichkeiten der Seele, nicht aber des passiven Von-Gott-getragen-Seins deuten könnte.77 Der Auferstehungsleib wäre dann ein von Gott durch Neuschöpfung hervorgebrachter neuer Leib, der dann auch nichts mehr mit weltlicher Materialität zu tun haben müsste, sondern tatsächlich ein soma pneumatikon sein könnte, was immer dies auch sein mag. Diese Neuschöpfung geschähe zwar in Analogie zur creatio ex nihilo, zur Schöpfung ohne welthafte Voraussetzungen, sofern sie auf Gottes Schöpfermacht beruht, unterschiede sich aber in einem wichtigen Punkt, nämlich darin, dass mit dem gelebten Leben des Menschen etwas besteht, an das sich Gott bei der Neuschöpfung erinnert und dass er berücksichtigt, wenn es zur Neuschöpfung des Leibes kommt. Freilich ist auch diese Vorstellung nicht ganz unproblematisch. Sie scheint nun die menschliche Identität ganz im absoluten Willen Gottes zu verankern, dessen hervorragendes Prädikat dann die Willkür, nicht mehr die Liebe wäre. Damit bestehen aber gleich zwei Probleme: Einerseits gleicht es einer Lösung des bei reduktionistischen Modellen auftretenden Identitätsproblems, das gleichsam mit dem Schwert der göttlichen Willkür den gordischen Knoten der Identität durchschlägt. Andererseits entstehen nun gewaltige Probleme mit der Gotteslehre, die eine voluntaristische sein müsste, unter deren Bedingungen folglich die Erlösungstat Christi am Kreuz ebenfalls unverständlich würde bzw. nun auf der Willkür Gottes beruhte. Ein Willkürgott bietet aber keine Basis für eine rechte Unterscheidung zwischen actio dei und actio hominum nach Maßgabe der Rechtfertigungslehre. Man könnte auch sagen: So sehr unterscheidet sich diese Lösung nicht von Tiplers Lösung. In beiden Fällen wird die Identität der Person vor allem deklariert. Im Falle Tiplers durch diesen selbst, hier durch Gott.

76 Vgl. Beißer, F., Hoffnung und Vollendung, 60. 77 Vgl. Härle, W., Dogmatik, 629–633.

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Die Eschata

5.2.3 §81 Die Lehre von den Zwischenzuständen und ihre Beurteilung

Zwei direkte Voraussetzungen

Exkurs: Die Lehre von den Zwischenzuständen

§81 Im limbus patrorum befinden sich die Seelen der alttestamentlichen Gerechten. Im limbus infantium befinden sich die Seelen der ungetauft verstorbenen Kinder. Die Qual der Gottferne verspüren die Seelen, die später verworfen werden. Den Genuss, Gott zu genießen, verspüren bereits die Seelen derer, die später das Gericht bestehen. Die Seelen einiger, die weder verworfen noch gerettet sind, erhalten im Zwischenzustand eine Läuterungsmöglichkeit. Dies ist die Lehre vom sog. Fegefeuer (purgatorium). Die Lehre von verschiedenen Zwischenzuständen entsteht u. a. durch die Frage, was mit der unsterblichen Seele bis zur Wiedervereinigung mit dem Leib geschieht. Diese Lehre ist problematisch, weil sie individualistisch ist und weil sie eine dualistische Anthropologie einführt. Ein Sonderproblem bildet die Lehre vom sog. Fegefeuer (purgatorium). Die Reformatoren lehnten diese als unbiblisch und zu einer Haltung der Verdienstlichkeit führend ab. Dem Fegefeuer verwandte Vorstellungen einer postmortalen aber präeschatischen Entwicklungsmöglichkeit der Person entstanden auch im protestantischen Bereich, um göttliche Gnade und menschliche Freiheit zusammen denken zu können. Die Lehre von den Zwischenzuständen kann zusammen mit jeglicher dualistischen Anthropologie abgelehnt werden, da Leib und Seele nur als Abstraktionen der personalen Wirklichkeit verstanden werden dürfen, so dass sich eine leiblose Seele als letztlich sinnloser Begriff entpuppt. Die Lehre von den Zwischenzuständen hat zwei direkte und zwei indirekte Voraussetzungen. Die erste direkte Voraussetzung besteht eben darin, dass unter der Annahme einer endlosigkeitsartig-dualistischen Auferstehungsvorstellung die Frage aufkommt, was mit den Seelen der Verstorbenen zwischen Tod und Auferstehung geschieht. Man könnte sagen: Weil die Frage nach der Auferstehung die Frage nach der personalen Kontinuität ist, muss diese auch für einen möglichen Zwischenzustand gelöst werden. Diese Voraussetzung würde an sich nur die Rede von einem Zwischenzustand im Singular rechtfertigen.

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Die andere direkte Voraussetzung der Lehre von den Zwischenzuständen besteht nicht im Kontinuitätsproblem der Auferstehung, sondern im Transformationsproblem oder Diskontinuitätsproblem der Lehre des Gerichts (s.u. Kap. 5.3). Da die eschatische Realität jedenfalls nicht als Verdoppelung der präeschatischen Welt gedacht werden kann, sind Transformationen nötig, was Sünde, Tod und Leid betrifft. Die traditionellen Gerichtsausgänge des Endgerichts, die den ganzen auferstandenen Menschen betreffen, d. h. den auferstandenen Menschen, dessen Seele mit seinem Leib vereinigt worden ist, werden daher präeschatisch aber postmortal gewissermaßen allein für die geistige Seele vorverlagert. Der Seele ergeht es so, wie es dem ganzen Menschen später, nach Auferstehung und Gericht, ergehen wird. Aus diesen Grundgedanken ergibt sich die Rede von mehreren Zwischenzuständen im Plural. Seit ihrer Herausbildung in der Alten Kirche ist diese Lehre nicht unbedingt einheitlich zu verstehen. Im Mittelalter dürften sich aber folgende Vorstellungen von verschiedenen Zwischenzuständen78 finden, die zwischen dem limbus patrorum, dem limbus infantium, der Qual der Gottfernen, dem Genuss der Gottnahen und dem Purgatorium unterscheiden. Die indirekten Voraussetzungen bestehen darin, dass diese plural Zwei indirekte gedachten Zwischenzustände der Seele an sich nicht räumlich zu Voraussetzungen denken sind, da die Seele selbst nicht räumlich ist, dass aber mit der Präfiguration des Gerichtsurteils, das ja den ganzen, mit dem Leib wiedervereinigten Menschen betrifft, eine räumliche Vorstellung im Sinne des Raumes als abgeschlossenem Container innerhalb der Welt nötig ist, bzw. durch die Hintertüre wieder eingeführt wird. Die andere indirekte Voraussetzung berührt die Rede vom sog. Das Purgatorium Fegefeuer (purgatorium). Das Fegefeuer selbst ist unbiblisch. Als biblischer Beleg wird der Vergleich Pauli des Endgerichts mit Feuer (1.Kor 3,11–15) fälschlicherweise herangezogen. Zur Ausbildung der Lehre ist ein Einfluss Platos nicht auszuschließen.79 2.Makk 12,42–45 kann indirekt für die Fegefeuerlehre herangezogen werden, insofern hier das Fürbittgebet für Verstorbene erscheint. 1136 wurde durch Papst Benedikt XII das Fegefeuer in der römischen Kirche endgültig kanonisch.80 Die Reformatoren verwarfen die Lehre vom Fegefeuer, weil sie den Eindruck hatten, hier solle der Mensch sich sogar noch postmortal durch Werke seine Seligkeit verdienen, so dass menschliche Mitwirkung zum Heil in einem geradezu ins Unendliche gesteigerten

78 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 19–29.70–85.95–107.169–217. 79 Vgl. Platon, Politeia, Buch 10, 617d–621d. 80 Vgl. Vorgrimler, H., Das Fegefeuer.

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Heilssynergismus aufträte und Christi Versöhnungswerk überflüssig oder zumindest reduziert würde.81 Der Ursprung des Fegefeuers wird allerdings oft in der Theologie des Origenes gesehen, der aus einem anderen Grund einen notfalls auch unendlich andauernden Läuterungsprozess der Seelen annehmen muss.82 Und dies ist ein ernst zu nehmendes Gnadenproblem, die Paradoxie der Gnade, das auch unabhängig von Origenes erscheint, auch in der protestantischen Theologie, etwa bei Calvin, Schleiermacher oder bei Erskine of Linlathen (gest. 1870), einem schottischen Theologen des 19. Jh.: Wie lassen sich allmächtige Gnade und Freiheit des Menschen vereinbaren? Denn wenn mit der Gnade wirklich ernst gemacht wird, wirkt dann nicht Gott alles in allem oder muss man dann nicht eine doppelte Prädestination als Bedingung der Gnade annehmen? Ist dies dann aber noch Gnade, wenn auch das Verworfenwerden auf Gott beruht? Wenn aber andererseits die Ablehnung der universalen Gnade, die sich als Angebot durch das Kreuz Christi an alle Menschen richtet, von einigen Menschen aufgrund menschlichen Willens ausgeschlagen werden kann, ist dann nicht bereits die Gnade zu schwach und ein Heilssynergismus des Menschen gelehrt? Es gibt eine befriedigende, wenn auch spekulative Lösung dieses Problems. Erskine nimmt so z. B. eine präeschatische, aber postmortale Erziehung unter veränderten Bedingungen an, in der sich der Mensch, zumindest in einem unendlich langen Lauf, immer noch für die Gnade entscheiden kann, die damit am Ende an ihr Ziel kommt.83 Strukturanalog dazu verhält sich die origenistische Auffassung der Allversöhnung, die es erfordert, dass, zumindest ins Unendliche gehend, der Läuterungsprozess aller Seelen bleibenden Erfolg hat.84 Weltverdoppelung So elegant diese Lösung auch ist, sie bleibt uns verwehrt. Denn ein solcher Zwischenzustand, der noch Entwicklungsmöglichkeiten bietet, wäre, wenn er Sozialität und Leiblichkeit einschließen würde, einfach eine Verdoppelung dieser sozialen Welt oder zumindest die Konstitution einer neuen, natürlichen wie sozialen Welt, die aber nicht die eschatische Welt wäre. Diese Lehre wäre nichts anderes als die Behauptung, dass unser präeschatisches Leben nach dem Tod im Hier-und-Jetzt weitergeht, wenngleich für die Menschen vor dem Tod unbeobachtbar. Eine solche Lehre hätte also mit Eschatologie, mit Glaube oder „Religion“ nichts zu tun. 81 Vgl. Luther, M., WA 7, 453; WA 39I, 352.409f; BSLK, 420; Calvin, J., Institutio, III, 25,6. 82 Vgl. Staats., 476. 83 Vgl. Mühling, M., Versöhnendes Handeln, 226. 84 Vgl. Origenes, De Principiis, 427.

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Abgesehen von diesem Gnadenproblem trifft sowohl das Fegefeu- Die Undenkbarkeit er als auch alle anderen gedachten Zwischenzustände ein Verdikt, das leibloser Seelen diese Lehren als inkohärent entlarvt: Es sind notwendig hochgradig individualistisch verstandene Vorstellungen, zumindest soweit sie das Geschick der substantialen Seelen betreffen sollen. Körperlose substantiale Seelen sind aber nicht denkbar, wenn wir an das bedeutende Argument von Peter F. Strawson (gest. 2006) denken: „Als ich […] den Begriff eines reinen individuellen Bewusstseins diskutierte, sagte ich, dass er zwar nicht als primärer Begriff existieren […] kann […], dass aber dieser Begriff eine logisch sekundäre Existenz haben könnte: Ausgehend von unserem tatsächlichen Begriffsschema könnte sich jeder von uns ein individuelles Fortbestehen nach dem körperlichen Tode vorstellen. […] Wir brauchen uns nur auszumalen, dass wir Gedanken und Erinnerungen haben […]. Während wir (a) keinen Körper wahrnehmen, der in demselben Verhältnis zu unseren Erfahrungen stünde wie unser gegenwärtiger Körper, und (b) nicht die Macht haben, den physikalischen Zustand der Welt zu beeinflussen […]. Dann ergeben sich zwei Konsequenzen [...] Die erste Konsequenz: Das strikt körperlose Individuum ist völlig für sich allein; für dieses Individuum wäre die Frage, ob es noch andere Wesen seiner Art gibt, eine gänzlich leere, wenn auch nicht bedeutungslose Spekulation. Die zweite […] Konsequenz ist die, dass das Individuum sich selbst als entkörperlicht, d. h. als eine gewesene Person betrachten muss, um die Idee seiner selbst als eines Individuums beibehalten zu können. Das bedeutet, es muss ihm gelingen, sich immer noch als Mitglied einer Klasse […] von Entitäten zu verstehen, mit denen es nun nicht mehr in jene Interaktionen eintreten kann, deren Vorhandensein in der Vergangenheit die Bedingung dafür war, daß es überhaupt eine Idee seiner selbst hatte. Es hat seitdem gleichsam kein eigenes persönliches Leben mehr zu führen, es lebt im Wesentlichen in der Erinnerung an das persönliche Leben, das es früher geführt hat. Oder es müsste, wenn sein eigenes vergangenes Leben an Reiz verliert, eine Art von verdünnter, stellvertretender Existenz annehmen […]. In demselben Maße wie die Erinnerung verblasst und dieses stellvertretende Leben langweilig wird, verflüchtigt sich auch der Begriff seiner selbst als eines Individuums. Am Ende dieses Prozesses besteht, vom Gesichtspunkt des Fortbestehens als Individuum aus betrachtet, kein Unterschied mehr zwischen Fortdauer und Beendigung der Erfahrung. Unkörperliches Fortleben mag in dieser Form wohl wenig attraktiv erscheinen. Kein Zweifel, dass aus diesem Grund die Strenggläubigen wohlweislich an der Lehre der körperlichen Auferstehung festhalten.“85

Da dieses Argument gültig ist, erledigt sich jegliche Vorstellung von eventuellen Zwischenzuständen, weil sich überhaupt jegliche dualistische Anthropologie verbietet. Der Mensch als Person ist eine Einheit, Leib und Seele sind tatsächlich sekundäre Begriffe, denen ontologisch keine eigenständige Realität zukommt und die vom Begriff der Person als primärem Begriff abgeleitet sind. Mehr als eine rein begriffliche 85 Strawson, P.F., Einzelding, 148f.

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Unterscheidung können „Körper“ und „Seele“ nicht bezeichnen. Ist dies richtig, sind alle eine dualistische Anthropologie voraussetzenden Auferstehungsvorstellungen (AA, BA, CA) inkohärent. Damit scheint die Frage aber nach wie vor ungelöst, was man sich unter der Auferstehung als Medium der Parusie vorstellen oder denken kann. 5.2.4

Die Auferstehungsleiblichkeit der Geschöpfe als Medium kommunikativer Beziehungshaftigkeit im Werden des trinitarischen Gottes

§82 Die Wahrheit der leiblichen Auferstehung

§82 Die leibliche Auferstehung von den Toten hat medialen Charakter, indem sie ein Instrument ist, die Ernstnahme des Todes und das Erleben der Parusie zusammen denken zu können. Der Leib bezeichnet das Medium kreatürlich-kommunikativer und wechselseitiger Beziehungen. Der Auferstehungsleib als soma pneumatikon ist nicht mehr im Rahmen der welthaften Raumzeit individuiert, sondern im Rahmen des leiblichen trinitarischen Beziehungsgewebes, als das Gott selbst wird. Insofern bedeutet die leibliche Auferstehung Theosis (Vergöttlichung) aus Gnade durch das Handeln des Heiligen Geistes, so dass der Auferstehungsleib als ein ganz vom Heiligen Geist bestimmter Leib (soma pneumatikon) zu bezeichnen ist und eine unmittelbare Kommunikation zu den drei trinitarischen Personen in der glückseligen Schau (visio beatifica; visio dei) ermöglicht.

Definition des Leibes

Die im letzten Abschnitt von Strawson zitierte Passage ist aber nicht nur eine Kritik am Seelenbegriff, sondern kann helfen, den Begriff des Auferstehungsleibes zu klären. Bei Paulus war zu sehen, dass er sich zwar bemühte, die spezifische Differenz zwischen unserem gegenwärtigen und dem zukünftigen Leib anzugeben, nicht aber sagt, was unter Leib selbst zu verstehen ist. Diese Frage ist daher zu allererst zu klären, wenn hier nach der eschatischen Auferstehungswirklichkeit gefragt ist. Nach Strawson sind Leib und Seele sekundäre Begriffe, die durch Abstraktion vom ontisch primären Begriff der Person rein begrifflich abstrahiert werden. Die im letzten Abschnitt zur Kritik am Seelenbegriff zitierte Passage sagt letztlich positiv, was der Leib ist, indem sie kritisiert, was einer als selbständig gedachten Seele fehlt. Dies ist die Möglichkeit zum Wahrwertnehmen, zur Kommunikation, die Möglichkeit zum Austausch in Beziehung. Der Begriff des Leibes ist damit im Gegensatz zum Begriff des Körpers gerade nicht durch Materialität gekennzeichnet, sondern er ist zu bestimmen als das

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Medium unseres personalen und kommunikativen, narrativen Werdens in Beziehung. Das gilt zunächst in phänomenaler Hinsicht. Der Leib ist eben Leiblicher Geist vom Körper darin unterschieden, dass er, nach Merleau-Ponty das „Vehikel unseres Zur-Welt-Seins“, bzw. „unser Mittel, überhaupt eine Welt zu haben“ ist.86 Ontisch ist der Leib ausgedehnt in das Gewebe des Webens und geht in seine Umwelt über, aus der er als Knoten im Gewebe des wayfaring konstituiert ist. Er ist damit auch dynamisch und kann sich verändern. Das gilt auch für seine geisthafte oder seelische Komponente: Der Mensch als Leib hat einen ausgedehnten Geist,87 was sich darin äußert, dass die situativ-narrativen Geschehnisse zu ihm dazugehören. Darum kann das Leibschema erweitert werden, etwa durch Werkzeuggebrauch. Daher sind auch in Syntopie ärztliche Diagnosen von außen mit der Schmerzempfindung des Arztes möglich. Und daher wird der Leib auch in der Schmerzerfahrung als „Körper“ zum unangenehmen Widerfahrnis.88 Der mediale Charakter des Leibes schließt allerdings nicht aus, sondern ein, dass wir selbst unser Leib sind. Obwohl der Leib ständig dynamisch wird, ist er doch der Treibanker unseres Wahrwertnehmens, das stets auf diesen dynamischen Leib zentriert ist.89 Der Leib unterläuft damit alle falschen Distinktionen von privat und öffentlich, von subjektiv und objektiv. Man stellt ihn sich besser nicht wie ein eng umgrenztes Objekt vor, denn seine Grenzen sind dynamisch. Er geht in den anderen Leib über, wie Tiefdruckgebiete in Hochdruckgebiete übergehen. Sein privates Inneres ist kein festes Innen, sondern besteht nur aus relativ ruhigeren atmosphärischen Bewegungen, wie auch das Auge des Sturms nicht von den wirbelnden Luftmassen um es herum scharf abgegrenzt ist. Leiblichkeit ist eine Signatur narrativen Werdens. Wir erfahren Leiblichkeit und primär unseren Leib, dürfen aber daraus nicht den Fehlschluss ziehen, Digitalisierung dass nur unsere primäre Narrativität ein Geflecht der Leiblichkeit wäre. Auch die sekundäre Narrativität unserer Zeichenpraxis ist ohne die primäre Narrativität der Leiblichkeit nicht denkbar. In Zeiten wie denen der Coronakrise um das Jahr 2020 herum, in der man notgedrungen auf sog. „Digitalisierungen“ setzten musste, wird das nur

86 Merleau-Ponty, M., Phänomenologie der Wahrnehmung, 106.173. Vgl. auch Merleau-Ponty, M., Phänomenologie der Wahrnehmung, 114. 117f. 182. 184. 402. 442. 490. 87 Vgl. Clark, A./Chalmers, D.J., The Extended Mind und dazu Mühling, M., Gefühle, Werte und das ausgedehnte Selbst. 88 Vgl. Mühling, M./Wendte, M., Leibhafte Vernunft, 158. 89 Vgl. Mühling, M., PST I, 292.

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allzu deutlich: Jede Digitalisierung existiert nur parasitär zur Leiblichkeit. Sie ist auch nicht unleiblich, sondern ist, wie jedes Werkzeug, nur ein Medium unserer ausgedehnten Leiblichkeit. Als solches gestaltet sie den Leib um und verändert ihn. Und da Digitalisierung notwendigerweise inkremental verfahren muss, fördert sie ganz prinzipiell die sündhafte Perversion von wayfaring in transport.90 Sie verantwortlich anzuwenden, ist nicht leicht. Leiblichkeit Gottes Aber nicht nur die geschöpfliche Narrativität als primäre und sekundäre ist unhintergehbar leiblich verfasst. Sie kann das nur sein, weil zuvor schon ontisch die transzendentale Narrativität des Werdens des dreieinigen Gottes ein Geflecht leiblichen Werdens ist. Die Inkarnation des Sohnes im primärnarrativen Werden der Welt ist kein Kommen in etwas völlig Fremdes, sondern in das Eigene (das aber gerade durch seine Leiblichkeit die Alterität einschließt). Die Inkarnation ist keine Anpassung eines unleiblichen Gottes an Leiblichkeit. Sie ist der Erkenntnisgrund, dass Gottes dreieiniges, transzendentalnarratives Werden selbst unhintergehbar leiblich ist: Weil der Sohn in Ewigkeit leiblich ist, kann er auch leiblich in der geschaffenen Leiblichkeit auftreten. Und nur weil der Sohn nicht alleine in der ewigen Liebesgeschichte leiblich ist, sondern zusammen mit Vater und Geist leiblich wird, ist es richtig, dass es keinen logos asarkos gibt. Gott ist nichts Unleibliches, sondern Vater und Geist sind von Anfang an leiblich wie auch der Sohn. Nur weil sie dies im Werden des ewigen Liebesabenteuers sind, kann es auch davon abgeleitet unsere geschaffene Leiblichkeit geben. Leiblichkeit ist damit gerade nicht an Raumzeitlichkeit gebunden, wohl aber an die narrative Struktur einer Ordnungsrelation. Dieses leibhafte Gewebe des Werdens der immanenten Trinität ist es, das nicht nur seine eigene Leiblichkeit mit sich bringt, sondern auch Bedingung der Möglichkeit aller anderen Leiblichkeiten ist. Theosis Vergegenwärtigen wir uns nun noch, was unsere Ergebnisse über das Kapitel des Todes waren, so stellten wir fest, dass nach Christi Erlösungswerk der Mensch in Christus hinein stirbt, dergestalt, dass der Tod nun nicht mehr absolute Beziehungslosigkeit und damit Nichtsein wäre, sondern die passive Beziehung zu Christus erhalten bleibt. Da aber Sein und Personalität immer Werden in Beziehung bedeutet, bleibt damit das nötige Kontinuitätsmoment auch im Tod erhalten. Es ist freilich eine Identität des Werdens, nicht eines statischen Seins inmitten eines Werdens. Der Mensch hat seine Identität nicht in sich

90 Vgl. dazu Mühling, M., Sünde als Ver-rücktheit, 36–38.

Die leibliche Auferstehung der Toten

selbst, sondern in der passiven Beziehung zu Christus. Wenn nun Personalität durch Werden-in-Beziehung gekennzeichnet ist und wenn der Begriff des Leibes das Medium dieses In-Beziehung-Werdens bezeichnet, dann bedeutet der Begriff der leiblichen Auferstehung, dass Gott eschatisch das Beziehungsgewebe der gestorbenen Person im Gewebe seiner eigenen Leiblichkeit wieder aufleben lässt, soweit dieses nicht ihrer Identität widerspricht. Dazu gehört, dass die Person aktive Beziehungsmöglichkeit erhält und nicht nur mit Christus und den anderen beiden trinitarischen Personen leiblich verkehrt, sondern auch mit Personen und nichtpersonalen Entitäten, die ihre Identität im Laufe ihrer Lebensgeschichte im Hier-und-Jetzt mitgestaltet haben. Dieser Auferstehungsleib kann kein raumzeitlicher Leib sein, da der raumzeitliche Individuationsrahmen der Welt eschatisch keine Valenz hat. Vielmehr wird der Leib im Rahmen des trinitarischen Beziehungsgefüges, das Gott selbst ist, als Medium kommunikativen In-Beziehung-Werdens auferweckt. Damit partizipiert der auferstandene Mensch an Gott bzw. wird vergöttlicht. Diese Vorstellung der Auferstehung geht vor allem auf die Tradition der Ostkirche zurück. So erkannte schon Athanasius von Alexandrien (gest. 373), dass Christus Mensch wurde, damit wir vergöttlicht würden.91 Obwohl auch die lateinische Kirche diese Vorstellung kennt, spielt sie mit Ausnahmen fast nur in der neuplatonisch-mystischen Tradition eine Rolle. Als Beispiel kann hier die eschatische Hoffnung Heinrich Seuses (gest. 1366) genannt werden, gleich einem Tropfen Weines im unendlichen Ozean Gottes aufzugehen.92 Diese mystische Tradition hat freilich den Nachteil, dass sie Alterität nicht als Konstitutionsgrund des besonderen erkennt und damit Personalität reduziert. Obwohl nun gerade die Reformatoren auf die sorgfältige Unterscheidung zwischen Gott und Mensch bedacht sind, kann Luther die Lehre von der Vergöttlichung selbst aufnehmen und noch einmal spezifisch prägen, wie vor allem die finnische Lutherforschung im Gefolge93 Tuomo Mannermaas94 zeigen konnte, wenn deren Ergebnisse und Deutungen im einzelnen zu Recht umstritten bleiben dürften.95

91 Vgl. Athanasius, De incarnatione verbi, 54,3. 92 Vgl. Seuse, H./Sturlese, L./Blumrich, R., Buch der Wahrheit und Haas, A., Naturphilosophische Studien. 93 Vgl. die Beiträge in Peura, S./Raunio, A., Luther-Akademie. 94 Vgl. Mannermaa, T., Der im Glauben gegenwärtige Christus. 95 Zur Diskussion vgl. die verschiedenen Beiträge in Braaten, C.E./Jenson, R.W., Union with Christ und in Luther Digest. An Annual Abridgment of Luther Studies., Luther Digest.

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Die Eschata

Kennzeichen der Auferstehungsleiblichkeit

Alterität

Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf

visio beatifica

Vor allem die westliche Assoziation mit dem genannten mystischen Gedankengut dürfte dafür verantwortlich sein, dass die Vergöttlichung oder Theosis im Westen bis heute oft, wenn nicht in der Regel, missverstanden wird. Daher ist es sinnvoll, hier noch einmal die Kennzeichen der Auferstehungsleiblichkeit im Rahmen des trinitarischen Beziehungsgefüges festzuhalten: – Die Alterität (Andersheit) der Personen bleibt erhalten, es kommt nicht zu Verschmelzungsvorgängen von Personen, wenn diese auch ineinander übergehen, weil sie Knoten im Gewebe sind. – Auch die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch bzw. Schöpfer und Geschöpf geht nicht verloren. So definierte schon Anastasius vom Sinai (gest. um 700), dass die Vergöttlichung eine Erhebung zu einem höheren Zustand sei, nicht aber eine Ausdehnung oder Transformation der Natur.96 Auch eschatisch bleibt die direkte Partizipation mit Gott als Inkorporation in das innertrinitarische Beziehungsgewebe immer eine gnadenhafte, keine natürliche: Die Schöpfung wird vollendet, indem sie gnadenhaft an Gott von Angesicht zu Angesicht partizipiert. Gnadenhaft an Gott zu partizipieren, indem der Mensch in die Lage der direkten Kommunikation mit den trinitarischen Personen, in das Schauen Gottes, versetzt wird, ist aber nur durch das Handeln des Heiligen Geistes möglich, das dauerhaft Bedingung der Partizipation bleibt. Ist aber nun der Leib Bedingung wechselseitigen Austausches und kann ein menschliches Geschöpf nur durch das Handeln des Heiligen Geistes an Gott partizipieren, wird der Auferstehungsleib ein ganz vom Handeln der Person des Heiligen Geistes bestimmter Leib, d. h. ein soma pneumatikon, ein geistlicher Leib sein. Im Westen wurde die eschatische Realität weniger mit dem Gedanken der Theosis als mit dem der visio beatifica oder visio dei beschrieben. Man knüpft hier an 2.Kor 5,7 an, wo Paulus die Differenz zwischen dem Hier-und-Jetzt und der eschatischen Realität mit der Differenz zwischen Glauben und Schauen beschreibt. Thomas von Aquin (gest. 1274) beschreibt diese visio dei in Anknüpfung an Augustin als das Schauen Gottes in seiner Wesenheit (Essenz).97 Dieser Definition schließt sich auch Melanchthon an, der hier stellvertretend für die reformatorische Position genannt sei.98 Wir sehen, dass es sich inhalt-

96 Vgl. Anastasius vom Sinai, Wegweiser, PG 89, 36. 97 Vgl. Thomas von Aquin, s.th. IIIs. q92. 98 Vgl. Melanchthon, Ph./Stupperich, R., Loci praecipui theologici von 1559 (2. Teil) und Definitiones, 927.

Die leibliche Auferstehung der Toten

341

lich dabei um kein Konkurrenzkonzept zur Vergöttlichung handelt, denn deren Kennzeichen – unmittelbare Gegenwart, Alterität und Kommunikation (hier in Gestalt eines Wahrwertnehmens, das mit visuellen Metaphern veranschaulicht wird) des Menschen in Gott – sind hier genauso gegeben. Unter der die Ansicht des Thomas übersteigenden Auffassung, dass die göttliche Essenz oder Wesenheit nichts anderes als Gottes narratives, trinitarisches Beziehungsgewebe ist, wird deutlich, dass ein direktes Gott-Schauen in seinem Wesen nur unter den Bedingungen der Vergöttlichung möglich ist. Die Metapher der visio beatifica oder visio dei ist schließlich nur sinnvoll, wenn es ein Medium gibt, mit Hilfe dessen man „schauen“ kann. „Schauen“ kann ebenso als eine Form direkten Wahrwertnehmens in Beziehung verstanden werden. Und damit führt auch die Rede von der visio beatifica notwendigerweise zum Konzept der leiblichen Auferstehung. Deutlich ist nun auch, warum die Rede von der Auferstehung des Medium der Parusie Leibes ein Verwirklichungsmittel zur Parusie ist: Denn wenn die Parusie die unmittelbare Gegenwart Christi als eine der drei göttlichen Personen meint und wenn Leiblichkeit nichts anderes als das Medium kommunikativen In-Beziehung-Werdens ist, dann ist die Auferstehung der Leiber der Toten notwendige Bedingung zum Erleben der Parusie. Anders als im Rahmen der Vorstellung der Unsterblichkeit der Seele ist im Rahmen des Gedankens der Auferstehung des Leibes per se Sozialität, Alterität und partielle Beziehungshaftigkeit auch zur nichtpersonalen Mitschöpfung mitgedacht. Die Fragen, wann und wo die Toten auferstehen, ob die Materie Marginale Probleme integriert sein wird, welches Alter oder welches Gewicht man besitzen wird, sind hingegen von keiner Relevanz für den Gedanken der Auferstehung des Leibes, da diese Sachverhalte mit Leiblichkeit höchstens indirekt in Beziehung stehen. Es handelt sich um Fragen, die überhaupt nur gestellt werden, weil sie Leiblichkeit mit deren raumzeitlichen Realisation in der geschaffenen primären Narrativität verwechseln. Leiblichkeit aber mit Materialität zu verwechseln anstelle als Medialität des kommunikativen Liebeswerdens zu verstehen, gliche einem Menschen, der nur ein Auto mit Verbrennungsmotor für ein Auto hielte, nicht aber Elektrofahrzeuge. Dennoch dürfen die entsprechenden Spekulationen der Theologiegeschichte, die sich nicht auf die Leiblichkeit an sich, sondern nur auf deren raumzeitliche Inkarnation beschränken (s.o.), nicht nur abgewertet werden. Sie erfüllen auch eine wichtige Funktion: Sie zeigen, dass die eschatische Auferstehungsleiblichkeit auch nicht einfach als Verdoppelung der Welt im Hier-und-Jetzt verstanden werden darf. Der Gedanke der leiblichen Auferstehung sichert zwar das Kontinuitätsmoment zwischen Hier-und-Jetzt und der eschatischen Realität, aber er er-

342

Die Eschata

möglicht nicht den Gedanken der nötigen Transformationen und der nötigen Diskontinuität. Der Gedanke der Diskontinuität wird vielmehr in der Tradition durch den Gedanken des Endgerichts und seiner Ausgänge exemplifiziert. Daher haben wir uns nun dem Gerichtsgedanken zuzuwenden. Zuvor sollen aber noch einige Hinweise zur ethischen Bedeutung der Auferstehungsleiblichkeit gegeben werden. 5.2.5

§83 Die ethische Bedeutung der Auferstehungsleiblichkeit

Ablehnung des Leibes als Privatsache

Ethische Implikationen

§83 Die Rede von der leiblichen Auferstehung hat keine direkten Implikationen für die Ethik, sondern dient als Regulativ der materialen Ethik überall dort, wo Leiblichkeit und Körperlichkeit eine Rolle spielen, indem durch die eschatische Valenz des Leibes Leiblichkeit positiv gewertet wird, eine rein private Verfügungsgewalt über den Leib aufgrund dessen Charakter als Kommunikationsmedium abzulehnen ist und gleichzeitig eine Überbewertung menschlicher Leiblichkeit durch den Gedanken der Medialität des Auferstehungsleibes für die Parusie relativiert wird. Die Rede von der leiblichen Auferstehung der Toten bildet im Christentum zwar einen Gegenstand der Hoffnung, aber keinen direkten, sondern nur einen indirekten Gegenstand, insofern die eschatische Parusie als unmittelbare Gegenwart Christi für die Glaubenden den Leib als kommunikatives Medium des Personseins voraussetzt. Aufgrund dieses abgeleiteten und medialen Charakters wird man auch erwarten können, dass ethische Implikationen des Auferstehungsgedankens weniger stark ausgeprägt sind als bei anderen Lehrstücken der Eschatologie. Man wird hier noch einmal darauf hinweisen müssen, dass es bei der Auferstehungshoffnung nicht einfach um eine Form der Hoffnung der Fortdauer um personale Existenz im Gegensatz zu einem Ende der Person geht. Freilich gibt es ethische Implikationen die von der spezifisch christlichen Hoffnung dieser Vorstellung ausgehen, aber hier spielen Parusie, Gericht und Reich Gottes weit wichtigere Rollen. Bei der Auferstehung bleibt letztlich nur darauf hinzuweisen, dass mit der eschatischen Relevanz von Leiblichkeit auch die Leiblichkeit im Hier-und-Jetzt, so sehr sie sich auch von der eschatischen Leiblichkeit unterscheiden mag, aufgewertet ist. Das Christentum ist damit gerade keine leibfeindliche Religion. Geschichtlich mag es teilweise leibfeindlich gewesen sein. Allerdings handelte es sich dann stets um Verfallsformen. Es verbietet vielmehr sowohl

Das Gericht und seine Ausgänge

343

einen libertinistischen als auch einen streng asketischen Umgang mit dem eigenen Leib. Da es den Leib als Medium menschlicher Beziehungshaftigkeit versteht, die für das personale kreatürliche Werden konstitutiv ist, wird es auch jeden Umgang mit dem je eigenen Leib nicht als Privatsache einer einzelnen Person verstehen. Da der Leib zwar eschatischen, aber dennoch nur medialen Charakter hat, stellt er auch kein selbstständiges höchstes Gut dar. Dies alles hat selbstverständlich Einfluss auf alle Bereiche des Handelns, die mit dem Leib zu tun haben: Mit dem Umgang des Leibes im Gesundheitswesen, im Sport, mit Sexualität und mit technischen Erweiterungen des Leibes, wie sie durch die Digitalisierung forciert werden, und vielem mehr. In all diesen Bereichen spielen allerdings auch andere theologische Aspekte eine bedeutende Rolle. Die Bedeutung der Auferstehung beschränkt sich vielmehr auf den Gedanken der eschatischen Valenz des Leibes. Aus diesem Grunde sei hier auch auf Explikationen dieser ethischen Applikation verzichtet, die im zur Verfügung stehenden Rahmen notwendigerweise den materialethischen Themenbereichen nicht gerecht werden könnte. Daher wird man sich hier auf die regulatorische Funktion der Auferstehungsleiblichkeit für die materiale Ethik im Hier-und-Jetzt beschränken müssen.

5.3

Das Gericht und seine Ausgänge

Die Lehre vom Endgericht und seinen Ausgängen hat, wie auch die Das Gericht hat den Lehre von der Auferstehung, keine unmittelbare eschatische Relevanz, medialen Charakter der Diskontinuität sondern eine mittelbare: Wie auch die Auferstehung der Toten ist sie ein Mittel, das eschatische Ziel der Vollendung des Reiches Gottes erreichen zu können. Während es bei der Auferstehungsthematik aber im Kern um die Kontinuität der Wirklichkeit im Hier-und-Jetzt zur eschatischen Realität geht, geht es bei der Vorstellung des Gerichts um das Element der Diskontinuität zwischen der unvollendeten Schöpfung im Hier-und-Jetzt und der eschatischen Realität. Es geht um die Frage, welche Transformationen der leiblichen Realität auf welche Weise erreicht werden müssen, um von einer eschatischen Vollendung des Reiches Gottes sprechen zu können. Wir werden uns dieser Frage nun annehmen, indem wir zunächst die biblischen Grundlagen der Gerichtsvorstellung referieren und die besondere theologiegeschichtliche Problematik der Gerichtsvorstellung erwähnen (5.3.1). Anschließend sollen verschiedene Problemkomplexe der Gerichtsthematik diskutiert werden, indem zunächst die möglichen

344

Die Eschata

Gerichtsausgänge thematisiert werden und anschließend der Prozess des Gerichts selbst Gegenstand wird (5.3.2 und 5.3.3).

§84 Das breite Spektrum biblischer Gerichtsvorstellungen

Der Tun-ErgehenZusammenhang des AT

5.3.1

Historisches

5.3.1.1

Biblisches

§84 Biblisch lassen sich eine Reihe von Gerichtsvorstellungen eruieren, die nicht ohne weiteres harmonieren: – Es gibt, insbesondere im Alten Testament, die Vorstellung eines das Kollektiv treffenden Gerichts. – Es gibt, insbesondere bei Johannes dem Täufer, die Vorstellung nur der individuellen Rettung aus dem Gericht. – Es gibt, insbesondere im Alten Testament, die Vorstellung eines sich im Geschichtslauf vollziehenden Gerichts. – Ein futurisches Endgericht ist in den meisten Theologien des Neuen Testaments vorhanden. Eine Ausnahme bildet die johanneische Literatur, die von einem präsentisch erfahrbaren Gericht ausgeht. – Das Kriterium des Gerichts können die Taten des Menschen, die Stellung zur Gottesherrschaft, das Gesetz, der Glaube an die Person Christi oder auch Verbindungen dieser Elemente sein. – Ein doppelter Ausgang mit ewiger Pein und ewigem Leben kann gedacht werden. – Ein doppelter Ausgang mit ewigem Leben und u.U. einer annihilatio, einer Auflösung der verworfenen Person kann gedacht werden (1.Kor 3,11–15). – Ein einfacher Ausgang zur Allversöhnung (apokatastasis panton) kann gedacht werden (Kol 1,20). – Richter ist oft der Menschensohn, in der Regel identifiziert mit der Person Christi oder diese selbst. Die alttestamentliche Rede vom Gericht und Richten Gottes ist mit dem Vorurteil belastet, dort herrsche ein Bild von Gott als (zornigem) Richter, der Lohn und Strafe distributiv austeilt. Zwar gibt es in der Tat im Alten Testament auch die Vorstellung eines Tun-ErgehenZusammenhanges – d. h. die Vorstellung, dass es Menschen gemäß ihres Handelns schon im Hier-und-Jetzt gut oder schlecht ergeht –, doch ist diese Vorstellung einerseits eine allgemeinorientalische und andererseits gerade nicht mit dem juristischen Gerichtsgedanken verknüpft, nach dem durch einen gesonderten Akt etwas zugeteilt werden

Das Gericht und seine Ausgänge

müsste, sondern beruht eher auf dem Kausalitätsprinzip.99 Die Vorstellung, im Alten Testament herrsche vor allem ein Gott als Wächter oder Richter über die iustitia distributiva, d. h. über die Gerechtigkeit, die ein Ausgleich gemäß der Taten bewirkt, wird wahrscheinlich eher durch die griechische und vor allem lateinische Bibelübersetzung in Verbindung mit verschiedenen Darstellungen der bildenden Kunst hervorgerufen.100 Die Gerichtsvorstellungen des Alten Testaments sind tatsächlich viel umfassender. Jahwes richtendes Handeln kann auch als sein rettendes Handeln verstanden werden, da schaphath im hebräischen sowohl „richten“ als auch „retten“ bedeuten kann. Dabei ist vor allem darauf hinzuweisen, dass Jahwe nicht nur rettet, nachdem er gerichtet hat, oder rettet, anstatt zu richten, sondern dass vor allem in den Psalmen die Vorstellung erscheint, dass Gott richtet, indem er rettet – und umgekehrt.101 Insbesondere in der prophetischen Literatur erscheint die Vorstellung, dass Jahwe durch sein innergeschichtliches Handeln richtet und dabei auch feindliche Völker und deren Führer als Werkzeug eines Gerichts verstehen kann, das dann kollektiv das eigene Volk trifft.102 Die Vorstellung eines Endgerichts oder eines Totengerichts, die religionsgeschichtlich in mannigfachen Kulturen bezeugt ist,103 setzt innerhalb der alttestamentlichen Literatur den Gedanken einer Auferstehung voraus und findet sich entsprechend erst in den Spätschriften des Alten Testaments und der außerkanonisch-apokalyptischen Literatur (äthHen 91,5; Dan 7,9.26f; Jes 24,21; Joel 4,14; etc.). Wichtig geworden für die christliche Tradition ist aus dem Bereich dieser Schriften u. a. Jes 66,15–24 (vgl. Mk 9,48). Hier ist vom Feuergericht die Rede und vom zweiten Tod, der kein Tod ist, sondern darin besteht, dass die Verworfenen ewig dem Feuer und dem fressenden Wurm ausgeliefert sind. Aus der Zeit des Neuen Testaments104 ist zunächst die Botschaft Johannes des Täufers von Bedeutung, die reine Gerichtsprophetie ist: Unterschiedslos alle, d. h. auch das sich auf die Herkunft Abrahams berufende Israel (Mt 3,9 parr), wird in naher Zukunft das Vernichtungsgericht treffen (Mt 3,7 parr), das sich durch Feuer vollzieht 99 100 101 102

Vgl. Koch, K., Vergeltungsdogma. Vgl. Janowski, B., Gericht Gottes II. Vgl. Janowski, B., Der barmherzige Richter. Vgl. zur sog. Gerichtsprophetie Jeremias, J., Kultprophetie und Gerichtsverkündigung. 103 Vgl. Hjelde, S., Gericht Gottes I. 104 Vgl. zum Gericht im NT insgesamt auch Brandenburger, E., Gerichtskonzeptionen.

