Grenzen des katholischen Milieus: Stabilität und Gefährdung katholischer Milieus in der Endphase der Weimarer Republik und in der NS-Zeit 340213005X, 9783402130056

Die ›Grenzen‹ katholischer Milieus im Sinne ihrer Stabilität gegenüber der totalitären Versuchung und Zumutung werden in

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Grenzen des katholischen Milieus: Stabilität und Gefährdung katholischer Milieus in der Endphase der Weimarer Republik und in der NS-Zeit
 340213005X, 9783402130056

Table of contents :
Title
INHALTSVERZEICHNIS
I. EINFÜHRUNG UND THEORIE
Joachim Kuropka: REGIONALMILIEUS – RESISTENZ UND RESILIENZ
Winfried Becker: KATHOLISCHES MILIEU – THEORIEN UND EMPIRISCHE BEFUNDE
II. AGRAR-INDUSTRIELLE MISCHMILIEUS
Oded Heilbronner: DAS KATHOLISCH-LIBERALE ANTI-MILIEU IN SÜDDEUTSCHLAND – ACHILLESFERSE DES DEUTSCHEN KATHOLIZISMUS
RYSZARD KACZMAREK: KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN. REICHSTAGSWAHLEN IN DER STADT GLEIWITZ UND IM KREIS TOST-GLEIWITZ 1928-1933
Michael Hirschfeld: POLITISCHER WANDEL UND KATHOLISCHES MILIEU IN EINER GRENZREGION DES DEUTSCHEN REICHES: DIE GRAFSCHAFT GLATZ ZWISCHEN 1928 UND 1933
Klemens-August Recker: EMSDETTEN UND NORDWALDE – ZWEI KATHOLISCHE DÖRFER IM MÜNSTERLAND VOR DEM ANSTURM DES NATIONALSOZIALISMUS
Theo Schwarzmüller: HAUENSTEIN GEGEN HITLER. WIDERSTÄNDIGES KATHOLISCHES MILIEU IN DER PFALZ
MICHAEL E. O’SULLIVAN: RESISTENZ, VERWEIGERUNG UND KAPITULATION. FRAUEN, JUGEND UND DAS NS-REGIME IM RHEINLAND UND IN WESTFALEN
III. TRADITIONALE LOKAL- / REGIONALMILIEUS
Helmut Braun: REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD 1928 BIS 1933: ZWISCHEN KATHOLIZISMUS, „BAYERISCHEN SELBSTBEWUSSTSEIN“ UND ARBEITERPROTEST
Wolfgang Weiß: LOYAL, WIDERSTÄNDIG, ANGEPASST - KATHOLISCHE LEBENSWELTEN IN UNTERFRANKEN VOR DER NATIONALSOZIALISTISCHEN HERAUSFORDERUNG
JOHANN RIERMEIER: STABILITÄT IM KATHOLISCHEN MILIEU. DIE DIÖZESE PASSAU IM NATIONALSOZIALISMUS
Klaus Unterburger: SCHWARZ UND KIRCHENTREU, ARM UND EINGESCHÜCHTERT? – KATHOLISCHES MILIEU UND NATIONALSOZIALISMUS IN DER OBERPFALZ
IV. VORMODERNE AGRARISCH-KATHOLISCHEMILIEUS
Dietmar Klenke: DER EICHSFELDER KATHOLIZISMUS – „VERSAILLES“ ALS ACHILLESFERSE DER MILIEUEROSION IN KONFRONTATION MIT DEM NATIONALSOZIALISMUS
Joachim Kuropka: ZWISCHEN EROSION UND ERNEUERUNG: KATHOLISCHES MILIEU IM OLDENBURGER MÜNSTERLAND 1919-1939
MARIA ANNA ZUMHOLZ: „WINDTHORST’S GEIST IST ERWACHT! KATHOLISCHES MILIEU IM EMSLAND IN DER ZEIT DER WEIMARER REPUBLIK UND DES NATIONALSOZIALISMUS
Hans-Jürgen Karp: ERMLAND ZWISCHEN „POLITISCHEM KATHOLIZISMUS“ UND „KATHOLISCHER AKTION“ - ANMERKUNGEN ZUR REICHWEITE KATHOLISCHEN HANDELNS IN EINER GRENZREGION DES REICHES
V. Politisch fortwirkende Tradition
William J. Muggli: RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR FÜR WAHLENTSCHEIDUNGEN AM BEISPIEL OLDENBURGS UND DES EICHSFELDS
LITERATURVERZEICHNIS
NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS
AUTORENVERZEICHNIS

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gewalt keinen Einsatz brutaler Machtmittel gestatten“ und die Auseinandersetzung „auf den weltanschaulichen Kampf zweier an das Gefühl und das Übersinnliche appellierender Gewalten um die Seele jedes katholischen Volksgenossen“ richten. Dem Nationalsozialismus trete die Kirche „unter rein religiösen Parolen entgegen“. Es war ein Kampf um die Geltung christlich-katholischer oder die diesen entgegengesetzten nationalsozialistischen Werte – ein geistiger Konflikt mit lebenspraktischer und damit auch politischer Relevanz. In 14 Regionalstudien wird diese Auseinandersetzung in dem vorliegenden Band analysiert. Dabei zeigt sich, dass es nicht ein katholisches Milieu in Deutschland gab, sondern unterschiedliche Regionalmilieus, geprägt von je verschiedenen regionalkulturellen Grundlagen, gesellschaftlich-mentalen Strukturen und Traditionen. Zwar wäre Hitler nicht an die Macht gekommen, hätte es in Deutschland nur Katholiken gegeben (Falter), doch sind eben auch Katholiken den totalitären Verführungen und Zwängen erlegen und es gab katholische Regionen mit beträchtlichen Übergängen zum Nationalsozialismus. Für die Stabilität der Milieus, ihre Prägekraft, Immunisierungsfähigkeit und die Reichweite katholischer Überzeugungen war vor allem die Intensität der überweltlichen Ausrichtung mit ihrer Stärkung der seelischen Widerstandskraft von Bedeutung. Ultramontan grundierte katholische Gesellschaften mit dichter Vergesellschaftung und einem intensiv gelebten Ritualsystem zeigten die stärkste Widerstandskraft.

ISBN 978-3-402-13005-6

Grenzen des katholsichen Milieus

Beeinflussung“, konstatierte die Gestapo Ende 1934, „die der Staats-

Joachim Kuropka (Hrsg.)

Die Kirche benutze „neue Formen der politisch-weltanschaulichen

Joachim Kuropka (Hg.)

Grenzen des katholischen Milieus Stabilität und Gefährdung katholischer Milieus in der Endphase der Weimarer Republik und der NS-Zeit

Joachim Kuropka (Hg.) Grenzen des Milieus

Joachim Kuropka (Hg.)

Grenzen des katholischen Milieus Stabilität und Gefährdung katholischer Milieus in der Endphase der Weimarer Republik und in der NS-Zeit Bayerischer Wald – Eichsfeld – Emsland – Ermland – Grafschaft Glatz – Münsterland – Oberpfalz – Oberschlesien Oldenburger Münsterland – Passau – Pfalz – Rheinland-Westfalen Südbaden/Südwürttemberg/bayerisch Schwaben Unterfranken

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detailliert bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Umschlagabbildung: Heinz Witte-Lenoir: Fronleichnamsprozession in Löningen I, Tempera, Privatbesitz. Foto: Jürgen Christ.

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INHALTSVERZEICHNIS I. EINFÜHRUNG UND THEORIE JOACHIM KUROPKA Regionalmilieus – Resistenz und Resilienz .................................................. 9 WINFRIED BECKER Katholisches Milieu – Theorien und empirische Befunde .......................... 23

II. AGRAR-INDUSTRIELLE MISCHMILIEUS ODED HEILBRONNER Das katholisch-liberale Anti-Milieu in Süddeutschland – Achillesferse des deutschen Katholizismus (Südbaden, Südwürttemberg, Bayerisch Schwaben) ...................................................... 65 RYSZARD KACZMAREK Katholiken und NS-Bewegung in Oberschlesien. Reichstagswahlen in der Stadt Gleiwitz und im Kreis Tost-Gleiwitz 1928-1933........................................................................... 129 MICHAEL HIRSCHFELD Politischer Wandel und katholisches Milieu in einer Grenzregion des Deutschen Reiches: Die Grafschaft Glatz zwischen 1928 und 1933 ......................................... 153 KLEMENS-AUGUST RECKER Emsdetten und Nordwalde – Zwei katholische Dörfer im Münsterland vor dem Ansturm des Nationalsozialismus .......................... 175 THEO SCHWARZMÜLLER Hauenstein gegen Hitler. Widerständiges katholisches Milieu in der Pfalz ...................................... 199 MICHAEL E. O’SULLIVAN Resistenz, Verweigerung und Kapitulation. Frauen, Jugend und das NS-Regime im Rheinland und in Westfalen ................................................................. 215

III. TRADITIONALE LOKAL- / REGIONALMILIEUS HELMUT BRAUN Reichstagswahlen im Bayerischen Wald 1928 bis 1933: Zwischen Katholizismus, „bayerischem Selbstbewusstsein“ und Arbeiterprotest .................................................................................... 241

6

INHALTSVERZEICHNIS

WOLFGANG WEIß Loyal, widerständig, angepasst. Katholische Lebenswelten in Unterfranken vor der nationalsozialistischen Herausforderung ................................................... 265 JOHANN RIERMEIER Stabilität im katholischen Milieu. Die Diözese Passau im Nationalsozialismus ............................................. 287 KLAUS UNTERBURGER Schwarz und kirchentreu – arm und eingeschüchtert? Katholisches Milieu und Nationalsozialismus in der Oberpfalz ............... 323

IV. VORMODERNE AGRARISCH-KATHOLISCHE MILIEUS DIETMAR KLENKE Der Eichsfelder Katholizismus – „Versailles“ als Achillesferse der Milieuerosion in Konfrontation mit dem Nationalsozialismus ............................................. 361 JOACHIM KUROPKA Zwischen Erosion und Erneuerung: Katholisches Milieu im Oldenburger Münsterland 1919 bis 1939 ............................................. 387 MARIA ANNA ZUMHOLZ „Windthorst’s Geist ist erwacht!“ Katholisches Milieu im Emsland in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus ..................................... 407 HANS-JÜRGEN KARP Ermland zwischen „Politischem Katholizismus“ und „Katholischer Aktion“. Anmerkungen zur Reichweite katholischen Handelns in einer Grenzregion des Reiches ......................... 445

V. POLITISCH FORTWIRKENDE TRADITION WILLIAM J. MUGGLI Religion als ein bestimmender Faktor für Wahlentscheidungen am Beispiel des Oldenburger Münsterlandes und des Eichsfelds ............. 462 LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................ 485 NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS ................................................................. 539 AUTORENVERZEICHNIS................................................................................... 552

I. EINFÜHRUNG UND THEORIE

REGIONALMILIEUS – RESISTENZ UND RESILIENZ JOACHIM KUROPKA Mit Analysen katholischer Milieus in Krise und Katastrophe während der Weimarer Republik und in der NS-Zeit befassen sich die Beiträge dieses Bandes, die zum größeren Teil auf für den Druck überarbeiteten Vorträgen einer Tagung an der Universität Vechta beruhen. Zielsetzung der Untersuchungen ist es, einen interregionalen Vergleich zu ermöglichen, indem die ‚Grenzen‘ einzelner katholischer Milieus ausgeleuchtet werden, wobei ‚Grenzen‘ im Sinne der Milieu-Stabilität gegenüber der totalitären Zumutung und totalitären Versuchung verstanden werden. Das Interesse des Herausgebers an diesem Thema wurde durch Regionalstudien zum Oldenburger Münsterland geweckt und hat einen starken Anstoß durch Oded Heilbronners Studie von 1998 erfahren, der den katholischen Schwarzwald zwischen Neustadt und Wolfach als eine „Achillesferse des deutschen Katholizismus“ identifizierte und in der Auflösung der katholischen Infrastruktur, im „Niedergang und Zerfall gesellschaftlichen Lebens“, die Ursache für unerwartete Erfolge der NSDAP bei den Wahlen in dieser katholischen Region gesehen hat.1 Dabei hat er auf die spezifischen regionalkulturellen Grundlagen einer antiklerikalen Atmosphäre des Bürgertums verwiesen, was unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise eine Atomisierung des Milieus nach sich zog und ein Vakuum hinterließ, das die NSDAP füllen konnte. Schon ein oberflächlicher Blick auf die Wahlkarten in der Untersuchung von Alfred Milatz2 verdeutlicht den eindeutigen Zusammenhang zwischen katholischer Konfession und Zentrumstreue, anders gewendet zwischen katholischer Konfession und antitotalitärer „Resistenz“, und Jürgen Falters Einschätzung ist sicher zutreffend, wenn er aus seinen Untersuchungen die Schlussfolgerung zieht, „hätte es … nur Katholiken gegeben, wäre es wohl nie zu einer nationalsozialistischen Machtübernahme gekommen“.3 REGIONALMILIEUS Schaut man genauer hin, zeigen sich neben den absolut zentrumsstabilen Regionen auch solche mit erstaunlichen Übergängen, nicht nur zwischen der 1

Oded Heilbronner: Die Achillesferse des deutschen Katholizismus, Gerlingen 1998, S. 271.

2

Alfred Milatz: Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik, Bonn 1965, Anlagen.

3

Jürgen Falter: Hitlers Wähler, München 1991, S. 179.

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Reichstagswahl vom November 1932 und der vom März 1933. So ist etwa eine in der Endphase der Weimarer Republik auftauchende kommunistische Wählermehrheit in der tiefsten katholischen Provinz im Bayerischen Wald absolut nicht zu erwarten.4 Doch kann man z. B. in einer Ortschronik, in der ein Heimatforscher sehr anschaulich die Lebensverhältnisse im Landkreis Regen zu Beginn der 1930er Jahre darstellt, heute völlig Unvorstellbares erfahren, dass nämlich in dieser Region während der Wirtschaftskrise schlichte Hungersnot herrschte und die Pfarrer im Juni 1931 auf Bettelfahrt zu ihren Mitbrüdern in andere Teile Bayerns reisten, um dort Hilfsgüter zu sammeln und damit ein wenig helfen zu können.5 Zu einer ähnlichen Wahlerscheinung ist es im Wahlkreis Tost-Gleiwitz gekommen6. Bereits an diesen Beispielen wird deutlich, dass es in Deutschland nicht ein katholisches Milieu gab, sondern durchaus unterschiedliche Regionalmilieus, worauf in der wissenschaftlichen Diskussion zwar aufmerksam gemacht wurde7, ohne dass bislang hinreichend entsprechende Regionalstudien vorlägen, die über reine Wahlanalysen hinausgehen bzw. diese auf die Untersuchung gesellschaftlich-mentaler Strukturen und Traditionen stützen. 1963 war der Milieu-Begriff von Mario Rainer Lepsius in die soziologische Forschung eingebracht worden, als sich Klassen- oder Schichtenmodelle zur Beschreibung moderner Gesellschaften als nicht hinreichend leistungsfähig erwiesen hatten, und in der historischen Forschung war der Begriff zunächst in der Untersuchung sozialistischer Vergemeinschaftungen angewandt worden.8 Das Milieu-Paradigma erlebte dann in der Widerstands- und Katholizismusforschung einen gewissen Boom9, wobei man der Gefahr von voreiligen Ver4

Vgl. Milatz (wie Anm. 2), Karte 13, Reichstagswahl v. 31.7.1932.

5

Josef Dengler: z‘Klouster und d‘Klousterer. Historische Streiflichter und alte Ansichten zu Leben und Arbeit in und um Rinchnach, Rinchnach 2000, S. 68.

6

Wie Anm. 4.

7

Vgl. etwa die Beiträge in Detlef Schmiechen-Ackermann (Hrsg.): Anpassung, Verweigerung, Widerstand, soziale Milieus. Politische Kultur und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland im regionalen Vergleich, Berlin 1997; der Titel ist insofern irreführend als keine Untersuchungen sozialer Milieus geboten werden, sondern eher – allerdings durchaus wertvolle – theoretische Beiträge; Wilfried Loth: Milieus oder Milieu? Konzeptionelle Überlegungen zur Katholizismusforschung. In: Johannes Horstmann / Antonius Liedhegener (Hg.): Konfession, Milieu, Moderne. Konzeptionelle Positionen und Kontroversen zur Geschichte von Katholizismus und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Schwerte 2001, S. 79-95.

8

Vgl. Klaus Tenfelde: Historische Milieus. Erblichkeit und Konkurrenz. In: Manfred Hettling / Paul Nolte (Hrsg.): Nation und Gesellschaft in Deutschland. Historische Essays, München 1996, S. 247-268.

9

Vgl. etwa Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte Münster: Konfession und Cleavages im 19. Jahrhundert. Ein Erklärungsmodell zur regionalen Entstehung

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allgemeinerungen nicht immer entging, wie sich in Olaf Blaschkes Antisemitismus-Verdacht bezüglich des Emslandes zeigt.10 Ähnlich pauschalisierend verfährt eine Darstellung des „politisch-sozialen Milieus in Südoldenburg“, wenn davon gesprochen wird, das „die kirchliche Herrschaftstechnik nach neuesten Modernisierungsstandards auf hohem Niveau“ praktiziert wurde11 ‒ zu einer Zeit, als das Personal der kirchlichen Oberbehörde gerade einmal aus dem Offizial (Generalvikar des Bischofs von Münster für Oldenburg), einem Sekretär, einem Kopisten und einem Vikariatsboten bestand. ÜBERWELTLICHER BEZUG In den vorliegenden Lokal- und Regionalstudien erweist sich als problematisch, dass gerade in dem hier interessierenden Zeitraum meist allein auf die äußeren politischen Abläufe abgehoben wird, also in den katholischen Regionen das institutionelle Gerüst dem Gleichschaltungsprozess im Frühjahr und Sommer 1933 ebenso erlegen ist wie anderswo etwa das sozialistische.12 Abgesehen davon, dass in dieser Perspektive der terroristische Charakter des Regimes meist ausgeklammert wird – das eben tatsächlich Gewalt angewandt und damit entsprechende Signale gesetzt hat – wären auch die grundsätzlichen Unterschiede dieser beiden Milieus wohl zu beachten. Mit dem institutionellen Gerüst sozialdemokratischer bzw. kommunistischer Provenienz, den entsprechenden Vereinen, Konsumgenossenschaften, Gewerkschaften, Zeitungen usw. verloren diese Milieus nicht nur die sie stabilisierenden Organisationsstrukturen, sondern auch ihre Artikulations- und Kommunikationsmöglichkeiten. Demgegenüber kann man für die katholischen Milieus festhalten, dass sie trotz der Auflösung der Zentrumspartei und dem allmählichen Verlust von Vereinen und Verbänden eben immer noch über ‚hauptamtliches Personal‘ – also den Klerus – verfügten und mit Kirchen, Pfarrheimen, Exerzitienhäusern, Presseerzeugnissen und vor allem durch den Gottesdienstbesuch der Gläubigen weiterhin über Kommunikationsmöglichkeiten verfügten, so dass aus dem Verlust der des katholischen Milieus in Deutschland. In: Historisches Jahrbuch 120 (2000), S. 358-395. 10 Olaf Blaschke: Katholizismus und Antisemitismus im deutschen Kaiserreich, Göttingen 1997; den Bezügen zum Emsland widerspricht nachdrücklich Maria Anna Zumholz: Das Emsland – ein antisemitisches katholisches Regionalmilieu? In: Emsländische Geschichte Bd. 12, hg. von der Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte, Haselünne 2005, S. 72-132. 11 Hubert Gelhaus: Das politisch-soziale Milieu in Südoldenburg von 1803-1936, Bd. 1, Oldenburg 2001, S. 9. 12 Vgl. die begrifflich konzise differenzierende Kennzeichnung von sozialistischem und katholischem Milieu bei Franz Walter / Helge Matthiesen: Milieus in der modernen deutschen Gesellschaftsgeschichte. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung. In: Schmiechen-Ackermann (wie Anm. 7), S. 46-75, hier S. 60.

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Organisationen eher eine Intensivierung des Milieuzusammenhangs resultierte.13 Für diese Teil-Stabilisierung dürfte ein Gesichtspunkt konstitutiv gewesen sein, der merkwürdigerweise in der Diskussion keine Rolle spielt: beim sozialistischen Milieu handelt es sich um einen Lebenszusammenhang mit einer politischen Zielsetzung, also der politischen Durchsetzung und Verwirklichung einer anderen, einer neuen Gesellschaft. Davon unterscheidet sich der katholische Lebenszusammenhang in dem zentralen Punkt, dass er – zumindest idealiter – auf ein religiös-überweltliches Ziel ausgerichtet ist, zu dessen Erlangung politisch-organisatorische Hilfsmittel nicht unbedingt erforderlich, möglicherweise sogar hinderlich sind. Die enge Verbindung zwischen politischem Katholizismus und Kirche, mithin auch zwischen Zentrumspartei und Klerus, war ja innerkirchlich in der Weimarer Zeit keineswegs unumstritten und wurde damals vor allem im rechtskatholischen Lager intensiv kritisiert. Der für unseren Zusammenhang interessante Punkt ist aber die Frage nach den ‚Grenzen‘, anders gefragt: bis zu welchem Grade haben die Katholiken in ihren jeweiligen Milieus dem nationalsozialistischen Sturm bzw. der nationalsozialistischen Versuchung sich entgegengestellt bzw. sich entzogen. Hier wird jeglicher ausdrückliche Bezug auf den Begriff ‚Widerstand‘ oder ‚Widerstandspotential‘ vermieden, weil er die dargelegte grundsätzliche Unterscheidung zwischen sozialistischen Milieus und katholischen Milieus überdeckt und Anforderungen impliziert, die, wollten Katholiken und Kirche ihnen nachkommen – z. B. durch Umsturz, Revolution, Sabotage, Attentate – würden sie sich nach ihren religiösen Grundsätzen aus dem überweltlichen Wertezusammenhang ihrer Milieus ausschließen, mit anderen Worten, nicht mehr als Katholiken handeln. In der wissenschaftlichen Diskussion wird dieser Zusammenhang fast durchweg ignoriert, zumindest nicht berücksichtigt, wenn zumeist nach dem politischen oder dem aktiven Widerstand gefragt wird, den Kirche und Katholiken nicht geleistet hätten.14 WERTFREIE ANALYSE Im Hintergrund der wissenschaftlichen Diskussion um das Verhalten von Kirche und Katholiken unter der NS-Diktatur standen, wenn auch meist unaus13 Zur Problematik dieses Zusammenhangs vgl. Cornelia Rauh-Kühne: Anpassung und Widerstand? Kritische Bemerkungen zur Erforschung des katholischen Milieus. In: Schmiechen-Ackermann (wie Anm. 7), S. 145-164, hier S. 148f. 14 Vgl. etwa Gerhard Paul / Klaus Michael Mallmann: Milieus und Widerstand. Eine Verhaltensgeschichte der Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bonn 1995, S. 90f. 142; Detlef Schmiechen-Ackermann: Kooperation und Abgrenzung. Bürgerliche Gruppen, evangelische Kirchengemeinden und katholisches Sozialmilieu in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Hannover, Hannover 1999, S. 401f.

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gesprochen, zum einen Klaus Scholders Verdikt von der „Kapitulation des Katholizismus“15 und zum andern die Dokumentation und teilweise auch hagiographisch akzentuierte Darstellung der Konflikte zwischen NS-Regime und Kirche und der Verfolgung von Geistlichen und Gläubigen. Bei der letzteren Gattung, etwa dem Werk von Ulrich von Hehl16, handelt es sich zunächst einmal um eine wertvolle Dokumentation, die als Quellenwerk der wissenschaftlichen Diskussion zur Verfügung steht. Scholder sieht in der Volksabstimmung und der sog. „Reichstagswahl“ vom 12. November 1933, bei der 95,1 % bzw. 92,2 % mit Ja bzw. für die Einheitsliste der NSDAP gestimmt hatten, eine entscheidende Zäsur, sei doch das bisher abweichende Wahlverhalten der Katholiken eingeebnet worden mit weitreichenden Wirkungen auch auf den deutschen Episkopat, „der sich für eine Opposition nur noch einen geringen Rückhalt im katholischen Kirchenvolk ausrechnen konnte“.17 Zwar wird gesehen, dass es sich nicht mehr um eine freie Wahl gehandelt habe, und es werden die Propaganda und das „Zwangsklima“ diskutiert und beiläufig erwähnt, dass auch Wahlfälschung vorgekommen sei. Als Ergebnis sieht Scholder aber vor allem, dass es Hitler gelungen sei, den politischen Katholizismus an der Basis zu zerschlagen, habe sich doch das Wahlverhalten in katholischen und protestantischen Gebieten „nahezu angeglichen, z. T. sogar umgekehrt“.18 Diese Schlußfolgerung ist schon bemerkenswert. So fallen zunächst die 3.398.249 ungültigen Stimmen unter den Tisch. In der Abstimmung bzw. „Reichstagswahl“ von 1934 und 1936 konnten diese immerhin auf angeblich 872.296 und 543.026 gedrückt werden. „Ist eine solche Mehrheit überhaupt glaubhaft?“, fragte Konrad Heiden schon in seiner 1936 in Zürich erschienenen Hitler-Biographie, führt ein Fälschungsbeispiel an und folgert, dass an den „erstaunlichen Stimmergebnissen … die Furcht ihren unberechenbaren Anteil hatte.“19 Nein, solche Mehrheiten sind nicht glaubhaft, wenn z. B. bei der Abstimmung 1938 aus dem Bezirk Berchtesgaden-Laufen für die 103 Gemeinden mit ca. 250 bis 1.400 Einwohnern für jede einzeln gemeldet wird, es habe keine einzige Nein-Stimme und auch jeweils keinen einzigen Nichtwähler gegeben.20

15 Klaus Scholder: Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1, Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934, Frankfurt/M. u.a. 1977, S. 645. 16 Ulrich von Hehl / Christoph Kösters / Petra Stenz-Maur / Elisabeth Zimmermann (Bearb.): Priester unter Hitlers Terror. Eine biographische und statistische Erhebung, 2 Bde., Paderborn 41998. 17 Scholder (wie Anm. 15), S. 646. 18 Ebd., S. 646. 19 Konrad Heiden: Adolf Hitler. Eine Biographie, Bd. 1: Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit, Zürich 1936, Bd. 2: Ein Mann gegen Europa, Zürich 1937, Neudruck in einem Band Zürich 2007, hier S. 504/505. 20 Meldungen der Wahlergebnisse, Staatsarchiv München, Best. NSDAP, Nr. 123.

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Für Oldenburg können die Fälschungen sogar durch Angaben der Fälscher quellenmäßig belegt werden.21 Mit dem Milieukonzept steht nun, wie Markus Huttner in einer sehr klaren Argumentation aufgezeigt hat, ein wertfrei-deskriptives Analysemodell zur „Rekonstruktion historischer Erscheinungsformen des Katholizismus“ zur Verfügung, um „Teilgesellschaften zu erklären, die in vieler Hinsicht als verbindlicher Bezugsrahmen für das politische und soziale Handeln sowie die soziokulturelle Selbstverortung ihrer jeweiligen Mitglieder fungieren“.22 Für die Endphase der Weimarer Republik und die folgende NS-Herrschaft stellt die Milieuanalyse ein Instrument zur Beantwortung der Frage zur Verfügung, inwieweit eben dieses katholisch geprägte Handeln den nationalsozialistischen Zumutungen und Zugriffen entgegenstand, sich ihnen zu entziehen versuchte, widersetzte, kurz, wie intensiv die Prägekraft der katholischen Überzeugungen war und welche Reichweite sie besaßen. Demgegenüber hat der Widerstandsbegriff eine moralische Grundierung, es handelt sich, um mit Thomas Breuer zu sprechen um einen „politisch-ethischen Legitimationsbegriff“23. Das Milieukonzept könne seine Erklärungskraft und seine konzeptionellen Stärken am ehesten in Lokal- oder Regionalstudien entfalten, konstatierte Benjamin Ziemann bereits vor über einem Jahrzehnt, musste aber eine negative Forschungsbilanz ziehen.24 Wenn auf die Bedeutung von regionaler Tradition, wirtschaftlicher Lage, schichtspezifischer Zusammensetzung u. ä. verwiesen wurde, mußte die Berücksichtigung solcher Faktoren unterscheidbare Regionalkatholizismen aufzeigen 25 Allerdings war und ist eben mit Walter Ziegler zu konstatieren: „Über den Zustand des katholischen Milieus in Bayern, Franken, Oberschwaben, Baden, dem Rheinland und Westfalen, dem Eichsfeld, dem Ermland und Oberschlesien gibt es neben Regionalarbeiten bisher mehr

21 Vgl. den Beitrag von Joachim Kuropka in diesem Band. 22 Markus Huttner: Milieukonzepte und Widerstandsdebatte in der deutschen zeitgeschichtlichen Katholizismusforschung – ein kritischer Kommentar. In: Wolfram Pyta, Karsten Kretschmann, Guiseppe Ignesti, Tiziana Di Mayo (Hrsg.): Die Herausforderung der Diktaturen. Katholizismus in Deutschland und Italien 19181943/45, Tübingen 2009, S. 233-248, hier S. 234/35. 23 Thomas Breuer: Verordneter Wandel? Der Widerstreit zwischen nationalsozialistischem Herrschaftsanspruch und traditionaler Lebenswelt im Erzbistum Bamberg, Mainz 1992, S. 370. 24 Benjamin Ziemann: Der deutsche Katholizismus im späten 19. und im 20. Jahrhundert. Forschungstendenzen auf dem Weg zu sozialgeschichtlicher Fundierung und Erweiterung. In: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 40, 2000, S. 402-422, hier S. 413. 25 Vgl. Loth (wie Anm. 7), S. 90.

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Forschungsansätze als Ergebnisse“.26 Das im 19. Jahrhundert entstandene katholische Milieu habe sich durch Weltkrieg und Moderne und die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in regionale Teilmilieus aufgelöst, deren Kenntnis auch eine wichtige Voraussetzung zum Verständnis des Handelns der Bischöfe darstelle. Der vorliegende Band soll dazu beitragen, dieses beklagte Defizit ein wenig zu verringern. Die dabei zutage getretene hohe Diversität der Regionalmilieus zeigt sich schon bei der Schwierigkeit einer Zuordnung zu den drei vom Arbeitskreis für Kirchliche Zeitgeschichte vorgeschlagenen Typen katholischer Vergesellschaftung, die so eindeutig nicht immer möglich ist, als – unscharfer – Gliederungsgesichtspunkt jedoch beibehalten wurde. Wie Winfried Becker darlegt, geht es hier in erster Linie um Empirie, die aber nicht ohne Theorie möglich ist. Becker gibt zu bedenken, dass die katholischen Milieus als verdichtete Räume sozialer Kommunikation durch kollektive Sinngebung – in unserem Fall von der katholischen Kirche – aus dem StaatKirche-Konflikt in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, der sich in der Weimarer Zeit stark abgeschwächt hatte. Wurden die Milieus von den einen als Errungenschaft angesehen, galten sie anderen als Ghetto mit der tatsächlich gegebenen Gefahr der Abschottung, und die inneren Konfliktlinien, insbesondere hinsichtlich der politischen Artikulation, traten verstärkt hervor. Katholisch sein hieß eben nicht zwangsläufig, auch für den politischen Katholizismus von Zentrum/BVP einzutreten oder sich dafür zu entscheiden, so dass das Zusammenspiel von Kirche und Politik, das bereits im 19. Jahrhundert nicht konfliktfrei gewesen war, immer schwieriger wurde. Dies gilt auch für den Zusammenhang von Kirche und Gesellschaft, der unter besonders schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen nicht mehr ohne weiteres gegeben war. Wenn es auch nicht möglich ist, in einem vergleichenden Überblick Ergebnisse zu formulieren, soll doch wenigstens auf einige Beobachtungen aufmerksam gemacht werden. BEOBACHTUNGEN AUS VERGLEICHENDER PERSPEKTIVE So ist bei den Wahlergebnissen in den 1930er Jahren vereinzelt eine sogar erhebliche Erosion zu beobachten, wobei in der Interpretation der Ergebnisse Vorsicht geboten ist, wird diese Erosion doch häufig an den Prozentergebnissen festgemacht, während die absoluten Zahlen zeigen, dass der ‚Zentrumsturm‘ bis März 1933 durchaus standhielt und ein prozentuales Absinken auf die Mobilisierung von bisherigen Nichtwählern zurückzuführen ist, unter denen allerdings in katholischen Gebieten zum guten Teil eben auch kirchenferne Katholiken gewesen sein müssen. Doch gab es im Bayerischen Wald und in der 26 Walter Ziegler: Die deutschen katholischen Bischöfe unter der NS-Herrschaft. Religiöses Amt und politische Herausforderung. In: Historisches Jahrbuch 126 (2006), S. 395-437, hier S. 401.

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Bergbauregion der Grafschaft Glatz in der Arbeiterschaft durchaus katholische SPD-Wähler, die nicht aus ideologischen, sondern aus pragmatischen Gründen ihre Wahlentscheidung trafen. In den Grenzlandbezirken (Oberschlesien, Grafschaft Glatz, Ermland) spielte auch die Nationalitätenfrage bzw. die befürchtete Bedrohung durch Polen bzw. die Tschechoslowakei eine gewisse Rolle. Während wirtschaftliche Probleme nur bei außerordentlichen Notlagen den Weg zu den Extremisten wiesen, wenn etwa im Bayerischen Wald im untersuchten Gebiet 85 % der Bevölkerung unterstützungsbedürftig waren, spielten Bruchlinien der katholischen Regionalgesellschaften eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dies galt für praktizierende, aber antiklerikal eingestellte Katholiken (Oberpfalz), liberal-antikirchliche Gruppen (Passau) und insbesondere für die radikal-liberale Subkultur im südwestdeutschen Raum. Gestaltete sich für die Zentrumspartei die Integration der divergierenden Interessen als schwierig (Emsland), so verschärfte sich dieses Problem dort, wo eine antiklerikale Bauernpartei eine Alternative bot (Oberpfalz) oder sich innerkirchlich Konservative und Modernisierer gegenüberstanden (Unterfranken). Eine wichtige Funktion für die Stabilisierung der Milieus und ihre Widerstandsfähigkeit hatten die katholischen Verbände. Erosionserscheinungen gab es vor allem dort, wo diese keine oder nur eine geringe Rolle spielten (Glatz, Münsterland, Schwarzwald) und vaterländische Vereine das Konkurrenzangebot darstellten (Eichsfeld, Schwarzwald). Aufs Ganze gesehen ist zwar festzustellen, dass die den katholischen Milieus zugeschriebene Einheitlichkeit sich als „eine Fiktion“ (Weiß) erweist. So zeigen selbst die vormodern geprägten Milieus ein zwiespältiges Bild. Während einerseits in einem westfälischen Dorf (Nordwalde) zu beobachten ist, dass die Politisierung einer bislang berufsständischen Gesellschaft den Einbruch des Nationalsozialismus begünstigt, erweisen sich die vorwiegend bäuerlich geprägten Milieus im Emsland und Oldenburger Münsterland als besonders widerstandsfähig. Das leitende NS-Personal musste ‚importiert‘ werden, in Konfliktfällen griff man zu Gewalt oder zog sich taktisch zurück. Stark zugespitzt ließe sich mit den Worten des Gauleiters Röver sagen, dass bei den ‚orthodoxesten‘ Katholiken die höchste Widerstandskraft zu beobachten ist. Ein wesentlicher Faktor für die Stabilität der Milieus lag in der Persönlichkeit der jeweiligen Geistlichen (Pfalz, Münsterland, Unterfranken, Oldenburger Münsterland, Emsland). Ebenso waren die Frauen besondere Stützen des Milieus durch die Bewahrung der religiösen Moral (Unterfranken, Rheinland/Westfalen), wobei sich vor allem dann Verweigerungshaltungen einstellten, wenn das Regime in die Kernzonen des Milieus einzudringen suchte. Abwehr zeigte sich besonders, wenn die heils- und gnadenvermittelnde Funktion der Kirche betroffen war. Je mehr in dieser Hinsicht in die Lebenswelt der Katholiken eingegriffen wurde, desto stärker intensivierte sich die Abwehr (Oberpfalz, Emsland, Pfalz, Oldenburger Münsterland).

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RESISTENZ UND RESILIENZ Während sich die Widerstandsforschung über lange Zeit den Widerstandsaktionen und den ihnen zugrunde liegenden unterschiedlichen Motiven gewidmet hatte, rückte im Laufe der 1980er Jahre von der Martin Broszat entwickelte Resistenz-Begriff in den Vordergrund und damit die Frage, „was getan und bewirkt, weniger das, was nur gewollt oder beabsichtigt war“.27 Eine „partielle Resistenz“ beobachtete Broszat vor allem „im Milieu kirchlich-religiös gebundener Volksschichten“ mit ihren „resistenzbegünstigenden Strukturen“.28 Nun lassen sich unter dem Postulat einer ‚Wirkungsgeschichte‘ die Wirkungen lediglich bei denen beobachten, auf die sie gerichtet waren. Im konkreten Fall aller aktiven Widerstandshandlungen war eine ‚Wirkung‘, ein Erfolg also, nicht eingetreten und damit ein eindeutiges Ergebnis feststellbar.29 In Bezug auf die ‚resistenten Handlungen‘ ist die Feststellung eines Erfolges oder Nichterfolges weitaus schwieriger, denn wichtige Elemente der Gegnerschaft liegen nicht öffentlich zutage. Wenn man etwa aus der Mitfeier eines Gottesdienstes – gegebenenfalls auch wegen der Predigt – gestärkt wurde, wenn man aus dem Wallfahrtserlebnis eine spirituelle, eine geistliche Widerstandskraft mitbrachte, wenn Frauen und Mütter in der häuslichen und familiären Sphäre die religiös fundierte Moral bewahrten und damit ihre Kinder und Männer gegen die neuen nationalsozialistischen Werte immunisierten, so sind die Wirkungen auf Seiten des Regimes kaum faßbar. Allerdings reagierte man auf der Gegenseite, wie z. B. eine Denkschrift des Geheimen Staatspolizeiamtes zum politischen Katholizismus zeigt. Nach Einschätzung der Gestapo suche die Kirche „neue Formen der politischweltanschaulichen Beeinflussung“ und damit einen Weg, „der der Staatsgewalt keinen Einsatz brutaler Machtmittel gestattet(e), sondern die Auseinandersetzung zunächst auf den weltanschaulichen Kampf zweier an das Gefühl und das Übersinnliche appellierender Gewalten um die Seele jedes kath. Volksgenossen“ richte. Bei der Durchsetzung des NS-Totalitätsan-spruches ergäben sich „religiöse Problemstellungen zum Christentum“, und diesen trete die Kirche nun „unter rein religiösen Parolen“ entgegen.30 Damit war der Kern des Konflikts zwischen NS-Regime und katholischer Kirche benannt: Es war ein Kon27 Martin Broszat, Elke Fröhlich: Alltag und Widerstand – Bayern im Nationalsozialismus, München/Zürich 1987, S. 50. 28 Ebda., S. 55, 54. 29 Vgl. Joachim Kuropka: Zur Frage der Gefährdung der NS-Herrschaft durch die Katholische Kirche. In: Ders. (Hrsg.): Geistliche und Gestapo. Klerus zwischen Staatsallmacht und kirchlicher Hierarchie, Münster 22005, S. 45-65, hier S. 50f. 30 Denkschrift „Der politische Katholizismus” des Geheimen Staatspolizeiamtes, undatiert, wahrscheinlich Ende 1934; die Denkschrift wurde vom Bischof von Münster mit Schreiben vom 15.2.1935 dem Kardinalstaatssekretär vorgelegt, Archivio Segreto Vaticano, AES, „Scatole“, Nr. 46.

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flikt um die Geltung christlicher oder der ihnen entgegengesetzten nationalsozialistischer Werte, gewissermaßen ein geistiger Konflikt, jedoch mit lebenspraktischer und damit auch politischer Relevanz, wenn dem Recht des Stärkeren beispielsweise zumindest vom Anspruch her die Feindesliebe gegenüberstand.31 Wenn sich nun zeigt, dass die ‚Grenzen‘ der Milieus gegenüber den weltanschaulichen und daraus folgenden lebenspraktischen Anforderungen des Regimes in den einzelnen Regionalmilieus durchaus unterschiedlich waren, erlangt die Frage nach der Reichweite des jeweiligen Regionalmilieus und nach seiner Prägekraft hinsichtlich des Verhaltens der Milieuangehörigen besondere Bedeutung. Hier könnte der aus der Psychologie stammende Begriff der Resilienz Verwendung finden, im Sinne einer seelischen Widerstandskraft, auf unseren Fall angewendet die Immunisierungskraft des jeweiligen Regionalmilieus. Über die ‚Resilienzfaktoren‘ lässt sich Genaueres noch nicht sagen, doch deutet sich an, dass die ultramontan grundierten katholischen Gesellschaften mit dichtem Ritualsystem und u.a. darauf folgend dichter Vergesellschaftung über die stärkste Widerstandskraft verfügten. NACHWIRKUNGEN Mit aus der Wirtschaftswissenschaft stammenden modernen Methoden zeigt am Ende William Muggli am Beispiel des Eichsfeldes und des Oldenburger Münsterlandes die enge Beziehung zwischen katholischer Bevorzugung und einer bestimmten Partei auf. Auch wenn man in unseren Tagen nicht mehr von katholischen Milieus sprechen kann, sind deren Nachwirkungen noch durchaus spürbar, so im Oldenburger Münsterland, der Region, in der die Universität Vechta ihren Standort hat, was hier in einigen Strichen nachgezeichnet werden soll. Bei der Bundestagswahl am 27. September 2009 erreichte im Wahlkreis Vechta-Cloppenburg die CDU 54,5 % der Zweitstimmen und damit das höchste Ergebnis in Deutschland überhaupt. Der langjährige Konkurrenz-Wahlkreis um das höchste CDU-Ergebnis, der Wahlkreis Bieberach, brachte es nur auf 43,2 % der Zweitstimmen. Auch die Universität Vechta hat einen gewissen Milieu-Bezug. Der Ursprung der heutigen Universität liegt im Jahre 1830 in der Gründung einer sog. Normalschule32, eingerichtet für die Ausbildung katholischer Volksschullehrer für die durch die Säkularisation an das (evangelische) Großherzogtum Olden31 Vgl. Joachim Kuropka: Gegen die Umwertung der Werte. Zu Formen katholischen Widerstandes. In: Andreas Henkelmann / Nicole Priesching (Hrsg.): Widerstand? Forschungsperspektiven auf das Verhältnis von Katholizismus und Nationalsozialismus, Saarbrücken 2010, S. 39-61, hier S. 46f. 32 Vgl. Alwin Hanschmidt / Joachim Kuropka (Hrsg.): Von der Normalschule zur Universität. 150 Jahre Lehrerausbildung in Vechta, Bad Heilbrunn 1980.

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burg gekommenen katholischen Untertanen aus dem ehemaligen Stift Münster. Es handelt sich um die heutigen Landkreise Cloppenburg und Vechta mit ca. 300.000 Einwohnern, von denen ca. 210.000 katholisch sind, also knapp 70 %. Dass die Universität Vechta die offizielle Bezeichnung ‚Universität‘ erst 2010 erhielt, hat ebenfalls einen Milieu-Hintergrund, wurden doch die damaligen „Hochschulen“ in Hildesheim und Lüneburg in den 1980er Jahren in Universitäten umbenannt – was für Vechta auch 1990 noch nicht möglich war, als die Abteilung Vechta der Universität Osnabrück verselbständigt wurde. Das hängt damit zusammen, dass man aus Hannover etwas abschätzig auf die katholischen Inseln in Niedersachsen blickte und Ministerpräsident Gerhard Schröder der Meinung war, es könnten doch nicht Lehrer auf dem Lande sozialisiert werden – er sagte nicht ausdrücklich auf dem katholischen Lande, aber diese Implikation war jedermann klar. Als die Landesregierung beabsichtigte, die Universitätsabteilung Vechta zu schließen, lag dem noch einmal ein ‚MilieuStein‘ im Wege, war doch aufgrund der in die niedersächsische Verfassung übernommenen Verfassungsbestimmungen des bis 1946 existierenden Freistaats Oldenburg die Konfessionsschule verfassungsrechtlich gesichert und 1965 im Niedersachsen-Konkordat bestätigt worden. Mit der Umgestaltung des Schulwesens wurde durch eine Zusatzvereinbarung zum Konkordat 1972 festgeschrieben, dass in Vechta weiterhin die Ausbildung katholischer Religionslehrer garantiert ist33 und der Hl. Stuhl bzw. im Hintergrund der Bischof von Münster waren nicht bereit, dieses Recht aufzugeben. Dies sind einige regionalpolitische Anknüpfungspunkte zur Milieuthematik, die zeigen, dass selbst im Zuge der fortschreitenden Modernisierung die im 19. Jahrhundert entstandenen katholischen Milieus zwar mehr und mehr abgeschwächt und eingeebnet wurden, aber doch bis zum Beginn des 3. Jahrtausends immer noch wirksame Elemente zu beobachten sind, was an einem weiteren – unpolitischen – Beispiel gezeigt werden kann. Bis in die 1970er Jahre galt zumindest in Niedersachsen ‚katholisch‘ als ein Synonym für ‚zurückgeblieben‘, letzteres sichtbar an hoher Kirchenbindung, hoher Kinderzahl, hoher Arbeitslosigkeit, hohem Anteil an Landwirtschaft, insgesamt also ‚strukturschwach‘ – fast das direkte Gegenbild zum protestantischen ‚Geist des Kapitalismus‘. Das galt auch für das Oldenburger Münsterland bis zur Volkszählung 1987, in der plötzlich festgestellt wurde, dass die Anzahl der Arbeitsplätze zwischen 1970 und 1987 um 70 % zugenommen hatte und die Arbeitslosigkeit mit 5,6 % nicht über, sondern weit unter im Bundes33 Zur Geschichte der Lehrerausbildung in Vechta vgl. Alwin Hanschmidt / Joachim Kuropka (Hrsg.): Von der Normalschule zur Universität (wie Anm. 32); vgl. Alwin Hanschmidt: Die Pädagogische Hochschule Vechta auf dem Wege von der Abteilung der Pädagogischen Hochschule Niedersachsen zur Abteilung der Universität Osnabrück. Eine Skizze (wie Anm. 32), S. 307-337; Joachim Kuropka: Lehrerbildung in der Nachkriegszeit. Pädagogische Akademie und Pädagogische Hochschule Vechta 1945-1969 (wie Anm. 32), S. 259-306.

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durchschnitt lag. Die amtliche Fortschreibung-Statistik zeichnete also ein völlig falsches Bild.34 Der damals sichtbar gewordene wirtschaftliche Erfolg hat sich fortgesetzt. FOCUS-MONEY zählte schon vor zehn Jahren den Landkreis Vechta an 13. Stelle zu den „TOP 50“-Landkreisen in Deutschland, sonst fast alle in Süddeutschland, erst an 46. Stelle folgte in Norddeutschland der Landkreis Hannover.35 Nach wie vor nimmt die Bevölkerung im Oldenburger Münsterland zu, weil noch immer Arbeitsplätze entstehen und – die Geburtenrate mit 1,74 für den Landkreis Cloppenburg und 1,57 für den Landkreis Vechta die höchste in Deutschland ist. Unter anderem deshalb wird dem Oldenburger Münsterland eine hohe „Zukunftsfähigkeit“ bescheinigt.36 Ein schönes Beispiel also für die Dialektik von Zurückgebliebenheit und Fortschritt: Galt es bis zum Beginn der 1970er Jahre als eine Art katholische ‚Dummheit‘, mehrere Kinder aufzuziehen, hat gerade einmal vier Jahrzehnte später u.a. eben dieses Verhalten das Oldenburger Münsterland an die Spitze der neuen Art von Fortschritt katapultiert. Noch ein letzter Hinweis: Aus dem Wahlkreis Vechta kam der eine Landtagsabgeordnete, der am 18. März 1993 gegen die Gott-lose neue Verfassung des Landes Niedersachsen gestimmt hat und durch sein Abstimmungsverhalten und die dazu abgegebene Erklärung den Anstoß für ein erfolgreiches Volksbegehren gegeben hat, so dass der Gottesbezug in die Verfassung aufgenommen wurde.37 Soweit ein kleiner Einblick in eine Region, in der sich aus den katholischen Milieu-Traditionen durchaus noch Erklärungsmomente für gegenwärtige Phänome ableiten lassen. Es mag ungewöhnlich erscheinen, wenn dies hier gewissermaßen als ‚Nachtrag‘ angefügt ist, doch hat es für den milieu-interessierten Leser vielleicht doch seinen Reiz, an einer Stelle die Verbindungslinie bis in die Gegenwart gezogen zu finden. Dass der vorliegende Band entstehen konnte, ist vor allem den Autoren zu verdanken, die sich auf die Thematik eingelassen, an der Tagung mitgewirkt und ihre Vorträge für den Druck überarbeitet haben. Ebenfalls zu danken ist den drei Autoren, die sich danach bereitgefunden haben, eine Region zu bearbeiten. Die Konzeption der Tagung wurde in meinem Kolloquium zur Katholi34 Vgl. Joachim Kuropka: Eine Erfolgsgeschichte! Erfolg aus der Geschichte? Wirtschaftlicher Erfolg im Oldenburger Münsterland und seine historische Dimension. In: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 2005, S. 146-174. 35 FOCUS-MONEY 29/2002, S. 112. 36 Vgl. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: Land mit Aussicht. Was sich von dem wirtschaftlichen und demographischen Erfolg des Oldenburger Münsterlandes lernen lässt, Berlin 2009. 37 Vgl. Joachim Kuropka: Von Kückens bis Krapp. Von Staatsbeamten zu BürgerLandräten, Vechta 2001, S. 139f.

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zismusforschung entwickelt und ich bin den Teilnehmern zu Dank verpflichtet für die intensive Diskussion und die dort eingebrachten Ideen. Dies gilt besonders für Frau Dr. Maria Anna Zumholz, die darüber hinaus mit ihrer Tatkraft wesentlichen Anteil an der Realisierung des Projekts hatte. Dank verdient nicht zuletzt Frau Gerda Büssing für die Erstellung der Druckvorlage.

Vechta, im August 2012

KATHOLISCHES MILIEU – THEORIEN UND EMPIRISCHE BEFUNDE WINFRIED BECKER 1. DEFINITIONEN UND ABGRENZUNGEN Nach der Definition von Mario Rainer Lepsius entspringen „sozialmoralische Milieus“ den „Vermittlungsprozessen zwischen Sozialstruktur und politischer Orientierung“; sie sind bedeutsam, weil eine Gesellschaft nie durch ihre politische Ordnung allein bestimmt wird. Vermittler sind „kulturelle Orientierungen“, die zwischen der sozialen und der politischen Ordnung stehen, bzw. „soziale Einheiten, die durch eine Koninzidenz mehrerer Strukturdimensionen wie Religion, regionale Tradition, wirtschaftliche Lage, kulturelle Orientierung, schichtenspezifische Zusammensetzung der intermediären Gruppen, gebildet werden. Das Milieu ist ein sozio-kulturelles Gebilde, das durch eine spezifische Zuordnung solcher Dimensionen auf einen bestimmten Bevölkerungsteil charakterisiert wird.“1 Lepsius knüpft an Carl Amerys schillerndem Begriff des katholischen Milieus an, findet diesen aussagekräftig, „weil er einen komplexen Bezug auf eine sozialmoralische Einheit hat, die prinzipiell die gewisse Enge der klassentheoretischen Analyse überwindet.“ Die Milieus besetzen einen den Parteien gleichsam vorgelagerten Raum, wirken aber in diese hinein. Wenn ihre Autonomie, ihre Tendenz zur inneren Homogenisierung oder die Dominanz ihrer bestimmenden sozialen Gruppen zu groß wird, beeinflussen sie die ihnen zugehörigen Parteien negativ, bewirken deren zirkuläre Verengung und verhindern, dass sich das Parteiensystem „in die Gesamtgesellschaft“ integriert. Gewisse zeitgeschichtliche Hintergründe dieser essayistisch-gewandten, keine langen Herleitungen bemühenden Argumentation dürften in der Öffnung der SPD zur Volkspartei seit 1959 und in der gesellschaftspolitischen Debatte der ausgehenden 1960er Jahre zu suchen sein. Lepsius‘ „soziologischhistorische Konstellationsanalysen“ umkreisen vergleichend die Lage der Par1

Mario Rainer Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: ders., Demokratie in Deutschland. Soziologisch-historische Konstellationsanalysen. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1993, S. 25-50 (zuerst erschienen 1966), hier S. 38 f., 7 (Vorwort von M. R. Lepsius), 361. Der Milieu-Begriff wird von der französischen Forschung auch auf nicht-weltanschauliche Konsoziationen angewandt, so auf die wirtschaftlichen Milieus der Finanz, des Handels, der Bauern und der Gewerkschaften. Eric Bussière / Michel Dumoulin (Hg.), Milieux économiques et intégration Européenne en Europe occidentale au XXe siècle, Arras 1998.

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teien im Kaiserreich und in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Grundthese ist: Die Konzentration der Parteimilieus auf sich selbst, ihre Verselbständigung und Abschottung voneinander, hat ein fragmentiertes „System intermediärer Gruppen in Deutschland“ entstehen lassen, die Vorherrschaft von „monopolisierten Spezialinteressen“ und jeweiligen „Binnenautonomien“ begründet. Es bildeten sich Barrieren, die eine unmittelbarere Mitwirkung der Staatsangehörigen an den großen, zentralen politischen Entscheidungsprozessen behinderten. Trotz der Erringung der „nationalen Identität“ ergab sich so eine Blockade für die breite politische Partizipation, dh. für die Modernisierung des Kaiserreichs und noch der Weimarer Republik.2 Die Transformation zu einer offenen Gesellschafts- und Staatsordnung gelang erst, als die (alte) Bundesrepublik die frühere „amorphe Volksordnung oder Kulturordnung“ mit ihrer Milieuzernierung überwand, diese in der „Interessenaggregation“ der Einheitsgewerkschaft aufgehen ließ, und als der Staat zugleich der konfessionellen Spaltung mit der Gründung der CDU ein Ende bereitete. In Lepsius‘ Augen brachte so die Bundesrepublik „den ersten klassischen Nationalstaat in Deutschland überhaupt“ hervor, „dessen politische Identität sich primär auf dem Bekenntnis zu einer politischen Binnenordnung begründet.“3 Lepsius siedelt im Kaiserreich vier Milieus an: das konservativ-protestantische und das liberal-protestantische (oder liberal-bürgerliche), das katholische und das sozialistische oder ArbeiterMilieu. Zwei dieser Milieu-Begriffe kombinieren das konfessionelle mit dem parteipolitischen Bezugsfeld, einer der Begriffe bezieht sich auf eine (seit 1890 sozialdemokratisch genannte) Partei, einer nur auf die katholische Konfession, während das protestantische Milieu als politisch und sozial aufgeteilt vorgestellt wird. Das Parteiensystem der Bundesrepublik erst sei durch die „Entsäulung“ der Parteien, deren „Wandlung von spezifischen Klassen-, Konfessionsund Regionalparteien zu allgemeinen ‚Volksparteien‘“ gekennzeichnet.4 2

Mario Rainer Lepsius, Demokratie in Deutschland als historisch-soziologisches Problem, in: ders., Demokratie in Deutschland (wie Anm. 1), S. 11-24, 21 f.

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Lepsius nannte deswegen die Bundesrepublik (vor der Wiedervereinigung) den ersten „klassischen Nationalstaat“. Das verkennt allerdings deren verfassungsmäßige Europa-Orientiering seit 1949 und die Ausstattung schon des Bismarckreiches mit dem allgemeinen Wahlrecht und eier vergleichsweise geschlossenen Ethnie. Rede von Mario Rainer Lepsius, in: Kolloquien des Instituts für Zeitgeschichte.Nachkriegsgesellschaften im historischen Vergleich. Großbritannien – Frankreich – Bundesrepublik, München-Wien 1982, S. 33-39, hier 39.

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Mario Rainer Lepsius, Zur Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, in: ders., Demokratie in Deutschland (wie Anm. 1), S. 175-195, 179. Der Begriff der Versäulung bezog sich ursprünglich auf das Parteiensystem der Niederlande. Eine die Entwicklungsfähigkeit des Kaiserreichs nicht ausschließende, differenzierte Analyse von Parteien und Wahlen bietet Margaret Lavinia Anderson, Lehrjahre der Demokratie. Wahlen und politische Kultur im Deutschen Kaiserreich, Stutt-

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Diese Definitionen und die historische Verortung der Milieus zwischen zwei zentralen Bezugsgrößen, dem Kaiserreich und der Bundesrepublik Deutschland, öffnen drei Fragerichtungen: 1) die nach der inneren Beschaffenheit des Milieus, nach deren inneren Tendenzen zur Autonomie und Homogenisierung, nach deren selbstreferentiellen Bezügen, Spaltungen und Submilieus5, 2) die Frage nach den Außenbeziehungen der Milieus zu gleich oder anders definierten Gruppen oder Segmenten der Politik und Gesellschaft, 3) das Problem der historischen Entwicklung oder Veränderung der Milieus zwischen 1871 und der Gegenwart. Gerade diese von Lepsius aufgerufene historische Dimension wurde in der Diskussion bisher zu wenig beachtet, wenngleich schon mehrfach aufgegriffen. Die Historizität eines sehr komplexen Gegenstandes wäre zu ermitteln, der sich über ein inneres und äußeres Beziehungsgeflecht sozialkultureller Faktoren konstituierte. Was die konfessionellen oder religiösen Milieus betrifft, so gilt zunächst die Feststellung, dass sie eng mit den verfassten und historisch gewordenen christlichen Gemeinschaften zusammenhängen, ohne mit diesen zusammenzufallen. Die soziale Milieubildung als spezifisches Charakteristikum sozial-kulturellreligiöser Vergemeinschaftung ist deshalb von den durch soziale und historische Entwicklungen ebenfalls bedingten, aber rechtlich verfassten und definierbaren Kirchen bzw. Religionsgesellschaften zu unterscheiden. Allerdings ist für das konfessionelle Milieu die Beziehung zu der entsprechenden Religionsgesellschaft von existenzieller Bedeutung. Anders als etwa beim sozialistischen Milieu stehen wir hier vor einem weniger selbstbezüglichen, mehr vermittelten oder dialektischen Phänomen; diesem substantiellen Unterschied trägt der (notwendigerweise) schematisierende Milieubegriff von Lepsius zu wenig Rechnung. Zwar gilt auch für das konfessionelle Milieu jene allgemeine Defigart 2009 (engl. Ausg. Princeton University Press 2000), S. 478-522. Vgl. zur Fortdauer konservativer Milieus vom Kaiserreich bis zu deren „Renaissance in Westdeutschland“ Frank Bösch unter Mitarbeit von Helge Matthiesen, Das konservative Milieu. Vereinskultur und lokale Sammlungspolitik in ost- und westdeutschen Regionen (1900-1960), Göttingen 2002, S. 186 ff., 217-227. 5

Vgl. hierzu, unter Berufung auf die Studien von Wolfgang Tischner zu den katholischen DDR-Submilieus, Maria Anna Zumholz, Volksfrömmigkeit und Katholisches Milieu. Marienerscheinungen in Heede 1937-1940. Im Spannungsfeld von Volksfrömmigkeit, nationalsozialistischem Regime und kirchlicher Hierarchie, Cloppenburg 2004, S. 660-663. Sie unterscheidet „Milieuväter“ (Pfarrer), Milieukerne (Pfarreien) und „Außenwerke“ (Vereine, Zentrumspartei). Vgl. zum Begriff Subkultur Urs Altermatt, Katholische Subgesellschaft. Thesen zum Konzept der „katholischen Subgesellschaft“ am Beispiel des Schweizer Katholizismus, in: Karl Gabriel / Franz Xaver Kaufmann (Hg.), Zur Soziologie des Katholizismus, Mainz 1980, S. 145-165, 145-148: Gemeint sind soziale Gruppen, die eigene Wertvorstellungen und Verhaltensweisen innerhalb eines umfassenderen politischen Raumes, etwa einer nationalen Gesellschaft, aufrecht erhalten (nach der Definition von Robert A. Dahl).

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nition, es handele sich um „eine sozial abgrenzbare Personengruppe“, zugleich einen „Träger kollektiver Sinndeutung von Wirklichkeit“, der „an einem Werte- und Normenkomplex“, an einem „Milieustandard“ orientierte „reale Verhaltensmuster“ ausprägt.6 Aber – das wäre auch dieser allgemein gehaltenen Definition hinzuzufügen – solche religiös-sozialen Verhaltens- und Deutungsmuster sind von konfessionsspezifischer Natur und zumindest für das katholische Milieu deswegen erst gruppenkonstitutiv. Unter ihren Inhalten figurieren bestimmte Formen der „christlichen Lebensführung“, die aus dem Auftrag der Kirche und ihrer Lehre abgeleitet werden. Die besonderen, konfessionell geprägten Verhaltensmuster werden hier aber nicht innerhalb der religiösen Sphäre, theologisch oder pastoral, beschrieben, sondern als Erscheinungsformen des sozialen Lebens betrachtet, dem sie wie andere ähnliche, unter sozialem Aspekt vergleichbare Phänomene zugerechnet werden. Eine besondere Beachtung schenken neue Forschungen dabei den katholischen Vereinen und Verbänden: Diese erscheinen als „Institutionen“ mit der Funktion, zu einem „Milieustandard“ hinzuführen und diesen aufrecht zu erhalten.7 Die allgemeine Bedeutung der Vereinsbildung ist allerdings schon länger erkannt: Das den Modernisierungsprozess begleitende Vereinswesen bildete ein typisches Organisationsphänomen der modernen Welt, eine Reaktion auf die Vereinzelungsprozesse des modernen Lebens.8 6

Definition des Arbeitskreises für kirchliche Zeitgeschichte (Münster), zitiert nach Antonius Liedhegener, Christentum und Urbanisierung. Katholiken und Protestanten in Münster und Bochum 1830-1933, Paderborn u.a.1997, S. 42 f.; weniger stringent die perspektivischen Definitionsmerkmale bei Olaf Blaschke / FrankMichael Kuhlemann, Religion in Geschichte und Gesellschaft. Sozialhistorische Perspektiven für die vergleichende Erforschung religiöser Mentalitäten und Milieus, in: dies.(Hg.), Religion im Kaiserreich. Milieus – Mentalitäten – Krisen, Gütersloh 1996, S. 7-56, hier 29-34: „soziale Stratifikation“ und Kommunikation, „kultur- und mentalitätsgeschichtliche Perspektive“, „Ritualisierung des Alltagslebens.“

7

Christoph Kösters, Katholische Verbände und moderne Gesellschaft. Organisationsgeschichte und Vereinskultur im Bistum Münster 1918-1945, Paderborn u.a. 1995.

8

Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1998, S. 267-271; vgl. für die katholischen Vereine Heinz Hürten, Kurze Geschichte des deutschen Katholizismus 1800-1960, Mainz 1986, S. 79108; regionales Beispiel: Winfried Becker, Der politische Katholizismus in Rheinland-Westfalen vor 1890. Programmatische Entwicklung und regionale Verankerung, in: Kurt Düwell und Wolfgang Köllmann (Hg.), Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter, Bd. 1, Von der Entstehung der Provinzen bis zur Reichsgründung, Wuppertal 1983, S. 271-292; Ernst Heinen, Katholizismus und Gesellschaft. Das katholische Vereinswesen zwischen Revolution und Reaktion (1848/491853/54), Idstein 1993; anstelle der Vereine kannte die vorrevolutionäre Welt ein

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Als Gegenpole der Milieubildung betrachten einige Autoren die großen, umfassend angesetzten Tendenzen der Modernisierung mit ihrem Trend zur Individualisierung. Darunter verstehen sie die Prozesse der Industrialisierung, der Urbanisierung mit Wanderungs- und Migrationsbewegungen, der Säkularisierung und, für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, die durch die Massenmedien geförderten Vereinheitlichungs- und Veränderungsprozesse des kulturellen Lebens. Die unumgängliche Pluralisierung der Gesellschaft, die daraus folgende Aufkündigung eingeübter oder gewohnter Verbindlichkeiten haben gemäß einer weit verbreiteten These zum „Abschmelzen des katholischen Milieus“ geführt.9 Die universellen Trends werden an regionalen Beispielen illustriert, etwa an der Interdependenz von Industrialisierung und Veränderung des kirchlichen Lebens im westfälischen Industriegebiet. Dabei zeigt sich, dass das Verschwinden des Milieus ein Befund der jüngsten Zeitgeschichte ist, während die genannten Prozesse zunächst zur Verdichtung oder erst zum Entstehen des Milieus geführt haben. So wurde nachgewiesen, dass die Industrialisierung die „katholische Kirchlichkeit in Bochum nicht wesentlich zurückdrängen, geschweige denn aushöhlen“ konnte: Der Kirche und deren gesellschaftlich aktiven Organen, den Priestern, gelang es angesichts der sozioökonomischen Herausforderungen, die Gläubigen und ihre „Lebenswelt“ unter veränderten Umständen wieder für die Kirche zu gewinnen und den „kirchlich-religiösen Deutungsmustern“ erneut zur „Akzeptanz“ zu verhelfen.10 Die hier berücksichtigten sozialen und ökonomischen Wandlungen verweisen auf weitere wichtige theoretische Ansätze. Die Entstehung der Milieus wird abhängig gemacht von sog. Hauptkonfliktlinien, die die sozialkulturellen Phänomene überlagern: Besonders die Gegensätze von Staat und Kirche, Zentrum und Peripherie, Stadt und Land, Arbeit und Kapital, wirkten sich im 19. Jahrhundert zusätzlich und verschärfend auf die Ausbildung sozialkultureller Identitäten aus.11 Die Region bietet ein begrenztes und darum methodisch dankbares Beobachtungsfeld für die milieubildenden Wandlungsprozesse. Allerdings wurden viele Regionen, so weite Gebiete Ostdeutschlands oder Bayerns, von der verbindliches „kulturelles Ordnungsgerüst“. Vgl. Walter Hartinger, Die bayerische Dorfverfassung und ihre Auswirkungen auf die sogenannte Volkskultur der Frühen Neuzeit, in: Jahrbuch für Volkskunde 28 (2005), S. 51-72, 57. 9

Michael Klöcker, Katholisch – von der Wiege bis zur Bahre. Eine Lebensmacht im Zerfall?, München 1991, S. 28-35.

10 Liedhegener (wie Anm. 6), S. 584 f. 11 Vgl. zu diesem theoretischen Ansatz: Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte in Münster, Konfession und Cleavages im 19. Jahrhundert. Ein Erklärungsmodell zur regionalen Entstehung des katholischen Milieus in Deutschland, in: Historisches Jahrbuch 120 (2000), S. 358-395, 374. Das diesem Kollektiv-Aufsatz beigegebene umfangreiche Literaturverzeichnis erwähnt nicht die Veröffentlichungen der bekannten Katholizismus-Forscher Heinz Hürten, Rudolf Morsey, Heribert Raab und Anton Rauscher.

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Industrialisierung und deren gesellschaftlichen Wandlungen erst verspätet erfasst. Wie stand es mit dem katholischen Milieu traditionaler Agrargesellschaften? Die Untersuchung der Regionen kann auch zeigen, dass und inwieweit die katholische Milieubildung in Korrelation zu den die evangelischen Kirchen umgebenden konfessionellen Milieus stand. Deren Rekrutierungsgebiete lagen meist in Nord- und Ostdeutschland und zerfielen, mehr als ihre katholischen Pendants, in getrennte Milieus für die Unter-, die Mittel- und die Oberschichten, bezogen häufig die herrschenden Verwaltungs- und Politik-Eliten mit ein. Die Milieus der konfessionell gemischten Gebiete, vollends der Diasporagebiete, unterschieden sich von den konfessionell geschlossenen katholischen oder evangelischen Regionen, die aus den 1555 und 1648 legitimierten Territorien landesfürstlicher Kirchenhoheit hervorgegangen waren. Je nach dem Mischungsverhältnis der Konfessionen in bestimmten Gebieten und den dort herrschenden historischen, sozialen und politischen Verhältnissen fanden auch Interaktionen zwischen den konfessionellen Milieus statt. Sie reichten von offensiver Auseinandersetzung bis hin zu Formen der Zusammenarbeit. Teils wurde die Mischung der Konfessionen aus ideologischen Gründen vom Staat bewusst gefördert. So nahm der NS-Staat den Westwallbau zum Anlass, im katholischen westlichen Grenzland (Saargebiet) evangelische Arbeiter und Ingenieure anzusiedeln, um seine spezifische Vorstellung von Volksgemeinschaft zu verwirklichen. Das bekanntere, von den politischen Verhältnissen erzwungene Beispiel bietet die Durchmischung der konfessionellen Milieus in Westdeutschland nach 1945 aufgrund der beim Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzenden Vertreibungs- und Flüchtlingswellen. Sie veränderte die bisher in den großen Territorien (mit beachtlichen Ausnahmen vor allem in den Städten) meist stabil-statische Konfessionsverteilung der Bevölkerung auf dem nun zur Bundesrepublik Deutschland gehörenden Gebiet und durchlöcherte die Geschlossenheit der katholischen und protestantischen Milieus bzw. „traditionalen Lebenswelten.“ Nebenbei lässt sich aus dieser millionenfachen Migration, die zur geglückten Integration der oft hoch qualifizierten Zugewanderten gleicher Sprache und Abstammung führte, ein Argument gegen die These ableiten, die frühe Bundesrepublik sei ein restauratives Staatsgebilde gewesen. In den Regionen lässt sich auch die Bindekraft des Milieus nachprüfen, das, idealtypisch gesehen, verschiedene soziale Schichten und Klassen umfing. Hier liegt ein großes Problem für die Anwendbarkeit und Tragfähigkeit des Milieu-Begriffs. Gelang es den konfessionellen Bindekräften im 19. und frühen 20. Jahrhundert, die Arbeiterschaft, die in sich differenzierte ländliche Bevölkerung, das höhere Bürgertum, die Akademiker, die Beamten und den Adel, dazu Stadt und Land, zu einem Milieu gleicher Konfession zusammenzuschließen, das von einheitlichen Lebensvollzügen, festen kirchlichen Normen, Ritualen und Organisationen durchwirkt war? Heute ist davon jedenfalls wenig mehr zu spüren: Die

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SINUS-Umfragen, die nach der sozialen Lage, den „Lebenswelten“ und nach „grundlegenden Einstellungs- und Wertmustern“ bei den verschiedenen Alterskohorten fragen, konstatieren eine starke Selbstbezogenheit vor allem bei der Jugend; Kirche werde ganz überwiegend als ein Milieu wahrgenommen, von dem es sich abzugrenzen gelte.12 Die katholische Pastoral hat diese Analysen zur Untersuchung ihrer aktuellen Wirkmöglichkeiten flugs rezipiert. Sie problematisiert aber kaum die Verwendbarkeit der diesen Umfragen zugrundeliegenden „gesellschaftsdiagnostischen Paradigmen“ für ihre Zwecke sowie die Tatsache, dass die Forschungsgruppe SINUS einen ursprünglich in der Konsumforschung entwickelten Milieubegriff auf die Parteienforschung (zunächst der SPD) übertrug und andere sozialwissenschaftliche Forschungen ohnehin von der Erosion der Milieus in der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ der Bundesrepublik ausgehen. Das Kriterium des Lebensstils für Milieu-Analysen könnte in Zeiten der Wirtschaftskrise von Frage-Kriterien überlagert werden, die auf wirklich existenzielle Probleme zielen und für die die Religion eher Antworten hat als das Marketing oder die Parteiprogramme. Soll aus dem Schwinden des katholischen Milieus und der damit einhergehenden Entkirchlichung der Schluss gezogen werden, die Vorstellung der früheren Volkskirche aufzugeben und zum Rückzug auf kleine Kerngemeinden und Basisgruppen aktiv Gläubiger zu blasen? Der Versuch einer einigermaßen angemessenen Antwort auf diese Frage erfordert es, Vorfragen zur historischrationalen Klärung zu stellen: War das Milieu im 19. und 20. Jahrhundert immer so dicht und konsistent, war das Vorbild einer triumphierenden, fest in der Gesellschaft verankerten Volkskirche so ausgeprägt, dass die Vorstellung einer erdrutschartig erst seit dem Ende der 1960er Jahre einsetzenden Entkirchlichung als historisch gesicherte These gelten kann? Andererseits: Vermag der Blick auf das historische Milieu Ansatzpunkte zu einer Eigendiagnostik der gesellschaftlichen Lage der Kirche zu vermitteln, dh. die Sinus-Fragestellungen zu erweitern oder abzuwandeln und zur Ermittlung von Fragerastern anzure12 Hans Hobelsberger, „Mit der Kirche glänzen wollen“. Die Bedeutung der Sinus Milieustudie für die Jugendpastoral, in: Lebendige Seelsorge 57/4 (2006), S. 270277, 272f.; vgl. Milieuhandbuch. „Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus 2005“, im Auftrag der Medien-Dienstleistung GmbH. [Projektleiter Carsten Wippermann], München 2005; Deutsche Shell (Hg.) / Klaus Hurrelmann (Koordination), Jugend 2002 zwischen pragmatischem Idealismus und robustem Materialismus, Frankfurt a. M. 2002; Shell Deutschland Holding (Hg.), Jugend 2006. Eine pragmatische Generation unter Druck, Bonn 2006. Vgl. zu den im Folgenden erwähnten Ansätzen der SINUS-Gruppe Ulrich von Alemann, Parteien und Gesellschaft in der Bundesrepublik. Rekrutierung, Konkurrenz und Respondivität, in: Heinrich Oberreuter / Alf Mintzel (Hg.), Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, München 1990, S. 84-125, hier 93-100 mit Verweis auf die Forschungen von Peter Gluchowski und Hans-Joachim Veen. Gluchowski knüpft unter anderem an die Arbeiten zum Wertewandel des Postmaterialismus-Vertreters Robert Inglehart an.

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gen, die dem religiösen Gegenstand mehr adäquat sind? Ein sehr geraffter Überblick kann nur ansatzweise Auskunft geben, aber schon auf einschlägige Arbeiten verweisen: Wann entstanden die katholischen Milieus in Deutschland und welche grundlegenden Veränderungen durchliefen sie? Diese Frage soll aber nicht zuerst praxisbezogenen Erwägungen entspringen, sondern der von Lepsius aufgezeigten historischen Dimension der Milieutheorie nachgehen.

2. MILIEUBILDUNG: HISTORISCH Während der Zeit des Vormärz sahen sich aufgrund der Großen Säkularisation breite katholische Bevölkerungsteile unter protestantische Obrigkeiten versetzt, die das kirchliche Leben einengenden Bestimmungen unterwarfen. Die Prachtentfaltung, die weltliche Herrschaft und das historische Existenzrecht der alten Reichskirche waren dahingesunken, ebenso die von ihr geschaffenen Milieus, die breite Verankerung in fast allen Gesellschaftsschichten und die Präsenz in politischen Entscheidungszentren.13 Infolge der napoleonischen Kriege und der staatlichen Umwälzungen lagen katholisches Leben, Erziehung und Bildung vielfach darnieder. Schon wegen der Vakanz vieler Bischofsstühle, der vom Deutschen Bund nicht angepackten Neuregelung der Kirchenfragen und der für die Katholiken vielfach unbefriedigenden staatskirchlichen Verhältnisse innerhalb der neoabsolutistischen Länder erheben sich Zweifel gegenüber der etwas statisch anmutenden Behauptung, in der Zeit der Restauration und des Vormärz habe eine nunmehr unter bürgerlichen Bischöfen stehende, „ultramontan“ ausgerichtete, eine „Beichtstuhlmoral“ verbreitende „straffe Kirchlichkeit“ vorgeherrscht, die als die Geburtsstunde des katholischen Milieus gelten könne.14 Der Deutsche Bund beließ die Regelung der Konfessionsverhältnisse den Einzelstaaten und schuf keine zentrale Verbindung von Thron und Altar wie das 13 Vgl. etwa für Hessen-Darmstadt: Alfred Bang-Kaup unter Mitwirkung von Wilhelm Kastell, Die Pfarrchronik von St. Ludwig in Darmstadt 1790-1945, Mainz 1957, S. 13 f. Während die alte Reichskirche mit ihren sakralen Schätzen das Volk zu beeindrucken vermochte, erzwang die Säkularisation einen gewissen Purismus. Vgl. Johann Michael Fritz, Schicksale liturgischer Geräte und Gewänder, in: Friedrich W. Riedel (Hg.), Kirchenmusik zwischen Säkularisation und Restauration, Sinzig 2006, S. 361-376. Auf die vielen landesgeschichtlichen Ausstellungskataloge und Sammelbände zur hundertjährigen Erinnerung an die heute aus historischer Sicht eher als Verlustgeschichte verbuchte Große Säkularisation (mit ihren quasi revolutionären Enteignungen) sei hier nur kursorisch hingewiesen. 14 Klöcker (wie Anm. 9), S. 28 f. Im Hintergrund steht die Anwendung der bekannten Kategorien Max Webers auf das „Herrschaftsgebilde“ Kirche. Vgl. Michael N. Ebertz, Herrschaft in der Kirche. Hierarchie, Tradition und Charisma im 19. Jahrhundert, in: Gabriel/Kaufmann (Hg.), Zur Soziologie (wie Anm. 5), S. 89-111, 92.

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restaurative Frankreich.15 Wo die katholische Kirche staatlichen Rückhalt hatte, so in dem von der Säkularisation weniger betroffenen Österreich16 oder in Bayern, musste die kirchliche Erneuerung mit starken josephinischen oder liberalen Einflüssen kämpfen und konnte die staatlichen Zugriffe auf Klöster und kirchliche Schulen kaum abwehren. Von erstrangiger Bedeutung für den Aufbau katholischer Milieus war in Bayern, dass die katholischen Volksschulen beibehalten wurden, weil der Staat auf die Dauer neben der wissensorientierten die religiös-sittliche Erziehung der Heranwachsenden nicht vernachlässigen wollte, und vor allem dass er aus verschiedenen Gründen, z. B. der Sparsamkeit, die Erziehung der weiblichen Jugend den Englischen Fräulein und anderen Frauenorden überließ.17 Sonst verdankte sich die Entstehung eines Sozialgestalt gewinnenden Gemeinschaftsgefühls der Katholiken vor allem zielgerichteter eigener Aktivität: den publizistischen Anstrengungen18 und den Zusammenkünften kirchlich gesinnter Erneuerungskreise, die in Mainz, Münster, München, Landshut, Wien und anderen Städten zusammentraten. Ein Weckruf ging mit der Streitschrift „Athanasius“ in die Lande. Der Münchner Hochschullehrer Joseph Görres verfasste sie aus Anlass des Kölner Mischehenstreits.19 Görres wandte sich an König Ludwig I. von Bayern, um diesen als Anwalt gegen das preußische Königtum und das evangelische Staatskirchentum zu werben. Er suchte Anlehnung an das Staatsterritorium Bayern und dessen katholisches Volk, um ein Gegengewicht gegen die sich bereits abzeichnende Hegemonie Preußens und des evangelischen Staatskirchentums zu gewinnen. Görres setzte frühzeitig das Instrument der Erinnerungskultur ein, verdeutlichte seine Positi15 Vgl. Michael Burleigh, Earthly Powers. The Clash of Religion and Politics in Europe from the French Revolution to the Great War, New York 2005, S. 112142. 16 Vgl. Rudolf Lill, Reichskirche – Säkularisation – Katholische Bewegung. Zur historischen Ausgangssituation des deutschen Katholizismus im 19. Jahrhundert, in: Anton Rauscher (Hg.), Der soziale und politische Katholizismus. Entwicklungslinien in Deutschland 1803-1963, München 1981, S. 15-45, 33 f. 17 Vgl. Christl Knauer, Frauen unter dem Einfluss von Kirche und Staat. Höhere Mädchenschulen und bayerische Bildungspolitik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, München 1995; Max Liedtke, Gesamtdarstellung, in: Ders. (Hg.), Handbuch der Geschichte des Bayerischen Bildungswesens, Bd. 2, Geschichte der Schule in Bayern. Von 1800 bis 1918, Bad Heilbrunn 1993, S. 11-133, 69 ff. 18 Vgl. Bernhard Schneider, Katholiken auf die Barrikaden? Europäische Revolutionen und die deutsche katholische Presse 1815-1848, Paderborn u.a. 1998, S. 377379. 19 Vgl. Heinz Hürten (Bearb.), Athanasius, Paderborn u.a. 1998 (erschienen zuerst Regensburg 1838); Markus Hänsel-Hohenhausen, Clemens August Freiherr Droste zu Vischering. Erzbischof von Köln 1773-1845. Die moderne Kirchenfreiheit im Konflikt mit dem Nationalstaat, Bd. 1-2, Egelsbach bei Frankfurt a. M. 1991; Heribert Raab (Hg.), Joseph Görres. Schriften der Straßburger Exilszeit 18241827. Aufsätze und Beiträge im „Katholik“, Paderborn u.a. 1987.

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on durch Rückgriffe auf die Geschichte und die Philosophie. Sein Beispiel zeigt, dass intellektuelle Anstrengung und politisches Wirken notwendig waren, um nach den verheerenden Folgen der Revolutionsära den Aufbau eines eigenen Milieus zu betreiben oder nur die religiöse Erziehung wieder in Gang zu bringen. Katholische romantische Denker traten als erste Anwälte sozialer Gesinnung auf, machten auf die von Verelendung bedrohten Unterschichten aufmerksam, die von den Regierungen und den Trägern des liberalen Fortschrittsdenkens arg vernachlässigt wurden. So zeichnen sich beim Entstehen des katholischen Milieus und Bewusstseins im Vormärz neben den endogenen Aktivitäten schon drei „Hauptkonfliktlinien“ ab: Die Konflikte zwischen Staat und Kirche, zwischen Peripherie und Zentrum (Preußen – Bayern, Berlin – Westfalen/Rheinlande), zwischen „Proletairs“ und Fabrikherren im Reflex der Schriften etwa Franz von Baaders und Adam Müllers. Mit den intellektuellen Anstrengungen paarten sich einprägsame alltagskulturelle Rituale: Die Wallfahrt zum Hl. Rock in Trier transformierte älteres Brauchtum in eine neue Zeit, indem sie den Charakter einer für die Obrigkeit ungewohnten Massendemonstration annahm. Die Revolution von 1848 verkündete die Befreiung aus den Fesseln des Staatskirchentums. Laien, Klerus und Bischöfe nutzten die Gelegenheit, mit Rufen nach mehr Freiheit für die Kirche und in der Kirche öffentlich hervorzutreten.20 Sie trafen eine zukunftweisende Entscheidung, wenn sie im Rahmen der Grundrechte Freiheit für die Kirche forderten, diese moderne Verfassungsmaxime damit auf das christliche Leben erstreckten. Aber auch innerkirchliche Bestrebungen regten sich, die mehr Freiheit in der Kirche verlangten. Die Einrichtung von Synoden und Pastoralkonferenzen sollte zur Intensivierung eines freier ablaufenden kirchlichen Lebens führen; das wäre der Stärkung des eigenen Milieus zugute gekommen. Aber die Revolution scheiterte, nachdem die kirchlichen Forderungen erste Konflikte mit den Liberalen hervorgerufen hatten. Drei wichtige Folgen sind dennoch zu verzeichnen. Erstmals entstanden mit dem Katholischen Klub in der Paulskirche und mit der Katholischen Fraktion im Preußischen Abgeordnetenhaus parlamentarische Milieus eines politischen Katholizismus. Zugleich wurde der Grundstock für die Vereinsbewegung gelegt, am sichtbarsten im Milieu der jährlich zusammentretenden katholischen Vereine, das schließlich den Unterbau für die parlamentarischen Vertretungen 20 Vgl. zuletzt Hermann-Josef Scheidgen, Der deutsche Katholizismus in der Revolution von 1848/49. Episkopat – Klerus – Laien – Vereine, Köln-Weimar-Wien 2008; Winfried Becker, Bürgerliche Freiheit und Freiheit der Kirche im Epochenjahr 1848, in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 1998, Köln o.J. [1999], S, 47-69; aus einer aktuellen Sicht: Bernhard Vogel (Hg.), Im Zentrum: Menschenwürde. Politisches Handeln aus christlicher Verantwortung. Christliche Ethik als Orientierungshilfe, 2. Aufl. Berlin 2006.

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bildete. Die Domstadt Mainz, ein historischer Vorort des katholischen Deutschland, sah in ihren Mauern die erste Generalversammlung der katholischen Vereine, den ersten Katholikentag. Mainz galt seither auch als die „Geburtsstadt der katholischen Demokratie.“ Der Katholikentag trat jährlich abwechselnd in großen Städten zusammen. Seine vielen Besucher belebten das Weichbild der Städte. Sie trugen farbige Rosetten und Anstecknadeln, strömten am Tag in die Kirchen und frönten des Abends einer lebhaften Geselligkeit in den Wirtshäusern.21 Drittens zeichnete sich bereits der politisch und sozial integrale Charakter der katholischen Bewegung ab. Der liberale Revolutionshistoriker Veit Valentin brachte ihn ebenso knapp wie eindringlich auf den Punkt: „Die werdende katholische Partei ist zugleich konservativ, liberal, sozial und demokratisch“; gefördert von Adligen, sei sie zugleich bauern-, mittelstands- und arbeiterfreundlich, sie wende sich aber aus religiös-irenischem Geist gegen jede sozialrevolutionäre Gewaltanwendung.22 Vorwiegend aufgrund des politischen Drucks, den die neoabsolutistischen Staaten des Deutschen Bundes ausübten, gaben die Vereine, zumal die Piusvereine, ihren politischen Charakter auf. Sie wurden genötigt, sich vorrangig oder ausschließlich religiösen und karitativen Aufgaben zu widmen: der Organisation von Wallfahrten und Volksmissionen, der Berufung von Schul- und Krankenpflegeorden, der Armen- und Krankenspeisung oder der Unterstützung reisender Handwerksburschen. Schweren Eintrag tat ihnen die reaktionäre Vereinspolitik Preußens und Bayerns (1850). Um 1849 gehörten durchschnittlich 7,8 % der Katholiken Württembergs den Piusvereinen an – bei bedeutenden, schwer erklärlichen Unterschieden zwischen Stadt und Land und auch zwischen einzelnen Landgemeinden.23 Der Mobilisierungsgrad dürfte über dem der katholischen Regionen Preußens gelegen haben. Der österreichische Staat ließ der katholischen Kirche Förderung durch das Konkordat von 1855 angedeihen. Doch standen vor allem das Wiener Bürgertum und die Bürokratie unter den Nachwirkungen des Josephinismus und verbreiteten religiöse Indifferenz.24 Die österreichischen Liberalen kämpften ge21 Marie-Emmanuelle Reytier, Die zeremonielle Gestaltung der Katholikentage als „Herbstparaden“ des Zentrums, in: Andreas Biefang, Michael Epkenhans, Klaus Tenfelde (Hg.), Das politische Zeremoniell im Deutschen Kaiserreich 1871-1918, Düsseldorf 2008, S. 305-323. 22 Zitiert nach Hans Joachim Meyer, Die deutschen Katholiken und die Demokratie, in: Ulrich von Hehl / Friedrich Kronenberg (Hg.), Zeitzeichen. 150 Jahre Deutsche Katholikentage 1848-1998, Paderborn u.a.1999, S. 11-14, 12; vgl. Heinz Hürten, Spiegel der Kirche – Spiegel der Gesellschaft? Katholikentage im Wandel der Zeit, Paderborn u.a. 1998. 23 Stefan J. Dietrich, Christentum und Revolution. Die christlichen Kirchen in Württemberg 1848-1852, Paderborn u.a. 1996, S. 300 f., 313. 24 Gottfried Mayer, Österreich als katholische Großmacht. Ein Traum zwischen Revolution und liberaler Ära, Wien 1989, S. 210.

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gen das Konkordat und trugen dadurch zur Bildung einer katholischen Volksbewegung bei. In Linz an der Donau entstand 1869 aus dem Zusammenwirken von Priestern und Laien die Keimzelle des Katholischen Volksvereins, der bald zur Massenorganisation und zur stärksten politischen Gruppe Oberösterreichs anwuchs. 1884 konnte er die Landesregierung übernehmen.25 Seit 1866 mussten allerdings der deutsche und der österreichische Katholizismus getrennte Wege gehen. Das Ausscheiden der „katholischen Großmacht“ Österreich aus dem deutschen Staatsverband raubte den Katholiken im Norddeutschen Bund eine wichtige moralische Bastion und wurde als Schock empfunden.26 Den deutschen Katholiken trat nun ihre Minderheitssituation unter Preußens Vormacht deutlich vor Augen. Eine ähnliche Erfahrung hatten die katholischen Abgeordneten schon 1848 in der Paulskirche und in der preußischen Nationalversammlung machen müssen. Viele Forschungen stimmen darin überein, dass sie dem Kulturkampf eine wichtige Funktion für die „Verdichtung“ katholischer Regionalmilieus zuweisen: so für Münster in Westfalen27 und für die katholischen Regierungsbezirke in Bayern.28 Doch im Emsland hatte sich „die organisatorische Gestalt des katholischen Milieus“ schon vor 1870 gefestigt, um sich im Kulturkampf nur weiter zu stabilisieren.29 Dieses Forschungsergebnis lässt die Interpretation zu, dass nicht nur die Konfliktfelder milieubildend wirkten, sondern auch die Phasen ungestörter Einnistung, z. B. die positive Anteilnahme von Katholiken an der liberalen Bewegung des frühen 19. Jahrhunderts in Gestalt von vielerlei organisatorischen Bemühungen, die zur Gründung von Schulen, Vereinen, Zeitungen und zu zahlreichen Niederlassungen von Männer- und Frauenorden führten. Im Kulturkampf war der Erfolg der Solidarisierung auf der Ebene begrenzter Regional- oder Lokalmilieus dadurch beeinträchtigt, dass die Katholiken nun allgemein als rückständige „Reichsfeinde“ und Staatsbürger zweiter Klasse galten. Überspitzt ließe sich sagen: Was aus der Perspektive des Milieus als Errungenschaft zu verbuchen ist, bedeutet aus einer anderen, die Relevanz

25 Harry Slapnicka, Das Entstehen der Katholischen Volksbewegung, in: Rudolf Zinnhobler in Zusammenarbeit mit Harry Slapnicka / Peter Gradauer (Hg.), Bischof Franz Joseph Rudigier und seine Zeit, Linz 1987, S. 111-118. 26 Christian Rak, Krieg, Nation und Konfession. Die Erfahrung des deutschfranzösischen Krieges von 1870/71, Paderborn u.a. 2004, S. 310-313. 27 Liedhegener (wie Anm. 6), S. 151-164. 28 Z.B. Unterfranken. Vgl. die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München liegenden Regierungspräsidentenberichte aus Würzburg, MInn 38968. 29 Maria Anna Zumholz, Das Emsland – ein antisemitisches katholisches Regionalmilieu?, in: Emsländische Geschichte 12, Haselünne 2005, S. 72-132, 89.

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des Ganzen ins Auge fassenden Sichtweise zugleich den Weg ins Ghetto:30 Eine Ambivalenz von innerer Kohäsion und äußerer Isolierung tat sich auf. Die national-progressiven Kulturliberalen konnten sich in ihrem Vorurteil über die rückständigen Katholiken bestätigt fühlen, wenn sie auf deren Präsenz in den ländlichen und kleinstädtischen Räumen blickten, während aus politischen und wirtschaftlichen Gründen die städtischen Zentren anwuchsen. Sie definierten das fortschrittliche Erscheinungsbild der neuen nationalen Kultur des Hohenzollernreiches ohne die Katholiken, ja im Gegensatz zu deren angeblich hierarchischem und klerikalem Weltbild und zimmerten sich ein gegen die katholischen Regionalmilieus gerichtetes protestantisches „konfessionelles Staatsmilieu.“31 Die Betroffenen antworteten mit einer Selbsthilfe, die dem Vorwurf der Zeitgenossen entgegentrat, sie seien in Unfreiheit gefangen und verweigerten sich den hehren Kulturaufgaben der Nation. Die katholischen Regionalmilieus im Westen, Südwesten, Süden und Osten des Reiches generierten die sichere soziale Basis der 1871 gegründeten Deutschen Zentrumspartei, die während des Kulturkampfes eine Platz in der modernen Verfassungsinstitution des Reichstages gewann und sich zu einer politischen Kraft sui generis entwickelte. Mit der föderalistisch organisierten Zentrumspartei trat ein neues parlamentarisches und Partei-Milieu ins Leben, das die politisch divergierenden Katholizismen der früheren Regionalmilieus zu einer repräsentativen und zentralisierenden Kraft bündelte. Dass der Katholizismus mit dieser Parteibildung zur Modernisierung des politischen Lebens beitrug, unterliegt keinem ernsthaften Zweifel. Denn dessen parlamentarische Arbeit erschöpfte sich keineswegs in innerer Autonomie, sondern konfrontierte die Abgeordneten mit wichtigen Fragen der inneren und äußeren Politik und erlegte ihnen die Zusammenarbeit mit Andersgesinnten auf. Über die Brücke der „Sachpolitik“ nahmen die Zentrumsparlamentarier diese Herausforderung an. Vordergründig bleibt das Argument, die Homogenisierung auf politischer und sozialer Ebene habe einen tragischen Bruch mit dem liberalen Katholizismus herbeigeführt und die moderne „Freisetzung des Individuums in unterschiedliche Rollenbezüge“ hintangehalten.32 Der katholische Bevölkerungsteil wurde vielmehr unsanft in die Zugzwänge des sich modernisierenden politischen Lebens gerissen. Blieb ihm eine andere Wahl? Bismarck hat geglaubt, die Zentrumsfraktionen im Reichstag und Preußischen Landtag geradezu wie feindliche Heerscharen bekämpfen zu müssen. Die sich aus ihrem Milieu politisch hervorwagenden Katholiken nutzten die ihnen aufgezwungene Konfrontation zur Sammlung. Die Zunahme 30 Vgl. (nicht nur für die Schweiz) Urs Altermatt, Der Weg der Schweizer Katholiken ins Ghetto. Die Entstehungsgeschichte der nationalen Volksorganisationen im Schweizer Katholizismus 1848 – 1919, 3. Aufl. Freiburg/Schweiz 1995. 31 Zumholz, Das Emsland (wie Anm. 29), S. 91; vgl. ähnlich für die Schweiz Altermatt, Katholische Subgesellschaft (wie Anm. 5), S. 159 f. . 32 Liedhegener (wie Anm. 6) S. 164.

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der Spannungsfelder im Kulturkampf machte Neupositionierungen nötig, um auf die verschiedenen Herausforderungen angemessen zu reagieren. Wirksam waren hier gemäß dem eingang angedeuteten Cleavage-Schema die Gegensätze zwischen Staat und Kirche, Zentrum und Peripherie (in gewissem Sinne auch zwischen Preußen und Bayern), Stadt und Land bzw. Hauptstadt und Provinz (Berlin – Rheinprovinz), aber der weltanschauliche und konfessionelle Gegensatz fallen aus diesem Raster heraus. Der politische Katholizimus adoptierte nun moderne parlamentarische und publizistische Organisationsformen, leistete so über die eigene Interessenvertretung hinaus einen Beitrag zum politischen, sozialen und kulturellen Pluralismus der Moderne. Ihren Höhepunkt dürfte die katholische Milieubildung im nachbismarck‘schen Kaiserreich, etwa zwischen 1890 und 1914, erreicht haben. Viele Vereinsaktivitäten konnten aus der Verborgenheit, ja Verfolgung heraustreten, obwohl die gesetzlichen Restriktionen der Vereinstätigkeit bis zum Reichsvereinsgesetz von 1908 und darüber hinaus bis 1918 andauerten. 1890 wurde der mitgliederstarke Volksverein für das katholische Deutschland gegründet.33 Zusammen mit den Christlichen Gewerkschaften und den katholischen Arbeitervereinen widmete er sich vor allem der Bildung der katholischen Arbeiter. Er gewann seine Schwerpunkte im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, während viele Katholiken in Bayern von der Implantierung des Volksvereins die preußische Überfremdung befürchteten. In Schlesien behinderte der gouvernemental gesinnte Fürstbischof Georg Kopp den Aufbau des Vereins. Weitere katholische Standesorganisationen sorgten für die konfessionelle Erfassung der Binnenstrukturen der Gesellschaft, für die Ausbildung katholischer „couches sociales“ in den vom sozialen Wandel erfassten oder neuen Berufsgruppen der Angestellten, des Mittelstandes, der Bauern und der Akademiker. Die Angebote katholischer Standesorganisationen reichten von den Vereinen für Hausangestellte über die Christlichen Bauernvereine bis zu den Studentenverbindungen und zur Görres-Gesellschaft, der 1876 gegründeten Organisation zur Förderung katholischer Gelehrter. Während der Volksverein in seiner Blütezeit Ende Juni 1914 im Reichsdurchschnitt 13,6 % Männer und 5,18 % der Frauen katholischer Konfession zu seinen Mitgliedern zählte, waren 1911/12 ca. 40 % der katholischen Studenten in ihren Korporationen organisiert – eine sehr hohe Quote, die dem Kern der bekenntnistreuen katholischen Universitätsstudenten entsprochen haben wird.34 Die Vereine der Großstädte fingen die zu den indus33 Tabellen über die Mitgliederzahlen bei Gotthard Klein, Der Volksverein für das katholische Deutschland 1890-1933. Geschichte, Bedeutung, Untergang, Paderborn u.a. 1996, S. 420 ff. 34 Christopher Dowe, Auch Bildungsbürger. Katholische Studierende und Akademiker im Kaiserreich, Göttingen 2006, S. 315 f.

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triellen Arbeitsplätzen strebenden ländlichen Zuwanderer auf und vermittelten ihnen Geborgenheit. Der bedeutendste Vorort des katholischen Vereinswesens wurde Köln. „Der kölnische Katholizismus wandelte sich in den beiden Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg von einem eng geknüpften Netzwerk eines Honoratiorenkatholizismus zu einem breitgelagerten, verbundenen und vom Klerus beaufsichtigten Vereinskatholizismus.“35 Schon auf den örtlichen Ebenen bildeten sich mehrere katholische Milieus und Untermilieus aus, ob sie „als verdichtete Räume sozialer Kommunikation“ oder bereits „als durch kollektive Sinndeutung organisierte gesellschaftliche Großgruppen“ zu definieren waren.36 Kontrovers blieb bisher der Forschungsstand über das Verhältnis der katholischen Gruppen oder Milieus zu der Gesellschaft und zu dem Staat, die sie umgaben. Während die ältere Forschung meist vom Sonderweg der deutschen Katholiken im Kaiserreich ausging, betont eine neue Tübinger Dissertation aus der Schule von Dieter Langewiesche den hohen Grad der Integration der katholischen Akademiker und Bildungsbürger ins Kaiserreich und verwirft sogar den Milieubegriff, um nicht aus der Konfessionszugehörigkeit „a priori die alles dominierende gesellschaftliche Dimension“ zu machen und so nicht ins Gegenteil jener „Konfessions- und Religionsblindheit“ zu verfallen, die eine ältere, nationalistische Geschichtsschreibung sich zu eigen gemacht habe37 – eine Absage an Lepsius‘ Milieutheorie. Nicht so weit geht die neue Untersuchung von Siegfried Weichlein. Der Autor meint, dass zumindest für das Bismarckreich eine Konsensbildung auf nationalliberaler Grundlage noch nicht gelungen sei, und plädiert für ein Modell der „Integration durch Konflikt“. Eine „Dynamik kollektiver, reichsweiter Auseinandersetzungen“, begünstigt durch die „Entgrenzung von Wahrnehmungsräumen“ infolge der Verbesserungen der technischen Kommunikation mit Post und Bahn, habe die verschiedensten „Konfliktparteien“ erfasst und einander angenähert. Über die einzelnen Regionen hinweg hätten konfligierende und gleichgesinnte Partner zueinander finden

35 Ernst Heinen, Der Kölner Katholikentag 1894, in: Gisela Fleckenstein / Michael Klöcker / Norbert Schloßmacher (Hg.), Kirchengeschichte. Alte und neue Wege. Festschrift für Christoph Weber, Frankfurt a. M. 2008, S. 643-676, 649. 36 Christoph Kösters / Antonius Liedhegener, Historische Milieus als Forschungsaufgabe. Zwischenbilanz und Perspektiven, in: Johannes Horstmann / Antonius Liedhegener (Hg.), Konfession, Milieu, Moderne. Konzeptionelle Positionen und Kontroversen zur Geschichte von Katholizismus und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Schwerte 2001, S. 15-25, 24; Wilfried Loth, Milieus oder Milieu? Konzeptionelle Überlegungen zur Katholizismus-Forschung, in: ebd., S. 79-95. 37 Dowe (wie Anm 34) S. 16 f.; die Gegenthese, wenngleich modifiziert, bei Andreas Holzem, Das katholische Milieu und das Problem der Integration. Kaiserreich, Kultur und Konfession um 1900, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 21 (2002), S. 13-39: innere Pluralisierung, zwecks Erhaltung der Geschlossenheit Abgrenzung nach außen.

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können.38 Für das noch vom harten Willen Bismarcks gelenkte Reich dürfte dieses Konflikt-Konsens-Modell allerdings die trennenden Kräfte auf vielen Gebieten und den politischen Druck, der von der Reichsleitung ausging, unterschätzen. Was die katholischen Gruppen betrifft, so war ihre interne Konsolidierung und Differenzierung ebenso unübersehbar wie die Tendenz, ihren Platz im Reich, das einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung nahm, immer energischer zu beanspruchten. Diese einander nicht aufhebenden, sondern in einem Spannungsbogen gegenläufig verfestigenden Tendenzen lassen sich am Beispiel zweier katholischer Zeitschriften verdeutlichen: der 1838 aus dem Görres-Kreis hervorgegangenen „Historisch-politischen Blätter“ und der 1903 gegründeten Kulturzeitschrift „Hochland“. Während das ältere Organ, an dem viele Geistliche mitarbeiteten, von einem Standpunkt der Selbstgewissheit aus teils apologetisch Probleme aus allen Kulturbereichen aufgriff, eröffnete das aus der Unternehmerinitiative Carl Muths entspringende „Hochland“ erstmals ein katholisches Intellektuellenmilieu,39 war auf dialogische Weise mehr literarisch und weniger politisch-sozial ausgerichtet, und vor allem: Anders als die aus süddeutsch-katholischer Kulturtradition schöpfenden „Historischpolitischen Blätter“ trat das „Hochland“ für eine Akkulturation, für die Annäherung an die Gegenwartskultur der Nation ein: Erst die Teilhabe an der hoch entwickelten Kultur und Literatur des Kaiserreichs und die Übernahme der von den Klassikern geschaffenen Qualitätsstandards werde dem katholischen Kulturverständnis den angemessenen Wirkungskreis und Kommunikationsraum verschaffen können. Über den sicherlich unterschiedlichen Grad der Integration ins Kaiserreich können am ehesten regionale Studien Aufschluss geben. Eine neue Konfliktlinie, die sich zwischen Arbeit und Kapital in den Jahren sprunghafter Industrialisierung auftat, konnte die Zentrumspartei zugleich zur MilieuVerdichtung und zu integrativen Zwecken nutzen: Es war die Sozialpolitik, über deren Behandlung sie zum achtbaren Partner im Reichstag avancierte. Zugleich errangen die Christlichen Gewerkschaften und die katholischen Arbeitervereine – so sehr sie selbst miteinander im Streit liegen mochten – einen festen Stand innerhalb der urbanen Arbeitermilieus. Das grausame Intermezzo des Weltkrieges beschnitt die Einflüsse der konfessionellen Milieus, reduzierte deren Wirkungen wohl im Wesentlichen auf die großen Bereiche Caritas, Seelsorge, Kriegspublizistik und -propaganda. Das Eintreten katholischer Gelehrter für den von französischen Katholiken 38 Siegfried Weichlein, Nation und Region. Integrationsprozesse im Bismarckreich, Düsseldorf 2004, S. 371-374. 39 Vgl. Hans-Rüdiger Schwab, Kurzer Versuch über katholische Intellektuelle, in: Ders. (Hg.), Eigensinn und Bindung. Katholische deutsche Intellektuelle im 20. Jahrhundert. 39 Porträts, Kevelaer 2009, S. 11-26.

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angegriffenen deutschen Protestantismus gilt als ein Höhepunkt der Integration der Katholiken in das gegen eine Welt von Feinden zu verteidigende Reich. Der katholische Feldgeistliche nahm das Todesurteil wegen Vaterlandsverrats ebenso gelassen hin wie sein evangelischer Kollege.40 Auch die katholische Publizistik verkannte die unmenschliche Dimension dieses gigantischen Waffenganges, wenn sie den Krieg als große Bewährung und reinigendes Opfer interpretierte. Doch äußerte sie auch deutliche Vorbehalte gegen die Verherrlichung des Krieges, die die religiösen Glaubensinhalte zurückdränge, und des vaterländischen Opfertodes, der das zentrale Dogma des Kreuzestodes Christi verdränge. Erscheinungen eines antikatholischen Milieus überlebten selbst im bayerischen Heer: Nicht wenige Offiziere und Ärzte ließen an der Front, in der Etappe und in den Lazaretten abfällige Bemerkungen über die katholische Kirche und ihren Klerus fallen. Katholische Schwestern, die zur Versorgung der Verwundeten bereit standen, wurden bewusst nicht angefordert. Die demokratische Weimarer Verfassung befreite die katholische Kirche und die ihr zugewandten Vereine endlich von allen Beschränkungen staatskirchlicher Bevormundung, wie sie die Monarchien so lange aufrecht erhalten hatten. Doch nötigten die revolutionären Wirren den Katholiken sogleich den Kampf um die Erhaltung ihrer konfessionellen Schulen auf. Die Existenz des nach katholischem Verständnis äußerst wichtigen Erziehungsmilieus wurde durch die der SPD bzw. der USPD angehörenden Kultusminister Johannes Hoffmann in Bayern und Adolf Hoffmann in Preußen (1918/19, 1920) bedroht. Überhaupt konnten Kultur und Wissenschaft wegen der drückenden Nachkriegsfolgen nicht so florieren, wie die günstigen Vorgaben der Weimarer Verfassung es erlaubt hätten. Im Kampf um die Schule kam es zu erträglichen Kompromissen, aber an den Universitäten war die konfessionelle Parität nicht annähernd erreicht, ein katholisches Milieu nicht gleichwertig implantiert. Die mit der Inflation einhergehende „Verarmungskrise“ erfasste auch die katholische Wissenschaftsorganisation, obwohl nun über die Parlamentstätigkeit einzelner Abgeordneter (Wilfried Schreiber) staatliche Zuschüsse erwirkt werden konnten.41 Der Zwang zu parlamentarischen Kompromissen führte zu Gegensätzen zwischen der Zentrumsfraktion und einigen diese herkömmlich unter-

40 Vgl. Frank Betker und Almut Kriele (Hg.) mit einer Einführung von Gerd Krumeich, Pro Fide et Patria. Die Kriegstagebücher von Ludwig Berg 1914 bis 1918. Katholischer Feldgeistlicher im Großen Hauptquartier Kaiser Wilhelms II., Köln-Weimar-Wien 1998. 41 Rudolf Morsey, Die Görres-Gesellschaft unter ihrem Präsidenten Hermann von Grauert (1919/20-1924), in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 2005, Köln, S. 73-114; Wiederabdruck in: ders., Die Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft. Streiflichter ihrer Geschichte, Paderborn u.a. 2009, S. 121159.

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stützenden Milieus, so den Christlichen Gewerkschaften und der Jugendorganisation der Windthorstbunde.42 Die Entwicklung des deutschen Katholizismus und der ihm zugewandten Organisationen schien zwischen 1919 und 1933 von zwei gegenläufigen Tendenzen, von einem Grundmodell innerer Spannung bestimmt. Einerseits trat eine Politisierung des Katholizismus ein, der im Kaiserreich weitgehend in der Opposition hatte verharren müssen und nun Verantwortung im Staat übernahm. Das Zentrum bzw. die Bayerische Volkspartei beteiligten sich trotz ihrer fortdauernden Minderheitssituation fast ständig an den Regierungen im Reich, in Preußen und in Bayern. Verbunden mit der Übernahme dieser patriotischen Pflicht, drängte das Bekenntnis zur deutschen Nation inmitten der desolaten Nachkriegssituation verstärkt zum Ausdruck. Das sollte nicht vergessen machen, dass der Katholizismus wegen seiner abstrakten Staatstheorie, die eine naturrechtlich-personalistische Grundlage hatte,43 wesentlich unvoreingenommener auf den Boden der Republik treten konnte als die liberalen Kulturnationalen vom Schlage eines Friedrich Naumann oder die Konservativen und Deutschnationalen mit ihrer Anhänglichkeit an das verflossene Hohenzollernreich und ihrer Anfälligkeit für völkische Ideen. Das milieustabilisierende Konfliktfeld zwischen Staat und Kirche schwächte sich also während der Weimarer Republik sehr ab. Die Normalisierung auf dem Gebiete der staatlichen Partizipation bescherte dem deutschen Katholizismus zwar mehr Einfluss und Achtung im öffentlichen Leben, gab aber antiklerikalen, neutralen und selbst katholischen Kreisen Anlass, die weltliche Entfremdung der Glaubenslehre zu beklagen und die Trennung der unzulässig vermengten Bereiche von Religion und Politik zu fordern. Die Nationalsozialisten machten sich bei ihrer Propaganda in den armen Dörfern des Südschwarzwalds diese alten nationalliberalen Argumente zu Eigen. Sie kritisierten ähnlich wie früher die Kulturkämpfer die angebliche Herrschaft der Kirche über den Staat und das „System“ von Weimar. Der politische und soziale Katholizismus tendierte tatsächlich zumindest zu einer Teilidentifizierung mit dem Weimarer Staat, was zur Folge hatte, dass er in den Sog des politischen und wirtschaftlichen Niedergangs der Republik geriet und zugleich mit dieser an Kredit und Ansehen verlor. 42 1925-1928. Thomas Mergel, Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag, Düsseldorf 2002, S. 413, 417 f. 43 Karsten Ruppert, Im Dienst am Staat von Weimar. Das Zentrum als regierende Partei in der Weimarer Demokratie 1923-1930, Düsseldorf, S. 29-31; Winfried Becker, Staats- und Verfassungsverständnis der christlichen Demokratie von den Anfängen bis 1933, in: Günther Rüther im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.), Geschichte der christlich-demokratischen und christlich-sozialen Bewegungen in Deutschland. Teil 1, Köln 1986, S. 93-144, 120-126.

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In Gegensatz dazu trat eine Tendenz zur Verkirchlichung. Sie war manchmal aus der Not geboren, so in jenen armen Regionen, wo die katholischen Arbeitervereine oder der Volksverein, weil sie keine wirtschaftliche Hilfe bieten konnten, ihre Mitglieder verloren. Im Südschwarzwald, wo die katholischen Vereine schwach waren, sahen die Pfarrer sich genötigt, der Entkirchlichung und den Angriffen auf die katholische Kirche allein mit geistlichen Mitteln entgegenzuwirken, ohne noch das gesellschaftliche Vorfeld der Arbeiter- oder Gesellenvereine nutzen zu können: Für viele Männer löste sich der Zusammenhang zwischen Kirche und Gesellschaft auf. Während sie häufig noch beim religiösen Praktizieren (Osterkommunion) blieben, orientierten sie sich in politischer und sozialer Hinsicht um; vor allem die Arbeiter wandten sich den Sozialdemokraten oder anderen Parteien und Vereinen zu.44 Seit 1918 waren aber auch neue, positive Entwicklungen der Verkirchlichung in Gang gekommen. Der Krieg und die Niederlage hatten viele Menschen mit dem Sturz der Throne und der Vergänglichkeit weltlichen Staatenruhms konfrontiert. Religiöse Kreise wurden für den Wert der ewigen Güter erneut empfänglich. Eine selbstbewusste und zugleich gesellschafts- und geschichtskritische Theologie, als deren hervorragender Vertreter Romano Guardini gelten kann, erkannte in der mit Riesenschritten voranschreitendenen geistigen Säkularisierung und der Vermassung Grundzüge der Moderne.45 Aus solchen Einsichten bezogen katholische Jugendbünde wie der Quickborn neue Impulse für die Wiederentdeckung des eigentlich religiösen Lebens und der Liturgie. Ihnen erschienen die Politik und mit ihr die Republik demgegenüber als zweitrangig, sodass sie hier eindeutige Stellungnahmen vermieden.46 Schließlich setzten von Seiten der kirchlichen Hierarchie die Bemühungen um die Neuorganisation des verbandlichen Lebens ein. Papst Pius XI. rief die Katholische Aktion ins Leben, um auch in Deutschland das vielgestaltige katholische Vereinswesen zu vereinheitlichen und näher an die Bischöfe zu binden. Diese Verbände, besonders der Volksverein und die Katholikentage, hatten bisher der gesellschaftlichen Vorstrukturierung und milieumäßigen Verankerung der politisch-parlamentarischen Repräsentation gedient. Nun bemühten sich manche Bistümer sehr nachdrücklich um die Aktivierung des Laienapostolats, so Bischof Wilhelm Berning von Osna44 Oded Heilbronner, Die Achillesferse des deutschen Katholizismus. Aus dem Hebräischen von Matthias Schmidt, Gerlingen 1998, S. 235-255. 45 Romano Guardini, Das Ende der Neuzeit, in: ders., Das Ende der Neuzeit. Ein Versuch zur Orientierung. Die Macht. Versuch einer Wegweisung, Mainz, Paderborn u.a. 1986, S. 8-94, 42-62. Die Abhandlung erwuchs aus 1947-1949 in Tübingen und München gehaltenen Vorlesungen Guardinis. 46 Katja Marmetschke, „Nicht mehr Jugendbewegung, sondern Kulturbewegung!“ Die Zeitschrift „Die Schildgenossen“ in der Weimarer Republik, in: Michel Grunewald und Uwe Puschner in Zusammenarbeit mit Hans Manfred Bock (Hg.), Das katholische Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871-1963), Bern u.a. 2006, S. 281-315, 300-308.

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brück (1935) und Bischof Felix Freiherr von Ow-Felldorf in Passau (1929).47 Die in diesem Vechtaer Tagungsband vorgelegten Beiträge beleuchten Überschneidungen zwischen dem kirchlichen und dem politischen Verbandswesen, die das Milieu stärkten. Die von der Kurie ausgehende Tendenz zur Verkirchlichung, zugleich zur Aussöhnung mit der neuen Staatenwelt, schlug sich während der Zwischenkriegszeit auch in den erfolgreichen Bestrebungen nieder, mit möglichst vielen Staaten Konkordate abzuschließen. Im bisher meist geschlossen wirkenden katholischen Bevölkerungsteil zeigten sich zu Ende der Weimarer Republik Gegensätze und Zwiespältigkeiten. Konservative, monarchisch-autoritär gesinnte, gesellschaftlich hoch stehende Katholiken taten das Ihre dazu, das Ansehen der zunehmend einem schweren Überlebenskampf ausgesetzten Demokraten der Zentrumspartei zu untergraben. Das Zentrum und die Bayerische Volkspartei hatten zwischen 1919 und 1933 einen langsamen, aber kontinuierlichen Stimmenrückgang zu verzeichnen. Eine stetige leichte Abnahme der katholischen Wählerschaft war zu beobachten. Trier, Aachen, Teile des Rheinlands, Bayerns, das Oldenburger Münsterland und das Eichsfeld blieben gegenüber der nationalsozialistischen Volksverführung am längsten resistent. Die Stabilität des Wahlfaktors katholische Konfession war jedenfalls in bestimmten Regionen ein bemerkenswertes Phänomen, während sich andere, etwa soziale Identitätsmerkmale, als viel weniger resistent gegenüber dem außerordentlichen Stimmengewinn der NSDAP zwischen 1928 und 1932 erwiesen. Der Zentrumsturm sollte darum nicht ex post nur aus der Perspektive der Wachstumsideologie betrachtet und abgewertet werden. Zwar gab es genügend Anzeichen dafür, dass der deutsche Katholizismus in eine Krise schlitterte. Er behauptete jedoch immer noch einen so festen Platz innerhalb der deutschen Gesellschaft, dass man mit seiner baldigen Auflösung keineswegs hätte rechnen müssen. Neben der sich nach unten neigenden „Schicksalskurve des Zentrums“ (Johannes Schauff) war auch eine „religiöse Aufwärtsentwicklung“ unverkennbar.48 Ein Indikator dafür ist der bis weit in die 1930er Jahre anhaltende Anstieg der geistlichen Berufungen. Das Verhältnis des Katholizismus zum Nationalsozialismus war, wie bei einer Großgruppe kaum anders zu erwarten, komplizierter als in den ersten

47 Hans-Georg Aschoff / Erwin Gatz / Wolfgang Seegrün, Bistum Osnabrück und Apostolisches Vikariat der Nordischen Missionen, in: Erwin Gatz unter Mitwirkung von Clemens Brodkorb und Rudolf Zinnhobler (Hg.), Die Bistümer der deutschsprachigen Länder von der Säkularisation bis zur Gegenwart, FreiburgBasel-Wien 2005, S. 547-565, 562; Anton Landersdorfer, Bistum Passau, in: ebd., S. 585-598, 588. 48 Kösters (wie Anm. 7) S. 238.

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Nachkriegsveröffentlichungen von katholischer Seite behauptet.49 Die Wahrnehmungsfähigkeit nationalistisch-autoritär eingestellter katholischer Kreise gegenüber der neuen Gefahr des nationalsozialistischen Totalitarismus ließ sehr zu wünschen übrig. Das Musterbeispiel dafür bietet der Reichs-, dann Vizekanzler Franz von Papen. Er verließ 1932 die Zentrumspartei und schwang sich während der Verhandlungen über das Reichskonkordat zum Wortführer der absoluten Trennung von Kirche und Politik auf. Der Katholizismus war anscheinend dort eher anfällig für die Parolen des Nationalsozialismus, wo seine Vereinsorganisation schon ausgedünnt war. Aber auch ein herkömmlich dichtes Vereinsmilieu wie das des Bistums Münster zeigte, unter der Wirkung des übertriebenen Gemeinschaftsgedankens, des von der NSDAP ausgeübten starken „Assimilationsdrucks“ und der angeblich im Reichskonkordat erfolgten Aussöhnung der neuen Reichsregierung mit dem Vatikan anfangs „eine weitgehende Koexistenzbereitschaft.“50 Insgesamt aber dürfte außer Zweifel stehen, dass das NS-Regime mit seiner rigiden, weltanschaulich-propagandistisch unterfütterten Organisations- und Verbotspolitik vorsätzlich und erfolgreich die Zerstörung des katholischen Milieus betrieben hat, weil das katholische Verbands- und Parteiwesen der nationalsozialistischen Ideologie der Volksgemeinschaft diametral widersprach und vor Ort von den Parteistellen als Provokation empfunden wurde. Schließlich blieb den Vereinen nur der Rückzug auf die rein religiös definierten Treffen, der „Aufbruch nach innen“, der zwar eine vor 1933 erkennbare Entwicklungslinie fortsetzte, jedoch einen tiefen Bruch mit dem bisher öffentlichen Auftreten des Verbandskatholizismus bedeutete. Aber noch das bloße „Selbstverständnis“ einer neben der neopaganen NS-Volksgemeinschaft bestehenden katholischen Moral- und Wertegemeinschaft stellte eine Bedrohung für die „Legitimität“ des Regimes dar.51 Es drängte bei bestimmten 49 Vgl. Karl-Joseph Hummel, Gedeutete Fakten. Geschichtsbilder im deutschen Katholizismus 1945-2000, in: ders. / Christoph Kösters (Hg.), Kirchen im Krieg. Europa 1939-1945, Paderborn u.a. 2007, S. 507-567; Winfried Becker, Verdrängung, Erinnerung und historische Aufarbeitung bei einigen gesellschaftlichen Protagonisten: katholische Kirche, in: Christiane Liermann / Marta Margotti / Bernd Sösemann / Francesco Traniello (Hg.), Vom Umgang mit der Vergangenheit Ein deutsch-italienischer Dialog, Tübingen 2007, S. 129-159. 50 Kösters (wie Anm. 7), S. 576-578; ohne Nachweis blieb Carl Amerys (von Lepsius zitierte) These, die katholische Kirche habe unter dem Einfluss der von ihren Vereinen und Organisationen vertretenen „kleinbürgerlichen Interessen“ selbst „die Kraft verloren, für sozialmoralische Wertvorstellungen zu kämpfen, die den Horizont dieses kleinbürgerlichen Milieus überschreiten.“ Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur (wie Anm. 1), S. 37 f. 51 So zutreffend Joachim Kuropka, Interview vom 7. 10. 2005. http://www.jfarchiv.de/archiv05/200541100709.htm (Abruf 28. 10. 2009). Vgl. zur Schwierigkeit der heutigen Vermittlung solcher Einsichten, selbst wenn sie durch breite Dokumentenbände belegt sind: Joachim Kuropka (Hg.), Streitfall Galen. Studien und Dokumente, Münster 2007; Peter Löffler (Bearb.), Bischof Clemens August Graf

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Gelegenheiten recht drastisch nach außen, so anlässlich des bayerischen Kruzifixerlasses 1941. Dieser rief bei Bauern, Bürgermeistern, Gastwirten und selbst Schulkindern eine „Erregung“ hervor, die sich vielfältig entlud: Kraftausdrücke wurden laut, eine Gemeinde hielt sich mit der Butterlieferung zurück, mehrere Bürgermeister drohten mit Amtsniederlegung, Steine flogen gegen Schulhaustüren, Plakate „mit staatsabträglichem Inhalt“ wurden geklebt:52 Ohne das katholische Milieu hätte es diesen Widerstand schwerlich gegeben. Wie im Kulturkampf war unter den Cleavages das Konfliktfeld zwischen Staat und Kirche dominant, der Zusammenstoß zwischen einem ausgeprägten Vereinswesen und einem auf neue Weise weltanschaulich aufgeladenen Staat aber frappanter. Von besonderer, bis heute nicht annähernd gewürdigter Bedeutung war die Vernichtung einer der entscheidenden Stützen des Milieus, der katholischen Presse. Zwar konnten einige anspruchsvolle Zeitschriften wie das „Hochland“ und die Bistumsblätter eine Zeitlang weiter existieren, doch verschwanden unter dem Druck der NS-Diktatur die vielen meist kleinen Zeitungen der breit gestreuten, oft privat finanzierten regionalen Zentrums-Presse. Sie gingen zusammen mit der vielfältigen vor 1933 bestehenden, regional aufgefächerten Presselandschaft unter. Die nach 1945 wiedergegründeten, von den Besatzungsmächten lizenzierten überörtlichen und regionalen Zeitungen unterlagen den Prozessen der Konzentration sowie einer Neutralisierung, die den Stil der Generalanzeiger-Presse begünstigte. Das katholische Verbands- und Pressewesen erlag der zerstörerischen, totalitären Verbotspolitik des Nationalsozialismus, die von oben oktroyiert wurde, nicht selbstläufigen Auflösungsprozessen, die, soziologisch beschreibbar, innerhalb einer freien Gesellschaft abgelaufen wären. Bereits die in der frühen Nachkriegszeit nach 1945 sichtbar werdende Veränderung der vor 1933 bestehenden Presselandschaft kündigte einen Säkularisierungsschub an, der sich seit den 1960er Jahren erheblich verstärkte. Der Jugendseelsorger Ludwig Wolker konstatierte schon 1951 einen von den Folgewirkungen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges hervorgerufenen Substanzverlust der christlichen Religion.53 Die Vorstellung, auf den Trümmern der gottlosen Ideologien erneut an einer „Verchristlichung der Gesellschaft“ arbeiten zu können, ging zwar durchaus von nüchternen Zeitdiagno-

von Galen. Akten, Briefe und Predigten 1933-1946, Bd. 1-2, Mainz 1988, 2. erw. Aufl. Paderborn u.a. 1996. 52 Ausstellung über den Gauleiter Adolf Wagner (1890-1944) im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München (Besuch am 8. 6. 2009). Die dortigen Nachweise stammen aus dem BayHStA, Reichsstatthalter 157. 53 Ludwig Wolker, Hinführung der Jugend zur Mitfeier und Mitgestaltung der Liturgie, in: Katechetische Blätter 76 (1951), S. 374-384.

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sen aus,54 ließ aber noch die Nachwirkung des vor allem von den Jugendverbänden vor 1933 vertretenen eschatologischen Zieles erkennen, das Reich Gottes in der Welt zu verwirklichen.55 Zwanzig Jahre später, in der Zeit der Studentenrevolution und der Außerparlamentarischen Opposition (1968) stand in Umkehrung dieser optimistischen Nachkriegshypothese zu befürchten, dass die Gesellschaft, genauer die irreligiöse, marxistische Gesellschaftskritik in Gestalt der Basis-, Entspannungs- und Äquidistanzideologien, später der Friedens- und Ökologiebewegung, unter dem Vorwand der „Kirchenreform“ in die katholische Kirche einzog.56 Ein Abwehrraster in Gestalt des vormals existierenden kirchlich-politischen Verbandswesens war nicht mehr vorhanden. Vereinsinterne Entwicklungen, etwa bei der katholischen Landjugend, signalisierten das mangelnde Resistenzvermögen eines in Auflösung begriffenen katholischbäuerlichen Milieus gegenüber dem Zeitgeist und den Bewegungen zur angeblichen Erneuerung der Gesellschaft. Die Auflösungserscheinungen waren europaweit zu beobachten.57 Im Hintergrund dieser Erscheinungen stand das freilich auf anderer argumentativer Ebene angesiedelte Aggiornamento mit der modernen Welt, das das Zweite Vatikanische Konzil in berechtigter Sorge um die Stellung der Kirche in der Welt sich zur Aufgabe gemacht hatte. Anpassungsversuche an die Entwicklungen der modernen Gesellschaft hatte es von kirchlicher Seite schon vorher gegeben. Heinrich Tenhumberg, Bischof von Münster, übernahm von dem Pariser Kardinal Emmanuel Suhard 1945/46 die milieubezogene Strategie, die Pastoral den Erfordernissen der sozialen „Inkarnation“ anzupassen, die in Europa notwendig gewordene Missionierung der Gesellschaft religiösen Kreisen anzuvertrauen, die in bestimmten Zielgruppen, deren Lebens- und Denkweisen teilend, tätig werden sollten.58 Auch die vorübergehende Wiederbelebung der Berufs- und Naturstände und die Bereicherung des pfarrlichen Gemeindelebens um soziale Komponenten und laikale Initiativen lassen sich den Tendenzen einordnen, den gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen durch ein neues, an die Kirche gebundenes, „verkirchlichtes“ Apostolat Rechnung zu tragen.59 54 Wilhelm Damberg, Abschied vom Milieu? Katholizismus im Bistum Münster und in den Niederlanden 1945-1980, Paderborn u.a. 1997, S. 108 ff., 382 f. 420. 55 Manfred Göbel, Katholische Jugendverbände und Freiwilliger Arbeitsdienst (1931-1933), Paderborn u.a. 2005, S. 146-152, 313 f.; vgl. zur Reichstheologie Heinz Hürten, Die Sehnsucht nach dem „Reich“ in der Weimarer Republik, in: Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte 13 (2009), S. 77-90. 56 Anton Rauscher, Kirche in der Welt. Beiträge zur christlichen Gesellschaftsverantwortung, Bd. 1-3, Würzburg 1988, 1998, hier Bd. 1, 1988, S. 381-425. 57 Vgl. für Frankreich: Gérard Cholvy / Yves-Marie Hilaire, Histoire religieuse de la France, 1930-1988, Toulouse 1988, S. 292-312, 385-400, 477-484. 58 Damberg (wie Anm. 54) S. 147 f. 59 Dietmar Grypa, Die katholische Arbeiterbewegung in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1963), Paderborn u.a. 2000, S. 42 ff.

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Die Versuche, der Gesellschaft mit neuen Mitteln christliches Gedankengut nahezubringen, wurden bis in die 1980er Jahre fortgesetzt, konnten aber den massiven Rückgang religiösen Praktizierens seit den 1960er Jahren nicht verhindern. Dabei stand freilich mehr auf dem Spiel als das weitere Abbröckeln des katholischen Milieus. Die Substanz und das Innere des religiösen Lebens schienen gefährdet, wenn der sonntägliche Messbesuch, die Beichte und Osterkommunion dramatisch abnahmen und das Leitbild der christlichen Ehe und Familie seine gesellschaftliche Bedeutung verlor. Es bedürfte sorgfältiger sozialwissenschaftlicher Analysen, um etwaige Korrelationen zwischen der Ausdünnung der katholischen Milieus und der Abnahme der Frömmigkeitspraxis exakt zu ermitteln. Hält man einen Zusammenhang für gegeben, so wird man zunächst die späte Datierung des Rückzugs der Katholiken aus der kirchlich gebotenen Glaubenspraxis bezweifeln dürfen. Der Blick auf die Veränderungen der ersten Nachkriegszeit macht plausibel, dass der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu beobachtende religiöse Mentalitätswandel eine intensive Vorgeschichte hatte: Das katholische Presse- und Verbändemilieu war nach 1945 nicht in gewohnter Stärke und Gestalt wiedererstanden. Die interkonfessionelle Parteibildung hatte der politisch-parlamentarischen Vertretung der deutschen Katholiken ihre fest umrissenen, wenn auch umstrittenen Konturen genommen. Waren die katholischen Bischöfe zunächst noch offen für die christlichen Demokraten eingetreten, so setzte sich bei ihnen nach und nach eine schließlich als unerlässlich erachtete Äquidistanzhaltung gegenüber allen zugelassenen Parteien (außer dem Kommunismus und dem Rechtsradikalismus) durch, was einen Entfremdungsprozess zwischen den Kirchen und den christlichen Parteien zur Folge hatte.60 Die gesellschaftliche Entwicklung, die von der Nachkriegskrise ausging, bot für die Wiederkehr der einstmals klar konturierten Milieus der vor-nationalsozialistischen Zeit keinen guten Nährboden.61 Sie mündete zuletzt in die Propagierung der multikulturellen Gesellschaft, die voraussichtlich schwerwiegendere Integrationsprobleme aufwerfen wird als die Milieudivergenzen der deutschen Gesellschafts- und Parteiengeschichte vor 1933. Im Vergleich zu früheren Epochen taten sich in der Bundesrepublik Deutschland offenbar weniger „Hauptkonfliktfelder“ auf. Auch der Weltanschauungsanspruch des Staates war beseitigt. Die Abmilderung des Gegensatzes zwischen Zentrum und Peripherie wurde gemäß dem Auftrag des Grundgesetzes zum Ziel und Gegenstand einer staatlicherseits erstmals breit praktizierten 60 Burkhard van Schewick, Die katholische Kirche und die Entstehung der Verfassungen in Westdeutschland 1945-1950, Mainz 1980, S. 128-130. 61 Deren integrationshemmende Wirkung herausgestellt (nach Lepsius) auch von Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 2, Machtstaat vor der Demokratie, München 1998, S. 594.

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Raum- und Strukturpolitik. Zur weiteren Erklärung wird man eine Entwicklung wie die nun breite Schichten erfassende Säkularisierung heranziehen müssen. Trotzdem sind die katholischen Milieus nicht gänzlich verschwunden. Einige gewannen zeitgemäß Gestalt, blickt man nur auf die vielen Veranstaltungen der Katholischen Akademien, auf den wissenschaftlichen Austausch, die (allerdings sehr spärlichen) katholischen Presseorgane, die kontinuierlichen Aktivitäten der Pfarreien, das religiöse Brauchtum mit Wallfahrten, Bittgängen, Umzügen, Umritten und musikalischen Darbietungen, das oft nicht über seine Region hinaus bekannt ist (Leonhardi-Ritte, Wallfahrt zum Bogenberg in Bayern). Auch neue religiöse Gruppen finden viel Resonanz, obwohl sie nicht die institutionelle Bindung und historische Prägung ihrer (ihnen meist unbekannten) Vorgänger aufweisen. Zwischen Tradition und Neubesinnung operieren die zahlreichen, meist sehr aktiven katholischen Studentenverbindungen, die besonders den Dialog zwischen den Generationen pflegen und in ihren Reihen Priester und Laien vereinen. Gegen eine allzu pessimistische Sicht, die das Verschwinden der früheren „Volkskirche“ beklagt, spricht auch, dass in den Massenmedien und in der Unterhaltungsbranche religiöse oder kirchliche Themen und Figuren sich anscheinend steigender Beliebtheit erfreuen, obwohl ihre oberflächliche Behandlung häufig Authentizität und nähere Kenntnis der Institutionen vermissen lässt. Ein weiterer wichtiger Aspekt verdient Berücksichtigung. Während die katholische Kirche seit 1815, 1871, 1933 häufig genug Benachteiligungen und Angriffe seitens des Staates zu erdulden hatte, räumte der Parlamentarische Rat ihr wie den anderen Religionsgesellschaften in Übernahme der Kirchenartikel der Weimarer Verfassung eine vorzügliche verfassungsrechtliche Stellung ein, die auch über die Jahrzehnte unverändert blieb, bis das überraschende Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts die vorher von der Rechtsprechung nicht bestätigte Tendenz enthüllte, die Religion zu einer aus der Öffentlichkeit zu verdrängenden Privatsache zu erklären. In der Bundesrepublik Deutschland war der Kulturkampf überwunden, obwohl z. B. über schulpolitische Fragen noch erhebliche Auseinandersetzungen ausgetragen wurden und der SPD-Kanzlerkandidat Kurt Schumacher 1949 die katholische Kirche als die fünfte Besatzungsmacht bezeichnete.62 Diese für die ungehinderte Religionsausübung grundlegende Situation, deren Entstehen auch auf 62 Jürgen Weber, Wähler und Gewählte. Der Kampf um Bonn, in: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hg.), Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, Die Gründung des neuen Staates, München 2. Aufl 1983, S. 97-134, 132; vgl. Richtlinien für die Politik der SPD im Bundestag (Dürkheimer 16 Punkte vom 29./30. August 1949), Punkt 16 enthielt nach der Forderung der Sicherung der Lehr- und Religionsfreiheit: „Bekämpfung des Mißbrauches kirchlicher Einrichtungen und Personen als Instrumente des politischen Machtkampfes. Abwehr jedes Versuches, die sozialen und politischen Probleme durch Entfachung eines Kulturkampfes zu vernebeln.“ Jürgen Weber, Die Bundesrepublik nimmt Gestalt an. Koalitionsfrage und Regierungsbildung, in: ebd., S. 167-198, 192.

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das verdienstvolle Wirken der christlichen Parteien im Kaiserreich und in der Weimarer Republik zurückzuführen ist, wird bei den gängigen Klagen über den Schwund des katholischen Milieus zu wenig beachtet. Die Kirchen genießen eine anerkannte Stellung im demokratischen Rechtsstaat. Gegenüber diesem hohen Gut, das Entfaltungsräume zulässt, erscheint das katholische wie andere konfessionelle Milieus als eine wünschenswerte oder gar notwendige, subsidiäre, soziologisch zu bestimmende Größe. Denn es soll Anstöße und Aktivitäten aus sich selbst entfalten und jene Maßstäbe und Werte vermitteln helfen, die der demokratische Staat seinen mündigen Bürgern nicht vorschreiben will und kann.

3. MILIEUBILDUNG: SYSTEMATISCH Neben der historischen stellt sich die die systematische Frage nach der Anzahl und Reichweite, nach der Rückbezüglichkeit, Interdependenz oder Interaktion der katholischen Milieus untereinander, ihres Verhältnisses zur Kirche und Gmeinde sowie zu anderen, außenstehenden Gruppen, Großgruppen oder sinnstiftenden „Kollektiven“. Welche Milieus sind überhaupt ermittelbar? Lassen sie sich immer deutlich voneinander unterscheiden oder existieren sie mehr in Übergangsformen, partiellen Zugehörigkeiten und Identitäten? Welche sozialen Substrate liegen ihnen zugrunde, um welche sozialen Institutionen ranken sie sich, da sie als Sozialmilieus bezeichnet werden? Das Milieu beginnt mit dem Elternhaus, der Familie, der Pfarrgemeinde als einem öffentlichen, nicht nur kirchlichen Raum, der religiösen Bruderschaft und Kongregation, der klösterlichen, dann konfessionellen Schule und Erziehung. Diese Sozialisationsformen existierten schon vor der Moderne, rangen dann um ihre Erhaltung und Weitergeltung auch in der modernen, säkularisierten Zeit und Welt. Hier liegen die Ursprünge des Generationen übergreifenden Charakters, des sich reproduzierenden katholischen Milieus. Sieht man von den innerkirchlichen Gemeinschaften ab, so wird man zunächst das katholische Schul- und Lehrermilieu (auch außerhalb Deutschlands) und die von den Vereinen gebildeten Milieus nennen, die aber oft von den inneren Antrieben religiöser Gemeinschaften, z. B. der Orden, getragen waren. Überblicksartig lassen sich, beginnend mit Adolf Kolpings Gesellenvereinen, aufzählen die sog. berufsständischen Vereine, die Vereine der „Naturstände“ (Männer, Jungmänner, Frauen, Jungfrauen), die karitativen und die den verschiedenen sozialen (Berufs-)Gruppen gewidmeten Vereine:63 die Christlichen Bauernvereine, die ka63 In der 1910 gegründeten Pfarrei St. Anton in Passau-West zerfielen die Vereine in 1) religiöse Vereinigungen (u.a. Marianische Jungfrauen-Kongregation, Männerapostolat der Pfarrei), 2) Missionsvereine, 3) caritative Vereinigungen, 4) standesmäßige Vereinigungen (Kolpingverein, Arbeiterverein, Arbeiterinnenverein,

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tholischen Arbeitervereine und die Christlichen Gewerkschaften, die der Volks- und Erwachsenenbildung gewidmeten Vereine wie der Volksverein für das katholische Deutschland und der Borromäus-Verein, die ihr Eigenleben kultivierenden katholischen Studentenverbindungen, die wissenschaftlichakademischen Vereine wie die Görres-Gesellschaft oder ein Förderverein wie das Cusanus-Werk, schließlich die politischen Vereine zumal der Kulturkampfzeit, die sich aus dem katholischen Bürgertum, der Arbeiter- und Bauernschaft, dem katholischen Klerus und Adel zusammensetzten und die als Basisorgane der Zentrumspartei und Bayerischen Patriotenpartei dienten,64 nicht zuletzt die Generalversammlung der katholischen Vereine Deutschlands auf den Katholikentagen seit 1848.65 Diese zunächst mit Verboten belegte katholische Vereinsbewegung lieferte den sozialen Unterbau und teils das Rekrutierungsfeld für die katholischen Parteien, die wiederum ein parteipolitisches und parlamentarisches katholisches Milieu ausbildeten.66 Zu Ende des 19. Jahrhunderts gewann ein katholisches Pressemilieu Eigenständigkeit: Die Journalisten der Zentrumsblätter in Bayern strebten nach angemessener Bezahlung und Unabhängigkeit vom Klerus sowie von zentralen Korrespondenzen der eigenen Partei.67 Der am Milieu seiner Standesgenossen teilhabende katholische Adel zeigte einige Besonderheiten: Er unterhielt internationale konfessionelle, auch römische Beziehungen und zeigte sich häufig sozialen Anliegen gegenüber sehr aufgeschlossen.68 Die Liste ist sicher unvollständig, beweist aber schon zur Genüge, dass Wilfried Loth Recht zu geben ist, wenn er „mehrere, sozial unterschiedlich verankerte Milieus“ unterscheidet, die sich im deutschen Katholizismus versammelten.69 Obsolet mutet angesichts der in diesen Submilieus notwendig männlicher und weiblicher Jugendverein), 5) sonstige: Christlicher Bauernverein, Pressverein, katholische Elternvereinigung. Franz Paul Maidl, Pfarrchronik von St. Anton-Passau, Passau 1939, S. 110-119. Vgl. Josef Mooser, Das katholische Milieu in der bürgerlichen Gesellschaft. Zum Vereinswesen des Katholizismus im späten Deutschen Kaiserreich, in: Blaschke/Kuhlemann (Hg.), Religion im Kaiserreich (wie Anm. 6), S. 59-92. 64 Behandelt von Friedrich Hartmannsgruber, Die Bayerische Patriotenpartei 18681887, München 1886. 65 Von Hehl/Kronenberg (wie Anm. 22). 66 Material dazu bietet Bernd Haunfelder, Reichstagsabgeordnete der Deutschen Zentrumspartei 1871-1933. Biographisches Handbuch und historische Photographien, Düsseldorf 1999. 67 Vgl. u.a. Dieter Albrecht (Hg.), Joseph Edmund Jörg. Briefwechsel 1846-1901, Mainz 1988. 68 Winfried Becker, Eine katholische Adels-Internationale. Die deutschen Teilnehmer am Genfer Komitee (1870-1878), in: Historisch-Politische Mitteilungen 9 (2002), S. 1-30. 69 Loth, Milieus (wie Anm. 36), S. 80-82.

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auftretenden unterschiedlichen kulturellen Akzentuierungen und Interessenlagen Hans-Ulrich Wehlers von Olaf Blaschke zitierte These an, das katholische „religiöse Makromilieu“ sei von einem „ultramontanen Diktatorialregime“ einheitlich gesteuert worden.70 So sind von den Inhalten der in diesem Zusammenhang gern genannten, an der Kurie geschätzten neuscholastischen (ultramontanen) Theologie die Organisationsformen zu unterscheiden, derer sich der politische und soziale Katholizismus bediente und bedienen musste, um im Übergang zum modernen Pluralismus bestehen zu können. Dazu gehörte als vorrangiges milieubildendes Strukturphänomen die moderne Vereinsbildung, die als Form der Selbstorganisation auch ein Widerlager gegen die bestehenden autoritären staatlichen Strukturen darstellte. Wo war eigentlich das „Diktatorialregime“: bei den Laienrednern der katholischen Vereine nach 1870, die mit Strafverfolgung und Benachteiligung zu rechnen hatten, wenn sie für ihren bedrängten Klerus eintraten, oder bei den Gendarmen, die die Vereinsversammlungen überwachten und über sie mit Namensnennung der prominenten Teilnehmer berichteten? Eine differenzierte Perzeption des sozialkulturellen katholischen Milieus scheint selbstverständlich, wenn man den reflexiven Charakter der Milieus bedenkt, ihre mehrdimensionalen Beziehungen und Einbettungen, die sie mit anderen sozialen Gebilden und Gruppen, mit Städten, Landschaften, Regionen verbanden. Eine Voraussetzung der katholischen Milieubildung war der gesetzlich garantierte Konfessionsstand in den Territorien und Städten, wie ihn der Augsburger Religionsfrieden und der Westfälische Frieden vorgesehen hatte; er erhielt sich über die Schwelle der Großen Säkularisation hinweg. Auf dieser Grundlage konnten sich milieuförmige Gruppen, Verhaltensweisen und Kommunikationsstrukturen einwurzeln. Historische Regionen, in denen sich katholische Milieus ausprägten, waren Oberschlesien, Bayern (Nieder-, Oberbayern, Oberpfalz, Schwaben und Unterfranken), Oberschwaben, Süd-Baden und das Elsass, das Rheinland und Westfalen. Gemischtkonfessionelle Gebiete, wo rein oder mehrheitlich katholische Gebiete neben solchen lutherischer, calvinischer oder unionistischer Konfession lagen, waren vor allem im Rheinland, in der Pfalz71 und in Westfalen anzutreffen. Beispiele für Enklaven boten das Eichsfeld, das Oldenburger Münsterland und das Ermland im westlichen Teil Ostpreußens. In jenen Regionen, wo die Katholiken zur Selbstbehauptung gegenüber einer fremdkonfessionellen Umwelt oder Regierung genötigt waren, ent70 Vgl. die Kritik von Loth, Milieus (wie Anm. 36), S. 85 f., an Blaschke / Kuhlemann, Religion in Geschichte (wie Anm. 6), S. 50 f. (Einleitungsartikel). Blaschkes These über den katholischen Antisemitismus ist für eine katholische Region widerlegt von Zumholz, Das Emsland (wie Anm. 29), S. 94 ff.. 71 Thomas Fandel, Konfession und Nationalsozialismus. Evangelische und katholische Pfarrer in der Pfalz 1930-1939, Paderborn u.a. 1997

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wickelte das Milieu schärfere Konturen als in einem gleichkonfessionellen Flächenland, wo solche Herausforderungen fehlten. Agrarisch strukturierte Flächenstaaten wie Bayern und Mecklenburg, aus konfessionell geschlossenen Territorien hervorgegangen, sind darum trotz der Konfessionsverschiedenheit typologisch vergleichbar. Unterschiede waren allerdings dem jeweils Spezifischen der Konfession geschuldet, so wenn sich in vielen Gegenden Bayerns und in anderen ländlich katholischen Regionen ein der Tradition verpflichtetes religiöses Brauchtum hielt, Bilder, Andachtszeichen, Symbole und Gegenstände religiöser Alltagskultur, Festbräuche, Prozessionen, Umritte und Wallfahrten hervorbrachte. Bayern war allerdings, verfassungsrechtlich gesehen, seit 1803 kein konfessionell geschlossener Staat mehr. Das in diesem Jahr aus dem Geist der Aufklärung erlassene Religionsedikt gewährte den drei Konfessionen die formelle Gleichberechtigung. In den Gebieten herkömmlich katholischer Prägung verdichteten sich vor allem während des Kulturkampfs Zonen und Knotenpunkte katholischer Milieubildung.72 Die Bewohner des unterfränkischen Schwarzenau – Bauern, kleine Bürger und Flusswarte – bekannten sich geschlossen ohne Ausnahme zur Bayerischen Patriotenpartei. Bei einer Firmreise des Bischofs von Würzburg hissten ein paar Bürger im Ort die französische Trikolore, was in national bewegter Zeit an das Delikt des Vaterlandsverrats grenzte. Dieses verschworene Milieu verweigerte der Gendarmerie und dem liberal und regierungstreu gesinnten Lehrer am Ort die Kommunikation und schottete sich gegenüber den liberalen Verwaltungs- und Polizeibehörden ab, die vergeblich versuchten, die zur Einleitung eines politischen Strafverfahrens notwendigen Informationen zu gewinnen.73 Maßgebende Faktoren für die Ausprägung katholischer Milieus waren also der die religiöse Gesinnung seiner katholischen Mitglieder nicht achtende Staat und die diesen unterstützenden Parteien und weltanschaulich-politischen Bewegungen wie die Links- und Rechtsliberalen, die protestantischen Konservativen, auch die Sozialdemokraten. Das Cleavage „Staat-Kirche“ wäre entsprechend der modernen inneren Entwicklung der Staaten im 19. Jahrhundert zu erweitern. Ein bestimmtes Handeln des Staates, des Königreichs Bayern im Kulturkampf, besonders auf dem Gebiet der Schul- und Kulturpolitik, weckte die in der Region beheimateten konfessionellen Gegenkräfte, es kam zu einer den Staatsorganen auffallenden Milieubildung. Das Milieu bestand hier in einer breit gefächerten, in den katholischen Gebieten wohl flächendeckenden bayerisch-patriotischen Versammlungstätigkeit und Vereinsbildung,74 die, ähnlich 72 Vgl. Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte in Münster, Konfession und Cleavages (wie Anm. 11), S. 369 f. 73 Martin Wolz, Wachtmeister der Gendarmerie-Brigade Kitzingen, an das Bezirksamt Kitzingen, Kitzingen 3. u. 6. Juni 1875. BayHStA München, MInn 38968. 74 Die pauschale Feststellung des Arbeitskreises für kirchliche Zeitgeschichte in Münster, Konfession und Cleavages (wie Anm. 11); S. 385, das Zentrum sei „für Bayern keine Milieupartei“ gewesen (ohne einschlägige Literaturangaben), ist zu

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wie in den katholischen Gebieten Preußens, fließend in die Formierung der Bayerischen Patrioten- bzw. der Zentrumspartei überging. Was die Vorgänge in Bayern von den ähnlich ablaufenden Prozessen der katholischen Vereinsund Parteibildung in Preußen und anderen Staaten des Hohenzollernreiches unterschied, war die relativ größere Organisationsfreiheit der Vereine. Staat und Regierung wirkten also nicht nur als polarisierende, gegnerische Bezugsgrößen, sondern ließen, obzwar zunächst mit großen Einschränkungen, die Bildung von katholischen Milieus, Vereinen und Parteien zu, konzedierten diesen schließlich ebenso wie anderen Gruppierungen die Teilnahme am Staatsleben gemäß der verfassungspolitischen Entwicklung. Die Katholiken mussten sich ihren Anteil am politischen Leben jedoch mühsamer erringen als die Konservativen und Liberalen. Die Milieubildung wurde von einer anderen Großgruppe zunächst sehr unterstützt, der katholischen Kirche, die sich im 19. Jahrhundert auf den Weg der Volkskirche begab. Katholische Kleriker partizipierten, wo ihre Regierungen es gestatteten, als Repräsentanten ihrer Kirche aktiv an der katholischen Vereinsund Parteibildung, Sie überschritten mit dieser Art der Wahrnehmung ihrer staatsbürgerlichen Rechte den als zu eng empfundenen Wirkungskreis einer rein seelsorglich aufgefassten Pastoral. Viele Regierungen des Kaiserreichs, darunter Preußen, gaben vor, nur die politische Tätigkeit des Klerus im Sinne einer Trennung von Kirche und Staat unterbinden zu wollen, griffen aber in das religiöse Leben selbst und in die Existenz der Orden ein, untersagten diesen ihre Schul- und Lehrtätigkeit, Bewegungsfreiheit und Glaubensverkündigung. Meist harmonierten die Vereinsmilieus mit der Institution Kirche. Im 19. und noch lange im 20. Jahrhundert waren das katholische Laien- und Priestermilieu häufiger einig als zerstritten. Dennoch traten zeitweise tiefgehende Meinungsverschiedenheiten zwischen der kirchlichen Hierarchie und den vereins- und parteimäßig organisierten Laien zutage. Bekannte Beispiele bildeten anlässlich des Septennatsstreits die Differenzen zwischen Ludwig Windthorst und Papst Leo XIII. über die Haltung des Zentrums zum deutschen Militäretat, der langwierige Streit zwischen den Christlichen Gewerkschaften und den katholischen Arbeitervereinen oder die vatikanische Ablehnung des Auftretens christlichdemokratischer Priester in Belgien. Eine weitere den Vereins- und Milieukatholizismus mitkonstituierende Größe lag in der vorhergegangenen oder parallelen Ausbildung antikatholischer, antiklerikaler, liberaler und sozialistischer Milieus. Die Einübung und das Funktionieren von Challenge and Response begleiteten die Herausbildung hinterfragen. Die Regierungspräsidentenberichte, vor allem der 1870er Jahre (BayHStA, MInn), die nur für die Zeit nach 1933 ediert sind, ergeben ein anderes Bild, das sich durch das Studium der örtlichen Zeitungen und Einzelarbeiten ergänzen ließe.

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des friedlichen Konkurrenzkampfes der politischen Parteien und damit der Freiheit und Pluralität des modernen politischen Lebens. In Regensburg entwickelten sich nach 1850 ein liberales und ein katholisches Lager um die Kristallisationskerne miteinander konkurrierender Presseorgane, Verleger und Journalisten. Noch an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert trug der Evangelische Bund indirekt zur Erhaltung des katholischen Vereins- und Parteimilieus bei; er bekämpfte dieses offen und hielt dadurch die Erinnerung an den Kulturkampf wach.75 Der Liberalismus und der Sozialismus stellten mit ihrer religions- und kirchenfeindlichen Haltung eine beständige Herausforderung dar, machten dem katholischen Milieu seine Existenznotwendigkeit bewusst. Aber erst in den totalitären Diktaturen wuchs sich die kritische Haltung des Staats gegenüber der Kirche zur Existenzgefährdung des katholischen Milieus aus, das entscheidend geschwächt, in den Untergrund gedrängt oder ausgelöscht wurde. Das war nicht mehr das Ergebnis eines Kampfes zwischen konkurrierenden Milieus, sondern die Hitlerjugend und andere NS-Organisationen erhielten wie ähnliche bzw. entsprechende Organisationen in den kommunistischen Ländern entscheidende Unterstützung seitens der staatlichen Repressions- und Propagandapolitik. Die reflexive Beziehungskultur der katholischen Milieus erstreckte sich besonders auf die sozialen Klassen oder Schichten der Industriegesellschaft: Katholische Subgesellschaften siedelten sich in der Bauernschaft, in der Arbeiterklasse, im Bürgertum und im Adel an. Die klassenübergreifende Heterogenität des katholischen Milieus ist schon öfters herausgestellt worden. Sie bot auch Platz für ein bürgerlich-katholisches Milieu, das von der Forschung bisher eher vernachlässigt wurde.76 Allerdings ist noch ungeklärt, ob die Überwindung der herkömmlich bestehenden oder der von der Industriegesellschaft neu hoch gezogenen sozialen Schranken tatsächlich auf breiter Front gelungen ist: Verkehrten Katholiken sozial verschiedener Herkunft intensiv und permanent auf der gleichen Ebene miteinander, praktizierten sie das Konnubium über die Klassenschranken hinweg, glichen sie sich hinsichtlich ihres Lebensstils und Lebensaufwands einander an? Auf diese gründlich zu stellende Frage können nur wenige Beispiele für das Pro und Contra angeführt werden. Im Falle der positiven, der (Pro-)Antworten müssen noch einmal die Vereine und Parteien Erwähnung finden: Dem katholischen Vereins- und Parteimilieu gelang der Ausgleich unter seinen Mitgliedern und Abgeordneten. Denn hier fanden sich Menschen gleicher Gesinnung 75 Jochen-Christoph Kaiser, Evangelischer Bund zur Wahrung der deutschprotestantischen Interessen (EB), in: Winfried Becker / Günter Buchstab / Anselm Doering-Manteuffel / Rudolf Morsey (Hg.), Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland, Paderborn u.a. 2002, S. 519 f. 76 So ein berechtigter Einwand von Dowe (wie Anm. 34), S. 16 mit Anm. 19; vgl. dazu Thomas Mergel, Grenzgänger. Das katholische Bürgertum im Rheinland zwischen bürgerlichem und katholischem Milieu 1870-1914, in: Blaschke/Kuhlemann (Hg.), Religion im Kaiserreich (wie Anm. 6), S. 166-192.

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zwecks Erreichung bestimmter Ziele zusammen. Sie traten in den gemeinsamen Dienst für ein sie verbindendes Drittes. Sie teilten eine „kollektive Sinndeutung“ kulturellen Inhalts, wenn sie zunächst für die Rechte ihrer Kirche und Konfession eintraten, später aber auch andere – soziale, pragmatische und sachpolitische – Ziele ins Auge fassten. Die Verfolgung der neuen Vorhaben entband aber immer weniger weltanschauliche Kohäsionskraft, die während der großen kulturpolitischen Auseinandersetzungen kräftig gewirkt hatte. Auf gemeinsamen nächtlichen Kutschfahrten durch den Berliner Tiergarten mit Konrad Graf von Preysing-Lichtenegg-Moos, einem hohen Standesherrn aus Niederbayern, führte der bürgerliche Jurist Ludwig Windthorst wichtige Gespräche, um die Zusammenarbeit der bayerischen mit den übrigen Abgeordneten des Zentrums innerhalb der gemeinsamen Reichstagsfraktion zu sichern.77 Die Polizeibeamten, die die katholischen Vereinsversammlungen in Bayern überwachten, betonten immer wieder das für sie erstaunliche gemeinsame Auftreten von Repräsentanten des Adels und gehobenen Bürgertums mit Vertretern kleiner Bürger, Landbewohner und Arbeiter. Sie beobachteten dieses breite soziale Spektrum unterschiedslos in Stadt und Land. Der intellektuelle Aufwand für die „kollektive Sinndeutung“ in Gestalt wissenschaftlicher, politischer oder theologischer Vorträge kam vor allem den zahlreich anwesenden „niederen Ständen“ (wie die Berichte der Regierungspräsidenten in Bayern sie nannten) zugute, die solcherart in gemeinsam zu verfolgende Projekte eingebunden, nicht vernachlässigt oder sich selbst überlassen wurden. Das standesübergreifende sozialkulturelle Milieu erbrachte damit eine Leistung, die im 21. Jahrhundert von den Kirchen, obwohl diese es nun mit einer sozial ausgeglicheneren Gesellschaft zu tun haben, anscheinend viel schwerer zu erreichen ist. Die evangelische Kirche in Brandenburg beklagte kürzlich, dass sie mit ihrer Pastoral bei den einkommensschwachen Schichten auf bedeutend größere Hemmnisse stoße als bei anderen Bevölkerungskreisen. Die standesübergreifende Zusammenführung der Katholiken in eigenen Vereinen und Parteien nahm das Modell der im 20. Jahrhundert zum Idealtypus erhobenen, freilich dann konsequent überkonfessionell definierten Volkspartei vorweg. Die Interkonfessionalität der späteren christlichen Parteien hatte schon Vorläufer in den Christlichen Gewerkschaften und Bauernvereinen, auch in der Zusammenarbeit von katholischen und evangelischen Arbeitervereinen bei Wahlen.78 Dieser Übergang zwischen prononcierten Vertretern katholischer und evangelischer Milieus unter 77 Im Reichstag fehlten Sprechzimmer. Andreas Biefang, Die andere Seite der Macht. Reichstag und Öffentlichkeit im „System Bismarck“ 1871-1890, Düsseldorf 2009, S. 179: hier allerdings keine nennenswerten Hinweise auf das Milieu katholischer Parlamentarier. 78 Dies nachgewiesen bei Reinhold Bost, Bartholomäus Koßmann. Christ, Gewerkschaftler, Politiker. 1883-1952, Blieskastel/Saar 2002.

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den Vorzeichen der Vertretung gemeinsamer Standesinteressen verdiente noch nähere Untersuchung und Würdigung: Der sozialen Interessenlage wurde hier offenbar der konfessionelle Unterschied nachgeordnet. Bei den Contra-Beispielen ist vorab zu bedenken, dass die Milieubildung der kirchlich gesinnten Katholiken nicht primär das gesellschaftspolitische Ziel der sozialen Egalität verfolgte. Eben deswegen fand eine Binnenorganisation katholischer Gruppierungen innerhalb der bestehenden sozialen Schichten oder Berufsgruppen statt; man trug den sozialen Unterschieden auf konservative Weise Rechnung. Die jeweilige soziale Schicht wirkte in die entsprechende katholische Organisation hinein. Der Zusammenhalt der sehr aktiven katholischen Studentenverbindungen, einer Vorform berufsgruppenspezifischer Vereinigungen, profitierte von der häufig gleichen sozialen Herkunft ihrer Mitglieder aus dem höheren Bürgertum. Die katholischen Studentenvereine waren sehr zugänglich für die nationalen Ideale, die innerhalb ihrer bevorzugten Herkunftsschicht besonders von protestantischer Seite vertreten wurden und die sie folglich mit ihrem katholischen Prinzip zu vereinbaren suchten. Doch verwarfen sie den Nationalismus als einziges oder dominantes Integrationsmoment, wenn sie neben das Prinzip der Vaterlandsliebe das der Religion stellten. Wie schon erwähnt, hissten Bürger und Bauern in Unterfranken aus Protest gegen den Kulturkampf die französische Nationalflagge. Windthorst bewahrte sich seit seinem Studium an der Universität Göttingen eine anglophile Neigung. Während des Kulturkampfes suchten die Zentrumspolitiker August und Peter Reichensperger auf Reisen ins nahegelegene Ausland den Kontakt mit den belgischen Katholiken. Die Beispiele für eine zumindest ansatzweise internationale Orientierung ließen sich vermehren. Zwischen dem katholischen Adel, dem Bürgertum und den anderen Klassen gleicher Konfession blieben also Unterschiede bestehen. Doch entfaltete der Kulturkampf eine die sozialen Unterschiede relativierende Wirkung, wie schon aus den Rednerlisten und der Zusammensetzung der Versammlungen katholischen Vereine hervorging. Der adlige Privatdozent der Philosophie Georg von Hertling zeigte zwar erkennbare Reserven, als ihn Mitglieder seiner Bonner Pfarrgemeinde für kleine Dienste einspannen wollten, aber sein erfolgreiches Eintreten für die klassenübergreifende Sozialpolitik des Bismarckreiches, das keineswegs nur von Sozialistenfurcht ausging, ist unumstritten. Auch spielte seine Standesherkunft keine Rolle, als er mit seiner Frau in der von den Auseinandersetzungen um den Altkatholizismus und das Erste Vatikanische Konzil geschüttelten kleinen Universitätsstadt Bonn gesellschaftlich isoliert wurde. Der Abkömmling einer kurmainzischen Beamtenfamilie blickte während seiner Berliner Studienzeit fremd auf die Welt des in der Wilhelmstraße residierenden preußischen Adels; die förmlichen Umgangsformen einer entfernten Verwandten, einer geborenen Gräfin Arnim-Boitzenburg, erschreckten ihn.79 Hertlings 79 Georg von Hertling, Erinnerungen aus meinem Leben, Bd. 1, Kempten-München 1919, S. 61.

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Freund Konrad von Preysing meldete seiner Frau aus Berlin, dass er seinen Lebensstil mit den aufwändigen Mittagessen aufgeben und sich den diesbezüglich bescheideneren Gepflogenheiten der anderen Parlamentarier anpassen müsse. Er bewahrte indes seinen Status als großer Gutsherr in Niederbayern und beanspruchte gesellschaftliche Ebenbürtigkeit mit dem Prinzregenten Luitpold von Bayern. Hohes Standesbewusstsein zeigte der während der Zwischenkriegszeit für die Restitution der Wittelsbacher eintretende Monarchist Erwein von Aretin. Zur Bayerischen Volkspartei und deren indigenen Elementen hielt er Distanz. Nach einer privaten Inspektionsreise durch die Bayerische Ostmark (Oberfranken, Oberpfalz, Bayerischer Wald) trat er bei der Staatsregierung und in Presseartikeln energisch für die wirtschaftliche Besserstellung dieser Not leidenden katholischen Gebiete ein, ohne irgendeine Sympathie für das dort dichte Milieu seiner Konfession durchschimmern zu lassen.80 Der Gegensatz zwischen kulturpolitisch-bürgerlicher und gewerkschaftlichsozialer Orientierung in der Zentrumspartei, zwischen einem Bürger- und Arbeiterflügel, trat vor allem bei Adam Stegerwalds Versuchen hervor, das Zentrum in eine interkonfessionelle, christlich-soziale Partei zu verwandeln; diese sollte Mehrheitsfähigkeit dadurch erlangen, dass sie die Abschottung der Konfessionen aufbrach, die Mehrheit der Arbeiterschaft gewann.81 Stegerwald scheiterte an den von ihm außerhalb des Zentrums umworbenen Kräften, aber auch an der Beharrungskraft des bürgerlichen Flügels und einzelner Arbeitervertreter, die an der erprobten kulturpolitischen Orientierung ihrer Partei festhielten. Eine für das katholische Milieu charakteristische Scheidelinie verlief zwischen Priestern und Laien, den beiden großen „Ständen“, deren unterschiedlicher Status sich jedoch einer sozialpolitischen Perspektive nur begrenzt erschließt. Die Kleriker, die in der Vereinsbewegung, vor allem als Präsides der katholischen Arbeitervereine, zunächst leitende Stellungen einnahmen, traten allmählich vor dem Laienelement zurück, mit dem sie während des 19. Jahr80 Jedenfalls nicht in seinen Memoiren.Erwein von Aretin, Krone und Ketten. Erinnerungen eines bayerischen Edelmannes, hg. von Karl Buchheim und Karl Otmar von Aretin, München 1955, S. 50-55. 81 Solche Versuche unternahm der Führer der Christlichen Gewerkschaften, der sich gegenüber der Zentrumspartei zunächst zurückhielt, im Gewerkschaftsstreitsstreit vor 1914, im Weltkrieg 1915/16, im Herbst 1918 und auf dem christlichen Gewerkschaftskongress in Essen am 21. November 1920. Bernhard Forster, Ein christlich-nationaler Politiker zwischen Spannung und Abgrenzung. Adam Stegerwald und die große Koalition in den Anfangsjahren der Weimarer Republik, in: Historisch-Politische Mitteilungen 10 (2003), S. 43-73, 49-56; ders., Adam Stegerwald 1874-1945. Christlich-nationaler Gewerkschafter – Zentrumspolitiker – Mitbegründer der Unionsparteien, Düsseldorf 2003.

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hunderts und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft ein ersprießliches Verhältnis verband. Die kirchliche Hierarchie wurde im Zuge der „Verkirchlichung“ nach 1945 zunächst gestärkt, bis schließlich aufgrund nachkonziliarer Entwicklungen die Laien in die kirchlichen Dienste selbst einbezogen wurden, während sie zuvor ganz überwiegend im gesellschaftlichen Vorfeld der Seelsorge gestaltend tätig gewesen waren. Nicht zuletzt ist auf den sich Ende des 19. Jahrhunderts auffächernden, aber früher beginnenden katholischen „Binnendiskurs“ zu verweisen, besonders auf die von Georg von Hertling nachdrücklich angeregte Debatte über die katholische Inferiorität oder auf den Literaturstreit zwischen Richard von Kralik und Carl Muth. Die Trennungslinien zwischen beharrenden, traditionalistischen und den die kulturelle Integration erstrebenden Stimmen waren hier wie in anderen Submilieus überlagert von Kontrastgruppen mit divergierenden sozialen Prädispositionen, etwa ob katholische Universitätsangehörige, Journalisten oder Geistliche sich zu Wort meldeten. Einige resümierende Bemerkungen sollen als Diskussionsanstöße dienen. Der Definition des katholischen Milieus als einer sozialen, durch kulturelle Einigungsmomente zusammengehaltenen Gruppe wird der Vorzug vor der Definition als bloßer Kommunikationsraum oder Kommunikationseinheit gegeben. Vor allem in „traditionalen katholischen Lebenswelten“ geht das katholische Milieu von den Trägern katholischer Frömmigkeitspraxis aus, über die in Deutschland mehr statistische Untersuchungen vorgelegt werden müssten.82 Das katholische Milieu war nicht das automatische Produkt einer Region oder eines Territoriums gleicher Konfession. Die von den Territorialstaaten abhängige Konfessionszugehörigkeit bildete aber doch eine wichtige Voraussetzung für die von anderen konstituierenden Faktoren oder Konflikten mitbestimmte Inkulturation des Milieus. Als aufgrund der Großen Säkularisation katholische Gebiete von Fürsten protestantischer Konfession annektiert wurden, war der Grund gelegt für konfessionelle Milieus, die sich dem einseitigen anderskonfessionellen Auftreten ihres neoabsolutistischen Staates entzogen 82 Vgl. für Frankreich Yves-Marie Hilaire, Le temps retrouvé. Vingt-quatre regards sur deux siècles d’histoire religieuse et politique. Préfas de René Rémond, Lille 1998; eine vorbildliche Synthese sozial-, wirtschafts-, geographie- und religionsgeschichtlicher Betrachtungsweisen bietet Yves-Marie Hilaire, Une chrétienté au XIXe siècle? La vie religieuse des populations du diocèse d’Arras (1840-1914), Bd. 1, Villeneuve d’Ascq 1977; vgl. Jean-Marie Mayeur, Neue Tendenzen der Geschichtsschreibung über den Katholizismus in Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert, in: Historisches Jahrbuch 127 (2007), S. 451-463; deutsche Regionen behandeln Wolfgang Brückner, Frommes Franken. Kult und Kirchenvolk in der Diözese Würzburg seit dem Mittelalter, Würzburg 2008; ders., Frömmigkeit und Konfession. Verstehensprobleme, Denkformen, Lebenspraxis, Würzburg 2000; sowie Zumholz, Volksfrömmigkeit und Katholisches Milieu (wie Anm. 5) an einem exemplarischen Fall.

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oder widersetzten. Manche katholischen Milieus konnten in Zeiten der Konflikte oder der Unterdrückung nur isoliert in einer insularen Lage bestehen, weil sie von gegnerischen Dominanzfaktoren eng umschlossen waren. Als beschreibbare Größe rückt besonders die vielfältige Vereins- und Parteienlandschaft des Katholizismus in den Blick.83 Die Zusammenarbeit in den Vereinen sowie der Vereine über Klassenschranken hinweg bestätigt die Integrationskraft des kulturellen Phänomens der „kollektiven Sinndeutung“, erkennt aber mit der gewählten schichten- und berufsbezogenen Organisationsform die bestehenden sozialen Unterschiede an. Das katholische Vereinswesen ist sowohl klassenübergreifend als auch konservativ. Es ist kein Pionier des sozialen Egalitarismus der säkularisierten Moderne. Das sozialkulturelle katholische Milieu lässt sich aber auch nicht als Gegenpol der Modernisierung begreifen. Die katholische Vereins- und Parteibewegung adaptiert die freiheitlichen Formen des modernen Verfassungs- und Gesellschaftslebens, leistet einen eigenständigen Beitrag zu dessen Entwicklung. Indem es der Tendenz zur „Atomisierung“ oder zur zu weit gehenden Individualisierung der Gesellschaft entgegenarbeitet, reiht es sich modernen gesellschaftlichen Prozessen ein. Das katholische Milieu ist auch nicht wegen seiner Abwehr der „Säkularisierung“ antimodern, will es doch der Religion einen angemessenen Platz in der sich wandelnden Gesellschaft verschaffen. Neuerdings wird die Gültigkeit der Säkularisierung als eines gobalen Modernisierungsphänomens bezweifelt.84 Mit der von Lepsius 1966 aufgestellten, erstaunlich langlebigen These, die sich zur Gegenwelt verdichtenden und homogenisierenden Milieus, besonders das katholische, hätten Modernität verhindert, ist die Geschichtsschreibung nicht an ihr Ende gelangt. Die internationale Debatte um die postmoderne Historiographie hat das Paradigma der Modernisierung, des Marxismus und überhaupt jeder Meistererzählung mit begründeten Zweifeln an Alleingeltungsansprüchen überzogen.85 Die Metapher vom „modernen Diskurstropfen“, der um 1900 „im Meer der hergebrachten Argumentationen“ des Katholizismus ver83 Den Aspekt der Organisation betont Altermatt, Katholische Subgesellschaft (wie Anm. 5), S. 149 ff. 84 Vgl. Justin Rainey, Secularism for the 21st Century, in: IWMpost Nr. 101 (AprilAugust 2009), S. 5: Bericht über die vom IWM [Institut für die Wissenschaft vom Menschen], Wien, veranstaltete Konferenz „Modes of Secularism and Religious Responses“ vom 4.-6. Juni 2009 am Französischen Kulturinstitut in Wien. 85 Vgl. aus der reichen Literatur nur Ernst Breisach, On the Future of History. The Postmodernist Challenge and its Aftermath, The University of Chicago Press, Chicago-London 2003; Winfried Becker, Die postmoderne Geschichtstheorie und die Dokumente, in: Robert Kretzschmar (Redaktion), Archive und Forschung. Referate des 73. Deutschen Archivtags 2002 in Trier, Siegburg 2003, S. 31-53.

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schwunden sei, ersetzt nicht die Reflexion über das, was heute als modern vorausgesetzt wird und was etwa im 19. Jahrhundert als modern galt. Die Inhalte des Modernitätsbegriffs haben sich gewandelt. Die Zuordnungen erweisen sich als uneindeutig oder schwierig, wenn einerseits auf Lepsius‘ Spuren die „Verdichtung“ des katholischen Milieus mit ihrer „Bindungswirkung“ als integrationsfeindlich und „gegenweltlich“ bezeichnet, andererseits die „innere Modernisierungs-, jedenfalls Diskursfähigkeit“ dieses Milieus behauptet wird.86 War die Kommunikation nach außen generell so eingeschränkt? Übernimmt man diskursweise Fukuyamas These von der globalen Modernität und Finalität einer Demokratie, die auf rechtsstaatliche Prozeduren und Verantwortung gegründet sei,87 so könnte eine entsprechende Interpretation den katholischen Vereins-, Partei- und Parlamentsmilieus und sogar manchen im katholischen Lager vertretenen staatstheoretischen Anschauungen88 einen Platz innerhalb dieser modernen Entwicklung zuweisen. Das katholische Milieu existierte im Plural, ihn ihm versammelten sich mehrere Milieus (Wilfried Loth). Nur so ist seine soziale Heterogenität zu erklären. Sie stellt ein Gegenmodell zum einseitigen marxistischen Klassenmodell bereit, dessen theoretischer Anspruch nie praktische Realisierung gefunden hat. Die katholischen Organisationen im aristokratischen, im bürgerlichen und Arbeiter-Milieu – das bäuerliche Milieu wird meist weniger beachtet – und ihr Verhältnis zueinander sind darum nicht gemäß dem Modell des Klassenkonflikts zu deuten. Die Milieus entstehen auch nicht erst mit der Industrialisierung. Es wäre der methodischen Präzision dienlich, zwischen einigen soziokulturellen Hauptmilieus zu unterscheiden und diese gesondert zu untersuchen: die Vereine auf ihren verschiedenen Ebenen, die Parteien und ihre parlamentarischen oder informellen Milieus, die Milieus in fester umrissenen sozialen Gruppen (z. B. Christliche Gewerkschaften, Christliche Bauernvereine), die Frömmigkeitskulturen in den Regionen, die Erziehungsinstitute, die Studenten und die Universitäten, die Intellektuellen, die schöne Literatur, die Kunst, die

86 Holzem (wie Anm. 37), S. 15, 30f., 37. 87 Francis Fukuyama, The End of History and the Last Man, New York 1992 (dt. München 1992); zurückgehend auf ders., The End of History?, in: The National Interest 16 (1989), S. 3 (erste Publikation der 1988 entwickelten These). 88 Das neuscholastische Naturrecht wird allerdings als Hemmnis der Modernisierung, weil der Interpretation der Kirche unterworfen, angesehen von Rudolf Uertz, Vom Gottesrecht zum Menschenrecht. Das katholische Staatsdenken in Deutschland von der Französischen Revolution bis zum II. Vatikanischen Konzil (17891965), Paderborn u.a. 2005, S. 483 ff.; vgl. zur Ausbildung eines „im natürlichen Sein des Menschen gegründeten Rechtes“ bei Autoren der Spätscholastik Jozef Punt, Die Idee der Menschenrechte. Ihre geschichtliche Entwicklung und ihre Rezeption durch die moderne katholische Sozialverkündigung, Paderborn u.a. 1987, S. 41-47.

