Das Bundesbuch (Ex 20,22-23,33): Studien zu seiner Entstehung und Theologie [Reprint 2013 ed.] 3110124041, 9783110124040

In der Reihe Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft (BZAW) erscheinen Arbeiten zu sämtlichen Ge

334 120 25MB

German Pages 484 Year 1990

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Das Bundesbuch (Ex 20,22-23,33): Studien zu seiner Entstehung und Theologie [Reprint 2013 ed.]
 3110124041, 9783110124040

Table of contents :
1. EINLEITUNG
2. DIE STRUKTUR DES BUNDESBUCHES
2.1. Forschungsüberblick
2.1.1. Der an Pentaden-, Dekaden- und Dekalogstruktur orientierte Ansatz
2.1.2. Der literarkritische Ansatz
2.1.3. Der überlieferungsgeschichtliche Ansatz
2.1.4. Der formgeschichtliche Ansatz
2.1.5. Der kompositionskritische Ansatz
2.2. Strukturanalyse
2.3. Vorläufiges Ergebnis
3. SCHICHTUNGEN INNERHALB DER KOMPOSITION
3.1. Die Struktur von Ex 21,12-17
3.2. Der literarisch sekundäre Charakter von Ex 21,13.14
3.3. Der literarische Horizont von Ex 21,13.14
3.4. Vorläufiges Ergebnis
4. DAS KASUISTISCHE RECHTSBUCH
4.1. Die Anordnung der Gesetze in Ex 21,18-22,16
4.2. Textanalysen
4.2.1. Verletzung der körperlichen Integrität: Ex 21,18-27
4.2.2. Das stoßende Rind und die offen gelassene Grube: Ex 21,28-36
4.2.3. Diebstahlgesetze: Ex 21,37-22,3
4.2.4. Schädigung des Feldes und der Ernte durch weidendes Vieh und ausbrechendes Feuer: Ex 22,4.5
4.2.5. Depositenrecht: Ex 22,6-14
4.2.6. Verführung eines nicht verlobten Mädchens
4.2.7. Mord, Totschlag, Menschendiebstahl, Körperver¬letzung und Verfluchung der Eltern: Ex 21,12-17
4.3. Redaktionsgeschichtliches Fazit
4.4. Der historische und soziokulturelle Kontext der Entstehung und Überlieferung des kasuistischen Rechtsbuches Ex 21,12-22,16*
4.4.1. Einleitung
4.4.2. “Hat Mose den Codex Hammurapi gekannt”?
4.4.3. Die Entstehung des kasuistischen Rechtsbuches Ex 21,12 - 22,16
4.4.4. Zur Entstehung und Funktion altorientalischer Rechts¬bücher
4.4.5. Schreiberschulen
4.4.6. Der soziale Ort
4.4.7. Der historische Ort
4.4.8. Der gesetzgeberische Wille
5. DIE PROTODEUTERONOMISCHE (GOTTESRECHT¬LICHE), DIE DEUTERONOMISTISCHE UND DIE PRIESTERLICHE REDAKTION DES BUNDES¬BUCHES
5.1. Der Textbestand im Überblick
5.2. Textanalysen
5.2.1. Bilderverbot und Altargesetz: Ex 20,23-26
5.2.2. Die Überschrift Ex 21,1
5.2.3. Die Freilassung von Schuldsklave und Schuldsklavin: Ex 21,2-11
5.2.4. Magie, Sodomie und Götteropfer: Ex 22,17-19
5.2.5. Schutz des Fremden, der Witwe, der Waise und des Armen: Ex 22,20-26
5.2.6. Loyalität gegenüber Gott und Fürst: Ex 22,27-30
5.2.7. Gerechtes Verhalten in der Rechtsprechung: Ex 23,1-9
5.2.8. Brachjahr- und Ruhetaggebot: Ex 23,10-12
5.2.9. Fremdgötterverbot: Ex 23,13
5.2.10. Festkalender: Ex 23,14-19
5.2.11. Prolog und Epilog des Bundesbuches
6. ZUSAMMENFASSUNG
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Register
A. Stellen
1. Altes Testament
2. Neues Testament
3. Außerbiblische hebräische Texte
4. Sumerische, akkadische und hethitische Texte
5. Texte aus Ugarit
6. Strafgesetzbuch (StGB)
B. Wörter
1. Hebräische Wörter
2. Akkadische Wörter
C. Autoren
D. Namen und Sachen

Citation preview

Ludger Schwienhorst-Schönberger

Das Bundesbuch (Ex 20,22-23,33) Studien zu seiner Entstehung und Theologie

w DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1990

Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Herausgegeben von Otto Kaiser 188

Gedruckt auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig — pH 7, neutral)

CIP-Titelaufnahme

der Deutseben Bibliothek

Schwienhorst-Schönberger, Ludger: Das Bundesbuch (Ex 20,22 — 23,33) : Studien zu seiner Entstehung und Theologie / Ludger Schwienhorst-Schönberger. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1990 (Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft ; 188) Zugl.: Münster, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-11-012404-1 NE: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft / Beiheft

ISSN 0934-2575 © Copyright 1990 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

Für Annette

und

Jonathan

VORWORT

Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Fassung meiner vom Fachbereichsrat der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Münster im Sommersemester 1989 angenommenen Dissertation. Für Hilfe und Unterstützung habe ich vielen zu danken. An erster Stelle Prof. Dr. E. Zenger. Er hat die Arbeit angeregt und mit großem Engagement gefördert. Ihm verdanke ich entscheidende Impulse, gleichzeitig aber auch die Freiheit, in der Forschung eigene Wege zu gehen. Seinem Assistenten hat er viel Zeit für die Doktorarbeit gewährt, und es gleichzeitig verstanden, - ganz in der Tradition alttestamentlicher Weisheit stehend - manch' praktisches Problem zu lösen. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. P. Weimar für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und einige Verbesserungsvorschläge. Prof. Dr. E. Otto, der in letzter Zeit eine Reihe von Arbeiten zum altorientalischen und altisraelitischen Recht, insbesondere dem des Bundesbuches, veröffentlicht hat, sandte mir großzügigerweise viele seiner Manuskripte noch vor deren Publikation zu. Auf unseren "Bonner - Münsteraner Osnabrücker - Symposien" konnte ich mit ihm zahlreiche Probleme des Bundesbuches diskutieren. Prof. Dr. N. Lohfink SJ hat mir freundlicherweise ein noch unveröffentlichtes Referat zu Ex 22,20-26 überlassen und mir so geholfen, meine eigene These deutlicher zu fassen. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. M. Dietrich für seine verständnisvolle und didaktisch kluge Einführung in das Akkadische und seine Bereitschaft, über mehrere Semester hinweg Codex Hammurapi und Codex Eschnunna zu lesen. Prof. Dr. O. Kaiser danke ich f ü r die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der BZAW und Frau F.Dörfert f ü r die Betreuung bei der Manuskripterstellung, nicht zuletzt auch Dr. D. Trobisch für die Lösung von Computer-Problemen. Beim Korrekturlesen halfen Thomas Baumann, Barbara Bögge und Stefanie Klein. Vor allem danke ich meiner Frau Annette Schönberger. Sie hat mit viel Geduld die ganze Arbeit mitgetragen. Ihr und unserem Sohn Jonathan sei sie deshalb gewidmet.

Münster, im Februar 1990.

Ludger Schwienhorst-Schönberger

INHALTSVERZEICHNIS

1.

EINLEITUNG

1

2.

DIE STRUKTUR DES BUNDESBUCHES

3

2.1. 2.1.1.

3

2.1.2. 2.1.3. 2.1.4. 2.1.5. 2.1.5.1. 2.1.5.2.

Forschungsüberblick Der an Pentaden-, Dekaden- und Dekalogstruktur orientierte Ansatz Der literarkritische Ansatz Der überlieferungsgeschichtliche Ansatz Der formgeschichtliche Ansatz Der kompositionskritische Ansatz Jörn Halbe (1975) Eckart Otto (1988)

3 4 7 8 11 11 15

2.2.

Strukturanalyse

22

2.3.

Vorläufiges Ergebnis

37

3.

SCHICHTUNGEN INNERHALB DER KOMPOSITION .... 38

3.1.

Die Struktur von Ex 21,12-17

38

3.2.

Der literarisch sekundäre Charakter von Ex 21,13.14

39

3.3.

Der literarische Horizont von Ex 21,13.14

41

3.4.

Vorläufiges Ergebnis

43

4.

DAS KASUISTISCHE RECHTSBUCH

44

4.1.

Die Anordnung der Gesetze in Ex 21,18-22,16

44

4.2.

Textanalysen

51

4.2.1.

Verletzung der körperlichen Integrität: Ex 21,18-27

51

4.2.1.1.

Körperverletzung unter freien Männern: Ex 21,18.19

52

4.2.1.2.

Totschlag, natürlicher Tod und Körperverletzung von Schuldsklave und Schuldsklavin: Ex 21,20.21.26.27 Forschungsüberblick

59 59

4.2.1.2.1.

χ

Inhaltsverzeichnis

4.2.1.2.2. 4.2.1.2.3. 4.2.1.2.4. 4.2.1.2.5. 4.2.1.2.6. 4.2.1.2.7.

Die Stellung von Ex 21,20f .26f im Kontext des Bundesbuches Interpretation von Ex 21,20.21 Ex 21,20.21 im Vergleich mit CH §§ 115; 116 Was heißt Dp:"1 Dp: in Ex 21,20? Interpretation von Ex 21,26.27 Zusammenfassung

4.2.1.3. 4.2.1.3.1. 4.2.1.3.2. 4.2.1.3.3. 4.2.1.3.4. 4.2.1.3.4.1. 4.2.1.3.4.2. 4.2.1.3.4.3. 4.2.1.3.4.4. 4.2.1.3.4.5. 4.2.1.3.4.6. 4.2.1.3.4.7. 4.2.1.3.5.

Die schwangere Frau und die Talionsformel: Ex 21,22-25 79 Einleitung 79 Die Probleme des Textes im Horizont der Forschung 79 Positionen der Forschung 85 Analyse des Textes 89 Was heißt f i ON? 89 Frühgeburt oder Fehlgeburt? 94 "Dann sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge ...".... 99 Wer soll geben? 107 "Wenn Männer miteinander raufen ..." 109 Zur Entstehung des Gesetzes 116 Wer ist angeredet? 122 Ergebnis 127

4.2.2.

Das stoßende Rind und die offen gelassene Grube: Ex 21,28-36 Forschungsüberblick Literarkritische Analyse Ex 21,28-32 Ex 21,33f Ex 21,35.36 Vorläufiges Ergebnis der literarkritischen Analyse Vergleich zwischen Ex 21,28-36, CE §§ 53-55 und CH §§ 250-252 unter Berücksichtigung der literarkritischen Analyse von Ex 21,28-36

4.2.2.1. 4.2.2.2. 4.2.2.2.1. 4.2.2.2.2. 4.2.2.2.3. 4.2.2.2.4. 4.2.2.3.

4.2.3. 4.2.3.1. 4.2.3.2. 4.2.3.2.1. 4.2.3.2.2. 4.2.3.3. 4.2.4.

61 63 68 70 74 77

129 130 131 131 142 147 154 156

Diebstahlgesetze: Ex 21,37-22,3 Forschungsüberblick Interpretation Viehdiebstahl: Ex 21,37; 22,3 Der in flagranti delicto ertappte Dieb: Ex 22,1.2 Das Verhältnis von Ex 21,37; 22,3 zu Ex 22,lf : Zur Frage der Literarkritik

162 162 168 168 175 182

Schädigung des Feldes und der Ernte durch weidendes Vieh und ausbrechendes Feuer: Ex 22,4.5

187

Inhaltsverzeichnis

XI

4.2.5. 4.2.5.1. 4.2.5.2.

Depositenrecht: Ex 22,6-14 Forschungsüberblick Analyse des Textes

193 194 194

4.2.6.

Verführung eines nicht verlobten Mädchens

211

4.2.7.

4.2.7.2.

Mord, Totschlag, Menschendiebstahl, Körperverletzung und Verfluchung der Eltern: Ex 21,12-17 Die Kohärenz von Ex 21,12.15-17 Vorgaben der Forschung 1st Ex 21,12.15-17 eine primäre oder eine sekundäre Komposition? Die Entstehung der Reihe Ex 21,12-17

216 231

4.3.

Redaktionsgeschichtliches Fazit

234

4.4.

Der historische und soziokulturelle Kontext der Entstehung und Überlieferung des kasuistischen Rechtsbuches Ex 21,12-22,16* Einleitung "Hat Mose den Codex Hammurapi gekannt"? Forschungsüberblick Positionen der Forschung Literarische Abhängigkeit Indirekte literarische Abhängigkeit Direkte literarische Abhängigkeit Unabhängige Parallelentwicklung Gemeinsame altorientalische Rechtskultur Schriftlich vermittelte altorientalische Rechtskultur Durch mündliche Tradition bzw. durch mündlich überliefertes Gewohnheitsrecht (Rechtspraxis) vermittelte altorientalische Rechtskultur Ergebnis und offene Frage Die Entstehung des kasuistischen Rechtsbuches Ex 21,12 22,16 Zur Entstehung und Funktion altorientalischer Rechtsbücher Schreiberschulen Der soziale Ort Der historische Ort Der gesetzgeberische Wille

4.2.7.1. 4.2.7.1.1. 4.2.7.1.2.

4.4.1. 4.4.2. 4.4.2.1. 4.4.2.2. 4.4.2.2.1. 4.4.2.2.1.1. 4.4.2.2.1.2. 4.4.2.2.2. 4.4.2.2.3. 4.4.2.2.3.1. 4.4.2.2.3.2. 4.4.2.3. 4.4.3. 4.4.4. 4.4.5. 4.4.6. 4.4.7. 4.4.8.

213 213 214

238 239 240 241 242 242 242 243 243 247 247 250 252 254 256 260 268 271 276

ΧΠ

Inhaltsverzeichnis

5.

DIE PROTODEUTERONOMISCHE (GOTTESRECHTLICHE), DIE DEUTERONOMISTISCHE U N D DIE PRIESTERLICHE REDAKTION DES B U N D E S BUCHES 284

5.1.

Der Textbestand im Überblick

284

5.2.

Textanalysen

287

5.2.1. 5.2.1.1. 5.2.1.2.

Bilderverbot und Altargesetz: Ex 20,23-26 Forschungsüberblick Redaktionsgeschichtliches Fazit

287 287 296

5.2.2.

Die Überschrift Ex 21,1

299

5.2.3.

5.2.3.2. 5.2.3.2.1. 5.2.3.2.2.

Die Freilassung von Schuldsklave und Schuldsklavin: Ex 21,2-11 Die Freilassung des Schuldsklaven: Ex 21,2-6 Die Struktur des Textes Literar- und Redaktionskritik Die Freilassung des Schuldsklaven im Kontext des Bundesbuches Die Freilassung der Sklavenfrau: Ex 21,7-11 Strukturanalyse und Literarkritik Redaktionskritik

310 313 313 315

5.2.4. 5.2.4.1. 5.2.4.2. 5.2.4.3.

Magie, Sodomie und Götteropfer: Ex 22,17-19 Götteropfer: Ex 22,19 Sodomie: Ex 22,18 Magie: Ex 22,17

316 316 322 329

5.2.5. 5.2.5.1. 5.2.5.2. 5.2.5.3. 5.2.5.4. 5.2.5.5.

Schutz des Fremden, der Witwe, der Waise und des Armen: Ex 22,20-26 Forschungsüberblick Die Struktur des Textes Literarkritische Analyse von Ex 22,20-23 Redaktionskritische Analyse von Ex 22,20-23 Literar- und Redaktionskritik von Ex 22,24-26

331 331 335 338 346 357

5.2.6. 5.2.6.1. 5.2.6.2. 5.2.6.3.

Loyalität gegenüber Gott und Fürst: Ex 22,27-30 Die Struktur der Texteinheit Interpretation von Ex 22,27-29 Analyse von Ex 22,30

360 360 361 368

5.2.3.1. 5.2.3.1.1. 5.2.3.1.2. 5.2.3.1.3.

303 303 303 306

Inhaltsverzeichnis

ΧΙΠ

5.2.6.3.1. 5.2.6.3.2.

Forschungsüberblick Literar- und redaktionskritische Analyse

368 370

5.2.7. 5.2.7.1. 5.2.7.2.

Gerechtes Verhalten in der Rechtsprechung: Ex 23,1-9 Forschungsüberblick Literarkritische Analyse

378 378 379

5.2.8. 5.2.8.1. 5.2.8.2. 5.2.8.3.

Brachjahr- und Ruhetaggebot: Ex 23,10-12 Ruhetaggebot: Ex 23,12 Brachjahrgebot: Ex 23,10f Ergebnis

389 389 391 393

5.2.9. 5.2.9.1. 5.2.9.2.

Fremdgötterverbot: Ex 23,13 Forschungsüberblick Analyse

394 394 395

5.2.10.

Festkalender: Ex 23,14-19

401

5.2.11.

Prolog und Epilog des Bundesbuches

406

6.

ZUSAMMENFASSUNG

415

Abkürzungsverzeichnis

418

Literaturverzeichnis

420

Register

439

A. Stellen 1. Altes Testament 2. Neues Testament 3. Außerbiblische hebräische Texte 4. Sumerische, akkadische und hethitische Texte 5. Texte aus Ugarit 6. Strafgesetzbuch (StGB)

439 439 453 453 454 455 455

1. Hebräische Wörter 2. Akkadische Wörter

456 456 456

B. Wörter

C. Autoren

457

D. Namen und Sachen

463

1. EINLEITUNG

Mit der vorliegenden Studie verfolge ich drei Ziele. Zunächst einmal möchte ich klären, in welchem entstehungsgeschichtlichen Verhältnis Gottesrecht und Profanrecht im Bundesbuch zueinander stehen. Ein weitgehender Konsens der Forschung besteht darin, daß das Bundesbuch literarisch nicht einheitlich ist. 1 Zahlreiche Spuren weisen auf eine längere Entstehungsgeschichte hin. Im Kontext des Exodus-Buches stellt das Bundesbuch auf der Ebene der überlieferten Endgestalt des Textes eine über Mose vermittelte JHWH-Rede an das Volk dar. Innerhalb des Bundesbuches gibt es Passagen, die eindeutig auf eine Redesituation verweisen, in denen Gott unter Nennung des Sprecher-Ichs eine 2.Ps.Sg. oder PI. direkt anredet. Diese Passagen finden sich vor allem in den äußeren Rahmenelementen Ex 20,2226/23,13-19, aber auch in Ex 22,20-23,9. Daneben gibt es Passagen, die keinen unmittelbaren Bezug auf ein Sprecher-Ich erkennen lassen. Diese liegen vor allem im sogenannten kasuistischen Teil des Bundesbuches, in Ex 21,18-22,16 vor. Bei der Frage nach dem Verhältnis von Gottesrecht und Profanrecht geht es literarhistorisch gesehen um die Frage nach dem entstehungsgeschichtlichen Verhältnis dieser beiden Teile. Dabei stehen sich in jüngster Zeit zwei unterschiedliche Modelle gegenüber. Das erste rechnet vereinfachend ausgedrückt - mit einer Entwicklung vom Gottesrecht zum Profanrecht, das zweite mit einer genau gegenläufigen Entwicklung: vom Profanrecht zum Gottesrecht. Das erste Modell vertritt J.HALBE. Seiner Ansicht nach handelt es sich beim kasuistischen Teil des Bundesbuches Ex 21,1-22,19 "um eine Komposition ..., die - bei aller gar nicht zu leugnender Bindung an vorgegebenes Material - als Ganzes von Anfang an zur Aufnahme in das Privilegrecht des Bundesbuches vorgesehen war .... Die genau entgegengesetzte Position vertritt Ε . Ο ' Π Ό . Seine Analyse "hat keinen Anhalt für eine gottesrechtliche Grundschicht ergeben, in die die Profanrechte integriert worden seien." 3 Im Gegenteil: In der Überliefe-

1 Vgl. F . C R U S E M A N N , Bundesbuch (1988) 27. 2 J.HALBE, Privilegrecht (1975) 460. Hervorhebung von mir. Vgl. ebd. 464: "Denn es wurde nicht einfach ein Codex geschaffen, sondern dieser Eingriff ins Leben der Ortsgerichte hat das alte Privilegrecht des Bundesbuches zur Basis und sucht mit ihm eine Einheit...". Zu J . H A L B E vgl. Kap. 2.1.5.1. S. 11-15. 3 E.OTTO. Rechtsbegründungen (1988) 75. Zur Auseinandersetzung mit J.HALBE siehe ebd. 6-8.

2

Einleitung

rungsgeschichte des Bundesbuches läßt sich nach E . O T T O eine zunehmende Theologisierung des ursprünglich profanen Rechtes beobachten, die ihren abschließenden Höhepunkt in der deuteronomistischen Redaktion des Bundesbuches gefunden hat. 4 Als zweites möchte ich der Frage nach dem institutionellen Hintergrund des Bundesbuches nachgehen, einer Frage, die - wie F . C R Ü S E M A N N zu Recht betont hat - in der bisherigen Forschung nur wenig gestellt wurde. 5 Im Rahmen dieser Arbeit konzentriere ich mich dabei auf den kasuistischen Teil des Bundesbuches. Die Frage nach dem institutionellen Hintergrund kann aber erst beantwortet werden, wenn der entsprechende Textbestand eingehend analysiert worden ist. So bildet die Analyse und Interpretation des kasuistischen Teils des Bundesbuches einen Schwerpunkt der Arbeit. Als drittes möchte ich einem ebenfalls kontrovers diskutierten Problem nachgehen: Hat das Bundesbuch eine deuteronomistische Redaktion erfahren? Der zur Diskussion stehende Punkt konzentriert sich vor allem auf die Frage, ob die von W . B E Y E R L I N 6 so genannten paränetischen Elemente des Bundesbuches in allen ihren Teilen vordeuteronomisch sind, oder ob sie - das Deuteronomium voraussetzend und von ihm herkommend - als deuteronomistisch qualifiziert werden können. Entschieden wird die Kontroverse vor allem bei der Analyse von Ex 22,20-26. Deshalb bildet diese Texteinheit einen Schwerpunkt bei der Frage nach einer deuteronomistischen Redaktion des Bundesbuches.

4 Ebd. 2f. 5 Vgl. F . C R Ü S E M A N N , Bundesbuch (1988) 27f; 37, Anm. 44. Vgl. D E R S . , Recht und Theologie (1987) 54: "Welchen institutionellen Vorgängen innerhalb der Königszeit nun freilich die Entstehung der älteren Rechtskorpora zu verdanken ist, ist bis jetzt in der Forschung nicht einmal hypothetisch aufgehellt worden,...". 6 W . B E Y E R L I N , Paränese (1965).

2. DIE STRUKTUR DES BUNDESBUCHES

2.1.

Forschungsüberblick

Die in der Forschung eingenommenen Positionen zur Kompositionsstruktur des Bundesbuches und ihrer Schichtung lassen sich nach der je unterschiedlichen methodischen Ausgangsposition grob in fünf verschiedene Ansätze unterteilen. 1

2.1.1.

Der art Pentoden-, Ansatz

Dekaden-

und Dekalogstruktur

orientierte

Ein erster Ansatz versucht, im Bundesbuch eine nach einem vorgegebenen Prinzip realisierte Ordnung zu erkennen. Vertreter dieser Richtung ist J.W.ROTHSTEIN. Er hält es "für höchst wahrscheinlich, daß die ursprüngliche Anlage des ganzen Bb. der des Dekalogs entsprach, daß also die dekalogischen Gebote gleichsam die Titel lieferten f ü r die ausführliche Detailgesetzgebung des Bb. "2 Um den Nachweis einer ursprünglich dekalogischen Anordnung des Bundesbuches zu erbringen, muß J.w.ROTHSTEIN allerdings zahlreiche Umstellungen vornehmen, er läßt - wie B.BAENTSCH treffend bemerkt hat - "keinen Stein auf dem anderen" und kann vor allem nicht erklären "wie eine solche Unordnung in das Bb. gekommen sei..., ganz abgesehen ... davon, dass er es unterlässt, einen grundlegenden Beweis für die Priorität

1 Vgl. auch den Forschungsüberblick bei J.HALBE, Privilegrecht (1975) 393-413. 2 J.W.ROTHSTEIN, Bundesbuch (1888) 76. Ähnlich auch A.E.GUILDING, Hebrew Law Codes (1948) 43-52, der den Dekalog als Basis der Gesetzessammlungen in Exodus, Levitikus und Deuteronomium ansieht: "each is an orderly exposition of the decalogue, which is the basis of the whole legal system" (ebd. 43). Mit Einschränkung auch G.WILDEBOER, Litteratur [sie!] (1895) 84f; 88. Zum Prinzip einer "dekalogischen Anordnung" von Dtn 12-26 vgl. G.BRAULIK, Die Abfolge der Gesetze in Deuteronomium 12-26 und der Dekalog (1985) 252-272. DERS., Deuteronomium (1986) 12f.

4

Struktur des Bundesbuches

des Dekalogs vor dem Bb., die er als selbstverständlich vorauszusetzen scheint, zu erbringen".3 Andere sehen im Bundesbuch eine nach Pentaden und Dekaden angelegte Ordnung. 4 Aber auch dagegen hat bereits B . B A E N T S C H begründete Bedenken angemeldet und sich insgesamt dagegen ausgesprochen "von dieser formellen Position aus Vermuthungen über redactionelle Veränderungen, Umstellungen und dergl. zu erheben". 5

2.1.2.

Der literarkritische

Ansatz

Ein zweiter, literarkritisch orientierter Ansatz geht bei der Frage nach der dem Bundesbuch zugrundeliegenden Ordnung von dem Grundsatz J . W E L L H A U S E N s aus "von Natur gehört wie das jus so auch das fas zusammen"6 und konstatiert im Bundesbuch keine Ordnung, sondern eine durch "Hereinspielen von Zufälligkeiten und Unglücksfällen" 7 entstandene Unordnung: "Zu Tag liegt die Beschädigung des fas. Es ist auf zwei Orte zerteilt 20,24-26 und 22,17-23,19. ... Der jetzige Zustand ist als ursprünglicher undenkbar; es fragt sich nur, ob das fas ursprünglich vor oder nach dem jus stand und was den Anlass zur Zerreissung gegeben haben mag."8 Entsprechend dieser Position stellt man in der Regel Bilderverbot und Altargesetz (20,22-26) zu den anderen kultischen Bestimmungen an das Ende des Bundesbuches und erhält so ein vom jus (21,1-22,16) säuberlich getrenntes fas. Diese Umstellung geht häufig einher mit einer literarhistorischen Erklärung der so deutlich in Erscheinung getretenen Zweiteilung des Bundesbuches. Dabei hält man die kultisch-ethischen Bestimmungen in Ex 20,22-26; 22,17-23,19 - unbeschadet ihres hohen Alters - für einen sekun-

3 B . B A E N T S C H , Bundesbuch (1892) 39. Vgl. auch H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 99f. Nach J.W.ROTHSTEIN, Bundesbuch (1888) 60, hat eine "spätere Redaktion" das ursprünglich wohlgeordnete Bundesbuch in eine "Art von Trümmerhaufen" verwandelt. 4 E . B E R T H E A U , Die sieben Gruppen mosaischer Gesetze (1840) 16-76. A . D I L L M A N N / V . R Y S S E L , Exodus ( 3 1 8 9 7 ) 242. 5 B.BAENTSCH, Bundesbuch (1892) 40. 6 J.WELLHAUSEN, Composition (1876/77) 90. Ebd.: "Das darf man behaupten, wenn man auch sonst keine grossen Ansprüche an die Redaktion eines morgenländischen Gesetzbuches - welches übrigens in diesem Fall keineswegs confus ist - stellen will." 7 H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 99. 8 Ebd. 98f.

Forschungsüberblick

5

dären Zuwachs zum "ursprünglichen und eigentlichen Bundesbuch", dem kasuistischen Teil Ex 21,1(18)-22,16. 9 Hauptvertreter dieser Richtung ist B . B A E N T S C H . Seine Erörterungen zum Verhältnis von jus, fas und ethos sind unter methodologischem Gesichtspunkt aufschlußreich. Er geht von einer ursprünglichen Zweiteilung des Bundesbuches aus: "So wie jetzt haben die beiden Theile allerdings ursprünglich nicht gestanden. Die D"H1"I sind zerrissen. Ein Theil geht den • "'ÜBÜÜ voraus (XX 22-26), ein Theil, und zwar der umfangreichere, folgt ihnen (von XXII 17-XXIII 19). Das ist nicht original. Zusammengehöriges hat ursprünglich auch zusammengestanden;" 10 B . B A E N T S C H stellt die Frage, ob die O^ßSI&O oder die Ο Ή Π ursprünglich den ersten Platz einnahmen. 1 1 Zur Beantwortung dieser Frage stellt er zunächst eine "allgemeine Betrachtung" an:

"Civil- und strafrechtliche Bestimmungen einer Zeit sind immer Ausflüsse des jeweiligen sittlich-religiösen Standpunktes. Letztere spiegelt sich in jenen wieder. ... Die religiöse Idee ist das Primäre, die Ausprägung derselben im Civilgesetz das Secundäre. Diesem thatsächlichen Verhältnis würde es nun entsprechen, dass die Ο Ή Π den O^ÜSÜÜ vorangegangen." 12 Doch diese Annahme läßt sich nach B . B A E N T S C H mit der Kompositionsstruktur des Textes nur schwer in Einklang bringen. Denn "so läßt sich nicht im mindesten begreifen, warum der Schriftsteller, der diesen Gesetzescodex bearbeitete, mit XX 26 die kaum begonnene Reihe der Ο Ή Π abbrechen und plötzlich die D^bStPQ folgen Hess. Dazu zwang keine Ideenassociation, keine praktische Rücksicht, keine Aehnlichkeit im Gedankengange des Dekalogs. Eine solche Reihenfolge documentirte sich von der angenommenen Voraussetzung aus als Gipfel der Gedan9 B . B A E N T S C H , Bundesbuch (1892) 38; 119. J . W E L L H A U S E N . Composition ( 1 8 7 6 / 7 7 ) 89f. L.ROST, Bundesbuch (1965) 255: "Man sollte als das Bundesbuch nur die kasuistischen Stücke ansehen ...." 10 B.BAENTSCH, Bundesbuch (1892) 36. 11 Nach B . B A E N T S C H , ebd. 28-33, bezog sich die Überschrift D ^ Ü S D O n Π 1 ?« aus 21,1 ursprünglich nur auf den kasuistischen Teil des Bundesbuches. Der zweite Teil stand möglicherweise unter der Bezeichnung • " ' I D T . In der Charakterisierung von D^QSÜO und 0 Ή Π durch B . B A E N T S C H , ebd. 34. klingt die von A .ALT, Ursprünge (1934), entworfene Typologie von apodiktischem und kasuistischem Recht schon deutlich an. Vgl. dazu Kap. 5.2.2, S. 299f. Anm. 2. 12 B . B A E N T S C H , Bundesbuch (1892) 37.

6

Struktur des Bundesbuches kenlosigkeit und des litterarischen Unvermögens. Viel eher ist dagegen zu verstehen, wenn der betreffende Schriftsteller die Spitze der auf die Ü^ÖBÜQ folgenden Ο Ή Π abbrach und sie vor die •"'ÖSÜO setzte. E r wollte die Gesetzgebung nicht mit Sklavengesetzen, sondern mit wichtigeren d.h. in diesem Falle religiösen Bestimmungen eröffnet sehen. Im Uebrigen suchte er die ursprüngliche Anlage zu wahren. Für seinen Zweck genügte es vollkommen, E x . X X 22-26 an die Spitze zu setzen. ... Ich halte also dafür, dass dem Autor, der das Bb. aufnahm und zu dem Zwecke bearbeitete, das Bb. in einer Recension vorlag, die die Ο Ή Π auf die •"'ÖBÜO folgen Hess. So hätten denn freilich die • "'taSt&avor den Ο Ή Π gestanden." 1 3

Diese Anordnung allerdings widerspricht dem eingangs von B . B A E N T S C H aufgestellten Grundsatz: "Die religiöse Idee ist das Primäre, die Ausprägung derselben im Civilgesetz das Secundare." 1 4 Demnach hätten die ΟΉΙΠ als Inbegriff der religiös-sittlichen Forderung an erster Stelle, die zivil- und strafrechtlichen Bestimmungen der 0"Ό3Ε?ΰ als Ausprägung derselben an zweiter Stelle stehen müssen. Daß dem nicht so ist, erklärt B.BAENTSCH mit dem Hinweis darauf, "dass wir es hier mit einem orientalischen Gesetzes-Codex zu thun haben, an dessen Redaction man in logischer Hinsicht keine so hohen Ansprüche erheben darf. Die Orientalen sind eben keine strengen Logiker. Man muss zufrieden sein, wenn in ihren Gesetzen einigermassen Ordnung herrscht, und das ist im Ganzen im vorliegenden Codex der Fall." 1 5 Schließlich gibt B . B A E N T S C H für dieses unangemessene Verhältnis der beiden Teile eine zweite, weiterführende, literarhistorische Begründung an: "Die einzelnen Bestimmungen sind nicht auf einmal alle fertig gewesen, und es ist sehr wahrscheinlich, dass die auf das praktische Leben bezüglichen Bestimmungen rechtlicher Art früher codificirt waren als die ethischen Bestimmungen. Letztere haben sich nach und nach angesetzt, daher ihre Stellung am Ende, der unvermittelte Uebergang, der Mangel an planmässiger Anordnung. Unter dieser Voraussetzung ist es auch möglich, dass der Titel der Gesetzgebung ursprünglich in der That nur D^ÚSÜÜ lautete, und dass die angehängten sittlichen Vorschrif13 E b d . 37f. 14 E b d . 37. E b d . 38: "Das ist dem zwischen allerdings nicht angemessen ...". 15 Ebd. 38.

beiden Theilen

obwaltenden

Verhältnis

Forschungsüberblick

7

ten unter diesen Titel subsumirt wurden. Für letztere wäre dann erst vom Redactor der Titel ΟΉΙΠ geschaffen worden, der ursprünglich auf den Dekalog bezogen von dem Redactor auf diese übertragen wurde. ... Demnach wäre denn auch die oben vorgetragene Ansicht, dass das Bb ursprünglich auf Zweitheilung angelegt sei, in Bezug auf das »ursprünglich« zu modificiren." 16 Die von B.BAENTSCH aufgestellte These zum zeitlich und literarisch primären Charakter der O^ÜBOö gegenüber den Ο Ή Π verdient Beachtung, weil sie seinem eingangs aufgestellten Grundsatz "Die religiöse Idee ist das Primäre, die Ausprägung derselben im Civilgesetz das Secundäre" 17 widerspricht. Es spricht für die Analyse von B.BAENTSCH, wenn er diesen Grundsatz offen ausspricht, nicht weiter reflektiert und nicht zurücknimmt, sondern den Widerspruch zum literarischen Befund des Bundesbuches in der mangelnden Logik der Orientalen sieht. Für den Exegeten B.BAENTSCH gewinnt hier der literarische Befund des Bundesbuches das ihm gebührende Übergewicht.

2.1.3.

Der überlief

erungsgeschichtliche

Ansatz

Ein dritter, primär überlieferungsgeschichtlich orientierter Ansatz kommt unter literarhistorischem Gesichtspunkt zu einem dem literarkritischen Ansatz genau entgegengesetzten Textentstehungsmodell: Der kasuistische Teil Ex 21,1-22,16(19) stellt nicht den überlieferungsgeschichtlichen Kern des Bundesbuches dar, sondern wurde - unbeschadet seines hohen Alters - sekundär in den ursprünglichen, wenngleich durchaus gewachsenen Zusammenhang kultisch-ethischer Bestimmungen Ex 20,22-26; 22,17(20)23,19 eingesetzt. 18 In Absetzung vom literarkritischen Modell hat als einer der ersten R.H.PFEIFFER diesen Ansatz vertreten: "If, as some critics maintain, the civil legislation of Ex.21-22 constituted the original kernel of the Covenant Book, to which the ritual and humanitarian prescriptions were gradually added, the absence of editorial material in Ex.21,2-22,16 has no explanation. It seems obvious that this body of civil legislation was preserved independently and obscurely without much change, 16 Ebd. 38. Vgl. ebd. 119. 17 Ebd. 37. 18 R.H.PFEIFFER, Transmission (1931). W.BEYERLIN, Paränese (1965). B.S.CHILDS, Exodus (1974) 458.

8

Struktur des Bundesbuches except through the accidents of manuscript transmission, until it was incorporated by a late editor into the collection of ritual and humanitarian prescriptions... ."19

Innerhalb der "ritual and humanitarian prescriptions" bilden nach "the ritual sections rather than the humanitarian ... the framework and original kernel of the Covenant Book." 20 Unter bundestheologischem Vorzeichen hat auch W.BEYERLIN diesen Ansatz vertreten. 2 1 J.HALBE hat ihn aufgegriffen und kompositionskritisch untermauert. 2 2 R.H.PFEIFFER

2.1.4.

Der f ormgeschicht

lie he

Ansatz

Eine vierter, primär formgeschichtlich orientierter Ansatz versucht, das vielfältige Material und die komplexe Struktur des Bundesbuches durch einen formgeschichtlichen Zugang in den Griff zu bekommen. 2 3 Einer der ersten Vertreter dieser Richtung ist A.JEPSEN. In seiner von A .ALT angeregten Promotionsschrift aus dem Jahre 1927 finden sich die grundlegenden Beobachtungen, denen A.ALT sieben Jahre später in seinem Aufsatz "Die Ursprünge des israelitischen Rechts" zum forschungsgeschichtlich bis heute anhaltenden Durchbruch verholfen hat. Methodologisch geht A.JEPSEN in seiner Arbeit von dem Grundsatz aus: Formal gleiche und inhaltlich ähnliche Sätze gehören ursprünglich zusammen. Nach diesem Kriterium unterscheidet er vier Quellen, aus denen der Redaktor des Bundesbuches bei der Abfassung seines Werkes schöpfte: 2 4 1. Das Hebräer-Gesetz. 2. Altisraelitische Rechtssätze. 3. Altisraelitische Sittengebote. 4. Ein israelitisches Kultgesetz.

19 20 21 22 23

R.H.PFEIFFER, Transmission (1931) 101. Ebd. lOlf. W.BEYERLIN, Paränese (1965). Vgl. dazu Kap. 5.2.5.1, S. 332-334. J.HALBE. Privilegrecht (1975) 391-505. Dazu mehr in Kap. 2.1.5.1, S. 11-15. A.MENES, Die vorexilischen Gesetze (1928) 39-41. P.HEINISCH, Exodus (1934) 274280. G.BEER, Exodus (1939). H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946). 24 A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 96-99.

Forschungsüberblick

9

Das sogenannte Hebräer-Gesetz25findet A.JEPSEN in Ex 21,2-22,19.26 Innerhalb dieses Teiles fallen die partizipial formulierten Rechtssätze in Ex 21,12-17, die Talionsformel in Ex 21,23-25 und Ex 22,17-19 aus formalen Gründen heraus, so daß für das Hebräer-Gesetz noch diejenigen Rechtssätze verbleiben, die A .ALT später als "kasuistische Rechtssätze" bezeichnet hat. 27 A.JEPSEN macht nun die Beobachtung, daß zu diesen Rechtssätzen, "und zwar nur zu ihnen, sich Parallelen in den anderen altorientalischen Gesetzen finden, die sich nicht nur auf die Sache, sondern auch auf die Form erstrekken." 28 Hier hat der Redaktor des Bundesbuches "ein anderes, schon vorhandenes altorientalisches Gesetz als Quelle" 29 übernommenen, durch die Bestimmungen Ex 21,26; 22,9-12 ergänzt, in Ex 21,6 durch V.6aßY erweitert, 3 0 in Ex 21,13f.31 überarbeitet und in Ex 21,12.15-17.23b-25 und Ex 22,17-19 durch eigene Gesetze ersetzt. "Völlig frei ohne Anlehnung an ein Vorbild arbeitet der Redaktor in diesem Abschnitt des Bb. nur 21,13f., 31".31 Die zweite Quelle, aus der der Redaktor des Bundesbuches schöpfte, sind die von A.JEPSEN so genannten israelitischen Mischpatim. Dazu rechnet er die partizipial formulierten Rechtssätze in Ex 21,12.15-17; 22,18 und die Talionsformel in Ex 2l,23b-25?2 Diese Rechtssätze weichen in der Form so stark von den kasuistisch formulierten Rechtssätzen ab, daß sie nicht auf das Konto des Bundesbuchredaktors geschlagen, sondern einer eigenen Quelle zugerechnet werden müssen. 33 Denn hätte der Redaktor hier selbständig formuliert, dann hätte er sich in der Formulierung stärker der kasuistischen Form der Rechtssätze des Hebräer-Gesetzes angepasst, wie seine Erweiterungen in Ex 21,26; 22,9-12 und seine Überarbeitungen in Ex21,13f.31 zeigen. A.JEPSEN sieht formale und inhaltliche Beziehungen von Ex 21,12.15-17; 22,18 zu Dtn 27,15-26 und äußert die Vermutung, daß beide Listen "auf eine Sammlung alter israelitischer Gesetze" zurückgehen. 34 Für die Entstehung dieser Gesetze kommt A.JEPSEN in eine

25 A.JEPSEN, ebd. 55, spricht hierbei auch von "hebräischen Mischpatim". 26 D i e Trennlinie zwischen dem ersten und zweiten Teil des Bundesbuches verläuft nach A.JEPSEN, ebd. 55, nicht zwischen 22,16 und 22,17, sondern zwischen 22,19 und 22.20. 27 Ebd. 55f. 28 Ebd. 57. 29 Ebd. 58. 30 A.JEPSEN. ebd. 26f, gibt V.6aß als Einschub an, meint aber wohl V.6aßY: Í EP i¡"II

π ητ τ &ΓΓ—τ τ κν i s ηττη-^Ν. ν ν ν 31 Ebd. 73. 32 Ebd. 82: "22,17 und 19 sind nicht ohne weiteres einer der beiden Gruppen zuzusprechen." Ebd. 57 aber rechnet A.JEPSEN Ex 22,19 dieser Gruppe, nämlich Ex 21,12.15-17; 22,18, zu, und ebd. 87 rechnet er Ex 22,17 der Gruppe der religiösen und sittlichen V e r b o t e Ex 22,20.27; 23,8a.9a zu. 33 Ebd. 57. 34 Ebd. 84.

10

Struktur des Bundesbuches

sehr frühe Zeit, den "Beginn der Richterzeit, wahrscheinlich noch früher". 35 Denn bei der Redaktion des Bundesbuches in der Richterzeit müssen diese Sätze schon so fest in Israel eingewurzelt gewesen sein, "dass man sie unverändert in das neue Gesetz übernehmen konnte, oder vielleicht sogar musste." 36 Zur dritten Quelle der Bundesbuchredaktion rechnet A.JEPSEN die religiösen und sittlichen Verbote in Ex 22,17.20.27a.27b; 23,3.7a.8a. 9a. Aufgrund rhythmischer Formulierung vermutet er als Hintergrund dieser Verbote mündliche Überlieferung. 38 Unter Hinweis auf den Dekalog hält er auch diese Sätze für sehr alt. Sie reichen in eine Zeit zurück, "in der Recht und Sitte noch gar nicht getrennt waren." 39 Zur vierten Quelle der Bundesbuchredaktion rechnet A.JEPSEN eine Reihe kultischer Bestimmungen. Hierbei nimmt er größere Umstellungen vor und gelangt zu folgender Reihenfolge: "1) 23,4, 5,10-12. Humane Bestimmungen. 2) 23, 13b. Verbot, andere Götter zu ehren. 3) 23, 14-16. Kultuszeit. 4) 23,17, 15, 18,19b, 19a; 22, 28-30. Kultusgaben und Opfervorschriften. 5) 20, 23-26. Kultusort." 40 "Für das Alter des Kultusgesetzes gilt als terminus ante quem die Entstehung des Bb., als terminus post quem wahrscheinlich die Einwanderung in Palästina ... Darauf deuten die Ackerbaufeste, darauf auch die Verbote fremder, also wohl kanaanäischer Opfersitten. Es lässt sich am besten aus der Zeit bald nach der Einwanderung verstehen. Israel hat sich eingelebt, hat den Ackerbau angenommen, ist aber in der Gefahr, auch kanaanäischen Gottesdienst und Kultusgebräuche zu übernehmen. So ist das Kultusgesetz die erste Frucht der Auseinandersetzung mit der kanaanäischen Kultur." 41 Zusammenfassend Bundesbuches so dar:

35 36 37 38 39 40 41

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

85. 87. 88. 90. 95.

stellen sich nach A.JEPSEN die vier Quellen des

Forschungsüberblick

11

"Das H e b r ä e r - G e s e t z ist in Palästina zu Hause. Das Kultusgesetz gilt f ü r eine ackerbautreibende Bevölkerung. Die israelitischen Rechtssätze aber und Sittengesetze stammen möglicherweise aus der »Wüstenzeit«; wenigstens Hess sich nicht beweisen, dass sie erst in Palästina formuliert sind." 4 2 Aus diesen vier Quellen hat ein Redaktor das Bundesbuch "verfaßt", oder besser gesagt: zusammengestellt. 4 3 Dabei hat er im ersten Teil, dem "Hebräer-Gesetz", stärker aber noch im zweiten Teil des Bundesbuches eine ganze Reihe von Erweiterungen und Bearbeitungen hinzugefügt. 4 4 A u s diesen Erweiterungen heraus gibt sich der Redaktor als "ein Glied der israelitischen Priesterschaft" zu erkennen, der in der "Richterzeit zwischen Josua und Samuel" sein Werk "in Palästina" geschrieben hat. 4 5

2.1.5.

Der kompositionskritische

Ansatz

Ein fünfter, primär kompositionskritisch orientierter Ansatz geht vor einer literarkritischen oder überlieferungsgeschichtlichen Analyse der Frage nach, wie der Text auf der überlieferten E n d s t u f e funktioniert. Erst im Anschluß an eine synchrone Strukturananlyse f r a g t man zurück nach möglicherweise vorhandenen Schichtungen innerhalb der zunächst synchron herausgearbeiteten Struktur. J.HALBE und E . O T T O haben diesen Ansatz auf das Bundesbuch angewandt, sie sind allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen.

2.1.5.1.

Jörn Halbe

(1975)

J.HALBE, der sich intensiv mit Ex 34 beschäftigt hat, analysiert das Bundesbuch aus privilegrechtlicher Perspektive. 4 6 Seine bereits von vielen rezipierte 4 7 gründliche Strukturanalyse versucht, "das Grundgerüst ... des 42 Ebd. 97. 43 A.JEPSEN spricht ebd. 96 von "Redaktion", ebd. 99 von "Verfasser des Bb ", ebd. 98 von "Bearbeiter". D i e Bezeichnung "Verfasser" bringt zum Ausdruck, daß dieser die uns im heutigen Umfang vorliegende Größe "Bundesbuch" erstmals geschaffen hat; der Ausdruck "Bearbeiter" gibt an, daß er bei dieser Tätigkeit die ihm vorgegebenen Quellen bearbeitet hat. 44 Ebd. 96f. Vgl. auch die ebd. 1-12 abgedruckte Übersetzung. 45 Ebd. 98f. 46 J.HALBE, Privilegrecht (1975) 391-505. 47 Vgl. H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1 9 8 4 ) 120f. G.WANKE, Art. Bundesbuch, in: T R E 7 (1981) 413f. N.LOHFINK, Verbindung des gesellschaftlichen Willens (1983) 69f.

12

Struktur des Bundesbuches

Bundesbuch-Aufbaus nach ausschließlich textimmanent erhobenen Kriterien sichtbar zu machen." 48 Dabei arbeitet er eine planvolle, das Bundesbuch umgreifende Komposition heraus, die ihr Zentrum in Ex 22,19 hat: 4 9 (A) 20,22-26

Überschrift 21,1: "Dies sind ..." (B) 21,1-11

BILDER/ALTAR

MISCHPATIM I

Rahmung: 21,12-17/22,17-19 (C) 21,12-22,19

MISCHPATIM II

Mitte:

22,19

Opfer allein fürJHWH

Rahmung: 22,20/23,9 (D) 22,20-23,9

SAMMLUNG »GER«

(E) 23,10-12

SABBAT

Uberschrift 23,13: "Und alles, was ich euch jetzt sage ..." (F) 23,13-19 FESTE/OPFER "Was sich ergibt, ist ... ein sechsfach gegliedertes Ganzes. Im Zentrum stehen zwei nach Umfang, Inhalt und Satzstil verschiedene, aber jeweils durch Rahmung zusammengeschlossene Hauptteile: das Korpus im heutigen Text (C.D). Darum lagern sich je zwei Rahmenteile, deren Anordnung offenbar nach Gesichtspunkten sachlicher Symmetrie erfolgt ist: Die Freilassungsgesetze 21,2-11 mit der Grundkondition 6-jähriger DienstO.KAISER, Einleitung ( 5 1 9 8 4 ) 69. J.SCHARBERT, Jahwe im frühisraelitischen Recht, in: E . H A A G , Gott, der einzige (1985) 173-177. H . N I E H R , Rechtsprechung (1987) 52. F . C R Ü S E M A N N , Recht und T h e o l o g i e (1987) 57; 62. D E R S . , Bundesbuch (1988) 33. 48 J.HALBE, Privilegrecht (1975) 422. 49 Ebd. 422f.

Forschungsüberblick

13

zeit und manumissio im je 7. Jahr korrespondieren der Brachjahrvorschrift 23,10-11 (6 Jahre Anbau, im 7. Jahr Wildwuchs), der sich unmittelbar die Ruhetagsbestimmung 23,12 mit ihrem Sechs-Siebenerrhythmus verbindet ( B / E ) ; dem Bilderverbot 20,(22-)23, zusammengestellt mit den Bestimmungen über legitime Altarformen und die gebotenen Opfer sowie mit der Grundsatzerklärung über kultische Heilsnähe Jahwes an Orten, da er seinen »Namen« verkündet (20,24-26), begegnet, dem Verbot zugeordnet, den »Namen« von Fremdgöttern kultisch anzurufen (23,13), die Wallfahrtsfest- und Opferordnung 23,1419 ( A / F ) . Stichworthaft sind diese Sachbezüge vermittelt. in B / E

durch das alliterierende »sechs ..., im siebten ...« (21,2; 23,1011.12);

in A / F durch die Wendung DÇ "Ρ3ΤΠ (20,24b; 23,13) und durch Π3Τ (Π?ΤΏ) (20,24a; 23,18a). In eben diesen Bezügen leuchtet dann aber auch 22,19 nach Stichwort (Π2Τ) und Skopus (Einzigkeit Jahwes): Der Brennpunkt, in dem dieser Vers nach der heutigen Textanlage steht, bestärkt uns in der gegebenen Erklärung seiner eigentümlichen, feierliche Schwere suchenden Gestalt." 5 In einem zweiten Schritt fragt J.HALBE nach Schichtungen innerhalb dieser Komposition. Dabei arbeitet er einen Grundzusammenhang heraus, der Ex 20,22-26; 22,20aa.22b.24-30; 23,l-7(8)10-12a.l3; 23,14-19 umfaßt. 5 1 Dieser Grundzusammenhang des Bundesbuches weist folgende Struktur auf: 5 2 —20,22-26: Altargesetz (I) 22,20aa.22b.24-30 (II) 23,1-7.(8).10-12a.l3 —23,14-19: Wallfahrtsfeste und Opfervorschriften Innerhalb dieses Grundzusammenhanges ermittelt J.HALBE eine Grundschicht ("A-Schicht"), die Ex20,24aa.26a + 22,27-29 + 23,10-12a + 23,14-19 umfaßt. 5 3 Diese Grundschicht des Bundesbuches erscheint "als eine im Traditionsstand weiterentwickelte, insofern jüngere, aber nicht 50 51 52 53

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

421f. Zur Interpretation von Ex 22,19 vgl. ebd. 417f. 439. 438. 448.

14

Struktur des Bundesbuches

literarisch abhängige Parallele zum Privilegrecht, wie es uns die Bundesworte überliefern. Dabei ist die Annahme einer dritten, beiden Texten gemeinsam zugrundeliegenden Urfassung nicht nötig." 54 Dieser Grundschicht ging eine der Tradition von Ex 23,23f.31b-33 entsprechende Einleitung voraus. 5 5 Die privilegrechtlich strukturierte Grundschicht wird in einer "Ausbaustufe I" durch Hinzufügung von 22,20aa.22b.24-26.30; 23,1-7(8).13 fortgeschrieben. 5 6 Dem Bearbeiter ging es darum, "aus der Α-Schicht und seinem eigenen Material einheitlich ein Privilegrecht Jahwes zu gestalten." 57 Dabei werden die alten Schutzrechte zum konstitutiven Bestandteil des Privilegverhältnisses erklärt. Auf der Ebene der Ausbaustufe I war das Bundesbuch ein Dokument, "das als autoritativer Text durch mündlichen Vortrag öffentlich zur Kenntnis gebracht und eingeprägt wurde. ... der Vortrag muß in kultischem Rahmen als Verkündigung geschehen sein." 58 Die Integration des kasuistischen Teils Ex 21,1-22,19 in das privilegrechtlich strukturierte Bundesbuch geschah in der nächstfolgenden "Ausbaustufe II". Damit wurde das Bundesbuch zu einem Rechtsbuch, und zwar zum "Rechtsbuch der Jahwegemeinschaft". 59 Dabei wurde die hinter Ex 23,23f.31b-33 stehende Tradition zu Ex 23,20-27.31b-33 erweitert und an das Ende des so entstandenen Rechtbuches gestellt. 60 Die Gestaltung dieses Rechtsbuches vollzog sich selbst auf privilegrechtlicher Grundlage. Sie bringt dies zum Ausdruck, indem sie dessen Mitte in dem zentralen, "den Einzigkeitsanspruch Jahwes feierlich" 61 explizierenden Satz 22,19 markiert und hier den "zentralen Gedanken" der Gesamtkonzeption zusammenfaßt: "ini 1 ? ΓΠΓΡ1?".62 J.HALBE kommt das Verdienst zu, das Bundesbuch nach streng kompositionskritischen Gesichtspunkten analysiert zu haben. Die Herausarbeitung eines inneren (21,2-11/23,10-12) und äußeren (20,22-26/23,13-19) Rahmens und die aufgewiesenen Stichwortverbindungen (ΓΏΤ/ΓΟΤΰ) deuten auf eine in der Tat kohärente Struktur des Endtextes hin. Dennoch ergeben sich einige Fragen und Bedenken. Die von J.HALBE so stark betonte strukturell und thematisch zentrale Stellung von Ex 22,19 verliert an Gewicht, wenn man sieht, daß von 22,19 sowohl aus text- als auch aus literarkritischen Gründen nur V.19a Ο^ΓΡ D^rf^N^ Π2Τ ursprünglich 54 55 56 57 58 59 60 61 62

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

449f. 500. Vgl. dazu Kap. 5.2.11, S. 406-414. 451; 459. 454. 455. 477. 500. Vgl. dazu Kap.5.2.11, S. 406-414. 418. 499.

15

Forschungsüberblick

ist. 6 3 Ferner ist zu fragen, ob es sich bei der von J.HALBE herausgearbeiteten Struktur um eine primäre oder eine sekundäre Struktur handelt. J.HALBE rollt die Entstehungsgeschichte des Bundesbuches von einem strukturellen Grundgerüst her auf. Ist dieses Grundgerüst aber ohne weiteres identisch mit der Grundsubstanz? Hier wird weiter zu fragen sein. Nach J.HALBE wurde der kasuistische Teil des Bundesbuches im Hinblick auf seine Integration in das privilegrechtlich strukturierte Bundesbuch ν erf aßt. Damit ist der kasuistische Teil gleichsam von Geburt an Gottesrecht. 6 4 Wird J.HALBE mit dieser Interpretation dem, was man zur Entstehung und Funktion kasuistischer Rechtssätze und Rechtsbücher ermitteln kann, gerecht? Wie erklärt sich bei dieser Interpretation das Verhältnis vom kasuistischen Teil des Bundesbuches zu anderen altorientalischen Rechtsbüchern? Mir scheint, daß die privilegrechtliche Interpretation des Bundesbuches bei J.HALBE nur möglich ist, weil er den kasuistischen Teil in seiner Analyse nicht berücksichtigt. 65

2.1.5.2.

Eckart

Otto

(1988)

Nach E.ÜTTO setzt sich das vordeuteronomistische Bundesbuch aus zwei ursprünglich selbständigen redaktionellen Sammlungen zusammen. Die erste redaktionelle Sammlung umfaßt Ex 21,2-22,26 und weist folgende chiastische Struktur auf: 6 6

63 Zur Textkritik

N.LOHFINK,' Art.

ΟΊΠ. in: ThWAT - 1

III,

193.

Nach

E.OTTO.

Rechtsbegründungen (1988) 5; 6f; 9, ist V.19b eine dcuteronomistischc Erweiterung. Vgl. dazu Kap. 5.2.4.1, S. 316f 64 So auch H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1984) 121; 124 (siehe Kap. 4.4.8, S. 282) im Anschluß an J.HALBE. 65 Als Reaktion auf W.BEYERLIN, Paränese (1965), schreibt L.ROST, Bundesbuch (1965) 17f: "Auch ich selbst sprechc mich von einer Schuld nicht frei. Und doch möchte ich heute zu einer Revision dieser Ansicht wenigstens insofern auffordern, als die Beschäftigung mit dem kasuistisch formulierten Recht mir dringend notwendig erscheint." 66 E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 9f. Im folgenden Schaubild bedeuten: doppelte Rahmung = ursprünglich selbständige Sammlung; einfache Rahmung = vom Redaktor zusammengestellte Rechtssätze. Vgl. ebd. 40.

16

Struktur des Bundesbuches

21,2-11 Gesetze zum Schutz der Sklaven 21,12-17 Reihe todeswürdiger Verbrechen 21,18-32 Gesetze bei Verletzung körperlicher Integrität 21,33-22,14

jcsällem

-Gesetze

22,15f Gesetze bei Verletzung körperlicher Integrität 22,17-19a Reihe todeswürdiger Verbrechen 22,20aa-26abaß Gesetze zum Schutz der Fremdlinge und Armen Den Kern dieser redaktionellen Sammlung bilden die j esâllem-Gesetze in 21,33-22,14. Darum lagert sich je eine Sammlung von Gesetzen zum Thema "Verletzung der körperlichen Integrität" in 21,18-32 und 22,15f. Diesen kasuistischen Gesetzen ist jeweils eine apodiktische Gesetzesreihe todeswürdiger Verbrechen in 21,12-17 voran- und in 22,17-19a nachgestellt. "Der apodiktischen Reihe in Ex XXII12-17 sind in Ex X X I 2-11 die sozialen Schutzbestimmungen der Sklavengesetze vorangestellt und der apodiktischen Reihe in Ex X X I I 17-19a Gebote zum sozialen Schutz der Fremdlinge und Armen in Ex X X I I 20aa.22.24a.25.26* nachgestellt. Die direkte Anrede in Ex X X I 2 will die kasuistische Gesetzesformulierung in Ex X X I 2 - 1 1 an die prohibitiv-injunktiven Formulierungen in Ex X X I I 20aa26abaß angleichen und dient der redaktionellen Verklammerung der sozialen Schutzbestimmungen in Ex X X I 2 - 1 1 mit denen in Ex XXII20-26*." 6 7

67 Ebd. 9.

Forschungsiiberblick

17

Die Sammlung offenbart ihr theologisches Profil in dem vom Redaktor gestalteten Abschluß in 22,26b: 3 Ν f ¡I 3Π _ , , 3. 6 8 Diese Formel ist Ausdruck der JHWH-Königs-Theologie und weist auf einen kultischen Sitz im Leben. "In dieser Redaktion wird der große und großartige Versuch erkennbar, eine auseinanderstrebende und -fallende Gesellschaft unter dem Gedanken Gottes als des barmherzigen Königsgottes wieder zusammenzufassen. Dem Redaktor ging es wohl um sehr viel mehr, als um eine Zusammenfassung der verschiedenen Rechte in einer Gesetzessammlung. Es ging um die Einheit der israelitischen Gesellschaft als cäm JHWH ..., die die Schwächsten mit einschließt." 69 Die Heimat dieses Redaktors sieht E . O T T O aufgrund der engen Verwandtschaft zwischen seiner Theologie und der von Ps 15 und Ps24 in der Jerusalemer Priesterschaft: "Nichts spricht dafür, in dieser Sammlung Oppositionskreise am Werk zu sehen - alles aber dafür, sie in der Jerusalemer Priesterschaft zu beheimaten, die alles andere als eine Funktionärskaste herrschender Interessen war, sondern Verantwortung auch gerade f ü r die Armen in der Gesellschaft trug." 70 Die zweite redaktionelle Sammlung umfaßt nach 23,12 und ist ebenfalls chiastisch strukturiert: 7 1

68 69 70 71

Im folgenden referiere ich E . O T T O , ebd. 40-44. Ebd. 43f. Ebd. 44. Ebd. 10.

E.OTTO

Ex

22,27-

18

Struktur des Bundesbuches

r

22,28f Gebote der Aussonderung für JHWH

23,1-3 Gesetze zur Sicherung der Rechtsinstitution

23,4f

Gebote

der Solidarität

mit dem

Feind

23,6-8 Gesetze zur Sicherung der Rechtsinstitution

23,10-12 Gebote der Aussonderung für JHWH Die Reihe prozeßrechtlicher Gesetze 23,1-3 und 23,6-8 umschließt ein Gebot zur Konfliktbegrenzung und Solidarität mit dem Feind in 23,4f. Darum legt sich eine Sammlung von Sakralgeboten der Aussonderung für Jahwe in 22,28f und 23,10-12. "Das Sakralrecht des hoheitlichen Anspruches Gottes auf Mensch und Natur umgreift also das Profanrecht, das so unter JHWHs Herrschaft gestellt wird. EX X X I I 2 7 ist ursprüngliche oder später redaktionell hinzugesetzte Einleitung dieser Sammlung.""2 Kennzeichen der zweiten redaktionellen Sammlung 22,28-23,12 ist nach E.OTTO die Zusammenbindung von fas, jus und ethos. "Mit der Theologisierung des Prozeßrechts durch Einbindung in die sakralen Aussonderungsgebote werden Sakral- und Profanrecht auf JHWH als gemeinsame Rechtsquelle zurückgeführt." 74 Für die Frage nach dem historischen Ort des Redaktors ist die Beobachtung entscheidend, daß die Sammlung 22,28-23,12 zwischen der Sakralrechtsüberlieferung Ex 34,10-26* und den Gesetzesüberlieferungen des Deuteronomiums steht. 7 5 Damit ergibt sich als terminus a quo für die Redaktion der Sammlung das 8. Jahrhundert.

72 73 74 75

Ebd. Ebd. 50. Ebd. 49. Ebd. 50.

Forschungsüberblick

19

"Im Gegensatz zu der Rechtssammlung Ex XXI 2 - XXII 26 wird das Recht nicht durch eine JHWH-Königstheologie, sondern durch eine im Alleinverehrungsanspruch JHWHs begründete Aussonderungstheologie theologisch legitimiert. Die vom Redaktor formulierten und die ihm vorgegebenen Aussonderungsgebote wie auch die Forderung der Feindessolidarität in Ex XXIII 4f. sind an bäuerlichen Erfahrungsfeldern orientiert. Im Gegensatz zur Jerusalemer Redaktion von Ex X X I 2 XXII26 ist die Redaktion von Ex XXII28 - XXIII12 in landpriesterlichen oder levitischen Kreisen Judas zu vermuten." 76 Sowohl Ex 21,2-22,26 als auch Ex 22,28-23,12 waren also vor ihrer Zusammenstellung selbständige redaktionelle Sammlungen mit einem eigenständigen theologischen Profil. Das Bundesbuch ist nun nach E.OTTO durch die Zusammenstellung dieser beiden ursprünglich selbständigen Rechtssammlungen entstanden. 7 7 "Der Redaktor von Ex X X I 2 XXIII12 vermag dieser Sammlung ein deutliches Eigenprofil zu geben, ohne verändernd in die vorgegebenen Überlieferungen einzugreifen. 7 8 Dies gelingt ihm dadurch, daß er die Gesetze zum Schutze des Sklaven und der Sklavin in 21,2-11 und die Gebote der Aussonderung für Jahwe in 23,10-12 als große, Ex 21,12-23,8.(9) umfassende Klammer strukturiert: 7 9

76 77 78 79

Ebd.SOf. Ebd. 52. Ebd. 52. Vgl. ebd. 91, Anm. 187. D i e folgende Tabelle ebd. 53.

20

Struktur des Bundesbuches

Gesetze

zum Schutz

der Sklaven

(21,2-11)

Reihe todeswürdiger Verbrechen (Ex 21,12-17)

Gesetze bei Verletzung körperlicher Integrität (21,18-32) jemietn-Gesetze

(21,33-22,14)

Gesetze bei Verletzung körperlicher Integrität (22,15f)

Reihe todeswürdiger Verbrechen (22,17-19a)

Gesetze

zum Schutz

der Fremdlinge

Gebote

der Aussonderung

für JHWH

und Armen

(22,20-26*)

(22,28f)

Gesetze zur Sicherung der Rechtsinstitution (23,1-3)

Gebote der Solidarität mit dem Feind (23,4f)

Gesetze zur Sicherung der Rechtsinstitution (23,6-8)

Gebote

der Aussonderung

für JHWH

(23,10-12)

"Die Sklavengesetze in Ex XXI2-11 erhalten durch die redaktionelle Verküpfung mit den sakralen Aussonderungsgeboten in Ex XXIII10-12 einen gegenüber der vorgegebenen Sammlung Ex X X I 2 - XXII 26 neuen theologischen Begründungszusammenhang. In der ursprünglich selbständigen Sammlung Ex XXI2 -

Forschungsüberblick

21

XXII26 sind die Sklavengesetze im universalen Königtum JHWHs als des Rechtshelfers der sozial Schwachen begründet. ... Nunmehr aber werden die Sklavengesetze in den Horizont der sozial gewendeten Aussonderungsgebote Ex XXIII10-12 gerückt." 8 " Darin schließt sich die Endredaktion des Bundesbuches der Theologie der Sammlung 22,28-23,12 an: "Das Motiv des göttlichen Königtums, das die theologische Rechtsbegründung der Sammlung Ex XXI 2 - XXII26 trägt, wird ... nicht aufgenommen, sondern durch die Struktur der chiastischen Entsprechungen Ex XXI2-11/XXIII10-12 und Ex XXII 20-26*/XXII 28f. geradezu eingeklammert. An die Stelle der JHWH-Königstheologie treten nun die sakralen Aussonderungsforderungen als Begründung der sozialen Schutzgebote. Die Jerusalemer Theologie in Ex XXI 2 - XXII 26 wird also in der Endredaktion des Bundesbuches nicht fortgesetzt." 8 1 Die von E.OTTO herausgearbeitete "recht klare und einfache Struktur" 82 ist in der Tat beeindruckend. Durch die Unterscheidung von ursprünglicher und redaktioneller Sammlung kann er einige Inkongruenzen in der Relation der rahmenden Elemente plausibel erklären. 8 3 Dennoch erheben sich einige Bedenken, seiner Analyse in jeder Hinsicht zu folgen. Das erste betrifft die doppelte strukturelle Entsprechung des "Sklavengesetzes" Ex 21,2-11. Auf der redaktionellen Endstufe des Bundesbuches korrespondiert das "Sklavengesetz" 21,2-11 aufgrund des "Sechs-siebenerSchemas" mit den Ruhetag- und Brachjahrbestimmungen in 23,10-12. In der ursprünglich selbständigen Jerusalemer Sammlung 21,2-22,26 dagegen korrespondiert das "Sklavengesetz" 21,2-11 nach E.OTTO mit den Gesetzen zum Schutz der Fremdlinge und Armen in 22,20-26*. Als formales Kriterium führt E.OTTO die direkte Anrede in 21,2 an, die "die kasuistische Gesetzesformulierung in Ex XXI 2-11 an die prohibitiv-injunktiven Formulierungen in Ex XXII 20aa-26abaß angleichen" will und somit "der redaktionellen Verklammerung der sozialen Schutzbestimmungen in Ex XXI2-11 mit denen in Ex XXII20-26*" dient. 8 4 Die Annahme, daß die 2.Ps.Sg. von Π3(?ΓΙ ">3 in 21,2 eine Angleichung an die prohibitiv-injunktiven Formulierungen von 80 81 82 83

Ebd. 52. Ebd. 53. Ebd. 10. So z.B. die strukturelle Relation des aus mehreren Gesetzen bestehenden Abschnittes 21,18-32 mit dem kleinen Gesetz 22,15f. In den Tabellen bei Ε.ΟΤΓΟ, ebd. 9f, wird Ex 22,15f als "Gesetze" (PI.) bezeichnet, es handelt sich aber nur um ein Doppelgesetz. 84 E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 9. Vgl. auch ebd. 35.

22

Struktur des Bundesbuches

22,20-26* sei, scheint mir wenig plausibel zu sein. Wahrscheinlicher ist doch zunächst einmal die Vermutung, daß die 2.Ps.Sg. von 21,2 als Angleichung an das ebenfalls in2.Ps.Sg. gehaltene unmittelbar vorangehende Altargesetz zu verstehen ist. 85 Darüber hinaus wird zu prüfen sein, ob die zweifelsohne sekundäre Anrede einer 2.Ps.Sg. in 21,2 - und an anderen Stellen des Bundesbuches - eine über die strukturelle Angleichung hinausgehende Funktion hat. Fällt aber eine strukturelle Entsprechung von 21,2-11 und 22,20-26 aus, dann bleibt nur noch die strukturelle Entsprechung von 21,2-11 zu 23,10-12 übrig. Diese Entsprechung aber macht es wahrscheinlich, daß auf der Ebene, auf der das "Sklavengesetz" 21,2-11 zum Bundesbuch gehört, auch die Ruhetag- und Brachjahrvorschrift 23,10-12 dazugehören. 86 Damit aber wird die von E.OTTO vorgenommene Abgrenzung von 21,2-22,26 als ursprünglich selbständige Sammlung fraglich. Altargesetz und Festkalender werden in der Strukturanalyse von E.OTTO nicht berücksichtigt. Beide aber korrespondieren auf das engste miteinander. Bilden aber "Sklavengesetz" (21,2-11) und Ruhetag- und Brachjahrbestimmung (23,10-12), Altargesetz (20,24-26) und Festkalender (23,1419) einen inneren und äußeren Rahmen, dann wird die These E.OTTOs, daß im Hinblick auf den Gesamtzusammenhang des Bundesbuches "die beiden Einheiten gerade nicht durch eine sie jeweils übergreifende Redaktion strukturiert sind" 87 fraglich. Damit steht die These, das Bundesbuch sei eine Zusammenstellung zweier ursprünglich selbständiger Sammlungen, zur Disposition.

2.2.

Strukturanalyse

Um die Lektüre dieses Abschnittes zu erleichtern, stelle ich das Ergebnis in Form eines Schaubildes an den Anfang. Das Bundesbuch weist folgende Struktur auf:

85 So A.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 109. H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 1984) 136. F.-L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 181. 86 So auch A.MENES, Die vorexilischen Gesetze (1928) 40. 87 E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 11.

Strukturanalyse

23

19,3-8 Prolog 19,9ff Theophanie 20,Iff Dekalog 20,22aa Redeeinleitung 20,22aß Redeauftrag 20,22b Hinweis auf ergangene Rede (-» Dekalog Ex 20) 20,23 Bilderverbot (Doppelprohibitiv) 20,24-26 Altargesetz: Kultort (DD ΤΟΤΠ) (Π2Τ)

PI. PI. Sg.

21,1 Überschrift 21,2-11 Sklavenfreilassung (6 Jahre - 7. Jahr)

21,12-17 Todeswürdige Verbrechen (Ausnahme V.13) 21,18-32

Verletzung der körperlichen Integrität

21,33-22,14 Haftungen im Bereich der landwirtschaftlichen und handwerklichen Arbeit 22,15f Verführung eines nicht verlobten Mädchens

22,17-19 Todeswürdige Verbrechen

(Π1Τ)

22,20-26 Soziale Gebote 22,27-30 Religiöse Gebote 23,1-9 Soziale Gebote

23,10-12 Brach jähr- und Ruhetaggebot (6 Jahre - 7. Jahr)

23,13a Hinweis auf ergangene Rede 23,13b Fremdgötterverb. (Doppelprohibitiv) (00 TOTTI) 23,14-19 Festkalender: Kultzeit (Π1Τ)

23,20-33 Epilog 24,3-8 Bundesschluß (Ausführung des Redeauftrags von 20,22aß)

PI. Pl.-»Sg. Sg.

24

Struktur der Bundesbuches

Sowohl unter formkritischen als auch unter kompositionskritischen Gesichtspunkten hebt sich der kasuistische Teil des Bundesbuches Ex 21,1822,16 vom Kontext deutlich ab. Von wenigen Ausnahmen abgesehen enthält dieser Teil mehr oder weniger vollständig ausformulierte kasuistische Rechtssätze. Dies gilt auch f ü r die Talionsformel (21,23-25), die zwar in die Anrede einer 2.Ps.Sg. überwechselt (ΠΓΙΓΟ)), die aber gleichwohl die Rechtsfolgebestimmung eines kasuistischen Rechtssatzes bildet. In 21,28ba liegt ein Prohibitiv in 3.Ps.Sg. vor, aber auch dieser ist Bestandteil der Rechtsfolgebestimmung eines kasuistischen Rechtssatzes. Ex 22,8 ist als Generalklausel f ü r widerstreitende Eigentumsansprüche (Vindikationsklausel) im Injunktiv der 3.Ps.Sg. zwischen zwei kasuistische Rechtssätze (22,6.7/22,9.10) eingebunden. So ist es berechtigt, Ex 21,18-22,16 den "kasuistischen Teil" des Bundesbuches zu nennen. Diesem kasuistischen Teil des Bundesbuches geht in Ex 21,12-17 eine Reihe von vier partizipial formulierten Rechtssätzen voraus. Diese vier Rechtssätze bilden untereinander eine kunstvolle Komposition. 8 8 Die Reihe ist unterbrochen durch 21,13.14. Hauptkennzeichen dieser Verse ist die Form der Gottesrede: Die Gottheit redet unter Nennung des Sprecher-Ichs eine 2.Ps.Sg. direkt an. Durch die explizite Gottesrede in 21,13.14 bekommt die kleine Einheit 21,12-17 insgesamt den Charakter einer Gottesrede. Auf der Endstufe des Bundesbuches ist dies aufgrund der Redeeinleitung 20,22aa ohnehin der Fall, im vorliegenden Kontext wird dies durch 21,13.14 verstärkt. Die partizipial ("apodiktisch") formulierten Rechtssätze sind darüber hinaus zur Stilisierung als Gottesrede besonders geeignet, da sie aufgrund ihrer Form als "von der höchsten Autorität eines Rechtskreises gesetzt[es]" 8 9 Recht zu verstehen sind. Auch der Rückverweis des Elterngebotes im Dekalog Dtn 5,16aß auf Ex 21,15.17 "versteht die apodiktischen Rechtssätze als Jahwerede und stimmt darin überein mit dem redaktionellen Einschub Ex 21,13-14." 90 Der Kontextbezug von Ex 21,12-17 kann weiter präzisiert werden. Die Texteinheit hebt sich vom unmittelbar vorangehenden Schuldsklavengesetz deutlich ab. Dies wird durch drei Beobachtungen angezeigt: 1. Das Schuldsklavengesetz Ex 21,2-11 ist kasuistisch formuliert, mit Ex 21,12 dagegen beginnt eine Reihe partizipial formulierter Rechtssätze. 2. Inhaltlich ist Ex 21,12-17 dem Sanktionsrecht, das Schuldsklavengesetz Ex 21,2-11 hingegen dem sozialen Schutzrecht zuzuordnen. 3. Ex 21,12 ist asyndetisch eingeleitet und markiert so deutlich einen Neuanfang. 88 Siehe Kap. 3.1, S. 38f. 89 G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 125. A l s von JHWH erlassene "apodiktische Rechtssätze" führt G.LIEDKE, ebd.. an: Gen 4,15; Ex 19,12b; Num 14,23b; Jes 7,15. 90 F.-L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 70.

Strukturanalyse

25

Zur unmittelbar folgenden Texteinheit hingegen grenzt sich Ex 21,12-17 nicht so stark ab wie zur unmittelbar vorangehenden. Von den drei oben genannten Zäsur-Merkmalen trifft auf das Verhältnis von 21,12-17 zu 21,18ff nur das erste zu: die unterschiedlichen Rechtssatzformen. 21,12-17 ist geprägt durch die Form des partizipialen Rechtssatzes, in 21,18f dagegen liegt die Form des kasuistischen Rechtssatzes vor. Die beiden anderen Zäsur-Merkmale treffen auf das Verhältnis von 21,12-17 zu 21,18f hingegen nicht zu. Sowohl 21,12-17 als auch 21,18f gehören inhaltlich dem Fallrecht an: Im Vordersatz wird ein Tatbestand definiert, dem im Nachsatz eine Rechtsfolgebestimmung folgt. 91 Des weiteren ist 21,18 im Unterschied zu 21,12 syndetisch eingeleitet. Darüber hinaus gibt es eine Reihe lexematischer und semantischer Bezüge zwischen 21,12-17 und 21,18f. Ein erster Bezug liegt in der Tatbestandsdefinition von 21,12.15 und 21,18 vor. In allen drei Fällen geht es um ein mit Π23 bezeichnetes Schlagen. In 21,12 geht es um Tötung, unter der Perspektive von 21,18f gelesen um Körperverletzung mit Todesfolge, 92 in 21,15 und 21,18f geht es um Körperverletzung ohne Todesfolge. 93 Ferner stehen die Rechtsfolgebestimmungen von 21,12.15-17 auf der einen und die Rechtsfolgebestimmung von 21,18f auf der anderen Seite in einem konträren Verhältnis zueinander: In 21,12.15-17 geht es um die Rechtsfolge Tod, in 21,18f um das Freisein von der Blutschuld. 94 Dies legt es nahe, die Syndese von 21,18 als adversative Syndese zu verstehen. Halten wir als vorläufiges Ergebnis fest: Durch Ex 21,13.14 und die partizipiale Form der Rechtssätze Ex 21,12.15-17 ist Ex 21,12-17 als Gottesrede stilisiert. Der Text grenzt sich vom vorangehenden Schuldsklavengesetz deutlich ab, während er auf den mit Ex 21,18f folgenden Text deutlich Bezug nimmt. Dies legt die Vermutung nahe, daß mit Ex 21,12-17 gleichsam eine gottesrechtliche Einleitung des kasuistischen Teiles (21,18-22,16) des Bundesbuches beabsichtigt ist. Wie sieht es am Ende des kasuistischen Teiles aus? Im Rahmen der Kompositionsstruktur des Bundesbuches nimmt Ex 22,17-19 offenbar eine Schlüsselstellung ein. Dies zeigt sich allein schon in der unterschiedlichen Zuordnung dieser Verse zu einem der beiden Teile des Bundesbuches. 95 A.JEPSEN rechnet Ex 22,17-19 zum ersten, J.WELLHAUSEN, B.BAENTSCH, 91 Dies gilt auch f ü r die partizipialen Rechtssätze, die - unbeschadet ihrer Vorgeschichte "zweiteilig, dh mit partizipialem Vorder- und verbalem Nachsatz zu verstehen sind." G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 120. Vgl. dazu Kap. 4.2.7.1.2, S. 216-231. 92 Zur weiteren Differenzierung siehe Kap. 3.2, S. 39f. 93 Beim Schlagen der Eltern in Ex 21,15 geht es nicht - wie H.SCHULZ, Todesrecht (1969) 51, annimmt - um Totschlag. In 21,12 folgt dem Π 3 0 ein ΓΊΏ1, in 21,15 nicht. Darin liegt ein Unterschied zwischen den beiden Fällen. Vgl. auch § 195 Codex Hammurapi. 94 Zu dieser Bedeutung von Π30ΓΙ ¡"l¡?3 vgl. G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 47f. Zur näheren Differenzierung siehe Kap. 4.2.1.1, S. 55f. 95 A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 55.

26

Struktur der Bundesbuches

H . H O L Z I N G E R und B.S.CHILDS rechnen die Texteinheit zum zweiten Teil des Bundesbuches. 96 Im Rahmen einer privilegrechtlichen Grundschicht bildet Ex 22,19 bei J . H A L B E gar das Zentrum des Textes. 97 Es erscheint von daher angebracht, den Kontextbezug von Ex 22,17-19 näher zu untersuchen. Alle drei Sätze dieses Abschnittes sind asyndetisch eingeleitet. V. 17 ist singularisch formulierter Prohibitiv mit vorangestelltem Objekt. Der Form nach liegt hier ein Bezug zu V.20a vor, ebenfalls singularisch formulierter Prohibitiv, allerdings syndetisch eingeleitet. Man hat den Eindruck, als würde in V.17 die Reihe der Prohibitive des zweiten Teils des Bundesbuches präludiert. Stimmt die These B.S.CHILDS·, daß ΓΡΠΓ1 N1^ in V.17 Fachausdruck für den Bann ist, 98 dann liegt ein semantischer Bezug zu • n r n in V.19vor." V.18 ist partizipial formulierter Rechtssatz mit der Rechtsfolgebestimmung Π ΰ ^ Γΐϊΰ. Das stilfremde ^3 vor dem partizipialen Subjekt der Tatbestandsdefinition 100 verbindet V.18 mit dem voranstehenden von V.21. Mit dem partizipialen Subjekt 23Ö in V.18 liegt ein lexematischer Bezug zu 22,15 und 22,26 vor. 101 Darüber hinaus liegt in der Rechtsfolgebestimmung ΓΙΟ*!"1 n i ö ein klarer Rückbezug zu den ΠζΠ"1 ΓΙ i Ö-Rechtsf olgebestimmungen in Ex 21,12.15-17 vor . V.19 in der vorliegenden Endgestalt des Masoretischen Textes ist ebenfalls partizipialer Rechtssatz. Die Rechtsfolgebestimmung Ο^Π^ findet sich innerhalb des Bundesbuches nur an dieser Stelle. Als partizipial formulierter Rechtssatz steht V.19 in Parallele zu V.18. J.HALBE hat auf den lexematischen Bezug des partizipialen Subjektes Π2Τ zum Anfang (20,24) und zum Ende (22,18) des Bundesbuches hingewiesen und hierin ein Argument für die zentrale Stellung von 22,19 innerhalb des Bundesbuches gesehen. 102

96 J . W E L L H A U S E N , Composition ( 1 8 7 6 / 7 7 ) 89. B . B A E N T S C H , Bundesbuch (1892) 27. H . H O L Z I N G E R , Bundesbuch (1900) 98. B.S.CHILDS, Exodus (1974) 455f; 477. 97 J.HALBE, Privilegrecht (1975) 417f; 422. 98 B.S.CHILDS, Exodus (1974) 477. mit Hinweis auf Num 31,15; Dtn 20.16; 1 Sam 27,9-11. 99 G . B E E R , Exodus (1939) 116. und N.LOHFINK, Art. Ο Ί Π , in: T h W A T III, 194, sehen in der A b f o l g e der Strafaussagen eine Steigerung. Siehe dazu Kap. 5.2.4, S. 318. 100 A.ALT, Ursprünge (1934) 236, Anm. 1. hält das *?3 für eine stilfremde Zutat. Dagegen G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 110, Anm. 2. 101 U . C A S S U T O , Exodus (1967) 291, sieht hierin den Grund für die Position von Ex 22,1719 an vorliegender Stelle: "This group of three laws was given its place here on account of the association between the word ... 33C? ... here and the word ... in the preceeding paragraph." Auch die Stellung von Ex 22,20-26 ist für U . C A S S U T O durch Π 3 Ε Ρ von Ex 22,26b veranlaßt: "This unit has been placed here because it contains the word 23IJP ... in ... v.26, which corresponds to 13E?... in ... v.18 of the preceeding paragraph, and to ... in ...v.15 of the paragraph before that." Ebd. 293. 102 J.HALBE, Privilegre'cht (1975 ) 418; 422.

Strukturanalyse

27

Schematisch läßt sich die Verknüpfung von Ex 22,17-19 untereinander und mit dem Kontext so darstellen: 20,24



21,12

Part.Subj. Π Ο ^ DÌO

21.15 21.16 21.17

Part.Subj. Π Ο ^ ΠΊΰ Part.Subj. nà=P nÌQ Part.Subj. Γΐΰ··ρ Γήΰ

22,15.16 22.17 Prohib.Sg. 22.18 22.19

IDE? ΓΡΠΓ! Vf? Part.Subj. Part.Subj.

Πΰ^ '

nia

23Ü OTP

Π2Τ

22.20 Prohib.Sg. 22.21 22,26 22,27ff Weitere Prohibitive Sg. 23,18



Die asyndetische Verbindung der drei Sätze kann als Hinweis darauf verstanden werden, daß hier eine Reihenbildung beabsichtigt ist. Auf der anderen Seite weisen die semantischen und formalen Unterschiede auf eine relative Eigenständigkeit der drei Verse hin. In Ex 22,17-19 liegt sehr wahrscheinlich keine ursprüngliche, sondern eine redaktionelle Reihenbildung vor. 1 0 3 Die lexematischen und formalen Bezüge zum Kontext sprechen f ü r die Annahme, daß hier ein Redaktor gezielt textverknüpfend gearbeitet hat. In Ex 22,17-19 liegt demnach ein ähnliches Phänomen vor wie in Ex 21,1217. Von der vorangehenden Texteinheit grenzt sich Ex 22,17-19 relativ stark ab (Asyndese und neue Satzform Prohibitiv in 22,17), während der Abschnitt auf die folgende Texteinheit Ex 22,2Qff relativ stark Bezug nimmt (Prohibitiv 22,17 Prohibitiv 22,20ff + 22,18 *73 22,21 + Syndese in 22,20). Darüber hinaus weist Ex 22,17-19 eine Reihe von Parallelen zu Ex 21,12-17 auf. Der starke Bezug zu Ex 22,20ff und die deutliche Parallelisierung zu Ex 21,12-17 machen es wahrscheinlich, daß Ex 22,17-19 strukturell die gleiche Funktion erfüllt wie Ex 21,12-17: So wie Ex 21,12-17 den kasuistischen Teil (21,18-22,16) des Bundesbuches einleitet, so leitet Ex 22,17-19 103 Dies vermutet auch E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 32.

28

Struktur der Bundesbuches

den prohibitiven Teil (22,20-23,9) des Bundesbuches ein. Die darüber hinausgehenden Bezüge zu Ex 22,15 und Ex 22,26 (13Œ), vor allem aber zu Ex 20,24 und Ex 23,18 (Π1Τ), zeigen, daß mit Ex 21,17-19 eine den unmittelbaren Kontext übergreifende Verknüpfung vorliegt. Mit Ex 22,17-19 hat offensichtlich ein Redaktor die beiden Teile des Bundesbuches verknüpft und so die Grundstruktur des Bundesbuches - bestehend aus zwei Teilen und einer doppelten Rahmung - geschaffen. Im Hinblick auf das Verhältnis von Ex 21,12-17 zu Ex 22,17-19 scheint es mir nun unwahrscheinlich zu sein, daß beide Teile einen Rahmen um den kasuistischen Teil des Bundesbuches bilden, wie J.HALBE und E.OTTO annehmen. 104 Der kataphorische Kontextbezug beider Abschnitte macht vielmehr deutlich, daß sie den jeweils folgenden Teil des Bundesbuches einleiten. Damit ergibt sich für das Bundesbuch zunächst einmal eine deutliche Zweiteilung: 21,12-17 21,18-22,16 22,17-19 22,20 - 23,9

Der durch Ex 22,17-19 eingeleitete zweite Teil des Bundesbuches umfaßt Ex 22,20-23,9. Die Zäsur zwischen 23,9 und 23,10 ist deutlich angezeigt durch den Rückbezug von 23,9 auf 22,20, worauf besonders W.RICHTER 1 " 5 und vor allem J.HALBE106 hingewiesen haben: naimrt»

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104 J.HALBE, Privilegrecht (1975) 414f;460f. E.OTTO, 9f; 32; 53. 105 W.RICHTER, Recht und Ethos (1966) 83; 86. 106 J.HALBE, Privilegrecht (1975 ) 418f; 426.

Rechtsbegründungen

(1988)

Strukturanalyse

29

Der Prohibitiv 22,20 wird in 23,9 in abgewandelter Form wiederholt: Die lexematischen Rückbezüge liegen in den Worten 11 und vor. Die Begründung 23,9bß ist identisch mit der Begründung 22,20b. Der Prohibitiv 23,9 paßt thematisch nicht gut in die Reihe 23,1-8, die das rechte Verhalten in der Rechtsprechung zum Thema hat. 1 0 7 Zugleich aber weist 23,9 mit dem gegenüber 22,20 überschüssigen Element V.9ba ÜSJTIK DPI?}? DFIS1 "liH durch die beiden Lexeme E7S3 und 11 auf das Ende der sich anschließenden Texteinheit 23,10-12, nämlich auf 23,12bß "läHl voraus. Die auf 22,20-23,9 folgende Texteinheit umfaßt 23,10-12. Die in 22,2023,9 vorherrschende Satzform des Prohibitivs ist hier zugunsten des Injunktivs in 2.Ps.Sg. verlassen. 23,10-12 gliedert sich in zwei Teile: Das Brachjahr- (23,10.11) und das Ruhetaggebot (23,12). Beide Teile sind strukturiert durch das Sechs-siebener-Schema: VV.10.11: V.12:

sechs Jahre - im siebten Jahr sechs Tage - am siebten Tag.

Die nächste Zäsur bildet 23,13 als Zwischenüberschrift. Der Vers besteht aus drei Sätzen: einem Injunktiv in 2.Ps.Pl. (V.13a), und zwei Prohibitiven, einem in 2.Ps.Pl. (V.13ba) und einem in 2.Ps.Sg.(V.13bß). Der Vers hat die Funktion, den das Bundesbuch abschließenden Festkalender 23,14-19 einzuleiten und ihn vom vorangehenden Teil des Bundesbuches abzugrenzen. Dies wird durch dreierlei erreicht: I . V . 13a ist als Gottesrede mit Nennung des Sprecher-Ichs stilisiert. Damit setzt sich der Vers von 23,10-12 ab und bereitet den bereits als Gottesrede stilisierten Festkalender 23,14-19 vor. 1 0 8 2. Mit der pluralischen Anrede setzt sich 23,13aba von der singularischen Anrede in 23,10-12 ab. In 23,13bß wechselt die Anrede in die 2.Ps.Sg. über, womit auf den an einen singularischen Adressaten gerichteten Festkalender eingeschwenkt wird. 1 0 9 3. Der Doppelprohibitiv 23,13b stellt den folgenden Festkalender unter die Perspektive des Fremdgötterverbotes. 23,13a enthält inhaltlich kein neues Gebot, sondern verweist auf eine von der sprechenden Gottheit bereits erlassene Anzahl ( ^ b ^ ) v o n Geboten zurück und schärft ein, diese zu halten. Damit stellt 23,13a die vorangegangenen Gesetze dezidiert als von Gott erlassene Gebote dar. Der vorangehende Text wird rückblickend als Gottesrede stilisiert. Abgeschlossen wird das Bundesbuch durch den Festkalender Ex 23,1419. Injunktive und Prohibitive wechseln sich hier mehrfach ab. Angeredet ist

107 Vgl. dazu Kap. 5.2.7, S. 378-388. 108 Vgl. E x 2 3 , 1 4 . 1 5 a a b . l 8 . 109 Vgl. hierzu J.HALBE, Privilegrecht (1975) 424. Anm. 2.; 454, Anm. 8.

Struktur der Bundesbuches

30

durchgehend eine 2.Ps.Sg. An fünf Stellen (VV.14.15aab.18) ist der Text als Gottesrede markiert. Auf der Endstufe des Bundesbuches korrespondieren das Brachjahr- und Ruhetaggebot 23,10-12 mit dem Gesetz zur Schuldsklavenfreilassung 21,211, der Festkalender 23,14-19 mit dem Altargesetz 20,24-26 und das den Festkalender einleitende Fremdgötterverbot 23,13b mit dem das Altargesetz einleitenden Bilderverbot 20,23. Die Korrespondenz von 21,2-11 und 23,10-12 ist angezeigt durch das gemeinsame Sechs-siebener-Schema und die Zweiteilung der Texteinheit. 21,2-6 setzt eine sechsjährige Arbeitszeit f ü r den Schuldsklaven und seine Entlassung im siebten Jahr fest. 23,10.11 legt eine sechsjährige Zeit der Aussaat und Ernte und eine im siebten Jahr einzuhaltende Brache fest. Beide Gesetze sind durch die Gegenüberstellung von D ^ t f ΰφ (21,2a/23,10a) und n y i t ^ / n y ^ n j (21,2b/23,lla) geprägt. Beiden Gesetzen folgt ein zweites thematisch verwandtes Gesetz. Ex 23,12 wendet des Sechs-siebenerSchema auf den Ablauf der Tage an, Ex 21,7-11 legt fest, daß die Bestimmung zur Freilassung des Schuldsklaven nicht f ü r die Sklavenfrau gilt. Hier kommt das Sechs-siebener-Schema aufgrund der von 21,2-6 abweichenden Regelung nicht vor. Das ändert aber nichts daran, daß die Textabschnitte 21,2-11 und 23,10-12 auch aufgrund ihrer Zweiteilung miteinander korrespondieren. Beide Texte bilden einen ersten Rahmen um den Textkomplex Ex 21,12-23,9. Ein zweiter Rahmen wird durch 20,24-26 und 23,14-19 gesetzt. Beide Texteinheiten sind thematisch und lexematisch aufeinander bezogen. Macht das Altargesetz (20,24-26) Angaben zum K u l t o r i und seiner Ausstattung, so der Festkalender (23,14-19) zur Kult zeit und ihrer Feier. Die Korrespondenz der Texteinheiten geht bis in Einzelheiten und läßt sich an drei Punkten aufzeigen: 1. Beide Texteinheiten sind als Gottesrede mit Nennung des Sprecher-Ichs stilisiert. Besonders deutlich wird die Korrespondenz gleich zu Beginn des jeweiligen Abschnittes:

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1ΠΠ O ^· τn : BTW τ τ

20,24aa 23,14 '

2. In beiden Texteinheiten ist eine 2.Ps.Sg. angeredet. 3. Beide Texteinheiten sind durch das Stichwort Π3Τ (20,24a/23,18) aufeinander bezogen. Die Beobachtung kann weiter präzisiert und ergänzt werden. Das Bundesbuch wird mit der Redeeinleitung 20,22aa eingeleitet. Dieser Vers kennzeichnet den folgenden Text als eine an Mose gerichtete J H W H - R e d e . Es folgt in 20,22aß ein Redeauftrag an Mose. Dieser soll die im folgenden an ihn gerichtete J H W H - R e d e dem Volk weiterleiten. Damit qualifiziert 20,22a das Bundesbuch als eine durch Mose vermittelte J H W H - R e d e an das Volk.

Strukturanalyse

31

Davon hebt sich der Dekalog Ex 20 als eine unmittelbar an das Volk gerichtete JHWH-Rede ab. 1 1 0 Auf den Dekalog bezieht sich 20,22b:

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Dieser Vers korrespondiert mit 23,13a:

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7

Beide Verse verweisen - allerdings in unterschiedlicher Terminologie und Satzstruktur - in Form einer Gottesrede auf eine bereits ergangene Gottesrede zurück. Dem Rückverweis auf den Dekalog in 20,22b folgt in 20,23 ein Doppelprohibitiv zum Bilderverbot. Dieser Doppelprohibitiv zum Bilderverbot in 20,23 korrespondiert mit dem Doppelprohibitiv zum Fremdgötterverbot in 23,13b. So wie 20,23 das folgende Altargesetz unter das Bilderverbot stellt, so stellt 23,13b den folgenden Festkalender unter das Fremdgötterverbot. Damit werden die beiden äußeren Rahmenelemente des Bundesbuches durch das 2. und 1. Gebot eingeleitet. 112 In 20,23 sind beide Prohibitive pluralisch formuliert, in 23,13b ist nur der erste Prohibitiv pluralisch formuliert, der zweite hingegen singularisch. Der Unterschied erklärt sich dadurch, daß 20,23 auf der Ebene der Endredaktion des Textes deutlich vom singularisch formulierten Altargesetz abgehoben werden soll. Das pluralisch formulierte Bilderverbot 20,23 ist implizit an das ganze Volk gerichtet, das singularisch formulierte Altargesetz hingegen nur an Mose. 1 1 3 In 23,13b hingegen war eine solche Abgrenzung vom folgenden Festkalender nicht nötig. Im Gegenteil. Nachdem sich 23,13aba durch Wechsel in den Plural vom vorangehenden singularisch formulierten Brachjahr- und Ruhetaggebot (23,10-12) abgesetzt hat, konnte der zweite Prohibitiv (23,13bß) mit seiner singularischen Formulierung zum singularisch formulierten Festkalender überleiten. Ex 23,13b bezieht sich aber nicht nur auf das Bilderverbot Ex 20,23 sondern auch auf das dem Bilderverbot folgende Altargesetz 20,24-26 zurück. Dies wird deutlich durch die Wendung n3T(Hif.) + OB in 20,24b und 23,23ba: *pri;n:n siis -ρ?τκ oiparn1?^ V ? - 1 ? ? jjQEP )kb i - p a j r i xb o"nm? ο · < π ^ o b i

110 111 112 113

20,24b 23,i3b«

Vgl. F.-L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 176; 228; 237. So auch H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 108. Vgl. F.-L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 268. Vgl. F.-L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 180-183. C.DOHMEN, Bilderverbot (1986) 179f. Vgl. dazu Kap. 5.2.1.1, S. 290-292.

32

Struktur der Bundesbuches

Jeder Kultort wird durch die Selbstkundgabe JHWHs legitimiert (20,24b). Dem entspricht das Gebot, sich zu JHWH, und nicht zu anderen Göttern zu bekennen, (23,13ba). 114 Im Rahmen der Kompositionsstruktur des Bundesbuches sind also nicht nur Fremdgötter- und Bilderverbot, sondern auch Fremdgötterverbot und Altargesetz aufeinander bezogen. Ex 20,22b-26 und 23,13-19 bilden so den äußeren Rahmen des Bundesbuches. Der prohibitive Teil des Bundesbuches Ex 22,20-23,9 ist deutlich dreigeteilt. 22,20 und 23,9 fungieren - wie oben gezeigt - als Rahmen. Damit ergibt sich für Ex 22,20-23,9 eine konzentrische Struktur mit einer Reihe religiöser Ge- und Verbote im Zentrum: ρ 22,20-26: soziale Gebote 22,27-30: religiöse Gebote 23,1-9:

soziale Gebote

Für den kasuistischen Teil Ex 21,18-22,16 eine dreigliedrige konzentrische Struktur an: 115 - 21,18-32:

E.OTTO

ebenfalls

Gesetze bei Verletzung körperlicher Integrität

21,33-22,14: L- 22,15.16:

nimmt

jesällem-Gesetze

Gesetz bei Verletzung körperlicher Integrität

Folgen wir der Analyse von E . O T T O , dann erhalten wir einen zum prohibitiven Teil des Bundesbuches parallel strukturierten kasuistischen Teil. 116 Damit fände die eigenartige, oft als Anhang deklarierte Stellung des Gesetzes zur Verführung einer Jungfrau in Ex22,15f eine Erklärung.117 Ex 22,15f hätte dann kompositionskritisch gesehen die Funktion, für den kasuistischen Teil des Bundesbuches eine dem prohibitiven Teil analoge konzentrische Struktur herzustellen, und gleichzeitig mit dem Stichwort 23E7 (-•22,18.26) den ersten und zweiten Teil des Bundesbuches lexematisch

114 Vgl. die A b f o l g e von Dtn 12 (Kultort) und Dtn 13 (ausschließliche Verehrung JHWHs). 115 E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 9f. Vgl. auch J.HALBE, Privilegrecht (1975 ) 416. 116 Zum Problem des fehlenden Einschnittes zwischen 21,32 und 21,33 vgl. Kap. 4.1, S. 47f. Ex 21,33 war ursprünglich sehr wahrscheinlich asyndetisch eingeleitet: Γ Π 3 ? 11 3. 117 Vgl. V . W A G N E R , Systematik (1969) 176: "Allein § 17' (Ex 22,15-16) paßt nicht in diese Gliederung. ... § 17' könnte ein Nachtrag zu dem Thema Verletzung der körperlichen Integrität sein."

Strukturanalyse

33

miteinander zu verknüpfen. Doch gibt es zwei Beobachtungen, die gegen diese Interpretation sprechen: 1 1 8 Als erstes muß eingeräumt werden, daß - selbst unter Annahme einer parallelen Strukturierung von kasuistischem und prohibitivem Teil des Bundesbuches - die Redaktion den kasuistischen Teil des Bundesbuches nicht in der Weise kompositorisch gestalten konnte wie den prohibitiven Teil 22,2023,9. Hier haben wir ein relatives Gleichgewicht der beiden Rahmenelemente 22,20-26 und 23,1-9 bei einem an Umfang etwas geringeren Mittelstück 22,27-30. Zugleich liegen deutliche Struktursignale vor. Im kasuistischen Teil dagegen besteht ein starkes Ungleichgewicht zwischen den beiden Rahmenelementen 21,18-32 und 22,15f. Im Hinblick auf eine konzentrische Dreiteilung fehlen deutliche Struktursignale. Das Material ist offensichtlich nach anderen Prinzipien angeordnet. 1 Das legt die Vermutung nahe, daß die Redaktion, die Ex 22,20-23,9 konzentrisch strukturiert hat, in Ex 21,1822,14(16) einen Textbestand vorfand, der sich einer kompositioneilen Strukturierung nach einem konzentrischen Modell weitgehend entzog. Als zweites ist darauf hinzuweisen, daß das Gesetz zur Verführung einer Jungfrau in Ex 22,15f unter juristisch-systematischem Gesichtspunkt nicht unter das Thema "Verletzung der körperlichen Integrität" fällt. Es geht hier vielmehr um "Schädigung eines Vaters durch Verführung seiner Tochter". 120 Unter dieser Perspektive darf Ex22,15f nicht mit Ex 21,18-32 "Verletzung der körperlichen Integrität" parallelisiert werden. Vielmehr schließt sich Ex22,15f den unmittelbar vorangehenden Gesetzen 21,33-22,14 sehr gut an, denn auch dort geht es um Schädigung des Besitzes eines freien Israeliten. So gesehen ist die Stellung von Ex 22,15f im Bundesbuch völlig "korrekt". 121 Das Bundesbuch ist deutlich zweigeteilt und mit einem inneren und einem äußeren Rahmen versehen. Auf der Ebene der Gesamtstruktur liegt damit das Prinzip von Top- und Achtergewicht, nicht das Prinzip der Konzentrik vor. 12 * Der erste (21,18-22,16) und der zweite (22,20-23,9) Teil sind durch eine vermutlich redaktionelle Bildung (21,12-17 + 22,17-19) programmatisch eingeleitet. Das gleiche Prinzip herrscht in den beiden äußeren Rahmenelementen vor: 20,23 stellt das Altargesetz in den Horizont des Bilderverbotes, 23,13b stellt den Festkalender in den Horizont des Fremdgötterverbotes. Des weiteren fällt auf, daß strukturell hervorgehobene

118 Damit revidiere ich die in meinem Artikel "Dies sind die Rechtsvorschriften, die du ihnen vorlegen sollst", in F.-L.HOSSFELD (Hg.), V o m Sinai zum Horeb (1989) 121; 132f, im Anschluß an E . O T T O angenommene Dreiteilung von Ex 21,18-22,16. 119 Vgl. Kap. 4.1, S. 44-51. 120 B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 200. 121 Vgl. S.M.PAUL, Studies (1970) 96. Vgl. auch Kap. 4.2.6, S. 211-213. 122 E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 7-11: 53, dagegen nimmt - wie in Kap. 2.1.5.2, S. 16; 18; 20 gezeigt - eine durchgehend konzentrische Struktur an.

34

Struktur der Bundesbuches

Textabschnitte dezidiert als Gottesrede stilisiert sind. 123 Das gilt zunächst für den äußeren Rahmen 20,22-26 und 23,13-19, dann aber auch für die Uberschrift 21,1 und den Beginn des inneren Rahmens in 21,2. Gerade die 2.Ps.Sg. des Π Jfpn in 21,2, die analog der sonst üblichen Form eines kasuistischen Rechtssatzes gerne in eine 3.Ps.Sg. Ì13 p"1 geändert wird, 1 2 4 zeigt, daß hier offensichtlich eine gezielte Angleichung an die Form der Gottesrede des Altargesetzes (2.Ps.Sg.) vorliegt, womit das Sklavengesetz 21,2-11 insgesamt den Charakter einer Gottesrede bekommt. Die gleiche Funktion erfüllt 21,12-17 im Hinblick auf den kasuistischen Teil des Bundesbuches 21,18-22,16. Die Form des partizipial formulierten Rechtssatzes und die explizite Gottesrede in 21,13.14 verleihen dem Abschnitt 21,12-17 insgesamt den Charakter einer Gottesrede. Aufgrund der Voranstellung von 21,12-17 vor den kasuistischen Teil des Bundesbuches 21,18-22,16 und der oben aufgezeigten deutlichen Bezugnahme von 21,12-17 auf den Beginn des kasuistischen Teiles 21,18f wird der kasuistische Teil des Bundesbuches als Gottesrede deklariert. Eine ähnliche Funktion scheint die Talionsformel in 21,23-25 zu erfüllen. Auch hier liegt - als einziger Stelle innerhalb von Ex 21,18-22,16 - direkte Anrede einer 2.Ps. vor. Allerdings wird das Sprecher-Ich im Unterschied zu 21,13f nicht genannt. Bei der Analyse der Formel wird diese zu berücksichtigen sein. 125 Zwar weist Ex 22,17-19 keine expliziten Elemente einer Gottesrede auf, die Form des Prohibitivs in 22,17, die partizipiale Formulierung in 22,18.19 und das Thema Magie, Sodomie und Götteropfer aber lassen eine enge Beziehung zur kult- und damit gottesrechtlichen Sphäre erkennen. Im Unterschied zu 21,12-17 erfüllt also 22,17-19 nicht die Funktion, den prohibitiven (zweiten) Teil des Bundesbuches 22,20-23,9 als Gottesrede zu stilisieren. Dies war aber auch nicht nötig, da dieser Teil im Unterschied zum kasuistischen Teil bereits selbst als Gottesrede stilisiert, bzw. einer solchen Stilisierung gegenüber offener war. Dies zeigt sich einmal in der vorherrschenden Form der Anrede einer 2.Ps.Sg. oder Pl., dann aber vor allem in den Elementen, mit denen sich die Gottheit selbst in l.Ps.Sg. nennt: 22,22b.23.24.26b.28.29.30; 23,7b.13.14.15.18. Darüberhinaus wird auch dieser Teil durch den rückverweisenden Vers 23,13a ausdrücklich als Gottesrede gekennzeichnet.

123 Eine ähnliche Beobachtung machte J.HALBE, Privilegrecht (1975) 452, im Rahmen seiner - allerdings von der hier entwickelten Komposition abweichenden - Ausbaustufe

1. 124 So u.a. A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 1; 56. Kritisch dazu A.ALT, Ursprünge (1934) 216, Anm. 2, der in der passivischen Formulierung von Dtn 15,12 die ursprüngliche Fassung sieht. So auch E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 35. 125 Siehe dazu Kap. 4.2.1.3.4.7, S. 122-127.

Strukturanalyse

35

Die mit Ex 20,22aa eingeleitete Rede, deren Inhalt das Bundesbuch ist, endet in 23,33, was durch die neue Redeeinleitung in 24,1 "ΙΟΝ angezeigt ist. Die in 24,1 angezeigte Rede reicht bis 24,2. Sie enthält einen an Mose gerichteten Auftrag, den dieser in 24,9-11 ausführt. Implizit vorausgesetzter Sprecher der Rede von 24,lf ist JHWH. Die Redeeinleitung in 24,1a setzt also das explizite Subjekt der Redeeinleitung des Bundesbuches von 20,22aa - nämlich J H W H - voraus. Zwischen der Beauftragung in 24,lf und der Ausführung des Auftrags in 24,9-11 liegt in 24,3-8 eine narrative Einheit, die eine Abfolge von Handlungen des Mose und zwei darauf erfolgende Reaktionen des Volkes enthält. Inhaltlich stellt 24,3-8 die Ausführung des in 20,22aß ergangenen Auftrags an Mose dar: Dieser verkündet - wie JHWH ihm in 20,22aß aufgetragen hat "alle Worte JHWHs und alle Rechtsvorschriften" (24,3a), "er nimmt das Buch des Bundes und bringt es dem Volk zu Gehör" (24,7a). Die Bezeichnung r r n j n "ISO in 24,7aa bezieht sich auf 20,22b-23,33 zurück und deklariert diesen Text zum Dokument des in 24,4-8 geschlossenen, durch Mose vermittelten, Bundes zwischen JHWH und dem Volk. In der Abfolge von Auftrag und Ausführung des Auftrags liegt in 20,2224,11 ein A-B-A'-B'-Schema vor: 1 2 6 Erster Auftrag: Zweiter Auftrag: Ausführung des ersten Auftrags: Ausführung des zweiten Auftrags:

20,22-23,33 24,lf

(A) (B)

24,3-8 24,9-11

(A') (B')

Das Bundesbuch als einer durch Mose an das Volk gerichteten JHWHRede umfaßt also Ex 20,22-23,33. Innerhalb dieses Textabschnittes nimmt Ex 23,20-33 insofern eine Sonderstellung ein, als ihm weder formal noch inhaltlich ein Textabschnitt innerhalb von 20,22-23,19 entspricht. Der Textabschnitt, der in direkter JHWH-Rede unter Nennung des SprecherIchs gestaltet ist, greift offensichtlich einige Stichworte aus dem Altargesetz 1 2 7 und in 23,24 das Fremdgötter- und Bilderverbot aus 23,13b und 20,23 auf und setzt in der zweimaligen Forderung, auf die Stimme des Boten, 126 Die Unterbrechung der literarisch zu einer Schicht gehörenden Verse 24,lf.9-11 durch 24,3-8 erklärt sich also dadurch, daß hier ein Redaktor größere Textkomplexe strukturiert. Nach F.-L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 194-204, gehen E x 2 4 , l f . 9 - l l zusammen mit Ex 19,24 auf einen priesterlichen Redaktor, den er offenbar mit dem Pentateuchredaktor identifiziert, zurück: "Als später Redaktor zwingt er uns in die Sehweise eines Herausgebers, der die ihm vorliegende Textmasse verarbeitet und strukturiert" (ebd. 203). Nach F.-L.HOSSFELD, ebd. 191-194, stammen Ex 24,3-8 von einer zweifachen, einer älteren und einer jüngeren, dtr Redaktion, die in 24,3 ΓΙΝ1) und in 24,5b ( • ' H S ) zwei priesterliche Zusätze erfahren hat. 127 D l p a h : 23,20b'-» 20,24b; 23,21b-» 20T,24b.

36

Struktur der Bundesbuches

in dem J H W H s Name anwesend ist, zu hören, die Sammlung der vorangehenden Gesetze und Gebote als ein zu beobachtendes "Gesetz" voraus. Gattungskritisch gesehen erfüllt der Abschnitt Ex 23,20-33 offensichtlich die Funktion eines Epilogs zum Gesetzeskorpus Ex 20,23-23,19. 128 Diese Beobachtung läßt nach einem Prolog Ausschau halten. Eine solche Prolog-Funktion könnte Ex 19,3-6 übernehmen. Dieser Text-abschnitt spricht ebenfalls vom "Hören auf die Stimme JHWHs" (19,5aa) und - darin über Ex 23,20-33 hinausgehend - vom "Bewahren seines Bundes" (19,5aß). Beide Abschnitte sind darüber hinaus insofern aufeinander bezogen, als J H W H im Prolog (19,3-6) auf sein vergangenes, im Epilog (23,20-33) auf sein zukünftiges Heilshandeln an Israel verweist: So wie J H W H Israel aus Ägypten "auf Adlerflügeln herausgetragen" hat (19,4), so wird er es zum "festgesetzen Ort bringen" (23,20) und ihm dabei den Weg vor seinen Feinden freikämpfen (23,22). Die Korrespondenz von Prolog und Epilog ist allerdings durch die sich unmittelbar an Ex 19,4-6 anschließende "Ausführung" des Prologs in 19,7f verdunkelt: Mose legt hier den Ältesten des Volkes alle Worte, die J H W H ihm aufgetragen hat, vor (19,7), und das Volk erklärt einmütig seine Bereitschaft, "alles, was J H W H geredet hat, zu tun" (19,8). Damit liegt gleichsam eine Vorwegnahme der Bundesschlußzeremonie von Ex 24,7b - "alles, was J H W H gesagt hat, wollen wir tun" - vor. Doch darf man das Schema von "Auftrag und Erfüllung" hier nicht axiomatisch auf Prolog (Ex 19,3-6) und Bundesschluß (Ex 24,3-8) aufteilen. Ex 19,7f bezieht sich zurück auf Ex 19,4f. Hier nimmt das Volk die Bedingung von 19,5a an, an die die Verheißung von 19,5b geknüpft ist. 1 3 0 Unter dem Gesichtspunkt einer Prolog-Funktion können wir somit Ex 19,7f im Zusammenhang mit Ex 19,3-6 sehen und den gesamten Abschnitt als einen mit dem Epilog Ex 23,20-33 korrespondierenden und auf die Bundesschlußzeremonie Ex 24,3-8 verweisenden Prolog betrachten. Wir stoßen hier auf die schwierigen literar- und redaktionsgeschichtlichen Probleme der Sinaitheophanie, die in diesem Kapitel zunächst unberücksichtigt bleiben sollen. 3 1 Im Rahmen der hier vorgelegten Strukturananlyse des Bundesbuches ist 128 So auch S.M.PAUL, Studies (1970) 35f. Zurückhaltend zur Prolog-GesetzeskorpusEpilog-Struktur alttestamentlicher Gesetze äußert sich G.RIES, Prolog und Epilog (1983) 75f. Doch unabhängig von der Frage inhaltlicher Parallelen (wie z.B. Fluch und Segen) zu altorientalischen Gesetzeswerken erfüllt Ex 23,20-33 in struktureller Hinsicht deutlich die Funktion eines Epilogs zum Gesetzeskorpus 20,22-23,19. Vgl. Kap. 5.2.11, S. 406-414. 129 Vgl. S.M.PAUL, Studies (1970) 35. 130 Ähnlich ist auch im Codex Hammurapi das Schema von "Auftrag im Prolog" und "Erfüllung im Epilog" nicht streng durchgeführt. "So ist die Befolgung der Aufträge, Gerechtigkeit im Lande zu schaffen und es den Menschen gutgehen zu lassen, bereits am Ende des Prologs erwähnt" (G.RIES, Prolog und Epilog [1983] 26). 131 Siehe dazu Kap. 5.2.11, S. 406-414.

Vorläufiges Ergebnis

37

folgendes wichtig: Ex 23,20-33 fungiert als Epilog zum Rechtskorpus Ex 20,23-23,19 und weist über diesen Text hinaus auf Ex 19,3-8 als korrespondierendem Prolog zurück.

2.3. Vorläufiges

Ergebnis

Im Hinblick auf die von J.HALBE und E.OTTO vertretenen Strukturmodelle läßt sich das Ergebnis dieses Kapitels wie folgt zusammenfassen: Der These E.OTTOs, daß das Bundesbuch eine redaktionelle Zusammenstellung zweier ursprünglich selbständiger Sammlungen sei, kann ich nicht folgen. Die Strukturanalyse hat vielmehr gezeigt, daß das Bundesbuch "umgreifend" strukturiert ist. Eine strukturelle Ausgrenzung von Bilderverbot/Altargesetz und Fremdgötterverbot/Festkalender ist unbegründet. In dieser Hinsicht stimme ich J.HALBE zu. Auf der anderen Seite aber hat sich der Verdacht aufgedrängt, daß die Strukturierung des Bundesbuches eine redaktionelle Strukturierung ist, die einen vorgegebenen Grundbestand als Gottesrede stilisiert. Damit scheint die Theologisierung des Bundesbuches, wie E.OTTO angenommen hat, 132 ein sekundärer Vorgang zu sein. Diese Frage kann aber nicht allein auf struktureller Ebene entschieden werden. Ihre Beantwortung bedarf der Textanalyse gerade in den Bereichen, in denen beide Elemente - Profanrecht und Gottesrecht - unmittelbar aufeinander stoßen. Dies führt uns zum folgenden Kapitel.

132 E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 75.

3. SCHICHTUNGEN INNERHALB DER KOMPOSITION

Vertreter einer ursprünglich privilegrechtlichen Konzeption des Bundesbuches sind der Ansicht, daß der kasuistische Teil des Bundesbuches keine paränetischen Elemente enthalte. Der kasuistische Teil wurde deshalb - so lautet die Schlußfolgerung - in das gottesrechtliche Korpus eingesetzt, als dessen paränetische Durchformung bereits abgeschlossen war. Niemand hat es unternommen, diesen Teil durch Einfügung paränetischer Elemente an den umgebenden Text anzupassen, "obwohl sich der ... Stoff [21,1-22,19] keineswegs entsprechender Durchformung versagt haben würde: Dtn!". 1 Daß die Paränese im kasuistischen Teil des Bundesbuches 21,1-22,16 ganz und gar fehle, ist nicht richtig, zumindest dann nicht, wenn unter "Paränese" die eindeutig als Gottesrede qualifizierten Elemente des Bundesbuches zu verstehen sind." Die Form der Gottesrede aber ist ein Kennzeichen der von 3 W . B E Y E R L I N so genannten "Paränese im Bundesbuch". Eine solche a b e r f i n det sich auch im kasuistischen Teil des Bundesbuches, und zwar in 21,13.14. Hier - so scheint mir - liegt ein Schlüssel zur Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von Profanrecht und Gottesrecht im Bundesbuch.

3.1.

Die Struktur

von Ex

21,12-17

Ex 21,12-17 beginnt asyndetisch mit einem partizipial formulierten Rechtssatz, dessen Rechtsfolgebestimmung mit ΓΙΟ:Ρ ΠΐΟ angegeben wird (V.12). Es folgen zwei jeweils syndetisch eingeleitete zweigliedrige Rechtssätze, deren Tatbestandsdefinition im ersten Fall mit (V.13), im zweiten Fall mit "Ol (V.14) eingeleitet ist. Drei weitere partizipial formulierte Rechtssätze, deren Rechtsfolgebestimmungen ebenfalls mit PÇIÎ ι ΡÍÍ3 angegeben sind, schließen sich jeweils syndetisch an (VV.15-17). Die vier partizipial formulierten Rechtssätze sind strukturell eng miteinander verknüpft: Die ersten beiden weisen in der Tatbestandsdefinition das 1 J.HALBE, Privilegrecht (1975) 411. So auch R.H.PFEIFFER, Transmission (1931) 101. W . B E Y E R L I N , Paränese (1965) 19f. 2 Ähnlich A . M E N E S , D i e vorexilischen Gesetze (1928) 40. 3 W . B E Y E R L I N , Paränese (1965) 9-11, rechnet dazu folgende Satzteile "nicht-rechtlichen Charakters": Ex 20,22.24b.25b.26; 22,20b.22b-23.25.26.30; 23,7bß.8b.9b. 13a. 15a.

Ex 21,13f

39

gleiche Verbum HD 3 (H if.) auf. Der erste und der dritte, der zweite und der vierte weisen jeweils das gleiche Objekt, und zwar der erste und der dritte das Objekt EPS, der zweite und der vierte das Objekt iaN] V I S auf. In allen vier Rechtssätzen steht schließlich die gleiche Rechtsfolgebestimmung

na=p nia: 4 τ

na=n nia τ ηη··ρ nia τ

na^r nia τ na=n nia τ

3.2.

Der literarisch

sekundäre

Eh s nsa i s s· i:

- p ·a sτ

ia*n "psn ·

:

·

Eh s risa

τ

Charakter

von Ex

v.12 V.15 V.16 V.17

21,13.14

Auffallend ist zunächst einmal die zweifache Differenzierung des ersten partizipial formulierten Rechtssatzes (V.12) in den VV.13.14, die insgesamt mehr Platz einnimmt als die vier partizipial formulierten Rechtssätze zusammen. Dadurch tritt die oben beschriebene Struktur der vier Rechtssätze stark in den Hintergrund. Strukturell gesehen fügen sich die VV.13.14 schlecht in den vorliegenden Kontext ein. Des weiteren fällt die Gottesrede unter Nennung des Sprecher-Ichs mit direkter Anrede einer 2.Ps Sg. in den Rechtsfolgebestimmungen der beiden Verse (VV. 13b. 14b) auf. Inhaltlich wird in V.13 der Tatbestand der Tötung von V.12 dahingehend differenziert, daß für die fahrlässige Tötung eine Ausnahmeregelung von der Rechtsfolgebestimmung na1!11 n i a aus V.12 getroffen wird. V.13 setzt also V.12 voraus. Umgekehrt nimmt V.14 den durch V.13 offen gelassenen Gegenfall der vorsätzlichen Tötung auf und trifft für diesen eine der Rechtsfolgebestimmung von V.13b entgegengesetzte Regelung. V.14 setzt somit V.13 voraus. Während also in V.12 unberücksichtigt bleibt, ob die Tötung vorsätzlich oder fahrlässig geschieht, treffen V.13 für die fahrlässige und V.14 für die vorsätzliche Tötung eine Regelung. Es mag nicht unproblematisch sein, moderne Rechtsterminologie auf antike Gesetze zu übertragen, gleichwohl aber kann diese bei der Interpretation behilflich sein. Unter diesem Vobehalt läßt sich Ex 21,12-14 folgendermaßen verstehen: Sowohl die Formulierung von V.13aß i"P^> Π3Ν D ^ g m als auch die Interpretation dieses Falles durch Dtn 19,1-13 machen deutlich,

4 Vgl. auch die Tabelle bei E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 31. Zur Interpretation dieser Reihe siehe Kap. 4.2.7, S. 213-234.

