Graf Rechberg: Vier Kapitel zu seiner und Österreichs Geschichte [Reprint 2019 ed.] 9783486755312, 9783486755305

173 128 7MB

German Pages 160 [164] Year 1927

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Graf Rechberg: Vier Kapitel zu seiner und Österreichs Geschichte [Reprint 2019 ed.]
 9783486755312, 9783486755305

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Kapitel 1. Der Aufstieg
Kapitel 2. Das Ende der österreichischen Vormacht in Italien
Kapitel 3. Der Polenaufstand von 1863
Kapitel 4. Der Ausgang
Beilagen

Citation preview

FRIEDRICH ENGEL-JÂNOSI

GRAF RECHBERG VIER KAPITEL ZU SEINER UND ÖSTERREICHS GESCHICHTE MIT EINEM TITELBILD GRAF RECHBERGS

M Ü N C H E N UND BERLIN 1927 DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG

Alle Rechte, einschließlich der Obersetzung, vorbehalten. C o p y r i g h t 1937 by R. O l d e n b o u r g , M ü n c h e n .

Meines BRUDERS RUDOLF,

der am 1. J u f i 1917 im Sturmangriff Bei KoniuSy in Treue gedenkend.

fief,

INHALT. Kapitel i.

Der Aufstieg

Kapitel 2.

Das Ende der österreichischen Vormacht in Italien

35

Kapitel 3.

Der Polenaufstand von 1863

77

Kapitel 4.

Der Ausgang

Beilagen

i

123 I

4I

— VII —

Vorwort Vor allem bin ich Gräfin Gabrielle Rechberg für die Erlaubnis zu uneingeschränkter Benützung des Privatnachlasses des Ministers und für manche Vorarbeit und Hilfe zu Dank verpflichtet, insbesondere für die mir freundlichst mündlich gemachten Mitteilungen, wie ich für solche — besonders das letzte Kapitel betreffend — auch Freiherrn Dr. von Haerdtl an dieser Stelle verbindlichst danken möchte. Wo bei Zitierung von Archivalen keine Provenienz angeben, entstammen dieselben den gräflich Rechbergschen Papieren, die zum Teil im Familienarchiv in Donzdorf (Württemberg), zum Teil in Enns (Oberösterreich) aufbewahrt werden. Die Herren im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien bitte ich, für ihr überaus freundliches Entgegenkommen meinen aufrichtigsten Dank entgegenzunehmen; Dozent Dr. J. Mayr hatte die besondere Freundlichkeit, mich die betreffenden Jahrgänge aus den wichtigen, von ihm zur Publikation vorbereiteten Tagebüchern des Freiherrn von Kempen, des ehemaligen Polizeiministers, durchsehen zu lassen. Ich darf ferner auch dem Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem, dein Archiv des preußischen Staatsministeriums sowie dem Geheimen Haus- und Staatsarchiv in München meinen ergebenen Dank ausdrücken. Von der deutschen Frage seit 1859 wurde nur das für den Zusammenhang Notwendigste besprochen, da Prof. H. v. Srbik hierüber eine Aktenpublikation vorbereitet. Die deutschpreußische Politik des Grafen Rechberg als Minister wurde zum erstenmal von Heinrich Friedjung in dessen „Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland" in richtigeres Licht gesetzt; über die innerstaatlichen Gedankengänge Rechbergs enthält Joseph Redlichs Werk über „Das österreichische Staats- und Reichsproblem" wichtige Ausführungen. Der Erkenntnis der Gedankenwelt Rechbergs ist in H. v. Srbiks „Metternich" grundlegend vorgearbeitet.

— VIII —

Ich darf endlich erwähnen, daß mir jedwede politische Absicht oder Bindung ferne gelegen ist und mein Bestreben lediglich gegolten hat, Beiträge zur Geschichte eines lange verkannten Staatsmannes zu geben, dessen Leben und Sorgen der Idee und dem Staate Oesterreich gewidmet waren. Vielleicht ergibt sich auch aus diesen Darlegungen, daß die Fragen tiefer und vielfältiger waren, als die, denen der Erfolg endgültiger Maßstab ist, anzunehmen geneigt sind. W i e n , 30. Juni 1927.

K a p i t e l 1. Am 17. Juli 1806 wurde Bernhard Graf von Rechberg und Rothenlöwen geboren, Sprosse des uralten schwäbischen Geschlechtes, dessen Stammburg dem Hohenstaufen gegenüberliegt. Sein Vater hatte Bayern am Wiener Kongreß vertreten und dann die auswärtige Politik dieses Staates geleitet. Dem Gedankenkreis des Fürsten Metternich nahestehend, war der Minister bereit, die Suprematie Oesterreichs in Deutschland als eine politische Notwendigkeit um der Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung willen anzuerkennen. Seine Briefe an den Fürsten bezeugen die Verehrung, die er für den überlegenen Lenker Zentraleuropas hegte. „Votre amitié, votre confiance," bekannte der scheidende Minister dem Staatskanzler, „m'ont encouragé et m'ont soutenu dans des moments pénibles, sans votre appui j'aurais plusiers fois succombé" 1 ). Den nationalen Kreisen Bayerns, die sich um den Kronprinzen Ludwig scharten, galt solche Anlehnung an Oesterreich als Verrat. Rechberg und seine Freunde trugen ihrer Meinung nach die Schuld, daß „der kurze Glanz und die europäische Selbständigkeit" Bayerns vergangen war*). Als Ludwig im Oktober 1825 den Thron bestieg, wurde dem Minister der härteste Kampf mit dem Monarchen vorausgesagt'), und knapp zwei Wochen nach dem Tod des alten Königs schied Graf Aloys aus dem Amt. Er hatte die Gnaden in Gold, die man ihm zu geben bereit war, abgelehnt, obwohl er über kein großes Einkommen verfügte. Seine Aeußerungen über den neuen Monarchen blieben auch unmittelbar nach seinem Sturz ruhig und beherrscht. Von nun an lebte er ausschließlich der Erziehung seiner Söhne. Graf Bernhard, damals neunzehn Jahre alt, war gleich vielen anderen seiner Familie, die zu Bayern wie zu Württemberg in engeren Beziehungen stand, für den bayerischen Staatsdienst bestimmt und zahlreiche Aeußerungen seiner Verwandten bezeugen, daß ihm eine schöne Zukunft prophezeit wurde 4 ), wenn auch kritische Bemerkungen des Vaters nicht fehlten. Bayern lehnte Ende 1828 das Ersuchen Bernhards um Aufnahme in 0 ») ®) *)

St. A . W i e n , B e r i c h t e . M ü n c h e n 1825. 26. O k t o b e r . H e i n r i c h v. L a n g , I d y l l e n und K ä m p f e . W i e n 192S, 212. St. A . W i e n , B e r i c h t e . 20. O k t o b e r . S o a u c h G r a f A l o y s an M e t t e r n i c h , St. A . 182s, 31. O k t o b e r .

Engel-Jânoai, Rechberg

J



2



den Staatsdienst ab, Graf Aloys empfand die Ablehnung als persönlich gegen sich gerichtet Man bekämpfte die Richtung, die er vertreten, noch in seinem Sohn. Um dessen Zukunft willen hatte er bei seinem Scheiden auf alle Gnade und Gunst verzichtet, man wollte sich daran nicht erinnern. So entschloß er sich, an den sich zu wenden, dessen Freundschaft ihm die Ungnade gebracht hatte. Er bat Metternich, seinen Sohn, wie er es schon bei seinem Austritt aus dem Ministerium angedeutet hatte, in österreichische Dienste aufzunehmen, und der Staatskanzler willigte ein. Zuerst wurde Bernhard der Gesandtschaft in Berlin zugeteilt und nach anderthalbjähriger Probezeit dortselbst wurde ihm am 12. November 1830 in Preßburg das Schreiben ausgefertigt, laut welchem Bernhard Graf Rechberg als unbesoldeter Legationssekretär in den östereichischen Staatsdienst aufgenommen wurde. Er durfte sich sagen, daß er unter dem Protektorat des Staatskanzlers stand. Dementsprechend schien Graf Bernhard die Laufbahn erfolgreicher junger Diplomaten einzuschlagen. Er wurde in London, Darmstadt und Brüssel zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten verwendet, doch hatte er noch keine besoldete Stellung erlangt, als die österreichische Vertretung in Brüssel 1838 aufgelöst wurde5). Wohl wurde er in Wien freundlich empfangen und in den Kreis Metternichs aufgenommen; aber es begann nun ein jahrelanges untätiges Warten auf einen aussichtsreichen Posten. Die Einkünfte, die ihm sein Vater bieten konnte, reichten nicht; er mußte seine Verwandten bitten, Frau und Kind zu sich zu nehmen. — Eine Aussicht nach der anderen zerrann; seine Stimmung war tief gedrückt; er fühlte sich ausgeschaltet, er war übergangen worden, seine Zeit verfloß nutz- und sinnlos. Endlich nach dreijähriger Untätigkeit wurde er Mitte Mai 1841 nach Stockholm ernannt und war nun wieder, wenn auch auf einem Seitenarm, in fließendem Wasser*). In Stockholm konnte er in Vertretung die Geschäfte bald selbständig leiten. Die erste, durchaus selbständige Sendung führte Rechberg nach Brasilien. Von 1844—1847 hat er Oesterreich am Hofe von Rio vertreten. Wichtige Aufgaben fand er nicht, es gab keine mächtigen Interessen, die er dort zu beschützen oder zu bekämpfen hatte. Seine Berichte, die das volle Lob der Vorgesetzten gefunden haben, sind fast lediglich referierend gehalten. Zu irgendeiner aktiven Stellungnahme hatte der öster5 ) An seinen Bruder, 1. Mai 1838. *) Gesuch 20. Mai 1841 um Ernennung nach St. A., seine Ernennung 25. Juni 1841 ebendort.

Stockholm

im

-

3



reichische Gesandte keine Gelegenheit 7 ). Das Leben in Rio, gelegentliche verheerende Krankheiten ausgenommen, scheint in jenen Jahren so manche Annehmlichkeit geboten zu haben. Der Kaiserstaat war im Begriff, die Periode der Bürgerkriege zum glücklichen Abschluß zu bringen, die Monarchie schien trotz allen Intrigen, die ununterbrochen am Hofe spielten, befestigt, wenn sich auch keines der in diesen Jahren sich durchwegs liberal nennenden Ministerien längere Zeit halten konnte. Der Vertreter und Nachfolger Rechbergs in Rio findet in den 50er Jahren immer wieder Anlaß zu klagen, wie sehr das einst so schöne Leben der Stadt sich gewandelt habe. Zu Rechbergs Zeiten wurde die Gesandtschaft, in einem Landhaus in einiger Entfernung von der Hauptstadt untergebracht, hauptsächlich zur Vertretung wirtschaftlicher Interessen einigermaßen in Anspruch genommen, zumal da die Regierung unter dem Drucke der sogenannten öffentlichen Meinung die Begünstigungen des Auslandes im allgemeinen einzuschränken suchte"). Die politischen Ereignisse, die dem jungen Gesandten Einblicke in den Organismus einer pseudodemokratischen Konstitution gewährten, schienen nur bestimmt, einige Spannung in das sonst eintönig tropische Dasein zu bringen. Die Beziehungen im diplomatischen Korps wie in der Gesellschaft überhaupt waren im wesentlichen angenehm. Rechbergs Briefe an seinen in Württemberg gebliebenen Sohn schildern schöne Nachtfeste im Hafen von Rio. Freilich, welchen Wert mochte dieser Posten für die Entwicklung eines jungen Staatsmannes bieten. Lediglich ein negativer könnte festgestellt werden in Anlehnung an die Bemerkung Hübners'), daß den österreichischen Diplomaten im Ausland die Einwirkungen der schweren und einschläfernden Luft, welche in jenen Jahren auf der Monarchie lastete, erspart geblieben sind. In der Tat war es nicht die jüngere Generation der vor den Märztagen in Wien Verbliebenen, die den Wiederaufbau des Kaiserreiches versuchten. Der häufigste Briefschreiber nach Rio scheint Moritz Graf Fries10) gewesen zu sein. Dem herz' ) M a n vergleiche höchstens die Berichte, 12. S e p t e m b e r 1846, in denen er von Unterdrückungen der deutschen K o l o n i e in P e t r o polis spricht, oder seine Proteste 22. Sept. 1846 w i d e r die A n g r i f f e der brasilianischen Presse Regen das k o n s e r v a t i v e O e s t e r r e i c h . 8) A n Fries, 19. März 1844. •) Ein Jahr meines Lebens, 73. 10 ) Im Staatsschematismus 1 8 4 4 — 4 7 erscheint M o r i t z Graf Fries als Legationsrat in a. o. Verwendung der S t a a t s k a n z l e i . 1*

liehen Tone der Briefe an Rechberg zufolge hat den Gesandten, der dem Metternich-Kreise angehörte, aufrichtige Freundschaft mit dem Anhänger der niederösterr. Stände-Opposition verbunden. Fries, der fast an jeder Aktion der ständischen Kampfgruppe teilnahm11), verleugnete Rechberg gegenüber nicht, wie skeptisch er dem österreichischen Staatsgebilde jener Jahre und der Weisheit der Regierenden gegenüberstand und verschwieg ihm auch nicht seine, wenn auch nur vage Ueberzeugung von dem Endsieg des Konstitutionalismus. Zweifel an der Haltbarkeit des Bestehenden waren auch in den Kreisen um den Staatskanzler durchaus heimisch 11 »), dort jedoch mit Angst vor der hereinbrechenden Zukunft gepaart. Fries aber erwartete die kommende Völkerbewegung, fühlte zu ihr Vertrauen, während alles, von dem er sich umgeben sah, ihm als Chaos erschien. Gelegentlich dachte er wohl selbst daran, zum Aufbau einer neuen Ordnung des Staatslebens mitzuwirken; allein nach dem Scheitern eines Versuches zur Verwaltungsreform resignierte er schnell, verzichtete auf jede Wiederholung. Monatelang wußte er sich in den Wäldern und Jagden des Salzkammergutes von jeder politischen Sorge zu trösten. Man glaubt auch hier jenen Typus des österreichischen Frondeurs zu erkennen, den ein anderer junger Diplomat des Metternichschen Kreises in den beginnenden 50er Jahren in Wien gefunden hat; die Politik ist schließlich nur Nebeninteresse; beschäftigt man sich mit ihr, so geschieht es, um jede Verfügung der Regierung zu tadeln; doch die Regierung kann die Tadler ohne Sorge sprechen lassen, denn keine Tat folgt der satirischen Bemerkung. Im August des Jahres 1847 kehrte Rechberg nach Europa zurück. Bei seiner Ankunft scheint er die Ueberzeugung gewonnen zu haben, daß seine Ehe l l b ) endgültig gescheitert war. Ebenso mußten die allgemeinen Zustände, die er in Wien am Vorabend der Revolution antraf, schwer und drückend auf ihm lasten. E r mußte, wovon ihm Fries so oft gesprochen, Symptome eines drohenden Zerfalles des staatlichen Organismus erkennen. Für ein günstiges Fortkommen im diplomatischen Dienste bot sich dem nunmehr 41jährigen keine Aussicht. Alle " ) Hierüber vgl. Bibl, Die niederösterreichischen Stände im Vormärz. " • ) Z. B. Gentz' AeuBerung zu Prokesch am 26. März 1830. Dessen Tagebücher, 23. llb ) 1837 mit einer englischen Aristokratin geschlossen. Der Ehe w a r ein Sohn entsprossen.



5



Posten, so klagte er, halten an Jahren und Rang Aeltere besetzt. Er war nach wie vor gern gesehen, aber ohne Einfluß und ohne Bedeutung. Der Ausbruch der österreichischen Revolution im Jahre 1848 förderte Rechberg zunächst in keiner Weise, da er den Kreisen liberaler oder auch nur oppositioneller Gesinnung nicht angehörte. Da war es eine Tat rein persönlicher Gefolgschaftstreue, die den Bann des Durchschnitts, der auf Rechbergs Schicksal bis dahin gelegt war, zum erstenmal durchbrach. Der Gesandte in Brasilien hatte sich einer besonderen Berücksichtigung Metternichs nicht zu erfreuen gehabt, doch war er es, der dem Staatskanzler und seiner Familie zur Seite blieb, als dieser sich nach seinem erzwungenen Rücktritt von fast allen verlassen sah. „Die Flucht der Familie Metternich," schrieb Rechberg am 14. März 1848, „bei welcher ein paar treue Freunde die Menge der Schmeichler, die sie umgeben hatten, ersetzten, war ein herzzerreißendes Schauspiel." Rechberg bringt die Kinder des Kanzlers aus dem aufständischen Wien und begleitet dann den Fürsten auf dessen beschwerlicher und gefährlicher Flucht durch Oesterreich und Deutschland bis zum Haag 11 ). Auch in jenen Tagen hat solche völlig selbstlose Aufopferung eines Mannes, dessen Angehörige selbst vom Aufruhr bedroht waren, nicht verfehlt, tiefen Eindruck auf die zu machen, welche sie zu würdigen wußten"). Metternich war binnen weniger Tage derart verfemt, daß die kaiserliche Familie, der er in prominentester Stellung jahrzehntelang seine Dienste gewidmet hatte, ängstlich vermied, mit ihm in direkten Verkehr zu treten. Sie ließ den in schwerer wirtschaftlicher Bedrängnis 1 *) lebenden greisen Staatsmann im Exil auch ohne diese moralische Stütze, und wer Metternichs Charakter kennt, ahnt, wie schwer er solche Haltung empfand. Es ist kaum zu überschätzen, welche Bedeutung für Rechbergs Entwicklung diese treue Gefolgschaft hatte. Das politische Denken wie " ) D i e Mitteilungen R e c h b e r g s an seine F a m i l i e über die F l u c h t sind publiziert von S t e r n - R u b a r t h , S t u r z und F l u c h t M e t t e r n i c h s , in „ D e u t s c h e R u n d s c h a u " 1924. " ) W i e n , 25. A p r i l 1848, an Metternich: W ä r e ich als siegreicher F e l d h e r r zurückgekehrt, ich hätte von vielen Seiten nicht b e s s e r e m p f a n g e n werden können. 14 ) F ü r s t i n Metternich an R e c h b e r g , 26. F e b r u a r 1849: W i r leben von meinen verpfändeten D i a m a n t e n . . . Ich hätte meine D i a m a n t e n l ä n g s t v e r k a u f t , wenn ich sie anbringen könnte, aber niemand will sie.



6



die politische Stellung Rechbergs erhielten nun ihren Mittelpunkt Er hatte stets zur Gefolgschaft des Fürsten gezählt, nunmehr war ihm diese Stellung auch nach außen hin unweigerlich zugewiesen. An ihn richtete der Fürst seine Briefe, die die Fragen des politischen Alltags vom Standpunkt des Systems aus zu würdigen und einzureihen versuchten"); Rechberg wurde — es geht dies auch aus den Briefen des Fürsten an Kübeck hervor — zum Mittler zwischen Metternich und jenem Teil von Oesterreich, der zu seinem alten Kanzler aufzublicken nicht aufgehört hatte. Der Geist Rechbergs, aufrichtig, genau und mutig, aber mit eigentlich schöpferischen Fähigkeiten nicht begabt, wurde nun im Briefwechsel mit dem Fürsten nochmals mit den Grundzügen des Systems in Verbindung gesetzt; am Abend, bevor, und in den ersten Zeiten, da der Graf tätig in die Politik einzugreifen begann, wurde ihm nochmals die Weisheit der abtretenden Generation vorgetragen. Es kann kein Zweifel sein, daß Rechberg sich ihr zunächst ganz verbunden fühlte. Einem Detmold galt er in Frankfurt als typischer Vertreter der alten Schule. Aus Metternichs Briefen empfing nun Rechberg von neuem die Botschaft von den zur oligarchischen Herrschaft berufenen europäischen Großmächten, von der europäischen Staatengesellschaft, deren Recht Uber dem Egoismus des Einzelstaates stehe. Von Metternich lernte er, daß diese Auffassung des europäischen politischen Lebens den Schwerpunkt in der Einigkeit Zentraleuropas und somit in der Lösung der deutschen Frage erblickte. Hatte diese Frage den Geist des Kanzlers, der Europa seine Heimat nennen durfte1*), stets intensiv beschäftigt: angesichts der deutschen Wirren und Gärungen dieser Jahre wurde sie ihm vollends zum Mittelpunkt17). „Deutschland bildet den Mittelpunkt des großen Fahrzeuges, das Europa heißt, und ist somit die Stelle, wo der Ballast ruhen muß. Denn man legt ihn nicht in das Vorderoder in das Hinterteil des Schiffes" 18 ). Dieses Hauptproblem erforderte für den Kanzler die Einigkeit zwischen den beiden deutschen Großmächten, die Einigkeit zwischen Oesterreich und Preußen; die ungeschmälerte Aufrechterhaltung beider " ) V g l . die Ausführungen H. v. Srbiks, Metternich, Bände I u. II. " ) Metternichs Ausspruch zu Wellington 1824 bei Srbik, I, 320. 1T ) Fürstin Metternich an Rechberg, 26. Februar 1849: Mein lieber Mann ist hauptsächlich um die deutschen Angelegenheiten besorgt, die er für viel gefährlicher hält als irgendwelche anderswo. l a ) Metternich an Rechberg. 14. Mai 1849.

Staaten war ihm europäisches wie deutsches Bedürfnis. In Deutschland traten, wie in einem Brennspiegel, die europäischen Kämpfe zwischen Fürsten- und Volkssouveränität, zwischen dem Recht der Nation und dem des Staates in Erscheinung, und der deutsche Staatenbund hatte das System der europäischen Mächte im Abbild wiederzugeben; er allein und nicht der Bundesstaat hatte die systematische Berechtigung. Rechberg hörte, daß es Oesterreich im besonderen war, dem seiner eigensten Natur nach der Schutz der europäischen Staatengesellschaft und ihres Rechts im Kampf gegen die umstürzenden Gewalten anvertraut worden sei. Und Metternich betonte endlich, daß das System der Aufrechterhaltung der politischen Rechte seine letzte Weihe davon empfange, daß nur unter deren Schutz die bestehende soziale Ordnung gewahrt werden könne. Dabei entspricht es den Zeitumständen des Briefwechsels, daß Metternich weniger als früher die Pflicht zum aktiven Regieren als die zur Aufrechterhaltung des Bestehenden betonte und er, der als aktiver Staatsmann die „Kraft der Dinge" so wohl in Rechnung zu ziehen verstand1'), beschränkte sich nun als außenstehender Beobachter auf den Rat: nichts von dem bankerotten Jahre 1848, aber alles von dem rechtskräftigen Jahr 1815 zu entlehnen. Freilich hatte er auch geschrieben, daß er die Wiederkehr des Alten nicht wolle, daß er wisse, dies sei unwiderruflich verloren. „Die Verkleisterung kann nicht halten, und geschehe was immer, nie wird es wieder das Alte." Aber alle seine Ratschläge riefen dieses Alte immer wieder an. Wie der Primat der Staatengemeinschaft gegenüber dem Einzelstaat festgehalten wurde, so stand der der sozialen Betrachtung vor der nur politischen außer Frage. Oesterreich übernahm somit eine doppelte Aufgabe, indem es gegen die Umsturzpartei kämpfte. Oesterreich — und diese Auffassung ist für Rechbergs ganzes politisches Leben maßgebend geblieben — war vom Schicksal zum Vorkämpfer für die politische und für die soziale Ordnung vorherbestimmt. Im Kaiserstaat schienen durch eine seltene Gunst der Umstände europäisches Recht und eigenstaatliches Interesse zusammenzufallen, und diese Oesterreich vorbehaltene Kraft im Recht sollte die eine der Wurzeln werden, die später im Augenblicke höchster Gefahr Rechbergs Glauben an die Zukunft seines Staates aufrechthielt. Der Einordnung der Ereignisse in diese Bezüge des »•) Srbik, a. a. O., I, 399; Metternich an Rechberg, 16. Dezember 1848, 18. September 1849.



8



Systems galten die gelegentlich auch für weitere Kreise bestimmten Briefe Metternichs aus der Verbannung. Noch als der Graf den flüchtenden Staatskanzler begleitete, hatte er den Entschluß kundgegeben, sich sofort nach seiner Rückkehr seiner Regierung zur Verfügung zu stellen. Es scheint nicht, daß er zunächst in wichtigerer Stellung verwendet worden wäre. Erst als Fürst Schwarzenberg, im weiteren Sinne zumindest aus dem Kreise Metternichs kommend, die Zügel der Regierung ergriff, wurde Rechberg mehr Aufmerksamkeit zuteil. Ein Wendepunkt in der österreichischen Geschichte schien damals eingetreten. Der nach soviel Wirren sich energisch wieder aufrichtende Kaiserstaat gewann binnen kurzem innerhalb und außerhalb seiner Grenzen das Ansehen einer führenden Großmacht zurück. Es ist aus den Briefen Prokesch', des damaligen Gesandten in Berlin, zu ersehen, mit welchem Vertrauen und Hochgefühl die jüngeren österreichischen Diplomaten zu dem energisch zugreifenden Premier aufblickten, dessen gewiß, daß unter seiner Leitung das Ansehen Oesterreichs und seiner Vertreter nimmer Schaden nehmen werde. Auch die Jünger Metternichs blickten in bedingungsloser Verehrung zu Schwarzenberg auf10), obwohl bald kein Zweifel sein konnte, daß ihm nicht mehr das gemeinsame Interesse der europäischen Staatenoligarchie und das Recht ihrer Verträge, sondern einzig das klar geschaute souveräne Einzelinteresse Oesterreichs als Großmacht im Brennpunkt stand. Rechberg gewann rasch das Vertrauen Schwarzenbergs; er wurde vom Fürsten in den deutschen Angelegenheiten verwendet, und während er mit dem Altkanzler Briefe wechselte, begann er in den Bannkreis des Mannes zu treten, der es auch schriftlich festlegte, daß in großen und entscheidenden Augenblicken eine „minder strenge Rechtsauslegung und Anwendung der Rechtsgrundsätze oft zum Gebot der Selbsterhaltung werde, daß nur Taten und nicht Rechtssätze Tatsachen zu bewältigen vermöchten"11). Nicht geringer aber als in den Zielen der Politik war auch die Verschiedenheit in den Mitteln, mit denen die neue Regierung Oesterreichs den Kaiserstaat wieder aufzubauen begann, indem sie der höheren Beamtenschaft weitgehende Macht hiezu gab, während Metternich in der Bureaukratie die Quelle, den Ausgang der Revolution erblickte. Rechberg, zur Zeit der Krise der M)

Rechberg an Schwarzenberg, 28. November 1848, St. A. « ) Schwarzenberg an Erzherzog Johann, 7. Dezember 1849, St. A . Weisungen Frankfurt.



9



Beamtenherrschaft zur Regierung berufen, hat vergebens versucht, zwischen diesen Anschauungen, hinter denen die beiden mächtigsten Klassen des Reiches standen1*), zu vermitteln. In Felix Schwarzenberg, mit dem der Kaiserstaat eine Generation früher als seine Rivalen in Nord und SUd einer neuen Erfassung der Politik sich zuzuwenden schien, begann die zweite starke politische Kraft des damaligen Oesterreich auf Rechberg Einfluß zu nehmen. Wenn auch somit von anderen Prinzipien ausgehend, in den deutschen Fragen deckten sich fürs erste die Ansichten des geflüchteten und des gebietenden Staatslenkers Oesterreichs. Zu Jahresende") richtete Metternich einen Brief an Rechberg, um nochmals seine Anschauung in der deutschen Frage zu formulieren. Er sah auch hier den Kampf zwischen Fürsten- und Volkssouveränität, wobei die Anhänger der letzten vergaßen, daß es sich nicht um deutsche Einheit, sondern nur um deutsche Einigkeit handeln könne. Denn wäre die Souveränität der Fürsten vertilgt, so würde man in Deutschland auf die weit schwerer zu besiegende Souveränität der Stämme stoßen. In Deutschland schien sich für Metternich die europäische Lage im verkleinerten Maße zu wiederholen; hier wie dort verwarf er eine Universalmonarchie und erstrebte die Führung der sich gegenseitig achtenden Großen bei weitgehender Berücksichtigung der historischen Selbständigkeit der Kleinen. Zunächst war es auch Schwarzenbergs Ziel, eine Alleinherrschaft, die damals nur die Preußens sein konnte, von Deutschland abzuwehren. Die Missionen, mit denen er Rechberg um die Jahreswende an die Höfe von Bayern und Württemberg sandte"), dienten diesem Zweck. Auch an den süddeutschen Residenzen war die Erneuerung des österreichischen Ansehens deutlich bemerkbar, so daß Rechberg im wesentlichen Erfolg hatte. Dann trat er mit den Führern sowohl der Kleindeutschen als der Großdeutschen in Frankfurt, mit Gagern wie mit Schmerling in Fühlung, wofür ihn Schwarzenberg angewiesen hatte, einzig nach Zeitgewinn zu trachten. " ) U e b e r diese F r a g e die U n t e r s u c h u n g e n Joseph R e d l i c h s in „ O e s t e r r e i c h i s c h e s R e i c h s p r o b l e m " I. F ü r die A n s c h a u u n g e n M e t ternichs sein Brief an R e c h b e r g , 10. M ä r z 1851. « ) 17. D e z e m b e r 1848. « ) H i e r ü b e r besonders Helfert, Geschichte O e s t e r r e i c h s , I V / 3 , 84 ff., dessen D a r s t e l l u n g auf den A k t e n des St. A . a u f g e b a u t ist. Einzelne B e m e r k u n g e n über diese Missionen in B r i e f e n R e c h b e r g s und bei H ü b n e r , E i n Jahr meines Lebens.



10



Denn der Ministerpräsident erwartete den Ausschlag für die künftige Gestaltung Deutschlands von nichts weniger als von dem Ringen ideeller Kräfte. Bisher waren die Oesterreicher und ihre Freunde in Frankfurt bemüht gewesen, die deutsche Zentralgewalt mit großdeutschem, wohl auch mit österreichischem Geist zu erfüllen. Um die Schaffung eines deutschen Bundesstaates, dessen mächtigstes Glied Oesterreich sein sollte, hatte Schmerling, der Bevollmächtigte des Kaiserstaates bei der provisorischen Zentralgewalt, gerungen. Schwarzenberg aber wollte den Bundesstaat nicht, in keiner Form. Am 12. März 1849 gab Schmerling seine Entlassung. Dem Führer der großdeutschen Kreise im Frankfurter Parlament schien es mit seiner Ueberzeugung unvereinbar, noch weiterhin in seiner Stellung zu wirken, nachdem Oesterreich am 4. März eine den gesamten Kaiserstaat gleichmäßig vereinende Verfassung erhalten, nachdem es den Eintritt in den Deutschen Bund gleichmäßig für alle seine Länder und Provinzen gefordert hatte und dabei vollends über diesen Eintritt unklar und mehrdeutig sich aussprach. Schwarzenberg nahm das Entlassungsgesuch des früheren Ministerpräsidenten der Zentralgewalt kühl und überlegen an; es läge der österreichischen Regierung fern, dem Willen Schmerlings Gewalt antun zu wollen18). Am 23. März wurde Rechberg zu seinem Nachfolger ernannt. Unter dem Eindruck der neuen österreichischen Verfassung wählte wenige Tage später die Nationalversammlung den König von Preußen zum Deutschen Kaiser. Schmerling schrieb damals, selbst in dem Falle, daß der König die Wahl nicht annehme, sei doch Oesterreich, dem mächtigen Oesterreich, die Schmach geworden, daß in einem deutschen Parlament, in dem seine Vertreter saßen, der zweite deutsche Fürst zu einem erblichen Kaiser gewählt, daß dem König von Preußen Gelegenheit gegeben worden war, einen Akt der Großmut auszuüben, indem er eine ihm angebotene Krone ausschlüge. Als Rechberg am 10. April in Frankfurt eintraf, war der Höhepunkt der Oesterreich feindlichen Krise in der ersten deutschen Volksvertretung bereits überschritten. Etwa zwei Wochen waren seit der Kaiserwahl vergangen. Nunmehr kehrten die Deputierten der Nationalversammlung aus Berlin zurück, enttäuscht von der Antwort, die zur Absage geworden, verstimmt über die Aufnahme dort, die hinter den Erwartungen sehr weit zurückgeblieben war. « ) Schwarzenberg an Schmerling, 17. März, St. A.



11



Auf die Nachricht von der Kaiserwahl hatte Erzherzog Johann die Stelle des Reichsverwesers niedergelegt und Schmerling billigte diesen Schritt vollkommen, da es der Wurde eines kaiserlichen Prinzen nicht angemessen sei, wenn auch nur formell, Stellvertreter des Königs von Preußen zu sein. Schwarzenberg, der in den Bedrängnissen Oesterreichs in Italien und Ungarn sich von irgendeiner Aenderung in den deutschen Angelegenheiten keinen Vorteil für den Kaiserstaat versprach, urteilte anders; auch da lautete sein Auftrag an Rechberg: Zeit zu gewinnen. Es ging ihm um Oesterreich, nicht um den Bundesstaat oder um Deutschland. Wenn der König von Preußen und sein wichtigster Ratgeber damals bezweckten, die Revolution zu bekämpfen und der Nation zu dienen"), so konnte ihnen im Kampf gegen die Revolution die neue österreichische Regierung ein Bundesgenosse mit überlegener Energie und Kraft werden, und diese Ueberlegenheit mochte zum Teil ihren Grund darin finden, daß sie den zweiten Teil des preußischen Programms, den Dienst an Deutschland, nicht anerkannte. So begann das Ringen zwischen Rechberg und Johann, zwei völlig verschiedenen Naturen. Als es abgeschlossen, stellte der Erzherzog dem Charakter Rechbergs das glänzendste Zeugnis aus"). Johann, von einer geradezu bttrgerlich-geschäftsmännischen Sorge um seinen guten, um seinen liberalen Ruf, war fremden Einflüssen leicht zugänglich, ermangelte einer überragenden Willenskraft Unmittelbar nach einer schweren Krankheit war auch seine physische Widerstandsfähigkeit in diesen Wochen gemindert. Als kaiserlicher Prinz, und als solcher in der Menschenbehandlung dem Prinzen von Preußen weit überlegen, war er ängstlich bemüht, bei jeder Gelegenheit zu betonen, daß er das Kleid des österreichischen Erzherzogs abgelegt, ehe er sich mit dem des deutschen Reichsverwesers geschmückt hatte. Doch in der zweiten Hälfte des Jahres, zumal seitdem Preußen die Zentralgewalt aufs äußerste brüskierte, geriet er immer mehr in Abhängigkeit von Oesterreich. Er war Liberaler der ersten Generation. Er legte Wert darauf, nicht durch Gewalt, durch die Kraft der öffentlichen Meinung zu herrschen. Dieses Prinzip war noch verstärkt durch eine Verstimmung gegen die deutschen Fürsten, die seiner Wahl und seinem Amt niemals freundlich gegenübergestanden waren. Von der künftigen Gestaltung Deutschlands '•) Meinecke, Radowitz und die deutsche Revolution, 207. , 7 ) Johann an Schwarzenberg, 20. November 1849, St. A .



12



scheint er keine völlig klare, eine vor allem gefühlvolle Vorstellung gehabt zu haben, für die die deutsche Einheit und die deutsche Volksvertretung die wichtigsten Punkte bildeten. Mit aller Begeisterung hing sein Herz an ihnen. Die großdeutsche, Oesterreich mitumfassende Lösung war ihm selbstverständlich, doch kann man nicht sagen, daß er am Bundesstaat injmer festgehalten hätte, zeitweilig scheint er, wenn auch nicht dem Radowitzschen Gedanken der „drei Scharniere", so doch einem horizontalen Triasgedanken nahegetreten zu sein"). Johann war Altliberaler und habsburgischer Erzherzog; der Gedanke, sich zum revolutionären Diktator oder zum Usurpator einer Krone zu machen, blieb ihm unfaßbar, und als ihm anfangs Mai Zumutungen solcher Art gestellt wurden, vermochte er dagegen selbst in gefährdeter Lage entschiedene Energie zu zeigen. Wohl hatte er sich beim Eintreffen Rechbergs bereit erklärt, seine Resignation zu widerrufen und die provisorische Zentralgewalt provisorisch weiterzuführen. Er war jedoch um diese Zeit seines Amtes aufrichtig müde. Er sah die Sonne der Volksgunst untergegangen, er fühlte sich von den großen deutschen Mächten verlassen, er wußte, daß Oesterreich in ihm nicht den deutschen Reichsverweser stützte, sondern den Erzherzog für die Zwecke seiner Großmachtpolitik gebrauchte. Mit der deutschen Volksvertretung, die seine Ideale so schwer enttäuscht hatte, drohte ein unvermeidlicher Kampf. Eigene Macht stand weder ihm noch überhaupt der Zentralgewalt zur Verfügung. Immer wieder kam er auf seinen Entschluß zurück, zu gehen, solange er dies noch mit Ehren tun könne. Den Erzherzog an sein Amt zu binden, war der erste Teil der Aufgabe Rechbergs. Für diesen blieb das Amt des Reichsverwesers sowie das der gesamten provisorischen Zentralgewalt mit dem Makel des rechtswidrigen Ursprungs behaftet. Der Schüler Metternichs sah nicht in der Schaffung der staatlichen Einheit Deutschlands das politische Problem von Frankfurt, sondern in der Herstellung eines dauernden Einverständnisses zwischen den beiden deutschen Großmächten. Er wußte, daß Oesterreich bei endgültigen Verhandlungen mit Preußen im Nachteil bleiben mußte, insolange es der revolutionären Bewegungen in Ungarn und Italien nicht Herr geworden. Er ließ also die derzeitige Zentral*•) Johanns Brief aus Gastein an S c h w a r z e n b e r g , 13. Juli 1849, mit dem T r i a s v o r s c h l a g , über den R a d o w i t z s c h e n Plan Meinecke, a. a. O., 193.

— 13 —

gewalt in Frankfurt als Provisorium zur Einigung mit Preußen gelten; immer bemüht, bei jeder Gelegenheit ihr zuzurufen, daß ihre Aufgabe keine politisch schöpferische, sondern einzig die der einstweiligen Aufrechterhaltung der Ordnung sei. Von diesem Grundgedanken war seine Stellungnahme zu allen Fragen seiner Frankfurter Wirksamkeit eindeutig gezeichnet. Es ist klar, daß Rechberg von den Vertretern der kleinen Staaten angefeindet wurde"), die ja Oesterreich Uberhaupt mißtrauisch beobachteten, seitdem Schwarzenberg den Gedanken kundgegeben, in Deutschland sechs Reichswehrkreise zu bilden und diese unter die Gewalt der deutschen Könige zu stellen. Vollends sahen alle Liberalen in Rechberg den Feind, sowie ihm Gegenstand der Bekämpfung mehr als Preußen die Nationalversammlung gewesen ist; kleindeutsch oder großdeutsch bedeutete dabei einen Unterschied minderen Grades. Hier lag ja der Punkt, von dem aus die österreichischen Staatsmänner und Diplomaten alle immer wieder je nach der Gunst der Lage die Verbindung mit Preußen anbahnen wollten. Hierin wie in den meisten grundsätzlichen Anschauungen begegnete sich Rechberg mit dem weit geistreicheren und blendenderen, mit dem für den Oesterreicher weit mehr typischen Prokesch, dem Gesandten in Berlin. Von der deutschen Grundauffassung Metternichs ausgehend, faßten beide den Anspruch Preußens auf eine territoriale Vergrößerung im Einverständnis mit Oesterreich ins Auge, woran ja auch Schwarzenberg, freilich in sehr engen Grenzen, gedacht hatte. Prokesch betonte immer wieder sein aufrichtiges Interesse an der Entwicklung und Ausdehnung Preußens; nur daß sich Preußen „revolutionärer", von der Vereinbarung absehender Mittel bedienen wollte, sollte bekämpft werden. Freilich hat sich Rechberg keiner Täuschung darüber hingegeben, daß die Frage über das Ausmaß einer Ausdehnung Preußens und eines Zurückweichens Oesterreichs eine machtpolitische, eine militärische sei, ob es nun zur tatsächlichen oder nur zur abgeschätzten Austragung mit den Waffen komme. Diese Tendenz der Metternichschüler zur Verständigung mit Preußen ging so weit, daß sie alle, Rechberg und Hübner und Prokesch, an Metternichs größeren, an seinen deutschen Bundesgedanken vergessend, zu Zeiten bereit waren, die Mainlinie als Ausgleich anzunehmen. Preußen sollte sich auf den norddeutschen, Oesterreich auf den süddeutschen Bund beschrän" ) Vgl. hiezu D e t m o l d s immer wiederkehrende Rechbergs Dualismus in seinen Briefen an Stüve.

Klagen

über

— 14 —

ken"). Aber auch während der Krise, während des Frühjahrs 1849, scheint Schwarzenberg solch ein Kompromiß nicht erwogen zu haben. Rechberg überbrachte nach Frankfurt das Schreiben, womit die Regierung Schwarzenbergs die österreichischen Abgeordneten aus der Nationalversammlung abberief. Er verlangte, daß Schmerling seinen ganzen Einfluß aufbiete, um die glatte Durchführung dieser Abberufung zu ermöglichen; er hatte kein Verständnis für die Bemühungen Schmerlings, den großdeutschen Gedanken in letzter Stunde zu retten. Scharf kritisierte er dessen „Listen mit der Idee," dem klaren Befehl des Ministeriums gegenüber vorzuschützen, daß infolge der Ablehnung Friedrich Wilhelms die Lage wesentlich verändert sei, und tadelte das Unterfangen, in solchem Sinne eine Adresse an die Regierung abzusenden. Rechberg glaubte Schmerling nachdrücklich aufmerkam machen zu sollen, daß es, da dieser die Geschäfte noch nicht übergeben habe, einfach dessen Pflicht sei, den Befehl der Regierung durchzuführen und zu unterstützen. Er wies in den Berichten an das Ministerium darauf hin, daß nach seinen Beobachtungen von dem Geist der Abgeordneten aus dem Kreise Schmerlings Aufreizungen und Intrigen bei deren Rückkehr in die Heimat befürchtet werden müßten; er empfahl ihre sorgfältige Ueberwachung durch die Lokalbehörden. Die beiden Rivalen waren sich zum erstenmal gegenübergetreten und zunächst siegte Rechberg; fast alle österreichischen Abgeordneten kehrten nach Hause zurück. Oesterreich hatte sein völliges Desinteressement an einer „revolutionären" Bildung des deutschen Nationalstaates durchgeführt, wenn auch der österreichische Erzherzog über Rechbergs Drängen die Reichsverweserschaft vorerst behielt; denn die Führung dieses Amtes in solchem Sinne sicherzustellen, war der zweite Teil der Aufgabe des österreichischen Bevollmächtigten. Die Radikalisierung des Parlaments in der Paulskirche nahm unaufhörlich zu. Diese Nationalversammlung, die ihrer Bestimmung, ihrer Idee zufolge lediglich Konstituante und in allen politischen Tagesfragen machtlos sein sollte, schien auf dem Weg, die Herrschaft eines Wohlfahrtsausschusses aufzurichten. Das Reichsministerium mit Gagern an der Spitze ,0

) Rechbergs Brief an Schwarzenberg 1849, 28. Mai, 8. Juni, St. A.; Hübner an Rechberg 10. April 1849. Prokesch, dieser sogar zu einer Resignation des Erzherzogs zugunsten Preußens bereit, an Rechberg 14. Mai 1849 und nicht völlig klar 30. März.

— 15 —

versuchte den Erzherzog zu bewegen, sich selbst zum Diktator der revolutionären Bewegung aufzuwerfen. Als Johann unbedingt ablehnte, wandte sich die Nationalversammlung gegen ihn; am 19. Mai wurde die Einsetzung eines neuen Reichsregimentes beschlossen. In diesen Wochen zeigte sich der Reichsverweser völlig unentschlossen, befangen in liberalen und verfassungsrechtlichen Velleitäten. Als in Württemberg ein Aufstand ausbrach, weigerte er sich anfänglich, dem König die württembergischen Truppen der Zentralgewalt zur Verfügung zu stellen, weil dieser nicht darum angesucht hatte. Rechberg versuchte mit dem Aufgebot aller Energie, den Erzherzog zu beherrschen und kein Paktieren mit der Nationalversammlung zuzulassen. Vergeblich suchte sich Johann selbst dem Zusammentreffen mit ihm zu entziehen. Die Gegner sprachen von einem dämonischen Einfluß, den der österreichische Bevollmächtigte auf den Reichsverweser ausübte. Dem Erzherzog konnten keine Konzessionen abgenötigt werden, „die Nationalversammlung hatte ihre Unmacht gezeigt und war lächerlich geworden" 11 ). Nun aber begannen kräftigere Versuche Preußens, den deutschen Bundesstaat von Berlin aus zu errichten, und es wurde alles mögliche unternommen, die Zentralgewalt in Frankfurt zu diskreditieren und zu schwächen. Man verweigerte die preußischen Truppen, man forderte den Erzherzog, den Berlin im April") noch um sein Verbleiben gebeten hatte, zum Rücktritt auf, und dies in einem Ton, schrieb Rechberg, wie ihn ein Leutnant seinen Rekruten gegenüber annehmen kann"). Hier hatte Rechberg ein Zurückweichen Johanns weniger zu besorgen. Gleichzeitig aber erneuerten sich die Versuche Gagerns und seines Ministeriums, den Erzherzog zum Gegenzug gegen Berlin fortzureißen. Sie forderten die Ausschreibung eines neuen deutschen Parlaments und Gagern erklärte sich bereit, unter dieser Bedingung die Nationalversammlung mit Gewalt auseinanderzusprengen. Wenn Johann diese Aufgabe nicht auf sich nehmen wollte, so sollte er den Erzherzog Stephan, den flüchtigen, in Deutschland begüterten und angesehenen Palatin, zu seinem Stellvertreter ernennen**). Für diesen Plan war auch Biegeleben, später Mitarbeiter und Gegner des ") •") 53 ) '•)

Rechberg Rechberg Rechberg Rechberg

an an an an

Metternich, 24. Schwarzenberg, Metternich, 24. Schwarzenberg,

Mai 1849. 19. April 1849, St. A . Mai 1849. 4. Mai 1849, St. A .



16



Ministeriums Rechberg, tätig. Es bestand eigentlich auch keine große Gefahr, daß der Reichsverweser an diesem Punkt zurückweiche, sowenig als er über die Bildung einer Parlamentsarmee mit sich reden ließ, aber Rechberg unterdrückte auch jeden Versuch einer Konzession. Und vor allem, er hielt den müden und kranken Erzherzog, der vor dem offenen Bruch mit der deutschen Nationalversammlung zurückscheute, der um keinen Preis Gewalt anwenden wollte und nur mehr auf seinen Rücktritt hoffte, rücksichtslos an seinem Posten fest. Die meisten österreichischen Beobachter stimmen überein, daß eine vorzeitige Resignation Johanns den Ausbruch der Anarchie in Deutschland nach sich gezogen hätte. So widerwillig der Reichsverweser auch blieb, die Tatsache seines Verbleibens gab einer an keinerlei Recht gebundenen Bewegung nicht Raum. Zur Gegenrevolution freilich, zur Auflösung des Parlaments, worauf Rechberg lange Zeit gehofft zu haben scheint, vermochte er den Erzherzog nicht hinzureißen. Der österreichische Bevollmächtigte anerkannte selbst, daß die Macht zu einem Staatsstreiche fehle; es bleibe für Oesterreich das eine Ziel: zuzuwarten und den bestehenden Rechtszustand zu verteidigen. Am 10. Mai trat das Ministerium Gagern zurück und damit erlosch die national-revolutionäre Kraft der Zentralgewalt, so wie die Nationalversammlung bald darauf zu einem machtlosen radikalen Klub zusammenschrumpfte. Der gefährlichste Feind Oesterreichs blieb der Gedanke des preußischen Bundesstaates; es gelte nicht mehr Kleindeutschland, sondern Großpreußen, hatte Prokesch an Rechberg geschrieben"5). Aber in diesem Ringen konnte Rechberg nicht mehr führend eingreifen. Frankfurt hatte vom Juni an für die deutsche Frage nur eine sekundäre Wichtigkeit. Eine Reihe von Anhaltspunkten läßt den Versuch einer Einigung zwischen den beiden deutschen Großmächten in diesen Wochen als an sich aussichtsreich erscheinen. Der Widerstand der ungarischen Insurgenten hatte die Erwartungen Oesterreichs übertroffen; Preußen hingegen vermochte die Aufstände im Süden und Westen Deutschlands ohne österreichische Unterstützung56) zu unterdrücken, während man 55)

15. A p r i l 1849. ••) W a s D e t m o l d 30. A p r i l 1850 über eine V e r s t i m m u n g zwischen S c h w a r z e n b e r g und R e c h b e r g berichtet, weil dieser sich gegen eine V e r w e n d u n g eines ö s t e r r e i c h i s c h e n K o r p s z u r U n t e r d r ü c k u n g der badischen U n r u h e n a u s g e s p r o c h e n habe, findet in den A k t e n keine Bestätigung.

— 17 — sich in Wien an russische Hilfe wenden mußte. Auch konservative Oesterreicher wie Prokesch haben damals erkannt, daß die Bundesakte einer Fortentwicklung bedürften. Als die ungarische Armee am 13. August die Waffen streckte, war diese Verhandlungsbereitschaft zu Ende. Der Kampf Preußens gegen die Zentralgewalt in Frank' furt ging weiter; um den 20. Juni erklärte Berlin ausdrücklich, daß es die provisorische Zentralgewalt nicht mehr anerkenne. Schwarzenberg und Rechberg hingegen blieben bestrebt, Johann und sein Ministerium zu halten, da beider Hauptmtlhen übereinstimmend darauf ging: für Oesterreich Zeit zu gewinnen. Dabei ergab es sich aber von selbst, daß der Reichsverweser, über die preußischen Brüskierungen aufs äußerste verstimmt, immer stärker unter den Einfluß Schwarzenbergs geriet, zumal die Macht der ideellen Kräfte, die ihn vorher geleitet, um die Jahresmitte erloschen war. Johann, seelisch und körperlich erschöpft, suchte und fand im Juli und August Erholung und Stärkung in Gastein; als er nach Frankfurt zurückkehrte, durfte ihm Schwarzenberg wie einem auf seinen Posten abreisenden Diplomaten die Route, die zu erstattenden und die nicht zu erstattenden Besuche vorschreiben'7). Der Erzherzog aber fand sich bereit, die Einblicke, die er als Reichsverweser in das preußische Bewaffnungswesen tat, an das österreichische Ministerium weiterzugeben*8). Am 30. September kam zwischen Oesterreich und Preußen das Uebereinkommen zustande, wonach eine neue provisorische Reichsgewalt durch je zwei Bundeskommissäre der deutschen Großmächte gebildet werden sollte. Freilich zögerte nun der Erzherzog, der seit seiner Rückkehr nach Frankfurt an seinem Amt wieder Freude gewonnen hatte, mit dem Rücktritt. Er versuchte einzuwenden, daß es für die Resignation die Zustimmung sämtlicher deutscher Fürsten bedürfe. Schwarzenberg blieb fest und Johann lenkte ein; doch wollte er nicht völlig glanzlos abtreten. Er wollte in einer für weite Kreise bestimmten Proklamation von dem Amt Abschied nehmen, welches er anderthalb Jahre vorher unter dem Jubel vieler Tausender angetreten hatte. Rechberg wurde die Aufgabe übertragen, den Erzherzog von diesem Vorhaben abzubringen, und auch dieser Auftrag wurde erfüllt; der Erzherzog resignierte in aller Stille. Das Rechtsprinzip war „gegen Sturm und Wind aufrechterhalten worden" und Rech" ) Schwarzenberg an Johann, 25. August 1849, St. A. *•) Johann an Schwarzenberg, 9. September 1849, St. A. Engel-Jlnusi, Rechberg 2



18



bergs Aufgabe somit erfüllt. Aber er erkannte auch, daß die noch schwerere, die Regelung des Verhältnisses mit Preußen, offen blieb"). Nicht er, der offiziell der Mann des Kampfes mit Preußen gewesen, sollte sie bringen40). Die österreichischen Bundeskommissäre aber, die an seine Stelle traten, und speziell Ktibeck schienen ihm ihrer völlig unabgegrenzten und ungeregelten Stellung nicht gewachsen; er hätte in Frankfurt Buol sehen wollen 41 ), dessen eisiger Gleichmut ihn in den Revolutionstagen Achtung eingeflößt hatte. Als er auf der Rückreise nach Wien in München sich aufhielt, gestand er, der neun Monate hindurch erfolgreich für die Festigung des Bundes gearbeitet hatte, daß selbst in Bayern der Drang nach dem deutschen Einheitsstaat auch noch 1850 sich stark aussprach. „Sie gehören zu den Männern," schrieb Metternich um diese Zeit an Rechberg, „denen heikle Aufgaben gestellt werden und die sie mit treuem Mut zu lösen wissen. In dem deutschen Wesen bleibt Ihnen nichts mehr zu lernen 41 )." Rechberg war durch die Frankfurter Mission in die erste Reihe der jüngeren österreichischen Diplomaten gerückt, der von ihm nicht günstig beurteilte Kübeck, späterhin sein Gegner, pries die Schärfe der Beobachtungsgabe und das richtige Urteil Rechbergs. Vor allem aber vergaß Schwarzenberg nie, daß Rechberg in den kritischen Tagen des April und Mai die Souveränität des Frankfurter Parlaments offen zu bekämpfen und immer wieder zu betonen gewagt hatte, daß die Nationalversammlung, solange sie sifh auf gesetzlichem Boden bewegen wollte, keinerlei Exekutive oder verwaltungsrechtliche Kompetenz, nicht einmal das Recht auf Steuerbewilligung besäße. Der Fürst hat es Rechberg stets als hohes Verdienst angerechnet, den Erzherzog von jedem Kompromiß mit der Volksbewegung abgehalten und dem Gedanken der deutschen Fürstenhoheit nichts vergeben zu haben. Denn nach außen hin sollte sich das deutsche Verfassungsrecht in Vereinbarungen der deutschen Fürsten entwickeln; innerhalb des Rings aber hätte die Kraft der einzelnen Votanten ihre volle Berücksichtigung zu finden und, da Oesterreichs Macht noch geschwächt, Preußen fast gestärkt schien, sollte es zunächst möglichst beim Bestehenden bleiben. ") 40 ) 4 >) 4J )

Rechberg an Metternich, 15. und 22. Oktober 1849. Hübner an Rechberg, 29. Oktober 1849. Rechberg an Metternich, 30. Mai 1850. Brüssel, 14. Februar 1850.

