Glück als Vollendung des Menschseins: Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin im Horizont des Eudämonismus-Problems [Reprint 2014 ed.] 3110156911, 9783110156911

Die seit 1925 erscheinenden Arbeiten zur Kirchengeschichte bilden eine der traditionsreichsten historischen Buchreihen i

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Glück als Vollendung des Menschseins: Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin im Horizont des Eudämonismus-Problems [Reprint 2014 ed.]
 3110156911, 9783110156911

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung
1 Das Problem des Eudämonismus in seiner Bedeutung für die thomanische beatitudo-Lehre
2 Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin
2.1 Der geistesgeschichtliche Bezugsrahmen
2.2 Zur beatitudo-Lehre in den frühen theologischen Synthesen
2.3 Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre
2.4 Die beatitudo-Lehre in der SUMMA THEOLOGIAE
2.5 Zusammenfassung: Eudämonismus bei Thomas ?
3 Zur Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre
Anhang
Literaturverzeichnis
Register

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Rochus Leonhardt Glück als Vollendung des Menschseins

w DE

G

Arbeiten zur Kirchengeschichte Begründet von

Karl Hollf und Hans Lietzmannf Herausgegeben von

Christoph Markschies, Joachim Mehlhausen und Gerhard Müller Band 68

Walter d e G r u y t e r · Berlin · N e w Y o r k 1998

Rochus Leonhardt

Glück als Vollendung des Menschseins Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin im Horizont des Eudämonismus-Problems

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Leonhardt, Rochus: Glück als Vollendung des Menschseins : die Beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin im Horizont des Eudämonismus-Problems / Rochus Leonhardt. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1998 (Arbeiten zur Kirchengeschichte ; Bd. 68) Zugl.: Rostock, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-11-015691-1

© Copyright 1998 by Walter de Gruyter GmbH & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Textkonvertierung: Ready Made, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin

Vorwort Die vorliegende Untersuchung, die ich im Herbst 1993 mit Hilfe einer Promotionsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung beginnen konnte, wurde im Januar 1996 von der Theologischen Fakultät der Universität Rostock als Dissertation angenommen. Für den Druck ist der Text ein wenig ergänzt und stellenweise überarbeitet worden. Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Ulrich Kühn (Leipzig), der mich zur Wahl dieses Themas ermutigt und die Genese der Arbeit wohlwollend und kritisch begleitet hat. Von ihm habe ich gelernt, wie spannend und aufschlußreich es sein kann, Thomas von Aquin gerade aus evangelischer Sicht als einen Lehrer der noch ungeteilten abendländischen Christenheit wahrzunehmen und seine theologischen Einsichten mit späteren Fragestellungen zu konfrontieren. Meine Dissertation stellt den Versuch dar, das von Kühn und anderen in Gang gebrachte Gespräch der evangelischen Theologie mit Thomas fortzusetzen. Ebenfalls zu danken habe ich Herrn Prof. Dr. Udo Kern (Rostock), der das Thema vorbehaltlos akzeptiert und mich zur zügigen Fertigstellung der Arbeit angeregt hat, sowie Herrn Prof. Dr. Heinrich Holze (Rostock), der sich kurzfristig zur Übernahme des dritten Gutachtens bereiterklärt hat. Für die Aufnahme der vorliegenden Untersuchung in die Reihe Arbeiten zur Kirchengeschichte sei den Herausgebern, namentlich Herrn Landesbischof i.R. Prof. Dr. Gerhard Müller, ein Dank gesagt. Die im Text verwendeten Abkürzungen orientieren sich an dem von Siegfried M . Schwertner für die THEOLOGISCHE REALENZYKLOPÄDIE zusammengestellten Abkürzungsverzeichnis (Berlin-New York 2 1996). Rostock, im August 1998

Rochus Leonhardt

Inhalt

Einleitung

1

1

Das Problem des Eudämonismus in seiner Bedeutung für die thomanische beatitudo-Lehre

1.1

Die Bestreitung der ethischen Relevanz des Glücks bei Kant Die Kritik der lutherischen Theologie an einer eudämonistischen Ethik Katholische Stimmen zum Eudämonismus-Problem bei Thomas

39

2

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

61

2.1 2.1.1 2.1.2

Der geistesgeschichtliche Bezugsrahmen Allgemeines Die Rezeption der aristotelischen Philosophie und ihre Hauptprobleme Die aristotelische εΰδαιμονία-Lehre als Herausforderung an die christliche Ethik

61 61

73

2 . 1 . 3 . 1 Die aristotelische εΰδαιμονία-Lehre

73

2 . 1 . 3 . 2 Die augustinische beatitudo-Lehre

81

2 . 1 . 3 . 3 Reaktionen auf die aristotelische Herausforderung . . . .

88

1.2 1.3

2.1.3

2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1

Zur beatitudo-Lehre in den frühen theologischen Synthesen Das Commentum in Quatuor Libros Sententiarum . . . Die Summa contra Gentiles Ergebnis und Ausblick Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre Die Seligpreisungen Jesu als omnis plena beatitudo . . .

9 9 18

66

96 96 105 114 116 116

2 . 3 . 1 . 1 Einleitende Bemerkungen zum Matthäuskommentar des Thomas

116

VIII

Inhalt 2 . 3 . 1 . 2 Die thomanische Interpretation der

2.3.2

matthäischen Makarismen

118

Die aristotelische ευδαιμονία als beatitudo imperfecta

125

2 . 3 . 2 . 1 Einleitende Bemerkungen zum Ethikkommentar des Thomas

125

2 . 3 . 2 . 2 Die aristotelische εύδαιμονία-Lehre in thomanischer

2.3.3 2.4 2.4.1

Deutung

130

Ergebnis Die beatitudo-Lehre in der Summa Theologiae Der beatitudo-Traktat (Summa Theologiae Ia-IIae 1-5)

152 153 153

2 . 4 . 1 . 1 Der Prolog (Summa Theologiae Ia-IIae prol)

154

2 . 4 . 1 . 2 Die Zielbezogenheit menschlichen Handelns (Summa Theologiae Ia-IIae 1)

167

2 . 4 . 1 . 3 Die Bestimmung des Letztziels (Summa Theologiae Ia-IIae 2.3)

178

2 . 4 . 1 . 4 Erfordernisse und Erlangung des Letztziels

2.4.2 2.4.3

(Summa Theologiae Ia-IIae 4 . 5 )

199

Zwischenbilanz Amor und caritas in ihrer Bedeutung für die beatitudo-Lehre

211 222

2 . 4 . 3 . 1 Z u m amor-Begriff in Summa Theologiae Ia-IIae 2 6 - 2 8

224

2 . 4 . 3 . 2 Zum caritas-Begriff in Summa Theologiae IIa-IIae 23ff.

236

2.5

Zusammenfassung: Eudämonismus bei Thomas?

262

3

Zur Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre . . .

264

3.1 3.2

Eudämonismus-Problem und Neuzeit Die thomanische beatitudo-Lehre in evangelischer Sicht

264

Anhang Literaturverzeichnis

276 293 304

1. Quellen

304

2. Sekundärliteratur

307

Register

316

Einleitung Der beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin kann man sich nur schwer aus einer ausschließlich historischen Perspektive nähern. Natürlich wäre eine in dieser Weise angelegte Untersuchung zum beatitudo-Begriff bei Thomas ein durchaus lohnendes Unternehmen. Will man jedoch über eine reine Analyse hinausgelangen und die thomanische Glückseligkeitslehre auch auf ihre sachliche Relevanz und ihre theologische Legitimität hin befragen, dann wird man nicht umhinkommen, die Position des Thomas sowohl mit der an Luther anknüpfenden theologischen als auch mit der vorrangig von Kant ausgehenden philosophisch motivierten Kritik zu konfrontieren. Hier wie dort gilt die thomanische Moraltheologie vielfach als ein Musterbeispiel für die Priorität des Glücksgedankens gegenüber dem Begriff des sittlich Gebotenen in der Ethik, und deshalb wird hier wie dort aus jeweils verschiedenen Gründen - bestritten, daß bei Thomas das Proprium christlicher Sittlichkeit bzw. des Sittlichen überhaupt hinreichend zum Ausdruck gebracht werden kann. Die in der vorliegenden Untersuchung geplante Analyse der thomanischen beatitudo-Lehre im Lichte der ihr gegenüber geltend gemachten theologischen und philosophischen Vorbehalte fragt nach der Berechtigung solcher Kritik. Ein kompetentes Urteil ist erst möglich, wenn Klarheit darüber geschaffen ist, ob bzw. inwieweit die thomanische Ethik als eudämonistisch zu charakterisieren ist. Denn der (im pejorativen Sinn gebrauchte) Begriff des Eudämonismus ist in besonderer Weise geeignet, die Verbindung zum Ausdruck zu bringen, die zwischen den sich auf Luther berufenden theologischen und den letztlich auf Kant zurückgehenden philosophischen Vorbehalten gegenüber der thomanischen Ethik besteht. Dieser Zusammenhang wird in Teil 1 näher erläutert. Es soll daran erinnert werden, wie sich bei Kant und Luther die Kritik an einer beim Glücksstreben des Menschen ansetzenden Begründung des Sittlichen jeweils vollzieht: Im Anschluß an die Darstellung der philosophisch motivierten Ablehnung einer eudämonistischen Ethikbegründung bei Kant (1.1) ist in 1.2 auf die Kritik hinzuweisen, die sich vom Denken Luthers und der sich auf ihn berufenden Theologie her gegenüber

2

Einleitung

einer vom menschlichen Glücksstreben ausgehenden Konzeption christlicher Sittlichkeit ergibt. Hervorzuheben ist dabei, daß die im Horizont der reformatorischen Tradition argumentierende Kritik im Ansatz des Thomas immer wieder theologische Defizite festgestellt hat. So wird sowohl eine vom biblischen Befund her illegitime Aufweichung des Liebesgebotes in Thomas' Ethik diagnostiziert als auch eine unangemessene Auffassung darüber, wie die Beziehung zwischen Gott und Mensch vom Evangelium her zu denken ist. Besondere Bedeutung kommt der Frage nach dem Eudämonismus in der thomanischen Ethik auch deshalb zu, weil sie innerhalb der katholischen Thomas-Forschung noch keine befriedigende abschließende Beantwortung erfahren hat. Daß von den Voraussetzungen der beatitudo-Lehre des Thomas her eine von reiner Hingabe getragene Liebe des Menschen zu Gott möglich ist, die nicht mit dem Wunsch nach Erlangung der eigenen Seligkeit vermischt ist, haben katholische Forscher unter Heranziehung verschiedenster Argumente immer wieder behauptet und bestritten, ohne dabei letztlich einig zu werden. Im deutschsprachigen Bereich ist die Diskussion vor allem durch die Beiträge des Philosophen Hans Reiner angeregt und bereichert worden. Die im Rahmen dieser Debatte vorgebrachten Argumente sind für die Problemstellung dieser Untersuchung natürlich von großer Bedeutung und sollen deshalb in 1.3 vorgestellt und gewürdigt werden. Die dann in Teil 2 zu vollziehende Behandlung der thomanischen beatitudo-Lehre basiert auf zwei Voraussetzungen. Deren erste bezieht sich auf die Auswahl und die Gewichtung der zu behandelnden Texte. Eine Analyse des thomanischen beatitudo-Begriffs, die ihrem Gegenstand hinreichend gerecht werden will, wird sich primär auf solche Textzusammenhänge zu beziehen haben, in denen der Standpunkt des Thomas in besonderer Weise deutlich wird. N u n gilt im allgemeinen die spätestens 1267 begonnene SUMMA THEOLOGIAE, an der Thomas bis 1273 gearbeitet hat, als sein wichtigstes Werk 1 und kann von daher grundsätzlich mit Recht als Ausgangspunkt auch für Untersuchungen zu speziellen Themen seines Denkens herangezogen

Weisheipl sieht in diesem Werk des Thomas „die Krone seines Genius" (James A. Weisheipl, Thomas von Aquin. Sein Leben und seine Theologie [1974], GrazWien-Köln 1980, 324); vgl. auch Marie-Dominique Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin (1950), Heidelberg-Graz 1960 (DThA ErgBd. 1): Es ist die S U M M A T H E O L O G I A E , „derentwegen Thomas als Meister unter den Theologen und als Lehrer der Kirche angesehen wird" (361).

Einleitung

3

werden. Die Angemessenheit solchen Vorgehens wird durch den berechtigten Hinweis auf den Adressatenkreis dieser Schrift keinesfalls in Frage gestellt, wie etwa Kurt Flasch anzunehmen scheint2. Daß die SUMMA THEOLOGIAE für Anfänger in der Theologie geschrieben ist, bedeutet für Thomas nicht, daß er auf Tiefgang und Gründlichkeit verzichten will. Wie er im Prolog selbst sagt, geht es ihm vornehmlich darum, die Darstellung der Materie von unnützem Ballast zu befreien, also die von ihm beobachtete verwirrende Vielzahl nutzloser Fragen, Artikel und Argumente3 zu vermeiden. Außerdem strebt Thomas in diesem Werk nach einer dem zu behandelnden Gegenstand angemessenen Vorgehensweise, nach einer Darstellung des Stoffes nach der Ordnung der Lehre (secundum ordinem disciplinae4). In diesem Zusammenhang ist die Tatsache von Bedeutung, daß sich für die SUMMA THEOLOGIAE von allen Werken des Thomas am wenigsten ein spezifischer Anlaß ausmachen läßt, von dem her die Abfassung geprägt wäre5. Der von Thomas hier gewählte ordo disciplinae kann demzufolge in besonderer Weise die Perspektive sichtbar machen, aus der heraus seine Theologie insgesamt verstanden werden muß 6 . Da die angemessene Interpretation von Einzel-

2

3 4 5

6

Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli, Stuttgart 1986, 336: „Man hat das Buch (die SUMMA T H E O L O G I A E , R.L.) iiberschwenglich angepriesen. Dabei ist der Sentenzenkommentar offener, die Summa contra Gentiles motivreicher, die Quaestiones disputatae philosophisch gründlicher. Die Summa ist, wie es im Vorwort ausdrücklich heißt, für Anfänger geschrieben" (Kursivdruck im Text, R.L.). Vgl. Summa Theologiae I prol. Ebd. „Das Schaffen des Aquinaten läuft geradlinig auf einen Höhepunkt und Abschluß zu, den wir in den Schriften des Spätwerkes, das heißt in den Werken seit 1267, dem Beginn der Arbeit an der Summa Theologiae, vor uns haben. Darüber hinaus hat Thomas in seinem Spätwerk nicht nur im einzelnen seine Gedanken zu abschließender Präzision führen, sondern zugleich die ihm vorschwebende synthetische Ganzheit des theologischen Denkens in von äußeren Zwecksetzungen nicht mehr beeinflußter Form verwirklichen können in dem Hauptwerk seiner Spätzeit, der Summa Theologiae" (Otto Hermann Pesch, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin. Versuch eines systematisch-theologischen Dialogs, Mainz 1967 [WSAMA.T 4; zugl. Diss. München 1965], 12, Kursivdruck im Text, R.L.). Gelegentlich ist darauf hingewiesen worden, daß es die Unzufriedenheit des Thomas mit der zeitgenössischen moraltheologischen Ausbildung der dominikanischen Prediger war, die ihn zum Abfassen der SUMMA T H E O L O G I A E veranlaßt hat (so zuletzt bei Jean-Pierre Torrell, Magister Thomas. Leben und Werk des Thomas von Aquin, Freiburg i. Br.-Basel-Wien 1995, vgl. 138Í.162). Wenn es

4

Einleitung

themen stets auch an den Ort des jeweiligen Problems im Rahmen der systematischen Ganzheit gewiesen ist, wird sie ihren Schwerpunkt sinnvollerweise dort setzen, wo der betreffende Gegenstand innerhalb einer solchen Gesamtkonzeption behandelt wird. Weiter ist darauf hinzuweisen, daß Thomas sein im Prolog zu Summa Theologiae I gegebenes Versprechen, sich kurz zu fassen, im Grunde nur für diesen ersten Teil realisiert hat. Die für die beatitudoLehre relevanten Texte finden sich aber vor allem im zweiten Teil, der sich von Summa Theologiae I sowohl quantitativ 7 als auch qualitativ 8 deutlich unterscheidet. Aus all dem ergibt sich, daß in Teil 2 vor allem die für die Eudämonismus-Problematik maßgeblichen Texte aus der SUMMA THEOLOGIAE zu berücksichtigen sind. Dabei handelt es sich in erster Linie um die Ausführungen des Thomas zur beatitudo als dem Letztziel des Menschen (Summa Theologiae I a -II ae 1-5) sowie um die Behandlung des Phänomens der Liebe, das in Summa Theologiae II nicht nur in Gestalt der caritas als der höchsten theologischen Tugend (Summa Theologiae II a -II ae 23-46), sondern auch als passio animae in Gestalt des amor thematisiert wird (Summa Theologiae P-II a e 26-28). Der in 2.4.1 und 2.4.3 zu vollziehenden Behandlung dieser Textzusammenhänge sind jedoch noch zwei Abschnitte voranzustellen, in denen ein Blick auf die Behandlung des beatitudo-Begriffs durch Thomas in den Schriften geworfen werden soll, die vor bzw. gleichzeitig mit Summa Theologiae II entstanden sind. Anhand einschlägiger Passagen aus dem C O M M E N T U M IN QUATUOR LIBROS SENTENTIARUM

Thomas also darum ging, „der Moraltheologie die ihr (in den traditionellen Handbüchern, R.L.) fehlende dogmatische Basis zu geben" (aaO, 162), so verdeutlicht dies einmal mehr, daß es seine Sicht dieses Zusammenhangs ist, die Thomas in der SUMMA T H E O L O G I A E darstellt. Zum anderen erklärt diese Bemerkung den vergleichsweise großen Umfang der die praktische Dimension der christlichen Lehre behandelnden Pars Secunda (vgl. die folgende Anmerkung). 7

8

Den in 1 1 9 quaestiones enthaltenen 5 8 4 Artikeln der Pars Prima stehen die in •303 quaestiones enthaltenen 1 5 3 6 Artikel der später in zwei Teile zerlegten Pars Secunda gegenüber. Auch Weisheipls Hinweis, Thomas habe die S U M M A T H E O LOGIAE „für Anfänger der Theologie begonnen" (Hervorhebung von mir, R.L.), macht deutlich, daß die Adressatenangabe im Prolog nicht das einzige Kriterium für die Bestimmung des Stellenwertes der SUMMA T H E O L O G I A E darstellt (James A. Weisheipl, Thomas von Aquin, 324). Auf die für den enormen Stoffzuwachs ursächliche Erweiterung des Blickwinkels von einer rein theozentrischen zu einer theo-anthropozentrischen Perspektive ist in 2 . 4 . 1 . 1 zurückzukommen (S.154ff).

Einleitung

5

und der SUMMA CONTRA GENTILES sind zunächst (2.2) die hinsichtlich des thomanischen beatitudo-Begriffs relevanten Grundentscheidungen der frühen theologischen Entwürfe ganz kurz zu skizzieren. Daran schließt sich (in 2.3) die Würdigung der thomanischen Kommentierung zweier für die beatitudo-Thematik einschlägiger Texte an, deren erster der biblischen und deren zweiter der philosophischen Tradition entstammt: Es handelt sich um die Seligpreisungen Jesu aus M t 5 und um die NIKOMACHISCHE ETHIK des Aristoteles. Diese in etwa gleichzeitig mit dem zweiten Teil der SUMMA THEOLOGIAE entstandenen Kommentare sind deshalb von Bedeutung, weil in ihnen deutlich wird, welchen Traditionen sich Thomas in besonderer Weise verpflichtet fühlte und welche Prioritäten er im Umgang mit der vielschichtigen Überlieferung gesetzt hat. Erst wenn diese Fragen geklärt sind, ist eine ausreichende Grundlage sowohl für eine Analyse von Thomas' eigenem Standpunkt als auch für dessen Beurteilung gegeben. Die zweite Voraussetzung, die für eine Behandlung der thomanischen beatitudo-Lehre im Horizont der Eudämonismus-Problematik von Bedeutung ist, ergibt sich daraus, daß die mit der Eudämonismus-Kritik sowohl der philosophischen als auch der theologischen Ethik gestellte Herausforderung historisch gesehen eine neuzeitliche Herausforderung ist. - Die in Teil 1 darzustellenden auf Luther und Kant zurückgehenden Ansätze zeigen, daß die Kritik an einer eudämonistischen Ethikbegründung erst im 16.(more theologico) bzw. im 18.Jahrhundert (more philosophico) formuliert wird. Versuchte man nun, die mittelalterliche beatitudo-Konzeption des Thomas gänzlich ,ungefiltert' als Antwort auf die mit der neuzeitlichen Eudämonismus-Kritik gestellte Frage zu deuten, machte man sich einer unnötigen Simplifizierung schuldig und liefe darüber hinaus Gefahr, die thomanische Intention zu verfehlen, wodurch man sich aber des entscheidenden Kriteriums für die Beurteilung ihrer sachlichen Angemessenheit gerade beraubte. Hier wird versucht, dieser Gefahr entgegenzusteuern, indem die Glückseligkeitslehre des Thomas von Aquin unter konsequenter Berücksichtigung ihres historischen Kontextes behandelt wird. Dies geschieht zum einen - im Rahmen ihrer Analyse - dadurch, daß der historische Horizont, vor dem Thomas seine beatitudo-Konzeption entwickelt hat, ausdrücklich thematisiert wird. Der damit befaßte Abschnitt 2.1 ist so angelegt, daß, nach einigen allgemeinen Hinweisen (2.1.1), der Rezeption des aristotelischen Denkens vorrangige Aufmerksamkeit geschenkt wird (2.1.2), da ohne eine angemessene Berücksichtigung dieses

6

Einleitung

ungemein wichtigen und folgenreichen historischen Vorgangs die geistige Prägung des 13.Jahrhunderts überhaupt nicht zu verstehen ist. Auf die konkrete Bedeutung der Aristoteles-Rezeption für die thomanische beatitudo-Lehre soll in 2.1.3 eingegangen werden, indem die Spannung zwischen der Glücks-,Philosophie' des Aristoteles und der an Augustin exemplifizierten christlichen Glücks-,Theologie' herausgearbeitet wird. Ebenso soll noch kurz angesprochen werden, in welcher Weise diese Spannung im 13.Jahrhundert verarbeitet wurde, womit zugleich der Übergang zu der sich anschließenden Behandlung der thomanischen Auffassung vollzogen ist. Die Berücksichtigung des historischen Kontextes, aus dem heraus die thomanische beatitudo-Lehre zu verstehen ist, spielt außerdem für ihre Beurteilung eine wichtige Rolle. Denn wenn es darum geht, die gegen den Ansatz des Thomas erhobenen Vorwürfe auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen, dann muß gefragt werden, ob die sich innerhalb des neuzeitlichen Bezugsrahmens artikulierende Eudämonismus-Kritik den der mittelalterlichen Tradition entwachsenen beatitudo-Begriff des Thomas angemessen rezipiert hat. Diese Frage kann keineswegs ohne weiteres bejaht werden. Schon innerhalb der in 2.4.2 zu ziehenden Zwischenbilanz wird sich nämlich zeigen, daß der im Eudämonismus-Vorwurf vorausgesetzte Glücksbegriff vom beatitudo-Verständnis des Thomas durchaus verschieden ist, eine Beobachtung, die auch durch die Analyse seines amorund caritas-Gedankens eine Bestätigung findet. Ausgehend von der Feststellung dieser Differenz im Glücksverständnis, die, wie zu zeigen ist, auch die uneinheitliche Interpretation der thomanischen Ethik bis in die neuere Forschung hinein erklären kann, wird in Teil 3 zunächst (3.1) nach dem Zusammenhang zwischen der Artikulation des Eudämonismus-Vorwurfs und der Epochenwende vom Mittelalter zur Neuzeit gefragt. In Anlehnung an die Neuzeit-Theorien von Robert Spaemann und Hans Blumenberg ist zu zeigen, daß der der Eudämonismus-Kritik zugrunde liegende Glücksbegriff aus einem spezifisch neuzeitlichen Welt- und Menschenverständnis resultiert und deshalb gerade nicht der beatitudo-Lehre des Thomas zugrunde liegt. Mit dieser Feststellung ist die Basis geschaffen für eine abschließende Beantwortung der Frage, welche Berechtigung die der thomanischen beatitudo-Lehre gegenüber geltend gemachten theologischen und philosophischen Vorbehalte wirklich haben. Dabei ist zunächst auf Kant zurückzukommen: Es soll untersucht werden, ob sich aus Kants Bestreitung der ethischen Relevanz des (neuzeitlich verstandenen) Glücks tatsächlich eine Kritik an der Konzeption des Thomas

Einleitung

7

ergibt, für dessen Ethik das (mittelalterlich verstandene) Glück konstitutiv ist. Nach dem kurzen Versuch einer Präzisierung des Verhältnisses zwischen Thomas und Kant unter Berücksichtigung des Zusammenhangs von Eudämonismus-Problem und Neuzeit ist abschließend noch das Problem der theologischen Legitimität der thomanischen beatitudo-Lehre aus evangelischer Sicht anzusprechen (3.2). Das hier zugrunde liegende Bemühen um eine differenzierte Klärung des Verhältnisses zwischen Thomas und Luther hat bereits eine längere Tradition. Im Vordergrund des Interesses standen dabei bislang vorwiegend die Aussagen beider Theologen zu den Themen, die im Rahmen der theologischen Auseinandersetzungen des 16.Jahrhunderts eine besondere Rolle gespielt hatten. So hat der katholische Theologe Stephanus Pfürtner die Lehren von Thomas und Luther über die Heilsgewißheit untersucht 9 , von evangelischer Seite aus hat Hans Vorster eine vergleichende Untersuchung zum Thema der menschlichen Willensfreiheit vorgelegt 10 , und in einem von Ulrich Kühn (evangelisch) und Otto Hermann Pesch (katholisch) zusammen herausgegebenen Band werden Thomas und Luther bezüglich der Rechtfertigungslehre miteinander ins Gespräch gebracht 1 , wobei nicht unerwähnt bleiben soll, daß beide Autoren bereits im Vorfeld dieser gemeinsamen Veröffentlichung in jeweils eigenen Beiträgen den Möglichkeiten eines konstruktiven Dialogs zwischen thomanischer und lutherischer Theologie intensiv nachgegangen sind 12 . Die Ergebnisse der angeführten Untersuchungen, denen noch etliche weitere hinzugefügt werden könnten, sind hier nicht im einzelnen zu rekapitulieren. Wenigstens eine immer wieder begegnende wichtige Einsicht sei jedoch festgehalten: Es ist deutlich geworden, daß die Ansätze von Thomas und Luther einerseits durchaus verschieden sind, beide sagen keinesfalls dasselbe; andererseits hat sich auch

9

10

11

12

Stephanus Pfürtner, Luther und Thomas im Gespräch. Unser Heil zwischen Gewißheit und Gefährdung, Heidelberg 1 9 6 0 (TiG 5). Hans Vorster, Das Freiheitsverständnis bei Thomas von Aquin und Martin Luther, Göttingen 1965 (KiKonf 8; zugl. Diss. Zürich 1963). Ulrich Kühn/Otto Hermann Pesch, Rechtfertigung im Gespräch zwischen Thomas und Luther, Berlin 1967. Ulrich Kühn, Via Caritatis. Theologie des Gesetzes bei Thomas von Aquin, Berlin 1964; zugl. HabSchr. Leipzig 1963 (vgl. bes. das Schlußkapitel: „Thomas im Gespräch mit der evangelischen Theologie" [224-272]); Otto Hermann Pesch, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin.

8

Einleitung

gezeigt, daß die festzustellenden Unterschiede nicht von der Art sind, daß beider Theologien einander ausschließen müßten - eine Verständigung ist dann möglich, wenn man berücksichtigt, daß ein jeweils unterschiedlicher historischer Kontext sich in einer Verschiedenheit der theologischen Schwerpunktsetzung niederschlagen kann. Indem hier die beatitudo-Lehre daraufhin befragt wird, ob sie von den Grundentscheidungen reformatorischen Denkens her als theologisch legitim gelten kann, wird das Problem einer möglichen Verständigung zwischen Thomas und Luther auch im Hinblick auf die thomanische Lehre von der Glückseligkeit als dem Letztziel menschlichen Handelns aufgeworfen.

1 Das Problem des Eudämonismus in seiner Bedeutung für die thomanische beatitudo-Lehre 1.1 Die Bestreitung der ethischen Relevanz des Glücks bei Kant Bei der in 1.1 und 1.2 zu vollziehenden Behandlung der auf Luther und Kant zurückgehenden Kritik an einer beim menschlichen Glücksstreben ansetzenden Begründung der (christlichen) Sittlichkeit steht entgegen der historischen Abfolge - Kants Ansatz am Anfang. Dies liegt daran, daß hier die Kritik am Eudämonismus erstmals explizit formuliert wird: In seiner METAPHYSIK DER SITTEN von 1 7 9 7 hat Kant als Vertreter des von ihm kritisierten Ethiktyps ausdrücklich den Eudämonisten namhaft gemacht1. Das Wort Eudämonismus als Bezeichnung für eine am menschlichen Glück orientierte Ethik begegnet allerdings erst bei Fichte, in dessen SYSTEM DER SITTENLEHRE. Da es sich hier um den historisch ältesten Beleg für den pejorativen Gebrauch dieses Wortes handelt, soll der Behandlung der Eudämonismus-Kritik bei Kant noch eine kurze Erläuterung des Zusammenhangs vorangestellt werden, in welchem das Wort bei Fichte auftritt2. Fichte stellt im Rahmen einer speziellen Ethik' die Erziehung zur Moralität als eine Pflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern heraus. Dies aber bedeutet, da Gehorsam als Wurzel der Moralität verstanden wird, Erziehung zum Gehorsam. Der Gehorsam der Kinder gegenüber den Eltern muß aber von derselben Art sein wie der Gehorsam des Erwachsenen gegenüber dem Sittengesetz: Wir (= die Erwachsenen, R.L.) sollen schlechthin thun, was die Pflicht gebeut, ohne über die Folgen zu klügeln... So das Kind in Absicht der Befehle 1

Vgl. Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797), Akademie-Textausgabe VI 3 7 7 , 2 3 .

2

Zwar kennt und verwendet auch Kant das Wort Eudämonismus, doch nicht im Sinne einer am menschlichen Glück orientierten Ethik. Er versteht darunter eine Auffassung, nach der das menschliche Geschlecht ... im beständigen Fortgange zum Besseren in seiner moralischen Bestimmung begriffen ist (Immanuel Kant, Der Streit der Fakultäten [1798], Akademie-Textausgabe VII 8 1 , 5 - 7 ; Hervorhebung im Text, R.L.).

10

Das Problem des Eudämonismus

seiner Eltern3. Diesem Gehorsam ohne Vernünftelet und Klügelei4 steht nach Fichte eine sehr falsche Maxime gegenüber, welche wir ... dem ehemals herrschenden Eudämonismus verdanken, nach welcher man bei dem Kinde alles durch Vernunft gründe aus eigner Einsicht derselben erzwingen will5. Die eigene Einsicht in die Richtigkeit der elterlichen Anweisungen kann aber nach Fichte dem Kind ebensowenig zugemutet werden wie dem Erwachsenen die Einsicht in die Richtigkeit der Forderungen des Sittengesetzes. Denn erst die Kenntnis über die Gesamtheit der Folgen der am Sittengesetz orientierten Handlungen könnte zu solcher Einsicht verhelfen. Eine derartige Kenntnis aber ist für den Menschen prinzipiell unerreichbar. Deshalb ist es nach Fichte letztlich besser, dem Gebotenen Gehorsam zu leisten im Vertrauen darauf, daß die Folgen in der Hand Gottes zum Guten ausfallen werden6, als anstelle des zwangsläufig defizienten Wissens über die Gesamtheit der Handlungsfolgen unsere Neigung über Gehorsam oder Ungehorsam beschließen zu lassen. - Damit ist der Eudämonismus von Fichte als eine Lehre namhaft gemacht, nach der die Forderungen des Sittengesetzes nicht uneingeschränkt gelten. Die Verbindlichkeit sittlicher Forderungen ist vielmehr abhängig davon, ob sich diese in Übereinstimmung mit unseren subjektiven Neigungen befinden. Die Kritik Kants an einer Ethik, in der die Geltung sittlicher Forderungen als abhängig von ihrer Übereinstimmung mit unseren Neigungen gilt, wurzelt in maßgeblichen Grundentscheidungen seiner theoretischen Philosophie, die mit seinen praktisch-philosophischen Einsichten aufs engste zusammenhängt. In der Vorrede zur 1787 veröffentlichten zweiten Auflage seines theoretisch-philosophischen Hauptwerks, der KRITIK DER REINEN VERNUNFT, weist er selbst ausdrücklich auf den praktischen Nutzen hin, der sich aus der in dieser Schrift vollzogenen Begrenzung der Ansprüche spekulativer Vernunft ergibt. Weil nämlich die nach Kant für sittliches Handeln unabdingbare Gewißheit über die Existenz von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit mit den Mitteln der spekulativen Vernunft prinzipiell nicht er-

3

J o h a n n Gottlieb Fichte, Das System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre ( 1 7 9 8 ) , Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften I 5 (Werke 1 7 9 8 - 1 7 9 9 ) , Stuttgart-Bad Canstatt 1 9 7 7 , 2 9 6 , 2 8 - 3 1 .

4

AaO, 297,1.

5

AaO, 297,7-9.

6

AaO, 2 9 6 , 3 0 .

Die Bestreitung der ethischen Relevanz des Glücks bei Kant

11

reicht werden kann, ist es gerade um der Geltung praktischer Grundsätze willen erforderlich, daß die theoretische Vernunft ihre Grenzen akzeptiert7. Ein Festhalten am Dogmatism der Metaphysik, d.i. das Vorurteil, in ihr ohne Kritik der reinen Vernunft fortzukommen, gilt Kant dagegen als die wahre Quelle alles der Moralität widerstreitenden Unglaubens8. Der Punkt, an dem sowohl die Begrenztheit spekulativer Vernunfterkenntnis als auch der praktische Nutzen der Vernunftkritik in besonderer Weise deutlich wird, ist Kants Behandlung des Problems der menschlichen Freiheit9. Im Zusammenhang seiner Diskussion der Antinomie der reinen Vernunft wird zunächst deutlich, daß sich weder die Behauptung der Existenz menschlicher Freiheit noch deren Bestreitung im Namen einer durchgängigen Naturkausalität mit den Mitteln der theoretischen Vernunft hinreichend bewahrheiten läßt 10 . Unter Berücksichtigung von Kants entscheidender erkenntnistheoretischer Voraussetzung jedoch, nach der die von uns wahrgenommenen Gegenstände nicht die Dinge an sich sind, sondern nur als deren Erscheinungen gelten können, wird die Antithetik der theoretischen Vernunft hinsichtlich des Freiheitsproblems ohne weiteres lösbar: Naturkausalität, die in der Tat nicht mit Freiheit zusammen bestehen kann, kommt lediglich der Welt der Erscheinungen zu. Nach Kant müssen aber die Erscheinungen ihrerseits noch Gründe haben, die nicht Erscheinungen sind11 und die deshalb vom naturgesetzlichen Determinismus der Erscheinungswelt unbetroffen bleiben. In diesem intelligiblen Bereich jenseits der Erscheinungswelt ist Freiheit ohne Widerspruch denkbar. Nun ist der Mensch, jedenfalls in Ansehung gewisser Vermögen (Verstand, Vernunft, R.L.), ein bloß intelligibler Gegenstand12. Von daher können seine Handlungen als frei gelten,

7

Ich kann also Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zum Behuf des notwendigen praktischen Gebrauchs meiner Vernunft nicht einmal annehmen, wenn ich nicht der spekulativen Vernunft zugleich ihre Anmaßung überschwenglicher Einsichten benehme (Immanuel Kant, Kritik der reinen V e r n u n f t , Β [ 1 7 8 7 ] X X I X f . ; Hervorhebungen im Text, R.L.).

8

Beide Zitate a a O , Β X X X .

9

Vgl. zum folgenden den ganzen Zusammenhang aaO, A ( 1 7 8 1 ) 4 0 5 - 5 6 7 , bes. 532-558.

10

11

Die Darstellung dieses dritten Widerstreits der Antinomie der reinen V e r n u n f t findet sich aaO, A 4 4 4 - 4 5 3 . AaO, A 537.

12

AaO, A 546.

12

Das Problem des Eudämonismus

sofern sie ihren Ursprung im intelligiblen Bereich haben, und diese Freiheit gilt unbeschadet dessen, daß dieselben Handlungen, sofern sie als Wirkungen in der Erscheinungswelt auftreten, jederzeit der bruchlosen Naturkausalität unterworfen bleiben 13 . Die so erwiesene Möglichkeit einer intelligiblen Kausalität der Vernunft findet nach Kant in der sittlichen Selbsterfahrung des Menschen ihre Bestätigung. Die geläufige Feststellung etwa, daß eine bestimmte Handlung geschehen soll oder nicht hätte geschehen dürfen, bringt nämlich eine Art von Notwendigkeit zur Geltung, die in

der ganzen Natur sonst nicht vorkommt1*,

die deshalb aus dem

(intelligiblen) Bereich jenseits der Erscheinungswelt stammen muß und dennoch auf die Erscheinungswelt bezogen wird. Damit ist der Übergang zur praktischen Philosophie vollzogen: Während die theoretische Vernunft lediglich zeigen kann, daß Natur

(-kausalität, R.L.) der Kausalität aus Freiheit wenigstens

widerstreite15,

nicht

versichert uns die praktische Vernunft durch das moralische Gesetz der Realität dieser Freiheit, weil die sich aus dem moralischen Gesetz für unser Handeln ergebenden Forderungen aus Naturnotwendigkeit gar nicht ableitbar sind. Wenn Moralität also möglich sein soll, muß Freiheit wirklich sein. Sie stellt die ratio essendi des moralischen Gesetzes dar, das seinerseits als deren Erkenntnisgrund gilt, als ratio cognoscendi der Freiheit16. Da Sittlichkeit nach Kant ihren Ursprung in der intelligiblen Welt hat, kann nichts, was mit der Sinnenwelt in Zusammenhang steht, zur Grundlegung der Ethik taugen. Hier liegt die Wurzel der kantischen Eudämonismus-Kritik. Denn der Gedanke des menschli-

13

Es sei nicht verschwiegen, daß die Konsistenz der hier nur in aller Kürze und lediglich auf der Grundlage des Antinomie-Kapitels der ersten Kritik dargestellten theoretischen Begründung menschlicher Freiheit durch Kant immer wieder bezweifelt wird - man kann diese Kritik „in beinahe jedem Buch über Kant finden" (so schon Herbert James Paton, Der kategorische Imperativ. Eine Untersuchung über Kants Moralphilosophie [ 1 9 4 7 ] , Berlin 1 9 6 2 , 3 3 9 ) . Die wohl neueste umfassende Kritik der Freiheitslehre Kants stammt von Birger Ortwein, Kants problematische Freiheitslehre, Bonn 1 9 8 3 (zugl. Diss. Mainz 1 9 8 2 ) . Eine eingehende Berücksichtigung der Diskussion würde freilich den Rahmen dieser Arbeit sprengen und soll deshalb unterbleiben.

14

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 5 4 7 .

15

A a O , A 5 5 8 (Hervorhebung im Text, R.L.).

16

Beide Zitate aus Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft ( 1 7 8 8 ) , Akademie-Textausgabe V 4 , 3 2 f . ; vgl. auch a a O , 2 9 , 2 4 - 3 0 , 3 5 .

Die Bestreitung der ethischen Relevanz des Glücks bei Kant

13

chen Glücks gilt Kant grundsätzlich als empirisch bedingt, und deshalb kann das Glücksstreben der Menschen nicht die Grundlage einer sittlichen Gesetzgebung bilden. Wer dem menschlichen Glücksstreben ethische Relevanz zuerkennt, der gibt nach Kant den Gedanken der Sittlichkeit preis, weil in der Erscheinungswelt, der unser Glücksbedürfnis stets verhaftet bleibt, Freiheit und damit Moralität gerade ausgeschlossen sind. Unter Glückseligkeit versteht Kant das Bewußtsein eines vernünftigen Wesens von der Annehmlichkeit des Lebens, die ununterbrochen sein ganzes Dasein begleitet17. Daß alle Menschen nach einem solchen permanenten Zufriedenheitsgefühl verlangen, steht auch für ihn außer Zweifel. Er bestreitet allerdings mit Nachdruck, daß man das Phänomen des Sittlichen adäquat interpretiert, wenn dieses Verlangen zum Bestimmungsgrund moralischen Sollens erhoben und ethisches Handeln als Folge des Glückseligkeitsstrebens gedeutet wird. Denn weil in diesem Fall die Geltung moralischer Grundsätze davon abhinge, ob ihre Befolgung ein Gefühl der Lust im Handelnden zu erzeugen geeignet ist, wäre die Selbstliebe der eigentliche Motor der Sittlichkeit. Dann aber bliebe die Regel des Willens einer empirischen Bedingung... unterworfen™, während nach Kant gerade das Bewußtsein der Freiheit als der Unabhängigkeit von sinnlichen Antrieben für die sittliche Selbsterfahrung des Menschen konstitutiv ist: Man darf nur das Ortheil zergliedern, welches die Menschen über die Gesetzmäßigkeit ihrer Handlungen fällen: so wird man jederzeit finden, daß, was auch die Neigung dazwischen sprechen mag, ihre Vernunft dennoch, unbestechlich und durch sich selbst gezwungen, die Maxime des Willens bei einer Handlung jederzeit an den reinen Willen halte, d.i. an sich selbst, indem sie sich als a priori praktisch betrachtet19'. Der Grundsatz, in dem diese von allen empirischen Bestimmungsgründen gereinigte Autonomie der praktischen Vernunft zur Geltung kommt, ist bekanntlich der sog. Kategorische Imperativ 20 . Nur eine auf dieser Basis konzipierte Ethik kann nach Kant

17 18 19 20

AaO, 22,17-19. AaO, 27,9-11. AaO, 32,2-7. Die in der KRITIK DER PRAKTISCHEN V E R N U N F T enthaltene Formulierung dieses Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft lautet: Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne (aaO, 30,38f.). Kants Kategorischer Imperativ ist nach wie

14

Das Problem des Eudämonismus

einen berechtigten Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben und dem Phänomen des Sittlichen hinreichend gerecht werden. Die entscheidende Differenz gegenüber dem Ansatz beim menschlichen Glückseligkeitsstreben besteht darin, daß der kategorische Imperativ schlechthin gebietet, daß also die Geltung der sich aus diesem Grundsatz ergebenden praktischen Vorschriften gerade nicht davon abhängt, ob ihre Befolgung zur Erlangung des eigenen Glücks beizutragen verspricht. Es ergibt sich: Das Wesen des Sittlichen besteht nach Kant darin, daß reine Vernunft für sich allein praktisch wird, daß sie also ihre Handlungsgrundsätze unabhängig von allen der Sinnenwelt verhafteten Beweggründen formuliert. Die Einbeziehung des Glücksgedankens zerstört sittliches Handeln, da, was Glück bedeuten kann, nur unter Rekurs auf die Sinnenwelt zu konkretisieren ist. Wenn aber Eudämonie (das Gliickseligkeitsprincip) statt der Eleuther o nom i e (des Freiheitsprincips der inneren Gesetzgebung) zum Grundsatze aufgestellt wird, so ist die Folge davon Euthanasie (der sanfte Tod) aller Moral21. Daß Kant aus den hier dargelegten Gründen dem menschlichen Glücksstreben eine normative Bedeutung für die Ethik abgesprochen hat, heißt allerdings nicht, daß der Glücksbegriff für ihn ganz und gar überflüssig geworden ist: Die U « í e r s c h ei dun g des Glückseligkeitsprincips von dem der Sittlichkeit ist darum nicht sofort Entgegensetzung beider11. Bereits in der Methodenlehre seiner KRITIK DER REINEN V E R N U N F T hatte Kant darauf hingewiesen, daß das System der Sittlichkeit mit dem der Glückseligkeit unzertrennlich ... sei, insofern

21

22

vor Gegenstand intensiver philosophischer und rechtswissenschaftlicher Bemühungen; hier sei nur hingewiesen auf den schon erwähnten .Klassiker' von Herbert James Paton, Der kategorische Imperativ, sowie auf Christian Schnoor, Kants Kategorischer Imperativ als Kriterium der Richtigkeit des Handelns, Tübingen 1989 (Tübinger rechtswissenschaftliche Abhandlungen 67; zugl. Diss. Tübingen 1986). Die von Schnoor aaO, 44-90 auf der Grundlage einer eingehenden Behandlung der vier bei Kant begegnenden Formulierungen herausgearbeitete allgemeine Formel lautet: „ Gehandelt werden soll (I) so, daß die Maxime des Handelns (II) zum allgemeinen Gesetz (III) taugt (IV)" (aaO, 90; Kursivdruck im Text, R.L.). Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, Akademie-Textausgabe VI 378,1518 (Hervorhebungen im Text, R.L.). Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Akademie-Textausgabe V 93,1 lf. (Hervorhebungen im Text, R.L.).

Die Bestreitung der ethischen Relevanz des Glücks bei Kant

15

es notwendig ist, daß jedermann die Glückseligkeit in demselben Maße zu hoffen Ursache habe, als er sich derselben in seinem Verhalten würdig gemacht hat. Allerdings sind die in der intelligiblen Welt gründende Sittlichkeit und die der Erscheinungswelt verhaftete Glückseligkeit nur in der Idee der reinen Vernunft verbunden, also dann, wenn eine höchste Vernunft, die nach moralischen Gesetzen gebietet, zugleich als Ursache der Natur zugrunde gelegt wird. Die so erfolgte Re-Integration des Glücksbegriffs in die Ethik unter Verweis auf ein Ideal des höchsten Guts23 nimmt Kant in seinen praktischphilosophischen Schriften auf: Im Begriff des höchsten Gutes fallen Tugend und Glückseligkeit zusammen. Tugend nämlich, also ein Handeln im Sinne des Sittengesetzes, ist zwar durchaus das oberste, aber eben noch nicht das ganze und vollendete Gut...; denn um das zu sein, wird auch Glückseligkeit dazu erfordert24. Es ist von daher nach Kant geradezu denknotwendig, daß wahrhaft sittliches Handeln letztlich belohnt werden muß 2 5 . Daraus ergibt sich insofern kein Widerspruch gegenüber der zunächst so nachdrücklich betonten Trennung von Sittlichkeit und Glückseligkeit, als nach Kant nur solche Sittlichkeit des Glückes würdig sein kann, für deren Vollzug der Wunsch nach Erlangung des Glücks nicht konstitutiv ist. Nach der von Kant kritisierten eudämonistischen Begründung der Sittlichkeit gilt dagegen gerade die Hoffnung auf Glückserlangung als das eigentliche Motiv moralischen Handelns. In großer Klarheit hat er diesen Zusammenhang in der METAPHYSIK DER SITTEN dargestellt: Der denkende Mensch nämlich, wenn er über die Anreize zum Laster gesiegt hat und seine oft saure Pflicht gethan zu haben sich bewußt ist, findet sich in einem Zustande der Seelenruhe und Zufriedenheit, den man gar wohl Glückseligkeit nennen kann ... Nun sagt der Eudämonist: Diese Wonne, diese Glückseligkeit ist der eigentliche Bewegungsgrund, warum er tugendhaft handelt. Nicht der Begriff der Pflicht bestimme unmittelbar seinen Willen, sondern nur vermittelst der im Prospect gesehnen Glückseligkeit werde er bewogen,

23

24

25

Alle Zitate nach der letzten Anmerkung: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 809f. (Hervorhebungen im Text, R.L.). Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Akademie-Textausgabe V 110,22-24 (Hervorhebung im Text, R.L.). Denn der Glückseligkeit bedürftig, ihrer auch würdig, dennoch aber derselben nicht theilhaftig zu sein, kann mit dem vollkommenen Wollen eines vernünftigen Wesens, welches zugleich alle Gewalt hätte, wenn wir uns auch nur ein solches zum Versuche denken, gar nicht zusammen bestehen (aaO, 110,27-31).

Das Problem des Eudämonismus

16

seine Pflicht zu thun26. - Dient also das menschliche Glücksstreben als Ausgangspunkt für die Formulierung ethischer Grundsätze, dann kann nach Kant das Proprium des Sittlichen nicht angemessen zum Ausdruck gebracht werden. Allerdings ist die Erlangung der Glückseligkeit im Sinne eines nicht intendierten Lohnes für sittliches Handeln nicht nur ethisch legitim, sondern vom Begriff des höchsten Gutes her sogar gefordert. Die hier in groben Umrissen angedeuteten Grundentscheidungen der praktischen Philosophie Kants haben die Geschichte der Ethik nachhaltig bestimmt. Es kann auch heute noch als philosophischer Konsens gelten, daß Kants Entdeckung der Autonomie als des wahren Ursprungs der Moral „das Gewicht einer moralphilosophischen Revolution hat" 2 7 , wobei zumeist auch zugestanden ist, daß „die einschlägige Kritik von Seiten Kants (am Eudämonismus, R.L.) zu einem wesentlichen Teil gültig bleibt" 28 . Die sachliche Relevanz, die der praktischen Philosophie Kants in solchen Äußerungen zugesprochen wird, findet nicht zuletzt darin ihren Ausdruck, daß sich „die nachkantischen Ansätze in der Ethik ... zu einem guten Teil als vermittelnde Kompromißlösungen zwischen Kant und der aus der Antike herreichenden teleologischen Tradition" darstellen29. Dies gilt auch und gerade angesichts der Tatsache, daß immer wieder auf Einseitigkeiten und Engführungen der auf einem lediglich formalen Grundsatz beruhenden reinen Sollensethik Kants hingewiesen worden ist. Viel Kritik an der Verabsolutierung des kantischen Ansatzes ist vor allem im Zuge der seit den 70er Jahren in der deutschsprachigen philosophischen Ethik beobachtbaren Tendenz zur Rehabilitierung einer eudämonistischen Ethik geäußert worden. Doch machen

26

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, Akademie-Textausgabe VI 3 7 7 , 1 8 2 7 (Hervorhebungen im Text, R.L.); vgl. auch schon Immanuel Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie ( 1 7 9 6 ) , AkademieTextausgabe VIII 3 9 5 , 3 8 f . 3 9 6 , 6 - 8 : Der Eudämonist gesteht zu, die Lust (Zufriedenheit), die ein rechtschaffener Mann im Prospect hat, um sie im Bewußtsein seines wohlgeführten Lebenswandels dereinst zu fühlen, (mithin die Aussicht auf seine künftige Glückseligkeit) sei doch die eigentliche Triebfeder, seinen Lebenswandel wohl (dem Gesetze gemäß) zu führen (Hervorhebungen im Text, R.L.).

27

Otfried Höffe, Moral als Preis der Moderne. Ein Versuch über Wissenschaft, Technik und Umwelt, Frankfurt/M. 1 9 9 3 , 1 3 9 .

28

A a O , 137f.

29

Hans Krämer, Antike und moderne Ethik?, in: Z T h K 8 0 ( 1 9 8 3 ) , 1 8 4 - 2 0 3 , hier 184.

Die Bestreitung der ethischen Relevanz des Glücks bei K a n t

17

gerade die um eine sachliche Relativierung bemühten Beiträge in all ihrer Verschiedenheit die Unhintergehbarkeit von Kants Eudämonismus-Kritik deutlich. Robert Spaemann z.B. stellt seinen GLÜCK UND WOHLWOLLEN betitelten Versuch über Ethik in das Spannungsfeld des seit Kant aufgebrochenen Dualismus zwischen einer eudämonistischen Wollens- und einer universalistischen Sollensethik, wobei er „nach einem Grund jenseits dieses Dualismus (sucht), einem Grund, der den Dualismus selbst in seinem Sinn erst verständlich m a c h t " 3 0 . Der oben bereits zitierte Hans Krämer geht dagegen weniger von einem möglicherweise überwindbaren Dualismus als vielmehr von einer vollständigen Disjunktion zwischen beiden Ethiktypen aus 3 1 . Angesichts der von ihm konstatierten und als unangemessen beurteilten Hegemonie der das Sollen betonenden Moralphilosophie gegenüber der Glücksethik fordert er im Namen einer integrativen Ethik „die Reetablierung und zeitgemäße Erneuerung des Typus der Strebens-, Selbst- und Glücksethik, aber nicht ohne und auch nicht gegen die Moralphilosophie, sondern als deren notwendiges Komplement und Pendant" 3 2 . D a ß der Ansatz Kants bis in gegenwärtige Ethikkonzepte hinein eine so wichtige Rolle spielt, macht einmal mehr die prinzipielle Bedeutung seiner Eudämonismus-Kritik für die ethische Reflexion deutlich. Diese Bedeutung erstreckt sich selbstverständlich auch auf die heutige Beurteilung von historisch älteren ethischen Entwürfen, hinsichtlich derer sich vor dem Hintergrund der kantischen Kritik die Frage nahelegt, ob bzw. inwieweit sie davon getroffen werden. Und es ist nur natürlich, daß eine solche Frage auch bezüglich der Ethik des Thomas gestellt wird. Ein Ziel der vorliegenden Untersuchung besteht darin, einen Beitrag zur Klärung dieses Problems zu leisten, indem - auf der Grundlage einer Analyse des thomanischen beatitudoBegriffs - die Frage gestellt wird, wie Thomas den Zusammenhang zwischen Glücksstreben und Sittlichkeit beschrieben hat.

30

Robert Spaemann, Glück und Wohlwollen. Versuch über Ethik, Stuttgart 1 9 8 9 ,

31

„Die Disjunktion zwischen Strebensethik und Moralphilosophie ist vollständig" (Hans Krämer, Integrative Ethik, Frankfurt/M. 1 9 9 2 , 122). Ebd.

10.

32

18

Das Problem des Eudämonismus

1.2 Die Kritik der lutherischen Theologie an einer eudämonistischen Ethik Das Denken Kants ist vielfach als philosophischer Ausdruck protestantischer Religiosität interpretiert worden. Diese Einschätzung legt sich übrigens schon aufgrund einer entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung der kantischen Ethik nahe. Gerade Hans Krämer hat mit Recht immer wieder geltend gemacht, daß die kantische Sollensethik „ihre Imperativische Energie dem Modell der theologischen Ethik entlehnt hat" 1 . Als maßgebliche theologische Quelle der praktischen Philosophie Kants gilt der Leipziger Theologe und Philosoph Christian August Crusius (1715-1775), dessen moraltheologische Schriften wichtige Elemente enthalten, die in säkularisierter' Form bei Kant wieder begegnen, dessen Sollensethik sich von daher „als radikalisierte theologische Ethik ohne Theologie" erweist2. Dieser hier nicht weiter zu erörternde theologische Hintergrund der kantischen Ethik3 hat sich auch in der m.W. zuerst von Friedrich Paulsen im Jahre 1900 ausdrücklich formulierten Charakterisierung Kants als des .Philosophen des Protestantismus' niedergeschlagen . Die hier behauptete Wesensverwandtschaft zwischen der Intention Kants und dem theologischen Anliegen des lutherischen Protestantismus ist auch in dem Versuch Julius Kaftans vorausgesetzt, eine ,Philosophie des Protestantismus' auf der Basis des kantischen Denkens zu konzipieren5. In einer Würdigung der Schrift von Kaftan hat der deutsche Philosoph Heinrich Scholz aus seiner Sicht den „Zusammenhang zwischen dem h i s t o r i s c h e n Kant und den Schöpfern des Protestantismus"6 unter ausdrücklicher Berücksichtigung ihrer Verschiedenheit präzisiert und dabei zwei Punkte hervorgehoben, nämHans Krämer, Antike und moderne Ethik?, 1 8 6 (Kursivdruck im Text, R.L.); vgl. auch Hans Krämer, Integrative Ethik, 1 l f . 2 0 . 8 7 . 2

Hans Krämer, Antike und moderne Ethik?, 1 8 7 .

3

Wenigstens verwiesen werden soll (1) auf die von Hans Krämer, Antike und moderne Ethik?, 186f. Anm.3 und 8 angeführten Belege zur Stützung der genannten These sowie (2) auf die Dissertation von Anton Marquard, Kant und Crusius, Kiel 1 8 8 5 .

4

Vgl. Friedrich Paulsen, Kant der Philosoph des Protestantismus, in: KantSt 4 (1900), 1-31.

5

Vgl. Julius Kaftan, Philosophie des Protestantismus. Eine Apologetik des evangelischen Glaubens, Tübingen 1 9 1 7 .

6

Heinrich Scholz, Zur Philosophie des Protestantismus, in: KantSt 2 5 ( 1 9 2 0 ) , 2 4 4 9 , hier 2 8 (Hervorhebung im Text, R.L.).

Die Kritik der lutherischen Theologie

19

lieh den „Gedanke(n) der Autonomie und das Prinzip der Innerlichkeit" 7 . Damit deutlich wird, in welcher Weise Scholz diesen Zusammenhang genauer bestimmt, sei die entsprechende Textpassage im folgenden zitiert: „(D)er große Gedanke der Autonomie ist auf beiden Seiten verschieden gefärbt. Der reformatorische Freiheitsbegriff bedeutet die Unabhängigkeit des Gottsuchers von den Ansprüchen des Priestertums, sein Korrelat ist die Selbstoffenbarung des Göttlichen. Der Kantische Freiheitsbegriff bedeutet hingegen die Unabhängigkeit des sittlich emporstrebenden Menschen von den Antrieben der sinnlichen Natur; sein Korrelat ist die Motivsetzung der reinen Vernunft. Das sind zwei sehr verschiedene Begriffe, und man könnte ernstlich zweifeln, ob sie überhaupt zueinander passen, wenn nicht ein großer Gedanke aufleuchtete, der über ihre Wesensverwandtschaft entscheidet. Es ist die Idee der p e r s ö n l i c h erlebten Autorität und ihrer Allmacht über die Seele des Menschen. Keine Autorität, auch die ehrwürdigste nicht, soll einen Menschen verpflichten können, wenn er sie nicht in sich selbst als eine solche verspürt" 8 . Zum zweiten Übereinstimmungspunkt, dem Prinzip der Innerlichkeit, bemerkt Scholz: „(W)ie nach Kant die Gesinnung des Handelnden allein imstande ist, dem sittlichen Handeln Wert zu verleihen, so beruht nach reformatorischer Anschauung aller Wert des religiös bedeutsamen Handelns auf seinem Ursprung aus dem inneren Quell der religiösen Lebensverfassung" 9 . Betrachtet man die zwei Gesichtspunkte, hinsichtlich derer nach Scholz in der praktischen Philosophie Kants zugleich wichtige Anliegen der reformatorischen Theologie zur Geltung kommen, so wird deutlich, daß es sich dabei um diejenigen Aspekte des kantischen Denkens handelt, die oben als Grundlage seiner EudämonismusKritik erwiesen wurden: Ausschließlich solche Handlungen können als sittlich gut gelten, die ihren Grund in der Selbstgesetzgebung (Autonomie) reiner praktischer Vernunft haben und aus einer nur am Sittengesetz orientierten Gesinnung hervorgehen. Dem entspricht nach Scholz die auf Luther zurückgehende Auffassung, nach der die Wurzel christlicher Sittlichkeit einzig in der Richtigkeit des Gottesverhältnisses und in der diesem Gottesverhältnis entsprechenden Gesin-

7 8 9

Ebd. AaO, 28f. (Hervorhebung im Text, R.L.). AaO, 29.

20

Das Problem des Eudämonismus

nung des Menschen liegt. Dieser hier nur ganz allgemein festgestellte Zusammenhang ist im folgenden aus der Perspektive Luthers und der an ihm orientierten Theologie noch weiter zu präzisieren. Zunächst kann festgestellt werden, daß eine Verbindung zwischen Kants Eudämonismus-Kritik und der lutherischen Ethik auch in der theologischen Luther-Forschung konstatiert worden ist: „Luther steht in der Auslegung des Gebotes Gottes streng wider allen ethischen Eudämonismus, auch gegen den religiös-transzendenten. ... Diese Strenge hat Kant in seiner praktischen Philosophie wieder aufgenommen" Allerdings ist immer wieder darauf hingewiesen worden, daß die zwischen Luther und Kant bestehenden Gemeinsamkeiten nur auf dem Hintergrund der tiefgreifenden Verschiedenheit beider Ansätze angemessen gewürdigt werden können: „Denn so unreformatorisch, materialiter geurteilt, die Kantsche Anweisung ,durch Tugend zur Begnadigung' auch sein mag, so ist doch Kants Dualismus von Religion und Sittlichkeit, von Gnade und Tugend, in Luthers Antithetik von Glaube und Werk vorgeprägt" 11 . Bei der Herausarbeitung der zwischen Luther und Kant bestehenden Unterschiede ging es vielfach in erster Linie darum, die Überlegenheit des lutherischen Ansatzes gegenüber der kantischen Konzeption herauszustellen. So bemerkt Paul Althaus (kurz nach dem oben Zitierten): „Kant ermäßigt die Schärfe des Gebotes Jesu im Blick auf den empirischen Menschen und sein Versagen gegenüber dieser Höhe der Forderung; Luther läßt das Gebot sagen, was es sagt, auch wenn niemand es erfüllen kann" 1 2 . In vergleichbarer Weise war das Verhältnis zwischen Luther und Kant gut 4 0 Jahre zuvor von Karl Holl beschrieben worden. Dieser hatte einerseits zugestanden, daß in Kants Ableitung des Sittlichen aus der Autonomie reiner praktischer Vernunft etwas grundsätzlich Richtiges zur Geltung kommt, jedoch bleibe - andererseits - auch diese „sonst beste" Begründung der Ethik „mit dem Fehler behaftet, daß sie unvermerkt doch wieder einen, nur verfeinerten Eudämonismus zu Hilfe ruft. Wer sich dem Gesetz (oder der Idee) unterwirft, der tut es nach Kant, weil er damit seine wahre ,Würde' gewinnt. Aber das heißt: er g e n i e ß t , indem er sittlich handelt, s i c h

10

Paul Althaus, Die Theologie Martin Luthers ( 1 9 6 2 ) , G ü t e r s l o h 7 ! 9 9 4 , 1 2 6 .

11

Jörg Baur, Luther und die Philosophie, in: NZSTh 2 6 ( 1 9 8 4 ) , 1 3 - 2 8 ; jetzt in: Jörg Baur, Luther und seine klassischen Erben. Theologische Aufsätze und Forschungen, Tübingen 1 9 9 3 , 1 3 - 2 8 , hier 14.

12

Paul Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 1 2 7 .

Die Kritik der lutherischen Theologie

21

s e l b s t in seiner Würde" 13 . Demgegenüber hat nach Holls Interpretation bereits Luther den 250 Jahre später von Kant nur halbherzig geleisteten ,Neubau der Sittlichkeit' mit der nötigen Konsequenz vollzogen. In Auseinandersetzung mit der scholastischen Ethik, die die christliche Sittlichkeit „teils in Form der Tugendlehre, teils in der der Güterlehre (Gott das höchste Gut!)" entwickelte 14 , habe Luther das Sittliche in Form einer Pflichtenlehre dargestellt. Allerdings, und hier wird der von Holl betonte Unterschied zu Kant nochmals deutlich, hat Luther die Unbedingtheit der sittlichen Forderung durch den Gedanken der „ F r e u d i g k e i t des W o l l e n s " 1 5 ergänzt, die aus der Dankbarkeit dafür entspringt, daß sich der von Gott angenommene Mensch als dessen Werkzeug fühlen darf. Erst diese bei Kant gerade nicht begegnende Rückführung der ethischen Forderung auf ein Empfangenhaben, also die theologische Fundierung des Sollens, gilt für Holl als überzeugende Begründung einer sittlichen Bindung und stellt vor allem die einzig angemessene Interpretation des biblischen Doppelgebotes der Liebe dar 16 . Hier ist weder ein detaillierter Vergleich zwischen Luther und Kant anzustellen, noch ist zu untersuchen, ob die von Althaus oder Holl unter Berufung auf Luther formulierten Anfragen an Kant im einzelnen berechtigt sind. Ungeachtet all dessen kann aber festgehalten werden, daß sich offenbar aus der Perspektive lutherischer Theologie eine mindestens ebenso nachdrückliche Kritik an einer beim 13

14

15 16

Beide Zitate aus Karl Holl, Der Neubau der Sittlichkeit (1919), in: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte I (Luther), Tübingen 1927, 155-287, hier 180 Anm.2 (Hervorhebungen im Text, R.L.). Die an dieser Stelle enthaltene Abgrenzung von Kant hat Holl angesichts des von Friedrich Gogarten gegen ihn vorgebrachten Vorwurfs des Kantianismus wiederholt: „Kants unbestreitbares geschichtliches Verdienst bestand darin, daß er die Unterwerfung unter ein Unbedingtes als den wahren Sinn des Sittlichen wieder festgestellt hat. Aber als Grund, warum der Mensch jenem Unbedingten sich unterwirft, erscheint bei ihm die Rücksicht auf die eigene .Würde', d. h. die S e l b s t a c h t u n g . Um dieses Letzteren willen habe ich die Kantische Ethik überall unmißverständlich a b g e l e h n t " (Karl Holl, Gogartens Lutherauffassung. Eine Erwiderung [1924], in: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte III [Der Westen], Tübingen 1928, 244-253, hier 245; Hervorhebungen im Text, R.L.). Karl Holl, Der Neubau der Sittlichkeit, 178; vgl. zum folgenden den ganzen Zusammenhang aaO, 179-181 sowie 287. AaO, 179 (Hervorhebung im Text, R.L.). Luther „hat das Netz zerrissen, das die Kasuistik (des Mittelalters, R.L.) gewoben hatte und da s n e u t e s t a m e n t l i e h e G e b o t in s e i n e m V o l l s i n n wieder h e r g e s t e l l t " (aaO, 176; Hervorhebung im Text, R.L.).

22

Das Problem des Eudämonismus

Glücksverlangen des Menschen ansetzenden Ethikkonzeption ergibt wie aus der Perspektive der kantischen Philosophie. Holl verdeutlicht dies, indem er versucht, Luthers Kritik am mittelalterlichen Sittlichkeitsverständnis als eine Kritik am hier herrschenden Eudämonismus zu interpretieren. Er hat mit Nachdruck geltend gemacht, daß Luther mit der seit Augustin in der westlichen Christenheit maßgeblichen Auffassung gebrochen habe, nach der „das Sittliche in enge Beziehung zum Glücksstreben gesetzt" 1 7 wurde. Diese augustinische Lehre, die Holl ausdrücklich als eudämonistisch bezeichnet und einer eingehenden Kritik unterzogen hat 1 8 , stelle die Grundlage jener im mittelalterlichen Denken weitergetriebenen Destruktion christlicher Sittlichkeit dar, gegen die sich erst Luther wieder konsequent gewandt habe: „Niemand hat vor ihm den Gegensatz zwischen Sittlichkeit und Glücksverlangen so klar herausgearbeitet" 1 9 . Nur solche Sittlichkeit ist nach Luther etwas wert, die der Christ aus dem dankbaren Bewußtsein heraus vollzieht, von Gott angenommen zu sein und „all sein Handeln als ein Tun zu Gottes Ehre empfinden zu d ü r f e n " 2 0 . W e r dagegen im Vollzug sittlichen Handelns die Erlangung seiner Seligkeit intendiert, bleibt letztlich in der Selbstliebe befangen und verfehlt die vom christlichen Ethos her geforderte totale Hingabe an Gott. Holl belegt seine Auffassung vorwiegend mit Texten aus Luthers Römerbrief-Vorlesung und weist dabei vor allem auf eine Stelle hin; es ist davon die Rede, daß die höchste Stufe der Erwählung durch solche Gotteshingabe charakterisiert ist, die die Bereitschaft impliziert, dem Willen Gottes auch dann zuzustimmen, wenn dies den ewigen T o d bedeuten würde 2 1 . Der hier ausgesprochene Gedanke setzt nun in der T a t eine der kantischen Kritik in gewisser Weise vergleichbare Ablehnung einer vom menschlichen Glücksstreben ausgehenden Bestimmung des Sittlichen voraus. Luther, so ist deshalb zu vermuten, liefert auch eine Kritik der eudämonistischen Ethik, die sich jedoch, anders als bei

17

AaO, 161.

18

Vgl. dazu Karl Holl, Augustine innere Entwicklung ( 1 9 2 2 ) , in: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte III (Der Westen), Tübingen 1 9 2 8 , 5 4 - 1 1 6 .

19

Karl Holl, Der Neubau der Sittlichkeit, 2 0 5 .

20

AaO, 206.

21

Vgl. aaO, 2 0 5 . Der Text Luthers, auf den in 4 . 2 zurückzukommen ist, lautet: optimus et extremas eorum, qui et in effectu seipsos resignant ad infernum pro Dei volúntate (Martin Luther, Diui Pauli apostoli ad Romanos epistola [Die Vorlesung über den Römerbrief 1 5 1 5 / 1 6 ] , W A 5 6 , 3 8 8 , 1 0 f . ) .