40

Schichtungen innerhalb der Komposition

daß es sich in Ex 21,13 um fahrlässige Tötung handelt. 5 Ex 21,12.14 dagegen umfassen Mord (§211 StGB), Totschlag (§212 StGB) und - wie aus Ex 21,18f hervorgeht - auch Körperverletzung mit Todesfolge (§226 StGB). Zwischen Totschlag ( § 212 StGB) und minder schwerem Totschlag (§ 213 StGB) scheint Ex 21,12-14 nicht zu unterscheiden. Ex 21,14 erfaßt nur die vorsätzliche Tötung (Mord und Totschlag: ΠΠ), Ex 21,12 dagegen auch die Körperverletzung mit Todesfolge (HD3 -» riDI), die keine vorsätzliche Tötung darstellt. 6 In der Terminologie des Strafgesetzbuches der Bundesrepublik Deutschland lassen sich Ex21,12-14 auf der Endstufe des Textes inhaltlich folgendermaßen verstehen: 21,12: Körperverletzung mit Todesfolge (Π33 ->· Π01) 21,13: Fahrlässige Tötung ( Π ^ Π3Ν D^^HO? ΓΠ$ í t t "IBN]) 21,14: Vorsätzliche Tötung (Mord, Totschlag) ίΠΡΊΓ^Ϊ Sh« T T " 1 - ^ ! ) ( • T O ? i inn«? Formal fällt auf, daß V.13 mit "lügt] eingeleitet ist und V.14 als Unter{&\\ mit "O). Die Einleitung einer Tatbestandsdefinition mit "1ÇN1 und die Einleitung eines Unterfalles mit "Ojl finden sich nur an dieser Stelle des Bundesbuches. ist hier als konditionale Konjunktion zu verstehen. 7 Die Einleitung mit, "Ol erklärt sich wohl dadurch, daß der Schreiber von V.14 diesen als Gegenfall zu V.13 und als auf einer Ebene mit diesem Vers liegend angesehen hat. Diese Beobachtungen sprechen dafür, daß die VV.13.14 an dieser Stelle literarisch sekundär sind, was von den meisten Exegeten auch angenommen wird. 8 Trotz unterschiedlicher Einleitung und abweichender Formulierungen rechne ich die Verse einer Erweiterungsschicht zu. Die Gegenüberstellung von Fall und Gegenfall, die Anrede einer 2.Ps.Sg. von seiten der Gottheit und das Thema des Asyls verbinden beide Verse auf das engste miteinander. Das Nebeneinander von Q^pü in V.13 und ΠίΤΰ in V.14 ist kein Kriterium literarkritischer Scheidung, sondern sachlich bedingt. In V.13 5 Vgl. § 222 StGB. 6 § 226 StGB gelangt jedoch nur zur Anwendung, "wenn der Tod fahrlässig verursacht wurde" (H.AVENARIUS, Kleines Rechtswörterbuch (1985) 406). In diesem Sinne würde § 226 StGB unter die Asylbestimmung Ex 21,13 fallen. Fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge liegt in Ex 21,22f vor. Wie aus Ex 21,18f geschlossen werden kann, kennt Ex 21,12-14 jedoch nicht den Fall der Körperverletzung mit fahrlässig verursachter Todesfolge. Dieser dürfte unter Ex 21,12 fallen. 7 Vgl. Lev 4,22; Dtn 11,27; Jos 4,21. Vgl. HAL I, 95. 8 A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 29f; 57. A.ALT, Ursprünge (1934) 230, Anm. 4. H. CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 128. M.NOTH, Exodus (1958) 145. V. WAGNER, Rechtssätze (1972) 17, Anm. 8. R.E.CLEMENTS, Exodus (1972) 134. B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 93. J.HALBE, Privilegrecht (1975) 463, Anm. 16. F.C.FENSHAM, Nicht-Haftbar-Sein (1980) 19. F.-L.HOSSFELD, Dekalog (1984) 70, Anm. 217.

Ex 21,13f

41

kann für QipQ nicht Π2Τ0 stehen, denn die Gottheit errichtet niemals einen Altar, sondern für die Gottheit wird ein Altar errichtet. Umgekehrt aber wird der Ort (DipÖ), an dem der Mensch einen Altar für die Gottheit errichtet, nicht vom Menschen, sondern von der Gottheit bestimmt (O"1®). JHWH/Gott erscheint an einem Ort (D^pD), der Mensch errichtet ihm dort einen Altar. 9

3.3. Der literarische

Horizont

von Ex

21,13.14

Ex 21,13.14 enthält wichtige Hinweise auf eine redaktionsgeschichtliche Einordnung. Der in V.13b nicht näher bestimmte Ort (Olpö) wird in V.14b mit "meinem Altar" pn^lTO) näher eingerenzt. Beide Wörter kommen im Altargesetz (Ex 20,24-26) vor: ü l p a in 20,24b determiniert, Π 3 | 0 in 20,24a.25a und in 20,26a sogar mit Suffix der l.Ps.Sg.: Tl-ITO. Sowohl im Altargesetz als auch in Ex 21,13.14 wird eine 2.Ps.Sg. unter Nennung des Sprecher-Ichs direkt angeredet. Der Sprecher kann hier nur eine Gottheit sein. Schließlich sind beide Texte vordeuteronomisch. Zwar grenzt das Altargesetz die lokalen Möglichkeiten der Kultausübung ein, 1 0 gleichwohl setzt es eine Vielzahl legitimer Kultorte voraus. Möglicherweise polemisiert es gegen erste aufkommende Kultzentralisationstendenzen, 11 zumindest aber kennt es die vom Deuteronomium geforderte Kultzentralisation noch nicht. 1 2 Auch Ex 21,13.14 setzen das Orrsheiligtum als Asylstätte voraus, 9 Vgl. Gen 12,6f; 26,24f; 35,7. 10 Vgl. J.WELLHAUSEN, Prolegomena ( 2 1927) 29: "Allerdings scheint die Freiheit, überall zu opfern, etwas beschränkt zu werden durch den Zusatz: überall, wo ich meinen Namen ehren lasse." 11 Nach J.HALBE, Privilegrecht (1975) 376-383, gegen kultische Zentralisierungstendenzen in Jerusalem unter Salomo und David. Zurückhaltender äußern sich A. JEPSEN, Bundesbuch (1927) 53, und D.CONRAD, Altargesetz (1968) 11. Eine radikale Lösung schlägt C.LEVIN, Die Verheißung des Neuen Bundes (1985) 96, Anm. 94, vor, indem er das Bundesbuch "zum Gesetz der außerpalästinensischen Exulantenschaft" macht: "Diesem Trägerkreis entstammt der Zusatz zum Altargesetz Ex 20,24b, der das Bundesbuch ausdrücklich diasporatauglich macht" und gegen das deuteronomische Zentralisationsgesetz gerichtet ist. Dies scheint in der Tat die Interpretation des modernen Judentums zu sein. Vgl. das Zitat von Ex 20,24 in J.J.PETUCHOWSKI (Hg.). Ein jüdischer Gottesdienst f ü r den Sabbatmorgen (1988) 13. 12 Dies ist eine der Grundlagen der Neueren Urkundenhypothese. Vgl. das erste Kapitel in J.WELLHAUSEN, Prolegomena ( 2 1927) 17-52, besonders 28f. B.BAENTSCH, Bundesbuch (1892) 108; 112. N.LOHFINK, Zur deuteronomischen Zentralisationsformel (1984) 326, versteht die dt Zentralisationsformel "als anlehnende und zugleich umdeutende Weiterführung der Altarformel vom Anfang des Bb". Anders, aber nicht überzeugend, G.A.CHAMBERLAIN, Exodus 21-23 and Deuteronomy 12-26 (1977)

42

Schichtungen innerhalb der Komposition

denn andernfalls wäre das Asylrecht nicht praktikabel gewesen. Dies haben die deuteronomischen Reformer klar erkannt, wenn sie gleich zu Beginn des strafrechtlichen Teiles des Deuteronomiums, in Dtn 19,1-13, aufgrund ihrer Kultzentralisationsforderung die Asylfunktion der Ortsheiligtümer durch drei, später sechs, gleichmäßig im Lande zu verteilende Städte ersetzen. 1 3 Ex 21,13.14 ist also eindeutig vordeuteronomisch. 1 4 Diese Beobachtungen sprechen dafür, daß der Redaktor, der 21,13.14 eingetragen hat, gleichzeitig das Altargesetz (20,24-26) dem Bundesbuch vorangestellt hat. Zwar ist Ex 21,13f grundsätzlich auch ohne den literarischen Horizont des Altargesetzes verständlich, doch da nun einmal das Altargesetz im Bundesbuch steht, eine Umstellung desselben aber unbegründet ist, und Ex21,13f eine deutlich sekundäre Erweiterung darstellt, in denen DipD und Π3ΤΡ als Ort des Asyls genannt und die Gottheit unter Nennung des Sprecher-Ichs eine 2.Ps.Sg. direkt anspricht, halte ich es unter Beachtung des Sparsamkeitsprinzips für gut begründet, die Einfügung von 21,13.14 und die Voranstellung des Altargesetzes einer redaktionellen Hand zuzuweisen.

158f. der das Altargesetz Ex 20,24-26 f ü r eine archaisierende, die deuteronomische Kultzentralisationsgesetzgebung bereits voraussetzende Bildung hält. Nach P. WEIMAR, Berufung des Mose (1980) 345f, ist "mit der Ortsangabe D I p O ì l ^>33 ... allem Anschein nach auf den Gottesberg (Tempel) angespielt, wobei der RS diesen Ort dadurch qualifiziert, daß Jahwe hier seinen Namen kundgetan hat." Vgl. ähnlich bereits P.HEINISCH, Exodus (1934) 162. P.WEIMAR sieht einen literarischen Bezug von Ex 3,15b über Ex 9,16b zu Ex 20,24b, der vom Pentateuchredaktor geschaffen wurde. Mit der Annahme, Ex 20,24b spiele auf den Gottesberg (Tempel) an, versucht P. WEIMAR die auffallende Determination von O l p O H zu erklären. Er gesteht allerdings ein, daß der bestimmte Artikel in D I p o n *?33 auch im distributiven Sinne verstanden werden kann (ebd. 346, Anm. 36). 13 D.KNAPP, Deuteronomium 4 (1987) 115-120, hat jüngst die Texte, die sich mit dem Thema Asyl beschäftigen, untersucht und dabei folgende zeitliche Reihenfolge aufgestellt: "Dtn 19,1-13 (dt) ist der älteste Text, gefolgt von Jos 20 (dtr) und Dtn 4,41-43. Num 35,9ff ist das jüngste Glied in der Reihe ... ". Dtn 4,41-43 ist zwar "jünger als die verschiedenen spätdtr Blöcke von Dtn 4,1-40* und das Überschriftensystem 4,44-49 in seiner Endgestalt", der Text ist aber "aller Wahrscheinlichkeit nach ... vorpriesterschriftlich." Ebd. 120. 14 Anders offensichtlich G.A.CHAMBERLAIN, Exodus 21-23 and Deuteronomy 12-26 (1977) 121f, der Ex 21,13f als (sehr) späte, die deuteronomische Kultzentralisationsreform bereits voraussetzende Erweiterung ansieht, "simply because I can see no function for an asylum law prior to the suppression of the local shrines." 15 Vgl. auch H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 109; 113-115; 128. H.CAZELLES sieht im Redaktor, der die "Wenn-du-Formulierungen" eingetragen hat, denjenigen, der die Teile des Bundesbuches an den Nahtstellen zusammengetragen und so ein einheitliches Ganzes geschaffen hat. Ex 21,13f weist er diesem Redaktor zu (ebd.128), der auch das Altargesetz dem Bundesbuch vorangestellt hat (ebd. 108; 115).

Vorläufiges Ergebnis 3.4. Vorläuf

iges

43

Ergebnis

Im Hinblick auf die eingangs gestellte Frage nach dem Verhältnis von Gottesrecht und Profanrecht im Bundesbuch scheint mit der Beobachtung zum literarisch sekundären Charakter von Ex21,13f und dem literarischen Bezug dieser Verse auf das Altargesetz ein wichtiger Hinweis darauf gewonnen zu sein, daß die gottesrechtlichen Elemente des Bundesbuches gegenüber dem kasuistischen Teil eine Erweiterung darstellen. Die theologische Rahmenstruktur des Bundesbuches scheint nicht - wie J.HALBE annimmt die Grundsubstanz desselben zu sein, sondern eine den ursprünglich profanrechtlichen Teil sekundär rahmende Erweiterung. Gleichzeitig aber ist mit dem eindeutig vordeuteronomistischen Charakter des Altargesetzes auch deutlich geworden, daß der ursprünglich profanrechtlich-kasuistische Teil des Bundesbuches auf vordeuteronomistischer Ebene explizit theologisch interpretiert wurde, und das heißt: Bereits im Rahmen einer vordeuteronomistischen Redaktion wurde das Bundesbuch zum Gottesrecht. 1 6 Beide Ergebnisse stimmen - trotz abweichender Strukturanalyse - mit der jüngst von E.OTTO vorgelegten Analyse überein: "Die hier vorgelegte Analyse des Bundesbuches hat keinen Anhalt für eine gottesrechtliche Grundschicht ergeben, in die die Profanrechte integriert worden seien." 1 7 Ferner nimmt E.OTTO für seine beiden ursprünglich selbständigen Sammlungen 21,2-22,26 und 22,28-23,12 eine vordeuteronomistische theologische Interpretation an. Auch in dieser Hinsicht kann ich ihm folgen. Ein Ergebnis der Strukturanalyse ist die Ausgrenzung des kasuistischen Teils Ex 21,18-22,16. Noch offen ist die Frage nach dem Verhältnis von 21,12-17 zu 21,18ff. Ich werde die Frage zurückstellen und zunächst den kasuistischen Teil, beginnend mit 21,18f durchgehend bis 22,16 analysieren und interpretieren. 1 8 Im Anschluß daran soll das Verhältnis von 21,12-17 zu 21,18ff erörtert werden. 1 9

16 Damit weicht die in dieser Arbeit vertretene Position von der These O.A. C H A M B E R L A I N s , Exodus 21-23 and Deuteronomy 12-26 (1977) Vf; 153, ab, wonach die "Theologiesierung" des kasuistischen Rechtsbuches Ex 21,2-22,16 das Ergebnis "nachdeuteronomischer Arbeit" ("post-Deuteronomic work") darstelle. Zur Kritik an G . A . C H A M B E R L A I N vgl. E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 8. 17 E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 75. 18 S. 44-212. 19 S. 213-234.

4. DAS KASUISTISCHE RECHTSBUCH

4.1. Die Anordnung

der Gesetze

in Ex

21,18-22,16

Bereits J.WELLHAUSEN hat festgestellt, daß die Redaktion des Bundesbuches "keineswegs konfus ist", 1 und J.W.ROTHSTEIN bescheinigt dem Autor des Bundesbuches, daß er "ein geschickter und scharf denkender Geist war, der es wohl verstand, in eine Gesetzesmaterie eine feste, wohlbegründete Ordnung zu bringen." 2 Von B.BAENTSCH stammt die methodologisch beachtenswerte Forderung, bei der Herausarbeitung der ursprünglichen Ordnung des Bundesbuches "sich vor jeder apriorischen Aufstellung eines ... nach unseren logischen Kategorien geordneten Schemas zu hüten und sich lediglich mit den vom Text selbst dargebotenen Anhaltspunkten zu begnügen." 3 Noch vor Bekanntwerden anderer altorientalischer Rechtsbücher der Codex Hammurapi wurde 1902 entdeckt - kennt er bereits das Prinzip der Attraktion, das bei der Anordnung von Gesetzen innerhalb altorientalischer Rechtsbücher wirksam war: "Der Morgenländer lässt sich bei seinen Gedankenzusammenstellungen und Combinationen nicht so sehr durch logische Gesetze, als vielmehr durch oft ganz äusserliche, der Phantasie sich aufdrängende Aehnlichkeiten der Dinge, durch mnemonische Gesichtspunkte, Stichworte u. dergl. leiten." 4 H.PETSCHOW hat gezeigt, daß Codex Eschnunna und Codex Hammurapi keineswegs unsystematisch aufgebaut sind. Beide Werke lassen eine ähnli-

1 2 3 4

J.WELLHAUSEN, Composition (1876/77) 90. J.W.ROTHSTEIN, Bundesbuch (1888) 58. B.BAENTSCH, Bundesbuch (1892) 39f. Ebd. 41.

Anordnung der Gesetze

45

che Systematik in der Anordnung einzelner Gesetze erkennen. 5 Das gleiche konnte V.WAGNER für Ex 21,2-22,16 feststellen: "Es handelt sich hier um einen Rechtscodex, der wohlüberlegt und systematisch zusammengestellt worden ist. ... Die hier verwendete Systematik ähnelt der, die H.Petschow für den Codex Hammurabi ermittelt hat ,..".6 Für Ex 21,2-22,16 arbeitet I. Sklavenfreilassung § 1 (21,2-6): §2(21,7-11): II. Verletzung

V.WAGNER

folgende Gliederung heraus:

(21,2-11) Slave Sklavin

der körperlichen

Integrität

(21,18-32)

[§ 3 verlorengegangen] 7 § 4'(21,18f): Verletzung in einem Handgemenge (?) ohne tödlichen Ausgang § 5'(21,20f): Totschlag des eigenen Sklaven oder der eigenen Sklavin § 6'(21,22f): Verletzung einer schwangeren Frau in einem Handgemenge mit nachfolgender Fehlgeburt § 7'(21,26f): Verletzung des eigenen Sklaven oder der eigenen Sklavin § 8'(21,28-32): Tötung durch einen Stier III.

Haftungen werklichen

1. Haftungen § 9'(21,33f): § 10'(21,35f):

im Bereich der Arbeit (21,33-22,7; aufgrund

unerlaubter

landwirtschaftlichen 22,9-14)

und

hand-

Handlungen

Schädigung fremden Viehbestandes durch Fahrlässigkeit beim Brunnenbau Schädigung fremden Viehbestandes durch einen Stier

5 H . P E T S C H O W , Systematik (1965) 169: "Insgesamt gesehen zeigt sich, daß der Rechtstext des CH formal und inhaltlich ein zusammenhängendes, im wesentlichen logisch aufgebautes Ganzes darstellt, dessen einzelne Teile - wohl nicht zuletzt aus literarischen Gründen - durch überleitende Normen in meist begründbarer Weise miteinander verknüpft sind." D E R S . , "Systematik" (1968) 142f. Zur Rechtssystematik im C E vgl. jetzt vor allem auch E . O T T O , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 183: "Die These vom unsystematischen Charakter dieser Rechtssammlung ist endgültig überholt." 6 V . W A G N E R , Systematik (1969) 181. 7 V . W A G N E R , ebd. 177, kann Ex 21,12-17 nicht einordnen. Seiner Meinung nach ist der Anfang des II.Teils "Verletzung der körperlichen Integrität" (21,18-32) verlorengegangen und durch 21,12-17 ersetzt worden. Siehe dazu Kap. 4.2.7, S. 213-234.

46

Kasuistisches Rechtsbuch

§ U'(21,37-22,3): Viehdiebstahl [22,lf: (Attraktion) Totschlag des Diebes in flagranti delicto bzw. nicht in flagranti delicto] 2. Haftungen

aufgrund

§ 12'(22,4): § 13'(22,5): 3. Haftungen

Nachbarrechts

Übergreifen abweidender Tiere auf ein benachbartes Feld Übergreifen eines Feuers auf ein benachbartes Feld im Zusammenhang

mit vertraglichen

Abmachungen

§ 14'. 1 (22,6): aufgeklärter Diebstahl eines Depositums 2 (22,7): unaufgeklärter Diebstahl eines Depositums § 15'. 1 (22,9-10): Tod oder Verletzung eines zum Hüten anvertrauten Tieres 2 (22,11): Diebstahl eines zum Hüten anvertrauten Tieres 3 (22,12): Verlust eines zum Hüten anvertauten Tieres durch ein Raubtier § 16'. 1 (22,13): Verletzung oder Tod eines geliehenen Tieres 2 (22,14): Verletzung oder Tod eines geliehenen Tieres im Beisein des Eigentümers 3 (22,14): Verletzung oder Tod eines gemieteten Tieres § 17'. 1 (22,15): 8 2 (22,16):

Geschlechtsverkehr mit einem noch nicht verlobten (?) Mädchen Verweigerung der Heirat durch den Vater des Mädchens.

Die Gliederung V.WAGNERs ist vor allem anhand inhaltlicher und systematischer Gesichtspunkte gewonnen und hat von daher ihre Berechtigung. Sie soll im folgenden ergänzt werden durch Beobachtungen zu textimmanenten Struktursignalen. Dabei kann es zu Überschneidungen mit inhaltlichsystematischen Gliederungskriterien kommen. Diese Überschneidungen können ein erster Hinweis auf redaktionelle Verklammerungen sein. Innerhalb des Bundesbuches läßt sich eine Regelmäßigkeit in der Setzung von syndetischer und asyndetischer Einleitung von Hauptfällen erkennen. Thematisch zusammenhängende Fälle sind durch Syndese miteinander verbunden oder adversativ aufeinander bezogen. Der Beginn eines thematisch neuen Abschnittes wird in der Regel durch asyndetische Einleitung gekennzeichnet:

8 Nach V . W A G N E R , ebd. 176, könnte Ex 22,15f "ein Nachtrag zu dem Thema Verletzung der körperlichen Integrität sein." 9 Vgl. hierzu bereits A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 55f.

Anordnung der Gesetze

47 Ό Ol

21,2 21,7

I.

Schuldsklavengesetze

II.

Körperverletzung mit und ohne Todesfolge:

III.

Schädigung fremden Viehbestandes:

IV.

Viehdiebstahl:

Ό

21,37

V.

Schädigung des Feldes und der Ernte:

Ό Ό

22,4 22,5

VI.

Depositenrecht

Ό Ό Ol

22,6 22,9 22,13

VII. Geschlechtsverkehr mit einem nicht verlobten Mädchen

HDD ΓΟΟΙ 1311 ^pai "Ol "Ol Ol Ol Ol

21,12 21,15 21,16 21,17 21,18 21,20 21,22 21,26 21,28

Ό [ 1 ] 21,33f* O l 21,35

Ό ! 22,15f

Ein Problem bereitet die Abgrenzung zwischen 21,32 und 21,33f und damit zusammenhängend die Zuordnung von 21,33-36. V.WAGNER und die meisten Kommentatoren rechnen 21,33-36 zum folgenden Teil, 10 J.W.ROTHSTEIN zählt den Abschnitt zum Vorangehenden 1 1 und E.OTTO löst das Problem redaktionsgeschichtlich, indem er zwischen 21,32 und 21,33 einen Einschnitt zwischen zwei ursprünglich selbständigen Sammlungen, nämlich 21,28-32 und 21,33-22,14 sieht. 12 Selbst wenn man zwischen 21,32 und 21,33 trennt, ist die Zuordnung von 21,28-32 schwierig. V.WAGNER rechnet den Abschnitt zum Thema "Verletzung der körperlichen Integrität", muß aber gleichzeitig eingestehen, daß "dieser § 8' mit der durch ein Tier verursachten Verletzung 10 A.DILLMANN/V.RYSSEL, Exodus ( 3 1897) 260. B.BAENTSCH, Bundesbuch (1892) 20f. H.HOLZINGER, Exodus (1900) 87. P.HEINISCH, Exodus (1934) 173f. G.BEER, Exodus (1939) 113. 11 J.W.ROTHSTEIN, Bundesbuch (1888) 23. 12 E.OTTO, Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 153.

48

Kasuistisches Rechtsbuch

der körperlichen Integrität ... zugleich in das neue Thema" gehört, "in dem Haftungen verhandelt werden, die im Bereich der landwirtschaftlichen und handwerklichen Arbeit entstehen können." 1 3 Unbestritten ist die deutliche Zäsur zwischen 21,36 und 21,37. In 21,37 wird durch asyndetische Einleitung eines Hauptfalles ein neues Thema angezeigt. Hier beginnt die Diebstahlgesetzgebung 21,37-22,3. Auffallend ist nun, daß sich die Verse 21,35.36 auf 21,28.29 zurückbeziehen: 1 4 21,28 Rind stößt Mann oder Frau —21,29 Stößiges Rind stößt Mann oder Frau 21,30-34 ....[V.30: "133-Zahlung] 21,35 Rind stößt Rind —21,36 Stößiges Rind stößt Rind In den Hauptfällen von 21,18.20.22.26 ist das Subjekt der Tatbestandsdefinition immer tí"1!* oder D^tíjS, im Hauptfall 21,28 dagegen wechselt es zu "tití. Die Texteinheit wird durch die analogen Fälle 21,28.29/21,35.36 gerahmt. Das Schlußglied 21,36bß greift ein Element des Mittelteiles, und zwar 21,34b i ν'ΤΡΓΡ ΠάΓΗ auf. Das gleiche Kompositionsprinzip eines doppelten Rückbezuges liegt in 21,18-27 vor: 21,18f: Körperverletzung unter freien Männern 21,20: Tötung von Schuldsklave und Schuldsklavin -21,21: Natürlicher Tod von Schuldsklave und Schuldsklavin 21,22-25: Fahrlässige Körperverletzung mit und ohne Todesfolge: Talionsf ormel -21,26: Körperverletzung von Schuldsklave und Schuldsklavin -21,27: Körperverletzung von Schuldsklave und Schuldsklavin 21,26.27 greifen auf 21,20.21 zurück und bilden einen Rahmen um die Talionsf ormel, die so im Zentrum steht. Zugleich nehmen 21,26.27 zwei Elemente des mittleren Teiles auf, nämlich "Auge" und "Zahn" aus der Talionsformel. 13 V . W A G N E R , Systematik (1969) 179. 14 Wenn ich im folgenden zwischen dem "stoßenden Rind" und dem "stößigen Rind" unterscheide, s o entspricht das einer verkürzenden Redeweise. Unter einem "stößigen Rind" verstehe ich ein Rind, das die Verhaltensweise des Stoßens an sich hat und als solches gemeldet wurde bzw. bekannt ist. Es entspricht den beiden Fällen Ex 21,29.36. Genau genommen müBte es also heißen "das als stößig gemeldete (21,29) bzw. bekannte (21,36) Rind". Unter einem "stoßenden Rind" verstehe ich ein Rind, das einmal gestoßen hat und nicht als stößig gemeldet bzw. bekannt war. Es entspricht den beiden Fällen Ex 21,28.35. Dort, wo ich nicht unterscheide, spreche ich der Kürze halber v o m "stoßenden Rind" und verstehe darunter sowohl das stoßende Rind im engeren Sinne, als auch das stößige Rind.

Anordnung der Gesetze

49

Aufgrund dieser analogen Kompositionsstruktur von 21,18-27 und 21,2836 trenne ich zwischen 21,27 und 21,28 und zwischen 21,32 und 21,33f trotz der Syndese ab und teile wie folgt ein: 21,18-27: 21,28-36: 21,37-22,3: 22,4.5: 22,6-14: 22,15f :

Verletzung der körperlichen Integrität Das stoßende Rind und die offen gelassene Grube Diebstahlgesetze Schädigung des Feldes und der Ernte Depositenrecht Verführung eines nicht verlobten Mädchens

Der Abschnitt 21,28-36 umfaßt unter juristisch-systematischem Gesichtspunkt zwei Unterabschnitte: 21,28-32: Verletzung der körperlichen Integrität durch ein stoßendes Rind 21,33-36: Schädigung fremden Viehbestandes Das Problem der fehlenden Zäsur zwischen 21,32 und 21,33 läßt sich redaktionsgeschichtlich lösen. 1 5 Die pragmatische Kapitelüberschrift "das stoßende Rind und die offen gelassene Grube" ist im Hinblick auf eine zusammenhängende literarkritische Analyse des Abschnittes 21,28-36 zu verstehen. Durch Vergleich von 21,28.29 mit 21,35.36 und durch literarkritische Analyse von 21,33f läßt sich das Problem miteinander konkurrierender Gliederungsprinzipien klären. Die übrigen Abgrenzungen sind relativ deutlich markiert. 21,37-22,3 ist in 21,37 asyndetisch mit eingeleitet. Der erste und letzte Fall dieses Abschnittes sind nach dem Anordnungsprinzip von "Fall" und "Gegenfall" aufeinander bezogen und bilden zugleich eine Klammer um 22,lf, einen Fall, in dem es um die Frage des in flagranti delicto ertappten Diebes geht. Das verbindende Stichwort lautet 231. 22,6-14 ist ebenfalls in 22,6 asyndetisch mit "'S eingeleitet. Zwar liegt auch in 22,9 asyndetische Einleitung vor, dennoch ist es aus folgenden Gründen berechtigt, 22,6-8 und 22,9-14 auf der Endstufe des Textes als einen zusammenhängenden Abschnitt ("kleine Texteinheit") anzusehen: 1. 22,6 und 22,9 sind deutlich parallel formuliert: -ibljfr . . . ίΠΡΊ- 1 ?« EhK τ η : - · 1 ? 22,6 - i b ^ . . . i n j r r ^ N EPH Î F i r ^ ? 22,9 2. Die drei Hauptfälle 22,6.9.13 sind - redaktionell - deutlich parallel strukturiert: 1 6

15 Siehe dazu Kap. 4.2.2.2.2, S. 142-147. 16 Zur näheren Differenzierung siehe Kap. 4.2.5, S. 193-211.

50

Kasuistisches Rechtsbuch "»9

22,6f

•K •K 22,9-12 DK1 DK' •"DI

22,13f

DN Q¿ Die Syndese von 22,13 ist adversative Syndese und kennzeichnet 22,13 als Gegenfall zu 22,9f*. Demgegenüber kennzeichnet die Asyndese von 22,9 nicht den Beginn eines neuen Abschnittes, sondern die Parallelität (]ΓΙ3 + -IDE?1?) von 22,9f zu 22,6. In 22,15f liegt ein neuer Hauptfall vor. V.WAGNER hält das Gesetz zur Verführung eines nicht verlobten Mädchens für einen Anhang, da es nicht in seine Gliederung paßt. 1 7 Nach E.OTTO, bildet das Gesetz zusammen mit 21,18-32 einen Rahmen um die jciällem-Gesetze 21,33-22,14. 18 Nun hatten wir bei der Strukturanalyse bereits festgestellt, daß 22,15f nicht zum Thema "Verletzung der körperlichen Integrität" gehört und von daher nicht mit 21,18-32 parallelisiert werden darf. Durch das Verbum 3DE? ist 22,15 mit 22,18 verbunden. Die Syndese von 22,15 kann keine adversative Syndese sein. Sie sucht die Verbindung nach vorn, ohne dort einen formalen oder inhaltlichen Anknüpfungspunkt zu finden. 1 9 22,15f gibt sich so als einen typischen Nachtrag zu erkennen. Der Redaktor, der die beiden "Teile" des Bundesbuches miteinander verknüpft hat, fügt das Gesetz 22,15f hinzu. Durch Syndese hängt er es an den bereits vorliegenden Kodex an und schafft mit dem Stichwort 13Ö gleichzeitig eine Verbindung zum zweiten Teil, zu 22,18.26. 20 Der Abschnitt 22,4.5 "Schädigung des Feldes und der Ernte" besteht lediglich aus zwei asyndetisch eingeleiteten Hauptfällen. Die Asyndese in 22,5 hat - wie in 22,9 - die Funktion, die beiden Fälle zu parallelisieren und auf diese Weise zu verbinden. Die verbindenden Stichworte sind ΓΠΦ und D^ü. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Arten der Schädigung von Feld und Ernte: in 22,4 durch weidendes Vieh, in 22,5 durch ausbrechendes Feuer. Ein offenes Problem ist die Verbindung von 21,18 nach vorn. Aufgrund formgeschichtlicher Erwägungen sieht man zwischen 21,12-17 und 21,18ff 17 V.WAGNER, Systematik (1969) 176. 18 E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 9f. Siehe das Schema in Kap. 2.1.5.2, S. 16. 19 Vgl. ähnlich 21,33 und 21,1. Zur Syndese von 21,1 vgl. F.-L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 181.

20 Vgl. oben S. 27.

Ex 21,18-27

51

eine starke Zäsur. In 21,12-17 handelt es sich um apodiktisch, in 21,18ff um kasuistisch formulierte Rechtssätze. Beides - so sagt man - kann nicht ursprünglich zusammengestanden haben. 2 1 Nimmt man 21,12-17 als sekundäre Erweiterung heraus, dann liegt zwischen dem "Sklavengesetz" 21,2-11 und 21,18ff ein "logischer Sprung" 2 2 vor. V . W A G N E R rechnet deshalb damit, daß der Anfang seines zweiten Teiles verlorengegangen und durch 21,12-17 ersetzt worden sei. Bei der Analyse von 21,12-17 werde ich diese These und ihre Implikationen diskutieren.

4.2.

4.2.1.

Textanalysen

Verletzung

der körperlichen

Integrität:

Ex

21,18-27

Entsprechend der in Kapitel 4.1 dargelegten Struktur dieses Abschnittes möchte ich die thematisch und strukturell zusammenhängenden Gesetze zum Schutz des Schuldsklaven und der Schuldsklavin Ex 21,20f.26f zusammenhängend auslegen. Damit ergeben sich f ü r den Abschnitt "4.2.1. Verletzung der körperlichen Integrität: Ex 21,18-27" folgende Unterabschnitte: 4.2.1.1. Körperverletzung unter freien Männern: 21,18f 4.2.1.2. Totschlag, natürlicher Tod und Körperverletzung Schuldsklave und Schuldsklavin: 21,20f.26f

von

4.2.1.3. Fahrlässige Körperverletzung mit und ohne Todesfolge und fahrlässige Verursachung einer Fehlgeburt ( = "die schwangere Frau und die Talionsformel"): 21,22-25. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Fragen werden im Kontext der Einzelanalyse berücksichtigt.

21 Belege für diese Auffassung in Kap. 4.2.7, S. 213-234. 22 V . W A G N E R , Systematik (1969) 177.

52

Kasuistisches Rechtsbuch

4.2.1.1.

Körperverletzung

unter freien

Männern:

Ex

21,18.19

Ex 21,18f lautet:

is tin? =ιπ5τπηΝ eharnan} d ^ k

21,18a

"TSJT ri^a; S ^ l p n a ^ΠζϊΠΙ nsan «ani

îfp

21,18b 21,19aa

1

i n ^ ç ρτ

21,19aß 2i,i9b

Einige Exegeten verstehen Ex 21,18f als ein aus einem Haupt- und einem Unterfall bestehendes Gesetz. Der Hauptfall sei in V.18 mit "'S eingeleitet, der Unterfall in V.19 mit DN.1 Prüfen wir, ob diese Auffassung haltbar ist. Wenn V.18 Haupt- und V.19 Unterfall wäre, dann würde der Hauptfall von V.18 keine Rechtsfolgebestimmung aufweisen. Vielmehr würde die eine Rechtsfolgebestimmung (V.19aßb: Ν5Ί1 ÎFP ΐΡΠϋ pT Π3ΏΠ Hg}} NST?) für die Tatbestandsdefinition von Haupt- (V.18) und Unterfall (V. 19a) gleichzeitig gelten. Dies wäre für das Bundesbuch singular. Zwar findet sich auch in Ex 22,6 die Tatbestandsdefinition eines Hauptfalles ohne Rechtsfolgebestimmung, doch wird diese in den folgenden zwei Unterfällen, die im Verhältnis von "Fall" und "Gegenfall" zueinander stehen, differenziert angegeben: Ex 22,6.7:

Wenn p ? ) ..., so gilt: Falls (DK) der Dieb gefunden wird .... Falls (DK) der Dieb nicht gefunden wird ....

Der Unterschied zu Ex 21,18f

wird deutlich:

Ex 22,18.19: Wenn aber ( " O } ) ..., so gilt: Falls (DK) er wieder aufsteht.... Gemäß der Kompositionstechnik von Ex 22,6.7 wäre nach Ex 21,19a ein zweiter, als Gegenfall zu V.19a konzipierter, Unterfall zu erwarten, wenn V.19 Unterfall zu V.18 wäre: Falls (DK) er nicht wieder aufsteht... ?

1 So A . A L T , Ursprünge (1934) 212. H . J . B O E C K E R , Recht und Gesetz ( 2 1 9 8 4 ) 130f. H . G E S E , Beobachtungen (1960) 147, spricht bei V.19 von einem "selbständigen Unterfall". 2 So ergänzen die Tanaim. Vgl. G . S C H M I T T , Ex 21,18f. (1973) 11, Anni. 1.

Ex 21,18f Dieser aber fehlt. Durch Umstellung der VV. 20-22 erhält solchen Gegenfall in den VV.23-25: 3

53 K.BUDDE

einen

"Wenn aber Männer in Streit gerathen und einer den andern schlägt, mit einem Stein oder mit der Faust, dass er nicht tot bleibt, wohl aber bettlägerig wird: so soll, wenn er wieder aufsteht und an seinem Stocke draussen umhergeht, der in [sie!] schlug, straflos ausgehen; bloss seine Versäumnis soll er zahlen und f ü r die Heilung Sorge tragen. Wenn aber ein Leibesschaden entsteht, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuss um Fuss, Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Strieme um Strieme." 4 Nimmt man die VV.23-25 jedoch als zweiten Unterfall zu V.18 an, so paßt die Rechtsfolgebestimmung von V.23 1ÖS3 ΠΠΡΙ tfSJ ΠΠΓΙ3)Ι nicht zur Tatbestandsdefinition des Hauptfalles von V.18: ΓΙ^Ώ^ S ^ l . Darauf hat bereits H . H O L Z I N G E R hingewiesen. 5 Denn V.23 setzt als mögliche Tatfolge den Tod des Geschädigten voraus. Dieser aber wird durch V.18b (JHQ^ S ^ l ) ausgeschlossen. Auch semantisch sind die VV.23-25 besser an V.22 angebunden als an V.18: ΤΠ3 von V.23b weist zurück auf f^Ü von V.22bß und f i OK von V.23a auf f TOS von V.22a. Darüber hinaus verkennen die meisten Umstellungen in diesem Textabschnitt die Rahmenfunktion der VV.20.21./ 26.27. 6 So "ist die Umstellung eine methodisch falsche Schlußfolgerung aus der richtigen Beobachtung des engen Zusammenhangs zwischen V.18f. und V.22f. sowie V.20f. und V.26f," 7 Wie läßt sich die auf den ersten Blick ungewöhnliche Formulierung von Ex 21,18.19 erklären? Die einzige Möglichkeit besteht darin, daß man OS in V.19a nicht als eine den Unterfall einleitende konditionale, sondern als eine temporale Konjunktion versteht, die eine weitere Bestimmung zur Tatbe3 Durch Umstellung schafft K . B U D D E , Bundesbuch (1891) 109-112, folgende Reihenfolge: VV.18.19. 23-25. 22. 20.21.26.27. Im Anschluß an K . B U D D E auch H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 86. B . B A E N T S C H , Ex-Lev-Num (1903) 193. G . B E E R , Exodus (1939) 110, und die Zürcher Bibel. A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 32, läßt ebenfalls die VV.23-25 auf die VV.18.19 folgen, stellt aber etwas anders um: VV.12.(1317.) 20.21. 18.19.23-25. 26.27. 22. 4 K . B U D D E , Bundesbuch (1891) 112. 5 H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 86. 6 Vgl. nur G . B E E R , Exodus (1939) 110: "20.21.26 und 27 gehören zusammen ... ". 7 E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 28. Gegen die Umstellungen von K . B U D D E haben sich auch A.ALT, Ursprünge (1934) 228, A n m . 3 und H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 56 ausgesprochen. Jede Umstellung greift relativ stark in den vorliegenden Text ein und kann oft nur schwer erklären, wie der vorliegende Text entstanden ist. Deshalb formuliert B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 94, zu Recht den Grundsatz: "If we are to attack the integrity of the text, we should do so in the minimum fashion consistent with an intelligible textual development."

54

Kasuistisches Rechtsbuch

standsdefinition des Hauptfalles macht. 8 V.19a besagt dann: "Zu dem Zeitpunkt, da er wieder aufsteht und draußen an seinem Stab gestützt umherläuft ... ". Wie ist diese Angabe zu verstehen? In Ex 21,18f geht es um den Fall der Körperverletzung ohne Todesfolge. Der Fall grenzt sich von Ex 21,12 ab, wo es um Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge geht. 9 Im Falle der Körperverletzung ohne Todesfolge entsteht das Problem, bis zu welchem Zeitpunkt der Tod eines Verletzten als Folge der Körperverletzung angesehen werden kann. Die Zeitangabe "sobald er wieder aufsteht und draußen gestützt an seinem Stab umhergeht" gibt hierauf eine Antwort. G.LIEDKE hat diesen Aspekt hervorgehoben: "In unserem Falle mußte sich der Schläger verborgen halten bis feststand, daß der Geschlagene wieder aufstehen und draußen herumlaufen konnte. Bis dahin wußte er ja nicht, ob Blutrache eintreten würde oder nicht." 10 Wenngleich der Verletzte nicht unmittelbar infolge der Verletzung starb (Πίΰ^ N1^}), sondern zunächst bettlägerig wurde ^BJ)), so konnte es doch sehr wohl geschehen, daß der Verletzte nach einigen Tagen, die er (schwer) verletzt auf dem Lager verbracht hatte, starb. In diesem Fall liegt Körperverletzung mit Todesfolge vor und Ex 21,12 tritt in Kraft. Sobald er aber aufsteht und gestützt an seinem Stab draußen umhergeht, ist dieser "rechtliche Schwebezustand" 11 für den Täter beendet. Die Angabe D^p^DN iFlJISPQ - ^? ρ^ΓΏ "ninnili hat also einmal die Funktion, den Zeitpunkt anzugeben, bis zu dem mit der Möglichkeit der Blutrache gerechnet werden muß. 1 2 Es bestand aber auch die Möglichkeit, daß der Verletzte starb, nachdem er sein Krankenlager bereits verlassen hatte, wie A . D I L L M A N N anschaulich beschreibt: "starb der Kranke nach dem Ausgehen doch noch, so war das seine eigene Schuld, sofern er vielleicht zu zeitig ausgegangen war." 1 3 8 Zu DK als temporale Konjunktion vgl. GB 46, Nr.4, H A H I (1987) 70f, Nr. 5, und P.JOÜON, Grammaire (1923) § 166p. HAL führt ON als temporale Konjunktion nicht an. 9 Ursprünglich folgten beide Fälle sehr wahrscheinlich einmal unmittelbar aufeinander, was aber für die Argumentation an dieser Stelle nicht von großer Bedeutung ist. Zur Begründung siehe Kap. 4.2.7.1.2 und 4.2.7.2, S. 216-234. 10 G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 48, Anm. 2. 11 Vgl. G.SCHMITT, Ex 21,18f. (1973) 14. 12 So auch G.SCHMITT, Ex 21,18F. (1973) 13: "Der Satz steckt eine zeitliche Grenze ab, von der an eine Anwendung des Blutrechts nicht mehr in Frage kommt." 13 A . D I L L M A N N / V . R Y S S E L , Exodus ( 3 1 8 9 7 ) 256. So auch P.HEINISCH, Exodus (1934) 169.

Ex 21,18f

55

In Ex 21,18f geht es also indirekt auch um das Problem der Kausalität im Falle eines nach einer Körperverletzung eingetretenen Todes. Unter diesem Gesichtspunkt besagt das Gesetz: Wenn der Verletzte, nachdem er bereits aufgestanden und draußen gestützt an seinem Stab umhergegangen war, stirbt, so gilt dieser Tod nicht als durch die Körperverletzung verursacht. In diesem Falle ist der Schläger straffrei: Π3Ϊ3Π ! " l ¡ ? 3 D i e Bedeutung von m n ; in V.18b ergibt sich also nicht nur aus der Opposition zu 21,12 ΠΏT, sondern auch aus der Opposition zu J: "...so daß er nicht (sogleich) stirbt, sondern bettlägrig wird...". Zugleich aber muß die Zeitangabe i Fl ρ i n a ^ΓΙζίΠ} Oí ρ ; "OS von der weiteren Rechtsfolgebestimmung K3T1 |ΓΡ ifl^lE? ρ Ί Π3ΘΠ n¡531 NS^P her verstanden werden. G.LIEDKE sieht einen "leichte[n] Widerspruch" in beiden Angaben. Nach seiner Ansicht nach kommt dieser Widerspruch "durch die Addition der Urteilsvorschläge beider Parteien zustande: der Schläger oder seine Familie schlägt Straffreiheit vor, der Geschlagene oder seine Familie besteht auf Erstattung der entstandenen Kosten. Das Gericht macht sich die Auffassung der geschädigten Partei in seinem Urteilsvorschlag zu eigen, kombiniert ihn aber mit dem Urteilsvorschlag des T ä t e r s . " ' 5 Nach G.LIEDKE bewahrt das Π3Ι9Π Π(53) in 21,19 den Angeklagten "vor der Blutrache". 1 6 Diese Interpretation ist sachlich richtig, sie trifft aber nicht alle Bedeutungsaspekte des Wortes im vorliegenden Kontext. Das Adjektiv "'PJ bezeichnet in Dtn 24,5 und 1 Kön 15,22 das Freisein von Dienst- und Versorgungspflichten. 1 7 Die Bedeutung von Hp3 in der Rechtssprache beschränkt sich nicht nur auf das Freisein von der Blutschuld, sondern bezeichnet darüber hinaus auch "das Ledig-Sein von (sozial-)ethischer Verpflichtung". 1 8 Bei dieser weiter gefaßten Bedeutung bestehen keinerlei Spannungen zwischen den beiden Rechtsfolgebestimmungen. Zugleich wird die Stellung von Π38Π 1 hinter i n ? ? ^ - 1 ? ? f i n ? η^ΠΓΙΓΙΙ 0 = ΐ ρ ; - 0 Κ verständlich. Die Angabe V f i J ' p r i a η^ΠΓΐη] DÏpf-DN gibt'den Zeitpunkt an, da die Haftpflicht des Täters endet: "Sobald er wieder aufsteht und draußen gestützt an seinem Stab umhergeht ist der, der geschlagen hat,

14 Vgl. G . S C H M I T T , F x 21,18f. (1973) 13: "Was dazu freilich gar nicht zu passen scheint, ist das ausdrückliche »und er stirbt nicht«; es sollte doch wenigstens heißen: nicht sogleich stirbt. Aber das Hebräische ist sparsam mit Adverbien ... 15 G . L I E D K E , Gestalt und Bezeichnung (1971) 48. 16 Ebd. 17 Gen 24,8 drückt Hp3 (Nif.) + f Ü das Freisein von eidlicher Verpflichtung aus. Vgl. die weiteren Belege in HAI- III. 680f. 18 C.v.LEEUWEN, Art. H p 3 , in : T H A T II, 104. Vgl. G . W A R M U T H , Art. in: T h W A T V , 595f.

56

Kasuistisches Rechtsbuch

[von jeder weiteren Haftung] frei". 1 9 V.19b "nur sein Daniederliegen soll er erstatten und f ü r die Heilung aufkommen" beschränkt sich damit auf den Zeitraum vor seinem ersten "öffentlichen Auftritt" nach der Verletzung. Die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Kosten an Arbeitsausfall und Heilung müssen von demjenigen aufgebracht werden, der die Verletzung verursacht hat. In diesem Gesetz zeigt sich die Tendenz, die Rechte beider Parteien zu schützen. Der geschädigten Partei wird das Recht auf Erstattung der Heilungskosten und des Arbeitsausfalls zugestanden. Aber auch die Rechte des Täters werden geschützt. Ein nicht durch die Verletzung hervorgerufener Tod kann dem Täter nicht zur Last gelegt werden. Kriterium ist der erste "öffentliche Auftritt" des Opfers. Aus der präzisen Formulierung des Gesetzes läßt sich eine weitere Intention des "Gesetzgebers" erkennen. Offensichtlich bestand die Gefahr, daß die geschädigte Partei durch ein verlängertes "Krankfeiern" versuchte, Kapital aus der eigenen Schädigung zu schlagen, um so gleichsam noch als Nebeneffekt den Täter zusätzlich zu schädigen. Dem wird mit V.19a ein Riegel vorgeschoben. Damit erklärt sich die eigenartige Stellung der Rechtsfolgebestimmung Π3ΏΠ n¡?31 vor der Festsetzung der Schadensersatzleistung. V.19 ist sinngemäß so zu übersetzen: "Sobald er aufsteht und gestützt auf seinen Stab draußen umherläuft ist der Schläger frei [von jeder weiteren Haftung]. Nur sein Daniederliegen [, das mit dem Zeitpunkt des ersten "öffentlichen Auftritts" beendet ist,] muß er erstatten und f ü r die Heilung aufkommen". Auch hier handelt es sich um eine sehr präzise Bestimmung, die die Rechte beider Seiten zu schützen versucht. Es geht nicht um ein kurzfristiges Verlassen des Lagers innerhalb des Hauses zur Nahrungsaufnahme oder außerhalb des Hauses zur Verrichtung der Notdurft oder dgl. Es geht um das öffentliche Auftreten außerhalb des Hauses ( f i n ? ) . Dabei muß es sich um ein wirkliches Gehen (Ή^ΠζΙΠ) handeln, aber - und damit werden die Rechte des Täters geschützt - der Betroffene muß noch nicht in vollem Ausmaß wiederhergestellt sein, sondern nur soweit, "daß er an dem öffentlichen Leben seiner Ortschaft auf der Gasse (und im Tor) vollen Anteil nehmen kann." 20 Dazu mag er sich durchaus der Hilfe eines Stabes bedienen. Sobald dies möglich und eingetreten ist, ist der Täter von weiterer Haftung frei: 1 Π3Ϊ3Π. ν — —

19 Vgl. auch F.HORST, Hiob (1962) 152: "die Haftung für einen als Schuld gewerteten Tatbestand für aufgelöst erklären". 20 A.ALT, Ursprünge (1934) 213.

Ex 21,18f

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Worin besteht nun die Haftpflicht des Täters? Zwei Angaben werden gemacht: 1. Sein iFl^l? soll er geben ("[Π3). Der suffigierte Infinitiv läßt sich sowohl von ("sitzen"), als auch von PDIÍ ("aufhören", "ruhen") ableiten. Unter Berücksichtigung des Kontextes und entsprechender Parallelen 2 1 ist eine Ableitung von 3EP am wahrscheinlichsten. ΙΕ?"' korrespondiert mit 130η1? En, wobei rotfD1? *?EJ3 in Opposition zu Dip, und 2E?"1 in Opposition zu l ^ n steht. Der Unterschied zu ΓΠΕ? ist an dieser Stelle nicht sehr groß, da SEP zwei Bedeutungsaspekte enthält, "nämlich Ortsgebundenheit (»mansiv«) und Ruhestellung (»quietiv«)". H.CAZELLES erwägt unter Anregung von HG § 10 eine Übersetzung von als "pour sa résidence", 23 und versteht die Rechtsfolgebestimmung Ex 21,19b in Analogie zu HG § 10 "pour sa résidence il livrera un homme qui devra le soigner". 24 Bei dieser Interpretation muß H.CAZELLES allerdings eingestehen, daß in Ex 21,19 das Objekt EhKfehlt, dessen Fehlen er auf das Konto des hebräischen Redaktors setzt, der durch die Streichung eines ursprünglichen Ehst die Rechtsfolgebestimmung im Hinblick auf die Zahlung einer Geldsumme öffnen wollte. Aufgrund dieser Schwierigkeiten geht F.C.FENSHAM einen Schritt weiter und schlägt ebenfalls in Anlehnung an HG § 10 die Übersetzung "an seiner Stelle" für ÎFÇltf vor: "but he shall provide someone in his place". HG § 10 lautet: 2 7 § 10 A Wenn jemand einen Menschen beschädigt und ihn krank macht, dann pflegt er ihn. An seiner Stelle aber gibt er einen Menschen, und der arbeitet in seinem Haus, bis er gesund wird. Sobald er aber gesund wird, gibt er ihm 6 Schekel Silber, und er allein gibt den Lohn für den Arzt. Folgende Entsprechungen zwischen Ex 21,18f und HG § 10 liegen vor: 1. Die Erstattung der Arztkosten. 2. Die Erstattung des Arbeitsausfalles bzw. die Versorgung des Kranken. 2 8 3. Die Protasis des Unterfalles "sobald er aber gesund wird". 21 Vgl. vor allem Lev 12,4, aber auch 2 Kön 14,10; Hos 3,3. 22 M . G Ö R G , Art. in: ThWAT III, 1016. Vgl. auch Ri 5,17; Jes 30,7. Ähnlich bereits H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 85. 23 H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 53. 24 Ebd. 54. 25 Ebd. 26 F.C.FENSHAM, Exodus XXI 18-19 (1960) 335. 27 Üb. nach E.v.SCHULER, in: T U A T 1,1,99. 28 Vgl. A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 62: "Wenn nun im Bb., Ex.21,18f., festgesetzt wird: Nur sein Ruhen soll er ihm ersetzen (d.h. den Verlust an Verdienst) und die Arztkosten bezahlen, so ist sachlich damit dasselbe gesagt wie im H.G."

58

Kasuistisches Rechtsbuch

Ferner fällt auf, daß in HG § 10 eine Ex 21,18b m i r entsprechende Angabe fehlt. Eine solche findet sich auch nicht in CH § 206: § 206 Wenn ein Bürger einen (anderen) Bürger bei einer Rauferei schlägt und ihm eine Wunde beibringt, so soll dieser Bürger schwören: "Ich habe nicht mit Absicht geschlagen", und den Arzt zahlen. 2 9 Die Angabe m o ^ N1^) ist zum Verständnis von Ex21,18f nicht erforderlich. Sie grenzt den Fall von 21,12 (ΠΏΊ) ab, und ist ein Hinweis darauf, daß sie bei der Fassung des kasuistischen Rechtssatzes 21,18f und seiner Zusammenstellung mit 21,12 30 hinzugefügt wurde . Wie immer man ÎFl^lÇ exakt bestimmen mag, in Verbindung mit dem Verb ΪΓ13 und in Opposition zu "Ι^Π geht es in der Rechtsfolgebestimmung um die Erstattung derjenigen Kosten, die dadurch entstanden sind, daß der Verletzte aufgrund seiner Verletzung nicht draußen umherlaufen, und das heißt: seiner Arbeit nachgehen und den Lebensunterhalt für sich und gegebenenfalls seine Familie sicherstellen konnte. 2. Davon unterschieden und eigens aufgeführt werden die Kosten für die Heilung. Hier wird man vor allem an die f ü r die Behandlung von Wunden erforderlichen Salben und Öle zu denken haben, eventuell auch an die Bezahlung eines Wundarztes 3 1 und möglicherweise auch an die Erstattung der Kosten f ü r die im Zusammenhang mit der Heilung darzubringenden Opfer und zu vollziehenden liturgischen Handlungen. 3 2

29 Üb. nach R . B O R G E R , in: T U A T 1,1, 68. 30 Vgl. dazu Kap. 4.2.7, S. 213-234. 31 Vgl. 2 Kön 8,29. H.J.STOEBE, Art. Ν 3 Ί , in: T H A T II, 803-809. Vgl. auch CH §§ 215225. 32 Vgl. K . S E Y B O L D , Gebet des Kranken (1973) 56-63; 85-96. E . G E R S T E N B E R G E R , Der bittende Mensch (1980) 67-93; 11 lf; 134-160.

Ex 21,20f.26f 4.2.1.2.

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Totschlag, natürlicher Tod und Körperverletzung von Schuldsklave und Schuldsklavin: Ex 21,20.21.26.27

Ex 21,20.21.26.27 lautet:

i τ ηπη noi ontfa inns~rs is innjrn» e?"1« n3i_,,Di A



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21,20a '

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21,20b

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21,21a

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21,2Iba

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21,21bß

Talionsbestimmung (21,22-25) nnrjtí^ i r m

r?rriiriN

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2i,26b i^P

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: Í 3 ? nnn ^ 3Π^>ΙΖΡ "ΊίξΙΠ^

4.2.1.2.1.

2i,26a 21,27a 21,27b

Forschungsüberblick

Viele Exegeten sehen einen Widerspruch zwischen Ex 21,20 und 2 1 , 2 1 . In beiden Versen - so wird gesagt - zeige sich eine unterschiedliche Auffassung von der rechtlichen Stellung des Sklaven. In V.20 werde der Sklave faktisch dem freien Israeliten gleichgestellt, weil Tötung eines Sklaven analog Ex 21,12 "gerächt" (Dp|? Dpi) werden müsse. In V.21 dagegen werde der Sklave als Besitz seines Herrn angesehen: Sì Π T3Ç5 Die Lösungen dieses "Widerspruches" sehen unterschiedlich aus. Einige belassen es bei der Feststellung und rechnen mit einer oszillierenden Stellung des Sklaven zwischen (freier) Person und Sache. 2 Einige schwächen den Wider1 J . R I E S E N E R . D e r Stamm " Q Î ? ( 1 9 7 9 ) 1: "Hier wird der "71V als der völlig zum Eigentum V e r f a l l e n e gesehen, nämlich nur unter dem materiellen Gesichtspunkt, daß er zum » B e s i t z « desjenigen g e h ö r t , der ihn gekauft und g e t ö t e t hat." S o auch R . d e V A U X , L e b e n s o r d n u n g e n I ( 1 9 6 4 ) 140. F . C R Ü S E M A N N , "Auge um Auge ..." ( 1 9 8 7 ) 4 1 9 . H . R I N G G R E N , A r t . " D P , in: T h W A T V , 994: "Nach E x 21,21 ist der Sklave »das G e l d « ( k œ s œ p ) , d.h. der B e s i t z , seines H e r r n . " F . C . F E N S H A M , N i c h t - H a f t b a r Sein ( 1 9 8 0 ) 25. 2 B . B A E N T S C H , Ex-I,ev-Num ( 1 9 0 3 ) 194: " D e r Sklave ist eben nur eine S a c h e , e r ist, wie es v.21 sehr bezeichnend heisst, das G e l d seines B e s i t z e r s . D i e äusserste Consequenz dieses Grundsatzes ist j e d o c h keineswegs gezogen. D e r M o r d eines Sklaven wird wie der

60

Kasuistisches Rechtsbuch

Spruch ab, indem sie das Di?!? Dp3 nicht im Sinne der Blutrache, sondern als Zahlung einer Geldbuße verstehen. 3 Andere lösen das Problem literarkritisch, indem sie die Begründung V.21bß ΝίΠ iSÇ5 "'S als sekundären Zusatz ansehen. 4 Einen noch stärkeren Widerspruch sehen viele zwischen Ex21,20f auf der einen und Ex 21,26f auf der anderen Seite: "Einzigartig ist ... die Regelung in Ex21,26f., derzufolge ein Herr, der seinem Sklaven oder seiner Sklavin ein Auge zerstört oder einen Zahn ausschlägt, diese dafür freilassen muß. Hier wird im Gegensatz zu den anderen Bestimmungen über Mißhandlungen der Sklave nicht als »Besitz« seines Herrn gesehen, sondern wirklich als Person. - Der Rechtssatz Ex 21,20f. freilich sieht den Sklaven ebenfalls noch primär als Eigentum seines Herrn. Er genießt hier nur einen sehr beschränkten Rechtsschutz; denn auch wenn er von seinem Besitzer so sehr geschlagen wird, daß er nach einigen Tagen stirbt, bleibt sein Herr straffrei." 5 Das Problem wiederholt sich in der Frage nach dem Grund für die unterschiedlichen Rechtsfolgebestimmungen von V.20 und V.21. In beiden Fällen wird der Sklave von seinem Herrn getötet. Nach V.20 soll diese Tat gerächt werden, nach V.21 soll sie nicht gerächt werden. Worin liegt der Unterschied begründet? In der Forschung werden diesbezüglich zwei unterschiedliche Positionen vertreten. Die erste Position lautet: Im Fall von V.21 tritt der Tod erst ein oder zwei Tage nach der Züchtigung ein. In diesem Fall ist die Todesursache un-

eines Freien nach v.12 geahndet." P.HEINISCH, Exodus (1934) 170: "War also der Sklave auch nicht dem Freien gleichgestellt, so war er doch nicht bloß Sache und der Willkür des Herrn überantwortet, sondern das Gesetz wertete ihn als Person." G.te S T R O E T E , Exodus (1966) 170: "De regels wat betreft de slaven ... gaan uit van twee beginselen die moelijk te verenigen zijn. Enerzijds wordt de slaaf beschuwd als een menselijk wezen (vs 20) wiens dood gewroken moet worden, anderzijds is hij eigendom, bezit van zijn heer, zodat deze niet gestraft wordt als de slaaf niet onmiddellijk sterft (vs. 21)." I.RIESENER, Der Stamm T I S (1979) 130. 3 A . D I L L M A N N / V . R Y S S E L , Exodus und Leviticus ( 3 1 8 9 7 ) 256. H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 85. B . B A E N T S C H , Ex-Lev-Num (1903) 195. G . B E E R , Exodus (1939) 111: "Todesstrafe kam nicht in Betracht, zumal es sich um unabsichtliche Tötung, noch dazu eines Unfreien handelt." B.S.CHILDS, Exodus (1974) 471. 4 A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 32f. Im Anschluß daran auch H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1 9 8 4 ) 139f. Vgl. G.SCHMITT, Ex 21,18f. (1973) 13, Anm. 1: "Die Begründung ist unlogisch; wenn der Sklave unter seiner Hand stirbt, ist es auch sein Geld." 5 I.RIESENER, Der Stamm 1 3 S (1979) 130.

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Ex 21,20f.26f

sicher. Aufgrund mangelnder Evidenz ist der Herr des Sklaven als schuldlos zu erachten. 6 Die zweite in der Forschung vertretene Position lautet: In V.20 handelt es sich um vorsätzliche Tötung, in V.21 um unvorsätzliche Tötung. Daraus ergibt sich eine jeweils unterschiedliche Rechtsfolgebestimmung. 7

4.2.1.2.2.

Die Stellung Bundesbuches

von Ex 21,20f.26f

im Kontext

des

Folgende Argumente sprechen dafür, daß Ex 21,20f.26f an dieser Stelle nicht zum ältesten Bestand von Ex 21,18-22,16 gehört: 1. Ex 21,20f und 21,26f bilden einen Rahmen um 21,22-25. Die VV.26.27 aber setzen die Talionsbestimmung aus V.24 voraus, denn sie legen die Modifikation der Talionsbestimmung in ihrer Anwendung auf Schuldsklave und Schuldsklavin fest: Bei Schuldsklave und Schuldsklavin gilt nicht ΡΠΓΙ Τ?» (V.24aa) und T? Γ)ΠΓΙ ft? (V.24aß), sondern Γ1ΠΓΙ "Ί&ΒΠ^ I 3 Ç / i 3 3? (VV.26.27). Die VV.26.27 sind also nur verständlich, wenn ihnen die Talionsbestimmung in V.24 vorausgeht. 8 Die Talionsbestimmung ist aber an dieser Stelle sekundär eingefügt. 9 Demnach können die VV.26.27 nicht früher als V.24 sein, gehören also nicht zum Grundbestand. Die VV.20.21 aber korrespondieren kompositorisch mit den VV.26.27, wie weiter unten gezeigt wird. Sie stammen von derselben Hand wie die VV.26.27. Demnach

6 So: B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 195. A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 32f. P.HEINISCH, Exodus (1934) 170. G . B E E R , Exodus (1939) 111. D.DAUBE, Direct and Indirect Causation in Biblical Law (1961) 248: "The law cannot exact retribution where the evidence leaves a degree of doubt." I.RIESENER, Der Stamm (1979) 130. R.WESTBROOK, Biblical and Cuneiform Law (1988) 100. 7 M.NOTH, Exodus (1958) 146: "Wahrscheinlich liegt dieser so verschiedenen Behandlung wieder die Unterscheidung zwischen beabsichtigter und nicht beabsichtigter Tötung zugrunde. Im ersteren Falle wird der Sklave nicht als Besitz, sondern als Mensch betrachtet." S.M.PAUL, Studies (1970) 70: "... should he die immediately from his master's blows his life is to be avenged, for the blows then are assumed to have been struck with homicidal rather than with disciplinary intention. ... if the slave survives the beating for »a day or two,« it is assumed that the intention of his owner was disciplinary and not homicidal;". I.CARDELLINI, "Sklaven'-Gesetze (1981) 259. Vgl. auch U.CASSUTO, Exodus (1951) 273: "this man did not actually kill his slave, but only caused his death indirectly ...". 8 Wenn F.CRÜSEMANN, "Auge um Auge ..." (1987) 419, die Einfügung der Talionsformel 21,24f "als Protest" gegen die Bestimmungen 21,26f versteht, dann muß sie offensichtlich später eingefügt worden sein als 21,26f. Diese Interpretation beruht auf einem Verständnis von 21,24f im Sinne strikter Talion, was meines Erachtens nicht möglich ist. Siehe dazu Kap. 4.2.1.3, S. 79-128. 9 Zur Begründung siehe Kap. 4.2.1.3, S. 79-128.

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Kasuistisches Rechtsbuch

können die VV.20.21.26.27 an dieser Stelle nicht älter als die Talionsbestimmung in V.24 sein. 2. Die Gesetze zum Schutz von Schuldklave und Schuldklavin sind auch im Hinblick auf den weiteren Kontext des Bundesbuches zu betrachten. Im Sklavengesetz von Ex 21,32 handelt es sich um den Sklaven im engeren Sinne. Dem "T2Ï von Ex 21,32 entspricht der wardum aus CE § 55 und CH §252. Hier geht es nicht um den Schutz des Sklaven, sondern um Schadensersatz f ü r den Herrn des Sklaven. Die Interessen des Herrn, nicht die des Sklaven werden geschützt. Ganz anders in 21,20f.26f: Hier handelt es sich um den Schuldsklaven. Dem I I S aus Ex21,20f.26f entspricht der nipûtum aus CH §§ 115;116. Es geht hier um den Schutz des Schuldsklaven und um eine klare Einschränkung der Verfügungsgewalt des Herrn über denselben. Damit heben sich 21,20f.26f von 21,32 deutlich ab. Ex 21,32 aber gehört zum ältesten Bestand des Bundesbuches. 10 3. Schließlich gibt es gute Argumente für die ursprüngliche Abfolge von 21,18f und 21,22. Die beiden Fälle regeln zwei unterschiedliche Folgen einer Schlägerei zwischen freien Männern. In den VV.20f hingegen geht es nicht um eine Schlägerei. Zwar liegt in V.20 auch das aus V.18 bekannte Verbum ¡"D3 vor, wird aber hier in anderer Verbindung und Bedeutung verwendet. Geht es in VV.18f um das Schlagen im Rahmen einer Schlägerei, so in V.20 um das Schlagen des Sklaven im Rahmen einer Züchtigung. 11 Die Züchtigung geschieht mit dem Stock (C32Ç2), und der Schuldsklave stirbt gegebenenfalls "unter der Hand seines Herrn" ΠΠΓ)). Bei der Schlägerei hingegen schlägt man mit gerade herumliegenden Gegenständen, wie ζ. B. Steinen, oder gar mit der eigenen Faust (V.18aß). Von daher sind beide Fälle anders gelagert. 4. Schließlich spricht auch die Abfolge der §§ 206-208 ("Körperverletzung mit und ohne Todesfolge") und der §§ 209-214 ("Verursachung einer Fehlgeburt") im CH für eine entsprechende ursprüngliche Abfolge von Ex 21,18f und 21,22 im Bundesbuch. 12 Diese ursprüngliche Abfolge der 10 Zur Begründung siehe Kap. 4.2.2.2.1, S. 131-142, besonders S. 142. 11 B . B A E N T S C H , Bundesbuch (1892) 17f, berücksichtigt diesen Unterschied nicht, wenn er beide Fälle unterschiedslos dem Oberbegriff "Streiterei" subsumiert. Richtig dagegen S.M.PAUL, Studies (1970) 69f. 12 Vgl. aber auch die A b f o l g e der Gesetze zur Körperverletzung in den §§ 10-18 HG, wo die A b f o l g e Freier/Sklave offensichtlich fest verankert ist: § 10 Körperverletzung eines Freien (vgl. Ex 21,18f) § 11 Bruch von Hand oder Fuß eines Freien § 12 Bruch von Hand und Fuß von Sklave oder Sklavin § 13 Zerstörung der Nase eines Freien § 14 Zerstörung der Nase von Sklave oder Sklavin § 15 Zerstörung des Ohrs eines Freien § 16 Zerstörung des Ohrs von Sklave oder Sklavin

Ex 21,2Qf.26f

63

VV.18.19.22 wurde durch den Einschub der VV.2Qf unterbrochen. Dem Einschub wurden als korrespondierender Rahmenschluß die VV.26f an die Seite gestellt. So enstand eine Ringkomposition mit der Talionsbestimmung im Zentrum. 1 3

4.2.1.2.3.

Interpretation

von Ex

21,20.21

Bei der Interpretation von Ex 21,20.21 gehe ich zunächst einmal von der Hypothese aus, daß die beiden Fälle im Verhältnis von "Fall" und "Gegenfall" zueinander stehen. 1 4 Zwei Beobachtungen sprechen f ü r diese Hypothese: 1. Die Rechtsfolgebestimmungen beider Fälle bilden einen Gegensatz: DpJ D g | ? (V.20) versus D ^ Vft (V.21). 2.V.21 wird mit der Partikel η» eingeleitet, die an dieser Stelle adversative Funktion hat. 1 5 Die Einleitung eines Gegenfalles mit W ist f ü r das Bundesbuch singulär. Normalerweise wird ein solcher mit "Ol oder mit DK}17 eingeleitet, wobei dem Waw adversative Funktion zukommt. Der Rechtsfolgebestimmung V.21ba tö folgt in V.21bß eine Begründung: ί»Π Î9Ç3 "»3. Auch dies ist f ü r das Bundesbuch singulär. Beide Beobachtungen gehören zusammen und lassen sich gemeinsam auswerten: Die ungewöhnliche Einleitung des Gegenfalles mit ^i? betont die Gegensätzlichkeit von V.21 gegenüber V.20, und die Begründung V.21bß will die von V.20 abweichende Rechtsfolgebestimmung plausibel machen. V.21 ist also auf einem Hintergrund formuliert, auf dem die Bestimmung nicht als selbstverständlich galt. Der Autor oder Redaktor von V.21aba mußte offensichtlich darum bemüht sein, das Gesetz plausibel zu machen. Deshalb stammt auch von ihm die Begründung V.21bß. Die Begründung V.21bß ist also gegenüber V.21aba nicht sekundär. Sie läßt vielmehr den gleichen Hintergrund erkennen, der auch hinter der ungewöhnlichen Einleitung des Verses mit "iJN steht. V.21 ist demnach als einheitlich anzusehen. 1 8 Wie steht es aber um das Verhältnis von V.21 zu V.20? Auch hier läßt sich keine literarkritisch relevante Kohärenzstörung feststellen. Man könnte

13

14 15 16 17 18

§ 17 Verursachung einer Fehlgeburt bei einer Freien (vgl. Ex 21,22) § 18 Verursachung einer Fehlgeburt bei einer Sklavin. Vgl. auch E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 29: "Der Redaktion vorgegeben waren die beiden Gesetze Ex XXI 18f. und Ex XXI 22f., die durch Ex XXI 20f.24-27 erweitert wurden." Siehe die Abbildung in Kap. 4.2.2.2.2, S. 147. So auch E.OTTO, Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 138f. Vgl. HAL 1,44. GB 34. Vgl. Gen 9,4f. Ex 21,7.14.18f; 22,13. Ex 21,5.23.29; 22,11. Anders A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 32f, der die Begründung V.21bß für einen Zusatz halt.

64

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einwenden, daß beide Verse doch eine geradezu gegensätzliche Tendenz in ihrer Haltung dem Schuldsklaven gegenüber erkennen lassen: V.20 trifft eine Regelung für den Schutz des Schuldsklaven, während V.21 die Interessen des Herrn verteidigt, gar noch mit der eigenartigen Begründung "denn er ist ja sein Geld". Dieser Einwand verkennt die im Bundesbuch regelmäßig anzutreffende Redaktionstechnik von "Fall" und "Gegenfall" und vor allem die hinter V.21 stehende juristische Anschauung. V.20 schützt den Schuldsklaven vor Totschlag durch seinen Herrn: Der Fall des Totschlags eines Schuldsklaven durch seinen Herrn muß gerächt werden. 1 9 Das Leben des Schuldsklaven ist dem Herrn also nicht schutzlos preisgegeben, es wird durch die Institution der Blutrache geschützt. Nun kann es allerdings geschehen, daß der Schuldklave eines natürlichen Todes stirbt. In solch einem Fall könnten die Angehörigen des Schuldklaven den Herrn anklagen, den Tod des Schuldsklaven durch Schlagen verursacht zu haben. Denn es war offenbar selbstverständlich und wird vom Gesetz nicht weiter in Frage gestellt, daß ein Schuldsklave von seinem Herrn geschlagen wurde. Wenn es aber durchaus häufiger vorkam, daß ein Schuldsklave von seinem Herrn geschlagen wurde, dann konnte auch ein natürlicher Tod des Schuldsklaven von den Angehörigen des Schuldsklaven auf eine Züchtigung durch seinen Herrn zurückgeführt und die Institution der Blutrache gegen den Herrn in Anspruch genommen werden. Gegen eine solche falsche Anklage will V.21 den Herrn des Schuldsklaven in Schutz nehmen. Hinter der Tatbestandsdefinition von V.21a "aber falls er einen oder zwei Tage steht" steht die Anschauung, daß ein nach ein oder zwei Tagen nach einer Züchtigung eingetretener Tod nicht auf die Züchtigung als Ursache des Todes zurückgeführt werden kann. Diese Beobachtung ist von entscheidender Bedeutung, um V.21 nicht völlig falsch zu verstehen. Um die hier vorgelegte Interpretation zu verdeutlichen, sei zunächst ein Szenario entworfen, das nicht im Hintergrund von V.21 steht: Ein Herr fügt seinem Schuldsklaven im Rahmen einer Züchtigung schwere Verletzungen zu und dieser stirbt Gott sei Dank - erst am anderen Tag in Folge dieser Verletzungen. Also findet V.21 Anwendung: Der Herr kommt unbehelligt davon. 20 Ein solches Verständnis von V.21 widerspricht dem Wortlaut des Verses. Das Wort TOS? ist an dieser Stelle nicht mit "durchstehen" zu übersetzen 2 1 in dem Sinne, daß der Sklave - schwer verwundet - noch bis zum anderen Tag durch19 Zur Bedeutung von DJ? 3 ? D p 3 siehe den übernächsten Abschnitt 4.2.1.2.5, S. 70-74. 20 D i e s e Interpretation wird von den meisten Übersetzungen unterstellt: M.NOTH, Exodus (1958) 136: "Falls er jedoch einen oder zwei Tage am Leben bleibt ... ." Hervorhebung von mir. Auch F . C R Ü S E M A N N , A u g e um A u g e (1987) 419, versteht Ex 21,21 als "Körperverletzung mit späterer Todesfolge". Ebenso F.C.FENSHAM, NichtHaftbar-Sein (1980) 23. 21 So E . O T T O , Rechtssystematik (1988) 187. D E R S . , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 136.

Ex 21,20f.26f

65

steht und dann erst stirbt. "TQV meint zunächst einmal das aufrechte Stehen, das erforderlich ist, um seiner Arbeit nachzugehen im Unterschied zu 33IÖ "liegen" und 2EP "sitzen". 22 Zusammen mit der Präp. bezeichnet "TOS "die Haltung des Dieners, der vor seinem Herrn steht und seine Befehle empfängt". 2 In Ex 21,21 ist es absolut gebraucht und heißt "Dienst tun". 24 Hinter V.21 steht demnach folgende Anschauung: Es war durchaus üblich und erlaubt, daß ein Schuldsklave - in der Regel wohl mit einem Stock geschlagen wurde. Dies war eine legitime Form der Züchtigung, die übrigens auch in der Schule üblich war. 2 5 Normalerweise führte eine solche Züchtigung nicht zur Verletzung des Schuldsklaven, geschweige denn zu seinem Tod. In der Regel dürfte er nach einer solchen Züchtigung aufrecht gestanden und seinen Dienst getan haben ("TQS>). Nun konnte ein solcher Schuldsklave auch - wie unschwer einzusehen ist - während seiner Schuldsklavenzeit eines natürlichen Todes sterben. Ein solcher Tod konnte aufgrund von Ex 21,20 von den Angehörigen des Schuldklaven als Anlaß zur Verklagung des (ihnen ohnehin verhaßten) Herrn genommen werden. Gegen eine solche ungerechtfertigte Anklage nimmt V.21 den Herrn des Schuldklaven in Schutz. Diese Interpretation wird gestützt durch die Wendung D?Π111 TN Di"1. Es handelt sich hier um die adverbielle Funktion des Akkusativs mit Angabe der Zeiterstreckung: einen Tag oder zwei Tage lang. Es steht dort nicht "nach einem Tag oder nach zwei Tagen", und es steht dort auch nicht das Verbum D-lp wie in Ex 21,18f. Das heißt aber auch: Es wird gar nicht vorausgesetzt, daß der Sklave aufgrund seiner Verletzung bettlägerig wird, wie im unmittelbar vorangehenden Fall 21,18 (IS^O1? ^SJ). Das Wort 1D» heißt in Ex 21,21 "Dienst tun". Die Wortwahl ergibt sich dadurch, daß V. 21 Gegenfall zu V. 20 ist und zugleich 21,18f im Hintergrund steht. Als Verständnishorizont für 21,21 muß angenommen werden, daß der Schuldsklave geschlagen oder ein solcher Vorwurf von seiten seiner Familie erhoben worden ist. Die Züchtigung aber hat keine schweren Verletzungen hervorgerufen, ja hat

22 Vgl. Ex21,18f. 23 S.AMSLER, Art. 1 Ώ Ϊ , in: T H A T II, 331. S.AMSLER nennt u.a. folgende Verwendungsweisen von "TOP: "(1) Im alltäglichen Leben steht der Knecht vor seinem Herrn .... (2) Am königlichen Hof steht der Minister vor dem König ... . (3) Im Kult steht der Priester vor Gott ... ". Vgl. auch H . R I N G G R E N , Art *TQV: T h W A T VI, 198f. O.KEEL, Jahwe-Visionen (1977) 111. DERS., Altorientalische Bildsymbolik ( 3 1980) 293-295. 24 In dieser Bedeutung kommt "70S? absolut gebraucht vor in Neh 12,44; 1 Chr6,18. In 1 Chr 6,17 heißt es: α Γ Ι Τ ί ΐ ϊ - ^ » . . . ì T f p ? ? ] . Im Hif. "zum Dienst beauftragen"; 1 Chr 6,16. Vgl. auch mit Subjekt D ^ l l V : Ps 134,1; 135,2. 25 131$ auch in Spr 10,13; 13,24; 22,8.15; 23,13f; 26,3; 29,15. 26 Vgl. die im Horizont weisheitlicher Leben-Tod-Metaphorik doppeldeutige Aussage Spr. 23,13f: "Erspar dem Knaben die Züchtigung nicht; wenn du ihn schlägst mit dem Stock (C32l?5). w ' r d er nicht sterben."

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seine Arbeitsfähigkeit nicht beeinträchtigt: Der Schuldsklave ist nicht bettlägerig geworden (vgl. 21,18b: ^331), sondern hat einen oder zwei Tage nach der Züchtigung seinen Dienst getan Danach erst ist er gestorben. Ein solcher Tod gilt als natürlicher Tod. Von hier aus lassen sich die in der Forschung vertretenen Interpretationen kritisch beurteilen. Eine erste Interpretation von V.21 lautet: Bei einem erst ein oder zwei Tage nach der Züchtigung eingetretenen Tod ist die Todesursache unsicher. Aufgrund mangelnder Evidenz ist der Herr des Schuldsklaven als schuldlos zu erachten. 2 7 Bei dieser Interpretation muß allerdings die Begründung von V.21bß als sekundär angesehen werden, denn sie gibt einen anderen Grund an als den mangelnder Evidenz. A.JEPSEN hält konsequenterweise V.21bß für einen Zusatz, der besagt, daß der Sklave Eigentum seines Herrn sei. 28 Ein solches Verständnis von Schuldknechtschaft aber widerspricht V.20. Denn wäre der Schuldsklave Eigentum seines Herrn, dann wäre nicht einzusehen, weshalb der Herr bei Tötung seines Schuldsklaven der Rache verfallen soll. Deshalb schwächt eine Reihe von Exegeten das Dp 3 ^ Dp 3 auf die Zahlung einer Geldbuße ab. 2 9 Halten wir dagegen an der oben dargelegten Interpretation von V.21 fest, so ergibt sich f ü r die Begründung von V.21bß SìD iSÇO "'S folgendes Verständnis: Wenn ein Schuldsklave während seiner Schuldsklavenzeit eines natürlichen Todes stirbt, dann geht dem Herr die noch abzuleistende Arbeitszeit seines Schuldsklaven verloren. Als institutioneller Hintergrund ist hier die Schuldknechtschaft vorausgesetzt. 30 Ein insolventer Schuldner arbeitet seine Schulden bei seinem Gläubiger ab. Als solcher ist er der "72V seines Gläubigers. Für ihn gelten die Bestimmungen der Schuldknechtschaft. Stirbt er während dieser Zeit eines natürlichen Todes, so geht der Gläubiger der noch ausstehenden Arbeitszeit verlustig. Die Begründung Ν ^ Π iSÇD 3 meint also nicht "denn er [der Schuldsklave] ist ja sein Geld" in dem Sinne, 27 Siehe oben, S. 61, Anm. 6. 28 A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 32f, hat die Schwierigkeiten deutlich gesehen, die sich bei dieser Interpretation ergeben: "Dann ist der Zusatz: denn er ist sein Eigentum, jedoch schwer verständlich. Wollte man mit diesem Grundsätze Ernst machen, müsste der Herr überhaupt mit seinem Sklaven tun können, was er wollte. D a s geht indessen keineswegs, wie sich schon oben zeigte, und wie auch diese Verse wieder beweisen. Eine solche Erläuterung und Rechtfertigung wie 21,21bß steht übrigens im Bb. vereinzelt da. ... So liegt die Vermutung nahe, 21bß sei Zusatz, geschrieben, um die verschiedene Behandlung von Freien und Sklaven zu erklären. Tatsächlich beruhte der Unterschied nicht darauf, dass man den Sklaven nur als Eigentum seines Herrn ansah (denn das Verhältnis von Herrn und Sklaven wurde im Gesetz durchaus nicht als das von Eigentümer und Besitzer aufgefasst ...); vielmehr wurde der Herr nur deshalb nicht bestraft, weil die Todesursache unsicher war. Beides spricht dafür, in 21bß eine Einschiebung zu sehen." 29 Siehe S. 70f, Anm. 51; 52. 30 So auch A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 32, Anm.4.

Ex 21,20f.26f

67

daß der Schuldsklave Eigentum seines Herrn sei. Dies widerspricht innerhalb des Bundesbuches sowohl Ex 21,20 als auch Ex 21,26.27 und Ex 21,2-11. Die Begründung Κ1Π Ì9DD "'S meint vielmehr: "denn dies [d.h. diese Angelegenheit, nämlich, daß der Sklave frühzeitig stirbt] ist sein Geld [, das ihm dadurch verloren geht]". 31 Frei könnte man übersetzen: "denn um sein Geld geht es hierbei". 32 Eine zweite in der Forschung vertretene Interpretation besagt, in V.20 ginge es um vorsätzliche, in V.21 aber um unvorsätzliche Tötung. 3 3 Auch in diesem Fall muß die Begründung V.21bß als spätere Hinzufügung angesehen werden. 3 4 Aber auch aus einem anderen Grund ist diese Interpretation nicht haltbar. In V.21 liegt nämlich verkürzende Redeweise vor, insofern der erste Bestandteil der Tatbestandsdefinition aus V.20 für die Tatbestandsdefinition von V.21 implizit vorausgesetzt wird: EPN t31Ç?5 i n a s - n t j i s ( V . 2 1 a a ) . 3 5 Der Unterschied zwischen den beiden Fällen besteht zwischen i n ; ΠΠΡΙ DQÌ und CTDT ^ DÌ "'"DK η» (V.21a). Das aber bedeutet: Man kann nicht für V.20aa vorsätzliche Tötung annehmen und für V.21a, w o V.20aa implizit vorausgesetzt wird, un vorsätzliche Tötung. Im übrigen wird der Unterschied zwischen Tötung mit Vorsatz und Tötung ohne Vorsatz in Ex 21,13.14 anders und zugleich eindeutig ausgedrückt. Demnach scheidet auch diese Erklärung aus. 31 Vgl. H . H O L Z I N G E R , E x o d u s (1900) 85: "Statt Κ ί Π (sc.der Sklave, die Sklavin) wie meist g e s c h i e h t , k a n n auch l 3 0 3 als S u b j e k t a n g e s e h e n w e r d e n ; d a n n s t e h t Ν-ΙΠ wie D t n 32,39: sein e i g e n e s Geld ist es, d a s h i e r b e i in Frage k o m m t . " A u f g r u n d d e r Stellung von * 2 Ç 3 a n e r s t e r Position wird diese I n t e r p r e t a t i o n s o g a r v o r z u z i e h e n sein. 32 Vgl. auch J . H A L B E , Privilegrecht (1975) 463, A n m . 20: "21,21bß s t e h t ... mit drei W o r t e n f ü r ein g a n z e s Prinzip: nicht, i n s o f e r n es die reine S a c h q u a l i t ä t des Sklaven b e t o n t , s o n d e r n indem es den G e d a n k e n a b w e h r t , es gebe in diesem Recht BuBfreiheit f ü r den Fall mutwilliger K ö r p e r v e r l e t z u n g mit T o d e s f o l g e - und sei es auch n u r an Sklaven. D e r T ä t e r b ü ß t durch E i g e n t u m s v e r l u s t , und das b e s t ä r k t die V e r m u t u n g , die schon aus d e r M i t t e l b a r k e i t d e r T o d e s f o l g e (v.21a) erwächst: daß die T o d e s f o l g e vom T ä t e r w e d e r b e a b s i c h t i g t noch a b z u s e h e n war." 33 Siehe o b e n S. 61, A n m . 7. 34 So k o n s e q u e n t e r w e i s e I . C A R D E L L I N I , " S k l a v e n ' - G e s e t z e (1981) 259f: "Die e r k l ä r e n d e M o t i v a t i o n v . 2 l b , nach d e r die S t r a f b e s t i m m u n g nicht a u f g r u n d d e r nicht-vorsätzlichen H a n d l u n g negativ ist, s o n d e r n a u f g r u n d d e r V o r s t e l l u n g , daß ein g e k a u f t e r Sklave E i g e n t u m seines H e r r n ist, w ä r e also ü b e r f l ü s s i g . Im T e x t b e s t e h e n danach zwei I n t e n t i o n e n , d e r e n e i n e mit d e r g e s a m t e n k e i l s c h r i f t l i c h e n T r a d i t i o n ü b e r e i n s t i m m t , wonach d e r Sklave e i n f a c h als E i g e n t u m s e i n e s H e r r n galt, w ä h r e n d die a n d e r e v e r s u c h t , die R e c h t s s t r a f e nach dem G e d a n k e n des V o r s ä t z l i c h e n bzw. NichtV o r s ä t z l i c h e n zu r e c h t f e r t i g e n . " 35 E i n e in d i e s e r F o r m v e r k ü r z e n d e R e d e w e i s e f i n d e t sich auch in Ex 21,23.31.32.36 und a n d e r e n a l t o r i e n t a l i s c h e n R e c h t s c o d i c e s , z.B. C E § 2 4 ; C H § 252. D a b e i w e r d e n T e i l e d e r T a t b e s t a n d s d e f i n i t i o n e i n e s v o r a n g e h e n d e n Falles im f o l g e n d e n Fall v o r a u s g e s e t z t , o h n e eigens e r w ä h n t zu w e r d e n . Vgl. dazu E . O T T O , R e c h t s g e s c h i c h t e d e r R e d a k t i o n e n (1989) 18f; 132. 36 Vgl. auch D t n 19.

68

Kasuistisches Rechtsbuch

Halten wir als vorläufiges Ergebnis fest: V.20 und V.21 stammen von ein und demselben Redaktor. Sie sind wie Fall und Gegenfall aufeinander bezogen. V.20 schützt das Leben des Schuldsklaven gegenüber seinem Herrn durch die Institution der Blutrache. V.21 schützt das Leben des Herrn vor der ungerechtfertigten Inanspruchnahme der Blutrache seitens der Familie des Schuldsklaven im Falle eines natürlich eingetretenen Todes des Schuldsklaven. 37

4.2.1.2.4.

Ex 21,20.21

im Vergleich

mit CH §§

115,116

Allgemein wird die Auffassung vertreten, zu Ex 21,20.21 gäbe es keine Parallele in der altorientalischen Gesetzgebung. S.M.PAUL schreibt: "This law is without precedent in all other ancient Near Eastern collections, where the case of a slave being killed by his master is never mentioned. The biblical law introduces a new evaluation of the intrinsic worth of a slave, i.e., he is considered a human being in his own right. There is a concern here for the interest and protection of the slave as a person; hence, he is not treated merely as chattel of value solely to his master." 38 Der erste Teil dieser Behauptung ist nicht richtig. Er beruht offensichtlich auf der Gleichsetzung von Hebr. "D? Akk. wardum . Dem "TIP in Ex 21,20.21 entspricht aber der nipûtum in CH §§ 115;116. Hier liegt ein Ex 21,20.21 entsprechendes Gesetz vor, das unsere aufgrund interner Textanalyse gewonnene Interpretation voll bestätigt:

37 Daß es in Ex 21,21 um den Schutz des Herrn geht haben am deutlichsten U . C A S S U T O und F.C.FENSHAM herausgestellt, obwohl beide den Tatbestand dieses Gesetzes nicht richtig erfaßt haben. U . C A S S U T O , Exodus (1967) 273: "His master is also a human being, and his life must also be protected if absolute justice does not demand the forfeiture of his life; now this man did not actually kill his slave, but only caused his death indirectly, and he has already received material punishment through the loss of his property, for he, the slave, is his money." F.C.FENSHAM, Exodus ( 2 1 9 7 7 ) 154f: "Deze bepalingen betreffen de bescherming van slaven en hun heer. ... De bepaling van vs.21 beschermt de eigenheer. Blijft de slaaf nog een körte tijd na de tuchtoefening in leven, dan blijft de heer ongestraft. Daarmee is in zeker opzicht aan het humane karakter van de bepaling van vs.20 een restrictie opgelegd." 38 S.M.PAUL, Studies (1970) 69. Vgl. auch M . D A V I D , Codex Hammurabi (1950) 162. Im Anschluß an S.M.PAUL auch E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 85, Anm. 82.

Ex 21,20f.26f

69

CH lautet: 3 9 §115 Wenn ein Bürger gegenüber einem (anderen) Bürger eine Forderung auf Getreide oder Geld hat und einen ihm Angehörigen als Pfand nimmt, und die gepfändete Person im Hause seines Pfandgläubigers eines natürlichen Todes stirbt, so hat dieser Rechtsfall keinen Klageanspruch. § 116 Wenn eine gepfändete Person im Hause ihres Pfandgläubigers infolge von Schlägen oder durch Mißhandlung stirbt, so soll der Eigentümer der gepfändeten Person seinen Kaufmann überführen; wenn es sich um einen Sohn eines Bürgers handelte, so soll man seinen (eigenen) Sohn töten, wenn es sich um einen Sklaven eines Bürgers handelte, so soll er ein drittel Mine Silber zahlen; und all dessen, was er gegeben hat, geht er verlustig. Das Doppelgesetz Ex 21,20.21 entspricht dem Doppelgesetz CH §§ 115;116. Beim "T35? Ex 21,20.21 geht es - wie oben gezeigt - um den Schuldsklaven. Dem entspricht im CH §§ 115;116 nipûtum40 Die Reihenfolge der beiden Gesetze ist jeweils umgekehrt, ein Phänomen, das wir im Vergleich von Bundesbuch und Codex Hammurapi auch an anderer Stelle beobachten können. 4 1 CH behandelt in § 115 zunächst den Fall, daß der Schuldsklave eines natürlichen Todes stirbt. Dieser Fall wird im Bundesbuch an zweiter Stelle behandelt (21,21), während der Fall, daß der Schuldsklave von seinem Herrn getötet wird, im Bundesbuch an erster (21,20), im CH an zweiter Stelle steht. Die Reihenfolge des Bundesbuches ist systembedingt. Sie ergibt sich aus der Parallelisierung von Ex 21,20.21 mit 21,12.18f: 42 (a) 21,12: (b) 21,18f: (a') 21,20: (b') 21,21:

Körperverletzung Körperverletzung Körperverletzung Körperverletzung

eines Freien mit Todesfolge eines Freien ohne Todesfolge eines Schuldklaven mit Todesfolge eines Schuldsklaven ohne Todesfolge

In § 115 CH geht es um den Fall, daß die gepfändete Person "eines natürlichen Todes stirbt": i-na ii-ma-ti-sa im-tu-ut, wörtlich übersetzt: "gemäß

39 Üb. nach R . B O R G E R , in: T U A T 1,1,56. 40 Vgl. AHw II (1972) 792. "Schuldhäftling". C A D 11/11, 249-251. Vgl. R . W E S T B R O O K , Biblical and Cuneiform Law (1988) 90f. 41 Ex 21,12 (CH § 207) - Ex 21,18f (CH § 206). Vgl. auch Ex 22,4 ( H G § 107) - Ex 22,5 ( H G § 106). 42 Hierbei setze ich voraus, daß Ex21,18f ursprünglich unmittelbar auf 21,12 folgte. Zur Begründung siehe Kap. 4.2.7.1.2, S. 216-231. Aber auch unabhängig von dieser literarkritischen Entscheidung werden in 21,12-17 Fälle in bezug auf freie Israeliten behandelt.

70

Kasuistisches Rechtsbuch

seinem Schicksal gestorben ist". 43 Genau darum geht es aber auch in Ex 21,21. Dies wurde in der bisherigen Forschung nicht erkannt, weil die Bedeutung des Wortes und die anschließende Begründung falsch verstanden wurden. Selbst R . W E S T B R O O K , der CH §§ 115;116 zur Interpretation von Ex 21,20.21 heranzieht, hat dies nicht gesehen, weil er Ex 21,21 im Anschluß an D . D A U B E als Fall "mangelnder Evidenz" versteht. Dann aber muß R.WESTBROOK konstatieren, daß § 115 CH keine Parallele im Bundesbuch und Ex 21,21 keine Parallele im CH hat. 4 4 Darüberhinaus entspricht auch die Rechtsfolgebestimmung von § 115 CH der von Ex 21,21: In beiden Fällen ist der Herr des Schuldsklaven schuldlos. R.WESTBROOK versteht V.21bß als Bestimmung zur Zahlung einer Geldstrafe. Er interpretiert das "'S nicht kausal, sondern adversativ: "but h e / i t is his money." 4 5 Diese Interpretation überzeugt nicht. Bei der Festsetzung einer Geldbuße steht an den anderen Stellen des Bundesbuches f*"^ ( + C1Ç?)46 oder 1"ΊΣ7Π + η03 4 7 oder ïptà + t)D3.48 Ferner ist sie auch unter juristischem Gesichtspunkt nicht überzeugend. Sie rechnet gleichsam mit einer Art Kompromiß-Strafe im Falle einer nicht klar zu ermittelnden Verantwortlichkeit. 4 9 Ein solches Prinzip läßt sich im Bundesbuch an keiner Stelle nachweisen. 5 0 V.21bß Ν·1Π Ì3Q5 ^ entspricht vielmehr - wie wir es oben interpretiert haben - dem « i-na mi-im-ma sum-su ma-la id-di-nu i-te-el-le - "und all dessen, was er gegeben hat, geht er verlustig" aus § 116 CH.

4.2.1.2.5.

Was heißt api"1 Ώρ: in Ex

21,20?

H . H O L Z I N G E R und B . B A E N T S C H sehen im DpJ von V.20 nicht die Forderung der Todesstrafe, sondern die einer Geldbuße. 5 1 Auch A.DILLM A N N und S . R . D R I V E R halten Todesstrafe in Ex 21,20 f ü r unangemessen, sie 43 So R.HAASE, D i e Keilschriftlichen Rechtssammlungen ( 2 1 9 8 9 ) 42. 44 R.WESTBROOK, Biblical and Cuneiform Law (1988) 100. 45 Ebd. "If death does not immediately result from the blows, then the father or relative loses his primary right to revenge, but the guilty party still d o e s not escape unpunished. In such a case of reduced culpability we would expect a fixed ransom in lieu of revenge this, we suggest, is what our enigmatic phrase is referring to: »it (i.e. the revenge) is his money (i.e. the debt)«." 46 Ex 21,22.23.30.32. 47 Ex 21,34. 48 Ex 22,16. 49 Vgl. R . W E S T B R O O K , Cuneiform and Biblical Law (1988) 100: "In this intermediate situation where the evidence is ambiguous, the biblical law effects a reasonable compromise, precluding revenge but providing a penalty equivalent to a fixed ransom by way of cancellation of the debt." 50 Vgl. auch die Aufforderungen zum genauen Nachforschen in Dtn 13,15; 17,4; 19,18. 51 H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 85. B . B A E N T S C H , Ex-Lev-Num (1903) 195.

Ex 21,20f.26f

71

denken an eine "dem Ermessen des Gerichts überlassene Strafe". 5 2 Die genannten Autoren argumentieren von 21,12 und 21,21 her. Nach 21,21 (V.21bß!) war der Sklave dem freien Israeliten rechtlich nicht gleichgestellt. Wenn 21,12 für die Tötung eines freien Israeliten Blutrache fordert, dann kann dies nicht in gleicher Weise für die Tötung von Sklave und Sklavin gefordert sein, zumal dann nicht, wenn "die That eine unabsichtliche Tödtung ist." 5 3 So erklärt sich auch der Unterschied in der Rechtsfolgebestimmung von 21,12 Γΐα··Ρ niDund 21,20 DJ?3? Dp3. Die jüdische Tradition dagegen hat Dp 3 in V.20 immer im Sinne der Todesstrafe verstanden. Bereits der Samaritanus gleicht 21,20 an 21,12 an, indem er nicht Dp3? Dp3, sondern PO-1 ^ ΓΤΪΪ3 schreibt. Auch A.JEPSEN und H.CAZELLES verstehen die Rechtsfolgebestimmung im Sinne der Blutrache. 5 5 In der Tat weist die Semantik von Dp 3 eindeutig auf eine blutrechtliche Bestimmung hin und nicht auf Schadensersatzleistung in Form einer Geldbuße. 5 6 Worin aber liegt der Unterschied zur Rechtsfolgebestimmung niQ ΓΙΟ·"!"1 in 21,12? Einige sehen den Unterschied darin begründet, daß der Sklave - herausgerissen aus seinem Familien- und Sippenverband - nicht von seinen Familienangehörigen gerächt werden kann. Deshalb - so E.OTTO - ist die Racheinstitution in 21,20 "an ein Gericht gebunden". 57 Die Lösung des Problems liegt in der Beobachtung, daß nD : P ΠΊΰ und •p| ? Dp3 unterschiedliche Subjekte aufweisen. Bei ΓΙΟί ΓΙîQ ist der Täter Subjekt: er soll getötet werden. Bei Dp 3 ? Dp3 ist das Opf er Subjekt: es soll gerächt werden. Der Singular ist wie der von ΓΙΟΙ in V.20aß distributiv oder 52 A.DILLMANN/V.RYSSEL, Exodus ( 3 1 8 9 7 ) 256. S R . D R I V E R , Exodus ( 2 1918). 53 A.DILLMANN/V.RYSSEL, Exodus ( 3 1 8 9 7 ) 256. 54 U.CASSUTO, Exodus (1967) 273. Vgl. die Belege bei A.DILI.MANN/V.RYSSEL, Exodus ( 3 1 8 9 7 ) 256. 55 A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 32, Anm. 4, im Anschluß an eine mündliche Mitteilung A.ALTs. H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 54. So auch J.P.M.v.d.PLOEG, Slavery (1972) 79f. 56 Vgl. G . S A U E R , Art. D p 3 , in: THAT II, 106-109. E.LIPINSKI, Art. D p 3 , in: ThWAT V, 602-612. A.MENES, Die vorexilischen Gesetze (1928) 28. 57 E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 85, Anm. 81. Auch M.NOTH, Exodus (1958) 146f, vermutet, daß die Rechtsgemeinde die Blutrache vollstreckte. F.C.FENSHAM, Exodus ( 2 1977) 154, kann sich nicht vorstellen, daß der Familie des Sklaven das Recht auf Blutrache zukommt: "Daarom moet men misschien denken aan wraakneming door officiële instanties." Nach F.CRÜSEMANN, "Auge um Auge ..." (1987) 419, dagegen sind es die freien Verwandten, "die ihren Tod rächen können". 58 Das Nif'al von 0 p 3 hat normalerweise reflexive Bedeutung (HAL III, 681). E.LIPIÑSKI, Art. D p 3 , in: ThWAT V, 603, schlägt eine Konjektur vor: "Es ist möglich, daß der ursprüngliche Text im Sinn von nôqem jinnaqem »ein Rächer soll sich rächen« verstanden werden sollte und daß nqm niph hier eine reflexive Bedeutung hat." Die Änderung der Punktation ist aber nicht begründet. Qp3 (Nif./ inf.abs.Qal) stellt eine Parallelbildung zu ΠΟϊΡ Π ί ΰ (Hof./ inf^abs.Qal ) dar.

72

Kasuistisches Rechtsbuch

disjunktiv zu verstehen und stellt - obwohl eine Mehrzahl Betroffener (Schuldsklave und Schuldsklavin) genannt ist - kein Problem dar. Das Subjekt von DJ33? könnte auch neutrisch verstanden werden im Sinne von: "die Sache/die Angelegenheit muß gerächt werden", ähnlich wie möglicherweise 21,21bß Κ¡ΙΠ 1SÇ5 "'S - "denn diese Angelegenheit ist sein Geld". 59 Wahrscheinlicher aber ist, daß Dt?| f OpJ so wie HD^ mit einem konkreten Subjekt zu verbinden sind. Diese Beobachtung läßt den Verdacht aufkommen, daß die Rache nicht in jedem Falle denjenigen trifft, der den Schuldsklaven oder die Schuldsklavin getötet hat. §116 CH, den wir im vorangehenden Abschnitt als Parallele zu Ex 21,20 herangezogen haben, rechnet im Falle der Tötung einer gepfändeten Person mit der Möglichkeit stellvertretender Talion: "...wenn es sich um einen Sohn eines Bürgers handelte, so soll man seinen (eigenen) Sohn töten ..." Im Anschluß an CH §116 versteht R.WESTBROOK die Rechtsfolgebestimmung von Ex 21,20 im Sinne stellvertretender Talion: "the term nqm is used advisedly here as the technical term for vicarious punishment. »He shall be avenged« means that the appropriate member of the creditor's family is liable to be killed by way of revenge: if the victim were a son - his son; if a daughter - his daughter." 60 Bei dieser Interpretation konstatiert R.WESTBROOK allerdings einen Widerspruch zu Ex 21,31, wo - seiner Ansicht nach - stellvertretende Talion zurückgewiesen wird: "We therefore conclude that while the Covenant Code rejected vicarious revenge in the case of the goring ox, the principle was accepted in the case of the slave killed by his master." 61 Doch Ex 21,31 ist nicht im Horizont stellvertretender Talion formuliert. Der Vers wurde in den vorliegenden Kontext nicht eingefügt, 6 2 um die (aus CH bekannte) Praxis (oder Theorie) stellvertretender Talion zu unterbinden wie D . D A U B E , A.JEPSEN und R.WESTBROOK meinen. 6 3 Ex 21,31 weitet lediglich den Kreis der vom Schutz des Gesetzes Ex 21,29f betroffenen Personen auf unmündige Kinder aus. 6 4 59 60 61 62 63 64

Siehe oben S. 68, Anm. 31. R . W E S T B R O O K , Biblical and Cuneiform Law (1988) 91. Ebd. 99. Zur Literarkritik von Ex 21,32 siehe Kap. 4.2.2.2.1, S. 131-142. A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 36. D . D A U B E , "Lex Talionis" (1947) 100. Zur Begründung siehe Kap. 4.2.2.2.1, S. 131-142.

Ex 21,20f.26f

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Wir können also, ohne einen Widerspruch innerhalb des Bundesbuches in Kauf nehmen zu müssen, in Ex 21,20 mit der Möglichkeit stellvertretender Talion rechnen. Welche positiven Argumente sprechen nun d a f ü r ? 1. Subjekt von Dp 3? Dp3 ist - im Unterschied z u n o ^ n i ö nicht der Täter. Das eröffnet zumindest die Möglichkeit, mit einer Strafe zu rechnen, die den Täter nicht in personam trifft. 2. Der mit Dp3 bezeichnete Vorgang der Rache trifft in vielen Fällen nicht oder nicht nur den Täter, sondern auch Angehörige seiner Familie, seiner Sippe, seines Volkes. 6 5 3. Die Parallelität von Ex21,20f und CH §§ 115; 116 hinsichtlich der Tatbestandsdefinition beider und der Rechtsfolgebestimmung eines Falles läßt auch eine Parallelität hinsichtlich der Rechtsfolgebestimmung des zweiten Falles erwarten. 4. In Ex 21,2-6(ll).20f.26f geht es - im Unterschied zu 21,32 - um den Schuldsklaven. Die Institution der Schuldknechtschaft gibt einem Schuldner die Möglichkeit, durch Arbeitsleistungen bei seinem Gläubiger ein ihm gewährtes Darlehen und dessen Zinsen zu tilgen. Umgekehrt war dem Gläubiger durch diese Institution die Möglichkeit gegeben, sich abhängige Arbeitskräfte zu verschaffen. 6 6 Im Falle der Verschuldung und der vom Gläubiger eingeforderten Arbeitsleistung wird der Schuldner - soweit möglich - zunächst einmal eigene gewaltunterworfene Personen, und das waren vor allem seine Kinder, zur Ableistung der Schuldarbeit abgestellt haben. 6 7 Auch Ex 21,2-11 rechnet mit der Möglichkeit, daß "TIP und Π0Κ nicht verheiratet sind. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß es sich dabei um Kinder oder Jugendliche handelt. 6 8 Aus Ex 21,31 läßt sich indirekt schließen, daß unverheiratete Söhne und Töchter in der Rechtspraxis nicht in gleicher Weise dem Schutz der Blutrache unterstellt waren wie der erwachsene Mann und die erwachsene Frau (21,29). Nur so läßt sich die Erweiterung 21,31 verstehen, die sich gegen diese ungleiche Bestimmung wendet. 6 9 Vor diesem Hintergrund läßt sich nun der Unterschied zwischen Dp 3 ? Dp 3 in 21,20 und n o : n r i i o in 21,12 verstehen, D D ^ n i n setzt die Blutrache voraus. 7 0 Hier τ

"

r

geht es um das Verhältnis zwischen freien, erwachsenen Israeliten. In 21,20 wird aber offensichtlich mit der Möglichkeit gerechnet, daß unmündige Kinder Schuldsklave und Schuldsklavin sind. Im Falle ihrer Tötung durch den 65 Vgl. Gen4,15.23f. 66 Vgl. M.I.FINLEY, Schuldknechtschaft, in: H . G . K I P P E N B E R G (Hg.), Antike Klassengesellschaft (1977) 181. 67 Vel. Neh 5,5f; 2 K ö n 4 , l f . Vgl. H . G . K I P P E N B E R G , Religion und Klassenbildung ( 1982) 57: "Die von Neh 5,5 postulierte Abfolge ... wird ... mit der Verpfändung von Kindern begonnen haben." 68 Vgl. auch Spr 29,21. 69 Zur Begründung siehe Kap. 4.2.2.2.1, S. 131-142. 70 Zur Begründung siehe Kap. 4.2.7, S. 213-234.

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Kasuistisches Rechtsbuch

Herrn wurde eine Γ)0 : Ρ nÍQ-Rechtsfolgebestimmung, die den Herrn als Oberhaupt einer Familie selbst traf, offensichtlich als zu hart angesehen, zumal selbst f ü r einen freien Sohn und eine freie Tochter - sofern sie noch Kinder waren - der Schutz der Blutrache gegen eine andere Praxis erst eingef ü h r t werden mußte (21,31). Deshalb formuliert man offener: D p | ? Dp3. 71 Es handelt sich bei der Tötung von Schuldsklave und Schuldsklavin - wie bei Sohn und Tochter in 21,31 - um einen Blutrechtsfall, aber die Blutrache dürfte nicht in jedem Fall den Herrn selbst getroffen haben, sondern - sofern der getötete Schuldsklave noch ein Kind war - ein Kind des Herrn. Für den Fall, daß ein Familienoberhaupt selbst Schuldsklave war, 7 2 wird die Blutrache auch den Herrn des Schuldsklaven selbst getroffen haben. 7 3 5. Dtn 24,16 ist offensichtlich gegen stellvertretende Talion gerichtet. 7 4 Sie setzt das, wogegen sie sich wendet, voraus. Möglicherweise hat der Samaritanus unter diesem Einfluß Dp 3? Dp3 in Ex21,20 in ΡΕΠ"1 Π ΐ θ geändert. Ich verstehe die Rechtsfolgebestimmung D p | ? D[?3 in Ex 21,20 also im Sinne der Blutrache mit der Möglichkeit stellvertretender Talion. Stellvertretende Talion erscheint als besonders grausam, und sie ist es auch. Man muß sich bei einem solchen Urteil aber klar machen, daß der Bluträcher einer Person derjenige ist, der das Leben der Person schützt. Der Ο^ΓΙ ^Kà ist der Schutzpatron. 7 5 Darum geht es in Ex 21,20. Das Gesetz stellt den Schuldsklaven und die Schuldsklavin - sei es ein Kind, sei es ein Erwachsener - unter den Schutz der Blutrache.

4.2.1.2.6.

Interpretation

von Ex

21,26.27

Die hier vorgelegte Interpretation von Ex 21,20.21 findet sowohl unter formalen als auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten ihre Bestätigung, wenn wir nun Ex 21,26.27 analysieren. Zunächst zur Einleitung dieser Verse. V.26 beginnt mit "Ol und leitet einen Gegenfall ein:

71 Vgl. J.M.P.v.d.PLOEG, Slavery (1972) 80: "The expression is purposely somewhat vague ...". Er vermutet, daß die Formulierung eine ursprünglich andere Rechtsfolgebestimmung verdrängt habe. 72 Vgl. Ex 21,2b. 73 So auch R.WESTBROOK, Biblical and Cuneiform Law (1988) 92, mit Hinweis auf CH §§ 229-231. 74 Anders C.LEVIN, Verheißung (1985) 40-46. Vgl. auch Jer 31,29f; Ez 18. 75 Vgl. Gen 4,15 (D¡9.?!) und die Eigennamen, die aus der Wurzel nqm und theophorem Element gebildet sind. Dazu E.LIPIÑSKI, Art. D p 3 , in: T h W A T V, 610f.

Ex 21,20f.26f

75

"Wenn aber ein Mann das Auge seines Schuldsklaven oder das Auge seiner Schuldsklavin schlägt und es zerstört, dann soll er sie als Freigelassene f ü r ihr Auge gehen lassen." Der Fall, zu dem V.26 als Gegenfall fungiert, ist die Talionsbestimmung in V.24. Diese findet - so scheint es - nur Anwendung unter gleichberechtigten, freien Israeliten. V.26 legt fest, daß die Talionsformel in der Form ] ?? T?? ΠΠΓΙ keine Anwendung findet im Verhältnis Herr-Schuldsklave. Auch darin sehen viele einen Hinweis, daß der Schuldsklave dem freien Israeliten rechtlich nicht gleichgestellt war. 7 6 Wie es in der Realität war, ist eine andere Frage, im Gesetz Ex 21,26f ist das nicht der Fall. Denn in der Talionsformel Ex 21,24f geht es um die Angemessenheit der Schadensersatzleistung im Falle fahrlässiger Körperverletzung. Unter freien Israeliten ist hierfür die Zahlung (ΤΓΙ3) einer Ausgleichssumme vorgesehen. 7 7 Der Schuldsklave aber stand bei seinem Herrn in Schulden. Die Schulden (und ihre Zinsen) trägt er durch seine Arbeit ab. Schädigt der H e r r den Schuldsklaven durch Körperverletzung mit bleibendem Schaden, so muß der H e r r dem Schuldsklaven den angerichteten Schaden wiedergutmachen. Wie einem freien Israeliten, muß er ihm eine "Ausgleichssumme zahlen". Im Falle des Schuldsklaven wird diese Ausgleichszahlung allerdings mit den Schulden, die er bei seinem Herrn hat, verrechnet. Bei Verletzung von Auge und Zahn f ü h r t diese zur Freilassung des Schuldsklaven. Genau genommen geht es also in 21,26f um den Modus der Anwendung der Talionsbestimmung im Falle des Schuldsklaven. 21,26 setzt sich also von der vorangehenden Talionsformel nur insofern ab, als das Verfahren der Schadensersatzleistung im Falle des Schuldsklaven anders geregelt wird als im Falle eines freien Israeliten: bei einem freien Israeliten in Form der Zahlung (ΤΓΟ: 21,22f), bei einem Schuldsklaven in Form der Freilassung. Ex 21,27 greift das nächste Element der Talionsformel auf, nämlich den Zahn. Insgesamt formuliert V.27 kürzer als V.26: Das Subjekt EPN wird nicht genannt, sondern aus V.26 implizit vorausgesetzt. Das Objekt ft? steht an erster Position und - im Unterschied zum Objekt von V.26 - ohne AkkusativPartikel. Als Verben des Zerstörens nennt V.26 Π33 und ΓΙΠΙΖ?, V.27 nur VSJ ( / / / / . ) . Die Rechtsfolgebestimmungen allerdings sind in beiden Fällen exakt gleich. Diese Unterschiede in der Formulierung sind kein Hinweis auf zwei verschiedene Redaktoren. Eine solch verkürzende und einen unmittelbar 76 Vgl. B . B A E N T S C H , Ex-Lev-Num (1903) 195: "Auf den Sklaven findet das jus talionis keine Anwendung. Auch darin zeigt sich, dass der Sklave als geringeres Wesen galt. Zugleich zeigt unsre Bestimmung aber auch, dass man in dem Sklaven doch eine Persönlichkeit sah, der gewisse Rechtsansprüche zustanden." Vgl. auch S.M.PAUL, Studies (1970) 78. 77 Zum Verständnis der Talionsbestimmung Ex 21,23-25 als Schadensersatzleistung siehe Kap. 4.2.1.3.4.3, S. 99-106.

76

Kasuistisches Rechtsbuch

vorangehenden Vers voraussetzende Formulierung findet sich sowohl an anderen Stellen des Bundesbuches als auch in anderen altorientalischen Rechtsbüchern. Die verkürzende Redeweise als solche gehört dort zur Prägnanz des juristischen Stils und ist keine Kohärenzstörung. 7 8 Zum Schluß dieses Kapitels möchte ich noch kurz der Frage nachgehen, warum in den VV.26.27 nur Auge und Zahn aus der vorangehenden Talionsbestimmung aufgegriffen werden. Hierfür sind drei Gründe maßgebend: Der erste Grund ist kompositionstechnischer Art. In den VV.20.21 f o r muliert der Redaktor ein Gesetz, bestehend aus Fall und Gegenfall. Als korrespondierende Rahmenglieder setzt der Redaktor zu diesen beiden Fällen zwei Fälle in den VV.26.27. Die beiden Fälle entsprechen sich auch noch insofern, als der erste jeweils mit 11 eingeleitet und der zweite kürzer als der jeweils erste ist. Der zweite Grund ergibt sich aus der vorangehenden Talionsformel V.24. Hier werden der Reihe nach vier Teile des menschlichen Körpers "vom Scheitel bis zur Sohle" aufgezählt: Auge - Zahn - Hand - Fuß. Die VV.26.27 halten sich an diese Reihenfolge und greifen die beiden ersten Glieder auf. Dies und die verkürzende Formulierung von V.27 will inhaltlich besagen, daß natürlich f ü r die irreparable Zerstörung von Hand und Fuß des Sklaven die gleichen Bestimmungen gelten wie f ü r Auge und Zahn. Unter diesem Gesichtspunkt könnte man die beiden Verse folgendermaßen paraphrasieren: "Wenn aber ein Mann das Auge seines^Schuldsklaven ... Und falls er den Zahn seines Schuldsklaven ... und so weiter, siehe V.24." Schließlich aber gibt es drittens auch noch einen sachlichen Grund f ü r die Nennung von Auge und Zahn. Bei der Zerstörung von (einem) Auge und Zahn blieb der Schuldsklave arbeitsfähig, bei der Zerstörung von Hand und Fuß wohl kaum. Ein Herr wird seinem Schuldsklaven wohl kaum Hände und Beine zertrümmert haben, wenn ihm dadurch die Arbeitskraft des Schuldsklaven verloren ging. 7 9 Dabei ist die Frage, ob es sich hierbei um ein Ab78 Siehe S. 6 8 , A n m . 35. 79 Daß die Wörter *Tτ ^ und V V in der Talionsformel Ex 21,24 eine abkürzende Redeweise für "Bruch von Hand und Fuß" darstellen geht aus der Interpretation dieser Stelle durch Lev 24,20 hervor, wo nur die drei Elemente Τ ? ? u n d ÎÏ? vorkommen. ersetzt dabei die Elemente T 1 und wie D . D A U B E , "Lex Talionis" (1947) 113, im Anschluß an Lev 21,19 ( " Ρ "ibÖ überzeugend dargelegt hat. So auch H . W . J Ü N G L I N G , "Auge'für Auge" (1984') 15* der darüber hinaus auf das Verbum Sebëru "zerbrechen" hinweist, das in der Tatbestandsdefinition als Bezeichnung der Verletzung von Hand ( q ä t u [ m ] ) und Fuß ( s ê p u ) der §§ 44,45,46[zerstört] von CE und der Verletzung eines Knochens (esemtu) der §§ 197,199 von CH begegnet, und die §§ 11 ; 12 ("Hand oder Fuß") der H G hinweist.

Ex 21,20f.26f

77

schlagen des Gliedes ("membrum ruptum") oder lediglich um ein Brechen des Knochens ("os fractum") handelt, von sekundärer Bedeutung. Ich glaube, daß bereits im Falle von o s fractum der Tatbestand als gegeben angesehen wurde. In jedem Falle dürfte bereits der Tatbestand von o s fractum eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit des Schuldsklaven zur Folge haben. Beim damaligen Stand der Medizin wird wahrscheinlich ein Knochenbruch in vielen Fällen eine dauerhafte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit oder gar eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit nach sich gezogen haben. 80 Anders bei Auge und Zahn. Hier konnte der Herr durch Faustschläge ins Gesicht schwere Verletzungen zufügen, ohne die Arbeitskraft des Schuldsklaven zu verlieren. Insofern waren Auge und Zahn besonders gefährdete und deshalb schutzbedürftige Körperteile des Sklaven. Durch die Gesetze der VV .26.27 wird eine Zerstörung von Auge und Zahn durch den Herrn in ihren rechtlichen Auswirkungen den wirtschaftlichen Auswirkungen der Zerstörung von Hand und Fuß gleichgestellt: Der Herr verliert die Arbeitskraft, der Schuldsklave darf als Freigelassener gehen. Mit der Auswahl von Auge und Zahn wollen die Bestimmungen von Ex 21,26.27 offenbar verhindern, daß Schuldsklaven von ihren Herren (mit der Faust) ins Gesicht geschlagen werden. 81

4.2.1.2.7.

Zusammenfassung

Skizzieren wir kurz den sich aus den Ex21,20f.26f ergebenden lebensweltlichen Hintergrund. Es war üblich und wird von unserem Gesetzgeber als sebstverständlich erlaubt vorausgesetzt, daß ein Schuldsklave von seinem Herrn geschlagen wurde. In der Regel geschah dies im Rahmen einer 80 V g l . G e n 32,23; 2 K ö n 1,2; 2 Sam 4,4; 9,1-13. V g l . D . D A U B E , "Lex T a l i o n i s " ( 1 9 4 7 ) 150, A n m . 25: " H o w e v e r , it must b e c o n s i d e r e d that e v e n a s e r i o u s f r a c t u r e m u s t have b e e n bad e n o u g h in a n c i e n t t i m e s and o f t e n have a m o u n t e d t o the l o s s , if not of the l i m b , at any rate of t h e use of the limb." In der N o v e l l i e r u n g d e s § 1 1 H G wird u n t e r s c h i e d e n , o b e s sich um e i n e n h e i l b a r e n o d e r u n h e i l b a r e n Bruch v o n H a n d und Fuß e i n e s f r e i e n M e n s c h e n h a n d e l t . D i e alte F a s s u n g d e s § 11 H G lautet: "Wenn j e m a n d die H a n d o d e r d e n F u ß e i n e s f r e i e n M e n s c h e n bricht, gibt er ihm 2 0 [Var.:6] S c h e q e l S i l b e r , und er s p ä h t in s e i n Haus." D i e N e u f a s s u n g lautet: "Wenn j e m a n d d i e H a n d o d e r d e n Fuß e i n e s f r e i e n M e n s c h e n bricht, und w e n n d e r e i n K r ü p p e l b l e i b t , gibt er ihm 20 S c h e q e l Silber. W e n n er aber k e i n K r ü p p e l b l e i b t , gibt er ihm 10 S c h e q e l Silber." Ü b . nach E . v . S C H U L E R , in: T U A T 1 , 1 , 9 9 . 81 V g l . Mich 4,14. D i e s e T e n d e n z d e s G e s e t z e s v e r k e n n t H . H O L Z I N G E R , E x o d u s ( 1 9 0 0 ) 86, w e n n er schreibt: "26 F r e i l a s s u n g e i n e s S k l a v e n für e i n a u s g e s c h l a g e n e s A u g e e r s c h e i n t a n g e m e s s e n , f ü r e i n e n a u s g e s c h l a g e n e n Z a h n 27 ... d a g e g e n ü b e r t r i e b e n , da d a s k e i n e E x i s t e n z s c h ä d i g u n g ist." V g l . P . H E I N I S C H , E x o d u s ( 1 9 3 4 ) 171: "Die V o r s c h r i f t s e l b s t ist s e h r h u m a n , da der V e r l u s t e i n e s Z a h n e s n o c h nicht a r b e i t s u n f ä h i g macht."