— 19 —

Nach Wien zurückgekehrt, arbeitete Rechberg vorerst in den deutschen Angelegenheiten. Die Mißgunst der Eingesessenen empfing ihn, besonders die des Baron Werner, der, fähig und kenntnisreich, wie es scheint, aber verbittert, die Alleinbeherrschung dieser Fragen erstrebte und den Rechberg durch den Vorschlag, Werner zum österreichischen Kommissär in Frankfurt, zu seinem Nachfolger also, zu ernennen, gegen sich aufgebracht hatte**). Rechberg gehörte nach Metternichs Worten zu den erregbaren Gemütern"). Gegen den Erzherzog wie gegen Schmerling, gegen Gagern, gegen Benedek wie gegen die späteren Minister hat er die Richtigkeit dieses Urteils bewiesen; Detmold, Johanns Justizminister, klagte mehrfach, wie er es nannte, Uber den Mangel an Konzilianz bei Rechberg, der es seinen Mitarbeitern niemals leicht gemacht hat. Er durfte des vollen Vertrauens Schwarzenbergs gewiß sein; doch scheint seine Tätigkeit in Wien ein ständiger Konflikt gewesen zu sein, zumal gegen ihn, als erklärten „Dualisten", alle anrannten, die Oesterreichs Heil in der deutschen Frage nicht vom Zusammengehen mit Preußen, sondern von der Anlehnung an die Kleinstaaten erhofften, während für Rechberg die deutschen Kleinstaaten vorerst die ewige Quelle der Revolution waren. Diese Ansicht hatte er in einem wenig dankbaren Fall zu vertreten. In Kurhessen hatten Volk und Beamte die Einhebung der verfassungswidrig ausgeschriebenen Steuern sistiert. Der Kurfürst und sein Minister Hassenpflug wandten sich mit der Bitte um Hilfe an den seit Mitte Mai 1850 wieder tagenden Bundestag in Frankfurt. Der Bundestag beschloß die Exekution, die Bayern und Oesterreich durchführen sollten. Am 22. Oktober wurde Rechberg zu deren Zivilkommissär ernannt. Die Aufgabe war unangenehm; gab es doch kaum einen würdeloseren unter den deutschen Duodezfürsten als den, zu dessen Schutz die Bundesexekution geführt werden sollte. Man muß den Bericht Thuns, des österreichischen Präsidialgesandten am deutschen Bund, lesen48), wie der Kurfürst ihn beschwor, noch ein paar Tage mit dem Einrücken der zu seinem Schutz bestimmten Bundestruppen zu zögern, damit der Landesvater vorher den Hausschatz aus Kassel in Sicherheit bringen könne, *») Rechberg an Metternich, 22. Oktober 1849, über Werners Sendung nach Frankfurt; Detmolds Brief, 21. Oktober 1849, und später Bismarck bei A . O. Meyer, 161. **) 18. September 1849. « ) Frankfurt, 27. Oktober 1850, St. A . 2*



20



wie er auf seinen Minister fluchte, der „stets nur die höhere Politik vor Augen habe, die Interessen des Kurstaates vergesse und ihn — infolge des Verlustes des Schatzes — unglücklich machen werde". Mit aufgehobenen Händen flehte der Kurfürst um Aufschub. Er gestand dem Präsidialgesandten, daß er seinen Ministern durchgegangen sei, um die Proklamation, die er an das hessische Volk erlassen sollte, und die Vollmacht für den hessischen Kommissär nicht zu unterschreiben. Alles dem Schatze zuliebe. „Ich gestehe," so schloß der Graf Thun seinen Bericht, „daß mich diese Unterredung wahrhaft angeekelt hat, denn sie zeigte mir die niedrigste Angst vor pekuniärem Verlust." Rechberg stellte sich einem solchen Fürsten gegenüber auf den einzig möglichen Standpunkt, indem er betonte, daß es sich bei der Exekution einzig um Aufrechterhaltung des Prinzips handle. Das Prinzip der Fürstensouveränität müsse in Deutschland in seiner vollen Reinheit aufrechterhalten werden, sonst würden der Revolution und, wie er hinzufügte, den preußischen Vergrößerungsgelüsten, auf die sie sich stützte, Tür und Tor geöffnet. Eben in den Wochen der Exekution, durch die der Bund das Prinzip der vollen Fürstensouveränität auch in Widerspruch mit einer Landesverfassung schützte, hatte sich ja das diplomatische Duell zwischen den deutschen Großmächten zur äußersten Kriegsgefahr zugespitzt. Auch die Preußen waren in Kurhessen eingerückt. Die Truppen standen einander gegenüber, ein Zustand, der auf längere Zeit auch deshalb undurchführbar war, weil die Soldaten sich im ärmsten und völlig ausgesogenen Landesteil befanden. Das bayerische Quartier drängte auf Entscheidung; der Bund erließ an Rechberg Instruktionen, es ja nicht zu Blutvergießen kommen zu lassen. Er solle gegen das Vorgehen der Preußen protestieren, doch keinen Angriff unternehmen. Rechberg wollte nicht den Feldherrn spielen, er war zufrieden, daß mit Ausnahme von Hanau die Hessen ihm und den Bundestruppen freundlich, wenn auch gelegentlich mit wenig Haltung, entgegenkamen. Man weiß, wie der Krieg im letzten Augenblick vermieden wurde, man kennt die Olmützer Punktationen, die vielleicht kein Sieg Oesterreichs, gewiß aber eine Demütigung Preußens waren. Rechberg war es zufrieden, im Dezember von seiner Mission in Hessen frei zu werden. Nach der Rückkehr nach Wien scheint Werners Rancune die Oberhand gewonnen zu haben, denn, wie Rechberg



21



schreibt"), er wurde in den deutschen Angelegenheiten nicht mehr verwendet. Auch eine Spannung mit dem Fürsten Schwarzenberg selbst, dessen innere Politik Rechbergs Prinzip der Wahrung aller Rechte und Berechtigungen nicht entsprach, scheint eingetreten und nach außen hin bekanntgeworden zu sein. Schwarzenbergs Staat ließ sich nicht vom Adel tragen, seine zentralistische Verwaltung bedurfte der Stande nicht Metternichs wie Rechbergs Anschauungen wichen von denen des Premiers und seiner Helfer weit ab"). Im Mai 1851 wurde von Bayern aus der dringliche Versuch unternommen, den Grafen für die Dienste dieses Staates, der ihm einst die Aufnahme verweigert hatte, zu gewinnen. Der König sah und suchte in ihm den konsequenten Vertreter konservativer Politik; weshalb man ihn vor fast einem Menschenalter ins Ausland gewiesen, den Anhänger des deutschen Staatenbundes schätzte man in ihm. Rechberg lehnte ab, obwohl der König sich noch direkt an ihn wandte. Schwarzenberg, dem er Bayerns Antrag mitteilte, hatte erklärt, daß es dem Kaiser bei dem Mangel an fähigen Leuten nicht möglich sei, einen der fähigsten Leute ziehen zu lassen18). Unterdessen wurde Rechberg zum Internuntius nach Konstantinopel ernannt, zu einem der wichtigsten Posten, die der diplomatische Dienst Oesterreichs damals zu vergeben hatte. Schon längere Zeit war er hierfür in Aussicht genommen worden. Die Ernennung war der Erfolg Werners, der den Nebenbuhler in der deutschen Frage soweit als möglich entfernen wollte. Rechberg schrieb, er habe diese Stelle nie erstrebt4'). Die Abreise verzögerte sich, Rechberg erhob Einwendungen. Fürst Schwarzenberg erkrankte plötzlich und als seinen Nachfolger empfahl er ausschließlich Rechberg. Als sich der Zustand des Ministerpräsidenten besserte, ließ er den Grafen wissen, daß der Vorschlag den ungeteilten Beifall des Kaisers gefunden hatte. Doch als der Fürst am 5. April 1852 verschied, *•) 22. Februar 1851. " ) Briefe Metternichs, 14. J a n u a r 1850, 10. März 1 8 5 1 ; Rechbergs, 23. Februar i85i*•) Rechberg an seine Schwester, 4. April 1851. Der bayerische A n t r a g in dem Brief dieser Schwester, der F r e i f r a u Karoline von Zweibrücken, 24. Mai 1851. **) Selbstverständlich weiB Detmold schon am 30. April 1850 zu berichten, daB Rechberg die Stelle eines Internuntius erstrebte, womit das ganz anders gehaltene Urteil Bismarcks (Brief an Manteuffel, 1 1 . Juni 1852) zu vergleichen ist.

— 22



griff man — Rechberg schrieb es Intrigen von Kübeck und Werner zu — auf einen früheren Vorschlag zurück und Buol wurde zum Nachfolger Schwarzenbergs ernannt. Das Gerücht hatte hierfür bereits Rechberg bezeichnet, um so mehr eilte er, seine Dienste dem neuen Minister zur Verfügung zu stellen. Er wurde von diesem auf das unfreundlichste empfangen. Als Rechberg vorbrachte, er hatte ein einziges Begehren, dessen Erfüllung Fürst Schwarzenberg ihm bereits zugesagt habe, und dies sei, nicht nach Konstantinopel zu müssen, wies ihn Buol schroff ab. „Wenn man dient, muß man gehorchen." Zunächst blieb aber Rechberg noch in Wien. Bayern versuchte zum zweiten Male, ihn für seine Dienste zu gewinnen. Rechberg versagte sich sofort und endgültig. Aber es schmerzte ihn, daß Buol, dem er hiervon berichtete, kein Wort des Beifalls für ihn hatte. Er wußte, daß er auf ein Nebengeleise geschoben werden sollte. Zunächst wurde er bei den Zoll- und Handelskonferenzen mit den deutschen Südstaaten verwandt, als Referent für die deutschen Angelegenheiten trat Biegeleben, mit Buol verschwägert, in das Ministerium für Aeußeres ein. Seine Beziehungen zu Rechberg waren in Frankfurt gespannt gewesen, da er, Unterstaatssekretär des Aeußeren, den Plan, den Erzherzog zur Diktatur zu führen, unterstützt hatte. Ob Rechberg nach Konstantinopel gehen würde, blieb auch weiterhin unentschieden. Ende 1852 bezeichnete man ihn als Nachfolger Thuns in Frankfurt, und, wie dieser schrieb, würde er am Bundestag gern gesehen worden sein. Ernannt aber wurde der dort, vor allem Preußen, unwillkommene Freiherr von Prokesch50). Anfangs April 1853 erhielt Rechberg nach einer Krankheit den Besuch Bachs, des damals so mächtigen Ministers des Innern, der ihm im Auftrag des Kaisers vorschlug, die Reorganisierung der lombardisch-venezianischen Verwaltung zu übernehmen, und der Graf erklärte sich dazu bereit, obwohl ihn die Verantwortung, die er damit auf sich lud, schwer bedrückte»1). Nachdem er Jahre hindurch abseits gestanden, war er nun berufen worden, auch an der zweiten Stelle, von 50 ) Thun an Buol, 4. November 1852. A. O. Meyer, Bismarcks Kampf mit Oesterreich 1851—59, 1927, 528 f. Ueber den Eindruck der Ernennung von Prokesch ebenda, 123 ff. 51 ) Briefe Rechbergs an seinen Bruder ohne Datum, dann 17. und 27. April 1852, 4. April 1853. Die italienische Mission Rechbergs wurde im Ministerrat vom 5. April 1853 verhandelt. Ministerratsprotokolle, St. A.

— 23 — der aus die Existenz der Monarchie von außen bedroht wurde, zu arbeiten. In dem Depeschenwechsel zwischen Wien und Turin war seit Beginn 1853 eine steigende Verschärfung eingetreten. Das österreichische Kabinett glaubte, die heftigen Angriffe der piemontesischen Presse gegen den Kaiserstaat nicht mehr länger ertragen zu mtlssen; auch machte es das Treiben und die Beziehungen der in Turin weilenden lombardischen Emigrierten zum Gegenstand von Beschwerden, obwohl der österreichische Gesandte in Piemont fortwährend beruhigende Nachrichten gab. Die Pressebeschwerden waren noch nicht erledigt, Cavour, Ministerpräsident seit Ende 1852, berief sich auf das in Piemont geltende sehr liberale Pressegesetz, das ihm eine erfolgreiche Einwirkung unmöglich mache; da brach am 6. Februar, für Oesterreich völlig überraschend, ein Aufstand in Mailand aus, dem mehrere Soldaten zum Opfer fielen. Die öffentliche Meinung sprach sich gegen den planlosen Aufruhr aus; trotzdem griff Oesterreich zu den schärfsten Gegenmaßregeln. „Wehe Mailand," schrieb Radetzky, als er die Nachricht von diesen Unruhen erhielt"). Sicché dal 6 febbraio mercè gli Austriaci si cavò ancora più bene che male, schrieb ein Oesterreich nicht wohlwollender Beobachter5»). Es waren aber nicht so sehr die daraufhin verhängten Todes- und Gefängnisurteile, die die öffentliche Meinung Europas und besonders Piemont erbitterten, als die von Radetzky verfügte Sequestration der Güter aller Emigrierten, auch derjenigen, die das piemontesische Staatsbürgerrecht erlangt hatten. Ueber diese Verfügung war die Turiner Regierung aufs äußerste aufgebracht; sie hatte den Eindruck gewonnen, daß es ihr anfangs gelungen war, Apponyi, den österreichischen Gesandten, von ihrem Unbeteiligtsein am Aufstand zu überzeugen. Der König erklärte Apponyi in einer Audienz, er verabscheue jegliche Revolution"). Demgegenüber verwies " ) Brief an seine Tochter. " ) Das Memoriale des Cesare Correnti über die Lage Lombardo-Venetiens 1858—59 im „Carteggio Cavour", Nigra 1927, I I , 263 ff. " ) Diese Erklärung w a r nichts weniger als eine Phrase; es ist ja bekannt, wie Cavour den Aufstieg seines Staates immer wieder durch die revolutionäre Partei im Innern gefährdet wußte. V g l . auch die Erklärungen Cavours über die Revolutionsfeindlichkeit seines Kabinetts an Napoleon I I I . nach dem Orsini-Attentat, Carteggio, I, 66 ff.

— 24 — das Wiener Kabinett nun darauf, daß bei der Untersuchung Uber den Ursprung des Aufstandes die meisten Fäden nach Turin liefen und erklärte, auf der Sequestration in vollem Umfange zu beharren. Da aber auch der Schweizer Kanton Tessin als der Unterstützung des Aufstandes überwiesen galt, wurde von Radetzky die Sperre der Tessiner Grenze verfügt. Die Beziehungen zu beiden Staaten wurden immer gespannter, der Feldmarschall erwartete für den Sommer einen militärischen Spaziergang in die Schweiz"). Die öffentliche Meinung Westeuropas sprach sich einstimmig gegen die von Oesterreich verfügte Sequestration aus das schärfste aus. Schon glaubte man, in der Ministerkonferenz überlegen zu müssen, ob man nicht auch England wegen Beihilfe an den Mailänder Unruhen verantwortlich machen solle, entschloß sich jedoch, davon einstweilen abzusehen, in Anbetracht der offenkundigen Nachteile, die ein solcher Schritt mit sich bringen müßte"). Nun wurde Rechberg zum Ziviladlatus Radetzkys ernannt. Man fürchtete in Wien, durch die temperamentvollen Erlässe des greisen Feldmarschalls in diplomatische Verlegenheit versetzt zu werden. Rechberg selbst hatte gewünscht, dem Marschall unterstellt zu werden. Denn, so schrieb er, unter Radetzky könne er durch ihn wirken, wenn es ihm gelänge, dessen Vertrauen zu erwerben. Er sollte der ihm erteilten Instruktion zufolge zunächst den notwendigen Einklang zwischen dem Ministerium des Aeußern und dem Hauptquartier Radetzkys herstellen. Es hätten von nun an bei der Wahl von Maßregeln auch die allgemeinen auswärtigen Verhältnisse berücksichtigt zu werden, hieß es in der Instruktion an Rechberg") mit deutlichem Hinweis darauf, daß Radetzky diesmal ein zu hohes Spiel gespielt habe. Zum zweiten sollte Rechberg dem Feldmarschall bei Erledigung sämtlicher Zivilangelegenheiten, die Fragen der Staatspolizei mit einbegriffen, helfen. Irgendeine bestimmt umgrenzte Kompetenz erhielt Rechberg nicht, auch sollte er sich nicht unmittelbar an den Monarchen, wohl aber direkt an die Zentralstellen in Wien wenden. Seine Stellung wurde etwas sonderbar als exponiertes Organ der Zentralverwaltung umschrieben. Das Ministerium wollte Radetzky schonen, dabei aber doch Einfluß auf Verwaltung und Leitung der lombardisch-veneM

) Brief an seine Tochter, 3. Februar 1853. ) Protokoll der Ministerkonferenz, St. A. l7 ) Die Instruktion im Archiv d. Min. d. Innern, 2362 ex M

i8S3-

— 25 — zianischen Angelegenheiten, die seit 1849 so gut wie ausschließlich unter Militärherrschaft gestanden, wiedergewinnen. Rechbergs Sendung war als erster Schritt zur Pazifizierung des Osterreichischen Italien gedacht. Der Bruder des Monarchen hat sie später nicht ohne jeden Erfolg fortzusetzen gesucht. Rechbergs Stellung war nicht leicht; er hat in späteren Jahren diese Mission bei Radetzky stets als die unangenehmste Aufgabe seines Lebens bezeichnet, und sein Nachfolger und früherer Stellvertreter in Rio, der ihn in Verona aufsuchte, bestätigte dies Urteil"). Das Militär fühlte sich als rechtmäßiger Herr von Oesterreich-Italien, da es diese Provinzen durch die Schläfrigkeit und Unachtsamkeit der Bureaukratie beinahe verlorengegangen und nur durch die Kraft der Armee für die Monarchie wiedergewonnen glaubte. Ungeachtet der friedfertigen Botschaften Apponyis aus Turin war es überzeugt, daß man dort lediglich auf einen günstigen Augenblick zum Losschlagen lauere, und es hielt das an kein Gesetz gebundene Säbelregiment als das für diese irregeführten Provinzen einzig passende. In Radetzkys Briefen an seine Tochter wie an Rechberg ist erkenntlich, wie der Feldmarschall, wahrend ein Teil seiner Umgebung stündlich auf sein Hinscheiden wartete"), in erstaunlichem Lebensgenuß und mit viel gesundem Urteil die Tage verbrachte, zwischen der Freude an schönen Bällen, an gelungenen Kaisergeburtstagsfeiern und dem Schmerz über die vielen Hinrichtungen, zwischen der Hoffnung auf neue militärische Lorbeeren, auf den Genuß schöner Musik und der Sorge wegen der mißratenen Ernte. Einen planmäßigen Versuch, die Gesinnung der Provinzen dem Kaiserstaat wiederzugewinnen, hielt man für verlorene Mühe; seit 1848 hatte der Verkehr zwischen den österreichischen und einheimischen Familien fast völlig aufgehört. Dabei war Radetzky und sein Stab nach alter österreichischer Tradition, stets bestrebt, das materielle Wohl der Bevölkerung soviel als möglich zu heben und die durch den Mißwachs seit 1851 entstandene Not, unter der auch das Ministerium Cavour empfindlich litt, zu lindern. Radetzky sah unter diesen Umständen in Rechberg einen Eindringling; in späterer Zeit wollte er der zurückhaltenden, mißtrauischen Natur des Grafen die Schuld an den bald ausbrechenden Unstimmigkeiten beiM

) Sonnleithners Brief an Rechberg. Rio, 13. September 1855. »•) Lackenbacher an Rechberg. Monza, 30. Juni 1855.



26



legen80); in den Briefen an seine Tochter aber hat er bekannt, wie wenig er von Anfang an über das Eingreifen eines Ziviladlatus erfreut war. Immerhin blieb der Verkehr mit dem Feldmarschall in den persönlich besten Formen. Rechberg war von dem Empfang durch Radetzky entzückt. Hingegen kam es mit Benedek, der ersten Hilfskraft Radetzkys, bald zum offenen Bruch. Eben Benedeks einfacher, unkomplizierter Soldatengeist, den er selbstgefällig zu betonen nur selten unterließ, glaubte im Interesse der Monarchie an der Militärherrschaft in Lombardo-Venetien unbedingt festhalten zu müssen. Er dachte nicht daran, zuzugeben, daß der Ziviladlatus seiner Instruktion gemäß, unter Oberleitung des Feldmarschalls die Leitung und Führung aller nicht rein militärischen Angelegenheiten mit Einschluß der Staatspolizei und der politischen Verwaltung übernehme. Benedek äußerte offen, er wollte doch sehen, ob Rechberg sich neben ihm werde halten können, und auch für dessen Nachfolger, für Thun, dessen einnehmendes Wesen Radetzky so sehr lobte, gab es kein Auskommen mit dem Feldmarschalleutnänt. „Es will nicht einleuchten," schrieb dieser auf einen Akt, „warum der Polizeibeamte seiner eigentlichen Bestimmung entzogen sein solle, weil er unter der Leitung des Militärkommandanten, anstatt unter jener eines Direktors und der hohen Staatspolizei arbeitet." Rechberg sandte mit der ihm eigenen Schärfe diese „gereizten und bissigen Aeußerungen" an Benedek zurück. In den Provinzen war es bald bekanntgeworden, daß der stets fortwährende Konflikt zwischen Militär- und Zivilbehörden sich noch verschärft habe. Am 3. Juli legte Rechberg in einem ausführlichen Schreiben an Bach die Unmöglichkeit dar, unter den herrschenden Zuständen die ihm gestellte Aufgabe zu erfüllen. Das Unheil, schrieb er, liege weit mehr in der Organisation, als in den im Zentral-Gouvernement verwendeten Persönlichkeiten; doch war es klar, auf wen er damit zielte, daß man ihm auf seine persönlichen Vorstellungen geantwortet habe, einem rauhen und schlichten Soldaten seien staatsmännische Rücksichten fremd, er könne sich nur durch den militärischen Gesichtspunkt leiten lassen. S e h r schlau, so K r i e g s a r c h i v , Nachlaß Radetzkys, F a s z i k e l G Nr. 9, F e b r u a r 1856, E r i n n e r u n g über den Zeitlauf von 1847 bis zum heutigen T a g . R e c h b e r g gegenüber rühmt er dessen Nachfolger, Graf Friedrich T h u n , wegen dessen liebenswürdigen Charakters. U e b e r dessen Aufenthalt in M o n z a - V e r o n a vgl. Gräfin T h u n , Erinnerungen aus meinem L e b e n . 3. Aufl. 1926. S. 87 ff.

— 27 — schrieb Schweinitz über Benedek*01), spielte dieser die Rolle des biederen rauhen Truppiers, was er doch durchaus nicht war. Rechberg bat um Enthebung von dem Posten des Ziviladlatus Der Graf wurde nach Wien berufen, um seine Denkschrift über die italienischen Angelegenheiten zu besprechen; er führte dort vor den Ministern Klage über Benedek, der darauf ebenfalls zum Kaiser befohlen wurde. In gutmütig ärgerlichen Ausdrücken klagte der alte Radetzky, daß er sich abarbeiten müsse, indes seine Ratgeber, seine Hilfskräfte zankten. „Ich bin der Pantalon, muß den Freund aller Narren spielen, während oben die Konfusion herrscht""). Er versäumte es aber nicht, gleichzeitig einen Brief an Rechberg zu schicken, daß er ihn bald in Verona wieder zu sehen hoffe"). Es scheint Rechberg nicht gelungen zu sein, Benedek ins Unrecht zu setzen*3). Doch sah man ein, daß ein Zusammenarbeiten der beiden unmöglich sei, und da man keinen von ihnen entbehren wollte, sandte man noch einen Dritten, den Grafen Nobili, der zum Militäradlatus Radetzkys ernannt wurde. Rechberg hatte seine Denkschrift ursprünglich mit den Worten beginnen wollen: „Der gegenwärtige Zustand in der Lombardei ist nicht haltbar." Später sah er von diesem Einleitungssatz ab"). Auch von jener Ausführung der Entwürfe nahm er schließlich Abstand, wo er in treuer Gefolgschaft für Schwarzenbergs und Bachs Ideen die Uebelstände auf die Dezentralisation der Monarchie zurückgeführt und die Forderung nach Durchführung des Prinzips der Einheit im Kaiserstaat auch für die italienischen Provinzen aufgestellt hatte*®). Ihn wie Hübner hatte damals das Programm einer konsequenten Zentralisation Oesterreichs um der erneuerten weltpolitischen Geltung des Kaiserstaates willen gefangengenommen, und sie beide begrüßten die Wirksamkeit Bachs. Von dieser Stelle aus wird der Gedanke nicht völlig abzuS c h w e i n i t z , D e n k w ü r d i g k e i t e n , I, 128. • 1 ) Brief an seine T o c h t e r , 31. A u g u s t 1853. •*) R a d e t z k y an R e c h b e r g , 9. A u g u s t 1853. •*) K r i e g s a r c h i v , a. a. O . •*) F ü r die D e n k s c h r i f t ist eine A n z a h l von E n t w ü r f e n im P r i v a t n a c h l a ß R e c h b e r g s erhalten. D i e D e n k s c h r i f t selbst im A r c h i v d. Min. d. Innern, 6291 ex 1853. •») D i e D e n k s c h r i f t P i e m o n t s an E n g l a n d v o m 1. M ä r z 1859 über die Mißstände in Oesterreichisch-Italien führte die dort herrschende E r b i t t e r u n g zum guten T e i l auf die überspannte Zentralisation zurück. C a r t e g g i o , II, 31 ff.



28



weisen sein, daß die Sendung des Grafen nicht nur den ersten Schritt zur Ausdehnung der Beamtenverwaltung auf die italienischen Provinzen darstellte, sondern im besonderen auch den zur Einbeziehung selbst dieser Gebiete in die Bachsche Zentralisation. Rechberg beschränkte sich schließlich, auf die Gesetzlosigkeit und die Unordnung, der das Generalgouvernement ausgeliefert war, zu verweisen; auf eine Gesetzlosigkeit, die dank dem Belagerungszustand einen großen Teil der Lokalverwaltung in die Willkür der Stadtkommandanten stellte; auf eine Unordnung, die den Verkehr der Zentralstellen mit Lokalbehörden und Gouvernement ungeregelt ließ. Er nannte eine Reihe schwerer administrativer Mißgriffe, denen er es zuschrieb, daß die Regierung bei aller Sorge für das materielle Wohl in den beiden Provinzen fast keinen Anhänger zählte. Mutig sprach er gegen die Ansicht, daß man Loinbardo-Venetien mit dem Belagerungszustand regieren könne. Er verlangte, stets auf das Gebiet der Administrative beschränkt, die Aufstellung fester Grundsätze für die Verwaltung und größte Klugheit bei deren Durchführung, „die eiserne Faust im Handschuh von Samt". Den meisten Vorschlägen Rechbergs wurde am 3. August 1853 Rechnung getragen. Zwar blieb die Staatspolizei zunächst noch dem Militäradlatus untergeordnet für die Dauer des Belagerungszustandes, der fürs erste gemildert, nach Verlauf eines halben Jahres völlig aufgehoben wurde. Gewiß wurde damit für einzelne Mißbräuche Abhilfe geschaffen, doch im ganzen genommen blieb die Denkschrift des Ziviladlatus bei vereinzelten, wenn auch wichtigen Symptomen stehen, und wer auf die Möglichkeit der Behauptung Lombard-Venetiens für die Monarchie in der Lage von damals Bedacht nimmt, wird dieselbe eher noch als von den Reformen Rechbergs von jenen Männern erhoffen, deren ganze Sorge einer wirklichen Kriegsbereitschaft der Armee galt. Rechbergs Denkschrift versuchte nicht, von jenem Geist zu lassen, den Metternich als Administrieren dem Regieren entgegenstellte, und nirgends war doch die Behauptung der österreichischen Herrschaft weniger Verwaltungsproblem, war sie enger mit den großen weltpolitischen Fragen verknüpft, als eben in Lombardo-Venetien. Die Dringlichkeit der Reform-Frage hatte der Ziviladlatus richtig erkannt; denn in den Tagen, in denen in Wien die Denkschrift beraten wurde, bereitete sich ein Zusammenstoß im Osten vor, der bestimmt zu sein schien, ganz Europa in Mitleidenschaft zu ziehen.

— 29 — Rechberg stand unmittelbar zu der verfehlten Leitung der österreichischen Politik während des Krimkrieges in keinerlei Beziehung. Seine Stellung zu Buol blieb gespannt, er wollte ihn eher bedauern als beneiden**). Doch richtete Hübner, den die gleiche Verehrung für Metternich und Schwarzenberg mit Rechberg befreundet hatte, aus Paris ein ausführliches Memoire an ihn*7), zunächst zur Information, später die Bitte anschließend, die entwickelten Anschauungen zur Geltung zu bringen. Indem Rechberg sich entschloß**), Hübners Schreiben unter Weglassung der schärfsten Stellen an Buol zu senden, um dasselbe dem Kaiser vorzulegen, identifizierte er sich seinen Vorgesetzten gegenüber in weitem Sinne mit den darin vorgetragenen Ansichten**), zumal er Hübner ausdrücklich als geeigneten Ratgeber für den Fall empfahl, wenn der Kaiser außer den durch ihre Stellung Berufenen noch jemand um Rat fragen wolle. Hübner wendete sich nachdrücklich gegen die mit dem Todestag Schwarzenbergs einsetzende Vernachlässigung Louis Napoleons, bei der man sich übrigens, wie zum Beispiel in der Titelfrage, unverantwortliche Bloßen gegeben hätte, so daß Oesterreich „der Gegenstand ebenso des Mißtrauens wie der Geringschätzimg" in Paris geworden sei. Dann tadelte er Buols „unklares, schwaches und unterwürfiges Verhalten" gegen Rußland. Oesterreich drohe die größte Gefahr, gleichviel, ob es sich schließlich zu Frankreich oder Rußland halte. Nur eine jetzt schon offene Sprache an Rußland könne helfen, indem man den Zaren nicht im Zweifel darüber lasse, daß Oesterreich einen Gebietserwerb Rußlands auf Kosten der Türkei um keinen Preis zulassen könne. Als letztes Ziel war die Wendung zu Frankreich gedacht, das nur, solange es gegen Oesterreich stehe, revolutionär sei, mit diesem verbunden aber ein konservativer Staat würde, wobei überdies die gefürchtete englisch-französische Allianz in Brüche gehen müßte. Hübners Nachfolger hat von der gleichen Stelle die gleiche Politik immer wieder befürwortet. Wie diese Denkschrift, die die Politik Buols vom ersten Tag an verurteilt, aufgenommen wurde, ist aus den vorliegenden Papieren nicht ersichtlich! schwerlich hat sie das Verhält**) K e t t e n h o f , 4. A p r i l 1853. •*) 8. O k t o b e r 1853. • ' ) 13. Januar 1854. ••) Hübner wurde später zu einer Besprechunf? mit dem K a i s e r nach W i e n berufen, w o r ü b e r seine Memoiren.

— 30 — nis des Premiers zu Rechberg, der bereits als dessen Nachfolger genannt wurde, verbessert. Im nächsten Jahr scheint der Ziviladlatus vor allem mit wirtschaftlichen Fragen befaßt gewesen zu sein70). Die steigende finanzielle Not machte die Ausschreibung eines als freiwillig bezeichneten Anlehens notwendig, dessen Erfolg in Italien übrigens die Erwartungen übertraf. Besondere Wichtigkeit hatten die Maßnahmen für die Austrocknung der großen Sümpfe zwischen Verona und Ostiglia. Mit Recht nannte Radetzky dieses Projekt, für dessen Durchführung er sich mit aller Kraft einsetzte, eine große Schöpfung, die, indem sie ein Drittel einer Provinz in fruchtbares Land verwandelte, Tausenden von Arbeitslosen nützliche und wichtige Arbeit gab. Bei dieser Tätigkeit fühlte sich Rechberg in Verona wie ein von seinem Heimatsgebiete, als das er die äußere Politik betrachtete, Verbannter. Er hielt seine Stellung für unerträglich. Das Mailänder Gubernium blieb in stetem Konflikt mit den Zentralstellen in Wien; er meinte, das Ministerium habe die lombardischen Eisenbahnen hauptsächlich deshalb verpachtet, weil man in Mailand davon abgeraten habe 71 ). Ende Jänner meldete das Gerücht, daß Graf Friedrich Thun an den Bundestag in Frankfurt zurückkehren solle. Rechberg klagte, dies wäre ein Posten, den er ambitioniert hätte; in Frankfurt hätte er nützlicher sein können als in Italien. Am 13. Februar, auf einem Ball bei Radetzky7»), erhielt er telegraphischen Befehl, sich sofort an den Bundestag zu begeben; Thun werde seine Stellung in Verona übernehmen; er habe einstweilen provisorisch Prokesch in Frankfurt zu ersetzen. Seine Ernennung wurde weithin gutgeheißen. Metternich wiederholte, als er von ihr erfuhr, an Kübeck, den Nachfolger in Frankfurt 1850: „Rechberg kennt die deutschen Zustände, in diesem Anbetracht steht er beinahe allein da" 7 '). Zum erstenmal schien Rechbergs Begehren an das Schicksal erfüllt, seine Lehrzeit in 70 ) Die Aufhellung der österreichischen Wirksamkeit in Lombardo-Venetien während der fünfziger Jahre wird dadurch empfindlich erschwert, daB eine groBe Anzahl von Akten im Ministerium des Innern — und nicht die unwichtigsten — vertilgt worden sind. Inzwischen ist das gesamte Archiv durch die Brandlegung im Justizpalast, in dem es untergebracht war, am 15. Juli 1927 vernichtet worden. " ) Metternich und Kübeck. Ein Briefwechsel, 23. Februar 1855. Lackenbacher an Rechberg, 27. Mai 1859. Nachlaß Rechberg, 524 g I, St. A . 7S ) Metternich und Kübeck, 21. Februar 1855.

— 31 — der deutschen und italienischen Frage war zu Ende und während die Monarchie im Krimkrieg um die Wahrung der Stellung als Schiedsrichter Europas rang, sollte Rechberg den Anspruch Oesterreichs vertreten, in Deutschland Präsidialmacht, Vormacht zu sein. Knapp vor der Berufung Rechbergs nach Frankfurt hatte Oesterreich am Bund eine empfindliche Niederlage erlitten. Um seinem Auftreten gegen Rußland Nachdruck zu verleihen, wollte Buol die Streitkräfte des Bundes gegen Rußland bereitgestellt wissen 74 ); die Bundesstaaten aber beschlossen, Vorsorge zu treffen „zur Abwendung drohender Gefahr in jeder Richtung", gegen das mit Oesterreich verbündete Frankreich ebenso wie gegen Rußland, und die Abstimmung hatte die Präsidialmacht völlig isoliert gezeigt. Es war also die erste Aufgabe des neuen Gesandten Oesterreichs, die verlorene Stellung bei den deutschen Staaten, die sich im Krimkrieg der preußischen Führung angeschlossen hatten, wiederzugewinnen. Niemand, auch Bismarck nicht, konnte bestreiten, daß Rechberg dies über alle Erwartungen schnell erreichte 75 ) und somit den Boden für eine aktive Politik Oesterreichs am Bunde schuf. Doch diese Tätigkeit Rechbergs verfolgte noch weitere Zwecke, denen zuliebe er seinem wenig konzilianten Naturell in Frankfurt zunächst möglichst Gewalt antat. Die äußere Politik hatte er als sein eigenstes Gebiet bezeichnet; am Bund erbrachte er den Beweis für die Berechtigung dieses Satzes, indem er die Ereignisse und die Beziehungen dort unter dem Gesichtspunkte der großen Politik zu betrachten verstand und je weniger er deren Leitung durch Buol sein Einverständnis geben konnte, je mehr er, der Anhänger der Allianz der drei Nordmächte, die Verfeindung mit Rußland beklagte, desto eifriger blieb sein Bemühen, auf dem seinem Einfluß zugänglichen Gebiet die trostlose Isolierung Oesterreichs einzudämmen. Deshalb und von diesem Gesichtspunkte durfte er die Wiedergewinnung der deutschen Mittelstaaten als einen Gewinn Oesterreichs verzeichnen, wenn er damit auch Bismarck vom Bunde w e g auf das Ausland, vor allem nach Paris verwies. Von diesem Gesichtspunkt aus erklärt sich seine Stellung zu Preußen, seine immer wiederkehrenden Bemühungen zu einer Verständigung mit der zweiten deutschen Großmacht. Berlin war der Weg nach Petersburg. Es war Rechberg ehr74) 75)

V e r g l e i c h e hierüber A . O. M e y e r , B i s m a r c k s K a m p f , 241 ff. A . a. O., 260.

— 32 —

lieh mit dem Rat an Buol, Preußen am Bund nicht majorisieren zu wollen"); es entsprach aber der Richtung der Politik Buols, daß er auch in diesem Falle von einem Entgegenkommen gegen ein Glied der heiligen Allianz nichts wissen wollte. Die Verschiedenheit zwischen den Ansichten Buols und Rechbergs war ja damals bekannt. Freilich hat der Präsidialgesandte den Boden, auf dem er sich mit Preußen zu finden bereit war, nicht genau umschrieben; er dachte an die Metternichsche Zeit, er wollte von den Verträgen nichts preisgeben. Aber nur ein Wandel in Oesterreichs europäischer Geltung hätte ein Wiederaufleben dieser Konstellation in Deutschland ermöglichen können und schon hatte Bismarck aus den Ereignissen des Krimkrieges die Lehret von dem naturnotwendigen Gegensatz zwischen Preußen und Oesterreich gezogen77). Für Rechbergs erste Zeit in Frankfurt aber war ein akuter Konfliktsstoff zwischen Preußen und Oesterreich nicht vorhanden und so gelang es, das gute Einvernehmen zwischen den beiden Gesandten am Bund fast ungetrübt zu erhalten. Allein nicht nur, daß Buol Rechbergs Verständigungsvorschlag abgelehnt hatte, vor allem sein Wille, Oesterreich in Deutschland durch den Bund7'), statt durch das Gewicht seiner europäischen Stellung wirken zu lassen, mußte den Streit bei der nächsten Gelegenheit wieder entzünden, und wenn Oesterreichs Stellung am Bundestag nun um so vieles günstiger geworden war, so mochte eben dieser Umstand ein Zunehmen der preußischen Bundesfeindlichkeit bewirken7"). Und so wurde wieder, wie unter Thun und Prokesch, jeder Verhandlungsgegenstand in Frankfurt zum Anlaß des Machtstreites zwischen den beiden deutschen Großmächten und dieser Gesichtspunkt allein war es, der den Fragen der Geschäftsordnung am Bundestag, der Besatzung von Rastatt, der Rangordnung der Bundesgesandten, der Pensionierung von Bundesangestellten, ja selbst der eines deutschen Handelsgesetzbuches '•) A. a. O., 257. 263, 439, 459, 549. Meyer, 439, findet, daß Rechberg schließlich seinem Chef recht gibt, wenn dieser auf den Vorschlag des Einverständnisses zwischen Oesterreich und Preußen nicht eingeht. Aber er bringt nur Zeugnisse, daß Rechberg von den Schwierigkeiten, denen diese Politik in Berlin begegnet, gesprochen habe, keines, daß ihr die Berechtigung mangle. 77 ) A. a. O., 309. 78 ) Vergleiche hierzu die Instruktion an Rechberg, ebenda, 288. 7t ) Rechbergs Bericht 17. Juni 57 über Bismarcks Kampfansage, ebenda, 549 ff.

— 33 —

Interesse und Bedeutung gab80). Dieses Duell am Bundestag ward aber noch in verschärfter Weise fortgeführt, als mit der schleswig-holsteinschen Frage ein Problem von deutscher und zugleich europäischer Bedeutung auftauchte. Die beiden Gesichtspunkte widerstritten sich: denn während die europäische Lage eine entschiedene Lösung der Frage nicht rätlich erscheinen ließ, drängte die öffentliche Meinung in Deutschland nach einem kriegerischen Schritt, wobei in der mindest anscheinend großen Rücksicht, die Preußen wie Oesterreich auf diesen Faktor nahmen, der Gegensatz gegen die Metternichsche Zeit des Bundestages offenbar wurde. Aber eben unter diesem Gegendruck der zwei Kräfte verschärfte und verbitterte sich der Gegensatz der beiden Staaten, deren Worte in dieser Frage vielleicht nicht mehr als gewohntermaßen, aber doch klarer als üblich mit ihren Absichten in Widerspruch stehen mußten. Die verschiedene Haltung aber, die die Vertreter Oesterreichs und Preußens in dieser, wie keine andere, nationaldeutschen Frage einnahmen, war durch die Verschiedenheit der europäischen Stellung ihrer Staaten diktiert81) und diese ließ Preußen wiederum einen Vorsprung gewinnen. Der schließlich errungene Sieg wurde weder in Berlin noch in Wien als Sieg empfunden; in beiden Kabinetten blieb ein vermehrtes Mißtrauen zurück. Wenn bald darauf ein österreichischer Schachzug mit Bismarck den Träger des preußischen Kampfwillens aus Frankfurt zu entfernen glaubte"), so brach doch unmittelbar hierauf jene Krise aus, die den Kaiserstaat dringend auf die Entschlüsse Preußens anwies und die klarer als jede Ueberlegung die Berechtigung für Rechbergs Bestrebungen darlegte, die Vorgänge in Frankfurt in erster Linie nach ihrer Bedeutung für die europäische Politik des Kaiserstaates zu beurteilen. Als der Präsidialgesandte anfangs FeB0

) D e s h a l b scheint mir Meyers Satz, 316: „ E s ist ein Bild, das auch in der deutschen R e c h t s g e s c h i c h t e einen P l a t z verdient: P r e u Bens großer Staatsmann, der im Kampf um die Führerstellung s e i n e s S t a a t e s zugleich für deutsches Recht und G e s e t z ficht, w ä h r e n d s e i n e G e g n e r aus lauter Mißgunst auf Preußens schwererarbeitete F ü h r e r s c h a f t w e l s c h e m Recht die Pforte öffnen wollen" nicht gerecht. Eben Meyers W e r k zeigt ja die Politik B i s m a r c k s v o n lediglich preußischem Eifer erfüllt. — U e b e r die a n g e f ü h r t e n M a terien handelt Meyers Buch ausführlich. 91 ) D a h e r der Mangel an Mut, den Meyer R e c h b e r g in dieser F r a g e vorwirft, .352 ff., zum Teil 355, gerechtfertigt. 8S ) Meyer, a. a. O., 442 ff. Engel-Jdnosi, Rechberg 3

— 34 — bruar 1859 auf Urlaub in Wien weilte, war mit ihm als Nachfolger Buols verhandelt worden"); jedoch als Rechberg am 13. Mai an diese Stelle berufen wurde, war es zu spät geworden, um seine Gedanken über die Politik, die Oesterreich in Frankfurt befolgen sollte, verwirklichen zu können. " ) München, Geh. St. A., Polit. Hauptbericht 1859. Rechbergs Aufenthalt in Wien galt also noch anderem als der Besprechung über die nicht gehaltene Abschiedsrede an Bismarck, worüber Meyer, a. a. O., 471.

Kapitel 2. Rechbergs Berufung in die Regierung erfolgte in einem eigenartigen Augenblick. Oesterreich hatte das Ultimatum an Piémont gestellt und dieses zum Kriege zwingen wollen, ehe noch die französischen Streitkräfte sich in Italien eingefunden hatten. Aber, wie sich Oesterreich im Sommer 1858 über die Annäherung Piemonts an Frankreich getauscht hatte, wie der französische Minister, wenn auch in gutem Glauben, dem österreichischen Gesandten den Tag von Plombières, den Tag der Vereinbarung des Kriegs gegen Oesterreich, als einen bedeutungslosen Besuch Cavours bei Napoleon darstellen und Marauf verweisen konnte, daß der Kaiser eben an diesem Tage, um den Wert zu beweisen, den er auf eine Verständigung mit dem Kaiserstaate lege, Oesterreich eine Konzession in der Flaggenfrage gemacht habe1), so waren ebenfalls nicht hinterlistig geführte Vermittlungsvorschläge Englands imstande, Oesterreich um den erstrebten Zeitvorsprung beim Kriegsausbruch zu bringen. So, wie es Oesterreichs Feinde erhofft hatten, beschränkte sich dessen ersehnter „bon petit acte bien agressif" auf das diplomatische Gebiet. Zu spät überschritt die kaiserliche Armee die Grenze; der Feldzug aber, den sie eröffnete, war für Oesterreich nicht minder verhängnisvoll als der von 1866. Die Führung wurde vom ersten Tage an im In- und Ausland als unzulänglich erkannt, bald wurde auch die Mangelhaftigkeit der Vorbereitung offenbar, und so oft auch der Sieg beinahe den Oesterreichern verblieben wäre, sie ver«) Wien St. A . 1858, Paris, Berichte Juli. II carteggio Cavour Nigra 1858—1861, 1927. Im ersten Brief, der dort publiziert wird, Napoleon I I I . an Viktor Emanuel, 30. Mai 1855, nennt Napoleon den Sinn des Krimkriegs „de nous préparer là bas à une guerre peut-être plus sérieuse". Im Frühjahr 1858 spricht man schon deutlich von den Garantien gegen Oesterreich. Ebd. I. 8 1 , 85, 87 f. Die Verhandlungen gehen vor allem durch den Docteur Conneau. Der Krieg wird für anfangs 1859 in Aussicht genommen. 90. Im A u g u s t 1858 wird in Paris der Beginn für Frühjahr 1860 verschoben. 139, wogegen Cavour 151. Napoleon gibt nach 157, 251, II. 51. A m 4. März 1859 beginnt Napoleon wieder vom Kriegsausbruch im Frühjahr 1860 zu sprechen, 1 1 , 1 4 2 . 29. März, Cavour, daß der K r i e g um • mindestens zwei Monate hinausgeschoben werden werde, I I , 164. Prinz Napoleon: Oesterreich muß anzugreifen scheinen, 16, I V . — Napoleon über die Ahnungslosigkeit Hübners, Nigra an Cavour ebd. 1. X , 1858. 3*

— 36 — mochten im Verlauf von zehn Wochen nicht, die Ehre eines einzigen Tages an ihre Fahnen zu binden. Und dabei hing von den Ereignissen auf dem Kriegsschauplatze weit mehr noch als der nur militärische Erfolg des Feldzugs ab. Zwar, die Lage der österreichischen Regierung im Innern schien sich zunächst durch Eintritt in den französisch-piemontesischen Krieg befestigt zu haben. Denn was der preußische Gesandte „die eigentümliche Mischung radikaler ultramontaner und despotischer Regierungsprinzipien"1) nannte, „welche, von keiner Partei im Reiche getragen, auf allen Schichten der Gesellschaft gleich drückend lasteten", die unbeschränkte Herrschaft der deulschsprechenden Bureaukratie unter Führung ijires Ministers Bach, im Gegensatz nicht nur gegen die bürgerlichen Liberalen, sondern auch gegen die feudalen Schichten dies- wie jenseits der Leitha, sie hatte eine schwärende Unzufriedenheit, eine Abwendung vom Staat und seinem ersten Vertreter bewirkt*). Auch wenn man von Ungarn absieht, das sich durch den Angriff auf sein Verfassungsrecht in seinem Bestände bedroht fühlte und ausländischer Wühlarbeit ein ergiebiges Feld darbot, durfte man fragen, ob es noch möglich war, die Bande zwischen Regierung und Regierten, zwischen „Dynastie und Volk"*) neu zu befestigen. So wie aber mit der Kriegserklärung zur Wahrung der ältesten europäischen Großmachtstellung, zur Verteidigung des Vorrangs in Italien den Staat wieder eine Idee zu durchpulsen schien, wie vor zehn Jahren unter Schwarzenbergs Leitung, da vergaßen zumindest die alten Erblande der Monarchie ihren Groll über den politischen, geistigen und finanziellen Druck und die Bevölkerung stellte dem Staat ihre Kräfte uneingeschränkt und willig zur Verfügung, in der Ueberzeugung, daß vom außenpolitischen Siege die innere Verjüngung, die Verlebendigung der Monarchie erfolgen werde 1 ). ' ) Berlin, Preuß. Geh. St. A . A A . 1. 44, W i e n 1859, S . V . ») V g l . die A u s f ü h r u n g e n v o n Joseph Redlich, S t a a t s g e d a n k e , II. «) Berlin, Preuß. Geh. St. A . A A . 1. 44, W i e n Berichte 5, V . 5 ) Berlin a. a. O., Berichte 1, V , M ü n c h e n Geh. H a u s - u. St. A . P o l i t . Hauptbericht f. d. Jahr 1859 v o m 18. A p r i l 1860. V g l . ferner auch die E i n t r a g u n g des Polizeiministers K e m p e n in sein T a g e b u c h 18. Januar 1859. D a ß jenseits der L e i t h a zum großen T e i l andere S t i m m u n g herrschte, ist mir w o h l bekannt, doch auch dort hätten sich die D i n g e bei einem militärischen E r f o l g O e s t e r r e i c h s anders entwickelt. A m 23. Juni schrieb W e r t h e r , daß eine akute G e f a h r in U n g a r n erst eintreten würde, wenn noch eine zweite S c h l a c h t verloren würde. Berlin a. a. O .