345

„richten“ und „retten“ im AT

Andere Völker als Gerichtswerkzeuge im AT

Die Gerichtsprophetie Johannes des Täufers

346

Die Eschata

Jesuanische Gerichtsvorstellungen

Paulinische Gerichtsvorstellungen

(Mt 3,11 parr). Ein Entkommen aus diesem Gericht ist nur individuell möglich durch den Vollzug der Johannestaufe und darauffolgender rigoroser ethischer Umkehrpraxis (Lk 3,8 parr). In der Verkündigung des historischen Jesus, soweit dieser uns zugänglich ist, steht hingegen das Gericht nicht im Mittelpunkt, sondern die Königsherrschaft Gottes, die in seinem eigenen Wirken anbricht. Dieser Sachverhalt hat z.T. dazu geführt, die Bedeutung des Gerichts in der Verkündigung Jesu herunterzuspielen. Zu bedenken ist jedoch, dass die Tatsache, dass sich Jesus vom Täufer taufen ließ, eine prinzipielle Zustimmung zu dessen Verkündigung erwarten lässt. Eine sorgfältige Exegese des biblischen Materials (Lk 13,1–5; Lk 12,16–20; Lk 16,1–7) lässt dann auch erkennen, dass Jesus der Meinung ist, dass ganz Israel prinzipiell verworfen ist, wenn es nicht umkehrt. Diese Umkehr hat freilich eine andere Gestalt als bei dem Täufer, denn es geht um die Hinwendung zur Gottesherrschaft desjenigen gnädigen Gottes, der seine Sonne über Gute und Böse scheinen lässt.105 Sollten sich Texte wie Lk 17,34f und Mk 9,43–48 auf Jesus zurückführen lassen, erkennt man auch, dass Jesus mit einem doppelten Ausgang des Endgerichts rechnet, der wieder davon abhängig ist, wie man sich zur Verkündigung der Gottesherrschaft stellt, die in seiner Person anbricht.106 Jesus teilt damit mit dem Täufer die Auffassung der Verlorenheit aller Lebenden als Zeitanalyse und die Erwartung eines kommenden Gerichts. Im Unterschied zum Täufer geht er aber davon aus, dass Gott in einer Rettungsaktion diesem Gericht zuvorkommt und dass diese Rettungsaktion in seinem Wirken der Gottesherrschaft angebrochen ist. „Warum gehört der Täufer zum Alten? Weil er des Menschen Wirklichkeit von seinem Tun und dem ihm nachfolgenden Ergehen her misst und darum Israel nur durch das nahe Gericht versperrte Zukunft ansagen kann. Jesus hingegen misst die menschliche Wirklichkeit von der Gottesherrschaft her. Sie ist Nähe des gütigen Gottes, die des Menschen Elend, mit verursacht durch den Tun-Ergehen-Zusammenhang, aufheben will, und die dabei auch die Wirklichkeitsdeutung mit Hilfe des Tun-Ergehen-Zusammenhangs für veraltet und unangemessen erklärt.“107 Auch Paulus geht davon aus, dass unterschiedslos alle, Juden und Heiden, dem endzeitlichen Zornesgericht verfallen sind (Röm 1,18). Der Grund dafür liegt darin, dass beiden im Prinzip Gottes Gesetz bekannt ist (Röm 2,1–3,20), dass aber die Sünde derart stark ist (Röm 3,9), dass ein ethisches Tun des Gesetzes unmöglich ist (Gal 3,22; 105 Vgl. Becker, J., Jesus von Nazareth, 63–70. 106 Vgl. Becker, J., Jesus von Nazareth, 70–73. 107 Becker, J., Jesus von Nazareth, 99.

Das Gericht und seine Ausgänge

Röm 3,20). Dennoch gibt es die Möglichkeit der Rettung im Endgericht, da Christus für die Menschen in der Zurechtbringung am Kreuz gestorben ist (1.Thess 5,9f; Röm 3,24f, etc.). Damit gibt es für die durch den Heiligen Geist zum Glauben Gekommenen die Rettungsmöglichkeit im Gericht, indem durch eine Feuerprobe getestet werden wird, ob des Menschen Werke auf festen Grund, der Christus ist, gebaut wurden oder nicht (1.Kor 3,11–15). Die Vorstellung, dass ein Endgericht erfolgt, in dem Christus als Richter und Kriterium des Gerichts auftritt, wird in der Folgezeit dann auch breit in der synoptischen Literatur entfaltet. Insbesondere in Mt 25,31–46 wird der kommende Menschensohn als Richter mit Christus identifiziert und der Glaube an die Person Christi als Kriterium des Gerichts kunstvoll mit der Bewertung der ethischen Werke des Menschen verbunden, wobei der doppelte Ausgang des Gerichts in ewiger Pein und ewigem Leben besteht.108 In der johanneischen Literatur hingegen findet sich in den meisten Schichten eine völlig andere Vorstellung. Hier ist die Vorstellung herrschend, dass derjenige, der im Hier-und-Jetzt bereits an Jesus als den ewigen Logos und Sohn glaubt, das ewige Leben besitzt, während der Nichtglaubende bereits gerichtet ist, so dass ein Endgericht entbehrlich ist (Joh 3,18–20; 3,36; 5,24; 12,46). Indem der Logos ins Fleisch gekommen ist, ist er Richter (Joh 9,39). Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass es im deuteropaulinischen Bereich auch die Vorstellung gibt, dass durch Christi Zurechtbringungstat am Kreuz ausnahmslos alles Geschöpfliche versöhnt ist, so dass sich ein einfacher Gerichtsausgang ausschließlich zum Heil nahe legt (Kol 1,20).109 5.3.1.2

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Synoptische Gerichtsvorstellungen

Johanneische Gerichtsvorstellungen

Hat die Allversöhnung einen biblischen Ursprung?

Die weitere Theologiegeschichte

Der divergente biblische Befund zu den unterschiedlichen Gerichts- Ist Bedrohliches vorstellungen bedurfte der theologischen Bearbeitung in der Tradi- attraktiv? tion der Geistesgeschichte. Im Unterschied zu so manch anderem durch den biblischen Befund gegebenen theologischen Problem trat aber durch diese denkerische Durchdringung weder eine Klärung noch eine Problemreduktion ein, sondern alles in allem eine Diversifizierung. Erklärt werden kann diese u.U. durch die existentielle Bedeutung des Gerichts und seiner Ausgänge für die Glaubenden. Da das Gericht und seine Ausgänge zu vielen Zeiten als bedrohlich

108 Vgl. Rosenau, H., Allversöhnung, 82–103. 109 Vgl. Rosenau, H., Allversöhnung, 56–81.

348

Die Eschata

empfunden wurde und Bedrohliches oft die Phantasie der Menschen stärker beschäftigt als nicht Bedrohliches, lässt sich diese Diversifizierung zwanglos erklären. Gegenüber dieser Diversifizierung hat die (Post-)Systematische Theologie aber nicht die Aufgabe, diese einfach nachzuzeichnen,110 sondern die Gerichtsthematik auf ihren theologischen Gehalt hin zu überprüfen und nach verschiedenen Problemkreisen zu ordnen. Wir verzichten daher auf eine chronologische Darstellung des Materials und gehen im Folgenden zu einer geordneten Darstellung über. 5.3.2

§85 Das Gericht im Lichte seiner Ausgänge

Die Vorordnung der Lehre von den Gerichtsausgängen

§85 Es ist scheinbar zweckmäßig, das Gericht zunächst von den Gerichtsausgängen her zu betrachten. Die Gerichtsausgänge sind daran zu messen, inwieweit sie eine Antwort auf die Frage der nötigen Transformation von der Wirklichkeit im Hier-und-Jetzt zur eschatischen Wirklichkeit ermöglichen. Denkbare Ausgänge im Rahmen des Christentums sind: 1. Doppelter Ausgang in Gestalt der Rettung und der Annihilation. 2. Doppelter Ausgang in Gestalt der Rettung und der ewigen Pein. 3. Einfacher Ausgang in Form einer Allversöhnung (apokatastasis panton). Im Alltag hat ein Gericht im Rahmen des Strafrechts als Ausgang einen Urteilsspruch und dessen Folgen des Strafvollzugs. Dies legt nahe, dass man zunächst den Gerichtsprozess beschreiben müsste, um sich anschließend den Folgen zuzuwenden. Für die Thematik des Jüngsten Gerichts scheint dieses Vorgehen aber unangemessen zu sein. Denn der theologische Kern der Gerichtsvorstellung besteht nicht im Bild des Gerichts selbst, sondern darin, dass das Bild des Gerichts eine Metapher für diejenigen Transformationen ist, die nötig sind, um gegenwärtige und eschatische Realität in Deckung zu bringen. Damit ist streng verstanden nur ein einfacher Ausgang des Gerichts möglich: Die Konstitution der Vollendung des Reiches Gottes als Rettung und Vollendung der Schöpfung. Die traditionell gedachten Gerichtsausgänge sind daher nicht einfach danach zu beurteilen, ob sie sich

110 Insbesondere kann es nicht Aufgabe der Systematischen Theologie sein, die möglichen negativen Ausgänge möglichst detailliert auszumalen oder diese Ausmalungen vorzustellen. Hierzu muss auf theologiehistorische Untersuchungen wie Vorgrimler, H., Geschichte der Hölle verwiesen werden.

Das Gericht und seine Ausgänge

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folgerichtig aus dem Gerichtsprozess ergeben, sondern zu allererst dahingehend zu befragen, ob und in welcher Weise sie dem nötigen Transformationsprozess dienen können. Daher ist es zweckmäßig diese Gerichtsausgänge vor der Lehre von dem Gericht als Transformationsprozess selbst zu thematisieren – nicht weil sie wichtiger wären, sondern weil damit ein Vorurteil entlarvt werden kann. Als Gerichtsausgänge sind prinzipiell mehr Möglichkeiten denkbar, als in der Theologiegeschichte eine Rolle gespielt haben: Die Möglichkeit einer vollständigen Verwerfung etwa und eines komplett negativen Urteilsspruchs spielt im Christentum als Heilsreligion naturgemäß keine Rolle, ebenso wie eine Revision des Gerichtsurteils aufgrund des letztgültigen, eben eschatischen Charakters des Gerichts nicht denkbar ist. Die Möglichkeiten, die in der Theologiegeschichte verbleiben sind damit: doppelter Ausgang in Form des ewigen Lebens und der annihilatio (Vernichtung des Verworfenen); doppelter Ausgang in Form des ewigen Lebens und der ewigen Pein, oft hierarchisch gestaffelt; sowie ein einfacher positiver Ausgang. Diese Möglichkeiten sollen nun der Reihe nach besprochen werden, um urteilen zu können, ob sich von ihnen her genauere Aussagen über das Gericht als Transformationsprozess machen lassen. 5.3.2.1

Doppelter Ausgang als ewiges Leben und Vernichtung

§86 Der doppelte Gerichtsausgang in Form einer Annihilation §86 Doppelter einiger personaler Geschöpfe ist aus verschiedenen Gründen abzu- Ausgang mit Annihilation lehnen. Der wichtigste Grund besteht darin, dass dies der Absicht Gottes widersprechen würde, personale Geschöpfe hervorzubringen. Ein Selbstwiderspruch ist aber ausgeschlossen, wenn Gott, der Liebe ist, sich selbst treu ist. Wenn Gott redet, sei es im Zorn oder in der Gnade, dann ist nach Luther111 eine Vernichtung ausgeschlossen. Eine theoretische Möglichkeit besteht darin, sich das Gericht so zu denken, dass es über geschöpfliche Personen stattfindet und dergestalt zu einem doppelten Ausgang führt, dass einige Personen gerettet werden und das ewige Leben erhalten, andere aber vernichtet und in das Nichts überführt werden. Diese Vorstellung einer Annihilation dessen und derer, die nicht mit der eschatischen Realität kompatibel 111 Vgl. Luther, M., WA 43, 481,32f.

350

Die Eschata

sind, ist in der Geschichte des Christentums eher selten. Denkmöglich auf Basis des biblischen Befundes ist diese Option immerhin, da die Vorstellung des Gerichtsfeuers in 1.Kor 3,11–15 entsprechend verstanden werden könnte, dass einige Personen hier ganz vernichtet würden. 2.Makk 7,14, ein frühes Zeugnis des Gedankens der Auferstehung der Toten, setzt voraus, dass nur die Gerechten auferstehen, nicht aber die Ungerechten und ist damit ein indirektes Zeugnis der Annihilationsthese. Vielleicht lässt sich auch die johanneisch präsentische Gerichtsvorstellung entsprechend auslegen. In der Theologiegeschichte wurde der Annihilationsgedanke dann aber eher von den von der Kirche als Häretiker betrachteten Strömungen vertreten, vor allem im Sozinianismus und z.T. in der von ihm beeinflussten Aufklärungstheologie.112 Eine ganz seltene Ausnahme innerhalb des protestantischen Mainstreams bildet im 20. Jh. die Vorstellung des Lutheraners Carl Stange (gest. 1959), der davon ausgeht, dass im Todesfalle denjenigen, die nicht in Christus bleiben, nichts Todüberdauerndes bleibt.113 Die Gerechtfertigten „erhalten am jüngsten Tage die Bestätigung dafür, dass sie das Leben gewählt haben, während die Gottlosen dem Tode verfallen sind.“114 Variationen der Systematisch ist diese Annihilationsvorstellung in Form mehrerer Annihilations- Variationen denkbar:115 vorstellung – Nur die Gerechten erfahren die Auferstehung, während die Ungerechten im Ganztode bleiben und auch im Gedächtnis Gottes verloren gehen. – Alle werden auferweckt, aber die Ungerechten erhalten das Urteil der Vernichtung. – Alle werden auferweckt, aber die Ungerechten erhalten nach einer Zeit der begrenzten Strafe die Vernichtung. – Die Vernichtung beruht auf einem Urteil Gottes oder die Vernichtung wird als Selbstannihilation aufgrund eigener Wahl verstanden. Vorteile des Annihilationsmodells

Die Vorteile dieses Modells,116 in welcher Variante auch immer, liegen auf der Hand: In die eschatologische Realität gehen ausnahmslos Gutes und Gute ein. Ferner kommt es nicht, wie im nächsten Modell, 112 Vgl. Janowski, J.C., Allerlösung. Annäherungen an eine entdualisierte Eschatologie, Bd. 2, 514–518. 113 Vgl. Stange, C., Das Ende aller Dinge, 158. 114 Stange, C., Das Ende aller Dinge, 193. 115 Vgl. Janowski, J.C., Allerlösung. Annäherungen an eine entdualisierte Eschatologie, Bd. 2, 523–524. 116 Zur Diskussion der Vor- und Nachteile des Modells vgl. auch Janowski, J.C., Allerlösung. Annäherungen an eine entdualisierte Eschatologie, Bd. 2, 524–532.

Das Gericht und seine Ausgänge

zu einer Verewigung des Bösen und sei es auch als des bestraften Bösen. Ferner scheint der Eigenschaft der Gerechtigkeit Gottes Genüge getan. Die Nachteile des Modells, die letztlich zu Recht zu dessen breiter Ablehnung geführt haben, sind ebenso deutlich und sie setzen gerade bei dem letzten Genannten, aber eben nur scheinbaren Vorteil an: Wenn nicht alle auferweckt werden, sondern nur die, die das Gerichtskriterium bestehen oder gar einige nach der Auferstehung wieder vernichtet werden, dann ist, wenn auch nur in negativer Form, der Mensch für sein Heil mitverantwortlich und ein dem Rechtfertigungsglauben widersprechender Semipelagianismus wäre gelehrt. Dann aber würde auch das Zurechtbringungswerk Christi und des Geistes anders verstanden werden müssen und letztlich wäre das Gottesverständnis tangiert: Die eschatische Realität wäre zwar gut, aber nicht allein hinsichtlich ihres Heilscharakters von Gott abhängig, was wir im Kapitel über das Eschaton (s.o. Kap. 3.3) als ein wichtiges Kriterium erkannt hatten. Dem könnte man nur dann entkommen, wenn man eine vorgängige doppelte Prädestination zum Heil und zum Unheil durch Gott lehren würde. Diese Konzeption hätte aber ihre eigene Problematik, der wir uns weiter unten noch zuwenden werden. In beiden Fällen, sei es, dass die Vernichtung letztlich auf Mitwirken der personalen Geschöpfe beruhen würde oder sei es, dass sie auf einer Verwerfung vor der Schöpfung beruhen würde, wäre aber Gottes Schöpfungsintention in Frage gestellt: Aufgrund von Gottes potentia absoluta, seiner absoluten Allmacht alles zu tun, was er will, wäre dies zwar eine Denkmöglichkeit, aber eine, die einen hohen Preis fordert: Gott wäre sich selbst und seinen eigenen Entscheidungen nicht treu. Unter der Prämisse, dass Gott Liebe ist, ist aber die Treue Gottes zu sich selbst und damit die Wahrhaftigkeit Gottes ein Prinzip seines Werdens selbst, so dass die Annihilation personaler Geschöpfe einen Widerspruch seines Werdens und damit einer Annihilation Gottes selbst gleich käme. Dieser Konsequenz könnte man zwar entkommen, aber nur um den Preis, dass weder Gerechtigkeit noch Liebe, sondern die Willkür Gottes höchstes Prädikat wäre. Dies aber wäre mit allem inkompatibel, was sich aufgrund der trinitarischen Selbsterschließung Gottes sagen ließe, so dass der christliche Rahmen verlassen wäre. Alles in allem kann daher nur der Schluss gezogen werden, dass die Annihilation der personalen Geschöpfe, gleich in welcher Form, kein vertretbarer Gerichtsausgang ist.

351

Nachteile des Annihilationsmodells

Was bedeutet die Annihilationsvorstellung für die Treue Gottes?

352

Die Eschata

5.3.2.2

Doppelter, hierarchisch gestaffelter Ausgang als ewiges Leben und ewige Strafe und doppelte Prädestination

§87 Doppelter Ausgang mit ewiger Strafe

§87 Ein doppelter Gerichtsausgang in Form des ewigen Lebens für die Einen und der ewigen Pein für die Anderen ist mit verschiedenen Problemen konfrontiert: Nimmt man eine Selbstverwerfung der Verworfenen an, gesteht man des Menschen Willen eschatische Heilsrelevanz zu und lehrt einen unter reformatorischen Prämissen abzulehnenden Heilssynergismus. Geht man von einer protologischen doppelten Prädestination aus, wird Gott für den doppelten Ausgang verantwortlich gemacht und dessen Güte kompromittiert. In allen Fällen entsteht durch den doppelten Ausgang dieser Form eine Verewigung des Bösen und damit ein eschatischer Dualismus. Soll die eschatische Realität aber gut und nichts als gut sein, ist auch diese Form des Ausgangs nicht anzunehmen.

Die Vorstellung der „ewigen Pein“ in der Theologiegeschichte

Das Christentum hat in seiner Geschichte meist an einem doppelten Ausgang des Gerichts festgehalten, dergestalt, dass es für die einen ein ewiges Leben und für die anderen eine ewige Pein gibt. Diese Lehre wurde breit ausgestaltet. Von Augustin (gest. 430), der die wesentlichen Grundlagen lieferte, über Gregor den Großen (gest. 604), der eher für die phantasievolle Ausmalung des doppelten Ausgangs sorgte, bis hin zu Thomas von Aquin (gest. 1274), der eine zusammenfassende Systematisierung bot, zieht sich das Thema des doppelten Ausgangs. Aber auch zur Reformationszeit wird der doppelte Ausgang nicht angegriffen. Durch die Umbrüche der Aufklärungszeit und die Suche nach einer angemessenen Hermeneutik biblischer Texte treten die Schilderungen des doppelten Ausganges in der Neuzeit allmählich in ihrer Plastizität zurück, ohne dass freilich das grundlegende theologische Problem immer gelöst wäre. Im Einzelnen kann man sagen, dass spätestens seit Augustin die Meinung herrscht, dass diejenigen, die im Gericht das endgültig negative Urteil erfahren, dem zweiten Tod ausgesetzt werden, der aber keine Annihilation darstellt, sondern eine ewige Pein durch körperliches Feuer und durch die Gewissensbisse des Wurmes. Die Höllenstrafen können dabei abgestuft gedacht werden, woraus sich ein Stufenmodell der Hölle ergibt parallel zur Lehre von den Zwischenzuständen (s.o. Kap. 5.2.3). Zu unterscheiden sind diejenigen, die vollständig verloren sind und für die auch nicht gebetet wird, diejenigen, die zwar verloren sind, für die aber gebetet wird, wenn auch das Gebet nur die

Das Gericht und seine Ausgänge

Gewissensbisse der Lebenden beruhigt, und diejenigen, die durch das Gebet der Lebenden noch Erleichterung der Strafen erhalten können. Während Augustin noch davon ausging, dass ungetauft verstorbene Kinder die volle Strafe erhalten, wird diesen in der späteren Tradition ein neutraler Aufenthaltsort, der limbus infantium (s.o. Kap. 5.2.3) zugewiesen. Die oberen Stufen der Hölle, zu denen auch der limbus patrorum, der Aufenthaltsort der Gerechten des Alten Testaments zählt, sind schließlich seit Christi Höllenfahrt an Karsamstag leer.117 Durch die Reformation ändert sich an diesem doppelten Ausgang letztlich nur eines: Er wird enthierarchisiert, so dass die Zwischenstufen entfallen und damit der Phantasie ein Riegel vorgeschoben wird. Der prinzipielle duale Ausgang wird allerdings in den Bekenntnisschriften durch Melanchthon (gest. 1560) festgehalten und ein einfacher positiver Ausgang abgelehnt, wenn es in CA 17 heißt: „Auch wird gelehret, dass unser Herr Jesus Christus am jungsten Tag kummen wird, zu richten, und alle Toten auferwecken, den Glaubigen und Auserwählten ewigs Leben und ewige Freude geben, die gottlosen Menschen aber und die Teufel in die Helle und ewige Straf verdammen. Derhalben werden die Wiedertäufer verworfen, so lehren, dass die Teufel und verdammte Menschen nicht ewige Pein und Qual haben werden.“118

Festgehalten wird durch Melanchthon aber nicht nur der doppelte Ausgang, sondern die ewige Pein wird zwar mit knappen Worten, aber dafür mit einem kaum noch zu übertreffenden Sadismus ausgemalt, der daran zweifeln lässt, dass Melanchthon wirklich verstanden hat, worum es beim Kreuz Christi geht. So heißt es in der Apologie zur gleichen Stelle: „[…] wir bekennen, dass […] die Ungläubigen wahrhaft verdammt werden, auf dass sie zusammen mit dem Teufel ohne Ende gekreuzigt werden.“119

Melanchthon baut diesen Rachegedanken sogar noch einmal aus, indem er diese ewige Folter nicht nur durch Gott, sondern auch durch die geretteten Geschöpfe mitvollziehen lässt. Denn diese sind vom

117 Zu den einzelnen Vorstellungen dieses hierarchischen doppelten Ausganges in seiner Mannigfachheit bei Augustin, Gregor und Thomas, vgl. Vorgrimler, H., Geschichte der Hölle, 117–127. 136–146. 200–207. Für die volkstümliche Phantasie, wie sie vor allem durch Dantes Göttliche Komödie befördert wurde vgl. ebd., 175–190. 118 CA 17 in BSLK, 310. 119 Ap.CA 17 in BSLK, 310: „[…] confitemur […] impios vero condemnaturum esse, ut cum diabolo sine fine crucientur“ (Übersetzung und Hervorhebung vom Vf.).

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Auch in der Reformationszeit wurde die Vorstellung der ewigen Strafe vertreten

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Die Eschata

göttlichen Zorn mitgerissen und beteiligen sich an der Folter.120 Bei Calvin kommt es aufgrund dessen dualistischer Anthropologie und der Annahme der Unmöglichkeit der Untätigkeit der Seele zur Auffassung, schon die verdammten Seelen erleiden noch vor dem Gericht in Ketten gebunden die Strafen, zu denen sie verurteilt werden.121 Im Gericht wird diese Strafe verewigt. In der altprotestantischen Theologie kommt es schließlich zur Restitution einer Lehre de inferno, die mit den altkirchlichen Mitteln und traditioneller aristotelischer Philosophie breit entfaltet wird, einschließlich der Wiedereinführung der bei den Reformatoren gestrichenen Höllenstufen, Luthers Umgestaltung (s.u.) aber kaum aufnimmt.122 Selbst im 20. Jh. finden sich im protestantischen Bereich noch grausame Höllenvorstellungen. Im sog. „norwegischen Höllenstreit“ in den 1950er Jahren versprach Ole Hallesby in Radioansprachen den Ungläubigen im Moment ihres Todes die Hölle – und wirkte damit in die Gesellschaft hinein.123 Luthers Verständnis der Hölle

Melanchthon, Calvin und die altprotestantische Tradition verkennen damit leider genuine Einsichten Luthers und nehmen diese sogar zurück. Zum Verständnis der Hölle bei Luther muss dessen spezifisches, ontologisches Weltverständnis vorausgesetzt werden. Luther dreht die Reihenfolge von gegenwärtiger Aktualität und zukünftiger Potentialität um: Das gegenwärtige Geschehen ist Potentialität für seine zukünftige eschatische Aktualisierung und Bildung durch Gott.124 Sofern etwas gegenwärtig wirklich ist, ist es eine Abschattung des eschatischen Geschehens. Die Verdammung der Hölle einschließlich ihrer Endgültigkeit ist daher „real“ vor allem in der gegenwärtigen Erfahrung von Anfechtung und Verzweiflung als Erfahrung des Zornes Gottes125 und der Trennung von Gott im Gewissen.126 Während der

120 121 122 123 124

Vgl. Rasmussen, T., Art. Hölle II, 453. Vgl. Calvin, J., Institutio III 25,6. Vgl. Rasmussen, T., Art. Hölle II, 453. Vgl. Montgomery, I., Der „Hölle-Streit“. Luther, M., WA, Bd. 39I, 177, 3–5: „Quare homo huius vitae est pura materi Dei ad futurae formae suae vitam. Sicus et tota creatura, nunc subiecta vanitati, materia Deo est ad gloriosam futuram suam formam (Daher ist der Mensch dieses Lebens reine Materie, d. h. Möglichkeit Gottes zu dem Leben in seiner zukünftigen Verwirklichung. Gleichwie auch die ganze Schöpfung, die nun der Leere unterworfen ist, mögliche Materie für Gott ist zu seiner zukünftigen ruhmvollen Verwirklichung.)“. Vgl. dazu Mühling, M., Art. Geschichte/Geschichtsauffassung und Mühling, M., Art. Eschatologie. 125 Vgl. Luther, M., WA, Bd. 1, 557,33; Bd. 17II. 200–204. 126 Vgl. Luther, M., WA, Bd. 10III, 192,11–23. Dennoch spricht Luther damit gerade keiner Subjektivierung und Entfuturisierung der Eschatologie das Wort, wie es vermutet wurde von Slenczka, N., Gewissen und Gott. Der Grund besteht in

Das Gericht und seine Ausgänge

junge Luther hier nicht nur die Höllenerfahrung, sondern auch die Erfahrung des Fegefeuers grundgelegt sieht,127 wird dieses später vollständig abgelehnt (und notwendige Transformationen dem Gericht zugewiesen).128 Die Erfahrung der Hölle in Anfechtung und Verzweiflung wird vom Satan, von Luther mit dem Papsttum seit Gregor VII identifiziert, genutzt, um Menschen vom Glauben abzubringen, indem die an sich sinnvolle Höllenerfahrung der Anfechtung durch die ma. Ausmalung der Höllenstrafen, wie sie bei Gregor d. Gr. oder in der Visio Tnugdali erscheinen, vom Wesentlichen, vom Christusereignis in Kreuz und Auferstehung ablenken.129 Denn wer glaubt, von Gott ewig bestraft zu werden, misstraut Gott. Misstrauen aber ist Unglaube bzw. Aberglaube, so dass man Gott hier am fernsten ist. Das Christusereignis hingegen und das Kreuz ist Gottes Mittel zur Gestaltung der eschatischen Realität, so dass Christus zur Hölle der Hölle wird: „Aber sofort ruft Christus aus: Tod des Todes! Hölle der Hölle! Teufel des Teufels! Das bin ich! Fürchte dich nicht, mein Kind, ich habe gesiegt!“130

Die vom Glauben als fiducia abbringende und furchteinflößende Erfahrung der Hölle in der Anfechtung wird daher in Kreuz und Höllenfahrt überwunden, indem sich Christus hier der Hölle als radikaler Gottferne aussetzt, wie es kein Mensch erleben muss.131 Diese Denkfigur hebt die Wirklichkeit der zukünftigen Hölle, die als Beziehungslosigkeit zu Gott, da „wo Gottis wort nicht ist“ 132 , verstanden wird, keineswegs auf: Luther hält fest am doppelten Gerichtsausgang. Allerdings wird dieser in seiner Wirksamkeit paradox umgestaltet: Da auch die Vernunft gefallen ist und noch ihrer eschatischen Vollendung bzw. Aktualisierung und Formung bedarf, kann Luther die Hoffnung aussprechen, dass im lumen gloriae die vollendete Vernunft erkennen kann, dass das Verdammungsurteil über die Verworfenen für diese in Wirklichkeit höchste Gerechtigkeit (und daher Gnade) ist.133

127 128 129 130 131 132 133

Luthers grundlegendem Zusammenhang von gegenwärtiger Potentialität und zukünftiger Aktualität. Vgl. Luther, M., WA, Bd. 1, 558, 12–15. Vgl. Dingel, I./u. a. (Hg.), BSELK, 732–735. Vgl. Luther, M., WA, Bd. 32, 502. Luther, M., WA, Bd. 39I, 427, 6–8: „Mors mortis, infernus inferni, diabolus diaboi ergo sum, noli timere, fili mi, ego vici“. Vgl. Luther, M., WA, Bd. 23, 702,9–703,4. Vgl. Luther, M., WA, Bd. 10III, 192,21. Vgl. Luther, M., Lateinisch-Deutsche Studienausgabe, Bd. 1, 654–657.

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Die Eschata

Probleme der ewigen Strafe Ist die Seligkeit der Seligen getrübt, wenn andere Menschen verworfen werden?

Ist eine ewige Strafe für zeitlich begrenzte Vergehen gerecht?

Kann der Mensch sich selbst verwerfen?

Der doppelte Ausgang freilich ist aus vielerlei Gründen theologisch hoch problematisch, wobei sich die Tradition dieser mannigfachen Problematik aber bewusst ist und zahlreiche Antworten kennt. Das Problem, dass die im ewigen Leben Erlösten aufgrund ihrer Liebesfähigkeit mit den Verworfenen mitleiden müssten, wird unterschiedlich und für heutige Ohren auf ganz erstaunliche Weise gelöst: Bei Tertullian (gest. ca. 220) findet sich die radikalste Vorstellung, nach der es zu den Freuden des ewigen Lebens gehört, die Verworfenen ewig leiden zu sehen, indem diese ein nie endendes Töten, schrecklicher als ein menschliches Ermorden, erleiden werden.134 Die Antwort des Aquinaten fällt demgegenüber sorgfältiger aus. Mitleid mit den Verdammten ist ausgeschlossen, da sich Mitleid nach Thomas nur auf einen noch änderungsfähigen Zustand bezieht.135 Der Endgerichtsausgang bietet aber ein definitives Ende für jede menschliche Änderungsmöglichkeit, wenn er nicht der Definition des Endgerichts überhaupt widersprechen soll.136 Die Seligen werden zwar nicht an den Höllenqualen der Verdammten an sich Gefallen finden, aber insofern sie an ihnen relational die Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit und ihre eigene Befreiung sehen, werden sie sich daran erfreuen.137 Die theologische Problematik, wie ein derartiger doppelter ewiger Ausgang mit zeitlich begrenzten Sünden vereinbar sei, wird von Thomas dergestalt beantwortet, dass eine ewige Strafe nicht ungerecht ist, weil sich die Sünde nicht durch ihre zeitliche Ausübung hinsichtlich ihrer Schwere bemisst, sondern durch ihren Charakter als Verstoß gegen das Gesetz des ewigen Gottes.138 Wir müssen an dieser Stelle die Beschreibung des Problembewusstseins des doppelten Ausgangs durch seine Vertreter abbrechen und zu einigen grundsätzlichen Bewertungen der Probleme vorstoßen. Einige Probleme teilt die Theorie des doppelten Ausganges mit dem Modell der Annihilation, das auch als Variation des doppelten Ausganges begriffen werden kann.139 Wenn der doppelte Ausgang eine Strafverhängung aufgrund der Tatsache ist, dass Menschen ein bestimmtes Kriterium in ihrem Leben im Hier-und-Jetzt nicht erbracht haben – sei es das Tun der

134 135 136 137 138 139

Vgl. Daley, B., Eschatologie in der Schrift und Patristik, 113. Vgl. Thomas von Aquin, s.th., III sup., 94 a2. Vgl. Thomas von Aquin, s.th., III sup., 98 a6. Vgl. Thomas von Aquin, s.th., III sup., 94 a3. Vgl. Thomas von Aquin, s.th., III sup., 99 a1. Vgl. Rosenau, H., Allversöhnung, 9.

Das Gericht und seine Ausgänge

Gerechtigkeit, die Annahme des Glaubens oder die Annahme des Geschenkes des Heiligen Geistes – dann spricht der doppelte Ausgang dem Tun des Menschen eine soteriologische Relevanz zu, die ihm gemäß der reformatorischen Unterscheidung zwischen Handeln des Menschen und Handeln Gottes nicht zukommen kann. Die Gnade wäre nicht irresistibel und eine weit mehr als semipelagianische oder synergistische Struktur wäre angenommen. Letztlich würde der Mensch allein sich selbst sein Urteil sprechen und das Gericht wäre nur eine Verewigung dieses Urteils. Auch der reformatorischen Tradition war diese Gefahr eines soteriologischen Selbstwiderspruchs nicht ganz klar. Ein Beispiel eines solchen doppelten Ausgangs, in dem der Richterspruch Gottes letztlich nur die Festlegung des eigenen Urteils des Menschen ist, findet sich in C.S. Lewis‘ The Great Divorce von 1945, beeinflusst von einer Reihe klassischer Autoren:140 Hier wird die Hölle als freudlose, graue und regnerische Stadt geschildert, in der die Einwohner einander, wie bei Sartre,141 die Hölle sind: je näher sie in Beziehung stehen, desto schlimmer. Aber auch die Flucht in die ländlichen Außenbezirke bringt keine Besserung, wie Lewis am einsam in einem Landhaus Herrscher spielenden Napoleon illustriert. Die höchste Qual bringt das enge Zusammengepferchtsein in öffentlichen Verkehrsmitteln, die freilich auch eine Erlösungsmöglichkeit verspricht, denn Lewis nimmt den Gedanken des Refrigeriums (s.u. Exkurs 5.3.2.3.2) – von Prudentius Aurelius Clemens auf, eines periodisch wiederkehrenden Höllensabbats, an dem die Insassen der Hölle sich am Fuße des als Gebirge vorgestellten Himmels erneut für den Himmel entscheiden können. Die Pointe allerdings besteht darin, dass die Entscheidung für den Himmel in der Regel nicht fällt, sondern sich die Insassen wieder freiwillig in die Hölle zurückziehen, denn „[a]m Ende gibt es nur zwei Arten von Menschen: die, die zu Gott sagen: ‚Dein Wille geschehe‘, und die, zu denen Gott am Ende sagt: ‚dein Wille geschehe‘.“142

Lewis nimmt hier sehr geschickt die Wahrheit des Bösen als pervertierte oder ver-rückte Liebe auf, indem sowohl das Böse als Individualismus und falsche Autonomie verstanden wird, als auch den Gedanken, dass das Gerichtsurteil zur Verdammung jedenfalls in Einklang mit den irrigen Identitätsansprüchen der Verworfenen zu stehen hat. Allerdings kommt auch er über das Grundproblem der 140 Lewis, C.S., The Great Divorce. A Dream. 141 Sartre, J.-P., Geschlossene Gesellschaft, 59: „Die Hölle, das sind die anderen“. 142 Lewis, C.S., Die große Scheidung, 78.

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Die Eschata

Auffassung vom doppelten Ausgang nicht hinaus, indem es bei einem eschatischen Dualismus bleibt, der mit der soteriologischen Bedeutung von Kreuz und Auferweckung Christi wohl unvereinbar bleibt. Ebenso kommt es zu einem eschatisch-soteriologischen Semipelagianismus, indem des Menschen ver-rücktem Willen eschatische Valenz zugeschrieben wird. Was ist die Lehre von der doppelten Prädestination?

Man kann diesem soteriologischen Grundproblem freilich entkommen, indem man schon protologisch lehrt, vor Beginn der Schöpfung habe Gott in einer doppelten Prädestination auch die Verwerfung der Verworfenen bestimmt. Nun ist das Gnadenangebot durch den Tod Christi zwar biblisch universal verstanden (Joh 3,16), aber man kann die Universalität des Angebots der Gnade auch von deren Verwirklichung unterscheiden und diese nicht universal sehen. Dies geschieht beispielsweise bei Augustin, der diese Gnade für alle damit einschränken kann:

Die Prädestination bei Augustin und im Calvinismus

„Was heißt: an allen? Es heißt sowohl an denen, die er aus den Heiden, als auch an denen, die er aus den Juden vorherbestimmt und auch berufen, gerechtfertigt und auch verherrlicht hat: Von diesen allen wird er keinen verdammen, aber nur von diesen allen.“143

Diese Denkfigur der doppelten Prädestination wird von Johannes Calvin (gest. 1564) aufgenommen und zu einer breiten Lehre entfaltet, die im 19. Jh. im schottischen Föderalcalvinismus schließlich darin gipfelt, dass auch das Gnadenangebot und damit der Tod Christi als Heilsereignis nicht universal verstanden wird. Christus stirbt nicht für die Welt, sondern für die „Kirche“, d. h. die Gemeinschaft derjenigen Glaubenden, die auch das Geschenk des Bleibens im Glauben (donum perseverantiae) haben.144 Obwohl die Dordrechter Synode 1618 die doppelte Prädestination Calvins gegen die Arminianer in einer gemäßigten Form festzuhalten versuchte, dergestalt, dass nicht der Sündenfall selbst, sondern nur die gefallene Menschheit Gegenstand der doppelten Erwählung ist, erscheint nun ein anderes Problem: Zwar ist die Gnade groß und Gott der allein soteriologisch Handelnde, aber eben auch im Negativen. Damit aber verstärkt sich ein Problem, das der Theorie des doppelten Ausgangs in jeder Form zu eigen ist: Ob man nun den doppelten Ausgang semipelagianisch unter Mitwirkung des Menschen versteht oder aufgrund einer doppelten Prädestination hervorgerufen, in beiden Fällen werden eschatisch die

143 Augustinus, A., civ., 21,25. 144 Vgl. Mühling, M., Versöhnendes Handeln, 185f. 230.

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Sünde und das Böse, wenn auch als bestraftes Böses, verewigt und ein eschatischer Dualismus angenommen. Die eschatische Realität ist damit nicht ausschließlich gut. Nimmt man aber den doppelten Ausgang aufgrund einer Prä- Protologischer destination an, wird dieses Problem protologisch und theologisch Dualismus? verstärkt: Es gibt dann nicht nur einen eschatischen Dualismus, sondern auch einen protologischen Dualismus und letztlich sogar einen theologischen Dualismus: Gott ist nicht ausschließlich gut. Da ein eschatischer Dualismus mit den Kriterien der Eschatologie, wie sie durch Gottes trinitarische Selbsterschließung gegeben sind, unvereinbar ist, muss man auch einen doppelten Ausgang des Gerichts ablehnen. 5.3.2.3

Allversöhnung

§88 Die Vorstellung einer Allversöhnung (apokatastasis panton) §88 Der einfache kann so verstanden werden, dass der Weltlauf bis zur eschatischen Ausgang der Allversöhnung Realität mindestens so lange andauert, bis sich auch alle zu Verwerfenden für Gott entscheiden oder in ihrem Todesfalle durch die Vorstellung des Refrigeriums, einem Erholungsort von den Qualen, die Möglichkeit erhalten, auch nach ihrer Verwerfung noch zu Gott zu finden. In diesem Falle ist ein Heilssynergismus des Menschen gelehrt und die Vorstellung ist abzulehnen. Die Vorstellung von der Allversöhnung kann auch mit Schleiermacher so verstanden werden, dass allein Gott der dafür Verantwortliche ist. Wie diese Möglichkeit positiv aussieht, wird allerdings nicht entfaltet. De facto würde eine solche Möglichkeit ein postmortales aber präeschatisches Handeln Gottes an einigen Menschen voraussetzen. Ein solches ist aber abzulehnen, da es den Gedanken einer Weltverdoppelung bedeuten würde, der die Geschehnisse im Hier-und-Jetzt ihrer eschatischen Relevanz berauben würde. Daher ist eine Suche nach einem dritten Weg jenseits von doppeltem Ausgang und Allversöhnung angemessen. 5.3.2.3.1

Allversöhnung bei Origenes

Als letzte zu besprechende Option von Gerichtsausgängen bleibt demnach die Möglichkeit, dass ausnahmslos alle personalen Kreaturen eschatisches Heil erfahren. Dies ist die Möglichkeit der Wiederbringung aller oder Allversöhnung (apokatastasis panton). Wie schon die vorhergehenden Ausgangsmöglichkeiten steht auch diese unter der

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Die Eschata

Alternative, dass der Mensch an diesem Ausgang mitbeteiligt ist oder es sich um Gottes alleinige eschatisch-soterische Tat handelt. Obwohl die Allversöhnung mehrfach von der Kirche als häretisch abgelehnt wurde, so z. B. auch in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche (CA 17, s.o.), wurde sie doch immer wieder, auch von hervorragenden Kirchenlehrern gedacht. Allversöhnung bei Maßgebend für ein Verständnis der Allversöhnung, das gleichsam Origenes als die menschliche soteriologische Freiheit wahren will, ist Origenes’ Kooperation (gest. 254) Ansatz, soweit er rekonstruiert werden kann, zu dem auch einige Kirchenväter der Ostkirche tendierten. Das Ziel, das Origenes erreichen will, lautet in seinen eigenen Worten: „Jedenfalls glauben wir, dass Gottes Güte (bonitas dei) durch seinen Christus (per Christum suum) die ganze Schöpfung (universam creaturam) zu einem einzigen Ende (in unum finem) führen wird (revocet), in dem auch die Feinde unterworfen werden (subactis ac subditis etiam inimicis), [… und zwar zum] Heil der Unterworfenen (salutem subiectorum)“.145 [Dabei sollen die Geschöpfe] nicht gegen ihren Willen (non contra arbitrii libertatem) mit Gewalt zu etwas anderem gezwungen werden als wozu ihre geistige Bewegung hindrängt.“146 Gnade Gottes und geschöpfliche Freiheit

Kann es nach der Allversöhnung zum erneuten Fall kommen?