78

Kasuistisches Rechtsbuch

Züchtigung mit dem Stock (CD2B2). Auf diese Weise war dem Herrn eine Möglichkeit gegeben, die ihm zustehenden Leistungen von seiten seines Schuldners gegebenenfalls mit Gewalt einzutreiben und zu erhalten. Die bereits herausgestellte Parallele zur Züchtigung mit dem Stock in der familiären und schulischen Erziehung wird noch deutlicher, wenn wir bedenken, daß vor allem junge Menschen, Kinder und Jugendliche, die Schulden ihrer Familie durch Arbeit bei einem Gläubiger abtrugen. Viele Schuldsklaven mögen sich so in einer der Erziehung analogen Situation befunden haben, und in diesem Kontext war eine körperliche Strafe nichts Außergewöhnliches. 82 Die Gegenüberstellung "Schuldsklave - freier Israelit" muß also ergänzt werden durch die Gegenüberstellung "Kind/Jugendlicher Erwachsener" Der Gläubiger hatte also das Recht, seinen Schuldsklaven durch körperliche Strafe zu züchtigen. Auf der anderen Seite aber waren dieser Möglichkeit deutliche Grenzen gesetzt. Wenn der Herr seinen Schuldsklaven so mit der Faust ins Gesicht schlägt - so darf man hier sinngemäß ergänzen -, daß ihm Auge oder Zahn verloren gehen, dann hat der Herr keinen Anspruch mehr auf die Erstattung der Schulden durch den Schuldner: Der Schuldsklave ist als Freigelassener zu entlassen. Des weiteren hat der Herr keine Verfügungsgewalt über das Leben des Schuldsklaven. Schlägt er ihn tot, so verfällt der Herr oder einer seiner Angehörigen in gleicher Weise der Blutrache wie im Falle des Totschlags eines freien Israeliten (Ex 21,12). Sollte nun vor diesem Hintergrund V.21 besagen, daß ein Herr, der seinen Schuldsklaven schwer verwundet, nur deshalb nicht gerächt werden darf, weil der Sklave erst am nächsten Tag an den Folgen der Verletzung stirbt? Eine solche Interpretation ist absurd. Sie widerspricht dem Wortlaut von V.21 und dem aus den VV.26.27 eruierten lebensweltlichen Hintergrund. V.21 schützt den Herrn vor der unberechtigten Anklage von seiten der Familie des Schuldsklaven, den natürlichen Tod seines Schuldsklaven verursacht zu haben. Diese Interpretation wird durch Vergleich mit §§ 115;116 CH bestätigt. Z i e h e n wir ein literar-

und redaktionskritisches

Fazit:

Ex21,20f.26f

läßt sich nicht auf zwei verschiedene Schichten des Bundesbuches, eine "Sklaven-freundliche" und eine "Herren-freundliche" verteilen. 8 3 Sie verraten vielmehr den Standpunkt eines unparteiischen Richters, der sowohl die

82 Vgl. Spr 29,19: "Durch Worte wird ein I I S nicht erzogen, er versteht sie wohl, kehrt sich aber nicht danach." Vgl. auch Spr 29,21. 83 Anders E.LIPIÑSKI, Art. in: ThWAT V , 603: "In der Tat verrät Ex21,20f., s o scheint es, eine doppelte Redaktionsschicht...".

Ex 21,22-25

79

Rechte des Schuldsklaven als auch die des Herrn schützen will. 8 4 Der Akzent liegt allerdings deutlich auf dem Schutz des Schuldsklaven. Ihm sind von den vier Bestimmungen allein drei (21,20.26.27) gewidmet. Dies dürfte wohl insofern realitätsangemessen sein, als der Schuldsklave in der Institution der Schuldknechtschaft eindeutig der Schwächere und also der Schutzbedürftigere war. Aber auch der Herr wird geschützt, und zwar in dem Bereich, wo eine Schutzbestimmung für den Schuldsklaven (21,20) durch seine Familie gegen den Herrn mißbraucht werden konnte (21,21). Hierbei geht es nicht um wirtschaftliche Interessen des Herrn, sondern um sein Leben. Wo dies durch ungerechtfertigte Anklage gefährdet ist, erweist sich unser Gesetzgeber jenseits aller sozialen Schranken als äußerst sensibel.

4.2.1.3. 4.2.1.3.1.

Die schwangere

Frau und die Taiionsf

ormel:

Ex

21,22-25

Einleitung

Unter dem Schlagwort "Auge um Auge, Zahn um Zahn" wurde und wird die Talionsformel häufig als Ausdruck des Wesens alttestamentlichen Rechtes, ja als Ausdruck des Wesens des Alten Testamentes selbst angesehen. In diesem Horizont und im Rückgriff auf die Antithesen der Bergpredigt stellt man gerne das Alte Testament als Religion der Vergeltung dem Neuen Testament als Religion der Liebe gegenüber. Gerade unter dieser hermeneutischen Vorgabe hat das Gesetz Ex 21,22-25 die unterschiedlichsten Interpretationen erfahren. Dies liegt aber nicht nur in der sachlichen und wirkungsgeschichtlichen Bedeutung der Talionsformel selbst begründet, sondern vor allem in den zahlreichen literarkritischen und semantischen Problemen, die das Gesetz enthält, in welches die Formel eingebunden ist. 1 Zwar ist die Formel selbst sehr bekannt, doch die Tatsache, daß die Formel die Rechtsfolgebestimmung eines Gesetzes zum Schutz einer schwangeren Frau bildet, dürfte - auch in theologischen Kreisen - weitgehend unbekannt sein. Bei der Interpretation des Gesetzes möchte ich in drei Schritten vorgehen. Zunächst nenne ich die wichtigsten Probleme des Textes und referiere summarisch die in der Forschung angebotenen Lösungen. Anschließend stelle ich einige Grundtypen der Interpretation aus der neueren Forschung 84 Damit entfällt auch das Verständnis der Einfügung der Talionsformel 21,24.25 als "Protest" gegen die Bestimmungen von 21,26f, wie F . C R Ü S E M A N N , "Auge um Auge ..." (1987) 419, vertreten hat. 1 Vgl. H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 85: "Ernstliche Schwierigkeiten beginnen mit 22 ...". Vgl. auch S . E . L O E W E N S T A M M , Exodus X X I 22-25 (1977) 352: "... this enigmatic law...".

Kasuistisches Rechtsbuch

80

vor. Im Gespräch und in Auseinandersetzung mit der Forschung werde ich dann eine Lösung der eingangs genannten Probleme erarbeiten und so zu einer zusammenhängenden Interpretation des Textes gelangen.

4.2.1.3.2.

Die Probleme

des Textes

im Horizont

der

Forschung

Ex 21,22-25 lautet: n*1-^ Y

V

T

:

T r i

m n ntfs ¡ i s i a i • • ' i m ^ • ' - • ο ί t í o s γργρ 1 Τ" ?» Π^ΕΡ ΊΕ?Ν3 β?35Ρ Iii 3» τ τ

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21,22a α 21,22aß 21,22ba 21,22bß 21,23a 21,23b 21,24aa 21,24aß 21,24ba 21,24bß 21,25aa 21,25aß 21,25b

Unter literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Gesichtspunkten enthält der Text vor allem zwei Probleme: 1. Im Übergang von der Rechtsfolgebestimmung von V.22 zur Rechtsfolgebestimmung von V.23findet ein Wechsel von der 3.Ps.Sg. zur 2.Ps.Sg. statt: 22aß: 22ba: 22bß: 23a : 23b:

... es aber kein | ÌDN entsteht, dann soll er büßen, wie ihm der Mann der Frau auferlegt, und er soll geben Falls aber } 1 OS entsteht, dann sollst du geben Leben für Leben ...

Ex 21,22-25

81

Aus diesem Grunde halten viele Exegeten die Talionsformel im vorliegenden Kontext für sekundär. 2 Dabei nehmen einige an, daß sie eine ursprünglich anderslautende Rechtsfolgebestimmung verdrängt habe. 3 Innerhalb der Talionsformel selbst rechnen viele mit einem weiteren Wachstumsprozeß. Dabei stehen sich ein drei- und ein zweiphasiges Wachstumsmodell gegenüber. Das dreiphasige Wachstumsmodell rechnet mit folgenden Wachstumsphasen: 4 E?S3 ΠΠΡ1 B S 3 ( 1 )

1. Phase: V.23

1?? nnn

2. Phase: V.24

T:?(2)

lg? nnri i t f ( 3 ) "Ρ ΓΙΠΓΙ Ί1 (4) ^

Γ1ΠΡ1 "?1T(5) rinn r m * i ( 6 )

3 . P h a s e : V.25

»xa rinn V25ÇI) ΠΊ-13Π ΠΠΓΙ ΓΓη3Π(8) Für die literarkritische Trennung zwischen V.23 und V.24 werden vor allem zwei Argumente angeführt: 1. Das Wort 1 ION deckt nur die Körperverletzung mit Todesfolge (Ö3J ΠΠΓΙ E?El3), nicht aber die Körperverletzung 2 P.HEINISCH, Exodus (1934) 171. G.BEER, Exodus (1939) 111. H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 56, weist die Einfügung der Talionsformel dem Bundesbuchredaktor zu. A.S.DIAMOND, An Eye f o r an Eye (1957) 153: "one of the plainest interpolations in the Pentateuch". V.WAGNER, Rechtssätze (1972) 3f. B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 94. J.P.HYATT, Exodus ( 2 1980) 234. H.-W.JÜNGLING, "Auge f ü r Auge" (1984) 19. H.J.KUGELMASS, Lex Talionis (1985) 140f. H.J.KUGELMASS, ebd. 35; 155, setzt die Einfügung der Talionsformel auf das Konto einer spätpriesterlichen Redaktion und interpretiert sie "in the context of priestly covenantal theology" (ebd. 35), was - soweit ich sehe - eine rcdaktionsgeschichtlich konsequent ausgezogene Interpretation des Ansatzes von A.ALT (siehe Kap. 4.2.1.3.3, S. 85f) darstellt. F.CRÜSEMANN, "Auge um Auge ..." (1987) 413f, rechnet V.23 zum Fall der schwangeren Frau, den er - trotz des "abrupten Übergang[s] zum »Du« ... in V.23" - als einheitlich ansieht. Eine Ergänzung liegt nach F.CRÜSEMANN erst ab V.24 vor. E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 28. 3 So: A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 86. A.ALT. Ursprünge (1934) 228f. V.WAGNER, Rechtssätze (1969) 3f. G.A.CHAMBERLAIN, Exodus 21-23 and Deuteronomy 12-26 (1977) 126. D.DAUBE, "Lex Talionis" (1947) 105f. Nach D.DAUBE hat die Talionsformel eine Rechtsfolgebestimmung verdrängt, die von stellvertretender Talion handelte. Derjenige, der sie eingefügt hat, hat auch Ex 21,31 - ebenfalls nach D . D A U B E gegen stellvertretende Talion gerichtet - eingefügt. Gegen eine "Verdrängungstheorie" spricht sich H.-W.JÜNGLING, "Auge f ü r Auge" (1984) 32, Anm. 90 aus. 4 D.DAUBE, "Lex Talionis" (1947) llSf; B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 106f. B.S.JACKSON hält V.24 f ü r eine dtr, V.25 f ü r eine priesterliche Erweiterung. H.-W. J Ü N G L I N G , "Auge f ü r Auge" (1984) 16f.

82

Kasuistisches Rechtsbuch

ohne Todesfolge ( T ? , "P etc.) ab. 5 2. Das Wort Τ TDK bezieht sich auf die Früh- bzw. Fehlgeburt. In diesem Fall aber ist der Verlust eines Zahnes kein möglicher Schaden, da ein Säugling noch keine Zähne hat. 6 Für eine literarkritische Trennung zwischen V.24 und V.25 werden vor allem zwei Beobachtungen angeführt: 1. Zwischen dem fünften und sechsten Glied der Talionsformel liegt ein logischer Bruch vor: In V.24 werden vier verschiedene Körperteile, in V.25 drei verschiedene Verletzungsarten aufgezählt. 2. In den beiden anderen Belegen der Talionsformel, in Dtn 19,21 und Lev 24,18-20, fehlen die drei Verletzungsarten. Sie scheinen demnach nicht fest in der Talionsformel verankert zu sein. Andere rechnen lediglich mit einem zweiphasigen Wachstumsprozeß. Als zweite Erweiterung nehmen die einen die VV.24.25, 7 die anderen lediglich V.25 an. 8 Nur wenige Exegeten halten das Gesetz Ex 21,22-25 im strengen Sinne f ü r einheitlich. 9 2. Ein weiteres Problem enthält die Rechtsfolgebestimmung von V.22b: Zwei oder mehrere Männer raufen miteinander, sie (Pl.: ìSJJT!) stoßen eine schwangere Frau ..., und er soll eine Buße zahlen ?)· Wer soll hier die Buße zahlen? Nur derjenige, der gestoßen hat oder alle an der Schlägerei beteiligten Personen? 1 1 Man erwartet entweder die Angabe, daß derjenige, der gestoßen hat, zahlen muß - etwa in Analogie zu Ex 21,19, wo es heißt: "und derjenige, der geschlagen hat, ist unschuldig" -, oder man erwartet ein pluralisches Subjekt in der Rechtsfolgebestimmung, welches dann besagen würde, daß sämtliche an der Schlägerei bzw. am Stoßen beteiligten Personen die Buße auf sich nehmen müssen. Also entweder: "Wenn Männer miteinander raufen, und einer von ihnen stößt eine schwangere Frau ..., so muß derjenige, der die Frau gestoßen hat...", oder: "Wenn Männer miteinander raufen, und sie stoßen eine schwangere Frau so müssen sie ...". Nicht geringer sind die semantischen Probleme des Textes: 1. Was heißt Γ Ρ ^ ? Meint der Ausdruck die lebensfähige Frühgeburt 1 2 oder die Fehlgeburt (Totgeburt) 1 3 ? 5 6 7 8 9 10 11

E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 28. Vgl. H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 86. B.S.JACKSON. Exodus 21:22-5 (1973) 76. F . C R Ü S E M A N N , "Auge um Auge..." (1987) 415. V . W A G N E R , Rechtssätze (1972) 4. R . W E S T B R O O K , Lex Talionis (1986) 52-55. So U . C A S S U T O , Exodus (1967) 274f. So nach B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 106, in der ursprünglichen Form des Gesetzes. 12 So die Minderheit: C.F.KEIL, Exodus ( 3 1 8 7 8 ) 525. B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 95. Septuaginta und PHILO, De legibus specialibus III, 108f, rechnen nicht - wie häufig angenommen wird - in V.22 mit Fehlgeburt und in V.23 mit Frühgeburt, sondern in beiden Fällen mit Fehlgeburt, wobei sie die beiden Fälle allerdings im Hinblick auf

Ex 21,22-25

83

2. Warum steht "T^ im Plural: Γ Ρ K a n n der Tatbestand nur als gegeben angesehen werden, wenn die Frau Zwillinge bekommt? 1 4 3. Was heißt 7 iDK? Bezeichnet das Wort einen tödlichen Unfall 1 5 oder le. . . . 1ή . . diglich einen Schaden im Sinne einer Körperverletzung ? Bezieht sich das 17 18 Wort auf die Frau oder auf die Früh- bzw. Fehlgeburt, auf beide oder auch auf die am Streit beteiligten Männer 19 ? 4. Was heißt Q" 1 ^? (V.22bß)? Bezeichnet das Wort "Richter" im strengen Sinne 2 0 oder "Schiedsrichter/Schiedsmänner" 21 ? Heißt D" 1 ^?? ΤΓΙ3) "er

das Entwicklungsstadium des Embryos bzw. Fötus voneinander unterscheiden. LXX: V.22: τ ο π α ι θ ί ο ν α ύ τ η ς μ,ή έ ξ ε ι κ ο ν ι σ μ έ ν ο ν . . . V.23: έ ά ν δ έ έ ξ ε ι κ ο ν ι σ μ έ ν ο ν ήν . . . Im AnschluB an Septuaginta auch PHILO, a.a.O. nach der Übersetzung von L.COHN: "... so soll er, falls die Frucht noch ungeformt und unausgebildet ist, eine Geldstrafe zahlen [V.22] ... ist die Frucht aber bereits ausgebildet, so dass alle Glieder die ihnen zukommende Anordnung und Beschaffenheit bekommen haben, so soll er sterben [V.23]. Denn solch ein Wesen ist ein Mensch, den jener gemordet hat, während er sich noch in der Werkstatt der Natur befand, die noch nicht die Zeit f ü r gekommen hielt, ihn ans Tageslicht zu befördern; es gleicht einer Bildsäule, die in der Werkstatt fertig daliegt und nur noch fortgeschafft und versandt werden muss." 13 So die Mehrheit: K . B U D D E , Bundesbuch (1891) 108. A.DILLMANN/V.RYSSEL, Exodus ( 1897) 257. H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 86. P.HEINISCH, Exodus (1934) 170. U.CASSUTO, Exodus (1967) 275. S.E.LOEWENSTAMM, Exodus XXI22-25 (1977) 354. R.WESTBROOK, Lex Talionis (1986) 56. F.CRÜSEMANN, "Auge um Auge ..." (1987)414. 14 Vgl. F.CRÜSEMANN, Recht und Theologie (1987) 60: "Im hebräischen Text ist eindeutig von einer Mehrfachgeburt die Rede (»ihre Kinder«)." DERS., "Auge um Auge ..." (1987)413. 15 U.CASSUTO, Exodus (1967) 275. S.E.LOEWENSTAMM, Exodus XXI 22-25 (1977) 358. F.CRÜSEMANN, "Auge um Auge ..." (1987) 413. E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 28. 16 H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 55: "un dommage corporel quelconque". 17 FLAVIUS JOSEPHUS, Antiquitates IV, 278. H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 85. F.CRÜSEMANN, "Auge um Auge ... " (1987) 414. S.M.PAUL, Studies (1970) 72. S.E. LOEWENSTAMM, Exodus XXI 22-25 (1977) 356. 18 C.F.KEIL, Exodus ( 3 1878) 526. U.CASSUTO, Exodus (1967) 275. Nach B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 104, bezog sich 7 TON im Grundbestand des Gesetzes 21,22.23 nur auf den Foetus und meinte also in V.22 die lebensfähige Frühgeburt, in V.23 die Fehlgeburt. Erst mit der Hinzufügung der VV.24.25 wurde das Wort auf die Frau bezogen, da ein Foetus keinen Zahn verlieren kann. Im AnschluB daran auch H.-W. J Ü N G L I N G , "Auge f ü r Auge" (1984) 35f. 19 A.DILLMANN/V.RYSSEL, Exodus ( 3 1897) 258. 20 So U.CASSUTO, Exodus (1967) 275. Vgl. E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 27: "Die Objektivierung der von einem Geschädigten auferlegten Ersatzleistung (w natäfl biplilîmy, Ex XXI 22) wird wie die Substitution strafrechtlicher Sanktion (Ex XXI 30) am ehesten in einem eerichtlichen Verfahren vollzogen." 21 C.F.KEIL, Exodus (^1878) 526. A.DILLMANN/V.RYSSEL, Exodus ( 3 1897) 257: "unter Zuziehung von Schiedsrichtern, die die Höhe der Strafe nach Billigkeit bestimmen, je nachdem die Beschädigte viel oder wenig Kinder hatte, reich oder arm war u.s.w."

84

Kasuistisches Rechtsbuch

allein soll geben", 22 oder ist es zu D"1 32 zu konjizieren und meint dann im Zusammenhang "das soll er geben für die Fehlgeburt"?23 5. Was vor allem heißt 3 ΓΙΠΡΙ ΠΓΙΓΙ31? Handelt es sich hier um Talion im strengen Sinne? Fordert die Rechtsfolgebestimmung den Tod des Täters? 24 Oder geht es lediglich um die Forderung einer dem Leben des Opfers entsprechende Ausgleichszahlung? 25 Oder ging es vielleicht ursprünglich darum, daß der Täter einen anderen Menschen als Ersatz für die getötete Person geben soll? 26 6. Was heißt dementsprechend ... Ή ? ΓΊΠξΙ ] ? ? (ΠΓΙΠί))? Liegt auch hier Talion im strengen Sinne einer Verstümmelungsstrafe vor? 27 22 So R.WESTBROOK, Lex Talionis (1986) 58. 23 So K.BUDDE, Bundesbuch (1891) 108. Im Anschluß daran auch H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 86. 24 So H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 86: "jus talionis ganz wörtlich zu nehmen". P.HEINISCH, Exodus (1934) 171. U.CASSUTO, Exodus (1967) 275-277, nimmt f ü r den ursprünglichen Sinn der Talionsformel "Talion im strengen Sinne" an, im vorliegenden Kontext jedoch rechnet er mit Talion im Sinne einer Ausgleichszahlung ("ransom"). Vgl. auch weiter unten, S. 102, Anm. 124; 125. S.M.PAUL, Studies (1970) 76. B.S. CHILDS, Exodus (1974) 472; 490. S.E.LOEWENSTAMM, Exodus XXI 22-25 (1977) 359. H.J.KUGELMASS, Lex Talionis (1985) 148. F.CRÜSEMANN, "Auge um Auge..." (1987) 415. E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 25f. DERS., Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 149. 25 So vor allem die jüdische Tradition: bT Baba Qamma 84a: "R.Simón b. Johaj sagte: Auge um Auge, eine Geldentschädigung. Du sagst, eine Geldentschädigung, vielleicht ist dem nicht so, sondern wirklich das Auge? - Wie könnte man in dem Fall, wenn ein Blinder einen geblendet, ein Verstümmelter einen verstümmelt oder ein Lahmer einen lahm gemacht hat, aufrecht erhalten [die Worte] Auge um Auge ... In der Schule R. Hijas wurde gelehrt: Die Schrift sagt: Hand um Haitd,v/as aus einer Hand in die andere gegeben wird, nämlich eine Geldzahlung." Zit. nach der Ausgabe von L.GOLDSCHMIDT, Bd. VI, Leipzig 1906, 303f. Vgl. die Hinweise bei H.J.KUGELMASS, Lex Talionis (1985) 4. D.DAUBE, "Lex Talionis" (1947) 104; 107; 124. R.WESTBROOK, Lex Talionis (1986) 66f. Vgl. U.CASSUTO, Exodus (1967) 275: "This principle implies, according t'o the Rabbis, that one who takes a life must pay the value of the life, and one who blinds an eye must pay the value of the eye, and so forth, and the apologetically inclined commentators have endeavoured to show that this was the meaning of this formula even in ancient Hebrew. But this is impossible." Vgl. aber weiter unten, S. 102, Anm. 124; 125. Ferner H.-W. JÜNGLING, "Auge f ü r Auge" (1984) 37f. 26 D.DAUBE, "Lex Talionis" (1947) 116, erwägt diese Möglichkeit f ü r eine f r ü h e Überlieferungsstufe mit Hinweis auf die ersten Paragraphen in HG und Gen 4,25. 27 Manche rechnen mit beiden Möglichkeiten, so bereits FLAVIUS JOSEPHUS, Antiquitates IV,8,35: "Wer einen anderen verstümmelt hat, soll dasselbe Glied verlieren, dessen er den anderen beraubte, es sei denn, dass der Verstümmelte sich mit Geldentschädigung zufrieden giebt. Denn das Gesetz giebt dem Geschädigten das Recht, seinen Schaden selbst abzuschätzen und sich hiermit zufrieden zu geben, wenn er kein strengeres Einschreiten wünscht." Zit. nach der Üb. v. H.CLEMENTZ, Wiesbaden 1983. Im Anschluß daran auch A.DILLMANN/V.RYSSEL, Exodus ( 3 1897) 258. B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 192.

Ex 21,22-25

85

7. Wer ist mit "dann sollst du geben" angeredet: der Täter, 28 ein 29 Richter, oder die lokale Behörde? 3 0 Bei der Gesamtinterpretation der Talionsformel stehen sich zwei unterschiedliche Richtungen gegenüber. Die eine sieht die Intention der Talionsformel in der Einschränkung der Blutrache,31 die andere Richtung in der (Wieder-)Einführung der Blutrache gegen eine ältere 3 2 oder im Laufe der Zeit neu aufgekommene Praxis der Ausgleichszahlung (Kompensation). 3 3 Nach D.DAUBE ist sie gegen die Praxis stellvertretender Talion gerichtet. 3 ''

4.2.1.3.3.

Positionen

der

Forschung35

Schon in seiner grundlegenden Studie zu den Ursprüngen des israelitischen Rechtes aus dem Jahre 1934 hat A.ALT die Talionsformel dem apodiktischen Recht zugewiesen und für sie einen eigenen Ursprung und eine besondere Überlieferungsgeschichte vermutet. 3 6 In einem kleinen Aufsatz desselben Jahres hat er diesen Ursprung näher bestimmt und ihn im Kult mit seiner Idee der Ersatzleistung gesehen. 3 7 Eine der Talionsformel entsprechende Wendung findet A.ALT auf einer Votivstele aus Algerien aus der Zeit

28 29 30 31

J.WEISMANN, Talion und öffentliche Strafe (1913) 339f. U.CASSUTO, Exodus (1967) 275. R.WESTBROOK, Lex Talionis (1986) 65. P.HEINISCH, Exodus (1934) 171: "zähmt die Rachsucht des Naturmenschen, welcher dem Angreifer ein größeres Übel zufügen will, als er selbst erlitten hat, vgl. Gn 4,23." H.J.BOECKF.R, Recht und Gesetz ( 2 1984) 152f: "Die Intention der Talionsformel ... zielt auf die Begrenzung der Schädigung. Es geht darum, den durch die Schädigung ausgelösten Blutrachemechanismus auf ein Maß zu begrenzen, das das Überleben der betroffenen Gruppen ermöglicht. ... Die Eskalation der Vergeltung, die das Lamechlied [Gen 4,23f] so plastisch beschreibt, soll durch die Anwendung der Talion verhindert werden. Man kann die Talionsformel deshalb paraphrasierend so wiedergeben: Nur ein Leben f ü r ein Leben, nur ein Auge f ü r ein Auge, nur einen Zahn f ü r einen Zahn usw." Vgl. G.BEER, Exodus (1939) 111: "Inhaltlich reicht der Einschub 21,23-25 in die älteste Zeit der Rechtsanschauung Israels und bedeutet einen Schritt zur Humanisierung der Strafgesetze."

32 So: A.S.DIAMOND, An Eye for an Eye (1957). J.J.FINKELSTEIN, Ammisaduqa's Edict (1961) 98f. S.M.PAUL. Studies (1970) 76: "Thus the principle of lex talionis, far from beeing a primitive residuum, is actually an important advance in the history of jurisprudence." B.S.CHILDS, Exodus (1974) 472. 33 So F.CRÜSEMANN, "Auge um Auge ... " (1987) 419. 34 Siehe oben S. 83, Anm. 3. 35 Einen Überblick über die neuere Forschung zur Talionsformel gibt auch R.MARTINA C H A R D , Récents travaux sur la loi du talion: R H P R 69 (1989) 173-188. 36 A.ALT, Ursprünge (1934) 228f. 37 A.ALT. Talionsformel (1934) 342f.

86

Kasuistisches Rechtsbuch

um 200 n. Chr., auf der vom Opfer eines Lammes, das stellvertretend für eine andere Leistung - vermutlich des erstgeborenen Kindes - dargebracht wird, die Rede ist. Auf dem besser erhaltenen Relief einer anderen Stele ist der Gott mit dem Schlachtmesser in der Hand dargestellt, vor ihm das Lamm, das geopfert wurde. "Die Idee der Ersatzleistung für das dem Gott geschuldete Kind durch das ihm geopferte Lamm findet hier" seinen Ausdruck "in den feierlichen ... Wendungen anima pro anima, san(guine) pro san(guine), vita pro vita . ..", 3 8 Bei der Talionsformel in Ex21,24f geht es dementsprechend nicht "um die Befriedigung menschlicher Schadensersatzansprüche im Falle von Tötung und Körperverletzung, sondern um eine Ersatzleistung an die Gottheit, nur nicht um eine gnädig gestattete wie bei der Ablösung des Kindesopfers durch ein Tieropfer, sondern um eine streng geforderte, die niemals unterlassen werden darf, wenn durch Tötung oder Körperverletzung eines Menschen die Gottheit geschädigt ist, die ihm Leben und Körper gegeben und darum den ersten Besitzanspruch auf beides hat." 39 Vor allem das HFtriJ} von Ex 21,24f bezeugt nach A ALT den kultischen Ursprung und Sinn der Formel. 4 0 Gegen A . A L T hat V . W A G N E R plausibel nachgewiesen, "daß die Verwendung der Talionsformel in juristischen Texten und juristischem Sinne wie in der atl. Literatur die ursprüngliche und sachgemäße Verwendung darstellt". 41 Sitz im Leben der Talionsformel ist nach V.WAGNER nicht der Kult, wie A.ALT angenommen hatte, sondern die intergentale nomadische Gerichtsbarkeit. 42 Die Formel stellt eine Strafrechtsnorm dar, deren Ziel es ist, das gegenseitige Verhältnis der Menschen im Gleichgewicht zu halten. 43 Da das ius talionis in Mesopotamien zum erstenmal im Codex Hammurapi auftaucht, dürfte seine traditionsgeschichtliche Herkunft im westsemitischen Nomadentum zu suchen sein 4 4 Einen von der bisherigen Forschung abweichenden Lösungsvorschlag zu Ex 21,22-25 bringt R . W E S T B R O O K . Er nennt zunächst sämtliche Probleme dieser Textstelle und geht - bis zum Beweis des Gegenteils - von ihrer Ein38 39 40 41

Ebd. Ebd. 343. Ebd. V . W A G N E R Rechtssätze (1972) 12. Zustimmend auch H . J . B O E C K E R , Recht und Gesetz ( 2 1 9 8 4 ) 152. H.-W.JÜNGLING, "Auge für Auge" (1984) 20, Anm. 57. Gegen A . A L T bereits G . B E E R , Exodus (1939) 111. 42 V . W A G N E R , Rechtssätze (1972) 14. 43 Ebd. 9. Im Anschluß an V . W A G N E R , auch H . J . B O E C K E R , Recht und Gesetz ( 2 1 9 8 4 ) 152. 44 V . W A G N E R , Rechtssätze (1972) 14.

Ex 21,22-25

87

heitlichkeit aus. 4 5 Seine Interpretation sieht folgendermaßen aus: In Ex 21,22 geht es um eine öffentliche Schlägerei einer unbestimmten Anzahl von Personen. Dabei kommt eine schwangere Frau vorüber, wird in die Schlägerei verwickelt, gestoßen, vielleicht sogar zu Boden geschlagen und erleidet eine Fehlgeburt. 4 6 V.22 trifft nun eine Regelung für den Fall, daß der Verantwortliche ermittelt werden kann. TÍOS bezeichnet dabei einen durch einen unbekannten Täter angerichteten Schaden, also einen Schaden, bei dem der Verantwortliche nicht mehr ermittelt werden kann.4 7 r p n : Τ1 TDK heißt also: der Verantwortliche kann ermittelt werden. 4 8 In diesem τ Falle muß er, und zwar er allein für die Wiedergutmachung aufkommen. Das "er allein" ist ausgedrückt durch D - l ^ « ) 2 ( V . 2 2 b ß ) . 4 9 V.23a nennt den gegenteiligen Fall: ΓΡζΡ d.h. wenn es eine Schädigung ist, bei der der Verantwortliche nicht mehr ermittelt werden kann. In diesem Fall ist die Ortsgemeinde für den angerichteten Schaden verantwortlich. 5 0 So erklärt sich die plötzlich auftauchende 2.Ps.Sg.: "sollst du geben". 5 1 ¡"ΙΓΙΓΟΤ E?S3 ΠΠΓ) BS 3 heißt: eine dem Leben des Menschen entsprechende Summe soll gezahlt werden. 5 2 So läuft die Interpretation R.WESTBROOKs der Annahme, in Ex 21,23f gehe es um physische Talion strikt zuwider: "The passage ... provides no information as to the existence of a talionic principle for physical injuries in Biblical law." 5 3 Physische Talio liegt nach R.WESTBROOK erst in Lev 24,17-21 vor. 5 4 Eine genau entgegengesetzte Interpretation legt F.CRÜSEMANN vor. Seiner Ansicht nach geht es in der Wendung Ò3J JTIFI E733 "um den Ersatz des verlorenen Lebens durch das verschuldete Leben. Dabei kann nur die Todesstrafe gemeint sein." 5 5 F.CRÜSEMANN rechnet V.23 noch zum Fall der

45 46 47 48 49 50 51

R . W E S T B R O O K , Lex T a l i o n i s ( 1 9 8 6 ) 52-55. E b d . 56. E b d . 56f. E b d . 57. E b d . 58. E b d . 65. D a s Profil der Position R . W E S T B R O O K s wird noch deutlicher, wenn man sich die O e g e n t h e s e , v e r t r e t e n u. a. durch J . W E I S M A N N , T a l i o n und ö f f e n t l i c h e S t r a f e ( 1 9 1 3 ) 3 3 9 f , vor Augen führt: " D i e ... S t e l l e ... richtet sich gegen den T ä t e r : du sollst geben ( s o lautet die wörtliche Ü b e r s e t z u n g des hebräischen «natatä«), ... D e r T ä t e r ist es, der den V e r l u s t tragen, der hergeben soll; nur er kann geben; die V o r s t e l l u n g , als solle etwa die O b r i g k e i t g e b e n , die j a erst vom T ä t e r nehmen müßte, ist eine so g e k ü n s t e l t e , daß sie dem einfachen Sinn e i n e s volkstümlichen R e c h t e s nicht zugetraut werden darf." V g l . auch ebd. 343; 347.

52 53 54 55

R . W E S T B R O O K , L e x T a l i o n i s ( 1 9 8 6 ) 66. E b d . 67. E b d . 68f. F . C R Ü S E M A N N , "Auge um Auge ..." ( 1 9 8 7 ) 4 1 5 .

88

Kasuistisches Rechtsbuch

schwangeren Frau (V.22), den er offensichtlich als einheitlich ansieht. 56 Die Erweiterung der Talionsbestimmung beginnt erst in V.24. 57 Das Interesse F.CRÜSEMANNs richtet sich nun auf die sozialgeschichtliche Verortung dieser talionischen Erweiterung. Zu welcher Zeit und in welcher Absicht wurden die VV.24f an dieser Stelle eingefügt? Aufgrund von Ex 21,18f.22.30 nimmt F.CRÜSEMANN an, daß bei Verletzungen zwischen freien Israeliten die Ausgleichszahlung das Übliche war, während im Todesfall die Regel "Leben um Leben" galt (Ex 21,23). 58 Die Ergänzung von Ex 21,24f dehnt nun das Prinzip der Vergeltung auf die Verletzung der körperlichen Integrität aus und richtet sich so gegen das Prinzip der Ausgleichszahlung im Falle von Körperverletzungen. Hinter dieser Intention steht deutlich ein soziales Interesse. Bei der Bestimmung dieses Interesses läßt sich F.CRÜSEMANN von der Beobachtung einer ähnlichen Entwicklung in der unteritalienischen Kolonie Lokri anregen. Dort führte nach einer Überlieferung des DEMOSTHENES der griechische Gesetzgeber ZALEUKOS im 7. Jahrhundert das Prinzip der Talion ein, um die sozialen Gegensätze in seiner Gesellschaft zu überwinden. Die Einführung der talionischen Regel richtete sich dabei ausdrücklich gegen die Möglichkeit der materiellen Ersatzleistung: "Wenn jemand ein Auge ausschlägt, soll er erleiden, daß sein eigenes Auge ausgeschlagen wird, und es soll keinerlei Möglichkeit zu materieller Ersatzleistung geben." 60 Diese Intention steht nach F.CRÜSEMANN auch hinter der Einfügung der talionischen Formel in 21,24f. Der sozialgeschichtliche Ort ist die soziale Krise des 8. Jahrhunderts, wie sie durch die Prophetie bezeugt ist. Das Recht dieser Zeit ist käuflich geworden. "Bestechung ist ein Hauptstichwort prophetischer Kritik. Macht, Geld und Einfluß bestimmen den Prozeß am Tor. Ein Recht, wie das der • "'ÜSltfQ des Bundesbuches, welches m. E. vor dieser Krise entstanden sein wird, bot in einer Lage, wie die Propheten sie schildern, mancherlei Möglichkeiten des Mißbrauchs. Reiche können sich allein deshalb vieles leisten, weil sie mit den nötigen Geldstrafen keine Schwierigkeiten haben. ... Das Sklavenrecht und die finanzielle Ausgleichszahlung, also genau die beiden Hauptpunkte, gegen die die Talionsformel sich in ihrem Kontext wendet, sind nachweislich zu Instrumenten in der Hand der ökonomisch und gesellschaftlich Mächtigen geworden. Gegen

56 57 58 59 60

Ebd. 414. Ebd. Ebd. 419. Ebd. Zitiert nach F.CRÜSEMANN, ebd.

Ex 21,22-25

89

eine solche Pervertierung des Rechts erhebt die Talionsformel Protest." 6 1

4.2.1.3.4.

Analyse

des

Textes

Zunächst soll das Verhältnis von V.22 zu VV.23-25 unter formalem Gesichtspunkt kurz erläutert werden. Die Talionsformel VV.23b-25 bildet die Rechtsfolgebestimmung der Tatbestandsdefinition von V.23a. V.23a ist Gegenfall zu V.22. V.22 macht insgesamt vier Angaben zum Tatbestand: 0">Gn$ r n n n^N

(i) ι

(2)

τ i o « ΓΡΠ: ïC?"}

(4)

rn^?

--oi

(3)

Die Tatbestandsdefinition von V.23a greift nur das vierte Element auf, formuliert es aber im Unterschied zu V.22aß positiv: ΓΡΓΓ 7iD8 _ D8J

V.23a

Darüber hinaus hat die syndetische Einleitung von V.23 adversative Funktion. V.23 ist demnach Gegenfall zu V.22 und setzt die ersten drei Angaben der Tatbestandsdefinition von V.22 implizit voraus. Hier begegnet wiederum das in Rechtstexten breit belegte Phänomen verkürzender Redeweise: ein Teil des Tatbestandes des vorangehenden Falles wird im folgenden Fall, ohne ausdrücklich wiederholt zu werden, vorausgesetzt. 6 2 In Ex 21,22-25 liegt also ein Doppelgesetz vor, bestehend aus Fall und Gegenfall. 6 3

4.2.1.3.4.1.

Was

heißt

Nach R.WESTBROOK bedeutet "flOK in Ex 21,22.23 "ein von einem nicht bekannten Täter verursachter Schaden". 6 4 Dabei stützt er sich auf eine Analyse von D . D A U B E , in der dieser f ü r die drei Belege von | i DK in Gen 42,4.38; 44,29 genau diese Bedeutung herausgearbeitet hat. 6 5 D . D A U B E sieht in f ÍDN einen juristischen Fachausdruck, wundert sich allerdings, daß der Ausdruck 61 Ebd. 425f. 62 Vgl. Ex 21,21.27.31.32.36. Siehe S. 67, Anm. 35. 63 A . A L T , Ursprünge (1934) 228, spricht vom "antithetischen Verhältnis", das die beiden "Fälle aufs engste zusammenschließt". 64 R.WESTBROOK, Lex talionis (1986) 56: "damage caused by an unknown perpetrator". 65 D . D A U B E , Law in the Narratives (1947) 1-15.

90

Kasuistisches Rechtsbuch

ausgerechnet im rechtlichen Kontext von Ex 21,22.23 nicht in der von ihm aus Gen 42,4.38; 44,29 herausgearbeiteten rechtlichen Bedeutung vorkommt. 6 6 In diese Lücke springt R . W E S T B R O O K . Er zeigt, daß die von D . D A U B E angenommene Bedeutung von | ÌDN aus Gen 42,4.38; 44,29 gerade auch in Ex 21,22.23 hervorragend paßt. 6 7 Mit dieser - meines Wissens so noch nicht vertretenen These - löst R.WESTBROOK praktisch alle literarkritischen Schwierigkeiten des Textes. 68 Prüfen wir im folgenden die Belege unter dieser Fragestellung. TÍOS kommt außer Ex 21,22.23 noch dreimal in der Josefsgeschichte und dreimal im hebräischen Sirach vor. 6 9 Der erste Beleg ist Gen 42,4. Jakob schickt seine zehn Söhne nach Ägypten, um Getreide kaufen zu lassen. Benjamin aber läßt er nicht mitziehen, weil er befürchtet, ihm könne ein zustoßen: ^ΠΙ? | "'KP Τ1 i oγs ^ tV rτ i'ί p· ^ i' sν ñ- aΤs 1 ·s - pTVr o m Nν ηρ»^ r f- tΤt f - t ö η·· ο Κ D a ß ' f i o sτ an ' —. — 1

1

dieser Stelle irgendeine Art von Unglück bezeichnet, dürfte klar sein. Die Septuaginta übersetzt mit μ,ήποτε συμβί] αύτω μαλακία, Vulgata mit "ne forte in itinere quicquam patiatur mali". Aus dem Duktus der Josefserzählung heraus kann Gen 42,4 so verstanden werden, daß Jakob befürchtet, neben Josef auch noch den zweiten Sohn der Rahel 7 0 zu verlieren. Dabei dürfte wohl an Totschlag, Zerreißen durch ein wildes Tier oder Entführung gedacht sein. Ob die f ü r einen solchen Unglücksfall Verantwortlichen ermittelt werden können oder nicht, wird wohl kaum der Grund f ü r Jakobs Befürchtung gewesen sein. Ihm ging es darum, seinen jüngsten Sohn nicht zu verlieren. Dies wird noch deutlicher an den anderen beiden Stellen. In Gen 42,38 sagt Jakob : -ΙΝψ} ina 1 ? ΝίΠΙ ΠΏ "PriNT"1? D30» n a - o ' p t n uzte η τ η "ροκ In Gen 44,29 sagt Jakob: τι i o sτ ì mτ p'τ i: ό sτ a s· o» mν - n tν r a a- •ηπρ'?ι ν : : ròtoz? n sτ nτ ?Τ ^nrnferns o νr m i mt . τ : · τ ·· V : -

66 Ebd. 10. 67 R.WESTBROOK, Lex Talionis (1986) 57. 68 Vgl. die Darstellung der Interpretation von R.WESTBROOK im vorangehenden Abschnitt 4.2.1.3.3, S. 86f. 69 Die Belege sind: Gen 42,4.38; 44,29; Ex 21,22.23; Sir 31,22, bzw. 34,22; 38,18; 41,9. Vgl. A C A D E M Y OF H E B R E W L A N G U A G E ( H G . ) , The Book of Ben Sira (1973) 95. 70 Gen 42,4: f]0Τ ^ T I N p a ^ j a T S I

Ex 21,22-25

91

Aus beiden Stellen geht deutlich hervor: Jakob befürchtet, daß Benjamin das gleiche Schicksal treffen könnte wie seinen Bruder Josef. Die entscheidende Argumentation R.WESTBROOKS lautet nun: Jakob läßt Benjamin mit nach Ägypten ziehen, nachdem sich zunächst Ruben (Gen 42,37), dann Juda (Gen 43,9) bereit erklären, f ü r die Rückkehr ihres Bruders volle Verantwortung zu übernehmen. Daraus folgert R.WESTBROOK: "The texts in Genesis therefore confirm ... that 'aswn refers to cases where responsibility cannot be located." 7 1 Diese Schlußfolgerung ist allerdings nicht richtig. In Gen 42,37 erklärt sich Ruben bereit, volle Verantwortung f ü r Benjamin zu übernehmen: "Meine beiden Söhne magst du umbringen, wenn ich ihn dir nicht zurückbringe. Vertrau ihn meiner Hand an; ich bringe ihn dir wieder zurück." Doch trotz der Bereitschaftserklärung Rubens, f ü r Benjamin volle Verantwortung zu übernehmen, weigert sich Jakob zunächst, ihn mitziehen zu lassen, mit der Begründung, ihm könne auf dem Weg ein T^OS zustoßen (Gen 42,38). Daraus folgt eindeutig: Selbst wenn Ruben die Verantwortung f ü r Benjamin übernimmt, kann ihm ein zustoßen. Selbst wenn Ruben der f ü r das Benjamin zustoßende Unglück Verantwortliche ist, handelt es sich beim Unglück, das Benjamin zustoßen könnte, um Τ TON. Mit der Bürgschaft, die Juda schließlich f ü r Benjamin übernimmt (Gen 43,9), erklärt er sich bereit, unter Einsatz seiner eigenen Person jedes Unglück von Benjamin fernzuhalten. Dies wird vollends deutlich in Gen 44,25-34: Juda steht mit seiner Person f ü r Benjamin ein, damit dieser zu seinem Vater Jakob zurückkehren kann. Dadurch verhindert er, daß Benjamin ein TÍOS trifft. Würde Josef Benjamin in Ägypten festhalten, dann wäre der Verantwortliche sehr wohl bekannt, trotzdem träfe Benjamin ein f i OK. Bei der Verwendung des Wortes ] TOS in der Josefserzählung geht es also nicht um die Frage, ob der f ü r das Unglück Verantwortliche ermittelt werden kann oder nicht. 7 2 Das Wort hat in Gen 42,4.38; 44,29 ganz einfach die Bedeutung "Unglück", "Schaden", wobei aufgrund der Parallelisierung von

71 R.WESTBROOK, Lex Talionis (1986) 57. 72 D.DAUBE drückt sich bezüglich eines juristisch-technischen Charakters von | I O S in der Josefserzählung vorsichtiger aus, als es die Ausführungen R.WESTBROOKs erkennen lassen. D . D A U B E , Law in the Narratives (1947) 10, übersetzt f ION in Gen 42,4 mit "mischief by force majeure". Ebd.: " ... as having a technical flavour about it, is I ' O N , »mischief«, »disaster«. Ebd. lOf.: "Despite the solid Rabbinic testimony, therefore, it remains doubtful whether it is technical in the story of Joseph." Vgl. allerdings ebd. 66, Anm. 37. Gegen R.WESTBROOK, auch E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 85, Anm. 83.

92

Kasuistisches Rechtsbuch

Josef und Benjamin 7 3 wohl am ehesten an einen tödlichen Unfall gedacht ist. Allerdings ist Τ ÌOK von Gen 42,4.38; 44,29 her nicht auf die Bedeutung "tödlicher Unfall" einzugrenzen. 7 4 Es bezeichnet auch den tödlichen Unfall, aber nicht nur ihn. Wäre Benjamin von Josef als Sklave in Ägypten festgehalten worden, dann wäre auch dies aus der Sicht Jakobs ein "[ i ON, der Benjamin träfe, wie eindeutig aus Gen 44,29 hervorgeht. Der Ausdruck bezeichnet in der Josefsgeschichte also jede Art von Unglück, durch das Jakob Benjamin auf Dauer verliert. 2. Das Wort f^ON begegnet auch noch dreimal im hebräischen Sirach. 7 5 76 D . D A U B E f ü h r t diese Stellen gegen seine eigene These an, R.WESTBROOK erwähnt sie in seinem Aufsatz nicht. Alle drei Belege lassen keinerlei juristische Konnotation erkennen und schon gar nicht eine Bedeutung im Sinne von "damage caused by an unknown perpetrator". 7 7 3 . Im Gesetz Dtn 21,1-9 wird geregelt, wie im Falle eines Mordes, bei dem der Täter nicht ermittelt werden kann, verfahren werden soll. Wäre IÌDN juristischer terminus technicus 7 8 f ü r "damage caused by an unknown p e r p e t r a t o r " 7 9 , d a n n würde man ihn gerade an dieser Stelle erwarten. Hier aber begegnet er nicht. Es findet sich in Dtn 21,1 vielmehr die völlig eindeutigeAngabe: :)Π3Π ^ 5Π13 ΓΠ&3 ... ^ Π NX/a?-"*?. Ginge es in Ex 21,22-25 um die Regelung eines Falles, bei dem der Verantworliche nicht mehr ermittelt werden kann, 8 0 würde man eine Dtn 21,1 entsprechende eindeutigere Formulierung erwarten, zumal dann, wenn das Gesetz - wie R.WESTBROOK annimmt 8 1 einheitlich ist. Ergebnis: Die Verwendung des Wortes TÍOS im A T läßt nicht erkennen, daß es sich hierbei um einen juristischen Fachausdruck handelt. Eine spezifisch juristische Bedeutung im Sinne eines von einer nicht mehr zu ermittelnden Person hervorgerufenen Schadens läßt sich nicht feststellen. Am ehesten dürfte man die Bedeutung des Wortes mit dem deutschen Wort "Schaden" oder "Unglück" treffen. Dabei kann es sich sowohl um einen tödlich als auch nicht-tödlich verlaufenden Schaden handeln.

73 Vgl. Gen 42.38; 44,27-31. 74 So HAL I, 71. S.E.LOEWENSTAMM, Exodus XXI 22-25 (1977) 358. F . C R Ü S E M A N N , "Auge um Auge ..." (1987) 413. 75 Sir 31,22, bzw. 34,22; 38,18; 41,9. 76 D . D A U B E , Law in the Narratives (1947) 10: "Nor is it used as a technical legal term in Sirach." 77 R.WESTBROOK, Lex Talionis (1986) 56. 78 Ebd. 57: " *swn as a technical legal term". 79 Ebd. 56. 80 Ebd.:"From these circumstances we may conclude that the legal problem involved was the question of responsibility for damage when the identity of actual perpetrator cannot be ascertained." 81 Ebd. 55.

Ex 21,22-25

93

In Ex 21,22b bezieht sich "(ÌOS auf die schwangere Frau, nicht auf die Fehlgeburt. 82 Würde sich nun die Bedeutung des Wortes TÍOS auf einen tödlichen Unfall beschränken, - wie einige Kommentatoren annehmen 83 dann wäre mit B.S.JACKSON die Frage zu stellen: "why should an unusual word like 'son be used in Ex.21:23 to refer to death, when the ordinary verb mwt would appear to have served equally well? Fatal injuries are a common enough topic in the Mishpatim, but on every other occasion the normal verb is used." 84 Halten wir dagegen den oben referierten Befund fest, daß TÌDN sowohl den tödlich als auch den nicht-tödlich verlaufenden Schaden meint, dann gibt es im Kontext von Ex 21,23 keinerlei Schwierigkeiten:

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V.24bß

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V.25aa

-

ν

V.25aß V.25b

V.23 setzt offenbar einen tödlichen, die VV.24.25 setzen einen nichttödlichen Unfall voraus. Beide Bereiche werden von Τ TON semantisch abeeης * σ

deckt. Offensichtlich wurde das Wort gezielt gesetzt, weil es wie kein zweites geeignet war als Begriff mit relativ großem Umfang (Extension) und re-

82 Zur Begründung siehe den folgenden Abschnitt 4.2.1.3.4.2, S. 94-98. 83 Siehe oben S. 83, Anm. 15. 84 B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 77, unter Hinweis auf Ex 21,12.18.20.28.29.35; 22,1. Nach B.S.JACKSON ebd. 78, betont Τ TOS "the effect of the happening on some person other than the direct victim." Dagegen hat sich aber zu Recht R . W E S T B R O O K , Lex Talionis (1986) 57, Anm. 25, gewandt. 85 Anders E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 28, wonach die in 21,24f aufgezählten Fälle nicht unter den Begriff 110t< zu subsumieren sind. H.-W. J Ü N G L I N G , "Auge für Auge" (1984) 25f, schwankt. "Die Wiedergabe des Wortes durch die Einheitsübersetzung als »weiterer Schaden« erscheint von den Belegen desselben Wortes in der Josefserzählung, w o sich die Bedeutung »tödlicher U n f a l l « nahelegt (vgl. Gen 42,4.38;44,29), entschieden als zu schwach. Allerdings hat das Substantiv äsöri eine starke Ähnlichkeit mit dem akkadischen W o r t asütn ( = A r z t ) . Sie könnte u.U: eine heilbare Verletzung nahelegen."

94

Kasuistisches Rechtsbuch

lativ geringem Inhalt (Intension) 8 6 die in Ex 21,23-25 aufgezählten Schäden zu umfassen. 87

4.2.1.3.4.2.

Frühgeburt

oder

Fehlgeburt?

Als zweites soll die Frage geklärt werden, ob es in Ex 21,22.23 um Frühgeburt oder Fehlgeburt geht. B.S.JACKSON ist einer der wenigen, der Frühgeburt und nicht Fehlgeburt annimmt. 88 Seine Argumentation ist einfach: An den Stellen, an denen N5P "Fehlgeburt" bedeute, stehe immer eine Form von JlìQ: Num 12,12; I j o b 3 , l l . An den Stellen, an denen es alleine stehe, bezeichne es eine Lebendgeburt: Gen 25,25.26; 38,28-30; Jer 1,5; 20,18. "Thus Ex.21:22 must refer to a live birth".89 Gegen die Interpretation von B.S.JACKSON möchte ich drei Beobachtungen ins Feld führen: l . D i e von B.S.JACKSON herangezogenen Texte können die Beweislast nicht tragen, daß in Ex21,22aa eindeutig die lebensfähige Frühgeburt bezeichne. In Num 12,12 i-röa ·ηκχ·< îtaaa ·

TT

1

V

V

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mat* o m o Τ

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na1? TT

"Warum starb ich nicht vom Mutterschoß weg, kam ich aus dem Mutterleib und verschied nicht gleich?" Hier geht die Geburt, das Herauskommen aus dem Mutterschoß, (^PNS^ dem von Ijob gewünschten Tod (P 1 voraus. An beiden Stellen bezeichnet NX"1 den Geburtsvorgang als ein Heraustreten aus dem Mutterschoß. Dabei ist weder das Bedeutungselement "Lebendgeburt" noch das Bedeutungselement "Todgeburt" konstitutives Merkmal des Wortes Unter normalen Umständen dürfte es sich beim Heraustreten aus dem Mutterschoß (N2P) um eine Geburt handeln, bei der das geborene Kind lebt und am Leben bleibt. Deshalb werden in den Fällen, in denen es sich - wie aus dem Kontext hervorgeht - um eine normale Geburt handelt, zu NÎP keine weiteren Angaben gemacht: Gen 25,25.26; 38,28.30; Jer 1,5; 20,18. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß das semantische Merkmal "lebende und lebensfähige Geburt" für das Bedeutungsfeld von NX"1 als Bezeichnung des Geburtsvorganges konstitutiv ist. 91 Die in Ex 21,22 angegebenen Umstände zeigen an, daß es sich beim "Heraustreten der Leibesfrucht" nicht um einen normalen Geburtsvorgang handelt. Aus dem Text geht eindeutig hervor, daß "das Heraustreten der Leibesfrucht" dadurch verursacht wurde, daß die Mutter gestoßen wurde. Allein aufgrund dieser Tatsache kann das semantische Merkmal "lebende und lebensfähige Geburt", das mit einer unter normalen Umständen stattfindenden Geburt assoziiert wird, nicht ohne weiteres mit KS"1 in Ex 21,22 verbunden werden. 2. Auch sozial- und medizingeschichtliche Überlegungen stützen die These, daß es sich in Ex 21,22 um eine Fehlgeburt handelt. Im alten Israel dürfte eine Frühgeburt nur dann lebensfähig gewesen sein, wenn sie recht nahe an den normalen Geburtstermin herangerückt war. Läge dies in Ex 21,22 vor, wäre zu fragen, worin der angerichtete Schaden bestünde und

schmiere«. Außerdem kann man manchmal eine Gelbfärbung, Runzeiung und Abschälung der Haut [Num 12,12: "... deren Fleisch schon zur Hälfte zerfressen ist."] beobachten." Zit. nach: K.H.AHLHE1M ( H G . ) , Wie funktioniert das? Der Mensch und seine Krankheiten (1973) 391. Die Neugeborenensterblichkeit bei übertragenen Kindern ist erhöht. Vgl. auch G . M A R T I U S / U . C A M M A N N , Gynäkologie, Geburtshilfe und Neonatologie (1984) llOf. 91 D i e s e n Fehlschluß begeht B.S.JACKSON, Exodus 21:22-25 (1973) 95: "The verb yaza is not uncommonly found in the context of childbirth. It is, indeed, used of stillbirth, but where it is s o used, it is accompanied by some form ot mwt. Where used on its own, it refers to a live birth. Thus Ex. 21:22 must refer to a live birth, even if 'ason is taken to refer to the mother...".

96

Kasuistisches Rechtsbuch

warum eine Schadensersatzleistung verlangt würde. 9 2 Ex21,18f zeigt, daß die Erstattung von Schmerzensgeld nicht üblich war. Ist aber eine Frühgeburt relativ weit vom normalen Geburtstermin entfernt, dürfte sie beim damaligen Stand der Medizin nicht lebensfähig gewesen sein. 3. Auch der rechtshistorische Vergleich stützt die These, daß es hier um Fehlgeburt geht. In allen fünf altorientalischen Gesetzen zu diesem Thema geht es um Fehlgeburt. Keines beschäftigt sich mit der Frühgeburt. 93 Dreimal wird der Fall der Fehlgeburt allein und dreimal werden Fehlgeburt und Tod der Frau zusammen berücksichtigt. 95 Ergebnis: Die drei im Vorangehenden angeführten Gründe lassen es als 1 sehr wahrscheinlich erscheinen, daß der Satz ΠΉ^" in Ex 21,22 die T v .

Oft

nicht lebensfähige Fehlgeburt bezeichnet. Es bleibt noch zu klären, warum "T^ in Ex 21,22 im Plural steht? Hat das Gesetz nur Gültigkeit, wenn es eine Fehlgeburt von Zwillingen oder gar Mehrlingen war? Eine solche Annahme ist völlig abwegig. Eine Textänderung, die das Jod kurzerhand streicht, kann nicht erklären, warum das Verb im Plural steht. Auch die Annahme, der Plural sei aus 21,4ba (ΓΡ}^" 1 1) eingedrungen läuft letztlich auf textkritische Korrektur hinaus. Man könnte vermuten, daß hinter Ex 21,22 der außergewöhnliche Fall einer fahrlässig verursachten Mehrfachfehlgeburt steht. 9 7 Die Umsetzung dieses möglicherweise sogar in Form eines Prozeßprotokolls schriftlich überlieferten Falles in die Form eines kasuistischen Rechtssatzes hätte nicht von allen individuellen Umständen des geschehenen Falles abstrahiert. Sie wäre gleichsam auf einem mittleren Abstraktionsniveau stecken geblieben. Eine 92 Indirekt wird dies durch PHILO, De legibus specialibus III, 108f, bestätigt, der auch bei einer voll ausgebildeten Leibesfrucht ( s o seine Interpretation von V.23 im Anschluß an Septuaginta) (offensichtlich selbstverständlich) mit Fehlgeburt rechnet. Siehe S. 83, Anm. 12. C.F.KEIL, Exodus ( 3 1 8 7 8 ) 526, der Frühgeburt annimmt, nennt folgenden Grund: "weil, wenn auch keine Beschädigung des Weibes und ihrer Leibesfrucht geschehen war, doch ein solcher Stoß das Leben hätte gefährden können." 93 Diese Beobachtung hat vor allem S.E.LOEWENSTAMM, Exodus XXI 22-25 (1977) 353f, gegen B.S.JACKSON geltend gemacht. S.E.LOEWENSTAMM, ebd. 354, weist ferner darauf hin, daß es auch in dem von B.S.JACKSON herangezogenen griechischen Dokument aus Ägypten vom Jahre 89 v. Chr. entgegen der Annahme JACKSONs, Exodus 21:22-5 (1973) 98f, nicht um Frühgeburt geht. 94 Das in sumerischer Sprache überlieferte Gesetzesfragment Y B C 2177 §§1-2 ( A N E T 525). Siehe S 113f, Anm. 170. Bei R . H A A S E , D i e keilschriftlichen Rechtssammlungen ( 1979) 18: Y O S 1,28. Ferner HG §§ 17-18 und MAG § 21. 95 CL III, 2'-8'; CH §§ 209-214; MAG § 50. Vgl. auch MAG §§ 51;52. 96 So die Mehrheit der Exegeten. Siehe oben S. 84, Anm. 13. 97 Vgl. F . C R Ü S E M A N N , "Auge um Auge ..." (1984) 413: "da ist unbestreitbar von mehreren Kindern die Rede". Ebd. 421 mit Bezug auf Ex 21,18f.22f: "So sehr sie auch für vergleichbare Fälle gelten wollen und in der jüdischen Rechtsgeschichte ja auch so gewirkt haben, handelt es sich doch im Grunde eher um Urteile als um Gesetze." J.J. FINKELSTEIN, Ox (1981) 19, Anm. 11.

Ex 21,22-25

97

solche Erklärung ist möglich, ich halte sie dennoch f ü r unwahrscheinlich. Sie muß faktisch mit einer Diskrepanz von Wortlaut und Geltung des Gesetzes rechnen und unterstellt denen, die den Fall in die Form eines kasuistischen Rechtssatzes umgesetzt haben, schlecht geleistete Arbeit. K . B U D D E sieht im Plural eine gezielte Setzung: "damit soll wohl die Möglichkeit einer mehrfachen Geburt gesichert werden, während die einfache Geburt darin eingeschlossen ist. In die Richtung einer Lösung hat A D I L L M A N N gewiesen: "Plur. der Gattung wie Gen 21,7, wobei aber kaum daran gedacht ist, dass es auch mehrere Kinder sein können". 9 9 Der Plural - so lautet meine These - ist an dieser Stelle gezielt zur Bezeichnung der Leibesfrucht der Frau gesetzt. Er kann verstanden werden in der Funktion der "Bezeichnung einer Kollektivität" entweder als "Zusammensetzung aus verschiedenen äußeren Bestandteilen" oder "mehr oder weniger intensive Zusammenfassung der an den Stammbegriff haftenden Merkmale (Abstrakt-Plurale ...)". 1 0 0 P . J O Ü O N spricht von Pluralformen "qui semblent dus à la généralisation et à l'indétermination" und f ü h r t von 101 Ex 21,22 in der Übersetzung "sa geniture" an. L.KOEHLER/ W.BAUMGARTNER übersetzen die Stelle mit "Leibesfrucht der Frau". 1 0 2 Dies scheint mir die Lösung zu sein. Dem "Gesetzgeber" ging es offensichtlich darum, deutlich zu machen, daß das Gesetz gerade auch dann Gültigkeit beansprucht, wenn die Frau eine Fehlgeburt hat, bei der ein Kind noch gar nicht zu erkennen ist und deshalb im normalsprachlichen Sinne noch nicht von die Rede sein kann. 1 0 3 Die Pluralfunktion des Hebräischen läßt sich an dieser Stelle durch eine analoge Bildung im Deutschen kaum nachahmen. Gemeint ist mit der hebräischen Wortbildung der Embryo bzw. der Fötus. 1 0 4 Wenn man bedenkt, daß gerade in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft im Vergleich zu den darauf folgenden Monaten die Gefahr der Fehlgeburt relativ groß ist und f e r n e r berücksichtigt, daß gerade in dieser Zeit eine 98 K . B U D D E , Bundesbuch (1891) 108. 99 A . D I L L M A N N / V . R Y S S E L , Exodus ( 3 1 8 9 7 ) 257. Vgl. auch U . C A S S U T O , Exodus (1967) 275, der von "generic plural" spricht: Der Plural ist gesetzt, um deutlich zu machen, daß die Rechtsfolgebestimmung unabhängig ist von der Art des Fötus, "be it male or female, one or two". 100 GK § 124a. 101 P . J O Ü O N , Grammaire (1923) § 136j. 102 HAL II, 394. 103 Vgl. C.F.KEIL, Exodus ( 3 1 8 7 8 ) 525: bezeichnet nur das Kind als ausgebildetes menschliches Wesen, nicht aber die noch nicht zu menschlicher Gestalt entwickelte Leibesfrucht." C.F.KEIL ist einer der wenigen, der deshalb mit Frühgeburt rechnet. D a s Argument ist gut. Doch in Ex 21,22 steht nicht " f ^ , sondern Γ Ρ 1 ? } . Den Plural aber gilt es gerade zu verstehen. 104 Bis zum 3. Schwangerschaftsmona: spricht man bei der Leibesfrucht von "Embryo", ab dem 4. Monat von "Fötus".

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Kasuistisches Rechtsbuch

Frau äußerlich nicht als schwangere Frau zu erkennen ist, 1 0 5 zumindest nicht von einer Bande raufender Männer, dann gewinnt der Plural von in Ex 21,22 eine gezielte Aussagekraft: Es soll klargestellt werden, daß der Täter auch dann f ü r die fahrlässige Verursachung einer Fehlgeburt eine Buße zahlen muß, wenn es sich bei der Fehlgeburt "nur" um einen Embryo handelt, bei dem von einem entwickelten und äußerlich sichtbaren Kind noch nicht die Rede sein kann. In den entsprechenden §§ 209; 211; 213 CH ist die Rede von ia li-ib-bi-Sa, wörtlich "das ihres Leibes" 1 0 6 , gemeint ist "ihre Leibesfrucht", Sa li-ib-bi-sa in §§ 209; 211; 213 CH ist gleichbedeutend mit π in Ex 21,22. Es geht also in Ex 21,22-25 nicht um mehrere Kinder, wie F . C R Ü S E M A N N und andere annehmen. Der Plural von versteht sich als Bezeichnung der nicht lebensfähigen Leibesfrucht der Frau, sei es Embryo, sei es Fötus. Damit wird eine Differenzierung nach dem Alter der Leibesfrucht, die denjenigen, der die Fehlgeburt verursacht hat, straffrei ausgehen lassen könnte, von unserem "Gesetzgeber" ausgeschlossen. Die hier vorgetragene These gewinnt an Plausibilität, wenn man ferner berücksichtigt, daß bei der Verursachung einer Fehl- bzw. Frühgeburt nach der ältesten Fassung von § 17 HG die Höhe der Schadensersatzleistung nach dem Alter der Leibesfrucht berechnet 1 0 7 und in § 50 MAG die Strafe nach dem Geschlecht der Leibesfrucht differenziert wird. Wir können von daher damit rechnen, daß den altorientalischen Juristen dieses Problem bewußt war. 1 0 8 Dies scheint auch in Ex 21,22 der Fall gewesen zu sein. So verdankt sich der Plural von -fri in Ex 21,22 weder dem Versehen eines ungeübten Schreibers, noch der Außergewöhnlichkeit eines Falles fahrlässig verursachter Mehrf achíehlgeburt, sondern der präzisen Wahl eines - offensichtlich juristisch geschulten - Schreibers, mit der dieser als semantisches Äquivalent zu sa li-ib-bi-sa die nicht lebensfähige Leibesfrucht der Frau bezeichnet.

105 Zum lebensweltlichen Hintergrund dieses Gesetzes vgl. Kap. 4.2.1.3.4.5. S. 109-116. 106 GAG § 137,2. 107 § 1 7 HG unterscheidet sehr wahrscheinlich zwischen Früh- und Fehlgeburt: "§ 17 Β Wenn jemand einer freien Frau die Leibesfrucht abstößt, gibt er, wenn (es) der 10. Monat (ist), 10 Schekel Silber. Wenn ( e s ) der 5. Monat (ist), gibt er 5 Minen Silber, und er späht in sein Haus." In der späteren Fassung des Gesetzes wurde die Unterscheidung wieder fallengelassen: "Wenn jemand einer freien Frau die Leibesfrucht abstößt, gibt er 20 Schekel Silber." Üb. nach E.v.SCHULER, in: T U A T 1,1, 100. 108 Vgl. auch die Unterscheidung der LXX an dieser Stelle zwischen dem ausgebildeten und dem nicht ausgebildeten Kind: το παιδίον αύτής μ,ή έξεικονισμένον ... έάν δε έξεικονΐσμ.ένον ην und A U G U S T I N s Unterscheidung von embryo informants und embryo formatus. Zit. nach F . C R Ü S E M A N N , "Auge um A u g e ..." (1984) 414, Anm. 9.

Ex 21,22-25 4.2.1.3.4.3.

"Dann sollst du geben Leben um Auge um Auge ..."

99 Leben,

Als drittes schließlich soll die Bedeutung der Talionsformel im vorliegenden Kontext untersucht werden. Nach F . C R Ü S E M A N N geht es in V. 23 "um den Ersatz des verlorenen Lebens durch das verschuldete Leben. Dabei kann nur die Todesstrafe gemeint sein." 109 Diese Deutung muß sich allerdings die Frage gefallen lassen: Wer ist mit ΠΓΙΡ3Τ "dann sollst du geben" angeredet? Ist derjenige angeredet, der die Todesstrafe vollziehen soll - sei es die Familie des Angehörigen im Rahmen der Blutrache, sei es die Rechtsgemeinde im Rahmen eines Gerichtsverfahrens -, dann kann doch nicht das Verbum ^ΓΟ stehen. Wie sollen diejenigen, die die Todesstrafe ausführen "ein Leben geben"? Ex 21,14 behandelt einen ähnlichen Fall und spricht ebenfalls eine 2.Ps.Sg. an. Dort heißt es: η anipn ^π-ιτα aya "Von meinem Altar sollst du ihn holen, damit er stirbt." Obwohl sich formai durchaus eine Weiterführung mit Anrede der 2.Ps.Sg. anbieten würde, steht dort nicht: DFinj 1 ^Sn^Fl "ΊΙΐΙΤΰ 0»Ώ. Ist hingegen der Täter angeredet, dann ist die Wendung nriFl 033 E?B3 ebenso schwierig. Wie soll der Täter sein Leben geben? Soll er sich opfern? Soll er sich freiwillig der Blutrache stellen? Wäre mit V.23 eindeutig Todesstrafe gemeint, und wären die VV.24.25 später hinzugefügt, dann wäre doch die weitaus eindeutigere Formulierung

oder oder

na^p riia γργρ n o i τr o « "· s! 1 1 0 r ν : « ι DJ?i: Dp3 ΓΡΓΡ "[ÍOírDNI 111 112 i1? D^OT f· ÌDN~DK1 • τ ΓΡΓΡ vi' τ ·r

zu erwarten gewesen, aber nicht 033 ΠΠΓΙ E733 ΠξΊΓΙ 3 Ί ΓΡΓΡ "[iDNTONT. Die von F . C R Ü S E M A N N herangezogenen Stellen 1 Kön 20,39 und 2 Kön 10,24 haben bezeichnenderweise nicht das Verbum |Π3 bei sich. 113 In beiden Fällen geht es darum, daß jemand einen bzw. mehrere Gefangene bewachen soll. Entkommt der Gefangene bzw. einer der Gefangenen, so haftet der, der bewachen soll, mit seinem eigenen Leben. In 7 Kön 20,39 lautet die uns interessierende Stelle: 109 F . C R Ü S E M A N N , "Auge um Auge ..." (1987) 415. Auch E . O T T O . Rechtsbegründungen (1988) 25f, versteht Ex 21,23b als "Todessanktion". 110 Vgl. Ex 21.12. 111 Vgl. Ex 21,20. 112 Vgl. Ex 22,2. 113 F . C R Ü S E M A N N , "Auge um Auge ..." (1987) 414f.

100

Kasuistisches Rechtsbuch

π·τπ ε ρ κ* πτ - π κν -ibtf: ν ηπη

nn^nj ηορ-η?? i κ

F.CRÜSEMANN sieht in dem Satz "oder du sollst ein Talent Silber bezahlen" (V.39bY) einen eindeutigen Hinweis darauf, "daß die Formel ohne einen solchen Zusatz gerade nicht finanzielle Gegenleistung meint." 114 D.DAUBE vermutet, daß ^ipl^Fl Ρ|03~Ί33 IN eine literarisch sekundäre Ergänzung ist. 1 1 5 Unabhängig von einer literarkritischen Fragestellung gilt es allerdings festzuhalten, daß in der Rechtsfolgebestimmung von 1 Kön 20,39 nicht 0g3 ΠΠΓΙ 12733 ¡"IFiriJ ] steht, sondern 1ΐ0?3 ΠΠΓΙ ΠΗ??}. Formal hätte sich die Form ΠΠΓΙ3 1 durchaus angeboten, da der ganze Satz wörtliche Rede darstellt und mit Imperativ Singular beginnt. Doch semantisch ist das offenbar nicht möglich. Der Verantwortliche konnte nicht angesprochen werden mit der Wendung . . . ΠΓΙΓ)31. Umgekehrt hätte in Ex 21,23 T ΠΓΡΓΠ ΓΡΓΡ sehr wohl stehen können: 033 ΠΠΠ 033 |ι Es steht vv - — ν ν j ; τ t ν · τ · J dort aber . . . ΠΡΓΙ3 Von daher ist eine Übertragung von 1 Kön 20,39 auf Ex 21,23 nicht möglich. Damit wird die Argumentation F.CRÜSEMANNs hinfällig. Es mag durchaus möglich sein, daß die Wendung ΠΠΡ1 1Ç33 ΠΓΡΠ] ÍE?g3 in 1 Kön 20,39 Talion im wörtlichen und strengen Sinne meint. Daraus folgt aber nicht, daß es auch in Ex 21,23 um Talion im strengen Sinne geht. Man darf nicht allein auf die gemeinsame Wendung 033 ΠΠΡΙ 033 rekurrieren, sondern muß die unterschiedliche syntaktische Einbindung berücksichtigen, um die Talionsformel in Ex 21,23 richtig zu verstehen. 116 Dies gilt auch für die zweite von F.CRÜSEMANN herangezogene Stelle 2 Kön 10,24. Hier bildet die Wendung 033 ΠΠΠ 0 3 3 einen Nominalsatz im Rahmen einer Pendenskonstruktion: 1 ν

-1 ?» ΚΌΟ DD^-p ν .. « · »

· -!

-lös Ο ^•Ν ΓτΓ Τ ΰ· ν -J τ 1

·· τ

·

ν



ΕΡΝΠ · τ

. Í0*)3 nnFl 10|)3 Ein Verständnis von Ex 21,23 im Sinne strikter Talion ist aufgrund der syntaktischen Einbindung des Syntagmas 0 3 3 ΠΠΓΙ 0 3 3 und der Semantik von ΤΠ3 nicht möglich. Aufgrund dieser Beobachtungen stelle ich die Gegen th es e auf: In der Rechtsfolgebestimmung von Ex 21,23 geht es nicht um 114 115 116 117

Ebd. 415. D . D A U B E , "Lex Talionis" (1947) 117. Diese Argumentation gilt in gleicher Weise für 1 Kön 20,42. Vgl. W.GROSS, Pendenskonstruktion (1987) 157.

Ex 21,22-25

101

Todesstrafe (Talion im strengen Sinne des Wortes), sondern um die Zahlung einer dem Wert des zerstörten Lebens ( 0 3 3) entsprechenden Summe. Drei Argumente stützen diese These: 1. Die Verwendung des Verbums JP3 in den Rechtsfolgebestimmungen des Bundesbuches meint immer die Zahlung einer festzusetzenden oder bereits festgesetzten Summe: Ex 21,19.22.30.32. 118 Das Verbum wird dort verwendet, wo ein dem zerstörten Gut entsprechendes Gut erstattet werden kann: - l i i s n nnFl "ilE? nton ν - r i -n n-

τ1 κ χ - $ >-· η: *- ηs

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Ex22,4

In den Fällen, in denen ein zerstörtes Gut nicht durch ein entsprechendes Gut, sondern nur durch einen dem zerstörten Gut entsprechenden Wert erstattet werden kann, steht nicht D^Ö, sondern tD3: Ex 21,18f. Die zerstörte Gesundheit kann nicht durch ein anderes "Stück Gesundheit" ersetzt werden, sondern nur durch die Zahlung eines dem durch die Zerstörung der Gesundheit eingetretenen Wertverlustes entsprechenden Wertes: "[FP iFl^B pT NEH) (Ex 21,19b). Genau darum geht es auch in Ex 21,23-25: Ein zerstörtes Leben kann nicht durch die Gabe eines unzerstörten Lebens ersetzt werden, 1 1 9 ein zerstörtes Auge kann nicht durch die Gabe eines unzerstörten Auges ersetzt werden usw. Deshalb steht in Ex 21,23 auch nicht sondern ]D3. Das HFiriJI von V.23 greift das "[£121 aus der Rechtsfolgebestimmung von V.22bß wieder auf. Hier geht es eindeutig um eine materielle Ersatzleistung. 1 2 0 In V.23 geht es folglich nicht um Todesstrafe, sonst stünde dort 1 n a ^ n i ö , d p i : Dp:, i ? D i g n , oder ähnliches. Es geht in den VV.23-25 vielmehr um die Zahlung (ΤΓΙ3) einer dem Wert des zerstörten Lebens, des zerstörten Auges, des zerstörten Zahnes usw. entsprechenden Summe. 1 2 1 118 Darauf hat vor allem D.DAUBE, "Lex Talionis" (1947) 137f, hingewiesen. 119 Die von D.DAUBE, "Lex Talionis" (1947) 116, erwogene Möglichkeit der Stellung einer Ersatzperson spricht ebenfalls gegen Talion im strengen Sinne. 120 Dies wird - soweit ich sehe - von niemandem bestritten. 121 So auch in aller Deutlichkeit E.LIPIÑSKI, Art. f D j , in: ThWAT V, 700: "Im Bundesbuch (Ex 21,19.22) hat nätan den Sinn »zahlen« (vgl.Ex 21.32: nätan kcescep ) oder besser »entschädigen«. ... In beiden Fällen ist es unmöglich, die Dinge in ihren Ausgangszustand zurückzuversetzen und den Schaden dadurch wiedergutzumachen, daß der geschädigten Person ein Äquivalent in natura verschafft wird. Der Gesetzgeber bedient sich hier nicht des Verbs Hlletti, das konstant in Ex 21,33-22,14 im Sinne von »wiederherstellen« gebraucht wird. Invalidität und der Verlust eines Fötus können nicht direkt ersetzt werden. Der Invalide und der Ehemann der Frau, die eine Fehlgeburt hatte, müssen daher als Entschädigung für die irreparablen Folgen der Gewalttaten eine Geldsumme oder Naturgüter erhalten. Im Falle des gehbehinderten Mannes muB der, der ihn geschlagen hat, Sibtô jitten »seine Lahmheit zahlen« oder »entschä-

102

Kasuistisches Rechtsbuch

2. Dem hebräischen Syntagma χ ΠΠΠχ + "[ΓΟ entspricht im Akkadischen die Wendung χ ktma χ + nadänum. H . - W . J Ü N G L I N G hat das akkadische Syntagma in den einschlägigen Texten untersucht und dabei den "Eindruck gewonnen ..., daß es sich bei der Fugung um geprägte juristische Terminologie handelt. ... Sie wird weithin in Zusammenhängen gebraucht, die Ersatzleistung vorsehen. ... Immer scheint sie den Gesichtspunkt der Gleichheit hervorzuheben." 122 3. Ein Verständnis von Ex 21,23 im Sinne strikter Talion steht in eklatantem Widerspruch zu Ex 21,13. Nach der Asylbestimmung 21,13 wird derjenige, der durch Fahrlässigkeit den Tod eines anderen verursacht hat, vor der Blutrache geschützt. Auch in 21,22.23 liegt fahrlässige Tötung vor. 1 2 3 u. C A S S U T O , der zunächst gegen die rabbinische Tradition einen "wörtlichen" Sinn der Talionsbestimmung einfordert, 1 2 4 nimmt diese Interpretation aufgrund des Widerspruchs zu 21,13 schließlich doch zurück. 125 Diesen Widerspruch könnte man auf zweierlei Weise umgehen. Zunächst einmal könnte man nach weiteren inhaltlichen Differenzen suchen: In Ex 21,13 geht es um fahrlässige Tötung. 1 2 6 Davon unterscheidend könnte man

digen« (Ex 21,19)." D i e g e n a u gegenteilige T h e s e stellt U . C A S S U T O , E x o d u s (1967) 275, auf: "It is n o t f e a s i b l e t h a t t h e m e a n i n g of t h e word »eye« s h o u l d be » t h e value of t h e eye«." U . C A S S U T O k a n n diese I n t e r p r e t a t i o n a b e r nicht d u r c h h a l t e n . Vgl. S. 104, A n m . 123; 124. Z u r B e d e u t u n g von ΤΠ3 in R e c h t s t e x t e n vgl. vor allem auch G . L I E D K E , G e s t a l t und B e z e i c h n u n g (1971) 46f. und C . J . L A B U S C H A G N E , A r t . |ΓΙ3. in: T H A T II, 123f. 122 H . - W . J Ü N G L I N G , "Auge f ü r A u g e " (1984) 19f. Vgl. R . W E S T B R O O K , Lex T a l i o n i s (1986) 62-65, d e r u n a b h ä n g i g von H . - W . J Ü N G L I N G zu einem ähnlichen E r g e b n i s k o m m t : "It may t h e r e f o r e b e concluded t h a t t h e p h r a s e »pay a life« r e f e r s to t h e paym e n t of a fixed sum r e p r e s e n t i n g the value of a p e r s o n " ( e b d . 64). "Once t h e expression »give a life« is u n d e r s t o o d as t h e p a y m e n t of a set sum at which a p e r s o n ' s life is v a l u e d , then the c o n t i n u a t i o n of t h e p h r a s e in v. 23 »...instead of a life« (tht n f s ) causes no difficulty. It merely i d e n t i f i e s t h e loss f o r which the p e n a l t y is b e i n g paid" ( e b d . 66). 123 Z u r B e g r ü n d u n g siehe w e i t e r u n t e n K a p . 4.2.1.3.4.5, S. 109-116. 124 U . C A S S U T O , E x o d u s (1967) 275. 125 E b d . 276f: "... we may t a k e it f o r g r a n t e d t h a t it is an ancient f o r m u l a t h a t at first actually e x p r e s s e d t h e p r i n c i p l e of talio in its literal s e n s e , and it r e m a i n e d crystallized in its original f o r m even a f t e r t h e i n t r o d u c t i o n , in t h e c o u r s e of t h e d e v e l o p m e n t of the legal t r a d i t i o n , of the r e f o r m f o u n d in the laws of E s n u n n a and in t h e H i t t i t e C o d e , and m o n e t a r y c o m p e n s a t i o n t o o k t h e place of the a n c i e n t c o r p o r a l p u n i s h m e n t . ... T h e o r e t i c a l l y , he w h o blinds a n o t h e r ' s eye should b e s e n t e n c e d t o have his own b l i n d e d ; only he is p e r m i t t e d t o give a r a n s o m in o r d e r t o save his eye. ... t h e m e a n i n g h e r e in o u r p a r a g r a p h of t h e expression life for life is t h a t t h e o n e w h o h u r t s the w o m a n accidentally shall b e obliged t o pay h e r h u s b a n d the v a l u e of h e r life if she dies, and of her children if they die." E i n e g e n a u gegenläufige E n t w i c k l u n g n i m m t F . C R Ü S E M A N N , "Auge um A u g e ... " (1987) 419, an, w o n a c h die W i e d e r e i n f ü h r u n g d e r T a l i o n s t r a f e ger a d e gegen eine im L a u f e d e r Z e i t e i n g e r i s s e n e K o m p e n s a t i o n s p r a x i s g e r i c h t e t sei. 126 Vgl. die I n t e r p r e t a t i o n dieses G e s e t z e s in D t n 19. Vgl. auch § 222 S t G B .

Ex 21,22-25

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versuchen, Ex 21,22.23 als Körperverletzung mit Todesfolge zu verstehen. 1 2 7 Aber dann müßte man zumindest mit einer beabsichtigten Körperverletzung der schwangeren Frau rechnen, um die Differenz plausibel zu machen. Mit einer beabsichtigten Körperverletzung der schwangeren Frau zu rechnen, scheint mir aber aufgrund des geschilderten Falles und des vorauszusetzenden lebensweltlichen Hintergrundes nicht möglich zu sein. 128 Dann verbleibt nur noch die Möglichkeit, den Widerspruch literar- und redaktionsgeschichtlich zu umgehen dergestalt, daß man 21,13 und 21,23 zwei unterschiedlichen Redaktionsstufen zuweist. 129 Faktisch wendet F. C R Ü S E M A N N diese Methode an, wenn er die Einfügung der Talionsformel 21,24.25 als "Protest" gegen die im Bundesbuch vorgesehenen Ausgleichszahlungen im Falle von Körperverletzungen versteht. 3 0 Abgesehen von den semantischen Problemen seiner Interpretation ergeben sich hier zwei kritische Anfragen. Die erste betrifft das hermeneutische Prinzip. Die Interpretation der Talionsformel ist nach F . C R Ü S E M A N N gezielt gegen den Kontext des Bundesbuches gerichtet. Berücksichtigt man den Kontext des Bundesbuches, dann ist die von F . C R Ü S E M A N N gegebene Interpretation nicht haltbar. Dies gesteht er ausdrücklich ein: "Die Versöhnung der Talionsformel mit ihrem Kontext ist bis heute das wichtigste Argument dafür, sie im Sinne finanzieller Ausgleichszahlung aufzufassen. Wenn man die Einheit des vorliegenden biblischen Textes voraussetzt, ist ein solches Verständnis fast zwingend notwendig." 131 Hier stellt sich die Frage, ob bei der Interpretation alttestamentlicher Rechtstexte nicht zunächst einmal von der Vermutung der Kohärenz des Textes auszugehen ist, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. 132 Darüber hinaus ist zu fragen, ob die Talionsformel nicht auch dann kontextgemäß interpretiert werden kann und muß, wenn sie als eine literarische Erweiterung angesehen wird. 127 Vgl. § 226 StGB. 128 Zur Begründung siehe Kap. 4.2.1.3.4.5, S. 109-116. 129 D i e s e n Weg gehen - auf unterschiedliche Weise - H.J.KUGELMASS, Lex Talionis (1985) 148, und E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 87, Anm. 106: "Mit der Einsicht in die überlieferungsgeschichtliche Eigenständigkeit der Sammlung Ex XXI 18-32 löst sich das Problem der Unausgeglichenheit zwischen Ex XXI 12-14 und Ex XXI 22f. Fordert Ex XXI 23 die Todessanktion auch bei unabsichtlicher tödlicher Verletzung einer schwangeren Frau, s o ist darin ein rechtshistorisch älteres Stadium als Ex XXI 12-14 bewahrt." 130 F . C R Ü S E M A N N , "Auge um A u g e ... " (1987) 419; 426. 131 Ebd. 426. 132 Vgl. C.LOCHER, Ehre einer Frau (1986) 321.

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Kasuistisches Rechtsbuch

Die zweite Anfrage betrifft das literatursoziologische Modell, das hinter der Interpretation von F . C R Ü S E M A N N steht. Er rechnet damit, daß das Bundesbuch unter dem Einfluß prophetischer Kreise 1 3 3 durch die gezielt gegen den Kontext gerichtete Talionsformel erweitert wurde. Ein solches Textentstehungsmodell läßt sich aber institutionsgeschichtlich nur schwer vermitteln. Man muß mit einem recht abrupten Wechsel des Ortes rechnen, an dem das Bundesbuch tradiert wurde: vom "Königshof mit seinen Schreiberund Juristenschulen" 134 zum Milieu prophetischer Kritik. Daß das Bundesbuch in seiner Überlieferungsgeschichte Einflüsse der prophetischen Sozialkritik aufgenommen hat, ist durchaus wahrscheinlich. 135 Daß diese Einflüsse aber wie ein erratischer Block in das Rechtsbuch Bundesbuch gleichsam von außen gegen den Kontext desselben eingetragen wurden, scheint mir unwahrscheinlich zu sein. Bei diesem Modell stoßen zwei Institutionen - Prophétie und Recht(sgelehrsamkeit) - unvermittelt aufeinander. Die Interpretation der Gesetze zum Schuldsklaven und zur Schuldsklavin Ex21,20f.26f hat gezeigt, daß das Selbstverständnis der hinter den Gesetzen des Bundesbuches stehenden Schreiber und Juristen 1 3 6 selbst vom Ethos der Gerechtigkeit geprägt war. Ihnen ging es nicht um die Revolution der Gesellschaft, wohl aber um den Schutz der Schwachen, die in den Konfliktfeldern der vorgefundenen Gesellschaft besonders gefährdet waren. 1 3 7 Das "egalitäre Ethos" der frühen Propheten, ihr Kampf für Recht und Gerechtigkeit und das Ethos der Schreiber und Juristen, in deren Kreisen die kasuistischen Gesetze des Bundesbuches entstanden und überliefert wurden, sind nicht zwei völlig disparate Größen. Sie artikulieren sich zwar in sehr unterschiedlichen Formen, liegen aber traditionsgeschichtlich eng beieinander. 1 3 8 Wenn 133 F . C R Ü S E M A N N , "Auge um Auge ..." (1987) 425. 134 Nach F . C R Ü S E M A N N , Bundesbuch (1988) 32f, stammt der kasuistische Teil des Bundesbuches aus einem solchen Milieu. Vgl. dazu Kap. 4.4, S. 244-289. 135 A . M E N E S , D i e vorexilischen Gesetze (1928) 25. versteht das Bundesbuch "als Reformwerk der sozialprophetischen Partei". 136 Damit greife ich ein wenig der in Kap. 4.4. S. 244-289. entfalteten These voraus. 137 Bei der Analyse des weisheitlichen Mahnspruchs fragt W.RICHTER, Recht und Ethos (1966) 191, "ob die Schule nicht auch bei der Abfassung des B B , D t und H ihren Beitrag geleistet hat" (dazu mehr in Kap. 4.4) und beschreibt das Ethos der Schule so: "Nicht nur die Wirkung des Ethos der Schule, sondern auch seine Höhe ist auffallend. Es verlangt mehr als das Oesetz, erwartet von den Gliedern des Standes einen Verzicht auf Ausnutzung ihrer stärkeren Position gegenüber dem weiten Kreis der niedriger Gestellten, besonders der Armen und Benachteiligten. Seine Grundhaltung ist aber nicht revolutionär oder gar umstürzlerisch, sondern es sieht seine Aufgabe in der Bewahrung der überkommenen Ordnung." 138 In diese Richtung sehe ich eine Klärung des Verhältnisses von Gesetz und früher Prophetie. A m o s und Micha benötigen kein von Gott geoffenbartes Bundesbuch, um ihre Anklagen zu erheben, und schon gar nicht berufen sie sich ausschließlich auf das apodiktische Recht, wie R . B A C H , Gottesrecht und weltliches Recht (1975) für A m o s beweisen möchte. D i e These R.BACHs, ebd. 33 (vgl. ebd. 29; 34), daß A m o s "sich gele-

Ex 21,22-25

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man bedenkt, daß sich bereits die vorklassische Prophetie der Methode bediente, das in Form der Erzählung eines Rechtsfalles aufgedeckte Unrecht den Repräsentanten der Macht entgegenzuhalten, 139 dann dürften das Milieu der Schreiber- und Juristenschulen, das man freilich nicht ohne weiteres mit dem Königshof verbinden darf, und das Milieu, aus dem die frühe Prophetie stammt, nicht so weit auseinanderliegen, wie es auf den ersten Blick erscheint. 140 Diesem Befund wird aber eine kontextgemäße Interpretation der Talionsformel eher gerecht als ein Verständnis dieser Formel als Ausdruck einer gegen den Geist des vorgefundenen Bundesbuches gerichteten prophetischen Kritik. 141 Ergebnis: Die Talionsformel in der Rechtsfolgebestimmung von Ex 21,22-25 drückt die Angemessenheit der Schadensersatzleistung bei fahrlässig verursachter Körperverletzung mit oder ohne Todesfolge aus. Mit dieser vom Wortlaut des Gesetzes her gewonnenen Interpretation ist zugleich eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch und der Geltung des Gesetzes aufgehoben, die viele Exegeten bei einer Interpretation im Sinne strenger Talion annehmen (müssen). Stellvertretend für Viele sei P. HEINISCH zitiert:

gentlich ausdrücklich gegen das kasuistische Recht wendet" vermag ich nicht einzusehen. Die These beruht offensichtlich auf einer schon bei A.ALT, Ursprünge (1934) 229. erkennbaren Verachtung des kasuistischen Rechtes: "Es sind demnach wirklich zwei bis in die Wurzeln hinab verschiedene Rechte, die hier aufeinanderprallen; und wenn wir das eine von ihnen, das kasuistische, im Sinne der obigen Ausführungen seiner Herkunft nach als kanaanäisch zu betrachten haben, so werden wir das andere, das mit der Talionsformel störend einbricht, bis zum Beweis des Gegenteils f ü r spezifisch israelitisch halten dürfen." B.SCHÜLLER, Begründung sittlicher Urteile ( 2 1980) 24f, hat darauf hingewiesen, daß die von A.ALT "gewählten Bezeichnungen »apodiktisch« und »kasuistisch« ... nicht rein beschreibend, sondern auch wertend" sind, "da unter Theologen Kasuistik (was immer das sein mag) keinen besonders guten Ruf genieBt. Darum ist man nicht ganz unvorbereitet auf die historische These, die Alt schließlich aufstellt: Israel habe das kasuistische Recht von seinen Nachbarvölkern übernommen, während das apodiktische Recht originär aus dem Jahweglauben hervorgegangen sei." Zur weiterführenden Kritik an den Thesen A.ALTs vgl. den Forschungsüberblick von W.SCHOTTROFF, Zum alttestamentlichen Recht (1977) und J.BELZER, Art. Apodiktik/apodiktisch, in: NBL (1988) 122-124. 139 Vgl. 2 Sam 12,1-15; 1 Kön 20,35-43 (VV.39.42: ΠΠΓ1 Dazu W. D I E T R I C H . David, Saul und die Propheten (1987) 38f. 140 Anders offensichtlich F.C.RÜSEMANN, "Auge um Auge ..." (1987) 426: "Während die Propheten eine ganz Israel erfassende Katastrophe kommen sahen, wird hier in Form einer Glosse [seil, der Talionsformel 21,24f] eine andere, eine bessere Gerechtigkeit gefordert. Nicht Geld und Einfluß, sondern Auge um Auge, Wunde um Wunde soll gelten." 141 Gegen F.CRÜSEMANNs Interpretation der Einfügung der Talionsformel als Ausdruck des Protestes zu Recht auch E . O T T O , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 149, Anm. 2.

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Kasuistisches Rechtsbuch Ex 21,23-25 "ist streng wörtlich zu nehmen. ... Der Verletzte aber wird lieber eine Geldentschädigung genommen haben, als daß er auf der Verstümmelung des Täters bestand, von der er keinen Nutzen hatte, und der Schuldige zahlte eher, als daß er ein Glied verlor oder ihm ein Knochen gebrochen wurde ...". 142

Möglicherweise ist diese Interpretation von der Talionsbestimmung des römischen Zwölf taf elgesetzes beeinflußt, das von vornherein eine Alternative zur Talion vorsah: "Si membrum rup(s)it, ni cum eo pacit, talio esto". 143 Die hier vorgeschlagene Interpretation der Rechtsfolgebestimmung V.23b ÖS3 rinn E733 ΠΡΙΓΙί} als Zahlung einer Ersatzleistung im Falle der fahrlässig verursachten Tötung einer schwangeren Frau mag auf Skepsis stoßen, wenn man bedenkt, daß in den altorientalischen Parallelgesetzen, die den Tod der schwangeren Frau berücksichtigen, entweder die Todesstrafe 1 4 4 oder stellvertretende Talion im strengen Sinne gefordert werden. 1 4 5 Eine eingehende Untersuchung dieser Gesetze sprengt den Rahmen und das Ziel dieser Arbeit. Soviel aber scheint klar zu sein: Die keilschriftlichen Gesetze zum Tod der schwangeren Frau unterscheiden sich offensichtlich dadurch von Ex 21,22-25, daß es in ihnen um die vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge, niemals aber um die fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge der Frau geht. H.-W.JÜNGLING hat auf diesen Unterschied hingewiesen: "... schon im Ansatz der Tatbestandsdefinition bestehen gravierende Unterschiede zwischen Ex 21,22f. und den Bestimmungen der altorientalischen Gesetzeskorpora. In ihnen wird durchgängig davon gesprochen, daß ein Mann durch einen Schlag oder auch durch Schläge den Abgang der Leibesfrucht einer Frau verursacht. In Ex 21,22 ist dagegen nicht von einem Schlag eines Mannes die Rede, sondern von einem Handgemenge zwischen Männern, in das dann eine schwangere Frau einbezogen wird und das schließlich den Abgang der Leibesfrucht bewirkt." 146 Von daher kann mit den Rechtsfolgebestimmungen der altorientalischen Parallelgesetze nicht gegen die Interpretation von Ex 21,23b als Zahlung einer Ersatzleistung argumentiert werden. 142 143 144 145

P.HEINISCH, Exodus (1934) 171. Zitiert nach H.-W .JÜNGLING, "Auge für Auge" (1984) 3f. CL III,2'-8'; MAG § 50. CH §210: "Wenn diese Frau stirbt, so soll man ihm eine Tochter töten." Üb. nach R . B O R G E R , in T U A T 1,1,69. 146 H.-W .JÜNGLING, "Auge für Auge" (1984) 30. Auf den Unterschied weist auch U.SICK, Tötung eines Menschen (1984) 50, hin.

Ex 21,22-25 4.2.1.3.4.4.

Wer soll

107

geben?

Damit ist die Frage noch nicht beantwortet, warum die Rechtsfolgebestimmung Ex 21,23 ausgerechnet in 2.Ps.Sg. formuliert ist. "Die zweite Person »du sollst geben« fällt aus dem Rahmen dessen, was in einem kasuistischen Gesetz erwartet werden kann, heraus. Man erwartetet: Wenn aber ein 3Ssôn geschieht, dann soll er geben ... ,"147 Unter der Annahme, daß Ex 21,22-25 insgesamt einheitlich sei, hat jüngst eine Antwort auf diese Frage vorgelegt. Angeredet - so R.WFSTBROOK - sind mit der Rechtsfolgebestimmung von V.23 die Vertreter der Ortsgemeinde. Diese sind verantwortlich für den Fall, daß der für die Verletzung der schwangeren Frau verantwortliche Täter nicht mehr ermittelt werden kann. 1 4 8 Dieser Fall liege in V.23 vor, angezeigt u.a. durch den terminus technicus Τ ION. Die These R.WESTBROOKs hat den Vorteil, den abrupten Wechsel von der 3.Ps.Sg. zur 2.Ps.Sg. ohne literarkritische Eingriffe zu lösen. Dennoch ergeben sich bei seiner Interpretation einige Bedenken. Wir hatten oben bereits gesehen, daß die These, TÍOS sei juristischer Fachausdruck zur Bezeichnung eines Schadens, bei dem der Verantwortliche nicht mehr ermittelt werden kann, nicht haltbar ist. 149 Nach R.WESTBROOK besteht die hinter dem Gesetz stehende Tendenz letztlich darin, die Ortsgemeinde für die Sicherheit von Passanten in den Straßen ihres Ortes verantwortlich zu machen. Dazu bringt er eine Reihe altorientalischer Parallelen. 1 5 0 R.WESTBROOK

CH §§ 22-24 lautet: 1 5 1 § 22 Wenn ein Bürger einen Raub verübt und erwischt wird, wird dieser Bürger getötet. § 23 Wenn der Räuber nicht erwischt wird, soll der beraubte Bürger das ihm abhanden gekommene Gut vor Gott angeben; die Stadt und der Vorsteher, in deren Land und Gebiet der Raub

147 148 149 150

Ebd. 25. R.WESTBROOK, Lex Talionis (1986) 65. Siehe oben unter 4.2.1.3.4.1, S. 91-96. R.WESTBROOK, Lex Talionis (1986) 67: "The principle behind the imposition of liability on a city for cases of unsolved murder was the responsibility of the city for the safety of travellers on the roads of its territory. The principle behind the imposition of liability on the community in the law in Exodus was similarly the safety of passers-by in the streets." 151 Üb. nach R.BORGER, in: T U A T 1,1,47.

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Kasuistisches Rechtsbuch verübt worden ist, sollen ihm sein abhanden gekommenes Gut ersetzen. § 24 Wenn es sich um einen Raubmord handelt, sollen die Stadt und der Vorsteher eine Mine Silber seinen Angehörigen zahlen.

In einem Vertrag zwischen Ugarit und Ini-Teschub, dem König von Karkemisch, heißt es: 1 5 2 1-3

Ini-Teshub, king of Carchemish, has made this treaty with the »men of Ugarit«: 4-6 If a man from Carchemish is killed in the land of Ugarit, 7-12 if they catch the one who killed him, he shall pay three times a man (lú 3-íu ú-ma-al-la) and three times the possesions that disappeared with him (the victim); 13-19 if they do not find the one who killed him, they shall pay three times a life (napiSta (zi) 3-su ú-ma-al-lu-ú) and the possessions that disappeared with him - in simplum. 20-23 And if a man from Ugarit is killed in the land of Carchemish, the same payment ( m u - u l - l a - a ) applies. Bei der auf den ersten Blick beeindruckenden Parallelisierung dieser und anderer Texte 1 5 3 mit Ex 21,22-25 ergeben sich aber doch einige Bedenken, die die Plausibilität der Schlußfolgerungen R.WESTBROOKs in Frage stellen. 1.Bei den von R.WESTBROOK herangezogenen Texten zur Verantwortlichkeit einer staatlichen bzw. städtischen Autorität f ü r die Sicherheit der Straßen und Wege handelt es sich mit Ausnahme von CH §§ 22-24 um zwischenstaatliche Verträge. Es geht dabei um die Sicherheit der Kaufleute des einen Landes im Lande des Vertragspartners. Darum aber geht es in Ex 21,22-25 nicht. 2. In den von R.WESTBROOK herangezogenen Texten geht es in allen Fällen um absichtlich begangene Taten: Mord, Raubmord, Totschlag, Raub. In Ex 21,22-25 geht es aber nicht um eine absichtlich begangene Tat: Die schwangere Frau wird nicht direkt angegriffen. Im Kampf der Männer untereinander bekommt sie aus Versehen einen Stoß mit ab. Es handelt sich um fahrlässige Tötung oder fahrlässige Körperverletzung. 1 5 4 Dieser Unterschied aber ist entscheidend. Daß im Falle eines nicht aufgeklärten Mordes, Raubmordes, Totschlages oder Raubes die lokalen Autoritäten verantwort152 RS 17.230. Veröffentlicht von J.NOUGAYROL in: MRS IX ( P R U IV) 153f. Übersetzung nach R.WESTBROOK, Lex Talionis (1986) 62f. 153 R.WESTBROOK, ebd. 63f, führt noch an: RS 17.146, in: MRS IX ( P R U IV) 154-157. RS 17.251, in: MRS IX (PRU IV) 236f. RS 17.158, in: MRS IX ( P R U IV) 169-171. 154 Zur Begründung dieser Interpretation siehe den folgenden Abschnitt 4.2.1.3.4.5, S. 109116.

109

Ex 21,22-25

lieh gemacht werden sollen ergibt durchaus einen Sinn: Bestimmungen wie die §§ 22-24 CH sollen letztlich dezentralisierenden Tendenzen lokaler Autoritäten entgegenwirken. Sie sollen verhindern, daß sich unter der Duldung von Provinzgouverneuren Mafia-Banden bilden, die regelmäßig die das Gebiet durchziehenden Kaufleute ausrauben, woran die einzelnen Städte und ihre Vertreter kräftig mitverdienen würden. Das gleiche gilt f ü r die entsprechenden Bestimmungen in den zwischenstaatlichen Verträgen. Ganz anders liegt der Fall in Ex 21,22-25. Hier geht es um fahrlässige Körperverletzung mit eventuell eintretender Todesfolge (V.23). Sollte die lokale Autorität verantwortlich sein, wenn der Täter nicht mehr ermittelt werden kann? Dabei würde sich doch eine einfachere Lösung dahingehend anbieten, daß alle an einem Streit beteiligten Männer zu gleichen Teilen verantwortlich gemacht würden, wenn nicht ermittelt werden kann, wer von ihnen die schwangere Frau gestoßen hat. 1 5 5 Damit aber ergeben sich doch erhebliche Zweifel, ob R.WESTBROOK den in Ex 21,22-25 vorliegenden Fall überhaupt richtig erfaßt hat. 1 5 6 Welchen Fall hatte der "Gesetzgeber" von Ex 21,22-25 vor Augen? Diese Frage muß zunächst beantwortet werden, bevor auf das Problem des Adressaten in 21,23 erneut eingegangen werden kann.

4.2.1.3.4.5.

"Wenn Männer

miteinander

raufen

..."

Als Gegenfall zu V.22 können die VV.23-25 nur verstanden werden, wenn V.22 verstanden ist. Worum aber geht es in V.22? Z u r Beantwortung dieser Frage möchte ich zunächst die Bedeutung der ersten beiden Verben der Tatbestandsdefinition ΠΧ3 und untersuchen. Bei der Frage nach der Bedeutung dieser Verben soll die Tatsache berücksichtigt werden, daß V.22 ursprünglich unmittelbar auf 21,18f folgte. Die bisherige literarkritische Analyse hatte ergeben, daß dieser Zusammenhang durch 21,20f unterbrochen wurde. 21,18f bezeichnet den Streit der Männer mit 3 Ή , 21,22 dagegen mit ΠΧ3. Das zweite Element der Tatbestandsdefinition wird in 21,18f mit Π33 (H if.), in 21,22 mit angegeben. Sind diese Unterschiede ein Kriterium

155 In diesem Sinne hat § 227 StGB das Problem gelöst: "Ist durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren gemachten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 224) verursacht worden, so ist jeder, welcher sich an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt hat, schon wegen dieser Beteiligung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe zu bestrafen, falls er nicht ohne sein Verschulden hineingezogen worden ist." Bei § 224 StGB geht es analog zu Ex 21,24 um bleibende Schäden infolge einer Körperverletzung. Eine andere Lösung bietet der Talmud (Baba Qama Fol. 10b). 156 Gegen R.WESTBROOK auch E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 86, Anm. 86.

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Kasuistisches Rechtsbuch

für literarkritische Scheidung oder sind sie von der Sache her bedingt und notwendig? Für 2 Ή läßt sich die Frage nach der hier vorliegenden Bedeutung in die Alternative fassen: Liegt ein enger oder weiter Bedeutungsumfang an dieser Stelle vor? Diejenigen, die einen engen Bedeutungsumfang von 2 1 1 1 an dieser Stelle annehmen, beschränken 2 Ή auf eine Auseinandersetzung vor Gericht. Diese spezifische Bedeutung scheint A.JEPSEN im Anschluß an eine mündliche Mitteilung A.ALTs im Auge zu haben, wenn er übersetzt: "Gesetzt, es kommen (viele) Männer (vor Gericht) miteinander in Streit ... ." 1 5 7 H. CAZELLES hingegen lehnt eine solche auf die gerichtliche Auseinandersetzung beschränkte Bedeutung von 2 Ή an dieser Stelle ab und übersetzt ganz allgemein mit "se quereller" - "sich streiten". 1 5 8 So nehmen die meisten Exegeten zu Recht an dieser Stelle den weiteren, nicht auf eine gerichtliche Auseinandersetzung eingegrenzten Bedeutungsumfang von 2 Ή an. Auch G. LIEDKE rechnet 2 Ή in Ex 21,18 zum aujße/-gerichtlichen Konflikt zwischen gleichgestellten Personen und unterscheidet dieses Vorkommen von 2"H deutlich von den beiden anderen Verwendungsweisen im Bereich eines vorgerichtlichen und eines gerichtlichen Streites. 1 5 9 Allerdings ist es ungenau, wenn er die Bedeutung von 2 Ή im Anschluß an Ex 21,18 mit "den mit Körperverletzung verbundenen handgreiflichen Streit" 1 6 0 angibt. Hier gilt es zu unterscheiden, gerade auch im Hinblick auf HS 3 in 21,22. Im Unterschied zu PIX 3 ist bei 2 " 1 im außergerichtlichen Kontext in den weitaus meisten Fällen eine handgreifliche Auseinandersetzung nicht mitgegeben. 2 Ή bezeichnet hier ein Streiten, aus dem heraus eine handgreifliche Auseinanderstzung (Π33) erwachsen kann (Ex 21,18), aber nicht erwachsen muß. 1 6 1 nXD (Nif.) hingegen bezeichnet ein Streiten, bei dem geschlagen 157 A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 33. 158 H . C A Z E L L E S , Code de l'Alliance (1946) 53: "... c'est le sens de querelle qui domine et non celui de procès ... ; aussi n'est-il pas nécessaire de voir ici un incident de procédure ( J E P S E N , p. 33) que le texte n'évoque pas." 159 G . L I E D K E , Art. 3 Ή , in: THAT II, 772. Wie unangemessen die Annahme, 2 Ή bezeichne nur eine gerichtliche Auseinandersetzung, sein kann, zeigt die Übersetzung von Dtn 25,1 durch G.v.RAD, Deuteronomium (1964) 109: "Wenn zwei Männer untereinander prozessieren und sie treten vor Gericht und man hat ihnen Recht gesprochen ...." In der Auslegung schreibt G.v.RAD, ebd. 110, dann aber richtig: "Der Weg gehl von dem ausgebrochenen Streitfall über die Anrufung der Rechtsgemeinde und deren Verfahren ... ." 2 "'"l bezeichnet hier eindeutig den außergerichtlichen Streit, und erst dieser führt (über die vorgerichtliche Auseinandersetzung) zum Gerichtsverfahren selbst. So auch G . L I E D K E , ebd. Auch Dtn 19,17 übersetzt G.v.RAD, ebd. 90, 2 1 1 · ! mit "prozessieren". Zum Übergang von vorgerichtlicher Beschuldigung zur ordentlichen Gerichtsverhandlung vgl. H . J . B O E C K E R , Redeformen des Rechtslebens ( 2 1 9 7 0 ) 47-70. 160 G . L I E D K E , Art. 2 Ή , in: THAT II, 772. 161 2 > , "Ί begegnet im außergerichtlichen Kontext mit Ausnahme von Jes 58,4 nie mit Verben des Schlagens, hingegen sehr häufig mit wörtlicher Rede: Gen 13,7f; 31,36ff;

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(Γΰ3) wird. 1 6 2 Es meint eine handgreifliche Auseinandersetzung, eine Schlägerei, bei der es zum Totschlag kommen kann (2 Sam 14,6). 163 Werten wir nun im Folgenden diese Beobachtungen aus und fassen wir zusammen: In Ex21,18 bezeichnet 2 Ή eine außergerichtliche Auseinandersetzung zwischen (zwei) Männern. Bei dieser Auseinandersetzung kommt es zur Körperverletzung (Π33). Das Schlagen (Π33) ist also im Begriff des Streitens ( 3 Ή ) nicht enthalten und muß deshalb ausdrücklich gesetzt werden. Anders hingegen bei ΠΧ3 in Ex 21,22. Hier ist das Schlagen (HD3) bereits im Begriff von ΠΧ3 enthalten und wird deshalb nicht mehr gesetzt. Eine handgreifliche Auseinanderstzung (ΠΧ3) zwischen Männern ist im Gange, und bei dieser Schlägerei wird eine schwangere Frau gestoßen Im Hinblick auf unsere literarkritische Ausgangsfrage ist folgendes festzuhalten: 3 Ή in Ex 21,18 und ΠΧ3 in Ex 21,22 sind kein Hinweis auf zwei verschiedene Schreiber, sondern bezeichnen sehr präzise zwei unterschiedliche Tatbestände. Diese Interpretation kann vertieft werden, wenn wir uns nun dem Inhalt von V.22 näher zuwenden. Welcher Fall lag dem "Gesetzgeber" von V.22 vor Augen? Diese Frage ist deshalb von Bedeutung, weil J.J.FINKELSTEIN f ü r diesen Fall eine rein literarische Tradition annimmt. J J . F I N K E L S T E I N sieht eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Vorkommen dieses Falles in fast allen uns bekannten altorientalischen Rechtscorpora 1 6 5 und seiner Vermutung, daß ein solcher Fall im konkreten Alltag doch überaus selten sei: "Why then should we find this topos in almost every law collection from the ancient Near East, expressed in virtually identical terms? ... The explanation which appears to me inevitable is that we have to do here with a literary phenomenon rather than

Dtn 19,17; Ri 8,1-3; 21,22. Es scheint, daß es sich bei im außergerichtlichen Kontext primär um mehr oder weniger heftige verbale Auseinandersetzungen in Form vorwurfsvoller Fragen (Ri 8,1-3; Neh 13,11.17), gegenseitiger Beschuldigungen (Gen 31,36ff) und Verleumdungen (Dtn 19,17) begleitet von Zornausbrüchen (Gen 31,36) und entsprechender Gestikulation, gegebenenfalls unterstützt durch Sabotageakte (vgl. Gen 26,18-22), aber nicht um handgreifliche Auseinandersetzungen in Form von Schlägereien handelt. Vgl. auch S.M.PAUL, Studies (1970) 67, Anm. 3: "Heb. 2"1"! refers to a verbal altercation and not to a physical attack;". Ebenso B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 86: "The one verb refers to physical, the other to verbal contention." F.C.FENSHAM, Nicht-Haftbar-Sein (1980) 21. 162 Ex 2,13; Dtn 25,11; 2 Sam 14,6 zusammen mit Π 3 3 . Lev 24,10 ohne Vgl. auch Sir 8,3. 163 Vgl. auch A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 35, Anm. 1: "ΠΧ3 ist immer ein Raufen, bei dem es auf Leben oder Tod geht; da nimmt man keine Rücksicht auf die Umgebung." 164 Vgl. B.S.JACKSON, Exodus 21:22-25 (1973) 89. 165 Siehe oben S. 98, Anm. 93; 94.

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Kasuistisches Rechtsbuch with a legal one. The case of the pregnant woman had entered into the scholastic tradition in Nippur or Ur some time between the Ur III and the early Old Babylonian periods (ca. 2100-1800 B.C.). ... Once this case entered the tradition, however, it soon assumed the canonicity which characterized the various topoi that came to comprise such "law" corpora, a canonicity that bore little relationship to local legal usage. The variations that are found among the various corpora in the actual formulation of the cases illustrating a particular topos may reflect certain local conceptions and standards in some measure. But they are largely a function of the variation technique that is an intrinsic feature of the paradigmatic structure of the law corpora from their very inception, and that paradigmatic structure is the most characteristic feature of the cuneiform scholastic tradition." 166

Demgegenüber möchte ich prüfen, ob die gegenteilige Vermutung, daß nämlich ein solcher Fall nicht allzu selten im alten Israel vorkam, besser begründet werden kann. In Dtn 25,llf wird ein Fall geregelt, bei dem vorausgesetzt wird, daß in einem Streit zwischen zwei Männern die Ehefrau des einen eingreift, um ihren Mann aus der Gewalt seines Gegners zu befreien. 1 6 7 In 2 Sam 14,6 beklagt eine Frau, daß niemand da war, der sich zwischen ihre beiden streitenden Söhne gestellt und so verhindert hätte, daß sich beide totschlugen. D t n 2 5 , l l f läßt die Vermutung aufkommen, daß insbesondere Frauen im Streit ihrer Männer schlichtend eingriffen. Dabei genossen sie offensichtlich eine gewisse Immunität. 1 6 8 Von daher scheint mir in Ex 21,22 folgender Fall vorzuliegen: Zwei Männer geraten miteinander in Streit. Es kommt zu einer Schlägerei. Eine Frau, die dabeisteht oder davon hört, eventuell die Ehefrau eines der am Streit beteiligten Kombattanten ( D t n 2 5 , l l f ) , stellt sich zwischen die streitenden Parteien, um zu schlichten, um den Kampf zu been166 J.J.FINKELSTEIN, Ox (1981) 19, Anm. 11. So auch S.M.PAUL, Studies (1970) 71, Anm. 1: "The fact that so many of the legal corpora specifically refer to such a case, which apparently was not too common, may be due to the literary dependence of one corpus upon another." 167 Ex 21,22 und Dtn 25,11 sind mit dem gleichen Verbum eingeleitet. Dtn 25,IIa«: "ΗΓΡ Q^ÖJS : I X | ? . E x 2 1 , 2 2 a a : D^ÜJN =1X3 Vgl. auch MAG § 8. Dazu MT WEINFELD, Deuteronomy ( 1972) 292. T 168 Für zwei afrikanische Stämme führt C.SIGRIST, Regulierte Anarchie ( 2 1979) 167, an: "Frauen genossen bei den Kiga eine anerkannte Immunität gegen Überfälle. Roscoe behauptet für die Kiga: »A woman was never attacked in a fight, but she might be captured and her husband had then to ransom her« (1924:74). Aus Furcht vor den unsicheren Wegen schickte man Frauen als Brautwerber (76). Die Reiseimmunität von Frauen und ihr Privileg, sich auch zwischen kämpfenden Parteien zu bewegen, galt auch bei den Lugbara (J. Middleton 1962:563)."

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d e n . 1 6 9 Als Frau genoß sie eine gewisse Immunität. Es war schändlich, wenn einer der streitenden Männer auf die Frau einschlug. Aber es konnte relativ leicht geschehen, daß die Frau, während sie sich zwischen die kämpf enden Parteien stellte, "aus Versehen" gestoßen wurde. Von daher steht in V.22 nicht das Verbum Γϋ3 "schlagen", sondern das Verbum "stoßen". 170 In 169 So bereits: C.F.KEIL. Exodus ( 3 1878) 525: "... ein schwangeres Weib, welches um Frieden zu stiften hinzu oder dazwischen getreten ...". B.BAENTSCH, Bundesbuch (1892) 18: "hier wird der Fall gesetzt, dass nicht einer der Streitenden, sondern ein den Streit Schlichtender, näher ein schwangeres Weib, bei dem Versuche, die Streitenden auseinander zu bringen, verletzt wird;" vgl. auch ebd. 75. Auf Dtn 25,11 haben in diesem Zusammenhang bereits hingewiesen A . D I L L M A N N / V . R Y S S E L , Exodus ( 3 1897) 257: "Wann Männer sich raufen und stossen eine schwangere Frau (»die sie etwa auseinander bringen will« D 25,11)...". B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 90, überlegt, ob der Fall so gelegen ist, daß die schwangere Frau in die Auseinandersetzung eingreift, um ihrem Ehemann zu helfen. E r hält dies aber f ü r unwahrscheinlich. 170 Anders interpretiert D . D A U B E , "Lex Talionis" (1947) 108: "The situation contemplated seems to be that one of the two men fighting hurts his enemy's wife in a most vicious manner." Er behauptet ebd. 107, daß immer "a hostile, deliberate act" bezeichne und daß Ex 21,22ff "looks very much like a malicious, deliberate offence". Ebd. 108: "a deliberate, malicious attack". Dagegen zu Recht B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 90: "the verb may be used of non-deliberate acts." Ebenso H.J.KUOELMASS, Lex Talionis (1985) 159. Die Position von D . D A U B E ist auch aus sozialgeschichtlicher Perspektive kaum haltbar. Im A T werden uns zahlreiche Morde und Totschläge von Männern durch Männer, vereinzelt auch durch Frauen (Ri 4,21; 9,53f; Jdt 13,8; vgl. 2 Sam 20,21f.) überliefert, aber - soweit ich sehe - gibt es keine Erzählung darüber, daß eine Frau außerhalb eines Krieges oder Putsches ( 2 K ö n l l : Atalja; 2 Kön 9,30-37: Isebel) getötet wurde. Frauen wurden vergewaltigt (2 Sam 13,1-22), aber in der Regel nicht getötet. Deshalb behandelt bereits im Bundesbuch Ex 22,15f, dann aber vor allem in Dtn 22,13-29 eine Reihe von Gesetzen das Thema Vergewaltigung, außerehelichen Geschlechtsverkehr usw. Auch von daher halte ich es f ü r äußerst unwahrscheinlich, daß die Frau in Ex 21,22 von einem der Männer direkt angegriffen wurde, wie D . D A U B E annimmt. Auch der Satz Ex 21,12 ΠΏ^ D Í Q ΓΙΟΙ D ^ S Π 3 0 rechnet damit, daß nur Männer Männer erschlagen (vgl· 21,18f) (anders F.C.FENSHAM, Exodus ( 2 1977) 150f). Man kann daraus aber nicht ohne weiteres schließen, daß der Rechtssatz keine Anwendung fand, wenn eine Frau erschlagen wurde. Dieser Fall d ü r f t e ursprünglich gar nicht vorgekommen sein. E r wird deshalb auch nicht eigens geregelt. Lev 24,17 abstrahiert von dieser lebensweltlichen Bezogenheit von Ex 21,12 und formuliert gezielt umfassender: ΠΏ ì n i a DIN n a ? "'S E P N I . Zur Bedeutung von Ò S 3 als "lebendes Individuum"Vgl. HTSEFBASS, Art." ÖS 3, in: T h W A T V, 550: "D'er Sprachgebrauch hat den Vorteil, Mann und Frau zu umfassen." E . O T T O , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 141, löst das Problem überlieferungsgeschichtlich: "Der Schutz des Lebens durch die Androhung der Todessanktion gilt ursprünglich nur dem israelitischen Mann." Erst in Ex 21,22-25 wird die Frau in den Schutz miteinbezogen. E . O T T O , ebd. 112, vermutet, daß "in den übrigen Fällen der Körperverletzung einer Frau analog zu Ex21,18f. verfahren" wurde. Vgl. auch U.CASSUTO, Exodus (1967) 273f: "... it may happen accidentally ... In the Pentateuch there is no special law referring to the case of one who strikes a pregnant woman wilfully. ... one who strikes a woman with child unintentionally ...". In der Schülerübung eines sumerischen Gesetzesfragmentes aus altbabylonischer Zeit findet sich

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der Regel dürften daraus keine schlimmeren Folgen entstanden sein, es sei denn, die Frau war schwanger. In einem solchen Fall konnte ein relativ harmloser Stoß auf den Unterleib eventuell noch in Kombination mit Aufregung und Angst 1 7 1 zu schlimmen Folgen führen. Da Frauen im alten Israel relativ häufig schwanger waren, 1 7 2 dürfte auch ein solcher Fall nicht überaus ungewöhnlich sein. 1 Einen solchen Fall will meines Erachtens der "Gesetzgeber" von Ex 21,22 regeln. Zur Verdeutlichung sei ein Szenario entworfen, das diesem Fall nicht primär vor Augen lag: Es ging nicht primär um die Regelung eines Falles, bei dem Männer miteinander streiten, und in den relativ engen Gassen einer eisenzeitlichen israelitischen Stadt eine zufällig vorübergehende schwangere Frau zufällig gestoßen wird. Wenn nur ein solcher Fall geregelt werden sollte, dann könnte man wirklich eine ungewöhnliche Seltenheit vermuten und mit J.J.FINKELSTEIN die Entstehung dieses Gesetzes im Bundesbuch ausschließlich durch literarische Schultradition erklären. Daß der Fall einer zufällig vorüberziehenden Frau in diesem Paragraphen mit eingeschlossen ist, läßt sich nicht leugnen. Aber er stand dem "Gesetzgeber" nicht primär vor Augen. Wir müssen vielmehr damit rechnen, daß vornehmlich Frauen in handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen (ihren) Männern schlichtend eingriffen. offensichtlich die Unterscheidung zwischen absichtlicher und unabsichtlicher Verletzung einer schwangeren Frau: "1: If (a man accidentally) buffeted a woman of the free-citizen class and caused her to have a miscarriage, he must pay 10 shekels of silver. 2: If (a man deliberately) struck a woman of the free-citizen class and caused her to have a miscarriage, he must pay one-third mina of silver [= 20 Schekel]." Zit. nach J.J.FINKELSTEIN, in: Λ Ν Ε Τ 525. Vgl. auch R.HAASF., Die keilschriftlichen Rechtssammlungen ( 1979) 18. 171 Vgl. 1 Sam 4,19-22. 172 Ohne Übertreibung wird man sagen können, daß im alten Israel Schwangerschaft und Geburt - noch vor jeder ethischen Reflexion - als die einer verheirateten Frau selbstverständlich zukommende Bestimmung angesehen wurde (vgl. nur Gen 3,16). Eine verheiratete Frau, die nicht schwanger wurde, galt als unfruchtbar, was ihr Selbstwertgefühl und ihr Ansehen gefährdete (vgl. nur Gen 16; 29,31ff; 30,Iff; 1 Sam If;), wie umgekehrt das Ansehen einer Schwangeren steigt. Vgl. auch die zahlreichen Vergleiche mit gebärenden Frauen: Jes 13,8; 21,3; 26,17; Jer 6,24; 22,23; 50,43; Ps48,7. Zur Beschreibung der Grausamkeit des Krieges begegnet häufig der Topos "die jungen Männer fallen durch das Schwert, die Säuglinge werden zerschmettert, den schwangeren Frauen wird der Bauch aufgeschlitzt" in dieser oder ähnlicher Form: Am 1,13; Hos 14,1; 2Kön 8,12; 15,16. Diese Beobachtungen weisen darauf hin, daß - um es pointiert zu formulieren im alten Israel eine Frau im gebärfähigen Alter normalerweise schwanger war, wenn sie nicht gerade geboren hatte oder sie oder ihr Mann unfruchtbar waren. Vgl. auch R.de VAUX, Lebensordnungen I, 78f. M.OTTOSSON, A r t . ΓΠΠ, in: ThWAT II, 495499. All dies spricht dafür, dafl in Ex 21,22 ein realer Fall vorliegt. 173 Vgl. auch E . O T T O , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 158, Anm. 1: "Es bedarf also keineswegs der These, dieser Rechtssatz sei nicht aus altisraelitischer Rechtspraxis ableitbar, sondern stamme aus gelehrter Diskussion im Keilschriftrecht... ".