— 37 — Mit gleicher Spannung blickte das Ausland nach der Poebene. Der österreichische Minister des Auswärtigen hatte in dem entscheidenden Ministerrat4) die Mithilfe von England und Preußen versprechen zu können geglaubt, und insofern trägt er an dieser Kriegserklärung zu diesem Zeitpunkt Mitschuld. Wenige Wochen vorher hatte Cavour einen allgemeinen Krieg für den Sommer, einen Krieg, dessen Schwergewicht auf den Rhein drücken werde, als günstigste Möglichkeit für Piemont erhoffen zu dürfen geglaubt. Wenige Tage vorher hatte der König von Piemont geschrieben, der an dem Kriegsausbruche zu verzweifeln begann, man dürfe nicht jede Hoffnung aufgeben, manchmal komme das Glück, wenn man es am wenigsten erwarte 7 ). Nun hatte Wien den Krieg beschlossen; aber es gelang nicht, die Mächte, auf deren Beistand man gebaut, beim Kriegsausbruch an die Seite Oesterreichs zu binden, sie hielten ihre Entscheidung abwartend zurück und ebenso machte auch Rußland sein Verhalten vom Verlauf der Ereignisse abhängig, jedes Neutralitätsversprechen, jede Bindung an Oesterreich verweigernd. Der Kaiserstaat trat allein in den Krieg. Diese von Napoleon vom ersten Beginn der Verhandlungen mit Piemont erstrebte Isolierung Oesterreichs zu beseitigen, wurde sofort als die Hauptaufgabe der diplomatischen Leitung der Monarchie erkannt. Vor allem wollte man sich der Haltung des von Buol im Krimkriege schwerverletzten Rußlands versichern, mit dem Oesterreich, wie man in Petersburg sagte, zwar nicht im Krieg gestanden, aber auch seit 1856 nicht Frieden geschlossen hatte"). Das russische Kabinett aber, von dem damals allmächtigen Gortschakow geleitet, hatte sich Oesterreichs Demütigung zum Ziel gesetzt. In solchem Geist war noch vor Ausbruch des Kriegs der Vorschlag im März erflossen, die österreichisch-italienische Frage einem Kongreß der fünf Großmächte vorzulegen. Buol hatte wohl diesen Vorschlag durch eine verklausulierte Zustimmung zu vereiteln, doch nicht den Geist zu wandeln vermocht. Die österreichische Regierung hoffte, durch eine Spezialmission des Grafen Kärolyi nach Petersburg den Zaren umstimmen zu können. Zunächst bot der Zeitpunkt des Eintreffens des Grafen zur russischen Osterzeit den Vorwand, Kärolyi nicht zu empfan• ) Kempen Tagebuch 19. April. Diese wichtige Stelle zuerst benützt von Srbik, Metternich, II. 7 ) Carteggio, I I , 170. B ) Werther 15. Mai., a. a. O.

wurde

— 38 — gen'). Dann aber erfuhr er offiziell die unleidlichste Behandlung; der Zar gab seinem Unmut über den Kaiser von Oesterreich vor dem versammelten diplomatischen Korps in einer Weise Raum, daß selbst Gortschakow einlenken mußte. Kärolyi berichtete, daß eben der Herrscher 10 ) über alle Vorstellung gegen Oesterreich erbittert, daß daher seine Mission völlig aussichtslos sei. Petersburg lehnte jede Aeußerung über das Verhalten Rußlands während des Krieges ab. Franz Josef wollte trotz allem noch einen Versuch zur Einwirkung auf den Zaren machen und bestimmte den Feldherrn von 1848 und 49, den Fürsten Windischgrätz, zu einer zweiten Mission nach Petersburg 11 ). Es gelang Buol im letzten Augenblick, den Kaiser von der Aussichtslosigkeit dieses Vorhabens zu überzeugen; doch der Monarch, wie auch der alte Staatskanzler Metternich, empfand die kaum noch die Form wahrende Haltung Rußlands als speziell gegen seinen Minister des Auswärtigen gerichtet. Es war diesem mißlungen, Rußland auf eine nicht feindliche Haltung festzulegen; sollte er geeignet sein, die Verhandlungen zu führen, die das gleichfalls verstimmte Preußen zum Mitkämpfer an Oesterreichs Seite machen sollten? Besonders die mächtigen Militärs hatten schon seit langem ihrer heftigen Unzufriedenheit mit Buol Ausdruck gegeben; Heß, der am Schlachtfeld erprobte und berühmte Generalstabschef Radetzkys, ebenso wie Grünne, der Mann des militärischen Kabinetts"). Sie beschuldigten Buols Politik der Schwäche und der Unentschlossenheit. All die Besprechungen und Vorschläge, den Krieg zu verhindern, schienen ihnen vom ersten Augenblick an verlorene Mühe, ja nur schädlich für die Interessen Oesterreichs. Nicht zum letzten Male in der Geschichte Oesterreichs traten sich hier vor Kriegsausbruch der Staatsmann und der Militär feindlich gegenüber, und nicht zum letzten Male konnte dieser bei Beginn des Krieges jenen fragen, welche Frucht die diplomatischen Bemühungen getragen •) M ü n c h e n , H a u s - u. St. A . Polit. A r c h . Reihe I I I , 3 2 , Petersb u r g 26. A p r i l . 10 ) V g l . auch B i s m a r c k s W e r k e , Bd. I I I , 13. Mai. " ) D e r Polizeiminister K e m p e n schreibt am 5. M a i v o n dieser R e i s e als f ü r diesen T a g festgesetzt. " ) V g l . K e m p e n , T a g e b u c h 10. M ä r z und 28. April. V g l . Buols A e u B e r u n g 1859 zu Beust „ A u s drei V i e r t e l j a h r h u n d e r t e n " , I I , 356. „ W a s wollen Sie, ich w a r g e g e n den K r i e g , aber wenn unsere G e neräle alle sagen, w i r seien unüberwindlich, wie kann ich sie daran verhindern."

— 39 hatten. Als in den Wochen nach der Kriegserklärung das Gespenst der Isolierung Oesterreichs deutlicher sichtbar wurde, näherte der Kaiser sich wiederum dem Altkanzler1*), zu dessen Meisterleistungen die Wahl des Moments, in dem er seinen Staat am Kampfe teilnehmen ließ, gehört hatte. Auch Metternich verteidigte Buol nicht, dessen Art der Geschäftsbehandlung er einen völligen Mangel an Form vorwarf und den er überlegen den „jungen Mann" zu nennen pflegte14). Der Kaiser aber glaubte sich zur Entlassung seines Ministers des Aeußern um so leichter auch in solch kritischem Moment entschließen zu können, als durch diese Verfügung keinerlei Systemwechsel angedeutet wurde, denn, wie ein Gesandter am Hof zu Wien bemerkte, es war bekannt, daß die Leitung der äußeren Politik seit Jahren von dem Kaiser selbst geführt wurde15). Auf die inneren Angelegenheiten hatte der Nachfolger Felix Schwarzenbergs niemals Einfluß genommen. Es lag nahe, bei der Wahl des neuen Minister? auf den Vorschlag dieses Staatsmannes zurückzugreifen, unzweifelhaft wies auch Metternichs Rat in der gleichen Richtung und keinesfalls schadete es Rechberg, daß sein kontinuierlicher Gegensatz zu Buol allgemein bekannt war. Von diesem ging der Vorschlag nicht aus; er habe zur Wahl nur Glück wünschen können, als der Kaiser ihm den Namen des Nachfolgers nannte, erzählte er Rechberg1*). Daß er hierzu ausersehen, darüber war der Präsidialgesandte schon längere Zeit, mindestens seit Anfang des Jahres im klaren17). Buol glaubte sich grundlos fallen gelassen; mit schwerverhaltener Bitterkeit schrieb er sein Entlassungsgesuch: „von dem Ernst der Zeit gemahnt, daß meine Eurer Majestät bis jetzt mit aller Liebe gewidmeten Kräfte den Erforderungen der gegenwärtigen Zustände nicht mehr genügen dürften"1"). Vertrauten Bekannten gegenüber sprach er offen aus, daß er den Zeitpunkt für einen Ministerwechsel für ungeeignet gehalten habe, „ihm aber keine Wahl geblieben sei" 1 '). Am ii. Mai eröffnete der Kaiser dem soeben angekommenen Bevollmächtigten Preußens, dem General von Willisen, **) Srbik, II, 509. Vgl. auch Metternichs Bemerkungen 14. Mai 1859, St. A. Rußland 1859. " ) München, Geh. Haus- u. St. A. Polit. Hausbericht Oesterreich. " ) München, Haus- u. St. A., III, 32, 18. Mai. »•) Brief Rechbergs, 14. Mai. 17 ) München, Polit. Hauptbericht, 59. 18 ) St. A., Vorträge und Handschreiben 1859, 12. Mai. " ) München, St. A., 14. Mai.

vom 1859

— 40 — daß er nicht mit dem Grafen Buol verhandeln solle"); am 12. abends erhielt Rechberg den Ruf, sofort nach Wien zu kommen"). Die Nachricht vom Rücktritt des stets auch in den adeligen Kreisen unbeliebt gewesenen Buol wurde mit umso größerer Freude begrüßt, als man damit auch das Scheiden Bachs verbunden glaubte"). Die Ernennung Rechbergs wurde freudig aufgenommen und diese Maitage waren wohl die einzigen, in denen sein Name jene Popularität hatte, die er bei aller scheinbaren Kälte später schwer vermißte. Ueber die Bedeutung, über den Ursprung der Stimmung gab er sich keiner Täuschung hin. „In allen Schichten der Bevölkerung wird die traurige Lage, in der wir uns befinden, recht schmerzlich gefühlt. Es wird daher jeder Wechsel freudig begrüßt, ohne daß man sich Uber die Möglichkeit einer Besserung der Lage Rechenschaft gibt. Dadurch wird meine Stellung, in der ich des Vertrauens so sehr bedarf, doppelt schwierig")." Um die in den Wiener Verträgen vor eineinhalb Menschenaltern festgesetzte europäische Ordnung zu verteidigen, hatte Oesterreich den Krieg begonnen, obwohl man einwenden durfte, daß es in vergangener Zeit seine Zustimmung zu deren Abänderung öfters gegeben hatte. Die Richtung aber, welche gegen die Verträge diesesmal aufgetreten, bedrohte den Lebensnerv des Kaiserstaates selbst, der wohl fühlte, daß er ein Mehr an Rechten nicht zu erreichen fähig war und daher die erworbenen zu wahren hatte. Rittlings Uber die Alpen gesetzt, in ganz anderem Maßstab als Piemont, wollte er die Vorherrschaft nördlich und südlich seines Gebiets sich wahren, ideeller Mittelpunkt Europas zu einer Zeit, da europäische Fragen die politischen Hauptprobleme der europäischen Staaten darstellten, Deutschlands Ostmark, Oststaat Mitteleuropas; niemals Zentrum Osteuropas, wenn er der alten Idee nicht untreu werden wollte. Nur wenn Oesterreich sein Wesen aufgab, konnte es seinen Schwerpunkt nach Osten verlegen*4). An solche Wandlung dachte man 1859 nicht, denn noch hatte die Monarchie ihre Gebiete unversehrt zu erhalten vermocht; noch durfte man sagen, daß die bestehenden Rechte den Berlin, St. A., A A . 1. 44, Wien 18. Mai. " ) Brief an seinen Bruder, 12. Mai, 12 U h r nachts. " ) Berichte in Berlin und München. " ) An seinen Bruder, 14. Mai. « ) Ich kenne kein Buch, in dem diese Gedanken so eindringlich dargestellt werden wie in Srbiks Metternich.

— 41 — bestehenden Machtverhältnissen entsprachen. Und so lange als der alte Gedanke der Regierung Europas und damit der Welt durch die Pentarchie der Großstaaten bestand — jener Gedanke, der an der Wiege des modernen politischen Denkens entstanden war, als der Italiener noch Italien mit der politischen Welt identifizieren konnte — so lange durften die Wiener Staatsmänner trotz Not und Niederlage darauf vertrauen, daß Oesterreich für Europa unentbehrlich war, daß, wie Rechberg nach Solferino schrieb, alle Mächte bei dem Fortbestand Oesterreichs als Großmacht interessiert wären*5). Dies galt, solange und insoweit bestehende Zustände als im wesentlichen, als vorwiegend gut und begehrenswert empfunden wurden. Auch dies Empfinden war für Rechberg selbstverständlich und unproblematisch. E r zweifelte damals nicht daran, daß die Rechtsordnung sich auch tatsächlich durchsetzen würde, er wußte sich auf der Seite der endgültig siegenden Kraft und daher durfte er immer wieder das Zuwarten anraten. Daher erscheint fast seine ganze Politik wie ein gewolltes Aufschieben, ein Zögern bis zu der notwendig eintretenden Wandlung. So durfte er in kritischen Tagen überlegen an das von Palmerston gegen Oesterreich feindlich geleitete England schreiben: Solange man nicht in England zur Erkenntnis gekommen sein wird, daß für England ein kräftiges Oesterreich eine Notwendigkeit ist . . . wird eine Allianz mit England dem Wiener Kabinett keinen Nutzen gewähren"). Es gibt niemanden, der nicht wüßte, daß die nationalen Kräfte die Hauptfeinde jener Gedankenwelt waren und daß die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Kampffeld dieser gegnerischen Kräfte wurde. Von vornherein war es aber nicht eindeutig bestimmt, welche Stellung die politischen Mächte dem Nationalstaatsgedanken gegenüber einnehmen würden. Daß es ihn bekämpfen müsse, wußte man nur von Oesterreich. Bei allen übrigen war es nicht geklärt, mit welchen Brechungen, in welchen Mischungen sie ihn aufnehmen würden, obwohl er, konsequent gedacht, jede der europäischen Mächte gefährdet hätte. In den Verhandlungen des Winters 1858 bemerkte der Italiener einmal, daß ebenso wie Frankreich Savoyen und Nizza, Piemont im Namen der nationalen Idee Korsika begehren dürfe"«). Selbst Rußland, " ) St. A., Vorträge und Handschreiben, 59, 2. Juli. ,e ) St. A., Weisungen nach London, 1859, Rechberg an Esterhäzy, 30. Juni. *•») Carteggio, I, 218, Nigra, 25. November 1858.

— 42 — auf einen mystisch dunklen Panslawismus sich zurückziehend, konnte dann im Namen einer nationalen Idee seiner aktuellen Antipathie gegen Oesterreich freien Lauf lassen. Hier war ein Grundfehler der Berechnungen Buols gelegen, der von der Annahme ausgegangen, daß Rußland bei all seiner Abneigung gegen Oesterreich den Sieg des revolutionären Nationalprinzips nicht wollen könne, daß es die konservative Großmacht unterstützen müsse"). Weit mannigfaltiger wurden aber noch die Möglichkeiten, wenn man die Wirkung der politischen Stellungnahme auf die sozialen Kräfte bedachte. Ein Metternich hatte die Industrialisierung im Interesse der politisch-konservativen Anschauung begünstigen zu sollen geglaubt, hatte sie auch auf seinen eigenen Besitzungen nach Tunlichkeit gefördert. Und wäre es das erstemal im neunzehnten Jahrhundert gewesen, daß hiegegen die Vertreter des politischen Fortschritts die sozial Rückständigen waren? Auch 1859 konnte den Mächten die Haltung nicht von den im Vordergrund wirkenden ideellen Kräften vorgezeichnet werden. Die Bindungen an sie waren gelockert; was das augenblickliche Interesse oder das, was dafür gehalten wurde, war, das sollte die Haltung jedes einzelnen Staates bestimmen. Und es war nicht leicht, auf diesem Boden Oesterreich zu vertreten, während im anderen Lager Napoleon III., Cavour, Gortschakow und Bismarck tätig waren. Wie prachtvoll hatte es Cavour verstanden, Napoleons Macht seinen Plänen dienstbar zu machen. Man hat immer wieder zu den Bombenwürfen greifen müssen, um die Uebereinkunft von Plombières zu erklären, obwohl es heute genügsam bekannt ist, daß der berühmte Aufruf zum Kampf um die italienische Unabhängigkeit im Testament des Orsini zumindest nicht ohne Vorwissen des Kaisers verfaßt und veröffentlicht wurde. Wer von der Psychologie Napoleons und seines Landes absieht, wird als sachlichen Grund für eine Kriegsgemeinschaft Frankreichs mit Piémont außer einem in Aussicht genommenen Erwerb von Savoyen und später auch von Nizza nicht allzuviel finden; denn vom Rhein scheint zwischen den Verbündeten nicht gesprochen worden zu sein, und hätte Napoleon insgeheim daran gedacht, es wäre nur ein Beweis für die Ueberlegenheit des Bismarckschen Urteils, der in dem gekräftigten Piémont bereits Preußens natürlichen Verbündeten gegen Frankreich sowohl als gegen Oesterreich erblickte"). „Für Piémont, wenn es sich auf Preußen stützen könnte, würde " ) Rußland, Weisungen, 59, 6. Februar, St. A . « ) Werke, Bd. I I I , 9. Februar 1860, an Schleinitz.

— 43 — Frankreichs Allianz aufhören, gefahrlich und herrisch zu sein." Wenn ein ernster Gedanke, eine napoleonische Secundogenitur in Toskana zu schaffen, je bestand, so zeigte sich die Unmöglichkeit, diesen Plan zu verwirklichen, noch ehe England und Rußland Gelegenheit zu ernstlichem Einspruch hatten"). Welches französische Interesse, wenn nicht persönlicher Haß gegen die bestehenden Verträge, wenn nicht persönlicher Drang, auf dem Schlachtfelde die Gegner im Innern zu besiegen»0), führte Frankreichs Soldaten auf die italienische Ebene? War es für Frankreich so dringend, den Nachbar derart zu stärken, daß er im Südosten die für England geeignete Hilfstruppe wurde? Wohl hatte der Kaiser der Franzosen nicht etwa ein einiges Italien, sondern einen Staatenbund ähnlich dem deutschen vorgesehen»1), so daß keine politische Machtentfaltung aus eigenem zu besorgen war. Aber indem er den italienischen Bund aus vier Staaten aufbauen wollte, dessen mächtigster, das Königreich Oberitalien, die Emilia und die Romagna umfassen sollte"), geriet er notwendig in Kampf mit Papsttum und Kirchenstaat und rollte damit eine Frage auf, die in Frankreich selbst die Herrschaft des Kaisers bedrohen mußte. Durfte er rechnen, daß die Freude über die gewonnenen Alpen-Provinzen die Franzosen den Konflikt mit Rom vergessen ließe? So trat denn auch England, das zunächst sich bemüht hatte, den Ausbruch des Krieges zu verhindern, bald zur Seite. Denn nicht Napoleon konnte die Frucht dieses Kampfes ernten, und England hatte keinen Anlaß, zu verhindern, daß Piémont mit Hilfe französischer Truppen eine Macht würde, mit deren Stellungnahme in jeder Frage Frankreich fortan zu rechnen hätte. Was aber dann, wenn die Verbündeten geschlagen würden? „Pensez que sans y être forcé je joue l'avenir de mon pays," schrieb Napoleon ein halbes Jahr vor Kriegsbeginn an Cavour"). Als Schüler Metternichs suchte Rechberg seine Politik auf die Allianz der drei Nordmächte aufzubauen, wollte aber auf '*) U e b e r die e r s t e n V o r s t e l l u n g e n darüber v g l . R a s c h d a n , 97, B a p s t , D e u t s c h e R e v u e 1903/3, 321. C a r t e g g i o , I, 11. Juli 1857, S a l m o u r . " ) R e v u e des d e u x m o n d e s 1923, C a v o u r an den K ö n i g , 24. Juli 1858. " ) In P l o m b i è r e s w a r nur über S a v o y e n e n t s c h i e d e n w o r d e n . C a r t e g g i o , I, 102, A r t . 8 der V e r e i n b a r u n g e n v o n P l o m b i è r e s u n d I, 123, Art. 12, V e r t r a g mit F r a n k r e i c h O k t o b e r 1858, A r t . 12, I, 195. E r s t im V e r t r a g v o m Januar 1859, A r t i k e l 3, w i r d die A b t r e t u n g S a v o y e n s und N i z z a s a u s g e s p r o c h e n . 33 ) A. a. O., I, 197, N a p o l e o n an C a v o u r , 2. N o v e m b e r 1858.

— 44 — Grund seiner Erfahrungen es vermeiden, Preußen als völlig ebenbürtigen Partner aufzunehmen. Die Angst vor der Isolierung Oesterreichs hatte ihn schon in Frankfurt bedrückt und mit Recht; denn diese herbeizuführen, war von Anfang an Napoleons Plan gewesen"). Zunächst suchte auch Rechberg Rußland zu gewinnen. Dieser Macht hatten Frankreichs und Piemonts eifrigste Bestrebungen ebenfalls gegolten, mehr noch, als man bisher es erkennen konnte; doch hatten die Verbündeten ihr Ziel nicht voll erreicht. Im Oktober hatte man gehofft, Rußland dem französisch-piemontesischen Abkommen beitreten zu sehen und Rußland hiefür die Erwerbung Galiziens angetragen. Der Zar aber weigerte sich, selbst zum Schwert zu greifen®5). Nichts bezeichnet die Verfahrenheit der diplomatischen Beziehungen Oesterreichs deutlicher, als daß sein Minister viel für gewonnen hielt, wenn es gelang, das Zarenreich zum Versprechen der Neutralität in dem Kampf zu bewegen, der zur Vernichtung der geltenden öffentlich-rechtlichen Ordnung gekämpft wurde. Auf die Berichte aus Petersburg hin hatte Buol am letzten T a g seiner Amtsführung den Spezialgesandten abberufen; Rechberg wies ihn an, noch zu verweilen") und hoffte, daß am Zarenhof eine Wendung zu Oesterreichs Gunsten nach dem Ausscheiden des gehaßten Buol eintreten könne. Unglücklicherweise halte Kârolyi bereits die Abschiedsaudienz beim Zaren gehabt, als Rechbergs Weisung eintraf®7). Nunmehr, bereits offiziell und ohne irgendein ermunterndes oder gnädiges Wort entlassen, ohne bestimmten Auftrag, ja ohne Möglichkeit, zur Besprechung mit dem Staatskanzler gezogen zu werden, lief er Gefahr, eine komische Figur zu werden®8). Immer dringlicher verlangte er die Erlaubnis zur Heimkehr. Was sollte in einem Land zu erreichen ®«) St. A., R e c h b e r g s Berichte aus F r a n k f u r t 16. Juli 1857, 30. Juni 1858, C a r t e g g i o , I, 106, Cavour, 24. Juli 1858. ®B) Carteggio, I, 118, Plombières, 163, 170, Brief des Zaren an V i k t o r Emanuel, 19./31. O k t o b e r 1858, I, 195, G e h . V e r t r a g , O k t o b e r 1858, A r t . 13, 198, 216. U e b e r den Inhalt der V e r t r a g s o f f e r t e an Rußland I, 231 f. Rußland lehnt ab. Im D e z e m b e r wird ein neuer V e r s u c h gemacht, 244, 15. Dezember. G e g e n f o r d e r u n g e n des Zaren. 254, 262, P i é m o n t will einem V e r t r a g mit Rußland z u g e z o g e n werden. 272, 299, II, 21, 18. F e b r u a r 1859, V e r t r a g F r a n k r e i c h s mit Rußland noch nicht unterschrieben. 112, 19. M ä r z 1859. D e r V e r trag vor e t w a 4 W o c h e n unterschrieben. '•) St. A., P e t e r s b u r g 1859, W e i s u n g e n . " ) a . a . O . , 16. Mai, Berlin, Bericht W e r t h e r s , 21. Mai. ®8) B i s m a r c k s W e r k e , I I I , Brief, 30. Mai 1859.

— 45 —

sein, wo die Nachrichten Uber die militärischen Unfälle der Oesterreicher mit einem Frohlocken aufgenommen wurden, als ob es Triumphe der eigenen Armee wären"). Am 25. Mai erteilte der Minister Kärolyi die Weisung abzureisen, nicht ohne auch jetzt noch der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß Zar und Kanzler ihr Urteil revidieren würden. Weit unmittelbarere Bedeutung hatte die Entscheidung Preußens, von dem man aktive Hilfe erwartete und verlangte. Der Kaiser hatte sich bald nach der Ernennung Rechbergs entschlossen, zur Armee zu gehen. Als der Minister davon abgeraten, hatte er ihm erwidert: Wenn das Schicksal des Reichs und der Dynastie auf dem Spiel stehe und allein von den Kräften der Armee abhänge, müsse der Kaiser sich in ihrer Mitte befinden10). Zunächst war Hübner, bisher Botschafter in Paris, bestimmt, den Kaiser nach Verona zu begleiten, doch mußte Rechberg bei diesem eigenwilligen und von sich eingenommenen Charakter den Versuch einer Nebenregierung befürchten; schließlich erhielt Fürst Richard Metternich diesen Posten, der, wie Rechberg überzeugt sein durfte, sein Amt lediglich als das des diplomatischen Verbindungsoffiziers auffaßte. In den Ministerratssitzungen, die der Abreise des Monarchen vorangingen, wurde immer wieder darauf hingewiesen, wie notwendig es sei, Oesterreich aus seiner Isolierung zu reißen. Der Krieg dürfe keinesfalls lokalen Charakter behalten, sondern wie es um das Weiterbestehen der europäischen Rechtsordnung ging, so gelte es auch, Gesamteuropa zu aktiver Stellungnahme zu vermögen. Diesem Zweck zu dienen, schien keine augenblickliche Rüstung, keine momentane Belastung des Staatsschatzes zu hoch oder zu schwer*1). „Unzeitige Ersparungen würden sich ohne Zweifel furchtbar rächen," meinte Graf Grünne und auch Rechberg stimmte bei. Der zur Armee abgehende Monarch überließ seinen Händen die Aufgabe, „den Krieg aus einem italienischen zu einem europäischen zu machen"; von diesem Gesichtspunkt aus waren zunächst die Verhandlungen mit Preußen zu führen. »•) Ebenda, 1 1 . J u n i 1859. Freilich glaubte auch Frankreich, U r s a c h e zu haben, über Rußlands Haltung zu klagen. Vgl. Bapst, a. a. O., 324. 40 ) Berlin, Werther, 29. Juni, bereits zitiert von Wertheimer, A n d r ä s s y I. " ) Ministerratsprotokoll, 1859, 26. und 28. Juni, bereits verwendet von Joseph Redlich, Reichsproblem, I.

— 46 — Ende Januar 1859 hatte der bayerische Gesandte in Paris Napoleon, der sich Uber die ihm ungünstige Haltung der deutschen Presse beschwerte, erwidert, daß dies nur auf die Furcht vor Ausbruch eines Krieges zurückzuführen sei, hatte aber immerhin entschuldigend hinzugefügt, daß die deutschen Regierungen „keinen Teil an dieser Haltung hätten" " ) . Nach der Kriegserklärung aber flammte die süddeutsche öffentliche Meinung begeistert für Oesterreich auf, während die preußischen Publizisten der Donaumonarchie fast ausnahmslos entgegentraten"), freilich nur ganz vereinzelt eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Oesterreich verlangend4*). So widerstreitend auch die Meinungen und Ratschläge der Berliner Staatsmänner sein mochten, darin stimmten sie überein, daß, da von einer fraglosen Ueberlegenheit Oesterreichs schon nach den ersten Kriegstagen nicht mehr die Rede sein konnte, in die Hände der preußischen Regierung die Entscheidung über die nächste Zukunft Europas gelegt sei 45 ). Man weiß, daß die Kreuzzeitungspartei den Krieg an Oesterreichs Seite wollte; ein unglücklicher Krieg ist besser als keiner, schrieb Gerlach; man weiß, daß Bismarck sich mit dem Gedanken trug, Preußen an Frankreichs Seite zu reißen und von dort aus dessen Stellung in Deutschland zu verbessern4*). Dem Prinzregenten würde ein Entschluß, Oesterreich im Stich zu lassen, dem Minister des Auswärtigen eine Entscheidung, Oesterreich im Feld zu helfen, Ueberwindung gekostet haben47); beide waren bereit, sachlichen Gründen sich zu 4J

) München, St. A., Frankreich, Berichte, 59, 26. Januar. ») V g l . Scheffer, Preuß. Publizistik, 1859, 116. 44 ) Scheffer, a. a. O., 145. In dem Meinungsaustausch Napoleon— Cavour spielt die Sorge um einen geeigneten Kriegsgrund von Plombières an eine besonders ausgedehnte Rolle. Carteggio, I, 104, 137, 157, 163, 167, 169, 17s, 183. Neuer Kriegsgrund, 240, 299, 12. Jan. 1859. I I , 14, 82, rechnet auf den Jähzorn F r a n z Josephs. 45 ) Berlin, St. A., Akten betr. Fragen über das Verhalten Deutschlands und besonders Preußens bei Teilnahme Frankreichs an einem etwaigen Kampf gegen Oesterreich und in Italien, Bd. V , Werther, 29. Juni. « ) Werke, I I I , 12. Mai 1859. 47 ) Koller, der österreichische Gesandte in Berlin, 6. Mai: Wäre der Prinzregent der Leiter der preußischen Politik und nicht der Geleitete, so stünden die Sachen besser. Aber seit der Uebertragung der Regentschaft im Herbst 1858 war die Führung der Geschäfte durch den Prinzregenten weit zielbewußter geworden. F ü r dessen Haltung Kaiser Wilhelms Weimarer Briefe, I I , 27. Febr. und 8. Juni 1859. 4

— 47 — fügen, beide entschlossen, den Augenblick zur Vergrößerung der preußischen Macht zu benutzen. Der Prinzregent hoffte dies im Einverständnis mit Oesterreich zu erreichen und hatte den General Willisen 471 ) als Spezialgesandten nach Wien geschickt. Der preußische Gesandte dort dürfte der Zustimmung des Prinzen gewiß gewesen sein, als er von Kaiser Franz Josef schrieb 49 ): Dieser junge Herr, wie auch die Ereignisse der nächsten und entfernten Zukunft sich gestalten mögen, verdient von Seite Eurer Königlichen Hoheit eine möglichst warme Teilnahme, doch freilich nur, soweit sie die Ehre und die Interessen Preußens gestatten. Der Kaiser von Oesterreich, eben in dieser Frage vom Bewußtsein erfüllt, daß seine Heere das verletzte europäische Recht schützten, erwartete die preußische Hilfe als Gefolgschaftsleistung. In Gewährung von Ehrenrechten sich hierfür erkenntlich zu zeigen, war er bereit*"). Dabei war er sich der Bedeutung des preußischen Entschlusses völlig bewußt, denn schon am 4. Juni schrieb sein Vertrauensmann, daß die Entscheidung erst am Rhein fallen werde 80 ). Von seinem Minister gewannen der preußische und der bayerische Gesandte binnen kurzem die Ueberzeugung, daß er gegenwärtig von der Notwendigkeit einer dauernden und gründlichen Verständigung mit Preußen durchdrungen sei 61 ). Für eine solche Verständigung hatte er ja schon in Frankfurt gewirkt"), doch am Primat Oesterreichs in Deutschland hielt auch er fest, die Konzcssionen sich vor allem auf formalem Gebiet vorstellend. „Wenn ein Wegelagerer", schrieb Rechberg nach Berlin8*), „einen Reisenden anfällt, so kann ein Dritter zwischen diesen beiden nicht vermitteln wollen. Es bleibt ihm keine Wahl, als sich auf die Seite des Angegriffenen zu stellen, wenn er nicht selbst gegen das Gesetz verstoßen will." Zunächst verfolgten beide Mächte die gleiche Taktik: Die eigene Leistung wurde in Aussicht gestellt, vom andern die bindende Zusage verlangt. * 7 1 ) U e b e r W i l l i s e n Schweinitz D e n k w ü r d i g k e i t e n , I, 129: Geistvoll, unterrichtet, aber er will alles verstehen. * 8 ) Berlin, a. a. O., 29. Mai. *•) M e t t e r n i c h , V e r o n a , 8. und 9. Juni. D e r K a i s e r ist fest entschlossen, jede Friedensvermittlung Preußens, die nicht auf strengster A u f r e c h t e r h a l t u n g der V e r t r ä g e begründet ist, z u r ü c k z u w e i s e n . 80 ) Metternich, 4. Juni, St. A., K r i e g 1859, F a s z i k e l 1. 8 1 ) Berlin, a. a. O., 18. Mai, München, H a u p t b e r i c h t 1859. « ) R e c h b e r g s Bericht aus F r a n k f u r t , z. B., 19. D e z e m b e r 1855, 28. F e b r u a r 1856, 17. März, 17. Juni 1857, 30. Juni 1858, St. A . 68 ) W e i s u n g e n Berlin, 16. Juni 1859, St. A .

— 48 — Jeder erwartete den ersten Schritt vom andern; doch schien sich die Stellung binnen kurzem zugunsten Preußens zu verschieben. Dieses durfte glauben, nur zu gewinnen, wenn es Geld und Heer nicht zu früh einsetzte, Oesterreich aber, dessen Armee von Anfang an im Nachteil war, mußte alles daran gelegen sein, die Hilfe möglichst frühzeitig zu erhalten. Daher wurden die Schritte Oesterreichs immer dringlicher, und kam es daher, daß Preußen immer von neuem zögerte? Seit Solferino tauchten Gerüchte 5 *) von einem direkten Frieden auf, den Oesterreich mit Frankreich schließen würde, falls Preußen den Bogen überspannte. In den letzten Maitagen glaubte Rechberg, der die Aussichten der Verhandlungen bis dahin sehr ungünstig beurteilt hatte, den entscheidenden Schritt zu tun85); er erklärte sich bereit, die Zeitbestimmung der Aufstellung des Observationskorps am Rhein und den Eintritt in die volle Kriegsgemeinschaft Preußen zu überlassen, dagegen verlangte er, daß die mündliche Mitteilung Willisens, Preußen werde zur Erhaltung des österreichisch-italienischen Besitzes die Waffen ergreifen, schriftlich niedergelegt werde 56 ). Rechberg verlangte nicht mehr, als Preußen ihm mündlich bereits zugesichert hatte, und doch setzte nun aus Berlin jenes andauernde Hinauszögern ein, das den in wachsender Not auf Antwort wartenden Kaiserstaat endgültig mißtrauisch und argwöhnisch machte. Sechzehn Tage ließ die Antwort Preußens auf sich warten; am 4. Juni aber hatte die österreichische Armee die erste große Niederlage des Feldzugs erlitten. Und doch hatten zunächst sachliche Gründe Preußen zögern lassen. Berlin wollte die Regelung der Anleihe abwarten, ehe die teilweise Mobilisierung angeordnet wurde, und in der Atmosphäre gegenseitigen Mißtrauens zwischen den beiden deutschen Großmächten wagte man nicht, Oesterreich seinen Entschluß vorher im geheimen wissen zu lassen57), ja, Preußen ging so weit, seine Antwort nach Wien nur mündlich mitteilen " ) Schon 16. Juni meldet K o l l e r aus Berlin solche B e f ü r c h tungen. 5 5 ) München, P o l i t . Arch., I I I , 32, 21. Mai. Kempen, Tagebuch, 31. Mai. M ) St. A., W e i s u n g e n Berlin, 30. Mai. 5 7 ) D i e A n d e u t u n g , die Schleinitz am 6. Juni zu K o l l e r machte, w a r v ö l l i g unbestimmt. A m 11. teilte Schleinitz den Beschluß der M o b i l m a c h u n g im strengsten Geheimnis K o l l e r mit. D e r Beschluß w a r am 8. Juni gefaßt worden und sollte bis zum 14. Juni geheim bleiben. Berlin, A r c h i v des Staatsministerium, K r o n r a t - P r o t o k o l l v o m 8. Juli 1859.

— 49 — zu lassen. Gleichzeitig mit der Mobilisierung wurde ein Vermittlungsversuch angekündigt, der Berlin, Petersburg und London zu gemeinsamer Intervention einen sollte. Preußen betonte seine Sympathie für Oesterreich, wahrte sich aber volle Handlungsfreiheit. Rechberg wies den Gedanken einer arbiträren Vermittlung entschieden zurück. Damals verglich er Oesterreich mit dem von einem Wegelagerer Angefallenen und erinnerte Preußen an dessen Pflicht in dieser Lage, „wenn es nicht auch gegen das Gesetz verstoßen wolle". Aber eben dies wollte Preußen vermeiden: Als für sich verbindlich ein Gesetz anzuerkennen, das Oesterreich den klaren Vorrang in Deutschland zuwies. Rechberg hingegen glaubte auch jetzt noch ein tatsächliches Zugeständnis vermeiden zu können, und mit einem Hinweis auf jene Rechtsordnung, die Berlin innerlich verlassen hatte, Eindruck zu machen. Nochmals wiederholte er: „Oesterreich kämpft für die verletzten Rechte und den verletzten Besitzstand der Fürsten. Dies ist eine Aufgabe, bei welcher alle Throne Europas in gleichem Maß interessiert sind." Wiederum schwieg Berlin. Solferino wurde geschlagen. Am 30. Juni sprach Rechberg von der Möglichkeit eines direkten Friedens, sofort hinzufügend, daß er diesen, der Napoleon eine klare Suprematie verleihen würde, für einen großen Fehler halten würde. Seine Worte erinnerten an das Programm, nicht etwa der Großdeutschen, nein, an die Sätze, die Radowitz über die Bedeutung des italienisch-österreichischen Besitzes für Deutschland in der Nationalversammlung gesprochen hatte. „Wir verteidigen heute mit der äußersten Kraftanstrengung die Grenzen des deutschen Bundesstaates in dem Vorwerk zwischen Etsch und Mincio." Und angesichts des Schlachtfeldes von Solferino durfte er hinzufügen: die Ereignisse drängen. Tags darauf wurde beschlossen, den alten Feldmarschall, den Fürsten Windischgrätz, nach Berlin zu senden, um auf den Prinzregenten direkt einzuwirken und den Eindruck teilweise zu verwischen, den die Nachricht von Solferino auch in Berlin hervorgerufen hatte®"). Vor allem sollte der drohende Hinweis wirken, daß, wenn Preußen Oesterreich jetzt im Stiche lasse, es demnächst Napoleon gegenüberstehen werde. Endlich deutete man, wenn auch nur vag, die Bereitwilligkeit zu einem effektiven Zugeständnis an, zur Uebertragung des Oberbefehls an den Prinzen von Preußen. M

)

Instruktion

1859, Varia.

Engel-Jtnosi, Rechberg;

für

Windischgrätz,

St. A .

Berlin,

Weisungen 4

— 50 — Fast gleichzeitig mit der Berliner Sendung erfolgte die zweite Mission Oesterreichs. Am 22. Juni, also vor Solferino noch, war Fürst Paul Esterhäzy in London angekommen, um England aus seiner neutralen Haltung herauszureißen. Begründung für diesen Schritt sollte das Interesse Europas an dem ungeschmälerten Bestand Oesterreichs sein, während ein Triumph Frankreichs die Erschütterung des europäischen Gleichgewichts mit Sicherheit erwarten lasse"). Oesterreich hatte sich England gegenüber äußerlich ins Unrecht gesetzt, als es Ende April dessen Vermittlungsvorschläge unterbrach; innerlich dadurch, daß seine Armeen keinen Sieg zu erringen vermochten, und der Mitte Juni erfolgte Ministerwechsel, der die Italienfreunde Palmerston und Russell wieder ans Ruder gebracht hatte, ließ die Mission des ehemaligen Botschafters in London vollends als wenig aussichtsreich erscheinen. Es fehlte jeder Grund, der die öffentliche Meinung für einen Krieg an der Seite Oesterreichs begeistern sollte. Wohl fürchtete man Napoleon, aber schien nicht eben Oesterreich völlig ungeeignet, ihm Widerstand entgegenzusetzen? Und gab es nicht die Möglichkeit, ihm von Italien aus entgegenzutreten? Esterhäzy, der diese Schwierigkeiten kannte und würdigte, vermochte sie nicht zu besiegen. Er wußte lediglich persönlich gesellschaftliche Erfolge zu erringen. Für Oesterreich war die diplomatische Mission Windischgrätz' die letzte Hoffnung. Im Hauptquartier hatte man alle Erwartungen, die man einst überschwenglich und leichtgläubig gehegt, aufgegeben. Schon nach Magenta hatte die Stimmung umgeschlagen, schon damals wurden Aeußerungen der Reue und der Selbstanklage laut, schon damals hatte Grünne erklärt, daß er das Vertrauen des Kaisers auf die Zukunft nicht zu teilen vermöge, schon damals war aus der Reihe derer, die so abfällig über die Bemühungen Buols, die Krise durch Verhandlungen zu klären, abgeurteilt hatten, an dessen Nachfolger der Ruf um Hilfe ergangen: Vous auquel nous tous nous crierons: au secours'0). Nach Solferino aber schrieb Metternich, der Sohn des vor wenigen Tagen nach der Nachricht von Magenta verschiedenen Staatskanzlers, aus dem Hauptquartier«1): „In Italien ist nichts mehr zu machen. Ein Wunder allein kann uns noch zu Hilfe kommen . . . Gegen den Feind, der uns umzingelt und erdrücken wird, ist nichts mehr *•) St. A . London, 1859, Instruktion an Esterhäzy im Mai 1859. Metternich, St. A. K r i e g 1859, Faszikel i, Verona 9. Juni. 81 ) Metternich, 29. Juni a. a. O. Kempen, Tagebuch, 27. Juni.

— 51 — zu tun. Die Armee finde ich auf einen unglaublichen Grad demoralisiert; den Kaiser ergeben und noch aufmunternd, aber von der Gewißheit durchdrungen, daß wir uns ä la longue auch hier nicht halten können . . . Das Gefühl der eigenen Schwäche und der Ueberlegenheit des Feindes erdrückt die Tapfersten. Das Selbstvertrauen ist geschwunden." Es ist kein Zweifel, daß Oesterreich, innerlich und äußerlich, sich von dieser Schlacht nie mehr erholt hat. Der Kaiser, der vier Wochen vorher so stolze Worte für seine Pflicht zur Armee zu gehen, gefunden hatte, war entschlossen, nach Wien zurückzukehren. „Das Selbstvertrauen ist geschwunden." Im Innern aber war weit über die dumpfe Unzufriedenheit der westlichen Provinzen hinaus die Gärung des unterdrückten Ungarns durchgebrochen. Die ungarischen Führer wollten diese Tage zur Wiedererringung ihrer alten Rechte benützen, sie waren jetzt die Starken, sie vermochten auf die in den entscheidenden Tagen von 1859 wie von 1918 wankende Treue ihrer Regimenter hinzuweisen, sie konnten von der ungarischen Legion sprechen, die Klapka im Auftrag Napoleons sammelte. Als Rechberg Ende Juni wieder ins Hauptquartier reiste, schien es klar, daß es um die ungarische Frage ging. Cavour freilich hat an einen irgendwie entscheidenden Einfluß der ungarischen Legion oder Insurrektion nicht geglaubt"). Aber bis in die höchsten Kreise, bis zu den Erzherzogen, hatte bittere Unzufriedenheit, die sich hemmungslos aussprach, den Weg gefunden"). Hatte Buol auch darin geirrt, daß er erklärte, den Einsatz dieses Krieges bilde die Krone der Lombardei gegen die Frankreichs? England hatte sich versagt, nur aus Berlin konnte die Hilfe, konnte der ersehnte militärische Beistand kommen, für den man niemals von Oesterreich einen Preis verlangen konnte, wie in den letzten Tagen des Juni 1859. Am 1. Juli") kam die Nachricht, daß Preußen den Vermittlungsversuch unternommen und sich deshalb nach London und Petersburg gewandt hätte. Ueber das eigentliche Wesen dieses Versuchs waren nicht mehr als inhalts- und bedeutungslose Redensarten zu erfahren. Damals trat Windischgrätz die Reise nach Berlin an. Obwohl die Stimmung dort, die schon seit Wochen von einer Teilnahme am Kriege nichts wissen wollte, seit Solferino sich noch verschlechtert hatte, und obwohl der Feld")

Carteggio, II, 231, 1. Juli. Kempen, Tagebuch, 12. Juli 1859. 6 ' ) Telegramm Kollers, 1. Juli.

4*

— 52 —

marschall selbst bei den Militärs mit wenigen Ausnahmen nicht die gewohnte Sympathie für Oesterreich begegnete, so beurteilte er die Aussichten doch weniger trüb als der ständige Gesandte. Freilich zeigte sich nach den militärischen Ereignissen in der Poebene keine Geneigheit, eine Garantie für die österreichischen Besitzungen zu Ubernehmen. Noch schwankte die Berliner Politik, auf die es ungünstig wirkte, daß Oesterreich in Frankfurt versuchte, den Oberbefehl des Prinzen von Preußen unter die Botmäßigkeit des Bundestages zu bringen. Windischgrätz wußte, daß ein großer Teil des Ministeriums und Schleinitz selbst die Teilnahme Preußens am Kriege hindern wollten, doch die Militärs gewannen wieder an Einfluß. Am 8. Juli fand ein Kronrat statt, in dem nicht nur die starke Verschiedenheit in den Ansichten hervortrat, sondern auch, daß fast sämtliche Teilnehmer vor der Frage, was Preußen zu tun habe, an viel weiter ausgreifende Ziele dachten. Wohl betonte der Regent, daß er sich wie stets, so auch bei der angeordneten Teilmobilisierung nur von den Interessen Preußens bestimmen habe lassen; doch, wenn Preußen nunmehr in den Krieg eintrete, so sei das Ziel nicht etwa die Wiedererwerbung Italiens für Oesterreich, sondern „die Unterdrückung der französischen Suprematie, die Befreiung Deutschlands und Europas von dem Druck des französischen Uebermuts. Auf diese Weise könnte vielleicht indirekt die Restituierung der Lombardei an Oesterreich herbeigeführt werden". Der Prinz sah seine Haltung von dem nach der Niederwerfung Oesterreichs zu erwartenden Angriff Frankreichs gegen Preußen diktiert. Schleinitz widersprach der Auffassung des Regenten. Nicht Preußen allein, ebenso Rußland und England hätten für die Aufrechterhaltung des europäischen Gleichgewichts zu sorgen. Das Interesse am Präventivkrieg gegen Frankreich gab er zu, erklärte aber, daß Preußen allein einem solchen Krieg nicht gewachsen sei. Diese Ansicht wurde auch vom Minister für geistliche Angelegenheiten vertreten, der sich überdies der Hoffnung hingab, daß Frankreich infolge der Mediation freiwillig auf seine Suprematie „gewissermaßen verzichten" würde. Fürst Hohenzollern aber, der Präsident des Ministeriums, wollte den Kriegseintritt Preußens nur im Hinblick auf Deutschland beurteilt wissen. Preußen müsse die Führung in Deutschland gewinnen, „ein Ziel, welches selbst durch den blutigsten Krieg nicht zu teuer erkauft würde". Auch der Regent zeigte sich von diesem Argument beeinflußt und ergänzte seine Ansicht für die Teil-

— 53 —

nähme am Krieg durch die Begründung, daß Preußen nur unter dieser Bedingung an der Spitze Deutschlands bleiben werde. Der Kriegsminister griff auf die früheren Ausführungen des Kegenten zurück, daß der Krieg gegen Frankreich um der Existenz Preußens willen jetzt eine Notwendigkeit sei. Auch an diesem Tage konnte in Berlin keine Uebereinstimmung erzielt, ja nicht einmal ein Beschluß gefaßt werden. Die Fachminister wie der größte Teil der öffentlichen Meinung in Berlin waren gegen die Teilnahme am Krieg, der Regent, Fürst Hohenzollern und die Militärs dafür4»). Welche der zwei Gruppen den Endsieg davontragen würde, war nicht vorauszusehen. Bismarck meinte: „Ich fürchte, wenn Preußen zum Kriege schreitet, Oesterreichs Verrat mehr als Frankreichs Waffen"). Die Nachricht vom Waffenstillstand übte ihre Wirkung. Am n . Juli meldete Windischgrätz eine Oesterreich wesentlich günstigere Stimmimg, und daß er binnen kurzem ein Uebereinkommen mit Preußen zu schließen hoffe*7); am gleichen Tage langte die Nachricht vom Friedensschluß ein. Während Preußen mit sich selbst nicht ins reine kommen konnte, gab es Oesterreich Ursache zu glauben, daß die Entscheidung in einem dem Kaiserstaat ungünstigen Sinn gefallen sei. Hat man sich doch nicht nur die Notlage Oesterreichs in diesen Tagen vor Augen zu halten, sondern auch alles Mißtrauen und alle Verbitterung, wie sie sich zwischen den deutschen Großmächten durch ein Jahrzehnt aufgespeichert hatten. In diesem Augenblick verlangten sie ihren Zoll, der ihnen voll entrichtet wurde; denn, trotz allem, ohne ein plumpes Mißverständnis wäre am n . Juli dieser Frieden von Villafranca nicht geschlossen worden. Preußen hatte Ende Juni in Petersburg und London die Vermittlung zwischen den beiden Kriegführenden angeregt, eine Intervention, die Oesterreich anzuerkennen sich weigerte88). Die Verhandlungsbasis sollte • 5 ) Berlin, Archiv des Staatsministeriums, Kronratsprotokoll 8. Juli 1859. ••) Werke, III, 9. Juli. • 7 ) Noch dringlicher das nicht mehr abgegangene Telegramm Windischgrätz vom 12. Juli. St. A. Berlin, Berichte 1859: „Bitte dringend bei Unterhandlungen nichts zu vergeben. Ein Offensivund Defensivübereinkommen glaube ich binnen 24 Stunden zu erreichen." 68 ) Die Depesche nach London vom 24. Juni, Berlin, Akten usw. Pourtales Bericht, 30. Juli, wird mitgeteilt 4. Juli. D i e nach Petersburg vom 24. und 26. Juni traf am 2. Juli dort ein. Bismarck Werke, III, 2. Juli 1859.

— 54 — nicht eine Gebietsabtretung Oesterreichs, sondern lediglich „Reformen und Verwaltungsänderungen" in Oesterreichischitalien bilden"). Obwohl Rußland und England sich den Anschein gaben, überzeugt zu sein, daß die Intervention mit Oesterreich vereinbart war70), und dies benutzten, um die Depesche aus Petersburg nach Paris mitzuteilen, erfolgte eine solche Bekanntgabe von Preußen an Oesterreich nicht71). Selbst wenn man Schleinitz' Erklärung guten Glauben zubilligt, er wolle der neutralen Stellung Preußens auch nicht den Schein einer Gebundenheit anhängen; er mußte die Wirkung dieser Weigerung auf Oesterreich bedenken, zumal die Zuträgereien von anderen Seiten um so lebhafter einsetzten. Trotz allen blutigen Niederlagen, die diplomatische Situation Oesterreichs hatte sich gebessert; von der Mincio-Grenze hatte man seit Kriegsbeginn gesprochen, und besonders an der Newa 7 '), wo es weit mehr um eine Demütigung Oesterreichs als um Errichtung eines nationalen Italiens zu tun war, wo man an den zunehmend radikalen Methoden der Kriegführung, an der Bildung einer ungarischen Legion, an der Aufwieglung der österreichischen Völker immer weniger Freude hatte. Preußen hatte die Mobilisierung beschlossen, niemand wußte, wozu es sich entschließen würde; aber daß die französische Ostgrenza keinen genügenden Widerstand leisten konnte, war gewiß. Die Verstimmungen und Reibereien zwischen den Verbündeten nahmen zu: Italien hatte nicht alles gehalten, was Frankreich sich von ihm versprochen; das toskanische Aufgebot hatte kläglich versagt7*). Wohl hatte Napoleon in Plombières im geheimen sich verpflichtet, den Krieg fortzusetzen bis die Oesterreicher den Boden Italiens verlassen hätten7*), wohl hatte er bei Kriegsbeginn verkündet, daß es durch Oesterreichs Verhalten so weit gekommen sei, daß dieser Staat entweder in Italien bis an die Alpen herrschen oder von diesem Boden ver••) Berlin, St. A., I, A B e IO Vol., V I I I , Russell an Bloomfield, 7- Juli. 7 0 ) Bismarck, a. a. O., 2. Juli und 9. Juli. 7 1 ) Rechberg an Koller, 28. Juli, Weisungen: Noch am 6. Juli beauftragte ich Sie auf das bestimmteste, die Mitteilung des preußischen Mediationsvorschlags zu verlangen; das königliche Kabinett aber hat dies verweigert. 7 1 ) Darüber Raschdan, Bismarck, 19. Mai. AeuBerungen Gortschakows, 17. Juni, Alexanders über diesbezügl. Besprechungen mit dem französischen Botschafter. " ) Carteggio, I I , 209, Prinz Napoleon, 27. Mai 1859. '*) Im Vertrag Januar 1859 bereits verklausuliert und bedingt.