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Presse und die Publizistik. Insofern ist herkömmliche statt theoretisch überfrachteter Geschichtsschreibung immer noch notwendig und vielversprechend. Die Cleavages, die das Milieu überlagernden und stärkenden Konfliktlinien wären jeweils intern zu spezifizieren und numerisch zu erweitern. Zum Entstehen und zur Verdichtung der Milieus trugen auch wesentlich die Herausforderungen bei, die von den anderen Konfessionen, von den antiklerikalen Großgruppen, von weltanschaulichen und politischen Strömungen (Liberalen, Konservativen, Sozialdemokraten, schließlich von Nationalsozialisten und Kommunisten) ausgingen. Neben den Konfliktlinien wären aber die positiven Milieu-Konstituentien zu beachten, z. B. die produktiv-eigenständige Teilhabe von Katholiken an der liberalen bzw. der Verfassungs-Bewegung des 19. Jahrhunderts und an der Sozialpolitik, die es Trägern des katholischen Milieus erlaubte, sich in der Schicht der Industriearbeiter einzunisten. Der innere Ausbau der Milieus war ebenfalls konstitutiv. Die Konfliktlinien wurden zudem relativiert durch wechselnde Formen reflexiver Interaktionen und Beziehungen. Das katholische Milieu rang um Anerkennung und Integration in Politik und Gesellschaft. Die Auflösung der Milieus war nicht die notwendige Voraussetzung für die Entwicklung zu einer offenen Gesellschaft. Freie Gesellschaften und Staaten sind nicht dadurch gefährdet, dass sie Kerne festgefügter Glaubens- oder Milieu-Gemeinschaften enthalten, wie außereuropäische Beispiele zeigen. Die innere Durchgliederung der Gesellschaft kann sogar eine Garantie ihrer Freiheit sein. Das äußere Verbot oder das autogene Verschwinden der Milieus hat den inneren Zusammenhalt von Gesellschaften beeinträchtigt oder deren Totalisierung Vorschub geleistet. Resistenz, Widerstand und Abstand gegenüber dem Nationalsozialismus (und dem Kommunismus in Ostdeutschland nach 1945) kamen zustande, weil konsistente, von der nationalsozialistischen Ersatzreligion nur an den Rändern infizierbare Milieus – z.B. das katholische Milieu und (mit Einschränkungen) das Arbeitermilieu – schlicht existierten. Die für einzelne Regionen nachweisbare Stabilität der Deutschen Zentrumspartei und der Bayerischen Volkspartei am Ende der Weimarer Republik ist nicht nur unter dem negativen Aspekt ausgebliebenen Wachstums zu sehen, sondern auch unter dem positiven der Stabilität, der deutlich geringeren Anfälligkeit für die NSDAP, verglichen mit den liberalen Parteien, den Deutschnationalen und sogar den Sozialdemokraten.89 Die für die ehemals katholischen Parteien cha89 Ein Ergebnis der Vorträge dieses Symposions. Vgl. Jürgen W. Falter, Die Wahlen des Jahres 1932/33 und der Aufstieg totalitärer Parteien, in: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hg.), Die Weimarer Republik, Bd. 3, Das Ende der Demokratie 1929-1933, München 1995, S. 271-314, 293: Im Wahlverhalten sei „der relativ stärkste Einflussfaktor fast immer die durch den Katholikenanteil gemessene Konfessionsfärbung der Kreise. Im Falle von Zentrum und

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rakteristische enge Beziehung zwischen Politik, Konfession und Milieu hat eine historische Bewährungsprobe bestanden. Dass sie das Abgleiten in die Diktatur nicht abzuwenden vermochte, kann nicht das Hauptkriterium ihrer Beurteilung sein, auch nicht die partielle Anfälligkeit von Katholiken für den Autoritarismus. Spätestens seit den 1960er Jahren schwächten sich die schichtenübergreifenden religiösen Bindekräfte des Milieus erheblich ab. Sie sind aber durch einseitig wirkende soziale Kohäsionskräfte, die Definition der politischen Identitäten gemäß rein wirtschafts-, klassen- oder interessenpolitischen Motiven, nur schwer zu ersetzen. Die Gesellschaft und der Staat bleiben auf zusammenhaltende soziokulturelle Kräfte angewiesen. Ob die Berufung auf die „Mitte“ den „schleichenden Verlust der politischen Traditionsbindung“ kompensieren kann?90 Der Begriff des katholischen Milieus lässt sich am ehesten auf die Großgruppe glaubenstreuer, organisations- und opferbereiter Katholiken, innere Opponenten oder Dissentierende eingeschlossen, anwenden. Problematisch ist seine Ausdehnung auf alle getauften Christen mit ihrem großen Anteil von Indifferenten oder auf diejenigen, die sich den gegnerischen, z. B. den nationalliberalen oder sozialistischen, Milieus anschlossen; insofern ergibt sich eine gewisse Deckungsgleichheit mit dem Begriff des politischen und sozialen Katholizismus (vor 1945).91 Dessen innere Differenzierung und sein Verhältnis zur Institution Kirche versuchen einige Autoren mit den Begriffsrastern der Subgesellschaft, des Submilieus und der Subkultur, des Mikro-, Meso- und Bayerischer Volkspartei überlagert, ja neutralisiert sie auf Reichsebene alle anderen Merkmale.“ Vgl. die Karten zum Wahlverhalten der deutschen Katholiken 1932-1933 bei Karl-Joseph Hummel / Michael Kißener (Hg.), Die Katholiken und das Dritte Reich. Kontroversen und Debatten, Paderborn u.a. 2009, Anhang. 90 Vgl. Horst Möller, Das deutsche Parteiensystem in den 1980er und 1990er Jahren, in: Bernhard Löffler / Karsten Ruppert (Hg.), Religiöse Prägung und politische Ordnung in der Neuzeit. Festschrift für Winfried Becker zum 65. Geburtstag, Köln-Weimar-Wien 2006, S. 583-605, 584. 91 Die willkürliche Einbeziehung alldeutscher Zeitschriften ins katholische Milieu überzeugt nicht; so aber Uwe Puschner, Katholisches Milieu und alldeutschvölkische Bewegung. Die Münchner Zeitschrift Odin (1899-1901), in: Grunewald, Puschner, Bock (wie Anm. 46), S. 143-167; so auch Dowe (wie Anm. 34), S. 302 f. mit Berufung auf Erkenntnisse der Bürgertumsforschung. Ein national oder bayerisch-patriotisch (föderalistisch) konservatives Profil lässt sich noch zum katholischen Milieu, kaum mehr zum ‚mainstream‘ des politischen Katholizismus rechnen. Vgl. Winfried Becker, Der Einbruch des Nationalsozialismus an der Universität München. Situationsberichte des Geschichtsstudenten Hans Rall an Professor Max Buchner, in: Konrad Ackermann / Alois Schmid / Wilhelm Volkert (Hg.), Bayern. Vom Stamm zum Staat. Festschrift für Andreas Kraus zum 80. Geburtstag, Bd. 2, München 2002, S. 513-546; durchgehend diese konservativ-bayerische Haltung bei Aretin, Krone (wie Anm. 80); vgl. dazu Dieter J. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern (1869-1955). Eine politische Biografie, Regensburg 2007.

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Makromilieus92 näher zu erfassen. Ein solches Bemühen um Differenzierung kann sich vielleicht auch wieder mit der Persönlichkeit aussöhnen, der biografischen Methode historischen Arbeitens. Die katholische Kirche ist prinzipiell denkbar ohne katholisches Milieu. Die Welt des Glaubens ist von einer eigenen, nicht hinterfragbaren Dignität. Kirche hat jedoch immer auch einen gesellschaftlichen Ort, sie will in der Welt sichtbar sein. Diesen Ort bezeichneten die katholischen Milieus als fixierbare gesellschaftliche und historische Größen. Der oft bedauerte Schwund des katholischen Milieus zeigt aber nicht das Ende einer Geschichte an. Neue Zeiten können neue Formen des Milieus generieren.93 Eine solche Entwicklung könnte sogar als wünschenswert und geboten erscheinen, um ein Konkurrenzangebot zu den esoterischen und schweifenden Formen der Religiosität zu erhalten oder neu zu entwickeln, die sich in der Öffentlichkeit und der Eventkultur zu etablieren beginnen.

92 Erläuterung bei Blaschke/Kuhlemann, Religion in Geschichte (wie Anm. 6), S. 47 ff. (z.B.„Mesomilieu“ – Region). 93 Vgl. Gerhard Schmidtchen, Was den Deutschen heilig ist. Religiöse und politische Strömungen in der Bundesrepublik Deutschland, München 1979, S. 194-200: Ein säkularisiertes wissenschaftliches Weltbild stelle „keine Verhaltensmöglichkeiten zur Verfügung gegenüber dem Existentiellen des Menschseins“; gerade die zunehmende Rationalität einer Gesellschaft setze eine „religiöse Motivation“ frei; deren notwendige Verallgemeinerung werde aber verfehlt, wenn sie esoterischen Subkulturen oder der Funktionalisierung durch pseudoreligiös geführte politische Kontroversen (Atomenergie, Umwelt) überlassen werde.

II. AGRAR-INDUSTRIELLE MISCHMILIEUS

BADEN / SCHWABEN

DAS KATHOLISCH-LIBERALE ANTI-MILIEU IN SÜDDEUTSCHLAND – ACHILLESFERSE DES DEUTSCHEN KATHOLIZISMUS (SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN) ODED HEILBRONNER DIE THESE Das Interesse am Liberalismus als historisches, kulturelles und ideologisches Phänomen hat im letzten Jahrzehnt klar zugenommen. Der Liberalismus weckte zwar stets breite Aufmerksamkeit, doch der Schwerpunkt der historischen Forschung lag bislang auf der nationalen Politik und besonders auf konstitutionellen Themen. Seit einigen Jahren übt die Kulturgeschichte im Kontext der neuen historiographischen Schule eine neue Faszination aus. So erscheinen etwa Debatten über das Verhältnis zwischen Staat und Religion oder zwischen Mann und Frau in völlig neuem Licht, sobald man die Beziehung zwischen Liberalismus und Religion bzw. zwischen dem Liberalismus und dem Verhältnis der Geschlechter in ihrer vollen Komplexität begreift.1 Entsprechend sind auch neue Ideen über den Liberalismus als Massenbewegung gefragt.

1

Dagmar Herzog, Anti-Judaism in Intra-Christian Conflict: Catholics and Liberals in Baden in the 1840s, Central European History, 3, 1994, 267-82; eadem, Intimacy Exclusion. Religious Politics in Pre-Revolutionary Baden, Princeton, 1996; Michael Gross, Kulturkampf and Unification: German Liberalism and the War Against the Jesuits, Central European History, 4, 1997, 545-566; Helmut W. Smith, German Nationalism and Religious Conflict in Germany 1887-1914, Princeton 1995; Oded Heilbronner, Populärer Liberalismus in Deutschland: Entwicklungstendenzen der badischen Wahlkultur, Zeitschrift f. die Geschichte des Oberrheins (ZGO), 146, 1998, 481-521; Th. Mergel, Für eine bürgerliche Kirche: Anti-ultramontanismus, liberalismus und Bürgertum 1820-1850. Rheinland und Südwestdeutschland im Vergleich, ZGO, 144, 1996, 397-428; Barbara Stambolis Nationalisierung trotz Ultramontanisierung oder: Alles für Deutschland. Deutschland aber für Christus. Mentalitätsleitende Wertorientierung deutscher Katholiken im 19. und 20. Jahrhundert – Historische Zeitschrift, 1, 269, 1999; Paul Seeley, O Sainte Mere: Liberalism and Socialization of Catholic Men in 19th.-Century France. Journal of Modern History, 70, 4, 1998, 862-891; Carol Harrison, The Bourgeois Citizens in 19th.- Century France. Gender, sociability, and the uses of emulation, Oxford,9111;‫ ‏‬Jon Lawrence , Speaking for the People. Party, Language and Popular Politics in England, 1867-1914, Cambridge 1998, chp.3; Searle, G.R., Morality and the Market in Victorian Britain, Oxford 1998; Anthony Howe, Free Trade and Liberal England 1846-1946, Oxford, 1998; Eugenio F. Biagini, Liberty, Retrenchment and Reform: Popular Liberalism in the Age of Gladstone, 1860-

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Eine neue, bislang nicht auf Deutschland angewandte These besagt, daß der Liberalismus, wie der Sozialismus und der Katholizismus auf dem europäischen Kontinent, im 19. Jahrhundert eine – zuweilen radikale - Massenbewegung war.2 Bis 1849 oder, gemäß anderer Versionen, bis zu den frühen siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, existierte in Deutschland ein populärer Liberalismus, so wurde bis vor wenigen Jahren dargelegt.3 In der vorliegenden Arbeit möchte ich den deutschen Liberalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nicht im Zusammenhang mit Krise und Zusammenbruch, sondern als Erfolgsgeschichte oder – vorsichtiger ausgedrückt – unter dem Gesichtspunkt seiner Grenzen und Widersprüche untersuchen. Die Verwendung des Begriffs Populärer Liberalismus soll neue Interpretationen der Stärken und Eigenheiten des Liberalismus in Deutschland ermöglichen. Bis vor kurzem stand der Terminus Populärer Liberalismus vor allem für den englischen Popular Liberalism, ein in Großbritannien beobachtetes politisches und soziales Phänomen, das ein bestimmtes politisches – manchmal radikales – Verhaltensmuster urbaner und ländlicher Gesellschaften von Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts beschreibt. Durch die Verwendung des Begriffs Populärer Liberalismus im Kontext des deutschen Liberalismus möchte ich zum besseren Verständnis bestimmter politischer und kultureller Muster in Deutschland bis zu den späten zwanziger Jahren beitragen, was insofern von Bedeutung ist, als Kritiker populär-radikaler Politik mit liberalen Parteien und Interessengruppen bis heute vor allem auf die gravierenden Schwächen des politischen Systems des Zweiten Deutschen Reichs und der Weimarer Republik verweisen. Durch die nähere Untersuchung dieser politischen und kulturellen Formation wird es mir, so hoffe ich, gelin1880, Cambridge 1992; Andrew Gould,Origins of Liberal Dominance. State, Church and Party in 19th. Century Europe, Ann Arbor 1999. 2

Langewiesche, Dieter, Liberalism and the Middle Classes in Europe, in: J. Kocka (ed.), Bourgeois Society in 19th Century Europe, Oxford 1992, 40-69.

3

Dies ist z.B. die Hauptthese einiger Arbeiten über Süddeutschland, vgl. Paul Nolte, Gemeindebürgertum und Liberalismus in Baden 1800-1855, Göttingen 1994; vgl. auch Lothar Gall, Die partei- und sozialgeschichtliche Problematik des badischen Kulturkampf, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 113, 1965; Gerd Zang (Hg.), Provinzialisierung einer Region. Zur Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft in der Provinz, Konstanz 1978; Dieter Hein, Die bürgerlichliberale Bewegung in Baden 1800-1880, in: Lothar Gall, Dieter Langewiesche (Hg.), Liberalismus und Region, München 1995; Geoff‫‏‬Eley, Liberalism, Europe, and the bourgeoisie 1860-1914, David‫ ‏‬Blackbourn‫ ‏& ‏‬Richard‫ ‏‬Evans (eds) The German Bourgeoisie, London,1990, 307; Dieter Langewiesche, Deutscher Liberalismus im europäischen Vergleich: Konzeption und Ergebnisse, idem (Hg.) Liberalismus im 19. Jahrhundert, Göttingen,1988, 16-17; Jürgen Heideking, Republicanism and Liberalism in America and the German States, 1750-1850, Cambridge 2001.

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gen, die Existenz des populären Liberalismus in einer bestimmten Region – in Süddeutschland – nachzuweisen. Die Liberalen dieser Region, vor allem Mitglieder der Nationalliberalen Partei, der Bauernvereine und -parteien, verfügten über ein ausgeprägtes radikales Bewußtsein und ein hohes Maß an Entschlossenheit, sich als Wählergemeinde und gesellschaftliche Kraft zu behaupten. Kaum übertrieben wäre die Feststellung, daß der populäre Liberalismus (zusammen mit dem populären Katholizismus) in einzelnen Regionen Süddeutschlands die prägende Kraft der lokalen politischen Kultur war.4 Meine Arbeit spannt den Bogen aber noch weiter: Ich möchte einen neuen Erklärungsansatz für den Erfolg des Nationalsozialismus vor 1933 in bestimmten süddeutschen Regionen vorschlagen, der auf der Tatsache beruht, daß der populäre Liberalismus zwischen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts weitgehende Kontinuität bewies. Eine Schwierigkeit des Diskurses über den Nationalsozialismus liegt darin begründet, daß das Thema bereits so gründlich ausgeleuchtet scheint, daß ein Überdenken seiner historischen Wurzeln kaum für sinnvoll gehalten wird. Meine Behauptung geht von den Kontinuitäten radikaler Politik aus, von denen in der fraglichen Zeit mehrere Parteien, Interessengruppen und Vereine geprägt waren. Dieser Interpretation zufolge, wies der Nationalsozialismus der zwanziger Jahre nicht nur eine oder zwei kulturelle Wurzeln auf, sondern zehrte besonders vor 1931/32 eklektisch von verschiedenen Traditionen, indem er pragmatisch auf die jeweiligen Zeitumstände reagierte.5 In diesem Zusammenhang sollte meines Erachtens das Verhältnis zwischen den lokalen bzw. regionalen Identitäten und der Parteizugehörigkeit auf nationaler Ebene neu betrachtet werden. So wäre darauf hinzuweisen, daß in gewissen Regionen, in denen die NSDAP massive Wahlerfolge erzielte, ein ländlicher Liberalismus mit radikalem Erbe existierte. Im Gegensatz zur verbreiteten Anschauung möchte ich aufzeigen, daß diese radikal-liberale Subkultur (oder lokal-regionale radikale Identität) nicht in der NSDAP aufging, sondern nur ihre politische Vertretung wechselte. In den Ortsgruppen der NSDAP6 waren neben der bekannten völkischen Frak4

Am Bodensee zum Beispiel mindestens bis zu den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts, vgl. Zang, Provinzialisierung.

5

Später durchlief die Partei auf Initiative Gregor Strassers und Heinrich Himmlers verschiedene organisatorische Reformen zwecks Ausschaltung unabhängiger Strömungen und anti-zentralistischer Kräfte und Tendenzen in der Partei. Vgl. D. Orlow, The History of the Nazi Party, Vol. I, Pittsburgh, 1969, 129-130, 257-260; Paul Gerhard, Aufstand der Bilder – Die NS-Propaganda vor 1933, Bonn 1990, 95-103; Peter Stachura, Gregor Strasser and the Rise of Nazism, London 1983, 67-72.

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Aus der Fülle von Literatur über diese beiden Trends innerhalb der NSDAP vgl. das unlängst erschienene Werk von Susanne Meinl, Nationalsozialisten gegen Hitler. Die nationalrevolutionäre Opposition um Friedrich Wilhelm Heinz, Berlin 2000; Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989, Bonn 1996.

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tion und der linksgerichteten Strasser-Fraktion auch radikal-liberale Organisationen, ehemalige Mitglieder und Sympathisanten liberaler Parteien sowie Notabeln mit in der Familien- und Regionaltradition verwurzelter liberaler Gesinnung vertreten. Letztere schlossen sich der NSDAP offenbar im Glauben an, die Nationalsozialisten würden die in der Lokaltradition von 1848 bis zum frühen 20. Jahrhundert verwurzelten liberalen Ideale weiter verteidigen. Bis zu späten zwanziger Jahren wirkten die liberalen Parteien und Organisationen, Bauernorganisationen und -Vereine als gesellschaftspolitische Vertreter dieser Ideale und Kultur. In den späten zwanziger- und frühen dreißiger Jahren wurde diese Rolle dann in manchen Dörfern und Kleinstädten von den Ortsgruppen der NSDAP übernommen. Kurz darauf begann sich dieses spezifische radikalliberale Erbe innerhalb der NSDAP zumindest in Süddeutschland als Folge der organisatorischen Reformen von Strasser und Goebbels innerhalb der NSDAP aufzulösen. Zumindest büßte es seinen liberalen Charakter ein.7 Meine Behauptungen bis zu diesem Punkt möchte ich wie folgt zusammenfassen: Es ist bekannt, daß in den meisten Regionen, die im Jahrzehnt vor 1914 als Hochburgen des Liberalismus galten (Schleswig-Holstein, Oldenburg, Hannover, Pfalz, Hessen, Baden, Franken, Südschwaben) die NSDAP ab Ende der zwanziger Jahre massiven Zulauf gewann. Für den Erfolg der Nationalsozialisten in diesen Regionen wurden in den vergangenen Jahrzehnten manche Erklärungen geboten.8 Oft werden diese spezifischen Kontinuitäten in den obengenannten (und anderen) Regionen vom (National-) Liberalismus zum Nationalsozialismus anhand von Begriffen wie Demagogie oder Populismus erklärt.9 7

Vgl. zu diesem radikal-liberalen Trend innerhalb der NSDAP, Heilbronner, Catholicism, Political Culture and the Countryside. A Social History of the Nazi Party in South Germany, Ann Arbor (Michigan) 1998, chap. 9-10.

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Vgl. dazu einige Beispiele aus den letzten Jahren: Jürgen R. Winkler, Sozialstruktur, politische Traditionen und Liberalismus. Eine empirische Längsschnittstudie zur Wahlentwicklung in Deutschland 1871-1933, Opladen 1995; Ulrich Pfeil, Partikularismus, Sonderbewußtsein und Aufstieg der NSDAP. Kollektive Denkhaltungen und kollektive Erinnerung in Dithmarschen 1866-1933, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, 124, (1999), 135-163; Wille Kay Dohnke, Propaganda für die Nazis – auf Platt Volkes Mund und Führer, in: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes SchleswigHolstein (Hg.), Ende und Anfang im Mai 1945. Das Journal zur Wanderausstellung des Landes Schleswig-Holstein. Kiel 1995, 147-151; Celia Applegate, A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat, Berkeley 1990.

9

Jürgen Kocka, Bürgertum und Sonderweg, Peter Lundgreen (Hg.) Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums, Eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsbereichs (1986-1997), Göttingen, 2001,93-111; Dirk Stegmann, Die Erben Bismarcks. Parteien und Verbände in der Spätphase des Wilhelminischen Deutschlands. Sammlungspolitik 1897-1918, Köln 1970; James Retallack, Demagogen-

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Dem soll eine weitere Dimension hinzugefügt werden: Ich möchte die Liberalen der Provinz vom (vor allem von den Sonderweg-Historikern erhobenen) Vorwurf des Protofaschismus10 befreien und den doppelseitigen Charakter des süddeutschen Liberalismus und Nationalsozialismus vor 1933 aufzeigen, indem ich auf die bislang vernachlässigten radikal-liberalen Elemente im süddeutschen Liberalismus des späten 19. Jahrhunderts in Regionen, die sich in den späten zwanziger Jahren und in den frühen dreißiger Jahren zu Hochburgen der NSDAP verwandelten, hinweise und gewisse Aspekte der Kontinuität und Ähnlichkeiten zwischen dem Radikalismus innerhalb der liberalen Organisationen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und des frühen 20. Jahrhunderts und dem Nationalsozialismus vor 1933 herausstreiche. Ich schließe mich dabei folgender Anregung des deutschen Historikers Karl Rohe an: „One is in a better position to estimate the Nazi Party’s regional strength if one knows not only the social composition of the regional electorate but its voting behaviour in the Kaiserreich, that is to say its political-cultural composition.“11

Meine Arbeit setzt sich aus drei Teilen zusammen. Im ersten, methodologischen, Teil werde ich versuchen, den Begriff Populärer Liberalismus zu definieren und die damit verbundenen Thesen im breiten historiographischen und methodologischen Kontext einzuordnen. Der zweite Teil ist sodann dem Versuch gewidmet, die wichtigsten Entwicklungsstationen des populären Liberalismus in Süddeutschland aufzuzeigen. Zum Schluß werde ich versuchen, Linien der Kontinuität zwischen dem populären Liberalismus und dem Nationalsozialismus nachzuzeichnen.

tum, Populismus, Volkstümlichkeit. Überlegungen zur ‘Popularitätshascherei’ auf dem politischen Massenmarkt des Kaiserreichs, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 4, 2000, 309-325; David Blackbourn, The Politics of Demagogy in Imperial Germany, ders., Populists and Patricians, London 1987, 217-245; Geoff Eley, Reshaping the German Right. Radical Nationalism and Political Change after Bismarck, Ann Arbor, 1991, xviii ff.; Stanley Suval, Electoral Politics in Wilhelmine Germany, Chapel Hill, 1985, 149ff.; Heinz, Hagenlücke, Die Deutsche Vaterlandpartei: die nationale Rechte am Ende des Kaiserreiches, Düsseldorf 1996; Hans P. Müller, Die Deutsche Vaterlandspartei in Wuerttemberg 1917/18 und ihr Erbe. Besorgte Patrioten oder rechte Ideologen? Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, 59, 2000, 217-24. 10 Mack Walker, German Home Towns, Community, State and General Estate 16481871, Ithaca and London 1971, 427-428. 11 Karl Rohe, Elections, Parties and Political Traditions, Oxford 1990, 16.

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I. DEFINITION UND METHODOLOGIE 1. DEFINITION Unter Populärem Liberalismus verstehe ich ein politisches und kulturelles Massenphänomen, das im Wesentlichen durch sechs Elemente gekennzeichnet ist: -

-

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Befürwortung einer liberalen Wirtschaftsordnung (in England würde dies eine Befürwortung des Freihandels, in Süddeutschland eine beschränkte Unterstützung desselben bedeuten) Politischer Populismus, der für Freiheit (vor allem konstitutionelle Freiheiten), Gleichheit (gegen die Eliten und Junker gerichtet) und Republikanismus (Sorge für das Allgemeinwohl, Erhaltung und Hochhaltung der Gemeinschaft) eintritt Eine auf Nonkonformismus, Antiklerikalismus und Antianglikanismus beruhende religiöse Identität Die Befürwortung einer nationalistisch-imperialistischen Außenpolitik Establishment-Feindlichkeit Gemeinschaftsideal12

Alle sechs Elemente kommen im 19. Jahrhundert in liberalen außerparlamentarischen Aktivitäten, politischen Interessenverbänden und bei sogenannten faddist groups sowohl in England als auch in Deutschland zum Ausdruck. 13 Ich möchte hierbei auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Liberalismus im Parlament und an der Basis hinweisen. Der populäre Liberalismus erzeugte und erhielt sich selbst, überwiegend als lockere, oft explosive Formation verschiedener Ad-hoc-Gruppierungen mit ständigem Zulauf und Abwanderung. Es handelt sich im wesentlichen um ein provinzielles Phänomen – gewissermaßen ein verzögertes Resultat industrieller und religiöser Umwälzungen des frühen 19. Jahrhunderts und ein Produkt einer neuartigen Massenpolitik, die sich aus diesen tiefgreifenden Änderungen ergab (Boulevardpresse, Massenkommunikationsmittel und – vor allem – die Entstehung nonkonformistischer Ideologien und Gruppen, die dem populären Liberalismus großen Auf-

12 Vgl. vor allem E. Biagini, Liberty, Retrenchment and Reform: Popular-Liberalism in the Age of Gladstone, 1860-1880, Cambridge 1993, 6; Jane Vickers, Pressure group politics, class and popular liberalism:the campaign for Parliamentary reform in the north-west,1864-1868, Manchester Metropolitan Uni. 1996, 38ff. 13 D.A. Hamer, The Politics of Electoral Pressure: A Study in the History of Victorian Reform Agitations, Sussex 1977.

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trieb gaben). Auf dieser Grundlage gediehen die Argumente des populären Liberalismus, seine Massenorganisationen, seine Medien und seine Führung.14 2. HISTORIOGRAPHIE Bis zu den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts tendierten die Erklärungsversuche zum Aufstieg des Nationalsozialismus dazu, wichtige Kontinuitäten von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1933 hervorzuheben. Der einflußreichen Sonderweg-Theorie zufolge, galten die deutschen Liberalen von 1860 an als Vorläufer der Nationalsozialisten.15 Die Schwäche der deutschen Bourgeoisie und des deutschen Liberalismus, die zu modernen Erscheinungen, wie Demagogie und Populismus beitrug, führten viele Liberale, vor allem vom konservativen Flügel der Nationalliberalen in den präfaschistischen nationalistischen Bereich (vgl. etwa Alldeutscher Verband, Vaterlandpartei), der später Teil des nationalsozialistisch-faschistischen Lagers wurde.16 In den letzten Jahren wurde in bestimmten, Neuland betretenden Studien behauptet, der Liberalismus habe nicht nur die Krise der späten siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts überstanden, sondern die wilhelminische Gesellschaft als bestimmende politische Kraft weiter mitgeprägt. Hierbei wird – meist aus urbanischer-regionaler Warte – argumentiert, der Liberalismus im Deutschland des 19. Jahrhunderts sei eine Massenbewegung gewesen. Diese Interpretationen stützen sich im allgemeinen auf die Massenunterstützung der Nationalliberalen Partei – vermutlich die am wenigsten erforschte Partei der großen Parteien des Zweiten Reichs – und der linksliberalen Parteien in verschiedenen protestantischen Regionen Deutschlands. Jüngste Studien haben darauf hingewiesen, daß der deutsche Liberalismus auf kommunaler Ebene in großen Städten bis zum Ersten Weltkrieg dominant war und daß der liberale Einfluss auf nationaler Ebene und in ländlichen Gebieten vor allem durch die föderalistische Struktur und die Verfassung des Deutschen Reiches abgeblockt wurde.17 14 Die wichtigste Arbeit zum Popular Liberalism in Großbritannien ist nach wie vor John Vincent, The Formation of the British Liberal Party, London 1966, 11-35; vgl. auch D.A. Hamer, Liberal Politics in the Age of Gladstone and Roseberry, Oxford 1972, vii-x. 15 Vgl. dazu den letzten Satz in der wichtigen Arbeit von Andreas Biefang, Politisches Bürgertum in Deutschland 1857-1868, Düsseldorf 1996, 435; Frank Becker, Bilder von Krieg und Nation: die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864-1913, München, 2001, z. B. 157, 341-376, 499512. 16 Vgl. Anm. 10. 17 Konrad Jarausch & Larry E. Jones (eds), In Search of a Liberal Germany. Studies in the History of German Liberalism from 1789to the Present, New York/Oxford, 1990, 18ff; Dieter Langewiesche schreibt „Der deutsche Liberalismus wurde mit der Reichsgründung zu einem rein protestantische Phänomen“. Langewiesche, Deutscher Liberalismus im europäischen Vergleich, 16; Für einen praktischen

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Mit besonderem Augenmerk auf die Nationalliberale Partei im ländlichen süddeutschen katholischen Raum zwischen den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts bis vor 1914 und auf dem Nationalsozialismus als Volksbewegung vor 1933 möchte ich aufzuzeigen versuchen, weshalb und wie es zu dieser Umwälzung kam. Dabei sollen die Anhänger dieser Parteien und ihr Weltbild näher untersucht werden. Zudem ist zu prüfen, inwieweit es der damaligen Realität entsprach. Ich behaupte, daß die ehemaligen Nationalliberalen von den damaligen Beobachtern später liberale Nationalsozialisten genannt wurden.18 Das kulturelle und politische Verhalten der Bevölkerung im süddeutschen ländlichen Raum (besonders Südbaden, Südwürttemberg und das bayerische Schwaben) nach 1870 fand in deutschen Regionalstudien bislang nur wenig Beachtung.19 Auch zur Füllung dieser Lücke soll diese Arbeit beitragen. Überblick siehe folgende unlängst erschienene Werke: Holger Tober, Deutscher Liberalismus und Sozialpolitik in der Ära des Wilhelminismus, Husum 1999 - 125; Alastair Thompson, Left Liberals, the State and Popular Politics in Wilhelmine Germany, Oxford 2000; Jan Palmowski, Urban Liberalism in Imperial Germany, Frankfurt am Main, Oxford 1999; Jennifer Jenkins, Provincial Modernity: Culture, Politics and Local Identity in Hamburg 1885-1914, Ph.D. Thesis, University of Michigan, Ann Arbor 1997; Manfred Hettling, Politische Bürgerlichkeit. Der Bürger zwischen Individualität und Vergesellschaftung in Deutschland und der Schweiz von 1860 bis 1918, Teil II, Göttingen 1999; George Vascik, Rural Politics and Sugar in Germany: A Comparative Study of the National Liberal Party in Hannover and Prussian Saxony 1871-1914, Ph.D. Thesis, University of Michigan 1988; James Retallack, „Liberals, Conservatives and the Modernizing State: The Kaiserreich in Regional Perspective“, Geoff Eley (ed.), Culture, Society and the State in Germany 1870-1930, Ann Arbor 1996, 221-256; Karl H. Pohl, Überlegungen zu einer Geschichte des deutschen Liberalismus aus regionaler Perspektive, Historische Mitteilungen, 7, 1994, 61-80; ders., Die Nationalliberalen in Sachsen vor 1914, in: Lothar Gall, Dieter Langewiesche (Hg.), Liberalismus und Region, 195-216; ders., Sachsen, Stresemann und die Nationalliberale Partei, Jahrbuch zur Liberalismus Forschung, 4, 1992; Michael John, Kultur, Klassen und Liberalismus in Hannover 1848-1914, in: Lothar Gall und Dieter Langewiesche, Liberalismus in der Region. Die meisten Beiträge des Bandes von Gall und Langewiesche vertreten dieselbe Position. 18 Hierzu sei bemerkt, daß der verstorbene George Mosse darauf hinwies, daß der Nationalsozialismus von einem großen Teil der liberalen Bourgeoisie als Beschützer der bürgerlichen Moralität empfunden wurde. Vgl. das Interview mit Michael Ledeen in: Nazism: A Historical and Comparative Analysis of National Socialism, New Brunswick 1978, 43; zitiert in Steven Ashheim, George Mosse at 80: A Critical Laudatio, Journal of Contemporary History, 24, 2000, 304; vgl. dazu auch den zweiten Teil dieser Arbeit. 19 Vgl. auch meine Studien über den Nationalsozialismus in Südbaden und Schwaben, Oded Heilbronner, Catholicism, (wie Anm. 7); ders., In Search of the Catholic (Rural) Bourgeoisie, S. 481-521; ders., Wahlkämpfe im Allgäu 1871-1932.

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Die Idee der Existenz einer radikal-liberalen Fraktion an der Basis der NSDAP wurde in der historischen Literatur über den Aufstieg dieser Partei bisher kaum beachtet. Rudy Koshar und Robert Hopwood dürften bisher als Einzige versucht haben, sich mit diesem Gebiet zu befassen.20 Am meisten Aufmerksamkeit weckten bisher, wie erwartet, die rechtsextremen, völkischen sowie die linksgerichteten, revolutionären Gruppen innerhalb der NSDAP. 3. FORSCHUNGSMETHODEN A. „A Sense of Place“21 Der regionale Ansatz Die Regionalstudie ist ein wichtiges methodisches Element meiner Forschung. Hier soll die Auffassung vertreten werden, daß die radikale liberale Kultur in Deutschland und England, wie auch andere politische Kulturen, die nationalsozialistische Kultur mit eingeschlossen, aus dem lokalen bzw. regionalen Rahmen und nicht aus dem nationalen Kontext hervorgingen. Das Studium der lokalen Umstände ist deshalb als grundlegender Bestandteil jeder Analyse politischer und ideologischer Formationen zu betrachten. Die Historikerin Celia Applegate meinte dazu: „We should consider regions, not nations as the locus of economic and political change and accordingly examining the ways that identity formation and cultural change have centered in regional, rather than national contexts and emphasizing regions as spatial and geographic entities and thus as places subject to the forces of cultural and political change.“22

Wie bereits angedeutet, soll die Existenz des später teilweise zum Nationalsozialismus mutierten populären Liberalismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert anhand einer regionalen Fallstudie veranschaulicht werden. Da sich die liberalen (und später nationalsozialistischen) Bewegungen bei der Herausbildung Ein abweichender Fall, Zeitschrift des Histo-rischen Vereins Schwaben, 90 (1997), S. 297-326; ders., Populärer Liberalismus in Deutschland: Entwicklungstendenzen der badischen Wahlkultur, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 146 (1998); für den Zeitabschnitt bis 1880 siehe vor allem Zang, Provinzialisierung. Für weitere Titel, vgl. Anm. 43-45. 20 Robert Hopwood, Paladins of the Bürgertum: Cultural Clubs and Politics in Small German Towns 1918-1925, Historical Papers (Canadian Historical Association) 1974, 213-235; ders., Mobilization of a Nationalist Community, 1919-23, German History, 2, 1992, 149-176; Rudy Koshar, Social Life, Local Politics and National Socialism, Marburg an der Lahn 1880-1935, Chapel Hill 1987. 21 Die folgenden Betrachtungen stützen sich unter anderem auf David Blackbourns Abhandlung, A Sence of Place: New Directions in German History, German Historical Institute, London 1998. 22 Dies ist die Hauptthese in Celia Applegate, A Europe of Regions: Reflections on the Historiography of Sub-National Places in Modern Times, American Historical Review, 4, October 1999, 1157-1182, besonders 1180-1181.

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populär-liberaler Formationen in gewissen Teilen Süddeutschlands nicht als monolithische Einheit erwiesen, kommt dem Studium der regionalen, religiösen und kulturellen Variationen besondere Bedeutung zu. Eine Möglichkeit, die verschiedenen Gruppen und Kulturen innerhalb der liberalen und nationalsozialistischen Bewegung zu erforschen, bestünde darin, das Hauptaugenmerk „nicht auf Strukturen, sondern auf menschliches Verhalten, menschliche Erwartungen und Realitätsperzeptionen an bestimmten Orten bzw. in gewissen Landschaften zu lenken.“23 Meine Befunde zum populären Liberalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts beruhen auf Regionalstudien zu ausgewählten katholischen ländlichen Gegenden in Süddeutschland entlang der Grenze zu Österreich, der Schweiz und Frankreich. Unter diesen Bedingungen der Abgeschiedenheit (Frontier Conditions)24, wie sie für Südbaden, das Allgäu, Schwaben, Hohenzollern (besonders Hohenzollern-Sigmaringen) und das südwestliche Oberbayern (GroßSchwaben)25 typisch waren, verlieh die vorherrschende Weidewirtschaft der Arbeiterklasse (vor allem den Landarbeitern), Handwerkern, Kleinbauern und – am allerwichtigsten – dem ländlichen Bürgertum weitgehende Unabhängigkeit.26 Antiklerikalismus, demokratische Werte und ein eng geflochtenes Komunalleben prägten den ländlichen Liberalismus dieser Landschaft. Schließlich war Groß-Schwaben im Zeitabschnitt bis 1850 Brennpunkt schwelender Bauerproteste, die vor allem durch Brandstiftung und Diebstahl zum Ausdruck kamen, sowie politischer Unruheherd. Der Sence of Place, die kulturelle Struktur der süddeutschen Landschaft, die Eigenheiten der geistigen Topographie Schwabens, das geheimnisvoll Unheimliche an der Ausstrahlung des Schwarzwaldes und das sonnig-milde Klima am Bodensee spielten eine wichtige Rolle in der kulturellen Konstruktion von Groß-Schwaben, deren Einfluß auf die lokale politische Kultur erheblich war. Zu den Zentren radikal-liberaler 23 Blackbourn, A Sense of Place (wie Anm. 21). 24 Vgl. zu diesem Ausdruck Henry Pelling, The Social Geography of British Elections 1885-1910, London 1967, 320. 25 Ich übernahm die Bezeichnung „Groß-Schwaben“ von Stefan Heinze, Die Region Bayerisch-Schwaben, Augsburg 1995, 96-100; Otto-Heinrich Elias, Vom Schwäbischen Kreis zum Südweststaat, Blätter für Deutsche Landesgeschichte, 132, 1996, 151-165. 26 Zur lokalen Bourgeoisie vgl. Oded Heilbronner, In Search of the Catholic (Rural) Bourgeoisie (wie Anm. 19); zu den Handwerkern vgl. Helmut Sedatis, Liberalismus und Handwerk in Süddeutschand, Stuttgart 1979, 185-193; zu den Bauern siehe Paul Hertenstein, „Das oberbadische Bauerntum. Eine Studie über seine soziale und wirtschaftliche Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung des Amtsbezirks Stockach“, Berichte über die Landwirtschaft, N.F., 14, 1931, 407428.

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Tätigkeit gehörten katholische Kleinstädte und Dörfer wie Memmingen, Lindenberg, Günzburg, Immenstadt, Lindau, Konstanz, Sigmaringen, Stockach, Meßkirch, Donaueschingen, Bonndorf, Lörrach und Breisach. Das Erbe der republikanischen Tradition des Alten Reiches und der Revolution von 1848 sowie der Sense of Place sind wichtige Voraussetzungen für das Verständnis der Besonderheit der lokalen politischen Kultur.27 B. Der Faktor der Abgeschiedenheit Die hier behandelten Regionen sind Randgebiete. Damit sind Regionen gemeint, die im 19. Jahrhundert als arm und rückständig galten und weit von Zentren wie München, Berlin oder von Verkehrsachsen wie dem Rheinland entfernt liegen. Die Auswirkungen der Entfernung vom Zentrum waren komplex.28 Einerseits war damit ein Mangel an politischer Macht und gesellschaftlichem Einfluß der dominanten Lokalnotabeln und besonders auch lange und kostspielige Reisen für Kaufleute, die ihren Geschäften in den großen Finanzzentren (Mannheim, Köln, München) nachgingen, verbunden. Die große Entfernung vom Zentrum hatte zudem schlechtere Handelsverbindungen und schlechteren Zugang zu den großen Märkten der Kernregionen Deutschlands und somit weniger entwickelte kommerzielle und finanzielle Institutionen in der Region zur Folge. Gleichzeitig – und für meine Arbeit von größerer Bedeutung – bedeutete 27 Blackbourn, A Sense of Place (wie Anm. 21), 12ff.; Thompson, Left Liberals, the State and Popular Politics, 264- 265; Andreas Würgler, Unruhen und Öffentlichkeit: Städtische und ländliche Protestbewegungen im 18. Jahrhundert, Tübingen,1995; Jakob Ebner, Die Geschichte der Salpeterer des 19. Jahrhunderts, Waldshut 1952; Tobias Kies,Verweigerte Moderne? Zur Geschichte der »Salpeterer« im 19. Jahrhundert, Konstanz, 2004; David Martin Luebke, His Majesty’s Rebels. Communities, Factions and Rural Revolt in the Black Forest, 1725-1745, Ithaca and London 1997; Paul Nolte, Gemeindebürgertum und Liberalismus in Baden (1800-1859), Göttingen 1994; ders., Bürgerideal, Gemeinde und Republik. ‘Klassischer Republikanismus’ im frühen deutschen Liberalismus, HZ, 254, 1992, , S. 609-656; Peter Blickle (Hg.), Verborgene republikanische Traditionen in Oberschwaben, Tübingen 1999; Hans-P. Becht, Moritz Müller – Fabrikant, Publizist, Parlamentarier, Bildungsbürger, in: ders. (Hg.), Pforzheim im 19. und 20. Jahrhundert, Sigmaringen 1996, S. 65-118, 65; Klaus Schönberger, Die ‘Schwäbische Legion’ in der badischen Revolution 1849, Geschichtswerkblatt (Hg.), Die Revolution hat Konjunktur. Soziale Bewegungen. Alltag und Politik in der Revolution 1848/49, Münster 1999, 59-86; Armin Heim, Die Revolution 1848/49 in der badischen Amtsstadt Meßkirch. Für die Sache der Freiheit des Volkes und der Republik, Die Revolution 1848/49 im Gebiet des heutigen Landkreises Sigmaringen, Sigmaringen 1999, 168-206; Andreas Zekorn, Alte Strukturen und neue Elemente während der Revolution von 1848/49 in Hohenzollern, in: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte, 35, 1999, 7-24. 28 Vgl. die Diskussion zu dieser Frage in Sidney Pollard, Marginal Europe. The Contribution of Marginal Lands Since the Middle Ages, Oxford 1997, 223-224.

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die geographische Lage außerhalb des Machtbereichs zentraler politischer Organe und Institutionen auch geringere Kontrolle und somit ein größeres an Maß an Freiheit und Unabhängigkeit. Während man in Groß-Schwaben die Geschehnisse in Berlin manchmal nicht so genau verfolgte, war auch Berlin nicht immer über den Stand der Dinge in der fernen Peripherie orientiert. Insofern barg die Distanz von der Zentralregierung bzw. von den Parteihauptquartieren gewisse Vorteile. Im vorliegenden Fall schuf sie eine besondere Variante des Liberalismus (populärer Liberalismus) und – in den späten zwanziger Jahren – des Nationalsozialismus. William Gladstone unterscheidet zwischen der „liberalen Partei im Parlament“ und der „liberalen Partei ‘draußen’“. Meine Arbeit beschäftigt sich weniger mit den Handlungen von Regierung, Parlament oder der herrschenden Kreise in Berlin, München und Stuttgart, sondern mit den Haltungen und Taten von Männern und Frauen außerhalb politischer Institutionen in den Provinzen mit liberaler Tendenz vor 1914 und vor 1933. C. Der kulturelle Ansatz Die vorliegende Studie bedient sich vor allem kulturwissenschaftlicher Methoden. Die Erforschung kultureller Phänomene ist entscheidend für das Verständnis der Entwicklung der erwähnten politischen und gesellschaftlichen Bewegungen (populärer Liberalismus und Nationalsozialismus). Daneben ist dem Kontext der Formation von Klassen und sozialen Gruppen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Eine Möglichkeit, die Kontinuität zwischen dem populären Liberalismus und dem Nationalsozialismus zu studieren, ist, wie erwähnt, seine kulturelle Signifikanz zu prüfen, d.h. herauszufinden versuchen, was der Nationalsozialismus für die ehemaligen liberalen Wähler bedeutete. Zum Verständnis der Entwicklung der nationalsozialistischen Tradition (im vorliegenden Fall in Süddeutschland) ist es unumgänglich, den liberalen „Konsens“ näher zu betrachten, der die Mentalität der Region dominierte. Der italienische Marxist Antonio Gramsci vertrat die These, daß jeder Mensch aus den Anschauungssfragmenten seines Lebensbereichs, dem Alltagsvokabular, den geläufigen gesellschaftlichen Konzepten und den religiösen Praktiken und Bräuchen seine eigene „spontane Philosophie“ konstruiert.29 Hier soll dargelegt werden, daß in den zwanziger Jahren in Süddeutschland manche dieser Elemente auf eine ältere radikal-republikanische Tradition zurückzuführen waren. Den süddeutschen Raum prägte unter anderem ein radikal-liberaler Konsens. Zahlreiche Einwohner der Region waren antiklerikal und antipreußisch eingestellt. Rhetorik und Verhaltensweise gegen das Establishment waren verbreitet.

29 Antonio Gramsci, Selections from the Prison Notebooks, London 1961, 323-324.

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Viele unterstützten republikanische Ideen, und der Geist von 1848 war auch im frühen 20. Jahrhundert noch immer lebendig.30 Meine Interpretation dieses radikal-liberalen Konsens wurde teilweise von den Arbeiten britischer und deutscher Historiker beeinflußt, darunter E. P. Thompson, Gareth Stedman Jones, Patrick Joyce, Vernon James, Jon Lawrence und der verstorbene Raphael Samuel aus England sowie Reinhart Koselleck, Paul Nolte, Manfred Hettling und Alf Lüdtke aus Deutschland. Sie alle haben die Notwendigkeit betont, das Wesen politischer Bewegungen neu zu überdenken und politische Kulturen auf wesentlich breiterer Basis als nur gestützt auf formale lokale und nationale Institutionen zu interpretieren. Thompsons The Making of the English Working Class, Stedman Jones Werk Rethinking Chartism und Kosellecks monumentales Projekt Geschichtliche Grundbegriffe gehören zu den einflußreichsten Werken.31 Da sie sich jedoch vor allem auf den formalen öffentlichen Diskurs konzentrieren, ohne konkret die Leute, deren Informationskanäle, deren lokale Diskurse, Ideale und Hoffnungen zu beachten, lassen uns Stedman Jones und Koselleck über die Politik auf Volksebene weitgehend im Dunkeln. Dagegen versuchen Thompson und später auch Lüdtke, Hettling, Joyce, Vernon und Lawrence, diese Lücke zu füllen, indem sie die Sprache des Populismus und nicht der Klasse, d.h. des Volkes (The People) und nicht der Arbeiterklasse, untersuchen. Ihre Arbeiten haben meine Gedanken über das Wesen des populären Liberalismus und Nationalsozialismus in Deutschland inspiriert. Meine Auffassung vom Wesen des populären Liberalismus und des Nationalsozialismus geht also von der Annahme aus, daß populäre Politik aus erster Hand und im ursprünglichen politischen Kontext zu beurteilen ist und nicht nach normativen Kriterien, etwa durch die Bewertung ihrer Konsistenz oder mittels teleologischer Modelle der historischen Entwicklung (wie bei der Sonderweg-Theorie) ist von entscheidender Bedeutung und verdient von der Geschichtsforschung ernst genommen zu werden. Wendet man diese Methode am Beispiel des Nationalsozialismus an, d.h. werden die Aktivitäten der Nationalsozialisten auf Volksebene wieder in ihren ursprünglichen politischen und kul-

30 Jan Merk, ’Nationality Separates, Liberty Unites’. The Historical Commemoration of 1848/49 in Baden, a European Frontier Region, Axel Körner (Hg.), 1848: A European Revolution?, London 2000, S. 118-139; Ph. Alexandre, Die Erben der 48er Revolution im Schwäbisch Hall der kaiserlichen Zeit (1871-1914) Württembergisch Franken, 83,1999, 351-389. 31 E.P. Thompson, The Making of the English Working Class, London 1963; Gareth Stedman Jones, The Languages of Chartism, in: James Epstein and Dorothy Thompson (Hg.), The Chartist Experience. Studies in Working-Class Radicalism and Culture, 1830-1860, London 1982, 3-58; zum Projekt „Geschichtliche Grundbegriffe“, vgl. Christof Dipper, Die Geschichtlichen Grundbegriffe. Von der Begriffsgeschichte zur Theorie der historischen Zeit“, HZ, 270, 2, 2000, S. 281308.

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turellen Kontext zurückgesetzt, wird die Kontinuität zwischen populärem Liberalismus und Nationalsozialismus deutlich. In Anlehnung an die Thesen des verstorbenen Raphael Samuel soll dargelegt werden, daß die Erforschung der populären Politik und Volkskultur oder, mit anderen Worten, das Studium der Geschichte, durch die Rekonstruktion des Volksgedächtnisses, d.h. durch das Studium des verborgenen Curriculums (im Gegensatz zum offiziellen Curriculum) lokaler Gesellschaften, d.h. durch das Studium von Lokalzeitungen, Liedern und Balladen, Geschichten und Bräuchen – durch die Untersuchung der lokalen Kulturrealität erfolgen sollte. Nicht die offiziellen Quellen in offiziellen Archiven, sondern die verborgenen Quellen der Kultur sind wirklich relevant. Der öffentliche Diskurs hat bei der Etablierung dominanter Rhetorik über Politik und Kultur eine besonders wichtige Rolle gespielt, doch wie der britische Historiker Jon Lawrence behauptete, wurde den nominal objektiven Sprachen der sozialen Beschreibung viel weniger Aufmerksamkeit geschenkt: „Much less attention is paid to the nominally ‘objective’ language of social description encoded both in administrative practices, and in the symbolic organization of social space from the field, the factory, pub or church congregation.“32

Auf dieser einfachen aber dennoch prägnanten Sprache der Kultur beruhen die entschlossensten Versuche, soziale Vorgänge des 19. und frühen 20. Jahrhunderts neu zu interpretieren. In sinngemäßer Übertragung von Samuels These soll hier dargelegt werden, daß Kultur und Politik – wie etwa im vorliegenden Fall des deutschen populären Liberalismus und des Nationalsozialismus – einer ganz anderen Beurteilung unterlägen, würden solche Quellen vermehrt in die Geschichtsforschung einbezogen“.33 Liberale und nationalsozialistische Bewegungen werden gemeinhin als Klassen und soziale Gruppen begriffen. Doch es gibt keinen automatischen Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und politischer Bewegung. Werden nämlich solche Sozialstrukturen in Einzelpersonen zerlegt, d.h. die Etiketten „Arbeiter“, „Bürger“, „Katholiken“ und „Protestanten“ entfernt, kommen Individuen mit unterschiedlichen kulturellen Perspektiven zum Vorschein. Lokale Faktoren, Traditionen, Lokalbräuche, Familie und persönliche Aspirationen, d.h. die private Sphäre tritt in den Vordergrund. Diese Aspekte der Realität sollten beim Studium politischer und kultureller Verhaltensmuster nicht außer Acht gelassen werden. Hier folge ich der Studie des deutschen Historikers Rudolf Heberle über die Wahlerfolge der Liberalen und später der Nationalsozialisten in Schleswig-Holstein. Beide lagen in der Vergangenheit begründet, 32 Jon Lawrence, Review Article. The British Sense of Class, in: Journal of Contemporary History, 2, 2000, 307-318, hier 308. 33 R. Samuel, The Theatres of Memory, London 1995, 15.

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nämlich im Antagonismus gegen Preußen und die Staatsmacht. Beiden politischen Lagern (den Liberalen und den Nationalsozialisten) gelang es, diese Gefühle zu ihren Gunsten auszunützen.34 Diese Ressentiments kamen – unter anderem – in der Privatsphäre zum Ausdruck: in Familiengeschichten über „preußische Brutalität“, in den Aktivitäten und Geschichten des Geschichtsvereins, in lokalen Bräuchen oder in der Art, wie beide Bewegungen den lokalen Dialekt benutzten (Plattdeutsch im Fall von Schleswig-Holstein).35 Celia Applegate schreibt in ihrer Studie über die Pfalz: „Pfälzer Nazism […] in some ways represented a striking revival of an old local political tendency toward volatility, radical populism […]. A travestied Jacobinism, stripped of concern for liberty or civic virtue.“36

Hier möchte ich gestützt auf Somers und Gibson darlegen, daß Geschichten (Narrative) Menschen in ihrem Handeln leiten können, daß Menschen Identitäten konstruieren (so vielfältig und veränderlich auch immer), indem sie sich in ein bestimmtes Repertoire zusammenhängender Geschichten einordnen oder einem solchen Repertoire zugeordnet werden: „Experience is constituted through narratives, and that people are guided to act in certain ways, and not others, on the basis of projections, expectations and memoires derived from a multiplicity of available social, public and cultural narratives.“37

Ich schließe mich jenem Forschungsansatz an, der sich zuerst in die Narrativmuster der Vergangenheit vertieft und dann die sich daraus ergebenden Identitäten betrachtet. Bis zu einem gewissen Grade widerspricht dieser Ansatz der alten klassenorientierten Theorie, wonach zuerst die Klasse definiert werden muss, um beurteilen zu können, ob die Narrative mit dieser Einteilung im Einklang stehen oder nicht.38 34 Rudolf Heberle, From Democracy to National Socialism. A Regional Case Study on Political Parties in Germany, New York 1970, 40-41. 35 Dieter Kramer, Nostalgie und Politik in der Geschichte von Geschichtsvereinen, in: Budinger Geschichtsblätter 8, 1974/75, 49-65; Georg Kunz, Verortete Geschichte. Regionales Geschichtsbewußtsein in den deutschen Historischen Vereinen des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000; Celia Applegate, A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat, Berkeley 1990, 197-227; Kay Dohnke, Volkes Mund und Führers Wille. Propaganda für die Nazis –auf Platt, in: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.): Ende und Anfang im Mai 1945. Das Journal zur Wanderausstellung des Landes Schleswig-Holstein, Kiel 1995, S. 147-151. 36 Applegate (wie Anm. 35), 184. 37 Margret Somers, Gloria Gibson, Reclaiming the Epistemological ‘Other’. Narrative and the Social Constitution of Identity, in: Craig Calhoun (Hg.), Social Theory and the Politics of Identity, Oxford 1995, 37-99, siehe 65 ff. 38 Patrick Joyce, Democratic Subjects. The Self and the Social in 19th Century England. Cambridge 1994, 157.

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D. Die subkulturelle Reaktion Das Kulturphänomen Populärer Liberalismus im katholischen Süddeutschland des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist im vorliegenden Fall als eine Art Reaktion zu betrachten, als Reaktion sowohl gegen die Hegemonie der (ultramontanen) katholischen Kultur als auch gegen die genau so dominante protestantische liberale Kultur nördlich des Main. In den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren repräsentierte der populäre Liberalismus innerhalb der nationalsozialistischen Vereine sodann eine Reaktion gegen die dominante offizielle Ideologie und Tätigkeit der Nationalsozialisten, die von München, Berlin und von manchen Orten der deutschen Provinz ausging. Ich möchte diese Reaktion als subkulturelle Reaktion definieren. Von der radikalen antiklerikalen Aktivität abgesehen, die zweifellos ein Akt der Revolte gegen die Ultramontanisierung darstellte, lehnten sich die süddeutschen Radikal-Liberalen (davon ein Großteil Katholiken) nie direkt gegen die dominanten liberalen Ideen Preußens oder – in den dreißiger Jahren – gegen die nationalsozialistische Kultur in München oder Nürnberg auf. Dennoch versuchten sie stets ihre Unabhängigkeit, ihr Anderssein als süddeutsche Radikale mit langer Tradition von Revolten gegen die politischen Machtzentren, gegen das Establishment und gegen den Staat zum Ausdruck zu bringen, wenn auch im Rahmen der dominanten Politik und Kultur. ZUSAMMENFASSUNG Es wird ein neuer Rahmen für die Interpretation der Haltungen und Verhaltensweisen des deutschen Normalbürgers, ob Wähler oder Parteimitglied, sowohl des liberalen als auch des nationalsozialistischen Lagers, vorgeschlagen. Die politischen Aspirationen sozialer Gruppen in den zwanziger Jahren und möglicherweise auch vorher lassen sich nicht mehr nur einfach mittels Konzepten wie Klasse oder Parteiloyalität, interpretieren. Sie sind Ausdruck von Kultur, von Traditionen, sprachlichen Konventionen und kulturellen Phänomenen, die längst zu einem integralen Bestandteil ihrer Realität geworden waren. Der Einzelne trat in der Öffentlichkeit mit einer Vielzahl von gesellschaftlichen Identitäten in Erscheinung, was als mehrdimensionales politisches Verhalten der Gruppe bzw. des Individuums zu bezeichnen wäre.39 Man konnte also in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren durchaus liberal oder radikal-liberal (im Sinne von radikal im 19. Jahrhundert) sein und trotzdem den Nationalsozialismus unterstützen. Die Weltanschauung solcher Einzelpersonen

39 Albert Hirschman, Shifting Involvements. Private Interest and Public Action, Princeton, New Jersey 1979, 119-120.

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kann nur durch die nähere Betrachtung ihrer persönlichen Sphäre ergründet werden oder, wie Geoff Eley bemerkte: „[We should study] the ability [of the Nazi party – O.H.] to articulate together a divese and hitherto contradictory ensemble of ideological appeals […]. We need to work hard at understanding how it came to occur.“40

II. HAUPTSTATIONEN DES POPULÄREN LIBERALISMUS IN SÜDDEUTSCHLAND Bislang hatten nur wenige Forscher auf eine radikal-liberale, katholische Subkultur in Süddeutschland hingewiesen, und wurde sie erwähnt, geschah dies nur beiläufig, ohne auf die Gründe ihrer Entstehung einzugehen.41 Zweifellos repräsentierte die katholische, ultramontane und antiliberale Kultur die Mehrheit der Bewohner der Region. Mit ihr befaßten sich folglich auch die meisten späteren Regionalstudien. Jene Forscher, die auf den eigentümlichen süddeutschen Liberalismus hinwiesen, betonten, die politische Kultur der meisten Regionen Groß-Schwabens sei ein Beweis dafür, daß nicht alle deutschen Katholiken im katholisch-klerikalen Milieu anzusiedeln seien und daß vielen Bewohnern dieser Regionen eine radikal-liberale, von demokratisch liberalen und später von nationalsozialistischen Kräften dominierte kleindeutsche Lösung der Deutschen Frage vorschwebte. Doch die Mehrheit dieser Forscher erlangte diese Erkenntnis aufgrund der Betrachtung von Wahlresultaten und nicht durch systematische Erforschung der liberalen Lokalkultur. Wahlverhaltensstudien dieser Regionen offenbaren tatsächlich eine ebenso klare wie außergewöhnliche und manchmal gar unerklärliche Neigung zu liberalen Parteien und Bewegungen, antiklerikalen katholischen Bauernbewegungen mit liberalem Vermächtnis und schließlich zur NSDAP. Auch die Wahlmehrheit der Zentrums40 Geoff Eley, What is Cultural History, in: New German Critique, 65, 1995, 19-36, 35. 41 Christoph Weber, „Eine starke enggeschlossene Phalanx“. Der politische Katholizismus und die erste deutsche Reichstagswahl 1871, Essen 1992, 67, 135; Jonathan Sperber, Popular Catholicism in Nineteenth-Century Germany, Princeton, 1984, 291-2; ders., The Kaiser’s Voters. Electors and Elections in Imperial Germany, Cambridge 1997, 145; Karl Rohe, Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland, Frankfurt 1992, 76-77, 156-157; Ian Farr, Peasants Protest in the Empire, in: Robert Moeller (Hg.), Peasants and Lords in Modern Germany, Boston 1985, 110-139, 118; Helmut W. Smith, German Nationalism and Religious Conflict: Culture, Ideology, Politics, 1870-1914, Princeton 1995, 107, 149; Dietrich Thränhardt, Wahlen und politische Strukturen in Bayern 1848-1953, Düsseldorf 1973, 71-78; Thompson, Left Liberals, the State and Popular Politics, 264265; Helmut Steindorfer, Die liberale Reichspartei, (LRP) von 1871, Stuttgart 2000; 25ff., 29ff., 441ff.; Jürgen R. Winkler, Sozialstruktur, politische Traditionen und Liberalismus. Eine empirische Längsschnittstudie zur Wahlentwicklung in Deutschland 1871-1933, Opladen 1995, 337.

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partei, der Hauptrivalin des radikalen Liberalismus in Süddeutschland, war bedeutend geringer als in anderen katholischen Regionen, wie etwa Württemberg, Nordbaden, Nordbayern und gewiß nördlich des Mains, in Preußen. In gewissen katholischen Bezirksämtern und manchen katholischen Dörfern in Groß-Schwaben behielten die Liberalen die relative Mehrheit sogar bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges.42 Im Folgenden möchte ich mich nun eingehend mit den Merkmalen der populär-liberalen Subkultur Groß-Schwabens und ihren verschiedenen Entwicklungsstufen zwischen 1860 und 1933 befassen. 1. Es sei betont, daß der Erfolg der Radikal-Liberalen sowohl im Zweiten Reich als auch in der Weimarer Republik auf eigenen Traditionen und auf eigener Infrastruktur beruhte. Neben dem geläufigen Image Süddeutschlands als ultramontane Domäne, wo der Liberalismus nach 1870 nicht mehr Fuß fassen konnte, galt Groß-Schwaben als Hort beständiger liberaler Subkultur, die von ihren Trägern bis weit ins 20. Jahrhundert mitgetragen wurde. In der Weimarer Republik wurde diese Kultur (mit gewissen Änderungen), wie erwähnt, dem Nationalsozialismus einverleibt. Wie sind die tiefverwurzelten radikal-liberalen Tendenzen der Region zu erklären? Groß-Schwaben galt als süddeutscher Sonderfall. Die Identität der am Aufbau der politischen Landschaft Bayerns, Württembergs und Badens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unbeteiligten Region beruhte auf jahrhundertealten regionalen Elementen. Den Staatseliten anderer süddeutscher Regionen nördlich von Groß-Schwaben gelang es in der Regel, die traditionelle Bindung zum habsburgischen Kaiserreich zu lockern, patriotische Gefühl zugunsten der staatlichen Autorität zu wecken und die Staatsgewalt im Prozess der Staatsbildung nach der napoleonischen Ära aufrechtzuerhalten. Dies geschah mittels (staatlich gelenkter) Förderung religiöser – katholischer bzw. protestantischer – Solidarität, etwa durch die Gründung regionaler Volksvertretungen (Landtage) und die Anerkennung der besonderen Bedürfnisse der Bevölkerung im Rahmen der legitimen Staatsgewalt.43 42 Oded Heilbronner, Detlef Mühlberger, The Achilles’ Heel of German Catholicism. Who voted for Hitler Re-visited, in: European History Quarterly, Vol. 27,2, 1997, 217-246; Oded Heilbronner, Wahlkämpfe im Allgäu 1871-1932. Ein abweichender Fall?, in: Zeitschrift des Historischen Vereins Schwaben, 90, 1997, 297326; Populärer Liberalismus in Deutschland: Entwicklungstendenzen der badischen Wahlkultur, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 146, 1998, 481-521. 43 Heinz Gollwitzer, Die politische Landschaft in der Deutschen Geschichte des 19./20. Jahrhundert, in: ders., Land und Volk, Herrschaft und Staat, München 1964, 533-534; Werner Blessing, Staat und Kirche in der Gesellschaft. Institutionelle Autorität und mentaler Wandel in Bayern während des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1982; Hansmartin Schwarzmaier (Hg.), Handbuch der badenwürttembergischen Geschichte. Bd.3. Vom Ende des Alten Reiches bis zum Ende

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Demgegenüber herrschte in den meisten Kleinstädten und Dörfern GroßSchwabens eine Tradition der Selbstverwaltung, die sich von der politischen Kultur bestimmter Regionen weiter im Norden scharf abhob, deren Bevölkerung seit dem 17. Jahrhundert einer zentralistischen Staatsgewalt, sei es einem absolutistischen Herrscher oder dem habsburgischen Kaiserreich unterworfen war. Im Verlaufe der Staatsbildung am Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in gewissen großschwäbischen Regionen starke antizentralistische Tendenzen: Das bayerische Allgäu etwa war von scharfer Abneigung gegen Altbayern erfüllt, dessen Könige aus dem Wittelsbacher Herrscherhaus Schwaben zum Königreich Bayern geschlagen hatten. Die Regionen Bodensee, Hohenzollern und Südbaden gehörten bis zu den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts zum Bistum Konstanz, das für seine liberale, tolerante Haltung und seine religiöse und politische Rivalität mit dem Bistum Straßburg bekannt war. 1848, aber auch schon zuvor, galten diese Regionen als Brennpunkt gesellschaftlichen und politischen Protests gegen die badische Herrschaft. Im preußischen Hohenzollern-Sigmaringen regte sich ab 1850 Zorn gegen die preußische Herrschaft, nachdem die Region zu Preußen geschlagen worden war. Antipreußische Gefühle waren vor allem in Bayern und Baden auch am Anfang des 20. Jahrhunderts weiterhin sehr verbreitet.44 In den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts formierten sich die wichtigsten gesellschaftlichen Strategien der radikal-liberalen Subkultur der Region bis zum Ersten Weltkrieg: entschlossener Kampf gegen den Ultramontanismus und Widerstand – manchmal begleitet von gewalttätigem Protest – gegen jede Art von zentralstaatlicher Verwaltung.45 Parallel dazu bildeten sich organisatorische, gesellschaftliche und sprachliche Ausdrucksformen und gesellschaftliche Gruppen, die den Gedanken der freiheitlichen Tradition, den Antielitismus und die lokale bzw. regionale Eigentümlichkeit (Heimatgefühl) betonten: die liberale Lokalpresse, Sport-, Musik-, Kultur-, und Volkskundevereine, die auch nach 1870 liberal dominierten lokalen Schulen, das Dorfbürgertum, Handwerker und antiklerikale Gruppen im Umkreis der altkatholischen Kirche in Kleinstädten wie Lindau, Konstanz, Meßkirch, Donaueschingen, Kempten und Lindenberg. Im Mittelpunkt dieser Subkultur stand vor allem der begrenzte Widerstand bzw. die Reaktion gegen zwei dominante Kulturen oder, besser, die Reaktion gegen das Image zweier dominanter Kulturen: gegen die vor allem nördlich des der Monarchien, Stuttgart 1992, Teil II (Baden 1800 bis 1830), Teil V (Württemberg 1800 bis 1866), Teil VII (Hohenzollern 1800 bis 1918). 44 Hans J. Kremer, Das Großherzogtum Baden in der politischen Berichterstattung der preußischen Gesandten 1871-1918. Erster Teil: 1870-1899, Frankfurt 1990, 629-630. 45 Fridolin Eisele, Hohenzollern unter preußischer Verwaltung, in: Alfred Dove (Hg.), Im neuen Reich, Bd. I, 1872, 553-570; Jungliberale Blätter – 10/6/1908 – Badische Politik (Jungliberale in Konstanz); Die Hilfe. Nationalsoziales Volksblatt, 29.10.1905.

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Main, in Berlin und den regionalen Zentren des Südens, Karlsruhe, Stuttgart oder Frankfurt beheimatete Kultur, die den preußischen Nationalismus, das Beamtentum, die dominante Staatsmacht, den Militarismus und den Protestantismus betonte sowie gegen die katholisch-klerikale Hegemonie in Süddeutschland. Die Reaktion und der begrenzte Widerstand gegen diese beiden dominanten Kulturen schufen eine radikal-liberale Subkultur mit Merkmalen von Protest und Reaktion. Zwar waren die nationalliberalen Preußen und Bismarck in bestimmten Epochen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und selbst in der Weimarer Republik vorübergehend durchaus ein Identifikationsmodell für große Teile der kulturellen Elite dieser Region (vor allem in Hohenzollern)46, doch die republikanischen Traditionen der frühen Neuzeit, die häufigen Revolten gegen die zentrale Staatsmacht im 17. und 18. Jahrhundert47 und der große Hass gegen die katholische Kirche, vor allem in ihrer ultramontanen Form, gaben den radikal-liberalen Aktivitäten in den meisten Jahren bis zum Ersten Weltkrieg und sogar danach noch einigen Auftrieb. Nach 1848 und vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entlud sich der gesellschaftliche – manchmal gewaltsame – Protest sporadisch gegen Vertreter der Staatsmacht, die sich zu Steuerzwecken oder zur Durchsetzung von Gesetzen in der Region aufhielten. Doch das Hauptopfer der verbalen und körperlichen Gewalt war die ultramontane katholische Kirche. Neben dem traditionellen Protest der niederen Schichten, der sich in der Regel um die Nutzung der Allmenden und des Waldholzes sowie um Armut, schlechte Lebensbedingungen und natürlich um den Widerstand gegen den Gemeindepfarrer drehte48, gab es den – zum Teil gewalttätigen – radikal-liberalen Protest, der oft von liberalen und bürgerlichen Kultur- und Sportvereinen getragen wurde, die sich gleichzeitig auch mit der Verbreitung der Lokalkultur und -folklore beschäftigten. Neben dem Protest pflegte der populäre Liberalismus in Süddeutschland populär-liberale Werte, wie Fortschritt und Wissenschaft, Imperia46 Donaueschinger Wochenblatt, 27.7.1866; Neue Konstanzer Abendzeitung, 23.1.1909, Paul Busching, „Der Liberalismus in Bayern“, Süddeutsche Monatshefte, November 1909, 595ff.; Eberhard Gönner, Hechingen in preußischer Zeit. In: 1200 Jahre Hechingen, Hechingen 1976, 926-945; Alastair Thompson: Left Liberals, the State and Popular Politics in Wilhelmine Germany, Oxford 2000, 256ff.. 47 Vgl. Anm. 26. 48 Rainer Wirtz, „Widersetzlichkeiten, Exzesse, Crawalle, Tumulte und Skandale“: Soziale Bewegung und gewalthafter Protest in Baden 1815-1848, Frankfurt 1981; Fried Pankraz, Voraussetzungen und Auswirkungen der frühen Industrialisierung in Bayern – Die Situation auf dem Lande, in: Aufbruch ins Industriezeitalter. Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Bd. 2, München 1985.

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lismus und den vor allem in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts sowie um die Jahrhundertwende gepriesenen Freihandel. Zudem wurde häufig die Notwendigkeit einer Verfassung als Grundlage staatlichen Handelns und besonders die Bedeutung des Freiheitsgedankens und der persönlichen Freiheit erwähnt. Es handelte sich nicht um das gängige Modell der German Idea of Freedom, wonach die Obrigkeit (Authority) bzw. der Staat die Grenzen der Freiheit bestimmt. Im vorliegenden Fall ist von der Freiheit die Rede, die von einer lokalen Autorität, von freiwilligen Körperschaften oder in noch privaterem Rahmen, sei es durch die Heimat, das Dorf, den Ort oder die Gemeinschaft abgesteckt wird, die sich aus Menschen mit gleicher Gesinnung und gleicher, in der Lokalkultur verwurzelter Auffassung von Freiheit zusammensetzt. Die Idee der Selbstverwaltung zur Bewahrung der Freiheit des Einzelnen und der Gemeinschaft gegenüber dem Staat und der Zentralgewalt war überaus beliebt, auch in der Weimarer Republik.49 Der Kemptner Bürgermeister Otto Merk, Mentor der Idee der schwäbischen Selbstverwaltung zum Schutze der schwäbischen freiheitlichen Tradition, ist ein typisches Beispiel für diese Kontinuität. Als Sproß einer altkatholischen Familie aus Kempten in Südschwaben, als liberaler Aktivist vor dem Ersten Weltkrieg sowohl in seiner Heimatstadt als auch in München, als Jungliberaler und später als Mitglied der NSDAP, der er schon Anfang der dreißiger Jahre beitrat, war Merk ein glühender Verfechter der Heimatbewegung im bayerischen Schwaben. Als Bürgermeister der zweitgrößten Stadt dieser Region setzte er sich zudem vehement für die entsprechenden Ziele in Groß-Schwaben ein.50 Merk und die Radikal-Liberalen Groß-Schwabens traten für eine Verfassungsreform und für gesellschaftliche Reformen zur Erreichung der geforderten Freiheit, sowohl auf gemeinschaftlicher als auch auf verfassungsrechtlicher Ebene, ein.51 Angesichts dieser Traditionen und der Reaktion der radikal-liberalen Subkultur auf die ultramontane Bedrohung und die preußische Hegemonie, ver49 Herbert Müller, Parteien oder Verwaltungsvorherrschaft? Die Kommunalpolitik der Stadt Kempten (Allgäu) zwischen 1929-1953, München 1988, 26. 50 Alfred Weitnauer, Otto Merkt, in: Wolfgang Zorn (Hg.), Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben, IX, München 1966, 426-450; Herbert Müller, Der Nachlaß Dr. Merkt im Stadtarchiv Kempten, in: Allgäuer Geschichtsfreund, 89, 1989, 26-31. 51 Hochwächter auf dem Schwarzwald, 29., 30.11.1911; Nationalliberale Jugend, März 1905, 41, („Süddeutsche Wahlkämpfe“); Deutsche Stimmen, 15.12.1906; Nationalliberale Blätter, August 1904, 134 – Kempten; Deutsche Stimmen, 1.12.1906 („Liberale Einigung und Parteidisziplin“). Sogar katholische Priester erklärten, daß die antiklerikalen Aktivitäten lokaler Liberaler weniger auf antireligiöse Haltungen als auf lokale Traditionen zurückzuführen seien, die auf alten Freiheitskonzepten und Protest gegen die Obrigkeit beruhten. Erzbischöfliches Archiv Freiburg, Personalia, Ferdinand Eisele, Reiselfingen, 20.10.1908.

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wundert es kaum, daß die Liberalen in bestimmten süddeutschen Regionen in der deutschen Presse, in der politischen katholischen Presse, in nationalliberalen Zeitungen und von politischen Beobachtern als radikal und aufrührerisch bezeichnet wurden.52 Katholische Kleinstädte, wie Meßkirch, Sigmaringen, Bonndorf oder Immenstadt, genossen nicht selten den Ruf von Ortschaften mit liberalen Zuständen „in des Wortes vollster Bedeutung“.53 Die wirtschaftliche Infrastruktur diente dem wirtschaftlichen Liberalismus als stabiles Fundament. Dieser stützte wiederum den populären Liberalismus. Groß-Schwaben hob sich vom restlichen Süddeutschland durch eine besondere Wirtschaftsstruktur ab. Neben zahlreichen armen Dörfern und Höfen waren über die ganze Region auch große Bauernhöfe mit mehr als acht Hektar Nutzfläche verstreut. In Südschwaben wurde vor allem mit Milch produziert, was den Wert protektionistischer Getreidehandelspolitik in den Augen der dortigen Bauern als gering erscheinen ließ. Eine auf Feinmechanik, Holzverarbeitung und Uhren spezialisierte Kleinindustrie vor allem in Südbaden und Hohenzollern produzierte für den Export. In Südbaden gab es neben Milchhöfen auch große Weide- und Getreideflächen. Die Allgäuer Landschaft und der Hochschwarzwald waren sodann von großen und abgelegenen Höfen geprägt, die dem geschlossenen Hofgüterrecht54 unterworfen waren, ein Zustand, der den Individualismus, den Argwohn gegenüber Fremden und den Protest gegen den Gesetzesvollstrecker förderte. Seit dem 18. Jahrhundert trat in der Region eine breite Schicht von katholischen Bürgern, reichen Bauern, Handwerkern, Werkstatt- und Kleinfabrikbesitzern in Erscheinung.55 Dies führte zur Entwicklung 52 Busching, „Der Liberalismus in Bayern“; Die Hilfe, 29.10.1905 („Der radikale Liberalismus“); ebenda, 2.1.1913; Badischer Beobachter, 12.6.1907; Freiburger Bote, 13.6.1903; Deutsche Stimmen, 11.3.1906 („Aus Baden“); Prozeß Dr. Wassmannsdorff’s Oberamtmann’s in Bonndorf gegen 1. Redakteur Heinrich H. Müller („Freiburger Bote“) und Redakteur Friedrich Lanz („Oberbadisches Volksblatt“), Oktober 1895; Generallandes Archiv Karlsruhe, Nationalliberale Partei 69-102-Charlottenburg-29.8.1911: Kommission zur Sammlung, Verwaltung und Verwendung des industriellen Wahlfonds – Berlin; Hugo Baur, Mein politischer Lebenslauf, Konstanz 1929, 24-25, 29; Hans J. Kremer, Das Großherzogtum Baden in der politischen Berichterstattung der preußischen Gesandten 1871-1918 Zweiter Teil: 1900-1918, Frankfurt 1990-1991, 268. 53 Vgl. z.B. Schwarzwälder Zeitung, 21.12.1897 („In Bonndorf bestehen liberale Zustände in des Wortes eigentlichster und vollster Bedeutung“). 54 Gerry Koch, Die gesetzlich geschlossenen Hofgüter des badischen Schwarzwaldes, Tübingen 1900; Haines Rosalie Horstman, The Youngest Sons: Ultimogeniture and Family Structure among German Farmers in Eastern Westphalia 1680-1980, Ph.D.Thesis, Bryn Mawr College, 1990, 12. 55 Oded Heilbronner, In Search of the Catholic (rural) Bourgeoisie: The Peculiarities of the South German Bürgertum, in: Central European History, 29,2, 1996, 175-

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einer Wirtschaft mit agrarkapitalistischen Merkmalen.56 Liberale und Sympathisanten des Liberalismus, überwiegend antiklerikale Katholiken, dominierten die wichtigsten wirtschaftlichen Institutionen der Region, darunter auch landwirtschaftliche Institutionen, wie die landwirtschaftlichen Vereine, das Genossenschafts- und Fortbildungswesen für Landwirtschaft und die Viehversicherungsvereine. In Südbaden und Schwaben und in den Zweigstellen der Sparkasse der Region Baar saßen die glühendsten liberalen Verfechter des wirtschaftlichen Liberalismus.57 Südbadische Liberale, wie R. Gerwig und P. Tritscheller, setzten sich für den Bau der südbadischen Eisenbahnlinie nach Konstanz ein. Beide vertraten den liberaldemokratischen Flügel der badischen Nationalliberalen Partei. Zu ihnen gesellte sich Ernst Friedrich Kraft, Besitzer der lokalen Spinnerei und Teilhaber der Sparkassenzweigstelle zusammen mit dem Liberalen Otto Sach, der die badische Regierung im Bezirk vertrat.58 Die – verschuldeten – Kleinbauern, Handwerker und Landarbeiter hingen von diesen Leuten und diesen Finanz- und Wirtschaftsinstitutionen ab. Trotzdem war das Verhältnis dieser Bevölkerungsschichten und des lokalen Bürgertums zu den führenden Wirtschaftskräften nicht selten von besonderer Loyalität und Bewunderung geprägt. Der wirtschaftliche und politische Beitrag von Angehörigen dieser Elite zum Wohl der Region wurde auch Jahre nach ihrem Tode noch in lebendiger Erinnerung gehalten.59 Viele begüterte Bewohner der Region – Landwirte, Fabrikbesitzer und Handwerker – unterstützten den Freihandel. Auch als zwischen Ende der sieb200; ders., Regionale Aspekte zum katholischen Bürgertum. Oder: Die Besonderheit des katholischen Bürgertums im ländlichen Süddeutschland, in: Blätter für Deutsche Landesgeschichte, 131, 1995, 223-259. 56 Sidney Pollard: Marginal Europe. The Contribution of Marginal Lands Since the Middle Ages, Oxford 1997, 199-200; Ulrich Crämer, Das Allgäu; H. Haller, Die Strohhutindustrie im bayerischen Allgäu, Kempten 1920; Karl Lindner (Hg.), Geschichte der Allgäuer Milchwirtschaft, Kempten 1955; Wolfgang Zorn, Handels- und Industriegeschichte Bayerisch-Schwabens 1648-1870, Augsburg 1961, 176-194. 57 Lindner Karl (Hg.): Geschichte der Allgäuer Milchwirtschaft, Kempten 1955, 127-159; Joseph Schelbert, Das Landvolk des Allgäu in seinem Thun und Treiben, Kempten 1983, 27-29, 30-31; Paul Hertenstein, „Das oberbadische Bauerntum. Eine Studie über seine soziale und wirtschaftliche Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung des Amtsbezirks Stockach“, Berichte über die Landwirtschaft, N.F., 14, 1931, 407-439, 411-413; Detlef Herbner, Auf der Baar, für die Baar. 150 Jahre Bezirkssparkasse Donaueschingen, Stuttgart 1989. 58 Bernhard Steinert, Das nachklösterliche St. Blasien im 19. Jahrhundert, in: Heinrich Heidegger und Hugo Ott (Hg.), St. Blasien, München 1978, 322-323. 59 Hans-W. Scharf, Burkhard Wollny, Die Höllentalbahn. Von Freiburg in den Schwarzwald, Löffingen 1985, 53-55; Neues Schwarzwälder Tagblatt, 15.11.1911 („Bürgerausschußwahl“).

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ziger Jahre und den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts der Protektionismus das Denken und Handeln der Bauern, Junker, Handwerker und Industriellen in Deutschland dominierte, neigte das Bürgertum in den Kleinstädten und Dörfern Süddeutschlands zum mäßigen Freihandel.60 Die meisten Regionen GroßSchwabens waren auch Fremdenverkehrszentren. Das Allgäu, der Schwarzwald und die Bodenseeregion galten seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Heilund Erholungszentren, wodurch die radikal-liberale Besonderheit der Region gefördert wurde: Durch den Fremdenverkehr (vor allem aus England, Holland und der Schweiz) wurde die Region nachhaltig von ausländischen Strömungen beeinflußt. Das blühende Tourismusgeschäft unterstrich die wachstumsfördernde Rolle des wirtschaftlichen Liberalismus in der Region, und der touristische Charakter der Region gab den bereits sehr verbreiteten laizistischen, kirchenfeindlichen Tendenzen Auftrieb, da der Widerstand gegen die Tourismuskultur der Region in der Regel von den katholischen Ortspfarrern ausging, die damit den Zorn des lokalen Bürgertums auf sich luden.61 Eine weitere sozioökonomische Eigenart Süddeutschlands betraf das Verhältnis der Handwerker zum Liberalismus: In den meisten Regionen Groß-Schwabens blieben die Handwerker dem radikal-liberalen Gedankengut noch weit über die 1870er hinaus treu, die gewöhnlich als Epoche der Spaltung zwischen den Liberalen und den Handwerkern in Deutschland galt. Diese stabile radikal-liberale Basis beruhte auf ein bis ins 18. Jahrhundert zurückreichendes radikales Vermächtnis 60 Werner Schunke, Die preußischen Freihändler und die Entstehung der Nationalliberalen Partei, Leipzig 1916; Deutsche Stimmen, 15.12.1906, Landesversammlung der Nationalliberalen, Partei-Villingen; Paul Busching, „Der Liberalismus in Bayern“, Süddeutsche Monatshefte, November 1909, 590-600, bes. 591, 595. 61 Dieter Bellmann, Der Liberalismus im Seekreis (1860-1870). Durchsetzungsversuch und Scheitern eines regional eigenständigen Entwicklungskonzeptes, in: Gerd Zang (Hrsg.): Provinzialisierung einer Region. Zur Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft in der Provinz, Konstanz 1978; Gert Zang, Der kurze Sommer des Liberalismus in Überlingen, in: Dieter Schott, Werner Trapp (Hg.), Seegründe: Beiträge zur Geschichte des Bodenseeraums, Weingarten 1984, 147-163; Karin Holleit, Die Einflüsse des Fremdenverkehrs auf die Umgestaltung einer ländlichen Gemeinde am Beispiel Lenzkirch im Schwarzwald, Zulassungsarbeit, Freiburg 1970; Auf dem Hohen Wald. Heimatgeschichte von Eisenbach, Bubenbach und Oberbränd, Eisenbach 1991, 519-532; Franz Bertold-Fackler, Überblick über die Geschichte des Reisens in Mitteleuropa, speziell Deutschland: exemplarisch dargestellt am Beispiel der Ostallgäuer Gemeinde Schwangau, Augsburg Uni. Diss 1993; Detlef Herbner betonte in seinem Buch über Titisee-Neustadt (Südbaden) das enge Verhältnis zwischen dem Liberalismus und der Fremdenverkehrsindustrie, vgl. Titisee-Neustadt. Die stadtgeschichtliche Entwicklung eines fürstenbergisch-badischen Amtsortes unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftsund sozialge-schichtlichen Aspekte, Diss. Phil., Freiburg 1995, 352ff.

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der süddeutschen Handwerker, ein Phänomen, das in anderen Regionen Deutschlands seinesgleichen sucht.62 Die liberale Kulturelite stützte sich auf drei wichtige Kulturinstitutionen: Zum einen war dies die bereits erwähnte altkatholische Kirche, die dem populären Liberalismus bis zur Jahrhundertwende die moralische Grundlage lieferte. Eine weitere wichtige regionale Kulturinstanz war die im 19. Jahrhundert eine Schlüsselrolle bei der nationalen und regionalen Identitätsstiftung einnehmende Lokalpresse. Nicht nur in Süddeutschland erfüllten die sogenannten Heimatzeitungen eine Schlüsselfunktion bei der Pflege regionaler Eigenart, bei der Vertiefung der Bindung zwischen den Bewohnern und der Region, bzw. der lokalen Obrigkeit. Gleichzeitig trugen diese Zeitungen vor allem gegen die Jahrhundertwende zur Dämpfung deutscher Nationalgefühle bei.63 Die überaus populäre Lokalpresse Groß-Schwabens befand sich weitgehend im Besitz von Liberalen (darunter Liberaldemokraten wie Karl Pfisterer, dem Redakteur des Kemptner Tag- und Anzeigeblattes).64 Sie betonte besonders die lokalen Eigenheiten, ohne jedoch das Lokale vom Nationalen (Deutsches Reich) zu trennen. Andererseits sparte sie nicht mit Kritik am liberalen preußischen Konservatismus, an den Vertretern der Lokalherrschaft (selbst wenn es sich um Liberale 62 Helmut Sedatis, Liberalismus und Handwerk in Süddeutschland, Stuttgart 1979, 185-193. 63 Alon Confino, The Nation as Local Metaphor: Württemberg, Imperial Germany and National Memory, 1871-1918, Chapel Hill 1997, 64ff.; Manfred Hanisch, Für Fürst und Vaterland. Legitimitätsstiftung in Bayern zwischen Revolution 1848 und deutscher Einheit, München 1991, 304-319; Celia Applegate, A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat, Berkeley 1990, 65ff.; Georg Kunz, Verortete Geschichte, Regionales Geschichtsbewußtsein in den deutschen Historischen Vereinen des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000. 64 Ich beziehe mich vor allem auf folgende Zeitungen: Kemptner Zeitung, Memminger Zeitung, Tag- und Anzeigeblatt für Kempten und das Allgäu, Kaufbeurer Anzeigeblatt, Konstanzer Zeitung, Freiburger Zeitung, Allgäuer Anzeigeblatt, Immenstadt Zeitung, Lindauer Tagblatt, Lindenberg Tagblatt, Donaueschinger Wochenblatt, Hochwächter auf dem Schwarzwald, Hohenzollerische Blätter, Echo vom Wald, Schwarzwälder Zeitung, Oberbadischer Grenzbote, Breisgauer Zeitung, Der Schwarzwälder und Hehgauer Erzähler. Zur Popularität von Zeitungen, siehe Sperling Zeitschriften und Zeitungsadreßbuch. Handbuch der deutschen Presse, Leipzig 1876, 1908. Das bürgerliche Donaueschinger Tagblatt erreichte im Jahre 1907 eine Auflage von 3.200 Stück, vom neugegründeten katholischen Donauboten wurden dagegen nur 2.000 Stück verkauft. Die Auflage des Hochwächters betrug 1.500, diejenige des (damals noch wöchentlichen) katholischen Echos vom Hochfirst nur 800. Für die zwanziger Jahre vgl. Triberger Bote, 12.10.1931; Erzbischöfliches Archiv Freiburg, Dekanat Kinzigtal, 22.10.1930, 6.4.1932; Handbuch der Deutschen Tagespresse, Vol. IV, 1932 (Baden); Fred L. Sepaintner: Die Badische Presse im Kaiserreich – Spiegelbild der Parteienverhältnisse vor dem Ersten Weltkrieg. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 128 (1980), S. 403-417.

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handelte) und an der nationalen Regierung (Junker, Adel und Bürokratie waren häufige Zielscheiben solcher Kritik). Am allerwenigsten wurde der Klerus geschont. Neben Artikeln für den deutschen Nationalstaat und für den Imperialismus erschienen häufig Aufrufe für die Befreiung Süddeutschlands vom wirtschaftlichen Joch Preußens, für den Ausbau der Demokratie und der Freiheit und für die Stärkung des schwäbischen oder süddeutschen Gemeinschaftsbewußtseins, all dies im Rahmen einer geschriebenen Verfassung.65 Bestimmte Zeitungen behaupteten, sie würden „die Interessen der Bewohner der Region vertreten […], die liberal, demokratisch und von guter deutscher Gesinnung seien“.66 Die liberale Presse vertrat nicht nur die Interessen des lokalen Bürgertums, sondern auch die wirtschaftlichen Interessen der lokalen Landwirte und Handwerker sowie die Opposition gegen den ultramontanen Katholizismus. Die dem Tag- und Anzeigeblatt beigelegte Allgäuer Molkereizeitung verbreitete die Nachrichten des Landwirtschaftlichen Verbandes in der ganzen Region. Das Donaueschinger Wochenblatt betonte seine Verpflichtung gegenüber den Baarer Landwirten und den Handwerkern der Kleinstädte der Region, während die Konstanzer Zeitung als führende Zeitung der ultramontanen Opposition am Bodensee galt.67 Nach dem Ersten Weltkrieg unterstützten die meisten Lokalzeitungen die militanten Bauern- und Handwerkervereine. Ende der zwanziger Jahre wechselten wiederum die meisten dieser Zeitungen ins nationalsozialistische Lager über.68

65 Breisgauer Zeitung, 3.3.1868, („Die Wahlen zum Zollparlament“): „Jeder Bauer weiß, was es heißt, wenn Adelige, Standesherren, Ultramontane und Geistliche im Bund miteinander dem Volk gegenüberstehen. Schon im Mittelalter haben diese die Bauern ausgenützt und ausgebeutet.“ 66 Tag- und Anzeigeblatt für Kempten und das Allgäu, 21.6.1903; zu Südbaden vgl. Donaueschinger Wochenblatt, 27.7.1866; zur Geschichte dieser spezifischen Regionalzeitungen vgl. Enzyklopädie der bayerischen Tagespresse, München 1990, 725-740; Beitrag zur Geschichte der Kemptner Tageszeitungen, in: Allgäuer Tagblatt (75 Jahre Allgäuer Tagblatt, Sonderbeilage, 1937); Hans Zech, Geschichte der im bayerischen Allgäu bis 1900 erschienenen Zeitungen, Ph.D. Thesis, München 1949, 45-68; Martin Walchner, Entwicklung und Struktur der Tagespresse in Südbaden und Südwürttemberg-Hohenzollern, Sigmaringen 1986; Fred L. Sepaintner, Die Badische Presse im Kaiserreich – Spiegelbild der Parteienverhältnisse vor dem Ersten Weltkrieg, in: ZGO 128, 1980, 412. 67 Tag- und Anzeigeblatt für Kempten und das Allgäu, 21.6.1903; Donaueschinger Wochenblatt, 3.6.1887. 68 Siehe zum Beispiel das Allgäuer Tagblatt (vormals Tag- und Anzeigeblatt für Kempten und das Allgäu), 12.9.1930; Bundesarchiv Koblenz, Hauptarchiv der NSDAP, NS26/47-966-Allgäuer Tagblatt; zu Südbaden und der Bodenseeregion vgl. Schwarzwälder Zeitung, 24.2.1922; Donaueschinger Tagblatt, 7.11.1931; Hochwächter auf dem Schwarzwald, 4.8.1932; Konstanzer Zeitung; zu den Ho-

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Die dritte Kulturinstitution zur Erhaltung der bürgerlich-nationalen, antiklerikalen Hegemonie in der Region und zur Verbreitung radikaler Ideen waren die bürgerlichen Vereine – Turn-, Krieger-, Militär-, Schützen-, Männergesangs-, Museums-, Theater-, Fahrrad-Vereine, Historische Vereine und viele mehr. All diese Vereine förderten bei ihren Zusammenkünften bzw. öffentlichen Auftritten seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhundert die Verbreitung der radikal-liberalen Freiheitsidee. In ihren Auftritten und Texten klangen Erinnerungen an den Geist der Freiheit und des Protests an, der die Region bis 1849 erfüllte, sie enthielten scharf anti-ultramontane Merkmale, Aufrufe zur nationalen Einheit unter Beachtung der regionalen Eigenheiten sowie die Aufforderung zu Freiheit und Brüderlichkeit innerhalb der Gemeinschaft. Vor dem Ersten Weltkrieg gehörten viele Mitglieder der bürgerlichen Vereine auch lokalen liberalen Vereinen bzw. – ihrem Alter entsprechend – lokalen jungliberalen Vereinen, die als Brennpunkt radikaler Tätigkeit galten und oft Ursprung von Konflikten mit den Ortspfarrern waren. Manche Vereinsmitglieder fügten ihrer Mitgliedschaft in jungliberalen Vereinen, der Nationalliberalen Partei oder linksliberaler Parteien auch wirtschaftliche Funktionen in ihren Gemeinden hinzu oder bekleideten Ämter in der Gemeindeverwaltung. Die Konflikte mit liberaler Beteiligung drehten sich in der Regel um die Nutzung von Allmenden und Wäldern, um die tiefe Abneigung gegen die Kirche, die Führung von Schulgemeinden und die Forderung nach mehr Demokratie.69 Zweifellos war der bürgerliche Verein einerseits ein Vertreter der modernen zivilisierten, demokratisch-bürgerlichen Welt, andererseits verkörperte er aber (vor allem nach der Jahrhundertwende) auch das nationalkriegerische Gemeinschaftsideal. Manche Vereine unterstützten die Zusammenarbeit mit sozialistisch gefärbten Arbeitergruppen und erhoben Ideen für Freiheit, Natur und die Revolte zum Ideal. Besonders in der Weimarer Republik wandte sich ein Großteil dieser Vereine völkisch-nationalistischer Ideologie zu, die für direkte Demokratie, ohne Vermittlung durch Parteien, und für die persönliche Freiheit innerhalb der Volksgemeinschaft eintrat. Ab Ende der zwanziger Jahre unterstützten die meisten dieser Vereine die nationalsozialistische Bewegung. 70 henzollerischen Blättern siehe Fritz Kallenberg, Hohenzollern, Stuttgart 1996, 379. 69 Konstanzer Zeitung, 17.3.1903 – Stockach; Nationalliberale Jugend, Mai 1903, 62, Stockach; Adolf Deissmann, Badische Jungliberale, in: Die Hilfe, 13.12.1903; Jungliberale Blätter, 8.8.1909, „Brief aus Schwaben“. Staatsarchiv Augsburg, BZ Memmingen, 6179, Gründung eines Vereins zur Erziehung volkstümlicher Wahlen im Wahlkreis Illertissen 1892. 70 Oded Heilbronner, The German Bourgeois Club as a Political and Social Structure Towards the End of the 19th Century and the Beginning of the 20th Century, in: Continuity and Change, 27.3.1998, 443-473; ders., ’Der Fahrradverein im Dienste der (Nationalliberalen) Politik’. Der bürgerliche Verein als politische und soziale Struktur in Deutschland im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Jahrbuch zur Liberalismus Forschung, 8, 1996, 121-141; ders., Der verlassene Stammtisch.

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Die lokalen Traditionen und Reminiszenzen, das lokale Bürgertum, bestehend aus Landwirten, wohlhabenden Handwerkern und Fabrikbesitzern (in Kleinstädten), die wirtschaftliche Infrastruktur, auf der die kapitalistische Wirtschaft gedeihen konnte und sowohl die wirtschaftliche Initiative als auch den Freihandel förderte, die radikale Presse und nicht zuletzt die bürgerlichen Vereine waren also die Träger der radikal-liberalen Subkultur in Groß-Schwaben. 2. Im Zeitraum zwischen den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, der Entstehungszeit des populären Liberalismus in der Region, und den von raschem Wachstum der dogmatisch-ideologischen nationalsozialistischen Kräfte geprägten frühen dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts können fünf Hauptentwicklungsstufen der populär-liberalen, radikalen Subkultur in Süddeutschland festgestellt werden. Um 1870, angesichts der Bekämpfung ultramontaner Tendenzen der katholischen Kirche, der Forderung für mehr Freihandel und des Kampfes für die deutsche Einigung und den Status der südlichen Regionen im neuen Staat, entstand eine radikal-liberale Subkultur. Zwar erregte der Kampf gegen die Ultramontanen am meisten Aufsehen, doch es standen noch andere Themen auf der süddeutschen liberalen Tagesordnung. Zum Kampf gegen den Klerus gesellte sich der Ruf nach tiefgreifenden Reformen im Schul- und Amtswesen und die Forderung der Chancengleichheit für alle Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft, unabhängig von Herkunft und Stand.71 Dieser Anspruch war nicht nur auf Lokaltraditionen oder das Vermächtnis von 1848, sondern auch auf die Ereignisse in den Vereinigten Staaten (Bürgerkrieg) und den Kampf der Radikalen in England (1867-68) zurückzuführen; er fügte sich in den Kampf für die wirtschaftliche Liberalisierung, gegen den Adel und die preußische vor allem aber auch bayerische und badische Bürokratie ein. Die altkatholische Kirche in Groß-Schwaben war führend in diesem Kampf, und es gelang ihr, große Teile des lokalen Bürgertums, Handwerker und Landwirte, auf ihre Seite zu ziehen. Sie entwarf ein Weltbild, bei dem die Entscheidung über die Religion beim Einzelnen lag. Dieses religiös-ideologische Modell wurde – mit Unterstützung selbst katholischer Liberaler, die nicht Mitglieder der altkatholischen Kirche waren – auch auf Wirtschaft und Politik übertragen, nämlich auf das demokratisch-republikanische Herrschaftssystem mit der Verfassung im Mittelpunkt. Danach sollte die Monarchie zwar nicht abgeschafft werden, doch die Souveränität lag beim Volk. Dem Einzelnen wurde Vom Verfall der bürgerlichen Infrastruktur und dem Aufstieg der NSDAP am Beispiel der Region Schwarzwald, in: Geschichte und Gesellschaft, 19, 2, 1993, 178-201; ders., Die NSDAP – Ein bürgerlicher Verein?, in: Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte, XXIII, 1994, 65-79. 71 Vgl. hierzu die äußerst aufschlußreiche Darstellung Zangs (wie Anm. 61).

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zudem das Recht eingeräumt, Beruf und Wohnort frei zu wählen, sofern er die Mittel dazu hatte. Auch der Glaube wurde zur Privatsache erklärt. Kein Wunder, daß diese Ideen den Zorn der Ultramontanen, des Lokaladels und auch der konservativen Liberalen weckten.72 Großschwäbische Radikal-Liberale wie Paul Tritscheller (Lenzkirch), Max Stromeyer (Konstanz), Karl Friedrich Kiefer (Lörrach), Julius Röck (Memmingen), Marquard Barth (Kaufbeuren), B. Huttler (Füssen), Fridolin Eisele (Sigmaringen) und Karl Pfisterer (Kempten) unterstützten das Deutsche Reich unter der Hegemonie des preußischen Kaisers, vorausgesetzt, der Status von Reich und Ländern würde in der Verfassung geregelt und Süddeutschland ein Sonderstatus gewährt. Verbindungen mit den Regionen nördlich des Mains stellte man sich vor allem auf kommerzieller Ebene vor. Mit anderen Worten, die Bewohner Süddeutschlands würden vom wirtschaftlichen Fortschritt Preußens profitieren, gleichzeitig aber das lokale demokratische Regierungssystem und ihre Unabhängigkeit als – nicht ultramontane – Katholiken beibehalten und die lokalen Kulturtraditionen weiter pflegen.73 All diese Bestrebungen kamen im Kampf gegen die ultramontane katholische Kirche zum Ausdruck, der die Auseinandersetzung um die zukünftige Gestalt Deutschlands reflektierte. Erst zwanzig Jahre waren seit dem goldenen Zeitalter von 1848-49 vergangen, in Groß-Schwaben ein Jahr des Umbruchs, in dem demokratisch-republikanische Ideen eine Hauptrolle spielten. Demokratische Vereine wie etwa der Volksverein existierten in diversen Regionen Schwabens weiter. Manche dieser Vereine erhielten in den sechziger Jahren nationalistische Merkmale mit kämpferischem Anstrich.74 Bereits bei den Zollparlamentswahlen und besonders in den frühen siebziger Jahren stellten die Radikal-Liberalen ein ideologisches Programm vor, das fast völlig jenem von 1848 entsprach: Der Klerus, die hohe Beamtenschaft, die Junker und der Lokaladel hätten ihre privilegierte Stellung zugunsten des demokratischen Bildungsbürgertums und der produktiven Schicht der Handwerker und der gelern72 Gall, Lothar: Die partei- und sozialgeschichtliche Problematik des badischen Kulturkampfs. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 113 (1965), S. 151196; vgl. die Erklärung vom 22.9.1865 von Moritz Müller, einem führenden Liberalen in Süddeutschland: „Ich bin Republikaner ... ich mag keine Fürstenherrschaft, aber ich will das Vernünftigste in unserem deutschen Fall sagen – ich sehe in Gewißheit Preußen nach und nach an die Spitze kommen ...“, Hans-P. Becht, Moritz Müller – Fabrikant, Publizist, Parlamentarier, Bildungsbürger, in: ders. (Hg.), Pforzheim im 19. und 20. Jahrhundert, Sigmaringen, 1996, 65-118 (95); Christian Jansen, Einheit, Macht und Freiheit. Die Paulskirchenlinke und die deutsche Politik in der nachrevolutionären Epoche 1849-1867, Düsseldorf, 2000, 558559 73 Donaueschinger Wochenblatt, 11.3.1869, („Paul Tritscheller in Neustadt“). 74 Hans Spielhofer, Bayerische Parteien und Parteipublizistik in ihrer Stellung zur deutschen Frage 1866-1870, in: Oberbayerisches Archiv, 63, 1922, 143-233, bes. 151.

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ten Arbeiter aufzugeben. Die neue Gesellschaft, so die radikal-liberale Vision, würde egalitärer sein und die Religionsfreiheit garantieren. Die Aufhebung von Wirtschaftsbeschränkungen hätte zudem eine wirtschaftliche Blüte zur Folge, von der nicht nur die Mittelschicht, sondern vor allem die Arbeiter profitieren würden.75 Der Kulturkampf diente hier offensichtlich als Vorwand für die Durchsetzung einer bestimmten gesellschaftspolitischen Neuordnung wie die Sklavenfrage in Amerika und der amerikanische Bürgerkrieg einige Jahre zuvor oder der Konflikt um den Second Reform Act in England zwischen 1866 und 1867.76 Hätten sich die radikal-liberalen Attacken in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht vor allem auf die ultramontane Ideologie und die ultramontanen Institutionen konzentriert, wären der Beamtenadel und die regionalen Fürstenhäuser zweifellos ähnlicher Behandlung ausgesetzt gewesen. In den ersten Monaten des Jahres 1871 regte sich anläßlich der Reichsbildung, bei den ersten Wahlen zum deutschen Reichstag und am Geburtstag von Kaiser Wilhelm I. in manchen Süddeutschen Opposition gegen die Vertreter der Alten Ordnung. In Kempten wurde die Bildung des Zweiten Deutschen Reiches als Renaissance der glanzvollen Zeiten vor Napoleon begangen, die in den süddeutschen Gemeinden als Jahre der Freiheit, Unabhängigkeit und wirtschaftlicher Blüte in Erinnerung waren.77 In Tiengen kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Altkatholiken und dem ultramontanen Klerus über das Betreten und die Nutzung der Ortskirche. Die Altkatholiken traten für das Recht der Bürger ein, ihre Zeremonien an einem Ort nach freier Wahl abzuhalten, auch in der katholischen Kirche, die, so die altkatholische Argumentation, nicht den Ultramontanen, sondern dem eben erst errichteten deutschen Staat gehöre.78 Die Garantie der persönlichen Freiheit und der Nichteinmischung der staatlichen Institutionen und der Eliten in die Angelegenheiten des Einzelnen waren weitere Themen, die die Radikal-Liberalen der Region im ersten Jahrzehnt nach der Reichsbildung beschäftigten. Zum Beispiel die Polizeistunde in der lokalen Taverne wurde von den Jungliberalen als unzulässige Einschränkung der persönlichen Freiheit eingestuft. So auch das Aufgebot von 75 „An die Wähler des Wahlkreises Illertissen“, 4.2.1868, Staatsarchiv Augsburg, Regierung, 8831; Hochwächter auf dem Schwarzwald, 4.3.1869 Neustadt; Hochberger Bote – Intelligenz- und Verkündigungsblatt für die Ämter Emmendingen, Kenzingen, Breisach und Waldkirch, 19.1.1869, Generallandesarchiv Karlsruhe – Nachlaß Ludwig Kirsner – 5 („Mitbürger wählt zum Zollparlament“). 76 Catherine Hall, Keith McClelland, Jane Rendall, Defining the Victorian Nation. Class, Race, Gender and the Reform Act of 1867, Cambridge 2000. 77 Kaufbeurer Anzeigeblatt, 8.12.1870; Kemptner Zeitung, 14.3.71; Donaueschinger Wochenblatt, 14.3.71 – Bonndorf, Hüffingen; Steindorfer, Helmut: Die liberale Reichspartei (LRP) von 1871, Stuttgart 2000, 25ff., 29ff., 441ff. 78 Erwin Keller, Die altkatholische Bewegung in Tiengen/Oberrhein, Tiengen 1961.

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Bauernsöhnen zum Militär in der Erntezeit. Die deutsche und vor allem die preußische Armee wurden zwar von vielen Bewohnern der Region, auch von Liberalen, bewundert, doch diese Bewunderung hörte dort auf, wo das Militär mit der Privatsphäre des Landwirtes kollidierte.79 Die südbadische Schwarzwälder Zeitung berichtete aus Bonndorf, daß Jugendliche sich weigerten, dem lokalen Turnverein beizutreten, da er militärische Aspekte fördere.80 Die klar konservative Tendenz der Nationalliberalen Partei, der Generationenwechsel auf lokalpolitischer Ebene, religiöse und gesellschaftliche Veränderungen angesichts der wirtschaftlichen Erholung in Deutschland, die Entstehung einer neuen Konsumkultur sowie verstärkte Säkularisierungsmuster führten in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts zu einem tiefgreifenden Wandel in der radikal-liberalen Subkultur. Im bayerischen Schwaben wurde die dominante Stellung der Liberalen vorübergehend – vor allem – vom besonders in Niederbayern beheimateten, aber auch in anderen schwäbischen Bezirken präsenten Bayerischen Bauernbund eingenommen. Trotz unterschiedlicher Präsenz des Bayerischen Bauernbundes (in Schwaben wurde er manchmal Schwäbischer Bauernbund genannt) in den verschiedenen Regionen und trotz unterschiedlicher – demokratischer, liberaler, konservativer und nationalistischer – Merkmale81 richteten sich die meisten Aktivitäten dieser Organisation gegen die Obrigkeit, gegen Staatsvertreter und gegen die katholische Kirche. Insofern erinnerten sie stark an die Radikal-Liberalen der 1860er und 1870er.82 Beim Großteil der Mitglieder des Bayerischen Bauernbundes in Schwaben handelte es sich um Bauern und Handwerker, die der Nationalliberalen Partei in den späten siebziger Jahren wegen ihrer national-konservativen, städtischen Tendenz allmählich den Rücken gekehrt hatten. Zum Teil schlossen sie sich dem Bauernbund an, nachdem sie aus lokalen Zweigstellen der liberalen Partei ausgeschieden waren und liberaldemokratische Vereine gegründet hatten.83 Die Radikalität der ehemaligen Mitglieder der Nationalliberalen Partei unter den schwäbischen Bauern prägte nun den Schwäbischen Bauernbund, besonders in 79 Hochwächter, 14.12., 16.12.1875; Staatsarchiv Freiburg Bezirksamt Neustadt (alte Signatur), Kart. 259/308-1874/75, 19.3.1875 (Jahresbericht). 80 19.10.1893 81 Manfred Kittel, Zwischen völkischem Fundamentalismus und gouvernmentaler Taktik. DNVP-Vorsitzender Hans Hilpert und die bayerischen Deutschnationalen, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, 59,3,1996, 849-902. 82 Anton Hochberger, Der Bayerische Bauernbund 1893-1914, München 1991; Anton Hundhammer, Geschichte des Bayerischen Bauernbundes, München 1924; Ian Farr, Peasants Protest in the Empire – The Bavarian Example, in: Robert Möller (Hg.), Peasants and Lords in Modern Germany, London 1986, 110-139; ders., From Anti-Catholicism to Anti-Clericalism: Catholic Politics and the Peasantry in Bavaria 1860-1900, in: European Studies Review, 2, 1993, 249-268. 83 Volker Dotterweich u.a. (Hg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, 395.

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den Regionen Mindelheim und Günzburg, wo der Bauernkrieg von 1525 als Vorbild für den Kampf um Freiheit am Anfang des 20. Jahrhunderts dargestellt wurde. Die Aktivitäten der aufständischen Bauern richteten sich vor allem gegen den Klerus. Gleichzeitig brachten diese Schicht ihre Abneigung gegen die Aristokratie, die Bürokratie und die Verstädterung zum Ausdruck und rief zur Einhaltung der persönlichen Rechte, vor allem der Kleinbauern und Landarbeiter, auf.84 Doch nicht alle Stellen des Bauernbundes in Schwaben und Bayern betätigten sich so radikal. Während die Tätigkeit der meisten Lokalstellen des Bauernbundes zweifellos eher dem bereits vorgestellten süddeutschen partikularistisch-radikalen Modell entsprach,85 unterhielten gewisse Stellen enge Kontakte zum konservativen preußischen Bund der Landwirte. Die Reden des schwäbischen Bauernführers Theodor Dirr blieben auch nach seinem Ausscheiden aus der Nationalliberalen Partei radikal geprägt: Klar auf die 1848er Revolution zurückgehende Parolen wie „Kampf und Krieg gegen die Kirche“, „Vernichtung des [klerikalen] Feindes“, „Niederreißen der Adelssitze“ und „alle Macht den Volksvertretern“ waren bleibende Merkmale seiner Reden und der Kultur des Bauernbundes.86 In anderen Regionen Groß-Schwabens wurde dagegen ein markanter Rückgang des liberalen Wählerpotentials verzeichnet. Obwohl die Liberalen in Südschwaben (Allgäu), Hohenzollern-Sigmaringen und Südbaden im Gegensatz zu den Gebieten nördlich des Mains noch immer ein massives Gegengewicht zum Zentrum darstellten, war ihr Gewicht im Vergleich zu den siebziger Jahren bedeutend geschrumpft. Der markante Wählerverlust reflektiert die nachlassende Attraktivität der Liberalen, die auf den Generationenwechsel in den Reihen der Liberalen selbst, die Schwächung der altkatholischen Kirche und – vielleicht am wichtigsten – auf die Verschiebung der liberalen Parteien in konservativ-nationalliberale Richtung zurückzuführen ist.87 Doch gerade dieser Kräfteverlust der Liberalen in Südbaden und Hohenzollern war sowohl von zivilisierten als auch von extremistischen, manchmal gewalttätigen Reaktionen besonders gegen den Klerus, aber auch gegen Regierungsbeamte und sogar 84 Staatsarchiv Augsburg, BA Memmingen, 6205 („Aufruf“); BA Memmingen, 6181, 12.2.1895, 10.3.1898; Gerhard Hetzer, Bauernräte und Bauernbündler 19181920 – Überlegungen zu Bayerisch-Schwaben, in: Reinhard Baumann (Hg.), Die Revolution von 1918-19 in der Provinz, Konstanz 1996, 21-45, 23. 85 Anton Hochberger, Der Bayerische Bauernbund 1893-1914, München 1991, 7879. 86 Staatsarchiv Augsburg, Regierung, 9626, 20.2.1899, 9745, 29.1.1898. 87 Julius Katz, Die politische Lage in Baden, Karlsruhe 1893, 13-14; Otto Ammon, Zur Geschichte der Liberalen Partei in Baden, in: Konstanzer Zeitung, März-April 1880.

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gegen die kaiserliche Autorität begleitet.88 Neben zahlreichen Fällen liberaler, antiklerikaler Aktivitäten (vor allem durch Landlehrer), stieß man auch bei den bürgerlichen Vereinen in Südschwaben und besonders in Südbaden und der Bodenseeregion auf Anzeichen radikaler Betätigung. Die Mitglieder der bürgerlichen Vereine, wie erwähnt vor allem Anhänger der Nationalliberalen Partei oder Linksliberale, versuchten dem liberalen Wählerschwund mit energischen Aktivitäten im Lokalbereich zu begegnen. Etwa im südschwäbischen Bezirk Illertissen wurde ein Verein zur Erziehung volkstümlicher Wahlen mit dem Ziel gegründet, die Bauern über ihr Wahlrecht und die Wahlprozedur aufzuklären. Zahlreiche Aktivitäten von Vereinen am Bodensee (MeßkirchÜberlingen) waren von feindseliger Rhetorik und manchmal auch Gewaltakten gegen den Klerus, antisozialistischer Rhetorik und Aktivitäten gegen das lokale Establishment begleitet. Gewisse Vereine versuchten mittels Auftritten und Flugblättern, in denen zu Gleichheit und Brüderlichkeit zwischen allen Deutschen aufgerufen wurde, um die Gunst der niederen Schichten zu werben. Andere Vereine ließen sogar Frauen auftreten. Neben der klaren Unterstützung für die deutsche Nationalstaatsidee, das Bismarcksche Vermächtnis und der antisozialistischen Politik, betonten die Vereine bei ihren Auftritten die Rolle der Lokalkultur und deren Platz im Deutschen Reich. Erneut begegnen wir hier der Kombination zwischen dem Aufruf zu Gleichheit und Freiheit, lokalen Aktivitäten gegen das Establishment, militantem Antiklerikalismus, Nationalismus und der Verwendung des Deutschen Reichs als Leitmotiv für Aktivitäten mit Schwerpunkt im Lokalbereich.89 Verbale und körperliche Gewalt gegen die Gegner des Liberalismus, darunter die wenigen Anhänger der Konservativen, die Antisemiten und der Adel sowie der katholische Klerus und die Sozialisten, ging zu jener Zeit aber auch von anderen Gruppen aus.90 An Stichelein, beleidigenden Äußerungen oder gar Gewaltakten waren nicht selten auch Vertreter der lokalen Obrigkeit (etwa der Oberamtsmann), Lehrer, Handwerker und lokale Kleinfabrikbesitzer, beteiligt.91 Im bayerischen Schwaben fand diese Tendenz den bereits erwähnten 88 Staatsarchiv Freiburg, Landgericht Konstanz, Gen. 244-140-141 (Weisser Sebald) 89 Protokollbücher – Turnverein Schonach, 19.1.1895. Ich möchte mich bei Herrn Werner Hamm aus Schonach bedanken, der mir das Studium der Protokollbücher einiger Vereine der Stadt ermöglicht hat; Allgäuer Zeitung, 30.1.1887; Allgäuer Zeitung, 26.10.1884; Tag- und Anzeigeblatt für Kempten und das Allgäu, 21.6.1894 („Das Fahrrad im Dienste der Politik“); für weitere Einzelheiten vgl. Heilbronner, The Bourgeois Vereine. 90 Hochwächter, 25.10.1884, „Unsere Schwarzwälder Wähler wollen durch keinen Junker im Reichstage vertreten sein...“ 91 Staatsarchiv Freiburg, Landgericht 1991/534-595-617. In den Jahren 1898-1901 fand ein Prozeß gegen einen gewissen Emil Laube aus dem Dorf Saig statt, der beschuldigt wurde, an Häusern von Anhängern des Zentrums Brand gelegt zu haben.

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organisatorisch-politischen Ausdruck, nämlich im Schwäbischen Bauernbund. In Südbaden fehlten vergleichbare Organisationen. Angesichts der Schwäche antiliberaler Gruppen – Antisemiten, Konservative und Sozialisten – in dieser Region, ging die Opposition und die Reaktion gegen die Nationalliberalen, die dominante Kraft der Region bis zu den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts, von den Radikal-Liberalen (und natürlich vom lokalen Klerus und anderen Kirchenvertretern) aus, die sich als direkte Nachfolger der Liberaldemokraten der sechziger Jahre oder gar von 1848 betrachteten. Sie sahen sich in die Rolle der Opposition gegen die konservativen Nationalliberalen versetzt und brachten ihren Standpunkt nicht wie in Schwaben mit der Gründung von Oppositionsgruppen oder mit dem Anschluß an solche Gruppen zum Ausdruck, sondern durch unabhängige und unkoordinierte Aktivitäten. Das Zitat in der Überschrift zu diesem Beitrag, „es lebe die Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und der Dynamit“, das den Worten des brutalen Liberalen Oberamtmanns Dr. Wassmannsdorf während seines Prozesses wegen seines gewaltträchtigen Verhältnisses zu katholischen Geistlichen in Südbaden entnommen ist, könnte auch den Radikal-Liberalen in Meßkirch, Bonndorf, Donaueschingen oder Konstanz als Motto gedient haben.92 Dr. Wassmannsdorfs Kollegen in Südbaden, die Oberamtsleute Dr. Turban und Heinrich F. von und zu Bodman waren erklärte Antiklerikale, die nicht zögerten, gegen ihre Opponenten verbale und manchmal auch physische Gewalt anzuwenden.93 Um die Jahrhundertwende, einer Epoche, die sowohl als Tiefpunkt in der Geschichte des deutschen Liberalismus als auch als Zeit der Neuorientierung des norddeutschen Liberalismus gilt94, begann sich in Süddeutschland und in anderen Regionen Deutschlands ein eigentümlich deutsches Modell radikaldemokratischer Bewegungen zu formieren. Es wurde bereits viel über die antisemitisch-demokratischen Bewegungen, die katholischen Massenorganisationen und die Erweiterung der Aktionsbasis der Sozialisten in Deutschland ge92 Konrad Gröber, Der Altkatholizismus in Konstanz, in: Freiburger DiözesanArchiv, 39, 1911, 135-198; ders., Der Altkatholizismus in Meßkirch, in: Freiburger Diözesan-Archiv, 40, 1912, 97-134; Markus Vonberg, „Durchlauchtigster Fürst! Hochgeborner Herr! Konflikte zwischen Gemeinden, Bauern und Standesherrschaft im Fürstlich Fürstenbergischen Amtsbezirk Meßkirch im März 1848“, Für die Sache der Freiheit, des Volkes und der Republik, Die Revolution 1848/49 im Gebiet des heutigen Landkreises Sigmaringen, Sigmaringen 1999, 238; Fritz Reinheimer, Meßkircher Skandale, Konstanz 1906. 93 Baur, Lebenslauf, 21-22. 94 Dieter Langewiesche, Liberalism in Germany, London 2000, 234ff.; James Sheehan, German Liberalism in the nineteenth century, Chicago 1978, 221ff.; Kevin Repp, Reformers, Critics and the Paths of German Modernity, Cambridge/Mass. 2000; Hugo Baur, Mein politischer Lebenslauf, Konstanz 1929.

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schrieben. Der englische Ausdruck Politics in a New Key beschreibt diesen dramatischen Wandel treffend. In Süddeutschland bildete sich an der Seite verschiedener Bewegungen im Kampf gegen den Klerus, den Adel und die Beamtenschaft ein neues radikal-liberales Modell, das den nationalliberalen imperialistischen Patriotismus mit einem Kompromiß zwischen Tarifpolitik (Schutzzölle) und Absatzpolitik in der Wirtschaftspolitik verband. Der Individualismus, die Opposition gegen die traditionellen Eliten, die Forderung nach verfassungsmäßig garantierter Freiheit für die Arbeiter und Bauern durch entsprechende Sozialgesetzgebung und natürlich der überlieferte Antiklerikalismus sind weitere Merkmale dieses politischen Modells. Das Vermächtnis der demokratisch-republikanischen Epoche von 1848/49 war noch nicht verblasst. Im Wahlkampf von 1893 und besonders 1898, als der 50. Jahrestag der Revolution von 1848 in ganz Deutschland von den Liberalen fast völlig ignoriert wurde,95 verzichteten auch die Radikal-Liberalen Groß-Schwabens darauf, das Vermächtnis von 1848 bzw. das Andenken der Bauern- und Handwerkeraufstände jenes revolutionären Jahres gegen die Geistlichen und den lokalen Adel zu würdigen. Die Schwarzwälder Zeitung veröffentlichte im Wahlkampf von 1893 folgenden Aufruf: „Wählt am Donnerstag Männer, die wahre Religion besitzen und unsere Regierung unterstützen – Einer, der 1848 schwer gelitten hat.“96 Anläßlich der 900-Jahrfeier der Kleinstadt Villingen im Jahre 1899 wurde das schwäbisch-republikanische Erbe unter besonderer Betonung der nordpreußischen antidemokratischen, autoritären Qualitäten gewürdigt.97 In den sechziger- und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde der süddeutsche populäre Liberalismus in sämtlichen Regionen Südschwabens vor allem von Angriffen auf die Kirche und dem hervorbrechenden deutschen Nationalismus gespeist. In den neunziger Jahren kam es in den Reihen der Radikal-Liberalen dann sowohl geographisch als auch ideologisch zur Spaltung. Während sich die radikalen Aktivitäten der – nun im Schwäbischen Bauern95 Christoph Strupp, Erbe und Auftrag. Bürgerliche Revolutionserinnerung im Kaiserreich, in: Historische Zeitschrift, 270, 2, 2000, 309-344. 96 19.10.1893; für weitere Information über Süddeutschland in den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts, vgl. Oded Heilbronner, Wahlkämpfe im Allgäu 1871-1932. Ein abweichender Fall?, in: Zeitschrift des Historischen Vereins Schwaben, 90 (1997); ders., Populärer Liberalismus in Deutschland: Entwicklungstendenzen der badischen Wahlkultur, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 146, 1998, 481-521. 97 Ingeborg Kottmann, Revolutionäre Begebenheiten aus Villingen und Schwenningen, in: Villingen und Schwenningen. Geschichte und Kultur, VillingenSchwenningen 1998, 312-344; Anita Auer, Die 900-Jahr-Feier der Stadt Villingen 1899, in: Menschen, Mächte, Märkte. Schwaben vor 1000 Jahren und das Villinger Marktrecht, Villingen-Schwenningen 1999, 39-59; Jan Merk, ‚Nationality Separates, Liberty Unites‘. The Historical Commemoration of 1848/49 in Baden, a European Frontiers Region“, Axel Körner (Hg.), 1848: A European Revolution? London 2000, 118-139.

100 ODED HEILBRONNER bund organisierten – Liberalen in Schwaben fortan auf den wirtschaftlichagrarischen Bereich konzentrierten, schienen die Nationalliberalen und deren Vereine im Allgäu weiter vorrangig im Kampf gegen die Kirche beschäftigt. In Südbaden und Hohenzollern zeichnete sich wiederum ein neues radikalliberales Handlungsmuster ab, in dessen Rahmen der Kampf gegen die Kirche weitergeführt, und gleichzeitig, gestützt auf die 1848er-Tradition, radikale Standpunkte gegen die badische und vor allem die preußische Obrigkeit artikuliert wurden. Ein weiterer markanter Einschnitt in der radikal-liberalen Subkultur ereignete sich vor dem Ersten Weltkrieg. In diesem als Übergangszeit zur Nachkriegsepoche zu wertenden Zeitabschnitt stabilisierten und erholten sich die aus dem Kulturkampf geschwächt hervorgegangenen radikal-liberalen Elemente (besonders in Schwaben) und gaben dem populären Liberalismus neue Inhalte, eine Entwicklung, die als Teil des Aufschwungs des deutschen Liberalismus zu betrachten ist. Das Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg stand in ganz Deutschland im Zeichen des zunehmenden Einflusses der Nationalliberalen Partei und der linksliberalen Parteien (Freisinnige Vereinigung und Fortschrittliche Volkspartei).98 Gleichzeitig wurde die Forderung nach einer Wahlrechtsreform in Preußen immer lauter. Süddeutschland war Teil dieser allgemeinen Entwicklung. Sie zeigte sich, für diesen Landesteil typisch, auf der Ebene des populären Liberalismus. Dazu das Beispiel der Gründung der jungliberalen Vereine, die Teil des Erneuerungsprozesses der nationalliberalen Kräfte und der Reorganisation unter der Führung von Ernst Bassermann waren. In bestimmten süddeutschen Regionen betätigten sich die jungliberalen Vereine besonders radikal. Etwa die Jungliberalen in Baden und Schwaben schlugen wiederholt Angebote aus, sich der Landesunion der Jungliberalen anzuschließen, die preußisch-liberal, d.h. von der alten liberalen Tradition dominiert war. Die Jungliberalen im Süden erklärten verschiedentlich, sie fühlten sich der lokalen Bevölkerung verpflichtet, die demokratisch-liberale Werte verkörpere.99 Zusammen mit den süddeutschen Zweigstellen der demokratisch-liberalen Parteien (die Badische Volkspartei und die Deutsche Volkspartei) bekämpften sie die Reaktion, unter der sie die süddeutschen Dynastien, den lokalen Adel und vor allem Preußen sowie die preußischen Versuche verstanden, den Süden wirtschaftlich und kulturell zu dominieren. Gleichzeitig schworen die süddeutschen

98 Langewiesche, German Liberalism (wie Anm. 94), 231; Axel Griessmer, Massenverbände und Massenparteien im wilhelminischen Reich, Düsseldorf 2000, 293301; vgl. auch Anm. 17. 99 Jungliberale Blätter, 10.6.1908 („Badische Politik“); 10.1.1909, 15.2.1909, 15.3.1909 („Die badischen Jungliberalen“); 10.1.1908 („Bayern“).

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 101 Jungliberalen der Deutschen Gemeinschaft und dem Kaiser die Treue.100 Der schwäbische Liberale Dirr (Augsburger Archivar, nicht zu verwechseln mit dem Bauernführer Dirr) erklärte diesen Gegensatz so: Die Grundeinheit des Liberalismus sei die Einzelperson. Die Interessen der Allgemeinheit setzten der Freiheit und dem Individualismus jedoch Grenzen. Der radikale Liberalismus müsse sich somit zwischen der demokratischen Orientierung der Sozialdemokratie und dem Autoritätsprinzip der Konservativen und des Zentrums positionieren. Weiter gab Dirr zu bedenken, daß der liberale Gedanke auch nichtliberalen Kreisen nähergebracht werden müsse, so wie die Anliegen der revisionistischen Bewegung und der Reformbewegung der katholischen Kirche auch in Kreisen außerhalb der Kirche Gehör gefunden hätten. Abschließend betonte Dirr, daß nur demokratische Führer die liberale Bewegung in diese Richtung zu lenken vermögen.101 Der Vertreter der Sigmaringer Liberalen, Friedrich Wallishauser, sagte, er sei dem Kaiser und dem Reich treu ergeben, doch sein Herz gehöre der schwäbischen Heimat, und dort wolle er sich für Gerechtigkeit und persönliche Freiheit einsetzen.102 Ein weiteres auffälliges Merkmal der populär-liberalen Aktivitäten in Süddeutschland war die Gründung (zum Teil auch Wiedergründung) liberaler Vereine (unabhängig von den Jungliberalen), die sowohl die Nationalliberale Partei als auch linksliberale Parteien vertraten. Manche dieser Vereine verabschiedeten um die Jahrhundertwende neue Statuten, wobei die Verwendung der Begriffe Freiheit und Demokratie im Vergleich zu früher deutlich zunahm. Hierzu einige Beispiele aus Südschwaben: In den neuen Statuten des liberalen Vereins in Sonthofen von 1911 steht unter anderem: „Die liberale Vereinigung hat den Zweck, die freiheitlich gesinnte, auf vaterländlichem Boden stehende Bevölkerung zu gemeinsamer politischer Arbeit zusammenzufassen.“ Der liberale Verein in Immenstadt änderte im Jahre 1899 den ersten Artikel seiner Statuten aus dem Jahre 1881 wie folgt ab: Statt „Zweck des Vereins […] Förderung politischer Angelegenheiten in reichsfreundlicher Richtung“ stand neu „Zweck des Vereins […] Förderung politischer Angelegenheiten in liberaler Richtung“. Im Dorf Altusried setzte sich der örtliche liberale Verein zum Ziel, liberal und sozial tätig zu sein, während der entsprechende Verein in Bayersried die erklär-

100 Vgl. z.B. den radikalen antipreußischen Ton eines Artikels im Badischen Landesboten, dem Hauptorgan der demokratischen Badischen Volkspartei, vom 19.1.1906; auf einer Versammlung der Jungliberalen wurde mitgeteilt, daß der Jungliberale Verein in Hof mit den Freisinnigen zusammenarbeite. Der Vorsitzende der Jungliberalen, der Bäcker Karl Schrepfer, erklärte in einer Rede auf der Versammlung, daß im Mittelpunkt der Idee des Liberalismus die persönliche Freiheit, die freie Wirtschaft und die Freiheit vor der Reaktion stünden, Jungliberale Blätter, Mai 1904, 83 (Hof). 101 Ebenda, Juni 1904 („Landesverband der jungliberalen Vereine Bayerns r.d.Rh.“). 102 Hohenzollerische Blätter, 22.11.1906.

102 ODED HEILBRONNER te Absicht verfolgte, die Öffentlichkeit zu „volkstümlich-freiheitlichen, nationalen Grundsätzen“ zu erziehen.103 In sämtlichen großschwäbischen Regionen war eine Annäherung zwischen diesen liberalen Gruppen und besonders den Jungliberalen einerseits, und den Sozialisten, andererseits, zu beobachten. Dies kam nicht nur bei politischen Fragen, der Schulreform und dem Verhältnis zum Katholizismus, zum Ausdruck, wie etwa im Großen Block (von Bassermann bis Bebel)104, sondern auch darin, daß zahlreiche Liberale den Kampf der Arbeiter für bessere Arbeitsbedingungen offen unterstützten.105 Um möglichst viele Anhänger unter liberaler Führung zusammenzufassen und um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Forderungen vor allem der Bauern besser zur Geltung zu bringen, schlossen sich in Schwaben Bauern und Bürger in lokalen liberalen Vereinen zusammen, die mit dem Schwäbischen Bauernbund konkurrierten.106 In Süddeutschland wurde derweil die Forderung nach mehr Demokratie in Preußen laut, das mit Recht als weniger demokratisch als die Gebiete südlich des Mains galt. Dabei kooperierten die Jungliberalen faktisch mit sämtlichen Gegnern Preußens im Süden, da diese Forderung vor allem im Kampf um die preußische Wahlrechtsreform zum Ausdruck kam, an dem auch links- und nationalliberale Bewegungen, katholisch-klerikale Gruppierungen und natürlich die Sozialisten beteiligt waren. Der populäre Liberalismus in Süddeutschland, aber auch im Umkreis gewisser linksliberaler Gruppierungen in Preußen, wies am Anfang des 20. Jahrhunderts eine breitere Basis auf als in den Jahrzehnten zuvor. Er kooperierte nun auf Ad-hoc-Basis mit Gruppen, mit denen die Zusammenarbeit wenige Jahre vorher völlig ausgeschlossen schien. Seine besondere Botschaft setzte sich aus 103 Staatsarchiv Augsburg, BZ Sonthofen, 3684, Statuten des liberalen Vereins […], 1881, 1899); 3687, Statuten [...] 1911, Regierung, BZ Kempten, 9756 – 30.1.1909; BZ Markt Oberdorf, 108b – Mitgliedkarte und Satzungen des Liberalen Vereins Bayersried 1911; BZ Sonthofen 3691 – Liberale Vereinigung Hindelang 1912. 104 Langewiesche, German Liberalism (wie Anm. 94), 241ff.; Beverly Heckart, From Bassermann to Bebel. The Grand Block’s Quest for Reform in the Kaiserreich, 1900-1914, New Haven and London 1974, 91-121. 105 Vgl. z.B. die Debatte über den Arbeiterstreik in der Schraubenfabrik in Falkau (Südbaden) im Jahre 1910. Die Linksliberalen und Jungliberalen unterstützten die Forderungen der Arbeiter, warnten sie aber gleichzeitig vor Gewaltanwendung, Jungliberale Blätter, 29.4.1910; Badische Volkspartei, 21.5.1910; die Liberalen der südschwäbischen Stadt Lindenberg unterstützten die Forderungen der lokalen Textilarbeiter, Staatsarchiv Augsburg, Regierung, 10084-21.2.1910. 106 Staatsarchiv Augsburg – BZ Memmingen – Liberaler Bürger und Bauernverein Grönenbach und Umgebung – 19.4.1906.

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 103 der Forderung nach politischer Reform in Preußen, der Förderung von Demokratie und nationaler Einheit und den traditionellen süddeutschen liberalen Idealen zusammen, darunter der Kampf gegen Reaktion, Adel und Kirche sowie für Individualismus und Freihandel.107 Der Ausbau der Kolonien und der deutschen Flotte, die Stärkung der deutschen Position auf internationaler Ebene und die an gewisse Vorbehalte gebundene Unterstützung von Kaiser und Armee blieben gemeinsame Anliegen der Links- und Nationalliberalen, sowohl in Süd- als auch in Norddeutschland. Weitere Merkmale des populären Liberalismus vor dem Ersten Weltkrieg betonten seinen radikalen Charakter. Der Kampf gegen die katholische Kirche wurde radikaler, der populäre Liberalismus unterstützte den Bund mit den Sozialisten, jedoch nicht mit Linksliberalen, und schließlich war eine Radikalisierung der Sprache der Liberalen festzustellen: 1. Deutschland erlebte im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einen zweiten Kulturkampf, diesmal weniger von der Obrigkeit und der Beamtenschaft, sondern von Bürgern in Regionen mit katholisch-protestantischer, gemischter Bevölkerung ausgehend,108 wo es zu konfessionellen Spannungen kam. Im Wahlkampf von 1907 standen das Zentrum und die katholische Kirche (zusammen mit den Sozialisten) dem Bülow-Block gegenüber, der vor allem von Nationalund Linksliberalen getragen wurde. Bereits bei den Wahlen zum badischen und zum bayerischen Landtag im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts kam es zu scharfen und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen dem katholischen Klerus und dem Zentrum einerseits, und den Liberalen, andererseits.109 Auch hier nahmen die liberal gesinnten Lehrer eine Hauptrolle bei der Agitation ein. Während sich beide Seiten gegenseitig verbale Attacken lieferten, ging die physische Gewalt einseitig von den Radikal-Liberalen aus.110 Hinter den Angriffen auf die Kirche stand in erster Linie der süddeutsche und vor allem großschwäbische populäre Liberalismus. Dadurch gelang es ihm (manchmal mit Hilfe der Sozialisten), die Stimmenmehrheit in einem Teil der Bezirke und

107 Heckart, Beverly: From Bassermann to Bebel. The Grand Block’s Quest for Reform in the Kaiserreich, 1900-1914, New Haven and London 1974, 154-208. 108 Helmut Smith, Nationalism and Religious Conflict in Germany 1887-1914, Princeton 1995; Margaret L. Anderson, Practicing Democracy. Elections and Political Culture in Imperial Germany, Princeton 2000, Kap. 4-5. 109 Carl Zangerl, Courting the Catholic Vote: The Center Party in Baden 1903-1913, in: Central European History 3, 1977, 220-240; siehe zahlreiche Aktenmappen über liberale Angriffe auf Priester in Südbaden im Jahre 1907, Pfarrarchiv Bonndorf-Seelsorge-Schwarzwälder Zeitung und Geistlichkeit. 110 Auf eine besonders gewaltreiche Woche in Südbaden lassen folgende Dokumente schließen: Erzbischöfliches Archiv Freiburg-B2/28-2: 17.11.1912 – Villingen; über die Rolle der Lehrer vgl. GLAK – Nationalliberale Partei 69-118, Heidenhofen.

104 ODED HEILBRONNER Dörfer zurückzugewinnen, wo er sie im Laufe der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts eingebüßt hatte.111 2. Auf Versammlungen der Nationalliberalen Partei in Karlsruhe und Südbaden vor den Landtagswahlen 1913 fanden mehrere Verhandlungen über die Frage der Zusammenarbeit mit den Sozialisten und der liberaldemokratischen Fortschrittlichen Volkspartei statt, an denen Vertreter sämtlicher Außenstellen der Partei des Landes Baden teilnahmen.112 Die Äußerungen der Verhandlungsteilnehmer offenbaren nicht nur den deutlichen Unterschied zwischen den Haltungen der Parteiaußenstellen im Norden und im Süden des Landes, die die zuvor gemachte Feststellung über das Vorhandensein eines radikal-liberalen Elements in Südbaden bestätigt, sondern geben auch Aufschluß über das Verhältnis der Nationalliberalen zu den Sozialisten und den Linksliberalen. Überdies werfen diese Verhandlungen Licht auf Weltanschauungen, Ziele und Ideale der liberalen Vertreter sowie auf die Merkmale ihrer Anhängerschaft in den verschiedenen Bezirken. Die Vertreter aus Villingen, St. Blasien und Bonndorf warnten die Anwesenden, die lokalen Bauern würden nicht nationalliberal wählen, wenn die Nationalliberale Partei ein Bündnis mit den Demokraten einginge. Bereits 1911 machte die sozialdemokratische Zeitung Volksfreund darauf aufmerksam, daß die südbadischen Bauern dazu neigten, sich immer mehr links von den Liberalen zu entfernen und nur aus Protest gegen die Nationalliberalen vorübergehend den Bund der Landwirte oder die Sozialisten unterstützten.113 Die Nationalliberale Partei habe daraus eine Lehre gezogen und mit großem Aufwand erfolgreich versucht, in Bauernkreisen eine Anhängerschaft zu bilden, behaupteten die Vertreter aus Südbaden. Wenn die Liberalen nun beabsichtigten, sich mit den Demokraten zu verbinden, so die südbadischen Vertreter, sei diese Anhängerschaft verloren. „Unsere Truppen können doch unmöglich durch solches Verhalten uns später, wenn die Wahlen nach dem neuen Recht stattfinden, ungeschwächt zur Verfügung stehen“, gab der Parteivertreter aus St. Blasien zu bedenken.114 Sein Kollege aus dem angrenzenden Bezirk Waldshut meinte, das wirtschaftliche Programm der Demokraten passe nicht zu einer Region, in der die Bauern und Handwerker immer stärker dem Wirt111 Siehe die Wahlresultate zwischen 1907 und 1912, einschließlich Resultate der Ersatzwahlen in den Bezirken Immenstadt, Konstanz, Überlingen, Freiburg in Schwaben und Baden. In Hohenzollern-Sigmaringen gewann der nationalliberale Kandidat Friedrich Wallishauser, der Chefredakteur der Hohenzollerischen Blätter, im Jahre 1907 fast 40% des Stimmen, gegenüber 12% der Stimmen, die 1903 für den liberalen Kandidaten abgegeben wurden. 112 GLAK-NLP 69/189-190. 113 Volksfreund, 1.2.1911 114 Ebenda, 190-16.5.1913.

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 105 schaftsprogramm der Nationalliberalen zuneigten.115 Der Vorsitzende der Nationalliberalen Partei in Baden, Rebmann, äußerte sich dagegen pessimistisch über die Erfolgsaussichten der Partei gegenüber dem Zentrum ohne Bündnis mit den Demokraten, während die südbadischen Vertreter im Gegensatz zu ihren Kollegen aus dem Norden Optimismus verbreiteten. Ein typisches Beispiel hierfür war die Äußerung des Försters Eberbach, der die Bonndorfer Liberalen vertrat. Eberbach sagte, es gebe keinen Unterschied zwischen Nationalliberalen und Demokraten, denn die gemeinsamen Feinde seien die Schwarzen, und da spiele es keine Rolle, wer die Liberalen anführe, Demokraten oder Nationalliberale.116 Die Vertreter der Nationalliberalen Partei am Bodensee gaben sich pessimistischer: Die Zusammenarbeit mit den Demokraten sei Voraussetzung für den Erfolg, sowohl in organisatorischer als auch in finanzieller Hinsicht. Die Spaltung zwischen den Nationalliberalen und den Linksliberalen in Konstanz belaste die Aktivitäten. Man müsse deshalb geeint in die Wahl gehen, forderten die Vertreter aus Radolfzell und Meßkirch. Demgegenüber meinten die Vertreter aus Freiburg, der Baar und dem Schwarzwald, die Stammleute dieser Regionen würden nationalliberal wählen. Die Bauern hingegen seien nicht bereit, sich den Vereinen der Demokraten anzuschließen, so der Vertreter aus Eichstetten. Sie seien gegen die Aktivitäten solcher Vereine. Der Freiburger Vertreter, Karl Frey, empfahl gegen Ende der Debatte, sich den Kampf des Zentrums zum Vorbild zu nehmen. Er, Frey, finde, man dürfe die Hoffnung nicht aufgeben. Es sei um den Sieg zu kämpfen, ohne Bündnis mit den Demokraten.117 Die Debatten legen nicht nur die Unterschiede frei zwischen den in Südbaden konzentrierten, kämpferisch eingestellten Radikal-Liberalen, die den Kampf – mit oder ohne Demokraten – forderten, und den liberalen Vertretern der nördlicheren Regionen, die die Siegeschancen der Partei bei den Landtagswahlen pessimistischer beurteilten. Es wird auch deutlich, dass die liberalen Vertreter aus dem Süden eine aufrührerische Subkultur vertraten und die Erfüllung der Bedürfnisse dieser Subkultur mit oder ohne linksliberale Schützenhilfe erwartet wurde. 3. Ein weiteres Merkmal, das Beachtung verdient, ist die Sprache der RadikalLiberalen vor dem Ersten Weltkrieg. In Schwaben machten die Liberalen die Bauern darauf aufmerksam, dass sie, die Liberalen, die Forderung nach Freiheit erhoben und durchgesetzt hätten. In einer Artikelreihe mit dem Titel Liberalismus und Bauernstand wurde von liberaler Seite in Erinnerung gerufen, dass es die Liberalen gewesen seien, die seit 1830 mehr als alle anderen Gruppen für die Befreiung der Bauern getan hätten und dass sich die Lebensbedingungen der Bauern und die Viehhaltung dank der Zoll- und Gewerbefreiheit erheblich

115 Ebenda, 15.5.1913. 116 Ebenda, 189-20.4.1913, 11. 117 Ebenda, 25.

106 ODED HEILBRONNER verbessert hätten.118 Die Wahlen von 1912 fanden kurz vor dem Fasching statt. Die den Liberalen nahestehenden Faschingvereine nutzten den Wahlkampf, um für eigene Faschingauftritte zu werben, gleichzeitig aber auch für intensive antiklerikale und proliberale Propaganda. Das südbadische Echo vom Wald schrieb vor dem Fasching, das Wort konservativ sei in Baden anrüchig und der Radikal-Liberalismus kämpfe erbittert gegen den klerikalen Konservatismus und die Vertreter der Macht aus dem Adel und dem Bürgertum.119 Der liberale Reichstagsabgeordnete Friedrich Faller gab in einem Artikel im Donaueschinger Wochenblatt zu bedenken, dass Liberalismus Freiheit für alle und in jedem Bereich bedeute: politische Freiheit, Schaffens-, Bildungs- und Meinungsfreiheit. Faller unterstrich sodann die Ziele des Liberalismus in der Region: Freiheit für alle, Befreiung von der Sklaverei der Hochfinanz und der Junker, Wahlrecht für alle und Kampf dem antidemokratischen preußischen Wahlrecht.120 Neben dem Artikel wird Faller als Volksvertreter, vorbildlicher Familienvater, gläubiger Katholik mit demokratisch-liberaler Weltanschauung und tief verwurzelter badischer Identität dargestellt, weshalb er bei der Bevölkerung besonders beliebt sei. Der liberale Vertreter Josef Wagner aus Südschwaben meinte, freiheitliches Denken bedeute auch gut deutsch und gut bayerisch zu sein und diene dem Allgemeinwohl. Wer liberal wähle, erreiche deshalb auf einen Schlag mehrere Ziele, die alle im Sinne der Freiheit seien.121 Auch Wagner wird als Volksvertreter dargestellt, ganz im Gegensatz zu Geistlichen oder Gewerkschaftsmitgliedern, die als Vertreter von Interessengruppen galten. Sich anders fühlen und dennoch auf Einheit pochen, den Partikularismus zelebrieren und gleichzeitig die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen des Ganzen verfolgen, war eine ebenso häufige wie widersprüchliche Kombination. Bei einem Sommerfest der Nationalliberalen Partei im südbadischen Triberg waren zum Beispiel Parteivertreter voll des Lobes für die lokalen Eigenarten – die Trachten, die Bräuche, den südbadischen Dialekt. Gleichzeitig priesen sie den Zollabbau und den Freihandel und stellten sie als Vorteil für die Bauern dar. Ihre Worte reflektierten Sympathie für eine liberale Wirtschaftsordnung, eine starke deutsche Flotte und die nationale Kolonialpolitik zugleich. 118 Tag- und Anzeigeblatt für Kempten und Allgäu, 3.1.1912, 30.1.1912. 119 9.1.1912. 120 26.6.1903. 121 Wer „echt freiheitlich, wer gut deutsch und gut bayerisch fühlt, wer den Interessen der Gesamtheit und nicht den einseitigen Interessen einer konfessionellen Partei dienen will, der wähle den von uns vorgeschlagenen Kandidaten“ („Wähler des Reichstagswahlkreises Immenstadt“, Tag- und Anzeigeblatt für Kempten und das Allgäu, 16.6.1903.

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 107 Alle diese Faktoren zusammen würden Deutschland gegenüber seinen Feinden stärken, meinten die Parteivertreter.122 Die Kombination zwischen universalen, demokratisch-liberalen Grundsätzen und dem für den süddeutschen populären Liberalismus so typischen Lokalbewusstsein wird auch in einem Flugblatt der Nationalliberalen Partei vor den Ersatzwahlen von 1911 in Südbaden deutlich: Ganz Deutschland blicke auf den Kampf in Konstanz, hieß es da. Dies hinderte die Liberalen aber nicht daran, nach dem Sieg des liberalen Kandidaten Schmidt zu erklären, der liberale Gedanke habe gesiegt. So wie im fernen Norden des deutschen Reiches der reaktionäre Konservatismus den Liberalen unterlag, so steckten im Süden die reaktionären Verbündeten der Junker, das Zentrum, eine Niederlage ein.123 In einem weiteren Flugblatt wurden die Markgräfler, denen „ihre Scholle, ihr Eigentum, ihre Heimat am Herzen und ihr großes deutsches Vaterland am Herzen liegt“, aufgerufen, den liberalen Gedanken zu unterstützen.124 Die hier zitierte Rhetorik, begleitet von verbaler und physischer Gewalt, war in erster Linie gegen das Zentrum und den Klerus gerichtet. Noch vom Kulturkampf nach 1870 bekannt, präsentierte sich die von Gewalt geprägte Sprache diesmal noch martialischer. Nicht selten ging sie von Personen aus, die sich entweder im Privatleben oder in ihrer öffentlichen Funktion als gewalttätig herausstellten.125 Wiederholt wurde im Zusammenhang mit dem Kampf gegen das Zentrum von Vernichtung gesprochen, der Wahlkampf als Krieg, Schlacht oder Kriegsfeldzug bezeichnet und die Geistlichen kurzerhand des geistlichen Terrorismus bezichtigt und als Räuber bezeichnet. Die liberalen Aktivisten selbst werden als liberale Truppen auf dem Kreuzzug gegen die Kirche dargestellt.126 Die Liberalen ziehen „ruhigen Blickes, kalten Blutes und sicheren Schrittes“ in den Kampf (gegen den Klerus), hieß es in der südschwäbischen Allgäuer Zeitung.127 Diese aggressive Wortwahl beschränkte sich offensichtlich nicht auf 122 Generallandesarchv Karlsruhe, NL Partei-69/7-22.8.1911, „Unser nationalliberales Parteifest in Triberg“. 123 Generallandesarchiv Karlsruhe – Nationalliberale Partei 69/7, 31.10.1911. 124 Ebenda, 69/103 – („Markgräfler!“). 125 Zwei möglicherweise nicht repräsentative Beispiele betreffen 1. den Bonndorfer Oberamtsmann Dr. Wassmannsdorff, der besonders gewaltträchtige Reden hielt und im Verdacht der Gewaltanwendung stand, und 2. den Erzieher Dr. Johann Baptist Reiter aus dem schwäbischen Türkheim. Dr. Reiter war Lehrer, Pädagoge und Schulleiter in verschiedenen schwäbischen Kleinstädten. Als liberaler Aktivist war er in einigen Orten im Allgäu tätig. 1919 wurde er aus verschiedenen Gründen von seinem Amt in Türkheim entfernt. Ein Grund betraf die Anwendung der Prügelstrafe, vgl. Gerhard Willi, Alltag und Brauch in Bayerisch-Schwaben, Augsburg 1999, 618; Allgäuer Zeitung, 25.2.1887. 126 Diese Erkenntnisse beruhen auf dem Studium von Flugblättern im Generallandesarchiv Karlsruhe – Nationalliberale Partei 69/87, 96,103. 127 23.2.1887.

108 ODED HEILBRONNER den süddeutschen Liberalismus. 1907 sagte ein Vertreter der Jungliberalen in Kassel: „Für uns Nationalliberale ergibt sich eine unzweideutig politische Aufgabe: Kampf gegen Zentrum und Antisemiten bis zur Vernichtung...“128 Das martialische Vokabular war, wie erwähnt, nicht speziell charakteristisch für das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Bereits in den sechziger- und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts neigten die Liberalen in Wahlkämpfen und bei der Konfrontation mit dem Zentrum zu kämpferischen Tönen, inspiriert von der Stimmung der nationalen Erneuerung und den Kriegen um die deutsche Einheit, die den Alltag mit Kriegsstimmung und militärischer Sprache erfüllten. Diese Sprache blieb bis zum Ersten Weltkrieg als politische Ausdrucksform besonders in Süddeutschland als Teil einer Subkultur erhalten, deren Träger sich offensichtlich berufen fühlten, Süddeutschland vor der Hegemonie der Ultramontanen zu bewahren.129 Die häufige Verwendung von Begriffen, wie Freiheit, Demokratie, Befreiung von der Sklaverei, Verfassung, Heimat, Vaterland und Gemeinschaft neben Begriffen, die Widerstand gegen das Establishment, den Staat, die Beamtenschaft und den Adel zum Ausdruck brachten, sowie das erwähnte gewaltträchtige Vokabular (das auch aus der Überschrift zu diesem Artikel hervorgeht) signalisiert eine beträchtliches Maß an Kontinuität zumindest in der politischen Kultur und Sprache der großschwäbischen Regionen, trotz unterschiedlicher Atmosphäre in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts und dem Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg. Zweifellos deutet diese Kontinuität auch auf das ruhelose Reich oder das nervöse Reich hin und vor allem auf folgende süddeutschen Eigenarten: 1. Ein tief verwurzelter populärer Radikalismus (Plebeian Radicalism) mit signifikanten kulturellen und institutionellen Merkmalen. 2. Die Verknüpfung von Gewaltbereitschaft und liberalen, demokratisch-republikanischen Elementen. Diese besonderen Merkmale des süddeutschen Liberalismus vor dem Ersten Weltkrieg mögen dessen Absorption in Protestbewegungen nach dem Krieg und später im Nationalsozialismus wesentlich begünstigt haben. Die Revolutionen von 1918 hinterließen tiefe Spuren in der radikal-liberalen Subkultur in ganz Deutschland und besonders im Süden. Sie führten schließlich zur Spaltung und zu ersten Zerfallserscheinungen. Der populäre Liberalismus spaltete sich in eine Anzahl liberaler und agrarischer Gruppen auf, die sich neben dem traditionellen Kampf gegen den Staat und dessen Vertreter sowie gegen die katholische Kirche ab den frühen zwanziger Jahren gegenseitig be128 G. Sunkel, Nationalliberal. Ansprache an die nationalliberale Jugend Cassels, Cassel 1907. 129 Generallandesarchiv Karlsruhe – Nationalliberale Partei 69/189-20.4.1913 – Protokoll der am 20. April 1913 im Restaurant „Krokodil“ in Karlsruhe abgehaltenen Versammlung der Wahlkreisvertreter der nationalliberalen Partei, 1.

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 109 kämpften. Abgesehen von der organisatorischen Spaltung trugen neue radikale Elemente, der Antimarxismus und die Verschärfung des antisozialistischen Tones zu einer Änderung im Verhaltensmuster des populären Liberalismus in Süddeutschland und natürlich (neben Kontinuität auf vielen Gebieten) zu einer Änderung der radikal-liberalen Rhetorik schon vor dem Krieg gegründeter liberaler Bewegungen Groß-Schwabens bei. Doch bevor wir uns näher mit dem Wandel befassen, sollen die Kontinuitäten hervorgehoben werden: Die traditionellen liberalen Parteien bestanden (nun unter neuen Namen) fort und genossen in den meisten Dörfern und Kleinstädten, wo sie vor dem Krieg schon stark vertreten gewesen waren, auch nach 1918 weiterhin breite Unterstützung. In Südschwaben wurden die Außenstellen der Nationalliberalen Partei unter der Bezeichnung Deutsche VolksparteiNationalliberale mindestens bis 1928 weitergeführt und verzeichneten in einer großen Zahl von Dörfern und zentralen Gemeinden wie Oberndorf, Immenstadt, Walterhofen und Lindenberg bis 1920 beträchtliche Wahlerfolge.130 Im mittleren bayerischen Schwaben legten die Liberalen, besonders die Deutsche Demokratische Partei (DDP), ein radikal-liberales Programm vor, im dem die Angst vor dem Kommunismus dominierte. Angesichts der linken und rechten Revolutionen in München und Schwaben Ende 1918 und Anfang 1919 war dieses Motiv bei den Milchbauern und der Kleinindustrie der Region mindestens bis 1920 besonders effektiv.131 Ab Mitte der zwanziger Jahre vertiefte sich die Zusammenarbeit zwischen den Liberalen und den Zweigstellen des Bayerischen Bauernbundes (nun Bauern- und Mittelstandspartei genannt) in ganz Bayern und auch in Südschwaben unter Führung des Bauernbundes.132 In Südbaden wurde mit dem Badischen Landbund zum ersten Mal eine unabhängige Bauernbewegung gegründet. Die neue Organisation ging aus den Bauernräten der Nachkriegszeit hervor, denen zahlreiche Radikal-Liberale angehörten.133 Doch auch hier wird Kontinuität erkennbar: In Südbaden und in der Region Konstanz regten die neuen liberalen Parteien die Gründung liberaler Vereine gemäß der Vorkriegstradition an. Sowohl bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung 1919 als auch 1920 schnitten die Liberalen in ihren ange130 Allgäuer Tagblatt, 3.12.1924. Noch 1924 führte die Deutsche Volkspartei den Namen „Deutsche Volkspartei (Nationalliberale Partei)“, Allgäuer Tagblatt, 16.5.1928. 131 Mindelheimer Neueste Nachrichten, 17.5.1920; die Zeitung diente im ersten Jahr der Republik als Sprachrohr des Bayerischen Bauernbundes und der Linksliberalen zugleich. 132 Larry E. Jones, Crisis and Realignment: Agrarian Splinter Parties in the Late Weimar Republic, in: Robert G. Möller (Hg.), Peasants and Lords in Modern Germany, London 1986, 121-145. 133 Emil Bleibtreu, Die Bauernbewegung im Bezirk Bonndorf 1919-1922, Bonndorf 1922, 10; Der Landbund. Sein Auftreten und sein Wirken im Bezirk Bonndorf 1922-1924, Karlsruhe 1924.

110 ODED HEILBRONNER stammten Hochburgen – Waldshut, St. Blasien, Lenzkirch, Bonndorf, Konstanz und Meßkirch – erfolgreich ab. Altbekannte Klänge erfüllten die Region: Die republikanischen Farben, die Farben der Revolution von 1848 erschienen auf den Fahnen der Freikorps, die 1919 in Südschwaben die Kommunisten bekämpften.134 In der von allgemeiner Zerfallsstimmung geprägten Zeit nach 1918 im Deutschen Reich und besonders in Bayern wurden erneut Pläne der verwaltungsmäßigen Abtrennung GroßSchwabens von Bayern und der Selbstverwaltung der Dörfer in der Region laut. Otto Merk, Bürgermeister von Kempten und vor dem Krieg Jungliberaler, wurde Präsident des Kreistages von Schwaben und Neuburg, dessen Aufgabe es war, über die schwäbische Eigenart und Unabhängigkeit der schwäbischen Kultur zu wachen. Obwohl der Schwerpunkt der Aktivitäten dieser Institution im schwäbischen Bayern lag, gehörte es zu ihrem Programm, die Botschaft der schwäbischen Einheit und Selbstverwaltung in ganz Groß-Schwaben zu verbreiten. Im benachbarten Hohenzollern erklärt der Liberale Friedrich Wallishauser 1918: „Mit dem Aufhören der hohenzollerischen Herrschaft in Preußen [...]. Wir Hohenzollern müssen beim Neuaufbau des Reiches Anschluß an süddeutsche Verhältnisse, an unser schwäbisches Volkstum finden. Denn wir gehören nicht zum Norden, wir gehören zum Süden Deutschlands.“135

Im nahen Baden meinte der ehemalige liberale Aktivist Hermann Sprachholz, die südbadischen Bauern sollten eigenständig handeln und sich nicht den nördlichen Bauernbündlern anschließen. Diese stünden immer noch unter dem Einfluß der ehemaligen Mitglieder des Bundes der Landwirte, der nach wie vor den Adel vertrete, im Gegensatz zu „Schwaben, wo Freiheit und Unabhängigkeit herrschten“.136 Separatistische Tendenzen waren zu jener Zeit in fast allen Regionen Deutschlands zu beobachten. Die Besonderheit Schwabens lag jedoch darin, daß diese Tendenz dort einer alten Tradition entsprach und bereits seit einer Generation Bestandteil des populären Liberalismus dieser Region bildete. An Versammlungen von Bauernvereinen riefen Schlagworte, wie Volksfreiheit, Volksrecht und Volkswohl vergessen geglaubte Erinnerungen wach. Auch die Forderung nach direkter Demokratie, ohne Vermittlung durch Parteien, die ihre Legitimität, nach den Worten südbadischer Bauernvertreter, direkt vom Volk erhalte, tauchte in den Schriften der Bauernorganisationen wieder auf und erin134 „Wohin? Ins Freikorps Schwaben. Allgäuer Volkswehr. Standort Memmingen“, Plakat der Freikorps Schwaben, Memmingen, in: Daniel Ritter von Pitrof, Gegen Spartakismus in München und im Allgäu, München 1937, 1. 135 Hohenzollern, 181. 136 Schwarzwälder Zeitung (Bonndorf), 20.7.1920.

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 111 nerte an ähnliche, rund achtzig Jahre zuvor, im Jahre 1848, gemachte Äußerungen. In Südbaden betrachteten sich die Bauern als Bund von Brüdern.137 Das traditionelle Streben nach Freiheit und der Widerstand gegen den Adel fand überdies einen deutlichen Ausdruck im Volksbegehren und im Volksentscheid über die Enteignung der Fürstenvermögen im Jahre 1926. In zahlreichen südbadischen Dörfern und Kleinstädten, wo die radikal-liberalen Elemente vor dem Krieg stark vertreten waren, fand die Vorlage im Vergleich zum Landes- und Reichsdurchschnitt (37,9% und 39,7%) überdurchschnittlich hohe Zustimmung. Die Stimmbeteiligung in den Bezirken Waldshut, Stockach und Engen war überdurchschnittlich hoch. Fast die Hälfte der Stimmberechtigten ging zur Urne (gegenüber 37% im nationalen Durchschnitt) und fast die Hälfte der abgegebenen Stimmen sprach sich für die Enteignung des Fürstenvermögens aus.138 Neben diesen Protesttendenzen gegen das Establishment offenbarten liberale Gruppierungen und Bauernorganisationen auch Kontinuität bei der Unterstützung der liberalen Wirtschaftsordnung. Parolen für eine liberale Wirtschaft und die Respektierung des Privateigentums waren in der Zeit der Zwangswirtschaft Anfang der zwanziger Jahre besonders populär.139 Diese Zwangswirtschaft fügte der Allgäuer Milchwirtschaft und der südbadischen Holz- und Feinmechanikindustrie großen Schaden zu, da die Ausfuhr der lokalen Erzeugnisse in die Schweiz, nach Frankreich und Österreich nach dem Krieg nicht mehr möglich war. Eine Denkschrift des Ordinariats Freiburg über Säkularisierungstendenzen und den Erwerb von Grundeigentum durch Protestanten in der Bodenseeregion macht auf die liberalen sozioökonomischen Tendenzen der großen Landwirte und der Handwerker in den Kleinstädten der Region aufmerksam. Auch hier offenbart die Aktivität der liberalen Kontinuität gegenüber der Vorkriegszeit, wie auch die Verfasser der Denkschrift feststellen.140 Der Haß gegen die katholische Kirche und den politischen Katholizismus gehörte auch nach dem Krieg noch zu den Grundpfeilern der Tätigkeit der Bauernorganisationen, besonders des Badischen Landbundes. Die Forderung nach Freiheit, das Recht des Bauern und Handwerkers auf ein Leben ohne obrigkeitlichen Zwang und freie Religionsausübung sowie die Ablehnung des geistlichen Diktats in der Schule deuten auf Elemente der Kontinuität des populären Liberalismus zwischen der Kaiserzeit (besonders vor dem Ersten Welt137 „Ruf an unsere Berufsgenossen“, Flugblatt, 15.6.1919. 138 Statistisches Reichsamt (bearb.), Volksbegehren und Volksentscheid – Enteignung der Fürstenvermögen, Berlin 1926. 139 „Für die Sicherheit des Privateigentums, insbesondere auch des Privateigentums an Grund und Boden“, Schwarzwälder Zeitung, 3.1.1922. 140 ErzbAF, B2-28/9 (Protestantische Propaganda – 1931): Gedanken zur konfessionellen Verschiebung des ländlichen Besitzes im Bodenseegebiet. Vortrag von einem Geistlichen der Diözese Rottenburg, auf verschiedenen Konferenzen im badischen Bodenseegebiet gehalten.

112 ODED HEILBRONNER krieg – während des zweiten Kulturkampfes) und der Weimarer Republik hin. In der Baar waren Angriffe auf Geistliche nach 1920 eine Alltäglichkeit,141 und in Südbaden fanden nach dem Krieg die Geschichten über den Leidensweg der Bauern und die Ausnützung des Landvolkes durch die Geistlichen, angefangen vom Bauernkrieg im 16. Jahrhundert über die Revolten der Salpeterer im 18. Jahrhundert und bis zum Kloster in St. Blasien als Stätte der Ausbeutung von Landarbeitern, neue Verbreitung. Die Heimatsgeschichte wurde quasi zum praktischen Hilfsmittel der Bauernführer und selbst von Heimatdichtern, wie Josef Albicker aus der Region Donaueschingen im Kampf gegen den Klerus und das Zentrum, wie zu Zeiten des Kulturkampfs. In den dreißiger Jahren sollten sich die Radikal-Liberalen, diesmal in den Reihen der NSDAP, noch einmal derselben Mittel bedienen.142 Über die bekannten wechselseitigen Beziehungen und die Partnerschaft zwischen dem populären Liberalismus und den Protestorganisationen der Bauern geben die Laufbahnen gewisser liberaler Aktivisten Aufschluß, die sich entweder Bauernorganisationen anschlossen oder ihre Tätigkeit in liberalen Vereinen weiterführten. Der ehemalige Liberale Prof. Anton Fehr aus Lindenberg amtierte als Vertreter des Bayerischen Bauernbundes im bayerischen Landtag und in den Jahren 1924-1930 als Landwirtschaftsminister. Der ExLiberale Jakob Herz nahm den Vorsitz des schwäbischen Milchwirtschaftlichen Vereins ein, der dem Bayerischen Bauernbund nahestand. Im Allgäu ließen sich zahlreiche nationalliberale Aktivisten, darunter Anton Mayer, J. Vögel oder Franz Diebolder, in die Generalversammlung des Allgäuer Bauernverbandes wählen.143 Der Kemptener Liberale Michael Arnold trat 1918 in die Allgäuer Bauernräte ein und wurde zum Vertreter des Bauernbundes im bayerischen Landtag gewählt. Denselben Weg schlug 1918 auch der Kemptener Lehrer und Vertreter der Bauernorganisationen, Peter Herz, ein.144 Die Familien Sprachholz, Merk, Weishaar und Frank, Landwirte mit großen Gütern oder gut situierte Handwerker aus dem südbadischen Bonndorf, sprachen sich unmittelbar nach dem Krieg neu für die DDP und zwei Jahre später dann für den 141 Hermann Lauer, Geschichte der katholischen Kirche in der Baar, Donaueschingen 1922, 364-365; Schwarzwälder Zeitung, 10.6.1922 („Zum Beispiel des Schulkampfs in Baden“). 142 Der Landbund, 92ff.; Schwarzwälder Zeitung, 14.1.1924 („Bilder deutscher Bauerngeschichte“). 143 Staatsarchiv Augsburg, Amtsgericht Kempten II/44 – Allgäuer Bauernverband 4.5.1922. 144 Hetzer, Gerhard: Bauernräte und Bauernbündler 1918-1920 – Überlegungen zu Bayerisch-Schwaben. In: Reinhard Baumann (Hrsg.): Die Revolution von 1918-19 in der Provinz, Konstanz 1996, S. 21-45, 37.

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 113 Badischen Landbund aus. An ihrer Seite exponierten sich, wie schon zu Kaisers Zeiten, Bürgermeister, Oberamtsleute und zahlreiche Lehrer, besonders Volksschullehrer, als radikale, antiklerikale Elemente.145 Allen war die Enttäuschung über das Zusammenwirken der alten liberalen Parteien mit dem altneuen Regime gemein, das sich, insbesondere nach den Reichstagswahlen von 1920, aus Vertretern der preußischen Elite und den alten süddeutschen Lokaleliten zusammensetzte. Eine gewisse Kontinuität läßt sich in Süddeutschland auch beim Grundstock liberaler Aktivität, bei den bürgerlichen Vereinen, erkennen. Trotz schwerer Krise, die zahlreiche Vereine während des Krieges und unmittelbar danach befiel, setzten sie sich ab Anfang der zwanziger Jahre mehrheitlich und mit voller Kraft für die Idee der schwäbischen Kultureigenart, ganz nach liberalem Vorkriegshabitus ein, wenn auch diesmal ohne sich ausdrücklich zum populären Liberalismus zu bekennen. Neben dieser Aktivität offenbarte die Vereinstätigkeit eine weitaus stärkere Neigung zum Nationalismus und gegen den Sozialismus als vor dem Krieg. Diese Radikalisierung war, typisch für Süddeutschland, von antiklerikaler Aktivität begleitet, wie in etwa der Volkssturm gegen die Bayerische Volkspartei verkörperte.146 Zusätzlich zur Tätigkeit für die Heimat fühlten sich die Vereine zur Verteidigung des Vaterlandes gegen Feinde von außen und im Innern, diesmal in Gestalt des Kommunismus, berufen. Besonders angesehene Vereine, etwa die Turn- oder Männergesangvereine betrachteten sich als authentische Vertreter des Willens der Bevölkerung, die sich zwischen gegensätzlichen Parteien hin- und hergerissen fühlte. Die Vereinstätigkeit verkörperte immer mehr die Forderung nach echter Demokratie zur Überwindung sämtlicher Standesunterschiede und politischer Differenzen.147 Die Kontinuität der politischen Kultur der radikal-liberalen Subkultur wird schließlich in der Sprache und Rhetorik von Parteimitgliedern, Aktivisten von Bauernorganisationen und Vereinsmitgliedern deutlich. Die schon vor dem Krieg vor allem in den größeren Gemeinden und Städten Groß-Schwabens verbreitete gewaltträchtige Sprache, die martialische Rhetorik und natürlich die körperliche Gewalt, wurden vom Krieg, von den linken und rechten Revolutionen in bestimmten schwäbischen Regionen sowie von der wirtschaftlichen Notlage und der Gewalt, denen sämtliche Einwohner Deutschland von der Aus145 ErbAF-B2-32/556 (1919-1924) – Jahresberichte über den Klerus. Bonndorf – 22.2.1922; Hetzer, Bauernräte, 36-37; der Lehrer als radikales, antiklerikales Element ist keine süddeutsche Sondererscheinung. W. Pyta hat dieses Phänomen in protestantischen ländlichen Gegenden studiert, vgl. Dorfgemeinschaft und Parteipolitik 1918-1933. Die Verschränkung von Milieu und Parteien in den protestantischen Landgebieten Deutschlands in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1996, 252-269. 146 Allgäuer Tagblatt, 20.7.1924; zu weiteren Einzelheiten siehe Oded Heilbronner, The German Bourgeois Club (wie Anm. 70). 147 Protokollbuch Männergesangverein Schonach (Nr. 45), 15.9.1923.

114 ODED HEILBRONNER rufung bis zum Ende der Weimarer Republik unterworfen waren, stark beeinflusst.148 Dies führte, wie erwähnt, zu einer Verhärtung der Rhetorik und Verschärfung der in der radikal-liberalen Subkultur bereits seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts latent vorhandenen Gewalt. Die verbale und physische Gewalt war, wie früher, gegen Geistliche und Linke gerichtet, aber auch Obrigkeitsvertreter, besonders Steuereintreiber, für die Bezirke der Region zuständige lokale Beamte und selbst Armeeangehörige mußten sich manchmal Beschimpfungen gefallen lassen. Trotz deutlicher Linien der Kontinuität ist zu bedenken, daß sich die wirtschaftlichen und politischen Spannungen, denen die Bevölkerung der Region zum Teil ausgesetzt war, seit dem Krieg verschärften. Dies machte sich sowohl in verbalen Attacken als auch in gewalttätigen Zwischenfällen von vor dem Krieg nicht gekannten Ausmaßen bemerkbar. So wurden in den südbadischen Dörfern der Baar Regierungsbeamte, die sich von Amtes wegen in der Region aufhielten, neuerdings häufig als Kommunisten oder Bolschewiken beschimpft. Auch der bereits vor dem Krieg aufgetretene Begriff Vernichtung wurde wieder häufiger verwendet und war von einer Aura der Gewalt umgeben, die zu jener Zeit tatsächlich existierte. Im südschwäbischen Immenstadt oder in Lindau am Bodensee machten sich sowohl liberale Aktivisten als auch völkische, rechte Gruppen – eine neue Erscheinung in der lokalen politischen Landschaft – durch eine gewaltträchtige Sprache und Machtdemonstrationen in den Straßen der Kleinstädte bemerkbar.149 Doch der Bruch war deutlicher als die Kontinuität. Das deutlichste Zeichen der Schwächung und letztlich der Auflösung der radikal-liberalen Subkultur in Groß-Schwaben war der Zerfall der bürgerlichen Vereine besonders ab Mitte der zwanziger Jahre.150 Bereits in den frühen zwanziger Jahren hörten die Vereine auf, den liberalen Parteien Dienste zu leisten. Von den in Südbaden und Schwaben überaus populären Bauernorganisationen lösten sie sich völlig. In den späten zwanziger Jahren stellten viele Vereine ihre Tätigkeit ein, während die weiterbestehenden Vereine eine klar antisozialistische, nationalistische Linie annahmen.151 148 Johannes Timmermann, Die Entstehung der Freikorpsbewegung in Memmingen und im Unterallgäu, in: Baumann, Revolution von 1918/19, 173-189; Paul Hoser, Die Revolution von 1918/19 in Memmingen – Verlauf, Ursachen und Folgen, in: Reinhard Baumann (Hrsg.): Die Revolution von 1918-19 in der Provinz, Konstanz 1996, 83-101. 149 Stadtarchiv Augsburg, Regierung, 18224 – Wochenberichte, Halbmonatsberichte, 8.7.1922; Bezirksämter, Lindau, 3611 – Krieger- und Veteranenvereine im BZ Lindau, 17.7.1929; Stadtarchiv Immenstadt, Chronik Glötzle. 150 Heilbronner, Der verlassene Stammtisch (wie Anm. 70). 151 Heilbronner, The German Bourgeois Club (wie Anm. 70); ders., Der verlassene Stammtisch (wieAnm. 70).

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 115 Die schwere Krise machte auch vor den liberalen Parteien nicht halt. Zwar wurden sie von den liberalen Wählern, vor allem Bauern und Handwerker, unmittelbar nach Kriegsende in den früheren Hochburgen der Liberalen weiterhin unterstützt, doch ab 1921 wandten sich ein Großteil dieser Wähler lokalen Bauernorganisationen zu, im bayerischen Schwaben dem Bayerischen Bauernbund und in Baden dem Badischen Landbund.152 Auch Zentrumswähler, die von der Politik ihrer Partei im Weimarer Kabinett enttäuscht waren, wandten sich dem Badischen Landbund zu. In den frühen zwanziger Jahren waren diese Bauernorganisationen gleichsam ein Auffangbecken für den von der liberalen Politik enttäuschten Teil der Radikalen, für Republikgegner und Jungwähler, die sich nach kurzem Flirt mit den Sozialisten wieder dem Wahlverhalten ihres (bäuerlichen) Milieus anpaßten. Doch nicht nur die liberalen Parteien büßten Kraft ein. In den späten zwanziger Jahren mußten auch die Bauernorganisationen beträchtliche Verluste hinnehmen. Die Liberalen verloren, wie erwähnt, Wähleranteile an die Sozialisten und ab 1924 an die Bauernparteien. Ab Mitte der zwanziger Jahre kam es auch unter den Bauernorganisationen zu Konflikten. Zum Beispiel in Schwaben unterstützte die schwäbische Zweigstelle des Bayerischen Bauernbundes ab 1924 die Institutionen der Weimarer Republik, forderte die wirtschaftliche Liberalisierung und – nach bester radikal-liberaler Lokaltradition – mehr wirtschaftliche und verwaltungsmäßige Unabhängigkeit der Gemeinden und Städte Bayerns und Schwabens. Damit widersprach sie der offiziellen Linie der ab Mitte der zwanziger Jahre offen antirepublikanisch eingestellten Dachorganisation und trat bei Ausbruch der schweren deutschen Agrarkrise 1927 für den Staatsinterventionismus ein.153 In Südbaden wurde 1928 auf lokale Initiative unter Teilnahme liberaler Aktivisten und Mitgliedern des Badischen Landbundes der Badische Bauernbund gegründet. Die Gründung der neuen Bewegung war gleichsam eine Reaktion auf die versuchte Verbindung zwischen dem Landbund in Nordbaden und der konservativen antirepublikanischen DeutschNationalen Volkspartei (DNVP). Ein Teil der angestammten Mitglieder des Landbundes schloß sich, wie erwähnt, der neuen Bewegung an, andere zogen sich völlig aus dem politischen Leben zurück. Eine dritte Gruppe stieß zur DVP, die unter der Führung von Gustav Stresemann die Weimarer Republik unterstützte.154 Zahlreiche Landbündler schlossen sich der in Südbaden neu auftretenden NSDAP an. 152 Heilbronner, Wahlkampf im Allgäu (wie Anm. 19); ders., Catholicism, Political Culture and the Countryside. A Social History of the Nazi Party in South Germany, Ann Arbor 1998, 40ff. 153 Larry E. Jones, Crisis and Realignment: Agrarian Splinter Parties in the Late Weimar Republic. In: Robert G. Möller (Hrsg.): Peasants and Lords in Modern Germany, London 1986, S. 214; Allgäuer Tagblatt, 4.12.1924. 154 Donaueschinger Tagblatt, 8.11.1930 („Bilanz der politischen Bauernbewegung in der Baar“).