Die beiden Prinzipien, die diese Allversöhnung bewirken sollen, sind damit die Güte oder Gnade Gottes und der geschöpfliche Wille. Güte und Gnade Gottes beinhalten auch dessen Gerechtigkeit, der geschöpfliche Wille bedeutet Entscheidungsfreiheit nicht nur zum Guten oder Bösen, sondern sogar zur Selbstkonstitution der geistigen Geschöpfe als Menschen, Engel oder Dämonen. Dies schließt ein, dass es keine eigentliche Erbsündenlehre mit einer Notwendigkeit zur Sünde gibt. Das, was überwunden werden soll, ist das Böse, das der Mittelplatoniker Origenes real versteht und nicht – wie in der neuplatonischen Tradition – als Mangel an Gutem. Nimmt man nun einen mehrere Äonen, letztlich auch unendlich dauernden Weltlauf an, dann folgt mit stochastischer Notwendigkeit, dass es einmal eine Zeit geben wird, in der alle geistigen Geschöpfe mit einer positiven Willensausrichtung auf Gott ausgerichtet sind. Dies ist dann der Moment der Allversöhnung. Nun geht Origenes aber davon aus, dass auch in diesem Moment die Willensfreiheit der Geschöpfe erhalten bleibt. Dies bedeutet aber, dass es mit der gleichen Logik der stochastischen Notwendigkeit in einem unendlich gedachten Geschichtslauf auch wieder zu einem neuen Fall kommen muss. Origenes will zwar nur diese Möglichkeit, 145 Origenes, De Principiis, I 6,1, (215 u. 217) zit. n. Rosenau, H., Allversöhnung, 117f. 146 Origenes, De Principiis, II 1,2, (287) zit. n. Rosenau, H., Allversöhnung, 118f.

Das Gericht und seine Ausgänge

nicht aber auch die Faktizität dieses erneuten Falles, annehmen, doch kann diese Einschränkung nur als pure Setzung verstanden werden. Wenn daher die kirchliche Tradition Origenes mit dem Hinweis abgelehnt hat, er lehre faktisch eine ewige Wiederkehr des Gleichen, ist dieser Vorwurf im Prinzip berechtigt, wenn auch Origenes selbst diese Vorstellung explizit ablehnt. Die logischen Probleme sind damit aber noch nicht erledigt. Denn mit derselben wahrscheinlichkeitstheoretischen Logik, mit der die Allversöhnung aufgrund der Willensfreiheit eintritt, tritt auch mit Notwendigkeit im Weltlauf ein Zustand ein, in dem alle sich von Gott abwenden oder einige sich zuwenden, andere sich abwenden. Die Tatsache, dass hier der Geschichtslauf nicht abbricht und es zu einer eschatischen Realität der absoluten Verwerfung aller oder des doppelten Ausgangs kommt, ist argumentationslogisch pure Willkür.147 Nun fällt aber auf, dass der Kern des Arguments, wie er hier rekonstruiert wurde, vollständig auf christliche Vorstellungen verzichtet. An zwei Stellen baut Origenes allerdings noch christliches Gedankengut ein. Dies sind die Vorstellungen der Erlösung durch Christus und die Vorstellung des Gerichts. Die Zurechtbringungstat Christi wird von Origenes so verstanden, dass Christus als Arzt oder Lehrer die Geschöpfe zur guten Willensrichtung befähigt.148 Dies ist aber keine hinreichende, sondern höchstens eine notwendige Bedingung zum Heil, wobei Rosenau aber auch dies bestreitet.149 Anders sieht es allerdings mit dem Gericht aus. Das Gericht hat zwar keine eschatische, sondern nur eine präeschatische Relevanz, aber ihm kommt gewissermaßen die Rolle eines Katalysators zu, der den Prozess der Willensausrichtung der Geschöpfe auf Gott zumindest beschleunigt. So gilt nach Rosenau: „Im Gericht kommt es nach Origenes zu einer ‚Vertilgung und Auslöschung aller Sünder und Unwürdigen (ablatis atque extinctis peccatoribus et indignis)‘“.150 Dies ist aber keine Vernichtung der mit einer bösen Willensrichtung begabten Geschöpfe, „sondern gleichsam eine reversio […]. Vernichtung ist hier ‚so zu verstehen, dass nicht seine von Gott geschaffene Substanz vergeht, sondern seine feindliche Willensrichtung, die nicht von Gott, sondern von ihm selbst stammt. Er wird also vernichtet, nicht um (künftig) nicht zu sein, sondern um (künftig) nicht (mehr) Feind […] zu sein‘ […]. Demnach kann das je und je von Vernunftgeschöpfen

147 Vgl. zur Rekonstruktion die bei Rosenau, H., Allversöhnung, 113–150 angegebenen Stellen. 148 Vgl. Rosenau, H., Allversöhnung, 139–143. 149 Vgl. Rosenau, H., Allversöhnung, 142. 150 Rosenau, H., Allversöhnung, 130.

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Besteht die Möglichkeit, dass alle Kreaturen von Gott abgewandt sind?

Christus ist Lehrer der Geschöpfe

Das Gericht als Katalysator

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Die Eschata gewollte und als solches verwirklichte Böse gleichsam vom Willensträger gelöst und geschieden (krinein = scheiden) werden. […] Wenn Gott ein verzehrendes Feuer genannt wird, so hat dieses Gerichtsfeuer nicht uns, sondern ‚die Bosheit unserer Taten‘ zum Brennstoff. Sie sind gleichsam das Heu, Holz und Stroh. So bewirkt das Strafgericht eine katharsis.“151

Wirken die Geschöpfe bei ihrem Heil mit?

Stimmt diese Rekonstruktion des origenistischen Denkens, dann wird man allerdings der Deutung Rosenaus nicht einfach zustimmen können, dass der doppelte Ausgang oder die totale Verwerfung genauso möglich sind wie die Allversöhnung.152 Vielmehr ist das Gericht Ausdruck des Gnadenhandelns des guten Gottes. Ohne das Element des Gerichts wäre der eschatische Ausgang gar nicht vorhanden und es würde sich bei Origenes’ Vorstellung auch nicht um eine Kooperation von göttlicher Gnade und menschlichem Willen handeln, sondern ausschließlich um eine Leistung des menschlichen Willens. Ohne das Gericht wären die personalen Geschöpfe soteriologisch hinreichend und autark, mit dem Gedanken des Gerichts ist Origenes’ Position zumindest als heilssynergistisch zu werten. Allerdings gilt dann, dass das gleiche Kriterium, das wir auch an die beiden anderen Ausgangsmöglichkeiten angelegt hatten, auch hier angelegt werden muss: Aus reformatorischer Sicht gilt, dass die durch die Rechtfertigungslehre gewonnene Unterscheidung zwischen Handeln Gottes und Handeln des Menschen verletzt ist mit allen genannten Folgen für das Verständnis der Zurechtbringungstat Christi und des Gottesverständnisses, so dass Origenes’ Ansatz nicht übernommen werden kann. 5.3.2.3.2

Was ist das Refrigerium?

Exkurs: Das Refrigerium

Eine ähnliche Vorstellung der Mitwirkung des Menschen findet sich auch in der altkirchlichen Vorstellung der Refrigeriums, die sich mit der Vorstellung des Höllensabbats, die bereits rabbinischer Tradition entstammt, verbindet. Bei Tertullian (gest. ca. 220), der diesen Terminus zuerst benutzt haben dürfte, ist damit noch der Schoß Abrahams, d. h. der limbus patrorum (s.o.) als Ort zwischen Himmel und Hölle gemeint.153 Prudentius Aurelius Clemens (gest. ca. 413) formt die Vorstellung zu einem Erfrischungs- oder Abkühlungsort um. Die Insassen der Hölle können gänzlich dorthin gelangen oder dort in regelmäßigen Abständen einen Urlaub von ihren Qualen in Anspruch nehmen.154 Bei C.S. Lewis im 20. Jh. wird diese Vorstellung litera151 152 153 154

Rosenau, H., Allversöhnung, 131f. Vgl. Rosenau, H., Allversöhnung, 146. Vgl. Finé, H., Jenseitsvorstellungen bei Tertullian. Vgl. Stuiber, A., Refrigerium interim; Labriolle, P.d., Refrigerium; Parrot, A., Refrigerium.

Das Gericht und seine Ausgänge

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risch aufgenommen und so verstanden, dass jenes Refrigerium als Zwischenzustand den Insassen der Hölle die periodisch immer wiederkehrende Möglichkeit zur eigenen Entscheidung zum Himmel bietet.155 Damit nähert sich Lewis der Auffassung des Origenes von der ewigen Koexistenz menschlicher mit göttlicher Freiheit. Allerdings liegt bei Lewis gerade nicht die apokatastasis panton, sondern der doppelte Ausgang als Pointe vor, weil die Verworfenen insofern Selbstverworfene sind, als sie in Ewigkeit sich auch im Refrigerium nicht zur Rettung entscheiden, weil sie an ihrem eigenen, falschen Willen festhalten und daher den guten Willen Gottes für Sie für bedrohlicher als die selbstgewählte Hölle halten. Da aber weder die Allversöhnung noch der doppelte Ausgang an sich die logische Folge dieser Konzeption sind, wäre es sinnvoller, diese mit einem ewig andauernden Gerichtsprozess modellhaft zu erfassen. 5.3.2.3.3

Allversöhnung bei Schleiermacher

Nun kann aber Allversöhnung auch ohne menschliche Mitwirkung verstanden werden. Ansätze dazu finden sich in der Theologie Schleiermachers (gest. 1834), die in der Gegenwart von Rosenau fortgeführt werden. Nach Schleiermacher ist der Mensch schlechthin abhängig von Gott, so dass dem Menschen schlechthinnige Passivität, Gott aber schlechthinnige Aktivität zukommt, was nichts anderes als eine Beschreibung der Allmacht Gottes ist. Wie immer man auch zu diesem Ausgangspunkt stehen mag, er hat den Vorteil, heilssynergistischsemipelagianische Tendenzen von vornherein größtenteils auszuschließen. Damit stellt sich nur noch die Alternative einer doppelten Prädestination oder einer Allversöhnung. Eine doppelte Prädestination würde aber der Einfachheit Gottes widersprechen, weil Gott nicht in sich widersprechende Eigenschaften aufgeteilt gedacht werden kann. Ein doppelter Gerichtsausgang käme dann einem dualistischen Wirklichkeitsverständnis gleich. Eine doppelte Prädestination oder ein doppelter Ausgang würden aber auch der organischen Einheit aller Menschen widersprechen. Denn Erlösung besteht darin, dass durch den Gemeingeist der Kirche den Menschen die stete Kräftigkeit des Gottesbewusstseins erschlossen wird. Bildet die Menschheit aber ein organisches Ganzes, ist es ausgeschlossen, dass eschatisch einige erlöst sind, andere aber nicht. Denn das „Mitgefühl mit denjenigen, die von der Seligkeit definitiv ausgeschlossen wären, würde die Seligkeit der Seligen trüben, ja letztlich durch die Trübung aufhe-

155 Vgl. Lewis, C.S., Die große Scheidung, 71f.

Allversöhnung bei Schleiermacher als Ergebnis einer reductio ad absurdum

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Die Eschata

ben.“156 Damit bleibt aber als Ausgang nur die Allversöhnung übrig, die Schleiermacher selbst so beschreibt: „Wenn wir uns aber den Gegensatz zwischen dem Reiche Gottes und der Welt auf jedem Punkt als vorübergehend denken, so dass jeder der jetzt ausserhalb der Kirche ist, einmal innerhalb derselben sein wird: so ist dieser Zwiespalt zwischen beiden Elementen des Selbstbewusstseins sogleich gehoben.“157

In der Gegenwart schließt sich Rosenau dieser Argumentation Schleiermachers an und präzisiert sie durch modallogische Überlegungen und Überlegungen zum Verhältnis von actio dei und actio hominum, was hier nicht weiter dargestellt zu werden braucht.158 Ist die These des Wie ist nun Schleiermachers Konzeption zu bewerten? Die These, „doppelten Ausgangs“ die ich hier vertreten möchte, ist, dass Schleiermachers Argumenirreligiös? tation richtig ist und dennoch nicht als anschlussfähige Theorie zu einer Allversöhnung übernommen werden kann, weil sie gar keine soteriologische Theorie zu einer eschatischen Allversöhnung ist, sondern nur eine Metatheorie über andere materiale Theorien eines eschatischen Gerichtsausganges, konkret: des doppelten Ausganges. Denn Schleiermacher beschreibt letztlich nicht, wie oder auf welche Weise diese Allversöhnung erreicht werden könnte. Er weist „nur“ scharfsinnig auf, dass die Thesen der Annihilation und des doppelten Ausganges christlich nicht vertretbar, ja geradezu irreligiös sind.159 Wir selbst haben uns bei der Kritik dieser Ausgangsmöglichkeiten im Wesentlichen Schleiermachers Argumentationen bedient. Aber folgt daraus schon, dass eine Allversöhnung anzunehmen ist? Die Argumentationen Schleiermachers und Rosenaus bedienen sich des Prinzips des ausgeschlossenen Dritten und bilden argumentationslogisch eine reductio ad absurdum, indem die Möglichkeit des doppelten Ausganges negiert wird, so dass nur die des einfachen positiven Ausganges übrig bleibt, unter der Prämisse, dass doppelter Ausgang und Allversöhnung eine vollständige Disjunktion bilden. Aber selbst wenn diese Prämisse stichhaltig wäre, verliert sie nicht ihren Status als Metatheorie. Man kann also auf zwei Weisen nach weiteren Möglichkeiten fragen: – Gibt es bei Schleiermacher auch Hinweise, die material erklären, auf welche Weise eine Allversöhnung möglich ist?

156 157 158 159

Rosenau, H., Allversöhnung, 183f. Schleiermacher, F., Glaubenslehre, Bd. 2, 169. Vgl. Rosenau, H., Allversöhnung, 402–427. Vgl. Rosenau, H., Allversöhnung, 189.

Das Gericht und seine Ausgänge

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– Handelt es sich bei der Alternative von doppeltem Ausgang und Allversöhnung tatsächlich um eine vollständige Disjunktion, so dass andere Möglichkeiten ausgeschlossen sind? Eine positive Beantwortung der ersten Frage würde die Allversöhnungsthese stützen. Faktisch steht dem allerdings die Beobachtung entgegen, dass es Menschen gibt, die bis zu ihrem Tode tatsächlich nicht erlöst sind beziehungsweise nicht zum Glauben gekommen sind. Rosenau weist darauf hin, dass für Schleiermacher die menschliche Entwicklung auch nach dem Tode der Person noch nicht an ihr Ende gekommen ist.160 Dies wäre zumindest eine notwendige Bedingung einer solchen anschlussfähigen Theorie. Dieser Gedanke würde dann Ähnlichkeit mit dem Gedanken Erskines of Linlathen (gest. 1870) besitzen, nach dem der Tod kein eschatischer Sachverhalt ist und ein postmortales aber präeschatisches Leben von Personen angenommen werden müsste. Wir hatten diese Möglichkeit im letzten Kapitel im Abschnitt über die Zwischenzustände (s.o. Kap. 5.2.3) bereits besprochen, mussten sie aber letztlich verwerfen, so dass uns auch hier keine positive Antwort übrig bleibt. Die zweite Frage, ob es neben doppeltem Ausgang, zu dem dann auch die Annihilationsvorstellung gezählt würde, und Allversöhnung nicht noch einen möglichen dritten Weg gäbe, wurde allerdings in der Theologiegeschichte verschiedentlich bejaht. Der Suche nach solchen Möglichkeiten haben wir uns nun in einem eigenen Abschnitt zuzuwenden. 5.3.2.4

Gibt es eine Entwicklung zum Guten nach dem Tod?

Auf der Suche nach dritten Wegen

§89 Mögliche dritte Wege zwischen doppeltem Ausgang und Allver- §89 Modelle des söhnung können in der Lehre von der Gnadenwahl bei Karl Barth „dritten Weges“ gesehen werden und im Gedanken des selektiven Gerichts über partikulare Ereignisse der Lebensgeschichte von kreatürlichen Personen. Damit ist die Vorstellung widerlegt, doppelter Ausgang und Allversöhnung würden eine strikte Alternative darstellen, jenseits derer es nichts anderes gäbe. Diese Alternative ist nur scheinbar plausibel, weil sie als Gegenstand des Gerichts geschöpfliche Personen als Individuen versteht. Barths Erwählungslehre nimmt als Gegenstand hingegen die Person Jesu Christi an, der Gedanke des

160 Vgl. Rosenau, H., Allversöhnung, 179.

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Die Eschata

selektiven Gerichts nimmt als Gegenstand Ereignisse von Lebensgeschichten von Personen an. Beide Gedanken können jedoch nicht befriedigen: Der Gedanke der Gnadenwahl in Christus ist keine Lösung des Problems, der Gedanke des selektiven Gerichts über Lebensgeschichten bleibt einem individualistischen atomistischen Personbegriff verhaftet, weil er davon ausgeht, Lebensgeschichten einzelner Personen könnten voneinander separiert werden. Positiv bleibt festzuhalten, dass mit diesen Positionen immerhin die Möglichkeit dritter Wege aufgewiesen ist. Da alle bisher angeführten Versuche, die zur eschatischen Realität nötigen Transformationen zu erörtern, gescheitert sind, dürfte sich die eingangs angenommene Prämisse, das Gericht als Transformation lasse sich am besten von der Lehre von den Gerichtsausgängen her erklären, als Schein erwiesen haben. Stattdessen ist bei dem Gedanken des Gerichts als Prozess anzusetzen. 5.3.2.4.1 Die Suche nach einem „dritten Weg“

Wie unterscheidet sich Barths Erwählungslehre von der Tradition?

Doppelte Erwählung in Christus als dritter Weg und selektives Gericht als dritter Weg?

Auf der Suche nach einem möglichen dritten Weg stößt man unweigerlich auf die Auffassung Karl Barths (gest. 1968). Freilich ist seine Position nicht einfach zu charakterisieren. Einige Wissenschaftler sprechen ihm einen solchen dritten Weg zu, andere gerade nicht. Einige halten ihn für einen Vertreter der Allversöhnungslehre, andere bestreiten dies gerade.161 Ausgangspunkt bei Barth ist die Erwählungslehre, die aber nur in der Sprachgestalt der klassischen calvinischen Form gleicht. Der ewige Erwählungsratschluss, in der reformierten Orthodoxie als decretum absolutum verstanden, hat nach Barth nämlich den großen Nachteil, dass er die Extension der Erwählung offen lässt: Unklar ist, wer erwählt ist und wer nicht. Damit ist aber die Erwählungslehre in ihrer klassischen Gestalt abstrakt. Barth stellt dieser klassischen Auffassung das decretum concretum entgegen, den konkreten Erwählungsratschluss, der sich auf die konkrete Person Jesu Christi als wahren Gott und wahren Mensch bezieht. Hier sind im Konkreten der erwählende Gott und der erwählte Mensch vereint, und zwar dergestalt, dass der Mensch in Christus erwählt ist, Gott aber für sich die

161 Einen dritten Weg diagnostiziert beispielsweise Weber, O., Die Lehre von der Erwählung und die Verkündigung, 12, während Rosenau, H., Allversöhnung, 200 genau dies leugnet und auf den Seiten 191–222 Barth die Allversöhnungslehre zuspricht. Etzelmüller, G., Zu richten die Lebendigen und die Toten, 316f. 326f hingegen spricht Barth eine Allversöhnungslehre ab.

Das Gericht und seine Ausgänge

Verwerfung wählt.162 Man kann Barths Vorstellung besser verstehen, wenn man sie mit Einsichten Luthers vergleicht: Luthers Höllenlehre (s.o.) hatte drei wichtige Einsichten verbunden: Die Ernstnahme der Höllenangst in der Erfahrung des Werdens der Gegenwart, die christologisch-soteriologische Fundierung des Erkenntnisgrundes und die im lumen naturae und im lumen gratiae noch paradoxe Auflösung der Hölle im lumen gloriae. Diese Einsichten nimmt Barth durchaus auf. Für ihn gehört die Rede von der Hölle in den Bereich des Nichtigen, von dem als Erkenntnisgrund nur von Christus her gesprochen werden kann.163 Man mag die Kohärenz der Rede Barths vom Nichtigen bezweifeln, doch verfehlt man mit einer solchen Kritik Barths Anliegen: Das Nichtige ist nicht nichts, es bleibt das von Gott Verworfene: „Verwerfung bleibt hier Verwerfung. […] Wie denn auch der dämonische Bereich […] nicht aufhört […] ein Bereich des Widerspruchs […] zu sein, der als solcher nur verworfen sein […] kann. Es ist also der Blick, den wir auf diesen Bereich zu werfen haben […]: ein Blick des Abscheus […]. Es gibt aber kein positives Verhältnis zum Teufel und zu den Dämonen. Man kann und darf sie nicht ignorieren. […] Man kann nur in der Weise um sie wissen, daß man ihnen […] den radikalsten Unglauben entgegensetzt. […] Er muß darin bestehen, daß sie […] von der christlichen Wahrheit her […] eingesehen wird, daß ein positives Verhältnis zu ihnen, daß Scheu, Respekt und Gehorsam ihnen gegenüber tatsächlich unmöglich ist.“164

Erliegt der Mensch doch dieser Pseudowirklichkeit des Nichtigen und der Lüge, droht ihm mit gleichem Ernst die Verwerfung. Keine Logik kann zu einer „Kassierung jener Drohung“165 führen und eine Allversöhnung behaupten, weil dies gerade bedeuten würde, den dämonischen Verharmlosungsbemühungen nachgegeben zu haben. Dennoch ist eine Allversöhnung auch nicht verboten, weil der Mensch im Glauben offen ist für „das höchst Unerwartete der Beseitigung jener letzten Drohung“.166 Barths Argumentation gleicht hier Luthers Argumentation mit Hilfe des lumen gloriae. Inhaltlich geht es bei Barth um das Festhalten an einer intensionalen Höllenvorstellung bei gleichzeitiger Unwissenheit um die extensionale Füllung, die man mit folgendem Bonmot veranschaulichen kann: Einerseits sei Barth überzeugt gewesen, dass es eine Hölle gäbe, wenn es auch unsicher

162 163 164 165 166

Vgl. Barth, K., KD II/2, §33, 101. Vgl. Barth, K., KD, III/3, 347. Barth, K., KD III/3, 611f. Barth, K., KD IV/III, 550. Barth, K., KD IV/III, 550.

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Die Eschata

sei, ob sich jemand darin befinde, wenn Barth auch später geträumt haben soll, dass die Hölle leider doch nicht leer sei.167 Grundlage ist aber, daran sei noch einmal erinnert, nicht primär Barths Lehre vom Nichtigen, sondern seine Erwählungslehre. Aus dem konkret in Christus zum Heil erwählten Menschen ergibt sich die Erwählung der „Vielzahl“, die zwar offen bleibt, aber nach Rosenau letztlich keinen Raum für verlorene einzelne Menschen lässt, weil in der Einheit von erwählendem Gott und erwähltem Menschen der Mensch nur zum Heil, nicht aber auch zum Unheil erwählt sei. Rosenau bemerkt dazu, dass sich die faktisch von Barth intendierte Allversöhnung nicht direkt deduktiv aus dem Gedanken der sich auf Christus beziehenden Erwählung ableiten lasse, weil dann auch die Möglichkeit des verworfenen Menschen und damit ein doppelter Ausgang folge.168 Dieser Einwand ist richtig, aber nur unter der Prämisse, dass es Barth tatsächlich um eine Allversöhnung ginge. Dies ist aber zunächst durchaus fraglich. Denn wenn man nur auf die Erwählungslehre als einzelne schaut, in der es um Christus und den Menschen an sich und erst an dritter Stelle um die offene Vielzahl geht, wird deutlich, dass hier zumindest insofern ein „dritter Weg“ gewählt ist, als der Gegenstand hier eben nicht mehr die Summe von menschlichen Individuen ist und insofern ein vollständig anderer Gegenstandsbereich vorliegt. 5.3.2.4.2 Das Modell des selektiven Gerichts über narrative Lebensgeschichten

Selektives Gericht über narrative Lebensgeschichten als dritter Weg?

Auch wenn man sich das Gericht bei Barth anschaut, ergibt sich eine signifikante Verschiebung: Selbstverständlich muss das Nichtige, d. h. das Böse und nicht mit dem Reich Gottes Kompatible, ausgeschlossen werden. Aber bei Barth wie auch bei anderen Theologen des 20. Jh. wie Paul Tillich (gest. 1965) oder Wolfhart Pannenberg169 findet sich hier ein neues170 Modell: Nicht menschliche Individuen werden im Gericht gerettet oder verworfen, sondern das Gericht wird, das Feuerbild aus 1.Kor 3,11–15 aufnehmend, so verstanden, dass das Nichtige

167 Vgl. Schildmann, W., Karl Barths Träume, 234. 168 Vgl. Rosenau, H., Allversöhnung, 194f. 199–202. 169 Vgl. Tillich, P., ST III, 451. 468–473; Pannenberg, W., Systematische Theologie III, Bd. 3, 654–677. 170 Faktisch ist auch das selektive Läuterungsgericht nicht neu; schon im oben zitierten origenistischen Modell findet sich dieses Modell ja letztlich. Auch der im letzten Kapitel besprochene Fegefeuergedanke ist damit verwandt. Neu ist hier lediglich, dass es sich um ein selbständiges Modell zur Interpretation des Gerichts einschließlich dessen Ausgangs handelt.

Das Gericht und seine Ausgänge

oder nicht mit dem Reich Gottes Kompatible vernichtet wird, das andere aber bestehen bleibt. Bei Tillich ist das Symbol des „ewigen Todes“ eine Entmythologisierung der „immerwährenden Strafe“. „Ewiger Tod“ meint dabei einen Tod, der von der Ewigkeit ausschließt, also ein ganz an die Zeitlichkeit gebundenes Leben, das unfähig zur Essentifikation ist. Das polare Gegenstück ist die „Rückkehr zum Ewigen“ als entmythologisierte Gestalt des Restitutionsgedankens. Beide Pole müssen nach Tillich negiert werden,171 um die eschatische Essentifikation ausdrücken zu können, nach der „das Neue, das sich in Raum und Zeit verwirklicht hat, zu dem essentiellen Sein etwas hinzufügt […]. Man könnte von einer ‚Anreicherung‘ des göttlichen Lebens durch geschichtliche Prozesse sprechen.“172 Das Symbol der Hölle hält aber fest, dass nicht alles eines individuellen Lebens essentifiziert werden kann.173 Das heißt umgekehrt aber auch, dass stets bestimmte narrative Episoden einer Lebensgeschichte einer Person zur Essentifikation fähig sind. Pannenberg weist darauf hin, dass der Zusammenklang aller Einzelmomente eines Lebens in der Ewigkeit eher zum „Bild der Hölle als auf das einer ewigen Seligkeit“174 führe. Entsprechend ist ein Läuterungsgericht nötig. Pannenberg beschreibt hier, wie die traditionell ma. Aussagen des Fegefeuers auf dieses Gericht anzuwenden sind. Während aber traditionell ewige Verdammnis einer Mehrheit von Personen droht, ist sie bei Pannenberg eher die Ausnahme, die aber selbst nicht mehr den Charakter der ewigen Strafe, sondern der ausnahmsweisen Annihilation hat: „Demgegenüber kann mit dem […] Feuer des Endgerichts ein Spektrum sehr verschiedener Wirkungen verbunden werden, von der Reinigung und Läuterung der Glaubenden bis hin zur völligen Vernichtung derer, die darauf beharren, unversöhnlich von Gott abgewandt zu bleiben. Angesichts […] neutestamentlicher Aussagen […] kann jedenfalls die Möglichkeit der ewigen Verdammnis einzelner nicht ausgeschlossen werden. Es mag im Einzelfall, nachdem das Feuer der göttlichen Herrlichkeit alles getilgt hat, was mit der Gegenwart Gottes unvereinbar ist, nichts übrigbleiben.“175

Formal bleibt Pannenberg also beim doppelten Ausgang, faktisch lehrt aber auch er das selektive Gericht über narrative Lebensge-

171 172 173 174 175

Vgl. Tillich, P., ST III, 470. Tillich, P., ST III, 453. Vgl. Tillich, P., ST III, 472f. Pannenberg, W., Systematische Theologie III, 657. Pannenberg, W., Systematische Theologie III, 667.

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Das selektive Gericht bei Tillich

Das selektive Gericht bei Pannenberg

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Die Eschata

Probleme des Modells des selektiven Gerichts

Gehört auch das Negative zur menschlichen Identität? Setzt das Modell ein individualistisches Menschenverständnis voraus?

schichten. Sowohl bei Tillich als auch bei Pannenberg läuft es auf eine doppelte Verschiebung hinaus: In einem ersten Schritt wird die ewige Strafe der Hölle zu einer Annihilation reduziert, die dann in einem zweiten Schritt Teil des selektiven Gerichts über die partikularen Lebensgeschichten wird. In diesem Modell ist das Gericht immer auch schmerzhaft, bietet aber die Möglichkeit des Überlebens so gut wie jedem menschlichen Individuum, nämlich indem das Schlechte von diesem abgespalten wird. Der Vorteil dieses Modells ist unbezweifelbar, dass die Einheit der menschlichen Person nicht mehr wie in allen anderen Modellen monolithisch verstanden wird, sondern als das Werden einer story zumindest anfänglich ernst genommen wird, so dass der doppelte Ausgang bejaht werden kann, indem sich die Scheidung durch jede Person hindurch vollzieht. Aber auch dieses Modell des selektiven Gerichts über narrative Lebensgeschichten ist nicht unproblematisch: – Bliebe dann nämlich von der Lebensgeschichte verschiedener Menschen Verschiedenes, qualitativ wie quantitativ, übrig, das von eschatischer Valenz ist? Bildlich gesprochen: Bliebe dann vielleicht im Grenzfall nur die Säuglingsgeschichte eines Menschen von eschatischer Valenz, während in einem anderen Fall ein reifer Mensch einen eschatisch bleibenden Beitrag leistet? Dies aber würde nichts anderes als eine Verewigung der soteriologischen Macht einzelner menschlicher Werke in ihrer unterschiedlichen Summe bedeuten und damit einen gefährlichen eschatischen Semipelagianismus. – Blendet dieses Modell nicht aus, dass auch das Negative eines Menschen im Hier-und-Jetzt zu dessen Identität gehört, und müsste nicht auch dies irgendwie positiv im Gericht erscheinen? – Auch dieses Bild betrachtet Menschen noch als Individuen und weniger als Personen in Beziehung oder als narrative Knoten im Gewebe. Lebensgeschichten sind nicht individuell separierbar, sondern essentiell miteinander verschränkt. Wenn menschliches Personsein aber immer relational verstanden wird und wahrhaft narrativ und nicht nur anfänglich, kann von einer narrativen Person A nicht das als negativ zu richtende Ereignis x entfernt werden, wenn die Person A gerade in dieser Hinsicht x für eine andere narrative Person B und deren positiv zu richtendes Ereignis y wesentlich ist. Dieses Modell verkennt m.a.W. die relationale Konstitution des Menschen und des Seins und setzt anstelle dieser de facto eine atomistische Zusammensetzung des Menschen voraus.

Das Gericht und seine Ausgänge

371

– Ist dieses Modell eines in sich geschlossenen atomistischen Individuums nicht auch insofern falsch, als eine Einheit der Person schon in sich nicht gegeben ist, sondern auch die Person als Knoten im Gewebe von Weglinien, als Relat von Beziehungen zu anderen Relaten, gesehen und in sich selbst als relationales Geschehen betrachtet werden muss? Damit verbindet sich die Kritik, dass der Ansatz bei den Gerichtsausgängen insgesamt insofern einseitig ist, als er nicht die soziale und natürliche Welt einbezieht. – Einen Vorwurf, den man gegen dieses Modell – wie auch gegen alle anderen referierten Modelle – machen könnte, besteht darin, dass es „täterzentriert“ bleibt und kaum Überlegungen zu den Opfern anstellt: Wenn von „Tätern“ negativer Ereignisse einiges aus ihrer Identität entfernt wird, müssten dann nicht umgekehrt „Opfer“ einen eschatischen Täter-Opfer-Ausgleich erhalten?176

Verkennt das Modell, dass Menschen immer Personen in Beziehung sind?

Ein positiver gangbarer dritter Weg ist damit weder bei der Barthschen Erwählungslehre zu sehen noch bei dem Gedanken des selektiven Gerichts über die Lebensgeschichten. Dennoch sind diese Ansätze als positive Ansätze zu werten, um dem strikten eschatologischen Dualisieren zu entkommen.177 Dabei lässt sich auch genau benennen, worin dieser Fortschritt besteht. Denn die Ansicht, dass ein doppelter eschatischer Ausgang (inklusive des Annihilationsmodells) und die Allversöhnung eine strikte Disjunktion bilden, ist davon abhängig, dass als Gegenstand einzelne menschliche Personen als Individuen gesehen werden. M.a.W.: Hier wird ein individualistischer Begriff geschöpflicher Personen zumindest implizit vorausgesetzt, der aber schon an anderer Stelle als unangemessen und falsch erkannt wurde (s.o. Kap. 4.2). Die hier referierten Vorschläge eines angeblichen „dritten Weges“ verlassen diese Gegenstandsbestimmung teilweise und weisen damit zumindest in die richtige Richtung: Zunächst ist eine angemessene Gegenstandsbestimmung vorzunehmen, was eigentlich zu richten ist. Nun hatten wir allerdings eingangs gesagt, dass eine Bestimmung des Zieles am Anfang der Reflexion über das Gericht stehen müsse, wobei

„Doppelter Ausgang“ und „Allversöhnung“ bilden keine vollständige Disjunktion

176 Vgl. etwa die Überlegungen von Etzelmüller, Zu richten die Lebendigen und die Toten, 327f. Freilich darf eine Reflektion der Opfer nicht umgekehrt die Täter ausblenden oder gar zu Rachegelüsten verkommen, sondern beide sind in ihrem relationalen Zusammenhang zu bedenken. Wahrscheinlich ist der größte Teil chrilicher Theologie gar nicht „täterzentriert“ genug, wenn er einerseits daran festhält, dass Christus für uns gestorben ist, andererseits der Tod Jesu schon in den Evangelien gerade nicht Judas zugutekommt. 177 Dies ist der programmatische Ansatz von Janowski, Allerlösung. Annäherungen an eine entdualisierte Eschatologie.

Bleibt das Modell täterzentriert?

372

Die Eschata

der Versuch, genau dort einzusetzen, nun zu dem Ergebnis geführt hat, dass mit einer Gegenstandsbestimmung einzusetzen sei. Dies aber scheint ein Widerspruch zu sein. Dieser scheinbare Widerspruch ist dann zu lösen, wenn man das Gericht streng als narrativrelationales Geschehen, als Prozess auffasst, innerhalb dessen das Gerichtsziel wie die Gegenstände als einzelne Relate erscheinen – neben denen es dann auch noch andere zu besprechende Relate dieses Prozesses gibt. Dieser Reflexion wollen wir uns nun zuwenden.

§90 Das Ziel des Gerichts

Transformation ethischer in ästhetische Differenzen

5.3.3

Das Gericht als Prozess

5.3.3.1

Das Ziel des Gerichts der Transformation und Konstitution personaler Identität

§90 Das Ziel des Gerichts ist die eschatische Realität des Werdens im Liebesabenteuer Gott, das ausschließlich als gut gedacht sein muss. Gleichzeitig muss die Welt im Hier-und-Jetzt von eschatischer Relevanz sein, wenn die eschatische Realität die Vollendung der Schöpfung ist. Dann aber können aus dem narrativen Beziehungsgewebe der prozesshaften Ereignisse der Welt auch negative Ereignisse nicht einfach im Gericht wegfallen, insofern sie konstitutiv für andere, positiv zu würdigende Ereignisse sind. Vielmehr sind sie zu transformieren in Ereignisse mit ästhetischer Differenz. Setzen wir nun neu an und lösen das Problem des Gerichts: Das Ziel des Gerichts lässt sich bestimmen, wenn wir uns an Kapitel 3.3 erinnern. Dort hatten wir hinsichtlich des Verhältnisses des Guten, des Wahren und des Schönen diagnostiziert, dass das Gute und das Wahre koinzidieren und dass die eschatische Realität nur gut und nichts als gut sein kann. Wir hatten aber auch gesehen, dass das Schöne nicht mit dem Guten koinzidiert und dass es mehrere gleich gute Ereignisse geben kann, die sich hinsichtlich ihrer Schönheit unterscheiden, nicht im Sinne von mehr oder weniger Schönheit, sondern im Sinne einer anderen Schönheit. Dies gilt auch für die eschatische Realität: Sie kann nur gut und nichts als gut sein. Wenn aber nun die Welt durch ihren narrativen Lauf im Hier-und-Jetzt einen Beitrag zur eschatischen Realität leisten soll, kann dieser Beitrag nicht in der Güte bestehen, da dies der Rechtfertigungslehre widersprechen würde. Der Beitrag kann aber in spezifischer Schönheit bestehen. An sich sind mehrere eschatische Realitäten denkbar, die gleich gut sind, aber sich

Das Gericht und seine Ausgänge

373

in ihrer ästhetischen Gestalt unterscheiden. Das Gericht kann dann als letzte Handlung Gottes an der Welt verstanden werden, das alle verbleibenden ethischen Differenzen – d. h. jedes Mehr oder Weniger an Güte – restlos in Güte überführt –, allerdings dergestalt, dass diese ethischen Differenzen für die Gestalt der eschatischen Identität weiterhin eine positive Rolle spielen, weil sie in ästhetische Differenzen durch göttliches Handeln transformiert werden. Das Ziel des Gerichts ist damit präzise die Überführung ethischer Differenzen in ästhetische Differenzen. Dies bedeutet auch, dem göttlichen Gerichtshandeln zuzutrauen, dass Böses nicht einfach ausgemerzt, vernichtet oder durch eine eschatische Strafe verewigt wird, sondern dass es in Gutes transformiert werden kann, dergestalt, dass es nun einen Beitrag zur nicht vorhersehbaren ästhetischen Gestalt der eschatischen Realität zu leisten vermag. 5.3.3.2

Gegenstände und Kriterien des Gerichts

§91 Die Gegenstände des Gerichts als Transformations- und Kon- §91 Gegenstände stitutionsprozess sind nichts anderes als die welthaften, relationalen und Kriterien des Gerichts Weglinien in ihrem Gewebe der unvollendeten Welt und abgeleitet davon auch „Personen“ und deren Tun und Ergehen, weil Personen Knoten im Wegliniengeflecht und damit Schnittpunkte von Beziehungen und von Tun und Ergehen sind. Personen sind nicht einfach Relate von Beziehungen; sie werden selbst als Beziehungen. Personen haben keine Geschichten, sie sind Geschichten. Das Kriterium des Gerichts ist die doppelte Hingabe Gottes an die Menschen im Kreuz Christi und in der Auferweckung Christi durch den Geist. Im Rahmen der Besprechung der problematischen Lehre der klassischen Ausgänge des Gerichts in Form der Bildung einer vollständigen Disjunktion zwischen doppeltem Ausgang und Allversöhnung hatten wir diagnostiziert, dass der Fehler dieser Lehre darin besteht, dass hier als Gerichtsgegenstand faktisch ein individualistisch-atomistisches Personverständnis angenommen wird. D.h., es wird davon ausgegangen, dass die Lebensgeschichte einer Person, insbesondere ihre aktiven Taten und ihr passives Erleiden, ihre Person bilden und dass diese Gegenstände des Gerichts sind. Die Gleichsetzung einer Person mit den Taten und Leiden ihrer Lebensgeschichte kann dann bei einer positiven Suche auf alle Fälle nicht Gerichtsgegenstand sein, in

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Die Eschata

welcher Form auch immer. Doch was ist dann positiv als Gegenstand des Gerichts anzunehmen? Das Gericht nach den Biblisch wird als Gerichtskriterium explizit das Gericht über die Werke Werken bzw. die Taten einer Person genannt (Mt 24f). Der endzeitliche Gerichtszorn

aufgrund des nicht erfüllten Gesetzes ist für Paulus in Röm 1,18f Anlass, weder Heiden, denen der Maßstab ins Herz geschrieben ist, noch Juden, denen das Gesetz offenbart ist, von diesem Kriterium auszunehmen. Dieser Maßstab wurde selbstverständlich auch im gesamten Mittelalter beibehalten.178 Die Reformation leugnet diese Auffassung nicht, geht aber nun davon aus, dass der Glaube letztlich bestimmend für die Taten ist. Diese Auffassung bereitete der altprotestantischen Theologie mit ihrem fundamentaltheologischen Biblizismus einige Probleme, insofern die römische Theologie des 17. Jh. hier der reformatorischen vorwerfen konnte, ihrem eigenen Prinzip nicht gerecht zu werden.179 Auch wenn in der protestantischen Theologie der Gegenwart z.T. zu Recht die Redeweise vom Gericht nach den Werken zumindest als missverständlich abgelehnt wurde,180 so bleibt doch hier die Sachfrage nach der Relation von Glaube, Person sowie Tun und Handeln bestehen, die es zu lösen gilt. Die personale und soziale Welt als Gegenstand des Gerichts

Da wir die Zukunft und die Transformationen der nichtpersonalen Welt schon an anderer Stelle besprochen hatten (s.o. Kap. 4.1), ist deutlich, dass Gegenstand des Gerichts die personale und soziale Welt ist, die Welt der geschöpflichen Personen. Wir hatten gesehen (s.o. Kap. 4.2), dass eine geschöpfliche Person als Bild des dreieinigen Gottes, der selbst ein Liebesabenteuer ist, durch ihr narratives Beziehungsgewebe konstituiert ist. Dies sind die Beziehungen des Wegliniengeflechts von und zu nichtpersonalen und personalen Geschöpfen, genauso wie die Beziehungen von und zu Vater, Sohn und Geist. Das kreatürliche Wegliniengeflecht einer Person besteht in Ereignissen, in denen die Person mit Passivität und Aktivität involviert ist. Ferner stellen Personen, weil sie Absichten verfolgen können, bestimmte Selbstansprüche, wer sie mit diesen Handlungen sein wollen, die in Interaktion von anderen Personen akzeptiert oder zurückgewiesen werden. Wir hatten außerdem gesehen, dass das unverletzte Wegliniengeflecht mit dem Doppelgebot der Liebe zu charakterisieren ist. Dabei zeigte sich, dass streng genommen auch im Urteil Gottes dieser Selbstanspruch kreatürlicher Personen ernst genommen werden muss, so dass prima facie auch im Urteil Gottes eine Person mit ihrer Lebensgeschichte – mit dem, was sie tut oder erleidet – identifiziert werden muss (s.o. Kap. 4.2). Dabei zeigte sich ferner, dass diese 178 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 48–54.157–160. 179 Vgl. Gerhard, J., Loci theologici, XXVIII, 22f. 180 Vgl. Stock, K., Gott der Richter, 253.