— 55 — schwinden müsse. Wohl hielt England auch jetzt noch an dieser Ansicht fest. Aber die Sorge über die europäische Lage hatte den Kaiser der Franzosen schon vor Kriegsausbruch Monate hindurch zögern lassen — „con tutto ciò l'Imperatore è una carogna ", hatte Viktor Emanuel damals ausgerufen —, nun am Mincio angekommen, zeigten sich Anzeichen, daß Europa einem weiteren Vordringen Widerstand entgegensetzen werde"). Europa, das Cavour als Gesamtheit aus seinen diplomatischen Erwägungen ausgeschaltet hatte, stellte sich jetzt entgegen. Nigra schreibt, daß Frankreich bereits am 30. Juni zum Frieden entschlossen war. Napoleon sondierte, zuerst nach Berlin. Der erste Versuch mißlang völlig, der Prinzregent verweigerte jede Auskunft78). Dann schickte man den am preußischen Hof wohlgelittenen Landschaftsmaler Gudin. Es gelang ihm, dem Prinzen von Preußen eine längere Unterredung abzulisten, während der er im Auftrag Napoleons Preußen die Abgabe einer Neutralitätserklärung nahelegte77). Der Regent wich allen verfänglichen Fragen aus. „Ces armements ne sont point encore la guerre, mais non plus une neutralité armée", sagte er, als Gudin über das Wesen der preußischen Rüstungen fragte. Gudin aber, nach Paris zurückgekommen, machte aus den üblichen Reden wohlmeinender Gefühle die freundschaftlichsten Versicherungen. Der Prinzregent hatte gesagt, er wolle Preußen eine völlig selbständige 7S) Carteggio, I I , 229, V i k t o r E m a n u e l an den P r i n z e n von Carignan, 24. Juni, 230. Cavour an den Prinzen Napoleon, 1. J u l i , dessen S o r g e vor den europäischen Intrigen, an denen Rußland beteiligt scheint. Vgl. a. a. O., Appendice, I I , frammenti di C. Nigra. 7 ») B e r l i n , I, A B e 10, Bd. V I I I , Reuß, 29. Juni, B e m s t o r f f , 23. J u l i . 77) D e r P r i n z hatte zunächst es zu vereiteln gesucht, ihn zu e m p f a n g e n . Gudin erwirkte eine Audienz, um sich verabschieden zu dürfen. U e b e r die Unterredung die eigenhändigen ausführlichen Aufzeichnungen des Prinzen, Berlin, Akten betreffend die F r a g e n usw., Bd. V I . Babelsberg, Juni 1859. B e r i c h t von B e m s t o r f f , L o n don, 23. J u l i , und Pourtalés, P a r i s , 2. August. A k t e n betreffend die F r a g e usw., Bd. V I . Man vergleiche die in P a r i s geschöpften M i t teilungen des preußischen B o t s c h a f t e r s in L o n d o n mit den A e u ß e rungen des Regenten. B e m s t o r f f schreibt: D e r R e g e n t gestand ihm ( G u d i n ) , daß sein einziger W u n s c h F r i e d e sei, und daß, obgleich gezwungen, der öffentlichen Meinung, welche in diesem A u g e n b l i c k für K r i e g sei, etwas zu opfern, dennoch kein Gedanke O e s t e r r e i c h zu helfen, in seinen K o p f g e k o m m e n sei. B e i n a h e wundert man sich, daß B e m s t o r f f all dies ohne eine kritische B e merkung schreiben kann.

— 56 — Haltung bewahren, um, wenn die Zeit gekommen, die Friedensvermittlungen Ubernehmen zu können. Gudin berichtete, es läge nach den Worten des Prinzen weder in der Absicht noch im Interesse Preußens, mit Frankreich Krieg zu führen, und der Regent habe der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die guten Beziehungen, die zwischen den beiden Mächten bisher bestanden hätten, nicht getrübt werden möchten. Gudins Bericht wurde ins Hauptquartier Napoleons gesandt. Von Petersburg und London aus war der preußische Vermittlungsvorschlag nach Paris mitgeteilt worden. Am 7. Juli ließ Napoleon in Berlin nahelegen, einen Waffenstillstand vorzuschlagen, worüber Preußen sofort die beiden anderen neutralen Machte befragen ließ7"). Der Waffenstillstand aber wurde, ehe die Anfragen noch erledigt sein konnten, am 8. Juli zwischen den beiden Kriegführenden direkt abgeschlossen. Frankreich hatte die preußische Verhandlungsgrundlage, die keine Gebietsabtretung an Oesterreich kannte, verworfen und formulierte seine Friedensvorschläge in sieben Punkten: Piemont sollte die Lombardei und die mittelitalienischen Herzogtümer erhalten, Venetien und Modena unter einem österreichischen Erzherzog einen selbständigen Staat bilden, in den Legationen ein Laienfürst Vizekönig sein und sämtliche italienischen Staaten zu einem Bund zusammengeschlossen werden79). Am 10. Juli wurden sie nach London mit der Bitte um Unterstützung mitgeteilt. Am 11. Juli sollte die Zusammenkunft der beiden Kaiser stattfinden. Auf die Nachricht von energischen Bewegungen der französischen Flotte hatte sich wohl zunächst bei Russell einige Verstimmung gezeigt"»); nunmehr ging er aber wieder mit Palmerston Hand in Hand. Die beiden Minister wandten sich an die Königin mit der Bitte, die Vorschläge Frankreichs zu unterstützen. Noch am gleichen Tage lehnte die Königin dieses Begehren ab und verlangte die Vorlage an das Kabinett. Palmerston aber schrieb, noch ehe die Antwort der Königin eingetroffen sein konnte, an den französischen Botchafter, daß er und Lord John zwar der Form halber einen Kurier an die Königin gesandt hätten und daß die Antwort erst am folgenden Tage eintreffen würde, er und 7 ") Berlin, I, A B e io, Bd. V I I I , 7. Juli nach Petersburg und London. 7( ) Diese Vorschläge teilt Russell am 10. Juli dem österreichischen Botschafter in London mit, ohne selbst hierzu Stellung zu nehmen. Bemstorff, 4. Juli.

— 57 — der Staatssekretär seien jedoch persönlich der Ansicht, daß England die französischen Punkte unterstützen müsse"1). Aus dieser persönlichen Zustimmung zweier Minister machte der Botschafter in seinem Telegramm an Napoleon die Zustimmung Englands, und dies um so eher, als die Zeit infolge des für den nächsten Tag vereinbarten Zusammentreffens der Monarchen sehr drängte. Schließlich wurde Napoleon noch ein dritter Bericht vorgelegt. In einer der letzten Unterredungen des preußischen Ministers des Auswärtigen mit dem französischen Gesandten hatte Schleinitz, der ja den Oesterreich ungünstigen Flügel in der preußischen Politik vertrat, geäußert, daß Oesterreich, wenn es große Schwierigkeiten machen und insbesondere den preußischen Vermittlungsvorschlag verwerfen sollte, weder auf faktische Hilfe, noch auch auf moralische Unterstützung Preußens rechnen könne"). Auch da wurde wieder die unverbindliche Aeußerung eines Ministers als feierliche Zusage des Staates ausgespielt. Auf diese Meldungen hin bewies Napoleon dem Kaiser von Oesterreich in Villafranca, daß England und Preußen ihm auch noch das uneroberte Venetien entwinden wollten; die Berichte über die Aeußerungen der leitenden Minister, ja selbst die über vertraute Mitteilungen des Prinzregenten konnten Franz Josef vorgelegt werden. Der Brief, den Napoleon hierüber noch am n . Juli aus Valeggio an seinen Gegner schrieb, ist erhalten. Er hat seine Wirkung nicht verfehlt. „Je n'aurais jamais cédé à la pression d'un aréopage européen", antwortete Franz Josef. Er drängte in Villafranca zum Abschluß. Auf der Rückreise von der Front sagte er seinem Polizeiminister, daß Napoleon ihm die schriftlichen Beweise 8 1 ) D e r Brief Russells, 10. Juli 1859, an die K ö n i g i n . T h e letters of the Q u e e n , I I I , 450. A n t w o r t der K ö n i g i n ebd. Bericht B e r n s t o r f f , Berlin, a. a. O., 23. Juli. " ) S o der Bericht Pourtalés. P a r i s , 30. Juli. Napoleon selbst stellte den V o r g a n g dem österreichischen V e r t r e t e r e t w a s anders dar. E r habe im Augenblick der U n t e r z e i c h n u n g der Präliminarien in V a l e g g i o die Nachricht erhalten, daB die preußische R e g i e r u n g die französischen V o r s c h l ä g e annehme. Dies habe er F r a n z Joseph w i s s e n lassen, „pour lui fair comprendre qu'il g a g n a i t a traiter directement avec nous". Später erfuhr er, daB die A u s s a g e des B a r o n v o n Schleinitz nicht schriftlich vorläge. E r freue sich, an F r a n z Joseph erst nach F e r t i g u n g der Präliminarien geschrieben zu haben. 16. A u g u s t , Berichte, P a r i s , St. A .

— 58 — von Preußens Perfidie übergeben habe8*). Und so entstanden die Stellen im Armeebefehl und im Laxenburger Manifest, in denen der Kaiser vor seinem Volk und aller Welt darüber klagte, von seinem natürlichen Bundesgenossen im Stich gelassen worden zu sein8*). Vergebens war es, daß Preußen auf Klarstellung drang, daß ein endloser Depeschenwechsel einsetzte, in dessen Verlauf auch die üblichen indiskreten Publikationen erfolgten. Oesterreich beharrte nach außen auf seinem Standpunkt um so mehr, als es die inneren Gründe, die den Frieden herbeigezwungen, nicht ausdrücklich bekennen wollte. Den Prinzregenten hatte die Nachricht vom Friedensschluß erschreckt. Er sah nun sein Land Frankreich ausgeliefert, er sah jenen Fall der Störung des europäischen Gleichgewichts eingetreten, den er im Kronrat um jeden Preis vermieden wissen wollte. Einen Brief an Franz Josef schloß er mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß Oesterreich und Preußen dem gemeinsamen Feind das nächstemal einig gegenübertreten würden 85 ). In der von Biegeleben entworfenen Antwort aus Wien aber wurde erwidert, daß solche Anschauungen nach dem erfolgten Friedensschluß nicht anders als verspätet erscheinen könnten; Oesterreich habe ohne Rückgedanken die neuen Verhältnisse angenommen, welche durch die Annäherung an Frankreich geschaffen wurden 88 ). Viele Umstände hatten dazu gedrängt, daß der Friede im Juli zustandekam. Auf Oesterreich drückten die Verhältnisse im Innern, vor allem die Ungarn, wobei aber nicht genug betont werden kann, wie gering selbst Cavour die Aussichten für eine irgend belangreiche revolutionäre Erhebung in Ungarn einschätzte; auf Napoleon lastete die außenpolitische Lage Europas. Daß aber Franz Josef, mit dessen Jähzorn Cavour von Beginn an gerechnet hatte, diesen Frieden verhandelte, erfüllt von Bitterkeit gegen Preußen, daß er glaubte, " ) K e m p e n , T a g e b u c h , 15. Juli 1859. Salata, N a p o l e o n I I I e F r a n c e s c o G i u s e p p e e la pace di V i l l a f r a n c a . N u o v a A n t o l o g i a 1923. N a p o l e o n spricht auch von der ihm mitgeteilten Z u s t i m m u n g aus P e t e r s b u r g zu den sieben P u n k t e n . 8») D a s M a n i f e s t v o n T h i e r r y , dem n a c h m a l i g e n Polizeiminister verfaßt. K e m p e n , 14. Juli. 85) Brief, 14. Juli. Berlin, W e i s u n g e n , 1859. M) Ebd. E s finden sich drei E n t w ü r f e zur A n t w o r t , ohne daB nach dem W i e n e r Material entschieden werden k ö n n t e , welcher derselben a b g e g a n g e n . U e b r i g e n s hat F r a n z Joseph in dem oben e r w ä h n t e n G e s p r ä c h mit K e m p e n erklärt: D i e L o m b a r d e i werden w i r ja wieder erobern. T a g e b u c h , 15. Juli.

— 59 — er gewänne, je früher er zum Abschluß komme' 7 ), während der Druck der äußeren Kräfte sich ständig für Oesterreich günstiger gestaltete: als notwendig kann dies nicht bezeichnet werden, mag die dadurch gesteigerte Spannung zwischen den deutschen Großmächten noch so sehr in der Linie großer historischer Kräfte gewesen sein. Bei entgegenwehendem Wind kann man den gegenüberliegenden Punkt auf einen Schlag nicht erreichen; jedoch, wieviel Raum preisgegeben wird, das hängt zum großen Teil von der Eignung dessen, der das Steuer führt, ab. Die Friedensbesprechungen wurden von den zwei Monarchen persönlich, ohne daß ein Dritter zugezogen worden wäre, gepflogen. Napoleons Sache war es nicht, seinen Gegner daran zu erinnern, wie er für sein in der schwersten finanziellen Not stehendes Reich die finanziellen Fragen der abgetretenen Lombardei zu lösen gedachte. Der Vetter des Kaisers der Franzosen, mit dem am nächsten Tage die Punkte schriftlich aufgesetzt wurden, vermied es ebenfalls, in der Unterredung irgendeine finanzielle Transaktion zu berühren 8 "). Die Abtretung der Lombardei hatte Franz Josef im wesentlichen bald zugestanden, auch über den von allen italienischen Staaten zu errichtenden Bund, der schon in Plombières vereinbart war, scheint man sich schnell geeinigt zu haben, wobei der Kaiser von Oesterreich die Stellung der Donaumonarchie in diesem Bund gesprächsweise mit jener verglich, die Holland wegen Luxemburgs im Deutschen Bunde innehabe. Napoleon bemerkte diesen Ausspruch genau8*). Zwei Punkte wollte Franz Josef unbedingt durchsetzen: Erstens, Oestereich trat die Lombardei nicht an Sardinien ab, sondern an Frankreich, das die Provinz weiterzedieren mochte. Frankreich gab hier ohne weiteres nach. Zum zweiten galt es die Rückkehr der mittelitalienischen Kleinfürsten; Napoleon wollte Waffengewalt hier ausschließen; Franz Josef blieb fest. Italien gegenüber aber band sich Napoleon. Bei der Zusammenkunft, die Rechberg tags darauf mit dem Kaiser der Franzosen hatte, wurde, 8 7 ) D i e Bedeutung eines für diese T a g e geplanten A n g r i f f s auf V e n e d i g scheint mir noch klärungsbedfirftig. 88 ) R e v u e des deux mondes, Bd. 52, 501. D i e a u s w ä r t i g e Diplomatie scheint im Hinblick auf die L a g e der F i n a n z e n in O e s t e r reich eine R e g e l u n g dieser F r a g e für s e l b s t v e r s t ä n d l i c h gehalten zu haben. München, St. A., Polit. Arch., I I I , 33, 13. Juli, B e r i c h t aus W i e n . 8») R e v u e , a. a. O., 482.



60



ohne daß hierüber eine schriftliche Verabredung getroffen worden wäre, auch über die Frage der Schuldenübernahme gesprochen. Franz Josef, der selbst die Frage nicht erwähnt hatte, bemerkte zu den von seinem Minister gestellten Forderungen nichts als: Mehr"). In Oesterreich wurde der Friede empfunden als das, was er war, als eine unerhörte Schmach und Demütigung"). Weit mehr als selbst die Gebietsabtretung hatte der militärische und diplomatische Verlauf des Feldzugs über alle Schuld des Einzelnen hinaus die äußere und innere Hilflosigkeit der Monarchie, die vor einem Menschenalter in Europa geführt hatte, enthüllt. Und wenn die allgemeine Entrüstung und Niedergeschlagenheit um so nachhaltiger war, als man eben von diesem als gerecht empfundenen Krieg einen Aufschwung, eine Wiederbelebung des Staates erwartet hatte, wenn die Erbitterung sich gegen Rechberg um so mehr kehrte, als man von ihm die Wendung zum Besseren erhofft"), so zog der Minister für sich aus all dem die richtige Folgerung: Dieser Staat war unfähig zu einer aktiven Außenpolitik, ehe die Neugestaltung seiner Innenorganisation vollbracht war. Die Aufgabe der äußeren Politik konnte es nur mehr sein, jedem entscheidenden Konflikt insolang aus dem Wege zu gehen. Es war kein glänzender Weg, der sich Rechberg darbot, aber notwendig, wenn Oesterreich nochmals zu mehr als zur Verteidigung seiner Existenz berufen sein sollte. In diesem Geist sollten auch die Friedensverhandlungen geführt werden, die Neugestaltung im Innern sollte den Verlust einer Provinz voll aufwiegen"). Vor einer ähnlichen Aufgabe war Metternich nach dem Wiener Kongreß gestanden, ohne daß es ihm ermöglicht worden wäre, ihre Lösung herbeizuführen. Aber sein Nachfolger, der wie sein Kaiser nur den Standpunkt des Rechts und der Prinzipien anerkennen gewollt hatte"), vertrat nun einen geschlagenen, nicht einen siegreichen Staat, und es war nicht mehr möglich, die Oesterreich förderlichen Gedanken auch der anderen Staaten zu schützen; es galt Oesterreich über St. A., Krieg i8s9, Faszikel i. ) Vgl. die AeuBerungen Erzherzog Rainers und Thuns bei Kempen, 14. Juli. •*) Rechberg an seinen Bruder, 21. Juli, 5. August 1859. •*) Meysenburg an Rechberg, 16. August, St. A., Rechberg Nachlaß 524 b. " ) Darüber Metternich, 6. und 8. Juni aus Verona, Krieg 1859, Faszikel 1. 81



61



die Zeit der Herrschaft der jetzt siegreich gebliebenen und ihm todfeindlichen Kräfte hinilberzufllhren, ohne das eigenste Wesen dieses Staates preiszugeben. Die innere Frage war für die Donaumonarchie die primäre geworden. Die Außenpolitik hatte lediglich feindliche Konstellationen abzuhalten. Dies herbeizuführen, schien zunächst nicht unmöglich. Erwartete man doch, daß Napoleon, so wie er nach dem Pariser Frieden mit Rußland getan, jetzt mit Oesterreich Freundschaft zu schließen suchen werde"). Rechberg hatte von Anfang an erklärt, daß er zum Unterschied von seinem unmittelbaren Vorgänger auch auf die inneren Verhältnisse Einfluß zu nehmen gedenke. Es solle wohl an der Zentralisierung des Reiches festgehalten, dabei aber doch die Selbständigkeit der einzelnen Provinzen berücksichtigt werden**). Es war die Anschauung, die man von dem Verehrer Metternichs, der später Schwarzenbergs Schule durchgemacht hatte, erwarten durfte. Und wenn jetzt nach dem Versagen der Bureaukratie in der inneren Regierung die Altadeligen dies- und jenseits der Leitha die Erbschaft wieder anzutreten sich anschickten, so war Rechberg zum Ausgleich zwischen beiden vielleicht prädestiniert, er, der zum österreichischen Adel so vielfache Beziehungen hatte, ohne doch eigentlich zu ihm zu zählen, er andererseits, der Anhänger Schwarzenbergs und Bachs. In diesem Geist wurden im Juli und August die Beratungen über ein neues Ministerprogramm gepflogen*7), denen man aber nur an einem Punkt weitere Bedeutung zuschreiben möchte, es war der einer Vorbereitung zum seif government, wo von der .untersten Stufe her die Organisation des gesamten Staatskörpers zur Sprache kommen konnte. Noch aber versuchte man, dieser Frage auszuweichen und verwässerte das Problem schließlich zur Einzelmaßregel, zur Vereinfachung der Verwaltung durch Uebertragung gewisser Geschäfte an nicht landesfürstliche Organe*8). Die auswärtigen Berichterstatter waren sich darüber einig, daß die Veröffentlichung dieses Programms ohne jede Wirkung blieb. Oesterreich wollte keine vagen Versprechungen hören, es verlangte Taten und aus dem Programm wurde lediglich die Ernennung Rechbergs zum Ministerpräsidenten als Bürgschaft der Einheitlichkeit in der •») L e t t e r s of the Queen, I I I , 17. Juli 1859. *•) Berlin, G e h . S t . A . , a .a. 1., 44, 21. Mai. " ) Die P r o t o k o l l e darüber N a c h l a ß R e c h b e r g , St. A . 524 g, unter den Ministerratsprotokollen nicht. ••) P u n k t 9 des M i n i s t e r p r o g r a m m s , Sitzung 21. A u g u s t .



62



neuen Regierung sowie die langst erwartete Entlassung Bachs mit Sympathie begrüßt. Der nach kaum zehnwöchigem Krieg geschlossene Friede hatte alle Mächte unbefriedigt gelassen. Die Neutralen sahen ihre Intervention vereitelt; die Verhandlungen und der Abschluß von Feind zu Feind hatten sie überflüssig gemacht, beiseite geschoben. Sie wollten die Regelung der italienischen Frage, die die europaische Diplomatie so lange stark beschäftigt hatte, nicht ohne ihre Mitwirkung zulassen. Mehr oder minder offen verlangten sie, daß der Friede vor einen europäischen Kongreß gebracht würde. Preußen hatte noch seine besonderen Gründe, um seine Stellung als „unangenehm und selbst gefährlich" zu empfinden"). Daß Piemont, daß Italien den Friedensabschluß als Unrecht, als Verrat empfand, ist allbekannt. Man weiß, wie Cavour, während der König die Politik seines Verbündeten vertrat, die Regierung verließ, da er nicht seinem König seinen Frieden, wie Bismarck, aufzuzwingen vermochte. Aber auch das triumphierende Frankreich konnte diesen Sieg um des Sieges willen nicht die volle Freude abgewinnen. Nur daß der Krieg zu Ende, nur daß jetzt eine Periode dauerhaften Friedens beginne, wurde gefeiert 100 ). Und es ist doch ebenso bezeichnend als eigentümlich, daß der bayerische Gesandte in Paris schon Ende Juni die Ereignisse von dem Standpunkt aus sah, daß bei Friedensschluß in Deutschland „viele Mediatisierungen eintreten würden, auf die Preußen mit wahrer Gier warte; es würde dabei von Rußland und Frankreich unterstützt werden". War aber in Oesterreich die außenpolitische Lage bei Friedensschluß so ungünstig zu beurteilen? Gewiß, die Kraft, die virtù des Staates hatte kläglich versagt. Eine Provinz war verlorengegangen. Aber die in dieser Zeit, wie im Revolutionsjahr als Bollwerk für Deutschland erachtete Minciolinie, war unversehrt und wenn es Oesterreich darum zu tun war, die Vorherrschaft auf der Apenninenhalbinsel auszuüben, so war seine Stellung in Villafranca fast verbessert worden: Die beiden habsburgischen Nebenlinien, von denen aus der Kaiserstaat Mittelitalien beherrschte, sollten zurückkehren; ganz Italien aber nach deutschem Vorbild zu einem Staatenbund vereinigt werden. In diesem Bunde würde jedoch nicht eine ••) S o der P r i n z r e g e n t , K r o n r a t s s i t z u n g , 21. Juli 1859. Berlin, A r c h i v des Staatsministeriums. 10 °) L a Gorce, I I I , 120, 123, Berlin, St. A., Bericht aus P a r i s , 14. Juli 1859, München, Polit. A r c h . , I I I , .12, Paris, 30. Juni.

— 63 — Anzahl größerer und kleinerer Staaten sich dem Meistbietenden oder dem Meistgeflirchteten unterwerfen; die Haltung Neapels, des Papstes, der beiden mittelitalienischen Herzogtümer war von Anfang an für Oesterreich entschieden und hier wie im Norden hatte Frankreich allen Grund, Sorge zu tragen, daß der Rivale Oesterreichs nicht zu mächtig werde. Rechbergs Aufgabe war es, die Vereinbarungen von Villafranca sobald als möglich in eine endgültige Form zu bringen; doch konnte es niemand unbekannt sein, daß England an der Befestigung dieses Vertrages keinerlei Interesse hatte und daher dem aufschäumenden Nationalunwillen Italiens seine Unterstützung gegen Villafranca in Aussicht stellen würde; weniger in Gedanken für Italien als gegen Frankreich. Niemals sollten die Italiener die unwürdige Haltung im Marz 1859 vergessen, hatte Cavours Vertrauter geschrieben 1 ® 1 ); nach beendetem Kriege aber gewann es den Anschein, als würde Italien seine Unabhängigkeit dem Inselreich zuschreiben. Die Entscheidung Uber Villafranca hing davon ab, ob Oesterreichs Vertragspartner gewillt war, die dort eingegangenen Stipulationen zu erfüllen. Napoleon versicherte diese Bereitschaft immer wieder und es lag zunächst kein Grund vor, seinen Aeußerungen zu mißtrauen; gab es doch etwas, was er noch sicherer als die Dankbarkeit einer Nation in sein politisches Kalkül einstellen konnte, nämlich die Schwäche und Hilfsbedürftigkeit des Nachbaarstaates. Die italienischen Patrioten hatten die drei Wochen, die zwischen Villafranca und der Eröffnung der Verhandlungen in Zürich verstrichen, wohl ausgenützt10*). Von Anfang an lagen in Zürich die drei strittigen Fragegruppen zutage: die Schaffung des italienischen Bundes, die Schuldenübernahme Piemonts und die Restauration der mittelitalienischen Herzöge. Die Grenzbestimmung und die Uebertragung der eisernen Krone traten dagegen an Bedeutung weit zurück. Der schärfer Blickende vermochte jedoch bald zu erkennen, daß diese Fragen noch bei weitem nicht genug geregelt waren, um nicht ihre Entscheidung in Paris statt in Zürich zu erhalten; war doch auch die gesamte politische Konstellation noch ungeklärt und ungewiß. Schon am Tage nach Villafranca, weit mehr noch wahrend des Rückweges durch Italien, der sich so ganz ™ l ) C a r t e g g i o , I I , 1 1 4 , 18. M ä r z 1859. ) St. A., K r i e g 1859, F a s z i k e l 2, Zürich, 6. A u g u s t . D i e ö s t e r reichischen und f r a n z ö s i s c h e n U n t e r h ä n d l e r an diesem T a g e i n g e t r o f f e n , am 7. A u g u s t beginnen die V e r h a n d l u n g e n . 1M

— 64 — anders gestaltete, als der Triumphzug zur Front, hatte Napoleon Cavour sowohl als auch toskanischen Abgesandten Zusicherungen über die Zukunft Toskanas gemacht; er riet der Bevölkerung, die Restauration nicht zuzulassen™); so wollte er zu seinem beliebten Mittel greifen, sich durch die äußeren Umstände scheinbar vergewaltigen zu lassen, während er diese zu beeinflussen unablässig bemüht war. Und Toskana hatte in Ricasoli den Mann gefunden, der zu solchem Vorgehen wie kaum ein zweiter geeignet schien, in vollem Gegensatz zu dem überfeinerten und grundunpolitischen Land. Du bist der Robespierre von Toskana, schrieb ihm ein Freund, verläßt du uns, so eilt die ganze Bevölkerung mit dem Oelzweig in der Hand, ihren alten Zwingherrn zu empfangen m ). In einem Schreiben Napoleons an Franz Josef aus diesen Tagen suchte der Kaiser der Franzosen sich den Rückzug offenzuhalten1®5). Oesterreich war zunächst bemüht, einen europäischen Kongreß auszuschalten, der über die Präliminarien von Villafranca zu urteilen sich berufen glauben mochte und dabei leicht der Versuchung unterliegen konnte, an Fragen wie die ungarische zu rühren10*). Gleichzeitig mit den Bevollmächtigten in Zürich war Fürst Metternich in Paris eingetroffen und ganz parallel wurden nun die Verhandlungen von Oesterreich da und dort geführt, wobei die Züricher bald zu Begleitstimmen herabgesunken waren. Aus der Schweiz kamen binnen kurzem heftige Klagen über unmögliche Forderungen der Franzosen107). Die von Franz Josef in Villafranca angeführte Analogie in Luxemburg sollte nun auf Venetien strikt angewendet werden und auch Metternich hatte zunächst in Paris schweren Stand. Zwar, der offizielle Leiter der französischen Außenpolitik billigte prinzipiell den österreichischen Standpunkt völlig und auch der Kaiser wiederholte bei der Empfangsaudienz immer wieder, daß er ganz wie Franz Josef denke. Aber dann verwies Napoleon auf die zahllosen Schwierigkeiten und Hindernisse, die sich der Verwirklichung der Vereinbarungen von Villafranca entgegensetzten. Und seufzend schloß er: „Tout cela est bien malheu10») Cavour, Lettere, III, 16. Juli. Ricasoli, III, 16. Juli. Carteggio, II, 291. 1 M ) Ricasoli, Lettere, III. Salvagnoli an diesen, 18. Oktober. 10») Salata, a. a. O., Napoleon an Franz Joseph, 24. Juli. 10 *) Salata, a. a. O. Franz Joseph an Napoleon, 2. August. Weisung an Esterhäzy für dessen Reise nach Paris. St. A., Berichte, London, 24. Juli. 107 ) 1859, Faszikel 2. Berichte aus Zürich, 10. und 19. August.

— 65 — reux." Es war die Zeit, in der das Doppelspiel Napoleons in vollster Blüte stand; da offizielle Agenten Frankreichs für die Heimkehr der legitimen Herrscher in den italienischen Herzogtümern wirken sollten, indes das Land von inoffiziellen Vertrauten des Kaisers zum Widerstand aufgemuntert wurde. Es waren die Tage, da Napoleon zum Großherzog von Toskana sagte, er hoffe, eine kräftige Raktion würde ihn auf den Thron der Väter zurückberufen; zum König von Sardinien, Piemont solle die Leitung der Herzogtümer in die Hand nehmen; zu Garibaldi, daß man in Mittelitalien eine starke Armee zur A b wehr von äußerer Gewalt bilden müsse; zu Walewski, daß man ein Mittel finden müsse, um des Kaisers Sympathien für die italienische Einheit mit den übernommenen Verpflichtungen in Einklang zu bringen; zum österreichischen Gesandten, er solle seinen Kaiser vom guten Willen und von der Treue Frankreichs überzeugen; zum Vertreter Englands, daß Frankreich an keine Annexionen denke; es war die Zeit, da Napoleon zu ihnen allen sagte, sie sollten doch volles Vertrauen in ihn setzen 108 ). Ein Anhänger Napoleons hat später den österreichischen Botschafter gefragt: „qui trompons nous maintenant?" In jenen Tagen konnte eine Antwort hierauf nur einige Stunden hindurch eine Gültigkeit beanspruchen. A l l dem lag der Gedanke zugrunde, sich durch die Umstände zwingen zu lassen, um von drückenden Verpflichtungen loszukommen. Aber während dies Spiel noch fortdauerte, setzte das von England vorausgesehene, von Preußen so befürchtete Werben um Oesterreichs Freundschaft ein; zunächst mit Hinweis auf die gemeinsamen Antipathien gegen London und Berlin 10 '). Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, ein Urteil zu fällen, inwiefern dies aufrichtig gemeint, es ist gewiß, daß bei Napoleon kaum jemals ein einfaches Motiv für sein Sprechen in Betracht kam, daß die persönliche Politik des Kaisers sich gelegentlich von den politischen Notwendigkeiten des Landes aus ihrer Richtung gebracht fühlte; es scheint, daß von nun an hinter den immer wiederkehrenden Aufforderungen des Kaisers, Oesterreich möge ihm noch ein wenig Zeit lassen, die Absicht lag, die Verhältnisse den Verpflichtungen von Villafranca anzunähern, zumal Frankreich kaum weniger als Oesterreich durch die englische Note vom 19. August verletzt wurde, in der sich das Inselreich gegen jegliche Anwendung von Gewalt in Italien aussprach. Gemeinsame Interessen zwischen OesterIOB) Metternich, 23. O k t o b e r . 108) Metternich, 16. A u g u s t . Kngel-Jänosi, Rcchberg

P a r i s , Berichte ebd. 28. O k t o b e r . 5



66



reich und Frankreich barg die damalige Lage gewiß. Qui trompons nous maintenant? Die Idee des Bündnisses zwischen Oesterreich und Frankreich entsprach Oesterreichs Absichten in diesem Monat, hatte doch Rechberg dieses Bundesverhältnis als die natürliche Allianz der beiden katholischen Großmächte bezeichnet110). Sardinien, Napoleons Schwenkung bemerkend, sandte dessen Jugendfreund Arese zum Kaiser. Wohl hielt Napoleon auch nach dieser Mission am österreichischen Allianzgedanken fest, suchte aber in der italienischen Frage von Wien Zugestandnisse zu erhalten, intern er wieder auf die luxemburgische Analogie zurückgriff. Der Kaiser von Oesterreich sollte um der Restauration in Toskana willen Venedig eine ganz selbständige Verwaltung und eine unabhängige Armee geben 111 ); gelegentlich versuchte er, Franz Josef den Ausblick auf neue große Kompensationen zu geben; vom „Ostreich" Europas sprechend, verwies er das Kaisertum auf die Donaufürstentümer und auf das Erbe der verfallenden Türkei. Die Gründe, die es der Wiener Regierung verwehrten, Venetien die gewünschte Unabhängigkeit einzuräumen, ohne den Zusammenhalt der übrigen Reichsteile zu gefährden, hatte Franz Josef bereits in einem früheren Schreiben auseinandergesetzt. Jetzt wiederholte Oesterreich das Bündnisanerbieten an Frankreich; gewillt, auf diesem Wege die Isolierung zu überwinden. Napoleon stimmte bei. In Italien wurde für die Rückkehr des Großherzogs nach Florenz gearbeitet111). In der zweiten Septemberhälfte machte Metternich rasche Fortschritte. Zwar wurden noch gelegentlich Versuche gemacht, Oesterreich auf den Orient zu verweisen, aber er durfte die Einigung in der Restaurationsfrage als nahe bevorstehend bezeichnen, und am 4. Oktober unterfertigte Napoleon in Biarritz das Uebereinkommen hierüber. Die Zugeständnisse Oesterreichs für Venetien waren fast formal; die Provinz sollte einen nicht näher umschriebenen Landtag erhalten; die Rückkehr des Großherzogs nach Toskana wurde neuerlich vereinbart, die Einberufung eines Kongresses beschlossen, auf dem Oester110

) 12. August. Weisungen nach Paris. ) A r e s e gegenüber stellt Napoleon diese Zugeständnisse als bereits erlangt hin. Grabinski, Arese 177. Ebenso zu Peruzzi Ricasoli, I I I , 16. Oktober. Napoleons Brief vom 26. August bei Salata, a. a. O. Metternich, 5. September. " » ) Briefe F r a n z Josephs, 18. August und 14. September bei Salata, a. a. O. Ricasoli, Lettere, I I I , 23. September. Cavour, V I , 2. Oktober. 111

— 67 — reich und Frankreich in voller Einigkeit vorgehen sollten; lediglich die gesonderte Vertretung der italienischen Armee in Venetien behielt Napoleon sich vor 11 '). Um diese Zeit war in Zürich auch die erste der Streitfragen erledigt worden und diese im österreichischen Sinn. Es war die Frage nach dem italienischen Bund. Lediglich die gröbsten Umrisse wurden festgelegt und alles andere einem Kongreß der italienischen Staaten überlassen111). Oesterreich konnte seiner Majorität in dieser Versammlung sicher sein, und man begreift, weshalb eben der preußische Ministerpräsident, als er von dieser Methode, Italien zu befrieden, hörte, ein ironisches Lächeln nicht unterdrücken konnte118). Napoleon aber konnte vor Piemont, solange es diesem Bunde angehörte, ohne Sorge sein. Die Unterfertigung des Biarritzer Memorandums bezeichnet die größte Annäherung zwischen Frankreich und Oesterreich. Unmittelbar darauf setzen die energischen Versuche Italiens, Napoleon sich zurückzugewinnen, ein. Am 7. Oktober meldet Sardinien, daß die Wahl des Prinzen von Carignan zum Regenten Toskanas bevorstehe, womit der Anschluß an Piemont nach Napoleons früherem Rat tatsächlich vollzogen worden wäre. Am 13. Oktober trifft der sardinische Ministerpräsident in Paris ein. Wohl verlangt Napoleon die Ablehnung der Wahl, aber der toskanischen Deputation in Paris, der er diesen Rat gibt, macht er den Eindruck eines Gefesselten, der die Hand, die ihn aus seinen Banden befreit, zu küssen bereit ist11*). Und wieder erklärt er sich gewillt, einem Zwang der Verhältnisse nachzugeben, fordert er auf, ihn zu zwingen; und noch mehr, er kommt auf seine Versprechungen vom Juli zurück; Gewalt soll gegen Toskana nicht angewendet werden. Ricasoli, der Diktator von Florenz, durfte sich von dieser Antwort befriedigt erklären. Die Fassung des Züricher Artikels über die Restaurierung entsprach dieser Lage: Die Rechte der legitimen Fürsten werden vorbehalten"7). Man hatte nicht vergessen, wie wirkungslos der ähnlich formulierte Artikel über die deutschen landständischen 1 » ) D a s Uebereinkommen „Memorandum", P a r i s , Berichte, 23. Oktober. " * ) S o auch die Vorschläge Franz Josephs in seinem Brief an Napoleon, 18. August, bei Salata. " » ) St. A „ Berlin, Berichte, 9. Dezember. " • ) Ricasoli, I I I , 16. und 17. Oktober. > " ) Artikel, X I X . " • ) St. A., Weisung, 19. Oktober.

5*



68



Verfassungen geblieben war. Metternich glaubte freilich, eine ununterbrochen zunehmende Uebereinstimmung zwischen Oesterreich und Frankreich melden zu können und Rechberg rechnete hierauf: „Trachten Sie, lieber Fürst, das Einvernehmen mit Frankreich möglichst eng zu gestalten" 11 *). In Zürich zeigte man sich dem französischen Begehren selbst in der Geldfrage sehr entgegenkommend. 198 Millionen Schuldenübernahme hatte man ursprünglich gefordert, 150 Millionen hatte man später verlangt und bereitete sich nun vor, mit 100 Millionen Gulden abzuschließen; ein Vorgang, der für Oesterreich, dessen finanzielle Lage fast katastrophal geworden war, ein erhebliches Zugeständnis bedeutete. An dieser Stelle glaubte man doch, die inneren Fragen hinter die der äußeren Politik zurückdrängen zu können. Freilich schien Oesterreich jetzt noch einen zweiten Erfolg zu erreichen und die von Rechberg stets sehr erstrebte Annäherung an Rußland zu vollziehen. Mitte Oktober fand eine Zusammenkunft des Zaren und seines Kanzlers mit Erzherzog Albrecht und Baron Werner in Warschau statt; während Rechberg nach Paris sagen ließ, daß man eine Entente der drei Kaiserreiche erstrebe, hatte man dem österreichischen Vertreter ein Wiederaufleben der heiligen Allianz „mit großer Vorsicht gegen Berlin" als Ziel bezeichnet118), jenen Gedanken etwa, den man in München als die Grundidee der Rechbergschen Politik ansah. Jedenfalls kam es in Warschau nicht zu solchen Besprechungen. Gortschakow begnügte sich, Rußlands Bereitschaft zur Versöhnung mit Oesterreich bekanntzugeben und seine Bedingungen zu stellen: die Revision des nach dem Krimkrieg geschlossenen Vertrages, die freilich schon Frankreich 1858 Rußland zuzugestehen bereit war; als der Vertreter Oesterreichs nach den Gegenleistungen Rußlands fragte, erklärte sich Gortschakow nicht imstande, dieselben anzuführen. Es würde genügen, meinte er, daß im Angesichte Europas der Stachel aus der Wunde gezogen sei1*0). Napoleon gegenüber war Rechberg auf die Besprechung orientalischer Pläne eingegangen und hatte für Oesterreich Skutari, Saloniki und die Donaufürstentümer verlangt 111 ). Nun bot klarer noch als Rußland Frankreich seine Freundschaft gegen Revision der ihm feindlichen Verträge an; es handle sich " • ) St. A., 17. Oktober 1859. Instruktion für Werner, Rußland, Weisungen. 1, ° ) St. A . Petersburg, Weisungen, 21. Oktober. 1,1 ) St. A. Paris, Weisungen, 5. November.

— 69 — um die friedliche Revision der Verträge von 1815, soweit sie gegen Frankreich und gegen die napoleonische Dynastie gerichtet seien. Der Kaiser versicherte in seiner Gebietserwerbungen sehr maßvoll sein zu wollen. Walewski deutete auf Savoyen hin. Gleichzeitig wurden Vereinbarungen für die Einberufung des Kongresses getroffen, und als die Nachricht von der erfolgten Wahl Carignans zum Regenten in Toskana eintraf und Metternich erklärte, Oesterreich werde, wenn Piemont in Toskana interveniere, das gleiche tun, was immer daraus folgen möge, da erklärte Napoleon sich bereit, von der Annahme abzuraten und hielt Wort, wenn auch in dem deshalb ausgegebenen Zirkular wiederum von der gesonderten Armee und Verwaltung Venetiens die Rede war. Nun erfolgte auch die Unterzeichnung in Zürich und bald darauf wurden, um die getroffenen Vereinbarungen Europa feierlich zur Kenntnis zu bringen und um Über die Mittel zur Befriedung Italiens zu beraten, von Frankreich und Oesterreich die Einladungen zum Kongreß in Paris ausgesandt. Als Rußland im März dieses Jahres die Einberufung eines europäischen Kongresses vorgeschlagen hatte, war die Demütigung Oesterreichs der den Freunden eingestandene Zweck gewesen. Diese Demütigung war wohl inzwischen erfolgt. Jetzt aber, da Oesterreich auf dem Kongreß Hand in Hand mit dem siegreichen Frankreich als Vormacht Italiens aufzutreten berufen war und kein ihm nicht genehme Frage zur Verhandlung kommen durfte, da Rußland, sein erbittertster Gegner, insgeheim sich ihm genähert hatte und Preußen seine Rache fürchtete, jetzt hätte der Kongreß den wiederbegonnenen Aufstieg der Donaumonarchie dem versammelten Europa vor Augen geführt. Alle diese Verträge standen in Geltung, ja eine neue Bindung Frankreichs gegen eine mittelitalienische Annexion an Piemont war hinzugekommen. Und doch, als die Einladungen ausgingen, war das Ereignis erfolgt, von dem aus die neugewonnene Stärkung der österreichischen Stellung zerstört werden sollte: An Stelle des Prinzen Carignan, aber eigentlich in dessen Vertretung, war der Piemontese Buoncompagni zum Regenten Toskanas gewählt worden. Vergebens und zu unrecht protestierte Ricasoli: O Carignan o messuno, ma in tutti i modi Carignano. Oesterreich hatte die aus Buoncompagnis Regentschaft drohende Gefahr sofort erkannt und in Paris alles versucht, diese zu hintertreiben. War die neue Ordnung einmal faktisch gebildet und durfte Gewalt von außen nicht angewendet werden, so blieb dem Großherzog nur mehr

— 70 — die so wenig aussichtsreiche Hoffnung auf eine innere Umwälzung, um seine Rückkehr durchzusetzen. Napoleon versuchte kaum, seine Schwäche in dieser Frage zu bemänteln. Er schrieb mißbilligend nach Turin, er unterzeichnete das Postskriptum zum Memorandum gegen die Annexion, aber er gestand die Unlösbarkeit der italienischen Frage ein, er hatte die Diktatur Buoncompagnis gebilligt 1 "). Dabei nahm die Konversation mit Oesterreich über die orientalische und über die französische Frage ihren Fortgang. Im Orient bestünden zwischen Frankreich und Oesterreich keine Differenzen; Napoleon verstand Oesterreichs Interesse an der Küste. Nach mehrmaligem Drängen Rechbergs sprach der Kaiser sich auch über Frankreichs Wünsche aus: Die Frankreich ungünstigen Grenzen aus den Verträgen von 1815 sollten fallen, jene Grenzen, die es ermöglichten, daß feindliche Heere Alpen und Rhein überschreiten könnten, ohne daß Frankreich es zu hindern vermöge; Savoyen und Nizza auf der einen Seite, Luxemburg auf der anderen nannte der Kaiser"»). „An dem Tag, an dem ich Savoyen, Nizza und genügend Befestigungen im Norden haben werde, ist meine Mission beendigt." Der österreichische Botschafter fragte, ob Napoleon nicht um Savoyens willen an einer weiteren Vergrößerung Piemonts interessiert sei. Der Kaiser bemerkte, daß Piémont bereits genügende Kompensationen hätte, doch gab er zu, um dieser Provinzen willen Piémont schonen zu müssen und wieder erklärte er die italienische Frage für unlösbar, wenn Oesterreich nicht im Orient Kompensationen nehmen wolle, wenn Rom jeden Gedanken an territoriale Veränderungen ablehne. Anfangs Dezember berichtete der französische Nuntius, daß der Kaiser ihm den Vorschlag gemacht habe, der Papst solle auf die Legationen zugunsten Toskanas verzichten und hierfür garantierte Renten erhalten1*1), und vor Weihnachten erschien die Broschüre, die den gleichen Gedanken, die auch der Botschafter Frankreichs in England schon entwickelt hatte, vertrat. Eine Woche vorher hatten Frankreich und Oesterreich sich neuerlich über das Programm des Kongresses verständigt, auf dem ja schon seit der • Oktoberabmachung die beiden Mächte 1 M ) Cavour, D e z e m b e r I8S9, an D e L a R i v e : „ L ' e m p e r e u r paraît décidément revenu à des s e n t i m e n t s plus f a v o r a b l e s à l ' I t a l i e . " Lettere, I I I . Ricasoli, I V , 21. November. Depesche Napoleons. 1 M ) M e t t e r n i c h , B e r i c h t e , P a r i s , 26. N o v e m b e r . « « ) R o m , B e r i c h t e , 9. D e z e m b e r .

— 71 — nur zwischen ihnen vereinbarte Anträge stellen durften. Und schon ging Frankreich in der römischen Frage einen Oesterreich entgegengesetzten Weg. Der Kongreß war unmöglich geworden; und noch weiter, wiederum hatte Napoleon sein Wort nicht gehalten und wenn Oesterreich auch weiter noch mit Frankreich gute Beziehungen zu halten wünschte, der Btlndnisgedanke war auf das schwerste kompromittiert. Um diese Zeit ging der neuernannte Gesandte nach Berlin ab und es bezeichnet die in Wien eingetretene Wendung, daß nun in den ihm gegebenen Instruktionen betont wurde, es sei von größter Wichtigkeit, daß Preußen an Oesterreichs Seite den revolutionären Bestrebungen Napoleons Widerstand leiste1*5). Mit der Publikation der Broschüre, von der Cavour sagte, sie hätte Italien einen größeren Dienst geleistet als der Sieg von Solferino1**), war mit dem Kongreß der österreichischfranzösische Bundesgedanke auf das schwerste gefährdet. Dies fühlte Napoleon, der nun den Anschluß an England Uber allen Widerstand der Königin hinweg vollzog, ohne freilich zur Bündnisform zu gelangen, wohl aber zum Abschluß eines für England vorteilhaften Handelsvertrages; dies fühlte Rechberg, der Ende Januar Preußen ein ausdrückliches Bündnisangebot machte1*7). Zunächst war durch die Broschüre die italienische Frage von Oesterreich weg an die Kurie in erster Linie gerückt. Aber wie wenig wurde Metternich der tatsächlichen Lage gerecht, wenn er spielerisch glaubte, irgendeine tiefere Bedeutung darin zu sehen, daß jn der Silvesternacht der österreichische Botschafter den Kaiser der Franzosen bei den Klängen eines Walzers und des Radetzkymarsches tanzen ließ 1 "). Der neue französische Minister des Auswärtigen erklärte die mittelitalienische Restauration als unmöglich und, mit Napoleon verabredet, waren von England Vorschläge eingelangt, die das Nichtinterventionsprinzip ausdrücklich festlegten, ja Napoleon hatte versucht, Englands Kriegshilfe sich zu sichern, wenn Oesterreich in Toskana zu intervenieren gedachte 1 "). Was konnte, was sollte Oesterreich tun? Rechberg hatte richtig erkannt, daß allen napoleonischen 1,5 > »*•) »*') "») "•) schlag of the

Berlin, Weisungen, 30. Dezember. Cavour, III, 7. Januar 1860. Berlin, Weisungen, 26. Januar. Paris, 1860, Weisungen, Varia, 3. Januar, Brief Metternichs. Die französische Note vom 7. August, der englische V o r vom 4. Januar, Napoleons Ansuchen an England in Letters Queen, III, 7. Dezember 1859.

— 72 — Ableugnungsversuchen zu Trotz, die Forderung der Nichtintervention zwischen Paris und London vereinbart worden war. Nicht vereinbart war die Lösung der toskanischen Frage. Hier, wo Frankreichs Interesse nichts weniger als den Anschluß an Piemont erheischte, hier war Napoleon, weit mehr als sein Minister, gegen die Annexion 11 ®), wenn auch nicht für die Restauration. An dem Gedanken einer italienischen Staatenmehrheit mit oder ohne Bund hielt er fest und wenn Rechberg seinen Botschafter anwies, die alte französische Tradition zu betonen, die auf der Halbinsel stets die Existenz vieler Kleinstaaten gefördert hatte, so konnte Thouvenel, Walewskis Nachfolger, eben in diesem der Einheit Italiens feindlichen Sinne seine Vertreter in Rom instruieren 1 * 1 ). Die Männer freilich, in deren Hände das Schicksal Toskanas gelegt war, der Ministerpräsident von Piemont und der Diktator in Florenz, kannten diese Ansicht nicht oder wollten sie nicht kennen. Ende Januar mochte Cavour noch erklären, daß Napoleon die Annexion vollzogen wissen wolle, ohne daß man ihn viel mit Fragen belästige 1 "). Aber dann folgten die ausdrücklichen Weisungen Frankreichs gegen die Annexion. Am 18. Februar hatte selbst Arese, Napoleons Jugendfreund, dies melden müssen; zwei Tage später telegraphierte Cavour nach Florenz an Ricasoli, sich für die nahe Entscheidung vorzubereiten. Comptez sur mon devouement et au besoin meme sur l'audace 1 "). Er wußte sich von England unterstützt, er erklärte, daß Rußland und Preußen danach verlangten, vergewaltigt zu werden und er kannte den Grund, aus dem Frankreich, wenn auch verstimmt, dennoch Widerstand nicht leisten würde 1 "). Binnen weniger Wochen schien Oesterreichs Stellung wieder völlig gewandelt. Preußen zeigte keinerlei Bereitschaft, dem Bündnisangebot ernstlich näherzutreten, es berief sich — auch im Sommer 1859 hatte man dies getan — auf die Oesterreich ungünstige öffentliche Meinung, in Petersburg, wo Gortschakow sich als Schiedsrichter Europas fühlte, erhielt Rechberg gute Lehren, er solle doch auf Prinzipienpolitik verzichten; die 1M ) Thouvenel Secret, 4. März 1860. Die Nichtintervention in Toskana war von Napoleon bereits am 12. Juli 1859 zugesagt worden. Carteggio, I I , 291. 1S1 ) Secret, I I , 18. März. » " ) Lettere, V I , 30. Januar 1860. «») Ricasoli, I V . " * ) Lettere, V I , 9. März.

— 73 — Verträge von Wien seien schon längst derart durchlöchert, daß man kaum 9agen könne, ob sie noch bestunden. Der Kanzler sah, daß im gegenwärtigen Augenblick Oesterreich die gewünschte Revision der Verträge nicht durchsetzen könne, sie nicht beantragen wolle, so brauchte er sich ihm gegenüber keinen Zwang anzutun. In Privatgesprächen ließ er die Aeußerung fallen, daß er seine Bündnisse nicht eben „dans la pourriture" suchen werde" 5 ). Und vollends England. Als der österreichische Vertreter auf die unaufhörlichen Rüstungen Piemonts hinwies und den Premier fragte, ob, falls Oesterreich angegriffen würde, England Piemont seinem Schicksal Uberlassen werde, entgegnete dieser, es stünde Oesterreich frei, den Gegner aus Venetien hinauszuwerfen; würde es den Mincio überschreiten, so bedeute dies Krieg mit England und Frankreich 1 "). Doch Russell hatte bald Anlaß, diese Erklärung tunlichst abzuschwächen. Napoleons Thronrede hatte die Abtretung Savoyens und Nizzas verlangt. Dies war der Punkt, an dem Piemont den Kaiser zu halten wußte. Längst mit Cavour und seit Jahresfrist auch mit Piemont, wenn auch für nicht genau eingetretene Umstände vereinbart, immer wieder in diplomatischen Besprechungen gestreift, brachte diese Forderung, offen ausgesprochen, doch einen nachhaltigen Eindruck hervor. Einzig Rußland, durch Vereinbarung mit Frankreich bereits gewonnen und über jedes Anzeichen einer englisch-französischen Annäherung besorgt, erklärte sein Desinterressement, da das europäische Gleichgewicht durch die Abtretung nicht bedroht wäre. Wohl aber fühlte Preußen die Frage der natürlichen Grenzen aufgerollt und binnen weniger Tage erfolgte in Berlin der Umschwung zugunsten Oesterreichs und des österreichischen Bündnisses. In England war die öffentliche Meinung in Parlament und Presse aufs äußerste empört und übte ihren Druck auf die Regierung. Aber wie niemand in London hieraus einen Kriegsfall entstehen zu sehen ernstlich wünschte, so wandte Russell sich nach Wien, ob man hier zu einem gemeinsamen scharfen Vorgehen bereit wäre. Und in denselben Tagen versuchte auch Preußen, Oesterreich zu einem Vorstoß in der savoyischen Frage zu bewegen. Es hatte den Anschein, als könnte eine gegen Frankreich gerichtete Koalition unter österreichischer Führung zustande kommen. Aber Rechberg antwortete überI35)

"•)

T h u n , 13. Februar. Petersburg, W e i s u n g e n , 1860. London, Berichte, 10. März.