Die Kritik der lutherischen Theologie

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Kant, nicht aus philosophischen, sondern aus theologischen Einsichten spezifisch reformatorischen Charakters ergibt. Da im folgenden die thomanische Moraltheologie auch vor dem Hintergrund der sich von Luther her ergebenden Anfragen untersucht werden soll, muß dieser Vermutung genauer nachgegangen und zu diesem Zweck Luthers Ansatz in aller Kürze in Erinnerung gerufen werden. Die Ethik Luthers ist nur im Zusammenhang mit dem Herzstück seiner Theologie, der Rechtfertigungslehre, hinreichend zu verstehen. Luther hat diese Lehre auf der Grundlage einer intensiven Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift entwickelt, deren Aussagen er stets eine weitaus größere theologische Relevanz zubilligte als der Tradition, die er unter Berufung auf die Schrift teilweise massiv kritisiert hat (sola scriptura). In der Rechtfertigungslehre kommt, ganz kurz gesagt, die Erkenntnis zum Ausdruck, daß der Mensch zur Erlangung seines Heils von sich aus nichts beitragen kann, sondern daß die in der Heilserlangung vorausgesetzte Annahme des Menschen durch Gott, seine Rechtfertigung, ausschließlich als ungeschuldeter Akt göttlicher Gnade gedacht werden muß (sola gratia), die in Jesus Christus offenbar geworden ist. Der an der Forderung des Gesetzes permanent scheiternde Mensch, der aufgrund seiner Sündigkeit die in Gottes Gebot verlangte ausschließliche Herzenshingabe nie aufbringen kann, wird von Gott trotz dieser Sündigkeit als gerecht erklärt. Die Gerechtigkeit Gottes erscheint vom Evangelium her nicht mehr als eine Strafgerechtigkeit, die den Menschen danach beurteilt, inwieweit er in seinem Handeln dem Gesetz Genüge getan hat - so wären alle Menschen auf immer verloren. Die Gerechtigkeit Gottes besteht statt dessen darin, daß dieser von sich aus den Menschen trotz ihrer Sündigkeit vergibt; die göttliche Gerechtigkeit ist deshalb als Barmherzigkeit aufzufassen, die nicht vom Menschen her erlangt werden kann, sondern ihren Ursprung ausschließlich darin hat, daß sich Gott in Christus ganz auf die Seite der Menschen stellt (solus Christus). Weil von daher die Rechtfertigung einzig als Akt Gottes begriffen ist, wird die Gerechtigkeit dem Menschen zwar zuerkannt, ohne indes sein ,Eigentum' zu werden; sie bleibt eine ihm fremde Gerechtigkeit (iustitia aliena). Der Gerechtsprechung durch Gott entspricht auf Seiten des Menschen auch keinerlei Handeln, sondern nur der Glaube (sola fide), in welchem das J a ' des Menschen zur Heilstat Gottes insofern zum Ausdruck kommt, als das Sein des Menschen im Glauben zu einem Sein in Christus wird. Von der hier nur in allergröbsten Zügen angedeuteten Rechtfertigungslehre her ergibt sich ein ganz spezifisches Verständnis christ-

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Das Problem des Eudämonismus

licher Sittlichkeit. Moralisches Handeln kann nämlich, wenn der für Luthers Theologie zentrale Grundsatz von der Alleinwirksamkeit Gottes gewahrt bleiben soll, keinesfalls als Beitrag zur Erlangung des Heils verstanden werden, Sittlichkeit ist kein Weg zur Seligkeit. Wer etwas anderes behauptet, verleugnet Gott: Denn das kan das gnaden reich nicht leiden, das wir Got geben, verdienen oder bezalen wolten mit unseren wercken, Sondern ist die grossest lesterung und abgötterey und nichts anders denn Gott verleugnen und spotten dazu ... Denn wer mit wercken will verdienen und gewinnen, der denckt freilich nichts umb sonst odder aus gnaden zu entpfahen, Sondern wil mit Gott hantieren und rosteusschen22. Gute Werke dürfen also nicht so auf Gott bezogen werden, daß sie im Hinblick auf die von ihm her erhoffte Seligkeitsmitteilung geschehen, sondern nur so, daß in ihnen der aus der bereits empfangenen Heilszuversicht resultierende Dank zum Ausdruck kommt. Ihre ethische Relevanz haben sie deshalb nicht im Hinblick auf Gott, sondern primär in Richtung auf den Nächsten: Disse werck aber... sollenn ... den glaubenn üben, das nit yemandt durch die werck furnehm got gefallenn, szondern durch zuvorsicht seiner huid solch werck seinem gnedigen lieben got nur zu ehre unnd lob thu, daryn seinem nehsten zu dienen und nutz sein23. Hier ist der für Luthers Ethik fundamentale, sich direkt aus seiner Rechtfertigungslehre ergebende Gedanke vorausgesetzt, daß einzig der Rechtfertigungsglaube als Ursprung guter Werke gelten kann. Ein auf die Erlangung der jenseitigen Seligkeit orientiertes Handeln bleibt selbstsüchtig, auch wenn es sich im bewußten Verzicht auf irdisches Glück äußert 24 . Erst die in der Rechtfertigung dem Sünder geschenkte Gewißheit seines Angenommenseins durch Gott entlastet ihn von dem Zwang, sein Heil in irgendeiner Weise mit bewirken zu müssen - es ist ja von Gott durch Christus bereits bewirkt. Die dem Rechtfertigungsglauben entsprechende Heilsgewißheit befreit den Menschen in seinem Handeln von der sündigen Selbstbezogenheit. Indem diese Befreiung ein Handeln in der zuvorsicht seiner huid möglich macht, schafft sie die Grundlage für das Zustandekommen

22

Martin Luther, Der 1 1 7 . Psalm ausgelegt ( 1 5 3 0 ) , W A 3 1 1 , 2 5 2 , 2 0 - 2 2 . 2 4 - 2 6 .

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Martin Luther, Von den guten Werken ( 1 5 2 0 ) , W A 6 , 2 6 3 , 1 - 4 .

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Si dixerit: Ego autem diligo animarti meam non in hoc mundo, quia quero futura ei bona, Respondeo, quia hoc amore tui facis, quod est amor temporalis, ideo adhuc eo ipso eam diligis in hoc mundo (Martin Luther, Diui Pauli apostoli ad Romanos epistola, W A 5 6 , 3 9 2 , 2 2 - 2 5 ) .

Die Kritik der lutherischen Theologie

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guter Werke, die ihren Namen auch verdienen. Luthers Hochschätzung des Rechtfertigungsglaubens im Vollzug christlicher Sittlichkeit hat deshalb keineswegs eine Verhinderung guter Werke zur Folge im Gegenteil, erst vom Glauben her kann überhaupt sinnvoll von guten Werken geredet werden 25 . Nicht infolgedessen also, daß der Mensch Gutes tut, wird er gerecht, sondern infolge der ganz unabhängig von allem Tun im Glauben empfangenen Rechtfertigung durch Gott tut er auch Gerechtes: Prius necesse est personam

esse mutatam,

deinde

opera26.

Die mutatio personae, die von Gott her begründete neue Existenz des Menschen, besteht, wie Luther in Anlehnung an Paulus sagt (Gal 3,2), darin, daß Gott dem Menschen seinen Heiligen Geist verleiht: Dann wer got trawet, dem gibet er szo bald seinen heiligen geist27, und dieser machet den menschen ein dingk und einen geyst mit Gott, Also das er eben deß gesinnet wirt, daß will und begeret, daß suchet und liebet, daß Gott will, Und eben wie zwene freundt mit einander vereyniget sein, unnd einer will, was der ander will28. Durch die

Rechtfertigung tritt also die Willenskonformität mit Gott an die Stelle der Sorge des Menschen um sein Seelenheil. Doch gerade durch die Befreiung von dieser Sorge wird ihm die Seligkeit zuteil: wo Vergebung der sunde ist, da ist auch leben und Seligkeit19 - sein Heil

wird der Mensch genau dann erlangen, wenn er es nicht mehr intendiert. Die infolge der Willenskonformität mit Gott freudig getanen Werke der Liebe folgen dem Glauben notwendigerweise als dessen Früchte. Luther bestreitet ausdrücklich, daß ein Glaube ohne solche Früchte rechter Glaube sein kann: vel fructus oportet sequatur vel fides non recta30. Die hier betonte Notwendigkeit bedeutet jedoch nicht, daß 25

Daher kompts, wan ich denn glauben szo hoch antzihe und solch ungleubige werck furwirff, schuldigen sie mich, ich vorbiete gute werck, szo doch ich gerne wolte recht gutte werck des glaubens leren (Martin Luther, Von den guten Werken, W A 6,205,11-13).

26

Martin Luther, Luther an Spalatin. Wittenberg, 1 9 . 0 k t o b e r 1516 (Nr. 27), WABr 1,70,31. Martin Luther, Von den guten Werken, WA 6,206,29f. Martin Luther, Predigt am Trinitatisfeste (22.Mai 1524; Joh 3,Iff.), W A 15,725,31-34. Martin Luther, Der Kleine Catechismus für die gemeine Pfarrherr und Prediger (1529), W A 30 1,317,25-27. Martin Luther, Predigt am 12.Sonntag nach Trinitatis in der Schloßkirche (23. August 1534; Mk 7,31-37), WA 3 7 , 5 0 7 , l l f .

27 28

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Das Problem des Eudämonismus

Werke dann doch wieder eine Heilsrelevanz haben können, wenn sie von Gerechten bewirkt werden - menschliche Werke sind nämlich nie an sich gut, sondern nur dank Gottes Anrechnung 31 , also nicht aufgrund des durch sie Bewirkten, sondern lediglich sofern sie aus dem Glauben heraus vollzogen werden, auf dem allein ihre sittliche Qualität beruht: Dan in diesem werck (dem Glauben, R.L.) müssen alle werck gan und yrer gutheit einflusz gleich wie ein lehen von ym empfangen 2 . Die Werke der Gerechtfertigten tragen deshalb ebensowenig zur Heilserlangung bei wie die der Sünder; als besser gelten sie nur deshalb, weil sie aus dem Rechtfertigungsglauben heraus geschehen, der dem Menschen die Gewißheit des göttlichen Wohlgefallens verleiht: alle andere werck mag ein heyd, Jude, Turck, szunder auch thunn, aber trawenn festiglich das ehr got wolgefalle, ist nit muglich dann eynem Christen mit gnadenn erleucht unnd befestiget^. Aufgrund des bis hierher Gesagten ist folgendes deutlich geworden: Ebenso wie sich aus der Perspektive eines an Kant orientierten Denkens die philosophisch fundierte Ablehnung einer beim menschlichen Glücksverlangen ansetzenden Ethik ergibt, so eröffnet sich auch von Luthers Ansatz her ein hier allerdings theologisch motiviertes Kritikpotential hinsichtlich einer eudämonistischen Begründung christlicher Sittlichkeit. Wo sittliches Handeln im menschlichen Verlangen nach Glückseligkeit wurzelt, da wird nach Kant wie nach Luther Sittlichkeit letztlich zerstört. Nach Kant kann das Phänomen des Sittlichen unter Verwendung des Glücksbegriffs nicht adäquat beschrieben werden. Denn die Autonomie der reinen praktischen Vernunft als einzig denkbare Quelle moralischer Grundsätze ist gerade durch die Unabhängigkeit von der Sinnenwelt definiert, wogegen das Glückseligkeitsprinzip jederzeit empirisch verankert und somit der Naturnotwendigkeit verhaftet bleibt, innerhalb derer Freiheit und damit Moralität aber gerade nicht möglich sind. Nach Luther stellt eine am Glückseligkeitsstreben orientierte Sittlichkeit die Gratuität des Heils in Frage und verfehlt dadurch das Proprium der christlichen Existenz. Denn wer sein sittliches Handeln als Beitrag zur Heilserlangung versteht, dessen Sein ist gerade nicht in

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32 33

Summa, Omnium hominum opera sunt mala et vitiosa, Sed iustorum sunt reputante Deo bona, Impiorum sunt natura mala (Martin Luther, Die Promotionsdisputation von Palladius und Tilemann (Ol.Juni 1 5 3 7 ) These 4 5 [zu R o m 3,28], WA 39 I,204,37f.). Martin Luther, Von den guten Werken, W A 6 , 2 0 4 , 3 1 f . AaO, 2 0 6 , 1 6 - 1 8 .

Die Kritik der lutherischen Theologie

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Christus gegründet, sondern ist bestimmt von dem sündhaften Streben, mit eigener Kraft zur Erlangung seiner Rechtfertigung beizutragen. Die sich von diesen Voraussetzungen her zwangsläufig ergebende ,Werkgerechtigkeit' stellt nach Luther letztlich nichts Geringeres dar als eine Bestreitung der Gottheit Gottes: Den warumb der mensch etwas thut, das ist sein got34. Nachdem festgestellt wurde, daß sich aus der Perspektive sowohl der kantischen Philosophie als auch der lutherischen Theologie ein kritisches Potential gegenüber einer eudämonistischen Ethikbegründung ergibt, bleibt noch zu fragen, inwiefern diese Kritik speziell gegenüber der Theologie des Thomas geltend gemacht wird. Dabei soll zunächst auf solche Vorbehalte hingewiesen werden, die aus der Perspektive einer an Luther orientierten Theologie geäußert worden sind. An erster Stelle ist in diesem Zusammenhang wiederum Karl Holl zu nennen, der in seiner schon mehrfach herangezogenen Arbeit zu Luthers Ethik die aus seiner Sicht bei Augustin angebahnte und in der Scholastik fortgeführte Destruktion der christlichen Sittlichkeit immer wieder unter Heranziehung von Thomas-Texten zu belegen versucht. Ihm gilt es als ausgemacht, daß die von Thomas der antiken Güterlehre entnommene Überzeugung, nach der Gott das höchste Gut ist, „unwillkürlich ...., trotz aller Versicherungen, daß Gott um seiner selbst willen geliebt werden müsse, einem feineren Nützlichkeitsstreben die Tür öffnet" 3 5 . Holl belegt diese Auffassung mit dem Hinweis auf zwei Stellen aus der caritas-Lehre der SUMMA THEOLOGIAE, an denen Thomas jeweils einen Zusammenhang zwischen Gottesliebe und Glückseligkeitserlangung herstellt. Nach Holls Interpretation versteht Thomas diesen Zusammenhang so, daß sich der Mensch Gott in der caritas letztlich nur um der Erlangung seiner eigenen beatitudo willen zuwendet 36 . Im Grundsatz bestätigt und zugleich ergänzt wird Holls Kritik durch die auf den schwedischen Lutheraner Anders Nygren zurück-

34

Martin Luther, Ein Sermon von dreierlei gutem Leben, das Gewissen zu unterrichten (1521), W A 7 , 8 0 1 , 1 3 .

35

Karl Holl, Der N e u b a u der Sittlichkeit, 179 A n m . l .

36

Es handelt sich um Summa Theologiae II a -IF e 2 3 , 1 c und Summa Theologiae IIaIIae 2 6 , 1 c . Die von Holl zitierte Stelle aus 2 6 , 1 stellt einen Rückverweis auf 2 3 , 1 dar, s o daß sich die Frage nach der Angemessenheit seiner Deutung an der Interpretation von Summa Theologiae IIa-IIae 2 3 , 1 entscheidet, die in 2 . 4 . 3 . 2 vorgenommen wird (S.236ff.).

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Das Problem des Eudämonismus

gehende umfassende Analyse des christlichen Liebesbegriffs und seines Gestaltwandels, der sich nach Nygren insbesondere aufgrund der Begegnung christlicher Theologie mit dem Geist des Hellenismus beobachten läßt 37 . Nygrens bemerkenswert materialreiche Studie, die ohne Zweifel noch heute der Standardliteratur zum Thema ,Liebe' zuzurechnen ist, behandelt die Geschichte des Liebesgedankens im Abendland vom Aufkommen des Christentums bis zum 16 Jahrhundert. Als Ausgangspunkt der Darstellung dient der als prinzipiell charakterisierte Gegensatz zwischen zwei Grundmotiven, dem christlichen Agape-Motiv und dem antiken Eros-Motiv. Ein solcher Gegensatz ist bereits von Nygrens Darstellung gelegentlich behauptet worden. Bereits ein Jahr vor dem Erscheinen des ersten Bandes der schwedischen Ausgabe von EROS UND AGAPE hat Heinrich Scholz in einer kleinen Schrift die These vertreten, „daß schlechterdings keine Brücke existiert, die uns von dieser (der christlichen, R.L.) Gottesliebe zur platonischen Liebe zurückführen könnte. Eine solche Brükke ist ausgeschlossen" 38 . Weiterhin ist auf eine bereits 1908 veröffentlichte Untersuchung von Pierre Rousselot über das Liebesproblem im Mittelalter hinzuweisen, in der einem ,griechisch-thomistischen' ein ,ekstatischer' Liebesbegriff gegenübergestellt wird, eine Polarisierung, die sich mit der bei Nygren begegnenden wenigstens zum Teil deckt 39 . Die Relevanz von Nygrens Beitrag im Hinblick auf die Frage nach der theologischen Legitimität der thomanischen beatitudo-Lehre wird sofort deutlich, wenn man sich das Ergebnis vergegenwärtigt, zu dem er gelangt. Zunächst wird festgestellt, daß sich die beiden einander prinzipiell entgegengesetzten Grundmotive seit der Begegnung von Christentum und Hellenismus miteinander im Kampf befinden. Die nach Nygren im Neuen Testament greifbare Agape-Liebe wird als

37

Vgl. Anders Nygren, Eros und Agape. Gestaltwandlungen der christlichen Liebe ( 1 9 3 0 / 3 7 ) , Berlin 1 9 5 5 . Vgl. jetzt zu Nygrens Ansatz Andrea Tafferner, Gottesund Nächstenliebe in der deutschsprachigen Theologie des 20.Jahrhunderts, Innsbruck-Wien 1 9 9 2 (IThS 37; zugl. Diss. Münster 1991), 1 4 6 - 1 5 7 .

38

Heinrich Scholz, Eros und Caritas. Die platonische Liebe und die Liebe im Sinne des Christentums, Halle 1 9 2 9 , 56. Die Schrift von Scholz hat Nygren, Eros und Agape, 3 I f . gewürdigt.

39

Vgl. Pierre Rousselot, Pour l'histoire du Probleme de l'Amour au M o y e n Age, Münster 1 9 0 8 (BGPhMA VI/6). Nygren erwähnt in E R O S U N D A G A P E diese Schrift allerdings nur einmal und auch hier eher beiläufig (504 Anm.2). In 1.3 wird auf Rousselots Darstellung zurückzukommen sein (S.39ff.).

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selbstlose, nach dem Ebenbild der göttlichen Liebe geschaffene spontan-unmotivierte Hingabe des Menschen verstanden. Dagegen steht die unter Rückgriff auf Plato, Aristoteles und den Neuplatonismus rekonstruierte Eros-Liebe, die letztlich als egozentrisch gilt. Ihr Motiv ist deshalb der Wert des geliebten Gegenstandes für den Liebenden; sie ist keine Antwort auf den Weg Gottes zum Menschen, sondern ein menschlicher Weg zu Gott. Faktisch-geschichtlich sind die beiden Größen nach Nygren jedoch nie völlig unvermischt aufgetreten, nur das .Mischungsverhältnis' war zu verschiedenen Zeiten jeweils ein anderes. Maßgeblich bestimmt wurde die Geschichte des Christentums durch die von Augustin vollzogene Caritassynthese. Das Wort caritas, das eigentlich nichts anderes ist als die lateinische Übersetzung des griechischen αγάπη, bezeichnet in Nygrens Terminologie einen sowohl gegenüber dem Amor- als auch gegenüber dem AgapeMotiv selbständigen Begriff: „Durch die Begegnung des Eros- und Agapemotivs entsteht bei Augustin ein charakteristisches Drittes, das weder als Eros noch als Agape bezeichnet werden kann: seine Caritasanschauung ... Als eine echte Synthese erweist sie sich dadurch, daß sie zwar Momente aus dem Eros- und dem Agapemotiv in sich schließt, aber keineswegs bloß die Summe dieser Momente ist, sondern eine neue, durchaus selbständige Sinneinheit ausmacht" 4 0 . Die Wirkungsgeschichte der augustinischen Caritassynthese hat nach Nygren deren Unhaltbarkeit deutlich gemacht. Zwar hat die mittelalterliche Liebeslehre versucht, die Schwierigkeiten der augustinischen Synthese zu überwinden und dem biblischen Gedanken einer Liebe, die nicht das Ihre sucht (vgl. I Kor 13,5), gerecht zu werden. Von augustinischen Voraussetzungen her war dies jedoch nicht möglich. Die prinzipielle Unangemessenheit des augustinischen Ansatzes hat nach Nygren erst Luther gesehen. Ihm war es vorbehalten, „zur Agape des Urchristentums als dem einzig legitimen Ausgangspunkt für die christliche Liebeslehre zurückzufinden" 41 . Die Erneuerung des Agape-Motivs in der Reformation - von Nygren als historische Entsprechung zur Erneuerung des Eros-Motivs in der Renaissance interpretiert - ist insofern eine kopernikanische Umwälzung, als Luther der egozentrischen Einstellung der katholischen Liebeslehre einen streng theozentrischen Liebesgedanken entgegengestellt hat: „Seine Liebesanschauung ist durchweg vom christlichen Agapemotiv

40 41

Anders Nygren, Eros und Agape, 353f. (Kursivdruck im Text, R.L.). AaO, 505.

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Das Problem des Eudämonismus

bestimmt. Vergeblich sucht man in ihr nach einem einzigen Eroszug" 4 2 . Aus Nygrens Favorisierung des von ihm als selbstlos charakterisierten Agape-Motivs (einzig legitimer Ausgangspunkt für die christliche Liebeslehre) ergibt sich, daß all jenen Konzeptionen die theologische Legitimität abzusprechen ist, die den christlichen Liebesbegriff im Zusammenhang mit dem menschlichen Streben nach Vollendung (perfectio) zu formulieren suchen. Genau hier setzt auch Nygrens Kritik an Thomas' Liebeslehre an 43 : Da bei Thomas alle Liebe auf Selbstliebe zurückgeführt wird, paßt die Liebe im Sinne des Christentums in die thomanische Konzeption gar nicht hinein 44 . Allerdings, so Nygren, versucht Thomas, den Gedanken der selbstlosen Liebe zu Gott durch die Einbeziehung der aus der aristotelischen Freundschaftslehre stammenden Unterscheidung von amor amicitiae sive benevolentiae und amor concupiscentiae zu retten, die im amorTraktat der Prima Secunda begegnet 45 . Doch kann der Begriff der Freundschaft, „dies äußerliche Korrektiv der Egozentrizität" 46 , an der Priorität der Selbstliebe schon deshalb nichts ändern, weil, wie Thomas durchaus bekannt war, gerade nach Aristoteles die dem Freund entgegengebrachte Zuwendung immer durch das sich für mich aus der Freundschaft ergebende Gut motiviert bleibt. Von daher führt auch der Gedanke des amor amicitiae nicht aus dem Bereich der Eros-Liebe heraus, sondern bestätigt im Gegenteil die Gesamttendenz der thomanischen Ethik, alles sittliche Handeln auf das Streben des Menschen nach seiner eigenen Glückseligkeit zurückzuführen.

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AaO, 581; vgl. auch den ganzen Zusammenhang 538-582. Diese zwar recht kurz gehaltene, dafür aber äußerst präzise formulierte Kritik steht aaO, 506-509. Auch hier seien die wichtigsten von Nygren als Belege herangezogenen ThomasStellen kurz genannt: Nach Summa Theologiae Ia-IIae 26,1 gilt, so Nygren, alle Liebe als begehrende Liebe. Da Gott als das höchste Gut nach Summa Theologiae Ia-IIae 5,8 alles in sich schließt, was zu unserer Glückseligkeit gehört, ist unsere Liebe zu ihm von dem Begehren getragen, der in ihm vorfindlichen Glückseligkeit teilhaftig zu werden. Alle Gottesliebe des Menschen wurzelt also letztlich in dessen Streben nach seinem Eigengut. Diese schon von Holl als thomanisch behauptete Auffassung wird nach Nygren von Thomas selbst ausdrücklich formuliert, nämlich in Summa Theologiae I 60,5ad2 und Summa Theologiae IIa-IIae 26,13ad3. Diese Differenzierung taucht auf in Summa Theologiae Ia-IIae 26,4. Anders Nygren, Eros und Agape, 509.

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Eine sehr weitgehend im Horizont der Interpretation Nygrens argumentierende Kritik der thomanischen Ethik hat Josef Brechtken im Rahmen einer Abhandlung über den caritas-Gedanken bei Augustin vorgetragen 47 . Brechtkens Sicht unterscheidet sich allerdings insofern von der Nygrens, als letzterer zum einen der augustinischen ,Caritassynthese' wenigstens ein psychologisches Recht eingeräumt 48 und zum anderen der mittelalterlichen Tradition eine positive historische Funktion zuerkannt hat 49 . Brechtken argumentiert dagegen wesentlich rigoroser. Zunächst einmal konkretisiert er bereits im Untertitel seiner Schrift die von Nygren konstatierte Antinomie von Eros und Agape als den Widerspruch zwischen Eigennutz und selbstloser Güte. Schon diese Formulierung macht deutlich, daß Brechtken die vollständige Unvereinbarkeit beider Motive besonders pointiert herausstellen möchte. Es liegt dann in der Konsequenz dieser Zuspitzung, wenn er mit Nachdruck bestreitet, daß bei Augustin von einer ,Caritassynthese' die Rede sein könne. Im Gegenteil: Da Augustins Ethik „von allem Anfang an dominant am egozentrischen Glückseligkeitsstreben orientiert ist", kann er „das Eigentliche, die große christliche Liebe der Agape, ethisch-systematisch nicht unterbringen" 50 . Die Dimension der Agape-Liebe habe Augustin zwar durchaus gespürt, doch liege der Hauptmangel seiner Ethik darin, daß sie dennoch „vom antik-philosophischen Geist des appetitus" 51 , des Strebens nach Selbstvervollkommnung, beherrscht bleibe. Auch bei

47

Josef Brechtken, Augustinus Doctor Caritatis. Sein Liebesbegriff im Widerspruch von Eigennutz und selbstloser Güte im Rahmen der antiken Glückseligkeits-Ethik, Meisenheim am Glan 1975 (MPF 136); vgl. zu Thomas 158165. Brechtkens Arbeit ist bei Andrea Tafferner, Gottes- und Nächstenliebe in der deutschsprachigen Theologie des 20.Jahrhunderts, nicht berücksichtigt.

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„... es muß in Frage gestellt werden, ob das, was Augustin unter Caritas versteht, wirklich in einen einheitlichen Begriff eingefangen werden kann. Aber das ist eine Frage für sich und kann die Tatsache nicht verdunkeln, daß sie (Eros und Agape, R.L.) für Augustin selbst zu einer Einheit zusammenflössen. Wie dies möglich war, ist schließlich weniger ein logisches als vielmehr ein psychologisches Problem" (Anders Nygren, Eros und Agape, 354). „Das Mittelalter hat mit größter Energie versucht, die augustinische Synthese durchzuführen; es ist aber gleichzeitig bestrebt gewesen, in ihr dem spezifisch christlichen Liebesgedanken einen möglichst großen Platz zu bereiten .... gerade durch die Schärfe ihrer Liebesforderung hat die mittelalterliche Theologie eine positive Vorarbeit für die Reformation geliefert, ohne welche diese nicht hätte zustande kommen können" (aaO, 505).

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Beide Zitate aus Josef Brechtken, Augustinus Doctor Caritatis, 157. AaO, 151.

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Thomas, mit dessen beatitudo-Lehre sich Brechtken im Rahmen eines Ausblicks auf nachaugustinische Modelle kurz auseinandersetzt, werde Liebe grundsätzlich verstanden als „egozentrische(s), an der Bedarfsbefriedigung des Ich orientierte(s) Strebevermögen" 52 , eine Interpretation, für die sich Brechtken vorrangig auf Summa Theologiae I a -II ae 26,1-3 beruft, also auf teilweise schon von Nygren herangezogene Texte aus dem amor-Traktat der Prima Secundae. Dann aber eröffnet sich durch die in 26,4 vorgebrachte Unterscheidung zwischen amor amicitiae und amor concupiscentiae auch nach Brechtken für Thomas doch noch die Möglichkeit, dem Gedanken der Agape-Liebe gerecht zu werden. Allerdings, so Brechtken unter Hinweis auf Summa Theologiae I a -II ae 27,3;28,1 sowie auf die Behandlung des biblischen Nächstenliebe-Gebots in Summa Theologiae jja jjae 4 4 ^ verschenkt Thomas diese Möglichkeit. Die genannten Stellen machen nämlich deutlich, daß auch die wohlwollende Liebe zum anderen letztlich egoistisch begründet ist, sofern der mit amor amicitiae geliebte Mitmensch als alter ego geliebt wird, eine Wendung, durch die „die ganze Freundschafts- und Nächstenliebe, für deren Bestimmung im Sinne uneigennützigen Wohlwollens doch so weit ausgeholt worden war, im Grunde wieder reduziert ist auf nichts anderes als - Selbstliebe" 53 . In den bisher referierten Beiträgen wird einhellig bestritten, daß es Thomas gelungen ist, die aus der antiken Tradition stammende Lehre von Gott als dem höchsten Gut des Menschen so mit der christlichen Ethik zu verbinden, daß deren Anliegen unverkürzt zur Geltung kommt. Dem Harmonisierungsversuch des Thomas wird die Einsicht entgegengehalten, daß zwischen dem antiken Glückseligkeits- und dem christlichen Sittlichkeitsideal eine unüberbrückbare Kluft besteht. Neben Thomas wird auch Augustin vom Vorwurf der theologischen Illegitimität einer Rezeption der antiken Güterlehre getroffen. Denn indem Augustin Gott als summum bonum begriffen hat, auf dessen ,Genuß' alles Sehnen des Menschen ausgerichtet ist, legte bereits er den Grund für die erst durch Luther wieder in Frage gestellte eudämonistische Auffassung der christlichen Moral, die ihre klassische Ausprägung im Denken des Thomas erhalten hat. Zusammenfassend gesagt: Weil bei Thomas das menschliche Glücksverlangen im Sinne des Strebens nach der jeweils eigenen perfectio als

52 53

AaO, 159. AaO, 164.

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Wurzel christlicher Sittlichkeit gilt, ist seine beatitudo-Lehre mit den Grundentscheidungen der reformatorischen Theologie unvereinbar. Zur Stützung dieser These, nach der thomanische und lutherische Ethik prinzipiell unvereinbar sind, kann auf die in der neueren Diskussion gerade von evangelischer Seite immer wieder vorgebrachte Behauptung verwiesen werden, nach der das Verhältnis zwischen Gott und Mensch bei Thomas letztlich unbiblisch gedacht wird; konstatiert wird hier eine prinzipielle Unvereinbarkeit zwischen Thomas und Luther im Hinblick auf ihr jeweiliges Menschenbild. Deutlich werden die Differenzen, wenn danach gefragt wird, in welcher Weise die Verbindung zwischen der von Gott mitgeteilten Rechtfertigungsgnade und dem Sein des Menschen jeweils beschaffen ist. Der entscheidende Vorwurf, den etwa Jörg Baur gegenüber Thomas (und übrigens auch schon im Hinblick auf Augustin) geltend gemacht hat, bezieht sich auf die Lehre von der Gnade als der Mitteilung einer den Menschen innerlich verwandelnden Kraft im Sinne einer „Setzung neuer Qualitäten, die die inadaequatio des Menschen als Naturwesen an sein übernatürliches Wesensziel aufheben und die Folgen des Sündenfalles beseitigen" 54 . Dieses Verständnis von Rechtfertigung weist Baur deshalb zurück, weil es seiner Auffassung nach auf einem theologisch unannehmbaren Axiom beruht: „Was nicht verwandelnd ins Kreatürliche eingeht, das schafft auch keine Rettung" 55 . Für theologisch untragbar hält er dieses Axiom, weil es nichts anderes repräsentiere „als die Grundfigur der Heilslehre der abendländischen Metaphysik von Plato bis Faust II" 5 6 , in der das reformatorische Anliegen aber nicht angemessen zum Ausdruck komme. Denn die Bestimmung des menschlichen Seins als eines esse coram Deo geht nach Baur „als in Christus positiv gewendete ... nicht darauf, eine verwandelnde Qualität mitzuteilen. Sie eröffnet vielmehr eine Relation zu dem ... gnädigen Gott, dem ich in Christus recht bin" 5 7 . Rettung entsteht dem Menschen danach nicht aufgrund einer ihn innerlich verwandelnden Gnade, die das Eigeninteresse des Subjekts dem Heilsplan Gottes angleicht - das menschli-

54

Jörg Baur, Salus Christiana. Die Rechtfertigungslehre in der Geschichte des christlichen Heilsverständnisses I (Von der christlichen Antike bis zur Theologie der deutschen Aufklärung), Gütersloh 1 9 6 8 ; zugl. HabSchr. Erlangen, 4 3 ; vgl. auch a a O , 22f. (kritisch zu Augustin).

55

AaO, 44.

56

Ebd.

57

AaO, 62.

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che Begehren nach dem summum bonum mündet nicht in die Entsprechung zur in Jesus konkreten Gottheit Gottes. Theologisch legitim ist deshalb nach Baur nur jenes „Interesse des Subjekts an sich selbst..., das Gott hat, der uns in Christus ansieht und nicht in uns selbst" 58 . Auch Gerhard Ebeling hat an der scholastischen Gnadenlehre immer wieder kritisiert, daß sie die Mitteilung der göttlichen Gnade als Eingießung der theologischen Tugenden verstehe, in deren Folge die Gnade zu einer qualitas quaedam animae, zu einem das Sein des Menschen bestimmenden habitus wird. Er hat diese Lehre, die seiner Auffassung nach mit dem reformatorischen Gnadenverständnis nicht zu vereinbaren ist, als Konsequenz der Tatsache beschrieben, daß die Scholastik den Menschen unter Rückgriff auf das aristotelische materia-forma-Schema als animal rationale verstanden hat: Da die Seele das Sein des Menschen formt, wird er seinem telos durch die Betätigung des vernünftigen Seelenteils gerecht. Wird aber der Mensch in dieser Weise verstanden, so ist er zunächst „unter der Kategorie der Substanz erfaßt", d.h. als etwas, „was seinen Bestand in sich selbst hat" 5 9 . Dagegen redet Luther nach Ebeling vom Menschen „nicht als von einer unbestritten in sich selbst gründenden Substanz, die dank ihrer Potenzen und Qualitäten in der Selbstverwirklichung begriffen ist, vielmehr als von einem Kampfplatz widerstreitender Instanzen und Mächte, deren Urteil er ausgesetzt, deren Herrschaft er ausgeliefert ist" 6 0 . Und weil der Mensch deshalb sein Sein, seine forma, nur von außerhalb her empfangen kann, wird er durch die Gnade in seiner Substanz getroffen. Sofern nämlich im Rechtfertigungsgeschehen das zerstörte Gottesverhältnis von Gott her neu konstituiert wird, bringt das schöpferische Gnadenhandeln Gottes einen neuen Menschen hervor: „Das Werk Gottes ist nicht ein bloßes Hilfswerk für den Menschen, sondern der Mensch ist und wird das Werk Gottes" 6 1 . Dagegen kann Gnade von den Voraussetzungen des

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AaO, 65 (Kursivdruck im Text, R.L.). Beide Zitate aus Gerhard Ebeling, Das Leben - Fragment und Vollendung. Luthers Auffassung vom Menschen im Verhältnis zu Scholastik und Renaissance ( 1 9 7 5 ) , in: Lutherstudien III (Begriffsuntersuchungen-TextinterpretationenWirkungsgeschichtliches), Tübingen 1985, 3 1 1 - 3 3 6 , hier 319. Gerhard Ebeling, Luthers Kampf gegen die Moralisierung des Christlichen (1983), in: Lutherstudien III (Begriffsuntersuchungen-Textinterpretationen-Wirkungsgeschichtliches), Tübingen 1985, 44-73, hier 54. Gerhard Ebeling, Das Leben - Fragment und Vollendung, 330.

Die Kritik der lutherischen Theologie

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materia-forma-Schemas her nur als forma accidentalis im Sinne einer „übernatürliche(n) Formierung der Seelenpotenzen" 62 gedacht werden, die dem Menschen „als ein ihm innewohnendes Prinzip zu eigen gegeben" 6 3 wird. Durch diese Lehre wird aber nach Ebeling letztlich einer Gleichschaltung des Gottesbezugs mit der natürlichen Moral und damit einer Überfremdung christlicher Sittlichkeit Vorschub geleistet: „So setzt die Gnade den Menschen zu heiligmäßiger Selbstverwirklichung in Bewegung. Infolge ihrer (durch die philosophischen Voraussetzungen bedingten, R.L.) moralisierenden Trübung war die scholastische Gnadenlehre außerstande, den Fehlentwicklungen kirchlicher Frömmigkeitspraxis entgegenzuwirken" 64 - als Kronzeuge für diese so nachdrücklich kritisierte Auffassung wird auch hier wieder Thomas namhaft gemacht, auf dessen Lehre von der Gnade als einer von Gott dem Menschen eingegossenen und ihn zu übernatürlicher Vervollkommnung befähigenden Seelenqualität sich Ebelings Kritik mehrfach ausdrücklich bezieht. Gegenüber dieser von Luther her argumentierenden Kritik an der thomanischen Lehre von der Gnade als einer qualitas quaedam animae ist allerdings darauf hinzuweisen, daß die in der Einleitung angesprochenen Bemühungen um eine differenzierte Klärung des Verhältnisses zwischen Thomas und Luther hinsichtlich der Rechtfertigungslehre zu einer weitgehenden Überwindung der gerade beschriebenen Vorbehalte geführt haben. Wegweisend war in diesem Zusammenhang die erwähnte Untersuchung von Otto Hermann Pesch, in der u.a. gezeigt wird, daß die thomanische Lehre von der Gnade als einem habitus bzw. einer qualitas animae nicht die menschliche Verfügungsgewalt über die göttliche Gnade zum Ausdruck bringen will, sondern die „Spontaneität der (dem Menschen in der Gottesgemeinschaft geschenkten, R.L.) neuen Lebendigkeit und des ihr entspringenden neuen Handelns" 6 5 ; es ist, so wird man mit Recht sagen können, die etwa von Holl gerade für Luther hervorgehobene Freudigkeit des Wollens, die Thomas in dieser Weise anthropologisch zu erhellen sucht. Luthers prinzipielle Kritik an einer Einbindung des aristotelischen Tugendbegriffs in die Theologie der Gnade bezieht sich nach Pesch auf ein univokes Verständnis des qualitas62 63 64 65

AaO, 319. AaO, 322. Gerhard Ebeling, Luthers Kampf gegen die Moralisierung des Christlichen, 53. Otto Hermann Pesch, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin, 707.

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Das Problem des Eudämonismus

Gedankens, nicht aber auf dessen theologisch-analoge Verwendung, wie sie bei Thomas begegnet, dessen authentische Position Luther im Rahmen seiner vor allem an Gabriel Biel orientierten theologischen Schulung freilich gar nicht zur Kenntnis nehmen konnte 6 6 . Der sich von diesem Fazit Peschs her ergebenden Folgerung, daß die thomanische qualitas-Theorie in ihrer originären Gestalt von der lutherischen Kritik an der scholastischen Gnadenlehre gar nicht wirklich getroffen wird, hat gerade auch Jörg Baur zugestimmt: „Das Evangelium wurde in der thomasischen Theologie nicht an Aristoteles ausgeliefert, ... die Ausführungen über Qualitäten und Gehabe machen aus der Gnade und den theologischen Tugenden keinen verfügbaren Besitz des Christen" 6 7 . Luthers Kritik wird nach Baur allerdings verständlich, wenn man sich die Differenz der jeweiligen geschichtlichen Situation vor Augen führt, die die Reformation von Thomas trennt: Dieser „kann offenbar Gnade im Christen so denken, daß daraus keine iustitia propria im Sinne Luthers wird; als Sicherung genügt der Verweis auf ihr Gewirkt-Sein. Die Reformation hingegen hat es mit der gesteigerten Selbsterfahrung der bürgerlichneuzeitlichen Subjektivität zu tun, die alles, auch das christliche Geschehen, unter den Zugriff des Possessiven bringt, ein von Gott in ihr Gewirktes sogleich als ihr Eigenes beansprucht" 68 . Die Reformation muß deshalb um der Gratuität der Gnade willen „scharf antithetisch argumentieren, muß das Eigene beim Menschen, auch als Gewirktes, vom Heil unterscheiden und die Gegenwart der Gnade nur im ,pro', nicht im ,in nobis' ansetzen!" 6 9 Diese trotz ihrer Knappheit bemerkenswert präzisen Hinweise Baurs machen deutlich, daß die theologische Legitimität einer Einbindung des antiken Tugendbegriffs in die christliche Gnadenlehre nicht einfach unter Berufung auf Luther bestritten werden kann, sondern daß darüber in einem umfassenderen Zusammenhang entschieden werden muß, letztlich im Rahmen einer Theorie der Neuzeit; in Teil 3 ist auf die zitierte Bemerkung Baurs zurückzukommen (S.264ff.). Allerdings sind mit der Klärung der angedeuteten Differenzen in der Gnadenlehre keineswegs alle evangelischen Vorbehalte gegen66 67

68 69

Vgl. aaO, 7 0 8 - 7 1 4 . Jörg Baur, Fragen eines evangelischen Theologen an Thomas von Aquin, in: Ludger Oeing-Hanhoff (Hg.), Thomas von Aquin 1274/1974, München 1974, 161-174, hier 165. AaO, 167f. AaO, 168.

D i e Kritik der lutherischen T h e o l o g i e

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über Thomas hinfällig. Mag auch, so kann man den Tenor der Kritik beschreiben, die thomanische qualitas-Lehre nicht das geeignete Symptom' für die Demonstration der .Krankheit' sein, von der das Denken des Thomas befallen ist, so ist die Existenz dieser ,Krankheit' dennoch unleugbar. Es ist wiederum Jörg Baur, der den aus seiner Sicht offenbar unüberbrückbaren Gegensatz zwischen den Ansätzen von Thomas und Luther besonders nachdrücklich betont. Eine außerordentliche Relevanz kommt seiner Auffassung schon deshalb zu, weil sie sich auch in der deutlich bekundeten Skepsis gegenüber allen Versuchen einer theologischen Verständigung zwischen evangelischer und römisch-katholischer Kirche niedergeschlagen hat. Als wichtiges Dokument dieser Skepsis kann seine schon als ,Verriß' zu bezeichnende Stellungnahme zum Rechtfertigungskapitel der Studie des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen gelten, in dem der Frage nachgegangen wurde, ob die im 16.Jahrhundert die Kirchenspaltung begründenden Lehrverurteilungen auch heute noch als kirchentrennend angesehen werden müssen 70 : Dem Fazit der Studie, wonach aus heutiger Sicht den im 16.Jahrhundert ausgesprochenen Lehrverurteilungen keine kirchentrennende Bedeutung mehr zukommt, hat Baur ein konsequentes ,Nein' entgegengestellt71. Worauf stützt sich seine Kritik? Der entscheidende Punkt ist immer wieder das thomanisch-katholische Verständnis vom Menschen als eines von seiner Geschöpflichkeit her auf Gott gerichteten Seienden, dessen desiderium naturale durch die Offenbarung über sein Ziel .informiert' und durch die gnadenhafte Eingießung der caritas auf dieses Ziel hin orientiert wird. Doch, wie Baur schon 1968 formuliert hat, diese „.Ontologie der menschlichen Heilssuche' (eine von Hans Vorster aufgenommene Formulierung, R.L.)... verantwortet das permanente Angegangensein des Menschen durch Gott nicht angemessen" 72 . Das Stichwort des .permanenten Angegangenseins' soll hier offenbar deutlich machen, daß nach den Aussagen der reformatorischen Theologie der Mensch in gar keiner Weise aus sich selbst heraus, sondern ausschließlich von seiner Gottes-

70

71

72

Vgl. Karl Lehmann/Wolfhart Pannenberg (Hg.), Lehrverurteilungen - kirchentrennend? I: Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute, Freiburg i. Br.-Göttingen 1986 (DiKi 4). Vgl. Jörg Baur, Einig in Sachen Rechtfertigung? Zur Prüfung des Rechtfertigungskapitels der Studie des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen: „Lehrverurteilungen - kirchentrennend?", Tübingen 1989. Jörg Baur, Salus Christiana, 42.

Das Problem des Eudämonismus

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beziehung her bestimmt ist. Gnade ist deshalb „nicht erst ein sekundäres, dem Verlorenen Heil ermöglichendes Mittel (wie nach Baur in der thomanisch-katholischen Tradition, R.L.), sondern vielmehr das Ursprüngliche, die Weise, in der das konstitutiv in das ,coram Deo' eingewiesene, hervor-gerufene Geschöpf allein und überhaupt angegangen wird" 7 3 . Warum aber kann Thomas dies so nicht denken? In seinen bereits herangezogenen, von beachtlichem Bemühen um ein angemessenes Verständnis getragenen FRAGEN EINES EVANGELISCHEN T H E O L O G E N AN T H O M A S VON AQUIN bringt Baur die aus seiner Sicht bestehenden theologischen Mängel bei Thomas mit dessen Rezeption der klassischen Metaphysik in Zusammenhang: Wo Gott als ens perfectissimum, „als Inbegriff des immer schon vollzogenen Bei-sichselbst-Seins" 74 verstanden ist, da muß das endliche Einzelseiende in seinem appetitus perfectionis sive beatitudinis als immer schon auf Gott hingeordnet gedacht werden, weshalb als Funktion der Gnade lediglich die Präzisierung dieser Hinordnung bleibt. Doch gerade „diese Grundfigur von Metaphysik ... ist evangelischer Theologie nicht ausgleichbar mit dem Evangelium" 75 . Denn der von Gott her an uns ergehende Zuspruch erweckt uns „nicht aus dem Dämmer unseres .natürlichen Verlangens' nach Gott, sondern aus dem Todesschlaf der Verlorenheit" 7 6 , und dies insofern, als im Evangelium „der in Jesus konkrete Gott der Hingabe das in der Mühe seiner Selbstbeständigung erschöpfte und schuldige Leben, den im Zirkel seiner perfectio Gefangenen in die Freiheit bringt" 7 7 . Gottes Gnadentat, so kann man das Zitierte zusammenfassen, korrigiert nach Baur nicht die Richtung unseres Vervollkommnungsstrebens, sondern deckt im Gegenteil die Schuldhaftigkeit dieses Strebens auf, in dem der sündige Ehrgeiz des Menschen zum Ausdruck kommt, der naturaliter nur sich selbst, nicht aber Gott als Gott wollen kann 7 8 .

73

AaO, 55.

74

Jörg Baur, Fragen eines evangelischen T h e o l o g e n an T h o m a s von Aquin, 172.

75

Ebd.

76

Jörg Baur, Einig in Sachen Rechtfertigung?, 39; der Hinweis auf das .natürliche Verlangen' nach Gott ist, wie Baur hier selbst belegt, eine Anspielung auf die thomanische Lehre v o m desiderium naturale in visionem beatificami vgl. dazu 2 . 4 . 1 . 3 (S.178ff.; vgl. bes. 1 9 3 - 1 9 7 ) .

77

Jörg Baur, Fragen eines evangelischen T h e o l o g e n an T h o m a s v o n Aquin, 1 7 3 . Non potest homo naturaliter velie deum esse deum, Immo vellet se esse deum et deum non esse deum (Martin Luther, Disputatio contra scholasticam theologiam [1517], These 17, W A 1 , 2 2 5 , I f . ) .

78

Katholische Stimmen zum Eudämonismus-Problem bei Thomas

39

Die Vorbehalte Baurs und Ebelings gegenüber Thomas und der an ihm orientierten Theologie machen deutlich: Die von Holl, Nygren und Brechtken kritisierte eudämonistische Ausrichtung der thomanischen Ethik, die aus ihrer Sicht zu einer sowohl unbiblischen als auch unreformatorischen Auffassung von christlicher Sittlichkeit führt, ist letztlich begründet in Thomas' Gottes- und Menschenbild, das - besonders nachdrücklich durch Baur - ebenfalls als unbiblisch und unreformatorisch diagnostiziert wird. Weil Thomas das GottMensch-Verhältnis in der Spannung zwischen perfectio sive beatitudo in actu (Gott) und perfectio sive beatitudo in potentia (Mensch) thematisiert, muß er die christliche Sittlichkeit eudämonistisch verstehen: als Glückseligkeits-Zuträglichkeit. Im folgenden kann natürlich kein umfassender Vergleich zum Gottes- und Menschenbild bei Thomas und Luther vor dem Hintergrund der angesprochenen evangelischen Vorbehalte angestellt werden. Die hier geplante Untersuchung ist auf die Frage nach dem Eudämonismus der thomanischen beatitudo-Lehre eingegrenzt. Aus der - noch zu dokumentierenden - Tatsache, daß es unangemessen ist, die Ethik des Thomas als eudämonistisch zu charakterisieren, resultiert allerdings auch die Nötigung, gerade aus evangelischer Sicht über die theologische Legitimität jener .Grundfigur von Metaphysik' (Baur), wie sie bei Thomas vorliegt, neu nachzudenken. Bevor jedoch die Frage nach dem Eudämonismus bei Thomas gestellt werden kann, ist der Stand der katholischen Forschung zu diesem Problem zu vergegenwärtigen.

1.3 Katholische Stimmen zum Eudämonismus-Problem bei Thomas „Un amour qui ne soit pas égoïste est-il possible?" 1 - Mit dieser Frage eröffnet Pierre Rousselot seine bereits erwähnte Untersuchung über die Behandlung des Problems der Liebe in der mittelalterlichen Theologie. Er unterscheidet dabei zwei Grundtypen mittelalterlicher Liebestheorie, die ,physische oder griechisch-thomistische' auf der einen und die .ekstatische' Konzeption auf der anderen Seite. Die zuerst genannte Theorie geht nach Rousselot von einer Kontinuität zwischen naturhaft-egoistischem Glücksbegehren und einer an der Pierre Rousselot, Pour l'histoire du Probleme de l'Amour au Moyen Age, 1.

40

Das Problem des Eudämonismus

Glückserlangung uninteressierten, also uneigennützigen und somit nicht-egoistischen Liebe zu Gott aus. Die ekstatische Konzeption, als deren Vertreter u.a. Richard von St.Victor und Petrus Abaelard genannt werden, hält dagegen konsequent an der Diskontinuität zwischen Selbst- und Gottesliebe fest. Die Liebeslehre des Thomas wird, worauf bereits die Bezeichnung ,griechisch-thomistisch' hinweist, der ersten Konzeption zugerechnet. Allerdings steht sie nach Rousselot der ekstatischen Theorie durchaus nicht gänzlich unvermittelt gegenüber, weil auch sie uneigennützige Liebe zu denken erlaubt, ja sogar eine ontologische Grundlegung dieser Liebesform geben kann: „l'amour désintéressé est possible, et même profondément naturel" 2 . Der entscheidende Punkt der thomanischen Liebeslehre liegt nach Rousselot darin, daß Liebe zunächst verstanden wird als die jedem Seienden geschöpflich mitgeteilte inclinatio naturalis mit dem Ziel einer Erreichung der jeweils eigenen perfectio. Nun ist aber genau der hier zum Ausdruck kommende Primat der Selbstliebe das natürliche Fundament der uneigennützigen Gottesliebe. Rousselot stellt diesen Zusammenhang unter Heranziehung der bei Thomas in der SUMMA THEOLOGIAE an verschiedenen Stellen begegnenden Lehre vom Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen dar. Die Frage ist jeweils, ob die creatura intellectualis Gott mehr lieben kann als sich selbst. In der Pars Prima stellt Thomas diese Frage im Hinblick auf die Engel 3 , in der Prima Secundae geht es darum, ob der Mensch bereits kraft seiner natürlichen Anlagen Gott über alles lieben kann 4 , und in der Secunda Secundae wird gefragt, ob die caritas den Menschen zu solcher Liebe befähigt 5 . In allen drei Fällen wird die Frage bejaht. Thomas argumentiert stets mit dem jeder Kreatur von Gott mitgeteilten amor naturalis, kraft dessen die Geschöpfe Gott mehr lieben als ihr Eigengut - so wie sich der Teil eines Ganzen bei der Verwirklichung seines bonum particulare stets primär auf das bonum commune bezieht, da nur innerhalb dessen das bonum proprium realisierbar ist. Er verdeutlicht dies am Beispiel der Hand, die sich spontan erhebt, um den Schlag auf sich zu lenken, der dem Kopf gilt . Und weil für Thomas der Mensch 2 3 4 5 6

AaO, 14. Vgl. Summa Theologiae I 6 0 , 5 . Vgl. Summa Theologiae I a -II ae 109,3. Vgl. Summa Theologiae II a -II ae 2 6 , 3 . Videmus etiim quod naturaliter pars se exponit, ad conservationem totius: sicut mantis exponitur ictui, absque deliberatione, ad conservationem totius corporis (Summa Theologiae I 60,5c).

Katholische Stimmen zum Eudämonismus-Problem bei Thomas

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kein g e s c h l o s s e n e s ' Individuum ist 7 , neigt auch er sich, wie jedes andere Einzelseiende, schon von N a t u r her intensiver zu dem hin, w e l c h e m er zugehört, als zu sich selbst. Uneigennützige, ekstatische Gottesliebe - und hier liegt für Rousselot die Pointe der A r g u m e n t a tion - k o m m t dem M e n s c h e n bereits in statu naturae integrae zu 8 und stellt gerade wegen dieser Natürlichkeit gar keinen Gegensatz zur Selbstliebe d a r 9 . Die Interpretation Rousselots hat innerhalb der katholischen T h o m a s - F o r s c h u n g über Jahrzehnte hinweg nahezu ungeteilte Z u s t i m m u n g gefunden 1 0 . Erst Louis-Bertrand Geiger hat in seiner Untersu7

8

9

10

„II (Thomas, R.L.) détruisait l'illusion de l'individu ,clos"' (Pierre Rousselot, Pour l'histoire du Probleme de l'Amour au Moyen Age, 31). So Thomas in Summa Theologiae I a TI ae 109,3c. Von der Natürlichkeit der uneigennützigen Gottesliebe muß nach Thomas deshalb gesprochen werden, weil im Fall einer Dominanz des Egoismus in statu naturae integrae die natürliche Liebe pervers wäre und durch die caritas nicht vollendet werden könnte, sondern zerstört werden müßte: Alioquitt, si naturaliter plus seipsum diligerei quam Deum, sequeretur quod naturalis dilectio esset perversa; et quod non perficeretur per caritatem, sed destrueretur (Summa Theologiae I 60,5c). Dennoch ist die caritas mehr als nur eine Restitution des status naturae integrae: caritas diligit Deum super omnia eminentius quam natura. Natura enim diligit Deum super omnia, prout est principium et finis naturalis boni: caritas autem secundum quod est obiectum beatitudinis, et secundum quod homo habet quandam societatem spiritualem cum Deo. Addit etiam caritas super dilectionem naturalem Dei promptitudinem quandam et delectationem (Summa Theologiae I a -II ae 109,3adl). Es sei darauf verwiesen, daß keine wirkliche Einigkeit darüber besteht, welche Relevanz dem von Thomas gebrauchten Bild vom Ganzen und seinen Teilen bezüglich seiner Auffassung zum Verhältnis von Gottes- und Selbstliebe zukommt. Schon Etienne Gilson, Der Geist der mittelalterlichen Philosophie (1932), Wien 1950, beklagt, man habe „die Metapher nur zu oft mit trostloser Buchstäblichkeit verstanden" (aaO, 315). Vor einer Unterschätzung der Relevanz dieses Bildes warnt dagegen neuerdings Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis. Die anthropologischen und theologischen Grundlagen der Tugendethik des Thomas von Aquin, Mainz 1987 (TTS 28; zugl. Diss. Tübingen 1986). Seiner Auffassung nach dient es Thomas dazu, „in einer synthetischen Sicht des ganzen ,Universums der Liebe' (eine von Heinrich Maria Christmann aufgenommene Formulierung, R.L.) den ,Ort' zu bestimmen, an dem der einzelne sich selbst bejaht und (an dem, R.L.) eine Liebe, die in ihrer ontologischen Grundstruktur Zustimmung zur Wirklichkeit alles Guten ist, die spontane Bejahung des eigenen Selbst-Seins aus sich entläßt" (aaO, 532; Kursivdruck im Text, R.L.). Der für das Eudämonismus-Problem äußerst wichtigen Frage nach dem Verhältnis von Gottes- und Selbstliebe bei Thomas ist in 2.4.3.2 eigens nachzugehen (S. 236ff.; vgl. bes. 255-262). Aus dem Kreis der Rezipienten seien hier nur genannt Richard Egenter, Gottesfreundschaft. Die Lehre von der Gottesfreundschaft in der Scholastik und My-

42

Das Problem des Eudämonismus

chung zum Problem der Liebe bei Thomas mit Nachdruck bestritten, daß Rousselot der thomanischen Intention gerecht geworden ist 11 . Vor allem läßt sich nach Geiger der amour désintéressé nicht aus der thomanischen Lehre vom kreatürlichen amor naturalis entwickeln. Denn diese ontologische Theorie kann keine Antwort geben auf die primär psychologische Frage nach dem ,Motiv', aufgrund dessen das Einzelseiende die Verfolgung des bonum proprium seinem Bezug auf das bonum commune unterordnet. Resultiert solches Handeln letztlich aus wohlverstandenem Eigeninteresse, dann kann von uneigennütziger Gottesliebe keine Rede sein - das Desinteresse im amour désintéressé muß sich auch auf die Erhaltung der Verwirklichungsbedingungen des Eigengutes erstrecken. Geht es aber dem Teil wirklich in erster Linie um das Ganze, und ist es bereit, sich selbst zugunsten von dessen Erhaltung preiszugeben, dann liegt ganz offensichtlich ein gerade nicht für die griechisch-thomistische, sondern für die ekstatische Liebeskonzeption typischer Fall von Diskontinuität zwischen Selbst- und Gottesliebe vor. Die genannte Aporie ist nach Geiger dadurch bedingt, daß Rousselot den amor bei Thomas als ein lediglich univokes Phänomen auffaßt 12 . Nach Geiger ist es zwar richtig, daß Thomas die Liebe als Grundtendenz alles Seienden begreift, jedoch verstehe dieser sie vor allem als ein analoges Phänomen, das sich auf den verschiedenen Seinsstufen in jeweils charakteristisch anderer Weise aktualisiert. Diesen wesentlichen Sachverhalt, so Geiger, hat Rousselot unbegreiflicherweise übersehen: „Ii devrait être impossible ... pour un lecteur tant soit peu familiarisé avec l'œuvre du Docteur angélique de n'être pas frappé du contraste entre l'imprécision et l'apparente univocità qui, chez le P. Rousselot, marquent les notions d'appétit, d'amour, de béatitude, de bien ou de bonheur, et la diversité de ces mêmes notions chez saint Thomas. Jamais par exemple on ne trouve mentionnées les distinctions faites par ce dernier entre les différentes formes de l'appétit et par conséquent entre les types de relations qui unissent l'appétit à son object, le bien. Le P. Rousselot, ne les aurait-

stik des 12. und 13. Jahrhunderts, Augsburg 1 9 2 8 sowie Richard Völkl, Die Selbstliebe in der Heiligen Schrift und bei Thomas von Aquin, München 1 9 5 6 (MThS.S 4 2 ) . 11

12

Vgl. Louis-Bertrand Geiger, Le Problème de l'amour chez saint Thomas d'Aquin, Montreal-Paris 1 9 5 2 (Conférence Albert le Grand). Geiger unterstellt Rousselot einen „monisme implicite de la nature et de l'appétit naturel" (aaO, 3 7 ) .

Katholische Stimmen zum Eudämonismus-Problem bei Thomas

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il pas remarquées?" 1 3 . Bei den von Rousselot unberücksichtigten Distinktionen des Thomas, auf die Geiger hier anspielt, handelt es sich um die in der SUMMA THEOLOGIAE mehrfach begegnende Differenzierung des appetitus bzw. amor in natürliches, sinnenhaftes und vernünftiges Streben 1 4 . Entscheidend ist hier folgendes: Anders als bei den gänzlich fremdbestimmten Geschöpfen ohne jede Erkenntniskraft muß bei den mit Erkenntniskraft ausgestatteten Kreaturen hinsichtlich der Verfolgung ihres Ziels zwischen objektiver Bestimmung und subjektivem Motiv unterschieden werden. So erstreben sowohl die zur Sinneserkenntnis befähigten Tiere als auch die Menschen, sofern sie als Sinnenwesen aufgefaßt werden, ein sinnliches Gut als ihr bonum proprium, und zwar den Genuß. Ihrer davon zu unterscheidenden objektiven Bestimmung (etwa der Arterhaltung) werden sie dennoch gerecht, da Gott die dazu führende Tätigkeiten (z.B. Fortpflanzung) mit Lust verbunden hat. Der appetitus intellectivus dagegen bedarf keines solchen Umwegs über ein von seiner objektiven Bestimmung unterschiedenes bonum privatum, da er sich unmittelbar auf Gott als das bonum commune beziehen kann 1 5 . Während also in der natural bzw. sensitiv gegründeten ,Liebe' in jeweils verschiedener Weise das Streben nach der Erlangung des bonum proprium konstitutiv ist, spielt nach Geigers Interpretation dieser Selbstbezug im appetitus intellectivus für Thomas keine Rolle mehr. Und erst diese Ek-Stasis der geistigen Liebe aus der naturhaft-sinnlichen Finalität eröffnet die Möglichkeit eines amour désintéressé, der seinen Namen wirklich verdient. Die Positionen Rousselots und Geigers sind hier deshalb kurz vorgestellt worden, weil sie die in der Einleitung erwähnte Uneinheitlichkeit bei der Interpretation der thomanischen Ethik zum Ausdruck bringen und zugleich die beiden in der Deutungskontroverse vertretenen Auffassungen in mittlerweile klassisch zu nennender Ausprägung repräsentieren: Es geht um die Frage, ob bei Thomas die Liebe

13 14 15

AaO, 28. Vgl. Summa Theologiae I 80,1.2; Summa Theologiae P - I I " 26,1; I I M I " 24,1. apprehensio sensitiva non attingit ad communem rationem boni, sed ad aliquod bonum particulare quod est delectabile. Et ideo secundum appetitum sensitivum, qui est in animalibus, operationes quaeruntur propter delectationem. Sed intellectus apprehendit universalem rationem boni... Unde principalius intendit bonum quam delectationem (Summa Theologiae I a -II ae 4,2ad2; auf diesen Gedanken des Thomas wird im Zusammenhang der Behandlung des beatitudoTraktats der Prima Secundae noch zurückzukommen sein - vgl. 2.4.1.4; S.199ff.).

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Das Problem des Eudämonismus

zu Gott vom Streben des Menschen nach dessen bonum proprium getragen oder von diesem Verlangen unabhängig ist. Für die erste (eudämonistische) Möglichkeit steht, cum grano salis, die Deutung Rousselots, während die Interpretation Geigers die zweite (nicht eudämonistische) Möglichkeit repräsentiert. Als ein primär philosophisch orientierter und maßgeblich von der materialen Wertethik geprägter Kritiker der thomanischen Ethik kann Hans Reiner gelten. Seine Auffassung, nach der bei Thomas sowohl von einem ontologischen als auch von einem voluntaristischen Eudämonismus gesprochen werden müsse, hat dadurch eine gewisse Breitenwirkung erlangt, daß sie - offensichtlich auf dem Umweg über seinen Eudämonismus-Artikel im HISTORISCHEN WÖRTERBUCH ZUR PHILOSOPHIE - Eingang in die 19.Auflage der BROCKHAUS-ENZY6 KLOPÄDIE gefunden hat . Im folgenden soll es darum gehen, sowohl die Beiträge vorzustellen, in denen Reiner seine Auffassung eingehender begründet, als auch die Arbeiten zu würdigen, in denen eine Auseinandersetzung mit seiner Interpretation vollzogen wird. Reiner geht zunächst davon aus, daß die Frage nach dem Grund der sittlichen Verbindlichkeit ein zentrales Thema jeder Ethik darstellt und daß deshalb die sachliche Angemessenheit auch des thomanischen Ansatzes letztlich davon abhängt, ob diese Frage zufriedenstellend beantwortet ist 17 . Allerdings, so stellt Reiner dann fest, herrscht in der Forschung keine Einigkeit darüber, ob bei Thomas eher von einem eudämonistischen Ansatz oder von einer theonomen Sollensethik gesprochen werden müsse. Um hier zu einem Urteil zu gelangen, untersucht er die Stellen im Werk des Thomas, an denen aus seiner Sicht die thomanische Auffassung über die Begründung der sittlichen Verpflichtung (obligatio) deutlich wird; es handelt sich in erster Linie um De veritate 17,3 und um den lex-Traktat der Prima Secundae (Summa Theologiae I a -II ae 90-108). Im Verlauf der Analysen bestätigt sich zwar die schon ganz am Anfang der Untersuchung geäußerte Vermutung, daß die sittliche Verbindlich-

16

Vgl. H a n s Reiner, Art. Eudämonismus, in: H W P II ( 1 9 7 2 ) , 8 1 9 - 8 2 3 s o w i e Brockhaus-Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. Neunzehnte, völlig neu bearbeitete Auflage, Band 6 (DS-EW und erster Nachtrag), M a n n h e i m 1 9 8 8 , 615.

17

Vgl. zum folgenden H a n s Reiner, Wesen und Grund der sittlichen Verbindlichkeit (obligatio) bei T h o m a s v o n Aquin, in: Paulus Engelhardt (Hg.), Sein und Ethos. Untersuchungen zur Grundlegung der Ethik, Mainz 1 9 6 3 ( W S A M A . P 1), 236-266.

Katholische Stimmen zum Eudämonismus-Problem bei Thomas

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keit bei Thomas letztlich eudämonistisch begründet wird, weil die „These, das einzige letzte Ziel des Menschen sei die beatitudo, die Glückseligkeit, und zwar die je eigene Glückseligkeit ... das Ganze der thomasischen Ethik" bestimmt 1 8 . Im einzelnen jedoch gelangt Reiner zu bemerkenswerten Differenzierungen. Zunächst stellt er zwei verschiedene Varianten des Eudämonismus bei Thomas fest: Dieser kennt „1. eine im Gottesgebot verankerte /jeieronom-eudämonistisch-sanktionistische obligatio. Und er kennt 2. eine rein in der Vernunft aufgrund ihrer Beziehung zum bonum verankerte öwionora-eudämonistische obligatio" 1 9 , wobei Reiner bemerkt, daß die beiden Formen der obligatio bei Thomas ohne klare Unterscheidung nebeneinanderstehen. Diese Beobachtung ist schon deshalb von Bedeutung, weil sie die These impliziert, daß bei Thomas - in gewisser Weise - von einem autonomen Normbegründungsverständnis gesprochen werden kann, eine Auffassung, die seit den 70er Jahren in der deutschsprachigen katholischen Moraltheologie immer wieder geäußert worden ist - übrigens auch hier vor allem unter Verweis auf den Begriff der ratio im lex-Traktat der SUMMA THEOLOGIAE20.

Nun läuft nach Reiner - und dies ist seine zweite interessante Beobachtung - eine im Vernunftgebot gegründete obligatio letztlich auf eine Sprengung des eudämonistischen Ansatzes heraus, die bei Thomas zwar nicht explizit festzustellen, wohl aber ansatzweise zu spüren ist: Nach Reiner stellt das von ihm bei Thomas konstatierte autonom-eudämonistische obligatio-Verständnis eine Art Vorform des kantischen Kategorischen Imperativs dar 2 1 . 18

AaO, 237.

19

A a O , 2 5 8 (Kursivdruck im T e x t , R.L.).

20

Vgl. die unten in den Anmerkungen 5 3 - 5 5 genannte Literatur.

21

„Vergegenwärtigen wir uns zunächst noch einmal den W o r t l a u t der entscheidenden Stelle. Es heißt da von den praecepta moralia: .habent vim obligandi ex ipso dictamine rationis, quia naturalis ratio dictât hoc esse debitum fieri vel vitari' (ein Zitat aus Summa Theologiae I a -II ae 1 0 4 , 1 c , R.L.). W i r fanden vorhin, dieses Diktat der Vernunft sei durch den Bezug der Vernunft auf das bonum zu erklären ... Allein, genügt es wirklich, wenn wir dies im Rahmen des Eudämonismus abklären? ... Diese Frage muß wohl verneint werden ... M a n muß deshalb annehmen, daß dem Aquinaten doch auch bei dieser Erklärung der obligatio durch ein Diktat der Vernunft noch etwas anderes vorgeschwebt hat, als es seine eigene von Aristoteles her aufgebaute Theorie dabei zugrunde zu legen zuließ. Vielmehr muß auch T h o m a s hier doch etwas von einem wirklichen kategorischen Imperativ gespürt haben, wie ihn in seinem Wesen erstmals Kant einigermaßen zureichend zu beschreiben vermochte" ( a a O , 2 6 2 f . ) .

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Das Problem des E u d ä m o n i s m u s

Diese Tatsache, daß sich gerade innerhalb der ganz vom menschlichen perfectio-Streben beherrschten Ethik des Thomas eine diesen Rahmen sprengende Dimension des Sittlichen wenigstens implizit nachweisen läßt, macht nun nach Reiner die grundsätzliche Unangemessenheit einer eudämonistischen Begründung der sittlichen Forderung und damit auch die Untauglichkeit des Ansatzes der thomanischen Ethik noch einmal unübersehbar deutlich. Wie er im Rahmen einer sich über drei Seiten erstreckenden Anmerkung hervorhebt, widerspricht seiner Auffassung nach der Eudämonismus nicht nur dem christlichen Gebot der Nächstenliebe, das Reiner in Lk 1 0 , 2 9 3 7 sowie M t 2 5 , 3 5 - 4 6 formuliert findet. Er ist darüber hinaus in keiner Weise geeignet, eine Ethik auch nur annähernd sachgerecht zu begründen: „Es gehört also zum Wesen des sittlich Guten und der sittlichen Verbindlichkeit, daß die sie begründenden möglichen Ziele des eigenen Handelns und Unterlassens sich in einer Einstellung ergeben, die vom Eigeninteresse gerade losgelöst und unabhängig ist. ... Wird demgegenüber, wie bei Thomas, das gesamte menschliche Handeln ganz allgemein und grundsätzlich als dem einzigen Ziel der eigenen perfectio dienend aufgefaßt, so ist damit von vornherein das Fundament der Ethik verbaut" 2 2 . Der Dominikaner Servais Pinckaers hat in einer Stellungnahme zu Reiners Beitrag auf dessen massive Kritik an der Grundlegung der Ethik bei Thomas geantwortet 2 3 . Pinckaers bezieht sich dabei im Grundsatz auf eine in einem anderen Text von ihm formulierte These, nach der die thomanische Ethik vom Gedanken der Freundschaftsliebe (amor amicitiae) her interpretiert werden muß 2 4 . Anders als das rein eigennützige Verlangen, durch welches das Geliebte zugunsten des Liebenden instrumentalisiert wird, anders auch als die ekstatische Liebe, die letztlich auf eine Zerstörung des Liebenden zugunsten des Geliebten hinausläuft, vollbringt die Freundschaftsliebe „das Wunder, daß ein jedes der einander gegenüberstehenden Subjekte aus eigenem Antrieb das andere als Subjekt anerkennt, das 22

23

24

AaO, 2 6 3 Anm.; die Berufung auf die genannten Bibelstellen findet sich aaO, 2 6 2 Anm. Vgl. Servais Pinckaers, Eudämonismus und sittliche Verbindlichkeit in der Ethik des heiligen Thomas. Stellungnahme zum Beitrag Hans Reiners, in: Paulus Engelhardt (Hg.), Sein und Ethos. Untersuchungen zur Grundlegung der Ethik, Mainz 1 9 6 3 (WSAMA.P 1), 2 6 7 - 3 0 5 . Vgl. Servais Pinckaers, Der Sinn für die Freundschaftsliebe als Urtatsache der thomistischen Ethik, in: Paulus Engelhardt (Hg.), Sein und Ethos. Untersuchungen zur Grundlegung der Ethik, Mainz 1 9 6 3 (WSAMA.P 1), 2 2 8 - 2 3 5 .