116 ODED HEILBRONNER Der populäre Liberalismus büßte auch seine Presse ein. Viele der vor dem Krieg liberalgesinnten Zeitungen wandten sich nach dem Krieg den Bauernorganisationen zu. So etwa die Schwarzwälder Zeitung oder das Tag- und Anzeigeblatt für Kempten und das Allgäu, das ab 1920 Allgäuer Tagblatt (Organ des Bayerischen Bauernbundes im Allgäu) hieß. Andere Zeitungen, wie das Donaueschinger Tagblatt, die Breisgauer Zeitung oder die Hohenzollerischen Blätter, blieben bis Ende der zwanziger Jahre liberal, neigten nach 1930 aber immer mehr antirepublikanischen und später nationalsozialistischen Standpunkten zu. Ein mit einer persönlichen Biographie verknüpftes charakteristisches Beispiel aus Südbaden ist dasjenige des nationalliberalen, radikalen Hochwächters und des Hochwächter-Mitarbeiters Ernst Glöckner aus der für ihre antiklerikale Tradition bekannten Stadt Überlingen. Glöckner gründete 1911 zusammen mit anderen Personen den Fußballverein Neustadt im Schwarzwald. Nach dem Krieg unterstützte er abwechselnd die DDP und die DVP. In den späten 1920ern war er sodann Mitbegründer der nationalistischen, pronazistischen parteilosen Wirtschaftsvereinigung im Stadtrat von Neustadt. 1932 kaufte Glöckner zusammen mit anderen Käufern den Hochwächter, der darauf auf eine nationalsozialistische Linie einschwenkte.155 Doch nicht die ganze liberale Presse geriet in nationalsozialistisches Fahrwasser. Gewisse liberale Zeitungen vertraten noch bis 1933 liberale Ansichten, andere Blätter, wie etwa die Freiburger Zeitung, wandten sich dem Zentrum zu. Die breite Unterstützung antimarxistischer Aktivitäten und die Angst vor der Gefahr des Bolschewismus dürften die auffallendsten neuen Elemente radikal-liberaler Tätigkeit nach dem Krieg im Vergleich zur Vorkriegszeit gewesen sein. Die antimarxistischen Aktivitäten entwickelten sich überdies zum entscheidendsten Kriterium für liberale Wähler, Anhänger liberaler Parteien und Parteiaktivisten, bei ihrer Entscheidung, der radikal-liberalen Subkultur den Rücken zu kehren. Ein kleiner Teil dieser Wähler, Anhänger und Aktivisten wandte sich den Sozialisten und Kommunisten zu, doch die große Mehrheit suchte für die zunehmend als Bedrohung empfundene Gefahr von links eine angemessene, entschlossene Antwort, die der populäre Liberalismus offenbar nicht bieten konnte. Der Radikalismus der Bauernbewegungen bedeutete für ehemalige Radikal-Liberale nicht nur Kontinuität traditioneller radikaler Reaktion gegen die katholische Kirche, die kaiserliche Macht, den Lokaladel, die Beamtenschaft und die preußischen Junker, sondern auch eine angemessene Reaktion gegen die Gefahr von links. Die Erhaltung des Privateigentums und der Freihandel waren bekanntlich Grundwerte der großschwäbischen Bauern155 Walter Göbel, Chronik von Neustadt, Neustadt 1951, 371,379; Roland Weis, Hundert Jahre in der Wälderstadt, Titisee-Neustadt 2000, 166. Ich möchte mich bei Dr. Detlef Herbner bedanken, der meine Aufmerksamkeit auf diese Tatsache lenkte.

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 117 bewegungen, die Sozialisten und natürlich die Kommunisten vor allem auch angesichts der Ereignisse von 1918/19 somit Feindbild Nr. 1.156 Dies veranschaulichte unter anderem der große Zulauf der Freikorps in Südschwaben, motiviert durch die Angst vor Kommunisten und Arbeiterräten.157 Gleichwohl sollte nicht unerwähnt bleiben, daß nicht alle Bewohner der Region, die vor 1914 Teil der radikal-liberalen Subkultur waren, sich nach 1918 radikalen Bauernbewegungen oder neuen liberalen Parteien zuwandten. Ein Teil dieser Gruppe folgte in der Weimarer Epoche politischen Alternativen, wie etwa dem Zentrum oder sogar den Sozialisten, die in der Kaiserzeit noch völlig undenkbar waren. Die Zentrumspartei war in den meisten süddeutschen Regionen bekanntlich weniger ultramontan als im Rheinland. Auch die Sozialisten, die konservative Rechte und sogar die Kommunisten verfolgten in den ländlichen Gebieten Süddeutschlands eine gemäßigtere Linie als die entsprechenden Parteien nördlich des Mains und in Norddeutschland.158 Die heftige Abneigung gegen die marxistische Linke und den Sozialismus neben der traditionellen Feindschaft gegen die katholische Kirche veranlassten gewisse radikal-liberale Kreise, eine Reihe von Parteien zu unterstützen, deren Programme traditionell radikal-liberale Punkte, wie die Abneigung gegen das System, die Parteiendemokratie, den Adel, den Weimarer Zentralismus und die Renaissance des populären Katholizismus, enthielten. Trotz und vielleicht gerade wegen der Schwäche, der Spaltung und der Zerfallserscheinungen im Umkreis der radikal-liberalen Subkultur, hielten viele ihrer ehemaligen Vertreter Ausschau nach einer kulturellen Alternative, die ihrer angestammten Lebensweise wieder zur Geltung verhelfen und dieser Subkultur neues Leben einhauchen könnte. In Südschwaben, Hohenzollern und Südbaden schlossen sich viele der nationalsozialistischen Bewegung an. Der Zulauf der NSDAP rekrutierte sich aus verschiedenen politischen und kulturellen Lagern aus sämtlichen – katholischen und protestantischen – Gesellschaftsschichten. Die gesellschaftliche Zusammensetzung der Anhänger- und Wählerschaft der NSDAP nach 1930 muss im katholisch-klerikalen Lager sorgenvolle Erinnerungen und bei den Radikal-Liberalen hoffnungsvolle Reminiszenzen an eine ähnliche Volkspartei geweckt haben: die Nationalliberale Partei und vor allem ihr südlicher populär-liberaler Flügel in der Epoche der Kulturkämpfe im Kaiserreich. So schloss sich neben Sozialisten, Kommunisten, Bürgern, Anti156 Hetzer, Bauernräte (wie Anm. 144), 34ff. 157 Johannes Timmermann, Die Entstehung der Freikorpsbewegung in Memmingen und im Unterallgäu (wie Anm. 148). 158 Karsten Ruppert, Im Dienst am Staat von Weimar. Das Zentrum als regierende Partei in der Weimarer Demokratie, 1923-1930, Düsseldorf 1992, 160; Karl H. Pohl, Die deutsche Sozialdemokratie in der Provinz. Wahlvereinsversammlung im Jahre 1900 in Kempten (Allgäu), in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 46, 1995, 494-512; Christian F. Trippe, Konservative Verfassungspolitik 19181923. Die DNVP als Opposition in Reich und Ländern, Düsseldorf 1995, 158-159.

118 ODED HEILBRONNER semiten und konservativen Liberalen auch der radikal-liberale Flügel in Süddeutschland dem Aufbau nationalsozialistischer Ortsgruppen an.159 Ab 1929 zeigten sich immer mehr Geistliche besorgt über die Linien der Kontinuität zwischen der Nationalliberalen Partei von vor dem Ersten Weltkrieg und der nationalsozialistischen Bewegung in verschiedenen Regionen Süddeutschlands. Ab 1931 sorgte diese Entwicklung auch im bürgerlichkonservativen Lager für zunehmendes Unbehagen: Viele waren von der Radikalität der neuen Bewegung, der Forderung nach direkter Demokratie, der Establishmentfeindlichkeit, der Forderung nach Gleichheit, von den sozialistischen Untertönen, den Angriffen auf den „ultramontanen Charakter“ der katholischen Kirche sowie vom Wiederaufgreifen der Idee der Volksgemeinschaft erschüttert. Diese beiden Bevölkerungsgruppen hatten die Aspekte der Kontinuität zwischen dem liberalen Radikalismus von vor dem Ersten Weltkrieg und der nationalsozialistischen Bewegung erkannt.160 Vor allem der Protest der nationalsozialistischen Bewegung gegen das System, die Obrigkeit und die katholische Kirche, verbunden mit der Forderung nach Gleichheit und direkter Demokratie dürften den radikal-liberalen Sehnsüchten nach Wiederherstellung der verlorenen Welt von vor dem Ersten Weltkrieg entsprochen haben.161 Einem Teil dieses Publikums imponierte die gewaltträchtige Verwendung antiklerikaler Motive. Ein anderer Teil fühlte sich zum anti-obrigkeitlichen Image hingezogen, das die Tätigkeit der Jungliberalen von vor dem Krieg in Erinnerung rief. Wiederum andere Radikal-Liberale hatten vor allem das entschlossene Vorgehen des Nationalsozialismus gegen die Linke in den norddeutschen Städten vor Augen. Man darf davon ausgehen, daß es der Fähigkeit der nationalsozialistischen Ortsgruppen in Groß-Schwaben, auch langjährige Traditionen zu berücksichtigen, die gleichermaßen den liberalen Aktivisten von vor dem Krieg, den Aktivisten der Bauernbewegungen und den Anhängern und Wählern der liberalen Parteien der Weimarer Republik zusagten, zuzuschreiben war, daß sich in ihrer Mitte neben der linken, der sozialistischen und der rechten, völkischen auch eine radikal-liberale Strömung etablieren konnte. Die Quellen geben Aufschluß über drei Arten radikal-liberaler Unterstützung des Nationalsozialismus und radikal-liberaler Betätigung im Rahmen der NSDAP: Erstens, radikal-liberale Aktivisten, die Ortsgruppen gründeten, der 159 Zum heterogenen Charakter der Wählerschaft und Mitgliederzusammensetzung der NSDAP in Südbaden, vgl. Oded Heilbronner, Catholicism, Political Culture and the Countryside. A Social History of the Nazi Party in South Germany, Ann Arbor 1998, chp. 7. 160 Erzbischöfliches Archiv Freiburg, B2-55-135 (Sportverein), 23.11.1930 – Löffingen 9 („...alle sind mehr oder weniger Kinder des alten liberalen Zeitgeistes...“); Donaubote, 26.7.1932 („Bürger, sei auf der Hut!“) 161 Hetzer, Bauernräte (wie Anm. 144), 44.

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 119 NSDAP beitraten und im Raum Groß-Schwaben nationalsozialistische Propaganda mit radikal-liberalem Anstrich verbreiteten: Zu ihnen gehörten zum Beispiel F. Merk und E. Weishaar, die zwar nicht Mitglieder liberaler Parteien gewesen waren, jedoch Familien mit langer radikal-liberaler Tradition entstammten, und F. Sattler, der bis 1914 Mitglied der Nationalliberalen Partei gewesen war und sich unmittelbar nach dem Krieg der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) angeschlossen hatte.162 Eine weitere Gruppe setzte sich aus Bauern, Handwerkern und Honoratioren zusammen, die selbst ehemalige Mitglieder liberaler Bewegungen und Bauernbewegungen bzw. die Nachkommen solcher Mitglieder gewesen waren. Die Vertreter dieser Gruppe schlossen sich nach 1928 den nationalsozialistischen Ortsgruppen an und waren für sie tätig, traten der NSDAP jedoch aus Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes nicht als Mitglieder bei, obwohl sie dazu neigten, den Nationalsozialismus als Erbe ihrer radikalen Vorkriegstradition zu betrachten, wie noch zu zeigen sein wird.163 Die dritte Gruppe umfaßte sodann liberale Persönlichkeiten, die noch im Rahmen der Tätigkeit in ihren angestammten Parteien (DDP und DVP) die nationalsozialistische Bewegung oder einige ihrer Ideen offen unterstützten.164 Die Tätigkeiten und Versammlungen der zu Anhängern oder Mitgliedern der NSDAP gewandelten radikal-liberalen Aktivisten wandten sich an ein Publikum, das mindestens zum Teil der Welt von gestern – der Vorkriegsepoche – nachträumte. Bis 1931/32 zögern sie nicht, auf Versammlungen und internen Verhandlungen der Bewegung Meinungen zu äußeren, die jenen der Vorkriegszeit oder noch weiter zurückliegenden Haltungen nahezu entsprachen. Der schwäbische Heimatgedanke, die Opposition gegen Preußen und die Monarchie, der Widerstand gegen das Junkertum sowie die Forderung nach Abschaffung des demokratisch-republikanischen Herrschaftssystems, nach Führung einer nationalistischen Außenpolitik und nach dem Aufbau einer Volksgemeinschaft mit demokratisch-egalitären, antiklerikalen Inhalten ohne Klassenunterschiede und im Geiste der persönlichen Freiheit und der Selbstverwirk-

162 Bundesarchiv Koblenz, NS 26/132 – F. Sattler, Die Entwicklung der NSDAP; Der Führer, 17.11.1928; Staatsarchiv Freiburg, Bezirksamt Neustadt, (alte Signatur), 244/183, 10.12.1928. 163 Vgl. meine Anmerkungen auf der nächsten Seite. 164 Vgl. etwa die SPD-Versammlung in Neustadt 1930, wo sich der Vorsitzende der Einheitsliste der Deutschen Demokratischen Partei-Deutsche Volkspartei für die Maßnahmen des thüringischen Ministers W. Frick (NSDAP) gegen die Korruption aussprach. Staatsarchiv Freiburg G 19/12/244, 10.11.1930; in Meßkirch forderte die Ortsgruppe der NSDAP ihre Mitglieder bei den Gemeindewahlen von 1930 auf, den lokalen Vertreter der DDP, Helmut Weißhaupt, zu wählen; Helmut Weißhaupt, „Die Entwicklung der NSDAP in Meßkirch bis 1934“, Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte, 34, 1998, 187-201.

120 ODED HEILBRONNER lichung wurden in manchen Reden angetönt.165 Mindestens bis 1931 gab es weder von völkischer noch von quasi sozialistischer Seite Einwände gegen die radikal-liberalen Umtriebe innerhalb der Ortsgruppen der NSDAP im Raum Groß-Schwaben.

III.

STRÖME DER KONTINUITÄT

Bevor wir uns der Frage der Kontinuität zwischen dem populären Liberalismus und dem Nationalsozialismus zuwenden, möchte ich kurz auf den Problemkreis Kontinuität/Bruch und der Erste Weltkrieg eingehen. Das Bild des Ersten Weltkriegs, der nachfolgenden Krisen in Deutschland und der Inflation als Erklärungen für die scharfen Brüche zwischen der Vorund Nachkriegszeit ist hinreichend dokumentiert. Doch neben den bekannten Umwälzungen und tiefen historischen Einschnitten gibt es auch Anhaltspunkte für Kontinuitäten.166 Hier möchte ich, gestützt auf die Erfahrungen der kleinen Leute im Lokalbereich, auf bestimmte Kontinuitäten der politischen Kultur hinweisen und noch einen Schritt weitergehen: Die Ideologien des populären Liberalismus und des Nationalsozialismus lassen sich, meiner Meinung nach, losgelöst von ihren sprachlichen und traditionellen Ausprägungen nicht rekonstruieren. In Anlehnung an Gareth Stedman Jones’ These, wird hier dargelegt, dass die Untersuchung gewisser Aspekte nationalsozialistischer Aktivitäten und Ideologie der späten zwanziger- und frühen 19dreißiger Jahre in Süddeutschland bei der Prüfung weit zurückliegender radikal-liberaler Aussprüche, Schriften, Handlungen und Organisationsformen ansetzen sollte.167 Sie kann nicht schlicht auf das Sonderweg-Argument oder auf eine „deutsche Tradition von Vernichtungsideologien“ (Eliminatory Ideology – Goldhagen) reduziert werden. Im folgenden möchte ich auf bestimmte Linien der Kontinuität hinsichtlich der politischen Zugehörigkeit von Familien und Einzelpersonen in GroßSchwaben sowie auf Ähnlichkeiten zwischen bestimmten Ritualen und Organisationsformen der Radikal-Liberalen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dem frühen 20. Jahrhundert, einerseits, und dem Vereinsleben und Anlässen der Anhänger des Nationalsozialismus in den späten zwanziger- und frühen 165 Allgäuer Tagblatt, 11.9.1930 („Der Wahlkampf auf dem Höhepunkt“); Heilbronner, Catholicism, 123ff.; Weißhaupt, Die Entwicklung der NSDAP in Meßkirch (wie Anm. 164). 166 Vgl. dasselbe Argument in Benjamin Ziemann, Front und Heimat: Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914-1923, München 1999, 470; sowie Celia Applegate: Zwischen Heimat und Nation. Die pfälzische Identität im 19. Und 20. Jahrhundert, Kaiserslautern 2007. 167 Stedman Jones, Language of Chartism (wie Anm. 31), 4.

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 121 dreißiger Jahren, andererseits, hinweisen. Schließlich möchte ich darlegen, daß die Anhänger des Nationalsozialismus sich einer Sprache bedienten, die der von Radikal-Liberalen zwanzig oder mehr Jahre zuvor verwendeten Sprache ähnlich war.168 1. Kontinuität im persönlichen, zwischenmenschlichen und familiären Bereich Zahlreiche Einzelpersonen und Familien, die vor 1914 radikal-liberal waren oder den populären Liberalismus unterstützten, bzw. deren Söhne und Töchter, behielten dieselben politischen Auffassungen auch nach 1918 bei. Dies kam zunächst durch die Unterstützung liberaler Parteien, lokaler Interessengruppen, vor allem Bauernorganisationen, und schließlich der nationalsozialistischen Bewegung bzw. durch den Beitritt zu denselben zum Ausdruck.169 Besonders deutlich zeigte sich die Kontinuität in bestimmten Fällen bei Honoratioren, die zunächst liberale Parteien und später die NSDAP unterstützten und entsprechende Agitationsarbeit betrieben,170 oder bei Honoratioren, die als Anhänger liberaler Parteien bekannt waren und auf NSDAP-Parteiversammlungen offen nationalsozialistische Haltungen vertraten.171 2. Elemente der Kontinuität bei Ritualen und Zeremonien a) Wanderredner: Die öffentlichen Veranstaltungen des populären Liberalismus und des Nationalsozialismus beruhten zum Teil auf sogenannten Wanderrednern, die gewöhnlich für die Zeit zwischen Wahlen oder eigens für den Wahlkampf verpflichtet wurden. Die Aufgabe des Wanderredners, in der Regel eine lokale Standesperson – ob Rechtsanwalt, Arzt, Heimatdichter oder Wirt – 168 Bei den hier erwähnten Betrachtungen über die NSDAP stütze ich mich vor allem auf den zweiten Teil meines Buches, Heilbronner, Catholicism, Political Culture. 169 Helena Waddy, Beyond Statistics to Microhistory: The Role of Migration and Kinship in the Making of the Nazi Constituency, in: German History, 3, 2001, 340-368; In den vergangenen Jahrzehnten habe ich zahlreiche Familiennamen und Namen von Einzelpersonen zusammengetragen, deren Verbindungen zu beiden Bewegungen (populärer Liberalismus und Nationalsozialismus) gut dokumentiert sind. Manche Forscher vor Ort, die mir bei dieser Aufgabe behilflich waren, baten mich, an dieser Stelle keine Einzelheiten zu nennen (Namen, Adressen usw.). Ich bin jedoch gerne bereit, diese Information Einzelnen auf Anfrage zugänglich zu machen. 170 Der Rechtsanwalt Dr. Rombach aus Offenburg war Wanderredner der Nationalliberalen Partei in der Baar. Zwanzig Jahre später arbeitete derselbe Dr. Rombach für die NSDAP in derselben Region. Vgl. GLA Karlsruhe – Nationalliberale Partei – 69/6 – 26.4.1911; Staatsarchiv Freiburg, Bezirksamt Neustadt 244/183 (alte Signatur) 11.5.1931. 171 Siehe den Fall des Hotelbesitzers Heinz Schilling aus Neustadt am Schwarzwald. Schilling gehörte seit 1919 zur DVP-Prominenz in der Stadt, vertrat hingegen 1930 auf Parteiversammlungen der SPD und liberaler Parteien Standpunkte der NSDAP, zum Beispiel zum Thema Bestechlichkeit und politische Korruption.

122 ODED HEILBRONNER war es, im Auftrag einer Partei politische Reden in verschiedenen Dörfern und Kleinstädten in einem bestimmten Umkreis und Zeitraum zu halten. Solche in Flugblättern oder in der Lokalpresse angekündigten lokalen politischen Anlässe fanden vor allem in Wirtshäusern statt. Das Flugblatt und der Wanderredner waren wichtige Massenmobilisierungsinstrumente für die nationalliberale und – später – die nationalsozialistische Idee.172 b) Die Vereinstätigkeit des bürgerlichen Vereins: In den Augen vieler Bürger glich die nationalsozialistische Tätigkeit auf lokaler Ebene der Vereinstätigkeit bürgerlicher Vereine. Dies mag unter anderem daran gelegen haben, daß die Ortsgruppen der NSDAP zu den Grundpfeilern der lokalen liberalen Bourgeoisie gehörende Lokaltraditionen, wie den Schützenverein, den Turnverein, den Männergesangsverein oder den Narrenverein, weiterführten.173 c) Das Wirtshaus als Treffpunkt: Der Brennpunkt politischer Tätigkeit auf dem Lande war das Wirtshaus: Politische Vertreter sprachen vor versammeltem Publikum, und anschließend kam es in der Regel zur offenen Diskussion.174 Obwohl das Wirtshaus keine spezifisch nationalliberale oder nationalsozialistische Einrichtung war – es wurde von allen Parteien oder Organisationen (nicht nur in Deutschland) als Treffpunkt benutzt – , soll dennoch auf die Kontinuitäten zwischen bestimmten Versammlungsorten der Liberalen vor dem Krieg, von Bauernorganisationen nach dem Krieg und der nationalsozialistischen Bewegung in den späten zwanziger- und frühen dreißiger Jahren hingewiesen werden. Wirts- und Gasthäuser, wie die Traube in Meßkirch, Zur Post in Bonndorf, das Lafette-Restaurant in Titisee, der Neustädter Hof in Neustadt im Schwarzwald, die Kolosseumsäle in Kempten und das Röck’schen in südschwäbischen Dorf Wildpoldsried, sind nur zufällig gewählte Beispiele solcher Versammlungsorte. Wurde ein Wirtshaus von bestimmten politischen Parteien als Stätte der Zusammenkunft benutzt, diente es in der Regel auch den ihnen angeschlossenen Vereinen als Treffpunkt (z.B. den liberalen Parteien bzw. später der NSDAP und den bürgerlichen Vereinen).

172 GLA Karlsruhe, Nationalliberale Partei 69/5 – 1910 („Ein Mahnwort zur Kleinarbeit“). 173 Ich habe diese Thesen weiterentwickelt in Heilbronner, Der verlassene Stammtisch; und in ders., Die NSDAP – Ein bürgerlicher Verein?, in: Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte, XXIII, 1994, 65-79. 174 Werner Blessing, Zwei Seiten altbayerischen Wirtshauslebens im 19. Jahrhundert, in: Unbekanntes Bayern 13 1980, 49-60; Marita Kraus, Herrschaftspraxis in Bayern und Preußen im 19. Jahrhundert, Frankfurt 1999, 353-383; Prozeß Dr. Wassmannsdorf’s Oberamtsmann’s in Bonndorf, 30ff.; Friedrich Naumann, Im Automobil, in: Die Hilfe, 10.2.1907.

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 123 d) Radikalismus der Mittelklasse: Eines der Hauptmerkmale des populären Liberalismus in Deutschland war der bürgerliche Radikalismus, der in der Periode vor 1914 vor allem in den Aktivitäten der Jungliberalen oder des radikalen Flügels der Nationalliberalen Partei zum Ausdruck kam. Die liberale Breisgauer Zeitung unterschied 1911 zwischen zwei Sorten von Liberalen in Südwestdeutschland, dem gemäßigten Karlsruher Flügel (Nordbaden) und dem radikalen Konstanzer Flügel. In den späten zwanziger Jahren tritt der Unterschied zwischen radikalen und konservativen Liberalen immer deutlicher hervor, wie die Freiburger Zeitung und der Donaubote 1930 bzw. 1932 beim Vergleich zwischen radikalen Aktivitäten in der Baar und der Bodenseeregion und dem nationalistischeren, antisemitischen Nationalsozialismus in Nordbaden feststellten.175 3. Die Sprache des Radikalismus 3.1. Kulturelle Code und Werte der Zugehörigkeit und Ausgrenzung gehörten zu den wichtigsten Charakteristiken der liberalen Ideologie in Deutschland, dominierten aber auch andere politische Kulturen.176 In der vorliegenden Arbeit wurde die entscheidende Bedeutung der Ausgrenzung des Ultramontanismus sowohl durch den populären Liberalismus als auch durch den Nationalsozialismus und, besonders nach dem Ersten Weltkrieg, die Sprache der Ausgrenzung gegen die Linke hervorgehoben. Unter dem Nationalsozialismus fand freilich ein anderer kultureller Code bzw. andere Werte der Zugehörigkeit und Ausgrenzung besonders radikale Anwendung, nämlich die Rassenfrage, die im populär-liberalen Denken fast völlig fehlt. 3.2. Die radikal-liberale Subkultur vor dem Krieg und die radikal-liberalen Aktivitäten danach beruhten auf folgenden Narrativen: a) Das Kampfnarrativ – Der populäre Liberalismus des späten 19. Jahrhunderts und der Nationalsozialismus der späten 1920er ließen das verlorene goldene Zeitalter hochleben, verbunden mit der verklärten Sehnsucht nach dem verlorenen Reich der Tugend, nach bestimmten Bräuchen und einer bestimmten Lebensweise177 (die Welt von gestern der Vorkriegszeit, das Bismarcksche 175 Breisgauer Zeitung, 7.2.1911; Freiburger Zeitung, 26.10.1929; Donaubote, 26.7.1932. 176 Herzog, Intimacy Exclusion (wie Anm. 1); Uday S. Metha, Liberal Strategies of Exclusion, in: Frecerick Cooper, Ann Laura Stoler (Hg.), Tensions of Empire, Harvard UP 1996, 59-86; der verstorbene George Mosse hat als erster Forscher auf die liberalen/bürgerlichen Strategien der Einbeziehung und Ausgrenzung hingewiesen, vgl. George Mosse, Nationalism and Sexuality: Respectability and Abnormal Sexuality in Modern Europe, New York 1985, zitiert aus Steven Ashheim, „George Mosse at 80: A Critical Laudatio“, Journal of Contemporary History, 2, 1999, 395-312, 302ff. 177 Ursula Büttner, ‚Volksgemeinschaft‘ oder Heimatbindung: Zentralismus und regionale Eigenständigkeit beim Aufstieg der NSDAP 1925-1933, in: Möller,

124 ODED HEILBRONNER Reich, das Wilhelminische Reich, die Tage des ersten Kulturkampfes, die 1848er Revolution, der Bauernkrieg von 1525, das mittelalterliche Reich).178 Der britische Historiker P. Joyce beschrieb den populären Liberalismus in Nordengland als Vision des goldenen Zeitalters so: “[The vision of a golden age had] a particular appeal for the poor, the powerless and the frustrated people, but also for those who felt under threat, or whose glory days have passed. Lost virtue, struggle and triumph spoke most intensely to those who had known loss and dispossession.”179

Entsprechend lege ich dar, dass dramatische Narrative des gerechten Kampfes Menschen besonders bewegen. Ein typisches Charakteristikum der liberalen Subkultur vor dem Ersten Weltkrieg war der Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit nach dem Vorbild des Bauernkrieges, der Reformation, der 1848er Revolution und des Kampfes gegen die ultramontane Kirche, den Staat und die Grundbesitzer. Nach dem Krieg ging der Kampf innerhalb der in Auflösung begriffenen Subkultur nun unter anderem gegen die Kommunisten und Franzosen weiter. Dies erzeugte unter Radikal-Liberalen und Nationalsozialisten eine Stimmung des endlosen Kampfes um Gut und Böse. Der populäre Liberalismus in Groß-Schwaben war also eine Kulturbewegung, die emotionale, optimistisch-utopische Narrative kreierte.180 b) Das Freiheitsnarrativ spielte in der liberalen Subkultur eine besonders wichtige Rolle. Das dieser Subkultur zugrunde liegende Konzept des Antiklerikalismus und der Establishment-Feindlichkeit war besonders eng mit dem Fortschritts- und Freiheitsgedanken verbunden. Hierbei wäre das Konzept der Befreiung hinzuzufügen: Befreiung als Drama, als Geschichte; Befreiung assoziiert mit Macht (männliche Macht), Befreiung von der Kirche, vom Staat, von der Aristokratie, von den Beamten, (und nach dem Krieg) vom Youngplan, vom Weimarer System, von den Juden, von der katholischen Kirche und von den Bonzen. c) Das Narrativ der Gemeinschaft und der Volksgemeinschaft entwickelte sich in verschiedenen liberalen Gruppen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, Horst / Andreas Wirsching (Hrsg.): Nationalsozialismus in der Region: Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich, München 1996, 87-97; Pfeil, Partikularismus (wie Anm. 8). 178 Hier berufe ich mich zum Teil auf die englischen Radikalen und ihre Weltanschauung, wie sie von Patrick Joyce wiedergegeben wird. Patrick Joyce, The Constitution and the Narrative Structure of Victorian Politics, in: James Vernon (Hg.), Re-reading the Constitution. New Narratives in the Political History of England’s Long Nineteenth Century, Cambridge 1997, 179-203. 179 Ebenda. 180 Joyce, Democratic Subjects (wie Anm. 38), 156.

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 125 sowohl in Deutschland als auch in England.181 Bis zum Ersten Weltkrieg war der Begriff Gemeinschaft zumindest in Baden geläufiger als der völkische Ausdruck Volksgemeinschaft. Es war damals üblich, die württembergische Bevölkerung als Gesellschaft zu bezeichnen, während die Badener als Gemeinschaft galten.182 Während die Badener als Gemeinschaft galten, wurde die württembergische Bevölkerung als Gesellschaft bezeichnet. Die Liberalen bedienten sich des Begriffs Gemeinschaft vor allem in ihrem Kampf für Selbstverwaltung, der ähnlich geführt wurde wie die Kämpfe im goldenen Zeitalter im 16. bis 17. Jahrhundert, und der Kampf gegen den Klerikalismus. Die deutsche Volksgemeinschaft entwickelte sich zum Narrativ das gegen jene gerichtet war, die als Gefahr für die Gemeinschaft eingestuft wurden. Jene, die sie angeblich zerstören und an ihrer Stelle eine andere Gesellschaft mit nationalen oder übernationalen Inhalten aufbauen wollten: die Ultramontanen, der Adel oder die Staatsbeamten, und nach 1918 auch die Sozialisten, die Kommunisten und später die Juden. Sowohl der Nationalsozialismus als auch der populäre Liberalismus machten geltend, daß die persönliche Freiheit nur im Rahmen einer kollektiven Identität (zum Beispiel im Rahmen einer Gemeinschaft) sinnvoll sei. Nur in der Gemeinschaft könne das Individuum seine Fähigkeiten entfalten. Hierbei ist natürlich zu bedenken, daß der nationalsozialistischen (Volks-) Gemeinschaft zusätzlich rassistische Konnotationen anhafteten. 3.3. Die Rolle des Staates Einige der obenerwähnten Begriffe und Narrative wurden von beiden Lagern (dem populären Liberalismus und dem Nationalsozialismus) in ihren Attacken gegen die Rolle des Staates und seiner Institutionen verwendet. Davon zeugen so bekannte Parolen, wie „Bekämpft die Korruption!“ und „Nieder mit dem System!“, die sich gegen Staatsparasiten richteten, womit vor allem Junker, Beamte (Bonzen), Juden und Geistliche (die Schwarzen) gemeint waren. Innerhalb dieser gemeinsamen staatsfeindlichen Neigung gingen die beiden Lager zwar in der Frage auseinander, wie stark sich der Staat in die gesellschaftliche Sphäre einmischen soll, doch die Forderung „die Macht dem Volke“ war dennoch ein überaus deutliches Zeichen der Kontinuität zwischen dem populären Liberalismus und dem Nationalsozialismus in Groß-Schwaben vor 1933. Sowohl in Groß-Schwaben als auch in allen anderen Regionen Deutschlands verfochten beide Gruppen die an sich demokratische Forderung „die Macht dem Volke“. Der populäre Liberalismus vor 1914 und der Nationalsozialismus bis 1931/32 zeichneten sich zumindest in Groß-Schwaben durch eine ausgesprochen pragmatische Haltung aus. Dazu gehörte auch die weitgehende Akzeptanz 181 Ironischerweise charakterisierte John Vincent auch die British Liberal Party als „truly national community“; ders., The Formation (wie Anm. 14), 20. 182 Klaus Koziol, Badener und Württemberger: Zwei ungleiche Brüder, Stuttgart 1987.

126 ODED HEILBRONNER bestehender politischer Institutionen (Wahlen, gewählte Regierung) und traditioneller Bestrebungen der Bevölkerung. Die Beständigkeit dieser Haltung in unterschiedlichen politischen Zusammenhängen liegt in ihren tiefen historischen Wurzeln begründet, die bis 1848 oder noch weiter zurückreichen.183

IV.

ZUSAMMENFASSUNG

Die Aktivitäten der nationalsozialistischen Bewegung in den frühen dreißiger Jahren waren von einer Vielzahl propagandistischer und ideologischer Merkmale geprägt. Die Attraktivität einiger dieser Merkmale, darunter der rassische Antisemitismus, der nationale Sozialismus und die Forderung nach direkter Demokratie, war damals jedoch bereits wieder rückläufig. So auch die radikalliberalen Ansprüche in den Ortsgruppen der NSDAP in Südbaden, Südschwaben und der Bodenseeregion. Die sich verschärfende Wirtschaftskrise, die Zuspitzung der politischen Lage, die zunehmende Gewalt, die Angst vor dem Bolschewismus und die Erstarkung der kommunistischen Kräfte in Deutschland, nebst Vorgängen innerhalb der NSDAP, darunter die Entstehung des Führerkults Anfang 1932, die Verlagerung der Hauptaktivitäten der Partei nach Berlin, die Aktivitäten der Parteileitung in München und Berlin mit totalitärer und antiliberaler Ausrichtung, d.h. die allmähliche Zentralisierung und die zunehmende ideologische Kontrolle über die Ortsgruppen, beeinflussten das Wirken der nationalsozialistischen Bewegung in der Provinz und belasteten jene Ortsgruppenmitglieder, die sich mit der neuen Atmosphäre in Deutschland nur schwer zurechtfinden konnten.184 In Süddeutschland handelte es sich dabei vor allem um die Radikal-Liberalen.185 Dieser Gruppe wurde die Verwirklichung ihrer Ziele im Rahmen der Ortsgruppen der NSDAP in Süddeutschland nun am meisten erschwert. Daraus zu schließen, daß sich die Radikal-Liberalen in Scharen wieder den alten liberalen Parteien bzw. den Bauernbewegungen anschlossen oder sich hinter einer Mauer politischer Gleichgültigkeit verschanzten, wäre jedoch verfehlt. Ein Teil dieser Gruppe wurde zunehmend radikaler und unterstützte ab 1932 den radikalen Nationalsozialismus scharf antiliberaler, völkischer Färbung. Angesichts des zunehmenden Einflusses der extremen Linken und der Sackgasse, in der sich das autoritäre Regime der Weimarer Republik ma183 Auf diesen Punkt machte auch Heinrich August Winkler aufmerksam: Heinrich August Winkler, Weimar, 1918-1933, München 1993, 612. 184 Detlef Mühlberger, Central Control versus Regional Autonomy: A Case Study of Nazi Propaganda in Westphalia 1925-1932, in: Thomas Childers (Hg.), The Formation of the Nazi Constituency 1919-1933, London 1986, 64-103. 185 Heilbronner, Catholicism, Political Culture (wie Anm. 7), 91-97.

SÜDBADEN, SÜDWÜRTTEMBERG, BAYERISCH SCHWABEN 127 növriert hatte, fielen die meisten Glieder des traditionellen liberalen Mottos in Groß-Schwaben „es lebe die Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und der Dynamit“ dahin. Übrig blieb nur der Dynamit. Die süddeutschen RadikalLiberalen forderten, wie viele ihrer Landsleute in ganz Deutschland, in erster Linie die Wiederherstellung von Ordnung und Stabilität. Wenn es dadurch gelang, der kommunistischen Revolution zuvorzukommen, nahm man auch Gewaltanwendung in Kauf. Das Jahr 1932 mag bei manchen älteren Radikal-Liberalen bzw. ihren Kindern und Familien Erinnerungen an eine zurückliegende Epoche geweckt haben: die späten 1860er und frühen 1870er. Die damals vorherrschende Atmosphäre wurde von den Liberalen als Existenzbedrohung empfunden: Der Ultramontanismus galt in liberalen Augen als Bedrohung für die persönliche Freiheit, die freiheitliche Wirtschaftsordnung und den deutschen Nationalstaatsgedanken. Auf diesem Hintergrund entstanden die altkatholische Kirche und demokratisch-liberale Bewegungen. Neben diesem Kampf hoben die RadikalLiberalen damals das Ideal des Kampfes gegen den Adel und die Beamtenschaft hervor, die in ihren Augen die Korruption versinnbildlichten. Der Kampf gegen die Kommunisten und den Bolschewismus sowie die Bekämpfung der Korruption und der Ruf nach direkter Demokratie wurden im Jahre 1932 von manchen ehemaligen Radikal-Liberalen mit dem Kampf gegen die Ultramontanen in der Zeit des Kulturkampfes verglichen. Bei aller Ähnlichkeit sollten die entscheidenden Unterschiede jedoch nicht außer acht gelassen werden: Die Radikal-Liberalen der frühen 1930er verhielten sich anders und ihre politische Laufbahn fand ein anderes jähes Ende als jene ihrer Eltern in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis um 1880 dominierte der Liberalismus die deutsche Kultur. Die erfolgreiche liberale Wirtschaftsordnung, das bürgerliche Rechtsverständnis, universale Werte von Gerechtigkeit und persönlicher Freiheit sowie eine politische Mehrheit in den Landtagen der meisten deutschen Staaten festigten die von der Mehrheit der Bevölkerung anerkannte unangefochtene bürgerlich-liberale Kulturdominanz zusätzlich. Diese Hegemonie erlaubte es den Liberalen, die Art des Kampfes gegen die katholische Kirche und den Adel zu bestimmen. Selbst im katholisch dominierten Süden konnten sich somit populär-liberale Haltungen, Verhaltensmuster und Kampfstrategien gegen den Ultramontanismus, den Staat und die Kirche entwickeln. Die süddeutsche Eigenart äußerte sich in der außerordentlich erfolgreichen und beständigen liberalen Subkultur. Doch nach dem Ersten Weltkrieg und besonders in den frühen dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts herrschten in Deutschland (auch im Süden) ganz andere Macht- und Kulturstrukturen. Die liberalen Kräfte waren erschöpft und ausgelaugt, die liberale Wirtschaft steckte in einer schweren Krise und die liberale politische Kultur war nicht mehr dominant, sondern zersplittert, von Gewalt und von Angst vor der Gefahr von links geprägt. Die einzigen Kräfte, von denen sich die schrumpfende radikal-liberale Gemeinde in Süddeutschland

128 ODED HEILBRONNER noch die Verteidigung ihrer Interessen und die Möglichkeit versprach, weiterhin frei zu wirken, waren die Ortsgruppen der NSDAP in Groß-Schwaben, die zum Teil von Liberalen gegründet wurden und quasi als radikal-liberale Institutionen bzw. als aus ihnen hervorgegangene Bauernbewegungen auftraten. Für kurze Zeit schien es, als käme die radikal-liberale Subkultur zu neuen Kräften. Doch je mehr sich die Krise in Deutschland zuspitzte, desto mehr radikalisierte sich die nationalsozialistische Bewegung und mit ihr die Bevölkerung. Die neue Hoffnung der Radikal-Liberalen war endgültig verflogen. Aus RadikalLiberalen waren Nationalsozialisten geworden.

KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN. REICHSTAGSWAHLEN IN DER STADT GLEIWITZ UND IM KREIS TOST-GLEIWITZ 1928-1933 RYSZARD KACZMAREK SOZIALSTRUKTUR DER STADT GLEIWITZ GLEIWITZ IN DEN JAHREN 1922-1933

UND DES

LANDKREISES TOST-

In der 1919 gebildeten Provinz Oberschlesien gehörte das heutige Gleiwitz zu zwei Kreisen, zum Stadtkreis Gleiwitz und zum Landkreis Tost-Gleiwitz. Der Stadtkreis Gleiwitz hatte vor dem Kriegsausbruch 117.323 Einwohner. Der Landkreis Tost-Gleiwitz bestand neben den Städten Peiskretscham, Tost und Kieferstädtel aus 86 ländlichen Gemeinden in 11 Amtsbezirken mit einer Einwohnerzahl von 95.400 Einwohnern (vgl. Tab. 1.) Tabelle 1 Gesamtzahl von Stadtkreis Gleiwitz und Landkreis Tost-Gleiwitz 1919-1939 Jahr

Gesamtbevölkerung Stadt Kreis Gleiwitz

Gesamtbevölkerung Landkreis Tost-Gleiwitz

1919

69.028

81.742

1925

95.572

78.516

1933

111.062

1939

117.323

95.256

Die Gesellschafts- und Bevölkerungsstruktur in Gleiwitz war für WestOberschlesien vor dem Zweiten Weltkrieg typisch und den anderen deutschen oberschlesischen Städten ähnlich. 1933 waren auch hier, wie im ganzen Reich, die Frauen zahlenmäßig den Männern überlegen, bei denen sich die Verluste aus dem Ersten Weltkrieg auswirkten. Im Unterschied zum Landkreis TostGleiwitz, wo die Bauern und Arbeiter 90% der Gesellschaft bildeten, gehörten in der Stadt Gleiwitz fast 30% der Einwohner zum Bürgertum (Tab. 2). In beiden Kreisen war die überwiegende Mehrheit katholischer Konfession mit dem zuständigen Erzbischof in Breslau. Seit dem 19. Jahrhundert hatte es in den Konfessionsverhältnissen keine bedeutenden Änderungen gegeben. Nach der Volkszählung von 1867 gab es auf dem Gebiet der beiden Kreise 93% Katholiken und knapp 4% Protestanten. Dieses Verhältnis blieb fast unverändert bis in die Zwischenkriegszeit trotz eines geringen Anstiegs des protestantischen Anteils vor dem Ersten Weltkrieg.

130 RYSZARD KACZMAREK

OBERSCHLESIEN

KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN

131

Tabelle 2 Demographische und soziale Struktur der Stadt Gleiwitz im Vergleich zur Provinz Oberschlesien im Jahre 1933 Gleiwitz Geschlecht Alter

Beschäftigung

männ.

48%

Provinz Oberschlesien 48,3%

weibl.

52%

51,7%

unter 6

12,9%

14,6%

6-14

13,4%

13,6%

14-20

13,2%

13,6%

20-25

10,7%

9,8%

25 u. mehr

49,8%

47,3%

10%

15,2%

Angestellte u. Beamte

29,8%

12,2%

Arbeiter

51,2%

45,7%

2,6%

23,5%

14,0%

13,1%

Selbständige

Mithelfende Familienangehörige Berufslose Selbstständige

Quelle: Aus Verwaltung und Wirtschaft des oberschlesischen Industriegebietes. Im Auftrage der Kommunalen Interessengemeinschaft für das oberschlesische Industriegebiet, Breslau 1934.

In Gleiwitz selbst war vor dem Zweiten Weltkrieg der Katholikenanteil 84%, und die Protestanten, also die Angehörigen der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union in der Kirchenprovinz Schlesien, stellten 12,2% der Gesamtbevölkerung. Nach 1933 erklärten sich 1,4% der Einwohner als konfessionslos, was in der Amtssprache des Dritten Reiches bei der Volkszählung als „gottgläubig“ bezeichnet wurde1. Auf dem Gebiet des Landkreises TostGleiwitz überwogen damals die Katholiken noch deutlicher mit 96,4% (Protestanten 3%, gottgläubig 0,3%). Die Zahl der Juden in beiden Kreisen war gering, obwohl bis 1933 die Juden eine bedeutende Rolle in der Gleiwitzer Wirtschaft spielten (vgl. Tab. 3).

1

Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815-1945, Reihe A: Preußen, Bd. 4, Schlesien, bearb. von Dieter Stüttgen, Helmut Neubach, Walter Hubatsch, Marburg 1976, S.198.

132 RYSZARD KACZMAREK Tabelle 3 Die Konfessionen im Stadt Kreis Gleiwitz und Landkreis Tost-Gleiwitz 1910-1933 Konfession

Stadt Kreis Gleiwitz %

Landkreis Tost-Gleiwitz %

1925

1933

1939

evangelisch

15

14

13

12

3

katholisch

81

83

85

85

96

gottgläubig

1,4

0,3

glaubenslos

0,2

0,0

jüdisch Sonstige

4

1910

1925

1933

1939

1910

2,3

1,6

0,7

0,1**

0,7

0,4

0,7

0,3

* 891 Juden („Glaubensjuden: 848; Jüdische Mischlinge 1. Grades: 125, Mischlinge 2. Grades: 71“). ** 75 Juden („Glaubensjuden: 68; Mischlinge 1. Grades: 19; Mischlinge 2. Grades: 30”)

Quelle: Aus Verwaltung und Wirtschaft des oberschlesischen Industriegebietes. Im Auftrage der Kommunalen Interessengemeinschaft für das oberschlesische Industriegebiet, Breslau 1934.

Die beiden Kreise unterschieden sich jedoch im Hinblick auf die Nationalitätenstruktur stark voneinander. Ähnlich wie in allen anderen oberschlesischen Kreisstädten waren in Gleiwitz die Deutschen in der Mehrheit, in den Landkreisen jedoch die polnische Bevölkerung. In der Abstimmung von 1921 erzielte der polnische Staat und nicht das Deutsche Reich eine geringe Stimmenmehrheit. Das war aber nicht außergewöhnlich, denn der Unterschied zwischen Stadt- und Landkreisen war fast auf dem ganzen Gebiet Ost-Oberschlesiens zu beobachten (Tab. 4). Nach der Volksabstimmung und nach der Rückkehr des Gebietes zum Deutschen Reich war die politische Haltung der Gleiwitzer Bevölkerung schwer zu bestimmen. In der Abstimmung über die Errichtung eines eigenen Landes Oberschlesien, die am 3. September 1922 stattfand, stimmte die große Mehrheit der Einwohner für den Verbleib bei Preußen. Im Stadtkreis Gleiwitz wurden 31.415 gültige Stimmen abgegeben (Abstimmungsbeteiligung 68,4%), und es gab eine erhebliche Mehrheit von Nein-Stimmen, nämlich 29.283 (93,2%). Für ein eigenes Land Oberschlesien stimmten lediglich 2.132 Stimmberechtigte (6,8%). Im Landkreis Tost-Gleiwitz wurden 83,3% Nein-Stimmen gegen ein eigenes Land Oberschlesien abgegeben, dafür stimmten 5.478 Stimmberechtigte (16,7%). Allerdings stellt dieser Fall keine Besonderheit dar und zeigt auch nicht etwa eine separatistische Haltung unter den oberschlesischen Katholiken,

KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN

133

denn die Abstimmungsergebnisse in diese Frage sahen in ganz Oberschlesien ähnlich aus (vgl. Tab. 5). Tabelle 4 Nationalitätenverhältnisse im Stadtkreis Gleiwitz und Landkreis Tost-Gleiwitz

Oberfläche in km²

Bevölkerung 1910

Zahl der polnisch sprechenden Einwohner insg.

Gleiwitz Stadt

27,9

66.981

9.843

49.543

134

7.461

Gleiwitz Landkreis

880,0

80.515

61.509

16.408

63

2.535

Kreis

Bevölkerung stimmberechtigte am 8.10.1919 Personen

Zahl der deutsch sprechenden Einwohner insg.

Zahl der andere Sprachen sprechenden Einwohner

Zahl der deutsch und andere Sprachen sprechenden Einwohner

sich an der Wahl beteiligende Personen

davon stimmten für Polen

davon stimmten für Deutschland

Gleiwitz Stadt: 69.028

41.949

40.587

8.558

32.029

Gleichwitz Landkreis: 86.461

48.153

47.296

27.198

20.098

Auch in Bezug auf ihre Sozialstruktur kann man die beiden Kreise als charakteristisch für die gesamte Provinz Oberschlesien während der Weimarer Republik ansehen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung war katholisch, die protestantischen Enklaven befanden sich vor allem in den Städten, wo aus den bekannten Gründen die Gesellschafts- und Berufsstruktur der Bevölkerung ganz anders aussah; Bürgertum und Arbeiterschaft waren zahlreich, während auf dem Lande die Bauern überwogen. Auch die Lebensverhältnisse in Gleiwitz entsprachen der oberschlesischen Tendenz. Auf dem Lande, wie in allen Grenzgebieten, hingen die Bewohner stärker an der traditionellen Bauernkultur, was am häufigsten mit dem Festhalten an den alten Sitten, der polnischen Mundart und an dem traditionellen, konservativen Katholizismus verbunden war. In der Stadt war dagegen das Bürgertum stärker, das an die Tradition des deutschen Liberalismus anknüpfte, trotz der immer noch starken Anhänglichkeit an die katholische Kirche und ihre Traditionen. Die geringen Unterschiede zwischen dem Stadtkreis Gleiwitz und dem Landkreis Tost-Gleiwitz lassen sich auch in anderen Stadt- und Landgebieten des deutschen Oberschlesien beobachten.

134 RYSZARD KACZMAREK Tabelle 5 Volksabstimmung über die Abtrennung der Provinz Oberschlesien von Preußen und Bildung eines selbstständigen Landes Oberschlesien am 3. September 1922 Stimmen überhaupt

v. H.

Stimmberechtigte

720.736

55,35

abgegebene Stimmen

572.339

79,41

3.998

0,70

568.341

99,30

50.529

8,89

517.812

91,11

ungültige Stimmen gültige Stimmen davon: Ja-Stimmen (für ein eigenes Land Oberschlesien) Nein-Stimmen (gegen ein eigenes Land Oberschlesien)

Quelle: www.gonschior.de/weimar/Preussen/Oberschlesien/Volksentscheide.html

Die beiden Kreise sind insofern als typisch für Oberschlesien anzusehen. Die Ergebnisse der Analyse der politischen Anschauungen und Haltungen der Bewohner dieser beiden Kreise dürften somit für das gesamte deutsche Oberschlesien der Zwischenkriegszeit repräsentativ sein.

DIE TÄTIGKEIT DER NSDAP, IHRE ORGANISATIONSENTWICKLUNG DAS VERHÄLTNIS ZUR KATHOLISCHEN KIRCHE IN GLEIWITZ

UND

Gleiwitz war ein von Katholiken dominierter Kreis, dennoch sind auf diesem Gebiet ziemlich früh nationalsozialistische Organisationen tätig geworden. Genauso wie in ganz Oberschlesien spielte auch in Gleiwitz der Verteidigungskampf um das deutsche Oberschlesien in den Jahren 1919 bis 1921 bei ihrer Herausbildung eine grundlegende Rolle. Vor 1923 waren die Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie eine verhältnismäßig kleine Gruppe und nach dem gescheiterten Münchener Putsch verstärkten sich die völkische Bewegung und teilweise auch die wiedererstandene NSDAP. Auf dem Gebiet der Provinz Oberschlesien herrschte ein Gefühl großer Benachteiligung wegen des Verlustes eines Teils Oberschlesiens. Schon damals wurde die für die spätere nationalsozialistische Ideologie wichtige Frage der Volksgemeinschaft zur Sprache gebracht. Aus diesen frühen Organisationen stammten die Führer der NSDAP in der Anfangsphase der NS-Bewegung in Oberschlesien: Max Fillusch aus

KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN

135

Hindenburg, Josef Adamczyk aus Ratibor, Wilhelm Metz und Richard Preiß aus Gleiwitz2. Die Parteiorganisationen in Gleiwitz, Hindenburg und Beuthen entstanden in den zwanziger Jahren fast gleichzeitig in diesen drei Städten. Der damalige Führer der Organisation war ihr örtlicher Aktivist – Max Fillusch – der zum ersten Mal in der Auseinandersetzung mit der Zentrumspartei im Wahlkampf 1924 an die Öffentlichkeit trat. Damals war er noch in Rahmen der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung tätig. Er gründete die erste Ortsgruppe der NSDAP im Industriebezirk, als die NS-Bewegung wieder belebt wurde. Die Gruppe zählte damals 25 Mitglieder. Später war er als erster NSDAPOrtsgruppenleiter in Hindenburg aktiv. Er ist ziemlich schnell bekannt geworden, so dass er 1927 als erstes NSDAP-Mitglied in den Hindenburger Stadtrat gewählt wurde3. Dank der Aktivität von Fillusch bereitete sich 1925 die NSDAP auch in Gleiwitz aus, wo als wichtigste Mitarbeiter der spätere erste Kreisleiter der NSDAP in Gleiwitz – Richard Preiß – und später Josef Mayer genannt wurden4. Neben der Parteiaktivität begünstigte ein zweiter Faktor die nationalsozialistische Bewegung in Gleiwitz. Das waren die in Oberschlesien existierenden paramilitärischen Verbände. Ihre Entstehung war mit den oberschlesischen Freikorps und mit Freikorps anderer Herkunft verbunden, die 1919 bis 1921 um den Verbleib Oberschlesiens beim Deutschen Reich kämpften. Eines dieses Korps waren die schlesischen Sturmabteilungen – die SA. Der Ursprung der schlesischen SA lag in der Aktivität von Edmund Heines. Er nahm an den Kämpfen in den Freikorps Oberland und Rossbach teil, und trat 1921 der SA bei, also noch in der Zeit der Entstehung dieser Formation in Bayern. Er erwarb eine bedeutende Position als Vertreter des Gründers und ersten Führers der SA, Ernst Röhm. Nach 1925 stellte er die Formation wieder her und wurde 1931 zum Führer der ganzen schlesischen SA ernannt5. In Oberschlesien wurde die SA von Peter von Heydebreck und Wilhelm Metz organisiert. Ersterer kam aus Pommern und war Veteran des Ersten Weltkrieges. 1918 bildete er das Frei2

Franciszek Biały: Ruch narodowosocjalistyczny w prowincjach śląskich: początki, postępy – przejęcie władzy [NS-Bewegung in den schlesischen Provinzen: Anfänge, Fortschritte – Machtergreifung], Wrocław 1987, S. 105-109.

3

Ebda, S.96-99, 114, 136; Franciszek Połomski: Uwagi o działalności NSDAP na Śląsku Opolskim [Bemerkungen über die Tätigkeit der NSDAP im Oppelner Schlesien], in: Studia Śląskie. Seria nowa 1966. Bd. 10, S. 127-143, S. 133; Mirosław Cygański: SS w pruskich prowincjach Śląska w latach 1929-1935 [SS in den preussischen Provinzen Schlesiens in den Jahren 1922-1935], in: Studia Śląskie. Seria nowa 1974, Bd. 25, S. 203-232, hier S. 205-206.

4

Chronik der Stadt Hindenburg in Oberschlesien, hrsg. von Hans Paschke, Berlin 1942, S. 69-75.

5

Helmut Neubach: Edmund Heines, in: Helmut Neubach: Parteien und Politiker in Schlesien, Dortmund 1988, S. 217-248, hier S. 245.

136 RYSZARD KACZMAREK korps, mit dem er sich zuerst in Großpolen, und später in Oberschlesien im Kampf einsetzte. Während des III. polnischen Aufstandes hat er den Bahnknotenpunkt in Kędzierzyn erobert, weshalb der Name dieser Stadt 1934 in Heydebreck geändert wurde. 1925 wurde er der erste SA-Führer in Oberschlesien6. Eine Person, die die gleiche Geltung in der Provinz Oberschlesien erlangte, war Wilhelm Metz. Der gebürtige Gleiwitzer war auch Veteran des Ersten Weltkrieges und wurde wie Heydebreck in der Schlacht von Verdun verwundet. Nach seiner Rückkehr war er erst in der deutschen Polizei tätig, später in der Abstimmungspolizei beschäftigt. Der SA trat er in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre bei, wurde 1932 SA-Standartenführer der 22. SA-Standarte und stieg 1934 zum SA-Oberführer auf7. In die NSDAP ist Metz aber erst 1931 eingetreten. Zuvor gab es wahrscheinlich mit der Breslauer Parteiführung Konflikte, was sowohl seine unklare ‚Rassenherkunft’ betraf (ihm wurden nichtarische Vorfahren vorgeworfen), als auch seine Zugehörigkeit zur Freimaurerloge in seiner Jugend. Bis 1934 gehörte er zu den engsten Mitarbeitern von Heines8. Anfang der dreißiger Jahre war die oberschlesische 17. SA-Brigade (an der Spitze Heydebreck) eine der drei schlesischen SA-Gruppen, deren Führer der erwähnte SA-Gruppenführer Edmund Heines war. Die Brigade bestand aus drei Standarten: Standarte 22 in Gleiwitz (Gleiwitz, Hindenburg, Beuthen, Ratibor und Leobschütz mit dem Führer Wilhelm Metz), Standarte 23 in Neisse und Standarte 63 in Oppeln9. Zwischen den beiden Teilen der schlesischen NSDAP, dem oberschlesischen und dem niederschlesischen, waren riesige Zahlen- und Qualitätsunterschiede zu beobachten. Wenn der Entwicklungsprozess der NSDAP in Niederschlesien besonders nach 1929 sehr rasch war und ihre Bedeutung und Beeinflussungsmöglichkeiten sehr schnell wuchsen, hatte es die NDSAP demgegenüber im Regierungsbezirk Oppeln bis Ende der 1920er Jahre sehr schwer, einen Wahlerfolg zu erringen. Der oberschlesische Gau war schwach und zu den aktiven Ortsgruppen gehörten damals nur Ratibor, Beuthen, Hindenburg, Biskupitz und Gleiwitz. Aber gerade diese Orte bildeten im November 1925 die Grundlage für die Schaffung des Untergaues Oberschlesien. Schlesien insgesamt bildete einen Gau, an dessen Spitze Gauleiter Helmuth Brückner stand. Der Gau hatte die NDSAP-Unterbezirke Niederschlesien, Mittelschlesien und 6

Ebda, S. 245.

7

Oberschlesische Zeitung v. 4. April 1943.

8

Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Sturmabteilungen, Wilhelm Metz, Der HSSuPF beim OP in Schlesien an den Chef der Orpo SS-Obergruppenführer K. Daluege, Breslau 8. Juli 1940; Der Führer des SD-Leitabschnittes SD des RFSS, SDLeitabschnitt Breslau, betr. Pol. Präs. Metz.

9

Biały (wie Anm. 2), S. 166-167.

KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN

137

Oberschlesien. Den Unterbezirk Oberschlesien bildeten Ratibor (an der Spitze Josef Adamczyk) und der Industriebezirk, der die drei Stadtkreise Beuthen, Hindenburg und Gleiwitz umfasste mit Max Fillusch als Leiter. Im November 1929 wurden diese Bezirke aufgelöst und man kehrte zu einer einheitlichen Bezeichnung zurück – zum Unterbezirk Oberschlesien, welchen weiter J. Adamczyk leitete10. Zu Beginn der dreißiger Jahre war die oberschlesische NSDAP noch ziemlich schwach, sowohl im Hinblick auf die Zahl der registrierten Mitglieder, als auch in Bezug auf ihren gesellschaftliche Einfluss, sichtbar an ihren geringen Wahlerfolgen. Die oberschlesische NSDAP umfasste nur 10% der Gesamtgröße der schlesischen NSDAP – 1931 hatte sie im Regierungsbezirk Oppeln 2.658 Mitglieder – während in Gesamtschlesien 23.650 Mitglieder registriert waren.11 Auch in Oberschlesien begann der Aufschwung der NSDAP ebenso wie in ganz Deutschland mit den immer mehr sichtbaren gesellschaftlichen Folgen der Wirtschaftskrise. Den oberschlesischen Problemen schenkte Hitler keine größere Aufmerksamkeit. Sein einziger Besuch während des Wahlkampfes 1932 wurde eher von zufälligen Ereignissen hervorgerufen, die mit der Aktivität der SA in Verbindung standen. Zu dem Besuch bewog ihn damals der in der Öffentlichkeit stark diskutierte Mord in Potempa. In der Nacht vom 10. auf den 11. August 1932 wurde in Potempa ein Kommunist, von Beruf Bergarbeiter, ermordet. Die Täter, die der örtlichen SA angehörten, wurden vom Beuthener Gericht zur Todesstrafe verurteilt. Hitler engagierte sich persönlich in der Bewegung für die Befreiung der Mörder und sagte, „das sei die Ehrenfrage“ der nationalsozialistischen Bewegung. Während der Triumphreise Hitlers durch Oberschlesien weilte er in den Städten Beuthen, Gleiwitz und Hindenburg. Am 22. Juli 1932 warteten auf ihn in Gleiwitz 5.000 Anhänger und Mitglieder der NSDAP. Die Rede Hitlers war nicht bemerkenswert und wiederholte nur die schon früher während des Wahlkampfes hervorgehobenen Thesen und die Kritik der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik der Weimarer Regierungen. Im Namen der oberschlesischen Nationalsozialisten wurde Hitler von Max Fillusch begrüßt12. Zu seiner Reise durch Oberschlesien sagte der Führer der NSDAP einige Monate später zusammenfassend: „In der Zelle jedes von den 10 Ebda, S. 113, 140. Josef Joachim Adamczyk, geb. 1901 in Schönburg/Kr. Rybnik (Rzuchów); Mitglied der NSDAP seit 1923; Stadtrat in Ratibor; preussischer Landtagsabgeordneter in den Jahren 1932-1933; Reichstagsabgeordneter seit September 1933 (Erich Stockhorst: Fünftausend Köpfe. Wer war was im Dritten Reich, Bruchsal/Baden 1967, S. 29). 11 Franciszek Biały: Z dziejów NSDAP okręgu śląskiego 1929-1932 [Aus der Geschichte des schlesischen Gaues der NSDAP], in: Śląski Kwartalnik Historyczny „Sobótka” 1978, Nr. 1, S. 69-82, hier S. 70-71. 12 Krystian Jasik: Propaganda przywódców NSDAP na Śląsku w 1932 roku [Propaganda der schlesischen NSDAP-Anführer 1932], in: Studia Śląskie. Seria nowa 1978. Bd. 33, S. 347-363, hier S. 355.

138 RYSZARD KACZMAREK zum Tode Verurteilten hängt mein Lichtbild. Und ich sollte sie verraten? Was sie verbrochen haben, das werden wir einmal klarstellen und werden gerechte Richter sein … Wir werden allerdings dann auch dafür sorgen, daß solche Dinge sich nicht wiederholen können; nicht durch Erfindung drastischer Strafen, sondern dadurch, dass wir Elemente wie den polnischen Insurgenten Pietrzuch entfernen! Polen hat über 900.000 deutsche Menschen ausgewiesen. Wie viele Polen haben die Deutschen ausgewiesen?”13 Die Gleiwitzer Parteiorganisation wurde schon in den dreißiger Jahren nach dem üblichen Muster gebildet14. Nach der Machtergreifung bemühte man sich, in der Struktur die NSDAP an den bestehenden staatlichen Verwaltungsaufbau anzupassen. So umfasste die Kreisorganisation der Partei sowohl die Parteimitglieder im Stadtkreis Gleiwitz wie im Landkreis Tost-Gleiwitz. Die bekannteste Person der nationalsozialistischen Bewegung war in dieser Zeit Richard Preiß. Er wurde am 18. April 1902 in Wanowitz (Kreis Leobschütz) geboren und entstammte einer katholischen Familie. Nach Abschluss der Volksschule und einer Fachschule war er als Facharbeiter (Schlosser) tätig. Als Freiwilliger kämpfte er gegen den 3. polnischen Aufstand, wurde verwundet und später wurde ihm der Orden des Schlesischen Adlers II. und I. Klasse verliehen, eine Auszeichnung für Freikorpskämpfer (seit 1933 als staatliche Auszeichnung anerkannt). Nach Auflösung der NSDAP in Preußen war er 1923 vorübergehend in die Deutschvölkische Partei eingetreten. Nach Wiederbelebung der NSDAP trat Preiß im Jahre 1925 dieser bei. Zunächst hatte er das Amt eines Ortsgruppenleiters der NSDAP in Gleiwitz inne (1926-1928), ab 1932 war er Untergaubetriebszellenleiter von Oberschlesien. 1932 wurde er als Abgeordneter in den Preußischen Landtag gewählt. Seine Karriere endete aber schon bald in den dreißiger Jahren nach einem Konflikt mit Oberbürgermeister Josef Meyer15. Von 1934 bis 1937 ist er auf seinem Posten geblieben, erlebte aber keine 13 M. Domarus: Hitler Reden und Proklamationen 1932-1945. Bd. I. Triumph (19321938), Würzburg 1962, S. 134; mit den 900.000 Deutschen sind die aus Posen und Westpreußen verdrängten Deutschen seit 1919 gemeint. 14 Die NSDAP wurde seit Anfang der dreißiger Jahre hierarchisch, nach dem Führerprinzip organisiert. Auf Gauebene wurde der Gauleiter in Breslau der einzige Anführer. Ihm wurden die Kreisleitungen mit Kreisleitern untergeordnet. Die Kreise der NSDAP wurden in Ortsgruppen mit einem Ortsgruppenleiter unterteilt, welche aus Zellen mit einem Zellenleiter bestanden. Die kleinsten Einheiten waren die Blöcke, die der Blockleiter überwachte. 15 Josef Meyer wurde 1883 in Hauenstein (Pfalz) geboren; seit 1925 war er Mitglied der NSDAP, vorübergehend Kreisleiter in Beuthen; 1933-1945 Oberbürgermeister der Stadt Kreis Gleiwitz (Ryszard Kaczmarek: Ruch nazistowski w Gliwicach w latach 1933-1945 [Nazi-Bewegung in Gliwice/Gleiwitz in den Jahren 1933-1945], in: Rocznik Muzeum w Gliwicach 2002, Bd. 17, S. 235; Theo Schwarzmüller: Hauenstein gegen Hitler, Neustadt 2009, S. 215-255, hier S. 113-114).

KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN

139

weitere Beförderung mehr. Gegen den Kreisleiter von Gleiwitz wurde der Vorwurf der Homosexualität erhoben und nach seiner Versetzung bekleidete er nur kurze Zeit das Amt des NSDAP-Kreisleiters in Rosenberg16. WAHLERGEBNISSE IN GLEIWITZ Mit ihrem neuen Parteiprogramm wurde die NSDAP insbesondere aufgrund der Initiative von Gregor Strasser reorganisiert und zu einer effizienten und zum Wahlerfolg fähigen Organisation umgestaltet. Diese Änderung bedeutete auch für die Gleiwitzer NSDAP einen Strukturwandel, der sie zur Führung von Wahlkämpfen befähigte. Die Hauptgegner der Partei waren in der Stadt nicht nur die ideologischen Opponenten – die SPD und KPD –, sondern auch die katholische Zentrumspartei, die wegen ihrer politischen Dominanz in Oberschlesien den Aufstieg der Nationalsozialisten bis 1932 effektiv hemmte. Seit der Zeit des Kulturkampfes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Zentrum die dominierende politische Kraft in Oberschlesien. Nur im geringen Maße und für kurze Zeit wurde durch die Verschärfung des Nationalitätenkonflikts in Oberschlesien die Stellung der Zentrumspartei ins Wanken gebracht, als die polnischen nationalen Gruppierungen im Stande waren, einen Teil der Wähler von der Beeinflussung der katholischen Kirche abzuziehen. Das bestätigen die Wahlergebnisse der Reichstagswahlen in den zwölf oberschlesischen Wahlbezirken in den Jahren 1871-1912 (Tab. 6). Nach dem Ersten Weltkrieg behielt die Zentrumspartei weiterhin die Oberhand, wenngleich sie nicht so erfolgreich war wie zuvor. In den folgenden Wahlen der Jahre 1922 bis 1928 (1919 hatten die polnischen Parteien die Wahlen zur Nationalversammlung boykottiert, 1920 fielen die Wahlen wegen der Abstimmungskampagne aus und wurden erst 1922 nachgeholt) war die Zentrumspartei nicht mehr die führende Partei. Besonders in Gleiwitz nahm die in den zwanziger Jahren immer stärker werdende KPD ihre Stellung ein. Die Katholiken behielten jedoch eine zwar labile, aber doch ca. 40%ige Mehrheit (Tab. 7).

16 Tadeusz Kruszewski: Partia Narodowosocjalistyczna na Śląsku w latach 19331945: organizacja i działalność [NS-Partei in Schlesien in den Jahren 1933-1945: Aufbau und Tätigkeit], Wrocław 1995, S. 253 (der Verfasser benutzte den Artikel von Mirosław Węcki: „czystka musi nadejść…” – gliwiccy naziści przed wybuchem II wojny światowej [„Säuberung muss kommen” – Gleiwitzer Nazis vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges]. In: Bogusław Tracz (Hrsg.): Władza, polityka i społeczeństwo w Gliwicach w latach 1939-1989 [Herrschaft, Politik und Gesellschaft in Gleiwitz in den Jahren 1939-1989], Katowice-Gliwice 2010.

140 RYSZARD KACZMAREK Tabelle 6 Mandate und Wahlergebnisse der Zentrumspartei in den zwölf oberschlesischen Wahlbezirken 1871-1919 Jahr

Mandate

Stimmenanteil % in Oberschlesien

Stimmenanteil % im Wahlbezirk LublinitzGleiwitz-Tost

1871

1

23,8

33,7

1874

8

55,0

48,5

1877

11

66,6

66,3

1878

10

62,9

66,4

1881

12

81,7

76,1

1884

11

80,2

90,7

1887

11

68,1

71,3

1890

11

77,3

78,5

1893

11

81,3

57,8

1898

11

73,5

81,5

1903

10

60,1

51,0

1907

*

6 ?

31,7

27,8

1912

7* ?

36,8

35,6

Unumstrittener Führer der Zentrumspartei in Oberschlesien war vor allem der berühmte und als Führer der deutschen Bewegung in der Abstimmungszeit geltende Pfarrer von Ratibor – Carl Ulitzka.17 Eine wichtige Rolle spielte auch Hans Lukaschek18, obwohl er kein Reichstagsabgeordneter war. Von 1916 bis 1919 war er Bürgermeister von Rybnik, 1927 bis 1929 Oberbürgermeister von Hindenburg und 1929 bis 1933 Oberpräsident der Provinz Oberschlesien. Unter den Abgeordneten der Zentrumspartei befanden sich im Jahre 1924 auch Adalbert Beck (Bauer aus Glogau), und Heinrich Hartwig (Kaufmann aus Oppeln).

17 Vgl. Guido Hitze: Carl Ulitzka (1873-1953) oder Oberschlesien zwischen den Weltkriegen, Düsseldorf 2002. 18 Vgl. Hans-Ludwig Abmeier: Hans Lukaschek. In: Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts, hrsg. im Auftrag der Historischen Kommission für Schlesien, Würzburg 1968, S. 228-236, S. 228f.

KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN

141

Tabelle 7 Wahlergebnisse der Zentrumspartei in den Reichstags- und Landtagswahlen in der Provinz Oberschlesien, dem Stadtkreis Gleiwitz und dem Landkreis TostGleiwitz in den Jahren 1924-1928 Volksvertretung

Jahr

Reichstag

1924 (Mai)

42,1

34,2

31,7

1924 (September)

41,0

42,0

42,9

1924 (Dezember)

40,9

43,4

43,3

1928 (Mai)

40,0

41,8

46,3

1924 (Dezember)

42,0

43,3

43,4

Preußischer Landtag

Provinz Oberschlesien (% Wahlstimmen)

Stadt Gleiwitz (%)

Landkreis Tost-Gleiwitz (%)

Quelle: Marian Orzechowski: Wyniki wyborów do Parlamentu Rzeszy i Sejmu Pruskiego na Śląsku w latach 1919-1933 [Die Wahlergebnisse in den Reichstags und Landtagswahlen in den Jahren 1919-1933], „Studia i materiały z dziejów Śląska”, Bd. 7, hrsg. von Adam Galos. Kazimierz Popiołek, Wrocław-Warszawa-Kraków 1966, S. 471-519.

Die weiteren Abgeordneten auf der oberschlesischen Liste der Zentrumspartei stammten aus Niederschlesien. Das waren der Gewerkschaftssekretär Franz Ehrhardt aus Breslau und Alois Zipser, ein Bauer aus Hennersdorf (Kreis Neisse). Diese Gruppe blieb bis 1932 im Reichstag. Die Wahlerfolge der Zentrumspartei in Gleiwitz in den 1920er und dreißiger Jahren sieht man vor allem als ein Verdienst des örtlichen Bürgermeisters Georg Geisler an, der das Amt seit 1925 ausübte. Er hatte den typischen Berufsweg eines kommunalen Beamten durchlaufen. Nach dem Abschluss seines Studiums vor dem Ersten Weltkrieg arbeitete er im Preußischen Ministerium des Innern in Berlin, von wo ihn der damalige Gleiwitzer Oberbürgermeister Mentzel als Stadtrat für Finanzen abwarb. 1912 wurde er zum 2. Bürgermeister, 1924 Bürgermeister und am 24. Oktober desselben Jahres Gleiwitzer Oberbürgermeister. Ihm wurden die Maßnahmen gegen die Hyperinflation und für die Stabilisierung des Stadthaushaltes zugeschrieben, als er durchsetzte, auf Pachten zu verzichten und die Immobilien durch die Gemeinde zu übernehmen, womit nicht nur er, sondern auch seine Partei an Popularität gewann. Während seiner Amtszeit erwarb er sich viel Anerkennung dank der kommunalen Investitionen in Gleiwitz. Es kam zum Ausbau des kommunalen Bauwesens, im Rahmen dessen ein neuer Bahnhof entstand. In Gleiwitz wurde auch der oberschlesische Hauptflughafen errichtet und der Bau eines großen Flusshafens

142 RYSZARD KACZMAREK begonnen19. Dies trug dazu bei, dass im Gleiwitzer Stadtrat weiterhin die Vertreter der Zentrumspartei überwogen20. In den zwanziger Jahren wurde die Stadt Gleiwitz nicht mehr von einem Abgeordneten der Zentrumspartei repräsentiert, vielmehr war der einzige Abgeordnete aus Gleiwitz ein Kommunist. Von 1924 bis zu den letzten freien Wahlen im November 1932 war das ein berühmter kommunistischer Abgeordneter, der Bergarbeiter Anton Jadasch. Dieser in Krapice/Krappetz geborene Aktivist der KPD bekleidete zuerst das Amt des Sekretärs der kommunistischen Gewerkschaften in Gleiwitz, später auch das eines Kreissekretärs der KPD in Oberschlesien. Ende der zwanziger Jahre zog er nach Berlin. Bis zu den Wahlen im Jahre 1928 existierte die NSDAP kaum auf der politischen Landkarte Oberschlesiens. Erst zu diesem Zeitpunkt gewann sie 5.539 Stimmen (das war 1%, während sie im Reichsdurchschnitt 2,6% erhielt). Ein Unterschied zwischen Oberschlesien und Niederschlesien war noch nicht festzustellen. In keinem schlesischen Wahlkreis war die NSDAP fähig, die Zweiprozenthürde zu überschreiten (Breslau 1,0%, Liegnitz 1,2%). In der kleinen Gruppe von 12 NSDAP-Reichstagsabgeordneten befand sich also kein Abgeordneter aus Schlesien. Einen Wendepunkt in der politischen Situation in Schlesien wie in ganzem Reich stellten die Wahlen von 1930 dar. In Niederschlesien errang die NSDAP damals schon 22,9% der Stimmen, im Reich waren es 18,3%. Damit stellte sich die bis heute heftig diskutierte Frage nach der Differenz zwischen Nieder- und Oberschlesien. Im Wahlbezirk Oppeln kam die NSDAP nur auf 9,5% der Stimmen. Die Zentrumspartei verlor etwas an Einfluss, das war jedoch noch geringfügig. Immer noch gaben 35,2% der Wähler ihre Stimme dem katholischen Kandidaten. Zwei Jahre später, im Juli 1932, als die NSDAP mit 37,4% auf Reichsebene einen riesigen Triumph feiern konnte, galt dies auch für Niederschlesien. Dort erreichte sie in Liegnitz 48%, in Breslau 45,3%. Im Regierungsbezirk Oppeln blieb jedoch immer noch die katholische Zentrumspartei die stärkste politische Kraft und konnte ihr Niveau vom Jahre 1930 halten, gefolgt von der NSDAP mit 29,3%. Dieses Verhältnis galt auch für die Wahl vom November 1932. Die Zentrumspartei erhielt 35,9%, die NSDAP 26,8%, als sie im Reich auf 33,1% Stimmen kam (vgl. Tabelle 8).

19 Der oberschlesische Wanderer v. 27. Juni 1931. 20 Ryszard Kaczmarek: Samorząd i władze miejskie Gliwic w okresie rządów nazistów (1933-1939) [Selbstverwaltung und Städtische Behörden in Gleiwitz während der NS-Zeit (1933-1939)], in: Rocznik Muzeum w Gliwicach 2004, Bd. 19, S. 145-159, S. 148.

KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN

143

Tabelle 8 Reichstagswahlen im Wahlbezirk Oppeln 1928-1932 Partei

1928

1930

1932 (Juli)

1932 (November)

Zentrum

40,0

35,2

34,6

35,9

NSDAP

1,0

9,5

29,3

26,8

DNVP

17,0

15,2

6,9

8,0

DVP

2,7

1,4

0,3

0,4

SPD

12,6

9,3

8,7

9,1

KPD

12,7

16,6

17,0

16,8

DDP

1,6

-

-

-

Den Durchbruch der NSDAP in Oberschlesien brachten erst die Märzwahlen im Jahre 1933, die schon in einem durch die Nationalsozialisten verursachten Terrorklima stattfanden. In Niederschlesien erzielte die NSDAP über 50% der Stimmen, und im Regierungsbezirk Oppeln 43,2%.21. Dennoch blieb der Einfluss des Zentrumspartei in Gleiwitz weiter so stark, dass auch nach Hitlers Machtübernahme und dem Reichstagsbrand (mit der die Grundrechte einschränkenden „Brandverordnung“) und trotz des auf den Straßen spürbaren Terrors der SA, keine bedeutende Änderung der politischen Stimmung zu beobachten war. Im Landkreis Tost-Gleiwitz errang die Zentrumspartei sogar ein besseres Ergebnis als in der Provinz Oberschlesien und die NSDAP wurde zwar zur stärksten Partei im Kreis, aber mit einen schlechteren Wahlergebnis als im Wahlbezirk Oppeln. Die Zentrumspartei genoß bei einem geringen Verlust die gleiche Unterstützung der Wähler, die sie seit dem 19. Jahrhundert erhalten hatte und dies trotz der Terroratmosphäre des Wahlkampfes. Etwas anders war die Situation im Stadtkreis Gleiwitz, wo der Verlust schon bedeutend war. Die NSDAP erlangte in der Stadt sogar ein besseres Ergebnis als auf Provinzebene. Die einzige Partei, die mit der NSDAP im März 1933 Schritt hielt, war die KPD. Sie erlangte regelmäßig in beiden Kreisen 10% der Stimmen, obwohl in den zwanziger Jahren die Ergebnisse noch besser ausgesehen hatten. Einen großen Teil der Anhänger von Kommunisten und SPD übernahm jedoch Anfang der dreißiger Jahre die NSDAP (vgl. Tab. 9).

21 Matthias Lempart: Rozwój NSDAP w prowincji Górny Śląsk do 1933 roku [Entwicklung der NSDAP in der Provinz Oberschlesien bis 1933], in: IX Seminarium Śląskie. Rozwój Śląska wczoraj – dziś – jutro [IX. Schlesisches Seminar. Entwicklung Schlesiens Gestern – Heute – Morgen], Gliwice-Opole 2004, S. 62-70.

144 RYSZARD KACZMAREK Tabelle 9 Reichstagswahlen von 5. März 1933 im Stadtkreis Gleiwitz und Landkreis TostGleiwitz im Vergleich zum Deutschen Reich und zur Provinz Niederschlesien Partei

Deutsches Reich

Stadtkreis Gleiwitz

Zentrum

11,3

29,5

NSDAP

43,9

DVP

Landkreis-TostGleiwitz

Wahlbezirk Oppeln

Wahlbezirk Breslau

Wahlbezirk Liegnitz

36,9

32,3

13,3

6,4

46,4

42,1

43,2

50,2

54,0

1,1

0,3

0,2

0,3

0,3

0,6

SPD

18,3

7,0

4,5

6,9

19,3

21,4

KPD

12,3

9,3

8,6

9,3

8,2

6,7

DNVP (Kampffront Schwarzweiß-rot)

8,0

6,2

7,3

7,5

7,1

9,1

In Gleiwitz war also eine deutliche bipolare Aufteilung zu beobachten: einerseits eine erfolgreiche, aber außerhalb der Stadt nicht überwiegende NSDAP, andererseits die stabile Zentrumspartei. Die übrigen Parteien außer der KPD verloren schnell an Bedeutung. In ihrer politischen Struktur bildete die Stadt Gleiwitz jedoch keine Ausnahme in Deutschland. In den Jahren 1932 bis 1933 bildete sich dieselbe Situation heraus: es entstand eine bipolare innenpolitische Gliederung. Zum einen war das die NSDAP, zum anderen waren es die Parteien, die in Opposition zur NSDAP standen. Die Besonderheit der politischen Lager in Gleiwitz und im weiteren Sinne auch in ganz Oberschlesien, beruhte auf einer großen, konsequenten ca. 30%igen Unterstützung für die katholische Opposition. Ihre Anhänger haben dauerhaft die katholische Partei unterstützt, die sich in Opposition zur NSDAP befand. Anfang der dreißiger Jahre erlagen diese Wähler nicht der ideologischen Einflussnahme durch die NSDAP. Unumstritten war dies mit dem katholischen Wertesystem verbunden, das mit den nihilistischen Ideen der NS-Ideologen im Konflikt stand. Diese Schlussfolgerung findet ihre Stütze besonders im Landkreis Tost-Gleiwitz, wo der traditionelle, konservative Katholizismus überwog. Im März 1933 wurden im Wahlbezirk Oppeln vier Abgeordnete der Zentrumspartei gewählt, doch war das Missverhältnis ihrer Herkunft im Vergleich zu den Abgeordneten der NSDAP in Oberschlesien deutlich sichtbar. Außer Carl Ulitzka waren die katholischen Kandidaten keine Vertreter der örtlichen Bevölkerung, was nicht unüblich, aber sicher ein Fehler bei Gestaltung der Wahllisten war. Aus Oberschlesien stammten die schon früher gewählten

KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN

145

Adalbert Beck und Franz Eberhardt sowie Erwin Respondek, ein Universitätsprofessor aus Berlin. Demgegenüber stammten die Kandidaten der NSDAP durchweg aus Oberschlesien. Das waren der um die örtliche nationalsozialistische Bewegung verdiente Max Fillusch aus Hindenburg, Paul Hoenscher, Bauer aus Grottkau, Fritz Kleiner, Architekt aus Beuthen, der Landbesitzer Paul von Pückler-Burghauss aus Oppeln, Hans Ramshorn, Leiter der SA in Oberschlesien und Erich Russek, Verkäufer aus Miechowitz. Außer NSDAP und Zentrum konnte noch Johannes Stelin, Parteifunktionär aus Berlin, als Kandidat der SPD ein oberschlesisches Mandat einnehmen. Den damaligen Zwiespalt der politischen Kräfte in der Stadt bestätigten auch die Kommunalwahlen in Gleiwitz, die in Preußen eine Woche nach den Reichstagswahlen, also am 12. März 1933 stattfanden. Zwar war Bürgermeister Geisler (Zentrum), Vertreter des Stadtwahlkomitees, dessen Mitglieder das politische Spektrum der Stadt repräsentierten und überwiegend der Zentrumspartei angehörten22. Jedoch lag über der Stadt eine bedrohlich-gespannte Stimmung und immer wieder zogen SA-Abteilungen durch die Straßen. Die Kommunalwahlen waren auch ein unumstrittener Erfolg der Nationalsozialisten, obwohl die Zentrumspartei noch immer eine starke Position hatte. Der Erfolg der NSDAP schien schon durch die Ereignisse im Reichstag beeinflusst. Eine beachtliche Popularität genossen noch die beiden linken Parteien, die trotz der Ausnahmegesetze, die nach dem Reichstagsbrand erlassen worden waren, fünf Mitglied in den Stadtrat entsenden konnten (Tab. 10). Im neuen Gleiwitzer Stadtrat zeigte sich eine deutlich bipolare Aufteilung in die Stadtverordneten der NSDAP, die von den Nationalisten der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot unterstützt wurden, und die Opposition, welcher die Stadtverordneten der Zentrumspartei und von SPD und KPD angehörten23. 22 Die Mitglieder des Stadtwahlkomitees waren: Parteisekretär Alois Mrzyglod, Ingenieur Fritz Hoffmann, Baumeister Albert Kucharz (alle zusammen mit dem Oberbürgermeister Geisler Mitglieder Zentrumspartei); Arbeitersekretär Otto Lütke (SPD); Handwerker Fritz Neblich und Steiger Karl Chmiel (beide NSDAP); nach dem Verzicht von Bahnhofsvorsteher Alfred Fleischer der Meister Paul Patermann (Kampffront Schwarz-Weiss-Rot); Herbert Steuer (parteilos) – Archiwum Państwowe w Katowicach [Staatsarchiv Katowice], Oddział w Gliwicach [Abteilung Gleiwitz], Akta miasta Gliwice [Die Akten Stadt Gleiwitz] (weiter: APKat., OG, AmG], Sign. 1419, Wahlvorschläge – Stadtverordnetenwahl 12. März 1933, S. 1. 23 Stadträte wurden im März 1933 nach „Gleiwitzer Gemeindeblatt. Amtlicher Anzeiger der städtischen Behörden“ (v. 22. März 1933) gewählt: NSDAP: Richard Preiß (Schlosser), Josef Heukeshoven (Bauer), Fritz Neblich (Handwerker), Georg Englicht (Beamter), Georg Adamczyk (Schlosser), Georg Braun (Rechtsanwalt), Alexander Lepiorz (Bahnbeamter), Kurt Hayn (Ingenieur), Herbert Donnerstag (Beamter), Max Miklis (Schlosser), Waldemar Sonnenschein (Bergwerksunternehmer), Georg Pajonk (Ingenieur), Dr. Karl Sluzalek (Arzt), Theophil Walter (Kaufmann), Alfred Scholz (Lehrer), Oskar Stephani (Fleischer), Peter Görlitz (Elektromonteur), Rudolf Schäd (Gastwirt), Gotthard Bräuer (Bauin-

146 RYSZARD KACZMAREK Tabelle 10 Kommunalwahlen in Gleiwitz 12. März 1933 Wahlliste

Wahlstimmen

Stadtverordnete

NSDAP

26.104

24

Zentrumspartei

16.401

15

SPD

3.325

3

KPD

3.225

2

Kampffront Schwarz-weiß-rot

3.398

3

Deutsche Volkspartei

112

0

Christlich sozialer Volksdienst

111

0

Deutsche Volkspartei

273

0

Polsko Partia Ludowa

523

0

1.920

1

166

0

42

0

Mieterpartei Handwerk, Handel und Gewerbe Sozialistische Kampfgemeinschaft

Quelle: Gleiwitzer Gemeindeblatt. Amtlicher Anzeiger der städtischen Behörden, Nr. 15 v. 22. März 1933.

Die erste Sitzung des Gleiwitzer Stadtrates fand am 31. März 1933 statt. Sie dauerte kaum eine halbe Stunde, wurde aber sorgfältig von der örtlichen NSDAP inszeniert. Die Stadtverordneten aus der Liste der NSDAP versammelten sich zuvor im Parteigebäude und von dort zogen sie zum Rathaus, von ihren Anhängern begleitet, die „Heil Hitler“ riefen und sie mit ergehobenem Arm genieur), Karl Chmiel (Steiger), Paul Pach (Arbeiter), Georg Dombrowski (Schulleiter), Joseph Brauner (Tapezierermeister), Alfred Nieusela (Beamter); SPD: Paul Patermann (Meister), Otto Lütke (Parteisekretär), Peter Ochmann (Bergmann); KPD: Karl Behr (Busfahrer), Theodor Lellek (Bauarbeiter); Zentrumspartei: Anton Brzezinka (Stadtrat), Albert Kucharz (Baumeister), Heinrich Pospiech (Bergmann), Julius Krautwurst (Bäcker), Johanna Kudla (Krankenschwester), Paul Wieczorek (Beamter), Hermann Ehren (Parteisekretär), Thomas Kaffanke (Rechtsanwalt), Paul Czornik (Beamter), Joseph Baron (Kaufmann), Lothar Hanke (Stadtrat), Joseph Leschnik (Schneider), Joseph Gotzmann (Feuerwehrmann), Alfons Mrosek (Lehrer), Kurt Lepiarz (Beamter); Kampffront Schwarz Weiss-Rot: Gottwald Buth (pensionierter Offizier), Paul Melchior (Lehrer), Kurt Posnanski (Schlosser); Mietpartei: Fritz Kolonko (Stadtrat).

KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN

147

begrüßten. Der Sitzungssaal war von einer Menschenmenge überfüllt, darunter viele in SA- und Parteiuniform. Die Polizei konnte die Versammlung nur mit Mühe in Schranken halten. Die Stadtverordneten der anderen Parteien befanden sich schon im Rathaus. An der Wand des Sitzungssaales waren eine Staatsfahne, eine Hakenkreuzfahne und die Porträts von Hitler und Hindenburg aufgehängt, alle anderen Bilder waren aus dem Saal entfernt. Als die NSDAPStadtverordneten – alle in Parteiuniform – einzogen, nahmen sie die Sitzplätze am Fenster ein, wo bisher die Repräsentanten der Zentrumspartei gesessen hatten24. Bald darauf wurden nach dem Gleichschaltungsgesetz, das im Reichstag verabschiedet wurde, die Versammlung von einem Staatskommissar für alle Gemeinden und Kreise Oberschlesiens geleitet, nämlich von dem in Bobrek wohnhaften Erich Heidtmann. Zum Stadtverordnetenvorsteher wurde der damalige Gleiwitzer NSDAP-Kreisleiter Heukeshoven ernannt, der den wesentlichen Teil der ersten Sitzung leitete25. Von Anfang an nahm die Zentrumspartei eine friedliche Haltung ein. Der Wahl des Stadtratsvorsitzenden stimmte man zu. Allerdings war es zu einem Brauch geworden, dass der ernannte Vertreter aus der zweitgrößten Fraktion stammte. Doch erklärte der Fraktionsvorsitzende der Zentrumspartei, Kaffanke, die Zustimmung seiner Fraktion, die zeigen wolle, „dass wir und alle mit euch einverstanden sind (in diesem Punkt wies er auf die Nationalsozialisten), mit euch allen mitzuarbeiten. Alles Streiten müsse wegen einer schweren Lage unseres Volkes seinen Schluss finden, damit wir uns aus diesem Sumpf herausholen könnten (Beifall seitens der Nationalsozialisten)”26. Der nach ihm auftretende Heukeshoven erklärte im Namen der NSDAP: „Der Kampf der NSDAP in Gleiwitz wird mit dem ersten Erfolg gekrönt. Die Partei hat sich 14 Jahre lang die Mühe gegeben, diese Führungsposition zu erreichen und hat das siegreich errungen. Wir möchten sie uns auch für die Zukunft garantieren und deswegen möchten wir, dass die Bildung der Stadtverwaltung den Wünschen der Mehrheit der Abgeordneten und der Bevölkerung entspricht […]. Wir werden danach streben, in der Zukunft die Stadtverwaltung zu ändern, und danach, damit in dieser Art und Weise die neue Stadtverwaltung vom Oberbürgermeister bis zum letzten Abgeordneten gewählt würde“. Heukeshoven, dessen Rede oft mit Beifall und Begeisterungsrufen unterbrochen wurde, beendete seine Rede mit der Erklärung, in der er an Worte Hitlers anknüpfte: „Nichts für uns, alles für Deutschland, alles für die Stadt Gleiwitz, Heil!“27. Die ganze, sehr kurze, aber entschiedene Sitzung, wurde mit dem Absingen des Horst-Wessel-Liedes beendet, später wurde auch die Nationalhymne gesungen. Um das Rathaus versammelten sich Gleiwitzer Einwoh24 Der oberschlesische Wanderer v. 31. März 1933. 25 Ebda. 26 Ebda. 27 Ebda.

148 RYSZARD KACZMAREK ner, die den Ruf und das Singen durch die geöffneten Fenster des Sitzungssaales hören konnten. Als die NSDAP-Stadtverordneten den Saal verließen, bildeten die Menschen für sie ein dichtes Spalier und als sie marschierten, wurde ihnen zu Ehren gesungen28. Die Ankündigung der Änderungen in der Stadtverwaltung wurde sehr schnell umgesetzt. Der bisherige Oberbürgermeister Georg Geisler wurde entfernt. Dasselbe Schicksal traf seinen Vertreter.29 Auch in der Verwaltung der Provinz Oberschlesien, welche bisher von der Zentrumspartei kontrolliert wurde, kam es zu schnellen personellen Veränderungen. Die Abberufung von Hans Lukaschek war dafür symbolisch und hatte teilweise eine Verbindung zu Gleiwitz. Nach der Abberufung Geislers stand kommissarisch an der Spitze des Gleiwitzer Stadtvorstandes der vorläufige Oberbürgermeister Erich Heidtmann30. Am 4. Juli 1933 wurde Heidtmann durch Josef Meyer, einen der Hauptaktivisten der NSDAP in Beuthen ersetzt, der bereits an der Spitze der Stadtverwaltung stand.31 Meyer übte dieses Amt bis zum Kriegsende aus. Die Stadtverordneten der Oppositionsparteien legten noch im Frühling 1933 ihre Mandate nieder oder traten sogar der NSDAP bei. Ein Beweis dafür sind die zahlreichen Aufnahmeanträge zur NSDAP seitens der Mitglieder der Zentrumspartei und der SPD. Zu einem Symbol wurde die Niederlegung des Mandats von Otto Lütke, dem Führer der Gleichwitzer Sozialdemokraten schon am 10. Mai 1933. Am 28. Juli 1933 legte auch Josef Heukeshoven sein Mandat als Stadtverordnetenvorsteher nieder und seine Aufgaben übernahm der Gleiwitzer Kreisleiter Richard Preiß. Den Triumph der NSDAP nach Einstellung oder Delegalisierung der Oppositionsparteien, darunter auch der Zentrumspartei, brachten die Novemberwahlen im Jahre 1933. Im der Stadt Gleiwitz wurden von 68.179 Stimmen 63.696 28 Ebda. 29 APKat., OG, AmG, Sign. 1419, Verwaltungsbericht der Stadt Glewitz für das Jahr 1933, S. 1. 30 Erich Heidtmann entstammte einer evangelischen Familie (geb. 1880 in Paaren an der Havel). Sein Vater war Pastor. Nach dem Studienabschluss in München wurde er Ingenieur. Nach Kriegsdienst war er in Bobrek als Ingenieur beschäftigt. Er trat der NSDAP 1929 bei und gründete die dortige Ortsgruppe der NSDAP. Später übernahm er das Amt des Ortsgruppenleiters, zum Schluss wurde er mit dem Amt des Gleiwitzer Kreisleiters betraut. Im März 1933 wurde er zum Staatskommissar für den Industriebezirk Oberschlesien berufen, aber schon einen Monat später zum Oberbürgermeister der Stadt Gleiwitz ernannt, und im Juli 1933 zum Kreisleiter im Kreis Kreuzburg. Seit Februar 1934 war er Landrat des Kreises Kreuzburg, und auf diesem Posten blieb er bis Kriegsende (Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, SSO, Erich Heidtmann, Lebenslauf). 31 Siehe: Kaczmarek (wie Anm. 15), S. 235-236.

KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN

149

zugunsten der NSDAP abgegeben, das waren 93,4% und im Landkreis TostGleiwitz wurden von 49.084 Stimmen 46.662 für NSDAP abgegeben, das waren 95,1%.32 Dabei handelte es sich natürlich nicht mehr um eine Wahl, sondern um eine Abstimmung unter staatlichem Zwang. Die Einflussnahme der katholischen Kirche auf das politische Leben in Gleiwitz kann man nicht unmittelbar aus den Quellen bestätigen. Die Akten der örtlichen Kreisleitung der NSDAP sind nicht überliefert. Wie gefährlich jedoch die katholische Kirche und ihre Beeinflussungskraft von den Gleiwitzer Nationalsozialisten angesehen wurden, kann man den späteren Berichten des Propagandaamtes der NSDAP entnehmen, die nach 1933 und während des Krieges angefertigt wurden. Während der gesamten Regierungszeit der Nationalsozialisten wurde die Tätigkeit der katholischen Kirche als Quelle einer für das Regime hochgefährlichen Widerstandsaktivität angesehen. Besondere Sorge bereitete dem Regime das Problem, wie die Gleiwitzer katholische Kirche kontrolliert werden konnte. Wie man ständig mitteilte, waren die Kontakte sowohl mit der Bischofskurie in Breslau als auch über diese mit dem Nuntius und dem Vatikan nicht zu überwachen und wurden als Quelle von Gerüchten und der Verbreitung feindlicher Propaganda angesehen. Jedem Anzeichen für solche Aktivitäten wurde hohe Beachtung geschenkt und in den Berichten war immer ein eigenes Kapitel der katholischen Kirche gewidmet. 1942 wurde z. B. bemerkt, dass im Vatikan eine selbständige Stelle existiere, die sich mit den Kriegsgefangenen und den Vermissten beschäftigte und an welche sich die Gleiwitzer direkt wenden könnten, ohne Genehmigung der Partei oder der Verwaltung einholen zu müssen.33 Im ganzen Kreis sah man die untrennbare Verbindung von Gesellschaft und katholischer Kirche. In der Kriegszeit beobachtete man mit Verzweiflung eine Steigerung der religiösen Stimmung, was die immer häufigere und zahlreichere Beteiligung an Andachten und am Kommunionempfang bewies. Man behauptete, dass daraus eine Schwächung des Vertrauens in die Staatsführung und die Partei resultiere. Sogar die grundlegenden Anweisungen, z. B. die kirchlichen Feiertage in der Woche am Sonntag zu feiern, wurden während der Kriegszeit immer weniger beachtet. Besonders im Gleiwitzer Landkreis wurde die Bestimmung offensichtlich sabotiert34. Die Eliminierung der katholischen Kirche aus dem öffentlichen Leben erschien nicht nur wegen der Massenbeteiligung am religiösen Leben als unmöglich, sondern viele der von der Kirche erfüllten Funktionen und Aufgaben schienen unersetzlich zu sein. Beispielweise waren in der Krankenbetreuung 32 Kruszewski (wie Anm. 16), S. 14-23. 33 Ebda, S. 24. 34 APKat., NSDAP Gauleitung Oberschlesien Kattowitz, Sign. 210, Kreisleitung NSDAP Gleiwitz an die Gauleitung Oberschlesien der NSDAP, S. 38.

150 RYSZARD KACZMAREK die Nonnen wegen ihrer hohen Qualifikationen kaum durch andereres Personal zu ersetzen. Auch die Caritaskinderpflegeanstalten waren trotz der Bemühungen der Behörde nicht zu liquidieren, weil die von der NSV geleiteten Anstalten nicht ausreichten. Sogar die Parteimitglieder schickten ihre Kinder regelmäßig in die katholischen Kindergärten35. Die Einflussnahme der katholischen Kirche auf dem Gebiet des von ländlichen Gemeinden dominierten Landkreises Tost-Gleiwitzwar noch unvergleichlich stärker. Hier unterschied sich auch die durchschnittliche Bevölkerung kaum von den Vertretern der örtlichen Machteliten. Mit Besorgnis beobachtete man, dass die Mehrheit der Landlehrer zum Gottesdienst in die Kirche kam und nur vereinzelt wurden Fälle registriert, dass Lehrer als Parteimitglieder aus der Kirche austraten. Als gefährlich wurde auch angesehen, dass die Stellenbesetzung von Schulleitern immer noch von den örtlichen Pfarrern beeinflusst wurde und dass die eng mit der Kirche verbundenen Lehrer „die für die Bewegung verdienten Erzieher beseitigten”.36 Die Gleiwitzer NSDAP hat richtig gesehen, dass die gesamte Erziehung und Propagandatätigkeit, die von der HJ organisiert wurde, nutzlos wurde, denn nach Ableistung des Dienstes in der Organisation und mit dem Beginn des beruflichen Lebens standen die Jugendlichen wieder an der Seite der Priester, was ihre Eltern auch stark unterstützten. Ende 1942, als in den Gleiwitzer Kirchen wegen des Krieges spezielle Exerzitien abgehalten wurden, stellte man mit Verzweiflung fest, dass die Jugendlichen gerne daran teilnahmen. Das wurde der starken Beeinflussung durch die Eltern und deren starker religiöser Einstellung zugeschrieben.37 Zusammenfassend kann festgehalten werden: 1. Der dauerhafte Einfluss der Zentrumspartei in Gleiwitz und im gesamten Regierungsbezirk Oppeln, war auf die Kraft des katholischen Milieus seit dem 19. Jahrhundert zurückzuführen. 2. Der Einfluss des politischen Katholizismus war im Landkreis Tost-Gleiwitz beträchtlich stärker und dauerhafter als im Stadtkreis Gleiwitz; die Diskrepanz entstand wohl aufgrund des ländlichen traditionellen Katholizismus, der den Modernisierungsprozessen weniger unterworfen war. 3. Die Wahlerfolge der NSDAP in Oberschlesien, die im März 1933 fast die Hälfte der Stimmen der Wahlberechtigten erhielt, resultierten – wie in der Weimarer Republik – aus der Schwächung der bürgerlichen und linksgerichteten Parteien sowie der Popularität lokaler NS-Führer. 35 Ebda, S. 60. 36 Ebda, S. 53. 37 Ebda, S. 58.

KATHOLIKEN UND NS-BEWEGUNG IN OBERSCHLESIEN

151

4. Das katholische Milieu in Gleiwitz ist auch nach der Beseitigung der Zentrumpartei nach wie vor stabil geblieben, so dass der NS-Staat es als ernste Bedrohung seiner Herrschaft ansah; der Katholizismus ist bis zu Ende des Zweiten Weltkrieges ideologisch und politisch der Hauptfeind des NSRegimes in Oberschlesien geblieben.

GRAFSCHAFT GLATZ

POLITISCHER WANDEL UND KATHOLISCHES MILIEU IN EINER GRENZREGION DES DEUTSCHEN REICHES: DIE GRAFSCHAFT GLATZ ZWISCHEN 1928 UND 1933 MICHAEL HIRSCHFELD Wenn vom Herrgottswinkel Deutschlands die Rede ist, stellt man in Gedanken sofort eine Affinität zu Bayern her. Aus dem Blick geraten ist dabei, dass auch eine im ehemaligen Ostdeutschland, an der Peripherie des früheren Deutschen Reiches gelegene Region als Herrgottswinkel oder Herrgottsländchen bezeichnet wird1: die bis 1945 zur preußischen Provinz Schlesien gehörende Grafschaft Glatz. Führt man sich vor Augen, dass dieses in die damalige Tschechoslowakei hineinragende Gebiet (1931) zu 91,3% katholischer Konfession war, so erschließt sich eine Affinität der Bevölkerung zur katholischen Zentrumspartei in Kaiserreich und Weimarer Republik. Die realistischen Chancen des aufkommenden Nationalsozialismus bis 1933 Mehrheiten bei freien Wahlen zu erzielen, erscheinen angesichts der Kenntnis der Situation in vielen anderen homogen katholischen Regionen Deutschlands eher gering. In Erinnerungen von Heimatvertriebenen aus dieser Region kann man häufiger Sätze wie diesen lesen: „Vor 1933 wählten die Glasendorfer die Partei der Katholiken, das Zentrum … Nationalsozialisten, ausgenommen der Bürgermeister, hat es kaum gegeben, und wenn dann nur Mitläufer“2. Solche Allgemeinplätze einer geschlossenen Phalanx der Ablehnung der braunen Ideologie sind insbesondere in den von früheren Bewohnern oft unter schwierigen Bedingungen zusammengestellten, aber zahlreich erschienenen Ortschroniken von

1

Vgl. den Titel der in den 1960er Jahren erschienenen Buchreihe: Die Grafschaft Glatz. Deutschlands Erker, Gesundbrunnen und Herrgottswinkel, sowie zuletzt den Titel eines Quellenbandes von Arno Herzig / Malgorzata Ruchniewicz (Hg.): Im Herrgottsländchen. Quellen und Materialien zur Geschichte des Glatzer Landes vom 10. bis zum 20. Jahrhundert, Klodzkie Towarzystwo Oswiatowe 2003, Glatz 2003.

2

Dieter Kastner: Zur Herkunft und Ankunft der Vertriebenen aus Glasendorf/Schlesien in Neuenkirchen (1946). In: 1159-2009. Festschrift zum Jubiläum des Kirchspiels Neuenkirchen, Neuenkirchen [Oldenburg] 2009, S. 205-223, hier S. 209. Analog wird z.B. in der Stadtgeschichte von Habelschwerdt der Übergang von der Demokratie in die Diktatur 1933 nur in wenigen Sätzen gestreift. Dort heißt es bezeichnenderweise u.a. reichlich kryptisch: „Im übrigen waren die Verhältnisse ähnlich wie in anderen Städten und Verwaltungen“. Werner Taubitz: Habelschwerdt und die Habelschwerdter im 20. Jahrhundert. Chronik einer schlesischen Kreisstadt, Lüdenscheid 1995, S. 43.

154

Michael Hirschfeld

Grafschafter Dörfern3 sehr oft zu finden. Durch Ausblendung der Vorgeschichte in der Endphase der Weimarer Republik wird zudem gelegentlich der Eindruck erweckt, als hätten die Nationalsozialisten vor Ort kaum Wähler gehabt und wären statt dessen im März 1933 handstreichartig und gewaltsam an die Macht gelangt4. Erst in den letzten Jahren wird die NS-Zeit in der Heimatliteratur hier und da intensiver thematisiert5. Wenn man etwas genauer hinschaut, erhält das Bild einer geschlossenen Abwehrfront gegen die NS-Bewegung Risse. In seinen 1951 aufgezeichneten, aber erst 2008 edierten Memoiren erinnert sich beispielsweise der Bürgermeister des 200-Seelendorfes Droschkau im Kreis Glatz daran, dass „1929 einige Männer der hiesigen Gemeinde der NSDAP bei[traten] und es gelang ihnen, das ganze Dorf aufzuputschen …, dass Hitler bei der letzten Wahl [gemeint ist die Novemberwahl 1932 als letzte Wahl vor der „Machtergreifung“. Anm. d. Verf.] mit 98% gewählt wurde … Die Wahl wurde unter meiner Leitung als Bürgermeister vom Wahlvorstand korrekt und geheim durchgeführt, und ich war erschüttert über dieses Ergebnis“6.

LEITFRAGEN Erwies sich die tief katholische Prägung der Grafschaft Glatz etwa nicht als starker Resistenzfaktor gegen den Nationalsozialismus? Inwieweit existierte überhaupt ein ausgeprägtes katholisches Milieu? Welche soziokulturellen Aspekte spielten eine Rolle? Inwieweit führten soziale Verwerfungen, die durch 3

Kopien der die Thematik betreffenden Seiten aus diversen Ortschroniken verdankt der Verf. Herrn Dr. Dieter Pohl aus Köln, dem wohl besten Kenner und Sammler Grafschafter Literatur. Vgl. allgemein auch die Grafschafter Bibliographie von Dieter Pohl: Die Grafschaft Glatz (Schlesien) in Darstellungen und Quellen. Eine erweiterte Bibliographie, Modautal 1994.

4

So heißt es bei Taubitz: Habelschwerdt und die Habelschwerdter im 20. Jahrhundert (wie Anm. 2), S. 43, lapidar: „Bei der Reichstagswahl am 6.3.1933 (sic!) wurden gegen den Willen des Bürgermeisters noch während der Wahlhandlung die Hakenkreuzfahne und die Schwarzweißrote Fahne auf dem Rathaus gehisst.“

5

Dennoch gilt noch immer hinsichtlich von Spezialstudien Arno Herzigs Hinweis, dass die NS-Geschichte der Grafschaft ein Desiderat der Forschung darstellt. Vgl. Arno Herzig: Zur Historiographie der Grafschaft Glatz bis 1945. In: Ders.: Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte Schlesiens und der Grafschaft Glatz (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund, Reihe B, Bd. 58), Dortmund 1997, S. 180-195, hier S. 194.

6

Wenzel Kolbe: Chronik von Droschkau. In: Ders. / Heinrich Völkel / Klaus Kolbe: Droschkau. Chronik eines Dorfes in der Grafschaft Glatz/Schlesien. Eine Zusammenfassung mit Bildern von Nikolaus H. Fischer, Norderstedt o.J. (2009), (2008), S. 8-58, hier S. 35.

DIE GRAFSCHAFT GLATZ

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sozioökonomische Faktoren ausgelöst wurden, zu einer Erosion der Zentrumsbindung? Diese Fragen will der folgende Aufsatz zu beantworten versuchen. Dass dies einerseits nicht ganz einfach ist, wird aus dem Urteil einer der besten polnischen Expertinnen der neueren Grafschafter Geschichte, der Breslauer Historikerin Malgorzata Ruchniewicz, deutlich, die urteilte: „Die Entwicklung der NS-Bewegung im Glatzer Land ist ein nahezu unbekanntes Thema“7. Das stimmt andererseits – wie das Beispiel aus Droschkau gezeigt hat – jedoch nicht ganz. Das Problem liegt vielmehr darin, dass bisher nur der Blick auf die Mikroebene der Dörfer und Städte sowohl in einigen zeitgenössischen Chroniken und Tagebüchern als auch in der Erinnerungsliteratur Erkenntnisse zu den Fragestellungen liefert. Was aber selbstverständlich ein Desiderat darstellt, ist eine systematische, lokale Spezifika übergreifende Aufarbeitung der Hintergründe für das Reüssieren Hitlers in einer dezidiert katholischen Region8. Ebenso mangelt es an einer theoretisch fundierten Analyse katholischer Milieus im Deutschen Reich östlich von Oder und Neisse insgesamt9. Diese Mängel können hier nicht beseitigt werden, lediglich erste Anregungen zu ihrer Behebung vermag dieser Beitrag zu liefern. Er betritt insofern Neuland, als erstens dem kirchlichen Leben, zweitens dem politischen Leben und drittens dem wirtschaftlichen Leben in dieser Grenzregion des Deutschen Reiches am Vorabend der sogenannten Machter7

Arno Herzig / Malgorzata Ruchniewicz: Geschichte des Glatzer Landes, Hamburg/Wroclaw 2006, S. 271. Neben dieser neuesten und bisher umfangreichsten Gesamtdarstellung der Grafschafter Geschichte bieten beide Autoren kurze Überblicksdarstellungen in ihrem Quellenband Im Herrgottsländchen (wie Anm. 1), S. 26-40 u. 69-100. Zur Kirchengeschichte der Region vgl. im Überblick: Franz Jung (Hg.): Auf dem Weg durch die Jahrhunderte. Beiträge zur Kirchengeschichte der Grafschaft Glatz, Münster 2005.

8

Vgl. bisher allein Franciszek Bialy: Ruch narodowosocjalistyczny w prowincjach slaskich. Poczatki – postepy – przejecie wladzy (Acta Universitatis Wratislaviensis, Nr. 865), Wroclaw 1987; Helmut Neubach: Die Ausschaltung der schlesischen Zentrumspartei durch die NSDAP im Jahre 1933. In: Peter Chmiel / Nikolaus Gussone / Helmut Neubach (Hg.): Beiträge zur Geschichte Schlesiens im 19. und 20. Jahrhundert. Hans Ludwig Abmeier zum 60. Geburtstag, Dülmen 1987, S. 85103; Ders.: Aufstieg und Herrschaft der NSDAP in Schlesien. In: Ders.: Parteien und Politiker in Schlesien, Dortmund 1988, S. 210-215, u. Ders.: Die Verwaltung Schlesiens zwischen 1848 und 1945. In: Gerd Heinrich u.a.(Hg.): Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815-1945, Stuttgart 1993, S. 877-985, hier S. 984.

9

Von den 22 Untersuchungsregionen des Münsteraner AKKZG stellte Berlin die östlichste dar. Vgl. Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte, Münster: Konfession und Cleavages im 19. Jahrhundert. Ein Erklärungsmodell zur regionalen Entstehung des katholischen Milieus in Deutschland. In: Historisches Jahrbuch, Bd. 120 (2000), S. 358-395.

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greifung nachgespürt wird. Die Auswahl der Fallbeispiele ist dabei ganz deutlich der Literaturlage geschuldet. Als vortrefflich erweist sie sich zum einen für den Hauptort der Region, die Kreisstadt Glatz, weil erst vor kurzem die zuvor nur in schlechten Kopien verfügbare, zudem aufgrund der Handschrift schwer lesbare Chronik der katholischen Stadtpfarrei ediert worden ist10. Die zeitgenössische Stadtgeschichte der Industriestadt Neurode, verfasst von dem über die Grenzen seiner Heimat hinaus bekannten Theologen Joseph Wittig, bildet zum anderen trotz ihrer naturgemäßen Anpassung an den Zeitgeist des Nationalsozialismus eine unverzichtbare Quelle11. Darüber hinaus lassen sich aus der Vielzahl der in den letzten Jahrzehnten erschienenen, zumeist von interessierten Laien zusammengestellten oder verfassten Ortschroniken nur wenige bezüglich der hier zu behandelnden Fragestellungen heranziehen. Zu nennen wären noch die maschinenschriftlichen Tagebuchaufzeichnung des Lehrers von Nauseney12 im Kreis Glatz sowie die überaus solide recherchierte Geschichte des Industriedorfes Ludwigsdorf bei Neurode13. Gut lesbar geschrieben und zugleich problemorientiert, verspricht sie vergleichsweise besonders weiterführende Anregungen für die im Zentrum dieses Beitrags stehende Problematik. Mit rein agrarisch wie industriell geprägten Dörfern sowie bürgerlich wie industriell geprägten Städten bieten Quellen und Literatur somit hinreichend Fallbeispiele, welche eine über das rein Lokale hinausgehende, einigermaßen repräsentative Analyse der „Grenzen des Milieus“ in der Grafschaft Glatz 1933 ermöglichen.

1. DIE KONFESSIONELLE STRUKTUR Für die konfessionelle Struktur der Grafschaft Glatz erscheinen zwei Phänomene entscheidend: Zum einen eine im 17. Jahrhundert konsequent durchgeführte Gegenreformation, welche den Katholizismus tief verankerte. Äußeres Zeichen sind die zahlreichen barocken Kirchen, die der Gebirgslandschaft ein süddeutsch-österreichisches Gepräge verleihen, woraus der Beiname Herr-

10 Dieter Pohl (Bearb. u. Hg.): 40 Jahre Kirchengeschichte der Grafschaft Glatz in Schlesien 1906-1946. Die Chronik der katholischen Stadtpfarrkirche zu Glatz, Köln 2009. 11 Vgl. Joseph Wittig: Chronik der Stadt Neurode, Neurode 1937. 12 Vgl. Ortschronik Nauseney/Scharfenberg, geführt von Lehrer Schöneich und seinen Nachfolgern, Maschinenschrift, 1986. Eine Kopie verdanke ich der Sammlung Grafschafter Schrifttums von Dr. Dieter Pohl, Köln. 13 Vgl. Eberhard und Rita Völkel: Ludwigsdorf im Eulengebirge Grafschaft Glatz/Schlesien, Braunschweig 1999.

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gottswinkel Deutschlands14 resultiert. Zum anderen ist für die Grafschaft Glatz eine Sonderstellung unter den kirchlichen Jurisdiktionsbezirken konstitutiv. Zur Erzdiözese Prag gehörig, hatte die preußische Annexion im 18. Jahrhundert keinen Wechsel der Diözesanzugehörigkeit zur Folge. Eine Eingliederung in das Bistum Breslau wurde immer wieder verworfen, nicht zuletzt, weil durch eine Anpassung der kirchlichen an die staatlichen Grenzen im Gegenzug dem Breslauer Bischof seine reichen Waldgebiete in Österreichisch Schlesien verloren gegangen wären15. Die Regierung versuchte Einfluss zu gewinnen, indem sie von sich aus einen königlichen Dechanten ernannte, der dann vom Erzbischof in Prag in Personalunion auch zum erzbischöflichen Vikar bestellt wurde. 1810 wurde staatlicherseits der weltweit einmalige Titel eines Großdechanten kreiert16. Mit weitreichenden Vollmachten versehen und später auch Mitglied der Fuldaer Bischofskonferenz erhielt er nach dem Ersten Weltkrieg zugleich den Rang eines Generalvikars und hatte 64 Kirchengemeinden mit (1931) 164.000 Katholiken zu betreuen. Es gab 112 Priester, die in der Regel aus der Grafschaft stammten, in Breslau studierten und nach der dort empfangenen Priesterweihe als Geistliche des preußischen Anteils der Erzdiözese Prag wieder in ihre Heimat zurückkehrten, um dort ihren pastoralen Dienst zu versehen. Protestanten kamen erst als Beamte und Soldaten der Festung Glatz sowie als Kurgäste in die Grafschaft, vornehmlich in die Kleinstädte und Bäder. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs gab es dann auch nur 11.000 Protestanten in der Grafschaft, die 6% der Bevölkerung ausmachten. Eine Ausnahme bildete das im sogenannten Böhmischen Winkel im Südwesten der Region gelegene Dorf Straußeney (Straußdörfel), wo eine aus der Tradition der Böhmischen Brüder kommende alteingesessene evangelische Gemeinde in vollkommener Diaspora überlebt hatte. Diese tiefreligiöse katholische Fassade zeigte nach dem Ersten Weltkrieg erste Erosionserscheinungen. Mit deutlicher Enttäuschung bemerkte der Glatzer Stadtpfarrer im Oktober 1930: „Das consentire cum ecclesia lässt … wie 14 Vgl. Alois Bartsch (Hg.): „Der Herrgottswinkel Deutschlands“. Kirche und kirchliches Leben in der Grafschaft Glatz in einem Jahrtausend (Die Grafschaft Glatz, Bd. 5), Lüdenscheid, Grafschafter Bote o. J. (1968). 15 Vgl. Michael Hirschfeld: Zum Problem der Anpassung der Diözesanzirkumskription an die deutsch-tschechoslowakische Staatsgrenze zwischen den Weltkriegen (1918-1939). Die Grafschaft Glatz im Blickpunkt der vatikanischen Diplomatie. In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, Bd. 100 (2005), S. 275-287. 16 Vgl. hierzu jetzt Franz Jung (Hg.): Die Großdechanten der Grafschaft Glatz 18102010, Münster 2010, u. Michael Hirschfeld: 200 Jahre Großdechant der Grafschaft Glatz. Anmerkungen zum kirchlichen Ämterverständnis und zum Verhältnis von Staat und katholischer Kirche. In: AGG-Mitteilungen, Bd. 9 (2010), S. 49-55.

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wohl überall zu wünschen übrig“17. Eine Ursache für die schwindende Kirchlichkeit ist im Priestermangel zu sehen. Kam in der Grafschaft Glatz (1941) ein Geistlicher auf 1.769 Katholiken so stand zum selben Zeitpunkt selbst im flächengroßen Diasporabistum Hildesheim das Verhältnis bei 1 zu 1.14318. Vakanzen entstanden insbesondere bei den Kaplanstellen, etwa in Habelschwerdt und Neurode19. Und in Glatz registrierte der katholische Pfarrer nicht ohne Neid, dass die evangelische Gemeinde für 4.000 Gläubige zwei Pastoren, die katholische für 18.000 Seelen aber nur vier hauptamtliche Pfarrseelsorger besaß20. Von den 35 Abiturienten des Jahrgangs 1929 am katholischen Gymnasium in Glatz, der traditionellen „Kaderschmiede“ für den Priesternachwuchs der Grafschaft, fand sich dann auch keiner, der ein Theologiestudium aufnehmen wollte, was der Pfarrer dem „Liberalismus und Indifferentismus … im Lehrerkollegium“ zuschrieb21. Zu diesen Erscheinungen einer Abkehr vom Strengkirchlichen passen auch moderne Geistesströmungen bei den Armen Schulschwestern im Oberlyzeum, die 1929 zur Versetzung der Schulleiterin führten22. Ob der Rückgang der sonntäglichen Kirchenbesucher in der Stadtpfarrkirche zu Glatz von 3.600 auf 2.800 innerhalb eines Jahres Ende der 1920er Jahre allein durch einen Kälteeinbruch zu erklären ist, erscheint im Übrigen fragwürdig. Hinzu kam die Werbung der Sozialdemokraten für den Kirchenaustritt, die zwar in der katholischen Region keinen durchschlagenden Erfolg zeitigte, aber auch nicht ungehört verhallten. In der größten Gemeinde der Region, der Stadtpfarrei in Glatz mit (1925) 18.541 Katholiken, traten 1928 26 Personen aus der katholischen Kirche aus, von denen die weitaus meisten als sozialistisch beeinflusst angesehen wurden. Auch wenn innerhalb dieser Gemeinde mit dem Franziskanerkloster und den von dort aus wahrgenommenen Gottesdiensten in der Minoritenkirche, mit dem Krankenstift Scheibe und drei Kapellen in umliegenden Dörfern (Halbendorf, Hollenau und Soritsch) weitere seelsorgliche Angebote bestanden, wird doch die Unüberschaubarkeit und Anonymität zur Erosion kirchlicher Bindungen beigetragen haben. Die Diversifizierung der kirchlichen von der gesellschaftlichen Sphäre ist erkennbar anhand der Zeitungslandschaft. So reduzierte der „Gebirgsbote“ 17 Die Chronik der katholischen Stadtpfarrkirche zu Glatz (wie Anm. 10). Eintrag v. 21.10.1930. 18 Vgl. Franz Groner (Hg.): Kirchliches Handbuch, Bd. XXIII (1944-51), Köln o.J. (1951), S. 390. 19 „Es fehlen etwa 10 Geistliche in der Grafschaft“. Die Chronik der katholischen Stadtpfarrkirche zu Glatz (wie Anm. 10), S. 234. Eintrag v. 11.6.1928. 20 Vgl. ebd., S. 249. Eintrag v. 17.1.1929. 21 Vgl. ebd., S. 251f. Eintrag v. 5.3.1929. 22 Vgl. ebd., S. 254. Eintrag v. 27.3.1929.

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religiöse Leitartikel und Berichte23 mit dem Hinweis, dass diese in dem als religiöse Beilage erscheinenden „Arnestusblatt“ ihren Platz hätten, bevor er 1935 in der sechs Jahre zuvor gegründeten nationalsozialistischen Konkurrenzzeitung „Grenzwacht“ aufging. Dennoch ist davon auszugehen, dass auch nach 1933 noch 60% der Katholiken regelmäßig am kirchlichen Leben teilnahmen24. Aber der Kirchenbesuch reduzierte sich auf (1941) 40,9% der Katholiken, während er etwa in den beiden westdeutschen Diözesen Münster und Osnabrück bei gut 50% lag und in den bayerischen Bistümern in der Regel über 60% und mehr betrug25. Die Tatsache, dass nach dem Ersten Weltkrieg sowohl die Franziskaner und die Jesuiten als auch drei weitere männliche Kongregationen (Missionare von der Hl. Familie, Arnsteiner Patres, Nazarener) neue Klöster in der Grafschaft errichteten, nicht zuletzt um hier Nachwuchs zu rekrutieren, ist wiederum als ein Indikator für eine stabile katholische Sozialisation anzusehen.

2. DIE SOZIOKULTURELLE STRUKTUR A) DER POLITISCHE KATHOLIZISMUS

Der Wahlkreis Glatz-Habelschwerdt galt im Kaiserreich als sichere Bastion der Zentrumspartei, deren Kandidaten zwischen 79% und 89% der Wählerstimmen erzielten, und wurde unter die sogenannten Riviera-Wahlkreise gerechnet. Das heißt, der Kandidat des politischen Katholizismus brauchte keine besonderen Mühen im Wahlkampf auf sich zu nehmen und konnte derweil an der Riviera Urlaub machen. Auffällig erscheint auch die bunte soziale Zusammensetzung der Mandatsträger: Adelige, Priester, aber auch ein Journalist, ein Postbeamter, ein Jurist und ein Landwirt nahmen das Mandat wahr26. Die Führung der Kreisverbände lag durchgehend in der Hand eines Geistlichen27. Die Zentrumshonoratioren waren auch führend in der 1918/19 entstandenen Protestbewegung gegen die Annexion der Grafschaft durch die neu entstandene 23 Vgl. ebd., S. 264. Eintrag v. 3.9.1929. 24 Vgl. Herzig/Ruchniewicz: Geschichte des Glatzer Landes (wie Anm. 7), S. 380. 25 Vgl. Groner: Kirchliches Handbuch, Bd. XXIII (wie Anm. 18), S. 393. 26 Vgl. Helmut Neubach: Parteien und Politiker aus der Grafschaft Glatz 1867-1918. In: Arno Herzig (Hg.): Glaciographia Nova. Festschrift für Dieter Pohl, Hamburg 2004, S. 232-249, u. ders.: Schlesische Geistliche als Reichstagsabgeordnete 1871-1918. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte, Bd. 26 (1968), S. 251278. 27 Pfarrer Georg Wache, Neurode, Pfarrer Franz Dittert, Mittelwalde (für Habelschwerdt), Pfarrer Maximilian Tschitschke, Voigtsdorf (für Habelschwerdt). Vgl. Herzig/Ruchniewicz: Geschichte des Glatzer Landes (wie Anm. 7), S. 384.

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Tschechoslowakei28. Von dort waren Territorialansprüche mit historischen Argumenten begründet und mit ethnischen Kriterien untermauert worden, die sich darauf stützten, dass in sechs Orten des bereits erwähnten Böhmischen Winkels eine im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmend germanisierte tschechische Minderheit lebte, deren Zahl zwischen 3.500 und 5.100 Menschen schwankte. Auf die ganze Grafschaft gerechnet kommt man nicht über 3% der Bevölkerung, die als Tschechen bezeichnet werden konnten. Auffällig erscheint zudem, dass diese Minorität sich nicht politisch artikulierte, um etwa einen Anschluss an die Tschechoslowakei durchzusetzen. Dennoch war die „Tschechengefahr“ das Trauma der Grafschafter schlechthin und der Protest erfasste alle Bevölkerungskreise29. Dessen Langzeitwirkungen äußerten sich, wenngleich natürlich von der NS-Propaganda beflügelt, in dem nach dem Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich am 10. Oktober 1938 geprägten erleichterten Ausruf vom „Schicksaltag für unsere Heimat“30, weil die Grafschaft nun „kein Grenzland“ mehr war. Die Kreise Glatz, Habelschwerdt und Neurode gehörten zum Reichstagswahlkreis Breslau, der seit 1924 von keinem geringeren als dem späteren Reichskanzler und Fraktionsvorsitzenden der Partei Heinrich Brüning in Berlin vertreten wurde. Rudolf Morsey hat hervorgehoben, dass Brüning trotz seiner typisch westfälischen Zurückhaltung und Verschlossenheit in seinem schlesischen Wahlkreis hoch angesehen war und „den Kontakt zu den Wählern, insbesondere im Waldenburger und Neuroder Kohlenrevier, intensivierte“31. Dies belegt auch die Antwort Brünings auf ein Glückwunschschreiben eines lokalen Zentrumswahlvereins anlässlich seiner Ernennung zum Reichskanzler 1930, in dem er expressis verbis ausdrückte, „wie sehr ich gerade am Kreis Neurode hänge und dass ich die schlesischen Grenzgebiete nie vergessen werde“32. Immerhin erregte eine Rede Brünings in Glatz kurz vor der Juli-Reichstagswahl 1932 „eine Begeisterung, wie noch nie“33.

28 Vgl. hierzu ausführlich ebd., S. 255-260. 29 Vgl. hierzu die populär gehaltene Schrift: Die Grafschaft Glatz. Kein Tschechenland. Ein deutscher Weckruf, Glatz 1921. 30 Bilder aus bewegter Zeit. In: Die Grafschaft Glatz Nr. 6 (1938), S. 91f. Abgedruckt bei Herzig/Ruchniewicz: Im Herrgottsländchen (wie Anm. 1), S. 574. 31 Rudolf Morsey: Heinrich Brüning (1885-1970). In: Westfälische Lebensbilder, Bd. XI (1975), S. 27-48. 32 Brüning an Rektor Elsner, Ludwigsdorf, v. 25.4.1930, abgedruckt bei Völkel: Ludwigsdorf (wie Anm. 13), S. 198. 33 Die Chronik der katholischen Stadtpfarrkirche zu Glatz (wie Anm. 10), S. 306. Eintrag v. 10.7.1932.

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Unter Brüning machte auch der Direktor der Landwirtschaftsschule in Glatz Dr. Ludwig Perlitius34 als Reichstagsabgeordneter Karriere. Brüning jedenfalls lobte in seinen Memoiren die „gar nicht zu ersetzende Hilfe durch persönliche Loyalität und Selbstverleugnung von Perlitius“35 und hielt auch noch aus dem Exil heraus mit diesem Briefkontakt36. Perlitius, der zunächst Theologie studiert hatte und Priester werden wollte, dann aber auf Nationalökonomie gewechselt war, engagierte sich gleichzeitig auch als Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, war also der kirchlichen Laienarbeit verbunden. Entgegen dem mit der Person von Prälat Ludwig Kaas verbundenen Trend zur vermehrten Übernahme von Führungsämtern in der Partei durch Geistliche gegen Ende der Weimarer Republik wurde Perlitius 1932 auch Vorsitzender des Glatzer Kreisverbands des Zentrums. Wenn er trotz seiner Umtriebigkeit als „farblose“37 Gestalt bezeichnet wurde, weist dies wohl darauf hin, dass er keine charismatische Führungspersönlichkeit des politischen Katholizismus war. Innerhalb der katholischen Partei sah man die eigenen Schwächen, nicht zuletzt angesichts der sinkenden Wählerzustimmung klar. Hatte das Zentrum im Kreis Glatz bei den Reichstagswahlen 1930 noch rund 40% der gültigen Wählerstimmen (14.225 von 36.046) auf sich vereinigen können, so sank die Zustimmung bei den Juliwahlen 1932 – inzwischen war allerdings der Kreis Neurode eingegliedert worden – auf ca. ein Drittel (14.610 von 40.157 gültigen Stimmen), um die Drittelmarke bei den Novemberwahlen 1932 wieder ein wenig zu übersteigen (20.990 von 61.407) und im März 1933 unter 30% (19.856 von 68.903) zu fallen38. Im gleichen Bereich lag die katholische Partei bei den letzten halbwegs freien Wahlen auch im Nachbarkreis Habelschwerdt (8.215 von 29.014 Stimmen), wobei die Verluste von gut 40% im Vergleich zu 1930 hier noch etwas schwerer wogen. Die Wahlwerbung des Zentrums verwendete dann auch im März 1933 in der Grafschafter Regionalpresse bewusst das Bild

34 Zu Perlitius vgl. Karsten Ruppert: Perlitius, Ludwig. In: NDB, Bd. 20 (2001), S. 190. 35 Heinrich Brüning: Memoiren 1918-1934, München 1970, S. 216. 36 Vgl. Karl Schindler: Briefe des Emigranten Heinrich Brüning an den Glatzer Ludwig Perlitius. In: Tausend Jahre Glatz. Die Entstehung einer schlesischen Stadt 981-1981 (Glatzer Heimatbücher, Bd. 7), Leimen/Heidelberg 1982, S. 287f. 37 Rudolf Morsey: Der Untergang des politischen Katholizismus. Die Zentrumspartei zwischen christlichem Selbstverständnis und „nationaler Erhebung“ 1932/33, Stuttgart 1977, S. 36. 38 Zu diesen und den folgenden Wahlergebnissen vgl. Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 372,1 (1928), 382 (1930), u. 434 (1932/33).

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vom in Seenot geratenen Schiff, wenn es dort hieß, „das stürmliche Wetter dauert an“39 und als Parole ausgegeben wurde „Alle Mann an Deck bleiben!“. B) DER AUFSTIEG VON SPD UND KPD

Gerade in den industrialisierten Dörfern im Bergbaugebiet um Neurode erfreute sich die SPD eines starken Zuspruchs bei den Wahlen. Als während des Kulturkampfs das Zentrum in weiten Teilen der Grafschaft erstarkte, gewann bei den Reichstagswahlen 1877 im Wahlkreis Reichenbach-Neurode, der immerhin den Grafschafter Kreis Neurode mit umfasste, erstmals in Schlesien ein Sozialdemokrat40. Auch 1893 und 1903 gelangte dieser Wahlkreis in SPD-Hand41. Die Novemberrevolution 1918 fand in der Grafschaft aber kaum Rückhalt, was sicherlich auch durch das Schreckgespenst der Abtrennung an die Tschechoslowakei bedingt war. Dafür reüssierte die SPD in Kommunen mit hohem Arbeiteranteil, so beispielsweise in Ludwigsdorf bei Neurode. Bei den ersten Kommunalwahlen nach dem Ersten Weltkrieg erzielte sie hier 14 Sitze im Gemeinderat, das Zentrum nur 442. In den 1920er Jahren gewann das Zentrum Boden zurück, aber insgesamt ist festzustellen, dass nur etwa ein Drittel der Bevölkerung im Wesentlichen die katholische Partei wählte, zwei Drittel zunächst die SPD, deren Anteil gegen Ende der Weimarer Republik etwas unter 30% fiel, während – wie bereits erwähnt – die Kommunisten 22,5% erreichten. Wie engagiert die KPD war, zeigt sich bei einer der letzten demokratischen Wahlen, als die Kommunisten in einer Nacht- und Nebel-Aktion ein riesiges Werbeplakat an einem Eisenbahnviadukt aufhängten. Und vor den Reichstagswahlen von 1930 notierte ein Zeitzeuge: „Die Wahlvorbereitungen sind im Gange. Kommunisten und Nationalsozialisten stehen sich hier scharf gegenüber. Die Nationalsozialisten haben großen Zulauf“43. „Nieder mit Brüning und hoch Moskau!“ skandierten Kommunisten auf dem Ring (Marktplatz) in Glatz während eines Kurzbesuchs von Reichskanzler

39 „Wir kämpfen weiter!“ Wahlaufruf der Zentrumspartei. In: Glatzer Zeitung v. 6.3.1933, abgedruckt bei Herzig/Ruchniewicz: Im Herrgottsländchen (wie Anm. 1), S. 567. 40 Vgl. Herzig/Ruchniewicz: Geschichte des Glatzer Landes (wie Anm. 7), S. 245. 41 Vgl. Carl-Wilhelm Reibel (Bearb.): Handbuch der Reichstagswahlen 1890-1918. Bündnisse – Ergebnisse – Kandidaten, Düsseldorf 2007, S. 374-377. 42 Vgl. Völkel: Ludwigsdorf (wie Anm. 13), S. 176. 43 Die Chronik der katholischen Stadtpfarrkirche zu Glatz (wie Anm. 10), S. 283. Eintrag v. 10.9.1930.

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Brüning Anfang 193144. Diese Situation macht die aufgeheizte politische Stimmung deutlich. Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss besaßen die in Glatz erscheinende kommunistische „Tribüne“ und andere KPD-Zeitungen, wie etwa die seit 1931 ebenfalls in Glatz herausgegebene „Rote Fahne“, die zum Verdruss des Klerus ein wesentliches Ziel in der Kompromittierung von Kirche und Geistlichkeit sahen. „Der antiklerikale Kampf, die Hetze von den Links- und Rechtsradikalen geht lustig weiter.“45 Als in Glatz 1929 ein engagierter Kommunist starb, der nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten war, verwehrte ihm der katholische Pfarrer zwar nicht die kirchliche Beerdigung, bestand aber darauf, dass diese ohne Glockengeläut erfolgte46. Große Sorge hatte er vor einer kommunistischen Rede am Grab, weshalb dort vom Totengräber ein Vaterunser gebetet wurde. Im selben Jahr war erstmals ein kommunistischer Abgeordneter in die Stadtverordnetenversammlung eingezogen47. Große Empörung erregte ein Vorfall im Februar 1930. Der kommunistische Glatzer Stadtverordnete tauchte mit zwei Parteigenossen in der von Ordensfrauen betreuten Säuglingskrippe auf, mit dem Begehren, deren uneheliche Kinder zu Gesicht zu bekommen. Als die Schwestern dieses Ansinnen verweigerten, zerstörten die Kommunisten offenbar aus Frust eine Christusfigur im Eingangsraum der Krippe. „Sind wir schon in Sowjetrussland?“48 kommentierte die Pfarrchronik entrüstet. 1930 störten einige kommunistische Jugendliche die Christnacht in der Glatzer Stadtpfarrkirche, worin kirchlicherseits eine konzertierte Aktion gesehen wurde49. Woher kamen aber die Stimmen für die politische Linke? Der Glatzer Stadtpfarrer sah in seiner Pfarrei eine Kongruenz zwischen der Zahl der SPDWähler und der Zahl der zwar katholisch getauften, aber dem kirchlichen Leben vollkommen fern stehender Einwohner50. So konnte er sich darüber empören, dass ein verheirateter Sozialist eine Affäre mit einem Schulmädchen begonnen hatte und dazu noch seine Frau schlug. „Kein Wunder! Er ist ein ganz religionsloser Mensch.“51 Bei den Wahlen wurde – wie beispielsweise 1928 in

44 Vgl. ebd., S. 290. Eintrag v. 10.1.1931. 45 Ebd., S. 299. Eintrag v. 2.9.1931. 46 Vgl. ebd., S. 266. Eintrag v. 26.10.1929. 47 Vgl. ebd., S. 267. Eintrag v. 22.11.1929. 48 Ebd., S. 273. Eintrag v. 7.2.1930. 49 Vgl. ebd., S. 288. Eintrag v. 28.12.1930. 50 Vgl. ebd., S. 233. Eintrag v. 21.5.1928. 51 Ebd. S. 226. Eintrag v. 28.12.1927.

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Glatz – von der Kanzel herab an das Bebel-Wort erinnert, dass sich Christentum und Sozialismus wie Feuer und Wasser gegenüberständen52. Und angesichts der Stimmenzuwächse, welche die SPD noch Ende der 1920er Jahre in der Grafschaft erhielt, sah der Stadtpfarrer „das rote Tier der Apokalypse … im Anzuge“53. So gaben 1928 im Kreis Neurode mehr als 40% der Wähler (11.580 von 25.975) den Sozialdemokraten ihre Stimme, im Kreis Glatz immerhin mehr als ein Viertel (8.157 von 31.479), im Kreis Habelschwerdt hingegen nur rund 20% (4.492 von 22.220)54. Bei den darauffolgenden Reichstagswahlen von 1930 ist dann im Kreis Neurode ein Rückgang auf ein Drittel der Stimmen (9.232 von 28.771) zu konstatieren, im Kreis Glatz sogar auf unter 20% (6.843 von 36.259), im Kreis Habelschwerdt wurde die 10%-Marke nur wenig überschritten (3.595 von 28.379). Fast so weit ging die SPD bei den Juliwahlen 1932 in Glatz zurück (6.971 von 40.345), während sie in Habelschwerdt unter 10% sank (2.982 von 30.912). Eine beträchtliche Schwankung boten die Novemberwahlen 1932, bei denen sich die Sozialdemokraten in Glatz mehr als verdoppelten, nämlich auf 14.095 (von diesmal aber insgesamt 61.767) und nur knapp hinter der NSDAP auf Platz 3 der Wählergunst landeten. In Habelschwerdt dagegen blieben sie gleich schwach wie zuvor (2.510 von 25.075). Im März 1933 kam es schließlich zu einer weitgehenden Konsolidierung der Wählerstimmen auf dem bisherigen niedrigen Niveau, die bei knapp 20% im Kreis Glatz und 8% im Kreis Habelschwerdt lag. 55

C) DER AUFSTIEG DER NSDAP

Die Grenzlage der Grafschaft bot für die Nationalsozialisten einen ersten Anknüpfungspunkt, um politisches Kapital bei den Wählern zu schlagen. Wenn sie dieses Thema nicht allein für sich reklamieren konnten, lag dies an der breiten Abwehrfront aller politischen Lager gegen die „Tschechengefahr“, in der die NSDAP aber bald den Führungsanspruch anmeldete, etwa wenn sie ihr seit 1929 erscheinendes Presseorgan „Grenzwacht für die Grafschaft Glatz“ betitelte. Vier Jahre zuvor hatten ehemalige Soldaten des Ersten Weltkriegs in Bad Landeck als Abspaltung vom Stahlhelm eine „Völkische Gemeinschaft“ gegründet, die 1928 in der NSDAP aufging, sich aber anfänglich schwer damit 52 Vgl. ebd., S. 232. Eintrag v. 20.5.1928. 53 Ebd., S. 233. Eintrag v. 20.5.1928. 54 Vgl. zu den Wahlergebnissen Statistik des Deutschen Reichs (wie Anm. 38). 55 Vgl. dazu im Überblick (aus NS-Sicht) Paul Walter Hoffmann: Die Entstehung der nationalsozialistischen Bewegung im Glatzer Land im Spiegel der NSDAPPresse. In: Grenzwacht Nr. 30 u. 31/1937. Abgedruckt bei Herzig/Ruchniewicz, Im Herrgottsländchen (wie Anm. 1), S. 562-566.

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tat, eine Organisationsstruktur zu schaffen56. Schon anlässlich der Kommunalwahlen 1929 ließ sich eine starke Aktivität durch Versammlungen beobachten57. Im Herbst 1930 konnten die Nationalsozialisten 22 Ortsvereine aufweisen und wurde bei den Reichstagswahlen vom 14. September mit über 20% (6.995 von 35.753 Stimmen) im Kreis Habelschwerdt zweitstärkste Kraft nach dem Zentrum, mit gleichfalls gut 20% (7.630 von 36.259 Stimmen) im Kreis Glatz drittstärkste Kraft nach dem Zentrum und der SPD und blieb nur im Kreis Neurode mit gut 10% (3.696 von 28.771 Stimmen) gleichwohl drittstärkste Partei nur knapp vor der KPD58. In der Zusammenschau der Wahlergebnisse auf Kreisebene fällt der gewaltige Zuwachs ins Auge, den die Nationalsozialisten in den Juli- und Novemberwahlen 1932 verbuchen konnten. Von 30% im Kreis Glatz (12.471 von 40.345 Stimmen) reichte der Erfolg im Juli bis auf fast 40% im Kreis Habelschwerdt (12.143 von 38.647 Stimmen), während der im Juli 1932 noch selbständige Kreis Neurode nur 20% NSDAPWähler (7.335 von 30.912) aufwies. Nach dem allgemeinen Rückgang der NSDAP-Wähler im November 1932 konsolidierte sich der Zuspruch für die Nationalsozialisten im März 1933 auf ein Drittel (26.594 von 79.738 Stimmen) im Kreis Glatz und auf mehr als 50% (15.912 von 29.178) im Kreis Habelschwerdt. Auffällig ist hierbei, dass die NSDAP nicht im industrialisierten Nordwesten, sondern gerade im weitgehend agrarisch geprägten Kreis Habelschwerdt enorme Zugewinne zu verzeichnen hatte, die letztlich den Reichsdurchschnitt überstiegen. Schenkt man einer Selbstdarstellung der Anfänge der Partei in der Grafschaft von 1937 Glauben, so lag dies daran, dass eben die Keimzelle der Parteiarbeit in dem zum Kreis Habelschwerdt gehörenden Kurort Bad Landeck lag und die Agitation in den Dörfern der Umgebung wie beispielsweise in Konradswalde, Voigtsdorf, Kunzendorf, Schönfeld usw. besonders eifrig betrieben wurde59. Während Sozialdemokraten und Kommunisten in den nicht industriell geprägten Kommunen zu vernachlässigende Größen blieben, konnten sie sich im Altkreis Neurode auf vergleichsweise hohem Niveau halten. Ganz offensichtlich wirkte die „linke“ Tradition im Bergarbeitermilieu doch stärker nach als man gemeinhin vermuten würde, wenn man bedenkt, dass etwa im Neuroder Kohlenrevier von der politischen Rechten schwierig Fuß zu fassen war. Jedenfalls war in Ludwigsdorf erst am 6. Februar 1932 eine NSDAP-Ortsgruppe 56 Vgl. Herzig/Ruchniewicz: Geschichte des Glatzer Landes (wie Anm. 7), S. 271f. 57 Vgl. Die Chronik der katholischen Stadtpfarrkirche zu Glatz (wie Anm. 10), S. 266. Eintrag v. 25.10.1929. 58 Vgl. zu diesen und den folgenden Angaben Statistik des Deutschen Reichs (wie Anm. 38). 59 Vgl. Grenzwacht Nr. 30 u. 31/1937 (wie Anm. 55).

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gegründet worden. Bei den Juli-Wahlen 1932 erzielten die Nationalsozialisten dort schon 16,4% der Stimmen, während die KPD 22,4% auf sich verbuchte. Wenn die NSDAP dennoch in der gesamten Grafschaft am 5. März 1933 auf 43,9% der Wählerstimmen kam, womit sie exakt dem Reichsdurchschnitt entsprach, aber deutlich über den meisten katholischen Regionen lag, ist dies dem überaus hohen Zuspruch von 55% im Kreis Habelschwerdt zuzuschreiben. Die Ursache mag in der insbesondere in kleinen Orten in Grenznähe geschürten Angst vor einer Angliederung an die Tschechoslowakei ebenso gesehen werden wie in der Tatsache, dass SPD und KPD im agrarischen Milieu angesichts der sozialen Not eben nur in sehr geringem Maße als Rettungsanker gesehen wurden. Der NS-Gauleiter von Schlesien, Helmuth Brückner60, konnte deshalb unter Verweis auf die Mehrheitsentscheidung der Wähler personelle Konsequenzen anmahnen, wenn er den Habelschwerdter Landrat Dr. Alfred Poppe „als eifriger Zentrumsmann in diesem Grenzkreis [als] unhaltbar im Sinne unserer Staatspolitik“61 bezeichnete. Immerhin hatten 15.900 Wähler in diesem Kreis den Nationalsozialisten ihre Stimme gegeben. Das wären fast doppelt so viele Kreuze wie für die Zentrumspartei, für die nur 8.215 Wähler votierten. Sein Amt verlor Landrat Poppe hingegen – ebenso wie der gleichfalls dem Zentrum angehörende Landrat von Glatz, Dr. Franz Peucker – erst im September 193362. In den Grafschafter Industriezonen hingegen absorbierten bis zum Ende der Demokratie die linken Parteien einen erklecklichen Anteil des Unzufriedenheitspotentials der Wählerschaft. Weiteren Impetus gab natürlich das Erleben des 30. Januar 1933 als eines historischen Tages. So schrieb ein Grafschafter in seinen Memoiren: „Dieser erste Abend im Dritten Reich hat meine Frau und mich in unsern politischen Anschauungen vollständig gewandelt. Alle Antipathie, die wir gegen Hitler und seine Bewegung empfunden hatten, wurde weggeschwemmt von einer ungeheuren Woge gefühlsmäßiger Begeisterung. Dies hier war das Rechte, das Gute, das Schöne, und Adolf Hitler war der von der Vorsehung gesandte Mann, Deutschland, das heilige Vaterland, aus seinem tiefen Verfall zu retten und zu neuer, unerhörter Macht und Herrlichkeit zu führen“63. Diese pathetischen Worte sind zwar von einem Protestanten aufge60 Zu Brückner (1896-1954), von 1925 bis 1934 Gauleiter, dann wegen seiner Homosexualität abgesetzt, vgl. Helmut Neubach: Helmuth Brückner. Gauleiter von Schlesien 1925-1934. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-WilhelmsUniversität zu Breslau, Bd. XXXVIII/XXXIX (1997/1998), S. 783-798. 61 Brückner an den Staatssekretär im preußischen Innenministerium Ludwig Grauert v. 20.6.1933. In: GStAPK Rep. 77 Nr. 155 Bd. 4 Bl. 228. Zit. nach Neubach: Die Ausschaltung der Zentrumspartei 1933 (wie Anm. 8), S. 93. 62 Vgl. Vossische Zeitung v. 2.9.1933. 63 Volker Issmer: Als „Mitläufer“ (Kategorie IV) entnazifiziert. Die Memoiren meines Vaters, Münster 2001, S. 219. Das folg. Zit. ebd., S. 225.

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schrieben worden, der aus gutbürgerlichem Haus in Mittelwalde stammend, im Studium gescheitert war und zudem den Bezug zu seiner Kirche verloren hatte, aber sie können stellvertretend auch für manche von ihrer Kirche entfremdeten Katholiken gelten. „Unser Inneres war ein religiöses Vakuum geworden, in das die neue Heilslehre des Nationalsozialismus hineinstürzte und es bald völlig ausfüllte und durchdrang“, resümierte er in der Retrospektive über seine Beweggründe, auf den Nationalsozialismus zu setzen, der ihm als Kreisleiter der NSV Lohn und Brot versprach. Ein ausschlaggebendes Argument für den großen Erfolg der Nationalsozialisten in der Grafschaft Glatz stellt schließlich die gestiegene Wahlbeteiligung dar. 1928 hatte der Stadtpfarrer in Glatz das schlechte Abschneiden des Zentrums nicht zuletzt auf eine allgemeine Wahlmüdigkeit zurückgeführt64. So stieg die Wahlbeteiligung im Kreis Glatz von 74% (1928) auf 83,3% (Juli 1932) und schließlich sogar auf 87,1% (1933). 1930 war es gelungen im Kreis Neurode 82,1% der Wahlberechtigten zu mobilisieren, im Kreis Glatz immerhin 79,8% und im Kreis Habelschwerdt 79,4%65: Im Vergleich zu den benachbarten niederschlesischen Kreisen, welche allesamt die 85%-Marke, teilweise sogar die 90%-Marke überschritten, blieben aber immer noch viele Wähler den Urnen fern. Trotz Steigerung lagen Glatz mit 83,3% und Habelschwerdt mit 78,8% im Juli 1932 weiterhin am unteren Ende der Skala hinsichtlich der Wahlbeteiligung unter den Kreisen des Wahlkreises Breslau. Nach einem Rückgang bei den Novemberwahlen 1932 nahmen an der Reichstagswahl vom 5. März 1933 in der Stadt Glatz 95%, im Landkreis immerhin 87,1% der Wahlberechtigten teil66. Im Kreis Habelschwerdt waren 1928 sogar weniger als zwei Drittel der Wahlberechtigten zu den Urnen gegangen (65,5% und damit die schlechteste Wahlbeteiligung unter den Kreisen des Regierungsbezirks Breslau), während sich dieses Ergebnis über 78,8% (Juli 1932) auf 83,4% (1933) steigerte.

3. DIE SOZIOÖKONOMISCHE STRUKTUR Im Klerus sah man in der Arbeitslosigkeit ein großes Problem: Pfarrer Dr. Franz Monse67 von Glatz registrierte an einem Augusttag 1930 37 Bittsteller an

64 Vgl. Die Chronik der katholischen Stadtpfarrkirche zu Glatz (wie Anm. 10), S. 233. Eintrag v. 21.5.1933. 65 Zur Wahlbeteiligung vgl. die Angaben in: Statistik des Deutschen Reichs (wie Anm. 38), Bd. 372,I, u. Bd. 434. 66 Vgl. Herzig/Ruchniewicz: Geschichte des Glatzer Landes (wie Anm. 7), S. 276. 67 Zu Monse (1882-1962), seit 1921 Stadtpfarrer in Glatz, seit 1938 zugleich Großdechant und Generalvikar, vgl. Michael Hirschfeld: Prälat Franz Monse (1882-

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der Pfarrhaustür, „fast immer Mütter, Stellungslose, erbitterte Männer mit der verschämten Bitte um ein Almosen … Gott helfe uns, dass die nächste Reichstagswahl (14. September) nicht zu einer Katastrophe führt“68. Dieses Stoßgebet ist von der sicherlich lokal beschränkten Sicht auf die Stadt Glatz geprägt. Dabei war von der Wirtschaftskrise in besonderem Maße der Nordwesten der Grafschaft Glatz betroffen, dessen Struktur nahezu ausschließlich vom Kohlebergbau geprägt war. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Teilung Oberschlesiens war das ins benachbarte Waldenburger Land hineinreichende Revier drittgrößter deutscher Kohleproduzent geworden. Größter Arbeitgeber in der gesamten Grafschaft Glatz war die WenzeslausGrube in Ludwigsdorf-Mölke im Kreis Neurode. Dem in den 1920er Jahren prosperierenden Geschäft mit der Steinkohle – 4.600 Beschäftigte förderten (1928) 689.830 Tonnen Steinkohle – standen regelmäßige Kohlensäureausbrüche gegenüber. Auf der Rubengrube in Kohlendorf bei Neurode kam es im Juni 1931 zu einem solchen Kohlensäureausbruch, bei dem sieben Bergleute starben und vier Männer verletzt wurden69. Den traurigen Höhepunkt bildete aber der 9. Juli 1930, als im zur Wenzeslausgrube gehörenden Kurtschacht in Hausdorf 151 Bergleute bei dem bisher folgenschwersten Kohlensäureausbruch ums Leben kamen70. Bei der zentralen Trauerfeier übte der Pfarrer von Hausdorf vor 20.000 Menschen harsche Kritik an den niedrigen Löhnen der Bergarbeiterschaft im Neuroder Revier, die nur 55% der im Ruhrgebiet erzielten Löhne erhielten und 80% der im angrenzenden Waldenburger Revier verdienten Löhne71. Schon 1928 waren die Löhne im Segment Bergbau auf das Existenzminimum gesunken72. Obwohl Reichskanzler Brüning und Reichsarbeitsminister Adam Stegerwald durch Erscheinen am Unglücksort ihre Solidarität bekundeten, zog das Unglück nicht nur soziale Verwerfungen in den betroffenen Familien nach sich, sondern kulminierte in der Stilllegung der Wenzeslaus-Grube und des Kurtschachts in Hausdorf zum 1. Januar 1931. 2.582 Menschen waren mit einem Schlag arbeitslos, einschließlich ihrer Familienangehörigen waren 1962). Großdechant von Glatz (Arbeiten zur schlesischen Kirchengeschichte, Bd. 7), Sigmaringen 1997. 68 Die Chronik der katholischen Stadtpfarrkirche zu Glatz (wie Anm. 10), S. 282f. Eintrag v. 6.8.1930. 69 Vgl. Heinz Wittwer: Heimat Schlesien – Kunzendorf bei Neurode. Zur Chronik eines schlesischen Dorfes, o.O. o.J. (2001), S. 36f. 70 Vgl. Furchtbares Unglück auf dem Kurtschacht bei Hausdorf. In: Volksblatt für Stadt und Land Neurode, Nr. 56, 1930. Abgedruckt bei Herzig/Ruchniewicz: Im Herrgottsländchen (wie Anm. 1), S. 556-558. 71 Vgl. Wittwer, Kunzendorf (wie Anm. 61), S. 49. 72 Vgl. Joseph Wittig: Chronik der Stadt Neurode, Neurode 1937, S. 520.

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9.000 Menschen von staatlichen Fürsorgeleistungen abhängig geworden. In Ludwigsdorf sank die Einwohnerzahl aufgrund von Abwanderung innerhalb der folgenden zwei Jahre von 3.818 auf 3.70073. 1932 gab es dort nur noch 184 Arbeitnehmer, Landwirte und Beamte eingeschlossen, denen 518 arbeitslose Bergleute, 300 weitere Arbeitslose, meist Weberinnen und zahlreiche Invaliden, Witwen usw. gegenüberstanden. Die wirtschaftliche Monostruktur machte sich negativ bemerkbar. Große Frustration löste das Scheitern von lokalen Plänen aus, die Wenzeslausgrube weiter zu betreiben. Und zwar gründeten entlassene Bergleute mit finanzieller Unterstützung von Geschäftsleuten eine „Betriebsgemeinschaft“, die zunächst vergeblich in allen großen Zeitungen mit Inseraten um Unterstützung warb. Es kam zwar nicht zu Geschäftsplünderungen wie im Zuge der Inflation 1923 in Neurode, als der Landrat von aufgebrachten Menschen misshandelt und bei einer Schießerei am Landratsamt 14 Menschen getötet worden waren74, aber die Arbeitslosigkeit bedrückte die Menschen und ließ die Kriminalitätsrate ansteigen. Im Januar 1933 war in der Lokalpresse zu lesen, dass die 10.000er Marke bei der Arbeitslosenzahl in der Grafschaft überschritten sei75. Damit waren rund 20% der Gesamtbevölkerung hiervon betroffen. Selbst in einem gar nicht im Einzugsgebiet der Kohlengruben liegenden Dorf wie Oberschwedeldorf/Kreis Glatz erreichte die NSDAP bei den Juli- und Novemberwahlen 1932 jeweils 116 der 428 Stimmen, während das Zentrum von 248 auf 220 absank76. Und in der vom Dorflehrer geführten Chronik des 200 Einwohner zählenden Nauseney am Nordwestabhang der Heuscheuer hieß es Ende 1932: „Die Arbeitslosigkeit lastet schwer auf dem Dorfe. Bis jetzt sind allerdings noch mehr Arbeiter beschäftigt als zur gleichen Zeit des Vorjahres“77. Da der Ort über kein eigenes Wahllokal verfügte, konnte der Lehrer jedoch die Wahlergebnisse nur auf der Ebene des zuständigen Kirchspiels Passendorf, das 500 Einwohner besaß, vermerken. Über die Wahlen vom 5. März 1933 notierte er: „Das Zentrum und die Sozialdemokratie, die bisher etwa 90% der Stimmen erhielten, haben jedoch in Passendorf etwa 1/3, in Karlsberg fast die Hälfte aller Stimmen an die Nationalsozialisten abgeben müssen.“78 Damit wird deutlich, dass die wirtschaftliche Not nicht allein die Arbeiterschaft betraf. 73 Vgl. Völkel: Ludwigsdorf (wie Anm. 13), S. 187. 74 Vgl. hierzu Die Nachkriegskrise. Die blutigen Ereignisse in Neurode im August 1923. In: Herzig/Ruchniewicz: Im Herrgottsländchen (wie Anm. 1), S. 543-546. 75 Vgl. Glatzer Nachrichten v. 24.1.1933. 76 Vgl. Horst-Friedrich Rathsmann: Oberschwedeldorf seit 1269, Mettingen 1984, S. 24. 77 Ortschronik Nauseney/Scharfenberg (wie Anm. 12), S. 33. 78 Ebd., S. 34.

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Auf den Dörfern waren gerade auch die Landwirte überschuldet. Ein Grund lag darin, dass sie die Geschwister – und die Familien waren ja durchweg kinderreich – auszahlen mussten. Hinzu traten Ende der 1920er Jahre geballt Umweltkatastrophen: Das Pfingsthochwasser 1928 und extreme Minusgrade im Winter (im Februar 1929: -35 Grad Celsius), Trockenperioden im Sommer, ein Orkan im Oktober 1930, schließlich ein heftiges Sommergewitter im Juni 1932, welches die gesamte Ernte vernichtete. Aufrufe zu staatlichen Hilfeleistungen, wie etwa im März 1930 auf einer Jungbauernversammlung in Kunzendorf an der Biele beschlossen, blieben ungehört. In dieser Situation wurde die ökonomische Schere zwischen Landarbeitern und Gutsherrschaften einer größeren Öffentlichkeit besonders stark bewusst. Dass der Graf Magnis in Eckersdorf, einer der reichsten Grundherren der Region, Land für Siedlungszwecke abgegeben musste79, und Umschuldungsverfahren für Bauern initiiert wurden, bedeutete nur einen Tropfen auf den heißen Stein. Die Propaganda der Nationalsozialisten drang zudem bis in das kleinste Dorf. Im oben erwähnten Nauseney etwa waren bei den Märzwahlen 1933 die sechs Volksempfänger stark umlagert. Wie aus Passendorf überliefert ist, wurden anlässlich der Eröffnung des Reichstags am 21. März und zum Tag der Arbeit am 1. Mai 1933 auf den Anhöhen weithin leuchtende Freudenfeuer entzündet. In Ludwigsdorf nahm eine SA-Gruppe in Braunhemd und mit Hakenkreuzfahne am 1. Mai 1933 an der Messe teil. „Bei der … hl. Wandlung senkte man die Fahne, die SA kniete nieder und bekreuzigte sich“. Hier haben wir also auch vielfach Versuche die traditionale Werte verkörpernde Institution Kirche und die wirtschaftliche Prosperität versprechende Bewegung des Nationalsozialismus miteinander in Einklang zu bringen. Dass die Zustimmung zu Hitler bei den sog. Reichstagswahlen vom 12. November 1933 groß war, ist kein für diese Region spezifisches, sondern ein reichsweites Phänomen: Sichtlich beeindruckt notierte beispielsweise der Lehrer von Nauseney, dass außer zwei erkrankten Frauen alle wahlberechtigten Einwohner an der „Wahl“ teilgenommen hätten. „Bei dem schlechten, stürmischen, kalten Wetter (20 cm Neuschnee) ist das ein beachtliches Resultat“80. In Ludwigsdorf allerdings waren gleichzeitig bis zu 14 Polizisten im Einsatz, um im Vorfeld für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Dass hier dennoch 92% der Stimmen auf die Reichseinheitsliste entfielen, könnte auf Wahlfälschung hindeuten, zumal ja die Nationalsozialisten in den Industriedörfern des Nordwestens trotz der Versprechungen, die stillgelegten Gruben wieder zu eröffnen und 79 Vgl. Guido Groeger / Alexander Nitsche: Gruß aus Oberhannsdorf b. Glatz. Geschichte und Bilder eines Dorfes der Grafschaft Glatz in Schlesien, Münster 1994, S. 128. 80 Ortschronik Nauseney/Scharfenberg (wie Anm. 12), S. 35.

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den Kreis Neurode zu restituieren, nicht so recht auf Gegenliebe gestoßen waren. Andererseits ging der Aufstieg des Nationalsozialismus mit dem durchschlagenden Erfolg der „Betriebsgemeinschaft Wenzeslausgrube“ einher. Ende Juli 1933 hatte diese das stillgelegte Bergwerk gekauft und im März 1934 wurde es wieder eröffnet, ein deutlicher Erfolg, welcher der „nationalen Erhebung“ zugeschrieben wurde oder wie es in der kurze Zeit später erschienenen Stadtgeschichte hieß: „Neurode konnte wie kaum eine andere Stadt das nationalsozialistische Wollen auf die Probe stellen“81. 500 Menschen fanden hier wieder Arbeit. Dass der Aufschwung nur von kurzer Dauer sein sollte, weil die Grube 1939 bereits wieder schließen musste, konnte natürlich keiner ahnen.

FAZIT Hat man sich aus der gebührenden kritischen Distanz des Historikers auf die Suche nach den Grenzen des katholischen Milieus in der Grafschaft Glatz im Jahre 1933 begeben, so herrscht, selbst wenn hier nur einige Facetten der regionalen Entwicklung rund um Hitlers „Machtergreifung“ aufgezeigt werden konnten, Überraschung vor. Selbstverständlich blieb die kirchliche Bindung dieser tief katholisch geprägten Region im Osten des damaligen Deutschen Reiches äußerlich nahezu ungebrochen. Jedenfalls wurde sie so gleichsam durch den Filter der Vertreibung 1946 in den Westen transportiert und brach sich dort in einem auch mehr als 60 Jahre später noch immer lebendigen kirchlichen Gemeinschaftsleben Bahn. Aber die aus dieser vergleichsweise starken kirchlich-gesellschaftlichen Homogenität resultierende landläufige Meinung, die Grafschaft müsse am Ende der Weimarer Republik eine Bastion des Zentrums gewesen sein, so wie etwa das Emsland oder das Oldenburger Münsterland es waren, lässt sich so pauschal nicht aufrecht erhalten. Vielmehr zeigt sich bei näherer Prüfung ein wesentlich differenzierteres Bild der politischgesellschaftlichen Zustände im „Herrgottswinkel Deutschlands“ als gemeinhin angenommen. Weshalb zeigten sich die Brüche im Milieu gerade in der Grafschaft Glatz dezidierter als in manchen anderen homogen katholischen Regionen Deutschlands? Aus der Perspektive der gelungenen „nationalen Erhebung“ musste die Antwort lauten: „Sowohl Zentrum als auch Sozialdemokratie … hatten in den Jahren des unaufhaltsamen wirtschaftlichen Niedergangs die Ohnmacht ihrer Führerschaft erkannt, und selbst in diesen Kreisen regte sich die Hoffnung auf den Führer, der Deutschland retten könnte“82 Dass dieses zeitgenössische, von dem als Theologieprofessor in Breslau suspendierten und von seiner Kirche 81 Wittig: Neurode (wie Anm. 72), S. 525. 82 Ebd., S. 524.

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exkommunizierten Grafschafter Dichter Joseph Wittig stammende Erklärungsmuster keineswegs befriedigen kann, liegt auf der Hand. Nicht zuletzt, weil der zum minutiösen Beobachter der Zeitläufe in seiner Grafschafter Heimat gewordene Wittig wie viele andere Zeitgenossen nicht um den notwendigen Kotau vor dem NS-Regime herumkam. Um die Frage nach der hier für eine katholische Region vergleichsweise hohen Affinität zum Nationalsozialismus beantworten zu können, scheint es hilfreicher, das Muster der drei Typen katholischer Vergesellschaftung in Erinnerung zu rufen83. Von diesen Typen trifft für die Grafschaft Glatz wohl am ehesten die traditionale katholische Lebenswelt zu, die von der gegenreformatorischen Jesuitenfrömmigkeit des Barockzeitalters maßgeblich und nachhaltig bestimmt wurde. Die Alltagsfrömmigkeit war stark ritualisiert und auf die Person des Pfarrers und des in Erinnerung an das Wirken der Jesuiten „Pater“ gerufenen Kaplans zentriert. So langlebig diese Tradition sich erwies, so gering war die Chance des Verbandskatholizismus des 19. Jahrhunderts nennenswerten Einfluss im kirchlich-gesellschaftlichen Bereich zu gewinnen. Und dies, obwohl eine zumindest partielle Industrialisierung auf dem Sektor Bergbau stattfand, die allerdings keine echte Urbanisierung nach sich zog. Da zudem auch keine nennenswerte Migration von außerhalb erfolgte, sich das Arbeitskräftepotenzial also weitestgehend aus dem eigenen Kinderreichtum der Region rekrutierte, wandelten sich viele Orte im Bergbaugebiet um Neurode lediglich zu Industriedörfern. Ein katholisches Milieu, wie beispielsweise im Ruhrgebiet oder im Saarland, ist in einer solchen, sich nur subkutan transformierenden Gesellschaft wie auch in den weiterhin rein agrarisch geprägten, obwohl zunehmend vom Tourismus erschlossenen übrigen Teilen der Grafschaft im Kaiserreich gar nicht gebildet worden. Allenfalls ist es partiell ergänzend entstanden, ohne dass es letztlich die Oberhand über die bestehenden traditionalen Frömmigkeits- und Vergesellschaftungsformen gewann. Konkret bedeutet dies, dass natürlich Berufsvereine neueren Typs, wie Gesellenvereine (Kolping) und mancherorts auch katholische Arbeitervereine, Anklang fanden, aber dass diese weder innerhalb noch außerhalb des kirchlichen Binnenraumes keine so starke Rolle einnahmen, um auf soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit infolge wirtschaftlicher Unrentabilität der Kohlegruben bzw. Verschuldung der Bauern, Leben am Existenzminimum usw. direkt lindernd einzuwirken. Der Zentrumspartei hingegen fehlte es an charismatischen Köpfen, die Bindekraft vor Ort hätten entfalten können. Hinzu kam das Fehlen einer konfessionellen „Bedrohung“ aus der näheren Umgebung, da sowohl die angrenzenden Regionen Böhmens und Mährens in der Tschechoslowakei als auch das nördlich anschließende niederschlesische Gebiet um Frankenstein klar katholisch geprägt waren. 83 Vgl. AKKZG: Konfession und Clevages im 19. Jahrhundert (wie Anm. 9).

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Deshalb mutierte die traditionale katholische Lebenswelt der Grafschaft Glatz unter dem Mantel der Homogenität schleichend von einem monolithischen Block zu einer immer stärker segregierten Gesellschaft, eingeteilt in Reste vormodern-ländlicher Strukturen, kleinstädtische und industrielle Zonen, die sich auch gegenseitig beeinflussten, wobei alle Ebenen für eine politische Radikalisierung anfällig waren, zumal das Schreckensszenario der nach dem Ersten Weltkrieg drohenden tschechischen Annexion noch immer lebendig vor Augen stand. Zugunsten der Nationalsozialisten wirkten sich existenzielle und nationale Sorgen aber vornehmlich im kleinstädtischen und agrarischen Segment aus, während die Industriearbeiterschaft gespalten war. Sie sah ihren Heilsbringer neben Adolf Hitler in nicht geringen Teilen auch im Sozialismus oder gar Kommunismus. Gerade die vergleichsweise starke Propaganda der KPD mit ihrer kirchenfeindlichen und antiklerikalen Stoßrichtung musste vor der Folie des in der Sowjetunion zu Tage tretenden Kirchenhasses zudem dazu beitragen, dass vornehmlich Teile der allein im Sinne der ritualisierten Frömmigkeitspraktiken kirchlich verankerten, dabei aber nicht durch Mitgliedschaft in kirchlichen Vereinen gebundenen Bevölkerung in der NSDAP das kleinere Übel sahen. Hinzu traten die schon aus den 1920er Jahren herrührenden noch frischen Erfahrungen mit der durch die Popularität der linken Parteien bedingten Erosion der Kirchlichkeit. „Autoritätslosigkeit, Hetze, Verachtung der Obrigkeit! Beginnt schon der Bolschewismus? Die Linksradikalen (Bolschewisten) erstreben ihn, die Rechtsradikalen (Nazi) stehen diesem gegenüber unter Hitler, sind aber nicht frei von Irrlehren. In der Mitte, zwischen beiden, steht … der Pfarrer und überall der Klerus. Die Kirche wird zum Prellbock von rechts und links!“84, heißt es in einem zeitgenössischen Bericht, der die Ohnmacht des Klerus angesichts dieser Entwicklung deutlich zur Sprache bringt. Was aus heutiger Sicht lethargisch anmutet und zweifelsohne als Zeichen schwindenden gesellschaftlichen Einflusses des Katholizismus gedeutet werden muss, ist wohl nur aus der Zeit selbst heraus richtig zu verstehen. Heinz Hürten brachte das Empfinden vieler enttäuschter früherer Zentrumsanhänger so auf den Punkt: „Das Neue schon deshalb zu begrüßen, weil es das Elend des Bestehenden zu überwinden versprach, war die große Versuchung, der diese Generation zu widerstehen hatte“.85 Das geographisch betrachtete Hinterweltlerische (und zugleich auch Hinterwäldlerische) der Grafschaft Glatz, ja vielleicht gerade dieses retardierende Moment, das häufig an den Peripherien zu finden ist, hat die Bevölkerung dieser Region vor dem Widerstehen gegenüber dem Anschluss an die Moderne nicht vollkommen resistent machen können. Denn 84 Die Chronik der katholischen Stadtpfarrkirche zu Glatz (wie Anm. 10), S. 300. Eintrag v. 4.9.1931. 85 Heinz Hürten: Deutsche Katholiken 1918-1945, Paderborn u.a. 1992, S. 177.

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modern und fortschrittlich, das waren in zeitgenössischer Sicht in weiten Bevölkerungskreisen im Deutschen Reich damals allein die Nationalsozialisten. Dass sich gleichwohl bei allen im Umfeld des Jahres 1933 zutage tretenden „Grenzen des Milieus“ in den folgenden 12 Jahren des NS-Regimes viele Formen der Resistenz und auch des Widerstandes fanden, wird am sinnfälligsten im Tun und Handeln des 1942 im KZ Dachau umgekommenen Glatzer Priesters Gerhard Hirschfelder86, der im September 2010 selig gesprochen wurde. Aber das ist schon wieder ein anderes Kapitel der Geschichte der Grafschaft Glatz im Nationalsozialismus.

86 Vgl. Michael Hirschfeld: Art. Hirschfelder, Gerhard. In: BiographischBibliographisches Kirchenlexikon, Bd. XX (2002), Sp. 765-768, u. zuletzt Hugo Goeke: Gerhard Hirschfelder. Priester und Märtyrer. Ein Lebensbild mit Glaubensimpulsen für heutige Christen, Münster 2010.

EMSDETTEN UND NORDWALDE – ZWEI KATHOLISCHE DÖRFER IM MÜNSTERLAND VOR DEM ANSTURM DES NATIONALSOZIALISMUS

KLEMENS-AUGUST RECKER Stolz präsentieren Katholiken immer wieder die Reichstagswahlergebnisse vom 5. März 1933 als Zeichen der Geschlossenheit der katholischen Milieus gegenüber dem Nationalsozialismus. Man wird ihnen in der grundsätzlichen Aussage nicht widersprechen wollen. Katholiken haben reichsweit unterdurchschnittlich der NSDAP ihre Stimme gegeben. Dass es dabei aber recht unterschiedlich zuging, zeigen die beiden zu behandelnden katholischen Milieus von Emsdetten und Nordwalde. Beide Orte liegen in geringer Distanz unmittelbar benachbart, haben in ihrer Zugehörigkeit zum Bistum Münster eine gemeinsame Geschichte, bieten dennoch für katholische Gegenden im Kreis Steinfurt, in dem sie liegen, die jeweils niedrigste (Emsdetten: 10,9%) bzw. die jeweils höchste (Nordwalde: 39,7%) Zustimmung zur NSDAP bei der Kreisverordnetenwahl am 12. März 1933.1 Die Frage nach den Ursachen dieses unterschiedlichen Grades an Geschlossenheit gegenüber der NSDAP liegt nahe. Untersucht werden im Folgenden die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen, die Milieupublizistik sowie die kirchliche Präsenz angesichts des NS-Aufstiegs und die Werbestrategie dieser Partei.

1.