— 74 —

legen, daß er einen Unterschied zwischen der Annexion Toskanas und der Savoyens nicht finden könne, höchstens den, daß im zweiten Fall der rechtmäßige Souverän mit der Annexion einverstanden sei. Wttrde Piemont in den ihm durch den Vertrag von Zürich gezogenen Grenzen verharren, so würde der Grund, aus dem Frankreich jetzt eine Vergrößerung verlange, von selbst wegfallen 1 "). Rechberg hatte sich nach dem Scheitern des Pariser Kongreßplanes entschlossen, die im Sommer 1859 gewählte Politik weiter zu verfolgen, der inneren Frage der Neugestaltung der Monarchie sollte jede Außendiplomatie untergeordnet werden. Er glaubte nicht, daß Oesterreich einen Krieg ertragen könnte, er meinte, es würden die gleichen inneren Mißstände, die zum Frieden von Villafranca gedrängt hatten, wieder eintreten1"). Oesterreich müsse eine Politik führen, welche dem Gegner keinen Vorwand biete, es anzugreifen. Von diesem Gesichtspunkt hatte er sein Verhalten gegen die französische Italienpolitik eingestellt. Er wollte keinen Krieg, mehr noch, er wollte keine Gelegenheit zum Krieg geben. Er beschränkte sich darauf, den vertragswidrigen Ereignissen seine Zustimmung zu verweigern, obwohl ihm Gortschakow sagen ließ, daß nichts einer Großmacht weniger anstehe, als leere Proteste zu erheben. Seiner Grundanschauung getreu, wollte Rechberg Oesterreich den Rechtsboden wahren und lehnte daher auch Metternichs Vorschlage von Teilkonzessionen in der italienischen Frage ab. „Wahren Sie das Feld der Prinzipien", hatte ihm der sterbende Altkanzler geschrieben. Von dieser Stellung aus wollte Rechberg nicht früher aktive Politik betreiben, ehe das neue Bündnissystem gebildet, ehe der eigene Staat gekräftigt und wieder bündnisfähig geworden sei. In seinen Augen war es nicht so, daß, wie Gortschakow gespottet, Oesterreich keine Stellung aufzugeben bereit sei, sondern sich von einer zur anderen vertreiben lasse. So. beantwortete er die Depesche Frankreichs, die die Restauration als unmöglich erklärte, ohne Schärfe, so beschränkte er sich darauf, als das Plebiszit in Toskana die Annexion an Piemont beschlossen, einen förmlichen Protest überreichen zu lassen; so weigerte er sich entschieden, wegen Savoyens einen Offensivstoß gegen Frankreich zu unternehmen. Freilich, die Regeneration Oesterreichs, die Bildung der neuen Allianzen war nach dem März 1860 um so dringender geworden. Denn ungleich ungünstiger 157 158

) London, Weisungen, 27. März. ) 20. J a n u a r 1860, Metternich.

— 75 — als nach dem verlorenen Kriege hatte nunmehr die Lage Oesterreichs in Italien sich gestaltet. Damals zur Vorherrschaft auf der Halbinsel bestimmt, durfte man ihm jetzt, nachdem sich derart entscheidende Veränderungen ohne sein Zutun, ja eigentlich ohne seine Mitwirkung, zugetragen hatten, kaum noch den Charakter einer italienischen Großmacht zuerkennen. Venetien allein blieb ein unorganischer, beinahe sinnloser Besitz auf der Halbinsel, bedeutend genug, um stets gefährdet zu sein, nicht hinlänglich mächtig, um von dort aus die Geschicke Italiens zu bestimmen. Und schon war man ja in Paris an Metternich herangetreten, um den Tausch Venetiens gegen Gebiete im Orient vorzuschlagen. Vor allem aber: wie sollte der historische Charakter der Monarchie aufrechterhalten werden, wenn man ein wesentliches, ein bestimmendes Glied ihr abtrennen durfte? Mehr noch als vom Verlust der Lombardei gilt dies von der Annexion Mittelitaliens, dem Mittelglied einer italienischen Föderation. Blieb diese Annexion aufrecht, dann datierte von hier an nicht nur das Ende der österreichischen Vorherrschaft in Italien, sondern die Phase des von nun an unaufhaltsamen Zerfalls der historischen Habsburger Monarchie. Solange Rechberg im Amt war, blieb er überzeugt, die italienischen Gebiete bei gewandelter europäischer Konstellation Oesterreich wiedergewinnen zu können, auf den Augenblick wartend, da Oesterreich nach allen Richtungen hin wieder seine alte Stellung geltend machen konnte 1 "), denn sowenig als mit dem preußisch - österreichischen Feldzug gegen Dänemark, dachte er mit der Duldung der Annexion sein letztes Wort gesprochen zu haben. Als europäische Großmacht im Interesse Europas bestehend, sah er Oesterreich an; so konnte er die alten Gebiete und Rechte nur im Einverständnisse mit Europa wiederzugewinnen hoffen, Ideal- und Prinzipienpolitiker letzten Endes, aber bereit, bis zu diesem Bereich hin Realpolitik zu treiben, und daher wie z. B. in der savoyischen Frage, dem Vorwurf der Treulosigkeit kaum minder ausgesetzt, als die Erfolgreicheren, da für zeitgemäßere Gedanken Kämpfenden. Wohl mit Beziehung auf Oesterreich und auf seinen politischen Lenker hatte der französische Minister geschrieben: La politique des hommes ne consiste que dans l'art des transactions. Y intruduire l'inflexibilité des dogmes, c'est marcher aux abîmes140). Wenige Wochen vorher hatte der öster" • ) An seinen Bruder, 28. Dezember 1866. »«») Thouvenel, Secret, 18. März 1860.

— 76 — reichische Ministerpräsident geklagt141): Das ist es, was die Führung der Politik heute so sehr erschwert, daß man die Sprünge, die man von einem Tag zum andern zu gewärtigen hat, durchaus nicht berechnen kann. Der Unterschied zwischen beiden aber mag weniger in dem, was ihre Worte selbst sagen, gelegen sein, — denn wie rasch hatte eben Rechberg z. B. seine Schwenkung zu und von Frankreich vollzogen — als in dem, daß für Rechberg über allem ein Gedanke lebendig war, der den anderen nichts mehr sagte; daß für ihn nur der Plan richtig schien, der Europa dachte. Damit aber war er in seiner Zeit vereinzelt und wie rückständig. "0

Metternich, 21. Januar 1860. Weisungen, Paris, St. A .

Kapitel 3. Rechberg hatte die ihm nach Villafranca gestellte Aufgabe richtig erkannt. Nachdem Oesterreich in dem diplomatisch und militärisch gleich wenig vorbereiteten Krieg gegen die neuen Machte verwickelt worden und unterlegen war, konnte ein neuer Kampf um seine Existenzberechtigung erst nach erfolgter Neugestaltung des Staates aufgenommen werden. Diese Aufgabe wurde freilich dadurch erschwert, daß die anderen Mächte dieses Friedensbedürfnis der Monarchie genau kannten1). Sie war ferner dadurch empfindlich belastet, daß die bisherigen Träger des Staates in den Augen der Bevölkerung völlig kompromittiert erschienen. Vielleicht keine Forderung war 1859 in Oesterreich so allgemein wie die nach der Entfernung Bachs, in dem man die Verkörperung der Beamtenwirtschaft erblickte. Die Armee? Als eine Aenderung der Uniformierung bevorstand, meinten die Wiener, es genüge vollkommen, daß man den Generälen den Kragen umdrehe'). Am stärksten aber wandte sich die Unzufriedenheit gegen den obersten Träger des Systems, gegen den Kaiser. Ein Rothschild witzelte ruhig, daß er bei einer neuen Anleihe sich mit der Unterschrift des Finanzministers nicht werde begnügen können, sondern einen Wechsel des Kaisers fordern müsse1). Diese Aeußerung wäre wohl nachhaltiger und öfter getan worden, wenn irgendein Mitglied des Herrscherhauses in den maßgebenden Kreisen Anhang besessen hätte. Dazu kam noch, daß auch weite Schichten seit 1859 Franz Josef mehr als ein hartnäckiges Mißgeschick vorwerfen konnten. Es wurde immer lauter darüber gesprochen, daß der Kaiser seine Regierungspflichten nicht mehr ernst nehme, diese vor allem seiner Jagdleidenschaft nachsetze*). Wenn Rechberg den richtigen Blick für Oesterreichs Not hatte, die erforderlichen Kräfte, sie zu heben, besaß er nicht. Das Oktober-Diplom, das unter seiner Mitwirkung durch die ihm nahestehende Gruppe der ungarischen Altkonservativen ») Z. B., Berlin, Geh. St. A., Berichte, Wien, 1859, 13. Dezember. Ce qu'il faut ä l'Autriche c'est la paix et encore la paix. ») Ofner, Berichte, 1863. 3 ) Kempen, Tagebuch, 10. März 1860. •) Kempen, Tatiebuch, 1860, 3. November. 1861, 7. April. München, Geh. St. A., Hauptbericht Oesterreich, 1859.

— 78 —

zustande gekommen und dessen feudalistisch-autonome Grundgedanken seiner Auffassung im allgemeinen entsprachen, versagte. Man entschloß sich neue Kräfte heranzuziehen: Schmerling, Rechbergs Gegner in Frankfurt 1849, trat in das Ministerium ein. Es war mehr als bloßer Beamtengehorsam, daß Rechberg nach langem Schwanken und nicht ohne Widerstreben die Führung des Aeußern neben dem anspruchsvollen liberalen Staatsminister behielt»). Das Ministerpräsidium trat er am, 4. Februar 1861 an Erzherzog Rainer ab; wenige Wochen später erschien die neue Verfassung. Von den bürgerlichen Kreisen westlich der Leitha freudig begrüßt, hoffte man jahrelang, sie auch den widerstrebenden Ungarn aufzwingen zu können und bot so auch weiterhin dem Ausland das Bild des zerrütteten, ja selbst des auseinanderstrebenden Staates. Trotzdem, die Leitung nach außen wußte den Klippen auszuweichen und das Ansehen Oesterreichs begann sich wieder zu heben. An den jährlichen zusammenfassenden Hauptberichten des gut informierten bayrischen Gesandten läßt sich erkennen, wie das Urteil des Auslands sich in den Friedensjahren ständig besserte. Schon 1860 hatte er ein frischeres politisches Leben und einiges Vertrauen in die Zukunft der Monarchie bemerkt. Seine Ausführungen des Jahres 1862 aber schließt er folgendermaßen*): Wird die Zahl der in diesem Jahre gewonnenen Resultate summiert, so ergibt sich zweifellos ein für das österreichische Kaiserreich hocherfreuliches Resultat. Um Oesterreichs Allianz werben alle europäischen Großmächte. Im Innern der Monarchie klären sich die Verhältnisse und kräftigt sich selbst bei den widerstrebenden Nationalitäten das Gefühl und Bedürfnis der Zusammengehörigkeit. Vor allem hebt sich der Kredit und die finanziellen Kräfte des Landes. Aber dann fügt er hinzu: Allein die errungenen Ergebnisse sind noch keine definitiven, die angeregten Fragen sind zum Teil noch ungelöst, die begonnenen Unternehmungen sehen der Vollendung entgegen. Und auch er betonte, daß als Vorbedingung für die Gesundung der Monarchie der Weltfrieden gesichert werden müsse. •) An seinen Bruder, 5. Januar 1861. Hier noch von seinen Rücktrittsabsichten. Und ebd. 30. Januar. „Ich fürchte, daß es schwierig sein wird, mit Kollegen weiter zu arbeiten, die mich los sein wollen und denen ich ein Hindernis bin." • ) Gesandter w a r damals Otto Graf von Bray, der spätere Ministerpräsident Bayerns.

— 79 — Dieser Besserung in diplomatischen Belangen wirkte aber im Inneren eine ständig wachsende Verschlimmerung entgegen7). Es hatte ja schon früher eigentümlich berührt und das Vertrauen besonders Preußens nicht verstarken können, daß jene Macht, die für ihre Politik immer wieder die Weihe strengster Rechtswahrung verlangte, in ihren inneren Verfassungsfragen auf diesem Standpunkt nicht zu finden war. Gewiß, man konnte gegen die Genesis und den Inhalt der ungarischen Gesezte von 1848 vieles vorbringen; ihre äußere Legalität blieb unbestreitbar. Aber derjenige selbst, der aus den revolutionären Ereignissen des Jahres 1849 sich zur Aufstellung einer Verwirkungstheorie berechtigt glaubte und das Oktober-Diplom somit als Rechtsfortbildung anzunehmen gesonnen war, wie konnte er dessen Interpretation vom 26. Februar rechtfertigen? Was hatte die im Venezianischen eingesetzte Verwaltung mit den Ideen eines unzerstörbaren Rechtes noch zu schaffen? Gewichtiger aber als diese theoretischen und gelegentlichen Erwägungen war jedoch die unbestreitbare Tatsache, daß der zweitmächtigste Volksstamm der Monarchie ihr in ernster Ablehnung gegenüberstand. Die Haltung der Ungarn war seit 1859 immer feindlicher geworden. Was damals die Handlung einiger Revolutionäre gewesen, das hatte jetzt die offene Billigung des Landes gefunden, als die Komitate neben Cavour, Mazzini und Napolean III., einen Klapka, Türr und Kossuth in den Landtag gewählt hatten'). Mit der Auflösung dieses Landtags, der die Amtsniederlegung der gesamten autonomen Verwaltung des Landes und damit eine neuerliche verfassungslose Gewaltherrschaft folgte, war zunächst öffentlich die Politik jener Altkonservativen gescheitert, die sich, wie auch Rechberg*), über ein Verlassen der Gesetze des Revolutionsjahres mit Ungarn verständigen zu können gehofft hatten. Rechberg selbst blieb stets überzeugt, daß es bei einer klugen Transaktionspolitik des Wiener Hofes möglich gewesen wäre, die Ungarn auf das Oktober-Diplom festzulegen und damit alle die Gefahren und Mißstände zu verhüten, die er später als notwendige Folgen des Dualismus erblickte. Ihm bezeichnete das Oktober-Diplom die gerechtfertigte, aber auch die ' ) München, Geh. St. A., Hauptbericht. ) Diese Verhältnisse haben jetzt ihre ausführliche Darstellung in Joseph Redlich, Staatsproblem, Bd. I I , gefunden. Zum folgenden vgl. besonders S. 161 ff. •) Redlich, a. a. O., 24s. 8



80



äußerste Grenze des Entgegenkommens gegen Ungarn10). Kurze Zeit nach dem Rücktritt der ungarischen Oktobermänner zeigte sich aber schon, wie auch die Kraft derer, die, wie Schmerling, Ungarn auf den Standpunkt der Wiener Regierung zwingen wollten, versagte. In den nie unterbrochenen personlichen Beziehungen der ungarischen Aristokratie zum Hof wurde die Vorverhandlung über eine Befriedigung des Landes gepflogen und um die Wende des Jahres 1862 wurde diese mit derart wachsender Intensität11) betrieben, daß dem Eingeweihten die ungarische Politik Schmerlings als bereits erschüttert gelten konnte, ohne daß man hatte angeben können, wann deren Ablösung durch andere Kräfte erfolgen sollte. So lag im Innern das wichtigste Problem in voller Ungewißheit. Unter solchen Auspizien trat Oesterreich in das Jahr 1863 ein. 1863 ist vom Geschichtsschreiber des Empire libéral als das erste große Jahr Bismarcks bezeichnet worden1*). Und ebenso richtig nannte es ein Diplomat das Jahr der offenen Fragen. Es ist das Jahr, das eine Reihe der politischen Probleme Europas, und zwar zum großen Teile unabhängig von einander, zur Krisis reifen läßt, ohne doch ein einziges zu entscheiden. Der Lösungsversuch der deutschen Verfassungsfrage in Frankfurt und der zum Krieg treibende Konflikt des deutschen Bundes mit Dänemark stehen in keinem direkten Zusammenhang. Andere Probleme wie die der natürlichen Grenzen Frankreichs, der italienischen Einigung und der Unabhängigkeit der Balkanstaaten spielen in diese Krisen immer wieder hinein. Eine für den Gang der Weltgeschichte besonders belangreiche Entscheidung, der Kampf zwischen Nordund Südstaaten der amerikanischen Union trifft zwar direkt keine europäischen Fragen, doch ist ihre Einwirkung in den 10 ) Rechberg war gegen die Annahme der Adresse des ungarischen Landtags von 1861. Redlich, a. a. O., 287. " ) In den Schönbrunner Konferenzen, 25. und 26., 1860, die „den unmittelbaren Augsgangspunkt der ganzen Oktoberpolitik" bildeten, machte Rechberg darauf aufmerksam, daß Ungarn in der neuerworbenen Teilnahme an den gemeinsamen Angelegenheiten der Monarchie, die ihm früher nicht zustand, einen sehr hohen Gewinn zu erblicken habe, durch welchen es für die vom allgemeinen Interesse erheischte Begrenzung seiner heimischen Autonomie mehr als hinreichenden Ersatz erhalte. Redlich, a. a. O., I I , 690. " ) Bismarck, Gesammelte Werke, Bd. V I I , Gespräche, S. 80. Bismarck am 20. Oktober: E s kommt mir vor, als wäre ich in diesem einen J a h r um fünfzehn Jahre älter geworden.



81



Entschließungen, vor allem des englischen Kabinetts, deutlich wahrnehmbar. Ebenso wie das Inselreich ist auch Frankreich in der europäischen Politik dieses Jahres nicht frei. Den Zug nach Mexiko würde eine Unterbrechung zur Niederlage werden lassen. All diese Fragen gefährden das europäische Gleichgewicht, ohne es zunächst anzugreifen, und keine der Mächte scheint eben zu Beginn des Jahres 1863 interessiert zu sein, die europäische Lage aus der Balance zu bringen, wohl aber sind die Spannungen stark und allgemein genug, um die Lokalisierung eines einmal ausgebrochenen Konfliktes als unwahrscheinlich, um die Gefahr einer europäischen Konflagration als ernst erscheinen zu lassen. Polen, das einst gehofft hatte, die Mächte würden um dieses Gleichgewichtes willen eine Zerstückelung der Republik nicht zulassen, es hatte zu bedenken, daß an einer auch nur teilweisen Wiederherstellung seiner Unabhängigkeit nur der Staat interessiert sein konnte, der die europäische Machtverteilung zu verändern gewillt war; auch dann, wenn man von dem Schicksal der ehemaligen polnischen Teile Oesterreichs und Preußens möglichst wenig sprach und sich damit dem Vorwurf Thiers' aussetzte, es wäre schwer, Interesse für einen Staat zu fassen, bei dem nicht einmal die Grenzen irgendwie bekannt seien. Die Macht aber, der man in der diplomatischen Welt jener Zeit revolutionäre Gelüste zuzuschreiben pflegte, der Staat Bismarcks, war eben in dieser Frage eindeutig und in völlig konservativem Sinne gebunden. Wenn Rußland immer wieder mit dem Entschlüsse spielte, Polen seinem Schicksal zu überlassen und die russische Staatshoheit westlich der Weichsel aufzugeben, so durfte Bismarck diesem Gedanken gegenüber erklären, daß er in solchem Fall das preisgegebene Land mit preußischen Soldaten besetzen werde, in vollem Bewußtsein, hierdurch mit ganz Europa in Konflikt zu kommen. Dies erschien ihm als das geringere Uebel im Vergleich zur Mithilfe an der Wiederherstellung des alten Polen, ihm gleichbedeutend mit dem Selbstmord der Großmachtstellung Preußens. Anderseits konnte Bismarck, als man hinter solchen Andeutungen revolutionäre, eroberungssüchtige Tendenzen vermutete, dem österreichischen Vertreter antworten, er wünsche, sich so frei von jedem Fehler zu fühlen, wie von dem, Begehr zu tragen nach dem polnischen Besitze eines anderen. Auch Englands Haltung in dieser Frage wollte die Wahrung des bestehenden Rechtszustandes; es verlangte von Rußland die •Engel-Jtfnosi, R e c h b e r g

ß



82



Erfüllung der Wiener Verträge, die Polen eine gewisse Sonderstellung gewährten. Seine allgemeinen Sympathien waren dem russischen Absolutismus nicht zugewandt; es schien von der allmählichen Befreiung Polens überzeugt, ohne den einstweiligen Vorteil zu unterschätzen, daß dieser Stachel im russischen Fleisch die Beweglichkeit des Zarenstaates schwäche. 1831 hatte Palmerston einfach die Erfüllung der Verträge verlangt. Den gleichen Standpunkt war er ein Menschenalter später einzunehmen gesonnen. Russell durfte erklären, daß niemals ein leitender englischer Staatsmann daran gedacht habe, den Polen bewaffnete Hilfe zu stellen. Die Bedeutung der polnischen Frage für England lag in der Gefährdung des französisch-russischen Bündnisses durch sie, so wie Rußland in der italienischen Unabhängigkeit den Trennungskeil für die englisch-französische Allianz erblickt hatte. Aber eben in den Angelegenheiten Polens schien auch das französische Kabinett zu Beginn des Jahres einem Umsturz abgeneigt zu sein, wenn auch die öffentliche Meinung anders fühlte. Napoleon glaubte im Zaren den langgesuchten Verbündeten gefunden zu haben, und 1862 dürfte den Höhepunkt des von den europäischen Mächten so sehr gefürchteten Einverständnisses zwischen Frankreich und Rußland bezeichnen"). Das Streben der anderen Mächte, dieses Einverständnis für alle Zukunft unmöglich zu machen, sollte ein wesentliches Moment in allen diplomatischen Schritten dieses Jahres bilden. In der öffentlichen Meinung Frankreichs aber und ebenso in maßgebendsten Kreisen — es genügt den Namen Walewskis, des früheren Außenministers und den des Prinzen Napoleon zu nennen — war eine tiefe Sympathie für die Aufständischen eingewurzelt und überkommen. Der Gedanke der Wiederaufrichtung Polens, wenn auch nicht ausdrücklich in den alten Grenzen, durfte als „idée Napoléonienne" gelten1*). Noch in der Thronrede des 5. November gab der Kaiser diesen Verhältnissen klaren Ausdruck, denn, sagte er dort, ich mußte überzeugt sein, daß die polnische Sache in Frankreich sehr volkstümlich sei, um nicht zu zögern, eine der ersten Allianzen des Kontinents zu kompromittieren. Noch mehr als für Frankreich schien für Oesterreich das Verhältnis zu Rußland die Stellung in der polnischen Frage " ) Napoleon zum russischen Vertreter in Paris bei dessen A n trittsaudienz, 1 1 . Dezember 1862, bei Klaczko, Etudes de diplomatie, 33. " ) Idées napoléoniennes. Cap. 4.

— 83 — bestimmen zu müssen. Trübungen zwischen den beiden Kaiserstaaten hatte auch die Zeit der heiligen Allianz gesehen und selbst in den Tagen vor Olmütz, als Oesterreich und Rußland einander besonders nahegekommen waren, in gemeinsamer Stellung gegen Preußen, hatte der Zar dem österreichischen Minister erklärt, daß er wohl einen militärischen Triumph Oesterreichs über Preußen zuzulassen gewillt sei, nicht aber, daß Preußen ein Dorf entrissen werde1®). Man weiß, wie der Krimkrieg in Rußland tiefe Erbitterung gegen das isolierte Oesterreich und besonders gegen den Leiter der auswärtigen Politik, gegen Graf Buol, zurückließ. Ein russischer Großfürst hatte 1858 den Kaiser von Oesterreich den Mörder des Zaren genannt1*). Beim Ausbruch des französisch-italienischen Krieges hatte offene Gefahr, daß Rußland sich auf die Seite der Feinde Oesterreichs stelle, gedroht. Die Stimmung verschärfte sich noch, als das Ultimatum an Turin abging. Seit den Frankfurter Jahren lastete auf Rechberg das Bewußtsein der Isolierung Oesterreichs bei der Erkenntnis von der unfertigen innerpolitischen Lage des Kaiserstaates; er wußte, daß hier kein Hochflug auswärtiger Politik die disparaten inneren Elemente fester aneinanderrücken werde, er sah vielmehr die größte Gefahr eben in der allgemein gehegten Meinung, daß die einzelnen Teile der Monarchie äußere Verwicklungen nur abwarteten, um sich zum Aufstande zu erheben17). Und während er in Preußen, Frankreich, in Piemont die Kräfte sah und würdigte, die zu einem Kampf gegen Oesterreich drängten, mit Rußland hoffte er, wie Metternich und Schwarzenberg es getan, in dauerndes, gutes Einvernehmen zu gelangen. Die Reise des Prinzen von Hessen nach Petersburg 1859 und die Zusammenkunft des Erzherzogs Albrecht mit dem Zaren im gleichen Jahre leiteten die österreichische Schwenkung ein. Die Monarchenzusammenkunft in Warschau, Oktober 1860, sollte den ersten entscheidenden Schritt bilden18). Obwohl kein großes Resultat gewonnen wurde, obwohl Oesterreich den russisch-französischen Vorschlag, einen Kongreß zu berufen, um den jüngsten französischen Territorialerwerbungen endgültig Anerkennung zu verschaffen, vereitelte, so konnte Rechberg in seinem Memoire auf die gegen Rußland gleicherweise wie gegen Oester") ") 17 ) ,8 )

Brief Hübners an Rechberg, 8. Oktober 1853. Carteggio, I, 237, Cavour, 9. Dezember 1858. Rechberg a. u. Vortrag, 10. Juni 1864. St. A. Rußland, Depeschen, Varia, 1860. Entrevue de Varsovie.

6*

— 84 — reich feindlichen Grundsätze der französischen Politik und auf die im gleichen Geist aufgebaute internationale Revolution hinweisen, die eines Tages auch in Polen auftreten werde. Ein Jahr später sprach er noch präziser von der Solidarität der Revolution in Polen und Ungarn und von den demgegenüber gemeinschaftlichen Interessen der beiden Mächte1*). Es ist kein Zweifel, daß die Beziehungen zwischen den beiden Staaten sich in den folgenden Jahren besserten, obwohl Rechberg in Gortschakow einen Staatsmann sah, der sich lediglich von dem rücksichtslos erfaßten Interesse seines Staates leiten ließ. „Wir legen großen Wert darauf, uns in allen großen poli* tischen Fragen wieder mit Rußland zu besprechen," schrieb Rechberg nach Petersburg1®). Diese Ueberzeugung von dem notwendigen Zusammenhalt der konservativen Mächte diktierte ihm die Stellung zur Nachricht vom Ausbruch eines polnischen Aufstandes in den Januartagen 1863. Zunächst hoffte er, daß der Aufstand so rasch wie möglich niedergeschlagen werde, er wußte die revolutionären Emissäre im Innern Oesterreichs ständig an der Arbeit; 1863 wurde es immer klarer, daß die Februarverfassung nimmermehr die Einheit der Monarchie zusammenschweißen werde, die Opposition in Ungarn wurde ohne Zweifel ständig bedrohlicher und ebenso stieg wiederum die Gefahr im Süden. „Oesterreich ist ebenso interessiert wie Rußland, daß der Aufstand in Polen so rasch als möglich unterdrückt werde"' 1 ). Die erste Folge eines polnischen Sieges wäre die Gefährdung Galiziens gewesen, so sah er die nächste Rückwirkung auf Oesterreich, und in diesem Sinne erfolgte die erste Stellungnahme: Der galizische Landtag wurde vertagt. Es war geplant gewesen, auf dem Landtag die Absendung einer Deputation an den Kaiser zu erwirken, die eine diplomatische Intervention zugunsten Polens erbitten sollte. Rechberg fürchtete, daß die Westmächte hier den Anlaß zu einer völkerbeglückenden Initiative, zur Intervention entnehmen könnten. Wie der Zar, so wünschte auch der österreichische Minister den Wohlstand Polens unter dem Zepter " ) St. A., Nachlaß Rechberg, 524 d, Rechberg an Thun, 16. April 1861. *•) Ebd., 30. Januar 1860. " ) Rechberg an seinen Bruder, 17. März 1863. Das gleiche Urteil, München, Geh. St. A. Berichte aus Wien, 1863, 12. Februar.

— 85 — des Kaisers von Rußland"). Er wollte den Aufstand als lokale Frage betrachtet sehen und ftlrchtete die Rückwirkung einer europäischen Konflagration auf Oesterreich und dessen hadernde Nationalitäten. Mochte aus ähnlichen Gründen selbst ein Sapieha die Vertagung des Landtages empfehlen"), die öffentliche Meinung Wiens nahm in diesen Tagen eine andere Stellung ein. Es war doch sonderbar, wenn der großdeutsche „Botschafter", dem liberalen Staatsminister nahestehend, „Schadenfreude empfand", daß Rußland, welches sich überall in Europa an revolutionären Umtrieben beteiligte, nunmehr einen Aufstand in seinem Lande zu bekämpfen habe**). Das eigentlich führende Blatt der Liberalen, die „Ostdeutsche Post", sprach von den eisigen Armen einer russischen Allianz, die jede freie Bahn in Oesterreich gehindert haben würde"). Das „Vaterland", das Organ jener Partei, die Oesterreich aus der Konföderation autonomer feudaler Landschaften aufbauen wollte, so wie es etwa im Oktoberdiplom versucht worden war, sprach sich über die Verwerflichkeit des polnischen Aufstandes aus, doch auch hier schwang nicht nur der Tadel gegen die selbstherrlichen Staatsgebilde, Preußen und Rußland mit, es hoffte doch eben von dieser Empörung eine weitere Ausgestaltung der galizischen Landschaft und stand der Vertagung verständnislos gegenüber"). In keinem dieser Blätter fand sich ein Hinweis auf den Gedanken, in dessen Verbreitung Rechberg eine sehr wichtige Aufgabe der österreichischen Presse erblickte: daß das österreichische Interesse mit dem des russischen Staates in der polnischen wie in so manch anderer Frage zusammenfalle. Doch auch diese Blätter glaubten, dem polnischen Aufstand keine lange Dauer voraussagen zu dürfen. Diese Meinung schwand erst, als nach dem Abschluß der preußisch-russischen Militärkonvention der überlokale, der europäische Charakter der Bewegung klar wurde. Bis dahin war die Haltung des österreichischen Kabinetts völlig eindeutig und schien zunächst seltsam zu dem Urteil der früheren polnischen Historiker27) zu kontrastieren, die der Zweideutigkeit der österreichischen Politik Hauptschuld am Unglück Polens in diesem Jahr beimaßen. ") ") ") ») ") n )

A l e x a n d e r II. zu Montebello, 2. Jan. 1867. Charles R o u x , 317. St. A., M i n i s t e r r a t s p r o t o k o l l e , 163, 25. Februar. B o t s c h a f t e r , 26. Januar. O s t d e u t s c h e P o s t , 18. Februar. A r t i k e l v o m 5., 19. 21. V g l . die A r b e i t e n v o n K o z m i a n , K l a c z k o und W i s i c k i .



86



Rechberg hatte seine Mitarbeiter für die großen europäischen Höfe sorgsam gewählt. Die Vertreter bei den Mächten, die in der polnischen Frage in erster Linie standen, Rußland und Frankreich, hatte er in den ersten Monaten seines Ministeramtes dorthin entsendet. Auf Graf Friedrich Thun war die Wahl für Petersburg gefallen. Thun war in Frankfurt Rechbergs Vorgänger, in Italien sein unmittelbarer Nachfolger gewesen. Mit Buol, den er nie hoch geachtet hatte"), war er infolge seiner plötzlichen Abberufung aus Berlin verfeindet und machte aus dieser Gegnerschaft kein Hehl. Graf Thun darf nicht allein nach den politischen Berichten Bismarcks beurteilt werden 1 '); Radetzky, der seine Umgebung, und insbesondere einen Ziviladlatus nicht allzu mild zu beurteilen pflegte, stellte dem Charakter und dem Wesen des Grafen das freundlichste Zeugnis aus*0). Thun war offen und stolz Anhänger der klerikal-feudalen Partei, einer Richtung, deren Einfluß durch Schmerlings Bemühungen eben damals in Wien auch am Hofe vermindert war. Er hatte die Intransigenz des Mannes, der die Verantwortlichkeit für den Fortgang des Ganzen nicht kennt. Rechbergs Zusammenarbeiten mit Goluchowsky, Bruck und vollends mit Schmerling war ihm unverständlich, war ihm ein stetes Aergernis. Die Ideen des Grafen Clam, die zum großen Teil im Oktoberdiplom Ausdruck gefunden hatten, gaben sein innerpolitisches Programm»1). Eine Audienz beim Kaiser während des Urlaubes 1861 verschaffte *") A . O. Meyer, Bismarcks Kampf mit Oesterreich, 517, Thuns Brief vom 17. April 1852. '•) A . a. O., 36 ff.; doch treten bei Meyer die ideologischen Grundansichten Thuns nicht genügend hervor, woraus dann verzerrte Verallgemeinerungen sich ergeben wie Seite 36: „Die Abneigung und das geradezu krankhafte Mißtrauen gegen Preußen bildet einen wesentlichen Charakterzug im Bilde Thuns als Politiker." Ebenso wesentlich erscheint es aber, daß er Anhänger der Idee der heiligen Allianz war, bei allem Widerstreit mit den leitenden Staatsmännern Preußens und Rußlands. Die Ausführungen Seite 40, wonach der Primat Oesterreichs der treibende Gedanke bei Thun gewesen, mögen mehr für die Frankfurter als für die Petersburger des Grafen zutreffen. — Bei ausdrücklicher Anerkennung des Wertes des Werkes von Meyer glaube ich doch, daß das Bild der drei Präsidialmitglieder schließlich etwas günstiger sich darstellen wird. , 0 ) Kriegsarchiv, Nachlaß Radetzkys, Faszikel Nr. 9, Febr. 1856. " ) Hierüber die Darlegungen bei Joseph Redlich, Staatsgedanke, I. Wiederholt spricht sich Thun in seinem Briefe an Rechbers für die Aufnahme Clams in das Ministerium aus, so 7. und 24. Febr. 1861. Nachlaß Rechberg, 524 d, St. A .

— 87 — ihm die „trostlose Ueberzeugung", daß der Monarch diese Ansichten nicht mehr teilte, daß er sie als staatsgefährlich erklärte"). Thuns Urteil über die innere österreichische Politik wurde immer finsterer. „Ich kann eine fürchterliche Angst für die Zukunft nicht loswerden," hatte er schon Ende 1860 ausgerufen. In den auswärtigen Fragen WEIT Thun Anhänger der heiligen Allianz, des Bündnisses der drei konservativen Großmächte im besonderen, deswegen wurde er nach Petersburg entsandt; im allgemeinen war er Anhänger der Idee, daß die auswärtige Politik durch unwandelbare Grundsätze geleitet werden müsse; deswegen blieb ihm Gortschakow, wie früher Bismarck, unerklärlich. Der russische Kanzler stieß ihn ebenso durch machiavellistische Realpolitik, wie durch französischliberale Ideen auf das stärkste ab, wenn auch Gortschakow dem Gesandten gelegentlich das Urteil abnötigte, der größte Politiker zu sein"). In den ersten Jahren hatte Thun eine Verbesserung der Beziehungen Rußlands zu Oesterreich durch irgendeine Entfernung des Premiers erhofft. „Unkraut verdirbt nicht," schrieb er bekümmert, als Gortschakow 1860 von einer schweren Erkrankung genas"). Später, zumal als der übermächtige Einfluß Gortschakows gebrochen schien, hielt er die möglichen Nachfolger für noch schlimmer. Daß Thun es verstanden hat, sich in Petersburg eine persönlich angesehene Stellung zu verschaffen, kann nicht angezweifelt werden, und es kann den diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Kaiserstaaten nicht genützt haben, daß der Graf, seines Amtes und der inneren Politik Oesterreichs müde, im März 1863 von seinem Posten schied*5). Mißverständnisse mit Rechberg scheinen nicht vorgelegen zu haben, aber es ist ein Zeichen von Sachlichkeit und Selbstbeherrschung des gegen Kollegen und Vorgesetzte so leicht aufbrausenden Ministers, daß er diesen Gesandten ertrug. Denn Thun, der 1852 erwartet hatte, Schwarzenbergs Nachfolger zu werden'*), vertrat seine Ansichten auch seinem Chef gegenüber in schärfster Weise; in seinen Privatbriefen an Rechberg finden sich Klagen über dessen innere Politik, noch mehr natürlich über die eines **) St. A . ebd. T h u n an R e c h b e r g , T e t s c h e n , 26. D e z e m b e r 1861. •*) St. A . ebd., 23. F e b r u a r 1860. »«) St. A . ebd., 17. M ä r z 1860. '*) Oesterreich ließ sich hierauf in P e t e r s b u r g provisorisch durch Graf Guido T h u n vertreten. E r w a r nicht imstande, zu verhindern, daB G o r t s c h a k o w die D i s k u s s i o n öfter dadurch schloß, daß er die B e m e r k u n g e n T h u n s ohne A n t w o r t ließ. '•) Beust, A u s drei Vierteljahrhunderten, II, 24.



88



Bruck oder Schmerling. Er tadelte den Stil der Wiener Depeschen, die Organisation des auswärtigen Dienstes. Immer wieder fühlte er sich, und nicht zuletzt in Geldangelegenheiten, zurückgesetzt Ja, Thun vermochte, als er eine Weisung des Ministers für verfehlt hielt, bis an die Grenze des offenen Ungehorsams zu gehen; die Depesche vom 5. Februar Ubergab er nicht»7). Nicht viele Gesandte des 19. Jahrhunderts mögen ihrem Minister in solcher Tonart geschrieben haben und auch Thun hatte unter Schwarzenberg in ganz anderer Weise zu berichten gewußt"). Als Graf Thun in seinem Abschiedsbrief bemerkte, daß stets die Sorge um das Beste des Staates, niemals Rechthaberei ihm die Feder geführt, setzte Rechberg zwei Fragezeichen zu diesen Zeilen. Wie Graf Thun die polnische Revolution beurteilen mußte, ist klar. Der Aufstand bewies ihm die Nutzlosigkeit alles guten Willens der russischen Regierung zur Verständigung. In diesem Sinn konnte ihr die Bewegung nur nützlich sein"). Anders geartet war das Wesen Metternichs, des österreichischen Vertreters in Paris*0). „C'est tout ce qu'il y a de plus français et de moins russe en fait de procédés et de paroles," hatte eine Russin an Thun über ihn geurteilt41). Rechberg nannte ihn später gelegentlich „weich und oberflächlich"41»). Es war wohl auch ein Akt der Erkenntlichkeit gegen den alten Fürsten gewesen, daß der Minister den jungen Diplomaten auf den schwierigen, aber wohl am meisten begehrten Posten sandte, nachdem Napoleon schon 1858 seine Unzufriedenheit mit dem früheren Vertreter Oesterreichs, mit Hübner, zu erkennen gegeben hatte4'). Es ist bekannt, wie es dem Fürsten seit 1859 gelang, eine ausgezeichnete Stellung am Hof der Tuillerien zu gewinnen, die den Neid seiner Kollegen, und nicht zuletzt des preu" ) St. A. Petersburg, Depeschen, Varia, 13. Februar 1863. '») Meyer, Bismarcks Kampf, 509 ff. Berichte Thuns an Schwarzenberg. » ) St. A. Petersburg, Berichte, 63, 3. Februar. 40 ) Vgl. hierzu die Aufsätze Salomons in Revue de Paris, 1. und 15- Februar 1924. 41 ) St. A. Petersburg, Depeschen, Varia, 1863, 26. April. 4 « ) An seinen Bruder, 9. März 1881. " ) Leopold von Belgien an Buol, Nachlaß Rechberg, 524 c. Um den Posten in Paris hatten sich Prokesch und Thun beworben. Vgl. Rechberg Nachlaß.

— 89 — ßischen Botschafters erregte'1). Es ist bekannt, daß er und seine Gattin es verstanden, den Wtlnschen und Formen des kaiserlichen Paares auf das feinste sich anzuschmiegen und daß der Fürst sich hiervon auch für die Politik wichtige Ausbeute versprach. Er war von der Nützlichkeit und Wichtigkeit eines Bündnisses zwischen Oesterreich und Frankreich erfüllt, er trachtete alle dahin günstige Umstände auszuwerten, und eben zu Beginn 1863 zeigten die Westmachte sich bereit, eine Verständigung über die orientalische Frage anzubahnen. Auch Metternich hatte gelegentlich und in entscheidenden Tagen versucht, seine eigenen Wünsche und Ansichten zu Vorschlägen zu formulieren, und ob er 1863 nicht daran gedacht hat, seine Politik an die Stelle des Grafen Rechberg zu setzen, kann heute noch nicht entschieden werden*'). Die Londoner Tätigkeit des Grafen Apponyi hingegen hielt sich in den Grenzen völliger Sachlichkeit. Auch für damals galten Beusts Worte, daß Graf Apponyi der alten österreichischen Schule angehörte, welche es als erstes Gebot einer korrekten Diplomatie betrachtete, sich jeder ihr nicht vorgeschriebenen Initiative zu enthalten und sich grundsätzlich zu effacieren"). Den auch in der polnischen Frage wichtigen und auch in dieser Beziehung nicht allzu angenehmen Posten am Berliner Hof versah Kärolyi. Er hatte, wie schon früher, so auch in jener Mission 1859 nach Petersburg insoferne die Anerkennung des Zarenhofes gefunden, daß man ihn jetzt als Nachfolger Thuns zu sehen wünschte. Damals hatte der Altkanzler Metternich Urteil und Sachlichkeit seiner Berichte gerühmt"), und es legt für seine diplomatische Befähigung ebenfalls Zeugnis ab, daß Berlin, dem Kärolyi sehr kritisch gegenüberstand, nunmehr um sein Verbleiben ansuchte"). Daß Bach, der frühere Innenminister, den Posten beim Vatikan innehatte, war für die Haltung Oesterreichs in der polnischen Frage nicht bedeutungslos. Denn zwei Richtungen " ) Aus den Briefen Nigras an Cavour, Carteggio, I, ist jetzt deutlich ersichtlich, wie meisterhaft Napoleon den diplomatischen Vertreter einer umworbenen Macht auszuzeichnen wuBte. " ) Bei der Ankunft Metternichs in Wien schreibt der bayerische Gesandte dort: Fürst Metternich wird seine P a r i s e r Eindrücke nach den hiesigen Ansichten modifizieren. München, Geh. St. A., Politische Berichte aus Wien, 1863, 17. März. *») Aus drei Vierteljahrhunderten, 236. «•) Rußland, Depeschen, Varia, 1859. «') Bismarck wünscht Karolyi auch als ersten Botschafter in Berlin. Beust, a. a. O., II, 476.

— 90 — rangen wegen Polens um Einfluß beim Papst. In den Berichten Bachs aber spiegelt sich nur jene wieder, die in der Bewegung lediglich den Aufstand wider die rechtmäßige Obrigkeit sah. Auf die Nachricht des Ausbruchs der Bewegung in Polen hatte Rechberg sein russisches Programm nach Petersburg bekanntgegeben: Aufrechterhaltung des status quo dort, wo eine Verständigung unmöglich, nämlich im Orient; in allen übrigen Fragen, so auch Polen gegenüber, deckten sich nach der Ansicht des österreichischen Ministerpräsidenten die Interessen der beiden Kabinette18). Doch noch vor Erhalt der Depesche begannen die Klagen in Petersburg über die Begünstigung der Aufständischen durch die Behörden in Galizien und gleichzeitig gab Thun zu verstehen, daß man in Petersburg erwarte, Oesterreich würde, wie Preußen es getan, höhere Offiziere nach Petersburg und Warschau senden, um wegen möglichster Behinderung der Empörung Besprechungen zu führen. Vor der preußischen Mission war eine österreichische eine Opportunität, nunmehr ist sie eine Notwendigkeit, schrieb Thun4'). Rechberg lehnte den Antrag ab, da er fürchtete, auch durch eine solche Maßnahme den polenfreundlichen, den umsturzfreundlichen Schichten in den Westmächten einen Anlaß zu bieten, auch ihrerseits in die Bewegung einzugreifen. Er wollte den Aufstand lediglich als eine lokale, als eine interne Angelegenheit Rußlands betrachtet wissen®0). In Petersburg, wo man soeben mit Preußen, wenn auch nicht völlig aus freien Stücken, eine sehr weitgehende Vereinbarung getroffen hatte, war man über die Absage Oesterreichs um so mehr verletzt, als die Wiener Presse und auch solche Blätter, deren nahe Beziehungen zu Mitgliedern des Kabinetts, wie beim „Botschafter" bekannt waren, ihre Angriffe gegen Rußland begannen. Die Beschwerden über das Vorgehen der österreichischen Behörden dauerten an, man ließ auch die Vertagung des galizischen Landtages nicht als einen Dienst gelten, den die österreichische Regierung Rußland erwiesen. Rechberg hatte die Lage in Europa richtig beurteilt. Metternichs Berichte bestätigen, daß Napoleon noch in den ersten Februartagen nicht gewillt war, mit Rußland zu brechen81); England verurteilte die zu einer Proskiption entstellte Kon4B )

Petersburg, Depeschen, 1863, 5. Februar. *•) Petersburg, Berichte, 7. Februar. 50 ) V g l . auch Rechbergs Weisung an Metternich und Apponyi vom 26. Februar. " ) Paris, Berichte, 22. Februar.

— 91 — skription in Warschau, hielt aber den Aufstand für aussichtslos"). Da kam die Nachricht, daß Preußen mit Rußland zur Unterdrückung der polnischen Revolution am 8. Februar eine sehr weitgehende Militärkonvention abgeschlossen habe, ohne daß es möglich gewesen wäre, den genauen Inhalt der Artikel zu erfahren, wohl aber verbreiteten sich gleichzeitig Gerüchte von Aeußerungen Bismarcks, daß Preußen einen Einmarsch in Russischpolen bereits in Erwägung ziehe"). Rechberg, der Gerüchte über ein Bündnis der drei Ostmachte fürchtete, präzisierte am i i . Februar die Stellung Oesterreichs: es werde die Ruhe in Galizien aufrechtzuerhalten wissen und bestrebt sein, auch weiter in guten Beziehungen zu Rußland zu verbleiben. Der preußische Ministerpräsident hatte bereits Zweifel geäußert, ob nicht der Liberalismus einzelner Mitglieder des Wiener Kabinetts sich bis zum Wunsche der Wiederherstellung Polens, zumal in Verbindung mit einer Kandidatur des Erzherzog Maximilian, verstiegen habe. Der Erlaß vom i i . Februar befriedigte ihn, seinen Aeußerungen zufolge, völlig54). Aber auch der Minister Napoleons, Drouyn, empfing Rechbergs Botschaft mit Freude. Denn in Paris las man nur die Erklärung, daß Wien nicht gesonnen sei, dem Berliner Beispiel zu folgen. Mit Rußland und Preußen wollte Oesterreich nicht gehen, isoliert konnte es nicht bleiben, also galt es an der Seine bereits als ausgemacht, daß Oesterreich mit Frankreich und England ein Bündnis schließen würde und Drouyn setzte Metternich die merkwürdigsten Pläne über diese Entente ä trois auseinander"). Ungeachtet aller Präzedenzien, ungeachtet vor allem der ernstlichen Inanspruchnahme Englands durch den amerikanischen Sezessionskrieg, glaubte Drouyn, auch über London auszusagen, wenn er von Paris sprach. Vergebens wiederholte Rechberg am 18. Februar an Metternich, daß Oesterreich nicht gewillt sei, seinen Standpunkt in der polnischen Frage zu ändern, vergebens schärfte »') London, Berichte, 4. Februar, über eine Unterredung mit Russell. •*) Berlin, Berichte, 10. und 13. Februar. M ) Berlin, Berichte, 17. Februar. •») P a r i s , Berichte, 16. Februar. T r o t z allem, auch bei Berücksichtigung der Nachrichten über das Verhalten der österreichischen Behörden in Galizien, kommen die französischen Eröffnungen aktenmäBig doch zu unvermittelt. Kozmian berichtet, daB Metternich Napoleon I I I . in der polnischen F r a g e Avancen gemacht habe. Kozmian — Landau, das J a h r 1863, 22. Ob aber aus Eigenem? und wenn beauftragt, durch wen?

— 92 — er ihm am 22. ein, zu verhindern, daß man von Oesterreich in irgendeiner Hinsicht Beistand verlange. Drouyn wandte sich nach London und Wien, um gemeinsam in Berlin zu intervenieren und gleichzeitig erfolgten die großen Konfidenzen Napoleons. Um diese Zeit hatte der Prinz ein Memoire überreicht, das, vom polnischen Aufstand ausgehend, Europa im Namen des nationalen Prinzips neu aufteilte. Gegen ihn äußerte sich der Kaiser vorsichtig und zurückhaltend, nannte das Memoire einen Traum, der vielleicht eines Tages Verwirklichung finden könnte. In Erinnerung an die toskanische Sendung des Prinzen im Jahre 1859 sprach er von dem Mißtrauen der Großmächte, die Frankreich im Stich lassen würden, wenn sie dessen Haltung durch einen napoleonischen Ehrgeiz beeinflußt wähnten®*). Nun aber eröffnete sich der Kaiser selbst rückhaltlos gegen Oesterreich. Le jour est arrivé où l'Autriche peut regagner en un tour de main beaucoup plus qu'elle n'a perdu. Polen nicht ein Vorwand, aber ein Anlaß, damit Frankreich, während seine Waffen ein neues Reich jenseits des Ozeans erobern, die Karte Gesamteuropas umgestalte. J'appartiendrai à la puissance qui m'y aidra, ruft der Herrscher Metternich zu. Von Beginn an galt Polen den intervenierenden Mächten als ein Detail in ihrem Programm"). Und nun erfolgen halb noch im Zwielicht des Boudoirs, die Eröffnungen der Kaiserin Eugenie an den österreichischen Botschafter, deutlich an die Denkschrift des Prinzen anklingend: Wiederherstellung des alten Polens, Preußen erhält die deutsche Herrschaft bis zum ••) d'Hauterive, Napoleon III. et le prince Napoléon, S. 237 f., 35i ff. Eine bedauerliche Ungenauigkeit d'Hauterives macht die Einreihung der von ihm publizierten Briefe unmöglich. Das Memoire des Prinzen 351 S. und 236 datiert er Paris, 20. Februar 1863, den Brief des Kaisers 22. Januar 1863. Laut Notiz 236 soll der Brief die Antwort auf das Memoire sein. Das Memoire, das genauere Nachrichten über den am 16. Januar ausgebrochenen Aufstand voraussetzt, dürfte richtig datiert sein. Dann wäre die Eröffnung an Oesterreich am gleichen Tag wie die ablehnende Antwort an den Prinzen erfolgt. ®7) Paris, Berichte, 26. Februar. — Die Ostdeutsche Post, 29. März, kennzeichnete die Sachlage nicht erschöpfend. „Jeder Staat ist bereit, sich in die polnische Frage zu mischen, der nur irgendeinen Vorteil aus einer solchen Intervention zu ziehen hofft." Das war aber selbstverständlich, da die Großmächte nicht den Beruf verspürten, als Humanitätsanstalten aufzutreten. Aber zum Unterschied von der Unabhängigkeitsbestrebung in Griechenland und in den Niederlanden kam die polnische lediglich als Teil einer Neuordnung Gesamteuropas in Betracht.

— 93 — Main, Oesterreich tritt außer Lemberg und Krakau Venedig ab, erhalt Schlesien und was es will, stldlich des Mains; es dehnt seine Herrschaft über Serbien und längs der Adria aus. Und nachdem die Umgestaltung aller Mächte in solchem Sinn besprochen, heißt es zum Schluß: La France ne céderait rien, mais prendrait la rive gauche du Rhin, respectant la Belgique à cause de l'Angleterre5*). Der österreichische Botschafter schloß den Bericht mit der Versicherung, daß er die Idee einer Entente zu dritt mit aller Kraft unterstütze und überzeugt sei, daß der englische Einfluß von großem Nutzen sein werde. Alle Fragen, die Rechberg zu vermeiden suchte, alle Fragen, deren Herannahen er befürchtete, waren hiemit akutes Problem geworden. Die europäische Revolution stand vor der Türe, am gleichen Tag, an dem er an Metternich geschrieben: Nous tenons à conserver dans la question polonaise l'attitude prudente et impartiale qui nous a si bien réussi jusqu'ici. Doch die Meldung Metternichs trug intimen Charakter, offiziell war nur um eine gemeinsame Intervention angesucht worden; sie wurde abgelehnt, an Frankreich unter Beteuerung größten Interesses für den Gang der kaiserlichen Politik, mit größerer Rücksichtslosigkeit an England, indem man betonte, daß Oesterreichs Ideen und Interessen die Monarchie solchen Abenteuern nicht geneigt machen können und, indem man der Hoffnung Ausdruck gab, daß die englische Ueberlegung das stürmische Temperament der französischen Politik zu zügeln wissen werde"). England hatte verstanden, warum Frankreich um Polens willen in Berlin intervenieren zu sollen glaubte. Es hatte daher vorgeschlagen, da es sich doch um Warschau handle, den Schritt gemeinsam in Petersburg zu tun*0). Die ••) Der Bericht, 22. Februar 1863, publiziert bei Oncken, Rheinpolitik Kaiser Napoleons, Bd. I. Im Memoire des Prinzen Napoleon vom 20. Februar heißt es: 7. L'Autriche recevra des grandes compensations en Allemagne pour la cession de la Venétie et de la Galicie. 8. La France aura les territoires de la Bavière, de la Hesse et de la Prusse sur la rive gauche du Rhin en respectant la Belgique. D'Hauterive 357- In der polnischen und italienischen Frage sind die Vorschläge Eugenies die gleichen, doch geht die Kaiserin in ihren Kompensationen für Oesterreich weiter — laut Punkt 3 des Memoires sollten die südslawischen Völker einen eigenen unabhängigen Staat bilden — und legt sich für Frankreich mehr Zurückhaltung als der Prinz auf. »•) St. A. England, Weisungen, 63, 27. Februar. •®) Auch Gramont hatte von einer gemeinsamen Note der drei Mächte nach Petersburg gesprochen.