Katholische Stimmen zum Eudämonismus-Problem bei Thomas

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würdig ist, um seiner selbst willen geliebt zu werden" 2 5 . In der Begrifflichkeit Rousselots, die bei Pinckaers vorausgesetzt sein dürfte, auch wenn er selbst sich nicht ausdrücklich darauf bezieht 26 , heißt dies, daß Thomas weder der ,physischen' noch der ,ekstatischen' Liebeskonzeption zuzurechnen ist, sondern daß der von ihm formulierte Gedanke des amor amicitiae auf einen Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen hinweist. Reiner konnte nach Pinckaers die Möglichkeit eines solchen Kompromisses nicht sehen, weil er sich den Texten des Thomas von modernen Voraussetzungen her genähert hat. Weder habe er den bei Thomas eigentlich gemeinten Sinn solcher Wörter wie beatitudo, perfectio, appetitus usw. hinreichend verstanden, noch die prinzipielle Schwierigkeit berücksichtigt, die sich ergibt, wenn man die Konzeption des Thomas aus der Perspektive einer auf dem Pflichtbegriff beruhenden modernen Ethik interpretiert. Das moderne Dilemma der radikalen Trennung von Subjekt und Objekt macht es nach Pinckaers unmöglich, die wahre Liebe so zu sehen, wie sie Thomas verstanden hat, nämlich als Vereinigung beider Liebespartner, in der gegenseitige Hingabe und beiderseitige Erfüllung zwei Seiten derselben Medaille sind. Thomas konnte, so Pinckaers, durchaus „die Existenz und den Wert einer nicht interessierten Liebe" unverkürzt zur Geltung bringen, ohne auf die Selbstliebe und die jedem eigene Vollendung verzichten zu müssen. Selbstliebe und Selbstvollendung sind dann freilich so aufgefaßt, daß sie „der Liebe zum Anderen keineswegs widerstreiten, sondern ihre ontologische Grundlage und notwendige Vorbedingung bilden" 27 . Die genannten Überlegungen haben Pinckaers dazu bewogen, von einem ontologischen Eudämonismus in der Ethik des Thomas zu sprechen 28 . Daß er auf den Begriff des Eudämonismus nicht grund25 26

27 28

AaO, 2 2 9 . Allerdings verweist Paulus Engelhardt, der Herausgeber des Bandes, in dem die hier vorzustellenden Texte von Pinckaers und Reiner zusammengestellt sind, in einer Anmerkung auf die oben behandelten Beiträge von Rousselot und Geiger (aaO, 2 2 8 A n m . l ) . Pinckaers selbst weist lediglich beiläufig an einer Stelle auf Rousselot und Nygren hin (Servais Pinckaers, Eudämonismus und sittliche Verbindlichkeit in der Ethik des heiligen Thomas, 269). AaO, 2 8 4 . Vgl. ebd. Daß Eudämonismus nicht in jedem Fall etwas Negatives sein muß und keinesfalls zwangsläufig Egoismus impliziert, hatte Pinckaers bereits mehrfach angedeutet (vgl. aaO, 2 7 0 sowie Servais Pinckaers, Der Sinn für die Freundschaftsliebe als Urtatsache der thomistischen Ethik, 2 3 5 Anm.4).

48

Das Problem des Eudämonismus

sätzlich verzichten will, hängt damit zusammen, daß nach seiner Interpretation bei Thomas die Selbstliebe und damit das Streben des Menschen nach der eigenen perfectio auch in der liebenden Hingabe erhalten bleibt, ja erhalten bleiben muß. Diese in jedem Fall unabdingbare Selbstliebe bezieht sich aber nach Pinckaers auf ein ontologisch verstandenes Selbst, „von dem wir uns nicht loslösen könnten, ohne uns zu zerstören. ... Das ursprüngliche Ich ist ein unserer sittlichen Entscheidung vorhergehendes und ihr zugrunde liegendes Element ... Das Bestreben, es zu vernichten, wäre absurd, und eine darauf abzielende Bemühung würde die ganze moralische Aktivität des Menschen verderben" 29 . Daß ein so verstandener Eudämonismus die Bedingung der Möglichkeit einer wahrhaft uneigennützigen Liebe darstellt und ihr keineswegs im Weg steht, belegt Pinckaers mit verschiedenen Texten aus der caritas-Lehre im Sentenzenkommentar sowie mit einem Abschnitt aus D E CARITATE, in welchem die Transzendierung des Eigeninteresses in der Gottesliebe in besonderer Weise deutlich w i r d . Hans Reiner hat seinerseits in einer Replik auf die Einwände von Pinckaers reagiert 31 . Es geht ihm dabei angesichts der durch Pinckaers vollzogenen Trennung von (ontologischem) Eudämonismus und Egoismus vor allem um die Präzisierung seines Egoismus-Vorwurfs. Er beruft sich auf eine von Thomas selbst im letzten Artikel des beatitudo-Traktats der SUMMA THEOLOGIAE vollzogene Unterscheidung. Thomas differenziert in Summa Theologiae Ia-IIae 5,8 zwischen der beatitudo, sofern alle Menschen nach ihr streben, unabhängig davon, worin sie ihr Glück im einzelnen erblicken (beatitudo secundum communem rationem) und der inhaltlich konkretisierten beatitudo, die das einzige wahre Letztziel aller Geschöpfe darstellt 29

30

31

Servais Pinckaers, Eudämonismus und sittliche Verbindlichkeit in der Ethik des heiligen Thomas, 272f. Die entscheidende Stelle aus dem von Pinckaers herangezogenen Zitat aus De Caritate 2c sei hier wegen ihrer Bedeutung für die unten noch zu behandelnden Beiträge zum Eudämonismus-Problem bei Thomas zitiert: amare bonum quod a beatis participator ut habeatur vel possideatur, non facit hominem bene se habentem ad beatitudinem, quia etiam mali illud bonum concupiscunt; sed amare illud bonum secundum se, ut permaneat et diffundatur, et ut nihil contra illud bonum agatur, hoc facit hominem bene se habentem ad illam societatem beatorum. Et haec est caritas, quae Deum per se diligit, et proximos qui sunt capaces beatitudinis, sicut seipsos. Vgl. Hans Reiner, Beatitudo und obligatio bei Thomas von Aquin. Antwort an P. Pinckaers, in: Paulus Engelhardt (Hg.), Sein und Ethos. Untersuchungen zur Grundlegung der Ethik, Mainz 1963 (WSAMA.P 1), 306-328.

Katholische Stimmen zum Eudämonismus-Problem bei Thomas

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(beatitudo secundum specialem rationem). Nach Reiner ist nun bereits das Streben nach der beatitudo secundum communem rationem letztlich egoistisch motiviert. Dies wird auch nicht durch die von Pinckaers mit Recht geltend gemachte Tatsache aufgehoben, daß die beatitudo secundum specialem rationem nur über die sittliche Vollkommenheit der Gottes- und Nächstenliebe zu erlangen ist; problematisch ist für Reiner nicht, daß der Mensch die erstrebte beatitudo durch den Vollzug uneigennütziger Sittlichkeit erreichen kann, sondern vielmehr, daß bei Thomas das Streben des Menschen nach beatitudo als letztes Motiv solcher Sittlichkeit gilt. Reiner weist im Anschluß an diese Klarstellung den seiner Interpretation nach wesentlich egozentrischen Charakter des allgemeinen Glückseligkeitsstrebens nach, wobei er sich weitgehend auf Summa Theologiae I a II a e 1-5 bezieht. Allerdings behauptet Reiner auch jetzt nicht, daß Thomas das im eigentlichen Sinne Sittliche ganz und gar verborgen geblieben sei. Gerade der von Pinckaers herangezogene Text aus De Caritate 2 gilt ihm als Beleg dafür, „daß Thomas allerdings seinen Grundansatz, wonach das eigene bonum und die eigene beatitudo letztes Ziel allen menschlichen Strebens ist, eindeutig gesprengt h a t " 3 2 . Die Pointe von Reiners Argumentation ist demnach die, daß jene Thomas-Stellen, die nicht eudämonistisch interpretierbar sind, letztlich aus einer systematischen Inkonsequenz hervorgegangen sind. Winfried Lange, ein Schüler Reiners, hat die mit dieser These aufgeworfene Frage nach der inneren Einheit der thomanischen Ethik im Rahmen seiner philosophischen Dissertation erörtert 3 3 . Das Ergebnis, zu dem er gekommen ist, verdient nicht nur deshalb Erwähnung, weil auch seine Untersuchung einen Beitrag zum Eudämonismus-Problem bei Thomas darstellt, sondern vor allem deshalb, weil Langes Dissertation Reiner dazu bewogen hat, seine gerade referierte These von der inneren Widersprüchlichkeit der thomanischen Moralkonzeption zu revidieren: Als Reiners zuerst 1 9 6 0 erschienene Erwiderung auf die von Josef Endres erhobenen Einwände gegen seinen Aufsatz zum Ursprung der Sittlichkeit 3 4 neu abge32

AaO, 3 2 6 .

33

Vgl. Winfried Lange, Glückseligkeitsstreben und uneigennützige Lebensgestaltung bei Thomas von Aquin. Untersuchung zum Problem der inneren Einheit seines ethischen Systems, Diss. Freiburg i. Breisgau 1969.

34

Vgl. Hans Reiner, Der Ursprung der Sittlichkeit dargestellt aufgrund der phänomenologischen Methode, in: Z P h F 13 ( 1 9 5 9 ) , 2 6 3 - 2 8 7 sowie Josef Endres, Z u m Ursprung der Sittlichkeit, in: Z P h F 14 ( 1 9 6 0 ) , 2 3 4 - 2 4 6 .

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Das Problem des Eudämonismus

druckt wird, fügt er eine Anmerkung hinzu, aus der hervorgeht, daß er seine Position in dieser Frage geändert hat. Zwar bleibt er dabei, „daß Thomas im Grundansatz seiner Ethik von den natürlichen Anlagen des Menschen ausgehend diese als letztlich insgesamt auf die eigene Glückseligkeit abzielend ansieht und bestimmt. Aber in späteren Ausführungen über die durch die göttliche Gnade hingegossenen Tugenden' (virtutes infusae), insbesondere die Tugend der caritas, erklärt Thomas, durch sie könne die Alleinherrschaft der natürlichen Anlagen überwunden und der Weg zu völlig selbstloser Hingabe an Gott und die Mitmenschen freigemacht werden" 3 5 . Mit diesen Worten Reiners ist das Ergebnis der Dissertation von Lange bereits im Groben skizziert. Dieser war aufgrund einer kurzen Analyse des beatitudo-Traktats der Prima Secundae zunächst zu dem Ergebnis gekommen, daß im „Mittelpunkt der Handlungstheorie des heiligen Thomas ... nicht Gott" 3 6 steht, sondern „der Mensch, der nach seiner Vollendung verlangt". Nach Lange ist der Ansatz der thomanischen Ethik von daher zweifellos eudämonistisch. Und weil es beim menschlichen Glücksstreben „nie um Güter (geht), die man für den Mitmenschen zu verwirklichen sucht, sondern stets um die Vervollkommnung eines handelnden Selbst", kann Lange sogar „von einer egozentrischen Tendenz, die dem thomasischen Eudämonismus innewohnt, sprechen" 3 7 . Allerdings verweist er in einer Anmerkung zu diesem Fazit auf dessen vorläufigen Charakter 3 8 . Dieser Hinweis wird verständlich, wenn man Langes Interpretation der thomanischen caritas-Lehre zur Kenntnis nimmt. Denn in der caritas geht es nun, ganz anders als im beatitudo-Traktat, primär um Gott. Unter Heranziehung zahlreicher Textbelege arbeitet Lange heraus, daß sich der mit der caritas begnadete Mensch nach Thomas gegenüber Gott „unegoistisch, desinteressiert" 39 verhält: „Die Liebe will nicht haben und nicht besitzen. Sie macht sich eher zum Streiter für das göttliche Gut, daß es erhalten und nach allen Seiten hin ausgebreitet und durch

35

36

37 38 39

Hans Reiner, Die Grundlagen der Sittlichkeit. Zweite, durchgesehene und stark erweiterte Auflage von Pflicht und Neigung, Meisenheim am Glan, 1 9 7 4 (MPF 5), 4 5 0 Anm. Winfried Lange, Glückseligkeitsstreben und uneigennützige Lebensgestaltung bei Thomas von Aquin, 34. Alle Zitate nach der letzten Anmerkung: AaO, 35. Vgl. aaO, 2 0 3 Anm.92. AaO, 102.

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nichts aufgehalten werde" 40 . Aus der sich von daher ergebenden Feststellung, daß das menschliche Handeln ex caritate nicht mit der aus dem beatitudo-Traktat erhobenen eudämonistisch-egoistischen Grundausrichtung menschlichen perfectio-Strebens übereinstimmt, ergibt sich aber für Lange noch keine innersystematische Unstimmigkeit der thomanischen Ethik. Seiner Auffassung nach vollzieht sich „innerhalb dieses Systems eine Entwicklung ..., die, im Rückblick betrachtet, den handlungstheoretischen Ausgangspunkt modifiziert oder zumindest relativiert" 41 . Es ist, so Lange, die Gnade Gottes, die nach Thomas den ursprünglich immer sich selbst zugekehrten Willen des Menschen verwandelt, läutert und heilt. Insofern der Mensch durch die Gnadenmitteilung „ein Anderer (wird), als er zuvor war" 4 2 , muß der das Sein des Menschen vor der Verwandlung des Willens behandelnde beatitudo-Traktat „überhaupt nicht mehr als einzige und unverrückbare Aussage über den Charakter des menschlichen Handelns" 43 gelten. Wer also den eudämonistischen Charakter der Ethik des Thomas betont, hat nach Lange zwar durchaus recht, aber eben nur für das Sein des Menschen vor dessen Willensverwandlung durch die Gnade. Wer dagegen den Gedanken der Theonomie als Proprium der thomanischen Moraltheologie geltend zu machen versucht, hat ebenso recht, allerdings kann er diese Behauptung nur für das Sein des Menschen nach dessen Inbesitznahme durch die caritas aufrecht erhalten. Als ein theologisches Analogon zu der primär philosophisch motivierten Thomas-Kritik von Reiner kann eine von Josef Santeler stammende, im Horizont jesuitischer Spiritualität argumentierende Studie über die Lehre vom Endzweck des Menschen bei Thomas gelten 44 . Santeler geht es, und insofern ist seine Kritik im wahrsten Sinne des Wortes theologisch, um die Gottheit Gottes: Als letzter Zweck des Menschen darf nur Gott selbst gelten bzw. das Wohlgefallen Gottes (im Sinne eines Genitivus subiectivus). Deshalb ist für ihn auch klar, daß „alles, was außerhalb Gottes ist, nur Mittel sein

40

AaO, 103.

41

AaO, 105.

42

Ebd.

43

AaO, 105a.

44

Vgl. Josef Santeler, Der Endzweck des Menschen nach Thomas von Aquin. Eine kritisch-weiterführende Studie, in: Z K T h 8 7 ( 1 9 6 5 ) , 1 - 6 0 .

52

Das Problem des Eudämonismus

kann für diesen letzten Zweck" 4 5 . Indem Santeler, von dieser Voraussetzung ausgehend, die Aussagen des Thomas über den ultimus finis humanae vitae untersucht, stellt er einen Mangel an der von ihm diesbezüglich geforderten Eindeutigkeit fest. Er bezieht sich dabei vor allem auf die beatitudo-Lehre im Sentenzenkommentar, in der SUMMA CONTRA GENTILES u n d i n d e r SUMMA THEOLOGIAE. D a s v o n i h m

durchgängig diagnostizierte Problem besteht darin, daß Thomas zwar einerseits an Gott als Letztziel festhält, aber andererseits „schon früh nicht davon loskommt, (neben Gott, R.L.) die beatitudo als letzten Zweck anzugeben" 4 6 . Da es sich bei der beatitudo hominis jedoch stets um etwas Innermenschliches handelt, kann sie zwar legitimerweise als ein Ziel des Menschen, keinesfalls aber als sein Letztziel gelten, sonst ergäbe sich eine Verdopplung des finis ultimus und schließlich eine Konkurrenz zwischen dem Wohlgefallen Gottes und dem Glück des Menschen. Als Wurzel für diese Unklarheit gilt Santeler der Einfluß des Aristoteles: „Es ist nicht anzunehmen, Thomas sei von sich aus dazu gekommen, in der beatitudo den letzten Zweck des Menschen zu sehen. ... Der Denker, der eigentlich im Hintergrund dieser Lehre steht, ist der Stagirite" 47 . Santeler analysiert nun die Versuche des Thomas, die beiden Letztziele so miteinander zu kombinieren, daß ihre Verdopplung vermieden wird. Ausführlich behandelt er die dazu in Summa Theologiae I a -II ae 1-5 unter Berufung auf den Philosophen vollzogene Unterscheidung des finis ultimus in einen finis cuius und einen finis quo einschließlich ihres Ursprungs bei Aristoteles. Zwar würdigt Santeler diese Differenzierung des finis-Begriffs als einen genialen Versuch, „die zwei Endzwecke, Gott und die beatitudo, so zu verbinden, daß sie gleichsam als e i n finis ultimus erscheinen, allerdings mit einer göttlichen und einer menschlichen Seite" 48 , doch bestreitet er, daß Thomas das Problem der Letztzielkonkurrenz dadurch wirklich gelöst hat. Die Unterscheidung der beiden finis-Aspekte führt nach seiner Interpretation sogar dazu, daß von den beiden Zielen letztlich nur noch die beatitudo hominis übrig bleibt, womit Gott am Ende zum Mittel der

45

AaO, 53; vgl. auch aaO, 44: Beatitudo und Gott dürfen „nur so zueinander stehen, daß die Seligkeit des Menschen das letzte Mittel darstellt für den einzigen wirklich letzten Z w e c k , der nur der unendliche Gott sein kann".

46

AaO, 14 (Kursivdruck im Text, R.L.). AaO, 21f. (Kursivdruck im Text, R.L.).

47 48

A a O , 3 0 (Hervorhebung und Kursivdruck im Text, R.L.).

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menschlichen fruitio gemacht und der Endzweck des Menschen in etwas Außergöttliches verlegt wird 49 . Santelers Studie ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil hier die theologische Legitimität der thomanischen beatitudo-Lehre in ganz ähnlicher Weise angefragt wird wie in einigen der in 1.2 herangezogenen Beiträge: Dem menschlichen Streben nach Glückseligkeit darf um der Gottheit Gottes willen keine konstitutive theologische Relevanz zuerkannt werden. Außerdem kann Santelers außerordentlich kritische Haltung gegenüber Thomas im katholischen Bereich wohl als nahezu singulär gelten. Denn dort werden theologische Bedenken zumeist auch dann nicht laut, wenn eine eudämonistische Grundausrichtung der thomanischen Ethik im Sinne der in 1.1 und 1.2 dargestellten Kritik konstatiert wird. Dies gilt in besonderer Weise für den m.W. bislang jüngsten Beitrag zur Frage des Eudämonismus bei Thomas, die Habilitationsschrift des katholischen Theologen Bénézet Bujo (Zaire) 50 . Santelers Kritik wird darin nicht aufgenommen, als Ausgangspunkt gelten vielmehr die oben referierte Debatte zwischen Reiner und Pinckaers und der daran anknüpfende Interpretationsansatz Langes, den Bujo freilich „eher zurückhaltend" beurteilt 51 . Eine Kritik der Interpretation Langes unter Bezugnahme auf Bujo soll hier jedoch unterbleiben; was gegen Lange zu sagen ist, wird sich aus den Analysen zum beatitudo- und zum caritas-Traktat der SUMMA THEOLOGIAE in 2.4.1 und 2.4.3.2 ergeben. Zu fragen ist jetzt vielmehr danach, wie Bujo selbst die von ihm als dringend bezeichnete „weitere Vertiefung der Eudämonie-Frage" 52 vollzieht. Bevor sein Ergebnis vorgestellt wird, soll noch kurz auf die Intention hingewiesen werden, die Bujo zur Beschäftigung mit der Eudämo-

„Der erste finis ist das Objekt, die res, das zweite Objekt des Strebens ist der usus, die fruitio des ersten Objekts ... Der Unterschied besteht bloß darin, daß die res direkt gewollt ist und der finis quo auf dem Umweg über die res ... So ist die res eigentlich das Mittel und die fruitio der letzte Z w e c k " ( a a O , 3 7 ; Kursivdruck im T e x t , R . L . ) . Auf die für die thomanische Glückseligkeitslehre in der T a t wichtige Unterscheidung von finis cuius und finis quo wird bei der Behandlung des beatitudo-Traktats der SUMMA THEOLOGIAE einzugehen sein ( 2 . 4 . 1 ; S . 1 5 3 f f . ; vgl. bes. 1 7 7 - 1 9 9 ) . 50

Vgl. Bénézet Bujo, Die Begründung des Sittlichen. Z u r Frage des Eudämonismus bei T h o m a s von Aquin, Paderborn-München-Wien-Zürich 1 9 8 4 (VGI.NF 3 3 ; zugl. HabSchr. Würzburg 1 9 8 3 ) .

51

AaO, 29.

52

Ebd.

54

Das Problem des Eudämonismus

nismus-Thematik geführt hat. Wie bereits aus seiner sich ebenfalls mit Thomas befassenden Dissertation hervorgeht, hat er großes Interesse daran, die Vereinbarkeit der thomanischen Ethik mit dem Gedanken der sittlichen Autonomie nachzuweisen 53 . Bujo kann von daher als ein Repräsentant jener oben bereits erwähnten Richtung innerhalb der deutschsprachigen katholischen Moraltheologie der Gegenwart gelten, deren Anliegen es ist, unter Rückgriff auf Thomas einen Beitrag zur Klärung des zunehmend als antithetisch empfundenen Verhältnisses zwischen dem normativen Anspruch der katholischen Sittenlehre und dem heutigen Bewußtsein zu leisten, dem die autonom erarbeitete Einsicht in die Richtigkeit sittlicher Grundsätze als einzig legitime Verpflichtungsquelle gilt und das deshalb den normativen Anspruch der katholischen Moraltheologie als heteronome und damit illegitime Verfremdung solch autonomer Sittlichkeit interpretiert. Als weitere Vertreter dieser Richtung neben Bujo seien hier Alfons Auer 54 und Karl-Wilhelm Merks 55 genannt. Diese Interpreten kommen, meist aufgrund einer Analyse des lex-Traktats der ae SUMMA THEOLOGIAE (F-II 90 ff.), zu dem Ergebnis, daß der Gegensatz zwischen Theonomie und Autonomie für Thomas so nicht existiert. So steht es nach Merks außer Frage, daß einerseits „das Prinzip der Rationalität im Sinne der theologisch grundgelegten, aber gerade daher sehr real verstandenen Autonomie der praktischen Vernunft durchaus der bestimmende Gesichtspunkt der thomanischen Moral ist" 56 , daß aber andererseits diese Vorstellung „nicht im

53

Vgl. Bénézet Bujo, Moralautonomie und Normenfindung bei Thomas von Aquin. Unter Einbeziehung der neutestamentlichen Kommentare, Paderborn-MünchenWien-Zürich 1979 (VGI.NF 29; zugl. Diss. Würzburg 1977/78) sowie ders., Die Aktualität des Thomas von Aquin in der heutigen Moraltheologie, in: TThZ 89 (1980), 118-125. Der zuletzt genannte Artikel enthält eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Dissertation Bujos.

54

Vgl. Alfons Auer, Autonome Moral und christlicher Glaube, Düsseldorf 1971 sowie ders., Die Autonomie des Sittlichen nach Thomas von Aquin, in: Klaus Demmer/Bruno Schüller (Hg.), Christlich glauben und handeln. Fragen einer fundamentalen Moraltheologie in der Diskussion, Düsseldorf 1977, 31-54. Vgl. Karl-Wilhelm Merks, Theologische Grundlegung der sittlichen Autonomie. Strukturmomente eines ,autonomen' Normbegründungsverständnisses im lexTraktat der Summa theologiae des Thomas von Aquin, Düsseldorf 1978 (MThS.S 5; zugl. Diss. Bonn 1976) sowie ders., Autonomie, in: Jean Pierre Wils/Dietmar Mieth (Hg.), Grundbegriffe der christlichen Ethik, München-Wien-Zürich 1992, 254-281. Karl-Wilhelm Merks, Theologische Grundlegung der sittlichen Autonomie, 353.

55

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Katholische Stimmen zum Eudämonismus-Problem bei Thomas

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Gegensatz zur Möglichkeit allgemeiner Normativität"57 steht, da Autonomie bei Thomas gerade „als Ausdruck für die gottgewollte Größe und Würde des Menschen" 58 verstanden ist. In der auch von Bujo nachdrücklich vertretenen Auffassung, daß sich bei Thomas sittliche Selbstbestimmung und göttliches Gebot nicht gegenüberstehen, sondern als aufeinander hingeordnet verstanden werden, ist bereits eine für die Eudämonismus-Thematik durchaus folgenreiche These impliziert. Wenn nämlich der Mensch aufgrund seiner geschöpflichen Sonderstellung als imago Dei im Vollzug seines autonom strukturierten Handelns dem theonom verfügten Heilsplan - jedenfalls in gewisser Weise - .entgegenkommen' kann, dann muß auch den aus seiner Selbstbestimmung heraus formulierten Glücksvorstellungen eine theologisch-ethische Relevanz zukommen. Erst dieser Zusammenhang macht verständlich, daß es Bujo in seiner Habilitationsschrift nicht nur nicht um eine Widerlegung des Eudämonismus-Vorwurfs im Hinblick auf Thomas geht. Im Gegenteil: Er hat die Absicht, eine eudämonistische Ethik unter Verweis auf Thomas theologisch zu legitimieren. Denn, so Bujo, gerade bei Thomas werde letztlich alles „sittliche Tun von der beatitudo-Idee angetrieben" 59 . Im Vollzug sittlichen Handelns ist nach dieser Interpretation bei Thomas die Erlangung der Glückseligkeit stets mehr oder weniger explizit intendiert. Das entscheidende Argument für diese Deutung bezieht Bujo aus der thomanischen Bestimmung des Menschen als eines auf Gott ausgerichteten Geschöpfes, das aufgrund seiner Ausstattung mit Vernunft und Willen sein Letztziel aus sich selbst heraus anstreben kann. Das Letztziel stellt sich aus der Sicht des Menschen als der Wunsch nach Erlangung der beatitudo dar. Dieses Streben ist nach Auffassung Bujos bei Thomas der ,Motor' allen sittlichen Handelns: „Alle sittlichen Einzelakte, ... auch alle Tugenden einschließlich der göttlichen ... sind kein Zweck in sich, sondern erhalten ihren letzten Sinn vom finis ultimus ... Wer eigenverantwortlich handelt, wird auch immer, zumindest virtualiter, vom letztlich gewollten Ziel bewegt" 60 . Anders als in der Deutung Langes wird nach Bujo dieser Ansatz der thomanischen Ethik auch in der caritas-Lehre nicht rela-

57 58 59 60

AaO, 3 5 5 (Kursivdruck im Text, R.L.). AaO, 356. Bénézet Bujo, Die Begründung des Sitdichen, 183. AaO, 184.

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Das Problem des Eudämonismus

tiviert oder gar überwunden. Von einer Gottesliebe im Sinne des amour désintéressé kann bei Thomas keine Rede sein. In der caritas nämlich liebt der Mensch Gott „als sein Ur-Prinzip bzw. als seinen Lebensgrund ..., zu dem er zurückzukehren trachtet, um er selbst zu sein" 6 1 , und damit wird ausdrücklich das Streben nach Selbstvervollkommnung, nach einer ,Rückkehr zum Lebensgrund', als eigentliche Wurzel der Hinwendung des Menschen zu Gott namhaft gemacht. Auch die thomanische Lehre von der Nächstenliebe interpretiert Bujo in diesem Sinne: Wenn die caritas den Menschen dazu befähigt, „den anderen für sich selbst (= um seiner selbst willen, R.L.) zu lieben, heißt das nicht ..., daß das Ich des Liebenden nicht mehr zählt. Würde dies doch der Schöpfungsordnung bzw. der inclinatio naturalis widersprechen, die selbst im Gnadenstand fortbesteht und nach der die Selbstliebe die Grundvoraussetzung zur Nächstenliebe ist" 6 2 . Das hier nur kurz referierte Ergebnis, zu dem Bujo in seinem Buch kommt, wirft - gerade angesichts aller bisher erwähnten Beiträge zum Eudämonismus-Problem bei Thomas - einige Fragen auf. Zunächst einmal wirkt es erstaunlich, daß eine eudämonistische Grundtendenz der thomanischen Ethik so unumwunden zugestanden wird. Anders als etwa Rousselot und Pinckaers scheint Bujo keinerlei Interesse daran zu haben, die Möglichkeit einer wahrhaft uneigennützigen Gottes- und Nächstenliebe bei Thomas nachzuweisen. Zwar betont auch er, daß der Eudämonismus des Thomas nicht egoistisch verstanden werden darf: „Man muß zugeben, daß der Eudämonismus eine gewichtige Rolle beim Aquinaten spielt, jedoch ist er nicht - dies wurde durchgehend hervorgehoben - egoistisch ... aufzufassen" 6 3 . Warum nicht? Weil es nach Thomas nicht sein kann, „daß der Mensch zur Selbstvollendung in Gott gelangt, ohne diesen wirklich geliebt zu haben" 6 4 . Die Gewinnung der beatitudo ist also nach Bujos Interpretation bei Thomas daran gebunden, daß der Mensch sich von sich selbst weg wendet und ganz auf Gott hin orientiert. In der caritas, die das Maximum an irdisch erreichbarer beatitudo bewirkt, ist diese Orientierung realisiert, die jeden Egoismus ausschließt. Diese Abwehr des Egoismus-Vorwurfs ist allerdings, betrachtet man sie im Lichte der bisher referierten Kritiken an der Ethik 61 62 63 64

AaO, 186. Ebd. AaO, 187. AaO, 186.

K a t h o l i s c h e Stimmen z u m E u d ä m o n i s m u s - P r o b l e m bei T h o m a s

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des Thomas, nicht sehr überzeugend. So ging Reiners Gleichsetzung von Eudämonismus und Egoismus davon aus, daß nach Thomas hinter der durchaus unegoistischen Hinwendung des Menschen zu Gott eben doch wieder das egoistische Streben nach Selbstvervollkommnung steht. Gerade Bujo hatte nun das menschliche perfectio-Streben ausdrücklich als letztes Motiv auch der caritas herausgestellt, was einer Bestätigung des Egoismus-Vorwurfs gleichkommt so ist es aber nicht möglich, unter Verweis auf die caritas den egoistischen Charakter der thomanischen beatitudo-Lehre zu bestreiten. Spätestens hier wird spürbar, daß Bujo weder die philosophische noch die theologische Kritik an einer eudämonistischen Ethikbegründung hinreichend rezipiert hat. Die ungenügende Einbeziehung des Problemhorizonts führt erstens dazu, daß die prinzipielle Frage nach der theologischen Angemessenheit einer eudämonistischen Ethikbegründung im Grunde gar nicht gestellt wird, obwohl sich eine gründlichere Erörterung dieses Problems von der Themenstellung des Buches her durchaus angeboten hätte. Zweitens kommt hinzu, daß die Frage nach dem Eudämonismus in der Ethik des Thomas für Bujo vor allem deshalb interessant ist, weil sie im Zusammenhang mit einer Diskussion in der katholischen Moraltheologie über die Begründung sittlicher Normen steht 65 . Das Problem ist hier, ob bestimmte ethische Prinzipien unter allen Umständen gelten müssen, also unabhängig von den sich aus ihrer Befolgung möglicherweise ergebenden Konsequenzen (deontologische Argumentation), oder ob die Geltung sittlicher Grundsätze davon abhängig sein soll, daß ein ihnen entsprechendes Handeln gute oder schlechte Folgen hat (teleologische bzw. utilitaristische Argumentation). Der Zusammenhang dieser fundamentalen ethischen Fragestellung mit der EudämonismusThematik ist evident. Denn bereits der am Anfang von 1.1 erwähnte, bei Fichte begegnende historisch älteste Beleg für den pejorativen Gebrauch des Wortes ,Eudämonismus' kritisiert an dem so bezeichneten Grundsatz, hier würde die Pointe des Sittengesetzes verfehlt, weil an die Stelle des geforderten Gehorsams ohne Vernünftelei und Klügelei der Anspruch auf Einsicht in die Gesamtheit der Folgen unseres Handelns trete. Eudämonismus einerseits und teleologische bzw. utilitaristische Moralbegründung andererseits können von da-

65

Vgl. a a O , 2 9 - 3 6 , w o Bujo einige der in dieser Debatte vertretenen Standpunkte referiert.

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her als zwei Seiten derselben Medaille gelten 66 . Bujo selbst optiert eindeutig für das teleologische Modell, dessen theologische Legitimität er dadurch belegen will, daß er teleologische Argumentationsstrukturen in der Ethik des Thomas sichtbar zu machen versucht: Weil, so kann man seine Deutung zusammenfassen, nach Thomas Gott vom Menschen als Letztziel allen Handelns erfaßt wird, wird die Qualität jedes sittlichen Einzelaktes danach beurteilt, inwieweit er geeignet ist, der Erlangung dieses Ziels zu dienen. Da Bujo also einerseits bestrebt ist, in der thomanischen Ethik ein teleologisches Normbegründungsverständnis nachzuweisen, ist es durchaus folgerichtig, daß er eine eudämonistische Basis der sittlichen Verpflichtung bei Thomas behauptet. Und da er andererseits das in so verschiedener Ausprägung geltend gemachte kritische Potential gegenüber einer eudämonistischen Ethikbegründung nur unzureichend reflektiert, erübrigt sich für ihn eine prinzipielle Erörterung der theologischen Legitimität dieses Ansatzes. Die entscheidende Anfrage ergibt sich jedoch aus Bujos Interpretation jener Thomas-Texte, in denen das sittliche Handeln gerade nicht unter Rekurs auf das menschliche Glücksverlangen, sondern gewissermaßen ekstatisch beschrieben wird. Dies betrifft vor allem die oben zitierte von Pinckaers herangezogene Passage aus DE CARITATE, eine Stelle, die selbst nach der Einschätzung Reiners nicht eudämonistisch interpretiert werden kann. Im Schlußabschnitt seines Buches, wo die Frage nach der Möglichkeit einer selbstlosen' Liebe bei Thomas ausdrücklich gestellt wird, erwähnt Bujo diesen Passus 67 . Allerdings bestreitet er, daß hier die eigentliche Auffassung des Thomas zur Geltung kommt. Diese rekonstruiert er vielmehr im wesentlichen unter Bezugnahme auf einen Abschnitt aus dem Kommentar des Thomas zum Selbstliebe-Kapitel der aristotelischen Freundschaftslehre 6 8 . Es geht Aristoteles in diesem Kapitel darum, die echte Selbstliebe des edlen Menschen vom verachtungswürdigen Egoismus des

66

Bujo selbst macht diesen Zusammenhang deutlich: „Ist es doch unbestreitbar, daß, was glücklich macht, auch nützlich ist, und daß das, was nützlich ist, auch zum Glück führt" (aaO, 34).

67

Vgl. aaO, 1 5 2 - 1 8 2 : „Das Problem der selbstlosen Liebe und der vera amicitia".

68

Aristoteles, Nikomachische Ethik IX 8 ( 1 1 6 8 a 2 8 - 1 1 6 9 b 2 ) ; vgl. dazu Thomas von Aquin, In Decem Libros Aristotelis ad Nicomachum Expositio I X 8.9 ( 1 8 5 5 - 1 8 8 4 ) ; Bujo bezieht sich auf den Kommentar zu 1 1 6 9 a 2 2 - b 2 in 1 8 7 9 1884.

Katholische Stimmen zum Eudämonismus-Problem bei Thomas

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Minderwertigen abzuheben. Denn die wahre Selbstliebe ist gerade nicht egoistisch, sondern verwirklicht sich in der Hingabe für den Freund. Thomas hat in seinem Kommentar diese Intention des Aristoteles klar erkannt und in Anlehnung an die Vorlage genau wiedergegeben. Bujo, der dieses Referat offenbar als die authentische Lehre des Thomas auffaßt, stellt nun fest: „Selbst die Hingabe des eigenen Lebens für einen Freund muß nicht so ekstatisch aufgefaßt werden. Denn eine solche Hingabe, wo sie aus echter Liebe hervorgeht, geschieht nicht ohne Rücksicht auf die eigene Vollendung des Handelnden" 6 9 . In einer sich an diese Ausführungen anschließenden Fußnote macht er noch geltend, daß seiner Ansicht nach auch De Caritate 2 im Lichte des Aristoteles-Referats interpretiert werden müßte 7 0 . Hier liegt nun ganz augenscheinlich ein eklatanter hermeneutischer Mißgriff vor. Denn es wird indirekt behauptet, daß aus der im Ethikkommentar enthaltenen Wiedergabe eines aristotelischen Gedankens durch Thomas mehr über dessen authentische Auffassung hervorgeht als aus der Darstellung seiner eigenen Position, wie sie etwa in De Caritate 2 ihren Niederschlag gefunden hat. Natürlich ist es richtig, daß die aristotelische Freundschaftslehre für den caritasBegriff des Thomas eine wichtige Rolle spielt, und insofern ist der Hinweis auf den Ethikkommentar auch keineswegs überflüssig. Wenn man aber die These vertritt, daß das Freundschaftsverständnis des Aristoteles den entscheidenden Schlüssel für die Interpretation der thomanischen caritas-Lehre darstellt, dann muß man dies anhand eben dieser caritas-Lehre demonstrieren. D a ß Thomas die aristotelische Freundschaftslehre gekannt und an entsprechender Stelle auch referiert hat, sagt noch nichts über deren Relevanz für seine Theologie. Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, daß die Frage nach dem Eudämonismus in der thomanischen Ethik auch durch Bujos Beitrag nicht abschließend und zufriedenstellend beantwortet ist. Sieht man einmal von dem durch mangelnde Rezeption der Eudämonismus-Kritik bedingten unzureichenden Problembewußtsein und ebenso von der zuletzt kritisierten hermeneutischen Schwachstelle ab, so bleibt jedenfalls die Frage, ob nach dem Ver-

69

Bénézet Bujo, Die Begründung des Sittlichen, 1 8 1 .

70

Vgl. ebd. A n m . 2 5 9 .

60

Das Problem des Eudämonismus

ständnis des christlichen Theologen Thomas die in der caritas verwirklichte Hinwendung des Menschen zu Gott und die sich aus diesem Gottesverhältnis ergebende Hinwendung zum Nächsten wirklich nichts anderes bedeuten als eine wohlverstandene Selbstliebe im Sinne der von Aristoteles beschriebenen Philautie des edlen Menschen. Dieser Frage wird von nun an intensiv nachzugehen sein.

2 Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin 2.1 Der geistesgeschichtliche Bezugsrahmen 2.1.1 Allgemeines Das 13.Jahrhundert, in dessen zeitlicher Mitte Thomas lebte (1224/ 25-1274), kann sowohl in geistig-kultureller als auch in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht als die Blütezeit des europäischen Mittelalters bezeichnet werden: Etwa in den Jahren zwischen 1180 und 1270 erreichte die allgemeine Aufwärtsentwicklung, die sich im lateinischen Westen seit ca.1050 vollzog, ihren Zenit. Daß sich der in Ansätzen bereits vor der Karolingischen Renaissance sichtbar gewordene allgemeine Aufschwung im mittelalterlichen Europa um 1050 deutlich beschleunigt hat, kann an verschiedenen Faktoren abgelesen werden. Wie sich die einzelnen Erscheinungen zueinander verhalten, was eher als Ursache und was eher als Wirkung zu gelten hat, ist dabei nicht ohne weiteres klar. Offensichtlich bestehen zwischen der plötzlichen, rapiden Zunahme der Bevölkerung, den gleichzeitigen umwälzenden Veränderungen in der Landwirtschaft und der ebenfalls in der Mitte dieses 11 Jahrhunderts deutlich werdenden Neubelebung des Handels und dem Aufschwung der Städte differenzierte Zusammenhänge 1 . Begünstigt durch das Bevölkerungswachstum und die Entwicklung des Fernhandels bildete sich in verschiedenen Gebieten des agrarisch dominierten Europa eine urbane Kultur heraus 2 . Die sowohl auf alte Zentren aus 1

Während etwa für Jacques LeGoff der Aufschwung der Landwirtschaft als Grundlage der allgemeinen Entwicklung gilt, geht z.B. Henri Pirenne davon aus, daß das Aufblühen des Handels die Basis der gesamten Aufwärtsentwicklung bildet (vgl. Jacques LeGoff, Das Hochmittelalter, Frankfurt/M. 1965 [Fischer Weltgeschichte 11], 37-83 und Henri Pirenne, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Europas im Mittelalter [1933], München 1971, 19-42).

1

Einige der wichtigsten Gegenden, in denen sich im Verlauf des Hochmittelalters bedeutende Städte herausbildeten, sind Norditalien, die Toskana, die französische Mittelmeerküste und die Provence, die untere Seine (Paris!), Flandern und Brabant, der Rhein sowie die deutsche Nord- und Ostseeküste.

62

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

römischer Zeit als auch auf Neugründungen zurückgehenden Städte erlangten auf ganz verschiedenen Wegen eine gewisse administrative und rechtliche Selbständigkeit gegenüber den Gewalten, denen das Umland unterworfen war. Ihr wirtschaftliches Leben war geprägt von einem relativ hohen M a ß an Arbeitsteilung und dem damit verbundenen technischen Fortschritt. Auch die Ablösung der Naturaldurch die Geldwirtschaft wurde durch die Städte entscheidend gefördert. Im Zusammenhang mit dem ökonomischen Bedeutungszuwachs der Städte einschließlich all der davon abhängigen sozialen und mentalen Folgen steht auch ihr kultureller Aufstieg. Die Städte wurden zu Zentren der intellektuellen Entwicklung. Als der wichtigste und folgenreichste Faktor in diesem Prozeß kann die Entstehung der mittelalterlichen Universität gelten, jener Körperschaft, die sich im H.Jahrhundert im Abendland gänzlich neu herausbildete und sich bis heute erhalten hat. Herbert Grundmann hat in einem bemerkenswerten Beitrag zu zeigen versucht, daß sich die Frage nach Ursprung und Wesen der Universität mit dem Hinweis auf wirtschaftlichsoziale Motive und Interessen nicht hinreichend beantworten läßt, denn „wahrhaft grundlegend und richtungweisend für Ursprung und Wesen der Universitäten" waren seiner Auffassung nach „weder die Bedürfnisse der Berufsbildung oder der Allgemeinbildung noch staatliche, kirchliche oder sozialökonomische Impulse und Motive, sondern - kurz gesagt - das g e l e h r t e , w i s s e n s c h a f t l i c h e I n t e r e s s e , das Wissen- und Erkennen-Wollen" 3 . Gegen diese etwas idealisierende Darstellung ist allerdings eingewandt worden, daß, neben dem amor sciendi, jedenfalls auch praktische Interessen bei der Entstehung der Universität eine Rolle gespielt haben 4 . Unbestritten ist aber in jedem Fall, daß sich vom 12.Jahrhundert an für etwa 2 0 0

3

Beide Zitate: Herbert Grundmann, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter, in: BVSAW.PH 1 0 3 / 2 ( 1 9 5 7 ) , 3 9 (Hervorhebung im Text, R.L.).

4

Vgl. etwa Joachim Ehlers, Die hohen Schulen, in: Peter Weimar (Hg.), Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert, Zürich-München 1 9 8 1 (Züricher Hochschulforum 2), 5 7 - 8 5 , mit Hinblick auf die (älteste) Universität Bologna: „Das Erkenntnisinteresse der Bologneser hat er (H. Grundmann, R.L.) allzu ausschließlich gegen eine von ihm geleugnete praktische Anwendbarkeit des Rechtsstudiums gesetzt" (82 f.); vgl. auch die Hervorhebung praktischer Bedürfnisse im Zusammenhang der Entstehung der Universität Bologna bei Paolo Colliva, Art. Bologna (C: Universitates), in: L M A 2 ( 1 9 8 3 ) , 3 8 1 - 3 8 7 . Colliva spricht vom „Bedürfnis nach einem neuen Recht, das im niederen Feudaladel Mittel- und Norditaliens ... entstanden w a r " ( 3 8 2 ) .

Der geistesgeschichtliche Bezugsrahmen

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Jahre die entscheidenden Entwicklungen in der Wissenschaft tatsächlich an den städtischen Universitäten vollzogen haben. Als der etwa fünfzehnjährige Thomas von Aquin, nachdem er 1 2 3 9 aufgrund politischer Wirren in Italien das Kloster Monte Cassino hatte verlassen müssen, an die erst 1 2 2 4 gegründete Staatsuniversität Neapel ging, um dort die freien Künste und die Philosophie zu studieren, folgte er den Tendenzen seiner Zeit und begab sich überdies an eines der .aufgeklärtesten' Zentren der damaligen intellektuellen Welt 5 . Denn anders als zur selben Zeit in Paris war hier das Studium der aristotelischen Naturphilosophie nicht nur nicht verboten, sondern es wurde regelrecht dazu angeregt, da der Universitätsgründer Friedrich II. von Hohenstaufen auch an der Förderung der nichtchristlichen Kultur und Philosophie interessiert war. So fand Thomas schon in einer sehr frühen Phase seines Lebens Zugang zum aristotelischen Denken, das sich im weiteren Verlauf des 13.Jahrhunderts als eine zentrale Herausforderung für die christliche Theologie erweisen sollte und Thomas gerade deshalb nie losgelassen hat. Thomas, der während der Zeit in Neapel „zum Jüngling und zur Reife herangewachsen" 6 ist, hat in diesen Jahren nicht nur studiert. Bekanntlich trat er, offenbar beeindruckt vom seelsorgerischen Eifer und der evangelischen Armut der Predigerbrüder, um das Jahr 1 2 4 4 gegen den massiven Widerstand seiner Angehörigen in den Dominikanerorden ein. Er wurde durch diesen folgenreichen Schritt Mitglied eines Ordens, der damals als sehr modern galt und alles andere als unumstritten war 7 . 5

Die Universität Neapel kann als ein geradezu klassisches Beispiel dafür gelten, daß hinsichtlich des Entstehungshintergrundes die rein praktische, auf den Nutzen des Staates orientierte Zielsetzung gegenüber dem amor sciendi überwiegen konnte (vgl. Ernst H. Kantorowicz, Kaiser Friedrich der Zweite, Hauptband [ 1 9 2 7 ] , Düsseldorf-München 1 9 6 3 : „Mit Neapel wurde ... zum erstenmal eine reine Staatsuniversität geschaffen, die sich von allen bisherigen Stadthochschulen und Kirchenuniversitäten dadurch unterschied, daß hier nicht um des Wissens, sondern um des Staates willen gelehrt wurde" [124]).

6

James A. Weisheipl, Thomas von Aquin, 2 5 .

7

Otto Hermann Pesch hat versucht, plastisch darzustellen, was, gemessen an der Herkunft des Thomas und den Zukunftsplänen seiner Familie, das Studium in Neapel und sein Eintritt in den Predigerorden bedeutet haben müssen: „ W a r schon seine Aristoteles-Begeisterung vergleichsweise so, wie wenn heute der Sohn eines Großindustriellen sich für marxistische Wirtschaftsphilosophie interessiert, so ist sein Eintritt in den Orden der Predigerbrüder etwas Ähnliches, wie wenn derselbe Industriellensohn einer Kommune beiträte" (Otto Hermann Pesch, Thomas von Aquin. Grenzen und Größe mittelalterlicher Theologie. Eine Einführung, Mainz 1 9 8 8 , 71).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Schon D I E RENAISSANCE DER WISSENSCHAFTEN IM 12.J AHRHUNDERT 8 hatte zu einem regelrechten Meinungspluralismus geführt, in dessen Folge die geistige Einheit des christlichen Abendlandes zersetzt zu werden drohte. Als ein Indiz für diese Entwicklung können die ersten Differenzen gelten, die zwischen der sich immer selbständiger fühlenden und sich zunehmend autonom organisierenden Universitätswissenschaft auf der einen und der kirchlichen Lehrautorität auf der anderen Seite entstanden 9 . In ganz besonderer Weise deutlich wird der drohende Zerfall der mittelalterlichen Welt an der enormen Ausbreitung der Häresien, die sich im 12.Jahrhundert vollzog. Um 1200 waren die Katharer und Waldenser zu einer bedeutenden Gefahr für die Kirche geworden 10 . Nicht zuletzt mit Hilfe der großen Bettelorden (Dominikaner und Franziskaner) sollte nun die aus dem 12.Jahrhundert überkommene Vielfalt in einen neuen Gesamtzusammenhang gebracht und so die Einheit der christlichen Welt bewahrt bzw. wiederhergestellt werden. Man wird sagen können, daß dies jedenfalls vorerst - zu einem guten Teil gelungen ist. Anders als das traditionelle Mönchswesen öffneten sich die Bettelorden mit allem Nachdruck den zeitgenössischen Entwicklungen. Durch Reichtum, Privilegien und Distanz zu den Laien war die Kirche unglaubhaft geworden und wirkte teilweise anachronistisch. Indem die Mendikanten auf jede Form von Besitz verzichteten, die Konvente demokratisch organisierten und ihre Niederlassungen in den Städten gründeten, um ganz direkt auf die Menschen zugehen zu können, vermittelten sie ein neues Kirchenbild und entfalteten dadurch eine enorme integrative Kraft. Die Dominikaner richteten ihre Aktivität in erster Linie auf die Predigt. Dies war damals etwas vollkommen Neues, da das Predigen als Sache der Weltgeistlichkeit galt. Die Absicht des Predigerordens war eine primär seelsorgerische; es ging darum, durch die öffentliche Verkündigung der christlichen Lehre den wahren Glauben in den Menschen zu festigen und die Ketzer der Kirche zurückzugewinnen. Sowohl für die Bekämpfung der Ketzer

8

So der Titel des in A n m . 4 erwähnten, von Peter W e i m a r Sammelbandes.

9

Vgl. dazu etwa Nikolaus Häring, Die ersten Konflikte zwischen der Universität von Paris und der kirchlichen Lehrautorität, in: Albert Z i m m e r m a n n (Hg.), Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert, BerlinNew York 1 9 7 6 ( M M 10), 38-51. Vgl. dazu Herbert Grundmann, Ketzergeschichte des Mittelalters, Göttingen 1 9 6 3 (KIG 2 , G 1), bes. 1 5 - 4 7 .

10

herausgegebenen

Der geistesgeschichtliche Bezugsrahmen

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als auch für das Predigen war jedoch eine angemessene Ausbildung die Voraussetzung. Es liegt deshalb in der Konsequenz der Intention der Dominikaner, daß sie den Anschluß an die zeitgenössische Bildung suchten, die an den Universitäten institutionalisiert war, unter denen die von Paris im 13.Jahrhundert als die bei weitem bedeutendste galt. Die Realisierung dieses Vorsatzes, den sich die Franziskaner erst etwas später zu eigen machten, mußte gegen teilweise erbitterten Widerstand des Weltklerus regelrecht erkämpft werden 11 . Das Hauptinteresse der Dominikaner im universitären Bereich galt in erster Linie der Auseinandersetzung mit dem Denken des Aristoteles, dessen Schriften erst im Verlauf des 13.Jahrhunderts annähernd vollständig in lateinischer Sprache zugänglich waren. Thomas, dessen Werk als ein maßgebliches Zeugnis dieser Auseinandersetzung gelten kann, hat offenbar eine Berufung zu wissenschaftlicher Arbeit verspürt 12 und zugunsten seiner Lehrtätigkeit mit konstanter Eindeutigkeit auf kirchliche Ämter verzichtet. Dabei galt ihm das akademische Lehramt keinesfalls als Selbstzweck, sondern bedeutete für ihn eine im höchsten Maße adäquate Verwirklichung seiner seelsorgerischen Aufgabe 1 3 . Thomas hat offensichtlich sehr genau wahrgenommen, welche Provokation der Aristotelismus für die christliche Theologie bedeutete. Die christliche Welt sah sich mit einer philosophischen Konzeption konfrontiert, die einerseits in sich konsistent war und dem ,Lebensgefühl' des 13.Jahrhunderts entsprach (ein Aspekt, auf den in 2 . 1 . 2 einzugehen ist), die aber andererseits ohne die für das Christentum so zentralen Gedanken vom

11

Einen Einblick in das Problem des Verhältnisses zwischen Bettelorden und Universität unter Berücksichtigung der Rolle des Thomas in diesen Auseinandersetzungen gibt James A. Weisheipl, Thomas von Aquin, 8 1 - 9 1 . 2 4 3 - 2 5 0 . Vgl. auch Willehad Paul Eckert, Das Selbstverständnis des Thomas von Aquin als Mendikant und als Magister S.Theologiae, in: Paul Wilpert (Hg.), Beiträge zum Berufsbewußtsein des mittelalterlichen Menschen, Berlin-New Y o r k 1 9 6 4 ( M M 3), 1 0 5 - 1 3 4 sowie Jean Pierre Torreil, Magister Thomas, 9 4 - 1 0 9 .

12

„Bei Thomas stößt man nur selten auf persönliche Bemerkungen und kaum je gibt er seine inneren Empfindungen preis ... W a s vielleicht am deutlichsten von seiner inneren geistigen Verfassung ans Licht tritt, ist das Bewußtsein seiner Berufung zum Gelehrten" (Fernand van Steenberghen, Die Philosophie im 13. Jahrhundert [ 1 9 6 6 ] , München-Paderborn-Wien 1 9 7 7 , 2 9 3 ) .

13

„Ordensstand und Zugehörigkeit zum Lehramt verschmelzen im Bewußtsein des Aquinaten zu einer einzigen großen Aufgabe" (Willehad Paul Eckert, Das Selbstverständnis des Thomas von Aquin als Mendikant und als Magister S.Theologiae, 133).

66

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

zeitlichen Anfang der Welt und der Begnadung des Menschen durch Gott auskam. Hielt man, wie Thomas, trotz dieser Differenzen an der Einheit der Wahrheit fest, hatte man den Nachweis zu führen, daß Christentum und Aristotelismus, bei allen Verschiedenheiten, wenigstens widerspruchsfrei nebeneinander gedacht und vielleicht sogar aufeinander bezogen werden konnten. Thomas hat diesen Nachweis sowohl gegen die radikalen Aristoteliker an der Pariser Artistenfakultät als auch gegen den anti-aristotelischen Augustinismus seiner franziskanischen Zeitgenossen versucht. Insofern verkörpert sein Werk beispielhaft jene schon erwähnte, das 13.Jahrhundert wesentlich bestimmende Tendenz, die auf Integration des Neuen in die traditionellen Erklärungszusammenhänge abzielte und so die zunehmend bedrohte Einheit der christlichen Welt zu bewahren suchte.

2.1.2 Die Rezeption der aristotelischen Philosophie und ihre Hauptprobleme Die Rezeption des aristotelischen Denkens durch den lateinischen Westen vollzog sich in mehreren Etappen. Als erster Vermittler des Aristotelismus an das abendländische Mittelalter gilt Boethius (um 480-524), der einen Teil des aristotelischen Organon (der Schriften zur Logik) ins Lateinische übersetzte 1 . Im 12.Jahrhundert kam zur Logica vetus die Logica nova, der Rest des Organon, hinzu 2 . Schon jetzt galt Aristoteles als maßgebliche Autorität, und es entstand ein lebhaftes Interesse an seinen übrigen Schriften. Kurt Flasch hat nachdrücklich auf den geschichtlichen Zusammenhang zwischen dieser geistigen Aufgeschlossenheit gegenüber der aristotelischen Philosophie und den sich seit etwa 1050 vollziehenden Veränderungen in der Kultur Westeuropas aufmerksam gemacht. Infolge der allgemeinen Aufwärtsentwicklung im ländlichen, besonders aber im städtischen Bereich veränderte sich die Mentalität der Menschen. Man stand der Natur nicht mehr hilflos gegenüber, sondern hatte ihr mit eigenen

1

Vgl. dazu Martin Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode I, Freiburg i.Br. 1 9 0 9 , Neudruck Berlin 1 9 8 8 , 1 4 9 - 1 6 0 sowie Josef Pieper, Scholastik. Gestalten und Probleme der mittelalterlichen Philosophie ( 1 9 6 0 ) , Leipzig 1984, 24-28.

2

Vgl. dazu Martin Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode II, Freiburg i.Br. 1 9 0 9 , Neudruck Berlin 1 9 8 8 , 6 6 - 8 1 .

Der geistesgeschichtliche Bezugsrahmen

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Kräften einen Existenzraum abgerungen, den man autonom strukturierte: „Das Verhältnis des Menschen zu sich selbst veränderte sich, als er die steigende Macht gemeinsamer Naturbeherrschung erfuhr" 3 . Das Interesse an der Eschatologie, das besonders im Vorfeld der Jahre 1000 und 1033 deutlich geworden war, trat zurück zugunsten eines zunehmenden Engagements im irdischen Bereich, der nicht mehr nur als unvollkommenes und deshalb gering zu schätzendes Abbild des Ewigen gesehen wurde, sondern dem man jetzt einen gewissen Eigenwert zumaß 4 . In den Zusammenhang dieser Desakralisierung des Irdischen gehört auch die zunehmende Orientierung am empirisch Vorfindlichen, z.B. in der sog. Schule von Chartres und ihrem Versuch, eine Verbindung herzustellen zwischen der platonischen Weltsicht und dem Konzept einer fast mechanisch zu nennenden Erklärung des sinnlich Wahrnehmbaren 5 . Der in seiner Gesamtheit sehr vielschichtige Vorgang einer Ablösung der weltlichen Wissenschaft von der monastischen Tradition wurde natürlich durch die Entstehung der Universitäten gefördert. So war um 1200 eine Situation entstanden, die nach einer philosophischen Konzeption, in der die konkret begegnende Weltwirklichkeit den Ausgangspunkt allen Nachdenkens bildete, geradezu verlangte. Diese Feststellung erweist übrigens die mangelnde historische Sensibilität der gelegentlich geäußerten Auffassung, nach der mit der Rezeption des Aristoteles ein Fremdkörper in die christliche Welt eingedrungen sei, der viel verheißungsvolles Gedankengut zurückgedrängt und die Kontinuität der christlichen Tradition unterbrochen habe 6 . Die Rezeption

3

Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, 182f.; vgl. auch aaO, 207-210.298-316.

4

„Natur und Gesellschaft wurden jetzt nicht mehr nur als Instrument des göttlichen Willens, sondern als geprägter Eigenbestand und als zielstrebige Entwicklung verstanden"(aaO, 2 9 9 ) .

5

Vgl. dazu aaO, 2 2 6 - 2 3 5 .

6

Ein jüngeres Beispiel für diese Auffassung ist Karl-Hermann Kandier, Christliches Denken im Mittelalter bis zur Mitte des 14.Jahrhunderts, Leipzig 1 9 9 3 (KGE I 11). Kandier bemerkt zur Aristoteles-Rezeption, „die so viel verheißungsvolles Gedankengut zurückdrängte"(76), mit ihr würde „ein Überlieferungsfaden abgeschnitten - und das hatte verheerende Folgen. Die Kontinuität christlich-abendländischen Denkens ging verloren, etwas zugespitzt formuliert"(75). Offenbar steht hier bei dem Lutheraner Kandier die Auffassung im Hintergrund, daß die durch den Aristotelismus angeblich unterbrochene Kontinuität augustinisch-heilsgeschichtlichen Denkens erst in der Reformation fortgesetzt worden sei - kontroverstheologisches Interesse leitet die historische Erkenntnis.

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

des gesamten Aristoteles durch den lateinischen Westen vollzog sich im Zusammenhang mit der Aneignung der arabischen Wissenschaft7. Ein bedeutender Teil der philosophischen und wissenschaftlichen Tradition des griechisch-antiken Erbes (einschließlich der aristotelischen Philosophie) war durch das nestorianisch-syrische Christentum überliefert worden, das seit dem 5.Jahrhundert (431/433) als häretisch galt. Infolge dieser Ausgrenzung wurde auch die gerade in Kreisen des Nestorianismus in Antiochien und Edessa sowie später in Nisibis gepflegte Beschäftigung mit den (bereits ins Syrische übersetzten) Schriften des Aristoteles als verwerflich angesehen. Nach der Überflutung des Vorderen Orients durch den Islam ging das in den eroberten Gebieten überlieferte orientalische und hellenistische Wissensgut in die arabische Kultur ein. Die durch syrische Übersetzer vorgenommene Übertragung der erhaltenen Textbestände ins Arabische führte dazu, daß bereits im 1 O.Jahrhundert der gesamte Aristoteles in der islamischen Welt bekannt war und diese entscheidend geprägt hat. Die Auseinandersetzung der arabischen Zivilisation mit den aristotelischen Schriften hat u.a. in den noch für Thomas wichtigen Kommentaren von Avicenna und Averroes ihren Niederschlag gefunden. Sowohl infolge der Reconquista in Spanien (Entstehung der Übersetzerschule von Toledo) als auch durch die Kreuzzüge kam das abendländische Christentum mit der islamischen Kultur und auf diesem Weg auch mit der aristotelischen Philosophie in Berührung. Die Schriften des Aristoteles wurden zunächst aus dem Arabischen, dann z.T. auch direkt aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt, so daß spätestens um 1240 der gesamte Aristoteles in lateinischer Sprache vorlag. Damit traten erstmals auch jene Schriften in den Gesichtskreis des Abendlandes, deren Inhalt mit den Aussagen der christlichen Theologie kaum vereinbar war, dieser sogar teilweise widersprach. Vor allem deshalb gab es vorwiegend in der ersten Hälfte des 13.Jahrhunderts Widerstände gegen die Rezeption des heidnischen Philosophen, die nicht nur von der offiziellen Kirche, sondern auch von einigen Universitätsgelehrten getragen wurden. Allerdings war der Siegeszug des aristotelischen Denkens letztlich nicht aufzuhalten, und innerhalb kürzester Zeit avancierte Aristoteles zu dem Philosophen, an dessen Autorität kein Denker des 13.Jahr-

Vgl. zum folgenden Josef Pieper, Scholastik, 9 3 - 1 0 0 ; Fernand van Steenberghen, Die Philosophie im 13. Jahrhundert, 7 5 - 1 1 6 ; Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, 2 6 2 - 2 9 0 .

Der geistesgeschichtliche Bezugsrahmen

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hunderte vorbeigehen konnte. Friedrich II. förderte in Neapel schon seit längerer Zeit das Studium der arabischen Wissenschaft einschließlich des vom Islam übernommenen griechisch-antiken Erbes. Und nachdem sich die 1224 gegründete Universität Toulouse mit dem Angebot eines unbeschränkten Aristoteles-Studiums als Alternative zu Paris empfohlen hatte, wurden, endgültig und offiziell mit der Studienordnung von 1255, auch hier die vorher verbotenen aristotelischen Schriften zur Psychologie, Metaphysik, Physik und Ethik in das Studienprogramm der Artistenfakultät aufgenommen. Diese bemerkenswerte Entwicklung ist nur dann wirklich zu verstehen, wenn man berücksichtigt, daß das aristotelische Denken tatsächlich, wie oben angedeutet, jener in Europa um 1200 herangereiften Bereitschaft entgegenkam, die irdische Weltwirklichkeit als eigenständigen Phänomenbereich aufzufassen und auf ihre Eigengesetzlichkeit hin zu untersuchen. Die Aufnahme des Aristoteles in das offizielle Studienprogramm der Pariser Artistenfakultät hatte auch wissenschaftsorganisatorische Folgen. In der bislang dominanten, auf Augustin zurückgehenden Konzeption einer christlichen Wissenschaft war das Studium der heidnischen Philosophie auf die artes liberales beschränkt, denen die Rolle einer Propädeutik zugewiesen wurde. Damit war ein Teil der antiken Bildung in die christliche Wissenschaftskonzeption eingebunden und insofern grundsätzlich legitimiert, gleichzeitig aber zugunsten der geoffenbarten Theologie instrumentalisiert 8 . Die Integration der aristotelischen Philosophie in den Wissenschaftsbetrieb bedeutete dagegen nicht nur eine quantitative Ausweitung des Bereiches, dem sich die Studenten der Artistenfakultät zu widmen hatten, sondern veränderte zugleich die Qualität des Studiums. Denn in der aristotelischen Philosophie begegnete ein in sich geschlossenes Denkgebäude, das zwar alle wichtigen Fragen aus den Bereichen der Kosmologie, der Physik, der Anthropologie und auch der Theologie berücksichtigte, auf diese Fragen aber anders antwortete als das Christentum. Das Studium des Aristoteles bot deshalb weniger eine Propädeutik zur christlichen Lehre als vielmehr einen Alternativentwurf. Die Instrumentalisierung im Hinblick auf die Theologie war

Michel Banniard hat nachdrücklich auf die Bedeutung von Augustine DE DOCTRINA CHRISTIANA für den Erhalt der antiken Tradition im christlichen Mittelalter aufmerksam gemacht; vgl. Michel Banniard, Europa. Von der Spätantike bis zum frühen Mittelalter ( 1 9 8 9 ) , München-Leipzig 1 9 9 3 , 5 6 - 6 3 . 1 3 6 f .

70

Die b e a t i t u d o - L e h r e des T h o m a s v o n Aquin

jedenfalls nicht mehr problemlos zu leisten. Gerade durch die immer selbstbewußter werdenden Aristoteliker an der Artistenfakultät wurde der Versuch, den Philosophen aus der Perspektive des christlichen Denkens zu verstehen, als grundsätzlich illegitim zurückgewiesen. Diese Konkurrenzsituation bildete den Hintergrund des thomanischen Versuchs einer Synthese aus aristotelischem und christlichem Denken. Die dringendsten Probleme, die sich für die Theologen des 1 S.Jahrhunderts aus der Konfrontation mit dem Aristotelismus ergaben, sollen im folgenden wenigstens umrißhaft skizziert werden. (a) Ewigkeit der Welt versus Schöpfung In der aristotelischen Philosophie wird das Verhältnis zwischen der Welt und Gott, dem unbewegten Beweger, als ewig gedacht. Der Schöpfungsgedanke ist bei Aristoteles schon deshalb ausgeschlossen, weil das Erschaffen der Welt durch Gott seiner völligen Bewegungslosigkeit und seiner ausschließlichen Selbstbezogenheit widersprechen würde. Diese Vorstellung von der Ewigkeit der Welt kam dem zunehmend auf die irdische Lebensgestaltung orientierten Zeitgeist innerhalb der städtischen Kultur des 13.Jahrhunderts entgegen. Wer bestrebt war, sich in der Welt einzurichten, mußte gegenüber einer Kosmologie, die deren Stabilität garantierte, aufgeschlossen sein. Die biblisch-christliche Auffassung von der Erschaffung der Welt (Gen 1 ), die sowohl mit der Vorstellung vom „wählenden, liebenden und verwerfenden Gott des augustinischen Christentums" 9 als auch mit der Lehre vom zu erwartenden Weltende verknüpft war, bedeutete demgegenüber eine Kontingenzsteigerung, die einer von der monastisch dominierten Kultur emanzipierten Stadtzivilisation nicht mehr problemlos vermittelbar war. Die entscheidende Frage nach der Vereinbarkeit der aristotelischen Lehre von der Ewigkeit der Welt mit der christlichen Schöpfungstheologie ist im 13.Jahrhundert kontrovers diskutiert worden. Auch Thomas hat zu diesem Problem Stellung genommen. Er war sich dessen bewußt, daß die aristotelische Auffassung dem Standpunkt der christlichen Theologie widersprach. Seine nicht eingehend darzustellende Lösung, die vor allem in der Schrift D E AETERNITATE M U N D I CONTRA MURMURANTES überliefert ist, geht deshalb von der Unterscheidung zwischen einer auf Vernunftbeweisen basierenden

Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, 3 1 1 .

Der geistesgeschichtliche Bezugsrahmen

71

und einer auf Offenbarungsglauben gründenden Erkenntnis aus: Es ist keine Vernunfterkenntnis denkbar, die zur Schöpfungstheologie führt; daß die Welt einen zeitlichen Anfang hat, kann nur im Vertrauen auf die Wahrheit der göttlichen Offenbarung geglaubt werden 10 .