GESELLSCHAFTLICHE UND POLITISCHE BEDINGUNGEN INFOLGE DER INDUSTRIALISIERUNG

Durch die Industrialisierung erfuhr das Münsterland grundlegende Veränderungen in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht. Dies gilt auch für die hier in Rede stehenden beiden katholischen Milieus von Emsdetten und Nordwalde. Es bildete sich eine mittelständische Textilindustrie heraus, die die historisch überkommene agrarisch-kleingewerbliche Dorfstruktur ablöste und die beiden Orte zu Industriedörfern unterschiedlicher Intensität machte.2 Die Textilunternehmer entstammten dem eigenen Ort oder den Nachbarorten 1

Hans-Walter Pries: Die „Machtergreifung“ im Kreis Steinfurt. In: Unser Kreis 1988. Jahrbuch für den Kreis Steinfurt, hrsg. vom Kreis Steinfurt und dem Kreisheimatbund Steinfurt, Emsdetten 1988, S. 136,

2

Willi Colmer: Emsdetten. Ortsgeschichte vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, hrsg. vom Heimatbund Emsdetten, Emsdetten 2003, S. 340ff. (Im Folgenden: Colmer).

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des Münsterlandes und entwuchsen somit den gemeinsamen religiöskulturellen Traditionen. Diese bestimmten auch das vergleichsweise harmonische Verhältnis von Unternehmerschaft und Textilarbeitern. Da es hier keine Übergangskrise gab, hatte die Industrialisierung kein Elend in der Bevölkerung zur Folge.3 Das Ergebnis war eine vergleichsweise zufriedene Arbeiterschaft. Der klassenkämpferisch-revolutionäre Gedanke eines antagonistischen Gegensatzes von Kapital und Arbeit kam so nicht auf oder fiel auch nicht auf fruchtbaren Boden.4 Eher orientierte man sich an der katholischen Soziallehre, die in der Enzyklika „Rerum novarum“ Leos XIII. aus dem Jahre 1891 die Partnerschaft von Kapital und Arbeit verlangte. Dementsprechend hatten Sozialismus und sozialistisch orientierte Konzepte in beiden Milieus keine Entfaltungsmöglichkeiten. Während daher die christlichen Gewerkschaften in beiden Orten präsent waren und die Interessen der Textilarbeiterschaft vertraten, blieben alle Aktivitäten der freien Gewerkschaften ohne Resonanz in der Bevölkerung. Unterschiedlich waren die Folgen der Industrialisierung für die Bevölkerungsentwicklung, die Erwerbstätigkeit und den sozialen Aufbau der Einwohnerschaft. Emsdetten war von diesem Prozess tiefer ergriffen als Nordwalde. Die Bevölkerung Emsdettens verdoppelte sich durch die Zuwanderung von 5.225 (1886) auf 10.674 (1910).5 Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hatte die Arbeiterschaft von 10,5% (1886) auf 23,8% (1910) zugenommen.6 1933 wuchs sie einschließlich der Handwerkerschaft auf 69,2% an. Der Dienstleistungsbereich nahm 1933 etwa 13% ein. Wie überall im Reich verringerte sich die Erwerbstätigenquote in der Landwirtschaft drastisch. Im Jahre 1933 war sie mit ca. 19 % an der Gesamtbevölkerung vertreten. Der Hauptteil der Wählerschaft in Emsdetten war also im Vergleich zu anderen Orten im Kreis Steinfurt und dem Münsterland besonders dem zweiten und dritten Wirtschaftssektor zugehörig und hatte damit Anteil an der Modernisierung, die durch die Industrialisierung hervorgerufen wurde. Demgegenüber nahm die Bevölkerungszahl in Nordwalde vornehmlich durch den Geburtenüberschuss zu. Es gelang dem Ort nicht, zusätzliche Arbeitskräfte dauerhaft an sich zu binden.7 Das Milieu blieb daher vergleichsweise geschlossen und wurde vor dem Zweiten Weltkrieg durch Zugang kaum 3

Für Emsdetten: Colmer, S.342; Dies gilt für das ganze westfälische Münsterland.

4

Karl Hüser: Mit Gott für unser Recht. Ein Beitrag zur Geschichte der Gewerkschaftsbewegung im Münsterland, Emsdetten 1978, S. 39 (Im Folgenden: Hüser).

5

Colmer, S. 341.

6

Und zum Folgenden: Colmer, S. 341, 456 mit Rückgriff auf Barbara Wenkers: Die Entwicklung der Stadt Emsdetten seit Beginn der Industrialisierung, Examensarbeit, Emsdetten 1985, S. 80.

7

Gemeindearchiv Nordwalde (im weiteren GAN), A557.

178 KLEMENS-AUGUST RECKER verändert. Nordwalde hatte einschließlich aller Bauernschaften im Jahre 1928 eine Bevölkerung von 3.929 Personen,8 während Emsdetten 13.297 Einwohner im Jahre 1925 zählte.9 Die Bevölkerung umfasste in den Bauernschaften Suttorf (663), Kirchbauerschaft (238), Feldbauerschaft (691), Scheddebrock (421) und Westerode (418) 2.431 Personen, die aus dem Dorf Nordwalde 1.498.10 Der mit der Landwirtschaft verbundene Anteil der Bevölkerung stellte gegenüber den jeweils im zweiten und dritten Sektor Beschäftigten eine Mehrheit dar. Bevölkerungszahl und Erwerbstätigkeit unterschieden sich erheblich von denen Emsdettens, das im Sinne der historischen Entwicklungen einer industriell basierten Wirtschaft moderner und leistungsfähiger, während Nordwalde durch seinen hohen landwirtschaftlichen Anteil an der Bevölkerung von ca. 50% noch sehr stark agrarisch strukturiert war. Der sekundäre Sektor betrug ca. 42% und der tertiäre ca. 8%.11 Das Milieu in Nordwalde war zu Beginn der dreißiger Jahre dörflich strukturiert und traditional12 geprägt. Nicht nur im Bereich der Erwerbstätigkeit und des sozialen Aufbaus der Gemeindebevölkerung blieb Nordwalde traditional, sondern auch auf der politischen Ebene – insbesondere in der Parteipolitik. Am 29. Januar 1919 wurde das Dreiklassenwahlrecht in Preußen durch ein neues Wahlrecht abgeschafft. In der Folge stimmte man in geheimer, gleicher, unmittelbarer, allgemeiner und freier Wahl ab. Auch Frauen erhielten das Wahlrecht. Das Gesetz bestimmte darüber hinaus, dass nach Listen abgestimmt werden müsse.13 Am 9. Februar 1919 ordnete die Gemeindevertretung von Nordwalde an, dass auf kommunaler Ebene nach berufsständischen Listen gewählt werde.14 Die politische Elite von der Landwirtschaft bis in Kreise der Textilindustrie und der Mittelstand waren an einer parteiendemokratischen Entwicklung nicht interessiert, wie die Kandidatenaufstellung von 1919 und der Gemeindevertretungsbeschluss vom 9. Februar 1919 zeigen. Die berufsständische Ordnung, Modell aus der katholischen Tradition, bot die Folie, an der man sich orientierte und nach der man wählte. Sie war Organisationsmodell eines Wahlbündnisses der traditionellen Eliten aus Landwirtschaft, Industrie und dem Mittelstand. Nur so glaubte man in Nordwalde, sich den Einfluss ge8

GAN A 35, A555.

9

Stadtarchiv Emsdetten (im weiteren STAE), 1034; http://www.verwaltungs geschichte.de/steinfurt.html (16.11.2009).

10 GAN, A555. 11 GAN, A557. 12 Im Folgenden verwenden wir dafür auch den Begriff „vormodern“. 13 RGBl I (1919), S. 123. 14 GAN, A85.

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genüber den unteren Schichten sichern zu können.15 Da sich die unteren Schichten nicht repräsentiert fühlten, organisierten diese bei den Wahlen des Jahres 1924 die sogenannte Christliche Wirtschaftspartei. Sie vertrat nicht etwa, wie der Name nahelegt, die Wirtschaftsinteressen, sondern die Interessen der Arbeiter und auch Kötter. Allerdings hatte sie mit immerhin 30% keine Chancen. Das Wahlbündnis erhielt demgegenüber 70% Zustimmung. Diese Wahl zeigt, dass selbst die christlichen Gewerkschaften in Nordwalde keine Möglichkeit hatten, das Wahlbündnis zugunsten einer demokratischen Parteienorientierung aufzubrechen. Zwar wählte man nach den neuen Bestimmungen der Weimarer Republik, aber eben nicht im Sinne einer sich herausbildenden parteiendemokratischen Perspektive der parlamentarischen Demokratie. Damit blieb Nordwalde auf der kommunalen Ebene von einer demokratischen Entwicklung entfernt, wie sie in der Aufklärung theoretisch formuliert wurde und sich seit der amerikanischen und französischen Revolution herausgebildet hatte. Tiefgreifender als in Nordwalde veränderte sich aber die politische Ebene des Milieus von Emsdetten. Dies gilt insbesondere für die parteipolitische Grundlegung. Emsdetten setzte auf eine parteiendemokratische Orientierung von Beginn der Weimarer Republik an.16 Für sie galt das gleiche Wahlrecht wie in Nordwalde, dennoch wählten sie nach Parteilisten. Zwar stellten sich zu allen Wahlen nicht immer alle in Emsdetten vertretenen Parteien und zu den Kommunalwahlen vom 12. März 1933 trat eine parteifreie Liste für „Mittelständler, Unternehmer und Freiberufler mit konservativer politischer Haltung“ an,17 dennoch wurde die Parteienorientierung dadurch nicht grundsätzlich beeinträchtigt. Den Parteien in Emsdetten war es also möglich, eine stabile Parteienkultur zu entwickeln. Emsdetten befand sich damit im Gegensatz zu Nordwalde im Einklang mit der demokratischen Entwicklung der Moderne und konnte dem Wahlvolk eine klare Alternative zur NSDAP zu Beginn der 1930er Jahre bieten.

2.

MILIEUPUBLIZISTIK UND PARTEIPOLITISCHE PRÄFERENZEN DER BEVÖLKERUNG WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

In Emsdetten las man die Emsdettener Volkszeitung, in Nordwalde den Münsterischen Anzeiger. Beide Presseorgane standen dem Zentrum nahe. In der Reichspolitik fuhren sie einen ähnlichen Kurs, stellten sich gegen den Kapp15 Vgl. dazu die Gemeindewahlen von 1924: GAN A72. 16 StAE, 1556; Franz Rudolf Menne: Geschichte Emsdettens 1933-1988, Emsdetten 1988, S. 18 ( Im Folgenden: Menne); Hüser, S. 89, 95. 17 Menne, S. 18.

180 KLEMENS-AUGUST RECKER Putsch, die DNVP und auch die SPD und KPD. In der Außenpolitik stützten sie den Kurs des Ausgleichs mit den ehemaligen Siegermächten. Beide Zeitungen verbanden in ihrer Ablehnung Rechts- und Linksextremismus. Die Gefahren von rechts und links waren nun keine Chimäre einiger Redakteure und Kommentatoren der Zeit, sondern eine reale Gefahr. Diesem Problem stellte sich auch der Windthorstbund – in der katholischen Jugend Emsdettens stark vertreten.18 Vor dem Hintergrund der Bedrohung der Republik berichtete die Emsdettener Volkszeitung daher ausführlich von der 4. Reichstagung des Windthorstbundes in Glatz von Anfang August 1924. Ging es bei dieser Tagung doch um die Frage des Schutzes der Republik: „Was machen wir mit und aus dem neuen Staate, aus unserer Wirrwarr-Republik? Wie schützen wir sie gegen Revolution und Reaktion?“19 Ausführlich zitiert die Emsdettener Volkszeitung den Generalsekretär des Windthorstbundes Dr. Krone. Er hatte die Diskussion nach den Ausführungen der Zeitung mit folgenden Worten zusammengefasst: „Wir lehnen die völkischen Verbände ab, weil sie antikatholisch und antireligiös sind. … weil wir nicht mit ihnen übereinstimmen in dem Begriff ‚Vaterland’, weil sie die Vergötterung des Staates wollen, die dem Christentum widerstrebt und weil sie staatspolitisch gesehen unsere Gegner sind und einen starken antidemokratischen Zug haben. … In diesem Sinne … stehen viele von uns mit anderen, von denen wir weltanschaulich getrennt sind, im Reichsbanner SchwarzRot-Gold. Sollten wir Ihnen das verbieten?“ Man hatte für die Tagung keinen Entschließungsantrag formuliert, aber die Tendenz war klar. Man rief ein Hoch auf die Republik aus. In der Kulturpolitik orientierte sich das Milieu an der katholischen Kirche. Der politische Katholizismus durchdrang die Emsdettener Bevölkerung, genährt von einem aktiv gelebten Katholizismus. Trotz Absplitterungstendenzen an den Rändern zogen alle Milieustabilisatoren politisch „an einem Strick“ zu Gunsten des Zentrums und der Weimarer Demokratie. Die Emsdettener Volkszeitung blieb ihrer Linie auch im Zusammenhang des Volksbegehrens über den Young-Plan am 22. Dezember 1929 treu. Angestrebt wurde es bekanntlich von der DNVP, der NSDAP und dem Stahlhelm, den tragenden Kräften der Harzburger Front von 1931. Unterstützt wurden sie vom Alldeutschen Verband. Sie gründeten im Juli 1929 den „Reichsausschuß für das Volksbegehren gegen den Young-Plan“. Dem Volk wurde ein so genanntes Freiheitsgesetz vorgelegt. Der Volksentscheid scheiterte, da nur 13,8% der Wähler ihm zugestimmt hatten. 50% hätten es sein müssen. In Emsdetten war das Ergebnis noch kläglicher. Von 8.265 stimmberechtigten Wählern hatten gerade einmal 27 – mithin 0,32% – für den Entscheid gestimmt. Die Emsdettener Volkszeitung hatte nur Spott für Hugenberg übrig. Sie kennzeichnete ihn 18 Hüser, S. 102. 19 Emsdettener Volkszeitung (im weiteren EV) v. 7. 8. 1924.

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als „Arminius II.“, der sich als „Befreier Deutschlands“ geriere. „Der Spuk ist verflogen!“, so schreibt die Zeitung, „Hugenberg hat jetzt ausgegeistert, und es wird ihm wohl für die Zukunft nichts anderes übrig bleiben, als sich in den nationalsozialistischen Schmollwinkel zurückzuziehen. … Die deutsche Demokratie aber wird ihren mühseligen Weg des Aufstieges weitergehen. Wenn man daran denkt, welche Lasten ihr nicht nur das Ausland, sondern auch eine nationalsozialistische Opposition in ihren jungen Jahren aufgebürdet haben und wie sie damit fertig wird, dann wird man wirklich nicht bestreiten können, dass sie tief im Volk verwurzelt ist. … Die Niederlage Hugenbergs ist eklatant. Arminius II. wurde zum Varus II.“20 Stärker und entschiedener noch als die Emsdettener Volkszeitung präsentierte sich der Münsterische Anzeiger direkt als Teil der Zentrumspresse. Dies war Grundprinzip der Zeitung bis zum Ende der Weimarer Republik 1933. Nicht nur stützte sie die Verfassungsordnung Weimars, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie, 21 sondern warb auch anlässlich aller acht Reichstagswahlen innerhalb der Wählerschaft direkt für die Zustimmung zu dieser Partei. So heißt es am 4. Juni 1920 in der Schlagzeile auf Seite 1: „Noch zwei Tage bis zur Wahl!“. Im Untertitel: „Wahltag-Schicksalstag! Es geht ums Ganze! Noch zwei Tage, dann wird der Stimmzettel für die Zentrumspartei abgegeben.“22 Nicht nur für die Zentrumspartei setzte man sich ein, sondern auch gegen die Sozialdemokratie. Die Zeitung fragte etwa am 17. Januar 1919 vor den Wahlen zur Nationalversammlung: „Kann ein gläubiger Christ einen Sozialdemokraten wählen?“ Selbstverständlich lautete die Antwort: „Niemals, wenn er seine höchsten Ideale nicht gefährden will.“23 Der Autor sah die SPD im Schlepptau der USPD. Das Zentrum erschien als stabilisierender Faktor in den Wirren der Revolution, als einzige Partei, die sich für die Kirche und das Christentum einsetze.24 Heftig griff die Zeitung 1924 die DNVP an: „Keiner hat die Autorität des Staates mehr untergraben als die Deutschnationalen, die nichts Wichtigeres zu tun hatten als die Rasse zu verherrlichen und den Gedanken Macht ohne Recht und gegen das Recht zu vergöttern.“25 Der Anzeiger wandte sich damit zugleich gegen den Rassismus und gegen ein staatliches Machtmonopol, das sich nicht mehr auf rechtsstaatliche Prinzipien stützte. Wählertäuschung warf er 20 EV v. 23. 12. 1929. 21 Münsterischer Anzeiger (im weiteren MA) v. 14. 3. 1920, 3. 5. 1924, 6. 9. 1930, 13. 9. 1930. 22 MA v. 4. 6. 1920. 23 MA v. 17. 1. 1919. 24 MA v. 4. 5. 1924. 25 MA v. 3. 5. 1924.

182 KLEMENS-AUGUST RECKER der Partei Hugenbergs vor, wie folgende Schlagzeile deutlich macht: „Taktische Manöver. Wie die deutschnationale Wählerschaft getäuscht wird.“26 Die Katholiken in der DNVP seien Irregeleitete, da Hugenberg sie nur für seine Parteiinteressen nutze, ohne sie in deren ureigenen Interessen als Katholiken zur Kenntnis zu nehmen.27 Wegen der Zugehörigkeit von Katholiken zur DNVP war diese Partei für das Zentrum potentiell eine Gefahr. Auf der Rechten erfuhren insbesondere die Nationalsozialisten klare Ablehnung. Breit wurden die diktatorischen Tendenzen der NSDAP am Beispiel einer Denkschrift des Reichsinnenministeriums dem Leser ausgebreitet. Die Partei wolle den „gewaltsamen Umsturz“, sie sei eine „geschlossene, militärisch disziplinierte Kampftruppe“. Weiter heißt es dann: „Soweit sich die Nationalsozialisten am parlamentarischen Staatsleben beteiligen, geschehe es zu dem ausgesprochenen Zweck, den Staat und seine Machtmittel von innen heraus zu unterwühlen, um den Generalangriff durch Schwächung der inneren Widerstandskraft des Staates zu erleichtern.“28 Beide Zeitungen, sowohl die Emsdettener Volkszeitung wie der Münsterische Anzeiger, verteidigten Demokratie und Rechtsstaat und stellten sich gegen die Großmachtträume der Rechtsparteien. Während die Nordwalder auf Gemeindeebene keine Parteien, sondern berufsständische Listen wählten, stimmten sie auf Reichsebene, die ihnen nur in der Form der Parteien geboten wurde, im Wesentlichen mit den Forderungen der Zeitung nach Wahl der Zentrumspartei überein. Allerdings fielen die Zustimmungswerte für das Zentrum von 83% im Jahre 1924 auf 68,7% im Jahre 1930. In den beiden Wahlen von 1924 und 1928 wuchs der Wähleranteil der DNVP von 4,63% auf 7,9%. 1930 fiel sie auf 2,9% und verlor massiv Wählerstimmen an die NSDAP, die in diesem Jahr 12,1% der Wählerstimmen gewann, nachdem sie noch 1928 nur 0,12% erringen konnte. SPD und KPD blieben Splitterparteien. Deutlich antisemitische Parteien wie die Deutsch-soziale Partei, der völkisch-soziale Block, die nationalsozialistische Freiheitspartei, enteigneter Mittelstand und die NS-Handwerker hatten eine Wählerschaft geringer als Splitterparteien.29 Wie in Emsdetten sammelt die NSDAP ab 1930 auch in Nordwalde diese Klientel. Noch 1929 gab es keinen ausgesprochenen Rechtstrend in der Bevölkerung, wie das Abstimmungsergebnis anlässlich des Young-Plans zeigt. Von 2.292 Stimmberechtigten votierten insgesamt nur 12 mit Ja, einer mit Nein und eine war ungültig. Lediglich 14 Stimmberechtigte hatten überhaupt teilgenommen. Das waren 0,52% Ja-Stimmen.30 Anhand der 26 MA v. 9. 9. 1930. 27 MA v. 25. 8. 1930. 28 MA v. 6. 9. 1930. 29 GAN A35. 30 GAN A19.

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Reichstagswahlen ist eine deutliche Absplitterung nachweisbar zugunsten der NSDAP.31 Die fehlende Modernität der politischen und gesellschaftlichen Strukturen des Nordwalder Milieus begünstigte sowohl in gesellschaftlicher als auch in erwerbsmäßiger und politischer Hinsicht in der Wirtschaftskrise ab 1930 die Hinwendung zur NSDAP. Die Wirtschaftskrise wurde zum Katalysator für die NSDAP. Was die politische Situation in Emsdetten angeht, so zeigen diese Jahre ebenso Anzeichen einer Aufsplitterung des Milieus über die Folgen des Ersten Weltkriegs hinaus trotz aller Versuche der Milieuträger, das katholische Milieu zu stabilisieren. Sie offenbaren sich in der Arbeiterschaft und deren Wahl der christlich-sozialen Volksgemeinschaft bzw. der christlich-sozialen Reichspartei.32 Die christlich-soziale Volksgemeinschaft war eine linkskatholische Absplitterung von der Zentrumspartei im Rheinland, Westfalen und im Emsland. Sie konnte zunächst in Emsdetten erhebliche Einbrüche in die Zentrumswählerschaft vermelden. Bei den Wahlen vom 4. Mai 1924 errang die christlichsoziale Volksgemeinschaft 29,3%, während das Zentrum selbst nur noch 54,6% der Wählerschaft auf sich vereinigen konnte.33 An diesem Ergebnis ist bemerkenswert, dass sich ein erheblicher Teil der Zentrumswähler aus der Arbeiterschaft vom linken politischen Spektrum angezogen fühlte, ohne aber tatsächlich SPD oder KPD zu wählen. Daran hinderte sie die Bindung an die katholische Kirche. Bei den folgenden Wahlen ging die Zahl der Wähler dieser Partei in Emsdetten wieder zurück. Am 7. Dezember 1924 errang sie als christlichsoziale Reichspartei immerhin noch 14,8% der Stimmen, 1928 nur noch 3% und 1930 0,26%.34 Dass sie sich nicht bei der KPD sammelten, verdeutlichen die Wahlergebnisse der KPD. Diese Partei erhielt im Jahre 1924 465 Stimmen und 1928 nur noch 105. Erst 1930 konnte sie wieder 459 Stimmen auf sich vereinigen. Zudem stabilisierte sich das Zentrum bei den Folgewahlen wieder. Es gewann am 7. Dezember 1924 64,8% der Stimmen, 1928 76,9%, 1930 77,1% und I/1932 73,9%.35 Gegen die christlich-soziale Volksgemeinschaft polemisierte die Emsdettener Volkszeitung, indem sie diese Absplitterung als „Zentrumsseparatisten“, als „Eigenbrötlerpartei“ kennzeichnete und sie einer vernichtenden Kritik unterzog.36 In den bäuerlichen Bevölkerungsgruppen fanden sich 1928 21 und beispielsweise 1932 31 Stimmen für die Landvolkpartei. 31 GAN A35. 32 http://de.wikipedia.org/wiki/Christlich-Soziale_Reichspartei (2. 12. 2009). 33 Stadtarchiv Emsdetten (StAE) 1034. 34 http://de.wikipedia.org/wiki/Christlich-Soziale_Reichspartei (2. 12. 2009); StAE 1034. 35 StAE 1034. 36 EV v. 20. 8. 1924.

184 KLEMENS-AUGUST RECKER Auch in dieser Wählerklientel lassen sich also Absplitterungen von der vorherrschenden Zentrumsorientierung des Milieus erkennen. Ausgesprochen antisemitische Parteien wie etwa die Deutsch-soziale Partei erreichten im Jahre 1924 eine Stimmenzahl, die im unteren zweistelligen Bereich liegt, aber kaum Splitterparteienniveau erreicht. Dieses Gesamtbild ändert sich auch dann nicht, wenn man die völkisch-soziale Partei/völkisch-nationaler Block und die nationalsozialistische Freiheitspartei einbezieht.37 Erst den Nationalsozialisten gelang eine größere Zustimmung. Insgesamt zeigt sich trotz Absplitterung an den Rändern eine erstaunliche Stabilität der Wählerklientel der Zentrumspartei in Emsdetten. Am Beginn der dreißiger Jahre war der weit überwiegende Teil des Milieus in Emsdetten bei aller parteipolitischen und gesellschaftlichen Mobilität politisch festgezurrt mit eindeutigen Positionen für die Weimarer Demokratie und das Zentrum, gegen jegliche Staatsomnipotenz, für die Unterstützung der Republik, für eine christlich geformte Politik und Gesellschaft im Sinne der Zentrumspartei gegen eine „Klassenherrschaft“ mit marxistischer Gesellschaftsanalyse, für Verfassungstreue und damit verbundenem Rechtsbewusstsein. Die ausgeprägte demokratische Parteienkultur auf Gemeindeebene hatte im Laufe der Weimarer Republik eine relative Festigkeit zugunsten des Zentrums geschaffen, die im Gegensatz zur politischen Situation von Nordwalde stand: Modernität, orientiert an der parlamentarischen Demokratie, versus traditional-vormoderner Ordnung, orientiert am berufsständischen Modell des Einheitsgedankens. Beide Konzepte hatten sich vor dem Ansturm der Nationalsozialisten in der Weltwirtschaftskrise zu bewähren.

3.

WIRTSCHAFTSKRISE UND DIE POLITISCHEN MODELLE VON EMSDETTEN UND NORDWALDE

Die Wirtschaftskrise nach 1929 traf beide Orte gleichermaßen. Immer schon hatte die Münsterländer Textilindustrie mit wirtschaftlichen Krisen zu tun. Im Oktober 1928 litt sie unter der Aussperrung von 200.000 Arbeitern im Ruhrgebiet. Dies führte im gesamten Münsterland zu erheblicher Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit in der Textilarbeiterschaft. Die Arbeitslosenunterstützung war nicht sehr großzügig ausgebaut und das Kurzarbeitergeld reichte nicht zum Überleben.38 Die Reaktion der Unternehmer, in dieser Situation Lohnkürzungen vorzunehmen, verschärfte die Lage der Arbeiterschaft zusätzlich. Der Haushaltsausschuss des Rates von Emsdetten beurteilte die Lage am 11. Mai 1932 äußerst pessimistisch: „Wenn die wirtschaftl(ichen) Verhältnisse in der Gemeinde sich nicht baldigst bessern, ist mit einer absoluten Lebensunmöglichkeit der 37 StAE 1034. 38 Hüser, S. 197f. Anlage 11.

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Gemeinde in nicht zu ferner Zeit zu rechnen.“39 Ende August 1932 hatte die Gemeinde 1.173 Arbeitslose und im Februar 1933 insgesamt noch 707. Damit hatte Emsdetten im Jahre 1932 die höchste Arbeitslosigkeit im Kreis Steinfurt.40 Allerdings konnte man sie bis zu den Wahlen am 5. März 1933 um 40% senken. Die Krise ging auch an den öffentlichen Haushalten nicht spurlos vorüber, wie der obige Bericht vorträgt. Die Gewerbesteuer brach nach 1928 ein, obwohl man den Hebesatz von 400 auf 500% angehoben hatte, die Lohnsummensteuer fiel ab 1930 weit hinter die Einnahmen von 1929 zurück.41 Die Grundsteuer brachte nur deshalb höhere Erträge, weil sie 1929 um 20% angehoben worden war. In der Krise ging die Wirtschaftstätigkeit der Textilunternehmen auch in Nordwalde zurück. Die Auftragslage war ungünstig. Die Ortsgruppe der christlichen Gewerkschaften schrieb am 6. März 1930 an die Gemeindevertretung von Nordwalde: „Die Lage der Nordwalder Textilindustrie ist weiter schlecht. … Aussicht für eine bessere Beschäftigung der Betriebe besteht zur Zeit nicht.“42 Kurzarbeit bestimmte das Geschehen in den Fabriken. Armut und Aussichtslosigkeit herrschten in der Arbeiterschaft vor. Daher bat die Gewerkschaft die Gemeindevertreter um „Unterstützung der verheirateten Arbeiter“ und um „Mittel für eine Aufbesserung des Einkommens dieser Arbeiter“ – selbstverständlich bei entsprechender gemeinnütziger Gegenleistung. Wie Emsdetten hatte die Gemeinde ihrerseits erhebliche Einbußen etwa bei der Gewerbeertragssteuer. Von 1928 bis 1930 fiel sie um 40% von 21.532,55 RM auf 12.946,73 RM, obwohl der Hebesatz von 325% auf 450% angehoben worden war.43 Wenngleich die wirtschaftliche Lage der Großbauern in der Agrarkrise noch erträglich war, gestaltete sich die Situation der Kleinbauern bedrohlich, insbesondere die der Kötter und Pächter. Sie waren in ihrer Existenz gefährdet.44 Überbrückungsgelder zahlte der Staat im Jahre 1932 an solche Betriebe, die in ihrer Existenz gefährdet waren. Die jeweiligen Begründungen für die Notwendigkeit des Erhalts der Unterstützung zeigen, dass die kleineren Bauern, Pächter oder auch Kötter kaum mehr in der Lage waren, ihre Familien zu ernähren.45

39 Zit. nach Menne, S. 39. 40 GAN A302, A303. 41 Menne, S. 56ff. 42 GAN A294. 43 GAN A166. 44 GAN A500. 45 GAN A500.

186 KLEMENS-AUGUST RECKER Die Bevölkerung der beiden Orte hatte mithin erheblich unter der Weltwirtschaftskrise zu leiden. Angesichts dieses Befundes aber sind die Wahlergebnisse von 1928 bis 1933 für Emsdetten bemerkenswert. Man hätte mit einem Umschwung zugunsten der radikalen Parteien von KPD und NSDAP rechnen können, mit größeren Einbrüchen beim Zentrum. Dies aber geschah nicht. Die Wahlergebnisse des Zentrums verringerten sich zwar von 77,1% im Jahre 1930 auf 69,8% im Jahre 1933. Es blieb aber die weitaus am stärksten in der Wählerschaft vertretene Partei, ihre Wählerschaft, in absoluten Zahlen gemessen, im Wesentlichen konstant: 5.482 (9/1930), 5.707 (7/1932), 5.024 (11/1932), 5.688 (3/1933).46 Der Einbruch bei der Novemberwahl konnte in der März-Wahl 1933 wieder wettgemacht werden. Die Zentrumspartei vermochte ihre führende Rolle in Emsdetten klar zu behaupten. Die KPD konnte in der Krise des Jahres 1932 bei der Wahl am 6. November ihre Stimmenanteile erheblich steigern auf sogar 18,7% (1.403). Möglicherweise sprachen sich auch Teile der Arbeiterschaft, die ansonsten das Zentrum wählten, in dieser Krise für die KPD aus. In den nicht mehr zweifellos freien Wahlen vom 5. März 1933 errang die KPD trotz aller Behinderungen immerhin noch 8,6% (706) der Stimmen, die NSDAP stieg von 3,1% (224) im Jahre 1930 auf 11,1% (911) im Jahre 1933. Die NSDAP blieb von 1928 bis 1932 in Emsdetten eine Splitterpartei, die für den selbstständigen Mittelstand, aus dem sich ansonsten die Mitgliedschaft der NSDAP rekrutierte und der als Leitfigur diente, nicht attraktiv war. Davon zeugt auch die NSDAP-Liste zur Kommunalwahl vom 12. März 1933. Außer dem NS-bekannten Ludger Lüke fand sich niemand, der im Emsdettener Milieu Bedeutung hatte.47 Die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot konnte 1933 für die DNVP 7,1% (578) gewinnen. Bei den akklamatorischen Volksabstimmungen in der NS-Zeit ist noch ein beachtenswertes Ergebnis festzustellen. Die Abstimmung vom 19. August 1934 brachte 3.211 Nein-Stimmen (35,25%) bei 5.518 Ja-Stimmen (60,59%).48 Es zeigt, wie wenig man noch 1934 mit der Hitlerherrschaft in Emsdetten einverstanden war. Die kontinuierlichen, politisch immer gleich gerichteten Stabilisatoren verhinderten zwar keine Absplitterungen am Rande, wohl aber einen erheblichen Einbruch der politischen Identität des Emsdettener Milieus zugunsten der NSDAP durch die Wirtschaftskrise. Wie sollten etwa Kaufleute sich der Partei anschließen, wenn das Milieu weitgehend am politischen Katholizismus orientiert war? Man hätte – und das in der Wirtschaftskrise – mit zusätzlichen Einkommensverlusten rechnen müssen. 46 StAE 1034. 47 StAE 1556; Die NS-Gemeinderatsliste bestand aus folgenden Personen: Eisenwarenhändler Ludger Lüke, Schlichter Fritz Wisner, Tischlermeister (kriegsbeschädigt) Anton Blettrup, kaufmännischer Angestellter Arendt Ravenberg und der Arbeiter Anton Ahaus. 48 StAE 1034.

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Die Reichstagswahlergebnisse spiegeln die wirtschaftliche Entwicklung während der Krise auch in Nordwalde wider.49 Konnte die NSDAP in Nordwalde 1928 nur 0,12% der Stimmen auf sich vereinigen, so steigerte sie im Laufe der Krise ihre Anteile von 12,1% (1930) über 15,9% (Juli 1932) und 17,6% (November 1932) auf 37,7% am 5. März 1933.50 Das war ein kometenhafter Anstieg in dem kleinen katholischen Ort im Münsterland. Die NSDAP von Nordwalde sah sich schon als „Hochburg des Nationalsozialismus“.51 Parallel dazu verlor das Zentrum an Zustimmung. 1928 erhielt es noch 75,9% aller Stimmen, 1930 68,4%, Juli 1932 68,7%. Im November 1932 sank es geringfügig auf 67,6% und musste am 5. März 1933 eine erhebliche Schlappe einstecken. Es erhielt nur noch 53,3%. Man muss einen kontinuierlichen Rückgang der Zahl ihrer Wähler feststellen. Die absoluten Zahlen geben auch Auskunft über die Herkunft der NSDAP-Wähler 1933.52 Das Zentrum konnte sich am 5. März 1933 knapp auf dem Niveau vom November 1932 halten. Den größten Einbruch erlitt es aber bei den Wahlen im Jahre 1932. Juli 1932 vereinigte es noch 1.422 Stimmen auf sich, während sie im November 1932 nur noch 1.168 Stimmen erhielt. Die Zentrumspartei verlor also 254 (17,8%) Stimmen an die Nichtwählerschaft, aus dem sich einschließlich des Mittelstandes und der Bauern dann bei den Märzwahlen 1933 die Wählerschaft der NSDAP in Nordwalde rekrutierte. Dementsprechend verloren die Mittelstandsparteien und die bäuerlich ausgerichteten Parteien wie z. B. das Landvolk. Das Zentrum hatte also keine oder nur geringe unmittelbare Verluste zugunsten der NSDAP zu verzeichnen. Erst über die Aktivierung der Nichtwählerschaft im März 1933 gelangten traditionelle Zentrumswähler zur Unterstützung der NSDAP. Das katholische Milieu vermochte mithin seine Identität in Nordwalde ab November 1932 nicht in dem Maße zu halten, wie dies etwa in Emsdetten geschah. Eine Analyse der Gemeindeverordnetenwahlen von 1929 und 1933 macht die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe sichtbar, die diese Prozesse bestimmten.53 Im Gegensatz zu den Gemeindewahlen von 1929, in denen man in Nordwalde nur eine Einheitsliste auflegte, für die insgesamt neun Personen stimmten, hatte man für die Wahlen am 12. März 1933 insgesamt fünf Wahllisten veröffentlicht. Die NSDAP bot mit der Liste „HitlerBewegung“ eine Parteiliste. Die NSDAP präsentierte sich in Nordwalde als mittelständische Integrationspartei. Insbesondere litten auch Gastwirte unter 49 Und zum Folgenden: GAN A35. 50 Ab 1930 wurde auch Reckenfeld dem Wahlbezirk Nordwalde I zugerechnet. Reckenfeld umfasste im Durchschnitt bei den Wahlen ca. 350 Stimmberechtigte. 51 National-Zeitung (NZ) v. 9. 4. 1933. 52 GAN A35. 53 Und zum Folgenden: GAN A73.

188 KLEMENS-AUGUST RECKER der Krise. Sie waren auf der Liste „Hitler-Bewegung“ in größerer Zahl vertreten. Arbeitslosigkeit, Rückgang der Wirtschaftstätigkeit wirkten sich direkt auf ihren Geldbeutel aus. Zur Not konnte man in der Krise auf den Besuch einer Gaststätte verzichten, nicht aber etwa auf Brot. In diesem Sinne bedrängte sie eine elastische Nachfrage. Im Gegensatz zur Arbeiterschaft wurden die Gastwirte in Nordwalde zwar nicht arbeitslos, mussten aber mit erheblichen finanziellen Einbußen rechnen.54 Darüber hinaus gab es eine Landwirtschaftsliste, eine Mittelstandsliste, eine Liste „Arbeiter, Unternehmer, Angestellte, Beamte“ und eine Liste „Kötter, Pächter und Arbeitslose“. Um zu verhindern, dass die NSDAP mit diesem Konzept stärker in das Lager des Wahlbündnisses eingriff, löste es sich beim Listenangebot auf und präsentierte jeweils eine eigene Liste bei den Kommunalwahlen vom 12. März 1933. Der Verzicht auf eine Einheitsliste zeigt, dass die Eliten von Nordwalde mit der gewohnten Liste dem Ansturm der NSDAP sich nicht gewappnet glaubten. Das Bündnis Landwirtschaft, Industrie und Mittelstand hoffte auf diese Weise die NSDAP bei den Wahlen zu schwächen und die eigene Macht zu erhalten. Das Politikkonzept von Nordwalde war 1933 an sein Ende gekommen. Eine parteiorientierte Perspektive aber lag nicht vor, weil sie wegen der inneren Widersprüche niemals zur Diskussion gestanden hatte, geschweige denn realisiert worden wäre. Vergleicht man die Wahlergebnisse der Reichstagswahlen (37,7%) mit dem der Gemeindevertretungswahlen (26,5%) in Nordwalde, so scheint diese Eindämmungsstrategie gewissen Erfolg gehabt zu haben, konnte aber die NSDAP nicht auf ein Niveau zurückdrängen, wie es in Emsdetten geschah. Die Wirtschaftskrise mobilisierte in Nordwalde insbesondere den Mittelstand und die Bauern zugunsten der NSDAP. Pfarrer Dünnewald bestätigt in der Pfarrchronik diese Feststellung, wenn er das Wahlergebnis vom 5. März 1933 in Nordwalde mit den Worten kommentiert: „Selbst Bürger u(nd) Bauern haben sich von den Nazis betören lassen.“55 Mögliche Stabilisatoren gegen die Nationalsozialisten und für die Weimarer Republik sowie das Zentrum konnten sich wegen der vergleichsweise vormodernen Strukturen in Nordwalde nicht in nötiger Weise auswirken. Unter dem Einheitsgedanken sammelte sich die neu gewählte Gemeindevertretung in ihrer ersten Sitzung am 7. April 1933 sogleich hinter Adolf Hitler und ernannte ihn und Hindenburg zu Ehrenbürgern von Nordwalde, obwohl eine Ehrenbürgerschaft im Gemeinderecht nicht vorgesehen war.56 Im August 1933 mussten alle nichtnationalsozialistischen Mitglieder der Gemeindevertretung diese verlassen. Damit hatten die traditionellen Eliten von Nordwalde ihre Macht verloren, die sie unbedingt erhalten wollten. Die partei54 GAN A166. 55 Pfarrchronik St. Dionysius Nordwalde, S. 21f. 56 GAN B12.

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politische, an der parlamentarischen Demokratie orientierte politische Entwicklung in Emsdetten erwies sich als resistenter als der berufsständisch orientierte Weg der Nordwalder Elite.

4.

WERBESTRATEGIE DER NSDAP IM GENANNTEN GEBIET BIS ZUM JAHRE 1933

Die jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in Nordwalde und Emsdetten waren eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg bzw. Misserfolg der Nationalsozialisten. Die Milieuanalyse zeigt, dass Emsdetten bei den Wahlen der zwanziger und dreißiger Jahre bei allen Randerscheinungen eine hohe Resistenz gegenüber der NSDAP bewies. Dementsprechend kamen die ersten Agitatoren nicht aus dem Milieu, sondern von außerhalb. Es handelte sich um die Pg. Reimpell aus Osnabrück sowie Pg. Scheunemann und Pg. Dankbar aus Wettringen. In der Wirtschaftskrise unterstützte auch die Nordwalder NSDAP die Agitation in Emsdetten. Im Milieu fand man lediglich den Schlosser und Eisenwarenhändler Ludger Lüke, der am 18. Juli 1932 Stützpunktleiter einer NSDAP-Gruppe in Emsdetten wurde.57 Wegen dieser vergleichsweise hohen Resistenz konnte die NSDAP im Milieu selbst keine bedeutenden Leitfiguren rekrutieren. Die NSDAP-Vertreter waren eher unbekannt. Eine grundlegende Änderung des Milieus und seiner wesentlichen Träger wurde erst im Prozess der Gleichschaltung teilweise erreicht. Während die Werbung in Emsdetten also kaum Früchte trug, war die NSDAP-Nordwalde äußerst aktiv und geschickt. Am 30. Oktober des Jahres 1929 fand, auch von außen durch Vertreter der Ortsgruppe Rheine organisiert, die erste nationalsozialistische Versammlung mit dem Pg. Bolwin-Münster als Redner vor 150 Zuhörern im Saale der Krone statt.58 Er sprach zum Thema „Staatspleite auf allen Gebieten! Warum?“59 Damit lag er im Trend der NSStrategie, die demokratischen Kräfte durch den Vorwurf von Korruption und Vetternwirtschaft vor der Wählerschaft zu desavouieren. Die Nationalsozialisten erschienen so als die bessere Alternative – vor allem nachhaltig und uneigennützig dem Wohle des Volkes dienend und nicht den eigenen Taschen. Die ersten Nationalsozialisten Nordwaldes kamen zu einem beträchtlichen Teil aus der Junggesellen-Dreifaltigkeitsbruderschaft, da der NSDAP-Mitgliedergrundstock vergleichsweise jung war und im Dorf wohnte. Alle 18jährigen Jugendli57 Menne, S. 15. 58 Und zum Folgenden: Tagebuch für Ortsgeschichte, verfasst von Bürgermeister Scheele, Bd. I, II, III, V, VI, VII, VIII, hier: II, S. 145 (Im Folgenden: Scheele I, II, III, V, VI, VII, VIII); Bd. IV ist nicht überliefert; GAN A374. 59 GAN A374.

190 KLEMENS-AUGUST RECKER chen in Nordwalde wurden automatisch Mitglied in der Dreifaltigkeitsbruderschaft. Die ersten NS-Mitglieder waren 1930 gerade einmal 32 Jahre alt.60 Dass sie sich geistig von der Bruderschaft entfernt hatten, belegt ihr Fernbleiben bei den Sitzungen.61 Die besondere Bindung der Dreifaltigkeitsbruderschaft an die Kirche hatte sie nicht davor bewahrt, sich den Nationalsozialisten zuzuwenden. Diese Mitglieder waren jung, dynamisch, aggressiv. Entsprechende Werbung durfte daher auch im Jahre 1931 auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise nicht fehlen. Am 10. April fand eine öffentliche Versammlung statt. Das Thema lautete: „Zwischen Sein und Nichtsein! Deutscher, entscheide dich!“62 Damit heizte die NSDAP die politische Atmosphäre in Nordwalde an. Obwohl es dort keine Juden gab, untersagte man ihnen den Zutritt zum Saal.63 Dieses Verbot hatte keine öffentlichen Reaktionen der Bevölkerung Nordwaldes zur Folge, die überliefert sind, weder der Zustimmung noch der Ablehnung. Diese Frage spielte in der Bevölkerung überhaupt keine Rolle. Von Nordwalde aus ging es nach Emsdetten, Borghorst, Horstmar, Altenberge, Laer und Holthausen.64 Nordwalde war neben Burgsteinfurt und Rheine gleichsam ein Zentrum der NS-Bewegung im Kreis Steinfurt. Die Nationalsozialisten in Nordwalde hielten sich also nicht zurück, sondern warben offensiv „mit allen Mitteln in Wort und Schrift“ für die NSDAP. Es „zeigte sich in den steigenden Wahlziffern“, so heißt es in einem Zeitungsausschnitt aus dem Tagebuch Scheeles, „dass die Arbeit und Propaganda für die Bewegung nicht umsonst gewesen war.“65 Es war eine vernetzte Wirklichkeit, wie man heute sagen würde. Neueren technischen Entwicklungen gegenüber gaben sie sich aufgeschlossen.66 So dokumentierten sie der Öffentlichkeit in Nordwalde, dass Anhänger der NSDAP keine Hinterwäldler waren, sondern an der wirtschaftlichen und technischen Spitze des Landes standen. Ein wesentlicher Zug nationalsozialistischer Herrschaft überhaupt wird hier sichtbar. Eine solche technische Modernität kennzeichnete sie bei gleichzeitiger entschiedener Bekämpfung der Aufklärungstradition und ihrer Hinwendung zu Elementen der Romantik.67 60 Auskunft Standesamt Nordwalde (31.1.2011). 61 Chronik der Junggesellen Dreifaltigkeits Bruderschaft zu Nordwalde, Abrechnungen 1924-1933. 62 GAN A374. 63 GAN A374. 64 Scheele II, S. 145. 65 Scheele II, S. 145. 66 Karl-Heinz Stening: 400 Jahre Schützenbruderschaft der Feldbauernschaft Nordwalde. Festbuch zum Bruderschaftsjubiläum. Die Schützenbruderschaft und die Feldbauernschaft in Wort und Bild, Nordwalde 1994, S. 166. 67 Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre, München 2007, S. 348-369.

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Dem Wahlbefund vom 5. März 1933 entsprach die Entwicklung der Teilnehmerzahlen an Veranstaltungen der Parteien im Jahre 1932.68 Es tagten lediglich Zentrum, NSDAP und einmal die DNVP. Am 20. April hatte eine Versammlung der NSDAP vor lediglich 65 Teilnehmern stattgefunden, am 22. April eine der Zentrumspartei. An dieser Kundgebung nahmen nach amtlichen Angaben 350-400 Personen teil. Beeindruckend ist diese hohe Zahl. Sie zeigt gegenüber der NSDAP ein deutliches Übergewicht der Zustimmung zur Zentrumspartei in der Einwohnerschaft Nordwaldes. Die Zahlen belegen, dass diese Partei ihren Kampf um die Stimmen der Wähler im Jahre 1932 gegenüber den Konkurrenten nicht verloren geben musste. Im Sommer, am 29. Juli, fanden eine Veranstaltung der NSDAP mit 100 Teilnehmern und eine der DNVP am 26. Juli mit 50 Personen statt. Erst im Oktober 1932 trafen sich sowohl die NSDAP als auch die Zentrumspartei wieder zu je einer Zusammenkunft. Die NSDAP konnte am 23. Oktober nur noch 30 Personen anlocken, das Zentrum 180. Es hatte seine Teilnehmerzahlen gegenüber dem Frühjahr halbiert, die NSDAP gegenüber dem Sommer gedrittelt. Die Zentrumspartei veranstaltete keine weiteren Versammlungen, die NSDAP lud zum 1. November kurz vor den Novemberwahlen des Jahres 1932 noch einmal zu einer Kundgebung ein. Nunmehr konnte sie 150 Personen im Saal versammeln. Im Vergleich zur NSDAP zeigte sich das Zentrum in seiner Werbestrategie eher hausbacken und zurückhaltend, die NSDAP dynamisch und aggressiv. Das jugendliche Alter der NSDAP-Mitglieder machte sich bemerkbar. Die fehlenden Aktionen des Zentrums im Sommer sind besonderen Bedingungen der dominanten landwirtschaftlichen Tätigkeit geschuldet. Man hatte im Sommer schlicht keine Zeit, solche Werbekampagnen durchzuführen. Außerdem war die politische Struktur Nordwaldes, vom Einheitsgedanken geprägt, wenig geeignet, kämpferische Auseinandersetzungen um Wählerstimmen zu führen. Die Grenzen des politischen Kampfes in einem agrarisch strukturierten, vormodernen Milieu werden deutlich. Erschwerend kam hinzu, dass der Bürgermeister seit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler dessen politisches Spektrum unterstützte. Die NSDAP-Nordwalde war und fühlte sich dem Einheitsgedanken der Gemeindevertretung nicht verpflichtet. Konsequenter und nachhaltiger hatte sie daher für sich werben können. Ein Beispiel für diese werbende Dynamik war auch der geplante Umzug von 50 SA-Männern aus Rheine, Wettringen, Borghorst, Burgsteinfurt und Nordwalder SA-Leuten am 23. Oktober 1932 in Nordwalde „von der Wirtschaft Diepenbrock durch den Ort Nordwalde zum Sportplatz bei Brunsmann“ mit Übungen auf dem Sportplatz. Dort wird „exerziert und marschiert wie üblich“, wie es im Bericht des Bürgermeisters an den Landrat

68 Und zum Folgenden: GAN A374.

192 KLEMENS-AUGUST RECKER heißt.69 Der Marsch wurde verboten, da derartige Veranstaltungen unter freiem Himmel nach Entscheid des Innenministeriums vom 18. Juli 1932 untersagt waren. Die Tätigkeiten auf dem Sportplatz aber fanden statt. Über den Zweck der Veranstaltung berichtete der Bürgermeister an den Landrat: „Der ganze Aufmarsch soll natürlich Propaganda für die Nationalsozialistische Partei machen.“ Diesem Treiben der NSDAP stand das Zentrum hilflos gegenüber. Deren Werbestrategien zeigen, wie sehr das Milieu von Nordwalde der jugendlichen Aggressivität der frühen NS-Mitglieder ausgesetzt war bzw. die Umstände den Erfolg der Nationalsozialisten vor Ort begünstigten.

5.

BISCHÖFLICHE WARNUNGEN VOR DER NSDAP UND IHRE UMSETZUNG VOR ORT

Da es sich bei dem Milieu in Nordwalde um ein katholisches Milieu handelte, müssen die bischöflichen Erklärungen gegen den Nationalsozialismus in diesem Zusammenhang ebenso Erwähnung finden. Schon Mitte der zwanziger Jahre hatten die Bischöfe vor den vaterländischen Verbänden gewarnt. Mit dem Anwachsen der NSDAP nach 1930 kam in der katholischen Kirche die Frage auf, ob Katholiken eine Mitgliedschaft in der NSDAP und ihr angegliederten Verbänden erlaubt sei.70 Auf Anregung des Konferenzvorsitzenden Kardinal Bertram kamen am 14. Februar 1931 „pastorale Winke“ zustande, die von allen Bischöfen geteilt wurden.71 Veröffentlicht in den kirchlichen Amtsblättern waren sie als Richtschnur des Verhaltens der Geistlichen in den Gemeinden gedacht. In den „Winken“ heißt es: „Der Nationalsozialismus enthält in seinem kulturpolitischen Programm Irrlehren, weil er darin wesentliche Lehrpunkte des katholischen Glaubens ablehnt oder falsch auffasst, und weil er nach der Erklärung seiner Führer eine neue Weltanschauung an die Stelle des christlichen Glaubens stellt.“ Die Bischöfe lehnten den wertenden Rassismus der Nationalsozialisten und den „Radikalismus des nationalen Gedankens“ – also den Nationalismus – ab. Einen Monat später, am 5. März 1931, verfasste der Episkopat der Kölner Kirchenprovinz, zu denen auch das Bistum Münster gehörte, eine „Kundgebung“ an alle Gläubigen, die inhaltlich den „Winken“ Bertrams

69 GAN A374. 70 Zur Diskussion um diese Frage im Episkopat: Klemens-August Recker: „Wem wollt ihr glauben?“ Bischof Berning im Dritten Reich, Paderborn 21998, S. 29-37 (Im Folgenden: Recker). 71 Und zum Folgenden: Bernhard Stasiewski (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945 (VKZG A, 5), hier: Bd. I: 1933-1934, Mainz 1968, S. 809-811 (Im Folgenden: Stasiewski I).

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193

entsprach.72 In einer weiteren Erklärung der Fuldaer Bischofskonferenz wurde den Katholiken die Mitgliedschaft in der NSDAP von den Bischöfen untersagt.73 Pfarrer Dünnewald überbrachte diese Anweisungen in Gottesdiensten und Gesprächen pflichtgemäß der Gemeinde. So erfuhren auch die Mitglieder des Kirchenvorstandes der katholischen Gemeinde von Nordwalde von der bischöflichen Ablehnung des Nationalsozialismus. Niemand aus diesem Gremium hatte sich vor 1933 und 1933 bei den Nationalsozialisten engagiert.74 Im Nordwalder Milieu war die Wirksamkeit der Kirche vor Ort durch die Biografie und den Gesundheitszustand des katholischen Pfarrers beeinträchtigt. Pfarrer Dünnewald in Nordwalde, ein eher introvertierter Geistlicher, war kränklich und wenig weltverbunden. Von ihm wird gesagt, er sei „in dieser stürmischen Zeit in Nordwalde wohl nicht der richtige Mann“ gewesen.75 Bürgermeister Scheele schreibt in sein Tagebuch: „Der Tod des Herrn Johannes Dünnewald hat alle Eingesessenen stark ergriffen. Er war ein Pastor, der für die Ausschmückung der Kirche, für die Seelsorge viel geleistet hat. Mit dem Volke war er nicht so sehr verwachsen, dies lag an seiner früheren Tätigkeit (Gymnasialprofessor) und seiner langwierigen Krankheit.“76 Er verstarb am 28. Juli 1933. Ob Dünnewald unter anderen persönlichen Umständen tatsächlich viel gegen die Nationalsozialisten hätte ausrichten können, steht auf einem anderen Blatt. Gegenüber dem Pfarrer setzte das katholische Milieu von Nordwalde durchaus eigene Akzente. Es begann in der Weimarer Zeit zu zersplittern. Die Heterogenität der sozialen Entwicklung etwa im Bereich der Landwirtschaft spielte dabei eine Rolle. Da wegen der traditional bestimmten Bedingungen in der gesellschaftlichen und politischen Struktur Nordwaldes keine durchschlagenden Widerstandskräfte gegen die Wahl der Nationalsozialisten 1933 in Nordwalde ausgebildet waren, hätten die warnenden Stimmen in der katholischen Kirche zur Verhinderung der Nationalsozialisten stärker Berücksichtigung finden müssen. Zwar gelang dies in unmittelbar mit der Kirche verbundenen Kreisen wie etwa den Mitgliedern des Kirchenvorstandes, aber bei einem Drittel der Wählerschaft, die sich gegen die bischöflichen Erklärungen für die NSDAP entschieden hatten, eben nicht. Dazu trug die spezifische Lage der katholischen Kirche vor Ort bei. Zu bedenken ist, dass auch kirchliche Vereine – nicht nur in Nordwalde – als Folge der Wirtschaftskrise ein politisches Bewusstsein entwi-

72 Stasiewski I, S. 814-818. 73 Stasiewski I, S. 832ff., S. 843. 74 Pfarrchronik St. Dionysius Nordwalde. 75 Gespräch mit Karl-Heinz Stening, Altenberge, am 5. 3. 2010. 76 Scheele II, S. 9.

194 KLEMENS-AUGUST RECKER ckelten, an das die Nationalsozialisten anknüpfen konnten.77 Allerdings war es weder inhaltlich gleich noch umfasste es eine Zielperspektive, die mit der der Nationalsozialisten identisch war. Im Sinne Nipperdeys handelte es sich um „partielle Kontinuität“ aus der gemeinsamen deutschen Geschichte heraus.78 Hier wäre auch die berufsständische Ordnung zu nennen, die, als Sozialreform konzipiert, die Folie für die traditionale politische Ordnung in Nordwalde bot. Selbstverständlich wurden auch in Emsdetten die Bischöflichen Erklärungen gegen den Nationalsozialismus den Gläubigen in Kanzelverkündigungen zur Kenntnis gebracht. Pastor Albert Gülker, der in dem genannten Zeitraum Pfarrer von St. Pankratius in Emsdetten war, beließ es aber nicht dabei. Aktiv griff er in das Vereinswesen zur Mobilisierung der Jugendlichen gegen die Nationalsozialisten ein. Er leitete am 7. Juli 1932 eine Zusammenkunft der Vorstände aller katholischen Vereine Emsdettens zum Zwecke der Bildung eines „Ringes der katholischen Vereine“. Ihm ging es um „eine bessere Fühlung unter den einzelnen Vereinsvorständen, die wiederum leichter einheitliche Aktionen bezüglich Vortragsveranstaltungen und Behandlung weltanschaulicher Fragen ermögliche“. Die Notwendigkeiten ergaben sich für die Versammelten aus den Zeitumständen. Auch die Frauenvereine bezog man in diesen Ring ein. Katholische Frauen waren also nicht nur für den Innenbereich des Hauses zuständig, sondern engagierten sich politisch mit den männlichen Vereinen aktiv gegen die NSDAP. Zu all dem regte man aus dem Kreis an, „am Stadion während des ‚Stempelns’ Flugblätter zu verteilen, um so der dort getriebenen Agitation wirkungsvoll entgegenzutreten.“79 Im Vergleich zu Nordwalde war das katholische Milieu Emsdettens weitaus moderner und offen für demokratische Erfordernisse der Weimarer Republik. Man stützte diese in Zusammenarbeit mit anderen politischen Kreisen – auch politischen Gegnern –, um die Nationalsozialisten zu verhindern, was dann ja auch weitgehend im Milieu gelang. Der Pfarrer hielt sich nicht zurück, sondern engagierte sich für die Demokratie und gegen die Nationalsozialisten bis in die praktische Vereinspolitik hinein. Die beiden Pfarrer vor Ort und die kirchlichen Vereine brachten mithin recht unterschiedliche Voraussetzungen des Kampfes gegen die anwachsende NSDAP ein.

77 Christoph Kösters: Katholische Verbände und moderne Gesellschaft. Organisationsgeschichte und Vereinskultur im Bistum Münster 1918 bis 1945, (VdKfZg, B 68), Paderborn 1995, S. 207f. 78 Thomas Nipperdey: 1933 und Kontinuität der deutschen Geschichte. In: HZ 227 (1978), S. 95f. 79 MA v. 10. 7. 1932.

EMSDETTEN UND NORDWALDE

6.

195

KIRCHE IM MILIEU UND NATIONALSOZIALISMUS AN DER MACHT

Im untersuchten Gebiet lehnte eine erhebliche Mehrheit das NS-Regime ab und identifizierte sich mit der katholischen Kirche. Dazu sei für Emsdetten beispielhaft auf das religiöse Leben in der St. Pankratiusgemeinde verwiesen. Die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche blieb auf hohem Niveau.80 Die Anzahl der Katholiken stieg von 10.500 im Jahre 1933 auf 11.610 im Jahre 1943. Die Kirchenaustritte blieben mit einem Höchststand von 0,08% (9 Personen) im Jahre 1938 und mit 0,02% (3 Personen) im Jahre 1939 gerade auch im Reichsvergleich von 0,43% äußerst niedrig.81 Dieser Entwicklung war die NSPropaganda der Devisen- und der so genannten Sittlichkeitsprozesse gegen Geistliche sowie auch des Kampfes um die Schulen vorausgegangen.82 Der Kirchenbesuch war bemerkenswert. Er lag nach Ausweis des vorhandenen statistischen Materials in den dreißiger Jahren kontinuierlich im Bereich von über 80%. Bedingt durch die Erfordernisse des Krieges, sank er im Jahr 1943 auf 63,9%. Die Gesamtaussage wird bestätigt durch einen Blick auf den Kommunionempfang. Er stieg von 157.000 im Jahre 1933 über 176.000 im Jahre 1938 auf 205.000 im Jahre 1943. Betrachtet man gesondert die Osterkommunionen, so bewegten sie sich durchgängig in einer Spanne von 70 bis 80%. Diesem Befund korrespondierte eine intensive Beteiligung an kirchlichen Großveranstaltungen wie Wallfahrten, Prozessionen und Glaubenskundgebungen. Das religiöse Leben der Gemeindemitglieder war somit über die gesamte NSZeit hinweg äußerst rege und bildete die Grundlage oppositioneller Haltung einer überwiegenden Mehrheit des Milieus gegenüber dem Nationalsozialismus. Aktiviert wurde sie zusätzlich durch die unaufhörlichen NS-Angriffe auf die katholische Kirche und wiederum die mobilisierenden Reaktionen des Bischofs von Münster. So wird beispielsweise eine Visitation von Galens in Emsdetten am 3. Oktober 1942 zu einem Triumphzug des Bischofs. Pfarrer Schweins schreibt in seiner Chronik: „4.200 Meter Girlanden. Via triumphalis. Ein Hochrufen ohne Ende. Kirchen übervoll. Begeisterung hell und strahlend. Bischof meint, so etwas habe er noch nicht erlebt. Firmfeiern für Emsdetten und Hembergen. Kirche zu klein. Abends Ständchen der vereinigten Kirchenchöre und Feuerwehrkapelle in meinem Garten. Die Gemeinde, besonders die 80 Und zum Folgenden: BAM Depositum Pfarrarchiv Emsdetten St. Pankratius Akte; Die Pfarrgemeinde St. Pankratius steht beispielhaft auch für die Herz-JesuGemeinde, die 1924 von St. Pankratius abgepfarrt wurde. Es liegen die Angaben für die Jahre 1933, 1938, 1939, 1943 und 1947 vor. 81 Ulrich von Hehl: Das Kirchenvolk im Dritten Reich. In: Klaus Gotto/Konrad Repgen (Hrsg.): Die Katholiken und das Dritte Reich, Mainz 1990, S. 105f. (Im Folgenden: Hehl). 82 Recker, S. 142ff., 239-243; Hehl, S. 93-118.

196 KLEMENS-AUGUST RECKER Jugend, kam fünf Tage aus dem festlichen Taumel nicht heraus!“83 Der Bischof erlebte eine Pfarrgemeinde, die sich als Gemeinschaft verstand. Dieser Gedanke sollte nach dem Willen der Synode von 1936 das Leben der Gemeinden im Bistum Münster bestimmen mit dem Ziel, der Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens und der Heranziehung der Jugend durch die Nationalsozialisten entgegenzuwirken. Es waren Gegenstrategien der Kirche.84 Mit einigen Unterschieden galt das mehrheitlich auch für Nordwalde. Trotz erheblicher Zustimmung des Milieus zur NSDAP bei den Reichstagswahlen 1933 konnte das Zentrum immer noch die Mehrheit der Wähler stellen. Im Gegensatz zu Emsdetten, wo erst im Kriegsjahr 1943 ein stärkerer Einbruch beim Gottesdienstbesuch festzustellen ist, offenbart die NS-freundliche Haltung von Teilen der Bevölkerung ab 1933 einen kontinuierlichen Rückgang des Kirchenbesuchs auf hohem Niveau. Katholisch sein und NS-Wähler zugleich stand für viele Nordwalder zunächst nicht in Gegensatz, wie das der Gottesdienstbesuch im Jahre 1933 zeigt. Erst im Verlaufe der NS-Zeit scheinen sich die Fronten deutlicher geklärt zu haben. Gingen 1933 noch 86,5% der Kirchenmitglieder zum Gottesdienst, so sank dieser Wert 1938 auf 79,3% und 1939 auf 73,4%. Im Jahre 1943 fiel die Zahl der Besucher dann auf 64,3%.85 Wie in Emsdetten hat das seinen Grund in den Kriegserfordernissen. Der Kommunionempfang stieg trotz relativen Rückgangs der Gottesdienstbesucher von 69.800 im Jahre 1933 auf 127.200 im Jahre 1943. Die insgesamt immer noch hohen Zahlenangaben offenbaren das geistige Klima einer Mehrheit, das trotz aller Angriffe der Gestapo und der vergleichsweise hohen Zustimmung der Nordwalder zur NSDAP 1933 nicht von der antireligiösen NS-Ideologie bestimmt war. Es bot sogar dem Pfarrer nach dessen eigener Einschätzung Raum und Schutz für seine Aktionen gegen den Staat. Dessen Einfluss auf die Gemeindemitglieder musste selbst die Gestapo einräumen. Ermunterung gab den Nordwalder Katholiken auch Bischof von Galen anlässlich eines Firmbesuches am 27. Juli 1942. Der Bischof hatte wegen des Krieges ausdrücklich darum gebeten, von Schmuck abzusehen. Dennoch hatte man den Marktplatz und den Weg zur Pastorat geschmückt. Zum Besuch schrieb der Pfarrer: „Kirche war herrlich geschmückt, brechend voll … Die Bevölkerung rief: ‚Heil unserem Bischof‘“.86

83 Zit. nach Josef Achterfeld: Emsdetten. Streiflichter der Vergangenheit, Emsdetten 1987, S. 162f. 84 Damberg, Wilhelm: Moderne und Milieu 1802-1998 (Geschichte des Bistums Münster, Bd. V, hrsg. von Arnold Angenendt, Münster 1998, S. 279ff. 85 Und zum Folgenden: BAM Depositum Pfarrarchiv Nordwalde St Dionysius Akte 414. 86 Pfarrchronik St. Dionysius Nordwalde.

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7.

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ZUSAMMENFASSUNG

Emsdetten und Nordwalde präsentierten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwei unterschiedliche politische Konzepte: einerseits das an der parlamentarischen Demokratie der Moderne orientierte Modell in Emsdetten und andererseits das an vormodernen Strukturen der berufsständischen Ordnung orientierte Einheitsmodell in Nordwalde. Vor dem Ansturm der Nationalsozialisten boten beide Orte unterschiedliche Resistenzkapazitäten. Zu Beginn der Weimarer Republik bildeten sich in Emsdetten parteidemokratische Strukturen heraus, die das Milieu demokratisierten. Es entsprach einem durch die Industrialisierung herausgebildeten Gesellschaftsaufbau, in dem die Landwirtschaft nur noch einer geringen Anzahl von Menschen eine Erwerbstätigkeit bot. Der sekundäre Sektor war gegenüber dem primären dominant. Die Einwohner des Ortes waren auf einen Erhalt der Weimarer Republik und des Zentrums als demokratische Partei ausgerichtet. Diese Konstellation verhinderte eine erfolgreiche Werbestrategie der Nationalsozialisten vor Ort. Im Milieu waren sie unbekannt. Diesen demokratischen Prozess stützten die bischöflichen Warnungen gegen den Nationalsozialismus und eine rege kirchliche Vereinstätigkeit unter der Führung des Pfarrers, die sich nicht nur grundsätzlich im Einklang mit den demokratischen Erfordernissen befand, sondern auch in politisch-strategischer Praxis gegen die NSDAP wandte. Aus all den Gründen scheiterte die NSDAP in Emsdetten bei den Wahlen im Reichsvergleich gehörig. Nordwalde war bestimmt durch eine hohe Erwerbstätigkeit im landwirtschaftlichen Bereich. Gegenüber dem zweiten und dritten Sektor war der primäre bestimmend. Die berufsständische Ordnung aus der katholischen Tradition bildete die politiktheoretische Grundlage für ein Wahlbündnis der Eliten von Landwirtschaft, Industrie mit dem Mittelstand im Interesse des eigenen Machterhalts zu Beginn der Weimarer Zeit. Die inneren Widersprüche zwischen den Eliten und der Arbeiterschaft ließen keine Parteiorientierung zu. berufsständische Listen in der Form der Einheitsliste waren das Element, die eigene Vorherrschaft gegenüber den unteren Schichten zu sichern – um den Preis einer sich herausbildenden Parteikultur. Vor dem Ansturm des Nationalsozialismus 1933 hielten diese Strukturen nicht stand. Ein Rückgriff auf Parteien zum Schutz der Demokratie war aber nicht möglich, da sie im Nordwalder Milieu nie ausgebildet worden waren. Die aggressive Werbestrategie jugendlicher Nationalsozialisten im katholischen Milieu von Nordwalde führte den Einheitsgedanken, der dort die Politik bestimmte, ad absurdum. Zu all dem kommt erschwerend hinzu, dass die Kirche vor Ort wegen der Gebrechen des Pfarrers nicht in dem Maße präsent war, wie es zur Verhinderung eines Erfolgs der Nationalsozialisten notwendig gewesen wäre. Im Gegensatz zum Emsdettener Milieu wirkte sich der mangelnde Modernisierungsgrad der Nordwalder

198 KLEMENS-AUGUST RECKER Bevölkerung im Verein mit dem persönlichen Beeinflussungspotential in Kommunikationszentren des Milieus und geschickter Propaganda für die NSDAP gegen den politischen Katholizismus und die Weimarer Republik in stärkerem Maße aus, als dies in Emsdetten geschah. Ein katholisches Milieu, das traditional und „vormodern“ mit der Betonung des Einheitsgedankens organisiert war, öffnete sich trotz der bischöflichen und publizistischen Warnungen dem Nationalsozialismus deutlich stärker als eines, das über die eigenen engen Grenzen politischer Zuordnung demokratisch orientiert war.

HAUENSTEIN GEGEN HITLER WIDERSTÄNDIGES KATHOLISCHES MILIEU IN DER PFALZ THEO SCHWARZMÜLLER Als Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte, war noch nicht offenkundig, dass Deutschland damit den Marsch in den totalitären Staat, den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust und den Untergang des Reiches antrat. Der neuen Regierung gehörten neben Hitler zunächst nur zwei Nationalsozialisten an: Wilhelm Frick und Hermann Göring, eingerahmt von deutschnationalen und parteilosen Ministern. Um den Weg in die NS-Diktatur zu ebnen, verlangte Hitler aber eine Neuwahl des Reichstags am 5. März. Kurz davor, am 27. Februar, brannte der Reichstag. Tags darauf erging eine Notverordnung, die elementare Grundrechte außer Kraft setzte und der Verfolgung politischer Gegner Tür und Tor öffnete. An jenem 28. Februar 1933, einem Mittwoch, zog der pfälzische Gauleiter der NSDAP, Josef Bürckel, mit seinem Stab und etwa 30 auswärtigen SAMännern durch die Straßen von Hauenstein, um die so genannte „Machtergreifung“ in dieser Hochburg des politischen Katholizismus zu demonstrieren. Die braune Sturmabteilung schrie ihr „Heil Hitler!“ durchs Dorf, doch der Ruf verhallte ungehört. Die Straßen waren wie leergefegt, die Fenster geschlossen. Denn gleichzeitig beging Pfarrer Georg Sommer mit seiner versammelten Gemeinde in der Kirche eine Sühneandacht, weil Hitlerjungen aus der benachbarten Stadt Pirmasens das erst jüngst errichtete Holzkreuz auf dem Needing, einem der über dem Ort aufragenden Sandsteinfelsen, abgesägt hatten. Unter Glockengeläut sangen die Gläubigen das Lied: „O Du mein Heiland ...“ Nach dem Ende des Gottesdienstes kam es draußen zur offenen Konfrontation: „Unterdessen fing auch die Dorfsirene zu heulen an. Es war eine furchtbare Spannung, die leicht zu schlimmen Dingen hätte führen können“, erzählt das Pfarrgedenkbuch. Bürckel behauptete demnach später: „Wenn mich die Nerven verlassen hätten, es hätte ein Blutbad gegeben.“ Damit die Situation angesichts des provokativen Auftretens der Nationalsozialisten nicht eskalierte, hielt vor allem Bürgermeister Hermann Josef Seibel seine Mitbürger zurück. Vielerorts hatte der Straßenkampf während jener bürgerkriegsähnlichen Krisenjahre der Weimarer Republik schon Todesopfer gefordert. Seibel forderte Bürckel auf, seine nicht willkommenen Truppen aus der Gemeinde abzuziehen. Der Gauleiter musste schließlich die Aktion abblasen und den Rückzug befehlen, allerdings nicht, ohne auf die feindliche Haltung der Einwohnerschaft mit einer Drohung zu erwidern: „Sagt es Euerem Pfarrer: Wir kommen wieder. Wir brechen das Eis. Es ist zwar hart, aber wir brechen es!“

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PFALZ

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Am folgenden Sonntag, dem 5. März, fand im Deutschen Reich die letzte Mehrparteienwahl statt. Hitler konnte die Massen für sich mobilisieren. Die nach ihm benannte „Bewegung“ erhielt 17,3 Millionen Stimmen. Das entsprach einem Zugewinn um fast elf auf 43,9 Prozent. Euphorisch notierte Joseph Goebbels, der Reichspropagandaleiter der NSDAP, in seinem Tagebuch: „Wir sind die Herren im Reich und in Preußen; alle anderen sind geschlagen zu Boden gesunken ... Deutschland ist erwacht.“ Keine andere Partei hatte jemals zuvor eine solche Resonanz gefunden. Die Bestmarke lag deutlich niedriger bei 11,5 Millionen Stimmen und 37,9 Prozent für die SPD in der Ausnahmesituation von 1919, nach Ende des Ersten Weltkriegs. Scharenweise lief bei den Märzwahlen 1933 das von wirtschaftlicher Not und politischer Verzweiflung gepackte Volk zur Hitlerbewegung über. Sie gewann 92 Mandate hinzu, verfügte nun über 288 Sitze von insgesamt 647 und zusammen mit ihrem deutschnationalen Koalitionär (53 Mandate) über die absolute Mehrheit. In der Pfalz, einer frühen NSDAP-Hochburg, schnitt Bürckels Partei mit 46,5 Prozent wieder überdurchschnittlich ab. „Märzgefallene“ nannte man das Heer derjenigen, die beim Aufbruch der Nation nicht abseits stehen wollten. Sarkastisch bemerkte seinerzeit der österreichische Schriftsteller Robert Musil, einen entschieden ablehnenden Eindruck machten in Deutschland nur noch die Dienstmädchen. Umso verblüffender erscheint das Ergebnis in Hauenstein. Hier erzielten das Zentrum und die Bayerische Volkspartei (BVP), die in der damals bayerischen Pfalz eine gemeinsame Liste bildeten, sensationelle 92,6 Prozent. Im ganzen Reich vom Kaiserstuhl bis Königsberg, von Ostfriesland bis Oberschlesien entschied sich keine Gemeinde mit einer Größe von mehr als tausend Wählern dermaßen geschlossen für einen Konkurrenten der Nationalsozialisten. Von den 1.521 gültigen Stimmen entfielen 1.408 auf Zentrum/BVP, das höchste Ergebnis einer nicht-nationalsozialistischen Partei bei dieser Reichstagswahl. Bei den 73 Stimmen für die NSDAP und 40 für alle anderen Gruppierungen ist zu berücksichtigen, dass im Ort auch rund 70 Protestanten wohnten, von denen kaum jemand „katholisch“ gewählt haben dürfte. Die Zahl der Wahlberechtigten betrug 1.598. Wie in ganz Deutschland kletterte auch in Hauenstein die Wahlbeteiligung auf ein Rekordniveau: 97,2 Prozent, bei einem Reichsdurchschnitt von 88,8. Die Schicksalsentscheidung mobilisierte die Menschen in einem nie gekannten Ausmaß. Andernorts profitierte davon vorwiegend die NSDAP, nicht aber in Hauenstein. Zentrum und BVP steigerten sich klar gegenüber allen vorherigen Wahlen; die Liste war zuvor stets unter 1.300 Stimmen geblieben. Obwohl die NSDAP nun in Berlin regierte, verharrte sie in Hauenstein mit nur 4,8 Prozent auf dem Stand einer Randgruppe. Sie konnte nicht einmal jeden 20. Wähler überzeugen. Nach der absoluten Zahl lag sie geringfügig über ihren

202 THEO SCHWARZMÜLLER Ergebnissen der beiden Reichstagswahlen von 1932. Prozentual fiel sie sogar hinter ihr Resultat von 1930 zurück. Die NSDAP schnitt nur in wenigen Kommunen mit über 1.000 Stimmen noch schlechter ab – am schwächsten in Niederbrechen mit 3,1 Prozent. Diese hessische Gemeinde bei Limburg zählte lediglich 1.250 Wähler. Dort mussten sich allerdings das Zentrum mit über 75 Prozent und die Sozialdemokraten mit 16,5 Prozent den Sieg teilen.

(Quelle: Schwarzmüller, Theo: Hauenstein gegen Hitler. Die Geschichte einer konfessionellen Lebenswelt, Kaiserslautern 2007, S. 8)

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Warum legte Hauenstein ein fast einmütiges Bekenntnis gegen den Zeitgeist ab, warum widerstand man noch nach Hitlers Machtantritt 1933 geschlossen dem nationalsozialistischen Wählersog? Der Genius Loci, das geistige Klima an diesem Ort, liegt fraglos in dem dichten katholischen Milieu begründet. Es gebe in der ganzen Gemeinde nur sieben „notorische Kirchenschwänzer“, konnte Pfarrer Sommer seinem Bischof nach Speyer melden. In der Pfalz, wo der Katholikenanteil bei durchschnittlich 42 Prozent lag, schnitten Zentrum und BVP auch in zwei vergleichbaren, das heißt weitgehend katholischen Gemeinden hervorragend ab: in Rülzheim mit 76,3 Prozent und in Dahn, dem Heimatort des bekannten Hitlergegners Pater Ingbert Naab, mit genau zwei Drittel der Stimmen. Selbst die rechtsbayerischen Stammlande der BVP konnten keine solchen Ergebnisse melden: Altötting erklomm mit 64,4 Prozent dort die Spitze, die tiefkatholische kleine Bistumsstadt Eichstätt schaffte 52,2 Prozent für die BVP. Obwohl die meisten Hauensteiner als Arbeiter in der örtlichen Schuhindustrie ihr Brot verdienten, spielten die linken Arbeiterparteien keine Rolle: SPD und KPD kamen insgesamt nur auf 29 Stimmen und 1,9 Prozent. Im November 1932 hatten sie immerhin noch über sechs Prozent verbucht. Auch reichsweit zeigte der Trend für die Sozialisten und Kommunisten, die in Preußen vom dortigen Innenminister Göring bereits brutal unterdrückt wurden, nach unten. Immerhin konnte die SPD ihre absoluten Zahlen fast verteidigen. Prozentual allerdings fielen beide Parteien zusammen von 37,3 auf 30,6 Punkte. Zentrum und BVP hingegen steigerten sich gemeinsam auf 5,5 Millionen Stimmen. Wegen der höheren Wahlbeteiligung machte das zwar nur 14,1 statt vorher 15 Prozent aus, aber das katholische Milieu konnte sich damit noch am besten gegen den gewaltigen Druck der Hitlerbewegung behaupten. Mit stolzem Trotz kommentierte die Tageszeitung „Der Rheinpfälzer“ (Landau) am 6. März: „Der Zentrumsturm hat entgegen anders lautenden Prophezeiungen keine Risse.“ Die „Neue Pfälzische Landeszeitung“, das Parteiorgan in Ludwigshafen am Rhein, wähnte gar die „Siegesfahne auf dem Zentrumsturm“. Gleichzeitig erhielt jedoch die NSDAP vermehrt Zulauf aus dem katholischen Drittel der deutschen Bevölkerung, darunter viele bisherige Nichtwähler. Vor allem aber gelang es ihr, das Reservoir der liberalen und konservativen Parteien weitgehend aufzusaugen. Der nie verarbeitete Schock des Ersten Weltkrieges, das Friedensdiktat von Versailles, die Existenzängste und Hoffnungslosigkeit, das scheinbare Versagen der Weimarer Demokratie, die einfachen Lösungen der NS-Propaganda – das waren Gründe, die das breite Volk in die Arme von Rattenfängern trieben. Zu dem Hauensteiner Gegenbild trugen besonders die Frauen bei. Sie wählten zu über 96 Prozent „schwarz“, die Männer zu 88,7 Prozent. Da die Wahllokale nach Geschlechtern getrennt waren, wissen wir, dass 50 Männer (7 Pro-

204 THEO SCHWARZMÜLLER zent), aber lediglich 23 Frauen (2,85 Prozent) die NSDAP favorisierten. Im ganzen Ort unterstützte somit kaum eine Katholikin die braune Bewegung. Es ist überhaupt eine zählebige Legende, dass weibliche Wähler verführbarer für Hitler gewesen wären. „Gewiss, mehr Frauen als Männer gingen ins Netz, das den Kleinbürgern gespannt wurde“, schrieb der marxistische Philosoph Ernst Bloch, doch er irrte. Die Frauen entschieden sich, seitdem sie 1919 in Deutschland das Wahlrecht erhalten hatten, eher für das gemäßigte Spektrum. Sie zeigten keine Vorliebe für den Extremismus von links oder rechts. Ihre religiösen Bindungen kamen auf dem Stimmzettel deutlich zum Ausdruck. Bei den treuen Zentrumswählerinnen in Hauenstein handelte es sich ausgerechnet um jene soziale Schicht, die in der deutschen Gesellschaft am stärksten benachteiligt war, was die Bildungschancen anging: katholische Arbeitertöchter vom Land. Zu dem Hauensteiner Rekord trug neben einem dichten katholischen Milieu sicherlich auch der hohe Arbeiteranteil bei. Der Ort hatte sich seit dem 19. Jahrhundert von einer Landgemeinde rasch zu einem kleinen Industriezentrum entwickelt, zu „Deutschlands größtem Schuhdorf“. Zwar musste nach Beginn der Weltwirtschaftskrise auch diese Branche drastische Rückgänge hinnehmen. Fast 20 Prozent der Beschäftigten in den deutschen Schuhfabriken verloren Lohn und Brot. Auch in Hauenstein mussten viele kurzarbeiten und an allem sparen, was sie nicht unbedingt zum Leben benötigten. Doch stieg offiziell die Zahl der Arbeitslosen nie über 45 Personen an. Ohnehin lässt sich die verbreitete Meinung, vor allem das Heer der Beschäftigungslosen hätte NSDAP gewählt, wissenschaftlich nicht halten. Die Arbeitslosen tendierten eher zum anderen Extrem, zur KPD. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei dagegen holte Stimmen aus allen Schichten, aus dem entwurzelten Mittelstand, aber in beträchtlicher Zahl ebenso aus Arbeiterkreisen. Vorrangiges Merkmal ihres Elektorats war nicht die Klasse, sondern die Konfession, abzulesen auch auf der Wahlkarte des Deutschen Reiches. Besonders augenfällig wirkt der Effekt beim Eichsfeld in Thüringen oder dem Ermland in Ostpreußen. Diese katholischen Inseln der Diaspora verhielten sich grob abweichend von ihrem protestantisch geprägten Umland. Dasselbe Phänomen lässt sich auf engstem Raum sehr deutlich in der Pfalz beobachten. So hatte die braune Partei schon bei der Reichstagswahl 1930 in Darstein, nur vier Kilometer entfernt von Hauenstein, aber mit protestantischer Bevölkerung, sämtliche Stimmen auf sich vereinigen können. Als erste deutsche Gemeinde votierte diese Ortschaft hundertprozentig für die NSDAP. Daraufhin kündigte Hitler in einem Dankschreiben an die Einwohner seinen Besuch an, kam aber nie. Die NS-Propaganda kürte dieses „erste Hitlerdorf“ nach 1933 zum „Ehrenmitglied der NSDAP“ und feierte „Klein-Darstein“ als „Vorbild für Großdeutschland“. Die Reichshauptstadt Berlin benannte 1936 eine

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Straße in Köpenick nach dem fernen Provinznest; der Name „Darsteiner Weg“ existiert heute noch. Hauenstein und Darstein – zwei deutsche Rekorde. Nur wenige Kilometer, aber politische Welten trennten die beiden Gemeinden. Kein Fall zeigt krasser, dass die Menschen unterschiedlich anfällig waren für den Extremismus am Ende der Weimarer Republik. Wer das Stimmverhalten begreifen will, der muss nach historischen, wirtschaftlichen, sozialen und nicht zuletzt nach konfessionellen Prägungen fragen. Der mikroskopische Blick auf dieses Gegensatzpaar bestätigt eine These von Manfred Kittel: „Wer vom konfessionellen Konflikt schweigen möchte, kann vom Scheitern Weimars nicht reden.“ Hauenstein und Darstein konturieren anschaulich die Erkenntnisse der historischen Wahlforschung. Das Nein zum Nationalsozialismus war, jenseits von gesellschaftlicher Herkunft, Beruf, Alter oder Geschlecht, zunächst eine Frage der Glaubensrichtung. Kein anderes Sozialmerkmal hat nach den Forschungen des Politikwissenschaftlers Jürgen Falter die Wahlerfolge der NSDAP stärker beeinflusst. Das katholische Lager erwies sich als erstaunlich resistent, mehr noch als das linke Arbeitermilieu. Hingegen war der protestantische, vormals nationalliberale Teil der Wählerschaft anfällig für die NS-Bewegung. Anders als in Hauenstein lebten in Darstein, bloß durch einen Berg getrennt, traditionell ausschließlich Protestanten. Das Bekenntnis wechselte im Süden der Pfalz oft komplett von Ort zu Ort. Die Menschen hatten sich ihre Konfession nicht ausgesucht. Sie ging auf die territoriale Zugehörigkeit im Zeitalter der Reformation zurück. Cuius regio, eius religio: Wessen Land, dessen Religion. Es gab in Deutschland lange unselige Ressentiments zwischen den Anhängern der beiden Richtungen, zwischen „Kreuzköpfen“ und „Lutherköpfen“, wie man landläufig sagte. Der spätere evangelische Kirchenpräsident der Pfalz, Theo Schaller, amtierte von 1929 bis 1936 als Pfarrer in Wilgartswiesen und war damit auch für das Häuflein Protestanten in Hauenstein zuständig. Dieser Ort sei „penetrant katholisch“ gewesen, schreibt Schaller in seinen Lebenserinnerungen und erzählt dazu eine Anekdote: „Wenn in der Mittagspause die Arbeiter bei dem Heizer ihr Essen wärmten, kam es oft zu heftigen konfessionellen Auseinandersetzungen. Es war damals noch die Zeit, da in manchen katholischen Schulen gelehrt wurde, Luther habe durch Erhängen Selbstmord begangen.“ So kam es wieder einmal zum Streitgespräch. Die Katholiken höhnten mit einem hässlichen Vers, der am Schluss sagte: „Und allhier in diesem Sutter (Jauche) – liegt der Doktor Martin Luther.“ Darauf sei ein Protestant aus Spirkelbach aufgesprungen und habe erwidert: „Und noch weiter untendrein – liegt der Papst, das versoffne Schwein.“ Es klingt wie eine Ironie der Geschichte, dass in Darstein ausgerechnet der einzige Katholik, der zudem als Arbeiter in Hauenstein beschäftigt war, den Nationalsozialismus verbreitete. „Der Mann, der Darstein für Hitler gewann“,

206 THEO SCHWARZMÜLLER wie die NS-Propaganda schrieb, hieß Peter Haus. 1887 im benachbarten Lug geboren, hatte er Steinhauer gelernt, war aber seit 1913 in der Schuhindustrie Hauensteins beschäftigt. Im Ersten Weltkrieg verwundet, heiratete er an seinem 25. Geburtstag 1922 eine Frau aus Darstein und zog in den Ort um. Zu seinem Herkunftsmilieu ging er auch dadurch auf Distanz, dass er seinen Sohn evangelisch taufen ließ. Der politische Katholizismus war dem Parteigenossen Haus verhasst, wie seinem Gauleiter Bürckel, der zwar einer gut katholischen Familie aus Lingenfeld im Kreis Germersheim entstammte, aber schließlich 1942 aus der Kirche austrat. Im Gegensatz zu Hauenstein besaß Darstein kein eigenes Gotteshaus, keine religiöse Vereinsstruktur und keinen eigenen Pfarrer, der die Bürger vor der braunen Ideologie hätte warnen können. Der Protestantismus stand jedoch in der Weimarer Republik ohnehin rechts. Gerade in der Pfalz meinten viele evangelische Theologen auf die NS-Bewegung setzen zu müssen. Zum Landesbischof sollte 1934 Ludwig Diehl, ein „alter Kämpfer“, aufsteigen. Von den 490 evangelischen Theologen gehörten während der Hitlerzeit 107 der NSDAP an, vor allem junge Pastoren, wie Thomas Fandel in seiner Trierer Doktorarbeit ermittelt hat. Braune Priester waren dagegen im katholischen Klerus die absolute Ausnahme. Den Priestern in Bayern – und damit auch im pfälzischen Bistum Speyer – hatten die Bischöfe 1931 untersagt, einer derartigen atheistischen Partei beizutreten. Neben der Konfession gab es zwischen Hauenstein und Darstein auch soziale Unterschiede. In Darstein herrschten landwirtschaftliche Strukturen vor. Wegen der Weltwirtschaftskreise litten die Kleinbauern unter dem Preisverfall für ihre Produkte; auch der Holzmarkt lag am Boden. Hinzu kam der Unmut über die fehlende Wasserleitung am Ort. Die Schuld dafür gab man der BVPgeführten Landesregierung. Viele Pfälzer Protestanten fühlten sich von München sträflich vernachlässigt. Diese Protesthaltung leitete Bürckels Partei geschickt auf ihre Mühlen. Sie profitierte zudem von dem Grenzland-Nationalismus, der am 1. Juli 1930 Urständ feierte, als die französischen Besatzer abzogen. Die „Befreiung“ lud die Atmosphäre vor der Reichstagswahl am 14. September 1930 extrem auf. Vorher hatten die meisten Darsteiner für die bürgerlich-liberale Deutsche Volkspartei von Außenminister Gustav Stresemann votiert. Die DVP besaß in der zu beinahe 56 Prozent evangelischen Pfalz ihre Hochburg, wie die Vorgängerpartei, die Nationalliberalen, bereits seit der Bismarckzeit. Der Tod Stresemanns 1929, mit 51 Jahren, traf die Weimarer Demokratie ebenso hart wie 1925 der Verlust des ebenfalls erst 54jährigen Reichspräsidenten Ebert. Noch 1928 war die NSDAP bei der Reichstagswahl in Darstein völlig leer ausgegangen. Nun plötzlich, bei diesem vorgezogenen Urnengang 1930, erhielt sie hier erstmals volle 100 Prozent der Stimmen in einer deutschen Gemeinde. Die 106

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Wähler in dem 156 Einwohner zählenden Weiler kreuzten Liste neun für die „Hitlerbewegung“ an. Bereits um 12.30 Uhr hatten alle ihre Stimme abgegeben, wie Bürgermeister Georg Heft telefonisch dem Bezirksamt Landau meldete. Der Kleinbauer Heft, Jahrgang 1887, war ein Teilnehmer der Schlacht von Verdun und gehörte also wie der wenig jüngere Hitler der Frontgeneration an, die unter dem Trauma der Niederlage von 1918 litt. Die „NSZ Rheinfront“ schilderte auf einer Sonderseite am 1. August 1931, wie Peter Haus den Nationalsozialismus „in den letzten Winkel der Gemeinde“ getragen habe. Gegen Hauenstein und den Katholizismus gerichtet, zitierte die Gazette aus einem angeblichen Brief der Ortsgruppe an die Redaktion: „Wir sind uns bewusst, dass wir von den Gegnern der deutschen Freiheitsbewegung heute noch verhöhnt und verspottet werden, wie es gerade in unseren schwarzen Nachbarorten der Fall ist, aber all diese Bekämpfungen und Verleumdungen müssen zerschellen an unserem festen Glauben in die siegreiche Idee Adolf Hitlers.“ Die NS-Propaganda nahm geschickt die antikatholischen Ressentiments des pfälzischen Liberalismus aus dem 19. Jahrhundert auf. Das registrierte auch die „Freie Presse“, ein sozialdemokratisches Blatt: „In der Pfalz ist der Kampf der Braunen ja nicht bloß ein Krieg gegen die rote Pest, sondern auch noch ein Kulturkampf gegen alles, was schwarz ist ... In dieser Richtung stecken den heutigen heruntergekommenen Enkeln der Pfälzer Nationalliberalen ... noch alle Vorurteile und Gehässigkeiten in den patriotischen Knochen.“ Außer der Konfession hat die historische Wahlforschung mit erheblichem methodischem Aufwand die Gemeindegröße als zweitwichtigsten Faktor für die Erfolge der NSDAP ermittelt. Eine ähnliche Beobachtung machte der „Christliche Pilger“ aus Speyer, die älteste deutsche Bistumszeitung, schon 1931: „Je ländlicher, je geschlossener protestantisch ein Bezirk, je kleiner das Dorf: umso größer der Gewinn der Nationalsozialisten.“ Immerhin lebten 1933 noch ein Drittel der Deutschen in Dörfern mit unter 2000 Einwohnern. In den kleinsten Orten konnten fanatische „Hitler“ wohl den stärksten Druck ausüben. Es wird überliefert, ein paar Andersdenkende in Darstein seien mit brachialen Methoden von der Wahlurne ferngehalten worden. Nach ihrem Sieg vom 5. März 1933 schalteten die Nationalsozialisten das ganze Reich gleich. Am 10. März stürzten sie den Münchner Ministerpräsidenten Heinrich Held (BVP) und eroberten damit das letzte Land. Am 21. März folgte der rührselige „Tag von Potsdam“, die Eröffnung des neuen Reichstags. Zwei Tage später beschloss das Parlament das Ermächtigungsgesetz. Auch die – von Hitler heftig umworbenen und gleichzeitig subtil genötigten – Abgeordneten des Zentrums und der BVP stimmten zu, was innerhalb der beiden Fraktionen umstritten und historisch unrühmlich war. Während die fünf Liberalen um Theodor Heuss, dem späteren Bundespräsidenten, sowie der evangelische

208 THEO SCHWARZMÜLLER Volksdienst ebenfalls einwilligten, votierte die SPD mit Nein. Die Kommunisten blieben bereits ausgeschlossen. Wie verlief die Gleichschaltung in Hauenstein? Bürgermeister Seibel, ein 57 Jahre alter Fabrikant, und die zehn Ratsherren vertraten allesamt den politischen Katholizismus. Laut Gesetz von Ende März mussten jedoch die Sitze in den Kommunalparlamenten entsprechend der Reichstagswahl neu verteilt werden. Am 4. April löste sich in Hauenstein der demokratisch gewählte Gemeinderat auf. Drei Tage darauf legte Seibel sein Amt mit sofortiger Wirkung nieder. Aus „Gesundheitsrücksichten“, hieß es offiziell. Die bisherige Dorfelite räumte ihre Positionen aber nicht kampflos. Schon gar nicht wollte man das Fähnchen nach dem Wind hängen und sich, wie andernorts geschehen, der Hitlerbewegung anschließen. Die hatte Probleme, qualifiziertes Personal ihrer Gesinnung zu rekrutieren. Es gab im ganzen Ort nur wenige Nationalsozialisten. Ausgerechnet am Karfreitag, dem höchsten protestantischen Feiertag, der in katholischen Gemeinden gern ignoriert wurde, konstituierte sich eine kleine NSDAP-Ortsgruppe. Am Ostermorgen, dem 16. April, wandte sich Pfarrer Sommer in seiner Predigt vor der versammelten Gemeinde gegen die „nationale Erhebung“, ohne offen zu politisieren und dem neuen Schnüffelstaat eine Handhabe zu bieten. Die örtliche Gendarmerie befragte eine Reihe von Zeugen, die aussagten, der Geistliche habe vor „Dieben und Mördern“ gewarnt. „Ein großes Ungetüm“, eine Schlange, schleiche sich heran. Sommer mahnte, bestehende Gegensätze im Dorf nicht durch Wühlarbeit zu vergrößern. Am nächsten Tag, Ostermontag, hatte der 24 Jahre alte NSGegner Ludwig Burkhard eine Auseinandersetzung mit einem SA-Mann, den er mit einem Stuhl niederschlug. Burkhard wurde festgenommen und musste für mehr als vier Monate in so genannte „Schutzhaft“. Tags darauf berief die Pirmasenser NSDAP-Kreisleitung kommissarisch Friedrich Wetzler an die Gemeindespitze. Der 39 Jahre alte Volksschullehrer war erst seit einer Woche Parteigenosse. Er erklärte, dass seine Arbeit „streng unparteiisch und selbstlos“ sei. Das Hitlerregime konnte allerdings die bisher so feindliche Hochburg nur mit Gewalt schleifen. Namentlich Pfarrer Sommer stand ganz oben auf der schwarzen Liste der Kreisleitung. Am Samstag, 21. April, bekam er von einem Hauensteiner Fabrikanten den dringenden Rat, sofort nach Pirmasens zur Parteizentrale zu fahren und eine Loyalitätserklärung zum Dritten Reich abzugeben. Sonst kämen 100 SA-Männer auf unbestimmte Zeit ins Dorf; den Pfarrer selbst wolle man verhaften. Dies hatte ein befreundeter SS-Mann dem Fabrikanten insgeheim mitgeteilt. Sommer zögerte. Er glaubte nicht, dass die neuen Machthaber es wagen würden, einen Pfarrer kurz vor dem Weißen Sonntag, dem Fest der Erstkommunion, festzunehmen. „Man war damals noch arg naiv!“, schrieb er rückschauend im Pfarrgedenkbuch. Dann wagte er doch den Gang in die Höhle des

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Löwen. Er bat im Bezirksamt Pirmasens um eine Unterredung mit dem Sonderkommissar, SA-Standartenführer Dr. Carl Caspary, der zunächst verblüfft war. Das folgende Wortgefecht schilderte Sommer später so: „Er schrie mich an: Sie allein sind schuld, dass wir in Hauenstein nicht Fuß fassen können. Ich erklärte ihm: Beweisen Sie mir, dass ich Unrecht gehandelt habe. Mir gilt vor allem, in der Pfarrei die Einheit zu erhalten. Die Wahlresultate beweisen, dass auch die Marxisten in der Gemeinde keinen Fuß fassen konnten.“ Daraufhin habe sich der Sonderkommissar die Zahlen bringen lassen und sei „etwas versöhnlicher“ geworden. Sommer sagte zu, alles für das Wohl der Kommune zu tun, bat ihn aber, die 100 SA-Leute nicht zu entsenden. Eine Hälfte sei bereits unterwegs, antwortete Caspary, die übrigen 50 Mann wolle er noch einmal zurückhalten. Wie eine Besatzungstruppe nahm die SA den Ort Hauenstein ein. Offiziell hieß es, sie sollten die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit gewährleisten. An den zwei Ausgängen des Pfarrhauses standen Tag und Nacht zwei Posten mit Gewehr. Belästigt wurde der Geistliche nicht, aber sämtliche Kosten in Höhe von 975,10 Reichsmark für die einquartierte Formation musste die Kommune tragen. Sommer hielt rückblickend fest, diese ganze Aktion habe auch die Antwort der Partei auf den missglückten Propagandazug sein sollen, den Gauleiter Bürckel am 28. Februar veranstaltet hatte. Die braune Drohkulisse hatte noch einen anderen Hintergrund. Am selben Tag, als der Pfarrer nach Pirmasens eilte, kam im Hauensteiner Rathaus bei einer Sitzung des Wahlausschusses keine Einigung zustande, wie der Gemeinderat im nationalsozialistischen Sinn umzubilden sei. Tags darauf, am Weißen Sonntag, machten Caspary und ein Regierungsrat vor einer erneuten Sitzung den Vertrauensleuten von Zentrum/BVP den Ernst der Lage klar. Nach Aufnahme mehrerer „Hitler“ in den Gemeinderat bestätigte am 26. April das Gremium mit acht Stimmen bei zwei ungültigen Zetteln den neuen Bürgermeister Wetzler. SA-Posten überwachten die „Wahl“. Vorläufig blieb der Zweite Bürgermeister Josef Morio (BVP), ein 60 Jahre alter Landwirt, noch im Amt. Nach einer Woche zogen die Sturmtruppen der Revolution am 27. April wieder ab. Wetzler selbst bezeichnete später in einem Schreiben nach Pirmasens ihre Anwesenheit schlichtweg als „Besatzung der hiesigen Gemeinde durch dortige SA- und SS-Leute“. Der neue Rathauschef Friedrich Wetzler lebte erst seit 1927 in Hauenstein. Geboren 1894 in Frankenthal als Sohn eines katholischen Drehers und einer protestantischen Gastwirtstochter, hatte er an der Lehrerbildungsanstalt Speyer demselben Kurs wie Bürckel angehört. Wetzler war mit einer Hauensteiner Fabrikantentochter verheiratet. Sein Schwager August Keiser, Vorstand des Schützenvereins und Mitglied des Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps

210 THEO SCHWARZMÜLLER (NSKK), hatte ihn für das Amt empfohlen. Zunächst war Keiser selbst von der Parteileitung gefragt worden, ob er Bürgermeister werden wolle. Der Sommer 1933 brachte das Ende der demokratischen Parteien im Reich. Im Juni lief eine Verhaftungswelle gegen Vertreter des politischen Katholizismus. Auch der Pfarrer von Hauenstein wurde in Schutzhaft genommen, aber am selben Tag wieder freigelassen. Formell übte er keinen Parteiposten aus. Alle verbliebenen Ratsmitglieder von Zentrum und BVP wurden ebenfalls inhaftiert. Sie mussten ein Papier unterzeichnen, um auf freien Fuß zu gelangen: „Ich erkläre hiermit aus freien Stücken meinen Rücktritt ... und verpflichte mich von nun ab jeder parteipolitischen Betätigung in Wort und Schrift zu enthalten und die Bewegung der nationalsozialistischen Revolution zu ehren.“ Kurz danach legte der Zweite Bürgermeister Morio sein Amt nieder. Als sich am 5. Juli die Deutsche Zentrumspartei „freiwillig“ auflöste, war die Einparteienherrschaft im Reich besiegelt. Damit war das Ende des politischen Katholizismus gekommen, aber keineswegs das katholische Milieu beseitigt. Am 20. Juli wurde das Konkordat zwischen Berlin und dem Papst geschlossen. Der Vertrag sah vor, dass Geistliche und Ordensleute nicht Mitglied einer politischen Partei sein durften, garantierte aber die Freiheit des Bekenntnisses und seine öffentliche Ausübung. Im Gegensatz dazu verlangte die NSDAP-Ortsgruppe Hauenstein am 15. August 1933 vom Bischof, den unbequemen Sommer abzuziehen. In dem Schreiben hieß es, dass „das Verhältnis zwischen nationalsozialistischer Bewegung und hiesigem Pfarramt in den verflossenen Monaten, gering gesagt, sehr gespannt war“. Mit dem Konkordat sei eigentlich einem „gedeihlichen Zusammenwirken“ der Boden bereitet, doch scheine das Pfarramt auch jetzt noch kein Verständnis zu haben für die neue Zeit. Sommer wie sein Kaplan Herbert Wilhelm würden sich in versteckter Form gegen die Bewegung auslassen, „sodass es einem Katholik schon schwer fällt, dem Gottesdienst überhaupt noch beizuwohnen“. Die „Hetz- und Wühlarbeit“ zerreiße die Gemeinde. In dieser friedenstörenden Weise könne es keine Stunde länger weitergehen, so der Ortsgruppenleiter, der aus Annweiler zugezogene Protestant und 54 Jahre alte Metzgermeister Georg Schwab. Er drohte unverhohlen mit einer „unberechenbaren Selbsthilfe“, sollten die beiden Geistlichen nicht „auf dem schnellsten Wege“ versetzt werden. Abschriften gingen an den Gauleiter, den Sonderkommissar und den Kreisleiter in Pirmasens. Doch Sommer musste das Feld nicht räumen – im Gegenteil. Am 20. August weihte Bischof Ludwig Sebastian in Hauenstein die neue Christkönigskirche ein. Das Bauwerk des Architekten Albert Boßlet trug den Stempel der Monumentalität. Eine Gottesburg, wie geschaffen gegen den Zeitgeist von 1933: „Christus ruft seine Getreuen zum ewigen Reich.“ Jeder konnte daraus eine Kampfansage an das „Tausendjährige Reich“ heraushören. Bei

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einer imposanten Kundgebung am Vorabend versprach Hermann Seibel, ein Sohn des abgesetzten Bürgermeisters, dem Bischof „unwandelbare Treue“. Der 32jährige Redner hatte sich bereits früh in der Zentrumspartei und deren Jugendorganisation, dem Windthorstbund, engagiert. Den örtlichen Sportclub hatte er in die Deutsche Jugendkraft (DJK) überführt, die ab 1932 in Hauenstein ihre zentrale Lehrstätte für die mehr als 12.000 Mitglieder in der Diözese baute. Mitte 1933 beschlagnahmten die Nationalsozialisten das Vermögen der DJK, die aber ihr neues Jugendheim rechtzeitig dem katholischen Fürsorgeverband übereignet hatte. Den Leiter der DJK-Jungschar, den 26 Jahre alten Buchhalter Paul Rödig, nahm man an jenem 19. August in Schutzhaft und sperrte ihn für sieben Wochen ins Pirmasenser Gefängnis ein. DJK-Reichsführer Adalbert Probst wurde ein Jahr darauf verhaftet und erschossen. Nach Hitlers Machtübernahme hatte auch der junge Gemeinderat Seibel seine politische Tätigkeit aufgeben müssen. Nun durfte er zum letzten Mal vor 1945, als er zu den Christdemokraten der ersten Stunde gehören und später in den rheinland-pfälzischen Landtag einziehen sollte, öffentlich eine Rede halten. Er sprach im Namen der Katholischen Aktion, die sich bald mit Repressalien und Terrorakten konfrontiert sah. 1934 wurde ihr Berliner Leiter Erich Klausener ermordet. Seibel musste wegen seiner Standfestigkeit unter der Diktatur mit Schikanen rechnen. Nicht zuletzt wurde der Familienvater und Existenzgründer wirtschaftlich diskriminiert. So teilten die Behörden aus Pirmasens 1935 dem Betreiber der „Pfälzischen Volksschuhfabrik“ lakonisch mit: „Sie können bei der Zuteilung von Schuhaufträgen aus dem Winterhilfswerk nicht berücksichtigt werden, weil sich ergeben hat, dass Sie dem heutigen Staat gegenüber an der nötigen Loyalität es haben fehlen lassen. Heil Hitler!“ Die Gestapo-Akten, die für die Pfalz im Unterschied zu fast allen anderen Regionen noch vorhanden sind, belegen anschaulich, dass Hauensteiner Bürger immer wieder mutige Kritik am NS-Regime äußerten, die sie mit politischer Verfolgung, mit massiven Nachteilen, mit Verhören, Verhaftungen und mit der Einlieferung ins Konzentrationslager Dachau bezahlen mussten. Namentlich Prälat Sommer, geboren 1881 während des Kulturkampfs und durch sein Studium bei den Jesuiten in Innsbruck kämpferisch geprägt, blieb unbeirrbar. 1936 verurteilte das Amtsgericht Pirmasens ihn zu 200 Mark Geldstrafe, da er an Hitlers Geburtstag am 20. April nicht geflaggt hatte. Weil damit dem Führerkult offenbar ein empfindlicher Schaden entstand, stellte die gelenkte Presse den Pfarrer an den Pranger: „Er kennt nicht des Führers Geburtstag“, echauffierte sich der Gerichtsreporter über die „sonderbare Unwissenheit eines Geistlichen“. Ein interner Regierungsbericht vermerkte: „In der Hauptverhandlung ergab sich, dass weder der Pfarrer noch der Kaplan, noch der Kirchendiener in Hauenstein angeben konnten, wann der Führer Geburtstag hat.“

212 THEO SCHWARZMÜLLER In der Berufung sprach die Strafkammer Zweibrücken den Prälaten frei, da ihm Vorsatz nicht nachzuweisen sei. Etwas später verweigerte Sommer beispielsweise die Taufe eines Kindes, weil der Vater, ein 31 Jahre alter Nationalsozialist, als Paten einen SAScharführer benannte. Der Priester akzeptierte diesen Taufpaten freilich nicht, zumal er die Osterbeichte nicht gehalten hatte. Nach der Aussage des Parteigenossen im Polizeiprotokoll erklärte Sommer, „wir Nationalsozialisten würden die Welt zugrunde richten“. Im Laufe der Auseinandersetzung habe der Prälat die Entwicklung im Hitlerreich mit der Sowjetunion verglichen. Auch dort gehe es scheinbar aufwärts, aber auch dort seien es nur äußere Erscheinungen: „Ihr seid im Rausch, ihr werdet verhetzt von gewisser Seite, macht nur so weiter, dann seht ihr schon wie weit ihr kommt ...“ Übrigens: Der Vater gab schließlich nach und zog einen anderen Taufpaten hinzu – „sonst wäre mein Kind nicht getauft worden“. Der Nationalsozialismus konnte also auch nach 1933 nur schwer in das entschieden christliche Milieu von Hauenstein eindringen. Mit ihrer reservatio mentalis gegenüber dem Regime stand die katholische Gemeinde aber nicht allein. Ein Stimmungsbericht aus dem Bezirksamt Pirmasens von Mitte 1937 meldete der Geheimen Staatspolizei, „das die Bevölkerung im Falle eines religiösen Konflikts nicht mit dem Staate ginge“. Stehe ein Ort noch stark unter dem Einfluss seines Pfarrers, so sei die Stimmung „gespannt und teilweise feindlich“. Auf die ungebrochene Vitalität der Religion stieß während des Zweiten Weltkrieg ein junger Lehrer in Schwanheim, dem Dorf auf dem Weg zwischen Hauenstein und Darstein. Die fast geschlossen katholische Ortschaft hatte 1933 zu fast 96 Prozent Zentrum/BVP gewählt. Das Ergebnis lag also noch über dem deutschen Rekord Hauensteins, aber Schwanheim zählte nur 600 Seelen und fehlt deshalb in den von Karl Dietrich Bracher („Stufen der Machtergreifung“, 1960) veröffentlichten Statistiken der Gemeinden mit über 1000 Wählern. Nicht zufällig wurde die Schule zum Brennpunkt eines Streits, den 1941 der Schwanheimer Pfarrer Alois Engel mit einem braunen Pädagogen austrug. Der neue Dorflehrer, Jahrgang 1914, verunglimpfte im Unterricht das Christentum als eine „artfremde, jüdische Lehre“ und schürte den Rassenhass: Juden seien in der ganzen Welt als Verbrecher bekannt. Großspurig beauftragte er die Kinder, dem „katholischen Pfaffen“ und „Judenknecht Engel“ zu bestellen, dass dessen Religionsunterricht um eine Stunde gekürzt werde. Der Seelsorger blieb die Antwort nicht schuldig. Von der Kanzel herab erklärte er sonntags, es sei ein Räuber ins Dorf gekommen. Wenn dieser „gottlose Räuber“ noch einmal den Glauben verächtlich mache, sollten die Kinder ihm direkt ins Gesicht sagen: „Pfui Teufel!“ Nachdem Engel den Tenor seiner Predigt am nächsten Sonntag wiederholte, beschlossen die Männer des Ortes, dem Lehrer eine Lektion zu erteilen, das heißt eine Tracht Prügel zu verabreichen. Vom örtlichen

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NSDAP-Zellenleiter und dem Ortsgruppenleiter Peter Haus aus Darstein gewarnt, wollte der Parteigenosse nun mit Hilfe des Staatsapparats dem „Stellvertreter Gottes in Schwanheim“ das Handwerk legen. Die Gestapo führte peinliche Verhöre von Schülern und Eltern, um Munition gegen Engel zu sammeln. Doch die Zeugen verteidigten ihn und das christliche Erziehungsideal. Nur Haus meinte, in dem „schwarzen Nest“ sei es bitter notwendig, dass ein aktiver Nationalsozialist einen Gegenpol bilde zur „Wühlarbeit“ des Pfarrers. Erstaunt stellte der Lehrer acht Jahre nach Hitlers Machtantritt fest, dass „ganz Schwanheim leider noch heute unter dem unheilvollen Einfluss“ des Geistlichen stehe. „Es war höchste Zeit, dass ich zu Euch gekommen bin, damit Ihr endlich einmal etwas vom Nationalsozialismus hört“, verkündete der weltanschauliche Avantgardist vor den Dorfkindern. Die Botschaft fand keinen Widerhall; selbst der NS-Bürgermeister und einzige Schuhfabrikant am Ort, Philipp Mandery, distanzierte sich gegenüber Engel von solch antichristlichen Parolen. Auch die Behörden fanden das Vorgehen des Pädagogen unklug. Ein ersprießliches Wirken in Schwanheim könne nicht mehr erwartet werden. Gauleiter Bürckel, dem der Fall vorgetragen wurde, missbilligte das Verhalten des Lehrers „auf das schärfste“. Man forderte ihn auf, sich unverzüglich versetzen zu lassen. Nüchtern musste ein Gestapo-Bericht am 2. Mai 1941 konstatieren, in Schwanheim gebe es „nur wenige Parteigenossen, die jedoch durchaus dem Pfarrer hörig sind ... Nach den bei den Ermittlungen gemachten Erfahrungen würden sie lieber ihre Parteizugehörigkeit niederlegen als gegen ihren Pfarrer als Zeugen aufzutreten.“ So ist die totalitäre Herrschaft selbst auf ihrem Höhepunkt, vor dem Angriff auf die Sowjetunion, mancherorts doch eindeutig durch das katholische Milieu begrenzt geblieben. Hinsichtlich der Zitatnachweise verweist der Autor auf sein Buch. Theo Schwarzmüller: Hauenstein gegen Hitler. Die Geschichte einer konfessionellen Lebenswelt, Kaiserslautern 2007 Darüber hinaus ist Bezug genommen auf Thomas Fandel: Konfession und Nationalsozialismus. Evangelische und katholische Pfarrer in der Pfalz 1930-1939, Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B 76, Paderborn 1997. Vom Scheitern der Demokratie. Die Pfalz am Ende der Weimarer Republik, hg. von Gerhard Nestler, Stefan Schaupp und Hannes Ziegler, Karlsruhe 2010.

RHEINLAND-WESTFALEN

RESISTENZ, VERWEIGERUNG UND KAPITULATION. FRAUEN, JUGEND UND DAS NS-REGIME IM RHEINLAND UND IN WESTFALEN MICHAEL E. O’SULLIVAN Zahlreichen Archivquellen zufolge stimmten die nationalsozialistische Regierung und die katholische Führung darin überein, dass Frauen in den späten 1930er und in den frühen 40er Jahren des 20. Jahrhunderts im Rheinland und in Westfalen eine unerschütterliche Bastion der Unterstützung für die Kirche blieben. So wurde in einem Diözesanbericht aus Euskirchen im Jahre 1937 beispielsweise der tatkräftige Mütterverein dieser Stadt gelobt, der jährlich neue Mitglieder anzog und der zum Erfolg einer kürzlich durchgeführten Mission beigetragen hatte. Obgleich er versuchte, die weibliche Anhängerschaft des Katholizismus zu verspotten, bestätigte ein nationalsozialistischer Informant im Jahr 1942 diese Schilderung: „Meist in den Kirchen waren Frauen mit kleinen Kindern.“1 Obwohl eine nie zuvor da gewesene Beanspruchung der Männer durch Hitlerjugend, Arbeitsdienst und Wehrmacht diese Beobachtungen zum Teil erklären, stehen diese Angaben auch für eine Kontinuität mit der Weimarer Zeit, als die Frauen an der Kommunionbank und an der Wahlurne für die Zentrumspartei die Mehrheit bildeten.2 Trotz dieser Hinweise haben nur eine Handvoll Historiker, die regionale katholische Milieus untersucht haben, Frauen in ihre Analysen mit einbezogen. Noch weniger wurde erforscht, wie weibliche religiöse Institutionen, wie beispielsweise Frauenvereine, die Antwort katholischer Frauen auf das Dritte Reich geprägt haben. Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit diesen Fragen, indem er die katholischen Müttervereine, die in den städtischen Ballungsgebieten, Industriestädten und Provinzstädten im Rheinland und in Westfalen am verbreitetesten waren, mit der katholischen Jugendbewegung der Region vergleicht. Die geringe Anzahl von Monographien, die sich mit dem Thema katholische Frauen befassen, verblasst neben einer Fülle von Forschungsarbeiten, die über die von Männern dominierten Vereine, Institutionen und politischen Par-

1

Historisches Archiv des Erzbistums Köln (HAEK) CR I 14.2,10: Jahresberichte des Dechanten, 1938-1939, Dekanatsbericht für das Dekanat Euskirchen 1937; Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (HStAD) Polizei- und Sicherheitsdienststellen: Geheime Staatspolizeistelle Köln RW 34-2: Katholische Kirche, Aachen, den 22.6.1942, Betrifft: Firmungsreise des Apostolischen Administrators.

2

Wilhelm Damberg: Moderne und Milieu. Geschichte des Bistums Münster 18021998, Münster 1998, S. 207-212.

216 MICHAEL E. O’SULLIVAN teien in vielen Regionen von Deutschland vorliegen.3 Innerhalb dieses kleinen Forschungsbereiches zeichnet sich indes eine Debatte darüber ab, wie die Rolle gläubiger Frauen am besten untersucht werden kann. Irmtraud Götz von Olenhusen hat die bedeutendste frühe wissenschaftliche Arbeit über Frauen in regionalen religiösen Milieus des 19. Jahrhunderts, welche durch Vereine, politische Parteien, Rituale und gemeinsame kulturelle Werte gekennzeichnet waren, verfasst. Sie kommt zu dem Schluss, dass, obwohl die Kirche durch eine starke Präsenz von Frauen feminisiert war, die patriarchalischen Werte und die klerikale Kontrolle, die den gläubigen Frauen auferlegt wurde, sie an der Verfolgung einer emanzipatorischen Agenda hinderten. Doris Kaufmann und Ursula Baumann stimmen in ihren Untersuchungen über die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen mit Götz von Olenhusens Darstellung der von den kirchlichen Institutionen unterdrückten Frauen überein.4 Eine neue Gruppe von Wissenschaftlern legt jedoch nahe, dass gläubige Frauen innerhalb der Grenzen dieses männlich dominierten Milieus nach Wegen zur Macht gesucht haben.5 So ar3

Christoph Kösters: Katholische Verbände und moderne Gesellschaft. Organisationsgeschichte und Vereinskultur im Bistum Münster 1918-1945, Paderborn 1996; Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte (AKKZG), Münster: Katholiken zwischen Tradition und Moderne. Das katholische Milieu als Forschungsaufgabe. In: Westfälische Forschungen 43 (1993) S. 588-590; Johannes Horstmann und Antonius Liedhegener (Hrsg.): Konfession, Moderne und Milieu: Konzeptionelle Positionen und Kontroversen zur Geschichte von Katholizismus und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Katholische Akademie Schwerte, 2001; Christoph Schank: ‚Kölsch-Katholisch’. Das katholische Milieu in Köln 1871-1933, Köln, Weimar, Wien 2004; Oded Heilbronner: From Ghetto to Ghetto: The Place of German Catholic Society in Recent Historiography, in: The Journal of Modern History 72 (2000), S. 60-85; Rudolf Morsey: Der Untergang des politischen Katholizismus, Stuttgart und Zürich 1977; Olaf Blaschke und Frank-Michael Kuhlemann (Hrsg.), Religion im Kaiserreich: Milieus-Mentalitäten-Krisen, Gütersloh 1996; Antonius Liedhegener: Christentum und Urbanisierung. Katholiken und Protestanten in Münster und Bochum 1830-1930, Paderborn, München, Wien, Zürich 1997; Barbara Schnellenberger: Katholische Jugend und Drittes Reich. Eine Geschichte des Katholischen Jungmännerverbandes 1933-1939 unter besonderer Berücksichtigung der Rheinprovinz, Mainz 1975; Wilhelm Damberg: Der Kampf um die Schulen in Westfalen 1933-1945, Mainz 1986.

4

Irmtraud Götz von Olenhusen (Hrsg.): Wunderbare Erscheinungen. Frauen und katholische Frömmigkeit im 19. und 20. Jahrhundert, München 1995; Irmtraud Götz von Olenhusen (Hrsg.): Frauen unter dem Patriarchat der Kirchen. Katholikinnen und Protestantinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1995; Doris Kaufmann: Katholisches Milieu in Münster 1928-1933. Politische Aktionsformen und geschlechtsspezifische Verhaltensräume, Düsseldorf 1984.

5

Maria Anna Zumholz: Volksfrömmigkeit und katholisches Milieu. Marienerscheinungen in Heede 1937-1940 im Spannungsfeld von Volksfrömmigkeit, nationalsozialistischem Regime und kirchlicher Hierarchie, Cloppenburg 2004; Ann Tay-

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gumentiert beispielsweise Relinde Meweis, dass Nonnen des 19. Jahrhunderts die religiösen Ordensgemeinschaften nutzten, um berufliche Ziele zu verfolgen und eine Umgebung anzustreben, die relativ frei von männlicher Aufsicht war. Gisela Breuer veranschaulicht ebenfalls, wie der Katholische Frauenbund, ein Verband mit mehr als 200.000 Mitgliedern, seine Unabhängigkeit von der klerikalen Aufsicht behauptete und nach Auslegungen des Katholizismus suchte, welche die erwerbstätigen Frauen stärkten.6 Obwohl diese Diskussion überwiegend außerhalb der Geschichtsschreibung zum katholischen Milieu geführt wird, gibt es auch eine lebhafte Debatte über die Rolle katholischer Frauen während des Dritten Reichs. In ihrer wegweisenden und kontroversen Schrift Mothers in the Fatherland weist Claudia Koonz darauf hin, dass durch die Betonung der Mutterrolle und der biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen seitens der religiösen Organisationen und anderer Frauengruppen, der Nationalsozialismus eine Unterstützung erfuhr. Obgleich sie mehrere Bereiche von Meinungsverschiedenheiten zwischen katholischen Frauen und dem Nationalsozialismus identifiziert, hebt Koonz die Einseitigkeit dieser Proteste hervor und diskreditiert sie, weil sie über die Verfolgung von Juden und anderen nicht-katholischen Regimekritikern hinwegsahen. Dagmar Herzogs jüngste Untersuchung hingegen betont die Kluft zwischen katholischen Frauen und dem Nationalsozialismus im Hinblick auf die Sexualität. Auch wenn dem Nationalsozialismus und Katholizismus die Betonung der Mutterschaft gemeinsam war, so tolerierten jedoch einige Vertreter in der Partei voreheliche Beziehungen, sofern diese der Rassenlehre des Dritten Reiches entsprachen. Schließlich wirft Michael Phayer ein Schlaglicht auf die Widerstandsaktivitäten katholischer Frauen, wie z.B. Margarethe Sommer und Gertrud Luckner, und legt nahe, dass katholische Frauen sich dem Nationalsozialismus eher widersetzten als männliche Bischöfe und Priester.7 Dieser Aufsatz vergleicht die Müttervereine im Rheinland und in Westfalen mit der männlichen katholischen Jugendbewegung, um sichtbar zu machen, lor Allen: Religion and Gender in Modern German History. A Historiographical Perspective, in: Karen Hagemann and Jean H. Quataert (Ed.), Gendering Modern German History. Rewriting Historiography, New York and Oxford 2007, S. 190207. 6

Relinde Meiwes: Arbeiterinnen des Herrn. Katholische Frauenkongregationen im 19. Jahrhundert, Frankfurt 2000; Gisela Breuer: Frauenbewegung im Katholizismus. Der katholische Frauenbund 1903-1918, Frankfurt, New York 1998.

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Claudia Koonz: Mothers in the Fatherland: Women, the Family, and Nazi Politics, New York 1987, S. 1-18, 265-306; Dagmar Herzog: Sex after Fascism. Memory and Morality in Twentieth-Century Germany, Princeton 2005, S. 10-63; Michael Phayer: The Catholic Church and the Holocaust 1930-1965, Bloomington 2000, S. xiv, 111-132.

218 MICHAEL E. O’SULLIVAN wie die Geschlechterrollen vor 1933 die Beziehung zwischen katholischen Frauen und dem Dritten Reich prägten und fragt nach ihrer Funktion innerhalb des katholischen Milieus. Generalpräses Hermann Klens zentralisierte im Jahr 1928 die Müttervereine Deutschlands in einer nationalen Organisation, dem Zentralverband der Frauen- und Müttervereine. Obwohl es sich hierbei technisch gesehen um eine nationale Organisation handelte, vereinigte diese neue Institution nahezu ausschließlich Vereine aus den Diözesen Köln, Münster, Paderborn und Trier. Mit 850.000 Mitgliedern, 2.000 Branchenverbänden und einer Zeitschrift, Die Mutter, deren Leserschaft regelmäßig mehr als 500.000 Personen betrug, wurde sie zu einer der einflussreichsten Frauengruppen dieser Zeit. Eine Untersuchung darüber, wie sich Frauen in den Müttervereinen rund um die Katholische Aktion und die häusliche Frömmigkeit in den späten Jahren der Weimarer Republik mobilisierten und ein Vergleich dieser feminisierten Religiosität mit der katholischen Jugendbewegung junger Männer während desselben Zeitabschnitts wird zeigen, wie die geschlechtsspezifischen Rollen die Antwort auf den Nationalsozialismus prägten. Das Dritte Reich wurde von der überwiegenden Mehrheit der katholischen Frauen aus dem Rheinland und aus Westfalen unterstützt oder toleriert. Die Betonung, die in den Müttervereinen auf die normativen Familienwerte und die Mutterschaft gelegt wurde, führte zu Sympathien mit ähnlichen Appellen der Nationalsozialisten. Des Weiteren führte ihr Widerstreben, sich dem „Demontrationskatholizismus“8 der männlichen Jugend, der in den späten 20er Jahren einsetzte, anzuschließen, gegenüber den NS-Behörden weniger zu öffentlichen Herausforderungen als bei jungen katholischen Männern. Der Weimarer Schwerpunkt auf konservativen sexuellen Werten und die Ermutigung zur häuslichen Spiritualität der Katholischen Aktion machten jedoch während der späten 1930er und der 40er Jahre die Frauen zu einem katholischen Bollwerk. Als der Nationalsozialismus die Männer aus den öffentlichen religiösen Rollen verdrängte, bewahrten Frauen im privaten Bereich die katholischen Traditionen und stellten die Politik des Dritten Reiches in Bezug auf Jugend, Erziehung und Religion in einigen Bereichen in Frage. Alles in allem führten die Werte der nordwestlichen Müttervereine aus der Weimarer Zeit zwar nicht zu Akten des Widerstands seitens der katholischen Frauen, erleichterten im späteren Stadium des Dritten Reiches aber einige begrenzte Beispiele von Verweigerung und Resistenz.

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Christoph Kösters: ‚Fest soll mein Taufbund immer steh’n ...’ Demonstrationskatholizismus im Bistum Münster 1933-1945, in: Rudolf Schlögl und Hans-Ulrich Thamer (Hrsg.): Zwischen Loyalität und Resistenz, Münster 1996, S. 158-184.

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„GEISTIGE MÜTTERLICHKEIT“ UND ÖFFENTLICHE FRÖMMIGKEIT WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK Die Zentralisierung der Müttervereine im Jahr 1928 nach den Leitsätzen der Katholischen Aktion verstärkte die in der Organisation ohnehin bereits vorherrschende Betonung der Mutterschaft, der Keuschheit, der Moral und der häuslichen Spiritualität. Obwohl dieser Trend die Themen aus früheren Zeiten fortsetzte, boten die Veränderungen in den lokalen Vereinen den Frauen vermehrte Möglichkeiten auf eine moralische Autorität innerhalb des institutionellen Katholizismus. Die Position der Männer bildete jedoch einen starken Kontrast zu diesen katholischen Müttern im Rheinland und in Westfalen. Insbesondere die Organisationen der männlichen Jugend, die in der katholischen Gemeinschaft in der Öffentlichkeit eine größere Rolle einnahmen, wurden bei hochrangigen Prozessionen und bei Bekundungen der Treue zu ihrem Glauben zum Gesicht der Kirche. Diese Trennung zwischen privater Andacht und Moral bei den Frauen und der öffentlichen Militanz der jungen Männer beeinflusste die Art und Weise, wie sich die einzelnen Katholiken unter dem Dritten Reich verhielten. Indem er die rheinischen und westfälischen Müttervereine zentralisierte, weitete Hermann Klens das aktive religiöse Leben der Frauen aus.9 Die Vereine bildeten neue Führerinnen aus, die andere Frauen zu Fragen des Familienlebens und religiöser Praktiken berieten. Diese Frauen versammelten ihrerseits die Vereinsmitglieder in Gruppenabenden, um zu erörtern, wie mit Kindern über die Sexualität gesprochen und wie „Frauengüte“ vermittelt werden soll. Der Verband, dessen Mitgliedschaft in erster Linie aus den Diözesen Münster (27%), Köln (33%), Osnabrück (3%) und Paderborn (23%)10 stammte, verstärkte auch bereits vorhandene Dienstleistungen für Frauen, die erwerbstätig waren und Kinder aufzogen. So wurde zum Beispiel im Ort Rhöndorf ein Müttererholungsheim eingerichtet, damit sich Frauen in einer ländlichen und idyllischen Umgebung von den Anstrengungen des städtischen Lebens erholen konnten.11 Der Kern der Aktivitäten dieser Bewegung ging von Frauen aus den 9

Hermann Klens: Anwalt der Frauen. Leben und Werk, Düsseldorf 1978, S. 49, 8889.

10 Archiv der Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (KFD) 375: Frau und Mutter Absatzentwicklung 1951-1971; Die Mutter, „Ein herzliches ‚Grüß Gott’ zum neuen Jahr!“ Bd. 20, Nr. 1, Januar 1929; „Aus unsere Verbandsfamilie-Aus unserem Gruppenabenden“, Bd. 20, Nr. 9, September 1929; „Aus unserer Verbandsfamilie-Mutter erhole sich“, Bd. 23, Nr. 1, Januar 1932. 11 Die Mutter, „Ein herzliches ‚Grüß Gott’ zum neuen Jahr!“ Bd. 20, Nr. 1, Januar 1929; „Aus unsere Verbandsfamilie-Aus unserem Gruppenabenden“, Bd. 20, Nr. 9, September 1929; „Aus unserer Verbandsfamilie-Mutter erhole sich“, Bd. 23, Nr. 1, Januar 1932.

220 MICHAEL E. O’SULLIVAN Mittelschichten der rheinischen und westfälischen Orte und Städte aus, wenngleich auch einige ländliche Vereine ebenfalls dynamisch blieben. Die Monatszeitschrift Die Mutter wurde zum wirksamsten Kommunikationsinstrument dieser gewaltigen Organisation. Auf ihren Seiten artikulierten weibliche Redakteure das Hauptziel des Verbandes: gegen die Anfechtungen der sogenannten „Modedamen“ in den deutschen Städten der 1920er Jahre für die katholischen weiblichen Werte einzutreten.12 Der Verband appellierte an die Frauen, die mütterlichen Werte des Katholizismus gegen die neueren Bilder der populären Kultur der 20er Jahre zu behaupten. Die Müttervereine hielten katholische Frauen außerdem dazu an, die moralische Reinheit in ihren Ehen zu schützen, selbst dann, wenn ihre Ehemänner untreu wurden. Die Mutter machte männliche Untreue und die Dauerhaftigkeit der weiblichen Hingabe gegenüber der Ehe zu einem häufigen Thema. Die Zeitschrift erzählte die Geschichte einer Frau, die beschloss, ihren Ehemann zu verlassen, nachdem dieser sie hintergangen hatte. Nachdem sie ihre Sachen gepackt und ihre Kinder zur Großmutter geschickt hatte, entdeckt sie eine Kerze, die er ihr gekauft hatte, nachdem sie ihn zu einer Wallfahrt mitgenommen hatte. Sie zündete die Kerze an und sieht in ihr das Licht, das sie in den dunklen Tagen ihrer Ehe leiten soll. Sie begreift, dass sie ihren Ehemann nicht verlassen kann, da sie ihn vor seinen Sünden retten und ihn durch ihr Beispiel zu Gott zurückführen muss.13 Neben ihrer Rolle als Hüterinnen der Moral der katholischen Gemeinschaft bewahrten Frauen ebenso die religiösen Traditionen. Die Zeitschrift wies die Mütter an: „Hilf deinem Kinde beten. Geh mit ihm morgens zur heiligen Messe, sprich mit ihm das Morgen- und Abendgebet, und dann betet zusammen in der Dämmerstunde den Rosenkranz. Rede mit ihm häufig von der Würde und dem Glück des groβen Tages und suche sein Herz mit heiliger Ehrfurcht vor dem allerheiligsten Sakramente zu erfüllen. … An Mutters Hand soll das Kind dem lieben Heiland entgegengehen.“14 Ein anderer Artikel zeigt die geschlechtsspezifischen Rollen bei der religiösen Erziehung eines Kindes. Bei der Schilderung des Ablaufs der Erstkommunion für die Eltern weist die Zeitschrift darauf hin, dass beide Elternteile an der Erstkommunion teilnehmen, aber dass die Mutter die Kinder auf diese vorbereiten muss. Nach der Erstkommunion stellten die Mütter den dauerhaften Glauben ihrer Kinder durch eine regelmäßige Teilnahme sicher. Frauen waren die religiöse „Seele“ der Familie.15 Während einige Wissenschaftler in der Katholischen Aktion in Deutschland ein harmloses Programm sehen, das Laien mehr Möglichkeiten auf Führungs12 Die Mutter, „Jungfrau-Mutter-Königin“, Bd. 20, Nr. 8, August 1929. 13 Die Mutter, „Magda Berger: Das Licht!“ Bd. 21, Nr. 2, Februar 1930. 14 Die Mutter, „Aus Kinderland: An der Mutter Hand“, Bd. 20, Nr. 3, Marz 1929. 15 Die Mutter, „Weißer Sonntag“, Bd. 21, Nr. 4, April 1930.

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positionen bot,16 kritisieren andere Historiker sie als eine repressive Kraft, die dynamische Laienbewegungen zerstörte, um die institutionelle Macht des Klerus zu stärken. Dirk Müller und Joachim Köhler argumentieren, dass der Argwohn des Klerus gegenüber der Autonomie der Laien während der Einführung der Leitsätze der Katholischen Aktion den Niedergang des Volksvereins für das katholische Deutschland und der Arbeitervereine herbeigeführt hat. Diesen Wissenschaftlern zufolge entpolitisierte die Katholische Aktion den Katholizismus und schuf damit den notwendigen Kontext für das Konkordat mit dem Nationalsozialismus im Jahr 1933.17 Die Leitsätze der Katholischen Aktion schränkten zweifelsohne die Wirkungskraft sowohl von Männern als auch von Frauen und insbesondere die der politisch einflussreichen Männergruppen ein. Aber die Müttervereine unterlagen bereits der strengen Aufsicht durch die örtlichen Priester. Diese Frauen erhielten daher mehr Möglichkeiten auf Führungsrollen und hatten von vornherein nur wenig Autonomie zu verlieren. Während Kirchenführer patriarchalische Themen beibehielten, welche die Frauen einschränkten, nutzten die Mütter die Katholische Aktion auch, um ihre Macht innerhalb der Grenzen des religiösen Lebens auszubauen. Während viele katholische Mütter die Ideale der „gesitlichen Mütterlichkeit“ begrüßten und in ihrer Privatsphäre ihre moralische Autorität stärkten, zeigten sich die jüngeren Frauen diesen Werten gegenüber weniger enthusiastisch. Die Jungfraukongregationen waren für die Müttervereine im Rheinland und in Westfalen institutionelle Partner, die das spirituelle Leben für Mädchen und junge Frauen organisierten.18 Sie waren weniger populär als die Müttervereine und junge Frauen übten gelegentlich an den Lehren der Kirche über erwerbstätige Frauen19 und Sexualität Kritik.20 Die meisten Mädchen, die in den Jungfraukongregationen aktiv waren, vermieden offenen Widerspruch zu den kirchlichen Lehren und viele hielten einen hohen Grad an Religiosität aufrecht. Dennoch zeichneten sich in der Fassade einer einheitlichen weiblichen Loyali16 Gotthard Klein: Der Volksverein für das katholische Deutschland, 1890-1933. Geschichte, Bedeutung, Untergang, Paderborn 1996, S. 218-240. 17 Dirk H. Müller: Arbeiter, Katholizismus, Staat: Der Volksverein für das katholische Deutschland und die katholischen Arbeiterorganisationen in der Weimarer Republik, Bonn 1996; Joachim Köhler: Ausbruch aus dem katholischen Milieu? Katholikinnen und Katholiken in Württemberg 1918 bis 1933, in: Rainer Lächele und Jörg Thierfelder (Hrsg.): Württembergs Protestantismus in der Weimarer Republik, Stuttgart 2003, S. 122-138; Kaufmann: Katholisches Milieu, S. 8. 18 „Verbandsfamilie-Breslau“, Der Kranz 22 (1928), S. 51. 19 „Verbandfamilie-Einmütige Zusammenarbeit“, Der Kranz 22 (1928), S. 81; „Dr. Ernst Breit: Vor dem Maialtar“, Der Kranz 22 (1928), S. 113-114; „Wie wir das Leben sehen!” Der Kranz 26 (1932), S. 50-51, 144-161, 172-189. 20 Die Mutter, „Das Gebet der Mutter!“ Bd. 21, Nr. 2, Februar 1930.

222 MICHAEL E. O’SULLIVAN tät gegenüber der Kirche feine Risse ab. Diese Ambiguität sollte die ebenso gemischte Reaktion junger Frauen gegenüber dem Dritten Reich prägen. Während die Kirche häusliche Spiritualität und ein Programm der Katholischen Aktion für Frauen förderte, mobilisierten sich katholische junge Männer von Köln bis Münster in der gut erforschten katholischen Jugendbewegung. Obschon den Jungmännergruppen mit den Frauenorganisationen die Betonung der Keuschheit gemein war, unterschieden sich die Werte dieser Bewegung von denen der Müttervereine jedoch in zweierlei Weise. Zum einen entwickelten viele Männergruppen eine gewisse Autonomie gegenüber der klerikalen Aufsicht sowie einen gewissen Grad an Unabhängigkeit von der kirchlichen Hierarchie. Darüber hinaus nahmen sie an populären Aktionen öffentlicher Frömmigkeit teil, die einen Code kämpferischer Maskulinität unterstützten, der in der späten Weimarer Zeit für religiöse wie auch für säkulare Gruppen charakteristisch war. Im Gegensatz zur weiblichen Hingabe an die häuslichen Werte demonstrierte eine neu belebte Jungmännerbewegung ihre katholische Identität in einer aggressiven Weise in der Öffentlichkeit. Der Katholizismus erfuhr in der religiösen Praxis der späten Weimarer Zeit eine Wiederauferstehung. Die Teilnahme an der wöchentlichen Messe, an der Kommunion und der Osterkommunion nahm zwar nur um 2%-3% zu, aber neue Besucherscharen strömten zu den regionalen Wallfahrtsstätten. Die Marienschreine in Neviges (Ruhrgebiet) und in Kevelaer (Niederrhein) erhöhten die Zahl ihrer jährlichen Gottesdienstbesucher zu dieser Zeit um Hunderttausende. Diese Entwicklung war ein Phänomen, das von Christoph Kösters als „Demonstrationskatholizismus“ und von Barbara Stambolis als „Wallfahrtsfrühling“ beschrieben wurde.21 Religiöse Riten nahmen den Charakter politischer Kundgebungen an, da Jugendgruppen und Verbände in Formationen militärischen Stils marschierten, Fahnen schwenkten und stolz ihre katholischen Insignien zur Schau stellten. Sozialdemokraten, Kommunisten und Nationalsozialisten veranstalteten ähnliche Demonstrationen22 und ergänzten diese Veranstaltungen durch eine politische Dimension. Die katholische Jugendmännerbewegung wurde für dieses öffentliche Element katholischer Frömmigkeit von zentraler Bedeutung. 21 Kösters: „Fest soll mein Taufbund immer steh’n“, S. 158-184; Barbara Stambolis: Wallfahrtsfrühling im Dritten Reich: Überlegungen zu Religiosität und Resistenz unter dem Nationalsozialismus, in: Ludger Grevelhorster (Hg.): Religion und Gesellschaft im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts. Studien zur neueren Geschichte und Westfälische Landesgeschichte, Vierow bei Greifswald 1995, S. 159170. 22 Karen Hagemann: Men’s Demonstrations and Women’s Protest. Gender in Collective Action in the Urban Working-Class Milieu during the Weimar Republic, in: Gender and History 51, Spring 1993, S. 103.

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Wenngleich Elitegruppen, wie beispielsweise der Bund Neudeutschland und Quickborn, die katholische Jugendbewegung zuerst in Deutschland eingeführt haben, so wurden ihre Werte von Carl Mösters, Ludwig Wolker und anderen Geistlichen mit einer gewissen Autonomie von Bischöfen und Gemeindepfarrern in anderen wichtigen Organisationen wie den Katholischen Jungmännerverband (KJMV) im Rheinland und in Westfalen verbreitet. Eine Gruppe junger Männer innerhalb des KJMV, die als die Sturmschar bekannt war, fühlte sich zu den Merkmalen der Jugendbewegung, wie z.B. dem Wandern, Camping sowie einem ganzheitlichen Führungsansatz, hingezogen. Für diesen Aufsatz ist aber vor allem von Bedeutung, dass diese Gruppen für eine kämpferische Maskulinität geworben haben, die zu einem herausragenden Merkmal der katholischen Kundgebungen in der Region wurde. Der KJMV warb für die öffentliche Frömmigkeit als einen Weg, die katholischen Ideale aufrecht zu erhalten und die Kirche gegen ihre vermeintlichen Kontrahenten zu verteidigen. Vor dem Katholikentag in Münster im Jahr 1930 forderten Jugendgruppen von ihren jungen Männern ein öffentliches Zeichen ihrer Unterstützung. In ihrer Zeitschrift wurde angekündigt: „Die katholische Jugend des Münsterlandes marschiert zum Katholikentag. Von allen Ecken und Kanten sind sie gekommen, aus dem letzten Dorf und aus den weiten Großstädten des Industriegebietes, mit ihren Wimpeln und Fahnen, mit ihren Trommeln, die Jungen, Frischen, Fröhlichen, die Sturmschar in ihrer grauen Kluft … nicht in Diskussion, sondern in einer groβen Kundgebung wollten sie dem deutschen Volk sagen, dass die katholische Jugend Westfalens fest verwurzelt in der Kirche steht.“23

Beim Kongress marschierten 30.000 junge Männer im Namen des KJMV. Die Sturmschar benutzte auch traditionelle Feste, um ihre religiöse Loyalität öffentlich zur Schau zu stellen. So rief zum Beispiel in Die Wacht ein Autor mit folgendem Appell die Jugend des Rheinlandes auf, die Jungfrau Maria im Monat Mai zu feiern: „In den rheinischen Städten besinnt man sich mehr und mehr darauf, daβ wir mit unserem Bekenntnis zur Kirche mit unseren Festen die Straβe erobern müssen. Das soll nicht heissen, um mal wieder zu protestieren gegen irgend etwas. Nein. Fein, mit Inbrunst und Schwung, mit Begeisterung und Andacht wollen wir durch unsere religiöse Feier die Lauen aufwecken, die Abseitsstehenden zum Aufhorchen bringen.“24

Im Kontext einer straff organisierten und segmentierten Gesellschaft nutzten junge Katholiken die Öffentlichkeit, um ihre Identität und ihren Einfluss geltend zu machen. Obwohl diese Kundgebungen als politische Gegner häufig den 23 Die Wacht, „Der Aufmarsch der 30.000“, Bd. 26, 1930, S. 349-350. 24 Die Wacht, „Ein Festtag zu Ehren der Mutter Gottes“, Bd. 28, 1932, S. 151.

224 MICHAEL E. O’SULLIVAN Nationalsozialismus als auch den Kommunismus zum Ziel hatten, vermieden sie die Konfrontation mit bestimmten Aspekten dieser Ideologien. Sie lehnten sie als gottlose Bewegungen ab, die zu dem größeren Problem des Säkularismus beitrugen. Dieses begrenzte politische Engagement bietet den Kontext für den engen Rahmen der katholischen Resistenz während des Dritten Reichs. Die Betonung neuer Formen männlicher Frömmigkeit rief über die Grenzen der katholischen Jugendbewegung hinaus Begeisterung hervor. Sie führte zu einer stärkeren Beteiligung von Männern bei den Wallfahrten. In den späten 1920er und in den 1930er Jahren war Neviges das Ziel mehrerer Wallfahrten von Männern und Jungen der Arbeiterklasse aus den Gemeinden in Köln, Bochum und Essen.25 Die männliche Mitwirkung auf der Gemeindeebene verbesserte sich ebenfalls. Der Jesuit Joseph Spieker erinnert sich in seinen Memoiren nostalgisch an die Wirkung der männlichen Appelle zur religiösen Andacht während der großen Weltwirtschaftskrise. Indem Themen benutzt wurden, die die kämpferische Maskulinität beschworen, motivierte er bei Veranstaltungen wie z.B. beim Mariengottesdienst und den Bußprozessionen in Köln von 1929 bis 1931 zur Teilnahme von 20.000 Männern. Die männlichen Kundgebungen katholischer Identität, die vor allem in den Industriestädten des Rheinlands und in Westfalen populär waren, ermöglichten eine männlich dominierte Öffentlichkeit, auch wenn diese von einigen herausragenden Männerverbänden während der 20er Jahre, wie beispielsweise von jenen der katholischen Arbeiterklasse, scharf abgelehnt wurden.26 Katholische Frauen erhielten nur begrenzte Möglichkeiten, an dieser demonstrativen Kultur der späten Weimarer Republik teilzunehmen. Zum einen ist belegt, dass Frauen ihre Teilnahme an religiösen Ereignissen, die in der Öffentlichkeit stattfanden, fortsetzten. Während Männer sich mehr an Marienkultstätten wie z.B. Neviges zeigten, bildeten Frauen unter den Wallfahrern insgesamt noch immer die Mehrheit. Auf dem Katholikentag im Jahr 1932 mobilisierte der Mütterverein für eine Massenveranstaltung und einen Gottesdienst 20.000 Frauen. Es wurden drei Auditorien benötigt, um sie unterzubrin-

25 Klosterarchiv Neviges (KaN) 28, „Kath. Kirchenzeitung der Pfarre St. Ursula, Köln“, 11. Juli 1926; „Pilgerfahrt der Zwölfhundert: Machtvolle Kundgebung der hl. Familie in Neviges“, 12. Juli 1932; „Bußprozession in Wuppertal: Eine Anregung“, 1932. 26 Raymond C. Sun: Catholic-Marxist Competition in the Working-Class Parishes of Cologne during the Weimar Republic, in: Catholic Historical Review 83, 1 (1997), S. 1-43; Raymond C. Sun: ‚Hammer Blows’. Work, the Workplace, and the Culture of Masculinity Among Catholic Workers in the Weimar Republic, in: Central European History 37, 2 (2004), S. 245-271.

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gen.27 Karen Hagemann veranschaulicht, dass im sozialistischen Milieu Frauen häufiger an öffentlichen Kundgebungen mit einer „Feiertagsatmosphäre“, wie z.B. kulturelle Ereignisse und Festivals, die Kinder mit einbezogen, teilnahmen. Die Kundgebungen hielten an den geschlechtsspezifischen Normen hinsichtlich der öffentlichen und der privaten Sphäre fest.28 Die meisten katholischen Kundgebungen drehten sich außerdem um religiöse und bereits als weiblich definierte Ereignisse und zogen daher eine bedeutende weibliche Teilnehmerschaft an. Junge Frauen beschäftigten sich in ihren Zeitschriften und Vereinsaktivitäten offen mit Fragen der öffentlichen Frömmigkeit. Die Jungfrauenkongregationen veröffentlichten Bilder ihrer Mädchen, die in ‚Kluft’ marschierten und stolz die Symbole ihrer konfessionellen Organisation zeigten. In einem Artikel heißt es: „Ein Zweites, Wichtiges aber will die Zeitung! Als ‚Junge Front‘ eintreten in den Kampf des öffentlichen Lebens, zielklar und furchtlos. Sie will in der Öffentlichkeit den Willen deutsch-katholischer Jugend kundgeben und aus jungem Geist und jungem Blut mitbauen am neuen Deutschland … Wo es um Großes, Wertvolles geht für Jugend und Volk und Menschheit, haben Mädchen und Frau nie versagt! Wir sind auch jetzt dabei!”29

Der Kranz mäßigte diese Einstellung im Jahr 1932 etwas: „Wir Schwestern sind froh ob unserer katholischen Jungmänner! Wenn sie durch die Straβen schreiten, lichttragend, dann stehen wir wohl schweigend abseits mit tiefechtem Wunsche in der Seele, daβ sie immerdar weltoffene Christusträger seien! Und wenn sie ihr Bekenntnis sprechen, klingt in uns vieles mit … Wie sie ‘Sturm’ auf ihre Fahne schreiben, wie sie durch die Straßen marschieren; das können und wollen wir nicht. Sie machen es in ihrer Jungenart! Da hat es seine Bedeutung, seine Wirkung! Und wir leben es in unserer Mädchenund Frauenart! Die ist stiller, besinnlicher, tiefer!30

Obwohl einige Mädchen an der Straßenkultur der späten Weimarer Zeit teilnahmen, betrachtete die Leitung der Jungfrauenkongregationen diese öffentliche Frömmigkeit als einen Verstoß gegen das von der kirchlichen Führung unterstützte häusliche Ideal. Trotzdem nahmen gewöhnlich auch Frauen teil, aber sie führten keine Rituale und Märsche an, die die katholische Identität öffentlich gegenüber einer 27 Mutter und Frau, „Unsere Mütter auf dem Katholikentag“, Bd. 23, Nr. 11, November 1932. 28 Hagemann: „Men’s Demonstrations and Women’s Protest“, S. 105. 29 „Junge Front“, Der Kranz 26 (1932), S. 245. 30 A. Heinemann: „Aufbruch katholischer Jugend!“ Der Kranz 26 (1932), S. 191196.

226 MICHAEL E. O’SULLIVAN empfundenen säkularen Bedrohung durch den Kommunismus oder den Nationalsozialismus zeigten. Wenn die öffentliche Religiosität mit einer explizit politischen Konfrontation oder mit Symbolen verbunden war, ließen sie Männern den Vortritt. Obwohl Frauen das Herz dessen bildeten, was Barbara Stambolis als Wallfahrtsfrühling bezeichnet hat, spielten sie in Christoph Kösters Begriff des Demonstrationskatholizismus in dieser Zeit nur eine untergeordnete Rolle. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede in Bezug auf die öffentlichen religiösen Aktivitäten mit politischen Untertönen prägten künftige Reaktionen auf den nationalsozialistischen Staat. Während die jungen Männer mit einem wirkungsvolleren Instrumentarium für eine offene regimekritische Haltung gegen die Kirchenpolitik der Nationalsozialisten von 1934 bis 1936 in das Dritte Reich gingen, konnten die Frauen ihre Religiosität besser an die Diktatur anpassen, die den Demonstrationskatholizismus letzten Endes aus der Öffentlichkeit verbannte. ÖFFENTLICHER KONSENS UND PRIVATER DISSENS WÄHREND DES DRITTEN REICHES Die Entwicklung der Beziehungen zwischen Katholiken und Nationalsozialisten durchlief während des Dritten Reiches im Rheinland und in Westfalen zumindest zwei Phasen. In den ersten Jahren des Regimes protestierte die katholische Bevölkerung in den Dörfern und Städten, die über ein dichtes Netzwerk konfessioneller Vereine verfügten, gegen Verletzungen des Konkordats, auch wenn sie gleichzeitig anderen Aspekten der Politik des Regimes zustimmte. Nach 1936 ließ die Kirchenführung die Auflösung vieler einflussreicher katholischer Vereine durch die Nationalsozialisten zu und führte eine Umorganisation der religiösen Praxis auf der Grundlage der Gemeinde, des Klerus und der Katholischen Aktion durch. Aufgrund ihrer Betonung einer kämpferischen Maskulinität und der öffentlichen Demonstrationen während der letzten Jahre der Weimarer Republik führten junge Männer auf dem Höhepunkt der katholischen Konflikte zur Religionspolitik des NS-Regimes von 1934 bis 1936 die offensivsten Formen der Resistenz an. Nachdem der Nationalsozialismus die katholische Öffentlichkeit ausgeschaltet hatte, übten die Frauen und Mädchen im Rheinland und in Westfalen hingegen Formen der Verweigerung aus, deren Wurzeln in der häuslichen Spiritualität lagen. Verschiedene öffentliche Rituale zeigten die Resistenz einzelner Gruppen der katholischen Jugend gegen die Kirchenpolitik zwischen 1934 und 1936. So haben mehrere Experten, die den Katholizismus in Westfalen untersuchten, zum Beispiel darauf hingewiesen, dass die „Große Prozession“ in Münster zu einem Forum wurde, um Bischof Clemens August von Galen, der für seine freimütigen Worte bekannt war, öffentlich die Loyalität auszudrücken und sich den radikalsten Gegnern der institutionellen Christlichkeit, wie Alfred Rosen-

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berg, zu widersetzen. Die Katholiken nahmen an diesem Ereignis weitaus zahlreicher teil als in vorangegangenen Jahren und von Galen antwortete nach den Prozessionen im Jahr 1935 und 1936 auf die Unterstützungsrufe der Bevölkerung mit kämpferischen Reden.31 Nach diesen Reden kam es zwischen jungen Mitgliedern des Klerus und der Jugendbewegung zu heftigen Zusammenstößen mit der Polizei. Dreihundert junge Männer führten bei dieser Veranstaltung im Jahr 1934 den ersten offenen Protestakt an, als sie nach der Prozession Bischof von Galen ihren Gruß erwiesen.32 Obwohl bei der Prozession im Jahr 1935 als Reaktion auf eine provokative Rede von Rosenberg die größte Anzahl von Katholiken erschien, ereigneten sich die heftigsten Kundgebungen im darauf folgenden Jahr. Eine starke Polizeipräsenz führte zu mehreren Verletzten und zwölf Verhaftungen, als die Behörden vergeblich versuchten, die Katholiken daran zu hindern, sich wie in früheren Jahren vor dem Wohnsitz von Galens zu versammeln. Ein Polizeibericht schildert das Ereignis folgendermaßen: „Bei den Versammlungsteilnehmern machte sich ein ständig steigender Widerstand bemerkbar.“ Auch wenn in den meisten Beschreibungen dieses Ereignisses junge Männer als die Initiatoren dieses Konflikts mit der Polizei genannt wurden, waren auch Frauen in einer großen Zahl erschienen. Bilder aus dem Jahr 1937 zeigen sowohl Frauen als auch Männer, die sich vor dem Dom versammelten und von der Polizei zurückgedrängt wurden. In einem Stimmungsbericht der NSDAPGauleitung Westfalen-Nord werden die Reaktionen der Frauen auf die Rede von Galens im Jahr 1936 kommentiert: „Die Begeisterung der Menge kannte keine Grenze; man konnte Frauen beobachten, die durch das theatralische Benehmen des Bischofs bis ins Innerste gerührt waren. Sie weinten.”33 Diese Beispiele zeigen, wie die geschlechtsspezifische Einstellung zur öffentlichen Frömmigkeit der späten Weimarer Jahre den Kontext für den Dissens in den ersten Jahren des Dritten Reiches schuf. Während vereinzelte Gruppen junger 31 Joachim Kuropka (Hg.): Meldungen aus Münster 1924-1944. Geheime und vertrauliche Berichte von Polizei, Gestapo, NSDAP und ihren Gliederungen, staatlicher Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Wehrmacht über die politische und gesellschaftliche Situation in Münster und Umgebung, Münster 1992, S. 450-454, 466480; Johannes Gerhard: 600 Jahre Große Prozession in Münster, 1383-1983, Münster 1983; Wilhelm Damberg: Die Große Prozession in Münster. Das Verhältnis von Katholizismus und Nationalsozialismus 1933-1936, in: Werner Freitag (Hg.): Das Dritte Reich im Fest. Führermythos, Feierlaune und Verweigerung in Westfalen, 1933-1945, Bielefeld 1997, S. 195-198. 32 Stadtarchiv Münster, Stadtregistratur Kirchen, Fach 200, Staatspolizeiliche Anordnung, 28. Juni 1934; Domvikar Larsen an Polizeidirektor, 18. Juni 1934; Oberbürgermeister an NSDAP Gauleitung, 13. August 1934. 33 Kuropka, S. 469, 474-477.

228 MICHAEL E. O’SULLIVAN Männer ihre Rhetorik kämpferischer Maskulinität zeitweilig in gewaltsamen Protesten gegen den Nationalsozialismus ausübten, nahmen Frauen zwar an den Ereignissen teil, leisteten aber normalerweise eine eher passive Unterstützung. Die Große Prozession in Münster war im Rheinland und in Westfalen kein einmaliges Vorkommnis. Mobilisierte Gruppen katholischer Jugendlicher schürten zahlreiche weitere Kundgebungen gegen die Kirchenpolitik der Nationalsozialisten. Am Vorabend von Christi Himmelfahrt im Jahr 1934 veröffentlichten zum Beispiel katholische Anführer in Köln ein Pamphlet, das die Restriktionen kritisierte und die katholische Jugend zum Handeln aufforderte. Die Kölner Jugend reagierte enthusiastisch, füllte den Dom bis auf den letzten Platz und drängte sich vor dem Dom „Kopf am Kopf“.34 Ein anderer religiöser Feiertag, der den jugendlichen Eifer anregte, war das Christkönigsfest im Oktober 1934. Die Nationalsozialisten beobachteten in mindestens 25 Orten und Städten Kundgebungen der Bevölkerung.35 In Köln fanden im Rahmen der Christkönigsfeiern in einer Woche drei Kundgebungen der katholischen Jugend statt, wobei jede mindestens 20.000 Teilnehmer anzog.36 Als Jugendführer Ludwig Wolker und Kardinal Schulte am 21. Oktober den Dom verließen, grüßten tausende junge Männer sie mit Heilrufen.37 Bei einem weiteren Beispiel des Protestes junger Männer verstießen Mitglieder der katholischen Jugend gegen die Befehle ihrer Anführer der Hitlerjugend, um an der Bekenntnisstunde zu Ehren des Fronleichnamtages teilzunehmen. Erneut verließen sie die Kirche, um sich mit Sprechchören, singend und ihre religiösen Anführer grüßend vor dem Wohnsitz von Bischof von Galen zu versammeln und stießen mit der Polizei zusammen. Ein Stimmungsbericht berichtete: „Da die Menge das Eingreifen der Polizei mit lauten Pfui-Rufen beantwortete und immer weiter aktiver Widerstand geleistet wurde.“38 Mehrere Staatsbedienstete, die an den Protesten beteiligt waren, verloren ihren Arbeits34 Bistumsarchiv Münster (BAM), Nachlaß Roth (NR) A12, „Flugblatt herausgegeben von der Pfarrgeistlichkeit der Stadt Köln“, 15. Mai 1934; „Von der Treue der katholischen Jugend.“ 35 United States Holocaust Memorial Museum (USHMM), Record Group (RG)-11: Moscow State Archives: 501-1-194, „Sonderbericht: Die staatsfeindliche Tätigkeit des politischen Katholizismus“, Dezember 1934. 36 USHMM, RG-11: Moscow State Archives: 501-1-194, „Sonderbericht: Die staatsfeindliche Tätigkeit des politischen Katholizismus“, Dezember 1934. 37 BAM NR A12, Kölnische Volkszeitung und Handelsblatt, „Junge Kirche Kölns“, 22. Oktober 1934; Köln am Rhein, „Bislang grösste katholische Jugendkundgebung Kölns: 30,000 weihen sich Christus“, 22. Oktober 1934; Kölnische Volkszeitung, „Die Christuskönigkundgebung der jungen Kirche Aachens“, 30. Oktober 1934. 38 Kuropka, S. 467.

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platz und die Tumulte führten dazu, dass von Galen seine Anhänger bei späteren Ritualen zur Umsicht mahnte. Obwohl an vielen dieser Kundgebungen junge Frauen teilnahmen, wurden diese Aktivitäten von engagierten jungen Männern angeführt, die die NS-Behörden herausforderten. Der Enthusiasmus wurde trotz dieser frühen Akte der Resistenz seitens der katholischen Jugendbewegung durch die Repression des NS-Regimes und durch die passive Haltung, die von der katholischen Führung angenommen wurde, erstickt; in den späten 1930er Jahren waren Volkskundgebungen dieser Art verschwunden. Die Regierung verbot konfessionelle Jugendgruppen und versammelte die deutsche Jugend unter dem Banner der nationalsozialistischen Ideologie.39 Zuerst verboten sie die Aktivitäten von Jugendgruppen, die nicht rein religiöser Art waren. Diese Maßnahmen untergruben die Mitgliedschaft des Jungmännerverbandes in der Diözese Münster, dessen Mitgliederzahl in den Jahren 1935 bis 1937 von 24.000 auf 15.000 zurückging. In den Jahren 1936-1937 wurden schließlich fast alle katholischen Jugendverbände systematisch aufgelöst zugunsten einer Teilnahme an weltlichen Aktivitäten.40 Trotz einiger weniger Akte der Resistenz erlitt die Unterstützung für die katholische Kirche durch die Razzien des NS-Regimes eine ernsthafte Beeinträchtigung. Während insbesondere auf dem Land ein Kern von jungen Kirchgängern treu blieb, zogen sich weniger enthusiastische junge Menschen aus dem Gemeindeleben zurück. Ein Amtsträger aus dem Bezirk Godesberg berichtete, dass die Mitgliedschaft in den Jugendgruppen während des Jahres 1936 vor allem bei jüngeren Mitgliedern in den Städten stark zurückgegangen war.41 Ein Mitarbeiter aus Köln merkte an, dass die Auflösung der Jugendgruppen die „Mitläufer“ verjagt, nicht aber die Treue jener beeinträchtigt habe, die sich bereits dem „Glaubensleben“ gewidmet hatten. Diese Entwicklung führte jedoch zu einem massiven Rückgang des Besuchs junger Menschen an den Sonntagsmessen.42 Ohne die Organisation und die Faszination einer Massenbewegung durch die katholische Jugend musste die Religionsausübung Einbußen hinnehmen. Die Konkurrenz durch die Hitlerjugend entzog dem religiösen Wiederaufleben der männlichen Jugend ebenfalls Energien. Das NS-Regime formulierte 39 Barbara Schnellenberger: Katholische Jugend und Drittes Reich. Eine Geschichte des Katholischen Jungmännerverbandes 1933-1939 unter besonderer Berücksichtigung der Rheinprovinz, Mainz 1975; Wilhelm Damberg: Der Kampf um die Schulen in Westfalen 1933-1945, Mainz 1986. 40 Damberg: Moderne und Milieu, S. 260-261. 41 AEK CR I 14.2,9, Bericht des Dechanten über die im Dekanat Godesberg vorgenommen Pfarr- und Kirchenvisitationen für das Jahr 1935. 42 AEK CR I 14.2,10, Jahresbericht 1938-Dekanat Köln-Süd.

230 MICHAEL E. O’SULLIVAN sowohl durch Zwang als auch durch Konsens ein hegemonistisches Modell jugendlicher Maskulinität, das den Katholizismus ausschloss und ein zeitgenössischeres Empfinden ansprach. Die Anführer der Hitlerjugend und die Parteifunktionäre bedrängten die Kinder, sich der NS-Ideologie zu verschreiben und konfessionelle Organisationen abzulehnen. Häufig hielten sie am Sonntagmorgen oder an religiösen Feiertagen Übungen ab, um die Kinder von kirchlichen Aufgaben fernzuhalten.43 Visitationsberichte weisen darauf hin, dass viele junge Männer kirchliche Veranstaltungen aufgrund des Drucks durch Gleichaltrige mieden. Ein Bericht aus Essen folgerte, dass der von anderen Organisationen ausgeübte Druck und die Angst vor der Arbeitslosigkeit zum größten Hindernis wurden, um junge Männer zu gewinnen.44 Ein anderer Bericht gibt an, dass viele Jungen den Katechismus nicht lernten, weil sie sich davor fürchteten, was andere von ihnen denken könnten.45 Die Hitlerjugend behinderte das religiöse Leben durch Gruppenzwang, Drohungen und Einschüchterung. Der Protest gegen die Auflösung der kirchlichen Vereine, darunter auch der männlichen Jugendbewegung, nahm auch ab, weil der Klerus offene Konfrontationen zu ihrer Rettung nicht mehr unterstützte. 1936 entwarf die Bischofskonferenz in Fulda die „Richtlinien für die Katholische Jugendseelsorge“ und gab für die religiöse Ausbildung von Kindern und Jugendlichen eine neue Richtung vor. Diese Richtlinien ersetzten die Jugendorganisationen durch die Katholische Aktion und betonten anstelle der Jugendgruppen die gemeindebezogene Laienaktivität.46 Diese strategische Neuorientierung durch den Klerus entzog den Verbänden mit Laienführerschaft die Macht und bekräftigte die Macht der Hierarchie über das kirchliche Leben. Sie verringerte durch den Rückzug aus dem öffentlichen Leben und die Begrenzung der religiösen Aktivitäten auf die Gemeinde außerdem die Spannungen zwischen der katholischen Bevölkerung und dem Regime. Dabei kam durch die Betonung der Katholischen Aktion den Frauen eine stärkere Rolle zu als den Männern, die ihre religiösen Gemeinschaften für die Hitlerjugend, den Reichsarbeitsdienst und die Wehrmacht verließen. Sowohl die Kirche als auch der Staat duldeten jetzt die Frömmigkeit im häuslichen Bereich und in der Gemeinde in einem größeren Maße als die öffentliche, demonstrative Religionsausübung der katholischen Jugendbewegung. In diesem Kontext wurden Frauen für das Überleben der katholischen Traditionen in den urbanen Gebieten des Rheinlands und Westfa43 Alfons Heck: A Child of Hitler. Germany in the Days When God Wore a Swastika, Frederick 1985, S. 35. 44 AEK CR I 14.2,10, Dekanatsbericht 1937, 31. Januar, 1938. 45 AEK CR I 14.2,10, Dekanatsbericht des Dekantes Essen Nord Ost 1939. 46 Kösters: Katholische Verbände, S. 422-426.

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lens, die jahrelang auf der religiösen Dynamik des Verbandslebens der Männer beruhten, noch wichtiger. Angesichts einer untergeordneten Rolle in den Schulen, dem Fehlen von Jugendgruppen und dem Rückgang der männlichen Vereinsstrukturen war der Klerus auf eine loyale Generation katholischer Mütter angewiesen, um die Spiritualität der katholischen Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Viele Beispiele weisen darauf hin, dass katholische Mütter dem Nationalsozialismus gegenüber in seinen frühen Jahren in einem größeren Umfang kapitulierten als die katholische Jugend. Mutter und Frau, der neue Titel der Zeitschrift für die Müttervereine, vermied Kommentare über die Kämpfe der Kirche und pries häufig Hitler. Dadurch entging die Zeitschrift länger der Aufmerksamkeit der Zensoren als andere katholische Publikationen. Sie konzentrierte sich auf Fragen, in denen zwischen der Kirche und dem Staat Übereinstimmung herrschte. So verkündete die Zeitschrift zum Beispiel: „Deutschland ist seit Beginn der nationalsozialistischen Ära schöner, größer und reicher geworden, an Land und Menschen, an glücklichen Familien und gesunden Kindern, an arbeitenden und zufriedenen Volksgenossen … Dem gesunden Wachstum des deutschen Volkes gilt aber auch alle Sorge des Führers. Darum förderte er die Heiratsfreudigkeit.”47 Der Verein vermied Konflikte, indem er gemeinsame Auffassungen des Katholizismus und des Nationalsozialismus bei Themen wie dem Pro-Natalismus, der Volksgemeinschaft und der Wirtschaft betonte. Der Tonfall dieser Artikel weist auf eine tief empfundene Zustimmung der Müttervereine zu den Idealen des Nationalsozialismus hin. Ferner unterstützten Frauen die Bischöfe in einigen ihrer eifrigsten Lobpreisungen für Hitlers aggressive Außenpolitik während der 30er Jahre. Als die deutschen Truppen nach der Remilitarisierung des Rheinlands durch Hitler die Hohenzollernbrücke in Köln überquerten, streuten katholische Frauen den Soldaten Blumen vor die Füße, während ihre Priester sie segneten.48 Obwohl die Frauen nach außen hin dem Regime gegenüber treu waren, bewahrten sie während des Dritten Reiches ihre religiöse Praxis in einem größeren Umfang als die Männer, insbesondere nach dem Niedergang der männlichen Jugendbewegung.49 Das Fortbestehen der urbanen katholischen Frömmigkeit war weitgehend das Ergebnis der fortdauernden Arbeit der Frauenorganisationen im Rheinland und in Westfalen. In den wenigen Fällen, bei denen in den späten 30er Jahren Massenmobilisierungen der katholischen Jugend stattfanden, dominierten die Frauen. Die Kirchenleitung führte einen jährlichen Bekenntnistag für die katholische Jugend ein, der sich von 1936 bis 1938 einer 47 Mutter und Frau, „Das danken wir dem Führer!“ Bd. 29, Nr. 5, Mai 1938. 48 Ian Kershaw: Hitler, 1889-1936. Hybris, New York and London, 1998, S. 588. 49 AEK CR 14.2,10, 1938-1939, Dekanatsbericht 1937, Essen Alstadt, 31. Januar 1938.

232 MICHAEL E. O’SULLIVAN großen Beliebtheit erfreute. Eingeschlossen in die Kirchen und ohne die aufgelösten Jugendorganisationen zogen diese Veranstaltungen in einigen Teilen des Rheinlands und Westfalens 50%-80% der in Frage kommenden Jugendlichen an. Der Anteil der Mädchen lag bei diesen Veranstaltungen in den meisten ländlichen Orten jedoch bei 3/5 und bei den Teilnehmern in den städtischen Gebieten bei 75%.50 Frauen und Mädchen bildeten auch die Mehrheit der Anhängerschaft der Exerzitienbewegung, eine Bewegung, die sich an den jesuitischen Modellen spiritueller Reflexionen orientierte. Im Einklang mit den Leitsätzen der Katholischen Aktion wurden nach 1936 unter der Führung des Klerus der religiöse Rückzug und die Einkehrtage aus den späten Weimarer Jahren wiederbelebt. Im Gegensatz zu den 1920er Jahren betonten diese Veranstaltungen jetzt eine apolitische religiöse Hingabe, die frei von den Einflüssen des Vereinslebens war. In nahezu jedem Ort und jeder Stadt, in der die Bewegung an Popularität gewann, waren zahlenmäßig mehr Frauen als Männer und mehr Mädchen als Jungen vertreten.51 Indem der Nationalsozialismus das öffentliche katholische Leben verhinderte und die Kirche die Katholische Aktion förderte, rückten die Frauen bei der Religionsausübung mehr in den Vordergrund. Obwohl die katholische Führung und ihre Frauenorganisationen im Allgemeinen den Wunsch des NS-Regimes nach einer weniger offenen Konfrontation über religiöse Fragen respektierten, führte die weibliche Bewahrung religiöser Werte häufig zu subtilen Fällen der Verweigerung gegenüber dem totalitären Staat. Angesichts einer untergeordneten Rolle in den Schulen und dem Fehlen von Jugendgruppen bat der Klerus die Müttervereine, ihre Anstrengungen im Interesse der religiösen Erziehung zu erhöhen. Gemeindeführer wandten die Ideen der Katholischen Aktion an, um Frauen als Laienführerinnen und Religionslehrerinnen für die Familie und die Gemeinde auszubilden. Sie führten verschiedene Kurse und Schulungseinheiten ein, um die Frauen auf diese neue Aufgabe vorzubereiten, die zuvor von Lehrern und Jugendleitern ausgeführt worden war. Die Kirchen richteten spezielle Kurse zur Unterrichtung des Katechismus und der Bibel ein, während die 50 Bistumsarchiv Trier (BAT) Abt. 113, Nr. 31, Nr. 33-34, Nr. 36: Jungendbekenntnistag, 1936-1944, Bericht über den Gott-Bekenntnistag katholischer deutscher Jugend am Dreifaltigkeits-Sonntag, 7. Juni 1936, zusammengestellt von 17 Diözesan Berichten. 51 Michael E. O’Sullivan: An Eroding Milieu? Catholic Youth, Church Authority, and Popular Behavior in Northwest Germany during the Third Reich, 1933-1938, in: Catholic Historical Review 90, 2 (April 2004), S. 236-259; USHMM, RG15.007M: Reel 46, Nr. 574: „Tagesmeldung des Geheimen Staatspolizeiamtes, Politischer Katholizismus“, 3. Februar 1936; Nr. 571: „Diözesanamt für Weibliche Jugendseelsorge, Aachen“, 3. September 1938; Reel 47, Nr. 575: „Exerzitienblätter; Die Exerzitienstatistik.“

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Müttervereine Einkehrtage für Frauen organisierten, um wichtige Ereignisse im Leben ihrer Kinder zu betreuen, wie z.B. die Erstkommunion oder die Vorbereitung auf die Ehe. Die Arbeit, die zuvor in den Schulen durchgeführt wurde, wurde nun an der heimischen Front geleistet.52 Bevor der religiöse Einfluss in den Schulen beschränkt wurde, hatten im Rheinland und in Westfalen katholische Lehrer und Geistliche zusammen mit den religiösen Institutionen zwei- oder dreimal in der Woche die Teilnahme der Kinder an der Messe organisiert.53 Sobald der nationalsozialistische Staat dieses institutionelle Instrument beseitigt hatte, füllten die Mütter dieses Vakuum.54 So haben die Mütter durch ihre Bemühungen die religiöse Jugendwoche unterstützt, die von Kardinal Schulte kurz vor seinem Tod im Jahr 1941 organisiert wurde. Berichte schrieben es den Müttern zu, dass sie ihre Kinder an Wochentagen in die Morgenmessen und Veranstaltungen brachten und die Teilnehmerzahlen in die Höhe trieben.55 Jetzt, da es keine Jugendgruppen mehr gab, die auf die Teilnahme ihrer Mitglieder achteten, übernahmen die Mütter auch die Verantwortung für die Sonntagskommunion ihrer Kinder. Ein Prediger sagte: „Die Mütter sollten sich doch mal die Mühe machen und in den Kindergottesdiensten die Bänke betrachten … Jede Mutter sollte dafür sorgen, dass ihre Kinder wenigstens an Sonn- und Feiertagen die Sakramente empfangen würden.“56 Die Mitglieder der Müttervereine brachten ihre Kinder jeden Sonntagnachmittag auch zu den Kinderseelsorgestunden, um die fehlende religiöse Ausbildung in den Schulen zu ersetzen. Der Klerus war jetzt auf die freiwillige Teilnahme angewiesen und mahnte die Familien durch Predigten, Briefe und Hausbesuche zur Einhaltung. Wenngleich diese Bemühungen in der Stadt Köln, wo die größeren Verantwortlichkeiten der erwerbstätigen Frauen diese an der Teilnahme an religiösen Andachten hinderten, zwar scheiterten,57 erzielten andere Pastoren durch diese Bemühungen überraschend gute Ergebnisse. Ein 52 AEK CR I 14.2,10, Essen-Mittelstadt, Dekanatsbericht über 1939. 53 HStAD RW 58: Geheime Staatspolizei – Staatspolizei(leit)stelle Düsseldorf – Personalakten, Nr. 35379, Heinrich Schmitz, Krefeld, 5. August 1937. 54 Mutter und Frau, „Unsere Kinder in der Werktagsmesse“, Bd. 28, Nr. 9, September 1937. 55 AEK Dienstakten Lenné (DL) 193, Teusch an Lenné, 10. Januar 1942; An Seiner Hochwürden Herrn Jugendpfarrer Velten in Essen, 30. Januar 1942; Religiöse Jugendwoche, Pfarre St. Mariä Geburt Essen-Kupferdreh-Dillendorf, Pfarrer Wilhelm Pfeiffer, Dekanat Essen-Werden, 1942; Bericht über die religiösen Jugendwochen der Erzdiözese Köln; Buschbell, 16. Februar 1942. 56 HStAD RW 58, Nr. 59595, Pfarrer Adolf Colling, Auszug aus dem Vortrag für Frauen und Mütter, gehalten von Pfarrer Colling, 25. November 1937. 57 AEK CR I 14.2,10, Dekanat Köln Süd, Jahresbericht 1938.