Das Gericht und seine Ausgänge

Ernstnahme der Selbstidentifikation Gottes mit den Menschen in der Inkarnation gerade zum Zorn Gottes über den Sünder führt, der aber nicht die Vernichtung des Sünders, sondern das Zurechtbringungswerk Gottes in der doppelten Hingabe des Sohnes und des Geistes in Kreuz und Auferweckung hervorbringt, so dass ein neues Urteil Gottes über den Sünder möglich ist, mit der Folge, dass der Personbegriff nicht nur streng relational, sondern auch eschatologisch verstanden werden muss: Weil Gott nun – aufgrund des soteriologischen Doppelopfers des Sohnes und des Geistes – zwischen Sünder und Sünde unterscheiden kann, indem die Person des Sünders nun das ist, was Gott eschatisch (einschließlich des Gerichts) aus ihr machen wird, kann die Person nun nicht mehr mit ihren Werken identifiziert werden und nicht mehr mit dem, was sie von anderen Personen erleidet, sondern die Person ist primär das, was sie in der eschatischen Ewigkeit in Gott von Angesicht zu Angesicht „erleidet“. Dabei sind auch das Tun und Erleiden der Person in ihrem welthaften Wegliniengeflecht positiv berücksichtigt, und zwar im Gericht. Das Gericht ist damit kein Mittel, das mit dem Personbegriff konfligieren würde, sondern der Transformationsprozess des Gerichts ist konstitutiv für die Person: Für die eschatische Person, aber auch für die Person im Hier-undJetzt, weil die Person im Hier-und-Jetzt nichts anderes ist als der Zuspruch oder die promissio dessen, was sie werden wird. Der eschatische Transformationsprozess des Gerichts ist damit nichts anderes als der Konstitutionsprozess der geschöpflichen Person. Das Endgericht ist damit Schöpfung, nicht aber Neuschöpfung im strikten, einer alten Schöpfung entgegengesetzten Sinne des Wortes. Aus all dem folgt, dass im Gericht nichts anderes geschehen kann als das, was in Kreuz und Auferweckung Christi geschieht. Das Gericht kann über die „Werke“ erfolgen, ohne dass damit eine semipelagianische Tendenz gelehrt wäre, weil das Gericht primär im Kreuz Christi geschieht. Konrad Stock versteht unter dem Zorn Gottes „die Empörung und Verwundung Gottes durch diese […] Erfahrung menschlicher Geschichte“181 , d. h. die Verwundung Gottes angesichts menschlicher miteinander verwobener Lebensgeschichten, die nicht mit der Doppelregel der Liebe konkordant sind. Das Kreuz kann dann als die Hingabe Gottes an die Menschen verstanden werden, in der das Ausmaß der Sündenfolge tatsächlich offenbar wird: Sünde ist nicht nur Selbstverletzung, sondern auch der Versuch des Gottesmordes.

181 Stock, K., Gott der Richter, 251f.

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Das Gericht als eschatischer Konstitutionsprozess der Person

Kreuz und Auferweckung Christi als Gerichtskriterien

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Die Eschata

Dabei wird Gott tatsächlich verletzt, aber die kontingente Auferweckung Christi durch die Hingabe des Geistes an die Menschen zeigt, dass letztlich die Liebe, die Gott ist, stärker ist. Das ist allerdings kein Gesetz. Liebe ist nicht automatisch stärker als der Tod. Sie ist es nur spontan und kontingent in der überraschenden Auferstehung Christi. Sie ist daher als Koinzidenz von Kontingenz und Güte ein Abenteuer. Daraus folgt, dass auch die eschatische Transformation wie die eschatische Realität ein Abenteuer ist. Mit Konrad Stock können wir daher aus der Mitte des Versöhnungsgeschehens das Gericht definieren: „’Gericht‘ ist der Ausdruck für die menschliche Erfahrung jener Erfahrung, der Gott sich [am Kreuz] ausgesetzt sah.“182 Daraus folgt nach Stock weiter: „Das ’Gericht’ besteht entsprechend darin, dass Gott das ganze Ausmaß und die ganze Tiefe fremden Leidens, das Menschen in der tätigen Realisierung ihrer Zwecke bewirkt und mitbewirkt haben –, dass er den Schmerzensschrei menschlicher Leidensgeschichte offenbart und aus aller Verdrängung und aller Abwehr in Erinnerung und zu Bewusstsein bringt. Das Gericht ist die Metapher für die definitive Situation, in der Gott den Menschen mit seiner Lebensgeschichte konfrontiert und ihn auf ihre Wirkungen endgültig festlegt und ihn so mit ihr identifiziert […]. Ich verstand das Gericht als die Metapher für das Aufleben der menschlichen Lebensgeschichte in Gottes eschatologischer Gegenwart, in der sie, durch Gott mit sich konfrontiert und auf ihre Wirkungen festgelegt, die Erfahrung der Verwundung Gottes und des Leidens der anderen wüsste. Dieser Situation kommt Gott im Sterben Jesu Christi zuvor. […] Das Kreuz Christi […] ist diejenige Form des göttlichen Widerstandes und Widerwillens gegen die Macht des Bösen, die die menschliche Lebensgeschichte von dem ihr eigenen Urteil schöpferisch unterscheidet und von dem ihr eigenen Urteil freispricht.“183 Person und Werke als Gerichtsgegenstände

Für den Gegenstand des Gerichts können wir daraus ableiten, dass sowohl die geschöpfliche Person als auch ihre Werke auf unproblematische Weise Gegenstände des Gerichts werden können, insofern beziehungshafte Ereignisse Gegenstände des Gerichts sind, denn beides, die Person und ihre Taten, sind Variationen von beziehungshaften, narrativen Ereignissen und ohne solche stories schlicht inexistent. Personen sind die Schnittmenge der sie konstituierenden Ereignisse, Knoten im narrativen Wegliniengeflecht, aber innerhalb des mannigfachen Beziehungsgewebes einer Person kommt der Gottesbeziehung eine bestimmende Funktion zu, die immer schon die Beziehung des Gottes ist, der am Kreuz die Sünde auf sich genommen hat. Wir hatten in Kap. 3.3 gesehen, dass das Gute und das Wahre koinzidieren, so

182 Stock, K., Gott der Richter, 252. 183 Stock, K., Gott der Richter, 252f. 255f.

Das Gericht und seine Ausgänge

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dass von einer ethischen Wahrheitstheorie gesprochen werden konnte, in der das Wahre eine Übereinstimmung göttlichen Handelns und seiner Effekte mit geschöpflichem Handeln und seiner Effekte ist. Das Gericht ist nichts anderes als die Anwendung dieses Wahrheitskriteriums. Dabei können geschöpfliche Personen gerade deswegen nicht vernichtet werden, weil sie erst eschatisch durch Kreuz, Auferstehung und Gericht geschaffen werden und dieses Urteil retrokausal den im Hier-und-Jetzt lebenden Menschen zugesprochen wird, wodurch sie promissiv zu Personen werden. Da das Gericht damit selbst konstitutiv für die Identität einer Die Frage nach der Person ist, gibt es aus dieser Perspektive Gottes – und nur aus ihr – Allversöhnung ist eine Frage der Perspektive u.U. tatsächlich so etwas wie eine Allversöhnung: Wenn die eschatische Konfrontation von geschöpflichem Sich-Ereignen mit göttlichem Handeln erst geschöpfliche Personen hervorbringt, vernichtet Gott keine der Personen, die er geschaffen hat. Aus der nichteschatischen Perspektive des Hier-und-Jetzt bedeutet für den einzelnen Menschen das Gericht aber keine Allversöhnung: Ein einzelner Mensch weiß nicht, welche seiner Identitätsansprüche im Gericht, d. h. im eigentlichen Konstitutionsprozess seiner Person, überleben werden und welche Elemente seines Wegliniengewebes von ethischen in ästhetische Differenzen überführt werden. Und dieser Transformationsprozess ist selbst als schmerzhaft zu bezeichnen: Für die Person, die gerichtet wird, für die Personen, die mit ihr auf die eine oder andere Weise in Beziehung stehen und für Gott als Richtenden selbst. 5.3.3.3

Die Richtenden und der Prozess des Richtens

§92 Das Gericht ist derjenige Transformationsprozess, indem der scheinbare Widerspruch von Gnade und Freiheit gelöst wird, indem neben dem primären Richter Christus die zu Richtenden selbst als Richtende erscheinen. Das Gericht wäre dann so als abschließende Offenbarung zu verstehen, dass es die Wahrheit über Welt und eigenes Leben mit einer Gewissheit nach dem Gerichtskriterium des Doppelgebotes erschließt, dass der zu Richtende mit Hilfe des Heiligen Geistes gar nicht mehr anders kann, als den Urteilsspruch zu sprechen, wie das in Christi Sinn ist, wie immer er auch ausfallen mag.

§92 Das Gericht als Transformationsprozess, der das Gnade-FreiheitsDilemma löst

Zuletzt hatten wir stillschweigend vorausgesetzt, dass Gott der Rich- Wer richtet? tende ist. Das ist an sich nicht selbstverständlich – und auch sachlich nicht ganz korrekt. Im biblischen Material werden sowohl Gott

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Die Eschata

(2.Thess 1,5; 1.Kor 5,13; Röm 2,3; 3,6; 14,10; Mt 10,28 parr; Mt 6,4–18) als auch Christus (Mt 25,31–46; 7,22f; 13,36–43; Lk 13,25–27; 1.Thess 4,6; 1.Kor 4,4f; 11,32; 2.Kor 5,10) genannt, aber nach Mt 19,28 auch die zwölf Apostel als Richter über die zwölf Stämme Israels. In 1.Kor 6,2f schließlich werden alle Heiligen, d. h. alle geheiligten menschlichen Personen, als Richter genannt: nicht nur über die anderen, sondern über alles, einschließlich der Engel. Dieser divergente biblische Befund hat in der Theologiegeschichte zu den unterschiedlichsten Rekonstruktions- und Systematisierungsversuchen geführt, die versuchen, die verschiedenen Subjekte des Richtens miteinander in Einklang zu bringen. Unterschiedliche Gott und Christus schließen sich als Subjekte nicht aus, weil Christus Gruppen von aufgrund der Zwei-Naturen-Lehre auch wahrer Gott ist. Die Heiligen erRichtenden im Mittelalter halten ihr Richteramt aufgrund einer Ehrenstellung bei Bonaventura (gest.

1274) gewissermaßen als Assistenzrichter zu Christus.184 Als Beispiel kann auch Richard von St. Viktor (gest. 1173) genannt werden, der in seinem für das Mittelalter wichtigen Traktat über das Gericht, Anregungen Gregors des Großen (gest. 604) aufnehmend, insbesondere Mt 19,28 erklären will. Er kennt fünf Gruppen von Menschen: – diejenigen, die richten werden, selbst nicht gerichtet werden und dennoch gerettet sind, d. h. diejenigen, die die Gebote des Gesetzes durch vollkommene Tugend überbieten. – diejenigen, die gerichtet und dabei gerettet werden, weil sie ihre Fehltritte bereuen. – diejenigen, die gerichtet und verworfen werden, d. h. diejenigen, die zwar am Bekenntnis des Glaubens festhalten, aber nicht die Werke des Gesetzes tun. – diejenigen, die nicht gerichtet und dennoch verworfen werden, d. h. die schon jetzt Unglaubenden. – diejenigen, die nicht gerichtet und dennoch gerettet werden, d. h. die nach der Taufe sterbenden Kinder.185

Richards Schema ist nur vordergründig an der Frage der Gerichtssubjekte interessiert. Faktisch geht es in dem genannten Schema um eine Einteilung der Menschen in unterschiedliche Grade der Heiligkeit und ihrer Belohnung. Wir sahen schon, dass eine solche Betrachtung aus reformatorischer Sicht letztlich nicht in Frage kommt.

184 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 153. 185 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 53f.

Das Gericht und seine Ausgänge

Man kann aus dem Beispiel aber lernen, dass eine Erklärung der Subjekte des Gerichts nicht einfach eine Erklärung der Vereinbarkeit verschiedener Bibelstellen sein kann. Vielmehr gilt es zunächst, die Sachfrage des Gerichtssubjekts zu bestimmen. Dazu muss man sich zunächst noch einmal klarmachen, dass die Rede vom Gericht eine Metapher für den Transformationsprozess der vorläufigen in die eschatische Wirklichkeit ist. Damit ist das Gericht selbst ein ereignishaftes und prozesshaftes Geschehen, an dem mehrere Relate aktiv beteiligt sein müssen. In einem weltlichen Gericht gibt es nicht nur den Richter, sondern auch Zeugen, Anwälte und Vollzugsbeamte etc., d. h. unterschiedliche subjekthafte Funktionen innerhalb des Geschehens. Die Frage nach den Richtenden ist die Frage nach der Entscheidungsinstanz. Dabei setzt der Gedanke einer Entscheidungsinstanz zusätzlich zum Kriterium des Gerichts voraus, dass sich ein Gerichtskriterium nicht selbstständig vollzieht, sondern auf eine personale Entscheidung wie Vollstreckung des Urteils angewiesen ist. Ob man den eschatischen Transformationsprozess bis in diese Einzelheiten des Bildes hinein modellieren sollte, bleibt m.E. fraglich, da wir keine Qualifikanten kennen, die uns sagen lassen könnten, ob diese Elemente des eschatischen Transformationsprozesses geschöpflicher Personen neutrale, positive oder negative Analogien zum Gerichtsmodell besitzen. Wir werden also nur nach der Subjekthaftigkeit und ihrer Funktion fragen können. Handlungssubjekt ist letztlich Gott, weil der eschatische Transformationsprozess verantwortlich nur durch Gott vollzogen werden kann, der selbst in Gestalt der Eschatoi das Letztgültige ist. Da der Einheit Gottes unabhängig von den göttlichen Personen keine Personalität zukommt, ist es nahe liegend, Christus als die menschgewordene zweite Person der Trinität als Subjekt des Gerichts zu bezeichnen, weil die Ereignisse seines menschlichen Lebens, insbesondere Tod und Auferweckung, den Maßstab des Gerichts bilden. Nun lehrt die biblische Tradition, dass auch Menschen, die Zwölf bzw. „Heilige“ Subjekte des Richtens sein können. Anders als in dem von Richard genannten Beispiel muss dies aber nicht bedeuten, dass sie nicht auch gerichtet werden. Auch dazu gibt es Beispiele aus der Tradition. Bonaventura geht beispielsweise davon aus, dass auch die verborgenen Sünden der Auserwählten im Gericht offenbart und genannt werden, um die Größe der Gnade Gottes darzustellen.186 Diese Meinung ist signifikant, denn sie kann uns Anlass zu folgender Überlegung geben: Wenn einerseits einige Menschen als Richtende bezeichnet werden,

186 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 158.

379

Das Modell des Gerichts als ereignishafter Prozess mit mehreren Relaten

Wer richtet?

380

Die Eschata

aber dennoch deren Sünden aufgedeckt werden, beruht das Amt des Richtens, d. h. der Möglichkeit des Sprechens des Urteils, nicht auf der Sündlosigkeit. Dann aber ist es auch möglich, dass nicht nur Christus und einige Heilige als Richtende bezeichnet werden, sondern jede zu richtende geschöpfliche Person selbst richtend ist. Dies darf freilich nicht so gedacht werden, dass sie nach eigenem Gutdünken einen Urteilsspruch vollzieht, sondern nur so, dass Sie das soteriologischchristologische Gerichtskriterium anerkennt. Unter der Bedingung einer Anerkennung des Gerichtskriteriums ist ein Selbsturteil sogar unabdingbar, wenn der Gedanke der eschatischen geschöpflichen Person nur in irgendeiner Weise Freiheit einschließen soll. Martin Kähler (gest. 1912) ist sogar soweit gegangen, dass er für weltliche Gerichtsverfahren im Hier-und-Jetzt als Idealform postuliert hat, dass ein schuldiger Angeklagter die Strafe als sein Recht fordert und so gewissermaßen selbst den Urteilsspruch vollzieht.187 Für uns ist dieser Aspekt deswegen wichtig, weil er das bisher ungelöste GnadenFreiheitsdilemma lösen kann. Die Frage, wie Gnade und Freiheit des Menschen vereinbar sind, war etwa bei Origenes, Erskine of Linlathen und Schleiermacher gelöst u. a. dadurch, dass ein postmortales aber präeschatisches Leben von geschöpflichen Personen angenommen wurde, das ganz andere Entwicklungsmöglichkeiten böte und es ermögliche, dass – zumindest wenn dieser „Zwischenzustand“ mit unendlicher Dauer ausgestattet gedacht wird – sich Gnade und geschöpfliche Freiheit ohne Semipelagianismus vereinbaren lassen. Wir sahen aber, dass dies de facto einer abzulehnenden Weltverdoppelung gleichkommt, die das Hier-und-Jetzt auch eschatisch entwertet. Ist das Gericht aber selbst dieser Prozess und ist der zu Richtende am Richterspruch Christi beteiligt, entfallen diese Bedenken: Es handelt sich nicht um eine das Hier-und-Jetzt entwertende Weltverdoppelung und es muss keine unendliche Dauer angenommen werden. Da wir selbst aber nicht in der eschatischen Situation leben, bleibt uns jetzt allerdings jede Vorstellung dieses Mitrichtens. 5.3.3.4 §93 Gegenwärtiges Gericht und Endgericht

Zeitpunkte des Richtens

§93 Das Gericht vollzieht sich einerseits im Hier-und-Jetzt, insofern Christi Gegenwart gegeben ist, aber noch strittig bleibt. Das Gericht als Endgericht meint den Konstitutions- und Transforma-

187 Vgl. Kähler, M., Lehre von der Versöhnung, 409.

Das Gericht und seine Ausgänge

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tionsprozess, den geschöpfliche Personen durchleben, wenn sie aus dem raumzeitlichen Individuationsrahmen in den eschatischen Individuationsrahmen, der Gottes Werden selbst ist, wechseln. Weil Narrativität vorgängig und konstitutiv für Zeitlichkeit und Örtlichkeit ist, erübrigt sich eine zeitliche oder örtliche Lokalisation des Gerichts. Die biblische Überlieferung spricht von unterschiedlichen Zeitpunkten des Richtens. Neben dem abschließenden Endgericht ist etwa in der johanneischen Theologie auch davon die Rede, dass sich das Gericht im Hier-und-Jetzt bereits ereignet hat (s.o.). Die Vorstellung von einer zeitlichen Lokalisation des Gerichts ist selbstverständlich auch von dem Modell abhängig, nach dem man die Zeit auf die Ewigkeit bezogen sieht (s.o. Kap. 3.1). Unter dem Modell einer punktuellen Ewigkeit kann auch das Gericht nur als punktueller Einbruch der Ewigkeit in die Zeit verstanden werden. Unter dem Modell der Ewigkeit als absoluter oder partieller Gleichzeitigkeit ist das Gericht als allen Zeitpunkten gleichzeitig zu denken. Im Modell des linearen Zeitdenkens besteht die Schwierigkeit, verschiedene Zeitpunkte des Gerichts miteinander zu vereinbaren. Dies geschieht in exemplarischer Form etwa in dem für das Mittelal- Wann und wo findet ter bestimmenden Gerichtstraktat Richard von St. Viktors. Er unterscheidet das Gericht statt? drei Formen des Gerichts: – Ein gegenwärtiges Gericht, das sich uniforme, einförmig vollzieht, denn es betrifft nur die Qualität des Urteils, Verwerfung oder Rettung. Es findet nur im Geiste der Personen statt, nicht im Vollzug des Werkes. – Ein Gericht über die einzelne Person unmittelbar nach deren Tode, das sich multiforme, mehrförmig, vollzieht. Es bezieht sich zwar auf das ganze Leben des Menschen, wird aber nur an der Seele vollzogen, da ein anthropologischer Leib-Seele-Dualismus (s.o.) vorausgesetzt wird. Es schließt bereits die Quantität des Urteils, d. h. die Größe der Strafe oder der Belohnung, mit ein. – Ein Gericht bei der Parusie, das letzte oder Jüngste Gericht, das sich omniforme, allförmig vollzieht, weil es sich auf das ganze Leben des Menschen und auf den ganzen Menschen mit Leib und Seele bezieht, und das als soziales Gericht mit allen und vor allen Menschen stattfindet.188 – In der Reformationszeit spricht Martin Luther im Unterschied zu der Dreiteilung des Gerichts bei Richard von einer Zweiteilung:

188 Vgl. Ott, L., Eschatologie in der Scholastik, 53f.

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Die Eschata

– Im Hier-und-Jetzt erfährt der Mensch in der Anfechtungserfahrung ständig das Gericht. Das Gerichtsurteil ist dabei stets das Verdammungsurteil, weil der Mensch simul justus et peccator ist. Eigene Werke können nichts zur Seligkeit beitragen, sondern sind selbst Todsünden. Die phänomenale Erscheinung dieses gegenwärtigen Gerichts sind die Angst vor dem Tode, der durch den Teufel gesäte Zweifel und das Nachgrübeln, ob man zu den Auserwählten gehört. Damit ist das eschatische Gericht bereits in der Gegenwart Wirklichkeit und bestimmt das Leben des Menschen.189 – Davon unterschieden ist das Jüngste Gericht, das sich gemäß Luthers Vorstellung der Zukunft des Menschen nach dem Tode (s.o. Kap. 4.2) aus Sicht des einzelnen Menschen unmittelbar nach dem Tode vollzieht, so dass der Mensch unmittelbar in das Endgericht geht. Hier wird nun das simul aufgehoben, indem der Glaube allein nun das Bestehen im Gericht gibt: fides sola dat vitam.190 Dennoch bedeutet die biblische Rede vom Gericht nach den Werken für Luther selbst kein Problem, da aus dem Glauben ja notwendigerweise gute Werke folgen und damit im Endgericht die Werke den Glauben bezeugen.191

Würde die Frage nach den Zeitpunkten des Gerichts nur auf der Frage nach der Vereinbarkeit unterschiedlicher biblischer Theologien beruhen oder ausschließlich vom vorausgesetzten Modell der Relationierung von Zeit und Ewigkeit abhängen, wäre die Frage als systematischtheologische nahezu bedeutungslos. Denn der erste Aspekt der Vereinbarkeit verschiedener biblischer Auffassungen bleibt im Rahmen eines ahistorischen Biblizismus und die Frage des Zeit-EwigkeitModells hat nicht nur theologische, sondern auch philosophische Prämissen. Es gibt aber einen spezifisch systematisch-theologischen Aspekt, der diese Frage wichtig erscheinen lässt: Wir hatten gesehen, dass das Gericht als Transformations- oder Konstitutionsprozess zu verstehen ist, in dem sich nichts anderes vollzieht als das, was in Kreuz und Auferweckung Christi sowieso schon geschieht. Das Endgericht musste umgekehrt, so sagten wir, als unzweideutige Offenbarung dieses Sachverhalts angewandt auf das Leben von Menschen und damit als Konstitution ihrer Person verstanden werden. Daher werden wir zwei Aspekte des Gerichts als narrativem Transformationsprozess unterscheiden können: Der gegenwärtige – Ein gegenwärtiges Gericht vollzieht sich überall dort, wo im HierAspekt des Gerichts und-Jetzt Christus präsent ist und zur Geltung kommt. Demnach 189 Vgl. Peters, A., Glaube und Werk, 40–47. 190 Luther, M., WA 39 I, 96,7f. 191 Vgl. Luther, M., WA 12, 289, 34–290, 1.

Das Gericht und seine Ausgänge

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sind die Ereignisse von Kreuz und Auferweckung Christi, die Konstitution von Glauben in einzelnen Menschen genauso wie die Glaubensvergewisserung und -stärkung in Wort und Sakrament gleichursprünglich Erfahrungen des Gerichts wie des promissiven Zuspruchs des eschatischen Personseins des Menschen. – Davon ist zu unterscheiden (aber nicht zu trennen) derjenige Der eschatische Transformationsprozess, der nötig ist, wenn ein Mensch aus dem Aspekt des Gerichts vorläufigen welthaften Individuationsrahmen von Raum und Zeit in den eschatischen Individuationsrahmen des Einbezogenwerdens in das trinitarische Liebesabenteuer, das Gott selbst ist, wechselt. Im Gegensatz zu den vorläufigen Erscheinungen des Gerichts im Hier-und-Jetzt lässt dies aber keine Zweideutigkeiten mehr zu, sondern ist endgültig, während das Gericht im Hier-und-Jetzt als proleptische Abschattung des Jüngsten Gerichts zu verstehen ist. Eine Frage nach dem Zeitpunkt dieses Jüngsten Gerichts erübrigt sich, wenn wir die in Kap. 4.2 vorgestellte Lösung des ZeitEwigkeit-Problems voraussetzen: Nicht räumliche und zeitliche Relationen individuieren Personen im Hier-und-Jetzt, sondern die logischen Eigenschaften von Raum und Zeit ermöglichen dies. Geschichten finden nicht in der Zeit statt, sondern Narrationen bilden die Zeit. Die primären Narrationen des Weltlaufs mit ihrer sekundären Zeit finden ihre Bedingung der Möglichkeit in den strukturanalogen innertrinitarischen Beziehungen des göttlichen Lebens und Werdens selbst. Das jüngste Gericht ist dann der Transformationsprozess, der bei der Theosis nötig ist, die gleichbedeutend mit der eschatischen Konstitution der menschlichen Person ist. 5.3.4

Ethische Implikationen

§94 Alle denkbaren ethischen Implikationen des Gerichtsgedankens müssen einem Kriterium genügen (1.Joh 4,17f): „Darin ist die Liebe völlig bei uns, dass wir eine Freudigkeit haben am Tage des Gerichts; denn gleichwie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus.“

§94 Hoffnung auf das Gericht als Kriterium des ethischen und pastoralen Umganges mit dem Gericht

Dass die Gerichtsvorstellung ethische Implikationen besitzt ist un- Ist Angst vor dem strittig. Man mag hier zunächst an die Angst vor dem Jüngsten Ge- Gericht angebracht? richt denken, die das Leben unzähliger Generationen bestimmt hat. Diese Angst konnte selbst als Motivation zu moralischem Verhal-

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Die Eschata

ten missbraucht werden. Zu denken ist auch an die Vorstellung, die Hinrichtung von Ketzern stelle gerade deren Rettung für das Jüngste Gericht dar. Auch für das liturgische Verhalten waren Implikationen zu sehen: Die Vorstellung, ein unwürdig genossenes Abendmahl geschehe den Kommunikanten zum Gericht, führte in den lutherischen Kirchen im Laufe der Geschichte dazu, dass die Eucharistie nur noch selten wahrgenommen wurde. Ist das Gericht Die entscheidende Frage lautet daher nicht, ob die Vorstellung des Gegenstand der Jüngsten Gerichts ethische Implikationen besitzt oder nicht, sondern, Hoffnung? welche ethischen Implikationen sinnvoll und evangeliumsgemäß sind und welche nicht. Von dieser Fragestellung aus ist m.E. Folgendes festzuhalten: Ist das Gericht letztlich identisch mit der eschatischen Konstitution der Person, ist es kein Gegenstand der Furcht, sondern der Hoffnung. Wir hatten eingangs dieses Buches (1.3) festgestellt, dass Menschen sich mit unterschiedlichen sprachlichen Mitteln auf die Zukunft beziehen und dabei unterschieden, ob es sich um eine innerweltliche Zukunft handelt, die ganz auf welthaften, auf Extrapolation beruhenden Erwartungshorizonten basiert, oder ob es sich um einen eschatischen Erwartungshorizont handelt, der durch die Selbstpräsentation des dreieinigen Gottes zustande kommt. In Kap. 1.3.2 zeigte sich, dass Menschen auf diese Zukunft auch unter einer affekthaften Komponente sprachlich vermittelt durch die Distinktion „erhoffen/ befürchten“ Bezug nehmen. Nun zeigt sich, dass auch das Gericht kein Gegenstand der Furcht, sondern ausschließlich der Hoffnung ist. Damit ist die sprachliche Distinktion von „erhoffen/befürchten“ nicht wie man fälschlich vermuten könnte eine eschatische Distinktion, sondern nur eine vorläufige, sprachlich zu welthaften Erwartungshorizonten gehörende. Von Furcht ist in eschatologischer Hinsicht positiv nur als personale Ehrfurcht vor Gott zu reden, nicht im Sinne eines Befürchtens eschatischer Ereignisse. Im Vertrauen sehnen sich Christen nach der unmittelbaren personalen Gegenwart Christi und erfahren sie. Dabei erfahren sie auch das Gericht, das, was – wie schon in alttestamentlicher Tradition – immer auch Rettung bedeutet (s.o.). Der Grund dafür besteht darin, dass das Gericht nichts anderes als die definitive Konstitution der eigenen Person und ihrer Identität bedeutet. Da Menschen freilich im Hier-und-Jetzt auch sündige Identitätsansprüche stellen, erweist das Gericht diese als vorläufig und mit dem eschatischen Leben inkompatibel. Liturgisch folgt daraus, dass etwa eine manducatio indignorum zum Gericht tatsächlich zu lehren ist, aber gerade keinen Schrecken, sondern im Gegenteil Trost verbreiten sollte. Das Thema des Trostes ist damit überhaupt diejenige Haltung des Charakters für das Hier-und-Jetzt, die das Gericht inaugurieren sollte: Es entlässt den Menschen von der Vorstellung, dass

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

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durch die Identitätsansprüche, die er in seinem Handeln unweigerlich stellen muss, auch tatsächlich seine Identität konstituiert würde. Damit wird das Gericht zum Trost sowohl für Täter als auch Opfer innerhalb deren konfligierenden Handelns. Als solches ist es freilich nur sub specie contrario im Hier-und-Jetzt unter dem Licht der Gnade von Kreuz und Auferstehung erfahrbar. Unter diesem Licht wird auch das Verdammungsurteil nicht mehr gefürchtet, wie wir im Anschluss an das in diesem Buch schon häufiger erwähnte Diktum Luthers – nach dem derjenige, mit dem Gott redet, sei es im Zorn oder in der Gnade, gewiss unsterblich ist –, sagen können: Selbst wenn uns Gott in die Hölle schicken würde, könnten wir mit Freuden gehen, denn es wäre Gott, der uns schickt, und damit wäre die Hölle, verstanden als Beziehungslosigkeit zu Gott, gerade nicht mehr die Hölle. Sie wäre in Leben verwandelt.192

5.4

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

Zuletzt bleibt nur noch eines: Eine Besprechung des Zieles der eschatischen Hoffnung, eine Besprechung dessen, worauf sich diese Hoffnung richtet: die eschatische Realität selbst. Damit scheinen sich aber unumgängliche Schwierigkeiten zu verbinden: Die eschatische Realität selbst liegt eben nur im Modus der Hoffnung auf Basis des Glaubens vor; sie ist noch keine direkte Erfahrungswirklichkeit. So sind unserem Reden Grenzen gesetzt. Anderseits kann aber auch nur etwas ein Gegenstand von wahrnehmungs- und handlungsleitender Hoffnung sein, über das auf irgendeine Weise gesprochen werden kann und über das auch gesprochen werden muss, da der christliche Glaube und die christliche Hoffnung wesentlich in einer kommunikativen Sozialgestalt vorliegen. Gesprochen werden kann aber nur über etwas, das – und sei es in Gestalt von Imaginationen – eine phänomenale Wahrwertnehmungsbasis besitzt. Betrachtet man die biblischen Bilder, mit denen die eschatische Realität beschrieben wird, fällt auf, dass diese sehr vielfältig sind und mannigfachen Bildwelten entstammen. Unter diesen vielfältigen Bildern sind u. a. die folgenden zu nennen: das Paradies (Lk 23,43; Apk 2,7), das neue oder himmlische Jerusalem (Apk 21,10–27), das Himmelreich (Mt 5,20; 7,21; 8,11; 13,11; 18,1.4 etc.), die unmittelbare Schau Gottes von „Angesicht zu Angesicht“ (1.Kor 13,12), die eschati192 Vgl. Luther, M., WA 43, 481,32f.

Wie kann von der eschatischen Realität gesprochen werden?

Mannigfaltige biblische Bilder

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sche Weinlaube (Mi 4,4), der Tierfrieden (Jes 11,6–9), Vergöttlichung (Röm 8,14; Apg 17,28f; 2.Petr 1,4), das Zusammensein mit dem Herrn (1.Thess 4,17), Gott ist „alles in allem“ (1.Kor 15,28), eine neue Erde und ein neuer Himmel (Apk 21,1), das ewige Leben (Mt 25,46; Mk 10,30; Joh 3,16; Röm 6,22), die Vollendung des Reiches Gottes (s.u.). Es kann nicht Aufgabe einer systematisch-theologischen Betrachtung sein, darzustellen, wie sich im Laufe der Theologiegeschichte die bildhaften Vorstellungen entwickelt haben. Ebenso kann es nicht Aufgabe dieses Kapitels sein, den metaphorischen Gehalt dieser Bildsprache auszuschöpfen und auf die gegenwärtige Sprache zu beziehen. Für Ersteres muss auf kulturgeschichtliche Darstellungen verwiesen werden,193 Letzteres ist Aufgabe nicht der Wissenschaft, sondern der kirchlichen Verkündigung und damit Aufgabe des personalen Zeugnisses letztlich jedes Christen. Allerdings wird eine Explikation dieser Bildwelten auch in der Verkündigung dann begrifflich ausweisbaren Ansprüchen genügen müssen, wenn sie nicht in die Beliebigkeit individueller oder allgemeiner und u.U. auch sündiger, weil der Wirklichkeit unangemessener, Hoffnungen beruhen soll. Der begriffliche Maßstab, der dazu angelegt werden kann und über den die Verkündigung gegebenenfalls Rechenschaft zu geben hat, ist letztlich nichts anderes als die Gesamtheit des christlichen Wahrwertnehmens unter der Perspektive der Hoffnung und damit nichts anderes als alles, was in diesem Buch in Ansätzen zu sagen versucht wurde. Insofern trägt dieses abschließende Kapitel auch den Charakter eines Fazits und wird nichts anderes tun können, als das in den vorhergehenden Kapiteln Gesagte z.T. aufzunehmen. Um aber den Eindruck zu vermeiden, die eschatische Realität sei etwas, über das man gar nicht sprechen und somit nach Wittgenstein (gest. 1951) als Mystisches schweigen müsse,194 erscheint es sinnvoll, die eschatische Realität unter einem Leitbild zu beschreiben, indem eines der genannten Bilder, das möglichst zentralen oder organisierenden Charakter für die Darstellung des christlichen Wirklichkeitsverständnisses besitzt, herausgegriffen wird. Dazu erscheint der Begriff des Reiches Gottes, genauer der Begriff der Vollendung des Reiches Gottes angemessen (5.4.2). Von dort aus können dann die anderen Bilder in den Blick genommen werden (5.4.3). Abschließend ist auch hier noch ein kurzes Wort über die Handlungsrelevanz zu verlieren (5.4.4). Nun hat der Gedanke des Reiches Gottes in der christlichen Theologie eine derart prominente Stellung, dass es hier nicht um die Bedeutung des ReichGottes-Gedankens an sich gehen kann, sondern ein Schwerpunkt 193 Vgl. z. B. Lang, B./McDannell, C., Himmel. 194 Vgl. Wittgenstein, L., Tractatus, 6.522 u. 7.

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

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auf die Vollendungsgestalt des Reiches Gottes gelegt werden muss. Bevor diese Vollendung des Reiches Gottes aber thematisiert werden kann, ist es nötig, die prominente Stellung im Rahmen christlichen Denkens wenigstens ansatzweise vor ihrem biblischen Hintergrund zu erläutern (5.4.1). 5.4.1

Systematische Aspekte der Rede vom Reich Gottes in Schrift und Theologiegeschichte

§95 Die biblische Rede vom Reich Gottes beinhaltet (1.) zeitliche §95 Die Rede vom Aspekte, unter denen das Reich Gottes als a) zukünftig, als b) gegen- Reich Gottes in ihren Aspekten wärtig und als c) schon in der Gegenwart anbrechend, aber seiner Vollendung harrend beschrieben werden kann. Darüber hinaus beinhaltet die Rede vom Reich Gottes (2.) einen räumlichen Aspekt, indem das Reich Gottes als a) diesseitig, b) jenseitig und c) in einer Verbindung von diesseitig und jenseitig gesehen werden kann. Die Rede vom Reich Gottes beinhaltet (3.) personale Aspekte, unter denen das Reich Gottes als a) innerpersonal, b) interpersonal und als c) eine Verbindung von Innerpersonalem und Interpersonalem gesehen werden kann. Hinsichtlich der Frage (4.) nach dem Subjekt des Reiches Gottes kann es dergestalt als a) ethische Größe verstanden werden, dass es auf menschlichem Handeln beruht. Andererseits kann es auch b) auf göttlichem Handeln beruhend gedacht werden. Durch c) die Person Christi als Subjekt des Reiches Gottes sind menschliche und göttliche Subjekthaftigkeit verbunden. In Jesu Wirken (5.) bricht das Reich Gottes in seiner Wundertätigkeit, seiner Tätigkeit als Gleichniserzähler und Sündenvergeber und seinen Mahlgemeinschaften an. Die Wundertätigkeit zeigt, dass das Reich Gottes a) die natürliche Welt einschließt, seine Tätigkeit als Gleichniserzähler und Sündenvergeber zeigt, dass b) die personale und soziale Welt eingeschlossen sind und c) in seinen Mahlgemeinschaften zeigt sich, dass natürlicher und personaler Aspekt verbunden sind. Die Aspekte 1–5 des Reiches Gottes sind dabei keine willkürlichen Additionen, sondern ergeben sich samt und sonders aus der grundlegend narrativen Gestalt des Reiches Gottes, das in einer Verschränkung des primärnarrativen Gewebes der Welt in das transzendentalnarrative Werden des Liebesabenteuers Gott hinein besteht.

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Weil die Rede vom Reich Gottes ein Integral des Wahrwertnehmens des Handelns Gottes unter dem Aspekt der Durchsetzung seiner Herrschaft bezeichnet, könnte eine Reflexion auf das Ganze der christlichen Theologie als eine Explikation der Rede vom Reich Gottes in dogmatischer Hinsicht verstanden werden. Eine eschatologische Betrachtung des Reiches Gottes wird hingegen auf die noch nicht im Hier-und-Jetzt realisierte Vollendungsgestalt des Reiches Gottes abzielen. Die Rede vom Reich Gottes, bzw. der Gottesherrschaft, der basileia tou theou, ist grundlegend für die Verkündigung Jesu und dessen Verständnis seiner selbst. Die neutestamentlichen Zeugnisse195 vom Reich Gottes bzw. bei Matthäus vom „Himmelreich“ beinhalten Aspekte, die in der folgenden Theologiegeschichte aufgenommen, z.T. aber fälschlicherweise einseitig betont wurden. Einige dieser Aspekte sollen hier genannt werden. Der zeitliche Aspekt 1. Zunächst kann man einen zeitlichen Aspekt in der biblischen Rede vom Reich Gottes diagnostizieren. a) Das Reich Gottes ist einerseits eine zukünftige Größe, dessen Verwirklichung noch aussteht und als ultimative Bestimmung des Zieles der Geschichte Gottes mit der Welt betrachtet wird (Mk 10,23–25; 14,25; Lk 13,28–30; Mt 7,21; 1.Kor 6,9f; 15,50; Gal 5,21). Die Zukünftigkeit des Reiches Gottes wurde in besonderer Weise von Johannes Weiß196 (gest. 1914) und Albert Schweitzer (gest. 1965; s.o. Kap. 1.1.2) betont, dort jedoch nicht dogmatisch positiv gewürdigt (s.o. Kap. 1.1). Eine entsprechend positive Würdigung findet sich in etwa bei Jürgen Moltmann oder Wolfhart Pannenberg (s.o. Kap. 4.3). Das Reich Gottes in Jesu Verkündigung und im biblischen Zeugnis

b) Andererseits ist das Reich Gottes eine gegenwärtige Größe, dessen Anbruch bereits geschehen ist und die Gegenwart bestimmt (Lk 10,9; 11,20; 16,16; 1.Thess 2,10–12; Röm 14,17). Auffassungen, dass das Reich Gottes eine rein gegenwärtige Größe ist, erscheinen eher selten in der Geschichte der Christenheit, wenn man nicht solche Vorstellungen dazu zählen will, die das Reich Gottes zugleich als innerpersonales, geistiges Geschehen betrachten (s.u.). Charles Dodd (gest. 1973) sprach im 20. Jh. davon, dass es sich

195 Zu den nt. Hintergründen des Folgenden vgl. Becker, J., Jesus von Nazareth, 100–398, insbesondere 176–233 und zur Einführung auch Schröter, J., Reich Gottes III (Lit.). 196 Vgl. Weiß, J., Die Predigt Jesu vom Reich Gottes, 49f.

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bei dem Reich Gottes biblisch um eine realisierte Eschatologie handele (s.o. Kap. 1.1). Vollständig in der jeweiligen Zeit und Gesellschaft der Gegenwart wurde das Reich Gottes als realisiert nur dort verstanden, wo es zum Schwärmertum kam, etwa im Täuferreich zu Münster. Als in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen in der Gegenwart zur Wirkung kommend übte der Gegenwartsaspekt des Reiches Gottes aber auch Einfluss bei der Entwicklung zweier „Staaten“ (civitates) bei Augustin (gest. 430) oder bei der Entwicklung der reformatorischen Zwei-Regimenten-Lehre aus, wenn hier auch andere Aspekte eine bedeutende Rolle spielen. c) Neben Texten, die das Reich Gottes als gegenwärtig oder zukünftig beschreiben, gibt es auch solche, die versuchen, die Spannung in einer Einheit aufzuheben (Mk 4,30–32; Lk 13,18–21; Mk 1,14f). 2. Während das Reich Gottes hier mit Hilfe von zeitlicher Distanz Der räumliche Aspekt und Nähe beschrieben wird, finden sich andere Belege, die es mit räumlicher Distanz und Nähe beschreiben. a) Einerseits ist die Vorstellung zu nennen, dass das Reich Gottes ein räumlich ferner, nämlich himmlischer Bereich ist. Diese Vorstellung begegnet bereits vorjesuanisch (Dan 4,34; Ps 145,10–17). An diese Vorstellung knüpfen theologiegeschichtlich all jene Vorstellung des Himmels als eines idealen Ortes an, wie wir sie in Kap. 3.2 besprochen hatten. b) Andererseits ist die Vorstellung zu nennen, dass das Reich Gottes räumlich anwesend ist. Diese Vorstellung ist in den Vorstellungen der zeitlichen Gegenwart des Reiches Gottes (s.o.) vorausgesetzt. c) Eine Verbindung der Vorstellung von räumlich entferntem und räumlich gegenwärtigem Herrschaftsbereich findet sich dann auch dort, wo von einer Verschränkung von himmlischer und irdischer Welt die Rede ist. Exemplarisch geschieht dies etwa in der Rede von der Herabkunft des himmlischen Jerusalem auf die Erde (Apk 21,2). 3. Eine andere Frage, die man an Beschreibungen des Reiches Gottes Der personale Aspekt stellen kann, betrifft die Frage der Personalität. a) Einerseits wird das Reich Gottes als interpersonale oder soziale Größe gedacht, die die Wohlordnung zwischen den Personen betrifft (Lk 13,23–30). Betont wird dieser Aspekt überall dort, wo das Reich Gottes entweder selbst als ethische Größe betrachtet wird oder Einfluss auf die Ethik ausübt. Diese Unterscheidung

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ist deswegen wichtig, weil damit nicht impliziert ist, dass es sich dabei automatisch um Auffassungen handelt, die das Reich Gottes auch als durch ethisches Handeln bewirkt verstehen (s.u.). Als Paradigma des Reiches Gottes als eines Zustandes der sozialen Wohlordnung kann im 19. Jh. die Auffassung Albrecht Ritschls (gest. 1889) gelten (s.o. Kap. 1.1). b) Andererseits wird das Reich Gottes aber auch als innerpersonale Größe verstanden, die auf die Vollendung der Person und ihres affektiven Zustandes zielt (Lk 17,20f). Eine solche „Spiritualisierung“ findet sich in der Alten Kirche in der Theologie der Alexandriner, insbesondere bei Origenes (gest. 254),197 in der mittelalterlichen Mystik, aber auch in der neuzeitlichen Theologie im Kulturprotestantismus bei Adolf von Harnack (gest. 1930), wo es um die individuelle Seele und ihren Gott geht.198 c) Beide Aspekte, der soziale und der innerpersonale, können auch verbunden werden, etwa, wenn Paulus das Reich Gottes als eine Einheit von Gerechtigkeit, Frieden und Freude beschreibt (Röm 14,17). Dieser Ansatz zielt aber auf nichts anderes als auf die Koinzidenz von Gebot und affektiver Steuerung desselben, oder anders ausgedrückt: auf Spontaneität der Gesetzeserfüllung. Diese Verbindung von innerpersonalem und interpersonalem Aspekt des Reiches Gottes spielt bei der Entwicklung der reformatorischen Rechtfertigungslehre und der in ihr enthaltenen Auffassung des Verhältnisses von Glaube und Werke eine bedeutende Rolle. Exemplarisch kann hier Luthers Auffassung genannt werden, nach der der Heilige Geist in den Herzen der Glaubenden „Lust und Liebe zu allen Geboten“199 spendet. Wer ist Subjekt des Reiches Gottes?