Ex 21,22-25

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Dies läßt es mir nun doch als sehr plausibel erscheinen, daß Ex 21,22 durchaus einen "typischen Fall" vor Augen hat. Eine rein literarisch bedingte Schultradition kann das häufige Vorkommen dieses Falles in den altorientalischen Rechtscorpora nicht hinreichend erklären. Allerdings wird mit einer solchen lebensweltlichen Verortung des Falles seine Eingebundenheit in eine juristische Schultradition nicht ausgeschlossen. Die Gegenüberstellung "praktiziertes Recht" versus "Schulgelehrsamkeit" ist eine falsche Alternative. 1 7 4 Meines Erachtens spricht vieles dafür, daß die "Autoren" von Ex 21,22 andere altorientalische Rechtscorpora gekannt und studiert haben. Aber es wurden aus dieser Tradition nur solche Fälle übernommen, die in der eigenen Gesellschaft vorkamen. 1 7 6 Dies gilt auch für Ex 21,22. So können wir für den hinter diesem Fall stehenden "Gesetzgeber" eine doppelte Orientierung ausfindig machen: Ausgebildet in der Tradition altorientalischen Rechts formuliert er aus der Kenntnis dieser Tradition eine Regelung f ü r einen in israelitischer Gesellschaft seiner Zeit durchaus vorkommenden Fall. So entstand Ex 21,22-25. Zugleich aber geht es in Ex 21,22-25 nicht nur um die Regelung des hier geschilderten Falles. Mit der Talionsbestimmung liegt ein den Einzelfall übergreifendes Prinzip vor. Hier geht es nicht um Körperverletzung der am Streit beteiligten Personen - dieser Fall wird in 21,18f geregelt -, sondern um Körperverletzung eines unbeteiligten Dritten. Der Fall wird dadurch kompliziert, daß es sich beim unbeteiligten Dritten um eine schwangere Frau handelt. Die von 21,18 abweichende Einleitung und Schilderung der Tatumstände J) machen deutlich, daß es in 21,22-25 um fahrlässig ver-

174 Vgl. dazu Kap. 4.4.8, S. 276-283. 175 Vgl. A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 63: "An eine völlig unabhängige Entstehung des Gesetzes wird man kaum glauben können." 176 F . C R Ü S E M A N N , "Auge um Auge" (1987) 422: "... muß man davon ausgehen, daß nichts aus der Umgebung aufgenommen wird, wofür kein Bedarf besteht ... ." Vgl. auch B.BAENTSCH, Bundcsbuch (1892) 45, im Zusammenhang mit Auslassungen im Bundesbuch: "Es ist sehr wohl denkbar, dass der Bearbeiter gerade nur die Stellen vollständig aufgenommen hat, die für seine Zeit besonderes Interesse hatten." Ebenso H. CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 109: " ... ces textes ne sont pas une construction de l'esprit. Le législateur s'inspire de la vie de chaque jour; il prend son point de départ dans la pratique et s'appuie souvent sur une législation antérieure." Vgl. ebd. 115 zum Charakter des Bundesbuches insgesamt: "Son oeuvre plonge dans le réel et n'a rien d'une construction de l'esprit." Vgl. auch S . E . L O E W E N S T A M M , Exodus XXI 22-25 (1977) 357: "Ancient oriental legislation formulates simple, typical circumstances ... ".

116

Kasuistisches Rechtsbuch

ursachte Körperverletzung mit und ohne Todesfolge geht. 1 7 7 In 21,18f dagegen liegt der Fall einfacher (vorsätzlicher) Körperverletzung vor. 1 7 8

4.2.1.3.4.6.

Zur Entstehung

des

Gesetzes

Damit aber ist noch nicht die Frage beantwortet, weshalb in der Rechtsfolgebestimmung von Ex 21,23 eine 2.Ps.Sg. angeredet wird und vor allem die Frage: Wer ist hier angeredet? Mit der Mehrzahl der Autoren erkläre ich den Wechsel von 3.Ps.Sg. zu 2.Ps.Sg. in Ex 21,22.23 literarkritisch. Vorweg sei deshalb meine literarkritische Hypothese zu Ex 21,22-25 genannt: V.22aaba bildet den Grundbestand. Die VV.22aßbß.23.24 sind eine erste, V.25 ist eine zweite Erweiterung:

177 Völlig anders interpretiert A.ALT, Ursprünge (1934) 230: "Von solcher Berücksichtigung des subjektiven Verschuldensmoments bei der rechtlichen Beurteilung der Handlung weiß die israelitische Talionsformel nichts; sie fragt nur nach dem äußeren Ergebnis der Taten und bestimmt danach das Maß der äußeren Vergeltung." Die Interpretation A.ALTs ergibt sich daraus, daß er die Talionsformel aus dem Kontext herauslöst und in ihrer Einfügung den Einbruch eines vom kasuistischen Recht völlig abweichenden genuin israelitischen Rechtsverständnisses sieht. 178 Genau umgekehrt interpretiert S.M.PAUL, Studies (1970) 67: "talionic punishment applies only to injuries resulting from an originally premeditated intentional assault." S.M.PAUL gelangt zu dieser Lösung, weil er die Talionsbestimmung von Ex 12,22-25 als Talion im strengen Sinne versteht und dann eine Erklärung f ü r die gegenüber 21,18f härtere Strafe von 21,22-25 finden muß. Folglich versteht er 21,18f als unvorsätzliche Körperverletzung (ebd.67f: "... strikes his opponent in a sudden heat of passion ... . ...there was no original intent on causing bodily harm..."), 21,22-25 als vorsätzliche Körperverletzung. Der Wortlaut beider Gesetze aber legt eine andere Interpretation nahe. Der Fall der schwangeren Frau wird also zum "Aufhänger" für die Regelung einer fahrlässigen Körperverletzung (mit und ohne Todesfolge). Daß die Unterscheidung "fahrlässige Körperverletzung - vorsätzliche Körperverletzung" am Beispiel der schwangeren Frau diskutiert wurde, zeigt eine Schülerübung zu diesem Thema aus altbabylonischer Zeit (ANET 525; zitiert S. 113f, Anm. 170 ). Anders interpretiert auch E.OTTO, Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 141: "Die Rechtssätze Ex21,18f. und Ex21,22f., die durch die parallele E r ö f f n u n g der Protasis über Ex 21,20f. hinweg zusammengefaßt sind, sind also als Fall und Gegenfall von Körperverletzung mit und ohne Todesfolge aufeinander bezogen auszulegen." Dagegen vertrete ich folgende Abgrenzung: Unter dem Gesichtspunkt "Körperverletzung mit Todesfolge" versus "Körperverletzung ohne Todesfolge" stehen 21,12 und 21,18f im Verhältnis von Fall und Gegenfall zueinander (zur Begründung siehe Kap. 4.2.7.1.2, S. 216-231), unter dem Gesichtspunkt "vorsätzliche Körperverletzung" versus "fahrlässige Körperverletzung" stehen 21,18f und 21,22-25 im Verhältnis von Fall und Gegenfall zueinander.

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Ex 21,22-25 Grundschicht 1. Erweiterung 1 2. Erweiterung 1

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Folgende Beobachtungen sprechen für diese These: 1. Der schon mehrfach genannte Wechsel von 3.Ps.Sg. in der Rechtsfolgebestimmung von V.22 zur 2.Ps.Sg. in der Rechtsfolgebestimmung von V.23. Da die These R.WESTBROOKs nicht überzeugt, halte ich an einer literarkritischen Erklärung dieses Wechsels fest. Auch in der Rechtsfolgebestimmung von Ex 21,13.14 wird eine 2.Ps.Sg. direkt angeredet. Beide Verse sind im vorliegenden Kontext sekundär. 2. Die Rechtsfolgebestimmung des Gegenfalles von Ex 21,23-25 steht nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Tatbestandsdefinition des Falles Ex 21,22. Im Fall Ex 21,22 geht es um Fehlgeburt ohne weiteren Schaden für die Frau: f i O S ΓΡΠ;1 lÖT. Im Gegenfall VV.23-25 geht es um den Fall, daß die Frau ein Schaden trifft: ΓΡΓΡ Die im folgenden genannten Schäden stehen allerdings in keinem angemessenen Verhältnis zu dem, was man bei fahrlässiger Verletzung einer schwangeren Frau erwarten könnte. Die Frau hat eine Fehlgeburt, sie mag Blutungen bekommen, sie mag bettlägerig werden (vgl. Ex 21,18), vielleicht sogar sterben ($33 ΠΠΡ1 1533). Aber ist es nicht unwahrscheinlich, daß sie ausgerechnet ein Auge oder einen Zahn verliert? Vielleicht mag sie sich noch Hand oder Fuß brechen. Aber sind nicht schon die drei in V.25 genannten Verletzungsarten unwahrscheinlich? Deshalb hat man häufig erst ab V.24 eine Erweiterung gesehen. Viele trennen hinter V.23 ab, weil sie der Meinung sind, TÍOS bezeichne nur den tödlichen Schaden und decke deshalb die Körperver-

118

Kasuistisches Rechtsbuch

letzung der VV.24.25 nicht mehr ab. Î^DN meint aber nicht nur den tödlichen, sondern auch den nicht-tödlichen Schaden, wie oben gezeigt wurde. Von daher ist eine literarkritische Scheidung zwischen V.23 und V.24 nicht nötig. Hätte der Gegenfall V.23 ursprünglich nur den Tod der Frau berücksichtigt (K733 ΠΠΡΙ Ü33), dann wäre nicht das relativ inhaltsarme Wort f i ON, sondern eine eindeutigere Aussage mit der Wurzel ΓΠ0 zu erwarten gewesen, worauf B.S.JACKSON zu Recht hingewiesen hat. 1 7 9 Das Wort f ÌD8 aber wurde gewählt, um von vornherein sowohl den tödlichen (V.23) als auch den nicht-tödlichen (VV.24.25) Schaden abzudecken. Von daher empfiehlt sich eine literarkritische Abtrennung innerhalb der Talionsformel zwischen V.23 und V.24 nicht. 180 Eine andere Frage ist, ob die drei Verletzungsarten in V.25 sekundär hinzugefügt worden sind. Da alle drei Elemente in den anderen beiden Vorkommen der Talionsformel, in Dtn 19,21 und Lev 24,18-20 fehlen, hat man in Ex 21,25 einen überlieferungsgeschichtlich oder literarisch sekundären Zuwachs gesehen. Weiter wird häufig ein "logischer Bruch" konstatiert im Übergang von der Aufzählung verletzter Körperteile (V.24) zur Aufzählung von Verletzungsarten (V.25), wobei allerdings zu fragen ist, wie ein Autor diesen Übergang anders hätte gestalten sollen, wenn er das, was in V.25 steht, von Anfang an hätte ausdrücken wollen. Wichtiger ist deshalb die Beobachtung, daß die von Körperteilen unabhängige Aufzählung von Verletzungsarten, wie sie in V.25 vorliegt, keine Parallele in den altorientalischen Rechtsbüchern hat. 1 8 1 Schließlich ist die in V.25aa genannte Verletzungsart des Brandmals (Π*!?) 1 8 2 beim besten Willen nicht als Folge einer aus dem in V.22 geschilderten Fall entstandenen Verletzungsart zu begreifen. Ich halte es deshalb für sehr wahrscheinlich, daß ein später Redaktor mit der Hinzufügung von V.25 die vorgegebene Talionsformel gezielt auch auf solche Verwundungsarten ausdehnen wollte, die nicht aus einem wie in V.22 geschilderten Fall resultieren. B.S.JACKSON, denkt hierbei an einen priesterlichen Redaktor. 1 8 3 Beim Samaritanus können wir beobachten, daß er die auf konkrete Fälle bezogenen Rechtssätze des Bundesbuches durch Ergänzungen generalisiert. Mit der Hinzufügung von V.25 scheint eine ähnliche Tendenz vorzuliegen. Aus den Belegen von Γ Π ^ Π ("Strieme") und ("Wunde") läßt sich

179 B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 77. 180 Anders H.-W.JÜNGLING, "Auge für Auge" (1984) 31f. 181 Vgl. die Tabelle bei V . W A G N E R , Rechtssätze (1972) 7f. A n verletzten Körperteilen kommen vor: A u g e , Nase, Zahn, Ohr, Backe, Kopf, Hand, Finger, Fuß, Knochen. 182 Nur Ex 21,25 belegt; abzuleiten von Π 1 3 = brennen; sengen: Jer 23,29; Jes 43,2; Spr 6,28. 183 B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 107.

Ex 21,22-25

119

für die Herkunft des Redaktors nichts Definitives folgern. 1 8 4 Im Kontext von Vergeltung kommen beide Bezeichnungen im Lamechlied Gen 4,25 vor: 1 1 Tran ? " νòνo: •'»ss ? τη-ιπ εγν· ·>3· . ... - ι · : · χ · s - τ τ

Ο"·??® In Ex 22,20-26 werden wir einen Redaktor kennenlernen, der das Bundesbuch durch literarische Anspielungen an Ex 1-3 erweitert hat. 185 Dieser Redaktor hat das Bundesbuch sehr wahrscheinlich in die Sinaiperikope integriert. Ich vermute, daß er auch die Talionsformel in 21,25 erweitert und dabei auf Gen 4,23 angespielt hat. In diesem Horizont wird die Maßlosigkeit der Rache Lamechs drastisch vor Augen geführt. Damit bekommt die Talionsformel eine neu akzentuierte Stoßrichtung, die H.J.BOECKER so gekennzeichnet hat: "Nur ein Leben für ein Leben, nur ein A u g e für ein Auge, nur einen Zahn für einen Zahn usw." 186 Zwischen V.23b ( » S 3 ΠΠΓΙ tZ?3 3) auf der einen und V.24 (ΠΠη Ή» ... rinn Τ ? ? ) auf der anderen Seite ist im vorliegenden Kontext literarkritisch nicht zu trennen. Passen die Elemente "Auge" und "Zahn" schlecht zum Fall der schwangeren Frau, so passen sie sehr gut zum Fall der Verletzung eines Schuldsklaven durch seinen Herrn, wie unsere Interpretation von Ex21,26f gezeigt hat. 187 Ex21,26f aber setzt die Erweiterung von "Auge" und "Zahn" aus Ex 21,24 voraus und wurde zusammen mit Ex 21,20f sekundär in den vorliegenden Kontext eingefügt. Ex21,20f.26f bilden einen Rahmen um die Talionsformel, die so im Zentrum steht. Greifen aber die sekundär hinzugefügten VV.26.27 gezielt zwei Elemente der Talionsformel auf und rücken diese zusammen mit den ebenfalls sekundär hinzugefügten V V . 20.21 ins Zentrum, dann können die im Vorangehenden genannten literarkritischen Beobachtungen zu Ex 21,22-24 dahingehend ausgewertet werden, daß die Talionsbestimmung Ex 21,23f zusammen mit Ex 21,22aß (¡"Pfl? S ^ l T^DN ) und die Schuldsklavengesetze Ex21,20f.26f von ein und derselben Hand sekundär in den vorliegenden Kontext eingefügt wurden. 188 Es ergibt sich dann folgende literarische Schichtung:

184 r n ^ a n zusammen mit 5JX3: Gen 4,23; Ex21,25; Jes 1,6; Spr 20,30. Π Ί ^ Π Jes 53,5; Ps 38,6. allein: Spr 23,29; 27,6; Ijob 9,17; (Sir 31,3). 185 Siehe dazu Kap. 5.2.5.3 und Kap. 5.2.5.4, S. 338-357. 186 H . J . B O E C K E R , Recht und Gesetz ( 2 1984) 153. 187 Siehe Kap. 4.2.1.2.6, S. 74-77. 188 Ähnlich auch E . O T T O , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 156.

allein:

120

Kasuistisches Rechtsbuch Grundschicht: Ex 21,22aaba 1.Erweiterung: Ex 21,20.21.22aßbß.23.24.26.27 2 . E r w e i t e r u n g : Ex 21,25.

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Die Anrede einer 2.Ps.Sg. in Ex 21,23 geht also auf das Konto eines Redaktors. Allerdings darf zwischen V.23a und V.23b literarisch nicht getrennt werden. 1 8 9 Die Erweiterung umfaßt den gesamten Fall VV.23.24. Zusammen 189 In diesem Sinne kann ich H.-W.JÜNGLING, "Auge f ü r Auge" (1984) 31f, voll zustimmen, wenn er schreibt: "Unbeschadet des Wechsels von der zu erwartenden 3.Person Singular in die 2.Person Singular ist der V.23b als genuine Rechtsfolgebestimmung zu dem Fall in Ex 21,23a anzusehen. Denn er bezeugt den Sondercharakter des Falles »Leben«, der eben auf dem Hintergrund des altorientalischen Materials zu erwarten wäre. Die Formulierung nätan mit dem Syntagma X tahat X als geprägte juristische Terminologie unterstützt diese litarkritische Beurteilung von Ex 21,23b. ... Das Element »Leben« in V.23b erscheint syntaktisch an das Verbum nätan gebunden und gehört als Rechtsfolgebestimmung zur Tatbestandsdefinition von V.23a. Die in keilschriftlichen Texten mehrfach anzutreffende Folge X kîtna X verbunden mit dem Verbum nadänum legt die Annahme nahe, in V.23b eine juristisch geprägte Ter-

Ex 21,22-25

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mit den VV.23.24 wurde auch V.22aß ] ÌON ΓΡΓΡ N^T eingefügt, das heißt: erst die Erweiterung macht aus dem ursprünglich einfachen Gesetz zur Regelung einer fahrlässig verursachten Fehlgeburt ein Doppelgesetz, bestehend aus Fall und Gegenfall, das im Gegenfall nun auch mögliche Schäden der Frau mit berücksichtigt. Eine solche literarkritische Operation an einem Doppelgesetz mag auf Skepsis stoßen. Abgesehen von den rein textimmanenten Beobachtungen läßt sich aber ihre Plausibilität durch zwei weitere Überlegungen erhöhen: 1. Daß aus einem einfachen Gesetz ein Doppelgesetz entsteht, das Differenzierungen aufnimmt, die im älteren Gesetz noch nicht enthalten sind, ist in der Überlieferung der Hethitischen Gesetzessammlung mehrfach belegt. Als Beispiel sei § 5 HG angeführt: 190 § 5 A Wenn jemand einen Kaufmann totschlägt, gibt er 100 Minen Silber, und er späht in sein Haus. Wenn (es) im Land Luwija oder im Land Pala (geschieht), gibt er 100 Minen Silber und ersetzt sein Gut. Wenn (es) im Hatti-Land (geschieht), bringt er nur den Kaufmann hin. §5 (späte Fassung Par. §111) [Wenn] jemand [einen Kaufmann aus] Hatti inmitten (seiner) Waren totschlägt, gibt er [... Minen Silber] und ersetzt die Waren dreifach. [Wenn] er aber keine Ware dabei hat und ihn jemand infolge eines Streites totschlägt, gibt er 6 Minen Silber. Wenn aber seine Hand sündigt, gibt er 2 Minen Silber. Es läßt sich auch der umgekehrte Vorgang feststellen: ein differenziertes Gesetz wird vereinfacht. Als Beispiel sei auf § 17 und § 18 HG verwiesen. 191 2. Das Gesetz Ex 21,22-25 weist sowohl in der Grundform als auch in der erweiterten Form Entsprechungen zu anderen altorientalischen Gesetzen auf. Die Grundform des Gesetzes besteht aus Ex 21,22aaba und lautet: m-r^ T

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Es geht bei diesem Gesetz um die Regelung einer fahrlässig verursachten Fehlgeburt. Mögliche Schäden, die die schwangere Frau selbst dabei erleiden könnte, kommen noch nicht in den Blick. Sie werden erst in der Erweiterung Ex 21,22aßbß.23.24 aufgegriffen. minologie zu sehen. Das plötzliche Auftauchen der zweiten Person Singular in V.23b ist deshalb wohl nicht als Indiz für den sekundären Charakter des Versteils zu deuten." 190 Üb. nach E.v.SCHULER, in: TUAT 1,1, 98. 191 Zur Entstehung eines Doppelgesetzes vgl. ausführlich C.LOCHER, Ehre einer Frau (1986) 82; 98; 100; 107f; 109-116.

122

Kasuistisches Rechtsbuch

Von den insgesamt sechs uns überlieferten altorientalischen Gesetzen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, behandeln drei den Fall der Fehlgeburt allein, drei weitere berücksichtigen darüber hinaus den Tod der Frau. 1 9 2 So steht Ex 21,22-24 sowohl in der Grund- als auch in der erweiterten Form im Kontext altorientalischer Rechtskultur. Noch nicht begründet ist die literarkritische Ausgrenzung von V.22bß ΤΓΙ31. Viele Exegeten halten diese beiden Worte für einen Nachtrag. 1 Das in seiner Bedeutung und Ableitung umstrittene Wort 1 9 4 bezeichnet den Modus der Schadensersatzleistung. Einige halten es für einen Abstraktplural und übersetzen "und er soll geben nach Einschätzung", 195 andere übersetzen "und er soll geben im Beisein von (Schieds)Richtern. 196 V.22bß D - 1 ^ ? ? 7p3 J führt E b » : BM 3$ näher aus. Wurde in der Grundschicht die Höhe der Zahlung zwischen den beiden Parteien ausgehandelt, so wird sie mit der Erweiterung V.22bß an eine Vermittlungsinstanz gebunden. In Dtn 22,19 ist dieser Prozeß weiter fortgeschritten. So wie der Redaktor in der Tatbestandsdefinition V.22aß "ΡΟΚ ΓΡΓΡ einfügt und in positiver Formulierung in V.23a ΓΡΓΡ f lONTOKI wieder aufgreift und so die beiden Fälle in das Verhältnis von Fall und Gegenfall zueinander setzt, so fügt er in der Rechtsfolgebestimmung V.22bß D " 1 ^ ? ? "[Π31 ein und greift das Verbum in der Rechtsfolgebestimmung des Gegenfalls V.23b wieder auf. Dadurch werden die beiden Fälle sowohl in den Tatbestandsdefinitionen als auch in den Rechtsfolgebestimmungen lexematisch miteinander verknüpft. Gleichzeitig wird ΠΡΙΠ31 in V.23b von "[ΓΙ31 in V.22bß auf Ausgleichszahlung hin festgelegt.

4.2.1.3.4.7.

Wer ist

angeredet?

Die Anrede einer 2.Ps.Sg. in Ex 21,23 geht also auf das Konto eines Bearbeiters. Ein ähnliches Phänomen begegnet in Ex 21,13.14: Auch hier wird eine 2.Ps.Sg. direkt angeredet, auch hier handelt es sich um eine nachträgliche Erweiterung. 1 9 7 Wer ist in Ex 21,13.14 angeredet?

192 Siehe oben S. 98, Anm. 93; 94. 193 B.S.JACKSON, Exodus 21:22-5 (1973) 81. E.OTTO, Rechtsbegündungen (1988) 29. H . N I E H R , Rechtsprechung (1987) 57f. 194 Vgl. nur HAL III, 880f. H.-P.STÄHLI, Art. in: T H A T II, 427. G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 44f. P.BOVATI, Ristabilire (1986) 157f. 195 Vgl. E.A.SPEISER, The Stem pli in Hebrew (1963) 303, u.a. mit Hinweis auf LXX "according to estimate". 196 V g l . H . N I E H R , Rechtsprechung (1987) 57f. 197 Zur Begründung siehe Kap. 3.2, S. 39-41.

Ex 21,22-25 nato d ^ τ -rate Dipo Fiato ι ή-ητ 1ι? Πτ 38 n ^* nv^i r m» m s vf? ν TT ν-: ' τ I · Γ - ι · ττ ma'? ^ , , n ? f i ? o?a nan»? i^n?1? ó"1« "Ή-"1?!1 1

123 13 14

In beiden Versen ist weder der Täter noch die Familie des Opfers angeredet. In Ex 21,14b ist eine für die Durchsetzung des Rechtes verantwortliche Autorität angesprochen: "...dann sollst du ihn holen von meinem Altar, damit er stirbt." In Analogie zu Dtn 19,llf könnte man dabei an die Ältesten der Stadt denken. Diese sollen einen Mörder, der unberechtigterweise Asylrecht in Anspruch nimmt, aus der Asylstadt holen und ihn der Gewalt des Bluträchers übergeben. Ex 21,14 bildet eine Vorstufe zu Dtn 19,llf. Noch nicht beeinflußt von der deuteronomischen Kultzentralisationsforderung setzt Ex 21,14 unbefangen eine Vielzahl von Altären als Orte des Asyls voraus. Der unberechtigten Inanspruchnahme des Asylrechts aber soll von der angeredeten Person Einhalt geboten werden: "... sollst du ihn holen ...". Für den Vollzug der Todesstrafe aber ist die angeredete Person nicht zuständig. Der Satz lautet nicht: "von meinem Altar sollst du ihn holen, um ihn zu töten (rpan 1 ?)", oder: "... und ihn töten", sondern: "von meinem Altar sollst du ihn holen, um zu sterben/damit er stirbt ( m a ^ ) " . Der Vollzug der Tötung bleibt also der Familie des Opfers vorbehalten und wird im Rahmen der Blutrache ausgeführt, 1 9 8 was in Dtn 19,llf noch deutlich gesagt wird: 199 "Wenn es sich um einen Mann handelt, der mit einem anderen verfeindet war, wenn er ihm auflauerte, ihn überfiel und tödlich traf, so daß er starb, und wenn er in eine dieser Städte floh, dann sollen die Ältesten seiner Stadt ihn von dort holen lassen und in die Gewalt des Bluträchers (D^O ^Nä) geben, und er soll sterben." Auch in Ex 21,13 ist nicht der Täter angeredet: "... werde ich dir einen Ort errichten, zu dem er fliehen kann." Hier geht es nicht um den Vollzug einer Rechtsfolgebestimmung, sondern um die Schaffung der Voraussetzungen dafür. Sprecher ist eindeutig eine Gottheit, im vorliegenden Kontext JHWH. Er gibt einer 2.Ps.Sg. die Zusage, einen (heiligen) Ort festzusetzen, an dem der Totschläger Asyl finden kann. Angeredet aber ist nicht der Totschläger selbst. Die wohl alte Institution des Asylrechts wird hier in einer sekundären Erweiterung als Setzung seitens der Gottheit (JHWHs) begriffen. Die Ausdifferenzierung der Tötung (21,12) in 198 So auch B . B A E N T S C H , Ex-Lev-Num (1903) 192. 199 Auch Num 35 setzt für Mord und Totschlag eindeutig Blutrache voraus. Vgl. dazu G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 51.

124

Kasuistisches Rechtsbuch

vorsätzliche (21,14) und fahrlässige (21,13) Tötung setzt "ein Verfahren zur Tatbestandserhebung" voraus, "in dem durch Anhörung von Zeugen festgestellt wird, ob eine Bluttat vorsätzlich geschah oder nicht." 200 Die Einführung dieser Differenzierung bedient sich der Form der Belehrung. Formal handelt es sich in Ex 21,13.14 jeweils um einen Rechtssatz, der in der Protasis in 3.Ps.Sg., in der Apodosis in 2.Ps.Sg. gehalten ist. H.W.GILMER hat diese Rechtssatzform untersucht und dabei eine enge Beziehung zur Form der Weisheitsliteratur festgestellt: "Recently considerable evidence has been brought forth which indicates that wisdom and law have closely related backgrounds. The phenomenon of the If-You formulations furnishes additional evidence in support of an at least partial connection between law and wisdom." In den juristischen Wenn-du-Formulierungen sieht H.W.GILMER "instructions to the judicial officials". 202 Ihr ursprünglicher Sitz im Leben ist die Belehrung im Gerichtsverfahren: "The use of the second person derives from the situation out of which these ordinances emerged, that is, one in which rules and regulations governing the juridical process were spoken directly to those most responsible for it." 203 Die literarische Ausprägung dieser Form vollzog sich nach nicht unter kultischem Einfluß, sondern

H.W.GILMER,

"in the royal courts where it was employed in the instruction of officials and in the broader context of law. 205 Wer ist in 21,23 "dann sollst du geben" angeredet? In Analogie zu 21,13f kämen die für die Durchsetzung des Rechtes verantwortlichen Autoritäten in Frage, und R.WESTBROOK hat - aus anderen Gründen - diese Schlußfolgerung gezogen. 206 Dies aber erschien uns nicht plausibel. Wenn man für |ΓΙ3 die Bedeutung "geben" voraussetzt, dann kann in Ex 21,23 nur der Täter gemeint sein: er soll geben, wie es schon in V.22bß heißt: D* 1 ^?? ΤΓΙί}.

200 201 202 203 204 205 206

E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 32. H.W.GILMER, If-You-Form (1975) 115. Ebd. 81. Ebd. 77f. Ebd. Ebd. Vgl. auch H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 179. Siehe Kap. 4.2.1.3.4.4, S. 107-109. Vgl. auch H.W.GILMER, If-You-Form (1975) 71: "In both of these cases [Ex 21,13f.23f], the formal responsibility for the exactment of punishment lies with the officials. The identity of these officials is not clear."

Ex 21,22-25

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E.OTTO hat im Rahmen einer redaktionsgeschichtlichen und rechtsvergleichenden Studie zur altbabylonischen und altisraelitischen Rechtsüberlieferung die Frage nach der Funktion dieser Rechtskorpora so beantwortet:

"Sie sind weder Gesetzesbücher unmittelbar angewandter Normen positiven Rechts im Rechtsentscheid, noch gelehrte Werke fern einer rechtspraktischen Funktion im Rechtsentscheidungsprozeß, sondern Lehrbücher, die für den Rechtsentscheid schulen wollen, indem sie das Verfahren der Entscheidung insbesondere im Analogieschluß einüben." 207 In Ex 21,23 - so scheint mir - findet sich ein Indiz für diese These. Das Talionsprinzip steht im Zentrum der Struktur von Ex 21,20-27. Mit der Formel liegt ein den vorgegebenen Fall übergreifendes Prinzip vor. Die Formel wurde aber nicht erst für den vorliegenden Text geschaffen. Sie ist - darin besteht weitgehender Konsens in der Forschung - traditionsgeschichtlich älter und als eine ursprünglich selbständig überlieferte Formel anzusehen. 208 In ihrer plakativen, mnemotechnisch ausgereiften und pädagogisch geschickt präsentierten Form 2 0 9 dürfte ihr Sitz im Leben in der Ausbildung der für die Rechtsprechung zuständigen Autoritäten zu suchen sein. 2 Dadurch erklären sich auch die vielen Mißverständnisse, mit denen diese Formel belastet ist. 211 Ihr "Schlagwort-Charakter" läßt sich aus der Situation der mündlichen Rechtsbelehrung gut verstehen. Als solche wird sie den in der Rechtsprechung verantwortlichen Autoritäten ständig präsent und den Schülern in der Einübung von Rechtsentscheiden eingeprägt worden sein. 212 Zusammen mit Ex21,20f.26f wurde sie schließlich in das Bundesbuch als Rechtsfolgebestimmung eines Falles fahrlässiger Körperverletzung mit und ohne Todesfolge eingefügt.

207 E.OTTO, Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 181f. 208 Vgl. nur A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 34. H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1984) 151. 209 Zunächst wird der übergreifende Ausdruck ÖS 3 gesetzt, dann eine Gruppe von vier Körperteilen in der gut einprägsamen Reihenfolge "von oben nach unten": Auge, Zahn, Hand, Fuß, anschließend drei Verletzungsarten, wobei die Bezeichnung der ersten und dritten durch Endreim miteinander verbunden sind und so die in der Mitte stehende Verletzungsart rahmen. 210 Man muß also aus diesem Grunde mit der Formel nicht in den vorschriftlichen nomadischen Kulturkreis gehen, wie V.WAGNER, Rechtssätze (1972) 3-15; 29, dies tut. 211 Vgl. H.-W.JÜNGLING, "Auge für Auge" (1984) 14: "Trotz der eindrucksvollen Brillanz der Formulierung sind diese Formeln jedoch nicht eindeutig. Wegen ihres elliptischen Charakters können sie kaum als juristisch genaue Beschreibung von Tatbestand und Rechtsfolge beurteilt werden." 212 Vgl. H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1984) 153: "Sie wurde ... zu einem Rechtsgrundsatz, nach dem sich die richterliche Entscheidung ausrichten soll."

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Kasuistisches Rechtsbuch

Unter dieser Perspektive könnte man versuchen, die 2.Ps.Sg. in Ex 21,23 analog zu Ex 21,13f - als Anrede der in der Rechtsprechung tätigen Autoritäten zu verstehen. Π£ΙΓ131 in V.23b hieße dann nicht "dann sollst du geben Leben um Leben usw.", sondern "dann sollst du anwenden [das Prinzip] »Leben um Leben usw.«". 213 Die Anrede könnte damit auch als implizite Abgrenzung von einer blutrechtlichen Regelung des Falles verstanden werden. Denn im Falle der Blutrache wären die Angehörigen des Getöteten für den Vollzug der Rechtsfolgebestimmung verantwortlich. In Ex 21,22 geht es aber nicht um Blutrache, sondern um Schadensersatzleistung, die unter Hinzuziehung von Schiedsrichtern (V.22bß) zu leisten ist. Auch im Falle weiteren Schadens, wobei die Todesfolge eingeschlossen ist (V.23), geht es nicht um Blutrache, sondern um Schadensersatzleistung. Die Abwicklung dieses Verfahrens, insbesondere die Festsetzung der Höhe der Schadensersatzleistung, wird auch im Falle von 21,23f analog zu 21,22 unter Hinzuziehung von "Schiedsrichtern" vonstatten gegangen sein. Eine solche für die Durchführung der Rechtsfolgebestimmung mitverantwortliche Autorität könnte in V.23 angeredet sein und so den plötzlichen Wechsel von 3.Ps.Sg. zu 2.Ps.Sg. erklären. Dennoch scheint mir eine solche Annahme unwahrscheinlich zu sein. Wenn hier die Anwendung eines Rechtsprinzips direkt zum Ausdruck gebracht werden sollte, dann wäre eine Ex 21,9b. und 21,31b ( . . . ΰ3ψ?33 . . . Ì"!E?JP ) analoge Formulierung zu erwarten. Damit bietet sich eine weitere Erklärungsmöglichkeit an. E.LIPINSKI hat darauf hingewiesen, daß in zahlreichen idiomatischen Wendungen die Verben O^ü, ΓΡ0 und |Γ13 synonym gebraucht werden. 214 Dabei weist er u.a. auf die Verbindung pn D ^ (Ex 15,25; Jos 24,25), ρπ ΓΙ1V (Ijob 14,13) und ph |ΓΙ3 (Ez 20,25; Ps 99,7; 2 1 5 148.6; Spr 31,15; Neh 9,13) hin, die er mit "ein Gesetz promulgieren" übersetzt. 2 Man könnte nun fragen, ob das Verbum ΤΓΙ3 in Ex 21,23 nicht die Bedeutung "festsetzen" haben kann. Der Vers wäre dann zu übersetzen: "dann sollst du festsetzen: Leben um Leben, Auge um Auge usw." Angesprochen wäre dann - analog zu Ex 21,13f - eine Autorität der Rechtsprechung, die für die Einschätzung des angerichteten Schadens und die Festsetzung der Höhe der Schadensersatzleistung verantwortlich wäre. Ich halte diese Interpretation für möglich, wenngleich sie die Schwierigkeit bei sich hat, daß das Verbum ΤΓ13 an den anderen Stellen des Bundesbuches, in Ex 21,19.22.30.32, jeweils die Zahlung einer festgesetzten oder festzusetzenden Summe meint und jeweils den Täter als (implizites) Subjekt 213 So interpretiert U . C A S S U T O , Exodus (1967) 275: "You, O judge (or you, O Israel, through the judge who represents you) shall adopt the principle of »life for life«, etc." 214 E.LIPINSKI, Art. f ΓΙ3, in: T h W A T V, 696. 215 Statt 99,5 muB es 99,7 heißen. Vgl. auch Ps 99,4. 216 E.LIPIÑSKI, Art. t ü j . >«: T h W A T V , 696. In Ez 20,25 kommt als weiteres Objekt Ο ^ ΰ δ ψ Ο hinzu. Vgl. Ex 21,1. Auch in Neh 9,13 stehen weitere Ausdrücke für "Gesetz".

Ex 21,22-25

127

voraussetzt. A b e r auch bei dieser Interpretation geht es in 21,23-25 nicht um Talion im strengen Sinne des Wortes, sondern um die von einer Autorität (vgl. 21,22bß) festzusetzende Höhe der Schadensersatzleistung. Welche Interpretation man nun bevorzugt - "geben" oder "festsetzen" - in beiden Fällen wird man den Wechsel von 3.Ps.Sg. zu 2.Ps.Sg. auch redaktionskritisch erklären müssen. Die Einfügung der Talionsformel Ex 21,22aßba.23f geht meines Erachtens auf das Konto desjenigen Redaktors, der auch Ex 21,13f eingefügt hat. Neben formaler Gemeinsamkeiten in der Anrede einer 2.Ps.Sg. verbindet beide Erweiterungen die Abgrenzung von der Blutrache. Ex 21,13 grenzt den Fall fahrlässig verursachter Tötung aus der Blutrechtsbestimmung Ex 21,12 aus, 2 1 7 entsprechend grenzt Ex21,23f den Fall fahrlässig verursachter Körperverletzung mit und ohne Todesfolge aus der Blutrache aus. Zusammen mit der Talionsformel fügt dieser Redaktor auch die Gesetze zum Schutz von Schuldsklave und Schuldsklavin Ex 21,20f.26f ein. In 21,20 wird das Leben des Schuldsklaven und der Schuldsklavin durch die Institution der Blutrache geschützt, in Ex 21,21 wird der Herr des Schuldsklaven bzw. der Schuldsklavin vor der unberechtigten Inanspruchnahme der Blutrache geschützt. Dieser Redaktor zeigt also eine besondere Sensibilität in den Bereichen, in denen es um das Leben der am Konflikt beteiligten Personen geht. In Ex 21,13f f ü h r t er die Gottheit als Sprecher ein. In Ex 21,2 wird ebenfalls eine 2.Ps.Sg. direkt angesprochen, womit - wie bereits gezeigt 2 1 8 - der Abschnitt 21,2-11 insgesamt als Gottesrede stilisiert wird. Mir scheint mit der Einfügung der Talionsformel dasselbe Phänomen vorzuliegenden. Ex 21,23 ist die einzige Stelle innerhalb des kasuistischen Teils des Bundesbuches Ex 21,18-22,16, an der eine 2.Ps.Sg. angeredet wird. Mit der Einfügung der Talionsformel wird der kasuistische Teil des Bundesbuches, der von sich aus keine Affinität zur Gottesrede aufweist, den anderen Abschnitten des Bundesbuches formal angeglichen, indem er duch diese eine Ergänzung nun insgesamt als Gottesrede gekennzeichnet wird. Diese Beobachtungen sprechen dafür, die Einfügung der Talionsformel Ex 21,22aßbß.23f (ohne V.25!) zusammen mit Ex21,2Qf.26f auf das Konto des Gottesrechtsredaktors zu setzen.

4.2.1.3.5.

Ergebnis

Mit der Talionsformel liegt in Ex 21,23-25 ein den vorgegebenen Fall übergreifendes Prinzip vor. Die Einfügung dieser Formel in den vorgegebenen Kontext bedient sich der Form der Rechtsbelehrung. Sie bringt das Prin217 In der Rechtsfolgebestimmung von Ex 21,12 wird die Blutrache vorausgesetzt. Zur Begründung siehe Kap. 4.2.7, S. 213-234. 218 Siehe Kap. 2.2, S. 22-36.

128

Kasuistisches Rechtsbuch

zip der Angemessenheit der Schadensersatzleistung im Falle fahrlässig verursachter Körperverletzung mit und ohne Todesfolge auf recht einprägsame Weise zum Ausdruck. Ihr ursprünglicher Sitz im Leben dürfte in der Ausbildung der für die Tradierung und Anwendung von Rechtsnormen zuständigen Autoritäten liegen. Die Einfügung der Formel geht sehr wahrscheinlich zusammen mit Ex 21,20f.26f auf das Konto des das Bundesbuch zum Gottesrecht transformierenden Redaktors. So ist im vorliegenden Kontext JHWH Sprecher der Talionsformel. In Verbindung mit ihrem sekundären Charakter konnte so leicht der Eindruck eines kultischen Ursprungs dieser Formel entstehen, wie vor allem A .ALT vertreten hat. Demgegenüber habe ich darzulegen versucht, daß die Formel auf juristisch präzise Weise den Fall der fahrlässig verursachten Körperverletzung mit und ohne Todesfolge von der Blutrache abgrenzt und ihn einer ersatzrechtlichen Regelung zuweist.

129

Ex 21,28-36 4.2.2. Das stoßende Ex 21,28-36

Rind und die o f f e n gelassene

Grube:

Ex 21,28-36 lautet: noi nrörns i s ehs-ns nitf π · η - · ο ι litìn ·?1ρθ infr-rns S^l I^PJ Tilín bVl) DÉfrltf Sin na J η i E? DSI • n ^ j a TSJîim #· •

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130 4.2.2.1.

Kasuistisches Rechtsbuch Forschungsüberblick

An dieser Stelle sollen nur einige literarhistorische Positionen der Forschung in Kürze vorgestellt werden. Ansichten bezüglich des Verhältnisses von Ex 21,28-36 zu den parallelen Gesetzen in CE §§ 53-55 und CH §§ 250252 werden in Kap. 4.4.2 referiert. Unter literarhistorischem Gesichtspunkt nehmen einige Kommentatoren ein sukzessives Wachstum des Textes "von vorne nach hinten" an. A.JEPSEN hält den gesamten zweiten Teil 21,33-36 für "eine Art Anhang zum Vorangehenden". 1 D.DAUBE hält lediglich die beiden letzten Verse 21,35.36 für einen Zuwachs zum Grundbestand 21,28-32*. 2 Er findet hier eine Bestätigung des Prinzips, daß Ergänzungen von Gesetzescodices in der Regel nicht in den vorliegenden Text eingearbeitet, sondern an den vorliegenden Text gleichsam als Appendix - angehängt wurden. 3 E . O T T O dagegen sieht zwischen 21,32 und 21,33 die redaktionelle Nahtstelle zwischen der ursprünglich selbständigen Sammlung der Körperverletzungsfälle 21,18-32 und der ursprünglich selbständigen Sammlung der jesällem-Gesetze 21,33-22,14: "Die Zusammenordnung dieser beiden Sammlungen in der vorliegenden Reihenfolge ist sicherlich durch die thematische Nähe von Ex 21,28-32 als Abschluß der Sammlung Ex 21,18-32 zu Ex 21,35f. als Eröffnung der Sammlung Ex 21,33-22,14 mitbestimmt gewesen." 4

1 A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 36. M.NOTH, Exodus (1958) 148, spricht bei Ex 21,33f von "lose angeschlossen". Diese These ist im Grunde eine literarhistorische Umsetzung des von vielen Exegeten angenommenen Gliederungseinschnittes zwischen 21,32 und 21,33. Siehe dazu Kap. 4.1, S. 45-51. 2 D.DAUBE. Codes and Codas (1941) 85. Im Anschluß daran auch B.S.CHILDS, Exodus (1974)473. 3 D . D A U B E , Codes and Codas (1941) 74: "There is a code dealing with various matters. Some day it is decided to add another rule on one of these matters. Now a strictly logical mind would insert the new rule, in accordance with its contents, between these or those two of the old provisions. As a matter of fact, however, it is not inserted in this manner. The existing code is left undisturbed, and the new rule simply tacked on at the end." D.DAUBE machte diese Beobachtung zuerst bei der Lex Aquilia, dann auch in Lev 20. Auf S. 88f ebd. modifiziert und präzisiert er seine eingangs aufgestellte Regel: "But, naturally enough, the method was not carried to extremes. If this later rule had been relegated to a place after the whole of the Mishpalim, a large collection of law, it would have been completely in the air, far removed from the other rules concerning this kind of delict. In fact, though the traditional order of the code would have been diligently preserved in a pedantic sense, the abrupt disconnected piece at the end would have spoilt the whole structure.... The authors of the later rule did the sensible thing in introducing it immediately after that section to which it belonged ... ." Zum Letzteren vgl. ebd. 96. 4 E . O T T O , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 153.

Ex 21,28-36 4.2.2.2.

Literarkritische

131

Analyse

Die folgende literarkritische Analyse orientiert sich an den drei jeweils durch "O? markierten Einschnitten: (1) 21,28-32 (2) 21,33.34 (3) 21,35.36.

4.2.2.2.1.

Ex

21,28-32

Innerhalb von V.28 scheint der Prohibitiv ^DtO N^l - "aber sein Fleisch soll nicht gegessen werden" in der Rechtsfolgebestimmung V.28ba ein literarkritisches Problem darzustellen. ist der Form nach . · ·· τ ·" 3.Ps.M.Sg.Nif.Pk. ist logisches Subjekt und zugleich - gekennzeichnet durch die Akkusativ-Partikel Γ1Κ - grammatisches Objekt. Dies ist unproblematisch. Bei Verben im Passiv ist das logische Subjekt häufig grammatisch als Objekt gekennzeichnet. 6 So kann man an dieser Stelle das Nif'al auch unpersönlich übersetzen: "Sein Fleisch aber soll man nicht essen." Auffallend hingegen ist die Tatsache, daß hier überhaupt ein Prohibitiv in der Rechtsfolgebestimmung eines mit "O eingeleiteten Hauptfalles erscheint. 7 Der Verdacht auf sekundäre Einfügung verstärkt sich, wenn man sieht, daß die Rechtsfolgebestimmung ohne diesen Prohibitiv eine sinnvolle Abfolge ergibt: "lion

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Die beiden Sätze sind adversativ aufeinander bezogen. Die Reihenfolge von Subjekt und Prädikat ergibt eine chiastische Anordnung:

5 Vgl. B.S.JACKSON, Goring Ox (1974) 115, Anm. 31: "The clause »and its flesh shall not be eaten« may well be interpolated." 6 Vg. P.JOÜON, Grammaire (1923) § 128, mit Hinweis u.a. auf Jer 35,14. 7 Vgl. auch Ex 21,8b. Dagegen unterscheiden sich Ex 20,25 und Ex 22,24 von Ex 21,28 in dreierlei Hinsicht: 1. Ihre Protasis ist mit DN eingeleitet. 2. Protasis und A p o d o s i s sind in 2.Ps.Sg. bzw. PI. formuliert. 3. D i e A p o d o s i s von Ex 22,24 enthält neben den zwei Prohibitiven keine weiteren Bestimmungen. D i e Prohibitive sind also fester Bestandteil des gesamten Rechtssatzes, den W.RICHTER, Recht und Ethos (1966) 85, als "eingekleideten Prohibitiv" bezeichnet hat. Auch Ex 20,25 ergibt ohne den Prohibitiv in der Rechtsfolgebestimmung kein sinnvolles Satzgefüge. Der Prohibitiv ist also auch dort fest im Satz verankert.

132

Kasuistisches Rechtsbuch Prädikat Subjekt Subjekt Prädikat

Andererseits macht diese Abfolge aber auch deutlich, daß V.28bß ^ S l ì "φ3 Ί i den Prohibitiv i ΊΒΪΓΓΙΝ ^pfcP S^l von Anfang an vor sich hatte, denn andernfalls wäre ein Riickverweis durch Suffix stilistisch naheliegender gewesen, wie V.29b deutlich macht: Πΰ-Τ1 ·ρ£κ*Γ01} Im folgenden V.29 fehlt die Vorschrift, daß das Fleisch des gesteinigten Rindes nicht gegessen werden darf. Von der Sache her aber wäre diese Vorschrift auch hier angebracht gewesen, denn auch in V.29 tötet ein Rind einen anderen Menschen. Wir können sicher sein, daß der Prohibitiv von V.28 auch für den Fall von V.29 Gültigkeit beanspruchte. 8 Der Prohibitiv S'Í'T macht also einerseits einen sekundären Eindruck, andererseits scheint er nicht in den vorgegebenen Text -litfn ^ e p

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eingefügt worden zu sein. Diese Beobachtung läßt für die Entstehungsgeschichte von V.28 lediglich eine traditionsgeschichtliche Erklärung zu: Der Autor von V.28 hat den Prohibitiv N^l in eine vorgegebene Tradition eingebracht. Die schriftliche Fassung des Falles V.28 aber geschah in einem Zuge ohne nachträgliche sekundäre Erweiterung. Der Prohibitiv scheint also rechtsgeschichtlich sekundär zu sein. Literarisch ist er gut im Kontext verankert. Diese Beobachtung kann weiter präzisiert werden, wenn wir nach dem Grund der Steinigung des stößigen Rindes fragen. Im Vergleich von Ex 21,28 mit CH § 250 fällt nämlich auf, daß weder die Steinigung des Rindes noch das Verbot, sein Fleisch zu essen, im CH eine Entsprechung hat. Auch in den zu Ex 21,29.32 parallelen §§ 54; 55 CE und §§ 251; 252 CH fehlt die Vorschrift, daß das stößige Rind gesteinigt werden soll. Diese Beobachtung läßt die Vermutung aufkommen, daß die Steinigung des Rindes und das Verbot, sein Fleisch zu essen, zusammengehören. Warum muß das stößige Rind gesteinigt werden? Nach A.JEPSEN liegt hier die magische Vorstellung einer dämonischen Besessenheit des stößigen Rindes vor: "Diese Dämonen wurden durch die

8 So auch E.OTTO, Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 145.

Ex 21,28-36

133

Steinigung festgebannt." 9 A . G O E T Z E vermutet, daß das stößige Rind als Mörder angesehen wurde. 1 0 Nach A . V A N SELMS ist das Rind Träger von Blutschuld. Um die Gemeinschaft von den kontaminierenden Auswirkungen der Blutschuld zu befreien, muß der Träger der Blutschuld, in diesem Fall das Rind, getötet werden: "It is now clear, why that ox has to be killed: not because the Israelite lawgiver had an idea about animals being responsible f o r their deeds, but in order to protect the whole of the community. The blood-guilt was brought home to the animal in that way." 11 B . B A E N T S C H verweist in diesem Zusammenhang auf Gen 9,5: "Das Essen des Fleisches verbot sich, weil Blutschuld auf ihm ruhte, die sich auch auf den davon Geniessenden übertragen haben würde." 1 2 Eine streng religiöse Erklärung legt J.J.FINKELSTEIN vor. 1 3 Auffallend so J.J.FINKELSTEIN - sei zum einen die Tatsache, daß das Rind, das einen anderen Menschen getötet hat, in jedem Falle, also auch dann, wenn es nicht stößig war und sein Besitzer unschuldig ist (21,28), getötet werden muß, und zum anderen die Tatsache, daß die Art der Tötung des Rindes genau angegeben wird, nämlich die Steinigung. Der Grund - so J.J.FINKELSTEIN - kann nicht darin liegen, daß das Rind wegen Mordes als schuldig angesehen wird, denn bei Mord ist als Strafe niemals Steinigung vorgesehen, sondern es wird lediglich gesagt "er soll sterben" (21,12), was sehr wahrscheinlich als Tötung durch das Schwert im Rahmen der Blutrache zu verstehen ist. Dagegen ist die Strafe der Steinigung eine öffentliche Strafe, die von der gesamten Gemeinschaft ausgeführt wird. Dementsprechend muß es sich bei der mit Steinigung zu bestrafenden Tat um eine Tat handeln, durch die sich die gesamte Gemeinschaft bedroht sieht. Nach Ausweis der von J.J.FINKELSTEIN angef ü h r t e n Belege 1 4 handelt es sich in allen Fällen um eine Art von Aufstand, 1 5 um eine Rebellion gegen die göttliche Ordnung. 1 6 Und genau dies ist nach

9 A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 35. 10 A . G O E T Z E , Laws of Eshnunna (1956) 139. So auch G . R . D R I V E R / J . C . M I L E S , Babylonian Laws I ( 2 1 9 6 0 ) 444. Vgl. auch H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 86: "Das Tier wird getötet, weil ein Mord das Land verunreinigt (vgl. Dtn 21,Iff. Num 35,33)." 11 A . V A N SELMS. Goring Ox (1950) 328. 12 B . B A E N T S C H , Ex-Lev-Num (1903) 195. So auch P.HEINISCH, Exodus (1934) 173. 13 J.J.FINKELSTEIN, Ox (1981) 27-29. 14 Dtn 13,7ff; 17,2-7; 21,18-21; 22,20f; Lev 20,2ff; 20,27; 24,10ff; Num 15,32-36; 1 Kön 21. 15 J.J.FINKELSTEIN, Goring Ox (1981) 27: "... stoning was the formal procedure for execution in authentic instances of sedition." 16 Ebd. 28: "... they are »revolts« against God, or the world order which is ordained by the divine word."

134

Kasuistisches Rechtsbuch

J.J.FINKELSTEIN

auch der Grund für die Steinigung des Rindes in Ex

21,28f.32: "Despite God's statement to Noah that he will hold animals as well as man responsible for the shedding of human blood (Gen. 9:5), the »crime« of the ox that gored a person to death is not just to be found in the fact that it had »committed homicide». ... The real crime of the ox is that by killing a human being ... it has objectiveley committed a de facto insurrection against the hierarchic order established by Creation: Man was designated by God »to rule over the fish of the sea, the fowl of the skies, the cattle, the earth, and all creatures that roam over the earth« (Gen. 1:26,28).... The ox ... has acted against man, its superior in the hierarchy of Creation, as man acts against God when violating the Sabbath or when practicing idolatry. It is precisely for this reason that the flesh of the ox may not be consumed." 1 7 Gegenüber J.J.FINKELSTEIN sieht B.S.JACKSON rein profane Gründe für die Steinigung des stoßenden Rindes. Seiner Ansicht nach war die Steinigung des Rindes, das einen anderen Menschen getötet hat, ursprünglich keine öffentliche Strafe, sondern der Versuch einer halbnomadischen Gesellschaft, sich vor einem solchen Tier zu schützen, indem man es mit Steinen bewarf. Der Tod des Tieres konnte dabei eintreten, war aber nicht ursprüngliche Absicht, sondern wurde gegebenenfalls in Kauf genommen. Das Bewerfen mit Steinen hatte den primären Zweck, das Tier aus der Gemeinschaft zu vertreiben, um diese so vor weiteren durch dieses Tier verursachten Unfällen zu schützen. 1 8 B.S.JACKSON argumentiert folgendermaßen: Von der Steinigung als Strafvollzug ("stoning as judicial execution") läßt sich die Steinigung außerhalb eines Strafvollzuges ("extra-judicial measure") unterscheiden. Eine Steinigung außerhalb eines Strafvollzuges findet sich in Ex 8,22; 17,4; 19,12f; Jos7,24f; 1 Sam 30,6. In all diesen Fällen ist die Steinigung keine Strafe im Anschluß an ein Gerichtsverfahren, sondern die spontane Aktion einer Gemeinschaft, sich vor einer akuten tödlichen Gefahr zu schützen ("stoning as lynching"). 19 Und genau darum ging es ursprünglich auch bei der Steinigung des stößigen Rindes. Auffallend ist, daß im Unterschied zu allen anderen Belegen von im juristischen Kontext in Ex 21,28.29.32 nicht davon die Rede ist, daß das Rind gesteinigt werden muß, damit es stirbt.20 In 2 Sam 16,6.13 bezeichnet D O l N n ^pD (Pi.) das einfache Bewerfen mit Steinen ohne Tötungsabsicht, zumindest ohne Todesfolge.

17 18 19 20

Ebd. 28. B.S.JACKSON, Goring Ox (1974) 115. Ebd. 112-114. Dtn 13,11; 17,5; 22,21.24; 1 Kön 21,10.13-15 begegnet ^ p O immer zusammen mit P I D .

Ex 21,28-36

135

Entsprechend war die Tötung des Rindes bei der mit ( Q a l ) angegebenen Rechtsfolgebestimmung ursprünglich nicht intendiert. "A semi-nomadic community might be satisfied by driving the animal away into the desert. If, in the process, the animal was killed, well and good. If not, it did not matter." 2 R.WESTBROOK schließlich versucht, "praktische und religiöse Gründe" gleichermaßen bei der Erklärung zu berücksichtigen. 2 2 Vor der deuteronomischen Kultzentralisationsreform war jede Schlachtung eines Tieres und das damit verbundene Mahl ein Opfer. Aus einem solchen Opfermahl erwuchsen dem Opfernden zwei Vorteile: zum einen die im Opfer vollzogene Gemeinschaft mit der Gottheit, zum anderen der Verzehr des Fleisches. Um dem Besitzer des stößigen Rindes diese beiden Vorteile durch eine Rechtsfolgebestimmung nicht zukommen zu lassen, mußte eine Form der Tötung des Rindes gefunden werden, die nicht als Opfer interpretiert werden konnte. Verbrennen kam nicht in Frage, da es als Brandopfer angesehen werden konnte, Erhängen bot sich bei einem Rind als nur schwer praktikabel nicht an. Blieb nur noch die Steinigung übrig, "which is never used as a means of sacrifice. This, we submitt, is the very practical but at the same time religious reason f o r stoning a goring ox and not eating its flesh." 2 3

An dieser Stelle möchte ich die hier vorgestellten Interpretationen nicht diskutieren, sondern lediglich darauf hinweisen, daß mit Ausnahme der von 24 B.S.JACKSON vorgelegten Interpretation alle anderen einen Zusammenhang zwischen der Art der Tötung des Rindes, nämlich der Steinigung, und dem Verbot, sein Fleisch zu essen, herstellen. Dies bestätigt unsere literarkritische Option, an der Einheitlichkeit des Verses festzuhalten. Daraus kann indirekt geschlossen werden, daß, wenn die Steinigung des Rindes und das Verbot, sein Fleisch zu essen, sachlich zusammen gehören, beide Vorschriften traditionsgeschichtlich sekundär sind, wenn e i n e dieser Vorschriften, nämlich das Verbot, das Fleisch zu essen, traditionsgeschichtlich sekundär ist, wie in der vorangehenden Analyse dargelegt. Diese Beobachtung findet nun interessanterweise eine Bestätigung durch Vergleich von Ex 21,28-32 mit §§ 250-252 CH und §§ 53-55 CE. Dort fehlt nämlich sowohl die Vorschrift der Steinigung des Rindes als auch - natürlicherweise, da es ja kein totes Rind gibt - das Verbot, sein Fleisch zu essen. Wenn - wie in Kap.

21 22 23 24

B.S.JACKSON, Goring Ox (1974) 115. R.WESTBROOK, Biblical and Cuneiform Law (1988) 86-88. Ebd. 88. Natürlich hat auch B.S.JACKSON, Goring Ox (1974) 115, Anm. 31, gesehen, daß auf der Endstufe des Textes den Tod des Rindes intendiert. D i e s zeigt der Anschluß in 21.29bß: "und auch sein Besitzer soll sterben". Ursprünglich aber - s o B.S.JACKSONwar dies nicht intendiert.

136

Kasuistisches Rechtsbuch

4.2.2.3 plausibel gemacht werden kann 25 - die hinter Ex 21,28-36 stehenden Verfasser die entsprechenden Gesetze von CE und CH in der uns überlieferten oder einer dieser Form nahekommenden Version gekannt haben, dann kann der Eindruck des rechtshistorisch sekundären Charakters der Vorschrift, das stößige Rind zu steinigen, und der Verbotes, sein Fleisch zu essen, dahingehend interpretiert werden, daß hier offensichtlich ein "israelitischer" Schreiber/Jurist/Redaktor eine "israelitische" Tradition in eine vorgegebene, möglicherweise nicht-israelitische Tradition, eingearbeitet hat. Indirekt wird diese Vermutung durch die oben vorgestellten Interpretationen bestätigt, die alle darin übereinstimmen, daß sie die Vorschrift der Steinigung des Rindes und das Verbot, sein Fleisch zu essen, aus innerisraelitischer Tradition interpretieren, sei es religiös, sei es gesellschaftlich ("semi-nomadic community" 26 ). Unter literarkritischem Gesichtspunkt können wir an der Einheitlichkeit von 21,28 festhalten. Zwischen den VV.28.29 gibt es keine weiteren Kohärenzstörungen. Anders sieht es mit 21,30-32 aus. Ursprünglich Schloß V.31 direkt an V.29 an. Dieser Zusammenhang wurde durch Einschub von V.30 unterbrochen. 27 Zwei Beobachtungen sprechen für diese These: 1. In der Tatbestandsdefinition von V.31 wird das Subjekt des Prädikates Π13 nicht genannt. Subjekt ist selbstverständlich das Rind aus V.29 und nicht der Eigentümer des Rindes aus V.30. Diese implizite Voraussetzung des Subjektes von V.29 aber läßt es als sehr wahrscheinlich erscheinen, daß sich V.31 ursprünglich direkt an V.29 anschloß. Hätte V.30 von Anfang an zwischen V.29 und V.31 gestanden, dann wäre in V.31 eine Wiederaufnahme des Subjektes von V.29 zu erwarten gewesen, wie dies in V.32 der Fall ist. 2. Ein wichtiger Hinweis für den Zusammenhang von V.31 und V.29 liegt in der Rechtsfolgebestimmung von V.31: nfew? Π-ΤΠ taS^S?. Auf der Ebene des Endtextes bezieht sich CDËIÇO eindeutig auf V.30. Das ist weiter kein Problem. Schwierigkeiten bereitet allerdings das ¡"IÉ?JP · ¡"IÍ&5P ist der Form nach 3.Ps.M.Sg.Hof.PK. V.31b ist zu übersetzen: "auf diese Weise (oder: nach diesem Gesetz) 28 soll mit ihm verfahren werden". 29 bezieht 25 Siehe S. 156-162. Siehe auch Kap. 4.4. S. 238-283. 26 B.S.JACKSON, Goring Ox (1974) 115. 27 Auch E.OTTO, Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 147, Anm. 2. hält V.30 für einen überlieferungsgeschichtlichen Zusatz zu V.29. 28 Vgl. H.NIEHR, Herrschen und Richten (1986) 183: "Für den Terminus CD3E7Ö ist hier sowohl die Deutung als »Recht(sbestimmung)« wie als »Prinzip« oder »Art und Weise« vertretbar." Vgl. G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 94: "Daß ÜSljD Rechtssätze bezeichnen kann, bedarf keines Nachweises. Aber daß Ι33ψ0 präzis Bezeichnung des kasuistischen Rechtssatzes ist, ist - obwohl die These immer wieder vertreten wurde - schwer zu beweisen." Ebd. 96: "Jedenfalls zeigt Ex 21,31, wie täSI^Q als Bezeichnung des Urteils und dementsprechend der Rechtsfolgebestimmung im Nachsatz des kasu-

Ex 21,28-36

137

sich auf den Eigentümer des Rindes. ""TCWÜ - "soll mit ihm verfahren werden" aber kann sich schwerlich auf V.30 beziehen, denn in der Rechtsfolgebestimmung von V.30 ist der Eigentümer des Rindes Subjekt der Handlung: er soll geben. Das ΠϋΐΡ ΠΤΓΙ 031^03 von V.31b kann sich ursprünglich nur auf V.29bß beziehen: no^P 1 "τ^ τPΤa - D—í :3· τ ^ ΠϋΐΡ sind der Form τ ν τ ·· nach gleich: 3.Ps.M.Sg.Hof.PK. V.31b "auf diese Weise/nach diesem Gesetz soll mit ihm verfahren werden" besagt also, daß nach dem Gesetz von V.29 verfahren werden soll, und das heißt inhaltlich: der Eigentümer des Rindes soll getötet werden. V.31 legt also fest, daß auch dann, wenn ein dem Eigentümer als stößig gemeldetes Rind (nur) einen Sohn oder (nur) eine Tochter tötet, der Besitzer des Rindes ebenfalls - wie in V.29 - getötet werden soll. Ist so deutlich geworden, daß V.30 den Zusammenhang von V.29 und V.31 unterbricht, so ist damit die Frage noch nicht entschieden, ob es sich hierbei um einen literarisch ursprünglichen Zusammenhang handelt. Dagegen spricht die ungewöhnliche Einleitung der Tatbestandsdefinition mit IN. 30 Als stilgerechte Einleitung eines Unterfalles wäre DK zu erwarten gewesen. Das ÏS der Einleitung von V.31 erklärt sich als Weiterführung des TN von ΠΒΚ IN EPS aus V.29aß. fungiert also in V.31 als disjunktive Konjunktion. 31 Der Personenkreis soll erweitert werden. So wird auch die Stellung beider Objekte von V.31a an erster Position verständlich: ΓΗ? n j ? Γ)? - ÍN. Auf und Γ3 liegt die Betonung. Betont werden soll, daß auch im Falle von Sohn und Tochter, also bei "junge[n] Leute[n], die noch unter der väterlichen Gewalt sind", 32 und nicht nur im Falle eines erwachsenen, freien Israeliten oder einer erwachsenen, freien Israelitin das Gesetz von V.29 Anwendung finden soll. V.31 stellt also eine sekundäre Erweiterung des Personenkreises von V.29 dar. Der Vers ist eine erweiternde Nachinterpretation. 33 Nun zu Ex 21,30. V.30 ist weder Unterfall zu V.28 noch Unterfall zu V.29. Die Protasis von V.30 enthält keine Tatbestandsdefinition und die Apodosis keine Rechtsfolgebestimmung im juristischen Sinne. Vielmehr trifft die Apodosis V.30b eine Bestimmung für eine in der Protasis V.30a als

29 30 31 32 33

istischen Rechtssatzes zur Bezeichnung des gesamten kasuistischen Rechtssatzes werden konnte." Vgl. dazu Kap. 5.2.2. S. 299-303. Zu ^ ntoV.·; vgl. noch Ex 2,4; 1 Sam 11,7; Num 4,26; Ri 11,37. ^ ΠΒ7ΙΡ Π 3 3 : Num 15,11. Sie findet sich nur noch in dem ebenfalls sekundär hinzugefügten Ex 21,36. Vgl. auch Ex 21,33. Siehe dazu Kap. 4.2.2.2.2, S. 142-147 und Kap. 4.2.2.2.3, S. 147-154. Vgl. P . J O Ü O N , Grammaire (1923) § 167q; 175a. A . D I L L M A N N / V . R Y S S E L L , Exodus ( 3 1 8 9 7 ) 259. So auch D . D A U B E , Codes and Codas (1941) 86; 105f. Auch E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 29, halt Ex 21,31 für einen "überlieferungsgeschichtlichen Zuwachs".

138

Kasuistisches Rechtsbuch

möglich vorausgesetzte Alternative zur Rechtsfolgebestimmung von V.29. Wie sieht diese Alternative aus? V.29 fordert als Rechtsfolgebestimmung die Steinigung des Rindes und den Tod seines Eigentümers. V.30 lautet: T T "

•p1τ?» τ

-

ν

·

m "?33: 1E?33 7'Ή3 TrUI ν -ι :- 1 ι » I - τ:

Das Suffix von "P^V bezieht sich in beiden Fällen eindeutig auf den Eigentümer des Rindes aus V.29 zurück. Das gleiche gilt f ü r das Suffix von Subjekt von "[Π3 ist ebenfalls der Eigentümer des Rindes aus V.29 Was aber ist das logische Subjekt von neh"1 ( H o f . ) ? Subjekt ist diejenige Institution, der das Recht zukommt, den Eigentümer des Rindes zu töten. 34 F . H O R S T denkt hierbei an die "öffentlich-rechtliche Todesstrafe", weitaus 1 wahrscheinlicher aber ist die Annahme G . L I E D K E s , daß die mit PQì" PÌQ τ Is

bezeichnete Art der Tötung die Blutrache meint. Im Fall von V.29 steht also der Familie der getöteten Person das Recht der Blutrache zu. V.30 trifft nun eine Bestimmung f ü r den Fall, daß die Familie auf den Vollzug der Blutrache verzichtet. Das Recht der Familie auf Verzicht der Blutrache wird in V.30 nicht festgesetzt, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt. Umgekehrt wird die Familie auch nicht durch V.30 zum Verzicht auf die Blutrache verpflichtet. 3 6 V.30a setzt lediglich die Praxis voraus, daß in einem Falle wie 21,29 auf Blutrache verzichtet wurde. Da der Familie des Getöteten das Recht auf Blutrache zustand, sie aber gegebenenfalls darauf verzichten konnte, wird auch ihr das Recht, die Höhe der "!B3-Zahlung festzusetzen bzw. mit dem Täter auszuhandeln, zugekommen sein. Logisches Subjekt von ntì-l "» ist die Familie des Getöteten. 3 7 A . S C H E N K E R hat die beiden Begriffe "133 und "p^B eingehend untersucht, wir können uns an dieser Stelle auf seine Analyse stützen. 38 Demnach bezeichnen "133 und | "HS ein und dieselbe Summe unter zwei 34 F.HORST, Recht und Religion (1956) 271. 35 G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 51. 36 So auch A . S C H E N K E R , kôper et expiation (1982) 33. Anders scheint E.OTTO, Rechtsbegündungen (1988) 85, Anm.79, den Fall zu verstehen: "Die JWl-Formulierung des Unterfalles ist nicht in dem Sinne konditional zu verstehen, daß sie ein Verweigerungsrecht der Geschädigten impliziert." 37 So auch B . B A E N T S C H , Ex-Lev-Num (1903) 196. S . R . D R I V E R , Exodus C?1918) 221. S.M.PAUL, Studies (1970) 82, Anm. 1. Dagegen denkt C.F.KEIL, Exodus ( 3 1 8 7 8 ) 526, an den Richter, M.NOTH, Exodus ( 8 1 9 8 4 ) 148, an die Rechtsgemeinde, der die Entscheidung über die "Möglichkeit der Zahlung eines Lösegeldes für das verwirkte Leben" zukam. 38 A . S C H E N K E R . Versöhnung und Sühne (1981) 55-59. D E R S . , köper et expiation (1982) 32-46.

Ex 21,28-36

139

verschiedenen Gesichtspunkten. 3 9 "133 bezeichnet die zu zahlende Summe als Preis der Versöhnung mit der in ihren Rechten verletzten Partei, T"1?? bezeichnet die Summe als Preis der Auslösung f ü r das dem Tod verfallene Leben der schuldigen Person. 4 0 Für V.30 bedeutet dies: Dem schuldigen Eigentümer des Rindes wird von seiten der geschädigten Partei das Angebot gemacht, eine Ausgleichszahlung ("133) zu entrichten. Für diesen Fall (V.30a) trifft V.30b nun folgende Bestimmung: 1. Der schuldig gewordene Eigentümer des Rindes soll die Summe zahlen (ΤΠ3). Hinter dieser Formulierung zeigt sich offensichtlich ein Interesse an einer unblutigen Regelung des Konfliktes. Vorausgesetzt wird allerdings der Verzicht der geschädigten Partei auf die Blutrache. Dieser Verzicht wird vom Gesetz nicht vorgeschrieben. Erklärt die geschädigte Partei aber ihren Verzicht auf Blutrache in Form des Angebotes einer "133-Zahlung, soll die schuldig gewordene Partei dieses Angebot annehmen. 2. Der schuldig gewordene Eigentümer des Rindes soll diese Summe zahlen als ÌE?9 J f "HB, das heißt: als Auslösesumme f ü r sein dem Tode verfallenes Leben. ÖS 3 steht hier in Opposition zu ΓΙΙΰ aus V.29bß. Diese Bestimmung besagt, daß die Annahme des Angebotes einer "133-Zahlung das Recht der geschädigten Partei auf Blutrache aufhebt. Entrichtet der schuldig gewordene Eigentümer die ihm angebotene "133-Zahlung, dann gilt diese Zahlung als ÏIÈÇ? T"1??' das heißt: er hat sein dem Tode verfallenes Leben freigekauft. 4 1 Die Familie des Opfers hat kein Recht mehr auf Ausübung der Blutrache. Hier wird das Recht des schuldig gewordenen Eigentümers nach erfolgter "133-Zahlung geschützt. 3. Der schuldig gewordene Eigentümer soll diese Summe vollständig zahlen ( 1 Π0 ί ^ IDS ^3?). Hier geht es um das Recht der geschädigten Partei. Nimmt der schuldig gewordene Eigentümer das Angebot der "133Zahlung an, dann hat die geschädigte Partei Anspruch auf die vollständige Auszahlung der vereinbarten Summe. Fassen wir unsere bisherigen Beobachtungen zusammen: Für den Fall der fahrlässig verursachten Tötung durch ein stößiges Rind (V.29) setzt V.30 die Möglichkeit der "133-Zahlung voraus. Diese Möglichkeit besteht darin, daß die geschädigte Partei das Angebot einer Ausgleichszahlung macht. 39 A.SCHENKER, * S p e r et expiation (1982) 33f. 40 Ebd. 45. A.SCHENKER legt Wert darauf, "133 nicht einfachhin mit Ablösesumme gleichzusetzen, wie es gemeinhin geschieht: "Le prix de l'expiation ( k ö p e r ) n'est pas le rachat de la vie du coupable. Le rachat s'appelle pidyô n." Vgl. auch B.JANOWSKI, Sühne (1982) 154-158, mit einer ebd. 157, Anm. 268 von Α.SCHENKER etwas abweichenden Akzentsetzung. Vgl. auch E . M E R Z , Blutrache (1916) 99: "Was durch das Wergeid eingelöst werden sollte, war somit nicht der materielle Wert der erschlagenen Person, sondern das verfallene Leben des Täters selbst, und wir haben kein eigentliches Kompositionssystem, sondern genau genommen ein Redemptionssystem vor uns." 41 In Τ " H ? steckt die Wurzel ΓΠ3.

140

Kasuistisches Rechtsbuch

Nimmt die schadenverursachende Partei dieses Angebot an, verfällt das Recht der geschädigten Partei auf Blutrache. In V.30 läßt sich deutlich die Tendenz erkennen, die Rechte beider Parteien zu schützen. Die Aufnahme dieser Bestimmung in das Bundesbuch stellt offensichtlich die Rezeption einer vorgefundenen Rechtspraxis dar. Der Redaktor von V.30 hat den Zusammenhang von V.29 und V.31 aufgebrochen. Ihm selbst war daran gelegen, direkt an die Rechtsfolgebestimmung von V.29 anzuknüpfen. Zugleich gelingt ihm auf diese Weise eine sehr geschickte Verknüpfung von V.31 mit V.30. Das i ^ Π^»^ Π-ΤΠ 13312733 von V.31 bezieht sich nun nicht mehr nur auf V.29, sondern auch auf den unmittelbar vorangehenden V.30. 42 Damit stellt er die Zahlung von 133 auch als eine Möglichkeit der Regelung des Falles von V.31 dar. Ob ihm vielleicht sogar daran gelegen war, die 153-Zahlung für den Fall von V.31 zur Regel zu machen? Dann wären mit V.31b "auf diese Weise/ nach diesem Gesetz soll mit ihm verfahren werden" die Angehörigen des getöteten Kindes angesprochen: Sie sollen im Falle der Tötung ihres Sohnes oder ihrer Tochter dem Besitzer des Rindes das Angebot einer 133-Zahlung unterbreiten. Nun zu Ex 21,32. Ich sehe keinen Grund, V.32 im vorliegenden Kontext für sekundär zu halten. 43 Der Fall bildet einen Unterfall zu den VV.28.29 und ist korrekt mit DK eingeleitet. V.29 ist Gegenfall zu V.28 44 und als solcher adversativ (0$}) eingeleitet, V.32 aber ist kein Gegenfall zu V.29 und deshalb asyndetisch eingeleitet. Die Abgrenzung von den beiden vorangehenden Fällen geschieht durch die Stellung des Objektes I I P an erster Position. Dadurch erhält dieses Wort eine besondere Betonung. In 21,28f wird eine Regelung getroffen für den Fall, daß ein Rind einen freien Mann oder eine freie Frau tötet, V.32 trifft eine Regelung für den Fall, daß es einen Sklaven oder eine Sklavin tötet. Entsprechend unterscheiden sich die Rechtsfolgebestimmungen: Bei der Tötung von Sklave oder Sklavin wird Schadensersatzleistung für den Herrn des Sklaven oder der Sklavin festgesetzt, bei der Tötung eines freien Israeliten oder einer freien Israelitin bewegt sich die Rechtsfolgebestimmung im Horizont der Blutrechtsbestimmungen. Von den beiden Objekten des V.32 ist das eine an den Anfang und das andere an das Ende der Protasis gesetzt, so daß Prädikat und Subjekt das Zentrum bilden: 45

42 Vgl. G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 95f. 43 Anders E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 29, der 21,32 für "überlieferungsgeschichtlichen Zuwachs" hält. 44 So auch E.OTTO, Rechtsgeschichte der Redaktionen (198?) 145f. 45 Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß ΠΏΝ IN eine Hinzufügung ist, wie I.CARDELLINI, "Sklaven"-Gesetze (1981) 267, dies nahelegt.

Ex 21,28-36

141 ΠΰΚ ττ

νν

Obj.

Präd.

Subj.

Obj.

Die von V.31a abweichende Art der Formulierung macht noch einmal deutlich, daß hier zwei verschiedene Hände geschrieben haben: ...

mτn· n a- _ i K π T- r. ρI ..- ΐ κ . ΠΏΝ TT i s -litín m- i• 12JTDK νν

v.3ia V.32a

Im Unterschied zu den VV.28.29 ist das Subjekt " l i ó in V.32 determiniert. Die Determination ist erforderlich, um das Wort als Subjekt zu kennzeichnen, denn das Objekt "Γ2Ϊ steht undeterminiert an erster Position. Daß es auch in V.32 um ein Stoßen mit Todesfolge geht, wird nicht gesagt, sondern als selbstverständlich von den VV.28.29 her vorausgesetzt. Hier liegt wie auch an anderen Stellen des Bundesbuches und altorientalischer Rechtsbücher verkürzende Redeweise vor, 4 6 wodurch der Rechtssatz besonders eng an die vorangehenden angebunden wird. 4 7 Die Protasis V.32a weist also eine Reihe von Rückbezügen zu den VV.28.29 auf. Die Rechtsfolgebestimmung V.32b besteht aus zwei Elementen. In den VV.28.29 steht die Rechtsfolgebestimmung der Steinigung des Rindes jeweils an erster, in V.32 hingegen an letzter Position: "Ρ 3 1 * 0

τ η : Ο·» 1 ?^ D i ^

η03

V.32ba

»· τ · - l i t f m - t

V.32bß

Das erste Element der Rechtsfolgebestimmung weist die entscheidende Abweichung von den vorangehenden Fällen VV.28.29 auf. Die geschädigte Partei ist hier der Herr des Sklaven bzw. der Sklavin, nicht jedoch die Familie derselben. Die Rechtsfolgebestimmung besteht in der Festsetzung der Schadensersatzleistung für die geschädigte Partei in Form der Zahlung einer Summe von 30 Schekel Silber. Damit unterscheidet sich V.32 deutlich von den vorangehenden Versen. In den VV.28-31 geht es jeweils um die Frage, ob Blutschuld vorliegt oder nicht. In V.32 geht es nicht um die Frage der Blutschuld, sondern um Schadensersatzleistung. Die lS3-Zahlung von V.30 hat nichts mit Schadensersatzleistung zu tun. 4 9 Sie bewegt sich im Horizont 46 Vgl. Ex 21,21.31.36; CE § 24; CH § 252. Siehe S. 67, Anm. 35. 47 Zu dieser Redaktionstechnik vgl. E . O T T O , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 18f. 48 Daraus folgert I . C A R D E L L I N I , "Sklaven"-Gesetze (1981) 265, daß V.32bß sekundär hinzugefügt wurde: "Wenn man dabei bedenkt, daß eine solche Steinigung in den mesopotamischen Gesetzen nicht einmal vorkommt, wird hier klar ersichtlich, daß die Steinigung des Stieres v.32bß einfach der alten Vorschrift hinzugefügt wurde." 49 So auch P.HEINISCH, Exodus (1934) 173. A.VAN S E L M S , Goring Ox (1950) 324. S.M.PAUL, Studies (1970) 82.

142

Kasuistisches Rechtsbuch

der Blutrache und erläßt eine Regelung für den Fall, daß die geschädigte Partei auf die Blutrache verzichtet. In Abgrenzung von diesen Bestimmungen ist nun V.32 zu verstehen. Damit hebt sich Ex 21,32 deutlich von den vorangehenden Schuldsklavengesetzen Ex 21,20f.26f ab. In 21,20f.26f werden die Rechte des Schuldsklaven und der Schuldsklavin gegenüber ihrem Herrn festgesetzt. Sie bewegen sich dort im Horizont der Blutrechtsbestimmungen. In 21,32 dagegen werden die wirtschaftlichen Interessen des Sklavenhalters gegenüber einem Dritten geschützt. Hier und nur hier im Bundesbuch wird der Sklave als Sachwert betrachtet. In 21,20f.26f handelt es sich um Schuldsklaven, in 21,32 dagegen "um echte Sklaven nach mesopotamischer Tradition." 50 Beide werden im Hebräischen mit Î"1?? bezeichnet, im Akkadischen wird der echte Sklave als wardum, die echte Sklavin als amtum, der Schuldsklave aber als nipûtum bezeichnet. 51 Mit der Schadensersatzleistung der Rechtsfolgebestimmung hebt sich V.32 also deutlich von den vorangehenden Versen ab. Zugleich leitet der Vers zu den folgenden VV.33-36 über, denn auch dort geht es nicht um Blutrechtsbestimmungen, sondern um Schadensersatzleistung. Ergebnis: In Ex 21,28-32 liegt folgende literarische Schichtung vor: 21,28.29.32 bilden den Grundbestand. Demgegenüber ist 21,31 eine erste und 21,30 eine zweite Erweiterung.

4.2.2.2.2.

Ex

21,33f

Bei der Frage nach der Gliederung des kasuistischen Teiles des Bundesbuches hatten wir die Schwierigkeiten der Zuordnung von 21,33-36 erörtert. 5 2 Kommt man von 21,28f her, so fällt auf, daß nach 21,33f plötzlich das stoßende Rind wieder auftaucht. 5 3 Die meisten Kommentatoren rechnen den Abschnitt 21,33-36 zum folgenden Teil, 54 E . O T T O sieht zwischen 21,32 und 21,33 die Nahtstelle der beiden ursprünglich selbständigen Sammlungen 21,18-32 und 21,33-22,14, 55 A.JEPSEN hält den gesamten Abschnitt f ü r sekun-

50 51 52 53

I.CARDELLINI. "Sklaven"-Gesetze (1981) 265. Vgl. dazu die Interpretation von 21,20f.26f in Kap. 4.2.1.2, S. 59-79. Siehe Kap. 4.1, S . 4 7 f . Vgl. V . W A G N E R , Systematik (1969) 179: "Man erwartet die Paragraphen 9'[21,33.34] und 10'[21,35.36] eigentlich in der umgekehrten Reihenfolge, da ja doch § 10 [21,35.36] unmittelbar das Thema von § 8'[21,28.29] aufnimmt und modifiziert. Andererseits fügt sich § 9'[21,33f] elegant zwischen § 10'[21,35.36] und § ll'[21,37-22,3] ein: Wie es zu der jetzigen Ordnung gekommen ist, ist nicht deutlich." 54 Siehe Kap. 4.1, S. 4 7 , A n m . 10. 55 Siehe S. 130, Anm. 4.

Ex 21,28-36

143

dar. 5 6 Aufgrund der syndetischen Einleitung von 21,33 und des Rückbezuges von 21,35.36 auf 21,28.29 hatten wir Ex 21,33-36 zum Zweck der Analyse zum vorangehenden Abschnitt 21,28-32 gezogen. Die Schwierigkeiten heben sich auf, wenn man sieht, daß das Gesetz 21,33f zwei mit "'S eingeleitete Tatbestandsdefinitionen enthält. Dies ist f ü r das Bundesbuch singular:

-lia EPH nFI?: - ^! ï a EPS• r νr o i · ^ S· ή» Ì3EO? Λ )

-lian is ni» naeM?sai

21,33ar

21,33b

D&ti? l i a n ·?5>3

21,34aa

" P ^ » ^ a"*ET P|03

21,34aß

Urn^çr nani 21,33aa 21,33aß 21,33aY 21,33b 21,34atz 21,34aß 21,34b

21,33aa 21,33aß "

21,34b

Und wenn ein Mann eine Grube öffnet, oder wenn ein Mann eine Grube gräbt, sie aber nicht abdeckt, und es fällt dort hinein ein Rind oder ein Esel, dann muß der Eigentümer der G r u b e Esatz leisten, Geld muß er seinem Eigentümer erstatten, das tote [Tier] aber gehört ihm.

Aufgrund der Rechtssystematik wäre zwischen Ex 21,32 und 21,33 ein deutlicher Einschnitt, und das heißt: eine asyndetische Einleitung zu erwarten. Spielen wir diesen Gedanken durch, dann wird die Protasis von V.33 wohl ursprünglich gelautet haben: i a er κ rn?:""1? Derjenige, der eine G r u b e anlegt, ist der Eigentümer der Grube und als solcher verantwortlich f ü r den Fall, daß ein Rind oder ein Esel dort hinein- 1 fällt. Mit der Erweiterung "lia EPS ΠΓίξΡ " ?]! wird der Fall ausgeweitet: Auch f ü r den Fall, daß jemand, der nicht ohne weiteres mit dem Eigentümer der Grube identisch ist, eine bereits angelegte Grube öffnet und nicht wieder verschließt, ist der Eigentümer der Grube und nicht derjenige, der sie geöffnet (HFIÇ?) und nicht wieder verschlossen hat (¡1305? N^l), verantwortlich (V.34aa), wenn ein Rind oder ein Esel dort hineinfällt. 5 7 Mög56 Siehe S. 130, Anm. 1. 57 Als literarkritisches Kriterium könnte man noch anführen, daB "Ί121 in V.33aa piene, in V.33aß defektiv geschrieben wird, was auf so engem Raum schon auffallend ist. Andererseits ist " l i a auch in der Rechtsfolgebestimmung V.34aa piene geschrieben, die allerdings zum Grundbestand gerechnet werden muß. Insofern liegt hier kein eindeutiges literarkritisches Kriterium vor.

144

Kasuistisches Rechtsbuch

licherweise wurde mit V.33aa "und wenn jemand eine Grube öffnet" auch V.33aY í 3DD? "und sie nicht wieder verschließt" hinzugefügt. Mit dem "Öffnen" (ΠΠ3) korrespondiert das "Verschließen" (HDD). Bei dieser Hinzufügung ging es offensichtlich um die Ausweitung, oder genauer gesagt: um die Präzisierung der Verantwortlichkeit des Eigentümers einer Grube (Zisterne): Der Eigentümer einer Grube ("lisri also derjenige, der sie hat anlegen lassen ("12 EPS ist auch dann für einen durch die Grube verursachten Schaden verantwortlich, wenn ein möglicherweise dem Eigentümer untergeordneter - Benutzer (Frau, Kinder, Schuldsklave, Lohnarbeiter) der Grube, der sie öffnet (ΠΠξΡ), aber nicht wieder verschließt ( 1 den Schaden verursacht hat. Hier liegt also eine Variation zum Thema "Eltern haften für ihre Kinder" vor. Probleme bereitet auch die Rechtsfolgebestimmung: O ^

-lian

V.34aa

1 •p·?»! TT t ? · n^EP · τ Γ103 ιν ν

i^-ΓΡΓΡ nam ν

i

·

·· -

t

V.34aß

v.34b

Schwierigkeiten bereitet der Rückbezug des Suffixes von T^V^ 1 ? in V.34aß. Inhaltlich kann hiermit nur der Eigentümer des verunglückten Rindes bzw. Esels aus V.33b gemeint sein, unmittelbar voran steht jedoch der Ausdruck "der Eigentümer der Grube". Die Abfolge "Der Eigentümer der Grube soll Ersatz leisten (V.34aa), Geld soll er seinem Eigentümer erstatten (V.34aß)." ist schwierig. Des weiteren fällt auf, daß nur an dieser Stelle des Bundesbuches eine O^EP-Rechtsfolgebestimmung durch eine f|D3-Zahlung festgelegt wird. 58 Beide Beobachtungen weisen darauf hin, daß in V.34aß eine Nachinterpretation vorliegt. Auf das Konto dieser Hand geht auch V.34b. Denn die Abfolge "lian

V.34aa

i'j'-rrm nani

v.34b

ist schwierig, weil in V.34aa im Unterschied zu V.36b kein Objekt bei sich und die adversative Syndese von V.34b ("das tote [Tier] aber") somit keinen Bezugspunkt hat. Man vergleiche dagegen 21,36b: ΊίΒΠ ηπη Ί ΐ ό O^tó? D^tf

V.36ba

i^-mm nani

v.36bß

V.34b dagegen korrespondiert vorzüglich mit V.34aß: 58 Vgl. dagegen E x 21,36.37; 22,3.4.5.6.7.11.13. Vgl. auch G . B E E R , E x o d u s ( 1 9 3 9 ) 113: "Die Zahlung in Geld wird jüngerer Brauch sein".

Ex 21,28-36 1 •Ρ·?»} 1ν ν T T » ·? rPEP · τ C1D3

1^~ΓΡΓΡ nani

145 V.34aß

v.34b

Somit stellt sich die Entstehung des Gesetzes so dar: 5 9 Grundbestand: Erweiterung:

21,33aß[ohne: ÌN]b.34aa 21,33aa[ + iK]T.34aßb Grundbestand—ι Erweiterung—| '

i s 1 Ì 3 eh Κ Π Γ Ι ^ - ^ Ι

V.33aa*

nä Eh Κ ΠΊ5?-* ? 1

ÌSEO? N^l ΊΪΏΠ "I In -lit» ΠΘΕΓ^ΒίΙ ττ - τ « D ^ ? ni an "??a " P T^ Ta 1· ·? l^Eh · τ C1D3 'ν ν

nan)

V.33aß* V.33aY V.33b v.34a« V.34aß

v.34b

Von demjenigen, der Ex 21,33f erweitert hat, stammt auch Ex 21,35f 6 0 So erklärt sich die syndetische Einleitung in 21,33. Mittels der Syndese von 21,33 verbindet der Redaktor die Fälle zum stoßenden Rind in 21,35.36 mit denen von 21,28-32. Mit 21,32 als Fall der Schadensersatzregelung war ohnehin der Rahmen der Todesrechtsfälle von Ex *21,12-32 geöffnet. Das Stichwort aus dem vorangehenden V.32 wird in der Erweiterung von V.34aß aufgegriffen. Ursprünglich bestand der Abschnitt "Schädigung fremden Tierbesitzes" also nur aus dem Grundbestand von 21,33f. Dieser Fall war asyndetisch eingeleitet und so als thematisch eigenständiger Abschnitt vom vorangehenden Abschnitt "Körperverletzung mit und ohne Todesfolge" (*21,12-21,32) und folgenden Abschnitt "Viehdiebstahl" (21,37-22,3) deutlich abgegrenzt. Ein Redaktor baut diesen Abschnitt aus, indem er unter dem vorgegebenen Thema "Schädigung fremden Viehbesitzes" zwei neue Fälle einführt. Bei der Einfügung dieser Fälle (VV.35.36) hat er sich an zwei Fällen des vorangehenden Abschnittes (VV.28.29) und zugleich - wie ich im folgenden Abschnitt zeigen werde - an § 53 Codex Eschnunna orientiert. So baut er das Thema "Schädigung fremden Viehbesitzes" zu einem drei Fälle umfassenden Abschnitt aus, bindet es durch die syndetische Erweiterung in V.33 an den vorangehenden Abschnitt "Körperverletzung mit und ohne Todesfolge" an und schafft gleichzeitig durch Rückbezug von V.36 auf V.29 und von V.35 5 9 Z u r lebensweltlich-historischen V e r o r t u n g dieses G e s e t z e s siehe K a p . 4 . 4 . 7 , , S. 2 7 3 - 2 7 5 . 60 Dies wird im folgenden A b s c h n i t t 4.2.2.2.3, S . 1 4 7 - 1 5 4 begründet.

146

Kasuistisches Rechtsbuch

auf V.28 eine Ausgrenzung der Fälle "Tötung durch ein Rind" (21,28-36) von den Fällen "Tötung bzw. Körperverletzung durch Menschen" (*21,12-21,27). Man könnte nun vermuten, daß von diesem Redaktor auch die Einfügung der Gesetze zum Schutz von Schuldsklave und Schuldsklavin und der Talionsformel in 21,2Qf.22aßbß.23f.26f stammt. In beiden Fällen würde er das Gliederungsprinzip redaktioneller Doppelrahmung anwenden und auf diese Weise die Fälle der durch Menschen verursachten Körperverletzung mit und ohne Todesfolge von den durch ein Tier verursachten Tötungsfällen abgrenzen. Doch aus inhaltlichen und formalen Gründen rechne ich die Verse Ex 21,20f ,22aßbß.23f.26f auf das Konto eines späteren Redaktors. 6 1 Von diesem Redaktor stammt allerdings auch 21,30. Den von seinem Vorgänger initiierten Prozeß der Abgrenzung der Tötung eines Menschen durch ein stoßendes Rind von der Tötung eines Menschen durch einen Menschen führt dieser Redaktor durch Einfügung von 21,20f.26f fort. Gleichzeitig war er darum bemüht, ein Rechtsprinzip ins Zentrum des jeweiligen Abschnittes zu stellen. In 21,12.18-27 ist es die Talionsformel. Sie fordert die Angemessenheit einer Ausgleichszahlung im Falle fahrlässig verursachter Körperverletzung mit und ohne Todesfolge und grenzt sich dadurch von der Blutrache im Falle vorsätzlicher Tötung ab. In 21,28-32 hat dieser Redaktor die "133-Bestimmung 21,30 ins Zentrum gerückt. Auch sie grenzt sich von der Blutrechtsbestimmung dahingehend ab, daß sie im Falle der indirekten, durch Vernachlässigung der Aufsichtspflicht verursachten Tötung eine Regelung für eine zur Blutrache als Alternative vorausgesetzten Rechtspraxis erläßt. Schematisch läßt sich dies so darstellen:

61 Zur Begründung siehe Kap. 4.3, S. 234-238.

Ex 21,28-36

147

I—Grundbestand (21,12.18f.22aab im Ν if'al, V.29 setzt "Tin Π. Für die Ableitung von "75? 1Π bieten sich zwei Möglichkeiten an: 1. Hof'al von "TJ>\73 2. Η of'al von TT». 74 H.CAZELLES versucht, beide Möglichkeiten zu berücksichtigen: "Si on adopte pour racine yâ'ad ... l'attention est attirée sur le fait que le maître a déjà été lié par un acte juridique qui l'oblige à garder l'animal ou à le détruire. Évidemment cet acte juridique comportait un témoignage. C'est sur le fait du témoignage que porte la racine 'ûd usitée presque exclusivement au hiphil où elle signifie une protestation solennelle, un témoignage solennel (cf. 'ôd, »témoin«). La dénociation n'est donc pas faite privément au maître (il y aurait la préposition lamed), mais avec une certaine solennité (le b est sans doute à traduire »auprès de«, de simple proximité, Joüon, § 133c). Dans le code d'Hammourapi... la dénonciation est faite par le babta (B, 251), les anciens ou notables qui se tiennent à la porte de la ville." 75

72 Siehe S. 67, Anm. 35. 73 Als Hauptbedeutung von TV"1 gibt HAL II, 400 an: Qal: bestimmen; Nif: 1. sich einfinden; 2. sich versammeln gegen; 3. sich verabreden; 4. sich offenbaren; H i f : 1. bestellen; 2. vorhaben; Hof: Pt. beordert. 74 Als Hauptbedeutungen von T I S (II) gibt HAL III, 751f an: H i f : 1. a) als Zeugen anrufen; b) als Zeugen bestellen; 2. bezeugen, Zeuge sein; 3. a) ermahnen; b) ( v e r warnen; c) einschärfen; Hof: gewarnt werden. 75 H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 58.

154

Kasuistisches Rechtsbuch

Die Wörterbücher entscheiden sich für eine Ableitung von TIS, 76 und das dürfte meines Erachtens auch richtig sein. Zwar scheint das H if'il von "TiP "nicht ganz ohne Berührung mit der Wurzel 'ud 'bezeugen' ... geblieben zu sein", denn "es wird ausschließlich dazu benutzt, die Festsetzung und Bestimmung eines Gerichtstermins und den Akt des Vorladens dazu zu bezeichnen", 77 aber im Hof'al kommt es nur zweimal als Partizip vor in der Bedeutung "bestellt, beordert". 78 Diese Bedeutung aber paßt nicht in V.29. Demnach ist eine ausschließliche Ableitung von "Π5> in V.29 ausreichend. Eine weitere kleine Beobachtung sei an dieser Stelle auch noch genannt: ^iOFlü wird in V.29 defektiv, in V.36 piene geschrieben.

4.2.2.2.4.

Vorläufiges

Ergebnis

der literarkritischen

Analyse

Aufgrund der internen literarkritischen Analyse des Textes läßt sich folgendes festhalten: Zum Grundbestand des Textes 21,28-36 gehören 21,28.29.32.33aß[ohne: 1 N]b.34aa:

76 GB 569. HAL III, 752. Vgl. auch M.GÖRG, Art. "ISP, in: ThWAT III, 705. F.-L. HOSSFELD, Gottes Volk (1987) 139f. T.VEIJOLA, Königtum (1977) 63f. 77 G.SAUER, Art. TS? in: THAT 1,743. 78 Ebd.

Ex 21,28-36

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v.29aß V.29ba

v.29bß V.32a V.32ba

~IÍE?n)l V.32bß nä ETS ΠΊ?^-·1? V.33a* "lion is -li» na®-1??:! V.33b D¿>EP lian "?»a v.34aa

Demgegenüber stellt V.31 eine erste, V.30 eine zweite Erweiterung dar. Die Erweiterung innerhalb von V.33f hängt sicherlich mit der Hinzufügung von V.35 zusammen. So erklärt sich die Syndese von V.33aa. Mit V.35 wird das Thema des stoßenden Rindes aus V.28 aus dem Abschnitt "Verletzung der körperlichen Integrität" in den Abschnitt "Schädigung fremden Viehbestandes" geholt und durchgespielt. Das gleiche Phänomen liegt in V.36 vor: dieser Vers spielt den Fall des stößigen Rindes aus V.29 im Abschnitt 21,33-36 "Schädigung fremden Viehbestandes" durch. Zwar weisen die beiden Verse 35 und 36 nach klassisch-literarkritischem Kriterium eine semantische Kohärenzstörung auf (V.35: Π13; V.36: dennoch rechne ich beide Verse e i n e r Erweiterungsschicht zu. Den Wechsel von zu Π13 erkläre ich mit zwei verschiedenen "literarischen Vorlagen". 79 In beiden VV.35.36 handelt es sich offensichtlich um eine Art literarischen Nachtrag. Besonders deutlich wird dies bei V.36, der verschiedene Elemente des vorgegebenen Textes miteinander kombiniert: 1. Die Einleitung mit ÌS stammt aus V.31. 2. Die Formulierung der Tatbestandsdefinition ist - bei aller bereits aufgezeigten Unterschiedlichkeit - an V.29 angelehnt. 3. Die Formulierung ΠΒΓΠ (V.36bß) stimmt wörtlich mit V.34b überein. 79 Zur Begründung siehe den folgenden Abschnitt 4.2.2.3, S. 156-162.

156

Kasuistisches Rechtsbuch

Aufgrund dieser Beobachtungen halte ich es für unwahrscheinlich, daß V.36 aus der Rechtspraxis stammt. Die Art der Formulierung und Einbindung in den Kontext läßt vielmehr das Bemühen eines Redaktors erkennen, einen vorgegebenen Gesetzestext zu komplettieren. Dieses Phänomen ist auch in anderen Rechtssammlungen zu beobachten. 80 Gehören nun die VV.35.36 zur ersten oder zweiten Erweiterungsschicht? Ich sehe im vorliegenden Text keine Indizien, anhand derer man diese Frage einigermaßen sicher entscheiden könnte. Am ehesten kommt noch die erste Erweiterung in Frage, denn V.31 (1.Erweiterung) und V.36 werden beide mit IN eingeleitet, und auch in V.33aß stammt i S von der erweiternden Hand. So rechne ich in Ex 21,28-36 mit einem zweiphasigen Wachstumsprozeß, wobei die VV.31.33aaT.34aßb.35f eine erste, und V.30 eine zweite Erweiterung darstellen. Die Beobachtung, daß sich 21,35.36 an 21,28.29 orientieren, spricht unter redaktionsgeschichtlichem Gesichtspunkt für das von D.DAUBE vertretene Modell der Hinzufügung von Ex21,35f an einen vorgegebenen Grundbestand 8 1 und gegen das von E.OTTO vertretene Modell einer Zusammenstellung zweier ursprünglich selbständiger Sammlungen (21,18-32 + 21,33-22,14). 82

4.2.2.3.

Vergleich zwischen Ex 21,28-36, CE §§ 53-55 und CH §§ 250-252 unter Berücksichtigung der literarkritischen Analyse von Ex 21,28-36

Der folgende Vergleich ist geleitet von dem Interesse, die Entstehung des hebräischen Textes Ex 21,28-36 zu verstehen. Ausgangspunkt sind die literarkritischen Beobachtungen. Diese Beobachtungen und ihre vorläufige Auswertung solllen nun in Beziehung gesetzt werden zu CE §§ 53-55 und CH §§250-252. Es geht also im folgenden nicht um einen Vergleich, der alle Aspekte berücksichtigt und die einzelnen Gesetze im Kontext ihrer jeweiligen Rechtssammlungen adaequat auslegt, sondern nur um einen Vergleich aus der Perspektive von Ex 21,28-36 mit literarhistorischem Interesse. Zur Verdeutlichung stelle ich in zwei Tabellen die Parallelen zu Ex 21,2836 aus CH und CE gegenüber:

80 So auch D.DAUBE, Codes and Codas (1941) 74. Zum Codex Hammurapi vgl. F.R.KRAUS, Was ist der Codex ffammu-rabi? (1960). 81 D.DAUBE, Codes and Codas (1941) 85. 82 E.OTTO, Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 151f.

Ex 21,28-36 CH §§83 250 Rind tötet amlum 251 Stößiges Rind tötet awtlum

252 Rind tötet wardum

157 Ex 21,

28 Rind tötet Mann/Frau 29 Stößiges Rind tötet Mann/Frau 30 133-Zahlung 31 Rind tötet Sohn oder Tochter 32 Rind tötet 13» oder Π0Κ 33f Esel/Rind fällt in Grube 35 Rind tötet Rind 36 Stößiges Rind tötet Rind

CE §§M

Ex 21, 28 Rind tötet Mann/Frau

>Ç ist inneres Objekt zu "l»?an. Vgl.GK§il7q* 66 Hier ist "IiΒ?Π logisches Objekt. 67 B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 197. 68 So auch B.S.JACKSON, Theft (1972) 51: "The phrase shaleim yeshaleim (Ex.22.2) refers back to the penalties already mentioned." Vgl. ebd. 155. Das gleiche vermutet F.C.FENSHAM, Exodus ( 2 1977) 161.

Ex 21,37-22,3

179

Einfügung durchbrochenen Zusammenhang von 21,37 und 22,2όβγ.3 wiederherstellen. Er würde also sozusagen in den vorgegebenen Text zurücklenken. In diesem Falle würde V.2bßY i n i m "13Î?31 Ì1? Γ Ϊ Γ 0 8 zum Grundbestand gehören, eine Annahme, die sich vor allem aus den oben genannten sozialgeschichtlichen Überlegungen nahelegt, weil sie damit rechnet, daß im Normalfall der Dieb die geforderte mehrfache Ersatzleistung nicht aufbringen kann. (2) 22,2ba stammt von dem Redaktor, der 22,2bßY eingefügt hat, nachdem 22,1.2a bereits von einem anderen Redaktor eingefügt war. Mit der Hinzufügung von 22,2ba hätte er sozusagen den f ü r seine Ergänzung notwendigen Anschluß an 21,37 geschaffen. (3) 22,1.2 stammt insgesamt von einem Redaktor. Diese dritte Möglichkeit halte ich f ü r die wahrscheinlichste. - Warum? - Ein Redaktor fügt 22,1.2a ein. Beide Verse gehören eindeutig nach dem Anordnungsprinzip eines Doppelgesetzes von "Fall" (D*1)?^ ΐ1? Γ*?) und "Gegenfall" ( i"? 0"Ί?η) zusammen. Mit V.2a ist gesagt: Wenn ein Bestohlener einen Dieb bei Tag erschlägt, lädt er Blutschuld auf sich. Damit ist aber nicht gesagt, daß die Strafe von 21,37 f ü r den Dieb aufgehoben ist, sondern: Ersatz leisten muß er sehr wohl! Subjekt von ist der Dieb, nicht der Besitzer, der den Dieb getötet hat. 6 9 Im Zusammenhang mit dem vorangehenden V.2a hat V.2ba die Funktion, deutlich zu machen, daß die Schutzbestimmung f ü r den Dieb von V.2a seine in 21,37 festgesetzte mehrfache Schadensersatzleistung nicht aufhebt. V.2a schränkt die Rechte des Eigentümers gegenüber dem Dieb ein: Der Eigentümer hat nicht das Recht, den Dieb bei Tage zu töten. V.2ba hingegen ruft die Rechte des Eigentümers gegenüber dem Dieb in Erinnerung: Wenn der Eigentümer den Dieb bei Tage nicht erschlagen darf, so hat er dennoch Anspruch auf (mehrfache) Wiedergutmachung des Schadens. Aufgrund des Bezuges von 22,2ba zu 22,2a halte ich es nun f ü r sehr wahrscheinlich, daß 22,2ba von dem Redaktor stammt, der auch 22,1.2a eingefügt hat. Hier zeigt sich die Tendenz, die Rechte beider Parteien zu schützen und voneinander abzugrenzen. An 22,2ba schließt sich 22,2bßY hervorragend an: Falls der Dieb, der nach 22,2ba Ersatz leisten muß, nichts hat, soll er f ü r sein Gestohlenes übergeben werden. Wie 22,2ba, so formuliert auch 22,2bßY die Rechte des Besitzers gegenüber dem Dieb. Letzteres kann noch verdeutlicht werden, wenn wir nach der konkreten Bedeutung von Ex 22,2bßY fragen: Die Tatbestandsdefinition ] ist klar: Es geht um den insolventen Dieb. Die Rechtsfolgebestimmung gibt das Verfahren an: "131?? }· Theoretisch gibt es zwei Interpretationsmög69 Die These, Subjekt von 22,2ba sei der Besitzer, der den Dieb bei Tage getötet und nun für die unrechtmäßige Tötung Kompensation zu zahlen habe, hat B.S.JACKSON, Theft (1972) 155, mit guten Gründen widerlegt.

180

Kasuistisches Rechtsbuch

lichkeiten: 7 0 Als erstes könnte man meinen, daß der Dieb an einen Dritten wegen seines Diebstahls verkauft wird. Diese Interpretation bringt allerdings die Schwierigkeit mit sich, daß für das Wort Π133; von V.2 zu V.3 ein Bedeutungswechsel angenommen werden muß: In V.2 würde es bedeuten "Diebstahl", in V.3 "Gestohlenes". 7 1 Nun ist ein solcher Bedeutungswechsel bei literarkritisch voneinander zu trennenden Versen kein Problem. Nach B.S.JACKSON wird der insolvente Dieb für sein Diebesgut übergeben. 7 2 Damit gerät er faktisch in die Institution der Schuldknechtschaft. 7 3 Der Dieb wird also nach B.S.JACKSON nicht einem Dritten übergeben, sondern dem, den er bestohlen hat. 7 4 Damit würde der enge Bezug von 22,2ba zu 22,2bß noch deutlicher: In beiden Fällen ginge es um die Rechte des Eigentümers gegenüber dem Dieb: Der Dieb muß [dem Eigentümer] Ersatz leisten, und wenn er das nicht kann, wird er ihm [dem Eigentümer] in Schuldknechtschaft übergeben. Doch das " Φ ί ? } steht ohne Suffix und von daher sollte man beide Möglichkeiten offen lassen: Der insolvente Dieb wird entweder dem Eigentümer oder einem Dritten in Schuldknechtschaft übergeben. Im letzteren Falle wird die Schadensersatzleistung über den Dritten, bei dem der Dieb seinen Dienst ableistet, abgewickelt werden. Aufgrund dieser Interpretation fällt nun aber auch ein neues Licht auf Ex 22,2a. Wenn man bedenkt, daß nach § 8 CH ein insolventer Dieb getötet werden soll, dann kann man Ex 22,2a auch von Ex 22,2b her lesen, und dann will dies besagen: Ein Dieb darf, wenn nicht ein Fall von Notwehr vorliegt (Ex 22,1), niemals getötet werden (Ex 22,2a), auch dann nicht, wenn er die geforderte Wiedergutmachung (Ex 21,37;22,3) nicht aufbringen kann. Im Falle seiner Insolvenz (Ex 22,2bß) geschieht die Wiedergutmachung (Ex

70 Zum folgenden vgl. B.S.JACKSON, Theft (1972) 139-141. 71 Diese beiden Stellen sind die einzigen Belege für i"Q 3 3l im AT. 72 So auch F.C.KEIL, Exodus ( 3 1 8 7 8 ) 528. A.D1LLMANN/V.RYSSEL, Exodus ( 3 1 8 9 7 ) 261. S.R.DRIVER, Exodus ( 2 1 9 1 8 ) 224: "not »as a punishment for his act of steeling«, but »as compensation for the thing stolen«. E.LIPINSKI, Art. Ί 3 0 , in: ThWAT IV, 872. H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 64. Im Unterschied zu B.S.JACKSON kann R.WESTBROOK, Biblical and Cuneiform Law (1988) 126, Π3331 in 22,2b nicht als Diebesgut verstehen, da nach seiner Konzeption in 22,2 der Fall des versuchten Einbruchs vorliegt, bei dem der Einbrecher noch nichts gestohlen hat. U.a. mit Hinweis auf Akk. Surqu, das sowohl "Diebstahl" als auch "Diebesgut" bedeuten kann, weist er die These B.S.JACKSONs zurück. 73 B.S.JACKSON, Theft (1972) 141, nennt folgende Argumente für diese Interpretation: I. Die Präposition in Verbindung mit "DO bedeutet nicht "wegen", sondern "im Austausch für". Deshalb meint Π3 331 in 22,2b nicht "Diebstahl", sondern "Diebesgut". 2. In Gen 44,10 geht es in einem ähnlichen Fall nicht um Verkauf des Diebes an einen Dritten, sondern um Knechtschaft ("IIIS) des Diebes bei dem bestohlenen Eigentümer. 3. Auch im Hethitischen Recht gibt es die Institution der Noxalhaftung. 74 Anders II.HOLZINGER, Exodus (1900) 88: "dass er Sklave des Bestohlenen selbst wird, schliesst der Wortlaut aus".

Ex 21,37-22,3

181

22,2ba) durch Ableistung im Rahmen der Schuldknechtschaft bei der geschädigten oder einer dritten Partei (Ex 22,2bv). 7 5 Diese Interpretation bestätigt noch einmal die enge Zusammengehörigkeit von V.2a, V.2b« und V.2bßY. 76 Das auf den ersten Blick so sperrige OVlZP D^Ç erweist sich nun als die entscheidende Klammer zwischen V.2a und V.2bßY: Die geschädigte Partei darf sich am Dieb niemals durch Tötung schadlos halten, sondern bei Diebstahl geht es immer nur um Ersatzleistung: D^Ç. Dies gilt auch dann, wenn der Dieb die Ersatzleistung nicht aufbringen kann, denn dann hat er sie durch Eintritt in die Schuldknechtschaft abzutragen. Wie bei den Gesetzen zum Schutz von Schuldsklave und Schuldsklavin und Herr in Ex 21,20f.26f, so zeigt sich auch in Ex 22,lf eine besondere Sensibilität in dem Bereich, wo es um das Leben der am Konflikt beteiligten Parteien geht. "The law seeks to guard the lives of both parties involved. The householder is exonerated if he kills the intruder at night in the defense of his home. Conversely, the life of the thief is also protected by the law. If he is killed in plain daylight, then the slayer is held responsible for the homicide and is vulnerable to blood vengeance ... . To my knowledge no other law code seems to have a similar concern for the life of the thief!" 77 Nach der bisherigen Analyse stellt sich die Entstehung von Ex 21,37-22,3 folgendermaßen dar:

75 U.CASSUTO, Exodus (1967) 281f. versteht Ex 21.37-22,3 als bewußte Opposition zu CH, "according to which a thief was sentenced to death if he had not the means to pay (...§ 8), or if he stole by breaking in (... § 21). In accordance with the principle of the sanctity of human life, the Torah had compassion on the thief's life. It annulled the penalty of death in the case of the thief who was unable to pay, and substituted f o r it the penalty of being sold into slavery. It also protected the thief found breaking in, and limited this protection only out of its even more justified concern f o r the life of the owner." Vgl. auch S.M.PAUL, Studies (1970) 86: "... the verse [22,2b] should be understood in the light of LH 8, which exacts capital punishment f o r a thief who is unable to make sufficient restitution. Whereas Mesopotamian corpora frequently demand the death penalty for offenses against property ... in the biblical corpora no offense against property is punishable by death. Life and property remain incommensurable. This, in turn, reflects »a basic difference in judgments of value, rather than stages in a single line of evolution« [ M . G R E E N B E R G , Biblical Criminal Law (1960) 17]." E . O T T O , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 157f, hat diese besondere Sensibilität in Todesrechtsfällen, die sich im Bundesbuch zeigt, sogar in der redaktionellen Anordnung der einzelnen Fälle erkannt. 76 Aus diesem Grunde rechne ich 22,2bßY nicht zum vorgegebenen Grundbestand wie K.BUDDE, B.BAENTSCH, H . H O L Z I N G E R , R.E.CLEMENTS und F.MICHAELI (siehe S. 163, Anm. 4). 77 B.S.CHILDS. Exodus (1974) 474.

182

Kasuistisches Rechtsbuch Grundbestand Erweiterung 1 ntí"ÍK -lìtí

tí^-nn:

1

·>•) 21,37aa

i "Dip i Κ irn¡p:i 21,37aß Titín ΠΠΓΙ Ώ)?ϋ·; -|¡pi ntían 21,37ba ntín nnn f a j r y a ^ i n 2i,37bß r a·· íτ Π3Π1 l í a n Nsa * m a n a a a s 22,1a τ ·•· J * - ·· τ · ν ν : - · > D^Ö^f i1? Γ Ν T^v tíotín nnir-QN TT ν ν τ : τ ·

22,1b 22,2a« '

i·? D·»??^ D^tí? D^tí i1? i n n 3 j a -139:1 j D ^«n- n fν e n »- - î i n· : m »- -litío· naaan i v τaΤ N^an « s·· aτ r· r o s· τ··»·· τ · D^tí?

22,2aß 22,2ba 22,2bß 22,2bY 22,3a ' 22,3b

Dieser Text zeigt noch einmal, was wir jetzt schon an mehreren Stellen beobachten konnten: Auf sehr begrenztem Raum und in äußerst knapp gehaltener Formulierung legen sich die einzelnen Bestimmungen gegenseitig aus. Hier haben keine literarischen Dilettanten den Text verunstaltet, sondern geschulte Juristen in größter Präzision und mit einem äußerst knapp gehaltenen Aufwand an Worten ein in sich konsistentes Gesetz in einen vorgegebenen Gesetzestext auf sehr geschickte Weise eingearbeitet. Auch dies spricht dafür, Ex 22,1.2 auf das Konto eines Redaktors, und zwar eines juristisch geschulten Redaktors zu setzen.

4.2.3.3.

Das Verhältnis von Ex 21,37;22,3 der Literarkritik

zu Ex 22, l f : Zur

Frage

Bei der hier vorgestellten Interpretation habe ich faktisch ein literarkritisch orientiertes Textentstehungsmodell vorausgesetzt. In diesem Abschnitt möchte ich in kurzer Auseinandersetzung mit R.westbrook dieses Modell argumentativ absichern, zugleich aber auch relativieren, indem ich ein zweites Textentstehungsmodell als Alternative diskutiere.

Ex 21,37-22,3

183

R.WESTBROOK hat in einer beeindruckenden Argumentation für eine ursprüngliche Kohärenz von Ex 21,37-22,3 plädiert. 7 8 Seine Interpretation vermag die unterschiedliche Höhe der Schadensersatzleistung zwischen 21,37 und 22,3 zu erklären, sie kann die Nennung des E s e l s in 2 2 , 3 verständlich machen, sie steht - offensichtlich - in der Tradition altorientalischer Rechtskultur und kann so den Text 21,37-22,3 ohne literarkritische Eingriffe plausibel erklären. Gegenüber einer überlieferungsgeschichtlich und rechtshistorisch orientierten Interpretation, die bei dem kleinen Text E x 21,37-22,3 mit einer zum Teil kompliziert verlaufenden Entstehungsgeschichte rechnet, wobei die rechtshistorische Entwicklung nicht ohne weiteres mit der literarhistorischen Entstehungsgeschichte parallel läuft, ist der Interpretation R.WESTBROOKs eindeutig der Vorzug zu geben. Sie rechnet mit einem kohärenten System und kann die Unterschiede sachlich erklären. Dennoch möchte ich aus vier Gründen seiner Interpretation von Ex 21,37-22,3 nicht folgen: 1. Nach Ex 21,37 ist ein D i e b auch dann zur Schadensersatzleistung verpflichtet, wenn er das Diebesgut bereits verkauft hat. D i e Verantwortlichkeit läuft hier eindeutig nicht über den unschuldigen K ä u f e r des Diebesgutes, sondern über den Dieb. Wenn es - wie R.WESTBROOK und C.WILCKE a n n e h m e n 7 9 - in C H , M A G und H G so etwas wie eine strikte Verantwortlichkeit des unschuldigen Käufers eines Diebesgutes gibt, dann scheint sich Ex 21,37 gegen dieses Prinzip auszusprechen: D e r K c r k ä u f c r ( ~ D 0 ) [ = Dieb] muß die mehrfache Schadensersatzleistung aufbringen, nicht der K ä u f e r . 2. Ex 22,1.2 kann man nicht so ohne weiteres auf eine E b e n e mit 21,37 und 22,3 bringen, wie R.WESTBROOK dies tut. Hier geht es nicht um die Frage der Strafe eines auf frischer Tat ertappten E i n b r e c h e r s , wie R.WESTBROOK a n n i m m t . 8 0 Hier geht es vielmehr um die Frage, ob und unter welchen U m ständen ein D i e b getötet werden darf. Unter dieser Fragestellung lautet die Antwort von 22,1.2: Ein D i e b darf grundsätzlich nicht getötet werden. Ex 22,1 ist nicht so zu verstehen, daß ein bei Nacht in flagranti delicto ertappter D i e b getötet werden darf. 8 1 Die Rechtsfolgebestimmung lautet nicht ΓΐΟί"1 ( P Í O ) , DJ?!? oder ähnlich. Dadurch grenzt sich E x 2 2 , 1 . 2 deutlich von Ex 21,16 ab. Todesstrafe bei Diebstahl gibt es nur bei Men78 R . W E S T B R O O K , B i b l i c a ! and C u n e i f o r m Law ( 1 9 8 8 ) 120: "all t h r e e o f f e n c e s form a c o h e r e n t whole, which follows a logical order." 79 R . W E S T B R O O K / C . W I L C K E , Liability ( 1 9 7 4 - 1 9 7 7 ) 111-121. 80 R . W E S T B R O O K , B i b l i c a l and Cuneiform Law ( 1 9 8 8 ) 128: "the a t t e m p t e d burglar, f o r whom the penalty is an unlimited ransom in lieu of slavery". 81 G e g e n G . B E E R , E x o d u s ( 1 9 3 9 ) 113: " D e r auf f r i s c h e r T a t e r t a p p t e D i e b darf s o f o r t straflos g e t ö t e t werden." Richtig dagegen K . B U D D E , Bundesbuch ( 1 8 9 1 ) 105: "... denn wenn der D i e b erschlagen wird, so wird er's in der A b w e h r des D i e b s t a h l s - in zu stürmischer A b w e h r , wo man den E r k a n n t e n zur R e c h e n s c h a f t ziehen könnte - a b e r nicht zur S t r a f e " .