234 MICHAEL E. O’SULLIVAN Beobachter merkte zum Beispiel an, dass die Klassen in Effelsberg eine fast vollständige Anwesenheit erreichten.58 Im Bezirk Bedburg wurde bei den Kinderklassen eine relativ gute Teilnahme verzeichnet.59 In Godesberg lebten die Gemeinden aufgrund der aktiven Teilnahme an den pastoralen Kinderstunden und den eigens für Kinder und Jugendliche eingeführten Messen wieder auf.60 Die Müttervereine führten Kurse mit einem eigens für die Erstkommunion vorgesehenen Unterricht ein. Ohne die Katechismusstunden in der Schule wurde die weibliche Begeisterung für diesen bedeutenden religiösen Übergangsritus noch wichtiger. Trotz einiger Beschwerden über oberflächliche Aspekte des Festes, wie zum Beispiel die Feierlichkeiten, weisen Visitationsberichte darauf hin, dass Frauen auf die Bemühungen der Kirche eingingen, den sakralen Charakter des Ereignisses zu bewahren.61 Im Nachhinein erscheinen diese Aktivitäten politisch zaghaft. Sie passten sich an die nationalsozialistische Beschränkung der Religion auf die Privatsphäre an und unterließen es, abgesehen von der religiösen Freiheit, Offensiven auf weitere grundlegende bürgerliche Freiheiten zu richten. Dennoch deuten Berichte des Reichssicherheitshauptamts auf die Beunruhigung des Staates hin, als man die häusliche Religiosität bemerkte. In einem Bericht wurde beklagt, dass Frauen während des Krieges Männer und Jugendliche in die Kirche brachten. Ein Staatsbediensteter schrieb: „In Gesprächen kann man von den Geistlichen an St. Josef erfahren, daß die Zurückgetretenen meistens Kaufleute, aber auch Beamte seien; und in den meisten Fällen seien die Frauen die Träger der Rücktrittspropaganda, während sie selbst wieder dankbare Objekte für die Propaganda der Pfarrer sind, die mit gefühlsmäßiger Beeinflussung immer noch den Weg zum Herzen der Frauen finden.“62 Bei der Beurteilung der Stärken und Schwächen der Kirche argumentierte ein anderer Stimmungsbericht, dass Frauen zu Hause ihre Geistlichen unterstützten, während die Männer ihnen an der Front ihre kritischen Kommentare über den Nationalsozialismus verübelten.63 Obgleich dieser Kommentar ebenso sehr das männliche Desinteresse und die NS-Parolen spiegelt wie die weibliche Ergebenheit, deutet er doch auf einen Unmut über die Rolle hin, die Frauen bei der Bewahrung der religiösen Moral spielt. Ein Informant behauptete, dass die Erstkommunionfei58 AEK CR I 14.2,10, Bericht über Visitation im Dekanat Münstereifel 1937. 59 AEK CR I 14.2,10, Dekanat Bedburg-Bericht 1938. 60 AEK CR I 14.2,10, Dekanatsbericht Godesberg 1939. 61 Mutter und Frau, „Bewahre was du hast: Ein Wort an die Mütter der Erstkommunikanten“, Bd. 28, Nr. 6, Juni 1937. 62 HStAD RW 35-9, Betrifft: Verfahren bei der Rückkehr Ausgetretener in den Schoß der Kirche, 28. April 1942. 63 HStAD RW 35-9, Betrifft: Stimmung in kath. Kirche, 2. September 1942.

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ern zu Foren für Beschwerden gegen die Partei geworden seien. Er kommentierte: „Es haben sich viele Kinder gemeldet, deren Eltern sich bislang gar nicht religiös-kirchlich betätigt haben. Diese Kreise sehen in der Erstkommunionfeier eine Gelegenheit, ihre Opposition gegen den Staat zum Ausdruck zu bringen.”64 Indem sie die katholische Religiosität bewahrten, untergruben die Frauen auf subtile Weise den Wunsch von Vertretern der Partei nach einer Entkonfessionalisierung der Volksgemeinschaft. Obwohl das Unterrichten eines Kindes im Katechismus keinen Widerstand darstellte, war das Regime über seine Konsequenzen beunruhigt. In einigen Fällen verteidigten Frauen die Kirche offensiv vor den Einschränkungen durch das Regime. So ergriffen katholische Frauen zum Beispiel in Aachen Maßnahmen, als Gerüchte über ein mögliches Verbot der Erstkommunionfeiern kursierten. Sie setzten unverzüglich ihre Pfarrer von dem Gerücht in Kenntnis und organisierten im Dezember eine vorzeitige Kommunionsfeier. Viele Mütter informierten auch ihre Ehemänner an der Front über die möglichen Probleme.65 Traditionell für die Vorbereitung und die Feier dieses Sakraments zuständig, verteidigten die Mütter seinen Fortbestand. Frauen bekämpften auch die Vorherrschaft der Nationalsozialisten an den Schulen. Weibliche Lehrkräfte hielten im Klassenzimmer katholische Ansichten aufrecht und schützten die Kirche gegen negative Propaganda. Ein NS-Polizist beklagte: „Es gibt an unseren Schulen vielzuviel Lehrerinnen, die heute noch im stillen und von Mund zu Mund gegen den Staat sprechen, die zu den Schulungsvorträgen nur aus Zwang erscheinen und was sie dort hören, brieflich oder im Beichtstuhl dem Klerus weitertragen. Nicht von ungefähr bezeichnet man im Klerus die Lehrerinnen als mächtiges Bollwerk der Kirche im Staat.”66 Frauen nutzten zu Hause sowie am Arbeitsplatz ihre Position, um die katholischen Interessen zu schützen. Die Treue zum Katholizismus entfachte häusliche Konflikte über die Rolle der religiösen Praxis im Alltag. Väter, Söhne und Töchter kritisierten die Hirtenbriefe oft wegen ihrer Politik oder ihres sarkastischen Tons, aber Frauen verteidigten häufig die Geistlichen. Nachdem Priester im Jahr 1942 einen Hirtenbrief verlesen hatten, der auf die Restriktionen der Kirche durch das Regime Bezug nahm, schrieb ein Informant über seine Rezeption folgenden Kommentar: „Im Ganzen gesehen drängen diese Hirtenbriefe alle zur Entscheidung: es sind scharfe Aussprachen in vielen katholischen Familien geführt worden. Die Jugend war ganz stark contra Bischöfe, während die Frauen und Mütter natürlich gefühlsmässig urteilten und von dem ganzen Briefe nur behalten hatten, dass Klöster beschlagnahmt werden, dass Priesterseminare enteignet werden, dass 64 HStAD RW 35-9, Betrifft: Erstkommunion Ostern 1942, 3. April 1942. 65 HStAD RW 35-9, Betrifft: Kinderkommunion, 7. November 1941. 66 HStAD RW 35-9, Betrifft: Kinderlandverschickung, 3. Dezember 1941.

236 MICHAEL E. O’SULLIVAN Kindergärten geschlossen werden, dass man ‚getötet werden kann in Deutschland’ usw.“67

Selbst wenn der Wehrdienst ihre Familien mit dem NS-Staat verband, ergriffen katholische Mütter bei Konfrontationen zwischen Kirche und Staat, die manchmal als ein Tor für eine weitreichendere Kritik am Nationalsozialismus diente, Partei für die religiöse Führung. Die größten Spannungen zwischen den Müttervereinen des Rheinlands und Westfalens und dem Dritten Reich traten zu Fragen der Sexualität auf. In diesem Sinne folgten Frauen dem Klerus, der während der späten 30er Jahre und während des Zweiten Weltkriegs mit zunehmendem Nachdruck die sexuelle Moral und die Keuschheit betonte. Die Geistlichen hatten bereits in den 20er und 30er Jahren ihre Beunruhigung über die Bedrohung der Reinheit junger Frauen in den Städten gezeigt, aber im Krieg waren sie vom Niedergang der urbanen Werte geradezu besessen. [Während sie die Informationen über die Gräuel und den Völkermord im Osten ignorierten] Bei den geringsten Indizien über die Zunahme sexueller Beziehungen unter jungen Menschen aufgrund des deutschen Kriegseinsatzes machten sich die katholischen Führer Sorgen. Die Kirchenführung befürchtete, dass der Krieg zu einer Desintegration der Familie und zu einer nachlassenden sexuellen Zurückhaltung der Frauen führen würde. Während der ersten militärischen Operationen klagte ein Pastor in einem Ort voller Soldaten: „Wenn auch Frauen und Mädchen im großen und ganzen sich tapfer zu halten suchen, so bringt doch die Abwesenheit des Mannes in der Familie und die andauernde starke Einquartierung viele Gefahren und sittliche Schäden mit sich.“68 Nach Ausbruch des Krieges brachte von Galen die Besorgnis über die sexuellen Sitten ausdrücklich mit dem NS-Staat in Verbindung: „Adolf Hitler hat damals erklärt: ‚Die Reichsregierung sieht im Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes.’ Und doch müssen wir es erleben, daß von sehr hohen Stellen die sittlichen und moralischen Forderungen des Christentums, z.B. hinsichtlich der Bewertung des Selbstmordes und des außerehelichen Geschlechtsverkehrs, als nicht mehr bindend oder nicht mehr zeitgemäß bezeichnet und außer Kurs gesetzt werden.”69 Frauen hatten auf diese moralische Rhetorik der Kirchenführer hin Maßnahmen ergriffen. Die Geringschätzung der Ehe als Sakrament führte zum Bei67 HStAD RW 35-9, Betrifft: Hirtenbriefe über die religiöse Lage in Deutschland, 25. Marz 1942. 68 AEK CR I 14.2,10, Bericht über die Visiation im Dekanat Münstereifel 1939. 69 Peter Löffler (Hrsg.): Bischof Clemens August Graf von Galen: Akten, Briefe und Predigten 1933-1946, Paderborn, München Wien, Zürich 1996, Nr. 292, Predigt von Galens, 31. Dezember 1939, S. 756.

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spiel zur Beunruhigung der öffentlichen Meinung. Mütter in Aachen mobilisierten sich im Zusammenhang mit ihrer Sorge, dass die weibliche Teilnahme am Arbeitsdienst oder das Landjahr unter Anleitung von NS-Jugendführern, die eine arische Fortpflanzung selbst außerhalb der Ehebande befürworteten, sexuelle Erfahrungen ihrer Töchter zur Folge haben könnte. Die Laienführung des Mädchenschutzvereins in Aachen hielt mehrere Vorträge für Mütter und Mädchen, in denen die sexuellen Praktiken während des Landjahres und des Arbeitsdienstes verurteilt wurden. Mehrere Mütter drohten: „Nun kann es kommen wie es will, ich gebe mein Kind nicht fort.“70 Das NS-Regime umwarb die Frauen mit seiner pro-natalen Politik für arische Frauen, verletzte aber, indem Vertreter der Partei sexuelle Beziehungen außerhalb der ehelichen Grenzen befürworteten, ihre religiösen Werte. Während einige junge Frauen sich angeblich NS-Programme zunutze machten, um die kirchlichen Lehren über die Sexualität zu verändern, schienen die Mütter in ihrer Opposition gegenüber jeglicher Abweichung von den traditionellen Werten zur Sexualität vereint zu sein. Die Resistenz in dieser Frage zeigt jedoch die Grenzen der katholischen Opposition gegenüber dem Nationalsozialismus. Während die Katholiken jene Aspekte der Rassenpolitik der Nationalsozialisten ablehnten, die die katholische Doktrin verletzten, sahen sie über ihre grauenvollsten Erscheinungsformen, die zu einem Verlust der bürgerlichen Freiheiten, zu Zwangssterilisationen und zum Völkermord führten, hinweg. SCHLUSSFOLGERUNGEN Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der religiöse Glaube der Katholiken und das unterschiedliche Rollenverständnis zwischen den Geschlechtern, das von katholischen Verbänden während der Weimarer Zeit gefördert wurde, in den Städten des Rheinlands und in Westfalen die Reaktionen auf das Dritte Reich geprägt haben. Das heftige, wenn auch etwas eingeschränkte religiöse Aufleben der katholischen Jugendbewegung und der konfessionellen Verbände, die über eine größere Autonomie von den Gemeindepriestern und Bischöfen verfügten, führte zu einer Demonstrationskultur und während des Kampfes der Kirche in der Mitte der 30er Jahre zu einigen der aggressivsten Akte der Resistenz. Sobald die Partei jedoch ihre institutionelle Macht einsetzte, um die Jugendorganisationen aus der Öffentlichkeit zu verbannen und ein kulturelles Monopol über die Vorstellung kriegerischer Männlichkeit zu schaffen, wurde diese Resistenz seitens der jungen Männer weniger öffentlich und weniger häufig. Andererseits führte die Förderung der geistlichen Mütterlichkeit und der häuslichen Religiosität während der späten 1920er Jahre durch die Mütter70 HStAD RW 35-9, Betrifft: Katholischer Mädchenschutzverein, 16. November 1942.

238 MICHAEL E. O’SULLIVAN vereine und durch andere Frauenorganisationen zu weniger offenen Herausforderungen gegenüber den NS-Behörden in der Mitte der 30er Jahre. Dieselben Werte hatten jedoch zur Folge, dass Frauen für die Aufrechterhaltung der katholischen Werte an Bedeutung gewannen und führten sogar zu Verweigerungsakten, durch die der Totalitätsanspruch der Nationalsozialisten nach 1936 auf subtile Weise gestört wurde. Dabei erlangten die Frauen eine größere moralische Autorität und konnten innerhalb der Grenzen einer patriarchalischkatholischen Kultur ihren Einfluss stärken. Das Verhalten strenggläubiger junger Männer und Frauen wirft ein Schlaglicht auf ein widersprüchliches Merkmal der Gebiete im Rheinland und in Westfalen, in denen eine starke institutionelle katholische Subkultur gedieh. Die Bindung an Institutionen, Identitäten und Bewegungen, die in dicht besiedelten Gebieten am häufigsten sind, motivierten eine Resistenz, die über ein großes Potential verfügte, den Nationalsozialismus bei der Durchsetzung seiner totalitären Zielen zu stören. Die Heftigkeit und Popularität der katholischen Konfrontationen in der Öffentlichkeit von 1934 bis 1936 und im privaten Bereich selbst von 1938 bis 1945 forderte den nationalsozialistischen Staat in einer Weise heraus, zu der viele andere politische und kulturelle Gruppierungen in Deutschland nicht in der Lage waren. Die eingeschränkte Natur dieser Resistenz und Verweigerung verhinderten jedoch, dass sich die Katholiken dem Widerstand zuwandten. Während die Katholiken im Rheinland und in Westfalen ihre Empörung über die Restriktionen des Verbandslebens, des religiösen Lebens und der Haltungen in Bezug auf die Sexualität bekundeten, ignorierten sie gleichzeitig die Verfolgung der deutsch-jüdischen Bevölkerung, die Inhaftierung von Homosexuellen, Sozialdemokraten und Kommunisten sowie die Gräueltaten an der Ostfront während des Krieges. Obwohl die Sorge um die religiöse Moral den gut erforschten und außerordentlichen Protest von Bischof von Galen im Jahr 1941 unterstützt hatte, schienen sich der Großteil der Vorwürfe der meisten katholischen Frauen und jungen Männer auf einige wenige religiöse Fragen zu beschränken, die ihre nationalistische Unterstützung für Adolf Hitlers außenpolitische Gewinne, den Antikommunismus und den wahrgenommenen wirtschaftlichen Fortschritt nicht aufhoben. Ihre Resistenz und Verweigerung löste bei einigen Naziführern Unbehagen aus, stellte aber für die zentralen Ziele des Nationalsozialismus nie eine Bedrohung dar.

III. TRADITIONALE LOKAL- / REGIONALMILIEUS

BAYERISCHER WALD

REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD 1928 BIS 1933: ZWISCHEN KATHOLIZISMUS, „BAYERISCHEN SELBSTBEWUSSTSEIN“ UND ARBEITERPROTEST HELMUT BRAUN 1. PROBLEMSTELLUNG Auf einem hohen Aggregationsniveau wurde mittlerweile die These bestätigt, dass die hohe Arbeitslosigkeit während der Weltwirtschaftskrise den Aufstieg der Nationalsozialisten im Deutschen Reich insgesamt begünstigt hat.1 Ungeklärt blieb in dieser Analyse die Frage, ob dieser Aufstieg der NSDAP überall in Deutschland gleichmäßig erfolgt war, oder ob es regionale Unterschiede des Wählerzuspruches zur NSDAP gab, und ob sich diese Unterschiede mit einer Einbindung der Menschen in bestimmte soziale Milieus erklären lassen. Unter der Annahme, dass soziale Milieus und Sozialisierungen politische Wahlentscheidungen kulturell überformen, stellt sich also die Frage, ob in Zeiten sehr hoher Arbeitslosigkeit, verbunden mit einem sozialen Abstieg bis hin zur Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, soziale Milieus überwunden werden, beziehungsweise die Stabilität der individuellen Einbindung von Menschen in sozialen Milieus an Grenzen stößt. In diesem Zusammenhang erscheint es wichtig zu fragen, inwiefern und ab wann eine Verarmung durch die Weltwirtschaftskrise neben der Schicht der einfachen Arbeiter auch andere soziale Schichten betraf, zum Beispiel kleine selbständige Landwirte, kleine Gewerbetreibende wie Händler und Handwerker, kleine Beamte und Angestellte. Bei regionalen Mikrostudien ist zudem abzugrenzen, wie „reich“ oder wie „arm“ die zu untersuchende geografische Region bereits vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise war, beziehungsweise wie diese individuelle Armut oder der individuelle Reichtum dort verteilt war. Denn ein steiler wirtschaftlicher Absturz einer zuvor prosperierenden Gegend im Gefolge der Weltwirtschaftskrise wurde von den dort lebenden Menschen vielleicht als gravierenderer Eingriff in ihrer Lebensplanung empfunden, als ein Absturz der Wirtschaft in einer bereits von Armut geprägten Gegend. Der Kernthese der in diesem Band dokumentierten Konferenz folgend, wird in diesem Artikel untersucht, wie sich ausgewählte Kommunen im bereits vor

1

Vgl. Frey, Bruno S. und Weck, Hannelore: Hat Arbeitslosigkeit den Aufstieg des Nationalsozialismus bewirkt?, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Vol. 196/1, 1981, S. 1 – 31.

242 HELMUT BRAUN Ausbruch der Weltwirtschaft generell armen Region des Bayerischen Waldes2 auf das Wahlverhalten der dort wohnenden Menschen in den Jahren 1928 bis 1933 ausgewirkt hat, wobei die Bewohner des Bayrischen Waldes traditionell streng im katholischen Milieu verwurzelt waren und noch sind.3 Die Besonderheit der hier untersuchten Kommunen ist jedoch, dass sie relativ zum von Wald- und Landwirtschaft geprägten Umland seit einigen Jahren eher industriell aufgestellt waren.

2.

MILIEUS, PARTEIENSTABILITÄT UND SOZIALE CLEAVAGES: EINE SYNOPTISCHE EINORDNUNG AUS POLITIKWISSENSCHAFTLICHER WARTE

Der Begriff des sozialen Milieus umfasst ein gesellschaftliches Subsystem, in welchem Individuen eingebunden sind und das sich auf diese Individuen auswirkt. Die durch ein soziales Milieu gegebenen Umweltbedingungen wirken sich dabei nicht nur auf die Subsistenz eines Milieumitgliedes aus, sondern auch auf die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten im Sinne von Lern- und Reifungsprozessen durch die dort gegebene Sozialisation, sowie auf daraus resultierende individuelle Entfaltung durch soziales Handeln. Milieus sind cum grano salis die sozial festgelegten Erlebens- und Verhaltensweisen, sowie die umgebenden sozialen Gebilde. Diese bilden auch eine innere geistige Umgebung, in der beispielsweise durch Religion oder Standeszugehörigkeit bestimmte Gesinnungen, Moralregeln und von der geografischen Region geprägte Mentalitäten ihren Ausdruck finden, die Mitglieder dieses Milieus quasi ohne nachhaltige Reflexionen darüber verinnerlicht haben. Bei einer stabilen Verankerung eines Individuums in einem Milieu, und damit bei einem stabilen Mili-

2

Vgl. Bauer, Hans: Die Bedeutung der Industrie im Bayerischen Wald, in: Der Bayerische Wald. Grenzland in Not! Denkschrift über die Aufgaben zu seiner kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Hebung, hrsg. Vom Ständigen Ausschuß des Kreistages Niederbayern, Landshut 1928. Zu den klaren Fehlschlägen von Versuchen einer Wirtschaftsförderung des nord-ostbayerischen Raumes zur Überwindung der dortigen Rückständigkeit nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten vgl. Braun, Helmut und Penker, Josef: Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik in der Bayerischen Ostmark, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte (ZBLG), Heft 1/2008, S. 231 – 265.

3

Zur Herausbildung des katholischen Milieus in Bayern und zur politischen Orientierung vgl. Blessing, Werner K.: Staat und Kirche in der Gesellschaft, institutionelle Autorität und Wandel in Bayern während des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1982, Kap. 6.

REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD

243

eu als solchem, begleitet es seine Mitglieder gleichsam von der „Wiege bis zur Bahre“.4 Lepsius führte die Bedeutung in die politische und historische Wahlforschung ein. Dabei wurden für Deutschland im Kern vier große, sozialmoralische Milieus identifiziert: das katholische Milieu, das konservativprotestantische Milieu, das liberal-protestantische Milieu, und das sozialdemokratische Milieu.5 Trotz dieser scheinbar eindeutigen Milieueinteilung ist jedoch anzumerken, dass natürlich auch Mitglieder des sozial-demokratischen Milieus in aller Regel einer christlichen Konfession angehörten und natürlich auch Mitglieder der konfessionellen Milieus einfache Arbeiter und kleine Angestellte waren. Auch kleine Landwirte oder Kleingewerbetreibende waren, wird das Einkommen oder der Umfang des Eigentums betrachtet, eher der Schicht der Arbeitnehmer als der Schicht der Unternehmer zuzurechnen. Der Übergang zwischen religiösem Milieu und sozialer Schicht war und ist also kaum eindeutig abgrenzbar. Aus den für Deutschland identifizierten, vier großen Milieus waren bereits im Kaiserreich daran orientierte politische Parteien hervorgegangen. Dabei war das katholische Milieu stark durch den sogenannten Kulturkampf Bismarck’s anti-liberal und anti-preußisch geprägt, das sozial-demokratische Milieu durch Bismarck’s Sozialistengesetze. Damit verbunden war bei beiden Milieus eine gewisse Skepsis gegen einen protestantisch-preußisch dominierten, deutschen Staat. In den katholisch geprägten Gebieten, insbesondere auch im katholischen Altbayern, also in Niederbayern, in der Oberpfalz und in Oberbayern,6 kamen

4

Vgl. Rohe, Karl: Wahlen und Wählertradition in Deutschland. Kulturelle Grundlagen deutscher Parteien und Parteisysteme im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1992, mit Verweisen auf die Milieudefinitionen bei Hippolyte Tayne und Emile Durkheim.

5

Vgl. Lepsius, Mario Rainer: Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung der Deutschen Gesellschaft, in: Ritter, G. A. (Hrsg.): Die deutschen Parteien vor 1918, Köln 1973. S.56 - 80, sowie Rohe, Karl: Wahlen und Wählertradition in Deutschland (wie Anm. 4). Zur Definition des katholischen Milieus, insbesondere in Südwestdeutschland, vgl. den Beitrag von Oded Heilbronner in diesem Band und Heilbronner, Oded: Catholizism, Political Culture, and the Countryside. A Social History of the Nazi Party in South Germany, Univ. of Michigan Press 1998.

6

Vgl. Hölscher, Lucian: Datenatlas zur religiösen Geographie im protestantischen Deutschland, 4 Bde., Berlin/New York 2001; Simon, Matthias: Evangelische Kirchengeschichte Bayerns, 1942; Mayer, Michael: Bayerns Bevölkerung in konfessioneller Schichtung und Entwicklung seit bis den letzten hundert Jahren 1811/12 - 1910, München 1917; Brandmüller, Walter (Hrsg.): Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 3, St. Ottilien 1991, S. 337 – 392.

244 HELMUT BRAUN also neben Ressentiments gegenüber „den Preußen“ auch noch Ressentiments gegenüber den Protestanten hinzu. Neben der Milieuorientierung der Parteien entwickelte die Parteiensoziologie weitere Theorien zur Entstehung und Stabilität von Parteien: So stellten Lipset und Stein7 die These auf, dass permanente Modernisierungstendenzen in der Gesellschaft, insbesondere in Form sozio-ökonomischer Umbruchsituationen, zu sozialen Konfliktlinien, zu sozialen cleavages führen. Aber kaum eine Partei kann alle möglichen Konflikte programmatisch internalisieren. Die wichtigsten sozialen cleavages sind „Staat versus Kirche“, „Zentrum versus Peripherie“, „Arbeit versus Kapital“ und „Stadt versus Land“. Bei wirtschaftlichem Wandel gibt es damit auch Wandlungen in den sozialen cleavages und damit in den politischen Parteien. Wird der soziale Wandel in den cleavages aber durch eine starke Gebundenheit an ein Milieu quasi abgefedert, dann bleiben, so die These, die milieu-orientierten Parteien weitgehend stabil. Ist im Umkehrschluss die Milieugebundenheit einer Partei hingegen schwach ausgeprägt, dann gewinnen eventuell plötzlich diejenigen neuen Parteien an Zuspruch, die sich intensiv dem aktuellen cleavage zuwenden.8 Die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis etwa 1933 markierte ohne Zweifel eine soziale und ökonomische Umbruchsituation, die viele Menschen zu einer gravierenden Änderung ihrer Lebensplanung zwang.9 Insbesondere der cleavage „Arbeit versus Kapital“ gewann im Verlauf der Krise bei immer mehr Menschen an Bedeutung, doch diese neue gesellschaftliche Bruchlinie wurde kaum von den demokratischen Parteien der Weimarer Republik mit „innovativer“, das Wahlvolk aufrüttelnder Programmatik bedient. Die der Demokratie feindlich gesonnenen Parteien hatten diesen cleavage jedoch bereits vor der Krise in ihren Programmen internalisiert: Die KPD genuin aufgrund ihrer marxistischen Ideologie, die NSDAP aufgrund ihrer ideologischen Hetze auf das „jüdische Finanzkapital“ und der damit verbundenen „Zinsknechtschaft“.10 Das Schlag-

7

Vgl. Lipset, Seymour M. und Stein, Rokkan: Party Systems and Voter Alignments: Cross-National Perspectives, New York/London 1967 und Lipset, Seymour M.: Cleavages, Parties and Democracy, in: Karvonen, Lauri und Kuhnle, Stein (Eds.): Party Systems and Voter Alignments Revisited, London/New York 2002, S. 3-9.

8

Vgl. zur empirischen Überprüfung Lybeck, Johann A.: Is the Lipset-Rokkan Hypothesis Testable?, in: Scandinavian Political Studies 8/1985, S. 105–113.

9

Zu den Ursachen und den Verlauf der Weltwirtschaftskrise vgl. Blaich, Fritz: Der schwarze Freitag, 2. Aufl., München 1990 und Meister, Rainer: Die große Depression, Regensburg 1991.

10 Der Begriff der „Zinsknechtschaft“ ging zurück auf Gottfried Feder und wurde von den Nationalsozialisten begierig als „wirtschaftspolitisches“ und zugleich an-

REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD

245

wort der „Zinsknechtschaft“ fand dabei auch in Teilen der sozialen Schicht der Kleinbauern eine antisemitische Konnotation, da traditionell ein in nicht unbedeutender Teil der Händler, insbesondere aber der Viehhändler, zugleich auch Funktionen als Kreditgeber ausübten.11

3.

KATHOLIZISMUS, PARTEIENSTRUKTUR UND WAHLERGEBNISSE IN ALTBAYERN UND IN BAYERN

3.1. DIE PARTEIENSTRUKTUR Altbayern als historischer Kernbestandteil Bayerns war zur Zeit der Weimarer Republik nahezu deckungsgleich mit den heutigen Verwaltungseinheiten (Regierungsbezirken) Oberbayern, Oberpfalz und Niederbayern, wobei sich die Gegend des Bayerischen Waldes geografisch im Norden Niederbayerns und der Oberpfalz befindet.12 Bis November 1918 war, in Abhängigkeit von ihren Aktivitäten in verschiedenen Parlamenten unterschiedlich datierbar, die 1869/1871 gegründete deutsche Zentrumspartei die politische Heimat des deutschen Katholizismus. Aus Protest gegenüber der Politik von Matthias Erzberger im Rahmen der sogenannten Friedensresolution vom Juli 1917 und nach Kriegsende aus einer grundsätzlichen Protesthaltung gegenüber der Weimarer heraus, auch weil Bayern hier wichtige „Reservatsrechte“ aus der Kaiserzeit verloren hatte, spaltete sich am 12. November 1918 in Regensburg die neugegründete Bayerische Volkspartei (BVP) von der Zentrumspartei ab. Die regional allein auf Bayern begrenzte Partei verstand sich als tief konservative, katholische Partei, die für tisemitisches Schlagwort aufgesogen. Vgl. Feder, Gottfried: Das Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft des Geldes, Diessen 1919. 11 Vgl. zur Tradition und Bedeutung jüdischer Händler in verschiedenen Gegenden Deutschlands Richarz, Monika und Rürup, Reinhard: Jüdisches Leben auf dem Lande, 1997; Ullmann, Sabine: Nachbarschaft und Konkurrenz, Göttingen 1999, S. 289-311; Broszat, Martin, Fröhlich, Elke und Wiesemann, Falk (Hrsg.): Bayern in der NS-Zeit Bd. I: soziale Lage und politisches Verhalten der Bevölkerung im Spiegel vertraulicher Berichte, 2. Aufl., München 1983, Kapitel 5. Ein typisches Beispiel ist belegt bei http://www.kreis-anzeiger.de/lokales/aus-der-nachbarschaft/lauterbach/8571672.htm. 12 Vgl. Bavaria Germania Europa: Geschichte auf Bayerisch. Katalogbuch zur Landesausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte in Zusammenarbeit mit den Museen der Stadt Regensburg 18. Mai bis 29. Oktober 2000, Regensburg 2000, S. 67-91 und Sante, Georg Wilhelm: Der historische Raum (Alt-)Bayern., in: Geschichte Bayerns. Sonderausgabe der Geschichte der deutschen Länder (Territorien-Ploetz), Würzburg 1975, S. 1-5.

246 HELMUT BRAUN einen starken Föderalismus eintrat, um für Bayern mehr Unabhängigkeit im Deutschen Reich zu erlangen. Damit bediente die BVP insbesondere die sozialen cleavages „protestantische Mehrheit im Reich versus katholisch geprägte Politik in Bayern“ und „preußisch geprägte Zentralregierung in Berlin versus einer gewollten bayrischen Peripherie mit Autonomiebestrebungen“. Während der 1920er Jahre erzielte die BVP landesweit regelmäßig um die 30% der Stimmen bei Reichs- und insbesondere Landtagswahlen, in altbayerischen Regionen, wie der Oberpfalz, üblicherweise sogar die absolute Mehrheit der Wählerstimmen. Mit Heinrich Held an der Spitze, stellte die BVP von 1924 bis 1933 den bayerischen Ministerpräsidenten. Ab 1932 befürwortete die BVP zwar den Eintritt der NSDAP in die Reichsregierung, was die Nazis nach der Machtübernahme nicht daran hinderte, die bayerische Regierung abzusetzen und BVP-Mitglieder zu verhaften. Auf Druck der Nationalsozialisten löste sich die BVP am 4. Juli 1933 auf.13 Um die Stimmen aus dem bäuerlichen Lager konkurrierte der Bayerische Bauernbund (BBB bzw. BB)14, der in Altbayern, in geringem Umfang auch in Bayrisch-Schwaben einige Hochburgen hatte. Politisch-programmatisch grenzte sich der Bayerische Bauernbund von der BVP insbesondere dadurch ab, dass er sich als liberal und dezidiert anti-klerikal verstand. Teile der Wählerschaft wechselten ab 1930 zur NSDAP über und am 11. April 1933 löste sich der Bayerische Bauernbund auf.15 Die im gesamten Deutschen Reich vertretenen Parteien, so insbesondere die bürgerlich-national gesonnenen, protestantischen Parteien, waren natürlich ebenso in Bayern vertreten wie die sozialistische ausgerichtete, aber dem demokratischen Spektrum zugehörige SPD und deren zeitweilige Abspaltung USPD, sowie die antidemokratisch eingestellten Parteien Kommunistische

13 Vgl. Morsey, Rudolf: Deutsche Zentrumspartei (Zentrum), 1869/71-1933, in: Historisches Lexikon Bayerns, online-Lexikon, www://http.historisches-lexikonbayerns.de/artikel_44652, abgerufen am 14. Oktober 2009. Details finden sich bei Schönhoven, Klaus: Die Bayerische Volkspartei 1924-1932, Düsseldorf 1972 und ders.: Zwischen Anpassung und Ausschaltung. Die Bayerische Volkspartei in der Endphase der Weimarer Republik 1932/1933, in: Historische Zeitschrift, Bd. 224 (1977), S. 340-378. 14 Ab 1922 nannte sich diese aus verschiedenen, aber harmonierenden Interessengruppen zusammengeschlossene Partei offiziell Bayerischer Bauern- und Mittelstandsbund, ab 1928 für die Reichstagswahlen deutsche Bauernpartei. 15 Vgl. Oliver Braun: Bayerischer Bauernbund (BB) 1895-1933, in: Historisches Lexikon Bayerns, online-Lexikon, www://http.historisches-lexikon-bayerns.de/ artikel_44430.

REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD

247

Partei (KPD) und schließlich die NSDAP.16 Die SPD als demokratische Partei, und weit radikaler, sowie demokratiefeindlich, die KPD und schließlich die NSDAP, bedienten programmatisch insbesondere den sozialen cleavage „Arbeit versus Kapital“. 3.2. REICHSTAGS- UND LANDTAGSWAHLERGEBNISSE IM ZEITLICHEN VERLAUF Als Ausgangspunkt für die weitere Analyse ist zunächst ein Blick auf die zeitliche Entwicklung der Wahlergebnisse ausgewählter Parteien bei den Reichstagswahlen zu werfen, und zwar zunächst bezogen auf das Gebiet des gesamten Deutschen Reiches: Tabelle 1: Ergebnisse der Reichstagswahlen (gesamtes Deutsches Reich) Datum

KPD USPD SPD

Zentrum

BVP

DDP

DVP

DNVP NSDAP Sonstige

19. Januar 1919

--

7,6 (22)

37,9 (165)

19,7 (91)

--

18,6 (75)

4,4 (19)

10,3 (44)

--

1,5 (7)

6. Juni 1920

2,1 (4)

17,9 (84)

21,6 (102)

13,6 (64)

4,2 (21)

8,4 (39)

14,0 (65)

15,1 (71)

--

3,1 (9)

4. Mai 1924

12,6 (62)

0,8 (0)

20,5 (100)

13,4 (65)

3,2 (16)

5,7 (28)

9,2 (45)

19,5 (95)

6,6b) (32)

8,5 (29)

7. Dezember 1924

9,0 (45)

0,3 (0)

26,0 (131)

13,7 (69)

3,7 (19)

6,3 (32)

10,1 (51)

20,5 (103)

3,0b) (14)

7,5 (29)

20. Mai 1928

10,6 (54)

0,1 (0)

29,8 (153)

12,1 (62)

3,1 (16)

4,9 (25)

8,7 (45)

14,2 (73)

2,6 (12)

13,9 (51)

14. September 1930

13,1 (77)

0,03 (0)

24,5 (143)

11,8 (68)

3,0 (19)

3,8 (20)

4,5 (30)

7,0 (41)

18,3 (107)

14,0 (72)

31. Juli 1932

14,6 (89)

--

21,6 (133)

12,5 (75)

3,2 (22)

1,0 (4)

1,2 (7)

5,9 (37)

37,4 (230)

2,6 (11)

6. Nov. 1932

16,9 (100)

--

20,4 (121)

11,9 (70)

3,1 (20)

1,0 (2)

1,9 (11)

8,8 (52)

33,1 (196)

2,9 (12)

5. März 1933

12,3 (81)

--

18,3 (120)

11,3 (73)

2,7 (19)

0,9 (5)

1,1 (2)

8,0 (52)

43,9 (288)

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/reichstagswahl 16 Vgl. Mehringer, Hartmut et al.: Bayern in der NS-Zeit, Bd. V, Die Parteien KPD, SPD, BVP, München 1983.

248 HELMUT BRAUN Die Quintessenz der Entwicklung der reichsweiten Wählerstimmen bezüglich der untersuchten These der Ablehnung der NSDAP durch das katholische Milieu in (Alt-) Bayern, vertreten durch dessen Regionalpartei BVP; ist relativ eindeutig: Die BVP erhielt mit 4,2% reichsweit bei der Juniwahl 1920 ihr bestes, mit 2,7% reichsweit bei der Märzwahl 1933 ihr schlechtestes Ergebnis. Bei allen Reichstagswahlen dazwischen pendelte die BVP zwischen 3,0% und 3,7%, wies damit, obgleich auf Bayern beschränkt, reichsweit, wie auch die Zentrumspartei als katholische Partei außerhalb Bayerns; eine relativ stabile Stammwählerschaft auf, zumindest verglichen mit anderen Parteien: Insbesondere die demokratisch-bürgerliche DDP, und gemessen an ihren Höchstständen vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, auch die DVP und die DNVP erlebten einen regelrechten Absturz. Ab der Septemberwahl 1930 ging der Stern der NSDAP auf und führte bei der Märzwahl zu mehr als einer Verdoppelung des Stimmenanteils, auf 43,9%. Auch die KPD konnte massiv von der Krise profitieren, während die SPD von 1928 bis 1932 vergleichsweise moderate Verluste erlitt. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass bereits bei der Novemberwahl die demokratiefeindlichen Parteien NSDAP und KPD zusammen 50% der Wählerstimmen erhielten, in der Märzwahl Tabelle 2: Ergebnisse der Reichstagswahlen in Bayern Übersicht über die Reichstagswahlen 1919 – 1933 19 Wahlbeteil.

20

24 I

82,20 75,82

24 II

28

30

32 I

32 II

33

67,50 79,50 74,49 79,50 82,48 77,95 88,35

Wahlbeteil.

NSDAP

.

. 15,95 c 5,11 c

Landvolk

.

.

.

.

.

4,29

0,05

0,02

.

Landvolk

WP

.

.

.

1,72

3,17

2,78

0,43

0,34

.

WP

8,31

7,24

8,69 11,11

3,59 a

7,02

BBB DNVP DVP

2,67 7,34 b

DDP

13,54

BVP

34,60 38,86

Zentrum SPD USPD KPD Sonstige a d

.

8,07 .

33,56 16,45 3,71 12,97

6,66

11,58 14,36

6,37 17,95 32,91 30,52 43,08

7,46

3,29

3,79

2,29

BBB

9,99

1,99

3,05

4,53

4,11

DNVP

0,67

4,26

3,81

1,90

0,91

0,98

0,49

DVP

3,03 d

3,79

2,99

1,83

0,50

0,42

0,42

DStP

32,70 33,10 27,88 28,03 29,15 28,26 24,21

BVP

1,46 3,21 e 3,08 e 3,21 e 3,12 e 3,01 e

Zentrum

2,48

17,74 21,08 24,37 20,86 17,11 16,37 15,53 0,51

0,40

0,04

.

.

SPD

.

.

USPD

6,27

KPD

0,60

Sonstige

.

1,97

8,05

5,13

3,83

5,95

8,30 10,30

0,02

0,08

0,65

0,89

3,23

3,87

1,08

b

NSDAP

1,35

c

BMP und NLP – Davon 6,93 % DVP und BMP (DNVP); 0,41 % DVP – VB Deutscher Block in Bayern (DDP und DBB) – e Zentrum und BVP (in der Pfalz)

Quelle: http://www.gonschior.de/weimar/Bayern/Uebersicht_RTW.html, Abruf vom 17. Oktober 2009.

REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD

249

1933 hatten, wegen der Gewinne der NSDAP um 10 Prozentpunkte, die NSDAP und KPD zusammen eine solide Mehrheit. Unterschied sich dieses reichsweite Wählerverhalten nun bei den in Bayern festgestellten Stimmanteilen bei den Reichstagswahlen, sowie bei den Wahlen zum Bayerischen Landtag? Tabelle 3: Ergebnisse der Landtagswahlen in Bayern Übersicht über die Landtagswahlen 1919 – 1933 Wahlbeteil.

19

20

24

28

32

33 a

71,76

74,15

79,01

88,35

Wahlbeteil.

6,13

32,52

43,08

NSDAP

0,24

.

.

DVFB

.

WP

86,26

75,74

NSDAP

.

.

DVFP

.

.

WP

.

.

17,12 c .

3,19

BBB

9,10

7,92

7,13

11,53

6,46

2,29

BBB

DNVP

5,77 b

13,54 b

9,42 d

9,26 f

3,27 f

4,11

DNVP

0,97

3,31

1,69 g

0,49

DVP

3,28

.

0,42

DStP

DVP

e

DDP

14,02

8,10

3,17

BVP

34,99

39,39

32,84

31,57

32,55

27,22

BVP

SPD

32,98

16,39

17,17

24,24

15,45

15,53

SPD

USPD

2,53

12,93

0,09

0,01

.

.

USPD

KPD

.

1,74

8,28

3,80

6,64

6,27

KPD

Sonstige

0,61

.

3,83

3,43

1,43

0,60

Sonstige

Sitze

180

155

128

128

[110]

Sitze

9

43

48

NSDAP

17

9

3

BBB

5

DNVP



DVP

Übersicht Parlamentssitze NSDAP BBB DNVP DVP

129 c

.

.

23

16

12

10

9b

19 b

11

d

1 e

13

f

4

3

f



DDP

25

12

3



.



DStP

BVP

66

65

46

46

45

30

BVP

SPD

61

25

23

34

20

17

SPD

USPD

3

20





.

.

USPD

KPD

.

2

9

5

8

[7]

KPD

Sonstige



.

3







Sonstige

a

Neubildung des Landtags aufgrund der Reichstagswahlen vom 5. März 1933. NLP (DVP) und BMP (DNVP) – c VB – d VNR e Deutscher Block in Bayern – f NLP, BMP und DVP der Pfalz – g DVP und WP b

Quelle: http://www.gonschior.de/weimar/Bayern/Uebersicht_LTW.html, Abruf vom 17. Oktober 2009.

250 HELMUT BRAUN Aus diesen Wahlergebnissen ergeben sich folgende Schlüsse: Ab einschließlich der Reichstagswahl 1928, hatte die BVP bayernweit ein stabiles Wählerklientel; erst mit der Märzwahl 1933 begann dies zu bröckeln. Bei den Landtagswahlen zuvor, war der Wählerzuspruch für die BVP vom Niveau her gesehen höher als bei den Reichstagswahlen, aber mit vergleichbarer Tendenz. War bei der Reichstagswahl 1928 die SPD mit etwas über 24% noch die zweite Kraft hinter der BVP, begann bis zur Wahl 1933 bayernweit ein kontinuierlicher Abstieg auf 15,5%. Da bei den Landtagswahlen fast identische Stimmenanteile zu verzeichnen waren, kann für die bayrische SPD festgestellt werden, dass von Wahl zu Wahl der Zuspruch ihrer Wählerklientel schwand, aber eine Stammwählerschaft im Umfang von etwa 15% bis 1933 bestehen blieb. Während also bei der BVP das Wählerklientel des katholischkonservativen Milieus im Großen und Ganzen stabil gehalten werden konnte, schwand das vom sozialdemokratischen Arbeitermilieu getragene Wählerpotential drastisch. Obwohl bei den Reichstags- und Landtagswahlen 1928 mit knapp über 6% eher unscheinbar, begann im Verlauf der Weltwirtschaftskrise der kometenhafte Aufstieg der NSDAP auf 43% in der Märzwahl 1933. Für die weitere Analyse bedeutend sind die Wahlergebnisse der KPD: Nur bei der Reichstagswahl im November 1933 konnten gut 10% der Stimmen erreicht werden, ansonsten lag das Wählerpotential der Kommunisten bei Reichs- und Landtagswahlen in Bayern zwischen knapp 4% und 8%. Damit ergibt sich der Befund, dass in keiner Reichs- oder Landtagswahl in Bayern, im Gegensatz zum gesamten Reich, die NSDAP und die KPD zusammen als die radikalen, die Demokratie bekämpfenden Parteien, mehr als 50% der Stimmen erhalten haben.

4.

DIE AUSWIRKUNGEN DER WELTWIRTSCHAFTSKRISE AUF DEN BEZIRK REGEN IM BAYERISCHEN WALD UND AUF DREI AUSGEWÄHLTE KOMMUNEN IN DIESEM BEZIRK UND AUF DAS DORTIGE WAHLVERHALTEN

4.1. DER BEZIRK REGEN: EINE ÖKONOMISCHE UND POLITISCHE BESTANDSAUFNAHME Nun ist zu untersuchen, wie sich das bayernweite Wahlverhalten vor und während der Weltwirtschaftskrise beim Wahlverhalten im bayerischen Wald, im dortigen Bezirk Regen und dann in einzelnen, ausgewählte Kommunen dort ausgewirkt hat, also in Kommunen im katholischen Altbayern, abseits der großen Städte. Verglichen mit anderen Gebieten des Bayerischen Waldes, wies der Bezirk Regen mit 34,5% der Beschäftigten in Gewerbe und Industrie den höchsten Industrialisierungsgrad auf. Diese vergleichsweise hohe Bedeutung

REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD

251

von Gewerbe und Industrie, insbesondere in Form diverser großer, auch im Export aktiver Glashütten, etwas Bergbau, Granit- und Holzverarbeitung,17 hatte zur Folge, dass sich speziell in den Zentren der Glasherstellung und Glasveredelung eine große Arbeiterschaft befand, die sich trotz klarer katholischer Glaubenszugehörigkeit als Arbeiter definierte und sich in einem sozialdemokratischen Milieu sozialisiert hat. Die im Bayerischen Wald ansässigen Menschen galten (und gelten tendenziell heute noch) daher nicht nur tief im katholischen Glauben verwurzelt, sondern verstehen sich zumindest als Arbeiter auch als Sozialdemokraten und wählen daher auch die Partei, die ihre Interessen als Arbeiter vertritt. Mental galt und gilt zudem die Bevölkerung im Bayerischen Wald als konservativ in dem Sinne, dass allgemein stark am Lebensstil der Alten festgehalten wurde und wird, starke Veränderungen in den Lebensumständen also a priori unwillkommen waren und teilweise heute noch sind. An karges Leben gewöhnt, war man bei der Arbeit einerseits (zwangsweise) fleißig und ausdauernd, andererseits in den Ansprüchen bescheiden und genügsam. Trotz der ärmlichen Verhältnisse, waren die Menschen heimatverbunden und stolz darauf. Den alltäglichen Sorgen, auch den wirtschaftlichen Nöten, begegneten die Menschen traditionell einerseits mit Gleichmut bis Resignation, andererseits mit einer gewissen Sturheit und Renitenz, wenn quasi von außen massive Veränderungen bei den Lebensumständen auftreten. Aufgrund der kargen Landwirtschaft und der nur saisonal Arbeit bietenden Waldwirtschaft, war dennoch jenseits der saisonalen Schwankungen dauerhafte Arbeitslosigkeit bereits vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise ein alltägliches Phänomen. Eine mangelhafte Infrastruktur in Form einer geringen verkehrsmäßigen Erschließung erschwerte die dauerhafte Suche nach Arbeitsgelegenheiten außerhalb des Bayerischen Waldes ebenso wie die breite Ansiedlung von Industriebetrieben. Insgesamt war die sozio-ökonomische Lage im Bayerischen Wald bereits seit langer Zeit vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise dadurch gekennzeichnet, dass viele Menschen irgendwie ihr Leben bescheiden fristeten und sich damit arrangiert hatten.18 Die folgende Karte zeigt die politische Topografie Ostbayerns bei der Maiwahl 1928, wobei das obere Drittel grob den Bayerischen Wald darstellt:

17 Vgl. Bauer, Hans: Die Bedeutung der Industrie im Bayerischen Wald (wie Anm. 2), S. 47. 18 Zur Mentalität vgl. Bauer, Hans: Die Bedeutung der Industrie im Bayerischen Wald (wie Anm. 2), S. 78-79 und eigene Erfahrungen des Autors, der seine Wurzeln in einer Gemeinde im vorderen bayerischen Wald hat.

252 HELMUT BRAUN Karte 1: Reichstagswahlergebnisse in Bayern – Maiwahl 1928

Quelle: Zedenek Zofka: Wahlen in Bayern 1848 – 1994, in: Der Staatsbürger (Nr. 11, Nov. 1994), Beilage der Bayerischen Staatszeitung, http://www.stmuk.bayern.de/blz/ web/archiv/landtag/artikel.html, Abruf vom 17. Oktober 2009.

Neben der Erkenntnis, dass im Wahlkreis Regen, sowie in weiteren Wahlkreisen im Norden des Bayerischen Waldes und in größeren und kleineren Städten mit industrieller Prägung, die SPD die relativ am stärksten gewählte Partei war, wird die Dominanz der BVP „in der Fläche“ ersichtlich. In stark agrarisch strukturierten Gebieten in der Mitte Bayerns erwies sich der Bayerische Bauernbund (in der Grafik als „BBB“ abgekürzt) als Konkurrenz zur BVP. In den ländlichen protestantischen Kreisen in Mittelfranken und in Teilen von Oberfrankens wurde mehrheitlich die DNVP gewählt. Im katholisch geprägten Un-

REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD

253

terfranken war, abgesehen von einem Wahlkreis, die BVP unangefochten.19 Diese politische Topografie unterlag bei den Reichstagswahlen 1932, also zum Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, einem drastischen Wandel, wie folgende Vergleichskarte zeigt: Karte 2: Reichstagswahlergebnisse in Bayern – Märzwahl 1933

Quelle: Zedenek Zofka: Wahlen in Bayern 1848 – 1994, in: Der Staatsbürger (Nr. 11, Nov. 1994), Beilage der Bayerischen Staatszeitung, http://www.stmuk.bayern.de/blz/ web/archiv/landtag/artikel.html, Abruf vom 17. Oktober 2009.

19 Vgl. dazu den Beitrag von Wolfgang Weiß in diesem Band.

254 HELMUT BRAUN Die 1928 noch DNVP wählenden Gebiete des protestantischen Mittel- und Oberfrankens gaben nun der NSDAP die Mehrheit. Daneben gingen viele 1928 noch vom Bayerischen Bauernbund mehrheitlich gehaltene Wahlkreise an die NSDAP – oder an die BVP. Abgesehen von eher kleineren Städten, konnte die SPD in keinem ihrer vormaligen ländlichen Wahlkreise die relative Mehrheit behaupten: Auch alle ländlichen Wahlkreise im nördlichen Bayerischen Wald fielen 1932 mit relativer Mehrheit an die NSDAP, auch der Bezirk Regen. Dennoch ist dieser Befund auf Bezirksebene trügerisch, da sich in einigen bedeutenden Kommunen in diesem Bezirk vollkommen andere Mehrheiten ergaben – was nun an den Beispielen der Stadt Zwiesel, der Gemeinden Bodenmais und Frauenau zu zeigen sein wird.20 Alle diese drei Kommunen im Bezirk Regen unterstanden (und unterstehen) religiös dem Bistum Passau, welches zum betrachteten Zeitraum ein geschlossenes, streng katholisches Siedlungsgebiet war.21 4.2. DIE STADT ZWIESEL Die Wirtschaft von Zwiesel war geprägt von einer bedeutenden Glashütte, an der sich 1927 die „JENAer Glaswerke Schott & Gn.“ als Großaktionär beteiligt hatte. Die nun verstärkte Produktion von Hohlglas und optischen Gläsern 20 Für die folgenden Ausführungen über die wirtschaftliche und politische Entwicklung in der Stadt Zwiesel und in den Gemeinden Bodenmais und Frauenau vgl. Braun, Helmut, Wirtschaftliche und politische Entwicklungen des Bayerischen Waldes in den Jahren der Weltwirtschaftskrise, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte (ZBLG), Bd. 67, 2004, S. 401-432, insbesondere S. 411-430, mit weiteren Quellen- und Literaturnachweisen. Die jeweiligen Wahlergebnisse wurden entnommen aus den dort genau zitierten, verschiedenen Ausgaben der „Bayerischen Waldzeitung“. 21 Zur geografischen Zugehörigkeit des Bezirks Regen zum Bistum Passau vgl. http://www.bistum-passau.de/bistum, Abruf vom 22. März 2010: Zur Wirkmächtigkeit des katholischen Milieus am Bischofssitz Passau vgl. den Beitrag von Johann Riermeier in diesem Band. Daneben, quasi zur „negativen Abgrenzung, vgl. Hölscher, Lucian, Datenatlas zur religiösen Geographie im protestantischen Deutschland, 4 Bände. Eine Bestandsaufnahme bis zum Jahr 1910 liefert Mayer, Michael: Bayerns Bevölkerung in konfessioneller Schichtung (wie Anm. 6). Für den bayerischen Wald kann, aufgrund kaum vorhandener Zuwanderungen, bei dem für in diesem Aufsatz betrachteten Zeitraum von einer geschlossenen katholischen Bevölkerung ausgegangen werden. Lediglich in der Bezirkshauptstadt Regen fand erstmals ab 1924, aber in längeren zeitlichen Abständen, ein evangelischer Gottesdienst im dortigen Rathaussaal statt. Erst im April 1945 soll die Zahl der Protestanten, insbesondere Vertriebene aus dem Osten, wenige Dutzend betragen haben. Vgl. Stadt Regen (Hrsg.): Geschichte der Stadt Regen 1067-1967, Grafenau 1967, S. 173.

REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD

255

machte die Glashütte aber stark vom Export abhängig, was bereits 1928 zu Entlassungen führte. Als dann während der Weltwirtschaftskrise weltweit die Exportvolumina und Exportpreis fielen, gab es regelrechte Entlassungswellen und eine schubweise Erhöhung der Arbeitslosigkeit in Zwiesel. Da die erst errichtete Arbeitslosenversicherung absolut unzureichend war, stieg die Zahl der kommunalen Fürsorgeempfänger rapide an, was wiederum die Gemeindefinanzen an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Auch die Erhöhung kommunaler Steuern, z.B. die Biersteuer, brachte der Kommune wenig, belastete aber die Verbraucher. Die soziale Lage war durch eine stark erhöhte Sterblichkeit, zunehmende Bettelei und Klagen über zunehmenden Alkoholismus gekennzeichnet; viel Beschäftigungslose sahen zudem in Eröffnung einer kleinen Schankwirtschaft eine Chance der Armut zu entkommen. Örtliche Vereine und die Ortscaritas versuchten die Not hilfsbedürftiger Familien, zum Beispiel durch Schulspeisung, zumindest etwas zu lindern. Zwischen 1929 und 1931 stagnierte die Zahl der Geburten, um 1932 deutlich anzusteigen, bedingt aber durch viele uneheliche Geburten. Denn offenbar konnten sich die Paare finanziell keine Hochzeit leisten, wie der Rückgang der Zahl der Eheschließungen indiziert. Folgende Wahlergebnisse ergaben sich bei den Reichstagswahlen: Bei der Wahl vom 20. Mai 1928 war mit fast 39% der abgegebenen Stimmen die SPD noch der eindeutige Wahlsieger. Es folgten die BVP mit knapp über 19%, der Bayrische Bauernbund mit etwas über 10% und die KPD mit beinahe 9%. Die NSDAP war im Rahmen mehrerer Kleinparteien noch ohne Bedeutung. Beinahe 30% wählten also „bayrisch“. Bei der Wahl vom 14. September 1930 gewannen nun langsam die KPD und die NSDAP an Stimmen, insbesondere aus dem Lager der vormaligen SPD-Wähler. Die BVP konnte sich auf Kosten des Bayrischen Bauernbundes verbessern, aber die radikalen Parteien gewannen insbesondere in den kommenden Wahlen immer mehr an Boden. Die NSDAP erhielt bei der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 fast 30% und wurde damit die relativ stärkste Partei, dicht gefolgt von der BVP. Bei der Reichstagswahl vom 6. November 1932 gewannen dann die beiden radikalen Parteien massiv an Stimmen Die NSDAP verlor zwar mit einem Ergebnis von nun knapp über 27% etwas und musste die Position der relativ am stärksten gewählten Partei wieder an die BVP mit ihrem Stimmenanteil von 28% abgeben. Aber durch die Gewinne der KPD konnten die beiden radikalen, der Demokratie feindlich eingestellten Parteien nun erstmals insgesamt mehr Stimmen erringen, als alle demokratischen Parteien zusammen. Eine erneute Stärkung der radikalen Parteien und in toto eine Mehrheit der Stimmen gegen die Demokratie, brachte dann die Wahl vom 5. März 1933. Massiven Gewinnen der NSDAP auf nun über 37% standen Verluste der KPD auf nun 15% gegenüber, aber die SPD erhielt nur noch etwa 16% und die BVP stagnierte bei 28,5% der Stimmen.

256 HELMUT BRAUN Das Wahlverhalten in Zwiesel spiegelt damit den reichsweiten Trend wider: Die NSDAP gewann mit der Juliwahl 1932 erstmals die relative Mehrheit der Stimmen, konnte aber bereits in der Novemberwahl 1932 wieder von der BVP auf den zweiten Platz verdrängt werden. Zusammen mit der KPD, waren jedoch seit der Novemberwahl in Zwiesel die Stimmenmehrheit in toto bei den radikalen Parteien, was in der Märzwahl 1933 aufgrund der massiven Gewinne der NSDAP dann noch markanter ausfiel. Dennoch kann festgestellt werden, dass in Zwiesel, trotz ihres Aufstiegs bis zur Märzwahl 1933, die NSDAP immer deutlich entfernt war von der absoluten Mehrheit und die Ergebnisse teilweise deutlich unter den bayernweit erreichten Stimmanteilen lag. Vor Ausbruch der Krise war in Zwiesel die SPD die relativ stärkste Partei, gefolgt von den spezifisch bayrischen Parteien, der BVP und dem Bayrischen Bauernbund. Bei den Wahlen während der Weltwirtschaftskrise verlor die SPD aber drastisch an Stimmen, zunächst an die KPD, dann aber immer mehr an die NSDAP. Bis einschließlich der Märzwahl 1933, konnte die BVP insbesondere auf Kosten des Bayrischen Bauernbundes an Stimmen zulegen, aber dieses bürgerliche, „bayrisch“ und katholisch-ländlich geprägte Milieu hatte in Zwiesel offenbar nur ein Potential von etwa einem Drittel der Wähler 4.3. DIE GEMEINDE BODENMAIS In Bodenmais22, einem Ort mit etwa 2.700 Einwohnern, war die bergbauliche Gewinnung und industrielle Erzeugung von sogenanntem Polierrot für die umliegenden Spiegelglashütten von Bedeutung. Doch bereits Mitte der 1920er Jahre brach aufgrund einer neuen, billigeren Erzeugungsmethode dieser wichtige Wirtschaftszweig ein und führte schließlich 1930 zur Stillegung der Polierrotproduktion. Auch die örtlich wichtige Holzindustrie brach massiv ein, 1931 schloss die größte Holzwarenfabrik. Der Windbruch im Juli 1929 sorgte für einen drastischen Rückgang bei den Waldarbeitern von zuvor 200 Männern auf nur noch sechs Männer im Jahr 1931. Der Bau einer Bahnstrecke zwischen Bodenmais und Zwiesel war bereits in den Jahren 1926 bis 1928 abgeschlossen, also bevor die Weltwirtschaftskrise zum Tragen kam. Daher waren die beim Bahnbau eingesetzten Arbeitskräfte nun arbeitslos und der mit dem Bahnanschluss verbundene, ohnehin bescheidene Tourismus kam im Verlauf der Krise total zum Erliegen. Viele Bodenmaiser Männer gingen traditionell als Saisonarbeiter in das Allgäu und in die Hallertau. Sofern junge Mädchen und Frauen nicht in die Städte abwanderten, betrieben sie kleine landwirtschaftliche Betriebe, Ziegenzucht, Heimarbeit mit der Fertigung von Holznägeln, Holzstif22 Ausführlich zu Bodenmais vgl. Haller, Reinhard: Bodenmais ... und die „Bomoesser“, Teil II Alltagsleben in der Weimarer Republik 1919-1933, Zwiesel 1990.

REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD

257

ten und Zündhölzern, sowie Eigenversorgung durch Sammeln von Waldfrüchten. Bereits 1924/25 waren etwa 200 Personen in Bodenmais erwerbslos, 1929 bereits 600 Personen, wovon etwa 250 Personen noch Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhielten. Im Jahr 1930 schnellte die Arbeitslosenzahl auf 640 Personen hoch; 1932 waren ca. 85% der Bevölkerung unterstützungsbedürftig. Wie auch in Zwiesel, waren die kommunalen Finanzen durch die Zahlung von Fürsorgeleistungen extrem angespannt; wegen der Finanznöte musste für die Suppe der Schul- und Armenspeisung jeweils 5 Pfennig bezahlt werden. Bereits 1929 bezahlten 90% der Bürger keine Steuern mehr, 1932 kündigten die Banken der Gemeinde alle Kredite. Neben den für Zwiesel bereits erwähnten sozialen Problemen, wurde für Bodenmais eine Zunahme der Beschaffungskriminalität, zum Beispiel von Hühnerstallplünderungen, nachgewiesen. Anfang der 1930er Jahre grassierten Diphtherie, Scharlach und Tuberkulose, also Krankheiten, die bei mangelnder Hygiene, schlechter Ernährung und miserabler Wohnsituationen gedeihen. De facto waren 1931 die Kernarbeitgeber von Bodenmais nicht mehr vorhanden. Die Wahlergebnisse in der Gemeinde Bodenmais spiegeln zunächst die von der Arbeiterschaft geprägte Bevölkerungsstruktur wider: Bei der Wahl vom Mai 1928 erhielten die SPD 357 Stimmen, was einen Anteil von fast 54% bedeutete. Abgeschlagen folgten die BVP mit 136 und der Bayrische Bauernbund mit 104 Stimmen. Die KPD mit 10 und die NSDAP mit 2 Stimmen waren gleichsam nicht existent, auch weil bis 1930 keine Ortsgruppe der NSDAP organisierbar war. Im Verlauf der Weltwirtschaftskrise änderte sich nun das Wahlverhalten in Bodenmais gravierend. Bei der Septemberwahl 1930 stürzte die SPD ab auf nun unter 34%. Dafür konnte die BVP mit nun 247 Stimmen zwar ihren Stimmanteil beinahe verdoppeln, aber viel gravierender war, dass die KPD mit nun 71 Stimmen und die NSDAP mit nun 79 Stimmen plötzlich wie aus dem Nichts in der Parteienlandschaft von Bodenmais eine spürbare Bedeutung erlangt hatten. Bei der Juliwahl 1932 stürzte die SPD noch drastischer ab auf nun nur noch bescheidene 11%. Für die NSDAP hingegen muss mit 13% von einer Stagnation gesprochen werden, gemessen an den Ansprüchen der Partei und deren reichs- und bayernweiten Ergebnissen. Mit knapp 28% kann auch bei der BVP von einer Stagnation gesprochen werden. Der eindeutige Wahlsieger war mit beinahe 42% die KPD. Cum grano salis kann für die Arbeitergemeinde Bodenmais, angefangen bei der Septemberwahl 1930 bis zur Juliwahl 1932 ein massiver Wechsel von der SPD zur KPD festgestellt werden. KPD und NSDAP zusammen erreichten somit die Mehrheit der Stimmen, die sich gegen die Demokratie aussprachen. Die Novemberwahl 1932 wurde dann von mehreren Vorfällen im Vorfeld geprägt: Die SA störte nun gewaltsam Veranstaltungen von SPD und KPD, und die nicht im Dezember 1929 in den Gemeinderat gewählte NSDAP wollte zum Dezember 1932 eine

258 HELMUT BRAUN Neuwahl des Gemeinderates durchsetzen, erhielt dabei aber eine deftige Absage. Bei der Reichstagswahl im November 1932 sank gegenüber der Wahl vom Juli 1932 nun nicht nur die Wahlbeteiligung von über 77% im Juli auf nun nur noch knapp 68, sondern auch die KPD hatte deutliche Einbußen auf nun 30%, blieb aber stärkste Partei. Die BVP stagnierte bei 28%, die SPD erholte sich auf etwas über 18% und die NSDAP verbesserte sich gegenüber der Juliwahl nun deutlich auf 21,5%. Damit hatten die beiden radikalen Parteien zusammen erneut die Mehrheit der Stimmen erreicht. Bei der Märzwahl 1933 wurde nun auch in Bodenmais die NSDAP mit 399 Stimmen die stärkste Partei, dicht gefolgt von der KPD mit 345 Stimmen. Abgeschlagen folgten die BVP mit 331 Stimmen und die SPD mit 209 Stimmen. Die Wählerschaft der radikalen Parteien hatte nun erneut zugenommen, in Bodenmais jedoch immer noch stark auf die KPD bezogen. Wie auch in der Stadt Zwiesel, hatte die BVP auch in Bodenmais eine treue, von 1928 bis 1933 tendenziell wachsende Stammwählerschaft, die in ihrem Potential aber zu schwach war, um den Aufstieg der radikalen Parteien zu verhindern. Dieser war mit dem Verfall der Demokratie in Bodenmais und dem Rückgang der Anhängerschaft der SPD verbunden. 4.4. DIE GEMEINDE FRAUENAU In Frauenau23 nahe Zwiesel dominierte die Produktion von Luxusglas, ergänzt um die Holzwirtschaft. Von 1923 bis 1925 entstand neben der bestehenden Glashütte eine neue Fabrik zur Herstellung von hochwertigen, insbesondere auch für den Export vorgesehenen Hohlgläsern, die Gistl-Hütte. Diese Glashütte schuf 500 neue Arbeitsplätze, was im zuvor eher beschaulichen Frauenau euphorische Zukunftserwartungen auslöste. Da auch durch Zuzüge die Bevölkerung auf nun ca. 3.000 Einwohner anstieg, kam es zunächst zu einer Wohnungsnot, welche aber dann schnell zu Bauaktivitäten führte. Die nun starke wirtschaftliche Abhängigkeit von Frauenau von den Glashütten bekam jedoch einen abrupten Dämpfer: Bereits im Sommer 1928 wurde aus privaten Gründen in der Gistl-Familie der erste von drei Öfen der Gistl-Hütte stillgelegt, mit zeitweiliger Beurlaubung der gesamten Belegschaft. Ende Juli 1931 wurde dann die gesamte Hütte geschlossen und erst im Oktober 1932 wieder in bescheidenem Umfang produziert. Auch die anderen Glashütten in Frauenau machten 1931 und 1932 teilweise oder ganz ihre Öfen aus. Faktisch war in diesen Jahren die Frauenauer Glasindustrie mitsamt ihrer vor- und nachgelagerten Fertigungsbereiche wirtschaftlich tot, bereits seit den Unwettern des Jahres 1929 auch die Holzverarbeitung: Die Arbeitslosigkeit schnellte auf ungeahnte 23 Ausführlich zu Frauenau vgl. Eder, Roman und Hannes, Alfons: Frauenau. Chronik und Lebensbild eines Bayerwald-Ortes, Frauenau/Zwiesel 1974.

REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD

259

Höhen, und die, die noch Arbeit hatten, mussten geringere Löhne akzeptieren. Die Bevölkerung sammelte aus ihrer Not heraus Waldhimbeeren, zog Erdbeeren und verkaufte diese billig. Neben einem sich ausbreitenden Alkoholismus, wurde auch vom Suizid einer Kaufmannswitwe berichtet – ein unerhörter Vorgang in einem streng katholischen Milieu. Zwischen der Euphorie des Jahres 1925 und dem völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch 1931/32 lagen also nur wenige Jahre, während der sich viele Hoffnungen quasi in Nichts auflösten. In Frauenau waren die Hoffnungen der Menschen Mitte der 1920er Jahre optimistisch, auch wenn bereits 1928 erste wirtschaftliche Probleme auftraten. Bei der Maiwahl 1928 errang die SPD 417 Stimmen und damit einen Stimmenanteil von beinahe 59%, weit abgeschlagen folgte die Deutschnationale Volkspartei DNVP mit 88 Stimmen. Die BVP erhielt 63 Stimmen, die KPD 23, also etwa 3%, und die NSDAP 15 Stimmen, also gut 2%. Bereits bei der Septemberwahl 1930, also bald nach einer Entlassungswelle bei den Holzarbeitern und in der Gistl-Glashütte, kippte die vorherige Wählergunst in Richtung SPD um in eine Radikalisierung: Die SPD stürzte ab auf knapp 18%, die KPD schnellte von 3% im Jahr 1928 nun auf über 40% nach oben, die NSDAP stieg von gut 2% im Jahr 1928 auf über 14%. Zu Lasten der DNVP und des dort bisher schwachen Bayrischen Bauernbundes, konnte aber auch die BVP zulegen. Während innerhalb des in Frauenau eher schwachen „bürgerlichen“ Milieus ein interner Stimmentausch in Richtung BVP erfolgt war, fand also eine dramatische Wählerwanderung von der SPD insbesondere in Richtung KPD statt; aber auch die NSDAP profitierte davon. Die weiterhin stark zunehmende Arbeitslosigkeit führte in der Juliwahl 1932 zu einer klaren, absoluten Mehrheit von 498 Stimmen für die KPD, die damit beinahe 55% erreichte. Weit abgeschlagen folgte die NSDAP mit gut 16%, die SPD stürzte weiter ab auf nun gut 10%. Die bayrisch-bürgerlichen Parteien blieben traditionell schwach. Die Novemberwahl 1932 brachte dann eine leichte Verschiebung zwischen den radikalen Parteien: Die KPD sank auf nun gut 51%, die NSDAP stieg auf 22%. Fast drei Viertel der Frauenauer wählten, wie schon etwas schwächer im Juli, die beiden Parteien, die für eine Beseitigung der Demokratie standen. Die Märzwahl 1933 brachte dann geringe Verluste des anti-demokratischen Lagers, wobei die KPD auf nun fast 40% absank und die NSDAP auf fast 28% anstieg. Die BVP erreichte gut 20%, die SPD verharrte bei 10%. 5. METHODISCHE ANREGUNGEN FÜR WEITERE EMPIRISCHE FORSCHUNGEN Diese sehr interdisziplinär angelegte Tagung umfasste inhaltlich die vom Katholizismus geprägten Regionen des Deutschen Reichs und deren Wahlverhalten bei den Reichstagswahlen ab etwa Mitte der Weimarer Republik bis zur Märzwahl 1933, also bereits nach der nationalsozialistischen Machtübernahme. Die Kernthese der Tagung lautete, dass in den katholisch geprägten Regionen

260 HELMUT BRAUN Deutschlands die Nationalsozialisten weit weniger Zuspruch bei den Wahlen zum Reichstag fand, als in den protestantisch geprägten Gegenden. Mit Verweis auf deskriptiv ausgewertete Daten über das Wahlverhalten, konnte diese Kernthese im Grunde bestätigt werden, obgleich auch „Ausreißer“ identifiziert wurden. Offen blieb aber in manchen Beiträgen, welchen Parteien die breite Verweigerung der Katholiken, die Nationalsozialisten zu wählen, zu Gute kam und wie sich dieses Wahlverhalten insbesondere im Verlauf der Weltwirtschaftskrise, zuletzt auch unter massiver Störung des Wahlkampfes und der Wahl selbst durch die Nationalsozialisten entwickelt hat. Strittig war die Frage nach der Weite oder Enge der Definition, was denn ein gefestigtes katholisches Milieu sei. Als Indikatoren wurden hier zum Beispiel die jährlich in einer Gemeinde ausgegebenen Hostien, eventuell berechnet auf pro-Kopf der Gemeindemitglieder genannt, aber auch die Anzahl der Gläubigen, die das Ostermahl einnahmen, eventuell in Relation zu allen (formal) römisch-katholisch Getauften. Für diese wiederum müsse ermittelt werden, wie hoch ihr Anteil an der regionalen Gesamtbevölkerung gewesen war.24 Zudem wurde zu Bedenken gegeben, dass es innerhalb des katholischen Milieus eventuell Unterschiede im Wahlverhalten geben konnte, je nachdem ob ein ländlich oder städtisch geprägter, ein landwirtschaftlich oder industriell-proletarisch geprägter Wahlkreis vorlag. Aus offiziellen Statistiken, aber auch durch eine Auswertung der in der damaligen Presse veröffentlichten Wahlergebnisse25 ist es möglich, den prozentualen Stimmenanteil der NSDAP, alternativ für die katholischen Zentrumspartei und der Bayerischen Volkspartei als Parteien des katholischen Milieus, aber auch für die SPD und die KPD, für jede Wahl abzulesen. In Abhängigkeit vom Aggregationsniveau der Wahlergebnisse, kann der Stimmenanteil der Parteien auf Wahlkreisebene oder auch auf Bezirksebene festgestellt werden. Ist hier bekannt, wie hoch der Anteil der im katholischen Milieu verankerten Personen im jeweiligen Wahlkreis ist26, dann kann durch die Anwendung statistischökonometrischer Verfahren der Regressionsanalyse untersucht werden, ob und wie statistisch signifikant unabhängige Variable, eben zum Beispiel der eventuell mit unterschiedlichen Parametern definierte Anteil gläubiger Katholiken, 24 Einige Referenten wiesen darauf hin, dass es dazu in kirchlichen Statistiken umfassende empirische Daten auf der Ebene der Pfarrgemeinden gibt. 25 Leider wurden neben den abgegebenen Stimmen in den Presseveröffentlichungen nicht immer die Anzahl der Wahlberechtigten angegeben. Somit ist eine Beurteilung des Anteils der Nichtwähler als denkbarer Protest gegen die Nationalsozialisten, insbesondere in der Märzwahl 1933, nur schwer möglich. 26 Wie oben dargelegt, können hier quantitative Unterschiede danach gemacht werden nach Gruppen bzw. deren Anteile an der Bevölkerung, ob es sich „nur“ um formal Getaufte bis hin zum tiefgläubigen Katholiken handelte.

REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD

261

aber auch die Arbeitslosenquote27 oder eine städtisch/ländliche Struktur in einer genau definierten Region, den erzielten Stimmenanteil der NSDAP oder kathlischer Milieuparteien erklären. Ergeben diese als lineare Kleinstquadrateschätzung konzipierten Regressionsrechnungen, statt der wie eben dargestellten unabhängigen Variablen, ein signifikantes, sogenanntes Absolutglied und/oder hohe Werte eines Störterms im statistischen Regressionsansatz, so wären dies deutliche Indizien für das Wirken weiterer, bisher nicht identifizierter Einflussfaktoren. Der Vorteil dieser Regressionsanalyse ist eben die Aufdeckung von statistisch abgesicherten Zusammenhängen zwischen einer abhängigen, zu erklärenden Variablen (Stimmenanteil einer Partei) und mehrerer, unabhängig definierter Variablen („katholisches Milieu“, Arbeitslosigkeit), mit Indizien für in der Analyse nicht erfasste Einflussfaktoren.28 Der methodische Nachteil dieser so aufgebauten Regressionsanalysen besteht in ihrem Querschnittcharakter: Der eben skizzierte Analyseansatz ist zeitpunktbezogen auf jeweils eine Reichstagswahl, wobei natürlich für jede der in Betracht kommende Reichstagswahlen eine eigenständige Regressionsanalyse durchgeführt werden kann. Zur Überwindung der statischen Betrachtung von auf die einzelnen Reichstagswahlen bezogenen, isolierten Querschnittanalysen wäre, eine geeignete Datenbasis vorausgesetzt, die Anwendung der komplizierten Methoden der statistischen Zeitreihenanalyse, die sogenannten ARMA-Modelle, denkbar.29 Damit könnte möglicherweise der in den deskriptiven Analysen des Öfteren identifizierte Abstieg der katholischen Konfessionsparteien „Zentrum“ und „BVP“ auf einen relativ niedrigen, aber dann sehr stabilen Stimmenanteil von überzeugten (streng katholischen?) Stammwählern nachgewiesen werden. Jedoch muss darauf hingewiesen werden, dass die für alle diese vorgeschlagenen Regressions- und Zeitreihenanalysen benötigte Datenbasis erst mühsam aus sehr verstreuten Quellen zu erheben und aufzubereiten sind.

27 Zur Methodik, angewendet auf die Arbeitslosenrate, vgl. Frey, Bruno S. und Weck, Hannelore: Hat Arbeitslosigkeit den Aufstieg des Nationalsozialismus bewirkt? (wie Anm. 1). 28 Zur statistischen Methodik vgl. zum Beispiel Fahrmeir, Ludwig, Kneib, Thomas und Lang, Stefan: Regression: Modelle, Methoden und Anwendungen, Berlin / Heidelberg / New York 2007. 29 Zur statistischen Methodik vgl. zum Beispiel Schelter, Björn, Winterhalder, Matthias und Timmer, Jens: Handbook of Time Series Analysis, Weinheim, 2006; Mills, Terence C. und Markellos, Raphael N.: Econometric Modelling of Financial Time Series, 3rd Edition, Cambridge 2008.

262 HELMUT BRAUN 6. ZUSAMMENFASSENDE BEWERTUNG Die drei untersuchten Kommunen waren in mehrfacher Hinsicht atypisch: Sie waren in einer wirtschaftlich insgesamt sehr rückständigen Gegend vergleichsweise industriell geprägt, aber insbesondere die größeren Betriebe der Glasindustrie waren zum Teil erst kurz vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise ausgeweitet worden. In diesen von der Arbeiterschaft geprägten Kommunen waren aber bereits vor Beginn der Weltwirtschaftskrise deutliche wirtschaftliche Probleme vorhanden. Die Betriebsausweitungen, insbesondere bei der Glasindustrie, weckten in der armen Bevölkerung Hoffnung auf mehr und sichere Arbeitsplätze, doch diese Hoffnung zerplatzte rapide im Verlauf der Krise. Trotz der geografischen und mentalen Einbettung dieser Kommunen in ein traditionelles, altbayrisch-katholisches Milieu, fand die SPD in der Maiwahl 1928 starken Zuspruch. Viele Menschen empfanden sich zwar als brave Katholiken, votierten aber dennoch mehrheitlich für die Partei, von der sie sich eine demokratische Vertretung ihrer Interessen als Arbeiter erhofften. Es kann vermutet werden, dass die Wähler der SPD weniger ideologisch fixiert, als vielmehr pragmatisch an ihren wirtschaftlichen Interessen interessiert waren. Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise konnte cum grano salis das von der BVP verkörperte katholisch-konservative Milieu sein Wählerpotential stabil halten, nicht aber die SPD, deren Wählerklientel immer mehr von der Partei enttäuscht war. Die Wähler, die 1928 noch der SPD nahe standen, äußerten in den folgenden Wahlen ihren Protest über die drastischen Einschränkungen ihrer Lebensverhältnisse durch Arbeitslosigkeit, Verarmung und schließlich bitterer Not schließlich in einem radikalen Wahlverhalten, welches aber nicht dem Muster vieler anderer Gegenden in Deutschland folgte: Bis zu den Reichstagswahlen im März 1933 gingen die exorbitanten Stimmenzuwächse der radikalen Parteien in den betrachteten Kommunen mehr zu Gunsten der KPD als zur NSDAP. Diese beiden, radikalen Parteien holten ihre Stimmen aus der noch 1928 sehr starken Wählerschaft der SPD. Die Wahlergebnisse der SPD verfielen dramatisch, bis auf eine Art sozialdemokratische Kernwählerschaft von etwa 15%. Dieses sozialdemokratische Milieu bildete zusammen mit dem von der BVP vertretenen, katholischen Milieu sozusagen den stabilen, demokratisch orientierten „Rest“, nachdem die NSDAP und die tendenziell stärkere KPD das vorhandene Protestpotential vereinnahmt hatten. Die diesem Band zugrundeliegende Grundthese der Stabilität katholischer Milieus in Verbindung mit einer religiös begründeten Ablehnung der Nationalsozialisten, zeigte für die drei untersuchten, ohne Zweifel tief katholisch geprägten Kommunen im Bayerischen Wald ein ambivalentes Bild: Die BVP als politische Partei des Katholizismus konnte den Protest vieler Wähler über die Notlagen aufgrund der Weltwirtschaftskrise, verbunden mit drastischen Abstürzen der SPD, nicht auffangen.

REICHSTAGSWAHLEN IM BAYERISCHEN WALD

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In einer abgeschwächten Form kann heute ein ähnliches Phänomen identifiziert werden: Während das bürgerliche, heute das liberale und christliche Milieu bezüglich des Wählerverhaltens trotz leichter, aber für die Regierungsbildung relevanter Schwankungen, stabil ist, gehen in Krisenzeiten der SPD Stimmen verloren, die heute primär einer radikaleren, linken Partei zu Gute kommen. Für die heutige Zeit wäre damit zu prüfen, inwiefern der plötzliche Wegfall industrieller Kerne in einer Region, also der regionale Verlust vieler Arbeitsplätze ohne Ausweichmöglichkeiten, radikalen Parteien zu Stimmen verhilft. Wenigstens ist aktuell keine markante Gefahr von Seiten rechtsradikaler Parteien erkennbar – aber das war auch in der Reichstagswahl 1928 der Fall.

UNTERFRANKEN

LOYAL, WIDERSTÄNDIG, ANGEPASST KATHOLISCHE LEBENSWELTEN IN UNTERFRANKEN VOR DER NATIONALSOZIALISTISCHEN HERAUSFORDERUNG WOLFGANG WEIß 1. EINFÜHRUNG Hinsichtlich der für den Obertitel des Beitrages gewählten Adjektive „loyal, widerständig, angepasst“ ließe sich wohl einwenden, inwiefern dies für eine bestimmte katholische Region originell sei. Können sie denn nicht auf alle katholischen Gebiete des Deutschen Reiches für die Zeit des Nationalsozialismus bezogen werden? Ließe sich die Reihe nicht sogar erweitern um „opportunistisch“ oder sogar gar „kooperativ“, weil ja auch von Formen des bewussten Brückenschlages zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus auszugehen ist? Diese drei Adjektive sollen deshalb als gedanklicher Impuls an den Anfang dieser Skizze über die Situation in Unterfranken und dem damit fast identischen Bistum Würzburg während der Zeit des Nationalsozialismus gestellt sein, weil sie für diesen Landstrich in ganz besonderer Weise charakteristisch sein dürften. In der Themenstellung wird darüber hinaus bewusst der Begriff „Milieu“ vermieden, sondern die Bezeichnung „Lebenswelten“ gewählt. Dies liegt daran, dass der Autor sich nicht als profilierter Kenner des Milieubegriffes und seiner wissenschaftlichen Debatte fühlt und das, was er davon weiß – es können auch gerade bei Kirchenhistorikern verbreitete Vorurteile sein – , ihn eher zur Vorsicht mahnt. Aus der Makro- oder Außenperspektive mag die Beschreibung des deutschen Katholizismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als relativ einheitliches Milieu stimmen, wer aber die Detail- und Mikroanalyse und der Landeskirchenhistoriker ist dazu in besonderer Weise verpflichtet – wagt, wird nicht an der Einschätzung vorbeikommen, dass die oft beschworene katholische Einheit und Einheitlichkeit in Deutschland eher eine propagandistisches Anliegen, ja propagandistische Fiktion bildeten, die man nicht ungern historiographisch prolongierte.1 1

In einem gerade erschienenen Buch zur Geschichte des Bistums Würzburg in der Nachkriegszeit hat der Autor etwas provokativ angemerkt, dass die Kategorie Milieu bzw. Milieuverband als hermeneutischer Schlüssel für die katholische Zeitgeschichtsforschung nicht unerheblichen Einfluss gewonnen hat, was „daran liegen [mag], dass der Wunsch nach einer überindividuellen katholischen Gesamtidentität im katholischen Kirchenverständnis selbst begründet ist und die Milieuvorstellung gleichsam die moderne Erfüllung darstellt. Es war somit ein Interpretationsansatz gewonnen, der das bestätigt, was man schon immer sein wollte. Umso

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Der deutsche Katholizismus besaß zwar in der Weimarer Republik zweifellos eine organisatorische Stärke und eine hohe Kirchenbindung. Wie aber diese Kirche ausschauen und agieren müsse, war spätestens seit der Auseinandersetzung um den sog. Modernismus und Reformkatholizismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts umstritten. In der katholischen Kirche Deutschlands waren im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts deutliche Spannungen zwischen traditionalistischen Konservativen und Modernisierern nicht zu übersehen. Insgesamt besaß der deutsche Katholizismus seit dieser Zeit ein beachtliches Innovationspotential, das bekanntlich nach einer gewissen Inkubationszeit während des Dritten Reiches und in der Nachkriegszeit im Zweiten Vatikanischen Konzil gesamtkirchliche Bedeutung gewonnen hat.2 Bezogen auf die Verhältnisse in Unterfranken bzw. im Bistum Würzburg lässt sich nicht übersehen, dass hier das Neben- und Gegeneinander von Konservativen und Erneuerern besonders intensiv war, weil seit den Konflikten in und um die Würzburger Theologische Fakultät zu Beginn des 20. Jahrhunderts, aber auch mit den hier besonders lebendigen Aufbrüchen der Jugend- und Liturgiebewegung – zu erwähnen ist die im Bistumsgebiet gelegene Burg Rothenfels als Zentrum des Quickborn – eine doch bemerkenswerte innerkirchliche Pluralität gewachsen war.3 schmerzlicher musste es dann sein, dass sich dieses Milieu nach 1945 aufgelöst habe […]. Die längere Auseinandersetzung mit dem Milieuansatz zeigt[e] aber, dass es selbst in Deutschland verschiedene kirchliche Milieus gab und sogar die einzelnen Milieus keineswegs so homogen waren. Es überrascht immer wieder die Doppelgestalt des Katholizismus, die es anscheinend ermöglicht, Geschlossenheit und inneren Pluralismus zu verbinden.“ Wolfgang Weiß, Einleitung: Katholische Kirche und Katholizismus zwischen Kriegsende und Zweitem Vatikanischen Konzil (1945-1962/63) – zum Problem der sachgemäßen Wahrnehmung einer religiösen „Sattelzeit“, in: Johannes Merz / Ders. (Hg.), Aufbrüche und Kontroversen. Das Bistum Würzburg 1945-1963, Würzburg 2009 (2. Auflage), S. 11-20, hier S. 18. 2

Es ist in diesem Rahmen nicht möglich, die weitverzweigte Literatur zu dieser Thematik anzuführen. Verwiesen sei nur auf folgende Handbücher und Übersichtsdarstellungen: Hubert Jedin / Konrad Repgen (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte. Bd. VII, Die Weltkirche im 20. Jahrhundert, Freiburg-Basel-Wien 1979; Jean M. Mayeur (Hg.), Geschichte des Christentums. Bd. 11, Erster und Zweiter Weltkrieg – Demokratien und totalitäre System (1914-1958), Freiburg i. Br. 1992 u. Bd. 12, Krisen und Erneuerung (1958-2000), Freiburg i. Br. 2000; Heinz Hürten, Kurze Geschichte des deutschen Katholizismus 1800-1960, Mainz 1986; Ders., Deutsche Katholiken 1918-1945, Paderborn 2001; Klaus Schatz, Zwischen Säkularisation und Zweitem Vatikanum. Der Weg des deutschen Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1986.

3

Vgl. Wolfgang Weiß, Modernismuskontroverse und Theologenstreit. Die Katholisch-Theologische Fakultät Würzburg in den kirchenpolitischen und theologischen Auseinandersetzungen zur Beginn des 20. Jahrhunderts (Quellen und For-

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Rom, das sich gerade durch das bayerische Konkordat das päpstlicher Beund Ernennungsrecht gesichert hatte, sandte 1924 den aus der Diözese Eichstätt stammenden und dort als Hochschulprofessor wirkenden Germaniker Matthias Ehrenfried (1871-1948) wohl gerade deshalb als ersten Bischof, der weder aus der Diözese stammte oder vorher dem Domkapitel angehörte, nach Würzburg, damit er die verworrenen Verhältnisse im römischen Sinn begradige. Von daher ist auch nicht verwunderlich, dass dieser Bischof sich anfangs in seiner Diözese keiner besonderen Beliebtheit erfreute. Erst in der Zeit des Nationalsozialismus änderte sich dies. In der Regionalforschung heißt es über ihn: „Ehrenfrieds mitunter volkstümliches Auftreten in Verbindung mit bis zur Sturheit reichender Beharrlichkeit, die der Bischof auch gegenüber dem Regime an den Tag legte, verschaffte ihm nicht nur im Klerus, sondern auch in der Bevölkerung immer mehr Anerkennung.“4 Von welchen Verhältnissen und katholischen Lebenswelten ist für Unterfranken in den 1930er Jahren auszugehen? 1939 lebten hier auf einer Fläche von 8535 km2 822.453 Personen. Bis auf die wenigen Orte mit städtischem Charakter wie Würzburg, Aschaffenburg und Schweinfurt war und ist der Raum ländlich geprägt. 662.000 Einwohner also 82,5% gehörten der römischkatholischen, 150.000 Einwohner und damit 17% der evangelisch-lutherischen Konfession an. Nicht vergessen werden darf, dass es 1933 in Unterfranken noch 8.500 Juden gab, die auf relativ zahlreiche, kleine jüdische Gemeinden verteilt waren.5

schungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 56), Würzburg 2000; ders., Bischof Ferdinand Schlör und die Modernismusauseinandersetzung in der Diözese Würzburg, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 62/63 (2001), S. 217.235; ders., Die Entwicklung der Würzburger Katholisch-Theologischen Fakultät zwischen Modernismuskontroverse und II. Vatikanischen Konzil, in: Erich Garhammer / ders. (Hg.), Brückenschläge. Akademische Theologie und Theologie der Akademien, Würzburg 2002, S. 69-97. Zur Entwicklung des Bistums Würzburg im 20. Jahrhundert mit einschlägiger Bibliographie vgl. Wolfgang Altgeld / Johannes Merz / Wolfgang Weiß (Hg.), Josef Stangl 1907-1979. Bischof von Würzburg. Lebensstationen in Dokumenten, Würzburg 2007. 4

Christoph Weißmann, Geheime Staatspolizei und Würzburger Diözesanleitung, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 71 (2009), S. 19-41, hier S. 30.

5

Vgl. Weißmann, Geheime Staatspolizei (wie Anm. 4), S. 26f.; vgl. Tobias Haaf, Von volksverhetzenden Pfaffen und falschen Propheten. Klerus und Kirchenvolk im Bistum Würzburg in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 61), Würzburg 2005, S. 17-39.

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Die Region6 besaß somit einen vorherrschend katholischen Charakter, wenngleich, wie die Zahlen zeigen, die religiösen Verhältnisse keineswegs so homogen wie in Altbayern waren. Es gibt sogar einige protestantische Zentren wie Schweinfurt oder Kitzingen und infolge der früheren komplizierten Territorialverhältnisse auch immer wieder eingestreute fast ausschließlich evangelische Dörfer. Im ländlichen Raum war die jeweilige konfessionelle Geschlossenheit einer Kommune kennzeichnend. Nur in den Städten gab es eine deutlichere konfessionelle Durchmischung. In der Bischofsstadt selbst lag der Katholikenanteil bei 76%.7 Charakteristisch für weite Teile Unterfrankens war eine traditional ländliche Lebenswelt mit einer fast ausschließlich katholischen Bevölkerung in Kleinstädten und Dörfern sowie einer von der Gegenreformation unter Fürstbischof Julius Echter (reg. 1573-1617) grundgelegten katholischen Identität. Hier hatte auch der Katholizismus seine stabilste Basis, was sich nicht zuletzt in nicht selten überragenden Wahlergebnissen für die BVP äußerte.8 Komplexere soziale und kulturelle Verhältnisse herrschten natürlich in den Städten. Ohne hier in eine Detailanalyse einzutreten, muss für die früheren geistlichen Residenzstädte Aschaffenburg und Würzburg seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Nebeneinander aber auch osmotische Ineinander einer katholischen und einer liberal bürgerlichen Lebenswelt konstatiert werden; dazu gesellte sich ab dem späten 19. Jahrhundert wenngleich in relativ bescheidenem Rahmen die Arbeiterwelt, um die ein vehementes Ringen zwischen Katholizismus und Sozialismus einsetzte. In Würzburg spielt natürlich die Universität und überhaupt eine überproportional vertretene Akademikerelite eine besondere Rolle. Nach den Zahlen der Wahlen in der Weimarer Zeit bildete in der Stadt Würzburg die Bayerische Volkspartei zwar jeweils die stärkste Partei bei den Landtags- und Reichstags-, auch bei den Märzwahlen 1933 mit 36,1%; die katholischen Wählerinnen und Wähler haben also etwa zu 50% für die BVP 6

Für folgende Abschnitte sei allgemein verwiesen auf die Artikel bei Peter Kolb / Ernst-Günter Krenig (Hg.), Unterfränkische Geschichte. Bd. 5/1+2: Von der Eingliederung in das Königreich Bayern bis zum beginnenden 21. Jahrhundert, Würzburg 2002 (mit zahlreichen weiteren Literaturhinweisen).

7

Zur Stadt Würzburg vgl. Ulrich Wagner (Hg.), Geschichte der Stadt Würzburg. Bd. III/1+2: Vom Übergang an Bayern bis zum 21. Jahrhundert, Stuttgart 2007; vgl. auch Wolfgang Weiß, Bürgergesellschaft und katholisches Milieu – Würzburgs Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 67 (2005), S. 85-97.

8

Die Wahlergebnisse und -analysen im Detail bei Peter Spitznagel, Wähler und Wahlen in Unterfranken 1919-1969. Versuch einer Analyse der Wählerstruktur eines Regierungsbezirkes auf statistischer Grundlage nach den Erhebungen der Volkszählungen 1925, 1950, 1961 und 1970 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 32), Würzburg 1979.

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gestimmt. Man kann dies als Erfolg werten. Gleichzeitig ist aber zu bedenken, dass es nicht wenige teilweise auch bewusste Katholiken gab, die dem politischen Katholizismus dieser Prägung und seiner Partei nichts abgewinnen konnten und einen religiösen Katholizismus favorisierten. Als prominenteste Persönlichkeit in dieser Hinsicht kann der katholische Kirchenhistoriker an der Theologischen Fakultät, Sebastian Merkle, genannt werden. Sebastian Merkle (1862-1945) begleitete daher auch zumindest anfänglich – und hier steht er unter den katholischen Theologen nicht allein da – mit Wohlwollen die „Nationale Revolution“.9 Daneben gab es auch Intellektuelle, denen in politischer Hinsicht das Bett der BVP zu eng war, da sie als zu rechtsstehend angesehen wurde. Unterfränkische Persönlichkeiten wie Vitus Heller (1882-1956) und Leo Weismantel (1888-1964) sympathisierten mit dem linken Flügel des Zentrums. Vitus Heller driftete sogar immer weiter nach links ab und träumte von einer Symbiose von Katholizismus und Kommunismus.10 Schließlich ist auch noch hervorzuheben, dass in den geistlichen Bewegungen dieser Zeit generell eine unpolitische Tendenz vorherrschte, der politische Katholizismus als überholt beurteilt und ein ausschließlich religiöser Katholizismus favorisiert wurde. Sondersituationen herrschten noch in den Bezirksämtern Würzburg-Land und Aschaffenburg-Land als katholische Gebiete mit einem überdurchschnittlichen Prozentsatz an linken Wählern (Kommunisten und Sozialdemokraten) wegen des hohen Anteils an Kleinbauern und Arbeitern. In den (katholischen) Bäderstädten Bad Kissingen und Bad Brückenau ist ein starker Hang zur bürgerlichen Rechten und später zur NSDAP festzustellen. Diese Hinweise mögen als Warnung vor einer harmonisierenden Milieuvorstellung genügen und unterstreichen, dass auch für Unterfranken von durchaus verschiedenen katholischen Lebenswelten auszugehen ist. Vor diesem Hintergrund soll nun die Entwicklung des Nationalsozialismus in Unterfranken bzw. das Verhalten von Katholiken vor der nationalsozialistischen Herausforderung skizziert werden.

9

Vgl. Wolfgang Weiß, Die Katholisch-Theologische Fakultät Würzburg, in: Dominik Burkard / ders. (Hg.), Katholische Theologie im Nationalsozialismus. Institutionen und Strukturen Bd. 1/1, Würzburg 2007, S. 277-326, besonders S. 279281.

10 Zu den politischen Verhältnissen in der Weimarer Zeit vgl. Herbert Schott, Die Jahre der Weimarer Republik und des Dritten Reiches, in: Kolb / Krenig, Unterfränkische Geschichte (wie Anm. 6), S. 327-465, bes. 327-357.

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2. DER „SCHWARZE GAU“ Folgt man der üblichen regional- und diözesangeschichtlichen Deutungslinie, dann steht das Ergebnis der oben formulierten Fragestellung fest. Wohl auch mit einem gewissen Recht herrschte und herrscht bei den Katholiken Unterfrankens nach 1945 die kollektive Auffassung, im Dritten Reich die eigene katholische Identität bewahrt zu haben, vor allem gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie weithin immun gewesen zu sein und, soweit es die Sache der Kirche und des Glaubens es erforderte, Widerständigkeit bewiesen zu haben. Es ist das Bild vom „schwarzen Gau“, eine Bezeichnung für den Gau Unterfranken bzw. Mainfranken, die wohl schon in der Zeit des Dritten Reiches selbst gebraucht wurde, um die unterfränkische Sondersituation, nämlich die fortdauernde und kaum erschütterbare starke Position des Katholizismus auch unter den Gegebenheiten der nationalsozialistischen Herrschaft zu kennzeichnen. Die Kirche habe auf eine breite Volksopposition gegen den Nationalsozialismus vertrauen können.11 Tatsächlich ist zu beobachten, dass die Würzburger Diözesanleitung mit Bischof Ehrenfried12 an der Spitze sowie die verantwortlichen Persönlichkeiten in den sog. katholischen Außenbastionen die Gefahr des aufkommenden Nationalsozialismus rechtzeitig erkannten, die politischen und weltanschauliche Konfrontation nicht scheuten und so auch große Teile der katholischen Bevölkerung gegen die nationalsozialistische Versuchungen sensibilisierten. Dies spiegeln vor allem die katholischen Leitmedien, das Fränkische Volksblatt sowie das Würzburger Katholische Sonntagsblatt, wider, in denen der für die (kirchen)politischen Kommentare verantwortliche Diözesanpriester Heinrich Leier (1876-1948) neben Kommunisten und Sozialisten auch die Nationalsozialisten als große Gefahr brandmarkte. Leier zog so den Hass der Nationalsozialisten auf sich, den er nach 1933 in besonderem Maße zu spüren bekam.13 11 Vgl. Wolfgang Weiß, Einführung zur Tagung „Der ‚schwarze Gau’. Das Bistum Würzburg unter nationalsozialistischer Herrschaft“ (14./15. November 2008), in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 71 (2009), S. 11-18 (hier ein Überblick über die Veröffentlichungen zu diesem Thema). 12 Vgl. Max Domarus, Bischof Matthias Ehrenfried und das Dritte Reich, Würzburg 1998 (5. erweiterte Auflage) [mit einem Nachwort von Klaus Wittstadt], S. 25-29 u. 127-129; vgl. Klaus Wittstadt, Bischof Matthias Ehrenfried im Spiegel seiner Hirtenbriefe, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 41 (1979), S. 203-216; ders., Ein Bischof in schwerer Zeit. Das Wirken Bischof Matthias Ehrenfrieds im Dritten Reich, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 57 (1995), S. 407-420 13 Klaus Wittstadt, Domkapitular Heinrich Leier (1876-1948). Der Hauptschriftleiter des Fränkischen Volksblattes im Kampf gegen den Nationalsozialismus, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 39 (1977), S. 255-274; Christoph Weißmann, Domkapitular Heinrich Leier, in: Florian Trenner (Hg.), Diener im Wein-

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Das Würzburger Katholische Sonntagsblatt, das einen großen Teil der katholischen Haushalte erreichte, hatte sich während der 20er Jahren zunehmend in politischer Hinsicht zurückgehalten, ging aber ab 1930 wieder stärker zu Gunsten der BVP und damit des politischen Katholizismus in die Offensive. Zur Reichstagswahl am 14. September 1930, also am Fest Kreuzerhöhung, ist folgender Aufruf zu lesen: „Soll es [das Kreuz] erhöht bleiben oder soll es heruntergeholt werden? Der Sozialismus leugnet das Kreuz Christi und seine Kraft. Der Kommunismus will den russischen Sowjetstern über Deutschland herrschen lassen. Die Nationalsozialisten wollen das Hakenkreuz aufpflanzen, das heidnische Symbol des alten deutschen Götterglaubens. Sie predigen ein anderes Evangelium als Christus, sie verkündigen das heidnische Evangelium des Hasses und der Selbstvergötterung der Rasse.“14 Nach dem Wahlsieg der BVP mit 48,6% und nur 12,3% für die NSDAP in Unterfranken, wobei sie in den rein katholischen Bezirksämtern meist weit unter 10% blieb, allerdings in den Städten bereits 18,5%, und in Bad Kissingen, obgleich mehrheitlich katholisch, sogar 30,5% erhielt,15 bekundete das Sonntagsblatt große Zufriedenheit und sprach davon, dass sich in guten katholischen Gemeinden – was immerhin auch zum Ausdruck brachte, dass es auch schlechte gab – ein Zusammenstehen wie in Kulturkampfzeiten gezeigt habe.16 Um bei der militanter werdenden politischen Situation gewappnet zu sein, wurde 1931 begonnen, die bisher organisatorisch schwache Bayernwacht als Saalschutz der BVP auszubauen. Ende 1931 entstand eine Würzburger Ortsgruppe. 1932 folgten weitere zahlreiche Ortsgruppen in Unterfranken.17 Nach den Juliwahlen 1932 mit der neuerlichen Steigerung der Nationalsozialisten, aber einer hohen Stabilität der BVP warf das Sonntagsblatt unter dem Titel „Koalition oder Diktatur oder Chaos?“ die Frage nach der politischen Zukunft Deutschlands auf. Bezüglich der Gefahr einer Militärdiktatur äußerte man, dass sie „immer noch besser wäre als das Chaos“. Der Kommentator des Sonntagsblattes favorisierte aber die Idee eines nationalen Burgfriedens für zehn Jahre und erwog sogar den Gedanken einer schwarzbraunen Koalition unter der Bedingung, dass „die Nationalsozialisten ihre revolutionären Ziele aufgeben, ihren kirchenfeindlichen Standpunkt ändern und eine vernünftige praktische Politik machen wollen.“18 In einer späteren Ausgabe erschien allerberg des Herrn. Priesterpersönlichkeiten aus zwölf Diözesen, München 2008, S. 153-158. 14 Würzburger Katholisches Sonntagsblatt 81 (1930), S. 657. 15 Vgl. Spitznagel, Wähler und Wahlen (wie Anm. 8), Tabelle B 6. 16 Vgl. Würzburger Katholisches Sonntagsblatt 81 (1930), S. 689. 17 Vgl. Schott, Die Jahre (wie Anm.10), S. 343. 18 Würzburger Katholisches Sonntagsblatt 83 (1932), S. 453.

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dings eine deutliche Warnung vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler.19 An der Wende von 1932 zu 1933 deutet sich im Sonntagsblatt eine gewisse Ermattung im politischen Kampf an, die sich aus einer zunehmenden Distanz zur Parteiendemokratie und Politikverdrossenheit erklären lässt. Die sog. Machtergreifung hinterließ in der Berichterstattung des Sonntagsblattes keinen besonderen Eindruck. Relativ undramatisch heißt es: „Eine Mehrheit hat die neue Regierung nicht, sie kann aber wohl damit rechnen, daß sie nicht sofort gestürzt wird, sondern dass man ihr Zeit läßt. Denn Hitler muß nun zeigen, ob er halten kann, was seine Leute versprochen haben … Das deutsche Volk wird mit Begier darauf warten, was nun geschieht.“20 Zur Reichstagswahl vom 5. März mobilisierte der unterfränkische Katholizismus noch einmal alle Kräfte. Die BVP konnte sich auch mit 43,6% als stärkste Partei weithin behaupten und die NSDAP, die zwar einen Stimmengewinn von über 10% zu verzeichnen hatte, mit 33,9% deutlich hinter sich lassen.21 Im Fränkischen Volksblatt war folgende Wahlanalyse zu lesen: „Auch in Unterfranken haben die Nationalsozialisten stark zugenommen, besonders in den protestantischen Gemeinden, aber auch in den Städten und manchen katholischen Bauerndörfern. Trotzdem hat sich die Bayerische Volkspartei glänzend gehalten … Die katholischen Gemeinden haben auch bei dieser stürmischten aller Wahlen ihre Disziplin und Treue glänzend bewahrt.“22 Die NSDAP fuhr damit in Unterfranken das schlechteste Ergebnis in Bayern ein. Zudem war der Gau Unterfranken (später Mainfranken) auch der mitgliederschwächste Gau der NSDAP und der Organisationsgrad der Partei ließ sehr zu wünschen übrig, was auch von der Parteileitung wiederholt kritisiert worden war. Es gab in Unterfranken am 30. Januar 1933 gerade einmal 4.665 Parteigenossen. Auch die SA war verhältnismäßig schwach; im Januar 1932 gehörten ihr ca. 1.000 Männer an.23 Bis März 1933 darf also mit vollem Recht von einem „schwarzen Gau“ gesprochen werden. Nach der Machtergreifung versuchte daher Gauleiter Otto Hellmuth (18961968), katholisch getauft und erzogen, aber schon ab den frühen 1920er Jahren in der völkischen Szene aktiv und ein glühender und aggressiver Katholikenhasser, schnell diese Defizite zu überwinden, um bei der Parteiführung einen

19 Vgl. Würzburger Katholisches Sonntagsblatt 83 (1932), S. 477, 651. 20 Würzburger Katholisches Sonntagsblatt 84 (1933), S. 91. 21 Spitznagel, Wähler und Wahlen (wie Anm. 8), Tabelle B 9. 22 Fränkisches Volksblatt Nr. 54 (6. März 1933), S. 8; zitiert bei Haaf, Von volksverhetzenden Pfaffen (wie Anm. 5), S. 24. 23 Vgl. Weißmann, Geheime Staatspolizei (wie Anm. 4), S. 28; Schott, Die Jahre (wie Anm. 10), S. 360f. u. 366f.

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besseren Eindruck zu hinterlassen.24 Als wichtigsten und stärksten Gegner nahm er hierbei von Anfang an die katholische Kirche ins Visier und verwickelte sich in einen oft wenig koordinierten Kirchenkampf, bei dem er in seiner Übereiltheit und Ungeschicklichkeit nicht einmal immer die Unterstützung der übergeordneten NS-Organe gewinnen konnte. Angesichts des nun auch in Unterfranken hervortretenden nationalsozialistischen Terrors und der gleichzeitig beschwichtigenden Haltung der neuen Reichsregierung ist nach den Märzwahlen ein eigenartiges Erschlaffen der politischen Aktionskräfte des Katholizismus nicht zu übersehen. Nach der nationalen Revolution in Bayern am 9. März 1933 kommentierte das Sonntagsblatt nur, die Nationalsozialisten sollen nun zeigen, was sie können.25 Nach dem Ermächtigungsgesetz und Hitlers Regierungserklärung wollten auch die unterfränkischen Katholiken sich dem „nationalen Einigungswerk“ nicht entziehen. Charakteristisch wiederum der Kommentar des Katholischen Sonntagsblattes: „Mit dieser feierlichen öffentlichen Erklärung, welche durch den Rundfunk in ganz Deutschland verbreitet wurde, ist also festgestellt, daß die Regierung keine katholikenfeindliche Stellung einnehmen wird. Damit sind zugleich die früher von vielen Seiten geäußerten Absichten des Kampfes gegen Rom, welche den deutschen Katholiken große Sorge um die Zukunft einflößte, zurückgewiesen und unwirksam gemacht. Darum haben auch die katholischen Parteien … im Vertrauen auf die Zusicherungen dem Ermächtigungsgesetz zu der notwendigen Zweidrittel-Mehrheit verholfen.“26 Durchaus symptomatisch für die Situation war folgender Vorgang. Würzburgs Nationalsozialisten verhängten am 28. März 1933 ein vierwöchiges Verbot des katholischen Sonntagsblattes, weil in einigen Bemerkungen der Ausgabe vom 26. März eine „Verächtlichmachung der Reichsregierung und der bayerischen kommissarischen Regierung erblickt wurde“. Die Redaktion der Kirchenzeitung erreichte aber nach dem Einspruch bei der Landesregierung in München, den auch die bischöfliche Behörde unterstützte, dass der nationalsozialistische Staatssekretär in der bayerischen Staatskanzlei, Hermann Esser (1900-1981), das Verbot mit sofortiger Wirkung wieder aufhob. Gerade solche Maßnahmen schienen zu bestätigen, dass sich die neue Regierung nach einer gewissen Übergangsphase wieder in rechtsstaatlichen Bahnen bewegen würde.27 24 Vgl. Schott, Die Jahre (wie Anm. 10), S. 364f.; Astrid Freyeisen, Verbohrt bis zuletzt – Gauleiter Dr. Otto Hellmuth und das Ende des Nationalsozialismus in Unterfranken, in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 57 (2005), S. 280-328. 25 Würzburger Katholische Sonntagsblatt 84 (1933), S. 187. 26 Würzburger Katholisches Sonntagsblatt 84 (1933), S. 219. 27 Würzburger Katholisches Sonntagsblatt 84 (1933), S. 235.

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Dass eine Zuspitzung kirchlicherseits in Würzburg nicht erwünscht war, lässt sich daraus ersehen, dass die Redaktion des Sonntagsblattes nach der „Erklärung“ über diesen Vorgang eine Meldung über die „Kundgebung der deutschen Bischöfe über den Nationalsozialismus“ vom 28. März 1933 brachte und dazu schreib: „Dieses wichtige Dokument … ist für die Katholiken richtungsweisend und ermöglicht es ihnen, mit gutem Gewissen am Wiederaufbau Deutschlands mit Regierungsstellen zusammenzuarbeiten.“28 Im Frühjahr 1933 schien der bisherige Graben zwischen katholischer Kirche und Nationalsozialismus überwindbar. Auch wenn gerade in Würzburg Bischof Ehrenfried seine Skepsis nicht ganz verhehlen wollte, so war doch eine Stimmung vorhanden, dass sich Formen des gedeihlichen Miteinanders entwickeln könnten. Vor allem die Nationalsozialisten hatten ein zumindest vorübergehendes Interesse an dieser Situation. Der neue nationalsozialistische Bürgermeister Würzburgs Theo Memmel (1891-1973) betonte bei seiner Ansprache anlässlich der Einweihung der „Adolf-Hitler-Straße“ am 4. April 1933: „Heute danken wir es den Bischöfen, daß sie uns Katholiken die Last vom Herzen genommen haben, daß sie erkannt haben, daß der Nationalsozialismus keine Kampffront gegen die Religion ist. Wir kennen nur das große Zweigestirn: Gott und Vaterland! Wir wollen die Jugend wieder zu Gott führen, indem wir die Gottlosigkeit und den atheistischen Marxismus vernichten. Wir wollen, daß unsere Kinder wieder unseren Herrgott kennenlernen. Wir wollen, daß unsere Kinder wieder vaterländisch denken! Hier schließt sich der Bund zwischen Priester und Führer! Der Priester soll die Jugend zu Gott führen und wir führen sie zum Vaterland! Wir danken den Bischöfen, daß der Katholik heute keine Gewissensskrupel mehr hat. Wir danken, daß am Sonntag für unsere Glaubensbrüder in der SA ein Feldgottesdienst stattfand und daß heute bei dieser Feierstunde ein Geistlicher vertreten ist. Das Trennende ist verschwunden!“29 Sehr schnell traten allerdings der totalitäre Anspruch und das brutale Gesicht des Regimes hervor. Gleichschaltung oder Unterdrückung hieß die Maxime. Zusammen mit der BVP als Partei des politischen Katholizismus sollten dies die katholische Presse und die katholischen Verbände, vor allem die Ju-

28 Würzburger Katholisches Sonntagsblatt 84 (1933), S. 235. 29 Peter Weidisch, Die Machtergreifung in Würzburg 1933 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg 5), Würzburg 1990, S. 230f. (Dok. 24); vgl. auch Ingrid Eyring, Theo Memmel – Oberbürgermeister von Würzburg 1933-1945, in: Ulrich Wagner (Hg.), „… bin ich mir der Verantwortung bewußt, die ich mit meinem Amt auf mich genommen habe.“ Aspekte der Verwaltung-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte Würzburgs im 19. und 20. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg 10), Würzburg 2002, S. 59-174.

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gendverbände30, bald zu spüren bekommen. Nachdem die christlich-soziale Reichspartei Vitus Hellers ihr Stadtratsmandat schon im Zuge der Gleichschaltung verloren hatte, wurde im Juni 1933 mit rabiaten Mitteln die BVP ausgeschaltet.31 Das Vorgehen gegen die Mandatsträger der BVP war im bayerischen Vergleich in Unterfranken besonders hart. Die kurzzeitige Schutzhaft traf sogar einfache Gemeinderatsmitglieder.32 Besonders betroffen von den Maßnahmen war die Geistlichkeit. Bischof Ehrenfried berichtete darüber in einem Brief vom 12. Juli 1933: „Ich weiß nicht, ob in den letzten Monaten ein anderer Bischof Bayerns so viel durchgemacht hat wie ich um der Kirche wegen. In meiner Diözese sind die meisten Geistlichen von allen Diözesen in Schutzhaft genommen worden. Es waren einmal über 40. Der Ernst der Lage war so groß, dass ich meine Visitation unterbrechen und nach Würzburg zu Dauerberatungen zurück mußte. Dazu wurden einige meiner Geistlichen wirklich körperlich misshandelt. Einer wurde von einigen SA-Leuten in das Braune Haus geschleppt und dort mit Peitschen geschlagen. […] Vor 14 Tagen wollten sie auch mich in Haft nehmen. Es war alles bereits disponiert. […] Nur durch das Eintreten des Polizeidirektors, der für die Verhaftung des Bischofs die Zustimmung aus München für erforderlich hielt, bin ich frei geblieben.“33 Spätestens jetzt verlor Ehrenfried, der sowieso zu den Vertretern einer konsequenten Linie gegenüber den Nationalsozialisten gezählt werden darf, jede Illusion über die Ziele der neuen Machthaber. Ehrenfried wollte sich nicht einschüchtern lassen und ging nach den Maßnahmen gegen den politischen Katholizismus in die Offensive. Er war überzeugt, dass trotz aller nationalsozialistischen Beteuerungen der Angriff eben nicht allein den politisierenden Geistlichen galt, sondern der katholischen Kirche selbst. Bereits am 5. Juli 1933 erließ er eine öffentliche Kundgebung zur katholischen Presse. Darin hob er darauf ab, dass es keinen Rückzug des Katholischen ins Private geben könne. Es müsse „für uns Katholiken der katholische Glaube alles beleuchten und ordnen, klären und verklären: das private und öffentliche, soziale und wirtschaftliche, kirchliche und nationale Leben. Daraus erwächst von selbst Recht und Bedürf30 Vgl. Karl-Werner Goldhammer, Der Kampf der NSDAP gegen die katholische Jugendarbeit in Unterfranken, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 37/38 (1975), S. 657-684; ders., Katholische Jugend Frankens im Dritten Reich. Die Situation der katholischen Jugendarbeit unter besonderer Berücksichtigung Unterfrankens und seiner Hauptstadt Würzburg, Frankfurt a. M. 1987. 31 Vgl. Weidisch, Machtergreifung (wie Anm. 29), S. 98-121. 32 Vgl. Schott, Die Jahre (wie Anm. 10), S. 379-382; vgl. exemplarisch zur Situation in einem Dorf: Joachim Braun, Geschichte der jüdischen Gemeinde von Allersheim im Ochsenfurter Gau, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 69 (2007), S. 535-610, besonders S. 590f. 33 Brief veröffentlicht bei Domarus, Ehrenfried (wie Anm. 12), S. 41f.

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nis einer eigenen katholischen Presse. … Die nationale Bewegung betont immer wieder den Standpunkt der Totalität; sie beansprucht Volk und Staat gänzlich. Die Kirche ihrerseits muß auf dem Gebiet des Glaubens ebenso sehr Totalität verlangen: die Religion kann sich nicht ihrerseits in die Ecke stellen oder in den Mauern der Kirchen und Sakristeien ein verborgenes Heim aufrichten. Religion ist Leben und fürs Leben. Sie muß wie Gottes Allgegenwart alles und alle Verhältnisse durchdringen und ordnen.“34 Ehrenfried kündigte dabei die Loyalität gegenüber der rechtmäßigen (nationalsozialistischen) Obrigkeit keineswegs auf. Die Loyalität zum NS-Staat stand auch in Zukunft für kaum einen Katholiken in Zweifel, auch nicht als in den folgenden Jahren die Einschränkungen für das kirchliche Leben durch das NSRegime immer mehr um sich griffen und ein offener Kampf gegen die Kirche tobte. Noch am 1. Februar 1945 betonte Bischof Ehrenfried in einem Hirtenschreiben: „Unsere tapferen Soldaten stehen im Osten, Westen und Süden in heroischer Abwehr. Viele von euren Liebsten haben an der Front Blut und Leben geopfert… Eines nur vermag uns bei dieser Heimsuchung aufrichten: grenzenloses Vertrauen auf Gott und demütige Ergebung in den Willen Gottes.“ In Anlehnung an Röm 13, 1 schrieb er weiter: „Wer sich der rechtmäßigen Obrigkeit im Staate unterordnet, ordnet sich Gott unter.“35 Es können in diesem Zusammenhang nicht die Einzelheiten des Kirchenkampfes in Unterfranken thematisiert werden. Hier lässt sich im Detail vieles in den von Klaus Wittstadt herausgegebenen Regierungspräsidentenberichten36, in den Aufstellungen des zweibändigen Werkes über die „Priester unter Hitlers Terror“37 oder in der neuesten Studie von Tobias Haaf über „Klerus und Kirchenvolk im Bistum Würzburg in der Auseinandersetzung mit dem Nationalso-

34 Würzburger Katholisches Sonntagsblatt 84 (1933), S. 457. 35 Fastenhirtenbrief 1945, in: Würzburger Diözesanblatt 91 (1945), S. 7-11; vgl. Wolfgang Weiß, „Es ist wieder einmal die große Stunde des Christentums“. Bischof Ehrenfried und Bistum Würzburg im Jahr 1945, in: Verena von Wiczlinski, Kirche in Trümmern? Krieg und Zusammenbruch 1945 in der Berichterstattung von Pfarrern des Bistums Würzburg, Würzburg 2005, S. 49-74, besonders S. 52f. 36 Vgl. Klaus Wittstadt (Bearb.), Die kirchliche Lage in Bayern nach den Regierungspräsidentenberichten 1933-1943. VI: Regierungsbezirk Unterfranken 19331944 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte Reihe A: Quellen, Bd. 31), Mainz 1981. 37 Vgl. Ulrich Hehl / Christoph Kösters / Petra Stenz-Maur / Elisabeth Zimmermann (Bearb.), Priester unter Hitlers Terror. Eine Biographische und statistische Erhebung (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte Reihe A: Quellen, Bd. 37), Paderborn u.a. 1996 (3., wesentlich veränderte und erweiterte Auflage) (Aufstellung zum Bistum Würzburg Bd. II, S. 1523-1684).

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zialismus“38 nachlesen. Die Forschung hat ergeben, dass Würzburg zu den deutschen Diözesen zählte, „die die Auswirkungen der repressiven NS-Kirchenpolitik am meisten zu spüren bekamen.“39 Es gerieten fast 70 Prozent der katholischen Geistlichen in Konflikt mit den nationalsozialistischen Institutionen und Behörden. Es sind 3.000 Fälle bekannt, in denen Geistliche nach Ansicht des Regimes sich eines Vergehens schuldig gemacht haben. „Ingesamt führten diese ‚Vergehen’ zu über 5.500 Maßnahmen und Strafen gegen die betroffenen Geistlichen.“40 Der Hauptgrund dürfte im Profil des Gauleiters Dr. Otto Hellmuth, ab September 1933 auch Regierungspräsident des mit dem Gau deckungsgleichen Regierungsbezirkes bzw. Kreises Unterfranken, zu suchen sein. Hellmuth sah, wie schon angedeutet, in den „Schwarzen“ nicht zu Unrecht die Hauptgegner und ließ kein Mittel aus, diese niederzuzwingen. Persönlich drängte er die Gestapo zu schärferem Vorgehen gegen die „Pfaffen“. Meist war sein Kampf gegen die Kirche mehr durch blinde Leidenschaft als strategisches Kalkül bestimmt, weswegen er gelegentlich von höheren Stellen „zurückgepfiffen“ wurde. Dies stärkte wiederum die Position Ehrenfrieds, der sowieso ein eher unerschrockener impulsiver Charakter war und sich kaum durch Drohungen beeindrucken ließ. Gleichzeitig ermutigte dies die Geistlichen vor Ort, es ihrem Bischof gleichzutun, der dies allerdings nicht immer mit Begeisterung zur Kenntnis nahm, weil er es vornehmlich als seine Sache verstand, dem Regime die Stirn zu bieten, während sich die Geistlichen und die Gläubigen nicht unnötig gefährden sollten.41 Die tendenziell defizitäre Situation der Partei gegenüber der katholischen Kirche ließ auch die kleinen Funktionäre vor Ort nicht ruhen und zu Denunziationen schreiten, um von sich den Vorwurf der Untätigkeit und Schwäche abzuwehren. Diese fanden aber selten die Unterstützung der weiteren Gemeindemitglieder. Nicht zu unterschätzen ist für die Signatur der unterfränkischen Konfliktsituation, dass in dieser Region Staat, Partei und Kirche – also Regierungsbezirk, Gau und Diözese – territorial fast vollständig übereinstimmten, sich die jeweiligen Leitungsorgane in der sog. Mainfrankenmetropole Würzburg konzentrierten und sich sogar baulich in unmittelbarer Nähe befanden, indem z.B. Bischofspalais und Braunes Haus direkt aneinanderstießen. Letztlich ging es in 38 Vgl. Haaf, Von volksverhetzenden Pfaffen (wie Anm. 5). 39 Tobias Haaf, „Den Pfarrer zur Strecke bringen.“ Hugo Stöhr, Pfarrer von Rannungen und Dekan von Münnerstadt. Eine Priesterbiographie aus der nationalsozialistischen Zeit Unterfrankens, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 65 (2003), S. 259-336, hier S. 263. 40 Weißmann, Geheime Staatspolizei (wie Anm. 4), S. 36f. 41 Vgl. Weißmann, Geheime Staatspolizei (wie Anm. 4), S. 38-40.

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den verschiedenen Auseinandersetzungen um die kulturelle und geistige Hoheit über eine Region. Auch ohne unmittelbar politische Mittel konnte die Kirche darauf bauen, dass sie mit dem langen Atem ihrer tief verankerten Tradition ein entscheidender, wenn nicht der entscheidende Faktor in der Region blieb.42 Der mainfränkische Katholizismus verlor zwar Schritt für Schritt seine äußeren Bollwerke und damit unverzichtbar erschienenen Positionen in Staat, Gesellschaft und Öffentlichkeit, die organisatorische und institutionelle Plattform verengte sich, aber das kirchliche Leben war doch nicht im Kern getroffen. Durchaus erfolgreich konnte man die eigene Klientel hinter sich scharen. Auch erwies sich die Zerschlagung der katholischen Verbände und Vereine nicht nur als Schwächung, da es gelang deren bisherige Mitglieder in der unter dem Dach der Pfarreien organisierten Katholischen Aktion zu sammeln. Besonders aktiv war die in der Grauzone von Legalität und Illegalität aufgebaute Pfarrjugend, die im Geheimen auch wieder überpfarrliche Strukturen aufbaute und geradezu kadermäßig und konspirativ unter den führenden Persönlichkeiten

42 Es gab eine große Bereitschaft, das christliche (katholische) Gesicht Unterfrankens zu verteidigen. Ehrenfried und Diözesanleitung wurden nicht müde, die christliche Tradition Unterfrankens herauszustellen und die Gläubigen immer wieder, um die gewachsene christliche Identität hochzuhalten, daran zu erinnern. Deswegen ließen sie die jährliche Kiliansoktav besonders feierlich begehen. 1941 wurde, wenn auch nur im kirchlichen Rahmen, eindrucksvoll die Gründung des Bistums Würzburg vor 1200 Jahren ins Gedächtnis gerufen. Vgl. zu diesen Aspekten: Haaf, Von volksverhetzenden Pfaffen (wie Anm. 5), S. 135-250; Wolfgang Brückner, Die Wallfahrt zum Kreuzberg in der Rhön (Kirche, Kunst und Kultur in Franken 7), Würzburg 1997, bes. S. 138-141; ders., Kirchlich geprägte Lebensstile im 19. und 20. Jahrhundert (1840-1950), in: Kolb / Krenig (Hg.), Unterfränkische Geschichte. 5/2 (wie Anm. 6), S. 107-148; Joseph Heeger (†), Feier des 1200jährigen Burkardusjubiläum vom 12. mit 19. Oktober 1941, gehalten in der Burkarduskirche zu Würzburg, in: Klaus Wittstadt (Hg.), 1000 Jahre Translatio Sancti Burkardi. Zur Bedeutung von St. Burkard in Würzburg, Würzburg 1986, S. 136-141; Johannes Merz, Der Protest gegen die Schulkreuzentfernung 1941 in Unterfranken. Zum Hintergrund kirchlicher Verteidigung gegen Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 52 (1990), S. 409-434; Herbert Schott, Die Visitationsreise des Würzburger Bischofs Matthias Ehrenfried in das Dekanat Münnerstadt 1936. Eine Quellenedition, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 62/63 (2001), S. 719-754; Siegfried Wenisch, Die Rolle Kilians im 19. und 20. Jahrhundert, in: Johannes Erichsen (Hg.), Kilian. Mönch aus Irland aller Franken Patron (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 19/89), München 1989, S. 395-404; ders., Helden, Heilige und ihre Gegenspieler. Ein Beitrag zur Geschichtsbetrachtung in der NSZeit vornehmlich in Unterfranken, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 62/63 (2001), S. 825-835.

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Domkaplan Fritz Bauer (1913-1995), Oskar Neisinger (1919-1985) und Ludwig Altenhöfer (1921-1974) ein lebendiges Glaubensleben entfaltete.43 Diese vielen Konfliktfälle zwischen Kirche und Nationalsozialismus, der unübersehbare Selbstbehauptungswille und die sicher vorhandene starke katholische Volksopposition unter der Ägide von Bischof und Klerus haben das Bild und die Selbsteinschätzung vom „schwarzen Gau“ genährt und in der Nachkriegszeit wurden sie intensiv gepflegt.

3. MOMENTE DER INTEGRATION DES NATIONALSOZIALISMUS IN DAS KATHOLISCHE MAINFRANKEN Wer sich in erster Linie an den Konfliktlinien zwischen Nationalsozialismus und katholischer Kirche entlang bewegt, wird zweifellos den Eindruck eines permanenten Kirchenkampfes und eines heroischen Katholizismus gewinnen. Es gibt allerdings eine Reihe von Indizien, die dieses Bild trüben. Vor allem ist zu bedenken, dass der bis 1933 mitgliederschwächste Gau Mainfranken in den folgenden Jahren einen sprunghaften Anstieg von Parteigenossen zu verzeichnen hatte.44 Die Zahl schnellte von 4.665 auf 39.002 PG bis zum 1. Januar 1935 hoch, die Zahl der SA-Leute von ca. 1.000 auf 31.322. 1935 hatte der Gau „den höchsten Anteil an Parteimitgliedern unter den Bürgermeistern in Bayern“45. Damit konnte der Eindruck entstehen, Mainfranken sei Hochburg der NSDAP; und Gauleiter Hellmuth verband damit die Hoffnung, sein schlechtes Renommee gegenüber dem benachbarten und bekanntermaßen „erfolgreichen“ Frankenführer Julius Streicher (1885-1946; Führer des Gaues Franken, der den Regierungsbezirk Mittelfranken umfasste) zu verbessern. Enorm war auch der Anstieg der HJ-/BDM-Mitglieder. Ende des Schuljahres 1934/35 waren 56,8% der Schüler bzw. Schülerinnen Mitglieder und so lag nun Unterfranken über dem bayerischen Durchschnitt. Am 14./15. Juli 1934 versammelten sich 60.000 Jugendliche beim Tag der Mainfränkischen Hitlerjugend. Auch in weiteren Gliederungen und Formationen war der Nationalsozialismus sehr erfolgreich. Besonders eindrucksvoll ist die Entwicklung der Na43 Vgl. Hans-Peter Baum, Christliche Würzburger Jugendgruppen im Widerstand gegen das „Dritte Reich“, in: Ulrich Wagner (Hg.), Geschichte der Stadt Würzburg. Bd. III/1 Vom Übergang an Bayern bis zum 21. Jahrhundert, Stuttgart 2007, S. 290-293; Ulrich Bausewein, „Aber was treffen sie schon, höchstens unseren Leib“. Junge Katholiken aus dem Bistum Würzburg in der nationalsozialistischen Diktatur 1933-1945, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 71 (2009), S. 127139. 44 Zu den folgenden Zahlen vgl. Schott, Die Jahre (wie Anm. 10), S. 360-372 45 Ebd., S. 377.

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tionalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV); hier waren 1937 20,23% der Einwohner Mitglied, der höchste Wert im ganzen Reich. Wohl hielt man die Mitgliedschaft in dieser Organisation am unverfänglichsten; das soziale Engagement ließ sich ja als positiv bewerten, selbst wenn propagandistische Motive unverkennbar waren. Geistliche traten kaum in die NSDAP ein. Nach dem Krieg berichtete das Ordinariat, dass sich von 900 Priestern nur drei Priester wegen Nazi-Mitgliedschaft verantworten mussten; einer sei in die Gruppe der Entlasteten, zwei seien als Mitläufer eingestuft worden.46 Nicht mitgezählt wurde dabei wohl Prof. Dr. Ludwig Ruland (1873-1951), Inhaber des Lehrstuhls für Moral- und Pastoraltheologie, da er Priester der Erzdiözese München-Freising war. Ruland war ursprünglich BVP-Mitglied, gerierte sich aber bald nach der Machtübernahme als eifriger NSDAP-Anhänger.47 Der rapide Anstieg der Parteimitglieder lässt sich mit dem wachsenden Druck seitens der Parteikreise, mit der Euphorie der Aufbruchsstimmung 1933 und nicht zuletzt mit Opportunismus erklären. Manche behaupteten später, sie seien vornehmlich deswegen eingetreten, um Schlimmeres zu verhüten. Auf alle Fälle besaß die unterfränkische Gauleitung ein herausragendes Interesse an der Steigerung der Parteiorganisation, um auch gegenüber den bis dahin erfolgreicheren Nachbargauen das eigene Prestige aufzuwerten. Bekanntlich war dies selbst der Parteispitze der NSDAP nicht geheuer und sie verhängte 1933 eine Mitgliederaufnahmesperre. Diese wurde später wieder gelockert, vor allem 1937 gibt es wieder zahlreiche Eintritte. Allerdings fehlen für diese Zeit gesicherte Statistiken. Zu betonen ist, dass es in Unterfranken nicht wenige Parteigenossen gab, die sich durchaus als gute Katholiken fühlten und so daher wohl kaum die kirchenpolitische Linie ihrer Partei vertraten. Auch das bischöfliche Ordinariat anerkannte dies nach dem Krieg. In einer Stellungnahme aus dem Jahr 1946 heißt es: „Sehr viele Katholiken, die meisten Beamten, Angestellte, Geschäftsinhaber waren PG [Parteigenossen]; der weitaus größte Teil von ihnen aus Angst vor Verlust oder Schädigung ihrer materiellen oder gesellschaftlichen Existenz; sie lehnten innerlich Hitler und besonders sein kirchenfeindliches Programm ab, obgleich sie sehr oft öffentlich sich als Nazis gebärdeten. Das nazistische Gewalt-System machte den Großteil der Leute zwiespältig und unaufrichtig; sie selbst litten schwer unter der Zerrissenheit ihres Charakters. Sie waren froh, als das System zusammenbrach; andererseits mussten sie als 46 Diözesanarchiv Würzburg, Generalakten, Nr. 43 (Apostolische Nuntiatur 19451961). Bericht 1946 (Domdekan Staab: Nr. 10, Grenzfragen). 47 Vgl. Weiß, Die Katholisch-Theologische Fakultät Würzburg (wie Anm. 9), S. 282f.

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PG [Parteigenossen] die Rache der neuen Zeit fürchten. Der Bischof von Würzburg gab unter diesen Umständen die Parole aus, ja keine Anzeige aus Rache zu machen und forderte vor allem den Klerus auf, nur solche zur Anzeige zu bringen, deren Verbleiben in ihren Stellungen eine große Schädigung für Staat, Religion und Sittlichkeit oder Gerechtigkeit bedeuten. Bischof und Klerus wurden sehr häufig von PG [Parteigenossen] um Zeugnisse angegangen, dass sie nur dem Namen nach Nazis waren; sie haben solche Zeugnisse zahlreich aufgestellt, soweit es mit der Wahrheit vereinbar war, und haben so vielen bei der Denazifizierung geholfen.“48 Das Ordinariat hob darüber hinaus mit einer gewissen Genugtuung hervor, dass nur wenige der heftigen Propaganda der Nazis zum Kirchenaustritt gefolgt seien. Auch wenn in den Schulen der kirchliche Geist bekämpft wurde, die Jugend besonders auch durch die Verpflichtung zur Hitlerjugend gefährdet gewesen sei, hätten doch fast alle Kinder an Erstkommunion und Firmung teilgenommen. Durchaus charakteristisch – zumindest für die Verhältnisse in den katholischen Dörfern – mag die Entwicklung in der Gemeinde Kleinostheim am bayerischen Untermain gewesen sein. Hier hatte die BVP in den Märzwahlen knapp 70%, die NSDAP nur 10,4% erreicht. Diese hohe Geschlossenheit der Gemeinde war mit Sicherheit auf die prägende Kraft des höchst agilen Ortspfarrers Josef Hepp (1892-1974) zurückzuführen, dem es vorher schon gelungen war, seine Schäfchen weitgehend vom „Laster“ der Sozialdemokratie zu befreien. Nach der Machtergreifung mussten sich auch hier die Verhältnisse neu sortieren. Auf Initiative des schon seit 1928 der NSDAP angehörenden örtlichen Arztes Dr. Mackenstein entstand am 1. April 1933 eine NSDAPOrtsgruppe und sofort traten 152 Kleinostheimer der Partei bei. Der am 25. April 1933 auf Vorschlag der BVP als Mehrheitsfraktion von allen Gemeinderäten, auch denen der SPD und NSDAP, gewählte neue Bürgermeister Josef Eisert trat der Partei – nach den Spruchkammerakten „auf Aufforderung“ – am 1. Mai bei. Ein überzeugter Nationalsozialist war er aber damit noch keineswegs. „Er stand vielmehr während der gesamten zwölf Jahre in einem ständigen Zwiespalt zwischen seinen Aufgaben als örtlicher NS-Vertreter einerseits und seiner Treue zur Kirche andererseits.“49 1934 gehörten alle Gemeinderäte der NSDAP an, womit die Umformung der Kommune zumindest nominell abgeschlossen gelten konnte. Als sich Mackenstein aus der Lokalpolitik zurückzog, übernahm Eisert am 1. Dezember 1936 auch noch die Position des 48 Diözesanarchiv Würzburg, Generalakten, Nr. 43 (Apostolische Nuntiatur 19451961). Bericht 1946 (Domdekan Staab: Nr. 10, Grenzfragen). 49 Johanna Konrad-Brey, Zwischen Kirchentreue und nationalsozialistischer Versuchung. Die Kirchengemeinde Kleinostheim am bayerischen Untermain im Dritten Reich, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 71 (2009), S. 141-153, hier S. 144.

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Ortsgruppenleiters, wobei er sich vor der Übernahme der Aufgabe noch mit dem Ortspfarrer, dem Sozialdemokraten Jakob Merger sowie dem Fuldaer Publizisten und Zentrumspolitiker Johannes Kramer, der nun in Kleinostheim beheimatet war, beriet. Er wurde dazu ermuntert, damit „es endlich Ruhe im Ort gebe“.50 Bürgermeister Eisert erfüllte weiterhin seine Sonntagspflicht und gewährte, als 1941 eine Primiz in Kleinostheim begangen wurde, den Feierlichkeiten seine volle Unterstützung. Zwar blieben auch in Kleinostheim Anzeigen gegen die Geistlichkeit (Pfarrer und Benefiziat) nicht aus, da sich diese keineswegs scheute, die weltanschaulichen Irrtümer des Nationalsozialismus zu benennen. Aber der Bürgermeister suchte stets die Zuspitzung zu vermeiden, weswegen die Verfahren meist glimpflich verliefen. Pfarrer und Bürgermeister waren um einen erträglichen Modus vivendi bemüht. Überhaupt ist festzustellen, dass in der Diözese Würzburg zwar ausnehmend viele Einzelfälle von Denunziationen und Anzeigen von Geistlichen vorkamen, aber dass es selten zu schärferen Verurteilungen kam. Solange die Verfahren bei den ordentlichen Gerichten durchgeführt wurden, blieb das Strafmaß durchaus noch erträglich, auch das Sondergericht Bamberg machte hier keine Ausnahme.51 Gefährlich waren dagegen die direkte Schutzhaft und daraus resultierend die direkte Verlegung in ein Konzentrationslager ohne Gerichtsverfahren, wie sie 1941 eine Reihe von Geistlichen zu erleiden hatte, unter anderem Pfarrer Georg Häfner (1900-1942), der im KZ Dachau ums Leben kam.52 Wie wenig die NSDAP sich der eigenen Leute sicher sein konnte, kommt in verschiedenen Lageberichten des Regierungspräsidenten zum Ausdruck. Am 7. Juli 1936 heißt es: „Die Regierungsmaßnahmen der letzten Zeit: Das Beflaggungsverbot für die öffentlichen Gebäude am Fronleichnamsfeste, das Verbot 50 Ebd., S. 145. 51 Tobias Haaf, „Die Verfehlung des Angeklagten ist grober Natur“. Die Rolle des Sondergerichts Bamberg bei der Disziplinierung unterfränkischer katholischer Geistlicher, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 71 (2009), S. 43-107. 52 Vgl. u.a. Adelhard Kaspar, Pfarrer Georg Häfner von Oberschwarzach. Persönlichkeit und Schicksal, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 29 (1967), S. 207-254; Paul-Werner Scheele / Klaus Wittstadt, Georg Häfner. Priester und Opfer. Briefe aus der Haft – Gestapodokumente, Würzburg 1983; Adam Zirkel, Wer hat den Pfarrer Georg Häfner ins KZ gebracht?, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 56 (1994), S. 425-460; Klaus Wittstadt, Pfarrer Georg Häfner, in: Helmut Moll (Hg.), Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, Bd. I, Paderborn 1999, S. 594-596; Günter Putz, Gott ist der Grund. Das Lebenszeugnis von Georg Häfner. Einsichten in das Priesteramt, 2. erw. und verb. Auflage, Würzburg 2004; ders., Leben als Eucharistie. Das geistliche „Vermächtnis“ des Dieners Gottes Georg Häfner (1900-1942), [Würzburg 2007]; ders., Die Wiederentdeckung der Innenwelt. Zugänge zur Lebenswelt von Georg Häfner (1900-1942), [Würzburg 2009].

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der Nachholung der Fronleichnamsprozession für jene Orte, in denen der öffentliche Umzug am Fronleichnamstage wegen des schlechten Wetters ausfallen mußte, und schließlich die Aktion der Bay. Politischen Polizei vom 20. 6. gegen die Verlesung des Hirtenbriefes über die Aufhebung der Klosterschulen haben, wie alle Berichte der Ämter, die zu diesen Maßnahmen Stellung nehmen, ersehen lassen, in der katholischen Bevölkerung bis tief hinein in die Reihen des nationalsozialistisch gesinnten Volksteils große Beunruhigung und eine gewisse Besorgnis um den Bestand der katholischen Religion hervorgerufen.“53 Am 8. August 1936 wird geklagt, dass bei der Firmreise des Bischofs die Häuser reich geschmückt gewesen seien und der Flaggenerlass durchweg und sogar von Parteigenossen missachtet worden sei, indem weiß-gelbe und rot-weiße Fahnen gehisst worden seien.54 Nach der Aufhebung der Abtei Münsterschwarzach wurde 1941 berichtet: „Die Schließung […] und die Gerüchte über Schließung weiterer Klöster haben […] eine ungeheuere Erregung hervorgerufen und die allgemeine Stimmung aufs ernstlichste gefährdet, Drohungen mit Arbeitsniederlegung bei der ländlichen Bevölkerung als Ausfluß des Ärgernisses und des Verdrusses über die kirchenpolitischen Maßnahmen sind keine Seltenheit. Viele Volksgenossen wollen die Klosterschließung und ihre Begleitumstände auch ihren Soldaten an der Front mitteilen, die ebenfalls sicherlich die größte Empörung empfinden werden. Aber auch die kirchlich nicht gebundenen Kreise sind der Meinung, dass eine Maßnahme wie die Schließung des Klosters Münsterschwarzach unter allen Umständen hätte unterbleiben müssen.“55 Die in den ersten Jahren nach 1933 erreichten Integrationserfolge der NSDAP in der mainfränkischen Bevölkerung blieben also verhältnismäßig labil und hingen letztlich vom Erfolg des Regimes ab. Als sich die Lage im Laufe des Krieges verschlechterte, wuchs wiederum die Distanz zwischen Volk und Partei. Wie wenig die regionalen Parteiführer, an ihrer Spitze Gauleiter Hellmuth, zunehmend mit Sympathien in der Bevölkerung rechnen konnten, unterstreicht ein SD-Bericht zur allgemeinen Stimmung aus dem Jahr 1943: „Im Volk sammle sich allmählich ein Ekel vor der Partei und eine Wut an, die eines Tages sich entladen müsse. Wer früher beispielsweise über die harmlosen Dummheiten und Eitelkeiten des Gauleiters gelächelt habe, der beginne ihn zu verachten und sei vermutlich in absehbarer Zeit bereit, ihm den Schädel einzuschlagen. […] Im Gau Mainfranken sei alles, vom Heldentum Daniel Sauers56

53 Wittstadt, Die kirchliche Lage (wie Anm. 36), S. 89 54 Vgl. Wittstadt, Die kirchliche Lage (wie Anm. 36), S. 91f. 55 Wittstadt, Die kirchliche Lage (wie Anm. 36), S. 183 (Bericht vom 11. Juni 1941). 56 Bei Daniel Sauer handelt es sich um einen unterfränkischen Nationalsozialisten, der in einer Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokraten bzw. Gewerkschaft-

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bis zur selbstlosen Einsatzbereitschaft der Parteiführer auf Schwindel und Phrasen aufgebaut.“57 In den letzten Kriegsjahren war sogar eine verstärkte Anhänglichkeit an die Kirche nicht zu übersehen. Gleichwohl funktionierte das System der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft weiterhin in seiner grausamen Perfektion. Es gab kein Aufbegehren gegen den Krieg, das vielfache Unrecht und schon gar nicht gegen die Verschleppung der Juden. Offene Verbitterung und Ablehnung zeigten sich allerdings, wenn es um kirchliche und religiöse Anliegen ging. Mit dem Prestigeverlust des Gauleiters und der Partei stieg das Ansehen Bischof Ehrenfrieds und der Kirche. Dieser suchte in den letzten Kriegsjahren weniger die unmittelbare Konfrontation mit dem Nationalsozialismus in rechtlichen und institutionellen Angelegenheiten, hier hatte er in den letzten Jahren viele Rückschläge einstecken müssen, sondern wollte seine Gläubigen vor allem im Glauben bestärken und sammeln. Die Gläubigen sollten gleichsam mental stabilisiert werden. Der Fastenhirtenbrief 1943 widmete er „der großen Helferin der Christenheit, der Gottesmutter Maria“.58 Dass solch vornehmlich religiöse Themen keineswegs harmlos waren, erkannte das Regime durchaus. Über die Kraft einer solchen Verkündigung berichtet auch der SD: „Der Hirtenbrief und die darin angeknüpften Worte der Geistlichen hatten eine beachtliche Wirkung auf die Zuhörer. Nicht nur in kirchlich weniger gebundenen Bevölkerungskreisen, sondern auch von Parteigenossen werden zur Kirchenlage Argumente, wie folgt geäußert: ‚Der Marienkult mit seiner starken Einwirkung, besonders auf Frauen und Mädchen, und die daran geknüpfte Hoffnung auf eine Hilfe in allen Nöten des Lebens kommt ebenso wie die Ausführungen der Geistlichen über das Fortleben nach dem Tode, das Wiedersehen im Jenseits und der Hinweis auf göttliche Hilfe den persönlichen Wunschvorstellungen vieler Volksgenossen heute im Kriege weitgehend entgegen. Es wäre falsch, die ungeheuere psychologische Wirkung, die der christliche Glaube durch seine Verheißungen und seine klare Beantwortung der Frage nach den letzten Dingen auf viele Volksgenossen ausübt, zu unterschätzen.“59

lern mit den Nationalsozialisten am 1. Mai 1923 ums Leben kam; er wurde wohl aus Versehen von den eigenen Leuten erschossen. 57 Zitiert nach Thomas Reuß, Öffentlichkeit und Propaganda. Nationalsozialistische Presse in Unterfranken 1922-1945, Bad Neustadt 1988, S. 31. 58 Wittstadt, Ehrenfried im Spiegel seiner Hirtenbriefe (wie Anm. 12), S. 213. 59 Heinz Boberach (Bearbeiter), Berichte des SD und der Gestapo über Kirche und Kirchenvolk in Deutschland 1943-1944 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen Bd. 12), Mainz 1971, S. 830-832.

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Im Fastenhirtenbrief 1944 gab Ehrenfried das Programm vor, das über das Kriegsende hinaus bis in die 1950er Jahre propagiert werden sollte. Er steht nämlich unter dem Thema: „Zurück zu Christus, unserem Anfang und Ende.“60 Es präfiguriert sich schon jetzt die spätere Vorstellung der Kirche, zumal der Würzburger, als „Siegerin in Trümmern“.61 In Unterfranken bzw. im Bistum Würzburg behielt so in der Wahrnehmung der Zeitgenossen über manche Anpassungsschwierigkeiten und Assimilierungstendenzen hinweg die Auffassung vom „schwarzen Gau“ ihre Gültigkeit oder gewann nun sogar wieder an Boden. Sie wurde zu einer Identitätsklammer für den Neuanfang nach dem Zusammenbruch. Sie ermöglichte das kollektive Bewusstsein, selbst Opfer in einer verhängnisvollen Entwicklung gewesen zu sein und dass gewisse Verstrickungen zwar nicht gewollt, aber letztlich unvermeidbar gewesen wären. Diese Skizze kann wohl nicht die anfangs geweckten Erwartungen erfüllen. Es bleibt die Unschärfe, die anfangs beklagt wurde, und vielleicht sogar bei der geschichtlichen Aufarbeitung dieser Epoche erwünscht war (und ist). Es sollte immerhin deutlich geworden sein, dass es neben der viel beschworenen Widerständigkeit sowie der Loyalität zur Staatsmacht, doch in nicht geringem Maß Formen der Anpassung gab. Die katholischen Lebenswelten während dieser Zeit in ihrer Differenziertheit zu erfassen, bleibt ein Desiderat. Es fehlen wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werdende Detailstudien. Die Ortshistoriographie besitzt immer noch gewisse Hemmungen, diese Zeit in ihrer ganzen Komplexität zu betrachten. Die Kirchengeschichtsschreibung neigt dazu, die Bischöfe und die Priester bevorzugt zu beachten. Das Verhalten der Masse der Gläubigen, also der Laien bleibt schemenhaft. Ausnahmen bilden Persönlichkeiten, die mit dem Regime in Konflikt gerieten.62 Aber auch hier ließe sich noch Manches klären. Denn, 60 Wittstadt, Ehrenfried im Spiegel seiner Hirtenbriefe (wie Anm. 12), S. 214. 61 Vgl. Wolfgang Weiß, Die Position(en) der Kirchen im Wiederaufbau, In: Christoph Daxelmüller / Stefan Kummer / Wolfgang Reinicke (Hg.), Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Aufsätze zur Bayerischen Landesausstellung 2009, Augsburg 2009, S.204-217. 62 Vgl. Antonia Leugers, Georg Angermaier 1913-1945. Katholischer Jurist zwischen nationalsozialistischem Regime und Kirche. Lebensbild und Tagebücher (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen, Bd. 44), Paderborn u.a. 1994; Oskar Klemmer, Rechtsanwalt und Notar Dr. Ernst Döhling. Leben und Schicksal im katholischen Widerstand, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 71 (2009), S. 155-161; Stephan Diller, Gottfried Hart (1902-1987) – ein Christ und Kommunalpolitiker, der „lediglich seine Pflicht erfüllte, die ihm vielleicht gottgewollt zugefallen war.“, in: Frankenland. Zeitschrift für Fränkische Landeskunde und Kulturpflege 61, Heft 3 (Juni 2009), S. 174-185. Zu Persönlichkeiten, die wegen ihres tragischen Schicksals als Märtyrer der NS-

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während im Staatsarchiv Würzburg vorhandene Gestapoakten des Klerus intensiv ausgewertet wurden, blieb dies bei den katholischen Laien durchweg aus. Das Kirchenvolk wird zwar stets als kirchentreu beschrieben, aber es bleibt ohne „Gesichter“. Am allerwenigstens sollen auch jene „Gesichter“ enthüllt werden, die als Katholiken, sei es aus Überzeugung oder Verführung, aus beruflichem Zwang oder Opportunismus, im und für das System wirkten. Pastoral mag das richtig sein. Der Historiker wird sich kaum damit zufrieden geben können.

Zeit berechtigter Weise größere Aufmerksamkeit fanden: vgl. Maria Theodora Freifrau von dem Bottlenberg-Landsberg, Dr. Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, in: Helmut Moll (Hg.), Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, Bd. I, Paderborn 1999, S. 596-599; Klaus Wittstadt / Helmut Moll, Franz Herbert, in: ebd., S. 600-602; Klaus Wittstadt, Fred Joseph, in: ebd., S. 602-604.

STABILITÄT IM KATHOLISCHEN MILIEU. DIE DIÖZESE PASSAU IM NATIONALSOZIALISMUS JOHANN RIERMEIER AM VORABEND DER „MACHTERGREIFUNG“ Der im Bistum Passau weit verbreitete Altöttinger Liebfrauenbote, eine katholische Wochenschrift aus dem so genannten katholischen Herzen Bayerns, dem Marienwallfahrtsort Altötting, schrieb in seiner Nr. 49, 7. Dezember 1930 unter der Rubrik Weltrundguck unter anderem: „Hitlers Kampf gegen Rom. Viele geben sich der Täuschung hin, als ob die kathol. Kirche von Hitler nichts zu befürchten habe. […] Dass die Hitlerianer sowohl gegen das bayer. wie gegen das preuß. Konkordat grundsätzl. gestimmt haben, dürfen wir auch nicht vergessen. Auch das nicht, dass Hitler heute noch keine Antwort auf die offene Anfrage gegeben hat, ob er mit seiner Partei willens sei, für die Konfessionsschule einzutreten. Wie könnte er auch für kathol. Kinder kathol. Schulen verlangen, wo doch sein letzter Wahlkampf in Norddeutschland hauptsächlich schon gegen Rom eingestellt war! Nur dadurch hat er so viele Evangelische auf seine Seite gelockt und für seine Ziele geködert. Uebrigens hat sein ehemal. evangel. Freund Dinter jetzt ausgeplaudert, dass Hitler persönlich die kathol. Religion für krassen Aberglauben ansehe und diese seine Anschauung auch im engeren Kreis seiner Gesinnungsgenossen gar nicht verhehle. […] Er dürfe es jetzt nicht mit der kath. Kirche verderben, sondern müsse vielmehr den Papst in geschickter Weise gegen die bayerische Volkspartei und das Zentrum ausspielen. Die Politik der Partei müsse so geführt werden, dass die deutschen Katholiken meinten, die katholischen Interessen seien bei den Nationalsozialisten besser aufgehoben als beim Zentrum und der Bayer. Volkspartei. Das sei der sicherste Weg, diese beiden Parteien zu beseitigen. Also geheuchelte Romfreundlichkeit nach außen, gepaart mit unterirdischem Kampf der Partei gegen die Kirche. Oder eine Moral mit doppeltem Boden! Mit solcher Taktik mag sie vorübergehend Tausende von Katholiken täuschen, aber nicht auf die Dauer. Die deutschen Bischöfe und Priester sind sich mit dem Papst in Rom und allen klar sehenden deutschen Katholiken darüber einig, dass man den Nationalsozialismus ablehnen müsse. […] Aus ungezählten Aeußerungen führender Nationalsozialisten, aus ihrer Ablehnung der kathol. Konfessionsschule, der Konkordate mit Rom im bayer. wie im preußischen Landtag wie auch aus manchen Andeutungen ihres offiziellen Parteiprogramms geht klar hervor, dass die Kirche von der neuen Bewegung Kampf und Unterdrückung zu erwarten hat.“ 1

1

Altöttinger Liebfrauenbote, Nr. 49, 7. Dezember 1930; Hervorhebungen im Original.

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Diese Zeilen zeigen exemplarisch die Grundhaltung der führenden katholischen Wochenschrift im Bistum Passau, wie sie seit dem ersten Auftreten Hitlers und seiner Propaganda zu Beginn der 1920er Jahre regelmäßig und vehement in diversen Artikeln vertreten wurde. Hieraus ergibt sich die Fragestellung nach der Reichweite einer derartig ablehnenden Stellungnahme gegenüber dem Nationalsozialismus in der Bistumsbevölkerung allgemein und im Kirchenvolk speziell sowie nach der Umsetzung oder Resonanz einer solchen Haltung im katholischen Milieu der Diözese. Dabei ist zunächst der Milieubegriff genauer zu betrachten: Er wird definiert als Teilgruppe der Bevölkerung in einer Minderheits- oder Mehrheitssituation unter bestimmten Voraussetzungen wie Religion, Wirtschaft, sozialer Schicht, Alter, Region etc. Daran schließt sich die Frage nach einem Milieubewusstsein und milieustabilisierenden Faktoren an. Eine guten Überblick über Traditionen, Positionen und Konzepte der Milieuforschung bieten die Veröffentlichungen des Arbeitskreises für kirchliche Zeitgeschichte Münster (AKKZG) sowie Arbeiten von Horstmann, Liedhegener, Hummel2 und vor allem auch von Lepsius, der die Begrifflichkeiten sozialmoralisches Milieu, Sozialmilieu bzw. sozio-kulturelles Milieu entworfen hat, die, so Lepsius selbst, „als Bezeichnung für soziale Einheiten, die durch eine Koinzidenz mehrerer Strukturdimensionen wie Religion, regionale Tradition, wirtschaftliche Lage, kulturelle Orientierung, schichtenspezifische Zusammensetzung der intermediären Gruppen gebildet werden.“3 Der AKKZG definiert Milieu als Phänomen der modernen Gesellschaft. „Ein Milieu ist als eine sozial abgrenzbare Personengruppe Träger kollektiver Sinndeutung von Wirklichkeit. Es prägt reale Verhaltensmuster aus, die sich an einem Werte- und Normenkomplex orientieren, hier als Milieustandard bezeichnet. Institutionen führen in den Milieustandard ein und stützen ihn.“4.

2

Johannes Horstmann, Antonius Liedhegener (Hrsg.): Konfession, Milieu, Moderne. Konzeptionelle Positionen und Kontroversen zur Geschichte von Katholizismus und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Schwerte 2001; Karl-Joseph Hummel (Hrsg.): Zeitgeschichtliche Katholizismusforschung. Tatsachen, Deutungen, Fragen. Eine Zwischenbilanz. Paderborn 2004; Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte Münster: Katholiken zwischen Tradition und Moderne. Das katholische Milieu als Forschungsaufgabe, in: Westfälische Forschungen. Zeitschrift des Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Hrsg. v. Karl Teppe. 43, 1993. S. 588-654.

3

Mario Rainer Lepsius: Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.): Deutsche Parteien vor 1918. Köln 1973, S. 56-80.

4

Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte Münster: (wieAnm. 2), S. 606.

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Diese Aspekte sind nun bei der vorliegenden Untersuchung auf den Katholizismus und seine im Bistum Passau vorfindliche Ausprägung zu beziehen. Dabei handelt es sich hier in vielerlei Hinsicht um eine recht homogene Region. Im vorliegenden Fall ist naturgemäß von katholischem Milieu zu sprechen, das heißt der überwiegend katholischen Bevölkerung des Bistums Passau (ca. 98,5%). In diesem Weltanschauungsmilieu existieren soziale Differenzierungen: Welt- und Ordensklerus, ländliche Bevölkerung in verschiedenen Schichtungen, Bürgertum in Stadt und Markt, Arbeiter, Geschlechter, praktizierende Katholiken, Taufscheinkatholiken etc. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Geistlichkeit als Trägerschicht und Instruktor des katholischen Milieus, was gerade diese Gruppe zu einem natürlichen Gegner des Nationalsozialismus macht. Darzustellen ist zunächst, wie sich dieses Milieu im vorliegenden Fall strukturiert. Vorhandene Zahlen aus dem Jahr 1926 zeigen für das Bistum Passau folgende Situation:5 379.158 Katholiken standen 5.225 Nichtkatholiken gegenüber. Von 2.516 Ehepaaren wurden 2.507 katholisch getraut. 8.471 Kinder wurden geboren, wovon 8.461 katholisch getauft werden. Von 6.640 Beerdigungen wurden 6.582 nach katholischem Ritus vollzogen. Die Zahl der Kommunionspendungen betrug absolut: 4.158.838; davon in Klöstern, Anstalten und Wallfahrtsstätten 1.351.757; Osterkommunion: 278.795 (abzuziehen sind hiervon Kinder, die noch nicht zur Kommunion zugelassen sind und Gläubige, die die Osterkommunion in Klöstern, Anstalten und Wallfahrtsstätten empfangen haben, wobei hierfür eindeutige Zahlen fehlen. Eine realistische Schätzung bewegt sich um die Zahl 300.000). Kirchenaustritte waren insgesamt 43 zu verzeichnen, wovon 32 zu anderen Religionsgemeinschaften übertraten. 31 Personen waren in die katholische Kirche eingetreten, davon 28 mit vorher evangelischer Konfession. Daneben waren sieben Rücktritte zur katholischen Kirche zu vermerken.6 Zum Vergleich: In Bayern (mit Saargebietsanteil) waren 5.482 Personen ausgetreten, lediglich 641 davon Mitglied einer anderen Religionsgemeinschaft geworden. Übertritte zur katholischen Kirche gab es 904, davon 747 Evangelische. Rücktritte waren 450 verzeichnet.7 Im Deutschen Reich (mit Saargebiet) traten 43.316 Personen aus der katholischen Kirche aus, 4.334 wurden Mitglied einer anderen Religi-

5

Zentralstelle für kirchliche Statistik des katholischen Deutschlands Köln (Hrsg.): Kirchliches Handbuch für das katholische Deutschland. Bd. 15. 1927-1928. Freiburg i. Br. 1928, S. 404f.

6

Vgl. ebd., S. 360.

7

Vgl. ebd., S. 362.

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onsgemeinschaft, 7.583 waren zur katholischen Kirche übergetreten, davon 6.957 Evangelische. Rücktritte waren 3.204 vermerkt.8 Das Kirchliche Handbuch betont dabei, dass sowohl Übertritte zur als auch Austritte aus der katholischen Kirche im Vergleich zu den beiden Vorjahren stärker erfolgt waren und daher „vollste Aufmerksamkeit“9 nötig sei. Im Bistum Passau sind hingegen keine erhöhten Austrittszahlen festzustellen, im Vergleich mit den anderen bayerischen Diözesen liegen die Verschiebungen, gerade was die Austritte anbelangt, an unterster Stelle. Insgesamt blieb die Lage stabil und die Kirche als Institution in der Bevölkerung stark verankert. Eine besondere Bedeutung kam dabei dem äußerst vielfältigen katholischen Vereinswesen zu, wodurch ein großer Teil der katholischen Bevölkerung, vor allem der jüngeren, gut erfasst wurde. Untersuchungen zur genauen Mitgliederzahl stehen noch aus, festzustellen ist aber, dass im weiteren Verlauf, ab 1933, die – zwar durch das Reichskonkordat rechtlich eigentlich weitgehend abgesicherten – katholischen Vereine zu einem Hauptangriffsfeld von Staat und Partei im Bistum Passau werden sollten. Über Jahre hinweg sollte sich die Auseinandersetzung zwischen den beiden Gegnern, katholische Kirche und Nationalsozialismus, gerade um solche Kernbereiche des katholischen Milieus drehen, so dass schon daraus die Bedeutung des Vereinswesens sichtbar wird. Zu untersuchen ist dann, inwiefern die Dominanz des katholischen Bekenntnisses, die Allgegenwart der Kirche und ihrer nachgeordneten Institutionen, d.h. des Vereinswesens, eine Milieumentalität bedingt haben. Theoretische Ansätze bieten dabei die Überlegungen von Kuhlemann zur Mentalitätsgeschichte.10 Er definiert Mentalität als „geistig-seelischen Mechanismus“11, als „Instrumentarium zur Verbindung einer gegebenen Lebenswelt mit einer konkret eingeschlagenen Lebensrichtung. Sie [die Mentalität, der Verf.] übernimmt eine zentrale Funktion für die Organisation menschlicher Lebensführung und orientierung.“12 Das gemeinsame Bekenntnis, die gleiche Konfession wirken grundsätzlich identitätsstiftend, es kommt zur „Etablierung eines sozialen Lebenszusammenhangs […]. Dazu gehörten die Schaffung konfessionell geprägter Sozialisationsinstanzen und Kommunikationsstrukturen, die Organisation in 8

Vgl. ebd.

9

Ebd., S. 363.

10 Frank-Michael Kuhlemann: Mentalitätsgeschichte. Theoretische und methodische Überlegungen am Beispiel der Religion im 19. und 20. Jahrhundert. in: Wolfgang Hardtwig, Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.): Kulturgeschichte Heute (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 16). Göttingen 1996, S. 182-211. 11 Ebd., S. 186. 12 Ebd.

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Kirchenparteien, Vereinen und Verbänden, Festveranstaltungen und anderen Gemeinschaftsformen.“13 Zwar existieren unterschiedliche soziale und politische Mentalitäten innerhalb eines konfessionellen Milieus, diese seien aber in eine konfessionelle Makromentalität integrierbar.14 An den Rändern eines Mentalitätsmilieus können hingegen Abspaltungen bzw. Überschneidungen mit einem anderen Mentalitätsmilieu existieren.15 Betrachtet man exemplarisch die Konflikte um Bekenntnisschule und Simultanschule oder vor allem den Schulkreuzkonflikt im Bistum Passau, so wird vor allem bei letzterem deutlich, dass mehrfach selbst Parteifunktionäre wie Ortsgruppenleiter sich gegen die Kreuzabnahme wandten. Wenngleich sie aufgrund ihrer Parteitätigkeit grundsätzlich im Widerspruch zur Kirche standen, ist aber in diesem Fall erkennbar, dass beim Konflikt um das zentrale Symbol des Christentums überhaupt, ihre Mentalität noch entscheidend vom katholischen Ursprungsmilieu geprägt ist. Bereits im Laufe der Weimarer Republik, konkret in deren Endphase, zeigen die Bemühungen im Bistum Passau, dass man kirchlicherseits die aktuellen Zeitströmungen genau beobachtete, ohne dabei direkt auf den Nationalsozialismus Bezug zu nehmen. Die vom 30. September bis 2. Oktober 1929 abgehaltene Diözesansynode16 vermittelt in dieser Hinsicht eine Bestandsaufnahme zur Lage der Kirche in der Gesellschaft und das Bemühen, sich den Zeitströmungen durch entsprechende Ausrichtung der Institution Kirche zu stellen, im Endeffekt relativ erfolgreich, da durch einzelne Maßnahmen der Synode die Kirche für die kommenden Auseinandersetzungen gut gewappnet ist – selbstverständlich, ohne die Tragweite des Kommenden erahnen zu können. Allgemeine Diskussionspunkte waren die Sorge um das Kirchenvolk sowie das Bemühen um zeitgemäße Seelsorge. Schwerpunkte wurden – neben der Erörterung liturgisch-kultischer Fragen – vor allem auf Jugendseelsorge und Vereinsarbeit gelegt. Diese Bereiche seien unter allen Umständen weiter zu fördern und auszubauen, bereits Priesteramtskandidaten müssten umfassendes soziales Wissen über ihre Zielgruppen im Rahmen ihrer Ausbildung erfahren. Aktuellen Strömungen wie der Wanderbewegung und der Sportbewegung sollten sie aufgeschlossen gegenüber stehen. Nach Etablierung der NS-Herrschaft kam es in dieser Hinsicht in mehreren Pfarreien zu Auseinandersetzungen zwischen der katholischen Sportbewegung DJK und der Hitlerjugend um die – in 13 Ebd., S. 205. 14 Vgl. ebd., S. 195. 15 Vgl. ebd., S. 196. 16 Bischöfliches Ordinariat Passau (Hrsg.): Diözesansynode für das Bistum Passau. 30. September mit 2. Oktober 1929. Bericht über Verlauf und Beschlüsse der Synode. Passau 1931.

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Eigenleistung von der DJK errichteten – Sporteinrichtungen wie Fußballplätze oder Turnhallen samt Gerätschaften. Grundsätzliches wurde zum Bereich Friedhof und Beerdigungen erarbeitet (was im Bistum Passau in einigen Fällen noch vor der NS-Machtübernahme zu Konflikten führen sollte). Der Friedhof sei als heiliger Ort zu respektieren. Verabschiedet wurde diesbezüglich ein Verbot von Parteifahnen und uniformen; Vorsicht sei bei parteipolitischen Ansprachen geboten; der Priester soll sich hier entfernen. „Bei allen Störungen betone der Geistliche bei seiner Amtshandlung, dass es auf dem Friedhofe keine Parteien gebe, sondern nur Menschen und daher das ostentative Zurschautragen einer Parteirichtung den Friedhofsfrieden störe.“17 Schließlich spielten auch soziale Fragen eine bedeutende Rolle. Notwendig seien daher: Die Beobachtung der Agrarkrise, die Mitarbeit in christlichen Bauernvereinen und landwirtschaftlichen Genossenschaften und auch hier die Förderung der landwirtschaftlichen Selbsthilfe. Das Bemühen um den traditionellen Bauernstand wurde ebenso betont wie die Beschäftigung mit der Landarbeiterfrage, wobei festgestellt wurde, dass die Arbeit in den Bauern- und Burschenvereinen sowie den Kreditgenossenschaften eher praktisch als theoretisch angegangen werden solle. Sorge herrschte daneben um radikale Bewegungen in der Arbeiterschaft; dabei wurde auch offene Selbstkritik betrieben und reflektiert, ob die Versuche der Kirche, einen Weg zur Arbeiterschaft zu finden, immer richtig gewesen seien. In diesem Zusammenhang sollte auch die christliche Gewerkschaft gestärkt werden. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit der NSDAP fand auf der Diözesansynode noch nicht statt – zu beachten ist dabei, dass der Aufstieg der Hitlerpartei erst im Folgejahr wieder begann. Die Synode war Bestandsaufnahme und Wegweiser für die Zukunft; sie stellte einen wichtigen Teil jener Basis dar, auf der die Auseinandersetzungen mit Staat und Partei im Dritten Reich erfolgten. Als Zwischenergebnis ist dabei festzustellen, dass sich die Leitung der Diözese bemühte, die Kirche in inhaltlicher und institutioneller Ausrichtung auf die Herausforderungen der Zeit einzustellen und dabei Wert auf Schärfung des eigenen Profils zu legen. Wie gestaltete sich nun die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus konkret und welche Rückschlüsse lassen sich dabei auf das katholische Milieu ziehen?

17 Ebd., S. 40.

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NATIONALSOZIALISTISCHE WAHLERFOLGE IN PASSAU – EINE INFRAGESTELLUNG DER HERRSCHENDEN WERTEKULTUR? Eine wesentliche Grundlage für die weitere Betrachtung stellen Wahlergebnisse ausgewählter Parteien in der Stadt Passau in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik sowie ihr Vergleich mit den Ergebnissen in Bayern und im Reich dar.18 Bei den Landtagswahlen am 6. April 1924 wurden in der Stadt Passau bei 68,8% Wahlbeteiligung folgende Ergebnisse erzielt:19 BVP 41,5%, Völkischer Block (VB) 19,6%, SPD 10,1%, KPD 10,5% Im Gebiet des Bezirksamts Passau20, dem traditionell bäuerlich geprägten Umland, kam es zu folgenden Ergebnissen: BVP 49,2%, VB 8,2%, SPD 12,2, KPD 5,9%, Bayerischer Bauernbund (BBB) 20,3% Die Ergebnisse für Bayern, bei 71,8% Wahlbeteiligung: BVP 32,9%, VB 17,1%, SPD 17,1%, KPD 8,3%, BBB 7,1% Bemerkenswert ist hierbei, dass der liberale und antiklerikal auftretende Bayerische Bauernbund (BBB) 20,3% erlangte. Dieser ist naturgemäß für die Stadtwählerschaft uninteressant. Das katholische Bekenntnis betrug auf dem Land nahezu einhundert Prozent und doch konnte sich der BBB in derartiger Größenordnung etablieren. Andererseits allerdings, vermochte auch dadurch nicht die Bekenntnistreue an sich geschwächt werden. Der BBB-Wähler blieb katholischer Konfession. Unmittelbar darauf, am 4. Mai 1924 fanden Reichstagswahlen statt. Während im Reichsdurchschnitt die Wahlbeteiligung bei 77,4% lag, befand sie sich in Passau-Stadt mit 56,8% weit darunter.21 Folgende Ergebnisse wurden erzielt:22 Passau-Stadt: BVP 45,2%, VB 17,7%, SPD 9,5%, KPD 9,7%, DNVP 6,1% Bezirksamt Passau: BVP 47,0%, VB 8,5%, SPD 7,2%, KPD 7,4%, BBB 22,8%

18 Vgl. Christoph Wagner: Entwicklung, Herrschaft und Untergang der nationalsozialistischen Bewegung in Passau 1920 bis 1945. Berlin 2007. 19 Ebd., S. 41f. 20 Die Wahlbeteiligung hierfür ist nicht überliefert. 21 Vgl. wie Anm. 18, S. 43. 22 Ebd., S. 43f.

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Deutsches Reich: Zentrum/BVP 13,4% / 3,2%, NS-Freiheitsbewegung 6,5%, SPD 20,5%, KPD 12,6%, DNVP 19,5% Bei den nächsten Reichstagswahlen am 7. Dezember 1924 war die Wahlbeteiligung in Passau um knapp 13% auf 69,2% im Vergleich zur vorherigen Reichstagswahl gestiegen. Im Reichsdurchschnitt lag die Beteiligung bei 78,8%.23 Laut Passauer Donau-Zeitung war die höhere Beteiligung durch die gleichzeitige Gemeindewahl zu erklären, an denen die Einwohner mehr interessiert gewesen seien.24 Wohingegen die übrigen Parteien keine nennenswerten Veränderungen zu verzeichnen hatten, gab es dramatische Einbrüche bei den Völkischen, die in der Stadt auf 5,6% fielen, die NS-Freiheitsbewegung erreichte in Deutschland 3,0%; absoluter Gewinner in Passau aber war die BVP mit 51,3%, von der höheren Wahlbeteiligung profitierte auch die SPD mit 19,5%.25 Die Landtagswahl vom 20. Mai 1928 brachte folgende Ergebnisse:26 Passau-Stadt (Wahlbeteiligung 76,5%): BVP: 54,9%, NSDAP 8,8%, SPD 19,5%, KPD 2,5% Bayern (Wahlbeteiligung 74,1%): BVP 31,6%, NSDAP 6,1%, SPD 24,2%, BBB 11,5% Die Reichstagswahlen am gleichen Tag stellten nur in einer Hinsicht eine Ausnahme dar: Während im Gesamtreich die NSDAP bei 2,6% historisch niedrig lag, errang sie in Passau 8,6%.27 Die Wahlbeteiligung im Reich von 75,6% wurde in Passau mit 76,5% leicht übertroffen. Dennoch blieb mit 53,5% die BVP die prägende Kraft in der Stadt. Aufgrund des Debakels, das die NSDAP aber insgesamt erlitten hatte, entwickelte sie seitdem eine neue Strategie intensivierter Propaganda für alle Regionen des Reiches, vor allem auch für das östliche Niederbayern. Es sollten im Rahmen einer Propagandawoche bis zu 200 Versammlungen in der Region abgehalten werden, zusätzlich sollte in jedem Ort eine eigene Propagandawoche stattfinden. Daneben wurde massiv die Werbung für den Völkischen Beobachter betrieben. Auftritte von Parteigrößen wie Julius Streicher, Gregor Strasser und Hermann Esser hatten das Ziel, die NSDAP zu verankern.28 23 Vgl. ebd., S. 46. 24 Vgl. ebd. 25 Vgl. ebd. 26 Vgl. ebd., S. 56. 27 Vgl. ebd., S. 58. 28 Vgl. ebd., S. 59f.

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Für eine Überraschung sorgten die Wahlen zum Reichstag am 14. September 1930. Die Ergebnisse im Überblick:29 Deutsches Reich (Wahlbeteiligung 82,0%): Zentrum/BVP 11,8%/3,0%, NSDAP 18,3%, SPD 24,5%, KPD 13,1%, DNVP 7,0% Passau-Stadt (Wahlbeteiligung 74,2%): BVP 38,6%, NSDAP 31,0%, SPD 12,9%, KPD 4,9%, DNVP 3,4% Im Gegensatz dazu blieb die NSDAP im Passauer Umland hinter ihrem Reichsdurchschnitt zurück. Der Bayerische Bauernbund war mittlerweile von Auflösungserscheinungen ergriffen, er konnte von der Krisenstimmung im Rahmen einer verschärften Agrarkrise ab 1928 nicht profitieren.30 Die führenden Köpfe liefen zu den Nationalsozialisten über, wodurch auch die vergleichsweise höheren Stimmenanzahlen der NSDAP bei den Wahlen 1932 in zwei Bezirksämtern, die kirchlich zum Bistum Passau gehörten, erklärt werden können. Vorher hatte dort der Bauernbund seine Hochburgen, im Dritten Reich waren sie die wenigen Inseln der Diözese, in denen die Nationalsozialisten die meisten Anhänger im Vergleich zu den übrigen Bezirksämtern bzw. Ortschaften hatten.31 Für die Stadt Passau ergibt sich die Frage, warum 1930 die Zahl der NSDAP-Wähler vergleichsweise sprunghaft angestiegen ist. Hier spielte die Person des, seit 14. Januar 1930, neuen Ortsgruppenleiters Max Moosbauer zunächst eine Rolle. Er war 1925 in die NSDAP eingetreten und genoss als Obermeister der Bäckerinnung Passau gesellschaftliches Ansehen. Daneben wurde seine Persönlichkeit im Umgang mit Menschen als leutselig und verbindlich empfunden.32 Unter seiner Ägide entfachte die Ortsgruppe sowohl in der Stadt als auch im Umland eine rege Propagandatätigkeit. Zudem war er seit 1928 Bezirksleiter der NSDAP, 1932 gelang ihm der Einzug in den Bayerischen Landtag.33 Er betonte – im Gegensatz zu Verlautbarungen der BVP bzw. offiziellen Stellen und Einzelpersonen der katholischen Kirche – dass die Nationalsozialisten Staat und Kirche nicht feindlich gesonnen seien.34 29 Vgl. ebd., S. 66ff. 30 Vgl. Martin Hille: Zur Sozial- und Mitgliederstruktur der Passauer NSDAP in den zwanziger und dreißiger Jahren. in: Winfried Becker (Hrsg.): Passau in der Zeit des Nationalsozialismus. Ausgewählte Fallstudien. Passau 1999, S. 9-42, S. 17. 31 Vgl. ebd., S. 17f. 32 Vgl. ebd., S. 18f. 33 Vgl. Winfried Becker: Nationalsozialismus, Bayerische Volkspartei und Katholische Kirche in Passau 1933-1945. in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Bd. 59 Heft 1, 1996, S. 147-175, S. 148. 34 Vgl. Hille, Sozial- und Mitgliederstruktur (wie Anm. 30), S. 19.