4. Eine weitere Frage, die an die christliche Rede vom Reich Gottes gestellt werden kann, besteht darin, dass man nach den Handlungssubjekten fragt, die das Reich Gottes befördern. a) Einerseits kann das Reich Gottes interessanterweise auf menschlichem Handeln beruhen und damit als ethisches Phänomen charakterisiert werden (Mt 5,17–20). Als allein auf menschlicher Tätigkeit beruhend wird das Reich Gottes im Christentum glücklicherweise eher selten verstanden. Wir sahen aber, dass diese Vorstellung in der Aufklärung, etwa bei Lessing (gest. 1781, s.o. 197 Vgl. Frick, R., Die Geschichte des Reich-Gottes-Gedankens, 100–103. 198 Vgl. Harnack, A.v., Das Wesen des Christentums, 89f. 199 BSLK, 661.

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

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Kap. 4.3) und der der Aufklärung folgenden Ideologien bis hin zur Aufklärungstheologie eine Rolle spielte. b) Andererseits ist das Reich Gottes, wie der Name schon sagt, Wirkung des Zur-Herrschaft-Kommens Gottes, so dass es allein auf göttlichem Handeln beruht und nicht nach menschlichen Werten beurteilt werden kann (Lk 14,15–24). Auch diese Vorstellung findet sich im Christentum letztlich so gut wie nicht, weil das Reich Gottes konstitutiv an die Person Jesu Christi gebunden ist, die nicht allein als göttlich, sondern zugleich immer auch als menschlich zu verstehen ist. c) Beides, göttliches und menschliches Handeln, verbindet sich in Jesus bzw. Christus als Subjekt des Reiches Gottes. Dies zeigt sich einerseits darin, dass der historische Jesus in einzigartiger Weise den Selbstanspruch der Verwirklichung des Reiches Gottes in seinem Handeln sah, bis dahin, dass er in seinem Handeln den Maßstab für das Reich Gottes erblickt (Lk 12,8f). Andererseits ist dies im späteren Bekenntnis der ersten Christen ausgedrückt, in dem das Reich Gottes und das Reich Christi oder des Sohnes identifiziert werden (1.Kor 15,24f; Mt 20,21; Joh 18,36; Phil 2,9–11; Kol 1,15–17). Geschichtlich dürften sich die meisten Formen der Rede vom Reich Gottes in diese Kategorie einordnen lassen. 5. Gefragt werden kann nun auch, auf welche Weise bereits im Wirken Jesu das Reich Gottes anbricht. Achtet man darauf, erhält man nicht nur eine Antwort auf die Frage nach dem Selbstverständnis Jesu, sondern auch eine Antwort auf die Frage nach der Extension der Gottesherrschaft. a) Einerseits äußert sich die Gottesherrschaft in Jesu Wundertätigkeit. Neben unterschiedlichen Aspekten, die hier genannt werden könnten,200 ist allen Wundergeschichten gemeinsam, dass hier in die Gottesherrschaft auch die natürliche Welt eingeschlossen ist und sich so die Schöpfermacht Gottes in Jesu Wirken erschließt. b) Ebenso ist die Gottesherrschaft etwas, das in der personalen und sozialen Welt seine Wirkung zeigt. Dies kommt vor allem – neben Jesu autoritativer Sündenvergebung – in Jesu Gleichniserzählungen zum Ausdruck. Die Pointe von Jesu Tätigkeit als Gleichniserzähler ist dabei weniger, dass seine Gleichnisse beschreiben,

200 Vgl. Becker, J., Jesus von Nazareth, 211–233.

Auf welche Weise erscheint das Reich Gottes in Jesu Wirken?

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Die Eschata

wie das Reich Gottes sein könnte, sondern dass im Erzählen der Gleichnisse in perillokutionärer Weise, d. h. in der Wirkung, die er bei den Zuhörern erzielt,201 das Reich Gottes selbst gerade anbricht. Gleichnisse veranschaulichen nicht, wie man sich das Reich Gottes vorstellen könnte, sondern sie realisieren es, indem sie die Zuhörer in es hineinziehen. Indem aber die Gleichnisse als Erscheinungsform des Reiches Gottes damit als performative Rede zu kennzeichnen sind, erweist sich das Reich Gottes selbst als Kommunikationsgeschehen.202 c) Der dritte Aspekt, in dem das Reich Gottes in Jesu Tätigkeit Wirklichkeit wird, verbindet den sozial-personalen mit dem natürlichen Aspekt. Denn das Reich Gottes bricht in Jesu Mahlgemeinschaften an, die er zusammen mit seinen Jüngern, mit Zöllnern und Sündern hält. Auch hier verbindet sich der gegenwärtige mit dem zukünftigen Aspekt, denn die eschatische Realität kann von Jesus wesentlich als Mahl und damit als gemeinschaftlicher Genuss der Schöpfungsgaben verstanden werden (Mk 14,25). 6. Versucht man die genannten fünf Aspekte auf einen Nenner zu bringen, dann zeigt sich, dass das Reich Gottes zuallererst eine narrative Wirklichkeit einer bestimmten Gestalt von Wegliniengeschehen ist. Denn alle genannten Aspekte beruhen auf einer narrativen Wirklichkeit bzw. können von einer solchen abgeleitet werden. Wir sahen bereits in Kap. 3.1.2, §36, dass Raum und Zeit Ableitungen von Narrationen sind. Und während zeitliche oder räumliche Distanz, Nähe oder Verbindung widersprüchlich erscheinen, wenn man Raum und Zeit fälschlicherweise als basal ansieht – denn wie kann etwas gleichzeitig nah und fern sein –, verschwinden diese Schwierigkeiten, wenn man deren narrative Basis erkennt. Dasselbe gilt für die Frage der Personalität. Da Personen immer besondere Voneinander-undFüreinander Werdende sind, die nicht Geschichten haben, sondern selbst verknotete Geschichten sind, ist auch hier klar, dass es sich notwendig gleichursprünglich um eine inter- und innerpersonale Größe und ihre Verbindung handeln muss. Auch die Verbindung von göttlichem und menschlichem Handeln in der Person Christi deutet darauf hin, dass das Reich Gottes eine narrative Größe ist, die in einer Verschränkung der Geschichten – der Geschichten der glaubend und 201 Eine gute Einführung in die Terminologie der Sprechakttheorie von Austin, Searle und ihrer theologischen Anwendung liefert Brümmer, V., Theology and Philosophical Inquiry, 9–33. 202 Vgl. Becker, J., Jesus von Nazareth, 176–211.

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

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hoffend Wahrwertnehmenden mit der Geschichte des Lebens des dreieinigen Gottes – besteht. Dabei ist auch deutlich, dass es sich nicht um sekundärnarrative Geschichten, die nur menschlicher Zeichenkommunikation allein obliegen, handeln kann, sondern dass es um eine Verschränkung der primärnarrativen Wirklichkeit mit der transzendentalnarrativen Wirklichkeit Gottes geht. Daher sind logischerweise sowohl die natürliche als auch die sozial-personale Welt einbezogen. Die angesprochenen Fragestellungen, mit deren Hilfe wir sowohl die Der umfassende biblische als auch die ihr folgende theologiegeschichtliche Rede vom Charakter der Rede vom Reich Gottes Reich Gottes in den Blick genommen haben, sind längst nicht die einzigen narrativen Aspekte, unter denen man die Rede vom Reich Gottes betrachten kann. Dennoch ergibt sich bereits aus diesen Entfaltungen des narrativen Geschehens des Reiches Gottes, dass die Rede vom Reich Gottes nicht einfach die eschatische Realität als ein Teilthema der Dogmatik behandelt. Vielmehr erweist sich die Rede vom Reich Gottes einerseits als Ursprung christlichen Glaubens im Handeln Jesu selbst, andererseits aber auch als Integral des gesamten Handelns Gottes. Insofern könnte das Ganze des christlichen Glaubens auch als Explikation der Rede vom Reich Gottes dargestellt werden. Damit aber ist die Rede vom Reich Gottes letztlich koextensiv mit dem menschlichen Wahrwertnehmen des göttlichen Handelns an der Welt; also mit dem der Wahrwertnehmung der ökonomischen Trinität. Denn die Rede vom Reich Gottes beschreibt die narrative „Einheit von Gottes schöpferischem, versöhnendem und vollendendem Handeln“203 , und zwar unter dem Aspekt, dass dieses Handeln Gottes in Schöpfung, Versöhnung und Vollendung zu seinem Ziel und seiner Durchsetzung kommt. Als narratives Integral des christlichen Wahrwertnehmens ist die Rede vom Reich Gottes damit eine, wenn nicht die Aufgabe der Dogmatik überhaupt. Allerdings gibt es auch eine spezifische eschatologische Betrachtung der Rede vom Reich Gottes, die auf das gerade noch nicht im Hier-und-Jetzt Realisierte zielt. Diese eschatologische Rede hat unter dem Titel der Vollendung des Reiches Gottes dasjenige über die eschatische Realität selbst zu sagen, was begrifflich verantwortet werden kann. Dies soll im Folgenden dargestellt werden.

203 Schwöbel, C., Reich Gottes IV+V, 215.

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Die Eschata

5.4.2

Die Vollendung des Reiches Gottes in „begrifflicher“ Betrachtung

§96 Wird in einer eschatologischen Reflexion die eschatische Realität „begrifflich“ beschrieben, setzt dies voraus, dass es keine scharfe Unterscheidung zwischen literaler Rede und metaphorischer Rede gibt. „Begriffliche“ Rede ist nur eine Sonderform metaphorischer Rede: eine besonders methodisch kontrollierte Form dieser Rede, denn beides, Begriffliches wie Metaphorisches, findet seine Basis im Narrativen. Diese „begriffliche“ Rede von der eschatischen Realität trägt die Ergebnisse der systematischen Entscheidungen aller Kapitel dieses Buches zusammen. Sie hat exemplarischen Charakter. Die begriffliche Rede Die eschatische Realität ist narrativ-ereignishaftes Werden als pures vom Reich Gottes wayfaring im Gewebe. Sie teilt mit Zeit und Raum die Kennzeichen einer in einer Hinsicht irreversiblen, in einer anderen Hinsicht reversiblen Ordnung von Ereignissen, die asymmetrisch, irreflexiv und transitiv ist, ohne jedoch Zeit und Raum zu beinhalten. Sie schließt personale Transzendenz, Alterität (Andersheit) und Novität (Neuheit) mit ein und Falschheit und Unzweideutigkeit aus. Wahrheit wird damit zum eschatischen Begriff. Die eschatische Realität schließt kreatürliche und göttliche Interaktion und Kooperation mit ein. Zuallererst geschieht dies in der vollkommenen Koinzidenz von Kontingenz und Güte im sich vollziehenden Liebesabenteuer. Davon abgeleitet handeln Personen spontan nach Gottes Liebeswillen, so dass „wollen“ und „sollen“ stets koinzidieren ohne sich ineinander aufzulösen. Die eschatische Realität schließt nicht nur personale, sondern auch apersonale Kreaturen mit ein, wenn wir auch nicht wissen, in welchem Umfang. Versteht man den Leib korrekt als das Medium personalen In-Beziehung-Seins, ist auch Leiblichkeit als ganz durch den Heiligen Geist bestimmte, unverletzte Leiblichkeit eingeschlossen. Die eschatische Realität schließt ferner Sozialität mit ein. Konkret ist sie das unmittelbare Zusammensein mit der Person Jesu Christi und damit auch das Zusammensein mit Vater, Sohn und Heiligem Geist. Daraus ergibt sich der Inhalt der Regelgabe als die Realisierung wahrer Liebe ohne jegliche merkantile (ökonomische) oder manipulative (politische) Beziehungen. Für Personen ist die eschatische Realität nur durch den Tod als die Konfirmation ihrer Rechtfertigung und das Auferwecktwerden durch Gott zu erreichen. Die eschatische Realität ist durch das Gericht als Transformationsprozess erreichbar, das ga-

§96 Die Wahrheit des Lebens in der Vollendung des Reiches Gottes

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

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rantiert, dass das welthafte Böse als erinnertes aber überwundenes eingeschlossen ist. Indem das Gericht auch Konstitutionsprozess geschöpflicher Personen ist, ist das eschatische Leben geschöpflicher Personen deren eigentliches Leben und die Bedingung der Möglichkeit ihres Lebens im Hier-und-Jetzt. All diese Aussagen bleiben als theologia viatorum selbst präeschatische Aussagen und bedürfen ebenfalls des Gerichts. Wenn wir hier die eschatische Realität als Vollendung des Reiches Gottes beschreiben, ist dies nicht als Versuch der Explikation einer oder mehrerer Aspekte der zuletzt beschriebenen Rede vom Reich Gottes zu verstehen. Vielmehr werden nun die Schlussfolgerungen aus den systematischen Erträgen der letzten Kapitel für die begriffliche Rede von der eschatischen Realität gezogen. „Begrifflichkeit“ darf nicht missverstanden werden. Sie ist weder die Basis noch ein Gegensatz zu narrativer und metaphorischer Rede, sondern zusammen mit metaphorischer Rede findet begriffliche Rede ihrerseits ihre Basis im Narrativen.204 Das ermöglicht gerade ihre wichtige Funktion für sekundärnarrative und strukturnarrative205 Rede, weil der begriffliche Gehalt eine wichtige Kriteriologie liefern kann, an der sich die bildlichen Ausdrücke für die eschatische Realität messen lassen können. Dies ist möglich, nicht weil „begriffliche“ Rede höher stünde oder das „Eigentliche“ gegenüber der bildlichen Rede zu sagen hätte, sondern weil sie von Anfang an aus dieser stammt. Ganz entscheidend für die Ausbildung (post-)systematisch-theologischer Kompetenz in eschatologischer Perspektive sind diese beiden genannten Fähigkeiten: Das Aufstellen einer entsprechenden begrifflichen Kriteriologie und die (Rück-)Applikation auf die bildliche Rede. Denn für die Verkündigung, sei es in Predigt, Seelsorge oder Religionsunterricht, sind diese beiden Fähigkeiten eine notwendige Bedingung. Insofern hat dieses Kapitel exemplarischen Charakter. Ob man von der Vollendung des Reiches Gottes, dem ewigen Leben oder der Vollendung der Welt sprechen will, meint fast dasselbe, weil auch diese Sprache letztlich metaphorische Sprache ist. Dennoch ist der Versuch, auch begrifflich über die eschatische Realität zu sprechen, dann nicht zum Scheitern verurteilt, wenn sich begriffliche Rede gar nicht qualitativ oder kategorial, sondern quantitativ von metaphorischer oder bildlicher Sprache unterscheidet, und zwar 204 Vgl. Mühling, M., PST I, 275–300. 205 Zur Terminologie von narrativer Ontologie und Narratologie vgl. Mühling, M., PST I, 69–84.

Die begriffliche Rede vom Reich Gottes als Zusammenfassung der Eschatologie

Der Charakter begrifflicher Sprache

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Die Eschata

Ereignishaftigkeit

Personale Transzendenz

Wahrheit

exakt dadurch, dass es sich um eine besonders allgemeine und kontrollierte Sprachform handelt.206 Dann aber ist diese „begriffliche“ Rede durchaus in der Lage, ihren Dienst zu tun: als Kriteriologie für weniger kontrollierte und stärker an die Imagination appellierende Rede von der eschatischen Realität zu fungieren. Die eschatische Realität kann nicht narrationslos sein. Sie ist selbst ein narratives Werden, kein Zustand. „Vollendung des Reiches Gottes“ bedeutet daher nicht, dass nichts mehr geschehen würde. Ebenso bedeutet „Ziel“ hier nicht ein Ende des Werdens, sondern ein neues Werden unter anderen, unzweideutigen Bedingungen. Zur eschatischen Realität als eschatischer Narration gehört dann nach dem in Kapitel 3.1 Gesagten auch, dass sie nicht zeitlos sein kann, nicht in der Gleichzeitigkeit aller zeitlichen Ereignisse bestehen und auch nicht einfach eine Zeit nach der Zeit der Welt sein kann. Die eschatische Realität hat vielmehr wie auch die Zeit selbst eine narrative Gestalt, die sich in ihrem Charakter einer irreversiblen Ordnungsrelation spiegelt, die ihrerseits ein Aspekt des trinitarischen Werdens Gottes selbst ist. Damit ist eingeschlossen, dass die eschatische Realität selbst Ereignishaftigkeit besitzt. Ebenso kann nach Kapitel 3.2 die eschatische Realität weder raumlos noch räumlich verstanden werden. Vielmehr teilt sie auch, wie das Werden Gottes selbst, mit dem primärnarrativen Raum der Welt die Struktur reversibler Ordnungsrelationen. Damit schließt die eschatische Realität die Möglichkeit von personaler Transzendenz und Andersheit gerade ein. In der eschatischen Realität gibt es keine Falschheit mehr, sondern nur noch Wahrheit. Da die eschatische Realität darin als Vollendung der Schöpfung zu verstehen ist, dass die Zweideutigkeiten und die Unabgeschlossenheit des geschöpflichen Regelwerkes der Doppelregel der Liebe aufgehoben und dadurch die Welt vollendet wird, indem die Geschöpfe aus ihrem welthaften, vorletzten Individuationsrahmen aus Gnade in das trinitarische Beziehungsgewebe versetzt werden, besteht dann vollkommene Konsonanz des geschöpflichen Wahrwertnehmens und symbolisierenden Handelns mit dem Handeln Gottes. Wir hatten in Kapitel 3.3 gesehen, dass Wahrheit im Sinne einer eigentlich ethischen Wahrheitstheorie in der Kompatibilität geschöpflichen, erkennenden Handelns mit göttlichem Handeln und dessen Resultaten besteht. Nun zeigt sich, dass dies in letzter Instanz ein eschatischer Wahrheitsbegriff ist, weil nur in der eschatischen Situation diese vollständige Kompatibilität gegeben ist.

206 Vgl. Mühling, M., Gott ist Liebe, 24–43.

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

Im eschatischen Werden als vollkommenem Abenteuer koinzidieren Kontingenz und Güte. Das bedeutet, dass alles – aber auch wirklich alles – transportartige Werden ausgeschlossen ist. In der Vollendung des Reiches Gottes gibt es nur noch pures wayfaring. Es gibt keine Netzwerke mehr, sondern nur noch Gewebe. Es gibt keine Intentionalität mehr, sondern nur noch Attentionalität. Das hat sofort Einfluss auf die menschliche Willensrichtung für gestaltendes Handeln. Denn auch dieses wird nicht aufgehoben. Da der Handlungsbegriff aber auch Absichtlichkeit und damit Selektionsfreiheit einschließt, kann auch diese nicht in der eschatischen Realität reduziert werden. Wenn die eschatische Realität andererseits aber gut und nur gut sein soll, dann ist dies nur denkbar, wenn eine vollständige Konsonanz des Willens der Geschöpfe mit der Doppelregel der Liebe als Willen Gottes besteht. Dies ist eine Konsonanz, die nicht intentional die Anerkennung der Liebe als Gesetz bedeutet, sondern auf immer wieder neuem, spontanen und attentionalen Wahrwertnehmen der tatsächlichen affordances des eschatischen Werdens beruht. Diese vollständige Konsonanz zwischen geschöpflichem Willen und der Doppelregel der Liebe, die eine Unterform der abenteuerlichen Konsonanz von Kontingenz und Güte ist, darf dann natürlich nicht so gedacht werden, dass eines der beiden Relate in dem anderen aufgeht oder eines der beiden Relate vorgängig wäre. Die Geschöpfe tun dann einfach den Willen Gottes, es besteht pure Faktizität. Hubertus G. Hubbeling (gest. 1986) hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, man könne das Reich Gottes vollständig formallogisch definieren, nämlich als vollständige Konsonanz von Modallogik und deontischer Logik.207

397

Die eschatische Realität als Abenteuer

Eine rein formale Beschreibung des Reiches Gottes

Die Modallogik208 behandelt die Umformbarkeit von Modalbegriffen Was ist Modallogik? wie „möglich“, „unmöglich“, „zufällig“, „kontingent“, „notwendig“. Diese Begriffe werden als Modaloperatoren (M für „es ist möglich, dass …“ und N für „es ist notwendig, dass …“) Aussagesätzen (abgekürzt mit p) vorangestellt. Ein Satz wie „Es ist möglich, dass Narnia existiert“ würde dann folgendermaßen formalisiert werden: Mp, wenn p heißt, „Narnia existiert“. Was der Inhalt eines möglichen Aussagesatzes p ist, ist dabei für die Semantik der Modalbegriffe unerheblich. Sie können ohne auf den Inhalt zu achten, ähnlich unserer Erklärung der umgangssprachlichen Begriffe unseres Zukunftverstehens aus Kapitel 1.3, folgendermaßen ineinander umgeformt werden:

207 Vgl. Hubbeling, H.G./Swart, H.C.M.d., Inleiding, 114. 208 Eine knappe Einleitung in die Modallogik bietet Menne, A., Einführung in die formale Logik, 55–64. Eine detaillierte Darstellung der Modalitäten für ihre Bedeutung der Theologie findet sich jetzt in Evers, D., Gott und mögliche Welten.

398

Die Eschata –Mp = Up = N–p

„es ist nicht möglich, dass …“ = „es ist unmöglich, dass …“ = „es ist notwendig, dass nicht …“

–M–p = U–p = Np

„es ist nicht möglich, dass nicht …“ = „es ist unmöglich, dass nicht …“ = „es ist notwendig, dass …“

–Np = M–p

„es ist nicht notwendig, dass …“ = „es ist möglich, dass nicht …“

–N–p = Mp

„es ist nicht notwendig, dass nicht …“ = „es ist möglich, dass …“

Mp & M–p = Kp

„es ist möglich, dass … und es möglich, dass nicht …“ = „es ist kontingent, dass …“

Die Faktizität erhält keinen eigenen Modaloperator. Denn wenn man sagt, dass es faktisch ist, dass es Ziegelhausen gibt, dann sagt man nichts anderes, als: „Es gibt Ziegelhausen“. Die Faktizität wird also einfach mit der entsprechenden Aussage p ohne Modaloperator ausgedrückt. Zu ergänzen sind neben diesen Umformungsmöglichkeiten noch einige wichtige Gesetze der Modallogik: p → Mp

„wenn …, dann ist es auch möglich, dass …“ Bsp.: Wenn es faktisch richtig ist, dass es Ziegelhausen gibt, dann muss es auch möglich sein, dass es Ziegelhausen gibt.

Np → p

„wenn es notwendig ist, dass …, dann …“ Bsp.: Wenn es notwendig ist, dass Dreiecke im euklidischen Raum eine Winkelsumme von 180° haben, dann haben sie auch faktisch eine Winkelsumme von 180°.

Das letzte Gesetz gilt offensichtlich von der Notwendigkeit, aber nicht von der Möglichkeit. Daher wäre das Folgende kein Gesetz der Modallogik: ungültig: Mp → p

„wenn es möglich ist, dass …, dann …“ Bsp.: Wenn es möglich ist, dass Schneewittchen existiert, dann existiert Schneewittchen auch. Dieser Schluss ist falsch.

Was ist deontische Die deontische Logik behandelt deontische Begriffe wie „erlaubt sein“, Logik? „gesollt sein“, „vorgeschrieben sein“, „zulässig sein“, „verboten sein“. Auch

hier können diese Begriffe mit Modaloperatoren ausgedrückt werden, die vor einen Aussagesatz gestellt werden können. Dabei fällt auf, dass die Umformungen dieser Begriffe genau den Umformungen der Modalbegriffe entsprechen. Nd steht nun für „es ist gesollt“ (= „es ist vorgeschrieben“ = „man muss …“), Md für „es ist erlaubt“, Ud für „es ist verboten“ und Kd p für „es ist ethisch gleichgültig“.

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes –Md p = Ud p = Nd –p

„es ist nicht erlaubt, dass …“ = „es ist verboten, dass …“ = „es ist vorgeschrieben, dass nicht …“

–Md –p = Ud –p = Nd p

„es ist nicht erlaubt, dass nicht …“ = „es ist verboten, dass nicht …“ = „es ist vorgeschrieben, dass …“

–Nd p = Md –p

„es ist nicht vorgeschrieben, dass …“ = „es ist erlaubt, dass nicht …“

–Nd –p = Md p

„es ist nicht vorgeschrieben, dass nicht …“ = „es ist erlaubt, dass …“

Md p & Md –p = Kd p

„es ist erlaubt, dass … und es erlaubt, dass nicht …“ = „es ist ethisch gleichgültig, dass …“

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Auch die Ungültigkeit des Schlusses von der Möglichkeit auf die Faktizität sieht in der deontischen Logik ähnlich aus, denn man kann offensichtlich nicht von der Erlaubnis auf die Faktizität schließen: ungültig: Md p → p

„Wenn es erlaubt ist, dass …, dann …“ Bsp.: Wenn es erlaubt ist, dass LKWs überholt werden, dann werden LKWs auch stets überholt. Dieser Schluss ist falsch.

Die Umformungen der Modalbegriffe entsprechen also genau den Umformungen der deontischen Begriffe und diese eine Ungültigkeitserklärung ebenso. Die Entsprechung von deontischer und Modallogik gilt aber im Hier-und-Jetzt nicht mehr, wenn man die aufgeführten Gesetze betrachtet. Denn offensichtlich folgt aus der Faktizität eines Ereignisses noch nicht, dass es auch erlaubt ist, genauso wenig wie aus der Gebotenheit eines Ereignisses auch dessen Verwirklichung folgt: ungültig: p → Md p

„wenn …, dann ist es auch erlaubt, dass …“ Bsp.: Wenn es faktisch richtig ist, dass Motorräder gestohlen werden, dann ist es auch erlaubt, dass Motorräder gestohlen werden. Dieser Schluss ist falsch.

ungültig: Nd p → p

„wenn es geboten ist, dass …, dann …“ Bsp.: Wenn es geboten ist, nicht schneller als 120 km/h zu fahren, dann wird auch immer 120 km/h gefahren. Dieser Schluss ist falsch.

In der eschatischen Realität jedoch müsste eine vollständige Konkordanz zwischen Modallogik und deontischer Logik bestehen, d. h. die Form der beiden zuletzt genannten Schlüsse ist gültig, und zwar ohne dass die Handlungsfreiheit der Handelnden geleugnet wäre. Dies ist gemeint, wenn Hubbeling von einer rein formalen Beschreibung des Reiches Gottes spricht. Diese rein formale Beschreibung ist freilich noch sehr abstrakt, weil der Inhalt p der Sätze völlig beliebig ist. Aus christlicher Sicht genügt diese formale Definition des Reiches Gottes nicht, sondern man wird noch den konkreten Inhalt ergänzen müssen: Der Gehalt p kann nur darin bestehen, Gott und den Nächsten zu lieben.

Konkordanz von Modallogik und deontischer Logik im Reich Gottes

400

Die Eschata

Die eschatische Realität kann aber nicht nur auf diese Weise rein formal beschrieben werden, sondern die deontische Logik lässt auch den Fall von ethisch indifferenten Handlungen und Ereignissen zu: dasjenige, das erlaubt ist und dessen Gegenteil ebenfalls erlaubt ist. Dies ist, so sahen wir in Kapitel 3.3, derjenige Bereich, in dem es nur ästhetische Differenzen, aber keine ethischen Differenzen gibt. In der eschatischen Realität ist auch dieser Bereich nicht ausgeschlossen, aber diese ethische Indifferenz ist so zu denken, dass er eschatische Ereignisse betrifft, die genauso gut sind wie ihr Gegenteil. Damit ist die Möglichkeit zugelassen, dass unser Hier-und-Jetzt etwas zur konkreten ästhetischen Gestalt der eschatischen Realität beiträgt, weil es mehrere gleich gute denkbare eschatische Realitäten geben kann, die aber nicht alle verwirklicht werden. Ebenso ist es denkbar, dass die göttlichen und geschöpflichen Personen auch in der eschatischen Realität, die Gott selbst ist, weiterhin in Kooperation zusammen handeln. Ausgeschlossen ist damit die Vorstellung, dass es nur eine denkbare beste Welt gäbe, genauso wie die Vorstellung, dass die eschatische Realität in dem Sinne Fülle ist, nach dem es keine Differenz mehr zwischen Möglichkeit und Aktualität gibt. Die eschatische Fülle ist vielmehr so zu verstehen, dass sie einen unendlich offenen, narrativen Ereigniszusammenhang bildet, in dem Vater, Sohn und Geist unendlich viele Möglichkeiten spontan hervorbringen, die unendlich realisiert werden, ohne dass Realisierung und Möglichkeit sich decken würden. Dies zu denken, bereitet aber der Logik der Unendlichkeit auch keine Schwierigkeiten. Wie steht es um den Es ist nach unseren Ergebnissen aus Kapitel 4.1 auch notwendig, „Zufall“ im Reich dass an der eschatischen Realität nicht nur Personen partizipieren, Gottes? sondern auch nichtpersonale Kreaturen aus Gnade vergöttlicht werden. Eingeschlossen ist damit sogar, dass Gott auch einen eschatischen Zufall zulässt, wenn auch nur im Bereich dessen, was in egalitärer Weise gut ist, so dass auch der Zufall nur den Bereich der Ästhetik und damit den Bereich des ethisch Indifferenten betrifft. Denn der Zufall kann sich nur im Rahmen der Koinzidenz von Kontingenz und Güte des Liebesabenteuers vollziehen. Als solcher ist er aber echter Zufall. Auch aus Sicht des narrativen und relationalen Menschenverständnisses ist dies notwendig. Denn wenn Personen eschatisch nicht vernichtet, und Personen durch ihr gesamtes Beziehungsgewebe konstituiert werden, einschließlich der Beziehungen zur nichtpersonalen Umwelt, dann ist es zwingend, dass auch Nichtpersonales aus Gnade vergöttlicht wird. Die Frage, ob man dies dann als eine Erneuerung der Welt betrachtet oder als eine Vernichtung der Welt, hängt lediglich vom Weltbegriff ab. Hielte man die Raumzeit (fälschlicherweise) für weltkonstitutiv, wird man nur von einer annihilatio sprechen könDie ästhetische Gestalt des Reiches Gottes

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

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nen, andernfalls (korrekt) von einer renovatio. Hinsichtlich der Frage, welchen nichtpersonalen Entitäten genau durch Gott eschatische Relevanz zugewiesen wird, und hinsichtlich der Frage, wie denn nun der nichtpersonale Bereich der eschatischen Welt aussieht, ist nur eine Antwort möglich: Wir wissen es nicht und werden überrascht werden. Wir hatten schon vorausgesetzt, dass kreatürliche Personen aus Leiblichkeit Gnade an der eschatischen Realität partizipieren, miteinander interagieren und kommunizieren können. Dies schließt ihren Leib ein oder aus, je nachdem wie man den Begriff des Leibes definiert. Ausgeschlossen ist die Vorstellung einer rein individuellen Seele, die zusammen mit Gott lebt bar jeder Beziehung zu anderen genauso wie eine Verschmelzung zu einer differenzlosen Identität. Sähe man den Leib (fälschlicherweise) von physikalischer Materialität bestimmt, können wir nur sagen, dass wir nicht wissen, ob diese von eschatischer Relevanz ist. Vermutlich könnte man auch guten Gewissens mit „Nein“ antworten. Hat die Leiblichkeit (korrekt) im Hier-und-Jetzt aber medialen Charakter als Medium des personalen Beziehungswerdens, wird man von einer leiblichen eschatischen Realität sprechen müssen. Die Gestalt des personalen Mediums Leib wird jedoch nicht mehr zufällig durch diese oder jene Beziehung, in der sie steht, bestimmt, sondern ausschließlich durch das Handeln des Heiligen Geistes, so dass von einer geistlichen Leiblichkeit zu sprechen ist. Ihr kommt nun eben durch dieses Handeln gnadenhaft Integrität zu, denn sie ist nun auch als unverletzbar zu verstehen, wenn Verletzlichkeit als eine Bestimmung der Leiblichkeit durch andere als die identitätskonstitutiven Relationen definiert wird. Da es für personale Identität nicht nur nötig ist, ist einer Selbstbe- Sozialität ziehung, in Beziehung zu nichtpersonalen Entitäten und zu Gott zu werden, sondern auch in Beziehung zu anderen geschöpflichen Personen, eignet der eschatischen Realität per se auch eine Sozialgestalt. In dieser Sozialgestalt gibt es aber keine Differenz mehr zwischen solchen kommunikativen Vorgängen, die vom Geist Gottes bestimmt sind, und solchen, die nicht vom Geist Gottes bestimmt sind. Ebenso kennt diese Sozialgestalt natürlich keine wie immer geartete Organisationen mehr. Damit verschwindet eschatisch (und nur eschatisch) die Differenz von Kirche und Welt, von Gottes Regiment zur Linken und Gottes Regiment zur Rechten. Man kann auch sagen: Im Reich Gottes gibt es keine Kirche mehr, insofern damit eine Differenzgröße bezeichnet wird. Meint man mit Kirche aber nur die Gemeinschaft der Heiligen, kann die Kirche als nicht verschwindend gedacht werden. Natürlich gibt es auch keinen Staat mehr und keine Ökonomie. Denn bei politischen und ökonomischen Beziehungen geht es um Macht-

402

Die Eschata

Theosis als unmittelbare Liebesbeziehung mit Christus, Vater und Geist

Tod und Auferweckung

Gericht und Transformation

und Güterdistribution jenseits von Liebe. Ökonomische und politische Beziehungen sind stets Ausdruck von transport im Netzwerk. Wenn nur wayfaring übrig bleibt, verschwindet auch alles Politische und Ökonomische. Fast alle Bestimmungen der eschatischen Realität waren bisher formale Bestimmungen, keine inhaltlichen Bestimmungen. Eine solche inhaltliche Bestimmung ist aber gegeben, und zwar ganz konkret: Die eschatische Realität besteht für uns darin, dass wir unmittelbar in Ewigkeit mit unserem Herrn Jesus Christus zusammen sein werden. Da dieser aber die zweite Person der Trinität ist, die in unmittelbarer Beziehung mit Vater und Geist von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt und regiert, ist der Begriff der Parusie als des ewigen Zusammenwerdens mit Christus aber koextensiv mit der Theosis im Sinne des Inkorporiert-Werdens in das innertrinitarische Beziehungswerden des Liebesabenteuers Gott, d. h. wir werden Gott von „Angesicht zu Angesicht“, d. h. unmittelbar „schauen“, d. h. mit den trinitarischen Personen interagieren. Daraus folgt auch, dass das, was in Christus im Hier-und-Jetzt geschieht – die Realisierung wahrer Liebe – auch inhaltlich das Bestimmende der eschatischen Realität sein wird: Die Liebe ist nicht mehr zu übertreffen. Der Glaube im Sinne von Nichtwissen kann aufhören, im Sinne von Vertrauen freilich nicht, weil Vertrauen ein wesentlicher und konstitutiver Bestandteil von Liebe ist. Ebenso ist die Hoffnung im Sinne einer Differenzerfahrung von Leidvollem und Erwünschtem kein sinnvoller Begriff mehr. Im Sinne des hoffenden Vertrauens auf die immer wieder neue Koinzidenz von Kontingenz und Güte im Abenteuer bleibt aber auch das Hoffen bestehen. Damit dieses eschatische Leben denkbar ist, ist es nötig, dass Personen auch tatsächlich gerechtfertigt werden können, d. h. allein durch Gnade ohne eigen‘ Verdienst und Würdigkeit an der eschatischen Realität partizipieren können. Dazu erscheinen aber sowohl der Tod im Hier-und-Jetzt unabdingbar, insofern er die Konfirmation der Rechtfertigung ist, als auch das Auferwecktwerden der Personen durch Gott, weil nur dann das nötige Kontinuitätsmoment denkbar ist und die Treue des Schöpfergottes gewahrt bleibt. Neben dieser Auferstehung ist aber auch das Gericht von bleibender Bedeutung, weil nur dieses die nötigen Transformationen erlaubt. Wird das Gericht als Transformation des Bösen in überwundenes, aber erinnertes Böses verstanden, kann auch das Böse einen Beitrag zur eschatischen Realität leisten, allerdings nur noch einen ästhetischen. Es ist als erinnertes Böses stets auch nicht mehr böse. Damit ist es weder wie im klassischen Gedanken des doppelten Ausgangs des Gerichts zu ewigem Leben und ewiger Pein als bestraftes Böses

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

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dualistisch verewigt, noch wie im Falle einer Annihilation für nichtig erklärt: Wäre das Böse im Eschaton nicht einmal in seiner ins Ästhetische transformierten Gestalt vorhanden, wäre es in Ewigkeit nicht erinnert. Was aber in Ewigkeit nicht erinnert ist, hätte auch für das Leben im Hier-und-Jetzt keine Relevanz. Für das Böse, das erlitten wird, ist die Person Jesu Christi das Paradigma: Auch der auferstandene Christus trägt noch Narben. Sie sind Zeichen seiner Identität, aber sie sind als Zeichen überwundenen Leides nun auch Zeichen seiner Schönheit. In der gleichen Weise müsste auch das Böse, das täterhaft im Hier-und-Jetzt Leid verursacht hat, als „vernarbt“ gedacht werden. Denkbar ist dies. Wie aber soll man sich das vorstellen? Wir wissen es nicht. Ist das Gericht aber nicht nur Transformationsprozess der Person, sondern der eigentliche Konstitutionsprozess der Person, verschwinden alle Schwierigkeiten, Kontinuität und Diskontinuität zusammen zu denken. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass unser eschatisches Leben unser wirkliches Leben sein wird und schon ist. Alles was Personen hier und jetzt erleben, was ihnen zustößt und was sie tun, ist genauso wenig belanglos wie die Welt in ihrer zeitlichen Geschichte als ganzer für die eschatische Realität. Aber verglichen mit dem Geschehen in der eschatischen Realität ist alles, was im Hierund-Jetzt geschieht, doch im übertragenen Sinne „quantitativ“ gering. Doch hier versagt bereits unsere begriffliche Sprache, denn das Vorletzte und das Letzte lassen sich nicht quantitativ messen. All unsere Erkenntnis im Hier-und-Jetzt, die Theologie in eschatologischer Perspektive eingeschlossen, bleibt theologia viatorum und Erkenntnis, verglichen mit der eschatischen Erkenntnis nur in dem Sinne, wie auch die Erkenntnis eines noch ungeborenen Babys im Uterus Wissenschaft ist im Vergleich zu allen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Geistesgeschichte. 5.4.3

Bilder der eschatischen Realität im Vergleich mit der „begrifflichen“ Betrachtung

§97 Die Ergebnisse der „begrifflichen“ Betrachtung der eschatischen Realität können als Kriteriologie genutzt werden, um mannigfache, biblische und nichtbiblische Bilder für die eschatische Realität kritisch zu betrachten. Da „begriffliche“ Rede nur eine Sonderform metaphorischer Rede ist, bestehen zwischen der „begrifflichen“ Betrachtung der eschatischen Realität und den eschatischen Bildern nicht nur negative und positive Analogien, sondern auch neutrale Analogien, von denen wir prinzipiell nicht wissen, ob sie

§97 Die begriffliche Rede als Kriteriologie für die bildhafte Rede – et vice versa

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Die Eschata

zutreffen oder nicht. Daher kann und muss sich das Verhältnis von „begrifflicher“ Kriteriologie und eschatischer Realität auch umdrehen, so dass die eschatischen Bilder nicht lediglich illustrativen, sondern kognitiven Charakter besitzen. Wir hatten eingangs dieses Kapitels eine Reihe von biblischen Bildern genannt, die die Rede von der eschatischen Realität einigermaßen plastisch und vorstellbar machen sollen. Wir werden nun einige dieser biblischen sowie exemplarisch zwei weitere, nicht direkt aus der Schrift stammende Bilder im Einzelnen besprechen, indem wir sie mit der zuletzt vorgelegten „begrifflichen“ Betrachtung der eschatischen Realität konfrontieren. Dieses Verfahren soll eine exegetische Betrachtung der jeweiligen Bilder in ihrem Kontext nicht ersetzen, sondern notwendigerweise ergänzen. Für den konkreten Umgang etwa in Predigt und Religionsunterricht wäre beides notwendig. Wichtig ist die Praxis der Verknüpfung von „begrifflicher“ Kriteriologie und Bild auch deshalb, weil sie auf exemplarische Weise demonstriert, wie die Arbeit an (post-)systematisch-theologischer Urteilsbildung nicht nur aus Fragen der Praxis des christlichen Glaubens erwächst (s.o. Kap. 1.1.1), sondern welche Schritte und Kompetenzen nötig sind, um wieder in diese Praxis zu münden. (Post-)Systematische Theologie besteht nicht nur in der Explikation als begriffliches Ent-falten von verborgenen Gehalten, sondern auch wieder im „Im-plizieren“, im Zurückfalten dieser begrifflichen Gehalte hinein in die sich vollziehende Lebenswelt primärnarrativen Werdens.209 Positive, negative und Dazu hilfreich sein kann ein kriteriologisches Verfahren, das nach neutrale Analogien der Anwendung von positiven, negativen und neutralen Analogien fragt, wie es auf die Wissenschaftstheorie Mary Hesses210 zurückgeht. Wichtig sind an diesem Punkt die neutralen Analogien. Denn würden wir nur nach positiven oder negativen Analogien suchen, wäre die „begriffliche“ Kriteriologie tatsächlich der einzige Maßstab, an dem die eschatischen Bilder der Verkündigung gemessen werden könnten. Man könnte dann sagen: „Die Rede vom Paradies ist in dieser Hinsicht sinnvoll, in jener nicht“. Letztendlich wären nach diesem Verfahren die Bilder nichts anderes als Illustrationen, die eigentlich unnötig wären, wenn man die „begriffliche“ eschatische Rede verstanden hat. Vorausgesetzt wäre dabei dann ferner eine strikte Distinktion von literaler und metaphorischer Rede. Wir hatten Das Verhältnis von bildlicher und begrifflicher Rede von der eschatischen Realität