184

Kasuistisches Rechtsbuch

scAe«diebstahl. Ex22,1 besagt vielmehr, daß ein Eigentümer, der einen nächtlichen Einbrecher abwehrt, nicht der Blutrache verfällt, wenn der Einbrecher infolge der legitimen Abwehrhandlungen des Eigentümers, die hier wohl als eine Art Notwehr zu verstehen sind, stirbt. Der Akzent von 22,1.2a liegt also auf der Frage: O ' W oder O ' W Ì1? f "'S und nicht - wie R.WESTBROOK annimmt - auf dem Ausdruck Ον'ΕΓ D^Ç. Die Wendung • Dj?!?? von 21,2ba muß vielmehr in Korrelation zu 21,2a verstanden werden. In 21,2a geht es nicht um den bei Tag in flagranti delicto ertappten Dieb, sondern um den Dieb, der bei Tage angetroffen und vom Eigentümer des Diebstahls bezichtigt oder gar überführt wird. Dieser Dieb darf nicht getötet werden, da kein Fall von Notwehr vorliegt. Hier gilt vielmehr: D;?IZh D^Ç. 3. Die Rechtsfolgebestimmung 22,2ba D¿>EP Dj?Ç gilt nicht f ü r den versuchten Einbruch - wie R.WESTBROOK annimmt 8 2 -, sondern setzt den vollendeten Diebstahl nach 21,37 voraus. Dies geht insbesondere auch aus 21,2bY hervor: "dann soll er f ü r sein Diebesgut übergeben werden". 4. Schwierigkeiten bereitet nach wie vor der von R.WESTBROOK angenommene implizite Subjektwechsel in 21,3. Dies gilt in besonderer Weise dann, wenn man das in 22,1b und 21,2a mit J.SCHONEVELD83 nicht auf den Eigentümer, sondern auf den Dieb bezieht. Dann wäre nämlich in 21,37-22,2 nur vom Dieb die Rede: "er stiehlt, er schlachtet, er verkauft, er muß ersetzen, er wird geschlagen, er stirbt, ihm kommt Blut zu, er muß ersetzen, er wird geschlagen, er stirbt, er wird f ü r sein Diebesgut verkauft". Sollte sich in dieser Kette von durchgehend identischem Subjekt der Satz "wenn das Gestohlene in seiner Verfügungsgewalt angetroffen wird..."(22,3) plötzlich nicht mehr auf den Dieb, sondern auf einen bisher nicht genannten Dritten, nämlich den Käufer des Diebesgutes beziehen? Dies scheint mir nun doch äußerst unwahrscheinlich zu sein. In § 70 HG liegt zwar auch impliziter Subjektwechsel vor, doch ist dort von der Sachlage her klar, wer gemeint ist. Das aber wäre in Ex 22,3 nicht der Fall, wenn Subjektwechsel vorläge. Deshalb empfiehlt sich die Interpretation von R.WESTBROOK nicht. Gegenüber einem überlieferungsgeschichtlich und rechtshistorisch argumentierenden Textentstehungsmodell und gegenüber der in starker Orientierung an CH, MAG und HG gewonnenen "Kohärenzinterpretation" von R. WESTBROOK möchte ich nun ein Textentstehungsmodell vorstellen, das aus der bisher erarbeiteten Interpretation erwächst. Ich sehe zwei Möglichkeiten, die Entstehung des Textes Ex 21,37-22,3 zu verstehen. Erste Möglichkeit: Ex 21,37 und Ex 22,3 gehören ursprünglich zusammen 8 4 und bilden den Grundbestand des Textabschnittes Ex 21,37-22,3. 82 R.WESTBROOK, Biblical and Cuneiform Law (1988) 125. 83 Siehe in dieser Arbeit S. 175f, Anm. 50-52. 84 So auch M.NOTH, Exodus (1958) 148. G .TE STROETE, Exodus (1966) 172. Vgl. U.CASSUTO, Exodus (1967) 282f.

Ex 21,37-22,3

185

Erste Möglichkeit: Ex 21,37 und Ex 22,3 gehören ursprünglich zusammen 8 4 und bilden den Grundbestand des Textabschnittes Ex 21,37-22,3. Dieser ursprüngliche Zusammenhang wurde durch Einfügung von Ex 22,1.2 durchbrochen. Die Einfügung geht auf das Konto eines Redaktors. Er wendet hier dieselbe Technik an wie in Ex 22,11.12. Auch dort hat er einen ursprünglichen Zusammenhang von Fall (Ex 22,9*. 10*) und Gegenfall (Ex 22,13*) durch Einfügung von zwei Unterfällen (22,11.12) aufgelöst. 21,37 und 22,3 stehen zueinander im Verhältnis von Fall und Gegenfall. 8 6 Dem "Schlachten oder Verkaufen" in 21,37 steht das "lebendig antreffen in seiner Gewalt" von 22,3 gegenüber. Die unterschiedliche Rechtsfolgebestimmung beider Fälle bedarf keiner überlieferungsgeschichllichen oder rechtshistorischen Interpretation. Sie läßt sich allein - wie oben gezeigt - von der unterschiedlichen Tatbestandsdefinition her begreifen. Geht es in 21,37; 22,3 um Schadensersatzleistung bei Diebstahl, so geht es in 22,lf um die Frage der Blutschuld beim Erschlagen eines in flagranti delicto ertappten Diebes. Der Wechsel des Themas, die enge Zusammengehörigkeit von 21,37 und 22,3 und die Tatsache, daß 22,2ba und 22,2bT den Diebstahl von 21,37 voraussetzen, sprechen meines Erachtens dafür, daß Ex22,lf gegenüber 21,37; 22,3 eine sekundäre Erweiterung darstellt. Nun vertritt allerdings B.S.JACKSON im Anschluß an D.DAUBE die These, daß 21,37 und 22,1.2 von Anfang an zusammengehörten, daß also 22,1.2 das Thema von 21,37 nicht unterbricht, sondern logisch weiterführt. Er bringt hierzu vier Beobachtungen: 8 7 1. Das Wort 231 in 22,1 ist determiniert. Die Determination hat hier eindeutig rückweisende Funktion. Daraus folgt, daß der Dieb von 22,1 derselbe ist wie der von 21,37, nämlich der Viehdieb. 2. Das gleiche gilt f ü r ΓΠΓΙΠφίΙ. Auch hier liegt Determination in rückweisender Funktion vor. Gemeint ist der Einbruch von 21,37. Es ist also nicht zu übersetzen: "Falls ein Dieb bei einem Einbruch ...", sondern: "Falls bei diesem Einbruch der Dieb ...". 3.1m Unterschied zu Ex 22,6 ist in 22,1 weder ein Haus erwähnt, aus dem heraus gestohlen wird, noch wird das Verbum ~inn, das den Einbruch in ein Haus bezeichnet, verwendet. 8 8 Beides zeigt, daß es hier nicht um einen Einbruch in ein Haus, sondern um einen Einbruch in eine Schafhürde geht. 4. Der Gebrauch der untergeordneten Einleitungspartikel OK zeigt an, daß hier kein eigenständiger neuer Fall ein-

84 So auch M.NOTH, Exodus (1958) 148. G.TE S T R O E T E , Exodus (1966) 172. Vgl. U.CASSUTO, Exodus (1967) 282f. 85 B.S.CHILDS, Exodus (1974) 474: "... clearly a literary interpolation ... but it appears to be a very early one". 86 Vel. bereits K.BUDDE, Bundesbuch (1891) 105. Λ.DILLMANN/V. RYSSEL, Exodus ( 3 1897)260. 87 B.S.JACKSON, Theft (1972) 49f. 88 Ez 8,8; 12,5.7.12; Ijob 24,16. Vgl. auch Am 9.2; Jona 1,13.

186

Kasuistisches Rechtsbuch

von 21,37 vor Augen hat. Daran kann kein Zweifel sein. Aber daraus folgt nun keineswegs, daß 22,1 keine Erweiterung sein könnte, wie B.S.JACKSON behauptet. 9 0 Ebenso gut könnte aus seinen Beobachtungen gefolgert werden, daß hier ein Redaktor seine Ergänzung sehr gezielt in den Text eingearbeitet hat. Er arbeitet sein Gesetz auf sehr geschickte Weise in ein vorgegebenes Gesetz ein, das seinem Thema den geeigneten Rahmen bot. 9 1 Das verbindende Stichwort lautet Hier liegt also das auch in anderen altorientalischen Rechtssammlungen zu beobachtende Phänomen der Attraktion vor: Zwei thematisch oder durch gemeinsame Stichworte miteinander verbundene Gesetze werden dort abgehandelt, w o das Thema oder Stichwort zum erstenmal fällt. Nun gehört das Prinzip der Attraktion offenbar zum Systemdenken altorientalischer Juristen. 92 Daraus folgt allerdings, daß das Phänomen der Attraktion von sich aus kein literarkritisches Kriterium sein kann. Eine Attraktion ist von sich aus weder eindeutiger Hinweis auf Textkohärenz noch auf Kohärenzstörung. Damit bietet sich eine zweite Möglichkeit an, die Entstehung des Textes Ex 21,37-22,3 zu verstehen. Ex 21,37-22,3 wurde von einem Schreiber

90 Ebd. 50: "This close relationship between Ex.21.35 and Ex.22.1 is string evidence that Ex.22.1 is not an interpolation." 91 Vgl. auch A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 37: Die Verse Ex 22,1.2a "können sich nach dem jetzigen Zusammenhang nur auf den Einbruch in eine Viehhürde beziehen; ursprünglich wird die Bedeutung allgemeiner gewesen sein". 92 Dieses Phänomen wurde vor allem von H.PETSCHOW, Zur Systematik und Gesetzestechnik im Codex Hammurabi (1965), und: Zur »Systematik« in den Gesetzen von Eschnunna (1968), herausgearbeitet. Zu den Gesetzen von Eschnunna, ebd. 143, schreibt er: "Am auffälligsten ist jedoch die Erscheinung der Attraktion, verursacht durch gewisse Stichworte oder Gedankenassoziationen. Indessen scheint es sich dabei nicht überall nur um eine systemlose Attraktion gehandelt zu haben, sondern um das erkennbare Bestreben, ein jeweils angeschlagenes Thema möglichst an einer Stelle »vollständig« - soweit das im Rahmen des Gesamtwerkes gewollt ist - und zusammenhängend abzuhandeln. ... Danach dürfte »Attraktion« mindestens nicht überall als ein ungeschickter, mehr oder weniger zufälliger Anlaß f ü r die Einfügung »sachfremder« Normen in einen thematischen Zusammenhang zu werten sein, sondern sie ist anscheinend auch durch ein (»listenmäßiges«) Ordnungsdenken bestimmt, das vielleicht sogar fordert, daß ein einmal angeschlagenes Thema nach Möglichkeit in nahem »lokalem« Zusammenhang zu erledigen ist. Dadurch entsteht zwangsläufig f ü r den modernen wahrscheinlich aber nicht f ü r den antiken - Beobachter der Eindruck eines Mangels an innerer Ordnung." Dieses Phänomen war auch schon den alten Literarkritikern bekannt. Vgl. B.BAENTSCH, Bundesbuch (1892) 41 (siehe Kap.4.1, S. 44), der aus diesem Grunde mit Umstellungen im Bundesbuch sehr zurückhaltend war.

Ex 22,4f

187

bzw. Redaktor in einem Zuge verfaßt. Die Frage der Blutschuld eines in flagranti delicto ertappten und erschlagenen Diebes gehört für diesen Schreiber bzw. Redaktor nicht in einen Passus, der von der Blutschuld handelt, 1 sondern in den Passus, der vom Diebstahl handelt. 2 So wird dieses Thema gezielt von den beiden im Verhältnis von Fall und Gegenfall zueinander stehenden Gesetzen Ex 21,37 und 22,3 gerahmt. Ist aber das Gesetz Ex 21,3722,3 auf diese Weise entstanden, dann kann man nicht mehr von Attraktion in dem Sinne sprechen, daß hier aufgrund einer Gedankenassoziation zwei Gesetze miteinander verknüpft oder ein neues Gesetz in einen vorgegebenen literarischen Kontext sekundär eingetragen wurde. E s handelt sich hier vielmehr um die von E . O T T O herausgearbeitete Redaktionstechnik der Inklusion? E . O T T O hat gezeigt, daß die zu E x 2 2 , l f parallelen Gesetze C E §§ 12;13 ebenfalls "mittels der Redaktionstechnik der Inklusion in ihren Kontext eingestellt worden" sind. 4 Hier scheint also ein der israelitischen und mesopotamischen "Rechtswissenschaft" gemeinsames Redaktionsprinzip zugrunde zu liegen.

4.2.4.

Schädigung des Feldes und der Ernte durch und ausbrechendes Feuer: Ex 22,4.5

weidendes

Vieh

Ex 22,4.5 lautet: - Ί»3·> 0 Ίν 3ν - 1 8 mνiτs ΕΡΚ Ό· · ν Τ —

-.affi

22,4aa 7

ΓΓΡ»*ΓΓΙ8 Πι>ϋ)

22,4aß

"IHK ΓΠψ3

22,4aY

i a n ? 3û" i û : i

=ΐΓπψ 3 ç r a

D ^ P nS^QÌ

ΚΧΓΓ· 1 ?

mfon i s HQipn i s ερ-ra ìo toi g.' τ τ *τ · Τ - VI ν » : r n » 5 ? r n ç -iy;tan ο ^ ? • >>?

22,4b 22,5a 22,5b

1 So B . B A E N T S C H , Bundesbuch (1892) 42 (siehe S. 163, Anni. 4) und A . J E P S E N , Bundesbuch (1927) 37 (siehe S. 163, Anm. 6). 2 Vgl. E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 20: "Rechtsprobleme werden durch Rechtssätze in dem Kontext geregelt, in dem sie auftreten." D E R S . , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 75f: "Es gilt auch hier der ... Grundsatz, daß der alltägliche Lebenszusammenhang die Logik der Redaktion bestimmt." 3 E . O T T O , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 68-78. 4 Ebd. 74. In der Redaktionstechnik der Inklusion sieht E . O T T O , ebd. 76f; 179-181, den Ursprung der chiastischen Strukturierung, die die beiden ursprünglich selbständigen Sammlungen des Bundesbuches (21,2-22,16/22,28-23,12) durchzieht. Siehe dazu Kap. 2.1.5.2, S. 15-22.

188

Kasuistisches Rechtsbuch

Orientiert man sich bei der Interpretation dieser beiden Gesetze an der Einheitsübersetzung, könnte ein literarkritisch geschultes Auge eine Doppelung erkennen: V.4: Wenn jemand ein Feld oder einen Weinberg abbrennt und das Feuer sich ausbreiten läßt, so daß es das Feld eines andern in Brand steckt, dann soll er den besten Ertrag seines Feldes oder Weinbergs als Ersatz dafür geben. V.5: Breitet sich das Feuer aus, erfaßt es eine Dornenhecke und vernichtet einen Getreidehaufen, auf dem Halm stehendes Getreide oder ein Feld, dann soll der für den Brand Verantwortliche den Schaden ersetzen. Anders übersetzt die Zürcher

Bibel:1

V.5: Wenn jemand ein Feld oder einen Weinberg abweiden und sein Vieh dabei frei laufen lässt, sodass es auf dem Felde eines andern weidet, so soll er mit dem Besten [vom Ertrage] seines Feldes oder seines Weinbergs Ersatz leisten. V.6: Wenn Feuer ausbricht und Dorngestrüpp ergreift, und es wird so ein Garbenhaufen oder das Korn, das noch steht, oder das Feld zerstört, so soll der, der das Feuer angezündet hat, Ersatz leisten. Strittig ist offensichtlich die Bedeutung der Wurzel ~I5>2. Die Schwierigkeit liegt darin, daß dem Lexem drei verschiedene Bedeutungen zugrunde liegen: 1. brennen 2. wegschaffen, abweiden 3. unvernünftig sein Doch läßt sich die Bedeutung des Lexems in Ex 22,4f eindeutig klären. In 22,4aa bedeutet "IÏ3 "abweiden", in der hier vorliegenden Form des H if'il "abweiden lassen".3 In 22,4aß bedeutet "P»3 "Vieh".4 In 22,4aY bedeutet l i t t im Pi'el "abweiden".5 In 22,5 dagegen geht es eindeutig um den Ausbruch von Feuer. In der Rechtsfolgebestimmung steht nun ebenfalls das Lexem "IVI. Hier bedeutet "brennen", und in der hier vorliegenden Form Pt.Hif. "der, der angezün-

1 2 3 4 5

Die Zürcher Bibel weist hier eine vom M T abweichende Zählung auf. Vgl. H . R I N G G R E N , Art. "I J>2, in: ThWAT I, 727f. Vgl. 1 Kön 16,3. M.NOTH, Könige (1968) 325. In dieser Bedeutung auch Gen 45,17; Num 20,4.8.11; Ps 78,48. In dieser Bedeutung auch J e s 3,14 mit als Objekt; Jes 5,5. Vgl. Jes 6,13.

Ex 22,4f

189

det hat". 6 Das Derivat ìTlg^l, das im A T nur an dieser Stelle vorkommt, ist inneres Objekt zu "I572.7 Aus zwei Gründen konnte Verwirrung in das Verständnis der beiden Verse geraten: 1. In 22,4aß ist ein Π an angehängt. E.OTTO sieht darin - sehr subtil eine Angleichung an ΓΠ5>2 aus 22,5, die bei der Zusammenstellung der beiden Verse vorgenommen wurde. Dabei wurde 22,4 auf Feldbrand umgedeutet, "wobei Ex X X I I 4 nunmehr die beabsichtigte, Ex X X I I 5 die unbeabsichtigte Flurschädigung bezeichnet. Entsprechend findet sich in Ex X X I I 4 ... [Ofctf? 1ΠΊ3 η β ^ ί ίΓΠϋ lÜ^D] ein erster Ansatz zur Sanktion über die reine Ersatzleistung hinaus." 8 Bei dieser Interpretation müßte man aber konsequenterweise auch das Jod in ΓΓΡ»:ΐ streichen und mit G.HOFFMANN Π"ΙΪ2Π lesen. 9 Doch eine τ " « · solche Textänderung ist nicht nötig. Das Π in Π ! "ΓΡ2 ist der aus der alten Suffixform ^Π beibehaltene Vokalbuchstabe, der sich z.B. noch häufig in i findet. 1 0 Läge zwischen 22,4 und 22,5 ein Gegensatz von "beabsichtigt" und "unbeabsichtigt" vor, dann wäre in 22,5 eine Einleitung als Unterfall mit OK11 und/oder adversativer Syndese zu erwarten. Beide Fälle aber sind als Hauptfälle asyndetisch eingeleitet. Damit ist angezeigt, daß es um zwei inhaltlich verschiedene Fälle geht. 1 2 2. Ferner konnte dadurch Verwirrung entstehen, daß fl^E? (22,4) auch mit "Feuer" als Objekt vorkommt 1 3 und umgekehrt mit "Tieren" als Subjekt. Doch ist mit E?l? als Subjekt breit belegt. Von daher ist eine Textänderung nicht erforderlich. Damit dürfte klar sein: In 22,4 geht es um das Abweiden eines fremden Feldes oder Weinberges, in 22,5 um das Abbrennen eines fremden Feldes und seines Ertrages.

6 im H if. "anzünden": Ri 15,5 (2x); Ez 5,2; Nah 2,14; 2 Chr 28,3. 7 GK § 117q. 8 E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 22. Ähnlich bereits B . B A E N T S C H , Ex-Lev-Num (1903) 197. 9 G.HOFFMANN, Versuche zu Amos (1883) 122. Im Anschluß daran auch B. B A E N T S C H , Ex-Lev-Num (1903) 197f. und die Einheitsübersetzung. 10 Vgl. GK § 7c. P J O Ü O N , Grammaire (1923) § 94h. R . M E Y E R , Hebräische Grammatik ( I I ) §§ 30,3c; 46,2c. 11 Vgl. Ex 21,37; 22,3. 12 So auch P.HEINISCH, Exodus (1934) 176. 13 Hos 8,14; Am 1,4.7.10.12; 2,2.5.; Ez 39,6. 14 Gen 3,14; 40,17 u.a. 15 Joël 1,19; Am 1,4.7.10.12.14; 2,2; Ri 9,15.20 u.a. Siehe A.EVEN-SHOSHAN, Concordance (1982) 120.

190

Kasuistisches Rechtsbuch

Bestätigt werden kann diese Interpretation durch HG §§ 106; 107, wo beide Fälle getrennt vorliegen, allerdings in umgekehrter Reihenfolge: §106 (6)c Wenn jemand Feuer an sein Feld legt und (das Feuer auf) ein fruchttragendes (Feld) (übergreifen) läßt (und dadurch) das Feld anzündet, so nimmt der, der es anzündet, das verbrannte Feld f ü r sich. Ein gutes Feld aber gibt er dem Eigentümer des Feldes, und (der) erntet (es) f ü r sich ab. § 107 (7)b Wenn ein Mensch in angebaute Weingärten Schafe läßt und (sie dadurch) zugrunde richtet, gibt er, wenn sie Frucht tragen, f ü r 1 Feld(maß) 10 Schekel Silber, und er späht in sein Haus. Wenn (sie) aber leer (sind), gibt er 3 Schekel Silber. 16 Die von 22,5 leicht abweichende Rechtsfolgebestimmung in 22,4 erklärt P.HEINISCH s o :

"Da die Tiere das Beste nehmen und außerdem durch Zertreten der Pflanzen Schaden anrichten, so ist es nur gerecht, wenn der Besitzer des Viehs dem Eigentümer des Feldes soviel ersetzen muß, als dieses bei einer guten Ernte gebracht hätte." 17 So gesehen verlangt die Rechtsfolgebestimmung von 22,4 keine höhere Schadensersatzleistung als die von 22,5. In beiden Fällen geht es um die Wiedergutmachung des Schadens, der angerichtet worden ist. Vielleicht könnte in 22,4 auch noch absichtliche Schädigung vorliegen: Um den eigenen Feldertrag zu schonen, läßt jemand sein Vieh auf dem Feld eines anderen weiden. Zwar ist Brandstiftung des nachbarlichen Feldes im AT belegt, 18 22,5 legt aber vom Wortlaut des Gesetzes eine fahrlässige und keine vorsätzliche Schädigung des fremden Feldes durch Brand nahe. 1 9 Die Aufzählung der drei Schäden in 22,5 entspricht nach H.CAZELLHS 2 0 den drei Stadien der Ernte: das bereits geschnittene, zu Garben gebundene und zu Haufen 2 1 gesammelte Getreide; 2 2 Π0ζ>: das schon herangewachsene, aber noch auf dem Halm stehende Getreide; 2 3 16 17 18 19 20 21 22 23

Ub. nach E.v.SCHULER, in: T U A T 1,1,113. P.HEINISCH, Exodus (1934) 176. 2 Sam 14.30. Vgl. Ri 15,5. Es heißt nicht: "Wenn ein Mann das Feld seines Nachbarn anzündet...", sondern: "Wenn Feuer ausbricht und auf Dorngestriipp trifft...". H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 66. E P 7 ^ ( I I ) bezeichnet den Grabhügel: Ijob 21,32. Ri 15^5; Ijob 5,26. Dtn 16,9; 23,26 (2x); Ri 15,5 (2x); 2 Kön 19,26; Jes 17,5; 37,27; Hos 8,7.

Ex 22,4f

191

n i f e : das "Feld", nach H . C A Z E L L E S "très probablement le blé en herbe comparable à une prairie". 24

Gewisse Schwierigkeiten bereitet in der Aufzählung ΓΠψ. Will man ΓΠϋ semantisch auf eine Ebene mit und Πΰ£> bringen, was durch die Aufzählung nahegelegt wird, muß man es als abkürzende Bezeichnung für n i f f n p v , 2 6 rnfen "PXf?27 o.a. verstehen, was durchaus möglich ist.^®* Auch bei frischem, jungem Grün können Brandschäden auftreten, wenn das Feld noch mit trockenen Stoppeln der vorangegangenen Ernte durchsetzt ist. Ich halte es aber auch für möglich, daß bei der Abfassung, genauer gesagt bei der Zusammenstellung der beiden Gesetze, in 22,5 ÍN hinzugefügt wurde, um beide Gesetze, die sich von der vorangehenden (21,37-22,3) und folgenden Texteinheit (22,6-14) deutlich abgrenzen, enger aneinander zu binden. Denn in 22,4 ist ΓΠϋ(3χ) fest verankert. Durch die Hinzufügung des Wortes in 22,5 wurde möglicherweise der Tatbestand ausgeweitet und zugleich die beiden Gesetze, die nicht im Verhältnis von Fall und Gegenfall zueinander stehen, durch ein gemeinsames Stichwort miteinander verknüpft. Das gemeinsame Stichwort ΓΠ0, das noch vor dem Weinberg als erstes Objekt in der Tatbestandsdefinition von 22,4 genannt wird, bindet die beiden Fälle unter einer Art Überschrift zusammen, die besagt, daß es hier um Schädigung des Feldes (und alles, was man damit verbindet) geht. H . C A Z E L L E S vermutet, daß der Weinberg in 22,4 eine spätere Ergänzung ist, weil er nur am Anfang (21,4aa) und am Ende (21,4b), nicht aber in der Mitte des Verses steht. 2 Obwohl diese These unter sozialgeschichtlicher Perspektive ansprechend ist, 30 läßt sie sich doch literarkritisch schwer beweisen. Auch im entsprechenden § 107 HG kommt der Weinberg vor, dort allerdings ohne das Feld. Ist in Ex 21,4 vielleicht der Weinberg unter dem 24 25 26 27 28 29 30

H . C A Z E L L E S , C o d e de l'Alliance ( 1 9 4 6 ) 66, mit H i n w e i s auf G e n 3,18; 27,27. Vgl. G e n 2,5; 3,18; Ex 9,25; 2 K ö n 19,26. Vgl. N u m 22,4. Vgl. Joël 1,11. Vgl. aber die A u f z ä h l u n g in Ri 15,5. H . C A Z E L L E S , C o d e de l'Alliance ( 1 9 4 6 ) 65f. Vgl. H . - P . M Ü L L E R , A r t . ϋ Ί 3 , in: T h W A T IV, 335: "Obwohl für kanaan. Städte wie Sichern ( R i 9,27) und S i l o (Ri 2 1 , 2 0 f . ) s o w i e für die Philister in T h i m n a (Ri 14,5) W e i n b e r g e im Blick auf e i n e f r ü h e Z e i t erwähnt w e r d e n (vgl. N u m 13,24f; 20,17; 2 1 , 2 2 ) , haben die Israeliten den W e i n b a u o f f e n b a r nur z ö g e r n d ü b e r n o m m e n . ... S e i n e n G e treuen » Ä c k e r und W e i n b e r g e « zu g e b e n , ist für Saul noch ein ausschließlich königlic h e s T u n , das er d e m e m p o r g e k o m m e n e n David nicht zutraut (1 Sam 22,7 ...). ... U m f a n g r e i c h e r und r e n t a b l e r W e i n b a u s c h e i n t in N o r d - I s r a e l erst in der O m r i d e n z e i t a u f g e k o m m e n zu s e i n , an d e r e n E n d e die R e a k t i o n der R e k a b i t e n e r f o l g t (2 Kön 10,15)." M ö g l i c h e r w e i s e liegt in G e n 9,18-28* ( J E ) e i n e kritische R e f l e x i o n d i e s e s V o r g a n g e s v o r . Für die n a c h e x i l i s c h e Z e i t vgl. H . G . K I P P E N B E R G , R e l i g i o n und K l a s s e n bildung ( 2 1 9 8 2 ) 44-47.

192

Kasuistisches Rechtsbuch

Einfluß von § 107 H G nachgetragen worden? All dies läßt sich nicht beweisen. Unter literar- und redaktionsgeschichtlichem Gesichtspunkt könnte rnisn 1Κ in Ex 22,5 eine Erweiterung sein. Dadurch werden beide Gesetze, die als asyndetisch eingeleitete Hauptfälle deutlich parallel gestaltet sind, miteinander verknüpft. Innerhalb des Bundesbuches läßt sich eine weitere redaktionsgeschichtliche Einordnung nur schwer vornehmen. Hält man ΠΊ3 in 22,4 f ü r ursprünglich, gleichzeitig aber die Anlage von Weinbergen f ü r ein Zeichen eines leicht fortgeschrittenen Stadiums israelitischer Wirtschaftsgeschichte, dann könnte man 22,4f zusammen mit 22,6-8 einer Erweiterung zurechnen. 3 1 Es läge dann eine ursprüngliche Abfolge von 22,3 und 22,9* vor, eine Abfolge, f ü r deren Urspünglichkeit sogar einige Argumente sprechen, denn man könnte hierbei erklären, weshalb in 22,9 die Reihenfolge T i ü - 1 Κ "I i Op, an anderen Stellen des Bundesbuches aber die umgekehrte Reihenfolge (1) "112? (2) "ΙΤΟΠ32 steht. 22,9 greift das gegenüber 21,37 aus sachlichen G r ü n d e n 3 3 überschüssige Element "liOO auf und f ü h r t es als erstes Objekt im neuen Gesetz 22,9* an: n fV e n s- - i t e-s m »- -il lío· mΤ ·a· an i - pτ Τi κ «·χ οτ η· κ ··χ οτ η· - π κ· ΐ . . . n u r i N -liETiN l i o n =ins:r'?K Τξ??""1?

22,3 22,9 7

Aber sichere Anhaltspunkte f ü r eine spätere Hinzufügung von 22,4f gibt es nicht.

31 Zum literarisch sekundären Charakter von 22,6-8 und 22,9*. 10* vgl. das folgende Kap. 4.2.5, S. 193-211. 32 Ex 21,33; 22,3.8. 33 Zur Interpretation siehe Kap. 4.2.3.2.1, S. 168-175.

Ex 22,6-14 4.2.5.

Depositenrecht:

Ex

193

22,6-14

Ex 22,6-14 lautet: D* ,, ?5 - iK Γ]03 inin - "?« EPS τ η : - · 1 ? 22,6ae? i a s r r s

i^y-raN

vC? i a ?

"P^-QN

Es ist interessant, daß E.OTTO unter Hinzufügung des ersten DK den Text genau in diesem Sinne rekonstruiert. 5 2 So gewinnt er eine exakte Parallelformulierung zu den VV.6.7 und kann dann mit guten Gründen V.14b als diesem Grundbestand gegenüber sekundär erweisen. Rechnet man dagegen

50 Die U n t e r s c h i e d e habe ich oben b e r e i t s angeführt: V V . 9 M 0 * ist ein vollständiger I i a u p t f a l l mit T a t b e s t a n d s d e f i n i t i o n , während V . 6 a ein Hauptfall o h n e R e c h t s f o l g e bestimmung ist. 51 S o B . B A E N T S C H , Ex-Lev-Num ( 1 9 0 3 ) 200. G . B E E R , Exodus ( 1 9 3 9 ) 115. I I . C A Z E L L E S , Code de l'Alliance ( 1 9 4 6 ) 73. M . N O T H , E x o d u s ( 1 9 5 8 ) 150. A n d e r e b e z i e hen "PDB7 auf das T i e r . S o F . C . K E I L , Exodus ( 3 1 8 7 8 ) 530: " D i e folgenden W. DN i n " T b ® können keinen anderen Sinn haben als: »wenn es g e m i e t h e t war, so ist es auf seinen Lohn g e k o m m e n « d.h. so hat e r den Schaden oder V e r l u s t für das Miethgeld, welches das T h i e r ihm gebracht hat, zu tragen." S o auch A . D I L L M A N N / V . R Y S S E L L , Exodus ( 3 1 8 9 7 ) 264f. B . B A E N T S C H , Bundesbuch ( 1 8 9 2 ) 24. H . H O L Z I N G E R , Exodus ( 1 9 0 0 ) 90f. 52 E . O T T O , Rechtsbegründungen ( 1 9 8 8 ) 16.

210

Kasuistisches Rechtsbuch

nicht mit Textausfall, dann stellt sich die Entstehung des Textes am ehesten S

°

Grundschicht 1. Erweiterung 1 2. Erweiterung 1 KPsri rpaa

1

-lotf1? cr'prriN ηορ i n s n - ^ : c r s τ η ? - 1 ? •:3Ψ α η η η 1 -l 1 ο ^ κ γvtTγ ? «ν rpan ?»a r -p' : ·m naan ssa" kVdk· · - - : τ - » τ · 1 ίΠΡΊ rotòoa it"τ n'PÜ nVdk· ·· ·· ν ν : · - τ rrò-1?» Ίΐορ-'?? y r ç a — 8

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ιι 12 i3a ob 14a i4b

Nun gilt es noch, im Rahmen der hier entwickelten literarkritischen Hypothese für Ex 22,8 eine Erklärung zu finden. Ich hatte oben bereits darauf hingewiesen, daß der sekundär eingefügte JHWH-Schwur innerhalb von V.9b.l0 als gezielte Korrektur von V.8 zu verstehen ist. Demnach ist V.8 älter als die Erweiterung der VV.9b*.10*. Ich halte es für unwahrscheinlich,

Ex 22,15f

211

daß beide von derselben Hand stammen, wie E . O T T O annimmt. 5 3 Auf der anderen Seite setzt V.8 die VV.6.7 voraus. V.8 kann auf keinen Fall älter als die VV.6.7 sein. Meines Erachtens ist es nun nicht notwendig, zwischen den VV.6.7 und der JHWH-Schwur-Redaktion in den VV.9.10 eine weitere Hand anzunehmen. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß derselbe Redaktor, der 22,6.7 hinzugefügt hat, im gleichen Zuge auch 22,8 hinzugefügt hat. Zwar unterscheidet sich der Vers von den vorangehenden und folgenden beträchtlich. Es handelt sich nicht um einen kasuistischen Rechtssatz, sondern um eine allgemeine Bestimmung zur Einholung eines Gottesurteils zur Klärung von widerstreitenden Eigentumsansprüchen. Der Vers greift die Rechtsfolgebestimmung von V.7aß auf und erweitert sie zu einer generellen Bestimmung. Zugleich lenkt er mit den Stichworten zum Grundbestand der VV.9.10 zurück. In diesen drei Stichworten dürfte auch der entscheidende Hinweis auf unseren ersten Redaktor zu suchen sein. Als er V.8 einfügte, gab es in den VV.9*.10* noch keinen JHWH-Schwur. So war der Fall, daß der Dieb des anvertrauten und gestohlenen Viehs ( V . l l ) nicht ermittelt werden kann, noch nicht geregelt. Von daher bot sich der Platz zwischen V.7 und der Grundschicht der VV.9.10 f ü r seine Regelung von widerstreitenden Eigentumsansprüchen sehr gut an. Die f ü r die VV.6.7 getroffene konkrete Regelung wird generalisiert und zugleich durch die Stichworte !ΪΕ?, "ΙΤΏΠ, l ì E? deutlich auf den folgenden Fall (Grundschicht der VV.9.10) Bezug genommen. Hier liegt wieder die gleiche, oben schon beobachtete Technik vor, daß sich die einzelnen Gesetze gegenseitig interpretieren, was durch Stichwortbezüge und Inklusionen angezeigt wird.

4.2.6.

Verführung

eines nicht

verlobten

Mädchens:

Ex

22,15f

Im folgenden geht es nicht um eine inhaltliche Interpretation dieses Gesetzes, sondern lediglich um seine redaktionsgeschichtlichc Einordnung. Häufig wird auf die ungewöhnliche Stellung von Ex 22,15f hingewiesen. v . W A G N E R hält das Gesetz f ü r einen Nachtrag zum Thema "Verletzung der körperlichen Integrität" (21,18-32). 1 Doch in Ex22,15f geht es nicht um Verletzung der körperlichen Integrität des nicht verlobten Mädchens, sondern um einen "Konfliktfall zwischen zwei Männern unterschiedlicher Familie[n]", worauf E . O T T O zu Recht hingewiesen hat: "Die junge Frau ist Objekt des Rechtsgeschehens. ... Durch den erzwungenen oder durch Versprechen erschlichenen Beischlaf 53 Ebd. 15. 1 V . W A G N E R . Systematik (1969) 176. Siehe Kap. 2.2, S. 3 2 , A n m . 117 und Kap. 4.1, S. 50.

212

Kasuistisches Rechtsbuch mit einem jungen Mädchen wird das Besitzrecht des Vaters des unverheirateten Mädchens tangiert. Damit wird der Brautpreis, Ausdruck der Ablösung des Besitzrechts des Vaters an der unverheirateten Tochter, fällig, und die Rechtsfolge des Brautpreises, tritt f ü r den Mann unlösbar ein: die Heirat des Mädchens, die nicht er, sondern nur der Vater verweigern kann. Der Konfliktfall zwischen zwei Männern unterschiedlicher Familien wird also so gelöst, daß das Recht des Geschädigten wiederhergestellt wird." 2

Unter dieser Perspektive ist die Stellung von Ex 22,15f im Bundesbuch völlig "korrekt", denn um Schädigung des Besitzes eines freien Israeliten geht es auch in den unmittelbar vorangehenden Gesetzen Ex 21,(32.)3322,14. 3 Und doch gibt es einige Beobachtungen, die darauf hindeuten, daß Ex 22,15f nicht zum Grundbestand des kasuistischen Rechtsbuches gehört. Auffallend ist zunächst einmal der Anschluß mit Waw in 22,15: "O). Da mit 22,13f das Thema "Depositenrecht" (22,6-14) abgeschlossen ist, würde man bei dem neuen Thema "Verführung einer Jungfrau" einen durch Asyndese markierten Neueinsatz erwarten, analog zu 21,2.12.37; 22,4(.5).6(.9). Die Syndese in 22,15 erweckt den Eindruck, daß hier der Anschluß nach vorn bewußt gesucht wurde. Vergleicht man die Rechtsfolgebestimmungen, in denen die Zahlung von f)D3 gefordert wird, miteinander, so fällt auf, daß in allen Fällen eine unterschiedliche Terminologie verwandt wird: "PailÒ f r r "ΡV??«1 r i e r a n -ina?

•"'tf'W η θ | ηορ

21,32 4 21,34aß 22,i6b 5

Ex 21,32 gehört zum Grundbestand, 21,34aß stellt meines Erachtens eine Erweiterung dar. 6 Auch die anderen beiden f|D3-Stellen Ex21,22bß.35 rechne ich nicht zum Grundbestand des kasuistischen Rechtsbuches. 7 Von 2 E.OTTO, Zur Stellung der Frau (1982) 284f. Vgl. auch B.BAENTSCH. Ex-Lev-Num (1903) 200: "Schädigung eines Vaters durch Verführung seiner Tochter". IL CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 74: "un cas de délit entre familles plutôt qu'une prescription de droit familial". 3 Vgl. S.M.PAUL, Studies (1970) 96.

4 Vgl. CE § 54: 2 /3 ma-tia kaspam isaqqal. CH § 252: l/z MA.NA kaspam ad-di-in.

i-[na]-

5 Vgl. MAG §56. 6 Zur Begründung siehe Kap. 4.2.2.2.2, S. 142-147. 7 Zur Begründung siehe Kap. 4.2.1.2.2, S. 61-63, Kap. 4.2.2.2.3, S. 147-154, Kap. 4.2.2.2.4, S. 154-156.

Ex 21,12-17

213

daher wird die Vermutung, 22,15f sei nachgetragen, ein wenig verstärkt. Im Unterschied zu Dtn 22,28f wird in Ex 22,16b f ü r die Höhe der Zahlung keine festgesetzte Summe genannt. 8 Die Formulierung Π^Π^ΙΠ "înbç erinnert an Γΐΐ32Π íSSlI^O? in 21,9b. Dieser Vers kann ebenfalls zusammen mit 21,2-11 nicht zum Grundbestand des kasuistischen Rechtsbuches gerechnet werden. 9 Aufgrund dieser Beobachtungen vermute ich, daß Ex 22,15f nicht zum ältesten Bestand des kasuistischen Rechtsbuches gehört, sondern nachträglich hinzugefügt wurde. 1 0 Wegen der an 21,9b erinnernden Formulierung in 22,16b und der Beziehung von in 22,15 zu IDE? in 22,18.26ha 11 vermute ich weiterhin, daß 22,15f auf das Konto des Gottesrechtsredaktors geht, dem auch 21,7-11 und 22,17-26 zu verdanken sind. Auf diese Weise hätte er das nachgetragene Gesetz lexematisch eingebunden und gleichzeitig einen geschickten Übergang zu dem von ihm dem kasuistischen Rechtsbuch hinzugefügten zweiten Teil des Bundesbuches geschaffen.

4.2.7. Mord, Totschlag, Menschendiebstahl, Verfluchung der Eltern: Ex 21,12-17

4.2.7.1.

Die Kohärenz

von Ex

Körperverletzung

und

21,12.15-17

Nach Ausscheidung von Ex 21,13.14 als literarisch sekundär 1 verbleiben noch die vier partizipial formulierten Rechtssätze Ex 21,12.15-17. Auf die strukturell enge Verknüpfung dieser vier Rechtssätze habe ich bereits hingewiesen. 2 Im folgenden möchte ich untersuchen, ob es sich hierbei um eine ursprüngliche oder eine gewachsene Komposition handelt. Die Ansichten

8 Es ist umstritten, ob Dtn 22,28f und Ex 22,15f denselben oder einen unterschiedlichen Tatbestand voraussetzen. M . W E I N F E L D , Deuteronomy (1972) 287, rechnet mit identischem Tatbestand, E . O T T O , Zur Stellung der Frau (1982) 287-289, sieht in Dtn22,28f eine rechtsgeschichtlich fortgeschrittene Entwicklung von Ex 22,15f, und S.M.PAUL, Studies (1970) 96-98, rechnet mit zwei verschiedenen Tatbeständen: Ex 22,15f: "Verführung",' Dtn22,28f: "Vergewaltigung". Dort auch die Hinweise auf die Parallelen in MAG §§ 55; 56. Vgl. auch C.LOCHER, Ehre einer Frau (1986) 180f. G . A . C H A M B E R LAIN, Exodus 21-23 and Deuteronomy 12-26 (1977) 128. hält Ex 22,15f für älter als Dtn 22,28f. 9 Zur Begründung siehe Kap. 5.2.3, S. 303-316. 10 Zur Technik nachträglicher Hinzufügung am Ende eines Rechtsbuches vgl. D . D A U B E , Codes and Codas (1941) 74. Siehe Kap. 4.2.2.1, S. 130, Anm. 3. 11 Vgl. U . C A S S U T O , Exodus (1967) 291; 293. Siehe Kap. 2.2, S. 26, Anm. 101. 1 Siehe dazu Kap. 3.2, S. 39-41. 2 Kap. 3.1, S. 38f.

214

Kasuistisches Rechtsbuch

der Exegeten gehen in dieser Frage weit auseinander. Die eigene Position soll im Gespräch mit der bisherigen Forschung erarbeitet werden.

4.2.7.1.1.

Vorgaben

der

Forschung

Bereits A.JEPSEN hat deutlich gesehen, daß von den VV.12.15-17 eigentlich nur V.12 so recht in den vorliegenden Zusammenhang paßt. 3 Darüber hinausgehend hat A.AI.T die These aufgestellt, daß die vier apodiktischen Rechtssätze ursprünglich Bestandteil einer mehrere Glieder umfassenden Reihe todeswürdiger Verbrechen waren. 4 Damit erklärt er die ungewöhnliche Stellung der VV.15-17 im vorliegenden Kontext. Bei der Einfügung von V.12 durch den Redaktor wurden die VV.15-17 gleichsam "mitgerissen", weil sie "schon vorher in festem Verband" mit V.12 "gestanden haben." 5 V. WAGNER hat im Anschluß an A.ALT den Versuch unternommen, eine solche zehn Glieder umfassende "Urgestalt der môt-jûmat-Rcihc" zu rekonstruieren. 6 A.ALT sah in dieser Reihe apodiktischer Rechtssätze das genuin israelitische, auf den "unbedingten Willen Jahwes bezogen[e]" Recht ausgedrückt, das sich streng von den kasuistisch formulierten Rechtssätzen des Bundesbuches unterscheidet. 7 Ursprünglicher Sitz im Leben des kasuistischen Rechtes ist die Torgerichtsbarkeit des Kulturlandes. 8 Das apodiktische Recht dagegen weist nach A ALT in seinem Grundbestand auf die Wüstenzeit Israels zurück, 9 in seiner uns erhalten gebliebenen Form dagegen auf die Verkündigung des Gottesrechtes durch die levitischen Priester im Rahmen des 3 A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 30. So auch A.ALT, Ursprünge (1934) 233, und im Anschluß daran V.WAGNER, Rechtssätze (1972) 16f. 4 A.ALT, Ursprünge (1934) 235-237. Vorläufer dieser Theorie ist - allerdings noch ohne "kultisches Kolorit" - B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 192: "Da unser v.[scil.21,12] in der Formulirung von den sonstigen Bestimmungen der Mispatim etwas abweicht, dagegen mit den wahrscheinlich nicht ursprünglichen w . 1 5 - 1 7 formell übereinstimmt, besteht die Möglichkeit, dass er mit diesen wie den ähnlich gebauten w.22,17-19 einmal ein Ganzes gebildet hat, nämlich ein kurzes Verzeichnis der Vergehen, auf welchen die Todesstrafe stand. Dieses Verzeichnis wird schon früh mit den Mispatim zusammengearbeitet sein." 5 A.ALT, Ursprünge (1934) 235: "Der literarische Hergang bei ihrer [seil, der VV.15-17] Aufnahme in das kasuistische Corpus kann daher kaum anders gedacht werden, als daß sie durch den einzigen wirklich in den logischen Aufbau des Abschnittes passenden Satz über die Todeswürdigkeit jeder Menschentötung [seil. V.12] mitgerissen wurden; mit ihm müssen sie dann aber auch schon vorher in festem Verband gestanden haben." Im Anschluß daran auch H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1984) 170. 6 V.WAGNER, Rechtssätze (1972) 17-21. 7 A.ALT, Ursprünge (1934) 237f. 8 Ebd. 220-224; 256. 9 Ebd. 255.

Ex 21,12-17

215

alle sieben Jahre stattfindenden Laubhüttenfestes mit seiner regelmäßig wiederholten "Erneuerung des Bundes zwischen Jahwe und Israel". 1 0 Der gänzlich unterschiedliche Sitz im Leben des apodiktisch und des kasuistisch formulierten Rechtes ist letzlich der Grund dafür, daß sich A . A L T einen ursprünglichen Zusammenhang von Ex 21,12 und Ex21,18f nicht vorstellen kann, obwohl er klar gesehen hat, daß nur Ex 21,12 in den vorliegenden Zusammenhang paßt. v . W A G N E R hat gegen A A L T gezeigt, daß die von ihm rekonstruierten Sätze der môt-jûmat-Reihe keinen kultischen, sondern einen forensischen Sitz im Leben aufweisen. 1 1 Er rechnet sie "zum Repertoire der altorientalischen Gesetzessammlungen und damit doch auch wohl der Gerichte" 1 2 und sieht keinerlei "Bezug auf den Willen Jahwes. ... Insofern sind die zehn Paragraphen der môt-jûmat Reihe Recht und allein das." 1 3 Umso überraschender ist es, daß auch V . W A G N E R einen ursprünglichen Zusammenhang von Ex 21,12 und Ex 21,18f gar nicht in Erwägung zieht, obwohl er klar sieht, daß nur V.12 "so richtig an die Stelle, an der die vier Paragraphen jetzt stehen", paßt. 1 4 Dies erklärt sich dadurch, daß V . W A G N E R unter dem Einfluß von A . A L T damit rechnet, daß die ursprüngliche Überlieferungsform des apodiktischen Rechtssatzes die der mehrere (in der Regel zehn) Glieder umfassenden Reihe ist. Demgegenüber hat G.LIEDKE gezeigt, daß der ursprüngliche Sitz im Leben des partizipial formulierten apodiktischen Rechtssatzes "der in einer konkreten Situation von der obersten Autorität eines Rechtskreises erlassene Einzelsatz" ist. 1 5 Die Bildung von Zweier-, Dreier- oder Viererreihen ist demgegenüber sekundär und stellt ein weiteres Stadium der Überlieferung dar. 1 6 Einige Jahre zuvor war bereits E . G E R S T E N B E R G E R in bezug auf die Prohibitive zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen: "Die Prohibitive entstehen in der Regel als Einzel-, vorzugsweise jedoch als Zweier- oder Dreiergebote; selten lassen sich längere ursprüngliche Reihungen finden. Die Zehn- oder Zwölfzahl ist ihnen von Natur aus fremd." 1 7 So ist es ver10 11 12 13 14

Ebd. 25; 249. V . W A G N E R , Rechtssätze (1972) 24-31. Ebd. 29. Ebd. 31. Ebd. 16. V . W A G N E R vermutet ebd. 16f, daß die Stelle, an der Ex 21,12-17 jetzt steht, "in dem Kodex Ex 21,2-22,16 zerstört ist und unter Umständen einige Paragraphen ausgefallen sind". In "Systematik" (1969) 176f, rechnet V . W A G N E R damit, daß der Anfang des II. Teils "Verletzung der körperlichen Integrität" (21,18-32) verlorengegangen und durch 21,12-17 ersetzt worden sei. Seiner Ansicht nach könnte ursprünglich an dieser Stelle analog dem Aufbau des CH §§ 128-193 das Thema "Ehe und Familie" behandelt worden sein. Vgl. dazu auch Kap. 4.1, S. 44-51. 15 G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 138. Vgl. ebd. 137. 16 Ebd. 139. 17 E . G E R S T E N B E R G E R , Wesen und Herkunft (1965) 86.

216

Kasuistisches Rechtsbuch

ständlich und begrüßenswert, wenn E.OTTO in Ex 21,12-17 auf den "oft wiederholten Versuch der Rekonstruktion einer der jetzigen Überlieferungsgestalt vorausliegenden Reihenbildung apodiktischer Rechtssätze" verzichtet. 18 Ziehen wir an dieser Stelle ein erstes Fazit, so ist für unsere Fragestellung zweierlei festzuhalten: 1. Die These, daß die apodiktischen Rechtssätze Ex 21,12.15-17 ursprünglich Bestandteil einer weitere Glieder umfassenden Reihe seien, ist äußerst unwahrscheinlich geworden. Die Reihenbildung ist nicht die primäre Überlieferungsgestalt des apodiktischen Rechtssatzes. 2. Das gleiche gilt f ü r den kultischen Sitz im Leben dieser Sätze. Mit den fraglich gewordenen Thesen von Amphiktyonie und Bundeskult fehlt solchen Reihen der kultische Sitz im Leben. Offen geblieben sind dagegen folgende drei Punkte: 1. Wenn Ex 21,12.1517 schon kein Bestandteil einer mehrere Glieder umfassenden Reihe todeswürdiger Verbrechen war, so ist damit die Frage noch nicht geklärt, ob es sich bei den vier partizipial formulierten Rechtssätzen um eine primäre oder eine sekundäre Komposition handelt. Liegt auf der Ebene ihrer schriftlichen Fixierung in Ex 21,12.15-17 eine ursprüngliche oder eine gewachsene Komposition vor? 2. Mit der zurückgewiesenen These vom ursprünglich kultischen Sitz im Leben der partizipial formulierten Rechtssätze Ex 21,12.1517 stellt sich die Frage nach ihrem ursprünglichen Sitz im Leben neu. 3. Offen geblieben ist auch die Frage nach dem Verhältnis von partizipial formuliertem Rechtssatz und kasuistisch formuliertem Rechtssatz.

4.2.7.1.2.

Ist Ex 21,12.15-17 Komposition ?

eine primäre

oder eine

sekundäre

Für sekundäre Komposition der vier môt-jûmat-S'Àtzc plädieren J. und H.SCHULZ. G.LIEDKE und F.L.HOSSFELD dagegen halten an der Ursprünglichkeit der Vierergruppe fest und plädieren für ihr hohes Alter. G.LIEDKE hat sich ausführlich mit Ex 21,12.15-17 beschäftigt. Seine Beobachtungen und Argumente sollen uns als Leitfaden in der folgenden Darstellung dienen. G.LIEDKE stellt an Ex 21,12.15-17 die Frage: Welche Autorität hat diese apodiktischen Rechtssätze gesetzt? Nachdem König und Stämmebund als setzende Autoritäten dieser Rechtssätze ausscheiden, verbleibt ihm noch der Familienvater als Inhaber der obersten Rechtsautorität innerhalb der Familie. 2 0 Alle vier Sätze haben nach G.LIEDKE ihren einheitHALBE

18 E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 31. 19 Zum "apodiktischen Recht" vgl. den instruktiven Art. Apodiktik/apodiktisch, in: N e u e s Bibel-Lexikon (1988) 122-124 von J.BELZER. 20 G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 131.

Ex 21,12-17

217

lichen Bezugspunkt darin, daß sie die Grenze aufrichten, "bis zu der Mitglieder einer Familie dem gegenüber gehen dürfen; sie belegen die Überschreitung dieser Grenze mit der Rechtsfolge Tod." 21 Spielen wir diese These für die einzelnen Rechtssätze durch. Für Ex 21,15.17 scheint sie zunächst einleuchtend zu sein: Vater und Mutter sind die Objekte von Schlagen (Π33) und Verächtlichmachung

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no}"1 n i a iaKi TON ^prçn v . i 7 Daß beide Rechtssätze für den Kreis der Familie gelten, ist evident: "Wer seinen Vater oder seine Mutter schlägt bzw. verächtlich macht ... ". Daß der pater familias aber damit gleichzeitig die den Rechtssatz setzende und ausführende Autorität sei, wie G.LIEDKE behauptet, 2 2 erscheint mir fraglich. Die von G.LIEDKE angeführten Fälle, in denen der Familienvater einen innerfamiliären Rechtsbruch aburteilt, beziehen sich auf Tatbestände, die sich gegen ein drittes Mitglied der Familie richten, nicht gegen den Familienvater selbst. 23 Durch Ausübung der Rechtsautorität schützt der pater familias die Mitglieder seiner Familie vor gegenseitigen Übergriffen. In der auf engem Raum zusammenlebenden Großfamilie mit mehreren Generationen und Nebenfrauen lag hier ein hohes Konfliktpotential, das durch die Rechtsautorität des pater familias immer wieder entschärft werden mußte. War er dieser Aufgabe nicht gewachsen, zerfiel seine Autorität. 2 4 In Ex 21,15.17 aber ist der pater familias zusammen mit seiner Frau selbst der Angegriffene. Nun hat R . A L B E R T Z gezeigt, "daß das Elterngebot sich an die erwachsenen Kinder richtet und ihr Verhalten gegenüber ihren alt gewordenen Eltern regeln will. Es meint konkret die angemessene Versorgung der alten Eltern mit Nahrung, Kleidung und Wohnung bis zu ihrem Tod, darüber hinaus einen respektvollen Umgang und eine würdige Behandlung, die trotz der Abnahme ihrer Lebenskraft ihrer Stellung als Eltern entspricht." 25 Im Hinblick auf diese Interpretation ist nach R . A L B E R T Z Ex 21,15.17 zwar nicht eindeutig, aber es spricht auch nichts "gegen eine Beziehung auf die alten Eltern. Der Satz vom Schlagen setzt zumindest voraus, daß die Kinder an

21 Ebd. 134f. 22 Ebd. 131f. Im Anschluß an G.LIEDKE auch H . N I E H R , Rechtsprechung (1987) 45. 23 2 Sam 13,21: A m n o n hat Tamar vergewaltigt. David als 2 K verzichtet auf Ahndung der Tat. Gen 38,24: Judas Schwiegertochter Tamar hat Unzucht getrieben. Gen 31,32: Ein Mitglied aus Jakobs Familie hat die Götter Labans gestohlen. Jakob fungiert als Rechtsautorität innerhalb seiner Familie. Zur Jurisdiktion des pater familias vgl. H . N I E H R , Rechtsprechung (1987) 42-50; 60-63; 69-72. 24 Vgl. 2 Sam 13ff. 25 R . A L B E R T Z , Elterngebot (1978) 374. Vgl. D E R S . , A l t e s und N e u e s zum Elterngebot (1985). Vgl. auch B . L A N G , Wie wird man Prophet (1980) 90-103.

218

Kasuistisches Rechtsbuch

Körperkraft ihre Eltern überflügelt haben." 2 6 So hält R.ALBERTZ die These G.LlEDKEs, daß diese Rechtssätze vom pater familias gesetzt seien, f ü r nicht überzeugend 2 7 und ersetzt sie durch die These, "daß es sich hier um autoritativ gesetztes Stammesrecht handelt, das den Entzug der Altersversorgung und die gewaltsame Vertreibung aus dem Haus unter schwerste Strafe stellt." 28 Ob es sich hier um autoritativ gesetztes Stammesrecht handelt, wie R.ALBERTZ annimmt, sei zunächst dahingestellt. Wichtig f ü r unsere Fragestellung ist, daß die hinter den Sätzen Ex 21,15.17 stehende Autorität offensichtlich nicht die des pater familias ist. Er wird durch das Gesetz geschützt, er ist aber nicht derjenige, der es autoritativ setzt und durchführt. Eine zweite Schwierigkeit der These G . L l E D K E s betrifft die Rechtsfolgebestimmung ΠΟ=Ι ^ n i n . In Ex 21,15.17 kann n ö ^ Γ1 TD nach G.LIEDKE "nicht die Blutrache bezeichnen ... , weil Blutrache innerhalb der Familie nicht möglich ist. Da Blutrache »negativer Ersatz« ist, ist sie nur sinnvoll zwischen verschiedenen Familien." 2 9 Demnach ist der Familienvater nach Ex 21,15.17 zugleich der Angegriffene und derjenige, der als oberste Autorität innerhalb der Familie das Urteil der Todesstrafe spricht und vollzieht. 3 0 Achtung und Ehrung der Eltern spielen vor allem in der Weisheitsliteratur eine Rolle. R.ALBERTZ teilt die Vorkommen in zwei verschiedene Gruppen ein. In der ersten Gruppe31 geht es "um die Respektlosigkeit der sich in der Blüte ihres Lebens befindenden Kinder gegenüber ihren gebrechlich und wunderlich gewordenen Eltern". 3 2 In einer zweiten Gruppe33 "geht es eindeutig um Kindererziehung, also um das Verhalten jugendlicher Kinder gegenüber ihren Eltern. ... Bezeichnend f ü r diese Gruppe sind Verben und Nomina des Erziehens und Gehorchens." 3 4 Beide Gruppen von "Elterngeboten" werden ihren Ursprung in der Familie haben. Ihre literarische Fassung, Sammlung und Tradierung allerdings setzt eine außerfamiliare Erziehungssituation voraus. Wie immer man diese näher bestimmen mag, ob als Schule 3 5 oder als famulus-magister-System 3 6 , beide Gruppen von Sprüchen zur Achtung der Eltern setzen offenbar voraus, daß das, wozu sie ermahnen, nicht mehr selbstverständlich befolgt wird. Sie lassen erkennen, daß die natürliche und ursprüngliche Achtung der Eltern 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

R.ALBERTZ, Elterngebot (1978) 360. Ebd. 367, Anm. 104. Ebd. 367. G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 132. Vgl. ebd. 132f. Spr 19,26; 23,22; 28,24; 30,17. R.ALBERTZ, Elterngebot (1978) 365. Spr 1,8; 4,1; 6,20ff; 15,5; 28,7; 29,15. R.ALBERTZ, Elterngebot (1978) 365. Vgl. nur A.LEMAIRE, Écoles (1984). Siehe dazu Kap. 4.4.5, S. 261f. So F.GOLKA, Die israelitische Weisheitsschule (1983).

Ex 21,12-17

219

von seiten ihrer Kinder dort in eine Plausibilitätskrise gerät, wo diese Kinder herangewachsen und einer außerfamiliaren Erziehungssituation mit ihren eigenen Methoden und Plausibilitäten anvertraut werden. In diese Situation hinein spricht nun die zweite Gruppe dieser Sprüche: "Achte, mein Sohn, auf das Gebot deines Vaters, mißachte nicht die Lehre deiner Mutter!" 37 Die erste Gruppe von Sprüchen dagegen redet die erwachsen gewordenen Kinder an, die im Begriff sind, das Erbe ihrer alt gewordenen Eltern zu übernehmen: "Wer den Vater mißhandelt, die Mutter wegjagt, ist ein verkommener, schändlicher Sohn." "Ein Auge, das den Vater verspottet und die alte Mutter verachtet, das hacken die Raben am Bach aus, die jungen Adler fressen es auf." 39 Die von den Sprüchen der ersten Gruppe vorausgesetzte Situation wird, wie R.ALBERTZ vermutet, auch der Hintergrund von Ex 21,15.17 sein. Dtn 21,18-21 behandelt einen Konflikt zwischen Eltern und Sohn. P.R. CALLAWAY hat gezeigt, daß dieser Rechtsfall aus weisheitlicher Tradition stammt, und er hat darüberhinaus mit den Rabbinen ansprechend vermutet, daß er niemals ausgetragen wurde. 4 0 In der Form eines fiktiven Rechtsfalles wird hier der heranwachsende Sohn vor einem "störrischen und widerspenstigen, verschwenderischen und trinksüchtigen" 41 Verhalten gewarnt. 4 2 37 38 39 40 41 42

Spr 6,20. Spr 19.26. Spr 30,17. P.R.CALLA WAY, Deut 21:18-21 (1984) 346, Anm. 25; 352. Vgl. Spr 23,21a. So auch A . R O F E , Family and Sex Laws (1976/77) 155: "moral injunctions formulated as laws". E.BELLEFONTAINE, Rebellious Son (1979), dagegen plädiert f ü r Praxisnähe, womit auch C.LOCHER, Ehre einer Frau (1986) 64, sympathisiert. J . B U C H H O L Z , Die Ältesten Israels (1988) 67, nimmt offensichtlich eine mittlere Position ein: "Doch ist nicht zu übersehen, daß auch der Gesetzgeber von [Dtn]21,18ff * keine schlechthin rigorose Auffassung vertritt. Indem er den Sohn nämlich erst im Falle des notorischen Ungehorsams bestrafen läßt, zeigt er, daß er den pädagogischen Effekt der Züchtigung sehr wohl mit berücksichtigt, so daß eine praxisorientierte Nähe des Gesetzes - trotz seiner Härte - gleichwohl zu erkennen ist." Bezüglich der Rechtsverbindlichkeit der vier Gesetze Dtn 21,Iff*; 21,18ff·; 22,13ff*; 25,5ff urteilt J . B U C H H O L Z , ebd. 74: "Ob die Gesetze aber vor ihrer Aufnahme in das dt Gesetzeskorpus überhaupt zur allgemeinen Anerkennung gelangt sind, darf freilich bezweifelt werden. Die Voraussetzung f ü r die Anwendung der Gesetze ist die Anerkennung ihres rechtsverbindlichen Charakters durch die Stadtältesten (vgl. Dtn 21,Iff*) und die Familien (21,18ff*; 22,13ff*; 25.5ff).

220

Kasuistisches Rechtsbuch

Demnach ist Vorsicht geboten, f ü r Ex 21,15.17 den Familienvater als denjenigen anzusehen, der die Todesstrafe vollzieht, und in Dtn 21,18-21 ein gegenüber Ex 21,15.17 überlieferungsgeschichtlich jüngeres Stadium zu postulieren, in dem die alte patria potestas aus der Familie an die Torgerichtsbarkeit abgewandert ist. 4 3 Darüberhinaus kann Dtn 21,18-21 nicht ohne weiteres als Parallele zu Ex 21,15.17 angesehen werden. Geht es in Ex 21,15.17 sehr wahrscheinlich um das Verhalten der erwachsenen Kinder gegenüber ihren alt gewordenen Eltern, so in Dtn 21,18-21 "um den Fall eines schwer erziehbaren Jugendlichen, der das Vermögen seiner Eltern verpraßt." 44 Fazit: In Ex 21,15.17 spricht nicht der pater familias in der Vollkraft seiner Jahre als oberste Rechtsautorität seiner Familie, sondern hier werden aus weisheitlicher Tradition in der Form apodiktischer Rechtssätze die erwachsen gewordenen Kinder gewarnt, ihre gegenüber den alt gewordenen Eltern gewonnene physische (Π33) und psychische ( ^ p ) Überlegenheit nicht zu mißbrauchen. 4 5 Ein solches Verhalten wird als ein "todeswürdiges" Verhalten (fiQ !P Ρ i ΰ) deklariert, was aber nicht im Sinne einer gesetzlichen Ausführung als Todesstrafe verstanden werden muß. 4 6 Ist es so bereits schwierig, den ursprünglichen Sitz im Leben von Ex 21,15.17 in der Familie zu finden, so wird dies für Ex 21,16 ohne literarkritische Operation gänzlich unmöglich: riDi"1 n i a ΐ τ ^ s s p j j

i-Dipi eh κ i n i

aus hatte i1 metrischen Gründen ausgeschieden, weil er für die Rekonstruktion seiner Reihe das "Versmaß des hebräischen Fünfers" benötigt, um so "in der Form die Unbedingtheit eines Satzes" zu rekonstruieren, "der in fünf Wörtern alles sagen will". 47 Als Argument für die Abtrennung gibt A.ALT den Subjektwechsel zwischen KPN und

A.ALT

D o c h w e r g a r a n t i e r t die A u t o r i t ä t d i e s e r G e s e t z e als a l l g e m e i n v e r p f l i c h t e n d e R e c h t s s ä t z e ? " V g l . auch d e n v o n R . A L B E R T Z , A l t e s und N e u e s z u m E l t e r n g e b o t e ( 1 9 8 5 ) 23, a n g e f ü h r t e n T e x t K A R 300 rs. 7: "[Wenn ein M e n s c h ] s e i n e n V a t e r nicht ehrt, g e h t er s c h n e l l zu gru[nde]". Zit. nach E . E B E L I N G , R e s t e a k k a d i s c h e r W e i s h e i t s literatur ( 1 9 2 8 / 2 9 ) 29. D e r Satz s t e h t im K o n t e x t v o n O m i n a , d ü r f t e d e m n a c h s e l b s t als O m e n v e r s t a n d e n w o r d e n sein. Vgl. dazu in d i e s e r A r b e i t S. 257-259. 4 3 S o E . O T T O , R e c h t s b e g r ü n d u n g e n ( 1 9 8 8 ) 32; 64. H . N I E H R , R e c h t s p r e c h u n g ( 1 9 8 7 ) 60f. 4 4 R . A L B E R T Z , E l t e r n g e b o t ( 1 9 7 8 ) 366. 45 V g l . H . G E S E , B e o b a c h t u n g e n ( 1 9 6 0 ) 149: " V i e l m e h r hat d a s a p o d i k t i s c h e R e c h t s e i n e n Sitz im G o t t e s d i e n s t o d e r a l l g e m e i n e r in der E r z i e h u n g d e s i s r a e l i t i s c h e n M e n s c h e n ...". 46 D i e s e s M i ß v e r s t ä n d n i s l i e g t m e i n e s E r a c h t e n s b e i H . S C H U L Z , T o d e s r e c h t ( 1 9 6 9 ) zug r u n d e . E s f ü h r t z u m P o s t u l a t e i n e s k u l t i s c h e n G e r i c h t s v e r f a h r e n s in d e n durch mô t) « / n ü i - S ä t z e n g e k e n n z e i c h n e t e n T o d e s r e c h t s f ä l l e n ( e b d . 8 4 ; 1 8 9 - 1 9 2 ) , w o f ü r e s aber k e i n e B e l e g e gibt. V o m "unkultischen C h a r a k t e r der D Q i 1 Π1 D - T a t f o l g e " spricht dag e g e n zu R e c h t W . S C H O T T R O F F , F l u c h s p r u c h ( 1 9 6 9 ) 128. 4 7 A . A L T , U r s p r ü n g e ( 1 9 3 4 ) 233-235.

Ex 21,12-17

221

Ι "Ρ 5 an. 4 8 G.LIEDKE weist diese Begründung mit Hinweis auf Ex 21,12 zu Recht zurück, 4 9 hält aber doch an der Abtrennung dieser beiden Worte fest und zwar bezeichnenderweise mit der These, daß der Satz sonst innerhalb der Familie nicht denkbar sei: "... es handelt sich um den Diebstahl eines männlichen Gliedes der eigenen Familie zum Zweck des Verkaufs in die Sklaverei. Der vollendete Verkauf ist Beweis des Diebstahls. Das später hinzugefügte »und er wird in seiner Hand gefunden« verkennt diesen Zusammenhang. Personendiebstahl ist nach Horst »heimliche Entfernung gewaltunterworfener Personen aus der Gewaltsphäre ihres Muntwaltes; an diesem wird der Diebstahl begangen«. Also bezieht sich auch dieser Satz wie v l 5 und vl7 auf den IN als den Bestohlenen; nicht die Freiheit des Gestohlenen wird geschützt, sondern der Besitz des Familienvaters. In Diebstahl und Verkauf Josephs (Gen 37,26-27.28b(J); 40,15a) bietet das AT ein Beispiel f ü r den Fall, den unser apodiktischer Rechtssatz behandelt." 50 Nun ist es allerdings schwierig, das Wort EPS auf den Angehörigen der eigenen Familie zu beschränken. H . S C H U L Z hat darauf hingewiesen, daß EP Κ im Bundesbuch den "freien israelitischen Vollbürger" bezeichnet, und er sieht in Ex 21,12 "ein Rechtsverhältnis zwischen zwei rechtlich und sozial gleichrangigen Personenkreisen statuiert." 52 Dem entgegnet G.LIEDKE: "Die These ist ... f ü r die kasuistischen Rechtssätze sehr einleuchtend. ... Daß die These aber unbesehen f ü r die ganz andere Rechtsbildung der mot-Sätze ... gelten soll, ist bei der Variationsbreite des Allerweltswortes EPS ... nicht wahrscheinlich. Insofern hindert nichts, EPS in Ex 21,16 und 12 im oben angegebenen Sinn [seil, beschränkt auf ein männliches Glied der eigenen Familie] zu verstehen. Daß die Sätze in einem späteren Stadium vielleicht im

48 Ebd. 235, Anm. 1. Im Anschluß an A . A L T halten diese beiden Wörter für sekundär: D . D A U B E , Codes and Codas (1941) 95. H . S C H U L Z , Todesrecht (1969) 39, Anm. 156. Vor A . A L T hatte bereits A.JEPSEN, Bundesbuch .(1927) 31, die gesamte zweite Hälfte der Tatbestandsdefinition, also ^Ί??· Î f ü r sekundär gehalten: "Der Menschenraub sollte auf jeden Fall bestraft werden, auch wenn der Geraubte sich noch in der Hand des Räubers befand. ... Der Einschub war wohl notwendig durch den Gegensatz von 21,37. Der Unterschied, der beim Vieh gemacht wurde, war bei Menschenraub nicht statthaft." 49 G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 133, Anm. 1: "diese Begründung ist unmöglich, da dann auch das DQ1 in Ex 21,12 als Zusatz betrachtet werden müßte." Vgl. ebd. 119, Anm. 6. 50 Ebd. 132f. Im Anschluß an G.LIEDKE auch H . N I E H R , Rechtsprechung (1987) 46. 51 Vgl. H . S C H U L Z , Todesrecht (1969) 39. 52 Ebd. 14f.

222

Kasuistisches Rechtsbuch

Sinne der These von Schulz aufgefaßt wurden, ist nicht auszuschließen." 53 Der letzte, einschränkende Satz G.LIEDKEs deutet offensichtlich an, daß Ex 21,16 im Kontext des Bundesbuches nicht auf den Personendiebstahl innerhalb der eigenen Familie beschränkt werden kann. 5 4 Bei einer Beschränkung des Rechtssatzes auf den Personendiebstahl innerhalb der eigenen Familie wäre eine präzisere Angabe zu erwarten. Das einfache EPS bezeichnet im Bundesbuch "den freien israelitischen Vollbürger" 55 und nicht nur die einer Autorität unterstellte Person innerhalb der eigenen Familie. Auch CH § 14 beschränkt den Menschendiebstahl nicht auf Personen innerhalb der eigenen Familie: Wenn ein Bürger das Kind eines (anderen) Bürgers stiehlt, wird er getötet. 5 6 Das gleiche gilt für Ex

21,12: 1 n i a ria ι ερν nsa noi" τ ·· τ . . . —

Auch diesen Rechtssatz beschränkt G.LIEDKE auf den "innerfamiliären Blutfall. Man wird auch hier so interpretieren müssen, daß der IN der Geschädigte ist, nicht der Getötete; das Eigentum des pater familias ist gemindert worden, die Familie hat einen Mann verloren. Wäre der Mörder Mitglied einer fremden Familie gewesen, würde Blutrache eintreten. Weil er aber aus der eigenen Familie ist, tritt Todesstrafe als Rechtsfolge ein. Wie diese Todesstrafe vollzogen wurde, ist nicht mehr klar erkennbar." 5 7 Aber auch hier macht G.LIEDKE eine Einschränkung: "Unsere Exegese versucht den ursprünglichen Sinn von Ex 21,12 zu ermitteln. Es ist durchaus möglich, daß der Satz schon bei seiner Einfügung ins B B oder später die Todesstrafe im Rahmen eines grösseren Rechtskreises meinte ... ." 58

53 G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 132, Anm. 8. 54 Vgl. auch V.HAMP, Art. in: ThWAT II, 44: "Das Objekt ist ein freier israelitischer Bürger ( 3 ί ί ) ; daß Ex 21,16 ursprünglich nur Personendiebstahl aus der eigenen Familie gemeint habe (Liedke 132f.), dürfte zu eng sein." 55 H.SCHULZ, Todesrecht (1969) 14. 56 Üb. nach R.BORGER, in: TUAT 1,1,46. Vgl. G.R.DRIVER/J.C.MILES, Babylonian Laws I ( 1960) 105. 57 G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 133. Im Anschluß an G.LIEDKE auch H.NIEHR, Rechtsprechung (1987) 45. 58 G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 134, Anm. 3.

Ex 21,12-17

223

Damit verbleibt als Argument für die ursprüngliche Verankerung der vier apodiktischen Rechtssätze Ex 21,12.15-17 innerhalb der Familie und den primären Charakter ihrer Komposition nur die partizipiale Formulierung als solche. Sie gibt diesen Sätzen den Charakter der Setzung durch eine Autorität. Letzteres ist unbestritten, doch als Autoritäten des apodiktischen Rechtssatzes kommen, wie G.LIEDKE gezeigt hat, neben dem Familienvater auch noch der König, 5 9 der Priester, 60 der Heerführer, 61 der Stämmebund 62 und schließlich auch noch JHWH 6 3 selbst in Frage. 64 So können wir als vorläufiges Ergebnis festhalten: Der Versuch, Ex 21,12.15-17 dadurch als primäre Komposition zu erweisen, daß man den pater familias als setzende Autorität und den Kreis der Familie als ursprünglichen Geltungsbereich aller vier Sätze annimmt, kann nicht überzeugen. Selbst wenn man für Ex 21,15.17 die Familie als ursprünglichen Sitz im Leben annimmt, so läßt sich das für Ex 21,12.16 nicht erweisen. 65 So kann auch G.LIEDKE nicht umhin, die vier Rechtssätze in zwei verschiedene Gruppen (21,15.17 / 21,12.16) einzuteilen, ohne daraus allerdings gattungskritische oder gar literarkritische Konsequenzen zu ziehen. 66 Auch nach E . O T T O hat das Tötungsverbot Ex 21,12 "seinen ursprünglichen »Sitz im Leben« in der Familie. Unabhängig von der Frage der Vorsätzlichkeit wird jede Tötung eines D îs in der Familie mit dem Tode sanktioniert. Der intergentale Tötungsfall wird dagegen durch die Institution der Blutrache erfaßt (2 Sam III 22f. u.ö.). Durch die formgeschichtlich sich von Ex X X I 1 2 abhebende überlieferungsgeschichtlichc Erweiterung in Ex XXI 13f. wird der Gesamtzusammenhang Ex XXI12-14 in intergentalen Rcchtskontext eingebracht und an die Institution des Ortsgerichts gebunden." 67

59 60 61 62 63 64 65

2 Sam 12,5; 2 Kön 10.19.24. 2 Kön 11,8.15. 1 Sam 11,7. Ri 21.5; Jos 1,18; 2,19. Gen 4,15; Ex 19,12b; Num 14,23b; Jos 7,15. G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 120-125. Vgl. auch die Kritik von F.C.FENSHAM, The rôle of the Lord (1976) 273: "His [seil. LIEDKE's] view that the participial and relative clauses originated from the family is open to criticism. His interpretation, that in E x . X X I 1 2 and 16 reference is made to a loss in the family and that the father must take action, is reading too much into the text. Not a word is mentioned of a father." 66 G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 134. 67 E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 32. D E R S . , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 157f.

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Kasuistisches Rechtsbuch

Nach Ε.Ο'ΓΤΟ dürfte V.12 also nur im Falle einer innerfamiliären Tötung greifen. Das Ortsgericht übernimmt dabei die ursprünglich dem pater familias zustehende Aufgabe, eine Bluttat zu sanktionieren: "Mit der Anbindung von Ex X X I 1 2 an das Ortsgericht wird die Familie der Aufgabe enthoben, innerfamiliäre Bluttaten zu sanktionieren." 68 Der intergentale Blutfall hingegen ist von V.12 nicht erfaßt. Er bleibt der Institution der Blutrache vorbehalten. Diese aber erfährt durch die Asylbestimmung in V.13 eine Einschränkung. 69 Genau darin liegt eine Inkonsistenz in der Analyse von E.OTTO: V.13 soll die Institution der Blutrache eingrenzen, V.12 aber soll mit dieser Institution nichts zu tun haben. Sinnvoller aber ist die Annahme, daß V.13 die Institution der Blutrache einschränkt, weil sie in der Rechtsfolgebestimmung von V.12 vorausgesetzt wird. Beschränkt man Ex 21,12 nicht auf den Kreis der Familie, wofür es keine hinreichenden Gründe gibt, so spricht nichts dagegen, in der Rechtsfolgebestimmung no}"1 η ί ΰ die Institution der Blutrache anerkannt zu sehen. 7 0 Noch in Dtn 19,12 geben die Ältesten der Stadt den vorsätzlichen Totschläger zum Vollzug der Blutrache in die Gewalt des Bluträchers (^Ni D^rn ), und in Num 35,16-21 wird die mit Πΰί ^ PÍQ bezeichnete RechtsfolT

~

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.

τ

71

gebestimmung eindeutig im Sinne der Blutrache verstanden. Ex 21,12 legitimiert die Blutrache, ohne sie an die Torgerichtsbarkeit zu binden. 72 68 D E R S . , Rechtsbegründungen (1988) 33. 69 Ebd. 32f: "Die in Ex XXI 13f. eingeführte Tatbestandsdifferenzierung hat ein Verfahren zur Tatbestandserhebung zur Voraussetzung, in dem durch Anhörung von Zeugen festgestellt wird, ob eine Bluttat vorsätzlich geschah oder nicht. ... Durch die Überführung des mô t jûmat-Rechts an eine zu verfahrensgeregelter Tatbestandsaufklärung fähigen Institution wird die Ablösung der undifferenzierten Erfolgshaftung und die Einschränkung der mit dem Tode zu bestrafenden Tötung auf den absichtlichen Mord innerhalb der Familie und ebenso die Einschränkung der Institution der Blutrache durch ein Asylrecht möglich." (Die Hervorhebungen im deutschen Text stammen von mir.). Vgl. ebd. 20. 70 So auch B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 192. E . M E R Z , Blutrache (1916). S.R. D R I V E R , Exodus ( 2 1918) 215. A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 29. P.HEINISCH. Exodus (1934) 166f. F.MICHAELI, Exode (1974) 197. 71 Vgl. auch G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 51. Zu dem bis in die Spätzeit Israels gültigen Recht der Blutrache vgl. auch E . M E R Z , Blutrache (1916) 41. A. MENES, Vorexilische Gesetze (1928) 29. 72 G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung .(1971) 127-130, tut sich mit der Interpretation der Rechtsfolgebestimmung Π ΰ ί ^ ΓΊ 1Í3 so schwer, weil er sie mit den apodiktischen Rechtssätzen verbindet, von diesen aber Ex 21,12.15-17 in die Familie verlegt, wo "Blutrache ... nicht möglich ist" (ebd.132), obwohl er ebd. 50f die Rechtsfolgebestimmung riQ^ 11 in Ex 21,29 zu Recht mit der Blutrache in Verbindung bringt und die Voranstellung des inf.abs. Π l ü in Π ΰ ί 11 ΓΙ als χ-y i qt o l-Funklion erklärt. Löst man sich dagegen von den formgeschichtlichen Zwängen des "apodiktischen Rech-

Ex 21,12-17

225

Läßt sich also die Einheitlichkeit von Ex 21,12.15-17 gattungskritisch nicht begründen, so sollen nun die Versuche bedacht werden, in den vier Rechtssätzen eine Wachstumsgeschichte zu entdecken. Nach H.SCHULZ gehörte Ex 21,15 nicht ursprünglich zur Reihe. In ihm wird lediglich 21,12 "noch einmal auf einen besonderen Fall zugeschnitten". 73 So gibt sich V.15 als eine "spätere Analogiebildung" zu V.12 zu erkennen. 7 4 H.SCHULZ begeht hier den Fehler, daß er den Tatbestand von V.15 als Totschlag ansieht. Im Unterschied zu V.12 geht es aber in V.15 nicht um Totschlag, sondern um Mißhandlung der Eltern, was von den meisten Exegeten auch angenommen wird. 7 5 In V.12 folgt dem Π30 ein ΠΏ T, in V.15 nicht. Darin liegt ein Unterschied zwischen den beiden Versen. 7 ^ Deshalb kann V.15 nicht als Anwendung von V.12 auf einen besonderen Fall angesehen werden, weshalb die literarkritische Operation von H.SCHULZ hinfällig wird. J.HALBE übernimmt die Argumentation von H.SCHULZ und verstärkt sie dahingehend, daß er die Einfügung von V.15 mit der Redaktion der VV.13.14 in Zusammenhang bringt, "die ja die Glieder der Satzgruppe erst auseinandergedrängt hat." Durch Einfügung von V.15 mit der doppelten Stichwortassoziation (V.17 iâKJ "PIK / ΠΒΰ^ -» V.12) bindet er die von ihm aufgesprengte Reihe wieder enger zusammen. J.HALBES Beobachtung ist im Ansatz richtig, leider aber nicht konsequent durchgeführt. In der Tat hat der Redaktor der VV.13.14 einen Zusammen-

73 74 75

76 77

tes" kann man Ex 21,12 ganz unbefangen mit der Blutrache in Verbindung bringen, wie es die ältere Forschung vor A.ALT (B.BAENTSCH, E . M E R Z , S.R.DRIVER, A. JEPSEN) und auch noch nach A.ALT (P.HE1NISCH, F.MICHAELI) immer getan hat. Zu der weithin vertretenen These G.LIEDKEs, ebd. 132, daß "Blutrache innerhalb der Familie nicht möglich" sei, scheint im AT immerhin ein Gegenbeispiel (ist es eine Ausnahme?) überliefert zu sein: 2 Sam 14,6ff. Dazu bemerkt W.SCHOTTROFF. Fluchspruch (1969) 79f: "Daß 2 Sam 14,6-11 die normale Blutrachepraxis (die Tötung des Bluträchers) auch f ü r den innerfamiliären Bluttäter voraussetzt, erklärt sich vielleicht mit einer im Lauf der Zeit eingetretenen Entwicklung, die in der Lockerung des Familienverbandes begründet ist, woduch die Ausstoßung aus der Familie ihre Bedeutung einbüßte." Auch R.de VAUX, Lebensordnungen I (^1964) 33, gesteht ein: "...der Ausdruck »Rächer des Blutes« im Vers 11 ist ungewöhnlich, möglicherweise wird er hier im uneigentlichen Sinn verwendet." H.SCHULZ, Todesrecht (1969) 51. Ebd. 52. F.C.KEIL, Exodus ( 3 1878) 524. B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 192. S.R.DRIVER, Exodus ( 1 9 1 8 ) 216. G.BEER, Exodus (1939) 109f. A.CLAMER, Exode (1956) 190. G .TE S T R O E T E , Exodus (1966) 169. U.CASSUTO, Exodus (1967) 270. F.MICHAELI, Exode (1974) 197. B.S.CHILDS, Exodus (1974) 470. F.L.HOSSFELD. Dekalog (1984) 69, Anm. 214. In CH § 195 geht es ebenfalls um ein Schlagen des Vaters ohne Todesfolge: "Wenn ein Sohn seinen Vater schlägt, soll man ihm eine Hand abschneiden." J.HALBE, Privilegrecht (1975) 463, Anm. 16.

226

Kasuistisches Rechtsbuch

hang aufgesprengt, aber nicht den zwischen V.12 und VV.16.17, sondern den zwischen V.12 und V.18f. 7 8 Halten wir als Ausgangspunkt die Beobachtung von A.JEPSEN, A .ALT, V.WAGNER, und H.J.BOECKER 79 fest, daß von Ex 21,12.15-17 eigentlich nur V.12 so recht in den vorliegenden Zusammenhang paßt und spielen wir diesen Gedanken konsequent durch. Ex 21,12.18.19 lautet:

rpjgri

is

fis-i

injn-ng

na=p τ ehs-narn

nia

nai et κ naa ·· τ . . .— ••'im îa,n;,~,,?;i

n aτ cι a *1 ?: ·?£>3ΐ - τ :

m a ' 1τ

κ ^ sι

1

i F i j m r ? » p i n a η¿»πξΊΠί α · Ί ρ ; - ο κ sani

τερ

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pn

naan

n¡?;n

Vergleichen wir die beiden Fälle miteinander, so fällt folgendes auf: 1. In beiden Fällen geht es in der Tatbestandsdefinition um ein mit Π23 (H i f . ) bezeichnetes Schlagen. 2. Die Tatbestandsdefinitionen der beiden Fälle sind in ihren Folgebestimmungen kontradiktorisch formuliert: V.12: n a i V.18b: m a ?

N^l

"so daß er stirbt" "so daß er nicht stirbt".

In V.12 geht es also um eine Körperverletzung mit Todesfolge, 8 0 in V.18f um eine Körperverletzung ohne Todesfolge. 3. Die Rechtsfolgebestimmungen der beiden Fälle bilden einen konträren Gegensatz: V.12:na:p n i a V.19: Haan n¡?3?

soll getötet werden ist unschuldig.

78 Diese Beobachtung findet sich bereits bei G.SCHMITT, Ex21,18f. (1973) 9, Anm. 1, allerdings unter dem Gewicht "formgeschichtlicher Autoritäten" noch nicht konsequent ausgezogen: "Man sollte sich durch die Unterscheidung in »apodiktisches Recht« ( m o t jumat-Sätze) und »kasuistisches Recht« nicht dazu verführen lassen, V.18ff. vom Vorhergehenden ganz zu isolieren; V.12 vertritt den einfachen und grundlegenden Fall, der in kasuistischer Formulierung nicht überliefert ist, zu dem aber V.13f. und auch V.18ff. nur die milder zu behandelnden Varianten darstellen. Verschiedene Erklärungen des Befundes sind möglich; die einfachste ist - trotz Alt - die, daß V.12 zeitlich am Anfang steht und V.18 ihn direkt aufnimmt: Π 0 1 EPH nDÖ V.12 - . . . n a m ma"1 V.18. Mir scheint, daß vor allem das m a - 1 Í Ó 1 allein unter dieser Voraussetzung verständlich ist, da" es sonst ganz überflüssig wäre; allenfalls könnte man es als redaktionellen Einschub ansehen." 79 H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1984) 170. Zu A.JEPSEN, A.ALT und V.WAGNER siehe oben S. 214f. 80 Ex 21,12 umfaßt natürlich auch Mord und Totschlag. Von dieser Differenzierung kann aber an dieser Stelle abgesehen werden. Vgl. dazu Kap. 3.2, S. 39f.

Ex 21,12-17

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Nach G.LIHDKE bewahrt das ΓΙ3ί2Π n¡?3 in V.19 den Angeklagten vor der Blutrache. 8 1 Die Rechtsfolgebestimmung von V . 1 2 ΠΟί 1 ΠΙΟ bedeutet die Anerkennung der Blutrache. Demnach bilden die Rechtsfolgebestimmungen der beiden Fälle einen konträren Gegensatz. 4. V.18 wird durch Waw eingeleitet. Aufgrund der bisherigen Beobachtungen ist dieses Waw adversativ zu verstehen. Die engen Bezüge zwischen V.12 und V.18f zeigen, daß die beiden Fälle im Verhältnis von Fall und Gegenfall zueinander stehen. 8 2 Ohne jegliche Differenzierung decken diese beiden Fälle unter der einfachen Perspektive von Tod und Leben die beiden konträren Möglichkeiten einer Körperverletzung ab: V.12: Körperverletzung mit Todesfolge V.18f: Körperverletzung ohne Todesfolge. Beide Fälle setzen die reine Erfolgshaftung voraus. Die Unterscheidung von vorsätzlicher und fahrlässiger Tötung findet erst in der Erweiterung der VV.13.14 statt. Die unterschiedlichen Satzformen erklären sich dadurch, daß der Fall 21,18f aus der Rechtsprechung im Tor - vielleicht sogar vermittelt durch ein schriftlich abgefaßtes Prozeßprotokoll - hervorgegangen ist, 21,12 dagegen diesem Fall als literarisch abgefaßter Gegenfall vorangestellt wurde. Einen ähnlichen Vorgang konnte C.LOCHER f ü r Dtn 22,13-21 plausibel machen. 8 3 Wie immer die mündlichc Vorgeschichte von Ex 21,12 gewesen sein mag, und auf welch ursprüngliche Redesituation der Vers sich auch immer bezogen haben mag, auf der Ebene seiner schriftlichen Fassung im Kontext des Bundesbuches stellt er als Gegenfall zu Ex21,18f die programmatische Eröffnung des kasuistischen Rechtsbuches Ex 21,12-22,16* dar. 8 4 Die Form des partizipial formulierten Rechtssatzes bot sich an, weil 81 G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 47. Zur Differenzierung dieser Interpretation in bezug auf den besonderen Fall von 21,18f siehe Kap. 4.2.1.1, S. 55. 82 Vgl. auch - allerdings in der Tradition der Interpretation von G.LIEDKE stehend und keine redaktionsgeschichtlichen Konsequenzen ziehend - E.OTTO, Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 158: "Ex 21,18 stellt in Abgrenzung ... einen Ex 21,12 ... zitierenden Zusammenhang her. Die Sammlung der Körperverletzungsfälle in Ex 21,18-32 will Rechtsprobleme im Anschluß an Ex 21,12 regeln." 83 C.LOCHER, Ehre einer Frau (1986). D i e Analogie bezieht sich allerdings nicht auf die Rechtssatzformen. In Dtn 22,13-21 sind sowohl der aus der Rechtspraxis hervorgegangene Fall (21,13-19) als auch der "hinzugefügte" Gegenfall (21,20f) kasuistisch formuliert. Vgl. DERS., ebd. 116: "Auch stilistische Unterschiede - insbesondere in Aufbau und Sprachgebrauch - zwischen »Fall« und »Gegenfall« sind für sich allein noch kein Grund für die Erklärung, die beiden Texte hätten nicht gleichzeitig geltendes Recht gewesen sein können." 84 Daß Ex 21,12 den Beginn des kasuistischen Rechtsbuches darstellt, setzt voraus, daß 20,23-21,11 späterer Zuwachs sind. Zur Begründung siehe Kap. 5.1, S. 284-286, Kap. 5.2.1, S.287-299, Kap. 5.2.3, S. 303-316.

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Kasuistisches Rechtsbuch

sie die verkürzende Nachahmung eines kasuistischen Rechtssatzes darstellt 85 und als das Rechtsbuch eröffnender Rechtssatz dem Ganzen den Charakter einer Setzung gibt. Der partizipial formulierte Rechtssatz darf nicht im Anschluß an Λ .ALT zusammen mit den Prohibitiven der Kategorie "apodiktisches Recht" subsumiert werden. Der partizipial formulierte Rechtssatz ist "zweiteilig, dh mit partizipialem Vordersatz und verbalem Nachsatz zu verstehen". Er enthält wie der kasuistische Rechtssatz Tatbestandsdefinition und Rechtsfolgebestimmung. 8 7 Der partizipiale Vordersatz erfüllt dabei die Funktion der Tatbestandsdefinition. Somit stellt es kein Problem dar, daß das "kasuistische Bundesbuch" in seinem Grundbestand in Ex 21,12 mit einem "apodiktischen Rechtssatz" eröffnet wird. Auch im CE und CH gibt es bei einem starken Übergewicht kasuistisch formulierter R.echtssätze eine kleine Anzahl "apodiktisch" formulierter Rechtssätze. 8 8 Auch wenn H.J.FABRY der Ansicht ist, daß H.J.BOECKER "die Diskussion um die Zugehörigkeit der môt-jûmat-Rechlssâlzc zur Kasuistik oder Apo85 So H.GESE, Beobachtungen (1960) 148. 86 G.LIEDKE^ Gestalt und Bezeichnung (1971) 120. Vgl. auch H.J.BOECKER, Redeformen ( 1970) 144: . . ΠΏ^" 1 Π ι Ο »er soll unbedingt getötet werden«. Mit diesen Worten erkennt der Gerichtshof auf Todesstrafe, ohne dabei weitere Anweisungen f ü r die Art der Hinrichtung zu geben. Der Charakter dieser Formel als Tatfolgebestimmung ist oft verkannt worden. D a f ü r ist nicht zuletzt A.Alts so bedeutsame Untersuchung »Die Ursprünge des israelitischen Rechts« verantwortlich. In dem von Alt herausgestellten apodiktischen Recht nimmt die Formel einen wichtigen Platz ein ... . Damit ist aber für manche Exegeten eine Beziehung dieser Formel zur Rechtspraxis von vornherein ausgeschlossen, ist doch nach ihrer Meinung das sogenannte apodiktische Recht auf jeden Fall aufs stärkste vom kasuistischen Recht abzuheben. ... Nun macht aber bereits die Beobachtung stutzig, daß die Formel Γΐΰ "Ρ ΓΠ Î3 nicht nur in den von Alt beschriebenen apodiktischen Reihen, sondern auch in ausgesprochen kasuistisch formulierten Gesetzesbestimmungen vorkommt, wo die Beziehung zur Rechtspraxis ja nicht geleugnet werden kann." 87 Vgl. auch W.SCHOTTROFF, Fluchspruch (1969) 111: "Die Annahme, daß die partizipiale Kasusbeschreibung ursprünglich in einem dieser Anwendungsbereiche [seil.: Recht, priesterliche Tora, Weisheit] ausgebildet worden sei und daß sich ihre Verwendung in den übrigen Bereichen, in denen sie vorkommt, durch Übernahme aus einem bestimmten Bereich altisraelitischen Lebens erkläre, in dem sie ursprünglich verwurzelt gewesen sei, vermag angesichts der Diversität der Verwendungen, die sie gefunden hat, kaum zu überzeugen. An einen bestimmten Inhalt und an einen bestimmten »Sitz im Leben« scheint sie nicht gebunden. Eher ist ihre Eigenart als die der einfachsten und knappsten Form der Kasusbeschreibung überhaupt zu bestimmen, die sich überall da anbot, wo es darauf ankam, einen Kasus zu erfassen. In dieser Hinsicht ähnelt der im Hebräischen bei der partizipialen Kasusbeschreibung zu beobachtende Befund dem Akkadischen bei den (allerdings in ihrer Ausdruckfähigkeit sehr viel differenzierteren) iumma-Sätzen zu erhebenden." 88 J . K L I M A / H . P E T S C H O W / G . C A R D A S C I A / V . K O R O § E C , Art. Gesetze, in: RLA (1966) 253; 257. Vgl. auch Ex 22,8.

Ex 21,12-17

229

diktik ... an ein rechtes Ende geführt" hat, 8 9 möchte ich mir doch erlauben, einen Gedanken hinzuzufügen, der das Thema der apodiktischen Rechtssätze vielleicht doch noch ein wenig bereichern kann. H.J.BOECKER schreibt: "Während der kasuistische Rechtssatz ursprünglich auf einen geschehenen Rechtsfall zurückgeht, diesen rechtlich einordnet und beurteilt, ergehen die Sätze dieser Rechtsreihe [seil. Ex 21,12.15-17] völlig unabhängig vom Geschehen eines konkreten Rechtsfalls. Hier wird ein Rechtsfall allgemein und grundsätzlich beschrieben." 90 Im Anschluß an G . L I E D K E sieht auch H.J.BOECKER im pater familias die hinter den apodiktischen Rechtssätzen des Bundesbuches (21,12.15-17) stehende Autorität und kommt mit v . W A G N E R 9 1 und W . S C H O T T R O F F 9 2 zu der These, daß es sich bei diesen Rechtssätzen "um nomadische Rechtsgestaltung" handelt: "Wir haben hier also ein Recht vor uns, das zum ältesten Rechtsbestand Israels gehört und aus einer Zeit stammt, die vor der Zeit der Seßhaftwerdung liegt." 93 Daß der partizipial formulierte Rechtssatz im Unterschied zum kasuistisch formulierten Rechtssatz nicht aus der Rechtsprechung stammt, ist meines Erachtens nicht zu bezweifeln. Daß aber der pater familias als höchste Autorität eines Rechtskreises hinter den apodiktischen Rechtssätzen Ex 21,12.15-17 steht, erscheint mir aus den oben angeführten Gründen sehr zweifelhaft. Demgegenüber möchte ich eine These aufstellen, die das Vorkommen der apodiktischen Rechtssätze im Bundesbuch erklärt. Bei der Entstehung eines Rechtsbuches kommen zwei "Strömungen" zusammen: zum einen die Praxis der Rechtsprechung, zum anderen die aus der juristischen Schulgelehrsamkeit stammende Tradition der Formulierung und systematischen Zusammenstellung von Rechtssätzen zu einem Rechtsbuch. 94 Dabei werden nicht nur die "vorgefundenen Rechtssätze der Torgerichtsbarkeit" gesammelt, sondern auch neue Rechtssätze formuliert in der Absicht, ein vorgegebenes Thema abzurunden, einen Fall von einem hinzugefügten Gegenfall abzugrenzen, ein Rechtsprinzip in verschiedenen Bereichen anzuwenden und abzuwandeln, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Dieses Phänomen der aus juristischer Gelehrsamkeit stammenden 89 90 91 92 93 94

H J . F A B R Y , in: T h W A T IV, 779. H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1 9 8 4 ) 170. V . W A G N E R , Rechtssätze (1972) 29. W.SCHOTTROFF, Fluchspruch (1969) 127. H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1 9 8 4 ) 171. Vgl. dazu Kap. 4.4.3 und Kap. 4.4.4, S. 254-260.

230

Kasuistisches Rechtsbuch

Komplettierung und Konstituierung eines Rechtsbuches läßt sich sowohl innerhalb des Bundesbuches 9 5 als auch in anderen altorientalischen Rechtsbüchern 9 6 beobachten. Die Hinzufügung des "apodiktischen" Rechtssatzes Ex 21,12 - und in einem weiteren Überlieferungsstadium die Hinzufügung der "apodiktischen" Rechtssätze Ex 21,15-17 - stammen aus dieser Tradition juristischer Kodifikation. 9 7 Damit ist das Problem geklärt, wie ein apodiktischer Rechtssatz, der nicht der Rechtsprechung entstammt und dessen Rechtsfolgebestimmung nicht der Torgerichtsbarkeit unterstellt ist, in ein "kasuistisches Rechtsbuch" gelangen konnte. Mit Ex 21,12 greifen die für die Kodifikation des Bundesbüches verantwortlichen Juristen den Fall der Tötung eines Menschen, der weiterhin der Institution der Blutrache unterstellt bleibt, auf und stellen ihn als partizipial formulierten "Todesrechtssatz" ihrem Rechtsbuch als "schwerstes Vergehen" 98 voran und grenzen ihn zugleich von der Körperverletzung ohne Todesfolge in Ex 21,18f ab. Das bedeutet nun nicht, daß mit der Eingliederung von Ex 21,12 in das kasuistische Rechtsbuch "Bundesbuch" die Institution der Blutrache für die Tötung eines freien Israeliten abgeschafft und durch "die öffentlich-rechtliche Todesstrafe" ersetzt worden wäre. 9 9 Dtn 19,11-13 setzt die Blutrache bei vorsätzlichem Totschlag ohne Einschränkung voraus. Das gleiche wird für Ex 21,12 zutreffen: Ex 21,12 legitimiert die Blutrache, ohne sie an die Torgerichtsbarkeit zu binden.

95 Vgl. Ex 21,35.36. Z u r B e g r ü n d u n g siehe K a p . 4.2.2.2.3, S. 147-154. 96 Vgl. F . R . K R A U S , W a s ist d e r Codex H a m m u - r a b i ? (1960). R . W E S T B R O O K , Biblical and C u n e i f o r m Law (1988) 2-8. 97 U n t e r anderen hermeneutischen Voraussetzungen macht W.SCHOTTROFF, F l u c h s p r u c h (1969) 127f, eine ähnliche B e o b a c h t u n g : "Die E i n g l i e d e r u n g der D I D P ö l ^ - S ä t z e in das B u n d e s b u c h zeugt j e d e n f a l l s deutlich von dem Willen zur E r gänzung und K o r r e k t u r des in dessen kasuistischem K o r p u s e n t h a l t e n e n k o n d i t i o n a l e n R e c h t s . E r g ä n z e n d e i n g e s c h o b e n sind die im B u n d e s b u c h u r s p r ü n g l i c h o f f e n b a r o h n e R e g e l u n g g e b l i e b e n e n Fälle, welche die Sätze Ex 21,15-17; 22,18 b e h a n d e l n . " 98 D a s A n o r d n u n g s p r i n z i p nach der Schwere des V e r g e h e n s f i n d e t sich z.B. auch im I l e t h i t i s c h e n G e s e t z b u c h ( H G ) , (vgl. V . K O R O S E C [u.a.], A r t . G e s e t z e , in: R L A III (1966) 289). "Eine R e i h e n f o l g e vom H ö h e r - zum G e r i n g e r w e r t i g e n " läßt sich auch in d e r A n o r d n u n g von G e s e t z e n in C E ( H . P E T S C H O W , "Systematik" (1968) 142) und CH ( H . P E T S C H O W , Systematik (1965) 170f, A n m . 1 4 6 ) b e o b a c h t e n . CU und I I G beginnen jeweils auch mit dem Fall d e r T ö t u n g e i n e s M e n s c h e n . 99 So F . H O R S T , R e c h t und Religion (1956) 274. Ähnlich ä u ß e r t sich W. S C H O T T R O F F , F l u c h s p r u c h (1969) 127: "Dieses V o r k o m m e n von D D - P Π ί ΰ - S ä t z e n neben k o n d i t i o n a l e n R e c h t s s ä t z e n d e u t e t schon f ü r die Z e i t der E n t s t e h u n g des B u n d e s b u c h e s auf eine u n t e r s c h i e d s l o s e V e r w e n d u n g b e i d e r im Bereich d e r T o r g e r i c h t s b a r k e i t hin. Man wird sogar noch einen S c h r i t t w e i t e r g e h e n d ü r f e n und die F r a g e stellen k ö n n e n , ob die E i n g l i e d e r u n g in das k a s u i s t i s c h e K o r p u s des B u n d e s b u c h e s nicht ü b e r h a u p t nur deshalb möglich w a r , weil die D Q ' P Γ1 I Q - S ä t z e von A n f a n g an zur V e r w e n d u n g im R a h m e n n o r m a l e r R e c h t s p f l e g e a u s g e b i l d e t w o r d e n sind."

Ex 21,12-17

231

Halten wir als Ergebnis fest: Die ursprüngliche Einleitung des kasuistischen Rechtsbuches lag in Ex 21,12.18f vor. Ex 21,18f ist ein aus der Rechtspraxis entstandener kasuistischer Rechtssatz, dem bei der Komposition des Rechtsbuches mit dem partizipial formulierten Todesrechtssatz Ex 21,12 der entsprechende Gegenfall vorangestellt wurde. So stehen Ex 21,12 und 21,18f zueinander im Verhältnis von "Fall" und "Gegenfall".

4.2.7.2.

Die Entstehung

der Reihe

Ex

21,12-17

Wie ist von dem hier angenommenen Grundbestand Ex21,12.18f der Komplex Ex 21,12-17 entstanden? Der Redaktor, der 21,13.14 eingefügt hat, hat den Zusammenhang von 21,12 und 21,18f aufgesprengt. Von ihm stammt auch das Altargesetz, das nun die programmatische Eröffnung des Bundesbuches bildet. In 21,13.14 differenziert er das ihm vorgegebene Tötungsverbot von 21,12 in vorsätzliche (V.14) und fahrlässige (V.13) Tötung und fügt damit das Thema des Asylrechtes ein, womit er zugleich - wie oben gezeigt - einen deutlichen Rückbezug zum Altargesetz schafft. So ist 21,12 vom jetzt entstandenen kasuistischen Korpus des Bundesbuches, das mit 21,18f beginnt, abgesprengt und zwischen zwei Gottesreden (20,24-26;21,1.211/21,13.14) eingekeilt. Zugleich bietet die so entstandene Abfolge von 21,14 zu 21,18f Schwierigkeiten. Durch die gleichlautende Einleitung mit "O) kämen 21,14 und 21,18f auf einer Ebene zu liegen. 21,14 ist aber lediglich Unterfall zu 21,12. So fügt unser Redaktor 21,15-17 ein und schafft so eine äußerst kunstvolle, insgesamt vier Glieder umfassende partizipiale Reihe todeswürdiger Vergehen. V.15 beginnt sogleich mit demselben Verb in derselben Form wie 21,12: Π3Ώ. So zieht er gleichsam den nach oben abgesprengten V.12 wieder nach unten. Das gleiche Verfahren liegt in V.16 vor, wo er das gleiche Objekt wie in V.12 setzt: EPN. V.17 wiederum greift das Objekt aus V.15 auf. So entsteht hinsichtlich der Objekte eine a-b-a- b-Struktur. 1 0 0 Ex 21,12-17 ist also keine primäre, sondern eine sekundäre Komposition. Ein weiterer Hinweis auf den sekundären Charakter der Komposition mag in der Syndese der VV.15-17 gesehen werden. Läge hier eine ursprüngliche Reihe mit ursprünglichem Sitz im Leben vor, so wäre eine asyndetische Einleitung der einzelnen Glieder zu erwarten. 1 0 1 Nur so könnten die einzelnen Glieder ihre ganze "Wucht des Ausdrucks" voll entfalten. V . W A G N E R , der im Anschluß an A . A L T eine solche ursprüngliche, insgesamt zehn Glieder

100 Vgl. die Tabelle in Kap. 3.1, S. 39. 101 A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 30f, rechnet folgerichtig die Syndese der Reihe dem "Bearbeiter des Bb. oder ... einem Späteren zu".

232

Kasuistisches Rechtsbuch

umfassende Reihe rekonstruiert, läßt folgerichtig jedes einzelne Glied asyndetisch beginnen. 102 Der Redaktor stellt dem nun entstandenen kasuistischen Korpus eine vier Glieder umfassende Reihe todeswürdiger Verbrechen voran und eröffnet so den strafrechtlichen Teil seines Bundesbuches. Die Form des partizipial formulierten Rechtssatzes als des "von der höchsten Autorität eines Rechtskreises" 1 0 3 gesetzten Rechtes fügt sich seiner das ursprünglich profanrechtliche Bundesbuch zum Gottesrecht transformierenden Redaktion hervorragend ein. Verstärkt wird diese Tendenz durch die von demselben Redaktor stammende Gottesrede in 21,13.14. So bekommt auch der durch diese partizipial formulierten Rechtssätze (21,12-17) eingeleitete strafrechtliche Teil des Bundesbuches insgesamt den Charakter eines von Gott gesetzten Rechtes. Die These, daß Ex 21,12-17 eine sekundäre Komposition ist, die aus der Hand des das Bundesbuch zum Gottesrecht transformierenden Redaktors stammt, kann mit einer Beobachtung zur Struktur des Bundesbuches gestützt werden. Ex 22,17-19 ist ebenfalls eine sekundäre Komposition von zum Teil partizipial formulierten Todesrechtssätzen. Der sekundäre Charakter dieser Komposition ist weit weniger umstritten als der von Ex 21,12-17. 1 0 4 Ex 22,17-19 stammt aber ebenfalls von unserem "Gottesrechtsredaktor". Daß Ex 21,12-17 und Ex 22,17-19 strukturell miteinander korrespondieren, ist häufig gesehen worden. Die Frage ist nur: in welcher Weise? Bilden 21,12-17 und 22,17-19 einen Rahmen um den kasuistischen Teil des Bundesbuches (21,1822,16) 1 0 5 oder leiten sie jeweils den ersten und zweiten Teil des Bundesbuches ein? Für letztere Position habe ich im Rahmen der Strukturanalyse eine Reihe von Argumenten genannt: 1 0 6 So wie die Reihe todeswürdiger Verbrechen 21,12-17 den kasuistischen Teil des Bundesbuches einleitet, so leitet die Reihe todeswürdiger Verbrechen 22,17-19 den prohibitiven Teil des Bundesbuches ein. Gerahmt wird das so entstandene Werk von einem inneren (21,211 / 23,10-12) und einem äußeren (20,22-26 / 23,13-19) Rahmen. Eine kleine traditionsgeschichtliche Beobachtung zu diesem das Bundesbuch zum Gottesrecht transformierenden Redaktor mag die Plausibilität der hier vorgetragenen These erhöhen. Es läßt sich nämlich beobachten, daß die von diesem Redaktor in das Bundesbuch eingetragenen Themen im Deutero102 V . W A G N E R , Rechtssätze (1972) 19-21. Ein ähnliches Phänomen läßt sich am Dekalog beobachten. In der ältesten Fassung, die gleichsam ihre kompositionelle Handschrift noch deutlich verrät, liegt Syndese der einzelnen Glieder vor (Dtn 5). Später, als der Dekalog eine zitable Größe wurde, konnte asyndetisch formuliert werden (Ex 20). Vgl. F . L . H O S S F E L D , Dekalog (1984). 103 G . L I E D K E , Gestalt und Bezeichnung (1971) 125. 104 Vgl. nur E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 32. 105 So J . H A L B E , Privilegrecht (1975) 415; 421. E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 9f. 106 Siehe Kap. 2.2, S. 24-28.

Ex 21,12-17

233

nomium aufgegriffen und entfaltet werden. Dies gilt zunächst und vor allem f ü r Ex 21,13.14 in Dtn 19,1-13, dann aber auch f ü r Ex 21,16 in Dtn 24,7 und für Ex 21,17 in Dtn 27,16. 107 Die Rechtssätze zum Schutz der Eltern, die der Reihe eine kohärente Struktur verleihen, liegen traditionsgeschichtlich auf einer Entwicklungslinie, die zur Aufnahme von familienrechtlichen Bestimmungen in das Dtn und zur Aufwertung der Familie, insbesondere der Eltern, in der dtn-dtr Schule führt. 1 0 8 Die hier vorgetragene redaktionsgeschichtliche These zur Entstehung von Ex 21,12-17 hat gegenüber der traditionellen These zwei Vorteile: 1. Sie verzichtet auf die Hypothese, daß der ursprüngliche Anfang des kasuistischen Rechtsbuches ausgefallen, verlorengegangen oder durch Ex 21,12-17 gezielt verdrängt worden sei. 109 2. Sie ist nicht genötigt, innerhalb von V.16 literarkritisch zu operieren. Die verschiedenen literarkritischen Operationen innerhalb von V.16 zeigen, daß der Vers in der vorliegenden Form offensichtlich nicht gut in die Reihe der vier apodiktischen Rechtssätze paßt. Verzichtet man auf die Annahme einer ursprünglichen Reihe, lassen sich diese Schwierigkeiten besser dadurch beheben, daß man V.16 insgesamt als eine Bildung des Redaktors ansieht. Analog den beiden zum Grundbestand des Bundesbuches zu rechnenden Fällen des Viehdiebstahls 21,27;22,3 wird hier der Fall des Menschendiebstahls abgehandelt. Er korrespondiert exakt mit den beiden Bestimmungen zum Viehdiebstahl: entspricht 22,3, ^"ÇÇ^ entspricht 21,37. Das "Schlachten" aus 21,37 nimmt beim Menschen die Form des "Erschlagens" an und wird in 21,12 als Körperverletzung mit Todesfolge behandelt. Der Menschendiebstahl wird als todeswürdiges Verbrechen angesehen. So formuliert der Redaktor diesen Rechtssatz in Analogie zu 21,12 mit partizipialer Tatbestandsdefinition und einer ΠΟΊ ΓΠ D-Rechtsfolgebestimmung. Eine gewisse Überlänge zu 21,12.15.17 störte ihn nicht, da ihm das Ideal einer gleichförmigen, fünf Glieder umfassenden Reihenbildung nicht vor Augen stand. Was die Eröffnung des kasuistischen Rechtsbuches mit 21,12 anbetrifft, so sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, daß auch der Codex Urnammu und das Hethitische Gesetzbuch mit einem Gesetz zum Totschlag

107 Ob das n"?pD von Dtn 27,16 beibehalten werden kann oder mit zwei Handschriften in geändert werden muß. kann an dieser Stelle offen bleiben. Nach H . S C H U L Z , Todesrecht (1969) 52, ist í"l?¡5D in D t n 27,16 nicht Verschreibung von aus Ex 21,17, "sondern von Anbeginn intendierte Umdeutung." 108 Vgl. F.L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 252-259. D E R S . , D i e alttestamentliche Familie vor Gott (1983) 224-226. Vgl. Kap. 5.2.6.2, S. 367. 109 Vgl. V . W A G N E R , Systematik (1969) 177: "Der Anfang ist durch die Substitution verlorengegangen, und der Übergang zum neuen Thema vollzieht sich in der gegenwärtigen Gestalt des Textes sprunghaft." Vgl. Kap. 4.1, S. 45, Anm. 7.

234

Kasuistisches Rechtsbuch

beginnen. Insofern muß man nicht, wie V . W A G N E R , 1 1 0 für einen als verloren angenommenen Anfang des kasuistischen Teils des Bundesbuches analog dem CH familienrechtliche Bestimmungen vermuten.

4.3. Redaktionsgeschichtliches

Fazit

Unter literarhistorischem Gesichtspunkt hat die vorangehende Interpretation deutlich gemacht, daß der Text Ex 21,12-22,16 ein literarisch gewachsener Text ist. Unter Auswertung der im Rahmen der Interpretation genannten literar- und kompositionskritischen Beobachtungen soll nun ein Textentstehungsmodell von Ex 21,12-22,16 vorgestellt werden. Der Übersicht halber stelle ich das Ergebnis in Form einer Tabelle voran:

Ex 21,12-22,16 Kasuistisches Rechtsbuch^>Gottesrechtliche Grundbestand -* Erweiterungen 21,12 21,13-17 21,18f 21,2Qf 21,22aaba 21,22aßbß.23f 21,26f

21,28f 21,32 21,33aß*b.34aa 21,37 22,3 22,9f* 22,13abß

21,31

21,30

21,33aaß*Y.34aßb-36 22, l f 22,4f 22,6-8 22,1 lf 22,13ba.l4

22,9P

22,15f

110 V . W A G N E R , Systematik (1969) 178.

Red.^Dtr.

21,25

Redaktion

Redaktionsgeschichtliches Fazit

235

Die grundlegende Beobachtung zur Textgenese von Ex 21,12-22,16 besteht darin, daß ein vorgegebener kasuistischer Bestand gottesrechtlich erweitert wurde. Die deutlichsten Spuren waren in Ex21,13f zu erkennen, aber auch die Einfügung der Talionsformel weist in dieselbe Richtung. Hauptkennzeichen dieser Redaktion ist die Anrede einer 2.Ps.Sg. - teilweise unter expliziter Nennung des Sprecher-Ichs. Innerhalb von Ex 21,12-22,16 findet sich diese Form der Anrede nur in 21,13f.23. Zusammen mit 21,13f wurde sehr wahrscheinlich auch 21,15-17 eingefügt und zusammen mit der Talionsformel sehr wahrscheinlich auch die Gesetze zum Schutz von Schuldsklave und Schuldsklavin 21,20f.26f. Ein inhaltliches Kennzeichen dieser Redaktion ist die deutliche Eingrenzung blutrechtlicher Bestimmungen: so in der Asylgesetzgebung 21,13f, im Schutz des Schuldsklaven/ia/fers vor der ungerechtfertigten Inanspruchnahme der Blutrache von Seiten der Angehörigen des Schuldsklaven bzw. der Schuldsklavin in 21,21 und in der Zuweisung des Falles fahrlässig verursachter Körperverletzung mit und ohne Todesfolge an eine ersatzrechtliche Regelung in der Talionsbestimmung 21,22aßbß.23f. Die gleiche Tendenz läßt sich auch in der Aufnahme der "133-Bestimmung in 21,30 und im Gesetz zum Schutz des Diebes vor der Blutrache in 22,lf beobachten. Deshalb halte ich es für wahrscheinlich, daß diese im vorliegenden Kontext deutlich als sekundär zu erkennenden Bestimmungen 21,30; 22,lf ebenfalls auf das Konto der gottesrechtlichen Redaktion gehen. Auf das Konto der gottesrechtlichen Redaktion gehen aber vor allem der zweite Teil des Bundesbuches Ex 22,17-23,9* und die doppelte Rahmung in 20,24-21,11 und 23,10-19. Diese Teile der Redaktion werden in Kap. 5 der Arbeit vorgestellt und interpretiert. An dieser Stelle soll deshalb die gottesrechtliche Redaktion nur insofern kurz zusammenfassend gekennzeichnet werden, als sie im eigentlich kasuistischen Teil des Bundesbuches gearbeitet hat. Diese Redaktion hat also nicht nur jus, fas und ethos zusammengebunden, sondern auch am jus gearbeitet, und natürlich auch am fas und am ethos. Hinsichtlich der gottesrechtlichen Redaktion innerhalb von Ex 21,12-22,16 lassen sich zusammenfassend folgende Beobachtungen machen: 1. Unter juristischem Gesichtspunkt fallen vier Beobachtungen auf: (1) die Differenzierungen im Bereich blutrechtlicher Überlieferungen. Die Inanspruchnahme des Asyls wird an den Tatbestand unbeabsichtigter Tötung gebunden (21,13f), die fahrlässig verursachte Körperverletzung mit Todesfolge wird einer ersatzrechtlichen Regelung zugewiesen (21,22aßbß. 23f), die ISä-Zahlung wird bei Verzicht auf Blutrache im Falle der Verletzung der Aufsichtspflicht (21,29) einer präzisen Regelung unterworfen (21,30), und der insolvente Dieb wird grundsätzlich vor der Blutrache geschützt (21,lf).