(b) Einheitsintellekt versus

Individualintellekt

Den Hintergrund dieses zweiten Problems bildet die auf Averroes zurückgehende Interpretation eines komplizierten Abschnitts aus der aristotelischen Schrift ÜBER DIE SEELE (III 5 [ 4 3 0 a l 0 - 2 5 ] ) N . Diese Stelle steht im Kontext der Behandlung des dritten Seelenteils, des νους (intellectus), der, anders als der ernährende und der wahrnehmende Seelenteil, nicht schon bei Pflanzen bzw. Tieren, sondern erst beim Menschen anzutreffen ist. Der νους als das Organ, mit dem die Seele denkt, ist nach Aristoteles der Ort der Formen (= der Ideen), die jedoch nicht, wie bei Plato, der Wirklichkeit, sondern lediglich der Möglichkeit nach in ihm vorhanden sind. Innerhalb des νους nimmt Aristoteles nochmals, unter Verweis auf das Verhältnis von Stoff und Form, eine Unterscheidung vor in einen die Wahrnehmungen und Eindrücke aufnehmenden und einen das Aufgenommene strukturierenden νους, und erst dieser aktiv wirkende νους ist es, durch den sich das Denken aktual vollzieht - so wie erst das Licht die vorher nur der Möglichkeit nach bestehenden Farben in den Status der Wirklichkeit überführt. Anders als der mit den Wahrnehmungen des zweiten Seelenteils verbundene rezeptive Intellekt ist der tätige Intellekt abgesondert, leidenslos, unsterblich, ewig; dieser νους ist nach Aristoteles ein Teil des göttlichen Geistes. Schon die antiken Leser und Kommentatoren der aristotelischen Seelenschrift seit Alexander von Aphrodisias haben versucht, das von Aristoteles selbst nicht behandelte Problem zu lösen, wie die Verbindung beider Teile des νους im Menschen zu verstehen ist, und später hat sich die arabische Philosophie ebenfalls dieser Frage gewidmet 12 . Die im einzelnen äußerst komplizierten Lösungsansätze sind hier nicht weiter von Interesse. Die für das christliche Denken entscheidende Schwierigkeit resultier-

10

Vgl. dazu auch Summa Theologiae I 4 é , 2 c : quod mundum non semper fuisse, sola fide tenetur, et demonstrative probari non potest: sicut et supra de mysterio Trinitatis dictum est.

11

Vgl. zum folgenden James A. Weisheipl, Thomas von Aquin, 2 5 4 - 2 5 7 .

12

Vgl. dazu Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, 2 6 8 - 2 8 8 .

72

Die beatitudo-Lehre des T h o m a s von Aquin

te daraus, daß sich nach Averroes die Vereinigung des zur göttlichen Sphäre gehörenden tätigen mit dem an die menschliche Körperlichkeit gebundenen empfangenden vous in einem überindividuellen Intellekt vollzieht, der ewig und unsterblich ist, während die individuelle menschliche Erkenntniskraft aufgrund ihrer Leibgebundenheit mit dem Tod des Einzelnen verwest. Damit war die Lehre von der anima intellectiva als forma corporis bestritten (Denn wie sollte etwas dem Menschen substantiell gar nicht Angehörendes seinem Leib das Sein verleihen?); und aus dieser Bestreitung ergab sich die Leugnung der individuellen Unsterblichkeit und damit der Verantwortlichkeit des Menschen für seine Handlungen. Der für Thomas in diesem Zusammenhang entscheidende Punkt war nun keinesfalls der, daß die angedeuteten Konsequenzen der Lehre vom überindividuellen Intellekt im Widerspruch zu verschiedenen Ansichten der christlichen Theologie standen. Denn anders als bei der Frage nach der Ewigkeit der Welt hat er nachhaltig bestritten, daß bezüglich der Lehre vom Intellekt die authentische Meinung des Aristoteles der christlichen Auffassung tatsächlich widerspricht. Er stellt vielmehr die Frage, ob die von Averroes gegebene Interpretation der aristotelischen voOç-Lehre angemessen ist. Sein Zeitgenosse Siger von Brabant von der Pariser Artistenfakultät hat diese Frage bejaht, eine Tatsache, die ihm die in der Forschung mittlerweile umstrittene Bezeichnung eines lateinischen Averroisten eingebracht hat. Thomas, auf den diese Charakterisierung zurückgeht, kommt in seiner vor allem gegen Siger gerichteten Schrift D E UNITATE INTELLECTUS, CONTRA AVERROISTAS PARISIENSES (1270) zu einem anderen Ergebnis: Durch eine sorgfältige Untersuchung sowohl der Aussagen des Aristoteles zum menschlichen Intellekt als auch der diesbezüglichen Auffassung anderer Peripatetiker (Themistius und Theophrast) weist er die Unhaltbarkeit der von Averroes vertretenen Deutung nach. Auch hierbei sind Einzelheiten der Argumentation nicht von Interesse, entscheidend ist lediglich, daß sich Thomas ausdrücklich nicht auf Beweisgründe aus der geoffenbarten Theologie stützt, sondern die Interpretation des Averroes (und damit zugleich die Sigers von Brabant) ausschließlich unter Verwendung der Schriften des Aristoteles und anderer philosophischer Autoritäten widerlegen will 1 3 .

13

Berühmt ist in diesem Z u s a m m e n h a n g d a s harte Urteil des T h o m a s über den bedeutendsten arabischen Aristoteles-Kommentator. Averroes, so T h o m a s in DE UNITATE INTELLECTUS, sei weniger ein Peripatetiker als vielmehr ein Verderber der

Der geistesgeschichtliche Bezugsrahmen

73

(c) Irdisches Glück versus jenseitige Seligkeit Das mit diesen Stichworten angezeigte Problem ergab sich daraus, daß die NIKOMACHISCHE ETHIK des Aristoteles im 13.Jahrhundert dem Abendland vollständig bekannt und in lateinischer Übersetzung zugänglich wurde. Während in der bis dahin dominierenden, maßgeblich von Augustin geprägten Tradition das menschliche Glück primär als eschatologische Größe galt, präsentierte sich in Gestalt der aristotelischen εύδαιμονία-Lehre eine ausschließlich vom Gedanken des irdischen Glücks her konzipierte Ethik. Dieser Ansatz kam einerseits dem Zeitgeist des von einer allgemeinen Diesseitsaufwertung gekennzeichneten Jahrhunderts entgegen, war jedoch andererseits nicht ohne weiteres mit dem klassisch-theologischen Glücksverständnis zu vereinbaren14. Die Frage nach der Möglichkeit einer Harmonisierung philosophischen und theologischen Glücksverständnisses ist dementsprechend ganz verschieden beantwortet worden. Da die dieser Frage geltende Lehre des Thomas das Hauptthema der vorliegenden Arbeit bildet, sind die Voraussetzungen, vor deren Hintergrund seine beatitudo-Konzeption verstanden werden muß, nachfolgend im besonderen darzulegen. 2.1.3 Die aristotelische ευδαιμονία-Lehre als Herausforderung an die christliche Ethik 2.1.3.1 Die aristotelische εύδαιμονία-Lehre Die aristotelische Lehre von der ευδαιμονία kann im folgenden natürlich nur sehr grob dargestellt werden; eine ausführliche Analyse aller relevanten Texte oder gar eine Diskussion der Sekundärliteratur ist in diesem Rahmen weder beabsichtigt noch möglich. Als Grundlage der nachstehenden Ausführungen dienen daher nur einige wichtige Abschnitte aus den Büchern I und X der NIKOMACHISCHEN ETHIK. Anhand dieser Texte sollen insbesondere drei für die aristotelische Glückslehre charakteristische Aspekte hervorgehoben werden: Die

14

peripatetischen Philosophie (qui non tarn fuit Peripateticus, quam philosophiae peripateticae depravatori zitiert nach Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, 639 Anm.24). Das aristotelische „Idealbild eines begüterten Weltweisen, der zwischen extremen Seelenlagen die Mitte hält, ... war nur mühsam vereinbar mit dem eschatologischen, auf Reichtum und weltliche Absicherung verzichtenden Ethos der christlichen Urgemeinde" (aaO, 311).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

für die gesamte praktische Philosophie des Aristoteles wichtige Abgrenzung gegenüber Plato (a); die Klärung des Verhältnisses zwischen dem durch menschliches Handeln erreichbaren Glück und den menschlicher Verfügung entzogenen Einwirkungen des Zufalls (b); die zwei von Aristoteles beschriebenen Möglichkeiten der Realisierung von ευδαιμονία und ihr Verhältnis zueinander (c). (a) Die Abgrenzung gegenüber Plato und die Einführung des εύδαιμονία-Begriffs Aristoteles gilt deshalb als Begründer der Ethik im Sinne einer eigenständigen philosophischen Disziplin, weil er die praktische von der theoretischen Philosophie klar abgegrenzt hat 1 . Diese Unterscheidung hat die Kritik an der platonischen Ideenlehre zur Voraussetzung. In der NIKOMACHISCHEN ETHIK widmet Aristoteles dieser Kritik ein ganzes Kapitel 2 . Wie er dabei vorgeht, soll nicht im einzelnen erörtert werden; die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Wiedergabe der Argumente, mittels derer Aristoteles zeigt, daß die Ideenlehre für die Ethik überflüssig ist. Während die angemessene Bestimmung des praktisch Guten nach Plato die nur spekulativ erreichbare Einsicht in die transzendente Idee des Guten voraussetzt, bestreitet Aristoteles die Brauchbarkeit einer solchen Idee als normsetzende Instanz für das ethische Handeln. Denn der theoretischen Wissenschaft geht es um das Erkennen des (immer schon) Seienden, wogegen sich die praktische Philosophie auf das durch Handeln (stets erst noch) zu Bewirkende richtet. Wie sollte also, fragt Aristoteles, ein ewiges, einziges und transzendentes Gut, wenn es dies gäbe, für die praktische Philosophie relevant sein, da es sich dabei zweifellos um ein Gut handelte, das durch menschliche Praxis niemals bewirkt oder erreicht werden könnte, wogegen es in der praktischen Philosophie doch gerade auf die durch mensch-

1

D a ß erst Aristoteles die praktische Philosophie etabliert, indem er sie aus der platonischen Einheit von Metaphysik, Ethik und Politik ausgrenzt, hat Günther Bien überzeugend dargestellt (vgl. Günther Bien, Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, Freiburg-München 1 9 7 3 , zugl. HabSchr. Boc h u m 1969). Eckart Schütrumpf hat erst vor kurzem gegen die von ihm kritisierte interpretatio platonica die Auffassung Biens erneut nachhaltig bekräftigt (vgl. Aristoteles, Politik, Buch 1 [Über die Hausverwaltung und die Herrschaft des Herrn über Sklaven], übersetzt und erläutert von Eckart Schütrumpf, Berlin 1 9 9 1 [Aristoteles - Werke in deutscher Übersetzung 9/1], 1 0 2 - 1 1 6 ) .

2

Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik I 4 ( 1 0 9 6 a l l - 1 0 9 7 a l 4 ) .

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liches Handeln realisierbaren Güter ankommt? 3 Und die Erfahrung zeigt ja nach Aristoteles auch, daß die Kenntnis eines solchen Guts in keinem praktischen Vollzug eine Rolle spielt: Wie sollte jemand ein besserer Arzt oder Feldherr sein, nur weil er sich in die Schau der fraglichen Idee versenkt hat? 4 Aristoteles verzichtet somit ganz bewußt auf einen Maßstab für das richtige Handeln, der den Erfahrungsund Wirkungsbereich des Menschen (genauer: des Polisbürgers) überschreitet. Das bedeutet aber keinesfalls, daß er in den von Plato so nachhaltig bekämpften sophistischen Relativismus zurückfällt. Es ist mit Recht immer wieder darauf hingewiesen worden, daß an die Stelle des transzendenten platonischen είδος bei Aristoteles die sittlichen Traditionen des Hellenentums getreten sind, die am φρόνιμος abgelesen werden können, der deshalb zum Träger der N o r m wird 5 . Die Absage an eine den menschlichen Erfahrungsbereich transzendierende normsetzende Instanz im Sinne des platonischen είδος bedeutet ebensowenig, daß Aristoteles auf den Gedanken eines allen menschlichen Unternehmungen gemeinsamen Letztziels verzichten will. Als dieses allen gemeinsame Letztziel faßt er vielmehr, in Anlehnung an

ομοίως δε και περί της ιδέας- εϊ y à p καί εστίν εν τι τό κοινή κατηγορούμενον άγαθόν ή χωριστόν αύτό τι καθ' αϋτό, δήλον ώς ούκ äv είη ττρακτόν οΰδέ κτητόν άνθρώττω- νυν δέ τοιούτον TT ζητείται (aaO, 1096b31-35). 4

5

πώς ϊατρικώτερος ή στρατηγικότερος εσται ò την ίδέαν αΰτήν τεθεαμένος ( a a O , 1097al0f.). Vgl. dazu Hellmut Flashar, Aristoteles, in: Grundriß der Geschichte der Philosophie, begründet von Friedrich Überweg, völlig neu bearbeitete Ausgabe. Die Philosophie der Antike 3 (Altere Akademie, Aristoteles, Peripatos), hg. von Hellmut Flashar, Basel-Stuttgart 1983, 175-457, hier 340f. Allerdings ist auch gefragt worden, ob das durch den Wegfall des platonischen εΤδος für Aristoteles virulent gewordene Normproblem durch den Rekurs auf die vorphilosophischen Traditionen altgriechischer Sittlichkeit schlüssig gelöst ist. Franz Dirlmeier etwa findet diese (in Buch VI der NIKOMACHISCHEN ETHIK vorgetragene) Lösung nicht überzeugend; vgl. dazu Aristoteles, Nikomachische Ethik, übersetzt und kommentiert von Franz Dirlmeier, Berlin 9 1991 ( 1 1 9 5 6 ; Aristoteles - Werke in deutscher Ubersetzung 6): „Ar. (= Aristoteles, R.L.) setzt an die Stelle der Idee die Figur des vollendeten Repräsentanten alles Edlen ... für uns ist die Frage unabweisbar, an welcher N o r m zu entscheiden wäre, wer ein solch hochwertiger Mensch ist. Die Frage der N o r m geht Ar. im 6. Buch der N E (der NIKOMACHISCHEN ETHIK, R.L.) an, aber schwerlich wird ein moderner Mensch dies als befriedigend empfinden" (284), „weil wir nicht wissen, wer oder was der Phronesis nun anstelle des Eidos die Richtigkeit gewährleistet" (468); „ d a s letzte Wort wird Ar. erst sprechen können, wenn er wieder Platoniker im engeren Sinne geworden ist, also in X " (441).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

die opinio communis, das Glück auf, die ευδαιμονία, die jedoch zunächst nur als formales Regulativ menschlichen Handelns eingeführt wird, als, wie es Klaus Jacobi formuliert hat, „Begriff kriteriologisch begründender Reflexion" 6 . Wie das gemeint ist, läßt sich vor allem aus dem fünften Kapitel von Buch I der NIKOMACHISCHEN ETHIK erheben. Bereits im Einleitungskapitel hatte Aristoteles von einem Gut gesprochen, das ausschließlich um seiner selbst willen angestrebt wird und auf das alle Einzelziele bezogen sind. Als dieses höchste Gut, so heißt es dann in Kapitel 2, gilt gemeinhin das Glück (die ευδαιμονία). Worin dies aber im einzelnen besteht, darüber herrscht keine Einigkeit. Aristoteles referiert und prüft nun in den Kapiteln 24 die seiner Ansicht nach wichtigsten Auffassungen dazu, wobei die oben erwähnte Kritik an der Lehre Piatos, nach der das höchste Gut in einer transzendenten Idee besteht, am ausführlichsten ausfällt. In Kapitel 5 beginnt er dann die genauere Bestimmung der ευδαιμονία7. Aristoteles teilt zunächst alle Güter, die der Mensch handelnd erstreben kann, in drei Gruppen ein: (1) Manche Güter wählen wir nur um weiterer Ziele willen - dazu gehört z.B. alles, was werkzeuglichen Charakter hat; (2) andere Güter werden einerseits um ihrer selbst willen erstrebt, können aber andererseits auch um eines anderen willen erstrebt werden - dazu gehören etwa Lust, Ehre, Einsicht und Tugend; (3) schließlich gibt es ein einziges Gut, das wir nur um seiner selbst und nie um eines anderen willen erstreben, und dies, so Aristoteles, ist das Glück. Hier ist nun der Verzicht auf jede inhaltliche Bestimmung von ganz entscheidender Bedeutung. Denn ausschließlich um seiner selbst willen wird ein Gut nur dann erstrebt, wenn die Frage ,Zu welchem Zweck willst Du das?' nicht mehr sinnvoll gestellt werden kann. Bei allen inhaltlich bestimmten Gütern ist dies aber möglich. Das gilt ganz ausdrücklich auch für die von Aristoteles durchaus als legitime Letztziele akzeptierten Güter der Gruppe (2): τιμήν δε και ήδονήν και νουν καί πασαν άρετήν αίρούμεθα μεν καί δΓ αυτά ..., αίρούμεθα δέ καί της ευδαιμονίας χάριν (1097b2-4). Demnach kann man nach Aristoteles zwar nach einer bestimmten Tugend nur

6

Klaus Jacobi, Aristoteles' Einführung des Begriffs Ευδαιμονία im I. Buch der Nikomachischen Ethik. Eine A n t w o r t auf einige neuere Inkonsistenzkritiken, in: PhJ 8 6 ( 1 9 7 8 ) , 3 0 0 - 3 2 5 , hier 3 2 0 ; vgl. a a O , 3 1 5 : „An die systematische Stelle, welche bei Piaton die Idee des Guten hatte, tritt, in Übereinstimmung mit der Auffassung der meisten, die E u d a i m o n i a " .

7

Vgl. zum folgenden Aristoteles, Nikomachische Ethik I 5 ( 1 0 9 7 a l 5 - b 2 1 ) .

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um dieser Tugend willen streben. Aber auf die Frage ,Zu welchem Zweck erstrebst Du diese Tugend?' ist man dennoch eine Antwort schuldig, da ja auch andere Güter (Tugenden) zur Wahl stehen. Die Antwort wird in aller Regel lauten, daß der Besitz der gewünschten Tugend den nach ihr Strebenden glücklich macht. An dieser Stelle kann man aber nicht mehr sinnvoll weiterfragen ,Und zu welchem Zweck willst Du glücklich sein?'. Wegen der offenkundigen Sinnlosigkeit dieser hypothetischen Frage bestimmt Aristoteles die ευδαιμονία als dasjenige Ziel menschlichen Handelns, das ausschließlich um seiner selbst und nie um eines anderen willen erstrebt wird: την δ' εϋδαιμονίαν ουδείς αίρεΐται τούτων χάριν, ούδ' όλως δι' άλλο (1097b5f.). Aristoteles versteht also das Glück gerade als Maßstab für die Wahl aller Einzelgüter, der seinerseits nicht wiederum an etwas anderem gemessen werden kann. Er faßt ευδαιμονία als einen „Begriff, der die Perspektive der Lebensganzheit impliziert"8. Verdeutlicht wird dies noch mit dem Hinweis auf den ursprünglich der politischen Theorie entstammenden Begriff der Autarkie. Glück, so Aristoteles, genügt sich selbst, es bedarf keines weiteren Zusatzes9, es verbietet sogar jeden weiteren Zusatz. Es ist insofern erstrebenswerter als alle anderen Güter, als es in eine ganz andere Kategorie gehört. „Glück ist nicht als Summand in einer Reihe mit anderen Gütern denkbar" 10 , und es erweist sich gerade dadurch als das einzige τέλος menschlichen Handelns, das im Vollsinn als Letztziel gelten und auf kein anderes Gut bezogen werden kann. (b) Die Verhältnisbestimmung von ευδαιμονία und τύχη War in der vorphilosophischen Zeit die Überzeugung dominant, daß Glück und Unglück „Gabe der Götter und des Geschicks und Heim8

Klaus Jacobi, Aristoteles' Einführung des Begriffs ευδαιμονία im I. Buch der Nikomachischen Ethik, 3 2 0 .

9

το δ'αύταρκες τίθεμευ ô μονούμενον αίρετόν ττοιεϊ τον βίον και μηδενός ένδεδτοιούτον δε την εϋδαιμονίαν οΐόμεθα είναι (Aristoteles, Nikomachische Ethik I 5 [1097bl4-16]).

10

Klaus Jacobi, Aristoteles' Einführung des Begriffs ευδαιμονία im I. Buch der Nikomachischen Ethik, 3 1 8 . Damit wird die Intention des Aristoteles präzise zum Ausdruck gebracht, der im Anschluß an das in der vorigen Anmerkung Zitierte gesagt hatte: ετι δέ πάντων αίρετωτάτην μή συναριθμουμένην (Aristoteles Nikomachische Ethik I 5 [ 1 0 9 7 b l 6 f . ] ) . Jacobi weiter (zur näheren Erläuterung): „ M a n kann nicht sagen ,Ich wünsche mir dies und jenes und dazu noch Glück' oder ,Ich wäre zufrieden mit Glück, wünsche mir darüber hinaus aber noch dies und jenes'" (Klaus Jacobi, Aristoteles' Einführung des Begriffs ευδαιμονία im I. Buch der Nikomachischen Ethik, 3 1 8 ) .

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

suchung durch sie seien" 11 , so ist für das philosophische Nachdenken charakteristisch, daß die Erlangung des Glücks „von intellektuellen u. moralischen Fähigkeiten u. Bemühungen abhängig" gemacht wird 1 2 . Der Wortsinn des von Aristoteles hauptsächlich für Glück verwendeten Terminus ευδαιμονία, der die Wohlgesonnenheit eines Gottes gegenüber dem Menschen zum Ausdruck bringt, verrät noch die ursprünglich religiöse Verwurzelung der Reflexion über das Glück. Aber inhaltlich wird gerade Aristoteles nicht müde zu betonen, daß die ευδαιμονία als durch menschliches Handeln zu bewirkendes Gut aufzufassen ist. Zwar bemerkt er, daß das Glück als das wertvollste aller menschlichen Güter in der Tat als eine Gabe der Gottheit aufgefaßt werden kann, doch verweist er diesen Gedanken ausdrücklich in eine andere Untersuchung 13 und betont dann, es wäre ein großer Fehler, gerade die ευδαιμονία als das Wichtigste und Schönste dem Zufall (der τύχη) zu überlassen 14 . Diese Bindung der ευδαιμονία an das menschliche Handeln ist von großer Wichtigkeit für den aristotelischen Glücksbegriff. Denn sie bildet eine Art Brücke von der rein formalen Charakterisierung der ευδαιμονία, wie sie oben beschrieben wurde, zu den einzelnen inhaltlich bestimmten Glücksgütern. Wenn nämlich die ευδαιμονία (im formalen Sinne) das höchste durch menschliches Handeln realisierbare Gut ist, stellt sich bezüglich ihres Inhalts die Frage nach der Tätigkeit, die als Spezifikum des Menschen aufzufassen ist. Mit dieser Frage eröffnet Aristoteles das Kapitel 6. Die Antwort ist schnell gefunden: Das Leben des Menschen zeichnet sich gegenüber dem der Pflanze und des Tieres dadurch aus, daß er sein Handeln gemäß dem rationalen Seelenteil vollzieht - oder jedenfalls nicht ohne dieses. Je vollkommener nun diese Orientierung am rationalen Seelenteil ist, in desto höherer Weise verwirklicht der Mensch die ihm eigentümliche Leistung. Daraus ergibt sich dann die berühmte aristotelische Defi-

11 12

13

14

Joachim Ritter, Art. Glück I (Antike), in: HWP II (1974), 6 7 9 - 6 9 1 , hier 679. Ragnar Holte, Art. Glück (Glückseligkeit), in: RAC II (1981), 2 4 6 - 2 7 0 , hier 2 4 8 . „Moderne Interpreten sprechen hier gewöhnlich von einem Prozeß zunehmender Verinnerlichung" (Günther Bien, Art. Ethik II [Griechisch-römische Antike], in: TRE 10 [1982], 4 0 8 - 4 2 3 , hier 413,3f.). ei μεν ouv καί άλλο τί εστί θεών δώρεμα άνθρώποις, εϋλογον και την ευδαιμονίαν θεόσδοτον εϊναι, καί μάλιστα των ανθρωπίνων δσω βέλτιστον. άλλα τοϋτο μέν ίσως άλλης αν εϊη σκέψεως οϊκειότερον (Aristoteles, Nikomachische Ethik I 10 [1099bll-14]). τό δέ μέγιστον καί κάλιστον έτπτρέψαι τύχη λίαν πλημμελές αν είη (aaO, 1099b24f.).

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nition der ευδαιμονία als einer in einem vollen Menschenleben verwirklichten Tätigkeit der Seele im Sinne ihrer höchsten Fähigkeit (ψυχής ενέργεια ... κατ' άρετήν ... άρίστην και τελειοτάτην. ετι δ' έν βίω τελείω ). Die Frage, worin die Fähigkeiten (oder besser: Tugenden) der Seele bestehen und welche die höchste unter ihnen ist, bildet folgerichtig den Leitfaden der NIKOMACHISCHEN ETHIK ab Buch II. Durch die Bindung der ευδαιμονία an das menschliche Handeln wird aber das Problem der Schicksalsfügungen in besonderer Weise relevant. Denn täglich kann man sehen, daß Menschen ohne eigenes Verschulden an der Betätigung ihrer höchsten Fähigkeiten gehindert werden. Die Ausführungen des Aristoteles zur philosophischen Bewältigung dieser Thematik finden sich vor allem in Nikomachische Ethik I 11 (1100al0-1101b9). In welcher Weise, so kann man die hier erörterte Fragestellung zusammenfassen, wirken sich die prinzipiell nie auszuschließenden Schicksalsschläge auf die Möglichkeit einer Realisierung der ευδαιμονία im Sinne von I 6 aus? Aristoteles antwortet auf diese Frage mit zwei Feststellungen. Wer wirklich im Vollsinn glücklich ist, so heißt es zunächst, der wird die Wechselfälle des Schicksals gelassen ertragen können und aus dem jeweils Gegebenen das Beste zu machen verstehen - ein wirklich glücklicher Mensch kann nicht ins Elend kommen. Aber, und dies ist die zweite Aussage, Schicksalsschläge können die Qualität des Glücks durchaus beeinträchtigen. Wer wiederholt harten Anfechtungen ausgesetzt ist, dessen ευδαιμονία bleibt nicht so, wie sie vordem war, die Vollform des Glücks ist für ihn nicht mehr erreichbar. Als Beispiel dient Aristoteles hier das Schicksal des trojanischen Königs Priamos, der nach einem erfüllten Leben in hohem Alter alles verlor: Hektor wurde getötet, Troja erobert. Wer hätte Priamos noch glücklich nennen wollen, als am Ende auch er selbst bei der Eroberung seiner Stadt erschlagen wurde? Thomas von Aquin wird nicht nur das Priamos-Beispiel in bezeichnender Weise umdeuten, sondern auch versuchen, anhand der aristotelischen Lehre von der unaufhebbaren Bedrohtheit menschlichen Glücks die philosophische Legitimität der theologischen Rede vom vollendeten Glück nach diesem Leben zu zeigen. (c) Die Verwirklichung der ευδαιμονία In dem gerade erwähnten Kapitel 1 1 aus Buch I der NIKOMACHISCHEN

15

Aristoteles, Nikomachische Ethik I 6 (1098al6-18).

80

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

weist Aristoteles an einer Stelle darauf hin, daß der Glückliche (im Sinne der Definition aus Kapitel 6) deshalb nicht leicht durch Schicksalsschläge ins Unglück gestürzt wird, weil sich die aus Tugend hervorgehenden Tätigkeiten durch sehr große Beständigkeit auszeichnen 16 . Deshalb, so heißt es dann, wird der wahrhaft Glückliche, weitgehend unbeeindruckt von den Fügungen des Schicksals, sein ganzes Leben lang - wenn nicht immer, so doch meistens - der Tugend gemäß leben, indem er Praxis oder Theorie betreibt 17 . Mit diesem Hinweis hat Aristoteles die beiden Möglichkeiten der Verwirklichung von ευδαιμονία genannt. Sein Glück findet der Mensch entweder in der πράξις, im tätigen Leben, das dem Wohlergehen der Polis und (auf dem Umweg über das öffentliche Wohl) zugleich dem privaten Wohlergehen gewidmet ist. Oder der Mensch findet sein Glück in der θεωρία, im beschauenden Leben, das einzig auf die Betrachtung des Ewigen zielt. In Nikomachische Ethik X 6-9 hat Aristoteles diese beiden Lebensformen einander gegenübergestellt. Die Frage nach ihrem Verhältnis zueinander ist in der Tradition stets als problematisch empfunden und ganz verschieden beantwortet worden. Aristoteles selbst hat einerseits die θεωρία ausdrücklich der praktischen Lebensform wertmäßig übergeordnet: Das Leben im Sinne der ethischen Tugenden des Polisbürgers ist in zweitrangiger Weise ein glückliches Leben; als in höchstem Maße glücklich gilt das dem Vollzug der θεωρία gewidmete Leben, da sich in der Schau des Ewigen die Erfüllung dessen vollzieht, was die eigentliche Bestimmung des Menschen ausmacht. Andererseits betont er mit Nachdruck, daß das der θεωρία gewidmete Leben letztlich kein menschliches Leben mehr ist. Der Mensch lebt es nicht als Mensch, sondern er lebt es, sofern etwas Göttliches in ihm wohnt. Niemand kann sein ganzes Leben lang θεωρία vollziehen, da der βίος θεωρετικός lediglich wenigen und auch diesen immer nur für kurze Zeit möglich ist. Bemerkenswert ist vor allem, daß Aristoteles das kontemplative Leben unmißverständlich von ethischen Qualitäten löst, an die das gelungene Leben des Polisbürgers stets gebunden bleibt. Denn der Vollzug der θεωρία wird von ihm verstanden als die unter den BedinETHIK

16

17

περί ουδέν γ α ρ ούτως υπάρχει των ανθρωπίνων έργων βεβαιότης ώζ περί τάς ενεργείας τάς κατ' άρετήν (Aristoteles, Nikomachische Ethik 1 1 1 [ 1 1 0 0 b l 2 f . ] ) . υπάρξει 5ή τό ζητούμενον τω εϋδαίμονι, και εσται διά βίου τοιούτος- αεί γ α ρ ή μάλιστα πάντων πράξει καί θεωρήσει τά κατ' άρετήν (aaO, 1 lOObl8-20).

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gungen des Menschseins mögliche Nachahmung des Lebens, das die Götter permanent führen. Nun wäre es aber, so führt Aristoteles breit aus, lächerlich, den Göttern ethische Handlungen beilegen zu wollen. Daraus ergibt sich, daß der Vollzug der θεωρία weder an besondere moralische Qualitäten gebunden ist noch als Quelle sittlichen Handelns gelten kann 1 8 . Otfried Höffe hat die sich in der θεωρία verwirklichende ευδαιμονία deshalb treffend als eine moralfreie Moral bezeichnet 19 . 2.1.3.2 Die augustinische beatitudo-Lehre Was oben bezüglich der aristotelischen εύδαιμονία-Lehre gesagt worden ist, gilt in gleicher Weise im Hinblick auf die sich anschließende Darstellung der augustinischen beatitudo-Lehre: Eine auch nur annähernd erschöpfende Behandlung ist weder angestrebt noch durchführbar. Es kann daher im folgenden lediglich darum gehen, einige Gesichtspunkte der augustinischen Glückseligkeitslehre hervorzuheben, die sich als wichtig für das Verständnis der thomanischen Konzeption erweisen werden.

(a) Sprachliche

Beobachtungen

Bei der Behandlung der aristotelischen Glückslehre war bereits darauf hingewiesen worden, daß ευδαιμονία der von Aristoteles hauptsächlich gebrauchte Terminus für Glück ist (vgl. S.78). Neben ευδαιμονία und dem dazu gehörenden Adjektiv ευδαίμων verwendet er auch μακαριστής mit dem Adjektiv μακάριος. Die zuletzt genannte Wortgruppe wird im epischen Sprachgebrauch entweder direkt auf die Götter oder auf die zum leidlosen Leben der Götter gelangten Menschen angewandt 20 . Auch bei der Verwendung von μακάριος/ μακαριστής durch Aristoteles ist diese theologische' Herkunft gelegentlich noch spürbar 21 , jedoch kann sich μακάριος in der N I K O MACHISCHEN ETHIK auch auf das im strikten Sinne menschliche Glück

18

Vgl. dazu a a O , X 8 ( 1 1 7 8 b 7 - 2 3 ) sowie Hellmut Flashar, Aristoteles, 3 4 2 .

19

Vgl. Otfried Höffe, M o r a l als Preis der Moderne, 3 4 - 4 8 , bes. 4 4 - 4 8 .

20

Vgl. R a g n a r Holte, Glück [Glückseligkeit], 2 4 7 sowie Friedrich H a u c k , Art. μακάριος, μακαρίζω, μακαρισμό; (Α. Der griechische Sprachgebrauch), in: T h W N T IV 3 6 5 - 3 6 7 , hier 3 6 5 , 1 7 - 2 2 .

21

Vgl. etwa Aristoteles, Nikomachische Ethik X 8 ( 1 1 7 8 b 2 1 - 2 3 ) : ώστε ή του θεοΰ ενέργεια, μακαριότητι διαφέρουσα, θεωρητική αν είη· καί των άνθρωπίνων δή ή ταύτη συγγενέστατη εΰδαιμονικωτάτη.

82

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

beziehen und ist dann synonym mit ευδαίμων22. In der biblischen Tradition begegnet sowohl in der Septuaginta als auch im Neuen Testament nur die stärker ,theologisch' geprägte Wortgruppe μακάριος/μακαριότης; für ευδαίμων oder ευδαιμονία gibt es dagegen keinen Beleg. Als lateinische Übersetzung für diesen terminus technicus philosophischen Nachdenkens über das Glück hat Marcus Terentinus Varrò zunächst felicitas (mit dem Adjektiv felix) vorgeschlagen. Cicero bevorzugte dagegen beatus/beatitudo für die Wiedergabe von εύδαίμων/εΰδαιμονία, eine Übersetzung, die sich schließlich weitgehend durchgesetzt hat. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil das biblische μακάριος in der Vulgata ebenfalls mit beatus übersetzt wurde. Das eher die philosophische Tradition repräsentierende εύδαίμων/εύδαιμονία wird demnach im Lateinischen sprachlich nicht vom biblischen μακάριος/μακαριότης unterschieden 23 . Die Wortgruppe felix/felicitas begegnet zwar nach wie vor, jedoch nicht als eigenständiger Bedeutungsträger, sondern lediglich als Synonym zu beatus/ beatitudo. Augustin selbst ist es gewesen, der felicitas und beatitudo ausdrücklich als bedeutungsgleich erklärt hat 2 4 . Durch die aus den angedeuteten Entwicklungen resultierende sprachliche Identität des biblischen und des philosophischen Glücksbegriffs war die lateinische Theologie um so dringender vor die Frage ihrer sachlichen Zuordnung gestellt. Die im nächsten Abschnitt zu skizzierende augustinische Antwort hat das christliche Denken des Abendlandes bis ins 13.Jahrhundert hinein wesentlich geprägt.

(b) Augustins Kritik der philosophischen

Glückslehren

Der Begriff der beatitudo spielt im Denken Augustins von Anfang an eine bedeutende Rolle. Allerdings hat sich das Glücksverständnis im Laufe seiner theologischen Entwicklung gewandelt: Vertrat Augustin anfangs den Standpunkt, daß der Christ schon in diesem Leben durch moralische Reinigung und intellektuelle Übung zur Gottesschau als der Maximalform des Glücks gelangen kann, hat er nach

22

Vgl. etwa Aristoteles, Nikomachische Ethik I I I ( 1 1 0 1 a l 9 - 2 1 ) : μακαρίους εροϋμεν των ζώντων oís υπάρχει καί υπάρξει τά λεχθέντα, μακαρίου? δ'ανθρώπους.

23

„Dieser Umstand dürfte der Aufnahme der philosophischen Konzeption des G. (= Glücks, R.L.) durch die lat. christl. Schriftsteller den Weg bereitet haben" (Ragnar Holte, Glück [Glückseligkeit], 2 5 2 ) . Vgl. Thesaurus Linguae Latinae 2 ( 1 9 0 0 - 1 9 0 6 ) , 1 7 9 4 - 1 7 9 6 (Stw. beatitudo); 6/ 1 ( 1 9 1 2 - 1 9 2 6 ) , 4 2 6 - 4 3 4 (Stw. felicitas).

24

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396 die beatitudo immer klarer sowohl der Eschatologie 25 als auch seiner Gnadenlehre26 untergeordnet. Der angedeuteten Entwicklung des augustinischen Denkens ist hier nicht im einzelnen nachzugehen. Von Interesse ist die wirkungsgeschichtlich relevante Auffassung des späten Augustin. Sie soll dargestellt werden anhand seiner in Buch X I X von DE CIVITATE DEI (4134 2 6 / 2 7 ) vollzogenen Auseinandersetzung mit den heidnischen GliicksvorStellungen. Die Absicht Augustine ist es, die Untauglichkeit aller außerchristlichen philosophischen Bemühungen der Bestimmung des höchsten Gutes aufzuzeigen, um dadurch den fundamentalen Unterschied zwischen der heidnischen und der christlichen Glückauffassung zu verdeutlichen. Dabei will er sich nicht nur solcher Gründe bedienen, die der christlichen Offenbarung entstammen, sondern er stützt sich, aus Rücksicht auf die Ungläubigen, an die sich seine Schrift richtet, auch auf Vernunftargumente . Augustin beginnt mit einer Bestandsaufnahme der heidnischen Glücksvorstellungen. In Anlehnung an eine auf M.T.Varro zurückgehende Zusammenstellung aller denkbaren Auffassungen darüber, worin das Glück besteht, zeigt er, daß 288 verschiedene Meinungen möglich sind. Wie es zu dieser Zahl kommt, soll hier nicht en detail

25 26

27

Vgl. Ragnar Holte, Glück (Glückseligkeit), 268. Die Gnadenlehre, die Augustin zunächst (396) als Konsequenz exegetischer Einsichten entwickelt, dann anhand seines eigenen Lebensganges in den CONFESSIONES (397-401) bewährt und schließlich sowohl im Streit gegen Pelagius und dessen Anhänger als auch gegen den anfänglichen Widerstand Roms (Papst Zosimus) als gültige kirchliche Lehre durchgesetzt hat, verdient hier nicht nur deshalb Erwähnung, weil die Geschichte der abendländischen Theologie von der Auseinandersetzung um diesen Topos seines Denkens bedeutend geprägt ist, sondern auch, weil sie - in anderer Weise als die Eschatologisierung des Glücksbegriffs - zur Problematisierung der Erreichbarkeit von beatitudo durch den Menschen beigetragen hat: Hatte die Eschatologisierung des beatitudo-Begriffs zur Folge, daß Glück im Vollsinn nur noch als etwas Jenseitiges vorgestellt werden konnte, so führte die augustinische Gnadenlehre darüber hinaus zur Relativierung des Zusammenhangs von (diesseitiger) Sittlichkeit und (jenseitiger) Seligkeit: „Glückseligkeit blieb das Ziel des Menschen, aber seine Erreichung hing ausschließlich von Gottes Willen, nicht von menschlicher Einsicht und Tugend ab" (Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, 37). ... exponenda sunt... argumenta mortalium, quibus sibi ipsi beatitudinem facer e in huius uitae infelicitate moliti sunt, ut ab eorum rebus uanis spes nostra quid différât quam Deus nobis dedit, et res ipsa, hoc est uera beatitudo, quam dabit, non tantum auctoritate diuina, sed adhibita etiam ratione... clarescat (Augustin, De Civitate Dei XIX 1; CSEL 40/2,363,1-7; CChr.SL 48,657:2-9).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

behandelt werden 28 , entscheidend ist, daß nach einem Selektionsverfahren nur noch drei ernsthaft zu erwägende Ansichten über das Glück übrig bleiben, deren Differenz das Verhältnis zwischen den Tugenden als den Gütern der Seele auf der einen und den Naturgütern des Leibes auf der anderen Seite betrifft 29 . Aufgrund der Feststellung, daß sowohl die Seele als auch der Leib den Menschen konstituieren, ergibt sich, daß die beatitudo als das summum bonum hominis dann als erreicht gelten kann, wenn der Mensch im Besitz aller Güter ist und ihm überhaupt kein seelisches oder leibliches Gut fehlt 30 . Was aber, so fragt Augustin im Anschluß an diese Darstellung der argumenta mortalium, sagt der Gottesstaat zu all dem? Die Antwort schließt sich sofort an: Das höchste Gut ist das ewige Leben, das höchste Übel der ewige Tod 31 . Die folgenden Erläuterungen machen deutlich, daß diese Bestimmung eine doppelte Kritik an den in den Kapiteln 1-3 dargestellten Lehren enthält. Erstens gehen diese sämtlich davon aus, daß das Letztziel des Menschen in diesem Leben zu erreichen ist. Die Christen lehnen diese Auffassung ab. Zweitens wollen die Philosophen durch sich selbst glücklich werden. Die Christen wissen hingegen, daß sie hinsichtlich des für die Erlangung des jenseitigen Glücks erforderlichen guten irdischen Lebens auf göttliche Hilfe angewiesen sind 32 . Daß diese Auffassung sachgemäßer ist als die heidnischen Glückslehren, versucht Augustin im folgenden zu zeigen. 28

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Vgl. dazu die Übersichten bei Günther Bien, Ethik II (Griechisch-römische Antike), 409-411 und Henrique de Noroñha Galvao, Art. Beatitudo, in: Cornelius Mayer (Hg.), Augustinus-Lexikon 1/4, Basel-Stuttgart 1990, 624-638, hier 631633. ... tres sectae ita fiunt, cum uel prima naturae propter uirtutem, uel uirtus propter prima naturae, uel utraque, id est et uirtus et prima naturae, propter se ipsa sunt expetenda (Augustin, De Civitate Dei X I X 2; CSEL 40/2,370,4-7; CChr.SL 48,662:60-63). Haec ergo uita hominis, quae uirtute et aliis animi et corporis bonis, sine quibus uirtus esse non potest, fruitur, beata esse dicitur; si uero et aliis, sine quibus esse uirtus potest, uel ullis uel pluribus, beatior; si autem prorsus omnibus, ut nullum omnino bonum desit uel animi uel corporis, beatissima (Augustin, De Civitate Dei X I X 3; CSEL 40/2,371,23-28; CChr.SL 48,663:41-45). Si ergo quaeratur a nobis, quid ciuitas Dei de his singulis interrogata respondeat ... respondebit aeternam uitam esse summum bonum, aeternam uero mortem summum malum (Augustin, De Civitate Dei X I X 4; CSEL 4 0 / 2 , 3 7 3 , 8 - 1 1 ; CChr.SL 48,664:1-4). ... neque bonum nostrum iam uidemus, unde oportet quod credendo queramus, neque ipsum recte uiuere nobis ex nobis est, nisi credentes adiuuet et orantes qui et ipsam fidem dedit, qua nos ab ilio adiuuandos esse credamus. Illi autem ... hie beati esse et a se ipsis beati fieri mira uanitate uoluerunt (aaO; CSEL 40/ 2,373,14-18.24Í.; CChr.SL 48,664:7-11.17f.).

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Wie steht es denn, so beginnt er seine Kritik, mit den Naturgütern, ohne die ein glückliches Leben nach Meinung der Philosophen unmöglich ist? Die Erfahrung lehrt nach Augustin ganz eindeutig, daß die prima naturae in höchstem Maße unbeständig sind. Auch der tugendhafteste Mensch steht nicht über den Wechselfällen des Schicksals, auch sein Glück bleibt stets gefährdet 33 . Aber selbst unabhängig von der Unzuverlässigkeit der Naturgüter verdient die beatitudo der Heiden ihren Namen nicht. Denn auch der von äußeren Beeinträchtigungen ungefährdete Besitz der Tugenden führt nicht zum Glück, vielmehr sind die virtutes in diesem Leben hauptsächlich mit der Bekämpfung der ihnen entgegenstehenden Laster beschäftigt, die aus dem Inneren des Menschen kommen 3 4 . Die weitere Argumentation geht wieder von den äußerlichen Gefährdungen aus, denen auch die tugendhaften Menschen in diesem Leben permanent ausgesetzt bleiben. Augustin stellt nachhaltig heraus, wie absurd es ist, daß etwa die Stoiker oder auch Varrò einerseits meinen, man könne aus eigener Kraft bereits in diesem Leben glücklich sein, während sie andererseits einräumen, daß die äußeren Übel den Menschen so belasten können, daß ihm nur noch Selbstmord bleibt: Ein Leben, dem man sich notfalls durch Freitod entziehen muß, wird niemand ernsthaft glücklich nennen 3 5 . D a ß ein solch elendes Leben von den Philosophen dennoch als glücklich ausgegeben wird, liegt an ihrer sündhaften Verblendung. Da sie auf ihre eigenen Kräfte und Fähigkeiten vertrauen, wollen sie von der erst nach diesem Leben erreichbaren beatitudo nichts wissen und halten statt dessen an ihrer falschen Lehre fest, die um so trügerischer ist, je hochmütiger (superbior) sie ist 36 . Nachdem Augustin in dieser Weise die heidnischen Glückslehren ad absurdum geführt hat, stellt er ihnen die christliche Auffassung 33

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Ea quippe, quae dicuntur prima naturae, quando, ubi, quo modo tarn bene se habere in hac uita possunt, ut non sub incertis casibus fluctuent? (aaO, CSEL 40/ 2,374,3-5; CChr.SL 48,664:25-27). Porro ipsa uirtus, quae non est inter prima naturae, quoniam eis postea doctrina introducente superuenit, cum sibi bonorum culmen uindicet humanorum, quid hic agit nisi perpetua bella cum uitiis, nec exterioribus, sed interioribus, nec alienis, sed plane nostris et propriis (aaO, CSEL 40/2,375,9-13; CChr.SL 48,665:62-66). Uita igitur, quae istorum tam magnorum tamque grauium malorum aut premitur oneribus aut subiacet casibus, nullo modo beata diceretur (aaO, CSEL 40/ 2,378,30-379,1; CChr.SL 48,668:170-172). Quam beatitudinem isti philosopbi, quoniam non uidentes nolunt credere, hic sibi conantur falsissimam fabricare, quanto superbiore, tanto mendaciore uirtute (aaO, CSEL 40/2,380,1-3; CChr.SL 48,669:200-202).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

über die beatitudo gegenüber. Die Christen, so Augustin, nehmen im Unterschied zu den heidnischen Philosophen das Elend des irdischen Lebens wirklich ernst und behaupten nicht, es aus eigener Kraft bewältigen zu können. Da sie aber aus der Hoffnung auf die jenseitige Überwindung dieses Elends heraus leben, können sie auch in der gegenwärtigen miseria in gewisser Weise glücklich sein. Denn die Zukunftshoffnung gibt ihnen die Kraft, das irdische Elend in Geduld und Frömmigkeit zu tragen. Darin besteht die wahre Tugend. Die nach diesem Leben erhoffte beatitudo wird dann wirklich alles menschliche Sehnen zur Ruhe bringen 37 . Augustin beschreibt dieses jenseitige, von den Christen als summum bonum aufgefaßte Gut als Frieden im ewigen Leben bzw. als ewiges Leben in Frieden 38 . (c) Der Unterschied von uti und fruì Das irdische Leben des Christen, so wurde gerade erläutert, kann nach Augustin in gewisser Weise glücklich sein, wenn es von pietas und spes getragen ist. An einer anderen Stelle taücht ein ähnlicher Gedanke auf: Wenn ein Mensch sein irdisches Leben so handhabt, daß er dessen Gebrauch (usus) auf das transzendente Ziel ausrichtet, kann er durchaus schon jetzt beatus genannt werden - freilich primär aufgrund der Hoffnung 39 . Mit dem hier begegnenden Stichwort usus ist der für Augustin sehr wichtige Unterschied zwischen Genießen (frui) und Gebrauchen (uti) angesprochen. Das »Genießen Gottes' (frui Deo), dessen ursprünglich philosophische Herkunft Rudolf Lorenz nachgewiesen hat 40 , wurde von Augu37

Si enim uerae uirtutes sunt, qui nisi in eis, quibus uera inest pietas, esse non possunt: non se profitentur hoc posse, ut nullas miserias patiantur homines ... sed ut uita humana ... spe futuri saeculi sit beata, sicut et salua ... Talis salus quae in futuro erit saeculo, ipsa erit etiam finalis beatitudo (aaO, CSEL 4 0 / 2 , 379,91 3 . 1 5 ; 3 7 9 , 3 0 - 3 8 0 , 1 ; CChr.SL 4 8 , 6 6 8 : 1 8 0 - 1 8 2 . 1 8 4 - 1 8 6 ; 6 6 9 : 2 0 0 f . ) .

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... profecto finis ciuitatis huius, in quo summum habebit bonum, uel pax in uita aeterna uel uita aeterna in pace dicendus est (Augustin, De Civitate Dei X I X 11; CSEL 4 0 / 2 , 3 8 9 , 2 2 - 2 4 ; CChr.SL 4 8 , 6 7 5 : 2 4 - 2 6 ) . ... quis est qui illam uitam (futuram, R.L.) uel beatissimam neget uel in eius comparatione istam, quae hie agitur, ... non miserrimam iudicet? Quam tarnen quicumque sic habet, ut eius usurn referat ad illius finem, quam diltgit ardentissime ac fidelissime sperai, non absurde dici etiam nunc beatus potest, spe ilia potius quam re ista. (Augustin, De Civitate Dei X I X 20; CSEL 4 0 / 2 , 4 0 7 , 1 8 - 2 4 ; CChr.SL 4 8 , 6 8 7 : 4 - 1 0 ) . „Unsere ... Untersuchung führt zu dem Ergebnis, daß kein Anzeichen dafür spricht, daß die kirchliche Tradition das Augenmerk Augustine irgendwie auf Deo frui gelenkt hätte ... Frui Deo hat seinen Ursprung in der philosophischen Güterlehre und Zielbestimmung des Lebens und leitet sich aus der mittel-

39

40

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stin im Sinne der christlichen Theologie umgedeutet. Dies läßt sich vor allem aus seiner Schrift D E DOCTRINA CHRISTIANA erheben (entstanden 396-426/27; alle hier herangezogenen Stellen entstammen den bereits 396/97 fertiggestellten Teilen). Im ersten Buch wird frui bestimmt als ein von Liebe getragenes Verbundensein mit einer Sache um ihrer selbst willen (Fruì est enim amore inherere alicui rei propter se ipsam41). Eine Ergänzung des frui-Gedankens bildet der Begriff des uti. Es besteht darin, daß alles, womit man umgeht, auf das als Gegenstand des frui erstrebte Objekt bezogen wird (uti... [est] quod

in usum venerit ad id quod amas obtinendum referre41). Die Begriffe

des frui und uti bilden die Brennpunkte der augustinischen Ethik: Da die beatitudo ausschließlich in Gott zu finden ist, darf allein Gott der Gegenstand menschlicher fruitio sein. Alle Dinge außer Gott sind nicht zu genießen, sondern lediglich zu gebrauchen. Der usus des Menschen mit den Gegenständen dieser Welt ist so zu gestalten, daß er das frui Deo vorbereitet bzw. fördert - „Unser Verhalten gegen die Dinge, die nicht Gott sind, muß von dem Gesichtspunkt des deo frui beherrscht sein" 43 . Daraus ergibt sich die Forderung nach einer weitestgehenden Relativierung aller irdischen Werte und Interessen zugunsten einer ausschließlichen Ausrichtung an der jenseitigen beatitudo. Augustin sieht den Menschen als einen peregrinus, als einen im irdischen Leben heimatlosen Pilger, der unterwegs zur patria ist. Die Möglichkeit einer Rückkehr des in dieser Welt von Gott entfremdeten Menschen zu seiner eigentlichen Heimat wird ausdrücklich daran gebunden, daß die Menschen alle Güter dieser Welt auf das frui Deo beziehen, sie also nicht genießen, sondern nur im Hinblick auf die erhoffte jenseitige fruitio Dei gebrauchen 44 .

platonischen homoiosis theo her. Es ist dem Augustinus ebenso wie das Begriffspaar frui-uti durch die philosophische Schriftstellerei des Marcus Terentinus Varrò vermittelt" (Rudolf Lorenz, Die Herkunft des augustinischen frui Deo, in: Z K G 6 4 [ 1 9 5 1 / 5 2 ] , 3 4 - 6 0 , hier 59f.). 41

Augustin, De Doctrina Christiana I 4 (CSEL 8 0 , 1 0 , 5 ; CChr.SL 3 2 , 8 : l f . ) .

42

A a O , CSEL 8 0 , 1 0 , 6 f . ; CChr.SL 3 2 , 8 : 2 f .

43

Rudolf Lorenz, fruitio Dei bei Augustin, in: Z K G 6 3 ( 1 9 5 0 / 5 1 ) , 7 5 - 1 3 2 , hier 9 0 .

44

... sic in huius mortalitatis vita peregrinantes a domino, si redire in patriam volumus, ubi beati esse possumus, utendum est hoc mundo (vgl. I Kor 7 , 3 1 ), non fruendum, ut invisibilia dei per ea quae facta sunt intellecta conspiciantur (vgl. R o m 1,20), hoc est, ut de corporalibus temporalibusque rebus aeterna et spiritaìia capiamus (Augustin, De doctrina Christiana I 4 , CSEL 8 0 , 1 0 , 1 7 - 2 1 ; CChr.SL 3 2 , 8 : 1 3 - 1 8 ; die Hinweise auf die Bibelstellen sind dem Apparat der CSELEdition entnommen).

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Die b e a t i t u d o - L e h r e des T h o m a s v o n Aquin

2.1.3.3 Reaktionen auf die aristotelische Herausforderung Überblickt man das bisher zum aristotelischen und zum augustinischen Glücksverständnis Gesagte, so wird deutlich, daß bei Aristoteles das Hauptaugenmerk darauf gelegt ist, daß sich die ευδαιμονία mittels der Eigentätigkeit des Menschen realisiert; das höchste Gut ist nichts Transzendentes, sondern wird innerhalb des menschlichen Erfahrungs- und Wirkungsbereiches angetroffen. Augustin bestreitet, daß es im Diesseits echtes Glück geben kann und betont die Jenseitigkeit der beatitudo perfecta, woraus eine konsequente Bestreitung der menschlichen Glückskompetenz folgt, die er anhand der permanenten Bedrohtheit alles irdischen Glücks eingehend demonstriert. Diese Beschränktheit der menschlichen Möglichkeiten im Hinblick auf die selbsttätige Verwirklichung der ευδαιμονία hatte auch Aristoteles anerkannt. Da er diesen Sachverhalt jedoch nicht im Lichte einer nach diesem Leben möglichen Entschränkung beurteilt, steht für ihn das durch den Menschen bewirkte Glück auch nicht, wie bei Augustin, unter einem grundsätzlich negativen Vorzeichen. Vielmehr hat, nach einer Formulierung von Robert Spaemann, der aristotelische εύδαιμονία-Begriff den Charakter eines Kompromisses 45 , der freilich aus Augustine Perspektive, also angesichts der christlichen Verheißung einer alles menschliche Sehnen erfüllenden eschatologischen beatitudo, nur als „fauler Kompromiß" erscheinen konnte. Im 13 Jahrhundert jedoch, in einer Zeit, in der aus verschiedenen Gründen der diesseitigen Lebensgestaltung ein gewisser Eigenwert zugebilligt wurde, ließ sich die aus dem augustinischen Ansatz resultierende Notwendigkeit der unbedingten Instrumentalisierung aller irdischen Betätigungen des Menschen zugunsten eines erst für das Jenseits erhofften vollkommenen Glücks nicht mehr ohne weiteres verständlich machen. Die in dieser Zeit rezipierte Kritik des Aristoteles an der Auffassung Piatos von der Transzendenz des höchsten Gutes konnte auch als Anfrage an die augustinische beatitudo-Lehre gelesen werden, und die Frage nach dem Verhältnis zwischen irdischem Glück und jenseitiger Seligkeit erhielt damit eine völlig neue Dimension. Die thomanische beatitudo-Lehre kann als Reaktion auf diese neu entstandene Problemlage verstanden werden. Wie sich noch zeigen wird, war es das Ziel des Thomas, einerseits die aristo45

Vgl. dazu Robert Spaemann, Glück und Wohlwollen, 7 3 - 8 4 („Der aristotelische Kompromiß").

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telische Ethik unverkürzt zu rezipieren und dabei andererseits an der traditionellen christlichen Lehre festzuhalten, nach der die beatitudo als ein nur durch göttliche Gnade und im Vollsinn erst im Jenseits erreichbares Gut verstanden ist. Vor der Behandlung der Position des Thomas ist aber noch darauf zu verweisen, in welch unterschiedlicher Weise in seinem historischen Umfeld mit der durch die aristotelische Ethik entstandenen Herausforderung umgegangen wurde. (a) Die Lösung Bonaventuras Eine mögliche Reaktion auf die aristotelische Herausforderung, die vornehmlich in der franziskanischen Theologie realisiert wurde, bestand in der konsequenten Unterordnung des aristotelischen Denkens unter die Grundsätze der geoffenbarten Theologie. Hatten die Dominikaner bereits in einer sehr frühen Phase den Anschluß an die zeitgenössische Bildung gesucht, so öffneten sich die Franziskaner erst in einer zweiten Entwicklungsstufe der universitären Wissenschaft. Zugleich war diese Öffnung wesentlich zurückhaltender. Vor allem dem Aristotelismus standen die Franziskaner stets distanzierter gegenüber als die Predigerbrüder. Sie verstanden Aristoteles weniger als einen Zeugen der Wahrheit, sondern erblickten in seinem Denken, wenn es sich selbst überlassen blieb, eher eine Gefahr für den Glauben und die christliche Frömmigkeit. Deshalb haben die Franziskaner dort, wo die Lehre des Aristoteles in Konflikt mit den Auffassungen der christlichen Theologie geraten konnte, nicht nach möglichen Kompromissen oder gar einer Synthese gesucht. Statt dessen wurden die Einsichten der Philosophie, die der theologischen Spekulation nicht nutzbar gemacht werden konnten, konsequent zurückgewiesen. Diese Haltung kann nicht als im eigentlichen Sinne un- oder gar antiphilosophisch bezeichnet werden, aber sie begrenzt die Legitimität philosophischen Nachdenkens auf Nutzbarkeit für die geoffenbarte Theologie 46 . Bonaventura, der bedeutende Zeitgenosse des Thomas aus dem Franziskanerorden (er verstarb, wie Thomas, im Jahre 1274), hat diese auf Instrumentalisierung aller Philosophie orientierte Richtung des Umgangs mit der aristotelischen Herausforderung in seiner kleinen Schrift D E REDUCTIONE ARTIUM AD THEOLOGIAM in geradezu klassischer Weise zum Ausdruck gebracht. 46

„Die allgemeine Vernunft wird zum reinen Instrumentar der vom präsenten Gott konkret ergriffenen: das ist die Antwort Bonaventuras" (Wolfgang Kluxen, Metaphysik und praktische Vernunft. Über ihre Zuordnung bei Thomas von Aquin, in: Ludger Oeing-Hanhoff [Hg.], Thomas von Aquin 1274/1974, München 1974, 73-96, hier 78).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Bonaventura versteht die menschliche Seele als Spiegel der Gottheit. Ihre Tätigkeiten gelten ihm als Lichter, die von Gott ausgehen und zu ihm zurückführen. Dieser sein gesamtes Denken prägende Exemplarismus liegt auch seiner genannten Schrift zugrunde. In den ersten sieben Kapiteln bietet Bonaventura, in ausdrücklicher Anlehnung an das DIDASCALION Hugos von Sankt Viktor (gest. 1141), eine Wissenschaftslehre. Er spricht von vier Lichtern in der menschlichen Seele, einem äußeren, einem inneren, einem niederen und einem höheren lumen, auf die alle Wissenschaften (artes) zurückzuführen sind 47 . Da Bonaventura das lumen interius philosophiae in die drei Bereiche der Vernunft-, Natur- und Moralphilosophie aufgliedert 48 , ergeben sich insgesamt sechs Wissenschaften. Diese sechs illuminationes der menschlichen Seele entsprechen den sechs Schöpfungstagen, wobei das lumen superius dem ersten Tag entspricht, also der Erschaffung des Lichts, weswegen die cognitio sacrae Scripturae als Ursprung aller anderen cognitiones zu gelten hat 4 9 . Nachdem auf diese Weise bereits die Einleitungskapitel die Grundlage für die von Bonaventura beabsichtigte .Reduktion' der Wissenschaften auf die Theologie gelegt haben, wird ab Kapitel 8 gezeigt, wie die artes im einzelnen auf die Heilige Schrift zurückgeführt werden müssen. Diese mit einem Schriftzitat (Jak 1,17) eingeleitete Argumentation vollzieht sich in Form einer eingehenden Darlegung von Proportionen, Analogien und Bildern, die im dreifachen geistlichen Schriftsinn enthalten sind 50 . Aus dem in dieser Weise von Bonaventura geführten Nachweis, daß in allen menschlichen Wissenschaften Gott selbst verborgen ist, ergibt sich dann, daß das Ziel wissenschaftlicher Tätigkeit in der Stärkung des Glaubens und der Verherrlichung

47

... est lumen exterius, scilicet lumen artis tnechanicae; lumen inferius, scilicet lumen cognitionis sensitivae; lumen interius, scilicet lumen cognitionis philosophiae; lumen superius, scilicet lumen gratiae et sacrae Scripturae (Bonaventura, De reductione artium ad theologiam 1).

48

... hoc triplicatur

49

... possunt reduci sex istae illuminationes ad senarium formationum sive illuminationum, in quibus factus est mundus, ut cognitio sacrae Scripturae primae formationi, scilicet formationi lucis, respondeat... Et sicut omnes illae ab una luce habebent originem, sie omnes istae cognitiones ad cognitionem sacrae Scripturae ordinantur (aaO, 7).

50

Die mittelalerliche Bibelauslegung unterscheidet im allgemeinen - neben dem Literalsinn - einen dreifachen geistlichen Schriftsinn: triplex sensus spiritualis, scilicet allegoricus ..., moralis et anagogicus (aaO, 5).

in rationalem,

naturalem,

moralem

(aaO, 4 ) .

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Gottes besteht, ferner darin, daß sie zur Ordnung der Sitten beiträgt und daß aus ihr Trost geschöpft werden k a n n 5 1 . Aus der Perspektive eines solchen Wissenschaftsverständnisses konnte das sich selbst überlassene aristotelische Denken nur als suspekt erscheinen. Denn anders als in der platonisch-neuplatonischaugustinischen Tradition, der sich Bonaventura verbunden fühlte, hat Aristoteles die vorfindliche Wirklichkeit nicht als Spur des Göttlichen interpretiert, sondern sich den Phänomenen als solchen zugewandt, eine Vorgehensweise, durch die die Wissenschaft nach Bonaventura ihr eigentliches Ziel zwangsläufig verfehlen mußte. W i e sich Bonaventuras philosophiekritische Haltung auf seine Glückseligkeitslehre ausgewirkt hat, ist von Michael Wittmann anhand eines Vergleichs mit der thomanischen Konzeption untersucht worden 5 2 . Nimmt bei Thomas, so Wittmanns These, die beatitudoLehre „einen mehr philosophischen, so hier (bei Bonaventura, R . L . ) einen durch und durch theologischen Charakter a n " 5 3 . M a g diese Behauptung, vor allem im Hinblick auf T h o m a s , auch problematisch sein, deutlich ist in jedem Fall die stärker traditionelle Prägung der Auffassung Bonaventuras und der damit verbundene weitgehende Verzicht auf eine positive Aufnahme philosophischer Impulse 5 4 . Dies zeigt sich z.B. daran, daß die Glückseligkeitslehre, während sie bei T h o m a s (jedenfalls in der SUMMA THEOLOGIAE) als Grundlage der Ethik gilt, bei Bonaventura im Kontext der Eschatologie behandelt wird. Ferner verzichtet der Franziskaner auf die sich von Aristoteles her nahelegende Bestimmung der beatitudo als operatio; er versteht sie als einen von Gott verliehenen habitus, wodurch dem Menschen eine nahezu ausschließlich passiv-empfangende Rolle zukommt 5 5 . Dagegen betont Thomas, wie sich noch zeigen wird, nicht nur unter 51

... hic est fructus omnium scientiarium, ut in omnibus aedificetur fides, h onoreficetur Deus (1 Petr4,11), componantur mores, hauriantur consolationes (aaO, 2 6 ) .

52

Vgl. Michael Wittmann, Thomas v. Aq. und Bonaventura in ihrer Glückseligkeitslehre miteinander verglichen, in: Albert Lang/Joseph Lerchner/Michael Schmaus (Hg.), Aus der Geisteswelt des Mittelalters. Studien und Texte, Martin Grabmann zur Vollendung des 60.Lebensjahres von Freunden und Schülern gewidmet, 2 Bände (Seiten durchnumeriert), Münster 1 9 3 5 (BGPhMA Suppl.3), [Band 2] 7 4 9 - 7 5 8 .

53

AaO, 7 4 9 . „An der neueren Literatur geht er (Bonaventura, R.L.) zwar nicht achtlos vorüber, sondern zitiert ab und zu Aristoteles; eine Bedeutung jedoch hat diese Literatur für seine Glückseligkeitslehre nicht bekommen" (aaO, 757). Vgl. aaO, 751 f.

54

55

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Berufung auf Aristoteles, sondern auch - und vor allem - in Anlehnung an den Gedanken der Gottebenbildlichkeit, daß sich die beatitudo als dem Menschen von Gott her zukommende Bestimmung in diesem selbst vollziehen muß und deshalb nur als menschliche Eigentätigkeit sinnvoll gedacht werden kann. Ein weiterer Unterschied zwischen Thomas und Bonaventura, der die ungleiche Berücksichtigung der philosophischen Tradition deutlich macht, betrifft das Verhältnis von Seele und Leib. Nach neuplatonischer Auffassung hat die beatitudo ihren Sitz ausschließlich in der Seele. Doch schon der späte Augustin hatte diese Lehre unter Hinweis auf die leib-seelische Einheit des Menschen kritisiert. Zwar kommt, so Bonaventura im Anschluß an Augustin, die beatitudo in der Tat primär der Seele zu, der mit der Seele untrennbar verbundene Körper kann aber dennoch der Glückseligkeit teihaftig werden. Bei Thomas erhält die menschliche Leiblichkeit eine demgegenüber qualitativ höhere Bedeutung für die Glückseligkeit, indem der vom Leib getrennten Seele eine geringere beatitudo zugesprochen wird als der mit dem (auferstandenen) Leib verbundenen Seele: „Verhält sich der Leib bei Bonaventura, wie es scheint, nur empfangend, so bei Thomas auch gebend; dort ist der Leib darauf beschränkt, an der Glückseligkeit der Seele Anteil zu bekommen, hier trägt er zu deren Steigerung positiv bei" 56 . (b) Die Lösung der radikalen Aristoteliker Während die u.a. durch Bonaventura repräsentierte Strömung die Reinheit des christlichen Glaubens durch die Rezeption des heidnischen Philosophen Aristoteles gefährdet sah, vertraten maßgebliche Persönlichkeiten der Pariser Artistenfakultät wie etwa Siger von Brabant oder Boethius von Dacien die Auffassung, daß die Reinheit der aristotelischen Philosophie durch deren Einbindung in das christliche Denken gefährdet würde. Auf die für diese Richtung vielfach verwendete Bezeichnung ,Lateinischer Averroismus' wird in letzter Zeit verzichtet. Man nennt die so bezeichneten Denker heute vor allem deshalb ,radikale Aristoteliker' 57 , weil man Averroes nicht mehr als ihren direkten Vorläufer betrachtet. Als solcher gilt neuerdings vielfach Thomas' Lehrer Albertus Magnus, der als erster abend56

57

AaO, 756; vgl. auch Michael Wittmann, Die Ethik des hl. Thomas von Aquin. In ihrem systematischen Aufbau dargestellt und in ihren geschichtlichen besonders in den antiken Quellen erforscht, München 1933, 65-67. Vgl. etwa Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, 355-362.

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ländischer Denker das Gesamtwerk des Aristoteles durchkommentiert und somit dem lateinischen Westen zugänglich gemacht hat. Allerdings ist durchaus umstritten, ob man aus dem erklärten Bemühen Alberts um eine sachgerechte Erfassung der Intention des Aristoteles schließen darf, bereits er selbst sei ein radikaler Aristoteliker gewesen 58 , oder ob sein Denken nicht doch, gemäß der älteren Auffassung, als Vorstufe des dann von Thomas ausgeformten christlichen Aristotelismus interpretiert werden muß 59 . Die radikalen Aristoteliker reagierten in der Weise auf die aristotelische Herausforderung, daß sie die Philosophie des Aristoteles der geoffenbarten Theologie nicht unter-, sondern nebenordneten, wobei sie - und das ist entscheidend - die zwei Denkgebäude unvermittelt zusammen bestehen ließen. Sie brachten damit ein Bedürfnis nach strenger methodischer Trennung der verschiedenen Wissenschaften zur Geltung. Keine Wissenschaft, so ihr Grundsatz, darf die sich aus ihren Prinzipien ergebenden Grenzen überschreiten. Für alle glaubensunabhängigen (nicht auf geoffenbarten Einsichten beruhenden) Wissenschaften bedeutet dies, sich nur von den Phänomenen und der natürlichen Vernunft leiten zu lassen, was die unbedingte Nötigung zum Verzicht auf das durch Offenbarung gewonnene Wissen einschließt. Einer sich an der menschlichen Vernunft orientierenden Philosophie wie etwa der des Aristoteles kommt dementsprechend ihre Legitimität schon aus sich selbst heraus zu. Sie bedarf der Legitimation durch eine andere Wissenschaft nicht nur nicht, vielmehr ist der (etwa von Bonaventura formulierte) Gedanke der Illegitimität einer auf sich selbst gestellten und sich selbst überlassenen Philosophie seinerseits illegitim. Die Philosophie zerstörte sich selbst, 58

So urteilt z.B. Kurt Flasch, aaO, 319: „Über lange Passagen war er (Albertus Magnus, R.L.) ein radikaler Aristoteliker ... Er tat genau das, was Thomas den Averroisten vorwerfen wird, nämlich die Intention des Aristoteles zu erklären und ihre Vereinbarkeit mit dem christlichen Glauben (...) dahingestellt sein zu lassen"; vgl. auch die eingehende Darstellung bei Loris Sturlese, Die deutsche Philosophie im Mittelalter. Von Bonifatius bis zu Albert dem Großen (7481280), München 1993, 3 2 4 - 3 8 8 . Sturlese spricht hier von einer (um 1 2 5 0 datierten),Wende' im Denken Alberts, die ihn von der Theologie zur Philosophie geführt habe.