209 Vgl. Mühling, M., PST I, 664. 210 Vgl. Hesse, M.B., Models, 9f.

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

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aber schon gesehen, dass Sprache nicht so einfach funktioniert und unsere Sprache selbst an den Zweideutigkeiten des Hier-und-Jetzt partizipiert und nicht eschatisch unfehlbar ist. Neutrale Analogien sind Analogien, von denen wir noch nicht wissen, ob sie zutreffen oder nicht zutreffen. Vielleicht kann im Rahmen unserer diskursiven Arbeit die eine oder andere neutrale Analogie in eine positive oder negative Analogie überführt werden, aber prinzipiell bleiben immer neutrale Analogien übrig. Das Vorhandensein prinzipieller neutraler Analogien ist damit ein wesentlicher Ausdruck der hier vertretenen „weichen“ Unterscheidung von begrifflicher und metaphorischer Rede – und selbst eine notwendige Bedingung für ihren Wahrheitsgehalt. Darüber hinaus ermöglicht das Vorhandensein von neutralen Analogien, dass das Verhältnis der „begrifflichen“ Kriteriologie zu den eschatischen Bildern keine Einbahnstraße ist. Im Diskurs ist es durchaus denkbar, dass sich das Verhältnis von „begrifflicher“ Kriteriologie und eschatischen Hoffnungsbildern ganz oder teilweise umkehren kann und die Bilder die Kriteriologie richten müssen, weil die Unterscheidung zwischen „begrifflicher Kriteriologie“ und „eschatischen Hoffnungsbildern“ letztlich eine pragmatische Unterscheidung ist. Die entsprechenden Bilder werden hier in der Regel nicht neu eingeführt, sondern sie wurden bei den Ausführungen im gesamten Buch in dieser Hinsicht herangezogen. Um nun nicht eine detaillierte Untersuchung folgen zu lassen, sei im Folgenden der Schwerpunkt auf die Diagnose positiver Analogien gelegt. 5.4.3.1

Zehn biblische Bilder der Vollendung

§98 Zehn biblische Bilder des vollendeten Liebesabenteuers: 1. Das Bild des himmlischen Jerusalems spricht von der eschatischen Realität, insofern sie die vollkommene Sozialgestalt einschließlich ihrer kulturellen Güter ist. 2. Das Bild des Tierfriedens steht u. a. für die eschatische Vollendung auch der natürlichen, apersonalen Welt. 3. Das Bild des Paradieses als eines Gartens veranschaulicht den Gedanken, dass die eschatische Realität sowohl die Vollendung der natürlichen Welt als auch der kulturellen Welt ist und es keine Trennung von Natur und Geist gibt. 4. Positiv festzuhalten ist am Bild des neuen Himmels und der neuen Erde, dass die geschöpfliche apersonale Welt in ihren uns zugänglichen und unzugänglichen Bereichen eine Relevanz für die Gestalt der eschatischen Realität haben wird, wenn die Schöpfung nicht ins-

§98 Zehn biblische Bilder der Vollendung des Reiches Gottes – Das neue oder himmlische Jerusalem – Tierfrieden – Paradies und Gärtner – Neuer Himmel und neue Erde

406 – – – – – –

Die Eschata

Die eschatische Weinlaube Zusammenleben mit Christus Vergöttlichung Schauen von Angesicht zu Angesicht Gott wird alles in allem Das ewige Leben

gesamt als sinnlos verurteilt werden soll. Über die Frage, inwieweit dies konkret der Fall sein wird, können wir nur schweigen. 5. Die eschatische Weinlaube: Die eschatische, letztgültige Realität wird eine sein, in der nicht nur der Mensch, sondern auch die Natur, verkörpert im Wein, eine Bedeutung hat und diese Realität wird die einer gemeinschaftlichen Kommunikation zwischen Nächsten und Nächsten unter diesen Bedingungen des Genusses der Schöpfungsgaben sein. Darüber hinaus wird es sich um eine unmittelbare Kommunikation im Zusammensein mit Christus handeln. 6. Das Bild der Parusie als das unmittelbare Zusammenleben mit Christus zeigt, dass personale Liebesbeziehungen nicht von vorletzter, sondern eben von eschatischer Relevanz sind. 7. Die Vorstellung der Theosis des Menschen meint dessen Inkorporation in das innertrinitarische Beziehungsgewebe des Liebesabenteuers von Vater, Sohn und Geist aus Gnade. 8. Das Bild des Sehens Gottes von Angesicht zu Angesicht bezieht sich auf die Unmittelbarkeit der Kommunikation und Interaktion mit Gott in personalen Liebesbeziehungen, die im Gegensatz zu Handelsbeziehungen und merkantilen Beziehungen allein von eschatischer Bedeutung sind. Es gibt nur noch pures attentionales wayfaring, keinen intentionalen transport. 9. Die Vorstellung, dass Gott alles in allem sein wird, bezieht sich auf das Ende jeglicher Konflikte von Absichten und das Einstimmen in den Willen Gottes. 10. Der Begriff des ewigen Lebens geht über die anderen Bilder hinaus, da er über das Kennzeichen der bleibenden Ereignishaftigkeit der eschatischen Realität auch fortwährende Novität (Neuheit) mit einschließt. 5.4.3.1.1

Himmlisches Jerusalem

Das neue oder himmlische Jerusalem (Apk 21, 10–27)

Die Rede vom neuen oder himmlischen Jerusalem drückt unter anderem aus, dass die eschatische Realität eine Sozialgestalt hat und daher Kooperation und Kulturgüter zulässt. Insofern ist ausgeschlossen, dass die christliche Zukunftshoffnung ein einfaches, romantisierendes „Zurück zur Natur“ lehren könnte. Auch kommen innerhalb der Beschreibung des neuen Jerusalem keine Kirchen vor und ein Tempel wird explizit abgelehnt, weil die Unterscheidung zwischen Kirche und Welt bzw. Reich zur Linken und Reich zur Rechten in der eschatischen Realität aufgehoben sein muss. Negative Analogien können allerdings darin gesehen werden, dass die Kirche nicht in dem Sinne aufgehoben ist, in dem sie als Gemeinschaft der Geheiligten verstanden wird. Eine negative Analogie wird auch darin bestehen, dass das,

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

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was für die Sozialgestalt einer Großstadt in der Gegenwart wichtig ist – Größe über 100 000 Einwohner, eine selbstständige Stadtverwaltung im Unterschied zu ländlichen Regierungsbezirken, etc. – sicher nicht von eschatischer Relevanz ist. Auch erscheint es fragwürdig, ob tatsächlich von Mauern und Toren die Rede sein sollte oder von Edelsteinen. Hier scheinen mir ebenfalls negative Analogien vorzuliegen, aber sicher sein kann man hier nicht. Denn bearbeitete Edelsteine und Mauern könnten stellvertretend für menschliche Kulturleistungen an sich stehen. Dringen wir hier schon in den Bereich neutraler Analogien vor? 5.4.3.1.2

Der Tierfrieden (Jes 11,6–9)

Das Bild des universalen Tierfriedens drückt nun umgekehrt zum Bild Tierfrieden des himmlischen Jerusalem aus, dass die eschatische Realität nicht einfach eine Kulturleistung ist, sondern dass sie als Vollendung gerade der natürlichen Welt verstanden werden muss. Beruht das Fressenund-Gefressen-Werden schon der natürlichen Welt im Hier-und-Jetzt darauf, dass der Naturzusammenhang unvollendet und für teilweise Regellosigkeit, bzw. für Ökonomisches und Manipulatives offen ist, so wird mit diesem Bild ausgedrückt, dass der Naturzusammenhang nun vollendet ist und Regellosigkeit und chaotisches Leiden, genauso wie transportartiges Werden – ökonomischer oder manipulativer Regeln folgend – ausgeschlossen sind. Dies kann nun in keinem Falle als Produkt menschlicher Kulturleistung oder auch als ein Produkt des Weltlaufes im Hier-und-Jetzt gedeutet werden. Negative Analogien dürften bei der konkreten Ausmalung vorliegen: Es ist wahrscheinlich nicht sinnvoll, von Babys in der eschatischen Realität zu sprechen, die mit giftigen Schlangen spielen und von Stroh fressenden Löwen. Aber allzu sicher sollte man sich hier bei der Aufteilung von negativen und positiven Analogien auch nicht sein, sondern Raum für neutrale Analogien lassen. 5.4.3.1.3

Das Paradies und die Gärtner (Lk 23,43; Apk 2,7)

Das Paradies wird neutestamentlich nur gelegentlich erwähnt. Sein Gärtner im Paradies Vorstellungsgehalt lebt von den Bildern des Alten Testaments, der außerkanonischen Literatur und der Literatur der Nachbarvölker Israels. Das Paradies ist interessant, weil hier die soziale, Kulturgut beinhaltende Vorstellung der eschatischen Stadt mit der Vorstellung der vollendeten Natur insofern verbunden ist, als dass das Paradies ein Garten ist. In der Erzählung vom protologischen Paradies (Gen 2f) spiegelt sich der Traum des unter schweren klimatischen Bedingungen lebenden Orientalen, nicht Beduine oder Ackerbauer sein zu müssen, sondern Gärtner sein zu dürfen.

408

Die Eschata 5.4.3.1.4

Neuer Himmel und neue Erde

5.4.3.1.5 Ein Bild in der Detailbetrachtung: Die eschatische Weinlaube

Eine neue Erde und ein neuer Himmel (Apk 21,1)

Die bisher besprochenen Bilder beschreiben die eschatische Realität als Vollendung der Welt, nicht als deren Ende. Zusammenfassend kommt dies im Bild einer neuen Erde und eines neuen Himmels zum Ausdruck, wenn auch hier durch die Zuschreibung der Novität nicht nur das Kontinuitätsmoment der eschatischen Wirklichkeit zur Wirklichkeit im Hier-und-Jetzt festgehalten ist, sondern auch das Diskontinuitätsmoment. Die eschatische Weinlaube (Mi 4,4; Sach 3,10)

Die Beschreibung der eschatischen Realität als Weinlaube ist zwar ein im Alten Testament durchaus häufig verwandtes Bild, dürfte aber doch weniger im allgemeinen Bewusstsein erscheinen, so dass es sinnvoll sein dürfte, sich mit diesem Bild etwas ausführlicher zu beschäftigen: „In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des Herrn Haus ist, fest stehen, höher denn alle Berge, und über die Hügel erhaben sein, und die Völker werden dazu laufen, und viele Heiden werden gehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir auf seiner Straße wandeln! Denn aus Zion wird das Gesetz ausgehen und des Herrn Wort aus Jerusalem. Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden strafen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben und werden nicht mehr kriegen lernen. Ein jeglicher wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen ohne Scheu; denn der Mund des Herrn Zebaoth hat’s geredet.“ (Mi 4,1–4)

Faktisch handelt es sich bei dieser Perikope um eine Doppelüberlieferung, denn sie ist auch in Jes 2,2–5 überliefert. Es handelt sich um das bekannte Bild der sog. Völkerwallfahrt zum Zion. Die Weinlaube erscheint allerdings nur bei Micha und hier soll die Konzentration auf dieses Bild gelenkt werden. Der Wein hat eschatische Bedeutung und er bedeutet umfassendes Heil. Deutlich ist, dass es nicht um innergeschichtliches Heil geht. Wenn der Berg Zion höher werden soll, dann geht es um eine umfassende zukünftige Umgestaltung oder Vollendung auch der Natur. Natürlich wird auch die Sozialgestalt in dieser umfassenden Heilshoffnung verändert: Gerechtigkeit wird herrschen und jeglicher Krieg beendet werden und das Gegenteil von Krieg ist Friede. Während sich aber Krieg als ein mit den Mitteln des Zwanges ausgetragener Konflikt von Zwecken beschreiben lässt, ist eine positive Beschreibung des Friedens schwieriger. Hier kommt im Michabuch der Wein zu stehen: „Ein jeglicher wird unter seinem Weinstock wohnen“. Bedeutet das ein Leben im Müßiggang,

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

in dem wir alle zu Weinsäufern werden? Der Wein hat, zumal in heißen Ländern wie Palästina, als Pflanze noch eine andere Bedeutung: Er schützt, wenn er als Weinlaube angelegt ist, vor Sonne und Hitze. Und damit verbindet sich auch eine soziale Funktion der hier beschriebenen eschatischen Realität, die deutlicher in Sach 3,10 zum Ausdruck kommt: „Zu derselben Zeit, spricht der Herr Zebaoth, wird einer den andern laden unter seinen Weinstock und Feigenbaum.“

Die Weinlaube ist damit nicht nur der Ort der vollendeten Natur, sondern auch der vollendeten Sozialität und Kommunikation: Einer wird den anderen einladen, damit man sich unter dem Wein trifft zum Gespräch. Hier mag sich auch der Traum des Orientalen spiegeln, angesichts der Hitze einen eigenen Weinberg, ein Zeichen von Fülle und Reichtum zu besitzen. Betrachten wir das Weinmotiv aus Sicht des Neuen Testaments, das Jesus als paradigmatischen Fresser und Weinsäufer zeichnet (Lk 7,34), dann sehen wir, dass Jesu Verkündigung des Reiches Gottes Ähnlichkeiten mit diesem alttestamentlichen Bild besitzt: Das Reich Gottes bricht an, wo Jesus seine Mahlgemeinschaften mit Sündern feiert, wo er auch im Wein die Schöpfungsgaben mit ihnen genießt und mit ihnen kommuniziert. Mag dies auch in Christi irdischem Leben beginnen, es bedarf doch einer Versöhnung und Vollendung der Welt. Dies ist in Joh 15,1–11 ausgedrückt, wo Christus selbst als Weinstock bezeichnet wird, so dass sich das Bild der eschatischen Weinlaube auch von der Parusie als des unmittelbaren Zusammenseins mit Christus verstehen lässt. Das Bild des Schöpfungsgenusses und des sozialen Genusses des Gesprächs unter der Weinlaube ist eschatisch nur möglich, weil Christus die Welt umgestaltet hat. In der Hingabe Christi in Kreuz und Auferstehung an die Menschen verändert sich die Welt und diese Veränderung wird durch Wein und Blut des Weinstocks Christi erreicht. Da wir über Christus hinaus nichts zu hoffen haben, bedeutet das: Unsere eschatische Hoffnung besteht nun nicht einfach mehr darin, unter dem Weinstock die befriedete Natur und das Gespräch mit allen Menschen als Freunden zu genießen, sondern es bedeutet, selbst mit dem Weinstock als Person, mit Christus zusammen zu sein und das Gespräch mit ihm zu genießen. Der Genuss der Schöpfung und der Genuss der unmittelbaren Gemeinschaft mit Christus ist antizipativ vorweggenommen in der mittelbaren Gegenwart Christi im Abendmahl.

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410

Die Eschata 5.4.3.1.6

Zusammensein mit Christus

5.4.3.1.7 Theosis

Vergöttlichung (Röm 8,14; Apg 17,28f; Petr 1,4)

Die in der Parusievorstellung und in der Vorstellung des eschatischen Weinberges angeklungene unmittelbare Kommunikation mit Christus bedeutet letztlich ebenso eine unmittelbare Kommunikation mit Vater und Geist, da der Sohn auch mit diesen in seiner innertrinitarischen Beziehung lebt. Insofern ist es auch richtig, von der Theosis des Menschen zu sprechen. Damit wird deutlich, dass die eschatische Realität nicht einfach eine Hoffnung für die Welt ist, sondern ebenso für Gott, insofern die eschatische Welt eine Inkorporation in das innergöttliche Beziehungsgefüge bedeutet. Auch hierzu hatten wir schon einiges in Kapitel 5.1 gesagt. Allerdings wird man hier auch negative Analogien festhalten müssen. Wenn Apg 17,28f vom „göttlichen Geschlecht“ und 2.Petr 1,4 von der Teilhabe an der „göttlichen Natur“ spricht, dann wird man den Terminus „Geschlecht“ nicht mit dem Genusbegriff der arbor prophyriana (s.o. Kap. 3.3) zusammenbringen dürfen oder gar mit dem biologischen oder sozialen Geschlecht (sex oder gender), und auch den Naturbegriff wird man nicht von seiner mittelalterlichen oder neuzeitlichen Verwendung her verstehen können. Vielmehr wird man mit Röm 8,14 betonen müssen, dass es sich um ein narrativ-relationales Geschehen durch das Handeln des Heiligen Geistes in Gnade handelt, das dauerhaft auch Voraussetzung dieser eschatischen Inkorporation in das innertrinitarische Beziehungsgefüge bedeutet. 5.4.3.1.8

Von Angesicht zu Angesicht

Das Zusammenleben mit dem Herrn (Thess 4,17)

Bei der ausführlichen Besprechung des letzten Bildes hatten wir schon die Parusie als unmittelbares Zusammensein mit Christus mit einbezogen, die hier als eigenes Bild erscheint. Die Parusie war für uns aber nicht nur Hoffnungsbild, sondern stellte – aufgrund ihrer theologiegeschichtlichen Bedeutung – auch eines der in diesem Buch besprochenen Eschata dar (s.o. Kap. 4.1), so dass wir uns an dieser Stelle nur wiederholen könnten.

Die unmittelbare Schau Gottes von „Angesicht zu Angesicht“ (Kor 13,12)

Eine unmittelbare Folgerung der Beschreibung der eschatischen Realität als dauerhaftes, unmittelbares Zusammenleben mit Christus als dem Sohn und als Theosis im Sinne der Inkorporation in den narrativen Individuationsrahmen des Liebesabenteuers der Trinität ist, dass sie auch derart beschrieben werden kann, dass wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen werden. Gemeint ist damit die Unmittelbarkeit des Zusammenlebens mit Gott im Rahmen einer personalen Liebesbeziehung. Negative Analogien wird man hingegen bei den Termini

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

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„Angesicht“ und „sehen“ anbringen müssen, was deren Semantik über das Unmittelbare der Kommunikation hinaus betrifft. Damit verbindet sich eine weitere Aussage, dass wir „erkennen werden, wie wir erkannt sind“, d. h. als positive Analogie ausgedrückt, dass unsere eigenen Identitätsansprüche in der eschatischen Realität unserer wahrhaften Identität entsprechen werden, wie sie im Gericht konstituiert worden ist. Versteht man Liebe als eine Form der personalen Beziehung, in deren Kommunikation es um die Identitäten der beteiligten Personen selbst geht, kann 1.Kor 13 genau auf diesen Aspekt bezogen werden. Deutlich ist damit auch, dass die Gemengelage von transport einerseits und wayfaring andererseits, von merkantilen und manipulativen Beziehungen einerseits und Liebesbeziehungen andererseits, die unser Leben im Hier-und-Jetzt kennzeichnet, aufgehoben wird und lediglich die Liebesbeziehungen des wayfaring von Relevanz sind. 5.4.3.1.9

Gott ist „alles in allem“ (Kor 15,28)

Die genannte unmittelbare Kommunikation in Parusie, Theosis und Gott ist alles in allem unmittelbarer Gottesschau, die ein Einstimmen aller kreatürlichen Identitätsansprüche in die Identitätszuschreibungen Gottes impliziert, bedeutet damit auch, dass Gott „alles in allem“ sein wird, insofern es keine Interessenkonflikte mehr geben wird und Gott zur Welt der Geschöpfe werden wird. Nicht anzunehmen, sondern im Gegenteil als negative Analogie zu verwerfen, ist hingegen die Vorstellung, dass mit diesem Bild eine Reduktion von Alterität und damit eine personale Verschmelzung gemeint sein könnte. 5.4.3.1.10 Das ewige Leben (Mt 25,46; Mk 10,30; Joh 3,16; Röm 6,22)

Zusammenfassen könnte man die bisherigen Bilder in der Vorstellung Die Rede vom ewigen vom „ewigen Leben“, das nichts weniger als ein Leben in Ewigkeit Leben bedeutet. Dabei handelt es sich, gemäß unseren Entscheidungen in Kapitel 3.1 um ein Leben innerhalb des innertrinitarischen Beziehungsgewebes in Liebe, da dieses präzise die Ewigkeit darstellt. Zu fragen bleibt somit noch, was „Leben“ bedeutet. Der Begriff des Lebens hat bis gegen Ende des 19. Jh. keine zentrale theologische Bedeutung und erreicht trotz dessen fundamentaler Bedeutung in der Lebensphilosophie und theologischer Denkversuche des 20. Jh. etwa bei Albert Schweitzer (gest. 1965), beim späten Paul Tillich (gest. 1965), bei Dietrich Bonhoeffer (gest. 1945), Gerhard Ebeling (gest. 2001) und Trutz Rendtorff nie den Rang eines fundamentaltheologischen Grundbegriffs. Der Grund dafür besteht darin, dass die verschiedenen Begriffe für Leben (zoe im Griechischen für das faktische Leben und bios für das konkrete Leben, vita im Lateinischen und die Termini der unterschiedlichen modernen

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Die Eschata

Sprachen) aufgrund der schwer erfassbaren Phänomenalität des Lebens stets positiv konnotiert waren und daher im Laufe der abendländischen Geistestradition stets von unterschiedlichsten fundamentalen Begriffen, die für die jeweilige Denktradition grundlegend sind, abhängig waren und dadurch gerade auf keinen einheitlichen, gemeinsamen Phänomenbestand rekurrieren. Eine begriffsgeschichtliche Betrachtung liefert daher keine ausreichende Klärung des Begriffs. Der gegenwärtige Aufschwung der sog. Lebenswissenschaften, allen voran der Biologie, nötigt allerdings zu einer systematisch-theologischen Betrachtung und Klärung des Begriffs. Diese Klärung wird sich pragmatisch auf die biologische Betrachtung des Lebens beziehen müssen, gestützt auf eine phänomenologische Basis im Rahmen des christlichen Wahrwertnehmens. Im Folgenden wird zwischen geschöpflichem, göttlichem und gelungenem Leben unterschieden, bevor wir das „ewige“ Leben erläutern können.211 Geschöpfliches Geschöpfliches Leben kann als spezifischer, innerweltlich differenzierter Leben und emergenter Prozess des Werdens unterschiedlicher Ordnungen von Organismen bestimmt werden. Dies ist folgendermaßen zu erklären: 1. Leben ist ein ereignishafter Prozess, in Verlauf dessen aus einem vorgegebenen Möglichkeitsraum bestimmte Möglichkeiten selektiv aktualisiert werden. 2. Die Art und Weise des Prozessgeschehens und Selektierens ist geleitet durch eine Regel, die nicht selbst dem Prozess entspringt und somit Ursprung und Ziel des Prozesses bestimmt. Damit kann geschöpfliches Leben seine eigene Prozesshaftigkeit nicht wählen, sondern diese ist vorgegeben und dem geschöpflichen Leben selbst entzogen. 3. Der Prozess des Lebens ist eingebunden und bestimmt von anderen welthaften Prozessen, konkret den physischen und chemischen Prozessen, ohne auf diese reduziert werden zu können. 4. Von diesen anderen Prozessen unterscheidet sich Leben dadurch, dass es ein Prozess des wechselseitigen Hervorbringens von Organismen ist, die als offene „Systeme“ mit anderen „Systemen“ interagieren und auf der Basis ihrer regelgeleiteten Bestimmtheit einen Spielraum für eigene Regelungsgabe besitzen. 5. Innerhalb des Lebensprozesses sind gestufte, aufeinander aufbauende Teilprozesse zu unterscheiden: das apersonale (pflanzliche und tierische) Leben und das personale Leben. Das apersonale Leben ist dabei dadurch vom personalen Leben unterschieden, dass die Selbststeuerungsleistungen der Wahlakte auf bestimmten Realisierungsregeln beruhen, die vorgegeben

211 Für das Folgende vgl. Herms, E., Leben; Hadot, P./Hübner, H./Vennebusch, J./Piepmeier, R./Dierse, U./Rothe, K./Toellner, R., Leben; Hübner, J., Leben V; Drechsel, W., Der lange Schatten des Mythos vom gelungenen Leben.

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

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sind, während personales Leben die Art und Weise des Wählens in Grenzen selbst bestimmen und den Möglichkeitsraum in bestimmten Grenzen steigern kann. 6. Basis der erweiterten Möglichkeiten des personalen Lebens ist dabei dessen Erleben oder Erschlossensein und nicht nur Wahrnehmen der Wahlakte selbst (Selbstbewusstsein) in einem sich wechselseitig bedingenden, konstitutiven relationalen Zusammenhang von Individuum und Gattung. 7. Diese prozesshafte, gestufte Ordnung des Lebens ist selbst ein emergenter Prozess, d. h., die jeweils folgenden Stufen des Prozesses sind von den früheren Stufen nicht hinreichend ableitbar, sondern es handelt sich lediglich um notwendige Bedingungen für die folgenden Stufen. Die sog. Lebenswissenschaften einschließlich der Biologie beschäftigen sich nur mit einem Ausschnitt dieses geschöpflichen Lebens, nämlich nur insofern dieser Prozess beobachtbar ist. Das Sich-selbst-erschlossen-Sein des Lebens einschließlich eines großen Teils seiner Regelbestimmtheit ist empirisch unbeobachtbar und bleibt den entsprechenden Wissenschaften verschlossen, so dass phänomenologische, anthropologische und theologische Betrachtungen zum vollständigen Erfassen auch des weltlichen Lebens unabdingbar sind. Dabei zeigt sich, dass eine nicht-theoriegeladene, weltanschauungsneutrale Beschreibung des Lebensphänomens letztlich unmöglich ist. Die Beschreibungen der Interaktion verschiedener Lebensprozesse, die innerhalb des organischen Zusammenhangs stets von der Erschöpflichkeit der geschöpflichen Organismen (Tod) lebt, variiert dabei zwischen dem Modell des Kampfes und dem Modell der Hingabe, wie wir schon in Kapitel 4.2 sahen. Obwohl das geschöpfliche Leben in diesem Sinne nicht erst in der Gegenwart entdeckt wurde, wurde es doch in der Antike nicht primär mit dem Begriff des Lebens benannt, sondern im Hebräischen mit dem Begriff der nephesh und im Griechischen mit dem Begriff der psyche – also mit Worten, die wir mit „Seele“ zu übersetzen gewohnt sind, aber in der Regel dualistisch-kartesisch missverstehen. In diesem missverstandenen Sinne, als leiblose Seele, gibt es in der eschatischen Realität keinen Platz für irgendwelche Seelen. Nimmt man aber die hebräische und griechischaristotelische Grundbedeutung, die gleichbedeutend mit Leben im hier explizierten Sinne ist, kann man auch vom „ewigen Seelen“ („seelen“ jetzt verstanden als Verb, nicht als Substantiv212 ) sprechen. Vom geschöpflichen Leben unterschieden ist das göttliche Leben, das Göttliches Leben sich gemäß der Selbsterschließung Gottes in Ewigkeit als trinitarisches Leben zwischen den Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist vollzieht.

212 Vgl. Mühling, M., „Seelen“ als Verb.

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Die Eschata

Göttliches Leben bezeichnet damit Gott als das transzendentalnarrative Liebesabenteuer selbst und ist notfalls auch als ein regelgeleiteter Prozess des Wählens zu bestimmen, allerdings mit dem Unterschied, dass Gott seine eigene Regel ist, so dass diese nicht entzogen ist und Gott als das Leben selbst bezeichnet werden muss. Damit ist göttliches Leben identisch mit anderen Beschreibungen des trinitarischen Beziehungsgewebes, allen voran der Bestimmung der Liebe. Positiv bezogen auf geschöpfliches Leben ist göttliches Leben, indem es als transzendentalnarrative Bedingung der Möglichkeit des primärnarrativen, geschöpflichen Lebens gesehen wird, insbesondere als dessen regulierte Bestimmtheit und damit als dessen Ursprung und Ziel. Gelungenes Leben Geschöpfliches personales, also primärnarratives, Leben steht im Hierund-Jetzt unter der Alternative, seinen durch das göttliche Leben bedingten regulierten Bestimmtheiten zu entsprechen oder zu widersprechen. Der christliche Gedanke der Ursünde bezeichnet dabei den Sachverhalt, dass es geschöpflichem personalem Leben faktisch im Hier-und-Jetzt nicht möglich ist, seinen Konstitutionsbedingungen entsprechende Wahlakte vorzunehmen. Die Möglichkeit der Entsprechung wird vielmehr erst durch das Versöhnungswerk von Sohn und Geist (s.o. Kap. 2.2.4.4) hergestellt. Da aber der geschöpfliche Lebensprozess insofern immer zweideutig bleibt, als die Entsprechungsmöglichkeit nie in die Möglichkeit autonomer Wahl geschöpflichen Lebens übergeht (simul iustus et peccator), kann der Terminus „gelungenes Leben“ nicht selbst die Entsprechung geschöpflichen personalen Lebens zu seinen Konstitutionsbedingungen bezeichnen, sondern kann sich höchstens auf ein personales Leben beziehen, dessen Erleben – im Widerspruch wie im Entsprechen zu seinen Konstitutionsbedingungen – seine Rechtfertigungsbedürftigkeit und damit sein Angewiesensein auf die lebensspendende Inspiration des Heiligen Geistes erschlossen ist. Dieses Erschlossensein geschöpflichen besonderen Lebens im Hier-undJetzt schließt auch eine spezifische Sicht des interorganischen Prozesses geschöpflichen Lebens dergestalt ein, dass es sich als ein Leben primär für und durch Anderes und dem eigenen Erschlossensein prinzipiell Entzogenem bewusst ist. „Gelingendes“ geschöpfliches Leben im Hier-und-Jetzt ist damit in seiner Bedingung der Möglichkeit, seinem Ursprung und Ziel sowie in seinem wählenden prozesshaften Vollzug auf den Prozess göttlichen Lebens bezogen. Abzugrenzen ist dabei der Begriff wahrhaft gelingenden Lebens vom Begriff der Erlebnisqualität: Gelingendes Leben im Hier-und-Jetzt wird ausschließlich vom Erleben der vertrauenden Rechtfertigungsbedürftigkeit vor und durch göttliches Leben bestimmt, nicht hingegen von einer bestimmten Erlebnisqualität (Glücksempfinden, Trauer, Verzweiflung, ausreichendes oder übermäßiges Eingebundensein in lebensnotwendige, andere Prozesse in Form einer Verfügungsgewalt über Lebensmittel etc.). Wo diese Differenz nicht beachtet wird, mutiert

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

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die Rede vom gelingenden Leben zum „Mythos“, die Beziehung zum göttlichen Leben wird als Religion funktionalisiert und fällt durch diese Verkehrung der Zweck-Mittel-Struktur unter den berechtigten Verdacht der Abgötterei. Die Verkehrung der Zweck-Mittel-Struktur besteht dabei darin, dass sich die Wahlakte personalen Lebens nun nicht mehr attentional an den durch göttliches Leben gesetzten Konstitutionsbedingungen und Zielbestimmungen orientieren, sondern dass sich seine Wahlakte nun an einer bestimmten intentionalen, nur dem Individuum verfügbaren (in der Regel als angenehm empfundenen) Erlebnisqualität ausrichten, so dass das personal-geschöpfliche Leben wieder Leben im Widerspruch zu seinen Konstitutions- und Zielbestimmungen wird.

Nach der Klärung des Begriffes des Lebens kann ewiges Leben prinzipiell dreierlei bezeichnen. Zum einen ist ewiges Leben Synonym für das göttliche Leben (s.o.), zum anderen ist es Synonym für „gelungenes Leben“ (s.o.), vor allem im johanneischen Schrifttum. Drittens ist ewiges Leben aber eine Bezeichnung für die eschatische Inkorporation geschöpflichen Lebens in das innertrinitarische göttliche Leben der Liebe aus Gnade und bezeichnet damit das unmittelbare Schauen und Genießen Gottes. Über die bisher verwandten Bilder für die eschatische Realität geht der Lebensbegriff insofern hinaus, als er bleibende Wahlakte auch in der eschatischen Realität und damit aktuale Novität (Neuheit) für Gott und Geschöpf einschließt. 5.4.3.2

Gegenwärtige Bilder der Vollendung

§99 Zwei gegenwärtige Bilder der Vollendung: 1. Robert Jenson beschreibt die eschatische Realität als Musik, in der Bedeutung und Melodie dasselbe sind. 2. C.S. Lewis beschreibt das Verhältnis unseres Lebens im Hierund-Jetzt zu unserem Leben in der eschatischen Realität mit Hilfe des Verhältnisses eines Titelblattes eines Buches zu seinem Inhalt, dessen folgende Kapitel immer besser werden. Am Ende dieser Betrachtung von Bildern der eschatischen Realität sollen zwei Bilder stehen, die nicht direkt dem biblischen Material entstammen, sondern unter Rückgriff auf dieses in der Gegenwart entworfen wurden. Damit soll veranschaulicht werden, dass ein Nachdenken über eine „begriffliche“ Kriteriologie nicht nur dafür verwandt werden kann, vorhandenes Sprachmaterial zu explizieren, sondern auch dafür, selbst weiter sprachschöpferisch tätig zu werden.

§99 Zwei gegenwärtige Bilder der Vollendung: – Identität von Melodie und Bedeutung in der Musik – Titelblatt und Buchinhalth

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Die Eschata 5.4.3.2.1 Musik

Musik

Das erste Beispiel stammt von dem amerikanischen Lutheraner Robert W. Jenson. Am Ende seiner Dogmatik verzichtet er nahezu vollständig auf „begriffliche“ Rede und spricht fast schon „hymnisch“. Wir verzichten nun darauf, Jensons Ausführungen begrifflich zu erläutern. Eine kriteriologische Überprüfung dieses Musikbildes von Jenson sei dem Leser selbst überlassen. „Das letzte Wort, das über Gottes dreieiniges Sein zu sagen ist, ist, dass er eine großartige Fuge ist. Daher ist auch das letzte Wort, das über die Erlösten zu sagen ist, ein schönes Zitat von Jonathan Edwards […]: ‚Wenn ich die Idee einer Gesellschaft bilden sollte, die im höchsten Maß glücklich ist, wäre dies eine Gesellschaft … in der zueinander gesungen wird.‘ […] Das belebende Ziel des Lebens des Reiches Gottes ist perfekte Harmonie zwischen dem Gespräch der Erlösten und dem Gespräch, das Gott ist. In dem Gespräch, das Gott ist, sind Bedeutung und Melodie dasselbe. Das Ziel ist Musik.“213 5.4.3.2.2

Was nach dem Titelblatt kommt

Das Verhältnis des Titelblattes zum Inhalt eines spannenden Buches

„Begrifflich“ verantwortete, bildhafte Rede von der eschatischen Realität kann aber nicht nur neue Bilder hervorbringen und alte kombinieren, sie kann auch in den mannigfachsten Bereichen des christlichen Glaubens und seiner Lebenswelt erscheinen. Sehr viele gehaltvolle Bilder für die eschatische Realität bietet beispielsweise C.S. Lewis (gest. 1963) am Ende seines letzten Bandes der „Narnia-Chroniken“, einer Kinderbuchserie. Einige dieser Bilder werden im Folgenden angeführt. Auch hier sei auf eine kritische Explikation durch den Autor verzichtet und das Beispiel der Beurteilung dem systematischtheologischen Urteilsvermögen der Leserin anheimgestellt. „‚Es gab wirklich ein Eisenbahnunglück‘, sagte Aslan sanft. ‚Ihr fünf, die ihr im Zug gesessen – ihr beide, die ihr auf dem Bahnsteig gewartet habt: Ihr alle seid bei dem Unglück getötet worden. Ihr alle seid tot – wie ihr es in eurem Schattenreich gewöhnlich nennt. Die Schule ist aus, die Ferien haben begonnen. Der Traum ist zu Ende, der Morgen ist da.‘ Als er so sprach, sah Aslan für sie nicht mehr wie ein Löwe aus. Aber was sich danach ereignete, war so groß und schön, dass man es nicht beschreiben kann. Hier endet für uns diese Geschichte. Wir können nur noch sagen, dass sie alle weiterhin glücklich lebten in Narnia. Für sie in Narnia aber war es nur der Anfang der wahren Geschichte. Ihr ganzes Leben in dieser irdischen Welt und alle ihre Abenteuer in Narnia waren nur der Umschlag und das Titelblatt gewesen. Nun erst begannen sie das erste Kapitel der großen Geschichte, die noch keiner auf Erden gelesen hat, der Geschichte, die ewig weitergeht und in der jedes Kapitel besser ist als das vorangegangene.“214

213 Jenson, R.W., ST II, 369 (Übers. d. Vf.). 214 Lewis, C.S., Der letzte Kampf, 159f.

Die eschatische Realität der Vollendung des Reiches Gottes

5.4.4

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Zurück aus der Zukunft

§100 „Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich §100 Zurück aus der selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben Zukunft wir dem Herrn. Darum, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“ (Röm 14,7f) Kommen wir aus der Beschäftigung mit der Beschreibung der escha- Auf Wegen – In tischen Realität zurück ins Hier-und-Jetzt. Wir werden hier noch Zukunft und Jetzt nicht in patria, in den Wegen unseres Heimatlandes des Abenteuers, sondern noch in via, auf den Wegen der Gemengelage von transport und wayfaring. Doch diese Wege können überhaupt nur solche sein – also Wegliniencharakter besitzen, weil sie schon jetzt an den Wegen in patria dergestalt partizipieren, dass sie verwandelt werden durch die Hoffnung auf die eschatische Realität. Es ist nicht wie bei dem Atomisten Demokrit (gest. 371 v. Chr.) ein Weg, der hier und da ein Wirtshaus zur Erholung bietet und dann einfach abbricht,215 sondern ein Weg mit dem Ziel neuer Wege, die so auch auf den hiesigen Wegen gegenwärtig sind. Sicher mag sich im Hier-und-Jetzt die eschatische Realität auch in der Feier des Gottesdienstes zeigen, wie die Ostkirche betont. Aber der Sonntagsgottesdienst ist fest mit dem Gottesdienst im Alltag verzahnt. Wenn Christen mit Augustin sprechen können „iquietum est cor nostrum donec requiescat in te“216 , dann kann damit nicht gemeint sein, dass sich Christen aus der Unruhe des Alltags in die absolute Ruhe in Gott sehnen. Da wir sahen, dass sowohl Gott selbst als auch die eschatische Realität die narrative Ereignisstruktur mit der Welt teilen, kann sich die Unruhe nur auf die Zweideutigkeiten des Hier-und-Jetzt in der Gemengelage des Werdens von transport und wayfaring beziehen und die Ruhe auf die Unzweideutigkeit des eschatischen Lebens als pures wayfaring im trinitarischen Liebesabenteuer. Die christliche Hoffnung und die Beschäftigung mit Eschatologie können damit keine Weltflucht sein. Auch der mittelalterliche Mystiker Richard von St. Viktor (gest. 1173), der sich danach sehnt, ganz in Gott zu sein, kennt als höchste Sehnsucht doch mit Paulus (Röm 9,3) wieder den Wunsch, um des Nächsten willen aus Gott herauszutreten: „Die Seele geht aufgrund Gottes hinaus und steigt unter sich selbst hinab […] und möchte 215 Demokrit wird das Zitat zugeschrieben „Ein langes Leben ohne Fest ist wie ein langer Weg ohne Gasthäuser“. Zum Hoffnungs- und Todesverständnis Demokrits s.o. Kap. 4.2. 216 Augustinus, A., Conf. 1,1: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir“.

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Die Eschata

um der Brüder willen von Christus getrennt sein.“217 Die christliche Hoffnung treibt damit zum Wahrwertnehmen und Handeln im Hierund-Jetzt im Alltag. Wir haben versucht, in den Kapiteln 4.1–5.3 jeweils einige ethische Implikationen der denkerischen Beschäftigung mit der Eschatologie zu nennen. Es wäre verfehlt, nun am Ende dieses Buches diese Andeutungen zusammenzufassen oder auf ein einheitliches ethisches Prinzip bringen zu wollen. Es wäre verfehlt, weil dies höchstens Sache der (post-)systematischen Theologie als Ethik, nicht als Eschatologie wäre. Es wäre aber auch dort verfehlt, weil auch christliche Ethik es nicht mit Prinzipien zu tun hat. Es wäre vor allem aber hier auch verfehlt, weil die unsagbare Sagbarkeit der christlichen Hoffnung auf die eschatische Realität dabei an Dignität verlieren würde: Denn die Einflüsse dieser Hoffnung auf das Leben und Handeln im Hier-und-Jetzt sind so vielfältig wie dieses Leben selbst. Und dabei wird man auch Richard korrigieren müssen. Denn bedeutet Leben und Handeln im Hier-und-Jetzt wirklich, von Christus getrennt zu sein? Mögen sich Christen auch nach seiner unmittelbaren Gegenwart sehnen, mittelbar werden sie ihn immer wieder finden (Röm 14,7f): „Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“

217 Richard von St.Victor, Über die Gewalt der Liebe, 29.46.

Glossar

Abenteuer: →Narration, primär oder sekundär, die nicht →episch, sondern →dramatisch ist und in der Kontingenz und Güte koinzidieren. Adventus: lat., „Ankunft“, meint im Gegensatz zu →futurum die Zukunft Gottes, die das im Rahmen eines vorletzten Erwartungshorizonts Erwartbare übersteigt. Affordances: Werthafte Gehalte die wahrgenommen werden. Wertlose Fakten sind demgegenüber eine kognitive Abstraktion. Alterität: Andersheit, betont die konstitutive Funktion des Anderen für die eigene Identität und für das eigene Sein in Beziehung; programmatisch gebraucht von E. Levinas (gest. 1995) und J. Derrida (gest. 2004), sachlich aber von deren Philosophien unabhängig. Amillenarismus: 1. Auffassung, dass kein →Millennium (mehr) zu erwarten ist; daher abgeleitet 2. Auffassung, dass die Geschichte weder nach Maßgabe des →Prämillenarismus (2.) noch nach der des →Postmillenarismus (2.) zu verstehen ist. Annihilation: Vernichtung, Nichtigung. Anthropisches Prinzip: Auf Brandon Carter 1973 zurückgehendes Prinzip, das die vermeintliche →Kontingenz der Feinabstimmung der Anfangsbedingungen des Universums damit zu erklären versucht, dass das Universum für Beobachter geeignet ist. Üblicherweise unterscheidet man mit dem Standardwerk von Frank Tipler und John D. Barrow, „The Anthropic Cosmological Principal“, Oxford 1988, eine schwache, eine starke und eine finale Variante. Anthropologie: Lehre vom Menschen; als theologische Anthropologie oft Teilthema der Dogmatik. Apokalyptik: Hist. kanonische und außerkanonische Literaturgattung der Zeit des Frühjudentums, die die Endzeit der Geschichte thematisiert. Hier bez. A. die Vorstellung, Einsicht in den verborgenen Geschichtslauf zu haben. Apokatastasis panton: gr., Wiederbringung aller, Allversöhnung, einfacher Ausgang des Endgerichts, in dem niemand verloren geht. Attentionalität: Orientierung des Handelns, die nach den Erfordernissen der passiv wahrwertgenommenen Umwelt erfolgt und entsprechend für dauernde Revision offen ist. Das Wahrwertgenommene erscheint im Unterschied zur →Intentionalität nicht nur als Mittel oder Hemmnis, sondern auch als Selbstzweck.