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Dies mag in der sich verschärfenden Krise der letzten Weimarer Jahre sicherlich einige Wähler mit vermutlich lockerer, aber vorhandener, Bindung zur Kirche verleitet haben, „es einmal mit den Nazis zu probieren“. Zudem arbeitete die NSDAP-Fraktion im Passauer Stadtrat oft sachlich mit den anderen politischen Gruppierungen bei kommunalpolitischen Angelegenheiten zusammen, was einer weiteren Akzeptanz der Partei Vorschub leistete. In der näheren Erklärung der steigenden NSDAP-Ergebnisse geht Martin Hille von drei Hypothesen35 aus. Höchstwahrscheinlich hatte sich schon vor 1930 ein Teil der Bevölkerung weder dem kirchlich-katholischen noch in dem sozialdemokratischen Milieu zugehörig gefühlt und ist Teil der Wechsel-, später der Protestwähler gewesen. Weniger denkbar, so Hille, sei ein Abbröckeln des katholischen bzw. sozialdemokratischen Milieus, die Bildung einer wachsenden Gruppe Enttäuschter also, die zur NSDAP übergelaufen seien. – Seine Vermutung wird durch die Passauer Diözesansynode gestützt. Hätte tatsächlich ein nennenswerter Erosionsprozess im katholischen Lager eingesetzt, wäre dies auf der Synode, die eine sehr vielschichtige und detaillierte Agenda hatte, mit Sicherheit diskutiert worden. – Daher ist auch die von Hille als am wenigsten wahrscheinlich erachtete dritte Hypothese, dass Mitglieder der NSDAP „fortbestehende Milieuinfrastrukturen insbesondere der BVP und der katholischen Kirche wie Vereine, Gremien und publizistische Organe“36 infiltriert haben könnten, nicht in Erwägung zu ziehen. Dies umso weniger, als sich das katholische Milieu vor allem in den Hochphasen des späteren Kirchenkampfes im Gebiet des Bistums als äußerst stabil erweisen sollte. Das „Superwahljahr“ 1932 begann mit der Landtagswahl vom 24. April. Während in ganz Bayern 79% der Stimmberechtigten zur Urne gingen, waren es in Passau etwas weniger, 74,1%.37 Im Einzelnen sind folgende Ergebnisse feststellbar: Bayern : BVP 32,6%, NSDAP 32,5%, SPD 15,4%, KPD 6,6%, BBB 6,5% Passau-Stadt: BVP 45,0%, NSDAP 34,1%, SPD 9,3%, KPD 5,9% Bezirksamt Passau: BVP 43,7%, NSDAP 25,1%, SPD 7,6%, KPD 6,8%, BBB 15,2% Interessant dabei ist, dass sich die BVP trotz deutlich gestiegener NSDAPErgebnisse in ihrem Milieu gut behaupten konnte. Dies traf sowohl für die 35 Vgl. ebd., S. 21f. 36 Ebd., S. 22. 37 Vgl. Wagner, Entwicklung, S. 78f.

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Stadt als auch für das Umland zu. In letzterem ist das BVP-Ergebnis als respektabel zu bezeichnen, wenn man bedenkt, dass im BBB ein weiterer und weitaus traditionellerer Gegner als die NSDAP vorhanden war. Die Ergebnisse der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932:38 Deutsches Reich (Wahlbeteiligung 84,1%): Zentrum/BVP 12,5%/3,7%, NSDAP 37,4%, SPD 14,5%, KPD 14,5% Passau-Stadt (Wahlbeteiligung 75,9%): BVP 43,0%, NSDAP 31,5%, SPD 10,4%, KPD 8,6% Bezirksamt Passau: BVP 43,0%, NSDAP 23,5%, SPD 8,3%, KPD 12,7% Während die Hitlerpartei damit ihr bestes Wahlergebnis auf Reichsebene einholte, ihr Stern aber bekanntlich bei den Novemberwahlen wieder abgesunken ist, war dies in Passau interessanterweise bereits bei der Juliwahl der Fall. Ganz offensichtlich hatte die NSDAP ihr Potenzial in der Stadt, aber auch im Umland schon ganz ausgeschöpft. Die Reichstagswahl vom 6. November 1932:39 Deutsches Reich: Zentrum/BVP 11,9%/3,4%, NSDAP 33,1%, SPD 20,4%, KPD 16,9% Bayern: BVP 31,5%, NSDAP 30,5%, SPD 16,3%, KPD 10,4%, BBB 3,9% Wahlkreis Niederbayern-Oberpfalz: BVP 47,2%, NSDAP 18,5%, SPD 9,8%, KPD 9,4%, BBB 9,8% Bezirksamt Passau: BVP 47,8%, NSDAP 26,4%, SPD 10,4%, KPD 17,1%, BBB 12,6% Passau-Stadt: BVP 44,7%, NSDAP 25,8%, SPD 11,0%, KPD 10,1% Damit ist zweifelsfrei festzustellen, dass sich in der Stadt Passau der schon im Sommer einsetzende Abwärtstrend der NSDAP fortsetzte, die BVP hingegen konnte sogar wieder Stimmengewinne verzeichnen. Auf dem Land konnte die NSDAP einige Wählerstimmen des BBB in ihr Lager ziehen. Im demokratischen System hatte die Hitlerpartei ihren Zenit in der Region wohl überschritten, das katholisch-kirchliche BVP-Milieu seine Stabilität trotz kurzzeitiger Verluste bewahrt und wieder einen positiven Trend eingeschlagen.

38 Vgl. ebd., S. 82ff. 39 Vgl. ebd., S. 87ff.

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Umso mehr stellte das rein zahlenmäßig betrachtete Wahlergebnis in der Stadt vom 5. März 1933 eine eigentlich nicht zu erwartende große Überraschung dar:40 Deutsches Reich (Wahlbeteiligung 88,8%): Zentrum/BVP 11,2%/2,7%, NSDAP 43,9%, SPD 18,3%, KPD 12,3% Bayern: BVP 27,9%, NSDAP 42,6%, SPD 15,3%, KPD 5,8%, BBB 2,6% Bezirksamt Passau: BVP 31,8%, NSDAP 44,5%, SPD 7,8%, KPD 7,8%, BBB 6,5% Passau-Stadt (Wahlbeteiligung 98,8%): BVP 31,8%, NSDAP 47,6%, SPD 7,6%, KPD 5,6% Wie sind diese Ergebnisse, vor allem das überdurchschnittliche Abschneiden der NSDAP in der Stadt zu erklären? Zunächst ist festzustellen, dass diese Märzwahlen bekanntlich nur mehr „halbfreie“ Wahlen gewesen sind, bei denen die politischen Gegner von der NSDAP als Regierungspartei auch mit staatlichen Mitteln im Wahlkampf behindert worden sind. Außerdem entsprach die Stimmabgabe oft nicht mehr den Grundsätzen freier und geheimer Wahlen. Darüber hinaus sind auch durch die hohe Wahlbeteiligung aus dem Segment der bisherigen Nichtwähler vor allem für die NSDAP Stimmengewinne zu vermuten. In Passau kam, wie auch in anderen Grenzorten des bayerischösterreichischen Raums, erschwerend der Umstand hinzu, dass durch eine Änderung des Reichswahlgesetzes vom 6. März 1924 durch Reichsinnenminister Wilhelm Frick auch Auslandsdeutsche für wahlberechtigt erklärt wurden. Dazu zählten im Ausland angestellte Beamte, Angestellte und Arbeiter in Diensten des Deutschen Reiches, die vorher aufgrund ihres Auslandsaufenthaltes nicht wählen konnten, wodurch diese Personengruppe noch vergrößert wurde. Viele dieser, im benachbarten Österreich lebenden, Auslandsdeutschen wurden in Sonderzügen zu verbilligten Fahrpreisen sogar von Wien aus bis nach Passau gefahren, wo sie in den dortigen Wahllokalen ihre Stimmen abgeben konnten.41 Zuvor waren sie von einer SS-Kapelle und lokalen NS-Vertretern empfangen worden. Die Gruppe dieser in Passau wählenden Auslandsdeutschen machte ca. 12,5% aller abgegebenen Stimmen in der Stadt aus, wovon ein Großteil die NSDAP wählte.42 Um diesen Wert bereinigt, ergibt sich dann eine Wahlbeteiligung von 86,3% echter Passauer.

40 Vgl. ebd., S. 103ff. 41 Vgl. Winfried Becker: Nationalsozialismus, Bayerische Volkspartei und Katholische Kirche in Passau 1933-1945, S. 153. 42 Vgl. Wagner, Entwicklung, S. 107.

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Selbstverständlich gingen jene Phänomene, die der NSDAP gewaltige Stimmengewinne brachten, die Folgeerscheinungen der Weltwirtschaftskrise von 1929 und die bekannten Krisenjahre der Weimarer Republik bis zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, auch an Passau und seinem Umland nicht spurlos vorüber und trugen so zu einer wachsenden Wählerschaft der Nationalsozialisten bei. Passau folgte insgesamt dem Reichstrend, war also weder von herausragender Immunität gegenüber dem Nationalsozialismus geprägt, noch weniger aber von einer besonderen Affinität zu dieser Partei und ihrer Ideologie. Ob und inwieweit mit diesen Märzwahlen aber eine wirkliche weltanschauliche Umorientierung in Passau einherging oder wie groß etwa die Anzahl jener gewesen ist, die dann im Dritten Reich gar ihre Wahl bereuten, lässt sich bekanntlich nicht mehr feststellen. Dass aber ein Wahlergebnis grundsätzlich eine feste politische Überzeugung darstellt, gar eine Überzeugung von Dauer, ist nicht ohne weiteres anzunehmen, es kann nur beschränkt Auskunft über die tatsächliche Einstellung geben. Dies trifft umso mehr dann zu, wenn, wie im Untersuchungsgebiet Bistum Passau, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, gerade in Hochphasen des Kirchenkampfes regelmäßig steigende Kirchenbesucherzahlen und eine besondere Anhänglichkeit an die Kirche bzw. an den Klerus verzeichnet wurden. Wenngleich die Kirchenbesucherzahlen nach Abflauen des jeweiligen Konfliktfeldes wieder absanken, stiegen sie bei der nächsten Auseinandersetzung wieder. Derartige Beobachtungen lassen sich aus kirchlichen und staatlichen Quellen gleichermaßen herauslesen und wurden von den jeweiligen Verfassern (Geistliche, Bischöfliches Ordinariat, Polizeibehörden, Gestapo, Regierungspräsidenten) oft besonders betont. Dass das katholische Sozialmilieu im Kern und auch darüber hinaus, wie besonders am Schulkreuzkonflikt 1941 deutlich wurde, intakt blieb, zeigte sich gerade in den Konfliktphasen. Eine Destabilisierung erfolgte nicht, es entsteht anhand des reichlichen Quellenmaterials eher der Eindruck, dass im Laufe des Krieges, konkret ab dem Überfall auf die Sowjetunion, eher das Gegenteil der Fall war. Das Anwachsen der Stimmenanzahl für die Nationalsozialisten in dieser Endphase Weimars war für die Kirche Anlass gewesen, sich mit dieser Bewegung tatsächlich intensiv auseinander zu setzen. Vergleichsweise niedrig war dagegen die Zahl der NSDAP-Mitglieder in Passau. Bei knapp 25.000 Einwohnern verzeichnete die Partei im Herbst 1930 371 Personen.43 Zu Beginn des Jahres 1933 hatte die Partei ungefähr 2,75% der Einwohnerschaft an Mitgliedern und „aktivierbaren Anhängern.“44 Hinsichtlich 43 Vgl. Winfried Becker: Die Organisation der NS-Volksgemeinschaft in Passau. Gleichschaltung – Konflikt – Widerstand. in: Winfried Becker (Hrsg.): Passau in der Zeit des Nationalsozialismus. Ausgewählte Fallstudien. Passau 1999, S. 137166. S. 138. 44 Ebd., S. 139.

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der konfessionellen Verteilung der Mitgliederschaft überwog naturgemäß bei 95% katholischer Stadtbevölkerung der Katholikenanteil mit 85%. Die 12,4% protestantischen Mitglieder waren aber, in Relation zu ihrer Gesamtzahl auf die Gesamteinwohnerschaft, ca. um das Dreifache stärker in der NSDAP vertreten.45 Aufgrund der emsig betriebenen nationalsozialistischen Propaganda auch auf dem Land vermisste aber vor allem der Dorfklerus konkrete Anweisungen, wie mit dieser neuen Herausforderung umzugehen sei. Zwar hatte der Erzbischof von Breslau, Kardinal Bertram, in seiner Silvesterpredigt 1930 den Nationalsozialismus kritisch beurteilt, dem Passauer Bischof Felix Freiherr von Ow-Felldorf (1855-1936) genügte dies jedoch nicht. Die Predigt, so der Passauer Oberhirte, „entbehrt des amtlichen Charakters als Kundgebung des Gesamtepiskopats sowie der praktischen Anweisung an den Klerus über die pastorale Behandlung der Frage und hat daher zu einer Klärung der ganzen Angelegenheit vor der Öffentlichkeit nicht viel beigetragen.”46 Bald danach, am 10. Februar 1931, erließ Kardinal Faulhaber im Rahmen der Freisinger Bischofskonferenz die vermisste pastorale Anweisung. Verfügt wurde darin unter anderem, dass Nationalsozialisten in Uniform und mit Fahnen nicht zum Gottesdienst zugelassen werden durften. Bei Erteilung von Buß- und Altarsakrament an ein einzelnes NSDAP-Mitglied wurde eine Einzelfallprüfung vorgeschrieben, inwieweit er bloß Mitläufer sei, oder ob er sich grundsätzlich für die Partei und ihre Ziele einsetze. Einzelfallprüfungen waren auch für kirchliche Begräbnisse von Nationalsozialisten vorgesehen.47 Ein derartiger Fall war im Herbst 1930 in Passau zu Tage getreten. Der Passauer Generalvikar Ludwig Heinrich Krick schrieb am 6. November an den Ortsgruppen- und Kreisleiter der NSDAP, Max Moosbauer, dass der für 9. November geplante Gefallenengottesdienst nur dann stattfinden werde, wenn die Nationalsozialisten auf sichtbare Parteiabzeichen verzichteten, da diese in einem katholischen Gottesdienst nicht geduldet würden.48 Sichtbar wird an dieser Auseinandersetzung, dass die Kirche hierbei eindeutig Stellung bezog und auf ihrem Standpunkt beharrte. Unterstützt wurde sie in diesem Fall von dem führenden lokalen Presseorgan, der Passauer Donau-Zeitung, die als Sprachrohr von Kirche und BVP galt und daher auch ein steter Gegner des 45 Vgl. Wagner, Entwicklung, S. 98f. 46 Ow-Felldorf in einem Schreiben an Faulhaber am 4. Februar 1931 (Nachlass Faulhaber), abgedruckt bei Ludwig Volk: Der bayerische Episkopat und der Nationalsozialismus 1930-1934. Mainz 1966, S. 27. 47 Vgl. ebd. 48 Vgl.: Schreiben Kricks an Moosbauer: Archiv des Bistums Passau / Ordinariatsarchiv (ABP-OA) NS I. B. 1 – Kreisleiter Moosbauer.

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Nationalsozialismus war. Sie vermochte auf weite Teile der Bevölkerung einzuwirken und trug so zu einer gewissen Milieustabilisierung bei. Allerdings konnten die Nationalsozialisten eben auch, wie ausgeführt, in Passau Stimmengewinne verbuchen. So ist es nicht unbedingt verwunderlich, wenn der neue Passauer Generalvikar Dr. Franz Seraph Riemer im Juni 1931 beklagte, „dass man angesichts der rapiden Ausbreitung des Nationalsozialismus an der politischen Belehrungsfähigkeit des Volkes überhaupt verzweifeln möchte.”49 Im Hintergrund dieser Äußerung Riemers steht die Auseinandersetzung zwischen dem Bischöflichen Ordinariat und der NSDAP um die Beisetzung eines bei einem Verkehrsunfall verunglückten Parteimitglieds.50 Riemer hatte Moosbauer dargelegt, dass die Anwesenheit von Parteigenossen in Uniform nur bei Verzicht auf jegliche aufdringliche Parteidemonstration statthaft sei. Der betreffende Stadtpfarrer wurde angewiesen, gegen derartiges Auftreten formell Einspruch zu erheben, das Begräbnis aber vorzunehmen. Dabei verwies der Generalvikar auf die bereits erwähnte Diözesansynode von 1929 sowie auf die entsprechende Anweisung der Freisinger Bischofskonferenz vom Februar 1931. Der das Begräbnis vornehmende Stadtpfarrer Sickinger teilte am 9. Juni 1931 dem Bischöflichen Ordinariat mit, dass die Veranstaltung durch die Art und Weise des Auftretens der NSDAP-Mitglieder den Charakter einer parteipolitischen Prägung erhalten und er Moosbauer darauf hinwiesen habe, dass er mit dem im Anschluss an die Beerdigung stattfindenden Gottesdienst nicht beginne, solange noch ein Uniformträger anwesend sei: Worauf dieser erwidert habe, eine Teilnahme am Gottesdienst sei für Nationalsozialisten ohnehin nicht beabsichtigt.51 Diese beiden Vorfälle sind – isoliert betrachtet – vergleichsweise harmlos. Sie zeigen aber im Endeffekt Spitzen einer bereits einige Jahre andauernden Auseinandersetzung zwischen Teilen des Passauer Klerus und der örtlichen NSDAP. Exponenten des Klerus waren neben Riemer der BVP-Mann, Theologe und Pädagogikprofessor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Dr. Franz Xaver Eggersdorfer, auf der anderen Seite Moosbauer. Eggersdorfer bemühte sich, vor allem die junge Wählerschaft möglichst in die BVP zu integrieren und vor der Verführungskraft und der Ideologie des Nationalsozialismus zu warnen. Von Bedeutung sind hierbei mehrere Vorträge, die er in diesem Zusammenhang hielt, so im Jahr 1931 unter dem Thema Die deutsche Not der Gegenwart und die Versuche ihrer Meisterung. Vorträge an die Jugend. Darin 49 Volk, Episkopat, S. 32. 50 Vgl. Schreiben Riemers an die Polizeistation Passau-Innstadt: ABP-OA NS I. B. 2 NSDAP und Parteigliederungen. 51 Vgl. ebd.

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führte er unter anderem aus: „Der Nationalsozialismus ist in seinem inneren Gedankenbau – und nur der interessiert uns – ein widerspruchsvolles Gefüge, ein wirrer Haufen von Entlehnungen, ein lockender Strauß von Versprechungen, die niemals miteinander erfüllt werden können, ein Programm der bloßen Massenagitation, jedoch in keiner Weise ein Programm zur ernstgemeinten Rettung des deutschen Volkes.“52 Dass seinen Bemühungen überregional Gehör geschenkt wurde, zeigte sich darin, dass der österreichische Katholische Lehrerverein noch 1933 um die gedruckten Exemplare seiner Reden bat. Die Versandkiste mit rund 800 Exemplaren wurde allerdings von einem Angestellten einer Passauer Speditionsfirma aufgebrochen, der Eggersdorfer, da der Vertrieb der Schrift in Deutschland nicht mehr möglich war, wegen Hochverrats anzeigte. Der Theologe kam mit einer Verwarnung durch den damaligen Münchner Polizeipräsidenten Himmler persönlich davon. 53 Die Hauptphase der Auseinandersetzung zwischen Kirche und NSDAP und die Versuche, das Kirchenvolk als relevantes Milieu vor Eingriffen durch Staat und Partei zu stabilisieren, begannen sofort nach dem Beginn von Hitlers Kanzlerschaft. Hauptziel waren zunächst die zahlreichen katholischen Vereine und Verbände im Bereich des Bistums Passau. Das Vorgehen gegen die katholische Kirche lag in der ersten Phase weitgehend in der Hand von NSDAP-Amtsträgern, das heißt vor allem bei den einzelnen Kreisleitern und SA-Sonderkommissaren. Vor allem letzteren standen weitreichende Kompetenzen zur Verfügung. „Daraus entstand in Bayern jenes Instrument revolutionären politischen Machtwillens, das, wenn auch mehrfach auf rein beratende und überwachende Tätigkeit beschränkt, doch bis zur Ausschaltung Röhms […] in den Sonderkommissaren […] bei den Kreisregierungen und Bezirksämtern entscheidende reale Macht ausübte.”54 Die Sonderkommissare waren nur dem Sonderbevollmächtigten für Bayern, SA-Obergruppenführer Fuchs im Innenministerium, verantwortlich, der seinerseits direkt Ernst Röhm unterstand. Die Auseinandersetzung zwischen den 52 Franz Xaver Eggersdorfer: Die deutsche Not der Gegenwart und die Versuche ihrer Meisterung. Vorträge an die Jugend, gehalten im Februar und März 1931. Passau o.J. [wohl aber 1931], S. 23f [Hervorhebungen im Original]. 53 Vgl.: Anton Landersdorfer: Ein geistiges Zentrum in Bedrängnis: Die Philosophisch-Theologische Hochschulei. in: Winfried Becker (Hrsg.): Passau in der Zeit des Nationalsozialismus. Ausgewählte Fallstudien. Passau 1999, S. 439-466, S. 443f. 54 Walter Ziegler (Bearb.): Die kirchliche Lage in Bayern nach den Regierungspräsidentenberichten 1933-1943, Bd. IV. Regierungsbezirk Niederbayern und Oberpfalz. 1933-1945 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A Quellen, Bd. 16), Mainz 1973, S. XXXIV.

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beiden Kräften lässt sich im Überblick skizzieren.55 Folgende Repressionen dienten der Partei zur Beschränkung bzw. Vernichtung des katholischen Vereinslebens: -

-

Versammlungsverbote bzw. erschwerende Auflagen für Versammlungen von Arbeiter-, Gesellen-, Burschenvereinen, Kongregationen etc. mit den Begründungen Sicherheit, Ruhe und Ordnung dürften nicht gefährdet werden bzw. den Vorwürfen von Staatsfeindlichkeit, Spaltung der Volksgemeinschaft durch Konfessionalisierung, Erregung von Unmut in der Bevölkerung, Kontosperrungen, Versuche, Informationen über Vereine, ihre Leitung, Zahl und Namen der Mitglieder, finanzielle Verhältnisse zu sammeln, gewaltsame Besetzung von Vereinsheimen der DJK und deren in Eigenarbeit angelegten Sportplätzen für HJ und BdM, Verbot von Doppelmitgliedschaft in DAF und Arbeiterverein.

Zur Sicherung der Vereine ergriff der Klerus Maßnahmen: a) auf diözesaner Ebene durch -

Beschwerdeführung bei örtlichen Stellen (Bürgermeister, Ortsgruppenleitung, HJ-Führung), Information der oberhirtlichen Behörde (Ordinariat), Beschwerdeführung des Passauer Ordinariats bei: örtlichen Stellen, Kreisleitung, Bezirksamt, Gauleitung, Ministerium, Sammeln von Informationen über Eingriffe bzw. Eingriffsversuche in einzelnen Dekanaten bzw. im gesamten Bistum.

b) auf überdiözesaner Ebene durch - Austausch des Passauer Ordinariats mit anderen Ordinariaten, vor allem mit Kardinal Faulhaber und Kardinal Bertram - Sammeln von Informationen über Eingriffe bzw. Eingriffsversuche in einzelnen Kirchenprovinzen, - Beschwerdeführung bzw. Eingaben übergeordneter kirchlicher Stellen (Kardinal Faulhaber, Kardinal Bertram) bei höheren Staats- und Parteistellen. - Information der Apostolischen Nuntiatur.

55 Die Maßnahmen im Einzelnen lassen sich aus den umfangreichen Aktenbeständen des Archivs des Bistums Passau / Ordinariatsarchiv belegen.

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PERSEVERANZ DES MILIEUS Angesichts vielfältiger und umfassender Maßnahmen der NS-Regierung gegen die katholische Kirche im weiteren Verlauf ist, was das Bistum Passau anbelangt, kein nennenswerter Einbruch in die Milieustrukturen zu verzeichnen. Trotz der Zwangsauflösungen mehrerer katholischer Vereinigungen, der Beschränkungen kirchlicher Veranstaltungen und trotz groß angelegter Propagandaaktionen wie der Devisenprozesse 1935 bzw. der Sittlichkeitsprozesse 193756 hielten die Strukturen im Bistum insgesamt stand, so dass man eine Perseveranz des Milieus ohne Weiteres feststellen kann. Vor allem die Sittlichkeitsprozesse zielten darauf ab, die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen des Kirchenvolkes in die Geistlichkeit zu erschüttern, sie als moralische Instanz zu diskreditieren und so vor allem auch die Jugendarbeit zu erschweren. Insgesamt waren die Prozesse aber als Fehlschlag für das Regime zu verzeichnen, vor allem weil hier die Propaganda zu dick auftrug und eher sie selbst als die von ihr erhobenen, im Kern haltlosen, Vorwürfe von den Gläubigen als ekelhaft empfunden wurden. Aus dem Dekanalamt Regen im Bayerischen Wald berichtete Pfarrer Joseph Back: „Von der Landbevölkerung lesen viele überhaupt keine Zeitung oder haben sie gerade wegen solcher Berichte abgestellt. Die größte Mehrheit legt diesen Berichten wenig Wert und Glaubenswürdigkeit [!] bei. Ein Arbeiter der Umgebung hat den merkwürdigen Ausspruch getan: Wenn schon die Schwarzen so schlecht sind, wie müssen erst die andren [die Nationalsozialisten, der Verf.] sein? Was vom Landvolk gesagt wurde, gilt auch zum größten Teil von der Jugend, die auch immer weniger liest.“57 Überaus deutlich bringt Pfarrer Eglseder, Dekan von Osterhofen, den Misserfolg der NS-Propaganda auf den Punkt: „Die Sittlichkeitsprozesse haben dank der oft sich wiederholenden, oft maßlos übertriebenen Berichte, die meistens, od[er] wenigstens oft genug noch vor der gerichtlichen Entscheidung gebracht werden, wo der Leser das Moment der Verteidigung und Entlastung meist völlig vermisst haben, Gott sei Dank keine schlimme Wirkung. Die Wenigsten schenken diesen Berichten Glauben, besonders seit der Rede des Propagandaministers. Man entrüstet sich über diese Dinge, nicht weil sie geschehen, sondern weil und wie sie berichtet werden. Man bestellt die besonders eifrigen (in diesen Berichten) Blätter ab. Man sorgt dafür, dass den Jugendlichen in den Familien diese Blätter entzogen werden. Das religiöse Leben (Frequentatio Sacra56 Vgl. dazu auch: Hans Günter Hockerts: Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester 1936/37. Eine Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik und zum Kirchenkampf. (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B. Forschungen. Bd. 6) Mainz 1971. 57 Mitteilung von Pfarrer Back an das Passauer Ordinariat vom 9. Juli 1937, Archiv des Bistums Passau/Ordinariatsarchiv: Akte NS I.C.7 – Sittlichkeitsprozesse.

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mentorum, Besuch der Gottesdienste, Teilnahme an den kirchlichen Feiern) nimmt gerade seit dieser Skandalzeit ganz unverkennbar zu. Das Verhältnis zwischen Priester und Volk war nie [Unterstreichung im Original!] besser, wie jetzt.“58 Dass diese Kampagne ein Misserfolg war, machen auch ausgewählte Monatsberichte des Regierungspräsidenten von Niederbayern und der Oberpfalz deutlich. So erwähnt der Monatsbericht vom 5. Juni 1937, dass Presseberichten über die sittlichen Verfehlungen Geistlicher in der katholischen Landbevölkerung kaum Glauben geschenkt werde. Über Vergehen der anderen Seite würde man nichts hören.59 Der Bericht vom 9. August konstatiert die schon von der Geistlichkeit bemerkte Festigung des Kirchenvolkes. Demnach wurden kirchliche Veranstaltungen gut besucht, Priesterjubiläen, Primizen, Volksmissionen besonders prunkvoll gestaltet. Teilweise, so der Bericht, ließen Bauern sogar die Arbeit ruhen, um daran teilzunehmen.60 Offensichtlich waren demzufolge weltliches und kirchliches Leben traditionell eng aufeinander bezogen, wobei herausragende Ereignisse wie ein Priesterjubiläum und besonders eine Primiz dazu motivierten, der Pflege kirchlicher Traditionen den Vorzug vor weltlichen, in dem Falle sogar wirtschaftlichen zu geben, wie dies primär auf dem Lande seit Jahrhunderten gepflegt wurde.61 Als Fazit ergibt sich, dass sozusagen von außen herangetragene Angriffe, vor allem der bereits gelenkten Presse, auf eine hervorgehobene Personengruppe an einem durch gemeinsame Sinndeutung und tradierte regionale Prägekräfte zusammengehaltenen Milieu abprallten. Als weiteres Beispiel für eine durchaus erfolgreiche Milieustabilisierung im Verlauf des Dritten Reiches kann der Tätigkeitsbericht der Katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine des Bistums Passau im Rahmen einer Tagung vom 3. Oktober 1937 dienen. Insgesamt war eine Zunahme um 146 Neumitgliedern im Bistum Passau zu verzeichnen, 38 andere Vereine hatten ihren Verlust durch Neuwerbung ausgeglichen.62 In der Diözese wurden für das erste Berichtsjahr 1935/36 insgesamt 71 Versammlungen und Konferenzen abgehal-

58 Ebd., Mitteilung von bischöflich geistlichem Rat Eglseder an das Passauer Ordinariat vom 9. Juli 1937. 59 Vgl. Ziegler, Regierungspräsidentenberichte (wieAnm. 54), S. 131f. 60 Vgl. ebd., S. 147. 61 Vgl. Walter Hartinger: Die bayerische Dorfverfassung und ihre Auswirkungen auf die sogenannte Volkskultur der Frühen Neuzeit, in: Jahrbuch für Volkskunde. hrsg. v. Wolfgang Brückner im Auftrag der Görres Gesellschaft. Würzburg 2005, S. 51-72, S. 57. 62 Tätigkeitsbericht für das Jahr 1937 in: Archiv des Bistums Passau/Ordinariatsarchiv: Nationalsozialismus: NS V. 5 – Arbeiterverein.

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ten.63 Für das zweite Berichtsjahr wurden 55 Versammlungen, 16 Apostolatsund Einkehrtage 2 Wallfahrten, zusammen 73 Veranstaltungen abgehalten, für die beiden Jahre vom 1. Novem-ber 1935 bis 1. November 1937 insgesamt 14464. Eine bei der Tagung vorgelegte Statistik des Süddeutschen Verbandes der Katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine ergab, dass zwischen dem 2. Quartal 1936 und dem 2. Quartal 1937 die Mitgliederzahl stabil geblieben war. Die Diözese Passau war die einzige in ganz Süddeutschland, die einen Zuwachs von drei Mitgliedern aufzuweisen hatte. Am 30. September 1937 hatten die Arbeitervereine 23.367, die Arbeiterinnenvereine 7.323 Mitglieder, zusammen: 30.690. Detaillierte Zahlen für das Bistum Passau bezüglich einzelner Vereine bzw. Pfarreien liegen in diesem Zusammenhang allerdings nicht vor.65

JUGENDSEELSORGE Ein wichtiges Konfliktfeld zwischen katholischer Kirche und nationalsozialistischem Regime stellte der Kampf um die Gewinnung der Jugend dar. Nachdem bereits die Passauer Diözesansynode von 1929 ihr Augenmerk auf die Jugendarbeit gerichtet hatte, schärfte die Kirche seit 1933 ihren Blick. Sie suchte, die Jugend bei sich zu halten und vor dem Hintergrund diverser Maßnahmen gegen ihre Jugendarbeit bzw. der allgemeinen Aktionen der Regierung gegen die Kirche – wie zum Beispiel der oben erwähnten Prozesse, des Abbaus klösterlicher Lehrkräfte in Schulen, der Maßnahmen gegen Religionsunterricht und Bekenntnisschule – einer von ihr als existenzbedrohend angesehenen Gefahr entgegenzuwirken. Zentraler Streitpunkt waren dabei die kirchlichen Organisationen, insbesondere die Vereine. Bereits am 13. Juni 1933 war in Bayern ein Versammlungs- und Uniformverbot für katholische Vereinigungen ergangen, das am 19. September weiter verschärft wurde.66 Nach Protesten von Geistlichen und Eingaben durch Kardinal Faulhaber und Kardinal Bertram bei staatlichen Stellen sowie diplomatischen Aktionen der Kurie wurde das Betätigungsverbot für die Vereine am 2. November 1933 zwar zurückgenommen, allerdings musste künftig jede Versammlung angemeldet werden. Die Genehmi63 Eine weitere Aufschlüsselung nach Veranstaltungstypen wie für das zweite Berichtsjahr wurde nicht vorgenommen. 64 Wie Anm. 62. 65 Ebd. 66 Vgl. Helmut Witetschek: Kirchenkampf und Volksstimmung in Bayern (19331945), in: Dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt. Dokumentation 88. Katholikentag vom 4. bis 8. Juli 1984 in München. Hrsg. vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken. Paderborn 1984, S. 434-447, S. 437.

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gung konnte aber auch unterbleiben, was häufig der Fall war. Der den Schutz katholischer Vereine garantierende Artikel 31 des Reichskonkordates machte keine konkreten Aussagen für die Praxis und sah nur eine einvernehmliche Regelung vor; diesbezügliche Verhandlungen dauerten – aufgrund der Verschleppungsstrategie der Regierung – bis 1937 und blieben im Endeffekt erfolglos.67 Erschwerend für die Vereine wirkte vor allem, dass eine Doppelmitgliedschaft in der Deutschen Arbeitsfront und in einer anderen, nichtnationalsozialistischen Vereinigung verboten war, was viele zwang, aus dem katholischen Arbeiterverein auszutreten. Am 31. Januar 1938 erfolgte schließlich ein generelles Verbot der katholischen Jugendvereine.68 Diese Problematik der Jugendseelsorge thematisierte, zur näheren Instruktion des Diözesanklerus, der Passauer Bischof Sigismund Felix von Ow-Felldorf im Oberhirtlichen Verordnungsblatt Nr. 20 vom 18. September 1933 unter der Überschrift „Auflösung bzw. Bekämpfung katholischer Vereine.“69 Darin führte er unter anderem aus: „Zur rechten Zeit kommt es vor, dass Mitglieder katholischer Vereine durch Drohungen mit wirtschaftlichem oder gesellschaftlichem Boykott zum Austritt aus den Vereinen gezwungen werden sollen. Ein derartiges Vorgehen verstößt gegen das nunmehr ratifizierte Reichskonkordat. Die Pfarrämter sind ermächtigt, gegebenenfalls diesen Standpunkt unter Berufung auf die kirchliche Oberbehörde in entsprechender Form geltend zu machen.“70 Gleichzeitig standen die Vereinigungen unter scharfer Beobachtung der Regierungsbehörden. Die Bemühungen des Klerus in der Jugendseelsorge waren offensichtlich noch erfolgreich. So erwähnt der Halbmonatsbericht des Regierungspräsidenten von Niederbayern und der Oberpfalz vom 6. Februar 1934, dass Geistliche versuchen würden, die Jugend unauffällig in den katholischen Vereinen zu halten und Neumitglieder zu werben. Vor allem junge Geistliche, die primär in der Jugendseelsorge eingesetzt waren, würden sich hier der Regierung gegenüber illoyal verhalten.71 Der Halbmonatsbericht vom 5. März erwähnt an einigen Orten Meinungsverschiedenheiten zwischen politischen und katholischen Jugendorganisationen.72 Diese Situation ist auch deutlich im Jahr 1935 festzustellen. Der Lagebericht des Regierungspräsidenten vom 8. Februar 1935 stellt eine schlechte Stimmung bei der bäuerlichen Bevölkerung 67 Vgl. ebd. 68 Vgl. ebd. 69 Archiv des Bistums Passau/Ordinariatsarchiv: Oberhirtliche Verordnungsblätter. 70 Ebd., S. 1. 71 Vgl. Ziegler, Regierungspräsidentenberichte, S. 21f. 72 Vgl. ebd., S. 23.

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fest, als „Ursache […] wird gerade hier in der ehemaligen Hochburg der Bayerischen Volkspartei auch das noch ungeklärte Verhältnis des Staates zur Kirche, insbesondere zur katholischen Kirche angesehen.“73 Außerdem berichtete Regierungspräsident Wilhelm Freiherr von Holzschuher über eine starke kirchliche Versammlungstätigkeit; die Geistlichkeit zeige Bemühen um die Jugend.74 Deutlich wird dieses Bemühen auch in den Richtlinien für die katholische Jugendseelsorge, die der deutsche Episkopat im April 1936 herausgab. Der Diözesanklerus wurde davon in einer Beilage zum Oberhirtlichen Verordnungsblatt vom 18. April 1936 informiert.75 Grundsätzlich beriefen sich die Bischöfe auf das kirchliche Erziehungsrecht. Die Aufgaben die Jugend betreffend wurden dann differenziert; zunächst sei die allgemeine Pfarrjugendseelsorge zu beachten, die alle Jugendlichen erfassen sollte, daneben sollten besondere „jugendliche Lebensgemeinschaften“76 als so genannte Kernscharen herausgebildet werden. „In den Kernscharen sammeln sich solche Jugendliche, die den entschiedenen Willen haben, sich durch die bewährten Heiligungs- und Bildungsmittel der Kirche zu vertiefen und für besondere Aufgaben zu schulen. […] Die Form dieser jugendlichen Lebensgemeinschaften wird in der Regel straff sein (Verein, Kongregation, Bund, Gruppe, Zirkel, Arbeitskreis).“77 Trotz umfangreicher Beschränkungen im Bistum Passau, Versammlungsverboten, Störungen auch privater Zusammenkünfte von Jugendlichen mit ihrem Kaplan oder Pfarrer in den Pfarrhäusern und Kirchen, waren die Bemühungen in der Diözese nicht erfolglos. Dies zeigt besonders deutlich der am 8. Mai 1938 im Bistum abgehaltene Jugendsonntag, der nicht nur die Schuljugend, sondern auch die bereits Schulentlassenen als Zielgruppen vor Augen hatte. Generalvikar Riemer holte aus allen Pfarreien Berichte über den Jugendsonntag ein und erstellte selbst eine zusammenfassende Analyse.78 Durchschnittlich beteiligten sich 70% der ganzen in Betracht kommenden Jugend. Davon waren etwa 1/3 männlich und 2/3 weiblich. An vielen Orten beteiligten sich bis zu 90%. Darüber hinaus beteiligten sich auch die übrigen Gläubigen in großer Anzahl, so dass die Kirchen meist überfüllt waren. Riemer berichtet, dass die Feiern von den Beteiligten mit großem Eindruck aufgenommen wur73 Ebd., S. 44. 74 Vgl. ebd., S. 45. 75 Vgl. Archiv des Bistums Passau / Ordinariatsarchiv Nachlass Ow-Felldorf Nr. 101, Jugendseelsorgeamt 76 Ebd. 77 Ebd. 78 Bericht Riemers vom 20. August 1938 in: Archiv des Bistums Passau/Ordinariatsarchiv: Akte NS VII.A.2. Fasz. 1 – Jugendseelsorge.

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den. Behinderungsversuche des Jugendtages glückten nicht. „An vielen Orten wurde absichtlich auf diesen Tag besonderer Appell oder sonstige Veranstaltungen der Parteijugend angesetzt, die Jugend setzte sich zum großen Teil über diese Anordnungen hinweg und besuchte die Bekenntnisfeier. In einem Dekanat bestand eine Behinderung darin, dass von gegnerischer Seite auf den Zugangsstraßen zu der betreffenden Feierkirche eine große Anzahl von Nägeln ausgestreut wurde, um die jugendlichen Radfahrer damit am Vorwärtskommen zu hindern. Die Jugendlichen nahmen jedoch die Angelegenheit von der fröhlichen Seite und verschworen sich, auch das nächste Jahr zum «Nagelfest» wieder zu erscheinen.“79 Dieses sollte nicht mehr stattfinden. Eine Genehmigung blieb im Jahr 1939 versagt.

EXKURS: REAKTION AUF DEN ANTISEMITISMUS DES NS-STAATS IM BISTUM PASSAU 1933 lebten von 293 Juden in ganz Niederbayern nur 43 in der Stadt Passau.80 Als Glaubensgemeinschaft traten sie in der Stadt, in Ermangelung einer Synagoge, nicht hervor. Auch politisch waren sie offenbar wenig aktiv. „In der Tat handelte es sich weniger um Juden in Passau, denn um Passauer Juden oder jüdische Passauer.“81 Den reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 nahm die Bevölkerung überwiegend ohne Regung hin. Er fand in Passau wegen eines traditionellen Wochenmarktes bereits einen Tag früher statt, offensichtlich, um so mehr Menschen aus dem Umland und der Stadt auf die Aktion aufmerksam zu machen.82 Eine Mitwirkung an der Erfassung der jüdischen, halbjüdischen oder „arischen“ Bürger nach rassenideologischen Gesichtspunkten lehnte das Bistum Passau ab. Anfragen der Deutschen Adelsgenossenschaft Berlin an das Passauer Ordinariat, Auskünfte bezüglich Ariernachweisen von Mitgliedern zu erhalten, wurden nicht beantwortet.83 Gleichlautende Anfragen verschiedener Amts- und Parteistellen, auch des Reichskirchenministeriums im November 1937, wurden ebenfalls abschlägig beschieden. Der Seelsorger sei, so Generalvikar Riemer, zur Verschwiegenheit im Amt 79 Ebd. 80 Vgl. Bernhard Löffler: Passauer Juden 1933-1945. In: Winfried Becker (Hrsg.): Passau in der Zeit des Nationalsozialismus. Ausgewählte Fallstudien. Passau 1999, S. 167f. 81 Ebd., S. 171. 82 Vgl. ebd., S. 172. 83 Vgl. Schreiben der Deutschen Adelsgenossenschaft Berlin an das Passauer Ordinariat vom 10. Februar 1934 – in: Archiv des Bistums Passau/Ordinariatsarchiv: Akte NS I.C.6.a) Rassengesetze a) Arische Abstammung

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verpflichtet, was etwa katholisch-jüdische Mischehen betreffe, zudem müsse das Bistumsarchiv erst neu geordnet werden; Zugriffe auf entsprechende Archivalien seien, falls überhaupt vorhanden, nicht möglich.84 Nur für rein statistische Zwecke könne man, allerdings anonymisiert, behilflich sein, nicht aber, wenn damit ein weiteres Vorgehen gegen Juden beabsichtigt sei.85 Die Reichspogromnacht 1938 zeigte lediglich Aktionen von Partei- und SAMitgliedern selbst, ohne dass sich die passiv verhaltende Bevölkerung beteiligt hätte. Allerdings stellte sich auch niemand schützend vor die sieben in Passau und im Umland verhafteten jüdischen Frauen und Männer, die tags darauf bzw. nach ca. zweiwöchiger Haft im Konzentrationslager Dachau wieder freigelassen worden sind.86 Wie vielerorts registrierten auch die Passauer Bürger das beklagenswerte Schicksal ihrer enteigneten und vertriebenen Mitbürger nur als nebensächlich. Unter dem Aspekt des Milieus ist dennoch beachtenswert, dass der Generalvikar der Diözese sich weigerte, an der Erfassung der Passauer (Halb-)Juden mitzuwirken und der „politische Katholizismus“ in den Augen der Gestapo die bäuerliche Bevölkerung gegen die Rassenpropaganda zu immunisieren vermochte. Bürger kauften weiterhin in den – immer weniger werdenden – jüdischen Geschäften ein und auch Bauern hielten Geschäftsbeziehungen zu jüdischen Viehhändlern aufrecht.

KIRCHLICHES MILIEU IM KRIEG Am 2. August 1939 ist in der Chronik der Passauer Dompfarrei St. Stephan zu lesen: „Die vielen Einberufungen zum Militär lassen hohe Kriegsgefahr vermuten. Die meisten Leute sind freilich noch optimistisch und glauben nicht daran. Heute sind es 25 Jahre, dass der Weltkrieg ausgebrochen ist. Man hält es für unmöglich, dass das wahnsinnige Menschenmorden schon wieder beginnen soll.“87 Kriegswille oder gar Kriegsbegeisterung sind im Vorfeld des 2. Weltkrieges auch in Passau nicht vorhanden. Der Chronikeintrag vom Tag des Kriegsausbruchs selbst vermerkt: „Am Sonntag, 27. August, abend wurde noch im Dom eine Bittandacht um Abwehr der schrecklichen Gefahr gehalten. […]

84 Vgl. Löffler, Passauer Juden 1933-1945, S. 179. 85 Vgl. ebd. 86 Vgl. ebd., S. 186f., 190, 178. 87 Abdruck bei: Franz Mader, Bernhard Löffler: Das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche im Spiegel der Pfarrchroniken und pfarrlichen Verkündbücher Passaus. In: Winfried Becker (Hrsg.): Passau in der Zeit des Nationalsozialismus. Ausgewählte Fallstudien. Passau 1999, S. 501-526, S. 524.

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Alles ist bestürzt und in gedrückter Stimmung. […] Angstvoll sehen die Einsichtigen in die Zukunft. Nur ein festes Gottvertrauen beruhigt.“88 Blickt man auf die Gesamtheit der Bevölkerung, so standen deren vom Nationalsozialismus nicht überzeugte Teile im Spannungsfeld zwischen Patriotismus und Friedenswillen.89 In das Leben der Pfarreien erfolgten weitere Eingriffe, so am 15. März 1940 durch Beschlagnahme von Kirchenglocken, am 29. Oktober wurde die Abhaltung eines Gottesdienstes vor 10 Uhr am Vormittag nach vorausgehendem nächtlichen Fliegeralarm untersagt. Zudem wurde der Feiertagsschutz eingeschränkt. Kirchliche Feiertage wurden auf den folgenden Sonntag verlegt. Starke Veränderungen ergaben sich auch durch umfangreiche Einberufungen zum Kriegsdienst mit seinen Folgen für die Betroffenen und deren Familien.90 Zu beobachten ist eine verstärkte Überwachung der Äußerungen Geistlicher in ihren Predigten, wie die Regierungspräsidentenberichte zeigen. Der Monatsbericht vom 8. Februar 1940 vermerkt unter anderem zwei Strafanzeigen gegen Geistliche wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz. Ein Pfarrer sagte in seiner Predigt, die Leute sollten nicht soviel Radio hören und Zeitung lesen, sondern Heiligenlegenden, was im Himmel mehr wert sei.91 Die erwähnten Heiligenlegenden stehen hier wohl für den Rest verbliebener christlicher Literatur. Die Äußerung des Pfarrers war dann ein fast schon ohnmächtig anmutender Versuch, sich gegen die übermächtige NS-Propaganda in den öffentlichen Medien zu stemmen und bei dem inzwischen arg geschrumpften Potential christlicher Literatur Zuflucht zu suchen. In Passau wurde ein Kaplan unter anderem wegen einer defätistischen Äußerung: „einen längeren Krieg können wir nicht durchhalten, da das Volk nicht solange niederzuhalten ist,“ 92 angezeigt. Derartige Meldungen sind fast in jedem der weiteren Monatsberichte zu finden. Außerdem wurden ab 1943 immer wieder steigende Kirchenbesucherzahlen, trotz der bestehenden Hindernisse aufgrund des Krieges, gemeldet. Milieustabilität zeigen unter anderem Erhebungen aus den Jahren 1941 und 1942 für das Bistum Passau. Nimmt man die Austrittszahlen als Indikator, die

88 Ebd., S. 525. 89 Vgl. auch: Christoph Kösters: Kirche und Glaube an der «Heimatfront». Katholische Lebenswelt und Kriegserfahrungen 1939-1945, in: Karl-Joseph Hummel, Christoph Kösters (Hrsg.): Kirchen im Krieg. Europa 1939-1945. Paderborn 2007, S. 363-398. 90 Vgl. ebd., S. 366. 91 Vgl. Ziegler, Regierungspräsidentenberichte, S. 257. 92 Ebd., S. 257f.

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angesichts der hohen Gesamtzahl an Katholiken nur als marginal zu bezeichnen sind, fanden Einbrüche in das katholische Milieu nicht statt. Kirchliche Statistik 1941 für das Bistum Passau – konfessionelle Verteilung 450000 400000

Katholiken 389036 Nichtkatholiken

350000 300000 250000 200000 150000 100000 50000

6726

0 Katholiken

Nichtkatholiken

Quelle: Amtliche Zentralstelle für kirchliche Statistik des katholischen Deutschlands Köln (Hrsg.): Kirchliches Handbuch. Amtliches statistisches Jahrbuch der katholischen Kirche Deutschlands. Bd. 23. 1944-1951. Köln 1951, S. 390 ff.

Eheschließungen und Taufen Eheschl.

10000

9069 kath. Eheschl.

7813 Taufen rein kath. Eltern

5000

kath.gemischt Eltern nicht kath. Eltern

2539 2459

unehel. Kinder

1137 116 0

3

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Kommunionen und Kirchenbesucher Kommunionen insgesamt Pfarrkirchen etc.

45000004117733 4000000 3500000

Klöster etc.

3047297

3000000

Osterkommunion

2500000

Kirchenbesucher

2000000

Katholiken

1500000

1070436

1000000 389036 292803 210380

500000 0

Übertritte – Rücktritte - Austritte Austritte

40 19 20

13

Übertritte zur kath. Kirche Evangelische

6

0 -20

Rücktritte

-40

Verluste insgesamt

-60 -80 -100 -120

-118

-140

-160

-143

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Kirchliche Statistik 1942 für das Bistum Passau – konfessionelle Verteilung 450000 400000

Katholiken

390711

Nichtkatholiken

350000 300000

250000 200000 150000 100000 50000

7103

0 Katholiken

Nichtkatholiken

Quelle: Amtliche Zentralstelle für kirchliche Statistik des katholischen Deutschlands Köln (Hrsg.): Kirchliches Handbuch. Amtliches statistisches Jahrbuch der katholischen Kirche Deutschlands. Bd. 23. 1944-1951. Köln 1951, S. 394 ff.

Eheschließungen und Taufen Eheschl.

8000

7100 kath. Eheschl.

7000

6058

6000

Taufen

5000

rein kath. Eltern

4000

3000

kath. gemischt Eltern nicht kath. Eltern

2535 2412

2000 1000 0

915 116

11

unehel. Kinder

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Kommunionen und Kirchenbesucher

4500000

Kommunion gesamt 4041284 Pfarrkirchen etc.

4000000

Klöster etc.

3500000 3027367 3000000

Osterkommunion

2500000

Kirchenbesucher

2000000

Katholiken

1500000 1013917 1000000 390711 289454 210883

500000 0

Übertritte – Rücktritte – Austritte Austritte

50 18

15

Übertritte zur kath. Kirche Evangelische

13

0

Rücktritte Verluste insgesamt

-50

-100

-150

-140 -171

-200

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DER SCHULKREUZKONFLIKT 1941 –„ UNFREIWILLIGE“ MILIEUSTABILISIERUNG? Kirchenfeindliche Maßnahmen ab dem 1. September 1939 wurden gemeinhin mit Kriegsnotwendigkeiten begründet, was vor allem das ohnehin schon deutlich angeschlagene Vereinsleben der Katholiken in der Öffentlichkeit fast vollständig zum Erliegen brachte. Die Kirche wurde im Wesentlichen ab Kriegsausbruch auf den Kircheninnenraum zurückgedrängt. Umso interessanter sind daher weitergehende Maßnahmen des Regimes, die die Entfernung der Schulkreuze im Bereich der Diözese Passau im Kriegsjahr 1941 zum Gegenstand hatten. Wiederum deuteten die Reaktionen in der Bevölkerung auf eine Milieustabilisierung hin, als ein zentraler Aspekt des katholischen Christentums, das Kruzifix, ins nationalsozialistische Visier geriet. Schon 1936 war dies andernorts, im Oldenburger Land, geschehen. Dort hatte der Minister der Kirchen und Schulen am 4. November 1936 die Entfernung aller Kreuze aus öffentlichen Gebäuden und Schulen angeordnet; nach schweren Protesten nahm Gauleiter Röver die Verordnung zurück.93 Später stattfindende gleiche Vorgehensweisen, allerdings kleiner und in engräumiger angelegten Regionen, zum Teil nur auf Initiative lokaler NS-Amtsträger, erwecken den Eindruck von Testläufen des Regimes, um, ebenfalls, wie in Oldenburg, auf letztendlich ablehnende Reaktionen des jeweiligen Kirchenvolkes zu treffen. In Bayern erging am 23. April 1941 ein Kruzifixerlass von Kultusminister und Gauleiter Adolf Wagner.94 Dem gemäß sollten die Kreuze allerdings nicht auf einen Schlag, sondern nach Möglichkeit allmählich entfernt werden. Wagner wies „darauf hin, dass kirchlicher Bildschmuck, auch wenn er künstlerischen Wert besitzen sollte, wie Kruzifixe in der Schule am falschen Platze sind; ich ersuche daher Sorge dafür zu tragen, dass solcher Wandschmuck allmählich entfernt oder durch zeitgemäße Bilder ersetzt wird. Eine geeignete Gelegenheit hierzu ergibt sich beispielsweise bei Erneuerungsarbeiten in den Klasszimmern und Amtsgebäuden oder im Zuge räumlicher Änderungen. Ich ersuche entsprechend zu verfahren.“95 93 Vgl. Johann Neuhäusler: Kreuz und Hakenkreuz. Der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche und der kirchliche Widerstand. I. München 1946, S. 116f. Eine umfassende Darstellung dazu bietet vor allem Joachim Kuropka (Hrsg.): Zur Sache – Das Kreuz! Untersuchungen zur Geschichte des Konflikts um Kreuz und Lutherbild in den Schulen Oldenburgs, zur Wirkungsgeschichte eines Massenprotests und zum Problem nationalsozialistischer Herrschaft in einer agrarisch-katholischen Region. 2., durchges. Aufl. Vechta 1987. 94 Kultusministerialentschließung Nr. VIII 20 891, bei: Ziegler, Regierungspräsidentenberichte, S. 283f. 95 Ebd.

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Am 14. August erging die Weisung Wagners, zu Schulbeginn im September sämtliche Kreuze zu entfernen; allerdings war zwischenzeitlich bzw. verschärft nach dem 14. August der Unmut in der überwiegend kirchentreuen Bevölkerung derart groß, dass die Anordnung am 12. September durch den Kultusminister widerrufen wurde.96 Einblick in die Verstörung weiter Bevölkerungsteile in der Diözese Passau geben zunächst die Monatsberichte des Regierungspräsidenten von Niederbayern und der Oberpfalz. Verstärkt wurde die Verweigerungshaltung in der Bevölkerung durch weitere parallele Maßnahmen, wie der Regierungspräsidentenbericht vom Mai 1941 zeigt: „Schwer wurden die Maßnahmen empfunden, die an das tief verwurzelte Empfinden der christlich-konfessionell eingestellten Bevölkerung greifen. Es handelt sich um das Verbot der Bittprozessionen an Werktagen, die Verlegung der Feiertage Christi-Himmelfahrt und Fronleichnam auf den Sonntag, die Abschaffung des Schulgebets und die allmähliche Entfernung der Kruzifixe aus den Schulen.“ 97 Die Beunruhigung hielt über die Sommermonate an und führte in einzelnen Orten des Bistums zur Androhung bzw. Durchführung des Schulstreiks, „wobei auch Ortsgruppenleiter und Ortsbauernführer ihren Unwillen über diese Maßnahmen zum Ausdruck brachten. Man erinnerte an die während des Kampfes um die Gemeinschaftsschule gegebenen Versprechungen, dass die Kruzifixe in den Schulen bleiben würden und hält die Maßnahme für eine Vorläuferin weiterer Anordnungen, namentlich der völligen Aufhebung des Religionsunterrichts.“98 Dieser Bericht zeigt – neben einigen konkreten Fallbeispielen – exemplarisch, dass hier ganz offensichtlich die kirchentreue Bevölkerung einen Milieudruck aufzubringen vermochte, der sogar einige niedrige Amtsträger der NSDAP beeinflusste. Oder, umgekehrt, offensichtlich war bei einigen Amtsträgern ihre Bindung an das katholische Herkunftsmilieu noch so stark, dass für sie, angesichts der Kombination kirchenfeindlicher Maßnahmen und des Vorgehens gegen das zentrale Symbol Kruzifix eine subjektiv zulässige Kirchenkampfgrenze überschritten worden war. Eine derartige Vermutung erhärten u.a. zwei Beispiele aus dem Bayerischen Wald. „In der Volksschule Freyung (Landkreis Wolfstein) entfernte ein Lehrer das Kruzifix aus dem Schulzimmer, worauf die Ortsbauernführer als Abordnung der Bauern mit dem Schulstreik drohten. An einen Lehrer im Landkreis Wolfstein, der das Kruzifix aus dem Schulzimmer entfernt hatte, schrieben alle Einwohner eines Dorfes mit einziger 96 Vgl. ABP – OA: Akte NS VI. B. 3 – Schulkreuz. Mitteilung des Passauer Generalvikars Dr. Franz Seraph Riemer an die bayerischen Ordinariate vom 1. Oktober 1941. 97 Ziegler, Regierungspräsidentenberichte, Monatsbericht Mai 1941, S. 283. 98 Ebd., S. 286.

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Ausnahme des Bürgermeisters, einen Brief, in dem sie sich gegen dieses Vorgehen beschwerten. Der Lehrer, ein aktiver Nationalsozialist, sah sich veranlasst, das Kruzifix wieder in sein Schulzimmer zu hängen.“99 Drei Monate nach dem so genannten Stopperlass Wagners vom September, war die Schulkreuzabnahme immer noch Gegenstand von Diskussionen in den Orten, wo das Kreuz noch nicht zurückgebracht worden war.100 Der Stopperlass nannte vor allem „die gut organisierte Gegenpropaganda der Geistlichkeit, teils die politisch falsche bezw. übereifrige Handlungsweise von Lehrkräften und Schulaufsichtsorganen“101 als Ursachen des Scheiterns. Bereits im September hatte der Passauer Generalvikar Riemer eine Zusammenstellung aus sämtlichen Pfarreien anfertigen lassen, wonach von 418 Schulorten (bei insgesamt 473) in 302 Schulorten bzw. Klassen das Kreuz verblieben, in 72 es auf Betreiben der Bevölkerung wieder zurückgebracht und in 23 Schulen bzw. Einzelklassen noch vermisst wurde.102 Der Versuch der Schulkreuzentfernung darf als gescheitert angesehen werden.

GEISTLICHE UND LAIEN IN VERFOLGUNG UND WIDERSTAND Bezüglich des Widerstandsdiskurses existiert eine breite Literatur über Motive und Typologien zu diesem Begriff. In Bezug auf die einzelnen Abstufungen von Widerstand ist für das Bistum Passau im Wesentlichen von Passivität und Resistenzverhalten gegenüber der nationalsozialistischen Herrschaft zu sprechen. Hoch organisierte Formen aktiven Widerstands existierten hier nur in wenigen Einzelfällen, so wenn sich einige Personen an der so genannten Freiheitsaktion Bayern, unmittelbar vor Kriegsende, beteiligten und einige dabei auch ihr Leben verloren, unter anderem der Stiftsdekan des Wallfahrtsortes Altötting, Msgr. Adalbert Vogl.103 Im Zentrum widerständigen Verhaltens stand vor allem der Diözesanklerus. Von rund 800 Geistlichen, die von 1933 bis 1945 im Bistum tätig waren, wurden 50 Schulverbote, 56 Geldstrafen, 48 Haftstrafen in Strafanstalten oder Gefängnissen der Gestapo sowie fünf Einweisungen in das Konzentrationslager 99 Ebd., Monatsbericht Juli 1941, S. 290f. 100 Vgl. ebd., Monatsbericht Dezember 1941, S. 300f. 101 Anweisung Wagners an die Gauleiter vom 12. September 1941, ABP – OA: NS VI. B. 3. – Schulkreuz 102 Vgl. Archiv des Bistums Passau /Ordinariatsarchiv: Akte NS VI. B. 3. – Schulkreuz – Niederschrift Generalvikar Riemers vom 1. Oktober 1941. 103 Vgl. Herbert W. Wurster: Das Bistum Passau im Dritten Reich. In: Winfried Becker (Hrsg.): Passau in der Zeit des Nationalsozialismus. Ausgewählte Fallstudien. Passau 1999, S. 389-408, S. 404.

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Dachau verfügt.104 Acht Geistliche kamen ums Leben; davon verstarben zwei in Dachau, drei wurden wegen angeblicher Wehrkraftzersetzung hingerichtet, ein Benediktinerpater fiel in Russland als Angehöriger einer Strafkompanie, zu der er nach einem vorher ausgesprochenen Todesurteil „begnadigt“ wurde, zwei Geistliche wurden unmittelbar vor Kriegsende von der SS erschossen.105 Von Maßnahmen des Regimes insgesamt, d.h. auch von Anzeigen, Ermittlungsverfahren, Vorladungen zu Polizei oder Gestapo106, Gerichtsverfahren mit Freispruch oder Verurteilung etc. waren – nach bisherigem Stand – 36% des Klerus betroffen107. Damit steht die Diözese Passau an neunter Stelle von den 28 kirchlichen Jurisdiktionsbezirken (Erzbistümer und Bistümer, Generalvikariate Branitz und Glatz, Freie Prälatur Schneidemühl).108 Die meisten Maßnahmen waren dabei in den Jahren 1937 (mit 77) und 1938 (mit 84) zu verzeichnen, als der Kampf um die Gemeinschaftsschule seinen Höhepunkt hatte. Für das Jahr des Schulkreuzkonfliktes in der Diözese, 1941, wurden 131 Maßnahmen gegen Kleriker eingeleitet.109 Einbrüche in das kirchengebundene Milieu, das den größten Teil der Diözesanbevölkerung stellte, gelangen nicht. In allen Phasen des Kirchenkampfes waren eher mehr als weniger Gottesdienstbesucher zu verzeichnen. Gerade in jenen Zeiträumen, in denen das Regime Maßnahmen ergriff, nahm die Anzahl der Besucher zu. Die katholischen Laien, die die Geistlichkeit unterstützten, sind angesichts des Verfolgungsdrucks namentlich kaum greifbar.110 Vielmehr war offensichtlich die Volksstimmung im Kirchenvolk, wie aus zahlreichen Schriftdokumenten, vor allem aus Briefen Geistlicher an das Passauer Ordina104 Vgl. ebd., S. 403. 105 Vgl. ebd. 106 Betroffen davon war unter anderem Generalvikar Dr. Franz Seraph Riemer, der in das Gestapo-Hauptquartier nach Berlin überführt, in Untersuchungshaft genommen und verhört wurde. – Vgl. Archiv des Bistums Passau/Ordinariatsarchiv: Akte Nachlass Generalvikar Riemer Nr. 28. 107 Vgl. Ulrich v. Hehl, Christoph Kösters, Petra Stenz-Maur, Elisabeth Zimmermann (Bearb.): Priester unter Hitlers Terror. Eine biographische und statistische Erhebung. 3. wesentlich veränderte und erweiterte Auflage. (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte: Reihe A, Quellen; Bd. 37) Paderborn 1996, S. 99. 108 Vgl. ebd. 109 Vgl. ebd., S. 124. 110 Bernhard Höpfl erwähnt in seiner Dissertation unter anderem elf Lehrkräfte aus dem Bistum Passau, die in enger Verbindung mit den jeweiligen Ortsgeistlichen standen und dabei zum Teil von Maßnahmen wie Strafversetzung betroffen waren. – Vgl.: Bernhard Höpfl: Katholische Laien im nationalsozialistischen Bayern. Verweigerung und Widerstand zwischen 1933 und 1945 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Bd. 78), Paderborn 1997.

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riat hervorgeht, in der Regel von einer festen Treue zu Kirche und Glauben im Allgemeinen, aber auch zu einzelnen Geistlichen individuell geprägt. Gerade in den Zeiten massiver Kampagnen des NS-Regimes überwogen bei der kirchentreuen Bevölkerung das Misstrauen und der Unmut der Regierung gegenüber. Kollektive Verweigerungshaltungen wurden vor allem beim Abbau klösterlicher Lehrkräfte in den Volksschulen sowie beim Schulkreuzkonflikt 1941 deutlich. Als Ergebnis sind daher folgende Punkte festzuhalten: 1. Ein nachhaltiger Einbruch ins katholische Milieu ist den Nationalsozialisten trotz vielfältiger Maßnahmen nicht gelungen. Ein ausschlaggebender Faktor dafür dürfte institutioneller Art gewesen sein: Das Bischöfliche Ordinariat mit seinem, dem NS-System höchst missliebigen Generalvikar Riemer bezog unmissverständlich bewegliche Standpunkte der Abwehr. Ehe man Versäumnisse bzw. Unterlassungen der Institution Kirche bei der Bekämpfung des nationalsozialistischen Unrechts spekulativ in den Raum stellt,111 wäre anhand der verfügbaren Quellen erst einmal festzustellen, was vom Bistum bzw. dessen Führung, dem Bischöflichen Ordinariat der katholischen Kirche in Passau, an situationsbezogener Auseinandersetzung, grundsätzlicher Konfliktbereitschaft und Abwehr auf den verschiedenen umkämpften Feldern gesellschaftlicher Positionierung (Jugend, Vereine, Religionsunterricht und Schule, Gottesdienst, Brauchtum) konkret geleistet worden ist; nicht zu vernachlässigen die verbalen Abgrenzungen und grundsätzlichen Zurückweisungen der NS-Ideologie. 2. Gerade der Krieg mit seinen Ausnahmesituationen bewegte große Teile der kirchlich gebundenen Bevölkerung dazu, an der eingeübten Glaubenspraxis als überweltlichem Orientierungs- und geistigem Zufluchtsort festzuhalten. 3. Je stärker die Nationalsozialisten in Kernbereiche katholischer Glaubenswelten bzw. lebensweltliches Milieu (Kruzifixerlass) vordrangen, desto beachtlicher war die Verweigerungshaltung der Betroffenen. Offenbar empfanden das Kernmilieu, aber auch Personen über diesen Bereich hinaus, speziell solche Eingriffe der Nationalsozialisten als Bruch althergebrachter Gewohnheiten, möglicherweise wurde dies subjektiv im individuellen Bewusstsein sogar als Bruch von Gewohnheitsrecht interpretiert. 4. Sogar Parteigänger und Amtsträger der NSDAP sahen sich zeitweise in einen Widerspruch zwischen der neuen Ideologie des Nationalsozialismus und der herkömmlichen Lebenswelt, dem Sozialisationsmilieu eines meist ländlich geprägten Katholizismus versetzt. 111 Vgl. Anja Rosmus-Wenninger: Widerstand und Verfolgung am Beispiel Passaus 1933-1939. Passau 1983, S. 79f.

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5. Bemerkenswert bleibt aber, dass die nationalsozialistischen Partei- und Staatsstellen auch im katholisch geprägten Passauer Land ein Personal rekrutieren konnten, das sich einschlägig für das NS-Regime betätigte; hierfür ist der Bürgermeister Max Moosbauer das bekannteste Beispiel. Statt ihn und seinesgleichen als Symbolfiguren für die angeblich besonders tiefe Verstrickung der Passauer Bevölkerung in den Nationalsozialismus herauszustellen, wäre unter der Fragestellung der Milieuzugehörigkeit weiter zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen die Milieubindung zur Resistenz befähigte bzw. ob eine bloße Anwesenheit in einem gegebenen Milieu zur Distanzierung vom NS-Regime ausreichte. Zur Widerständigkeit qualifizierte offenbar erst die Zugehörigkeit zu seinem Kernmilieu, das durch die politische Orientierung – etwa an der Bayerischen Volkspartei – und eine individuell nachvollzogene oder in bestimmten Konfliktsituationen abrufbare kirchliche Bindung vermutlich mitkonstituiert wurde. Schließlich bleibt festzuhalten, dass sich die nationalsozialistische Macht ab 1933 naturgemäß auch in der Untersuchungsregion durchsetzte – allerdings, von oben, ohne dabei auf breite Unterstützung bauen zu können. Zu beachten ist dabei auch, dass es sich immerhin um die legale Regierung handelte112, was widerständiges Verhalten für sämtliche Personenkreise erschwerte, um sich nicht dem Vorwurf illegalen Handelns und auch den daraus folgenden Sanktionen auszusetzen.

112 Und nicht nur „als legal angesehen“ wurde, daher quasi nicht legal gewesen sei, wie Rosmus-Wenninger, S. 80, suggeriert.

SCHWARZ UND KIRCHENTREU, ARM UND EINGESCHÜCHTERT? – KATHOLISCHES MILIEU UND NATIONALSOZIALISMUS IN DER OBERPFALZ KLAUS UNTERBURGER An der Frage, ob die überwiegend katholischen und ländlichen Gebiete in Bayern im Dritten Reich „echten Widerstand“1 geleistet, oder aber im Allgemeinen lediglich Selbsterhaltung und Abschottung gegen die Moderne betrieben haben2, scheiden sich bis heute die Interpreten. Die Bewertung hängt einerseits von den Kategorien ab, also von der Frage, ob Resistenz eine Form des Widerstands ist3 oder nicht ebenso das System stabilisiert hat und von Widerstand als ethischer und politischer Kategorie weit entfernt ist.4 Dennoch ist hier mehr als eine Definitionsfrage aufgeworfen; konkret wird man genauer analysieren müssen, wie tiefgehend das resistente Verhalten war und inwiefern daraus politische Konsequenzen erwachsen sind, die das nationalsozialistische Regime gestützt, destabilisiert oder weder verstärkt noch in Frage gestellt haben. Hierzu ist vor allem der regionale quellengestützte Vergleich heranzuziehen. Im folgenden Beitrag soll die bayerische Oberpfalz in dieser Hinsicht näher analysiert werden. Die bayerischen katholischen Landesteile können weitgehend als ein Stiefkind der bisherigen Erforschung des katholischen Milieus bezeichnet werden. Dass aber eine genauere Analyse von Milieustruktur und Verhalten im Dritten Reich für diese unbedingt anzeigt ist, liegt schon deshalb auf der Hand, weil die beiden vielleicht wichtigsten Studien zur Fragestellung zu gegenteiligen Auffassungen kommen. Walter Ziegler, Herausgeber der Regierungspräsidentenberichte für die Oberpfalz und Niederbayern kommt zum Ergebnis, der

1

Walter Ziegler, Der Kirchenkampf in Ostbayern im Rahmen des allgemeinen Kirchenkampfes, in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 15 (1981), 9-38, hier 37.

2

Vgl. Thomas Breuer, Verordneter Wandel? Der Widerstreit zwischen nationalsozialistischem Herrschaftsanspruch und traditionaler Lebenswelt im Erzbistum Bamberg (= VKZG.B 60), Mainz 1992.

3

Vgl. Klaus Gotto/Hans-Günther Hockerts/Konrad Repgen, Nationalsozialistische Herausforderung und kirchliche Antwort. Eine Bilanz, in: Klaus Gotto / Konrad Repgen (Hg.), Die Katholiken und das Dritte Reich, Mainz 31990, 173-190.

4

Vgl. Ian Kershaw, „Widerstand ohne Volk?“ Dissens und Widerstand im Dritten Reich, in: Jürgen Schmädeke / Peter Steinbach (Hg.), Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler, München-Zürich 1986, 779-798.

324

KLAUS UNTERBURGER

OBERPFALZ

KATHOLISCHES MILIEU IN DER OBERPFALZ

325

kirchliche Widerstand in Ostbayern sei dort der einzige gewesen, der in nennenswerten Umfang das NS-Regime in Frage gestellt habe5; dagegen lehnt Thomas Breuer in einer differenzierten Studie die Verwendung des Widerstandsbegriffs für das Verhalten der Katholiken in den benachbarten und doch ähnlich geprägten Bamberger ehemaligen Hochstiftsgebieten entschieden ab.6 Allein diese Divergenz sollte Anlass zur genaueren Untersuchung geben; besonders dürfte die Frage von entscheidender Bedeutung sein, ob kirchliche Resistenz eher systemstabilisierende oder destabilisierende Konsequenzen hatte. Damit hängt die Frage zusammen, ob politischer Widerstand eher gegen das katholische Milieu oder wegen dem katholischen Milieu geleistet wurde. Um methodisch diese Fragen einer Lösung zuzuführen, soll in einem Dreischritt vorgegangen werden. Zunächst sollen (I.) die spezifischen Eigenarten des Katholizismus in der Oberpfalz herausgearbeitet werden, was soziale Struktur, Milieubindung und Wahlergebnisse, mentalitätsmäßige Eigenheiten und Frömmigkeit angeht. In einem zweiten Kapitel (II.) soll, vor dem Hintergrund der überregionalen und regionalen NS- und Regierungspolitik, die Eigenart der bischöflichen Politik profiliert werden. Da der größte Teil der Oberpfalz dem Bistum Regensburg zugehörig ist, soll vor allem die Position Bischof Michael Buchbergers und der Regensburger Diözesanleitung herausgearbeitet werden. Abschließend sollen (III.) die Konflikte zwischen katholischem Milieu und NS-Staat in der Oberpfalz vor dem Hintergrund von (I.) und (II.) genauer analysiert werden. Welchen Einfluss hatten die spezifischen Milieustrukturen auf diese; welchen Einfluss hatte die spezifische Politik Michael Buchbergers? Hat dessen eher defensiver Kurs die Zahl der Konflikte eher vermindert und den Klerus so tendenziell geschützt? Oder war der niedere Klerus so auf sich alleine gestellt und hat ein solcher Kurs die Widerstandskraft des Milieus eher geschwächt? Erst diese Fragestellung, die Milieustruktur, bischöfliche Politik und Konfliktlinien miteinander in Beziehung setzt, verspricht, vergleichend auf verschiedene Diözesen angewandt, nähere Auskunft über Spielräume, Resistenzen und Affinitäten von bischöflicher Politik und katholischem Milieu während der Jahre des Kirchenkampfs.

1.

DIE OBERPFALZ: SOZIALSTRUKTUR UND KATHOLISCHES MILIEU

Die Oberpfalz in ihrer heutigen Gestalt geht mitsamt ihrer Benennung auf die Einteilung der bayerischen Kreise im Jahr 1837 zurück, die ihrerseits auf die Montgelas’schen Departementeinteilung aufbaute, in Grenzziehung und Benennung aber bewusst an die geschichtlichen oder vermeintlich geschichtlichen 5

Vgl. Ziegler, Kirchenkampf (wie Anm. 1) 37.

6

Vgl. Breuer, Verordneter Wandel (wie Anm. 2) v.a. 369-371.

326

KLAUS UNTERBURGER

Gegebenheiten anknüpfte.7 Sie umfasste im Wesentlichen das ursprünglich „Nordgau“ genannte, nördlich der Donau gelegene bayerische Siedlungs- und Rodungsgebiet, das bei der Hausteilung 1329 größtenteils zur Pfalz als deren „obere Lande“ kam. Die wichtigsten Territorien, die sich in der Frühen Neuzeit bildeten, waren neben den kurpfälzischen, 1628 an Bayern gefallenen Gebieten die daraus herausgelösten pfalz-neuburgischen Lande, von denen 1655 das Herzogtum Sulzbach abgetrennt wurde und mit dem Gemeinschaftsamt Parkstein-Weiden vereint war. Hinzu kam die freie Reichsstadt Regensburg als Hauptstadt und größte Stadt des Regierungsbezirks, die freilich eine deutlich von der restlichen Oberpfalz unterschiedene Geschichte hat. Weiden und Amberg waren Mittelstädte, Schwandorf und Neumarkt als weitere kreisfreie Städte bereits Kleinstädte. Die Oberpfalz war zu rund 92% katholisch und hatte 1933 rund 652.000 Einwohner8; in Regensburg, eigentlich eine protestantische Reichsstadt mit zahlreichen katholischen reichsunmittelbaren Enklaven, stellten durch Zuwanderung aus den umliegenden Gebieten die Katholiken seit dem 19. Jahrhundert wieder deutlich die Mehrheit. Einen bedeutenderen protestantischen Bevölkerungsanteil gab es im Herzogtum Sulzbach, wo das Simultaneum mit der gegenseitigen Duldung der beiden Konfessionen geherrscht hatte. Schließlich gab es kleine protestantischen Enklaven, etwa das ehemals zur Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth gehörige Neustadt am Kulm. Kirchlich umfasste den weitaus größten Teil der Oberpfalz das Bistum Regensburg; im Westen gehörte die Gegend um Neumarkt in der Oberpfalz und Beilngries zur Eichstätter, diejenige um Auerbach in der Oberpfalz aber zur Bamberger (Erz-) diözese. Für die Oberpfalz waren eine dünne Besiedlung und eine eher ärmliche Landwirtschaft, die mit kargen Böden zu kämpfen hat, charakteristisch, aber auch der Reichtum an Bodenschätzen. So gab es seit dem Mittelalter namhaften Eisenabbau und -verarbeitung, an die zum Teil im 19. Jahrhundert die Stahlwirtschaft mit der Maxhütte bei Sulzbach als größtem Unternehmen anknüpfen konnte; im bayerischen Wald konnte die Glasindustrie auf eine lange Tradition zurückblicken, in der nördlichen Oberpfalz siedelte sich vor allem, in Nachbarschaft zum östlichen Oberfranken, Porzellanindustrie an. Hinzu kam auch Textil-, holzverarbeitende und steinverarbeitende Industrie. Hatte schon das 19. Jahrhundert mit seiner allmählichen kleindeutschen Abschottung von Österreich zu einer Randlage der Oberpfalz und zum Abreißen gewachsener Wirt7

Vgl. Handbuch der Bayerischen Geschichte IV: Das neue Bayern 1800-1970, Teil 1. Hg. von Max Spindler, München 1979, 133 f. (Max Spindler).

8

Vgl. Walter Ziegler (Bearb.), Die Kirchliche Lage in Bayern nach den Regierungspräsidentenberichten 1933-1945. IV: Regierungsbezirk Niederbayern und Oberpfalz 1933-1945 (= VKZG.B 16), Mainz 1973, XXIX.

KATHOLISCHES MILIEU IN DER OBERPFALZ

327

schaftsbeziehungen geführt, so noch viel mehr die neue Staatenordnung nach 1918, standen sich doch die neu gegründete Tschechoslowakei und Deutschland als Gegner gegenüber, so in der Sudetenfrage und auch wegen der Abtretung des Hultschiner Ländchens. Das Schulwesen war im bayerischen Durchschnitt eher schlecht ausgebaut und nur wenige Kinder besuchten höhere Schulen; Bildung und Kultur waren eine nahezu ausschließliche Domäne der Kirche. Die strukturelle Schwäche des Gebiets veranlasste das bayerische Innenministerium 1930 zur Herausgabe einer Denkschrift mit Bestandsaufnahme und Lösungsversuchen.9 Konfessionelle Zusammensetzung, ländliche Struktur, nahezu monopolhafte Stellung der katholischen Kirche in den Bereichen Kultur und Bildung und schließlich die relativ große Entfernung zu den aufstrebenden Ballungsräumen bedingten eine auch in der Weimarer Zeit weit überdurchschnittliche Kirchenbindung der Bevölkerung (Zahl der Osterkommunionen 1933 etwa 75,5% im Bistum Regensburg) und mit konstant über 50% die höchsten Wahlergebnisse der Bayerischen Volkspartei als des politischen Arms der Kirche in ganz Bayern; die Bevölkerung war für ihre wortkarg-stille, konservative und loyal zu den Obrigkeiten in Staat und Kirche stehende Grundeinstellung bekannt. Im Jahr 1932 wurde die Oberpfalz mit Niederbayern bereits zu einer Verwaltungseinheit zusammengefasst; 1933 konstruierten die Nationalsozialisten daraus, einer bereits vorher öfters diskutierten Idee gemäß und unter ideologischer Federführung des nationalsozialistischen Gauleiters und bayerischen Kultusministers Hans Schemm (1891-1935), ergänzt um Oberfranken den Gau „Bayerische Ostmark“ zur Abwehr der „slawischen Gefahr“ aus dem Osten mit ihren angeblichen Annexionsplänen.10 Kirchenbindung und Wahlverhalten des Oberpfälzer katholischen Milieus sollen im Folgenden genauer analysiert werden. Zunächst ist freilich auf die These des Münsteraner Arbeitskreises für kirchliche Zeitgeschichte einzugehen, dem zufolge in der Oberpfalz wie überhaupt in Bayern ein katholisches Milieu gar nicht existiert habe, sondern hier ein traditioneller Katholizismus dominant geblieben ist, der die Transformation zum Milieu höchstens in An-

9

Die bayerische Ostmark, ein bedrohtes Grenzgebiet. Auf Grund amtlichen Materials zusammengestellt im Bayer. Staatsministerium des Innern, München 1930. Vgl. auch: Erwein Freiherr von Aretin, Die Not der bayerischen Ostmark, in: Das Bayerland 43 (1932) 268-274.

10 Vgl. Helmut Schaller, Die bayerische Ostmark – Geschichte des Gaues 19331945. Zwölf Jahre gemeinsame Geschichte von Oberfranken, Oberpfalz und Niederbayern (= Studien zur Zeitgeschichte 50), Hamburg 2006.

328

KLAUS UNTERBURGER

sätzen vollzogen habe.11 Die Notwendigkeit zur modernisierenden Milieubildung habe sich gemäß diesem Modell aufgrund von gesellschaftlichen Konflikten vollzogen (Zentrum/Peripherie, Staat/Kirche, Stadt/Land, Arbeit/Kapital), die sich mit der Konfession verbinden konnten und regional unterschiedlich intensiv und schnell zur Modernisierung und Versäulung in katholischen Regionen geführt haben.12 Um die Intensität dieses Prozesses zu messen, greift man auf die Zahl der Jahreskommunionen geteilt durch die Zahl der Osterkommunionen zurück; ein hoher Indikator deutet darauf hin, dass viele Katholiken zu einer modernisierten ultramontanen Frömmigkeit gelangt sind und das traditionell rituelle Maß der nur einmaligen jährlichen Kommunion überboten haben.13 Nun ist den Autoren, was die altbayerischen Gebiete angeht, durchaus Recht zu geben, dass hier die Organisation in Vereinen tendenziell etwas später und nicht ganz so intensiv als in Westdeutschland vor sich ging.14 Auch war die Zentrumsbindung in Bayern unter den praktizierenden Katholiken tendenziell ein wenig schwächer. Dennoch werden hier ausgehend vom westdeutschen Katholizismus Kriterien und Behauptungen aufgestellt, die den bayerischen – wie in anderer Hinsicht auch den Verhältnissen in Schlesien und Ostpreußen – nicht ganz gerecht werden. Dies hat vor allem folgende Gründe: (a) Es ist historisch nicht korrekt, zu behaupten, in Bayern hätten der Staat/Kirche-Konflikt bei der Milieubildung im 19. Jahrhundert keine Rolle gespielt; auch alle anderen der vier Cleavages waren von Bedeutung und konnten sich mit dem konfessionellen Faktor verbinden. (b) Ein gewisser gradueller Unterschied im Tempo der Modernisierung sollte nicht überbewertet werden und dürfte insbesondere in jenem Zeitraum ab 1915, in dem die kirchliche Statistik einsetzt, keine derart entscheidende Rolle mehr spielen. Richtig ist natürlich, dass stärkere gesellschaftliche Umwälzungen und Infragestellungen und eine ausgeprägtere Minderheitensituation den Klerus früher zur Ausbildung massenmobilisierender Strukturen zwangen.

11 Vgl. Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte: Konfession und Cleavages im 19. Jahrhundert. Ein Erklärungsmodell zur regionalen Entstehung des katholischen Milieus in Deutschland, HJb 120 (2000) 359-395, hier v.a. 366 f. 12 Vgl. ebd. 372-379. 13 Vgl. ebd. 364 f. 14 Für Regensburg vgl. etwa Karl Hausberger, Geschichte des Bistums Regensburg. II: Vom Barock bis zur Gegenwart, Regensburg 1989, 217-221; zum katholischen Vereinswesen in Bayern in den 1920er Jahren vgl. den Überblick in: Handbuch für bayerische Kirchengeschichte. III: Vom Reichsdeputationshauptschluss bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Hg. von Walter Brandmüller, St. Ottilien 1991, 361-379 (Winfried Becker).

KATHOLISCHES MILIEU IN DER OBERPFALZ

329

(c) Das Verhältnis von Jahreskommunion zu Osterkommunion ist zur Erfassung der Milieuintensität gut quantifizierbar, aber notgedrungen auch unterkomplex. In diese Zahlen spielen regionale Frömmigkeitstraditionen und theologische Formungen, ein unterschiedlicher Grad an Klerikalismus und Antiklerikalismus, eine unterschiedliche Praxis der Jugenderziehung, Unterschiede zwischen Stadt und Land, Männern und Frauen eine erhebliche Rolle. Auch ist es nicht unproblematisch, aus der Zahl der Jahreskommunionen diejenige in klösterlichen Gemeinschaften, in Anstalten und in Wallfahrtskirchen einfach herauszurechnen. Vergleicht man das Regensburger Bistum mit der Diözese Münster, die nach dem Modell Arbeitskreises eine besonders intensive und früh einsetzende Milieubildung kennzeichnet15, sowie mit dem besonders ländlichen, durch eine intensive Kirchenbindung aber auch ausgeprägte Milieubildung gekennzeichneten Dekanat Cloppenburg16, so kommt man zu folgenden Zahlen17: 1920

1925

1929

1933

1936

Osterkommunion:

56,4%

57,9%

59,3%

60,8%

60,8%

Jahreskommunion:

16,2

16,4

15,1

19,1

22

Osterkommunion:

74,5%

75,5%

74,9%

75,4%

76,0%

Jahreskommunion

10,1

9,8

10,3

12,8

14,3

Osterkommunion:

68,4%

71,9%

73,7%

77,0%

74,5%

Jahreskommunion:

15,5

13,4

14,5

16,4

18,7

Bistum Münster:

Bistum Regensburg:

Dekanat Cloppenburg:

15 Vgl. Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte (AKKZG), Münster, Katholiken zwischen Tradition und Moderne. Das katholische Milieu als Forschungsaufgabe, in: Westfälische Forschungen 43 (1993) 588-654, hier v.a. 631-644. 16 Vgl. Konfession und Cleavages (wie Anm. 11) 369 f. 17 Die Zahlen sind den jeweiligen Jahrgängen des Kirchlichen Jahrbuchs entnommen.

330

KLAUS UNTERBURGER

Aus dieser Gegenüberstellung kann man zunächst entnehmen, dass der Jahreskommuniondurchschnitt tendenziell um so niedriger ist, je mehr die Kirche noch Volkskirche ist; der Kirchenbesuch war aber in der gesamten Diözese Regensburg, zu der auch größere Städte gehörten, fast konstant höher selbst als im Dekanat Cloppenburg. Zudem ist ebenfalls klar zu erkennen, dass nach und nach in ganz Deutschland eine neue Frömmigkeitshaltung, die häufiger zur Kommunion ging, sich ausbreitete und die Zahlen überall allmählich deshalb anstiegen. Die Regensburger Zahlen sind hier während der gesamten Zeit signifikant niedriger als diejenigen im Bistum Münster; überall findet sich jedoch dieselbe ansteigende Tendenz. Langfristig scheinen sogar die Differenzen in ihrem Gewicht dadurch etwas abgenommen zu haben. Außer der ländlichen Struktur ist hier tatsächlich von einer größeren Zahl von Katholiken auszugehen, die sich als praktizierend katholisch versteht, deren Folgsamkeit gegenüber den Weisungen und Aufforderungen des Klerus jedoch tendenziell geringer ist, die also eine gewisse antiklerikale Distanz zur Amtskirche bewahrten. Für breite andere Schichten der praktizierenden Katholiken dürften hingegen auch in Bayern Frömmigkeit und organisatorisches Erfasstwerden durchaus mit demjenigen in Westdeutschland vergleichbar sein. Als Resultat wird man zunächst festhalten dürfen, dass im Bistum Regensburg mit konstant 75% die praktizierenden Katholiken einen besonders hohen Bevölkerungsanteil darstellten, die Kirche also besonders breit in der Bevölkerung verwurzelt war. Dies hatte zur Folge, dass die Notwendigkeit zu Organisation und Modernisierung von Sozialverhalten und Frömmigkeit etwas verspätet einsetzte, der Anteil der häufig kommunizierenden aufgrund volkskirchlicher Strukturen und verspäteter Modernisierung aber etwas niedriger lag als in Westdeutschland. Hinzu scheint ein größerer Anteil praktizierender Katholiken zu kommen, der den Weisungen des Klerus außerhalb des Kernbereichs des Glaubens in einer gewissen Distanz verharrt. Grundsätzlich lassen sich jedoch parallele Entwicklung feststellen und scheinen die Gemeinsamkeiten deutlich zu überwiegen, weshalb im Folgenden von einem – eben stark volkskirchlich und ländlich geprägten – katholischen Milieu in der Oberpfalz gesprochen wird. Ähnliche Beobachtungen lassen sich innerhalb der Diözese Regensburg treffen. In Dekanaten wie Beilngries und Cham (etwas Industrie), die homogen katholisch und ländlich strukturiert waren und einen hohen Anteil Osterkommunikanten aufwiesen, lag der Kirchenbesuch höher als in dem durch Industrie (v.a. die Maxhütte) und Gemischtkonfessionalität geprägten Dekanat Sulzbach (rund 1/3 Protestanten). Hier ist aber dennoch interessant, dass in Beilngries nicht nur die Zahl der Osterkommunikanten über derjenigen in Cham lag, son-

KATHOLISCHES MILIEU IN DER OBERPFALZ

331

dern auch eine deutlich höhere Intensität an Jahreskommunionen.18 Bereits hier lässt sich also vermuten, dass der Anteil der praktizierenden, aber zur Amtskirche distanzierten („antiklerikalen“ Katholiken) in Cham höher war. Dies spiegelt sich auch im unterschiedlichen Wahlverhalten wider. Hierzu ist es notwendig, die Wahlergebnisse in verschiedenen Wahlkreisen der Oberpfalz zu analysieren. Wie in ganz Deutschland war auch in Bayern das Stimmverhalten stark konfessionell geprägt und erzielte die NSDAP in katholischen Gebieten weitaus schlechtere Wahlergebnisse als in protestantischen Gegenden. Dennoch lohnt eine genauere Differenzierung. Hierzu sollen die Wahlergebnisse der Bayerischen Volkspartei und der rechtsextremen Parteien mit der Zahl der praktizierenden Katholiken in Beziehung gesetzt werden. Verglichen werden die Ergebnisse der Reichstagswahlen vom 4. Mai 1924, vom 20. Mai 1928, vom 31. Juli 1932 und vom 6. November 1932. Verglichen werden sollen die Ergebnisse in Weiden und Regensburg, zwei Städten mit bedeutenderem protestantischen Bevölkerungsanteil, in Sulzbach, ebenfalls gemischtkonfessionell und industrialisiert, in Kemnath und Nabburg, zwei ländlichen Kreisen in der Nord- und Mitteloberpfalz, wobei Kemnath leicht industrialisiert war und kleine protestantische Enklaven hatte, dazu der ländliche und fast rein katholischen Kreis Beilngries im Westen der südlichen Oberpfalz und Cham im Bayerischen Wald, das ebenfalls geschlossen katholisch war, aber über etwas Industrie verfügte.19

18 Cham 1924: Osterkommunion 74,5%; Jahreskommunion 8,2; 1929: 73,0%, 10,1; 1933: 74,5%, 10,3; Beilngries: 1924: 81,1%, 12,7; 1929: 77,6%, 15,0; 1933: 81,1%, 19,3; Sulzbach 1924: 69,0%, 8,2; 1929: 69,3%, 13,1; 1933: 72,0%, 19,6. 19 Die Ergebnisse sind entnommen: Zeitschrift der Bayerischen Statistischen Landesamts 56 (1924) 256 f.; 60 (1928) 467 f.; 64 (1932) 462 f.; 65 (1933) 94 f. – Zu den Zahlen ist vor allem noch Folgendes zu bemerken. Gerade 1924 waren die völkischen Stimmen noch nicht alle auf die NSDAP konzentriert, es gab also weitere rechtsnationale Parteien; in den Städten Regensburg und Weiden hatten zunächst auch die liberalen Parteien einen Stimmanteil von über 10%, der – wie in ganz Deutschland – mit der Weltwirtschaftskrise eingebrochen ist. Auf dem Land spielten die liberalen Parteien hingegen kaum eine Rolle. 1924 konnte zudem in der nördlichen Oberpfalz die christsoziale Partei als linke Alternative für praktizierende Katholiken einige Prozent der Stimmen holen, im Kreis Kemnath etwa 7,0%.

332

KLAUS UNTERBURGER

Reichstagswahl in der Oberpfalz 1924-1932

Stadt Regensburg:

BVP

NSDAP

DNVP

Bauern

SPD

KPD

1924

41,8

9,7

6,7

0,0

15,8

12,9

1928

44,7

4,1

6,0

1,2

24,9

3,0

1932/7

45,1

29,1

2,1

0,1

19,8

9,1

1932/11

46,3

17,1

3,9

0,1

19,8

9,1

Stadt Weiden:

BVP

NSDAP

DNVP

Bauern

SPD

KPD

1924

35,8

22,0

2,7

0,2

16,6

14,0

1928

35,8

8,8

4,8

1,8

34,1

1,2

1932/7

38,8

24,0

2,7

0,1

20,6

9,4

1932/11

37,2

25,7

4,3

0,1

20,3

10,6

Kreis Sulzbach

BVP

NSDAP

DNVP

Bauern

SPD

KPD

1924

18,4

25,9

6,7

1,0

14,8

10,9

1928

22,0

5,7

43,5

1,1

16,2

5,5

1932/7

19,5

51,6

5,7

0,2

13,4

7,9

1932/11

20,5

40,3

15,0

0,2

10,3

9,5

Stadt Kemnath:

BVP

NSDAP

DNVP

Bauern

SPD

KPD

1924

59,4

12,5

2,9

1,0

12,4

1,9

1928

49,6

7,0

3,5

13,6

19,8

0,5

1932/7

56,7

23,2

1,3

1,2

8,9

7,0

1932/11

55,3

22,5

1,9

2,0

8,1

8,2

KATHOLISCHES MILIEU IN DER OBERPFALZ

333

Kreis Nabburg:

BVP

NSDAP

DNVP

Bauern

SPD

KPD

1924

76,8

9,1

1,2

2,4

3,0

4,9

1928

59,2

4,7

2,2

19,0

8,7

1,1

1932/7

66,3

16,6

1,0

1,7

6,5

5,8

1932/11

66,1

16,8

1,4

1,9

5,7

6,1

Stadt Beilngries:

BVP

NSDAP

DNVP

Bauern

SPD

KPD

1924

73,1

6,6

3,7

3,4

1,3

3,1

1928

68,5

2,9

5,4

13,3

3,1

1,0

1932/7

68,0

20,9

2,9

1,6

1,9

2,5

1932/11

69,6

18,7

2,5

1,7

2,1

3,1

Kreis Cham:

BVP

NSDAP

DNVP

Bauern

SPD

KPD

1924

50,1

7,9

1,3

18,6

3,5

14,2

1928

31,2

2,2

0,9

42,8

11,6

4,4

1932/7

47,5

15,4

1,0

12,2

7,0

15,4

1932/11

45,1

12,5

1,5

16,9

6,2

5,8

Versucht man diese Zahlen analytisch zu durchdringen, so erhält man folgendes Resultat: 1. Die Stimmenzahl für die katholische Partei ist ebenso wie diejenige für die Arbeiterparteien zugunsten des Nationalsozialismus erst am Ende der Weimarer Republik ein wenig eingebrochen; die Hauptwählerschicht der Nationalsozialisten bildeten diese Wählergruppen freilich nie. 2. Die Bayerische Volkspartei konnte in einem Kreis wie Beilngries und teilweise auch in Nabburg das Wählerreservoir der praktizierenden Katholiken weitgehend ausschöpfen, in anderen Gegenden, vor allem im Bayerischen Wald, etwa in Cham, jedoch nie. Hier wurde ein guter Teil der Landbevölkerung von den konservativen, aber oftmals antiklerikalen Bauernparteien erreicht. Dies korreliert nun interessanterweise tendenziell mit dem geringeren Prozentsatz an Kommunionempfang unter den praktizierenden Katholi-

334

KLAUS UNTERBURGER

ken etwa in Cham. Ein deutlicher Hinweis, dass nur ein Teil der gläubigen Katholiken sich vom Klerus auch das Wahlverhalten und eine Veränderung in der Frömmigkeitspraxis vorschreiben ließ; der Anteil jener praktizierenden, aber antiklerikalen Katholiken war regional somit unterschiedlich verteilt und besonders im Bayerischen Wald stark vertreten. 3. Die Deutschnationale Volkspartei spielte vor allem dort eine Rolle, wo es eine größere Anzahl von Protestanten gab; ganz besonders aber in Sulzbach, wo 1932 dann zudem die Nationalsozialisten sehr hohe Ergebnisse erzielten. Dies hängt mit dem hohen Protestantenanteil und der mittelständischen Prägung der städtischen Bevölkerung zusammen, dazu aber auch mit der Politik der Stahlindustrie, also vor allem der Maxhütte und deren Verflechtung mit den nationalen Parteien, schließlich auch mit der nationalkonservativen Agitation der „Sulzbacher Zeitung“.20 Für das katholische Milieu in der Oberpfalz lassen sich somit folgende grundsätzliche Feststellungen machen: Die Oberpfalz war zu 92% katholisch; von den Katholiken praktizierten ihren Glauben mehr als 75%; dabei handelte es sich um eine weitgehend ländlich geprägte, dünn besiedelte und strukturschwache, volkskirchlich-traditionelle Gegend, bei der Modernisierungs- und Organisationsprozesse im Katholizismus mit einer gewissen Verzögerung einsetzten, ohne dass sich die Milieustrukturen dadurch grundsätzlich und total von anderen katholischen Milieus, etwa in Westdeutschland unterschieden haben. Ein überaus bedeutsames Moment, das in der Zeitgeschichtsforschung bislang viel zu wenig gewürdigt wurde, ist jedoch zudem die Frage, wie weit die Loyalität und Gehorsamsbereitschaft der Bevölkerung gegenüber dem Klerus ging. Hier kann die Häufigkeit des Kommunionempfangs in Kombination mit den Stimmen für die katholischen Parteien als Indikator dienen. Dies ist für die Entwicklung nach 1933 deshalb von herausragender Bedeutung, weil die kirchli20 Vgl. Erwin Lehner, Sulzbach-Rosenberg zur Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, in: Eisenerz und Morgenglanz. Geschichte der Stadt Sulzbach-Rosenberg. I-II (= Schriftenreihe des Stadtmuseums und Stadtarchivs Sulzbach-Rosenberg 12), Amberg 1999, hier I 329-368; Bernhard Piegsa, Aufbruch zwischen Schloß und Hüttenwerk. Sulzbach-Rosenberg von der „Weimarer Republik“ zum „Wirtschaftswunder“ (= Schriftenreihe des Stadtmuseums und Stadtarchivs Sulzbach-Rosenberg 21), Amberg 2005. – 1929 übernahm Friedrich Flick (1883-1972) die Aktienmehrheit an der Maxhütte. Zum ihm vgl. Johannes Bär, Axel Drecoll, Bernhard Gotto, Kim Christian Priemel und Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich, München 2008. – Die etwas höheren Werte für die NSDAP in der nördlichen Oberpfalz dürften besonders auch mit den Agitationen des späteren Gauleiters Adolf Wagner (1890-1944) von der Ortsgruppe Erbendorf zusammenhängen, die 1923 gegründet wurde. Vgl. Christian Pöllath, Nationalsozialismus in Erbendorf. Die politischen Anfänge des Gauleiters Adolf Wagner (1890-1944), Staatsexamensarbeit, Regensburg 2005.

KATHOLISCHES MILIEU IN DER OBERPFALZ

335

che Leitung immer einkalkulieren musste, dass ein größerer Teil der Katholiken sich zwar als praktizierend verstand, aber sich in politischen Dingen vom Klerus nicht bevormunden lassen wollte. Hierbei ist grundsätzlich zu konstatieren, dass einerseits in Bayern die Zentrumsbindung und Kommunionintensität niedriger als etwa im westlichen Deutschland unter den praktizierenden Katholiken war, dass aber umgekehrt die Oberpfalz im Vergleich zum noch geschlossener katholischen Niederbayern weniger antiklerikal war; die Oberpfalz hat in Bayern stets mit Abstand die besten BVP-Ergebnisse eingefahren, vor allem deutlich höhere als Niederbayern, wo die insgesamt wohlhabenderen und selbstbewussteren Bauern noch viel mehr antiklerikale Bauernparteien wählten. Lediglich der an Niederbayern angrenzende Bayerische Wald war durch einen annähernd ebenso hohen Stimmenanteil für den Bauernbund geprägt. Allerdings gingen auch die Wähler der zumindest teilweise antiklerikalen Bauernparteien zunächst nur in einem sehr geringen Grad zur NSDAP über; dennoch mussten sich die Bischöfe natürlich die Frage stellen, inwieweit die Bevölkerung bereit war, ihnen politisch unter den Bedingungen nach 1933 zu folgen.21

2.

BISCHOF BUCHBERGER UND DIE REGENSBURGER DIÖZESANLEITUNG IM DRITTEN REICH

Um die Eigenart der Politik des für den weitaus größten Teil der Oberpfalz zuständigen Bischofs von Regensburg nach 1933 interpretieren zu können, muss zunächst ein Blick auf das staatliche Gegenüber mit seinem für den NSStaat charakteristischen Kompetenzüberschneidungen und konkurrierenden Zuständigkeiten geworfen werden. Starke Hoffnungen gegen staatliche Unrechtshandlungen setzte die kirchliche Seite zunächst auf den nationalkonserva21 1924: Oberpfalz 57,1% BVP zu 4,1% Bauernpartei, Niederbayern: 42,0% zu 27,4%; 1928: Oberpfalz 50,6% zu 12,9%, Niederbayern 37,3% zu 35,3%; 1932/7: Oberpfalz 52,7% zu 2,2%, Niederbayern: 43,2% zu 14,4%; 1932/11: Oberpfalz: 52,8% zu 2,8%, Niederbayern: 41,3% zu 18,9%. Bayernweit erzielte die BVP nach der Oberpfalz deshalb regelmäßig in Unterfranken die besten Wahlergebnisse. Umgekehrt hatte die NSDAP ihre Hochburgen in Mittelfranken, Oberfranken und der Pfalz, ihre schlechtesten Ergebnisse aber in der Oberpfalz und in Niederbayern. Vgl. Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamts 56 (1924) 264; 60 (1928) 473; 64 (1932) 468 f.; 65 (1933) 100 f. – Zur Entwicklung der BVP, deren föderalistisch-antisozialistische Kritik an der Weimarer Verfassung bei allen Verdiensten auch ein negativ-destabilisierendes Element für die Demokratie in Deutschland bedeutete, in der Endphase der Weimarer Demokratie und zur nationalsozialistischen Machtergreifung vgl. Falk Wiesmann, Die Vorgeschichte der nationalsozialistischen Machtübernahme in Bayern 1932(1933 (= Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter 12), Berlin 1975.

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tiven und bewusst katholischen Franz Xaver Ritter von Epp (1868-1946), dessen faktischer Einfluss freilich bald auf ein Minimum zusammengeschrumpft war, zumal er der einzige Reichsstatthalter, der nicht zugleich Gauleiter gewesen ist, war.22 In der bayerischen Regierung übte bald der Gauleiter von Oberbayern und Innenminister Adolf Wagner (1890-1944) den größten Einfluss aus, der über enge Beziehungen zu Hitler verfügte und die Kirche rücksichtslos aus ihren gesellschaftlichen Stellungen verdrängen wollte.23 Bis zu seinem Unfalltod 1935 war auch der Kultusminister und Gauleiter der Ostmark Hans Schemm (1891-1935) ein Schwergewicht im Kabinett, der über eine enorme charismatische Ausstrahlung verfügte und eine eher christlichnationalistische Richtung verfolgte.24 Sein Nachfolger als Leiter des Gaus Bayerische Ostmark, Fritz Wächtler (1891-1945), verstrickte sich in zahlreiche Auseinandersetzungen um Kompetenzen mit der Münchener Regierung. Das Amt der Regierungspräsidenten wurde im Laufe der NS-Herrschaft immer mehr durch die Gauleiter ausgehöhlt25; zunächst residierte in Regensburg mit Heinrich Wirschinger (1875-1950) noch ein ideologisch nicht gleichgeschalteter, wenn auch den neuen Machthabern gegenüber loyaler Leiter der Mittelbehörde; er wurde 1935 durch den brutalen und antiklerikalen Wilhelm Freiherr von Holzschuher (1893-1965) ersetzt, der 1939 wegbefördert und kaltgestellt wurde. Die Nachfolger Friedrich Wimmer (1897-1965) und Gerhard Bommel (1902-1966) waren qualifizierter und gemäßigter, ohne einen über den administrativen Vollzug hinausgehenden bedeutenderen Handlungsspielraum zu besitzen26; der Kirchenkampf wurde seither im wesentlichen nur noch von der 22 Vgl. Bernhard Grau, Der Reichsstatthalter in Bayern: Schnittstelle zwischen Reich und Land, in: Hermann Rumschöttel / Walter Ziegler (Hg.), Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933-1945 (= ZBLG. Beiheft 21), München 2004, 129-169; Katja Maria Wächter, Die Macht der Ohnmacht. Leben und Politik des Franz Xaver Ritter von Epp (1868-1946) (= Europäische Hochschulschriften 3.824), Frankfurt am Main 1999. 23 Vgl. Walter Ziegler, Das Selbstverständnis der bayerischen Gauleiter, in: Rumschöttel/Ziegler, Staat 77-125, v.a. 112-121; Hermann Rumschöttel, Ministerrat, Ministerpräsident und Staatskanzlei, in: Ebd. 41-75; Walter Ziegler, München als politisches Zentrum Bayerns: Regierungssitz und Gauhauptstadt, in: München – „Hauptstadt der Bewegung“. Bayerns Metropole und der Nationalsozialismus. Hg. von Richard Bauer u.a., München 2002, 212-218; vgl. dazu im Katalogteil 231. 24 Vgl. Ziegler, Selbstverständnis (wie Anm. 23) v.a. 101-103; Rumschöttel, Ministerrat (wie Anm. 23); Franz Kühnel, Hans Schemm. Gauleiter und Kultusminister (1891-1935) (= Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte / Schriftenreihe des Stadtarchivs Nürnberg 37), Nürnberg 1985. 25 Vgl. Stephan Deutinger, Die bayerischen Regierungspräsidenten, in: Rumschöttel/Ziegler, Staat (wie Anm. 22) 379-417. 26 Vgl. ebd. 394-398; Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) XXV-XXXI.

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Gestapo betrieben.27 Die Konkurrenz zwischen radikal antiklerikalen und gemäßigten Strömungen, der Kompetenzenwirrwarr zwischen Reichs-, Landes-, Bezirks und Parteibehörden mit unterschiedlichen Zielen war also kennzeichnend für die Situation in der Oberpfalz. Aufs Ganze verfolgten die Mittelbehörden hier einen kirchenpolitisch im Vergleich zu München oder Würzburg etwas zurückhaltender Kurs, so dass Zusammenstöße oft eher auf der unteren Ebene stattfanden. Dem entsprach ein eher defensiver Kurs des Bischofs von Regensburg, Michael Buchberger.28 Buchberger war 1927 als Protegé Michael Faulhabers (1869-1952) an die Spitze der Regensburger Diözese gelangt. Dort sollte er von außen die Gräben, die durch langen und zermürbenden Streitigkeiten zwischen dem Generalvikar Alfons Maria Scheglmann (1858-1937) und dem Domdekan Franz Xaver Kiefl (1869-1928) auf der einen Seite, Weihbischof Johann Baptist Hierl (18561936) und dem restlichen Domkapitel auf der anderen Seite entstanden waren, überwinden helfen.29 Für seine Tätigkeit als Diözesanbischof qualifizierten ihn Promotion, kirchenrechtliche Lehrtätigkeit und Herausgebertätigkeit; zudem das enge Vertrauensverhältnis zu den Münchener Erzbischöfen als Domkapitular (1908), Generalvikar (1919) und Weihbischof (1923). In der Begleitung der bayerischen Feldpröpsten, der Münchener Erzbischöfe Franziskus Bettinger (1850-1917) und Faulhaber, sammelte Buchberger auch Fronterfahrungen im Ersten Weltkrieg, deren Frucht mehrere Veröffentlichungen waren.30 Fragt man nach der Eigenart von Buchbergers Interpretation der politischen Situation und des Nationalsozialismus, seiner Stellungnahmen, seiner kirchenpolitischen Taktik und seiner Position im bayerischen und deutschen Episkopat, so lassen sich folgende Grundlinien nachzeichnen: (a) Buchberger gehörte zu denjenigen Bischöfen, die schon in der Zeit vor dem Nationalsozialismus ein klares politisches Profil entwickelt und deutliche Stellungnahmen abgegeben haben. Grundlegend war für ihn eine Ablehnung von Sozialismus und Kommunismus, und so bestimmte die zugespitzte Dichotomie 27 Vgl. Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) XL. 28 Vgl. Gerhard Braun, Der Kirchenkampf in der Diözese Regensburg unter besonderer Berücksichtigung des Bischofs Michael Buchberger (1933-1945), Zulassungsarbeit im Fach mittlere und neuere Geschichte. Herbst 1979, ungedruckt. 29 Vgl. Karl Hausberger, Franz Xaver Kiefl (1869-1928). Schell-Verteidiger, Antimodernist und Rechtskatholik (= Quellen und Studien zur neueren Theologiegeschichte 6), Regensburg 2003. 30 Vgl. Michael Buchberger, Die bayerische Feldsorge im Weltkriege, KemptenMünchen 1916. Solche und ähnliche Schriften Buchbergers waren seelsorglich orientiert, verklärten freilich im Stil der Zeit den Kampf für das Vaterland und den Heldentod.

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zwischen schwarz und rot bzw. liberal-laizistisch in der Zeit vor 1933 dessen Sicht auf die Parteienpolitik.31 Dadurch war aber eine weltanschauliche Ablehnung des Nationalsozialismus mitbedingt, in dem weite Strömungen antiklerikal und antikirchlich und völkisch waren und in dem er sozialistische Elemente erkannte. Lehnte er so als Mann des Zentrums bzw. der BVP die Radikalen auf der Linken und der Rechten ab, so sah er doch die Hauptgefahr im Sozialismus, wobei er auch die SPD darunter subsumierte32; im Nationalsozialismus sah er ein „unausgegorenes“ Gemisch, in dem positiv-konservative und negativzersetzende, sozialistische Elemente vereint waren. Ein Teil der Anhänger sei deshalb nur durch die Notlage zu ihm getrieben worden. Auf weltanschaulichreligiösem Gebiet sei der Nationalsozialismus mit seiner Ablehnung des Alten Testaments, des Christusglaubens, des Papsttums und des christlichen Sittengesetzes „mit der katholischen Kirche nicht vereinbar“.33 Andererseits gab es auch berechtigte Teilelemente wie das Wiedererwachen des nationalen Bewusstseins und eine gewisse Notwehr gegen „Zynismus“ und „unguten Einfluß“ des Judentums34, Erwachen des nationalen Bewusstseins in Deutschland als gesunde Reaktion auf die vom Ausland zugefügten Demütigungen.35 Als das Mainzer Ordinariat 1930 die bekannte scharfe Verurteilung gegen den Nationalsozialismus ausgesprochen hatte, riet Buchberger gegenüber Faulhaber von einer solchen bischöflichen Stellungnahme ab. Er nannte bereits jene Gründe, die in der Zukunft seine Haltung bestimmen sollten: Unter den Anhän31 Vgl.: „Viele finden es auffällig, wenn die Bischöfe in so feierlicher Form gegen den Nationalsozialismus auftreten, während sie es nicht tun gegenüber dem furchtbarsten Feind jeglicher Religion, dem Kommunismus und Marxismus. Die Nationalsozialisten bekämpfen faktisch diese ärgsten Glaubens- und Gottesfeinde, wenn auch nicht immer mit rechten Gründen und in rechter Weise. Ob nicht eine Reserve deswegen angezeigt ist, weil wir eine so große und mächtige Bewegung, wie sie z[ur] Z[eit] noch der Nationalsozialismus ist, nicht von ihrem Gegner ablenken und ihre ganze Stoßkraft auf uns richten sollten? Es könnte eine Zeit kommen, wo wir von beiden Seiten umklammert und unterdrückt werden.“ Bischof Buchberger an Faulhaber, 29. Januar 1931, in: Ludwig Volk (Bearb.), Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945. I: 1917-1934, II: 1935-1945, Mainz 1975/1978, I 537539, hier 539. – Dem korrespondierte die Sorge, gläubige Katholiken, die sich „aus der erdrückenden wirtschaftlichen Not“ der NSDAP angeschlossen hätten, könnten in ihrer antiklerikalen Verbitterung „gegen die kirchliche Autorität“ noch bekräftigt werden. Ebd. 538. 32 Vgl. Michael Buchberger, Gibt es noch eine Rettung? Gedanken zur heutigen Zeit und Lage, Regensburg [ohne Jahr, 1931 oder später], v.a. 78-93. 33 Vgl. ebd. v.a. 98-105. 34 Vgl. ebd. 95-98. 35 Ebd. 95.

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gern des Nationalsozialismus fanden sich auch gläubige, kirchentreue Katholiken. Diese seien aus wirtschaftlicher Not in das nationalsozialistische Lager übergetreten. Eine öffentliche Verurteilung würde diese Menschen von der Kirche entfremden und verbittern, jedenfalls nicht zum Erfolg führen, zumal auch diese den Bolschewismus als den Feind der Kirche betrachteten. Anstatt die Auseinandersetzung so in das politische und wirtschaftliche Gebiet zu tragen, für das die Kirche nur entfernt zuständig sei, komme es darauf an, die Katholiken weltanschaulich gegen die teilweise kirchen- und glaubensfeindlichen weltanschaulichen Äußerungen nationalsozialistischer Zeitungen zu immunisieren. Buchberger riet also, die Dinge politisch sich entwickeln zu lassen und das Gebiet von Weltanschauung und Seelsorge als die ureigensten kirchlichen Aufgaben zu verteidigen.36 Wichtig wieder seine Gründe: (a) Einerseits sollte der Gegner nicht unnötig verbittert werden, da er bereits 1931 die Gefahr sah, dass die Kirche einmal zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus umklammert werde. (b) Oft unterschätzt, aber das eigentliche Motiv Buchbergers war jedoch eine andere Sorge: Die Angst, dass zahlreiche Katholiken, das katholische Milieu also, in Fragen der Politik und der Wirtschaft die bischöfliche Stellungnahme als Einmischung und Bevormundung empfänden, diese ablehnten, und dann der Kirche verloren gingen. Buchberger glaubte also, dass das katholische Milieu in Fragen des Gottesdienstes und des Glaubens treu zu den Bischöfen stehe, dass deren politischer Einfluss jedoch begrenzt sei und zu eindeutige Weisungen das Gegenteil bewirkten, also antiklerikale Affekte auslösten, das Kirchenvolk spalteten und teilweise von der Diözesanleitung entfremdeten und schließlich die Gefahr der Entkirchlichung mit sich brächten.37 Genau dies aber war die Hauptangst, die Buchberger mit zahlreichen Bischöfen bewog, das politische Terrain weitgehend zu meiden und sich auf die innerkirchlichen Belange zu konzentrieren.38 36 Vgl. Bischof Buchberger an Faulhaber, 29. Januar 1931, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) I 537-539. 37 Vgl. im selben Schreiben Buchbergers Sorge wegen des Antiklerikalismus der Lehrer in Niederbayern, oder auch folgende Stelle: „Die Kundgebung wird wohl die Verbitterung weiter Kreise, die noch katholisch eingestellt sein wollen, gegen die kirchliche Autorität vermehren, wird aus dem materiellen Fehler einen formellen machen. Die derzeitige Gereiztheit stammt zum großen Teil aus der erdrückenden wirtschaftlichen Not. Mit Rücksicht auf diese Grundlage dürfte äußerste Zurückhaltung, wenigstens taktisch, sich empfehlen.“ Ebd. 538. 38 Faktisch führte dies nun umgekehrt dazu, so Buchberger an Faulhaber, dass aufgrund der Regelung, den Ausschluss jedes einzelnen Nationalsozialisten von der Kirche erst zu prüfen, niemand mehr ausgeschlossen wurde. Vgl. Bischof Buchberger an Faulhaber, 30. Juni 1933, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) I 753-755, hier 755.

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Dementsprechend hoffte er nach 1933 noch eine Zeit lang, das konservativnationale Lager werde sich im Nationalsozialismus durchsetzen und die bisherigen Zusammenstöße seien als Anfangsschwierigkeiten zu erklären. Das demokratische System hatte die Gefahren von Antiklerikalismus, Entkirchlichung und Gottlosigkeit nicht wirklich aufzuhalten vermocht; es bedurfte einer entschiedeneren Politik. So verband Buchberger mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus sowohl Hoffnungen wie auch Ängste: Hoffnungen, Gottlosigkeit und Unmoralität würden staatlich durch ein entschieden konservativ-autoritäres Regime in die Schranken gewiesen; zugleich aber die Sorge vor den kirchenfeindlichen, völkischen und gewalttätigen Elementen der nationalsozialistischen Bewegung. Ausdruck der Hoffnung war etwa die Befriedigung im Hirtenwort der bayerischen Bischöfe vom 5. März 1933, dass endlich gegen Badeunsitten, Schmutz- und Schundschriften und andere Gefahren vorgegangen werde.39 Mit der faktischen Kirchenpolitik der Nationalsozialisten war Buchberger dagegen von Beginn an unzufrieden; zwar hoffte er noch lange Zeit, dass sich die gemäßigten Kräfte noch durchsetzen werden. Vorschußlorbeeren wollte er für die zahlreichen Gewalttätigkeiten gegen katholischen Laien aber keinesfalls erteilen; nach dem Ermächtigungsgesetz wollte er auf keinen Fall die katholischen Parteien aufgeben und die Laien nicht im Stich lassen.40 (b) Damit stellte sich aber die Frage, ob und wie die Bischöfe überall dort reagieren sollten, wo das Regime offenkundig Unrecht und Gewalt verübte, ganz besonders gegen katholische Laien, die für katholische Parteien, Verbände und die katholische Presse tätig waren. Buchberger war, wie zunächst auch die übrigen Bischöfe, gegen die Mobilisation der Öffentlichkeit kritisch eingestellt41; zum einen war ein Kampf, da der politische Katholizismus nur etwa ein Sechstel der deutschen Bevölkerung hinter sich hatte, kaum zu gewinnen; man konnte sich überdies nicht sicher sein, wie viele katholische Laien dann wirklich hinter den Bischöfen stünden42; außer einem Blutvergießen waren auch ansons39 Abgedruckt im Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1933) 43-48, hier v.a. 45 f. 40 Vgl. Bischof Buchberger an Faulhaber, 27. März 1933, in: Bernhard Stasiewski (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945: I. 19331934 (= VKZG.A 5), Mainz 1968, 27 f. 41 Vgl.: „Die Grundhaltung Bischof Buchbergers in den Auseinandersetzungen mit dem NS-Staat läßt sich in etwa mit dem Begriff ‚pastorale Klugheit’ wiedergeben. ... Aus der Kenntnis dieser Gefährlichkeit heraus versuchte Buchberger, der Institution Kirche ... möglichst viele Wirkungsmöglichkeiten zu erhalten.“ Eduard Kroher, Bischof Dr. Michael Buchberger und das Dritte Reich – Widerstand und Hirtensorge, Diplomarbeit in Katholischer Theologie, Juli 1980 (ungedruckt) 45. 42 Vgl. schon den Hirtenbriefentwurf Buchbergers für die bayerischen Bischöfe vom 11. April 1933 in: Stasieweski, Akten I (wie Anm. 40) 54-58.

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ten die etwaigen Folgen nicht absehbar und drohten Anarchie und Revolution. Buchberger sah es als seine primäre Aufgabe an, das kirchlich-gottesdienstliche Leben zu sichern und den Glauben seiner Diözesankinder rein zu bewahren.43 Um einen Bruch zu vermeiden, riet er zwar zu Kompromissen; einem Umbau der Vereine in die „katholische Aktion“ stand er jedoch ablehnend gegenüber, da dies nur als weitere Schwächung der katholischen Vereine benutzt werden würde und die italienische Idee nicht zugkräftig sei.44 Die Aussichtslosigkeit der traditionellen Vereinstätigkeit zwang ihn dann schließlich doch, diese in seiner Diözese umzusetzen zu versuchen.45 Der weitgehende Rückzug aus der gesellschaftlich-politischen Gestaltungsarbeit sollte freilich andererseits durch eine auf den religiös-geistlichen Bereich der Pfarrei konzentrierte Intensivierung der seelsorglichen Arbeit kompensiert werden, wofür die nach dem Codex Iuris Canonica von 1917 regelmäßig abzuhaltenden Diözesansynode im Jahr 1938 wichtige Vorschriften erlassen sollte.46 Auch die Zunahme der Volksmis43 Vgl. v.a. den Fastenhirtenbrief von 1935, der Wesen und Kulturbedeutung des Christentums gegen Rosenberg und die völkisch-religiösen Bewegungen herausstellt, Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1935) 13-23; Expositus August Maierhofer hatte Rosenberg 1935 daraufhin als „Schmierfink“ bezeichnet und wurde mit einer Geldstrafe belegt. Vgl. Monatsbericht der Regierung (April 1935), 7. Mai 1935, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 50-52, hier 51 mit Anm. 6. Der Fastenhirtenbrief 1936 verurteilte u.a. explizit den „Pfaffenspiegel“, vgl. Amtsblatt der Diözese Regensburg (1936) 17-22; der Fastenhirtenbrief 1937 wandte sich dann besonders gegen die deutschgläubige Bewegung. Vgl. Amtsblatt der Diözese Regensburg (1937) 17-25; gegen Mathilde Ludendorff nahm der Bischof auch mehrmals Stellung, vgl. v.a. Ansprache des H. H. Bischofs zum Abschluß der Volksmission im Dom zu Regensburg am 15. November 1936, in: Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1936) 117-120, hier 119; vgl. auch Braun, Kirchenkampf (wie Anm. 28) 94 f. 44 Vgl. Bischof Buchberger an Faulhaber, 5. März 1935, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) I 25-27. 45 Vgl. Katholische Aktion (Laienapostolat), in: Amtsbatt für die Diözese Regensburg (1936) 60 f. – Unter dem gemäßigten Regierungspräsidenten Wirschlinger konnten sich die katholischen Jugendorganisationen zunächst halten; es kam deshalb zu zahlreichen direkten Zusammenstößen mit den nationalsozialistischen Verbänden. Ab Juli 1935 verfolgte Holzschuher dann einen radikalen Kurs und verbot jedes Mitwirken von Jugendlichen in konfessionellen Vereinen. Nach einer kurzen Beruhigung 1937 folgte ab 1938 der endgültige Niedergang des Vereinswesens. Vgl. Braun, Kirchenkampf (wie Anm. 28) 50-52; Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) XXXVIII. 46 Intensive Anweisungen wurden etwa zum Thema Predigt getroffen, gleichzeitig diese aber auf den Bereich des Glaubens eingeschränkt und von den Zeitereignissen weggelenkt. Allerdings sollte auch dies seine Grenzen haben: Vgl.: „Was sollen wir predigen? Ueber die Kernwahrheiten des Glaubens und Hauptgebote des

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sionen scheint kaum nur eine Angstvorstellung Holzschuhers gewesen zu sein, der freilich keine rechte Handhabe gegen diese wusste.47 Als Abwehrstrategie favorisierte Buchberger den Protest, der nicht an die Öffentlichkeit ging, aber sich an die Regierungen in Bayern und das Reich wandte. Hirtenworte hingegen sollten vor allem aufklären und die Gläubigen im Glauben festigen48. Auch ein persönliches Protestschreiben an Hitler ver-

christlichen Lebens, die wichtigsten Gnadenmittel zu einem Leben aus dem Glauben, über die Bedeutung des christlichen Glaubens für irdisches und ewiges Leben. Die Unwissenheit auf religiösem Gebiet bei alt und jung ist groß und verlangt Berücksichtigung bei Wahl des Themas, bei sachlicher und sprachlicher Darbietung. Zeitereignisse und Zeitverhältnisse sind in die Predigt nicht hineinzuziehen, soweit nicht die Verteidigung der Glaubenswahrheiten und des christlichen Sittengesetzes es verlangt.“ Zeitgemässe Seelsorge. Bericht über die Diözesansynode der Diözese Regensburg am 3. und 4. Oktober 1938, Regensburg 1938, 28; schon vorher: „Die Predigt hat sich ferne zu halten von allem Profanen, zumal jeglicher Politik. Sie hat das Gebiet des Glaubens, der christlichen Sitte und des Glaubens- und Gebetsleben zu behandeln.“ Ebd. 24; zur Predigt detailliert ebd. 24-30. Wichtige Gegenstände bildeten dann schulischer Religionsunterricht und Katechse, vgl. ebd. 37-56, und die Neugestaltung und Intensivierung der Jugendpastoral auf der Ebene der Pfarrei, ebd. 57-63. Vgl. hierzu: „Das Hauptgewicht der Jugendseelsorge wird jedoch in den Pfarreien selber liegen. Das geräuschlose, stille und zielbewußte Arbeiten je nach den örtlichen Verhältnissen wird den meisten Segen Gottes haben.“ Ebd. 61. – Die Pfarrgemeinde, ebd. 63-65, sowie Ehe- und Familie, ebd. 65-70, als Orte religiöser Praxis und religiösen Lernens wurden verstärkt reflektiert, das Laienapostolat neu konzipiert, ebd. 76-80, und detaillierte Literaturempfehlungen für die Laien gegeben, ebd. 81-86, 96 f. Den Priestern wird zudem ein „reines, heiliges Priesterleben“ eingeschärft, „nach all den Bitterkeiten, welche der geistliche Stand in den letzten Jahren wegen sittlicher Verfehlungen von einigen Priestern und Ordens-leuten hat auskosten müssen“. Ebd. 15. 47 Vgl.: „Daß die katholische Kirche alle ihre Mittel ausnützt, um auf die Gläubigen in kirchlichem und religiösem Sinne einzuwirken, zeigen auch die im Regierungsbezirk vorgenommenen Erhebungen über Volksmissionen. ... Eine solche Steigerung fand übrigens auch in den Jahren nach dem Krieg von 1919-1923 statt. Es zeigt sich hier zahlenmäßig, daß die Kirche, was ja auch sonst nicht zu verkennen ist, in den Zeiten, in denen sie ihre Interessen gefährdet glaubt, die ihr wirksam scheinenden Mittel zur Beeinflussung der Gläubigen sofort einsetzt.“ Monatsbericht der Regierung (Juni 1936), 7. Juli 1936, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 92-96, hier 93. 48 Vgl. die Reflexionen auf das geratene Vorgehen: Bischof Buchberger an Faulhaber, 6. April 1933, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) I 702 f., v.a. 703; ders. an dens., 11. April 1933, in: Ebd. I 714-716; ders. an dens., 20. Dezember 1935, in: Ebd. II 92 f.; Bischof Buchberger an Bertram, 5. April 1933, in: Ebd. I 704.

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fasste Buchberger.49 In Hirtenworten und Schreiben an die Regierungsbehörden verteidigte er den Bereich der Glaubenslehre und des Gottesdienstes; die Belange der Seelsorge galt es primär zu sichern. Dem dienten nicht nur die Beschlüsse der Diözesansynode von 1938, sondern auch Buchbergers Hirtenschreiben, auf weltanschaulichem Gebiet sollte gegen alle glaubensfeindlichen Strömungen, gerade auch gegen die völkisch-neuheidnischen, eine klare Verurteilung ausgesprochen werden, wobei er gegen diese sogar Hitler selbst anführte.50 Hier plädierte er auch von Beginn an für klare Worte, hier hatte der Gehorsam gegen staatliche Obrigkeiten seine Grenzen.51 Auch seine Hoffnungen, die er zunächst auf das Reichskonkordat setzte52, waren schnell begraben.53 (c) Die Tendenz54, in Dingen, bei denen man sich des Rückhalts im Kirchenvolk nicht sicher sein konnte und die nicht eindeutig in der kirchlichen Zuständigkeit lagen, Kompromisse zu suchen und zugespitzten öffentlichen Konflikten aus dem Weg zu gehen, machte sich dann vor allem während des Krieges geltend. Hier hätte sich in den Augen des Bischofs eine Spaltung unter den Katholiken doppelt verhängnisvoll ausgewirkt, hier wurden die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg lebendig und erwachte in ihm selbst das nationale Empfinden. Hier wollte er zwar die Seelsorge sichern, ansonsten aber loyal 49 Vgl. Bischof Buchberger an Hitler, 3. Juli 1933, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) I 746 f. 50 Vgl. den Fastenhirtenbrief des Jahres 1937, in: Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1937) 17-25. 51 Vgl.: „Der Entwurf zu einem gemeinsamen Hirtenbrief an die Katholiken Deutschlands, der uns zugegangen ist, will mich nicht ganz befriedigen. Ich meine, er redet zu wenig klar und konkret, geht um die großen Fragen und Pro-bleme zu sehr von außen herum, zeichnet die Lage zu wenig scharf und nimmt nur äußerst vorsichtig und von ferne Stellung zu besonderen Schwierigkeiten und kritischen Punkten. Insbesondere bitte ich, Ew. Eminenz, erwägen zu wollen, ob der Passus auf S. 2 vom Gehorsam gegen die obrigkeitliche Gewalt nach Röm 13,1 so ganz ohne Diskretion als ‚ewig giltig’ d.h. für jeden Fall giltig bezeichnet werden kann. Ich denke bei dieser Frage an die derzeitigen Verhältnisse in Rußland, Mexiko und Spanien.“ Bischof Buchberger an Faulhaber, 24. Mai 1933, Volk, Akten (wie Anm. 31) I 730 f., hier 730. 52 Vgl. Buchberger an Faulhaber 13. September 1933, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) I 764; ders. an dens., 16. September 1933, in: Ebd. I 767. 53 Vgl. Entwurf Bischof Buchbergers an Pacelli, Anfang Oktober 1933, in: Stasiewski, Akten I (wie Anm. 40) 849-852; Bischof Buchberger an Faulhaber, 30. Juni 1934, in: Ebd. 718 Anm. 1; vgl. auch: Bischof Buchberger an Faulhaber, 15. Dezember 1934, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) I 914 f. 54 Eine Gesamtwürdigung dieser Einstellung bei Braun, Kirchenkampf (wie Anm. 28) 159-163.

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zum kämpfenden Vaterland stehen und ihm nicht in den Rücken fallen.55 Er betete für die kämpfenden Soldaten, dass sie den Sieg über den gottlosen Bolschewismus erringen werden.56 Auf tragische Weise kam diese Grundhaltung 55 Vgl: „Das deutsche Volk sieht in Bangen dem derzeitigen furchtbaren Ringen im Osten und in Afrika zu. Es hat das Bewußtsein: Hier wird um eine Entscheidung gerungen, die für das deutsche Volk Sein oder Nichtsein bedeutet. In diesem Augenblick ist tatsächlich die Verlesung des Hirtenwortes von unberechenbarer Bedeutung auch für den Fortgang und Ausgang des Krieges. Was böser Wille und Haß aus unserer Aktion machen werden, ist uns völlig klar. Drum sage ich nochmals: wenn schon überhaupt, dann doch nicht jetzt.“ Bischof Buchberger an Faulhaber, 26. November 1941, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) II 854 f.; vgl. auch ders. an dens., 20. März 1942, in: Ebd. II 881 f.; der Hirtenbrief wurden dann aber doch verlesen: Vgl. Monatsbericht der Regierung (März 1942), 10. April 1942, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 306 f., hier 307; vgl. auch Kardinal Bertram an Faulhaber, 10. August 1943, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) II 994 mit Anm. 3. 56 Vgl. etwa: „Es ist uns ja auch ein Herzensbedürfnis, den Schutz und die Hilfe der Mutter der Barmherzigkeit und Königin des Friedens herabzuflehen auf unsere heilige Kirche, auf unser teueres Vaterland und vor allem auch auch auf unsere Krieger, die in so schweren Kämpfen stehen gegen den gottlosen und unmenschlichen Bolschewismus.“ Hirtenwort Buchberger, 28. September 1941, in: Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1941) 65 f., hier 65; „Im Geist und Gebet weile ich täglich bei ihnen und begleite sie mit meinem Segen bei dem seelsorglichen Wirken, sowie bei ihrem schweren Dienst auf den weltweiten Kriegsschauplätzen, wo sie als Priester, Sanitäter und Soldaten treu und tapfer ihre vaterländische Pflicht erfüllen und mithelfen zur Niederringung des gottlosen und unmenschlichen Bolschewismus. Sancte Michael archangele, defende nos in proelio!“. Oberhirtlicher Dank, Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1941) 69; ähnlich wird in einer Anweisung zur Feier der Gottesdienste an Christkönig und Allerseelen der deutsche Krieg als „Kampf gegen den Bolschewismus“ bezeichnet. Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1942) 47. In der auch dem Amtsblatt beigegeben Jahresschlusspredigt Buchbergers 1942 war zu hören/lesen: „Für unser teueres Vaterland bedeutet das verflossene Jahr ein Stück Geschichte, inhaltsreicher und bedeutungsvoller, als sonst Jahrzehnte sind. Diese Geschichte ist geschrieben mit hartem und blutigem Griffel, geschrieben von unseren tapferen Heldensöhnen an den Fronten und von den unverdrossenen fleißigen Händen in der Heimat; Großes wurde in diesem Jahr geleistet in Feld und Heimat; im Kämpfen, im Ertragen und im Leiden. ... ‚Herr, bleib’ bei uns!’ Dieses Gebet senden wir heute zum Heiland empor für unser teueres Vaterland. Das deutsche Volk ist seinen Weg jahrhundertelang mit Christus gegangen. Seine ganze Vergangenheit, sein reiches, geistiges, wirtschaftliches und kulturelles Schaffen, sein tiefes, glaubensinniges Seelenleben sind herrliche Beweise für seine innige Verbunden-heit mit Christus, für den harmonischen Bund zwischen Christentum und Deutschtum ...“. Predigt Bischof Buchbergers zur Jahresabschlussfeier 1942 im Regens-burger Dom, Beilage zum Amtsblatt 1 (1943).

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und Solidarität zum Kriegsende beim offenkundigen Unverständnis des Bischofs für die Haltung seines Dompredigers Dr. Johann Maier zum Ausdruck, der sich gegen die letzten unsinnigen Verteidigungsmaßnahmen des Regimes erklärt hatte und dafür noch hingerichtet wurde, ohne dass der Bischof für ihn intervenierte.57

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KATHOLISCHES MILIEU UND NATIONALSOZIALISMUS IN DER OBERPFALZ

Die nationalsozialistische Kirchenpolitik und das Reichskonkordat gaben den Weg vor, den Katholizismus zu entpolitisieren, was von den Machthabern sehr weitgehend ausgelegt wurde; dies führte zum Verschwinden des politischen Laienkatholizismus, aber auch der Jugendorganisationen, eine Entwicklung, die Buchberger kritisch sah58; die einseitige Konkordatsauslegung und –verletzung des Staats kritisierte er.59 An katholischen Presseerzeugnissen blieb im wesentlichen das 1927 gegründete Regensburger Sonntagsblatt als Bistumszeitung, das aus Gründen der Anpassung und des Überlebens nach 1933 zu weitgehender Zurückhaltung verurteilt war.60 Auch sonst versuchte Buchberger, die ka57 Vgl. Werner Johann Chrobak, Domprediger Dr. Johann Maier – ein Blutzeuge für Regensburg. Zum 40. Todestag neue Forschungen und Studien, in: VHVOR 125 (1985) 453-484, hier 470 f. 58 Vgl. Bischof Buchberger an Faulhaber, 3. April 1933, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) I 692 f. 59 Vgl. die undatierte Denkschrift bei Paul Mai, Michael Buchberger 1927-1961 Bischof von Regensburg, in: BGBR 15 (1981) 39-68, hier 55-58, die aber doch wohl eine gute Zeit nach dem Abschluss des Konkordats von Buchberger aufgestellt worden sein wird. 60 Vgl. die differenzierte Analyse: Werner Chroback, Die Regensburger Kirchenzeitung im Dritten Reich, in: BGRB 15 (1981) 389-430. Die feindliche Haltung vor 1933 gegenüber dem Nationalsozialismus war freilich mit einer ablehnenden Einstellung zur demokratischen Staatsform und dem Liebäugeln mit rechtsautoritären Modellen, wie etwa in Italien, verbunden. Vgl. ebd. 403 f. Nach 1933, besonders nach 1935, versuchte man, in Fragen des Dogmas und der Glaubenslehre Festigkeit zu zeigen und das Kirchenvolk zu immunisieren, zugleich aber die Kooperationsbereitschaft der Kirche im neuen Staat immer wieder herauszustreichen. Vgl. ebd. 419-430. Vgl. zum Sonntagsblatt und dessen Form der Anpassung auch Kroher, Buchberger (wie Anm. 41) 36-45. Vgl. dort: „Das Regensburger Sonntagsblatt mußte sich weitgehend auf indirekte Proteste gegen die glaubens- und kirchenfeindlichen Angriffe der Gegner beschränken. Es stellte den positiven Beitrag der Katholiken zum Staatswesen heraus und wirkte somit ... apologetisch.“ Ebd. 40. Als solche Grundsätze werden von Kroher herausgearbeitet: 1) Das deutsche Volk habe christliche Wurzeln; 2) Christentum und Kirche haben sich große

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tholische Presse durch die Räumung nicht notwendiger Bastionen und – gestützt auf das Reichskonkordat die ehrliche Bereitschaft zur Mitarbeit im neuen Staat erklärend – durch die Einschränkung von deren Aufgabenbereich zu retten.61 Waren so die politischen Außenbastionen, Vereine und Standesorganisationen, Presse und Parteien weitgehend geräumt und war man gewillt, Glaubenslehre und Seelsorge zu verteidigen, so gab es einen prekären Mittelbereich, bei dem man sich offensichtlich des Rückhalts bei den Laien nicht ganz sicher war, dies um so mehr, als das eindeutige Ergebnis der Volksabstimmung vom November 1933 deutlich machte und dass bei allem Druck und allen Manipulationen Hitler auch im katholischen Milieu erheblichen Rückhalt im ganzen Reich gefunden hatte. Dieser Bereich berührte in den Augen der Bischöfe durchaus Glaubenslehre und Seelsorge, in den Augen des Staates und mancher Laien Verdienste um Deutschland erworben; 3) Große Persönlichkeiten, auch der Rasseforscher Chamberlain, schätzten die Bedeutung Christi; 4) Andere Länder schätzen den Segen des Christentums. Es gab freilich auch vereinzelt explizit nationalsozialistische Artikel. Mit Ausbruch des Krieges wurde erst der Umfang der Kirchenzeitung eingeschränkt, 1941 folgte das Verbot. Vgl. ebd. 40-44. Die Zentrumspresse, v.a. der Bayerische Anzeiger in Regensburg, wurde schnell verboten bzw. gleichgeschlatet, vgl. Braun, Kirchenkampf (wie Anm. 28) 28-30. 61 Vgl. Hirtenwort über Bedeutung und Aufgabe der katholischen Presse in der heutigen Zeit, 20. September 1933, in: Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1933) 89-93. Darin die Sätze: „Die nationale Revolution hat nun den Marxismus und Bolschewismus in Deutschland unterdrückt und damit seinem offenen Kampf gegen Glauben und Kirche Halt geboten. Die Reichregierung hat zugleich der katholischen Kirche im Reichskonkordat die Freiheit des Bekenntnisses und der Ausübung der katholischen Religion sowie die Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen gewährleistet; sie hat den katholischen Organisationen und Verbänden den Schutz ihrer Einrichtungen und ihrer Tätigkeit zugesichert. Damit hat sich die Aufgabe der katholischen Presse in vielem geändert, aber ihre Bedeutung und Notwendigkeit ist geblieben. Selbstverständlich kann und wird es die katholische Presse nicht als ihre Aufgabe betrachten, in irgend einer Form, offen oder versteckt, die gesetzmäßige Regierung und staatliche Ordnung zu bekämpfen. Sie kann und wird auch ihre Aufgabe nicht darin erblicken, die früheren Verhältnisse wieder herbeizuführen. Wir leben und arbeiten nicht in der Vergangenheit und für die Vergangenheit, sondern für die Gegenwart und Zukunft. Wir dürfen den Blick nicht nach rückwärts, sondern nur nach vorwärts richten. Wir haben keine Sehnsucht nach dem Kampf und dem Unfrieden der Stände, Klassen und Konfessionen untereinander, sondern wir wollen für Frieden und Einigkeit arbeiten, wollen uns in den Dienst der ausgleichenden Gerechtigkeit und der dienenden Liebe stellen. Die eigentliche große und schöne Aufgabe der katholischen Presse wird jetzt sein, das katholische Glaubens-. Geistes- und Kulturleben aufmerksam zu verfolgen und das katholische Volk immer tiefer in dasselbe einzuführen.“ Ebd. 91.

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hatten hier die Bischöfe aber keine Kompetenz. Ein solcher Streitpunkt war im Jahr 1933 die Frage der Sterilisation; die kirchliche Position wurde hier, ähnlich wie Fragen der Ehe- und Sexualmoral, von zahlreichen Katholiken nur halbherzig geteilt oder abgelehnt. Buchberger wollte gerade in dieser Frage deshalb einen „casus belli“ vermeiden, den das Volk nicht verstehen würde.62 Eine weitere Krise, in der die Bischöfe nicht mit dem völligen Rückhalt des Milieus rechnen konnten, spitzte sich Mitte der 1930er Jahre zu; es war der Konflikt um das Thema Erziehung, Konfessionsschule, Religionsunterricht und Ordensschulen. Eine weit in die Weimarer Zeit hineinreichende Konfliktlinie stand im Hintergrund; für die Kirche war katholische Erziehung primär Elternrecht der katholischen Eltern und damit auch primär Recht der Kirche, während die liberale, nationale und auch sozialistische Auffassung die Entkonfessionalisierung des als staatlich-politische Primäraufgabe aufgefassten Erziehungsauftrages anstrebten. Es handelte sich also um einen heiklen Mischbereich. Für die Kirche so eng mit dem Seelsorgsauftag und der Aufgabe der Weitergabe des Glaubens verbunden, dass man ihn nicht einfach räumen konnte, für den Staat staatliches Recht, das die Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft aller Deutschen vertiefen und deshalb die konfessionelle Trennung überwinden sollte. Waren bereits vorherige Konflikte durch eine unterschiedliche Interpretation bedingt, wo politische Stellungnahme und wo seelsorglich-pastorale Tätigkeiten liegen, so galt dies nun insbesondere hier. In der Diözese Regensburg war die Volksschule beinahe ausschließlich Bekenntnisschule. Gerade bei den Volksschullehrern war aber auch hier ein Antiklerikalismus verbreitet63; seit 1933 schärfte Buchberger immer wieder in Aufrufen an die Bevölkerung die

62 Vgl.: „Was haben die meisten unserer Pfarrgemeinden praktisch mit der Frage der Sterilisation zu tun? Ich halte es sodann auch für bedenklich, die jetzigen Schwierigkeiten zu vermehren durch einen Schritt, der doch im Rahmen des Ganzen und Wesentlichen betrachtet, untergeordnete Bedeutung hat. Wir kämpfen jetzt um Bestand und Leben unserer hl. Kirche und sollten wohl weniger Bedeutendes vorläufig nicht in den Vordergrund rücken namentlich dann, wenn wir im voraus wissen, daß unsere Stellungnahme bei Regierung und Volk nicht verstanden werden will. Auch das Volk versteht uns wirklich nicht, wenn wir jetzt gerade aus dieser Frage einen casus belli machen.“ Bischof Buchberger an Faulhaber, 15. Dezember 1933, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) I 825 f., hier 825. 63 Vgl.: „Größere kirchenpolitische Ereignisse waren im Berichtsmonat nicht zu verzeichnen. Auf dem Gebiet des religiösen Schulunterrichts ist aber dem Umstand Bedeutung beizumessen, daß in verschiedenen Bezirken die Lehrer sich weigern, künftig noch Bibelunterricht zu erteilen.“ Monatsbericht der Regierung (November 1938), 8. Dezember 1938, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 217-219, hier 217.

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katholische Schulerziehung ein.64 Für die Bischöfe war der Kampf hier aber prekär, da es im Volk nicht ohne weiteres einsichtig sein musste, warum die schulische Kindererziehung konfessionell-kirchliche Kernkompetenz sein musste. Inwieweit würde das Kirchenvolk hier in einem Kampf den Episkopat gegen die staatliche Propaganda vom überkonfessionellen nationalen Brückenschlag unterstützen? 1936 setzte der Schulkampf massiv im Bistum ein; in der Regensburger Schottenheimsiedlung, einem prestigeträchtigen Sozialprojekt der Nationalsozialisten, votierten 76,7% für die Gemeinschaftsschule. 1937/38 wurden allmählich nach Abstimmungen alle Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen überführt.65 Alle Hirtenbriefe, Flugblattaktionen und Proteste der Kirche waren hier vergeblich; staatlicher Druck66 hatte die Niederlage der Kirche herbeigeführt, aber doch wohl auch die Auffassung mancher Eltern, der Kernbestand ihres katholischen Glaubens sei dadurch nicht gefährdet. Auch gegen die Verdrängung der Ordensschwestern aus den Volksschulen und das Ende der Klosterschulen protestierten die Bischöfe vergebens;67 hier zeigten sich lokale Widerstandshaltungen, in der Oberpfalz gerade bei den Niederlassungen der Armen Schulschwestern.68 1939 wurde die Stundenzahl des Religi64 Vgl. etwa: Anweisung zum Schulsonntag am 24. Dezember 1933, Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1933) 116 f.; Anweisung zum Schulsonntag 1934, Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1934) 85; Anweisung zum Schulsonntag 1935, Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1935) 102 f.; Anweisung zum Schulsonntag 1936, Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1936) 134; Anweisung für die Kirchensammlung zum Schul- und Erziehungssonntag am 19. Dezember 1937, Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1937) 114 f.; Entwurf Bischof Buchbergers an Pacelli, Anfang Oktober 1933, in: Stasiewski, Akten I (wie Anm. 40) 849-852. 65 Vgl. besonders die Monatsberichte der Regierung (März 1937), 7. April 1937, (April 1937), 7. Mai 1937, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 121-130; da-zu die v.a. die Monatsberichte der Regierung (Februar 1938), 8. März 1938, ebd. 192-197; (April, Mai und Juni 1938), 6. Mai, 8. Juni und 7. Juli 1938, ebd. 198-207. 66 So wurden wohnungsbaugenossenschaftlichen Mietern die Wohnung gekündigt, wenn sie nicht für die Gemeinschaftsschule gestimmt hatten. Vgl. Monatsbericht der Regierung (Mai 1937), 5. Juni 1937, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 131-135, hier 133. – Zum Schulkampf in Regensburg vgl. Peter Schmid (Hg.), Geschichte der Stadt Regensburg. I-II, Regensburg 2000, hier 440-443 (Helmut Halter). 67 Vgl. Hirtenwort des bayerischen Episkopats, 4. September 1938, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) II 590-593. 68 Vgl.: „Wegen des vorgesehenen Abbaus des von den Armen Schulschwestern in Neunburg v. Wald betriebenen Kindergartens ist unter der Bevölkerung Verbitterung entstanden. Die Eltern der Kinder wollten die Schwestern, die bereits 35 Jahre lang die Kinder zur größten Zufriedenheit betreut haben, nicht missen. Etwa 25 Personen haben beim Ortsgruppenleiter und beim Landrat wegen der Rück-

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onsunterrichts gekürzt und aus der Berufschule verbannt; Buchberger wollte in einer Art Kompromiss dafür die Christenlehre einführen69; auch stellten die meisten Bürgermeister keine Schulräume für die Christenlehre zur Verfügung.70 In anderen, für ihr Leben und ihren Glauben zentralen Fragen, leistete die katholische Bevölkerung entschieden Widerstand und dies nicht allein auf Veranlassung des Klerus. Dabei konnten durchaus auch Erfolge erzielt werden. Grundsätzlich stand die gläubig-praktizierende Bevölkerung gegen das Regime, wo dieses sich gegen die heils- und gnadenvermittelnde Funktion der Kirche wandte: Gebet, Sakramentenspendung, traditionelle öffentliche Ausdrucksformen der Frömmigkeit war man ebenso bereit entschieden zu verteidigen, wie Symbole, die diesen Glauben wirkmächtig-konkret zur Anschauung brachten; dazu war das Vertrauen und die Verehrung für die Priester als den Garanten der Vermittlung des übernatürlichen Heils in weiten Kreisen nicht zu erschüttern. Dort wo Glaube und Unglaube, Gnade und Verderben, aber auch der Segen Gottes oder dessen Fluch für das diesseitige Leben auf dem Spiel standen, biss sich das nationalsozialistische Regime weitgehend die Zähne aus. Für den Kreis Tirschenreuth hat Franz Busl etwa die Polizeiberichte zur Fronleichnamsprozession ausgewertet: Trotz zahlreicher einschränkender Vorschriften und Regulierungen des Regimes wurden diese in ihrer traditionellen Form weiter durchgeführt, was, so Busl, die Regierungsstellen deshalb duldeten, um kein aufständisches Verhalten der Bevölkerung zu provozieren. Zu sehr waren Glaubensbekenntnis, traditionell-rituelle Frömmigkeit, Segen für das Dorf/die Stadt und symbolische Darstellung von deren christlicher Gesellschaftsstruktur mit diesen feierlichen sakramentalen Umgängen in der Lebenswelt der Bevölkerung verbunden, als dass das Regime hier allzu restriktiv vornahme der Maßnahme vorgesprochen.“ Monatsbericht der Regierung (Juli 1941), 8. August 1941, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 288-291, hier 291; vgl. auch: Monatsbericht der Regierung (Juli 1939), 7. August 1939, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 237-241, hier 239. 69 Vgl. Hirtenwort Bischof Buchbergers zum Familiensonntag am 7. Januar 1940, in: Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1940) 2 f. 70 Vgl. etwa Zahl der Religionsstunden in den Volksschulen, in: Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1937) 33; Generalvikar Anton Doeberl, Verkürzung des Stundenmaßes des Religionsunterrichts an Volks- und Berufsschulen, 13. Mai 1939, in: Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1939) 56; Hirtenwort Bischof Buchbergers zum Familiensonntag am 7. Januar 1940, in: Amtsblatt für die Diözese Regensburg (1940) 2 f. Ab 1941 wurden alle religiösen Unterweisungen außerhalb der Kirche verboten. Vgl. v.a. Buchberger an Faulhaber, 17. April 1942, mit der Stellungnahme Scherms als Anlage vom 18. April 1942, dazu: Kardinal Faulhaber an den bayerischen Episkopat, 20. April 1942, in: Volk Akten (wie Anm. 31) II 908-914.

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gehen konnte.71 Die Fronleichnamsprozessionen galten als sensibles Terrain; insbesondere spielte die Frage der Beflaggung und damit die Frage nach der Hoheit im öffentlichen Raum hier eine wichtige Rolle. Man wachte besonders, dass nicht verbotene Fahnen von aufgelösten Vereinen bei der Prozession mitgetragen wurden. Die staatlichen Stellen fürchteten offenbar auch öffentliche politische Demonstrationen, die diesen Prozessionen beigemessen werden könnten.72 Ähnliche Konflikte lagerten sich auf lokaler Ebene häufig um herkömmliche Wallfahrten und Prozessionen, die reglementiert oder verboten wurden, was zu Widerspruch und Zuwiderhandlung in der Bevölkerung führte.73 Ähnlich symbolträchtig war die althergebrachte, eng mit dem agrarischen Lebensrhythmus verbundene Abfolge der Feiertage im Kirchenjahr; auch hier stießen die staatlichen Stellen immer wieder auf Resistenz und Widerstand von unten, besonders bei der bäuerlich-agrarischen Bevölkerung, deren Leben ja noch enger vom Ablauf des Jahreskreises geprägt war.74 Fahnen als Symbole 71 Vgl. Franz Busl, Die Durchführung der Fronleichnamsprozession im Bezirksamt (Landkreis) Tirschenreuth von 1935 bis 1942, in: BGBR 15 (1981) 315-332. 72 Vgl. Monatsbericht der Regierung (Mai 1937), 5. Juni 1937, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 131-135, hier 133; Monatsbericht der Regierung (Juni 1938), 7. Juli 1938, in: Ebd. 203-207, hier 205 f.; Monatsbericht der Regierung (August 1938), 8. September 1938, in: Ebd. 209-213, hier 212; Monatsbericht der Regierung (August 1939), 9. Oktober 1939, in: Ebd. 242 f., hier 243. 73 Vgl. Monatsbericht der Regierung (Mai 1941), 8. Juni 1941, in: Ebd. 283-285, hier 283. 74 Vgl.: „Die katholische Landbevölkerung scheint teilweise zu befürchten, es möchte der Protestantismus die Rechte der katholischen Bevölkerung beeinträchtigen. Zu dieser Meinung trug zweifellos die Beseitigung verschiedener katholischer Feiertatge bei, die bei den Bauern beliebt und in der arbeitsstrengen Zeit als Ruhetage erwünscht waren.“ Halbmonatsbericht der Regierung (16. bis 31. März 1934), Regensburg, 5. April 1934, in: Ebd. 24 f.; „Die Landbevölkerung hält noch sehr an den althergebrachten, aufgehobenen kirchlichen Feiertagen fest. Der Josefitag wurde am Lande fast durchwegs mit Arbeitsruhe, auch für die Dienstboten, Polen und Kriegsgefangenen, gefeiert. Landwirte, für deren Kartoffellieferungen am Josefitag die Reichsbahn Waggons zur Verfügung stellte, zogen es vor, das Wagenstandgeld zu bezahlen, statt an diesem Tatg zu arbeiten.“ Monatsbericht der Regierung (März 1941), 8. April 1941, in: Ebd. 280 f.; „Die Feier des Josefitages (19.3.) hat sich die bäuerliche Bevölkerung immer noch nicht abgewöhnt, obwohl sich die Kirche an die Verordnung über die Handhabung des Feiertagsrechts hielt.“ Monatsbericht der Regierung (März 1942), 10. April 1942, in: Ebd. 306 f., hier 307. – Nachdem Fronleichnam auf den Sonntag verlegt worden war, ist zu lesen: „Am Fronleichnamstag hat sich die Geistlichkeit im allgemeinen an die ergangenen Anordnungen gehalten. Die wie an Werktagen gehaltenen Gottesdienste waren durchwegs sehr zahlreich besucht. Anschließend wurde von dem weit

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über die Hoheit im öffentlichen Raum und Ausdruck für die sinnbestimmende Mitte der Lebenswelt waren ein häufiger Konfliktpunkt zwischen Bevölkerung und Regierungsstellen75 und dies trotz der Kompromissbereitschaft Bischof Buchbergers in dieser Frage.76 Neben Prozessionen und Fahnen war das Glockenläuten ein weiteres wichtiges öffentliches Symbol; die Beschlagnahmung der Kirchenglocken im Krieg führte tendenziell ebenfalls zu schweren Konflikt, da die Bevölkerung von der Kriegsnotwendigkeit nicht überzeugt war und eine verstärkte religionspolitische Handlung vermutete.77 Umgekehrt wirkte das von den deutschen Bischöfen zum 50. Führergeburtstag angeordnete Glockenleuten und Gebet durchaus systemstabilisierend.78 Zur katholischen Lebenswelt gehörte auch die enge Verbundenheit mit den Priestern, denen man als den Verwaltern der göttlichen Geheimnisse Verehrung und Ergebenheit, wenigstens im kultisch-sakramentalen Kernbereich, entgegenbrachte, mochte auch eine Minderheit der praktizierenden Katholiken im überwiegenden Teil der ländlichen Bevölkerung der Tag als Feiertag begangen. Auf den Feldern war kaum jemand bei der Arbeit zu sehen.“ Monatsbericht der Regierung (Juni 1941), 8. Juli 1941, in: Ebd. 285-288, hier 286; „Am Mariahimmelfahrtstag waren die Gottesdienste wenigstens in den ländlichen Gemeinden rege besucht. Am Vormittag wurde in den meisten ländlichen Betrieben nicht gearbeitet.“ Monatsbericht der Regierung (August 1941), 8. September 1941, in: Ebd. 291 f., hier 292; vgl. auch Monatsbericht der Regierung (Juni 1943), 10. Juli 1943, in: Ebd. 320. 75 Vgl. Lagebericht (Monatsbericht) der Regierung (November 1935), 9. Dezember 1935, in: Ebd. 66-70, hier 67; Monatsbericht der Regierung (Juni 1937), 9. Juli 1937, in: Ebd. 136-145, hier 136 u.ö. 76 Vgl. Bischof Buchberger an Faulhaber, 8. Dezember 1937, in: Volk, Akten (wie Anm. 31) II 422. 77 Vgl.: „Die allmählich bekanntgewordene Ablieferung der Glocken hat ziemliche Beunruhigung hervorgerufen. Angesichts der großen in den Wehrmachtsberichten bekanntgegebenen Beutezahlen will man die Kriegsnotwendigkeit dieser Maßnahme nicht begreifen und erblickt zum Teil darin einen Ausfluß kirchenfeindlicher Einstellung.“ Monatsbericht der Regierung (November 1941), 9. Dezember 1941, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 299 f., hier 299; „Die anfängliche Aufregung der Bevölkerung über die Durchführung der Glockenabnahme hat sich nach sachgemäßer Aufklärung gelegt, wenn auch die Ablieferung den Leuten anscheinend stärker zu Herzen geht, als sie nach außen zeigen. Irgendwelche Widerstände haben sich bisher nicht ergeben.“ Monatsbericht der Regierung (Januar 1942), 8. Februar 1942, in: Ebd. 303 f., hier 303. 78 Vgl.: „Das auf bischöfliche Anordnung zum Geburtstag des Führers angeordnete Glockengeläute und das Gebet für den Führer auf der Kanzel machte auf weite Kreise guten Eindruck.“ Monatsbericht der Regierung (April 1939), 8. Mai 1939, in: Ebd. 227-230, hier 227.

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weltlich-politischen Bereich sich gegen klerikal-paternalistische Bevormundung gesträubt haben. Die Bevölkerung stand deshalb bei den Konflikten von zahlreichen Geistlichen mit der Gestapo hinter ihren Seelsorgern79; besonders fanden aber die zahlreichen propagandistisch aufgemachten Anschuldigungen in den Devisen- und Sittlichkeitsprozessen, die der damalige Regierungspräsident Holzschuher ausgesprochen energisch betrieb, wenig Glauben.80 Letztlich konnten sie die Verbundenheit der praktizierenden Katholiken mit der Geistlichkeit nicht erschüttern und waren gemessen an dieser Zielsetzung für die Parteistellen ein Misserfolg.81 Die bedeutendsten Widerstandshandlungen der katholischen Bevölkerung entzündeten sich aber am Streit um die Kruzifixe in den Schulen und um das 79 Viele der Konflikte waren freilich eher harmloser Natur und gründeten auch in sozialen Spannungen, etwa zwischen Lehrern und Pfarrern, was zu Anzeigen führte. Zwei Priester der Diözese Regensburg starben im KZ, andere mussten mehrjährige KZ-Haft erdulden. Vgl. ebd. XLIV; Ulrich von Hehl / Christoph Kösters / Petra Stenz-Maur u.a. (Bearb.), Priester unter Hitlers Terror. Eine biographische und statistische Erhebung. I-II (= VKZG.A 37), Paderborn 41998; Barbara Möckershoff, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher im Bistum Regensburg (Fragebogen 1946 und 1980), in: BGBR 15 (1981) 89-144. 80 Vgl.: „Für die Einstellung weiter Kreise der katholischen Landbevölkerung ist es bezeichnend, daß die Presseberichte über die sittlichen Verfehlungen von Geistlichen und Ordensangehörigen nicht überall vollen Glauben finden. ‚Da man von den Verfehlungen anderer nicht lese, werde offenbar der Zweck verfolgt, die Geistlichen vom Volk zu trennen.’ Durch geeignete Predigten wird die Bevölkerung in dieser Auffassung bestärkt.“ Monatsbericht der Regierung (Mai 1937), 5. Juni 1937, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 131-135, hier 131 f.; „Meine im letzten Monatsbericht ausgesprochene Vermutung, daß die Sittlichkeitsprozesse das Vertrauen der katholischen Bevölkerung zu ihren Geistlichen nicht allzusehr erschüttern konnten, wird bestätigt durch die Tatsache, daß die kirchlichen Veranstaltungen ausnehmend gut besucht werden. Priesterjubiläen, Primizen, Volksmissionen usw., die nunmehr mit besonderem Prunk ausgestattet wurden, haben eine solche Anziehungskraft, daß die Bauern sogar die Arbeit auf den Feldern ruhen lassen.“ Monatsbericht der Regierung (Juli 1937), 9. August 1937, in: Ebd. 145-150, hier 147; ähnlich für Niederbayern: Monatsbericht der Regierung (August 1944), 9. September 1944, in: Ebd. 333-335, hier 334. 81 Vgl.: „Trotzdem kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, daß die Veröffentlichungen über Teilausschnitte der Sittlichkeitsprozesse in der Presse ihren Zweck nicht erreichten. Die katholische Kirche verfolgt die Taktik, die Richtigkeit der in den Prozessen festgestellten Tatsachen und der Zeitungsberichterstattungen anzuzweifeln und entgegenzuhalten, daß auch in den Reihen der Bewegung (SA und HJ.) solche Dinge vorgekommen seien. Es besteht kein Zweifel, daß überall dort, wo diese Verteidigung geschickt gemacht wird, die Wirkungs für das gläubige Volk nicht ausbleibt ...“. Monatsbericht der Regierung (Juni 1937), 9. Juli 1937, in: Ebd. 136-145, hier 136.

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Schulgebet. Hier ging es um konkrete Symbole oder Handlungen, in ihnen drückte sich die Identität der Schule und der Geist der Kindererziehung zugespitzt aus. Hinzu kommt, dass in der katholischen Frömmigkeit die Überzeugung tiefgehend verbreitet war, das Kreuz nicht zu verehren und nicht sein Tagwerk Gott zu weihen, beraube auch das diesseitige Leben schon des göttlichen Segens. „Wer nicht mit dem Kreuz geht, mit dem geht das Kreuz“ war ein nicht nur bei Flurprozessionen weitverbreiteter Volksglaube in der Oberpfalz. So führten hier die Regierungsmaßnahmen zu einer derart kräftigen Empörung, dass diese vollständig zurückgenommen werden mussten. Von Beginn an stand dabei auch das Beispiel des Oldenburger Schulkampfs vor Augen.82 Bereits 1937 kam es im als besonders „schwarz“ geltenden83 Konnersreuth zu einer Empörung der Bevölkerung, als der Lehrer das Kruzifix aus der Schule hatte entfernen und durch ein kleineres ersetzen lassen.84 Als seit April 1941 Gauleiter Wagner Bittgänge und Wallfahrten während der Kriegszeit an Werktagen verboten hatte, kirchliche Feiertage auf Sonntage verlegte und vor allem das Kruzifix in der Schule und das Schulgebet verboten hatte, erregte dies an zahlreichen Orten Ärgernis und führte zu Widerstandshandlungen der Bevölkerung.85 An vielen Orten kam es zu Schulstreiks.86 Immer wieder klingt in den 82 Vgl.: „Einer Reihe von Personen in Pielenhofen, BezA. Regensburg, wurde eine Druckschrift zugesandt: ‚Der Kampf um das Kreuz im Oldenburger Münsterland.’ ...“. Monatsbericht der Regierung (Januar 1937), 5. Februar 1937, in: Ebd. 113116, hier 115. 83 Vgl. etwa Monatsbericht der Regierung (Februar 1938), 8. März 1938, in: Ebd. 192-196, hier 192. 84 Vgl.: „Am Sonntag, den 28. Februar 1937, gegen 12 Uhr sammelten sich in dem bekannten Konnersreuth (Grenzbezirk Tirschenreuth) etwa 70 Personen und verlangten stürmisch die Herausgabe eines Kruzifixes, das der Lehrer aus dem Schulsaal entfernt und in seine Wohnung verbracht hatte. Das Kreuz sollte in Prozession in die Schule zurückgebracht werden. Das Bezirksamt, dem die Lage als sehr bedrohlich geschildert wurde, zog Gendamerieverstärkung zusammen, bei deren Eintreffen sich die Leute wieder zerstreuten. Ich habe die unauffällige Zurückbringung des Kreuzes angeordnet.“ Monatsbericht der Regierung (Februar 1937), 9. März 1937, in: Ebd. 117-120, hier 117. 85 Vgl.: „Schwer wurden die Maßnahmen empfunden, die an das tief verwurzelte Empfinden der christlich-konfessionell eingestellten Bevölkerung greifen. Es handelt sich um das Verbot der Bittprozessionen an Werktagen, die Verlegung der Feiertage Christi-Himmelfahrt und Fronleichnam auf den Sonntag, die Abschaffung des Schulgebets und die allmähliche Entfernung der Kruzifixe aus den Schulen. Ein Schulleiter hat im Übereifer das Kruzifix ohne jede Gelegenheit aus der Schule entfernen lassen, was zur Folge hatte, daß etwa 25 Personen sich vor dem Schulhaus einfanden, die in aufgeregtem Tone die Herausgabe der Kinder von der Schule forderten. Der Landrat hat das Kruzifix wieder in die Schule zurückbringen lassen und den Schulleiter über den richtigen Vollzug der einschlägigen Ministeri-

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Regierungspräsidentenberichten die Sorge der Bevölkerung durch, dass dies der Anfang der vollständigen Entchristlichung sei und dass durch das Abnehmen der Kreuze die Regierung nunmehr als wortbrüchig gelte und bei der Bevölkerung Vertrauen verspielt habe.87 Bauern entfernten aus ihren Häusern als Reaktion auf die Entfernung der Kruzifixe auch die Hitler-Bilder.88 Mit dem Beginn des neuen Schuljahres nahmen die Widerstandshandlungen zu, zumal Mitte August der Hirtenbrief der bayerischen Bischöfe zu dieser Frage verlesen worden war.89 Der „Stopp-Erlass“ vom 28. August konnte die Lage nicht beruhigen, die Unruhen breiteten sich aus.90 Allmählich sahen sich die staatlichen Stellen gezwungen, die Kreuze wieder zurückzubringen, was freilich unkoordialentschließung belehrt.“ Monatsbericht der Regierung (Mai 1941), 8. Juni 1941, in: Ebd. 283-285, hier 283 f. 86 Vgl. Monatsbericht der Regierung (Juni 1941), 8. Juli 1941, in: Ebd. 285-288, hier 286. 87 Vgl. ebd.; Monatsbericht der Regierung (Juli 1941), 8. August 1941, in: Ebd. 288291, hier 288 f. 88 Vgl.: „Von einem Gendamerieposten wurde einem Landrat gemeldet, daß die Bauern die Führerbilder aus ihren Stuben entfernten, weil auch die Kruzifixe aus den Schulen genommen wurden.“ Monatsbericht der Regierung (Juli 1941), 8. August 1941, in: Ebd. 288-291, hier 290. 89 Monatsbericht der Regierung (August 1941), 8. September 1941, in: Ebd. 291 f. 90 Vgl.: „Stimmungsmäßig äußerst bedenklich waren und sind die Auswirkungen des Kruzifixerlasses. Landräte und Oberbürgermeister betonten in ihren Berichten die Befürchtungen über schlimme Folgen für die Willigkeit der Bevölkerung, die Geschlossenheit der Partei, die WHW-Sammlungen und nicht zuletzt auch für die Stimmung an der Front. Die Erregung in der Bevölkerung hat sich auch nach der Stoppanordnung vom 28.8.1941 noch erheblich gesteigert, da der einheitliche Vollzug dieses Erlasses nicht sichergestellt war und weiterhin Kreuze aus den Schulräumen entfernt wurden. Der Unwille und die Erbitterung der seither vorbildlich ruhigen und willigen Bevölkerung kamen in größeren und kleineren Aktionen zum Ausdruck. So demonstrierten in Vilseck (Landkreis Amberg) etwa 200 Personen vor der Schule, einzelne drangen in das Schulhaus ein und brachten die auf dem Boden verwahrten Kruzifixe unter lautem Beten wieder in den Schulsälen an. Dabei fielen Äußerungen, wie: ‚daß unsere Soldaten an der Front in Rußland den Kommunismus bekämpften und daß jetzt in der Heimat versucht würde, den Kommunismus aufzuziehen’ oder ‚daß man diejenigen, die sich so gegen die Religion stellen, an die Front hinausstecken sollte, denn dort könnten sie ihren Mann stellen’ oder ‚ob denn die Herren in der jetzigen Kriegszeit nichts anderes zu tun hätten, als sich mit derartigen Dingen zu befassen und die Frauen, die an Stelle der Männer die Felder bestellen, in Mißstimmung zu bringen.“ Demonstrationen mit rund 500 Personen habe es in Velburg und Amberg gegeben, in zehn weiteren Landkreisen der Ostmark Unruhen. Monatsbericht der Regierung (September 1941), 8. Oktober 1941, in: Ebd. 293-296, hier 293-295.

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niert und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit geschah; aus Regensburg, wo es einen Aufmarsch von Frauen gegeben hatte, berichtete der Oberbürgermeister, dass auch durch die Rückgängigmachung der Maßnahmen das Vertrauen der Bevölkerung nicht mehr gewonnen werde.91 Vielfach sah man den Beginn einer grundsätzlichen Christenverfolgung darin, die Loyalität gegenüber der Regierung war im Sinken begriffen.92 Aufs Ganze gesehen zeigen diese Auseinandersetzungen, dass die Regierung besonders im Krieg auf den Konsens mit der breiten Bevölkerung angewiesen war und bestimmte Grenzen nicht überschreiten konnte. Der Versuch, Schulgebet und Schulkruzifixe abzuschaffen, scheiterte völlig und musste zurückgenommen werden. Dort, wo Widerstand breite gesellschaftliche Schichten zu erfassen drohte, sah sich das Regime zum Nachgeben gezwungen; in solchen Fragen hatte somit kirchlicher Widerstand durchaus Chancen auf Erfolg.

FAZIT Am Ende dieses Beitrags sollen einige Grundlinien des Herausgearbeiteten noch einmal zusammengefasst werden: 1.) Die Oberpfalz war, wie beschrieben, eine weitgehend agrarisch geprägte, strukturschwache und beinahe geschlossen katholische Region mit einer volkskirchlichen Prägung, die sich in einer außergewöhnlich hohen Zahl der praktizierenden Katholiken von mehr als 75% ausdrückte. Trotz der dort erzielten Rekordergebnisse der Bayerischen Volkspartei lässt sich freilich nicht verkennen, dass ein größerer Anteil der praktizierenden Katholiken von gewissen antiklerikalen Vorbehalten gegen politischen Dirigismus, Verhaltensdisziplinierung oder Reformversuchen der Frömmigkeit durch den Klerus geprägt war. 2.) Die volkskirchliche Situation in Ostbayern wird einer der entscheidenden Gründe gewesen sein, warum die staatlichen Mittelbehörden, sieht man von Regierungspräsident Holzschuher ab, einen eher gemäßigten Kurs eingeschlagen haben. Umgekehrt verfolgte auch der Bischof von Regensburg, Buchberger, durchgehend eine Politik die im engeren Sinn kirchlichen Angelegenheiten des Gottesdienstes und der Glaubenslehre zu schützen, sich aber nach Mög91 Vgl.: „Der Oberbürgermeister der Stadt Regensburg führte zu dem im letzten Monatsbericht bereits erwähnten Aufmarsch der Frauen noch aus: ‚eine Beruhigung in der ganzen religiösen Angelegenheit scheint noch nicht eingetreten zu sein. Der Vorfall ist ja nur Teil von einem Ganzen und weder durch ein Nein noch durch ein Ja läßt sich eine im Volk entstandene Kluft überbrücken.“ Monatsbericht der Regierung (November 1941), 9. Dezember 1941, in: Ebd. 299 f. 92 So besonders Monatsbericht der Regierung (Juli 1941), 8. August 1941, in: Ebd. 288-291.

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lichkeit nicht in den politischen Bereich zu mischen. Neben dem Entpolitisierungsartikel des Reichskonkordats und der latenten Bolschewismusangst war für diese Haltung einer der wichtigsten Gründe auch der skizzierte Antiklerikalismus eines Teils der praktizierenden Katholiken, der politischen Direktiven des Klerus unter Umständen nicht Folge geleistet hätte und damit die Gefahr der Spaltung der Katholiken. Im Vergleich hierzu hat im benachbarten Passau namentlich in der Vereins- und in der Schulfrage Generalvikar Franz Seraph Riemer (1889-1965) früh einen offensiveren Kurs eingeschlagen; dadurch wurden die konkreten Konflikte und Zusammenstöße vermehrt, letztlich aber lassen sich keine grundlegenden Unterschiede in den kirchenpolitischen Konsequenzen nachweisen, was doch dafür spricht, dass die Handlungsspielräume der Diözesanleitungen begrenzt waren.93 3.) Die Abfolge der Konflikte zwischen katholischer Bevölkerung und staatlicher Politik entspricht dieser Charakterisierung des katholischen Milieus mit seinen Wertigkeiten. Hatte man zunächst zwar nicht braun gewählt, so fügte man sich doch der neuen politischen Obrigkeit. Trotz der geschilderten Spannungen und Konflikte ging der „Schulkampf“ in den 1930er Jahren dennoch verloren. An eine Grenze stieß das Regime dagegen immer da, wo Glaube und Kirche in ihrer das Heil und die Gnade vermittelten Funktion in Frage gestellt wurden. Hier zeigte das Milieu resistentes und widerständiges Verhalten. Dies war zunächst einmal und primär nur gegen Teilaspekte des Regimes gerichtet, eben gegen dessen Religionspolitik und Ideologie; es ging nicht um Widerstand im engeren politischen Sinn, sondern um das Bewahren der eigenen religiös geprägten Lebenswelt.94 Dennoch haben die Konflikte und Angriffe gegen den 93 Vgl. Ebd. XXXIX; Braun, Kirchenkampf (wie Anm. 28) 164 f. – Riemer war vor allem Haßgegner von Holzschuher. Vgl. hierzu u.a. den ausführlichen Monatsbericht der Regierung (November 1937) 8. Dezember 1937, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 162-184 (mit Anlagen). Darin etwa: „Die kath. Kirche legt nunmehr das Hauptgewicht ihres Kampfes auf die Beeinflussung ihrer Angehörigen innerhalb der kirchlichen Vereinstätigkeit. Allen voran schreitet wiederum das Bistum Passau mit seinem über jedes Maß unverschämten Generalvikar Dr. Riemer.“ Ebd. 171. 94 Vgl. etwa: „Der Oberbürgermeister des Stadtkreises Regensburg berichtet hierzu: ‚Die Spannungen auf weltanschaulichem Gebiet bestehen unvermindert fort. Bei den Kreisen, welche kirchlich eingestellt sind, kann man immer wieder hören, der Führer und die Einrichtungen des Dritten Reiches werden dankbar anerkannt und die Anordnungen freudig befolgt; nur die Kirche soll nicht in den Streit hineingezogen werden. ... Die breite Masse des Volkes, wenigstens in unserer Gegend, ist mehr denn je kirchlich fanatisiert, lehnt jede Kampfstellung gegen die Kirche ab und verurteilt jede weltanschauliche Lehre, welche versuchen wollte, die bestehenden Konfessionen zu beseitigen. ...’“ Monatsbericht der Regierung (Januar 1937), 5. Februar 1937, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 112-116, hier

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Klerus mit der Zeit die Stimmung in der Bevölkerung immer mehr gegen das Regime eingenommen. Als dann 1941 Schulgebet und Schulkreuz verboten wurden, kam es zu Widerstandshandlungen, die den lokalen Raum überstiegen und das Regime zu einem völligen Zurückrudern zwangen. Natürlich war auch das zunächst nur Widerstand gegen die Religions- und Schulpolitik, hier konzentriert in einem einprägsamen und zentralen Symbol des Katholizismus. Die Regierungspräsidentenberichte deuten aber – wie gesehen – doch nun des öfteren an, dass immer mehr der NS-Staat selbst in Frage gestellt wurde. Die Loyalität der katholischen Bevölkerung zum Staat nahm als Folge von dessen Religionspolitik und im Krieg somit in der Oberpfalz deutlich ab. Der Abstand zwischen Resistenz und Widerstand war kleiner geworden.