59

Dazu neigt z.B. Ludwig Hödl, Albert der Große und die Wende in der Lateinischen Philosophie im 13. Jahrhundert, in: Joseph Möller/Helmut Kohlenberger (Hg.), Virtus politica. Festgabe zum 75. Geburtstag von Alfons Hufnagel, Stuttgart 1975, 2 5 1 - 2 7 5 . In dieser Untersuchung zur Intellekt-Theorie Alberts wird dessen Auffassung ausdrücklich (256) als Vorstufe zur thomanischen Lehre interpretiert.

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D i e beatitudo-Lehre des T h o m a s v o n Aquin

würde sie nicht von möglichen Interventionen seitens einer auf göttlicher Offenbarung gründenden Theologie freigehalten 60 . Ein Text, anhand dessen deutlich wird, wie sich diese wissenschaftstheoretische Auffassung im Bereich der Ethik auswirkt, liegt vor in der kleinen Schrift des Boethius von Dacien mit dem Titel DE SUMMO BONO siVE DE VITA PHILOSOPHI 61 . Wenn die theologische Tradition bis zum 13 Jahrhundert vom summum bonum gesprochen hat, dann war damit stets Gott gemeint. Boethius von Dacien vollzieht dagegen, unter bewußtem Verzicht auf theologische Implikationen, eine rein philosophische Ermittlung des summum bonum in Form einer Bestimmung dessen, was innerhalb der konkreten menschlichen Erfahrungswirklichkeit als höchstes Gut anzusprechen ist. Das Ergebnis der Untersuchung bewegt sich im wesentlichen im Rahmen diesbezüglicher Lehren aus der klassischen philosophischen Tradition: Sein höchstes Gut erreicht der Mensch durch die Betätigung des ihn von den anderen Lebewesen spezifisch unterscheidenden Organs, der Vernunft. Innerhalb der menschlichen Vernunft gibt es ein auf das Tun des Guten gerichtetes praktisches und ein auf die Erkenntnis des Wahren orientiertes spekulatives Vermögen. In der Realisierung seiner Vermögen und in der Freude an dieser Tätigkeit besteht das summum bonum des Menschen. Zweierlei ist an Boethius' Text noch bemerkenswert. Zum ersten stellt er, obwohl dies seinen Voraussetzungen im Grunde widerspricht, einmal doch eine Verbindung zwischen der beatitudo in hac vita und der im Glauben erhofften beatitudo futura her 62 . Ob dieser Hinweis lediglich als ein routinemäßiges Zugeständnis an theologische Leser zu werten ist oder ob hier etwas von der durchaus nicht un- oder gar antichristlichen Geisteshaltung des Boethius von Dacien durchscheint, sei dahinge60

61

62

Eine eingehende und durchaus positive Würdigung der hier im Umriß skizzierten wissenschaftstheoretischen Position des Boethius von Dacien stammt von dem Thomisten Paul Wilpert, Boethius von Dacien - die Autonomie des Philosophen, in: Paul Wilpert (Hg.), Beiträge zum Berufsbewußtsein des mittelalterlichen Menschen, Berlin-New York 1964 (MM 3), 135-152. Der hier zugrunde gelegte Text ist abgedruckt bei Martin Grabmann, Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen zur Geschichte der Scholastik und Mystik II, München 1 9 3 6 , 2 0 9 - 2 1 6 . Die Zitatnachweise beziehen sich auf die Seitenzahlen in diesem Band; vgl. zum folgenden noch Georg Wieland, Ethica - scientia practica. Die Anfänge der philosophischen Ethik im 13.Jahrhundert, Münster 1981 (BGPhMA. NF 21, zugl. HabSchr. Bonn 1977), 213-216. Qui ettim perfectior est in beatitudine, quam in hac vita homini esse per rationem scimus, ipse propinquior est beatitudini, quam in vita futura per fidem expectamus (Boethius von Dacien, De summo bono sive de vita Philosophi, 211).

Der geistesgeschichtliche Bezugsrahmen

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stellt, entscheidend ist jedenfalls, daß die für die thomanische beatitudo-Lehre so wichtige Einsicht, zwischen der vom Menschen mit eigenen Kräften erreichbaren und der von Gott her erhofften beatitudo bestehe ein Zusammenhang, von ihm jedenfalls nicht bestritten wird. Der zweite hier noch hervorzuhebende Aspekt betrifft das Verhältnis der beiden Tätigkeiten, durch die der Mensch sein summum bonum erreichen kann. Anders als Aristoteles hat Boethius von Dacien ihr Verhältnis so gedeutet, daß das theoretische Leben den Maßstab für die vita activa bildet. Die Erkenntnis des Wahren steht nicht nur wertmäßig über dem Tun des Guten (dies wäre noch aristotelisch), sie stellt darüber hinaus nach Boethius überhaupt die einzige Möglichkeit dar, eine vita recta zu führen63. (c) Hinweis auf die Lösung des Thomas Sowohl anders als die am Beispiel Bonaventuras dargestellte Tendenz als auch in Abgrenzung zu der durch Boethius von Dacien verkörperten Richtung hat Thomas versucht, einen Weg der Synthese zu gehen 64 . Die natürliche menschliche Vernunft wird als Instanz eigenen Rechts anerkannt. Die auf ihr basierenden Wissenschaften sind sowohl bezüglich ihrer Erkenntnismethode als auch ihres Erkenntnisgegenstandes autonom. Die von Thomas ,Sacra Doctrina' genannte Theologie unterscheidet sich von all diesen Wissenschaften dadurch, daß sie ihre Aussagen auf der Grundlage von Gott her geoffenbarter Heilswahrheiten entwickelt. Diese aus göttlicher Offenbarung stammenden Erkenntnisse lassen aber auch das zuvor bereits aus natürlicher Vernunft Gewußte in einem neuen Licht erscheinen und ermöglichen es von daher dem Glaubenden, das in den weltlichen Wissenschaften Gesagte aus seiner Perspektive zu beurteilen. Da sich diese Beurteilung wiederum mittels der natürlichen Vernunft vollzieht, bleibt auch die Eigenständigkeit der theologisch kritisierten nichttheologischen Wissenschaften gewahrt, vor allem dann, wenn man, wie Thomas es tut, davon ausgeht, daß eine wirklich korrekt argumentierende Philosophie und eine sachgemäß erarbeitete Glaubenslehre einander gar nicht widersprechen können, da die Wahrheit, um deren Erkenntnis sich beide Disziplinen bemühen, ein und dieselbe ist, eine Auffassung, die bei Thomas schöpfungstheologisch 63

64

Haec est vita philosophi, quant quicutnque non habuerit non habet rectam (aaO, 216). Vgl. zum folgenden Wolfgang Kluxen, Metaphysik und praktische Vernunft, 7882.

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

96

begründet wird. Wie sich diese wissenschaftstheoretische Auffassung des Thomas, die hier nur angedeutet werden konnte, auf seine beatitudo-Lehre auswirkt, wird vom folgenden Abschnitt an zu untersuchen sein.

2 . 2 Zur beatitudo-Lehre in den frühen theologischen Synthesen 2.2.1 Das

C O M M E N T U M IN QUATUOR LIBROS SENTENTIARUM

Bei diesem ersten theologischen Gesamtentwurf des Thomas handelt es sich der Form nach um einen Kommentar zu den um 1150 verfaßten SENTENTIAE IN IV LIBRIS DISTINCTAE des Petrus Lombardus, einer Schrift, die in der Zeit zwischen 1170 und 1230 zum offiziellen Lehrbuch der Theologie avanciert war. Dem Sentenzenbuch wird heute zwar kaum noch schöpferische Originalität zuerkannt, aber nach wie vor unbestritten ist die historische Bedeutung dieses Versuchs, das gesamte theologische Wissen der Zeit übersichtlich darzustellen 1 . Die bemerkenswerte Wirkungsgeschichte des Sentenzenbuchs ist vor allem darauf zurückzuführen, daß bis ins 16.Jahrhundert hinein jeder Bakkalaureus der Theologie vor der Promotion zum Magister diesen Text zu kommentieren hatte. Auch Thomas, der nur einer von insgesamt etwa 2 5 0 Erklärern war, die sich dem Sentenzenbuch im Laufe der Jahrhunderte widmeten 2 , hat den Kommentar während seines Pariser Bakkalaureats ( 1 2 5 2 - 1 2 5 6 ) verfaßt. Die Ausführungen des Thomas beschränken sich allerdings keinesfalls auf die erläuternde Wiedergabe der Textvorlage, sondern der Schwerpunkt liegt auf einer vertiefenden Behandlung der sich aus dem Text ergebenden Fragen im Anschluß an die divisio des jeweiligen Abschnitts aus dem Sentenzenbuch. Es entspricht durchaus der damals üblichen Verfahrensweise, daß im Zusammenhang dieser weitergehenden Analysen auch Themen relevant werden, die bei Petrus Lombardus selbst so gar nicht begegnen - die Kommentierung der Sentenzen wird damit zum Anlaß für die Formulierung eigener theologischer Positionen. 1

Der T e x t ist enthalten in M P L 1 9 2 , 5 1 9 - 9 6 4 ; vgl. auch Magistri Petri Lombardi Sententiae in IV Libris distinctae, Grottaferrata 3 1 9 7 1 / 1 9 8 1 (SpicBon 4 / 5 ) . Als jüngste umfassende Würdigung des Sentenzen buches kann gelten: M a r c i a L. Colish, Peter L o m b a r d , Leiden 1 9 9 4 (Brill's Studies in Intellectual History 4 1 ) .

2

Vgl. Josef Pieper, Scholastik, 9 1 ; Pieper beruft sich hier auf Martin Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode II 3 9 2 .

Zur beatitudo-Lehre in den frühen theologischen Synthesen

97

D a ß i m C O M M E N T U M IN QUATUOR LIBROS SENTENTIARUM 3 d e s T h o -

mas tatsächlich dessen eigener theologischer Standpunkt zur Geltung kommt, wird sofort deutlich, wenn man den Aufbau der Vorlage mit der Gliederung des Thomas vergleicht. Der Magister hat seine Aufteilung des theologischen Stoffes im Anschluß an Augustine Schrift D E D O C T R I N A CHRISTIANA vollzogen. Wie nämlich Augustin sagt, so beginnt das Sentenzenbuch, handelt jede Wissenschaft entweder von Dingen oder von Zeichen. Die Dinge ihrerseits zerfallen in mehrere Gruppen: Es gibt solche Dinge, die zu genießen, solche, die zu gebrauchen und schließlich solche, die sowohl zu genießen als auch zu gebrauchen sind (hier begegnet die schon erwähnte augustinische Unterscheidung von uti und frui wieder). Die zu genießenden Dinge (res) sind es, die uns zu Seligen (beati) machen; die zu gebrauchenden Dinge sind uns, die wir zur beatitudo streben, als Hilfe zur Erlangung der uns zu Seligen machenden Dinge gegeben; sowohl zu genießen als auch zu gebrauchen sind wir selbst, die Engel und die Heiligen als jene Wesen, die zwischen die beiden (bisher genannten res-Kategorien) gestellt sind4. Auf diesen Differenzierungen beruht die innere Systematik des Sentenzenbuchs5. Doch hat Thomas in seinem Kom-

4

5

Eine kritische Ausgabe des Sentenzenkommentars von Thomas existiert leider noch nicht, weshalb im folgenden auf die Bände VI und VII 1/2 der ParmaAusgabe (1856-1858) zurückgegriffen wird. Die Zitationsweise folgt Otto Hermann Pesch, Thomas von Aquin, 84 Anm.17. ut ertim egregius doctor Aug. ait... omnis doctrina vel rerum est vel signorum (Petrus Lombardus, Sententiarum Libri Quatuor I distinctio 1,1; MPL 192,521; vgl. Augustin, De Doctrina Christiana I 2 [CSEL 80,9,4; CChr.SL 32,7:1]). Id ergo in rebus considerandum est,... quod res aliae sunt quibus fruendum est, aliae quibus utendum est, aliae quae fruuntur et utuntur. Illae quibus fruendum est, nos beatos faciunt. Istis quibus utendum est, tendentes ad beatitudinem adjuvamur, et quasi adminiculamur, ut ad illas res, quae nos beatos faciunt, pervenire, eisque inhaerere possimus. Res vero quae fruuntur et utuntur nos sumus; quasi inter utrasque constituti et angeli, et sancii (aaO, distinctio 1,2; MPL 192,523). Vgl. Martin Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode II 364-371 sowie Martin Anton Schmidt, Die Zeit der Scholastik (Dogma und Lehre im Abendland, Zweiter Abschnitt), in: Carl Andresen (Hg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte I (Die Lehrentwicklung im Rahmen der Katholizität), Göttingen 1982, 567-754, hier 594-605. Gerhard Ebeling hat eingehend untersucht, wie der Lombarde mit seiner Disposition die augustinische Vorlage aufgenommen und zugleich modifiziert hat; vgl. Gerhard Ebeling, Der hermeneutische Ort der Gotteslehre bei Petrus Lombardus und Thomas von Aquin, in: ZThK 61 (1964), 283-326, auch abgedruckt in: Gerhard Ebeling, Wort und Glaube 2 (Beiträge zur Fundamentaltheologie und zur Lehre von Gott), Tübingen 1969, 209-256, vgl. bes. 210-228.

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Die beatitudo-Lehre des T h o m a s von Aquin

mentar darauf hingewiesen, daß sich das Sentenzenbuch auch nach einem anderen Prinzip gliedern läßt. Wenn es nämlich, so stellt er unter Berufung auf das prooemium des Lombarden heraus, in der sacra doctrina um das divinum geht, damit aber die Relation zu Gott (als Ursprung oder als Ziel) gemeint ist, wird die Heilige Lehre ihre Gegenstände unter dem Aspekt behandeln, daß sie entweder aus Gott hervorgehen oder zu Gott zurückkehren6. Mit der in Thomas' divisio enthaltenen Formulierung des exitus-reditus-Schemas ist bereits im frühen Sentenzenkommentar jenes Gliederungsprinzip ausgesprochen, das im Grundsatz auch die Struktur seiner anderen theologischen Entwürfe, der SUMMA CONTRA GENTILES und der SUMMA THEOLOGIAE, bestimmen wird. Schon in Augustine D E DOCTRINA CHRISTIANA hatte die Aufteilung der res in fruibilia und utibilia dazu gedient, den richtigen Weg zur Erlangung der beatitudo zu bestimmen. Indem sich Petrus Lombardus bei der divisio seines Sentenzenbuchs dieser Unterscheidung bedient, wird auch für ihn der Gedanke der beatitudo zu einem wichtigen Thema der christlichen Theologie. „So hat Petrus Lombardus der Folgezeit unumgänglich das Thema der B. (der beatitudo, R.L.) gestellt, als Grundbegriff der Theologie überhaupt wie auch speziell als Schlüsselbegriff der Ethik, und das mußte sich besonders auswirken, als seit etwa 1225 die ,Sentenzen' das offizielle Lehrbuch der Theologie an der Pariser Universität und damit der Sentenzenkommentar die primäre literarische Gattung der theologischen Arbeit wurde" 7 . Im folgenden soll nun, nach einer kurzen Vorbemerkung, an zwei Punkten verdeutlicht werden, wie Thomas das Thema der beatitudo im Sentenzenkommentar aufnimmt und welche Akzente er dabei setzt. Dabei werden vorrangig die Aspekte der thomanischen beatitudo-Lehre in den Blick kommen, die auch in der SUMMA THEOLOGIAE von besonderer Relevanz sind: Die Betonung des aporetischen Charakters eines rein philosophischen Glücksbegriffs und die Bestimmung der beatitudo als einer operatio hominis. 6

Cum enim, ut supra dictum est, in prooem., sacrae doctrinae intentio sit circa divina; divinum autem sumitur secundum relationem ad Deum, vel ut principium, vel ut finem ... consideratio hujus doctrinae erit de rebus, secundum quod exeunt a Deo ut a principio, et secundum quod referuntur in ipsum ut in finem. Onde in prima parte determinai de rebus divinis secundum exitum a principio; in secunda secundum reditum in finem (Commentum in Quatuor Libros Sententiarum 1 d.2:div.text.).

7

Otto Hermann Pesch, Art. Glück II (Mittelalter), in: H W P II ( 1 9 7 2 ) , 6 9 1 - 6 9 6 , hier 6 9 3 (Kursivdruck im Text, R.L.).

Z u r beatitudo-Lehre in den frühen theologischen Synthesen

(a) Vorbemerkung: barden

99

Die Erweiterung der Fragestellung des Lom-

Der über Augustin und Petrus Lombardus tradierte beatitudo-Begriff war rein eschatologisch geprägt: Es geht um die einzig in Gott zu findende ewige Glückseligkeit, auf die hin aller usus des Menschen mit den Dingen dieser Welt auszurichten ist. Im Sentenzenbuch wird demgemäß die beatitudo zwar durchaus an mehreren Stellen und unter verschiedenen Aspekten thematisiert 8 , ihre eigentliche Behandlung folgt aber erst im Eschatologietraktat, und von daher ist auch „für die Zeit nach Petrus Lombardus ... seine Zuordnung der Glücksproblematik zum Traktat de ultimis geradezu normativ geworden" 9 . Auch Thomas hat im Kommentar die Frage nach dem Glück erst im Rahmen seiner Behandlung der Eschatologie im Sentenzenbuch ausdrücklich gestellt. Der engere Kontext in der Vorlage wird von ihm als die Beschreibung der beatitudo aufgefaßt, die den Seligen nach dem allgemeinen Gericht als Lohn zuteil wird 10 . Allerdings machen seine hier ansetzenden eigenständigen Überlegungen unübersehbar den Einfluß des Aristoteles deutlich. Thomas war ja bereits zwischen 1248 und 1252 im Rahmen des Studium generale in Köln durch die Ethikvorlesung Alberts des Großen mit der NIKOMACHISCHEN ETHIK bekannt geworden. Zwar hat er seine Rezeption der aristotelischen Glückslehre durch den im zeitlichen Zusammenhang mit seinem theologischen Hauptwerk entstandenen Ethikkommentar noch einmal auf eine neue Basis gestellt. Aber die das Spätwerk bestimmenden Grundlinien werden bereits in seinem ersten theologischen Gesamtentwurf sichtbar: Die Ausführungen im Sentenzenkommentar enthalten, wie die neuere Forschung immer wieder bekräftigt hat, bereits wichtige Ansätze für die dann in der SUMMA THEOLOGIAE breit ausgeführte Konzeption einer anthropologisch fundierten Ethik 11 .

8

Vgl. die Übersicht bei Hermann Kleber, Glück als Lebensziel. Untersuchungen zur Philosophie des Glücks bei Thomas von Aquin, Münster 1 9 8 8 (BGPhMA.NF 31; zugl. Diss. Trier 1981), 2 0 .

9

AaO, 2 2 (Kursivdruck im Text, R.L.).

10

Postquam determinavit Magister de his quae pertinent ad judicium generale, in parte hac incipit determinare de praemiis et poenis quae judicium generale sequuntur; et dividitur in partes duas: in prima determinai de praemiis bonorum; in secunda de poenis malorum ... Prima autem pars dividitur in partes tres: in prima enim discribit qualis erit beatitudo sanctorum, quae eis in praemium post generale judicium dabitur (Commentum in Quatuor Libros Sententiarum 4 d.49:div.text.).

11

Vgl. etwa Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 82; die m.W. jüngste einge-

100

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

In den fünf quaestiones zur vorletzten distinctio aus dem vierten Buch der Sentenzen behandelt Thomas die beatitudo im allgemeinen (quaestio 1), die visio Dei, in der die beatitudo inhaltlich besteht (quaestio 2), die delectado, die die beatitudo formal vervollständigt (quaestio 3), die in der beatitudo enthaltenen Gaben (quaestio 4) und die sie vollendenden Freuden (quaestio 5). Die im folgenden primär interessante quaestio 1 fragt in vier Artikeln danach, worin die beatitudo besteht (Artikel 1), was sie ist (Artikel 2), ob alle sie erstreben (Artikel 3) und ob alle in gleicher Weise an ihr teilhaben (Artikel 4) 1 2 . Vor allem unter Berücksichtigung der ersten beiden Artikel, vorrangig der solutiones 2 und 4 zu Artikel 1, soll nun untersucht werden, in welcher Weise Thomas die beatitudo bestimmt. (b) Die philosophische Plausibilität des theologischen Glücksbegriffs In den obiectiones zu quaestiuncula 4 des ersten Artikels wird die Auffassung vertreten, die beatitudo könne bereits in diesem Leben erreicht werden. Thomas nimmt dies zum Anlaß, sich in solutio 4 grundsätzlich mit philosophischen Positionen über das Glück dieses Lebens auseinanderzusetzen. Er versucht dabei, sowohl eine von ihm auf Plato zurückgeführte Ansicht wie auch den Standpunkt des Aristoteles als unzulänglich zu erweisen. Die Philosophie, die nur über die beatitudo in hac vita nachdenken kann, kommt, so kann man sein Ergebnis zusammenfassen, in diesem Nachdenken zu keinem befriedigenden Resultat. Und diese alle relevanten Ausprägungen einer Philosophie des Glücks begleitende Aporie ist es, aus der sich dann für Thomas die philosophische Legitimation einer Theologie des Glücks ergibt. Die Argumentation beginnt mit dem Hinweis, daß die beatitudo als das Ziel, in dem alles Begehren zusammenläuft, auch wirklich jedes Verlangen stillen muß; wer sie erreicht hat, für den darf kein Wunsch mehr offen sein. Dieses wunschlose Glücklichsein muß aber auch als unveränderlich und dauerhaft gedacht werden, damit wirklich von beatitudo im Vollsinn die Rede sein kann 13 . Nun sind es aber gerade die zuletzt genannten Bedingungen der Unveränderlichhende Darstellung der beatitudo-Lehre im Sentenzenkommentar entstammt der oben erwähnten Arbeit von Hermann Kleber, Glück als Lebensziel, 1 6 - 5 4 . 12

Vgl. Commentum in Quatuor Libros Sententiarum 4 d . 4 9 : q . l prol.

13

oportet quod (beatitudo, R . L . ) sit tale aliquid, quo habito nihil ulterius desiderandum restet... beatitudo tale aliquid ponitur quod immobilitatem habeat et perpetuitatem (Commentum in Quatuor Libros Sententiarum 4 d . 4 9 : q . l , l qla.4 sol.).

Zur beatitudo-Lehre in den frühen theologischen Synthesen

101

keit und Dauerhaftigkeit der beatitudo humana, hinsichtlich derer die Philosophen verschieden denken. Einige meinen, daß für das menschliche Glück keine Dauerhaftigkeit im absoluten Sinne, sondern nur bezüglich des menschlichen Lebens möglich sei. Diese Beschränkung der Dauerhaftigkeit des Glücks auf die Lebenszeit wirkt sich auch auf die Frage nach der Unveränderlichkeit aus: Lediglich die faktische Veränderung kann unter den Bedingungen des menschlichen Lebens als aufgehoben gedacht werden, nicht aber ihre grundsätzliche Möglichkeit. Hierbei handelt es sich, so Thomas unter Berufung auf Aristoteles, um die Auffassung Piatos. Dieser habe nämlich gemeint, wegen der potentiell stets denkbaren Veränderungen im menschlichen Leben könne man nur im Rückblick sagen, ob jemand glücklich bzw. unglücklich war, d.h. ein endgültiges Urteil ist erst nach dem Tod des betreffenden Menschen möglich 14 . Aristoteles selbst freilich hat diese Auffassung nicht Plato, sondern Solon zugeschrieben 15 , was Thomas in seiner Kommentierung der N I K O M A CHISCHEN ETHIK auch korrekt vermerkt 16 . Im Sentenzenkommentar wirkt die Bezugnahme auf den Philosophen an dieser Stelle noch etwas unbeholfen. Dies gilt auch für die im Vergleich mit dem Ethikkommentar weniger präzise Darstellung der Position des Aristoteles. Dieser weist zunächst, so Thomas, die gerade skizzierte Behauptung zurück, daß eigentlich nur Tote glücklich genannt werden können. Denn es wäre doch absurd, jemanden erst dann glücklich nennen zu dürfen, wenn er es nicht mehr aktual ist 17 . An diese

14

Quidam enim dixerunt, quod de ratione humanae beatitudins non erat perpetuitas absolute, sed perpetuitas respectu vitae hominis. Nec tarnen in hac perpetuitate consideranda est immobilitas quae privaret potentiam ad immutationem, sed quae tantum privaret immutationis actum. Et haec fuit opinio Piatonis ... Posuit enim, illud hominem esse beatum in hac vita, cujus beatitudo continuatur usque ad mortem ipsius ... et ita nullus potest dici beatus nisi in morte suo (ebd.).

15

Πότερου ouv ούδ' άλλον ούδένα ανθρώπων εϋδαιμονιστέον εω$ άυ ζή, κατά Σόλωνα δε χρεών τέλος όρδν; (Aristoteles, Nikomachische Ethik I 11 [llOOalOf.]).

16

Proponit ergo primo quaestionem de opinione Solonts, qui fuit unus de Septem sapientibus et condidit Atheniensium leges. Qui considerans humanam vitam fortunae mutationibus esse obnoxiam, dixit quod nullus debet dici felix quamdiu vivit: sed solum in fine vitae suae (In Decern Libros Aristotelis ad Nicomachum Expositio I 15 [179]). Zu Thomas' Auseinandersetzung mit der aristotelischen Lösung dieses in Anlehnung an Solon formulierten Problems vgl. 2 . 3 . 2 . 2 ; bes. S. 1 3 9 - 1 4 5 ) .

17

inconveniens est ponere quod aliquis debeat dici beatus quando non est, et quod non posset dici quando est (Commentum in Quatuor Libros Sententiarum 4 d . 4 9 : q . l , l qla.4 sol.).

102

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Zurückweisung schließt Aristoteles seine eigene Auffassung de beatitudine sive de felicitate an: Da die beatitudo im Vollsinn ein dem Menschen nicht erreichbares Maß an Dauer und Unveränderlichkeit erfordert, ist unter den Bedingungen der conditio humana nur eine bescheidene Teilhabe am wirklichen Glück erreichbar 18 . Doch auch diese Position befriedigt Thomas nicht. Denn wenn die beatitudo das Ziel der vernunftbegabten Geschöpfe darstellt und der Mensch als wesenhaft vernunftbegabt anzusprechen ist, dann muß er auch die beatitudo ihrem Wesen nach und nicht nur in Form einer Teilhabe erreichen können 19 . Da nun diese beatitudo vera einerseits für den Menschen erreichbar sein muß, andererseits aber, wie die Philosophen selbst sagen, in diesem Leben nicht erreicht werden kann, muß es sie nach diesem Leben geben. Aus diesem Argumentationsgang ergibt sich für Thomas die Antwort auf die in der quaestiuncula 4 des ersten Artikels zur Debatte gestellte Frage: Das wahre Glück kann nicht in, sondern erst nach diesem Leben erreicht werden. Alles in diesem Leben mögliche Glück ist demgegenüber als Teilhabe an der wahren beatitudo aufzufassen, als Teilhabe, die sich in der vollendeten Anwendung vorrangig der spekulativen und in zweiter Linie der praktischen Vernunft verwirklicht. Und diese Glücksteilhabe, so Thomas, hat Aristoteles beschrieben, wobei er weder bejaht noch verneint hat, daß es ein erst nach diesem Leben erreichbares wahres Glück gibt 20 .

(c) Die beatitudo als operatio Weil Thomas das von Aristoteles behandelte irdisch-weltliche Glück in der beschriebenen Weise auf den eschatologisch geprägten beati18

dicatur (a Philosopho, R.L.), quod beatitudo, secundum suant perfectam rationem, perpetuitatem et immobilitatem absolutam habeat. Sed secundum perfectam rationem beatitudo non est possibilis homini accidere; sed possibile est hominem esse in aliqua participatione ipsius, licet modica, et ex hoc dici eum beatum; et ideo non oportet hominem beatum esse perpetuum et immutabilem simpliciter, sed secundum conditionem humanae naturae (ebd.).

19

felicitas, sive beatitudo, est bonum rationalis νel intellectualis naturae; et ideo oporteret quod ubi invenitur natura rationalis vel intellectualis per essentiam ... etiam beatitudo ponatur per essentiam ... cum in homine sit... ratio et intellectus per essentiam; oporteret ponere quod ad veram beatitudinem quandoque pervenire possit, et non tantum ad aliquam beatitudinis participationem (ebd.).

20

Et ideo simpliciter concedimus veram hominis beatitudinem esse post hanc vitam. Non negamus tarnen quin aliqua beatitudinis participatio in hac vita esse possit, secundum quod homo est perfectus in bonis rationis speculativae principaliter, et practicae secundario; et de hac felicitate Philosophus ... determinai, aliam, quae est post hanc vitam, nec asserens nec negans (ebd.).

Zur beatitudo-Lehre in den frühen theologischen Synthesen

103

tudo-Begriff der christlichen Tradition bezogen hat, stand er vor der Frage, wie die aristotelische Lehre von der ευδαιμονία als einer Tätigkeit des Menschen vereinbar war mit der christlichen Auffassung, nach der die nur in Gott selbst zu findende beatitudo perfecta durch menschliches Handeln prinzipiell unerreichbar und ihre Erlangung deshalb von der Mitteilung göttlicher Gnade abhängig ist. Im Zusammenhang mit der Behandlung der Frage, ob die beatitudo mehr zum Willen oder mehr zum Verstand gehört 21 , wird eine Lösung des angesprochenen Problems ansatzweise vorgetragen. Die These, daß die beatitudo zum Willen gehöre, kann nach Thomas in doppelter Weise verstanden werden. Einmal kann gesagt sein, die beatitudo sei das Objekt des Willens - dies hält er für richtig. Es kann aber auch gemeint sein, sie bestehe in einem Akt des Willens dies hält er für falsch 22 . Die beatitudo, so beginnt Thomas seine Erläuterung, ist nämlich das Letztziel des Menschen. Dieses kann in doppelter Hinsicht aufgefaßt werden: Als etwas im Menschen - dann ist eine Handlung gemeint; oder als etwas außerhalb vom Menschen - dann ist das gemeint, zu dem er durch seine Handlungen gelangt 23 . In einem späteren Zusammenhang wird Thomas diese Differenzierung nochmals aufnehmen, um zu zeigen, daß die beatitudo nicht nur etwas Ungeschaffenes, also Gott, sondern auch etwas Geschaffenes sein kann, nämlich eine menschliche Handlung. Hier unterscheidet er die beatitudo creata in homine als den finis interior, der in der perfectio des Menschen besteht, von Gott selbst als der beatitudo increata extra ipsum. Die Verbindung des Menschen mit der beatitudo increata verursacht nach Thomas die beatitudo creata24.

21

Vgl. C o m m e n t u m in Quatuor Libros Sententiarum 4 d . 4 9 : q . l , l qla.2.

22

dicendum quod beatitudinem esse in volúntate, dupliciter potest intelligi. Uno modo ita quod sit voluntatis objectum; et sic... oportet ponete beatitudinem in volúntate esse. Alio modo ita quod sit aliquis actus voluntatis; et sic beatitudo in volúntate esse non potest ( C o m m e n t u m in Quatuor Libros Sententiarum 4 d . 4 9 : q . l , l qla.2 sol.).

23

Beatitudo enim ultimum finem hominis importât. Finis autem ultimus hominis potest accipi duplex: unus in ipso, et alius extra ipsum. In ipso, sicut operatio rei dicitur esse finis ejus, cum omnis res sit propter suam operationem. Finis vero extra ipsum est, ad quod per suam operationem pertingit (ebd.).

24

ultimus finis cujuslibet rei habentis esse ab alto est duplex: unus exterius, secundum scilicet id quod est desideratae perfectionis principium; alius interius, scilicet ipsa sua perfectio, quam facit conjunctio ad principium. Unde cum beatitudo sit ultimus hominis finis, duplex erit beatitudo. Una quae est in ipso; scilicet quae est ultima ejus perfectio, ad quam possibile est ipsum pervenire; et

104

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Ganz in diesem Sinne hat er bereits an der zuerst herangezogenen Stelle eine konsequente Ausrichtung des finis interior auf den finis exterior als Bedingung für die Realisierung der beatitudo gefordert 2 5 . Im weiteren Verlauf seiner Analyse des Verhältnisses von beatitudo und Willen geht Thomas zunächst darauf ein, daß die beatitudo, wenn sie, was vorausgesetzt ist, als Objekt des Willens gilt, nicht gleichzeitig in einem Akt des Willens bestehen kann. Denn der Willensakt ist nichts weiter als das Wollen selbst, das Objekt des Willens aber ist das in eben diesem Wollen Gewollte, das deshalb vom reinen Vollzug des Wollens unterschieden werden muß 2 6 . Dieser Sachverhalt wird dann hinsichtlich der Erreichung des finis ultimus verdeutlicht: Vor der Erlangung eines Ziels bestehen die Akte des Willens in der Bewegung auf dieses Ziel hin; nach der Erlangung bestehen sie in der Ruhe, die der Wille im Erreichthaben des Ziels findet. Dasjenige aber, was diese Ruhe im Willen bewirkt, ist die beatitudo creata, die darin besteht, daß der finis interior mit dem finis exterior verbunden ist. Die Herstellung dieser Verbindung selbst kann dann aber, so die richtige Folgerung, nicht auch in einem Willensakt bestehen 2 7 . Wenn also Gott das äußere Letztziel ist, auf das hin der menschliche Wille tendiert, wird das innere Letztziel des Menschen nicht in einer Handlung des Willens bestehen, sondern in einer Handlung, die bewirkt, daß das Streben des Willens zur Ruhe kommt. Diese Handlung ist nach Thomas die vom Intellekt vollzogene Gottesschau, weshalb für ihn die beatitudo in einem actus intellectus besteht 2 8 . - Die allein in Gott zu findende beatitudo kann folglich nach Thomas insofern auch

25

26

27

28

haec est beatitudo creata. Alia vero est extra ipsum, per cujus conjunctionem praemissa beatitudo in ea causatur; et haec est beatitudo increata, quae est ipse Deus (Commentimi in Quatuor Libros Sententiarum 4 d.49:q.l,2 qla.l sol.). oportet quod finis interior ad exteriorem ordinetur, ut sic finis exterior sit quasi finis ultimus; et finis interior, qui est operatio, sit ad illum ordinatus (Commentum in Quatuor Libros Sententiarum 4 d . 4 9 : q . l , l qla.2 sol.). cum voluntatis objectum sit finis, hoc ipsum quod est velie, et quilibet alius voluntatis actus, nihil est aliud quam ordinare aliqua in finem; unde praesupponit alium finem (ebd.). Cum ergo objectum primum voluntatis sit finis ultimus, impossibile est quod aliquis voluntatis actus sit ultimus finis voluntatis ... intelligitur enim esse actus voluntatis ante assecutionem finis, ut motus quidam in finem; post assecutionem vero ut quietatio quaedam in fine ... Illud ergo quod facit voluntatem hoc modo se habere ad finem ut voluntas quietetur in ipso, est ultimus finis interior qui primo conjungit exteriori fini (ebd). Cum ergo ultimus finis quasi exterior humanae voluntatis sit Deus, non potest esse quod aliquis actus voluntatis sit interior finis; sed ille actus erit ultimus finis interior quo primo hoc modo se habebit ad Deum, ut voluntas quietetur in ipso. Haec autem est visio Dei secundum intellectum (ebd.).

Z u r b e a t i t u d o - L e h r e in den frühen theologischen Synthesen

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als operatio hominis gelten, als damit die Erreichung des finis ultimus durch den Menschen bezeichnet wird.

2 . 2 . 2 D i e SUMMA CONTRA GENTILES

Dieses zwischen 1259 und 1264/65 geschriebene Werk verdankt seine Entstehung nach dem Zeugnis des Peter Marsilio einer an Thomas gerichteten Bitte des ehemaligen Ordensgenerals der Dominikaner, Raimund von Peñafort, um „ein Werk gegen die Irrtümer der Heiden" 1 . Offenbar ging es darum, die dominikanischen Missionare in Spanien und Nordafrika mit apologetischem Handwerkszeug' auszustatten. Die Glaubhaftigkeit der erst kurz nach 1300 niedergeschriebenen Notiz des Peter Marsilio ist freilich immer wieder bestritten worden, und man vermutete als die eigentlichen Adressaten der SUMMA CONTRA GENTILES die neuen Gegner der christlichen Lehre an der Pariser Artistenfakultät 2 . Unumstritten war und ist allerdings der primär apologetische Charakter dieser Schrift. Damit hängt auch die traditionelle Deutung ihres Aufbaus zusammen, nach der die ersten drei Bücher die durch menschliche Vernunft erkennbaren Wahrheiten über Gott behandeln, während Buch IV die nur durch Offenbarung zugänglichen Wahrheiten über Gott thematisiert (Trinität, Inkarnation, Sakramente, Auferstehung des Leibes und Jüngstes Gericht). Allerdings ist gegen diese Interpretation der Struktur immer wieder auf diejenigen Aussagen in den ersten drei Büchern hingewiesen worden, die eher als der Vernunft nicht mehr zugängliche Wahrheiten zu gelten haben. Dazu gehört z.B. die Lehre vom zeitlichen Anfang der Welt, die, wie schon erwähnt (vgl. S.70f.), nach Thomas mit Vernunftgründen nicht schlüssig zu beweisen ist und für die er sich auch in Summa contra Gentiles II 37 ausdrücklich auf die Autorität des katholischen Glaubens beruft. Als weitere erst durch Offenbarung zugängliche Wahrheiten in den Büchern I-III können die Gnadenlehre am Ende von Buch III sowie die ebenfalls im dritten Buch ausgeführte Lehre von der visio Dei intellectualis als dem Letztziel des Menschen gelten. Die gesamte

1

Zitiert nach James A.Weisheipl, Thomas von Aquin, 3 2 4 ; vgl. auch 1 2 6 - 1 3 0 .

2

Vgl. jetzt die knappe aber prägnante Darstellung der neueren Diskussion zur Intention der SUMMA CONTRA GENTILES bei Jean-Pierre Torreil, Magister Thomas, 123-125.

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Problematik des Verhältnisses von Vernunft- und Offenbarungswahrheiten in der SUMMA CONTRA GENTILES ist hier nicht zu thematisieren, es muß dennoch darauf hingewiesen werden, weil gerade die zuletzt genannte für die beatitudo-Problematik in besonderer Weise relevante Lehre von der visio beatifica als eine Art , Grenzfall' zwischen beiden Wahrheitsformen gelten kann. Zwar hat Ulrich Kühn mit einem gewissen Recht gegen die Interpretation von Hermann Lais darauf hingewiesen, daß nach den Aussagen der SUMMA CONTRA GENTILES das übernatürliche Ziel des Menschen durchaus mit bloßer Vernunft erkennbar ist3, hinzuzufügen ist jedoch, daß es sich dabei nur um eine vom Glauben erleuchtete bzw. durch die göttliche Offenbarung ,informierte' Vernunft handeln kann, weil sonst nicht erklärbar wäre, warum etwa Aristoteles das wirkliche Letztziel des Menschen verborgen bleiben konnte. - Erst nach seiner Begegnung mit Gottes offenbarendem Wort wird dem Menschen einsichtig, daß auch sein vormaliges Glücksverlangen immer schon auf die ihm nun bekannt gemachte Quelle seiner Beseligung ausgerichtet war. Ausgehend von der zuletzt formulierten Einsicht sollen im folgenden, nach einer Verständigung über den systematischen Ort der beatitudo-Lehre in der SUMMA CONTRA GENTILES und einigen kurzen Hinweisen zu thematischen Schwerpunkten des beatitudo-Traktats in diesem Werk, zwei inhaltliche Aspekte etwas näher beleuchtet werden: Zunächst ist zu zeigen, wie Thomas die Jenseitigkeit der vollkommenen Glückseligkeit gerade auch philosophisch plausibel zu machen sucht; daraufhin soll gefragt werden, in welcher Weise der Mensch seines eigentlichen Letztziels, der eschatologischen Gottesschau, teilhaftig werden kann. (a) Xu Kontext und Struktur des beatitudo-Traktats Die Lehre von der beatitudo umfaßt Summa contra Gentiles III 2563, steht also ungefähr in der Mitte des Gesamtwerks4. Vorausgegangen sind die Lehre von Gott in Buch I und die Lehre vom 3

Vgl. Ulrich Kühn, Via caritatis, 8 4 - 8 7 zu Hermann Lais, Die Gnadenlehre des hl. Thomas in der Summa contra Gentiles und der Kommentar des Franziskus Sylvestris von Ferrara, München 1 9 5 1 , 71ff.

4

Im folgenden wird zitiert nach Thomas von Aquin, Summe gegen die Heiden (lateinisch-deutsch), Band 3, Teil 1 (Buch III, Kapitel 1 - 8 3 ) , herausgegeben und übersetzt von Karl Allgeier, lateinischer T e x t besorgt und mit Anmerkungen versehen von Leo Gerken, Darmstadt 1 9 9 0 (Texte zur Forschung 17). Der Seitenangabe (Allgeier+Seitenzahl) ist jeweils die Abschnittsnummer aus der Marietti-Edition vorangestellt (M.+Abschnittsnummer). Nicht in Band 3/1 der

Z u r beatitudo-Lehre in den frühen theologischen Synthesen

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Hervorgang der Schöpfung aus Gott in Buch II. Buch III behandelt in drei Schritten die Rückkehr aller Dinge zu Gott, sofern dieser als Ziel und Lenker alles Geschaffenen gilt 5 . Im ersten Schritt, innerhalb dessen auch die beatitudo thematisch wird, geht es um Gott als finis (III 2-63), im zweiten und dritten Schritt beschreibt Thomas das regimen Dei universalis (III 64-110) sowie das im Hinblick auf die vernunftbegabten Geschöpfe vollzogene regimen Dei specialis (Gesetz und Gnade: III 111-163) 6 . Die bei der Differenzierung von allgemeiner und besonderer Lenkung vorausgesetzte Unterschiedlichkeit der Geschöpfe spielt bereits bei der Bestimmung von Gott als finis eine wichtige Rolle. Denn nachdem Thomas in III 1-24 im wesentlichen die Intentionalität des Seienden überhaupt und die Hinordnung aller Dinge auf Gott herausgearbeitet hat, beginnt er in Kapitel 25 die Behandlung jenes modus specialis, der die Ausrichtung der geistigen Geschöpfe auf Gott bestimmt. Der Unterschied zur ordinatio universalis besteht darin, daß die geistigen Geschöpfe ihr Letztziel dadurch erreichen, daß sie Gott durch ihre eigene Tätigkeit (per propriam operationem) erkennen. Dieses in der Gotteserkenntnis bestehende Letztziel aber wird, so Thomas, felicitas oder beatitudo genannt 7 . Den Beweis dafür, daß die als ein Akt des intellectus (nicht

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7

Allgeier-Edition enthaltene Stellen aus der SUMMA CONTRA GENTILES werden nach der Marietti-Ausgabe zitiert: Liber de Veritate Catholicae Fidei contra errores Infidelium seu Summa contra Gentiles, Textus Leoninus diligenter recognitus, cura et studio fr. Ceslai Pera OP/Petro Marc OSB/Petro Caramello, TauriniRomae (Marietti) 1 9 6 1 - 1 9 6 7 . Quia ergo in Primo Libro de perfectione divinae naturae prosecuti sumus; in Secundo autem de perfectione potestatis ipsius, secundum quod est rerum omnium productor et dominus: restât in hoc Tertio Libro prosequi de perfecta auctoritate sive dignitate ipsius, secundum quod est rerum omnium finis et rector (Summa contra Gentiles III 1 [M.1867;Allgeier 6]). Erit ergo hoc ordine procedendum: ut primo agatur de ipso secundum quod est rerum omnium finis; secundo, de regimine universali ipsius, secundum quod omnem creaturam gubernat; tertio, de speciali regimine, prout gubernat creaturas intellectum babentes (ebd.). Cum autem omnes creaturae, etiam intellectu carentes, ordinentur in Deum sicut in finem ultimum; ad hunc autem finem pertingunt omnia inquantum de similitudine eius aliquid participant: intellectuales creaturae aliquo specialiori modo ad ipsum pertingunt, scilicet per propriam operationem intelligendo ipsum. Unde oportet quod hoc sit finis intellectualis creaturae, scilicet intelligere Deum ... Ultimus autem finis hominis, et cuiuslibet intellectualis substantiae, ,felicitas' sive ,beatitudo' nominatur: hoc enim est quod omnis substantia intellectualis desiderai tanquam ultimum finem, et propter se tantum. Est igitur beatitudo et felicitas ultima cuiuslibet substantiae intellectualis cognoscere Deum (Summa contra Gentiles III 2 5 [M.2055;Allgeier 96.98/M.2068;Allgeier 104]).

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D i e beatitudo-Lehre des T h o m a s v o n A q u i n

der voluntas: III 26) verstandene eschatologische visio Dei der finis ultimus der creatura intellectualis ist, führt Thomas in zweifacher Weise, nämlich zum einen mit Hilfe von Vernunftgründen (III 25) und zum anderen, wie er selbst sagt, per viam inductionis, indem er nämlich die Unzulänglichkeit anderer Glücksgüter aufweist (III 2737) 8 . Es schließt sich der ausführliche Nachweis an, daß die visio Dei intellectualis für den Menschen in diesem Leben nicht erreicht werden kann (III 38-48). Von Kapitel 49 an wird u.a. näher bestimmt, in welcher Weise sich die visio beatifica durch den geschaffenen Verstand vollzieht, es werden Argumente genannt und widérlegt, die die Möglichkeit der Gottesschau prinzipiell bestreiten, und es wird gezeigt, daß der intellectus creatus sein Letztziel nur mit göttlicher Hilfe erlangen kann. (b) Die Aporetik des philosophischen Glücksbegriffs Als eine für ein angemessenes Verständnis der thomanischen beatitudo-Lehre äußerst wichtige Voraussetzung kann die in der SUMMA CONTRA GENTILES mehrfach hervorgehobene Feststellung gelten, daß eine Glücksfähigkeit nur den substantiae intellectuales zukommen kann 9 . Tiere haben deshalb, wie Thomas in Anlehnung an eine Bemerkung des Aristoteles ausdrücklich sagt, nicht am Glück teil 10 . Die Glückseligkeit ist vielmehr zunächst und in hervorragender Weise eine Eigenschaft Gottes, dessen felicitas in seiner Selbsterkenntnis besteht . Das allen Geschöpfen eigene Streben nach einer assimilatio 8

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Am Ende des zweiten Beweisganges formuliert Thomas: Ex quo etiam patet inductionis via quod supra rationibus est probatum, quod ultima felicitas hominis non consistit nisi in contemplatione Dei (Summa contra Gentiles III 37 [M.2160;Allgeier 138]). Kapitel 27-36 enthalten, wie Norbert Hinske mit Recht hervorgehoben hat, hinsichtlich der Selbstverständigung des Menschen über „seine stillschweigenden Setzungen und seine heimlichen Götter ... ein so schonungsloses Stück .Aufklärung', daß ihnen gegenüber jedes landläufige Verständnis von Aufklärung als Naivität und Harmlosigkeit erscheinen will" (Norbert Hinske, Handeln und Enttäuschung. Überlegungen zu CG III 25ff., in: Paulus Engelhardt [Hg.], Sein und Ethos. Untersuchungen zur Grundlegung der Ethik, Mainz 1963 [WSAMA.P 1], 213-227, hier 221). Auf diesen wichtigen Sachverhalt wird auch hingewiesen bei Norbert Hinske, Handeln und Enttäuschung, 212f. Ammalia irrationabilia non participant aliquid felicitatis: sicut probat Aristoteles in 1 Ethicor. (Summa contra Gentiles III 35 [M.2148;Allgeier 134]); vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik I 10 (1099b32f.): eìkótcos ούν ούτε ßoöv ούτε ΐττττον ούτε άλλο τ φ ν ζφων ούδεν εΰδαιμον λέγομεν. ipse Deus per suam essentiam suam substantiam intelligit, et haec est eius felicitas (Summa contra Gentiles III 51 [M.2289;Allgeier 214]).

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Dei aktualisiert sich von daher im Fall der creatura intellectualis als Streben nach Anteilhabe an der Glückseligkeit Gottes - das natürliche Streben des Menschen nach Glück wird damit von Thomas interpretiert als Ausdruck des Bedürfnisses, dieselbe Glückseligkeit zu genießen, in der Gott glückselig ist und ihn in derselben Weise zu schauen, in der dieser sich selbst schaut 12 . An diesem Glücksbegriff, der einerseits von der Rationalität des Menschen als der differentia specifica gegenüber der übrigen Schöpfung (mit Ausnahme der Engel) ausgeht und andererseits streng theologisch definiert ist, werden von Thomas alle sonst begegnenden Vorstellungen über die felicitas gemessen. So besteht für ihn die als bonum proprium hominis aufgefaßte felicitas deshalb nicht in einem bonum corporis oder in sonst einem primär der Sinnenwelt zuzurechnenden Gut, weil dies ihrer Intellektgebundenheit widersprechen und eine Glücksfähigkeit auch der Tiere implizieren würde: Haec bona (= bona corporis, R.L.) sunt homini et aliis animalibus communia. Felicitas autem est proprium hominis bonum13. Interessanterweise verwendet Thomas dasselbe Argument um zu zeigen, daß die felicitas auch nicht in den Akten der moralischen Tugenden bestehen kann. Diese sind seiner Auffassung nach durchaus nicht exklusiv humanspezifisch. Denn manche Tiere partizipieren offensichtlich an Freigebigkeit oder Tapferkeit und sogar, wie Aristoteles selbst sagt, an Klugheit 14 .

12

In Anlehnung an Prov 9,5 sagt Thomas: Super mensam ergo Dei manducarti et bibunt qui eadem felicitate fruuntur qua Deus felix est, videntes eutn ilio modo quo ipse videt seipsum (aaO [M.2289;Allgeier 216]).

13

Summa contra Gentiles III 3 2 (M.2132;Allgeier 128). Felicitas est proprium hominis bonum. Illud igitur quod est maxime proprium hominis inter omnia bona humana respectu aliorum animalium, est in quo quaerenda est eius ultima felicitas. Huiusmodi autem non est virtutum moralium actus: nam aliqua animalia aliquid participant vel liberalitatis νel fortitudinis ... Non est igitur ultima hominis felicitas in actibus moralibus (Summa contra Gentiles III 3 4 [M.2143;Allgeier 132]). Mit demselben Argument und unter Verweis auf Aristoteles wird in Summa contra Gentiles III 35 (M.2147;Allgeier 134) die prudentia als Letztziel ausgeschlossen (Aristoteles bezeichnet in Metaphysik I 1 [980a27-b2] die mit μνήμη ausgestatteten gegenüber den erinnerungslosen Tieren als φρονιμώτερα). Ein weiteres wichtiges Argument für die Abweisung der Identifizierung von finis ultimus und actus virtutum moralium ergibt sich für Thomas aus der Einsicht, daß alle sittlichen Handlungen auf ein außerhalb ihrer selbst liegendes Ziel orientiert sind, was für die felicitas als finis ultimus nicht gilt: Felicitas enim humana non est ad ulteriorem finem ordinabilis, si sit ultima. Omnes autem operationes morales sunt ordinabiles ad aliquid aliud

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Die Kapitel Summa contra Gentiles III 28-31 befassen sich mit den äußerlichen Gütern (Ehrungen, Ruhm, Reichtümer, Macht). Hier hebt Thomas einerseits die Ambivalenz des jeweiligen bonum hervor: Auch ein Böser kann zu Ehren und Reichtümern kommen, Macht kann mißbraucht werden15. Andererseits betont er die allen äußerlichen Gütern prinzipiell anhaftende unaufhebbare Instabilität - hier kehrt jene schon bei Aristoteles reflektierte, dann bei Augustin mit Nachdruck betonte und auch von Thomas im Sentenzenkommentar verarbeitete Erkenntnis wieder, nach der das höchste Ziel des Menschen nicht der Zufälligkeit der bona fortunae ausgesetzt sein kann 16 . Nachdem Thomas schließlich klargestellt hat, daß die letzte Glückseligkeit des Menschen nur in einer auf das edelste Erkennbare (Gott) bezogenen Verstandestätigkeit bestehen kann17, untersucht er die verschiedenen dem Menschen im Hinblick auf dieses Objekt möglichen Erkenntnisweisen. Dabei kommt er zu dem Schluß, daß keine der in diesem Leben möglichen Formen von Gotteserkenntnis, als deren höchste ihm der Glaube gilt, ihren Gegenstand auch nur annähernd angemessen vergegenwärtigt. Da aber gerade solche Vollkommenheit für die felicitas als finis ultimus gefordert ist, kann die Glückseligkeit des Menschen nicht in diesem Leben bestehen18. Diese (Summa contra Gentiles III 3 4 [M.2139;Allgeier 1 3 0 ] ) . Aus demselben Grund wird dann in III 3 6 ausgeschlossen, daß die felicitas in künstlerischer Tätigkeit besteht. 15

Potest autem aliquis malus honorem consequi (Summa contra Gentiles III 2 8 [M.2109;Allgeier 122]); divitiae ... malis advenire possunt (Summa contra Gentiles III 3 0 [M.2123;Allgeier 126]); Potentia ... aliquis bene et male uti potest (Summa contra Gentiles III 3 1 [M.2127;Allgeier 128]).

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Als Bilanz seiner Ausführungen in Summa contra Gentiles III 2 8 - 3 1 formuliert Thomas: Felicitas igitur hominis in nullo exteriori bono consistit: cum omnia exteriora bona, quae dicuntur ,bona fortunae', sub praedictis contineantur (Summa contra Gentiles III 3 1 [M.2129;Allgeier 1 2 8 ] ) : Ruhm ist wandelbar (nihil enim mutabilius est opinione et laude humana, Summa contra Gentiles III 2 9 [M.2116;Allgeier 124]), Reichtümer können verloren gehen (divitiae involuntarie amittuntur, Summa contra Gentiles III 3 0 [M.2123;Allgeier 1 2 6 ] ) , und der Besitz weltlicher Macht ist vom Zufall abhängig (in ea obtinenda plurimum fortuna possit, Summa contra Gentiles III 31 [M.2124;Allgeier 1 2 6 ] ) .

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... cum oporteat felicitatem esse in operatione intellectus per comparationem ad nobilissima intelligibilia. Relinquitur igitur quod in contemplatione sapientiae ultima hominis felicitas consistât, secundum divinorum considerationem (Summa contra Gentiles III 3 7 [M.2159;Allgeier 1 3 6 . 1 3 8 ] ) .

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Si ergo humana felicitas ultima non consistit in cognitione Dei qua communiter ab omnibus vel pluribus cognoscitur secundum quandam aestimationem confusam, neque iterum in cognitione Dei qua cognoscitur per viam demonstrationis

Zur beatitudo-Lehre in den frühen theologischen Synthesen

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Feststellung, die das wichtige Kapitel Summa contra Gentiles III 48 einleitet, wird in dessen weiterem Verlauf eingehend begründet. Dabei ist vor allem interessant, daß Thomas auch hier wieder die aristotelische εύδαιμονία-Lehre heranzieht, aus der sich nach seiner Interpretation der Gedanke einer nach diesem Leben zu erwartenden in jeder Hinsicht vollkommenen Glückseligkeit zwanglos, ja sogar mit philosophischer Notwendigkeit ergibt. Nach einer aus insgesamt sieben Beweisgängen bestehenden nochmaligen Einschärfung der Differenz zwischen dem Begriff einer felicitas perfecta und dem unter den Bedingungen der conditio humana erreichbaren Glück formuliert Thomas eine Entgegnung, die die prinzipielle Unaufhebbarkeit dieser Differenz behauptet: nec felicitas, secundum suam perfectam rationem, potest hotninibus adesse: sed aliquid ipsius participant, etiam in hac vita19. Diese Auffassung identifiziert er, wie schon im Sentenzenkommentar (vgl. S.lOlf.), als die des Aristoteles. In Nikomachische Ethik I 11 (1101al9-21), einer Stelle, deren Kommentierung durch Thomas noch zu untersuchen ist, habe Aristoteles das dem Menschen erreichbare Glück auf eine felicitas modo humano reduziert20 (vgl. 2.3.2.2; bes. S.144f.). Diese Reduktion hält Thomas jedoch für unangemessen: Das natürliche Verlangen nach einer alles irdisch erreichbare Glück transzendierenden felicitas perfecta kann nicht ins Leere gehen. Denn, so sagt Aristoteles selbst, die Natur tut nichts umsonsr 1 .

in scientiis speculativis, neque in cognitione Dei qua cognoscitur per fidem ... oportet autem in aliqua Dei cognitione felicitatem ultimum poni...: impossibile est quod in hac vita sit ultima hominis felicitas (Summa contra Gentiles III 48 [M.2246;Allgeier 192.194]). 19

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Summa contra Gentiles III 48 (M.2254;Allgeier 198). in I Ethicorum, ubi inquirit (Aristoteles, R.L.) utrum infortunia tollant felicitatem, ostenso quod felicitas sit in operibus virtutis, quae maxime permanentes in hac vita esse videntur, concludit illos quibus talis perfectio in hac vita adest, esse ,,beatos ut homines', quasi non simpliciter ad felicitatem pertingentes, sed modo humano (ebd.). Impossibile est naturale desiderium esse inane: ,natura enim nihil facit frustra' (aaO [M.2257;Allgeier 198]). Thomas bezieht sich hier auf Aristoteles, Über den Himmel I 4 (271a33): ό δέ θεόξ καί ή φύσις ουδέν μάτην ποιοϋσιν. Unter Hinweis auf die Interpretation des zitierten Satzes durch Thomas in dessen EXPOSITIO DE C O E L O stellt Hans Blumenberg mit Recht fest: „Thomas ist tief befriedigt über das Doppelsubjekt dieses Satzes, in dem er ein Hinausgehen über die pure Absichtslosigkeit jenes .unbewegten Bewegers' gegenüber der Welt wahrnehmen zu können glaubt" (Hans Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt [1975], Frankfurt/M. 2 1989, 229).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Entscheidend ist hier, daß Thomas seine Kritik an der εύδαιμονίαLehre des Aristoteles unter Berufung auf Aristoteles selbst begründet: Das vom Philosophen in Über den Himmel I 4 formulierte ,Ökonomieprinzip' (Gottes und) der Natur widerspricht der in Nikomachische Ethik I I I vollzogenen Reduktion des menschlich erreichbaren Glücks. - Könnte der Mensch die Vollform des Glücks nicht erreichen, wäre sein unbestreitbares Begehren danach vergeblich (frustra). Thomas' Gedankengang läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: - Das vollendete Glück muß erreichbar sein (sonst wäre das menschliche Verlangen vergeblich, was unmöglich ist). - Das vollendete Glück ist in diesem Leben unerreichbar (denn zu finden ist es nur in der Erkenntnis Gottes, die irdisch jedoch nur höchst unvollkommen möglich ist). - Das vollendete Glück muß nach diesem Leben erreichbar sein22. Daß diese Erkenntnis für Thomas nicht nur als Ergebnis einer stringenten Argumentation gilt, sondern zugleich etwas Tröstliches hat, wird daran deutlich, daß er von der großen Bedrängnis (angustia) spricht, in der sich aus seiner Sicht all jene befunden haben müssen, denen die Gewißheit einer felicitas perfecta post hanc vitam verschlossen blieb 23 , eine Gewißheit, deren philosophische Plausibilität Thomas nachgewiesen hat und die, wie am Ende des Kapitels unter Verweis auf mehrere Bibelzitate festgehalten wird, letztlich in der Verheißung Gottes gründet (Mt 5,12: ,mercedem' nobis ,in caelis' promittit; Mt 22,30b in Verbindung mit 18,10b: Sancii ,erunt sicut Angeli', qui ,vident semper Deum in caelis')24. (c) Die Erlangung der felicitas perfecta So nachdrücklich Thomas einerseits auf der prinzipiellen Erreichbarkeit des vollkommenen Glücks besteht, so deutlich betont er andererseits, daß die virtus naturalis nicht zur Erlangung der Gottesschau durch den geschaffenen Verstand ausreicht (III 52), sondern daß dieser dafür einer influentia divini luminis bedarf (III 53), ein Gedanke, der schon hier mit der christlichen Gnadenlehre verbunden und 22

Est igitur felicitas ultima hominis post hanc vitam (Summa contra Gentiles III 4 8 [M.2257;Allgeier 1 9 8 ] ) .

23

In quo satis apparet quantam angustiam patiebantur hinc inde eorum ingenia (Summa contra Gentiles III 4 8 [M.2261;Allgeier 2 0 0 ] ) .

24

Summa contra Gentiles III 4 8 (M.2262;Allgeier 2 0 0 . 2 0 2 ) .

praeclara

Zur beatitudo-Lehre in den frühen theologischen Synthesen

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auch in den späteren Ausführungen de gratia divina herangezogen wird 25 . Das entscheidende Argument besteht darin, daß die für die Realisierung der felicitas perfecta erforderliche Verbindung der divina essentia mit dem intellectus creatus 26 nicht von letzterem selbst hergestellt werden kann. Warum nicht? Gott in seinem Wesen zu schauen, ist zunächst ausschließlich das proprium der natura divina. Die natura humana ist dazu von sich aus nicht in der Lage. Weil die Schau des göttlichen Wesens dennoch das Letztziel des Menschen darstellt, ist es erforderlich, daß die divina essentia selbst zur forma intellectus creati wird (Videre autem substantiam Dei impossibile est nisi ipsa divina essentia sit forma intellectus qua intelligit27). Der geschaffene Verstand hat aber von sich aus keine Anlage zur Aufnahme des göttlichen Wesens als seiner Form; diese Kapazität muß, weil die essentia divina eine höhere Form ist als jeder intellectus creatus, von Gott aus hergestellt werden. Die Herstellung dieser Kapazität, durch die eine unio des geschaffenen Verstandes mit der essentia divina möglich wird, faßt Thomas als Veränderung des Verstandes auf. Durch diese Veränderung erlangt der Verstand eine neue Disposition, die ihn über seine natürlichen Kräfte hinausführt und ,lux glorie' genannt wird 28 . Diese Bezeichnung rührt daher, daß wir nomina cognitionis sensibilis auf die cognitio intelligibilis zu übertragen gewohnt sind, wobei Thomas nicht unerwähnt läßt, daß auch Aristoteles den intellectus agens mit dem Licht vergleicht (an der in 2.1.2 erwähnten Stelle aus Über die Seele III 5, vgl. S.71f.) 29 .

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27 28

29

Vgl. Summa contra Gentiles III 147 (3203): Si igitur homo ordinatur in finem qui eius facultatem naturalem excedat, necesse est ei aliquod auxilium divinitus adhiberi supernaturale, per quod tendat in finem. Ad hoc autem quod intellectus creatus videat Dei substantiam, oportet quod ipsa divina essentia copuletur intellectui ut forma intelligibilis (Summa contra Gentiles III 52 [M.2293;Allgeier 216]). Summa contra Gentiles III 52 (M.2292;Allgeier 216). Oportet ... quod fiat augmentum virtutis intellectivae per alicuius novae dispositionis adeptionem (Summa contra Gentiles III 53 [M.2301;Allgeier 222]); lila igitur dispositio qua intellectus creatus ad intellectualem divinae substantiae visionem extollitur, congrue ,lux glorie' dicitur (aaO [M.2302;Allgeier 222]). Quia vero in cognitionem intelligibilium ex sensibilibus pervenimus, etiam sensibilis cognitionis nomina ad intelligibilem cognitionem transumimus: et praecipue quae pertinent ad visum, qui inter ceteros sensus nobilior est et spiritualior, ac per hoc intellectui affinior; et inde est quod ipsa intellectualis

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Diese zunächst auf der Basis einer rationalen Argumentation gewonnenen Ergebnisse werden dann - wiederum am Kapitelende mit entsprechenden biblischen Aussagen verbunden: Von der gerade als notwendig erwiesenen übernatürlichen Erleuchtung des Verstandes ist nach Thomas auch in Ps 3 6 , 1 0 b die Rede, und die ebenfalls in der Bibel begegnende Identifizierung des Logos (Joh 1,9) bzw. Gottes selbst mit dem Licht (I Joh 1,5) wird als Pendant zur vorher philosophisch begründeten Rede von der ,lux gloriae' interpretiert 30 .

2.2.3 Ergebnis und Ausblick Die für den beatitudo-Begriff des Thomas wichtigsten Erkenntnisse, die sich aufgrund des Einblicks in die frühen theologischen Synthesen ergeben haben, sollen im folgenden in vier Punkten zusammengefaßt werden. 1. Die beatitudo bzw. felicitas ist für Thomas grundsätzlich eine eschatologische Größe; sie gilt ihm als der den Seligen im allgemeinen Gericht zugesprochene Lohn. In besonderer Weise deutlich wird dies im Sentenzenkommentar, weil hier die beatitudo im Kontext der Eschatologie behandelt wird, womit Thomas sowohl der Stoffanordnung seiner Vorlage als auch der zu seiner Zeit üblichen Vorgehensweise bei der Darstellung der theologischen Materie folgt. Dieses eschatologisch bestimmte beatitudo-Verständnis, für das er sich, wie seine Kommentierung der Seligpreisungen Jesu belegen wird (2.3.1; S . l l é f f . ) , auf die Heilige Schrift berufen hat, bleibt im Prinzip auch dort erhalten, wo sich der systematische Ort des tractatus de

cognitio ,visio' nominatur. Et quia corporalis visio non completur nisi per lucem, ea quibus intellectualis visio perficitur, ,lucís' nomen assumunt: unde et Aristoteles, in III De anima [Aristoteles, Über die Seele III 5 , 4 3 0 a l 5 , R.L.] intellectum agentem luci assimilai, ex eo quod intellectus agens facit intelligibilia in actu, sicut lux facit quodammodo visibilia actu. Illa igitur dispositio qua intellectus creatus ad intellectualem divinae substantiae visionem extollitur, congrue ,lux gloriae' dicitur: non propter hoc quod faciat intelligibile in actu, sicut lux intellectus agentis, sed per hoc quod facit intellectum potentem actu intelligere (ebd.). 30

Hoc (die lux gloriae, R.L.) autem est lumen de quo in Psalmo dicitur: ,ln lumine tuo videbimus lumen' (aaO [M.2303;Allgeier 222]); Inde est etiam, quia Deo idem esse est quod intellegere, et est omnibus causa intelligendi, quod dicitur esse ,lux' (ebd.; es folgen Hinweise auf die oben genannten Stellen aus Joh sowie I Joh).

Zur beatitudo-Lehre in den frühen theologischen Synthesen

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beatitudine ändert, wie in der SUMMA CONTRA GENTILES und dann auch in der SUMMA THEOLOGIAE. 2. Thomas versteht die beatitudo zwar grundsätzlich als die vollständige Erfüllung aller den Menschen umtreibenden Sehnsüchte, vor allem in der SUMMA CONTRA GENTILES wird aber zugleich deutlich, daß er alles Glücksverlangen letztlich als Ausdruck eines Strebens nach Teilhabe an der Selbsterkenntnis Gottes deutet. Daß Glück für Thomas nicht einfach ein subjektiv-beliebiges Wohlgefühl, sondern ein Bezogensein auf Gott ist, ja ein Hineingenommensein in die Selbsterkenntnis Gottes, bedingt die streng theologische Prägung seines beatitudo-Begriffs. Diese vor allem in 2.4 (S.153ff.) weiter zu vertiefende Einsicht ist, wie sich noch zeigen wird, für das Problem des Eudämonismus in der thomanischen Ethik von großer Bedeutung. 3. Auch wenn die beatitudo im Vollsinn weder in diesem Leben noch mit den natürlichen Möglichkeiten des Menschen erreicht werden kann, hat Thomas die Glückseligkeit keineswegs ausschließlich eschatologisch bestimmt. Auch das unter den einschränkenden Bedingungen des Irdischen mögliche Glück kann als beatitudo gelten zwar nur als ein defizienter Modus der vollkommenen Glückseligkeit, aber durch den Bezug zu dieser definiert. Allerdings besteht er gegen Aristoteles auf der Möglichkeit einer zukünftigen (eschatologischen) Beseitigung der die gegenwärtige felicitas/beatitudo prägenden Defizite. Seine noch zu behandelnde direkte Auseinandersetzung mit der aristotelischen εύδαιμονία-Lehre (2.3.2; S.125ff.) wird noch deutlicher zeigen, daß Thomas diesen Gedanken zwar nicht als identisch, wohl aber als vereinbar mit der Intention des Philosophen angesehen hat. 4. Thomas legt großen Wert auf die Feststellung, daß die beatitudo als der finis ultimus des Menschen von diesem selbsttätig angeeignet wird. Dies wurde vor allem an der im Sentenzenkommentar begegnenden Unterscheidung von beatitudo increata und beatitudo creata deutlich. Aber auch in der SUMMA CONTRA GENTILES hat Thomas hervorgehoben, daß die creatura intellectualis ihr Letztziel durch Eigentätigkeit (per propriam operationem) erlangt. Dabei knüpft er an die von Aristoteles stammende Bestimmung der ευδαιμονία/ beatitudo als einer operatio hominis an. Es wird sich zeigen, daß dieser Aspekt auch in der SUMMA THEOLOGIAE eine wichtige Rolle spielt.

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2 . 3 D i e B e d e u t u n g der T r a d i t i o n f ü r die t h o m a n i s c h e beatitudo-Lehre 2.3.1 Die Seligpreisungen Jesu als omnis plena beatitudo 2.3.1.1 Einleitende Bemerkungen zum Matthäuskommentar des Thomas Indem im folgenden der Kommentar des Thomas zu den Seligpreisungen Jesu vor seiner Analyse des aristotelischen Glücksbegriffs behandelt wird, soll der in der Forschung seit längerer Zeit akzeptierten Auffassung vom Primat der Theologie im thomanischen Denken Rechnung getragen werden. In der Tradition des sog. Neuthomismus war Thomas hauptsächlich als Philosoph und erst in zweiter Linie als Theologe gesehen worden. Ulrich Kühn hat in einem nach wie vor maßgeblichen Forschungsbericht den Weg von dieser Sichtweise zu einem neuen Thomasbild ausführlich dargestellt 1 . Wichtig ist in diesem Zusammenhang die von Etienne Gilson und anderen formulierte Erkenntnis, daß Thomas stets aus einer theologischen Intention heraus Philosophie getrieben hat, weshalb die Philosophie bei ihm nicht selbständig neben der Theologie steht, sondern als wesentlich christliche Philosophie aufzufassen ist. Die Ergebnisse der hier nicht näher zu erläuternden Debatten über die Bedeutung der Christologie oder über das Verhältnis von Metaphysik und Heilsgeschichte im Denken des Thomas, die vorrangig im Zusammenhang mit der Diskussion über den Sinn des Aufbaus der SUMMA THEOLOGIAE geführt worden sind, haben diese Auffassung bestätigt 2 . In der gegenwärtigen Forschung wird der Primat der Theologie im Denken des Thomas weithin als selbstverständlich anerkannt, sowohl im theologischen Bereich 3 als auch dort, wo die philosophiegeschichtliche Bedeutung des Thomas im Vordergrund des Interesses steht 4 .