— 94 — Enthüllungen Eugenies gegen Metternich bekämpfte Rechberg auf das heftigste, und zwar vor allem wegen ihres preußenfreundlichen Charakters. Das Programm der Mainlinie, ein alter Wunsch Preußens, hätte mit dem schärfsten Widerstand von Seiten Oesterreichs zu rechnen. Der Minister aber wollte die Brücke nicht hinter sich abbrechen, mochte sie auch lediglich zu einem Phantasiegebilde führen; aber dann dürfe Preußen nicht auf der einen Seite erhalten, was man ihm von der anderen Seite nehme. Si nous faisons de la fantasmagorie, qu'elle nous soit au moins franchement favorable"). In einer offiziellen Note vom gleichen Tage sprach der österreichische Minister seine Verhandlungsbereitschaft mit den Westmächten aus, gleichzeitig die besondere Gefährlichkeit der polnischen Frage für Oesterreich betonend. Denn schon hatte Drouyn von einem Verlust Krakaus gesprochen. Nochmals erklärte Rechberg, Oesterreich wolle zunächst seine bisherige Haltung beibehalten; sollten entschiedenere Schritte sich notwendig erweisen, so sei Oesterreich bereit, an die Seite von Frankreich und England zu treten, unter der Voraussetzung, daß ihm nicht Opfer zugemutet würden, ohne daß es gleichzeitig vollwertige Kompensationen erhalte. Damit hatte Rechberg bekannt, daß er Furcht hegte, Frankreich abzuweisen und neuerdings zum Feind zu machen; er hatte den französischen Vorschlag nicht prinzipiell abgelehnt. Gleichzeitig hatte er begonnen, Frankreich, dem er offen entgegenzutreten nicht vermochte, durch dessen Bundesgenossen hemmen zu lassen. Sein Ziel blieb auch hier, das innerlich unfertige Oesterreich, dessen in sich uneinige Regierung eben in jenen Tagen neuerlich um eine Lösung der ungarischen Frage rang"), wenn irgend möglich vor Isolierung zu bewahren. Wieviel hiervon erreichbar war, hing vor allem von den äußeren Umständen ab. Der polnische Aufstand war als eine europäische Angelegenheit anerkannt worden. Noch brauchte dies Oesterreich zu keiner entschiedenen Stellungnahme zu zwingen, wenn es Rußland gelang, die Bewegung schnell zu unterdrücken. Nach Berlin, wo wiederum Gerüchte über französische Rheinpläne verbreitet waren, teilte Rechberg mit, daß er nicht gesonnen sei, Oesterreich den Tadlern der Februarkonvention zuzugesellen. Zunächst schien Rechbergs ursprünglicher Wunsch in Erfüllung zu gehen, daß Oesterreich, das eine Regierungskrise §1)

R e c h b e r g an Metternich, Paris, W e i s u n g e n , 63, 27. Februar. " ) Redlich, Staatsproblem, II, 310 ff. V r I . die A u s f ü h r u n g e n R e c h b e r g s , 321.

— 95 — nur mühsam und höchst unvollkommen zu vermeiden vermochte"), nicht gezwungen wäre, irgendwie Partei zu ergreifen. Schon anfangs Marz galt der Aufstand vielfach als verloren*4), und diese Meinung wurde allgemein, als das Korps Langiewicz in der zweiten Hälfte des Monats keinerlei Erfolg zu erringen vermochte. In dieser Lage begann Petersburg sein Urteil zu revidieren; es fand die preußische Hilfe beinahe aufgedrungen, vielleicht entwürdigend; es teilte nach Berlin mit, daß die Konvention ein toter Buchstabe bleiben werde45). Gleichzeitig wurde erklart, daß Oesterreichs Haltung dem Ansehen Rußlands besser entsprochen hätte. Bei der Abschiedsaudienz fand Thun den Zaren von den besten Gefühlen für Oesterreich beseelt, dagegen Frankreich in steigendem Maße mißtrauend. Selbst Thun hielt es für richtig, Rechberg zu dessen weiser und erfolgreicher Politik zu beglückwünschen. England versuchte zugunsten der Polen in Petersburg zu intervenieren; es war seinem Gesandten nicht einmal möglich, Gortschakow zu bewegen, die Antwort, in der er die polnische Bewegung für eine innerrussische Angelegenheit erklärte, schriftlich zu erteilen. Von österreichischem Standpunkt mit vollem Recht wies Rechberg auf die Wichtigkeit hin, den Aufstand so rasch als irgend möglich zu ersticken. War Ruhe in Polen eingetreten, so war jedem Interventionsversuch der Boden entzogen"). Oesterreich hatte es abgelehnt, gemeinsam mit England die Verträge von 1815 zugunsten Polens anzurufen; es gab lediglich die Klagen und Beschwerden der Katholiken in Rußland zu bedenken*7), zu einer Zeit, da Rom im polnischen Aufstand nicht die Sache der Kirche, sondern die der Revolution zu sehen geneigt war"). Die endgültige Entscheidung mußte für Oesterreich von der Aktion der Westmächte kommen, deren Wesen ebenfalls in diesen Wochen völlig zutage trat, richtiger gesagt, die Entscheidung lag darin, daß Rechberg, wie er in einem Memoire ausführte, das wohl aus der zweiten Hälfte März stammen dürfte, zur staatlichen Kraft Preußens und Rußlands, die beide •») Redlich, a. a. O., 328 f. **) Vgl. P o s t , S. und 22. März, Vaterland, 8. März, B o t s c h a f t e r , 20. und 22. März, Petersburg, 1. März. Thun regt bei Rechberg den Glückwunsch des Kaisers anläßlich der Besiegung des A u f standes an. V g l . auch Depesche nach Paris, 27. März. •o) Berlin, Berichte, 2. März. ••) Petersburg, Depeschen, 63, 5. März. • 7 ) Ebenda, 13. März. • 8 ) Berichte, Rom, 63, 1 1 . März.

— 96 — mit inneren Schwierigkeiten kämpften, im Jahre 1863 nicht Vertrauen hatte, während er von einem beleidigten Frankreich die Revolutionierung der österreichischen Völker und die Verstärkung des französisch-russischen Bündnisses befürchtete. Die zweite Gefahr schreckte England in fast gleichem Maße und führte auch das Inselreich weit über den von ihm eben damals verkündeten Grundsatz hinaus, daß die Wiener Verträge England wohl berechtigten, aber nicht verpflichteten, sich der polnischen Frage anzunehmen. Um Frankreichs Bewegungsfreiheit zu hemmen, sollten nach Russells Plan Oesterreich und England an Frankreich sich anschließen69). In solchem Sinne erklärte sich England zu einem gemeinsamen Schritt mit Frankreich auch dann bereit, wenn Oesterreich nicht mitzutun entschlossen blieb. Und in solchem Sinn schloß Oesterreich in den letzten Märztagen dieser Aktion sich an, nicht ohne seiner speziellen Stellung wegen wichtige Vorbehalte zu machen. In Paris war Metternich eifrig bemüht gewesen, das Bündnis zwischen Oesterreich und Frankreich zustande zu bringen, hielt er doch den gegenwärtigen Augenblick für Oesterreich denkbar günstig. Am 9. März legte er bereits einen ganz allgemein gehaltenen Entwurf zu einem geheimen Allianzvertrag vor. Dieser Entwurf war von Napoleon bereits gebilligt worden. Tags darauf erhielt er die Aufforderung, nach Wien zu kommen. Nochmals fanden Besprechungen in den Tuilerien statt, Forderungen und Hoffnungen des Kaiserpaares sollten herabgestimmt werden. Dann eilte der Fürst nach Wien. An allen Höfen erregte seine Reise Unruhe, die Rechberg durch eine kalmierende Depesche völlig zu bannen nicht vermochte. Schon begann auch die Wiener Presse wegen napoleonischer Rheingelüste Alarm zu schlagen70). In Wien wurde das französische Bündnisangebot abgelehnt; man dachte an 1859, man berief sich auf das Ruhebedürfnis Oesterreichs, wollte jedoch gleichzeitig Frankreich binden. Rechberg erklärte, Oesterreich erwarte, so wie es selbst entschlossen sei, sich niemand zu verpflichten, eine analoge Mitteilung von Frankreich. Der Wink wurde in Paris richtig gewürdigt, Napoleon und seine Minister deuteten an, wie Frankreich von Rußland umworben wäre, wie der Zar bereit wäre, um Napoleons willen den Polen bedeutende Zugeständnisse zu machen und wie 68 ) London 1863, Berichte, 27. und 30. März, und Privatbrief Apponyis vom 27. März in London, Depeschen Varia. 70 ) Post, IS. und 18. März, Vaterland, 22. März.

— 97 — dieser solcher Haltung gegenüber nicht umhin können werde, Rußland seine Dankbarkeit zu bezeugen. Und tatsächlich scheint Gortschakow um diese Zeit nochmals versucht zu haben, Frankreich auf Rußlands Seite zu ziehen 71 ). Gleichzeitig mit der offiziellen Ablehnung wurden in der Wiener Staatskanzlei geheime Instruktionen für Metternich ausgearbeitet, die, wenn sie abgesandt worden sind, an der Seine weit weniger Enttäuschung erregt haben 71 ). Diese Instruktionen, zum Teil Rechbergs fremde Gedankengänge aufweisend, betonen, daß sie nur für ganz geheime Besprechungen, in denen ausdrücklich und lediglich Hypothesen erörtert werden, gedacht seien. Sie erwähnen zunächst die Möglichkeit der Abtretung Venetiens. Diese wäre nur gegen eine namhafte Vergrößerung Oesterreichs in Deutschland denkbar; gegen eine Vernichtung Preußens heißt es wörtlich; der Primat Oesterreichs in Deutschland würde aber, heißt es weiter, verhindern, daß Oesterreich an Frankreich jene Gebiete überlasse, welche dieses vielleicht am meisten begehrt. Frankreich müßte seine Kompensationen außerhalb Deutschland suchen. Galizien könnte Oesterreich an ein unabhängiges Polen nur gegen einen Tausch Zug um Zug abtreten. Die Erinnerungen an Zürich und Villafranca leben fort. Die Instruktionen betonen ein zweites Mal die Notwendigkeit des „Zug um Zug", für Polen Kompensationen am Balkan ins Auge fassend. Abschließend erinnert Oesterreich nochmals, daß alle diese Punkte nicht aktuelle Tagesfragen seien. Nicht die Kompensationsfrage als solche, mit der Napoleon in allgemeinen Umrissen sich vor Metternichs Reise einverstanden erklärt hatte 7 '), die ja auch der Entwurf des Prinzen ins Auge gefaßt hatte, sondern die Forderung des Zug um Zug mußte solche Verhandlungen aussichtslos machen. Französische Versuche, an Stelle von Ländererwerb eine habsburgische Thronkandidatur in Polen anzubieten, scheiterten. Die offizielle Antwort Oesterreichs verstimmte in Paris. Der große Plan war glatt zu Boden gefallen, aber wenigstens in der polnischen Frage hoffte man eine Verständigung zu erreichen. Oesterreich sollte die Initiative übernehmen, sollte eine Zirkulardepesche abschicken; Metternich warnte vor den Wirkungen einer neuerlichen Absage: Rußland würde an die 71)

P a r i s , B e r i c h t e , 29. M ä r z . D i e I n s t r u k t i o n e n sind v o m 21. M ä r z peschen Varia. 7 a ) E b e n d a , M e t t e r n i c h , 5. M ä r z 1863. Bngel-Jänosi, Rechberg

datiert.

Paris,

7

De-

— 98 — Stelle treten, die Oesterreich zugedacht war. Inzwischen hatten Wien und London über Paris hinweg sich verständigt, und wenn auch Oesterreich ablehnte, die Initiative in der polnischen Intervention zu ergreifen, ja auch nur an einer für die drei Mächte identischen Demarche teilzunehmen, es erklärte sich bereit, eine Depesche an seinen Gesandten nach Petersburg zu senden, die, so weit es Oesterreich möglich war, dem Gedankengang von London und Paris entsprechen sollte. Gerüchte von den Verhandlungen wegen einer gemeinsamen Note gegen Rußland waren bekannt geworden. Der Zar sprach zu dem österreichischen Vertreter darüber, er sah den Hauptschuldigen in England, das ihm die Note vom 3. März gesandt hatte. Nochmals betonte Petersburg die gemeinsamen Interessen der beiden Kaiserhöfe gegenüber der Revolution und stellte jede Wiederannäherung Rußlands an Frankreich in Abrede74). Die Wiener Presse bemächtigte sich der Frage der Wiederherstellung Polens, sie befürwortete sie, wenn auch das „Vaterland" sie noch in fernere Zukunft verschob. Rußland galt als Gegner; „der einzige Weg für Oesterreich ist an der Seite der Westmächte"75), und der „Botschafter" verglich das Zarenreich mit einem Barbaren, der sich von der Zivilisation nichts als ein unreines Uebel geholt hatte. Die Aussichten einer diplomatischen Aktion aber beurteilten die Blätter skeptisch7*), nur der „Botschafter" erblickte hier eine Möglichkeit, Oesterreich als den europäischen Schiedsrichter auftreten zu lassen. „Das Geheimnis der Schwäche Oesterreichs ist es", schrieb der weise Journalist, „daß es sich vor seiner eigenen Größe fürchtet"77). Die Wiener Bevölkerung hingegen scheint von einer Polenbegeisterung während der ganzen Dauer der Krise unberührt geblieben zu sein, vollends von einem Krieg gegen Rußland wollte sie nichts wissen78). London war eben in den Wochen, die der Absendung der Note nach Petersburg vorangingen, durch den amerikanischen 74

) Petersburg, Berichte, 4. April. Post, 14. April. Post, 15. April, Vaterland, 8. und 12. April, 3. Mai, Botschafter, 2. Mai. 77 ) Botschafter, 26. Mai, und ähnlich P o s t , 10. Mai. 7 ") So nach den zahlreichen Geheimberichten des Dr. Ofner an Rechberg. Im Bericht vom 29. Oktober, der feststellt, daß die Wiener von einem K r i e g gegen Rußland nichts wissen wollten, wird der Ausspruch wiedergegeben: „Wenn's gegen die arroganten Preußen losgeht, dann gehen wir alle mit."

— 99 — Krieg besonders in Anspruch genommen. Glaubte es doch, eher in die Lage zu kommen, mit der Union als mit Rußland Krieg zu führen. Es wollte sich in der polnischen Frage in keiner Weise binden7'). Weniger, was Oesterreich sprach, als daß es gleichzeitig mit England und Frankreich sprach, war für London wichtig. Es billigte daher die Wiener Note, die Paris, immer noch auf eine identische Fassung hoffend, nichtssagend gefunden hatte und die sich begnügte, zu Rußland vom Standpunkt des Nachbarn zu reden. England hatte richtig geurteilt, Oesterreichs Note verletzte in Petersburg: Gortschakow bemerkte zu dem zu ihrer Ueberreichung erschienen Geschäftsträger, es schmerze ihn, daß der österreichische Vertreter gleichzeitig mit dem englischen und französischen bei ihm erscheine. Vergeblich blieb Thuns Hinweis, daß das Einverständnis zwischen den beiden Kaiserstaaten durch die rein freundschaftlichen Bemerkungen Oesterreichs nicht gestört werden könne. Der Kanzler ließ ihn ohne Antwort90). Und die Erbitterung gegen Oesterreich nahm zu, als die auch von Rechberg geteilte Annahme, der polnische Aufstand stehe vor seinem nahen Ende, sich als irrig erwies. Oesterreich und Frankreich hatten im Namen der Ruhe Europas interveniert; in seiner Antwort brandmarkte Gortschakow den polnischen Aufstand im Namen der Gegner der internationalen Revolution. Die Noten vom 17. April hatten Napoleon nie genügt; wenn auch von einem anderen Standpunkt aus als England, war auch ihm damals lediglich die Tatsache des gemeinsamen Vorgehens mit Oesterreich wertvoll. Nun wollte er weiter; Ende April suchte er Oesterreich dafür zu gewinnen, daß die Kurie von Wien aus zur Intervention für Polen aufgefordert werde. Rechberg lehnte ab, wofür ihm Rom Dank wußte»1). Daß Gortschakow die Noten der Mächte ablehnend beantwortete, überraschte kaum jemand; darin aber enttäuschte Rußland die allgemeine Erwartung, daß es des Aufstandes nicht Herr werden konnte. Besonders in den Augen der englischen ' • ) London, Weisungen, Varia, 28. April. Palmerston zu Apponyi, daß augenblicklich an einen K r i e g Englands gegen Rußland nicht zu denken sei, daß sich aber die Verhältnisse ändern könnten. Berichte, Petersburg, 19. April. " ) Paris, Weisungen, 29. April. Rom, Berichte, 24. April und 23• Mai. Im Zusammenhang mit einem direkten Schritt Frankreichs beim Vatikan gelangte in die Zeitungen die unrichtige Nachricht von Briefen, die der Papst zugunsten Polens an die Kaiser von Oesterreich und Frankreich gerichtet habe.





100



Staatsmänner sank das russische Prestige; auch schien ihnen die Gefahr einer Verwicklung in den amerikanischen Sezessionskampf im Schwinden. Die englische Haltung änderte sich wesentlich. Obwohl Gortschakow an Oesterreich die unfreundlichste Depesche gerichtet hatte, hatte Rechberg schon am 2. Mai erklärt, daß die russische Antwort zu weiteren Verhandlungen Möglichkeit biete; gleichzeitig verwies er auf die Zunahme rein revolutionärer Elemente in der polnischen Bewegung. Oesterreichs Streben, den Krieg, wenn irgend möglich, zu verhindern, hielt an und es mußte so sein. Auch ein Krieg, der zwischen Rußland und Frankreich ausbrach, konnte kaum lokalisiert bleiben; er wUrde zumindest nach Preußen und damit auf deutsches Bundesgebiet hinübergegriffen haben. Für Oesterreich drohte aber Gefahr auch dann, wenn es nicht zum Kriege kam; denn in diesem Fall schien Napoleon entschlossen, auf seinen Lieblingsgedanken zurückzugreifen, und so wie er noch jüngst die Erneuerung der europäischen Karte HandinHand mit dem Wiener Kabinett vornehmen wollte,so hätte er jetzt den Komplex aller strittigen Fragen vor das Forum der versammelten Mächte, vor den europäischen Kongreß gebracht. Den napoleonischen Ideen zufolge hatte hier jeder Staat Sitz und Stimme und Oesterreich hätte an einem Tisch mit dem damit als gleich- und vollberechtigt erkannten Königreich Italien zu verhandeln gehabt. Neben der polnischen Frage aber wären alle jene Probleme gestanden, die den Territorialbestand Oesterreichs und Deutschlands so empfindlich berührten. Gortschakow wußte, daß er einen Vorschlag machte, dem Oesterreich sich um seiner selbst willen widersetzen mußte, wenn er erklärte, Rußland sei bereit, die polnische Frage zusammen mit allen anderen strittigen europäischen Problemen dem Forum eines internationalen Kongresses zu unterwerfen"). Oesterreich konnte aber, abgesehen von dem Widerspruch Rußlands, sich auch nicht mit der Regelung der polnischen Frage durch einen Kongreß einverstanden erklären. Denn dann wäre auch eine Bewegung in Italien oder Ungarn, deren Ausbruch man ständig befürchtete, mit dem gleichen Recht vor das gleiche Forum gezogen worden, wie denn überhaupt jeder Vorschlag Oesterreichs zugunsten Polens „mit einem Schein von Logik" auf seine eigenen Länderprobleme angewandt werden konnte. Nicht ohne Berechtigung bemerkte Gortschakow dem Vertreter Oesterreichs, daß, wie immer die politischen Rücksichtnahmen seien, die Oesterreich zu beachten habe, in der polnischen M) P e t e r s b u r g , Berichte, 13. Mai.



101



Frage herrsche zwischen Oesterreich und Rußland unvermeidlich Solidarität"). Rechberg entschloß sich daher, ehe noch die Westmächte sich entschieden, die Vorschläge wegen Polens selbst zu machen und in diesen lediglich konkrete Einzelfragen zu behandeln; am n . Mai wurden Frankreich und England die zur Regelung bestimmten 6 Punkte mitgeteilt, das äußerste nach Rechbergs Meinung, was auf friedlichem Wege von Rußland noch zu erlangen wäre. Anfangs Mai waren die Aeußerungen des englischen Staatssekretärs noch durchaus friedlich; er beurteilte die russische Note nicht ungünstig, es war die Rede davon, daß der Ministerrat es bei diesem Schriftwechsel bewenden lassen solle"). Palmerston selbst sprach sich bereits schärfer in Unterredungen aus, in denen die vieldeutige Gestalt Klindworth's wieder als Vertreter österreichischer Interessen erscheint*5). Russell soll sich bei Erhalt der neuen österreichischen Propositionen für zufriedengestellt erklärt haben, aber wenige Tage darauf, unter dem Einfluß Palmerstons, unter dem Eindruck, daß der Krieg der Union seinem Ende entgegengehe, völlig umgeschwenkt sein'8). Nun bemängelte man in London sowie an der Seine, daß der österreichische Entwurf nicht für eine genügende Nationalvertretung Polens sorge und man verlangte, daß das Blutvergießen durch Abschluß eines Waffenstillstandes zwischen Polen und Rußland beendet werde. Wenn die Westmächte zur Kritik des österreichischen Entwurfes anführten, daß er die Polen in keiner Weise zufriedenstellen werde, so erwiderte Rechberg, daß die Vorschläge der Westmächte für Rußland unannehmbar seien. Die Sprache Englands gegen Oesterreich wurde schärfer; Klindworth wußte beißende Bemerkungen Palmerstons wiederzugeben. Apponyi bemerkte gegen Russell, daß England immer mehr der Wiederherstellung Polens sich zuneige, der Staatssekretär erwiderte, daß er dies nicht in Abrede stellen wolle' 7 ). Zu gleicher Zeit etwa sprach sich Napoleon gegen Hübner, den " ) Ebenda. •*) L o n d o n , Berichte, 6. Mai. •») U e b e r seine früheren Jahre deutsche F r a g e , 1923. späteren Zeit im St. A . 8. Mai. L o n d o n , Berichte, S 7 ) London, Berichte,

vgl.

Döberl,

Bayern

und dje

D i e umfangreiche K o r r e s p o n d e n z seiner in W i e n . V g l . L o n d o n , Berichte, 6. und 18. Mai. 16. Mai.

— 102 —

Vorgänger Metternichs, gekränkt und empfindlich Uber Oesterreich aus, dessen jetzige Haltung mit der im Krimkrieg vergleichend. Der Kaiser unternahm einen ergebnislosen Versuch, um den Osterreichischen Botschafter zu zwingen, die weitere Haltung seines Staates zu präzisieren**). Frankreich hatte den österreichischen Entwurf als ungenügend erklärt, doch erzielte Rechberg bereits im Mai den Erfolg, daß unter Einfluß Englands die Seemächte von der Forderung eines europäischen Kongresses abstanden und sich mit der, ausschließlich der polnischen Frage bestimmten Konferenz der acht Signatarmächte begnügten. Damit war Italien von den Verhandlungen ausgeschlossen und die Analogie mit Ungarn oder Italien unanwendbar, deren Rechte nicht unter den Schutz der Wiener Verträge gestellt waren. Nunmehr langte auch von Preußen ein Angebot an Oesterreich ein, daß diese beiden Mächte vereint die polnische Selbständigkeit im Keime ersticken sollten; Preußen wollte also im Mai die Politik der Februarkonvention gemeinschaftlich mit Oesterreich wieder aufnehmen**). Unter dem Eindruck, daß möglicherweise eine Entzweiung mit den Westmächten bevorstehe, brachte Rechberg die Frage, welche Haltung Oesterreich zur polnischen Angelegenheit einnehmen solle, vor den Ministerrat**). Hier hob Rechberg zunächst den Leitfaden seiner Politik hervor: Der innere Zustand Oesterreichs erfordere unbedingt die Erhaltung des Friedens und schließe es somit aus, Forderungen an Rußland zu stellen, die diese Macht nicht annehmen könne, da Frankreich aus einer Ablehnung die Gelegenheit zum Krieg ableiten würde. Der Minister des Aeußeren verwies anderseits auf Frankreichs Drohungen für den Fall, daß der Kaiserstaat seine Politik von der der Westmächte trennen wolle. In Erwägung dieser Lage schlug er vor, die Neutralitätspolitik weiter auszubauen und zu deren Förderung unter Mitwirkung Preußens einen deutschen Fürstentag zusammentreten zu lassen. Rechberg verhehlte sich die dabei von Berlin zu erwartenden Schwierigkeiten nicht. . **) Paris, Berichte, 20. Mai. **) Berlin, Berichte, 16. Mai. Aus den Akten des St. A. wird nicht bekannt, wie Rechberg sich zu diesen Eröffnungen gestellt hat. **) Ministerratprotokolle, 19. Mai. Vgl. Schütter in der Oesterr. Rundschau, Band 58, und J. Redlich, Staatsproblcm, II, 778 fr.

— 103 —

Rechbergs Antagonist im Ministerrat, der Staatsminister Schmerling, verwies darauf, daß die Wiederherstellung Polens den Verlust Galiziens mit sich bringen werde, ohne daß Oesterreich irgendeinen entsprechenden Ersatz erhalte. Er, der Altliberale, stellte den Nutzen einer Allianz mit den Westmächten in Abrede. „Wenn man besorgt, daß ein uns feindliches Frankreich in einigen unserer Provinzen Aufruhr hervorrufen wolle, so kann man versichert sein, daß das von uns bedrohte Rußland in dieser Hinsicht nicht minder tätig sein werde." Angesichts der Tatsache, daß nun einmal nach beiden Seiten für Oesterreich Gefahren drohen, solle dieses ausschließlich seine eigenen Interessen zu Rate ziehen. Das politische Hauptproblem sei es, ganz Deutschland zum Bundesgenossen der österreichischen Politik zu gewinnen. Rechberg gab der Befürchtung Ausdruck, daß die Konstellation des Krimkrieges wieder heraufsteige. Die Neutralitätspolitik würde Oesterreich mit den Westmächten in Konflikt bringen, ohne doch auf die Dauer die Wiederherstellung Polens abwenden zu können. Der Polizeiminister schloß sich der Meinung Schmerlings an, daß es für Oesterreich hohe Zeit sei, sich von den Westmächten zu trennen und in Deutschland den natürlichen Verbündeten zu suchen. Ein düsteres Bild von der Zukunft Oesterreichs gab Moritz Esterhäzy, der einflußreiche Minister ohne Portefeuille. Er erklärte die Neutralitätspolitik auf die Dauer als undurchführbar. Die Rheinfrage würde den Krieg bringen. Aber selbst wenn man den französisch-preußischen und auch den französisch-russischen Krieg zu verhindern wisse, so würde Napoleon die italienische Frage neuerlich hervorziehen und von da aus Europa in Unruhe bringen. Ein Kongreß habe den Wert eines Zeitgewinnes, er sehe aber voraus, daß man dort Krakau von Oesterreich zurückfordern werde. Dann aber müsse die Monarchie sich auf das Schlimmste gefaßt machen, denn, wie sie sich auch wende, der Krieg, dem sie ausweichen wolle, sei unvermeidlich. Der Kaiser faßte das Ergebnis des Ministerrates dahin zusammen, daß Oesterreich einer ausschließlich der Polenfrage bestimmten Konferenz zustimme und daß der Kaiserstaat auch weiterhin an der Neutralitätspolitik festhalten und zur Stützung dieser Politik ein engeres Verständnis mit Preußen suchen wolle. Diese Zusammenfassung war eine Entscheidung des Kaisers; auch bei dieser Gelegenheit hatte sich der Zwiespalt gezeigt zwischen Rechberg, der den Bestand der — wie er meinte — von allen Seiten gefährdeten Monarchie zu erhal-

— 104 — ten sich mühte und Schmerling, der den Kaiserstaat zu neuer Großmachtpolitik fortreißen wollte*1), oder, wie der Gegensatz in der deutschen Politik sich zuspitzte: einerseits Teilung der Vorherrschaft mit Preußen unter Oesterreichs Primat, auf der anderen Seite Vorherrschaft Oesterreichs allein um des großdeutschen Gedankens willen. Nochmals entschied Franz Josef zugunsten Rechbergs gegen Schmerling und seinen Anhang; nicht am Fürstentag, sondern in Berlin sollte zunächst die Stärkung der Stellung in Deutschland gesucht werden. Die Tageszeitungen spiegelten diesen Konflikt verzerrt wieder. Sie alle konnten sich in der Hochschätzung von Oesterreichs Kraft nicht genug tun. Das „Vaterland" warnte vor einem Anschluß an Frankreich, es wäre ihm am liebsten gewesen, wenn Oesterreich von nun an in der polnischen Frage ganz allein vorgegangen wäre, da dies nicht mehr durchführbar, riet es, die Annäherung an Preußen zu suchen. Dem „Botschafter" und der „Ostdeutschen Post" hingegen war es darum zu tun, daß Oesterreich in der Allianz mit den Westmächten das erste Wort führe. Oesterreichs großes internationales Gewicht in der polnischen Frage war dem „Botschafter" ein Zeichen der inneren Erstarkung Oesterreichs, und vollends die „Ostdeutsche Post" war überzeugt, Oesterreich habe nur ein entscheidendes Wort zu sprechen, um den Frieden zu sichern"). Und auch das wußten die Zeitungen, daß Rußland diesmal nachgeben werde'*). Ungeachtet dieser mehr erfreulichen als helfenden Versicherungen der Wiener Presse war es dem österreichischen Vertreter in London unmöglich, eine bindende Erklärung über das Verhalten Englands im Kriegsfalle zu erlangen. Die Meinung von der Widerstandsfähigkeit Rußlands war auch dort sehr gering. Auf Apponyis Bemerken, daß Oesterreich bei einem Krieg mit Rußland geographisch weit ungünstiger als England gestellt sei, beschränkte sich der Staatssekretär auf die Versicherung, es werde England an Gelegenheit und Mitteln nicht fehlen, um Oesterreich im Kriegsfall dienlich zu sein. England blieb dabei, den österreichischen Entwurf als zu schwach abzulehnen, stellte aber großes Entgegenkommen in der Waffenstillstandsforderung in Aussicht. Nun sprach **) V g l . a u c h die in den A r t i k e l n des B o t s c h a f t e r s vertretene P o l i t i k . A m 5. S e p t e m b e r schreibt dieser: Preußen ist ein starker Mittelstaat, aber ein sehr z w e i f e l h a f t e r Großstaat. •*) B o t s c h a f t e r , u . Mai, P o s t , n . Mai. •») V g l . b e s o n d e r s P o s t , 10. Mai, und V a t e r l a n d , 21. Mai.

— 105 — Palmerston so, wie Bismarck im Februar, von der Möglichkeit, daß Rußland Polen freiwillig aufgebe und deutete für diesen Fall, so wie Frankreich im März getan, eine habsburgische Thronkandidatur an. Die Absendung einer Depesche nach Petersburg, deren Forderungen über den österreichischen Entwurf hinausgingen, war in London beschlossen. Am 10. Juni") trat der Ministerrat in Wien neuerdings zusammen, Rechberg legte ihm den nun ausgearbeiteten österreichischen Entwurf vor. Er verfolgte zwei Ziele: Er wollte eine kriegerische Wendung sowohl als einen Bruch mit den Westmächten verhüten und er bemühte sich, Zeit zu gewinnen. Der Kaiser wendete sich gegen das Waffenstillstandsersuchen, schon aus dem Grund, weil eine geschlossene einheitliche Armee auf Seiten der Insurgenten nicht vorhanden wäre. Rechberg gab die praktische Bedeutungslosigkeit dieses Punktes zu, rechtfertigte ihn aber mit dem Hinweis auf den Willen der Westmachte. Der Kaiser befahl, daß die österreichischen Vertreter, falls Paris und London die Wiener Vorschläge für unannehmbar hielten, jedenfalls die Verhandlungen weiterzuführen und neue Instruktionen aus Wien einzuholen hatten. Diesmal war es Paris, das, wie früher London, durch andere außenpolitische Fragen in Anspruch genommen, Oesterreich keine Schwierigkeiten machte. Die mexikanische Expedition, die nach dem Fall Pueblas Mitte Mai im besten Geleise schien'5), näherte sich im Für und Wider der in Paris gespielten Intrigen neuerlich nach der Einnahme der Hauptstadt anfangs Juni einer entscheidenden Wendung und ein Fehlschlag dort konnte Napoleons Stellung gefährden. Die österreichischen Eröffnungen wurden daher, wenn auch nicht in allen Punkten gebilligt, so doch nicht unfreundlich aufgenommen. ^ j c h für dieses Mal hielt man an dem Vorgang vom April fest, jede Macht eine gesonderte Depesche abschicken zu lassen. Im Ministerrat vom 15. Juni'«) empfahl Rechberg die Annahme der französischen Fassung der Waffenstillstandsfrage, die sie wohl als Bedingung dachte, aber der Form nach als Wunsch erscheinen ließ. Der Kaiser lehnte ab: dieser Wunsch wäre ein Begehren nach Waffenstillstand mit der Revolution. Die Polen vermochten die Anerkennung als kriegführende •*) Ministerratsprotokolle. • 5 ) V g l . E . C. C. Corti, Maximilian und Charlotte von Mexiko, I,

1 9 8 ff.

••) Ministerratsprotokolle.



106



Partei, die die amerikanischen Stldstaaten schon zu Beginn des Sezessionskampfes erzielt hatten, nicht zu erlangen. Der Polizeiminister Mecs6ry witterte in dem französischen Vorschlag die Absicht, eine Rußland unerfüllbare Bedingung zu stellen und Oesterreich dafUr solidarisch haftbar zu machen. Esterhäzy, der die Waffenstillstandsfrage ebenfalls als inkorrekt empfand, riet doch aus Opportunitäts gründen, sie anzunehmen. Schließlich traf Schmerling die Vermittlungsformulierung, die das Wort Waffenstillstand vermied und lediglich den Wunsch nach beruhigten Verhältnissen, unter denen die Konferenzen beginnen sollten, aussprach. Diese Fassung wurde angenommen und in solcher Gestalt wurde die österreichische Note zugleich mit denen der Westmächte am 18. Juni nach Petersburg gesandt, wobei Rechberg Graf Thun nochmals darüber aufklärte, daß die österreichische Depesche nicht den Charakter comminatoire oder blessant trage. Metternich meinte, daß Drouyn es Russell hatte überlassen wollen, Oesterreich schließlich die Fassung der Westmächte aufzuzwingen, und daß er sich getäuscht sah. Russell legte der Konferenz keine besondere Bedeutung bei»7). Nach erfolgter Absendung der April-Noten hatte sich Frankreich bemüht, Oesterreich zu einer Intervention in Rom zu bewegen, nunmehr, als die zweiten Noten abgeschickt waren, machte es am 21. Juni in Wien und London den Vorschlag, die Bande zwischen den drei Mächten noch enger zu knüpfen und das zwischen ihnen herrschende Einverständnis in Form eines Protokolles oder einer Konvention niederzulegen. Oesterreich war entschlossen, den Versuch, der es noch enger den Westmächten verbinden sollte, zurückzuweisen, doch London nahm ihm das Odium der ersten Ablehnung ab; Russell hatte gefürchtet, daß Napoleon durch die Konvention die Mächte sich für den Kriegsfall endgültig verpflichten wolle. Gortschakow nahm die Noten der drei Mächte mit Ruhe auf. Es ist nicht zu bezweifeln, daß er über die Unstimmigkeiten zwischen diesen Staaten genau unterrichtet war, wobei von den Gerüchten über Sonderverhandlungen zwischen Rußland und Frankreich als einstweilen völlig unbewiesen, abzusehen ist"). Die Stimmung in Rußland hatte umgeschlagen, die Intervention wurde als Angriff auf die nationale Ehre betrachtet. Gortschakow, zu Beginn des Jahres vielfach angefeindet und seiner Stellung ungewiß, war zu einem natio• 7 ) Paris, Depeschen, Varia, 19. Juni, Metternich. ••) Hierüber Thun, Petersburg, Berichte, 13. Juni.

— 107 — nalen Helden geworden. Aus allen Teilen des Reiches liefen Ergebenheitsadressen ein. Der französische Botschafter schrieb, er könne seine Bewunderung der Haltung dieses Volkes nicht versagen, das bei all seinen Fehlern einige jener großen Gaben besitze, die die großen Reiche zu begründen und zu erhalten vermögen**). Der Kanzler durfte sich sicher fühlen und in solchem Sinn war seine Antwort gehalten. Als der französische Botschafter versuchte, dem Kanzler den ungünstigen Eindruck darzustellen, den eine solche Mitteilung haben müßte, meinte Gortschakow, Frankreich solle ruhig Krieg führen, wenn es wolle; Rußland fürchte den Krieg nicht100); im gleichen Geist hatte der Kanzler auch den österreichischen Geschäftsträger gebeten, als ihm dieser die Stelle vorlas, die „den ausschließlichen Gebrauch der polnischen Sprache als Amtssprache" empfahl, die analoge Stelle aus der Verfassung Galiziens anzuführen101). Seitdem sich Frankreich der polnischen Frage offiziell angenommen, blieb seine Haltung ihr gegenüber konsequent, wohl aber schienen Oesterreich und England zu schwanken und ihre Stellungen zu wechseln. Es wird vielleicht möglich sein, zu zeigen, daß dieses Schwanken bei Oesterreich nur scheinbar war und daß dessen Haltung sich durch einen Grundgedanken bestimmen ließ. Die österreichische Regierung erhielt für ihr Vorgehen in der großen Polendebatte des Reichsrates Ende Juni alles Lob. Die „Ostdeutsche Post" schrieb am 27. Juni, daß die österreichische Regierung, welche sich nur mühsam von den alten Traditionen losgerungen und nur zögernd den neuen Weg, den Weg der Interessen der Völker Oesterreichs betreten, eine Anerkennung erhalten habe, wie sie ihr wohl noch nie zuteil geworden. Dabei vergaß die „Posf nur, daß der Reichsrat bei weitem nicht alle Völker der Monarchie vertrat, zumal auch die Tschechen zwei Tage vorher die weitere Mitarbeit an den Arbeiten des Abgeordnetenhauses abgelehnt hatten. Das englische Kabinett hatte sich, als die amerikanische Gefahr schwand, zu einer tatkräftigeren Haltung entschlossen. Nun wandte sich die Regierung unter dem Druck der öffentlichen Meinung, die sich auf die Tradition berufen konnte, wieder völlig dem Gedanken einer ausschließlich friedlichen Intervention zu. In der Debatte vom 13. Juni bei den Pairs ••) Charles R o u x , Montebello, 3. Juni 1863, 350. 100) Petersburg, Berichte, 18. Juli. 101 ) Ebenda, 30. Juni.



108



erklärten sich Regierung und Opposition gleichermaßen gegen eine bewaffnete Intervention. Russell sprach bereits davon, die Angelegenheit fürs nächste völlig ruhen zu lassen, wenn die zweite Antwort Gortschakows nicht günstig ausfiel10*). Die russische Antwort aber übertraf alle Erwartungen. Petersburg hatte den Entwurf der Depesche nach Wien an Rechberg mitgeteilt und dieser wandte sich mit den dringendsten Bitten an Gortschakow, er möge in einer Weise antworten, die eine Fortführung der Verhandlungen ermögliche und Komplikationen nicht herbeizwinge 141 ). Gortschakow änderte seinen Entwurf nicht. Er lehnte das Ansinnen eines Waffenstillstandes, das übrigens auch von seiten der Insurgenten zurückgewiesen wurde, ab, als unverträglich mit der Ehre Rußlands, er lehnte die Konferenzen zwischen den Signatarmächten ab und bot an deren Stelle solche zwischen den Teilungsmächten an. Er sprach von den sechs Punkten als geeigneter Basis, stellte jedoch ihre Durchführung, soweit sie noch nicht erfolgt, völlig in das Ermessen Rußlands. Die Depesche erschreckte die Botschafter in Petersburg, in Paris erbitterte nicht zuletzt ihr ironischer Ton. Rechberg fürchtete, daß die russische Antwort die entscheidende Wendung zum Kriege veranlasse. Er legte dem Ministerrat sofort seinen Gegenzug vor101). Der russische Vorschlag einer Besprechung zwischen den Teilungsmächten war für Oesterreich unannehmbar, da, wenn man vom ehemaligen Königtum Polen sprach, Galizien dadurch in die Verhandlungen einbezogen werden konnte. Aber vor allem müßte verhindert werden, daß die Westmächte sich durch Gortschakows Antwort zu „irreparablen Schritten" hinreißen ließen. Rechberg meinte, Oesterreich solle so rasch als möglich neue Vorschläge machen, in denen die russische Antwort abgelehnt, aber weitere Verhandlungen ermöglicht würden. Die drei Interventionsmächte und Rußland sollten zu einer Vorkonferenz zusammentreten, deren Resultate den Signatarmächten vorzulegen wären. Die Kabinette der Westmächte sollten ersucht werden, die österreichischen Vorschläge abzuwarten. So würde ein voreiliges Vorgehen unmittelbar unter dem ersten ungünstigen Eindruck verhindert, und, woran Rechberg stets viel gelegen war, Zeit gewonnen werden. Der Polizeiminister widersprach, er befürchtete, daß Oesterreich sich immer tiefer in die 10») L o n d o n Berichte, 9. Juli. los) P e t e r s b u r g , W e i s u n g e n , 14. Juli. 104) Ministerratsprotokolle.

— 109 — Allianz mit den Westmächten verstricke; wohl gab er zu, daß der Vorschlag Rechbergs den Krieg verschiebe, bestritt aber die Notwendigkeit hierzu, da es jedenfalls in diesem Jahr zum Kriegführen bereits zu spät sei. Der Minister des Aeußeren wiederholte, daß jeder Zeitgewinn ihm wichtig sei und daß er für das nächste Frühjahr günstigere Verhaltnisse in der europäischen Politik erhoffe. Wenn aber Oesterreich, das bisher stets zurückgehalten habe, nunmehr von den Westmächten abfalle und daraufhin der Krieg ausbreche, so stünde der Kaiserstaat völlig isoliert. Schmerling erklärte, er habe den Eindruck, daß die Westmächte die polnische Frage einschlafen lassen wollten und meinte daher, daß sie dem Vorschlag Rechbergs nicht entgegen sein dürften. Die Situation, die Absichten der Westmächte seien noch undurchsichtig. Es liege heute noch kein Grund vor, sich von den Seemächten loszusagen, diese Frage aber müßte eben von Fall zu Fall geprüft werden. Keiner der Minister hatte gegen den Vorschlag Rechbergs etwas Wesentliches einzuwenden. Aus einer der textlichen Verschiedenheiten zwischen den Noten vom 18. Juni hatte Gortschakow folgern zu dürfen geglaubt, daß Oesterreich Rußlands Absicht, den Konferenzvorschlag zurückzuweisen, von Anfang an gebilligt hätte. Am Tage nach dem Ministerrat erließ Rechberg eine Depesche an Metternich und Apponyi, in der er diese Insinuation scharf zurückwies, sich gegen eine völkerrechtliche Gleichstellung von Galizien mit Russisch-Polen verwahrte und den Vorschlag einer auf die Teilungsmächte beschränkten Konferenz ablehnte. Gleichzeitig entwickelte Rechberg den Plan der Vorkonferenzen. Auf solche Weise hoffte der österreichische Minister einem zu raschen Eingreifen der Westmächte zuvorzukommen. Die „kräftige und ungeschraubte Sprache" der Depesche erhielt den Beifall der liberalen Blatter, und die „Ostdeutsche Post" schrieb bereits über die schwere Bedeutung des wahrscheinlichen Kriegsentschlusses. Auf der anderen Seite fragte das „Vaterland" besorgt, was Oesterreich zu dieser Schwenkung zu den Westmächten veranlaßt haben mochte10®). Rechberg konnte den Zweck der Depesche mit den Worten umschreiben: J'ai été très pressé de retarder les autres104); dies hinderte nicht, daß Gortschakow über das österreichische Schriftstück sich entrüstete und Rußlands Erbitterung mochte schwerer noch in die Wagschale fallen, als wenn Frankreich 1M) 10«)

B o t s c h a f t e r , 23. Juli, Post, 24. Juli, V a t e r l a n d , 24. Juli. K l a c z k o , Etudes, ISO.



110-

und Rußland nach Wochenfrist erklärten, den österreichischen Entwurf nicht anzunehmen107). Seines Erfolges war Gortschakow sicher. Die öffentliche Meinung Englands ebenso wie die entscheidenden Siege der amerikanischen Nordstaaten hießen das Kabinett, sich nicht weiter vorwagen. Auch Frankreich war zu einer Fortsetzung der rein diplomatischen Konversation bereit, aber es wollte das Gewicht der dritten Enunziationen steigern, es wollte sie in die Form identischer Noten kleiden; der Zusammenhalt der Interventionsmächte sollte nach außen hervortreten. England lehnte ab, wiederum hatte es sich bereit gefunden, an Stelle Oesterreichs die unerwünschte Mitteilung zu machen, wiederum konnte Rechberg Oesterreich als daran unschuldig hinstellen, daß der Plan Frankreichs nicht zustandegekommen10*). Als aber Frankreich Oesterreich vorschlug, identische Noten zu zweit abzusenden, erfolgte das Nein auch von Seite Rechbergs; er erklärte sich hingegen bereit, von der Idee der Vorkonferenz Abstand zu nehmen. Drouyn beschwerte sich, daß England am liebsten die Polenfrage gänzlich fallen lassen würde; Frankreich sei entschlossen, sie einer Lösung zuzuführen, nur dürfe es nicht von beiden Bundesgenossen im Stich gelassen werden. Er gestand, daß ihm der Krieg als der beste Weg zur Lösimg erscheine, gab aber zu, daß dann auch alle anderen europäischen Probleme aufgerollt würden, und auch das der Rheingrenze. Frankreich, von England sich verlassen fühlend, war bereit, sich mit Oesterreich zu verständigen und erklärte sich einverstanden, daß wiederum drei getrennte Noten übersandt würden, wenn zumindest deren Schluß identisch sei. Dieser identische Schlußabsatz sollte Rußland androhen, daß das Zarenreich, „wenn es nicht den freundschaftlichen Ratschlägen der Interventionsmächte folge, sich allen jenen Folgen aussetze, die der polnische Aufstand herbeiführen könne". Nochmals wandte sich Rechberg an Gortschakow, er möge die Verhandlungen erleichtern. „Welchen Vorteil hätte Rußland davon, wenn die Interventionsmächte einen völligen diplomatischen Mißerfolg erduldeten," so steht in dieser Weisung zu lesen, „oder wenn sie zu energischeren Mitteln gezwungen wären." Diese Worte würden peinlich berühren, wenn ihr Verfasser im Interesse seines Staates durch sie einen Erfolg hätte erringen wollen10'). Gortschakow hatte 107 )

Paris, Berichte, 28. Juli. 10») Paris, Weisungen, 7. August. 1 0 t ) Rußland, Weisungen, 12. August.

— 111 — auch das Ansuchen Rechbergs unbeachtet gelassen, zur Erleichterung einer weiteren Aussprache von der Publikation der scharfen und abweisenden Replik auf die Depesche des österreichischen Ministers Abstand zu nehmen11*). Er hatte bereits die Haltung des Triumphators angenommen111). In diesem Zeitpunkt war es völlig bedeutungslos geworden, wenn die römischen Freunde Polens eine Parteinahme der Kurie zu dessen Gunsten erwirkten. Jedes Vorgehen auf diplomatischem Wege halte der Papst abgelehnt, hatte er doch in der polnischen Bewegung immer wieder die Vertretung der Revolution als solche gesehen; nun entschloß er sich, vielfach bestürmt, zu öffentlichen Gebeten für Polen auffordern zu lassen111). Preußen und Rußland wurden dadurch beunruhigt, die Polenfreunde, vor allem Frankreich, nicht befriedigt. Bereits im Mai hatte Rechberg die Einberufung eines deutschen Fürstentages empfohlen, vor allem aus dem Grund, um dort Verstärkung für die österreichische Politik in der Polenfrage zu suchen. Der Fürstentag fand im August statt über Schmerlings Betreiben, nunmehr gegen Rechbergs Rat, der deshalb — wenn auch vergeblich — seine Demission eingereicht hatte11*); von der Polenfrage war nicht die Rede. Das Problem als solches schien nicht mehr aktuell, die im Frühjahr schwer umstrittene Neutralitätspolitik Oesterreichs war selbstverständlich geworden. Was etwa zwei Wochen früher in Gastein der Kaiser von Oesterreich und der König von Preußen über Polen gesprochen, ist heute noch unbekannt. Die Politik Oesterreichs in Frankfurt, der Versuch, den großdeutschen Gedanken in Tat umzusetzen, beunruhigte zunächst derart, daß eine neue Gruppierung der Kontinentalmächte sich anzukündigen schien. Frankreich, Rußland und Preußen näherten sich einander, sie alle aufgeregt von der österreichischen Forderung, daß der gesamte Besitz der Monarchie durch Deutschland garantiert werden solle. Sachliche und persönliche Motive bewogen den preußischen Botschafter in Paris, alle Energie einzusetzen, um Oesterreich den Rang abzugewinnen 1 "). Nun traf, während die geringen Erfolge des " • ) R u ß l a n d , W e i s u n g e n , i. A u g u s t , w e g e n d e r r u s s i s c h e n D e p e s c h e v o m 15-/27. Juli. 1 4 1 ) R u ß l a n d , B e r i c h t e , 24. A u g u s t . " » ) R o m , B e r i c h t e , 22. Juli, 19. A u g u s t . 11S) R e c h b e r g an s e i n e n B r u d e r , 16. D e z e m b e r 1872. " ' ) P a r i s , B e r i c h t e , 1., 3., 6. und 8. S e p t e m b e r ; B e r l i n , 11. N o v . ; P e t e r s b u r g , 10. S e p t e m b e r .



112



Fürstentages sich enthüllten, die dritte russische Depesche ein. Fürst Gortschakow erklärte in dieser den Notenwechsel für beendet, da ein Einverständnis in der polnischen Frage nicht erzielbar sei. Die Mächte hatten Rußland die Verantwortung für ein ablehnendes Verhalten zugeschoben. Gortschakow erwiderte, daß von einer internationalen Verantwortlichkeit nur bei Verletzung internationaler Rechtsbeziehungen die Rede sein könne. Derart war die Sprache dieser Note, daß die österreichische Presse wieder vor einem Kriegsausbruch zu stehen meinte. Auch Frankreich muß angenommen haben, daß diese Antwort von niemand ertragen werden könne; Drouyn erklärte, die Initiative den beiden anderen Staaten zu überlassen. Frankreich selbst sei entschlossen, aus einer europäischen Frage nicht eine nur französische zu machen; schwiegen Oesterreich und England, so habe Frankreich genug Gloire, um eine Beleidigung, die seine Partner annähmen, zu verschmerzen118). In seinen Unterredungen aber kam Drouyn immer wieder auf das unzuverlässige und unzweckmäßige Benehmen Oesterreichs und Englands zurück; er prophezeite, daß Rußland den Aufstand im Winter unterdrücken werde, um sich im Frühjahr mit der ganzen Wucht des panslavistischen Gedankens auf Oesterreich zu werfen. Dann, bis es zu spät, würden England wie Oesterreich um die Hilfe Frankreichs rufen11*). Rechberg schätzte die russische Haltung richtig ein, aber er hielt es für geraten, von weiteren Noten abzusehen; er wollte die Diskussion in diplomatischer Form schließen. Russell aber schien zu anderem entschlossen; er ging von jener Stelle aus, in der Gortschakow erklärt hatte, daß nur die Verletzung völkerrechtlicher Beziehungen eine Verantwortlichkeit Rußlands mit sich bringe. Er ging auf die Wiener Verträge zurück und folgerte, daß diese ebenso die Rechte Polens als die des Zaren regelten. Räume der Zar den Polen jene Rechte nicht ein, so seien die internationalen Verträge gebrochen und die Souveränität sei verwirkt 117 ). Rechberg sah sein Programm wieder, und unerwarteterweise von England gefährdet. England durfte diese Depesche nicht absenden. Das Wiener Kabinett verwertete das Argument, das bisher die Presse der abflauenden Intervention der Mächte vorhielt: Man habe die Hoffnungen der Polen vergeblich und gewissenlos 11») 11«) redung •17)

Paris, Berichte, 20. September. Paris, Berichte, 20., und ein Brief Hübners über seine Untermit Drouyn vom 24. September. London, Berichte, 21. September.