116; „Ein Bezirksamt schreibt über die Einstellung der bäuerlichen Bevölkerung. ‚Die bäuerliche Bevölkerung, die seit Jahrzehnten die klerikale Führung gewöhnt ist und sich nur langsam den Gedankengängen des Dritten Reichs aufschließt, bringt den politischen Tagesfragen nicht das notwendige Interesse entgegen ... Die sich unter der Oberfläche abspielende zähe Arbeit der Geistlichkeit sorgt dafür, daß das nationalsozialistische Gedankengut sich noch nicht voll entfaltet hat.’“ Monatsbericht der Regierung (August 1938), 8. September 1938, in: Ziegler, Kirchliche Lage (wie Anm. 8) 207-209, hier 208; „Die Bevölkerung steht auf dem Standpunkt, daß Religion Privatsache sei; während des Weltkriegs und auch in der Kampfzeit der Bewegung sei nach der Religionszugehörigkeit nicht gefragt worden.“ Monatsbericht der Regierung (Mai 1939), 8. Juni 1939, in: Ebd. 230-234, hier 231.

IV. VORMODERNE AGRARISCH-KATHOLISCHE MILIEUS

EICHSFELD

DER EICHSFELDER KATHOLIZISMUS – „VERSAILLES“ ALS ACHILLESFERSE DER MILIEUEROSION IN KONFRONTATION MIT DEM NATIONALSOZIALISMUS DIETMAR KLENKE DAS KLISCHEEBILD VOM KATHOLISCHEN EICHSFELD – WAHRHEIT ODER LEGENDE? Mit kaum einer katholisch geprägten Region verband sich lange Zeit so sehr die Aura des weltanschaulichen Eigensinns wie mit dem Eichsfeld. Augenscheinlich hatte sich dort über die Zeitenstürme hinweg ein traditionsverbundenes, ja widerborstiges katholisches Milieu erhalten, dem die beiden deutschen Diktaturen anscheinend nur wenig hatten anhaben können. Der Glaube, den diktatorischen Herausforderungen bestens begegnet zu sein, kam deutlich zum Ausdruck, als die Stadt Heiligenstadt 1991 voller Stolz den 1977 verstorbenen Zentrums- und CDU-Politiker Hugo Dornhofer posthum zu ihrem Ehrenbürger erklärte.1 Wie kein zweiter Eichsfelder hatte Dornhofer wegen seiner katholischen Standfestigkeit unter der NS- und unter der SED-Diktatur zu leiden gehabt Schaut man aber genauer hin, so gerät im Lichte des Dornhoferschen Vorbilds der Eindruck vom Eichsfeld als katholischer Trutzburg allerdings ins Wanken. Denn Dornhofer war alles andere als ein typischer Eichsfelder Katholik. Er war gebürtiger Österreicher und in den 1920er Jahren zugezogen, weil er eine Eichsfelderin geheiratet hatte. In Heiligenstadt fasste er Fuß als Funktionär der christlichen Gewerkschaften und der katholischen Zentrumspartei. Im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde er seiner Ämter enthoben. Nach dem zweiten Weltkrieg arbeitete Dornhofer im Heiligenstädter Entnazifizierungsausschuss mit und konfrontierte in diesem Rahmen viele seiner Mitbürger mit dem Vorwurf, dass sie während der NS-Zeit ihren katholischen Glauben verraten hätten. Vor allem war es aus seiner Sicht der Opportunismus des Bildungsbürgertums, die anbiederende Anpassung an den Geist der neuen Machthaber, woran Dornhofer Anstoß nahm.2 Seine Erfahrungen speziell mit der Lehrerschaft fasste er unter dem Eindruck der Entnazifizierungsverfahren 1

Thomas Heddergott / Ralf Kothe: Hugo Dornhofer. Gewerkschafter und Politiker. Verfolgter in zwei Diktaturen, hrsg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin (bei Bonn) 1996.

2

Hugo Dornhofer: In jenen Jahren. Aus meinem Tagebuch, unveröffentlichte Aufzeichnungen, Heiligenstadt 1948, in: Archiv für Christlich-Demokratische Politik, St. Augustin (ACDP), I-645-006/2.

362 DIETMAR KLENKE wie folgt zusammen: „Es wird immer eine Schande für diesen Berufsstand bleiben, daß ausgerechnet auf dem ‚schwarzen Eichsfeld’, dessen Bevölkerung sich so wacker gegen die Hitlerinvasion gewehrt hat, 98 Prozent der Lehrer Parteimitglieder waren ... Die Kinder sahen ihre Lehrer in Reih und Glied in brauner Uniform marschieren, stolz das Parteiabzeichen tragen und Ansprachen halten, die weit über ihr Notwendiges hinausgingen, und sie sahen bei jeder Gelegenheit würdelos erhobene Hände. Entweder sagen sie sich, haben die früher geheuchelt oder sie heucheln jetzt. Oder, und das war meistens noch schlimmer, die wollen Ideale predigen und sind damals und jetzt bereit, um materieller Existenzsicherung willen Gesinnung und Überzeugung zu verschachern.“3 Der kritische Befund Dornhofers provoziert die Frage, was es denn nun eigentlich mit dem Bild vom Eichsfeld als katholischer Trutzburg auf sich hat? Wie stabil und resistent war denn eigentlich das katholische Milieu gegenüber dem aufsteigenden und dann zum Staat gewordenen Nationalsozialismus? Gemeint ist hier mit katholischem Milieu eine spezifische Verbindung von religiöser und politischer Gesinnung, verkörpert in der Zentrumspartei, oder soziologisch ausgedrückt: ein eng geknüpftes Netzwerk von parteipolitischen und konfessionellen Bindungen und Loyalitäten, deren lebensweltliche Erfahrungsgrundlage ein kommunikativ verdichteter Sozialraum war, der vielerlei Vereinigungen und informelle Beziehungen kannte, die die Verbindungen zwischen katholischer Kirche und katholischer Partei denkbar eng gestalteten. Bereits vor der NS-Zeit gab es auf dem ländlich und kleinstädtisch geprägten Eichsfeld nicht das katholische Gesinnungsmilieu schlechthin, sondern mehrere Zonen, die eine unterschiedliche Milieudichte aufwiesen. Zur Zeit der Weimarer Republik findet sich inmitten dieser katholischen ‚Insel’ eine Kernzone um Heiligenstadt herum, die dem Klischeebild vom stabilen katholischen Milieu recht nahe kam.4 Dort war der Anteil der Katholiken sehr hoch, um die 3

Ebd., S. 303, 306.

4

Sofern in diesem Aufsatz nicht detaillierte Quellennachweise erfolgen, beziehe ich mich auf meine Studie zu Heiligenstadt und zum östlichen Eichsfeld und auf die unveröffentlichten Studien von Florian Breitmeier zu Duderstadt und zum westlichen Eichsfeld, die aus dem von Peter Lösche und Franz Walter in den Jahren 1995-1999 am Seminar für Politikwissenschaft der Universität Göttingen geleiteten Forschungsprojekt „Stabilität und Erosion sozialmoralischer Milieus in Diktatur und Demokratie“ hervorgegangen sind. Obendrein beziehe ich mich auf den Aufsatzband von Ebeling/Fricke zu Duderstadt. Vgl. Dietmar Klenke: Das Eichsfeld unter den deutschen Diktaturen. Widerspenstiger Katholizismus in Heiligenstadt, Duderstadt 2003; Florian Breitmeier: Das katholische Milieu in Duderstadt zwischen Reichsgründung und deutscher Einheit, Magister-Abschlussarbeit, Univ. Göttingen 1999; ders.: Milieuerosion im westlichen Eichsfeld - Katholisches Milieu in Duderstadt, unveröffentlichtes Manuskript, Univ. Göttingen 2000; Ebeling,

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90%. Nach den Rändern hin zeigten sich gewisse Anzeichen von Milieuaufweichung, vor allem in der Kreisstadt Duderstadt im nordwestlichen Teil des Eichsfeldes. Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Herausforderung setzte um 1930 die Milieuerosion dort an, wo es gemeinsame Schnittmengen zwischen NS-Ideologie und katholischem Gesinnungsmilieu gab. Das waren vorneweg der Anti-Versailles-Nationalismus und der Antibolschewismus als weltanschauliche Achillesferse, wo der Nationalsozialismus ein agitatorisches Einfallstor ausfindig machen konnte. Allerdings waren Antisemitismus und nationaldarwinistischer Expansionismus als spezifisch radikalnationalistische Elemente der NS-Ideologie bei den Eichsfelder Katholiken kaum feststellbar; u. a. hing dies mit dem extrem geringen Anteil jüdischer Bevölkerung und der stark ausgeprägten weltkirchlichen Orientierung zusammen. Bis zum II. Weltkrieg spielte vor allem der Anti-Versailles-Nationalismus als ideologisches Brückenglied die entscheidende Rolle, wohingegen der Antibolschewismus auf Grund der geringen Präsenz der Kommunisten in dieser agrarisch und mittelständisch geprägten ländlichen Welt keine solide Erfahrungsgrundlage hatte. Erst mit Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges rückte 1941 der Antibolschewismus als ideologisches Brückenglied in den Vordergrund, als auf dem Kirchenmilieu ein übermächtiger Druck lastete, den sog. Rußlandfeldzug mit religiösen Weihen zu versehen. Diesbezüglich zeigten auf dem Eichsfeld wie auch andernorts die Predigten von Pfarrern vorübergehend eine Überbetonung der antibolschewistischen Gemeinsamkeiten von NS-Staat und Katholizismus und ein weitgehendes Verschweigen der negativen Aspekte des NS-Regimes. Inwieweit die antibolschewistische Rechtfertigung des Krieges als Ausdruck von Milieuerosion zu werten ist, hängt u. a. davon ab, wie stark man den kirchlichen Antibolschewismus im subjektiven Empfinden der Pfarrer als eigenständiges Phänomen gewichtet und inwieweit die negativen Aspekte des Nationalsozialismus offen angesprochen wurden. DER ANTI-VERSAILLES-NATIONALISMUS ALS ERSTRANGIGER FAKTOR DER KATHOLISCHEN MILIEUEROSION In der Weimarer Epoche, um die es in diesem Beitrag vorrangig gehen soll, war für die Milieuerosion des Eichsfelder Katholizismus vor allem der AntiVersailles-Nationalismus von zentraler Bedeutung. In gezähmter, gebändigter Form war er auch im katholischen Milieu lebendig. Seine Präsenz erwies sich insofern als folgenreich, als die schwerwiegenden außen- und reparationspolitiHans-Heinrich, Fricke, Hans-Reinhard (Hg.): Duderstadt 1929-1949. Untersuchungen zur Stadtgeschichte im Zeitalter des Dritten Reiches, Duderstadt 1992.

364 DIETMAR KLENKE schen Restriktionen, denen Deutschland unterworfen war, zum zentralen Thema radikalnationalistischen Protestes wurden und in weiten Teilen der reichsdeutschen Bevölkerung auf eine gewisse Resonanz trafen. In solch einem Klima hatten es weltanschauliche Perspektiven schwer, die weiterhin auf den transnationalen Brückenschlag setzten wie der Katholizismus. Als Indikator für den radikalen Anti-Versailles-Nationalismus bieten sich vor allem zwei Wahlen an, zum ersten der 2. Wahlgang der Reichspräsidentenwahl von 1925, in dem der rechtskonservative Weltkriegsgeneral von Hindenburg auf den Zentrumskatholiken Wilhelm Marx als republikanischen Sammelkandidaten traf, und zum zweiten das Youngplan-Volksbegehren der nationalen Rechtsopposition, das 1929 den reparationspolitischen Ausgleich mit den Siegermächten zu hintertreiben suchte und die republikanisch-freiheitliche Ordnung frontal angriff.5 In den beiden Abstimmungen wurde auch der politische Katholizismus als Hauptstütze der Weimarer Nachkriegsrepublik durch das rechtsoppositionelle nationale Lager aggressiv herausgefordert, und beide Male trat ein regional unterschiedlich stark ausgeprägter politischer Katholizismus in Erscheinung, vor allem im Vergleich zwischen katholisch geprägten Regionen in Preußen einerseits und anderen Gliedstaaten des Deutschen Reiches andererseits, wo sich eine kulturkampfbedingte Staatsskepsis im politischen Katholizismus nicht so stark hatte verankern können. Illustriert sei dies durch den folgenden Kontrast. Während etwa im preußischen Regierungsbezirk Köln mit einem Katholikenanteil von 79% in der Reichspräsidentenwahl von 1925 27,2% für Paul von Hindenburg und 67,9% für Wilhelm Marx als Zentrumskandidaten stimmten und nur 2,9% der Stimmberechtigten beim YoungplanVolksentscheid von 1929 für die nationale Rechtsopposition votierten, sah das Bild im Regierungsbezirk Oberbayern mit einem Katholikenanteil von 89,9% völlig anders aus: Dort stimmten 1925 für den evangelisch getauften, nationalkonservativ gesinnten ‚Altpreußen’ Hindenburg 66,2% der Wähler und für den Katholiken Marx nur 30,5%; und 1929 konnte dort die Rechtsopposition für den Youngplan-Volksentscheid immerhin 7,81% der Stimmberechtigten mobilisieren. Das preußische Eichsfeld wies 1925 vor dem Hintergrund hoher Katholikenanteile ähnliche Ergebnisse wie der Regierungsbezirk Köln auf. Erst beim Youngplan-Volksentscheid zeigte der westliche Teil des Eichsfeldes mit der Kreisstadt Duderstadt ein von den katholischen Regionen Preußens abweichendes Bild: Während die Rechtsopposition im Kreis Heiligenstadt nur 2,75% der Wahlberechtigten hinter sich brachte, waren das im Kreis Duderstadt auffällige 9,38%, und damit mehr als etwa in der gemischtkonfessionellen preußischen Provinz Westfalen mit 49,8% Katholiken und einem Stimmanteil für die 5

Die folgenden Wahlergebnissen beruhen auf eigener Berechnung nach folgenden Quellen: Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 312, 372 u. 382.

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Rechtsopposition von nur 5,54%. Angesichts des auffälligen innereichsfeldischen Unterschieds drängt sich die Frage nach den lokalen und regionalen Ursachen der katholischen Milieustabilität geradezu auf, wobei mit Blick auf das sozialstrukturell recht homogene Eichsfeld eher politische und kulturelle Faktoren in den Blick zu nehmen sind, vor allem die konfessionellen Verhältnisse und der überbordende Nachkriegs-Nationalismus, der zur Schicksalsfrage der Weimarer Republik wurde. Die radikalnationalistische Optik, die sich ab 1929 parallel zur Verschärfung der Wirtschaftskrise verbreitete, verunsicherte all die Kräfte, die trotz aller Ablehnung der Versailler Nachkriegsordnung eher ausgleichsorientiert waren und die nationalen Interessen in der Notwendigkeit des transnationalen Interessenausgleichs gespiegelt sehen wollten, aber angesichts des krisenverschärfenden Zusammentreffens von schwerer Konjunkturkrise, ebenso schwerer Überschuldungskrise im Verhältnis zum westlichen Ausland und funktionsuntüchtiger europäischer Nachkriegsordnung ihre Handlungsspielräume rapide schrumpfen sahen und in der Schusslinie rabiater radikalnationalistischer Kritik dramatisch an Glaubwürdigkeit verloren. Je stärker nun Transnationalität in einer politischen Weltanschauung verankert war, umso eher konnte sich diese in den frühen 1930er Jahren gegen die radikalnationalistische Herausforderung behaupten; und das waren zu dieser Zeit nur noch drei bedeutsame Gesinnungslager: der Kommunismus, der demokratische Sozialismus und der politische Katholizismus. Alle anderen politischen Kräfte brachen unter den Schlägen radikalnationalistischen Protestes zusammen, weil ihnen die Vision einer international gerechten Ordnung fehlte, die dem nationaldarwinistischen Rivalitätsdenken der Rechten unter den Bedingungen einer schweren wirtschaftlichen wie politischen Krise eine zukunftsfähige Perspektive hätte entgegensetzen können. War auch der Katholizismus nationalkonservativ überformt, erwiesen sich die davon betroffenen Regionen für den Nationalsozialismus anfälliger, vor allem Teile des deutschen Südens und Ostens im Unterschied zu den katholisch geprägten Regionen im westlichen und mittleren Teil Preußens. Soziologisch betrachtet entfaltete sich der Anti-Versailles-Nationalismus auf dem Eichsfeld vor allem über drei Kommunikationsräume, die zur Einbruchstelle des Nationalsozialismus wurden: die Tagespresse, die Schulen und das Netzwerk der vaterländischen Vereine, dabei u. a. die überregionalen Kontakte und die Einbindung in überregionale Verbandsöffentlichkeiten. Von all diesen Milieufaktoren hat in der Forschung die Presseöffentlichkeit bislang die geringste Aufmerksamkeit gefunden, ganz im Gegensatz zu ihren beachtlichen bewusstseinsprägenden Wirkungen. Die nachfolgenden Ausführungen schenken daher der Presse die größte Beachtung, und zwar in Gestalt einer quellennahen Analyse, wohingegen die anderen Kapitel auf den Ergebnissen der einschlägigen Forschungsliteratur basieren.

366 DIETMAR KLENKE NATIONALPOLITISCH KONTRASTIERENDE KATHOLISCHE MILIEUS IN HEILIGENSTADT UND DUDERSTADT Ich greife für die vergleichende Analyse die beiden größten städtischen Mittelpunkte des Eichsfeldes heraus, die Kreisstädte Duderstadt und Heiligenstadt.6 In Duderstadt war vor 1933 mehr als ein Viertel der Bevölkerung evangelisch, in Heiligenstadt hingegen waren es nur 15%. In Duderstadt wies die Oberschicht zu gleichen Teilen evangelische und katholische Prägungen auf, wohingegen in Heiligenstadt auch die Honoratioren zumeist katholisch getauft waren. In Duderstadt beherrschte die katholische Zentrumspartei die politische Lokalszene nicht so eindeutig wie in Heiligenstadt. Sie brauchte bereits in den frühen und mittleren Jahren Weimars Koalitionspartner, die sie sich auf der Linken in Gestalt der Sozialdemokraten suchte. Weil die Zentrumspartei Mühe hatte, die christliche Arbeiternehmerschaft an sich zu binden, lag eine Koalitionsbildung auf der Linken nahe, was dadurch erleichtert wurde, dass die führenden sozialdemokratischen Funktionäre praktizierende Katholiken waren im Unterschied zu den örtlichen Vertretern der liberalen und der Mittelstandsparteien, die für das Gros der evangelischen Bevölkerung standen. Infolge der Linksorientierung des Zentrums sammelte sich auf der Rechten ein ‚vaterländisches’ Lager, das sich aus Protestanten und aus dezidiert national eingestellten Katholiken zusammensetzte. Dieses Lager fühlte sich in der Kommunalpolitik unvertreten oder gar an den Rand gedrängt. Am deutlichsten äußerte sich das darin, dass die Linksmehrheit aus Zentrum und Sozialdemokraten zunächst einmal ein Mahnmal für die ermordeten Republikaner Erzberger und Rathenau und den verstorbenen Reichspräsidenten Ebert errichten ließ, und zwar im Jahre 1927. Erst danach kamen Bestrebungen zum Zuge, ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Weltkrieges zu errichten. Dies geschah 1931. Insbesondere der Kriegerverein empfand als empörend, dass ermordeter Republikaner noch vor den Kriegsgefallenen gedacht wurde. Diese symbolpolitische Akzentsetzung bestärkte die Duderstädter Protestanten erst recht in ihrer Ansicht, dass der Wechsel vom Wilhelminischen Kaiserreich zur Republik einen politischen und moralischen Abstieg ohnegleichen eingeläutet hatte. Vor Ort sahen sie sich angesichts des Bündnisses von Zentrumspartei und SPD politisch an den Rand gedrängt. Dabei gab es nationalkonservativ eingestellte Kreise durchaus auch in der Zentrumspartei, die über das Brückenglied der vaterländischen Vereine zwischen politischem Katholizismus und Nationalkonservativismus zu vermitteln suchten. Insbesondere der katholische Verleger der „Südhannoverschen Volkszeitung“, der Zentrumspolitiker Georg Hövener, ein Vorstandsmitglied 6

Der folgende Städtevergleich basiert größtenteils auf meiner Eichsfeld-Studie von 2003 und den Studien von Breitmeier aus den Jahren 1999 und 2000 (siehe Anm. 4).

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des Kriegervereins, akzentuierte den Anti-Versailles-Nationalismus als verbindendes überkonfessionelles Element. Eine Stütze hatte das oppositionelle Unbehagen gegen die Linkskoalition des Zentrums vorneweg im Krieger- und im Schützenverein sowie in der „Südhannoverschen Volkszeitung“, die sich generell der katholischen Zentrumspartei verpflichtet fühlte im Unterschied zur konkurrierenden „Eichsfelder Morgenpost“, dem Sprachrohr des bürgerlichnationalen Lagers in Duderstadt. Unverkennbar zeigte die örtliche Presseöffentlichkeit, auch die zentrumsnahe Zeitung, eine nationalistische Schlagseite. Der davon ausgehende Sog bereitete 1929 die Rechtswendung der örtlichen Zentrumspartei vor. Eine vergleichbare Konstellation gab es in Heiligenstadt nicht. Die Zentrumspartei regierte dort bis 1929 mit absoluter Mehrheit, so dass es nicht wie in Duderstadt zu einer Koalitionsbildung mit polarisierenden Wirkungen kam, die nationalpolitisch eingefärbt war. Bei den innerparteilichen Auseinandersetzungen in der Heiligenstädter Zentrumspartei spielten im Unterschied zu Duderstadt nationalpolitische Aspekte keine erkennbare Rolle. Innerhalb der breit integrierenden Heiligenstädter Ortsgruppe waren die Übergänge zum vaterländischen Lager sehr fließend. Da es dort keine Koalitionsrücksichtnahmen nach links hin gab und es zu keinen polarisierenden symbolpolitischen Akten nach Art des Duderstädter Denkmalstreits kam, konnte das Zentrum die nationalen Stimmungen weitgehend an sich binden und damit bändigen. Selbst die Partei des Mittelstandes, die sich aus Anlass der Kommunalwahl von 1929 von der Rathausfraktion des Heiligenstädter Zentrums trennte, hielt die katholischen Milieubindungen bis zur Machtergreifung Hitlers aufrecht. Erst danach erwies sie sich als Einbruchstelle der Nationalsozialisten. Das Zusammenwirken mehrerer Faktoren gab den Ausschlag, dass die Nationalsozialisten in Heiligenstadt sehr viel später Fuß fassten als in Duderstadt. Zum ersten hatte die Stadt einen sehr geringen Protestantenanteil. Zum zweiten waren wegen der beherrschenden Stellung des Zentrums die polarisierenden Potentiale des Weimarer Parteiensystems entschärft. Das hatte zur Folge, dass ein sich gegen die republikanische Mitte scharf absetzendes vaterländisches Lager nur schwach ausgeprägt war. Zum dritten beherbergte Heiligenstadt als kulturelles Oberzentrum des gesamten Eichsfeldes so viele kirchliche Einrichtungen, dass deren Eigengewicht in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht deutlich spürbar war. Ein vergleichbares Phänomen lässt sich etwa im religiösen Oberzentrum Paderborn beobachten. In Heiligenstadt blieb mangels vorgeprägter politischer Polarisierung der soziale Sprengstoff, der sich aus der Arbeitslosigkeit, der Abstiegsgefährdung des Mittelstandes und der verelendeten Wanderarbeiterschaft nährte, bis 1932 unterhalb jener Schwelle, wo die sozialen Probleme in radikalnationalistischen Protest umschlagen konnten. Mit anderen Worten: Es gab bis zum Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise nicht die

368 DIETMAR KLENKE erforderliche ‚kritische Masse’, aus der in Heiligenstadt auf der extremen Rechten entgegen dem massiven katholischen Milieudruck eine Parteibildung hätte erwachsen können. So erklärt sich, dass die Nationalsozialisten erst 1931 in Heiligenstadt öffentlich in Erscheinung traten und anfangs sehr große Mühe hatten, sich dort zu verankern. Das verspätete Auftreten erfolgte von außen, nicht aus der alteingesessenen Bürgerschaft heraus. Auch hier zeigen sich wieder deutliche Parallelen mit dem religiösen Oberzentrum Paderborn. In Duderstadt hingegen gab es eine ‚kritische Masse’, die den Anstoß für eine vergleichsweise frühe rechtsextreme Parteibildung gab. Bereits 1925, mehrere Jahre vor der großen Weltwirtschaftskrise, gründete ein katholischer Duderstädter Mittelständler eine Ortsgruppe der NSDAP, die sich bei der Reichstagswahl von 1930 in einem Ergebnis sonnen konnte, das mit 20,9% deutlich über dem Reichsdurchschnitt von 18,3% lag und auch den nationalpolitischen Protest gegen die republikanische Symbolpolitik der langjährigen Linksmehrheit spiegelte.7 In Duderstadt speiste sich der frühe Wahlerfolg der NSDAP aus drei Quellen: aus einem sich gegen die katholische Zentrumspartei deutlich absetzenden vaterländischen Lager, dem Protestanten wie Katholiken angehörten, obendrein aus dem deutlich höheren Anteil des evangelischen Bekenntnisses und nicht zuletzt aus einem sozialen Protestpotential, das sich ähnlich wie in Heiligenstadt im gewerblichen Mittelstand, in der Arbeitnehmerschaft und bei den Wanderarbeitern konzentrierte. Unter den gegebenen sozialen, kommunalpolitischen und konfessionellen Umständen bildete sich in Duderstadt eine ‚kritische Masse’, die es der NSDAP vergleichsweise leicht machte, dort trotz eines ausgeprägten katholischen Milieus schon früh Fuß zu fassen. VATERLÄNDISCHES VEREINSWESEN ALS EINBRUCHSTELLE DES KATHOLISCHEN MILIEUS Wie sehr im vaterländischen Gesinnungslager Duderstadts konfessionsübergreifende Kontakte gepflegt wurden und wie sehr sich gerade diese Strukturen als Einfallstor des Nationalsozialismus erwiesen, zeigt ein Blick auf die überkonfessionelle Zusammenarbeit bedeutsamer Teile der städtischen Oberschicht im Schützen- und im Kriegerverein, die beide recht aktiv waren und entsprechend stark das kommunale Klima bestimmten. Im Vereinszusammenhang gingen die Vertreter der beiden Konfessionen so vertraut miteinander um, dass der katholische Milieuzusammenhang dort praktisch gesprengt war. Auch die 1000jahrfeiern des Stadtjubiläums offenbarten 1929 stark überkonfessionelle Züge, die den Eindruck aufweichender Milieugrenzen bestätigten. Anders sah 7

Ebeling/Fricke (wie Anm. 4), S. 451.

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es in Heiligenstadt mit einer dort erdrückenden katholischen Mehrheit aus. So war dort die breitaufgestellte Schützengesellschaft ‚Fleisch vom Fleische’ des katholischen Milieus. Sie war in die Welt der katholischen Fest- und Feierriten so fest eingebunden, daß sich wohl kaum ein bekennender Protestant dorthin verirrt haben dürfte. Auch nach 1933 hielten die Heiligenstädter Schützen so zäh an ihrem katholischen Brauchtum fest, dass sich die Nationalsozialisten alle Mühe geben mussten, diese nach außen sichtbaren Bindungen zu kappen. Erst 1937 gelang ihnen das. Gleichwohl fühlten sich auch die Heiligenstädter Schützen der vaterländischen Ideenwelt verbunden, aber diese Anteile waren in ihrem politischen Selbstverständnis auf Grund der engen kirchlichen Bindung zurückgestuft. Bei den Kriegervereinen hatten die Unterschiede nicht solch großes Gewicht wie bei den Schützen. Beide, der Duderstädter wie der Heiligenstädter Kriegerverein, boten ein interkonfessionelles Erscheinungsbild und markierten damit eine prominente Bruchzone des politischen Katholizismus. Aber in Heiligenstadt fehlte jeglicher Anstoß, sich dezidiert vom katholischen Milieu als Bestandteil der republikanischen Welt abzugrenzen. Denn eine polarisierende Linkswendung des Zentrums wie in Duderstadt gab es ja nicht, und damit auch keine Irritationen zwischen nationalkonservativen und eher ‚ultramontanen’ Katholiken wie in Duderstadt. Die Beziehungen zwischen den katholischen Honoratioren und den vaterländischen Vereinen waren in Heiligenstadt so gut, dass die Nationalsozialisten dort erheblich größere Startschwierigkeiten hatten als in Duderstadt. Auch im Sportwesen zeigten sich deutliche Unterschiede. In beiden Städten existierten der katholische Jugendsportverband (Deutsche Jugendkraft) und konfessionell ungebundene Sportvereine nebeneinander. Aber in Duderstadt war das katholische Sporttreiben schwächer ausgeprägt als in Heiligenstadt, wo die katholische Jugendbewegung vor allem während der Großen Krise beträchtlich zulegte und beachtliche Mobilisierungserfolge erzielte. In Duderstadt hingegen war die katholische Jugendarbeit von Rivalitäten unter den Führungspersönlichkeiten überschattet, die überdies im Umgang mit der Jugend keine glückliche Hand bewiesen. Infolgedessen wanderte die Jugend zu Vereinen ab, deren Führung eher protestantisch und vaterländisch geprägt war. Am markantesten trat das im ‚Jung-Stahlhelm’ zu Tage, der in Duderstadt auf großen Zuspruch traf. In Heiligenstadt hingegen zogen die im Sport engagierten katholischen Honoratioren an einem Strang und erwiesen sich als so mobilisierungsfreudig, dass der konfessionelle Jugendsport dort mehr Bindekräfte entfaltete als in Duderstadt. Der Umstand, dass sich 1934 sogar ein Zirkel von Heiligenstädter Jugendlichen bildete, der der Gleichschaltung der katholischen Jugendverbände konspirativ entgegentrat, unterstreicht den Kontrast zwischen den beiden Städten und der Widerstandsfähigkeit katholischer Vereinigungen.

370 DIETMAR KLENKE Neben strukturellen Faktoren spielten hier aber auch personelle Zufälligkeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Auch die katholischen Jungmänner- und Gesellenvereine waren in Heiligenstadt stärker vertreten als in Duderstadt. Während sie in Duderstadt 1934 fast vor der Selbstauflösung standen, bevor die nationalsozialistischen Verbote wirksam wurden, vermochten sie in Heiligenstadt auch Jahre nach der Machtergreifung noch ein reges Vereinsleben aufrechtzuerhalten. Auch an der unterschiedlich starken Präsenz von konfessionellen Gesellen-, Jungmänner- und Jugendvereinen läßt sich die katholische Milieustabilität messen. Betrachtet man das Vereinswesen im Vergleich, so zeigen sich deutliche Unterschiede im Hinblick auf katholische Milieustabilität einerseits und der Öffnung gegenüber nationalistischen Haltungen andererseits. Während sich die dezidiert katholischen Vereine als ausgesprochen resistent gegenüber dem Radikalnationalismus erwiesen, gab es bei den übrigen Vereinen graduelle Unterschiede im Hinblick auf radikalnationalistische Affinitäten. Bei den Vorständen der Traditionsschützenvereine etwa dürfte ein Beitritt zur NSDAP nach der Machtergreifung wohl eher dem Organisationsschutz gedient haben. Die Schützen pflegten als überkonfessionelle Vereine noch die engsten Beziehungen mit dem katholischen Kirchenmilieu. Hingegen gab es bei den dezidiert vaterländisch orientierten Vereinen größere ideologische Schnittmengen mit dem Nationalsozialismus, vor allem auf dem Felde eines radikalen AntiVersailles-Nationalismus und eines autoritären Staatsideals im Sinne eines wehrhaft geschlossenen nationalen Machtstaates. In diesem Sinne erwiesen sich als prominente Einfallstore des Nationalsozialismus: die Krieger- und Wehrvereine, der Verein für das Deutschtum im Ausland, die Turnvereine in der Jahnschen Tradition, die dem Deutschen Sängerbund angeschlossenen Männergesangvereine und die Altherren-Vereinigung des CV-Verbandes der farbentragenden katholischen Studenten. Vorneweg Ärzte, Juristen und Gymnasiallehrer traten nach 1933 als zeitweilig kooperationswillige Partner des NSStaates auf. DIE LOKALE PRESSEÖFFENTLICHKEIT ALS GEWICHTIGER MILIEUFAKTOR Die Presselandschaft der beiden Städte ähnelte äußerlich sehr stark; es gab jeweils eine auflagenstarke zentrumsnahe Tageszeitung und ein kleineres Blatt vornehmlich der protestantischen Minderheit mit nationalliberalem bis nationalkonservativem Einschlag. Die zentrumsnahen Organe zeigten in ihrer politischen Ausrichtung Unterschiede, die nicht unerheblich waren. Das war angesichts der damaligen Deutungsmacht der Druckmedien, insbesondere der Tagespresse, von großer Bedeutung für das politische Meinungsprofil im jeweiligen Verbreitungsgebiet. Während in der Duderstädter „Südhannoverschen Volkszeitung“ ein eher nationalkonservativer Katholizismus die Zeilen be-

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stimmte, trat im Heiligenstädter „Eichsfelder Volksblatt“ ein christlich-sozialer, linksliberal-republikanischer und pazifistischer Grundzug in Erscheinung, der in seinen religiösen Bindungen die kosmopolitischen und transnationalen Seiten des Katholizismus stark herauskehrte. Letzteres äußerte sich in der konsequenten Unterstützung der auf Verständigung und Ausgleich bedachten Außenpolitik der Weimarer Regierungen. Deutlich schimmerte dabei der dezidiert übernationale Charakter der katholischen Heilslehre durch. Auf dieser Basis ritt das Heiligenstädter Organ teilweise scharfe Attacken gegen das Lager der nationalen Rechten. Dies zeigte sich bereits Jahre vor dem rasanten Aufstieg der NSDAP und prägte die Redaktionspolitik auch in den ersten Monaten der nationalsozialistischen Machtergreifung noch. Anders sah es in Duderstadt aus, wo das dezidiert national ausgerichtete Zentrumsorgan eine pragmatisch-loyale Haltung gegenüber der Nachkriegsrepublik und der langjährigen Zusammenarbeit des Zentrums mit den Sozialdemokraten einnahm. Dem widersprach nicht, dass man generell eine koalitionspolitische Rechtsbindung der Zentrumspartei favorisierte. Erst in dem Moment setzte sich das Zentrumsorgan mit der Problematik des extremen Nationalismus energisch auseinander, als dieser in Gestalt der aufsteigenden NSDAP auch für die katholische Kirche als Institution bedrohlich wurde und die Deutschnationalen im Bündnis mit Hitler die Grundlagen der freien politischen Betätigung unübersehbar gefährdeten. Im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung schliff sich das unterschiedliche Profil der beiden eichsfeldischen Zentrumsorgane im Zeichen des aufgenötigten Spagats zwischen Katholizismus und extremem Nationalismus ab. DIE HEILIGENSTÄDTER ZENTRUMSPRESSE ALS SPRACHROHR EINES REPUBLIKANISCHEN UND NATIONALISMUSKRITISCHEN LINKSKATHOLIZISMUS

Das Heiligenstädter Zentrumsorgan, das vom Cordier-Verlag herausgegebene „Eichsfelder Volksblatt“, lässt sich redaktionspolitisch dem linken Flügel der Zentrumspartei zuordnen. Bestimmend war ein christlich-sozialer, liberaler und um internationale Verständigung bemühter republikanischer Kurs, der die Gräben und Feindbilder des Weltkrieges überwinden wollte. Damit hob sich das „Volksblatt“ deutlich vom auflagenschwächeren „Eichsfelder Tageblatt“ ab, das das dem Anti-Versailles-Nationalismus verpflichtete Gesinnungsmilieu der vaterländischen Vereine bediente und in den frühen 1930er Jahren den Brückenschlag zur NS-Bewegung vollzog. Nach dem I. Weltkrieg bemühte sich das zentrumsnahe „Volksblatt“, zwischen katholischer und vaterländischer Identität zu vermitteln, aber es setzte bis Frühjahr 1933 den Akzent eindeutig auf spezifisch katholische Vorstellungen. So brachte das Blatt nach dem Ruhrkampf und den aufwühlenden Auseinandersetzungen um das Reparationsab-

372 DIETMAR KLENKE kommen von 1924 den Mut auf, eindringlich vor „falschem Nationalgefühl“ zu warnen.8 Selbst im nationalistisch aufgeheizten Klima dieses Jahres wollte das Volksblatt die stolze Erinnerung an den tapfer durchstandenen Kulturkampf nicht missen: Er sollte den Katholiken als Mahnung dienen, sich nicht vor dem überhandnehmenden vaterländischen „Wortradikalismus“ zu verbeugen. Pflichterfüllung gegenüber dem Nationalstaat wollte das Blatt zwar als christliche Tugend anerkennen, aber jede vaterländische Verpflichtung fand wie zu Zeiten des Kulturkampfs ihre Grenze an den Geboten Gottes und am Lehrauftrag der katholischen Kirche. Mit anderen Worten: Die kirchliche Morallehre stand im Konfliktfall über der vaterländischen; sie setzte dem nationalen Prinzip unübersteigbare Grenzen. Auch die pazifistische und internationalistische Gesinnung wollte sich das Heiligenstädter Zentrumsorgan im Schatten der Kriegsniederlage nicht nehmen lassen. Es grenzte sich zwar vom antinationalen Internationalismus der sozialistischen Linksparteien ab, beharrte aber gegenüber dem übertriebenen Nationalgeist der Rechtsopposition auf der weltkirchlichen Einbindung des katholischen Nationalempfindens.9 Hier zeigte sich ein spezifisch katholischer Brückenschlag, der die nationalen Gegensätze zwischen den Siegern und den Verlierern des Weltkriegs auf friedlichem Wege überwinden wollte, dies alles in der Hoffnung, die Folgen der Kriegsniederlage und der Versailler Nachkriegsordnung im Geiste der christlichen Nächstenliebe und Friedenspflicht mildern zu können. Wie sehr dieses Bemühen auch im Heiligenstädter Lokalmilieu auf Resonanz traf, bezeugte 1927 die Aufführung eines französischen Theaterstücks, das aus pazifistischer Perspektive das Schicksal der Frontsoldaten beleuchtete. Dieses Stück wurde ausschließlich in katholisch geprägten Städten im preußisch-norddeutschen Raum aufgeführt.10 Damit leistete das Eichsfelder Volksblatt einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des nationalismusskeptischen katholischen Gesinnungskerns – ein Einfluss, der angesichts der herausragenden Stellung der Druckmedien in der Weimarer Republik nicht unterschätzt werden darf. Gleichwohl hatte die Redaktion des Volksblattes unter dem Druck des anwachsenden Rechtsradikalismus ihre liebe Mühe, zwischen katholischer und vaterländischer Identität zu vermitteln: auf der einen Seite der übernationale religiöse Heilsanspruch des Katholizismus und auf der anderen Seite die wach8

Dr. S. P. Widmann (Münster), Katholiken, wacht auf!, in: Eichsfelder Volksblatt (im folgenden das Kürzel: EVB) vom 1.12.1924.

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Grundsätzliches über „Internationalismus“ und „Pazifismus“, in: EVB vom 2.12.1924.

10 Heiligenstädter Aufführung eines Theaterstücks von Paul Raynal, in: ETB vom 11.2.1927.

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senden nationalistischen Stimmungen in der Bevölkerung unter dem Druck einer schweren Wirtschaftskrise und drückender Auslandsverpflichtungen. Diese Spannung wurde ab 1932 in den Zeilen des Volksblatts deutlich spürbar. Unübersehbar verschaffte sich ein gewisser nationalistischer Trend Geltung, als im Juni 1932 eine Kundgebung der eichsfeldischen Kolping-Vereine den „katholischen Glauben“ mit der „germanischen Seele“ glaubte vereinbaren zu müssen.11 Aber das Volksblatt stemmte sich gegen diese Tendenzen, so gut es eben ging. So empfahl es im April 1932 seinen Lesern, sich im Heiligenstädter Kino den Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ anschauen; dieser Film schien geeignet zu sein, gegen die Auswüchse des Nachkriegs-Nationalismus zu immunisieren.12 Im Juli 1932 bekräftigte das Volksblatt noch einmal ausdrücklich, dass man sich das konfessionelle Selbstvertrauen nicht von denen rauben lassen wolle, die Gott zum Sklaven der Nation herabwürdigten oder gar beabsichtigten, den Glauben an ihn gänzlich abzuschaffen.13 Ganz auf dieser Linie lag die Kritik des Zentrums-Blattes an den paramilitärischen Aktivitäten auf der Rechten. Hier sah das Blatt Bestrebungen am Werk, die auf die Entfesselung eines neuen Weltkrieges zielten.14 Hinter dieser Kritik lag ein wesentliches Element des katholischen Menschenbildes verborgen, wonach die moralische Unvollkommenheit und Sündhaftigkeit des Menschen jeden kämpferischen bis fanatischen Veränderungsoptimismus Lügen strafte. Statt dessen zielten die katholischen Erlösungshoffnungen vornehmlich auf das Jenseits und im Zusammenhang damit auf die heilsvermittelnde Rolle der Kirche. Aus dieser Perspektive ließ sich eine große Vielzahl diesseitiger Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten besser ertragen, so auch die Versailler Nachkriegsordnung, die die Heiligenstädter Redaktion des Volksblattes ähnlich wie die nationale Rechte für schreiendes Unrecht hielt. Aber hinter diesem Unrecht, und da lag der entscheidende Unterschied, erblickte sie eher ein allgemein menschliches und zeitgebunden politisches Problem als eine spezifisch nationale oder gar religiöse Frage, für die man so ohne weiteres Gott hätte vereinnahmen dürfen. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler ging das Zentrumsblatt im Geiste des Anti-Versailles-Revisionismus auf die neuen Machthaber zu, verwahrte sich aber energisch gegen den Vorwurf, die Katholiken hätten sich im Krieg und in der Nachkriegszeit als Verräter an der nationalen Sache entlarvt. Man hielt dagegen, daß auch die Katholiken im Weltkrieg genügend „heroische 11 Kundgebung der eichsfeldischen Gesellenvereine, in: EVB vom 14.6.1932. 12 EVB vom 30.4.1932, Notiz, Lokalteil, S.1. 13 Religiöser oder politischer Katholizismus?, in: EVB vom 1.7.1932. 14 Eine ernste Stimme – Der katholische Jungmännerverband der Erzdiözese Köln, in: EVB vom 24.9.1932.

374 DIETMAR KLENKE Beweise ihrer vaterländischen Opferwilligkeit“ erbracht hätten.15 Aus diesem Blickwinkel hatte die Zentrumspartei auf verantwortungsvolle Weise Dienst an der Nation geleistet, nicht aber die nationale Rechtsopposition, die ohne Rücksicht auf die Folgen „wortradikal“ aufgetreten sei und sich damit sogar als „national unzuverlässig“ entpuppt habe. Hier drehte das Volksblatt noch im Februar 1933 offensiv den Spieß um und gab eine stereotype vaterländische Kampfparole an das rechte Lager zurück. Gleichwohl sah es sich mit Blick auf die neuen Machtverhältnisse genötigt, Anleihen beim vaterländischen KämpferEthos zu machen, ähnlich wie dies auch andere Zentrumsorgane wie etwa die Duderstädter Volkszeitung taten. Aber genau hier hielt das Blatt in seiner Anpassungsbereitschaft inne, indem es die ethisch-religiöse Grenzlinie zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus nochmals klar markierte. Demzufolge fand die Hitler-Bewegung keine Schranken mehr in einer universalmenschheitlichen Gottesidee, und deshalb konnte sie die Nation zum „Götzen“ erheben mit allen Mißbrauchsgefahren, die einer zu engen Verbindung von Politik und religiösem Auftrag innewohnten. Im Anschluß an solche Gedankengänge hieß es frei von spagathaften Verrenkungen über das Verhältnis von Nationalismus und katholischer Identität: „Hier nun stoßen die Auffassungen auf katholischer Seiten mit denen der Rechtsradikalen in der schärfsten Weise zusammen. Dem Katholiken ist die nationale Arbeit in erster Linie insofern wertvoll, als sie dazu beiträgt, das Kommen des Gottesreiches zu fördern. In diesem Reiche gibt es aber keine künstlichen Sonderungen, keine Privilegierungen nach Rassen und Klassen, und darum muß auch der Katholik einen Nationalismus ablehnen, der die Gleichheit der Gotteskinder ablehnt. Die Erkenntnis aber des hohen Gutes, das er in seiner Nation besitzt, läßt ihn gleichzeitig erkennen, was er den Brudernationen schuldig ist. Das ist die vielgeschmähte katholische ‚Internationalität’, die grade aus der Erkenntnis und Wertschätzung des wesentlich Nationalen erwachsen ist und die Bedeutung der Nation wiederum danach bemißt, wie wertvoll ihre Arbeit im Menschheitsinteresse ist. Für das katholische Nationalgefühl gilt in besonderem Maße das Wort des großen Schweizer Dichters: ‚Achte jedes Mannes Vaterland, aber das deinige liebe!’“16 Diese Klarheit in der katholischen Standortbestimmung ließ das Volksblatt nach der Festigung der NS-Herrschaft mehr und mehr vermissen. Zunächst aber, unmittelbar nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933, verwahrte es sich gegen die Anwürfe der Nationalsozialisten noch in aller Entschiedenheit. Es widerspreche der historischen Wahrheit, hieß es offensiv abwehrend, die Katholiken im Sinne der Dolchstoßlegende als Vaterlandsverräter abzustempeln. Das Deutsche Reich habe den Weltkrieg auf Grund der Übermacht der 15 Was heißt national?, in: EVB vom 18.2.1933. 16 Ebd.

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Gegner verloren, ließ das Blatt klarsichtig verlauten, nicht auf Grund eines angeblichen Dolchstosses von hinten. Demnach handelte es sich um eine propagandistische Verdrehung der Tatsachen, wenn die Novemberrevolution neben dem Versailler Diktatfrieden zur Hauptursache der nationalen Übelstände erklärt wurde. Niemand habe das Recht, hieß es in diesem Sinne weiter, die Katholiken dafür zu schmähen, daß sie angesichts des militärischen Zusammenbruchs „gerettet (hätten), was zu retten war“.17 An dieser Stelle trieb das Volksblatt seine mutigen Attacken gegen den Nachkriegs-Nationalismus bis zu einem Punkt voran, wo es sich im Unterschied zu anderen zentrumsnahen Organen über ein grundlegendes nationales Tabu hinwegsetzte. Immerhin sei „der 9. November“, hieß es offenherzig, „der Schlußstein einer verfehlten Politik“ gewesen, und das Zentrum habe alles getan, „den 11. August 1919 zum Grundstein eines neuen freien Deutschlands“ werden zu lassen. Damit war der Verfassungstag gemeint. Bemerkenswert offensiv hielt das Blatt den nationalsozialistischen Diffamierungen entgegen: „Niemand hat das Recht, den Konkursverwalter eines gewaltsam verschleuderten reichen Erbes verantwortlich zu machen für die Not und das Elend, das die verblendete Politik der kaiserlichen Regierungen der Vorkriegszeit und der Kriegsjahre über das deutsche Volk gebracht hat.“ Mit solchen Worten ging das Blatt weit über eine bloße Verteidigung der zentrumskatholischen Nachkriegspolitik hinaus. Die Redaktion legte es nicht allein darauf an, sich gegen den Vorwurf des „Novemberverbrechers“ und „Erfüllungspolitikers“ zu verteidigen, sondern ging ausgesprochen selbstbewusst in die Offensive, indem sie die Angriffe des rechten Lagers auf zwei Ebenen parierte: Zum ersten stellte sie heraus, dass man im Zeichen des Zusammenbruchs gegen Ende des Krieges die nationalen Interessen verantwortungsvoll verteidigt habe im Gegensatz zum verantwortungsscheuen Wortradikalismus der nationalen Rechten und damit Deutschland gleichsam als Konkursverwalter vor Schlimmerem bewahrt habe. Zum zweiten aber ging das Volksblatt deutlich über diese im katholischen Milieu verbreitete Argumentationsfigur hinaus, indem es mit Blick auf den 1. Weltkrieg vom nationalistischen Glaubenssatz des reinen Verteidigungskrieges abrückte und neben den Siegerstaaten auch der kaiserlichen Vorkriegs- und Kriegspolitik eine gewisse Mitverantwortung für die Niederlage und das Nachkriegsdesaster zuschrieb. Gerade damit setzte es sich deutlich von der selbstgerechten nationalistischen Opferidentität ab, wie sie von der nationalen Rechten bis weit in die politische Mitte verbreitet war. Zu Tage tritt hier eine in der supranationalen katholischen Perspektive gründende Selbstdistanz gegenüber der weit verbreiteten Kriegsunschuldsmentalität. Diese Haltung wirkte vor allem deshalb argumentativ be17 Was ist die Wahrheit? Der 9. November 1918 als Zusammenbruch eines versagenden Systems, in: EVB vom 11.3.1933.

376 DIETMAR KLENKE freiend, weil allein diese Perspektive das Potential hatte, die defensive Abwehrhaltung der Zentrumspartei gegenüber dem Vorwurf des Vaterlandsverrats in eine Anklage umzumünzen, die auf einen selbstgerechten, geschichtsklitternden Nationalismus zielte, der die Verantwortungsübernahme der Weimarer Parteien nach der Novemberrevolution als Verbrechen am deutschen Volk diffamierte. Es war die supranationale, mit pazifistischen Haltungen sympathisierende konfessionelle Gesinnungsfestigkeit, die das Heiligenstädter Volksblatt noch im März 1933 befähigte, gegenüber dem sich festigenden NS-Regime selbstbewusst aufzutreten und die Nachkriegsrepublik gegen ihre rechtsradikalen Feinde zu verteidigen. Alles in allem zeichnete sich die Redaktionspolitik des Volksblattes in nationalpolitischen Fragen durch eine sehr ausgewogene, selbstkritische Anteile einschließende Haltung aus, die im katholischen Milieu Preußens nicht selten anzutreffen war. Bis zur Gleichschaltung im Frühjahr 1933 konnte sich diese Distanzhaltung gegenüber dem Anti-Versailles-Nationalismus im Heiligenstädter Zentrumsorgan behaupten. Seit der Ära des großen Kulturkampfs unter Bismarck hatte man sich eine gewisse Skepsis gegenüber der religiös-weltanschaulichen Überhöhung des reichsdeutschen Nationalstaates bewahrt. Diese Haltung erfuhr in der Krisenzeit der späten Weimarer Jahre im Lichte der diktatorischen Bedrohung von rechts und links eine Wiederbelebung und wurde nach der nationalsozialistischen Machtergreifung auf eine harte Probe gestellt. Aber noch im März 1933 zeigten Redaktion und Verleger des Volksblatts eine erstaunliche Standfestigkeit gegenüber dem mächtigen nationalistischen Zeitgeist. Bei allem Bemühen, Nationalismus und Katholizismus zu versöhnen, enthielt sich das Blatt konsequent jedweder Zugeständnisse an die wahnhaften Feindbildvorstellungen und die überschießenden sozialdarwinistischen Weltmachtambitionen der Nationalsozialisten; dies schloss eine kompromisslose Ablehnung des völkischen Rassismus ein. Den Aufruf der NSDAP, am 1. April jüdische Geschäfte zu boykottieren, kommentierte das Blatt u. a. mit dem Abdruck eines Appells der Reichsvertretung der deutschen Juden, die auf ihr legitimes Recht pochten, vollberechtigte Deutsche zu sein.18 Damit setzte das Blatt ein mutiges Zeichen gegen die von oben betriebene antisemitische Verhetzung. Aber eine offensive Abwehr des radikalen Nationalismus fand im April 1933 ihr Ende. Nunmehr wurden angesichts des wachsenden Drucks von oben aus dem Spagat zwischen Nation und Katholizität weltanschauliche Verrenkungen, die an die Substanz des übernationalen Heilsanspruchs gingen. Ganz in diesem Sinne war dem Zentrumsorgan im April zu entnehmen, daß der „Nationalismus von Gott gewollt sei“ und daß die „nationale Wiedergeburt“ Deutschlands auf dem „germanisch-christlichen Kraftquell“ des mittelalterlichen Deut18 EVB vom 30.3.1933.

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schen Reiches gründe.19 Diese Tendenz setzte sich im Mai auf der ganzen Linie durch. An Selbstverleugnung grenzend, hieß es, daß die „Universalität“ der katholischen Kirche nicht mit „Internationalität“ verwechselt werden dürfe, vielmehr die „Weltkirche“ ihre Gläubigen verpflichte, „das Vaterland zu lieben und ihm mit höchster und letzter Opferbereitschaft zu dienen“.20 Hier setzte massiv weltanschauliche Erosion ein, dies allerdings erst unter dem massiven Anpassungsdruck eines terroristischen diktatorischen Regimes und nicht schon unter den freiheitlichen Bedingungen der Republik oder der Übergangszeit bis zur Festigung des NS-Regimes im April 1933. DIE DUDERSTÄDTER ZENTRUMSPRESSE ALS SPRACHROHR EINES NATIONALKONSERVATIVEN KATHOLIZISMUS In Duderstadt hatte bestimmenden Einfluss auf die zentrumsnahe „Südhannoversche Volkszeitung“ der Verleger und Zentrumspolitiker Georg Hövener, der ungeachtet aller katholischen Milieubindungen im überkonfessionellen Kriegerverein Duderstadts eine exponierte Stellung innehatte und als rechter Flügelmann seiner Partei der Rathaus-Koalition mit den Sozialdemokraten nur wenig Sympathien entgegenbrachte. Pazifistische, auf Versöhnung mit den Siegermächten hinwirkende Kommentare zum Zeitgeschehen fanden in die Volkszeitung kaum Eingang, anders als im Heiligenstädter Zentrumsorgan, wo diese Tendenz deutlich sichtbar in Erscheinung trat. Unübersehbar zeigten sich im Duderstädter Zentrumsorgan nationalkonservative Vorbehalte gegenüber der Republik, als 1927 auf Initiative der Duderstädter Ortsgruppe des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ ein republikanisches Mahnmal eingeweiht wurde, das zum einen an die ermordeten Republikaner Matthias Erzberger und Walter Rathenau und zum anderen an den verstorbenen Reichspräsidenten Friedrich Ebert erinnerte. Die Berichterstattung darüber erfolgte im Zentrumsorgan auffallend distanziert.21 Gleichwohl vermied man aus Gründen der Loyalität gegenüber der republikanischen Rathauskoalition aus Zentrum und SPD, das Unbehagen in aller Offenheit zu artikulieren, vorneweg den Eindruck, dass sich mit dem „Ebert-Rathenau-Erzberger“-Gedenkstein vor allem die Sozialdemokraten ein Denkmal gesetzt hätten und das linke Gesinnungslager damit der Errichtung eines Kriegerehrenmals zuvorgekommen war, dessen Errichtung in 19 Zu Ostern 1933, in: EVB vom 15.4.1933. 20 Katholizismus und neues Deutschland, in: EVB vom 26.6.1933. 21 Vorankündigung der Einweihung des republikanischen Denkmals für Erzberger, Rathenau und Ebert, in: Südhannoversche Volkszeitung (im Folgenden das Kürzel: SHVZ) vom 31.3.1927; Weihe des Ebert-Rathenau-Erberger-Denkmals, in: SHVZ vom 2.8.1927.

378 DIETMAR KLENKE den bürgerlichen Schichten konfessionsübergreifend als vordringlich empfunden worden wäre. Nicht zuletzt bedauerte diese ‚vaterländische’ Schieflage der nationalkonservative Verleger des örtlichen Zentrumsorgans in seiner Eigenschaft als führender Kriegervereinsfunktionär. Entsprechend teilnahmslos und knapp berichtete die Volkszeitung über das Einweihungszeremoniell für das Republik-Denkmal, das ja immerhin auf der Zustimmung der Rathausmehrheit aus Zentrum und Sozialdemokraten gründete.22 Die auffällige Distanzhaltung drückte sich vor allem darin aus, dass man sich über die Parteizugehörigkeit des prominentesten Veranstaltungsredners ausschwieg, der als Vertreter des Bundesvorstandes des Reichsbanners auftrat und der Zentrumspartei angehörte. Auch die Motive, warum man die auf dem Gedenkstein genannten republikanischen Politiker würdigte, erwähnte der Artikel mit keinem Wort, obwohl mit dem ermordeten Erzberger auch eine verdienstvolle Führungspersönlichkeit der Zentrumspartei unter den Geehrten war und man von einem zentrumsnahen Organ doch zumindest eine Würdigung des parteieigenen ‚Märtyrers’ hätte erwarten dürfen. Dass sich die Volkszeitung in Richtung Erzberger noch nicht einmal zu einer Minimalwürdigung veranlasst sah, wirft grelles Licht auf die distanzierte Haltung, die Hövener als nationalkonservativer Flügelmann des Zentrums der koalitionspolitischen Linksorientierung seiner Partei und der republikanischen Nachkriegsära entgegenbrachte, die ja ganz wesentlich von der sog. „Weimarer Koalition“ geprägt worden war. Und genau für diese DreiParteien-Koalition standen ja die ermordeten bzw. verstorbenen Persönlichkeiten, die auf dem Ehrenmal verewigt wurden. Wie weit die Vorbehalte gegenüber dem parteiübergreifenden Zusammenwirken von Sozialdemokraten und Zentrumskatholiken im Rahmen des Reichsbanners gingen, artikulierte die Volkszeitung unmißverständlich im Zusammenhang mit dem Streit um den überparteilichen Charakter des Reichsbanners, der in überwiegend evangelischen Regionen des Reichsgebiets zumeist das Erscheinungsbild eines sozialdemokratischen Wehrverbandes bot und sich dort für sozialdemokratische Parteizwecke einspannen ließ. Dass mit Blick darauf die im Reichsbanner mitwirkenden Zentrumsanhänger und Linksliberalen strikte Überparteilichkeit einforderten, bekräftigte die Volkszeitung ausdrücklich und ist für sich genommen auch nicht weiter verwunderlich. Bezeichnend ist aber, woran sie Anstoß nahm, wenn sie die sozialdemokratische Vereinnahmung des Reichsbanners kritisierte. Zum einen ging es um die marxistisch klassenkämpferischen Ziele, zum anderen aber um die pazifistischen und internationalistischen Perspektiven. Entsprechend polemisch attackierte die Volkszeitung die Sozialdemokraten als eine Partei, die sich offenbar „im Fahrwasser der internationalen pazifistischen ‚Nie wieder Krieg-Schreier’ wohlfühlte“.23 Verständigung und Aussöh22 Weihe des Ebert-Rathenau-Erzberger-Denkmals, in: SHVZ vom 2.8.1927.

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nung zwischen den Kriegsgegnern stand hier als Perspektive den Kriegsvisionen, wie sie im Zeichen des Anti-Versailles-Nationalismus auch in den Kriegervereinen virulent waren, diametral entgegen. Es blieb ironischerweise der „Eichsfelder Morgenpost“ als Organ des gegnerischen nationalliberalen und evangelisch-nationalkonservativen Parteienlagers vorbehalten, in aller Ausführlichkeit über das linksrepublikanische Einweihungszeremoniell zu berichten.24 Vor allem die lobenden Worte, mit denen die Weiheredner das Lebenswerk des Zentrumspolitikers Erzberger würdigten, machen erklärlich, warum einem am rechten Flügel der Zentrumspartei orientierten Zeitungsorgan die Errichtung solch eines Denkmals unsympathisch sein musste. Erzbergers Verdienste bestanden aus der Sicht der Denkmalsstifter vor allem darin, dass er sich in weiser Erkenntnis der ungünstigen Kriegslage ab 1917 „leidenschaftlich für den Verständigungsfrieden eingesetzt und nach dem Zusammenbruch seine ganze Kraft zum Wiederaufbau zur Verfügung gestellt“ hatte.25 So gesehen hatte Erzberger, so ein weiterer Redner, nicht leichtfertig, sondern aus „ernster Pflichterfüllung“ den „Versailler Vertrag unterzeichnet“, was ihm den Haß des gesamten rechten Lagers eingetragen hatte.26 In der gleichen Weise würdigte man auch Rathenaus außenpolitische „Versöhnungsaktion“, die die Denkmalsstifter gegen den nationalistischen Vorwurf des „Landesverrates“ verteidigten. Konsequent war, dass im Rahmen der Einweihungsfeier nur die dritte Strophe des Deutschandliedes als poetischer Ausdruck eines geläuterten republikanischen Nationalbewusstseins erklang und nicht die nationalistisch gefärbten ersten beiden Strophen. Auch dies musste aus nationalkonservativer Sicht eher auf Befremden stoßen. Letztlich ging es bei diesem Denkmalsprojekt um die Scheidelinie zwischen nationalpolitisch verantwortungsvollem Ausgleich mit den Siegermächten und einer selbstgerechten nationalistischen Konfrontationsmentalität, von der sich auch die Redaktionspolitik der Duderstädter Zentrumszeitung ein wenig angesprochen fühlte. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Errichtung eines Denkmals für die Märtyrer der demokratischen Republik, in der man lebte und wirkte, einflussreiche katholische Repräsentanten des Duderstädter Bürgertums in Verlegenheit brachte. Als ‚Vernunftrepublikaner’ schwankten sie zwischen den Gesinnungslagern der republikanischen Mitte und der nationalen Rechtsopposition. Wo das Herz des Duderstädter Zentrumsorgans schlug, zeigt eindrücklich der Vergleich zwischen der dürftigen Berichterstattung über das Republikaner23 Reichsbanner und Internationale, in: SHVZ vom 4.8.1927. 24 Denkmalsweihe des Reichsbanners, in: Eichsfelder Morgenpost vom 2.8.1927. 25 Weiherede des Vertreters des Bundesvorstandes des Reichsbanners Dr. Hatzelmann (Magdeburg), der der Zentrumspartei angehörte, in: ebd. 26 Weiherede des Vertreters der SPD Jean Uebel, in: ebd.

380 DIETMAR KLENKE Denkmal von 1927 und der üppigen Reportage über das Gefallenen-Ehrenmal von 1931. Vor der Einweihung des Kriegerdenkmals ließ die Volkszeitung keinen Zweifel daran, wie sehr sie diesen großen Tag herbeigesehnt hatte, nachdem es zuvor wegen „unglücklicher Umstände“ (Mangel an Sponsoren) sehr lange gedauert hatte, bis auch die Duderstädter ihre „Dankesschuld an die Gefallenen“ abtrugen.27 Demzufolge stand das Denkmal für ein religiösmoralisches Vermächtnis der Gefallenen: Mit ihrem Opfertod hatten sie als Verteidiger des Vaterlandes den Überlebenden die Verpflichtung auferlegt, in ihrem Sinne weiterzuwirken: d.h. als oberste politische Handlungsmaxime hatte zu gelten, dem „Parteienhader“ entgegenzutreten und sich als Deutsche zusammenzuraufen, um den machtpolitischen Wiederaufstieg ins Werk zu setzen. Als oberster moralischer Leitgedanke schwebte über den Ansprachen die „Verherrlichung des Opfertodes für das Vaterland“.28 Darin kam ein überkonfessioneller nationalreligiöser Grundzug zum Ausdruck, den der Auftritt der Pfarrer der beiden christlichen Großkonfessionen nachhaltig unterstrich. Auch der katholische Propst Algermissen wusste in seiner Ansprache ohne jede Einschränkung eine religiöse Verpflichtung auf die Nation bis hin zum Opfertod zu propagieren.29 Er leistete damit unbeabsichtigt einer nationalkirchlichen Erosion des Katholizismus Vorschub. Lokale Presseöffentlichkeit und christlicher Klerus demonstrierten damit einen nationalkonservativen Grundkonsens auf Basis der Vorstellung einer deutschen Schicksalsgemeinschaft, die sich unter Aufbietung aller Kräfte gegenüber einer wenig wohlgesonnenen Mächtewelt zu behaupten hatte. Sich dafür bis zur Aufopferung des Lebens einzusetzen, hatte als religiöse Pflicht zu gelten. In dieser Vorstellungswelt gab es rückblickend nur nationale Selbstverteidigung, gegenüber der jede Kritik an einer möglicherweise verfehlten deutschen Machtpolitik in Vergangenheit oder Gegenwart zu verstummen hatte. Vor allem hatte der Glaubenssatz des reinen deutschen Verteidigungskrieges als unantastbar zu gelten. In solch einem von dramatisierenden nationalen Selbstbehauptungsszenarien geprägten Klima hatte konfessionelle Identität keinen Platz mehr, setzte sich vielmehr des Verdachts der nationalen Spaltungsabsichten aus – ein Vorwurf, der den reichsdeutschen Katholizismus seit den Tagen des großen Kulturkampfes immer wieder getroffen hatte. Eine dramatisierende nationale Opferidentität schob sich in den Vordergrund, unterfüttert von der allgemeinen Krisenstimmung des 27 Unseren Kriegsgefallenen zum Gedächtnis!, in: SHVZ vom 16.8.1931. 28 Enthüllung des Gefallenen-Ehrenmals, in: SHVZ vom 18.8.1931. Von der „Verherrlichung des Opfertodes fürs Vaterland“ sprach der der Zentrumspartei angehörende Duderstädter Bürgermeister Oeben. 29 Wortlaut der Ansprache von Propst Algermissen, in: Enthüllung des GefallenenEhrenmals, in: SHVZ vom 18.8.1931.

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Sommers 1931 nach dem spektakulären Zusammenbruch der Danat-Großbank. Im Hintergrund standen die traumatisierenden Erinnerungen an den Weltkrieg, die im „Lied vom guten Kameraden“ um nachträgliche Sinnstiftung für das Massensterben an den Fronten des Krieges rangen.30 Wie auf zahllosen anderen Gedenkveranstaltungen der Weimarer Jahre stand auch in Duderstadt dieses Lied für das nationalreligiöse Vermächtnis, im Geiste der Gefallenen für die Nation rastlos weiterkämpfen zu müssen, um dann erst im Jenseits bei Gott Ruhe finden zu können. Von hier aus war es nicht mehr weit bis zu der Vorstellung, dass es eine exklusive Beziehung zwischen Gott und deutscher Nation gebe. Nur unter großen Mühen konnten sich gegenüber solchen Sichtweisen konfessionelle Gottesvorstellungen behaupten. Ohne ein gewisses Maß an nationaler Selbstdistanz war dies nicht zu haben, wie im Unterschied zu Duderstadt das Beispiel der Heiligenstädter Zentrumspresse zeigt. Der Fixierung auf die nationale Opferrolle ließ die Duderstädter Volkszeitung immer wieder den unbefriedigenden machtpolitischen Status des Reiches in den Vordergrund rücken. Sie sah sich genötigt, außenpolitischen Fragen selbst dann den Vorrang einzuräumen, wenn aus der Sicht der Zentrumspartei eigentlich schwerwiegende innenpolitische Fragen die politische Agenda hätten bestimmen müssen. Drastisch brachte dies der kommentierende Wochenüberblick nach dem Preußen-Staatsstreich vom 20. Juli 1932 zum Ausdruck.31 Hatte sich die Volkszeitung zunächst dem lautstarken Protest gegen die gewaltsame Amtsenthebung der preußischen Regierung angeschlossen und im Zeichen der Solidarität mit den eigenen Parteigenossen die Zerschlagung der Preußenkoalition aus Zentrum und Sozialdemokraten als staatspolitisch verhängnisvoll bezeichnet,32 so berichtete sie kurz darauf bemerkenswert distanziert über die Absicht süddeutscher Landesregierungen, in dieser Sache Klage vor dem 30 Ebd.; Vgl. zur nationalreligiösen Bedeutung des Liedes vom guten Kameraden von Ludwig Uhland (Text) und Friedrich Silcher (Musik) Dietmar Klenke: Der singende „deutsche Mann“. Gesangvereine und deutsches Nationalbewusstsein von Napoleon bis Hitler, Münster 1998, S.184. Im „Lied vom guten Kameraden“ wird der überlebende Soldat mit der Trauer über seinen gefallenen Kameraden nur über die Perspektive des Weiterkämpfens fertig, bis man sich im Jenseits nach dem Tode wiedertrifft. Das sinnstiftende Vermächtnis des Zufalls, wen die Kugel trifft und wer überleben darf, besteht darin, im Sinne der Wertewelt, für die der Gefallene sein Leben hingab, mit der gleichen Opferbereitschaft weiterzukämpfen. Insofern lässt sich diese Hymne unter den Bedingungen der Weimarer Nachkriegsrepublik als nationalreligiöses Bekenntnisritual eines radikalen, auf Vergeltung sinnenden Anti-Versailles-Nationalismus charakterisieren. 31 Von Woche zu Woche. Randbemerkungen zur Zeitgeschichte, in: SHVZ vom 24.7.1932 32 Verhängnisvoller Weg, in: SHVZ vom 22.7.1932.

382 DIETMAR KLENKE Leipziger Staatsgerichtshof zu erheben. Als wollte man nach dem ersten Aufschrei beschwichtigen, hieß es lakonisch, dass die Öffentlichkeit den Gewaltstreich gegen Preußen „ruhig aufgenommen“ habe.33 Der Kommentar lief auf den Appell hinaus, dass man ungeachtet aller innenpolitischen Aufgeregtheit doch der internationalen Politik mehr Aufmerksamkeit zu widmen habe, namentlich dem deutschen Kampf um militärpolitische Gleichberechtigung auf der internationalen Abrüstungskonferenz. In der merkwürdig zwiespältigen Kommentierung des Preußen-Staatsstreichs spiegelte sich die Ambivalenz eines nationalkonservativen katholischen Blattes, das zwischen der Solidarität mit der eigenen Partei und einer handfesten Abneigung gegenüber der langjährigen preußischen Linkskoalition schwankte. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zeigte sich, dass das Duderstädter Zentrumsorgan dem ideologischen Druck des NS-Regimes weniger entgegenzusetzen hatte als das Heiligenstädter, das deutlich weniger weltanschauliche Schnittmengen mit dem Nationalsozialismus aufwies als das nationalkonservative Zentrumsblatt Duderstadts. Bereits vor dem Einschnitt des Reichstagsbrands argumentierte die Volkszeitung ausgesprochen defensiv bis hin zu anbiedernden Kooperationsangeboten in Richtung Hitler-Kabinett.34 Die fundamentalen weltanschaulichen Gegensätze, die noch zuvor aus kirchenkatholischer Sicht beschworen worden waren, schienen sich nach Hitlers Machtantritt relativiert zu haben. Im Mittelpunkt stand die defensive Abwehr des Vorwurfs, der Zentrumskatholizismus sei national unzuverlässig. Man bemühte sich, die programmatischen Differenzen möglichst klein erscheinen zu lassen und vaterländische Gesinnungsfestigkeit zu demonstrieren. Offensive Attacken auf den Radikalnationalismus als verführerische und gefährliche Weltanschauung blieben aus; statt dessen übte man Kritik an der neuen Rechtskoalition, die am Kern der ideologischen Attraktivität des Nationalsozialismus vorbeiging. So verwies man auf Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der Osthilfe oder kritisierte die höchst einseitige Interessenpolitik des Hitler-Hugenberg-Kabinetts, wobei die Deutschnationalen mehr in die Schusslinie gerieten als die Nationalsozialisten, die mit der Zentrumspartei in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen mehr Gemeinsamkeiten zu haben schienen als mit den Deutschnationalen. Teilweise erschien Hugenberg in der Kommentierung als der starke Mann des neuen Reichskabinetts, nicht Hitler,35 und man glaubte aus der Perspektive der Zentrumspartei mit einer braun-schwarzen Koalition liebäugeln zu können, indem man die sozialen Interessengegensätze zwischen Deutschnatio33 Von Woche zu Woche. Randbemerkungen zur Zeitgeschichte, in: SHVZ vom 24.7.1932 34 Plumpe Ablenkungsmanöver, in: SHVZ vom 16.2.1933. 35 Abg. Dr. Offenstein auf dem Eichsfeld, in: SHVZ vom 25.2.1933.

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nalen und Nationalsozialisten hochspielte und im Gegenzug die weltanschaulichen und verfassungspolitischen Gegensätze zwischen NSDAP und Zentrum kleinredete.36 Dass dies aus der Perspektive eines nationalkonservativen Katholizismus leichter fiel als aus der eines republikanischen und internationalistischen Linkskatholizismus, der im Heiligenstädter Organ des Zentrums tonangebend war, liegt auf der Hand. Als nach dem Reichstagsbrand der politische Druck spürbar zunahm, verlegte sich das Duderstädter Zentrumsorgan auf eine rein defensive Kommentierung des aktuellen Zeitgeschehens. In erster Linie schien es nur noch darum zu gehen, das politische Überleben zu sichern, indem man als Zentrumspartei gegenüber den neuen Machthabern nationale Gesinnung demonstrierte und sich gegenüber dem Marxismus abgrenzte.37 Mit Blick auf den Weltkrieg war nunmehr ausdrücklich von einem „stolzen und ruhmreichen Heer“ die Rede, und das Zentrum schien seine nationale Zuverlässigkeit eindrucksvoll bewiesen zu haben, indem es nach dem militärischen Zusammenbruch das Deutsche Reich vor dem Bolschewismus bewahrt hatte. Nach der Reichstagswahl vom 5. März brachen dann alle weltanschaulichen Dämme in dem verzweifelten Bemühen, der neuen Regierung im Lichte der Festigung ihrer Macht die Zusammenarbeit mit dem Zentrum schmackhaft zu machen. Nunmehr erklärte man christlichkonservative und nationalistische Gesinnung zu zwei Seiten ein und derselben Medaille.38 Das ging so weit, dass man Ende März Katholizismus und Nationalismus praktisch für wesensgleich erklärte und damit einem Nationalchristentum offensiv das Wort redete.39 Von einer kritischen Auseinandersetzung mit der Hitler-Regierung, wie sie im Heiligenstädter Organ auch nach der Reichstagswahl vom 5. März noch anzutreffen war, war nichts mehr zu spüren. Als dann Ende März eine antisemitische Hetzkampagne über das Reich hinwegging, vertrat die Volkszeitung ohne jede Brechung oder Abschwächung die offizielle Propagandalinie, wonach sich das deutsche Judentum die Übergriffe und Repressalien selber zuzuschreiben hatte, weil es das Ausland angeblich zu antideutscher Greuelpropaganda angestachelt hatte und damit alle antisemitischen Zuschreibungen zu bestätigen schien.40 Bemühungen, der offiziellen 36 Die Januarparteien. Alter und neuer Nationalismus, in: SHVVZ vom 16.2.1933. 37 Zentrum – Helfershelfer des Marxismus?, in: SHVZ vom 1.3.1933. 38 Das „zweite Stadium der deutschen Revolution“, in: SHVZ vom 21.3.1933; Regierung und Parlament, in: SHVZ vom 24.3.1933. 39 „Katholisch und deutsch“.“ P. Georg von Sachsen über Katholizismus und Nationalismus, in: SHVZ vom 26.3.1933. 40 Schluß mit der Hetze ! Boykottanweisung der NSDAP, in: SHVZ vom 30.3.1933; Offensive Abwehr, in: SHVZ vom 1.4.1933; Von Woche zu Woche, in: SHVZ vom 2.4.1933.

384 DIETMAR KLENKE Lesart eine andere Deutung der Geschehnisse entgegenzusetzen, wie man dies in Heiligenstadt versuchte, waren nicht zu beobachten. Das Duderstädter Zentrumsorgan erweckte bereits Ende März den Eindruck eines weitgehend gleichgeschalteten Presseorgans. RESÜMEE Es gab im katholischen Milieu der Eichsfelder Kreisstädte Heiligenstadt und Duderstadt klar erkennbare Einbruchstellen des Nationalsozialismus. In beiden Fällen erwiesen sich vor allem drei Gruppen und Sozialräume für radikalnationalistisches Gedankengut anfällig: die vaterländischen Vereine, dabei vor allem deren bildungsbürgerliche Führungskreise, sodann Teile der evangelischen Minderheit und abstiegsbedrohte mittelständische Kreise. Die genannten Einbruchstellen zeigten im Vergleich der beiden Städte graduelle Unterschiede. In Heiligenstadt fielen sie weniger stark ins Gewicht als in Duderstadt, wo die NSDAP bereits 1932 zu einem unübersehbaren Faktor der Politik wurde. Der evangelische Volksteil, der geringere konfessionelle Barrieren gegen den Radikalnationalismus errichtet hatte, war in Duderstadt deutlich stärker vertreten, die vaterländischen Vereine wirkten dort dem konfessionellen Selbstverständnis stärker entgegen als in Heiligenstadt und die örtliche zentrumsnahe Tagespresse verfocht in Duderstadt keine so klar abgrenzende Redaktionspolitik gegenüber dem rechtsoppositionellen nationalen Lager wie in Heiligenstadt. Bemerkenswert ist, dass die für die katholische Milieustabilität so wichtige Presseöffentlichkeit in Duderstadt eine offene Flanke bot. Denn die zentrumsnahe Tageszeitung wirkte eher im Sinne eines Brückenschlags nach rechts als im Geiste klarer Abgrenzung gegenüber den weltanschaulichen und politischen Gegnern auf der Rechten. In milieutheoretischer Hinsicht ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, dass die zentrumsnahe Presse in unterschiedlicher Weise zur Verbreitung nationalistischer Denkweisen beitrug. In diesem Wirkungsfeld spielten die Verlegerpersönlichkeiten und deren Redaktionspolitik eine milieuprägende Rolle, der in der vergleichenden historischen Milieuforschung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Ein kosmopolitisch denkender, republikanisch und pazifistisch gesinnter Verleger in Heiligenstadt stand einem nationalkonservativ orientierten Verleger in Duderstadt gegenüber. Angesichts der Schlüsselstellung, die dem Massenmedium Tagespresse neben dem erst wenig verbreiteten Radio für das politische Bewusstsein zukam, können wir mit guten Gründen annehmen, dass die katholische Milieustabilität in Konfrontation mit dem Nationalsozialismus in erheblichem Maße auch von der politischen Ausrichtung der zentrumsnahen Tagespresse abhing. In Duderstadt zeigte sich ein geringerer, in Heiligenstadt ein größerer Abstand gegenüber

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nationalsozialistischen Ideologemen. Gewiss trug auch dies neben anderen Faktoren zur erstaunlich großen Milieustabilität in Heiligenstadt bei. „Einbruchstellen“ der NS-Diktatur, die nicht nur auf äußere opportunistische Anpassung im Sinne einer politischen ‚Hagelversicherung’ zurückzuführen waren, gab es vor allem in bildungsbürgerlichen Kreisen, die sich vor 1933 im Rahmen des überkonfessionellen vaterländischen Vereinswesens profiliert hatten. Allerdings bestand der Machtkern der NSDAP in Heiligenstadt vorwiegend aus Zugezogenen, flankiert von einheimischen Persönlichkeiten aus dem Bildungsbürgertum, während es in Duderstadt auch eine kleine Gruppe verschworener einheimischer ‚Nationalsozialisten der ersten Stunde’ gab. Hinzu kam in Duderstadt die Besonderheit, dass sich dort bereits in den zwanziger Jahren ausgerechnet ein alteingesessener Katholik als selbständiger Gewerbetreibender anbot, die NSDAP vor Ort zu repräsentieren. Dies erwies sich für die Partei als Glücksfall. Sie hatte es deshalb nach der Machtergreifung leichter, sich vor Ort Respekt zu verschaffen. In Heiligenstadt hingegen hatte die Partei große Mühe, in der katholischen Bevölkerung loyale Stimmungen zu erzeugen. Unter den Anführern der ersten Stunde befand sich kein alteingesessener Heiligenstädter. Aus diesem Grunde galten die Parteifunktionäre als Eindringlinge und nach der Machtergreifung als Eroberer. Obendrein hatten sie auf Grund ihres teilweise groben bis rabiaten Auftretens kaum eine Chance, geachtet zu werden, auch nicht von denjenigen Heiligenstädtern, die nach der MärzWahl von 1933 merkten, was die Stunde geschlagen hatte, und sich daher über den Beitritt zur NSDAP äußerlich an die neuen Machtverhältnisse anzupassen versuchten. In Duderstadt bot sich ein anderes Bild. Dort setzte der Kreisleiter der NSDAP als alteingesessener Bürger und regelmäßiger Kirchgänger den nationalsozialistischen Machtanspruch äußerst behutsam durch. Bis zu seiner Absetzung im Jahre 1937 wirkte er als Prellbock zwischen katholischem Milieu und NS-Gauleitung. In der Anfangszeit vermittelte er der Bevölkerung das Gefühl, dass an den katholischen Kircheninteressen nicht gerührt werde. Beruhigend wirkte seine öffentlich bekundete Distanz gegenüber gewissen Auswüchsen des Nationalsozialismus. Auf diese Weise nahm die Bereitschaft zu, sich mit den neuen Machthabern zu arrangieren. Bis die Herrschaft vor Ort gefestigt war, hielt die Gauleitung der Partei aus wohlverstandenem taktischen Kalkül am einheimischen Kreisführer fest. Erst danach verhärteten sich die Fronten, als er nicht mehr gebraucht wurde. In Heiligenstadt hingegen gab es von Beginn an keine vertrauenserweckende, ausgleichende Führungspersönlichkeit unter den Nationalsozialisten. Um ihr Außenseitertum wettzumachen, traten die NSFührer dort härter auf als in Duderstadt. Der Heiligenstädter Mittelstand, der seit dem Frühjahr 1933 aus wirtschaftlichen Gründen gewisse Hoffnungen in die Nationalsozialisten gesetzt hatte, gewann sehr bald den Eindruck, dass die

386 DIETMAR KLENKE Stadt für ihre frühere Treue zur katholischen Zentrumspartei bestraft wurde. Entsprechend verfestigte sich ein Klima lediglich äußerer Anpassung. Festhalten lässt sich, dass der Anti-Versailles-Nationalismus und der Antibolschewismus die entscheidende ‚Achillesferse’ waren, an der der Nationalsozialismus ansetzte, um das katholische Gesinnungsmilieu aufzuweichen. Im ländlichen Raum des Eichsfeldes war es aber vorwiegend das Anti-VersaillesSyndrom, das auf den Katholizismus milieuschwächend wirkte. Soziologisch betrachtet entfaltete sich der Anti-Versailles-Nationalismus vor allem über die Kommunikations- und Profilierungsräume der Tagespresse, der Schulen und des Netzwerkes der vaterländischen Vereine. Diese Netzwerke und deren Führungsschichten sollten in der Forschung künftig noch stärker zu den spezifisch konfessionellen Sozialräumen in Beziehung gesetzt werden, wenn man die Resistenz eines spezifisch katholischen Milieus differenzierter abschätzen will, als dies bislang gelungen ist.

ZWISCHEN EROSION UND ERNEUERUNG: KATHOLISCHES MILIEU IM OLDENBURGER MÜNSTERLAND 1919-1939 JOACHIM KUROPKA DIE ‚SCHWÄRZESTE‘ ECKE DEUTSCHLANDS Als ‚schwärzeste’ Ecke Deutschlands gilt seit langem das Oldenburger Münsterland, die heutigen Landkreise Vechta und Cloppenburg.1 Dazu hat der Arbeitskreis für Kirchliche Zeitgeschichte Münster mit seinem Erklärungsmodell zur Entstehung katholischer Milieus eine wertvolle Vorlage geliefert mit Indikatoren für die soziale Reichweite und die Intensität der Einbindung der kirchennahen Katholiken, indem der Milieustandard durch den Anteil der Osterkommunikanten, die Dichte durch Jahreskommunionen pro Osterkommunikant geAbb. 1: Typen katholischer Vergesellschaftungsformen in Deutschland um 1914

90

1

Vgl. dazu Heinrich Schmidt: 175 Jahre Oldenburger Münsterland, Oldenburg 1979; Joachim Kuropka: Zur historischen Identität des Oldenburger Münsterlandes, Münster 21987; ders.: Katholizismus, Kirche und südoldenburgische Identität, in: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 2004, S. 42-63; Cord Eberspächer: 200 Jahre Oldenburger Münsterland, Oldenburg 2003.

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messen werden.2 In einer graphischen Darstellung lassen sich dann Milieuregionen, nicht-kirchliche und traditionale Lebenswelten einordnen. Unter den besonders dichten katholischen Milieus finden sich erwartungsgemäß der Niederrhein, Fulda, das Emsland, das Untereichsfeld und Münster. Abb. 2: Abbildung 1 ergänzt um Oldenburger Münsterland  Oldenburger Münsterland

90

Das Oldenburger Münsterland ist in der Graphik des Arbeitskreises nicht vertreten. Die Ergänzung zeigt eindrücklich: tatsächlich handelt es sich beim Oldenburger Münsterland um die ‚schwärzeste Ecke’ Deutschlands. DAS OLDENBURGER MÜNSTERLAND Das Oldenburger Münsterland ist der Teil des sog. Niederstifts Münster (nördliche Gebiete des Fürstbistums Münster)3, der 1803 an das Herzogtum Olden2

Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte Münster: Konfession und Cleavages im 19. Jahrhundert. Ein Erklärungsmodell zur regionalen Entstehung des katholischen Milieus in Deutschland, in: Historisches Jahrbuch 120, 2000, S. 358-395, hier S. 364f.

3

Zu den Territorien des Fürstbistums Münster vgl. Alwin Hanschmidt: Das 18. Jahrhundert, in: Wilhelm Kohl (Hg.): Westfälische Geschichte, Bd. 1, Von den Anfängen bis zum Ende des Alten Reiches, Düsseldorf 1983, S. 605-679; Wilhelm Kohl: Die Ämter Vechta und Cloppenburg vom Mittelalter bis zum Jahre 1803. In: Albrecht Eckhardt in Zusammenarbeit mit Heinrich Schmidt (Hg.): Geschichte des Landes Oldenburg, Oldenburg 1987, S. 229-269.

390 JOACHIM KUROPKA burg gekommen war. Hatte das Niederstift – nur durch eine schmale Landbrücke im Westen mit dem Oberstift verbunden – schon im Fürstbistum Münster ein gewisses Eigenleben geführt, war der neue, rein katholische Landesteil im evangelischen Herzogtum Oldenburg zunächst ein exotischer Fremdkörper. Für den ‚aufgeklärten‘ Altoldenburger gewissermaßen ein Stück Mittelalter. Mit dem evangelischen Norden und dem katholischen Süden des Landes stießen „zwei verschiedene Welten“ zusammen.4 Die Inkorporation des neuen Landesteils verlief konfliktlos, vor allem weil die herzogliche Regierung die Eigenheiten des Südens akzeptierte und mit einer kirchlichen Oberbehörde in Vechta, dem Bischöflich Münsterschen Offizialat, einen eigenen Generalvikar des Bischofs von Münster für die Katholiken im Herzogtum Oldenburg installieren konnte.5 So wurde auf die Haltung der katholischen kulturellen Eigenheiten sorgsam geachtet, insbesondere mit dem Aufkommen des politischen Katholizismus seit 1871. Die Oldenburgische Zentrumspartei stellte mit meist 90 %iger Zustimmung der katholischen Wähler in der Regel ein Viertel der Landtagsabgeordneten im Oldenburgischen Landtag. Insgesamt führten diese Gegebenheiten zur Ausbildung einer katholisch grundierten eigenen Identität, die das kulturell-gesellschaftliche wie politische Leben des Oldenburger Münsterlandes prägte und die bis heute erkennbar geblieben ist.6 KIRCHLICHKEIT ODER RELIGIÖS BESTIMMTES ALLTAGSHANDELN Zur Frage der Intensität katholischer gesellschaftlich-politischer Prägungen hat Wilfried Loth darauf aufmerksam gemacht, dass es im Modell des Arbeitskreises nur um die Kirchlichkeit geht und damit der soziale Lebenszusammenhang nicht erfasst wird7. Religiöses Ideal und soziales Handeln fallen eben nicht ohne weiteres zusammen. In einer Analyse der religiösen Lage in Münster vor der Volksmission im Jahre 1931 unterschied der Klerus drei Gruppen von Katholiken, zum einen die „echt katholischen“, die ihre gesamte Lebensführung an den kirchlichen Normen ausrichteten, sich allerdings in der Öffentlichkeit nicht engagierten, zum zweiten diejenigen, die den religiösen Pflichten nach4

Heinz-Joachim Schulze: Vom Niederstift Münster zum Oldenburger Münsterland. Das Werden einer historischen Landschaft. In: Oldenburger Jahrbuch 80, 1980, S. 71-121.

5

Vgl. Joachim Kuropka: Die katholische Kirche. In: Rolf Schäfer, Joachim Kuropka, Reinhard Rittner, Heinrich Schmidt (Hg.): Oldenburgische Kirchengeschichte, Oldenburg 22005, S. 473-522.

6

Vgl. Joachim Kuropka: Zur historischen Identität (wie Anm. 1), S. 57f.

7

Wilfried Loth: Milieus oder Milieu? Konzeptionelle Überlegungen zur Katholizismusforschung. In: Johannes Horstmann / Antonius Liedhegener (Hg.): Konfession, Milieu, Moderne. Konzeptionelle Positionen und Kontroversen zur Geschichte von Katholizismus und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Schwerte 2001, S. 79-95, hier S. 83f.

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kamen, daraus jedoch lebensweltliche Konsequenzen nicht zogen. Das war die Mehrzahl der Katholiken, und zum Dritten diejenigen, die zwar mit „Rücksicht auf die Umgebung, auf das Elternhaus“ eine gewisse Kirchlichkeit praktizierten, jedoch „am Rande des Abfalls“ stünden.8 Das Alltagshandeln der Katholiken war also bestenfalls auch vom Glauben bestimmt, aber eben bei den meisten weitaus stärker durch materielle Sicherung, soziale Anerkennung, Fortkommen der Kinder, beruflichen Aufstieg usw.. Münster, damals eine Stadt von etwa 100.000 Einwohnern, gehört zwar zu den dichten Milieus, in denen in der Weimarer Zeit der ‚Zentrumsturm’ zumindest in den Wahlen zwar insgesamt stabil gehalten werden konnte, die politische Integration des Milieus angesichts der wachsenden sozialen Spannungen aber immer schwieriger wurde.9 Am Ende müssen den, wenn auch gebremsten, Aufstieg der NSDAP angesichts der Konfessionsstruktur eben auch Katholiken ermöglicht haben und es liegt die Vermutung nahe, dass es die „am Rande des Abfalls“ waren.10 KATHOLISCH ODER VATERLÄNDISCH Natürlich waren die Strukturprobleme auf dem Land in Südoldenburg längst nicht von der Brisanz, wie in der Stadt Münster. Beispielsweise stand die angesehene katholische Adelsfamilie von Galen in Dinklage (Landkreis Vechta) treu zur Zentrumspartei11, anders als große Teile des westfälischen Adels, die ins rechtskatholische und DNVP- bis NSDAP-Lager abwanderten.12 Dennoch kam es auch im Oldenburger Münsterland zu einem Konkurrenzangebot mit dem Versuch, um den Stahlhelm, den „Bund der Frontsoldaten“, ein gesellschaftiches Umfeld zu schaffen und zur ‚katholischen’ eine alternative gesell8

Zit. nach Antonius Liedhegener: Christentum und Urbanisierung. Katholiken und Protestanten in Münster und Bochum 1830-1933, Paderborn u.a. 1997, S. 253.

9

Vgl. Hans-Ulrich Thamer: Stadtentwicklung und politische Kultur während der Weimarer Republik. In: Franz-Josef Jakobi (Hrsg.): Geschichte der Stadt Münster, Bd. 2, Münster 1993, S. 219-284, hier S. 235, 246f, 279f.; Doris Kaufmann: Katholisches Milieu in Münster 1928-1933. Politische Aktionsformen und geschlechtsspezifische Verhaltensräume, Düsseldorf 1984, S. 35.

10 Vgl. Joachim Kuropka: Auf dem Weg in die Diktatur. Zu Politik und Gesellschaft in der Provinzialhauptstadt Münster 1929-1934. In: Westfälische Zeitschrift 134, 1984, S. 157-199, hier 167f. 11 Vgl. Joachim Kuopka: Aus heißer Liebe zu unserem Volk und zu unserer hl. Kirche. Franz Graf von Galen als Politiker. In: Oldenburger Jahrbuch 107, 2007, S. 101-125. 12 Vgl. Horst Gründer: Katholizismus im Kaiserreich und in der Weimarer Republik unter besonderer Berücksichtigung der Rheinlande und Westfalens. In: Westfälische Zeitschrift 134, 1984, S. 197-155, hier S. 141f.

392 JOACHIM KUROPKA schaftliche Gruppe zu etablieren, die „vornehmlich vaterländische Interessen“ pflegen wollte, wie in der Zeitung erklärt wurde.13 Eine vergleichsweise kleine nationalistisch eingestellte Gruppe – auch Katholiken – bemühte sich um die Kriegervereine. Es wurde eine Stahlhelm-Frauenschaft gegründet sowie eine Jungstahlhelmgruppe und man veranstaltete „Deutsche Tage“, die durchaus Zulauf hatten. In den Auseinandersetzungen um die Errichtung eines Denkmals für Albert Leo Schlageter, das tatsächlich am 5. Oktober 1924 feierlich eingeweiht wurde,14 kam es zu einer öffentlichen Kontroverse15. Der wichtigste Initiator der Denkmals-Aktion war ein katholischer Studienrat, der seine politische Karriere im Zentrum begonnen hatte, dann DVP-Landtagsabgeordneter wurde, 1931 die NSDAP-Ortsgruppe in Vechta gründete, 1932 erster Kreisleiter der NSDAP wurde und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Freistaat Oldenburg durch die Landtagswahl vom 29. Mai 1932 beruflich Karriere machte.16 CHRISTLICH-NATIONALE BAUERN- UND LANDVOLKPARTEI Ein zweiter Versuch, zumindest eine politische Alternative zu etablieren, hatte seine Ursache in der Landwirtschaftskrise seit 1927. Als in Oldenburg die Beamtengehälter erhöht wurden, entstand angesichts der wirtschaftlichen Probleme vor allem der bäuerlichen Veredlungswirtschaft im Oldenburger Münsterland eine eigene Protestbewegung, die sich zunächst noch innerhalb der Zentrumspartei artikulierte, dann aber mit der nordoldenburgischen (also protestantisch geprägten) Protestbewegung zusammenging und der Christlich-Nationa-

13 Oldenburgische Volkszeitung vom 16.9.1924, zit. nach Joachim Kuropka: Schlageter und das Oldenburger Münsterland 1923/1933. Ein Markstein auf dem Weg zur „Revolution des Nihilismus“. In: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 1984, S. 85-98, hier S. 90. 14 Vgl. Joachim Kuropka: Die Steine auf dem Kreuzberg. Ein Denkmal für Schlageter – und für die treuen Zentrumswähler. Jahrbuch für das Oldenburg Münsterland 2007, S. 82-98, hier S. 86f. 15 Vgl. Kuropka, wie Anm. 13. 16 Vgl. Willi Baumann: „Fleißig und strebsam, seit langem heftiger Gegner des Zentrums, zuverlässiger Nationalsozialist“. Die Karriere des katholischen Schulrates Dr. Anton Kohnen unter der nationalsozialistischen Regierung in Oldenburg. In: Willi Baumann u. Michael Hirschfeld (Hrsg.): Christenkreuz oder Hakenkreuz. Zum Verhältnis von katholischer Kirche und Nationalsozialismus im Land Oldenburg. Vechta 1999, S. 71-147, hier S. 84f.

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len Bauern- und Landvolkpartei beitrat.17 Hier ging es nicht um eine Gegnerschaft zu Kirche, Klerus oder katholischen Verbänden, es handelte sich vielmehr um einen Ausstieg aus einem gesellschaftlich-politischen Segment des katholischen Milieus. Man verfocht lautstark seine wirtschaftlichen Interessen – auch gegen das Zentrum, das die oldenburgische Beamtenregierung unterstützte18. Die Protestveranstaltungen des Landvolks zogen erhebliche Menschenmengen an und in der Protestbewegung und der Landvolkpartei nahmen die radikalen Töne zu, man drohte mit der Aufstellung von Selbstschutzwehren und mit „radikalen Mitteln“.19 Allerdings gelang es nicht, Franz von Galen – den jüngeren Bruder des späteren Bischofs Clemens August von Galen – als zugkräftigen Reichstagskandidaten für die Landvolkpartei zur Reichstagswahl 1930 zu gewinnen, der auf dieses Angebot entgegnete, er werde „nie und unter keinen Umständen Abgeordneter einer Partei“, in der er nicht „die katholischen Interessen in religiöser und kultureller Hinsicht und die katholischen Grundsätze überhaupt in Politik und Wirtschaft zur Grundlage und zu Leitsternen seiner Tätigkeit machen und zur Geltung bringen“ könne.20 Ihren Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung in der sogenannten Eberborg-Affäre im Jahre 1929, als Komödie – die sie keineswegs war – wurde sie durch das Bühnenstück des Oldenburger Heimatdichters August Hinrichs und den 1933 in die Kinos gekommenen Film „Krach um Jolanthe“ in ganz Deutschland bekannt.21 Es konnte so scheinen, dass die Landvolkproteste durch den Eberborg-Fall und die Verurteilung einer Reihe von Beteiligten wegen Landfriedensbruchs der Landvolkbewegung und der Christlich-Nationalen Bauern- und Landvolkpartei einen Erfolgsschub verleihen würden, nicht zuletzt weil die Landvolkpartei in Südoldenburg eine eigene Zeitung herausbringen konnte, die in Clop17 Vgl. Markus Müller: Die Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei 19281933, Bonn 2001, S. 513f.; Klaus Schaap: Die Endphase der Weimarer Republik im Freistaat Oldenburg 1928-1933, Düsseldorf 1978, S. 85f. 18 Vgl. Schaap (wie Anm. 17), S. S. 50f. 19 Vgl. Kuropka: Aus heißer Liebe (wie Anm. 11), S. 105. 20 Galen an Amtshauptmann Haßkamp vom 26.8.1930, zit. nach Kuropka (wie Anm. 11), S. 106. 21 Joachim Kuropka: Ein Lustspiel mit politischem Hintergrund. ‚Krach um Jolanthe’ und das Ende der Weimarer Republik. In: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 1994, S. 161-171; zur Affäre selbst vgl. Maria Anna Zumholz (Hg.): Krach um Jolanthe. Krise und Revolte in einer katholisch-agrarischen Region 1929-1930 und der Konflikt um die Deutungs- und Erinnerungskultur, Münster 2011, vgl. darin Maria Anna Zumholz: Eine protestantische Bauernpartei in einer katholischen Region. Die Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei im Oldenburger Münsterland. In: Ebd., S. 55-98; Joachim Kuropka: „Krach um Jolanthe“ und der „Heimatdichter“ August Hinrichs. In: Ebd., S. 225-242.

394 JOACHIM KUROPKA penburg erschien und sowohl dadurch als durch die Wege-, Jagd- u.a. bäuerliche Selbstverwaltungseinrichtungen über ein Kommunikationsnetz verfügte. Die regionalpolitischen Folgen der Landwirtschaftskrise und das Aufkommen der Landvolkpartei lassen sich anhand der Wahlergebnisse in den Reichstagswahlen beantworten22 mit dem Ergebnis, dass das Zentrum in der Reichstagswahl 1928 starke Verluste hinnehmen musste, die Landvolkpartei aus dem Stand im Amt Vechta 11%, in den Ämtern Cloppenburg und Friesoythe (seit 1933 zum Landkreis Cloppenburg zusammengeschlossen) über 20 % erreichte und das Zentrum entsprechende Verluste hinnehmen musste. Die stärksten Einbußen waren in den Gemeinden Garrel und Molbergen zu verzeichnen. Abb. 3: Reichstagswahlergebnisse für Zentrum, CNBL und NSDAP in der Gemeinde Garrel

22 Joachim Kuropka: Die Reichstagswahlen im Oldenburger Münsterland 19191933. In: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 1979, S. 52-71.

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Die prozentualen Verluste des Zentrums betrugen hier über 50 % mit entsprechenden Gewinnen der Landvolkpartei. Eine Korrelationsrechnung zeigt einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem dann folgenden Abschwung der Landvolkpartei und dem Aufstieg der NSDAP insbesondere in diesen beiden und einigen weiteren Gemeinden im Landkreis Cloppenburg.

Abb. 4: Reichstagswahlergebnisse für Zentrum, CNBL und NSDAP in der Gemeinde Molbergen

396 JOACHIM KUROPKA Abb. 5: Korrelation zwischen Rückgang des Landvolks und Aufstieg der NSDAP in katholischen bäuerlichen Gemeinden 1930 – Juli 1932

Rückgang Landvolk 1930-Juli 1932

Die These, dass die Landvolkpartei in solchen Gemeinden als ein Katalysator für die NSDAP fungiert und einem Teil der katholischen Wähler den Weg zu den Nationalsozialisten bereitet hatte, während ein Teil der ehemaligen Landvolkwähler wieder zum Zentrum zurückkehrte, läßt sich durch eine Analyse der absoluten Zahlen für diese beiden Gemeinden (und für andere) bestätigen. Man kann die Wählerwanderung angesichts der übersichtlichen Verhältnisse einigermaßen deutlich verfolgen. Zwar ist ein Teil der ehemaligen Landvolk-Wähler auch zur DNVP übergegangen, insbesondere dort, wo die Zentren des Eberborg-Konflikts lagen, doch spielten diese zahlenmäßig kaum eine Rolle.

KATHOLISCHES MILIEU IM OLDENBURGER MÜNSTERLAND Abb. 6: Reichstagswahlergebnisse in der Gemeinde Garrel 1924-1933 in absoluten Zahlen.

Abb. 7: Reichstagswahlergebnisse in der Gemeinde Molbergen 1924-1933 in absoluten Zahlen.

397

398 JOACHIM KUROPKA WAHLERGEBNISSE UND WAHLFÄLSCHUNGEN Insgesamt ist der Zentrumsturm im Oldenburger Münsterland stabil geblieben, so stabil wie sonst in kaum einer Region. Gab es bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 im gesamten Deutschen Reich lediglich 13 Gemeinden mit einem Stimmenanteil von unter 10 % für die NSDAP, so lagen davon allein vier im Landkreis Vechta, nämlich Bakum mit 6,5 %, Dinklage mit 8,7 %, Lohne mit 7,3 % und Steinfeld mit 7,4 % bei bekanntlich 43,9 % im Reichsdurchschnitt. Häufig wird in der Literatur argumentiert, an den Volksabstimmungen insbesondere am 12. November 1933 (Austritt aus dem Völkerbund) und am 19. August 1934 (Vereinigung der Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten) und dann natürlich auch in der sogenannten Reichstagswahl mit Volksabstimmung über die Kündigung des Locarno-Vertrages vom 29. März 1936 und der Volksabstimmung vom 10. April 1938 zum Anschluss Österreichs habe sich gezeigt, dass die Katholiken sich dem Regime zugewandt hätten.23 Im Oldenburger Münsterland gab es nach den amtlichen Ergebnissen folgende Nein-Stimmen: Abb. 10: Nein-Stimmen bei den Volksabstimmungen 1933-1938 Amt Vechta in %

Amt Cloppenburg in %

Deutsches Reich in %

1933

9,93

9,73

7,89

1934

26,8

19,4

13,0

1936

1,85

1,28

1,19

1938

11,23

7,92

0,92

Erstaunlicherweise werden diese Ergebnisse trotz aller Erfahrungen mit Wahlen unter Diktaturen für bare Münze genommen. 24 Doch die Volksabstimmungen und sogenannten „Wahlen“ waren durchweg manipuliert und gefälscht, wie eingehende Analysen der kommunalen und der Parteiakten der Kreise

23 Vgl. etwa Klaus Scholder: Die Kirchen und das Dritte Reich, Frankfurt/M. u.a. 1977, S. 674f. 24 So im Wesentlichen auch von Ottmar Jung: Plebiszit und Diktatur: Die Volksabstimmungen der Nationalsozialisten. Die Fälle „Austritt aus dem Völkerbund“ (1933), „Staatsoberhaupt“ (1934) und „Anschluß Österreichs“ (1938), Tübingen 1995.

KATHOLISCHES MILIEU IM OLDENBURGER MÜNSTERLAND

399

Vechta und Cloppenburg gezeigt haben.25 Dafür gibt es direkte Belege von Seiten der Gestapo und der Partei. So heißt es in einem Gestapo-Bericht vom 3. Mai 1938 über Vorgänge in der Gemeinde Goldenstedt, dass „die Amtshauptmannschaften Cloppenburg und Vechta die größte Zahl der Nein-Stimmen im Gau Weser-Ems aufweisen“ und weiter „auch die Gemeinde Goldenstedt stimmte zu rund 50 % mit ‚nein’“.26 Das offizielle Ergebnis für Goldenstedt waren jedoch 11,78 % Nein-Stimmen! Vier Tage nach der Abstimmung schrieb Gauleiter Carl Röver in einem Bericht an den Stellvertreter des Führers über die Katholiken im Oldenburger Münsterland: „Sie kennzeichnen sich dadurch, daß es wohl die verstocktesten und orthodoxesten Katholiken sind, die es in Deutschland überhaupt gibt“, gäbe es doch Ergebnisse von 35-40 % Nein-Stimmen. Für die Stadt Cloppenburg nahm Röver dies zum Anlass, seinen Ehrenbürgerbrief zurückzugeben. Dazu schrieb er: „Ich stelle fest, daß die Stadt Cloppenburg bzw. der Kreis mehr als 2 ½ Tausend Menschen in seinem Raum hat, die sich gegen den Führer stellen und somit nicht mehr zur Volksgemeinschaft des deutschen Volkes gehören. Es ist für mich unerträglich, Ehrenbürger einer Stadt zu sein, die 8 % Verräter am Führer beherbergt“.27 Hier gab Röver das gefälschte Ergebnis als Grund an. Damit ist schon eine Teilantwort auf die Frage nach der Stabilität des katholischen Milieus in der NS-Zeit gegeben. Diese Frage ist schwierig zu beantworten, da eben die terroristische Atmosphäre zu berücksichtigen ist, wenn es etwa zur Abstimmung 1938 in der Bevölkerung hieß, „Was soll das alles, wir müssen ja doch zur Wahl“ oder „Wir müssen ja doch mit Ja stimmen“, wie der Sicherheitsdienst der SS am 7. April 1938 berichtete.28 Unter solchen Umständen lassen sich Selbstbehauptung und Gegnerschaft und etwa patriotische Grundhaltung und chauvinistische Zumutungen kaum gegeneinander abgrenzen. Zu der Frage, wo ‚der Katechismus’ im Alltagshandeln wirksam blieb, lassen sich folglich nur Indizien anführen.

25 Vgl. Alwin Hanschmidt: Das Ergebnis der Reichstags“Wahl“ von 1936 im Raum Vechta, in: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 1988, S. 98-107; zu den Abstimmungen und „Wahlen“ 1933-1938 in Cloppenburg vgl. Joachim Kuropka: Cloppenburg als Ort des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. In: Helmut Ottenjann, Karl Sieverding, Paul Willenborg (Bearb.): Beiträge zur Geschichte des Stadt Cloppenburg. Cloppenburg nach 1900 – Eine Stadt im Wandel, Bd. 2, Cloppenburg 1988, S. 28-53, hier S. 37-41. 26 Zit. nach Kuropka: Cloppenburg (wie Anm. 25); S. 40; Hervorhebung vom Verf. 27 Zit. nach ebd., S. 39. 28 Zit. nach ebd., S. 39.

400 JOACHIM KUROPKA KATECHISMUS IM ALLTAGSHANDELN Das ist zunächst einmal der Kreuzkampf im November 1936 um den Verbleib der Kruzifixe (und der Lutherbilder) in den Volksschulen, die nach oldenburgischem Verfassungsrecht ja Konfessionsschulen waren. Dieser Konflikt ist von besonderem Interesse, weil es einer der wenigen Fälle war, in denen sich das Volk gegen das Regime, wenn auch nur kurzfristig behaupten konnte. Er ist aber auch interessant, weil sich dort zeigt, inwieweit Religion, die religiösen Rituale und die religiösen Werte im Alltag und hier speziell in diesem Konflikt wirksam waren: Die Andachten in den Kirchen, die Gebete vor den Kruzifixen in den Häusern, ja sogar in Gastwirtschaften, das tägliche Läuten von Not- und Brandglocken, das Schmücken von Hof- und Wegekreuzen, die Kreuzchen an den Halsketten der Frauen und natürlich die schriftlichen Proteste, Petitionen und die Delegationen aus den Dörfern beim Minister. Es war zwar ein religiöser Fall aber mit einer politischen Dimension.29 Der Amtshauptmann in Cloppenburg vermerkte dazu: „Mit einem Schlage ist eine Einheitsfront der gesamten Bevölkerung hergestellt, die sich offenbar allein gegen den Nationalsozialismus richtet.“30 Noch immer wird in der wissenschaftlichen Diskussion um den Kreuzkampf auch vorgetragen, dass es nicht um den Nationalsozialismus gegangen sei, sondern dass die Katholiken lediglich ihr Milieu verteidigt hätten, ihre eigenen Interessen, die Interessen der Kirche, aber gewissermaßen nicht etwa das Wohl des Ganzen im Auge gehabt hätten.31 In solchen Beurteilungen zeigt sich, dass man sich über zentrale Inhalte des Katholischen nicht im Klaren ist. Zweifellos spielten die religiösen Rituale und Symbole im täglichen Leben und auch in der Öffentlichkeit eine wichtige Rolle und natürlich war auch das Leben in der katholischen Schule davon geprägt. Selbstverständlich wollte man sich die überkommene Lebensweise nicht so ohne weiteres verändern lassen, das ist gewissermaßen die traditionale Beharrung, die es nicht nur für das Katholische gibt. Doch handelt es sich bei den Ritualen und Symbolen eben nicht um den 29 Vgl. Joachim Kuropka: „Das Volk steht auf“. Zur Geschichte, Einordnung und Bewertung des Kreuzkampfes in Oldenburg im Jahre 1936, in: Ders. (Hg.): Zur Sache, das Kreuz! Untersuchungen zur Geschichte des Konflikts um Kreuz und Lutherbild in den Schulen Oldenburgs. Zur Wirkungsgeschichte eines Massenprotests und zum Problem nationalsozialistischer Herrschaft in einer agrarischkatholischen Region, Vechta 21987, S. 11-55, hier S. 21f. 30 Amtshauptmann von Cloppenburg an den Minister der Kirchen und Schulen vom 20.11.1936, zit. nach Joachim Kuropka: Für Wahrheit, Recht und Freiheit – Gegen den Nationalsozialismus, Vechta 1983, S. 77. 31 Vgl. etwa Besprechung von Kuropka: Zur Sache das Kreuz durch Karl Ludwig Sommer im Niedersächsischen Jahrbuch für Landesgeschichte 60, 1988, S. 340-342 und Besprechung von Beatrix Herlemann im Oldenburger Jahrbuch 87, 1987, S. 186-187.

KATHOLISCHES MILIEU IM OLDENBURGER MÜNSTERLAND

401

Inhalt des Glaubens. Das hatte der Bischöfliche Offizial Franz Vorwerk in Vechta bereits in seiner Kanzelerklärung vom 15. November 1936 deutlich gemacht, dass es um die Vermittlung und die Weitergabe des Glaubens gehe, dessen Symbol – nicht Inhalt – in der Schule eben das Kruzifix ist. In den Predigten, die vor allem vom jüngeren Klerus untereinander abgesprochen und dann in den Kirchen gehalten wurden, wurde der Zusammenhang von Religion und Politik stark betont.32 Es wurde direkt Bezug genommen auf die Zehn Gebote, insbesondere das vierte, das fünfte und das sechste. Es ging ganz konkret um den katholischen Glauben und die mit ihm und durch ihn vermittelten Werte, die man für sich genommen nicht als ‚politische Werte‘ ansehen würde, die aber unter den Bedingungen des totalitären NS-Regimes zu politischen Werten wurden. Entsprechende Indizien lassen sich auch aus alltäglicheren Lebenszusammenhängen anführen. So war nicht nur die Beerdigung von Pater Titus Horten O.P. – wegen angeblicher Devisenvergehen zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, war er im Gefängnis verstorben – laut Gestapo „die großartigste, die jemals in der Stadt Vechta vorgekommen ist“.33 Darüber hinaus berichtet der letzte oldenburgische Landesrabbiner Leo Trepp: Weil die Teilnahme an der Beerdigung von Frau Johanne Bloch verboten worden war, habe er nur ein kleines Häuflein Juden erwartet, fand aber eine große Menschenmenge vor. „Jeder war erschienen, jeder folgte in seinem besten Anzug und Zylinderhut dem Leichenzug auf den Friedhof, obgleich die Nationalsozialisten an den Fenstern und auf den Stufen des Verwaltungsgebäudes standen und die vorbeiziehende Prozession filmten, um das Bild eines jeden Teilnehmers festzuhalten. Man ging mutig durch die Straßen bis zum Friedhof und dort gab ich den Christen meinen Segen“.34 Bei der jüdischen Bevölkerung handelte es sich im Oldenburger Münsterland um eine sehr kleine Gruppe35 gegen die man aber, wie die angeführte Episode zeigt, keine Vorbe32 Vgl. Kuropka: Das Volk steht auf (wie Anm. 29), S. 42f. 33 Halbmonatsberichte des Geheimen Staatspolizeiamts Oldenburg vom 8.2.1936, zit. nach Albrecht Eckhardt und Katharina Hoffmann (Bearb.): Gestapo Oldenburg meldet… Berichte der Geheimen Staatspolizei und des Innenministers aus dem Freistaat und dem Land Oldenburg 1933-1936, Hannover 2002, S. 274; Rainer Maria Groothuis: Im Dienste einer überstaatlichen Macht. Die deutschen Dominikaner unter der NS-Diktatur, Münster 2002, S. 287f., 301f. 34 Leo Trepp: Die Oldenburger Judenschaft. Bild und Vorbild jüdischen Seins und Werdens in Deutschland, Oldenburg 1973, S. 329/330; vgl. auch Ulrich Behne: Die Viehhändlerfamilien Gerson und das Schicksal der jüdischen Gemeinde in Vechta, Diepholz 22010, S. 132f. 35 Vgl. Werner Teuber: Als gute Unterthanen und Bürger… Geduldet, verfolgt, vertrieben, ermordet, Vechta 1988.

402 JOACHIM KUROPKA halte hatte. Das wird noch deutlicher in dem Fall eines Drogisten in Lohne – in Lohne gab es keine Juden – der ein Transparent, auf dem „Juden raus“ stand, über die Straße gespannt hatte. Daraufhin kaufte niemand mehr bei ihm und er musste Konkurs anmelden.36 In gleicher Weise wurden Denunzianten boykottiert, so dass ein Tischler ebenso sein Geschäft schließen musste wie ein Schmied. Der eine hatte einen Knecht geschlagen, weil er die Hakenkreuzfahne nicht gegrüßt hatte, der andere wurde boykottiert, weil er einen Bauern wegen Hörens von ‚Feindsendern‘ ins KZ gebracht hatte.37 DIE „VERSTOCKTESTEN UND ORTHODOXESTEN KATHOLIKEN“ Überblickt man den hier zur Rede stehenden Zeitraum, dann bleibt festzuhalten, dass es sich beim Oldenburger Münsterland in der Tat um eine der ‚ganz schwarzen Ecken’ Deutschlands handelt. Die gesellschaftspolitischen Alternativangebote fanden in der Weimarer Zeit kaum Resonanz. Das gilt für die Versuche von Seiten des Stahlhelm bzw. der Deutschnationalen. Die Landvolkpartei konnte zwar bei der Reichstagswahl 1928 in einer Reihe von Gemeinden in die Zentrumswählerschaft einbrechen, doch blieb dies ohne nachhaltigen Erfolg. Ein Teil dieser Wähler wanderte dann zur NSDAP, dies jedoch in nennenswertem Umfang nur in wenigen Gemeinden, in denen die ökonomischen Bedingungen für die Landwirte besonders schlecht waren. Bis zur Reichstagswahl vom 5. März 1933 konnte die NSDAP kaum Zustimmung gewinnen. In der Stadt Vechta verfügte sie z.B. bis Ende 1932 über ganze elf Mitglieder, 1929 waren zwei eingetreten, 1930 drei, 1931 fünf und 1932 einer.38 Natürlich fand die nationalsozialistische ‚Gleichschaltung’ statt und das Regime beherrschte das öffentliche Leben und die Bevölkerung fügte sich in die formalen Anforderungen. Allerdings gelang kein Einbruch in das Milieu. Gauleiter Röver hatte nicht unrecht, wenn er von den „verstocktesten und orthodoxesten Katholiken“ sprach, es sich in dieser ländlichen Gesellschaft also um einen konservativen, ultramontanen Katholizismus handelte. Diesen Katholizismus konnte das Verbot der Vereine, der Presse usw. nicht in der Substanz treffen, vielmehr ist auch hier eine Verdichtung des Milieus zu beob36 Paul Brägelmann: Als die Kreuze Haken hatten. Eine Jugend in Südoldenburg, Bremen 1998, S. 18. 37 Ebd. 38 Vgl. Joachim Kuropka: Hitler in Cloppenburg. Zum Problem der NS-Strategie gegenüber dem katholischen Bevölkerungsteil. In: Nationalsozialismus im Oldenburger Münsterland. Beiträge zum 2. Studientag des Geschichtsausschusses im Heimatbund für das Oldenburger Münsterland, Cloppenburg 2000, S. 40-55, hier S. 48.

KATHOLISCHES MILIEU IM OLDENBURGER MÜNSTERLAND

403

achten, wie sie hie und da beschrieben wird und auch von der Gestapo registriert wurde, die am 8. Februar 1936 berichtet: „Wie weit die Bestrebungen der katholischen Geistlichkeit von Erfolg begleitet sind, lässt sich an der Tatsache ersehen, dass allein in der Pfarrgemeinde Vechta mit rund 6.000 katholischen Seelen im Jahre 1935 die Kommunion 26.000 Mal öfter gereicht worden ist als im Jahre 1934.“39 Nach der Kreuzkampf-Schlappe hat die NSDAP-Kreisleitung Vechta diesen Zusammenhang von äußerem Mittun und innerer Geschlossenheit anschaulich geschildert, dass nämlich „unsere großen Massenversammlungen der Vergangenheit eine Vorspiegelung falscher Tatsachen waren und auswärtigen Parteigenossen leicht ein falsches Bild über die tatsächliche Lage vermittelten.“ Allerdings wurde dort auch gleich angegeben, wie man vorgehen wollte, es würde nämlich „auf die Dauer gesehen hier wohl kaum ganz ohne KZ und einige(n) Verfügungstrupps gehen“.40 Neben der traditionalen Ausrichtung dürften zwei weitere Gesichtspunkte für die Erklärung der Verhältnisse eine wesentliche Rolle spielen. Im Oldenburger Münsterland konnte der gesellschaftliche Kommunikationszusammenhang durch das Regime nicht unterbrochen werden. Zwar ging die Oldenburgische Volkszeitung, das Zentrumsblatt, dessen Hauptschriftleiter bis 1933 der Prälat Franz Morthorst gewesen war, den üblichen Weg der deutschen Presse, doch wurde eben dieser Morthorst zu einem der „Hauptunruhestifter“, wie die Gestapo vermerkte,41 der nach der Devise handelte: „Wer heute seine Predigten nach den Wünschen der Gestapo einrichtet, kommt zwar nicht ins Gefängnis, aber auch nicht in den Himmel“.42 Diese Haltung war kennzeichnend für den größten Teil vor allem des jüngeren Klerus, der mit seinen Predigten angesichts des dichten Milieus nach wie vor die Bevölkerung erreichte und dadurch eine Milieu-Gegenöffentlichkeit zur offiziellen NS-Öffentlichkeit herstellen konnte. Diese gab es auch im täglichen Leben, denn man konnte davon ausgehen, dass derjenige kein ‚Nazi’ war, der plattdeutsch sprach. Eine kuriose Episode vom Beginn der Weimarer Zeit mag die Milieugegebenheiten aus einer anderen Perspektive zum Abschluss noch einmal beleuchten: 1918/1919 lebte der Maler Otto Pankok ein Jahr lang in Vechta, wo er

39 Zit. nach Eckhardt/Hoffmann (wie Anm. 33), S. 273. 40 Bericht zur weltanschaulichen Lage der NSDAP-Kreisleitung Vechta v. 4.12.1936, zit. nach Kuropka: Für Wahrheit (wie Anm. 26), S. 101. 41 Lagebericht der Geheimen Staatspolizei vom 10.9.1935, zit. nach Eckhardt/Hoffmann (wie Anm. 33), S. 246. 42 Zit. nach Joachim Kuropka: Franz Morthorst (1894-1970). In: Michael Hirschfeld / Maria-Anna Zumholz (Hg.): Oldenburgs Priester unter NS-Terror 1932-1945. Herrschaftsalltag im Milieu und Diaspora, Münster 2006, S. 435-447, hier S. 445.

404 JOACHIM KUROPKA „einen Zusammenstoß mit der bürgerlichen Moral“ erlebte.43 Als im Zusammenhang mit den revolutionären Ereignissen eine Gruppe von Prostituierten mit dem Zug in Vechta ankam, kommentierte der Pfarrer dies mit den Worten: „O, auch Frauenspersonen sind dem Zug entstiegen! Wo sind sie geblieben? O, o!!“, was auch in der Presse seinen Niederschlag fand. Otto Pankok ‚kommentierte‘ dies in einer Karikatur, die als Flugblatt verbreitet wurde.

43

Cyrus Oberbeck / Oliver Müller: Otto Pankok. Maler, Grafiker, Bildhauer. Eine Biographie, Düsseldorf 1995, S. 94.

KATHOLISCHES MILIEU IM OLDENBURGER MÜNSTERLAND

405

Die Folge war, dass Pankok am 2. Dezember 1918 durch den Arbeiter- und Soldatenrat (!) der Stadt ausgewiesen wurde, weil er „Beunruhigung in die hiesige Bevölkerung gebracht“ habe.44 Im Bundestagswahlkampf 1965 sang Günter Grass sein „Loblied auf Willy Brandt“ auch in Cloppenburg. In seinen Erinnerungen „Mein Jahrhundert“ schreibt er dazu, er sei in Gegenden gekommen, „in denen noch immer der Dreißigjährige Krieg tobt, jetzt zum Beispiel nach Cloppenburg, schwärzer als Vilshofen oder Biberach an der Riß“.45

44

Ebd., S. 97; die Karikatur ist wiedergegeben ebd., S. 96.

45

Günter Grass: Mein Jahrhundert, Göttingen 1999, S. 265.

EMSLAND

„WINDTHORST’S GEIST IST ERWACHT!1 KATHOLISCHES MILIEU IM EMSLAND IN DER ZEIT DER WEIMARER REPUBLIK UND DES NATIONALSOZIALISMUS MARIA ANNA ZUMHOLZ „Windthorst’s Geist im Emsland ist erwacht, um Windthorsts Erbe zu schützen!“, hieß es in einem Zentrums-Wahlkampfartikel in emsländischen Zeitungen im Vorfeld der Reichstagswahlen vom 5. März 19332. „Hitler und Hugenberg sind im Angriff, stürmen vor, wollen das verhaßte Zentrum, die „schwarze Pest“, die „marxistischen Mitläufer“, überrennen, vernichten … „Heraus aus dem Turm!“ heißt’s jetzt für die Kämpfer unter Windthorsts Fahne! … Mit neuer ungebrochener Kraft für die alten Ideale! Für Wahrheit, Freiheit und Recht!“ Der Wahlkampf im Emsland stand somit 1933 im Zeichen des bekannten Zentrumspolitikers sowie des preußischen Kulturkampfes. Ludwig Windthorst (1812-1891), der bedeutendste parlamentarische Gegenspieler Otto von Bismarcks, von 1867 bis zu seinem Tod 1891 Reichstagsabgeordneter der Zentrumspartei für den 3. hannoverschen Wahlkreis sowie Abgeordneter im Preußischen Abgeordnetenhaus für den 4. hannoverschen Wahlkreis MeppenAschen-dorf-Hümmling, prägte über einen langen Zeitraum sowohl die politische Kultur im Emsland als auch diejenige der Zentrumspartei auf Reichsebene3. Die Erfahrung der gewaltsamen Annexion Hannovers und der verfas1

Ems-Zeitung (im folgenden EZ) vom 2.3.1933. Faksimiledruck in Maria Anna Zumholz: Volksfrömmigkeit und Katholisches Milieu. Marienerscheinungen in Heede 1937-1940 im Spannungsfeld von Volksfrömmigkeit, nationalsozialistischem Regime und kirchlicher Hierarchie, Cloppenburg 2004, S. 187.

2

Ebd. und Katholischer Volksbote vom 4.3.1933, zit. nach Helmut Lensing (Bearb.): Die Region Emsland/Grafschaft Bentheim von der Gründungsphase des Kaiserreichs bis zur NS-Machtergreifung. Eine Handreichung für den Unterricht in den Sekundarbereichen I und II. Teil 1: Quellen von der Gründungsphase des Kaiserreichs bis zum Kriegsende 1918. Teil 2: Quellen von der Novemberrevolution 1918 bis zur Konsolidierung der NS-Diktatur Ende 1922, hg. von der Emsländischen Landschaft e.V. für die Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim, Sögel 2009, hier Teil 2, S. 1060-1061.

3

Zu Windthorst vgl. außerdem Hans-Georg Aschoff: Rechtsstattlichkeit und Emanzipation. Das politische Wirken Ludwig Windthorsts, Sögel 1988; Margaret Lavinia Anderson: Windthorst. Zentrumspolitiker und Gegenspieler Bismarcks, Düsseldorf 1988; Helmut Lensing: Die Wahlen zum Reichstag und zum Preußischen Abgeordnetenhaus im Emsland und der Grafschaft Bentheim 1867 bis 1918, Sögel 1999; Zumholz (wie Anm. 1), S. 115-138; Helmut Lensing: Ludwig Windthorst. Neue Facetten seines politischen Wirkens (Studien und Quellen zur Geschichte des Emslandes und der Grafschaft Bentheim Bd. 1), Haselünne 2011.

408

MARIA ANNA ZUMHOLZ

sungswidrigen Beschlagnahmung des Vermögens von König Georg V. durch Bismarck hatten Windthorsts Einstellung zum Staat und zur Verfassung wesentlich beeinflusst. Sie führte dazu, dass der Kampf gegen die Staatsomnipotenz und der Einsatz für Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip, für Toleranz und gleiche Rechte aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie nicht zuletzt für die Geltung grundlegender, der Verfügung des Staates entzogener natürlicher Rechte, zum bestimmenden Element seiner politischen Tätigkeit wurde, und für diese Werte stand der Schlachtruf der Zentrumspartei: Für Wahrheit, Freiheit und Recht.

I. DAS EMSLAND: EIN AGRARISCH-KATHOLISCHES MILIEU Der im Westen an die Niederlande, im Norden an die Landkreise Weener und Leer (seit 1933 Leer), im Süden an Westfalen und im Osten an Oldenburg angrenzende heutige Landkreis Emsland bestand seit dem 19. Jahrhundert aus dem Kreisen Aschendorf, Hümmling (seit 1932 Aschendorf-Hümmling), Meppen und Lingen, die als Teil des Regierungsbezirks Osnabrück der preußischen Provinz Hannover angehörten4. Er bildet mit 2.879 km² den größten Landkreis der – alten – Bundesrepublik Deutschland. Ein Vergleich, der seine Größenordnung veranschaulicht: das gesamte Saarland besteht „nur“ aus 2.573 km²5. Die vier (seit 1932 drei) Landkreise6 setzten sich aus knapp 200 überwiegend kleinen Gemeinden zusammen, deren Einwohnerzahlen 1933 in einigen Fällen noch unter hundert lagen. Allein die drei Städte Papenburg (10.820 Einwohner), Meppen (6.919 Einwohner) und Lingen (11.591 Einwohner) hatten höhere Bevölkerungszahlen aufzuweisen. Das soziale Gefüge war wesentlich bestimmt durch ein dichtes Netz von Großfamilien, Nachbarschaften und dörflichen Gemeinschaften. Die Wirtschafts- und Sozialstruktur des Emslandes hat sich im Verlauf des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nur wenig verändert. Es dominierte die Landwirtschaft, der 1933 noch „annähernd 90 Prozent der Familien im Emsland ... durch einen landwirtschaftlichen bäuerlichen Betrieb oder durch nebenberufli4

Vgl. Walter Hubatsch (Hg.): Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815-1945, Reihe A: Preußen, Bd. 10, Marburg 1981, S. 800.

5

Vgl. Gerd Hugenberg: Das Emsland: Landschaft und Geologie. In: Ders. / Horst H. Bechtluft / Werner Franke: Das Emsland, Leer 1982, S. 5-20, hier S. 5. Im wiedervereinigten Deutschland nimmt der Landkreis Emsland nach der Uckermark den zweiten Platz ein. Zum folgenden vgl. Werner Franke / Josef Grave / Heiner Schüpp / Gerd Steinwascher (Hg.): Der Landkreis Emsland. Geographie, Geschichte, Gegenwart. Eine Kreisbeschreibung, Meppen 2002.

6

Vgl. die Übersicht bei Martin Löning: Die Durchsetzung der national-sozialistischen Herrschaft im Emsland (1933-1945). In: Emsland/Bentheim. Beiträge zur Geschichte, Bd. 12), Sögel 1996, S. 7-353, Gemeindeübersicht S. 348-352.

KATHOLISCHES MILIEU IM EMSLAND

409

che Landnutzung“ verbunden waren7. Diese Dominanz der Landwirtschaft ging jedoch nicht mit einer homogenen Sozialstruktur einher8. Ausgeprägte soziale Unterschiede und Konflikte zwischen der landbesitzenden Gruppe der Bauern und Kleinbauern und den landlosen Heuerleuten stellten ein Charakteristikum des gesellschaftlichen Gefüges im Emsland dar. Das Emsland war eine weitgehend rein katholische Region (Tab. 1). Da der Bevölkerungszuwachs auch in den Städten nahezu ausschließlich über die hohen Geburtenüberschüsse gespeist wurde, veränderten sich die konfessionellen Verhältnisse bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges kaum. Eine Sonderrolle kam in diesem Kontext den Städten Lingen und Papenburg zu, die einen größeren Anteil an nicht-katholischen Einwohnern aufwiesen. Hingegen waren die kleinen Landgemeinden, abgesehen von den in der Regel protestantischen Gendarmen mit ihren Familien, meist nahezu ausschließlich katholisch. Im 19. Jahrhundert entstand im Emsland insbesondere in Reaktion auf den Kulturkampf ein dichtes katholisches Milieu mit einer ausgeprägt kämpferischen regionalen Milieumentalität und einer engmaschigen Milieustruktur. Diese Struktur war gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Pfarreien als Milieukernen, religiöse und berufsständische Vereine sowie die Zentrumspartei als „Außenwerken“. Hinzu kamen ein weltanschauliches Sozialisationssystem in Gestalt von konfessionellen Schulen, eine konfessionelle Zeitungslandschaft als Kommunikationssystem und nicht zuletzt ein karitativer Bereich mit Kranken- und Waisenhäusern sowie Einrichtungen zur Betreuung von alten und bedürftigen Menschen. Konstitutiv für die Entwicklung der Milieumentalität und der Milieustruktur im Emsland waren spezielle konfessionelle, politische, wirtschaftliche Konfliktlagen zwischen der Region und zuerst der hannoverschen und anschließend in weitaus gravierender Ausprägung mit der preußischen Herrschaft. Eine wichtige Rolle spielten die in der aufgeklärten Tradition des münsterschen Staatsministers und Generalvikars Franz Freiherr von Fürstenberg (1729-1810) und des Leiters der Münsterschen Normalschule, Bernard Overberg (1754-1826), erzogenen Priester, die als Volkserzieher und Förderer der allgemein gering geschätzten Landbevölkerung allgemein und speziell der Mädchen und Frauen tätig waren und sich gleichermaßen um das diesseitige wie um das jenseitige Wohl der Katholiken bemühten.

7

Gerhard Isenberg: Das hannoversche Emsland im Spiegel der Statistik. In: Raumforschung und Raumordnung 6/7 (1937), S. 271-275, hier S. 274.

8

Zum folgenden vgl. Franz Bölsker-Schlicht: Zur Bevölkerungs- und Sozialgeschichte des Emslandes. In: Emsländische Geschichte, Bd. 1, hg. von der Studiengesellschaft für emsländische Regionalgeschichte, Papenburg 1991, S. 31-40.

410

MARIA ANNA ZUMHOLZ

Verwaltungsgliederung des Emslandes 1932

KATHOLISCHES MILIEU IM EMSLAND Tab. 1:

411

Die Konfessionszugehörigkeit der Emsländer in den Stadt- und Landgemeinden 19259 Gesamt

Katholiken absolut

%

Protestanten10 absolut

Juden

Bekenntnislose

% absolut %

Stadtgemeinden/ Aschendorf: Papenburg

9.476

8.133 85,8

Landgemeinden Aschendorf

16.363

15.584 95,2

657

Landgemeinden Hümmling11

21.338

21.002 98,4

Stadtgemeinden Meppen

8.296

Landgemeinden Meppen

%

67

0,7

3

0,03

4,0

74

0,5

8

0,05

147

0,7

134

0,6

44

0,20

7.629 92,0

503

6,1

96

1,2

1

0,01

22.626

21.626 95,6

874

3,9

47

0,2

25

0,10

Stadtgemeinden Lingen

10.914

6.564 60,1

4.089 37,5

74

0,7

54

0,50

Landgemeinden Lingen

31.939

30.530 95,6

1.318

4,1

51

0,2

3

0,01

IN DER

ZEIT

II. KATHOLISCHES MILIEU REPUBLIK 1.

IM

1.141 12,0

absolut

EMSLAND

DER

WEIMARER

SOZIALE UND ÖKONOMISCHE SPANNUNGSLINIEN ALS HERAUSFORDERUNG FÜR DIE EMSLÄNDISCHE ZENTRUMSPARTEI

War es der Zentrumspartei nach dem Abflauen des Kulturkampfes noch gelungen, die divergierenden Sozial- und Wirtschaftsgruppen im Emsland erfolgreich anzusprechen, so dass sowohl der Reichstags- als auch der Landtagswahlkreis bis 1912 die „Vorzeigewahlkreis[e] des Zentrums schlechthin“ darstellten12, so änderte sich die Situation nach dem Ersten Weltkrieg. Infolge der für 9

Vgl. Gemeindelexikon für den Freistaat Preußen, Bd. X: Provinz Hannover, Berlin 1930, S. 5, 70, 88, 102.

10 Erfasst sind in dieser Kategorie die Angehörigen der evangelischen Landeskirchen, nicht jedoch die zahlenmäßig nicht ins Gewicht fallenden Mitglieder der evangelischen Freikirchen und sonstiger evangelischer Religionsgemeinschaften. 11 Der Kreis Hümmling bestand ausschließlich aus Landgemeinden. 12 Lensing: Die Wahlen (wie Anm. 3), S. 478; vgl. ebd., S. 526 und Zumholz (wie Anm. 1), S. 138-198.

412

MARIA ANNA ZUMHOLZ

die katholische Kirche relativ günstigen Bestimmungen der Weimarer Verfassung prägten Konflikte zwischen Kirche und Staat das politische Leben in der Weimarer Zeit nur noch am Rande. In das Zentrum der Kontroversen rückten im Emsland jetzt milieuinterne Konflikte zwischen Bauern und Heuerleuten um politische Gleichberechtigung, um Siedlungsland und den Pachtschutz. Die emsländischen Bauern sahen sich aufgrund der Wahlrechtsänderungen und der Gefahr von Eingriffen in ihr Eigentum durch das Reichssiedlungsgesetz vom 11. August 1919 als die Verlierer im Demokratisierungsprozess, hingegen machte den Heuerleuten und Arbeitern das jetzt auch auf regionaler und kommunaler Ebene eingeführte allgemeine gleiche und geheime Wahlrecht erstmals eine politische Mitwirkung in den Gemeinden möglich. Ein Blick auf die Reichstagswahlergebnisse in der Zeit der Weimarer Republik zeigt die Auswirkungen dieser sozialen und wirtschaftlichen Spannungen im Emsland (Tab. 2). So kam es bereits anläßlich der Reichstagswahl von 1920 zu Reibereien zwischen Arbeitern, Heuerleuten und Kleinbauern mit dem Zentrum um die Kandidatenaufstellung und zur Gründung einer linkskatholischen Splitterpartei, der „Christlich-sozialen Volkspartei“, deren Kandidaten primär aus dem Raum Lingen stammten, und die auch allein hier mit 4,8 Prozent der Wählerstimmen im Kreis und 9,1 Prozent in der Stadt Lingen einen gewissen Erfolg erzielen konnte. Vor der Reichstagswahl im Mai 1924 eskalierte der Konflikt erneut, weil wie bei der Wahl zuvor mit Theodor Pennemann der Vertreter der Bauern und nicht derjenige der Heuerleute und Arbeiter für den Reichstag nominiert wurde. Der erste Vorsitzende und spätere Geschäftsführer des 1919 gegründeten „Verein Christlicher Heuerleute, Kleinbauern und Pächter“ (VCH), der Heuermann Josef Deters, wandte sich daraufhin vom Zentrum ab und kandidierte bei dieser Wahl für die im Februar 1924 in Westfalen gegründete „Christlich-Soziale Volksgemeinschaft“ (CSVG), eine linke Splitterpartei des Zentrums, der sich auch die 1920 gegründete „Christlich-Soziale Volkspartei“ (CSV) anschloss13. Es gelang der CSVG mit 19 Prozent der Stimmen in Lingen und 25 Prozent in Meppen einen nicht unbedeutenden Wahlerfolg zu erzielen. Nach diesem erneuten Misstrauensvotum der Heuerleute und Arbeiter nahm die emsländische Zentrumsführung Kontakt zum Vorsitzenden des Heuerleutevereins, Heinrich Kuhr, auf, der nicht für die CSVG tätig gewesen war und stellte ihn als Zentrumskandidaten für den Provinziallandtag in Hannover auf14. Die Partei unterstützte zudem den Landtagsabgeordneten Josef Hagemann bei 13 Vgl. Helmut Lensing: Hagemann, August Josef. In: Emsländische Geschichte, Bd. 7, hg. von der Studiengesellschaft für Emsländische Geschichte, Dohren 1998, S. 142-147. 14 Zum folgenden vgl. Helmut Lensing: Kuhr, Heinrich. In: Emsländische Geschichte, Bd. 6, hg. von der Studiengesellschaft für Emsländische Geschichte, Dohren 1997, S. 238-245.

KATHOLISCHES MILIEU IM EMSLAND

413

seinen Bemühungen um staatliche Hilfen für Heuerleute und Arbeiter. Es ist vor allem den Bemühungen Heinrich Kuhrs und Josef Hagemanns zu verdanken, wenn sich die katholischen Arbeiter, Heuerleute und Kleinbauern in den folgenden Jahren dem Zentrum erneut zuwandten und ihm bis 1933 weitgehend treu blieben. Die Ergebnisse der Reichs- und Landtagswahlen am 20. Mai 1928 spiegeln den Unmut vieler Emsländer über ihre miserable wirtschaftliche Lage wieder. Im Emsland gingen die „Deutsch-Hannoversche Partei“ (DHP) und die neugegründete „Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei“ (CNBL) eine Listenverbindung ein, wobei vor allem in Aschendorf und Hümmling und – wenn auch in geringerem Ausmaß – in Meppen die DHP mit ihrem lokalen Landtagskandidaten Wilhelm Borgmann aus Lorup eindeutig den Spitzenreiter stellte, derweil in Lingen die CNBL mit ihrem Lingener Reichstagskandidaten Carl Langenhorst dominierte15. Während die Zentrumspartei in den Kreisen Aschendorf und Hümmling mit 68,64 und 69,53 Prozent der gültigen Stimmen noch ein einigermaßen annehmbares Wahlergebnis vorweisen konnte, fielen ihre Stimmenanteile in Lingen auf 60,16 und in Meppen sogar auf 56,85 Prozent. Insgesamt verlor das Zentrum im Vergleich zur Dezember-Wahl von 1924 etwa 13 und im Vergleich zur Reichstagswahl von 1920 über 20 Prozent der Wähler. Hingegen erzielte die Listenverbindung von DHP und CNBL im Landkreis Hümmling 24,31 und in Meppen 26,51 Prozent der Wählerstimmen. Ein sehr schlechtes Wahlergebnis verzeichnete die erstmals aufgestellte NSDAP, ihr bestes Ergebnis konnte sie im Meppen mit gerade einmal 0,79 Prozent vorweisen. Hatten sich bei den Wahlen von 1920 und der Mai-Wahl von 1924 insbesondere Arbeiter und Heuerleute vom Zentrum abgewandt, so waren es jetzt vor allem Repräsentanten des 1920 gegründeten „Emsländischen Bauernvereins“ EBV, die zur Wahl von DHP bzw. CNBL aufriefen. Ein Teil dieser Protestwähler kehrte in der Folgezeit wieder zum Zentrum zurück, weil er die Annäherung der DHP an die Nationalsozialisten nicht akzeptieren wollte. Eine Reihe von Bauern vor allem aus dem Lingener und Meppener Raum stand jedoch schon seit den Anfängen der 1920er Jahre der nationalistischen und republikfeindlichen DNVP nahe, und wandte sich 1928 den bäuerlichen Protestparteien und anschließend der NSDAP zu.

15 Zur Landvolkpartei allgemein vgl. Markus Müller: Die Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei 1928-1933, Düsseldorf 2001.

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Tab. 2:

Zentrumspartei, „Protestwähler“ und rechte Parteien im Emsland 1920-193316

Reichstagswahlen

Wähler

Zentrumspartei

CSVG/ CSRG

CNBLP

DHP

NSDAP

DNVP

06.06.1920

54.385

44.996

1.197

895



317

04.05.1924

56.474

38.002

9.796

1.513



1.902

07.12.1924

56.313

42.283

2.418

3.131

12317

2.232

20.05.1928

56.527

34.981

1.104

4.465

6.566

241

1.191

14.09.1930

63.066

49.121

830

2.521

2.119

831

31.07.1932

65.046

50.049

142

241

6.564

1.807

06.11.1932

62.110

47.332

171

234

5.116

2.484

05.03.1933

67.470

45.228

163

14.339

2.761

Der Abfall vom Zentrum ist somit durch eine soziale und ökonomische Spannungslinie zurückzuführen, die sich in der Gründung konkurrierender Standesorganisationen und negativen Wahlbilanzen für das Zentrum bemerkbar machte und den Zusammenhalt des katholischen Milieus im Emsland spürbar belastete. Hinzu kam insbesondere gegen Ende der Weimarer Republik ein sich schon in der Wendung einer Bauernelite zur DNVP andeutender milieuinterner politisch-weltanschaulicher Konflikt, der sich insbesondere in Auseinandersetzungen mit den der DNVP nahestehenden antirepublikanischen und antidemokratischen emsländischen Stahlhelm-Ortsgruppen bemerkbar machte. Emsländische Priester drohten katholischen Stahlhelmmitgliedern ebenso wie Mitgliedern der KPD und der NSADP mit dem Ausschluss von den Sakramenten. Außerdem untersagten sie Mitgliedern der Deutschen Jugendkraft (DJK) die Mitgliedschaft im Stahlhelm18. 16 Lensing (wie Anm. 2), Teil 2, S. 578. CSVC gleich Christlich-Soziale Volksgemeinschaft, CSV gleich Christlich-Soziale Volkspartei, CNBLP gleich ChristlichNationale Bauern- und Landvolkpartei, DHP gleich Deutsch-Hannoversche Partei, NSDAP gleich Nationalsozialistische Volkspartei und DNVP gleich Deutschnationale Volkspartei. 17 Nationalsozialistische Freiheitsbewegung. 18 Steffens an das Bischöfliche Generalvikariat vom 14.4.1932, zit. nach Löning (wie Anm. 6), S. 116-117, Anm. 349. Vgl. außerdem Wieland Vogel: Katholische Kirche und nationale Kampfverbände in der Weimarer Republik, Mainz 1989.

KATHOLISCHES MILIEU IM EMSLAND

415

2. DIE ANTWORT DER MILIEUELITEN AUF DIE NATIONALSOZIALISTISCHE HERAUSFORDERUNG: AUFKLÄRUNG UND ORGANISATORISCHE VERDICHTUNG Wenn die NSDAP trotz weiterhin schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse bis 1933 im Emsland eine untergeordnete Rolle spielte, so ist dies einer konzertierten Aktion katholischer Milieuorganisationen und ihrer Eliten zu verdanken. Nach den Wahlen von 1928 und unter dem Eindruck der Bedrohung durch Nationalsozialismus und Kommunismus verlagerte die Zentrumspartei ihren Schwerpunkt von wirtschaftlichen auf weltanschauliche und staatsrechtliche Themen und entfaltete eine auch die Dörfer erfassende rege Versammlungsund Vortragstätigkeit. Bereits 1929 hatte der emsländische Klerus eine Neubelebung des ausdrücklich auf die politische und weltanschauliche Schulung der katholischen Bevölkerung ausgerichteten „Volksvereins für das katholische Deutschland“ beschlossen, und in den folgenden Jahren wurden neue Ortsgruppen gegründet, eingeschlafene reaktiviert, flächendeckend Versammlungen mit Vorträgen abgehalten sowie Broschüren des Volksvereins gegen den aufkommenden Nationalsozialismus verbreitet19. Es war vor allem die Jugend, die in den folgenden Jahren im Mittelpunkt der Aktivitäten von Zentrumspartei und katholischer Kirche stand. Zentrumsorganisationen und katholische Verbände bemühten sich zunächst um eine möglichst vollständige organisatorische Erfassung der emsländischen Jugendlichen. Neue Ortsvereine des Windthorstbundes und des Katholischen Jungmännerverbandes KJMV wurden gegründet und Werkgruppen als lokale Jugendorganisationen der katholischen Arbeitervereine ins Leben gerufen; weiterhin entstanden in fast jedem Dorf des Emslandes Ortsgruppen des Junglandbundes, eines Vorgängers der späteren Katholischen Landjugendbewegung20. Hinzu kam nicht zuletzt eine Neugründungswelle von Sportverbänden, den DJK-Vereinen.21. 19 Vgl. u.a. Ems- und Haseblätter vom 25.06.1930; Hümmlinger Tageszeitung vom 25.06.1930; Lingener Volksbote vom 19.01.1932, 23.01.1932, 30.01.1932 und 17.02.1932; EZ vom 18.11.1932, 28.11.1932 und 16.12.1932; zur Schulungsarbeit des Volksvereins allgemein vgl. Gotthard Klein: Der Volksverein für das katholische Deutschland 1890-1933, Paderborn 1996, S. 253-284. 20 Vgl. Helmut Lensing: Die nationalsozialistische Gleichschaltung der Landwirtschaft im Emsland und in der Grafschaft Bentheim. In: Emsländische Geschichte, Bd. 4, hg. von der Studiengesellschaft für emsländische Geschichte, PapenburgMeppen 1994, S. 45-125, hier S. 70; Ders.: Schwenne, Johann Gerhard. In: Emsländische Geschichte, Bd. 7 (wie Anm. 13), S. 249-254; hier S. 253; EZ vom 04.02.1930. 21 Vgl. Ludwig Remling: Die „Deutsche Jugendkraft“ im Emsland – ein Beitrag zum Vereinssport in den zwanziger und dreißiger Jahren. In: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes 42 (1996), S. 9-31.

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Eine ausgesprochen wichtige Rolle bei der Mobilisierung der emsländischen Bevölkerung gegen den Nationalsozialismus spielte die lokale Presse. Besondere Erwähnung verdient Julie Lange, die zeitweilige Schriftleiterin und Redakteurin der Ems-Zeitung, die in dieser Zeit politisch einflussreichste Frau des Emslandes22. In den Zeitungskampagnen wird deutlich, dass das Zentrum nicht ausschließlich mit weltanschaulichen Argumenten gegen die Wahl der NSDAP und für die Wahl des Zentrums argumentierte, sondern wirtschaftliche und vor allem staatsrechtliche Problemfelder gleichermaßen Berücksichtigung fanden. Bereits 1928 war in der Ems-Zeitung unter der Überschrift „Das Zentrum und der Staatsgedanke“ unmissverständlich herausgestellt worden, „daß die alte monarchische Staatsform den tatsächlichen Bedürfnissen der neuen Zeit nicht mehr genügt, und deshalb die Republik als die allein in Betracht kommende Staatsform angesehen [werde], nachdem sie durch den ordnungsmäßig erkundeten Willen der Nation legalisiert worden war“23. Vor der Reichstagswahl im Sommer 1932 druckte die Ems-Zeitung eine Stellungnahme des Vorsitzenden des Windthorstbundes, Dr. Heinrich Krone, unter der Überschrift „Worte an das junge Deutschland“ ab, die u.a. folgende Passage enthielt: „Wir werden nicht dulden, daß Parteikohorten für dunkle Hintermänner die junge Freiheit zertrampeln. Diktatur oder freier deutscher Volksstaat. Das ist die Entscheidung. Diktatur ist Sache des Knechts. Der freie deutsche Mann steht für den Volksstaat, der lebendiges Vertrauen auf die gesunden Eigenkräfte der deutschen Nation ist“24. Eine weitere Tendenz der Zeitungsberichterstattung lag in ihrer Brandmarkung des Antisemitismus, der in der Tradition Ludwig Windthorst weder im Kaiserreich, noch in der Weimarer Republik und auch nicht in der NS-Zeit eine Rolle im Emsland spielte. Ludwig Windthorst hatte am 20. November 1880 als Einzelkämpfer das preußische Abgeordnetenhaus eindringlich zu gegenseitiger Toleranz auf der Basis des natürlichen und positiven Rechts aufgerufen: „Ich werde das Recht, das ich für die Katholiken und für die katholische Kirche und deren Diener in Anspruch nehme, jederzeit vertreten auch bei den Protestanten und nicht minder bei den Juden. Ich will eben das Recht für Alle“25. Für ein weitgehend von Toleranz, gegenseitiger Achtung und emotionaler Wärme geprägtes Verhältnis spielte die berufliche Struktur im Emsland eine nicht unwesentliche Rolle, denn viele Juden hatten als Viehhändler und

22 Zum folgenden vgl. Angela Klasen: Lange, Julie. In: Emsländische Geschichte, Bd. 6 (wie Anm. 14), S. 250-255. 23 EZ vom 15.3.1928. 24 EZ vom 18.7.1932. 25 Zit. nach Anderson (wie Anm. 3), S. 256.

KATHOLISCHES MILIEU IM EMSLAND

417

Schlachter gute geschäftliche Beziehungen zu den emsländischen Bauern26. 1933 waren im Hümmling von insgesamt 27 jüdischen Familien 24 als Viehhändler und Schlachter tätig27. Wirtschaftliche Konkurrenz und Sozialneid als Konfliktpotential zwischen katholischen Bauern und den jüdischen Viehhändlern fielen in dieser agrarisch strukturierten Region somit von vorn herein weitgehend aus. Das anhaltend gute Verhältnis zwischen der Mehrzahl der emsländischen Bauern bzw. Heuerleuten und jüdischen Viehhändlern läßt sich nicht zuletzt anhand der Gestapoberichte der Staatspolizeistelle Osnabrück eindruckvoll illustrieren, denn auch nach der mit intensiver antisemitischer Propaganda verbundenen nationalsozialistischen Machtübernahme hielten viele emsländische Bauern trotz starken Drucks so lange es möglich war an den jüdischen Viehhändlern als Geschäftspartnern fest28. Wenn Olaf Blaschke somit in seiner Studie über Katholizismus und Antisemitismus im Kaiserreich und darüber hinaus ausdrücklich auch im Hinblick auf das Emsland behauptet, dass der „Milieubildungsprozeß und die Mentalitätsgeschichte des Katholizismus ... eng mit der Entwicklung des Antisemitismus verbunden waren“, seine antimoderne und republikfeindliche „Disposition“ die „Stabilität der [Weimarer] Republik geschwächt“ habe und Ghettomentalität und Antisemitismus im katholischen Milieu „eine der Bedingungen der Judenverfolgung“ im Dritten Reich gewesen seien, so verkehrt er die Verhältnisse im Emsland geradezu in ihr Gegenteil29. 3. DER „ZENTRUMS-TURM“ IM EMSLAND UND DER NATIONALSOZIALISMUS Die Aktionen der Milieueliten schlugen sich zunächst in eindrucksvollen Wahlerfolgen der Zentrumspartei bei den Reichstagswahlen 1930 mit 78,39 Prozent und den Juli-Wahlen von 1932 mit 77,77 Prozent der gültigen Stimmen nieder (Tab. 3). Einbußen mußte das Zentrum anschließend sowohl bei den November-Wahlen von 1932 als auch bei den nicht mehr freien Wahlen am 5. 26 Vgl. Werner Teuber: Jüdische Viehhändler in Ostfriesland und im nördlichen Emsland 1871-1942, Cloppenburg 1995, S. 209-214. 27 Vgl. ebd., S. 203. 28 Druck: Gerd Steinwascher (Bearb.): Gestapo Osnabrück meldet … Polizei- und Regierungsberichte aus dem Regierungsbezirk Osnabrück 1933 bis 1936, Osnabrück 1995, S. 228. 29 Olaf Blaschke: Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1997, S. 261, 275 und 279; vgl. Maria Anna Zumholz: Das Emsland – ein antisemitisches katholisches Regionalmilieu? In: Emsländische Geschichte, Bd. 12, hg. von der Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte, Haselünne 2005, S. 72-132.

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März 1933 mit 67,65 Prozent der Wählerstimmen hinnehmen, wobei dieses Ergebnis sowohl absolut als auch prozentual immer noch besser als das von 1928 war. Auch lagen die absoluten Zahlen auch bei der März-Wahl von 1933 noch um 232 über denjenigen von 1920, was einen Zuwachs an absoluten Stimmen von 0,5 Prozent bedeutete, doch verfügte die Partei jetzt aufgrund einer um ca. 20 Prozent angestiegenen Anzahl von Wahlberechtigten insgesamt über einen um 15,5 Prozent niedrigeren Wähleranteil. Bei den oben angeführten, an den Prozentzahlen der gültigen Stimmen orientierten prozentualen Wahlergebnissen werden mit der Wahlbeteiligung bzw. den Nicht-Wählern wichtige Faktoren ausgeblendet. Unter Berücksichtigung der Wahlenthaltung oder -verweigerung als einer Form von Wahlentscheidung zeigt sich, dass das Wahlergebnis vom 5. März 1933, als 40,76 Prozent der emsländischen Wahlberechtigten nicht das Zentrum wählten, noch besser war als das vom Mai 1924 mit 41,46 Prozent Nicht-Zentrumswählern und insbesondere als das vom Mai 1928, als 49,03 Prozent der Emsländer dem Zentrum ihre Stimme verweigerten (Tab. 3). Derartige Befunde widerlegen gängige Forschungsmeinungen, denen zufolge der „Zentrums-Turm“ erst gegen Ende der Weimarer Republik wie alle Parteienhochburgen prozentual relativ stark an Zustimmung eingebüßt habe30. Im Emsland war die Entscheidung der Wähler für die Zentrumspartei vom Beginn der 1920er Jahre in Reaktion auf milieuinterne wirtschaftliche und soziale Konflikte ausgesprochen starken Schwankungen unterworfen, weil die Zentrumspartei von großen Teilen der Katholiken nicht mehr als Milieupartei, sondern als eine soziale und wirtschaftliche Interessenpartei wahrgenommen wurde. Und die 1933 im Vergleich zu 1928 knapp 10 Prozent höhere Zustimmung der emsländischen Wähler zur Zentrumspartei erweckt keinesfalls den Eindruck einer Erfolgsgeschichte des Nationalsozialismus in dieser Region. Wenn Martin Löning in seiner Studie über die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Emsland somit feststellt, dass sich zu Beginn der 1930er Jahre in dieser Region „die antiparlamentarischen und

30 Vgl. Wolfram Pyta: Politische Kultur und Wahlen in der Weimarer Republik. In: Gerhard A. Ritter (Hg.): Wahlen und Wahlkämpfe in Deutschland. Von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis zur Bundesrepublik, Düsseldorf 1997, S. 197-239, für diesen Kontext vgl. S. 215-217; Jürgen W. Falter / Hartmut Bömermann: Die Entwicklung der Weimarer Parteien in ihren Hochburgen und die Wahlerfolge der NSDAP. In: Heinrich Best (Hg.): Politik und Milieu. Wahl und Elitenforschung im historischen und interkulturellen Vergleich, St. Katherinen 1989, S. 92-118.

KATHOLISCHES MILIEU IM EMSLAND

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Tab. 3: Zentrumspartei, Nichtwähler und NSDAP im Emsland 1920-193331 Reichstagswahlen

Wahlberechtigte

Wähler/ Wahlbeteiligung

Nichtwähler

Zentrumspartei32

NSDAP

NichtZentrumswähler33

06.06.1920

61.119

54.385 88,98%

6.734 11,02%

44.996 83,18%

16.123 26,38%

04.05.1924

64.922

56.474 86,99%

8.448 13,01%

38.002 67,96%



26.920 41,46%

07.12.1924

65.133

56.313 86,46%

8.820 13,54%

42.283 76,02%

12334 0,22%

22.850 35,08%

20.05.1928

68.639

56.527 83,35%

12.112 17,65%

34.981 62,99%

241 0,43%

33.657 49,03%

14.09.1930

71.639

63.066 88,03%

8.573 11,97%

49.121 78,39%

2.119 3,38%

22.518 31,43%

31.07.1932

75.291

65.046 86,39%

10.245 13,61%

50.049 77,77%

6.564 10,20%

25.242 33,53%

06.11.1932

75.661

62.110 82,09%

13.551 17,91%

47.332 77,05%

5.116 8,33%

28.329 37,44%

05.03.1933

76.342

67.470 88,38%

8.872 11,62%

45.228 67,65%

14.339 21,45%

31.114 40,76%

antirepublikanischen Tendenzen“ verstärkt hätten35, so trifft dies im Wesentlichen nicht zu, weil die Zentrumspartei als die dominierende politische Partei auch weiterhin der Demokratie verpflichtet blieb.

31 Lensing (wie Anm. 2.), Teil 2, S. 578; Statistik des Deutschen Reichs (im folgenden StDR), Bd. 291,I, S. 31-32; Bd. 315,II, S. 29; Bd. 315, IV, S. 27; Bd. 372,II, S. 29; Bd. 382,II, S. 29; Bd. 434, S. 51; Bd. 434, II, S. 119; Bd. 434, III, S. 190. 32 Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Anzahl der gültigen Stimmen. 33 Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Anzahl der Wahlberechtigten und nicht auf die Anzahl der gültigen Stimmen. 34 Nationalsozialistische Freiheitsbewegung. 35 Löning (wie Anm. 6), S. 327.

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Tab. 4:

Die Reichstagswahlergebnisse im Landkreis Aschendorf-Hümmling 193336

Reichstag 1933

Gültige Stimmen

NSDAP absolut

KPD

%

absolut

Zentrum

%

absolut

%

Stadt Papenburg

5.185

728

14,04

556

10,72

3.257

62,82

Aschendorf

1.704

488

28,64

112

6,57

991

58,16

Dersum

297

7

2,24

3

1,01

282

94,95

Neudersum

157

9

5,73

-

0,0

146

92,99

Neusustrum

109

1

0,92

-

0,0

107

98,16

Dörpen

551

124

22,50

3

0,54

415

75,32

Steinbild

161

35

21,74

3

1,9

118

73,29

Esterwegen

780

57

7,31

56

7,18

638

81,79

Heede

598

221

36,96

6

1,01

359

60,03

67

28

41,79

-

0,0

36

53,73

Neuarenberg

345

202

58,55

1

0,29

141

40,87

Neuvrees

236

167

70,76

-

0,0

67

28,39

Neulorup

Die Zentrumswahlergebnisse im Landkreis Aschendorf-Hümmling schwankten zwischen 98,16 Prozent in Neusustrum und 28,39 Prozent in Neuvrees, zwei im selben Jahr 1788 gegründeten Moorkolonien. Ein genauer Blick auf die Gemeinden macht auf lokale Konflikte als Ursache für die hohen NSDAPErgebnisse aufmerksam. So war zum Beispiel in Neuarenberg ein Teil der Gemeinde mit der Politik des Zentrums-Bürgermeisters unzufrieden37. Politische Machtkämpfe bildeten die Grundlage für den Erfolg der Nationalsozialisten in Aschendorf wie in Haselünne, wo für emsländische Verhältnisse ungewöhnlich

36 StDR, Bd. 434, III, S. 190 und EZ vom 6.3.1933. Mit der Stadt Papenburg, dem Gemeindesitz Aschendorf, alten Emslanddörfern wie Heede und Dörpen und neuen Siedlungen wie Neusustrum und Neuvrees sind die unterschiedlich strukturierten Typen von Ansiedlungen im Kreis Aschendorf-Hümmling erfasst. Die Zahl der Wahlberechtigten war den Quellen nicht zu entnehmen. 37 Vgl. Willi Baumann: Neuarenberg im Dritten Reich. In: 200 Jahre Neuarenberg / Gehlenberg, Dorf- und Familienchronik, hg. vom Arbeitskreis „200 Jahre Gehlenberg“, Werlte 1988, S. 445-530, insbesondere S. 461-462.

KATHOLISCHES MILIEU IM EMSLAND

421

hohe Voten für die NSDAP abgegeben wurden38. Zudem spielte augenscheinlich in einigen Dörfern eine latente Kirchenkritik eine Rolle, denn die Position mancher Pfarrer war aufgrund ihrer in sittlicher Hinsicht dezidiert antimodernen Positionen in der Weimarer Zeit schwieriger geworden. Die körper- und sinnenfeindliche, auf Buße und Sünde ausgerichtete Pastoral der 1920er Jahre entsprach nicht mehr dem Zeitgeist vor allem der Jugendlichen. Da die drei Dörfer des Kreises Aschendorf-Hümmling mit den höchsten NSDAP-Wahlergebnissen demselben Kirchspiel Neuarenberg angehörten, liegt ein Konflikt mit dem Pfarrer nahe. Auf dieser lokalen Ebene dominierten somit ganz unterschiedliche milieuinterne Konflikte das politische Leben. Die Wahl der NSDAP konnte in diesem Kontext eine Protestaktion gegen die Zentrumspartei oder Zentrumsrepräsentanten darstellen und musste nicht zwangsläufig eine Übereinstimmung mit den politischen und weltanschaulichen Wahlzielen der NSDAP beinhalten.

III. KATHOLISCHES MILIEU IM EMSLAND IN DER ZEIT DER NATIONALSOZIALISTISCHEN HERRSCHAFT39 1. DIE NATIONALSOZIALISTISCHE MACHTERGREIFUNG IM EMSLAND Bis zum Frühjahr 1933 hatten die Nationalsozialisten in dieser agrarischkatholischen Region eine völlig unbedeutende Rolle gespielt40. Doch gerade das weitgehende Fehlen einer emsländischen NS-Elite wie auch der engagierte Abwehrkampf von Zentrumspartei und katholischer Kirche gegen die Nationalsozialisten sollte nach den März-Wahlen dazu führen, dass die bislang gedemütigten und jetzt an der Macht befindlichen, zum Teil mit nicht unerheblicher krimineller Energie ausgestatteten neuen politischen Machthaber mit besonde38 Vgl. Bernhard Herbers/Wilhelm Rülander/Heinz Struckmann/Helmut Lensing: Rau, Rhabanus Clemens. In: Emsländische Geschichte, Bd. 10, hg. von der Studiengesellschaft für emsländische Regionalgeschichte, Haselünne 2003, S. 327-335. 39 Vgl. Maria Anna Zumholz: Anpassung – Verweigerung – Widerstand? Katholisches Milieu im Emsland 1933-1945. In: Emsländische Geschichte, Bd. 13, hg. von der Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte, Haselünne 2006, S. 22-104; Dies.: Volksfrömmigkeit und totalitäres NS-Regime: Marienerscheinungen in Heede/Emsland 1937 bis 1940. In: Bernhard Schneider (Hg.): Maria und Lourdes. Wunder und Marienerscheinungen in theologischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive, Münster 2008, S. 198-223; Dies. (wie Anm. 1), S. 199-277. 40 Zum folgenden vgl. Löning (wie Anm. 6), S. 117-143; Dieter Simon: Aschendorf im Dritten Reich. In: Gerd Steinwascher (Hg.): Geschichte der Stadt Aschendorf. Papenburg 1992, S. 173-192.

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rer Brutalität gegen die alten politischen Eliten und somit die Repräsentanten des katholischen Emsland vorgingen. Vorrangig beteiligt an diesen Aktionen waren Erich Plesse, Kreisleiter, Ortsgruppenleiter und Bürgermeister von Lingen, und der Kreisleiter von Meppen, Josef Egert, sowie der Papenburger Bürgermeister Richard Janssen, der Agrarwissenschaftler Dr. Hermann Korte, Bürgermeister von Nordhorn und Leiter des Agrarpolitischen Apparates der NSDAP im Emsland und der Grafschaft Bentheim, sowie der Aschendorfer Kreisleiter Gerhard Buscher41. An ihren Biographien wie auch an denen weiterer führender NS-Repräsentanten läßt sich exemplarisch die AußenseiterPosition der neuen politischen Elite in der Region aufzeigen. Der am 13. Juli 1908 in Essen/Ruhr geborene evangelische Lingener Ortsgruppenleiter, Kreisleiter und Bürgermeister Erich Plesse hatte nach einem abgebrochenen Medizinstudium 1931 seine NS-Aktivitäten in Lingen aufgenommen. Josef Egert, der katholische Meppener Ortsgruppenleiter, Kreisleiter und Mitglied des Kreisausschusses, war am 28. November 1896 in Brehme, Kreis Worbis im Eichsfeld geboren und in Meppen als Sohn eines Gefängniswärters aufgewachsen. Nach einer kaufmännischen Lehre und der Teilnahme am 1. Weltkrieg hatte er den nicht sonderlich angesehenen Beruf eines Handlungsreisenden in Sachen Tabakhandel und Futtermittel ausgeübt, bevor er sich 1931 hauptamtlich der Parteitätigkeit zuwandte. Der protestantische Papenburger Bürgermeister Richard Janssen, der zuvor als Justizangestellter beim Amtsgericht in Papenburg tätig gewesen war, stammte aus dem ostfriesischen Völlen, ebenso wie der 1891 in Bremen geborene protestantische Aschendorfer Kreisleiter Gerhard Buscher42. In Sachsenhagen/Kreis Rinteln geboren und in Steenfelderfehn/Friesland aufwachsen war der ebenfalls protestantische Dr. Hermann Korte, Leiter der Bezirksführerschaft des emsländischen Bauerntums und hauptamtlicher Bürgermeister von Nordhorn43. Keiner der oben angeführten Nationalsozialisten stammte somit gebürtig aus dem Emsland, und mit Ausnahme von Josef Egert gehörte niemand der katholischen Konfession an. Nicht wenige aktive Nationalsozialisten waren korrupt oder sogar kriminell und genossen ein miserables Ansehen. Vor allem in Papenburg wurden etliche hohe NS-Funktionäre wegen strafbarer Machenschaf41 Vgl. Michael Rademacher: Wer war wer im Gau Weser-Ems. Die Amtsträger der NSDAP und ihrer Organisationen in Oldenburg, Bremen, Ostfriesland sowie der Region Osnabrück-Emsland, Vechta 2000, S. 198, 212, 265, 280, 331. 42 Vgl. Hans-Joachim Albers: Janssen, Richard. In: Emsländische Geschichte, Bd. 7 (wie Anm. 13), S. 165-172; Ders.: Buscher, Gerhard. In: Emsländische Geschichte, Bd. 6 (wie Anm. 14), S. 182-189. 43 Vgl. Helmut Lensing: Korte, Hermann, Dr.. In: Emsländische Geschichte, Bd. 7 (wie Anm. 13), S. 191-195.

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ten und alkoholischer Exzesse aktenkundig44. Besonderes Aufsehen erregte der Fall des ersten Aschendorfer Kreisleiters Emil Hartung, geb. 1890 in Waldzell (Bayern), den nach einer Gefängnisstrafe wegen Unterschlagungen beim Sportverein Amisia Papenburg das oberste Parteigericht 1936 aus der Partei ausschloss45. Und den von der NSDAP-Kreisleitung für das Amt der Gemeindevorsteher in Sögel, Eisten und Wahn vorgeschlagenen Kandidaten sagte man nicht nur wirtschaftliche Schwierigkeiten und Schulden, sondern auch Schlägereien, Meineid, Vergewaltigung und Beihilfe zur Abtreibung nach46. Unter dem ihre wahren Ziele verschleiernden Schlagwort von der Schaffung einer einigen und starken „Volksgemeinschaft“ nahmen die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung auch im Emsland die gezielte Umformung der Gesellschaft in Angriff. Dabei gingen sie zunächst systematisch insbesondere gegen die politischen Milieuorganisationen und deren Eliten vor. Die Konkurrenz zwischen dem Gauleiter des Gaues Weser-Ems, Carl Röver, und dem Osnabrücker Regierungspräsidenten Bernhard Eggers insbesondere in der Umbruchsituation des Jahres 1933 führte dazu, dass sich beide von den emsländischen Nationalsozialisten für deren Zwecke in Anspruch nehmen ließen, um so ihre Macht zu demonstrieren und über die Bürgermeister und NSDAPOrtsgruppen Einfluss auf lokaler Ebene zu gewinnen. Diese Konstellation zog eine nicht unerhebliche Radikalisierung der Situation im Emsland nach sich. So gelang es der relativ kleinen Gruppe von Nationalsozialisten bis zum November 1933, mit Hilfe von Diffamierungs- und Verleumdungsfeldzügen, die jeder Grundlage entbehrten, die Bürgermeister von Lingen, Meppen, Haselünne, Papenburg und Aschendorf aus ihren Ämtern zu entfernen. Das Vorgehen gegen die Bürgermeister in allen größeren emsländischen Kommunen bildete nur die Spitze der vorgeblichen politischen Säuberungskampagne, der viele weitere Zentrumsrepräsentanten und Leiter katholischer Organisationen zum Opfer fielen. Nicht wenige verloren nicht nur ihre politischen Positionen, sondern auch ihre berufliche Existenz und ihr Ansehen, ohne dass sie die Möglichkeit erhielten, sich gegen Vorwürfe wegen angeblicher Verfehlungen zu rechtfertigen. Etliche der Betroffenen sahen sich gezwungen, die Region zu verlassen. 44 Vgl. Ders.: Zum Konflikt zwischen Nationalsozialismus und Kirche im Emsland bis zur Lingener Blockhütten-Affäre 1935. In: Emsländische Geschichte, Bd. 3, hg. von der Studiengesellschaft für emsländische Regionalgeschichte, Meppen 1993, S. 125-154, hier Anm. 42, S. 149-150. 45 Vgl. ebd. und Michael Rademacher: Der Gauleiter Carl Röver und seine innerparteiliche Personalpolitik am Beispiel der emsländischen Kreisleiter. In: Emsländische Geschichte, Bd. 9, hg. von der Studiengesellschaft für Emsländische Geschichte, Haselünne 2001, S. 152-169, hier S. 158; Ders.: Die Kreisleiter der NSDAP im Gau Weser-Ems, Marburg 2005, S. 200-204. 46 Vgl. Löning (wie Anm. 6), S. 218.

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Hinzu kam, dass einige von ihnen Repressalien wie Hausdurchsuchungen und Drohungen mit Verhaftung oder Verbringung in ein Konzentrationslager ausgesetzt waren. Zur Verunsicherung und Einschüchterung der emsländischen Bevölkerung trugen weiterhin die drei im Laufe des Jahres 1933 in Börgermoor (Juni 1933), Esterwegen (Juli 1933) und Neusustrum (September 1933) in Betrieb genommenen Strafgefangenen- bzw. Konzentrationslager in ganz erheblichem Maße bei, denn die brutalen Misshandlungen der Häftlinge durch das Bewachungspersonal vollzogen sich trotz aller Geheimhaltungsversuche zum Teil vor den Augen der emsländischen Bevölkerung, weil die Häftlinge auch auf den Transporten bzw. Fußmärschen von den Bahnhöfen Papenburg und Dörpen in ihre Bestimmungsorte barbarisch behandelt wurden47. Letztlich war im Emsland jeder, der sich vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus welchen Gründen auch immer zu sehr gegen diese exponiert hatte, sowie derjenige, der sich in Zukunft nicht anpasste und dem Willen der neuen Machthaber nicht Folge leistete, von Verhaftung und der Einlieferung in ein Konzentrationslager bedroht. Diese Absicht wurde bei verschiedenen Gelegenheiten offiziell geäußert, in den Zeitungen veröffentlicht und in die Praxis umgesetzt. Nachdem die emsländische Bevölkerung den NS-Verbänden nur äußerst zögerlich beitrat, erklärte der NSBO-Redner Leopold Bolwin aus Münster Ende Juni 1933 öffentlich in Papenburg, „daß man die Zentrumsmitglieder, die sich der Aufbauarbeit des Staates entgegenstellen, ebenso in die Konzentrationslager schicken wird, wie die roten Bonzen“48. Der Gau-Inspekteur und spätere Landrat des Kreises Aschendorf-Hümmling, Hans Gronewald, hatte im Monat zuvor verkündet, die „nationale Revolution“ werde „rücksichtslos bis zum Ende“ durchgeführt. Alles, was sich dem widersetze, werde „rücksichtslos mit Stumpf und Stiel“ ausgerottet49. Die Feststellungen Martin Lönings in seiner Studie über die Durchsetzung des Nationalsozialismus im Emsland, dass es dem NS-Regime nach 1933 aufgrund „einer beiderseitigen Anpassung“ bzw. „einer stark ausgeprägten Identität der Interessen in den Bereichen Nationalismus, Antimarxismus, Antisozialismus, Antiliberalismus, Antiparlamentarismus und Antimodernismus“ gelungen sei, „in das traditionelle Milieu ein[zu]dringen“50, und dass für die „Macht47 Vgl. Erich Kosthorst / Bernd Walter: Konzentrations- und Strafgefangenenlager im Emsland 1933-1945. Zum Verhältnis von NS-Regime und Justiz, Düsseldorf 1985, S. 32; einen Überblick über die Konzentrations- und Strafgefangenenlager im Emsland gibt Kay Dohnke: Nationalsozialismus in Norddeutschland. Ein Atlas, Hamburg/Wien 2001, S. 46-47. 48 EZ vom 28.6.1933. 49 EZ vom 30.6.1933. 50 Löning (wie Anm. 6), S. 328 und 329.