1

2 3

4

Vgl. Ulrich Kühn, Via caritatis, 19-48 (Kapitel l : „ D e r Weg der Forschung zum Theologen T h o m a s " ) . Vgl. dazu zusammenfassend Otto Hermann Pesch, T h o m a s von Aquin, 3 8 7 - 4 0 0 . Pars pro toto sei hingewiesen auf die Dissertation des niederländischen Theologen H a r m J . M . J . G o r i s , Free Creatures of an Eternal God. T h o m a s Aquinas on God's Infallible Foreknowledge and Irresistible Will, Nijmegen 1996 (Publications of the T h o m a s Instituut te Utrecht, N F 4): „ a b o v e all, Aquinas is a theologian who has received God's Word and seeks to understand and to explain it to others in the light of faith" (6). Vgl. den Beginn des Herausgebervorworts in T h o m a s von Aquin, Prologe zu den

Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre

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Die beatitudo-Lehre kann nun, wie sich noch zeigen wird, durchaus als ein gutes Beispiel für den Vorrang der Theologie im thomanischen Denken gelten. Die Tatsache, daß Thomas gerade in seinem Hauptwerk die Grundlegung der Ethik am Leitfaden des beatitudoBegriffs vollzieht (Summa Theologiae Ia-IIae 1-5), ist zwar immer wieder als theologisch illegitimes Zugeständnis an die aristotelische Philosophie verstanden und kritisiert worden. Die eudämonistische Interpretation seiner beatitudo-Lehre beruht zu einem guten Teil auf dieser Deutung. Dagegen soll hier Wert auf die Feststellung gelegt werden, daß der Ansatz des Thomas letztlich biblisch verankert ist. Zu zeigen ist dies anhand seiner Kommentierung der Makarismen Jesu aus Mt 5, einem Text, in dem das in der Thomas vorliegenden Vulgata mit ,beatus' übersetzte Wort μακάριος in auffälliger Häufung begegnet. Nachdem lange Unklarheit über die Datierung der LECTURA SUPER EVANGELIUM S . M A T T H Ä I bestand, hat sich neuerdings zunehmend die Auffassung durchgesetzt, daß diese Schrift erst während Thomas' zweiter Pariser Lehrtätigkeit entstanden ist, nämlich um 1269/70 5 . Dies ist insofern von Bedeutung, als sich daraus ein ungefährer zeitlicher Zusammenhang mit der Abfassung von Summa Theologiae II ergibt, ein Zusammenhang, der sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch für die Kommentierung der NIKOMACHISCHEN ETHIK nachweisen läßt. Die für die thomanische beatitudo-Lehre als maßgeblich vorauszusetzenden Ausführungen in Summa Theologiae Ia-IIae 1-5 sind demnach auf der Grundlage einer intensiven Auseinandersetzung des Thomas sowohl mit den theologischen als auch mit den philosophischen Traditionen des Glückseligkeitsbegriffs entstanden. Der in den bislang vorliegenden gedruckten Ausgaben enthaltene Text des Matthäuskommentars kann leider nur mit großen Vorbehalten als authentisch bezeichnet werden. Dem ersten Herausgeber, Bartholomäus von Spina, lag nämlich nur ein unvollständiger Text Aristoteleskommentaren (lateinisch-deutsch), herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Francis Cheneval und Ruedi Imbach, Frankfurt/M. 1993 (Klostermann Texte. Philosophie): „Thomas von Aquin ist ein Theologe; wer ihn nicht als Theologen versteht oder interpretiert, versteht ihn falsch: Diese These wird von der neueren Thomasforschung seit E . G I L S O N und M.-D.CHENU mit Vehemenz vertreten und praktiziert. Der vorliegende Band bestreitet die Legitimität und die Pertinenz dieser These nicht, aber er setzt andere Akzente" (IX). In jüngster Zeit wird die Spätdatierung vertreten von Bénézet Bujo, Moralautonomie und Normenfindung bei Thomas von Aquin, 72-75 und Jean-Pierre Torreil, Magister Thomas, 76.353.

118

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

vor. Er hat deshalb in seiner (bislang allen Ausgaben zugrunde gelegten) Edition von 1 5 2 7 die Lücken unter Zuhilfenahme eines Kommentars aufgefüllt, der von dem am Ende des 13.Jahrhunderts lebenden Dominikaner Peter von Scala stammt 6 . Die nicht authentischen Passagen betreffen zwar auch einen großen Teil der Kommentierung der Bergpredigt, nicht aber den hier zur Debatte stehenden Abschnitt aus der thomanischen Interpretation der Seligpreisungen (Mt 5,1-8) 7 . Allerdings gehen auch die nicht interpolierten Passagen des Matthäuskommentars lediglich auf eine von Petrus von Andria und Leodegarius Bissuntinus angefertigte Mitschrift der entsprechenden Vorlesung des Thomas zurück. Dennoch kann davon ausgegangen werden, daß der Text, auf dem die folgenden Analysen beruhen, die Intention des Thomas im großen und ganzen angemessen wiedergibt 8 . 2 . 3 . 1 . 2 Die thomanische Interpretation der matthäischen Makarismen Die Kapitel 5-7 des Matthäusevangeliums werden von Thomas als Darstellung der doctrina Christi aufgefaßt, die, nach einer kurzen Einführung (Mt 5,1.2), in Vers 3 beginnt. In den drei Kapiteln ist, wie Thomas im Anschluß an Augustin feststellt, alles enthalten, was für die Vollkommenheit unseres Lebens von Bedeutung ist 9 . Das

6

Vgl. Jean-Pierre Torreil, Magister Thomas, der vom „skrupellosen Eifer des ersten Herausgebers" spricht (77). Allerdings wurde vor vier Jahrzehnten ein Exemplar des Matthäus-Kommentars gefunden, das den vollständigen Text enthält und einer zu erwartenden kritischen Ausgabe zugrunde gelegt wird (vgl. aaO, Iii.).

7

Als verfälscht gilt der Kommentar zu M t 5 , 1 1 - 6 , 8 ; 6 , 1 4 - 1 9 (vgl. a a O , 7 7 . 3 5 3 sowie Bénézet Bujo, Moralautonomie und Normenfindung bei Thomas von Aquin, 7 4 ) .

8

Im folgenden ist die Marietti-Ausgabe des Mt-Kommentars zugrunde gelegt: Thomas von Aquin, Super Evangelium S.Matthaei Lectura, cura P. Raphaelis Cai O.P., Taurini-Romae (Marietti) 5 1951.

9

Considerandum autem, quod secundum Augustinum in isto sermone Domini tota perfectio vitae nostrae continetur (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [403]). Thomas bezieht sich hier auf Augustine Schrift DE SERMONE DOMINI IN MONTE (ca. 3 9 4 ) : Sermonem quem locutus est Dominus noster Jesus Christus in monte, sicut in Evangelio secundum Matthaeum legimus, si quis pie sobrieque consideraverit, puto quod inveniet in eo, quantum ad mores optimos pertinet, perfectum vitae christianae modum (I 1, M P L 3 4 , 1 2 2 9 f . ; CChr.SL 35,1:3-7).

Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre

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aber, so Thomas weiter, was der Mensch in höchstem Maße begehrt, was also sein Leben vollkommen machen kann, ist die beatitudo. Diese wird deshalb von Jesus (in 5,3-16) als verheißener Lohn (praemium) derer beschrieben, die die doctrina Christi annehmen, wobei Thomas hier noch einmal zwischen den Befolgern (observantes) und den Dienern (ministri) dieser Lehre unterscheidet: An letztere sind, über das in 5,3-10 Gesagte hinaus, noch die Verse 11-16 gerichtet 10 . Die Seligpreisungen der Verse 3-10 beschreiben nun nach Thomas, worin das vom Menschen stets begehrte Glück in seiner ganzen Fülle besteht: in istis verbis includitur omnis plena beatitudon. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß der Grad der Übereinstimmung mit dem Inhalt der matthäischen Seligpreisungen zugleich als Norm für die Richtigkeit aller anderen beatitudo-Konzeptionen gelten kann. Und tatsächlich prüft Thomas von den Makarismen her den Wahrheitsgehalt der übrigen denkbaren Auffassungen bezüglich der beatitudo. Eine solche Analyse stellt er im Matthäuskommentar seiner Literalexegese voran 12 und führt ihn auch (in etwas anderer Weise) in der SUMMA THEOLOGIAE im Zusammenhang mit der Frage durch, ob die beatitudines angemessen aufgezählt werden 13 . Zunächst führt Thomas vier Meinungen über die beatitudo an: Das Glück sehen manche in äußeren Gütern ([1] in exterioribus), manche in der Befriedigung aller Neigungen ([2] in satisfactione appetitus), andere in den Tugenden des tätigen Lebens ([3] in virtutibus vitae activae) und wieder andere, z.B. Aristoteles, in denen 10

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12 13

Während sich nach Thomas die matthäischen Seligpreisungen entweder an die Menschen richten, die die Lehre Jesu erfaßt haben und sie befolgen oder gar an diejenigen, die seiner doctrina dienen, sie also lehren und weiterverbreiten, zielen die Makarismen im Lukas-Evangelium laut Thomas auf das einfache Volk (ad turbam), dessen begrenzte capacitas es nicht erlaubt, die ganze Fülle der beatitudo darzustellen (vgl. Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [400.403] sowie Summa Theologiae Ia-IIae 69,3ad6). Aus diesem Grund gibt Thomas den beatitudines aus Mt 5 den Vorzug gegenüber denen aus Lk 6. Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 (404); in der S U M M A T H E O L O G I A E begründet Thomas seine Auffassung, nach der die in der Bergpredigt enthaltenen Makarismen eine vollständige Beschreibung des dem Menschen von Gott her verheißenen Glücks darstellen, mit dem Hinweis darauf, daß alle anderen Makarismen der Bibel auf die der Bergpredigt rückführbar seien: dicendum quod necesse est beatitudines omnes quae in sacra Scriptura ponuntur, ad has reduci (Summa Theologiae Ia-IIae 69,3ad4). Vgl. Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 (404-408). Vgl. Summa Theologiae Ia-IIae 69,3: utrum convenienter enumerentur beatitudines.

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

des beschauenden Lebens ([4] in virtutibus contemplativae vitae) 14 . Indem Thomas die ersten sieben Seligpreisungen den genannten Auffassungen zuordnet, zeigt er, daß all diese Auffassungen von Jesus als auf je spezifische Weise falsch erwiesen werden 16 . Diese Zuordnung ist im Anhang in Übersicht 1 dargestellt. An dieser Einteilung der Seligpreisungen verdient ein Aspekt besondere Beachtung, der aus der tabellarischen Übersicht nicht hervorgeht: Thomas unterscheidet Jesu Ablehnung der Glücksauffassungen (1) und (2) ausdrücklich von der Kritik an den Meinungen (3) und (4). Die Standpunkte (1) und (2) sind schlichtweg falsch und werden von Jesus klar zurückgewiesen. Diejenigen, die die beatitudo in der vita activa erblicken (3), irren zwar auch, aber in geringerem Maße. Denn Jesus zeigt nach Thomas die vita activa als auf die beatitudo plena hingeordnet 17 . Denn die Tugenden des bürgerlichen Lebens sind zum einen auf die Reinheit des Herzens ausgerichtet (munditia cordis; 5,8), in der das für die Erlangung der beatitudo erforderliche Selbstverhältnis besteht. Zum anderen besteht ihr Ziel in der Friedfertigkeit (pacificatio; 5,9) als dem für die Erlangung der beatitudo erforderlichen Verhältnis zum Nächsten. Zur Herstellung des rechten Selbstverhältnisses tragen also offenbar die von Aristoteles in den Büchern II bis IV der NIKOMACHISCHEN ETHIK behandelten ethischen Tugenden bei, deren Funktion nach Thomas die Überwindung der Leidenschaften (vincere passiones) ist; im Matthäuskommentar wird als ein Beispiel die Tugend der Maßhaltung (temperantia) genannt. Das für die Erlangung der beatitudo erforderliche Verhältnis zum Nächsten wird durch die Tugend der Gerechtigkeit bewirkt 18 , die schon Aristoteles in Nikomachische Ethik V 3 als eine 14 15

16

17

18

Vgl. Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 (404). Der achte Makarismus (Mt 5,10) ist nach seiner Auslegung eine Bekräftigung der (vorangegangenen sieben) beatitudines, die deren Vollkommenheit unterstreicht (vgl. Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [414.443] sowie Summa Theologiae I a -II ae 69,3ad5). Omttes autem istae opiniones falsae sunt: quamvis non eodem modo. Onde Dominus omnes reprobat (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [404]). et tili qui ponunt beatitudinem in exteriori affluentia, et qui in satisfactione appetitus, errant (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [406]); Illi autem qui ponunt beatitudinem in actibus activae vitae, scilicet moralibus, errant; sed minus, quia illud est via ad beatitudinem. Unde Dominus non reprobat tamquam malum, sed ostendit ordinatum ad beatitudinem (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [407]). (actus vitae activae, R.L.) νel ordinantur ad seipsum, sicut temperantia et huiusmodi, et finis eorum est munditia cordis, quia faciunt vincere passiones; ν el

Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre

121

Tugend bestimmt hat, die auf den anderen gerichtet ist: προς ετερον (1129b27).

Noch zurückhaltender fällt nach Thomas die Abweisung der opinio (4) aus, also die Kritik an jener von Aristoteles stammenden Ansicht, das höchste dem Menschen erreichbare Glück bestehe in der vita contemplativa. Thomas stellt sogar fest, daß die aristotelische Auffassung der doctrina Domini zufolge prinzipiell richtig ist. Er erblickt die grundsätzliche Bestätigung dieser opinio durch Jesus in 5,8b: ipsi Deum videbunt. Die hier verheißene Gottesschau entspricht nach Thomas durchaus der von Aristoteles als Maximalform menschlichen Glücks beschriebenen Betrachtung des Ewigen. Auch die aristotelische Auffassung, nach der das höchste Glück stets mit Freude verbunden ist, findet Thomas in der Bergpredigt wieder: Für die delectado steht die in 5,9b verheißene Gottessohnschaft19. Der Irrtum der aristotelischen Lehre aber besteht hinsichtlich der Zeit (quantum ad tempus), denn, so Thomas, Jesus gebraucht bewußt das Futur ,videbunt' und nicht die Präsensform ,vident', um auf die gegenwärtig noch ausstehende und erst eschatologisch erreichbare beatitudo ipsa zu verweisen20. Während also die Vertreter der 3.opinio den Weg zur beatitudo mit dieser selbst verwechseln, verwechseln die Vertreter der 4.opinio die in diesem Leben bereits mögliche Verwirklichung der beatitudo mit der erst nach diesem Leben erreichbaren beatitudo ipsa. An die Konfrontation der verschiedenen Glücksvorstellungen mit den Makarismen der Bergpredigt schließt sich im Matthäuskomordinatur ad alterum, et sic finis eorum est pax, et huiusmodi: opus enim iustitiae est pax (ebd.); bei der letzten Bemerkung handelt es sich um eine Anspielung auf Jes 32,17a. 19

20

ad hoc quod actus contemplativi faciant beatum, duo requiruntur: unum substantialiter, scilicet quod sit actus altissimi intelligibilis, quod est Deus; aliud formaliter, scilicet amor et delectatio: delectatio enim perficit felicitatem, sicut pulchritudo iuventutem. Et ideo Dominus duo ponit ,Deum videbunt' et ,Filii Dei vocabuntur': hoc enim pertinet ad unionem amoris (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [408]). Non dicit .vident', quia hoc esset ipsa beatitudo (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [407]); Illorum autem opinio qui dicunt quod beatitudo consistit in contemplatione divinorum, reprobat Dominus quantum ad tempus, quia alias vera est, quia ultima felicitas consistit in visione optimi intelligibilis, scilicet Dei: unde dicit, Videbunt' (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [408]); Et notandum quod ista praemia, quae Dominus hic tangit, possunt dupliciter haberi, scilicet perfecte et consummate, et sie in partía tantum: et secundum inchoationem et imperfecte, et sic in via (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [413]).

122

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

mentar noch eine Reihe allgemeiner Bemerkungen an, mittels derer Thomas sein Verständnis der beatitudines Jesu präzisiert. Hatte er bereits einleitend darauf hingewiesen, daß die Seligpreisungen im ganzen als verheißener Lohn (praemium) derer zu verstehen sind, die die doctrina Christi annehmen, so macht er jetzt darauf aufmerksam, daß jeder einzelne Makarismus sowohl ein praemium als auch ein für dessen Erlangung notwendiges Verdienst (meritum) enthält21. Die zu den merita führenden menschlichen Handlungen gehen nach Thomas aus festen Dispositionen hervor. Als solche gelten ihm in besonderer Weise die Tugenden (virtutes). Dieser der aristotelischen Philosophie entstammende und in der SUMMA THEOLOGIAE ausführlich behandelte Zusammenhang wird im Matthäuskommentar zwar nicht ausdrücklich dargestellt, ist aber offensichtlich vorausgesetzt. Andernfalls bliebe unverständlich, aus welchem Grund sich Thomas bei der nun folgenden Erläuterung des meritum-Begriffs auf den Tugendgedanken bezieht: Was das meritum betrifft, so ist daran zu erinnern, daß Aristoteles zwei Gattungen der virtus unterscheidet22. Im Anschluß an eine Bemerkung des Philosophen in der NIKOMACHISCHEN ETHIK macht Thomas hier geltend, daß es neben der normalen Tugend, durch die der Mensch im Rahmen seiner Möglichkeiten vervollkommnet wird, auch eine die menschlichen Anlagen überschreitende Tugendart gibt, quae perficit supra humanum modum ...et istae virtutes vocantur divinae . Die in den beatitudines aus Mt 5 benannten verdienstlichen Handlungen gehen allerdings nicht direkt aus diesen göttlichen Tugenden hervor, sondern entstammen entwe21

in istis beatitudinibus quaedam ponuntur ut merita, et quaedam ut praemia: et hoc in singulis. ,Beati pauperes spiritu': ecce meritum; ,quoniam ipsorum est regnum caelorum': ecce praemium, et sie in aliis (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, C a p u t 5 [ 4 0 9 ] ) .

22

Circa meritum sciendum, quod Philosophus distinguit duplex genus virtutis (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [ 4 1 0 ] ; vgl. auch 4 1 1 : merita autem beatitudinis sunt actus virtutem). Die Verbindung der in den Seligpreisungen enthaltenen merita mit dem Tugendbegriff ist deshalb von großer Bedeutung, weil sie für T h o m a s den Ausgangspunkt für die Herausarbeitung des Literalsinnes der sieben Makarismen aus M t 5 , 3 - 9 bildet: Virtus removet ... a malo (Makarismen 1 - 3 , R . L . ) , operatur et facit operari bonum (Makarismen 4 . 5, R.L.), et disponit ad optimum (Makarismen 6. 7, R . L . ; Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [ 4 1 4 ] ) .

23

Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 ( 4 1 0 ) . Z u Aristoteles' Hinweis auf eine heroische und göttliche Tugend (άρετή ήρωτική καί θεία) in Nikomachische Ethik VII 1 ( 1 1 4 5 a l 5 - 2 2 ) vgl. T h o m a s ' Interpretation: In Decern Libros Aristotelis ad N i c o m a c h u m Expositio VII 1 ( 1 2 9 8 - 1 3 0 0 ) .

Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre

123

der unmittelbar den Gaben des Heiligen Geistes (vgl. Jes 11,2), oder sie werden durch diese dona Spiritus Sancti vervollkommnet 24 . Die in den göttlichen Tugenden bzw. in den Geistesgaben gründenden Handlungen sind nun zugleich, so Thomas weiter, diejenigen tugendhaften Handlungen, die auch das Gesetz vorschreibt25. Mit diesen vom Gesetz vorgeschriebenen Handlungen sind die von Mt 5,17 an ausgeführten Vorschriften des Gesetzes Christi gemeint, die nach Thomas den zweiten Hauptteil der matthäischen Darstellung der doctrina Christi umfassen. Der Abschnitt Mt 5,17-7,6 bringt demnach für Thomas zu den merita der Seligpreisungen nichts substantiell Neues hinzu 26 - ein Beleg dafür, daß er tatsächlich in den Makarismen den eigentlichen Kern der Lehre Jesu erblickt hat. An diese allgemeinen Bemerkungen zum Verdienst schließen sich nun einige Ausführungen zum Lohn (praemium) an. Hatte Thomas eingangs betont, daß es die von allen Menschen ersehnte beatitudo ist, die Jesus den ihm Nachfolgenden als Lohn verheißt, so stellt er 24

25

26

Ista merita vel sunt actus donorum, vel actus virtutum secundum quod perficiuntur a donis (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [410]). Die Notwendigkeit solcher Vervollkommnung bezieht sich, wie Thomas in der SUMMA THEOLOGIAE in extenso darstellt, in besonderer Weise auf die virtutes theologicae infusae, da diese nicht im Vollbesitz des Menschen sind, weshalb er ihnen gemäß nur handeln kann, wenn er von außen dazu bewegt wird - wie der Mond - im Gegensatz zur Sonne - nur als Erleuchteter leuchtet (vgl. Summa Theologiae I a -II ae 68,2c). Andererseits sind die virtutes theologicae im Unterschied zu den virtutes morales et intellectuales den dona vorzuziehen (vgl. Summa Theologiae I a -II ac 68,8c), und ohne caritas, durch die der Heilige Geist in uns wohnt, können wir der dona gar nicht teilhaftig werden (vgl. Summa Theologiae I a -II ae 68,5c). Item nota quod actus virtutum sunt illi de quibus lex praecipit (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [411]). „Die verheißenen ,praemia' der Seligpreisungen gelten ... im Hinblick auf die ganze Bergpredigt. Wenn ihnen speziell bestimmte besondere merita, die als actus virtutum den Bestimmungen des neuen Gesetzes unterliegen, zugeordnet sind, die übrigen gesetzlichen Bestimmungen (praecepta: von c.5,17 an) aber ebenfalls auf die .praemia' in den Seligpreisungen hingeordnet sind, dann ist der Schluß naheliegend, daß alle ab 5,17 aufgestellten praecepta des neuen Gesetzes in den ,merita' der ,beatitudines' zusammenlaufen und gleichsam in ihnen auf die ,praemia' ausgerichtet sind - ebenso wie das alte Gesetz in den Zehn Geboten zusammenlief" (Ulrich Kühn, Via caritatis, 80f.). Der Hinweis auf die Parallele zum Dekalog stammt, wie Kühn auch belegt, von Thomas selbst: sicut Moyses primo proposuit praecepta, et post multa dixit, quae omnia referebantur ad praecepta proposita: ita Christus in doctrina sua, primo praemisit istas beatitudines, ad quas omnia alia reducuntur (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [411]).

124

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

jetzt sowohl unter Heranziehung mehrerer Schriftstellen als auch unter Hinweis auf Augustin heraus, daß diese von Jesus verheißene beatitudo als beatitudo in Gott verstanden werden muß, da alles menschliche Sehnen einzig in Deo voll erfüllt ist: Deus est praemium eorum qui ei serviunt ... Homines autem diversa quaerunt; sed quidquid inveniri potest in qualibet vita, totum Dominus repromisit in Deo27. Diese Feststellung, daß die Vollform der beatitudo als Sein bei Gott aufzufassen ist, führt jedoch zu einem Problem. Denn es ist klar, daß die so verstandene beatitudo noch nicht im irdischen (in via), sondern erst im jenseitigen Leben (in patria) erreichbar ist. Daraus ergibt sich aber, daß sie aus der Perspektive dieses Lebens gar nicht hinreichend beschrieben werden kann und daß deshalb das in den Seligpreisungen Jesu Gesagte unter den Bedingungen dieses Lebens gar nicht voll erfaßbar ist. Thomas hat dieser Schwierigkeit bereits an anderer Stelle dadurch Rechnung getragen, daß er ausdrücklich erklärt, ein angemessenes Verständnis der Worte Jesu sei nicht wirklich möglich28. Auch in der Literalexegese zu den einzelnen Makarismen wird er an mehreren Stellen darauf verzichten, sich jeweils auf eine Erklärung zu beschränken und andere Deutungen als falsch zurückzuweisen. Thomas löst das beschriebene Problem im Anschluß an Augustin und unter Berufung auf die Bibel: Auch wenn sich der verheißene Lohn auf das jenseitige Leben bezieht, kann er legitimerweise in irdischen Kategorien beschrieben werden. Denn da nach Lk 17,21 das Reich Gottes in den Gläubigen bereits Wirklichkeit ist, hat in ihnen das als zukünftig Verheißene bereits angefangen. Die in den beatitudines Jesu verheißenen praemia sind deshalb nicht ausschließlich als jenseitig aufzufassen, sondern die beatitudo der Gläubigen kann bereits als gegenüber dem eschatologischen Glück noch unvollendeter Anbruch der beatitudo plena aufgefaßt werden29.

27

Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 ( 4 1 2 ) .

28

numquam aliquis in verbis Domini posset ita subtiliter loqui, quod pertingeret ad propositum Domini (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [ 4 0 4 ] ) .

29

Et notandum quod ista praemia, quae Dominus hic tangit, possunt dupliciter haberi, scilicet perfecte et consummate, et sic in patria tantum: et secundum inchoationem et imperfecte, et sic in via. Onde sancii habent quamdam inchoationem illius beatitudinis (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [ 4 1 3 ] ; vgl. zur Frage der Beziehbarkeit der Makarismen auf dieses Leben auch Summa Theologiae I M I " 6 9 , 2 , wo die Argumentation i.ii. klarer ist als im Matthäus-Kommentar).

Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre

125

Im Rückblick auf die thomanische Kommentierung der Makarismen Jesu nach Matthäus fällt zunächst auf, daß die Gründe, derentwegen der Begriff der beatitudo eine so wichtige Rolle im Denken des Thomas spielt, offensichtlich vorrangig theologischer Art sind. Nicht durch das Studium der NIKOMACHISCHEN ETHIK, sondern in erster Linie durch das Zeugnis der Heiligen Schrift und die vorwiegend durch das augustinische Denken repräsentierte theologische Tradition ist Thomas dazu veranlaßt worden, die beatitudo als ein zentrales Thema der christlichen Theologie aufzufassen, bildet sie doch in Mt 5 das Hauptmotiv der doctrina Domini. Alle anderen Vorstellungen vom Glück, die des Aristoteles eingeschlossen, werden vom biblisch-christlichen Zeugnis her beurteilt und davon ausgehend entweder grundsätzlich verworfen oder relativiert. Allerdings kommt nach Thomas die aristotelische Auffassung, nach der sich das höchste für den Menschen erreichbare Glück in der vita contemplativa verwirklicht, bereits sehr nahe an die christliche Vorstellung einer alles menschliche Sehen erfüllenden beatitudo heran. Wie diese bemerkenswert positive Einschätzung einer heidnischen Glücksphilosophie durch den christlichen Theologen zustande kommen konnte, ist im folgenden Abschnitt darzustellen.

2.3.2 Die aristotelische ευδαιμονία als beatitudo imperfecta 2.3.2.1 Einleitende Bemerkungen zum Ethikkommentar des Thomas Die Aristoteleskommentare des Thomas sind bislang in weit geringerem Maße Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen als die SUMMA THEOLOGIAE, die SUMMA CONTRA GENTILES oder die QUAESTIONES DISPUTATAE. Mehr oder weniger detaillierte Ausführungen zu den Kommentaren im allgemeinen finden sich entweder in Form von eigens diesem Thema gewidmeten Aufsätzen1 oder in Gestalt eines

V o n besonderer Bedeutung ist der zuerst 1 9 1 4 in französischer Sprache erschienene und für die deutschsprachige Veröffentlichung erweiterte und überarbeitete Aufsatz von Martin Grabmann, Die Aristoteleskommentare des heiligen T h o m a s von Aquin, in: ders., Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen zur Geschichte der Scholastik und Mystik I, München 1 9 2 6 , 2 6 6 - 3 1 3 ; weiter wichtig: Joseph Owens, Aquinas as Aristotelian Commentator, in: St. Thomas Aquinas ( 1 2 7 4 1 9 7 4 ) . Commemorative Studies I, T o r o n t o 1 9 7 4 , 2 1 3 - 2 3 8 .

126

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Kapitels im Rahmen von Monographien zur Lehre des Thomas 2 . Allerdings gehen diese Darstellungen naturgemäß nur partiell in die Tiefe, weshalb es an differenzierteren Untersuchungen vielfach noch fehlt. Gemessen an diesem Gesamtbefund ist die spezielle Situation hinsichtlich des Kommentars zur NIKOMACHISCHEN ETHIK günstig. Aus dem Jahre 1952 stammt eine erste größere Untersuchung zum thomanischen Ethikkommentar 3 . Knapp drei Jahrzehnte jünger sind zwei weitere wichtige Arbeiten zum selben Gegenstand: Ein Vergleich zwischen der thomanischen und der aristotelischen Ethik 4 und eine von Hermann Kleber stammende ausführliche Behandlung des Ethikkommentars im Rahmen seiner schon erwähnten umfassenden Darstellung der Philosophie des Glücks bei Thomas 5 . Nach Kleber ist die NIKOMACHISCHE ETHIK des Aristoteles für Thomas deshalb von Bedeutung, weil er hier eine Theorie menschlichen Glücks vorfindet, die sich aus christlicher Perspektive als eine Theorie unvollkommenen Glücks interpretieren läßt, an die die theologische Behandlung der beatitudo post hanc vitam sinnvoll anknüpfen kann. Klebers These, die durch überaus gründliche Textanalysen gewonnen ist, bietet die m.E. bislang beste Deutung des Ethikkommentars. Schließlich ist am Ende dieses knappen Einblicks in die Literatur zu Thomas' Kommentierung der NIKOMACHISCHEN ETHIK noch ein kurzer Aufsatz von Vernon J. Bourke zu erwähnen, in dem ein neues (unten noch anzusprechendes) Argument in die Diskussion über die Datierung des thomanischen Ethikommentars eingebracht wird 6 . Untersuchungen zum Ethikkommentar können sich seit 1969 auf eine solide Textgrundlage stüzen. In diesem Jahr ist mit dem von René-Antoine Gauthier edierten Band XLVII (zwei Teilbände) der

2

3

4

5 6

Vgl. bes. Marie-Dominique Chenu, Das Werk des heiligen Thomas von Aquin, 229-254 (6.Kapitel: „Die Kommentare zu Aristoteles und Dionysios") sowie neuerdings Jean-Pierre Torreil, Magister Thomas, 239-260 (Kap.XII: „Der Aristoteleskommentator" ). Harry V. Jaffa, Thomism and Aristotelianism. A Study of the Commentary by Thomas Aquinas on the Nicomachean Ethics, Chicago 1952; vgl. dazu Klaus Ohler, Thomas von Aquin als Interpret der aristotelischen Ethik, in: PhR 5 (1957), 135-152, bes. 144-152. Vgl. Dimitrios Papadis, Die Rezeption der Nikomachischen Ethik des Aristoteles bei Thomas von Aquin. Eine vergleichende Untersuchung, Frankfurt/M. 1980. Vgl. Hermann Kleber, Glück als Lebensziel, 55-131. Vgl. Vernon J. Bourke, The Nicomachean Ethics and Thomas Aquinas, in: St. Thomas Aquinas (1274-1974). Commemorative Studies I, Toronto 1974, 239259.

D i e Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre

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Editio Leonina eine hervorragende kritische Ausgabe erschienen, die den älteren von Spiazzi besorgten Text der Marietti-Edition ersetzt. Allerdings wird letzterer dadurch nicht überflüssig, da die traditionelle Gliederung des Textes in durchnumerierte Abschnitte, die sich in der Marietti-Ausgabe findet, leider in den Leonina-Text nicht übernommen, sondern durch ein weniger übersichtliches, auf Zeilenzählung basierendes System ersetzt wurde 7 . Ein wichtiges Verdienst der Leonina-Ausgabe, namentlich des ihr vorausgeschickten ausführlichen Vorworts, besteht in der Klärung zahlreicher textkritischer Fragen, besonders solcher hinsichtlich der Thomas vorliegenden lateinischen Version der NIKOMACHISCHEN ETHIK. Von Bedeutung ist dabei vor allem die durch aufwendige Textvergleiche untermauerte Feststellung, daß Thomas keinesfalls mit einer durch Wilhelm von Moerbecke revidierten und schon gar nicht mit einer von diesem neu angefertigten Übersetzung der NIKOMACHISCHEN ETHIK aus dem Griechischen arbeitete, sondern lediglich eine schlechte Überarbeitung der etwa 1246/47 entstandenen Übersetzung des Oxforder Kanzlers und Bischofs von Lincoln, Robert Grosseteste, zur Verfügung hatte, also bloß im Besitz eines codex contaminatus et corruptus war 8 . Zu welchem Zeitpunkt der Ethikkommentar entstanden ist, darüber gingen die Meinungen lange auseinander. Den Vertretern einer Frühdatierung (Entstehungszeit zwischen den Parisaufenthalten) standen die einer Spätdatierung gegenüber (Entstehung während des

7

Wenn im folgenden aus dem Kommentar zitiert wird, ist stets der neuere Leonina-Text zugrunde gelegt, dem bis in seine orthographischen Besonderheiten hinein gefolgt wird: Sententia Libri Ethicorum, cura et studio fratrum Praedicatorum (Sancti Thomae de Aquino Opera omnia iussu Leonis XIII P.M. edita, Tomus XLVII 1.2), Romae ad Sanctae Sabinae 1969. Der Zeilenangabe nach dieser Edition (L.+Zeilennummer) ist jeweils die Abschnittsnummer aus der Marietti-Ausgabe vorangestellt (M.+Abschnittsnummer): In Decern Libros Aristotelis ad Nicomachum Expositio, cura et studio P. Fr. Raymundi M. Spiazzi OP, Taurini-Romae (Marietti) 1949. An dieser Ausgabe hatten sich die bisherigen Hinweise auf Thomas' Ethikkommentar orientiert (1.3 Anm.68 [S.58]; 2.2.1 Anm.16 [S.101]; 2.3.1 Anm.23 [S.122]).

8

So Gauthier in seiner Praefatio zur Leonina-Ausgabe der Sententia Libri Ethicorum (Leonina XL VII/1,1*-275*, hier 232*-234*). Während Chenu für die durch Gauthier endgültig zurückgewiesene Auffassung steht, daß die von Thomas benutzte Revision der Grosseteste-Übersetzung von Wilhelm von Moerbecke stammen muß (vgl. Marie-Dominique Chenu, Das Werk des heiligen Thomas von Aquin, 245), hatte bereits Grabmann Zweifel an dieser These geäußert; vgl. Martin Grabmann, Die Aristoteleskommentare des heiligen Thomas von Aquin, 276-281.

128

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

1269 begonnenen zweiten Parisaufenthalts). Seit den 70er Jahren hat die Spätdatierung immer mehr Zuspruch gefunden. Dies hängt vor allem zusammen mit einigen von Gauthier aufgewiesenen inhaltlichen Übereinstimmungen von Passagen des Ethikkommentars mit der Secunda Secundae der SUMMA THEOLOGIAE, deren Entstehung unbestritten in die Zeit nach 1270 gehört. Dagegen spricht allerdings die enorme Menge von Schriften, die dann in die wenigen Jahre der zweiten Pariser Lehrtätigkeit fallen würden. Um diesen Zeitraum ein wenig zu entlasten, hat Bourke für den Ethikkommentar die Trennung von Entstehung und Redaktion vorgeschlagen 9 , wobei erstere den Vertretern der Früh- und letztere denen der Spätdatierung gerecht wird. Als textinternen Beleg für die Richtigkeit seiner Auffassung führt Bourke noch den niedrigen Schwierigkeitsgrad des Ethikkommentars an und weist auf die vergleichsweise geringe Einbeziehung anderer Kommentatoren hin. Diese Besonderheiten können erklärt werden, wenn man davon ausgeht, daß Thomas seine lectiones ursprünglich für Novizen in mittellateinischen Dominikanerklöstern konzipierte, in denen er auch nicht das wissenschaftliche Instrumentarium zur Verfügung hatte, das er in Paris hätte verwenden können 1 0 . In jedem Fall unbestritten ist jedoch, daß Thomas die aristotelische Ethik im Zusammenhang mit der Konzipierung seiner eigenen theologischen Ethik kommentiert hat - ob es sich um eine Erstkommentierung oder um die Redaktion eines schon vorhandenen Kommentars handelt, ist in diesem Fall weniger wichtig. Was die inhaltliche Beurteilung sowohl der Aristoteleskommentare im allgemeinen als auch des Ethikkommentars im besonderen angeht, so läßt sich ungeachtet aller Differenzen in Einzelfragen durchaus ein Konsens der neueren Forschung über den Ausgangspunkt erheben, an dem die Interpretation dieser thomanischen Schriften anzusetzen hat. Zum einen ist man sich darüber einig, daß die Kommentare zu den Schriften des Philosophen nicht nur objektive Referate sind, in denen der Standpunkt des Kommentators außen vor bleibt - diese Auffassung hatte bereits Martin Grabmann verworfen 1 1 . Denn schon ein flüchtiger Blick auf die Texte zeigt, daß Tho9

„It seems to me that we ought to distinguish between the time and place of Aquinas' initial explanation of the Ethics and the date of the editing, dictation or transscription of the full text of c o m m e n t a r y " (Vernon J . Bourke, The N i c o m a c h e a n Ethics and T h o m a s Aquinas, 2 5 0 ) .

10

Vgl. a a O , 2 5 2 f .

11

Vgl. Martin Grabmann, Die Aristoteleskommentare des heiligen T h o m a s von Aquin, 2 9 7 - 2 9 9 .

Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre 129 mas sich nicht mit der Wiedergabe der aristotelischen Gedanken begnügt hat, sondern daß er die intentio auctoris mit Blick auf die Veritas rei referiert, wobei er ganz bewußt und explizit erstere durch letztere ergänzt und gegebenenfalls auch korrigiert. Zum zweiten besteht Einigkeit darüber, in welchem Sinne jene Ergänzungen und Korrekturen erfolgt sind. Aufgrund der schon erwähnten Einsicht in den Primat der Theologie im Denken des Thomas kann der Versuch als gescheitert gelten, eine von seiner Theologie unabhängige Philosophie herauszuarbeiten, die etwa in den Aristoteleskommentaren ihren Niederschlag gefunden hätte. Der oben festgestellte zeitliche Zusammenhang zwischen der Entstehung des Ethikkommentars und der Abfassung von Summa Theologiae II ist bereits ein äußerliches Zeichen dafür, daß Thomas die N I K O MA CHIS CHE ETHIK aus theologischer Perspektive gelesen und kommentiert hat, eine Einsicht, die durch die inhaltliche Analyse bestätigt wird, wie noch zu zeigen ist. Vergleichbares gilt für die Aristoteleskommentare insgesamt. Der Unterschied zu den Hauptwerken des Thomas (etwa den beiden Summen) ist deshalb nicht inhaltlicher Natur (Philosophie versus Theologie), sondern bezieht sich auf die Vorgehensweise. Während Thomas in der SUMMA THEOLOGIAE seinem eigenen theologisch verankerten ordo disciplinae folgen kann, ist er in den Kommentaren an den ordo der jeweiligen Aristoteles-Schrift gebunden. Da dieser naturgemäß kein theologischer ist, kommt die Theologie des Thomas in den Kommentaren überwiegend implizit zur Geltung, ist aber gleichwohl ständig präsent 12 . Denn das Bemühen des Thomas, die intentio auctoris in den Kommentaren herauszuarbeiten, ist, wie schon angedeutet, stets getragen von seinem Interesse, die Lehre des heidnischen Philosophen mit den Inhalten der christlichen Theologie zu konfrontieren und von dieser auf die Autorität der göttlichen Offenbarung gestützten Veritas rei her die Schriften des Aristoteles zu beurteilen. Die Deutung der Aristoteleskommentare kann von daher ihrem Gegenstand erst dann voll gerecht werden, wenn die theologische Gesamtkonzeption des Thomas als Horizont seiner Interpretation ernstgenommen und in der Einzelanalyse berücksichtigt wird. „In the ,personel' works of Aquinas he sets his own order of discussion. In the commentaries he is bound by the order in the text before h i m . . . . A commentary on a philosophical study will not be theological in the same way and to the same extent that the Summae and the Quaestiones disputatae are theological" (Joseph Owens, Aquinas as Aristotelian C o m m e n t a t o r , 2 3 8 ) .

130

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

2.3.2.2 Die aristotelische ευδαιμονία- Lehre in thomanischer Deutung Um zu verdeutlichen, daß die im folgenden zur Einzelanalyse herangezogenen Texte aus der SENTENTIA LIBRI ETHICORUM tatsächlich wichtige ,Schaltstellen' in der Interpretation der aristotelischen ευδαιμονίαLehre durch Thomas bilden, soll zunächst ein kurzer Blick auf die Gesamtdisposition des Ethikkommentars geworfen werden. Thomas hat das 1.Kapitel aus Buch I der NIKOMACHISCHEN ETHIK in Anlehnung an dessen Schlußsatz (1095all-13) dem eigentlichen tractatus als eine Vorrede vorangestellt, in der der Philosoph über Absicht und Methode des Werks sowie über die von den Hörern mitzubringenden Voraussetzungen Rechenschaft ablegt. Innerhalb des mit Kapitel 2 beginnenden tractatus nimmt Thomas eine Dreiteilung vor: in prima determinai de felicitate, quae est summum inter humana bona ...; in secunda parte determinai de virtutibus ... in tertia complet suum tractatum de felicitate, ostendens qualis et quae virtutis operatio sit felicitas13. Während Aristoteles nach Thomas im ersten Teil die felicitas nur im allgemeinen (figuraliter) erörtert, wird im umfangreichen zweiten Teil durch die Behandlung der einzelnen virtutes der Boden bereitet für die im dritten Teil vollzogene spezielle Antwort auf die noch offen gebliebene Frage, im Sinne welcher virtus sich die Tätigkeit der Seele vollziehen muß, damit zu Recht von ευδαιμονία die Rede sein kann 14 . Aus dieser Gesamtdisposition des Ethikkommentars ergibt sich, daß für die hier zu behandelnde Thematik vor allem der Kommentar des Thomas zu den Büchern I und X wichtig ist. Von besonderer Bedeutung für die theologische Interpretation der aristotelischen εΰδαιμονία-Lehre sind innerhalb dieser Textkorpora die Passagen, in denen Thomas die von Aristoteles erarbeitete Definition der felicitas erläutert sowie die Kommentierung der Abschnitte aus der N I K O MACHISCHEN ETHIK, in denen er die Frage gestellt findet, ob und unter

13

Sententia Libri Ethicorum I 4 ( M . 4 3 ; L . 3 f . 6 - 1 0 ) ; Teil I umfaßt danach Nikomachische Ethik I 2 - 1 2 , Teil II Nikomachische Ethik I 1 3 - I X 1 2 und Teil III Nikomachische Ethik X .

14

Den von Aristoteles gegebenen Hinweis, seine Definition der ευδαιμονία in Buch I sei nur eine umschreibende Skizze (am Ende von I 6 : 1 0 9 8 a 2 0 f . ) interpretiert T h o m a s im Sinne seiner divisto der NIKOMACHISCHEN ETHIK: oportet quod aliquid primo dicatur figuraliter ...et deinde oportet ut manifestatis quibusdam aliis resumatur illud quod fuit prius figuraliter determinatum et sie iteratio plenius describatur. Uttde et ipse postmodum itt fine libri de felicitate tractatum complebit (Sententia Libri Ethicorum I 11 [ M . 1 3 1 ; L . 1 4 f . l 7 - 2 1 ] ) .

Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre

131

welchen Umständen ein Mensch glücklich genannt werden kann. Es handelt sich um den Kommentar zu den Kapiteln 5, 6 und 11 von Buch I der NIKOMACHISCHEN ETHIK, also um Sententia Libri Ethicorum I 9.10;15-17. Die genannten Textzusammenhänge sollen im folgenden in zwei Schritten untersucht werden. Die Analyse verfolgt zunächst das Ziel, den von Thomas festgestellten Duktus des Aristoteles-Textes und seine Schwerpunkte herauszustellen. Dabei kommt die Art der thomanischen Kommentierung in besonderer Weise zur Geltung. Es ist nämlich durchaus bemerkenswert, daß der Kommentar den Eindruck entstehen läßt, Aristoteles gehe in der N I K O MACHISCHEN ETHIK mit derselben methodischen Strenge vor, die sich Thomas in seinen eigenen Schriften auferlegt hat. Damit verständlich wird, wie es zu der positiven Einschätzung des aristotelischen Glücksbegriffs durch Thomas kommen konnte, muß an einigen wichtigen Punkten - über die reine Darstellung der thomanischen Kommentierung hinaus - auch auf die Diskrepanz zwischen der Aussageabsicht des Aristoteles und der Deutung durch Thomas hingewiesen werden. (a) Was ist felicitas? Die allgemeine Behandlung der felicitas in Buch I der NIKOMACHISCHEN ETHIK teilt Thomas in zwei Abschnitte: primo prosequitur opiniones aliorum de felicitate; secundo determinat de ipsa secundum propriam sententiam 5 . Die von Thomas als opinio propria des Aristoteles herausgearbeitete felicitas-Definition ist hier von Interesse, und mit dem Anfang von lectio 9 wird dieses Thema als eröffnet erklärt. Zunächst, so Thomas, geht der Philosoph daran, einige allgemeine Bestimmungen des Glücksbegriffs herauszuarbeiten (primo ponit quasdam communes condiciones felicitatis, I 9 [M.103;L.15f.]). Thomas hebt hervor, daß die felicitas als finis ultimus hominis bestimmt wird. In allen menschlichen Unternehmungen gibt es ein intendiertes Gut, den finis des entsprechenden Vorhabens. Auf dieses Ziel hin sind alle in den Bereich der jeweiligen Unternehmung gehörenden Einzelhandlungen ausgerichtet (vgl. I 9 [M.104f.;L.21-38]). Wenn es nun für die Gesamtheit menschlicher Handlungen wiederum einen finis gibt, wird dieser ein bonum simpliciter sein, das alle Einzelziele transzendiert. Dieser finis ultimus kann, wie Thomas offensichtlich aus eigener Einsicht noch hinzufügt, zwangsläufig nur einer sein, propter unitatem humanae naturae (I 9 [M.106;L.51f.]). Hier muß darauf hingewiesen werden, daß Aristoteles selbst keines15

Sententia Libri Ethicorum I 4 ( M . 4 4 ; L . 2 8 - 3 0 ) .

132

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

wegs mit solcher Stringenz auf die zwangsläufige Singularität des Letztziels zugesteuert war. Vielmehr hat er an dieser Stelle „offenbar mit Bedacht vorsichtige und offene Formulierungen" gewählt16 und damit ausdrücklich die mögliche Pluralität der Letztziele anerkannt: Wenn es ein Ziel aller menschlichen Handlungen gibt, so Aristoteles, dann ist dies das durch Handeln zu verwirklichende Gut, wenn aber mehrere, dann sind diese die durch Handeln zu verwirklichenden Güter (ει δέ ττλείω, ταύτα [vgl. 1097a22-24]). Indes wird man die thomanische Deutung nicht als willkürlich oder gar als bewußte Verfälschung bezeichnen können. Der Thomas nach Gauthier vorliegende lateinische Text macht seine Deutung verständlich: Die Übersetzung hat die Zäsur zwischen ταύτα und dem sich anschließenden μεταβαίνων nicht wahrgenommen, so daß das ταύτα (= haec) als Anfang eines neuen Gedankens erschien, der als Hinweis auf die notwendig zu leistende Transzendierung aller Einzelziele auf das eine Letztziel hin interpretiert werden konnte, eine Deutung, die auch durch die Übersetzung von μεταβαίνων durch transcendens nahegelegt wird17. Die folgenden Ausführungen des Aristoteles interpretiert Thomas als Hinzufügung zweier condiciones zur erfolgten grundsätzlichen Bestimmung der felicitas als finis ultimus hominis. Bei diesen condiciones handelt es sich um die Näherbestimmung des finisultimus-Begriffs, der hier sowohl um den Aspekt der perfectio als auch um den der Autarkie (des per se sufficiens) angereichert wird. In Anlehnung an die aristotelische Einteilung aller erstrebbaren Güter (vgl. 2.1.3.1; S.76f.) stellt Thomas zunächst ausführlich dar, wie der Philosoph aus seiner Sicht die perfectio des finis ultimus verstanden hat. Weil, so Thomas, im Letztziel aller motus naturalis an ein Ende kommen muß, darf nach Aristoteles die als Letztziel behauptete felicitas stets nur um ihrer selbst willen angestrebt und keinesfalls im Hinblick auf einen weiteren Zweck gewählt werden (simpliciter perfectum est quod est semper secundum se eligibile et numquam propter aliud. Talis autem videtur esse felicitas, I 9 [M.111;L.123-125]).

16

Klaus Jacobi, Aristoteles' Einführung des Begriffs ευδαιμονία im I. Buch der „Nikomachischen Ethik", 3 0 4 .

17

Georg Wieland, Ethica - scientia practica, 2 1 0 , weist darauf hin, daß die von Aristoteles abweichende Interpretation bereits bei Albertus Magnus begegnet. In Übersicht 2 sind der griechische T e x t und die Thomas wahrscheinlich vorliegende lateinische Übersetzung jeweils mit deutscher Übersetzung angeführt.

Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre

133

Was den Gedanken des per se sufficiens betrifft, so gibt Thomas zunächst die von Aristoteles vorgenommene Präzisierung des Begriffs wieder, nach der die Autarkie ausdrücklich nicht auf die vita solitaria des aus allen Bindungen gelösten Menschen bezogen wird, sondern auf den Menschen, der als animal civile in einer Gemeinschaft mit Familienangehörigen, Freunden und Mitbürgern lebt - die Autarkie des Glücklichen besteht innerhalb, nicht neben der Polis. Allerdings setzt Aristoteles auch dieser Gemeinschaftsbezogenheit Grenzen: Bezöge man Vorfahren, Nachfahren und Freunde von Freunden mit ein, so käme man ins Endlose. Der dann folgende Hinweis des Aristoteles, diese Frage werde später untersucht, ist wohl vor allem auf den Anfangs- und den Schlußabschnitt von I 11 (llOOalO30;1101a21-b9) sowie auf einige andere Stellen der NIKOMACHISCHEN 18 ETHIK ZU beziehen , an denen die Frage untersucht wird, ob und wie sich das Schicksal von Nachfahren oder Freunden auf den Zustand eines glücklich Gestorbenen auswirkt. Aristoteles wird durchaus nicht jeden Zusammenhang zwischen der Befindlichkeit eines Toten und dem Schicksal seiner Nachfahren bestreiten, allerdings wird er die Vorstellung ablehnen, daß sich der Zustand der Verstorbenen aufgrund von Wohlergehen oder Mißgeschick lebender Menschen grundsätzlich verändern kann. Doch auch unabhängig von dieser in Kapitel 5 noch gar nicht erfolgten Klärung wäre es, so wird man die Begrenzung der Gemeinschaftsbezogenheit zu verstehen haben, für die Bestimmung des Glücksbegriffs nicht hilfreich, wenn man hinsichtlich der Einbeziehung von Mitbürgern, Freunden und Verwandten ins Endlose fortschreiten würde. Warum nicht? Thomas gibt in seinem Kommentar eine Antwort auf diese Frage: Weil niemand glücklich genannt werden könnte, wenn seine felicitas mit der seiner Angehörigen usw. in infinitum verbunden wäre (tiullus posset esse felix, si felicitas harte infinitam sufficientiam requireret, I 9 [M.113; L.161f.]). Aristoteles trägt also nach Thomas dem Umstand Rechnung, daß eine sufficientia infinita nicht möglich ist - jedenfalls, so die wichtige Ergänzung, nicht unter den Voraussetzungen dieses Lebens. Aber nur auf dieses hat sich Aristoteles bezogen, weil seine Untersuchungen über die der ratio humana gesetzten Grenzen nicht hinaus konnten (nam felicitas alterius vitae omnem investigationem rationis excedit, I 9 [M.113;L.164f.]). Mit dieser letzten Bemerkung hat Thomas nicht nur den Horizont erläutert, innerhalb dessen Ari18

So Dirlmeier (Aristoteles, Nikomachische Ethik, übersetzt und kommentiert von Franz Dirlmeier, 277).

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Die beatitudo-Lehre des T h o m a s von Aquin

stoteles seine Bestimmung des ευδαιμονία-Begriffs vollzieht, sondern er hat zugleich auf die (historisch bedingte) Begrenztheit dieses Horizonts hingewiesen. Was es bedeutet, daß nach Aristoteles die sufficientia per se einen notwendigen Bestandteil der felicitas als Letztziel bildet, verdeutlicht Thomas folgendermaßen: Sie macht das Leben begehrenswert in dem Sinne, daß nichts zu wünschen übrigbleibt (facit vitam eligibilem et nullo exteriori indigentem, I 9 [M.114;L.174f.]). Was der Philosoph dann folgen läßt, ist nach Thomas eine genauere expositio des per se: exponit rationem per se sufficientiae quantum ad hoc dicit ,per se' (I 9 [M.115;L.182f.]). Die Erläuterung dieser expositio durch Thomas enthält nun ein wirklich gravierendes Mißverständnis der aristotelischen Vorlage, das deshalb von Bedeutung ist, weil es einen Aspekt zur Geltung bringt, der für die Interpretation der NIKOMACHISCHEN ETHIK insgesamt wichtig ist 19 . Diese Fehldeutung begegnet innerhalb der Kommentierung jenes Abschnitts der NIKOMACHISCHEN ETHIK, in dem Aristoteles die ευδαιμονία als einen jeder inhaltlichen Konkretion vorgängigen Reflexionsbegriff einführt. Als entscheidender Grund für die unrichtige Auslegung der Passage kann vor allem die von Thomas vorgenommene Differenzierung des per se sufficiens gelten, die bei Aristoteles so gar nicht zu finden ist. Obwohl er damit das Ziel verfolgt, die Aussagen des Philosophen zu verdeutlichen, wird im Ergebnis dessen Intention nahezu ins Gegenteil verkehrt (vgl. zum folgenden I 9 [M.115f.;L.181-213]). Thomas unterscheidet einen Zustand der sufficientia per se, in dem ein Zuwachs an Güte gänzlich unmöglich ist, von einem ebenso genannten Zustand, in dem ein solches augmentum zwar nicht mehr möglich scheint, da alles Begehren zu Ruhe gekommen ist, in dem es aber ein solches augmentum prinzipiell noch geben kann. Diese erste condicio ist nach Thomas ausschließlich bei Gott als dem einzigen bonum totale erfüllt. Zuwachs an Gutheit ist hier deshalb unmöglich, weil in Gott jedes denkbare bonum immer schon enthalten ist und deshalb ein ihm hinzugefügtes Gut seine Gutheit nicht vergrößern könnte, so wie ein Teil das Ganze, in dem es bereits enthalten ist, nicht vergrößert. Die sufficientia per se im zweiten Sinne ist nach Thomas die, die der felicitas des Aristoteles zukommt: felicitas de qua (Philosophus, R.L.) nunc loquitur habet per se sufficientiam, quia scilicet in se continet

19

Der jetzt zu verfolgende Zusammenhang wird auch bei Hermann Kleber, Glück als Lebensziel, 9 7 - 1 0 3 angesprochen.

D i e B e d e u t u n g d e r T r a d i t i o n für die t h o m a n i s c h e b e a t i t u d o - L e h r e

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omne illud quod est homini necessarium, non autem omne illud quod potest homini advenive ... nec tarnen remanet desiderium hominis inquietum (I 9 [M.116;L.198-203]). Während also nach Aristoteles die ευδαιμονία „nicht als Summand in einer Reihe mit anderen Gütern denkbar" ist 20 , wird Thomas durch die seiner Interpretation zugrunde gelegte Differenzierung des per se sufficiens zu der Erkenntnis geführt, daß Aristoteles das in der NIKOMACHISCHEN ETHIK behandelte irdisch-menschliche Glück doch als einen solchen (noch additionsfähigen) Summanden und demzufolge gerade nicht als das höchste denkbare Gut beschreibt. Das referierte Verständnis des aristotelischen Autarkiekriteriums ist deshalb von Belang, weil es wesentlich zu der thomanischen Auffassung beigetragen hat, nach der die Begrenztheit der von Aristoteles behandelten felicitas in der NIKOMACHISCHEN ETHIK selbst zum Ausdruck kommt. Dafür konnte sich Thomas einmal darauf beziehen, daß für das Glück dieses Lebens die Möglichkeit der sufficientia infinita ausgeschlossen wird, sowie darauf, daß Aristoteles nach seinem Verständnis der felicitas das per se sufficiens nicht in der Maximalbedeutung des Begriffs zuspricht. Diente das in Sententia Libri Ethicorum I 9 kommentierte Kapitel 5 von Buch I der NIKOMACHISCHEN ETHIK nach Thomas der Feststellung einiger allgemeiner Bestimmungen der felicitas, so sieht er in Kapitel 6 (erläutert in Sententia Libri Ethicorum 110) die Frage nach der diffinitio felicitatis gestellt, wobei zunächst das genus felicitatis und daraufhin deren differentiae behandelt werden. Da jedes Ziel zu seiner Realisierung einer Tätigkeit bedarf und die felicitas als Letztziel des Menschen aufgefaßt wurde, ergibt sich, daß ihr Genus in einer menschlichen Tätigkeit zu suchen ist. Bevor Thomas die Antwort des Aristoteles auf die Frage nach der operatio propria hominis behandelt, weist er noch in einer Nebenbemerkung darauf hin, wie die Auffassung des Philosophen mit der christlichen Lehre zusammenzudenken ist, nach der Gott als Letztziel des Menschen gilt: Wenn aber gesagt wird, die felicitas bestehe in etwas anderem (als in der operatio propria hominis), dann wird dies entweder etwas sein, wodurch der Mensch zu einer solchen operatio befähigt wird, oder es wird etwas sein, das der Mensch durch seine operatio erlangt, so wie gesagt wird, Gott sei das Glück des Men-

20

Klaus Jacobi, Aristoteles' Einführung des Begriffs ευδαιμονία im I. Buch der Nikomachischen Ethik, 3 1 8 .

136

Die b e a t i t u d o - L e h r e des T h o m a s v o n A q u i n

sehen: Si autem dicatur in aliquo alio felicitas consistere, aut hoc erit aliquid quo homo redditur idoneus ad huiusmodi operationem, aut erit aliquid ad quod per suam operationem attingit, sicut Deus dicitur esse beatitudo hominis (I 10 [M.120;L.41-45]). Auf diesen wichtigen Abschnitt, in dem die bereits im Sentenzenkommentar aufgeworfene Frage angesprochen wird, wie sowohl Gott selbst, als auch die beatitudo des Menschen finis ultimus sein können, wird im Zusammenhang mit der Behandlung der thomanischen beatitudoLehre in der SUMMA THEOLOGIAE noch zurückzukommen sein (vgl. 2.4.1.3, bes. S.186 sowie Übersicht 4. Thomas stellt nun heraus, daß die operatio propria hominis nach Aristoteles eine operatio animae secundum rationem ist, wobei er schon hier einen prinzipiellen Vorrang der vita contemplativa gegenüber der vita activa ausgesprochen findet. Aristoteles hatte zunächst nur festgestellt, daß die dem Menschen als Menschen eigentümliche Tätigkeit nur im Wirken des rationalen Seelenteils liegen kann. Dieser aber, so argumentiert er weiter, kann verstanden werden als etwas, das dem λόγος gegenüber lediglich gehorsam ist oder als etwas, das den λόγος besitzt und selbst denkt. Von diesen beiden zum rationalen Seelenteil gehörenden Vollzügen hat nun der als dem Menschen eigentümlich zu gelten, der sich als eigenständige Tätigkeit (κατ' ένέργειαν) vollzieht21. Bei dem wiedergegebenen Abschnitt handelt es sich um eine der dunkleren Stellen in der NIKOMACHISCHEN ETHIK. Unklar ist vor allem, welcher der beiden genannten zum rationalen Seelenteil gehörenden Vollzüge es ist, der sich κατ' ένέργειαν vollzieht und deshalb die dem Menschen als Menschen eigene Tätigkeit darstellt. Für Thomas allerdings ist der Sinn klar: Der im Gehorsam gegenüber dem λόγος bestehende Vollzug des rationalen Seelenteils meint die vita activa, die im Besitz des λόγος und im Denkvollzug bestehende Tätigkeit meint die vita contemplativa. Und diese zweite Tätigkeit ist es dann, die von Aristoteles als dem Menschen eigentümlich herausgestellt wird 22 . 21 22

Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik I 6 (1098a3-6). rationale est duplex: unum quidem participative, in quantum scilicet persuadetur et regulatur a ratione; aliud vero est rationale essentialiter, quod scilicet habet ex seipso ratiocinari et intelligere; et haec quidem pars prineipalius rationalis dicitur, nam illud quod dicitur per se semper est prineipalius eo quod est per aliud. Quia igitur felicitas est principalissimum bonum hominis, consequens est ut magis consistât in eo quod pertinet ad id quod est rationale per partieipationem. Ex quo potest accipi quod felicitas prineipalius consistit in vita contemplativa quam in activa (Sententia Libri Ethicorum I 10 [M.126;L.107-120]).

Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre

137

Auf diesen Zusammenhang ist hier deshalb hingewiesen worden, weil bereits an der Kommentierung jener etwas problematischen Aristoteles-Stelle deutlich wird, daß Thomas seine eigene und für ihn letztlich biblisch begründete Auffassung, nach der die Kontemplation ethisch höher steht als das tätige Leben, auch in der NIKOMACHISCHEN ETHIK findet 23 . Dieser Sicht entspricht auch sein oben skizziertes Verständnis vom Gesamtaufbau des Werks: Für Thomas hat die Behandlung der ethischen und dianoethischen Tugenden letztlich nur vorbereitenden Charakter in Hinblick auf die in Buch X ausgesprochene Priorität der Kontemplation 24 . Wie in 2.1.3.1 gezeigt wurde, hat Aristoteles zwar in der Tat das ausschließlich der Schau des Ewigen gewidmete Leben der vita activa des Polisbürgers wertmäßig vorgeordnet, aber gerade nicht so, daß die Tugenden des bürgerlichen Lebens als auf die Theorie hingeordnet verstanden werden könnten; der Vollzug der Theorie ist nach Aristoteles nicht an bestimmte ethische Qualitäten gebunden (vgl. S.79-81). Nachdem Thomas herausgestellt hat, daß Aristoteles das genus felicitatis als operatio propria hominis bestimmt, referiert er die differentiae felicitatis. Als deren erste deutet Thomas die Ausführung über die Qualität der operationes hominis. Die als genus felicitatis beschriebene vernunftgemäße Seelentätigkeit muß sich in vollkommener Weise vollziehen. Darin besteht ihre spezifische Differenz, die sie aus der Gesamtheit aller operationes animae secundum rationem heraushebt. Denn der felix ist nur als homo optimus denkbar, weil er das höchste durch menschliches Handeln erreichbare Gut realisiert, was nur durch opera optima möglich ist. Solche opera optima

23

W a s die biblische Begründung betrifft, so sei daran erinnert, daß Jesus in den M a k a r i s m e n der Bergpredigt in der Auslegung des T h o m a s die vita activa als via ad beatitudinem beschreibt: IIli autem qui ponunt beatitudinem in actibus activae vitae, scilicet moralibus, errant; sed minus, quia illud est via ad beatitudinem. Onde Dominus non reprobat tamquam malum, sed ostendit ordinatum ad beatitudinem (Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 [ 4 0 7 ] ) . Der locus classicus für den Vorrang der Kontemplation ist natürlich Lk 1 0 , 4 2 (Maria enim optimam partem elegit, von T h o m a s z.B. zitiert in Summa contra Gentiles III 6 3 [ M . 2383;Allgeier 2 6 2 ] ) .

24

Eine ganz ähnliche Interpretation des Verhältnisses von vita activa und vita contemplativa in der Ethik des Aristoteles begegnete übrigens schon bei Boethius von Dacien (vgl. 2 . 1 . 3 . 3 ; S . 9 2 - 9 5 ) . Die im Apparat zum Leonina-Text der SENTENTIA LIBRI ETHICORUM angeführten Zitate zeigen auch, daß speziell die Stelle Nikomachische Ethik I 6 ( 1 0 9 8 a 3 - 6 ) bereits von Albertus Magnus so interpretiert wurde wie von T h o m a s (vgl. Leonina X L V I I / 1 , 3 6 ) .

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

gründen in einer festen Disposition des Menschen, der Tugend deshalb ist die Frage nach bestmöglichen menschlichen Handlungen eine Frage der Tugend (boni hominis sit bene operari secundum rationem et optimi hominis, scilicet felicis, optime hoc facere. Sed hoc pertinet ad rationem virtutis, I 10 [M.128;L.138-141]). Da die felicitas das bonum optimum ist, muß die ihr entsprechende tugendhafte Handlung auch eine operatio secundum virtutem optimam sein. Bei der Wiedergabe der zweiten von Aristoteles genannten differentia geht Thomas ähnlich vor wie bei der Erklärung des Autarkiebegriffs. Seine Interpretation der aristotelischen Ergänzung, die operatio secundum virtutem optimam könne nur dann wirklich als felicitas angesprochen werden, wenn sie von Dauer sei (εν βίω τελείω [1098al8]/in vitam perfectam), stellt Thomas in einen Zusammenhang, von dem in der NIKOMACHISCHEN ETHIK gar nicht die Rede ist, den er aber dennoch als hilfreich für das Verständnis des Textes betrachtet. Der Mensch, so Thomas, erfaßt das Sein nicht nur sinnlich als etwas Momentanes (per sensum ut nunc), sondern er ergreift es durch den Intellekt als Sein schlechthin (per intellectum ut esse simpliciter). Sofern ein Seinendes um seiner selbst willen erstrebt wird, was für die felicitas gilt, wird der Mensch es immer und nicht nur momentan wollen (semper et non solum ut nunc). Daraus ergibt sich aber für Thomas, daß die felicitas perfecta an eine Form von continuitas bzw. perpetuitas gebunden ist, die im menschlichen Leben gar nicht vorkommt, da dessen Vergänglichkeit eine für die felicitas perfecta erforderliche dauerhafte Erfassung des Glücks ausschließt. Denn das Glück im menschlichen Leben ist wie dieses selbst nur zeitlich begrenzt zu haben: et ideo de ratione perfectae felicitatis est continuitas et perpetuitas. Quae tarnen praesens vita non patitur (110 [M.129;L.164-166]). Die perfectio vitae, von der Aristoteles an der hier erläuterten Stelle spricht, ist deshalb nach Thomas auf die Gesamtheit des irdischen Lebens zu beziehen: Glücklich ist der Mensch, wenn er sein ganzes Leben lang operationes secundum virtutem optimam zu vollziehen vermag. Gleichwohl sind auch in diesem Fall die (nach Thomas) vom Philosophen selbst genannten Bedingungen für die perfectio felicitatis nicht erfüllt. (b) Kann ein Mensch glücklich sein? Die gerade behandelten lectiones referieren nach der Gliederung des Thomas die Begriffsbestimmung der felicitas durch Aristoteles. Nach dem kurzen in lectio 11 besprochenen Methodenkapitel 7 stellt der

Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre 139 Philosoph nach Thomas einen Vergleich an zwischen seiner felicitasDefinition und den sonst geläufigen Auffassungen über das Glück, auf die noch eine kurze Behandlung der Frage nach der causa felicitatis folgt (Nikomachische Ethik I 8-10; Sententia Libri Ethicorum I 1214). Im Anschluß daran geht Aristoteles nach Thomas auf einen die felicitas betreffenden Einwand ein - es wird bestritten, daß ein Mensch mit Recht als glücklich bezeichnet werden kann 25 . Die Kommentierung dieser Abschnitte macht in besonderer Weise deutlich, wie Thomas die NIKOMACHISCHE ETHIK verstanden hat und ist für die hier zu behandelnde Thematik von großer Bedeutung. In Anlehnung an die von Thomas selbst gegebene äußerst subtile Textgliederung sowie unter Verwendung der von Spiazzi für die Marietti-Ausgabe des Ethikkommentars erarbeiteten Synopse zu Sententia Libri Ethicorum I 15-17 (M.177-212) ist in Übersicht 3 die Struktur der gesamten Passage dargestellt, wobei der Schwerpunkt auf die in lectio 16 vollzogene Lösung des genannten Einwands gelegt ist. Nach Thomas hat der Philosoph das hier aufgeworfene Problem in drei Schritten behandelt. Zunächst (1) stellt er als Anlaß für den Einwand (motivum dubitationis) die von Aristoteles unter Hinweis auf das Schicksal des Priamos illustrierte Bemerkung über die Unberechenbarkeit des Schicksals heraus, die den Glücksgehalt des Lebens zu jedem Zeitpunkt radikal verändern kann. (2) Den sich daraus ergebenden Einwand (dubitatio ipsa), den der Philosoph in Anlehnung an einen Ausspruch des Solon formuliert hat, faßt Thomas

zusammen: nullus debet dici felix quandiu vivit, sed solum in fine vitae suae (I 15 [M.179;L.35f.]). Der zweite und größere Teil von lectio 15 beschäftigt sich mit den Ausführungen des Aristoteles zu dieser Sentenz und soll hier in Form einer inhaltlich gerafften Paraphrase wiedergegeben werden (vgl. 115 [M.180-186;L.43-149]): Nach der Darstellung des Problems bringt der Philosoph eine Entgegenung (obiectio) vor. Als Konsequenz des Solon-Zitats könnte man nämlich annehmen, daß nur Tote glücklich sein können, weil sie keinen Schicksalsschlägen mehr ausgesetzt sind. Da aber die Toten keine Tätigkeiten vollziehen können und überdies der Tod das Ende des Menschseins markiert, die felicitas dagegen gerade als die Tätigkeit definiert ist, in der das Menschsein zu seiner Vollendung kommt, kann Solons Aussage als abwegig zurückgewiesen werden. Nun stellt 25

Postquam Pbilosophus ostendit quid est felicitas, hic movet quandam dubitationem de felicitate, utrum scilicet in hac vita possit aliquis dici felix (Sententia Libri Ethicorum I 15 [ M . 1 7 7 ; L . l - 4 ] ) .