— 113 —

geweckt. In welch' gesteigertem Maß galt dies für den englischen Entwurf, wenn man nicht entschlossen war, ihm sofort den Nachdruck mit den Waffen zu verleihen 11 '). Rechberg fürchtete wiederum, daß es Oesterreich wäre, das infolge der Ungunst seiner geographischen Lage die ganze Wucht des russischen Unwillens zu tragen haben würde. Als vollends der englische Botschafter Rechberg aufs neue versicherte, daß London an einen Krieg um Polens willen nicht denke, wollte er Russell erinnert wissen, wie eine Erklärung, die für England vielleicht eine Nuance von wenig Bedeutung sei, für Oesterreich eine Angelegenheit von höchster Wichtigkeit werden könne. Russell hatte den in der Note verfolgten Gedankengang in einer Bankettrede bereits der Oeffentlichkeit übergeben. Nach einigem Zögern gab Drouyn sein Einverständnis zur englischen Textierung. Frankreich und England schienen wiederum geeinigt und man war in Paris so ängstlich bemüht, nunmehr kein neues Hindernis durch Oesterreich aufkommen zu lassen, daß Drouyn die Kenntnis der englischen Note dem österreichischen Vertreter glatt verleugnete. Auch Frankreich sandte wieder seine Depesche nach Petersburg. In Paris und London unterbreitete Rechberg ein Gegenprojekt und erreichte, daß England die bereits abgesandte Note in Petersburg zunächst nicht überreichen ließ. Anfangs wies Russell den österreichischen Vorschlag unbedingt ab, er empfand die letzte Depesche Gortschakows als eine Beleidigung, die die Großmächte nicht glatt hinnehmen könnten; eher schien Rechberg in Paris Erfolg zu haben, aber man lehnte schließlich auch dort ab. Inzwischen aber hatte Russell, zum Teil durch Palmerstons Urteil bewogen, nachgegeben; England wollte keinen Krieg, mehr noch, es wollte Frankreich keinen Vorwand zum Krieg lassen. Der Staatssekretär nahm zwar nicht den österreichischen Text an, entschloß sich aber, die letzten Abschnitte seiner Depesche, die Rußland die Souveränitätsrechte in Polen absprachen, zu streichen. Der englischen Mitteilung, die in solcher Gestalt an Gortschakow übergeben wurde, war jeder Stachel genommen. Die beiden anderen Mächte konnten über den Text einer Note nicht schlüssig werden. Drouyn fand die neue englische Fassung unerträglich schwach und schob die Schuld, daß auch diese Aktion alle Stoßkraft eingebüßt hatte, auf Oesterreich. Frankreich fühlte sich aufs neue vom Wiener Kabinett hintergangen. Immer wieder wies es auf die Analogie mit den Vorgängen im ll8)

London,

D e p e s c h e n , 2.

Engel-Jdnosi, Rechberg

Oktober.

8

— 114 —

Krimkriege hin und vergaß völlig, daß es sich doch diesesmal eben für Oesterreich keineswegs um eine rein außenpolitische Frage handelte, sondern um ein Problem, das in hervorragendem Maße die gesamte Innenstruktur, ja den Bestand der Monarchie beeinflussen mußte. Napoleon hatte durch den Fürsten Czartoryski nochmals versucht, Wien für den polnischen Krieg zu gewinnen, man versuchte bei den Besprechungen der Grenzen des neuen Polen sogar von Galizien Abstand zu nehmen, so daß man lediglich auf die Schwächung der beiden gefährlichen Nachbarn hinweisen konnte. Oesterreich wurde der katholische Teil Schlesiens und Gebiete Bosniens versprochen. Preußen sollte noch weiter durch Rückgabe von Sachsen geschwächt werden und, um alle Wünsche Oesterreichs erfüllt zu haben, wurde erklärt, daß Frankreich an die Rheingrenze nicht denke, ja daß Frankreich den Geschmack an Neuerwerbungen verloren habe 11 '). Rechberg ließ Czartoryski nicht einmal nach Wien kommen. Nochmals unterbreitete Rechberg die polnische Frage dem Ministerrat, dem der auf Urlaub in Wien weilende Metternich beigezogen wurde1*0). Die Wiener Presse, „Vaterland" wie „Botschafter" und „Ostdeutsche Post", war sich längst darüber einig, daß die österreichische Politik in der Polenfrage kläglich gescheitert sei. Der Minister des Auswärtigen führte aus1*1), >1») P a r i s , D e p e s c h e n , V a r i a , 8. O k t o b e r , P r i v a t b r i e f Metternichs. 1 , 0 ) Ministerratsprotokoll, i. November. l a l ) Ich glaube nicht, daß das „ M e m o i r e " R e c h b e r g s , das ich in U e b e r e i n s t i m m u n g mit der zeitlichen A n o r d n u n g des St. A . in d a s F r ü h j a h r v e r w e i s e n zu können glaube, lediglich einen E n t w u r f zu diesem V o r t r a g darstellt. Im „ M e m o i r e " wird g e f r a g t , ob O e s t e r reich eine W i e d e r h e r s t e l l u n g P o l e n s begünstigen solle, der V o r t r a g sieht davon ab, und es geht darin nur um die H a l t u n g O e s t e r reichs im K r i e g s f a l l e . D a und dort werden die drei möglichen Stellungnahmen O e s t e r r e i c h s erwogen, die A u s s i c h t e n der N e u t r a lität aber verschieden beurteilt. Die E r w ä g u n g der R h e i n f r a g e und v o r allem der A b t r e t u n g Venetiens scheinen doch mit den E r öffnungen der K a i s e r i n an Metternich zu korrespondieren, o b w o h l es sich dabei um andauernde P r o b l e m e handelt. Entscheidend scheint der S a t z des „ M e m o i r e s " , Frankreich und E n g l a n d haben E r ö f f n u n g e n g e m a c h t , deren B e a n t w o r t u n g nicht verschoben w e r den kann. D i e s trifft auf die letzten O k t o b e r t a g e nicht zu, w o h l aber auf die Zeit, als Metternich nach W i e n k a m und E n g l a n d Oesterreich zum erstenmal zur Intervention in P e t e r s b u r g aufforderte. E b e n s o w e i s t die Stelle, Oesterreich müsse seine B e dingungen an F r a n k r e i c h stellen, auf den B e g i n n der A k t i o n hin.

— 115 —

daß für dieses Jahr eine Kriegsgefahr nicht mehr bestehe, doch müsse mit dem Ausbruch der Feindseligkeiten im nächsten Frühjahr gerechnet werden, vor allem deshalb, weil Frankreich entschlossen sei, die polnische Frage zum Vorwand für seine anderen Pläne zu benützen. Welche Stellung habe Oesterreich im Kriegsfalle einzunehmen? Bei einem Bündnis mit Rußland drohe die Feindschaft der Westmächte, Italiens und der Türkei, während Rußland nach wie vor nicht für fähig gehalten werde, wirksame Hilfe zu leisten. Eine solche Konstellation würde überdies das Zusammenwirken mit Preußen voraussetzen. Rechberg fürchtet, daß dies mit schweren Opfern erkauft werden müsse und selbst dann hält er den Erfolg keineswegs für gesichert. Schließt Oesterreich die Allianz mit den Westmächten, so ist die Wiederherstellung Polens gesichert. Oesterreich muß also vorher ausreichende Garantien für den Fortbesitz von Galizien erlangt haben. Rechberg selbst würde am liebsten für die Wahrung der vollkommenen Neutralität Oesterreichs im Kriegsfalle eintreten, hält aber ihre Durchführung, auch bei einer Mobilisierung der Monarchie, für unmöglich. Ueberdies bestehe hierbei die Gefahr, daß schließlich Rußland und Frankreich, beide gegen Oestereich erbittert, sich gegen die Monarchie verbünden. Zur Behauptung der Neutralität wäre eine Verbindung mit einem einigen Deutschland notwendig, es bestehe aber keine Aussicht, daß diese Einigung bis zum Frühjahr zustandekomme. Metternich meint, Napoleon werde Oesterreich keine Schwierigkeiten bereiten, wenn er nicht sehe, daß das Wiener Kabinett seine Absichten in Polen vereiteln wolle. Seinem innersten Gefühl, bekennt Rechberg, widerstrebe es, mit Frankreich Hand in Hand zu gehen, ja es zu stärken, während die Koalition sämtlicher Mächte gegen diesen Feind der öffentlichen Ruhe Europas geboten wäre. Er sehe aber keinen anderen Weg. Denn wenn man auch nicht in Betracht ziehen wolle, daß ein Bündnis mit Rußland die öffentliche Meinung gegen sich aufbringen würde: Oesterreich sei zu schwach zu einer solchen Schwenkung. Und wiederum weist er auf den gefürchteten Gegenspieler in Deutschland, auf Preußen hin, dem er zutraut, den von Oestereich verlassenen Platz bei den Westmächten zu besetzen. In Erwägung all dieser Umstände, im Bewußtsein der inneren Schwäche der Monarchie kommt Rechberg zu dem Schluß, daß man die Politik des Lavierens weiter befolgen und trachten solle, England zurückzuhalten, bis die Konstellation im Innern oder in Europa sich geändert und Oesterreich genügend erstarkt sei zu einer 8*



116



entschiedenen Schwenkung. Nochmals hatte Rechberg dargelegt, wie verschieden, ja fast gegensatzlich die österreichischen Interessen in der allgemeinen politischen Situation einerseits, andererseits im einzelnen Fall in der polnischen Frage lagen. Schmerling, Uber dessen Leichtsinn in außenpolitischen Belangen der Minister des Aeußern in Privatbriefen Klage führte, sah die Frage viel einfacher: für das Programm von 1815, das Programm der sechs Punkte könnten die Westmächte der Unterstützung Oesterreichs sicher sein, nicht aber für eine Wiederherstellung Polens, die den Verlust Galiziens nach sich ziehe. Denn Galizien als „Damm zwischen dem zerwühlten Kongreßpolen und Ungarn" sei durch keine wie immer gearteten Kompensationen zu ersetzen. „Daher verschaffe man sich über diesen Besitz die positivsten Garantien." Ganz kurz erwiderte Rechberg, daß die Aufrechterhaltung der Verträge von 1815 wohl Oesterreichs, aber nicht Napoleons Ziel sei und Metternich pflichtete ihm bei mit dem Bemerken, daß er es nicht für ausgeschlossen halte, in Paris, wenn man den richtigen Augenblick benutze, die gewünschten Garantien für den Besitz Galiziens zu erhalten. Nun erhob sich der Finanzminister Plener, das am weitesten nach links orientierte Mitglied des Kabinetts, und formulierte sein außenpolitisches Programm: Aufrechterhaltung des Friedens um jeden Preis und Zufriedenstellung Napoleons, denn Oesterreich stehe in den wichtigsten Anleiheverhandlungen, die für seinen Kredit eine Lebensfrage seien. Auch Rechberg sprach sich nochmals für die möglichst lange Fortführung der diplomatischen Verhandlungen aus, aus welchem Grund man auch bedacht sein müsse, den Kaiser der Franzosen sowenig als möglich zu verletzen. Als der Kaiser in seiner Zusammenfassung der Ergebnisse hervorhob, bei einem Kriegsausbruche im Frühjahr, bei dem Oesterreich nicht neutral bleiben könne, müsse die Monarchie von den Westmächten ausreichende Garantien für Galizien begehren, gab Rechberg nochmals seiner Besorgnis Ausdruck, daß der Fortbesitz von Galizien neben einem unabhängigen Polen nicht haltbar sein werde. Die ständige Erregung in Galizien hatte die österreichische Regierung bereits zu einigen Ausnahmeverfügungen gezwungen, die immer das Mißfallen Frankreichs erregt hatten. Nunmehr sollten weitere entschiedene Maßregeln ergriffen werden. Der Augenblick hierzu schien günstig unter dem frischen Eindruck des Mordes an dem Lemberger Landesgerichtsrat Kuczinski, der allgemein einem Femespruch der geheimen pol-

— 117 —

nischen Nationalregierung zugeschrieben wurde; dennoch vermochte der Finanzminister durchzusetzen, daß die Verhängung von Ausnahmemaßregeln wegen der Fortführung der Anleiheverhandlungen einstweilen unterblieb. Sie wurden auch nicht am 6. November verfügt, als der Ministerrat unter dem Eindruck eines Schreibens des Statthalters von Galizien zusammentrat, welcher darlegte, daß die gesetzlichen Mittel zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Galizien nicht mehr hinreichten. Obwohl Schmerling, der Vater der Februarverfassung, in diesem Augenblick für eine Verfassungsverletzung, für den Erlaß einer Notverordnung der Regierung bei versammeltem Reichsrat eintrat, beschloß der Ministerrat, die legale Form zu wahren und erst nach Schluß der Session mit der Notverordnung vorzugehen. Am 5. November hatte Napoleon die neugewählten Kammern zu eröffnen, in die die Oppostion diesmal verstärkt eingezogen war. Man fürchtete diese Eröffnungsrede und Rechberg ließ dem Pariser Kabinett mitteilen, die österreichische Regierung werde die erste Gelegenheit ergreifen, um dem Reichsrat zu erklären, daß sie an der intakten Entente mit den Westmächten festhalte. Sie erwarte daher, daß die Thronrede ihr diese Manifestation nicht unmöglich mache. Ueber deren Inhalt waren auch in den Wiener Zeitungen geraume Zeit hindurch Mutmaßungen angestellt worden. Die Eröffnungsansprache des Kaisers der Franzosen aber überraschte alle. Nicht die darin ausgesprochenen Urteile Uber die vorgefallenen Ereignisse wirkten entscheidend, sondern das aufgestellte Programm. „Un esprit persévérant mais faible et irrésolu", hatte ein genauer Beobachter Napoleon einmal genannt 1 "). Nachdem seine Politik in der polnischen Frage endgültig gescheitert schien, griff er auf seine ersten Ideen zurück. Seinen Ausgang nehmend von Erklärungen Gortschakows über die Bereitwilligkeit Rußlands, sich an gesamteuropäischen Konferenzen zu beteiligen, schlug der Kaiser vor, die polnische Frage einem europäischen Tribunal zu unterbreiten, um sie nicht mit den Waffen lösen zu müssen. Dieser europäische Kongreß sollte aber nicht auf dieses Einzelproblem beschränkt bleiben, er sollte alle Interessen, alle Fragen berücksichtigen, die „im Süden wie im Norden eine Lösung verlangen". „Ist es nicht 1,f ) Carteggio, I, 219, Nigra, 25. November 1858, ebenda, 273: La pensée de cet homme dont l'inconstance et la mobilité ne peuvent être comparées qu'a sa ténacité et à sa persévérance.



118



dringend," rief der Kaiser den Senatoren und Deputierten zu, „durch neue Uebereinktlnfte dasjenige anzuerkennen, was unwiderruflich zustande gekommen ist, und durch gemeinsame Uebereinstimmung dasjenige zu erfüllen, was der Friede der Welt verlangt?" Die gesamte Neuordnung, der Neuaufbau Europas, wie er im Frühjahr zusammen mit Oesterreich versucht werden sollte, war zum Programm des Kongresses geworden. „Die Verträge von 1815 haben aufgehört zu existieren." Nicht Oesterreich allein bedrohte dieser Satz an der Wurzel; er sprach das Urteil über den polnischen Besitz Rußlands, er stellte die englische Kolonialmacht in Frage. Eine neue politische Konstellation mußte sich von diesem Programm anbahnen; Rußland rückte auch außenpolitisch näher zu Oesterreich 1 "). Dennoch erfolgte nicht sofort eine glatte Ablehnung aus Wien. „Wir anerkennen das Bestehen gewisser Mißstände in Europa," schrieb Rechberg, „aber das durch sie hervorgerufene Mißbehagen ist nur Ortlich, ist lokalisiert, das von Napoleon dagegen vorgeschlagene Heilmittel wäre ärger als das Uebel selbst. Denn um die Unruhen in gewissen Gebieten zu beseitigen, müßte man ganz Europa in Unruhe versetzen, wenn man es derart radikal umformen wollte"*)." Oesterreich behandelte auch diese Frage dilatorisch, es ersuchte um nähere Aufschlüsse über den eigentlichen Zweck des Kongresses und wieder gelang es Rechberg, die gegebenen Strömungen so zu benützen, daß England die von Oesterreich gewollte Weigerung aussprach. Indem England am 21. November ablehnte"5), die Einladung Napoleons anzunehmen, war der Kongreß gescheitert. Die Erbitterung des Kaiserpaares ist unschwer vorzustellen und es ist begreiflich, daß London in Paris wissen ließ, England hätte nicht ohne Vorwissen, auch nicht ohne Beeinflussung von Oesterreich gehandelt. Metternich wurde mit Vorwürfen überschüttet: Zürich und Villafranca, sosehr sie bisher das Gewissen belastet hätten, seien jetzt leicht zu tragen für den, der an die Haltung Oesterreichs in der polnischen und in der Kongreßfrage denkt"*). Die Kaiserin prophezeite, Oesterreich werde sich niemal zu einem Entschlüsse, niemals zu einer Tat aufraffen. Oesterreich werde "*) "*) "») "•)

Petersburg, Berichte, 11. Januar 1864. Paris, Weisungen, 17. November. London, Berichte, 21. November. Paris, Berichte, 27. November.

— 119 — sich mit dem einen, dann mit dem anderen verbünden und es werde am Ziele ankommen „ä la queue de tout le monde"1*7). Inzwischen aber war eine andere europäische Frage zur akuten Krise geworden, ehe sie vor den napoleonischen Kongreß gebracht hatte werden können, der nach dem Ausdruck Thiers' nicht eine Versammlung der Aerzte bei Kranken, sondern ein Konzilium von Kranken geworden wäre. Am 15. November starb der König von Dänemark inmitten schwerer Verfassungsstreitigkeiten mit den Elbeherzogtümern. Der Bestand der gesamt-dänischen Monarchie war in Frage gestellt, da Schleswig-Holstein seinem Nachfolger die Anerkennung verweigerte. Die Schleswig-Holsteinsche Frage, nicht mehr der polnische Aufstand, war der wichtigste Gefahrenherd für den europäischen Frieden geworden. Oesterreich hoffte von Rußland eine ihm günstige Beeinflussung Dänemarks und immer enger führte die dänische Krise Oesterreich auch an den zweiten Gegner in der polnischen Frage, an Preußen, heran. Die Mächtegruppierung, die internationalen Verhältnisse hatten die von Rechberg erhoffte Aenderung erfahren, Oesterreich vermochte die Schwenkung zu vollführen. So wie Rechberg die letzte Wendung der polnischen Krise geleitet hatte, ohne bei der Wiener Presse irgendeine Unterstützung zu finden, bis schließlich sogar das „Vaterland" seine Politik offen als verfehlt erklärte1*8), weil ihr die Weihe des Prinzips, das in diesem Falle Trennung vom Liberalismus hieß, gemangelt hatte, so verweigerte nunmehr auch der Reichsrat dem Minister des Aeußern die Gefolgschaft. Seinen Reden blieb jede Wirkung versagt, und als Graf Rechberg dem Hause zurief, es möge sich erinnern, wo Oesterreich 1859 gestanden und wo es heute stehe, erwiderte Giskra: „Ich räume ein, viel mehr geachtet als damals, mit einem viel größeren Kredit als damals. Aber etwa durch das Ministerium des Aeußern? Der Verfassung verdanken wir dies und nur der Verfassung, nicht etwa der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten." In einem Brief an seinen Bruder schrieb Rechberg, daß die an diesem Tag völlig maßlosen Angriffe auf seine Politik die Rache Schmerlings für dessen Zurücksetzung beim Frankfurter Fürstentag darstellten1"). 1,T

) Paris, Depeschen, 23. November. ) „Vaterland", 26. November. 1M ) Brief, 21. Dezember 1863. 1,s

Varia, Brief Metternichs.

— 120 —

Endlich hatte die Wiener Regierung sich doch entschlossen, mit scharfen Ausnahmeverfügungen in Galizien einzusetzen. Sie hatte die Rückwirkung auf Napoleon gefürchtet, wie diese Verfügungen tatsächlich auch in England die öffentliche Meinung gegen Oesterreich erregten1»*). Der Kaiser der Franzosen aber erklärte die österreichischen Maßnahmen nur als unlogisch, nicht als grausam. Er meinte, wenn diese Strenge früher angewendet worden wäre, so wären ihm wie der polnischen Emigration alle Mißverständnisse des Jahres 1863 erspart geblieben, ein Urteil, das beinahe in die Geschichte übergegangen ist" 1 ). Noch aber fühlte sich Napoleon, und vollends nach dem Scheitern seines Kongreßprojektes, zu schwach und zu isoliert in Europa, um Oesterreich von sich fortzustoßen; ja die neu heraufziehende Gefahr im Norden schien ihm eine neue Annäherung erwünscht zu machen und aus diesen Tagen wird die für Oesterreich bestimmte Aeußerung des Kaisers berichtet, er habe in der Politik bisher nur Geliebte besessen, jetzt suche er dort die Ehe 1 "). Die russische Regierung war im März 1864 daran geschritten, einem Wiederaufflammen des polnischen Aufstandes beim Eintritt der wärmeren Jahreszeit den sozialen Nährboden zu entziehen, indem sie die Bauernbefreiung auch in Polen verkündete. Mitte Februar hatte das Wiener Kabinett den Entschluß zur Verhängung des Belagerungszustandes gefaßt. Der Statthalter von Galizien, der diese Maßregel schon wiederholt beantragt hatte, erklärte sie jetzt angesichts der durchgebildeten revolutionären Organisation des Kronlandes für unaufschiebbar. Schon äußerte sich in Ungarn der Widerspruch auch äußerlich gefahrdrohender1»'). Im März war es in Pest zu bedeutenden Tumulten gekommen1**). Paris, in Sorge vor einem österreichisch-russischen Bündnis, wünschte, Oesterreich solle offiziell das Bestehen eines solchen Einverständnisses in Abrede stellen1»5). Rechberg ermächtigte wohl Metternich, privat diese Aeußerung zu tun, «0) London, Berichte, 21. Dezember. 1J1

) P a r i s , Berichte, 14. Dezember. i» 1 ) Ebenda, 20. Dezember. •»») Min. d. Innern 1864, 19. April, 844, n 3 3 ; Ofner Berichte, 20. Februar, 1864. Mönchen, Polit. Archiv, Hauptbericht Oesterreich 1863/64. i»*) Redlich, a. a. O., I I , 334 fu») Paris, Berichte, 28. Fefiruar 1864.



121



doch stets bedacht, Oesterreich freie Hand zu wahren, lehnte er es entschieden ab, seine Politik nun, nachdem der Krieg mit Dänemark ausgebrochen und die Haltung Rußlands von entscheidendem Einfluß sein sollte, zu binden11*). Auf den Zwang der öffentlichen Meinung hatte Napoleon sich berufen, als er zur Intervention in Polen schritt. Die Adreßdebatte seiner Kammer konnte ihn belehren, daß dieser Zwang gebrochen war. Wohl verkündete Guéroult, daß Frankreich nicht den Vorwurf der Geschichte ertragen könne, wenn Polen, einst zerteilt unter einem Bourbonen, dessen Andenken von dieser Schmach sich noch nicht erholt habe, dann von einem Orléans im Stich gelassen, nun von einem Napoleon vernichtet würde. Aber die Kammer spendete ihren Beifall den Rednern, die für den Frieden eintraten; sie beschloß die in solchem Sinn gehaltene Fassung der Adresse und dieser Beschluß, schrieb Ollivier, bezeichnete das Ende der polnischen Frage in Frankreich1*7). Mit Unrecht hat man neben England vor allem den Grafen Rechberg und dessen zweideutige Politik für das Unglück Polens verantwortlich gemacht. Dem österreichischen Minister des Aeußern oblag die Wahrung der Interessen Oesterreichs, das er im Innern durch Unruhen vielfach gefährdet und finanziell geschwächt, von außen durch die Pläne Frankreichs in seinem Bestand bedroht wußte. Er wollte der Monarchie, bevor sie sich nicht wiederum gefestigt, jeden ernsten Konflikt ersparen und ergriff jede Gelegenheit, wo er, um Frankreich, den gefürchteten Gegner, zu schonen, eine im österreichischen Interesse gelegene, aber verstimmende Botschaft diesem durch Englands, statt durch Oesterreichs Mund zukommen lassen konnte. Wer durfte ihn dafür tadeln und welchem Staat war er verpflichtet, seine letzten Pläne zu enthüllen? Die Frage, welche Haltung die Mittelmächte zu den europäischen Randmächten einnehmen sollten, war für jene zu allen Zeiten ein besonders gefährlicher Herd von Gefahren. Gewiß, der Politik des Lavierens, des Zeitgewinnens mangelt nicht nur die heroische Haltung, sondern auch die tragende Idee. Aber kein Höhenflug auswärtiger Politik hätte die auseinanderstrebenden Staatselemente wieder zusammengeballt und der Körper des Reiches war nicht mehr widerstandsfähig genug, um eine Bismarcksche Politik, die den Feind von morgen heute als Bunm)

Paris,

I>7)

Ollivier,

D e p e s c h e n , .3. M ä r z L'empire

1864.

l i b e r a l , 469 ff.

— 122



desgenossen benutzte, zu ertragen. Rechberg hatte in schwierigen Umständen das Ziel, das er sich stellte, erreicht. Dies dürfte der Maßstab sein, an dem er zu messen. Wer den Anspruch erhob, die Politik eines anderen für sich arbeiten zu lassen, der mußte seine Interessen in solcher Gestalt darzustellen wissen, daß sie den Zwecken, den rein egoistischen Zwecken des anderen dienlich erschienen. Zumindest war es im machiavellistischen 19. Jahrhundert so und der Beweis ist noch ausstandig, daß es in einer aufgeklärteren späteren Zeit anders geworden.

Kapitel 4. Die Gunst der allgemeinen öffentlichen Meinung .hatte Rechberg seit dem Frieden von Villafranca verlassen; sie war vollends von ihm gewichen, als nicht in Erfüllung ging, was sich die Bevölkerung vom Laxenburger Manifest erhoffen durfte. Ausländische Beobachter meinten bei seinem Amtsantritt, seine Stellung würde der seines Vorgangers durch die persönlichen Beziehungen zu den mächtigsten Adelsfamilien überlegen sein, aber die Wege des Ministers schieden sich von denen der konsequenten Feudalen deutlich und einer ihrer Anhänger, Friedrich Thun, versäumte nicht, Rechberg darauf aufmerksam zu machen, daß dem Minister trotz bestem Willen die österreichische Tradition notwendig fehlen müsse1). Rechberg hatte für die Vertretung des strengen Legitimismus in verfassungsrechtlichen Problemen nicht das volle Verständnis, während er in diplomatischen Belangen Metternichs Werk fortzusetzen bemüht war, blieb bei ihm in inneren Fragen der Einfluß der Regierung Schwarzenbergs überwiegend. In späterer Zeit hat er darauf hingewiesen, daß er mit den ungarischen Konservativen stets gut gestanden sei, doch konnten die um die Wiederherstellung der alten ungarischen Verfassung Kämpfenden deshalb keineswegs als seine erklärten Anhänger angesehen werden. Einer parlamentarischen Versammlung stand der Graf ebensowohl durch seine Anschauung als rein persönlich fremd gegenüber. Als 1859 die Verhandlungsart eines Kongresses in Paris erwogen wurde, verlangte Rechberg, daß im vorhinein die freie Rede möglichst ausgeschlossen würde, da sonst die der Redekämpfe mindergewohnten Mitglieder gegen einen Cavour im Nachteil wären'). Zum österreichischen Abgeordnetenhaus stand Rechberg vollends in schlechten Beziehungen; er hatte die populäre polnische Bewegung nicht unterstützt, er hatte den unpopulären Krieg Preußens mitgekämpft. Schmerling, der 1864 dem einmütigen Widerstand Ungarns bereits zu erliegen drohte und um so mehr auf das Entgegenkommen des Wiener Reichsrates, nicht zuletzt in finanziellen Fragen, angewiesen war, mußte Rechberg als schwere Belastung des Ministeriums empfinden. Hierzu kamen für ihn, den tatkräftigsten Vertreter ») Thun an Rechberg, 20. Februar 1860, Nachlaß Rechberg, St. A., 5246. s ) Weisungen, Paris, St. A., 23. Dezember 1859 (geheim).

— 124 — des großdeutschen Gedankens bei der Regierung, die sachlichen Unstimmigkeiten, vor allem im Verhältnis zu Preußen. Schmerling und Biegeleben waren besonders seit dem Scheitern des Fürstentages 1863 der Ueberzeugung, daß ein friedliches Auskommen mit Preußen unmöglich sei, daß jede Konzession von seiten Oesterreichs nur eine Mehrforderung der Gegenseite hervorrufe und der Kaiserstaat daher durch ein Nachgeben seine Stellung in Deutschland ohne Not und ohne Nutzen schwäche. Die politische Einheitlichkeit der deutschen Nation und daher vom Wiener Standpunkt aus die Führung durch Oesterreich bedeutete freilich dem ehemaligen Frankfurter Reichsminister und dem einstigen hessischen Staatsmann anderes, als dem Schüler und Freunde Metternichs, dem es zunächst auf möglichste Einigkeit zwischen den zwei deutschen Großmächten ankam und der bereit war, diesem Zweck erhebliche Opfer zu bringen*), der gewünscht hatte, daß Dänemark die Herzogtümer behalte, damit Preußen nicht versucht würde, das Gleichgewicht in Deutschland zu stören4). Daß Preußen die Verständigung mit Oesterreich nicht wollte, dafür war Rechberg keineswegs blind. Was er in späterer Zeit seinen Nachfolgern vorwarf, war, daß sie es nicht verstanden, dem von Preußen gesuchten Krieg auszuweichen6). Auch er, der glühende Anhänger Schwarzenbergs, war von der Notwendigkeit einer schließlichen Auseinandersetzung überzeugt*). Doch der Minister des Jahres 1859, der den Zusammenbruch eines unvorbereiteten Kriegs erlebt hatte, wollte den Zeitpunkt der Auseinandersetzung vom Standpunkte seines Staates aus bestimmen. Der Kriegsbeginn sollte nicht wieder *) Vgl. Friedjung, Kampf um die Vorherrschaft, über Rechbergs Haltung in der schleswig-holsteinschen Frage, I, 98 ff. «) 9. Januar 1867. ») So schon 13. August 1865, vor allem 28. Juli 1866. Die von Joseph Redlich, Staatsproblem, II, 771 f., veröffentlichten Teile des Ministerratsprotokolls vom 17. April 1866 zeigen sowohl Esterhäzy als Mensdorff von der gleichen Ansicht wie Rechberg durchdrungen und in der gleichen Richtung bemüht. Ganz anders aber die Haltung Belcredis. Ferner Esterhäzys Brief vom 26. April, Redlich, a. a. O., 774. •) So auch in seinem „Vermächtnis", Kettenhof, 15. Oktober 1894 28- Juli und 28. Dezember 1866. Es mußte um jeden Preis getrachtet werden, mit PreuBen gute Beziehungen wieder anzuknüpfen und mit Hilfe dieser guten Beziehungen den Status quo in Deutschland solange notdürftig aufrechtzuerhalten, bis die italienische Frage ihre definitive Lösung erhalten hätte.

— 125 — von der diplomatischen Kunst des Gegners diktiert und noch überdies der Anschein erweckt werden, daß Oesterreich den Angriff unternommen. Darüber hinaus galt es, wie zur Zeit der mittelitalienischen Kriege, wie während des polnischen Aufstandes eine Politik zu verfolgen, die es dem Gegner unmöglich machte, den Vorwand zum Angriff gegen Oesterreich zu finden. Erst nach vollzogener Reorganisation der Monarchie, vor allem nach der tatsächlichen Einbeziehung Ungarns in die staatliche Gemeinschaft konnte an die Aufnahme eines Entscheidungskampfes gedacht werden. Bis dahin sollte die kranke Monarchie Deckung finden in einem wohlerwogenen Allianzensystem, das sich auf die Ueberzeugung von der europäischen Notwendigkeit Oesterreichs stützen durfte7). Diesem Gedanken hatte die Waffengemeinschaft gegen Dänemark gedient, er sollte die Verhandlungen über den preußischösterreichischen Handelsvertrag leiten, die sich zu Beginn des Oktobers 1864 in steigendem Ausmaß zuspitzten, während der Streit um das Verhalten am Bund weiterging. Rechberg erhob in einem Vortrag an den Kaiser die schwersten Vorwürfe gegen den Zynismus der Bismarckschen Politik, die ausdrücklich erklärte, sich einzig vom Interesse des eigenen Staates leiten lassen zu wollen. Der Kaiser aber bemerkte zu dem Vortrag, daß Rechbergs Anschuldigungen wohl begründet seien, „allein die Allianz mit Preußen sei unter den gegebenen Verhältnissen doch die allein richtige. Es müßten daher die undankbaren Bemühungen fortgesetzt werden, Preußen in der richtigen Bahn und auf dem Boden des Rechts zu erhalten"8). Der Monarch bekannte sich ohne Rückhalt zur Politik seines Ministers. Zwei Wochen später legte der Sektionschef im Ministerium des Aeußern, Freiherr von Biegeleben, eine Denkschrift über die auswärtige Politik Oesterreichs vor'). Er unterzog darin das Verhältnis zu Preußen einer vernichtenden Kritik. Beim nächsten Angriff auf Venetien werde dieser Bundesgenosse ungeheuerliche Forderungen stellen und, sollten diese nicht 7

) An seinen Bruder, 6. März 1864: „Man zertrümmert nicht ungestraft eine der ältesten Monarchien Europas, eine Monarchie, deren ungeteilte Aufrechterhaltung f ü r England und RuBland eine Lebensfrage ist, für die sie ihren letzten Mann und ihren letzten Groschen einsetzen müßten, während man an der Seine die Gelegenheit mit Ungeduld erwartet, die natürlichen Grenzen wiederzuerwerben." 8 ) Eigenhändige Bemerkung F r a n z Josephs zu einem V o r t r a g Rechbergs über Bismarck, Beilage. •) Denkschrift vom 19. Oktober 1864.



126



glatt bewilligt werden, ins Lager der Gegner übergehen. „Das Kaiserhaus wird vom Bunde Abschied nehmen müssen, wie 1806 vom Reich." Die Denkschrift vertritt angesichts der von Preußen drohenden Gefahr die Annäherung Oesterreichs an Frankreich. Wenn der Kaiserstaat dies Bündnis nicht abschließen wolle, so werde es Preußen tun. Heute ist die Denkschrift bekannt, in der Bismarck noch von Frankfurt aus die Annäherung an Napoleon empfahl. Preußen verlangt, so fährt Biegeleben fort, daß Oesterreich mit eigener Hand seine Stellung in Deutschland untergraben helfe, nur, um nicht die unsichere Perspektive auf die Allianz mit Preußen in einem kommenden Krieg zu verlieren. Oesterreich muß handeln, ehe der Augenblick der Krise eingetreten; es muß „das bestehende Gleichgewicht ix» Deutschland" erhalten. Wolle Preußen in Deutschland sich vergrößern, so müsse Oesterreich dasselbe tun. Da der Kaiserstaat aber das Prinzip des Rechts vertritt, so kann dessen Vergrößerung nur geschehen, wenn eben Preußen selbst die „Aequivalente" für die Vergrößerung schafft. In den hohenzollerischen Fürstentümern"») und in Schlesien erblickt Biegeleben wohl die Möglichkeit solcher Aequivalente, ohne jedoch selbst diesen Plan für durchführbar zu halten. Oestereich kann demnach in Preußen keinen verläßlichen Bundesgenossen gegen Frankreich finden, wenn es nicht seine Stellung in Deutschland aufgeben will; es muß sich daher der „zweideutigen Umarmung Preußens" entziehen, ehe noch eine Verständigung mit Frankreich unmöglich geworden ist. Nun schaltet Biegeleben jenen Gedanken ein, der sich während der polnischen Krise und der Allianzverhandlungen mit Frankreich Rechberg aufgedrängt hatte, den Gedanken, daß „gegenüber dem Ehrgeiz und den revolutionären Neigungen Frankreichs Friede und Recht in Europa nur durch ein Defensivbündnis aller anderen großen Mächte erhalten werden könne." Aber er konstatiert, daß keine der Großmächte daran denke, diesem Prinzip zuliebe ein Staatsinteresse, ja auch nur eine selbständige Tradition aufzuopfern. So hat auch Oesterreich den Gedanken einer Allianz mit Frankreich nur vom Gesichtspunkt seines Staatsinteresses zu prüfen. Biegeleben erklärt: eine so direkte und konstant die Macht Oesterreichs gefährdende Richtung wie in Preußen besteht in Frankreich nicht. Um seines eingeborenen Staatsinteresses willen ist „Frankreich sowie Oesterreich höchst wesentlich an der föderativen •») Angesichts der 1849 erfolgten Abtretung an Preußen schwer verständlich.

— 127 —

Gestaltung Mitteleuropas interessiert." Um rings um sich möglichst schwache Nachbarn zu haben, „kann Frankreich den vollen Triumph der Nationalitätsideen in Europa nicht wünschen"; und diese Forderungen französischer Interessenpolitik mtlssen auch den ideologischen revolutionären Gelüsten seines Machthabers den Zügel anlegen. Biegeleben verweist auf Napoleons Machthunger. „Er hat Nizza mit Frankreich vereinigt und wenn er auch an Genua und Ligurien Gefallen fände, so würden die österreichischen Staatsinteressen darunter wenig leiden; denn damit wäre der politische Bankerott der italienischen Revolution beendet." Biegeleben verhehlt sich andererseits die gewaltigen Differenzpunkte nicht, die zwischen Napoleon und Oesterreich bestehen: Venetien, Galizien und der Rhein; vor allem aber Venetien. Noch aber, heißt es in der Denkschrift, steht Oesterreich nur wandelbaren Projekten des Kaisers der Franzosen gegenüber und „der Versuch erscheint nicht als hoffnungslos, auch ohne einen Ländertausch Frankreichs guten Willen für Oesterreich zu gewinnen." Um dies Ziel zu erreichen, hält Biegeleben die rückhaltlose Anerkennung der napoleonischen Dynastie für genügend und eine geschickte und entschiedene Begünstigung der italienischen geheimen Wünsche und Interessen Napoleons, insoweit diese sich gegen die Einheit Italiens unter Piemont richten. Der Sektionschef mag hier an jene Hoffnungen und Wünsche des Kaisers der Franzosen aus dem Jahre 1859 angeknüpft haben, die vor die diplomatische Welt nur in der Form feierlicher Verwahrungen dagegen, daß je an die Gründung einer napoleonischen Dynastie in Toskana gedacht worden sei, getreten waren. Nicht einmal die Anerkennung der in Italien nach dem Züricher Vertrag erfolgten Usurpationen würde erforderlich sein, meint Biegeleben. Frankreichs Interesse an der Erhaltung der weltlichen Herrschaft des Papstes solle den Anknüpfungspunkt zwischen Wien und Paris bilden. Der Orient wäre dann das weite Feld, auf dem das Einvernehmen zwischen den beiden Mächten sich praktisch betätigen könne. Diese Annäherung Oesterreichs an Frankreich solle gewiß nicht brüsk erfolgen, aber sie müsse verläßlich sein. Mit der deutschen Frage hatte die Denkschrift begonnen, mit der italienischen schließt sie. „Oesterreichs Haltung während des Krimfeldzuges hat dem Grafen Cavour Sitz und Stimme auf dem Pariser Kongreß verschafft. Nur ein zuverlässiges Einverständnis mit Frankreich oder ein großer Entscheidungskrieg, auf den aber Oesterreich jetzt nicht vorbereitet ist, kann



128



die Entwicklung der letzten Folgen jener Tatsache verhindern." Der Kaiser bat Rechberg, seine Stellung zu den Ausführungen Biegelebens schriftlich niederzulegen10). Nochmals verteidigt nun der Minister seinen Gedanken von der Zusammengehörigkeit der europäischen Großmachte. Weder eine Allianz mit Preußen allein strebt er an, noch eine solche mit Frankreich. Stützt das kaiserliche Kabinett sich nicht gleichzeitig auch auf enge und freundschaftliche Beziehungen mit Rußland und England, so würde eine solche Allianz sowohl von Frankreich als von Preußen zu den selbstsüchtigen Zwecken, die beide Mächte so hartnäckig verfolgen, ausgebeutet werden. Oesterreich würde in eine Abhängigkeit von seinen Alliierten geraten, welche es seiner Stellung als Großmacht berauben würde. „Die Idee der ausschließlichen Allianz mit einer Macht führt notwendigerweise zu gänzlicher Isolierung. Denn es müßte dann jeder Preis bewilligt werden, der für das Eingehen in das Bündnis oder für dessen Fortbestand gefordert würde." Rechberg weiß, daß es um die Politik eines derzeit geschwächten und kaum aktionsfähigen Staates geht. Er zweifelt nicht, daß Frankreich ein Bündnisangebot Oesterreichs mit offenen Armen aufnehmen werde. Aber, „nachdem es wie nach dem Krimkrieg Oesterreich isoliert hätte, würde der Vorwand bald aufgefunden werden, um den Krieg in Italien wieder zu entzünden." Rechberg faßt, das französische Zwischenspiel im Herbst 1859 übergehend, das Ergebnis seiner Politik zusammen: „Seit dem Krimkrieg war Oesterreich völlig isoliert, sein Verhältnis zu den auswärtigen Mächten ein äußerst gespanntes. Nach langen Anstrengungen ist es endlich gelungen, den Bann zu lösen, zuerst mit England in freundschaftlichere Beziehungen zu treten und dann die Anfänge eines engeren Verhältnisses zu Rußland und Preußen anzubahnen." Kein Bündnis mit Napoleon, aber ein möglichst gutes Verhältnis zu Frankreich rät Rechberg. „Je inniger die Beziehungen Oesterreichs zu den anderen Großmächten sich gestalten, um so sicherer wird man auf den guten Willen Napoleons rechnen können. Und für Preußen wiederum wird die Allianz mit Oesterreich in dem Maß an Wert gewinnen, als es erkennt, daß das kaiserliche Kabinett mit Frankreich und 10

) Randbemerkung Franz Josefs auf dem Vortrag Rechbergs vom 19. Oktober 1864, mit dem er die Denkschrift vorlegte. Am 20. Oktober legte Rechberg seine „Gegenbemerkungen zu der Denkschrift vom 19. Oktober" vor.

— 129 — den beiden anderen Großmächten auf gutem Fuße steht." Oesterreich und Rußland brauchen den europäischen Frieden, England will ihn um seines wirtschaftlichen Interesses willen. Dieses gemeinsame Ziel kann das Verhältnis zwischen den drei Kabinetten so eng gestalten, daß ihr Wort von den anderen Mächten nicht unbeachtet bleiben kann. In diesem Verhältnis und in den gebesserten Beziehungen zu Frankreich wird auch das kaiserliche Kabinett die gesicherten Bürgschaften dafür finden, daß Preußen mit der Verwirklichung seiner ehrgeizigen Pläne zurückhalten muß. Auf die Verhältnisse in Europa kommt es dabei an, nicht auf schriftliche Abmachungen mit Preußen, die dieses je nach Konvenienz halten oder brechen wird. Oesterreich muß es vermeiden, sein ganzes Spiel auf eine Karte, auf eine Allianz zu setzen. Anfangs Oktober hatte sich der Kaiser für die Aufrechterhaltung des Bündnisses mit Preußen unbedingt ausgesprochen. Das österreichische Kabinett jedoch versuchte, in die Verhandlungen über den Handelsvertrag eine größere Schärfe hineinzutragen. Rechberg stand unter seinen, von Schmerling geleiteten Kollegen isoliert, vereinsamt; um seine Stellung noch weiter ju schwächen, wurde Biegeleben, ohne Rechbergs, seines Chefs, Vorwissen, auf Veranlassung Schmerlings einer Ministerkonferenz Uber den Vertrag mit Preußen zugezogen und nun am 21. Oktober, am Tage, nach dem Rechberg die Gegenschrift gegen Biegeleben verfaßt hatte11), erfolgte der Zusammenstoß"). Rechberg erklärte und gab zu Protokoll, daß wenn der von seinen Kollegen eingeschlagene Weg weiter verfolgt würde, „ein Krieg mit Preußen folgen müsse. Oesterreich sei aber dermalen nicht in der Lage, sich in diesen Krieg einzulassen. Es würde jedenfalls gleichzeitig von dem nunmehr verstärkten und vergrößerten Piemont angegriffen werden. Der Kaiserstaat könne sich, mit gestörten inneren Verhältnissen, mit zerrütteten Finanzen und ohne völlig sichere äußere Allianzen in diesen Doppelkrieg nicht einlassen; vielmehr müsse von der Diplomatie alles aufgeboten werden, um ihn zu verhindern. Es sei ganz richtig, daß schließlich das Verhältnis zwischen Oesterreich und Preußen " ) Rechberg an seinen Bruder, 21. Oktober 1864. " ) V o n Rechberg ausführlich und im wesentlichen übereinstimmend geschildert im Schreiben an seinen Neffen Otto, Kettenhof, 15. Oktober 1894, und an seinen Bruder, 28. April 1879. Das P r o t o koll des Ministerrates ist nicht mehr erhalten, den Mitteilungen Rechbergs zufolge ist es beseitigt worden. Engel-Jänosi, Rechberg

9

— 130 nur durch einen Krieg geregelt werden könne, unsere Aufgabe aber sei es, für jetzt uns nicht in einen solchen hineindrängen zu lassen, in einem Augenblick, in welchem wir nicht genügend vorbereitet wären." Die Majorität des Ministerrates sprach sich gegen Rechberg aus, der sofort um seine Entlassung ansuchte, wie er ja seit Schmerlings Eintritt in das Kabinett immer wieder seine Demission angeboten hatte. Jetzt wurde sie am 27. Oktober in gnädigsten Ausdrücken vom Kaiser angenommen, der Beschluß des Ministerrates jedoch nicht bestätigt"). Das Bestehen der Ministerkrise war im Ausland längst bekanntgeworden. Um Rechberg zu halten, hatte Bismarck sich bemüht, kleinere Konzessionen bei seinen Kollegen für die Verhandlungen über den Handelsvertrag durchzusetzen. Die Situation von 1852 hatte sich wiederholt; Oesterreich war bestrebt, nicht zollpolitisch als Ausland Deutschlands zu gelten, während die preußischen Ressortminister lediglich die wirtschaftlichen Interessen wahrnehmen wollten"). Der König von Preußen ließ Rechberg sagen"), er würde seine Demission für ein großes Uebel, für eine Gefährdung des politischen Einverständnisses zwischen Oesterreich und Preußen ansehen. Kaiser Franz Josef aber vermeinte, der Hilfe Schmerlings für den inneren Aufbau der Monarchie noch nicht entraten zu können, den persönlich unpopulären Minister des Aeußeren aber um so leichter opfern zu dürfen, als sein Nachfolger, Graf Mensdorff, ausdrücklich dazu bestimmt war, die Politik Rechbergs fortzusetzen. In diesem Sinne faßte auch der bayerische Gesandte den Ministerwechsel auf 1 '); in diesem Sinn beantwortete Rechberg selbst das Schreiben, das ihm der preußische Generalleutnant von Manteuffel anläßlich seines Scheidens aus dem Amt gesandt hatte17). Kein Systemwechsel, sondern » ) 28. April 1879. " ) Ueber die Handelsvertragsverhandlung von 1852 vgl. A . O. Meyer, Bismarcks K a m p f , 100 ff. ls ) Depesche an den preußischen Gesandten in Wien, BadenBaden, 9. Oktober 1864. *•) Mönchen, Geheimes Haus-Archiv, Berichte aus Wien, 26. und 28. Oktober 1864. Politischer Hauptbericht über 1864, datiert 20. April 1865. Dort die Stelle: „ D a s preußische Bündnis hat Graf Mensdorff bereits mehr als einmal Gelegenheit gehabt als ein drückendes Vermächtnis der Rechbergschen E r b s c h a f t zu bezeichnen." " ) Brief Manteuffels, 3 1 . Oktober 1864, Brief Rechbergs, November 1864, publiziert Neue Freie Presse, 27. Juli 1906.

— 131 —

lediglich ein Wechsel in der Persönlichkeit sei in der Leitung der auswärtigen Politik eingetreten. »Die Stellung meines Nachfolgers ist ganz dieselbe, wie es die meinige war, mit der einzigen Ausnahme, daß keine Antezedenzien sein Verhältnis zu seinen Kollegen erschweren." Wenn immer wieder erwähnt wird, daß die Politik Rechbergs nur die des Kaisers gewesen sei, so sollte doch ein Hinweis auf die politische Richtung seines Vorgängers und seines Nachfolgers, die sich doch ebenso wie Rechberg nur als Ausführende der Politik Franz Josefs erklärten, zu bedenken geben, daß der Kaiser wohl überzeugt sein mochte, die auswärtige Politik selbst zu lenken und zu leiten, wie dies ja selbst Franz I. gewesen, daß es aber eben die Aufgabe des Ministers gewesen ist, den nicht unbeeinflußbaren Monarchen, von den Vorteilen, von der Richtigkeit der von seinem Ratgeber vertretenen Politik zu überzeugen. Dies gelang nicht immer, wie eine Erinnerung an den Frankfurter Fürstentag beweist. Nicht ohne Grund hat Franz Josef bei der Abschiedsaudienz zu Rechberg gesagt, er habe ihm nur das Eine vorzuwerfen, daß er nicht im Sommer 1863 auf der angebotenen Demission beharrt habe, anstatt die Frankfurter Kongreßpolitik äußerlich mitzumachen171). Im Ministerrat vom 31. Oktober, dem ersten nach dem Ausscheiden Rechbergs, legte der Kaiser die Grundzüge der ferneren auswärtigen Politik Oesterreichs feierlich dar. Wie zu Rechbergs Zeiten, so bildete auch jetzt für den Monarchen das Hauptziel in Europa, um Oesterreichs willen den Frieden zu bewahren. Hierzu müsse in Europas Mitte „durch das Zusammenhalten und einträchtige Vorgehen Oesterreichs mit ganz Deutschland" eine imponierende Macht gebildet werden. Um diese Macht zu schaffen, sei aber Bedingung ein fortgesetzt inniges Einverständnis mit Preußen, wofür wieder ein gemeinschaftliches Vorgehen der beiden Großmächte im Bund Voraussetzung war. Lehnte also der Monarch Biegelebens Gedankengänge nachdrücklichst ab, so waren seine Aeußerungen von einem Optimismus getragen, der sie auch von den Ausführungen des eben zurückgetretenen Staatsmannes unterschied. Denn nicht mehr wie 1864 bei Rechberg ,7 ») An seinen Bruder, 16. Dezember 1872. — Nach den A u f zeichnungen des damaligen bayerischen Gesandten in Wien hielt dieser den Ausbruch eines Konflikts zwischen Oesterreich und Preußen nach dem Scheitern des Fürstentages für unvermeidlich, wenn nicht bald darauf der Tod des K ö n i g s von Dänemark erfolgt wäre. K. Th. v. Heigel, Graf Otto von Bray-Steinburg, S. 99.