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Chiliasmus: →Millenarismus. Christologie: unspezifisch: Lehre von Christus; spezifisch: Lehre, die die Frage behandelt, wie in der Identität der Person Christi Gottheit und Menschheit verbunden sein können. Als solche setzt die Christologie die Trinitätslehre voraus. Confessio Augustana: Schrift, die von Ph. Melanchthon (gest. 1560) für den Augsburger Reichstag verfasst wurde und das Gemeinsame und das Trennende des alten Glaubens und der (lutherischen) Protestanten darlegt; diente beim Augsburger Religionsfrieden 1555 u. a. in veränderter Form („Variata“) – um den Einschluss der Reformierten zu ermöglichen – als Grundlage; gehört heute zu den Bekenntnisschriften aller lutherischen und der meisten unierten Kirchen. Creatio continu(at)a: wörtl. „fortgesetzte Schöpfung“ bzw. „dauerhafte“ Schöpfung, meint die Vorstellung, dass Gottes Handeln in Beziehung zur Welt notwendige Bedingung zum Ereigniseintritt jedes weltlichen Ereignisses ist; kein Gegensatz zur →creatio ex nihilo, sondern ein Ergänzungskonzept, das auf die Erhaltung der Welt abzielt. Creatio ex nihilo: wörtl. „Schöpfung aus nichts“, besser „Schöpfung ohne welthafte Voraussetzungen“, zuerst biblisch erwähnt in 2.Makk 7,28; meint die Christentum, Judentum und Islam gemeinsame Vorstellung, dass Gottes Handeln in Beziehung zur Welt hinreichende Bedingung zum Bestand weltlichen Seins ist. Deontische Logik: Logik, die sich mit dem Verhältnis deontischer Begriffe wie „sollen“, „müssen“, „verboten sein“, „erlaubt sein“, „dürfen“ befasst. Dogmatik: gebildet von gr. dogma = Lehre, Meinung; bezeichnet die Darstellung der Systematischen Theologie aus der Perspektive des Glaubens, d. h. die Selbstauslegung des christlichen Glaubens hinsichtlich der in ihm enthaltenen Wahrheitsansprüche und Gewissheiten, wie sie im Handeln von Christen vorausgesetzt sind. Doketismus: Auffassung, v.a. der →Gnosis, nach der Christus nur einen Scheinleib besaß und damit nicht wirklich im Fleisch gelitten hat. Dordrechter Synode: reformierte Synode in Dordrecht 1618, auf der die Lehre von der doppelten Prädestination gegen die Arminianer festgehalten wurde. Dramatische Narrationen: Erzählungen, die im Unterschied zu →epischen Narrationen ihrem Verlauf kontingent und nicht vorhersehbar erfolgen. Erlanger Schule: Durch A. v. Harleß (gest. 1879) u. a. inaugurierte Richtung der konfessionell-lutherischen Theologie des 19. Jh., die Wert auf die Einheit von Erfahrung, Schrift und Bekenntnis legt. Davon zu unterscheiden ist die Erlanger Theologie des 20. Jh., die sich mit den Namen P. Althaus (gest. 1966) und W. Elert (gest. 1954) verbindet. Epische Narrationen: Erzählungen, die im Unterschied zu →dramatischen Narrationen nicht kontingent erfolgen, sondern auf einer einfachen Gesetzmäßigkeit beruhen, die aus der Geschichte entnommen werden kann. Eschata: gr., „die letzten Dinge“, im MA waren darunter die Themen Tod, Gericht, Hölle und ewiges Leben zu verstehen, von J. Gerhard (gest. 1637) wird der Terminus latinisiert in die Dogmatik eingeführt, bezieht sich aber nun auf andere

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„letzte Dinge“. Sein Schüler Ph.H. Friedlieb (gest. 1663) bildet daraufhin als erster das Kunstwort „Eschatologie“. Hier sind im Gegensatz zu den →Präeschata diejenigen Sachverhalte gemeint, die nicht nur in einem vorläufigen, sondern in einem letztgültigen Erwartungs- und Hoffnungshorizont zu thematisieren sind, d. h. →Parusie Christi, Auferstehung der Toten, Gericht und Vollendung des Reiches Gottes. Eschatoi: gr., „die letzt(gültig)en Personen“, Kunstwort, das sich auf die Trinität und die trinitarischen Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist, d. h. auf Gott selbst als Grund jeder christlichen Zukunftshoffnung bezieht. Eschaton: gr., „das Letzt(gültig)e (n.)“; programmatisch im 20. Jh. von P. Tillich (gest. 1965) verwandt, um anzudeuten, dass es in der Eschatologie nicht um mehrere Ereignisse am Ende der Zeit geht, sondern um den jeder Zeit gleichzeitigen transzendentalen Geschichtssinn. In der theol. Umgangssprache oftmals ungenau für „den Jüngsten Tag“ gebraucht. Hier bezeichnet es sachlich letztgültige Aspekte des Verhältnisses zwischen Gott und Welt, d. h. die Themen Zeit und Ewigkeit, Raum und Unendlichkeit sowie den Themenkomplex des Guten, Wahren und Schönen. Eschatos: gr., „der Letzt(gültig)e“, d. h. Christus als möglicher Grund jeder christlichen Zukunftshoffnung; wird schon im 19. Jh. bei M. Kähler (gest. 1912) u. a. verwandt, um anzudeuten, dass die christliche Hoffnung immer eine personale Hoffnung ist, und wird im 20. Jh. breiter rezipiert. Hier im Zusammenhang mit den Eschatoi gebraucht. Etsi mundus non daretur: lat., „als ob es die Welt nicht gäbe“, Prinzip theologischer Wissenschaft, gebildet in Anlehnung an ein auf H. Grotius (gest. 1645) zurückgehendes methodisches, wissenschaftliches Prinzip „etsi deus non daretur“ (als ob es Gott nicht gäbe). Die Formulierung weist darauf hin, dass unter Voraussetzung der →creatio ex nihilo und des →sola gratia Gott auch unabhängig von der Existenz der Welt gedacht werden muss. Eucharistie: gr., wörtl. „Danksagung“, Bezeichnung für die Feier des Abendmahls, nicht nur im orthodoxen und röm.-kath. Bereich, sondern auch bei M. Luther (gest. 1546) und H. Zwingli (gest. 1531). Extension: Im Ggs. zur →Intension im auf Rudolf Carnap (gest. 1970) zurückgehenden Sprachgebrauch der Inhalt, oder in der Terminologie Gottlob Freges (gest. 1924) die Bedeutung eines Begriffs, d. h. diejenigen Gegenstände, die tatsächlich auf den Begriff zutreffen. Bsp.: Die Extension von „Stern, der am Abend als erster aufgeht“, „Stern der am Morgen als letzter untergeht“ bzw. „Stern, der von den Assyrern als Ischtar verehrt wurde“, ist faktisch in allen drei Fällen gleich, nämlich der Planet Venus. Filioque: lat., „und dem Sohn“, Zusatz zum Nicänokonstantinopolitanum von 381, der erstmals 589 in Toledo an der Stelle, „wir glauben an den Heiligen Geist […], der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht“, eingefügt und von Karl dem Großen (gest. 814) im Westen durchgesetzt wurde. Das Filioque trennt bis heute die West-

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von der Ostkirche und deutet auf unterschiedliche Verständnisse des Wesens Gottes hin. Föderalcalvinismus: Auf Kaspar Olevianus (gest. 1587) und Zacharias Ursinus (gest. 1583) zurückgehende theol. Schulmeinung, die sich bei Johannes Cocceius (gest. 1669), John Cameron (gest. 1625) und im schottischen Calvinismus der Westminster Confession durchsetzt und die Heilsgeschichte aufgrund des Bundesgedankens in verschiedene Epochen teilt, die von bestimmten foedera, Bünden oder Abkommen Gottes mit den Menschen gekennzeichnet sind. Futurum: lat., „Zukunft“, meint im Unterschied zu →adventus die aus dem gegenwärtigen Erwartungshorizont erwartbare und extrapolierbare Zukunft. Gewebe: Im Unterschied zum →Netzwerk das aus den →Weglinien des →wayfaring Gebildete. Gnosis, Gnostizismus: gr., „Erkenntnis“. Im engeren Sinne bez. G. verschiedene religiöse Heilslehren des 2. Jh., die christliche und mittelplatonische Heilslehren mit östlichen Mythen verbinden. Gemeinsam sind ihnen Mythologien, in denen im Laufe der Theogonie ein göttliches Wesen fällt, aus der göttlichen Lichtfülle Funken entfernt und mit deren Hilfe die materielle Welt schafft. Die Erlösung beruht auf Christus als einem Abgesandten der göttlichen Welt, der in die materielle Welt hinabsteigt und die Menschen daran erinnert, dass sie eigentlich als eingekerkerte göttliche Lichtfunken nicht zur materiellen Welt gehören. Sobald sie dies erkennen (daher der Name G.), sind sie erlöst. Gemeinsam ist diesen Systemen ferner →Doketismus und ein relativer Dualismus, weil gute Erlösergottheiten und böser bzw. inkompetenter Schöpfergott (Demiurg) einander gegenüberstehen, wenn letzterer auch deutlich subordiniert ist und z.T. auch erlöst werden kann. Bis ins 20. Jh. fast nur aus polemischen Darstellungen Tertullians (gest. ca. 230) und Irenäus’ von Lyon (gest. 202) bekannt, bieten die Funde 1945 in Nag Hammadi unmittelbare Quellen. Im weiteren Sinne kann G. auch für alle möglichen dualistischen, in Gegensätzen operierenden und das Körperliche abwertenden Weltanschauungen angewandt werden. Historismus: Im engeren Sinne bez. H. eine Richtung der Geschichtswissenschaft, die alle menschliche Erkenntnisbemühung als geschichtlich versteht, von der Gleichheit aller historischen Epochen ausgeht, Gesetzmäßigkeiten im Geschichtsverlauf ablehnt und das Individuelle betont. Im weiteren Sinne bez. Historismus solche wissenschaftlichen Ansichten, die als ontologische Basis ihrer Arbeit lediglich das mit historischen Mitteln als Faktizität Erweisbare annehmen und daher ihre weiteren notwendigen ontologischen Prämissen ausblenden. Inkarnation: lat., „Fleischwerdung“; Vorstellung, nach der der ewige →Logos Gottes, der „Sohn“ als die zweite Person der Trinität, an Weihnachten in Jesus Christus Mensch wird und damit eine zweite, menschliche „Natur“ in seine personale Identität aufnimmt, so dass mit skythischen Mönchen des 6. Jh. die sog. „theopaschitische“ Formel formuliert werden kann: „Einer aus der Heiligen Trinität hat im Fleisch gelitten“.

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Intension: Im Ggs. zur →Extension im auf Rudolf Carnap (gest. 1970) zurückgehenden Sprachgebrauch die Beschreibung oder in der Terminologie Gottlob Freges (gest. 1925) der Sinn eines Begriffs, d. h. seine definitorischen Bestandteile unabhängig von den Gegenständen, die auf den Begriff zutreffen. Bsp.: Die Intension von „der Planet Venus“ kann lauten: „Stern der am Morgen als letzter untergeht“, „Stern, der von den Assyrern als Ischtar verehrt wurde“ oder „zweiter um die Sonne umlaufender Planet“. Intentionalität: Im Unterschied zur →attentionalen Orientierung des Handelns eine Orientierung, die vor der eigentlichen Bewegung Ziele festlegt, so dass alles während des Weges Wahrgenommene entweder nur als Mittel oder als Hemmnis erscheint. Kenosis: lat., „Entleerung, Entäußerung“, verschiedene Vorstellungen, vor allem des 17. und des 19. Jh. im lutherischen Raum, nach denen der inkarnierte Logos in Christus im status exinanitionis (Stand der Niedrigkeit) sich derjenigen göttlichen Eigenschaften wie Allmacht, Allgegenwart etc. entäußert, die mit menschlichen Eigenschaften nicht vereinbar scheinen. Kerygma: gr., „Verkündigung“. Kontingenz: allgemein Zufall; speziell im Sinne der →Modallogik dasjenige, was aktual, aber nicht notwendig ist. Längenkontraktion: Von der Relativitätstheorie vorhergesagtes und empirisch bestätigtes Phänomen, nach dem Strecken bei annähernder Lichtgeschwindigkeit verkürzt werden. Liebesabenteuer: Die Narration eines →Abenteuers, das eine Liebesbeziehung ist, d. h. in der es um die Identität und das Werden der Beteiligten geht. Das vollendete Liebesabenteuer ist Gott. Limbus: lat., „Rand, Aufenthaltsort“, meint in der ma. Theologie Aufenthaltsorte, bzw. Zwischenzustände der verstorbenen Seelen, wie den limbus infantium für die ungetauft verstorbenen Kinder oder den limbus patrorum für die Gerechten des Alten Testaments, den „Schoß Abrahams“, der seit Christi Versöhnungswerk leer ist. Logos: gr., „Wort“, d. h. die zweite Person der Trinität, der ewige Gott der Sohn. Manducatio indignorum: z.T. auch m. impiorum, lat., meint die lutherische Vorstellung, nach der auch die Unwürdigen bei der →Eucharistie das wahre Fleisch und das wahre Blut Christi genießen, und zwar zum Gericht. Metaphysik: →Ontologie. Millenarismus: Auffassung, nach der am Ende der Geschichte das →Millennium erscheint. Millennium: Nach Apk 20,1–7 die tausendjährige Heilszeit am Ende der Geschichte. Modallogik: philosophische Logik, die sich mit den Modalitäten von Aussagen befasst, d. h. mit dem Verhältnis der Begriffe Notwendigkeit, Möglichkeit, Unmöglichkeit, Zufälligkeit, →Kontingenz und deren semantischer Interpretation.

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Multivolipräsenz: lat., gelegentlich auch, v.a. polemisch von Seiten der Calvinisten „Ubiquität“ genannt, meint die v.a. lutherische Vorstellung, nach der der ganze Christus mit göttlicher und menschlicher Natur überall in der Welt anwesend sein kann, wo er will, v.a. aufgrund seiner Verheißung in der →Eucharistie. Narration: Jede konkrete und partikulare Sequenzfolge von Ereignissen oder Episoden. Narrativ: Schema und Struktur einer →Narration. Narrativität, primäre: Die Wirklichkeit von Welt, Mensch und Natur, wie sie prozesshaft wird. Diese ist narrativ, da „Geschichten gelebt werden, bevor sie erzählt werden können, außer in Romanen“ (A. MacIntyre). Narrativität, sekundäre: Narrationen und Narrative, die im Unterschied zur primären Narrativität auf menschlicher Zeichenverwendung basieren. Narrativität, transzendentale: Die Bedingung der Möglichkeit von primärer (und daher auch sekundärer) Narrativität, die selbst eine narrative Struktur hat, d. h. das Leben der immanenten Trinität. Naturalismus: Form des →Reduktionismus, nach der sich jegliche Phänomenalität, auch die geistiger Ereignisse, auf materialistische, durch naturwissenschaftliche Gesetze Erfassbares reduzieren lässt. Netzwerk: Im Unterschied zum →Gewebe des →wayfaring, dessen wahrhafte Bewegungen →attentional erfolgen, eine →intentionale Ordnung von nur scheinbaren Bewegungen, in Wirklichkeit aber statischen Linien durch ihre Endpunkte im Modus des →transport. Neuplatonismus: Geistesströmung der Spätantike, die auf Plotin (gest. ca. 270) zurückgeht und bis weit in das christliche Mittelalter und den deutschen Idealismus hinein ungemein einflussreich war. Novität: lat., „Neuheit“. Ontologie: lat., „Lehre vom Sein“, d. h. philos. und theol. Disziplin, die sich mit Fragen nach der Existenz, dem Wesen und der Identität von Seiendem als Seiendem beschäftigt. Aufgrund der Reihenfolge der Herausgabe der Schriften des Aristoteles (gest. 322 v.Chr.) gelegentlich auch synonym mit „Metaphysik“ gebraucht. Ontologie, narrative: Eine →Ontologie, die erkannt hat, dass die Wirklichkeit kein Sein, sondern ein Werden ist, so dass sie aus Wegliniengeweben und Erzählungen besteht, auch dann, wenn es keine personalen Entitäten gäbe. Orthodoxie, altprotestantische: Die nach der Reformation einsetzenden reformierten und lutherischen akademischen Theologien, die auf den jeweiligen Bekenntnisschriften fußen, lat. verfasst und von einer neuerlichen Aristotelesrezeption bestimmt sind. Ihr Ende geht in die jeweiligen nationalsprachlichen Wissenschaftssprachen über. Panentheismus: Vorstellung, nach der die Welt Teil Gottes ist, Gott aber die Welt übersteigt. Parusie: gr., „Erscheinung, Ankunft, Anwesenheit“, manchmal auch „zweite Parusie“ wie auf der Coverdarstellung dieses Buches. Gemeint ist die Ankunft Christi am „Jüngsten Tag“ wie sie in den Glaubensbekenntnissen, z. B. im

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Apostolikum vertreten wird: „von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“. Hier Bezeichnung für das Grundlegende der →Eschata. Perfektibilität: Wichtiges Kennzeichen, vor allem der Aufklärung, nach der es möglich ist, dass sich Mensch und Gesellschaft im Laufe der Geschichte sittlich vervollkommnen können. Postmillenarismus: 1. Auffassung, nach der die →Parusie nach dem →Millennium geschieht; daher abgeleitet 2. Auffassung, dass die Geschichte einen positiven Verlauf nimmt. Postmoderne: Ursprünglich aus der Architektur stammender und als philosophischer und allgemein zur Signatur der Gegenwart seit ca. 1980 übertragener Begriff, der die veränderte Situation gegenüber der Moderne mit ihrer einheitlichen Vernunftbetonung charakterisieren will, da sich die gegenwärtige Situation durch Pluralisierung, Individualisierung, Retraditionalisierung und dem Ende der Vernunftgläubigkeit wesentlich von der Signatur der Moderne unterscheidet. Andere, aber weniger populäre Begriffe sind Spätmoderne, Krise der Moderne, Nachmoderne etc. Potentia absoluta: lat., „schlechthinnige Macht“, Deutung der Allmacht Gottes im spätscholastischen Voluntarismus, nach der Gott in seiner p.a. alles, z.T. auch das logisch scheinbar Unmögliche tun kann und sein Wille durch nichts eingeschränkt ist. Zu unterscheiden davon ist Gottes potentia ordinata, seine „geordnete Macht“, die als selbstgewählte Einschränkung seiner p.a. aufgrund der Kohärenz seiner Willensakte zu verstehen ist. Präeschata: Diejenigen zukünftigen Gegenstände und Ereignisse menschlicher Erwartung, Hoffnung und Befürchtung, die sich aus einem vorläufigen und nicht erst letztgültigen Erwartungshorizont ergeben und damit auch ohne den letztgültigen, ausschließlich auf spezieller Offenbarung beruhenden eschatischen Erwartungshorizont erfahrbar sind. Es handelt sich individuell um den Tod des Menschen, sozial um die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft und kosmisch um die Vorstellung eines Endes der Welt. Prämillenarismus: 1. Auffassung, nach der die →Parusie vor dem →Millennium geschieht; daher abgeleitet 2. Auffassung, dass die Geschichte einen negativen Verlauf nimmt. Prolepse: gr., „Vorwegnahme“, v.a. mit der Theologie W. Pannenbergs (geb. 1928) verbundene Vorstellung, nach der das Ende der Geschichte in der Auferstehung Jesu Christi vorweggenommen ist. Promissio: lat., „Verheißung, Versprechen, Zusage“ des Evangeliums. Prozesstheologie: Von den Prozessphilosophien Alfred North Whiteheads (gest. 1947) und Charles Hartshornes (gest. 2000) beeinflusste v.a. nordamerikanische Theologien der 2. Hälfe des 20. Jh., die zumeist keine creatio ex nihilo kennen, zwischen Gottes Urnatur als purer Kausalität und Gottes Folgenatur unterscheiden, die nicht nur aktiv, sondern auch empfänglich ist und aus dem Weltlauf personal bereichert wird.

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Reduktionismus: Bezeichnung für Geistesströmungen, die versuchen, einen komplexen Phänomenbestand auf einfache Erklärungsmuster zu reduzieren, wie z. B. der →Naturalismus. Refrigerium: lat., „Erfrischungsort“, bezeichnet unterschiedliche altkirchliche und mittelalterliche Vorstellungen eines Zwischenzustandes oder Aufenthaltsorts der verstorbenen Seele. Bei Tertullian (gest. ca. 220) meint es noch den →limbus patrorum, bei Prudentius Aurelius Clemens (gest. ca. 413), möglicherweise in Verbindung mit der rabbinischen Tradition des Höllensabbats, und bei C.S. Lewis (gest. 1963) eine regelmäßige Erfrischungs- und Erholungsmöglichkeit für Seelen in der Hölle. Scholastik: Wissenschaft des Mittelalters, unterteilt in die Frühscholastik (ab 11. Jh.) der Klosterschulen, die Hochscholastik (ab ca. 1200) der Universitäten und die Spätscholastik (14.–16. Jh.), mit Latein als Wissenschaftssprache und im theol. Bereich vom antiken Traditionsgut Augustins (gest. 430) und Aristoteles’ (gest. 322 v.Chr.) in unterschiedlicher Weise bestimmt. Semipelagianismus: Hist. auf Johannes Cassian (gest. 435) zurückgehende Gnadenlehre, die nicht wie Augustin (gest. 430), den Glauben und die Perseveranz, das Bleiben im Glauben, allein auf göttliche Gnade zurückführt, sondern menschliche Kooperation bedingt zulässt, aber nicht radikal wie im auf Pelagius (gest. 435) zurückgehenden Pelagianismus, der lehrte, dass die Ursünde den menschlichen Willen nicht verderbe; auf der Synode von Orange 529 abgelehnt. Im übertragenen Sinne meint S. jegliche Vorstellung einer Gnadenlehre, die menschlicher Kooperation in Heilsfragen gegen die reformatorische Gnadenlehre zu viel Macht zugesteht. Sola gratia: lat., reformatorische Vorstellung, nach der der Mensch „allein aus Gnade“ ohne des Gesetzes Werke von Gott gerechtfertigt wird, so dass jeder Heilssynergismus, d. h. jede Kooperation von Gott und Mensch hinsichtlich des Heils des Menschen abgelehnt wird. Das s.g. ist damit die Entsprechung zur →creatio ex nihilo in der →Soteriologie. Soteriologie: lat., wörtl. „Rettungslehre, Heilslehre“, fachterminologisch aber „doctrine of atonement“ im angelsächsischen Bereich, „Erlösungslehre“ im dt.-sprachigen röm.-kath. Bereich und „Versöhnungslehre“ im dt.-sprachigen protestantischen Bereich. Gemeint sind alle Vorstellungen, auf welche Weise das Werk Jesu Christi, d. h. dessen Leben, Sterben und Auferstehen, den Menschen zurechtbringt. Soterologie: lat., wörtl. „Retterlehre, Heilandslehre“, Bezeichnung M. Kählers (gest. 1912) für die →Soteriologie, die darauf insistiert, dass christlicherseits nie abstrakt vom „Heil“ gesprochen werden darf, sondern immer personal vom „Heiland“. Sozinianismus: auf Fausto Sozini (gest. 1604) zurückgehende Strömung, die die Lehre von der Dreieinigkeit und die traditionellen Deutungen der Heilsbedeutung Christi ablehnte.

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Theodizee: allgemein, Problem, wie ein guter Gott angesichts des Bösen in der Welt zu rechtfertigen ist; speziell, die Bearbeitung der Fragestellung durch G.W. Leibniz (gest. 1716). Theosis: gr., „Vergöttlichung“, altkirchliche, orthodoxe und z.T. lutherische Vorstellung der eschatischen Partizipation am göttlichen Beziehungsgefüge aus Gnade, nicht von Natur aus. transport: Weglinienbewegungen, die →intentional zielgerichtet erfolgen und ein →Netzwerk ergeben. Transport weist nur eine Scheindynamik auf und ist in Wirklichkeit statisch. Trinität: von lat. trinitas, „Dreiheit“, Bezeichnung für die Dreifaltigkeit, bzw. Dreieinigkeit, d. h. für den biblischen, dreieinigen Gott. Unterschieden werden muss demgegenüber die Trinitätslehre als Lehre über die Trinität, die 381 in Konstantinopel festgestellt wurde. Ubiquität: →Multivolipräsenz. Voluntarismus: Sich Ende der Hochscholastik bei J. Duns Scotus (gest. 1308) abzeichnende und in der Spätscholastik durchsetzende Vorstellung, nach der nicht Sein, Güte oder Erkenntnis höchste Prädikate Gottes sind, sondern dessen Wille. Wahrwertnehmen: Da jedes menschliche Wahrnehmen immer auf →affordances gerichtet ist, wird die Einheit von Fakt und ihren Werten unmittelbar und vorgängig von deren Separation wahrgenommen. Wahrnehmen ist also immer auch Wertnehmen und umgekehrt. wayfaring: Im Unterschied zur →intentionalen, statischen Scheinbewegung des →transport des →Netzwerks die attentionale wirkliche Bewegung von →Weglinien im →Gewebe, deren Zielauswahl durch das →Wahrwertnehmen der sich ereignenden Wirklichkeit und des Anderen geschieht und daher nicht vorhersehbar und stets vorläufig bleibt. Weglinie: Die kleine ontische Einheit in einer narrativen →Ontologie, z. B. sowohl der Wahrwertnehmende als auch gleichursprünglich seine Geschichte. Weglinienperspektive: Perspektive, auf der →wahrwertgenommen wird. Da Perspektiven keine Standpunkte sind, sondern im beständigen Verlassen von (an sich immer irrealen) Standpunkten bestehen, sind sie dynamische Weglinienperspektiven. Wünsche zweiter Ordnung (second order volitions): Nach Harry G. Frankfurt u. a. die für Personen charakteristische Fähigkeit, nicht nur etwas wollen oder wünschen zu können (first order desires), sondern auch diese Wünsche erster Ordnung noch einmal wollen oder nicht wollen zu können (second order volitions). Bsp.: „Ich will nicht mehr, dass ich rauchen will“. Der Wunsch zu rauchen ist ein Wunsch erster Ordnung, der Wunsch, diesen Willen nicht mehr haben zu wollen, ein Wunsch zweiter Ordnung. Nach Frankfurt kommen Wünsche erster Ordnung auch Wesen wie einigen Tieren zu, die nicht personal sind (wanton), während Personen immer die Fähigkeit zu Wünschen zweiter Ordnung haben (person). Diese Fähigkeit bemerken Personen in der Regel erst dann, wenn beide nicht übereinstimmen. Dabei zeigt sich, dass die Wünsche zweiter Ordnung mehr von

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der Lebenseinstellung und dem Wirklichkeitsverständnis einer Person geprägt sind, als die mehr affektiven Wünsche erster Ordnung. Das Doppelgebot der Liebe ist nicht nur darin doppelt, dass es sich auf Gott und Mensch bezieht, sondern insofern es die Übereinstimmung von Wünschen erster und zweiter Ordnung in der Liebe fordert. Das Erkennen der Nichtkonkordanz zwischen Wünschen erster und zweiter Ordnung ermöglicht somit die Erkenntnis der Sünde (vgl. Röm 7,19). Zeitdilatation: Von der Relativitätstheorie vorhergesagtes und empirisch bestätigtes Phänomen, nach der die Zeit bei annähernder Lichtgeschwindigkeit langsamer verläuft und bei Lichtgeschwindigkeit ganz ruht. Zim-Zum: hebr., „Zusammenziehen, Rückzug“, kabbalistische, d. h. mittelalterlich jüdische Vorstellung, die bei Isaak Luria (gest. 1572) einen Akt göttlicher Selbstbeschränkung meint, der die Schöpfung ermöglicht und gelegentlich auch als Metapher für das Exil gebraucht werden kann. Zwei-Naturen-Lehre: Auf dem Konzil von Chalzedon 451 vertretene Auffassung über die eine Person Christi, die so aus einer menschlichen und einer göttlichen „Natur“ besteht, dass diese Naturen in der Einheit der Person Christi asyngchytos (gr., „unvermischt“), atreptos (gr. „unveränderlich“), adihairetos (gr. „ungetrennt“) und achoristos (gr. „unteilbar“) sind.

Literaturverzeichnis

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Gen 1,1 103, 109 Gen 1,6 137 Gen 1,26 239 Gen 1,26f 219 Gen 2,4–3,24 246 Gen 2,7 219 Gen 2,17 221 Gen 2f 407 Gen 3,5 246 Gen 3,15f 200 Gen 25,8 220 Gen 26,3 67 Ex 3,12 67 Ex 3,14 71, 73 Lev 11,24f 220 Lev 19,31.28 220 Dtn 18,10f 220 Ri 2,10 219 2.Sam 12,23 220 1.Kön 2,9 220 2.Kön 21,6 220 Hi 3,19 220 Hi 10,21 220 Hi 42,17 220 Ps 8 74 Ps 23 74 Ps 28,1 220 Ps 31,16 219 Ps 84 74 Ps 88,4.6 220 Ps 88,13 220 Ps 90,4 262

Ps 90,5 219 Ps 94,17 220 Ps 102,25f 184 Ps 104 74 Ps 115,17 220 Ps 139,8 220 Ps 139,16 219 Ps 143,7 220 Ps 145,10–17 389 Spr 1,12 220 Jes 2,2–5 408 Jes 2,12–17 292 Jes 10,18 219 Jes 11,6–9 386, 407 Jes 13,9 292 Jes 24,21 345 Jes 24–27 74 Jes 25,8 220 Jes 33 74 Jes 38,18f 220 Jes 43,2 67 Jes 51,6 184 Jes 65,17 184 Jes 66,15–24 345 Ez 37 220 Ez 37–48 262 Dan 4,34 389 Dan 7,9.26f 345 Dan 7,13f 293 Dan 12,2 220, 316 Joel 2,1–12 293 Joel 4,14 345

444

Bibelstellenverzeichnis

Joel 4,14–15 293 Joel 4,16–17 293 Am 5,18–20 292 Mi 4,1ff 74 Mi 4,1–4 408 Mi 4,4 386, 408 Zeph 1,7.14–18 292 Sach 3,10 408, 409 2.Makk 7,14 81, 220, 350 2.Makk 7,14.23 316 2.Makk 12,42–45 333 Sir 7,36 17 1.Hen 37–71 293 1.Hen 91,12–17 262 2.Hen 25,16 293 2.Hen 32,1–33 262 äthHen 33,6 116 äthHen 84,2–4 74 äthHen 91,5 345 syrBar 24–32 262 4.Esr 7,28–33 262 4.Esr 13,3 293 AssMos 10 74 Mt 3,7parr 345 Mt 3,9parr 345 Mt 3,11parr 346 Mt 5,17–20 390 Mt 5,20 385 Mt 5,45 83 Mt 6,4–18 378 Mt 7,21 385, 388 Mt 7,22f 378 Mt 8,11 385 Mt 8ff parr 75 Mt 10,23 294 Mt 10,28parr 378 Mt 13,11 385 Mt 13,36–43 378 Mt 18,1.4 385 Mt 19,28 378 Mt 20,21 391 Mt 23,35 184 Mt 24,23 295 Mt 24,27 295

Mt 24,29 187 Mt 24,30 285 Mt 24,42–44 293 Mt 24f 285, 374 Mt 24–25 294 Mt 25,31–46 347, 378 Mt 25,46 386, 411 Mt 28,20b 291 Mk 1,9–11parr 146 Mk 1,9–11parr 148 Mk 1,14 30 Mk 1,14f 389 Mk 4,30–32 389 Mk 9,43–48 346 Mk 9,48 345 Mk 10,15 30 Mk 10,23–25 388 Mk 10,30 386, 411 Mk 12,18–27parr 330 Mk 13 285, 294 Mk 13,21.32 285 Mk 13,24–27parr 295 Mk 13,31 184 Mk 13,31ff 192 Mk 13,32–37 295 Mk 14,25 75, 388, 392 Mk 14,25parr 75 Mk 14,62 294 Lk 3,8 parr 346 Lk 7,34 409 Lk 10,25–37 63 Lk 11,20 388 Lk 12,8f 391 Lk 12,8f parr 75 Lk 12,16–20 346 Lk 13,1–5 346 Lk 13,18–21 389 Lk 13,23–30 389 Lk 13,25–27 378 Lk 13,28–30 388 Lk 14,15–24 391 Lk 16,1–7 346 Lk 16,16 388 Lk 17,20f 390 Lk 17,34f 346 Lk 21 285, 294

Bibelstellenverzeichnis

Lk 21,33 184 Lk 23,43 320, 327, 385, 407 Joh 3,5 320 Joh 3,16 358, 386, 411 Joh 3,16f 183 Joh 3,17f 290, 321 Joh 3,18–20 347 Joh 3,36 347 Joh 5,18 75 Joh 5,24 221, 347 Joh 5,24f 290 Joh 5,24ff 321 Joh 9,39 347 Joh 12,46 347 Joh 14,2 57 Joh 15,1–11 409 Joh 18,36 391 Apg 17,28 134 Apg 17,28f 386, 410 Röm 1,3b–4 80 Röm 1,4 81 Röm 1,18 346 Röm 1,18f 374 Röm 2,1–3,20 346 Röm 2,3 378 Röm 3,6 378 Röm 3,9 346 Röm 3,20 347 Röm 3,24f 347 Röm 4,17 81 Röm 4,24b 80 Röm 4,25 80 Röm 5,14.17 221 Röm 6 319 Röm 6,3 221 Röm 6,3f.8f 80 Röm 6,8 259 Röm 6,22 386, 411 Röm 6,23 221, 230 Röm 7,19 247 Röm 7,19f 50 Röm 8,11 80 Röm 8,14 386, 410 Röm 8,18–25 200 Röm 8,19–23 184 Röm 8,38 137

445

Röm 8,38f 314 Röm 9,3 417 Röm 10,9 80 Röm 14,7f 417, 418 Röm 14,9 221 Röm 14,10 378 Röm 14,17 388, 390 Röm 19–22 193 1.Kor 1,7 294 1.Kor 3,5 319 1.Kor 3,11–15 333, 344, 347, 350, 368 1.Kor 4,4f 378 1.Kor 5,13 378 1.Kor 6,2f 378 1.Kor 6,9f 388 1.Kor 7,31 184 1.Kor 8,4-6 80 1.Kor 10,4 290 1.Kor 11,32 378 1.Kor 13 411 1.Kor 13,3 80 1.Kor 13,12 193, 385, 410 1.Kor 13,13 43 1.Kor 15 56, 183, 224, 295, 319, 320, 324, 327 1.Kor 15,3b–4 80 1.Kor 15,12 318 1.Kor 15,14.19 76 1.Kor 15,14–19 319 1.Kor 15,23–28 294 1.Kor 15,24f 391 1.Kor 15,26 221 1.Kor 15,28 386, 411 1.Kor 15,29 290 1.Kor 15,40f 320 1.Kor 15,44 57, 319 1.Kor 15,50 320, 388 1.Kor 15,51 319 1.Kor 16,22 80, 81, 294 2.Kor 4,14 80 2.Kor 5,7 340 2.Kor 5,10 378 2.Kor 5,17 184 Gal 1,1 80 Gal 3,22 346 Gal 5,21 388

446

Bibelstellenverzeichnis

Gal 6,15 184 Eph 2,4ff 290 Phil 1,20f 221 Phil 1,23 224, 320, 327 Phil 2,6–11 80 Phil 2,9–11 391 Kol 1,15–17 391 Kol 1,16 137 Kol 1,20 347 Kol 3,1–4 290 1.Thess 1,9f 80, 317 1.Thess 2,10–12 388 1.Thess 4,6 378 1.Thess 4,13–18 285, 294, 317, 319, 320, 327 1.Thess 4,14a 80 1.Thess 4,15–17 317 1.Thess 4,17 318, 386, 410 1.Thess 5,1–11 285, 293, 294 1.Thess 5,2 285 1.Thess 5,8 293 1.Thess 5,9f 347 1.Thess 5,23 294 2.Thess 1,5 378 2.Thess 2,2–8 294 1.Tim 3,16 80 Hebr 1,10f 184 Jak 5,7 294

1.Petr 1,3–12 290 1.Petr 1,7 294 1.Petr 3,13 184 1.Petr 4,7 290 2.Petr 1,4 386, 410 2.Petr 1,16 294 2.Petr 3,10 293 1.Joh 2,28 294 1.Joh 4,17f 383 Apk 1,3 290 Apk 1,7 294 Apk 2,7 385, 407 Apk 3,3 293 Apk 3,11 290 Apk 6 294 Apk 8f 294 Apk 16 294 Apk 16,15 293 Apk 16,16 285 Apk 19,11–16 294 Apk 20,1–7 261, 262, 280, 281 Apk 20,6.14 221 Apk 20,11 184 Apk 21,1 386, 408 Apk 21,1.5 184 Apk 21,2 389 Apk 21,10–27 385, 406 Apk 22,20 80, 294

Paragraphenverzeichnis

§1 Die Notwendigkeit der Eschatologie 15 §2 Eschatologie als Zukunftslehre und als Lehre von den letzten Dingen 17 §3 Eschatologie als Lehre von dem Letztgültigen und als historischer Begriff für die apokalyptische Lehre Jesu 20 §4 Eschatologie als Lehre von dem Eschaton 24 §5 Die Entwicklung der Eschatologie im 20.Jh. 27 §6 Eschatologie und die pluralistische Situation 36 §7 Wahrwertnehmen 39 §8 Definition und Aufteilung der PostSystematischen Theologie 42 §9 Eschatologie als Post-Systematische Theologie unter dem Aspekt der Hoffnung 43 §10 Die intellektiven Ausdrücke der Sprache unseres Erwartungshorizonts – Futur und Advent 44 §11 Die affektiven Ausdrücke der Sprache unseres Erwartungshorizonts 48 §12 Wünsche erster und zweiter Ordnung 49 §13 Eschatologie und objektive Elemente des Erwartungshorizonts 50 §14 Das Eschatische betrifft unseren Erwartungshorizont, das Eschatologische die wissenschaftliche Reflexion 51 §15 Der Aufbau des Buches 51

§16 Schrift, historischer Jesus, Tradition und Glaubenserfahrung sind je für sich nicht Grund eschatologischer Aussagen 53 §17 Die Konstitution chritlichen Wahrwertnehmens als Begründung eschatologischer Rede 55 §18 Christlicher Glaube als Weise des Wahrwertnehmens in der Verschränkung der Geschichten 58 §19 Auf die Zukunft gerichtete Verheißung als die unverfügbare Grunderfahrung christlichen Glaubens und Hoffens 65 §20 Minimalbestimmungen Gottes als Kriterien der Identifikation des eschatischen Grundes 67 §21 Jesu Verkündigung des Reiches Gottes und ein neuer Erwartungshorizont 74 §22 Die Auferweckung Jesu als eschatisches Ereignis 76 §23 Der Heilige Geist als Ursprung von Auferweckung Christi und Gewissheit der Auferweckung Christi 80 §24 Die doppelte Hingabe Christi und des Geistes als eschatisches Heil der Welt 82 §25 Gottes Selbstpräsentation als Vater, Sohn und Heiliger Geist 84 §26 Das Verhältnis von ökonomischer und immanenter Trinität 86 §27 Gottes Sein als Werden als Bedingung der Möglichkeit seines Handelns 88

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Paragraphenverzeichnis

§28 Gott wird als Liebesabenteuer 89 §29 Gottes Liebesabenteuer folgt einer Ordnungsrelation des Lebens der Eschatoi Vater, Sohn und Geist 92 §30 Die Eigenschaften Gottes 93 §31 Die Person Christi 97 §32 Ewigkeit als Zeitlosigkeit 103 §33 Ewigkeit als vollständige Gleichzeitigkeit 110 §34 Ewigkeit als partielle Gleichzeitigkeit 117 §35 Ewigkeit als Endlosigkeit 119 §36 Die Ewigkeit ist das trinitarische Beziehungsgewebe des Werdend Gottes. Die Zeit hat den Charakter einer irreversiblen Ordnungsrelation. Die Ordnungsrelation der Ewigkeit ist die Bedingung der Möglichkeit der Ordnungsrelation der Zeit. 125 §37 Raum als unendlicher Container und die korrelierten Unendlichkeitsauffassungen 132 §38 Die Bedeutung des Modells des Raumes als unendlicher Container für verscheidene Christologien und Abendmahlslehren 135 §39 Raum als Inbegriff einer reversiblen Ordnungsrelation, seine Bedeutung für das lutherische Abendmahls- und Himmelfahrtsverständnis sowie für Hegels Unendlichkeitsverständnis 145 §40 Unendlichkeit als das Beziehungsgewebe des Werdens Gottes 156 §41 Das sog. Theodizeeproblem 161 §42 Allmacht als Allwirksamkeit 167 §43 Das Handeln Gottes und die Güte der Welt 169 §44 Die Kontingenz der Welt und Gottes Vorsehung des eschatischen Ausgangs 170 §45 Eschatische Transformation des Wertes menschlicher Handlungen 174 §46 Eschatische Identität des Guten und des Wahren und die Nichtidentität des Schönen 175

§47 Sinn und Grenze der Rede von Gottes Vorsehung. Das Ziel der Schöpfung einer nicht instantan vollendeten Welt ist das Schöne 180 §48 Biblische Belege für das Geschick der Welt 183 §49 Das Geschick der Welt nach den Verwandlungstheorien 184 §50 Die klassische Vernichtungsthese und die Irrelevanzthese als Vernichtungsthese 191 §51 Gottes Schöpfungshandeln lässt die Vernichtungsthese unwahrscheinlich erscheinen 197 §52 Jenseits von Vernichtung und Verwandlung – Die Vergöttlichung der Welt 201 §53 Die ethische Relevanz des Geschickes der Welt 203 §54 Der Hirntod als biologisches Todeskriterium 207 §55 Nahtoderlebnisse 212 §56 Altern als Kompromiss der Evolution und die Frage nach dem Sinn des Alterns 213 §57 Die hellenistische, die hebräische Zukunftshoffnung und das neue Todesverständnis durch Jesu Tod und Auferstehung 215 §58 Der Tod in der Tradition 221 §59 Die Vorteile und die Problematik der Ganztodthese 224 §60 Die gute Endlichkeit des Menschen und der Tod als der Sünde Sold 230 §61 Reinkarnation: Ein Bonmot Wilhelm Buschs. Östliche und mystische Vorstellungen und die Ganztodthese 236 §62 Personalität als Gottebenbildlichkeit. Der Personalitätstraditionen (Boethius, Alexander und Kant, Richard v. St. Viktor) 238 §63 Des Menschen Werden in Beziehung als eschatische Person im Lichte von Verheißung und Hoffnung 241 §64 Sünde als Ver-rückung des menschlichen Beziehungsorganismus 246