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Die beatitudo-Lehre des T h o m a s von Aquin

Aristoteles eine mögliche Antwort (responsio) auf diese Zurückweisung vor, die er dann mittels zweier Argumente wiederum ablehnt. Die Antwort besteht in dem Hinweis, Solon habe durchaus nicht Tote als Tote glücklich nennen wollen; er habe nur gemeint, man könne einen (lebenden) Menschen erst retrospektiv wirklich glücklich nennen, weil er nämlich dann für glücksgefährdende Schicksalsschläge nicht mehr zugänglich ist. Aber, so hält der Philosoph dagegen (exclusio prima), kann nicht auch der Tote in gewisser Weise vom Unglück betroffen werden, wenn ihm nach seinem Ableben noch nachträglich Geringschätzung zuteil wird? Diese erste Zurückweisung der responsio bringt Aristoteles auf ein neues Problem (iquaestio interposita): Wenn jemand ein durch und durch glückliches Leben geführt hat und auch einen dementsprechenden Tod findet, wird er dann noch betroffen von den Wechselfällen des Schicksals, denen seine Kinder unterworfen sind? So problematisch es ist, das Glück eines Toten vom Ergehen der Lebenden abhängig zu machen, so wird man hier doch sinnvollerweise nicht jeden Zusammenhang bestreiten können. In der zweiten Zurückweisung (exclusio secunda) sagt der Philosoph, daß es unsinnig wäre, jemanden, der im Moment glücklich ist, wegen der denkbaren Wechselfälle des Lebens so nicht nennen zu dürfen, sondern eine derartige Aussage nur in der Vergangenheitsform zuzulassen26. Denn dann wären fortuna und felicitas identisch, der Glückliche wäre dem unsteten Zufall ausgeliefert, wo doch gerade eine gewisse Stabilität als unabdingbarer Bestandteil des Glücks herausgestellt wurde. Die nächsten beiden lectiones (3) widmet Thomas seiner Darstellung der aristotelischen Auflösung des Problems (solutio dubitationis). Innerhalb dieser Auflösung unterscheidet er zwei Schwerpunkte: Die in lectio 16 geschilderte Antwort des Philosophen auf das in der zweiten Zurückweisung (exclusio secunda) von lectio 15 berührte Problem (3.1: de mutatione fortunae circa felicem) und die in lectio 17 dargestellte Klärung der im Zusammenhang mit der ersten Zurückweisung neu aufgetauchten quaestio interposita (3.2: de mutatione fortunae circa amicos). Da lectio 16 von großer Bedeutung für die Einbindung der aristotelischen Ethik durch Thomas in seinen (im engeren Sinne) theologischen Schriften ist, soll dieser Text im folgenden ausführlich dargestellt werden. 26

So schon Commentum in Quatuor Libros Sententiarum 4 d.49:q.l,l qla.4 sol.: inconveniens est ponere quod aliquis debeat dici beatus quando non est, et quod non posset dici quando est.

D i e B e d e u t u n g der Tradition für die t h o m a n i s c h e beatitudo-Lehre

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Thomas teilt die solutio in zwei Abschnitte. Deren erster besteht lediglich in der Nennung eines für das fortuna-Problem wichtigen Sachverhalts. Die äußeren Güter, deren Veränderbarkeit den Ansatzpunkt für das Wirken der fortuna darstellt, gehören nur in sekundärer Hinsicht zur felicitas, im eigentlichen Sinne besteht das Glück in vollendet tugendhaften Handlungen - von den Wechselfällen des Schicksals darf die felicitas also nicht primär abhängig gemacht werden (vgl. I 16 [M.187;L.8-12]). Der zweite Abschnitt der solutio principalis ist dreigeteilt und besteht nach Thomas in einer Anwendung (applicatio, adaptio) der gerade referierten Erkenntnis auf das Problem des Verhältnisses zwischen fortuna und felicitas27. Erstens, so Thomas, zeigt der Philosoph, daß tugendgemäße Handlungen in höchstem Maße beständig sind. Denn sie haben ihre Wurzel in der Seele, und die Dinge, die sich auf die Seele beziehen, sind stets nur per accidens der Veränderung unterworfen und nicht per se wie die äußeren Güter und das, was sich auf den Körper bezieht (vgl. 116 [M.188;L.28-50]). Innerhalb der Tätigkeiten, die ihre Wurzel in der menschlichen Seele haben, sind nach Aristoteles noch einmal die praktischen Lebensvollzüge, was die Beständigkeit betrifft, den Wissenschaften vorgeordnet, da bei ersteren kein Vergessen möglich ist sowohl weil sich der Mensch permanent darin bewegen muß als auch, wie Thomas von sich aus hinzufügt, weil die Tugend primär in einer Neigung des Strebevermögens besteht, die auch unbewußt wirkt (;virtus consistit principaliter in inclinatione appetitus, quae per oblivionem non tollitur, I 16 [M.190;L.72-74]). Zweitens zeigt Aristoteles, daß die felicitas das ganze Leben dauern kann. Dies verdeutlicht er nach Thomas zuerst hinsichtlich der operationes felicitatis selbst. Wenn, wie gerade gezeigt, tugendgemäße Handlungen in höchstem Maße beständig sind, wird der Träger des habitus vollendeter Tugendhaftigkeit auch immer, also sein ganzes Leben lang, vollendet tugendhafte Handlungen wirken können. Das zweite Argument, das Thomas bei Aristoteles feststellt, bezieht sich auf die vom Schicksal abhängigen Güter. Der wahrhaft Glückliche wird sich durch deren permanente Gefährdung nicht beeindrucken lassen, sondern vierkantig ohne Tadel sein (tetragonus sine vituperio diese Formulierung ist ein Zitat aus dem lateinischen Aristoteles-

27

Für das folgende sei an die Hinweise zum Verhältnis von Glück und Zufall in der aristotelischen εύδαιμονία-Lehre erinnert (vgl. S.77-79).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Text: Nikomachische Ethik I 11 [llOObUf.]). Thomas will das ,tetragonus' hier - mit Recht - nicht auf die Kardinaltugenden beziehen: hoc non videtur esse secundum intentionem Aristotilis, qui numquam invenitur talent enumerationem facere (116 [M.193;L.98100]). Statt dessen erklärt er diese Formulierung damit, daß der Tugendhafte angesichts jeder Schicksalsfügung gut dasteht, wie auch der aus sechs quadratischen (also viereckigen = tetragona) Oberflächen bestehende Würfel immer gut ,dasteht', egal, wie er fällt. Die sich anschließenden Ausführungen interpretiert Thomas als Erhärtung des Arguments. Je einschneidender die mutationes fortunae sind, desto stärker wirken sie sich - positiv oder negativ - auf die felicitas aus. Doch auch die schwersten Schicksalsschläge können die operatio virtutis nicht gänzlich aufheben. Der Tugendhafte wird ein bonum virtutis zurückbehalten in quantum scilicet aliquis faciliter sustinet multa et magna infortunia (I 16 [M.195;L.132-134]). Diese Stelle nimmt Thomas zum Anlaß, um zwei Aspekte hervorzuheben, die die Aussagen des Aristoteles verdeutlichen sollen, aber so in der NIKOMACHISCHEN ETHIK nicht thematisiert sind. Zunächst geht es um den Unterschied zwischen der stoischen und der peripatetischen Auffassung hinsichtlich der Anfälligkeit des Glücks durch Schicksalsschläge: Der Tugendhafte erträgt nach Aristoteles die Schicksalsschläge nicht deshalb leichter, weil er sie nicht spüren würde (quod Stoici posuerunt, 116 [M.195;L.139]), sondern weil die virtus in ihm so fest verankert ist, daß er widrigen Umständen nicht unterliegt. Der Grund für diesen Unterschied ist nach Thomas der, daß für die Stoiker Körperlichkeit und Äußerlichkeiten keinerlei Gut darstellen, während hier für die Peripatetiker, quorum princeps fuit Aristotiles (I 16 [M.196;L.138f.]), durchaus ein bonum liegt, wenn auch nur ein bonum minimum. Der zweite Aspekt berührt das Problem des Wahnsinns (amentia). Dieser scheint in der Tat die Möglichkeit der felicitas in diesem Leben aufzuheben, da die operatio virtutis in einem solchen Fall gänzlich ausgeschlossen ist. Thomas löst dieses Problem mit Hilfe der Gleichsetzung von menschlichem Leben und Vernunftgebrauch, aus der sich die Analogie von Tod und Wahnsinn ergibt - das Glücksproblem bei Wahnsinnigen ist demzufolge entsprechend dem bei bereits Verstorbenen zu behandeln (vgl. I 16 [M.197;L. 148-159]). Im dritten Teil der Argumentation schließt Aristoteles nach Thomas unter Verwendung des bislang Vorgebrachten das entscheidende Mißverständnis aus, das hinsichtlich des Verhältnisses zwischen fortuna und felicitas begegnen kann. Es besteht in der Auffassung,

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die Veränderlichkeit des Schicksals könne das Glück eines Menschen in Unglück verwandeln. Dies ist falsch: si operationes virtuosae habent dominium in felicitate, ut dictum est, non sequitur quod beatus fiat miser propter infortunia (116 [M.198;L.162-164]). Zwar wirken sich die von der fortuna gesetzten Rahmenbedingungen unleugbar auf die Qualität der opera aus - z.B. wird ein Feldherr mit einem Heer erfahrener Soldaten bedeutendere Kriegserfolge verzeichnen können als mit derselben Menge an Rekruten - , aber prinzipiell wird der Glückliche als vollendet tugendhaft Handelnder es verstehen, auch aus den ungünstigsten Bedingungen noch das Bestmögliche zu machen. Ebenso gilt, daß noch so gute äußere Bedingungen menschliches Unglück nicht in Glück verwandeln können. Wer, so interpretiert Thomas den Aristoteles, glücklich ist, wird nie in die Situation des Priamos kommen, denn er hätte entweder vorgesorgt oder würde auch angesichts eines unerwarteten Schicksalsschlags bestmöglich zurechtkommen28. An dieser Stelle wird ganz deutlich, daß Thomas bei der Wiedergabe des Priamos-Beispiels andere Akzente setzt als Aristoteles. Dieser will zeigen, daß die fortuna das menschliche Glück letztlich doch massiv beeinträchtigen kann - die Vollform der ευδαιμονία ist für Menschen, die schwere Schicksalsschläge zu erleiden haben, wirklich nicht mehr denkbar. Nur so können auch die in der NIKOMACHISCHEN ETHIK auf das PriamosBeispiel folgenden Ausführungen sinnvoll als Fortsetzung gelesen werden: Die Möglichkeiten der fortuna, die Realisierung der felicitas grundsätzlich zu begrenzen (wie bei Priamos geschehen), sind allerdings nicht so, daß der wirklich Tugendhafte leicht ins Straucheln käme. In der Auslegung des Thomas entsteht dagegen der Eindruck, als sei das Unglück des Priamos letztlich auf dessen mangelnde Tugendhaftigkeit zurückzuführen. In gewisser Weise ist dies von den Voraussetzungen des Aristoteles her konsequent: Wenn das Glück seine eigentliche Wurzel in der Seele hat, dann können die bona fortunae in der Tat keinen wirklich tiefgehenden Einfluß auf die felicitas eines Menschen haben. Allerdings läßt sich diese scheinbare Inkonsequenz des Aristoteles leicht mit dem Hinweis auf die von ihm selbst bereits am Anfang der NIKOMACHISCHEN ETHIK reflektierte Tatsache erklären, daß das Thema der Schrift keine mathematisch exak-

28

ille qui est felix non incidet in infortunia Priami, prima quidem quia prudenter ea praecavebit, secundo quia, si superveniant ex improviso, optime ea feret (Sententia Libri Ethicorum I 16 [M.199;L.186-189]).

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te Darstellung erlaubt 29 . Denn da die Gegenstände der Praktischen Philosophie so großen Unterschieden und Schwankungen (διαφορών καί ττλάνηυ) unterworfen sind, kann man die in diesem Bereich geltenden Wahrheiten nur grob und umrißhaft (τταχυλώς καί τύπω) darstellen. Grundsätzlich gilt also, daß der wirklich Glückliche (= der vollendet Tugendhafte) nicht unglücklich werden kann, allerdings gibt es Grenzfälle, z.B. das Schicksal des Priamos, in denen dieser Grundsatz außer Kraft gesetzt ist. - Während Aristoteles hauptsächlich darauf zielt, die Vielfalt menschlicher Praxis möglichst unverkürzt zur Geltung zu bringen, legt Thomas offenbar in erster Linie Wert auf eine konsequente Systematik der Darstellung. Nun, so Thomas weiter, faßt der Philosoph noch einmal abschließend zusammen. Als glücklich (felix) können die Menschen gelten, die gemäß vollendeter Tugend leben und hinreichend mit äußeren Gütern ausgestattet sind - und all dies non quidem in aliquo parvo tempore, sed in vita perfecta, id est per longum tempus (I 16 [M.200;L.201-203]; wie schon in 110 bezieht Thomas die perfectio auf die Lebenszeit). Da uns einerseits die Zukunft unbekannt ist, wir andererseits jedoch die felicitas als finis ultimus und somit als etwas in jeder Hinsicht Vollendetes auffassen, ist noch hinzuzufügen, daß der bereits jetzt mit Recht glücklich Genannte auch in der Folgezeit die in dieser Bezeichnung vorausgesetzte Lebensform dauerhaft beibehalten und einen ihr entsprechenden Tod finden muß, da er nur dann auch im Rückblick als glücklich gelten kann - im Sinne dieser Hinzufügung ist nach Thomas der Satz des Solon zu verstehen (hoc secundo modo loquebatur Solon de felicitate, I 16 [M.201;L.214]). Die Menschen, bei denen all das gegeben ist, können in ihrem Leben als glücklich im Sinne der felicitas-Definition gelten (beatos dicemus illos de numero viventium in hac vita quibus existunt in praesenti et existent in futuro ea quae dicta sunt, I 16 [M.201;L.215-218]). Aristoteles fügt dieser Zusammenfassung aber noch eine Bemerkung bei: Die Menschen, denen das Gesagte zukommt, nennen wir glücklich, sofern sie als Menschen glücklich sind 30 . In diesem Zusatz, den er als indirekten Rückverweis des Philosophen auf die in der felicitas-

29 30

Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik I 1 (1094bll-27). μακαρίους δ'άνθρώπου; (Aristoteles, Nikomachische Ethik I 11 [1101a20f.] = beatos ut homines). Wie oben gezeigt, hat diese Aristoteles-Stelle bereits für den Erweis der Aporetik des philosophischen Glücksverständnisses in Summa contra Gentiles III 48 eine Rolle gespielt (vgl. 2.2.2; S . l l l f . ) .

Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre

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Definition festgestellten condiciones interpretiert, erblickt Thomas nicht nur einen weiteren Beleg dafür, daß Aristoteles selbst die Begrenztheit seines felicitas-Begriffs zur Geltung bringt, sondern er findet hier auch einen Punkt, an dem die christliche Theologie mit ihrer Lehre von der beatitudo perfecta post hanc vitam legitimerweise anknüpfen kann. Dies heißt nicht, daß Thomas den heidnischen Philosophen Aristoteles selbst für seine der christlichen Theologie entstammende Lehre von der erst im Jenseits erreichbaren vollendeten Glückseligkeit in Anspruch nehmen will. Aber er meint, zeigen zu können, daß der aristotelische Glücksbegriff für eine Bezugnahme und eine Weiterführung seitens der christlichen Theologie offen und geeignet ist. Wie Thomas diesen Nachweis führt, ist jetzt noch anhand seiner Vorgehensweise im Kommentar zu zeigen. An die oben schon zitierte Zusammenfassung (beatos dicemus illos de numero viventium in hac vita quibus existunt in praesenti et existent in futuro ea quae dicta sunt) schließt er an: Weil aber diese Voraussetzungen dafür, daß ein Mensch glücklich genannt werden kann, letztlich nicht an die oben von Aristoteles entwickelten condiciones felicitatis heranreichen, macht der Philosoph eine Einschränkung und nennt diese Menschen glücklich, sofern sie als Menschen glücklich sind und als solche in diesem der Veränderlichkeit unterworfenen Leben nie die höchste denkbare Form der felicitas, die beatitudo perfecta, erreichen können. Das natürliche Streben des Menschen, kraft dessen jener Maximalbegriff von felicitas überhaupt erst denkbar wird, kann jedoch nicht ins Leere gehen. Deshalb kann - ohne der intentio Aristotilis Gewalt anzutun - mit Recht angenommen werden, daß dem Menschen eine beatitudo perfecta post hanc vitam vorbehalten ist 31 . Daß Aristoteles die von ihm behandelte felicitas stets als eingeschränktes Glück darstellt, das durch die Bedingungen, denen menschliches Leben unterworfen ist, in hac vita nie im Vollsinn verwirklicht werden kann, liest Thomas nicht nur aus verschiedenen Passagen von Buch I der NIKOMACHISCHEN ETHIK heraus, sondern er findet seine

31

Der lateinische Text lautet: sed quia ista videntur non usquequaque attingere ad condiciones supra de felicitate positas, subdit quod tales dicimus beatos sicut homines, qui in hac vita mutabilitati subiecta non possunt perfectam beatitudinem habere. Et quia non est inane naturae desiderium, recte aestimari potest quod reservatur homini perfecta beatitudo post hanc vitam (Sententia Libri Ethicorum I 16 [M.202;L.218-225]).

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Auffassung auch am Ende dieses Werks bestätigt. Auf den Kommentar zum zweiten Teil des 7.Kapitels von Buch X (Sententia Libri Ethicorum X 11) soll deshalb noch ein kurzer Blick geworfen werden. Nachdem Thomas in lectio 10 herausgestellt hat, daß die operado speculativa nach Aristoteles die Tätigkeit ist, in der die höchste Glücksform beschlossen liegt, stellt er am Beginn von lectio 11 fest, daß der Philosoph, nachdem er die Richtigkeit seiner Auffassung anhand von fünf Argumenten gezeigt hat, diese nun, sechstens, durch die Einführung einer oben (in Buch I) nicht genannten condicio felicitatis zusätzlich erhärtet. Es handelt sich um die vacatio, die letzte Ruhe, die der Mensch im Erreichthaben des Ziels findet. Da nun nach Aristoteles den operationes virtutum practicarum, die sich in der vita activa entfalten, diese vacatio nicht zukommt, weil sie stets auf ein zu verwirklichendes Ziel ausgerichtet sind, kann in dieser Lebensform auch nicht die felicitas perfecta bestehen. Diese ist vielmehr in der operatio speculativa intellectus zu suchen, die in sich selbst bereits jene vacatio enthält, auf die die operationes virtutum practicarum noch bezogen und bei der sie von daher noch nicht angekommen sind. Die sich nun anschließende Bemerkung des Aristoteles, von felicitas perfecta könne hier aber nur gesprochen werden, sofern diese Tätigkeit ein Vollmaß des Lebens andauert, interpretiert Thomas, in Anknüpfung an seine Auslegung von Buch I, als einen Hinweis auf die einschränkenden Bedingungen, unter denen sich menschliches Handels stets vollzieht32. An dieser Stelle wird deutlich, daß in der Deutung des Thomas auch die in der N I K O MACHISCHEN ETHIK als höchste menschliche Glücksform beschriebene felicitas von Aristoteles selbst als prinzipiell begrenzt und dem Vollsinn seines felicitas-Begriffs nicht genügend aufgefaßt wurde. (c) Intentio auctoris und Veritas rei Überschaut man die bisher behandelten lectiones aus der SENTENTIA LIBRI ETHICORUM, SO ergibt sich bezüglich der Frage, wie Thomas die 32

hoc dico quantum possibile est homitti mortalem vitam agenti, in qua vita huiusmodi non possunt perfecte existere. Sic igitur in contemplatione intellectus consistit perfecta felicitas hominis, dummodo assit diuturnitatis vitae (Sententia Libri Ethicorum X 11 [ M . 2 1 0 3 f . ; L . 7 1 - 7 5 ] ) - auch hier wird, wie schon in Sententia Libri Ethicorum 1 1 0 ( M . 1 2 9 ; L . 1 6 4 - 1 7 0 ) und Sententia Libri Ethicorum 1 1 6 ( M . 2 0 0 ; L . 2 0 1 - 2 0 3 ) , der bei Aristoteles auftauchende Gedanke der perfectio von T h o m a s nicht als Vollendung schlechthin sondern lediglich als Vollendung im Sinne der vollen Lebensdauer interpretiert.

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philosophische Konzeption der ευδαιμονία in der NIKOMACHISCHEN E T H I K deutet, folgendes Bild: Thomas hat in seinem Kommentar versucht, der Aussageabsicht des Aristoteles voll Rechnung zu tragen. Dies zeigt sich zunächst in seinem Bemühen um eine detaillierte Textgliederung. Offenbar bildet für ihn die Einsicht in den formalen Aufbau einer Schrift eine notwendige Voraussetzung für das angemessene Verständnis ihres Inhalts. Weiter zeigt sich das Interesse am Verständnis der Verfasserintention in den wiederholten Hinweisen darauf, daß in der NIKOMACHISCHEN E T H I K eine auf den Bereich dieses Lebens bezogene felicitas-Lehre vorliegt. Die perfectio felicitatis, von der Aristoteles spricht, wird deshalb von Thomas auf die Gesamtheit des (irdischen) menschlichen Lebens bezogen, da, wie er ausdrücklich vermerkt, eine andere Dimension gar nicht im Blick des Philosophen sein konnte. Deshalb ist klar, daß sich Thomas des Unterschieds zwischen der christlichen Lehre von der eschatologisch gedachten beatitudo perfecta und der aristotelischen ευδαιμονία voll bewußt war, und man wird nicht fehlgehen in der Einschätzung, daß ein wichtiges Ziel des Kommentars gerade darin besteht, diesen Unterschied deutlich zu machen. Die Differenz zwischen der aristotelischen und der christlichen Lehre vom Glück hat für Thomas deshalb eine solche Relevanz, weil seiner Meinung nach von der Feststellung dieser Verschiedenheit her gezeigt werden kann, daß das entscheidende Charakteristikum der felicitas-Lehre des Philosophen in einer Offenheit hinsichtlich des christlichen beatitudo-Begriffs besteht, einer Offenheit, die es erlaubt, beide Auffassungen aufeinander zu beziehen, ohne einer von ihnen Gewalt anzutun. Im Kommentar zur NIKOMACHISCHEN ETHIK findet Thomas diese Offenheit an den Stellen, an denen Aristoteles selbst die Unerreichbarkeit der felicitas im gänzlich unverkürzten Vollsinn seiner Definition herausstellt. Nach der Interpretation des Thomas steht am Ende der NIKOMACHISCHEN ETHIK ein von ihrem Verfasser selbst gesetztes Fragezeichen, und die christliche Theologie bietet die bei Aristoteles notwendig noch ausstehende Antwort. Die thomanische Deutung im ganzen unterscheidet sich damit erheblich von der oben skizzierten augustinischen Kritik der antiken Glückslehren: Während Augustin die ihm vor Augen stehenden heidnischen Auffassungen als mit der christlichen beatitudo-Lehre unvereinbar betrachtet, versteht Thomas die aristotelische εύδαιμονία-Lehre als auf die christliche Lehre positiv beziehbar. Entscheidend für diese keinesfalls selbstverständliche Hochschätzung einer philosophischen

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Ethik war einmal, daß die Maximalform des Glücks von Aristoteles als intellektuelle Schau des Ewigen aufgefaßt wird. Von hier aus war es möglich, eine Verbindung zu Mt 5,8 zu ziehen, jenem Vers, in dem Jesus den an ihn Glaubenden die Gottesschau als eschatologisches praemium verheißt. Eine ebenso wichtige Rolle für die positive Rezeption der aristotelischen Ethik hat die von Thomas in seinem Kommentar zum Ausdruck gebrachte Überzeugung gespielt, daß der Philosoph selbst die Begrenztheit und Unvollkommenheit des dem Menschen in diesem Leben aus eigenen Kräften erreichbaren Glücks hervorgehoben hat. Somit ergibt sich, daß das oben festgestellte Interesse des Thomas am Unterschied zwischen christlicher und aristotelischer Glückslehre theologisch motiviert ist, sofern die Herausarbeitung dieses Unterschieds darauf zielt, die Offenheit der Nikomachischen Ethik für eine theologische Anknüpfung zu belegen. Dies geschieht, indem Thomas zum Zweck der Verdeutlichung der intentio auctoris bestimmte bei Aristoteles begegnende Begriffe mit Hilfe von Zusammenhängen erläutert, die im theologischen Denken verwurzelt sind, und dann die Aussagen des Philosophen von seiner (des Thomas) eigenen Auffassung des jeweiligen Begriffs her kommentiert; die Analysen der Interpretation des per se sufficiens sowie der continuitas und perpetuitas haben dies deutlich gemacht. So gelingt es Thomas in der SENTENTIA LIBRI ETHICORUM, eine rein philosophische Ethik so zu würdigen, daß einerseits deren Eigenständigkeit gegenüber der christlichen Theologie gewahrt bleibt, wobei andererseits ihre Verbindung mit letzterer keineswegs ausgeschlossen, sondern vielmehr als aufgegeben, ja realisierbar behauptet wird. Die hier erarbeitete und gerade zusammenfassend dargestellte Deutung der SENTENTIA LIBRI ETHICORUM steht freilich in einer Spannung zu der von manchen Interpreten vertretenen These, nach der Thomas der aristotelischen Philosophie seine theologischen Voraussetzungen gewissermaßen untergeschoben habe. Die christliche Perspektive, aus der heraus der Theologe den Philosophen kommentiert, führe, so wird hier gesagt, dazu, daß Thomas die Veritas rei sozusagen in die intentio auctoris hineininterpretiere. Diese Auffassung liegt beispielsweise der oben genannten Monographie von Jaffa zugrunde. Dagegen konnte gezeigt werden, daß sich Thomas ganz offensichtlich der Kluft bewußt war, die ihn von Aristoteles trennte. Dies hat er im Ethikkommentar an zahlreichen Stellen zum Ausdruck gebracht. Die Belege, die Jaffa für seine These beibringt, sind demgegenüber weder quantitativ noch gar qualitativ überzeugend, wie

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Kleber bereits deutlich gemacht hat 33 und wie die folgenden Ausführungen nochmals nachweisen sollen. Jaffa weist vor allem auf eine Stelle des Ethikkommentars hin, an der er zeigen will, daß Thomas sich mit Aristoteles sozusagen verwechselt. Es handelt sich um den Kommentar zum letzten Abschnitt des 11.Kapitels aus dem I.Buch der NIKOMACHISCHEN ETHIK (Sententia Libri Ethicorum I 17). Aristoteles behandelt hier die Frage, ob die ευδαιμονία eines glücklich gestorbenen Menschen noch nachträglich durch die Schicksale seiner Nachkommen und Freunde beeinflußt werden kann. Es geht also (im Sinne von Übersicht 3) um Punkt 3.2 (die solutio der dubitatio secunda). Nachdem Thomas die Meinung des Philosophen referiert hat, betont er, daß die Intention des Aristoteles hier nicht auf die Frage eines Weiterlebens der Menschen nach dem Tod gerichtet sei - diese Frage bleibe im gegenwärtigen Kontext außen vor. Aber, so schließt Thomas seine lectio, anderswo haben wir dies ausführlicher behandelt34. Jaffa interpretiert dies folgendermaßen: (1) Wenn Thomas sagt, Aristoteles handle hier nicht von einem Leben nach dem Tod, setzt er voraus, daß er dies anderswo tue, was aber gar nicht der Fall ist. (2) Wenn Thomas im letzten Satz der lectio in die erste Person wechselt (wir haben dies anderswo behandelt), wird deutlich, daß er seine eigene Lehre vom Leben nach dem Tod für das hält, was Aristoteles hier nicht ausführt. All dies erlaubt nach Jaffa den Schluß, daß Thomas sich im Kommentar mit Aristoteles identifiziere, wobei er zugleich dessen Lehre mit seiner eigenen Position gleichsetze35. Gegen diese Interpretation ist zunächst geltend zu machen, daß der Ethikkommentar insgesamt in eine andere Richtung deutet. Thomas will zeigen, daß die philosophische Konzeption des irdischen Glücks dem nicht widerspricht, was von der christlichen Offenbarung über das Glück gesagt ist, sondern sogar für eine theologische

33

Vgl. Hermann Kleber, Glück als Lebensziel, 6 6 - 7 2 .

34

Quaerere autem utrum homines post mortem aliqualiter vivant... non pertinet ad propositum, cum Philosophus hic agat de felicitate praesentis vitae ...Et ideo huiusmodi quaestiones ... hic praetermittendae sunt, ne in hac scientia, quae est operativa, plures sermones extra opera fiunt, quod supra Philosophus reprobavit. Alibi autem haec plenius disseruimus (Sententia Libri Ethicorum I 1 7 [M.212;L. 142-144.146-153]).

35

Thomas „not only identifies himself in the commentary with Aristotle, qua philosopher, but Aristotle with himself qua theologian" (Harry V. Jaffa, Thomism and Aristotelianism, 1 4 8 ; vgl. auch den ganzen Zusammenhang aaO, 1 4 6 - 1 4 8 ) .

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Ergänzung offen ist. Aus diesem Verhältnis beider Positionen folgt allerdings nach Thomas durchaus nicht deren Identität - gerade die Nichtidentität ist es ja, die es erlaubt, sie sinnvoll aufeinander zu beziehen. Unabhängig von der Tatsache, daß von daher eine Identifizierung mit Aristoteles gar nicht in der Absicht des Thomas gelegen haben kann, läßt sich auch anhand des von Jaffa herangezogenen Textes die Unhaltbarkeit seiner Interpretation zeigen. (1) Jaffa interpretiert das ,hic' an dieser Stelle sehr eng, so als bedeute es ,hier' in dem Sinne, daß es zwingend ein ,anderswo' einschlösse, so, als ob Aristoteles nach Thomas auf eine Erörterung verzichte, die er an einer anderen Stelle seiner Schrift nachliefere. Betrachtet man aber den weiteren Zusammenhang, dann stellt man schnell fest, daß es sich um eine Variante des im Ethikkommentar oft begegnenden Hinweises auf die Intention des Philosophen handelt. Daß die felicitas, von der Aristoteles spricht, stets auf die Perspektive des irdischen Lebens beschränkt bleibt, wird Thomas nicht müde zu betonen. In diesen Zusammenhängen gebraucht er mehrfach ,hic', jedoch offenbar rein rhetorisch, denn ein auch nur impliziter Ausblick auf ein anderswo ist an keiner Stelle ersichtlich36. In einem oben bereits besprochenen Zusammenhang sagt Thomas sogar, Aristoteles beschränke sich in hoc libro auf das diesseitige Glück, doch daß selbst hier nicht an einen liber alius gedacht ist, in dem der Philosoph das hier Ausgeklammerte nachreicht, wird sofort deutlich, wenn man weiterliest: Loquitur enim in hoc libro Philosophus de felicitate qualis in hac vita potest haberi, nam felicitas alterius vitae omnem investigationem rationis exced.it37. Hier wird deutlich, daß der Grund für die Beschränkung des Aristoteles auf die Perspektive des irdischen Lebens nach Thomas nicht methodischer, sondern grundsätzlicher Art ist, da der Philosoph Aristoteles jene erst durch die christliche Offenbarung zugängliche Dimension des Glücks gar nicht berücksichtigen konnte, weil diese mittels der Vernunft, auf die allein sich Aristoteles stützte, gar nicht erreichbar war. Die hic-Stellen stehen demnach nicht, wie Jaffa meint, im Widerspruch zu dem zuletzt

36

37

Belege: est notandum quod Philosophus non loquitur hic de felicitate futurae vitae (Sententia Libri Ethicorum I 15 [M.180;L.53f.]); mortui positi sunt extra vitam praesentem, cuius felicitatem Aristotiles hic inquirere intendit (Sententia Libri Ethicorum I 17 [M.206;L.58-60]; Hervorhebungen von mir, R.L.). Sententia Libri Ethicorum I 9 (M.113;L.162-165).

Die Bedeutung der Tradition für die thomanische beatitudo-Lehre

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angeführten Zitat 3 8 , sondern sind im Gegenteil von ihm her zu interpretieren, da sie inhaltlich nichts anderes meinen, sondern lediglich kürzer formuliert sind. (2) Der Übergang in die erste Person hat verschiedene Gründe. Zum ersten neigt Thomas besonders am Ende von lectiones dazu, im Rahmen eines zusammenfassenden und durchaus auch wertenden Resümees des erklärten Abschnitts seine eigene Auffassung mit zur Geltung zu bringen. Bei der hier zu diskutierenden Stelle handelt es sich ganz offensichtlich um ein solches Fazit. Daß dies unter Verwendung der ersten Person formuliert wird, ist freilich in der Tat unüblich. Denn in aller Regel werden diese Passagen mit Wendungen wie sciendum est autem, notandum est oder ähnlichen Ausdrücken eingeleitet 39 . Es muß jedoch - zum zweiten - beachtet werden, daß Thomas mit dem Schluß von lectio 1 1 7 am Ende seiner drei lectiones umfassenden Kommentierung des für ihn wichtigen 11.Kapitels von Buch I der NIKOMACHISCHEN ETHIK steht. Daß er vor allem hier einen Anknüpfungspunkt für ein theologisches Weiterdenken der aristotelischen Ethik gesehen hat, ist oben dargestellt worden. Da die im Rahmen dieses Weiterdenkens fällige Behandlung der beatitudo post hanc vitam bei Aristoteles selbst noch nicht vollzogen sein konnte, im Denken des Thomas bzw. der christlichen Theologie jedoch realisiert ist, wird man den Schlußsatz von Sententia Libri Ethicorum I 17 als Hinweis des Thomas an seine Hörer zu verstehen haben, daß er selbst bzw. die christlichen Theologen insgesamt das nachliefern, was in der Konzeption des Aristoteles offenbleiben mußte: Der Philosoph behandelt hier die felicitas praesentis vitae. Die aus unserer Sicht nun fällige Behandlung der beatitudo post hanc vitam unterbleibt im Rahmen dieses Kommentars, da sie die Grenzen der scientia operativa, innerhalb deren sich das zu behandelnde Werk hält, überschreiten und deshalb die reprobatio Philosophi auf sich ziehen würde. An-

„Thus, on the one hand T h o m a s insists tirelessly that Aristotle omits discussing the life after death because it would take him beyond the confines of ethics proper, but than says that such an inquiry exceeds the power of reason" (Harry V. Jaffa, T h o m i s m and Aristotelianism, 1 4 8 ) . 39

Pars pro t o t o sei auf Sententia Libri Ethicorum I 2 ( M . 3 1 ; L . 1 9 3 f f . ) verwiesen; als wenigstens ein weiteres Beispiel für die Verwendung der ersten Person in einem vergleichbaren Zusammenhang kann der in A n m . 3 2 ziterte Abschnitt aus Sententia libri Ethicorum X 11 gelten ( M . 2 1 0 3 ; L . 7 1 - 7 3 ) : hoc dico quantum possibile est homini mortalem vitam agenti, in qua vita huiusmodi non possunt perfecte existere (Hervorhebung von mir, R.L.).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

derswo haben wir die beatitudo perfecta im übrigen schon behandeh40. 2.3.3 Ergebnis Da die wichtigsten in 2.3.1 und 2.3.2 gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen des jeweiligen Kapitels bereits zusammengefaßt worden sind, seien hier lediglich zwei Aspekte hervorgehoben. Es konnte deutlich gemacht werden, daß es primär das biblische Zeugnis ist, auf dessen Grundlage Thomas seinen Glückseligkeitsbegriff entwickelt. In den frühen theologischen Synthesen war die beatitudo sive felicitas als die erst eschatologisch und nur mit göttlicher Hilfe erreichbare visio Dei intellectualis bestimmt worden. In seiner Kommentierung der Seligpreisungen nach Matthäus führt er diese Auffassung auf die Verkündigung Jesu selbst zurück, ja er erblickt in der Verheißung einer sich in contemplado und delectado vollziehenden Gemeinschaft des Menschen mit Gott das eigentliche Zentrum der doctrina Domini. Damit ist einerseits die These vom Primat der Theologie im Denken des Thomas einmal mehr verifiziert; andererseits ist angezeigt, daß sich aus der Einbindung des beatitudoBegriffs in die Theologie allein noch nicht auf einen eudämonistischen oder gar bibelfremden Ansatz schließen läßt. Daß es in der Tat das eigentliche Letztziel des Menschen ist, das in der Verkündigung Jesu offenbar gemacht wurde, kann man nach Thomas daran sehen, daß schon die vorchristliche Glücksphilosophie des Aristoteles jedenfalls indirekt auf eine beatitudo perfecta nach diesem Leben verweist. In den frühen theologischen Synthesen hatte Thomas primär Wert darauf gelegt, die Differenz zu betonen, die zwischen der aristotelischen beatitudo humano modo und dem von der Möglichkeit einer Überwindung des modus humanus ausgehenden christlichen Glückseligkeitsbegriff besteht. In seinem Kommentar zur aristotelischen Ethik zielt er dagegen in erster Linie darauf ab, diese Differenz innerhalb der Konzeption des Philosophen selbst nachzuweisen. Aristoteles hat demnach einen Begriff von beatitudo formuliert, für den es, wie er selbst wußte, keine Entsprechung in der

40

Vgl. nochmals Sententia Libri Ethicorum I hic agat de felicitate praesentis vitae ...Et praetermittendae sunt, ne in hac scientia, extra opera fiunt, quod supra Philosophus disseruimus.

17 (M.212;L.146-153): Philosophus ideo huiusmodi quaestiones ... hic quae est operativa, plures sermones reprobavit. Alibi autem haec plenius

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Realität geben kann - jedenfalls nicht in der Realität dieses Lebens, die ihm allein vor Augen stand. Angesichts dieser Widersprüchlichkeit ergibt sich nach Thomas die Möglichkeit, auch und gerade aus philosophischer Perspektive sinnvoll von einer beatitudo perfecta post hanc vitam zu reden.

2.4

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

2.4.1 Der beatitudo-Traktat (Summa Theologiae P-lP e 1-5) Die fünf quaestiones des beatitudo-Traktats, die aus jeweils acht Artikeln bestehen, sind bereits vielfach Gegenstand intensiver Interpretationsbemühungen gewesen. Zu nennen sind hier zunächst die von Antonin-Gilbert Sertillanges für die französische Ausgabe der SUMMA THEOLOGIAE besorgte zweisprachige (sparsam kommentierte) Edition von Summa Theologiae Ia-IIae 1-5 1 sowie das monumentale Werk von Jacobus M. Ramirez, das weithin einen groß angelegten Kommentar zum beatitudo-Traktat darstellt2. Die in der jüngeren Forschung im allgemeinen akzeptierte These vom Primat der Theologie im Denken des Thomas (vgl. 2.3.1.1) ist bislang an diesem wichtigen Textkorpus allerdings noch nicht verifiziert worden. Gerade in neueren Darstellungen werden die ersten fünf quaestiones der Prima Secundae mit Vorliebe als Grundlage einer philosophischen Ethik3 bzw. als Gestalt einer Philosophie des Glücks bei Thomas von Aquin4 thematisiert. Allerdings werden auch andere Akzente gesetzt. So hat z.B. Roger Guindon das Verhältnis von beatitudo und Moral-Theologie bei Thomas untersucht5, und 1

Vgl. Antonin-Gilbert Sertillanges, La fin dernière ou la béatitude (Saint T h o m a s d'Aquin, Somme Théologique, Edition de la revue des jeunes), Paris-TornaiRom 1936.

2

Vgl. Jacobus M . Ramirez, De hominis beatitudine. Tractatus theologicus ad Primam Secundae Summae Theologiae (qq 1-5) S.Thomae Aquinatis concinnatus, 3 Bände, Madrid 1 9 4 2 - 1 9 4 7 ; neu herausgegeben von Victor Rodriguez, um zwei Bände vermehrt, Madrid 1 9 7 2 .

3

Wolfgang Kluxen, Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, Mainz 1 9 6 4 (WSAMA.P 2), vgl. bes. 1 0 8 - 1 6 5 .

4

Hermann Kleber, Glück als Lebensziel, vgl. bes. 5 3 - 2 1 1 .

5

Roger Guindon, Béatitude et Théologie morale chez saint Thomas d'Aquin. Origines - Interpretation, Ottawa 1 9 5 6 , vgl. bes. 1 4 9 - 3 3 3 .

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Eberhard Schockenhoff ist nicht nur den philosophischen, sondern gerade auch den theologischen Grundlagen der thomanischen Tugendethik nachgegangen 6 . In den folgenden Analysen wird versucht, die theologischen und philosophischen Aspekte in Thomas' beatitudo-Lehre gleichermaßen zu berücksichtigen. Dabei wird sich zeigen, wie konsequent Thomas die von ihm umfassend gewürdigte philosophische Tradition in sein theologisches Konzept integriert. Diese Integration der vorchristlichen Glücksphilosophie in einen christlich-theologischen Gesamtzusammenhang hat eine teifgreifende Veränderung der εύδαιμονία-Lehre des Aristoteles zur Folge, eine Veränderung, die an Thomas' amorund caritas-Lehre besonders deutlich werden wird (vgl. 2.4.3; S.222ff.). Für die Frage nach dem Eudämonismus bei Thomas hat diese Erkenntnis wichtige Konsequenzen, gilt doch die angebliche Dominanz des aristotelischen Denkens in Thomas' beatitudo-Lehre als zentraler Beleg für den Eudämonismus in seiner Ethik. Dagegen wäre der Eudämonismus-Vorwurf als ungerechtfertigt zurückgewiesen, wenn überzeugend dargestellt werden könnte, daß der thomanische Glücksbegriff primär theologisch geprägt ist. Dieser Nachweis soll im folgenden geführt werden. 2.4.1.1 Der Prolog (Summa Theologiae Γ-ΙΓ ε prol) Die kurze Vorrede zu Summa Theologiae II, in der Thomas in äußerst gedrängter Form darstellt, worum es ihm in den folgenden gut 300 quaestiones geht, ist in besonderer Weise geeignet, den Zusammenhang zwischen der das Gesamtwerk bestimmenden theozentrischen Perspektive und der in Teil II ergänzend hinzutretenden anthropologischen Vertiefung zu demonstrieren7. Folgt man zunächst dem im Prolog zu Summa Theologiae I 2 gegebenen Gesamtplan, dann behandelt die Pars Secunda die Rückkehr der vernunftbegabten Kreatur zu Gott als ihrem Ursprung8. Auch Summa Theologiae II richtet sich also grundsätzlich „in erster 6

Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, vgl. bes. 95-128.

7

Vgl. zum folgenden vor allem aaO, 17-83 primo tractabimus de Deo; secundo, de motu rationalis creaturae in Deum (Summa Theologiae I 2 prol.; Hervorhebung von mir, R.L.). Daß der motus rationalis creaturae streng theozentrisch verstanden ist, macht z.B. Summa Theologiae I 1,7c deutlich: Omnia autem pertractantur, in sacra doctrina sub ratione Dei ν el quia sunt ipse Deus; vel quia habent ordinem ad Deum, ut ad principium et finem.

8

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA THEOLOGIAE

155

Linie auf Gott und auf die menschlichen Handlungen nur insofern, als er sich an ihnen offenbart und durch sie den Menschen auf sich hinführt" 9 . Deshalb ist es zweifellos richtig, daß die Pars Secunda der SUMMA THEOLOGIAE keine philosophische Ethik darstellt und auch jenseits der Unterscheidung von spekulativ und praktisch bzw. von Dogmatik und Moral steht 10 . Allerdings wird dieser Gesamtplan im Prolog zur Prima Secundae dahingehend erweitert, daß als Thema des zweiten Teils der Mensch genannt wird, sofern er mit eigener Wirkmächtigkeit und freiem Willen ausgestattet ist. Dieser Einsatz beim Menschen selbst erfordert nun innerhalb einer theologischen Betrachtung seines Weges zu Gott die Erfassung der spezifisch humanen Handlungsstrukturen, und die Untersuchung wird sich deshalb, als eine „Anthropologie in theologischer Absicht" 1 1 , jedenfalls auch einer philosophischen Ethik bedienen: Thomas nähert sich der theologischen Materie hier nicht mehr aus einer rein theozentrischen, sondern aus einer theo-anthropozentrischen Perspektive 12 . Als eine Art Scharnier, durch das die rein theozentrische Perspektive von Summa Theologiae I mit der theo-anthropozentrischen Betrachtungsweise von Summa Theologiae II verbunden ist, fungiert der Begriff der Gottebenbildlichkeit (imago Dei), der als Motto für den gesamten zweiten Teil der SUMMA THEOLOGIAE dient 13 . Damit

9

Dietmar Eickelschulte, Beatitudo als Prozeß. Zur Frage nach dem Ort der theologischen Ethik bei Thomas von Aquin, in: Paulus Engelhardt (Hg.), Sein und Ethos. Untersuchungen zur Grundlegung der Ethik, Mainz 1963 (WSAMA.P 1), 158-185, hier 173.

10

Vgl. aaO, 164.172. Auch Otto Hermann Pesch hat darauf hingewiesen, daß wir es bei Summa Theologiae II nicht „mit dem mittelalterlichen Gegenstück eines neuzeitlichen moraltheologischen Lehrbuchs zu tun" haben (Otto Hermann Pesch, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin, 403). Man wird dem Ansatz des Thomas vor allem dann nicht gerecht, wenn man den zweiten Teil der SUMMA T H E O L O G I A E als die Darstellung eines Weges zur Selbstverwirklichung des Menschen auffaßt. Im philosophischen Bereich ist dieses Verständnis leider noch immer nicht ganz überwunden. Dies zeigt sich z.B. bei Gerd Gerhardt, Kritik des Moralverständnisses. Entwickelt am Leitfaden einer Rekonstruktion von ,Selbstverwirklichung' und Vollkommenheit', Bonn 1989 (APPP 217; zugl. Diss.Konstanz); vgl. bes. 132-155 (zu Thomas). Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 87. Vgl. zu dieser Formulierung Karl-Wilhelm Merks, Theologische Grundlegung der sittlichen Autonomie, 75-78. postquam praedictum est de exemplari, scilicet de Deo,... restât ut constderemus de ejus imagine, idest de hotnine, secundum quod et ipse est suorum operum principium (Summa Theologiae Ia-IIae prol.; Hervorhebung von mir, R.L.). Ul-

11 12

13

156

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

nimmt Thomas ein Stichwort auf, das er wenige quaestiones zuvor, im zweiten Teil des Traktats über die Schöpfung des Menschen, im Zusammenhang mit der Frage nach dem Zweck bzw. dem Ziel von dessen Hervorbringung behandelt hatte 14 . Diesen finis sive terminus der Schöpfung des Menschen, den Thomas an jener Schriftstelle benannt findet, wo gesagt wird, der Mensch sei ad imaginem et similitudinem Dei geschaffen (Gen 1,27), befragt er in neun Artikeln auf seine genauere Bedeutung hin. Die Frage, ob und in welcher Weise der Mensch Bild (imago) Gottes genannt werden kann, beantwortet Thomas zunächst in Form einer näheren Bestimmung der verschiedenen Arten von Ähnlichkeit (similitudo). Die similitudo bildet demnach den Oberbegriff der imago, ein Ansatz, den Thomas von Augustin übernommen hat, wie das Zitat aus dessen Schrift D E DIVERSIS QUAESTIONIBUS O C T O G I N T A T R I B U S (388-395/6) am Anfang des corpus articuli von Summa Theologiae I 93,1 zeigt 15 . Nun hat Thomas in einem ganz anderen Zusammenhang die verschiedenen Möglichkeiten der similitudo dargestellt, um zu zeigen, in welcher Weise die geschaffenen Dinge Gott ähnlich (similis) sein können 16 . Er stellt hier heraus, daß von Ähnlichkeit zwischen Gott und der Schöpfung lediglich in analogem Sinne gesprochen werden kann: Zwar besteht zwischen beiden ein Verhältnis, das dem von Hersteller (faciens) und Hergestelltem (factum) entspricht, da aber Gott außerhalb jeder Gattung steht, kann sich die Ähnlichkeit seiner Wirkungen mit ihm nicht im stren-

rich Kühn hat im Hinblick auf den zitierten Text sogar von einer „Durchkreuz u n g " des den Sentenzenkommentar und die

14 15

16

SUMMA CONTRA GENTILES n o c h

bestimmenden exitus-reditus-Motivs „durch das Schema exemplar-imago" gesprochen (beide Zitate: Ulrich Kühn, Via Caritatis, 125). Wie sich noch zeigen wird, ist es in der Tat offensichtlich, daß Thomas, sicher vor allem angeregt durch die aristotelische Ethik, in seinem Spät- und Hauptwerk auf eine Herausarbeitung der anthropologischen Handlungsstrukturen mehr Wert legt als in den frühen Entwürfen. Vgl. Summa Theologiae I 93: De fine sive termino productionis hominis. Imago et aequalitas et similitudo distinguenda sunt. Quia ubi imago, continuo similitudo. non continuo aequalitas: ubi aequalitas, continuo similitudo, non continuo imago: ubi similitudo. non continuo imago, non continuo aequalitas. Ubi imago, continuo similitudo, non continuo aequalitas (Augustin, De Diversis quaestionibus octoginta tribus, quaestio 74 [zu Kol 1,14.15a], MPL 40,85f.; CChr.SL 44A,213:5-9). Die unterstrichenen Passagen sind es, auf die sich Thomas in Summa Theologiae I 93,1c bezieht. Vgl. Summa Theologiae I 4,3: Utrum aliqua creatura possit esse similis Deo.

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

157

gen Sinne auf seine Gattung (genus) bzw. seine Art (species) beziehen 17 . In Summa Theologiae I 93,1 wird diese für das Gott-WeltVerhältnis als analog bestimmte Verbindung eines Herstellenden zu einem Hergestellten als erste Bedingung dafür genannt, daß von imago gesprochen werden kann: Das Bild verweist stets auf einen Bildner, es ist Ausdruck eines anderen, zu dem es, wie Thomas hinzufügt, in einem Nachahmungsverhältnis steht. Dieser Aspekt der imitatio muß zur similitudo hinzukommen, damit von imago geredet werden kann 18 . Hier besteht nun nach Thomas kein Zweifel, daß für den Gott-Mensch-Zusammenhang diese Voraussetzung erfüllt ist, stehen doch beide im Verhältnis von exemplar und exemplatum. Da jedoch das exemplatum vom exemplar unendlich weit überragt wird, ist eine vollkommene Nachahmung, die die Gleichheit beider bedeuten würde, ausgeschlossen. Deshalb kann der Mensch lediglich als imago Dei imperfecta bezeichnet werden, ein Umstand, dem die Schrift nach Thomas insofern Rechnung trägt, als es in Gen 1,26 heißt, der Mensch sei ad imaginem Dei geschaffen19. Aber die erst in der Gleichheit (aequalitas) realisierte perfectio imaginis gehört nach Thomas auch nicht zum Begriff der imago im allgemeinen, sie stellt lediglich einen Sonderfall dar 20 . Dieser Sonderfall ist allerdings sehr wichtig, da er auf Christus zutrifft, der ja in der Tat in Kol 1,15 ausdrücklich als imago Dei bezeichnet wird21. Die Bedeutung dieses singulären Falls von imago Dei perfecta ergibt sich aus seiner Verbindung mit dem, was über den Menschen gesagt ist: Dieser wird genau deshalb imago Dei genannt, weil er auf das ihm in Christus begegnende Heil orientiert ist. Insofern weist der imago-Gedanke im Prolog von Summa Theologiae II nicht nur zurück auf die Anthropologie der Pars Prima, sondern ebenso nach vorn auf die Pars Tertia, wo mit Christus als der imago perfecta der Weg beschrieben wird, auf dem 17

18

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20

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Si igitur sit aliquod agens, quod non in genere contineatur, effectus eius ... non ... participent similitudinem formae agentis secundum eandem rationem speciei aut generis, sed secundum aliqualem analogiam (Summa Theologiae I 4,3c). imago aliquid addit supra rationem similitudinis, scilicet quod sit ex alio expressum: ,imago' enim dicitur ex eo quod agitur ad imitationem alterius (Summa Theologiae I 93,le). praepositio enim ,ad' accessum quendam significai, qui competit rei distanti (ebd.). Aequalitas autem non est de ratione imaginis ... Est tamen de ratione perfectae imaginis (ebd.). Vgl. Summa Theologiae I 35 (Christus als imago) sowie Summa Theologiae I 93,lad2.

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

die Menschen zu Gott gelangen 22 . Hier wird die z.B. von Otto Hermann Pesch festgestellte sachliche Christozentrik des thomanischen Denkens deutlich, ist doch die gerade zitierte Erwähnung Christi gleich am Anfang der SUMMA THEOLOGIAE eine „deutliche Anweisung, bei der Lektüre der Ia und IIa Pars den Inhalt der IIIa Pars stets mitzudenken" 23 . Im zweiten Artikel verdeutlicht Thomas, inwiefern gerade der Mensch in Abgrenzung vom Rest der Schöpfung (mit Ausnahme der Engel24) imago Dei genannt wird. Von einer imago kann, so Thomas, nicht schon dann mit Recht gesprochen werden, wenn lediglich eine aus einer Ursprungsbeziehung resultierende Gattungsähnlich keitvotliegt. Zur similitudo secundum genus muß eine Artähnlichkeit hinzukommen , wie sie etwa zwischen Vater und Sohn gegeben ist. Mindestens wird über die Gattungsähnlichkeit mit dem exemplar hinaus für die imago ein die Art des Vorbildes in besonderer Weise kennzeichnendes Charakteristikum gefordert - und dies vorrangig im Hinblick auf die Gestalt, wie etwa das Portrait eines Menschen in Kupfer eingeprägt ist 25 . Nun besteht zwischen Gott und der Schöpfung die schon erwähnte Analogie hinsichtlich des Seins. Alle Dinge haben, sofern sie sind, teil am Sein Gottes als dem ersten und allgemeinen Prinzip allen Seins26. Diese fundamentale Gemeinsamkeit erlaubt es, im Sein eine analog verstandene similitudo secundum genus sowohl zwischen Gott und Mensch als auch zwischen Gott und der übrigen Schöpfung zu erblicken. Die für das Problem der 22

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26

Vgl. nochmals die von Thomas selbst gegebene Gliederung der S U M M A T H E O LOGIAE: primo tractabimus de Deo; secundo, de motu rationalis creaturae in Deutn; tertio, de Christo, qui, secundum quod homo, via est nobis tendendi in Deum (Summa Theologiae I 2 prol.; Hervorhebung von mir, R.L.). Otto Hermann Pesch, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin, 926 Anm.40; ebd. auch zahlreiche weitere Belege für die entscheidende Bedeutung der Christologie in den beiden ersten Teilen der S U M M A T H E O L O G I A E , die noch nicht explizit von Christus als dem concretissimum des göttlichen Heilshandelns sprechen; zu Peschs These von der sachlichen Christozentrik vgl. noch aaO, 581-584. 864-866. Zur Gottebenbildlichkeit der Engel im Vergleich zu der der Menschen vgl. Roger Guindon, Béatitude et Théologie morale chez saint Thomas d'Aquin, 260-263. Requiritur autem ad rationem imaginis quod sit similitudo secundum speciem, sicut imago regis est in filio suo: vel ad minus secundum aliquod accidens proprium speciei, et praecipue secundum figuram, sicut hominis imago dicitur esse in cupro (Summa Theologiae I 93,2c). ilia quae sunt a Deo, assimilantur ei inquantum sunt entia, ut primo et universali principio totius esse (Summa Theologiae I 4,3c).

D i e b e a t i t u d o - L e h r e i n d e r SUMMA THEOLOGIAE

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imago-Dei-Bestimmung des Menschen entscheidende Frage nach der Artähnlichkeit nimmt von hier ihren Ausgang. Zwar sind dem Menschen wegen der Begrenztheit seines Erkenntnisvermögens die Eigenschaften Gottes unbekannt. In der Grundbestimmung des in sich ruhenden Seins, die Gott vom Menschen her zunächst beigelegt wird, sind aber alle denkbaren Vollkommenheiten enthalten 2 . Was wir darüber hinaus über Gottes species sagen können, entstammt unserem Erfahrungshorizont, wobei all das, was uns hier begegnet, Gott in vollkommener Weise zugesprochen werden muß. Daraus ergibt sich, daß die höchste Vollkommenheit im kreatürlichen Bereich am weitesten an Gott selbst heranreicht. Die Frage danach, wo diese höchste Vollkommenheit begegnet, entspricht folglich der nach dem Vorhandensein eines göttlichen Artmerkmals und mithin der nach einer imago Dei unter den Geschöpfen. Hier liegt es auf der Hand, daß die Seinsweise der creatura intellectualis die vollkommenste ist, die im geschöpflichen Bereich angetroffen wird. Während die übrigen Kreaturen entweder nur sind oder sowohl sind als auch leben, kommt es allein der mit Verstand begabten Schöpfung zu, über all das hinaus noch zu erkennen. Dadurch befindet sie sich, wie Thomas im Anschluß an Augustin feststellt, in nächster Ähnlichkeit zu Gott 2 8 , dessen Wesen in der Erkenntnis seiner selbst besteht 29 . Durch ihr Erkenntnisvermögen wird die creatura intellectualis in die Lage versetzt, sich denkend auf das Allgemeine zu beziehen, sie ist, wie es in Summa Theologiae I 93,2ad3 heißt, capax summi boni und insofern zum Mitvollzug der Selbsterkenntnis und Selbstliebe Gottes bestimmt, durch den das (erst in der jenseitigen Gottesschau mögliche) Maximum an imitatio Dei erreicht ist 30 . Die imitatio Dei, zu der Mensch 27

Diese Aussagen entwickelt Thomas in Summa Theologiae I 3.4; als zusammenfassendes Zitat sei hier ein Satz aus Summa Theologiae I 4,2c angeführt: ex hoc quod supra (in 3,4; R.L.) ostensum est, quod Deus est ipsum esse per se subsistens: ex quo oportet quod totam perfectionem essendi in se contineat.

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Assimilantur autem aliqua Deo, primo quidem, et maxime communiter, inquantum sunt; secundo vero, inquantum vivunt; tertio vero, inquantum sapiunt vel intelligunt. Quae, ut Augustinus dicit in libro Octoginta trium Quaest., ,ita sunt Deo similitudine próxima, ut in creaturis nihil sit propinquius' (Summa Theologiae I 93,2c; vgl. Augustin, De diversis quaestionibus octoginta tribus, quaestio 51 [De homine facto ad imaginem et similitudinem Dei 2], MPL 4 0 , 3 2 ; CChr.SL 44A,80:43f.).

19

est necesse dicere quod intellegere Dei est eius substantia (Summa Theologiae I 14,4c).

30

Imitatur autem intellectualis natura maxime Deum quantum ad hoc, quod Deus seipsum intelligit et amat (Summa Theologiae I 93,4c).

160

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

aufgrund seiner Geistnatur imstande ist, geht dennoch weit über das hinaus, was der Rest der Schöpfung diesbezüglich leisten kann, der daher Gott auch nicht als imago repräsentiert, sondern lediglich als sein vestigium gelten kann. Daraus ergibt sich auch, daß der intellectus bzw. die mens als eigentlicher ,Sitz' der menschlichen Gottebenbildlichkeit gilt31. Und bezüglich dieses .Sitzes' der Gottebenbildlichkeit ist auch jene von Thomas für den imago-Begriff geforderte similitudo secundum speciem wenigstens im Ansatz gegeben: creaturae rationales videntur quodammodo ad repraesentationem speciei pertingere, inquantum imitantur Deum non solum in hoc quod est et vivit, sed etiam in hoc quod intelligit32. Das einschränkende quodammodo' weist darauf hin, daß der Mensch nicht in dem Sinne imago Dei ist, wie ein Sohn ,Bild seines Vaters' genannt wird. Dies ist jener einzig auf Christus zutreffende Fall einer perfectio imaginis33. Indem der Mensch secundum mentem die Selbsterkenntnis Gottes mitvollzieht, gibt er das Denken Gottes zwar nicht in der Weise wieder, in der dieser selbst es verwirklicht, er repräsentiert es aber immerhin so, wie die Form eines Hauses auf die gedankliche Konzeption seines Baumeisters verweist34. Die imago-Dei-Bestimmung des Menschen bezieht Thomas nicht nur auf die seiner Auffassung nach bereits mit Hilfe natürlicher Vernunft erkennbare Geistnatur Gottes, sondern ausdrücklich auch

31

32 33

34

Id autem in quo creatura rationalis excedit alias creaturas, est intellectus sive mens. Unde reliquitur quod nec in ipsa rationali creatura invenitur Dei imago, nisi secundum mentem (Summa Theologiae 93,6c). Adolf Hoffmann hat in seinem Kommentar zu diesem Artikel mit Recht auf den Zusammenhang zwischen der thomanischen Lehre von der mens als Stätte der Gottebenbildlichkeit und der mystischen Lehre vom Seelengrund hingewiesen; vgl. Thomas von Aquin, Erschaffung und Urzustand des Menschen (Summa Theologiae I 90-102), Übersetzung und Anmerkungen von Adolf Hoffmann, München-Heidelberg 1941 (DThA 7), 305f. Summa Theologiae I 93,6c. Et quia similitudo perfecta Dei non potest esse nisi in identitate naturae, imago Dei est in Filio suo primogenito sicut imago regis in filio sibi connaturali; in homine autem sicut in aliena natura, sicut imago regis in nummo argenteo (Summa Theologiae I 93,lad2). Dieses Beispiel, das sachlich dasselbe meint wie das des in Metall geprägten Bildes, verwendet Thomas schon in Summa Theologiae 1 4 4 , 3 a d l : creaturae non pertingant ad hoc quod sint similes Deo secundum suam naturam, similitudine speciei, ut homo genitus homini generati; attingunt tarnen ad eius similitudinem secundum repraesentationem rationis intellectae a Deo, ut domus quae est in materia, domui quae est in mente artificis.

D i e b e a t i t u d o - L e h r e i n d e r SUMMA THEOLOGIAE

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auf dessen nur durch Offenbarung bekanntes trinitarisches Wesen 35 . Indem der Mensch secundum mentem zum einen von seinem Verstand Gebrauch machen und ein Wort hervorbringen und zum anderen kraft seines Willens lieben kann, bildet er in seinem Geist die Hervorgänge der zweiten und dritten trinitarischen Person aus Gott ab 36 . Damit ist aber zugleich gesagt, daß der Mensch seine Bestimmung als imago Dei nach Thomas genau dann und nur dann realisiert, wenn das Objekt, auf das er sich mit intellectus und voluntas bezieht, tatsächlich Gott ist. Denn er ist ja nicht dadurch imago Trinitatis, daß er einfach nur erkennt und liebt, sondern dadurch, daß es Gottes Selbsterkenntnis und Selbstliebe sind, die er .imitiert' 37 , daß er also in seinen eigenen Erkenntnis- und Liebesakten an denen des dreieinigen Gottes teilnimmt. Das dem Menschen in Christus offenbarte Heil, auf das er von seiner Erschaffung her orientiert ist und in dessen Erlangung sich seine imago-Dei-Bestimmung erfüllt, besteht demnach in der Teilnahme am innertrinitarischen Erkenntnis- und Liebesprozess. Die Frage, wie der Mensch zu dieser Teilnahme gelangt, wird von Thomas im Zusammenhang seiner Lehre von der Gottebenbildlichkeit nicht eigens erörtert. Der Kontext, in dem statt dessen darüber reflektiert wird, ist - konsequenterweise - die Trinitätslehre, vor allem deren Schlußabhandlung, in der es um die Sendung der göttlichen Personen geht, um die Ausweitung der ewigen innertrinitarischen Beziehungen in die Zeitlichkeit der Welt hinein 38 . Von Bedeutung ist hier insbesondere der eindeutige terminologische Zusammenhang zwischen den Aussagen in Summa Theologiae I 43,3 und denen der

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Sic igitur dicendum est in hominem esse imaginem Dei et quantum ad naturam divinam, et quantum ad Trinitatem Personarum: nam in ipso Deo in tribus Personis una existit natura (Summa Theologiae I 93,5c). cum increata Trinitas distinguatur secundum processionem Verbi a dicente, et Amoris ab utroque, ... in creatura rationali, in qua invenitur processio verbi secundum intellectum, et processio amoris secundum voluntatem, potest dici imago Trinitatis increatae per quandam repraesentationem speciei (Summa Theologiae I 93,6c). Verbum autem Dei nascitur de Deo secundum notitiam sui ipsius, et Amor procedit a Deo secundum quod seipsum amat. Manifestum est autem quod diversitas obiectorum diversificai speciem verbi et amoris: non enim idem est specie in corde hominis verbum conceptum de lapide et de equo, nec idem specie amor. Attenditur igitur divina imago in homine secundum verbum conceptum de Dei notitia, et amorem exinde derivatum (Summa Theologiae I 93,8c). Vgl. Summa Theologiae I 43: De missione divinarum Personarum.

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

imago-Dei-Lehre. Thomas stellt fest, daß Gott in einer allgemeinen Weise in allen Geschöpfen gegenwärtig ist, daß aber seine Anwesenheit in der creatura rationalis einen besonderen Charakter hat. Die Besonderheit besteht darin, daß Gott in der creatura rationalis gegenwärtig sein will wie das Erkannte im Erkennenden und das Geliebte im Liebenden. Und, so Thomas weiter, indem der Mensch Gott erkennt und liebt, reicht er an ihn selbst heran, weshalb dieser modus specialis der Präsenz Gottes im Menschen auch als inhabitatio, als Einwohnung, bestimmt wird 39 . Die so beschriebene Gegenwart Gottes im Geschöpf entspricht aber genau jenem Mitvollzug der Selbsterkenntnis und Selbstliebe Gottes, der nach Summa Theologiae I 93,4 als höchste Realisierungsstufe der imago-Dei-Bestimmung des Menschen gilt (vgl. Anm.30). Die zentrale Aussage von Summa Theologiae I 43,3 besteht nun darin, daß eine solche missio bzw. inhabitatio ausschließlich als Gnadengeschenk Gottes gedacht werden kann 40 . Daraus ergibt sich, daß die Gottebenbildlichkeit des Menschen in ihrer jeweiligen Ausprägung auf den verschiedenen Stufen 41 als der spezifische Gegenstand des göttlichen Gnadenwirkens aufzufassen ist, kraft dessen die Fähigkeit zur Nachahmung der Selbsterkenntnis und Selbstliebe Gottes zu einer festen Disposition im Menschen wird. Deshalb aktualisiert sich nach Thomas die imago Trinitatis in mente zwar in erster Linie in Handlungen (actus), denen aber als Ursprung ein Vermögen (potentia) und hauptsächlich eine entsprechende Disposition (habitus) zugrunde liegen muß - dieser Gedanke zielt auf die in Summa Theologiae II ausgeführte Lehre von 39

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Est enim unus communis modus quo Deus est in omnibus rebus per essentiam, potentiam et praesentiam, sicut causa in effectibus participantibus bonitatem ipsius. Super istum autem modum communem, est unus specialis, qui convenit creaturae rationali, in qua Deus dicitur esse sicut cognitum in cognoscente et amatum in amante. Et quia, cognoscendo et amando, creatura rationalis sua operatione attingit ad ipsum Deum, secundum istum specialem modum Deus non solum dicitur esse in creatura rationali, sed etiam habitare in ea sicut in templo suo (Summa Theologiae I 43,3c). nullus alius effectus potest esse ratio quod divina persona sit novo modo in rationali creatura, nisi gratia gratum faciens (ebd.). In S u m m a Theologiae I 93,4 unterscheidet T h o m a s (1) die imago creationis, die allen M e n s c h e n z u k o m m t , sofern sie eine natürliche N e i g u n g zur Erkenntnis und Liebe Gottes h a b e n , (2) die imago recreationis, die den Gerechtfertigten zuzusprechen ist, sofern sie per c o n f i r m a t i o n e m gratiae G o t t aktuell erkennen und lieben, jedoch nicht in vollendeter F o r m und (3) die imago similitudinis, die als eschatologische similitudo gloriae nur von den Seligen ausgesagt w e r d e n k a n n , sofern sie G o t t aktuell u n d in vollendeter F o r m erkennen und lieben.