236

Kasuistisches Rechtsbuch

(2) Die Einfügung des JHWH-Schwurs in 22,9f zeigt an, daß hier das alte kultische Götter- bzw. Gottesurteil (21,8) durch den - wahrscheinlich im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverfahrens abzulegenden - assertorischen Eid ersetzt worden ist. Hier zeigt sich eine Entwicklung zur Etablierung und Institutionalisierung eines öffentlichen Rechtsverfahrens, wie es ebenfalls in der vom Gottesrechtsredaktor aufgegriffenen Reihe Ex 23,1-7 zu erkennen ist. 1 (3) Weiterhin fällt auf, daß mit der Talionsformel ein den Einzelfall übergreifendes Rechtsprinzip eingefügt worden ist. (4) Mit der gottesrechtlichen Redaktion bekommt der Teil 21,18-22,16 eine neue Gliederung. Der Bereich der Körperverletzung mit und ohne Todesfolge durch Menschen (21,12.18-27) wird durch Hinzufügung von 21,20f.26f vom Bereich der Tötung eines Menschen durch ein stoßendes Rind 21,28-32 deutlicher abgegrenzt, als es der vorangehenden Redaktion mit der Hinzufügung von 21,33f *-36 gelungen war. 2. Hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklung scheint eine soziale Differenzierung eingetreten zu sein. Die Rechte von Schuldsklave und Schuldsklavin werden geschützt, ebenso der insolvente Dieb vor der Inanspruchnahme der Blutrache. 3. Unter sozialem Gesichtspunkt fällt die Schuldsklavengesetzgebung (21,20f.26f) durch ihren humanitären Charakter auf. Der Schutz von Schuldsklave und Schuldsklavin wird hier nicht durch Paränese in Form von Geoder Verboten eingefordert, sondern nach streng juristischen Kriterien in Form eines kasuistischen - und damit theoretisch einklagbaren - Gesetzes geregelt, ein Zeugnis "einer auffallend menschlichen, edel natürlichen Haltung." 2 In diese Tendenz fügen sich auch die familienrechtlichen Bestimmungen (21,15.17) ein, wo die alt und schwach gewordenen Eltern vor der physischen und psychischen Gewalt ihrer überlegen gewordenen Kinder geschützt werden. Der gottesrechtlichen Redaktion war ein kasuistisches Rechlsbuch vorgegeben, das selbst Spuren einer literarisch faßbaren Überlieferungsgeschichte aufweist. Z u m Grundbestand

d i e s e s kasuistischen

Rechtsbuches

r e c h n e ich:

Ex 21,12.18f.22aaba.28f.32.33aß*b.34aa.37; 22,3.9f *.13abß. Z u d e n Erweiterungen

des kasuistischen

Rechtsbuches

r e c h n e ich:

Ex 21,31.33aaß*Y.34aßb-36; 22,4f.6-8.11f ,13ba.l4. Hinsichtlich der Erweiterungen lassen sich nur schwer deutlich voneinander abgrenzbare Wachstumsringe herausschälen. Die Gründe dieser Schwierigkeiten sind gattungsbedingt. In einem Rechtsbuch findet sich kein durchgehender Erzählfaden. 1 Vgl. dazu Kap. 5.2.7, S. 378-388. 2 J. W E L L H A U S E N , Composition ( 1 8 7 6 / 7 7 ) 96.

Redaktionsgeschichtliches Fazit

237

Die meisten Rechtssätze heben gleichsam ab ovo an, und es lassen sich wohl innerhalb einer kleinen Einheit einzelne Rechtssätze als sekundäre Erweiterungen erkennen, aber nur schwer Verbindungslinien zwischen den einzelnen Erweiterungen ziehen. Bei der gottesrechtlichen Redaktion habe ich den Versuch unternommen, neben formalen (Anrede einer 2.Ps.Sg.) und kompositionskritischen Gesichtspunkten (21,13f + 15-17 / 21,22aßbß.23f -» 21,20f.26f) im Thema der Differenzierung der Blutrechtsüberlieferung ein gemeinsames Band zwischen einzelnen herausgearbeiteten Erweiterungen zu entdecken. Innerhalb der vorgottesrechtlichen Erweiterungen fällt dies schwer. Es ist möglich, daß diese Erweiterungen auf das Konto einer planmäßigen Redaktion gehen, es ist aber auch möglich, daß es sich hierbei um einen kontinuierlichen Fortschreibungsprozeß handelt. Unter diesem Vorbehalt lassen sich nun hinsichtlich der Erweiterungen des kasuistischen Rechtsbuches folgende Beobachtungen machen: 1. Unter juristischen Gesichtspunkten fällt auf: (1) Die Verantwortlichkeit des Rinderhalters wird im Hinblick auf die Verletzung von Sohn und Tochter (21,31) erweitert und die Verantwortlichkeit des Grubeneigentümers präzisiert (21,33f *). (2) Mit der "literarischen Ergänzung" in 21,35f wird das Prinzip der Verantwortlichkeit des Eigentümers bei der Vernachlässigung der Aufsichtspflicht aus dem Bereich der Körperverletzung mit und ohne Todesfolge (21,18-32) in den Bereich der Schädigung fremden Viehbestandes (21,33f *) herübergeholt und damit gleichzeitig dieser Bereich komplettiert. (3) Mit der Vindikationsklausel 22,8 wird ein den Einzelfall übergreifendes Rechtsprinzip eingeführt. 2. Hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklung scheint bereits eine erste soziale Differenzierung eingetreten zu sein. Die Erweiterung des Depositenrechts in bezug auf die Veruntreuung und den Diebstahl von Silber(-Geld) und (kostbaren) "Geräten" (z.B. Geschirr, kostbare Metallgeräte, Kleidung) kann als Hinweis in diese Richtung verstanden werden (22,6f), ebenso der Schutz des Weinberges vor weidendem Vieh. Die Einfügung des Lohnarbeiters ist ein Hinweis auf das Vorhandensein arbeitsrechtlicher Verhältnisse, die der Grundbestand des kasuistischen Rechtsbuches noch nicht erkennen läßt. Innerhalb von Ex 21,12-22,16 rechne ich die Ergänzung der Talionsformel 21,25 auf das Konto einer deuteronomistischen Redaktion, gestehe aber ein, daß es dafür aus der Analyse von Ex 21,12-22,16 kein durchschlagendes Argument gibt. Die Zuordnung ergibt sich aus vier Beobachtungen: 1. 21,25 ist gegenüber 21,23f ( = gottesrechtliche Redaktion) sehr wahrscheinlich sekundär. 2. Innerhalb von 20,22-21,22 / 22,17-23,19 läßt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine deuteronomistische Redaktion nachweisen. 3. Ein Kennzeichen dieser deuteronomistischen Redaktion ist die Bezugnahme auf Texte

238

Kasuistisches Rechtsbuch

außerhalb des Bundesbuches. 4. In Ex 21,25 sehe ich eine Anspielung auf Gen 4,23. 5. Ergo stammt 21,25 von einer deuteronomistischen Redaktion, die das Bundesbuch in die Sinaiperikope eingefügt und gleichzeitig ein von Gen 2,4b-2 Kön 25 reichendes Geschichtswerk geschaffen hat. 3

4.4. Der historische und soziokulturelle und Überlief erung des kasuistischen 22,16*

Kontext der Rechtsbuches

Entstehung Ex 21,12-

Zuvor eine kurze Bemerkung zur Terminologie. Wie bereits deutlich geworden ist, halte ich den Grundbestand von Ex 21,12-22,16 f ü r den ältesten Teil des gesamten Bundesbuches Ex 20,22-23,33. Man könnte hierbei von "Grundbestand des Bundesbuches" sprechen, obwohl von "Bundesbuch" im engeren Sinne noch nicht die Rede sein kann. Von "Bundesbuch" (~I3D Ex 24,7) im strengen Sinne kann beim Textkomplex Ex 20,22-23,33 erst auf der Ebene seiner deuteronomistischen Integration in die Sinaitheophanie gesprochen werden. 1 Wenn also in dieser Arbeit von "Grundbestand des Bundesbuches" die Rede ist, bezeichnet das Wort "Bundesbuch" rein deskriptiv den Text Ex 20,22-23,33. Um aber Mißverständnisse zu vermeiden, spreche ich in diesem Zusammenhang normalerweise von "Grundbestand des kasuistischen Rechtsbuches". Die Ausdrücke "Grundbestand des Bundesbuches" und "Grundbestand des kasuistischen Rechtsbuches" sind also in dieser Arbeit bedeutungsgleich. Mit den "Erweiterungen des Grundbestandes des kasuistischen Rechtsbuches" meine ich diejenigen Erweiterungen innerhalb von Ex 21,12-22,16, die noch vor der gottesrechtlichen Redaktion hinzugefügt worden sind. 2 Die in der Überschrift diese Kapitels (4.4) genannte "Entstehung und Überlieferung des kasuistischen Rechtsbuches Ex 21,12-22,16" bezieht sich in erster Linie auf den Grundbestand und die Erweiterungen, die noch vor der gottesrechtlichen Redaktion hinzugefügt worden sind. Da die gottesrechtliche Redaktion jedoch innerhalb von Ex 21,12-22,16 in der juristischen Tradition des Grundbestandes und seiner Erweiterungen steht, bezieht der Ausdruck "Entstehung und Überlieferung des kasuistischen Rechtsbuches

3 Zur Begründung siehe Kap. 5.2.11, S. 410-114. 1 Zur Begründung siehe Kap. 5.2.11, S. 406-414. In gewisser Weise könnte man von "Bundesbuch" bereits auf der Ebene seiner gottesrechtlichen Redaktion sprechen. Vgl. dazu Kap. 5.1, S. 284-286 und Kap 5.2.11, S. 406-414. 2 Vgl. die Übersicht im vorangehenden Abschnitt Kap. 4.3, S. 234-238.

Historischer und soziokultureller Kontext

239

Ex 21,12-22,16" im weiteren Sinne auch die gottesrechtliche Redaktion innerhalb von Ex 21,12-22,16 mit ein.

4.4.1.

Einleitung

Seit der Auffindung des Codex Hammurapi zu Beginn des Jahres 1902 und der Publikation des Gesetzes noch im selben Jahr durch V.SCHEIL ist eine lebhafte Diskussion über das Verhältnis dieses Gesetzeswerkes zur "mosaischen Gesetzgebung" entbrannt, die seinerzeit "Gelehrte wie Laien in hochgradige Aufregung versetzt" hat, "gewissermaßen entsprechend dem Prophetenworte (Jerem.51,7): »Vom Weine Babels tranken die Völker, daher gebärdeten sie sich wie Rasende«." 3 Die Aufregung hat sich mittlerweile gelegt, obwohl, oder gerade weil man inzwischen eine ganze Anzahl weiterer altorientalischer Rechtsquellen entdeckt hat. 4 Dabei hat sich die Frage nach dem Verhältnis von Codex Hammurapi und mosaischer Gesetzgebung von der Frage nach der literarischen Abhängigkeit zur Frage nach der Stellung des alttestamentlichen Rechtes im Kontext altorientalischer Rechtskultur verlagert. 5 Bei der Interpretation von Ex 21,12-22,16 habe ich an einigen Stellen Gesetze keilschriftlicher Rechtsquellen hinzugezogen und im Falle von Ex 21,35 die These aufgestellt, daß der Schreiber dieses Gesetzes CE § 53 gekannt habe. Die Voraussetzungen und Implikationen dieser These möchtc içh nun entfalten. Dabei geht es nur am Rande um die Frage nach der Stellung des Bundesbuches im Kontext altorientalischer Rechtskultur und schon gar nicht um eine Aufarbeitung der Forschungsgeschichte zu diesem Thema. Ich möchte vielmehr einige Grundtypen der Interpretation des Verhältnisses von Bundesbuch und altorientalischen Rcchtsbüchern, insbesondere Codex Hammurapi, unter der von der Forschungsgeschichte vorgegebenen Fragestellung, ob "Mose den Codex Hammurapi gekannt habe" vorstellen, und im Horizont der Forschungsgeschichte eine Antwort auf diese Frage wagen mit dem Ziel, die kultur- und sozialgeschichtlichen Implikationen der These vom Bundesbuch als Teil altorientalischer Rechtskultur zu entfalten 3 H.GRIMME, Das Gesetz Chammurabis und Mose (1903) 3. Vgl. auch das Vorwort von D.H.v.MÜLLER, Gesetze Hammurabis (1903-5) 3-8, der sich seit der Publikation der Gesetze in seiner ländlichen Einsamkeit "ununterbrochen mit dem Studium dieser hervorragenden Dokumente beschäftigt[e] und insbesondere das Verhältnis derselben zur mosaischen Gesetzgebung festzustellen gesucht[ej." Ebd.6. 4 Vgl. den kurzen Überblick bei R.HAASE, Einführung (1965) 2-4. V.K.OROSEC, Keilschriftrecht (1964). J.KRECHER, Rcchtsleben (1980). W . H . P . R Ö M E R , Bemerkungen (1983). 5 Vgl. das umsichtige Nachwort bei C.LOCHER, Ehre einer Frau (1986) 381-387.

240

Kasuistisches Rechtsbuch

und so einen hermeneutischen Rahmen f ü r die Interpretation anderer Rechtstexte des AT abzustecken.

4.4.2. 4.4.2.1.

" Hat M ose den Codex Hammurapi

gekannt"

?

Forschungsüberblick

Die in der Forschung zu dieser Frage vertretenen Positionen lassen sich auf drei Grundtypen reduzieren. Der erste Typ rechnet mit einer literarischen Abhängigkeit des Bundesbuches vom Codex Hammurapi. Hier sind - idealtypisch vereinfachend zwei Richtungen zu unterscheiden. Die erste Richtung führt Bundesbuch und Codex Hammurapi auf eine gemeinsame Quelle zurück. Hierbei rechnet man also lediglich mit einer Art indirekter literarischer Abhängigkeit. Die zweite Richtung rechnet mit direkter literarischer Abhängigkeit des Bundesbuches vom Codex Hammurapi. Der zweite Typ ist dem ersten genau entgegengesetzt. Er betont die Unterschiede zwischen der biblischen auf der einen und der keilschriftlichen Gesetzgebung auf der anderen Seite, weist jede Hypothese einer literarischen Abhängigkeit zurück und erklärt die Gemeinsamkeiten mit der Annahme einer "unabhängigen Parallelentwicklung"6 nach der Weise: "gleiche Probleme - gleiche Problemlösungen". Der dritte Typ nimmt eine Zwischenposition ein. 7 Er rechnet das Bundesbuch und das Keilschriftrecht zu einer gemeinsamen altorientalischen Rechtskultur. Auch hier lassen sich zwei Richtungen unterscheiden. Die eine Richtung rechnet offenbar mit einer schriftlichen Vermittlung dieser gemeinsamen altorientalischen Rechtskultur, die andere Richtung spricht lediglich von einer durch mündliche Tradition oder mündlich überliefertes Gewohnheitsrecht vermittelten altorientalischen Rechtskultur. Bevor ich die Typen mit ihren Argumenten kurz vorstelle, gebe ich einen schematischen Überblick: 8 6 Der Ausdruck findet sich bei J.G.LAUTNHR, Die Methoden einer antik-geschichtlichen Forschung (1933) 42. 7 Vgl. H.GAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 147: "Entre l'emprunt pur et simple et l'ignorance totale, il y a marge pour bien des degrés." 8 Beim folgenden Forschungsüberblick wird lediglich eine Auswahl von Autoren genannt. Es handelt sich also nicht um eine vollständige Auflistung. D i e einzelnen Positionen gehen manchmal ineinander über, und nicht immer läßt sich ein Autor eindeutig einer Position zuordnen. D i e folgende Auflistung stellt eine idealtypische Vereinfachung dar mit dem Ziel, die wichtigsten Argumente der einzelnen Positionen präzise zu erfassen.

Historischer und soziokultureller Kontext 1. Literarische 1.1. Indirekte

241

Abhängigkeit literarische Abhängigkeit

D.H.VON MÜLLER ( 1 9 0 3 )

H.GRIMME (1903) A.JIRKU (1927) A.JEPSEN (1927) I.2 Direkte literarische H.GRESSMANN (1921) 2. Unabhängige E.RING (1926) Λ.MENES (1928) P.KOSCHAKER (1935) M.DAVID (1950)

Abhängigkeit

Parallelentwicklung

A.VAN SELMS (1950)

G.R.DRIVER/J.C.MILES (1952) (1961)

W.PREISER

3. Gemeinsame altorientalische 3.1. Schriftlich vermittelt (kommt A.ALT (1934) H.GAZELLES (1946) S.M.PAUL (1970) J.J.FINKELSTEIN (1981) R.WESTBROOK (1985/88)

Rechtskultur 1.1 und 1.2 sehr

3.2. Durch mündliche vermittelt R.YARON (1969) HJ.BOECKER (1976) G.LIEDKE (1971) E.OTTO (1989)

bzw.

Tradition

gemeinsame

nahe)

Rechtspraxis

Dabei ist weiterhin zu berücksichtigen, daß die vor 1948 erschienene Literatur den Codex Eschnunna nicht berücksichtigen konnte, da dieser erst in den Jahren 1945 und 1947 bei Ausgrabungen entdeckt wurde. Dies ist wichtig zu wissen, da die engste Parallele zwischen dem Bundesbuch und dem Keilschriftrecht in Ex 21,35 und CE § 5 3 vorliegt. Die editio princeps vom Codex Eschnunna erschien in Sumer 4 (1948) 63-102, bearbeitet von A . G O E T Z E . Die Standardpublikation stellt A . G O E T Z E , The Laws of Eschnunna, New Haven 1956, dar. Die ersten Veröffentlichungen, die sich mit dem Verhältnis von Bundesbuch und Codex Eschnunna beschäftigen, sind - soweit ich sehe M.DAVID, Een Nieuwontdekte (1949) und A.VAN SELMS, The Goring Ox in Babylonian and Biblical Law: A r O r 18/4 (1950) 321-330.

242

Kasuistisches Rechtsbuch

Die Positionen 1.1 ("indirekte literarische Abhängigkeit") und 3.1 ("schriftlich vermittelte altorientalische Rechtskultur") liegen sehr eng beieinander und lassen sich oft nur schwer unterscheiden. Den beiden Positionen liegt ein unterschiedliches kulturgeschichtliches Modell zugrunde. Die Position 1.1 ("indirekte literarische Abhängigkeit") wurde vor allem in der älteren Forschung vertreten. Sie scheint in der neueren Forschung durch die Position 3.1 ("schriftlich vermittelte altorientalische Rechtskultur") abgelöst zu sein. Forschungsgeschichtlich scheint die Position 2 ("unabhängige Parallelentwicklung") eine Reaktion auf die Position 1 ("literarische Abhängigkeit") gewesen zu sein. Mit der Position 3 ("gemeinsame altorientalische Rechtskultur") liegt eine Art Vermittlung vor. Dabei scheint die Position 3.1 ("schriftlich vermittelte altorientalische Rechtskultur") das Erbe der Position 1 ("literarische Abhängigkeit") anzutreten, die Position 3.2 ("durch mündliche Tradition vermittelte altorientalische Rechtskultur") das Erbe der Position 2 ("unabhängige Parallelentwicklung"). Nun zu den Positionen im einzelnen.

4.4.2.2.

Positionen

4.4.2.2.1. 4.4.2.2.1.1.

Literarische Indirekte

der

Forschung Abhängigkeit

literarische

Abhängigkeit

Hauptvertreter dieser Richtung ist der Wiener Orientalist D . H . v . M Ü L L E R , der bereits ein Jahr nach Entdeckung des Codex Hammurapi (1902) sein umfangreiches Werk "Die Gesetze Hammurabis und ihr Verhältnis zur mosaischen Gesetzgebung sowie zu den 12 Tafeln" publizierte. 9 D.H.v.MÜLLER versucht, Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit der "Hypothese eines bereits fixierten Urgesetzes, aus dem beide Gesetzgebungen geflossen sind" zu erklären. 1 0 Auch A.JEPSEN vertritt dieses Modell. Die Grundlage des kasuistischen Teils des Bundesbuches, das sogenannte "Hebräer-Gesetz", 1 1 geht seiner Ansicht nach auf ein semitisches Gesetz zurück, das "in Kleinasien und Palästina verbreitet und den Assyrern bekannt gewesen sein " muß. 1 2 In Palästina wurde es von den Hebräern übernommen und nach ihren Bedürfnis9 Wien 1903-1905 (Neudruck 1975). 10 D.H.v.MÜLLHR, Gesetze I^ammurabis (1903-5) 7. So auch A.JIRKU, Das weltliche Recht (1927) 147. Etwas vorsichtiger drückt sich H.GRIMME, Gesetz Chammurabis (1903) 35; 43, aus. 11 Siehe dazu die Darstellung in Kap. 2.1.4, S. 8-11. 12 A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 80.

Historischer und soziokultureller Kontext

243

sen umgearbeitet. Bei der Einwanderung in Palästina übernahmen die Israeliten das einheimische Hebräer-Gesetz und fügten "einen Rcchtssatz, der ihnen fehlte, an passender Stelle" ein. "Nur durch diese Annahme kann man dem Wechsel der Formulierung in der ersten Hälfte des Bb. gerecht werden." 13

4.4.2.2.1.2.

Direkte

literarische

Abhängigkeit

Diese Position wurde eigentlich kaum vertreten. Sie läßt sich am ehesten als idealtypische Vereinfachung verstehen. Eine Tendenz in diese Richtung liegt bei H.GRESSMANN vor, wenn er schreibt: "Die sachliche, teilweise wörtliche Berührung, ja die auffällige Übereinstimmung in der Reihenfolge einzelner Vorschriften des Bundesbuches (vgl. besonders 21,28ff.) legt die Vermutung nahe, daß nicht nur die allgemeinen Rechtsauffassungen der Babylonier, sondern der Wortlaut des Kodex Hammurapi selbst oder eines späteren babylonischen Gesetzbuches in Kanaan bekannt waren." 14

4.4.2.2.2.

Unabhängige

Parallelentwicklung

In deutlicher Kritik an der von H.D.v.MÜLLER vertretenen Position einer literarischen Abhängigkeit hat sich P.KOSCHAKER (1935) grundsätzlich zur Methode der vergleichenden Rechtswissenschaft geäußert: "Die Zeiten, da man aus inhaltlicher Übereinstimmung von Rechtssätzen in zwei verschiedenen Rechten ohne weiteres auf Entlehnung aus dem älteren Rechte schloß, ... sind vorüber, oder besser gesagt, sollten vorüber sein. Die Anwendung der komparativen Methode in der Rechtsgeschichte hat uns gelehrt, daß wir in weitem Umfange mit unabhängiger Parallelentwicklung rechnen müssen, ja daß diese sogar die zunächstlicgendc Erklärung f ü r Übereinstimmungen in verschiedenen Rechten gibt und Rezeptionen und sonstige Beeinflussungen nur angenommen werden dürfen, wenn sie bewiesen oder wenigstens wahrscheinlich gemacht werden können. ... Jedenfalls wäre es eine primitive Vorstellung, zu glauben, daß man Rechtssätze importiert wie eine ausländische Ware. Im Gebiete des Keil13 Ebd. 70. 14 H.GRESSMANN, Die älteste Geschichtsschreibung II.2 ( 2 1921) 221.

244

Kasuistisches Rechtsbuch schriftrechts liegt allerdings ein Rezeptionsvorgang größten Stils sichtbar vor unseren Augen: die Ausbreitung der Sprache, Schrift und der Rechtsurkunde. Sie betreffen aber in erster Linie nicht den Inhalt des Rechts, sondern seine Form ,..". 15

Es ist erwähnenswert, daß P.KOSCHAKER die These A.ALTs, die Israeliten hätten das kasuistische Recht aus den Rechtssatzungen kanaanäischer Städte übernommen, f ü r "in hohem Grade wahrscheinlich" hält: "Die weitere Frage, woher dieses kanaanäische Recht seine Form genommen habe, beantwortet ALT ... mit der Erwägung »ob da nicht doch Zusammenhänge (seil, mit Babylonien, wo wir in Gesetzen denselben »Wenn-Stil« finden) bestehen, Zusammenhänge, nicht so sehr der Rechtsbücher der verschiedenen Völker als vielmehr einer allen gemeinsamen Rechtskultur, an der jedes Volk in seiner besonderen Weise teilnahm«. Ich stimme dieser vorsichtigen Formulierung zu, möchte aber doch erinnern, daß der »Wenn-Stil« Gesetzen einer älteren Kulturstufe allgemein eigen zu sein scheint und sich auch in dem 12. Tafelgesetz der Römer und dem Gesetz von Gortyn findet." 1 6 Auch M . D A V I D (1950) hält es f ü r äußerst unwahrscheinlich, daß Bundesbuch und Codex Hammurapi auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen, oder daß das Bundesbuch vom Codex Hammurapi literarisch direkt abhängig sei: "it does not seem likely to me that the C.H. and the Mosaic law go back to one common primeval source, and even less so that one law should be drived f r o m the other. To my mind there is even no indication whatsoever that the Biblical legislator has known the C.H. and has been influenced by it in any way." 17 Die Kongruenz von Inhalt und Form einzelner Sätze des Bundesbuches und des Codex Hammurapi läßt sich nach M . D A V I D auch ohne die Annahme einer überlieferungsgeschichtlichen oder literarischen Abhängigkeit erklären. Er verweist dazu auf die Untersuchung von H.FEHR, Hammurapi und das salische Recht, in der zahlreiche Parallelen von Codex Hammurapi und Deutschem Recht aufgewiesen werden, ohne daß dies durch gegenseitige Beeinflussung erklärt werden kann. Das Recht eines Volkes - so M.DAVID - ist primär bedingt durch die politische, soziale und wirtschaftliche Struktur der Gesellschaft, in der es gilt und nicht durch literarische oder anderweitige

15 P.KOSCHAKER, Keilschriftrecht (1935) 31f. 16 Ebd. 23f. 17 M.DAVID, The Codex Hammurabi (1950) 153.

Historischer und soziokultureller Kontext

245

Einflüsse von außerhalb. 1 8 Nun sind aber die altisraelitische und altbabylonische Gesellschaft in sozialer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht völlig unterschiedlich. "Therefore it seems out of the question to us that the legislation of Israel, at any rate the law of Covenant, is in any way whatsoever copied from the C.H. or that the Biblical legislator can possibly have been influenced by the CH. It does not even seem to the point to us to use ... a term as »close relationship« ... ." 1 9 So läßt sich nach M.DAVID auch in den Gesetzen zum stoßenden Rind keine Abhängigkeit des Bundesbuches vom Codex Hammurapi erweisen: "Even in the highly improbable case that the Israelitic legislator did borrow this expression [scil. "ox given to butting"] from the Babylonian language, one might not yet conclude that the regulation of the Bible was coming from that of the Babylonians." Eingehend hat A.VAN SELMS die Gesetze zum stoßenden Rind miteinander verglichen und dabei auch Codex Eschnunna berücksichtigt. E r trägt alle Unterschiede zwischen Ex 21,28-32 und CH §§ 250-252 zusammen und formuliert als Ergebnis: "... it becomes quite clear that the Hebrew law cannot be a derivation from the Babylonian code. ... But whereas some of the differences ... could be considered as amplifications and specifications of the older law, others ... show that the Israelite conception is more »primitive« than the Babylonian, which in its elimination of the blood-revenge and its specification of places and authorities looks by far the most »modern« of the two. If we did not know anything about the date of Hammurabi or that of the Book of the Covenant, we would certainly put Ex.21:28-32 a few centuries before C.H. § 250-252. This fact at least should make us very loath to mention a »dependence« of Biblical on Babylonian law." 2 1 18 M.DAVID, Codex Hammurabi (1950) 153f, unter ausdrücklicher Berufung auf P. KOSCHAKER. Vgl. ebd. 171f.l78. 19 Ebd. 171. Dies ist deutlich gegen die Position von H.CAZELLES formuliert (siehe Kap. 4.4.2.2.3.1, S. 247-249). Interessanterweise behauptet M.DAVID nicht, daß der Autor des Bundesbuches den Codex Hammurapi nicht gekannt habe. 20 Ebd. 174. Auf CE § 53 geht M.DAVID in seinem Aufsatz nicht ein, obwohl er ihn gekannt hat. Vgl. ebd. 154, Anm. 13. 21 A.VAN SELMS, Goring Ox (1950) 325. Die Position "unabhängige Parallelentwicklung" wird u.a. auch vertreten von G . R . D R I V E R / J . C . M I L E S , Babylonian Laws I ( 1960) 444: "The Hebrew point of view, therefore, is much more primitive than the Babylonian; and it is submitted that the Hebrew lawgiver cannot have borrowed

246

Kasuistisches Rechtsbuch

Zwischen Ex 21,35 und CE § 53 muß A . V A N S E L M S eine größere Ähnlichkeit konstatieren als zwischen Ex 21,28-32 und CH §§ 250-252. Dennoch weist er die These einer literarischen Beeinflussung zurück. Er tut dies, indem er ein neues Argument einführt: "Nobody will suppose that Bilalama's law [i.e. CE], proclaimed for the small kingdom of Esnunna alone, influenced the Book of the Covenant. And yet in some respects ... its rules are nearer to Biblical laws than those of Hammurabi. The less hawe [!] we reason to suppose influence of Hammurabi on Hebrew laws, at least in the case of the goring ox."22 hat

Gegen das Argument des "begrenzten Einflusses" von Codex Eschnunna R . Y A R O N Stellung genommen: "... his submissions and conclusions are far from being acceptable. I fully agree that biblical law has its own »principles, methods and aspirations« yet it by no means follows that it did not make use of, and build upon, rulings common to Eastern practice. Van Selms sees LE 53 as »proclaimed for the small kingdom of Eshnunna alone« (p.326) and denies that it could have influenced the Book of the Covenant. This, it is submitted, is a mistaken formulation of the question in issue. There is no reason for regarding LE 53 as an innovation or invention of the lawgiver of Eshnunna. It is merely his reception of a rule which was probably of general, or at least wide application throughout the ancient East. At any rate, this seems to me to be the only possible explanation for the identity of rules which Van Selms, like David, leaves entirely unaccounted for." 2 3

a n y t h i n g f r o m § § 2 5 0 - 2 of the B a b y l o n i a n Laws." W . P R E I S E R , V e r g e l t u n g und S ü h n e ( 1 9 6 1 ) 243f: "Bei kritischer W ü r d i g u n g der f r c i l i c h n o c h k e i n e s w e g s b e e n d e t e n D i s k u s s i o n w i r d man v i e l l e i c h t zu d e m f o l g e n d e n v o r l ä u f i g e n E r g e b n i s k o m m e n dürfen: Eine unmittelbare literarische Abhängigkeit von dem »Gesetz« des Hammurabi oder e i n e r a n d e r e n der uns i n z w i s c h e n b e k a n n t g e w o r d e n e n v o r d e r a s i a t i s c h e n R e c h t s s a m m l u n g e n d e s z w e i t e n v o r c h r i s t l i c h e n J a h r t a u s e n d s ist nicht zu e r w e i s e n ; sie ist, bei d e m a u ß e r o r d e n t l i c h e n z e i t l i c h e n und ö r t l i c h e n A b s t a n d w i e auch a n g e s i c h t s der i m m e r stärker sich m e l d e n d e n Z w e i f e l daran, ob die in Frage k o m m e n d e n Z u s a m m e n s t e l lungen auch nur in ihren U r s p r u n g s l ä n d e r n als » G e s e t z e « in u n s e r e m S i n n e a n g e s e h e n und praktiziert w o r d e n s i n d , auch a l l e s a n d e r e als w a h r s c h e i n l i c h . D i e i m m e r neu u n t e r n o m m e n e n V e r s u c h e , e i n z e l n e R e g e l u n g e n d e s i s r a e l i t i s c h e n R e c h t s auf b e s t i m m t e V o r b i l d e r a u s der R e c h t s w e l t d e s A l t e n V o r d e r e n O r i e n t s z u r ü c k z u f ü h r e n , j e d e n f a l l s sind d u r c h w e g e r f o l g l o s g e b l i e b e n . " 22 A . V A N S E L M S , G o r i n g Ox ( 1 9 5 0 ) 326. V g l . auch e b d . 330. 23 R . Y A R O N , T h e Laws of E s h n u n n a ( 1 9 6 9 ) 194, A n m . 97.

Historischer und soziokultureller Kontext 4.4.2.2.3. 4.4.2.2.3.1.

Gemeinsame Schriftlich

altorientalische vermittelte

247

Rechtskultur altorientalische

Rechtskultur

Ausführlich und gründlich ist II.CAZELLES der Frage nach den nichtisraelitischen Quellen des Bundesbuches nachgegangen. 2 4 Er stellt die Frage getrennt f ü r Codex Hammurapi, die Assyrischen Gesetze, die Hethitischen Gesetze und möglicherweise in Frage kommende ägyptische Quellen. Einen eigenen Abschnitt widmet er der Hypothese der kanaanäischen Vermittlung des Keilschriftrechts an Israel. Zunächst weist H.CAZELLES auf den insgesamt unterschiedlichen Charakter von Codex Hammurapi und Bundesbuch hin und erklärt diesen Unterschied mit einer jeweils unterschiedlichen Gesellschaftsstruktur: "à sociétés différentes, codes différents. 1 , 2 5 Er macht auf eine Reihe von Unterschieden zwischen einzelnen Gesetzen aufmerksam. 2 6 Dann vergleicht er insgesamt zehn Gesetze des Bundesbuches mit Parallelen im Codex H a m m u r a p i 2 7 und kommt dabei zu einem doppelten Ergebnis: 1. Der hebräische Gesetzgeber hat sich bei seiner Gesetzgebung nicht nach dem babylonischen Modell orientiert. Er hat Hammurapi nicht "kopiert". 2 8 2. Dann aber stellt H.CAZELLES "deux questions beaucoup plus délicates": (1) Hat der hebräische Gesetzgeber den Codex Hammurapi gekannt? (2) Wenn er ihn gekannt hat, hat er sich von ihm inspirieren lassen? Die erste Frage beantwortet H.CAZELLES positiv "sans en être toutefois absolument sûr.

24 25 26 27

H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 147-168. Ebd. 148. Ebd. 148-150. Ebd. 150-155. Er vergleicht: (1) Ex 21,2-11 mit CH §§117-181; (2) Ex 21,18 mit CH §§206; (3) Ex 21,23-25 mit CH §§ 196;197;200; (4) Ex 21,22 mit CH § 209;210; (5) Ex 21,28-32 mit CH §§ 250-252; (6) Ex 21,37;22,2b-3 mit CH § 8; (7) E x 2 2 , l - 2 a mit CH § 21; (8) Ex 22,4 mit CH §§ 57;58; (9) Ex 22,6-8 mit CH §§ 124-126; (10) Ex 22,9-12 mit CH §§262-267. 28 H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 155: "Le législateur hébreu n'a pas légiféré pour ses tribus d'après le modèle babylonien. Il n'a pas copié Hammourapi, mais il s'est trouvé en présence de traditions et de coutumes Israélites qui lui ont imposé des solutions presque toujours différentes de celles qu'avait données son prédécesseur. T o u t e f o i s , les deux peuples avaient un fond commun de mentalité et de très vieilles institutions, conservées plus pures chez le peuple le plus tard venu dans le courant de la civilisation." 29 Ebd.

248

Kasuistisches Rechtsbuch "Il y a des choses qui n'auraient pas été dites à cette place, de cette manière, avec cette rédaction si notre auteur n'avait pas connu l'oeuvre du roi de Babylone." 30

Die zweite Frage beantwortet H.GAZELLES ausweichend: Wenn sich der hebräische Gesetzgeber von Codex Hammurapi hat beeinflussen lassen, "dann sicherlich auf sehr freie Weise." 3 1 "L'auteur du code de l'alliance a son plan à lui où les matières s'enchaînent à son goût ... . Comme nous l'avons vu, non seulement le plan, mais les solutions données divergent également. Toutefois le législateur hébreu semble avoir fait un effort pour introduire des compositions là où les coutumes Israélites ne les connaissaient pas (XXI,19,22,26-27, surtout 30-32). Cette tendance est-elle dûe à l'influence du code de Hammourapi sur la pensée de l'auteur du code de l'alliance? Il y à cela des vraisemblances sans exclure qu'une influence dans le même sens ait pu être exercée par d'autres civilisations plus avancées avec lesquelles Israël et son législateur se trouvaient alors en contact." 3 2 Der Autor des Bundesbuches - so läßt sich die These H.CAZELLES' zusammenfassen - hat den Codex Hammurapi gekannt, aber das Bundesbuch als ein eigenständiges Werk verfaßt. Im Vergleich mit den Assyrischen Gesetzen33 kommt H.CAZELLES zu einem entgegengesetzten Ergebnis: Bundesbuch und Assyrische Gesetze sind zwei voneinander unabhängige Gesetzeswerke, die zwar einige gemeinsame Traditionen aufweisen, deren Redakteure aber wahrscheinlich keine Kenntnis voneinander hatten. 3 4 Im Vergleich mit den Hethitischen Gesetzen35 kommt H.CAZELLES zu einem in manchen Punkten mit dem Codex Hammurapi vergleichbaren Ergebnis: Zwar hat sich auch hier das Bundesbuch als eine eigenständige Tradition erwiesen, "mais la similitude de plan entre les mispathn et le code hittite ainsi que les multiples rapprochements de détail font croire que le rédacteur du code de l'alliance a connu le code hittite. Il ne s'en est toutefois guère inspiré et le désordre dans les rap30 31 32 33 34 35

Ebd. Ebd. 156. So auch A.CLAMER, L'Exode (1956) 22. H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 156. Ebd. 156-158. Ebd. 158. Ebd. 158-163.

Historischer und soziokultureller Kontext

249

prochements de détail incite à penser qu'il ne l'avait pas sous les yeux." 36 Die "Kanaanäer-Hypothese" von A.JEPSEN und A.ALT, die besagt, daß der kasuistische Teil des Bundesbuches auf ein kanaanäisches Gesetz zurückgehe, weist H.CAZELLES aus zwei Gründen zurück: 1. Es fehlen entsprechend Texte. 2. Selbst wenn ein kanaanäisches Gesetzbuch existiert hätte, so wäre dieses durch die Kultur der kanaanäischen Stadtstaaten geprägt. Das Bundesbuch aber ist durch eine Bauern- und Hirtenkultur geprägt. Folglich kann es nicht der kanaanäischen Kultur entstammen. 3 7 Damit aber stellt sich f ü r H.CAZELLES erneut das Problem der Vermittlung: Wie und wo hat der "Autor des Bundesbuches" den Codex Hammurapi und die Hethitischen Gesetze kennengelernt? Die Antwort ist verblüffend einfach: Autor des Bundesbuches ist Mose. Er hat Codex Hammurapi und die Hethitischen Gesetze am Hof des Pharao in Ägypten kennengelernt. Dort waren - wie u. a. die Amarna-Korrespondenz zeigt - die institutionellen Voraussetzungen f ü r die Existenz von Keilschriftliteratur gegeben. Dort gab es ein "milieu adéquat pour la formation du génie de l'auteur du code de l'alliance." 3 8 Auch J.J.FINKELSTEIN spricht beim Fall des stoßenden Rindes in Ex 21,2836, C E §§ 53-55 und CH §§ 250-252 von einer gemeinsamen literarischen Tradition. Dabei f ü h r t er ein neues Argument in die Diskussion ein: ... in all of the tens of thousands of cuneiform documents relating to legal matters which have thus f a r come down to us, there is hardly a single allusion to a real instance in which an ox killed or injured a person or another animal. I do not mean to imply that such occurences never happened or that they could not happen, but merely intend to suggest that such occurrences would have been rare at best. It is possibly the very rarity of such an accidental occurence that was the cause of its first incorporation into the body of law cases that were part of the curriculum in the scribal schools. Once it was so incorporated, a series of related hypothetical cases was constructed by permutation of the circumstances as they might have occured in the hypothetical - prototypal instance. It is also the very unlikelihood of such an accidental occurrence that makes us concede that the biblical goring-ox laws must have been dependent upon their literary Mesopotamien prototypes; it would be too unreasonable to posit that such an unusual incident occured also in 36 Ebd. 163. 37 Ebd. 166-168. 38 Ebd. 179.

250

Kasuistisches Rechtsbuch early Israelite experience, and then became quite independently the source of the goring-ox laws of the Book of Exodus." 39

4.4.2.2.3.2.

Durch mündliche Tradition bzw. durch mündlich überliefertes Gewohnheitsrecht (Rechtspraxis) vermittelte altorientalische Rechtskultur

Vor allem G.LIEDKE hat diese Position vertreten in einer weiterführenden Auseinandersetzung mit den Thesen A.JEPSENs (1.1) und A.ALTs (3.1). Ausgangspunkt seiner Theoriebildung ist die These, daß der kasuistische Rechtssatz aus der Rechtspraxis in Israel selbst entstanden ist. Sitz im Leben des kasuistischen Rechtssatzes war "das israelitische Torgericht", das in der Zeit des Bundesbuches "ein Schwurgericht" war. 4 0 Diese These aber widerspricht der Theorie A.ALTs, wonach die Israeliten kanaanäisches Recht "in Form eines Korpus übernommen und nur nach ihren Bedürfnissen verändert" 4 1 hätten. "Solch eine Sicht scheint die von uns geschilderte Entstehung eines einzelnen Rechtssatzes für Israel auszuschließen. Indessen fehlt zur Bestätigung der These Alts bis heute ein wichtiges Datum: der Fund eines einzigen kasuistischen Rechtssatzes in Syrien-Palästina. Das scheint aber kein Zufall zu sein; denn in den Stadtstaaten Syrien-Palästinas war für ein Recht, das in den Rahmen eines Ältestenschiedsgerichts gehörte, kein Platz. Der göttliche König war der oberste Richter; die Stadtbehördc sprach in seinem Namen autoritär Recht; die Zeit des Schiedsgerichts war vorbei. ... Alt spürte diese andere Rechtsstruktur der Stadtstaaten, als er Jepsens These von der Übernahme eines kanaanäischen Stadtrechtes (ohne Gründe) ablehnte. Andererseits ist aber die Verwandtschaft des kasuistischen Rechts mit dem Recht des Zweistromlandes nicht zu leugnen. An direkte Abhängigkeit ist nicht zu denken. Die »primitivere« Stufe des BB ist den Forschern immer aufgefallen." 2 G.LIEDKE g r e i f t die von A.JEPSEN im A n s c h l u ß an die H y k s o s h y p o t h e s e

entwickelte Theorie eines semitischen Rechts auf und kombiniert sie mit der territorialgeschichtlichen These A.ALTs:

A-ALTs

39 40 41 42

J.J.FINKELSTEIN, O* (1981) 21. G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnug (1971) 52. Ebd. 57 Ebd. 57.

Historischer und soziokulturcller Kontext

251

"... die semitischen Rechtsformen wurden in den Stadtstaaten weiterentwickelt über die Stufe hinaus, die wir im BB vorfinden. Somit kommt Übernahme von einer Stadt kaum in Frage. Neben den Städten gab es die von Alt aufgewiesenen »größeren territorialen Gebilde« auf dem Gebirge, die »politisch noch schwach organisiert« waren. Auch hier konnte die von den Hyksos geschaffene Rechtskultur weitergegeben werden. Hier bestand kein Anlaß, sie über die im BB zu findende Stufe hinaus weiterzuentwickeln, und hier waren die ersten Kontaktstellen der einwandernden Israeliten in Palästina. Selbst wenn das Recht, auf das Israel hier stieß, schon kodifiziert gewesen sein sollte, kann man sich doch eine nichtliterarische Übernahme vorstellen. Die Sippengerichte der Israeliten übernahmen in den - durch die Situation des Kulturlandes entstehenden, für sie neuen - Rechtsfällen Entscheidungen des vorgefundenen Rechts. Dies war der Beginn einer Bildung kasuistischer Rechtssätze, wie wir sie oben beschrieben haben. Selbstverständlich bleibt hier alles Hypothese." 43 Für die Theorie G . L I E D K E s scheinen also drei Beobachtungen grundlegend zu sein: 1. Die kanaanäische Stadtkultur ist nicht identisch mit der vom Bundesbuch vorausgesetzten Kultur. Deshalb kann das Recht des Bundesbuches nicht aus der kanaanäischen Stadtkultur entlehnt sein. 2. Der Ursprung des kasuistischen Rechtssatzes in der Rechtspraxis widerspricht der Theorie einer literarischen Übernahme. 3. Die nicht zu leugnende "Verwandtschaft des kasuistischen Rechts mit dem Recht des Zweistromlandes" erklärt G. LIHDKE durch die Annahme einer zwischen den kanaanäischen Städten existierenden (ur)semitischen Rechtspraxis, mit der die Israeliten bei der Landnahme in Kontakt kamen und von denen die Sippengerichte der Israeliten Entscheidungen f ü r neu aus der Situation des Kulturlandes entstehende Fälle übernahmen. Die Position G.LIHDKEs wird von H.J.BOECKER übernommen. 4 4 Er nimmt ausdrücklich gegen die These einer literarischen Beziehung von Keilschriftrecht und Bundesbuch Stellung: "JACKSON ζ. B. zeigt sich überzeugt davon, daß eine Beziehung zwischen CE § 53 und Ex 21,35 besteht ... Aber ist die Annahme einer direkten Verbindung dieser beiden Einzclbestimmungen wirklich zwingend? Ist die Anordnung nicht in sich so einleuchtend, daß man auch hier mit einer Parallelentwicklung rechnen kann (gegen JACKSON, 140)? Ganz unwahrscheinlich ist jeden43 Ebd. 58. 44 H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1 9 8 4 ) 133-135.

252

Kasuistisches Rechtsbuch falls die Annahme einer literarischen Tradition. Sie müßte sich stärker bemerkbar machen und nicht nur so punktuell sichtbar werden. Wenn R.YARON dagegen als gemeinsamen Herkunftsort an »Oriental legal practice« denkt, so ist das zwar ein sehr unbestimmter Ausdruck, aber gerade als solcher mag er doch das Richtige treffen." 45 "Gleichartig erscheinende Rechtssätze sind also keineswegs immer direkt voneinander abhängig, vielmehr ist die Übereinstimmung in vielen Fällen die Folge einer »spontanen Gleichartigkeit der Denkform« (J.G.LAUTNER, ZVR 47, 1933, 38). Heute rechnet niemand mehr mit einer direkten Abhängigkeit des Bundesbuches vom Codex Hammurabi. ALT s Feststellung, daß sich »bei aller Ähnlichkeit in der Form und teilweise auch im Inhalt doch zu viele Abweichungen zeigen«, als daß man mit einer direkten Übernahme der uns bekanntgewordenen altorientalischen Rechtsformulierungen rechnen könnte (220), wird heute weitgehend anerkannt. ... Der Hinweis auf eine den Alten Orient allgemein bestimmende Rechtskultur liegt nahe und ist grundsätzlich richtig. ... Wenn ... hier von kanaanäischer Rechtskultur die Rede ist, so ist nicht an das Recht zu denken, das in den kanaanäischen Stadtstaaten praktiziert wurde, von dem man dann möglicherweise auch schriftliche Dokumente hätte finden können, sondern es ist gedacht an das Recht, das in den dünnbesiedelten Wald- und Gebirgsgebieten zu Hause war, in denen die einwandernden Israeliten sich zunächst festsetzten. Hier aber hat man sicher auf lange Zeit mit einer nur mündlichen Rechtstradition zu rechnen." 46

4.4.2.3.

Ergebnis

und offene

Frage

Bei der Analyse der Gesetze zum stoßenden Rind habe ich die These aufgestellt, daß der Verfasser von Ex 21,35 CE § 53 gekannt habe. Methodisch hat diese These ihren Ausgang genommen von internen literarkritischen Beobachtungen am hebräischen Text. Dies ermöglicht eine differenziertere Beantwortung der Frage nach literarischer Interdependenz als es bisher in der Forschung üblich war. Ausgerechnet der bereits im Kontext von Ex 21,28-36 als typisch literarischer Nachtrag erkennbare Vers 21,35 weist die engsten Parallelen zum Gesetz eines altorientalischen Rechtsbuches, nämlich zu CE § 53 auf. Die Frage nach literarischer Abhängigkeit wird hier mit 45 Ebd. 144. 46 Ebd. 134f.

Historischer und soziokultureller Kontext

253

der aufgrund interner Analyse gewonnenen Textentstehungshypothese verknüpft. Im Hinblick auf das Verhältnis von Bundesbuch und Codex Hammurapi ist eine solche These literarischer Abhängigkeit - wie der Forschungsüberblick gezeigt hat - nicht neu. Sie ist immer wieder aufgestellt, aber auch immer wieder bestritten worden. Dabei taucht ein Problem auf, das bis heute nicht gelöst zu sein scheint: das Problem der Vermittlung. Die Antworten der Forschung lassen sich - idealtypisch vereinfachend - in drei Modelle klassifizieren : (1) ein an ethnisch-genealogischer Vermittlung orientiertes Erklärungsmodell: Das Geschlecht des Hammurapi und die Israeliten gehören zum Volk der Semiten. Codex Hammurapi und Bundesbuch gehen auf ein gemeinsames "ursemitisches Gesetz" zurück (D.H.v.MÜLLER; A . J 1 R K U ) ; (2) ein am Typ der Autorenlitaratur orientiertes Erklärungsmodell: Mose hat den Codex Hammurapi (am Hofe des Pharao in Ägypten) kennengelernt und studiert und sich bei der Abfassung des Bundesbuches von ihm inspirieren lassen ( H . C A Z E L L E S ) ; (3) ein historisch-soziologisch orientiertes Erklärungsmodell: Die Israeliten lernten das altorientalische Recht bei ihrer Seßhaftwerdung und Inkulturation in Kanaan - vermittelt durch die Kanaanäer - kennen ( A . A L T , A.JEPSEN).

Einige Autoren versuchen, die Modelle miteinander zu kombinieren, 4 7 andere lassen die Frage bewußt offen. 4 8 Von den drei genannten Erklärungsmodellen kommt im Kontext der gegenwärtigen Forschungslage eigentlich nur noch das dritte ernsthaft in Frage. Aber gerade hier ist das Problem der Vermittlung nicht geklärt, wie O . E I S S F E L D T betont hat:

47 Z.B. kombiniert A.JEPSEN im Grunde Modell (1) und (3). 48 So z.B. S.M.PAUL, Studies (1970) 104. S.M.PAUL, der im Anschluß an M. GREENBERG die unterschiedliche Grundkonzeption zwischen Bundesbuch und altorientalischen Rechtsbüchern betont und herausstellt (ebd. 86f; 90; 100), kommt bei seinen grundlegenden Untersuchungen zu folgender SchluBfolgerung: "much of the juridical content and formulation of these laws is pre-Mosaic and hence, pre-Israelite. Thus, the legal collection of Exodus emerges as an integral component of a vast juridical canvas which extended throughout the ancient Near East. All indications point to an eclectic adaptation of native and fringe Mesopotamian legal traditions, which is a testimonial to the extent to which the earliest compilation of biblical laws was indebted to the rich heritage of its Mesopotamian foerebears." Die Frage (ebd.) "How did Israel come into contact with cuneiform law ...?" läßt er (ebd. 105) bewußt offen: "Further discoveries may provide further clues to help solve this problem. In the meantime all that one can safely assume is that there was a general awareness of cuneiform law throughout the entire ancient Near East, and that cuneiform legal traditions played an importent role in the early stages of Israelite law. This extra-biblical legacy was integrated, in turn, into the unique religious pattern of law which originated in Israel." Mit dieser Arbeit möchte ich eine Antwort auf die vorliegende Frage finden.

254

Kasuistisches Rechtsbuch "... so darf die Annahme, daß es die Kanaanäer gewesen sind, die den Israeliten jene denen ihrer Umwelt verwandten Rechtssätze vermittelt haben, als gesichert gelten. Wie diese Vermittlung im einzelnen vor sich gegangen ist, bleibt weithin im Dunkeln.

Selbst J.J.FINKELSTEIN, der eine Art von organischer Verbindung ("some kind of organic linkage" 50 ) zwischen Bundesbuch und babylonischer Gesetzgebung bezüglich des stoßenden Rindes annimmt, kann sich nicht vorstellen, wie diese Beziehung historisch und soziokulturell vermittelt werden konnte: "There is ... no certain way at present of explaining the verbal identity between sources that are perhaps as much as five hundred years and as many miles apart. But the fact of this identity is incontrovertible and compels us to postulate an organic linkage between them even if this linkage cannot be reconstructed. Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, auf die Frage nach dem Ort des Kontaktes zwischen Bundesbuch und altorientalischem Recht eine Antwort zu finden. D i e s e Frage ist zugleich die Frage nach der Entstehung von Ex 21,12-22,16.

4.4.3.

Die Entstehung 22,16

des kasuistischen

Rechtsbuches

H.J.BOECKER52

Ex

21,12-

und G . L I E D K E 5 3 haben gezeigt, daß die Grundform des kasuistischen Rechtssatzes aus der Rechtsprechung entstanden ist. C. L O C H E R ist einen Schritt weiter gegangen und hat die ansprechende These aufgestellt, Dtn 22,13-19 gehe auf ein schriftlich abgefaßtes Prozeßprotokoll zurück. Bei der Umsetzung dieses Prozeßprotokolls in das kasuistische Gesetz Dtn 22,13-19 sei der (fiktive) Gegenfall Dtn 22,20f hinzugefügt worden und so ein Doppelgesetz, bestehend aus Fall und Gegenfall, entstanden. 5 4 Für die meisten Fälle des Bundesbuches konnte ein praktischer Bezug plausibel gemacht werden. Nun hat F.R.KRAUS bereits im Codex Hammurapi die Beobachtung gemacht, daß es dort neben wirklich beobachteten Rechts-

49 50 51 52 53 54

O.EISSFELDT, Einleitung ( J 1 9 7 6 ) 37. J.J.FINKELSTEIN, Ox (1981) 19. Ebd. 19. H.J.BOECKER, Redeformen ( 2 1 9 7 0 ) 143. G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 53-59. C.LOCHER, Ehre einer Frau (1986).

Historischer und soziokultureller Kontext

255

fällen auch solche gibt, die den Anschein haben, f r e i erfunden zu sein. 5 5 Die Funktionen dieser f r e i erfundenen Rechtssätze bestehen u.a. darin, ein angeschnittenes Thema vollständig abzuhandeln, einen vorgegebenen Rechtsfall von einem hinzugefügten Gegenfall abzugrenzen, ein Rechtsprinzip in verschiedenen Bereichen anzuwenden oder abzuwandeln usw. Diese Methode der Zusammenstellung beobachteter Einzelfälle unter Hinzufügung weiterer analoger Fälle ist das Grundprinzip mesopotamischer Wissenschaft. Sowohl die Zusammenstellung der realen, als auch vor allem die Hinzufügung der f r e i erfundenen Fälle geht auf das Konto der Gelehrten. So tritt uns im CH neben dem Richter der gelehrte Schreiber entgegen. Eine ähnliche Beobachtung konnten wir bei der Analyse des Bundesbuches machen. Eine rein literarische Entstehung scheint in Ex 21,35f vorzuliegen. Die Hinzufügung von Ex 21,35 geschah sehr wahrscheinlich in Kenntnis von CE § 53. Auch die Aufzählung der vier Glieder des menschlichen Körpers in der Talionsformel entstammen nicht der Rechtspraxis, sondern spiegeln eine mnemotechnisch orientierte Pädagogik gelehrter Schulpraxis wider. Auch der apodiktische Rechtssatz Ex 21,12 entstammt nicht der Rechtsprechung im Tor, sondern wurde - möglicherweise im Rückgriff auf die Tradition patriarchalischer Rechtssetzung - als Gegenfall zu Ex21,18f dem kasuistischen Rechtsbuch Ex 21,12-22,16* als programmatische Eröffnung vorangestellt. Die Umsetzung eines Rechtsfalles in ein kasuistisches Gesetz und die systematische Zusammenstellung solcher Fälle ist ein Vorgang gelehrter Arbeit. Am Beispiel des stoßenden Rindes (Ex 21,28-36) konnte plausibel gemacht werden, daß die Autoren des Bundesbuches andere altorientalische Rechtsbücher gekannt haben. Diese Beobachtungen f ü h r e n mich zu folgender These: Zwar wurzelt der kasuistische Rechtssatz grundsätzlich in der Rechtsprechung, doch f ü h r t der Weg vom Rechtsfall zum kasuistisch formulierten Rechtssatz und zur systematischen Zusammenstellung und Ergänzung solcher Fälle zu einem Rechtsbuch nicht nur über die Rechtsprechung im Tor, sondern auch über eine spezifisch juristische Gelehrsamkeit, die ihren Ort in einer Institution hat, die - in einem noch näher zu bestimmenden Sinne - als "Schule" bezeichnet werden kann. Eine solche juristische Gelehrsamkeit gab es nicht nur in Babylonien, sondern auch in Israel. Wenngleich die Grundform des kasuistischen Rechtssatzes aus der "Zusammenfügung von »Urteil« und »Erzählung« des Rechtsfalles" 5 6 entstanden ist, so muß nicht jeder kasuistisch formulierte Rechtsfall diese Entstehung durchlaufen haben. War die Form einmal entwickelt, konnte man sich ihrer bedienen. So wird nicht jeder - vielleicht nicht einmal die Mehr55 F . R . K R A U S , Was ist der Codex Hammu-rabi? (1960) 289, mit Hinweis auf die §§ 196205; 206-208; 209-214; 215-223; 229-233. 56 G.L1EDKH, Gestalt und Bezeichnung (1971) 59.

256

Kasuistisches Rechtsbuch

zahl der kasuistischen Rechtssätze des Bundesbuches - die Entwicklung von der mündlichen Erzählung des Rechtsfalles und der Urteilsformulierung des (Schieds-)Gerichtes bis zur schriftlichen Abfassung und Integration in ein Rechtsbuch durchlaufen haben. Die Form des kasuistischen Rechtssatzes mußte nicht in Israel neu entstehen, sie ist älter, Israel konnte sich ihrer bedienen. Dennoch ist es zum Verständnis der Entstehung des kasuistischen Rechtsbuches hilfreich, die verschiedenen Stadien der Entwickung eines kasuistischen Rechtssatzes nachzuzeichnen. G.LIEDKE hat dies f ü r den kasuistischen Rechtssatz als Einzelsatz getan, 5 7 R.WESTBROOK hat darüber hinaus die Entstehung vom einzelnen Rechtssatz zur Sammlung und Zusammenstellung von Rechtssätzen zu einem Rechtsbuch nachgezeichnet. Sein Ansatz soll im folgenden kurz vorgestellt werden.

4.4.4.

Zur Entstehung Rechtsbücher

und Funktion

altorientalischer

J.J.FINKELSTEIN hat ausgehend vom Codex Hammurapi die These aufgestellt, daß altorientalische Gesetzeskorpora keine legislative, sondern eine rein apologetische Funktion ausüben. Mit ihnen rechtfertige sich der König vor den Göttern als "treuer Hirte" und "gerechter König" sein ihm von den Göttern anvertrautes Amt ausgeübt zu haben. Gesetzesbücher gehören nach 58 J.J.FINKELSTEIN zur Gattung der Königsinschriften. Diese These ist vor allem gewonnen anhand der Prologe und Epiloge von Codex Urnammu, Codex Lipit-Eschtar und Codex Hammurapi. Demgegenüber weist R. W E S T B R O O K darauf hin, daß der Codex Eschnunna und alle anderen zeitlich nach Codex Hammurapi entstandenen Rechtsbücher, nämlich die mittelbabylonischen, die neubabylonischen und die hethitischen Gesetze, keine Pround Epiloge aufweisen. Daraus folgt, daß die Verwendung von Gesetzestexten im Kontext königlicher Apologien nicht ihre ursprüngliche Funktion sein kann. 5 9 R.WESTBROOK weist auf den gänzlich unterschiedlichen literarischen Charakter von Pro- und Epilog auf der einen und dem Gesetzeskorpus auf der anderen Seite hin und äußert im Anschluß an J . K L I M A 6 0 die Vermutung, daß beide von verschiedenen Autorengruppen verfaßt wurden:

57 Ebd. 53-59. 58 J.J.FINKELSTEIN, Babylonian "Law Codes" (1961) 103: "... royal apologia and testaments...". Ähnlich auch J.KRECHER, Rechtsleben (1980) 325; 331; 350f. 59 R . W E S T B R O O K , Biblical and Cuneiform Law Codes (1985) 250. 60 J.KLÍMA [u.a.], Art. Gesetze, in: RLA III, 244. D E R S . , Scribes Mésopotamiens (1980) 215.

Historischer und soziokultureller Kontext

257

"... the legal corpus by jurists and the prologue and epilogue by Temple or Court poets. It seems to us evidence rather that the legal corpus already existed as an indépendant unit with an indépendant purpose and was sometimes inserted into a f r a m e , as in Codex Hammurabi, in order to be applied to a new purpose, that of the royal apologia."61 Diese These findet ihre Bestätigung durch die Beobachtung, daß die f ü r den Gebrauch in der juristischen Praxis angefertigten Abschriften oft auf die Wiedergabe von Pro- und Epilog verzichten und sich auf die Wiedergabe des Gesetzeskorpus beschränken, worauf G.RIES hingewiesen hat. 6 2 Eine Beobachtung von F . R . K R A U S 6 3 aufgreifend weist R.WESTBROOK auf die Ähnlichkeiten von Rechtstexten mit der Omen-Literatur hin 6 4 und leuchtet diese Ähnlichkeit f ü r die Beantwortung seiner Frage nach der Funktion altorientalischer Gesetzestexte näher aus. Die Omen-Serien dienten den Wahrsagern als Nachschlagewerke bei ihrer alltäglichen Arbeit. 6 5 Die listenartigen Zusammenstellungen von Omina und deren Bedeutung war nicht nur eine Übung von Schreibern, sondern darüber hinaus auch angewandte Wissenschaft. Einen ähnlichen Zweck erfüllten nach R.WESTBROOK auch die Gesetzestexte. Sie dienten den Richtern bei der Entscheidung schwieriger Fälle. 6 6 Allerdings gibt es im Unterschied zur Konsultation von Omen-Literatur keine direkten Hinweise f ü r die Konsultation von Rechtstexten. Dies hängt nach R.WESTBROOK neben der Zufälligkeit der uns überlieferten Texte wohl auch damit zusammen, daß die Deutung von Omina in Mesopotamien eine ungleich größere Rolle spielte als die Einholung von Urteilssprüchen. 6 7 61 R.WESTBROOK, Biblical and Cuneiform Law Codes (1985) 251. Zur Abhängigkeit der Prologe und Epiloge von nichtjuristischen Traditionen vgl. auch G.RIES, Prolog und Epilog (1983) 56-64. 62 G.RIES, Prolog und Epilog (1983) 7; 54. 63 F . R . K R A U S , Was ist der Codex Hammu-rabi? (1960) 288. 64 So auch bereits in aller Deutlichkeit H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 110: "C'est le même procédé stylistique que dans la rédaction des présages. Ils sont eux aussi introduits par une protase conditionnelle (»si un serpent...«) et terminés par une apodose qui donne la solution du cas." 65 R.WESTBROOK, Biblical and Cuneiform Law Codes (1985) 253f: "The omen scries were compiled for a very practical purpose: to be used as reference works by diviners when they sought to determine the significance of an ominous feature ... or event. For example, if a lamb were born with but a single horn, the diviner ( b ä r u ) would consult the series dealing with unusual births, SUttlttia izbu, select and excerpt the pertinent omens and prepare a report. Then, if necessary, an appropriate ritual would be performed in order to expiate the evil effects of a bad omen. ... There is evidence of the consultation of omen series as far back as the Old Babylonian period." 66 Ebd. 254. 67 Ebd. 254f.

258

Kasuistisches Rechtsbuch

Dennoch gibt es für R.WESTBROOK vor allem zwei Hinweise für seine These, daß die Gesetzestexte den amtierenden Richtern als Nachschlagewerke dienten: 1. Die assyrischen Gesetze wurden im Torhaus, das als Tor des Schamasch identifiziert werden konnte, gefunden. Schamasch als Gott der Gerechtigkeit und der Rechtsprechung und das Torhaus als Ort des Gerichtswesens sind eindeutige Hinweise auf die Verwendung dieser ursprünglich 14 Gesetzestafeln im Kontext der Rechtsprechung. 6 8 2. Die literarische Überarbeitung und Neufassung von Gesetzestexten ist ein Hinweis darauf, daß diese nicht nur von Schülern im Rahmen ihrer Schreiberübungen abgeschrieben wurden, sondern in der Rechtsprechung praktische Anwendung fanden. In den Hethitischen Gesetzen wird auf solche Gesetze ausdrücklich Bezug genommen. 6 9 Das zeigt, daß diese Texte in der alltäglichen Rechtsprechung "lebten". Sie wurden der veränderten Rechtsprechung angepaßt und wirkten wohl auch umgekehrt auf die Rechtsprechung verändernd und vereinheitlichend ein. Zusammenfassend

schreibt R.WESTBROOK:

"... in our view the Ancient Near Eastern law codes derive from a tradition of compiling series of legal precedents in the same manner as omens, medical prognoses and other scientific treatises. The purpose of these scries to act was as reference works for the royal judges in deciding difficult cases. Probably this began as an oral tradition and only gradually became a systematic written corpus. The clearest examples of such series are the Assyrian Laws and the Hittite Laws; the other law codes are evidence that such series could be adopted to other purposes. Three types of secondary purpose appear from the extant codes: (1) royal inscriptions designed to praise the king's activity as a judge (CU, CL, CH) which were charaterized by the addition of a prologue and epilogue, (2) school texts (CU, CL, CH, CE, NBL), which would take on indépendant existence as part of the scribal curriculum, and (3) part of a religio historical narrative (Covenant and Deuteronomic Codes) where the deity replaces the king as the source of the law." 70 Im Anschluß an diese grundsätzlichen Überlegungen zeigt R.WESTBROOK nun modellhaft auf, wie Omen-Literatur entstanden ist. Dies ist für unsere Fragestellung nach der Funktion von Rechtstexten von Bedeutung, weil R.

68 Ebd. 255. 69 Ebd. 255f. 70 Ebd. 257f.

Historischer und soziokultureller Kontext

259

die Entstehung von Rechtstexten in analoger Weise versteht. E r unterscheidet hierbei fünf Stufen: 7 1 1. Stufe: Ein außergewöhnlicher Fall ereignet sich. D e r Wahrsager lief e r t eine Interpretation und eine entsprechende Handlungsanweisung. 2. Stufe: Ein erster Grad der Verallgemeinerung findet statt. Diese Form liegt in den sogenannten tanulu-Texten vor. Hier werden an eine Gottheit gerichtete A n f r a g e n beantwortet. In den meisten Fällen sind dabei die Namen der Fragesteller durch annanna ("Herr so und so") ersetzt. 3. Stuf e: Auf der dritten Stufe wird der inzwischen anonyme Präzedensfall in kasuistische Form gebracht: "Wenn ... ". 4. Stufe: Auf der vierten Stufe werden Listen solch kasuistischer Sätze zusammengestellt, durch Analogiebildungen ergänzt und so zu einer Serie geformt: "This »scientific« treatment is necessary because in Mesopotamian eyes it makes the series universally applicable (by exhausting all possible alternatives) and t h e r e f o r e authoritative." 7 2 5. Stufe: Auf der f ü n f t e n Stufe schließlich werden die Omen-Serien vom Wahrsager konsultiert und der entsprechende Fall exzerpiert. Ereignet sich ein Omen, das in den Serien noch nicht vorkommt, so wird es zum Präzedensfall, durchläuft die beiden Stadien der Verallgemeinerung und wird schließlich in eine Omen-Serie a u f g e n o m m e n . WESTBROOK

"The above cycle will have a familiar ring to lawyers, f o r it accurately reflects the development of general legal rules f r o m individual cases in legal systems where judge-made law predominates. The only difference is that in the modern systems the process of generalization consists in creating abstract principles of law rather than variants of the precedent. It is reasonable to suppose, therefore, that the same process took place in moving f r o m individual judgement to law code and back again. A decision of the king (or royal judge) in a difficult case would be turned into a casuistic rule of general application and, expanded with the necessary variants by extrapolation would eventually become part of a canon of such rules, which in turn were consulted in deciding new cases, and where a new decision was made it eventually would be added to the canon, and so forth ... ," 73 Die Entstehung eines Rechtsbuches entsprechend in vier Etappen unterteilen:

71 Zum folgenden ebd. 258f. 72 Ebd. 259. 73 Ebd. 259f.

läßt

sich

nach

R.WESTBROOK.

260

Kasuistisches Rechtsbuch "(1) the initial decision, (2) the first stage of generalisation (anonymity), (3) the second stage of generalisation (casuistic form), (4) the creation of a code (academic variations)."74

R.WESTBROOK hat in einer idealtypischen Vereinfachung ein Modell vorgestellt, nach dem die Entstehung eines Rechtsbuches verstanden werden kann. Ausgangspunkt ist der sich ereignende konkrete Fall. Von dort führt der Weg über verschiedene Stufen der Verallgemeinerung zum Rechtsbuch. Dieser Weg vom konkreten Einzelfall zum Rechtsbuch ist - in der Tradition mesopotamischer Kultur - ein Weg der Wissenschaft. Wollen wir dieses Modell auf die Entstehung des Bundesbuches übertragen, so scheinen in der Frühgeschichte Israels die elementaren Voraussetzungen für dieses Modell zu fehlen. L . K Ö H L E R hat es so ausgedrückt:

"Alles, was Schule und Schulung heißt, ist dem hebräischen Menschen bis in die späteste Zeit fremd." 75

4.4.5.

Schreiberschulen

Die in jüngster Zeit so kontrovers diskutierte Frage nach der Existenz von Schulen im vorexilischen Israel ist vor allem angestoßen durch die provokative Studie von A . L E M A 1 R E : Les Écoles et la Formation de la Bible dans ¡'Ancient Israel. Vor allem anhand epigraphischen Materials und der Deutung von ABC-Täfelchen als Schülerübungen rechnet A. L E M A I R E mit einer weiten Verbreitung von Schulen und schulischer Bildung im Israel der späten Königszeit. 76 Diesen Schulen spricht er eine zentrale Bedeutung für die Entstehung des alttestamentlichen Kanons zu. Die geschichtliche Entwicklung der Schule im vorexilischen Israel teilt A . L E M A I R E in drei Epochen ein: 1. Im Übergang von der Späten Bronze- zur Frühen Eisenzeit (13.10.Jh.) bildeten sich aus der Tradition der kanaanäischen Schulen die "israelitischen" Schulen. Diese Schulen waren ein zentraler Ort, an dem die kanaanäische Kultur dem entstehenden "Israel" vermittelt wurde.77 2. In der frühen Königszeit (10.-9.Jh.) entstanden nach ägyptischem Vorbild die ersten königlichen Hof schulen, zunächst in der Hauptstadt Jeru74 Ebd. 263. 75 L . K Ö H L E R , Der hebräische Mensch (1953) 64. 76 A . L E M A I R E , Écoles (1981) 58: "vers la fin de l'époque royale, l'instruction ait été à peu près accessible à tous ceux qui le désiraient... 77 Ebd. 46f.

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salem, nach der Reichsteilung aber auch in Sichern, Tirza und Samaria. Zu der Zeit dürften in den salomonischen Verwaltungsstädten, den ehemaligen Hauptstädten der kanaanäischen Stadtstaaten, kleinere Schulen existiert haben. 7 8 3. Mit dem 8.Jh. setzt eine - an wachsenden epigraphischen Funden ablesbare - Ausbreitung der Schrift ein. In dieser Zeit treten die ersten "Schriftpropheten" auf. Beide Phänomene bringt A.LEMAIRE mit Ausbreitung und Weiterentwicklung von Schulen in Zusammenhang. 7 9 Für die Königszeit rechnet A.LEMAIRE mit einem dreigliedrigen SchulRO

system: (1) einer Art Elementarschule, die es selbst in abgelegenen und kleinen Magazin- und Festungsanlagen (Arad, Kadesch-ßarnea, Kuntillat-Ajrud) gegeben hat (école locale), (2) einer Art Mittelschule in größeren Verwaltungsstädten wie Lachisch und möglicherweise auch Hebron (école régionale), (3) einer Art Oberschule (höhere Verwaltungsschule) in der Hauptstadt ("l'école (ou plutôt les écoles) de la capitale"). 81 Im Hinblick auf die in den "höheren Schulen" vermittelten Inhalte unterscheidet A.LEMAIRE noch einmal drei Schultypen: (1) écoles royales (2) écoles sacerdotales (3) écoles prophétiques. Die Thesen A.LEMAIREs sind nicht unwidersprochen geblieben. 82 Vor allem die Deutung der ABC-Täfeichen als Schülerübungen und die Annahme einer allgemein verbreiteten Schulbildung in der ausgehenden Königszeit sind in dieser Pauschalität nicht haltbar und bedürfen weiterer Differenzierung. 8 3 Dennoch hat A.LEMAIRE mit seiner These deutlich gemacht, was E.LIPIÑSKI, der im übrigen mit F.w.GOLKA die Thesen A.LEMAIREs von der Existenz von Schulen im vorexilischen Israel ableh nf, 8 4 so ausgedrückt hat:

78 79 80 81 82

Ebd. 47f. Ebd. 48. DERS., Sagesse et Ecoles (1984) 279. DERS., Écoles (1981) 49. Ebd. Vgl. vor allem F.W.GOLKA, Die israelitische Weisheitsschule (1983). Er hält die Existenz von Schulen im Israel der Königszeit für unbewiesen und rechnet statt dessen mit einem famulus-magister-System. Darauf hat A.LEMAIRE, Sagesse et Ecoles (1984), geantwortet. 83 Nach M.HARAN, Literacy and Schools (1988) 87; 95 sind die ABC-Täfelchen in den meisten Fällen keine Schülerübungen und schon gar nicht in jedem Fall ein Hinweis auf die Existenz von Schulen, sondern u.a. Übungen von Handwerkern, die mit Inschriften zu tun hatten. Vgl. auch S.WARNER, Alphabet (1980). E.PUECH, Écoles (1988). 84 E.LIPIÑSKI, Royal and State Scribes (1988) 163; 164, Anm. 26.

262

Kasuistisches Rechtsbuch "Scribes are the main figures behind biblical literature. In fact, we owe them the Bible, the whole Bible. In spite of this, very little is known about their activities and their social position. 1,85

Wenngleich die epigraphischen Funde kein Indiz für die Verbreitung einer allgemeinen Schulbildung in Israel sind, so weisen sie doch auf die Existenz von Schreiberschulen hin. 8 6 Um diese Schulen von Berufsschreibern geht es, wenn ich im folgenden von der Schule als dem institutionellen Ort der Entstehung des Bundesbuches spreche. Die Existenz solcher Schulen wird auch von denen, die die Thesen A.LEMAIREs von einer Verbreitung allgemeinbildender Schulen im vorexilischen Israel ablehnen, nicht bestritten. Schreiberschulen gab es vor allem in den kanaanäischen Stadtstaaten der Späten Bronzezeit. Die uns aus dieser Zeit überlieferte Amarna-Korrespondenz und eine Reihe von Keilschriftfunden in Palästina 8 8 machen eine solche Annahme plausibel. Ferner läßt sich auf die Existenz 85 E b d . 157. 86 E . P U E C H , Écoles (1988) 202. 87 E.LIPINSKI, Royal and State Scribes (1988). M . H A R A N , Literacy and Schools (1988) 95. E . P U E C H , Écoles (1988). 88 Eine Liste der in Palästina g e f u n d e n e n Keilschrifttexte des 2. Jt. v. Chr. bietet K. G A L L I N G (Hg.), T G I ( 3 1979) 13f. Ergänzungen dazu bei H . W E 1 P P E R T , Palästina (1988) 266f. Neu hinzugekommen ist ein Wirtschaftstext aus altbabylonischer Zeit von Teil er-Rumeidch ( H e b r o n ) : M .AN B A R / N . N A ' A M A N , An Account T a b l e t of Sheep f r o m Ancient H e b r o n (1986). Zu dem Fund b e m e r k e n die H e r a u s g e b e r , ebd. 11: "The distribution of cuneiform texts in Canaan in the late Old Babylonian period, as revealed in various excavations, is quite extensive. They were f o u n d in the hill country (Hazor, Shechem, H e b r o n ) and in the Shephelah ( G e z e r ) . T h e variety of texts is also of interest: two juridicial documents ( H a z o r and G e z e r ) , a letter (Shechem), an economic text ( H e b r o n ) , clay liver models, a f r a g m e n t of H A R - r a - l j u b l l l l l l ... and an incised pottery j a r .... all f r o m Hazor. The n u m b e r of sites in which scribes were active and the variety of texts is almost as great in the late Old Babylonian period as it was in the Late Bronze Age. It is clear that the art of cuneiform writing was already well known at that time." Vgl. auch H . T A D M O R . A Lexicographical Text f r o m Hazor (1977) lOlf: "It is t h e r e f o r e not unjustified to suggest that the cuneiform f i n d s f r o m H a z o r , when added to the discoveries of recent years f r o m o t h e r sites in this country, are indicative of the degree of literacy prevalent in the local schools. In o r d e r to become an accomplished scribe, the apprentice must have studied according to the customary Mesopotamian curriculum: lexical lists, omens and classical literary compositions belonging to the »stream of tradition«. Albeit meagre in n u m b e r when compared to the rich harvest f r o m Ugarit and Alalakh, the f i n d s of the last two decades at Megiddo and Hazor followed by those at Gezer, Taanach and Shechem and most recently at A p h e k give f u r t h e r weight to the assumption that centres of cuneiform literacy existed in each of the city-states of Canaan f r o m the Middle Bronze to the close of the Late Bronze Ages - th e floruit of Akkadian as the lingua franca t h r o u g h o u t western Asia. T h e extant cuneiform texts f r o m Hazor give promise that the archives of this m a j o r city comprised texts of several categories as early as the Old Babylonian p e r i o d : the mantic, legal and lexical are already attested."

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solcher Schulen aus der analogen sozialen und politischen Organisationsform syrischer und mesopotamischer Stadtstaaten schließen. 89 Diese Schreiberschulen standen unbeschadet ihrer lokalen Besonderheiten - nicht zuletzt aufgrund des Akkadischen - in einer gemeinsamen kulturellen Tradition. 90 Zu dieser Tradition gehört auch das Keilschriftrecht. 91 In den kanaanä89 Vgl. J . K R E C H E R . S c h r e i b e r s c h u l u n g in U g a r i t (1969) 131: "Wo i m m e r im v o r d e r e n O r i e n t die babylonische K e i l s c h r i f t v e r w e n d e t w u r d e , h a b e n sich die S c h r e i b e r , die » G e b i l d e t e n « , an a l t h e r g e b r a c h t e n T e x t e n üben m ü s s e n . Ein b e t r ä c h t l i c h e r Teil des Ü b u n g s s t o f f e s galt im f r ü h e n und s p ä t e n 2. J a h r t a u s e n d einheitlich im babylonischen N i p p u r . Kis und U r , im syrischen U g a r i t , im kleinasiatischen Bogazköy und im n o r d m e s o p o t a m i s c h e n A s s u r . A u ß e r h a l b B a b y l o n i e n s v e r m i t t e l t e er den E i n h e i m i s c h e n nicht nur die S c h r i f t , s o n d e r n auch die K e n n t n i s d e r ihnen f r e m d e n a k k a d i s c h e n S p r a c h e mit den f ü r U r k u n d e n und B r i e f e e r f o r d e r l i c h e n R e d e w e n d u n g e n . Ü b e r diese p r a k t i s c h e n E r f o r d e r n i s s e h i n a u s h a b e n auch a u ß e r b a b y l o n i s c h e Schreiber in bes c h r ä n k t e m U m f a n g das S t u d i u m f ü r f o r t g e s c h r i t t e n e b e t r i e b e n , bei dem l i t e r a r i s c h e W e r k e aus dem Bereich d e r Schule selbst, aus d e r » W e i s h e i t s l i t e r a t u r « und aus dem weitverzweigten Bereich d e r religiösen Ü b e r l i e f e r u n g B a b y l o n i e n s a b g e s c h r i e b e n und wohl auch e r k l ä r t w u r d e n . " E b d . 132: "In den R a h m e n d e r S c h u l t r a d i t i o n g e h ö r e n nun auch die in Ugarit g e f u n d e n e n W o r t - und Silbenlisten und s u m e r i s c h e n T e x t e . In bes c h r ä n k t e m A u s m a ß hat man den ö r t l i c h e n G e g e b e n h e i t e n e n t s p r e c h e n d in den W o r t l i s t e n n e b e n die s u m e r i s c h e n W ö r t e r a u ß e r den akkadischen auch die h u r r i t i s c h e n und ugaritischen g e s c h r i e b e n . J . N O U G A Y R O L hat in Syria 39/1961, 30 darauf hingewiesen, daß die S c h r e i b e r a k k a d i s c h e r U r k u n d e n usw. d e r e i n h e i m i s c h e n B e v ö l k e r u n g von U g a r i t e n t s t a m m e n und n a t ü r l i c h des U g a r i t i s c h e n , a b e r auch d e r ugaritischen A l p h a b e t s c h r i f t mächtig w a r e n ... . Im k l e i n a s i a t i s c h e n Bogazköy k o m m e n bei e n t s p r e c h e n d e n Stellen d e r S c h u l l i t e r a t u r zu den a k k a d i s c h e n o f t die h e t h i t i s c h e n W ö r t e r bzw. die hethitische Ü b e r s e t z u n g d e r s u m e r i s c h - a k k a d i s c h e n Zeile hinzu ... . " A . L E M A I R E , É c o l e s (1981) 46f: "Selon t o u t e v r a i s e m b l a n c e , la capitale de c h a q u e petit r o y a u m e c a n a n é e n devait d i s p o s e r d ' a u moins une école p o u r f o r m e r ses f o n c t i o n n a i r e s : ainsi non s e u l e m e n t A p h e q et G é z e r , mais aussi M e g i d d o , Sichern, Lakish et J é r u s a l e m devaient avoir une école à l ' é p o q u e du R é c e n t Bronze." 90 Vgl. M . H A R A N , Literacy and Schools (1988) 95: "The scholars and e d u c a t e d p e o p l e , a m o n g w h o m the scribes were i n c l u d e d , were p r o b a b l y to be f o u n d within a fairly thin layer of the p o p u l a t i o n , the r e p r e s e n t a t i v e s of which u n d e r w e n t long y e a r s of study in schools. It is d o u b t f u l w h e t h e r , in this r e g a r d , t h e r e was a s u b s t a n t i a l d i f f e r e n c e b e t ween the West Semitic w o r l d and the c e n t r e s of c u l t u r e s i t u a t e d at the two e n d s of the f e r t i l e crescent." R . W E S T B R O O K , Biblical and C u n e i f o r m Law C o d e s (1985) 252f: " C u n e i f o r m scribal schools existed t h r o u g h o u t the A n c i e n t N e a r E a s t in the second millenium, including t h e cities of C a n a a n p r i o r t o the Israelite c o n q u e s t . They were not merely places f o r l e a r n i n g the c u n e i f o r m script; such schools were t h e universities of the A n c i e n t N e a r E a s t w h e r e t h e cultural and literary i n h e r i t a n c e , b o t h Babylonian and local, was p r e s e r v e d and d e v e l o p e d . " 91 O f f e n ist die Frage nach dem E i n f l u ß des ägyptischen Rechts auf K a n a a n und Israel, weil uns aus dem A l t e n , M i t t l e r e n und N e u e n Reich bis auf eine kleine A u s n a h m e u n t e r H a r e m h a b (1333-1306) k e i n e G e s e t z e ü b e r l i e f e r t sind. D i e einen h a l t e n dies f ü r einen Z u f a l l , d e r sich d u r c h n e u e E n t d e c k u n g e n täglich ä n d e r n k a n n , und r e c h n e n auch f ü r diese E p o c h e der ägyptischen G e s c h i c h t e mit d e r Existenz u m f a s s e n d e r G e s e t z e s s a m m l u n g e n (so: E . S E I D L , Ä g y p t i s c h e s R e c h t (1964) I f ) , die "den bei a n d e r e n a l t o r i e n t a l i s c h e n V ö l k e r n h e r r s c h e n d e n G e s e t z e n ... f o r m a l ä u ß e r s t ähnlich ... waren"

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Kasuistisches Rechtsbucfa

ischen Schreiberschulen hat es sehr wahrscheinlich Abschriften des Codex Hammurapi und anderer altorientalischer Rechtsbücher gegeben. 9 2 Dort wurden lokale Rechtsbücher verfaßt und redigiert von Schreibern, die den Codex Hammurapi und andere altorientalische Rechtsbücher gekannt und studiert haben. 9 3 Die Schreiberschule als Ort der Abfassung und Tradierung von Rechtstexten läßt sich auch noch hinter der Überlieferung von Codex Eschnunna erkennen. Der Text ist uns in zwei leicht unterschiedlichen Versionen auf zwei Tafeln (A und B) überliefert. Die Unterschiede beruhen - abgesehen von möglicherweise zwei Ausnahmen 9 4 - auf Schreibfehlern und kleineren und wie diese "als Sammlungen konkreter Fälle aus der Gerichtspraxis entstanden und folglich mit ihrer Wurzel ins Gewohnheitsrecht hinaufreichen" (I.M.LURJE, Studien zum ägyptischen Recht (1960) 167). Andere sehen im Fehlen ägyptischer Gesetzessammlungen keinen "Zufall der Erhaltung", sondern die in der ägyptischen Vorstellung vom König als dem "Herrn der Ordnung", der die Ma'at setzt, liegende Konsequenz: "Es zeigt sich als eindeutig, daßwir in Ägypten kein theoretisch entwickeltes corpus iuris voraussetzen dürfen, wie es selbst in den f r ü h e n Gesetzessammlungen des vorderasiatischen Raumes erkennbar ist, sondern allein eine Sammlung von Adhoc-Aussprüchen und »Befehlen« des Königs" (W.1IELCK, Wesen, Entstehung und Entwicklung Altägyptischen »Rechts« (1980) 311). Eine andere Frage ist die nach dem möglichen Einflußbereich ägyptischen Rechtes in der Späten Bronzezeit in Palästina. Das Land besaß zu dieser Zeit eine doppelte Verwaltung: zum einen die einheimische Administration der kanaanäischen Stadtstaaten, zum anderen die der ägyptischen Oberherrschaft (vgl. H.WEIPPERT, Palästina (1988) 324). J.M.LURJE, Studien zum ägyptischen Recht (1960) 167, rechnet vorsichtig mit der Möglichkeit der Beeinflussung von ägyptischem und keilschriftlichem Recht. Zur Gesetzgebung im Alten Ägypten vgl. auch G.RIES, Prolog und Epilog (1983) 79f. W.HELCK, Art. Gesetze, in: LexÄg II (1977) 570f. S.ALLAM, Art. Recht, in: LexÄg (1984) 182-186. 92 R.WESTBROOK, Biblical and Cuneiform Law Codes (1985) 252f: "Codex Hammurabi itself exists in the form of school copies already in the Old Babylonian period. It borrows extensively, often verbatim, from the text of the earlier codes of Ur-Nammu and Lipit-Ishtar ... which in turn exist in the form of Old Babylonian school copies. Likewise, both extant copies of Codex Eshnunna are school texts. ... Codex Hammurabi itself continued to be copied and recopied in scribal schools both in Babylonia and elsewhere for more than a millenium after its promulgation. It would be no surprise, therefore, to find similar codes compiled from the local law by Canaanite or Hittite scribes who were inspired by contact with Hammurabi's magnum opus." J.J.FINKELSTE1N, The Ox (1981) 22: "... the text of the Laws of Hammurapi remains by far the longest surviving document of its genre; it achieved the status of a »canonical« literary work, and was still being copied in the libraries of Assyrian kings as late as the seventh century B.C." 93 Vgl. G.MAUER, Die "Gesetze" von Esnutina - eine Schreiberübung (1988) 39: "All diese Kriterien legen den Schluß nahe, daß die sog. Gesetze von ESnunna Bestandteil des Curriculums einer Schreiberschule waren... ." VgL auch M . R O T H , Scholastic Exercise (1980) 142. Vgl. auch O.KAISER, Einleitung ( 5 1984) 43: "Mesopotamischer Einfluß war am folgenreichsten auf dem Gebiet des israelitischen Rechts." 94 Die Ausnahmen betreffen die §§ 28; 50. Siehe dazu die Diskussion bei R.YARON, Laws of Eshnunna (1969) 4-6. Vgl. auch A . G O E T Z E , Laws of Eshnunna (1956) 2-16.

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Varianten, die aus der Situation des Schulunterrichts gut zu verstehen sind. 95 Das gleiche scheint mutatis mutandis bei den zahlreichen Abschriften des Codex Hammurapi der Fall zu sein. 9 6 In der Tradition der spätbronzezeitlichen kanaanäischen Schreiberschulen stehen auch die israelitischen Schreiberschulen. Damit ist nicht gesagt, daß Israel aus Kanaan entstand, wohl aber, daß dort, wo in Israel die ersten Schreiberschulen entstanden - und das dürfte vor allem in der frühen Königszeit gewesen sein -, diese Schreiberschulen nicht ab ovo neu gegründet wurden, sondern in der Tradition ihrer kanaanäischen Vorgängerinnen standen. 9 7 Oft wird es sich um einen kontinuierlichen Übergang gehandelt 95 Vgl. G.MAUER, Die "Gesetze" von EsnUWia - eine Schreiberübung (1988) 38: "Die Schreibfehler, die in Exemplar A v e r t r e t e n sind, betreffen kaum die Grammatik ... sondern vielmehr Auslassungen von Satzteilen, womit der Sinn unverständlich wird und auch die Stellung von summa mitten in einer Zeile. Dies könnte jedoch als Hinweis darauf verstanden werden, daß der Schüler beim Diktat nicht folgen konnte, zumal auch §49 gänzlich fehlt." 96 Vgl. R . B O R G E R , Babylonisch-Assyrische Lesestücke I ( 2 1979) 2-5. Zu Teilen einer älteren Redaktion des Prologs vgl. ebd. 7 und V . K O R o S e C , Keilschriftrecht (1964) 98. Vgl. auch G.R.DRIVER/J.C.MILES. Babylonian Laws I (1960) 27-34; II (1960) 108f. Zum Thema "Interpolationen im CH" vgl. die kritischen Bemerkungen bei C.LOCHER, Ehre einer Frau (1986) 112; 274. Zu der wichtigen Unterscheidung von "Abschreiben kanonischer Gesetzesliteratur" und "produktiver Fortschreibung" vgl. R. WESTBROOK, Biblical and Cuneiform Law Codes (1985) 256: "Codex Hammurabi continued to be copied for more than a millenium after its promulgation, both within and outside of Babylonia. The copies are remarkably faithful to the original; certainly no changes whatsoever were made to the substantive law. The reason is that it became a piece of canonical literature, a part of the scribal school curriculum that was copied for its own sake. This illustrates the différence between school texts and scientific texts. The local scribes saw no reason to alter Codex Hammurabi because f o r their positive law. Their own law codes, however, had a practical purpose and therefore had to reflect the local law, which meant also regular amendment to take account of changes in the law. This is not to say that »foreign« codes copied in the scribal schools were not without influence." 97 Auf TeI Aphek fand man zwei keilschriftliche Tontafeln, auf dem nur drei km entfernten 'Izbet Sartah ein Ostrakon mit paläo-hebräischer Schrift. A.LEMAIRE, Les Écoles (1981) 10, schreibt dazu: "Par ailleurs, la découverte de tablettes cunéiformes, en particulier de fragments de dictionnaires, dans le palais du Récent Bronze d'Apheq, semble témoigner en faveur de l'existence d'une tradition scribale cananéenne assez développée dans cette ville au XIV-XIIIème siècle avant notre ère et cette tradition scribale a vraisemblablement continué au XII-XIème siècle. Dès lors, l'ostracon á"Izbet Sartah pourrait être l'oeuvre d'un israélite apprenant à écrire en dépendance de l'école »cananéenne« à'Apheq toute proche." Zum "Gezer-Kalender" schreibt A.LEMAIRE, ebd. 11: "Aussi bien paléographiquement que linguistiquement, cet exercice ne présente aucune caractéristique proprement paléo-hébraïque et, comme le remarque J.NAVEH, on pourrait tout aussi bien le classer parmi les inscriptions phéniciennes que paléohébraïques. En fait, cet exercice se situerait assez bien à la transition de la culture »cananéenne« à la culture »hébraïque« à l'époque du rattachement de Gézer au royaume de Jérusalem, sous Salomon. ... En l'absence d'indication stratigraphique pré-

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haben, so daß die Rede von "Kanaan" und "Israel" in diesem Zusammenhang nur Tendenzen angibt. In diesen Schulen hat es sehr wahrscheinlich Abschriften von Codex Hammurapi und andereren altorientalischen Rechtsbüchern gegeben. Hier lernte "Israel" die Tradition altorientalischer Rechtskultur kennen. Nun ist das Bundesbuch keine Schülerübung und auch keine Abschrift eines der uns bis heute bekannten altorientalischen Rechtsbücher. Bei der

eise et du fait de l'approximation de la datation paléographique, il nous semble impossible de préciser si la tablette de Gézer se rattache à l'ancienne cité cananéenne, détruite par le Pharaon, ou à la nouvelle cité rebâtie par Salomon. Cet exercise scolaire peut donc tout aussi bien avoir été écrit dans le cadre d'une »ancienne« école cananéenne que dans celui d'une »nouvelle« école israélitc mise en place par l'administration salomonienne." Ebd. 46f: " ... les Israélites ont, peu à peu, du XlIIème au Xème siècle, assimilé, au moins en partie, l'héritage culturel transmis dans les écoles »cananéenne«. ... L'assimilation de cette culture cananéenne a dû se faire peu à peu, en commençant par l'apprentissage de l'écriture, comme nous pouvons le pressentir d'après les témoignages d'Apheq et de Gézer. Cette période de transition a dû se continuer jusque sous David et même Salomon, en particulier par la prise sans destruction de Jérusalem où l'école cananéenne a pu être utilisée plus ou moins telle quelle par le nouveau roi." Was Jerusalem anbetrifft, so kommt U . R Ü T E R S W Ö R D E N , Beamten (1985) 88f, bei der Untersuchung des Titels des Schreibers als eines hohen Staatsbeamten im Kabinett Davids ( l K ö n 4 , 3 ) zu einem Ergebnis, das die Schlußfolgerungen A.LEMAIREs bezüglich eines nahtlosen Überganges von der kanaanäischen zur israelitischen Schule in Jerusalem stützt: "Sowohl das Wort I S O als auch die Tatsache, daß "130 allein - ohne "[/>0Π - auf Dienstsiegeln erscheint, verweist daneben auf das Kanaanäertum als Herkunftsort des Titels. In Analogie zu den Verhältnissen in Ugarit und Alalach ist damit zu rechnen, daß sowohl das Kanzleiwcsen als auch die Traditionspflege und das Verfassen von Schriften historiographischen Inhalts ... zu dem Arbeitsbereich eines solchen "ISO gehört." Zum Wort "TS in Gen 2,6 bemerkt E.A. SPEISER, 'ED (1955) 11: "Plainly, the biblical verse might have been lifted out verbatim from an Accadian lexical work." Interessanterweise rechnet C.DOHMEN, Schöpfung und Tod (1988) 207-216, diesen Vers zu einem vorjahwistischen Mythenfragment (Gen 2,5-7*; 3,23*), das zahlreiche "Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen mit mesopotamischen Ursprungsmythen" aufweist (ebd. 209f) und "dem Jahwisten in schriftlicher Form als Vorlage gedient hat ... Die Annahme von schriftlichen Vorlagen des jahwistischen Geschichtswerkes bildet keine Schwierigkeiten, wenn man sich vor Augen f ü h r t , daß die Abfassung des jahwistischen Werkes in zeitlicher und räumlicher Hinsicht in ein kulturelles Umfeld situiert werden muß, das bereits seit Jahrtausenden durch Schriftkultur geprägt wird. ... daß Gelehrte, wie sie hinter dem jahwistischen Werk zu vermuten sind, auch schon zu dieser Zeit Literatur »benutzten«, ist nach allem, was wir aus anderer altorientalischer Literatur kennen, selbstverständlich, und das AT betont in diesem Punkt auch nirgends eine Sonderstellung" (ebd. 215f). G . F O H R E R , Geschichte Israels (1977) 116, nimmt f ü r die Beamtenschulen der Salomonischen Epoche an: "Die Kenntnis des Ägyptischen und der dem Hebräischen verwandten Sprachen der Nachbarstaaten, später des Assyrischen und Babylonischen, ist vorauszusetzen. Auch juristische Kenntnisse wurden gelehrt, da sie f ü r die königlichen Beamten erforderlich waren."

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Nun ist das Bundesbuch keine Schülerübung und auch keine Abschrift eines der uns bis heute bekannten altorientalischen Rechtsbücher. Bei der Analyse der Gesetze zum stoßenden Rind konnten wir vier wichtige Beobachtungen machen: 1. Der Grundbestand Ex 21,28f.32 steht in der Tradition von CE §§ 53-55 und CH §§ 250-252. 2. Der Grundbestand Ex 21,28f.32 ist aber keine Abschrift von CE §§ 5355 und CH §§ 250-252. Er weist Elemente einer Tradition auf, die nicht von CE und CH erklärt werden können. Insofern ist Ex 21,28f.32 - wenngleich in der Tradition von CE und CH stehend - ein eigenständiger Gesetzeskomplex. 3. Dem Grundbestand wurden die Gesetze Ex 21,30.31.33f hinzugefügt. Hierbei handelt es sich offensichtlich um eine von der lokalen Rechtspraxis herkommende (21,30) und auf die konkrete Rechtspraxis hinzielende (21,31) Ergänzung. 4. Die beiden Gesetze Ex 21,35.36 wurden in einem rein literarischen Sinne hinzugefügt. Bei Ex 21,35 handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Übertragung von § 53 CE. 5.M.PAUL ist bei einem durchgehenden Vergleich des kasuistischen Teiles des Bundesbuches mit altorientalischen Rechtsqucllen zu dem Ergebnis gekommen, "that early biblical law remained within the legal orbit of its cuneiform predecessors. This eclectic compilation appears to have been influenced by several extrabiblical substrata, many of which are still contextually and linguistically identifiable." 98 V . W A G N E R hat darüber hinaus festgestellt, daß die Anordnung der Gesetze im Bundesbuch derjenigen im CH ähnelt:

Diese Übereinstimmung dürfte wohl auf eine altorientalische Schultradition hinweisen, in der der Verfasser dieses kleinen Codex steht. ... Mindestens die Untergliederung im Thema 3 [Ex 22,6-14] zeigt, daß der Verfasser juristisch gebildet war. Es muß eine wissenschaftliche Durchdenkung des Rcchts zu seiner Zeit gegeben haben, andernfalls hätte niemand so eindeutig zwischen unerlaubten Handlungen, Haftungen nachbarrechtlicher Art und welchen, die in den Bereich vertraglicher Abmachungen gehören, unterscheiden können. Da die gleichen Einteilungsprinzipien im Codex Hammurabi auftreten, haben wir hier kein Produkt des Zufalls, sondern ein Erzeugnis der

98 S.M.PAUL, Studies (1970) 102.

268

Kasuistisches Rechtsbuch syrisch-palästinensischen, ja bis zum Erweis des Gegenteils israelitischen Rechtswissenschaft vor uns." 99

Ich halte es deshalb f ü r methodisch gerechtfertigt, das Modell, nach dem ich die Entstehung der Gesetze zum stoßenden Rind (Ex 21,28-36) erklärt habe, auf den kasuistischen Teil des Bundesbuches insgesamt zu übertragen. Die These soll verstanden werden als ein hermeneutisches Modell, das der rcchtsvergleichenden Einzelanalyse einen Rahmen geben kann: Der kasuistische Teil des Bundesbuches ist entstanden in der Tradition altisraelitischer Schreiberschulen. Juristisch geschulte Schreiber haben es in Kenntnis anderer altorientalischer Rechtsbücher verfaßt. Gleichwohl ist das Bundesbuch keine Kopie eines "fremden" Rechtsbuches, sondern eigenständiges Werk der israelitischen Rechtsschule und als solches bezogen auf die Gesellschaft, in der es entstanden ist und f ü r die es verfaßt wurde. Der indigene Ursprung altisraelitischen Rechts und die Partizipation dieses Rechtes am "internationalen Standard" altorientalischer Rechtskultur und Rechtswissenschaft dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern können nur gemeinsam den komplizierten Befund der Entstehung altisraelitischen Rechtes erklären. 1 0 0

4.4.6. Der soziale

Ort

Ex 21,12-22,16* setzt - im Unterschied zum Deuteronomium - keine Stadtkultur voraus. Das Wort "P? begegnet an keiner Stelle und das f ü r eine Stadt typische Element, das Stadttor wird - im Unterschied zum Dtn im Bundesbuch an keiner Stelle genannt. Es ist weder von den "Ältesten

99 V . W A G N E R , Systematik (1969) 182. Vgl. auch E . O T T O , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 138: "In den altbabylonischen und altisraelitischen Rechtsüberlieferungen wird eine weithin entsprechend verfahrende, nur aufgrund unterschiedlicher Ausdifferenzierung von Recht Akzente anders setzende, hoch entwickelte antike Rechtsgelehrsamkeit erkennbar." 100 D . R Ö M H E L D , Wege der Weisheit (1989) 4, kommt aufgrund eines Vergleichs von Spr 22,17-24,22 mit der Lehre A m e n e m o p e s ("Der Proverbienlehrer hatte letzlich Amenemope selbst zur Vorlage. Ob der ägyptische Text ihm im Original oder einer kanaanäischen-hebräischen Übersetzung bzw. Adaption vorlag, ist nicht auszumachen ...". Ebd. 113) zu folgendem Urteil, das - mutatis mutandis - auch auf den kasuistischen Teil des Bundesbuches anzuwenden ist: "Die biblische Weisheitsliteratur entwickelte sich ... unter dem Spannungsbogen von unmittelbarer Übernahme fremder ... Vorbilder und eigenständiger Neuformulierung." 101 Innerhalb von Dtn 12-26 begegnte Τ ? ( S g . / P l . ) 34mal, im Dtn insgesamt 58mal. Vgl. A R.HÜLST, Art, in: T H A T II," 268-272. " W ( S g . / P l . ) begegnet in Dtn 12-26 26mal, im Dtn insgesamt 33mal. Vgl. E . O T T O , Art. Ί"'S, in: ThWAT VI, 66f.

Historischer und soziokultureller Kontext

269

der Stadt" ("Pyn \J(?T) 1 0 2 noch von einer städtischen Verwaltungsbehörde oder dergleichem die Rede. Letzteres fällt auf, wenn man Ex 21,29 mit § 54 des Codex Eschnunna (CE) und § 251 des Codex Hammurapi vergleicht. C E § 54 lautet: 1 0 3 Wenn ein Rind stößig ist und die Behörde seinen Eigentümer darüber informiert hat,... ... ba-ab-tum a-na be-li-su-(ú]-se-di-ma ... Ex 21,29 lautet: Falls aber das Rind schon f r ü h e r stößig war, und es seinem Besitzer angezeigt wurde ... • pT^T .a·

f j- n ms . . .

Selbst wenn mit bäbtu "nicht eine abstrakte Verwaltungseinheit, sondern die Bindung eines ethnischen Verbandes an einen bestimmten Stadtteil gemeint ist", 1 0 4 so setzt bäbtu doch offensichtlich die soziale und politische Organisationsform der Stadt voraus. 1 0 5 Als Äquivalent zu Akkadisch bäbtu kommt im Hebräischen am ehesten "1ÏE? in Frage. 1 0 6 Ex 21,29 weist kein Äquivalent zu bäbtu (CE § 54; CH § 251) auf, es behält aber den rechtsverbindlichen Charakter der Mitteilung an den Besitzer des Rindes bei, indem es den juristischen Fachausdruck "TIS setzt. Sachlich "überträgt" Ex 21,29 damit CE § 54 und CH § 251 in den Horizont einer nicht-städtisch organisierten Gesellschaft. 1 0 7 Ex 21,12-22,16* setzt eindeutig eine seßhafte Gesellschaft voraus. Es ist die Rede vom Weinberg (ΠΊ3) in Ex 22,4 und vom Haus (ΓΡ3), aus dem ein Depositum gestohlen wird in Ex 22,6, vom Rind ("lìü), vom Esel, vom Getreidefeld (ΓΠψ) mit stehendem Getreide (Π0£>) und Garben (Ε?"1"?*) ' n Ex 22,4f und von der Vorratsgrube bzw. Zisterne ("1Ϊ3) in Ex 21,33f. Offensichtlich besaß nicht jede Familie zur Feldbestellung und zum Dreschen 102 Vgl. Dtn 19,12; 21,3.4.6.19.20; 22,15.17.18; 25.8; Vgl. Rut 4,2. Vgl. auch den Ausdruck "die Männer der Stadt" in Dtn 21,21; 22,21. 103 Üb. nach R . B O R G E R , in: T U A T 1/1 (1982) 38. Akk. Text nach der Ausgabe von R . Y A R O N , The Laws of Eshnunna, Jerusalem 1969. Vgl. A . G O E T Z E , The Laws of Eshnunna, New Haven 1956. Vgl. CH § 251. 104 C.LOCHER, Ehre einer Frau (1986) 303. 105 Vgl. ebd. 302: "Eine familiale Gesellschaftsstruktur war also nicht nur, wie bisher meist angenommen, mit nomadischer Lebensweise verbunden, sondern bestimmte das Zusammenleben bis hinein in die damaligen Grossstädte." Vgl. auch den etymologischen Zusammenhang von bäbtu mit bäbu "(Stadt-)Tor". 106 So C.LOCHER, ebd. 303, mit Hinweis u.a. auf Rut 3,1 Iba, das C.LOCHER mit "denn der ganze Stadtbereich meiner Verwandtschaft weiss" übersetzt. Vgl. dazu auch E. Z E N G E R , Ruth (1986) 68. 107 D i e s gilt unabhängig von der Frage einer literarischen Abhängigkeit.

270

Kasuistisches Rechtsbuch

einen eigenen Esel oder ein eigenes Rindergespann, sondern mußte diese Tiere vom Nachbarn ausleihen, wie man aus Ex 22,13 folgern kann, für manche Arbeiten wird man auch mehrere Tiere benötigt haben, so daß man auf die Hilfe des Nachbarn angewiesen war. 1 0 8 Es liegen aber auch Hinweise auf eine Hirtenkultur vor, so in Ex 22,9, wo Rind, Esel und Schaf zum Hüten ( " I t t t t f ) anvertraut werden, in 2 2 , 1 2 , wo eine Bestimmung erlassen wird für den Fall, daß diese Tiere (von Raubtieren) gerissen werden. Wirtschaftlich weist das Bundesbuch also auf eine Bauern- und Hirtenkultur hin. 1 0 9 Die Gesellschaft, die der kasuistische Teil des Bundesbuches voraussetzt, scheint weitgehend egalitär strukturiert gewesen zu sein. Die gesetzlichen Bestimmungen werden - im Unterschied etwa zum CH - nicht im Hinblick auf die Angehörigen verschiedener sozialer Schichten differenziert. Es werden auch keine Unterschiede in der Behandlung von Mann und Frau gemacht. Es läßt sich sogar erkennen, daß die egalitäre Tendenz des Bundesbuches zum Teil gegen eine vorgegebene nicht-egalitäre Tradition durchgesetzt wurde. 1 1 0 Im Verlauf der Überlieferungsgeschichte scheinen sich die vorausgesetzten gesellschaftlichen Verhältnisse in Richtung einer stärkeren Herausbildung sozialer Schichten verändert zu haben. Vom Lohnarbeiter ist die Rede, später auch vom insolventen Dieb und vom Schuldsklaven. 111 Das Bundesbuch setzt keine politische Zentralgewalt voraus. Daraus läßt sich aber nicht mit Sicherheit schließen, daß es in vorstaatlicher Zeit entstanden ist. Umgekehrt gibt es aber auch keine durchschlagenden Argumente, die gegen eine solche These sprechen. Die Voraussetzungen für die Abfassung eines solchen Rechtsbuches sind nicht erst mit der Entstehung des Staates gegeben. Fazit: Das Bundesbuch setzt eine seßhafte, vielleicht gerade seßhaft gewordene, Viehzucht und Ackerbau treibende, in offenen Dörfern lebende

108 Vgl. Jes 7,21. 109 Vgl. H.CAZELLES. Code de l'Alliance (1946) 133, der den Akzent stärker auf die Hirtenkultur setzt: "L'agriculture apparaît donc avec un caractère sinon épisodique. du moins secondaire. ... Peuple donc en train de s'assimiler l'agriculture, mais peuple avant tout pasteur." D i e Charakterisierung bezieht sich bei H.CAZELLES allerdings auf das ganze Bundesbuch. Vgl. auch S.M.PAUL, Studies (1970) 44: "a pastoral-agricultural non-urban society". 110 Vgl. Ex 21,31. Vgl. C . S C H À F E R - L I C H T E N B E R G E R , Stadt und Eidgenossenschaft (1983) 346: "Die in ihm enthaltenen Rechtssätze sind durchaus vergleichbar mit dem Recht segmentärer Gesellschaften. D a s Bundesbuch kennt keine allgemein verbindlichen Rechtsinstanzen mit Sanktionsgewalt und entbehrt jeden Hinweises auf eine öffentliche Zentralinstanz." 111 Der Sklave kommt allerdings schon in 21,32 vor. Das Vorhandensein von Sklaven widerspricht nicht dem Typ der segmentären Gesellschaft. Vgl. C.SIGRIST, Regulierte Anarchie ( 2 1 9 7 9 ) 31. F . C R Ü S E M A N N , Widerstand (1978) 206.

Historischer und soziokultureller Kontext

271

und auf verwandtschaftlicher Basis egalitär strukturierte Bauern- und Hirtenkultur voraus.

4.4.7.

Der historische

Ort

Die Frage nach der Zeit, in der das Bundesbuch entstanden ist, konzentriert sich vor allem auf die Alternative: vorstaatliche oder staatliche Zeit. Innerhalb des Bundesbuches gibt es kaum sichere Anhaltspunkte, diese Frage zu entscheiden. F . C R Ü S E M A N N sieht in der zentralen Stellung der Sklavengesetze im Bundesbuch ein zwingendes und "von keinem anderen Aspekt her in Frage zu stellen[des]" 112 Argument für eine Datierung in die Königszeit, näherhin das 9. und 8. Jahrhundert, die Zeit der großen sozialen Krise Israels. 1 1 3 Für 21,2-11.2Qf.26f halte ich den Datierungsvorschlag von F . C R Ü S E M A N N f ü r plausibel. Weniger gilt dies f ü r Ex 21,32, dem einzigen Gesetz im Bundesbuch, in dem es um den echten Sklaven geht, welcher hier in der Tradition von CE § 55 und CH § 252 als reiner Sachwert betrachtet wird. Das Gesetz läßt keinerlei sozialreformerische Tendenzen erkennen. Aber auch Ex 21,20f.26f können nicht direkt mit der sozialen Krise des 9./8. Jahrhunderts in Verbindung gebracht werden. In Ex 21,20f geht es um Schuldsklave und Schuldsklavin, beide Gesetze stehen in der Tradition von CH §§ 115;116. Nun gehören Ex21,20f.26f nach der hier vorgelegten Analyse nicht zum ältesten Bestand des Bundesbuches, und es scheint mir durchaus plausibel zu sein, die Einfügung dieser Gesetze mit einem sozialen Differenzierungsprozeß in Verbindung zu bringen, wie er vermutlich im 9. Jahrhundert einsetzte, zumal der "sozialökonomisch" und "rechtlich unterprivilegierte Status des 72JT in "der vorstaatlichen Zeit keine geläufige Erscheinung" war. 1 1 4 Ich rechne Ex21,20f.26f zur gottesrechtlichen Redaktion des Bundesbuches, welche - unter dem Einfluß der frühen Prophetic stehend - möglicherweise in die zweite Hälfte des 8. Jh. zu datieren ist. Aber bereits die vor der gottesrechtlichen Redaktion liegenden Erweiterungen Ex 22,6-8.1 lf. 13b*. 14 lassen sich mit einem sozialen Differenzierungsprozeß in Zusammenhang bringen. Es scheint mir nun durchaus möglich - wenngleich nicht zwingend - zu sein, f ü r den Grundbestand des kasuistischen Rechtsbuches Ex 21,12-22,16 in eine frühere Zeit zu gehen, in das 10. Jahrhundert, vielleicht sogar in die vorstaatliche Zeit. Gerade bei dem hier vertretenen Modell der Entstehung des kasuistischen Rechtsbuches muß die Aufzeichnung von Rechtssätzen 112 F . C R Ü S E M A N N , Bundesbuch (1988) 32. 113 Ebd. 35. 114 C . S C H Ä F E R - L I C H T E N B E R G E R , Stadt und Eidgenossenschaft (1983) 310.

272

Kasuistisches Rechtsbuch

nicht mit einer Infragestellung derselben oder einer sozialen Krise einhergehen. Auch ist die Kodifikation eines Rechtsbuches nicht mit seiner Promulgation zu verwechseln, so daß von daher der Spielraum der Datierungsmöglichkeiten größer wird. Unter Ausnutzung dieses Spielraumes möchte ich im folgenden unter Rückgriff auf neuere, vor allem aus der Archäologie gewonnene Erkenntnisse zur Frühgeschichte Israels ein Modell zur historischen Verortung des ältesten Bestandes von Ex 21,12-22,16 vorstellen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, daß das Bundesbuch eine seßhafte, oder - wie H.CAZELLES vermutet 1 1 5 - seßhaft gewordene, Viehzucht und Ackerbau treibende, in offenen Dörfern lebende und auf verwandtschaftlicher Basis egalitär strukturierte Bauern- und Hirtenkultur voraussetzt. Mir scheint, daß sich diese vom ältesten Bestand des Bundesbuches vorausgesetzen gesellschaftlichen Verhältnisse historisch im Zusammenhang mit der in der Eisen I-Zeit (1200-1000) in Palästina neu entstandenen Dorfkultur verstehen lassen. Die Eisen I-Zeit in Palästina ist nach H.WEIPPERT vor allem durch drei Prozesse gekennzeichnet: 1 1 6 1. einer landesweiten, am Zerfall und Ende der traditionsreichen kanaanäischen Städte ablesbaren Deurbanisation, 2. dem erfolgreichen Widerstand, den Orte in der Küstenebene dieser Entwicklung entgegenzusetzen vermochten, 3. der großen Zahl der Dorfgründungen, die auch vor den kargen Landesteilen wie dem Bcrgland und den südlichen und südöstlichen Randzonen nicht Halt machten. Sozialgeschichtlich lassen sich die zahlreichen neuen Dorfgründungen verstehen als Prozeß der Seßhaftwerdung kleinviehzüchtender Halbnomaden. Diese kleinviehzüchtenden Halbnomaden wanderten aber nicht aus der Wüste oder vom Rande der Wüste in das Land ein. Sie lebten "immer schon", genauer gesagt: während der gesamten Späten Bronzezeit im Land zwischen den kanaanäischen Städten und im Kontakt mit ihnen. Die siedlungsgeschichtlichen Veränderungen lassen sich am eindrücklichsten an der Zahl der Dörfer illustrieren: Im Gebiet zwischen der Jesreel-Ebene und dem Tal von Beerscheba belief sich die Zahl der Dörfer in der Mittelbronze Ii-Zeit (ca.2000-1650 v.Chr.) auf etwa 200, sie fiel in der Spätbronzezeit II (ca. 1400-1200) auf etwa 20-25 ab und stieg in der Eisen IZeit (1250-1000) wieder drastisch auf etwa 240 an. 1 1 7 Der starke Rückgang der Dörfer und die abnehmende Bevölkerungszahl der Städte in der Spätbronzezeit sind nun nicht auf einen Rückgang der Bevölkerung im Lande 115 H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 133. 116 H.WEIPPERT, Palästina (1988) 354f. Vgl. auch I.FINKELSTEIN, Israelite Settlement (1988). 117 So I.FINKELSTEIN, Searching (1988) 39.

Historischer und soziokultureller Kontext

273

insgesamt zurückzuführen, sondern auf einen Prozeß der Renomadisierung ehemals seßhafter Bevölkerungsteile. 118 In der Eisen I-Zeit fand der genau umgekehrte Prozeß statt: Die nicht-seßhaften Hirten (der Spätbronzezeit) werden (wieder) seßhaft. Sie siedeln sich aber nicht in den Städten an, sondern gründen neue Dörfer in den weniger besiedelten Bergen und kargeren Landstrichen abseits oder am Rande der Städte. Hinweise auf die ehemals nomadische Lebensform der "neuen" Dorfbewohner der Eisen I-Zeit liegen vor allem im neuen Haustyp, dem sogenannten Vierraumhaus und in der Siedlungsform vor. Das sogenannte Vierraumhaus erinnert an die Zeltbauweise. Der grundlegende Unterschied zwischen dem bronzezeitlichen Hofhaus und dem eisenzeitlichen Vierraumhaus besteht darin, daß beim Hofhaustyp ein zentral gelegener Hof (im Idealfall von allen Seiten) von Räumen umgeben wird, während beim eisenzeitlichen Vierraumhaus ein großer Hof dem eigentlichen Wohntrakt vorgelagert ist. Das eisenzeitliche Vierraumhaus betritt man stets über den Hof. "Der Unterschied hat funktionale Gründe: Der Innenhof des bronzezeitlichen Hauses ist auf die Wohn- und Arbeitsbedürfnisse des Städters und Handwerkers zugeschnitten, der Außenhof des früheisenzeitlichen Dorfhauses auf die das Vieh haltenden und Ackerwirtschaft betreibenden Bauern. Für die Vieh- und Vorratshaltung sowie die Lagerung seiner Gerätschaften benötigte er einen von außen direkt zugänglichen und teilweise überdachten Hof." Die bei einigen der neu gegründeten Dörfer anzutreffende ringförmige Siedlungsform erinnert an die Anlage von Zeltlagerplätzen und in einigen Fällen läßt sich noch feststellen, daß der Dorfgründung eine Phase saisonaler Nutzung als Lagerstätte nomadisierender Hirtenbevölkerung vorausging, die sich im Übergang zur permanenten Seßhaftigkeit befand. 1 2 0 Ein kleines, aber im Hinblick auf die Datierung des Bundesbuches interessantes Detail sei noch erwähnt. In den neuen Dörfern der Eisen I-Zeit fand man eine auffallend große Zahl von Gruben, deren exakte Deutung den Archäologen lange Zeit große Rätsel aufgab. Inzwischen scheint sich aber - nicht zuletzt aufgrund experimenteller Nachprüfungen - eine konsensfähige Lösung anzubahnen. Ein kleiner Teil dieser Gruben diente als Zisternen, der weitaus größte Teil aber der Speicherung von Getreide. 1 2 1 Diese Form der Getreidespeicherung ist ein Hauptkennzeichen der Eisen I-

118 D i e s z e i g t sich u.a. daran, daß die Z a h l s p ä t b r o n z e z e i t l i c h e r G r a b e r im V e r g l e i c h mit der Z a h l m i t t e l b r o n z e z e i t l i c h e r G r ä b e r nicht r ü c k l ä u f i g ist, ( R . G O N E N , U r b a n C a n a a n ( 1 9 8 4 ) und an der Z a h l v o n nicht in S t ä d t e n i n t e g r i e r t e n H e i l i g t ü m e r n (I. FINKELSTEIN, Searching (1988) 41f.). 119 H . W E I P P E R T , P a l ä s t i n a ( 1 9 8 8 ) 395. 120 V g l . I . F I N K E L S T E I N , S e a r c h i n g ( 1 9 8 8 ) 42f. H . W E I P P E R T , P a l ä s t i n a ( 1 9 8 8 ) 4 0 2 f . 121 J. D . C U R R I D / J . L . G R E G G , Why D i d the Early I s r a e l i t e s D i g A l l t h o s e P i t s ? ( 1 9 8 8 ) 54f.

274

Kasuistisches Rechtsbuch

zeitlichen Dorfkultur. 1 2 2 Sie hängt sehr wahrscheinlich mit der Sippenstruktur dieser Dörfer zusammen, in denen jede einzelne Sippe ihre Vorratshaltung privat organisierte. 1 2 3 In staatlicher Zeit wurde diese "sippenorientierte" Form der Getreidespeicherung durch eine stärker kommunal und zentral organisierte Speicherung abgelöst. 1 2 4 Um eine Grube ("ITI) geht es auch im Gesetz Ex 21,33f, wobei das Wort "113 offen läßt, ob es sich um "eine Grube oder Cisterne" handelt, wie c.F. KEIL richtig übersetzt hat. 1 2 5 Neuere Übersetzungen sprechen nur noch von "Zisterne" 126 , A.JEPSEN 127 und die Einheitsübersetzung schreiben sogar "Brunnen", und denken vielleicht an die Brunnen der Patriarchen, welche Ubersetzung aber sicherlich falsch ist, wie bereits B.BAENTSCH bemerkt hat: ""IH ist die Grube oder Cisterne, nicht der Brunnen, wofür "INI gebraucht wird." 128 Nun konnten wir beobachten, daß ausgerechnet dieses Gesetz Ex 21,33f im Unterschied zu dem unmittelbar vorangehenden Grundbestand (Ex 21,28.29.32) keine Parallele zu anderen uns bekannten altoricntalischen Gesetzen aufweist. 1 2 9 Schlecht abgedeckte und offen gelassene Gruben scheinen in Palästina zu allen Zeiten ein Problem gewesen zu sein, 1 3 0 dennoch scheint mir im Zusammenhang mit der literarkritischen Analyse dieses Textes ein Verständnis von Ex 21,33f im Kontext der zahlreichen, beinahe an jedem Eisen I-zeitlichen Ort gefundenen Erdlöcher, naheliegend zu sein. Der Fall, daß Rind oder Esel in eine solche Grube fielen, kam 122 123 124 125

126

127 128 129 130

Vgl. B.MAZAR, The Early Biblical Period (1986) 37. Vgl. ebd. 56. Vgl. Gen 41,46-49.53-57; Dtn 14,28f; 26,12. C.F.KEIL. Exodus ( 3 1878) 527. So auch A.DILLMANN/V.RYSSELL, Exodus ( 3 1878) 260. E . B E R T H E A U , Die sieben Gruppen mosaischer Gesetze (1840) 33: "Grube". Vgl. bereits S.R.DRIVER, Exodus C~1918) 222: "a pit ... for the storage of water or ... grain". So auch J.P.HYATT. Exodus ("1980) 236. F.C.FENSHAM, Exodus ("1977) 159: "Bij het »graven« van een put gaat het òf om het uithollen van een waterreservoir òf om het opnieuw uitdiepen van een bergplaats om graan òf ander voedsel op te bergen." H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 87. P.HEINISCH, Exodus (1934) 174. G.BEER, Exodus (1939) 113. H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 60. M.NOTH, Exodus (1958) 137; 148. G .TE S T R O E T E , Exodus (1966) 171. F.MICHAELI, Exode (1974) 202. Zürcher Bibel: "Zisterne". A.JEPSEN. Bundesbuch (1927) 5; 36f. B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 196. Damit korrigiert B.BAENTSCH stillschweigend seine f r ü h e r e Übersetzung in: "Bundesbuch" (1892) 21. Vgl. U.CASSUTO, Exodus (1967). S.M.PAUL, Studies (1970) 84. Vgl. S.R.DRIVER, Exodus ( 2 1918) 222.. der T H O M S O N zitiert: "Thomson (ii.283) writes, »I have been astonished at the recklessness with which wells and pits are left uncovered and unprotected all over this country«; and adds that he had seen a blind man walk into such a well, and known a valuable horse lost similarly". Ähnlich auch H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 60, mit Hinweis auf eine mündliche Mitteilung von R.P.VINCENT.