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ergreifung und Gleichschaltung im Emsland … das hohe Maß der Selbstanpassung und Selbstgleichschaltung auf der Grundlage der Teilidentität der Interessen“ bei „Ablehnung der radikalen Elemente der nationalsozialistischen Weltanschauung sowie … Beibehaltung der alten Eliten“ charakteristisch gewesen sei, treffen somit in dieser Form nicht zu. 2. BISCHOF WILHELM BERNING UND DER „KAMPF MIT DEN WAFFEN DES GLAUBENS“ Der Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning reagierte auf den Nationalsozialismus mit einer doppelten Strategie. Berning gehörte zu den denjenigen Bischöfen im deutschen Episkopat, die „dem Regime im Jahre 1933 am weitesten entgegenkamen“51, indem er sich zu einer Taktik von Vorleistungen gegenüber dem NS-Regime bzw. zur Rolle eines „Brückenbauers“ zwischen Nationalsozialisten und Katholischer Kirche entschloss. Berning änderte somit im Frühjahr 1933 seine bisher vor allem auf die Rückgewinnung katholischer Mitläufer bestimmte Politik, die darin bestand, dass er selbst kritische öffentliche Äußerungen weitgehend vermied, während sich der Klerus vor Ort mit seiner Billigung und Unterstützung aktiv in der Abwehr des Nationalsozialismus engagierte52. Bernings Kurs des „Brückenbaus“ war insgesamt darauf abgestimmt, dem NS-Regime einerseits eine Chance zu geben und ihm andererseits keinerlei Anlass für Übergriffe zu bieten. So konnte er den guten Willen der Katholiken zur Mitarbeit im neuen Staat demonstrieren und bei einem Scheitern der Zusammenarbeit und bei einer Eskalation der Konflikte die Schuld ganz eindeutig den Nationalsozialisten zuschreiben. Insbesondere interne Äußerungen lassen klar erkennen, dass der Bischof bei allem äußeren Entgegenkommen die Augen vor der Realität nicht verschloss und die Gefahren, die der katholischen Kirche und den Katholiken von den nationalsozialistischen Machthabern drohten, keineswegs unterschätzte. Sich bei aller Vorsicht nicht zu pessimistisch zu zeigen und positive Leistungen anzuerkennen, das Konkordat als friedenssicherndes Instrument sowie die Katholische Aktion zur Erneuerung der Kirche und der Katholiken einzusetzen, das war die Maxime des Vatikans und auch die Wilhelm Bernings im Jahr 1933 und darüber hinaus. Daher leitete der Osnabrücker Bischof parallel zur Taktik des „Brückenbaus“ eine Intensivierung der Frömmigkeit und die Formierung einer Laienelite im Rahmen der Katholischen Aktion ein, um so den

51 So die Wertung von Klemens-August Recker: »Wem wollt ihr glauben?« Bischof Berning im Dritten Reich, Paderborn 1998, S. 55. 52 Zur Haltung Bernings im Zeitraum von 1930 bis 1933 vgl. ebd., S. 16-48.

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„Kampf mit den Waffen des Glaubens“ führen zu können53. Das Ziel der katholischen Aktion bestand somit vor allem in der Formung von mündigen Christen, die in völlig neuer Form in die Mitverantwortung für die Kirche eingebunden werden sollten, wenngleich die letzte Entscheidung dem lokalen Klerus bzw. dem Diözesanbischof zustand. Eine derartige Überwindung des Gewohnheitschristentums sollte sowohl durch eine intensivierte Vermittlung der grundlegenden Glaubenswahrheiten, als auch über eine vertiefte persönliche Frömmigkeit erzielt werden. Diesen Absichten dienten insbesondere Predigten, Schulungskurse, Exerzitien und Einkehrtage, die Förderung der Frühkommunion und von Gemeinschaftskommunionen, die Einführung und Pflege spezieller Betstunden, wie dem Ewigen Gebet, der Heiligen Stunde und der nächtlichen Anbetung. Auf diese Weise wurden die Katholiken sowohl in weltanschaulicher Hinsicht gegen die nationalsozialistische Ideologie immunisiert als auch organisatorisch über die Katholische Aktion eingebunden. Eine Art verbindlichen Milieustandard sah Bischof Wilhelm Berning im Hirtenbrief der deutschen Bischöfe vom 3. Juni 1933, dem ersten nach Beginn der NS-Herrschaft. Er ließ diesen in seiner Diözese nicht nur verlesen, sondern hielt ihn „von so grundlegender Bedeutung“, dass er eine große Anzahl preiswerter gedruckter Exemplare für seine Diözesanen zur Verfügung stellte und den Klerus anhielt, für eine „möglichst weitgehende Verbreitung des Hirtenschreibens“ Sorge zu tragen54. In diesem Hirtenbrief heißt es: Auch die Katholiken seien selbstverständlich von „Liebe zum Volke und Vaterland“ erfüllt, doch werde diese ergänzt durch „die natürliche und christliche Verbundenheit mit den anderen Völkern und Völkerfamilien“, denn der Heiland habe „das große, weltweite Gottesreich auf Erden“ dazu berufen, „alle Menschen ohne Unterschied der Sprache und der Zeit, der Nation und Rasse erlösend zu erfassen“55. Es fiele den Katholiken zwar „keineswegs schwer, die neue, starke Betonung der Autorität im deutschen Staatswesen zu würdigen“, doch erwarte man, „daß die staatliche Autorität ... die menschliche Freiheit nicht mehr beschneide, als es das Gesamtwohl verlangt, sondern sich mit der Gerechtigkeit schmücke, und damit jedem Untertanen das Seine, sei es Eigentum, Ehre oder

53 Kampf mit den Waffen des Glaubens. Eine bedeutsame Predigt des Bischofs Dr. Berning in Osnabrück. In: Zweite Beilage zur Germania vom 4.1.1935; das Zitat stammt etwas abgewandelt aus Bernings Silvesterpredigt, über die in dem Artikel berichtet wird. 54 Hirtenbrief „Katholische Kirche im neuen Reich“. In: Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Osnabrück vom 18.07.1933, S. 282. 55 Hirtenbrief des deutschen Episkopats. Druck: Bernhard Stasiewski (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I: 1933-1945, Mainz 1968, S. 239-248, Zitat S. 240.

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Freiheit gebe und lasse“56. In diesem Kontext verurteilten die Bischöfe „die rücksichtslose Ausmerzung“ von Gegnern und forderten stattdessen deren Eingliederung in „die Volksfamilie“. Und sie verlangten insbesondere Gerechtigkeit für politisch Andersgesinnte, die nicht „hartherzig … einem ungewissen Schicksal“ ausgeliefert werden dürften57. Hier erweist sich das katholische Menschenbild, das prinzipiell alle Menschen gleich welcher Konfession und Rasse als Ebenbilder Gottes ansieht, die mit grundlegenden Menschenrechten ausgestattet sind, als eindeutig über die Milieugrenzen hinaus wirksam, denn es hatte zur Folge, dass Recht und Gerechtigkeit nicht allein für Katholiken, sondern für alle Menschen eingefordert wurde. Wenngleich Wilhelm Berning nicht zuletzt mit Rücksicht auf die konfessionelle Struktur der Diaspora-Diözese Osnabrück kein Interesse an einem Konfrontationskurs mit dem NS-Regime hatte, so rief er seine Diözesanen doch auch nicht zu unkritischem Gehorsam gegenüber dem NS-Regime auf. In einer Predigt in Rulle stellte er 1935 etwa katholischen Männern und Jungmännern mit dem im selben Jahr heilig gesprochenen Thomas Morus (1478-1535) einen Mann als Vorbild hin, der wegen seines glaubensbedingten Widerstandes gegen den englischen König zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war. Widerstand auch gegen eine rechtmäßige Obrigkeit war somit in den Fällen geboten, in denen diese Befehle erteilte, die mit dem Gewissen eines Katholiken nicht vereinbar waren58. 3. KATHOLISCHES MILIEU IM EMSLAND IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS Der nationalsozialistische Versuch, das organisatorische Gefüge des emsländischen katholischen Milieu durch Ablösung, Diskriminierung und Bedrohung der politischen und kirchlichen Eliten, die Zerstörung insbesondere des nichtkirchlichen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und freizeitorientierten Vereinswesens und damit der Außenwerke des katholischen Milieus, die Abschaffung der Konfessionsschulen als Sozialisationsinstanzen sowie das Verbot der Zentrumspresse und kirchlicher Zeitschriften als milieuinterner Kommunikationsmittel zu zerstören, schlug im wesentlichen fehl. Während es etwa die auf der Parteiorganisation basierende sozialistische Milieustruktur auf diesem Wege weitgehend auszuschalten werden konnte, erwies sich das katholische Milieu mit den Pfarreien als Milieukernen als eine uneinnehmbare Festung. 56 Ebd., S. 241. 57 Ebd., S. 242-243. 58 Predigt Bernings anläßlich der Männerwallfahrt in Rulle am 16.6.1935, Bistumsarchiv Osnabrück (im folgenden BAOS) 03-17-72-34.

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In nahezu allen kleinen Landgemeinden blieben die Zentrumsbürgermeister im Amt. Noch 1935 meldete das Gauamt für Kommunalpolitik im Gau WeserEms, dass nur 10 Prozent der Gemeindevorsteher im Kreis Meppen Mitglied der NSDAP seien und sich diese Situation auch nicht ändern lasse59. Hier machte sich die geringe nationalsozialistische Durchdringung der Region zuungunsten der Nationalsozialisten bemerkbar, da kaum qualifizierte NSAnhänger zur Verfügung standen, um die zentrumsorientierten Bürgermeister in den knapp 200 kleinen politischen Gemeinden des Emslandes zu verdrängen. Ähnlich sah es mit der weltanschaulichen Zuverlässigkeit der Lehrer aus, wie ein im Kontext der Marienerscheinungen in Heede entstandener Bericht des NSLB-Kreiswalters im Kreis Aschendorf-Hümmling, August Bölxen, vom 5. Dezember 1937 über die Haltung der katholischen Lehrer des Landkreises Aschendorf-Hümmling erweist. Er habe feststellen müssen, dass die Lehrerschaft und vor allem die Lehrerinnen „ebenso von der Glaubwürdigkeit der Heeder Dinge überzeugt sind wie die übrige Bevölkerung“, schrieb Bölxen an Gauamtsleiter Kemnitz in Oldenburg. „Nicht einmal die Amtswalter des NSLB. wagen es, gegen den Rummel offen Stellung zu nehmen. Selbst als zuverlässig angesehene Kameraden weisen immer wieder auf die Momente hin, die geeignet erscheinen, das Wunder zu erhärten bzw. die Maßnahmen der Behörde zu bekritteln. ... Es ist äußerst deprimierend feststellen zu müssen, wie stark trotz aller Schulung und Aufklärung der letzten 4 Jahre die kirchlich religiösen Bindungen bei fast allen Erziehern wirken. ... Ein Menschenleben reicht nicht aus, um eine falsche religiöse Erziehung wieder gutzumachen“60. Die gewaltsame Auflösung von Vereinen wie auch die Begrenzung der Sozialisation und Kommunikation konnten durch eine Verlagerung von Aufgaben sowie die Aktivierung informeller Strukturen im wesentlichen kompensiert werden. Parallel zu dem bestehenden Vereinswesen entstand etwa mit der katholischen Aktion auf Pfarreiebene eine katholische Elite in Form von „Zehnerschaften“. Die Gleichschaltung der Zentrumspresse führte zu einer Stärkung der kirchlichen Presse. So wurde der Kirchenbote, das offizielle Organ der Katholischen Aktion im Bistum Osnabrück, zwar überwacht und war zunehmenden Einschränkungen unterworfen, er konnte jedoch bis zu seinem im Rahmen der allgemeinen Einstellung der Kirchenpresse aufgrund angeblicher kriegswirtschaftlicher Notwendigkeiten am 1. Juni 194161 erfolgten Verbot 59 Vgl. Löning (wie Anm. 6), S. 231. 60 Bölxen an Kemnitz, 5.12.1937, Staatsarchiv Osnabrück (im folgenden StAOS) Rep 403-400-233. 61 Vgl. Mitteilungen Berning über die Lage der katholischen Presse, Fulda, 26.6.1941, Druck: Ludwig Volk (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. V: 1940-1942, Mainz 1983, S. 436-439.

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seine Auflage von 10.000 im Jahr 1933 auf 60.000 Exemplare im Jahr 1941 steigern62. Weiterhin stieg die Abonnentenzahl des Verbandsblattes des Männerapostolats, „Der katholische Mann“, von 5.000 Ende 1935 auf 14.000 im Frühjahr 1937 an63. Tab. 6: Die Kirchenbindung im Dekanat Emsland II/Aschendorf (1925-1932)64 Dekanat Emsland II

Katholiken

Katholiken, die ihrer Osterpflicht nachkamen

absolut

Jahreskommunionen

Kirchenbesucher Jahreskommunionen je Katholik, der seine Osterpflicht erfüllte

%

absolut

%

1925

24.292

17.254

70,98

275.440

15,96%

18.556

75,56

1926

24.559

17.568

71,53

279.302

16,92%

18.007

73,32

1927

24.496

17.960

73,32

273.344

15,22%

18.029

73,60

1928

24.169

17.812

73,70

270.182

15,17%

17.491

72,37

1929

24.199

18.352

75,84

267.504

14,58%

17.961

74,22

1930

24.949

18.322

73,44

287.947

15,72%

18.079

72,46

1931

25.104

18.718

74,56

315.609

16,86%

18.604

74,11

1932

24.933

18.962

75,81

325.672

17,23%

18.678

74,90

Ein Überblick über die Kirchenbindung im Dekanat Emsland II zeigt mit geringen Schwankungen eine enge und konstante Anbindung an die katholische Kirche, wie insbesondere ein vergleichender Blick auf die Entwicklung der 62 Vgl. Manfred Hüsgen: Die Bistumsblätter in Niedersachsen während der nationalsozialistischen Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Publizistik im Dritten Reich (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, Bd. 85) Hildesheim 1957, S. 272. 63 Vgl. die Predigt Bernings in Wietmarschen am 25.4.1937, BAOS 03-17-72-34. 64 Kirchliches Handbuch für das katholische Deutschland, hg. von Hermann A. Krose, 12.Bd.: 1924-1925, hg. von Hermann A. Krose und Joseph Sauren, Freiburg 1925, S. 564; 13. Bd.: 1925-1926, hg. von der Zentralstelle für kirchliche Statistik des katholischen Deutschlands Köln, Freiburg 1927, S. 436-437; 14. Bd.: 19261927, Freiburg 1927, S. 350-351; 15. Bd.: 1927-1928, Freiburg 1928, S. 398-399; 16. Bd.: 1928-1929, Freiburg 1929, S. 200-201; 17, Bd.: 1930-1931, Köln 1931, S. 396-397. Für die fehlenden Jahre sowie für die Zahl der Kirchenbesucher vgl. Kirchliche Statistik Deutschlands, Zählbogen B für das Dekanat Emsland II, 1925, 1926, 1927, 1928, 1929, 1930, 1931 und 1932. BAOS DEKA 02.4-21-05.

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Zeit der Weimarer Republik erweist (Tab. 6 und 7). Im Zeitraum von 1925 bis 1932 sind nur geringfügige Unterschiede zu erkennen, die auf eine Veränderung der Altersstruktur zurückzuführen sein können wie etwa der knapp vierprozentige Anstieg bei denjenigen, die ihrer Osterpflicht nachkamen. Signifikant verändert hat sich nur die gestiegene Kommunionhäufigkeit, sowohl insgesamt als auch im Verhältnis zu denjenigen, die ihrer Osterpflicht nachkamen. Wenngleich dieser Prozess wahrscheinlich auf einem pastoralen Konzept beruht, so demonstriert er doch die unverändert starke Anbindung der Katholiken an die Katholische Kirche. Tab. 7: Die Kirchenbindung im Dekanat Emsland II 1933-193765 Dekanat Emsland II

Katholiken, die ihrer Osterpflicht nachkamen

Jahreskommunionen

Jahreskommunionen je aktiver Katholik

Kirchen- Kirchen- Kirchenbesucher austritte eintritte / -rücktritte

1933

74,69%

328.436

16,90

19.359

-

4 -

1934

74,96%

355.791

18,23

19.113

-

7 1

1935

73,18%

388.648

20,05

19.043

-

8 1

1936

73,53%

412.538

21,22

19.602

15

6 -

1937

69,66%

432.903

22,87

18.819

80

5 -

Diese Situation änderte sich auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten bis einschließlich 1936 nur unwesentlich. Die durchschnittlich sechs Kircheneintritte im Jahr belegen die andauernde Attraktivität der katholischen Kirche, während die Kirchenaustritte im Wesentlichen auf das Personal der Strafgefangenenlager beschränkt sind. Emsländer wie der Rheder Gemeindevorsteher und Kreisbauernführer Lambert Hannen und der aus Aschendorf stammende Kreispropagandaleiter Wilhelm Bösing, die aus der Kirche austraten, stellen Ausnahmen dar66. 1936 fallen allein 10 der 15 Kirchenaustritte auf die Kirchengemeinde Lathen, als Kommentar ist im kirchlichen Zählbogen 65 Vgl. Kirchliche Statistik Deutschlands, Zählbogen B für das Dekanat Emsland II für die Jahre 1933, 1934, 1935, 1936 und 1937, BAOS DEKA 02.4-03-12. 66 StAOS Rep 950 Pap Nr. 927.

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angegeben, dass es sich hier um „Wachmänner der Strafgefangenenlager“67 handele. Auch im darauffolgenden Jahr betreffen 51 der 80 Kirchenaustritte die Pfarrgemeinde Aschendorf mit dem Lager Aschendorfermoor und 16 die Pfarrgemeinde Oberlangen mit dem Lager Oberlangen68. Allein 1937 zeigen sich geringfügige Erosionen an den Milieurändern im Hinblick auf den Kirchenbesuch und die Befolgung der Osterpflicht. Andererseits steigen die absolute Zahl der Jahreskommunionen sowie die Anzahl der Jahreskommunionen je aktiver Katholik an, was auf eine Festigung des Milieukerns schließen läßt. Eine derartige Entwicklung bestätigen auch die Ausführungen Bischof Wilhelm Bernings bei der Diözesankonferenz im April 1937: „Zu unserer Freude können wir wahrnehmen, daß fast an allen Orten, auch auf dem Lande, aus dem gewohnheitsmäßigen Christentum ein entschiedenes Festhalten am Glauben und ein eifriges kirchliches Leben geworden ist. Besonders unsere Jugend hat ihre Begeisterung für Christus und die Kirche bei den Firmerneuerungsfeiern des öfteren erwiesen“69. Dem NS-Regime war somit weder die organisatorische noch die weltanschauliche Gleichschaltung des Emslandes gelungen. Dies lässt sich u.a. an kollektiven Konflikten wie der „Lingener Blockhütten-Affäre“ im Jahr 193570, den eine ganze Reihe von Verhaftungen nach sich ziehenden lokalen Kreuzkämpfen 1937 in den Kreisen Meppen und Lingen71 sowie insbesondere an den Auseinandersetzungen um die Marienerscheinungen in Heede und den Wallfahrten zum Erscheinungsort 1937 bis 1945 belegen. Die Nationalsozialisten mußten erkennen, dass Parteibeitritte und die Übernahme von Ämtern entweder auf Illusionen hinsichtlich der Vereinbarkeit katholischer und nationalsozialistischer Überzeugungen oder auf einer Anpassung an staatliche Erwartungen aufgrund taktischer und opportunistischer Erwägungen beruhten. Fünf Jahre nationalsozialistischer „Aufbauarbeit“, Indoktrination und zum Teil auch massiven Terrors zeigten abgesehen von Einzelfällen kaum Wirkung auf die religiöse und regionale Mentalität der emsländischen Katholiken. Zudem bestand keinerlei Hoffnung, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern würde. „Die Tatsachen zeigen, daß ich über den Erfolg der Ausrichtungsarbeit mich keinen

67 Vgl. Zählbogen B für das Dekanat Emsland II, Jahr 1936, BAOS DEKA 02.4-0312. 68 Vgl. Zählbogen B für das Dekanat Emsland II, Jahr 1937, ebd. 69 Protokoll über die Diözesankonferenz am 12. April 1937, S. 6. Als Manuskript gedruckt, BAOS. 70 Vgl. Lensing (wie Anm. 44), S. 125-154. 71 Vgl. Zumholz (wie Anm. 1), S. 279-284.

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Täuschungen hingeben darf. Das Endziel liegt weit in der Zukunft“72, mußte der NSLB-Kreiswalter im Kreis Aschendorf-Hümmling Ende 1937 zwangsläufig feststellen. Auch der SD schätzte die Situation im Emsland als so besorgniserregend ein, dass der SD-Führer des SS-Oberabschnitts Nord-West Anfang 1938 vorschlug, „ob nicht durch einen großzügigen Austausch von Beamten die Bevölkerung des Emslandes mit weltanschaulich gefestigten Menschen durchsetzt werden könnte, um so der nationalsozialistischen Weltanschauung im schwarzen Emsland eine feste Grundlage zu schaffen“73. 4. „LOYALITÄT ZUM NS-STAAT“74 ZWECKS „WAHRUNG DER MILIEUPRIVILEGIEN“75 UND/ODER AUS WIRTSCHAFTLICHER OPPORTUNITÄT ? Über die Bewertung der Resistenz des Katholischen Milieus streiten sich die Milieuforscher. Der „Unmut der katholischen Bevölkerung richtete sich vor allem gegen die Partei und weniger gegen den Staat; vor allem aber steigerte er sich nicht zu einer prinzipiell staatskritischen Einstellung, sondern bezog sich in der Regel allein auf die Maßnahmen gegen Kirche und Religion“76, behaupten etwa Gerhard Paul und Klaus-Michael Mallmann in ihren Studien über das Saarland. Prinzipiell weist jedoch schon das katholische Menschenbild, das generell alle Menschen gleich welcher Konfession und Rasse als Ebenbilder Gottes ansieht, die mit grundlegenden und der Verfügung des Staates entzogenen Menschenrechten ausgestattet sind, eindeutig über die Milieugrenzen hinaus. Ein diesem Menschenbild verpflichtetes Verhalten von Emsländern lässt sich etwa an Handlungsweisen gegenüber den Insassen der berüchtigten Emslandlager nachweisen. Der Malermeister Hein Nass aus Lingen wurde im Sommer 1933 als Mitglied der Malergilde in Meppen – wie man die Malerinnungen nach der Gleichschaltung nannte – dienstverpflichtet, „zur Verglasung und 72 Bölxen an Kemnitz, 5.12.1937, Staatsarchiv Osnabrück (im folgenden StAOS) Rep 403-400-233. 73 Bericht des SD-Führers des SS-Oberabschnitts Nord-West an das Sicherheitshauptamt, Abteilung II-113, 21.1.1938, Bundesarchiv Berlin (im folgenden BArch) R 58 /5869. 74 Thomas Breuer: Verordneter Wandel? Der Widerstreit zwischen nationalsozialistischem Herrschaftsanspruch und traditionaler Lebenswelt im Erzbistum Bamberg (VKZG Reihe B, Bd. 60) Mainz 1992, S. 370. 75 Gerhard Paul / Klaus-Michael Mallmann: Milieus und Widerstand. Ein Resümee. In: Dies.: Milieus und Widerstand. Eine Verhaltensgeschichte der Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bonn 1995, S. 530-548, Zitat S. 533. 76 Ebd., S. 273.

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‚Verschönerung‘ der Baracken im Konzentrationslager Esterwegen“ beizutragen77. Nass war vor seinem Einsatz eidesstattlich zum Stillschweigen verpflichtet worden und reagierte völlig entsetzt auf die Zustände im Lager. Zu diesem Zeitpunkt, wenige Monate nach der Machtergreifung, befanden sich bereits 5.000 Juden, Kommunisten, Sozialisten, Zentrumsmitglieder und weitere „Staatsfeinde“ in Esterwegen. Die Mitglieder der Malergilde erlebten mit ebenfalls dienstverpflichteten Zimmerleuten hautnah mit, wie die Gefangenen unmenschlich behandelt, sadistisch gequält und „auf der Flucht“ erschossen wurden. Etliche Lagerinsassen, die den Terror nicht mehr ertrugen, töteten sich durch Kontakt mit dem Starkstromzaun. „All diesem Geschehen standen wir Kleinbürger so hilf- und auch willenlos gegenüber. Einige nahmen es kaum wahr, andere mit Wut im Leibe und Ekel im Herzen, daß sowas in unserem kultivierten Deutschland, Deutschland über alles, möglich war“78. Eine Möglichkeit, sich für die Gefangenen einzusetzen, sah kaum jemand, da schon jede „Unterhaltung mit den Häftlingen“ und Hilfsleistungen wie „Geschenkemachen, Besorgungen von Briefen und dergleichen ... strengstens verboten“ waren und mit „polizeilicher Verfolgung und gegebenenfalls Verhaftung“ geahndet wurden. „Die gleichen Folgen sind zu gegenwärtigen, wenn unwahre oder ungünstige Gerüchte über die Einrichtung der Lager, die Behandlung der Häftlinge oder das Verhalten der Wachmannschaft verbreitet werden“79, hieß es in entsprechenden Verhaltensvorschriften. Einer der Kameraden von Nass, der Maler Heinrich Frye aus Papenburg-Obenende, hielt sich nicht an die Verbote und erklärte sich bereit, für einen in Börgermoor inhaftierten Juden Briefe an dessen Familie in Weener zu übermitteln80. Er wurde denunziert, zunächst in Leer inhaftiert und anschließend am 19. September 1933 in ein emsländisches Konzentrationslager eingeliefert. In einem zwecks Abschreckung der Bevölkerung anschließend am 20. September 1933 in der Ems-Zeitung veröffentlichten Bericht war zu lesen, dass Frye als „Volksverräter“ und „Hochverräter ... si-

77 Hein Nass: „Esterwegen 1933“, nur eine Episode? In: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes 25 (1979), S. 91-96, Zitat S. 92. 78 Ebd. 79 Verhaltensvorschriften für die Techniker der Kulturbauleitungen in Börgermoor und Esterwegen und Verhaltensvorschriften für die Anweisearbeiter der Kulturbauleitungen in Börgermoor und Esterwegen, zit. nach Erich Kosthorst / Bernd Walter: Konzentrations- und Strafgefangenenlager im Dritten Reich. Beispiel Emsland. Dokumentation und Analyse zum Verhältnis von NS-Regime und Justiz, Bd. 1, Düsseldorf 1983, S. 180 und 181. 80 Vgl. Uwe Eissing: Die jüdische Gemeinde Papenburg-Aschendorf im Spiegel der Zeit. Ein Gedenkbuch, Papenburg 1987, S. 105.

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cherlich im Konzentrationslager ausreichend Gelegenheit geboten werde, über die Niederträchtigkeit seiner Tat nachzudenken“81. Trotz derartiger Bedrohungen lassen sich weitere Anzeichen von Distanzierung von den Lagerleitungen und Solidarisierung mit den Gefangenen erkennen. Man habe in den ersten Jahren bei Außeneinsätzen Kontakte zu den „armen Moorbauern“ aufnehmen können, „die ihr Essen mit uns teilten und aus ihrer antifaschistischen Gesinnung kein Hehl machten“, heißt es in dem Erinnerungsbericht eines ehemaligen „Moorsoldaten“ in der „Deutschen Volkszeitung“ vom 16. August 1936. „Die Sympathie der christlichen Bevölkerung, bei der wir sehen konnten, dass sie sich nicht einschüchtern ließ, gab uns viel Kraft, um die täglichen Erniedrigungen zu ertragen“82. Auch Wolfgang Langhoff erwähnte, dass einheimische Wachmänner „zufällig“ Tabak oder angerauchte Zigaretten für die Gefangenen fallen ließen83. Durch den strafrechtlich nicht relevanten Boykott von Lagerveranstaltungen demonstrierten Emsländer ihre Ablehnung der Strafpraxis in den Konzentrations- und Strafgefangenenlagern. Die Verurteilung der Lager und der Wachmannschaften konnte jedoch auch noch weitaus eindeutigere Formen annehmen. Als ein SS-Mann am 21. Juli 1935 im Urlaub mit einem Boot in Papenburg an mehreren Anglern vorbeifuhr, sprang einer von ihnen auf, warf mit Steinen nach ihm und rief ihm zu: „Du schwarzer Hund von Esterwegen, was willst Du hier, uns jagst Du hier die Fische fort, komm heraus, ich steche Dich durch“84. Da auch seine drei Mitangler eine bedrohliche Haltung einnahmen, ruderte der SS-Mann schnell weiter. Hier handelte es sich offensichtlich nicht um einen Einzelfall, denn der Esterweger Lagerkommandant und SSStandartenführer Loritz betonte in einem Schreiben an die Osnabrücker Staatspolizeistelle, dass „in dieser Gegend … gegen die SS die schlimmsten Beschimpfungen“85 an der Tagesordnung seien. Ein SA-Mann aus dem Strafgefangenenlager Aschendorfermoor sah sich am 9. Juni 1937 während der Verfolgung eines Gefangenen aufgrund einer Reifenpanne gezwungen, eine Fahrrad-Werkstatt in Papenburg-Obenende aufzusuchen86. Als er dem Handwerker 81 Zit. nach ebd. 82 Zit. nach Kosthorst/Walter (wie Anm. 79), S. 269. 83 Wolfgang Langhoff: Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager, Berlin 1947, Zitat S. 191-192. Die erste Auflage wurde 1935 in der Schweiz veröffentlicht. 84 Zit. nach Kosthorst/Walter (wie Anm. 79), S. 217. 85 Zit. nach ebd., S. 218. 86 Reproduktion der Meldung in: Die Machtergreifung der Nationalsozialisten am Beispiel des Emslandes, Begleitheft zu einer Ausstellung der Ludwig-WindthorstStiftung, Lingen-Holthausen 1983, S. 64.

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mitteilte, dass er einen Gefangenen suche, wurde dieser „sehr wütend“, schimpfte ihn aus, dass er „auf diese Sachen ausginge“ und warf ihm anschließend sein Hinterrad vor die Füße. Es handelte sich hier im Übrigen um den 1. Vorsitzenden des Kolpingvereins, der schon häufiger Angehörige der Wachmannschaften angegriffen hatte. Politischen Widerstand gegen das NS-Regime hatte die Mehrzahl der Emsländer vor der Machtergreifung insofern geleistet, als sich über 80 Prozent der Wahlberechtigten einer Wahl der NSDAP verweigerten und ca. 60 Prozent der wahlberechtigten Emsländer mit ihrer Stimme für die Zentrumspartei für eine freiheitliche, demokratische Staatsordnung votiert hatten (vgl. Tabelle 3). Wer anschließend seine Ablehnung der nationalsozialistischen Weltanschauung oder der Regierungspraxis des NS-Regimes wie auch seiner Repräsentanten öffentlich bekunden wollte, war mit beschränkten Handlungsspielräumen konfrontiert. Kritik dieser Art galt als nicht als eine private Meinungsäußerung, sondern als staatsfeindlich und konnte unkalkulierbare Folgen nach sich ziehen, die von beruflichen Nachteilen über Verhöre, Verhaftungen und – insbesondere nach Kriegsbeginn 1939 – Verurteilungen bis hin zur Verbringung in ein Konzentrationslager oder gar der Todesstrafe reichten. Trotzdem sind nicht wenige Emsländer in diesem Kontext in das Visier des NS-Regimes geraten. Der Friseur Hermann Jecker aus Rühlertwist, Kreis Meppen, hatte am 13. Februar 1936 in einer Gastwirtschaft in Hesepertwist die Reichsregierung als „die reinste Idiotenregierung“ bezeichnet. „Die sollen alle verrecken, meinetwegen kann auch Hitler verrecken“87. Die daraufhin angestellten Ermittlungen ergaben, dass ein enger Freund Jeckers einige Monate zuvor wegen ähnlicher Bemerkungen verhaftet und zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Das Sondergericht Hannover bestrafte anschließend Jecker mit sechs Monaten Gefängnis. Die „heutige Regierung [bestehe] nur aus Spitzbuben, Halunken und Tyrannen“, äußerte der katholische Kaufmann und Mechaniker Hermann Bröring aus Rhede gegenüber einem Beamten. Das Sondergericht Hannover verurteilte ihn am 13. März 1936 zu drei Monaten Gefängnis88. Am 1. Mai 1937 wurde eine Straße in Salzbergen bei Lingen mit Parolen versehen wie: „Nieder mit Hitler – Es lebe der Kaiser … ach Kaiser Wilhelm komm doch wieder und haue uns den Hitler nieder – Hitler verrecke“. Der Sicherheitsdienst der SS ging davon aus, dass „der Täter in der verhetzten katholischen Bevölkerung zu suchen sei“89. 87 Zit. nach dem Bericht des Gendarmerie-Abteilungsbereichs Haren, Kreis Meppen vom 15.3.1936. In: Steinwascher (wie Anm. 28), S. 473-474, Zitat S. 473. 88 StAOS Rep 439 Nr. 19. 89 Der SD-Führer des SS-Oberabschnittes Nord-West an das Sicherheitshauptamt Berlin, Hamburg, 21.5.1937. BArch R 58/5608.

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Geht aus diesen Ausführungen zwar hervor, dass der Vorwurf des Milieuegoismus nicht zutreffend ist, so ergibt sich dennoch die Frage nach der Gewichtung von konfessionellem und politischem Dissens mit dem Regime insbesondere im Hinblick auf angebliche wirtschaftliche Erfolge des NS-Regimes, die bis heute kontrovers diskutiert und beurteilt werden90. Die Deutschen hätten sich aufgrund materieller Vorteile mit dem Regime arrangiert und aus diesem Grund auch keinen „nennenswerten Widerstand“ geleistet, behauptet noch in neuester Zeit insbesondere Götz Aly: „Den Deutschen ging es im Zweiten Weltkrieg besser als je zuvor. … Das üppige materielle Sein, der indirekte, nicht persönlich verantwortete, doch gern genommene Vorteil aus den Großverbrechen bestimmte das Bewusstsein der meisten Deutschen von der Fürsorglichkeit ihres Regimes“91. Einen sprechenden Eindruck von der Reaktion der emsländischen Bevölkerung auf die Wirtschaftspolitik des Dritten Reiches vermitteln die von 1933 bis 1936 parallel verfassten und auf teilweise ebenfalls überlieferten Berichten von Ortspolizei und Landräten beruhenden inhaltlich übereinstimmenden Lageberichte der Staatspolizeistelle Osnabrück (1933-1936) sowie der Osnabrücker Regierungspräsidenten Bernhard Eggers, Wilhelm Rodenberg und Hans Jochen Fischer (1933-1945)92. Im Gegensatz zu der von Götz Aly vertretenen Sicht dominiert in diesen Berichten eine deutliche Kritik aller Sozialgruppen an einer unqualifizierten Wirtschaftspolitik des Dritten Reiches und an schon 1935 einsetzenden, sich mit Kriegsbeginn noch gravierend verschärfenden Versorgungsmängeln, von denen auch die ansonsten relative autarke Landbevölkerung betroffen war. Der Osnabrücker Regierungspräsident Bernhard Eggers sowie gleichlautend der Leiter der Staatspolizeistelle in Osnabrück, Dr. Hans Fischer, und sein Stellvertreter Herbert Herbst zeichneten bereits zu Beginn des Jahres 1936 ein düsteres Bild der Lage. Er stände jetzt vor der Wahl, entweder die gesetzlichen Bestimmungen durchzuführen und eine normale Versorgung der Bevölkerung unmöglich zu machen – oder den Dingen ihren Lauf zu lassen und die Staatsautorität zu untergraben, schrieb der Regierungspräsident am 4.

90 Vgl. Christoph Buchheim: Das NS-Regime und die Überwindung der Weltwirtschaftskrise in Deutschland. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), S. 381-414; Ders.: Der Mythos vom „Wohlleben“. Der Lebensstandart der deutschen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58 (2010), S. 299-328. 91 Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt/M. 2005, S. 38. 92 Vgl. Steinwascher (wie Anm. 28); Geheime Lageberichte des Regierungspräsidenten 1940-1945, StAOS Rep 430 Dez 201 acc 14/42 Nr. 2.

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Februar 1936 an den Reichsinnenminister93. „Diesen Ausführungen kann ich nur rückhaltlos beipflichten“, hieß es im Gestapobericht unter demselben Datum94. „Die allgemeine Auffassung der Bevölkerung“ gehe „dahin, daß die marktpolitischen Maßnahmen des Reichsnährstandes … dem Zwecke einer geordneten Versorgung der Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen nicht dienlich sind“95. Welch widersinnigen Anordnungen die Ernährungswirtschaft im Dritten Reich ausgesetzt war, zeigt exemplarisch die Situation der Schlachter. Unkoordinierte Verordnungen des Reichsnährstandes und des Reichskommissars für Preisüberwachung hatten zur Folge, dass den Schlachtern Verkaufpreise vorgeschrieben wurden, die zum Teil unter ihren Einkaufspreisen lagen. Denn während der Reichsnährstand die Einkaufspreise für Schweine und Rinder im Zeitraum von März 1935 bis zum November 1935 um bis zu 60 Prozent anhob, schrieb der Reichskommissar für Preisüberwachung unveränderte Verkaufspreise vor96. Gemäß der Verordnung über Wettbewerb vom 21. Dezember 1934 (RGBl. I 1934, S. 1280) wurde jedoch jeder Verkäufer mit Geldstrafe oder Gefängnis bedroht, der Güter oder Leistungen unter dem Einkaufspreis bzw. unter Wert anbot. Die Schlachter waren somit gezwungen zu wählen, gegen welche Verordnung sie verstoßen wollten, da sie nicht in der Lage waren, beide zu befolgen. Betroffen von den Missständen waren in erster Linie die Arbeiter: „Auf der einen Seite schlechte Lohnverhältnisse – auf der anderen Seite fortgesetzte Preissteigerungen. Die Verärgerung und Mißstimmung in der Arbeiterschaft ist um so größer geworden, als in der Presse und in sonstiger Weise immer wieder versichert wird, daß Preissteigerungen mit allen Mitteln unterbunden würden und der Arbeiter täglich zusehen muß, wie andererseits die Preissteigerungen fast ausschließlich den Bauern zugute kommen und ihre wirtschaftliche Lage sich hebt“97, heißt es im Lagebericht der Staatspolizeistelle Osnabrück vom 4. 93 Vgl. Lagebericht des Regierungspräsidenten von Osnabrück an den Reichsminister des Innern für die Monate Dezember 1935 und Januar 1936 vom 4.2.1936. In: Steinwascher (wie Anm. 28), S. 322-329. 94 Lagebericht der Staatspolizeistelle Osnabrück an das Geheime Staatspolizeiamt für den Monat Januar 1936 vom 4.2.1936. In: ebd., S. 329-339, Zitat S. 337. 95 Vgl. Lagebericht des Regierungspräsidenten von Osnabrück an den Reichsminister des Innern für die Monate Dezember 1935 und Januar 1936 vom 4.2.1936. In: ebd., S. 322-329, Zitat S. 323. 96 Vgl. Lagebericht der Staatspolizeistelle Osnabrück an das Geheime Staatspolizeiamt für den Monat November 1935 vom 4.12.1935. In: ebd., S. 295-307, hier S. 303-304. 97 Lagebericht der Staatspolizeistelle Osnabrück an das Geheime Staatspolizeiamt für den Monat Februar 1936 vom 4.3.1936. In: ebd., S. 344-355, Zitat S. 344.

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März 1936. Doch auch der Bauernstand, obwohl er wirtschaftlich in vieler Hinsicht privilegiert war, honorierte seine Bevorzugung nicht mit einer Zustimmung zu den Maßnahmen des Reichsnährstandes bzw. mit Sympathien für das NS-Regime. Es sei „beklagenswert, wie wenig die Bauern zu einem großen Teil von dem Geist des Nationalsozialismus erfaßt sind. Das ganze wirtschaftliche Denken ist von egoistischen Vorstellungen bestimmt. Man freut sich, daß die Preise für Ferkel, Rindvieh und Kälber gestiegen sind und erregt sich, weil einem die Durchführung des Milchgesetzes nicht paßt. Nichtablieferung der Milch und Butterschleichhandel sind an der Tagesordnung“, berichtete die Staatspolizeistelle Osnabrück im Juni 193598. Die Versorgungsmängel sollten sich nach Kriegsbeginn noch deutlich verschärfen. Drei Dekrete vom August 1939, mit deren Hilfe die wichtigsten Konsumgüter rationiert, unter staatliche Verwaltung gestellt und bezugsscheinpflichtig gemacht wurden, hatten weitere tiefe Einschnitte in das wirtschaftliche Leben auf dem Land zur Folge. Sämtliche landwirtschaftlichen Erträge pflanzlicher und tierischer Art wurden nach ihrer Gewinnung praktisch beschlagnahmt und der freien Marktwirtschaft entzogen. Behalten durften die Bauern lediglich ihren Eigenbedarf an Lebensmitteln, Saatgut und Futtermittel. Zwar waren sie bis zum Kriegsende diejenigen, die am wenigsten unter der zunehmenden Einschränkung der Lebensmittelversorgung litten, doch trafen die Rationierung von Verbrauchsgütern in Verbindung mit deutlichen Preissteigerungen und drastischen Qualitätseinbrüchen sowie der Mangel an wichtigen Wirtschaftsgütern auch die landwirtschaftliche Bevölkerung. In seinen Lageberichten vom 11. Dezember 1940 und vom 13. Januar 1941 verlieh Regierungspräsident Wilhelm Rodenberg seiner Besorgnis über das ernste Problem der steigenden Lebenshaltungskosten deutlichen Ausdruck99. Zwar seien viele Löhne u.a. infolge längerer Arbeitszeiten gestiegen, doch liege bei einem großen Teil der Lohn- und Gehaltsempfänger, und dies gelte auch für die Beamten und Angestellten der öffentlichen Behörden, das Einkommen schon jetzt unter dem Existenzminimum. Neben den direkten Preisanstiegen seien die viel erheblicheren indirekten in Betracht zu ziehen, die zum einen durch minderwertige Artikel und zum anderen durch den Wegfall preisgünstiger Waren bedingt seien. Hinzu kämen der ungewöhnlich große Verschleiß der mangelhaften Waren, fehlende Reparaturmöglichkeiten wegen nicht lieferbarer Ersatzteile sowie der Mangel an Reinigungsmitteln. So sei das Material, aus dem die Schuhe gefertigt würden so miserabel, „dass hier von einer Vergeudung von 98 Lagebericht der Staatspolizeistelle Osnabrück an das Geheime Staatspolizeiamt für den Mai Februar 1935 vom 4.6.1935. In: ebd., S. 172-204, Zitat S. 182-183. 99 Geheime Lageberichte des Regierungspräsidenten 1940-1945, StAOS Rep 430 Dez 201 acc 14/42 Nr. 2; aus diesem Bestand stammen auch die folgenden Zitate.

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Arbeitskraft gesprochen werden“ müsse, beklagte der Regierungspräsident in seinem Bericht vom 14. Oktober 1942. „Den Verbrauchern sollte nicht zugemutet werden, für Schuhe, die nur wenige Wochen getragen werden können, 510 RM und mehr auszugeben.“ Auch die Versorgung mit Energieträgern wie Petroleum, Torf, Koks und Treibstoff war nicht mehr gesichert. Insbesondere die nicht voll elektrifizierten Kreise wie etwa Meppen litten unter Mangel an Petroleum. Ein Ersatz in Form von Spiritus, Karbid oder Kerzen stand nicht zur Verfügung. Außerdem musste das Heseper Torfwerk in Meppen, das eine Versorgung des Kreises mit Torf gewährleistete, jetzt u.a. große Lieferungen an die Wehrmacht erfüllen. Hinzu kam ein erheblicher Mehrbedarf durch Evakuierte und Flüchtlinge aus luftgefährdeten Städten. Weiterhin fehlte es an Treibstoff, so dass die Ernte nicht abtransportiert werden konnte und Pferdefuhrwerke der Wehrmacht angefordert werden mussten. Die ständige Senkung der Mineralölkontingente führte „in der gesamten Wirtschaft zu kaum tragbaren Zuständen“, heißt es in dem Bericht des Regierungspräsidenten vom 14. Oktober 1942. Ohne die Erhöhung der Zuteilungen sei es nicht möglich, die Getreideernte einzubringen und die Kartoffeln abzutransportieren. Weiterhin herrschte Mangel an haus- und landwirtschaftlichen Bedarfsartikeln. Es gab keine Möbel, kein Haus- und Küchengeschirr, keine Fahrradbereifungen, elektrische Fahrradlampen und Rücklichter. Der Landrat von Aschendorf berichtete, dass in seinem Kreis keine Ofenrohre mehr zu kaufen seien, weil die Schmiede, die ansonsten Ofenrohre vorrätig hatten, nicht der Fachgruppe Einzelhandel angehörten, und jetzt keine Zuteilungen mehr erhielten. Insofern mussten diejenigen, die Ofenrohre benötigten, auf alte schadhafte zurückgreifen, was eine erhöhte Brandgefahr zur Folge hatte100. Einfriedungsdraht für Viehkoppeln, Viehkessel, Ersatzteile für Landmaschinen, Viehkessel, verzinkte Futter- und Melkeimer sowie Düngergabeln waren Mangelware, weil nur 20 Prozent des Umfangs der Vorkriegszeit zur Verfügung gestellt wurden. Weiterhin fehlte an es Saatgut, an Dünger, an Stroh und Heu sowie an Kraftfutter. „Das Vieh befindet sich in einem sehr schlechten Zustand und eignet sich nicht zur Abschlachtung“, meldete Rodenberg in seinem Bericht vom 12. April 1942. Der Mangel an Futtermitteln war so groß, dass sogar vorgeschlagen wurde, Ferkel aufzukaufen, in die eroberten Ostgebiete zu schicken und sie dort aufzuziehen101.

100 Erwähnt im Bericht des Regierungspräsidenten vom 11.12.1940. StAOS Rep 430 Dez 201 acc 14/42 Nr. 2. 101 Angeführt im Bericht des Regierungspräsidenten vom 12.4.1942, ebd.

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Wenn somit Hans-Ulrich Wehler eine „geradezu vorzügliche Versorgung“102 der Reichsbevölkerung bis zum Herbst 1944 konstatiert, und Götz Aly behauptet, die Wirtschaftspolitik habe das NS-Regime „für die Mehrzahl der Deutschen so attraktiv“103 gemacht, so treffen diese Befunde für das Emsland nicht zu. Ganz im Gegenteil bestimmte eine von Unfähigkeit gekennzeichnete NS-Wirtschaftspolitik die Einstellung der Emsländer zum Dritten Reich ganz wesentlich in negativer Weise. IV. RESÜMEE Spezifisch für das Emsland ist ein insbesondere durch den Kulturkampf im 19. Jahrhundert verstärktes regionales Sonderbewusstsein in Verbindung mit der Entstehung einer dichten Milieustruktur. In geschlossen katholischen Regionen wie dem Emsland konnte das Milieugefüge auf den durch gewachsene Familienbindungen, Nachbarschaften und dörfliche Gemeinschaften ohnehin sozial hochverdichteten ländlichen Gesellschaftsstrukturen aufbauen bzw. sich mit diesen verschränken, so dass im Grunde eine Mobilisierung einer katholischen Region zu einem katholischen Regionalmilieu stattfand. Eine enge soziale Kontrolle in den kleinen Dörfern und Gemeinden sorgte für die Einhaltung von Traditionen und Milieustandards. Feste Milieukerne bildeten seit dem 19. Jahrhundert die Pfarreien mit vielen in der Tradition Bernard Overbergs stehenden aufgeklärten und gut ausgebildeten, pädagogisch geschulten Priestern, denen neben dem Seelenheil auch das diesseitige Leben der Menschen am Herzen lag. Die aufgrund ihrer speziellen historischen Erfahrungen und verstärkt durch die kleinen Gemeindegrößen stark politisierte katholische Bevölkerung hatte aufgrund ihrer vielfältigen negativen Erfahrungen insbesondere mit dem preußischen Staat eine misstrauische bis ablehnende Einstellung gegenüber staatlichen Eingriffen entwickelt. Diese korrespondiert mit einer gewissen staatsfernen Einstellung bäuerlicher Schichten, die Eingriffe in ihr Eigentum und ihre Unabhängigkeit fürchten. Aufgrund fehlenden staatlichen Außendrucks auf die Katholiken konnten in der Zeit der Weimarer Republik milieuinterne wirtschaftliche, soziale und gegen Ende zudem weltanschauliche und politische Spannungen an Bedeutung gewinnen und sozusagen eine Polarisierung entlang der bäuerlichen Klassenlinien erfolgen. Bezeichnenderweise verlor die Zentrumspartei in dieser Zeit im Emsland in gewisser Weise ihren Charakter als Milieupartei und wurde vor 102 Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914-1949, München 2003, S. 706, zit. nach Buchheim: Der Mythos vom „Wohlleben“ (wie Anm. 90), S. 300. 103 Aly (wie Anm. 91), S. 11.

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allem von den sozialen Gruppen der landbesitzenden Bauern und der nichtlandbesitzenden Heuerleute als ökonomische Interessenpartei wahrgenommen. Es war jedoch letztlich im Wesentlichen eine bäuerliche Minderheit, die sich vom Zentrum abwandte. Auch im Emsland existierten nationalistische, antidemokratische und antisemitische Kräfte. Diese sind jedoch nicht dem Kern des katholischen Milieus, sondern den politischen und weltanschaulichen Gegnern der Zentrumspartei und des emsländischen Klerus zuzurechnen. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten hatte eine gravierende Änderung des täglichen Lebens im katholischen Emsland zur Folge. Gewaltsame Übergriffe auf die emsländischen politischen Eliten waren an der Tagesordnung. Die neuen NS-Machthaber stammten überwiegend weder aus der Region, noch waren sie katholisch. Es sei nicht gelungen, das Vertrauen der Bevölkerung zu erringen, vor allem weil „leitende Persönlichkeiten in der Partei und ihren Organisationen vorhanden sind, die durch ihre Vergangenheit, durch Unfähigkeit, Anmaßung oder aufwendige Lebensführung Mißtrauen erwecken und den Gegnern der Partei willkommene Gründe zu deren Bekämpfung geben“, stellte Regierungspräsident Eggers Ende 1934 fest104. Zu Beanstandungen Anlass gebe zudem das unkluge Verhalten von lokalen HJ-Führern, deren aggressives Benehmen gegenüber Katholiken und katholischer Kirche viele Eltern davon abhalte, ihre Kinder in die HJ zu schicken105. Derartige Klagen durchziehen die Berichte von Regierungspräsident und Gestapo über Jahre. Hinzu kommen Proteste gegen die schon vor Beginn des Zweiten Weltkrieges mit Rohstoffmangel, Preissteigerungen und Lebensmittelverknappungen verbundene katastrophale Wirtschaftspolitik insbesondere des Reichsnährstandes, gegen eine völlig unzulängliche Informationspolitik der staatlich gelenkten Presse, die u.a. unkontrollierte Gerüchte zur Folge hat, und gegen die Zustände im Lager Esterwegen, das „baldigst in die Hände zuverlässiger Beamter gelegt werden“106 müsse. Die Liste ließe sich fortführen. Warum die Emsländer überhaupt Sympathien für ein Regime entwickeln sollten, das ihre religiöse und regionale Identität bekämpfte und einen ungeliebten Krieg begann, der eine – weitere – drastische Verschlechterung der Lebensbedingungen zur Folge hatte, ist nicht ersichtlich. 104 Lagebericht des Regierungspräsidenten an den Reichsminister des Innern für die Monate Oktober und November 1934 vom 4.12.1934. In: Steinwascher (wie Anm. 28), S. 119-124, Zitat S. 119. 105 Vgl. Lagebericht der Staatspolizeistelle Osnabrück an das Geheime Staatspolizeiamt für den Monat Juli vom 2.8.1934. In: ebd., S. 79-84; vgl. außerdem ebd., S. 351. 106 Lagebericht des Regierungspräsidenten an den Reichsminister des Innern für den Monat August 1934 vom 10.9.1934. In: ebd., S. 84-90, Zitat S. 87.

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Eine emsländische Besonderheit stellen die Ende 1937 beginnenden Marienerscheinungen in Heede und die Wallfahrten zum Erscheinungsort dar. Mit Maria gewannen die Emsländer sozusagen eine „himmlische Bundesgenossin“ im Kampf gegen den Nationalsozialismus, der das NS-Regime nichts entgegenzusetzen hatten. Denn der nationalsozialistischen Weltanschauung als einer innerweltlichen oder „verkappten“ Religion107, die das Blut, die Rasse und das arische Volkstum zu alleinigen Prinzipien der Sinndeutung erhob und damit vergöttlichte, einen nur schemenhaften Gott als Schöpfer der Welt und der Naturgesetze kannte, ein Jenseits leugnete und statt dessen die Verwirklichung eines irdischen Rasse-Paradieses anstrebte, fehlte eine Trennung zwischen himmlisch und irdisch, zwischen sakral und profan und damit die eigentliche Faszination des Wunderbaren. Ihr an ausschließlich irdischen Bezügen orientierter Kult beruhte zudem weitgehend auf reinem Zweckdenken und diente als ein auf die totale Verfügbarkeit der Massen ausgerichtetes „Manipulationsinstrument, mit dem sozialrelevante Zwecke verfolgt“ wurden108. Da dieser Ansatz jedoch die grundlegenden religiösen Bedürfnisse vieler Menschen außer acht ließ, gelang es den Nationalsozialisten nicht, die katholische Volksfrömmigkeit durch ein nationalsozialistisches Surrogat zu verdrängen, wie in den „Meldungen aus dem Reich“ im Hinblick auf die Lebensfeiern mehrfach eindringlich und anklagend hervorgehoben wird: „Die mangelhafte Tiefenwirkung der nationalsozialistischen Lebensfeier ist weniger auf äußere Mängel und Unzulänglichkeiten zurückzuführen, als auf das Fehlen jeden religiösen Moments. … Es ist falsch anzunehmen, daß man ohne Bezug auf höchste Werte, ohne Anrühren der Religiosität nachhaltige Eindrücke erregen kann. … Man täusche sich nicht, das Volk ist auch in seinen kleinen Angelegenheiten nicht ohne Gott“109. Auf die Versuche der Nationalsozialisten, im Emsland das katholische Milieu zu zerstören und an seiner Stelle ein NS-Milieu zu etablieren, reagierten die Emsländer mit einer Intensivierung der Milieukultur in Verbindung mit einer Verkirchlichung der Milieustrukturen sowie zeitweiligen leichten Erosionserscheinungen an den Milieurändern. Unter nationalsozialistischem Außendruck fand somit keine Auflösung, sondern ein Gestaltwandel des katholischen Milieus statt. Wie sehr der 1933 beschworene „Geist“ Ludwig Windthorsts im Emsland noch virulent war und eine Provokation für die Nationalsozialisten darstellte, demonstrieren nicht zuletzt die sich über Jahre hinziehenden und 107 Vgl. Carl Christoph Bry: Verkappte Religionen, Gotha 1925. 108 Vgl. Klaus Vondung: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus, Göttingen 1971, S. 193-199. 109 Heinz Boberach (Bearb.): Berichte des SD und der Gestapo über Kirchen und Kirchenvolk in Deutschland 1934-1944, Mainz 1971, S. 848.

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letztlich erfolgreichen Bemühungen lokaler NS-Größen um die Entfernung des Ludwig-Windthorst-Denkmals in Meppen110. Denn dieses 1895 eingeweihte Denkmal trug auf der Rückseite die Inschrift: „Dem großen Abgeordneten des Wahlkreises Meppen, dem unermüdlichen Vorkämpfer für Wahrheit, Freiheit und Recht“ und hielt damit Werte lebendig, die den Vorstellungen der Nationalsozialisten diametral zuwiderliefen.

110 Vgl. Gerd Steinwascher: Die Odyssee des Windthorst-Denkmals in Meppen – ein „Jahrhundertdrama“. In: Jahrbuch des emsländischen Heimatbundes 42 (1996), S. 60-73.

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ERMLAND ZWISCHEN „POLITISCHEM KATHOLIZISMUS“ UND „KATHOLISCHER AKTION“ ANMERKUNGEN ZUR REICHWEITE KATHOLISCHEN HANDELNS IN EINER GRENZREGION DES REICHES HANS-JÜRGEN KARP Die Frage nach Stabilität und Gefährdung katholischer Milieus in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts erfordert in Bezug auf das Ermland zunächst die Unterscheidung zwischen der eigenständigen Kulturlandschaft des ehemaligen Hochstifts innerhalb Altpreußens und der Diözese in ihrem im Laufe der Geschichte mehrmals vergrößerten Umfang. Sie war 1939 der Ausdehnung nach mit der Provinz Ostpreußen identisch. Bei einer Gesamteinwohnerzahl von 2.622.065 betrug der Anteil der 390.656 Katholiken rund 15%. Das Gebiet des ehemaligen Hochstifts umfasste die neuzeitlichen Kreise Braunsberg, Heilsberg, Rößel, Allenstein-Stadt und -Land. Ihre Bewohner waren im Zuge der Gegenreformation und der katholischen Reform unter der Führung von Bischöfen der Krone Polen katholisch geblieben. Diese Region bildete bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs eine katholische Enklave inmitten des protestantisch geprägten Ostpreußens. In ihr lebten mit 260.000 Katholiken ca. zwei Drittel der Gesamtzahl der Diözesanen, der Anteil der Protestanten lag bei 13%. Zu berücksichtigen ist die Minderheit der polnischen Katholiken im südlichen Teil des ehemaligen Hochstifts und im zur Diözese gehörenden Kreis Stuhm (Westpr.), deren Anteil nach dem Kulturkampf kontinuierlich sank und 1939 noch ca. 12% betrug.1 Zur Milieusituation dieses Gebiets und der Diözese Ermland fehlen bisher einschlägige Studien, die sowohl die Abgeschlossenheit im protestantischen Umfeld näher untersuchen als auch die Diasporasituation der Katholiken in der Provinz und in größeren Städten wie Königsberg, Elbing oder Allenstein einbeziehen. Die folgenden Ausführungen versuchen, auf der Basis der bisherigen Literatur einen Überblick über den Vereinskatholizismus, den politischen Katholizismus und die besondere Rolle der Katholischen Aktion im Ermland zu geben und die Auseinandersetzungen um die Bewahrung des katholischen Propriums in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zu beschreiben. Zu bedenken ist auch die besondere Situation der polnischen Katholiken unter den politischen Rahmenbedingungen dieser Zeit. Im Hinblick auf das katholische 1

Überblick bei Erwin Gatz, Ermland. In: Die Bistümer und ihre Pfarreien. Hrsg. von Erwin Gatz (Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Die Katholische Kirche, Bd. 1). Freiburg u. a. 1991, S. 289-297.

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Milieu Ermlands liegt der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen naturgemäß auf der Kernregion des ehemaligen Hochstifts. Die katholische Bewegung kam im Ermland erst verspätet, zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur vollen Entfaltung.2 Der soziale Katholizismus entwickelte sich kräftiger im nördlichen als im südlichen Ermland. Ausschlaggebend waren dafür allerdings nicht nationale Gründe, sondern die Rolle der modernen Industriezentren in Elbing und Königsberg – außerhalb des Hochstifts – sowie die Bedeutung der katholischen Hochschule in Braunsberg. Im südlichen Ermland war die polnische Minderheit zunächst aktiv an der Gründung der neuen Vereine beteiligt. Bis auf wenige Ausnahmen hat sie jedoch keine eigenen alternativen Formen des Vereinslebens entwickelt. Bemerkenswert ist aber: Bevor hier die deutschen Katholiken gesellschaftlich aktiv wurden, gründeten einige wenige polnische Aktivisten 1886 ein eigenes Presseorgan, die Gazeta Olsztyńska, und 1890-1893 wurden die Grundlagen einer polnischen Nationalbewegung gelegt, die sich später vornehmlich der Pflege der nationalen Kultur widmete. Seit 1908, nach dem Wechsel auf dem ermländischen Bischofsstuhl sind unter Bischof Bludau moderne Veränderungen zu beobachten, die von den Zentren in Köln und Mönchengladbach ausgingen. Die Modernisierung brachte als natürliche Folge Veränderungen im Nationalbewusstsein zugunsten der dominierenden Gruppe mit sich, zugleich aber sind in den nationalen Beziehungen ein wachsender Patriotismus und Nationalismus unter den Ermländern zu beobachten, allerdings ohne Anzeichen von nationaler Euphorie oder gar Chauvinismus. Die polnischen Ermländer, „einer eigenen Elite und starker Unterstützung von außen beraubt“, waren „gezwungen, ihre nationale Identität nicht in Konkurrenz zu deutschen Mehrheit, sondern in einem spezifischen kulturellen Ghetto, am Rande der gesellschaftlichen Veränderungen zu verteidigen.“3 Besondere Bedeutung besaß im Ermland der Ermländische Bauernverein, dessen Gründung 1882 zwar auf die katholische Sozialbewegung zurückging, der aber letztlich interkonfessionell ausgerichtet war.4 Das primäre Ziel des Vereins war die Hebung des Bauernstandes und damit verbunden eine bessere politische Vertretung seiner Interessen. So wurden seine Mitglieder in den Versammlungen vorrangig über die neuesten organisatorischen und agrotechni2

Robert Traba, Die nationale und soziale Reaktion der Ermländer auf die gesellschaftliche Modernisierung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. In: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands [künftig: ZGAE] 49 (1999) S. 111-125.

3

Ebd. S. 120.

4

Brigitte Poschmann (†), Das Ermland und seine Bauern, in: Ermländisches Landvolk baut an der Zukunft. Berichte, Dokumente und Zeugnisse einer bewegten Zeit, hrsg. von Franz-Josef Herrmann, Köln 1982, S. 9-23.

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schen Fortschritte und Erfahrungen in der Landwirtschaft unterrichtet. Daneben verfolgte der Verein laut Satzung auch das Ziel einer „moralischen Erneuerung“, was sich vor allem im Kampf gegen den „unmoralischen“ Wucher äußerte, der gesetzlich nicht strafbar war. Der Ermländische Bauerverein orientierte sich hierbei an seinem westfälischen Vorbild, das seine Landwirte sowohl in materieller, sozialer und intellektueller als auch in religiöser sowie sittlicher Hinsicht stärken wollte. Für das bäuerliche Milieu und das Selbstbewusstsein der ermländischen Bauern ist charakteristisch, dass wirtschaftlicher Wohlstand und Kapitalreichtum Anfang des 20. Jahrhunderts es ermöglicht hatten, dass ermländische Bauernsöhne Bauernhöfe und Rittergüter außerhalb des Ermlands erwarben. Dies beunruhigte die ostpreußischen Großgrundbesitzer, die darin ein „Umsichgreifen des Katholizismus im Grundbesitzerstande“ witterten. Es fehlen genauere statistische Untersuchungen über die soziologische Struktur des Ermlands als Gebiet. Es gab eindeutige soziale Schichtungen zwischen Land- und Handarbeitern auf der einen und selbständigen Handwerkern, Kaufleuten, Landwirten auf der anderen Seite, die Zwischenschicht der Angestellten und Beamten eingeschlossen. Im Jahr 1900 wohnten nur noch 66% der Bevölkerung auf dem Lande, fast 40% der landwirtschaftlichen Betriebe hatten weniger als 2 ha Besitz, die Mehrzahl der Besitzer dieser 40% waren Landarbeiter, Kätner, Deputanten, weitere 15% der Betriebe hatten weniger als 5 ha, auch bei ihnen handelt es sich wohl kaum um selbständige Landwirte. Es bleiben 44,7% Bauern mit Höfen von 5-100 ha, 0,3% mit 100-200 ha, 03% mit mehr als 200 ha. Das heißt, dass um die Jahrhundertwende weit weniger als die Hälfte der ländlichen Bevölkerung dem Bauernstand angehörte, das sind 30% der Gesamtbevölkerung. Im Jahre 1939 wohnte nur noch die Hälfte der Ermländer auf dem Lande, um 1900 waren es noch 66% gewesen. Die landwirtschaftlichen Betriebsgrößen hatten sich also auffällig verschoben, nur noch 30% der Betriebe besaß weniger als 5 ha, 68% 5-100 ha, und der Großgrundbesitz stieg von 0,6 auf 2,1%. Obwohl der Ermländische Bauernverein alle Kreise des Berufsstandes ohne Unterschied der Betriebsgrößen – Eigentümer und Pächter, Selbständige und Unselbständige – umfasste, haben die selbständigen Bauern das Bild vom Ermland als Bauernland geprägt. Es fehlen Untersuchungen über die ermländischen Landarbeiter und die außerbäuerlichen dörflichen Berufsgruppen. „Das ausgeprägte Selbstbewusstsein der ermländischen Bauern ist wohl nicht nur auf die günstigen strukturellen Vorgegebenheiten und auf den eigenen Fleiß zurückzuführen, sondern wurde sicher auch in zunehmendem Maße mitgeprägt von der Sonderstellung, in der sich die Ermländer im preußischen Staat fühlten. [...] In einer von Großagrariern und Rittergutsbesitzern bestimmten Provinz waren sie

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nur Bauern und dazu noch Katholiken. Als solche waren sie Außenseiter der preußischen Gesellschaft, [...] zusätzlich gestempelt durch die Formel ‚protestantisch = deutsch’, und ‚katholisch = polnisch.’“5 1930 zählte der Ermländische Bauernverein 3.993 Mitglieder (mit einem Landbesitz von 611.283 Morgen). Die Jungbauernvereine, die vorwiegend nach dem Ersten Weltkrieg gegründet worden waren, hatten 1932 rund 1.000 Mitglieder. Zur Formung von Persönlichkeiten, die weltanschaulich fest verankert zur Mitarbeit im Berufsstand befähigt und gewillt sind, wurde noch 1932 die Ermländische Bauernschule in Legienen bei Rößel gegründet.6 Ein außerordentlicher Genossenschaftstag, zu dem sich am 1. Juni 1933 eintausend ermländische Bauern versammelten, trat für die Beibehaltung der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung der ermländischen Genossenschaften mit einer einstimmig angenommenen Entschließung ein, in der es heißt: „Indem wir tatkräftigste und opferwilligste Mitarbeit am Wiederaufbau des deutschen Vaterlandes auf den Grundlagen der neuen Wirtschaftsform versprechen, bitten wir dringendst, von dem im Zuge der Gleichschaltung beabsichtigten Nationalisierung unseres Verbandes abzusehen. Der auf alter wirtschaftlicher und kultureller Eigenart beruhende landsmannschaftliche Charakter unserer ermländischen Heimat müsste hierdurch zum unabsehbaren Schaden unserer ermländischen Bauern zerstört werden.“7 Die Danziger Landeszeitung, das Organ der Danziger Zentrumspartei, berichtete, dass die personelle Gleichschaltung in den zentralen Organen in den ermländischen Genossenschaftskreisen keinen Widerstand fand. Es wurden Vorstände und Aufsichtsräte gewählt, die sich zu über 50% aus Nationalsozialisten zusammensetzten. Bischof Kaller betrachtete in einem Schreiben an den bisherigen Präsidenten diesen Vorgang als Auflösung des Bauernverbandes, riet aber, ihm „nicht unnütz nachzutrauern“, sondern sah nun die Aufgabe darin, „daß wir das christliche Gedankengut des Ermländischen Bauernvereins in die neue Organisation hineintragen in dem Bewußtsein, daß nur durch die Verwirklichung des christlichen Geistes Großes und Dauerhaftes geleistet werden kann“8.

5

Ebd. S. 21.

6

Hans Schmauch, Die Ermländische Bauernschule Legienen. Gründung, Höhepunkt und Ende, in: Unser Ermlandbuch 99 (1966) S. 229 f.

7

Danziger Landeszeitung vom 6.6.1933, zitiert nach Franz-Josef Herrmann, Aus der Lebensgeschichte des Ermländischen Landvolks, in: Ermländisches Landvolk baut an der Zukunft (wie Anm. 4), S. 33-135, hier S. 47.

8

Kirche und Krone. Sonntagsblatt für das katholische Volk Nr. 48 vom 1.12.1933.

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Am 24. November 1934 wurde auf einer Generalversammlung in Wormditt die endgültige Auflösung des Ermländischen Bauernvereins beschlossen.9 Arbeitervereine entstanden in der Diözese Ermland erst nach dem Erscheinen der Enzyklika Rerum Novarum.10 Nach einem weiteren Jahrzehnt erhielt die ermländische Arbeiterbewegung 1902 einen entscheidenden Impuls von einer Konferenz von 53 Priestern aus der ganzen Diözese in Königsberg unter dem Vorsitz des Propstes Szadowski. Nunmehr entstand in der Diözese im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts ein ansehnliches Netz von Arbeitervereinen. Ihre zügige Entwicklung konnte im Ermland deshalb so günstig verlaufen, weil Bischof Thiel nachdrücklich ihren Anschluss an den Berliner Verband empfahl, dem sich die meisten Vereine anschlossen. Durch die Not der Kriegsjahre wurde die Entwicklung der ermländischen Arbeitervereine erheblich beeinträchtigt. Für ihren Niedergang in der Nachkriegszeit war der Einfluss der Christlichen Gewerkschaften ausschlaggebend, sie behielten 1919 nach der Beendigung des Gewerkschaftsstreits die Oberhand. Die Gründung eines neuen Diözesanverbandes der Arbeitervereine im Januar 1926 fand allerdings nicht den erwarteten Widerhall. Erst der Aufruf des Elbinger Propstes Arthur Kather Anfang 1927 im Pastoralblatt für die Diözese Ermland führte zu neuem Leben: 1928 zählte der Verband 34 Vereine, 1931 waren es 64 Vereine mit 8.129 Mitgliedern, dazu kamen 15 Werkjugendgruppen mit 320 Mitgliedern. Nach der Machtergreifung Hitlers mussten die Arbeitervereine nach und nach ihre Arbeit einstellen. Die letzten öffentlich angekündigten Veranstaltungen wurden Ende Mai / Anfang Juni 1935 für Allenstein, Mehlsack und Marienburg im Ermländischen Kirchenblatt angezeigt. Bischof Kaller forderte in seinem Hirtenwort im Juli 1935 die Mitglieder auf, den Arbeitervereinen die Treue zu halten. Das Hirtenwort protestierte gegen die Verleumdung der Katholischen Aktion, die seitens der NSDAP als politische Tätigkeit interpretiert wurde, so dass Kaller formulierte: „Unsere Katholische Aktion wurde des Hochverrats bezichtigt.“ Zugleich richtete sich der Protest des Bischofs gegen das Verbot der Betätigung der katholischen Vereine in den Kreisen Heilsberg und Braunsberg. Das Hirtenwort wurde beschlagnahmt11, seine Verlesung konnte allerdings nicht vollständig unterbunden werden. Kaller entschloss sich auf Anweisung 9

Danziger Landeszeitung vom 27.11.1933, ebd. S. 48.

10 Werner Thimm, Die katholische Arbeiterbewegung in den Bistümern Ermland, Kulm und Danzig. In: ZGAE 40 (1980) S. 20-63. 11 Abschrift in: Geheimes Staatsarchiv. Preußischer Kulturbesitz, I 90 P, Nr. 54,3, Bl. 260-263.

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der Gestapo zu einer Kürzung des Textes, aber auch diese Fassung, die veröffentlicht werden konnte, enthielt die Worte: „Wenn auch unsere Vereine außerhalb des Gottesdienstes sich nicht betätigen können, erwarte ich doch von Euch, dass Ihr ihnen treu bleibt. Ihr habt sie lieb gewonnen. Ihr wißt, was Ihr Euren Vereinen für Euer religiöses Leben verdankt. Ihr wißt, wie sie Euch das apostolische Leben geweckt und Euch den Weg, wahrhafte Christen zu werden, leicht gemacht haben. Ihr Männer, haltet fest an Eurem Arbeiterverein und am Männerapostolat!“12 Zwei Jahre später erfolgte das Verbot jeglicher Vereinsarbeit. Verborgene Aktivitäten gingen indes im Rahmen der Katholischen Aktion weiter. Auch in der Diözese Ermland wurde die Rolle der Arbeitervereine durch das Wirken der Christlichen Gewerschaften beeinträchtigt. 1906 hatte die christliche Bauarbeitergewerkschaft den Verbandsbezirk Königsberg für Ostpreußen geschaffen, der trotz starker Konkurrenz der Fachabteilungen der katholischen Arbeitervereine eine erfolgreiche Tätigkeit entwickelte.13 Der Streit mit ihnen nahm zeitweise erbitterte Formen an, besonders auf öffentlichen Werbeveranstaltungen der Christlichen Gewerkschaften 1906 in Elbing, 1908 in Guttstadt und 1909 in Allenstein. Es war der zum ostpreußischen Zentrumsabgeordneten der Nationalversammlung gewählte Berliner Verbandssekretär Paul Fleischer, der 1919 den fruchtlosen Gewerkschaftsstreit der deutschen Katholiken beendete und dabei von der Fuldaer Bischofskonferenz unterstützt wurde. Er verließ das Führungsgremium des Berliner Verbandes, organisierte 1919/1920 den Abstimmungskampf in Ost- und Westpreußen und vertrat in der ersten Wahlperiode 19201924 die Ostpreußische Zentrumspartei im Reichstag. Die Entwicklung der christlichen Gewerkschaften in Ostpreußen spiegelt sich in der Gründung von Ortskartellen wieder.14 Sie existierten bis 1933, als die Nationalsozialisten die Gewerkschaftsorganisationen in Deutschland zerschlugen.

12 Kirchliches Amtsblatt für das Bistum Ermland 67 (1935), Nr. 8, S. 85-87, Zitat S. 86. Vgl. Gerhard Reifferscheid, Das Bistum Ermland und das Dritte Reich (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte, Bd. 7 = Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands, Beiheft 1), Köln-Wien 1975, S. 133-140.

13 Zum Folgenden Werner Thimm, Die Christlichen Gewerkschaften in Ost- und Westpreußen, in: ZGAE 41 (1981) S. 31-68, hier S. 33. 14 In Klammern die Mitgliederzahlen 1930: Königsberg 1906 (800), Allenstein 1911 (700), Elbing und Heilsberg 1921 (Elbing: 1200), Braunsberg 1924 (1100), Rößel 1925 (50), Bischofstein (150), Frauenburg (150), Mehlsack (250), Ortelsburg (130) und Seeburg 1928 (70), Wormditt (200) und Insterburg (150) 1929 sowie Tilsit 1930 (150), ebd. S. 50 f.

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Nur für den kurzen Zeitraum von 1928-1931 ist die Mitgliederzahl der Christlichen Gewerkschaften in Ostpreußen bekannt, sie zeigt deutlich abnehmende Tendenz. Die Freien Gewerkschaften waren in Ostpreußen dreimal so stark wie die Christlichen Gewerkschaften; in den folgenden Jahren verschob sich das Gewicht noch ein wenig mehr zu ihren Gunsten.15 Die Christlichen Gewerkschaften nahmen allgemein am Zeitgeschehen, an der Tagespolitik aktiv teil. Auch in Ostpreußen war die gewerkschaftliche Basis politisch aktiv. Zu einem Eklat kam es 1929 in Heilsberg zwischen katholischer Arbeiterschaft (Arbeiterverein und Christliche Gewerkschaften Heilsbergs) und Zentrumspartei wegen einer Listenverbindung bei der Kommunalwahl „mit den kirchenfeindlichen Elementen der Freien Gewerkschaften“.16 In der Schlussphase der Weimarer Republik engagierten sich die Mitglieder der Christlichen Gewerkschaften auffallend stark in der ostpreußischen Zentrumspartei, der ihre Mitglieder mehrheitlich zuneigten. Zu den letzten freien Reichstagswahlen im März 1933 rief der Arbeiterrat der Allensteiner Zentrumspartei in einem dramatischen Appell die katholischen Arbeiter auf, sich den Kräften entgegenzustellen, die das Zentrum und mit ihm die katholische Arbeiterschaft aus der Politik ausschalten wollen.17 Das überwiegend katholische Ermland mit seiner gesunden Agrarstruktur mittelgroßer Bauernhöfe bedurfte keiner ständigen staatlichen Subventionen wie der Großgrundbesitz der übrigen Provinz. Der NSDAP gelang es nicht, dort Ortsgruppen aufzubauen.18 Gleichwohl ist die Auffassung Gerhard Reifferscheids zu relativieren, es habe im Ermland unter dem Vorzeichen der Zentrumspartei eine „politische Geschlossenheit“ der Bevölkerung gegeben.19 Die Wähleranteile der Konfessions- und Gebietsermländer an den anderen Weimarer Parteien werden in ihrer politischen Bedeutung nicht genügend berücksichtigt. Unter den Katholiken Ostpreußens gab es auch Anhänger der Deutschnationalen, Sozialdemokraten, Kommunisten und Frühnazis. Ein Zeitzeuge berichtet: „Nach dem Ersten Weltkrieg setzte eine fast hektisch zu nennende politische Aktivität in der Bevölkerung ein. Unsere Eltern gingen immer wieder zu politischen Versammlungen, vor allem natürlich zu denen des Zentrums. In diesen wurde besonders gegen die gottlose Sozialdemokratie gewettert. [...] Ins Katholische Vereinshaus in Braunsberg kamen die 15 In Klammern die Gesamtmitgliederzahl in Deutschland:1928: 30.631 (647.364), 1929: 27.401 (673.127), 1930: 24.116 (658.707), 1931: 22.214 (577.512), ebd. S. 51. 16 Ebd. S. 54 mit Anm. 133. 17 Abdruck ebd. S. 61 nach Allensteiner Volkszeitung vom 14.2.1933. 18 So Reifferscheid (wie Anm. 12), S. 15. 19 Ebd. S. 20.

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Sozialdemokraten auch nach 1918 nicht hinein, wohl aber die Deutschnationalen, obwohl diese in Preußen ständig und im Reich meistens in Opposition zum politischen Katholizismus in Gestalt der Zentrumspartei standen.“20 Preuschoff erinnert an eine turbulente Versammlung des Deutschnationalen Katholikenausschusses 1924 im Katholischen Vereinshaus, bei der auf deutschnationaler Seite Studienrat Ernst Krause, auf der des Zentrums u. a. Dr. Candidus Barzel, der Vater von Rainer Barzel, auftraten. Als Redner war aus Köln Prof. Martin Spahn geholt worden, der nach dem Krieg zu den Deutschnationalen übergetreten war (und sich 1933 der NSDAP anschloss). Als in der Diskussion Barzel die Frage stellte, „ob es besonders geschmackvoll sei, wenn der Redner gegen das Zentrum in dem Wahlkreis agiere, der seinen Vater als Abgeordneten dieser Partei in den Reichstag geschickt habe, wurde er niedergeschrieen und musste das Rednerpult verlassen“.21 Ein zweites Beispiel: Erzpriester Georg Matern, 1909-1916 Schriftleiter der Ermländischen Zeitung, war nach dem Ersten Weltkrieg Anhänger der Deutsch-Nationalen Volkspartei. Sein Eintreten bei den Präsidentschaftswahlen 1925 für Hindenburg und damit gegen den Zentrumskandidaten Wilhelm Marx führte zu einer scharfen Kontroverse mit Dompropst Franz-Xaver Sander. Matern vertrat in zwei Zeitungsartikeln die Meinung, dass es weder in der Pflicht noch im Interesse der Katholiken liege, Marx zu wählen. Sander warf ihm in einem Flugblatt vor, in den Reihen des ermländischen Volks Verwirrung und Zweifel zu säen, und erklärte, er sei von Bischof Bludau ermächtigt, mitzuteilen, dass dieser Marx gewählt habe, „weil er der Überzeugung sei, dass er mit dieser Wahl sowohl Vaterland wie Kirche am besten diene.“22 Dass die Katholiken in den fünf ermländischen Kreisen Allenstein/Stadt, Allenstein/Land, Braunsberg, Heilsberg und Rößel bei den Wahlen ganz überwiegend der Zentrumspartei ihre Stimme gaben, wird immer wieder zu Recht hervorgehoben.23 Das Zentrum konnte 1929 bei Wahlen in den Kreistagen von Braunsberg, Heilsberg und Rößel absolute Mehrheiten erringen.

20 Hans Preuschoff, Preußen wieder aktuell (Veröffentlichung des Historischen Vereins für Ermland e. V.), Münster 1981, S. 69. 21 Ebd. S. 70. 22 Zitiert nach Helmut Kunigk, Das Allensteiner Volksblatt in der Weimarer Republik, in: ZGAE 41 (1981) S. 69-113, hier S. 72, Anm. 14. 23 Zur Entwicklung der NSDAP und den Wahlergebnissen in Ostpreußen seit 1928: Christian Rohrer, Nationalsozialistische Macht in Ostpreußen (Colloquia Baltica, Bd. 7/8), München 2006, S. 83-89, 109, 147 f., 198, 214, 256 f.

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Bei der Reichstagswahl vom 14. September 1930, bei der die NSDAP mit 22,5% zur stärksten Partei in Ostpreußen aufstieg, votierten in den katholisch geprägten Kreisen deutlich unter 10% der Wähler für die NSDAP. Die Resistenz des katholischen Milieus erwies sich auch bei der Wahl zum Preußischen Landtag vom 24. April 1932, als die NSDAP 45,6% erreichte, während die Ergebnisse in den ermländischen Kreisen mit 17,3-24,6% relativ schwach blieben. Ähnlich schwach waren sie auch noch bei der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932. Sie stiegen aber nach der Machtergreifung Hitlers bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 auf 29,2-47,4%, obwohl der ermländische Bischof Kaller in einem Wahlaufruf deutlicher als die Fuldaer Bischofskonferenz das Zentrum als für die Katholiken einzig wählbare Partei bezeichnet hatte.24 Für den Einbruch der Zentrumspartei machte die Ermländische Zeitung den „materialistischen Geist“ verantwortlich, der „in die politische Frontstellung der Katholiken“ eingedrungen sei und bewirkt habe, „dass die weltanschauliche Basis verlassen wurde. „Die sich besonders konservativ dünkenden Katholiken“ hätten nicht gemerkt, „dass sie durch die Propaganda in der Deutschnationalen Partei diese Entwicklung förderten.“ Es sei „kein gutes Zeichen für die Kirchentreue, dass der Appell unseres Bischofs in diesen Kreisen nicht beachtet wurde.“25 Fast gleiche Ergebnisse wie die Reichstagswahl 1932 brachte die Provinziallandtagswahl vom 12. März 1933. Bei der Kreistagswahl am gleichen Tag erreichte die NSDAP in 29 von 37 Kreisen die absolute, in fünf die relative Mehrheit. In Braunsberg, Heilsberg und Rößel wurde dagegen das Zentrum stärkste Fraktion. Ein Jahr später zeigte sich, dass im katholischen Milieu Ostpreußens die NSDAP nicht hatte Fuß fassen können: In dem sich verschärfenden Konflikt zwischen der Gauführung und der Landesbauernschaft wurde im Juli 1934 in der gesamten Provinz, u. a. von den Bauernführern gerade in den Kreisen Stuhm, Heilsberg und Braunsberg das Gerücht verbreitet, Erich Koch sei als Gauleiter und Oberpräsident von Ostpreußen abgesetzt worden.26 Gauorganisationsleiter Paul Dargel erklärte noch Mitte 1935 die nach wie vor bestehende Opposition der ermländischen Kreisbauernführer mit deren Vernetzung im katholischen Milieu.27 24 Brigitte Poschmann (†), Das Ermland im Spannungsfeld von Nationalsozialismus und Katholischer Aktion, hrsg. von Rainer Bendel, in: ZGAE 53 (2009), S. 77-92, hier S. 81 mit Anm. 15. 25 Ermländische Zeitung vom 7.3.1933, S. 1. 26 Rohrer (wie Anm. 23), S. 313. 27 Ebd. S. 348 mit Anm. 88.

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1937 erreichte der Druck des „Gefüges Koch“ auf die katholische Kirche und deren Milieustrukturen im Zusammenspiel mit der Gestapo einen Höhepunkt. 1938, im Jahr des Gauparteitags verfügten nach einem DeutschlandBericht der Exil-SPD die Nationalsozialisten „über einen starken und aktiven Anhang in allen Schichten der Bevölkerung“, eine regionale Ausnahme bilde nur das Ermland, das weiterhin in Opposition stehe.28 Zur Charakterisierung der konfessionellen und kulturellen Sonderstellung des Ermlands in der Zeit der Weimarer Republik ist auf einen bedeutsamen Aspekt hinzuweisen, dem der polnische Historiker Robert Traba eine Untersuchung gewidmet hat.29 Es geht dabei um die Frage der kulturellen Identität der Bewohner Ostpreußens nach der infolge der Bestimmungen des Versailler Vertrags erfolgten Abtrennung der Provinz vom Reich. Angesichts der Mentalitätsunterschiede zwischen den Bewohnern Ermlands, Masurens, Preußisch-Litauens, der Großstadt Königsberg und eines Dorfes wie Bartenstein zeigt Traba an Gestalt und Tätigkeit Max Worgitzkis eine andere wichtige Tendenz auf, nämlich den Versuch, die kollektive Identität der Ostpreußen zu universalisieren. Worgitzki, in einer masurischen Bauernfamilie geboren, besuchte das Allensteiner Gymnasium, studierte in Königsberg, Pisa und Rom Medizin, interessierte sich für Dichtung und Kunst, schrieb selbst Erzählungen historischer Art und Dramen. Er gründete 1919 die größte Massenorganisation in Ostpreußen: den Ermländer- und Masurenbund, aus dem sich später der Kulturverein MasurenErmland entwickelte, der die Rolle eines Koordinators der kulturellen Aktivitäten im Ermland und in Masuren übernahm. Als dessen Vorsitzender war er maßgeblich an der Gründung des Landestheaters Süd-Ostpreußen beteiligt. Er war Protektor der dem Bund angehörenden Heimatvereine und des antipolnischen Ostdeutschen Heimatdienstes. 1924 gründete er das Wochenblatt Unsere Heimat und war ihr Redakteur. Seine „Grenzarbeit“, die Vermittlung der deutschen Kultur bei der gemischtsprachigen Bevölkerung, sah Worgitzki durch die Haltung der Bischöfe und der Geistlichkeit sowie der Zentrumspartei bedroht, weil die katholische Kirche sich im Nationalitätenkampf sich neutral verhalten müsse und auch verhalte. Welche Breitenwirkung tatsächlich seine Aktivitäten entfaltet haben, ist schwer zu ermessen. Das Zentrumsorgan Ermländische Zeitung hat mit einer 1921 gestarteten volkstümlichen Beilage mit dem programmatischen Titel Unsere ermländische Heimat jedenfalls die kulturelle Eigenart des Ermlands zu 28 Ebd. S. 495 mit Anm. 148. 29 Robert Traba, Zur Grenzlandmentalität in Ostpreußen in der Zwischenkriegszeit. Max Worgitzki (1884-1937), in: ZGAE 50 (2002) S. 91-99.

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verteidigen versucht. Im Leitartikel der ersten Ausgabe wird die Sonderstellung des Ländchens kenntnisreich und mit großer Einfühlung beschrieben. Zugleich werden schon in den ersten Sätzen die Ermländer, „vom Mutterlande losgerissen, Bewohner der letzten deutschen Kolonie, auf [...] eigene Kraft gewiesen, einer ungewissen Zukunft entgegen bangend“30, zur Verteidigung der Heimat aufgerufen. In solchen Selbstbezeichnungen kommt einerseits deutlich die gemeinsame nationale Identität aller Ostpreußen zum Ausdruck, und andererseits wird in der so wortreich beschworenen regionalen, konfessionellen Identität die Minderheit der polnischen Glaubensgenossen mit ihrer kulturellen Traditionen nicht mehr wahrgenommen, weil sie ja in der Abstimmung mehrheitlich für Deutschland gestimmt hat.31 Die Volksabstimmung 1920 ist auch heute noch ein Thema, bei dem sich die Geister scheiden. In der deutschen Gedächtniskultur Ost- und Westpreußens hat sie einen festen Platz. Jährlich stattfindende Abstimmungsfeiern, Denkmäler und Ausstellungen, getragen von den 1920 entstandenen Heimatvereinen, formten diese Gedächtniskultur, in der Werte vermittelt wurden, die im Begriff der „Heimat“ kulminierten. „Heimat“ wurde zur zentralen Kategorie des Deutschtums in Ost- und Westpreußen. Der damals konstruierte Topos von Heimat lebt bei vielen ehemaligen Bewohnern Ost- und Westpreußens und auch bei den Ermländern zum Teil bis heute fort. Von einem gemeinsamen, Polen und Deutsche verbindenden katholischen Milieu kann im Ermland für die Zeit der Weimarer Republik nicht die Rede sein. Der gebürtige Oberschlesier Maximilian Kaller, seit 1930 Bischof von Ermland, setzte allerdings neue Akzente und legte seit seinem Amtsantritt großen Wert darauf, seine polnisch sprechenden Diözesanen in ihrer Muttersprache anzusprechen. Die Mehrzahl seiner Hirtenbriefe ließ er auch in Polnisch drucken, elf von ihnen sind aus der Zeit von 1931 bis 1937 erhalten32. Als er den Gebrauch der polnischen Sprache in Gottesdienst und Predigt unter dem Druck der nationalsozialistischen Behörden immer mehr einschränken musste, ließ er im Februar 1939 durch seinen Generalvikar den Pfarrern der gemischtsprachigen Pfarrgemeinden mitteilen: „Da vielfach [...] Klage geführt wurde, daß das einfache polnischspechende Landvolk den in das Hochpolnische übersetzten Hirtenbrief nicht versteht, da andererseits der Hirtenbrief nicht in einer 30 Franz Buchholz, Ermländische Heimat, in: Unsere ermländische Heimat, Nr. 1, Braunsberg, 1. Januar 1921, S. 1. 31 Zur Heimatideologie in der intellektuellen Elite der deutschen Ermländer vgl. Robert Traba, Ostpreußen - die Konstruktion einer deutschen Provinz. Eine Studie zur regionalen und nationalen Identität 1914-1933. Aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew (Klio in Polen, Bd. 12), Osnabrück 2010, S. 158-163. 32 Marian Borzyszkowski, Bischof Maximilian Kaller und die polnischsprachige Seelsorge in der Diözese Ermland, in: ZGAE 49 (1999) S. 127-145, hier S. 131.

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vulgären Sprache verfaßt werden kann, hat der Hochw. Herr Bischof davon abgesehen, in diesem Jahr einen Hirtenbrief in polnischer Sprache herauszugeben.“ Die Pfarrer wurden gebeten, ihn „inhaltlich in einer dem Volke verständlichen Ausdrucksweise in polnischer Sprache vorzutragen“33. Kaller belebte auch die ursprünglich polnische Wallfahrt nach Dietrichswalde im südlichen Ermland. Seine Predigt dort im Herbst 1934 zum Thema „Der Bischof und sein Amt“ bildete den Auftakt zu seinen aufrüttelnden Hirtenbriefen und Wallfahrtspredigten der dreißiger Jahre, die mit den Predigten des Münsteraner Bischofs Graf von Galen in den Jahren 1941/42 vergleichbar sind. Bei der Glaubenskundgebung in Dietrichswalde predigte Kaller auch in polnischer Sprache und begrüßte die polnischen Pilger mit den Worten „Liebes polnisches Volk“.34 Durch die Person des Bischofs Maximilian Kaller ist die Problematik der Katholischen Aktion in ihrem Spannungsverhältnis zur Tradition des Vereinskatholizismus in besonderer Weise mit dem Ermland verbunden, und zwar in doppelter Hinsicht, denn Kaller war nicht nur einer ihrer glühendsten Verfechter und als Referent der Fuldaer Bischoskonferenz zuständig für Fragen der „Katholischen Aktion“, sondern hatte in dem Braunsberger Dogmatikprofessor Karl Eschweiler, einem begeisterten Befürworter der neuen Bewegung des Nationalsozialismus, einen ideologischen Gegenspieler von hohem geistigem Format. Kaller hatte mit einer Kommission von sechs Bischöfen einen Entwurf für die Neuordnung der kirchlichen Laienarbeit ausgearbeitet, der auf der Konferenz der Bischöfe am 30. Mai 1933 beraten werden sollte. Die wesentlichen Punkte waren: Geschlossenheit des katholischen Volkes ist notwendig. Führende Idee muss der katholische Glaube und seine Betätigung in der Welt sein, wofür die Katholische Aktion der organisatorische Ausdruck ist. Sie muss alles Parteipolitische meiden, das Laienelement heranziehen, Instrument der Kirche sein, die Führerstellung der katholischen Hierarchie deutlich sichtbar werden. Sie muss zwei ungewissen Möglichkeiten der nächsten Zukunft Rechnung tragen, nämlich dass die Verbände in ihrer Arbeit entweder eingeschränkt oder gar vollständig aufgelöst werden könnten.35 Kaller legte den Kommissionsentwurf dem von ihm hochgeschätzten Professor Eschweiler zur Begutachtung vor. Dieser dankte für das Vertrauen, be33 Ulrich Fox, Bischof Maximilian Kaller und die Seelsorge für die polnischsprechenden Diözesanen, in: ZGAE 49 (1999) S. 147-174, hier S. 171 mit Anm. 87. 34 Poschmann (wie Anm. 24), S. 84 mit Anm. 33. 35 Plan Kallers, in: Bernhard Stasiewski: Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Band I: 1933-1934 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen, Bd. 5), Mainz 1968, Nr. 17*, S. 845-847. – Poschmann (wie Anm. 24), S. 78-80.

ERMLAND ZWISCHEN „POLITISCHEM KATHOLIZISMUS …

457

kannte aber zugleich, dass ihm der Entwurf „allzu unangemessen“ erscheine. „Er zeigt zwar eine sorgfältige Rücksichtnahme auf die politische Situation in Deutschland, insofern nach Möglichkeit einem offenen Konflikt mit der neuen Staatsordnung ausgewichen wird. Aber das kann nur die negative Seite einer Aktivierung der katholisch-gläubigen Kräfte in Deutschland bedeuten. Der vorgeschlagene Organisationsaufbau, so schön er auf dem Papier aussieht, ist dagegen allzu äußerlich der lebendigen Wirklichkeit draufgesetzt; er wird ohne Zweifel in wichtigen Teilen Papier bleiben.“36 Von Kaller zu einem positiven Vorschlag aufgefordert37, übersandte Eschweiler „Neun Sätze über die ‚Katholische Aktion’ an den Bischof.38 Es müsse „das höchste Ziel der Katholischen Aktion bleiben, gerade durch die starke Beherzigung ihres wesentlich geistlichen Charakters auch das Staatsleben zu durchdringen.“ Sie müsse „ihrem Wesen nach die höchste, die geistige Form der nationalen Aktion sein“. Eschweiler geht von der These aus, dass der neuzeitliche Liberalismus zwischen die beiden societates perfectae Kirche und Staat eine dritte Gesellschaft, die sog. bürgerliche Gesellschaft, einzuschieben versucht, die weder politisch handelt noch eine geistige Autorität anerkennt, vielmehr ein Reich der „Freiheit“ propagiert. Die Katholische Aktion müsse sich um ihres unverfälschten Wesens und wirksamen Daseins willen darauf einstellen, dass der Staat in Deutschland die liberale Gesellschaft entmachtet, was nichts anderes heiße: er will „total“ werden. Es sei nun ein verhängnisvolles Missverständnis, wenn einflussreiche Kreis im katholischen Deutschland den politischen Kampf des Nationlasozialismus gegen die liberale Gesellschaft als Angriff auf die katholische Weltanschauung verstünden, den sog. „totalen Staat“ als Feind der Kirche, die nationale Erhebung als Gegenpart der Katholischen Aktion betrachteten. Eine solche Auffassung wäre nicht Aufbau, sondern Zerstörung des kirchlichen Einflusses. Eschweiler kommt dann auf die Vereine und Verbände zu sprechen, „welche die Kirche im Laufe des 19. Jahrhunderts organisieren musste, um in dieser Zeit des Liberalismus das Volk vor der sittlichen und religiösen Zersetzung zu bewahren“. Er erwartet, dass die Regierung die Vereine nicht direkt angreifen werde, „weil ihre Front überhaupt nicht gegen die Kirche, sondern gegen die liberale Gesellschaft und ihre Folgen gerichtet“ sei. Die Vereine würden aber „ihre öffentliche Resonanz in dem Maße verlieren“, wie die liberale Herrschaftsära durch die neue Staatsentwicklung überwunden werden würde. Das 36 Eschweiler an Kaller, 10. Mai 1933, Archiv des Visitators Ermland, Münster, Nachlass Eschweiler. 37 Kaller an Eschweiler, 13. Mai 1933, ebd. 38 Eschweiler an Kaller, 27. Mai 1933, ebd.

458

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katholische Vereinswesen sei zwar noch eine Zeitlang „als Bewahranstalt“ gegenüber dem sich auflösenden Liberalismus unentbehrlich, aber eine Bewahrung des Vereinswesens oder gar ein Ausbau durch die Gründung eines „Katholischen Volksbundes“ würde dem wesentlichen Interesse der Katholischen Aktion zuwiderlaufen. Als „die wahrhaft ‚urkirchliche’, d. i. durch keine Zeitverhältnisse aufgenötigte, sondern unmittelbar vom Herzen der Kirche kommende Form sozial katholischer Aktion“ bezeichnet Eschweiler die uralte Einrichtung der Bruderschaft. Sie sei das zuverlässigste Werkzeug der Hierarchie, weil der Einfluss der Kirche auf das öffentliche Leben umso stärker sei, je reiner und direkter die katholische Aktion ihren geistlichen Charakter erweise. Eschweiler hält es für möglich, „dass gläubige Katholiken aus ‚Stahlhelm’, SA und Windthorstbund zu einer Bruderschaft werden, die [...] den Schutz des Gotteshauses, der Kreuze, der Prozessionen usw. zur besonderen Ehrensache macht“. In Großstadtgemeinden könnten „Laien eine Bruderschaft bilden, deren nach außen gerichtete Wirksamkeit ein an keine Parteirichtung gebundenes Presseapostolat ist“. „Unter dem unaufhaltbaren Zuge der deutschen Staatsentwicklung“ hat das Vereinswesen einen „vorläufigen und relativen Charakter“. Nach der Stabilisierung der kirchenpolitischen Verhältnisse im Reich erwartet Eschweiler, dass dann „die direkte Aktion des Episkopats auf die Regierung“ die einzige Möglichkeit biete, Missverständnisse und Konflikte zu überwinden. „Diese höchste Katholische Aktion muss natürlich das geistliche Wesen der Kirchengewalt am reinsten auswirken und darf sich in keiner Weise noch der Waffen der liberalen Demokratie bedienen wollen.“ Dieses Gutachten übermittelte Eschweiler nicht nur seinem Heimatbischof Kardinal Schulte, sondern auch seinem Berliner Vertrauensmann im Kultusministerium, Ministerialrat Dr. Achelis. Darin stellte er das Konzept Kallers „als ein gegnerisches Schutzsystem gegen die deutsche Revolution“ dar, um „die Geschlossenheit des deutschen Katholizismus [zu] besorgen“ durch den Versuch, „die Aufgaben der katholischen Parlamentsgremien im neuen Reich auf die Katholische Aktion zu übertragen“.39 Die weitere Auseinandersetzung des Bischofs mit dem ebenso gelehrten wie frommen, im Umgang formvollendeten Theologen ist hier nicht weiter zu verfolgen.40 Es bleibt in unserem Zusammenhang zu fragen, inwieweit der „Pasto39 Eschweiler an Achelis, 28. Mai 1933, ebd. Abschließend bemerkt er, sein Gutachten sei „dem Adressaten entsprechend im Fresko-Stil gehalten“. 40 Zu seiner Suspension und Rekonziliation vgl. Hans Preuschoff, Zur Suspension der Braunsberger Professoren Eschweiler und Barion im Jahre 1934, in: ZGAE 45 (1989) S. 115-138.

ERMLAND ZWISCHEN „POLITISCHEM KATHOLIZISMUS …

459

ralkatholizismus“ in der von Kaller propagierten Form der Katholischen Aktion ein wirksamer Faktor der Herrschaftsbegrenzung des Nationalsozialismus gewesen ist. Die eindrucksvolle Bilanz von Gerhard Fittkau41 lässt den Schluss zu, dass die Kirchenbindung der praktizierenden ermländischen Katholiken in der Weise gestärkt werden konnte, dass ein Großteil von ihnen sensibilisiert und befähigt wurde, sich den Einflüssen der nationalsozialistischen Ideologie zu entziehen – ganz im Sinne der Aufforderung Bischof Kallers in seinem von den Behörden beschlagnahmten Fastenhirtenbrief von 1938: „Fürchtet euch nicht! Jeder gehe nur den Weg, den ihm sein Gewissen vorschreibt, das gebildet ist nach der in Schrift und Katechismus niedergelegten Lehre der Kirche.“42

41 Gerhard Fittkau, Zehn Jahre Katholische Aktion im Bistum Ermland 1929 bis 1939. Ein Bericht aus dem Jahre 1939, hrsg. von Ernst Manfred Wermter, in: ZGAE 33 (1969) S. 219-306. 42 Abschrift im Bundesarchiv Berlin, R 5101/22220, Bl. 162-166, Zitat Bl.165 r. Vgl. Reifferscheid (wie Anm. 12), S. 189-192.

V. Politisch fortwirkende Tradition

RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR FÜR WAHLENTSCHEIDUNGEN AM BEISPIEL OLDENBURGS UND DES EICHSFELDS WILLIAM J. MUGGLI FORSCHUNGSFOKUS / ZIELE Die Zielsetzung dieses Forschungsberichts ist ein Versuch zur Beantwortung der Frage: Welches sind die wichtigen Faktoren bei der Bevorzugung einer politischen Partei? Der spezifische Brennpunkt liegt in diesem Bericht auf der Bewertung des Zusammenhangs zwischen Religion und der Bevorzugung einer Partei. Es wird hier nicht versucht, die Geschichte der umfassenden wissenschaftlichen Untersuchungen zum Verständnis der Fragen zu bewerten, warum die Wähler eine bestimmte politische Partei bevorzugen oder warum sie ein bestimmtes Wahlverhalten an den Tag legen. Wir konzentrieren uns stattdessen auf derzeitige Wähler und Wählerinnen und deren Erklärungen, warum sie eine bestimmte Partei bevorzugen. Im politischen System Deutschlands hat man seit langem den Einfluss der Religion auf die Vorliebe für eine bestimmte Partei beobachtet und verstanden. Die Zentrumspartei der Kaiserzeit zeigte die Rolle dieser Partei beim Einbringen der Unterstützung der Mehrheit der katholischen Wählerschaft. Gegen Ende der Weimarer Republik nahm das Ausmaß der Unterstützung etwas ab. Die Zentrumspartei war ein Vorläufer der Christlich-Demokratischen Union (CDU), die bezüglich der kirchlichen Zugehörigkeit inklusiver ist als es die Zentrumspartei war. Wissenschaftler haben die wesentlichen Elemente der Unterstützung der Zentrumspartei untersucht, ohne jedoch Informationen aus Umfragen zu berücksichtigen, die zusätzliche Einsichten in die Wählerschaft während des Bestehens der Partei erlaubt hätten. Die katholischen Milieus aus der Kaiserzeit und der Weimarer Republik bestehen weiterhin in denselben geografischen Gebieten, jedoch mit den Veränderungen durch Einwanderung in der Nachkriegszeit, durch den Arbeitsmarkt und durch eine Minderung der religiösen Vitalität des Laienstandes1. Es existiert eine reichhaltige Literatur, die sich mit der Bewertung der Rolle der Religion im politischen Verhalten in Deutschland befasst.2 1

Alfred Milatz: Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik, Bonn 21968; dies ist nur eine von vielen relevanten Quellen.

2

Nur ein Beispiel:, Karl Schmitt: Konfession und Wahlverhalten in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1989.

RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR ...

463

Wie können weitere Untersuchungen zu den Erfolgen dieser Forschung noch Wesentliches beitragen? Eine Möglichkeit wäre die Ausnutzung der Fortschritte in der Neurowissenschaft, insbesondere des Neuroimaging, was für die Sozialwissenschaften und für andere wissenschaftliche Zweige vielversprechend ist. Die neurowissenschaftliche Forschung hat erhebliche Verbesserungen in unserem Verständnis dessen erbracht, wie neuronale Netzwerke bei bestimmten Entscheidungssituationen aktiv beteiligt sind. Man kann heute erkennen, ob emotionelle oder kognitive Bereiche des Gehirns aktiv sind, wenn Entscheidungen getroffen werden. Wissenschaftler mehrerer Fachrichtungen (z.B. Politologie, Psychologie, Politische Geografie, Verhaltensökonomie sowie mehrere Gebiete der Medizin) interessieren sich für die Implikationen der Entdeckungen der Neurowissenschaft.3 In dieser Studie wird versucht, einige der Einsichten in den Entscheidungsprozess zu erforschen, der von Neurowissenschaftlern aufgezeigt wurde. Unsere Untersuchung der Rolle der Religion bei der Bevorzugung einer Partei könnte aus diesen Durchbrüchen beim Entscheidungsprozess im Gehirn Nutzen ziehen. Wir haben eine Methode untersucht, die die Arbeit von Neurowissenschaftlern ausnutzt, um festzustellen, ob emotionelle oder rationale Impulse vorrangig sind bei Entscheidungen über die Bevorzugung einer Partei. Die Fähigkeit, die Rolle der emotionellen und der rationalen Beiträge bei Entscheidungsprozessen zu messen, ist von großer Tragweite. So könnten zum Beispiel Versuche, andere von den Vorzügen oder dem Mangel an Vorzügen eines Aspektes zu überzeugen, die Aussage mit einem vielschichtigeren Anreiz für sowohl den emotionellen wie den rationale Bereich beeinflussen. Emotionell bedeutet dabei keine gedankenlose Reaktion oder Bewertung, sondern es könnte der Grund für eine zugrundeliegende Qualität sein, die die rationellen Neigungen ergänzt. Drei Wissenschaftler bemerkten dazu: Es ist einfach nicht möglich, Bereiche des Gehirns zu bestimmen, die ausschließlich auf Affekt oder ausschliesslich auf Kognition ausgerichtet sind. Diese Tatsache sollte Behauptungen bezüglich der Unabhängigkeit zerstreuen und zu einer nuancierten Beurteilung der Vorgänge beitragen, wie Affekt und Kognition sich gegenseitig beeinflussen.4

3

Rose McDermott: The Feeling of Rationality: The Meaning of Neuroscientific Advances for Political Science. Perspectives on Politics, 2004, December, Vol. 2/No. 4, S. 691-706. Drew Westen: The Political Brain. The role of Emotion in deciding the fate of the Nation. New York 2007. W.R. Neuman / G. E. Marcus and A. N. Crigler (eds.): The Affect Effect. Dymanics of Emotion in Political Thinking and Behavior, Chicago 2007.

4

Richard J. Davidson: Klaus R. Scherer and H. Hill Goldsmith (eds.): Handbook of Affective Sciences, Oxford, New York 2003, S. 5.

464 WILLIAM J. MUGGLI Wir werden Affekt und Kognition als sich gegenseitig ergänzend behandeln, obwohl weitere Forschungen ermöglichen sollten, separate Orte im Gehirn zu identifizieren, wo sie während des Entscheidungsprozesses auftreten. Wir erwarten, dass es weiterhin eine gegenseitige Beeinflussung zwischen Affekt und Kognition geben wird, auch wenn das Neurozentrum beider örtlich bestimmt werden kann. In diesem Bericht verwenden wir das Wort „affektiv“ als Ausdruck von Affekt oder Gefühl. Das Wort „analytisch“ drückt den Begriff rational und kognitiv aus. Falls die hier untersuchte Methode zur Bestimmung des Vorhandenseins von affektiven und analytischen Impulsen beim Entscheidungsprozess Erfolg zeigt, wäre dies für die Sozialwissenschaft von enormer Bedeutung. Diese Methode bzw. dieses Instrument ist die Hamlet II Software, ein computerunterstütztes Inhaltsanalysesystem.5 Mit dieser Methode wird das gemeinsame Auftreten von Wörtern bewertet, die bei der Unterhaltung oder im schriftlichen Ausdruck verwendet werden. „Wörter, die zusammen auf relativ engem Raum im gleichen Zusammenhang auftreten, werden so bewertet, dass sie sich bei dem ausgewerteten Gedankenaustausch auf ein gemeinsames Thema oder Konzept beziehen.”6 Aber zurück zu unserer Zielsetzung der Untersuchung von Religion und Parteiwahl. Es wurden zwei Regionen in Deutschland als Forschungsbereiche ausgewählt: das Gebiet um Vechta im südlichen Oldenburg (Oldenburger Münsterland) und das Eichsfeld in Thüringen. Beide Regionen weisen eine überwiegend katholische Einwohnerschaft inmitten einer vorherrschend evangelischen Bevölkerung auf. Man könnte sie als Enklaven bezeichnen. Seit der Kaiserzeit haben diese katholischen Enklaven eine bemerkenswerte Stabilität in der Unterstützung der Zentrumspartei – und jetzt der CDU – gezeigt (siehe Anhang mit der Auflistung der Gemeinden und der Wahlergebnisse der Bundestagswahl im Jahre 2002). Es ist schwierig, genau zu bestimmen, warum viele Katholiken die Zentrumspartei während der gesamten Zeit ihres Bestehens unterstützten. Wir können jedoch durch statistische Analysen des Wahlverhaltens bezüglich historischer Wahlabsichten spekulieren und wir tun dies auch.7 5

Alan Brier / Bruno Hopp: Hamlet II new generation. A Multidimensional Scaling Approach to Textual Analysis. Software Manual & User Guide. ESRC National Centre for Research Methods, Southampton, UK 2007, http://www.apb.cwc.net.

6

Alan Brier and Bruno Hopp: Hamlet: A Multidimensional Scaling Approach to, 2005, Text-Oriented Policy Analysis. Journal of Diplomatic Language (JDL) Volume II: II 2005, S. 53-65.

7

Jonathan Sperber: The Kaiser’s Voters: Electors and Elections in Imperial Germany. Cambridge 1997.

RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR ...

465

Diese Kontinuität beim katholischen Wählerverhalten mag nahelegen, dass eine konsistente Tendenz vorliegt, sich bei der Wahlentscheidung auf dieselben grundlegenden Kriterien zu stützen. Sollte dies so sein, dann könnte man möglicherweise messen, wie verbreitet die affektiven oder analytischen Faktoren bei der katholischen Bevölkerung waren im Vergleich zu anderen Befragten in derselben geografischen Nachbarschaft. Man könnte zur Erklärung des Wahlverhaltens auf die besondere Rolle der katholischen Zentrumspartei hinweisen. Es stellt sich die Frage, ob die Religion der allumfassende Grund für die Unterstützung des Zentrums war? Wir wissen, dass auch viele Katholiken nicht für die Zentrumspartei stimmten.8 Dieser Bericht versucht, den Beitrag der Religion bei der Parteiwahl zu untersuchen – besonders bei der CDU – ebenso wie andere Entscheidungskriterien. Wie bereits festgestellt, wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die CDU als Nachfolger des Zentrums gegründet9. Die CDU spricht ein breiteres Wählerspektrum an als ihre Vorgängerin und findet Anklang bei einer breiter gefächerten Wählerschaft als die Zentrumspartei in ihren erfolgreichsten Jahren. Die katholischen Wählerenklaven, die Mehrheiten für das Zentrum schafften, tun dies heute auch für die CDU. FORSCHUNGSMETHODOLOGIE Für die Zwecke dieses Berichts lassen wir die Herausforderung der Erklärung des historischen Wahlverhaltens unbeachtet und konzentrieren uns auf die derzeitige Wählerschaft in den für diese Analysen ausgewählten Enklaven. Politologen und andere haben zur Ordnung ihrer Ziele verschiedene konzeptionelle Modelle verwendet, um zu beschreiben – und eventuell zu erklären – welche Faktoren das Wahlverhalten am meisten beeinflussen. Die folgende Darstellung Nr. 1 enthält viele der Einflüsse, die allgemein zur Identifizierung politischer Parteien herangezogen werden. Dieses Beispiel hilft, die hauptsächliche Aufgabenstellung und These dieses Berichts zu erläutern. Der Kulminationspunkt aller dieser Elemente (Demografie, Werte/Religion, kritische Ereignisse, Themen) führt zur Parteiwahl. Unser Hauptziel ist die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Religion und Parteiwahl. Der Einfluss von Demografie und Stellungnahmen zu bestimmten Themen werden bei diesem Modell berücksichtigt. Alle potentiellen Kräfte, die auf die Parteiwahl hindeuten, sind die fundamentalen Kriterien, die beim Entscheidungsprozess vorliegen. Wir interessieren uns prinzipiell für die Neigung der Entscheidungsträger, die entweder 8

Stanley Suval: Electoral Politics in Wilhelmine Germany. Chapel Hill 1985.

9

Noel D. Cary: The Path to Christian Democracy: German Catholics and the Party System from Windthorst to Adenauer. Cambridge 1996.

466 WILLIAM J. MUGGLI das affektive oder das analytische Kriterium hervorheben (oder beide gleichermassen verwenden). Der Beweis soll unsere Hypothese erklären, die behauptet, dass die affektiven und analytischen Komponenten alle Entscheidungen durchdringen, aber wahrscheinlich in verschiedenen Proportionen. Unser Ziel ist es, einen Massstab für die Neigung zum Affektiven oder Analytischen bei einem bestimmten Thema oder Entscheidungsbereich zu bieten, wie zum Beispiel die Parteiwahl. Die Darstellung Nr. 1 ist lediglich deskriptiv und es sind nicht alle möglichen Einflüsse auf Entscheidungen vollständig enthalten. Abb. 1. Hauptbedingungen, die zum Wahlverhalten führen

RELIGION, WERTE THEMEN Politik Soziales Wirtschaft Bildung Gesundheitswesen Andere

AFFEKTIV DEMOGRAFIE, UMGEBUNG

und/oder

ANALYTISCH

BEVORZUGTE PARTEI

(Entscheidungskriterien) Geschlecht Alter Bildungsniveau Beruf/ausgeübte Tätigkeit Ort/Gemeinde Mitgliedschaften Familie Gleichrangige Gruppe

KRITISCHE EREIGNISSE

Die innerhalb der Gebiete Vechta und Eichsfeld liegenden Gemeinden sind auf den beiden folgenden Karten dargestellt (Abbildung 2 und 3). In beiden Be-

RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR ...

467

reichen wurden relativ nahe beieinander liegende Gemeindepaare ausgewählt, von denen jeweils eine überwiegend katholisch und die andere überwiedend evangelisch ist. Die Auswahl basierte auf der Volkszählung für Niedersachsen und auf einer Expertenaussage für das Eichsfeld. Abb. 2: Gemeinden im Umkreis von Vechta*

 

vorwiegend katholisch vorwiegend evangelisch Paarung

 Großenkneten  Wildeshausen  Visbek  Goldenstedt  Vechta  Barnstorf  Lohne  Dinklage

 Badbergen  Diepholz Maßstab O *nicht alle Entfernungen sind maßstabsgetreu!

5

10 km

468 WILLIAM J. MUGGLI Abb. 3: Gemeinden im Eichsfeld*

RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR ...

469

Die für diesen Forschungsbericht gesammelten Daten basieren auf telefonischen Befragungen von Einwohnern, die in den auf den beiden Landkarten gezeigten Gemeinden wohnen. Die Befragungsphase wurde etwa einen Monat vor der Bundestagswahl 2005 abgeschlossen. Die Befragungen wurden von jemandem ausgeführt, der Deutsch als Muttersprache spricht. Es wurde allen Befragten Anonymität zugesichert; der Name des/der Befragten ist nicht auf der Befragung angegeben und wird auch nicht preisgegeben. Die Struktur der Befragung hatte einen offenen Ausgang und beinhaltete eine längere Unterhaltung mit allen Befragten. Das Instrument wurde anhand von mehreren persönlichen Befragungen und einer ausgedehnten telefonischen Befragung vorgeprobt. Bei der Befragung wurden die Befragten in eine intensive Diskussion verwickelt, bei der sprachliche Ausdrücke ans Licht kamen, die die Meinungen oder Empfindungen im Hinblick auf bestimmte Themen widergaben. Diese Befragungstechnik stellt eine besonders eindringliche Sondierung dar, bei der versucht wird, affektive und analytische Faktoren zu eruieren, die bei jedem der besprochenen Themen vorhanden sein könnten. Das Gespräch beginnt mit einer Diskussion über allgemeine Themen und dringt dann auf mehr spezifische Entscheidungssituationen vor, die schliesslich die Vorliebe für eine bestimmte Partei einschliesst. Jede Befragung wurde mit ausdrücklicher Zustimmung der Befragten aufgenommen; niemand hat die Aufnahme der Befragung abgelehnt. Jede Befragung wurde später transkribiert, um einen Text als Eingabemedium für die Hamlet II Software zu erstellen. Die Texte wurden dann vom Hamlet II Programm ausgewertet, um bestimmte Wortwiederholungen zu entdecken. Die verbundene Häufigkeit der Wörter wurde dann als Grundlage für die multidimensionale Skalierung verwendet. Die verwendete Multidimensionale Skalierungsroutine war die Smallest Space Analysis (SSA) oder MINISSA. Zu den bei allen Befragungen behandelten Themen gehören die folgenden:        

Allgemeine Aspekte bei Aktivitäten und Ereignissen in der Gemeinde Länge der Ortsansässigkeit Verwendete Medien Wichtige wirtschaftliche Themen Entscheidungsprozess (Informationssammlung) vor größeren Anschaffungen Mitgliedschaft in Gruppen, Gewerkschaften, usw. Wichtigste politische Themen Politische Parteien

Am Ende der Befragung, nachdem alle Themen besprochen waren, wurden zusätzliche demografische und Hintergrundinformationen gesammelt. Zu den spezifischen demografischen Elementen gehörten die folgenden: Geschlecht, Alter, Bildungsniveau, Beruf/ausgeübte Tätigkeit und Länge der Ortsansässig-

470 WILLIAM J. MUGGLI keit in der Gemeinde in Jahren. Nur sehr wenige zögerten bei der Angabe der erbetenen Hintergrundinformationen. Die Befragten wurden willkürlich aus dem Telefonverzeichnis aller nichtkommerziellen Anschlüsse in der Zielgemeinde bestimmt. Es wurden insgesamt 100 Befragungen durchgeführt, d.h. ungefähr einer von jeweils neun Angesprochenen erklärte sich zu einer Befragung bereit. Die Befragten schienen positiv engagiert, wenn sie über die verschiedenen Themen sprachen. Nur wenige lehnten es ab, sich zum Parteivorzug oder zu religiösen Dingen zu äußern. Im Durchschnitt dauerte eine Befragung mindestens 35 Minuten (etwa 20 dauerten bis zu mehr als 60 Minuten). Unsere Stichprobengröße mag im Vergleich zur typischen Umfrageforschung gering erscheinen. Eine Inhaltsanalyse erfordert wegen der großen Anzahl der Worte, die die Grundlage für die Analyse darstellt, keine so großen Stichprobenzahlen wie eine konventionelle Befragung. Bei diesem Forschungsprojekt dienten über 195.000 Wörter als Grundlage für die Analyse. Alle Worte, die von jedem Befragten ausgesprochen wurden, wurden transkribiert. (Die Worte des Befragenden wurden nicht in den Text der Transskription aufgenommen). Der nächste Schritt bei dieser Art der Analyse ist die Erstellung eines Vokabulars (Wörterbuch). Ich zitiere Brier und Hopp10: „Bei der qualitativen Datenanalyse beruht die Vorgehensweise auf einer Liste der theoretisch relevanten Worte, deren Identifizierung der Kookkurenz im Hinblick auf eine aussagekräftige Kontexteinheit im für die Analyse verwendeten Texten möglich ist … Die „Suchliste“ kann eine beliebige Komplexität aufweisen und ihre konstitutiven Begriffe können in ihrer linguistischen und grammatischen Art variieren, je nach Art der Forschung selbst. Die Hauptbegriffe können zu Kategoriebegriffen werden, die jeweils durch eine Reihe von Texten definiert werden, und die systematisch unter Verwendung der Procrustean Individual Differences Scaling (PINDIS) miteinander verglichen werden. HAMLET II für Windows ist einzigartig, da es die Möglichkeit bietet diese Stufen innerhalb einer einzigartigen grafischen Benutzerschnittstelle auszuführen.“

Die folgenden neun Haupteingaben (d.h. Variablen oder Anstöße) bilden den konzeptionellen Kern des Wörterbuches für dieses Forschungsprojekt: Affektiv Analytisch Wirtschaft Bildung Gesundheit

10 Brier and Hopp (wie Anm. 5), S. 2.

Partei Politik Religion Soziales

RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR ...

471

Abb. 4. Beispiele für Synonyme für jeden Hauptbegriff: Affektiv

Analytisch

Wirtschaft

Bildung

Gesundheit

Ausstrahlung

Beste Argumente

Arbeitsplätze

Ausbildung

Gesundheitspolitik

Beleidigung

Basis

Rentensystem

Ausbildung der Kinder

Ganzer Gesundheitsaspekt

Eigennutz

Fähigste Leute

Steuerrecht

Ganzes Schulwesen

Gesundheitsreform

Fadenscheinig

Gedanken

Wirtschaftslage

Kindererziehung

Gesundheitsprogramme

Gefühl

Grundlinie

Wohl der Gesellschaft

Schulbildung

Krankenkassen

Glaubwürdig

Grundidee

Gesellschaft

Zukunft der Kinder

Zwei-KlassenMedizin

Sauberkeit

Hauptthemen

Sympathie

Kernbereiche

Verdrossenheit

Partei programme

Vertrauen

Richtlinien

Partei

Politik

Religion

Soziales

CDU

Außenpolitik

Ausgetreten

Blindengeld

Die Mitte

Innenpolitik

Christlich

Familienorientierte Politik

FDP

Kandidat

Evangelisch

Humane Probleme

Frauenpartei

Umweltpolitik

Heide

Sozialabbau

Gelb

Wahl

Katholisch

Grüne

Zu viel Verwaltung

Konfessionslos

SPD NDP

Das Wörterbuch wurde nach dem Lesen der Transkriptionen aller Befragungen und dem Kodieren von Wörtern erstellt, die dann unter dem entsprechenden Hauptbegriff aufgeführt werden. Jede Haupteingabe auf einer Vokabelliste ist begleitet von der Wortliste, wobei die Wörter so behandelt werden als ob sie Synonyme wären11. Das Wörterbuch umfasst insgesamt 482 Wörter (plus die

11 Ebd., 2007, S. 13.

472 WILLIAM J. MUGGLI neun Hauptbegriffe). Beispiele der „Synonyme“ für jeden Hauptbegriff sind in der Darstellung Nr. 4 aufgeführt. Als nächstes werden die Ergebnisse vorgestellt, die die Nähe von Religion und Partei beschreiben. Im Folgenden werden wir die Daten begutachten, um den Zusammenhang zwischen affektiven und analytischen Impulsen in Bezug auf Religion, Wirtschaft, Bildung, Gesundheit, Partei, Politik und soziale Themen zu untersuchen. Die zwei Hauptinformationsquellen zur Beurteilung all dieser Beziehungen stammen aus den Fragen über Hintergrund und der SSA. Wir konnten schätzen, wie nahe Religion und Partei auf den grafischen SSA Darstellungen erscheinen und auch die Verknüpfung der affektiven und analytischen Impulse in Bezug auf die anderen sieben Hauptkriterien (Wirtschaft, Bildung, Gesundheit, Partei, Politik, Religion und Soziales) auf der Basis der Auswertungen des Vokabulars, das von den Befragten benutzt wurde, ergänzt durch die gesammelten Demografien. Als nächstes werden die Ergebnisse vorgestellt, die die Nähe von Religion und Partei beschreiben. Danach werden wir die Daten für die Wirtschaft, Bildung, Gesundheit, Politik und Soziales untersuchen. HAUPTERGEBNISSE Die Beziehung zwischen Partei und Religionszugehörigkeit wurde vielfach untersucht.12 Katholiken neigen dazu, für die CDU zu stimmen (die CSU wird hier nicht erwähnt, weil sie in diesen Gemeinden keine Rolle spielt) und die anderen stimmen meist für die übrigen Parteien. Was haben wir bei den beiden Testgebieten herausgefunden, wo man oft das katholische Milieu erwähnt? Die Darstellungen auf den folgenden Seiten untermauern diese allgemeine Übereinstimmung des Zusammenhangs zwischen katholischen Wählern und der CDU. Die Tabelle 1 zeigt den Parteivorzug bei denen, die diese Informationen lieferten. Die gleiche Anzahl von Personen bezeichneten die CDU und die SPD als die Partei ihrer Wahl. Die Kategorie „Andere“ erscheint vielleicht sehr gross, aber keine der Parteien in dieser Rubrik hatte mehr als drei Anhänger. Tabelle 1 führt alle diese Parteien in der Kategorie „Andere“ auf mit der Zahl der Anhänger. Die Regionen Vechta und Eichsfeld ergaben sehr ähnliche Ergebnisse für die Anhänger der entsprechenden Parteien.

12 Karl Schmitt, 1989.

RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR ...

473

Tabelle 1: Parteibevorzugung nach Gebiet* CDU

%

SPD

%

CDU/SPD

%

Andere**

%

Region Vechta

15

12

7

16

Eichsfeld

14

17

5

14

Insgesamt

29

29

12

30

*Stichprobenumfang: 100. **Andere Parteien: Grüne (3), CDU/SPD/Grüne (2), SPD/Grüne (2), CDU/Grüne (1), FDP/Grüne (1), FDP/SPD (3), SPD/PDS (3), Frauen Partei (1), FDP/CDU (1), Grüne/PDS (1), NPD (1), Graue Panther/SPD (1), Splitterparteien (3), Alle Parteien (1), Verschiedene Parteiangabe (1), Keine Partei angegeben (5).

Im Eichsfeld lag jedoch die Unterstützung der SPD höher. Wie ändert sich dieses Muster, wenn Religion in diesen Vergleich miteinbezogen wird? Glücklicherweise gaben mit zwei Ausnahmen alle Befragten ihre Konfession an oder bezeichneten sich als konfessionslos. Die genauen Ziffern waren: 41 katholisch, 39 evangelisch und 18 konfessionslos, 2 gaben keine Information über ihre Religionsgehörigkeit. Siehe Tabelle 2 über die Vorzugspartei nach Konfession: Tabelle 2: Religion und Parteivorzug* Katholisch N %

Evangelisch N %

Konfessionslos N %

Gesamtzahl N %

CDU

23

56

5

13

1

5

29

29

SPD

4

10

15

38

10

56

29

29

CDU/SPD

5

12

7

18

12

12

Andere

9

22

12

31

28

28

2

2

7

39

Keine Religon erwähnt* Insgesamt

41

100

39

100

18

100

100

100

Von der Gesamtzahl der Befragten gaben fast zu gleichen Prozentzahlen der CDU (29%), der SPD (29%) und den „anderen“ Parteien (28%) den Vorzug. Etwa 12% gaben an, dass sie für die CDU/SPD stimmten. Der einzige Unterschied zwischen den Gebieten Vechta und Eichsfeld besteht in den in Tabelle Nr. 1 gezeigten Prozentzahlen für die SPD (12% im Gebiet Vechta und 17% im Eichsfeld). Mehr als die Hälfte (56%) der Katholiken stimmten für die CDU. Dieses Ergebnis spiegelt die Erwartung wider, dass katholische Wähler die CDU vorziehen während die evangelischen und konfessionslosen Wähler für die SPD stimmen. Wir sind nicht in der Lage die Anzahl der Befragten anzuge-

474 WILLIAM J. MUGGLI ben, die man als Wechselwähler bezeichnen könnte. Schätzzahlen könnten sich vielleicht aus den in der Tabelle 1 aufgeführten mit einem Schrägstrich versehenen Parteien ergeben. Die Beziehung zwischen der wöchentlichen kirchlichen Beteiligung der Katholiken und der CDU ist besonders bemerkenswert (93% für die CDU). Der einzige wöchentlich an kirchlichen Veranstaltungen teilnehmende Katholik, der die CDU nicht vorzog, benannte die Kombination CDU/SPD/Grüne. Diese Ergebnisse stimmen mit anderen Berichten überein.13 Die geringe Anzahl bei einigen der Beteiligungskategorien erschwert eine Verallgemeinerung, ausgenommen das Verhaltensmuster derjenigen, die die CDU bevorzugen, die angeben, dass sie eher dazu neigen, oft an religiösen Veranstaltungen/Gottesdiensten teilnehmen. NÄHE VON RELIGION UND PARTEI: BEWEISE AUFGRUND DER SSA Die Smallest Space Analysis (SSA) der Hamlet II Software bietet eine zusätzliche Möglichkeit zur Auswertung der Verknüpfung zwischen Variablen. Wir verwenden die Fähigkeit der SSA, um nachzusehen, wie nah Religion und Partei in den Daten erscheinen. Wir beginnen, indem wir überprüfen, wie nah sich die neun Hauptkriterien (Hauptvariablen) in den zwei- und dreidimensionalen SSA Diagrammen darstellen. Die Entfernungen zwischen den Variablen, die auf der Konfiguration (Grafik) dargestellt werden, sind bedeutungsvoll in dem Sinn, dass der Ordinalwert erhalten bleibt. Technischer ausgedrückt: „Das Ziel des MDS (multidimensionales Skalieren) ist die Umsetzung der Daten in einen Satz echter Euklidischer Abstände.” Die Lösung (auch als Endkonfiguration bezeichnet) besteht aus einer Anordnung von Punkten in Niedrigzahldimensionen, die so angeordnet sind, dass die Entfernung zwischen den Punkten der Unähnlichkeit den Objekten so gut wie möglich entspricht.14 In anderen Worten, der gesamte Raum einer Grafik wird ausgenutzt, um die extremsten Werte jeweils an den Enden und alle anderen Variablen entsprechend zwischen den Extremwerten anzuordnen (wobei jedoch die richtigen Entfernungsbeziehungswerte erhalten bleiben). Die in den folgenden (Abb. 5 und 6) gezeigten Konfigurationen sind Beispiele einer zwei- und dreisimensionalen SSA Grafik für einen Befragten. Wir können erkennen, dass die Religion (hier katholisch) und die Partei (hier die CDU) sowohl im Zwei- als auch im Dreidimensionalen nahe beieinander lie13 Hans Rattinger, Oscar W. Gabriel und Jürgen W. Falter (Hrsg.): Der gesamtdeutsche Wähler: Stabilität und Wandel des Wählerverhaltens im wiedervereinigten Deutschland, Baden-Baden 2007. 14 A. P. M. Coxon: The User’s Guide to Multidimesional Scaling, S. 43. London 1982, S. 43.

RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR ...

475

gen. Wirtschaft ist auf diesen Grafiken am weitesten von der Religion entfernt. Die SSA Grafiken zeigen bei mehr als der Hälfte (64%) der Befragten, dass Religion und Partei eine gewisse Nähe zu einander haben (etwa die Hälfte davon deuten auf eine enge Verbindung). Die SSA Grafiken für alle Befragten sind in der Tabelle 3 zusammengefasst. Tabelle 3: Enge Verbindung von Religion und Partei Gesamtzahl der Befragten, bei denen Religion und Partei zumindest eine gewisse Nähe hatten: Grundwert*

Gesamtzahl mit einer gewissen Nähe

Von diesen die mit wirklicher Nähe

89

56

30

63%

34%

Ergebnisse nach Konfession: Grundwert*

Gesamtzahl mit einer gewissen Nähe

Von diesen die mit wirklicher Nähe

Katholisch:

41

30

73%

20

49%

Evangelisch

32

20

63%

7

35%

Konfessionslos

15

7

47%

3

20%

* Der Grundwert ist 89; bei 11 Befragten ergab sich keine gemeinsame Häufigkeit zwischen Religion und Partei (gemäß der Hamlet II Berechnungen).

Abb. 5: Zweidimensionale SSA Konfiguration.

Partei Religion

Politik Gesundheit Bildung Affektiv Analytisch

Wirtschaft

476 WILLIAM J. MUGGLI Abb. 6: Dreidimensionale SSA Konfiguration

Bildung Politik

Affektiv

Religion

Analytisch Gesundheitswesen

Wirtschaft Partei

Die Ergebnisse des SSA Verfahrens und der von den Befragten erhaltenen demographischen Daten sind praktisch dieselben für die Katholiken, die wöchentlich an kirchlichen Veranstaltungen teilnahmen. Bei beiden Ergebnissen zeigt sich eine enge Verbindung zwischen Religion und Partei. Das Bild aufgrund der SSA Konfigurationen zeigt keine besondere Tendenz bei Katholiken, die sich weniger oft als wöchentlich an kirchlichen Veranstaltungen beteiligen, sich mit der CDU zu identifizieren; nur drei von diesen wählten die CDU. AFFEKTIVE UND ANALYTISCHE BEWEGGRÜNDE IM ZUSAMMENHANG MIT VERSCHIEDENEN THEMEN (WIRTSCHAFT, BILDUNG, GESUNDHEIT, PARTEI, POLITIK, RELIGION, SOZIALES) Wir haben den Zusammenhang zwischen Partei und Religion festgestellt, insbesondere die Tendenz bei Katholiken, die CDU vorzuziehen. Was gibt es aber sonst noch, wenn Menschen eine Vorliebe für eine bestimmte Partei oder bestimmte Kandidaten entwickeln? Sind die Anhänger mehr oder weniger geneigt, affektive oder analytische Kriterien zu verwenden oder benutzen sie beide? Die Hamlet Software kann uns durch das Verfahren der Identifizierung der gemeinsamen Häufigkeit von Wörtern helfen, die von den Befragten bei den Befragungen benutzt wurden. Wie schon erwähnt kategorisiert die Wortliste die Wörter, die sich wahrscheinlich auf die neun Hauptvariablen beziehen.

RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR ...

477

Das Kodieren von Wörtern ist die Herausforderung bei der Inhaltsanalyseforschung. Es ist schwer eine universelle Zustimmung darüber zu erreichen, welche Wörter mit einem bestimmten Konzept oder Begriff verknüpft werden sollten (bei dieser Forschung Hauptbegriff oder Variable). Die Absicht ist es hier sicherzustellen, dass die Ergebnisse bei der Verwendung des Hamlet II Systems sinnvoll sind, wenn auch einige Wortwahlen beim Erstellen des Wörterverzeichnisse unzureichend erschienen. In der folgenden Tabelle 4 erscheint jedes der sieben Themen (Hauptkriterien) als am nächsten zu entweder Affektiv (AF) oder Analytisch (AN) oder abstandsgleich (AF.AN). Die Abstandsmaße basieren auf den SSA Konfigurationen genauso wie die in den oben angeführten Darstellungen 5 und 6. AF und AN mögen einem Kriterium nicht besonders nahe sein, aber sie liegen näher als der andere Faktor, ausgenommen wenn AF und AN abstandsgleich sind (oder nahe beieinander). Tabelle 4: Nähe des Affektiven und Analytischen zu dem Hauptkriterium Region Vechta

Eichsfeld

AF

AN

AF.AN

AF

AN

AF.AN

35 %

43 %

22 %

38 %

51 %

11 %

Partei

38

35

27

43

50

7

Politik

20

48

32

29

61

10

Wirtschaft

25

52

23

23

66

11

Bildung

29

47

24

33

60

7

Gesundheit

35

42

23

36

46

18

Soziales

45

40

15

29

65

6

Hauptkriterium Religion

Die Tendenz ist vergleichbar für die Region Vechta und das Eichsfeld, obwohl die Prozentzahlen verschieden sind. Die Präsenz der affektiven Impulse ist bemerkenswert, wenn auch geringer als die der analytischen, ausgenommen die Kriterien „Partei“ und „Soziales“ in der Region Vechta. Die Unterschiede der Prozentzahlen für „Partei“ und „Politik“ sind faszinierend: in beiden Gebieten ist die „affektiv“ Prozentzahl erheblich größer bei „Partei“ als bei „Politik“. Dies mag darauf hindeuten, dass Personen eher eine emotionale Bindung an politische Parteien entwickeln als hinsichtlich bestimmter politischer Themen. Vielleicht deutet „Partei“ mehr auf ein allgemeines Konzept wie zum Beispiel ein System von Werten oder Perspektiven, das der Weltanschauung des Anhä-

478 WILLIAM J. MUGGLI ngers entspricht; ein politisches Thema ist andererseits eine Komponente, die sich noch nicht zu einem voreingenommenen Brennpunkt ausgebildet hat. Wirtschaftliche Themen erhielten ebenfalls relativ niedrige Prozentzahlen für die affektive Variante. Es ist möglich, dass solche Themen intrinsisch mehr messbare Aspekte oder Komponenten beinhalten und deshalb mehr analytische Bereiche im Gehirn ansprechen. Auf alle Fälle scheint die Tabelle 4 die mehr allgemeingültige Erwartung widerzuspiegeln, dass Menschen bestimmte Themen eher als messbar sehen. Die größere Betonung des Analytischen im Eichsfeld scheint rätselhaft. Ist es ein Produkt der Daten? Gibt es irgendwelche regionalen, kulturellen oder bildungsmäßigen Erklärungen dafür? Könnte es sein, dass die Erfahrung als DDR-Bürger den Einzelnen so geformt hat, dass er mehr empirisch orientiert ist? Außerdem neigten die Befragten vom Eichsfeld viel weniger dazu, ein Gleichgewicht beim Einfluss der analytischen und der affektiven Faktoren zu zeigen. Sie neigten dazu polarisierter zu sein, was darauf hindeutet, dass sie sich entweder affektiv oder analytisch entschieden anstatt beide Faktoren im gleichen Maße einzubeziehen. Als nächstes werden wir untersuchen, was die Ergebnisse hinsichtlich affektiver und analytischer Tendenzen und der Bevorzugung einer bestimmten Partei aussagen. Wir werden die Ergebnisse der SSA-Daten vorstellen. Jede Darstellung wurde ausgewertet um festzustellen, ob die Variante näher zum Affektiven oder zum Analytischen lag oder ob sie abstandsgleich war. Nur drei Parteigruppierungen (CDU, SPD und Andere) wurden berücksichtigt. Unter die Rubrik „Andere“ fielen alle, die nicht ausdrücklich CDU oder SPD benannten. Fast ein Drittel der CDU-Anhänger steht dem Affektiven näher, die Hälfte stehen dem Analytischen näher und 18% stehen AF und AN gleich nahe. Alle Befragten betonen das Analytische am meisten, obwohl der CDU-Anteil der höchste ist. Siehe die folgende Tabelle 5. Tabelle 5: Parteivorzug und Nähe zu AF oder AN* AF

AN

AF.AN

CDU

32 %

50 %

18 %

SPD

41

44

15

Andere**

37

45

18

* Prozentzahlen gelten für die Region Vechta und Eichsfeld zusammen. ** „Andere“ schließt alle anderen mit Ausnahme von CDU und SPD ein.

Tabelle 6 zeigt die affektiven und analytischen Tendenzen der Befragten (bei Partei) in Bezug auf Religion, Partei, Politik, Wirtschaft, Bildung, Gesundheit und Soziales. Die affektiven Prozentzahlen liegen erheblich höher für Partei

RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR ...

479

als bei Politik in den Kategorien CDU, SPD und „Andere“. Die analytischen Prozentzahlen bei der CDU liegen viel niedriger für Partei, aber höher für AF.AN als für SPD und „Andere“. Was könnte diese Tendenz bei den CDUBefragten erklären? Wir können mutmaßen, dass die CDU-Anhänger nicht so Tabelle 6: Parteivorzug und Nähe zu Themen zur Partei, Politik, Wirtschaft, Bildung, Gesundheit und Sozialem. AF

AN

AF.AN

Religion

32 %

50 %

18 %

Partei

45

31

24

Politik

28

52

21

Wirtschaft

16

68

16

Bildung

19

63

18

Gesundheit

39

43

18

Soziales

22

67

11

Religion

41 %

44 %

15 %

Partei

36

50

14

Politik

28

45

28

Wirtschaft

28

48

24

Bildung

44

41

15

Gesundheit

33

37

30

Soziales

43

43

14

Religion

36 %

46 %

18 %

Partei

42

44

14

Politik

20

63

17

Wirtschaft

28

60

12

Gesundheit

35

46

19

Soziales

43

50

7

CDU

SPD

Andere

Bildung

begeistert sind von programmatischen Aspekten der Partei oder irgendwelchen anderen konkreten Themen. Die Daten bieten keine Orientierungshilfe bei der Frage, warum die analytischen Prozentzahlen der CDU vergleichsweise zu den anderen Parteien so niedrig liegen. Wie bereits bei Tabelle 4 bemerkt, scheint

480 WILLIAM J. MUGGLI es so, dass die von den Befragten benutzten Worte bei Partei eher zum Affektiven tendierten als zum Analytischen als bei den anderen in der Tabelle 6 aufgeführten Themen. Es scheint wieder einmal so zu sein, dass Partei mehr emotionales Vokabular heraufbeschwört als dies bei anderen Themen der Fall ist. Alle anderen Themen bei Partei (CDU, SPD, Andere) sind dem Analytischen näher als die affektiven Werte mit Ausnahme von Bildung für die SPD. Gibt es überhaupt Unterschiede bei den affektiven und analytischen Impulsen zwischen den religiösen Gruppen und zwischen den zwei Regionen und worin liegen sie? Tabelle 7 zeigt ähnliche Prozentzahlen bei den katholischen und evangelischen Befragten, besonders bei den Affektiven. Die Prozentzahlen für die Konfessionslosen basieren auf einer geringen Anzahl von Befragten (insgesamt 18); sie deuten jedoch auf eine erhebliche Betonung der affektiven Dimension. Tabelle 7: Religion und Affektive oder Analytische Orientierungen Region Vechta AF

AN

Katholisch

33 %

40 %

Evangelisch

31

Konfessionslos

50

AF.AN

Eichsfeld AF

AN

AF.AN

27 %

35 %

59 %

6%

50

19

25

63

12

50

0

67

22

11

Es würde erheblich mehr Papier erfordern, um zusätzliche Nuancen der Daten zu ergründen, die vielleicht ein umfassenderes Profil derer bieten könnten, die mehr oder weniger dazu neigen, bei bestimmten Kriterien oder Themen eher affektiv oder analytisch zu reagieren. Wir bieten nur ein zusätzliches Beispiel dafür an, wie die Daten Einblicke in das Profil der Befragten geben können. In der folgenden Tabelle 8 wird dargestellt, wie das Bildungsniveau die Tendenz zum Affektiven und Analytischen beeinflusst. Die Informationen über das Bildungsniveau erfragten wir während der Endphase der Befragung. Einer der auf der Tabelle 8 dargestellten bemerkenswerten Unterschiede ist die entgegengesetzte Tendenz der affektiven Daten bei Partei und Politik. In der Tat sind die affektiven und analytischen Prozentzahlen umgekehrt für die zwei Bildungsniveaus. Die niedrigen Affektivwerte für Politik, Wirtschaft, Bildung, Gesundheit und sogar Soziales sollten in einem anderen Zusammenhang für das niedrigere Bildungsniveau weiter untersucht werden.

RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR ...

481

Tabelle 8: Bildungsniveau und die entsprechende Betonung des Affektiven und Analytischen Befragte mit dem höheren Bildungsniveau AF.AN

Befragte mit dem geringeren Bildungsniveau

Thema

AF

AN

AF

AN

Religion

26 %

65 %

9%

32 %

45 %

AF.AN 23 %

Partei

29

57

14

52

29

19

Politik

42

46

12

22

53

25

Wirtschaft

32

56

12

17

62

21

Bildung

36

55

9

21

58

21

Bildung

36

55

9

21

58

21

Gesundheit

57

35

8

23

51

26

Soziales

56

44

--

30

60

10

SCHLUSSFOLGERUNGEN Religion hat eine enge Beziehung zur Parteibevorzugung bei Katholiken, die wöchentlich an kirchlichen Veranstaltungen teilnehmen. Trotzdem identifizieren sich von allen Katholiken nur 56% mit der CDU. Achtunddreißig Prozent der Evangelischen wählten SPD, 18% sagten, dass sie die SPD/CDU bevorzugten und 31% wählten „Andere“ Parteien. Nur ein Konfessionsloser wählte CDU während 56% die SPD als ihre erste Wahl bezeichneten. Diese Ergebnisse entsprechen der erwarteten Tendenz. Die Gegebenheit der affektiven und analytischen Tendenzen beim Entscheidungsprozess liegt bei allen Hauptkriterien vor (Religion, Partei, Politik, Wirtschaft, Bildung, Gesundheit und Sozialthemen). Helfen uns irgendwelche Hintergrundkriterien der Befragten dabei zu verstehen, wer eher dazu neigt affektive oder analytische Aspekte zu betonen? In der Tabelle 8 wiesen wir auf Unterschiede bei den Ergebnissen hin, als wir Befragte mit einem höheren oder geringeren Bildungsniveau verglichen. Bei mehreren Faktoren war die affektive Komponente bei den Befragten mit einem geringeren Bildungsniveau weniger hervorstechend. Eine weitere Untersuchung sollte sich auf andere mögliche Unterschiede bei Befragten mit verschiedenen demografischen Profilen richten. Diese grundsätzliche Schlussfolgerung untermauert derzeitige Forschungsergebnisse der Neurowissenschaft, die die Bedeutung beider Faktoren bei der Entscheidungsbildung herausstellen. Ausserdem stellen wir bei unserer Forschung fest, dass bei Themen mit vorhersehbar größerem analytischem Einfluss unsere Ergebnisse den Erwartungen entsprechen (z.B. bei wirtschaftlichen Themen). Die unterschiedliche Salienz des Affektiven bei Partei und Politik ist verblüffend. Wir interpretierten diesen Unterschied als die mögliche Bestäti-

482 WILLIAM J. MUGGLI gung einer mehr emotionalen Qualität, die mit einer parteilichen Identität verbunden ist im Unterschied zu einer substanzielleren Bewertung der Vorzüge eines politischen Themas. Zu diesem Zusammenhang sollte erheblich mehr Forschung betrieben werden. Wir empfehlen die bei dieser Studie angewandte Methodologie zu verwenden. Diese Methodologie ist erfolgversprechend für die aktuelle Forschung, die Befragungen verwendet. Qualitative Forschung ist sowohl für die anfänglichen Phasen als auch für die weiterführende Erforschung der zugrundeliegenden Einflüsse wichtig hinsichtlich der Art und Weise wie Einzelne die Welt verstehen und Entscheidungen treffen. Außerdem kann auch der reichhaltige Schatz an historischen Dokumenten als Quelle dienen, die aus der Verwendung dieses analytischen Systems Nutzen ziehen könnte. Der Hauptbestandteil der Hamlet II Software ist Text, so wie das auch bei anderen Untersuchungen in den Sozialwissenschaften der Fall ist. ERGEBNISSE DER BUNDESTAGSWAHL 2002 (EICHSFELD UND DAS GEBIET VECHTA)* Eichsfeld** Katholische Gemeinden

Partei CDU

SPD

Gernrode

61,6 %

19,8 %

Holungen

55,2

27,9

Mackenrode

59,4

22,9

Weissenborn-Lüderode

58,0

23,1

Worbis

35,2

34,9

Bockelnhagen

30,0

51,9

Gerterode

17,7

52,5

Grossbodungen

26,0

49,8

Wahlhausen

28,2

51,9

Wintzingerode

30,7

37,6

Evangelische Gemeinden

RELIGION ALS EIN BESTIMMENDER FAKTOR ...

483

Region Vechta Katholische Gemeinden

Partei CDU

SPD

Dinklage

56,7

31,5

Goldenstedt

58,0

26,7

Lohne

60,4

27,2

Vechta

55,5

29,1

Visbek

65,5

23,0

Badbergen

31,5

49,0

Barnstorf

26,8

52,4

Diepholz

35,9

45,0

Großenkneten

34,4

43,3

Wildeshausen

36,5

44,1

Evangelische Gemeinden

* Zweitstimmen für 2002 Bundestagswahl, Quellen: Eichsfeld: http://www.tls.thueringen.de Vechta: Niedersächsisches Landesamt für Statistik. Die Ergebnisse der Bundestagswahlen von 2005 und 2009 zeigen einen Rückgang der SPD in einigen der oben angeführten Gemeinden. ** Einige der angeführten Gemeinden enthalten die folgenden zusätzlichen Gemeinden: Wahlhausen schließt Lindewerra and Sickenberg ein. Mackenrode schließt Lutter ein. Bockelnhagen schließt Silkerode ein. Weissenborn-Lüderode schließt Jützenbach und Brehme ein. Wintzingerode schließt Wehnde, Kaltohmfeld und Kirchohmfeld ein. Grossbodungen schließt Steinrode ein. Gerterode schließt Buhla und Haynrode ein. Gernrode schließt Deuna ein. Holungen schließt Bischofferode ein.

DANKSAGUNGEN Der Autor ist sehr dankbar für die Mithilfe so Vieler, deren Zahl zu groß ist, um sie hier einzeln aufführen zu können. Die Archive in Gotha, Oldenburg und Vechta waren besonders hilfsbereit und großzügig. Thomas Müller, ein Experte über das Eichsfeld, Joachim Kuropka und andere an der Universität Vechta, Alan Brier, Ekkehard Mochmann, die Benutzung der OV (Oldenburgische Volkszeitung) in Vechta waren die Quellen, die für diese Forschungsarbeit unentbehrlich waren. Imelda Muggli war eine echte Partnerin während aller Phasen dieser Forschungsarbeit. Der Autor dankt Hans Koenig, der den Bericht ins Deutsche übersetzte.

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NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS

Aachen 42, 235, 237

Bad Kissingen 269, 271

Achelis, Ministerialrat 458

Bad Landeck 164, 165

Adamczyk, Josef 135, 137

Badbergen 467, 483

Albicker, Josef 112

Bakum 398

Algermissen, Propst 380

Bamberg 282, 326

Allenstein 445, 449, 450, 451, 452, 454

Barnstorf 467, 483

Altenberge 190 Altenhöfer, Ludwig 279 Altötting 203, 287, 319 Altusried 101 Aly, Götz 436, 440 Amberg 326 Amery, Carl 23 Ansbach-Bayreuth 326 Applegate, Celia 73, 79 Aretin, Erwein von 56 Arnim-Boitzenburg, Gräfin von 55 Arnold, Michael 112 Aschaffenburg 267, 268, 269 Aschendorf 408, 411, 413, 420, 421, 422, 423, 429, 430, 439 Aschendorfermoor 431, 434 Auerbach 326 Baader, Franz von 32 Back, Joseph 305 Bad Brückenau 269

Bartenstein 454 Barth, Marquard 93 Barzel, Candidus 452 Barzel, Rainer 452 Bassermann, Ernst 100, 102 Bauer, Fritz 279 Baumann, Ursula 216 Bebel, August 102, 164 Beck, Adalbert 140, 145 Becker, Winfried 5, 15 Bedburg 234 Beilngries 326, 330, 331, 333 Bentheim 422 Berchtesgaden 13 Berlin 32, 36, 56, 75, 76, 80, 84, 126, 141, 142, 145, 160, 201, 204, 210, 246, 310 Berning, Wilhelm 41, 425, 426, 427, 431 Bertram, Adolf 192, 301, 304, 307 Bettinger, Franziskus 337

540

NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS

Beuthen 135, 136, 137, 145, 148 Biberach an der Riß 405 Biskupitz 136 Bismarck, Otto von 35, 38, 84, 243, 376, 407, 408 Blaschke, Olaf 11, 50, 417 Bloch, Ernst 204 Bloch, Johanne 401 Bludau, Augustinus 446, 452 Bobrek 147 Bochum 27, 224 Bockelnhagen 482 Bodenmais 254, 256, 257 Bodman, Heinrich F. von und zu 98 Bogenberg 47

Braunsberg 445, 446, 449, 451, 452, 453, 456 Brehme 422, 483 Breisach 75 Bremen 422 Breslau 129, 131, 132, 136, 141, 142, 144, 149, 155, 157, 160, 167, 171, 301 Breuer, Gisela 217 Breuer, Thomas 14, 325 Brier, Alan 483 Bröring, Hermann 435 Broszat, Martin 17 Brückner, Helmuth 136, 166 Brüning, Heinrich 160, 161, 162, 163, 168

Bölxen, August 428

Buchberger, Michael 325, 335, 337, 338, 339, 340, 341, 342, 343, 345, 347, 349, 351, 355

Bommel, Gerhard 336

Bülow, Bernhard von 103

Bonn 55

Bürckel, Josef 199, 201, 206, 209, 213

Bolwin, Leopold 189, 424

Bonndorf 75, 86, 95, 98, 104, 110, 112, 122

Burgsteinfurt 190, 191

Börgermoor 424, 433

Burkhard, Ludwig 208

Borghorst 190, 191

Buscher, Gerhard 422

Borgmann, Wilhelm 413

Busl, Franz 349

Bösing, Wilhelm 430

Caspary, Carl 209

Boßlet, Albert 210

Cham 330, 331, 333

Bracher, Karl Dietrich 212 Branitz 320

Cloppenburg 18, 19, 20, 329, 330, 387, 394, 395, 398, 399, 400, 405

Braun, Helmut 5

Dachau 174, 211, 282, 311, 320

NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS Dankbar, Wettringen 189

Eglseder, Pfarrer 305

Danzig 448

Ehrenfried, Matthias 267, 270, 274, 275, 276, 277, 284, 285

Dargel, Paul 453 Darstein 204, 205, 206, 207, 212, 213

541

Ehrhardt, Franz 141 Eichstätt 203, 267, 326

Deters, Josef 412

Eisele, Fridolin 93

Diebolder, Franz 112

Eisert, Josef 281, 282

Diehl, Ludwig 206

Eisten 423

Diepholz 467, 483

Elbing 445, 446, 450

Dietrichswalde 456

Eley, Geoff 81

Dinklage 391, 398, 467, 483 Dirr (Augsburger Archivar) 101

Emsdetten 5, 175, 177, 178, 179, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 189, 190, 194, 195, 196, 197, 198

Dirr, Theodor 96

Engel, Alois 212, 213

Donaueschingen 75, 83, 90, 98, 112

Engen 111

Dinter 287

Dornhofer, Hugo 361, 362 Dörpen 420, 424

Epp, Franz Xaver Ritter von 336 Erzberger, Matthias 245, 366, 377, 378, 379

Duderstadt 363, 364, 366, 367, 368, 369, 370, 371, 374, 377, 379, 380, 381, 382, 383, 384, 385

Eschweiler, Karl 456, 457, 458

Dünnewald, Anton 188, 193

Esterwegen 420, 424, 433, 434, 441

Dünnewald, Johannes 193 Eberbach 105 Eberhardt, Franz 145 Ebert, Friedrich 206, 366, 377 Echter, Julius 268 Egert, Josef 422 Eggers, Bernhard 423, 436, 441 Eggersdorfer, Franz Xaver 302

Essen 224, 230, 422 Esser, Hermann 273, 295

Faller, Friedrich 106 Falter, Jürgen 9, 205 Fandel, Thomas 206 Faulhaber, Michael von 301, 304, 307, 337, 338 Fehr, Anton 112 Feldbauerschaft 178 Fillusch, Max 134, 135, 137, 145

542

NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS

Fischer, Hans 436

Gladstone, William 76

Fischer, Hans Jochen 436

Glatz 5, 16, 153, 154, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 166, 167, 168, 169, 171, 172, 173, 180, 320

Fittkau, Gerhard 459 Fleischer, Paul 450 Frank, Bonndorf 112 Frankfurt 84

Gleiwitz 5, 129, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151

Frauenau 254, 258, 259

Glöckner, Ernst 116

Freiburg 105, 111, 116

Godesberg 234

Frey, Karl 105

Goebbels, Joseph 68, 201

Freyung 318

Goldenstedt 399, 467, 483

Frick, Wilhelm 199, 299

Göring, Hermann 199, 203

Friesoythe 394

Görres, Joseph 31

Frye, Heinrich 433

Gotha 483

Fukuyama, Francis 59

Götz von Olenhusen, Irmtraud 216

Fulda 157, 193, 230, 282, 389, 450, 453, 456

Gramsci, Antonio 76

Frankenthal 209

Füssen 93 Galen, Clemens August Graf von 195, 196, 226, 227, 228, 229, 236, 238, 393, 456

Grass, Günter 405 Gronewald, Hans 424 Grossbodungen 482 Großenkneten 467, 483

Galen, Franz Graf von 393

Grottkau 145

Garrel 394

Guardini, Romano 41

Geisler, Georg 141, 145, 148

Gülker, Albert 194

Georg V., König von Hannover 408

Günzburg 75, 96

Germersheim 206 Gernrode 482, 483

Guttstadt 450 Haaf, Tobias 276

Gerterode 482

Habelschwerdt 158, 159, 160, 161, 164, 165, 166, 167

Gerwig, R. 87

Häfner, Georg 282

Gibson, Gloria 79

Hagemann, Josef 412, 413

NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS Hagemann, Karen 225

Hertling, Georg von 55, 57

Hannen, Lambert 430

Herz, Jakob 112

Hannover 19, 20, 68, 407, 408, 412, 435

Herz, Peter 112

Hartung, Emil 423 Hartwig, Heinrich 140 Haselünne 420, 423 Hauenstein 5, 199, 201, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212

543

Herzog, Dagmar 217 Hesepe 439 Hesepertwist 435 Hettling, Manfred 77 Heukeshoven, Josef 147, 148 Heuss, Theodor 207

Haus, Peter 206, 207, 213

Heydebreck, Ort 136

Hausdorf 168

Heydebreck, Peter von 135, 136

Heberle, Rudolf 78

Hierl, Johann Baptist 337

Heede 420, 428, 431, 442

Hildesheim 158

Heft, Georg 207

Hille, Martin 297

Hehl, Ulrich von 13

Himmler, Heinrich 303

Heiden 13

Hindenburg 135, 136, 137, 140, 145, 452

Heidtmann, Erich 147, 148 Heilbronner, Oded 5, 9 Heiligenstadt 361, 362, 364, 366, 367, 368, 369, 370, 371, 372, 373, 376, 377, 381, 382, 383, 384, 385 Heilsberg 445, 449, 451, 452, 453

Hindenburg, Paul von 147, 188, 199, 364 Hinrichs, August 393 Hirschfeld, Michael 5 Hirschfelder, Gerhard 174

Hepp, Josef 281

Hitler, Adolf 5, 13, 137, 143, 146, 147, 154, 155, 166, 170, 171, 173, 187, 188, 191, 199, 201, 203, 204, 205, 207, 209, 211, 213, 231, 236, 238, 272, 273, 276, 280, 287, 289, 300, 303, 336, 342, 343, 346, 354, 367, 371, 373, 374, 382, 383, 407, 435, 449, 453

Herbst, Herbert 436

Hoenscher, Paul 145

Heines, Edmund 135, 136 Held, Heinrich 207, 246 Heller, Vitus 269, 275 Hellmuth, Otto 272, 277, 279, 283 Hennersdorf 141

Hoffmann, Adolf 39

544

NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS

Hoffmann, Johannes 39

Kather, Arthur 449

Holthausen 190

Kaufbeuren 93

Holungen 482

Kaufmann, Doris 216

Holzschuher, Wilhelm Freiherr von 309, 336, 342, 352, 355

Kędzierzyn 136

Hopwood, Robert 73 Horstmann, Johannes 289 Horstmar 190

Keiser, August 209, 210 Kemnath 331, 332 Kemnitz, Gauamtsleiter 428

Horten, Pater Titus O.P. 401

Kempten 83, 85, 89, 93, 94, 110, 116, 122

Hövener, Georg 366, 377, 378

Kiefer, Karl Friedrich 93

Hugenberg, Alfred 180, 181, 182, 382, 407

Kieferstädtel 129

Hultschiner Ländchen 327 Hummel, Karl-Joseph 289 Hürten, Heinz 173 Huttler, B. 93 Huttner, Markus 14 Immenstadt 75, 86, 101, 109, 114 Jadasch, Anton 142 James, Verrnon 77 Janssen, Richard 422 Jecker, Hermann 435 Joyce, Patrick 77, 124 Kaczmarek, Ryszard 5, 129 Kaffanke, Thomas 147 Kaller, Maximilian 448, 449, 453, 455, 456, 457, 458, 459 Karlsruhe 84, 104 Karp, Hans-Jürgen 6 Kassel 108

Kiefl, Franz Xaver 337 Kirchbauerschaft 178 Kittel, Manfred 205 Kitzingen 268 Klausener, Erich 211 Kleiner, Fritz 145 Kleinostheim 281 Klenke, Dietmar 6 Klens, Hermann 218, 219 Koch, Erich 453 Koenig, Hans 483 Köhler, Joachim 221 Köln 37, 75, 218, 219, 222, 224, 228, 229, 231, 233, 364, 446, 452 Kolping, Adolf 48, 172 Königsberg 201, 445, 446, 449, 450, 454 Konnersreuth 353 Konradswalde 165

NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS Konstanz 75, 83, 87, 90, 93, 98, 105, 107, 109, 110 Koonz, Claudia 217 Köpenick 205 Kopp, Georg 36 Korte, Hermann 422

545

Legienen 448 Leier, Heinrich 270 Lenzkirch 93, 110 Leo XIII. 52, 177 Leobschütz 136, 138

Koselleck, Reinhart 77

Lepsius, Mario Rainer 10, 23, 24, 25, 30, 37, 58, 59, 243, 289

Koshar, Rudy 73

Liedhegener, Antonius 289

Kösters, Christoph 222, 226

Liegnitz 142, 144

Kraft, Ernst Friedrich 87

Lindau 75, 83, 114

Kralik, Richard von 57

Lindenberg 75, 83, 109, 112

Kramer, Johannes 282

Lingen 408, 409, 411, 412, 413, 422, 423, 431, 432, 435

Krapice/Krappetz 142 Krause, Ernst 452 Krick, Ludwig Heinrich 301 Krone, Heinrich 180, 416 Kuhlemann, Frank-Michael 291 Kuhr, Heinrich 412, 413 Kunzendorf 165 Kunzendorf an der Biele 170 Kuropka, Joachim 5, 6, 483 Laer 190 Landau 203, 207 Landshut 31 Langenhorst, Carl 413 Langhoff, Wolfgang 434 Lathen 430 Laufen 13 Lawrence, Jon 77, 78 Leer 408, 433

Lingenfeld 206 Linz 34 Lipset, Seymour M. 244 Lohne 398, 402, 467, 483 Löning, Martin 418, 424 Loritz, Hans 434 Lörrach 75, 93 Lorup 413 Loth, Wilfried 49, 59, 390 Lublinitz 140 Luckner, Gertrud 217 Lüdtke, Alf 77 Ludwig I. von Bayern 31 Ludwigsdorf 156, 162, 165, 169, 170 Ludwigsdorf-Mölke 168 Lug 206

546

NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS

Luitpold von Bayern 56 Lukaschek, Hans 140, 148 Lüke, Ludger 186, 189 Luther, Martin 205 Lütke, Otto 148 Mackenrode 482 Mackenstein 281 Maier, Johann 345 Mainz 31, 33 Mallmann, Klaus-Michael 432 Mandery, Philipp 213 Mannheim 75 Marienburg 449 Marx, Wilhelm 364, 452 Matern, Georg 452 Mayer, Anton 112 Mayer, Josef 135 Mehlsack 449 Memmel, Theo 274 Memmingen 75, 93 Mentzel 141 Meppen 408, 411, 412, 413, 422, 423, 428, 431, 432, 435, 439, 443 Merger, Jakob 282 Merk, Bonndorf 112 Merk, F. 119 Merk, Otto 85, 110 Merkle, Sebastian Ludwig 269

Meßkirch 75, 83, 86, 98, 105, 110, 122 Meßkirch-Überlingen 97 Metz, Wilhelm 135, 136 Meyer, Josef 138, 148 Miechowitz 145 Milatz, Alfred 9 Mindelheim 96 Mochmann, Ekkehard 483 Molbergen 394 Mönchengladbach 446 Monse, Franz 167 Moosbauer, Max 296, 301, 302, 322 Morio, Josef 209, 210 Morsey, Rudolf 160 Morthorst, Franz 403 Morus, Thomas 427 Mösters, Carl 223 Muggli, Imelda 483 Muggli, William J. 6, 462 Müller, Adam 32 Müller, Dirk 221 Müller, Thomas 483 München 31, 75, 80, 85, 109, 126, 206, 273, 275, 337 München-Freising 280 Münster 31, 34, 43, 45, 159, 175, 189, 192, 195, 218, 219, 222, 223, 226, 228, 229, 289, 329, 330, 389, 390, 391, 424

NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS Münsterschwarzach 283 Musil, Robert 201 Muth, Carl 57 Naab, P. Ingbert 203 Nabburg 331, 333

547

Oldenburg 6, 42, 50, 68, 171, 317, 353, 387, 390, 392, 393, 408, 428, 464, 483 Oppeln 136, 137, 140, 142, 143, 144, 145, 150

Nass, Hein 432, 433

Osnabrück 42, 159, 189, 219, 408, 417, 427, 428, 436, 437

Naumann, Friedrich 40

Osterhofen 305

Nauseney 156, 169, 170

Overberg, Bernard 409, 440

Neisinger, Oskar 279

Ow-Felldorf, Sigismund Felix Freiherr von 42, 301, 308

Neisse 136, 141, 155 Neuarenberg 420 Neuburg 110 Neulorup 420 Neumarkt 326

Paderborn 218, 219, 367 Pankok, Otto 403, 404, 405 Papen, Franz von 43 Papenburg 408, 409, 411, 420, 422, 423, 424, 434

Neurode 156, 158, 160, 161, 162, 164, 165, 167, 168, 169, 171, 172

Papenburg-Obenende 433, 434

Neustadt 9, 116, 122, 326

Nolte, Paul 77

Passau 6, 42, 254, 287, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 299, 300, 301, 303, 305, 306, 307, 309, 310, 311, 312, 313, 315, 317, 318, 319, 320, 321, 356

Nordhorn 422

Passendorf 169, 170

Nordwalde 5, 16, 175, 177, 178, 179, 182, 184, 185, 187, 188, 189, 191, 192, 193, 194, 196, 197

Paul, Gerhard 432

Nürnberg 80

Perlitius, Ludwig 161

O’Sullivan, Michael E. 5, 215

Peucker, Franz 166

Oberlangen 431

Pfisterer, Karl 89, 93

Oberndorf 109

Phayer, Michael 217

Neusustrum 420, 424 Neuvrees 420

Parkstein-Weiden 326

Peiskretscham 129 Pennemann, Theodor 412

Pietrzuch, Konrad 138

548

NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS

Pirmasens 199, 208, 209, 210, 211, 212 Pisa 454 Pius XI. 41

Riermeier, Johann 6 Rinteln 422 Röck, Julius 93

Plesse, Erich 422

Rodenberg, Wilhelm 436, 438, 439

Potempa 137

Rödig, Paul 211

Preiß, Richard 135, 138, 148

Rohe, Karl 69

Preuschoff, Hans 452

Röhm, Ernst 135, 303

Preysing-Lichtenegg-Moos, Konrad Graf von 54, 56

Rom 267, 273, 287, 454

Probst, Adalbert 211 Pückler-Burghauss, Paul von 145 Radolfzell 105 Ramshorn, Hans 145 Rathenau, Walter 366, 377 Ratibor 135, 136, 137, 140 Recker, Klemens-August 5 Regen 10, 250, 252, 254, 305 Regensburg 53, 245, 325, 326, 327, 329, 330, 331, 332, 335, 337, 345, 347, 348, 355

Rosenberg, Alfred 227 Rosenberg, Kreis Gleiweitz 139 Rossbach 135 Rößel 445, 448, 452, 453 Röver, Carl 16, 317, 399, 402, 423 Ruchniewicz, Malgorzata 155 Rühlertwist 435 Ruland, Ludwig 280 Rulle 427 Russek, Erich 145 Rybnik 140

Reichenbach 162

Sachsenhagen 422

Reichensperger, August und Peter 55

Samuel, Raphael 77, 78

Reifferscheid, Gerhard 451

Sattler, F. 119

Reimpell, Osnabrück 189

Sauer, Daniel 283

Respondek, Erwin 145

Schaller, Theo 205

Rhede 430, 435

Schauff, Johannes 42

Rheine 189, 190, 191

Scheddebrock 178

Riemer, Franz Seraph 302, 309, 310, 319, 321, 356

Scheele, Bürgermeister in Nordwalde 193

Sander, Max Xaver 452

NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS Scheglmann, Alfons Maria 337

Speyer 203, 206, 207, 209

Schemm, Hans 327, 336

Spieker, Joseph 224

Scheunemann, Wettringen 189

Spirkelbach 205

Schlageter, Albert Leo 392

Sprachholz, Familie 112

Schmidt, liberaler Politiker 107

Sprachholz, Hermann 110

Schneidemühl 320

St. Blasien 104, 110, 112

Scholder, Klaus 13

Stambolis, Barbara 222, 226

Schönfeld 165

Stedman Jones, Gareth 77, 120

Schreiber, Wilfried 39

Steenfelderfehn 422

Schulte, Kardinal 458

Stegerwald, Adam 56, 168

Schulte, Karl Joseph 228, 233

Stein, Rokkan 244

Schumacher, Kurt 47

Steinfeld 398

Schwab, Georg 210

Steinfurt 175, 177, 185, 190

Schwandorf 326

Stelin, Johannes 145

Schwanheim 212, 213

Stockach 75, 111

Schwarzmüller, Theo 5

Straßburg 83

Schweinfurt 267, 268

Strasser, Gregor 68, 139, 295

Schweins, Pfarrer 195

Straußdörfel 157

Sebastian, Ludwig 210

Straußeney 157

Seibel, Hermann Josef 199, 208, 211

Streicher, Julius 279, 295

Sickinger, Stadtpfarrer 302 Sigmaringen 74, 75, 83, 86, 93 Sögel 423 Somers, Margret 79 Sommer, Georg 199, 203, 208, 209, 210, 211, 212 Sommer, Margarethe 217 Sonthofen 101 Spahn, Martin 452

549

Stresemann, Gustav 115, 206 Stromeyer, Max 93 Stuhm 445, 453 Stuttgart 76, 84 Suhard, Emmanuel 45 Sulzbach 326, 330, 331, 332, 334 Suttorf 178 Szadowski, Propst in Königsberg 449 Tenhumberg, Heinrich 45

550

NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS

Thiel, Andreas 449

Vogl, Adalbert 319

Thompson, E. P. 77

Voigtsdorf 165

Tiengen 94

Vorwerk, Franz 401

Tirschenreuth 349

Wächtler, Fritz 336

Titisee 122

Wagner, Adolf 317, 318, 319, 336, 353

Tost 129, 140 Tost-Gleiwitz 10, 129, 131, 132, 133, 138, 141, 143, 144, 149, 150 Traba, Robert 454 Trepp, Leo 401 Triberg 106 Trier 32, 42, 218 Tritscheller, Paul 87, 93 Turban, Dr. 98 Überlingen 116 Ulitzka, Carl 140, 144 Unterburger, Klaus 6 Valentin, Veit 33 Vechta 9, 18, 20, 21, 387, 390, 391, 394, 398, 399, 401, 402, 403, 464, 466, 467, 472, 473, 477, 478, 480, 482, 483

Wagner, Josef 106 Wahlhausen 482 Wahn 423 Waldshut 104, 110, 111 Waldzell 423 Wallishauser, Friedrich 101, 110 Walterhofen 109 Wanowitz 138 Wassmannsdorf, Dr. 98 Weener 408, 433 Wehler, Hans-Ulrich 50, 440 Weiden 326, 331, 332 Weimar 40, 300 Weishaar, E. 119 Weishaar, Familie 112 Weismantel, Leo 269

Verdun 136, 207

Weiß, Wolfgang 6

Vernon, James 77

Weissenborn-Lüderode 482

Versailles 6, 203, 361, 363, 365, 367, 370, 371, 373, 376, 379, 386

Westerode 178

Villingen 99, 104

Wetzler, Friedrich 208, 209

Vilshofen 405

Wien 31, 299

Visbek 467, 483

Wildeshausen 467, 483

Vögel, J. 112

Wildpoldsried 122

Wettringen 189, 191

NAMENS- UND ORTSVERZEICHNIS

551

Wilgartswiesen 205

Wolker, Ludwig 44, 223, 228

Wilhelm I. 94

Worbis 422, 482

Wilhelm II, dt. Kaiser 435

Worgitzki, Max 454

Wilhelm, Herbert 210

Würzburg 51, 265, 266, 267, 268, 269, 274, 275, 276, 277, 281, 282, 285, 286, 337

Wimmer, Friedrich 336 Windthorst, Ludwig 6, 52, 54, 55, 407, 408, 416, 442, 443 Wintzingerode 482 Wirschinger, Heinrich 336 Wittig, Joseph 156, 172 Wittstadt, Klaus 276 Wolfach 9 Wolfstein 318

Ziegler, Walter 14, 312, 323 Ziemann, Benjamin 14 Zipser, Alois 141 Zumholz, Maria Anna 6, 21 Zürich 13 Zwiesel 254, 256, 257, 258

AUTORENVERZEICHNIS

WINFRIED BECKER, Prof. Dr. phil., Universität Passau HELMUT BRAUN, PD Dr. rer. pol., Universität Regensburg ODED HEILBRONNER, Dr. phil., Hebräische Universität Jerusalem, Israel MICHAEL HIRSCHFELD, PD Dr. phil., Universität Vechta RYSZARD KACZMAREK, Prof. Dr. phil., Schlesische Universität Kattowitz, Polen HANS-JÜRGEN KARP, Dr. phil., Marburg DIETMAR KLENKE., Prof. Dr. phil., Universität Paderborn JOACHIM KUROPKA, Prof. Dr. phil., Universität Vechta WILLIAM MUGGLI, Prof. Ph.D., St. Paul, USA MICHAEL O’SULLIVAN, Ass. Prof. Dr., Marist College Poughkeepsie/New York, USA KLEMENS-AUGUST RECKER, Dr. phil., Osnabrück JOHANN RIERMEIER M.A., Malching THEO SCHWARZMÜLLER, Dr. phil., Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde, Kaiserslautern KLAUS UNTERBURGER, PD Dr. theol., Westfälische Wilhelms-Universität Münster WOLFGANG WEIß, Prof. Dr. theol., Julius-Maximilians Universität Würzburg MARIA ANNA ZUMHOLZ, Dr. phil., Universität Vechta

Baden / Schwaben

Rheinland / Westfalen

Münsterland

Emsland

Pfalz

Oldenburger Münsterland

Passau

Bayerischer Wald

Oberpfalz

Unterfranken

Eichsfeld

Grafschaft Glatz

Ermland

Oberschlesien

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(Der R9tChsdurchschnm betrug 43 .9°.,)

Aus: Karl-Joseph Hummel/Michael Kißener (Hg.), Die Katholiken und das Dritte Reich. Kontroversen und Debatten, Paderborn u.a. 2009, Anhang