Paragraphenverzeichnis

§65 Die Folgen der Sünde und Zusammenfassung über den Menschen als Bild Gottes im Zusammenhang von Sünde und Tod 249 §66 Probleme der Praxis mit dem Tod 254 §67 Unterscheidungen von Apokalyptik, Endzeiterwartung, Millenarismus, Postmillenarismus, Prämillenarismus in säkularer und christianisierter Gestalt 260 §68 Der säkulare Postmillenarismus 266 §69 Der christliche Postmillenarismus 269 §70 Der säkulare Prämillenarismus 273 §71 Christlicher Prämillenarismus 276 §72 Amillenarismus und ethische Konsequenzen 280 §73 Die Lehre von den Vorzeichen des Endes 284 §74 Die Rede von der Parusie Christi und ihre Probleme 288 §75 Grundzüge der biblischen Parusietradition 292 §76 Parusieverständnisse der Tradition: geschichtslos, übergeschichtlich, geschichtlich und zyklisch 295 §77 Die Parusie als die eschatische Realität unter dem Gesichtspunkt ihres Eintretens 307 §78 Die Bedeutung der Parusie für menschliches Handeln 312 §79 Urchristliche Auferstehungsvorstellungen 316 §80 Auferstehungstypen der Geschichte 321 §81 Die Lehre von den Zwischenzuständen und ihre Beurteilung 332 §82 Die Wahrheit der leiblichen Auferstehung 336 §83 Die ethische Bedeutung der Auferstehungsleiblichkeit 342 §84 Das breite Spektrum biblischer Gerichtsvorstellungen 344 §85 Das Gericht im Lichte seiner Ausgänge 348

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§86 Doppelter Ausgang mit Annihilation 349 §87 Doppelter Ausgang mit ewiger Strafe 352 §88 Der einfache Ausgang der Allversöhnung 359 §89 Modelle des „dritten Weges“ 365 §90 Das Ziel des Gerichts 372 §91 Gegenstände und Kriterien des Gerichts 373 §92 Das Gericht als Transformationsprozess, der das Gnade-Freiheits-Dilemma löst 377 §93 Gegenwärtiges Gericht und Endgericht 380 §94 Hoffnung auf das Gericht als Kriterium des ethischen und pastoralen Umganges mit dem Gericht 383 §95 Die Rede vom Reich Gottes in ihren Aspekten 387 §96 Die Wahrheit des Lebens in der Vollendung des Reiches Gottes 394 §97 Die begriffliche Rede als Kriteriologie für die bildhafte Rede – et vice versa 403 §98 Zehn biblische Bilder der Vollendung des Reiches Gottes 405 – Das ewige Leben – Das neue oder himmlische Jerusalem – Die eschatische Weinlaube – Neuer Himmel und neue Erde – Paradies und Gärtner – Schauen Gott wird alles in allem – Schauen von Angesicht zu Angesicht – Tierfrieden – Vergöttlichung – Zusammenleben mit Christus §99 Zwei gegenwärtige Bilder der Vollendung 415 – Identität von Melodie und Bedeutung in der Musik – Titelblatt und Buchinhalt §100 Zurück aus der Zukunft 417

Personenregister

A Albertus Magnus 151 Alexander von Hales 239, 240 Althaus, P. 28, 31, 167, 168, 187, 196, 225, 295, 299, 300, 304, 311 Ames, W. 277 Anastasius vom Sinai 340 Angelus Silesius 305 Anselm von Canterbury 69, 98 Aquin, Thomas von 110 Ariès, P. 213 Aristoteles 104, 105, 136, 217 Athanasius von Alexandria 151, 339 Auffahrt, C. 294 Augustin 102–107, 109, 111, 140, 222, 262, 263, 281, 326–328, 352, 353, 358, 389, 417 Axt-Piscalar, C. 84 B Balthasar, H.U.v. 29 Barrow, J.D. 189 Bartelmus, R. 138 Barth, K. 26, 28, 29, 32, 44, 57, 72, 87, 109, 152, 225, 233, 235, 274, 295, 301, 303–305, 326, 365–368 Barth, U. 134, 140, 194 Basilides 77 Baumgarten, S.J. 187 Baur, F.Ch. 268 Becker, J. 74–76, 80, 81, 290, 294, 308, 317, 319, 321, 346, 388, 391, 392

Beierwaltes, W. 107 Beißer, F. 224–227, 235, 236, 331 Bellah, R.N. 273 Bengel, J.A. 269 Benz, E. 263 Berger, P.L. 38 Beuttler, U. 217 Beyschlag, K. 20, 77, 204 Bloch, E. 33, 268 Bloch-Smith, E. 220 Blum, G.G. 262 Blumrich, R. 107 Boethius 102, 110–114, 116, 120, 238–240 Bonaventura 378, 379 Bonhoeffer, D. 411 Bostrom, N. 190 Braaten, C.E. 339 Brandenburger, E. 345 Breidert, W. 137 Brenz, J. 151, 152 Bretschneider, K.G. 18 Brom, L.J.v.d. 157, 158 Brümmer, V. 113, 117, 118, 238, 392 Brunner, E. 47 Bultmann, R. 28, 30, 31, 33, 70, 82, 152, 301, 326 Buridanus, J. 139, 146 Burkett, D.R. 293 Busch, W. 236

Personenregister

C Calvin, J. 140, 142, 151, 187, 194, 222–224, 257, 334, 354, 358 Cameron, J. 277, 422 Cartwright, Th. 277 Clark, C. 337 Clarke, S. 134, 146 Clayton, P. 205 Clemens Alexandrinus 324 Cocceius, J. 277 Coleridge, S.T. 107 Cone, J.H. 34 Conte, A.G. 173, 197, 242 Cranach, L. 172 Cullmann, O. 30, 31, 124 D Daley, B. 321, 327, 328, 356 Dalferth, I.U. 79, 80 Damaszenus, J. 143 Dante 353 Darby, J.N. 278 Demokrit 132, 417 Denzinger, H. 143 Derectic, I. 190 Derrida, J. 275, 276 Descartes, R. 218 Diekmann, E. 244 Diels, H. 132, 136 Dingel, I. 355 Dodd, Ch.H. 30, 31, 54, 388 Dorner, I.A. 25, 56, 276, 279, 280, 295, 301–303, 308, 311 Drechsel, W. 255, 412 Duns Scotus, J. 117, 118 Durandus von San Porciano 328 Dürer, A. 172 Dwight, T. 272 E Ebeling, G. 223, 411 Echternach, H. 114 Eckhardt 107 Edwards, J. 269, 272, 416 Einstein, A. 114, 147 Elert, W. 163, 222, 225, 274, 286

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Engels, F. 268 Epikur 206, 216, 218, 256 Eriugena, J. 324, 329 Erlemann, K. 289 Erskine of Linlathen, Th. 82, 334, 365, 380 Etzelmüller, G. 366, 371 Euklid 133 Euseb von Cäsarea 281 Evers, D. 133, 136, 138, 139, 144, 146, 147, 157, 189, 203, 397 F Feuerbach, L. 232 Finé, H. 362 Fiore, J.v. 263 Flasch, K. 106, 140 Fleischer, M. 37 Francke, A.H. 269 Frank, F.R.H. v. 20 Frankfurt, H.G. 50 Frick, R. 390 Friedlieb, Ph.H. 17 Fukuyama, F. 38, 268 G Gauß, C.F. 147 Geach, P.T. 117, 118, 171, 172 Gerhard, J. 17, 18, 191–195, 205, 374 Gertz, J.C.H. 246 Gibson, J.J. 40 Goffman, E. 244 Grässer, E. 289 Gregor der Große 352, 378 Greshake, G. 47, 311 Griffin, D.R. 163 Gunton, C.E. 178, 199 Gutiérrez, G. 34 H Haas, A. 107, 339 Hadot, P. 412 Hallesby, O. 354 Harari, Y.N. 165 Härle, W. 51, 66, 176, 227–229, 240, 284, 289, 331 Harnack, A.v. 221, 222, 390

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Personenregister

Hartmann, N. 95 Hartshorne, Ch. 163 Hegel, G.W.F. 25, 37, 87, 148, 153, 154, 261, 268, 283 Heidegger, M. 30, 234 Heim, K. 154–156 Hermanni, F. 162 Herms, E. 87, 260, 273, 284, 412 Hesse, M.B. 404 Hick, J. 237 Hippolyt 262 Hjelde, S. 17–20, 22, 25, 31, 345 Hörning, M. 208–212 Hubbeling, H.G. 164, 397, 399 Hübner, J. 138, 139 Hucklenbroich, P. 207–209, 214 Hünermann, P. 143 Huntington, S.P. 274, 275 Huxel, K. 227 I Ignatius 301 Inarritu, A.G. 226 Ingold, T. 40, 62 Irenäus von Lyon 184, 185, 195, 262 Irving, E. 277 J Jackelen, A. 128 Janowski, B. 345 Janowski, J.C. 235, 350, 371 Jenson, R.W. 68, 70, 88, 287, 415, 416 Jeremias, J. 293, 345 Jewett, R. 272, 277, 278 Jinkins, M. 277 Joachim von Fiore 262, 263, 268, 271 Joest, W. 223 Johannes Scotus Eriugena 324 Jonas, H. 163, 164 Jooss, E. 133 Jüngel, E. 82, 87, 91, 144, 178, 209, 217–219, 222, 225–227, 233, 235 Justin 262, 301

K Kähler, M. 25, 26, 56, 57, 82, 187, 380 Kant, I. 23, 36, 103, 107, 108, 133, 139, 218, 239, 240 Karl d. Große 90 Kemnitzer, K. 59 Kepler, J. 138, 139 Kiermeier-Debre, J. 266, 267, 269 Koch, K. 345 Körtner, U. 47, 274, 276 Kreck, W. 26 Kübler-Ross, E. 212 Kues, N.v. 139 Kunz, E. 187, 269 Kurzweil, R. 190 L Labriolle, P.d. 362 Lammer, K. 257 Lampe, P. 320 Lang, B. 386 Lawrence, J.S. 272, 277, 278 Le Fort, G.v. 29 Lea, T.D. 301 Leibniz, G.W. 146, 147, 162 Lem, S. 237, 248, 330 Leppin, V. 264 Lessing, G.E. 26, 266–269, 390 Leukipp 132 Lewis, C.S. 357, 363, 415, 416 Lindsey, H. 278 Locke, J. 239 Löhe, W. 20, 276, 279 Lohse, B. 167 Lombardus, P. 328 Lotze, H. 23, 37, 114 Luria, I. 144, 306 Luther, M. 69, 73, 82, 92, 96, 127, 131, 145, 149–152, 163, 165–169, 186, 189, 193, 198, 199, 223, 224, 228, 229, 243, 247, 283, 311, 331, 334, 339, 349, 354, 355, 381, 382, 385, 390 Lyotard, J.-F. 72

Personenregister

M MacDougall, D. 226 Mach, E. 147 MacIntyre, A. 41 Mannermaa, T. 339 Marius Victorinus 105 Marquard, O. 164 Marquardt, F.W. 35 Masschelein, J. 62 Mathys, H.-P. 219 McTaggart, J.M.E. 110, 115, 119, 122, 128 Mead, G.H. 244 Melanchthon, Ph. 20, 340, 353 Menken, G. 56 Menne, A. 397 Merleau-Ponty, M. 337 Miller, W. 277 Minkowski, H. 114, 115, 147 Moltmann, J. 28, 33, 44, 47, 87, 144, 164, 263, 269–272, 290, 305–307, 388 Montgomery, I. 354 Moody, R.A. 212 More, H. 133 Moskopp, D. 209–211 Mühling, M. 12, 23, 40–42, 60, 62, 71, 82, 91, 92, 94–97, 126, 129, 131, 154, 156, 171, 188, 197, 199, 202, 217, 224, 228, 244, 278, 334, 337, 338, 354, 358, 395, 396, 404, 413 Müller, T. 119 Müntzer, Th. 263 N Nesse, R.M. 215 Newton, I. 108, 133, 134, 146 Niemz, M. 109 Nietzsche, F. 37, 199 Normore, C. 118 O Oberdorfer, B. 90 Olevianus, K. 277, 422 Oort, J.v. 163 Origenes 326–328, 334, 360–363, 380, 390

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Ott, L. 185, 285, 296, 324, 328, 329, 333, 374, 378, 379, 381 Owen, G.E.L. 107 P Pannenberg, W. 24, 28, 32, 33, 35, 44, 70, 77–79, 82, 87, 89, 95, 154, 200, 202, 203, 225, 234, 235, 244, 261, 283, 296, 304, 305, 310, 311, 315, 368, 369, 388 Papias 262 Papst Benedikt XII 333 Parmenides 73, 107, 136 Parrot, A. 362 Paulus, H.E.G. 77 Peirce, C.S. 37 Perkins, W. 277 Peters, A. 382 Petrus Lombardus 192, 263 Peura, S. 339 Pike, N. 124 Platon 111, 216, 236, 237, 297, 333 Plotin 107, 110, 111 Porphyrius 105, 175 Poulet, G. 107 Preul, R. 135 Prudentius Aurelius Clemens 362, 426 Puntel, L.B. 177, 178 R Rahner, K. 87, 89, 234 Raimundus Lullus 241 Rasmussen, T. 354 Ratzinger, J. 218, 229, 230, 321, 328 Reimarus, H.S. 77 Reinhard, F.V. 187 Reinhuber, T. 167 Rendtorff, T. 411 Reuter, M. 210 Rich, A. 47 Richard von St. Victor 90, 239–241, 378, 379, 381, 417, 418 Riemann, B. 132, 138, 147 Rietdijk, C.W. 114, 115 Ritschl, A. 23, 24, 110, 114, 116, 194, 195, 234, 235, 390 Robinson, J.A.T. 27, 56

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Personenregister

Rohls, J. 244 Rollock, R. 277 Rosenau, H. 347, 356, 360–366, 368 Rössler, R. 214 Rothe, R. 269, 270 Russell, Ch.T. 277 S Sagan, C. 204 Sartorius, E.W.C. 99 Sartre, J.-P. 234, 357 Schelling, F.W.J. 261 Schidt-Japing, J.W. 37 Schildmann, W. 368 Schlarb, V. 256 Schleiermacher, F.D.E. 21–24, 44, 56, 57, 103, 107, 108, 134, 152, 194, 200, 233, 235, 288, 289, 334, 359, 363, 364, 380 Schnelle, U. 220 Scholtz, G. 37 Schröter, J. 388 Schumacher, J. 212 Schwarz, H. 37, 203, 278 Schwarz, R. 264, 265 Schweitzer, A. 20, 22, 26, 30, 54, 388, 411 Schwöbel, C. 13, 31, 84, 96, 99, 168, 177, 203, 205, 255, 393 Sellin, G. 318, 319 Seuse, H. 107, 238, 339 Sextus-Empiricus 73 Shibutani, T. 244 Singer, P. 239 Slenczka, N. 354 Smith, J. 277 Sokrates 215, 216 Sölle, D. 164 Spener, Ph.J. 269 Spengler, O. 37, 273, 274 Spinoza, B. 134 Stange, C. 225, 350 Statts, R. 324, 327 Stausberg, M. 163 Steck, O.H. 137 Stegmüller, W. 176 Stock, K. 192, 193, 374–376 Strauß, D.F. 77

Strawson, P.F. 68, 335 Stuiber, A. 362 Sturlese, L. 107 Swinburne, R. 102, 117, 119–124 T Tarski, A. 177 Teilhard de Chardin, P. 28, 32, 34, 35, 190, 311 Tertullian 262, 356, 362 Theißen, H. 35 Thomas von Aquin 114, 137, 138, 151, 185, 196, 229, 281, 285, 328, 340, 352, 356 Thomas, G. 284 Thomasius, G. 97 Tillich, P. 20, 24, 25, 28–31, 69, 73, 117–119, 152, 295, 297, 298, 300, 304, 305, 326, 368, 369, 411 Tipler, F.J. 35, 124, 188–191, 196, 204, 232, 329–331 Torrance, J.B. 278 Troeltsch, E. 28, 29 Troeltsch, M. 29 Tuveson, E.L. 261, 272 U Ursinus, Z.

277, 422

V Vate, D.v.d.j. 244 Verweyen, H. 76 Volkmann, S. 163, 244 Vorgrimler, H. 333, 348, 353 W Weber, O. 366 Weidemann, V. 189 Weir, D.A. 277 Weiß, J. 22, 23, 26, 30, 388 Weizel, K.-L. 22 Welker, M. 118, 152, 163, 199 Weyl, H. 115 Whitehead, A.N. 32, 119, 163, 325 Wilckens, U. 200 Wilhelm von Auxerre 328

Personenregister

Windelband, W. 31 Wittgenstein, L. 46, 386 Wölfel, E. 108, 109, 127, 128 Wolff, H.W. 219

Z Zizioulas, J.D. 89, 245 Zwingli, H. 140, 141

455

Sachregister

A Abbildrealismus 41 Abendmahl 140–144, 149, 150, 152, 154, 193, 315, 384 Aberglaube 73, 247 Abraham 345 Absicht 91, 167, 168, 174 Adventisten 277 adventus 45, 47 affordance 40 Alleinwirksamkeit 167, 168 Allgegenwart 97, 152, 157 Allmacht 70, 94, 97, 101, 163, 164, 167, 168, 170, 363 Allversöhnung 359, 360, 362–365, 368, 371, 377 Allwirksamkeit 167, 168, 174, 180 Allwissenheit 97 Alterität 103, 117, 120, 129, 130, 135, 156, 199, 394 Altern 213, 214, 255 Alterstod 255 Alterungsprozess 214 Amillenarismus 275, 280, 281, 283 amor sui 234 Analogien 379, 403, 404 Analogien, neutrale 405 Analogizität 78 Andersheit 394, 396 Angst 382 Angst vor dem jüngsten Gericht 383

annihilatio 191–193, 196, 202, 205, 235, 348–352, 356, 364, 403 anthropisches Prinzip, finales 189 anthropisches Prinzip, schwaches 189 anthropisches Prinzip, starkes 189 Anthropologie 206, 238, 244 Anthropologie, alttestamentliche 219 Anthropologie, dualistische 218 Anthropologie, Luthers 224 Anthropologie, relationale 250, 259 Antike 132, 175 Apokalyptik 261, 264, 275, 293 Apokalyptik, frühjüdische 220 apokatastasis panton 229, 344, 348, 359, 363 arbor prophyriana 410 Arminianer 358 Ästhetik 400 Auferstehung 18, 23, 32, 56, 76–78, 82, 83, 146, 166, 188, 304, 305, 316–319, 322–324, 332, 336, 339, 341–343, 345 Auferstehung, endlosigkeitsartigedualistische 326 Auferstehung, endlosigkeitsartigemonistische 329 Auferstehung, gleichzeitigartigedualistische 325 Auferstehung, gleichzeitigartigemonistische 326 Auferstehung, zeitlos-monistische 324 Auferstehungserfahrung 81 Auferstehungsleib 328, 331, 336, 339–341

Sachregister

Auferweckung 76, 77, 80, 81, 165 Auferweckung Christi 77, 238 Auferweckungsgewissheit 80 Aufklärung 152, 187, 266, 267, 275, 282, 390 Aufklärungstheologie 18, 76, 350 Ausgang, doppelter 344, 347–349, 352, 353, 356–359, 363–365, 368, 402 Axiologie 28, 31 B Bankgrab 220 basileia tou theou 388 Beerdigungspraktiken 259 Beerdingungsbegehren 258 Befreiungstheologie 28, 34 Befürchtetes 48 Bekenntnisschriften 20, 149 Bestattung, kirchliche 258 Bestimmung 30, 65 Bewusstsein 21, 108, 121, 122, 124, 128, 134, 190, 210, 211 Beziehungen 374 Beziehungen, manipulative 312, 313 Beziehungen, merkantile 312, 313 Beziehungen, personale 312 Beziehungsgefüge 374, 396 Beziehungslosigkeit 385 Biblizismus, ahistorischer 382 Big Crunch Modell 189 Bilder, eschatische 404 Biologie 412, 413 Böses 359, 360, 402 Böses, erinnertes 395, 402 Buch, spannendes 416 C Chaos 249 Charakter, deontischer 197 Charakter, eschatischer 83, 196 Chiliasmus 20, 262, 264 Christianisierung des Hellenismus 221 Christogenese 34, 311 Christologie 19, 25, 26, 81, 98, 291, 305, 307 Christomonismus 57

457

Christophanie 76 Christozentrik 26 Christus praesens 56, 291 civil religion 272 Confessio Augustana 20 creatio continuata 205 creatio ex nihilo 81, 103, 109, 111, 331 D Darwinismus 37 decretum absolutum 366 decretum concretum 366 Differenz, ästhetische 372 Diskontinuität 343, 403 Dispensionalismus 276–278 Dogmatik 17, 19, 21, 29, 32, 42, 43, 56, 81, 93, 172 donum perseverantiae 358 Doppelregel der Liebe 242, 243, 249, 251, 374, 375, 396, 397 Dordrechter Synode 358 dramatische Kohärenz 96 Dualismus 352, 359 E Eigenschaften Gottes 94, 141 Einheit Gottes 90 Einheitschristologie 98 Einstein-Friedmann Gleichung 188 Eisen-II-Zeit 219 Emergenz 413 Ende der Welt 188 Endgericht 345–347 Endlichkeit 136, 157, 255 Endzeiterwartungen 264 Endzeitherrscher 81 Entscheidungsinstanz des Gerichts 379 Erbsünde 36, 267 Erbsündenlehre 360 Erdbestattung 259 Ereignis 112, 113, 167, 169, 171, 177, 178, 192, 202 Ereignis, eschatisches 76, 79, 80 Ereignis, historisches 76, 77 Ereignishaftigkeit 396 Ereignisse 180, 201, 202

458

Sachregister

Erfahrung 20, 30, 31, 33, 44, 46, 54, 56, 57, 65–67, 80, 114, 122, 125, 128, 133 Erfahrungstheologie 21 Erhofftes 48 Erhöhung 76 Erkenntnis 32, 112, 179 Erlanger Schule 20 Erlebnisqualität 414 Erschließung 282 Erwählung 366, 368 Erwartetes 45, 46, 49 Erwartung 53, 103, 106 Erwartungshorizont 41, 44, 50, 53, 79, 82, 83, 85, 88, 101, 133, 196, 206, 282, 384 Eschata 18, 19, 21, 24, 51, 52, 102, 161, 183 eschatischen Konstitution der Person 384 Eschatisches 51, 69, 87, 88, 134 Eschatoi 92, 101, 145, 160, 161, 195, 379 eschatologia crucis 33 Eschatologie, kosmische 34 Eschatologie, nichttheologische 35 Eschatologie, realisierte 54 Eschaton 24, 52, 101, 102, 161 Eschatos 25, 27, 52, 92 Ethik 42 ethische Indifferenz 400 etsi Christus non daretur 250, 253 etsi mundus non daretur 97 Eucharistie 35, 141, 143, 150 Evangelium 309 Evolution 34, 37, 231 Ewigkeit 29, 31, 50, 92, 101–104, 107–114, 116–120, 122, 124–127, 129–131, 145, 153, 156, 160, 171, 195, 202, 248, 299, 305, 322, 323, 325, 382 F falsches Vertrauen 247 Fegefeuer 332–335, 368 Feuer 345, 352 Feuerbestattung 259 Feuerprobe 347 filioque 90 Föderalcalvinismus 277, 358 foedus gratiae 277

foedus gratiae subserviens 278 foedus hypotheticum 277 foedus naturale 277 Freiheit 94, 110, 112, 116, 129, 172, 173, 193, 197, 199, 201, 334, 377, 380 Funktionalisierung 246, 247, 255 Furcht 384 futurum 45, 47 G Ganztodthese 224–228, 236, 249, 250 Gebet 16, 109, 118, 124 Gebet für Verstorbene 257 Gegenstand des Gerichts 373, 376 Gegenwart 103–106, 110–112, 115, 117–119, 121, 123, 128 Gegenwart Christi 308, 309, 311, 312, 314 Gehirnfunktionen 211 Geisterfahrung 80 Gemeinschaft der Heiligen 401 Gerechtigkeit 161, 345, 357 Gerechtigkeit Gottes 351 Gericht 18, 49, 116, 130, 142, 174, 175, 180, 343, 344, 346, 347, 349, 351, 357, 361, 362, 368, 372–375, 377, 379, 380, 382, 384, 402, 420 Gericht als Prozess 380 Gericht als relationaler Prozess 366 Gericht als Transformationsprozess 394 Gericht, endgültiges 383 Gericht, gegenwärtiges 382 Gericht, kollektives 344 Gericht, multiförmiges 381 Gericht, omniförmiges 381 Gericht, selektives 365, 366, 371 Gericht, uniförmiges 381 Gerichtsausgänge 348 Gerichtskriterium 377, 380 Gerichtsprophetie 74 Geschichte 22, 26, 30, 32–34, 36, 57, 70, 78, 84, 85, 87, 130, 164, 260, 261, 270, 282, 388 Geschichte, Ende der 24, 78 Geschichtlichkeit 88 Geschichtsbild 37 Geschichtsphilosophie 264

Sachregister

Geschichtstheologie 25 Geschichtsverlauf 280 Geschöpflichkeit 255 Gesetz 221, 344, 346 Gewissheit 56, 81 Glaube 16, 55, 56, 58, 59, 61, 63, 66, 69, 80, 82–86, 88, 93, 98, 101, 126, 134, 141, 166, 390, 402 Glaubensbekenntnis 17, 90 Glaubenserfahrung 57, 67 Gleichniserzählungen Jesu 391 Gleichnisse 392 Gleichzeitigkeit 102, 110, 111, 117, 128, 146, 147 Gnade 334, 357, 358, 360, 362, 377, 380, 385, 406 Gnosis 77, 185, 195, 204 Gottebenbildlichkeit 219, 223, 238–240, 250 Gottesbegriff 68 Gottesbeziehung 376 Gottesdienst 417 Gottesherrschaft 75, 157, 344, 346, 388, 391 Gottesherrschaft, Anbruch der 84 Gotteslehre 19, 96, 97, 192, 331 Grund, eschatischer 84, 85, 93, 101, 109, 126, 156, 180 H Handeln des Geistes 83 Handeln Gottes 80, 87, 88, 101, 103, 109, 110, 116, 117, 130, 135, 160, 165, 167–169, 171, 177–179, 198, 199, 283 Handeln Jesu 75 Handeln, menschliches 39, 42, 44, 52, 69, 76, 82, 101, 169, 172, 177–179 Handelsbeziehungen 313 Heil 302 Heilsgewissheit 314 Heilssynergismus 352, 359 Hellenisierung des Christentums 221 Herz-Kreislauf-Tod 209 Himmel 135, 137, 138, 142, 145, 146, 148, 151, 158, 187, 193 Himmelfahrt 291

459

Himmelreich 385 Hingabe 91, 94, 199, 253, 373, 413 Hirntod 209–211, 226 Historismus 37 Historizität 78 Hoffnung 43, 66, 67, 80, 82, 107, 109, 119, 125, 126, 130, 158, 174, 194, 203–205, 384, 386, 402 Hoffnung, Grund der 93, 193 Hölle 352, 354, 355, 362, 363, 369, 385 Höllenfahrt 353 Höllenqualen 356 Hospiz 254 Hypostase, ekklesiale 245 Hypostase, eschatische 245 I Identifikation Gottes 84, 133 Identität 87, 130, 180, 195, 196, 244, 245, 330, 331, 338, 384, 385, 401 Identität, personale 370, 377, 401 Identitätsansprüche 82, 244, 385 imago dei 207 Immersion 59–61 Imperativ, kategorischer 240 in patria 417 in via 417 Individualität, Individuum 248 Individuationsrahmen 381, 383 Individuum 241 Inkarnation 25, 97, 99, 119, 145, 153, 295, 304, 308, 309 Institutionen 260 Integrität 401 Interaktionismus, symbolischer 244 J Jerusalem, himmlisches 385, 389, 405, 406 Jesus, historischer 53 Jugend 214 Jüngster Tag 295 justitia distributiva 345 K Karma 237 Kenosis 99

460

Sachregister

Kerygma 30 Kirche 245, 270, 363, 401, 406 Koma, irreversibles 254 Kommunikation 260 Königsherrschaft Gottes 346 Konstitutionsprozess 382 Konstitutionsprozess der Person 403 Konstruktivismus 41 Kontingenz 38, 110, 117, 118, 120, 129, 170, 172–174, 199–201, 400 Kontinuität 403 Kosmologie 187, 188 Krankheit 16 Krebstod 255 Kultur 270, 274 Kulturprotestantismus 269 L Leben 206, 248, 411–414 Leben als Fragment 255 Leben, christliches 55, 102, 124 Leben, eschatisches 174 Leben, ewiges 18, 19, 23, 111, 119, 125, 130, 202, 386, 395, 411, 415 Leben, gelungenes 414, 415 Leben, geschöpfliches 412 Leben, menschliches 125, 137 Leben, trinitarisches 413, 415 Lebensgeschichte 59 Lebenssituation 15, 64, 66 Lebenswelt des Alters 255 Lebenswissenschaften 412 Leib 335–339, 341, 343, 394, 401 Leib Christi 309 Leiblichkeit 96, 319, 401 Leib-Seele-Dualismus 229, 326 Leiden 173, 200 Leiden, chaotisches 249, 250, 252, 407 Letztgültiges 20, 27, 46, 92 lex naturalis 242 Liebe 23, 83, 89–94, 96, 129, 172–174, 183, 197–199, 229, 242, 243, 245, 247, 312, 313, 349, 351, 374, 376, 394, 402, 411 Liebe, filiale 242 Liebe, geschwisterliche 242

Liebesbeziehungen 241, 242, 313, 406, 411 limbus infantium 332, 353 limbus patrorum 332, 353, 362 Liturgie 259 Logik, deontische 397–399 Logizität Gottes 228 Logos 99, 130, 145, 153, 202, 309, 347 Lust und Liebe 243 M Macht 122, 140, 152, 157, 189 Mahlgemeinschaften Jesu 392 manducatio indignorum 384 marana-tha 292 Marxismus 37 Menschensohn 293 Menschenwürde 240 Messiastradition 294 Millenarismus 260–262, 264, 268, 279, 281–283 Millenarismus, säkularer 266 Millennium 261, 265, 288 Mißtrauen 247 Mitgefühl 363 Mitleid 356 Mittelalter 18, 107, 114, 132, 137, 138, 140, 145, 146, 151, 163, 185 Mitwirken, menschliches 64 Modallogik 364, 397, 399 Moderne 276 Mormonen 277 Musik 415 N Nahtoderlebnisse 212, 213 Narration 40, 71, 201, 202, 338 Narrativität, primäre 61 Narrativität, sekundäre 61 Naturphilosophie 188 Naturwissenschaft 34, 128, 152 nefesh 218 Neuapostolische Kirche 277 neue Erde und neuer Himmel 386, 405, 408 Neuheit 103, 156, 394, 406

Sachregister

Neuplatonismus 110, 162, 175, 176 Neuschöpfung 191 Neuzeit 260, 264, 271 Nirwana 238 Nominalismus 176 Notwendigkeit 16 Novität 117, 120, 406 O Offenbarung 31–33, 57, 87, 92, 126, 168, 261, 266, 282 Offenbarungstheologie 261 Ökonomie 280 Omegapunkt 190 Ontologie, aristotelische 226 Ontologie, relationale 226 Ordnungsrelation 310, 394, 396 Organismen 412 Organismus 245 Orthodoxie, altprotestantische 17, 20, 36, 38 Orthodoxie, lutherische 151, 191 Ostern 303, 308 Outsourcing des Todes 255 P Panentheismus 145 Paradies 385, 405, 407 Parusie 25, 287–292, 294, 296, 298–300, 302–314, 341, 402, 406, 410, 411 Parusie, äonische 306 Parusie, doppelte 303 Parusie, dreifache 303, 304 Parusie, mehrfache 298, 301, 304, 311 Parusie, zweifache 298, 301 Parusieerwartung 22, 290, 294 Parusieverzögerung 289 Passivität 253, 363 peccatum originale 230 Pein, ewige 348, 349, 352, 353, 356 Perfektibilität 36, 37 Person 239–241, 244, 245, 250, 371, 373–377, 379, 381–384, 403 Person als nichtmitteilbares Voneinanderher-und-zueinander-hin-Werdendes 241

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Person in Beziehung 257 Person, eschatische 375 Personalität 205, 244, 389 Personbegriff 238–240, 245, 366, 375 Personbegriff, eschatischer 250, 375 Person/Personalität 248 Personwürde 240 Pietismus 269 Pluralisierung 38 Pluralität 38 Poimenik 255 point of no return 208 Politik 280 Posthumanismus 190 Postmillenarismus 261, 264, 265, 276, 282 Postmillenarismus, christlicher 269, 270, 272 Postmillenarismus, säkularer 266 Postmoderne 38, 276 Post-Systematische Theologie 42, 348 potentia absoluta 94, 351 Prädestination 351, 352, 358, 359, 363 Präeschata 52, 102, 259 Prämillenarismus 261, 264, 265, 279, 282 Prämillenarismus, christlicher 276, 277, 279 Prämillenarismus, säkularer 273, 275 Prinzipienlehre 43 Prognose 16 Prolepse 32 promissio 66, 82, 309 Prozess 372 Prozesstheologie 117, 152, 163 Pseudopersonalisierung 246, 249 R Raum 131–133, 135–140, 144–148, 151, 152, 193, 291, 383, 394 Realität, eschatische 170, 180, 201, 349, 351, 359, 372, 385, 386, 392, 394–397, 399, 400, 402–407, 410, 415, 417, 418 Rechtfertigung 56, 65, 161, 174, 175, 280, 314, 351, 372, 390, 402, 414 Rede, begriffliche 396, 403 reductio ad absurdum 364 Refrigerium 359, 362, 363

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Sachregister

Regellosigkeit 249–252, 407 Regeln 242, 243, 249, 251, 414 Regeln der Liebe 242, 243 Regeln, deontische 243 Regeln, konstitutive 241 Regeln, regulative 243 Regelwerk der Liebe 242 Reich Gottes 22, 23, 26, 30, 114, 174, 180, 194, 195, 386, 388–393, 397, 399, 401, 409 Reich Gottes im Wirken Jesu 391 Reich Gottes, Handlungsaspekt 390 Reich Gottes, personaler Aspekt 389 Reich Gottes, räumlicher Aspekt 389 Reich Gottes, Vollendung 393, 395 Reich Gottes, zeitlicher Aspekt 388 Reinkarnation 236 Relate 241, 372 Relationalität 241, 372 Relativitätstheorie 147 Renovation 185, 192, 205 Reproduktionserfolg 213 Revolution, französische 268 Richter 379 Rollen 244 S Sakrament 311, 383 Schau Gottes 385, 410 scheol 220 Schlaf 216 Scholastik 139 Schönheit 372 Schöpfung 340 Schöpfungslehre 307 Schöpfungsordnung 197 Schoß Abrahams 362 Schrift und Tradition 53–55, 57, 65, 192 Seele 217, 218, 227, 229, 327, 329, 331–333, 335, 336, 401 Seelenwanderung 236 Seelsorge 16 Seelsorge an Sterbenden 256 Seelsorge mit Trauernden 256 Sein als Liebe 242 Sein-in-Beziehung 241

Selbst 244 Selbstbegrenzung 144 Selbstbewusstsein 413 Selbsterschließung 65, 126, 165, 195, 351, 359, 384 Selbsthingabe des Sohnes und des Geistes 253 Selbstidentifikation Gottes 67, 109, 128, 168 Selbstoffenbarung 261 Selbstoffenbarung Gottes 87 Selbstverwerfung 352 Selektion 214 Semipelagianismus 351, 357, 370, 380 simul iustus et peccator 245, 382, 414 Sittlichkeit 22, 23 social gospel 272 soma pneumatikon 319, 336, 340 Soteriologie 19, 26, 56, 244 Soterologie 26, 56, 82 Sozialethik 284 Sozialität 244, 260, 394 Sozialpsychologie 244 Sozinianismus 235, 350 Spätscholastik 94 Sprache, metaphorische 394–396, 403, 404 Staat 270 Sterben 206 Sterbeprozess 208 Stoa 218 Strafe 380 Subjekte des Gerichts 379 Sünde 30, 108, 161, 168, 174, 180, 196, 198, 200, 223, 246, 249, 250, 253, 283, 333, 360, 375, 376 Sünde als Missorientierung 252 Sündenfolgen 252 Symbol 297 T Tag des Herrn 293, 313 Tag Jahwes 292 Taufe 221, 259 Täuferreich 264, 389 Teleologie 25, 28, 37

Sachregister

Teufel 224, 382 Theodizee 161, 162, 164, 165 theologia viatorum 395, 403 Theologie, dialektische 27, 29, 152 Theologie, liberale 29 Theologie, ökumenische und interkulturelle 42 Theosis 308, 309, 383, 386, 400, 402, 410, 411 thetisch-konstitutive Regeln 198 Tierfrieden 386, 405, 407 Tod 15, 18, 56, 163, 173, 200, 206, 212, 217, 218, 232, 248, 249, 253, 333, 338, 420 Tod als Aufgehen im Allgemeinen 236 Tod als Beziehungslosigkeit 225 Tod als der Sünde Sold 221, 230, 232, 235, 252 Tod als Ende der aktiven Beziehungen 225 Tod als Konfirmation der Rechtfertigung 250, 253, 256, 394, 402 Tod als Motor der Evolution 231 Tod als Präeschaton 254 Tod als Trennung von Leib und Seele 215, 259 Tod und Endlichkeit 230, 231, 251 Tod und outsourcing 255, 257 Tod und Poimenik 255 Tod und Taufe 259 Tod, alttestamentlich 215 Tod, biologischer 207, 231, 232, 236, 250, 253 Tod, calvinistisch 221, 223 Tod, ethisch 254 Tod, hellenistisch 215, 216 Tod, liturgisch 254 Tod, lutherisch 221, 223 Tod, mittelalterlich 221, 222 Tod, neutestamentlich 215 Tod, reformatorisch 222 Tod, seelsorglich 254 Tod, zweiter 221, 235, 345 Todesfurcht 224 Totalitarismus 282 Totenbeschwörung 220

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Tradition 54, 57, 74 Transformation 348, 349, 372, 373, 375, 402 Transformationsprozess 377, 379, 381–383 Transmigration 236 Transplantationsmedizin 255 transport 58, 60, 63, 71 Transzendenz 96 Transzendenz, personale 310, 394, 396 Trauer 258 Trauerbegleitung 257 Trauerfeier 258 Trauerphasen 256 Trennungschristologie 98 Treue 90, 94, 184, 185, 192, 195, 198, 402 Treue Gottes 351 Trieb 243 Trinität 86–89, 93, 97, 98, 126, 128, 130, 139, 157, 248, 253, 263, 307, 309, 379, 402, 410 Trost 384, 385 Tun-Ergehen-Zusammenhang 252, 283, 344, 346 U Überraschendes 45–47, 49 Umkehr 346 Unabhängigkeitskriege 272 Unendliches 146, 148, 153 Unendlichkeit 131, 134–136, 138–140, 157 Unendlichkeit Gottes 132, 133, 138, 139, 145, 202 Universalität der Gnade 358 Unvermutetes 46, 47, 49 Utopie 280 V verbum externum 58, 65 Verdammungsurteil 382, 385 Verewigung des Bösen 351 Verfallsgeschichte 273 Vergangenheit 30, 103–106, 110, 112–115, 117, 119, 121, 122, 125, 128 Vergöttlichung 410

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Sachregister

Verheißung 245, 250 Verkündigung 386 Verkündigung Jesu 74, 75, 77 Vermittlungstheologie 269 Vermutetes 49 Vernichtung 183, 204 Vernichtung, eschatische 184, 187, 191 Vernunft 266, 282 Vernunft, vertrauende 312, 314 Versöhner 82 Versöhnung 234, 250, 301 Vertrauen 69, 90, 94, 384, 402 Vertrauen, falsches 246 Vervollkommnung 191 Verwandlung, eschatische 184–186 Verwerfung 367 Viren 207 visio dei 406, 410 Volkskirche 258 Vollendung 184, 201, 305, 372 Voluntarismus 94 Voneinander-her-und-zueinander-hinWerdendes 240 Vorbehalt, eschatologischer 33, 179 Vorsokratiker 132 Vorzeichen 284, 285 W Wahrhaftigkeit 90, 94, 198 Wahrheit 21, 101, 177–179, 394 Wahrheitstheorie, ethische 377, 396 Wahrnehmen 39, 43, 62, 63 Wahrnehmungsvertrauen 59 Wahrwertnehmen 39, 40, 42, 47, 58, 59, 61, 64, 69, 246, 252, 337, 341 Wärmetod 188 wayfaring 58, 60, 62, 71, 337 Weg, dritter 366, 368, 371 Weglinienperspektive 58, 59, 61, 63, 71, 97 Wein 408 Weinlaube, eschatische 386, 408, 409 Welt, apersonale 400

Welt, soziale 260 Werke 375, 390 Wesen Gottes 87 Westminster Confession 277 Wille 360, 362 Willensfreiheit 360 Willkür 351 Wirklichkeit 34, 70, 101, 124, 132, 133, 144, 163, 164, 192 Wirklichkeit, eschatische 75, 187, 195, 196, 204, 205 Wirklichkeit, gegenwärtige 30 Wirklichkeitserkenntnis 35 Wissenschaft 19, 179 Wort 383 Wundertätigkeit Jesu 391 Wunsch 49, 50 Würde 239, 240 Z Zeit 29, 30, 50, 73, 85, 102–117, 119–128, 130, 131, 147, 148, 153, 156, 171, 188, 190, 193, 202, 382, 383, 394 Zeit, äonische 305 Zeit, zyklische 306 Zeitalter des Geistes 263 Zeitdilatation 108, 147 Zeitlichkeit 70, 88, 118, 119, 129, 157 Zeitlosigkeit 102, 103, 107, 108, 115, 122, 171 Zelltod 208 Zeugen Jehovas 277 Zim-Zum 306 Zorn 385 Zorn Gottes 224, 375 Zukunft 15, 32, 33, 50, 103, 105, 106, 110, 112–115, 117, 119, 121, 124, 125, 129, 191, 194, 204, 384 Zurechtbringung 82, 253, 347, 351, 361, 375 Zweck 114, 194, 234 Zwei-Naturen-Lehre 378 Zwei-Regimenten-Lehre 284, 389

In seinem Lehrbuch geht Markus Mühling der Eschatologie, der Lehre von den letzten Dingen, auf den Grund. Der Autor widmet sich der Wurzel eschatologischer Aussagen ausgehend von Gottes­ lehre und Christologie und stellt verschiedene Modelle zum Verhältnis von Ewigkeit und Zeit, Raum und Unendlichkeit vor. Logische Klammer des Lehrbuchs ist der ständige inhaltliche Rück­bezug zu vorletzten und letzten Dingen, deren ethische, seelsorgliche und liturgische Implikationen ebenfalls in den Blick genommen werden. Abschließend entwirft Mühling ein eigenes Konzept von den letzten Dingen.

Grundinformation Eschatologie 2. A.

Theologie | Religion

Markus Mühling

Grundinformation Eschatologie 2. Auflage

ISBN 978-3-8252-5825-2

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Mühling

Dies ist ein utb-Band aus dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

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