Historischer und soziokultureller Kontext

275

offensichtlich häufig vor, weil es viele solcher Gruben gab. Das Gesetz wurde im Rahmen einer literarischen Erweiterung dahingehend präzisiert, daß in jedem Falle der Eigentümer der Grube - und nicht etwa ein von ihm abhängiger Benutzer (Kinder, Frauen) - f ü r einen im Zusammenhang mit der Grube aufgetretenen Schaden verantwortlich war. 1 3 1 Mit der historischen Verortung der ältesten Fassung des kasuistischen Rechtsbuches Ex 21,12-22,16 in die Eisen I-zeitliche Dorfkultur entsteht ein neues Problem: Bei der Analyse des Textes hat sich gezeigt, daß die f ü r den Grundbestand des Bundesbuches verantwortlichen Schreiber sehr wahrscheinlich andere altorientalische Rechtsbücher (Rechtstexte) gekannt haben. Wie läßt sich diese Beobachtung mit der bisher herausgestellten Beziehung des Bundesbuches zur früheisenzeitlichen Dorfkultur verstehen? Das Verhältnis der neu entstandenen Eisen 1-zeitlichen Dorfkultur zur Kultur der kanaanäischen Städte ist von Ort zu Ort und von Stratum zu Stratum verschieden. Dennoch lassen sich grob etwa zwei Typen des Verhältnisses herausschälen: (1) eine relativ deutliche Trennung und ökonomische Autarkie: dies trifft vor allem auf die abseits der Städte gelegenen Dörfer zu. (2) eine ökonomisch-kulturelle Symbiose: dies trifft vor allem auf die in den Ebenen und in der Nähe von Städten gelegenen Dörfer zu. "Aufgrund der natürlichen geographischen Voraussetzungen und der Nähe der Dörfer zu städtischen Zentren, lassen sich derartige Niederlassungen als D ö r f e r von Ackerbauern interpretieren. Darüber hinaus darf man annehmen, daß zwischen ihnen und den Städten enge Kontakte bestanden." 1 3 2 Die Tradition altorientalischer Rechtskultur wurde literarisch nicht in der neu entstehenden Dorfkultur der Eisen I-Zeit überliefert und schon gar nicht unter den nomadisierenden Gruppen, aus denen die neue Dorfkultur entstand. Die Tradition altorientalischer Rechtskultur wurde vielmehr lite131 Zur Literarkrtitik dieses Gesetzes siehe Kap. 4.2.2.2.2, S. 142-147. 132 H.WE1PPERT, Palästina (1988) 402. Vgl. auch bezüglich Ifirbet el-Msas V.FRITZ. Die kulturhistorische Bedeutung (1980) 132f: "Diese Abhängigkeit der materiellen Kultur außerhalb der Architektur setzt einen intensiven Kontakt der Siedler mit der vorausgegangenen Epoche der späten Bronzezeit voraus. ... Vielmehr ist mit einem intensiven kulturellen Bezug zu rechnen, der nur durch längeres Zusammenleben entstanden sein kann. ... In Stratum III beträgt der Anteil von Großvieh 30% gegenüber 62% Kleinvieh. Der Bestand an Rindern nimmt dann in den Strata 11 und I ab, beträgt aber immer noch 28% bzw. 22%. D i e Großviehaltung ist nun aber ein Charakteristikum der Wirtschaftsform der Seßhaften und nicht der Halbnomaden der Steppe. Ob die Siedler die Rinderzucht von den Kanaanäern übernommen haben, kann nicht bewiesen werden, ist in diesem Zusammenhang aber auch ohne Bedeutung. Eindeutig ist aber, daß die Wirtschaftsform von Anfang an derjenigen des Kulturlandes entspricht. ... Die vor der Gründung der Siedlung erfolgte Übernahme der Rinderzucht weist auf eine Periode der Symbiose der Siedler mit den Kanaanäerstädten während der späten Bronzezeit."

276

Kasuistisches Rechtsbuch

rarisch in den bronzezeitlichen Städten Palästinas überliefert. Zugleich können wir damit rechnen, daß es auch in den kanaanäischen Dörfern und Landstädten eine entwickelte Rechtsprechung gab, die sich in Form von Rechtssammlungen niedergeschlagen hat. Die Berührungen von Bundesbuch und anderen altorientalischen Rechtsbüchern wird literarisch über die Tradition der kanaanäischen Städte und überlieferungsgeschichtlich über die mit den kanaanäischen Städten verbundenen Dörfer und Landstädte vermittelt worden sein. Die Gruppen nomadisierender Hirten und seßhaft werdender Bauern, aus denen ein Teil der Eisen I-zeitliche Dorfkultur enstand, lebten bei aller Eigenständigkeit und einer von der städtischen abweichenden Sozialstruktur teilweise in engem Kontakt mit den kanaanäischen Städten. Vertreter dieser Gruppen waren am Wiederaufbau und an der Neubesiedlung einiger zerstörter spätbronzezeitlicher Städte beteiligt. 1 3 3 Aus der Tradition dieser "Symbiose" und dem Transmissionsriemen der Schreiberschule dürfte der kasuistische Teil des Bundesbuch in seinem Grundbestand etwa im 11.-10. Jh. entstanden und bis zum 9./8. Jh. als Rechtsbuch überliefert und fortgeschrieben worden sein, ehe er im 8.-7. Jahrhundert gottesrechtlich neu redigiert wurde.

4.4.8.

Der gesetzgeberische

Wille

Der mehrfach aufgewiesene Praxisbezug des Bundesbuches läßt die Frage aufkommen: Inwieweit beanspruchten diese Gesetze Beachtung in der Rechtsprechung? Anders gefragt: Kann man bei den Rechtssätzen des Bundesbuches überhaupt von "Gesetzen" sprechen? Handelt es sich hierbei um ein "gesetztes" Recht, ein Recht also, das einen gesetzgeberischen Willen bekundet? 1 3 4 Die Frage wird in gleicher Weise für die altorientalischen Rechtsbücher gestellt und unterschiedlich beantwortet. 1 3 5 Hier zeichnet sich aber in jüngster Zeit eine Tendenz ab, die für Geltungsanspruch und Praxisbezug dieser Rechtsbücher plädiert. 1 3 6 Weder die Entstehung dieser Werke in der 133 Vgl. H.WEIPPERT, Palästina (1988) 356f. 134 Vgl. die - idealtypisch vereinfachende - Unterscheidung zwischen dem " R e c h t s b u c h - in dem das Recht steht, weil es gilt -" und dem " G e s e t z b u c h - dessen Inhalt gilt, weil er darin steht" ( M . R E H B I N D E R , Einführung in die Rechtswissenschaft ( 6 1 9 8 8 ) 15). Vgl. auch die Unterscheidung von "Rechtsbuch" und "Gesetzbuch" bei O.KAISER, Einleitung ( 5 1 9 8 4 ) 67. 135

Vgl. V . K O R O S E C , Keilschriftrecht ( 1964).

136 W.PREISER, Zur rechtlichen Natur der aitorientalischen "Gesetze" (1969) 33-35. Vgl. G.RIES, Prolog und Epilog (1983) 27; 51-55. C.LOCHER, Ehre einer Frau (1986) VII; 386. H.P.H.PETSCHOW, Beiträge zum Codex Hammurapi (1986) 21, spricht sich

Historischer und soziokultureller Kontext

277

Rechtsschule 1 3 7 noch ihre dem Gewohnheitsrecht gegenüber oft korrigierende Einstellung 1 3 8 sprechen grundsätzlich gegen den Geltungsa/ii/jrMc/i dieser "Gesetze". Selbst die Beobachtung, "dass in den Tausenden von Geschäfts- und Prozessurkunden sich kein Richter und keine Partei jemals auf das Gesetzbuch oder auf irgendeine von seinen Bestimmungen beriefen", 139 ja selbst die Tatsache, daß die Gesetze dieser Rechtsbücher in der Praxis vielfach nicht beachtet wurden, 1 4 0 sprechen gegen den G&Xtangsanspruch dieser Rechtsbücher. Weder der fallbezogene Charakter der einzelnen Rechtssätze, noch die sogenannte "Lückenhaftigkeit" dieser Rechtssammlungen sind mit dem Verständnis dieser Werke als Gesetzeswerke unvereinbar. Beides hängt - wie R.WESTBROOK deutlich gemacht hat - mit dem Selbstverständnis mesopotamischer Wissenschaft zusammen. 1 4 1 Die Gesetze altorientalischer Rechtsbücher einschließlich des Bundesbuches sind in der Regel nicht abstrakt formuliert, sondern in Bezug auf einen konkreten Fall. Das darf aber nicht zu dem Mißverständnis führen, das Gesetz beanspruche nur Geltung für den

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141

gegen "die heute überwiegende Ablehnung der Möglichkeit, im CH ein Gesetzgebungswerk zu sehen" aus. Vgl. Lit. bei C.LOCHER, ebd. 386, Anm. 16. In dieser Frage scheint mir die Unterscheidung zwischen "Geltung" und "Geltungsanspruch" von Gesetzen (Rechtssätzen) weiterzuführen. Die Frage der Geltung hängt vor allem von der sozialen und politischen Struktur der Gesellschaft ab - neuzeitlich gesprochen: von der Ausbildung und Ausübung einer vollziehenden Gewalt (Exekutive) (M.WEBER." "Erzwingungsstab"). Die Frage des Geltungsanspruchs hängt vom Selbstverständnis derjenigen Kreise ab, die die Gesetze (Rechtssätze) ausgearbeitet und - gegebenenfalls promulgiert haben -, neuzeitlich gesprochen: vom Vorhandensein und vom Selbstverständnis einer rechtsprechenden (judikativen) und gesetzgebenden (legislativen) Gewalt. H.P.H.PETSCHOW, Beiträge (1986) 22: "Ebensowenig wird ... die Gesetzesqualität des CH ausgeschlossen durch die gewiß zutreffende Annahme, daß der CH ebenso wie moderne Gesetzgebung auch zugleich ein Werk der zeitgenössischen »Rechtsschule« gewesen ist." C.LOCHER, Ehre einer Frau (1986) 386: "Vielleicht ist es gerade der korrigierende, kritische Aspekt dieser ambivalenten Einstellung zum Gewohnheitsrecht, der den altorientalischen Gesetzen den zweifelhaften Ruf praxisferner, »utopischer« Idealvorschriften eingetragen hat. Die begründete Möglichkeit aber, dass diese Gesetze gerade dort, wo sie vom Gewohnheitsrecht abweichen, doch immer auf dieses und damit auf die Rechtspraxis bezogen bleiben, erlauben es, einen pauschalen Utopie-Verdacht gegenüber diesen Gesetzen in Frage zu stellen." V . K O R o S e C , Keilschriftrecht (1964) 99. Vgl. auch J . K R E C H E R , Rechtsleben (1980) 325f. Als Beleg f ü r die Übereinstimmung des Codex Hammurapi mit der Rechtspraxis vgl. aber auch die Hinweise bei W.PREISER, Zur rechtlichen Natur der altorientalischen "Gesetze" (1969) 33f, und G.RIES, Prolog und Epilog (1983) 52, Anm. 262. Vgl. R.WESTBROOK, Biblical and Cuneiform Law (1988) 3: "The reason is that Mesopotamian science lacked analytic tools."

278

Kasuistisches Rechtsbuch

in der Form des vorliegenden Gesetzes exakt beschriebenen Fall. 142 Das Gesetz gilt auch für analoge Fälle. Wenn man auf diese Weise einen Rechtskodex erstellen will, der den gesamten Bereich des Rechts, oder einen Teilbereich des Rechts abdecken soll, dann würde ein solcher auf die Zusammenstellung aller denkbaren Einzelfälle bedachter Kodex unendlich anwachsen. Um dies zu verhindern, entwickelten die altorientalischen Juristen verschiedene Techniken der Anordnung und Abgrenzung von Einzelfällen in Form von Inklusionen und Attraktionen, wie vor allem R . W E S T B R O O K 1 4 3 und E . O T T O 1 4 4 unabhängig voneinander gezeigt haben. Die daraus entstehenden "theoretischen Falldiskussionen" sprechen gerade nicht gegen den Geltungsanspruch und Praxisbezug dieser Rechtsbücher, sondern weisen im Gegenteil auf eine die Regelung eines Einzelfalles übergreifende, gleichsam "flächendeckende" Intention hin. 145 Altorientalische Rechtsbücher sind also präskriptiv und deskriptiv zugleich. Die hier vorgetragenen Überlegungen gelten auch für das Bundesbuch. Die Rechtssätze des Bundesbuches sind Gesetze in dem Sinne, daß sie einen Geltungsanspruch implizieren. Der deutliche Praxisbezug, der systematische Aufbau, die Abdeckung der verschiedenen Rechtsbereiche, der gezielte Einbau juristischer Prinzipien (Talionsformel), die Rezeption (Kofär-Zahlung) und Modifikation (21,31) vorgefundener Rechtspraxis und schließlich auch

142 Eine Tendenz zum partikulären (Miß)Verständnis kasuistischer R e c h t s s ä u e liegt vor bei A .ALT, Ursprünge (1934) 212f. H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ("1984) 130f, und F.CRÜ SEMANN, Bundesbuch (1988) 30f. Richtig dagegen G.RIES, Prolog und Epilog (1983) 53f, mit Hinweis auf die kaiserlichen Konstitutionen des römischen Rechtes, "die auctoritate principis Gesetzeskraft erlangten, obwohl sie meist nur Einzelfallentscheidungen waren und als solche ursprünglich nicht einmal äußerlich dieser Natur entkleidet wurden. ... Niemand ist bisher auf die Idee gekommen, den Kaiserkonstitutionen aus diesem Grunde ihre Verbindlichkeit abzusprechen. Die Entstehung gesetzlicher Normen aus den Ergebnissen der Rechtspraxis ist ein so selbstverständlicher und in der Rechtsgeschichte oft belegbarer Vorgang, daß bei so alten Gesetzen eher der hohe Abstraktionsgrad gegen aktuelle Geltung sprechen könnte." 143 R.WESTBROOK, Biblical and Cuneiform Law (1988) 4: "The examples that constitute the law codes were not, therefore, cumulated at random, but result from the application of a scientific method. The basic building blocks were »schools problems« - a case that may have begun life as a cause célèbre but then became the object of a theoretical discussion in which all manner of hypothetical variations to the actual circumstances were considered so as to build up a series of precedents grouped around a single theme. These problems were not rediscovered by each legal system but form a canon that was handed on f r o m one system to another through the scientific tradition." 144 E . O T T O , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 97. 145 Moderne Rechtssysteme lösen dies duch einen ständig wachsenden Grad der Abstraktion und Distinktion. Vgl. K.ENGISCH, Einführung ( 8 1983) 34. Zur Erklärung und Interpretation moderner Gesetze ist man aber immer wieder auf Fallbeispiele angewiesen. Auch in modernen Rechtssystemen wirkt die Rechtsprechung vor allem in Form von Präjudizien (Präzedenzfällen) auf die Gesetzgebung ein.

Historischer und soziokultureller Kontext

279

die Rezeptiongeschichte des Bundesbuches selbst sprechen eindeutig f ü r den Gesetzescharakter dieses Rechtsbuches. Wer aber ist der Gesetzgeber? A . M E N E S bringt das Bundesbuch als "Reformwerk der sozial-prophetischen Partei" 1 4 mit der Revolution des Jehu in Zusammenhang. 1 Ähnlich versteht F . C R Ü S E M A N N das Bundesbuch, wenn er es aufgrund der redaktionell zentralen Stellung des Sklavenrechtes 1 4 8 mit der sozialen Krise des 9. und 8. Jahrhunderts in Verbindung bringt 1 4 9 und es auf die "Institution des Jerusalemer Obergerichtes" 1 5 0 zurückführt, "das nach 2 Chr.XIX 8ff von König Josafat (868-851 v.Chr.) in Jerusalem eingerichtet wurde:" 1 5 1 "Sind die mispätTm Ausdruck seiner Tätigkeit seit dem 9. Jahhundert, so steckt in den apodiktisch-paränetischen Teilen eine aus dem Nordreich stammende Sammlung von älteren töröt. Es war die soziale Krise des 8. Jahrhunderts, die auch in der Prophetie ihren Ausdruck fand, und es war dann der tiefe Schock von 722 v.Chr., welcher zur Verbindung der kultischreligiösen mit den ethisch-sozialen Geboten und mit den mispätTm f ü h r t e n , und das vollzog sich wohl nicht ohne den aufgezeigten institutionellen Hintergrund. In dieser Verbindung wird zum ersten Mal der eine Gotteswille f ü r die unterschiedlichsten Bereiche formuliert." 1 5 2 M.NOTH hat die "religiösen und sittlichen Verbote" des Bundesbuches als Ausdruck des genuin israelitischen Gottesrechtes mit einem aus Ri 10,1-5; 12,7-15 abgeleiteten amphiktyonisch verstandenen Richteramt in Verbindung gebracht. 1 5 3 Verkündigung und Auslegung dieses Gottesrechtes bei den Zusammenkünften des Stämmebundes am Zentralheiligtum war Aufgabe dieses zentralen nach strenger Sukzession organisierten Richteramtes. Die Rechtsprechung dagegen lag nach M . N O T H "in den Händen der Sippenältesten ( D O p T ) , die »im Tore« ... Recht zu sprechen pflegten nach den 146 A . M E N E S , Die vorexilischen Gesetze (1928) 25. 147 Ebd.43. A . M E N E S , ebd. 38, spricht vom Bundesbuch als "revolutionärem Gesetzbuch". D e g e g e n u.a. H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 173. 148 F . C R Ü S E M A N N , Bundesbuch (1988) 30f. 149 Ebd.35. 150 Ebd.40. 151 Ebd.36. Vgl. D E R S . , Recht und T h e o l o g i e (1987) 53. E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 44, sieht hinter der Sammlung 21,2-22,26 keine "Oppositionskreise am Werk", sondern die "Jerusalemer Priesterschaft ..., die alles andere als eine Funktionärskaste herrschender Interessen war, sondern Verantwortung auch gerade für die Armen in der Gesellschaft trug." 152 F . C R Ü S E M A N N , Bundesbuch (1988) 41. 153 M . N O T H , Das Amt des "Richters Israels" (1950). D E R S . , Geschichte Israels ( 3 1 9 5 6 ) 97-100. Zur Modifikation des Ansatzes vgl. W.RICHTER, Zu den "Richtern Israels" (1965) und H . N I E H R , Herrschen und Richten (1986) 85-87.

280

Kasuistisches Rechtsbuch

überkommenen und zunächst mündlich weitergegebenen und schließlich schriftlich fixierten Satzungen des »bürgerlichen« Rechtes, oder auch in den Händen der Priester an den Heiligtümern im Lande... ," 154 Für den Grundbestand des kasuistischen Rechtsbuches und seiner ersten Erweiterungen wird man einen doppelten institutionellen Hintergrund annehmen müssen: auf der einen Seite die Rechtsprechung der Sippenältesten im Tor als überlieferungsgeschichtlicher Ursprungs- und Anwendungsort einzelner Rechtssätze in Form des Gewohnheitsrechtes und auf der anderen Seite die israelitische Schreiberschule als Ort der Rezeption, Modifikation und Kodifikation dieses Rechtes. Auf diese beiden Institutionen wird man auch - idealtypisch vereinfachend - das, was das Bundesbuch mit anderen altorientalischen Rcchtsbüchern verbindet und das, was das Bundesbuch von anderen altorientalischen Rechtsbüchern unterscheidet, verteilen dürfen. Für den besonders von E . O T T O zu Recht hervorgehobenen indigenen Ursprung des israelitischen Rechtes 1 5 5 wird man vor allem die lokale Rechtspraxis verantwortlich machen. Unter diesem Gesichtspunkt sind überlieferungs-, sozial- und rechtshistorische Fragestellungen fruchtbar zu machen. Der "internationale Standard" dagegen dürfte dem israelitischen Recht vor allem durch die Institution der Schreiberschulen vermittelt worden sein. Dies war der Ort, an dem das kasuistische Rechtsbuch als literarisches Werk entstand. Aber nicht alle Gemeinsamkeiten zwischen den altorientalischen Rechten sind ausschließlich durch die Schreiberschule vermittelt. Viele lassen sich durch analoge gesellschaftliche Situationen mit der Interpretationsfigur "gleiche Probleme - gleiche Problemlösungen" erklären, was aber nicht gegen die Annahme literarischer Beeinflussung spricht. 156 Ortsgerichtsbarkeit und Schreiberschule dürfen im Hinblick auf die Entstehung des kasuistischen Bundesbuches nicht gegeneinander ausgespielt werden, wie H.J.BOECKER dies tut: 154 M . N O T H , Geschichte Israels ( J i 9 5 6 ) 98. 155 E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) passim. D E R S . , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 153, Anm. 3. 156 R . W E S T B R O O K , Biblical and Cuneiform Law codes (1985) 256f: "The codes under discussion contain many simitar provisions, because the societies themselves and therefore their substantive law were so similar. An earlier law code therefore provides an obvious model when drafting one's own, particularly in terms of the legal problems to be addressed, but its provisions are not binding. It has rather what modern lawyers from independent systems with a common tradition call »persuasive authority«, as, for example, with United States precedents cited in English courts. The process of adoption is selective. Thus the Sumerian codes of Urnammu and Lipit-Ishtar exist in school copies in the Old Babylonian period and some of their provisions reappear in Codex Hammurabi in almost verbatim translation. Other paragraphs of Codex Hammurabi, however, depart fundamentally from their parallels in the earlier Codes, for example, where physical injury is punished by talio insted of monetary compensation."

Historischer und soziokultureller Kontext

281

"Das kasuistische Recht, das uns im Alten Testament jetzt schriftlich formuliert vorliegt, entstammt nicht juristischer Gelehrsamkeit. Es ist nicht das Produkt juristischer Schreibtischarbeit, sondern wurzelt in den Vorgängen des Rechtsverfahrens." 157 Dagegen ist festzuhalten: Die Annahme eines praktischen Ursprungs der Gesetze und die Annahme einer literarischen Tradierung in der Institution der Juristen-Schule sind kein Widerspruch, sondern können nur zusammen den komplizierten Befund alttestamentlicher Rechtsüberlieferung erklären. 158 Die Zusammenstellung kasuistischer Rechtssätze zu einem Rechtsbuch ist von sich aus kein Akt der Promulgation. Von daher soll für die Entstehung des Bundesbuches an dieser Stelle nicht ein erneuter Versuch unternommen werden, eine legislative Autorität in der Geschichte des alten Israel ausfindig zu machen, die hinter der Promulgation dieses Rechtsbuches stand - sei es ein König, ein Heiligtum oder ein Gerichtshof. Der normative Charakter des kasuistischen Rechtsbuches dürfte, um es überspitzt zu formulieren, nur wenig größer gewesen sein als der normative Charakter des Gewohnheitsrechtes. 159 Die Entstehung des Bundesbuches kann verstanden

157 H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1984) 132f. Vorgänger dieser Auffassung ist A.ALT, Ursprünge (1934) 284: "Rechtswerdung ist ja grundsätzlich ein Vorgang nicht des literarischen Schaffens, sondern des gelebten Lebens." E . O T T O hat seine Position offensichtlich modifiziert. In "Rechtsbegründungen" (1988) 93, Anm. 217, schreibt er: "Ist die Logik der Neuinterpretation die Logik der Rechtspraxis, so ist damit ein unübersehbarer Hinweis gegeben, daß das Recht dieser Sammlung praktiziertes Recht war. Die Systematisierung ist also nicht Ausdruck einer Schulgelehrsamkeit, sondern zeigt die Spuren der Rechtspraxis sehr unmittelbar." Die hier aufgestellte Alternative halte ich f ü r falsch. Dagegen kann ich E . O T T O voll zustimmen, wenn er mit Bezug auf das Keilschriftrecht in: "Depositenrecht" (1988) 24, Anm. 47, schreibt: "Damit könnte ein Hinweis gewonnen sein, daß die Alternative in der Frage nach der Gesetzesnatur keilschriftlicher Rechtskorpora als Werke reiner Gelehrsamkeit ... oder der Rechtspraxis ... falsch ist ... ." Ebd. 27 spricht E . O T T O sogar von einer "altisraelitische[n] Rechtsgelehrsamkeit". Vgl. D E R S . , Rechtsgeschichte der Redaktionen (1989) 97: "Die antike Rationalität und Gelehrsamkeit in der Systematik dieser Rechtssammlung des Depositenrechts zielt nicht auf Literatur fern der Rechtspraxis, sondern hat, wie die Rekonstruktion der Systematik zeigt, ihren Zielpunkt in dieser Praxis." 158 Vgl. auch G.RIES, Prolog und Epilog (1983) 53: "Rechtspraxis als Ausgangspunkt und wissenschaftliche Fortführung ... sind, soweit die Quellen ein Urteil erlauben, die Basis altorientalischer Gesetzgebung. Daß ältere Normen in jüngeren Gesetzen durch Textveränderungen in neue Formen gebracht wurden, ist ein deutliches Indiz, dafi hier lebendiges Recht und nicht nur unverbindliche Propagandaliteratur geschafffen werden sollte." 159 Anders H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 137, allerdings mit Bezug auf das gesamte Bundesbuch: "Toutefois une société sans autorité ne saurait se concevoir. Le

282

Kasuistisches Rechtsbuch

werden als eine systematisch-selektive Rezeption, Modifikation und Amplifikation des Gewohnheitsrechtes im Kontext juristischer Gelehrsamkeit. Mit der Verschriftung des Rechtes wächst sein normativer Anspruch. Zugleich ist eine Orientierung in der Rechtsprechung gegeben und somit eine Tendenz zur Rechtsvereinheitlichung gelegt. Dieser allmähliche Prozeß mag durchaus mit der Formation des vor- und frühstaatlichen Israel einhergegangen sein, mit einem besonderen Akt der Promulgation muß er deshalb nicht verbunden werden. 160 Im Grundbestand des Bundesbuches selbst gibt es keine Hinweise, daß dieser Prozeß schon in früher Zeit mit JHWH explizit verbunden wurde, wie H.J.BOECKER anzunehmen scheint: "Es ist ... das Charakteristikum des alttestamentlichen Rechts, daß hier das Leben in seiner ganzen Vielfalt vom Willen Gottes beansprucht wird. Alttestamentliches Recht ist grundsätzlich Gottesrecht. ... Das Anliegen der Rechtsvereinheitlichung auf der Grundlage eines durch den Jahweglauben bestimmten Rechtsverständnisses mag dann zur Konzeption des Bundesbuches geführt haben."161 code lui-même comme oeuvre serait incompréhensible sans une autorité pour le promulguer." 160 Vgl. auch C.SCHÄFER-LICHTENBERGER, Stadt und Eidgenossenschaft (1983) 346: "Der formale, unpersönliche Stil des Codex erweckt den Eindruck eines auf traditionalem Wege gewachsenen Rechts, das von Rechtsgewohnheiten bestimmt wird." J. HALBE, Privilegrecht (1975) 469-479, bringt die Integration des kasuistischen Teils des Bundesbuches in den privilegrechtlichen Grundbestand mit der Richtertätigkeit Samuels in Zusammenhang, der Israel als Träger dieses Sonderrechtes (ebd. 475) richtet. Zur Kritik an dieser Auffassung vgl. C.SCHÄFER-LICHTENBERGER, ebd. 347, Anm. 71. Vgl. auch bereits B.BAENTSCH, Bundesbuch (1892) 120f: "An die Zeit Samuels zu denken ..., hat das Gewicht der Persönlichkeit Samuels veranlasst, dem ja auch sonst eine bedeutsame gesetzgeberische Thätigkeit zugeschrieben wird. Aber der Samuel der Geschichte ist nicht der Samuel der Überlieferung, die uns in der nachdeuteronomischen Bearbeitung der Bücher Samuelis vorliegt. ... Man zeigt sich in dieser Ueberlieferung befangen, wenn man dem Samuel zu den ihm sonst schon zugeschriebenen Gesetzen nun auch noch die des Bb. zuschreibt." 161 H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1984) 124. Ähnlich auch J.HALBE, "Altorientalisches Weltordnungsdenken" (1979) 400f: "Wir wissen mit Eindeutigkeit, daß die skizzierte Bezugsproblematik der Integration in verschiedenen Gruppen ursprünglich wurzelnder Normtraditionen, wie immer auch sonst sie geschichtlich hätte gelöst werden können, jedenfalls israelitisch dadurch gelöst worden ist, daß diese ursprungsverschiedenen Normtraditionen in neuer Bedeutung als Wille des einen, Ausschließlichkeit fordernden und - wie im Auszugsgeschehen - geschichtsmächtig handelnden Jahwe erfaßt und derart gruppenumgreifend legitimiert worden sind." Im Hinblick auf das "Bundesbuch in allen seinen Schichten" spricht J.HALBE, ebd. 403, davon, daß "Ausschließlichkeitsanspruch und Zuwendung Jahwes in seiner Feinde besiegenden Macht - schon in den ältesten uns überlieferten Zeugnissen gattungs- und herkunfts-

Historischer und soziokultureller Kontext

283

Unsere Analyse dagegen hat gezeigt, daß die Elemente des Bundesbuches, die als explizite Gottesrede gekennzeichnet sind, nicht zum ältesten Bestand desselben gehören. Auch E . O T T O ist zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen.

verschiedene Normbestände in sich vereinenden alttestamentlichen Rechts nicht nur ein wichtiger, sondern für Geltung und Sinn dieser Normen als integrierten Rechts konstitutiver Inhalt" ist.

5. DIE P R O T O D E U T E R O N O M I S C H E (GOTTESRECHTLICHE), DIE DEUTERONOMISTISCHE UND DIE PRIESTERLICHE REDAKTION DES BUNDESBUCHES

5.1 Der Textbestand

im

Überblick

Der Grundbestand des Bundesbuches (Ex21,12.18-22,14*) ist ein durch einen partizipial formulierten Rechtssatz eingeleitetes kasuistisches Rechtsbuch, das im Kontext von Rechtsprechung und juristischer Gelehrsamkeit entstanden, überliefert und erweitert worden ist. Dieses Rechtsbuch wurde auf protodeuteronomischer Ebene gottesrechtlich redigiert. 1 Zu dieser protodeuteronomischen Redaktion rechne ich folgende Texteinheiten, die zum Teil freilich nochmals deuteronomistisch überarbeitet worden sind: (1) Altargesetz (20,24-26*) (2) Schuldsklaven- und Schuldsklavinnengesetz (21,2-11*) (3) Asylrecht und todeswürdige Verbrechen (21,13-17) (4) Schutz von Schuldsklave und Schuldsklavin (21,20f ,26f) (5) Talionsformel (21,22aßbß.23.24) (6) kof ¿/--Regelung (21,30) (7) Schutz des Diebes vor der Blutrache (22,lf) (8) JHWH-Schwur (22,9*.10*) (9) Verführung eines nicht verlobten Mädchens (22,15f) (10) Todeswürdige Verbrechen (22,17-19a) (11) Soziale Schutzrechte (22,20aa.22b.24a*.25f) (12) Sakralgebote (22,27-29) (13) Gebote zum rechten Verhalten in der Rechtsprechung (23,1-7) (14) Brachjahr- und Ruhetaggebot (23,10-12) (15) Festkalender (23,14-19*) (16) Epilog (23,20-33*) Bei den von dieser Redaktion rezipierten Texten handelt es sich zum größten Teil um sakrale und soziale Traditionen, die dem Redaktor in den 1 Ähnlich F . C R Ü S E M A N N , Recht und T h e o l o g i e (1987) 54.

Überblick

285

meisten Fällen als kleine literarische Einheiten vorgegeben waren. Der Redaktor hat diese Traditionen bearbeitet, mit dem kasuistischen Rechtsbuch verbunden, auf diese Weise die Grundstruktur des Bundesbuches geschaffen und so erstmals in den uns greifbaren alttestamentlichen Rechtstraditionen eine Verbindung von jus, fas und ethos hergestellt. Ein wichtiges Kennzeichen dieser Redaktion ist die Anrede einer 2.Ps.Sg. und die Nennung eines Sprecher-Ichs. Sprecher kann im vorliegenden Kontext nur J H W H sein. Somit wird durch diese Redaktion das kasuistische Rechtsbuch zum Gottesrecht. Deshalb nenne ich diese Redaktionsschicht die "gottesrechtliche Redaktion". Sie verdient diesen Namen in besonderer Weise, denn es läßt sich beobachten, daß sie nicht nur Texte rezipiert, die schon die Form der Gottesrede aufweisen, sondern auch durch gezielte Eingriffe vorgegebene Texte nachträglich als Gottesrede stilisiert. Auf diese Weise wird jeder Teil des Bundesbuches - auch der kasuistische Teil - als Gottesrede stilisiert und damit als von Gott gesetztes Recht qualifiziert. Die Verbindung der Sakral- und Sozialrechtsüberlieferung mit dem kasuistischen Recht im Bundesbuch stellt ein gegenüber dem Privilegrecht Ex 34 fortgeschrittenes Stadium der Traditionsbildung dar, hat aber noch nicht den Grad wechselseitiger Durchdringung erreicht wie im Deuteronomium. Darüber hinaus läßt sich beobachten, daß die von dieser Redaktion rezipierten und redigierten Texte im Grundbestand eindeutig vordeuteronomisch sind, gleichzeitig aber bereits in eine Fluchtlinie gehören, die zum Deuteronomium hinführt. Insofern kommt dieser Redaktionsschicht "protodeuteronomischer" Charakter zu. Die Sakralrechtsüberlieferung und die Stilisierung des Sozialrechtes als Gottesrede stammen sehr wahrscheinlich aus priesterlicher Tradition. Bereits im Grundbestand des Hosea-Buches wird die Verbindung von sakral- und sozialrechtlicher Überlieferung den Priestern zuerkannt, 2 zugleich kennt Hos 8,1.12 die Vorstellung einer schriftlich verfaßten Willensoffenbarung J H W H s . 3 Das Bundesbuch hat aber auch noch eine weitere Redaktion erfahren. Diese Redaktion setzt das Deuteronomium voraus, da es eine Reihe von Gesetzen und Geboten des Bundesbuches an solche des Deuteronomiums angleicht. Darüber hinaus trägt sie typisch deuteronomische Themen in das Bundesbuch ein. Trotz einer gewissen sprachlichen und thematischen Affinität zur priesterlichen Literatur weist sie die stärksten Berührungspunkte mit der deuteronomistischen Literatur auf. Deshalb bezeichne ich diese Redaktion als "deuteronomistisch". Formales Kennzeichen ist die Anrede einer 2.Ps.PI. Gleichwohl läßt sich beobachten, daß hier aus stilistischen Gründen vereinzelt die aus der gottesrechtlichen Redaktion vorgegebene 2 Vgl. Hos 4,4-19; 5,1-9; 6,7-7,2. 3 Vgl. H.W.WOLFF, Dodekapropheton ( 3 1976) 98; 176-186. J JEREMIAS, Hosea (1983) 11 Of.

286

Redaktionen

Anrede einer 2.Ps.Sg. beibehalten wird. Zu den Themen und Texten, die die deuteronomistische Redaktion neu eingefügt hat, rechne ich: (1) Bilderverbot (20,23) (2) Angabe der Opferarten ( V O L T I S I *prfrìrnt?) in 20,24aß (3) Überschrift (21,1) (4) "Π}? + Zeremonie an der Tür (21,2aa*.6aßY) (5) Verbot des Verkaufs einer Schuldsklavin an ein fremdes Volk (21,8b) (6) Ergänzung der Talionsformel (21,25) (7) "außer JHWH allein" (22,19b) (8) Fremdsein in Ägypten, Gebot zum Schutz von Waise und Witwe, Zinsverbot (22,20aßb.21.22a.23.24acz*[nur: (9) Verbot, Gerissenes zu essen (22,30) (10) Verbot der Bestechung und Schutz des Fremden im Gericht (23,8.9) (11) Ermahnung und Fremdgötterverbot (23,13) (12) "wie ich die befohlen habe" (23,15aa*) (13) Epilog (23,20-33*) Zu einer priesterlichen Redaktion des Bundesbuches rechne ich lediglich den Rückbezug auf den von derselben Redaktion in Ex 20 eingefügten Dekalog4 in Ex 20,22aßb. In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels sollen nun die hier vorgestellte These zur Redaktionsgeschichte des Bundesbuch begründet und die entsprechenden Texte in ihren Grundzügen interpretiert werden. Für die Begründung der redaktionsgeschichtlichen These kommt den einzelnen Abschnitten unterschiedliches Gewicht zu. Den Schwerpunkt des Nachweises einer dtr Redaktion des Bundesbuches bildet die Interpretation von Ex 22,20-26. Um eine gewisse Übersichtlichkeit zu wahren, werden die hier in Frage kommenden Texte jedoch von Anfang bis Ende in der Reihenfolge ihres Vorkommens im Bundesbuch vorgestellt und interpretiert. Die Texte Ex 21,13-17 (Asylrecht und todeswürdige Verbrechen); 21,20f.26f (Schutz von Schuldsklave und Schuldsklavin); 21,22aßbß.23-25 (Talionsformel); 21,30 (/fco/är-Regelung); 22,lf (Schutz des Diebes vor der Blutrache); 22,9*.10* (JHWH-Schwur) und 22,15f (Verführung eines nicht verlobten Mädchens), die zu einer der hier behandelten Redaktionsschicht des Bundesbuches gehören, sind bei der Analyse des kasuistischen Teils bereits ausführlich interpretiert worden und werden deshalb in diesem Kapitel nicht mehr berücksichtigt.

4 Vgl. F.-L.HOSSFELD. Dekalog (1982) 212; 184.

Ex 20,23-26 5.2.

287

Textanalysen

5.2.1. Bilderverbot 5.2.1.1.

und Altargesetz:

Ex

20,23-26

Forschungsüberblick

Der folgende Überblick beschränkt sich auf einige neuere Positionen der Forschung zum Altargesetz Ex 20,24-26 und zum Bilderverbot Ex 20,23, und zwar namentlich auf die Positionen von D . C O N R A D , J.HALBE, F.-L.HOSSFELD, C.DOHMEN u n d E.OTTO.

Nach D . C O N R A D besteht der Kern des Altargesetzes aus einem Ge- und zwei Verboten: 1 ^"HüiíFl πα·™ Π ? ΐ ΰ ΓΡΤί Π^ΓΓΝ'ί» •φητττ'?? rimari

V.24aa V.25aß* ν ,26a*

V.24aa: Einen Altar von Erde sollst du mir machen. V.25aß*: Du sollst meinen Altar nicht bauen als Behauenes. V.26a* : Du sollst nicht auf Stufen auf meinen Altar hinaufgehen. In dieser Form wendet sich nach D . C O N R A D das Altargesetz, dessen Stilisierung als Gottesrede möglicherweise sekundär ist, 2 gegen kanaanäische Kultgebräuche. Das Gebot V.24aa* und der erste Prohibitiv V.2Saß* richten sich gegen Altäre aus Steinen, "in deren Oberfläche Vertiefungen verschiedener Art, sogenanntc »Napflöcher«, gehauen sind. Diese »Napflöcher« werden im allgemeinen Götterkult, aber auch im Totenkult, bei der Verehrung eines »Ahnengottes«, verwendet. Diese Verehrungsweise sowie die Verehrung der betreffenden Götter wird vom ersten Teil des Altargesetzes Ex 20:24.25 für Israel abgelehnt." 3 Der zweite Prohibitiv V.26a* "wendet sich gegen den Kult am Stufenaltar. Dieser dient nämlich der Verehrung eines Gottes, der den Typ des »höchsten« Gottes darstellt." 4 "Das Altargesetz ist... gleich zu Anfang des Seßhaftwerdens der oder einzelner israelitischer Stämme ausgebildet worden und 1 D . C O N R A D , Altargesetz (1968) 8-18. V.25aß in einer von D . C O N R A D , ebd. 16; 38, leicht rekonstruierten Form. 2 Ebd. 19. 3 Ebd. 138. 4 Ebd.

288

Redaktionen hat seinen Sitz im Leben im amphiktyonischen Kult. Es will den Jahwe-Kult gegen den Kult kanaanäischer Götter, speziell gegen Baal und Reschef, abgrenzen, den Abfall von Jahwe verhindern und seine Stellung als die des einzigen, allmächtigen Gottes, des Herrn über das ganze Volk, sichern." 5

Bezüglich einer näheren zeitgeschichtlichen Einordnung der einzelnen Erweiterungen dieser drei Kernsätze des Altargesetzes vertritt D . C O N R A D folgende Position: Eine erste Erweiterung liegt mit *[3Κ2ΤΠ$ T 1 ^ ™?3T]in V.24a vor. Sie stammt "aus Kreisen der Opferpriester". 6 Aus denselben Kreisen wurden etwas später innerhalb von V.24aa die Angabe der Opferarten ν ^ ψ ' Γ ί ί Ο V n V y - n S und die Verheißung V.24b nachgetragen. 7 Möglicherweise enthält V.24b schon eine gewisse Polemik gegen die Zentralisierung der Kultorte oder gegen den Kult in Jerusalem. 8 V.25b wurde gleichzeitig mit V.25aa eingefügt. Dadurch wurde der ursprünglich allein stehende Prohibitiv V.25aß zu einem eingekleideten Prohibitiv mit Begründung. 9 Der Ergänzer von V.25aab hat den ursprünglichen Sinn der Vorschrift von V.25aß nicht mehr verstanden. Bestand der ursprüngliche Sinn des Verbotes von V.25aß darin, Felsaltäre und steinerne Altäre, in deren Oberfläche "Napflöcher" eingehauen waren, und die an diesen Altären ausgeübten kanaanäischen Kulte zu verbieten, 1 0 so zeugt V.25b zusammen mit Dtn 27,5, Jos 8,31 und 1 Kön 6,7 davon, "daß zu einer gewissen Zeit in Israel eine Scheu vor der Benutzung von Eisen(werkzeugen) im Zusammenhang mit heiligen Gegenständen bestanden hat ... , ohne daß wir genau wissen, welches der Grund dieser Scheu gewesen ist." 11 Auch die Erweiterung V.26b geht völlig an der ursprünglichen Absicht des Verbotes von V.26a vorbei. Sie stammt offensichtlich aus denselben priesterlichen Kreisen, aus denen auch die Vorschrift Ex 28,42 stammt, wonach die Priester bei der Ausübung des Kultes am Altar Hosen tragen sollen. 1 2 Sie tritt an die Stelle der älteren Tradition, nach der bei Kulthandlungen der einfache Lendenschurz getragen wurde, wobei es zur Entblößung kommen konnte (2 Sam 6,14-16.20). Zur Zeit der Hinzufügung von V.26b war die durch die Begründung abzuwehrende Gefahr der Entblößung 5 6 7 8 9

Ebd. 132. Ebd. 15. Ebd. Ebd. 11. Ebd. 17. D i e Bezeichnung "eingekleideter Prohibitiv" übernimmt D . C O N R A D von W.RICHTER, Recht und Ethos (1966) 85. 10 D . C O N R A D , Altargesetz (1968) 51. 11 Ebd. 37. 12 Ebd. 18.

Ex 20,23-26

289

bei Kulthandlungen aufgrund der Vorschrift Ex 28,42 wohl keine reale Möglichkeit mehr. So wird das Verbot V.26a entschärft und mit der Realität des salomonischen Stufenaltars versöhnt. "Die Verwendung von Hosen, wie sie in der Priesterschaft f ü r die Kleidung des Priesters vorgeschrieben werden (Ex 28:42), ist erst aufgekommen, als das Pferd in größerem Maße als Reittier gebraucht worden ist, - etwa im 8. Jahrhundert v. Chr. -, da die Hosen Erfindung der Reitervölker sind. ... Somit ist es möglich, daß die Begründung des Verbotes Ex 20:26a in V.26b erst zu einer Zeit formuliert worden ist, als bereits die Vorschrift des Hosentragens f ü r Priester bestanden hat (Ex 28:42)." 13 Mit Ausnahme einer kurzen Bemerkung zur Stellung des Altargesetzes am Anfang des Bundesbuches 1 4 geht D . C O N R A D nicht näher auf das Verhältnis von Altargesetz und Bundesbuch ein. In diese Lücke dringt J.HALBE vor. Er übernimmt D . C O N R A D s inhaltliche Interpretation des Altargesetzes, wandelt aber seine literarkritische Analyse etwas ab. Zum "gattungsgeschichtlichen Kern" rechnet er lediglich: 15 ^ - n t o p r i r m í ? Π3|·ρ r f t g ü l Π^ΓΓΝ 1 ^

V.24aa V.26a

In dieser Form eröffnet das Altargesetz die älteste Schicht des Bundesbuches, die nach J.HALBE den Zusammenhang Ex 20,24aa.26a + 22,27-29 + 23,10-12a + 23,14-19 umfaßt. 1 6 Der Kern des Altargesetzes wurde durch die VV.24aßT[ohne: V r f t ' y n K *pD^Ç - riin]. 1 7 b.25a erweitert. 1 8 Diese erste Erweiterung gehört zur Ausbaustufe I des Bundesbuches, welche über die älteste Schicht hinausgehend noch 22,20aa.22b.24-26.30 und 23,1-7(8).13 umfaßt. 1 9 J.HALBE sieht einen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang von Ex 20,24b mit Ex 23,2022 und darüberhinaus mit Ri 2,la.4-5: Der in Ex 20,24b vorausgesetzte Sprecher ist jener ηΝ1?1? JHWHs, der in Ex 23,20-22 als "kultischer Orakel-

13 Ebd. 55. 14 Ebd. 8: "Wie der Vergleich mit dem Deuteronomium und dem Heiligkeitsgesetz zeigt, die ähnlich aufgebaut sind, liegt auch im Bundesbuch ein bewuBt gestaltetes Rechtsbuch vor, das vielleicht eine Rechtsreform begründen sollte. Einer vorangestellten kultischen Bestimmung - besser sogar einem Gebot über den rechten Kultort, der im einfachsten Fall eben der Altar ist - folgen Satzungen verschiedensten Inhalts." 15 J.HALBE, Privilegrecht (1975) 442. 16 Ebd. 448^ Vgl. Kap 2.1.5.1, S. 11-15. 17 V Q ^ l j r r i í O ^ r i V s m S rechnet J.HALBE, ebd. 443, Anm. 35, im Anschluß an D . C O N R A D einer erweiternden Hand zu, die er redaktionsgeschichtlich nicht näher einordnet. 18 Ebd. 443. 19 Ebd. 500.

290

Redaktionen

Sprecher" erscheint 2 0 und von R i 2 , l a . 4 - 5 den Hörern als etwas alt Vertrautes am Heiligtum von Gilgal (Ri 2,1a) bekannt war. 2 1 Ex 20,24b D T p a n - 1 ? ^ VPI?:^ "'ΰψ-ΠΝ -p?TN " i p ist nach J.HALBE die Antwort der Kreise um das traditionell hoch angesehene Heiligtum von Gilgal auf das durch David grundgelegte und durch Salomo forcierte Bestreben, das kultische Leben Israels nach Jerusalem hin zu orientieren. 2 2 Gegen diese f r ü h e n Zentralisierungstendenzen formuliert Ex 20,24b "sozusagen die nicht-monarchische Alternative zur »Gegenzentralisierung« Jerobeams. ... dann richtet sich die verdeckte Polemik der Stelle - den großen Umschichtungen ihrer Zeit unmittelbar ins Gesicht - gegen den wachsenden Einfluß des Königtums auf die Verfassung des kultischen Lebens ... Versucht man unter diesen Aspekten noch einen fester umgrenzten zeitgeschichtlichen Ansatz, dann läßt sich nicht ausschließen, daß Ex 20,24b schon in die Vorgeschichte der Reichstrennung gehört. Alle sachlichen Voraussetzungen waren gegeben: Konservative Kreise um Gilgal hätten sich dem politisch wie kultisch immer spürbarer wirksamen Geltungsanspruch Jerusalems als Zentrum der (unter Salomo drückend gewordenen!) Reichsgewalt entgegengesetzt... ," 23 Zu einer zweiten Erweiterung rechnet J.HALBE die VV.25b.26b. Sie sind erklärende Zusätze, stammen von ein und derselben Hand und gehören nicht mehr zur Komposition des Abschnittes 22,24-26, sondern schon in ihre Nachgeschichte. 2 4 F.-L.HOSSFELD hat die Einleitung des Bundesbuches eingehend analysiert. Er nimmt drei diachron voneinander abzuhebende Textstadien an. Auf der vordeuteronomistischen Ebene des Textes waren Altargesetz - "in welcher Form auch immer" - und kasuistischer Block des Bundesbuches miteinander verknüpft. 2 5 Darauf weist unter anderem das stilfremde "Du" in Ex 21,2 hin, das sich der 2.Ps.Sg. des Altargesetzes anpaßt. 2 6 Die deuteronomistische Erweiterung, die das Bundesbuch in die Sinaiperikope eingliedert, hat mit dem ihrer Kultzentralisationsforderung entgegenlaufenden V.24b Schwierigkeiten.

20 21 22 23 24 25 26

Ebd. 373; 369-376. Ebd. 500. Ebd. 378. Ebd. 379f. Ebd. 443. In der Interpretation dieser Verse schließt J.HALBE sich D . C O N R A D an. F.-L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 183. So F.-L.HOSSFELD, ebd. 181, im Anschluß an H.J.BOECKER, Recht und Gesetz (1976) 136.

Ex 20,23-26

291

"Eine Form, das widerständige Altargesetz zu immunisieren mitsamt seinem V.24b, war die Überschrift 21,1. Sie suggeriert, daß das eigentliche Bundesbuch jetzt erst beginnt, d.h. daß die verbindlichen Vorschriften nun erst anheben. Das Altargesetz wird zum Vorbau. ... Flankiert von der Redeeinleitung und der Überschrift kann die Jahwerede im Altargesetz ihr »Du« der Anrede gar nicht in Richtung Volk entfalten. Das Altargesetz bleibt in der Gesprächssituation zwischen Jahwe und Mose gefangen; es wird zu einer historischen Vorschrift an Mose, die dieser auch in Ex24,4f nach der Verkündigung des Bundesbuches (leidlich) ausführt. So wurde die Konkurrenz zur dtn Kultzentralisation geschickt ausgeschaltet." 27 Von derselben deuteronomistischen Redaktion stammt auch Ex 20,22aa. Damit knüpft sie an die elohistische Sinaiperikope an und leitet das Bundesbuch ein. 28 Auf die deuteronomistische Redaktion folgt nach F.-L.HOSSFELD eine jüngere priesterliche Bearbeitung der Bundesbuchcinleitung. Auf ihr Konto gehen die VV.22aßb.23. Mit V.22aß gestaltet sie die deuteronomistische Redeeinleitung von V.22aa in das f ü r die priesterliche Gesetzesliteratur typische Schema "Einleitungsformel - Weitergabebefehl - direkte Jahwerede" um. 2 9 "Mit V.22b setzt sie das Bundesbuch in ein Verhältnis zu ihrem Dekalog: dort unmittelbare Rede Jahwes/Elohims an Israel - hier durch Mose vermittelte Rede im Bundesbuch. V.23 konzipiert sie in freier Verarbeitung der ersten Dekaloggebote als ihre Ouvertüre zum Bundesbuch." 30 Eine von F.-L.HOSSFELD in einigen Punkten abweichende Interpretation des Altargesetzes im Verbund mit dem vorangehenden Bilderverbot legt 31 C.DOHMEN vor. Im Unterschied zu F.-L.HOSSFELD 3 2 fühlt sich C.DOHMEN der masoretischen Verseinteilung in V.23 in besonderer Weise verpflichtet. 3 3 Nach C.DOHMEN war V.23b ursprünglich singularisch formuliert und stellte so mit dem ebenfalls singularisch formulierten V.24aa die ursprüngliche Einleitung des Bundesbuchcs dar. 3 4 Im Unterschied zu F.-L.HOSSFELD, der den ganzen V.23 einem priesterlichen Redaktor zuweist, hält C.DOHMEN

27 28 29 30 31 32 33 34

F.-L.HOSSFELD, Dekalog Ebd. 182. Vgl. ebd. 176-178. Ebd. 183. C.DOHMEN, Bilderverbot F.-L.HOSSFELD, Dekalog C.DOHMEN, Bilderverbot Ebd. 169.178Í.

(1982) 182f.

(1985) 154-180. (1982) 180. (1985) 155f.

292

Redaktionen

V.23b in singularischer Fassung für vordeuteronomistisch. 3 5 V.23a ist eine nachträgliche, bewußt als Ellipse formulierte Ergänzung, die das vordeuteronomistische Bilderverbot V.23b vom Fremdgötterverbot (11 FIS = neben mir /außer mir), allerdings in der Terminologie des Bilderverbotes (HEW), interpretiert. Im Rahmen dieser pluralischen Ergänzung durch V.23a hat der deuteronomistische Redaktor auch V.23b in den Plural gesetzt und so den ganzen Vers vom Altargesetz abgetrennt. Der Grund f ü r die Abtrennung vom Altargesetz liegt einerseits darin, daß der deuteronomistische Redaktor wie F.-L.HOSSFELD gezeigt hat - das Altargesetz aufgrund seines Widerspruches zur Kultzentralisationsforderung immunisieren wollte. Er tut dies einerseits dadurch, daß er es durch die von ihm hinzugefügte Überschrift 21,1 vom eigentlichen Gesetzescorpus abtrennt und so zu einer einmaligen Anweisung an Mose macht, die dieser in Ex 24,4f ausführt. Andererseits war der deuteronomistische Redaktor dem Fremgötter- und Bilderverbot in der für ihn eigentümlichen Verbindung in besonderer Weise verpflichtet. Er kommt dieser Verpflichtung dadurch nach, daß er V.23 in den Plural setzt und so im Hinblick auf die Adressaten vom Altargesetz abtrennt. V.23 richtet sich so an das Volk, das Altargesetz nur an Mose. V.23 wird aufgewertet, das Altargesetz wird abgewertet. 3 6 C.DOHMEN sieht einen ursprünglichen Zusammenhang von Bilderverbot und Altargesetz und nimmt als ältesten Kern von Ex 20,23-26 das aus einem Prohibitiv und einem Injunktiv bestehende singularisch formulierte Spruchpaar • f i n f c w i S1? η π τ

TÒfcO

ϊ]03

TÒK

ΠΕ?»η ΠΏ-ΤΚ ΠΙΤΟ an.

V.23b

V.24aa

37

Für die Interpretation dieses Spruchpaares ist nun entscheidend, daß im Unterschied zu D.CONRAD in 21,24aa keine Konstruktionsanweisung f ü r einen Altar, sondern eine Bestimmung zur Kultausübung sieht. C.DOHMEN

"Es geht ... nicht um den Bau eines Altares aus ungebrannten Ziegeln o.ä., wie Conrad ... dies vermutet hat, sondern die Forderung nach einer »irdenen Schlachtstatt« (Πΰ"ΤΝ !"ÛTD) zielt auf die Durchführung des Opfers ab. An der Stelle, wo geopfert wird, soll es Erde geben ..., die der kultisch wichtigen Vernichtung des Blutes dient, d.h. es wird Wert darauf gelegt, daß das Blut falschen Blutmanipulationen entzogen wird, da es als »Lebenselement« allein Gott gehört, so daß das Schütten auf und in 35 Ebd. 160f. 36 Ebd. 162f. 37 Ebd. 176.

Ex 20,23-26

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die Erde seine Rückführung bedeutet. Indem die Bestimmung mit der Forderung nach einer irdenen Schlachtstatt auf die Behandlung des Blutes abhebt, stellt sie ein wesentliches Element nomadischen Opferkultes den Opferpraktiken der Urbanen Bevölkerung entgegen." 3 8 Auf diesem Hintergrund der Kultur- und Religionsdifferenz urbaner und nomadischer Bevölkerung interpretiert C.DOHMEN auch V.23b: "Im Gegensatz zur Religion der Urbanen Gesellschaft kennen die Nomaden in ihrer Religion keine Bilder als Verehrungsobjekte; sie kennen zwar Amulette und kleinere Schutzgötter, nicht aber direkte Kultbilder; als solche dienen ihnen vornehmlich natürliche, unbehauene Steine und teils auch Bäume. Somit wird aus der Opposition der kulturellen-religiösen Bedingungen der verschiedenen Sozialformen auch das Verbot der Herstellung von silbernen und goldenen Göttern verständlich, denn dies ist die Erscheinungsweise der Götter der Urbanen Kultur, d.h. hier steht von Menschen Gemachtes gegen (von der Natur) Vorgegebenes, so daß die Herstellung derartiger Idole Zeichen der Anpassung resp. der Übernahme von urbaner Lebens- und Kulturform darstellt. Somit stellt folglich V.23b in seiner ursprünglichen Form kein Verbot von Bildern im eigentlichen Sinn dar, da nicht auf den Unterschied Darstellung oder keine Darstellung abgehoben wird, sondern es geht um eine grundlegende Differenz in der Art und Weise der Gottesverehrung, so daß V.23b ursprünglich ein kultrechtliches Verbot darstellt, das die Übernahme fremder Kultformen betrifft." 3 9 Das so eruierte Spruchpaar

t ? riEwn

anr Tftm ηοο ^

Π»»η Π01Κ naΤO

v.23b V.24aa

stellt nach C.DOHMEN die ursprüngliche kultrechtliche Einleitung des Bundesbuches dar. "Sie formuliert die konstitutiven Elemente des Kultes negativ und positiv." 40 Der von J.HALBE zum ältesten Kern des Altargesetzes gerechnete V.26a 4 1 wird von C.DOHMEN bereits einer ersten Ergänzung zugewie38 Ebd. 174f. Die Ansicht, der Altar müsse aus Erde sein, damit das Blut des Opfers in die Erde eindringen könne, hat bereits H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 40, vertreten. 39 C.DOHMEN, Bilderverbot (1985) 178. 40 Ebd. 178f. 41 J . H A L B E , Privilegrecht (1975) 442.

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Redaktionen

sen, "die sich sachlich vielleicht auf die vielfach (mit Stufen) nachgewiesene sogenannte HD1 bezieht." 42 E.OTTO schließt sich bei der Analyse des Altargesetzes D . C O N R A D an, und weist die Analyse C.DOHMENS zurück. 4 3 Der Grundbestand des Altargesetzes, bestehend aus den VV.24aa.25aß*.26a, stammt nach E.OTTO nicht aus Jerusalem, sondern ist erst sekundär durch die im Horizont Jerusalemer Tempeltheologie verfaßten Erweiterungen der VV.24aß*.b.25b.26b dort heimisch geworden. 4 4 Da sich aber eine Jerusalemer Redaktion des Bundesbuches weder in der von E.OTTO angenommenen Sammlung 22,28-23,12, noch in der Zusammenfügung der beiden ursprünglich selbständigen Sammlungen 21,2-22,26 und 22,28-23,12, sondern nur in der Sammlung 21,2-22,26 zu erkennen gegeben hat, 4 5 eine solche Jerusalemer Redaktion aber auch den Grundbestand des Altargesetzes erweitert hat, "so bleibt als Konvergenzpunkt von Altargesetz und Bundesbuch die Redaktion der ursprünglich selbständigen Sammlung Ex XXI 2 - Ex XXII 26." 46 "Der Redaktor dieser Rechtssammlung läßt gezielt die Reihe der Todesrechtssätze mit dem Verbot des Fremgötteropfers [22,19a] ausklingen und bindet dieses mit den in der chiastischen Struktur folgenden Schutzbestimmungen für die Armen zusammen. Diese Abfolge von Kultgesetzen (Ex XX 17-19a) und sozialem Schutzrecht (Ex XXII20-26*), die den Abschluß der Teilsammlung prägt, wird in der Abfolge von Altargesetz (Ex XX 24-26) und Sklavenrecht (Ex XXI2-11) auch als Gestaltungsprinzip der Eröffnung erkennbar. Das Altargesetz ist also vom Redaktor dieser Jerusalemer Sammlung in Ex X X I 2 XXII26 vorangestellt worden. ... In der Perspektive der Verbindung von Altargesetz und Rechtsüberlieferung wird die Selbstkundgabe JHWHs durch die folgenden Rechtsbestimmungen entfaltet. Die Legitimität des Kultortes und damit des Opferkultes an diesem Ort ist an die Verkündigung des Rechtes als Wille des Königsgottes gebunden. Hat die Rechtsüberlieferung Ex XXI 2 - XXII 26 ihren Ort am Tempel von Jerusalem, so impliziert Ex XX 24b (b e kal hammaqôm...), daß jeder Kultort, an dem dieses Recht verkündet wird, legitimer, an Jerusalem gemessener Kultort sei. In einer der Kultzentralisationsforderung geradezu entgegenlaufenden Bewegung wird der An42 43 44 45

C.DOHMEN, Bilderverbot (1985) 175. E.OTTO. Rechtsbegründungen (1988) 5; 54. Ebd. 54f. Vgl. dazu die Darstellung des Ansatzes von E.OTTO zur Redaktionsgeschichte des Bundesbuches in Kap. 2.1.5.2, S. 15-22. 46 Ebd. 55.

Ex 20,23-26

295

spruch Jerusalemer Kulttheologie auf die anderen Heiligtümer ausgeweitet. Jeder Kultort, an dem dieses Recht als Gottesrecht verkündet wird, ist dadurch als legitim qualifiziert." 47

5.2.1.2.

Redaktionsgeschichtliches

Fazit

Auf die inhaltliche Interpretation des Altargesetzess soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Lediglich möchte ich darauf hinweisen, daß es D . C O N R A D bei seiner Interpretation vor allem um eine Verifikation einer These M . N O T H s geht, welche besagt, daß der Sinn der apodiktischen Rechtssätze darin besteht, Israel gegen fremde Kulte abzugrenzen. 4 8 Eine solche Prämisse aber kann nicht ungeprüft vorausgesetzt werden. Würde sich das Altargesetz in der Weise, wie D . C O N R A D es versteht, gegen fremde Kultpraktiken abgrenzen, dann wäre eine deutlichere Sprache zu erwarten. Die Form des Prohibitivs allein reicht hierfür nicht aus. Hier führt die Interpretation von c . D O H M E N weiter, die versucht, den Kern des Altargesetzes im Rahmen innerisraelitischer Religionsgeschichte zu begreifen. Im Rahmen dieser Arbeit soll es lediglich um die redaktions- und traditionsgeschichtliche Stellung des Altargesetzes innerhalb des Bundesbuches gehen. Das Altargesetz ist im Grundbestand vordeuteronomistisch und widerspricht der dtn Kultzentralisationsf orderung. Seine Abgrenzung vom Korpus des Bundesbuches durch die Überschrift Ex 21,1 geht auf das Konto eines deuteronomistischen Redaktors. 4 9 Dies hat meines Erachtens F.-L.HOSSFELD plausibel gemacht. Durch die Abgrenzung vom Korpus des Bundesbuches stuft der dtr Redaktor das Altargesetz von einer allgemein gültigen Vorschrift zu einer einmaligen Anweisung an Mose, die dieser in Ex 24,4f aus47 Ebd. 55f. 48 D . C O N R A D , Altargesetz (1968) 3f: "Die vorliegende Arbeit versucht, das Altargesetz Ex 20:24-26 ... inhaltlich auf die von MARTIN NOTH angeregte Weise zu erklären ... Wir werden zu untersuchen haben, gegen welche »heidnischen«, d.h. kanaanäischen Kultgebräuche das Altargesetz sich abgrenzen will, welche Vorstellungen und Begehungen abgelehnt werden, die in Kanaan und der übrigen Umwelt des Alten Orients so bedeutend waren, daß sie die Einzigartigkeit Jahwes und seine Verehrung als des alleinigen Gottes in Israel hätten gefährden können." Ebd. 138f: "Indem wir von der These M.NOTHs, daß sich die apodiktischen Gesetze Israels gegen fremde, d.h. kanaanäische Kultgebräuche richten, ausgegangen sind, haben wir das Altargesetz Ex 20:24-26 daraufhin untersucht, gegen welche Arten von Verehrung es den israelitischen Kult schützen und die Jahwe-Verehrung sichern soll. ... Nach all dem hat sich die These M.NOTHs am Altargesetz bestätigt." Vgl. ebd. 129. Bei D . C O N R A D (1968) wird darüber hinaus eine Landnahmetheorie vorausgesetzt, die heute in dieser Form nur noch schwer vertreten werden kann. 49 Zu Ex 21,1 vgl. das folgende Kapitel 5.2.2, S. 299-303.

296

Redaktionen

führt, zurück. Diese Beobachtung kann weiter präzisiert werden. D.CONRAD und J.HALBE halten innerhab von 20,24aßY die Angabe der Opferarten ' p Q ^ Ç T l S I l ^ r V S T K für eine sekundäre Erweiterung "aus Kreisen der Opferpriester". 5 " Vorgängig dazu stellt V.24aß*Y I j t ó T K "P^S Ρ)Π2η nach D.CONRAD aber bereits ebenfalls eine Erweiterung aus eben denselben Kreisen der Opferpriester dar. Die Bestimmung der Herkunft beider Erweiterungen scheint mir eine Verlegenheitslösung zu sein. Warum sollten die Opferpriester nicht gleich die komplette Formel eintragen? Auch J.HALBE, der hier der Analyse D.CONRADs folgt, kann die Erweiterung 'pg^TtJJ *prf5>fo_ntjl redaktionsgeschichtlich nicht einordnen. Übernimmt man dagegen die eingangs vorgestellte Position von F.-L. HOSSFELD, dann kann man die Bezeichnung der Opferarten *ρΓΐί>5?-ΓΙΚ als eine dtr Erweiterung in Angleichung an Ex 24,5 ansehen. Dort heißt es nämlich im jahwistischen Grundbestand:

rnrr^> n^nij insrn nVy

v.5aßb*

Ein dtr Redaktor gestaltet die Szene zur Bundesschlußszenc aus und interpretiert die Brand- und Schlachtopfer als "Bundesopfer", indem er in Ex 24,5b D " 1 ? ^ einträgt. 5 3 Damit sind in Ex 24,5 die beiden Opferarten genannt, die im Altargesetz 20,24aß nachgetragen werden. Was liegt näher als die Annahme, daß der Nachtrag der Opferarten in 20,24aß auf das Konto des dtr Redaktors geht, der das Altargesetz zu einer einmaligen Anweisung an Mose herabstuft, die dieser in Ex24,4f ausführt? Bei dieser Interpretation kann der Grundbestand von V.24aßY I ^ T I S J IJUtirriK T ^ S Pinati durchaus mit D.CONRAD als "Erweiterung aus Kreisen der Opferpriester" angesehen werden, die Angabe der Opferarten ' Ρ φ ^ φ Τ Κ } 'prfítyTiN allerdings geht auf das Konto eines dtr Redaktors, der damit auf Ex 24,4f anspielt und das Altargesetz von dorther interpretiert. Zwischen dem Altargesetz und der Asylrechtsbestimmung Ex21,13f besteht - so hatten wir bereits vermutet 5 4 - ein literarischer Zusammenhang. Zwar ist das Altargesetz Ex 20,24-26 keine notwendige Voraussetzung für das Verständnis der Asylrechtsbestimmung Ex21,13f, gleichwohl legt sich die Annahme, das Altargesetz bilde im vorliegenden Kontext den literarischen Horizont von Ex21,13f, nahe. Ex21,13f aber ist eindeutig eine vor-

50 D.CONRAD, Altargesetz (1968) 15. 51 J . H A L B E , Privilegrecht (1975) 443, Anm. 35: "In v. 24aß dürften die überfüllenden und völlig singular von l"QT abhängigen und eine Erweiterung sein". 52 Analyse nach E . Z E N G E R , Israel am Sinai ( 2 1985 j 134; 140. 53 Analyse nach E . Z E N G E R , ebd. Zur redaktionsgeschichtlichen Aufteilung von Ex 24,111 nach E . Z E N G E R vgl. in dieser Arbeit S. 302, Anm. 16. 54 Siehe Kap. 3.3, S. 41f.

Ex 20,23-26

297

deutcronomistische Erweiterung. 5 5 Wir hatten sie der gottesrechtlichen Redaktion zugewiesen. Damit aber ist es sehr wahrscheinlich, daß Ex 21,13f zusammen mit dem Altargesetz Ex 20,24-26 von einer, und zwar einer vordeuteronomistischen Redaktion in das Bundesbuch eingegliedert worden ist. Das stilfremde "Du" in Ex 21,2, das übrigens in Spannung zum "ihr" in 21,1 steht, dürfte eine sekundäre Angleichung an das "Du" des Altargesetzes sein. Die Gesetze zur Freilassung von Schuldsklave und Schuldsklavin in 21,2-11 sind älter als ihre Parallele in Dtn 15,12-18. Sie haben ebenfalls eine deuteronomistische Erweiterung erfahren, sind aber im Grundbestand vordeuteronomistisch. 5 7 Demnach dürfte auf der vordeuteronomistischen Ebene des Bundesbuches ein literarischer Zusammenhang von Altargesetz (20,24-26) und Schuldsklavenfreilassungsgesetz (21,2-11) bestanden haben. Die neuere Forschung hat - in Einzelheiten divergierend, aber in der Grundtendenz einhellig - gezeigt, daß das Altargesetz literarisch nicht einheitlich ist. Wenn - wie hier angenommen wird - eine vordeuteronomistische, traditionsgeschichtlich als protodeuteronomisch zu qualifizierende Redaktion das Altargesetz in das Bundesbuch eingegliedert hat, dann können wir vermuten, daß diese Redaktion den Text einer abschließenden Überarbeitung unterzogen hat. Ohne detaillierte Analyse, sollen hier nur die wichtigsten traditionsgeschichtlichen Beobachtungen genannt werden. Von den meisten Exegeten wird angenommen, daß V.24b eine sekundäre Erweiterung ist. J.HALBE sieht in ihr eine Kritik an der staatlich geförderten Vorangstellung Jerusalems gerade auch auf kultischem Gebiet und datiert diese Polemik in das Ende des 10. Jahrhunderts. 5 8 Nun hat J . W E L L H A U S E N darauf hingewiesen, daß V.24b zwar eine Vielzahl legitimer Kultorte voraussetze, gleichzeitig aber die Freiheit, überall zu opfern, einschränkt "durch den Zusatz: überall, wo ich meinen Namen ehren lasse." 59 Es geht also in V.24b um eine legitime Vielzahl von J H W //-Kultorten. Will man diese Erweiterung nun traditionsgeschichtlich verorten, so kommt man meines Erachtens am ehesten in die Zeit H oseas. Mit seiner Kritik an nicht-jahwistischcn Kultpraktiken der Volksfrömmigkeit 6 0 scheint er Wegbereiter einer kultreformierenden Bewegung zu sein, an deren Ende die dtn Kultzentralisation steht. Eine Zwischenstation auf diesem Weg stellt die Erweiterung des Altargesetzes V.24b dar. Hier wird ein altes Kultgesetz im Horizont 55 Zur Begründung siehe Kap. 3.3, S. 41f. 56 Vgl. A.ALT, Ursprünge (1934) 216, Anm. 2. H.J.BOECKER, Recht und Gesetz ( 2 1 9 8 4 ) 136. F.-L.HOSSFELD, D e k a l o g (1982) 181. 57 Vgl. dazu Kap. 5.2.3, S. 303-316. 58 J.HALBE, Privilegrecht (1975) 378-380. 59 J . W E L L H A U S E N , Prolegomena ( 2 1 9 2 7 ) 29. Vgl. die Zitation dieser Stelle auf S. 41, Anm. 10 in dieser Arbeit. 60 Vgl. H.BALZ-COCHOIS, Gomer (1982).

298

Redaktionen

hoseanischer Kultkritik neu interpretiert. Politisch ist sie eher mit einer im einzelnen allerdings schwer zu bestimmenden "Kultreform" des Hiskija 6 1 zu verbinden als mit antizentralistischen Kreisen zur Zeit Davids und Salomos, wie J . H A L B E annimmt. Insofern kommt dem Altargesetz in seiner Endgestalt protodeuteronomischer Ckarakter zu. Ein dtr Redaktor mußte es bei der Integration des Bundesbuches in die Sinaiperikope nicht streichen, sondern lediglich "immunisieren". Auch die anderen Erweiterungen des Altargesetzes dürften auf das Konto dieser protodeuteronomischen Redaktion gehen. Wenn - wie C . D O H M E N vermutet - V.26a gegen die vielfach mit Stufen nachgewiesenen Π102 gerichtet ist, dann ist ein solches Verbot im Gefolge der Verkündigung Hoseas gut verständlich. Das gleiche gilt für V.26b. Unter der Annahme, daß V.26a gegen die ΠΙ Dl gerichtet ist, dürfte die sexual-ethische Begründung in V.26b - in Abweichung von der Annahme D.CONRADs - durchaus ursprünglich mit V.26a verbunden gewesen sein. Aber auch unter der Voraussetzung, daß V.26b als Begründung zu V.26a sekundär ist, wie D . C O N R A D u. a. annehmen, paßt diese Begründung frühestens ins 8. Jahrhundert, worauf D.CONRAD selbst hingewiesen hat. 6 3 Auf die von C.DOHMEN aufgestellt These eines ursprünglichen Zusammenhanges von Bilderverbot und Altargesetz kann im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. In der vorliegenden Endgestalt stammt wie C . D O H M E N gezeigt h a t 6 4 - Ex 20,23 von einem dtr Redaktor und grenzt sich in dieser Form vom Altargesetz ab. In der pluralischen Formulierung und der durch die Forcierung des Alleinverehrungsanspruchs J H W H s durch das Dtn vorbereiteten, wenngleich in seinen Wurzeln vor der deuteronomischen Bewegung liegenden aber erst in frühdeuteronomistischer Zeit ausgeprägten Formulierung 6 5 , ist das Bilderverbot von Ex 20,23 als eine dtr Erweiterung innerhalb des Bundesbuches gut zu verstehen. 6 6 Ob Ex 20,23 ursprünglich V.23b in singularischer Formulierung vorausging, ist schwer zu 61 Damit soll nicht die T h e s e vertreten werden, Hiskija habe eine Kultreform im engeren Sinne durchgeführt. Es geht lediglich um eine grobe zeitliche Situierung. Zur angeblichen Kultreform des Hiskija vgl. vor allem die vorsichtigen Bemerkungen bei H . D O N N E R , Geschichte II ( 1 9 8 6 ) 331f, und die noch vorsichtigeren Bemerkungen bei H . S P I E C K E R M A N N , Juda unter Assur ( 1 9 8 2 ) 172-175, wonach von einer "Kultreform" des Hiskija nicht die Rede sein kann. Vgl. auch C . D O H M E N , Bilderverbot ( 1 9 8 5 ) 265f. L . C A M P , Hiskija und Hiskijabild. Analyse und Interpretation von 2 K ö n 18-20 ( 1 9 8 9 ) 283-287. 62 C . D O H M E N , Bilderverbot ( 1 9 8 5 ) 175. 63 D . C O N R A D , Altargesetz ( 1 9 6 8 ) 55. Zitiert oben S. 289. 64 C . D O H M E N , Bilderverbot ( 1 9 8 5 ) 161-163. 65 Vgl. ebd. 267-276. 66 Zu Ex 20,23 vgl. auch Kap. 5.2.9.2, S. 396-400.

Ex 21,1

299

entscheiden und insgesamt recht spekulativ. Wenn man aber mit C . D O H M E N das Bilderverbot in dieser Form (V.23a*) zusammen mit 20,24aa als "ursprüngliche kultrechtliche Einleitung des Bundesbuches" 6 7 ansieht, dann kommt man im Rahmen der hier entwickelten Redaktionsgeschichte des Bundesbuches am ehesten auf die gottesrechtliche Redaktion, und das heißt frühestens in protodeuteronomische Zeit. D i e s e Beobachtung läßt sich traditionsgeschichtlich mit der von C . D O H M E N dargelegten Entwicklungslinie des Bilderverbotes besser in Einklang bringen, als die freilich von ihm selbst vertretene Frühdatierung von Ex 20,23b*.24aa. 6 8 In jedem Falle aber stellt Ex 20,23 in der vorliegenden Form - wie auch C . D O H M E N annimmt - die deuteronomistische Einleitung des Bundesbuches dar.

5.2.2.

Die Überschrift

Ex

21,1

In der Forschung werden bezüglich Ex 21,1 vor allem zwei Fragen diskutiert: 1. Wie weit reicht die Überschrift? 2. Bezeichnet der Ausdruck • "•ÜEüjtt in 21,1 eine bestimmte Rechtssatzform? Die Beantwortung beider Fragen wird häufig dahingehend miteinander verknüpft, daß man im Ausdruck 0"Ί35ζ?ί? eine Bezeichnung kasuistischer Rechtssätze sieht und die Überschrift dementsprechend nur auf den kasuistischen Teil des Bundesbuches beschränkt, 1 dem man dann die apodiktischen Rechtssätze als D" | -Q1 2 oder • pn 3 gegenüberstellt. Gegen eine solche Aufteilung ist 67 E b d . 237. 68 E b d . 243: "Es läßt sich s o m i t s a g e n , d a ß d i e k u l t r e c h t l i c h e E i n l e i t u n g d e s B u n d e s b u c h e s in f r ü h s t a a t l i c h e r Z e i t mit d e r k o n s e r v a t i v e n I n t e n t i o n a b g e f a ß t w u r d e , d e n ü b e r n o m m e n e n N o m a d e n r i t u s in die n e u e U m g e b u n g d e r U r b a n e n K u l t u r als I d e n t i f i k a t i o n s f a k t o r zu ü b e r n e h m e n . " Vgl. e b d . 240-242. Z u r K r i t i k an e i n e r s o l c h e n F r ü h d a t i e r u n g vgl. a u c h E . Z E N G E R , D e r G o t t J H W H im S p a n n u n g s f e l d v o n P o l i t i k und K u l t (1986)449. 1 S o H . H O L Z I N G E R , E x o d u s ( 1 9 0 0 ) 98. B . B A E N T S C H , E x - L e v - N u m ( 1 9 0 3 ) 189. A . J E P S E N , B u n d e s b u c h ( 1 9 2 7 ) 103. A . A L T , U r s p r ü n g e ( 1 9 3 4 ) 214. Vgl. e b d . 211, A n m . 1. G . L I E D K E , G e s t a l t u n d B e z e i c h n u n g ( 1 9 7 1 ) 96f. B . S . C H I L D S , E x o d u s ( 1 9 0 0 ) 456f. 2 S o B . B A E N T S C H , B u n d e s b u c h ( 1 8 9 2 ) 28-34. K r i t i s c h d a z u H . H O L Z I N G E R , E x o d u s ( 1 9 0 0 ) 98. M a n b e a c h t e , wie sich b e r e i t s in d e n f o l g e n d e n C h a r a k t e r i s i e r u n g e n v o n • " Ί 3 3 0 0 u n d Ο Ή Ι Π d u r c h B . B A E N T S C H , e b d . 34, die s p ä t e r e U n t e r s c h e i d u n g v o n " k a s u i s t i s c h e m " und " a p o d i k t i s c h e m R e c h t " , wie sie d u r c h A . A L T in d e r a l t t e s t a m e n t l i c h e n W i s s e n s c h a f t k a n o n i s c h w u r d e , a n k ü n d i g t : "Die sind u n b e d i n g t e W i l l e n s ä u s s e r u n g e n J h v h ' s . [sie!] im U n t e r s c h i e d v o n d e n Q ^ d i e i m m e r e i n e zufällige Complication von U m s t ä n d e n v o r a u s s e t z e n , die sorgsam gegen e i n a n d e r abgew o g e n sein w o l l e n , e h e d a s U r t h e i l ü b e r d i e v o n i h n e n b e g l e i t e t e u n d b e e i n f l u s s t e T h a t g e f ä l l t w e r d e n k a n n ; o d e r : d i e Π ^ Ι Π t r e t e n mit d e m A n s p r u c h a u f , a l l g e m e i n e G e l t u n g und e i n e f ü r alle b i n d e n d e K r a f t zu h a b e n ; d i e D^(3SI27D d a g e g e n sind E n t scheidungen f ü r einzelne aus der E r f a h r u n g a b s t r a h i r t e und f ü r die Z u k u n f t als mög-

300

Redaktionen

allerdings darauf hinzuweisen, daß im Bundesbuch keine Überschrift mit 0 Ή Π oder • "'pn begegnet. "D^f bezeichnet im Bundesbuch die Rechtsangelegenheit, 4 nicht aber einen apodiktischen Rechtssatz. Die Unterscheidung von D^BBÖQ und 0 Ή Π bezüglich des Bundesbuches ist gewonnen aus Ex 24,3: o

Batíamos • τ J · -

τ

run ·•:

m m r s

·ηητί>3 ·· Τ ·

τ

ηκ

··

ττ

-ιβοό .«-·-

ntíb ν

Nh'i τ-

- 1

Nach F . L . H O S S F E L D bezog sich Π 1 Γ Ρ "H?? ^ ? ursprünglich auf das Bundesbuch. Erst ein priesterlicher Redaktor, der den Dekalog in Ex 20 einsetzt, fügt gleichzeitig damit in Ex 24,3 D^ÖStÖSrr^S) ΠΝΠ ein und bezieht so T m m · η ; ρ τ im Rückgriff auf Ex 20,l auf den Deikalog und im Rückgriff auf Ex 21,1 auf das Bundesbuch. 5 Man kann den Terminus ÖStfä durchaus auf den kasuistischen Rechtssatz beziehen, 6 darf aber darin keine festumrissene Gattungsbezeichnung sehen in dem Sinne, daß der Ausdruck "apodiktische Rechtssätze" (Prohibitive, Vetitive, partizipial formulierte Rechtssätze) und abgewandelte Formen des kasuistischen Rechtssatzes wie eingekleidete Prohibitive und eingekleidete Injunktive ausschließt. Da es innerhalb des Bundesbuches keine weitere Zwischenüberschrift gibt, spricht nichts dagegen, Ex 21,1 auf den kasuistischen und "apodiktischen" Teil des Bundesbuches, also auf Ex 21,123,19, zu beziehen. licherweise w i e d e r k e h r e n d v o r g e s e h e n e Fälle. E n t s c h e i d u n g e n , die E i n e n nur i n s o f e r n a n g e h e n , als e r in einen solchen b e s o n d e r e n Fall k o m m t . A e u s s e r e wie i n n e r e G r ü n d e s p r e c h e n d a f ü r , dass D^BSEJD und • Ή Π die b e i d e n T i t e l d e r b e i d e n T h e i l e des Bb. gewesen seien." Vgl. a b e r auch die E i n s c h r ä n k u n g e n , die B . B A E N T S C H bezüglich s e i n e r E i n t e i l u n g selbst macht. Siehe in d i e s e r A r b e i t S. 6f und S. 300, A n m . 5. 3 So A . J E P S E N , B u n d e s b u c h (1927) 103. J . M O R G E N S T E R N , T h e Book of t h e C o v e n a n t II (1930) 28, v e r s t e h t die "apodiktischen" R e c h t s s ä t z c in 21,12-17 als huqqim. Vgl. D E R S . , T h e B o o k of t h e C o v e n a n t III - T h e H u q q i m (1931/32). 4 Ex 22,8; 23,7.8. 5 F . - L . H O S S F E L D , D e k a l o g (1982) 190f. Im A n s c h l u ß d a r a n auch H . N I E H R , H e r r s c h e n und R i c h t e n (1986) 268. Ähnlich bezog b e r e i t s B . B A E N T S C H , B u n d e s b u c h (1892) 77, π i m " n n ^ r ^ s in Ex 24,3a auf d e n "elohistischen" D e k a l o g Ex 20. So ä u ß e r t er sich e b d . 35f etwas z u r ü c k h a l t e n d e r bezüglich e i n e r Z u o r d n u n g d e r Bezeichnung D ^ H I zum zweiten Teil des B u n d e s b u c h e s : "... so ist die B e z i e h u n g d e r ü 1 ! ! ! d a s e l b s t auf die sittlich-religiösen und cultischen B e s t i m m u n g e n des Bb. zum m i n d e s t e n z w e i f e l h a f t g e w o r d e n , und wir k ö n n e n v o r l ä u f i g ü b e r d e n T i t e l d i e s e r B e s t i m m u n g e n nichts mit B e s t i m m t h e i t a u s m a c h e n . D a s s er Ο ^ Ι Π g e l a u t e t h a b e , b l e i b t v o r e r s t n u r zu verm u t h e n ; und diese V e r m u t h u n g f i n d e t ihre Stütze einmal d a r i n , dass der Titel D Ί CÛSE7D aus o b e n d a r g e l e g t e n G r ü n d e n nicht gut d e r allgemeine, alle B e s t i m m u n g e n des Bb. u m f a s s e n d e sein k a n n , d a n n in d e r A n g e m e s s e n h e i t des T i t e l s • " ' " Q T f ü r die sittlichreligiösen und cultischen B e s t i m m u n g e n des Bb., die in d e r B e z e i c h n u n g d e r dekalogischen G e b o t e Ex. XX 1 eine Stütze f ä n d e . " 6 Vgl. Ex 21,9.31 und die I n t e r p r e t a t i o n von G . L I E D K E , G e s t a l t und B e z e i c h n u n g (1971) 94-98.

Ex 21,1

301

Formal weist Ex 21,1 die stärksten Parallelen zu Dtn 4,44 auf: ^ιαζρ

ntfb tiy—rös r n i n n η κ ' η

Dtn4,44

•-'©fi

Ex 2 1 , 1

D^tpBçan n ^ n

Beide Überschriften sind syndetisch eingeleitet und bestehen aus einem Nominalsatz, dem ein Relativsatz folgt. Subjekt des Nominalsatzes ist ein Demonstrativpronomen in kataphorischer Funktion. Das Prädikat bildet ein Ausdruck f ü r "Gesetz(e)". Es folgt ein Relativsatz, der die Promulgation der(des) Gesetze(s) mit dem Ausdruck 0"Ί27 bezeichnet. Der Ausdruck •"'ÜSBö begegnet in der mit Dtn 4,44 konkurrierenden Überschrift Dtn 4,45: D^tpaçan} a ^ n r n •τΤ· ·

n nτ s x"-Τi ^K-IB·» ·· τ s ·

":

ν

rn»n

n^s

n iνö b " iν- n•

η νό κ

D . K N A P P hält Dtn 4,44 f ü r die jüngere der beiden Überschriften und spricht ihr "dtr, ja wahrscheinlich sogar spät-dtr Herkunft" zu. 7 Aber auch die zweite Überschrift Dtn 4,45 hält D.KNAPP f ü r dtr; 8 näherhin rechnet er sie zusammen mit Dtn 4,46aa zu DtrH. 9 Innerhalb der Sinaiperikope ist auf Ex 19,7b zu verweisen:

mτ m:

i n iτx· utfN rVpsn • • n· m r r ' j sτ n s" a m j ··^Τm· tLí a s c i i . ]J Diz?"! ν ν ·· τ τ :ν τ-

Dieser Vers ist ebenfalls Bestandteil eines dtr Einschubs. 1 0 Die Beobachtungen sprechen zunächst einmal f ü r die Vermutung, Ex 21,1 entstamme der dtr Redaktion des Bundesbuches. Durch zwei weitere Beobachtungen kann diese Vermutung bestätigt werden. Mit der Überschrift Ex 21,1 wird das Bundesbuch als eine durch Mose vermittelte Rede an einen pluralischen Adressaten (Dm j}?^) gekennzeichnet. Damit ist natürlich das Volk gemeint. Auf diese Weise wird die vom dtr Redaktor bevorzugte pluralische Anrede innerhalb seiner Redaktionsschicht abgesichert und darüberhinaus das Volk zum eigentlichen Adressaten seines Bundesbuches gemacht. Dies korrespondiert mit der vom dtr Redaktor eingefügten ge7 D.KNAPP, Deuteronomium 4 (1987) 122. Vgl. ebd. 124f. Auch nach N.LOHFINK, huqqim ûmispâtîm (1989) 10, scheint die Überschrift 4,45 "den ursprünglichen Kern zu enthalten". Vgl. ebd. 12. 8 Ebd. 122. 9 Ebd. 124. Nach D.KNAPP, ebd. 127, "spricht vieles dafür, daß sämtliche Überschriften im Dtn [also Dtn 1,1; 4,44.45; 6,1; 12,1; 28,69; 33,1] erst in dtr/spät-dtr Zeit eingetragen sind." Kritisch zum Schichtenmodell von D.KNAPP äußert sich N.LOHFINK, Rez. (1988) 280: "K. hat mich nicht bekehren können." 10 Vgl.L.PERLITT, Bundestheologie (1969) 167-181; 191-194. F.-L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 185-190. E . Z E N G E R , Israel am Sinai ( 2 1 9 8 5 ) 130f. J . B U C H H O L Z , Ältesten Israels (1988) 42f.

302

Redaktionen

schichtstheologischen Motivierung in Ex 22,20b; 23,9b. 11 Desweiteren spricht f ü r die dtr Herkunft von Ex 21,1 die bereits genannte, 1 2 wichtige Beobachtung von F.-L.HOSSFELD, daß das der dtn Kultzentralisationsforderung widersprechende Altargesetz (20,24-26) durch die Überschrift 21,1 dahingehend immunisiert wird, daß es zu einer historisch einmaligen Anweisung an Mose herabgestuft wird, die dieser in Ex 24,4f ausführt. Dadurch entsteht zugleich der Eindruck, daß das eigentliche Bundesbuch, d.h. die verbindlichen Vorschriften erst mit Ex 21,2 beginnen. 1 3 Unter Voraussetzung einer dtr Herkunft von Ex 21,1 bereitet die These, daß die •"'ϋΕίψΰ in Ex 21,1 Rechtssätze ganz unterschiedlicher Art, wie sie in Ex 21,1-23,19 vorliegen, bezeichnen, keine Schwierigkeiten mehr, da sich ein solcher nicht gattungsspezifischer Sprachgebrauch bereits im Deuteronomium und den dtr Überschriften desselben findet. 1 4 Ex 21,1 ist aber nicht nur gliedernde Überschrift, sondern auch Promulgationssatz. Mose wird von J H W H beauftragt, dem Volk die folgenden Gesetze vorzulegen. Dadurch wird das Bundesbuch in der Abgrenzung von Ex 21,2-23,19 explizit ein zu promulgierendes G e s e t z b u c h . Den Akt der Promulgation nimmt Mose im Rahmen der Bundesschlußzeremonie von Ex 24,3-8 vor. Handelt es sich im jahwistischen Grundbestand von Ex 24,4aß.5ab* um eine Opferfeier unter den beiden Gestalten des Brand- und des Schlachtopfers, 1 5 so wird diese Szene erst durch eine dtr Redaktion zu einer Bundesschlußszene ausgestaltet, in deren Rahmen Ex 21,1-23,33 als "Bundesbuch" (Ex 24,7) durch Mose promulgiert wird. 1 6 Die in Ex 21,1 von

11 Zur Begründung der dtr Autorschaft dieser Verse siehe. Kap. 5.2.5.4. S. 346-357. 12 Vgl. Kap. 5.2.1, S. 290f. 13 F.L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 182f. Im Anschluß daran plädiert auch H . N I E H R , Herrschen und Richten (1986) 267f, für eine dtr Herkunft von Ex 21,1. 14 Vgl. N.LOHFINK, Haujjtgebot (1963) 54-58. In weiterführender Ergänzung dazu jetzt auch D E R S . , huqqim urnis patini (1989) G.BRAULIK, D i e Ausdrücke für "Gesetz" im Buch Deuteronomium (1970) 61: " m i s p ä l i m bezeichnet also an allen Stellen, innerhalb wie außerhalb einer Reihe, das ganze von Moses promulgierte .. »Gesetz«, den paränetischen Teil und das Gesetzeskorpus." H . N I E H R , Herrschen und Richten (1986) 267. D.KNAPP, Deuteronomium 4 (1987) 126. 15 Vgl. E . Z E N G E R , Israel am Sinai ( 2 1 9 8 5 ) 162: "Die Opferfeier am Fuß des Sinai wird damit zum »Sakrament« der Gestaltwerdung Israels: die Brandopfer dokumentieren und bewirken die feierliche Hinwendung des Volkes zu jenem Gott, den es beim Meerwunder als seinen Retter erfahren hat (vgl. Ex 14 J), und die Schlachtopfer feiern die Gemeinschaft, die schon in Gen 12,2 als Ziel des Heilshandelns Jahwes (Volkwerdung!) verheißen wurde." 16 F.-L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 192-194, rechnet innerhalb von Ex 24,3-8 mit einer doppelten dtr Redaktion, einer älteren in 24,3-4aa und einer jüngeren in 24,6-8. Ähnlich, aber in der Abgrenzung etwas anders, bereits E . Z E N G E R , Sinaitheophanie (1971) 164f, wonach eine erste dtr Redaktion die Opferszene von Ex 24,4aß5a zu einer "Bundesszene" umdeutet, und eine zweite dtr Redaktion, die das Bundesbuch in die

Ex 21,2-11

303

Mose geforderte Promulgation des Gesetzbuches wird also erst in den dtr Passagen von Ex 24,3-8 vollzogen. Damit laufen alle Beobachtungen zu Ex 21,1 auf eine dtr Herkunft dieses Satzes hinaus.

5.2.3.

Die Freilassung Ex 21,2-11

von Schuldsklave

und

Schuldsklavin:

Die Gesetze zur Regelung der Freilassung von Schuldsklavc (21,2-6) und Schuldsklavin bzw. Sklavenfrau 1 (21,7-11) stehen im Verhältnis von "Fall'' und "Gegenfall'' zueinander. Dies wird durch drei Beobachtungen angezeigt: 1. In 21,7 liegt adversative Syndese C ? ) ) vor. 2. Die Verben !"l3p ("erwerben") und 1 3 0 ("veräußern") in 21,2 und 21,7 bilden ein Oppositionspaar. 2 3. 21,7 bezieht sich ausdrücklich auf die Regelung von 21,2 zurück (ΓΙΝΧ5 ϋ"Η38ΓΙ) und negiert sie (N2P *» NX"1 N^).

5.2.3.1. 5.2.3.1.1.

Die Freilassung Die Struktur

des Schuldsklaven: des

Ex

21,2-6

Textes

Unter formalem Gesichtspunkt weist das Gesetz zur Freilassung des Schuldsklaven die Struktur eines Doppelgesetzes von "Fall" und "Gegenfall" auf. Zum Fall gehören die VV.2-4: Hier werden die Dienstzeit eines SchuldSinaiperikope einbaut und durch die Erweiterung Ex 24,4aa.7 zum Bundesbuch macht. In "Israel am Sinai" ( 1985) 134; 140, rechnet E . Z E N G E R aber offensichtlich nur noch mit einer dtr Bearbeitung. Vgl. auch G.A.CHAMBERLAIN', Exodus 21-23 and Deuteronomy 12-26 (1977) 102-107. 1 Der Grund, weshalb eine Frau zur HQN wird, kann der gleiche sein wie der, daß ein Mann zum "T3Ì? wird. Insofern kann man bei ¡"IQN in Analogie zu " ΓV Ι ΪV von "SchuldV V V Τ ° Sklavin" sprechen. Insofern aber Π0Ν mit ΠΠξ)© kontrastiert wird, empfiehlt sich die von I . R I E S E N E R , Der Stamm " T l S ^ l 9 7 9 ) 82, vorgeschlagene Übersetzung "Sklavenfrau" oder "Sklavenmädchen". Nach I . R I E S E N E R , ebd. 76-83, bezeichnen Π0Κ und nn|JÇ nicht zwei rechtlich voneinander geschiedene Personenstände, sondern einen Personenstand unter zwei verschiedenen Aspekten: "Als ΓΙΠφϋ wird die zum Besitz ihres Herrn oder ihrer Herrin gezählte und als »Arbeitskraft« gewertete Sklavin bezeichnet. ... Als ¡"IDK wird eine Sklavin im Hinblick auf ihre weiblichen Qualitäten (Schutzbedürftigkeit, Schwachheit, sexuelle Attraktivität etc.) bezeichnet" (ebd. 83). Als Übersetzung für Π Π 5 0 schlägt I . R I E S E N E R , ebd. 80, "Arbeitssklavin" vor. In Analogie zu "Sklavenfrau" (ΠΰΝ) liegt vielleicht die Übersetzung "Sklavenmmagd" für ΠΠ9Ε7 noch näher. C.F.KEIL,^Exodus ( 3 1 8 7 8 ) 522, versteht Π0Ν in Ex 21,7-11 als "Haushälterin und Concubine". 2 Vgl. W.H.SCHMIDT, Art. H3p, in: THAT II. 653. Vgl. Spr. 23,23a.

304

Redaktionen

sklaven auf sechs Jahre begrenzt und die näheren Bestimmungen seiner Freilassung im siebten Jahr geregelt. Den Gegenfall bilden die VV.5.6: Hier wird angegeben, wie verfahren werden soll, wenn der Schuldsklave von sich aus auf die Freilassung verzichtet. Formal ist der Gegenfall angezeigt durch die adversative Syndese zu Beginn von V.5: OST. V.5 darf also nicht auf eine Ebene mit den Unterfällen V.3a, V.3b und V.4 gesetzt werden. Diese sind jeweils asyndetisch eingeleitet (ÜN), V.5 hingegen syndetisch (QS1).3

Innerhalb des Falles VV.2-4 formuliert V.2 die Grundsatzbestimmung der Freilassung im siebten Jahr, während V.3 und V.4 die Rechte des Schuldsklaven und seines Herrn im Hinblick auf die Modalitäten der Freilassung gegeneinander abgrenzen. V.3 formuliert das Recht des Schuldsklaven: Wenn er allein in die Schuldknechtschaft kam, soll er bei seiner Freilassung auch allein gehen. V.4 dagegen formuliert die Rechte des Herrn: Hat der Herr dem Schuldsklaven eine Frau gegeben und dafür - so muß hier mitgehört werden - einiges an Vermögen aufgebracht, so geht ihm dieses "Vermögen" nicht verloren, wenn der Schuldsklave freigelassen wird. Innerhalb des "Falles" VV.2-4 dürfen V.3 und V.4 also weder literarkritisch noch überlieferungsgeschichtlich voneinander getrennt werden. Sie gehören insofern zusammen, als sie die Rechte von Schuldsklave und Herr festlegen und von-

3 Dies wird von I.CARDELLINI. "Sklaven"-Gesetze (1981) 244-249, nicht berücksichtigt. Er bezeichnet die VV.5.6 als den "3. DN-Unterfall" und interpretiert ihn als einen "Sonderfair (ebd. 247). So bekommt er die Struktur des üesetzes nicht in den Griff. Die VV.5.6 sind aber kein mit den anderen Unterfällen zu parallelisierender "Sonderfall", sondern Gegenfall zum Fall der VV.2-4. Entscheidend ist hier die Asyndese von V.3a, V.3b und V.4 und die adversativ zu verstehende Syndese von V.5. Der Samaritanus streicht das 1 zu Beginn von V.5 und gleicht so die VV.5.6 dem V.3a, V.3b und V.4 an, verkennt aber damit das strukturierende Prinzip von "Fall" und "Gegenfall". Daß Ex 21,2-6 formal die Struktur eines Doppelgesetzes aufweist, mag auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich klingen. In der Regel spricht man bei diesem "Gesetz" von einem Hauptfall (V.2) und drei Unterfällen (V.3, V.4, VV.5.6). C.LOCHER, Ehre einer Frau (1986) 1; 61f; 67; 81f; 109-116; 270; 253-355, hat gezeigt, daß auch in Dtn 22,13-21 ein Doppelgesetz, bestehend aus Fall und Gegenfall, vorliegt. In Dtn 22,20 wird der Gegenfall ebenfalls mit DN1 eingeleitet. Im Bundesbuch findet sich die Einleitung eines Gegenfalles mit DN} noch an drei weiteren Stellen: Ex 21,23; 21,29; 22,11. In Ex 21,5.6 liegt also der Gegenfall zum "Fall" Ex 21,2-4 vor. Eine literarund überlieferungsgeschichtliche Analyse, die diese Doppelstruktur des Gesetzes nicht berücksichtigt, erscheint mir fragwürdig. Nach I.CARDELLINI, "Sklaven"-Gesetze (1981) 243-249, stellt sich die Überlieferungs- und Traditionsgeschichte von Ex 21,2-6 so dar: Unter Benutzung alter Rechts- (VV.3.4aba) und Kultmaterialien (V.6aba) formuliert ein israelitischer Redaktor, auf dessen Konto die VV.2.4bß.5.6bß gehen, ein Gesetz zur Freilassung des ^ " I I S T I S im siebten Jahr. V.2 enthält aufgrund des Sabbatgedankens und der 2.Ps.Sg. von Î O p D typisch israelitisches Kolorit. Das alte Rechtsmaterial VV.3.4aba weist "viele Zusammenhänge mit den Nuzi-Urkunden und ... mit der Mentalität des keilschriftlichen Rechts" (ebd. 249) auf.

Ex 21,2-11

305

einander abgrenzen. Ein ähnliches Phänomen begegnete bereits in Ex 21,20f. Auch hier wird zunächst das Recht des Schuldsklaven, anschließend das Recht des Herrn festgesetzt und voneinander abgegrenzt. 4 Demnach gliedert sich der Text wie folgt: Fall ,,

3: Hauptfall: Grundsatzbestimmung für die Freilassung (V.2) •N: 1.Unterfall (V.3a): }Schutz der Rechte des Schuldsklaven (V.3) DK: 2.Unterfall (V.3b): ON: 3.Unterfall: Schutz der Rechte des Herrn (V.4) Gegenfall

OKI: Bestimmungen für den Fall des Verzichtes auf die Freilassung (VV.5.6) Der Text weist ein sehr dichtes Geflecht von semantischen, lexematischen und strukturellen Bezügen auf, die ihm ein hohes Maß an Kohärenz verleihen. Im Gegenfall V.5f ist das Subjekt der Protasis determiniert. Die Determination weist zurück auf den "Fall" VV.2-4. Die lexematischen Rückbezüge sind am stärksten auf die "Grundsatzbestimmung" V.2 gerichtet: Das Nomen I I S und das Verbum "TIS begegnen im Gesetz jeweils nur zweimal, und zwar je einmal zu Beginn des Falles V.2 und je einmal im Gegenfall V.5f In der Reihenfolge ihres Vorkommens weisen sie ein a-b-a-b-Schema auf: n n y / l i y - - α » / - α » . Zusammen mit dem Leitwort NJP bildet das Vorkommen von "TIS in der Grundsatzbestimmung des Falles V.2 und im Gegenfall V.5f eine chiastische Struktur: 5 •Q» K2T Oft

V.2 VV.5.6

Durch die Schlußposition von NX"1 bzw. 12V wird betont, worauf Fall und Gegenfall jeweils hinauslaufen: Der "Fall" auf die Freilassung (NX11), der Gegenfall auf den unbefristeten Dienst (12V). Aber nicht nur die Grundsatzbestimmung in V.2, sondern der gesamte "Fall" wird mit dem Thema der Freilassung abgeschlossen: Í 3 1 ? N3P ΝίΓΠ (V.4bß). Dieser Vers 4bß darf nicht als redaktionelles und für das Verständnis des Gesetzes überflüssiges

4 Zur Interpretation dieses Doppelgesetzes siehe Kap. 4.2.1.2, S. 59-79. 5 Das gleiche a-b-b-a-Schema hatten wir übrigens auch in Fall und Gegenfall des Grundbestandes des D o p p e l g e s e t z e s Ex 22,9.13 vorgefunden. Siehe dazu Kap. 4.2.5.2, S. 196.

306

Redaktionen

Element abgewertet werden, 6 er schließt vielmehr das Thema des "Falles" ab und grenzt ihn so strukturell deutlich vom Gegenfall V.5f ab, der in V.5b das Leitwort N1P aus dem vorangehenden Fall negiert wieder aufnimmt: KSK Λ •Ί2?«)Π (V.5b). Begegnet das Wort N2"1 im "Fall" der VV.2-4 insgesamt viermal, so im "Gegenfall" V.5f nur einmal, und zwar in negierter Form.

5.2.3.1.2.

Literar-

und

Redaktionskritik

Das Gesetz weist drei literarkritische Probleme auf. Das erste findet sich gleich zu Beginn von V.2aa: "Πϊ "'?· Hier gibt die Verbindung "TJ? einige Rätsel auf. Bei der Frage nach der Bedeutung von 11 stehen sich im wesentlichen zwei Deutungen gegenüber: eine soziologische und eine ethnische. Die soziologische Interpretation wurde begründet von A . A L T . Seiner Ansicht nach bezeichnet Ό ? ? "die rechtliche und gesellschaftliche Stellung ..., in die normalerweise die Menschen geraten sein müssen, die sich zur Selbstversklavung entschließen". 7 A .ALT sieht Zusammenhänge mit den ffabiru der Keilschriftliteratur. Schwierigkeiten bereitet diese Interpretation in Bezug auf Ex 21,2 aber insofern, als hier die beiden unmittelbar aufeinander folgenden Ausdrücke "D? u n d jeweils eine Angabe zum sozialrechtlichen Status der Person machen. In welchem Verhältnis stehen die beiden Angaben zueinander? M . N O T H , der A . A L T in der soziologischen Interpretation von "'"HSV folgt, löst das Problem dadurch, daß er in dem Ausdruck eine Prolepse sieht, "insofern ein »Hebräer« dadurch, daß ein Israelii ihn »erwarb«, zum Sklaven wurde." 8 Nach dieser Interpretation müßte man übersetzen: "Wenn du dir als Sklaven einen Hebräer erwirbst...". I.RIESENER hat sämtliche Belege von "H5V im AT untersucht und ist dabei zu der meines Erachtens überzeugenden These gelangt, daß eine ethnische Bezeichnung ist. 9 Nach I.RIESENER bezeichnet in Ex21,2 6 D i e s e Tendenz liegt bei I.CARDELLINI, "Sklaven"-Gesetze (1981) 248 vor. Seiner Ansicht nach ist V.4bß "für das Verständnis der im 1. und 2. DN-Unterfall behandelten Kasuistik nicht erforderlich ... . NT Π ist ein klares redaktionelles Element und NX"1 lBill ist nichts anderes als die Wiederholung des Hauptsatzes, v.3aß (1. DNUnterfall). Auf diese Weise wird der 3. ÜN-Unterfall mit dem Kontext harmonisiert." Im Anschluß an 1.CARDELLINI auch E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 36f. 7 A .ALT, Ursprünge (1934) 217f. So auch U . C A S S U T O , Exodus (1967) 265f. S.M.PAUL, Studies (1970) 46. B.S.CHILDS, Exodus (1974) 468. Vgl. auch H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 44f. A l s Vorläufer der These A.ALTs kann A.JEPSEN, Bundesbuch ( 1927) 76f, mit seiner These v o m "Hebräergesetz" angesehen werden (vgl. dazu in dieser Arbeit Kap. 2.1.4, S. 8-11) Doch bleibt A.JEPSEN, ebd. 24, bei einer ethnischen Interpretation des Wortes "'"T'i'V· 8 M . N O T H , Exodus ( 7 1 9 8 7 ) 143. 9 I.RIESENER, Der Stamm I I S (1979) 115-121.

Ex 21,2-11

307

die ethnische Zugehörigkeit und "TDS den rechtlich-sozialen Status der betreffenden Person. 1 0 Demnach macht das Wort in Ex 21,2 deutlich, "daß diese Rechtssätze f ü r den hebräischen, nicht aber f ü r den ausländischen Sklaven gelten." 1 1 Allgemein wird Ex 21,2-11 f ü r älter angesehen als das entsprechende Gesetz Dtn 15,12-18. A.PHILIPPS hat noch einmal die wichtigsten Beobachtungen zusammengestellt, die f ü r die Annahme, daß Dtn 15,12-18 Neuinterpretation von Ex 21,2-11 ist, sprechen. 1 2 Dagegen vertritt O.LORETZ die These, Ex 21,2-6 sei insgesamt nachexilisch und später als Dtn 15,12-18. 13 Dem haben H . E N G E L 1 4 und Ε . Ο Γ Γ Ο 1 5 zu Recht widersprochen. Dennoch hat O . L O R E T Z eine richtige Beobachtung gemacht, wenn er schreibt, "daß die Endform von Ex 21,2-6 das Deuteronomium zum Vorbild hat und eine Datierung der Regelung des Bundesbuches von der vorangängigen des Deuteronomiums abhängt." 1 6 Die Lösung des Problems sehe ich darin, daß ein dtr Redaktor, der das Bundesbuch in die Sinaiperikope integriert hat, in Ex 21,2 hinzugefügt und so das Schuldsklavengesetz Ex 21,2-6 an Dtn 15,12-18, das ganz dezidiert mit dem "Hebräer und der Hebräerin" eingeleitet ist, 17 angleicht. Hier liegt das gleiche Phänomen der Rechtsangleichung wie in Ex 22,24 vor, wo der dtr Redaktor durch Hinzufügung von ΠΚ und V.24b das Gesetz Ex 22,24 an Dtn 23,20f angleicht. 1 8 In beiden Fällen geht es um die Geltung eines Gesetzes im Hinblick auf die ethnische Zugehörigkeit der davon betroffenen Personen. Ein zweites

literarkritisches

Problem

findet sich in 21,6:

10 Ebd. 117. So auch O.LORETZ. Habiru-Hebräer (1984) 128; 137. D . N . F R E E D M A N / B . E . W I L L O U G H B Y , Art. "H5V. in: T h W A T V, 1054. E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 87, Anni. 117. Früher u.a. bereits C.F.KEIL, Exodus ( 3 1 8 7 8 ) 521. S . R . D R I V E R , Exodus ( 1918) 209f. Eine Bedeutungsentwicklung vom sozialen zum ethnischen Verständnis von "H?? "TIS in Ex 21,2 vermutet N.LOHFINK, Art. "Ί&ξΙΠ, in: T h W A T III, 126. 11 I.RIESENER, Der Stamm (1979) 122. 12 A.PHILLIPS, Exodus 21.2-11 (1984) 55-62. Vgl. auch G . A . C H A M B E R L A I N , Exodus 21-23 and Deuteronomy 12-26 (1977) 11-115. 13 O . L O R E T Z , Habiru-Hebräer (19841146. 14 E . E N G E L , Rez. O . L O R E T Z , |Iabiru-Hebräer (1986) 290. 15 E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 87, Anm. 117. 16 O . L O R E T Z , Habiru-Hebräer (1984) 146. 17 Dtn 15,12: . . . 1K V O N i"? I ? ? ? " " 1 ? · 18 Zur Begründung siehe Kap. 5.2.5.5, S. 35*7-359.

308

Redaktionen οτι^ΓΓ^Κ •

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a u s s e t z u n g d e r dtn K u l t z e n t r a l i s a t i o n s f o r d e r u n g u n d in A n g l e i c h u n g a n D t n 15,17a w i r d d i e alte, u r s p r ü n g l i c h a m O r t s h e i l i g t u m s t a t t f i n d e n d e Z e r e m o n i e E x 2 1 , 6 a a b m o d i f i z i e r t , i n d e m sie a n d i e T ü r b z w . d e n T ü r p f o s t e n d e s H a u s e s d e s H e r r n v e r l e g t w i r d . 2 0 D a s g e g e n ü b e r D t n 15,17a in E x 2 1 , 6 a ß y ü b e r s c h ü s s i g e Π Τ ì Τ ΰ steht m ö g l i c h e r w e i s e u n t e r E i n f l u ß v o n D t n 6 , 9 . 2 1 H i e r z e i g t sich d a s g l e i c h e I n t e r e s s e w i e b e i d e r " I m m u n i s i e r u n g " d e s A l t a r g e s e t zes durch

Einfügung

der Zwischenüberschrift

21,l.22

Die

ebenfalls

ur-

19 A n ein Heiligtum außerhalb des Familienhauses verlegen die Zeremonie: A . D I L L M A N N / V . R Y S S E L , Exodus ( 3 1897) 250f. S . R . D R I V E R , Exodus ( 2 1918) 211. O . L O R E T Z , Nuzi-Parallelen (1960) 169f. DERS., Habiru-Hebräer (1984) 143f. E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 36, spricht ausdrücklich von "Ortsheiligtum". Andere sehen in in 21,6aa "die Hausgötter oder Penaten, deren Bilder an der Thür aufgestellt waren, und die man sich an der Thürgegend oder in den Thürpfosten hausend vorstellte" ( B . B A E N T S C H , Ex-Lev-Num [1903] 190). So oder ähnlich beziehen die Zeremonie auf ein Heiligtum im Hause des Herrn: H . H O L Z 1 N G E R , Exodus (1900) 82. G . B E E R , Exodus (1939) 108. S . M . P A U L , Studies (1970) 50. P . H E I N I S C H , Exodus (1934) 165, kombiniert beide Möglichkeiten: erst wurde der Knecht zum Altar gebracht - dort "sollte ihm der Ernst des beabsichtigten Schrittes, den er nicht mehr rückgängig machen konnte, vor Augen geführt werden" - anschließend begab er sich zur "Behausung seines Herrn" - "dort sollte dieser ihn mit einer Pfrieme an die Tür oder den Türpfosten anheften". Ähnlich bereits S . R . D R I V E R , Exodus ( 2 1918) 211, und A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 26. 20 Ähnlich auch O . L O R E T Z , Habiru-Hebräer (1984) 141-146. Auch A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 26f, hält 21,6aßY für einen Einschub. Er hält ihn aber für älter als Dtn 15,12-18: "Bei dieser Sachlage fällt auch jeder Grund f o r t , den Anlass zu dieser neuen Bestimmung in der Kultzentralisation zu suchen." A . J E P S E N vermag allerdings keinen Grund für die Erweiterung zu nennen. H . C A Z E L L E S , Code d'Alliance (1946) 47, lehnt die Annahme einer Erweiterung in 21,6a ab. Ebenso auch E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 36. 21 So O . L O R E T Z , Habiru-Hebräer (1984) 145, unter Hinweis auf O . K E E L , Zeichen der Verbundenheit (1981). 22 Siehe dazu Kap. 5.2.2, S. 299-303.

Ex 21,2-11

309

sprünglich ein Ortsheiligtum voraussetzende Bestimmung Ex 22,8 konnte vom dtr Redaktor in Analogie zu Dtn l,17b[11^f!]; 17,8-13 auf den Gerichtshof am Zentralheiligtum gedeutet werden, vielleicht wurde die Vorschrift aber bereits durch die Einfügung des JHWH-Schwurs in 22,9f durch den Gottesrechtsredaktor 2 3 vom Deuteronomisten als "entschärft" betrachtet. Ein drittes literarkritisches Problem liegt in der Anrede der 2.Ps.Sg. in 21,2 vor: "Wenn du einen hebräischen Schuldsklaven erwirbst ...". Nach F.L.HOSSFELD ist die 2.Ps.Sg. in 21,2 aus dem ursprünglich unmittelbar vorangehenden - also noch ohne durch die dtr Zwischenüberschrift abgetrennten - Altargesetz eingedrungen, 2 4 nach E.OTTO liegt eine redaktionelle, stilistische Angleichung an 22,20-26 vor. 2 5 Im Rahmen der Strukturanalyse des Bundesbuches hatten wir die Beobachtung gemacht, daß strukturell hervorgehobene Textabschnitte dezidiert als Gottesrede stilisiert sind. 2 6 Die Anrede einer 2.Ps.Sg. in 21,2 hat die Funktion, die beiden in Form von Fall und Gegenfall miteinander verbundenen Gesetze zur Freilassung von Schuldsklave und Sklavenfrau in 21,2-11, die zusammen mit der Ruhetag- und Brachjahrvorschrift 23,10-12 einen inneren Rahmen um das zweiteilig strukturierte Korpus des Bundesbuches bilden, 2 7 dezidiert als Gottesrede zu stilisieren.

23 24 25 26 27

Siehe dazu Kap. 4.2.5, S. 199-205. F.L.HOSSFELD, Dekalog (1982) 181f. E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 9. Siehe oben S. 33f. Siehe dazu oben S. 30.

310

Redaktionen

5.2.3.1.3.

Die Freilassung Bundesbuches

des Schuldsklaven

im Kontext

des

Gegen I.CARDELLINI^® ist daran festzuhalten, daß es in Ex 21,2-6 um Schuldknechtschaft geht. 2 9 Der "Π» wird nicht durch Geld auf dem (Sklaven)Markt gekauft, sondern er gerät durch Verschuldung in die Institution der Schuldknechtschaft. 30 Die bisherigen Beobachtungen und Interpretationen haben bereits erste Ansatzpunkte für eine redaktionskritische Einordnung des Schuldsklavengesetzes innerhalb des Bundesbuches ergeben. Im Grundbestand ist das Schuldsklavengestz 21,2-6 eindeutig vordeuteronomistisch, da es das Ortsheiligtum als legitimen Ort der Zeremonie von 21,6aab voraussetzt. Die Erweiterung von 21,6aßY zeigt, daß das Gesetz dem dtr Redaktor vorgegeben war. In der Voraussetzung einer Vielzahl legitimer Kultorte korrespondiert es mit dem Altargesetz. Durch die einleitende Anrede einer 2.Ps.Sg. in 21,2 ist es zudem an den ebenfalls singularischen Adressaten des Altargesetzes angeglichen. Demnach scheint es mir wahrscheinlich zu sein, 28 1.CARDELLINI, "Sklaven"-Gesetze (1981) 246: "Es geht hier also deutlich nicht um Personen, die wegen einer Schuld in die Sklaverei gerieten." Auch A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 25, schließt eine Einschränkung von Ex 21,2-6 auf die Schuldknechtschaft aus. CARDELLINI's Interpretation beruht offensichtlich auf seiner Ubersetzung von Π 3 p als "für Geld kaufen". Π 3 p bezeichnet aber nicht immer den Eigentümerwechsel, sondern oft nur die Übertragung eines Nießbrauchrechtes. Vgl. HAL III, 1038f. Zu " D û , dem Oppositum von H 3 p (vgl. Spr 23,23a; Ex 21,2.7), bemerkt E.LIPIÑSKI, Art. Ί 3 ΰ , in: ThWAT IV, 870: "Eine Überprüfung der älteren Belege von mkr zeigt ..., daß dieses Verb sich nicht spezifisch in das Wortfeld »kaufen/verkaufen« einordnen läßt. Es bezeichnet vielmehr die Übergabe von Gütern, gewöhnlich in Austausch f ü r Wertsachen, auch unabhängig von einem Eigentümerwechsel." O.LORETZ, Habiru-Hebräer (1984) 137, weist darauf hin, daß in §117 CH "das Eintreten in die Schuldknechtschaft mit ana kaspim nadänu »verkaufen« umschrieben wird." 29 So ausdrücklich: I.RIESENER, Der Stamm "TIP (1979) 122. O.LORETZ, HabiruHebräer (1984) 137f; 261. A.PHILLIPS, Exodus 21.2-11 (1984) 54. Die meisten Autoren scheinen Schuldknechtschaft (selbstverständlich) vorauszusetzen oder zumindest als eine Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Nicht immer scheint der Unterschied zwischen Schuldknechtschaft und echter Sklaverei bewußt zu sein. Vgl. I I . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 81. B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 189. P.HEINISCH, Exodus (1934) 163. G.BEER, Exodus (1939) 107. 30 Inwiefern eine solche Schuldknechtschaft von Gläubigern gezielt angestrebt worden ist und somit einem kommerziellen Sklavenkauf sehr nahe, wenn nicht sogar gleich kam, kann an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben. Vgl. dazu die Beiträge von W . J . W O O D H O U S E und M.I.FINLEY, in: H.G.KIPPENBERG (HG.), Antike Klassengesellschaft (1977) 136-157 und 173-204. Grundsätzlich jedoch sind Schuldknechtschaft und echte Sklaverei zu unterscheiden. Gegen einen Mißbrauch der Institution der Schuldknechtschaft im Sinne "kommerziellen Sklavenkaufs" protestiert u.a. Am 2,6b

(ηοπη - 0 2 ! ) .

Ex 21,2-11

311

daß Altargeselz und Schuldsklavengesetz auf das Konto ein und desselben Redaktors gehen, und zwar auf das Konto unseres Gottesrechtsredaktors. Mit dem Schuldsklavenfreilassungsgesetz 21,2-6 greift er ein ihm vorgegebenes Gesetz auf, paßt es durch redaktionelle Einfügung der Anrede einer 2.Ps.Sg. an das ebenfalls von ihm eingefügte Altargesetz an, stilisiert so den Abschnitt 21,2-11 als Gottesrede, und schafft durch die Korrespondenz zu 23,10-12 einen inneren Rahmen um das zweiteilig strukturierte Korpus des Bundesbuches. Um Schuldsklaven geht es auch in Ex 21,20f.26f. Wir hatten gesehen, daß auch dieses Gesetz zusammen mit der Talionsformel Ex 21,22aß.23f sekundär in den Kontext eingefügt worden ist, und zwar von einer Hand. 3 1 Die Erweiterung Ex 21,23 wechselt ebenfalls in die Anrede einer 2.Ps.Sg., der einzigen Anrede im kasuistischen Teil des Bundesbuches Ex 21,18-22,16, womit auch dieser als Gottesrede stilisiert wird. Mit Ex 21,2-6 verbindet Ex21,20f die Tatsache, daß in beiden Gesetzen zunächst das Recht des Schuldsklaven und der Schuldsklavin, anschließend das Recht des Herrn festgelegt und voneinander abgegrenzt werden, und zwar jeweils so, daß der Herr dort in Schutz genommen wird, wo ein Mißbrauch des Rechtes von Schuldsklave und Schuldsklavin möglich war. Ferner fällt auf, daß in Ex 21,26f als Rechtsfolge f ü r die Mißhandlung von Schuldsklave und Schuldsklavin die Freilassung gefordert wird, und zwar mit dem ebenfalls in Ex 21,2 belegten terminus (technicus?) Ex 21,2 formuliert aus der Perspektive des Schuldsklaven und der Schuldsklavin und verwendet das Verbum NÎP, Ex 21,26f formuliert aus der Perspektive des Herrn . . . EPS) und verwendet das Verbum Π^ϋ. In den Schuldsklavengesetzen Ex 21,20f.26f ist jeweils von ΠφΝ und "QJ? die Rede. Beiden Personenständen ist in 21,2-6 und 21,7-11 jeweils eine ausführliche Bestimmung bezüglich ihrer rechtlichen Stellung gewidmet. Diese Beobachtungen sprechen meines Erachtens dafür, die Gesetze 21,2-6aab und 21,7-11 und 21,20f.22aßbß.23f.26f auf das Konto ein und desselben Redaktors, und zwar unseres Gottesrechtsredaktors zu setzen sind. F . C R Ü S E M A N N sieht in den Sklavengesetzen Ex 21,2-11.20f.26f.32 das strukturierende Prinzip des Abschnittes über Körperverletzung 21,18-32. 33 Da Sklaven aber f ü r die Zeit vor der Entstehung des Königtums in Israel keine nennenswerte gesellschaftliche Größe bildeten, 3 4 folgert er aus dieser Beobachtung, daß die Entstehung des Bundesbuches in die Zeit des König-

31 32 33 34

Siehe Kap. 4.2.1.2.2, S. 61-63. Vgl. dazu N.LOHFINK, Art. "ΊϊξΙΠ, in: T h W A T III, 123-128. F . C R Ü S E M A N N , Bundesbuch (1988) 30. Ebd. 31.