9*

— 132 — als Palliativ, als Abwehrmittel schlimmerer Gefahren, als Gegengift, das ebenfalls eines Tages, aber zu gelegener Stunde bekämpft werden müsse, erscheint für Franz Josef der Gedanke des Zusammengehens mit Preußen; der Monarch scheint einen Ausbau der gemeinschaftlich aktiven Politik in der Schleswig-Holsteinischen Frage zu erhoffen, einen Ausbau, in den unter Führung der beiden Großmächte Gesamtdeutschland einbezogen werde. Andererseits spricht der Kaiser schärfer und bestimmter als Rechberg über Oesterreichs Verhältnis zu Frankreich, das wohl möglichst gut sein solle, für das aber angesichts der grundsätzlichen Verschiedenheit der beiden Monarchen eine Allianz völlig unmöglich sei. Es ist erwähnenswert, daß über diese Ausführungen des Kaisers keinerlei Debatte stattfand und auch keine Gegenäußerung eines Ministers im Protokoll verzeichnet ist" b ). Rechberg war dem von Metternich übernommenen konservativen europäischen Staatenbild treu geblieben, für das die historisch gewordene Donaumonarchie in diesem ihrem Charakter um des Friedens zwischen den anderen Großmächten willen unentbehrlich war. Eine Umbildung Oesterreichs, eine neue Signatur des Staates, wie sie durch eine Wendung nach Osten ihm zuzeiten nahegelegt wurde, lehnte er ab. Sie war mit der Aufrechterhaltung des alten Bildes der europäischen Mächte unvereinbar, sie mußte die letzten Existenzfragen der Staaten wieder aufwerfen und solche seinem schwer erschütterten Staate zu stellen, fürchtete der Minister, wobei hinter und über diesen Erwägungen der Tagespolitik die Idee vom österreichischen Staat stand, die in dessen historischem Charakter einen dauernden Wert europäisch-politischen Lebens erblickte. So mußte Rechberg wünschen, die orientalische Frage möglichst unberührt zu sehen, so war er an der Erhaltung des ottomanischen Reichs interessiert, dessen Bestehen bei gutem Willen immerhin das Auftauchen neuer internationaler Konflikte verhüten konnte, so war er gewillt, bei einem Zerfall der Türkei, in das Erbe sich mit Rußland zu teilen. Dem mexikanischen Kaisertum des Erzherzogs Maximilian stand der Minister von Anfang an reserviert und skeptisch gegenüber, um dann, als sich Ende 1863 zeigte, daß von den in Aussicht genommenen Garantien europäischer Mächte ledig" b ) Ministerratsprotokoll, 31. Oktober 1864. Der K a i s e r betont eingangs, daß die Ansichten des Grafen Mensdorff, des neuen Ministers des Auswärtigen, mit seinen Gedankengängen völlig übereinstimmen.

— 133 — lieh die Frankreichs zu erlangen war, ausdrücklich dem Plane entgegenzutreten17«). Denn dieser schien nicht nur mit dem habsburgischen Legitimitätsgedanken schwer vereinbar und der Idee der Volkssouveränität angenähert, er machte vor allem das Reich, die politische Existenz eines Sprossen des kaiserlichen Hauses schließlich von Treu und Glauben einer einzigen Großmacht abhängig, was Rechberg stets zu vermeiden sich mühte, und vollends jener Regierung, deren Treu und Glauben er zu vertrauen am wenigsten geneigt war. Man könnte dem Grundgedanken Rechbergs ein Verkennen der tatsächlichen Möglichkeiten Oesterreichs vorwerfen, so wie ein Uebersehen der Wandlungen in der europäisch-politischen Lage seit 1848 wirklich vorgelegen sein dürfte. Aber er hielt es für seine Aufgabe, Oesterreichs Politik derart zu leiten, daß es den Augenblick abwarten konnte und zu nützen bereit war, da ein akut gewordenes europäisches Bedürfnis die Monarchie wieder in die Stellung, die sie ein halbes Jahrhundert vorher eingenommen hatte, berief. Mit dem Urteil über die Möglichkeit eines solchen historischen Moments in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird das Urteil über den Grafen Rechberg und seine Politik gesprochen werden. Jedoch wird auch dabei zu berücksichtigen bleiben, daß das Amt des schwäbischen Grafen ihn verwies, das Staatsinteresse der Donaumonarchie zu vertreten, was er auch dann nicht vergaß, als er die Basis seiner Politik in der Ueberzeugung fand, daß für dieses Reich in diesen Jahren Staatsräson und Legitimitätsprinzip sich deckten. Eine Starrheit, ja selbst eine Enge seiner Ansichten wollen wir ihm nicht absprechen, aber er blieb in ihnen sich selbst und seinem Staate treu. Rechberg durfte, als er seine Entlassung nahm, sich nicht als endgültig aus dem Staatsdienst geschieden ansehen1"). Der Monarch hatte seine Verdienste voll anerkannt, sein Nachfolger sollte seine Politik getreulich fortsetzen, den Einfluß seines Rivalen sah er täglich schwinden; acht Monate nach 17c ) E . C . C . C o r t i , M a x i m i l i a n und C h a r l o t t e von M e x i k o , I , 161 f., 226, 2 7 1 . A u s der ebd. 251 g e m a c h t e n Mitteilung e r g i b t sich, daB R e c h b e r g einem andern abenteuerlichen habsburgischen P l a n , den E r z h e r z o g L u d w i g V i k t o r durch H e i r a t mit einer T o c h t e r des K a i s e r s v o n Brasilien zum E r b e n dieses R e i c h e s zu machen, nicht abgeneigt w a r . D i e s e F r a g e bedarf noch näherer U n t e r s u c h u n g . V g l . R e c h b e r g an seinen B r u d e r , 13. Juli 1865, der sich wunderte, daß man sich nicht an den früheren M i n i s t e r nach S c h m e r l i n g s S t u r z wieder gewendet habe.

— 134 — ihm trat Schmerling zurück. Von Kettenhof aus, seinem Herrensitz nahe bei Wien, beobachtete er die Ereignisse, in steter Korrespondenz mit seinem Bruder über sie berichtend und zu ihnen Stellung nehmend. Und der Briefwechsel nahm an Vertraulichkeit zu, da keine staatsmannische Rücksicht ihn nunmehr zu zügeln hatte. Mit Schmerlings Sturz war das Scheitern der Politik des Februarpatentes einbekannt; nach wie vor sah Rechberg in der Lösung der inneren Fragen das österreichische Hauptproblem. F ü r das Auswärtige hatte er zunächst zu Mensdorff und Esterhäzy volles Vertrauen, klagte aber schon im August 1865, daß man es nicht verstehe, Bismarck das Hervorrufen eines Konfliktes mit Oesterreich unmöglich zu machen1*). Bis in den März 1866 war Rechberg mit Esterhäzy, dem inoffiziellen Lenker der österreichischen Politik, in Verbindung gestanden*®), stets bemüht, vor dem Krieg mit Preußen zu warnen"). Nun, da die Kriegsgefahr, die er um jeden Preis vermeiden gewollt hatte, immer näher rückte, zog Rechberg sich zurück. „Will man meinen Rat, so weiß man ihn zu finden." Erst als Königgrätz geschlagen war, bot er dem Kaiser ausdrücklich seine Dienste a n " ) ; aber schon mußte er seinem Bruder mitteilen, daß gegen ihn allgemein gehetzt werde, daß er der Bevölkerung als der Urheber des Krieges und des Unglücks Oesterreichs bezeichnet werde. Diese Verhetzung nahm täglich zu. Bereits unmittelbar nach seinem Rücktritt war Rechberg wegen seiner preußischen Politik im Herrenhause scharf angegriffen worden"). Aber nun war er den Beleidigungen der Einwohner von Schwechat, ja der in seinem Schloß bequartierten Soldaten und Offiziere ausgesetzt"). Den Gedanken, sich öffentlich zu rechtfertigen, wies er zurück, da er durch ein solches Vorgehen die Verlegenheiten der Regierung noch vermehren konnte. E r begann aber damals an einer Rechtfertigungsschrift zu schreiben, die nach seinem Tode veröffentlicht und sein Andenken von den Verleumdungen der Meinung und der Gerüchte des Tages rechtfertigen sollte. W e r die nächsten Jahre Rechbergs überschaut, erblickt ein Schicksal, schwerer als jenes sogar, das Benedek betroffen. 19

) ") ") ") ") ")

13. August 1865. Vgl. 13. August 1865, 26. Januar 1866. IS. Juli 1866. 15. Juli 1866. 1. Dezember 1864. Der Angreifer war Graf Auersperg. 28. Juli 1866.

— 135 —

Von der Öffentlichen Meinung und vollends der liberalen verachtet und verhöhnt, fast ohne Freund mit Ausnahme seines Bruders, von den Wissenden feig im Stich gelassen, von seinem Monarchen gemieden") und über all dem das Gefühl des Sturzes des von ihm geleiteten Staates, weil man seine Ratschlage nicht gehört hatte, weil man sich von den Dingen hatte treiben lassen, ohne Willen, sie, wenn nicht zu meistern, so doch zu nutzen. Auch der Trost des glücklichen Familienlebens, der über der schweren Ruhezeit Benedeks lag, blieb Rechberg versagt. In jener Zeit hat sich das Bild des verbitterten Staatsmannes gebildet. Scharf Uber die Zeitgenossen urteilend, das Wort von Habsburgs Dank im Mund, dreht sich sein Gespräch immer wieder um die Vorgeschichte des Krieges von 1866. In jenen Jahren dringen auch in die Korrespondenz die Notizen ein, welche ängstlich jede Aeußerung festhalten, die der Politik Rechbergs Gerechtigkeit widerfahren läßt; die mit besonderer Vorliebe bei jedem Ausspruch verweilen, der den Scharfblick der seinerzeitigen Befürchtungen des Ministers rühmt. Sich selbst und seinem Bruder hatte Rechberg in einem ausführlichen Schreiben zur Jahreswende 1866") über Beweggründe und Ziele seiner Politik Rechenschaft abgelegt. Wie Biegeleben wollte auch Rechberg zunächst die politische Einheit Italiens zersprengen. „Dann war der Augenblick gekommen, wo Oesterreich nach allen Richtungen hin seine alte Stellung geltendmachen konnte." Er wiederholte, daß es notwendig gewesen wäre, das gute Verhältnis mit Preußen aufrechtzuerhalten, solange die italienische Frage ungelöst geblieben, und daß die guten Beziehungen zu Preußen aufrechterhalten werden konnten, wenn man 1865 nach dem preußischen Vorschlag die Elbeherzogtümer geteilt hätte*7), um den österreichischen Anteil für eine spätere günstige Kompensation zu bewahren18). Im Herrenhause, an dessen Sitzungen und Beratungen Rechberg teilnahm, gehörte er jener konservativen Gruppe an, die sich auf den Boden der Verfassung gestellt hatte; die extremen Feudalen waren ihm, dem die politische Großmacht " ) Bedürfte es noch eines neuen Beweises, wie F r a n z Josef den aus dem A m t geschiedenen Getreuen begegnete, so würden ihn die Tagebücher Kempens in reicher Fülle liefern. »•) 28. Dezember 1866. ,7 ) 8. Januar 1867 erkennt Rechberg an, daß es hierfür auch andere Mittel gegeben hätte, fügt aber hinzu: „Ich hätte der T e i lung den Vorzug gegeben." JS ) 9. Januar 1867.

— 136 — Oesterreich Gegenstand steten Sorgens war, immer fremder geworden. Sein erstes wichtigeres Wirken im Parlament galt im Frühjahr 1868 der Regelung der Stellung der Kirche. Auch da zeigte es sich, daß Rechberg zu innerst keiner Partei verbunden war. In dieser Frage, die ihm auch politisch Uberaus wichtig erschien, trat er für die Freiheit der Kirche im Staate und vom Staate ein. Nicht nur alles, was josefinisch und liberal dachte, war gegen ihn; auch die unbedingten Anhänger des Konkordats, Kardinal Rauscher an ihrer Spitze, wollten seinen Ausführungen nicht beistimmen. Der öffentlichen Meinung aber hatte dieses Auftreten des in Acht und Bann getanen Staatsmannes neuerlichen Anlaß zu heftigen Schmähungen gegeben. Zu Ende des Jahres ging man so weit, seine Ministerpension im Parlament um etwa ein Viertel zu streichen"). Auch der Kaiser scheint auf dies beleidigende Vorgehen aufmerksam geworden zu sein; Rechberg wurde kurz nacheinander zu Hoffestlichkeiten zugezogen, was seit 1864 nicht mehr geschehen war. Aber auch weitere Kreise empfanden die Schmach solchen Vorgehens. Eine Rechtfertigungsrede im Herrenhause über die Politik von 1866 wurde nun freundlicher aufgenommen. In der Adreßdebatte des Winters 1870 kam es aber wieder zu einem derart scharfen Zusammenstoß mit Anton Auersperg, daß Schmerling und Rechbergs Rechtsfreund wochenlange Verhandlungen über die gütliche Austragung zu führen halten"). Mit der Verabschiedung Beusts, dem Rechberg in späterer Zeit die Hauptschuld an den Umtrieben gegen sich zuschrieb"), besserte sich die Stellung sichtbar. Andrässy, von Rechberg hochgeschätzt, vermochte dem verleumdeten Staatsmann Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und alle die, die ohne beurteilen zu können, ihr Urteil abgaben, richteten sich nach dem ersten Beamten der Monarchie. Im Herrenhaus freilich suchte Schmerling die Stellung Rechbergs immer wieder zu erschüttern, doch auch da begegnete man ihm mit steigender Achtung. Obwohl Rechberg ein Talent zur Zufriedenheit nicht nachgesagt werden kann, in den Briefen des Jahres 1872 ist eine beruhigte Stimmung deutlich verspürbar. Rechberg scheint mit seinem Schicksal fast ausgesöhnt. Als sein Bruder sich über »•) Brief 23. N o v e m b e r 1868. , 0 ) B r i e f e B a r o n Haerdtls, des R e c h t s f r e u n d e s R e c h b e r g s , vom 25. und 28. N o v e m b e r und 9. D e z e m b e r 1870. « ) 9. Juni 1879.

— 137 —

die anhaltende Tätigkeit in Kammer und Delegationen verwunderte, entgegnete er ihm, er könne sich nicht vom politischen Leben völlig loslösen"). Er fühlte, daß die Verleumdungen von ihm zu weichen begannen, daß sein Name wieder fleckenlos sein werde. „Nach viel Kummer und Sorge, die mir am Herzen nagen, glaube ich mir die Befriedigung gönnen zu können, nicht auf das politische Leben zu verzichten, bevor ich nicht die Ehre meines durch perfide Widersacher in den Schmutz gezogenen Namens wiederhergestellt habe." Und auch über die allgemeinen Fragen dachte er beruhigter, seitdem er Andrässy und D6ak am Ruder wußte, Staatsmänner, denen, wie er hoffte, der Staat letzten lindes vor der Nation und der Nationalität stand. Später wurde sein Urteil über Ungarn und seine Staatsmänner herber; er meinte, die Monarchie könne nur durch eine Reform des Dualismus genesen, deren Gewährung von den Ungarn er kaum erwartete. Man findet keine Aeußerung Rechbergs, die der Okkupation des Jahres 1878 besondere Bedeutung beimäße. Der Kampf gegen den Dualismus war ihm das Hauptproblem und dessen Aussichtslosigkeit nun erkennend, sprach er davon, sich vom politischen Leben zurückzuziehen"). Da kündigte sich eine unvorhergesehene Wendung an. Im August 1879, als der Rücktritt Andrässys bevorstand, wurde Rechberg — wie er schreibt") — Uber Auftrag des Erzherzogs Albrecht und mit Zustimmung des Kaisers das Ministerium des Aeußern angeboten. Der Erzherzog war bisher an der Spitze jener Gruppe gestanden, die im Gegensatz zur Politik Andrässys eine innigere Verbindung Oesterreichs mit Rußland erstrebt hatte. Zur Zeit des Rücktritts soll aber auch er die Notwendigkeit der Allianz mit Deutschland als Sicherung gegen Rußand anerkannt haben55). Ohne zunächst noch die Haltung zu den politischen Fragen zu erörtern, erklärte Rechberg, dem Ruf nicht folgen zu können, da sein hohes Alter ihn zu solchem Amt nicht mehr tauglich erscheinen lasse und weil der „unglückliche Dualismus" mit seinen zwei Parlamenten es dem Minister unmöglich mache, das, was er im Interesse der Monarchie für notwendig halte, durchzusetzen. Ein Ministerium zu übernehmen, mit der Ueberzeugung, seine Pläne " ) Pest, 23. und 30. September 1872. ") 23. Oktober ohne Jahreszahl und 4. Oktober 1878. '•) 4. August, 1 1 . und 28. August 1879. Im letzten Brief bereits die Wahl Haymerles entschieden. 35) Wertheimer, Andrässy, I I I , 222.



861



nicht durchfuhren zu können, dazu würde er sich nie hergeben. Man erklärte sich bereit, Rechberg jede tunliche Erleichterung im Amt zu gewähren, ein anderer, Metternich z. B., möge faktisch das Ministerium führen und Rechberg nur die Oberleitung übernehmen. Aber dieser entgegnete nochmals, daß er seiner Ueberzeugung nach unter den gegebenen Umständen in der Monarchie nicht nützlich sein könne. Nach dem Tode Haymerles, der 1879 Minister geworden, war es Andrässy, der 1881 nochmals Rechberg empfahl"). Aber dieser hielt sich jetzt vollends für zu alt. Er wollte sich vom politischen Leben völlig zurückziehen»7). Er glaubte, daß seine Stimme physisch nicht mehr für das Herrenhaus ausreiche, er fühlte sich in Kettenhof wohler als in Wien. „Mit dem Alter wird man pedantisch" und anfangs 1884 faßte er den Entschluß, mit Sessionsende aus allen Ausschüssen zurückzutreten. Sein Urteil über Lage und Aussichten der Monarchie war wieder trüb geworden. Nicht nur den Dualismus fürchtete er, er sah die Nationalitäten gegen die Zentralgewalt anstürmen, er sah diese zerbröckeln in den Konzessionen, die Taaffe vor allem den Landtagen immer wieder gewährte"). Seiner Vorbilder, Metternichs und Schwarzenbergs gedenkend, verlangte er die Stärkung der Zentralgewalt. Er erinnerte sich3*), wie Metternich kurz vor dem Tode ihn gewarnt hatte, die Nationalitätenfrage anzuregen oder aufkommen zu lassen und wie er stets bemüht gewesen, diesen Rat zu befolgen. Er fürchtete die Rückwirkung der inneren Kämpfe auf das Ausland40). Rußland werde durch die Bevorzugung der Polen verstimmt, Deutschland durch die Zurücksetzung der Deutschen. Und in der Bewahrung des guten Einvernehmens zu diesen beiden Staaten sah er auch jetzt die Hauptaufgabe aller Diplomatie Oesterreichs. Deshalb nannte er die Dreikaiserentrevue das glücklichste Ereignis seit 1848") und hoffte von ihr auch den europäischen Frieden gesichert und damit die Stellung Oesterreichs als europäische Großmacht wiedergewonnen. Denn nun, da der Monarchie keine äußere Gefahr unmittelbar drohe, könne sie die Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten vollenden. Deshalb war aber auch seine Bestürzung so groß, daß dieses Er»•) 6. Dezember 1881. ,7 ) 28. Februar und 6. Dezember 1881, 26. Dezember 1882 und 28. Februar 1884. " ) 27. Januar 1881, 2. und 10. März 1883. »•) 2. März 1883. ««) 8. September 1884. " ) 29. September 1884.

— 139 — eignis aus Rücksicht für die Polen in der Thronrede nicht einmal erwähnt wurde; aufs neue zeigte sich ihm, wie die Zentralgewalt, statt das Staatsleben zu bestimmen und zu leiten, in die Abhängigkeit der Kammern geraten war"). Aber auch an seiner Meinung von dem Wesen der österreichischen Allianzpolitik hielt der Greis fest, so wie er sie seinem Monarchen unmittelbar vor dem Scheiden aus dem Amt dargelegt hatte. Oesterreich, stets von einer Reihe von europäischen Problemen gefährdet, dürfe sich niemals einem Verbündeten allein anvertrauen. Es müsse andernfalls dessen Diktat annehmen, es würde in dessen Schlepptau genommen werden und seine Stellung als Großmacht preisgeben. Nicht die Allianz mit Deutschland oder mit Rußland, das Bündnis mit Deutschland und mit Rußland müsse Oesterreichs Ziel sein'»). Aber die Gefahren, die der Monarchie im Innern drohten, stiegen immer deutlicher empor. Und immer spärlicher wurden die Lebensgenossen, zu denen Rechberg sprechen konnte. Der Greis zog sich nun wieder völlig nach Kettenhof zurück. Hier vereinsamt und neuerlich verbittert, wurde er nun so, wie ihn die Heutigen noch gekannt haben. Nur selten fand jemand den Weg zu ihm hinaus, die Freunde waren nicht mehr. Der Tag verging mit dem Lesen von Zeitungen, das Gespräch galt mit ausschließlicher Vorliebe der Politik. Auf diesem Gebiete wurde Rechberg stets lebhaft, seine Urteile waren oft von beißender Schärfe; er erkannte die Begabung des Oesterreichers an, er vermißte die sittliche und politische Zucht. Das grundsatzlose „Fortwursteln" Taaffes vor allem war ihm im Innersten zuwider. Rechberg betonte, daß ihm Unrecht geschehen. Als man ihm von Bismarcks Größe sprach, wies er, wie dies ja auch sein Gegner Beust getan, darauf hin, wie sehr der Fürst auch vom Glück begünstigt gewesen. Rechberg wußte, daß er verkannt worden war. Was sollte ihm das zweimalige Angebot des Portefeuilles, als es bei ihm und in Oesterreich zu spät geworden war, seine Lebensaufgabe zu erfüllen. Er hat über diese Anträge nicht gesprochen, sein Lieblingsthema blieb die Vorgeschichte des Jahres 1866. Das äußere Leben seit den Achtzigerjahren verging in völliger Ruhe; für Spannung sorgten einzig die nicht seltenen Streitigkeiten mit der Gutsverwaltung Drehers, dem er Kettenhof verkauft hatte, sich lediglich die lebenslängliche Nutznießung vorbehaltend. Auch in der Frage eines Blumenbeets " ) 6. Oktober 1884. «») 13. Oktober 1884.

— 140 — konnte Rechberg Prinzipien bedroht sehen. Der Briefwechsel mit seinem Bruder erlosch, Graf Albert starb am 27. Dezember 1885. Es ist bemerkenswert, daß die letzte politische Aeußerung Rechbergs der Stellung der Deutschen in Oesterreich galt. Er, der überzeugte Gegner des politischen Nationalgedankens, der letzte Minister, der Oesterreich, äußerlich zumindest, in dessen historischer Berufung als Vormacht in Deutschland und in Italien noch erblickt hatte, schreibt in dieser Erinnerung44): Das deutsche Element kann nicht länger unterdrückt und niedergehalten werden, ohne daß die deutschen Teile, die wichtigsten und die, welche für den Kaiser und für die Aufrechterhaltung der Machtstellung der Gesamtmonarchie am treuesten einstehen, in eine zweite Lombardei umgeschaffen werden. Von der Mitwelt war der Greis in Kettenhof längst vergessen; in den politischen Kreisen war sein Name mit der Mitschuld am Kriege von 1866 belastet geblieben. Da erschien 1897 und 1898 Heinrich Friedjungs Darstellung des Kampfs um die Vorherrschaft in Deutschland. Mündliche Mitteilungen des Grafen benutzend, sprach ihn das Werk nachdrücklich von dieser Verantwortung frei, ja, es stellte dessen Politik gegen Preußen friedlicher noch, damit aber auch engsichtiger dar, als es heute geschehen kann. Rechberg, der stets auf das Urteil der Geschichte gehofft hatte, freute sich dankbar der Darstellung Friedjungs, die ihm die Ehrenrettung seiner staatsmännischen Wirksamkeit brachte. Und nun wurden in seinem letzten Lebensjahr 1898 auch Bismarcks Gedanken und Erinnerungen der Oeffentlichkeit übergeben, in denen der Fürst eben des Charakters des österreichischen Staatsmannes auf das ehrenvollste gedachte und, der späteren Kampfgenossenschaft sich erinnernd, auch die Frankfurter Rivalität weit freundlicher schilderte, als in den Schriftstücken aus diesen Jahren selbst. In dem Zeugnis des größten Zeitgenossen war Rechberg eine wertvolle und dauernde Genugtuung gegeben. Die „Gedanken und Erinnerungen" fand man auf seinem Schreibtisch aufgeschlagen am Morgen des 26. Februar 1899, an dem er im 93. Lebensjahre verschied. Die zahlreichen Aeußerungen der Zeitungen anläßlich seines Todes zeigten, daß die öffentliche Meinung zum weitaus größten Teil dem Wirken des Grafen Rechberg fremd und verständnislos geblieben war. 44 ) 6. Juli Allgemeinen deutsch sein Rechbergs in

1885. S o auch zum Korrespondenten der „Münchener Zeitung" kurz vor seinem T o d : „Oesterreich muß oder es kann nicht bestehen." V g l . den Nekrolog der „Münchener Allgemeinen Zeitung", 1. März 1899.

Beilagen: I. Mit der uuterthänigsten Bitte um gnädige Rückstellung dieses Vortrages 1 ). Euer Majestät! „Bitte meine Randbemerkungen zu lesen. F. J." Den Inhalt des Telegrammes des Grafen von Mülinen, das Verschwinden des Kaisers Napoleon aus S t Cloud betrefend und der mir von Baron Werther gemachten hierauf bezüglichen Mitteilung hatte ich die Ehre telegraphisch zu unterlegen. Zur Vervollständigung lege ich das Telegramm Mülinens wie das Schreiben Baron Werthers allerunterthänigst hier bei. Der heutige Einlauf ist inhaltsreich. Vor allem erlaube ich mir der allerhöchsten Aufmerksamkeit Euer Majestät das Antwortschreiben Bismarks ehrerbietigst zu empfehlen1). Es erschwert die Geschäftsführung in einem nicht gewöhnlichen Grade, wenn man es mit einem Manne zu thun hat der den politischen Cinismus so offen bekennt, daß er die Stelle meines Briefes, daß wir die Aufrechterhaltung des Bundes und der wohlerworbenen Rechte der deutschen Fürsten zur Grundlage unserer Politik nehmen müßten und daß durch diese Politik die Machtstellung Preußens weit besser gewahrt werde, als durch kleinliche Post und Telegraphenconventionen mit der haarsträubenden Phrase beantwortet, daß wir uns beiderseits auf den praktischen Boden der Cabinetspolitik stellen, ohne uns die Situation durch die Nebel trüben zu lassen, welche aus den Doktrinen deutscher Gefühlspolitik aufsteigen. Eine solche Sprache ist eines Cavour würdig. Das Festhalten an der Rechtsbasis ist eine nebelhafte Gefühlspolitik. Die Aufgabe diesen Herrn in Schranken zu halten, ihn abzubringen von seiner vergrößerungssüchtigen MilitärsT e i l eines V o r t r a g s an den Kaiser, a n f a n g s O k t o b e r 1864. *) Berlin, 29. S e p t e m b e r 1864; als E r g ä n z u n g das Schreiben B i s m a r c k s , Baden, 4. O k t o b e r 1864. — D i e B e i l a g e n , sämtlich aus dem Gräflich R e c h b e r g s c h e n A r c h i v stammend, wurden v o n G r ä f i n Gabrielle R e c h b e r g mit den Originalen kollationiert.

— 142 — politik und in die Bahn zu lenken, die allein uns Sicherheit geben kann, daß Preußen im gegebenen Augenblick nicht Euer Majestät wieder im Stiche laßt oder seine Treue an Bedingungen knüpft die Allerhöchstdieselben nicht gewähren könnten, Ubersteigt die menschlichen Kräfte. Der Berlin-Leipziger Correspondent, der stets vom preußischen Kabinete inspirirt wird, giebt in seinem heutigen Bericht in dieser Beziehung sehr bezeichnende Winke*). In der Zollfrage nimmt Bismark ebenfalls die in Schönbrunn mir in Betreff des Artikels 25 des Vertrages vom Jahr 1853 vor Zeugen gegebene Zusage zurück. Er legt mir Worte in den Mund, die ich nicht gesprochen habe, wie Baron Biegeleben auf den er sich selbst beruft, bekräftigt. Auch sein eigener Referent Abeken, der auf mein Begehren unserer Unterredung in Schönbrunn beigezogen wurde, muß es bestätigen. Die Kaiserliche Regierung muß in dieser Frage festhalten. Sie muß sich entschließen, die weiteren Verhandlungen mit Preußen und dem Zollverein eher abzubrechen, als das Princip der Zolleinigung, welches dem Zugeständnis der Anerkennung des Ausschlusses Oesterreichs aus Deutschland gleichkäme, fallen zu lassen*). II. Kettenhof, 28. Dezember 18665). Lieber Albert! Empfange meine besten Wünsche zum Jahreswechsel. Es wäre mir ein großer Trost gewesen, Dich noch vor Ablauf dieses unheilschwangeren Jahres zu sehen und mit Dir die Ereignisse, die wir Alle so tief beklagen, so wie die verschiedenen Ursachen, die sie herbeigeführt haben, zu besprechen. Hier ist es noch nicht an der Zeit, gegen die furchtbaren Angriffe, die gegen mich gemacht wurden und noch täglich erhoben werden, aufzutreten. Die Geschichte wird hierüber richten. Den *) R a n d b e m e r k u n g des K a i s e r s : „ L e i d e r sehr wahr, allein die A l l i a n z mit Preußen ist, unter den gegebenen Verhältnissen, doch die allein richtige und es müssen daher die undankbaren Bemühungen f o r t g e s e t z t werden, Preußen in der richtigen Bahn und auf dem Boden des R e c h t e s zu erhalten." *) R a n d b e m e r k u n g des K a i s e r s : „Ginverstanden, daher unermüdlich in Berlin in diesem Sinne zu wirken." 5 ) II., I I I . und I V . Schreiben an den Bruder.

— 143 —

Verblendeten, die auch heute noch nicht klar sehen, trotz des furchtbaren Unglücks, das über Oesterreich hereingebrochen ist, mangelt das Verständniß um die Beweggründe zu würdigen, die mich in meiner Politik geleitet haben. Ich fühle aber das Bedürfniß Dir wenigstens noch vor dem Jahresschluß den Grundgedanken der Politik, die ich befolgte, zu erörtern, die, wenn nach meinem Austritt aus dem Ministerium an ihnen festgehalten worden wäre, den Kaiser wie Oesterreich vor schwerem Unglück bewahrt hatten. Oesterreich war, als ich im Mai 1859 in's Ministerium berufen wurde, vollkommen isoliert. Es war in einen Krieg verwickelt, der mit unfertigen inneren Zustanden unternommen worden, der weder diplomatisch, noch finanziell, noch militärisch vorbereitet worden war, und deshalb nothwendigerweise keinen anderen als einen unglücklichen Ausgang nehmen konnte. Nach Beendigung dieses traurigen Feldzuges, der den Verlust der Lombardei zur Folge hatte, ohne jedoch die Stellung Oesterreichs in Italien wesentlich zu gefährden, da das Festungsviereck und Venedig gerettet worden waren, erkannte ich die mir gestellte Aufgabe als darin bestehend, die Monarchie nicht wieder in einen größeren Krieg zu verwickeln, ehe nicht die inneren Zustände in der Weise geordnet, daß der Kaiser über die Gesammtkraft der Monarchie verfügen könne, ehe nicht die Finanzen hergestellt, die Armee genügend ausgerüstet und politische Allianzen mit den Großmächten wieder angeknüpft wären, die uns im Falle einer abermaligen kriegerischen Verwicklung die thätige Unterstützung der einen oder anderen dieser Großmächte uns gesichert hätte. Diese Aufgabe war nicht leicht zu erfüllen bei dem tiefen Haß, den die Politik meines Vorgängers in Rußland gegen Oesterreich heraufbeschworen hatte, bei den ehrgeizigen Bestrebungen Preußen's in Deutschland, bei dem festen Entschluß Napoleon's Oesterreich die Venetianischen Provinzen zu entreißen. Unter solchen Verhältnissen mußte jeder Bruch mit Preußen, Frankreich auf Preußen's Seite finden und gleichzeitig auch den Kampf mit dem zu einer bedeutenden Macht herangewachsenen Piemont hervorrufen. Es war daher vor Allem dieser Bruch zu vermeiden, da die Monarchie mit ihren noch unfertigen inneren Zuständen einem solchen Riesenkampf nicht gewachsen war. Es mußte daher um jeden Preis dahin getrachtet werden, mit Preußen gute Be-

— 144 — Ziehungen wieder anzuknüpfen und mit Hilfe dieser guten Beziehungen den status quo in Deutschland so lange nothdürftig aufrecht zu erhalten, bis die italienische Frage ihre definitive Lösung erhalten. Diese konnte nicht mehr lange ausbleiben. Wäre der Unita Italia durch den diesjährigen Krieg nicht ein neuer Aufschwung gegeben worden, so war binnen höchstens 2—3 Jahren durch innere Auflösung, durch den Geist des Parlamentarismus, der in den einzelnen Theilen des Landes so feste Wurzeln geschlagen hat, durch Zerrüttung der Finanzen der Fortbestand dieses neu geschaffenen Monstrums nicht nur in Frage gestellt, sondern so offenkundig unmöglich, daß die gänzliche Auflösung eintreten und neue Gestaltungen geschaffen werden mußten. Dann war der Augenblick gekommen, wo Oesterreich nach allen Richtungen hin, wieder s e i n e a l t e S t e l l u n g geltend machen konnte. Ich habe über die damaligen Zustände Italien's die verlässigsten und besten Auskünfte erhalten. Wir hatten auch in Bezug auf unsere Stellung zu den Großmächten bedeutende Fortschritte gemacht. Mit Rußland hatten sich die Beziehungen so gebessert, daß ich das Ziel meiner Bestrebungen, das unter Metternich und Schwarzenberg zwischen beiden Mächten festgehaltene gute Verhältnis wieder herzustellen, mit Sicherheit hoffen konnte. Mit England waren wir intim und es haben uns Lord Palmerston, mit dem ich in persönlicher Korrespondenz war, und Lord Rüssel bei mehreren Gelegenheiten gute Dienste geleistet. Mit Frankreich, obgleich es die Absichten auf Venedig nicht aufgegeben, bestärkten sich die Beziehungen in dem Maße, in welchem die Beziehungen zu den andern sich günstiger gestalteten. Derjenige, der sich nicht in die Lage versetzt, die Freundschaft eines 3ten zu gebrauchen, ist sicher sie zu erhalten. Auch mit Preußen standen wir auf dem Fuße der Allianz durch die, in Folge des nicht erwünschten Todes des Königs hervorgerufene, schleswigholsteinische Frage. In der Führung dieser Frage mußte ich mich durch die Sorge bestimmen lassen, Oesterreich, dessen innere wie äußere Lage das Eingehen in einen allgemeinen Krieg noch nicht gestattete, die Verwicklung in einen Krieg zu vermeiden. Dieser wäre unfehlbar hervorgerufen worden, wenn wir, statt mit Preußen zu gehen, den heißblütigen Inspirationen des Bundes gefolgt hätten. Um dies zu beur-

— 145 —

theilen, darf nicht außer acht gelassen werden, daß Oesterreich durch den Londoner Vertrag gebunden war und von den mitunterzeichneten Großmächten aufgefordert* war, nicht vertragsbrüchig zu werden. Mit gutem Willen und einer geschickten Führung konnte aber nach Beendigung des Kampfes mit Dänemark das gute Verhältnis mit Preußen aufrecht erhalten werden, welches, so lange die Italienische Frage noch ungelöst blieb, so nothwendig war. Es konnte aufrecht erhalten werden, wenn das noch im Sommer 1865, also 8 Monate nach meinem Austritte aus dem Ministerium von Preußen, gemachte Anerbieten, daß die Herzogtümer getheilt und Oesterreich Holstein, Preußen aber Schleswig definitiv für sich behalten sollte, nicht von hier aus verworfen worden wäre. Für Oesterreich wäre es eine große Sache gewesen, in Norddeutschland definitiv festen Fuß zu fassen und die österreichische Marine von der Adriatischen See mit den Stationen der holsteinischen Küste zu verbinden. Welchen Zuwachs an Sicherheit hätten durch diese Stellung Oesterreichs in Nord-Deutschland die deutschen Zustände erhalten. Welche Beweggründe die Regierung bestimmt haben, dieses Anerbieten nicht anzunehmen, kann ich, obgleich ich sie ahne, nicht mit Bestimmtheit angeben. Welches Unglück wäre nicht Oesterreich und Deutschland erspart worden. In diesen flüchtigen Zeilen glaube ich Dir die Rechtfertigung meiner Politik gegeben zu haben. — Solltest Du über einige Punkte nähere Aufschlüsse wünschen, so bin ich bereit sie Dir zu geben. Nun lebe wohl. — Möge das Jahr 1867 für Dich wie Alle sich günstiger gestalten! III. K e t t e n h o f 8 Januar 1867. Dein Urtheil, lieber Bruder, Uber die Erbärmlichkeit und den gänzlichen Mangel jedes patriotischen Gefühls der hiesigen Schreier und Pessimisten theile ich vollkommen. Keine der hochtrabenden Reden, die gehalten wurden, verträgt eine ernste und ruhige Analyse. Es ist leicht, unverkennbar bestehende Mängel zu benützen, um schwarz in schwarz aufgetragene Phrasen zu drechseln, hauptsächlich wenn man den leider bestehenden Thatsachen, die sich nicht wegleugnen lassen, Rechnung tragen will. Aber Engel-Jdnosi, Rechberg

]Q

— 146 — nirgends findet man eine Anregung der Frage, was bei den bestehenden Verhältnissen, die, ich will es nicht läugnen, vermieden oder doch minder ungünstig sich hatten gestalten lassen, zu thun wäre, um gedeihliche Zustände zu schaffen. In einem Lande, wo die politische Bildung und Erziehung des Volkes noch in der Kindheit liegen, lrann das System der freien Bahn, welche Graf Belcredi verfolgt, nur zu heilloser Verwirrung führen, die durch den heraufbeschworenen Nationalitätenkampf noch gesteigert werden muß. Meines Erachtens kann nur dadurch Hilfe geschaffen werden, daß die Autorität der Regierung wieder hergestellt und dieselbe mit fester Hand und unnachgiebiger Energie die Rekonstituierung der Monarchie auf der von ihr für recht erkannten Grundlage auf dem Wege der Initiative durchführe. Eine Vereinbarung mit den einzelnen Ländern über die Rekonstituierung ist bei den hier bestehenden Verhältnissen ein Versuch, der scheitern muß. Sie wäre möglich gewesen im Jahre 1864, wenn mit Ungarn unter dem Drucke des hier tagenden Reichsrathes und der damals dort eingeführten Ausnahmszustände die Verhandlung eingeleitet worden wäre. Damals hätte sich Ungarn willfähriger gezeigt und auch der hiesige Reichsrath hätte sich zu allen Concessionen, die nöthig waren, bestimmen lassen, wenn durch dieselben eine Verständigung mit Ungarn zu erzielen gewesen wäre. Man mußte aber gleichzeitig in Ungarn wie diesseits der Leitha die Zügel fest in der Hand halten. Heute ist dies nicht mehr möglich und es erübrigt nur der Weg der Initiative von Seite der Regierung. Was Deine beiden Einwürfe betrifft auf mein letztes Schreiben, so kann ich nur wiederholen, daß ich gute und verläßliche Nachrichten über Italien hatte. Wurde Italien zum Zustande des Abw&rtens verurtheilt, durch Fortsetzung der von mir eingeleiteten Politik, so waren die dort vorhandenen Elemente der Unruhe darauf angewiesen, ihre Thätigkeit auf das Inland zu werfen und es mußten sich bei der gänzlichen Ebbe der Finanzen und dem gegenseitigen Haß der einzelnen Provinzen untereinander Zustände herausbilden, die die Initiative Europas herausfordern müssen und die auch in Paris vorausgesehen und besprochen worden waren. Wie lange dies auch gedauert haben würde, dies steht fest: wir konnten und durften den Kampf mit Preußen nicht aufnehmen, so lange wir nicht

— 147 — sicher waren, nicht gleichzeitig im Rücken angegriffen zu werden. Der doppelte Krieg überstieg unsere Kräfte so lange, als unsere inneren Zustände nicht geordnet waren. Was den 2ten Punkt anlangt, so gab es auch noch andere Mittel als die Theilung Holsteins und Schleswigs, z. B. die Annahme der Vorschläge, die Preußen im Frühjahr 1865 gemacht hat, und der Bedingungen, unter welchen es sich bereit erklärt hat, den Herzog von Augustenburg anzuerkennen. Ich hätte aber der Theilung den Vorzug gegeben, wenn Preußen in einem förmlichen Akt die Theilung ausgesprochen und den österreichischen Besitz Holsteins einmal definitiv anerkannt hätte, was uns nicht so leicht aus diesem Besitz verdrängt haben würde, falls wir einen Krieg mit Preußen vermieden hätten. Unser Augenmerk mußte darauf gerichtet sein, diesen Krieg zu vermeiden. IV. K e t t e n h o f 9 Januar 1867. Als Nachtrag und zu näherem Verständnis meiner gestern flüchtig geschriebenen Zeilen, so wie meines früheren Schreibens muß ich beifügen, daß ich es schon im Jahr 1863 und 64 tief beklagte, daß die Großdeutsche Parthei in Deutschland so wie die zu ihr haltenden Staatsmänner, die an der Spitze der Kabinette standen, es nicht einsehen wollten, wie die Losreißung der Herzogthümer von Dänemark mindestens die Suprematie Preußens in NordDeutschland herbeiführen müßte und wie ihr unsinniges Toben in dieser Frage gerade dies zu Stande bringen mußte, was sie am angelegensten zu verhindern strebten. Die Stellung Dänemarks in Holstein und Schleswig war die sicherste Schufzwehr gegen die Verwirklichung der Preußischen Gelüste in Norddeutschland und gab Mecklenburg, Oldenburg, den Hansastädten wie Hannover einen ergiebigen Schutz. Mein Streben war demnach gerichtet auf Aufrechterhaltung des status quo unter Gewährung der Personalunion von Seiten Dänemarks an die Herzogthümer mit allen Rechten und Freiheiten, auf die sie wirklichen Anspruch hatten. Vergeblich suchte ich den Dänen begreiflich zu machen, daß die von dem vorletzten König angestrebte administrative Trennung so lange ihre volle Begründung hatte, als die Erbfolge die Losreißung von 10«

— 148 —

Holstein von Dänemark nach dem Tode des letztverstorbenen Königs bestimmte, da es eine vorsichtige Politik erheischte, diese Trennung vorzubereiten und eintretenden Falles zu erleichtern, daß aber mit dem Abschluß des Londoner Vertrags die Fortsetzung dieser Politik nutzlos geworden und mithin ein umso unverzeihlicherer Fehler sei, als sie die Bevölkerung, die doch mit Dänemark vereint bleiben sollte, nutzlos reize. Mit dem Aufgeben dieser Politik und der administrativen Wiedervereinigung Schleswig's mit Holstein würde eine Stimmung in den HerzogthUmern geschaffen werden, die es der Regierung sehr leicht machen würde, mit den Ständen eine Vereinbarung zu treffen. Unter dem Drucke der national skandinavischen Leidenschaften weigerten sich die Staatsmänner in Dänemark meinen dringenden Vorstellungen Gehör zu schenken. Nachträglich haben sie mir es wissen lassen, wie sehr sie erkannten, daß mein Rath gut gewesen sei und wie sehr sie bedauerten ihm nicht gefolgt zu haben. Diese Unterhandlungen mit Kopenhagen waren im vollen Gang, als der König von Dänemark sehr zur Unzeit starb und hiemit die Frage in eine neue dringende Phase eintrat, welche das Zurückkommen auf meinen Rath nicht mehr als zeitgemäß erscheinen ließ und was, um den allgemeinen Europäischen Krieg zu vermeiden, dem aus dem Weg zu gehen wir ganz besondere Ursache hatten, nothgedrungen dahinführte, mit Preußen zu gehen. Als einen großen und bedeutenden Erfolg mußte ich es betrachten, daß Preußen einwilligte, die Lostrennung der Herzogthümer von Dänemark nicht zu verlangen und auf Personalunion unter oben angeführten Bedingungen zu bestehen. Preußen verpflichtete sich sogar, mit uns gemeinschaftlich in London den Antrag auf Personalunion zu stellen und zu unterstützen. Es hielt auch Wort. Der Unbotmäßigkeit der eigenen Agenten in London, die sich die Durchführung ihrer Instruktionen mindestens nicht angelegentlich sein ließen, haben wir es zu danken, daß unser Antrag fiel und weder von England noch von Dänemark unterstützt wurde. Hiemit war eine ganz neue Stellung geschaffen. Preußen schloß sich zwar uns an und verlangte die Einsetzung des Herzogs von Augustenburg; es war aber damals schon erwiesen, daß es eigene Zwecke verfolgte. Hier konnte nur vorgebeugt werden durch Festhalten an das wiedergewonnene gute Vernehmen mit

— 149 —

Preußen. Jede andere Politik mußte zum Krieg mit Preußen fuhren, den wir aus Grtlnden die ich schon entwickelt, ganz besondere Ursache hatte zu vermeiden. Das Ziel, das ich verfolgte, war Schutz- und Trutzbtlndniß mit Preußen, definitive Theilung Schleswigs und Holsteins, Letzteres als österreichische Provinz mit dem Vorbehalte, daß, falls Oesterreich mit dem Beistande Preußens anderweitige Erwerbungen machen oder Provinzen wieder erwerben sollte, Holstein und Lauenburg als Entschädigung an Preußen abgetreten, dagegen aber Oesterreich, da das bestehende Gleichgewicht in Deutschland nicht zu Oesterreichs Nachteil abgeändert werden konnte, mit einem entsprechenden Theil seiner Besitzungen an der Adriatischen Küste in den Deutschen Bund mit eintreten soll. Bismark hatte sich hiezu in Schönbrunn verstanden, und es sollte die Sache geregelt werden, als ich durch Graf Mensdorff ersetzt und derselbe durch seine Untergebenen in die entgegengesetzte Politik wider seinen Willen hineingerissen wurde. Dies der traurige Gang, den diese verhängnisvolle Angelegenheit genommen hat. Wenn die Leidenschaften sich einmal abgekühlt haben werden, und die Großdeutsche Parthei zur Einsicht gekommen sein wird, daß sie in der Holsteinischen Frage nur das Spiel des NationalVereins getrieben hat, dann wird die Zeit gekommen sein, mit meiner Rechtfertigung vorzutreten. Jetzt würde man mich nicht verstehen, weil man, um das Geständniß der Kurzsichtigkeit nicht machen zu müssen, mich nicht verstehen will und es überhaupt nicht an der Zeit ist, mit solchen Details vor die Oeffentlickheit zu treten. Unsere Bevollmächtigten in London entschuldigen sich damit, daß bei der Leidenschaftlichkeit der Dänen und auch dem Starrsinn Palmerstons ihre Instruktionen nicht durchführbar gewesen seien. Wäre es ihnen gelungen, sich bei Palmerston gut zu stellen, so bin ich überzeugt, daß sie ihn auch bekehrt haben würden. Was die Dänen betrifft, so kann ich nicht leugnen, daß sie Recht haben, da die damals in Kopenhagen am Ruder stehende Parthei aus skandinavischen Parteigründen die Trennung von Holstein und des gesammten deutschen Elementes wollte. Eben so wenig wollte die damals hier sehr einflußreiche Hyper-Centralistische Parthei der möglichen Wiedererwerbung der Lombardei Vorschub leisten, weil sie von derselben Hindernisse befürchtete für die Verwirklichung

— 150 — ihrer Pläne, deren Scheitern schon damals feststand, und zu diesem Zwecke half die ungarische Parthei, welche wohl wußte, daß ich die in dem Oktober-Diplom gemachten Zugeständnisse als das Aeußerste betrachtete, über welche hinaus zu gehen bedenklich sei, redlich mit. Heute hat die ganze Sachlage leider zum großen Nachteile des Kaisers und der Monarchie sich sehr geändert und es wird nothwendig, sowohl im Inneren wie in der Aeußeren Politik der veränderten Sachlage Rechnung zu tragen und sein Urtheil auf Grund der Thatsachen, wie sie geschaffen vorliegen und nicht mehr zu ändern sind, zu fällen. Die obigen Erläuterungen werden Dir den Schlüssel geben zu den Worten, die Bismark an Menzel gerichtet hat, daß „wenn Rechberg im Ministerium geblieben wäre, er im Verein mit mir Großes ausgeführt hätte." V. K e 1 1 e n h o f 15 Oktober 1894. Lieber Otto«)! Es ist Dir bekannt, daß von meinen Gegnern der Vorwurf gegen mich erhoben wurde, daß ich den Krieg mit Preußen im Jahre 66, durch meine Politik verschuldet hätte, es ist Dir auch bekannt, wie ungerecht diese Vorwürfe sind, ich bitte Dich, nach meinem Ableben meine Rechtfertigung veranlassen zu wollen. Um Dir dieses zu ermöglichen, schließe ich die in der Beilage niedergeschriebenen Daten hier bei. Leider ist das Protokoll des Ministerrats, dessen ich erwähne, beseitigt worden. Die Nachforschungen die ich sowohl in den Archiven des Ministeriums des Aeußeren und des Ministerrats gepflogen habe, ergaben, daß es sich nicht mehr vorfindet 7 ). Die einzig noch lebenden Zeugen, auf die ich mich berufen kann, sind S. K. Hoheit der Erzherzog Rainer und der damalige Finanzminister Plener, Vater des jetzigen. Der Erzherzog hat mir die Richtigkeit aller meiner Angaben bekräftigt und hat mir auch beigefügt, daß die Beseitigung des Protokolls ihn bei dem damaligen Vorgehen meiner Gegner durchaus nicht befremde. • ) G r a f O t t o R e c h b e r g , N e f f e des Ministers. 7 ) V o n diesem M i n i s t e r r a t s p r o t o k o l l ist auch g e g e n w ä r t i g im S t a a t s a r c h i v keine S p u r zu finden, auch nicht in den Indices zu den Protokollen.

— 151 — Alle andern Mitglieder des damaligen Ministerrates sind mit Tod abgegangen. Ein Zeuge lebt noch auf den ich mich berufen kann, es ist Baron Aldenburg, der unter mir und meinen Nachfolgern das Referat für die großen politischen Angelegenheiten im Ministerium des Aeußeren führte. Ich war im Jahre 55 und 56 in enger Verbindung mit ihm und habe ihn stets auf die Gefahren dieses Krieges aufmerksam gemacht; er sagte mir nach diesem unglücklichen Krieg, daß der seitdem verstorbene Moritz Esterhazy, der auch zu meinen Gegnern zählte, nach dem Krieg ihm gestanden habe: „Le seul qui a vu juste, c'est Rechberg." In der Ueberzeugung, daß Du Dich der Aufgabe, meine Rechtfertigung zu führen, nach meinem Ableben unterziehen wirst Truly Yours Rechberg P. S. Wenn Du glaubst, daß es sie interessiert, so bitte ich Dich, meinen Brief nebst Beilage Deiner Mutter, Frau und Kindern mitzuteilen. Unter den Wenigen, die mir ihre Ueberzeugung von dem mir widerfahrenen Unrecht, mit lebhafter Teilnahme mitgeteilt haben, befindet sich der Präsident des Reichsgerichts Unger, eine politisch sehr hochstehende Persönlichkeit, der allgemeine Achtung genießt, er könnte Dir behilflich sein zur Durchführung der Bitte, die ich an Dich gestellt habe. Beilage. Im letzten Ministerrat, dem ich beigewohnt habe, im Oktober 1864, wurde ein Antrag in Betreff der deutschen Zollfrage gestellt. Ich habe diesen Antrag mit aller Entschiedenheit bekämpft und habe entwickelt, daß, wenn wir auf solchem Wege Preußen gegenüber vorgehen würden, ein Krieg mit Preußen folgen müsse. Oesterreich sei aber dermalen nicht in der Lage, sich in diesen Krieg einzulassen, es würde jedenfalls gleichzeitig von dem, nunmehr verstärkten und vergrößerten Piemont angegriffen werden und könne sich mit gestörten inneren Verhältnissen, mit zerrütteten Finanzen und ohne äußere Allianzen in diesen Doppelkrieg nicht einlassen, es müsse vielmehr

— 152 — auf diplomatischem Wege Alles aufgeboten werden, um ihn zu verhindern. Es sei ganz richtig, daß schließlich das Verhältnis zwischen Oesterreich und Preußen nur durch einen Krieg geregelt werden könne, unsere Aufgabe aber sei es für jetzt, uns nicht in denselben hineindrängen zu lassen, in einem Augenblick, in welchem wir denselben nicht gehörig vorbereitet hatten und wo er nothwendigerweise zum Verderben Oesterreichs führen müsse. Die Majorität des Ministerrates sprach sich aber in der Abstimmung gegen mich aus. Hierauf ergriff ich das Wort und stellte an den dem Ministerrat präsidierenden Erzherzog Rainer die Bitte, Sr. Majestät das Gesuch um meine Entlassung zu Füßen legen zu wollen, da ich unmöglich mich zur Führung einer Politik hergeben könne, die Oesterreich zum Verderben gereichen müsse. Mein Entlassungsgesuch wurde mir in Allerhöchst gnädigen Ausdrücken, jedoch nur unter der Bedingung gewährt, daß ich noch die wegen des Friedensschlusses mit Dänemark von Oesterreich und Preußen begonnenen und von mir präsidierten Conferenzen zu Ende zu führen hätte. Im Sommer 1866 brach dann richtig der Krieg zwischen Oesterreich und Preußen aus, dessen trauriger Ausgang von meinen Gegnern mir zur Last gelegt wurde.