312

Redaktionen

turns, näherhin die Zeit des 9. bis 8. Jh., die Epoche sozialer Krise in Israel, fällt. 3 5 Nun hat sich gezeigt, daß die Schuldsklavengesetze Ex 21,2-11.20f.26f nicht zum Grundbestand des Bundesbuches gehören. Von daher ist die von F.CRÜSEMANN vorgeschlagene Datierung des Bundesbuches in die Zeit der sozialen Krise des 9. - 8. Jh. f ü r den Grundbestand desselben nicht erforderlich. Wohl hingegen scheint mir eine Datierung in diese Zeit f ü r die Redaktion in Frage zu kommen, die die Schuldsklavengesetze in das Bundesbuch eingefügt hat. Näherhin kommt diese Zeit als terminus post quem in Frage, denn die prophetische Sozialkritik, die - wie u. a. aus Am 2,6b hervorgeht - sich mit dem Thema der Verschuldung von Kleinbauern und Lohnarbeitern auseinandergesetzt hat, scheint eher den Anstoß zu einer rechtlichen Fassung des Schutzes von Schuldsklave und Schuldsklavin gegeben zu haben, als daß ein solches Gesetz die Grundlage derselben gebildet hätte. 3 6 Allerdings wird es schwer sein, hier eine eindeutige Verhältnisbestimmung zu geben. Die zu Ex21,20f parallelen §§ 115; 116 C H 3 7 eröffnen zumindest auch die Möglichkeit, mit alter juristischer (Schul-) Tradition zu rechnen. Wahrscheinlicher aber scheint mir doch die Annahme zu sein, daß die Schuldsklavengesetze in das Bundesbuch kamen, als die Institution der Schuldknechtschaft in Israel eine gewisse Verbreitung gefunden hatte, und das dürfte vor dem 9., ja vielleicht sogar vor dem 8. Jahrhundert kaum der Fall gewesen sein. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß Ex21,20f aus der Kenntnis der §§ 115; 116 CH oder einer diesen Gesetzen verwandten Tradition möglicherweise relativ spät schriftlich verfaßt wurde. Eine weitere Datierungsmöglichkeit von Ex 21,2-11 ergibt sich im Hinblick auf seine Parallele in Dtn 15,12-18. In der Form des Grundbestandes von Ex 21,2-6 ist das Gesetz zur Freilassung des Schuldsklaven älter als Dtn 15,12-18. Mit der Voranstellung dieses Gesetzes vor den kasuistischen Teil des Bundesbuches wird allerdings eine Tradition begründet, die in Dtn 15,12-18 vollends expliziert wird, nämlich die Beziehung von Schuldknechtschaft und Exoduserfahrung. Wie aus §117 CH geschlossen werden kann, ist die Tradition der terminierten Schuldsklavenfreilassung nicht auf Israel beschränkt. 3 8 In Dtn 15,12-18 geht diese Tradition allerdings eine explizite Verbindung mit der Exodustradition ein. Im Zentrum des Gesetzes 35 36 37 38

F.CRÜSEMANN, Bundesbuch (1988) 34f. Zum Verhältnis von Gesetz und f r ü h e r Prophetie vgl. S. 104f, Anm. 138. Vgl. dazu Kap. 4.2.1.2.4, S. 68-70. Nach I.CARDELLINI, "Sklaven"-Gesetze (1981) 245, besteht zwischen §117 CH und Ex 21,2-6 kein Zusammenhang, da es seiner Ansicht nach in Ex 21,2-6 nicht um Schuldknechtschaft geht. Siehe dazu oben S. 310, Anm. 28. Anders dagegen zu Recht I.RIESENER, O . L O R E T Z , A.PHILLIPS (siehe S. 310, Anm. 29). Vgl. auch N. LOHFINK, Art. "Ί&ξΐΠ, in: T h W A T III, 127. Zu weiteren Parallelen vgl. S.M.PAUL, Studies (1970) 45-52.

Ex 21,2-11

313

steht die Motivation Dtn 15,15 mit dem Hinweis auf die Unterdrückung in und der Befreiung aus Ägypten. In Ex 21,2-6 wird diese Entwicklung vorbereitet. Die Termini "QS, "73S und ferner das Schema "sechs Jahre - im siebten Jahr", die programmatische Voranstellung vor den kasuistischen Teil des Bundesbuches und die Korrespondenz mit dem Sechs-siebener-Schema der Ruhetag- und Brachjahrvorschrift in 23,10-12 39 scheinen mir deutliche Hinweise zu sein, daß im Hintergrund dieser Bestimmung die alte Exodustradition steht. 4 0 Unser Gottesrechtsredaktor greift alte soziale Schutzrechte auf und formuliert sie auf dem Hintergrund der Exodustradition, ohne allerdings auf diese explizit zu verweisen. So kann man bei Ex 21,2-6 von einer impliziten Verbindung von Exodusthematik und sozialem Schutzrecht sprechen. 4 1 Eine explizit theologische Begründung und Systematisierung sozialer Schutzrechte findet sich erst im Deuteronomium und in den deuteronomistischen Erweiterungen des Bundesbuches. 42 Unser Gottesrechtsredaktor ist Wegbereiter dieser Entwicklung. Insofern kommt ihm protodeuteronomischer Charakter zu.

5.2.3.2. 5.2.3.2.1.

Die Freilassung Strukturanalyse

der Sklavenfrau: und

Ex

21,7-11

Literarkritik

In einem Schaubild läßt sich die Struktur von Ex 21,7-11 folgendermaßen darstellen: "'3^: Haupfall (als Gegenfall zu Ex 21,2-6): Grundsatzbestimmung (V.7) (—DS: 1.Unterfall N^) (V.8a) ->· Prohibitiv 3.Ps.Sg. L-OKI: 1.Gegenfall (T??) (V.9) ι—DK : 2.Unterfall (V.10) 1—DK}: 2.Gegenfall ( V . l l ) 39 Zum Verständnis des Mazzotfestes und des Ruhetaggebotes als genuin israelitische Traditionen und ihrer Affinität zur Exoduserfahrung vgl. E . Z E N G E R , Israel am Sinai ( 2 1985) 190-192. 40 Vgl. U.CASSUTO, Exodus (1967) 266. S.M.PAUL, Sudies (1970) 106f. N.LOHFINK, Art. ^ϋξΙΠ, in: ThWAT III, 127. 41 Auch E . O T T O , Rechtsbegründungen (1988) 35f, spricht bei Ex 21,2-11 von einer impliziten theologischen Rechtsbegründung, die "unter kultischem EinfluB formuliert wurde." 42 Vgl. dazu Kap. 5.1, S. 284-286.

314

Redaktionen

V.7 leitet mit 11 ? die Grundsatzbestimmung des Gesetzes ein. Diese steht in einem in V.7b explizierten Gegensatz zur Grundsatzbestimmung von Ex 21,2: keine Freilassung der Sklavenfrau (Π/3Ν) in der Weise der Freilassung eines Schuldsklaven ("HS). Es folgen zwei Unterfälle, die je einen Gegenfall auf gleicher Ebene bei sich haben. Diese Zuordnung ergibt sich einmal aufgrund der adversativ zu verstehenden Syndese in V.9 und V . l l : DK Zum anderen liegt zwischen V.8 und V.9 eine semantische Opposition vor: Ï5P tö (V.8) «· t » ? (V.9). 4 3 Ferner bezieht sich V . l l auf V.10 zurück: "diese drei Dinge" meint "Fleischnahrung ρ κ ψ ) , Kleidung ( m o ? ) und Öl (Γη'»)"44 aus V.10. 1 Innerhalb dieser Struktur fällt V.8b ~ i D J ? ? Hl aus zwei Gründen aus dem Rahmen: Zum einen liegt hier ein Prohibitiv in 3.Ps.Sg im Kontext eines kasuistischen Rechtssatzgefüges vor, und zum anderen stört der Vers die Metrik des Gefüges und unterbricht den Zusammenhang von V.8a und V.9. Dies läßt den Verdacht aufkommen, V.8b sei eine spätere Einfügung.

43 A.SCHENKER, Affranchissement (1988) 550f; 555. hat deutlich gemacht, daß in V.8a ketib (fc^) gegenüber qere O ^ 5 ) die ursprüngliche Lesart ist. Darüberhinaus hat er in einer methodologisch korrekten Argumentation ebd. 556 darauf hingewiesen, daß die Differenz zwischen ketib und qere in Ex 21,7 ein literarkritisches und kein textkritisches Problem darstellt: "la leçon du qeré correspond non à une variante d'un autre manuscrit, mais à une intervention exégétique et théologique. C'est une »correction de scribe«." Zum Verhältnis von Text- und Literarkritik vgl. L.SCHWIENHORST, Eroberung Jerichos (1986) 15-21. Eine Liste von Autoren, die 17 (qere) bzw. N ? (ketib) lesen, bringt ¡.CARDELLINI, "Sklaven"-Gesetze (1981) 2 5 | , Anm.53. Hinzuzufügen wären für die Lesart "l^1 noch: C.F.KEIL, Exodus ( 1878) 522. J.J.STAMM, Art. ΓΠ3, in: T H A T II, 391. 44 Die meisten Kommentatoren übersetzen Π ] S mit "Beiwohnung". So: C.F.KEIL, Exodus ( 3 1878) 522f. A.DILLMANN/V.RYSSEL, Exodus ( 3 1897) 253. H.HOLZINGER, Exodus (1900) 83. B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 191. A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 28, Anm. 5. P.HEINISCH, Exodus (1934) 166. G.BEER, Exodus Í1934) 108f. H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 49. Μ . Ν Ο Ί Ή , Exodus ( 7 1984) 136. B.S.CHILDS, Exodus (1974) 442; 448, Anm 10. Bei dieser Übersetzung bringt man das Hapaxlegomenon mit dem mittelhebräischen Π 3 1 5 und dem jüdisch-aramäischen N D j i S i in der Bedeutung "bestimmte Zeit, Stunde" als Umschreibung für "Beiwohnung" in Zusammenhang und leitet es von Π 3 5>(III) "sich mit etw. abmühen" ab. GB 605 zieht eine Ableitung von Π3ΐΐ(ΙΙ)(Ρ/'.) "bedrängen (zum Geschlechtsverkehr)" (vgl. dazu Ex 22,20aa und die Seiten 343 und 351f in dieser Arbeit) vor. Dagegen schlägt S.M.PAUL, Studies (1970) 56-61, die Übersetzung "Öl" vor. Erweist u.a. auf die Trias eprum, pissatum, lublistum (Nahrung, Öl, Kleidung) in Codex Lipit Eschtar § 27 (vgl. AHw I, 385), auf Hos 2,7 und Koh 9,7-9 hin. Im Anschluß an S.M.PAUL auch G.A.CHAMBERLAIN, Exodus 21-23 and Deuteronomy 12-26 (1977) U l f .

Ex 21,2-11 5.2.3.2.2.

315

Redaktionskritik

Innerhalb von Ex 21,2-6 hatten wir an zwei Stellen dtr Erweiterungen erkannt. 4 5 Innerhalb von Ex 21,7-11 erregt V.8b - wie im vorangehenden Abschnitt kurz dargelegt - den Verdacht, sekundär eingefügt worden zu sein. Könnte hier die gleiche erweiternde Hand am Werke gewesen sein wie in 21,2aa*( "H??)-6aßY? Das Verständnis von D? in 21,8b bewegt sich in zwei Richtungen. Einige Exegeten verstehen darunter eine fremde Familie/Sippe,46 andere ein fremdes Volk.41 A.SCHENKER läßt die Alternative offen. Er spricht von "une collectivité (peuple, parante) précisément sans aucun lien de parenté avec l'esclave". Rechnet man V.8b zum Grundbestand des möglicherweise alten Gesetzes, dann könnte man die Ubersetzung "fremde Familie/Sippe" bevorzugen. Bei dieser Interpretation wäre allerdings der ursprünglich im Familienrecht beheimatete Ausdruck und nicht der dem Handelsrecht entstammende Ausdruck ΓΠ3 in V.8a zu erwarten. 4 9 Von daher scheint der in V.8a in Aussicht gestellte Freikauf nicht auf die Familie bzw. Sippe der HDK beschränkt gewesen zu sein. 5 0 Sieht man darüber hinaus aufgrund der oben genannten literarkritischen Argumente in V.8b eine Erweiterung, dann legt sich f ü r ^"H?5 die Ubersetzung "fremdes Volk" nahe. Im Horizont der dtn Theologie des Gottesvolkes läßt sich V.8b als eine dtr Erweiterung verstehen. 5 1 In einer Reihe von Gesetzen in Dtn 12-26 findet sich die Unterscheidung von Israelit und Nicht-Israelit (= Ausländer):

45 Siehe Kap. 5.2.3.1.2, S. 306-309. 46 So II.HOLZINGER, Exodus (1900) 83. A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 28. Anm.2. B.LANG, Art. " D 3 , in: ThWAT V, 456. Vgl. 2 K ö n 4,13. M.WEINFELD, Deuteronomy (1972) 290, Anm. 1. 47 So C.F.KEIL, Exodus ( 3 1878) 523. A.DILLMANN/V.RYSSEL, Exodus ( 3 1897) 252. S J i . D R I V E R , Exodus ( 2 1918) 212. G.BEER, Exodus (1939) 108. M.NOTH, Exodus ( 1984) 144: "Ausländer". 48 A.SCHENKER, Affranchissement (1988) 547. 49 J.J.STAMM, Art. Γ Π 3 , in: T H A T II, 191; 397, muß sich selbst diesen Einwand machen, da er in Ex 21,8b für T Ç J 0 5 die Übersetzung "fremde Familie" bevorzugt. 50 Dies wird in den Kommentaren - unabhängig von der Frage der Bedeutung von QV "HD 3 - diskutiert. 51 Vgl. dazu grundlegend G.v.RAD, Das Gottesvolk im Deuteronomium (1929) 20-27: "Das Bb. stellt seine Forderungen auf in der viel naiveren Voraussetzung ihrer Gültigkeit. Im Dt. ist über die religiös-rechtliche Fragestellung hinaus der theologische Gesichtspunkt des abgegrenzten Gottesvolkes wach geworden. Israel sieht sich gleichsam von außen und hat in der inzwischen vollzogenen Entwicklung das religiöse Problem seiner Sonderexistenz unter den Völkern erkannt" (ebd. 21). Vgl. auch L.PERLITT, "Ein einzig Volk von Brüdern" (1980) und F.-L.HOSSFELD, Volk Gottes als "Versammlung" (1987) 128-135.

316

Redaktionen

- "Ihr sollt keinerlei Aas essen. Dem Fremden (~ll) in deinen Stadttoren sollst du es geben, damit er es esse, oder dem Ausländer ("Hp]) verkaufen, denn ein heiliges Volk bist du JHWH, deinem Gott" (Dtn 14,21)' - "Einem Ausländer ("HD^I) darfst du Zinsen auferlegen, deinem Bruder ( = Angehörigen des Volkes) darfst du keine Zinsen auferlegen" (Dtn 23,21). - Der Verzicht auf die Einforderung eines Darlehens in jedem siebten Jahr gilt nur dem Israeliten ("deinem Bruder"), nicht jedoch dem Ausländer C W 3 ) gegenüber (Dtn 15,3). - Im Verfassungsentwurf des Dtn wird im Gesetz über die Stellung des Königs eingeschärft, keinen Ausländer ("H?·! E?"^), "der nicht dein Bruder ist", als König einzusetzen (Dtn 17,15). - Schließlich wird das Gesetz zur Freilassung von Schuldsklave und Schuldsklavin in Dtn 15,12 auf den "Hebräer" und die "Hebräerin" eingeschränkt. Dabei wird offenbar das Wort 12V bewußt vermieden, 5 2 wohl aber eingeschärft, daß es sich bei dem Hebräer und der Hebräerin, die sich "dir veräußern" um "deinen Bruder" handelt. Ich hatte bereits die These aufgestellt, daß "H3V in Ex 21,2 Ergänzung eines dtr Redaktors ist, der damit das Gesetz Ex 21,2-6 im Horizont von Dtn 15,12-18 neu interpretiert. Mir scheint in Ex 21,8b der gleiche Vorgang vorzuliegen. Unter Voraussetzung der literarkritischen Beobachtungen und im Kontext der hier dargelegten Redaktionsgeschichte des Bundesbuches scheint die Annahme einer dtr Erweiterung in Ex 21,8b plausibel zu sein. Mit der Immunisierung des Altargesetzes, der Ergänzung in 21,2.6aßY und 22,14aa*( >l DS - PS).b liegen hier Erweiterungen im Sinne einer Anpassung an dtn Gesetze und Theologie vor, die, weil sie das Deuteronomium voraussetzen und sich daran orientieren, als "deuteronomistisch" bezeichnet werden können.

5.2.4. Magie, 5.2.4.1.

Sodomie

Götteropf

und Götteropf

er: Ex

er: Ex

22,17-19

22,19

Ex 22,19 wird von den alten Versionen unterschiedlich überliefert. Die entscheidende Abweichung bietet der Samaritanus, bei dem V.19b i-rn1? m r r 1 ? fehlt:

52 D i e s begegnet in Dtn 15,12-18 als Nomen nur in der Gesetzesmotivierung Dtn 15,15. Lev 25,39 geht noch einen Schritt weiter, indem es ausdrücklich verbietet, dein verarmten Bruder, "der sich dir veräußert ("13Ώ) "die Arbeit eines Sklaven ("125? D ' I I S ) aufzuerlegen.

Ex 22,17-19 ή-rnb» m r p 1 ?

τιίο

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ο-ηηκ

317 α^π·?«'?

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d t ^ ì ò

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Zwei Erklärungsmöglichkeiten stehen zur Diskussion: Entweder der Samaritanus hat V.19b (MT) bewußt ausgelassen, 1 oder V.19b (MT) ist später hinzugefügt. Wenn Samaritanus V.19b bewußt ausgelassen hätte, dann hätte er eine lectio difficilior gegenüber MT geschaffen. Ferner muß man bei dieser Annahme das • ΉΠΝ im Samaritanus erklären, das in MT fehlt. Viele nehmen deshalb an, im MT sei ein ursprüngliches ΟΉΠΝ durch eine Art Haplographie mit DTP verlorengegangen und im Samaritanus erhalten geblieben. 2 Die Annahme eines solchen Schreibfehlers ist nicht nötig. N. LOHFINK hat einen methodisch und sachlich überzeugenden Lösungsvorschlag geboten. Er nimmt "als ältesten erschließbaren Text an: Π2Τ D i n * 1 D T I ^ N ^ = 19a MT. Das Plus von MT und Samaritanus zeigt zwei verschiedenartige Versuche, die Mißverständlichkeit von D^n^N^ (es sind ja nur fremde Götter gemeint!) aufzuheben." 3 Diese Lösung ist auch unter strukturellem Gesichtpunkt überzeugend. V.19a enthält wie V.17 drei Hebungen, beide Verse rahmen V.18 mit 5 Hebungen. Zum Grundbestand von Ex 22,19 gehört also nur V.19a: d *t «p τ D T .I Vvi?τ

m - ·. r .

Bei einer traditionsgeschichtlichen Verortung von Ex 22,19a sind drei Beobachtungen wichtig: 1. Das Fremdgötterverbot wird hier in der Form eines partizipialen Rechtssatzes formuliert, d.h. es liegt eine Tatbestandsdefinition und eine Rechtsfolgebestimmung vor. 4 2. Die Tatbestandsdefinition definiert den Tatbestand der Fremdgötterverehrung in kultischer Terminologie (Π2Τ). 1 So J.HALBE, Privilegrecht (1975) 417. B.S.CHILDS, Exodus (1974) 449. 2 B . B A E N T S C H , Ex-Lev-Num (1903) 201. M . N O T H . Exodus (1958) 150. A.ALT. Ursprünge (1934) 236, Anm. 2, rekonstruiert in Ex 22,19 einen ursprünglichen mot;'Mme/-Satz: "Ich rekonstruiere den Text: H D ì ^ Γ ή θ D " H n g Ο^Π^Κ^? Π 2 Τ . Seine Entstellung ist dadurch zustandegekommen, daß zunächst O ^ T t ? »andere« zu • Ί Γ Ρ »muß mit dem Bann belegt werden« verlesen wurde; daraufhin wurde das ursprüngliche Prädikat Γ ΐ ΰ ί 1 Π1Ώ als überflüssig empfunden und gestrichen, andererseits bedurfte jetzt das mehrdeutig gewordene »Göttern« oder »Gotte« einer Ergänzung, die ihm durch den nachhinkenden Zusatz »außer Jahwe allein« am Ende des Verses zuteil wurde. Für • " ' T N tritt übrigens noch die samaritanische und ein Teil der griechischen Textüberlieferung ein." Im Anschluß daran auch G.v.RAD, T h e o l o g i e ( 1982) 216f. H . S C H U L Z , Todesrecht (1969) 58f. W.ZIMMERLI, Theologie ( 3 1 9 7 8 ) 100. 3 N.LOHFINK, Art. D~lfl, in: T h W A T III, 193. — Τ 4 Zum partizipialen Rechtssatz vgl. Kap. 4.2.7.1.2, S. 216-231.

318

Redaktionen

3. Das Fremdgötterverbot steht als letztes Glied einer drei Glieder umfassenden Reihe von Verboten, von denen das erste die Magie, das zweite die Sodomie betrifft. Die Strafbestimmungen 5 in Ex 22,17-19 sind offensichtlich gezielt variiert. Indirekt wird dies durch die allerdings wenig erfolgreichen Versuch bestätigt, hinter 22,17-19 eine Reihe mit einheitlicher Rechtsfolge zu rekonstruieren. 6 G . B E E R und N.LOHFINK sehen in der Abfolge der Strafaussagen eine Steigerung: 7 ΓΡΠζΐ úb ηα^

nia ¡ nτ rτ: pτ

Demnach wäre Û^Q? sozusagen eine gesteigerte Πΰ-Τ ^ Π1 D-Aussage. Worin die Steigerung besteht, muß zunächst einmal als Frage offen bleiben. Die Explikation des Fremdgötterverbotes als Straftatbestand mit Todesfolge f ü h r t uns zu Dtn 13. Dtn 13 behandelt paradigmatisch drei Fälle von Apostasie. 8 In Dtn 13,2-6 geht es um die Verführung durch Prophet und Traumdeuter, durch diejenigen also, die gleichsam von Berufs wegen mit der Vermittlung und Interpretation göttlicher Dinge betraut sind. Dtn 13,7-12 behandelt die Verführung in der eigenen Familie, dort, wo die grundlegenden Erfahrungen religiöser Sozialisation stattfinden und die engsten Beziehungen bestehen, die diese Erfahrungen stärken und schützen können. In Dtn 13,13-19 schließlich geht es um den Abfall einer ganzen Stadt, ein Beispiel f ü r die Erschütterung der gesamtgesellschaftlichen Plausibilitätsstrukturen des JHWH-Glaubens. M . R O S E rechnet in Dtn 13 mit einem dreiphasigen Wachstumsprozeß: einem vordtn Grundbestand, einer dtn und einer dtr Erweiterung. 9 Folgen wir seiner Analyse, so fällt bereits f ü r den vordeuteronomischen Bestand eine unterschiedliche Formulierung der f ü r alle drei Fälle festgesetzten Todesstrafe auf:

5 Beim Prohibitiv V.17 handelt es sich strenggenommen nicht um eine Strafbestimmung. Der Prohibitiv verbietet ein in der Zukunft liegendes Verhalten und setzt keine Strafe für ein als geschehen vorausgeseztes Verhalten fest. Dennoch kann im analogen Sinne von "Strafbestimmung" die Rede sein. 6 So z.B. H . S C H U L Z , Todesrecht (1969) 59. 7 G.BEER, Exodus (1939) 116. N.LOHFINK, Art. ϋ Ί Π , in: T h W A T III, 194. 8 D i e folgende kurze Darstellung orientiert sich an G.BRAULIK, Deuteronomium (1986) 101-104. 9 M.ROSE, Ausschließlichkeitsanspruch (1975) 19-50.

Ex 22,17-19

319

1. Prophet und Traumdeuter (13,2-6):

Π0·1 ^

2. Familien- und Freundeskreis (13,7-12):

ì 3 ΙΊΠΓΙ 3ΠΓΙ n ö·• iτ α - ο* η• κ ητ iFfrpcn t ^ :

^D - " 1 ? 1 ?

3. Stadt (13,13-19):

In der Abfolge der Rechtsfolgebestimmungen liegt eine Steigerung vor. Die von G . B E E R und N.LOHFINK f ü r Ex 22,17-19 angenommene Steigerung der Strafaussagen findet sich also auch in Dtn 13. Beide Textabschnitte sind darüberhinaus dreiteilig und weisen in allen drei Fällen die Rechtsfolge der Todesstrafe auf. Des weiteren gibt es zwischen den einzelnen Fällen eine thematische Entsprechung: Der Zauberei aus Ex 22,17 entspricht die Verführung durch Prophet und Traumdeuter in Dtn 13,2-6, dem Privatkult der Sodomie aus Ex 22,18 der Götzendienst im engsten Familien- und Freundeskreis in Dtn 13,7-12 und dem kleinfamilienübergreifenden Götteropfer in Ex 22,19a der Abfall der gesellschaftlichen Größe "Stadt" in Dtn 13,13-19. Weiterhin ist auffallend, daß es zwar in beiden Texteinheiten um Abfall zu (anderen^ Göttern geht, in beiden Fällen aber der JHWH-Name nicht erscheint. 1 " Nimmt man die von M . R O S E als dtn und dtr qualifizierten Bestandteile von Dtn 13 hinzu, so wird die Steigerung der Strafbestimmungen noch deutlicher: 1. Prophet und Traumdeuter (13,2-6):

tW

2. Familien-und Freundeskreis (13,7-12):

=Ι3^ΠΓΙ 1ΊΠ iman"? Π^ΕΝΓΟ ì n - mνn: n· τι : ητ • τ · τ Π3ΊΠΚ3 o y r r ^ a τ -ηs T-Î-T ηαι α ^ α κ ιτ i r t: e D ì «· τ · τ » TT

τ

u

3. Stadt (13,13-19):

ΪΡΠΓΙ -ρ?Π " O í r - ™ : Π3Γ1 Π3Π :1Ίγγ·'3'? p iΤ fΓi çν nΤ j - nνm: an—ΐΒ?κ ί>3-ηκι ηηκ ο ι π· · - :πν ιτ · : τ ν τ ν : τ ΠΙΠΊ ηΐΡΓί>κ pàpçi

v' nν^ nvt mrpb> τ -

· τ

n τ^ τe tr ^ sτ- n t νn: - p s« τr r n sν m" τi τn ss i- tτo it τ ι » π3un vC? D^iy "?n πτ η» ττ ηs ντ· τ "

Die dtn und dtr Erweiterung haben also in Dtn 13 die bereits im vordtn Grundbestand angelegte Steigerung in der Abfolge der drei Strafbestim10 Zur Interpretation dieses Befundes im vordtn Bestand von Dtn 13 siehe M.ROSE, Ausschließlichkeitsanspruch (1975) 31; 33.

320

Redaktionen

mungen weiter ausgezogen. Darüber hinaus gibt es auf der dtr Ebene von Dtn 13 eine weitere Entsprechung zu Ex 22,17-19: Beide Texte gipfeln in der Strafbestimmung des 0ΊΠ (Dtn 13,16 / Ex 22,19a). Diese Entsprechungen können nicht zufällig sein. Ich vermute, daß hier ein traditionsgeschichtlicher Zusammenhang besteht. Dabei kommt Dtn 13 bereits in seinem vordtn Grundbestand aufgrund einer stärker reflektierten, systematisierten und abstrahierten Darstellung eine gegenüber Ex 22,17-19 deutlich nachgeordnete Stellung zu. Ex 22,17-19 benennt die einzelnen Fälle von Apostasie in ihren je eigenen kultischen Bereichen (Magie, Sodomie, Götteropfer), ohne sie auf einen allgemeinen Begriff zu bringen. Letzteres geschieht in Dtn 13. Zwar werden auch hier noch ganz konkret die "Orte" der Apostasie benannt (Prophet + Traumdeuter = Prodiegienkunde, Familienfrömmigkeit, familienübergreifender Kult), alle drei Formen von Apostasie werden allerdings auf den gemeinsamen Begriff gebracht: "hinter anderen Göttern herlaufen und ihnen dienen". 1 1 Dem Verfasser von Ex 22,19a, bzw. dem Redaktor des Abschnittes Ex22,17-19a stand offensichtlich der Ausdruck O'HOS • " ' Π ^ noch nicht zur Verfügung. Die alten Versionen haben dies erkannt und gleichsam nachgeholfen, indem sie ein ΟΉΠΝ eingefügt haben. Während L.PERLITT das Verbot der Π"ΗΠΝ D ^ n ^ g "literarisch auf D t / D t r beschränkt" 1 2 rechnet M.ROSE mit "einer Tradition, die älter als das Dtn ist" 1 3 und in die Vorgeschichte desselben gehört. Halten wir als vorläufiges Ergebnis fest: Ex 22,17-19 ist traditionsgeschichtlich älter als der Grundbestand von Dtn 13. Dieser hat sich möglicherweise von Ex 22,17-19 inspirieren lassen. 1 4 Dem Fremgötterverbot in der Formulierung des Götteropfers von Ex 22,19a kommt damit ein traditionsgeschichtlich höheres Alter zu als dem Fremgötterverbot in der Formulierung "hinter anderen Göttern herlaufen und ihnen dienen" von Dtn 13. Ein Vergleich mit dem Privilegrecht Ex 34,12-16 kann an dieser Stelle weiterhelfen. J.HALBE hat den Text eingehend analysiert, wir können uns an dieser Stelle auf ihn berufen. Zweierlei ist f ü r unsere Fragestellung von Bedeutung: 1. Nach J.HALBE ist Ex34,14a "ΙΠΝ "PK1? ΓΠΠΡΙψΓΙ K1^ "als Element guten Alters und ursprünglicher Prägung anzusprechen." 1 5 Eine deutliche Affinität zum deuteronomisch-deuteronomistischen Sprachgebrauch ist nicht zu verkennen, doch weisen diese Beziehungen "vors Deuteronomium zurück. Das singularische Objekt, zudem der knapp gehaltene, Wortreihung meidende 11 12 13 14

Jeweils in leichter Variation: Dtn 13,3b.7b.l4b. L.PERLITT, Bundestheologie (1969) 84. M.ROSE, Ausschließlichkeitsanspruch (1975) 22. Vgl. B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 201, zu Ex 22,19: "Vgl. die näheren Ausführungen dieses Gesetzes in Dtn 13,13ff.". 15 J.HALBE, Privilegrecht (1975) 120.

Ex 22,17-19

321

Ausdruck verbürgen den älteren Ursprung. Es handelt sich wie im betrachteten Kontext um »protodeuteronomische« Tradition." 16 2. Demgegenüber erweist sich Ex 34,15b. 16 nach J.HALBE als eine Nachinterpretation. Das Bündnisverbot von V.15a wird hier "auf die Welt von Familie und Sippe hin interpretiert. ... die Opferfeier im Kreis der »Geladenen« ..., die Verschwägerung der Sippen, - das sind in dieser Welt die Einfallstore der Fremdgötterei ,..".17 Traditionsgeschichtlich gehört nun Ex 22,19a in den Raum dieser Nachinterpretation des Bündnisverbotes von Ex 34,15b.16. Folgende Beobachtungen sprechen f ü r diese These: 1. In Ex 34,15b.16 wird das Bündnisverbot auf die konkrete Situation des im Kreise der Familie oder der Sippe 1 8 gefeierten Opfermahles (Π3Τ) ausgelegt. Ex 22,19a verbindet beides miteinander und formuliert das Fremdgötterverbot als Verbot des Götteropfers. 2. Im Zusammenhang mit dem Opfermahl (Π2Τ) warnt Ex 34,15b. 16 vor sexuellen Handlungen, die nicht näher qualifiziert mit dem Ausdruck "huren" (ΓΟ T) bezeichnet werden. J.HALBE hat plausibel gemacht, "daß hier im Ausdruck "ΗΠΝ ¡"IJT tatsächlich konkret das sexuelle Gebaren getroffen werden soll, das als die wahre Praxis der falschen Gottesverehrung mit den Kulten des Kulturlandes in die Jahwegemeinschaft einzubrechen droht und hier den Abfall von Jahwe unmittelbar als Zerstörung der alten, selbst heiligen Ordnung von Familie und Sippe erfahrbar werden läßt. ... Nicht der Abfall zu fremden Göttern, sondern das ihnen von ihren Verehrern geschuldete kultische Handeln heißt »Hurerei«! ... »Huren und Opfern«, so stellt sie sich dar, die fremde, vom alten Jahwekult zutiefst verschiedene Welt der Fruchtbarkeitskulte. Und es spricht f ü r die Konkretheit dieser Aussage, daß das Nebeneinander von Schlachtopfermahl (Π3Τ) und Sexualriten (Π3Τ) auch sonst in das Bild gehört, das das Alte Testament vom baalistischen Kultleben entwirft." 19 Vor diesem Hintergrund wird die Zusammenstellung von Sodomie und Götteropfer in Ex 22,18.19 verständlich. 3. Ex 34,16 warnt vor den kanaanäischen Frauen, die "hinter ihren Göttern herhuren" und "deine Söhne zum Huren verleiten (H if.) hinter

16 17 18 19

Ebd. 122. Ebd. 149f. Vgl. dazu R.RENDTORFF, Geschichte des Opfers (1967) 243. J.HALBE. Privilegrecht (1975) 154f.

322

Redaktionen

ihren Göttern her". Könnte hier ein Zusammenhang bestehen mit Ex 22,17? Die singulare Form des / eminine η Partizips von SED ist auffallend. 2 0 Nun noch eine kurze Bemerkung zu V.19b ΠΙΠ*^ V.19b ist eine Erweiterung zu V.19a, die das, was dort implizit bereits gemeint war, verdeutlicht. Mit D"1!!1^^ sind natürlich die anderen Götter gemeint - nicht JHWH. Bei der Frage nach der Herkunft von V.19b sehe ich zwei Möglichkeiten. Als erstes könnte man überlegen, ob V.19b vom Gottesrechtsredaktor stammt, der bei der Einfügung der Dreierreihe 22,17-19 in das Bundesbuch V.19b als Verdeutlichung von V.19a hinzugefügt hat. Wahrscheinlicher aber scheint mir eine zweite, von E . O T T O vertretene Annahme zu sein, nämlich die, daß V.19b von einem deuteronomistischen Redaktor stammt. E . O T T O weist als nächste Parallele von Ex 22,19b auf 1 Sam 7,4 hin, ein Vers, den er interessanterweise - offensichtlich im Anschluß an T . V E I J O L A 2 1 DtrN zuweist. 22 Der dtr Redaktor hätte dann den explizit formulierten Alleinverehrungsanspruch JHWHs in das Zentrum des Bundesbuches gesetzt und damit die aus seiner Feder stammende dekalogische Interpretation des Bundesbuches durch die Rahmung von Bilderverbot (20,23) und Fremdgötterverbot (23,13) auch im Zentrum desselben verankert.

5.2.4.2.

Sodomie:

Ex

22,18

Die meisten Exegeten verstehen das Verbot der Sodomie als Verbot einer nicht-israelitischen kultischen Praktik. 2 4 Nach G.BEER war "das Sexuallaster der Sodomie ... weit in der alten Welt verbreitet," 25 aufgrund von Lev 20 21 22 23 24

Vgl. dazu Kap. 5.2.4.3, S. 329f. T.VEIJOLA, Königtum (1977) 30-38; 44. E.OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 5. Zu Ex 20,23 siehe S. 291-299, zu Ex 23,19 siehe Kap. 5.2.9. S. 394-400. H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 91: "Incest mit Tieren ist ein Religionsvergehen; wie das Kedcschenwesen hat diese Ausschreitung, die zu den Kanaanitern (Lev 18,24f.) aus Ägypten gekommen sein dürfte, vermutlich eine kultische Grundlage (vgl. die Böcke in Mendes)." H . S C H U L Z , Todesrecht (1969) 61, spricht von "kultischer Kohabitation": "Das ganze Stück Ex 22,17-19 kann man als Teil einer gegen Götzendienst verschiedener Art gerichteten Reihe verstehen. V.18 geriet in diesen Zusammenhang, weil der Umgang mit Vieh für eine kultische Sexualpraktik gehalten wurde. Ob das Vieh einer bestimmten Gottheit geweiht galt oder der Verkehr mit Vieh als ein magisches InBeziehung-Treten mit der Fremdgötterwelt überhaupt vorgestellt wurde, kann man aus dem Zusammenhang Ex 22,17-19 nicht mehr entnehmen." Zu Lev 18,23 vgl. K. ELLIGER, Leviticus (1966) 241: "Die Tierschande dürfte zum guten Teil mit Tierkulten mannigfacher Herkunft zusammenhängen, also im Grunde ein religiöses Verbrechen sein ...". Vgl. auch W . K O R N F E L D , Levitikus (1983) 72 zu Lev 18,23: "... kultische Kohabitation mit Tieren ist belegt für Kanaan und Ägypten, vielleicht auch für Babylon."

25 G . B E E R , Exodus (1939) 182.

Ex 22,17-19

323

18,23.24 schließen P.HEINISCH u.a., daß Sodomie von den Kanaanäern getrieben wurde. 2 6 Nach F.C.FENSHAM richtet sich das Verbot gegen den kanaanäischen Götzendienst, wo die Befruchtung der Kuh als Symbol der Fruchtbarkeit fungierte. 2 7 H.CAZELLES vermutet als Hintergrund des Verbotes "une pratique mi-rituelle, mi-magique comme on peut en concevoir une chez un peuple pasteur pour obtenir la fécondité des troupeaux." 28 Sexualität und Fruchtbarkeit dürften dem biblischen und altorientalischen Menschen besonders anschaulich aus dem Bereich seiner Herden und Haustiere vor Augen geführt worden sein. Die Fruchtbarkeit der Herden war wirtschaftliche Grundlage seiner Existenz. Das Bespringen der Muttertiere ist in der Glyptik weit verbreitet 2 9 und wird zum Symbol für Fruchtbarkeit und göttlichen Segen. Selbst für den "Städter Ijob" 3 0 ist das Bespringen des Stieres ein Symbol für Segen und Glück: Warum bleiben die Frevler am Leben, werden alt und stark an Kraft? Ihre Nachkommen stehen fest vor ihnen, ihre Sprößlinge vor ihren Augen. Ihre Häuser sind in Frieden, ohne Schreck, die Rute Gottes trifft sie nicht. Ihr Stier ( " l i ü ) bespringt und fehlt nicht. Wie Schafe treiben sie ihre Kinder aus, ihre Kleinen tanzen und springen." 31 Aufgrund dieser Erfahrung konnten die Vorstellung und der Wunsch entstehen, durch Teilhabe an der Sexualität und Fruchtbarkeit des Tieres die eigene Sexualität und Fruchtbarkeit zu steigern. Dies ist meines Erachtens ein Entstehungsort von Sodomie. In drastischer Weise wird dies aus einem aus neuassyrischer Zeit stammenden Beschwörungsritual deutlich: 1 2 3 4

26 27 28 29 30 31

Beschwörung: Der Wind soll wehen! Die Berge sollen sch[wank]en! Die Wolken sollen sich zusammenballen! Der Regen soll sich ergießen! Eregieren soll der Eselhengst und die Eselin bespringen! Geil werden soll der Bock, ein Zicklein nach dem anderen bespringen!

P.HEINISCH. Exodus (1934) 182. F.C.FENSHAM, Exodus ( 2 1 9 7 7 ) 169. H.CAZELLES, Code de l'Alliance (1946) 76. Vgl. nur O.KEEL, Böcklein (1980) 90f; 123-125, Abb. 101-105; 57, Abb. 9; 90. Abb. 50. Vgl. R . A L B E R T Z , Sozialgeschichtlicher Hintergrund (1981). Ijob 21,7-11.

324

Redaktionen 5 6 7 8 9

10 11 12 13

Am Kopfende meines Bettes ist ein Bock angebunden, am Fußende meines Bettes ist ein Widder angebunden. Du da oben an meinem Bett, geil dich doch an mir auf, schlaf doch mit mir! Du da unten an meinem Bett, geil dich doch an mir auf, schlaf doch mit mir! Meine Scheide ist die Scheide einer Hündin, scine Rute die Rute eines Hundes: Sobald die Scheide der Hündin die Rute des Hundes faßt, möge dein Penis lang werden wie ein Prügel! Ich sitze in einem Spinnennetz der Lust: Ohne zu säumen, will ich mich ans Fangen machen! Beschwörungsformel.

14 Beschwörung für Potenz. 15 Ritual dafür: Pulver von Magneteisen, Pulver von Eisen 16 wirfst du [in] einen Topf mit Öl, rezitierst die Beschwörung siebenmal darüber. Der [Man]n 17 soll seinen Penis, die Frau ihre Vagina damit einschmieren: Dann kann er mehrfach [(mit ihr) schlafen]. 3 2 w.FARBER schreibt zu diesem Text: "Der Text gehört zu einer Gruppe zielidentischer, aber in der Durchführungspraxis ganz heterogener Rituale, die unter dem Sammeltitel M.zi.ga, d.h.»Potenz, Lust, Brunft« o.a., bekannt waren; diese Texte bildeten nie eine geschlossene Serie." 3 3 Bei der dort anzutreffenden Beschreibung sodomistischer Phantasien rechnet W.FARBER auch mit einer entsprechenden Praxis. 3 4 Für das Verbot der Sodomie im A T ist dieses Ritual unter zweierlei Hinsicht interessant: 1. Auch in Ex 22,17-19 begegnet Sodomie im Zusammenhang mit Magie (V.17) und Götteropfer (V.19). Möglicherweise zielen die drei Verbote auf eine zusammenhängende Handlungskette, wie sie im oben wiedergegebenen Ritual erscheint. Von daher ließe sich die redaktionelle Zusammenstellung der drei häufig unter dem Titel "religiöse Verbote" subsumierten Vorschriften inhaltlich begreifen. 3 5

32 Üb. nach W . F A R B E R , in: T U A T 11,2,1, 274. 33 E b d . 273. 34 E b d . 35 Vgl. U . C A S S U T O , E x o d u s ( 1 9 5 1 / 1 9 8 3 ) 290. "These despicable practices were sometimes connected with magic ...". Zum Zusammenhang von Magie, Sodomie und Opfer sei an dieser Stelle auf eine moderne Parallele im Satanismus von Aleister Crowley ( 1 8 7 5 - 1 9 4 7 ) hingewiesen: "In der Absicht, die magische Wirkung des Rituals zu erhöhen, versuchte Crowley einen Ziegenbock zur Kopulation mit der Scarlet W o m a n zu

Ex 22,17-19

325

2. In der Glyptik ist oft das Motiv des bespringenden Stieres mit einer von einer Person vollzogenen kultischen Handlung parallelisiert. 36 Durch die kultische Handlung versucht offenbar die Person, an der durch das Motiv des bespringenden Stieres repräsentierten Macht der Sexualität und Fruchtbarkeit Anteil zu bekommen. 3. Das AT versteht Sodomie offensichtlich als eine "im Geheimen" verübte Tat. Dies geht aus Dtn 27,21 hervor, 3 7 aber auch aus Lev 18,23; 20,15f, wo Sodomie zusammen mit Homosexualität und Inzestvergehen verurteilt wird. Wenn Sodomie in irgendeiner Weise mit Kult in Zusammenhang steht, dann wahrscheinlich nicht mit einem an einem offiziellen Heiligtum in der Öffentlichkeit vollzogenen Kult, sondern mit einem "Privatkult". Die Erfahrung des Tieres als einer Erscheinungsform des Göttlichen in der Welt ist ein überaus weitverbreitetes religionsgeschichtliches Faktum. Hingewiesen sei an dieser Stelle nur auf Ägypten, das bereits in vorgeschichtlicher Zeit "die kultische Verehrung heiliger Tiere oder göttlicher Mächte in Tiergestalt" kennt. 3 8 Das AT beschäftigt sich mit dieser Art des Tierkultes im Zusammenhang des Bilderverbotes. In einem aus priesterlicher Tradition stammenden Zusatz 3 9 wird in Dtn 4,16b-18 das Bilderverbot auf die Darstellung von Tieren ausgedehnt: "kein Abbild eines männlichen oder weiblichen Wesens, kein Abbild irgendeines Tiers, das auf der Erde lebt, kein Abbild irgendeines gefiederten Vogels, der am Himmel fliegt, kein Abbild irgendeines Tiers, das am Boden kriecht, und kein Abbild irgendeines Meerestieres im Wasser unter der Erde." Hier geht es nicht nur um die Totalität des Bilderverbotes, 40 sondern um eine gezielte Verurteilung des aus Ägypten bekannten und sich gerade in der Spätzeit Ägyptens außerordentlich stark ausbreitenden Tierkultes 4 1 mit Hilfe des Bilderverbotes. 42

36 37 38 39 40 41 42

veranlassen, um ihm unmittelbar nach dem Akt die Kehle zu durchschneiden." Zit. nach H . B A E R , Satanismus: Unsere Seelsorge 36 (1986) 18. So auf einem neuassyrischen Rollsiegel aus dem 8.Jh. Abb. bei O . K E E L , Böcklein (1980) 123. Vgl. W . S C H O T T R O F F , Fluchspruch (1969) 125. E . H O R N U N G , Der Eine und die Vielen (1973) 92. Nach E.HORNL'NG. ebd. 127, ist der Tierkult ein Bestandteil der Volksfrömmigkeit. So D.KNAPP, Deuteronomium 4 (1988) 88-91. So D.KNAPP Deuteronomium 4 (1988) 90. Vgl. W . H E L C K / E . O T T O , Wörterbuch der Ägyptologie ( 2 1 9 7 0 ) 383. Der ägyptische Tierkult wird in Weish l l , 1 5 f ; 12,24; 15,18f kritisiert und lächerlich gemacht. Eine Polemik gegen die ägyptische Verehrung des Frosches liegt wahrscheinlich bereits in der jehowistischen und priesterlichen Erzählung von der Froschplage in Ex 7,26-8,11 vor. Vgl. E . Z E N G E R , Exodus ( 3 1 9 8 7 ) 93. Vgl. auch Ez 8,10.

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Redaktionen

Für das Thema der Sodomie wird diese "theriomorphe Theologie" dort interessant, wo ein anthropomorph oder theriomorph vorgestellter Gott mit einem Tier geschlechtlich verkehrt. Im Ba'al-Mythos kommt dies an einigen, allerdings nicht leicht zu interpretierenden Stellen vor: (1) In KTU 1.10, Kol. II wird berichtet, wie 'Anat sich zum Wohnort des Ba'al begibt, ihn dort aber nicht antrifft, weil er im Gefilde von Smk Wildrinder jagt. Sie fliegt in das Jagdgebiet und trifft Ba'al dort an. Von ihrer Schönheit überwältigt verspricht dieser ihr wunderbare Liebeswonne. 'Anat, die selbst offensichtlich nicht gebären kann, 4 3 nimmt die Gestalt einer Kuh an. Der Text ist an dieser Stelle zerstört. Nach einer sehr wahrscheinlich zu dieser Version gehörenden Tafel R§ 319 44 lautet er: 4 5 "He seizes and holds [her] womb; [She] seizes and holds [his] stones. Baal... to an ox. [... the Maijden Anath [...]to conceive and bear." In KTU 1.10, Kol.III, ist dann die Rede von den trächtigen Kühen der Herde. 'Anat gebiert einen jungen Stier. Sie begibt sich zum Berg Spn und teilt es Ba'al mit, der sich sehr darüber freut. 4 6 (2) Nach KTU 1.12 klagen zwei Göttersklavinnen über Schmerzen an Leber und Brüsten. 11 schickt beide in die Wüste, dort gebären sie wilde Tiere. Diese Tiere erregen die sexuelle Begierde des Ba'al: "Ba'al wird sehr heftig nach ihnen begehren, der Sohn des Dgn nach ihnen verlangen." 47 "Während der Jagd sieht Ba'al die Tiere und will sexuellen Umgang mit ihnen haben: "Ba'al sucht sie mit seinen Füßen, der Gott H d mit seinen Lenden." 48 Innerhalb der altorientalischen nur im Hethitischen Gesetzbuch Die typische Form lautet: 43 44 45 46

Rechtssammlungen kommt Sodomie vor, dort allerdings sehr ausführlich.

J.C.DE M O O R E , Art. in: ThWAT I, 714f. Vgl. A N E T 14lf. A N E T 142. D a s Motiv des sexuellen Verkehrs Ba'als mit einer Kuh findet sich auch noch KTU 1.5 V 18-22. Vgl. D.KINET, Ugarit (1981) 83f. 47 KTU 1.12, Kol.I,38f. Üb. nach D.KINET. Ugarit (1981) 85. D i e sexuelle Interpretation dieser Stelle ist nicht unumstritten. Vgl. ebd. 85, Anm. 18. 48 KTU 1.12, Kol. I,40f. Üb. nach D.KINET, Ugarit (1981) 86. Zu den unterschiedlichen Deutungen dieses Textes siehe ebd. 87-90.

Ex 22,17-19

327

§ 187 (73)j Wenn ein Mann mit einem Rind [sündjigt, (ist es) eine Missetat. E r wird hingerichtet. Man bringt (ihn) zu des Königs [Tor], Der König aber tötet ihn, (oder) [der König] läßt ihn leben. Bei dem König aber tritt er nicht (mehr) ein. 4 9 Auf diese Weise werden das Sündigen mit einem Schaf (§ 188), einem Schwein und einem Hund (§ 199) unter Strafe gestellt. Beim Rind und beim Schwein wird auch noch der Fall geregelt, daß die Initiative zum Sündigen vom Tier ausgeht: 5 0 § 199 (85)j Wenn jemand mit einem Schwein (oder) mit einem Hund sündigt, wird er hingerichtet. E r bringt (Mann und Tier) zum Tor des Palastes. Der König tötet sie, (oder) der König läßt sie leben. Bei dem König aber tritt er nicht (mehr) ein. Wenn ein Rind einen Mann bespringt, wird das Rind getötet, (doch) der Mann wird nicht hingerichtet. Man zieht ein Schaf statt des Mannes (heran) und tötet es. Wenn ein Schwein einen Mann bespringt, (ist es) kein Ärgernis. 5 1 Im Unterschied zu diesen unter Todesstrafe stehenden Fällen von Sodomie steht der "sündhafte Umgang" mit Pferd und Maultier nicht unter Todesstrafe: § 200 A-B (86 a-b)j Wenn ein Mann mit einem Pferd oder mit einem Maultier sündigt, (ist es) kein Ärgernis. Bei dem König aber tritt er nicht (mehr) ein, auch wird er nicht Priester. ... 5 2 Eine Unterscheidung in der Verurteilung von Sodomie unter Berücksichtigung der verschiedenen Tierarten findet sich im A T nicht. In Lev 18,28; 20,16; Dtn 27,21 wird eine solche Ausnahme ausdrücklich ausgeschlossen. Dtn 27,21a lautet: Πτ0"Π 3 - ^τ3 - 0 »· 13Ë Τ ··

" i n •s

U.CASSUTO versteht dieses vor dem Hintergrund der Ausnahmeregelung im Hethitischen Gesetzbuch. 5 3 Eine solche Ausnahme schließe die Tora von vornherein aus. Nun bezieht sich das ^>3 in Ex 22,18 allerdings nicht auf das Tier,' sondern auf den Menschen: Πτ0>Π 2· - :0 Ϊ· · · Von daher ist τ eine Absetzung von den Ausnahmeregelungen in den Heth. Gesetzen nicht zu erkennen. Könnte im Hintergrund von Ex 22,18 eine vorzüglich von be49 Üb. nach E.v.SCHULER, in: T U A T 1,1,121. 50 Dafür gibt es auch "moderne Belege" aus der Verhaltensforschung. H O F F N E R , Incest, Sodomy and Bestiality (1973) 83. 51 Üb. nach E.v.SCHULER, in: T U A T I, 1, 123. 52 Üb. ebd. 53 U.CASSUTO, Exodus (1967) 290f.

Vgl. H.A.

328

Redaktionen

stimmten Personenkreisen praktizierte Sodomie stehen? Vielleicht von Priestern? Der Text gibt dafür keinerlei Hinweise. Das hat hier einfach generalisierenden Charakter und ist nicht in besonderer Weise gegen eine bestimmte Gruppe gerichtet. Im Heth. Gesetzbuch stehen die Gesetze zur Verurteilung von Sodomie im Kontext von Inzestverboten, genauer gesagt: Die Inzestverbote (§§ 189198) werden von Sodomieverboten (§§ 187;188 / 199;200) gerahmt. Von den vier Sodomieverboten im A T stehen ebenfalls zwei zusammen mit Inzestverboten: In Dtn 27,21 und Lev 20,15f wird das Sodomieverbot von Inzestverboten gerahmt (Dtn 27,20/27,22.23; Lev 20,11-14/20,17). In Lev 18,23 geht dem Verbot der Sodomie ein Verbot der Homosexualität voraus. Auch hier stehen die Verbote im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe von Inzestverboten (Lev 18,6-18). Eine Datierung von Ex 22,18 ist schwer. Partizipiale Rechtssätze werden in der priesterlichen Literatur häufig mit verstärkt. 5 4 Die Parallelen zu Ex 22,18 sind exilisch-nachexilisch anzusetzen. Dtn 27,21 weist im Kontext von Dtn 27,20-23 starke Affinitäten zur priesterlichen Literatur und zum Pentateuchredaktor auf. 5 5 So könnte man den Gedanken durchspielen, Ex 22,18 sei von Dtn 27,21 und Lev 20,15 inspiriert. Durch Übernahme der Tatbestandsdefinition aus Dtn 27,21 hätte ein Redaktor mit dem Stichwort einen deutlichen Rückbezug zum vorangehenden Vers 22,15 (2DtÖ) geschaffen (Attraktion) und durch Übernahme der Rechtsfolgebestimmung aus Lev20,15 (PID nO : P) eine Entsprechung zu den DQ^"1 nlö-Sätzen in Ex21,12-17 hergestellt. Statt n Τo "Τ n a - t aτ schreibt er einfaches ΠΰΠϊΙ Τ ·· ! und setzt das Τ vor 1DK?, ' um so eine Verknüpfung mit 22,21 herzustellen (ΠJüpt? Für den redaktionellen Charakter von 22,17-19 hat die Strukturanalyse bereits einige Hinweise ergeben. Eine Ableitung des Sodomieverbotes Ex 22,18 von Dtn 27,21 und Lev 20,15 würde allerdings bedeuten, in Ex 22,18 eine priesterliche Hand zu vermuten. Für diese Herleitung sind die Indizien allerdings zu schwach. Der Vers kann durchaus alt sein. Im Kontext israelitischer Religionsgeschichte läßt sich das Sodomieverbot nur schwer verorten. Die stärksten Affinitäten liegen zu Hosea vor. Hos 13,2 "Menschen küssen Kälber" zeichnet ein sarkastisches Bild von der Verehrung theriomorpher Götterstatuetten wie sie die Archäologie aus der Eisen-Zeit Palästinas nachweisen kann. 5 6 Die Vehemenz, mit der dieser Prophet sexual-kultische Praktiken verurteilt, kann sich durchaus auch auf sodomistische Praktiken im weiteren Sinne bezogen haben, wenn man etwa seine Terminologie berücksichtigt, mit

54 Vgl. die Übersicht bei G.LIEDKE, Gestalt und Bezeichnung (1971) 110-114. 55 So H.J.FABRY, Noch ein Dekalog (1985) 85. 56 Vgl. R . W E N N I N G / E . Z E N G E R , Ein bäuerliches Baal-Heiligtum (1986).

Ex 22,17-19

329

der er "Abscheuliches und Gräßliches" brandmarkt, ohne genau zu sagen, worum es sich handelt. 57

5.2.4.3.

Magie:

Ex

22,17

Entscheidend für das Verständnis von Ex 22,17 ist die Bedeutung von Π3Β59· Der Form nach liegt hier ein Partizip Femininum Pi'el von ^BD vor. In dieser Form ist das Lexem nur an dieser Stelle belegt. HAL gibt drei Realisationen des Lexems mit folgenden Bedeutungen an: 1. P|Eb im Pi'el: Zauberei treiben 58 2.*ήϋ3: Zauberei, Zauberkünste 5 9 3. f]tS3: Zauberer, Beschwörer 60 Eine Durchsicht der Belege läßt sich in folgende fünf Punkte zusammenfassen: 1. Abgesehen von Ex 22,17 ist die Wurzel ^ED im AT nicht vor der Mitte des 7. Jahrhunderts belegt. 61 2. Von den sechs Belegen im Pi1 et begegnet das Lexem nur einmal in finiter Verbform (2 Chr 33,6), dagegen viermal als Pt.Mask.Pl. 62 Vor diesem Hintergrund ist die singulare Form des P t . F e m . S g . in Ex 22,17 auffallend. Nach U.WINTER verweisen die Belegstellen von auf "eine am Hof institutionalisierte Zaubergilde (vgl. Ex 7,11; 2 Chr 33,6; Dan 2,2; Jer 27,9). Sie bestand wohl in erster Linie aus Männern und hatte mit Mantik und Wahrsagerei zu tun. Gegen sie kämpft Micha 5,11, und dem Kontext nach zielt auch das Verbot der Zauberei in Dtn 18,10 auf diesen Bereich hin. ksp taucht dann noch in einem zweiten Begriffsfeld auf, wo es synomym mit Ehebruch, Unzucht und Abgötterei steht. Und da sind neben der allgemeingehaltenen Stelle Mal 3,5 immer Frauen am Werk (2Kön9,22; Jes 47,9.12; Nah 3.4), und auf dieses Feld bezieht sich die Bestimmung Ex 22,17. 57 58 59 60 61

Vgl. hierzu vor allem H.BALZ-COCHOIS, Gomer (1982) 112; 125; 218, Anm. 273. Insgesamt sechs Belege: Ex 7,11; 22,17; Dtn 18,10; 2 Chr 33,6; Mal 3,5; Dan 2,2. Insgesamt sechs Belege: 2 Kön 9,22; Jes 47,9.12; Mi 5,11; Nah 3,4 (2x). Einziger Beleg: Jer 27,9. Ex 7,11 gehört zur Priester-Grundschrift (M.NOTH. Exodus (1958) 53; E.ZENGER, Exodus (~1987) 87). Jes 47,9.12: 2. Hälfte 6. Jh. Mal 3,5: 5. Jh. 2Kön9,22bß ist nach E.WÜRTHWEIN, Könige (1984) 333, dtr Zusatz. Mi 5,11 geht nicht auf Micha zurück. Jer 27,9: um 600. Dan 2,2; 2 Chr 33,6: spätnachexilisch. Demnach dürften Nah 3.4; Dtn 18,10 die beiden ältesten Belege sein. 62 Ex 7,11; Dtn 18,10; Dan 2,2; Mai 3,5. 63 U.WINTER, Frau und Göttin (1983) 49.

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Redaktionen

3. Sowohl die ältesten als auch die jüngsten Belege im AT bringen die mit bezeichnete Tätigkeit bzw. Berufsgruppe mit ausländischen Mächten in Zusammenhang: mit Assyrien (Nah 3,4), Babylonien (Jes 47,9.12; Dan 2,2), Ägypten (Ex 7,11) und in 2 Kön 9,22 mit der phönizischen Königstochter Isebel. 4. Die mit ^ED bezeichnete Tätigkeit bzw. Berufsgruppe wird ausschließlich negativ qualifiziert. 5. Das Lexem ^ÜD begegnet häufig in Reihen mit anderen Bezeichnungen oft schwer im einzelnen zu identifizierender magischer Praktiken. In aller Vorsicht kann damit folgendes Ergebnis festgehalten werden: Von den übrigen Belegen mit ^EQ hebt sich Ex 22,17 durch die konkrete Formulierung ab. Es begegnet hier nicht zusammen mit anderen Termini magischer und divinatorischer Tätigkeiten, sondern im Kontext von Sodomie und Fremdgötteropfer. Das - abgesehen zunächst einmal von Ex 22,17 - erstmalige Aufkommen des Wortes in der Mitte des 7. Jh. und die im AT mehrfach bezeugte Rückführung auf nichtisraelitische Kreise machen die These plausibel, daß die mit bezeichnete Tätigkeit bzw. Berufsgruppe nicht zu einer alten genuin israelitischen Tradition magischer oder divinatorischer Praktiken gehört, wie etwa Efod, Urim und Tummim, sondern wahrscheinlich erst unter dem Einfluß der assyrischen Kultur in Israel Eingang fand. In den mesopotamischen Raum weist auch die Etymologie. 64 Möglicherweise liegt in Ex 22,17 der älteste Beleg von im AT vor. Das Thema Zauberei wird dann in einem umfassenden Rahmen und in explizit theologischer Ausrichtung im Dtn wieder aufgegriffen. Damit läge hier wieder das schon mehrfach beobachtete Phänomen vor, daß auf der Ebene der gottesrechtlichen Erweiterung Themen in das Bundesbuch kommen, die dann im Dtn in der Regel breit und theologisch reflektiert entfaltet werden. 6 5

64 Vgl. A . A N D R É , Art. in: ThWAT, IV, 376. 65 Vgl. Dtn 18,9ff. Anders G . A . C H A M B E R L A I N , Exodus 21-23 and Deuteronomy 12-26 (1977) 132, der die drei Vorschriften Ex 22,17-19 insgesamt für "post-Deuteronomic" hält.

Ex 22,20-26 5 . 2 . 5 . Schutz des Fremden, Ex 22,20-26

der Witwe,

331 der Waise

und des

Armen:

Ex 22,20-26 lautet:

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Forschungsüberblick

Die meisten Exegeten stimmen darin überein, daß der Text Ex 22,20-26 in irgendeiner Weise "uneinheitlich" ist. 1 Sehr kontrovers hingegen wird die Frage diskutiert, wie diese "Uneinheitlichkeit" im einzelnen zu interpretieren ist. Dabei lassen sich vom methodischen Zugang her drei Modelle unterscheiden: ein literarkritisch, ein überlieferungs- und gattungskritisch und ein kompositionskritisch orientiertes Modell. 1 Vgl. nur H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 92: "Der Text ist verworren".

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Redaktionen

Den Vertretern des literarkritischen Modells gilt der Numeruswechsel in der Anrede als entscheidendes Kriterium literarkritischer Scheidung. Bei kleineren Unterschieden im einzelnen werden vor allem die Textelemente mit pluralischer Anrede als sekundäre Erweiterungen angesehen, also vor allem die Gebotsbegründung V.20b, das Witwe-Waise-Gebot V.21, die bedingte spiegelbildliche Strafandrohung V.23 und das Zinsverbot V.24b. 2 Diese sekundären Erweiterungen werden darüber hinaus von einigen als deuteronomistisch angesehen. 3 Dieser weithin üblichen Charakterisierung der sekundären Zutaten von Ex 22,20-26 als "deuteronomistisch" haben allerdings einige Exegeten entschieden widersprochen - zuletzt, soweit ich sehe, N.LOHFINK. Selbst unter der Voraussetzung - so N.LOHFINK -, daß die in der Regel als sekundär angesehenen Verse in Ex 22,20-22 tatsächlich sekundär seien, so sind sie doch keinesfalls deuteronomistisch. 4 Der Widerspruch gegen eine "deuteronomistische Qualifikation" der "literarisch sekundären" Textelemente in Ex 22,20-26 - und darüber hinaus der gesamten "Bundesbuch-Paränese" - wurde erstmals in aller Deutlichkeit von W.BEYERLIN vorgetragen, dessen Argumente N.LOHFINK aufgreift und weiterführt, w . B E Y E R L i N s Widerspruch ist verbunden mit einer Kritik an der einseitig literarkritischen Methode bei der Analyse der paränetischen Elemente des Bundesbuches. Sein Ansatz bewegt sich methodisch primär im Rahmen einer überlieferungsund gattungskritischen Fragestellung. In seinem Aufsatz "Die Paränese im Bundesbuch und ihre Herkunft" aus dem Jahre 1965 untersucht W.BEYERLIN die von ihm als "Paränese" bezeichneten Sätze und Satzteile "nicht-rechtlichen Charakters" 5 Ex 2 Von J.WELLHAUSEN, Composition (1876/77) 89, wurde "der Plural ... als Leitfaden benutzt .... um jehowistische Zutaten zu entdecken." Nach J.WELLHAUSEN ebd. 90, enthält Ex 23,9b "ein deuteronomistisches Motiv" und "stammt offenbar von der selben Hand wie 22,20b". Er hält für sekundär 22,20b.2I.23.24b. Ähnlich: A . D I L L M A N N / V. RYSSEL, Exodus ( 3 1897) 267. B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 202. S.R.DRIVER. Exodus (1918) 229f. A.JEPSEN. Bundesbuch (1927) 42f. M.NOTH, Exodus (1958) 151. J.P.HYATT. Exodus ( 2 1980) 242. 3 H.HOLZINGER, Exodus (1900) 92: "Der Hinweis auf Ägypten zeigt dtn'istische Färbung; ein Einschub derselben Herkunft ist v.21.23 mit pluralischer Anrede: Der Interpolator mochte die im Dtn geläufige Zusammenstellung von Witwen und Waisen mit den Fremdlingen (z.B.10,18; 14,29; 16,11.14; 24,17.19-21; 26,12f.) vermissen." E. OTTO, Rechtsbegründungen (1988) 5. A.PHILLIPS, Exodus 21,2-11 (1984) 66, Anm. 49, hält 22,20b-23 und 23,9 für "proto-deuteronomistisch". 4 N.LOHFINK, Wie "deuteronomistisch" sind die "deuteronomistischen Zusätze" im Bundesbuch? Unveröffentlichtes Referat, gehalten im Doktorandenseminar, Mainz 24.11.1987. - A n dieser Stelle danke ich P.N.Lohfink ganz herzlich dafür, daß er mir den unveröffentlichten Text dieses Referates zur Verfügung gestellt hat. Auch mein Beitrag "Dies sind die Rechtsvorschriften", in: F.-L.HOSSFELD (Hg.), Vom Sinai zum Horeb (1989), war teilweise (S. 141-143) schon eine Diskussion mit seinen Gedanken. 5 W.BEYERLIN, Die Paränese im Bundesbuch und ihre Herkunft (1965) 9.

Ex 22,20-26

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20,22.24b.25b.26b; 22,20b.22b-23.25.26.30; 23,7bß.8b.9b.l3a.l5a auf ihre Herkunft und ihr Verhältnis zu entsprechenden Formulierungen des Deuteronomiums. Hatte die vorwiegend literarkritisch orientierte Forschung der Jahrhundertwende diese Elemente weitgehend als deuteronomistische Erweiterungen angesehen, so versucht W.BEYERLIN die inzwischen eingetretene methodische Neuorientierung durch gattungs- und traditionsgeschichtliche Rückfragen auf die paränetischen Elemente des Bundesbuches anzuwenden. 6 Dabei gelangt er zu folgender These: Die paränetischen Elemente des Bundesbuches sind keine deuteronomisch oder deuteronomistischen Erweiterungen, sondern gehören zum ältesten Bestandteil des Bundesbuches. 7 "Wo immer ... Zusammenhänge bestehen zwischen der Paränese des Bundesbuches und der paränetischen Sprache, die sich im Deuteronomium (und seinen Teilen) niedergeschlagen hat, scheint die Priorität nicht dieser, sondern den BundesbuchElementen zuzukommen. ... Die Paränese im Bundesbuch kann demnach offenbar als eine Vorläuferin der deuteronomischen Paränese gelten. Jedenfalls aber ist sie nicht dadurch zustande gekommen, daß deren Stil und Formulierungen ins Bundesbuch zurückprojiziert worden wären, um die dortigen Rechtssatzreihen dem Deuteronomium und seinem Charakter anzugleichen." 8 Sitz im Leben dieser eindeutig vordeuteronomischen Paränese war der "Festkult der frühen Jahwegemeinde" auf "den Wallfahrtsfesten der Amphiktyonie." 9 Auf diesen Festen war ein dem altorientalischen Vorbild der "Vasallenbundesform konzipiertes Bundesverständnis lebendig, das auch den Charakter der in diesem Bereich geschehenden Rechtsverkündigung bestimmen mußte." 10 Der "Sammlung der in der alltäglichen Rechtspraxis der Torgerichtsbarkeit gebräuchlichen mispaiim (21,1-11.18 - 22,16)" fehlt jene paränetische Durchdringung, weil diese Sammlung aus einem Bereich stammt, der "nicht von dem Israel eigentümlichen Bundesverständnis bestimmt war". 11 Diese Rechtssammlung wurde mit den Gebots- und Verbotsreihen von Ex 20,22-26 und Ex 22,20-23,19 verbunden, als die paränetische Durchdringung dieser Reihen schon abgeschlossen war. 1 2 Sie war gleichsam literarisch nicht mehr 6 Vgl. ebd. 11: "Was in den vergangenen Jahrzehnten zu dieser Frage geäußert worden ist, ist in erstaunlichem Maße noch einseitig literarkritisch gedacht... 7 Ebd. 18; 20. 8 Ebd. 17. 9 Ebd. 28. Vgl. ebd. 22f. 10 Ebd. 28. 11 Ebd. 12 Ebd. 20.

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Redaktionen

so lebendig, daß sie auf den ersten Teil des Bundesbuches (21,1-22,16) übergreifen konnte. In der Tradition von W.BEYERLIN steht auch der kompositionskritische Ansatz von J.HALBE. Im Rahmen seiner privilegrechtlichen These versucht er zu zeigen, daß es sich bei den paränetischen Elementen des Bundesbuches nicht um "bloße Zusätze handelt", sondern "um Mittel grundlegender Komposition":13 "Diese Elemente sind so konstitutiv hineingebunden in die Komposition, die den Textzusammenhang selbst erst geschaffen hat, und sie sind dies nicht nur formal, sondern auch sachlich so treffend, daß es eine unhaltbare Abstraktion darstellte, wollte man sie weiterhin unter einem völlig äußerlichen Gesamttitel als »deuteronomistische Zutaten« zu einem schon fertigen Grundtext lediglich streichen."14 Aus diesem kurzen Forschungsüberblick möchte ich einige methodologische Konsequenzen für die im folgenden durchzuführende Analyse des Textes ziehen. Eine isoliert durchgeführte literarkritische Analyse, die sich nur auf den Numeruswechsel beruft und die dann als sekundär proklamierten Erweiterungen in Ex 22,20-26 lediglich als belanglose Zusätze abqualifiziert und sie nicht in ihrem traditions- und redaktionsgeschichtlichen Zusammenhang erklären kann, steht in der Tat auf schwachen Füßen. Umgekehrt hat die Analyse von J . H A L B E implizit gezeigt, daß die von W.BEYERLIN betriebene überlieferungs- und gattungskritische Interpretation unbefriedigend bleibt, solange sie die vorliegende Kompositionsstruktur des Textes nicht ernst nimmt. Darüber hinaus hat auch N.LOHFINK, der in der Grundthese W.BEYERLIN voll zustimmt, zu Recht darauf hingewiesen, daß der "bundeskultliche Rahmen", in dem W.BEYERLIN seine These vorgetragen hat, heute nicht mehr haltbar ist. Damit sind wir aber wieder auf eine sorgfältige Analyse des Textes zurückverwiesen. J.HALBE ist dem im Rahmen seiner Kompositionskritik nachgekommen, doch bei ihm machen sich zwei Defizite bemerkbar: 1. Es fehlt eine sorgfältige semantische Analyse einiger zentraler Lexeme von Ex 22,20-26. Dadurch bekommt J.HALBE den literarischen Horizont des Textes nicht in den Blick. 2. Der Numeruswechsel im Bundesbuch wird von ihm ausschließlich als Stilmittel qualifiziert. Das aber ist - wie sich gleich zeigen wird - in dieser Pauschalität nicht haltbar, und die Gründe, die J.HALBE anführt, sind zu schwach, um seine These zu stützen. 15 13 J.HALBE, Privilegrecht (1975 ) 410. 14 Ebd. 455. 15 J.HALBE, Privilegrecht (1975) 427: "Es scheint nach allen bisherigen Beobachtungen so zu sein, daß der Plural der Anrede im Bundesbuch dort auftritt, w o das betreffende

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Ex 22,20-26 Was den " D e u t e r o n o m i s m u s " anbetrifft, so halte ich die von vorgeschlagene Kriteriologie f ü r hilfreich und gut:

N.LOHFINK

"Als Kriterium f ü r deuteronomistischen Charakter kann ich zwei Dinge nicht anerkennen: einmal die reine Tatsache, daß Numeruswechsel vorkommt; zum anderen, daß überhaupt in Gesetzeskontext Erklärung, Begründung, Motivierung, Ermahnung auftritt. Beides mag ... zur Annahme von Zusätzen berechtigen. Aber damit allein ist noch nicht gesagt, daß diese Zusätze deuteronomistisch sind. ... Konkret gesehen liegt »deuteronomistischer« Charakter nur vor, wenn den Bearbeitern, die die Zusätze einfügten, das Dtn in einem älteren oder gar in dem definitiven Textbestand schon bekannt war und ein Interesse bestand, seine Sprache oder seine Aussage im Text des Bb zur Geltung zu bringen. Das würde bedeuten, daß man das ältere Bb äußerlich oder sogar sachlich dem jüngeren nun aber auch in die Tora gekommenen Dtn anpassen wollte und dadurch den Eindruck einer einzigen sinaitischen Rechtssetzung f ü r Israel verstärken wollte. In diesem Fall müßte sich also zeigen lassen, daß die Formulierung und Intentionen der Paränese im Bb vom Text des Dtn abhängen und ihn voraussetzen. Zumindest müßten sie damit gleichlaufen." 16 Bei der folgenden Analyse werde ich diesen Maßstab zugrunde legen.

5.2.5.2.

Die Struktur

des

Textes

In Ex 22,20 liegt ein doppelter Prohibitiv mit Begründung vor. Die beiden Prohibitive in V.20a sind jeweils singularisch formuliert. Im ersten Prohibitiv steht das Objekt "tä an erster Position, im zweiten Prohibitiv wird auf dieses Objekt durch Suffix rückverwiesen. Beide Prohibitive sind syndetisch eingeleitet. Es folgt ein Kausalsatz, dessen Prädikatsnomen an erster Position steht und lexematisch mit dem Objekt des ersten Prohibitivs identisch ist. Im Unterschied zu den beiden vorangehenden Prohibitiven ist der Kausalsatz pluralisch formuliert. Allerdings verbleibt auch er in der Anrede der 2.Ps. Damit liegt ein erster Einschnitt vor. In V.21 liegt ein pluralisch formulierter Prohibitiv mit zwei vorangestellten Objekten im Singular vor. Der Prohibitiv ist asyndctisch eingeleitet.

Element im Kontext besonders betont werden soll." Mit Hinweis auf N.LOHFINK. Hauptgebot (1963) 239ff. 16 N.LOHFINK, Wie "deuteronomistisch" (1987) 4.

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Redaktionen

Auffallend ist das durch Maqqef mit dem ersten Objekt ΓΟΰ'ρΚ verbundene τ

In den VV.22.23 liegt ein BedingungssatzgefUge vor, bestehend aus einer doppelten Protasis (V.22a + V.22ba) und einer einfachen Apodosis (VV. 22bß.23). Der genaue Umfang der Protasis ist schwer zu bestimmen, da die Funktion von "'S zu Beginn von V.22ba nicht eindeutig ist. Läge kausales vor, dann wäre das Bedingungssatzgefüge insgesamt eine Begründung des vorangehenden Prohibitivs V.21. 17 Es läge dann in den VV.21.22.23 parallel zu V.20 ein Prohibitiv mit Begründung vor. Bei der Annahme, zu Beginn von V.22ba läge kausales "'S vor, hängt allerdings der erste Vordersatz V.22a in der Luft. Dem Nachsatz VV.22bß.23 ginge nämlich dann zuerst ein einfacher, dann ein kausal eingeleiteter Vordersatz voran: Falls du ihn bedrängst, denn falls er zu mir schreit, werde ich sein Klagegeschrei erhören .... Deshalb kann auf der Endstufe des Textes das "O von V.22ba nicht kausale, sondern nur bekräftigende Funktion haben. 1 8 In diesem Fall lägen zwei parallel gestaltete Vordersätze vor: Falls du ihn bedrängst, ja, falls er [dann] zu mir schreit, werde ich sein Klagegeschrei erhören .... In den VV.22.23 liegt demnach ein Bedingungssatzgefüge mit zwei Vordersätzen (V.22a + V.22ba) vor, wobei der zweite Vordersatz mit der Bekräftigungspartikel "O eingeleitet ist. Beide Vordersätze sind asyndetisch eingeleitet. Der erste Vordersatz V.22a greift das Verbum des unmittelbar vorangehenden Prohibitivs (V.21) in figura etymologica wieder auf, diesmal allerdings in 2.Ps.5g. - im Unterschied zu V.21 (Pl.). Das Objekt wird durch ΠΝ + Suff. 3.Ps.Sg.M. realisiert. Subjekt des zweiten Vordersatzes V.22ba ist eine 3.Ps.Sg. Vom Kontext können es sein der Fremde aus V.20a und/oder Witwe und/oder Waise aus V.21. Versteht man den Singular im distributiven Sinne, was durchaus möglich ist, kann es sich sowohl auf den Fremden als auch auf Witwe und Waise beziehen. Das singularische maskuline Suffix (V.22a: ÌDN) ist distributiv ("eine jede von ihnen") zu verstehen und bezieht sich auf Witwe und Waise aus V.21 zurück. 1 9 Das maskuline Genus von ΟΐΓΡ ist hierbei f ü r das Genus des Suffixes ausschlaggebend. Versteht man das 17 Ein kausales Bedingungssatzgefüge liegt auch in Ex 8,17 (mit vorangehendem Imperativ) und Jos 23,12 (mit vorangehendem weqatal-Satz) vor. 18 So auch F.C.KEIL, Exodus ( 3 1 8 7 8 ) 531. A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 43, Anm. 3. 19 So auch F.C.KEIL, Exodus ( 3 1 8 7 8 ) 531. A . D I L L M A N N / V . R Y S S E L , Exodus ( 3 1 8 9 7 ) 267.

Ex 22,20-26

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singularische Suffix im distributiven Sinne, kann es sich allerdings auch noch auf den Fremden aus V.20 beziehen. Die gleichen Möglichkeiten ergeben sich für das singularische Subjekt des zweiten Vordersatzes V.22ba ("denn falls er zu mir schreit") und für das ebenfalls singularische Suffix von in V.22bß. Im zweiten Vordersatz V.22ba und im Nachsatz VV.22bß.23 bezieht sich der Sprecher in l.Ps.Sg. selbst mit in die Rede ein: "Denn wenn er zu mir schreit, werde ich sein Geschrei erhören, und mein Zorn wird entbrennen, und ich werde euch töten ... ." Von V.23a zu V.23b liegt Subjektwechsel vor. V.23b greift die beiden Objekte von V.21 "Witwe" und "Waise" als Prädikatsnomen wieder auf. Damit liegt ein deutlicher Rückbezug auf den Anfang des gesamten Satzgefüges und innerhalb der VV.20-26 ein deutlicher Einschnitt vor. Mit V.24 folgt ein von W.RICHTER so genannter "eingekleideter Prohibitiv": "Die Protasis bezeichnet nicht einen vorliegenden Fall, was in dritter Person Singular geschähe, sondern wendet sich direkt an eine am Rande des »Falles« stehende Gruppe, ist also eine Bedingung. Die Apodosis ist keine Strafzumessung, sondern enthält Verhaltensverbote". 20 In der Apodosis von V.24 liegen zwei, ein singularisch (V.24aß) und ein pluralisch (V.24b) formulierter Prohibitiv vor. In der Protasis ist eine 2.Ps.Sg. angesprochen. In V.25 liegt die gleiche Satzstruktur vor. Die Apodosis ist hier allerdings kein Prohibitiv, sondern ein Gebot ( x - y i q t o l ) . Protasis und Apodosis sind jeweils singularisch formuliert. Dem "eingekleideten Gebot" 2 1 V.25 folgt in V.26aba eine mit "'S eingeleitete Begründung. Die Begründung besteht aus drei Sätzen: zwei Nominalsätzen und einem Verbalsatz. Das Subjekt der beiden Nominalsätze wird durch das Pronomen NT Π realisiert. Es weist zurück auf das Objekt ¡"IQ^frdes vorangehenden eingekleideten Gebotes V.25. Der Verbalsatz V.26ba ist eine rhetorische Frage. Sie hat die Funktion, das vorangehende Gebot einsichtig zu machen, es zu motivieren. In V.26bß folgt ein mit ¡"PHJ eingeleitetes Konditionalsatzgefüge. Inhaltlich gleicht der Satz dem V.22b, formal weist er aber insgesamt vier Unterschiede auf: l . D i e Protasis ist nicht mit OSt, sondern mit "'S eingeleitet. 2. Sowohl im Vordersatz als auch im Nachsatz von V.22b ist den beiden finiten Verben und jeweils ein inf initivus absolutus derselben Wurzel vorangestellt. In V.26b dagegen stehen die beiden finiten Verben jeweils ohne vorangehenden inf initivus absolutus, und zwar im Vordersatz in yiqt o/-.r-Position, im Nachsatz in weqatal-Form. 3. Der Nachsatz von V.22bß enthält ein suffigiertes Objekt (Ín¡?S|X). Das Objekt ist 20 W.RICHTER, Recht und Ethos (1966) 85. 21 W.RICHTER, ebd. rechnet V.25, ebenfalls zu den "eingekleideten Prohibitiven", auch wenn der Vers "formal keinen Prohibitiv mehr" bietet. Es ist deshalb aber wohl angemessener in V.25 von "eingekleidetem Gebot" zu sprechen.

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Redaktionen

lexematisch mit dem Verb (pJ>X) des Vordersatzes V.22ba identisch. In V.26by dagegen steht SütÖ absolut, ohne Objekt. 4. Das Konditionalsatzgefüge V.26bßY* ist mit ΓΠΓΙJ eingeleitet, wodurch der Konditionalsatz einen klaren Zukunftsaspekt bekommt. Dem Konditionalsatzgefüge folgt in V.26br* ein mit "'S eingeleiteter Nominalsatz. Dieser besteht lediglich aus zwei Wörtern, einem Adjektiv und einem Pronomen. Das Adjektiv steht als Prädikatsnomen an erster Position, das Pronomen der l.Ps.Sg. als Subjekt in Schlußposition. Das "'S hat hier kausale Funktion. Werten wir die vorangehenden Beobachtungen aus, so ergibt sich für Ex 22,20-26 folgende vierteilige Gliederung: (1) Doppelprohibitiv mit Begründung (V.20). (2) Prohibitiv mit anschließendem Konditionalsatzgefüge (VV.21-23). (3) Eingekleideter Doppelprohibitiv (V.24). (4) Eingekleidetes Gebot mit Begründung und anschließendem Konditionalsatzgefüge mit Begründung (VV.25.26). Teil (1) und (2) auf der einen und Teil (3) und (4) auf der anderen Seite sind jeweils enger miteinander verbunden. Teil (3) und Teil (4) weisen gemeinsam eine "Einkleidung" der Prohibitive bzw. des Gebotes mit vorangehendem Bedingungssatz auf. Teil (1) und Teil (2) beginnen jeweils mit Prohibitiv, woran sich jeweils ein Kausalsatz bzw. ein Konditionalsatzgefüge anschließt. Teil (1) und Teil (2) sind darüber hinaus durch die Verben und Π 2 Ρ, deren gemeinsames Bedeutungsfeld sich mit "unterdrücken" angeben läßt, miteinander verbunden. Es ist von daher angebracht, Teil (1) und Teil (2) in der folgenden Analyse zusammenzunehmen. Teil (3) und Teil (4) werde ich dann wieder getrennt analysieren.

5.2.5.3.

Literarkritische

Analyse

von Ex

22,20-23

Als erstes möchte ich an dieser Stelle den Νumeruswechsel von V.20 bedenken. Die beiden Prohibitive V.20a sind singularisch formuliert, die Begründung V.20b steht im Plural. Die meisten Exegeten werten diesen Wechsel literarkritisch aus, ohne allerdings weitere Argumente als den Numeruswechsel beizubringen. Es überrascht von daher nicht, wenn es immer wieder Versuche gegeben hat, das Kriterium des Numeruswechsels an dieser Stelle als nicht hinreichend für literarkritische Operationen zurückzuweisen oder zumindest in Frage zu stellen. Deshalb möchte ich im folgenden der Frage nachgehen, ob der Text - abgesehen vom Numeruswechsel weitere Hinweise auf eine Entstehungsgeschichte enthält. Ich beschränke mich dabei zunächst auf den ersten Prohibitiv V.20aa: Π JirrN 1 ^ 11}.

Ex 22,20-26

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In Jer 22,3 und Sach 7,10 liegen pluralisch formulierte Vetitive vor, die die Unterdrückung des Fremden verbieten. 2 2 In Jer 22,3 ist - eingeleitet durch die Botenspruchformel - der König samt seiner Angehörigen und seiner Dienerschaft angeredet (Jer 22,2). Sach 7,10 ist - ebenfalls durch die Botenspruchformel eingeleitet (V.9) - an das Volk des Landes und die Priester (Sach 7,5) gerichtet. In Jer 22,3 begegnet "Ii zusammen mit njo 1 ?« und D i n ; , in Sach 7,10 zusammen mit njO^K, Ο^ΓΡ und 11 3». Beide Vetitive stehen ohne Begründung. Dies ist zum einen durch den situativen Kontext bedingt. Zum anderen wäre eine Begründung mit dem Satz "Fremde seid ihr gewesen im Lande Ägypten" unangemessen, weil sie nur eines der drei bzw. vier Elemente wieder aufgegriffen hätte. Dtn 24,17

besteht aus zwei Prohibitiven:

"Den Rechtsanspruch des Fremden, der Waise 2 3 sollst du nicht abweisen, und das Kleid der Witwe sollst du nicht pfänden." Der folgende Gebotsbegründung,

V.18, der wie eine Begründung aussieht, sondern eine Gebotseinschärfung:

ist keine

"Denk daran, daß du Sklave warst in Ägypten, und Jahwe, dein Gott, dich von dort freigekauft hat. Deshalb befehle ich dir heute, diese Bestimmung einzuhalten." Im Übrigen wird das Gebot nicht mit dem Hinweis "Fremder bist du gewesen in Ägypten ...", sondern mit dem Hinweis "Sklave bist du gewesen in Ägypten ..." eingeschärft.

22 J e r 22.3 ebenfalls mit Π3 \ Sach 7,10 mit p V V ausgedrückt. J e r 22,3b: Ο ί Γ Ρ " I l 1 . . . • " l O hî n—n - 1 ? «- η ' Γ Γ 1 ? «- Π τ^τ Ν: -Ι :. Sach 7,10a: Ό ·Ρτ": ! " I ·i· D i m Γ Οτ Ο ^Ν"f i p ß Ö F T » ' τι τ : - ϊ Vgl. auch J e r 7,6 in einem Konditionalsatzgefüge: "Wenn ihr ... den F r e m - d e n . die Waise und die Witwe nicht unterdrückt ( p ü i ? ) ...". 23 Schwierigkeiten b e r e i t e t das asyndetisch angefügte Π ί Π V Ist es explikative A s y n d e s e , dann ist hier nur der F r e m d e , s o f e r n er W a i s e ist, gemeint. D i e s könnte sich von D t n 27,19 her n a h e l e g e n , w o die M a s o r e t e n beide W o r t e mit M a q q e f verbunden und so eine C o n s t r u c t u s - V e r b i n d u n g vorgelegt haben. D i e M a s o r e t e n haben somit den F r e m d e n in D t n 2 7 , 1 9 eindeutig auf den F r e m d e n , insofern e r Waise ist. eingeschränkt. E i n e i n t e r e s s a n t e , zeitgeschichtlich gut zu v e r s t e h e n d e I n t e r p r e t a t i o n , die allerdings nicht dem ursprünglichen Sinn entsprochen haben dürfte. D e n n zu der Aufzählung " F r e m d e r " - "Waise" - "Witwe" in Dtn 27,19 f i n d e t sich eine exakte Parallele in J e r 7,6, bei der das erste und zweite Glied asyndetisch, das zweite und dritte syndetisch verbunden sind. Vgl. auch J e r 22,3. D i e s entspricht e i n e r im H e b r ä i s c h e n üblichen A r t der Aufzählung, bei der das letzte G l i e d einer R e i h e syndetisch, die v o r a n g e h e n d e n G l i e d e r asyndetisch angefügt sind. In D t n 24.17 liegen die Dinge allerdings etwas anders, da das dritte E l e m e n t "Witwe" durch einen eigenständigen Prohibitiv a b g e t r e n n t ist.

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Der Satz "denn Fremde seid ihr gewesen im Lande Ägypten" findet sich außer Ex 22,20; 23,9 nur noch Dtn 10,19 und Lev 19,34. Beide Stellen sind exilisch-nachexilisch anzusetzen. In Dtn 10,19 sind Gebot und Begründung des Gebotes pluralisch formuliert: "Ihr sollt den Fremden lieben, denn Fremde seid ihr gewesen im Lande Ägypten." Auffallend ist, daß sich in Dtn 10,17-19 eine doppelte Begründung für das Gebot, den Fremden zu lieben, findet. Als erstes wird die Fremdenliebe mit dem Hinweis begründet, daß JHWH selbst den Fremden liebt. 24 Als zweites wird sie mit dem Hinweis begründet, daß die, die den Fremden lieben sollen, selbst Fremde waren im Lande Ägypten: "... denn JHWH... ist der große, starke und furchtgebietende Gott..., der Ansehen nicht gelten läßt und Bestechungsgeld nicht annimmt. (a) Er verschafft Waise und Witwe Recht und liebt den Fremden, indem er ihm Brot und Kleidung gibt, so daß auch ihr den Fremden (b) denn Fremde

lieben

seid ihr gewesen

sollt, im Lande Ägypten."

In Lev 19,34 liegt wiederum ein Wechsel vom singularisch formulierten Gebot zur pluralisch formulierten Begründung vor: "Wie ein Einheimischer von euch soll euch gelten der Fremde, der sich bei euch aufhält, und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn Fremde seid ihr gewesen im Lande Ägypten." K.ELLIGER erklärt den Wechsel vom Plural zum Singular und wieder zum Plural damit, daß er im singularisch formulierten Gebot "du sollst ihn lieben wie dich selbst" ein Zitat aus Lev 19,18 sieht. 25 Machen wir zum Schluß noch kurz die Gegenprobe. Lev 19,33b findet sich der gleiche Prohibitiv wie Ex 22,20aa, nur pluralisch formuliert:

24 Dieser ethische Argumentationstyp "Jahwe ist ..., deshalb sollt auch ihr ... sein" findet sich vor allem im Heiligkeitsgesetz. 25 K.ELLIGER, Leviticus (1966) 250. In der Übersetzung auch als Zitat durch Anführungszeichen gekennzeichnet. H.P.MATHYS, Liebe deinen Nächsten (1986) 40-43 geht, soweit ich sehe, auf den Numeruswechsel nicht ein.

Ex 22,20-26

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info ì J i n ti1? "Ihr sollt ihn nicht ausbeuten!" Das Suffix der 3.Ps.Sg.M. weist auf "11 in V.33a zurück. 26 Schließlich liegt in Dt η 23,8b ein Satz mit Hinweis auf die Fremdlingschaft im Lande Ägypten im Singular im Anschluß an einen singularisch formulierten Prohibitiv vor: "Einen Ägypter sollst du nicht verabscheuen, denn Fremder bist du gewesen in seinem Land." Halten wir als vorläufiges Ergebnis fest: Das Verbot, einen Fremden auszubeuten bzw. im Rechtsstreit zu benachteiligen, findet sich im AT sowohl singularisch (Ex 22,20; Dtn 24,17) als auch pluralisch (Jer22,3; Sach 7,10; Lev 19,33b) formuliert. Beide Fassungen sind im Kontext einer Rechtssammlung belegt (Ex 22,20; Dtn 24,17; Lev 19,33b). Ebenfalls findet sich die Begründung mit dem Hinweis auf die Fremdlingschaft in Ägypten sowohl pluralisch (Ex 22,20; 23,9; Lev 19,34; Dtn 10,19) als auch singularisch (Dtn 23,8b) formuliert. Damit dürfte klar sein: Der Verfasser von Ex 22,20 war nicht gezwungen, den Prohibitiv V.20aa singularisch und die Begründung V.20b pluralisch zu formulieren. Wie aus Dtn 23,8 hervorgeht, konnte das Motiv der Fremdlingschaft in Ägypten im Hinblick auf den Einzelnen ausgesagt und so singularisch formuliert werden. Der Numeruswechsel in Ex 22,20 ist weder von semantischen, noch formgeschichtlichen Vorgaben her notwendig. Damit ist eine literarkritische Erklärung des Numeruswechsels offen gehalten. Eine Entscheidung kann erst getroffen werden, wenn wir uns im folgenden mit dem zweiten Prohibitiv V.20aß näher beschäftigen. Nach der üblichen literarkritischen Terminologie liegt im zweiten Prohibitiv V.20aß ί 3ΧΠ'?Π Ν^Π eine Doppelung zum ersten Prohibitiv V.20aa vor. Da w.RICHTER die einzige Funktion von V.20aß in der Rahmung mit Ex 23,9 sieht, scheint er totale Synonymie zwischen den beiden Verben anzunehmen. 2 7 Auch H.HOLZINGER behauptet: "Ein Unterschied zwischen Π J i Fl und ΡΠ"ρΡ1 wird nicht deutlich ...", 28 Prüfen wir die These anhand der Belege. 26 Der ganze V.33 lautet nach Mt (Codex Leningradensis, Ausgabe BHS): "Und wenn bei dir ein Fremder als Fremder weilt in eurem Land, sollt ihr ihn nicht bedrücken!" K.ELLIGER, Leviticus (1966), 250, hält das Singularsuffix in V.33a ("bei dir") mit Hinweis auf Samaritanus und die meisten anderen Versionen für einen Textfehler, bemerkt aber immerhin zu VV.33f insgesamt ebd.: "Das Sonderbarste ist die Mischung auch von singularischer und pluralischer Anrede." 27 W.RICHTER, Recht und Ethos (1966) 83: "...denn einmal sind seine beiden Verben Synonyma, so daß eines genügte ... 28 H.HOLZINGER, Exodus (1900) 92. Vgl. auch B.BAENTSCH, Ex-Lev-Num (1903) 202: "Π3Ρ synom. zu Π3

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Das Lexem fTI1? ist in der finiten Form des Qal 14mal belegt. Davon begegnet es zweimal in der konkreten Bedeutung "an etw. drücken, zurückdrängen", so in Num 22,25, wo die Eselin den Fuß ßileams an die Wand drückt, und in 2 Kön 6,32, wo Elischa an die bei ihm versammelten Ältesten den Befehl ausgibt, die Tür des Hauses vor dem herannahenden Boten des Königs zu verschließen ("110) und ihn von der Tür zurückzudrängen (ΚΠ^). Bei den anderen zwölf Vorkommen liegt "übertragene" Bedeutung vor. Dabei ist zweierlei auffallend: 1. Mit Ausnahme unserer beiden Stellen Ex 22,20aß; 23,9 und Ps 56,2 ist in all diesen Fällen das Subjekt von pn1? ein fremdes, feindliches Volk oder dessen politischer Repräsentant, das Objekt Israel, in Ri 1,34 ein Stamm Israels. 2 9 2. pn1? begegnet mit Ausnahme der hier zu verhandelnden Stellen Ex 22,20aß und 23,9 nie im Prohibitiv oder Vetitiv. Davon unterscheiden sich deutlich die Belege von Π3 ^ (Hif'il). Von den ebenfalls vierzehn Belegen von Π311 im Hif'il begegnet es außer Ex 22,20aa noch dreimal im Prohibitiv und zweimal im Vetitiv. Allein schon aus dieser Beobachtung folgt: Der zweite Prohibitiv V.20aß ^ Π ^ η K^T ist aufgrund der Prohibitiv-Form f ü r alttestamentliche Sprache ungewöhnlich, während der Prohibitiv mit Π3 V.20aa gängig ist. Eine weitere Beobachtung kommt hinzu: fΠ^· begegnet außer Ex 22,20aß; 23,9 nie im Verbund mit dem Nomen "lä, während Π3*1 außer Ex22,20 immerhin noch zweimal mit "là als Objekt (Jer 22,3; Lev 19,33) und an zwei weiteren Stellen (Ez 22,7.29) im unmittelbaren Kontext mit Ί 1 begegnet. 3 1 Eine dritte Beobachtung schließlich zeigt uns die Lösung: Mit fn 1 ? wird an der zentralen Stelle Ex 3,9 die Unterdrückung der Israeliten durch die Ägypter ausgedrückt, und zwar in der figura etymologica ΠΓΙΚ D^D*^ "WS ΓΠ^ΠΤΊΚ "'ΓΡίΓΓαΐ 1. Dagegen kommt Π 3 ^ niemals im Kontext der Exodusterminologie vor. Damit bietet sich nun doch eine literarkritische Lösung des Νumeruswechsels an: Vergleicht man die Belege von Π3η und fTl^, so spricht alles dafür, daß innerhalb von V.20a nur der erste Prohibitiv V.20aa ursprünglich ist. Da fast ausschließlich im politischen Kontext begegnet und an der zentralen Stelle Ex 3,9 im Kontext der Exodustheologie, ist es sehr wahrscheinlich, daß der zweite Prohibitiv V.20aß zusammen mit der Begründung V.20b von einer Hand hinzugefügt wurde. Damit wird der vorgegebene (alte) Prohibitiv V.20aa n j i r r N 1 ^ "1J3 durch gezielte Aufnahme der Exodusterminologie in Form eines zweiten Prohibitivs V.20aß tÖjl 29 Ex 3,9; Ri 4,3; 10,12; 1 Sam 10,18; 2 Kön 13,4.22; Am 6,14; Ps 106,42. 30 Prohibitiv: Lev 19,33; 25,17; Dtn 23,17; Vetitiv: Lev 25,14; Jer 22,3. 31 Ein Prohibitiv mit Π 3 ^ begegnet auch Dtn 23,17, wo er den entlaufenen Sklaven zum Objekt hat. Einem entlaufenen Sklaven aber soll nach Dtn 23,16f der "ΊΙ-Status zuerkannt werden. Damit wäre Dtn 23,17 ein weiterer Beleg für die Verwendung von Π 3 ^ im Zusammenhang mit "Iii.

Ex 22,20-26 •"Ι32Γ0Π ντ î ·

erweitert.

Beide

Prohibitive

werden

343 mit

dem

Motiv

der

Fremdlingschaft in Ägypten (V.20b) begründet. Der Ergänzer trägt also gezielt Exodus-Terminologie in den vorgegebenen Kontext ein. Diese Spur gilt es bei der weiteren Analyse des Textes zu verfolgen. Unter literarkritischem Gesichtspunkt bleibt nur noch die Frage zu beantworten: Warum formuliert ein und dieselbe Hand den Prohibitiv V.20aß singularisch, die Begründung V.20b hingegen pluralisch? Ich sehe hierfür nur einen Grund: Der Erweiterer wollte den zweiten Prohibitiv möglichst stark dem ersten angleichen und behält so den Singular bei. Außerdem verweist er durch Suffix auf das Objekt des ersten Prohibitive zurück. So gehen beide Prohibitive eine enge Verbindung ein. Die gleiche literarische Technik liegt übrigens in Ex 23,9 vor: Ex 23,9 ist eine Ergänzung von einer Hand. Mit der singularischen Formulierung des Prohibitivs fügt sich der Ergänzer in die vorgegebene Reihe der singularisch formulierten Prohibitive bzw. Vetitive ein, mit der pluralisch formulierten Begründung setzt er ein Struktursignal in gezielter Rückbindung an Ex 22,20b. 32 Nun zu Ex 22,21. Der Vers unterscheidet sich von den beiden ersten Prohibitiven durch drei Elemente, die von literarkritischer Relevanz sind: Erstens liegt in V.21 ein pluralisch formulierter Prohibitiv vor, zweitens wird den Objekten ein generalisierendes vorangestellt und drittens verwendet V.21 als Verb ein weiteres Lexem aus dem Bedeutungsfeld "unterdrücken", und zwar die Wurzel Die pluralische Formulierung lenkt den Verdacht auf unseren in V.20aßb entdeckten Erweiterer. Lassen sich weitere Indizien für diese Vermutung finden? Im Pi'el ist ¡"135 56mal belegt, einschließlich 3mal Qere. Auffälligerweise begegnet das Verb nur an unserer Stelle, also nur e i / m a l , im Zusammenhang mit Witwe und Waise. Π3Ρ kommt ebenfalls an zentraler Stelle der Exodustheologie vor. In Ex l , l l f bezeichnet ¡"057 die Unterdrückung der Israeliten durch die Ägypter. 3 3 In Gen 15,13 kündigt Jahwe dem Abraham an, daß sein Same Fremdling (")ä) sein wird in einem fremden Lande, das ihnen nicht gehört, und sie ihnen dienen C^V) werden und man sie ausbeuten (Π3i?) wird. Interessanterweise begegnet im kleinen geschichtlichen Credo Dtn 26,6f sowohl pn1? als auch Hjy zur Bezeichnung der Unterdrückung der Israeliten in Ägypten. Im Rahmen der Redaktionskritik wird diese Spur weiter zu verfolgen sein. Bezüglich einer literarkritischen Zuordnung von V.21 kann zunächst einmal folgendes Ergebnis festgehalten werden: Die pluralische Formulierung, die singuläre Verbindung (Witwe, Waise + Π3Ρ) und die deutliche 32 Vgl. W.RICHTER, Recht und Ethos (1966) 83; 86. J.HALBE, Privilegrecht (1975) 418f; 426. 33 E . Z E N G E R , Exodus ( 3 1 9 8 7 ) 31; 260 rechnet Ex 1,11 zum Jahwisten, Ex 1,12 zum Jehowisten.

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Redaktionen

A u f n a h m e von Exodusterminologie (Ex l , l l f ; Gen 15,13; Dtn 26,6f) lassen f ü r V.21 die gleiche ergänzende Hand wie f ü r V.20aßb vermuten. Auch V. 23 geht auf das Konto unseres Erweiterers. D a f ü r spricht als erstes die pluralische Form der Objekte: " ... werde ich euch töten ... und werden eure Frauen ... und eure Söhne ...". Als zweites ist oft gesehen worden, daß V.23 als spiegelbildliche Strafandrohung sachlich nur die Witwe und die Waise aus V.21 voraussetzt, nicht jedoch den Fremden aus V.20. Als drittes schließlich ergibt sich deutlich eine ähnliche Argumentationsfigur zur Begründung des Prohibitivs wie in V.20b. V.20b argumentiert mit der Goldenen Regel. Auch V.23 argumentiert mit der Goldenen Regel. V.20b verwendet die Goldene Regel in Form eines geschichtlichen Rückblicks, V.23 in Form einer spiegelbildlichen Strafandrohung f ü r die Zukunft. Diese Beobachtungen sprechen dafür, V.23 auf denjenigen Redaktor zurückzuführen, von dem auch V.20aßb und V.21 stammen. Von derselben Hand stammt auch V.22a. Der Vers konkurriert mit V.22ba. Beide Verse formulieren eine Bedingung: V.22a: V.22ba:

"Falls (DK) du ihn bedrängst... ". "Falls (DK) er zu mir schreit...".

Es empfiehlt sich, V.22ba mit V.22bß zusammenzulesen. Die Abfolge von Schreien und Hören (PI3Ö) ist auch an anderen Stellen des A T belegt und setzt wahrscheinlich die Institution des Zetergeschreis voraus. 3 4 Das Schreien von V.22ba ist die Bedingung f ü r das Hören von V.22bß. Der ganze Vers 22b gehört zur Grundschicht der VV.20-23 und fungiert mit vorangestelltem als Begründung des ersten Prohibitivs von V.20aa. 3 5 Im Grund34 Vgl. H.J.BOECKER, Redeformen ( 2 1 9 7 0 ) 61-66.177. Zur Abfolge von "Not - Schrei Erhörung - Rettung" vgl. auch das Klageritual Ps 18,5-7.17.18 und Ex 3,7.8. Man m u ß d i e Abfolge von und SOE? aber nicht auf die Institution des mündlich ergehenden Zetergeschreis beschränken. Denkbar wäre auch, daß hier bereits eine Weiterentwicklungvorliegt: Das Klagen kann durchaus im Rahmen eines schriftlich eingereichten Ersuchens um Rechtshilfe geschehen, und das Erhören (VDÜ) kann sich auf die Anerkennung des Rechtsanspruches im Rahmen einer gerichtlichen oder verwaltungsrechtlichen Entscheidung beziehen. Einen Hinweis darauf sehe ich im Ostrakon aus Mesad Haschavjahu aus dem Ende des 7. Jh. v. Chr. Zur Datierung vgl. R.WENNING, Mesad Hasavyahu. Ein Stützpunkt des Jojakim? (1989). Diese 1 Klageschrift eines Erntearbeiters beginnt folgendermaßen: Γ1Κ "ΊΕ7Π "'JIK SJ0E7" m ä 5 J " 1 Π . Es möge hören ( e r h ö r e n / a n h ö r e n ) mein Herr, der Statthalter, das Wort (die A n g e l e g e n h e i t / R e c h t s s a c h e [ " ! Π : vgl. Ex 22,8]) seines Dieners ... ." 35 Viele rechnen V.22a aufgrund der singularischen Formulierung zur Grundschicht V.20aa, müssen dann aber den Wechsel des Verbs (Π3" 1 -» Π 3 Ϊ ) erklären, was häufig durch Textänderung geschieht. So H . H O L Z I N G E R , Exodus (1900) 92, der V.22 aber "trotz der singularischen Anrede" für "sekundär" hält, "da solche Exkurse auch bei den Sätzen des fas sonst fehlen." Dagegen A.JEPSEN, Bundesbuch (1927) 44, Anm. 1. Nach M . N O T H , Exodus ( 7 1 9 8 4 ) 151, ist V.22a "ein singularisch formulierter Vordersatz, dem der zugehörige Nachsatz verlorengegangen ist".

Ex 22,20-26 bestand der VV.20-23 hat Funktion:

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also in der Abfolge der VV. 20aa.22b kausale

V.20aa "Einen Fremden sollst du nicht unterdrücken, V.20ba denn falls er zu mir schreit, V.22bß werde ich sein Klagegeschrei erhören." Auf der Endstufe des Textes dagegen fungiert als Bekräftigungspartikel. 3 6 V.22a gibt die Bedingung f ü r die spiegelbildliche Strafandrohung von V.23 an. Wie schon die Erweiterung in V.21, so verwendet auch V.22a das Verbum Π 3 5?. Die einzige Schwierigkeit bei dieser literarkritischen Zuordnung von V.22a zur Hand unseres Erweiterers dürfte die singularische Formulierung sein. Samaritanus, Septuaginta, Peschitta, Targum Palestinum und Vulgata haben das Problem erkannt und setzen das Verb in den Plural, die Septuaginta auch noch das Objekt. Wollen wir den Masoretischen Text erklären und an obiger literarkritischer Option festhalten, so bietet sich folgende Erklärungsmöglichkeit an: Bereits in V.20aß formuliert unser Erweiterer singularisch, um sich dem singularisch formulierten Prohibitiv von V.20aa anzupassen. Er wechselt dann mit der Begründung von V.20b in den Plural und behält diesen bei der Formulierung des Prohibitivs von V.21 bei. Mit V.21 lehnt sich unser Erweiterer keinem vorliegenden Prohibitiv an wie in V.20aß, sondern formuliert eigenständig und neu mit zwei neu eingeführten Objekten und einem neu eingeführten Verb (Π35). Mit V.22a leitet er zur singularisch formulierten Grundschicht zurück. So wie V.20aß eine Parallele zu V.20aa darstellt, so die Bedingung von V.22a zur Bedingung von V.22b. In beiden Fällen paßt sich der Erweiterer dem Numerus des ihm vorliegenden Textes an. 3 7 Nur dort, wo er thematisch neu und eigenständig formuliert (V.20b/V.21/V.23) schreibt er im Plural. Der Numeruswechsel - dies sei als kleines methodologisches Fazit an dieser Stelle erwähnt - ist also kein hinreichendes Kriterium f ü r literarkritische Scheidung in dem Sinne, daß der Text auf eine singularische und eine pluralische Schicht aufgeteilt werden kann. Ein und derselbe Redaktor formuliert singularisch und pluralisch. Die singularisch formulierten Prohibitive des Redaktors erklären sich durch Anpassung an den vorgegebenen singularisch formulierten Text. Dort, wo er ohne Textvorgabe eigenständig 36 Siehe dazu den vorangehenden Abschnit 5.2.5.2, S. 336. 37 Ähnlich J.HALBE, Privilegrecht (1975) 427f, der V.22a als "vermittelndes Zwischenglied" ansieht. Er kommt bei einem methodisch etwas anders akzentuierten Einstieg (er wertet den Numeruswechsel nicht literarkritisch aus und berücksichtigt stärker kompositionskritische Gesichtspunkte) zum gleichen Ergebnis bezüglich der relativen Chronologie der Entstehungsgeschichte von Ex 22,20-23: "Ursprünglicher Text ist in v.20aa.22b erhalten. Er wurde im Zuge der Rahmengestaltung 22,20/23,9 durch gleichzeitige Ergänzung von v.20aBb.21.22a.23 umgearbeitet."

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Redaktionen

formuliert, bevorzugt er den Plural. So stellt der Numeruswechsel in Ex 22,20-23 nur einen ersten "Leitfaden"38 zur Herausarbeitung redaktioneller Zusätze dar. Weitere, vor allem semantische und kompositionskritische Untersuchungen müssen hinzukommen, um den Faden aufzunehmen. 39

5.2.5.4.

Redaktionskritische

Analyse

von Ex

22,20-23

Was die Erweiterungen der VV.20aßb.21.22a.23 anbelangt, so möchte ich mich aufgrund der oben referierten forschungsgeschichtlichen Vorgabe im folgenden auf die von N.LOHFINK formulierte Frage konzentrieren. "Wie »deuteronomistisch« sind die »deuteronomistischen Zusätze« im Bundesbuch? Die Wendung fHS? 0ΓΡ?Π D n r 1 ? kommt außer Ex 22,20b nur noch Dtn 10,19 und Lev 19,34 vor. Dtn 10,12-11,32 ist nach H.D.PREUSS "ein ... später dtr Einschub, der ... schon das Exil im Blick hat".40 Die Wendung ist auch noch im Singular im Rahmen des sog. Gemeindegesetzes (Dtn 23,2-9) belegt. Das Gemeindegesetz Dtn 23,2-9 wird von H.D.PRHUSS einer nachdeuteronomistischen Schicht ("Schicht V") zugerechnet. 41 In Dtn 10,19b wird das Gebot, den Fremden zu lieben (IHK), mit dem Hinweis auf die Fremdlingschaft in Ägypten begründet. Im Heiligkeitsgesetz Lev 19,34 liegt genau das gleiche Schema vor: Das Gebot, den Fremden zu lieben, wird mit dem Hinweis auf die eigene Fremdlingschaft in Ägypten be38 Vgl. J.WELLHAUSEN, Composition (1876/77) 89. 39 Zum Numeruswechsel als literarkritisches Kriterium vgl. N.LOHFINK, Hauptgebot (1963) 240: "Wo der Numeruswechsel mit anderen Indizien konvergiert, ist er ein weiteres Argument f ü r die Unterscheidung von Schichten. In anderen Fällen ist er f ü r die Unterscheidung von Schichten wertlos." Zum Numeruswechsel als literarkritisches Kriterium in spät-dtr Texten vgl. jetzt D.KNAPP, Deuteronomium 4 (1987) 23: "Damit ist der Numeruswechsel f ü r sich in Dtn 4 kein zwingendes Kriterium f ü r literarkritische Schichtung mehr. Ob ein Numeruswechsel auf eine andere Hand schließen läßt, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Läßt es sich wahrscheinlich machen, daß ein spät-dtr Verfasser nur ihm vorliegende Partien nachahmt, so darf der Numeruswechsel nicht als literarkritisches Scheidungskriterium verwandt werden. Ist aber eine Nachahmung bereits vorhandener Texte nicht wahrscheinlich zu machen und gibt es noch weitere Argumente dafür, daß eine neue Hand am Werke ist, so kann man den Numeruswechsel als weiteres Kriterium verwenden. Die Frage, ob der Numeruswechsel ein Indiz f ü r Schichtung ist, läßt sich also in spät-dtr Texten nicht mehr eindeutig beantworten; der Numeruswechsel kann an verschiedenen Stellen verschiedene Ursachen haben." 40 H.D.PREUSS, Deuteronomium (1982) 103, mit Hinweis auf N.LOHFINK, Gott im Buch Deuteronomium (1976) 112f; 118. 41 H.D.PREUSS, Deuteronomium (1982) 57. Ebd. 143: "Mit allem gelangt das Gemeindegesetz wohl doch in die nachexilische Zeit in die Nähe von Esra und Nehemia ... Zumindest die Endfassung von Dtn 23,2-9 ist somit später als die dtr Bestandteile des Dtn.s."

Ex 22,20-26

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gründet. Diese Beobachtung, daß die Begründung eines Gebotes zum Schutz des Fremden mit dem Hinweis auf die eigene Fremdlingschaft in Ägypten vordeuteronomisch, ja sogar vordeuteronomistisch nicht belegt ist, legt die Schlußfolgerung nahe, daß die Erweiterung Ex 22,20b aus einer d t n / d t r , eventuell sogar einer nachdeuteronomistischen priesterlichen (Lev 19,34) Tradition stammt. Gegen eine solche Qualifikation von Ex 22,20b als dtn oder dtr bringt nun allerdings N.LOHFINK im Anschluß an W.BEYERLIN einen gewichtigen Einwand. Der Einwand lautet: Zwar finden sich im Dtn häufig Sätze zur Motivation eines Gesetzes, die auf den Ägyptenaufenthalt Israels zurückgreifen. Doch hierbei lautet die normale Formulierung, Israel sei in Ägypten Sklave ("Π?) nicht, Israel sei in Ägypten Fremder ("11) gewesen. Von den insgesamt sieben Belegen der Ägypten-Motivation im Dtn sprechen nur zwei davon, Israel sei in Ägypten Fremder gewesen: Dtn 10,19; 23,8. Hinzu kommt, daß an diesen beiden Stellen der "Il-Status Israels positiv gesehen wird. Nach Dtn 23,8 darf ein Ägypter in der dritten Generation zur Gemeinde J H W H s zugelassen werden. Die Begründung lautet: ΓΡ?Π ί ϊ Ί ί Ο . Nach Ν.LOHFINK will diese Begründung besagen, "ein Ägypter könne deshalb wie ein Volksgenosse in den qehai J H W H aufgenommen werden, weil Israel aus seiner ger-Zeit in Ägypten schon in einem positiven Verhältnis zu den Ägyptern steht. Die Ägypter haben Israel auch als gerim zugelassen und in ihre Gemeinschaft aufgenommen, sich ihnen gegenüber also freundlich, ja brüderlich verhalten." 4 2 Nach N.LOHFINK sind die Ägypten-ger-Motivationen des Bundesbuches von denen des Dtn scharf zu unterscheiden: "Im Bb wird Israel in Ägypten als ger gekennzeichnet, und das ist etwas Negatives. Dem entsprechen im Dtn die Motivationen, in denen Israel in Ägypten als Sklave gekennzeichnet wird. Wird es dagegen in Ägypten als ger gekennzeichnet, dann verweist das auf eine positive Erfahrung." 4 Deshalb kann nach N.LOHFINK die Erweiterung in Ex 22,20b nicht dtn oder dtr sein. Prüfen wir die Argumente N . L O H F I N K s . Bei der Ägypten-ger- und der Ägypten-aeöaed-Motivation im Dtn liegen zwei unterschiedliche ethischtheologische Argumentationsfiguren vor. Bei der sogenannten Ägypten-ger-Molivation des Dtn wird mit dem Motivsatz der Inhalt des Gebotes begründet. Hier liegt die ethische Argumentationsfigur der Goldenen Regel vor. Dabei wird der Begründungssatz mit "'S angeschlossen. 42 N.LOHFINK, Wie »deuteronomistisch« (1987) 8. 43 Ebd. 9.

348

Redaktionen ρηκ-ι αη ν Π ^ i T " 1 ?

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Ι ϊ ί ν ? η ν π - u - " 1 ? "n^a nyrrçrtfï» Zu diesem Typ gehört auch Ex

Dtnio,i9 Dtn 23,8b

22,20:

D^nso fnfctt ΟΓΡ:Π o , n ; Γ ' , ?

^ïiYpn

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Davon deutlich zu unterscheiden ist die Agypten-aebaed-M otivation des Dtn. Hier wird mit dem Motivsatz lediglich eingeschärft, daß ein Gebot gehalten werden soll. 4 4 Bei diesem Argumentationstyp geht es nicht um eine inhaltliche Begründung des Gebotenen. Der Motivsatz benennt lediglich den Grund für die Setzung des Gebotes und den Anspruch seiner Geltung, nicht jedoch für den Inhalt des Gebotes. Deshalb kann in Dtn 24,18.22 mit dem Hinweis motiviert werden, daß Israel in Ägypten Sklave war, obwohl im Kontext nur vom ger und gar nicht vom Sklaven die Rede ist. 4 5 Der Grund für die Setzung und Befolgung des Gebotes liegt im Heilshandeln JHWHs an Israel. Die Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens ist in der Sicht des Dtn die Heilstat J H W H s an Israel schlechthin. Deshalb greift das Dtn in der Motivation von Geboten gezielt das Motiv vom Sklave("T2y)-Sein Israels in Ägypten auf. Das bedeutet allerdings nicht, daß die Ägypten-aefraed-Motivation nicht auch zum Inhalt des motivierten Gebotes in Beziehung stehen kann. Deutlich wird dies im Gesetz zur Freilassung des Sklaven Dtn 15,15. Im Kontext von Dtn 5,15 und Dtn 16,12 kommt zwar auch der Sklave vor, jedoch auch der Fremde. Und in Dtn 24,18.22 kommt - wie bereits gesagt - der Fremde vor und nicht der Sklave, und dennoch wird mit dem Hinweis auf das Sklave-Sein in Ägypten motiviert. Das zeigt, daß der entscheidende Unterschied zwischen der Ägypten-ger-Motivation und der Ägypten-aeöaed-Motivation nicht im Inhalt = positiv / I I P = negativ), sondern in der formalen Argumentationsstruktur liegt. Dies wird deutlich, wenn wir uns die entscheidenden Unterschiede zwischen dem Ägypten-ger- und dem Ägypten-oebaed-Argumentationstyp vor Augen führen: 1. Im Ägypten-ger-Typ schließt sich dem Gebot ein Kausalsatz mit "'S an. Im Ägypten-aefteed-Typ beginnt in allen fünf Fällen die Motivation mit FÇOT}. Hier geht es nicht um eine inhaltliche Begründung des Gebotenen, sondern um die Vergegenwärtigung (memoria: 13T) der heilsgeschichtlichen Tat J H W H s als inneren Grund für den Anspruch, das Gebot zu befolgen.

44 D t n 5.12-15; 15,12-15; 16,9-12; 24,17f; 24,21f. 45 D a r a u s zieht N . L O H F I N K , Wie » d e u t e r o n o m i s t i s c h « ( 1 9 8 7 ) 8, die Schlußfolgerung: " D a s D e u t e r o n o m i u m b e z e i c h n e t also in seinen Motivsätzen, die auf den Ägyptenaufenthalt zurückgreifen, o f f e n b a r selbst gegen den K o n t e x t I s r a e l s Situation in Ägypten nach Möglichkeit als die e i n e s Sklaven, nicht als die e i n e s ger."

Ex 22,20-26

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2. Daß der Motivsatz im Ägypten-aeöaed-Typ auf das heilsgeschichtliche Handeln J H W H s hinausläuft und nicht auf die Argumentationsfigur der Goldenen Regel wie im Ägypten-ger-Typ wird deutlich, wenn man sieht, daß in drei von fünf Belegen des Ägypten-aebaed-Typs dem Hinweis auf das Sklave-Sein in Ägypten der Hinweis auf die Herausführung bzw. den Freikauf Israels aus Ägypten folgt: Dtn 5,15; 15,15; 24,18. 3. In drei von fünf Belegen des Ägypten-aebaed-Typs wird die Befreiung aus Ägypten als Grund f ü r die Setzung und den Geltungsanspruch des Gebotes ausdrücklich genannt: n v o "f^-"1? . . . DOT?

Dtn5,15

Πίπρ Iiis

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Dtn 15,15 Sîp "