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA T H E O L O G I A E

163

den durch göttliche Eingießung verursachten theologischen Tugenden 4 2 . D a ß der Mensch als imago Dei bestimmt wird, bedeutet also nach T h o m a s , daß er auf die Teilnahme am innertrinitarischen Erkenntnis- und Liebesprozeß hin geschaffen ist, eine Teilnahme, die durch die gnadenhafte Sendung der göttlichen Personen in die Seele des Menschen und die daraus resultierende Einwohnung Gottes im Gerechtfertigten ermöglicht wird. Die bisher dargestellten, sich aus der göttlichen Schöpfungs- und Gnadenordnung ergebenden Implikationen des thomanischen imagoDei-Begriffs bilden den spekulativen Hintergrund des Prologs zu Summa Theologiae II. Sie beschreiben das dem Menschen objektiv zukommende Bestimmtsein und zeigen den Weg an, auf dem sich von Gott her die Realisierung dieser Bestimmung vollziehen wird. Der Prolog selbst macht deutlich, daß die Entfaltung des imago-Gedankens dieses Bestimmtsein thematisiert, sofern es sich aus den menschlichen Handlungsvollzügen selbst ergibt: In Summa Theologiae II geht es darum, daß der Mensch der imago-Dei-Bestimmung durch seine Eigentätigkeit als frei handelndes Wesen gerecht wird 3 . Im Sein Gottes sind alle denkbaren Vollkommenheiten immer schon realisiert. Für den Menschen ist dagegen die Teilhabe an der göttlichen Vollkommenheit nicht automatisch in seinem Sein einbegriffen, sondern sie stellt sich vielmehr als erst zu erreichendes Letztziel seines Seins dar. Dieses Letztziel erhält in praktischer Hinsicht seine inhaltliche Konkretion vom Begriff der beatitudo her 4 4 , die von T h o m a s als summum hominis bonum aufgefaßt wird. Der Mensch, der durch sein eigenes Handeln seinen finis ultimus verwirklicht und so seiner Bestimmung als imago Dei gerecht wird, ist in höchstem M a ß e beatus, glückselig 4 5 . Nun hat T h o m a s den Gedanken der

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primo et principaliter attenditur imago Trinitatis in mente secundum actus ... secundario, et quasi ex consequently imago Trinitatis potest attendi in anima secundum potentias, etpraecipue secundum habitus (Summa Theologiae 193,7c). postquam praedictum est de exemplari, scilicet de Deo,... restât ut consideremus de eius imagine, idest de homine, secundum quod et ipse est suorum operum principium. quasi liberum arbitrium habens et suorum operum potestatem (Summa Theologiae Ia-IIae prol.; Hervorhebung von mir, R.L.). Bereits in Summa Theologiae I 1,4.5 hatte Thomas die beatitudo aeterna als Gegenstand der sacra doctrina benannt, sofern diese, als scientia practica, vom finis ultimus handelt, auf den alle anderen fines zu beziehen sind. Die drei Wörter .beatitudo', .finis ultimus' und .summum bonum' bezeichnen, auch wenn sie bei Thomas gelegentlich undifferenziert gebraucht werden, drei voneinander präzise zu unterscheidende Aspekte ein- und derselben Wirklich-

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

menschlichen Glückseligkeit in seiner Gotteslehre durchaus auch metaphysisch verankert, indem er die beatitudo Dei als Ursprung und Maßstab allen menschlichen Glücks ausweist 46 . Allerdings hat Dietmar Eickelschulte mit Recht darauf hingewiesen, daß sich die Behandlung dieses Themas am Ende des Traktats ,De Deo uno' keineswegs zwingend aus dem inhaltlichen Duktus der thomanischen Gotteslehre ergibt, sondern vielmehr einen Nachtrag darstellt, der Thomas offensichtlich dazu dient, „von seinem Entwurf der Summa her die Grundlage für die spätere Behandlung der beatitudo hominis (zu) bereiten" 47 . Diese Beobachtung macht nochmals deutlich, daß es in der Tat die praktische, auf das Ankommen des Heils beim Menschen zielende Perspektive ist, von der her die beatitudo zum Thema der sacra doctrina wird. Da die Erlangung der beatitudo an die Eigentätigkeit des Menschen gebunden ist, muß die Behandlung des motus hominis in Deum die Struktur dieser Eigentätigkeit berücksichtigen. Dies ist schon deshalb erforderlich, weil, während der Engel die beatitudo bereits durch einen einzigen verdienstlichen Akt erlangt, dem Menschen hierfür ein längerer Weg aufgegeben ist 48 . Dies liegt daran, daß er ontologisch im Grenzbereich zwischen geistiger und körperlicher Schöpfung angesiedelt ist 49 . Die ständige Bindung aller geistigen Vollzüge an die Sinnenwelt bringt es mit sich, daß die menschliche Seele lediglich als intellectus inferior gelten kann und das Wesen der

keit: ,Beatitudo' „bezieht sich auf das subjektive Moment, das im Teil-Nehmen, Ergreifen und dann auch Genießen des seligmachenden Gutes besteht" (Albert Ilien, Wesen und Funktion der Liebe im Denken des Thomas von Aquin, Freiburg i. Br. 1974 [FThSt 98, zugl.Diss.Freiburg i.Br.], 187). ,Summum bonum' meint den Gegenstand, dessen Genuß zur beatitudo führt.,Finis ultimus' betrifft am summum bonum „die formale Bewandtnis des Angestrebtwerdens" (Dietmar Eickelschulte, Beatitudo als Prozeß, 159). 46 47

48

49

Vgl. Summa Theologiae I 26: De divina beatitudine. Dietmar Eickelschulte, Beatitudo als Prozeß, 171; Eickelschulte weiter: „Dafür spricht auch, daß die beatitudo Dei in beiden Summen in keiner der vorausgehenden Einteilungen auftaucht und daß die Frage nach ihr im Sentenzenkommentar und im Compendium Theologiae gar nicht gestellt wird" (ebd.). angelus post primum actum caritatis quo beatitudinem meruit, statim beatus fuit (Summa Theologiae I 62,5c); homini longior via data est ad merendum beatitudinem, quam angelo (Summa Theologiae I 62,5adl). Zur thomanischen Bestimmung des Menschen als finis et horizon vgl. Norbert Hinske, Thomas von Aquin, in: Michael Landmann, De homine. Der Mensch im Spiegel seines Gedankens, Freiburg-München 1962 (OA I 9), 112-130, bes. 124130.

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA

THEOLOGIAE

165

Dinge nicht, wie der intellectus divinus et angelicus, intuitiv, sondern auf dem Umweg über das schlußfolgernde Denken erfaßt 5 0 . Da aber die beatitudo gerade im vollendeten Gut der Geistnatur besteht 51 , hat es der intellectus inferior schwerer, die res zu erkennen, in der sich sein bonum perfectum bzw. seine beatitudo findet. Aus diesem Grunde braucht er, im Gegensatz zu den Engeln oder zu Gott, ein umfassendes seelisches Handlungspotential, damit er trotz seiner vergleichsweise schlechten Ausgangssituation seiner Bestimmung handelnd gerecht werden kann . Die in Summa Theologiae II vorgesehene Betrachtung des Rückwegs der creatura rationalis zu Gott ist demnach zwingend an die Vielfalt der menschlichen Handlungswirklichkeit als Gegenstand ihrer Analysen gewiesen. Nicht weniger zwingend impliziert nach Thomas die imago-DeiBestimmung des Menschen dessen Freiheit. Zunächst einmal steht das Problem des liberum arbitrium hominis im Zusammenhang mit der umfassenden Frage nach dem Modus des göttlichen Wirkens in die geschöpfliche Welt hinein (providentia, gubernatio, praedestinatio). Thomas hat diesbezüglich stets betont, daß der von ihm konsequent festgehaltene Gedanke der Alleinwirksamkeit Gottes die Selbstbewegung der Geschöpfe nicht ausschließt. Alle geschöpflichen Wirkungen unmittelbar auf Gott zurückzuführen, käme sogar einer Beleidigung seiner Schöpferkraft gleich, deren Größe gerade in einer Weitergabe eigener virtus bzw. perfectio an die Geschöpfe deutlich wird. Darüber hinaus würde sowohl der offensichtliche Zusammen-

50

intellectus humanus non statim in prima apprebensione capit perfectam rei cognitionem ... secundum hoc, necesse habet unum apprehensum alii componere vel dividere ... intellectus angelicus et divinus statim perfecte totam rei cognitionem habet ...Et ideo intellectus humanus cognoscit componendo et dividendo, sicut et ratiocinando. Intellectus autem divinus et angelicus cognoscunt ... per intellectum simplicis quidditatis (Summa Theologiae I 85,5c; vgl. Summa Theologiae I 58,3.4). An einer ganz anderen Stelle bringt Thomas den so beschriebenen Unterschied zwischen Engeln und Menschen auch terminologisch präzise zum Ausdruck: angelus est naturae intellectualis ... homo est rationalis naturae (Summa Theologiae II a -II ae 24,3ad3).

51

Nihil enim aliud sub nomine beatitudinis intelligitur, nisi bonum intellectualis naturae (Summa Theologiae I 26,1c).

52

Homo autem potest consequi universalem et perfectam bonitatem: quia potest adipisci beatitudinem. Est tarnen in ultimo gradu, secundum naturam, eorum quibus competit beatitudo: et ideo multis et diversis operationibus et virtutibus indiget anima humana. Angelis vero minor diversitas potentiarum competit. In Deo vero non est aliqua potentia vel actio, praeter eius essentiam (Summa Theologiae I 77,2c).

perfectum

166

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

hang zwischen Ursache und Verursachtem bestritten als auch die ebenso unbestreitbare immanente Finalität eines jeden Seienden geleugnet 53 . Innerhalb dieses Gesamtphänomens der geschöpflichen Selbstbewegung nimmt die freie Willensentscheidung (liberum arbitrium) des Menschen eine Sonderstellung ein. Während nämlich das erkenntnislose Seiende nicht aufgrund eines eigenen Urteils, sondern lediglich kraft seiner ihm von Gott eingestifteten inclinatio naturalis »handelt', und während die Tiere lediglich aufgrund eines durch natürlichen Instinkt gewonnenen Urteils agieren, weshalb sie gerade keine Wahl haben, kommt es nach Thomas allein dem Menschen zu, aufgrund eines freien Urteils zu handeln, weil ihn seine Rationalität dazu befähigt, verschiedene, ja gegensätzliche Handlungsmöglichkeiten als realisierbar zu erfassen, für deren eine er sich entscheiden muß 5 4 . Sofern also die Entscheidungsfreiheit des Menschen notwendig aus seiner Rationalität folgt und die Rationalität ihrerseits der ,Ort' ist, an dem sich seine imago-Dei-Bestimmung manifestiert (Summa Theologiae I 9 3 , 6 ) , ist das liberum arbitrium als Betätigungszentrum menschlicher Rationalität in besonderer Weise Ausdruck der Gottebenbildlichkeit, weil dadurch, wie es im Prolog zu Summa Theologiae II heißt, auch der Mensch (et ipse, d.h.: wie Gott) aus seiner eigenen Willensentscheidung heraus handeln und somit k r e a tiv' sein kann. Es ist deshalb konsequent, wenn Thomas die im

53

tanto erit melior gubertiatio, quanto maior perfectio a gubernante rebus gubernatis communicatur (Summa Theologiae I 103,6c); quod Deum operari in quolibet operante aliqui sic intellexerunt, quod nulla virtus creata aliquid operaretur in rebus, sed solus Deus immediate omnia operaretur ... Hoc autem est impossibile. Primo quidem, quia sic subtraheretur ordo causae et causati a rebus creatis. Quod pertinet ad impotentiam creantis: ex virtute enim agentis est, quod suo effectui det virtutem agendi. - Secundo, quia virtutes operativae quae in rebus inveniuntur, frustra essent rebus attributae, si per eas nihil operarentur. Quinimmo omnes res creatae viderentur quodammodo esse frustra, si propria operatione destituerentur: cum omnis res sit propter suam operationem (Summa Theologiae I 105,5c).

54

quaedam agunt absque iudicio: sicut lapis movetur deorsum ... Quaedam autem agunt iudicio, sed non libero; sicut ammalia bruta. ... Sed homo agit iudicio ... Sed quia iudicium istud non est ex naturali instinctu in particulari operabili, sed ex collatione quadam rationis; ideo agit libero arbitrio, potens in diversa ferri. Ratio enim circa contingentia habet viam ad opposita ...Ex pro tanto necesse est quod homo sit liberi arbitrii, ex hoc ipso quod rationalis est (Summa Theologiae I 83,le).

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THEOLOGIAE

167

zweiten Teil seines Hauptwerks geplante Entfaltung der imago-Struktur des Menschen unter deutlicher Betonung seiner Fähigkeit zu freiem Handeln ankündigt. Daß die derart nachdrücklich hervorgehobene Wirkmächtigkeit des Menschen in seinem freien Handeln keinesfalls so verstanden werden darf, als könne der auf sich selbst gestellte Mensch seinen Weg zu Gott aus eigener Kraft finden, wird im Verlauf der folgenden Untersuchungen noch mehrfach deutlich werden; dennoch sei es schon hier ausdrücklich angemerkt: Thomas geht es nicht um eine mit dem Willen Gottes konkurrierende menschliche Freiheit, sondern er will lediglich festhalten, daß der in Summa Theologiae II thematisierte Rückweg des Menschen zu Gott auch wirklich als ein Weg des Menschen aufgefaßt werden muß. Und daraus ergibt sich, daß dieser die ihm aufgrund göttlicher Begnadung möglichen verdienstlichen Handlungen, durch die er seinen finis ultimus erreicht, auch aus sich selbst heraus tut und von sich selbst her bejaht, daß es also Werke sind, die er ohne Gnade zwar nie hätte wirken können, die aber nun, da er sie als Begnadeter dennoch wirkt, tatsächlich als die seinen anzusprechen sind. Der zuletzt formulierte Gedanke macht bereits deutlich, daß die aristotelische Lehre von der beatitudo als einer operatio hominis für Thomas gar nicht im Gegensatz zur christlichen Lehre stehen kann, sondern im Gegenteil von der imago-Dei-Lehre her grundsätzlich als theologisch legitim gelten muß. Dieser Zusammenhang, der bereits bei der Behandlung der beatitudo-Lehre im Sentenzenkommentar und der SUMMA CONTRA GENTILES sowie in den oben untersuchten Kommentarwerken des Thomas festgestellt wurde, bestimmt auch die fünf quaestiones des beatitudo-Traktats der SUMMA THEOLOGIAE, deren Interpretation sich nun anschließt. 2.4.1.2 Die Zielbezogenheit menschlichen Handelns (Summa Theologiae I a -II ae 1) Die in Summa Theologiae I 75ff. dargestellte Anthropologie, auf die sich Thomas im Prolog zurückbezogen hat, beinhaltet das dem Menschen schöpfungsmäßig verliehene Potential, mit dessen Hilfe er sein Letztziel erreichen kann. Von Summa Theologiae I a -II ae 1 an geht es um die Aktualisierung dieses Potentials, die sich in Form von auf den finis ultimus gerichteten menschlichen Handlungen vollzieht. Thomas setzt in seiner Behandlung dieser Aktualisierung damit ein, daß er zunächst die prinzipielle Bezogenheit menschlichen Handelns

168

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

auf ein einziges Letztziel erweist (quaestio 1) und daraufhin dessen Beschaffenheit erfragt (quaestiones 2 - 5 ) . Daß dieses eine Letztziel, auf das alle Menschen orientiert sind, in der schließlich nur bei Gott zu findenden beatitudo besteht, daran gibt es schon seit Summa Theologiae 1 1 , 4 . 5 und Summa Theologiae 1 2 6 keinen Zweifel mehr. Thomas bringt diese Selbstverständlichkeit dadurch zum Ausdruck, daß er in seiner am Anfang von quaestio 1 gegebenen divisio der fünf Fragen des beatitudo-Traktats finis ultimus und beatitudo sofort miteinander identifiziert 55 . Daraus ergibt sich allerdings nicht, daß die folgenden Untersuchungen lediglich bereits getroffene Grundentscheidungen zu bestätigen hätten. Vielmehr geht es darum, das auf der spekulativen Ebene Erwiesene bzw. als erwiesen Vorausgesetzte nun nochmals zu bewahrheiten, indem gezeigt wird, daß auch eine von der Ebene der konkreten Handlungswirklichkeit in all ihrer Vielschichtigkeit ausgehende Analyse des menschlichen Glücksstrebens geeignet ist, die christliche Lehre zu bestätigen, nach der als Letztziel des Menschen die in ihrer Vollform erst eschatologisch erreichbare Gottesgemeinschaft gilt. Seinen Aufweis der prinzipiellen Bezogenheit alles menschlichen Handelns auf dieses eine Letztziel beginnt T h o m a s in Summa Theologiae I a -II a e 1,1 mit der Frage, ob menschlichem Handeln überhaupt Zielbezogenheit zukommt. Er setzt ein mit der Feststellung, daß für die Beurteilung dieses Problems nur solche Handlungen maßgebend sind, die vom Menschen getan werden, sofern er Mensch ist, d.h. sofern er sich von den übrigen Lebewesen unterscheidet. Dieser Unterschied besteht darin, daß der Mensch Herr über seine Handlungen und somit frei ist, da er Vernunft und Willen besitzt. Es ergibt sich: Nur die actiones, die aus einer Willensentscheidung hervorgehen, sind proprie humanae und damit relevant für die Frage, ob menschlichem Handeln Zielbezogenheit zuzusprechen ist. Nun hat der menschliche Wille stets ein Ziel als sein bonum zum Gegenstand, er ist wesenhaft intentional. Weiter sind alle aus einer potentia hervorgehenden Einzelhandlungen notwendig als Ergebnisse des Bezugs der jeweiligen potentia zu ihrem Gegenstand aufzufassen. Da der Wille als eine menschliche Seelenpotenz gilt, folgt nun zwingend, daß alle aus einer Willensentscheidung resultierenden Akte wegen

55

Et quia ultimus finis humanae vitae ponitur esse beatitudo, oportet primo considerare de ultimo fine in communi; deinde de beatitudine (Summa Theologiae

Ia-IIac 1 prol.)·

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

169

der zwangsläufigen Zielgerichtetheit der voluntas ihrerseits zielgerichtet sind56. In Summa Theologiae I a -II ae 1,2 vergleicht Thomas die Zielbezogenheit menschlichen Handelns mit dem ebenfalls zielgerichteten Wirken der nichtmenschlichen Kreatur. Die grundsätzliche Frage nach dem Vorhandensein von Zielorientierung im außermenschlichen Handeln ergibt sich dabei aus der Argumentation des vorangegangenen Artikels. Denn hier war den menschlichen actiones gerade aufgrund ihrer Unterschiedenheit vom nichtmenschlichen ,Handeln' die Zielbezogenheit zugesprochen worden. Daraus könnte man den Schluß ziehen, daß zielgerichtetes Handeln als proprium rationalis naturae zu gelten hat und den creaturae irrationales abzusprechen ist. Diese Auffassung bestreitet Thomas allerdings, wobei er sich, wie das Zitat aus dem zweiten Buch der aristotelischen P H Y S I K im sed contra zeigt, vor allem auf die Autorität des Philosophen stützt57: Für Aristoteles wie für Thomas ist jedes Seiende wesentlich intentional verfaßt, ens und agens sind letztlich identisch. Als Grund für diese Betrachtungsweise nennt Thomas die Priorität der Zweckursache gegenüber allen anderen causae. Wo aber die erste Ursache entfernt wird, da sind auch alle an diese anknüpfenden causae hinfällig. Folglich käme ohne Zweckursache überhaupt kein Prozeß in Gang. Die Tatsache aber, daß allenthalben Prozesse mit den verschiedensten Wirkungen beobachtet werden können, erlaubt es, jeweils auf das Wirken einer causa finalis zu schließen. Denn nichts überführt sich selbst vom Stand der Möglichkeit in den der Wirklichkeit, sondern jeder derartige Verlauf ist an ein movens gebunden, das das Geschehen handelnd in Gang setzt. Dieses Handeln ist jedoch ohne eine das Geschehen in seinem Ablauf strukturierende determinatio nicht denkbar, und die durch diese determinatio gegebene Zielausrichtung des Prozesses muß vor seinem Beginn im Handelnden bereits gegenwärtig sein58. Der Unterschied zwischen den menschlichen 56

57

58

Manifestum est autem quod omnes actiones quae procedunt ab aliqua potentia, causantur ab ea secundum rationem sui obiecti. Obiectum autem voluntatis est finis et bonum. Onde oportet quod omnes actiones humanae propter finem sint (Summa Theologiae Ia-IIae 1,1c). non solum intellectus, sed etiam natura agit propter finem (Summa Theologiae I a -II ae 1,2 sed contra; im Griechischen heißt es: εστι δ' ενεκά του όσα τε άπό διανοίας αν πραχθείη καΐ όσα άπό φύσεως (Aristoteles, Physik II 5 [196b21f.]). materia non consequitur formam, nisi secundum quod movetur ab agente: nihil enim reducit se de potentia in actum. Agens autem non movet nisi ex intentione finis. Si enim agens non esset determinatum ad aliquem effectum, non magis

170

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

actiones und denen der nichtmenschlichen Schöpfung besteht folglich nach Thomas keinesfalls darin, daß die Zielbezogenheit ersteren zu- und letzteren abgesprochen werden müßte, sondern er betrifft die Weise, in der das Handlungsziel jeweils gegenwärtig ist: Die determinatio geht bei der natura rationalis auf den Willen zurück, während sie bei der natura irrationalis in einer unbewußt-naturhaften Hinneigung zum Prozeßziel gründet. Diese Verschiedenheit im Gegenwärtigsein des Prozeßziels führt nach Thomas dazu, daß man von einem proprium naturae rationalis hinsichtlich der Zielbezogenheit sprechen kann. Denn aufgrund der Willensbestimmtheit seiner Handlungen bewegt sich der Mensch selbst auf sein Ziel zu, während die inclinatio naturalis, durch die die nichtmenschliche Schöpfung ihrem Ziel zustrebt, auf Gott zurückgeht, weshalb hier zwar von zielgerichteter Bewegung aber gerade nicht - wie beim Menschen - von zielgerichteter Se/bsibewegung geredet werden kann 5 9 . Summa Theologiae I a -II ae 1,3 behandelt die Frage, woher die menschlichen Handlungen ihre Artbestimmung (species) erhalten. Hier steht schon das Problem einer moralischen Bewertung menschlicher Handlungen im Hintergrund. Das zeigt sich zunächst an einem Augustin-Zitat im sed contra, das die Schuldhaftigkeit bzw. Anerkennungswürdigkeit menschlicher Werke an den Charakter des damit verfolgten Zieles bindet 6 0 . Als weitere Hinweise auf diesen Hintergrund der Fragestellung können die Wiederaufnahme desselben Themas im Rahmen des Traktats über die Sittlichkeit der menschlichen Handlungen 6 1 und der Rückbezug auf die in Summa Theologiae

59

60

61

ageret hoc quam aliud: ad hoc ergo quod determinatum effectum producat, necesse est quod determinetur ad aliquid certum, quod habet rationem finis (Summa Theologiae I a -II ae 1,2c). Et ideo proprium est naturae rationalis ut tendat in finem quasi se agens vel ducens ad finem: naturae vero irrationalis quasi ab alio acta vel ducta, sive in finem apprehensum, sicut bruta ammalia, sive in finem non apprehensum, sicut ea quae omnino cognitione carent (ebd.). Finis enim quo referuntur ea quae facimus, id est propter quem facimus quicquid facimus, si non solum inculpabilis, sed etiam laudabilis fuerit, tunc demum etiam facta nostra laude aliqua digna sunt (Augustin, De Moribvs Ecclesiae Catholicae et de Moribvs Manichaeorum [388-390] II 2 7 [CSEL 90,111,17-20]). Thomas zitiert sinngemäß: Secundum quod finis est culpabilis vel laudabilis, secundum hoc sunt opera nostra culpabilia vel laudabilia (Summa Theologiae I a -II ae 1,3 sed contra). Summa Theologiae Ia-IIae 18-21; vgl. besonders Summa Theologiae Ia-IIae 18,6: Utrum actus habet speciem boni vel mali ex fine.

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA THEOLOGIAE

171

I a -II ae 1,3 und Summa Theologiae I a -IP e 18,6 erarbeitete Lösung im Kontext der thomanischen Sündenlehre gelten 62 . In Summa Theologiae I a -II ae 1,3 stellt Thomas zunächst heraus, daß jedem Ding seine species erst dann zugesprochen wird, wenn es sich im Stand der Wirklichkeit befindet und noch nicht, wenn es lediglich secundum potentiam besteht. Nun wird jede materia durch eine Form in den Status der Aktualität überführt, weshalb es auch die Form ist, durch die die species konstituiert wird. Entsprechend verhält es sich bei den verschiedenen Arten von Bewegung; für die actiones wie für die passiones gilt, daß sie ihre species vom Vollzug her erhalten, wobei die species der actio aus dem Vollzug stammt, der als Ursprung (principium) des Handelns wirkt, während sich die species der passio aus dem Vollzug ergibt, der als Richtmaß (terminus) der Bewegung fungiert 63 . Für die menschlichen Handlungen ist zu sagen, daß sowohl ihr Ursprung als auch ihr Richtmaß im vom Willen intendierten finis besteht. Denn da sie, sofern sie menschlich genannt werden, aus freier Willensentscheidung hervorgehen, ist ihr principium notwendig ein finis, auf das der Wille stets ausgerichtet ist. Den terminus der menschlichen Handlung, der diese sozusagen auf sich hin zieht, bildet ebenfalls der vom Willen angestrebte finis. Daraus ergibt sich, daß die menschlichen Handlungen ihre Artbestimmung vom jeweils intendierten Ziel her erhalten. Hatten sich die ersten drei Artikel von quaestio 1 mit der Frage nach zielgerichtetem Handeln im allgemeinen befaßt, so untersuchen die Artikel 4-7 das Problem des finis ultimus, bevor in Artikel 8 das Letztzielstreben des Menschen zu dem der übrigen Schöpfung in Beziehung gesetzt wird. Zunächst (Artikel 4) steht die Frage, ob es überhaupt ein Letztziel für das menschliche Leben gibt. Auch hier erweist sich Thomas, wie 62

In Summa Theologiae IMI a e 72,3 bezieht sich Thomas auf die in Summa Theologiae I a -II ae 1 , 3 ; 1 8 , 6 vollzogene Klärung, um herauszustellen, daß die Sünden der Art nach nicht aufgrund ihrer Ursachen, sondern aufgrund des vom Sünder angezielten finis unterschieden werden.

63

Cum enirn motus quodammodo distinguatur per actionem et passionem, utrumque horurn ab actu speciem sortitur: actio quidem ab actu qui est principium agendi; passio vero ab actu qui est terminus motus (Summa Theologiae IMI ae 1,3c); Thomas bringt hier zur Verdeutlichung das Beispiel der Erwärmung (calefactio): Als actio betrachtet ist sie eine motio a calore procedens die species des Vorgangs wird durch die Wärme als principium dieser Bewegung bestimmt; als passio betrachtet ist die Erwärmung ein motus ad calorem - in dieser Perspektive erfolgt die Artbestimmung des Vorgangs durch die Wärme als Richtmaß, auf das hin der Gesamtprozeß ,terminiert' ist.

172

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

in anderer Hinsicht bereits in Artikel 2, als konsequenter Aristoteliker. Im sed contra führt er gegen die in den obiectiones verschieden begründete Auffassung, es gäbe für das menschliche Leben keinen finis ultimus, eine Stelle aus Metaphysik II 2 an 64 , einem Kapitel, in dem sich Aristoteles ausführlich um den Nachweis bemüht, daß es bei den Ursachen des Seienden kein Fortschreiten ins Unendliche geben kann. Die konsequente Ablehnung eines procedere in infinitum zieht sich wie ein roter Faden durch das aristotelische Denken. Sie begegnet in der Logik, der Ethik, der Kosmologie, der Physik, der Metaphysik, ja sogar in der Stillehre65. Der Abschnitt aus Metaphysik II 2, dem das von Thomas angeführte Zitat entstammt, behandelt die Unmöglichkeit unendlich vieler Zweckursachen, genau die Thematik also, um die es Thomas in diesem Artikel geht. Um den Hintergrund der hier herangezogenen Lehre des Philosophen von der Unmöglichkeit des regressus in infinitum ein wenig zu beleuchten, soll zunächst auf eine Stelle aus der PHYSIK eingegangen werden, auf die sich Thomas am Anfang des corpus articuli bezieht 66 . Aristoteles geht hier zunächst davon aus, daß jedes Bewegte von einem anderen bewegt worden sein muß. Dieses andere kann entweder von einem dritten zur Ingangsetzung des Prozesses bewegt worden sein (so wie ein Stock den Stein nur bewegen kann, wenn er von Menschenhand geführt wird), oder es hat die Fähigkeit, den Prozeß aus sich selbst heraus in Gang zu setzen (so wie ein Mensch den Stein auch ohne Stock bewegen kann). Aristoteles vertritt nun die Auffassung, daß es in jedem Prozeß letztlich eine diesen aus sich selbst heraus in Gang setzende Bewegungsursache geben muß, die nicht wiederum auf eine weitere Ursache rückführbar ist. Zieht man den weiteren Kontext der im sed contra zitierten Stelle aus der METAPHYSIK hinzu, so wird deutlich, wohin die Verweigerung der von Aristoteles vorgetragenen 64

65

66

qui infinitum faciunt, auferunt naturarti boni (Summa Theologiae Ia-IIae 1,4 sed contra); im Griechischen heißt es: ot τό άπειρον ττοιούντες λανθάνουσιν εξαιρουυτες τήν τοϋ άγαθοΰ φύσιν (Aristoteles, Metaphysik II 2 [994bl2f.]). Die wichtigsten Belege für die Ablehnung des regressus in infinitum aus den verschiedenen Bereichen der aristotelischen Philosophie einschließlich des platonischen Hintergrundes hat Dirlmeier im Rahmen seiner Kommentierung der für die Ethik einschlägigen Stelle Nikomachische Ethik I 1 (1094a20f.) zusammengetragen (vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, übersetzt und kommentiert von Franz Dirlmeier, 267Í.). Philosophus probat, in VIH Physic., quod non est possibile in causis moventibus procedere in infinitum (Summa Theologiae P-II ae l,4c). Thomas spielt an auf Physik VIII 5 (256al7-19); vgl. auch den ganzen Zusammenhang 256a4-21.

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA T H E O L O G I A E

173

Ansicht führen muß: Da nur das selbst nicht Bewegte, seinerseits aber Bewegende im Vollsinn Ursache genannt zu werden verdient, würde der durch einen regressus in infinitum sich ergebende Wegfall dieser ersten Prozeßursache zur Aufhebung von Ursächlichkeit insgesamt führen 67 . Überträgt man dies auf den Bereich menschlicher Zielsetzungen, für die der finis als Ursache gilt, so ergibt sich aus der Leugnung eines auf kein weiteres Ziel mehr bezogenen finis ultimus genau jene Aufhebung der natura boni, von der Aristoteles an der von Thomas im sed contra zitierten Stelle spricht; denn Ziel hat die Bewandtnis von Gut. Diese Lehre des Aristoteles übernimmt Thomas und gewinnt so das entscheidende Argument für seinen Beweis der Existenz eines Letztziels des menschlichen Lebens. Denn, so stellt er fest, in beiden Ordnungen, die im Bereich der Zielsetzungen existieren (in der der Absichten = intentiones und der der Ausführungen = executiones), muß es ein primum geben. Als dieser unverzichtbare Ursprung gilt nach Thomas im ordo intentionis der finis ultimus und im ordo executionis das erste der Dinge, die sich auf diesen beziehen. Denn ließen sich nicht alle Handlungsabsichten auf einen ersten Ursprung zurückführen, würde überhaupt nichts angestrebt werden, gäbe es also keinerlei appetitus auf irgend etwas hin. Und wenn nicht alle Ausführungen auf ein primum zurückgehen würden, könnte überhaupt keine Handlung beginnen 68 . In den nächsten Artikeln zieht Thomas aus der in 1,4 erwiesenen Existenz eines ultimus finis humanae vitae verschiedene Konsequenzen. Zunächst (Artikel 5) stellt er fest, daß sich ein Mensch unmöglich zugleich zu mehreren Dingen wie zu einem Letztziel verhalten kann 69 ; daraufhin (Artikel 6) macht er deutlich, daß das gesamte Wollen des Menschen vom Streben nach diesem Letztziel getragen ist 70 .

67

68

69

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εϊττερ μηθέν εστί πρώτον, όλος αίτιον ούθέν έστιν (Metaphysik II 2 [994a 18f.]; vgl. auch den ganzen Zusammenhang 9 9 4 a l l - 1 9 ) . si non esset ultimus finis, nihil appeteretur, nec aliqua actio terminaretur, nec etiam quiesceret intentio agentis; si autem non esset primum in his quae sunt ad finetn, nullus inciperet aliquid operati, nec terminaretur consilium, sed in infinitum procederei (Summa Theologiae Ia-IIae 1,4c). impossibile est quod voluntas unius hominis simul se habet ad diversa, sicut ad últimos fines (Summa Theologiae Ia-IIae 1,5c). necesse est quod omnia quae homo appétit, appetat propter ultimum finem (Summa Theologiae Ia-IIae 1,6c).

174

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Der erste Grund dafür, daß der Mensch nicht zugleich mehrere fines als Letztziele anstreben kann, liegt darin, daß es zum Wesen des Letztziels gehört, als etwas gewollt zu werden, das die Neigung des nach ihm Strebenden voll und ganz erfüllt. Darin ist aber eingeschlossen, daß über dieses Letztziel hinaus nichts weiter angestrebt wird, woraus sich klar ergibt, daß nur ein einziges Ziel als wirklich letztes gewollt werden kann. Das zweite Argument geht davon aus, daß der Ursprung aller Willensakte in dem liegen muß, was der Wille von Natur aus anstrebt, so wie im Bereich der Vernunft alles seinen Ausgang bei dem nimmt, was von Natur aus erkannt wird. Dieser naturhaft angestrebte Ursprung allen Wollens kann deshalb nur einer sein, weil die Natur, wie Thomas sagt, stets nur auf Eines bezogen ist: natura non tendit nisi ad unum71. Zum Verständnis dieser letzten Bemerkung muß gesagt werden, daß die dem Willen naturhaft verliehene Intentionalität, die die Voraussetzung aller von ihm vollzogenen Handlungen bildet, nach Thomas ihrerseits nicht Gegenstand einer Entscheidung des Willens sein kann, sondern ihm mit Notwendigkeit zukommen muß, um willentlich vollzogene Handlungen überhaupt zu ermöglichen. Diese von Thomas in Summa Theologiae I 82,1 behandelte necessitas naturalis des Willens, die Otto Hermann Pesch treffend als „Urgewilltheit zu Gott" bezeichnet hat 72 , besteht im Hinblick auf den in Artikel 4 als existent erwiesenen finis ultimus, der „jenseits aller möglichen Einzelgegenstände von Willenshandlungen liegt und solche sich auf Einzelgüter richtenden Willensakte allererst möglich macht hat" 7 3 . Und weil die voluntas hinsichtlich dieses transzendentalen Willensobjekts gerade keine Wahl hat, gibt es auch nicht die Möglichkeit, daneben noch etwas anderes

71

Summa Theologiae I a -II ae 1,5c.

72

Otto Hermann Pesch, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin, 8 6 0 .

73

A a O , 8 5 8 f . ; vgl. auch Josef Pieper, Über die Liebe ( 1 9 7 2 ) , M ü n c h e n 7 1 9 9 2 , 1 2 5 : Nur wer den Menschen „bis in die Tiefe der geistigen Existenz hinein als creatura begreift, der weiß zugleich, daß wir im Akt der Erschaffung, ohne gefragt worden zu sein, ja, ohne auch nur gefragt werden zu können, auf unser Ziel hin, wie ein Pfeil, abgeschossen worden sind und daß also in unserem Glückseligkeitsverlangen eine Schwerkraft wirkt, über die wir deshalb keine Gewalt haben, weil wir selber diese Schwerkraft sind" (Kursivdruck im T e x t , R.L.). Die Schrift von Pieper ist auch abgedruckt in: Josef Pieper, Schriften zur Philosophischen Anthropologie und Ethik: Das Menschenbild der Tugendlehre, hg. von Berthold Wald, Hamburg 1 9 9 6 (Josef Pieper, Werke in acht Bänden, Band 4), 2 9 6 - 4 1 4 ; das oben herangezogene Zitat steht a a O , 3 7 5 .

D i e b e a t i t u d o - L e h r e in d e r SUMMA THEOLOGIAE

175

als Letztziel anzustreben. Bei der Darstellung des dritten und letzten Arguments erinnert Thomas an die Erkenntnis, daß willentliche Handlungen ihre species vom Ziel her erhalten (Summa Theologiae ja jjae -j^). j ) a r a u s schließt er, daß sie vom Letztziel her ihre Gattung (genus) empfangen, da die Bezogenheit auf den finis ultimus die formale Gemeinsamkeit aller Willensakte darstellt. Alles, was der Wille wollen kann, gehört demnach zu ein und demselben genus und bleibt von daher notwendig an das eine Letztziel gebunden. Es liegt in der Konsequenz dieser Behauptung einer formalen Gemeinsamkeit aller Willensakte, daß auch jedes einzelne Wollen auf den finis ultimus ausgerichtet ist. Dementsprechend stellt Thomas in Summa Theologiae Ia-IIae 1,6 heraus, daß der Mensch alle von ihm erstrebten Einzelziele letztlich um des finis ultimus willen intendiert: Ein angestrebtes bonum imperfectum wird gewollt als etwas, das zum bonum perfectum hin tendiert, da es letztlich der finis ultimus als primum appetibile ist, der die Neigung zu den secunda appetibilia ermöglicht und strukturiert. In Summa Theologiae Ia-IIae 1,7 behandelt Thomas die Frage, ob das eine Letztziel auch allen Menschen gemeinsam ist. Dies ist im Grunde bereits entschieden. Denn wenn es wirklich einen ultimus finis humanae vitae gibt (1,4) und der Mensch nur diesen einen anstreben kann, ja sich in all seinem Wollen letztlich auf ihn beziehen muß (1,5.6), dann ist auch klar, daß er allen Menschen gemeinsam ist, sofern sie actus voluntarii vollziehen. Daß Thomas dennoch fragt, ob das Letztziel allen Menschen gemeinsam ist, hat eher einen praktischen Grund. Denn es liegt ja auf der Hand, daß die verschiedenen Menschen ihren jeweils persönlichen finis ultimus ganz verschieden bestimmen. Dies konnte Thomas nicht nur der aristotelischen Ethik 74 , sondern auch und vor allem seinem konkreten historischen Umfeld entnehmen. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang zweifellos das in obiectio 1 angesprochene Problem der Sünde: Der sich von Gott als dem alleinigen Garanten der beatitudo abwendende Sünder zeigt doch deutlich, daß sein finis

74

Die von Aristoteles in der Nikomachischen Ethik dargestellten und diskutierten opiniones aliorum de felicitate hat Thomas in fünf lectiones seines Kommentars behandelt. Die damit befaßten Ausführungen der NIKOMACHISCHEN ETHIK gehen den Abschnitten unmittelbar voran, deren Kommentierung durch Thomas in 2 . 3 . 2 . 2 (S.130ff.) behandelt wurde (vgl. Nikomachische Ethik I 2 - 4 [ 1 0 9 5 a l 4 1 0 9 7 a l 4 ] und dazu Sententia Libri Ethicorum I 4 - 8 [ M . 4 3 - 1 0 2 ] ) .

176

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

ultimus in etwas anderem besteht als im bonum incommutabile. Da dieses aber in höchstem Maße als Letztziel gelten kann, sind offensichtlich nicht alle Menschen auf denselben finis ultimus orientiert 75 . Thomas löst das Problem durch die Unterscheidung zwischen dem Wesen des Letztziels im allgemeinen (ratio finis ultimi) und dem konkreten Gegenstand, dem die Beschaffenheit des Letztziels zugesprochen wird. Als das allgemeine Wesen des Letztziels benennt Thomas das jedem Seienden eigene Streben nach perfectio 76 . Er kann sich dabei auf Artikel 5 beziehen, wo er den appetitus perfectionis als Wesen des Letztziels benannt hatte, um zu zeigen, daß der Wille nur einen einzigen finis als finis ultimus anstreben kann. Was nun dieses Verlangen nach Realisierung der eigenen Vervollkommnung betrifft, so stimmen darin tatsächlich alle Menschen überein 77 . Wodurch dieses Verlangen aber in concreto erfüllt wird, darüber gibt es nicht ohne weiteres Einigkeit. Faßt man den finis ultimus von dieser Seite seiner inhaltlichen Füllung her auf, dann, so Thomas, kann man nicht von einer Übereinstimmung aller sprechen 78 . Einige der zahlreichen Möglichkeiten einer inhaltlichen Bestimmung des ultimus finis humanae vitae werden von Thomas noch kurz genannt, nämlich Reichtümer (divitiae) und Lust (voluptas). Allerdings ist sowohl von den in Summa Theologiae I getroffenen theologischen Vorentscheidungen als auch von dem in Summa Theologiae Ia-IIae 1,4-6 Gesagten her klar, daß die verschiedenen Konkretionen des Letztziels nicht gleichberechtigt nebeneinander stehen bleiben können. Thomas' eigene Bestimmung dessen, worin der finis ultimus (= beatitudo) besteht, schließt sich deshalb folgerichtig in quaestio 2 an. Zuvor geht Thomas in Summa Theologiae Ia-IIae 1,8 noch auf das Verhältnis zwischen creatura rationalis und creatura irrationalis hin75

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Maxime enim videtur hominis ultimus finis esse incommutabile bonum. Sed quidam avertuntur ab incommutabili bono, peccando. Non ergo omnium hominum est unus ultimus finis (Summa Theologiae Ia-IIae 1,7 obiectio 1). Es sei daran erinnert, daß es genau das von Thomas hier behauptete universalkreatiirliche und in besonderer Weise dem Menschen zuzusprechende Streben nach perfectio ist, das Hans Reiner als entscheidenden Beleg für seine Eudämonismus-Kritik herangezogen hatte (vgl. S.48f.). In 2.4.2 und 2.4.3 wird auf diese Kritik zurückzukommen sein. Quantum igitur ad rationem ultimi finis, omnes conveniunt in appetitu finis ultimi: quia omnes appetunt suam perfectionem adimpleri (Summa Theologiae Ia-IIae 1,7c). quantum ad id in quo ista ratio invenitur, non omnes homines conveniunt in ultimo fine (ebd.).

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

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sichtlich des Letztzielstrebens ein. Die Aufnahme dieser Thematik ist von der Gesamtstruktur der quaestio her konsequent. Denn schon nachdem in Artikel 1 die prinzipielle Zielbezogenheit menschlichen Handelns erwiesen worden war, hatte Thomas diese in Artikel 2 mit dem ebenfalls zielgerichteten Wirken der nichtmenschlichen Kreatur verglichen. Nachdem er dann (in 1,4-7) die Bezogenheit des menschlichen Wollens auf ein einziges (inhaltlich freilich noch nicht definiertes) Letztziel erwiesen hat, bleibt nun noch die Frage, in welcher Weise sich das menschliche Streben nach dem finis ultimus von dem der nichtmenschlichen Geschöpfe unterscheidet. Thomas führt zur Erläuterung eine auf Aristoteles zurückgehende Unterscheidung ein, auf die er im Verlauf des beatitudo-Traktats noch mehrmals zurückgreifen wird (vgl. vor allem Summa Theologiae I a -II ae 2,7; 3,1). Hier dient sie ihm zunächst dazu, die Besonderheit des menschlichen Letztzielstrebens herauszustellen. Es handelt sich um die Differenzierung des Zweckbegriffs in einen finis cuius und einen finis quo, also um den nach Josef Santeler letztlich gescheiterten Versuch des Thomas, das Problem der angeblichen Letztzielkonkurrenz (Gott versus beatitudo) zu lösen (vgl. S.51-53). Unter dem finis cuius versteht Thomas den erst ab quaestio 2 genauer erfragten Gegenstand, der objektiv als Letztziel allen Strebens zu gelten hat 7 9 und der in Artikel 7 benannt worden war als id in quo ratio finis ultimi invenitur. In Abgrenzung davon wird der finis quo als Gebrauch oder Erlangung jenes Gegenstandes präzisiert, der das Letztziel darstellt 80 . Für die Fragestellung des Artikels ergibt sich von dieser Unterscheidung her, daß im Letztziel als finis cuius tatsächlich alle Geschöpfe übereinkommen, da Gott der finis ultimus der ganzen Schöpfung ist 81 . Das Streben nach dem Letztziel als finis quo ist dagegen nur dem Menschen vorbehalten. Die Begründung, die Thomas anführt, entspricht sachlich genau der in Summa Theologiae I 93 gegebenen Erklärung dafür, warum gerade der Mensch in Abgrenzung vom Rest der Schöpfung imago Dei genannt zu werden ver79 80

81

ipsa res, in qua ratio boni invenitur (Summa Theologiae I a -II ae 1,8c). usus sive adeptio illius rei (ebd.); es ist deutlich daß die hier vollzogene Unterscheidung des ultimus finis humanae vitae in die beiden Aspekte des finis cuius und des finis quo der im Sentenzenkommentar festgestellten Differenzierung von finis exterior (= beatitudo increata = Gott) und finis interior (= beatitudo creata = perfectio hominis) entspricht (vgl. S.102-105). Si ergo loquamur de ultimo fine hominis quantum ad ipsam rem quae est finis, sic in ultimo fine hominis alia conveniunt: quia Deus est ultimus finis hominis et omnium aliarum rerum (Summa Theologiae Ia-IIae 1,8c).

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dient. Die Gottebenbildlichkeit hat demnach als Voraussetzung dafür zu gelten, daß der Mensch den finis ultimus nicht nur als finis cuius, sondern auch als finis quo anstreben kann. Denn um zu zeigen, warum die creatura irrationalis zwar auf Gott orientiert ist, jedoch nicht in der Lage ist, dessen usus bzw. adeptio anzustreben, argumentiert Thomas in 1,8, daß nur die creatura rationalis sich in Erkenntnis und Liebe auf Gott beziehen kann, während die übrigen Geschöpfe Gott nur erreichen, sofern sie aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit an ihm »partizipieren', einer Ähnlichkeit freilich, die längst nicht an die similitudo imaginis heranreicht, durch die der Mensch mit Gott verbunden ist 82 . Die ,Aufspaltung' des Letztziels in die beiden Aspekte des finis cuius und des finis quo ist also durch die Implikationen des thomanischen imago-Dei-Begriffs bedingt: Das dem Menschen mit der gesamten Schöpfung gemeinsame Orientiertsein auf Gott (finis cuius) muß darüber hinaus vom Menschen als auch subjektiv erfaßtes Letztziel angestrebt werden (finis quo). Die Analyse des Begriffs der beatitudo in den folgenden quaestiones wird sich an dieser Differenzierung orientieren. 2.4.1.3 Die Bestimmung des Letztziels (Summa Theologiae F-II ae 2.3) Nachdem Thomas in Summa Theologiae Ia-IIae 1 die grundsätzliche Bezogenheit des menschlichen Handelns auf einen einzigen finis ultimus erwiesen hat, beginnt er die eigentliche Behandlung der beatitudo, deren Identität mit dem Letztziel des Menschen für ihn feststeht. Der Begriff der beatitudo bezieht sich, wie schon erwähnt, auf das vom Menschen ausgehende subjektive Erfassen des seligmachenden Gutes. Aus diesem Grund wird die Analyse dieses Begriffs im Bereich menschlicher Handlungsvollzüge ansetzen. Dieser

82

Si autem loquamur de ultimo fine hominis quantum ad consecutionem finis, sic in hoc fine hominis non communicant creaturae irrationales. Nam homo et aliae rationales creaturae consequuntur ultimum finem cognoscendo et amando Deum: quod non competit aliis creaturis, quae adipiscuntur ultimum finem inquantum participant aliquam similitudinem Dei (ebd.). Es liegt von dieser Formulierung her auf der Hand, daß der hier benannte Unterschied zwischen dem Menschen und dem Rest der Schöpfung hinsichtlich des Letztzielstrebens der in Summa Theologiae I 93 festgestellten Differenz bezüglich der similitudo gegenüber Gott entspricht; vgl. dazu die in Abschnitt 2.4.1.1 behandelten Ausführungen des Thomas in Summa Theologiae I 93,2.4 (bes. S.158-163).

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA

THEOLOGIAE

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Ausgangspunkt der Untersuchung entspricht im übrigen dem im Prolog formulierten Programm von Summa Theologiae II: Weil es darum geht, das Bestimmtsein des Menschen von dessen Eigenwollen her zu behandeln, muß auch das Ziel dieses Eigenwollens, der ultimus finis humanae vitae, aus den Zusammenhängen menschlicher Handlungswirklichkeit gewonnen werden. Bevor Thomas aber darstellt, in welcher Weise und unter welchen Bedingungen sich die menschlichsubjektive adeptio beatitudinis vollziehen kann (quaestiones 3-5), behandelt er die Frage nach der res, in der das Glück des Menschen objektiv besteht (quaestio 2); der Aufbau des beatitudo-Traktats folgt demnach der Unterscheidung von finis cuius und finis quo. Der Inhalt der Artikel 1-5 von quaestio 2 ist deshalb leicht zusammenzufassen, weil Thomas jedes der corpora mit der nahezu stereotypen Bemerkung einleitet, die beatitudo könne keinesfalls in dem jeweils zur Debatte gestellten bonum bestehen 83 . Es handelt sich bei diesen Artikeln durchweg um eine kurze Zusammenfassung der in Summa contra Gentiles III 2 6 - 3 7 breit angelegten via inductionis. Daß die beatitudo weder in den natürlichen noch in den auf menschliche Erfindung zurückgehenden Reichtümern (Geld) bestehen kann, begründet Thomas mit dem Hinweis darauf, daß das Glück niemals Mittel zur Erlangung eines anderen ist, sondern als Letztziel stets nur um seiner selbst willen angestrebt wird. Dagegen gilt für beide Formen der divitiae, daß sie dem Menschen immer nur als Mittel zur Erreichung bestimmter Zwecke dienen. Denn die divitiae naturales, für die Thomas bemerkenswerterweise ausschließlich Beispiele aus dem Bereich der Artefakte nennt (Nahrung, Kleidung, Fortbewegungsmittel, Wohnung), sind dem Menschen im Rahmen der Naturordnung zur Nutzung anvertraut (Thomas zitiert hier Ps 8,7b). Sie dienen lediglich zur Erhaltung bzw. Ernährung des Menschen und sind nicht selbst finis, sondern werden auf einen finis hingeordnet. Die divitiae artificiales sind nach Thomas vom Menschen erfunden worden, um die Tauschgeschäfte zu erleichtern. Denn

83

dicendum quod impossibile est beatitudinem hominis in divitiis consistere (Summa Theologiae I a -II a c 2,1c); dicendum quod impossibile est beatitudinem consistere in honore (Summa Theologiae I a -II ae 2,2c); dicendum quod impossibile est beatitudinem hominis in fama seu gloria humana consistere (Summa Theologiae I a -II ae 2,3c); dicendum quod impossibile est beatitudinem in potestate consistere (Summa Theologiae I a -II ae 2,4c); dicendum quod impossibile est beatitudinem hominis in bonis corporis consistere (Summa Theologiae I a -II ae 2,5c).

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D i e b e a t i t u d o - L e h r e des T h o m a s v o n A q u i n

Geld dient als gemeinsamer Wertmaßstab der verschiedenartigen käuflichen Güter 84 . Wessen finis nun im Besitz von Geld besteht, der erstrebt es ebenfalls nicht als Selbstzweck, sondern er verfolgt das Ziel, mit Hilfe der divitiae artificiales zum Besitz von divitiae naturales zu kommen. Da somit das Geld nur ein Mittel zu einem Zweck ist, der seinerseits auch nur ad aliud verfolgt wird, ergibt sich, daß die divitiae artificiales noch viel weniger ein Letztziel darstellen können als die divitiae naturales. Auch in der Ehre kann die beatitudo nicht bestehen. Denn nach Thomas ist es klar, daß die beatitudo stets auch als etwas im Glücklichen Präsentes aufzufassen ist 85 . Die Ehre aber gilt nicht als etwas im Geehrten, sondern es gibt sie nur im Ehrenden, der dem anderen durch den honor seine Anerkennung deutlich macht. Die jemandem von einem anderen entgegengebrachte Ehre bezieht sich auf einen besonderen Vorzug (excellentia) des Geehrten. Eine solche excellentia wird aber in erster Linie von der beatitudo ausgesagt. Denn .Vorzüglichkeit' ist ein Zeichen von perfectio, und perfectio gehört zur beatitudo. Bei dieser Parallelisierung von beatitudo und perfectio bezieht sich Thomas auf eine von ihm mehrfach zitierte Aussage des Boethius, der die beatitudo als den durch Vereinigung aller Güter vollkommenen Zustand bezeichnet hat 86 . Aus all dem ergibt sich, daß die Ehren, die jemandem zuteil werden, aus dessen beatitudo zwar folgen, aber keineswegs mit dieser identisch sind. Daß die beatitudo nicht in Geltung oder Ruhm bestehen kann, zeigt Thomas, indem er von einer Definition der gloria ausgeht, die er auf Ambrosius zurückführt, die jedoch von Augustin stammt (aus dessen Schrift C O N T R A M A X I M I N U M HAERETICUM ARIANORUM EPISCOPUM

von 428): gloria est clara notifia cum laude, deutliche mit Lob verbundene Erkenntnis 87 . Nun kann aber - wenigstens im menschlichen Bereich - eine notitia oder cognitio nicht die von ihr erkannten Gegenstände bewirken, sondern sie wird ihrerseits von den erkann84

Die von T h o m a s hier kurz angedeutete Theorie der Geldentstehung (Erleichterung der Tauschgeschäfte, Gewährleistung eines gemeinsamen Wertmaßstabes) findet sich bereits bei Plato (Politela 3 7 1 b ) und - daran anknüpfend - bei Aristoteles (Nikomachische Ethik V 8 und Politik 1 9 ) . est in beato (Summa Theologiae I a -II ae 2 , 2 sed contra).

85

beatitudo

86

Vgl. Boethius, Philosophiae Consolatio III prosa 2 , 3 : Liquet igitur esse beatitudinem statum bonorum omnium congregatione perfectum (CChr.SL 9 4 , 3 8 : 9 f . ) .

87

Summa Theologiae I a -II a e 2 , 3 c ; bei Augustin heißt es: Restât ergo ut soli sapienti Deo gloria sit per Jesum Christum, hoc est, clara cum laude notitia (Contra M a x i m i n u m Haereticum Arianorum Episcopum II 1 3 , 2 ; M P L 4 2 , 7 7 0 ) .

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA T H E O L O G I A E

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ten Dingen verursacht. Die beatitudo als die perfectio humani boni kann deshalb nicht durch die spezifische Erkenntnisform der gloria konstituiert werden, sondern muß vielmehr als ihre Ursache gelten: Jemand wird erst dann gerühmt, wenn feststeht, daß ihm beatitudo wirklich zukommt. So wie aber für das göttliche Wissen durchaus gilt, daß es die Ursache der Dinge ist 88 , so gilt entsprechend, daß die gloria Dei die gloria hominis verursacht, sofern sie dem Menschen von Gott her mitgeteilt wird. Weiter macht Thomas geltend, daß die beatitudo nicht in menschlichem Ruhm bestehen kann, weil dieser weder irrtumsfrei noch stabil ist: Wer heute für rühmenswert gehalten wird, kann, entweder aufgrund bislang unbekannter Tatsachen oder infolge einer Änderung der allgemeinen Überzeugung, morgen schon wieder als Schuft gelten. Von solchen unberechenbaren Zufälligkeiten kann aber der ultimus finis humanae vitae nicht abhängig sein. An die kurze Behandlung der Frage, ob die beatitudo in der Macht (potestas) bestehen könne, schließt Thomas in Summa Theologiae I a II ae 2,4 eine Art Resümee an, in dem er zusammenfassend darstellt, warum die beatitudo in keinem der vier bis dahin behandelten bona exteriora bestehen kann. Zunächst legt er dar, daß die potestas keinesfalls als finis ultimus gelten kann, da sie gerade keinen finis sondern einen Ausgangspunkt (principium) darstellt: Macht ist die Realmöglichkeit, ein Ziel zu verfolgen, aber sie ist nicht selbst schon das Ziel. Außerdem, und hier leitet Thomas bereits zu seinem Resümee über, kann Macht gut oder schlecht gebraucht werden, während die beatitudo als perfectum hominis bonum die Möglichkeit eines malus usus potestatis gar nicht enthalten kann. In diesem Sinne läuft auch der erste der vier nun angeführten Gründe dafür, daß die bislang behandelten bona nicht den ultimus finis humanae vitae darstellen können, darauf hinaus, daß sowohl Reichtümer als auch Ehre, Ruhm und Macht nicht an sich gut sind, sondern durchaus auch in malis angetroffen werden, wogegen die beatitudo prinzipiell nicht mit einem malum kompatibel ist. Zweitens ist im Begriff der beatitudo enthalten, daß sie sich selbst genügt (das aristotelische Autarkiekriterium), daß also, wenn sie erlangt wurde, nichts weiter angestrebt werden kann. Diese Bedingung ist, so Thomas, hinsicht88

Vgl. dazu etwa Summa Theologiae I 14,8c: Manifestum est... quod Deus per intellectum suum causai res, cum suum esse sit suum intelltgere. Onde necesse est quod sua scientia sit causa rerum, secundum quod habet voluntatem coniunctam.

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Die b e a t i t u d o - L e h r e des T h o m a s v o n Aquin

lieh der genannten Güter nicht erfüllt, denn auch über diese hinaus kann noch vieles angestrebt werden. Drittens kann aus der beatitudo als bonum perfectum nichts Schlechtes hervorgehen; die bisher behandelten bona können aber durchaus auch zu Schlechtem führen. Schließlich, viertens, ist die beatitudo primär ein in das Innere des Menschen gehörendes Phänomen, während Reichtümer, Macht usw. äußerliche Dinge sind, die in den Bereich des Schicksalsglücks gehören und deshalb auch bona fortunae heißen. Das erste und grundsätzlichere der beiden Argumente, mit denen Thomas in Summa Theologiae I a -II ae 2 , 5 widerlegt, daß die beatitudo in einem bonum corporis bestehen kann, nimmt den schon in 2 , 1 geäußerten Gedanken wieder auf, daß die sustentatio naturae humanae, bzw. (wie es jetzt heißt) die conservatio (hominis) in esse keinesfalls als Letztziel angesehen werden kann. Denn der finis ultimus, auf den hin der Mensch orientiert ist, ist das höchste Gut, aber dieses ist nicht wiederum der Mensch. Er ist von Gott nicht mit Vernunft und Willen ausgestattet worden, um sein so beschaffenes Sein zu bewahren, sondern um mit Hilfe dieser Ausstattung' sein Letztziel zu erreichen 89 . Doch auch wenn die conservatio in esse das Letztziel des Menschen wäre, so Thomas weiter, bestünde es nicht in einem körperlichen, sondern höchstens in einem seelischen Gut, da sich aus den anthropologischen Untersuchungen in Summa Theologiae I ergeben hat, daß die Körperlichkeit des Menschen von seiner Seele abhängt, auf die alle körperlichen Güter orientiert sind. In Summa Theologiae I a -II ae 2 , 6 stellt Thomas die Frage, ob die beatitudo in der Lust (voluptas) besteht. Entscheidend ist hier, daß er bei der Behandlung dieses Problems die als voluptas bezeichnete 89

Thomas führt im sed contra dieses Artikels als Indiz dafür, daß das menschliche bonum corporis nicht das Letztziel sein kann, eine Beobachtung an, die in unserem Jahrhundert die auf Arnold Gehlen zurückgehende These vom Menschen als Mängelwesen angeregt hat. Es heißt bei Thomas: Sofern es dem Menschen eigentümlich ist, die beatitudo erreichen zu können, überragt er die anderen Lebewesen (, die nicht glücksfähig sind). W a s aber die körperliche Verfassung betrifft, so sind ihm viele Tiere überlegen: Der Elefant hinsichtlich der Lebensdauer, der Löwe bezüglich der Tapferkeit, der Hirsch, was die (Geschwindigkeit der) Fortbewegung betrifft. Also besteht die beatitudo nicht in einem körperlichen Gut (, da andernfalls die Tiere glücklicher sein könnten als der Mensch): secundum beatitudinem homo excellit omnia alia ammalia. Sed secundum bona corporis, a multis animalibus superatur: sicut a elephante in diuturnitate vitae, a leone in fortitudine, a cervo in cursu. Ergo beatitudo hominis non consistit in bonis corporis (Summa Theologiae I a -II ae 2 , 5 sed contra).

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lediglich sinnliche Freude von anderen denkbaren Formen der delectado abgrenzt. Denn Thomas hat durchaus die Ansicht vertreten, daß zwischen der beatitudo und einer bestimmten Form der delectatio eine Verbindung besteht, und er hat diese Verbindung im beatitudo-Traktat an mehreren Stellen untersucht (neben 2,6 noch in Summa Theologiae I a -II ae 3,4; 4,1.2). Die entscheidende Rolle hat gewiß auch in diesem Zusammenhang die theologische Tradition gespielt: Thomas bezieht sich mehrfach (3,4c; 4,1 sed contra) auf die von Augustin in den CONFESSIONES ( 3 9 7 - 4 0 1 ) vorgenommene Bestimmung der beatitudo als Freude an der Wahrheit (gaudium de 90 ueritate ). Darüber hinaus ist von Bedeutung, daß die Auffassung, nach der die Lust das Glück vervollkommnet, auch bei Aristoteles begegnet, auf den er sich ebenfalls berufen konnte 91 . Die Integration dieses Gedankens dürfte Thomas vor allem deshalb kaum schwergefallen sein, weil Aristoteles im Verlauf seiner Analysen zur ηδονή die negativ besetzten (,hedonistischen') Implikationen des Lustbegriffs konsequent ausgrenzt. In der Lustabhandlung von Buch X der N I K O MACHISCHEN ETHIK (Kapitel 1-5) ist es schließlich jene der θεωρία entspringende rein geistige Lust, die untrennbar zur Höchstform der ευδαιμονία gehört 92 . Doch auch wenn man den Lustbegriff nicht auf die mit dem Wort ,voluptas' bezeichneten delectationes corporales beschränkt, wie es oft geschieht, sondern primär die geistige Lust in den Blick nimmt, muß, so Thomas in 2,6, die beatitudo auch von dieser Form der Freude noch einmal unterschieden werden. Denn die delectatio ist nicht selbst die essentia beatitudinis, sondern sie folgt der beatitudo als für sie charakteristische Eigenschaft. Die voluptas corporalis aber, um die es in diesem Artikel eigentlich geht, kann nicht einmal eine solche Art von Verbindung mit der beatitudo für sich in Anspruch nehmen. Zwar folgt auch sie auf ein bonum, aber stets nur auf ein sinnlich erfaßtes. Ein solches kann aber nie das bonum perfectum sein, da Sinneserkenntnis nur auf das Einzelne gerichtet ist, während der von der Materie gelöste intellectus insofern auf ein vollkommeneres Gut abzielt, als er sich auf das Allgemeine

90

Augustin, Confessiones X 3 3 (CSEL 3 3 , 2 5 2 , 1 3 f . ) : beata quippe uita est de ueritate (vgl. C C h r . S L 2 7 , 1 7 3 : 1 0 f . ) .

gaudium

91

Nikomachische Ethik X 4 ( 1 1 7 4 b 3 1 - 3 3 ) , vgl. die Rezeption der aristotelischen Lehre durch T h o m a s in Sententia Libri Ethicorum X 6 ( M . 2 0 3 0 f . ; L . 1 0 1 - 1 1 6 ) und die Berufung darauf in Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 ( 4 0 8 ) : delectatio enim perficit felicitatem, sicut pulchritudo iuventutem.

92

Vgl. dazu z.B. Nikomachische Ethik X 5 ( 1 1 7 5 b 3 6 - 1 1 7 6 a 3 ) .

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

orientieren und dadurch die höchste dem Menschen mögliche Erkenntnisform realisieren kann. Aus all dem ergibt sich, daß die voluptas weder die beatitudo selbst ist, noch - wie die Höchstform der delectado - als accidens proprium der beatitudo gelten kann. Wenn nun, wie Artikel 6 argumentiert hat, der intellectus als von der Körperlichkeit unabhängiger Teil der Seele das Allgemeine (universale) erkennen kann, in dem das bonum perfectum hominis zu suchen ist, dann es legt sich nahe, die Glückseligkeit als ein Gut der Seele zu bestimmen. Der Frage, ob dies richtig ist, geht Thomas in Summa Theologiae I a -II ae 2,7 nach. Die obiectiones 1 und 3 machen als Argument für die Bestimmung der beatitudo als Seelengut noch geltend, daß nach den Artikeln 4 und 5 das Glück weder in bona exteriora noch in bona corporis besteht und daß die beatitudo, wenn sie als bonum hominis aufgefaßt wird, nur noch als Gut der Seele vorgestellt werden kann. Zur Klärung des Problems bedient sich Thomas nochmals der Unterscheidung von finis cuius und finis quo. Nimmt man die beatitudo als finis cuius in den Blick, erfragt man also die res ipsa, die als finis ultimus erstrebt wird, dann kann sie weder in der Seele selbst noch in einem Gut der Seele bestehen 93 . Denn die Seele selbst stellt sich zunächst als reine Potentialität dar, die noch der Überführung in den Status der Aktualität bedarf: Sie ist nicht a priori wissend oder tugendhaft, sondern sie ist zunächst nur darauf angelegt, wissend bzw. tugendhaft zu werden. Nun kann diese Aktualität, in der sich die Bestimmung der Seele erfüllt, zwar als ihr finis ultimus gelten. Daraus folgt aber, daß sie selbst mit diesem Ziel, auf das sie orientiert ist, nicht identisch sein kann 9 4 . Doch auch das, was als potentia, habitus oder actus in der Seele ist, kann nicht die beatitudo ipsa sein. Der finis ultimus ist nämlich ein vollkommenes Gut, wogegen die Seele stets nur ein zugeteiltes und deshalb partikulares bonum enthalten kann 9 5 . Faßt man aber das Letztziel als

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Si ergo loquamur de ultimo fine hominis quantum ad ipsam rem ..., impossibile est quod ultimus finis hominis sit ipsa anima, νel aliquid eius (Summa Theologiae I a -II ae 2,7c). Ipsa enim anima, in se considerata, est ut in potentia existens: fit enim de potentia sciente actu sciens, et de potentia virtuosa actu virtuosa. Cum autem potentia sit propter actum, sicut propter complementum, impossibile est quod id quod est secundum se in potentia existens, habeat rationem ultimi finis. Unde impossibile est quod ipsa anima sit ultimus finis sui ipsius (ebd.). Quolibet bonum autem inhaerens ipsi animae, est bonum participatum, et per consequens particulatum. Onde impossibile est quod aliquid eorum sit ultimus finis hominis (ebd.).

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finis quo auf, erfragt man also, worin es hinsichtlich seiner Erlangung bzw. seines Besitzes besteht, so kann die beatitudo durchaus als ein bonum animae gelten. Denn der Mensch erreicht sein Glück durch die Seele 96 . Die gerade erarbeitete Auffassung, daß die beatitudo in gewisser Weise (als finis quo) in einem Gut der Seele besteht, darf aber nicht dahin führen, daß gesagt wird, sie bestehe in einem geschaffenen Gut. Dieses Mißverständnis schließt Thomas in Summa Theologiae ja jjae 2 g m ¡ t einem Argument aus, das dem entspricht, das er in Artikel 7 verwendet hatte, um zu widerlegen, daß die beatitudo als finis cuius aliquid animae sein könne: Alles Geschaffene hat nur eine mitgeteilte Güte, die aber das auf das bonum universale gerichtete Streben des Menschen nicht befriedigen kann. Die für die Erfüllung des menschlichen Strebens erforderte Universalität wird deshalb einzig im (ungeschaffenen) Gott angetroffen 9 7 . Nachdem Thomas quaestio 2 mit der Feststellung beendet hat, daß die beatitudo keinesfalls in etwas Geschaffenem bestehen kann, wirkt es auf den ersten Blick merkwürdig, wenn sofort im Anschluß daran (Summa Theologiae I a -II ae 3,1) gefragt wird, ob sie etwas Ungeschaffenes sei. Noch viel seltsamer mutet es aber an, daß Thomas diese Frage durchaus nicht rundheraus bejaht, wie es von 2 , 8 her als konsequent erscheinen könnte. Statt dessen argumentiert er erneut mit Hilfe der Unterscheidung von finis cuius und finis quo, wobei er an dieser Stelle Wert darauf legt, das Geschaffensein der beatitudo zu erweisen, sofern diese als vom Menschen erlangtes Gut (als finis quo) auch etwas im Menschen ist 9 8 . Die Widersprüchlichkeit ist indessen nur eine scheinbare. Denn schaut man genauer hin, so bestätigt sich nur die oben geäußerte These, daß Thomas in quaestio 2 zunächst die beatitudo behandelt hat, sofern sie finis cuius ist, also die res ipsa in qua beatitudo invenitur. Dies kann nur Gott sein, da, wie es auch in 3,1 heißt, er allein durch seine unendliche Gutheit das Streben des Menschen vollständig zur Ruhe bringen

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Sed si loquamur de ultimo fine hominis quantum ad ipsam adeptionem vel possesionem, ... sic ad ultimum finem pertinet aliquid hominis ex parte animae: quia homo per animam beatitudinem consequitur (ebd.). nihil potest quietare voluntatem hominis, nisi bonum universale. Quod non invenitur in aliquo creato, sed solum in Deo (Summa Theologiae I a -IP e 2,8c). ultimus finis hominis est aliquid creatum in ipso existens, quod nihil est aliud quam adeptio vel fruitio finis ultimi (Summa Theologiae I a -II ae 3,1c).

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k a n n " . Es ist deshalb konsequent, wenn Thomas, wie in 2 , 8 geschehen, im Rahmen seiner Untersuchung der beatitudo als finis cuius deren Ungeschaffenheit hervorhebt. D a ß die beatitudo - freilich als finis quo - auch ein bonum animae sein muß, hatte er bereits in 2 , 7 ausgesprochen. Quaestio 3 setzt nun genau an dieser Stelle wieder ein. Von 3,1 an geht es um die beatitudo als finis quo, also um die adeptio illius rei in qua beatitudo invenitur. Und von daher ist es ebenso konsequent, wenn im corpus von 3,1 - gegen die den obiectiones zugrunde liegende und auch durchaus zutreffende Auffassung einer Identität von Gott und Glückseligkeit - hervorgehoben wird, daß sich die Erlangung der beatitudo im Menschen vollzieht und daß deshalb die essentia beatitudinis etwas Geschaffenes ist - im Gegensatz zu beatitudo im Sinne des finis cuius als der Ursache, durch die die beatitudo hominis bewirkt wird und dem Gegenstand, auf den sie sich bezieht 1 0 0 . An dieser Stelle wird deutlich, daß die Unterscheidung von finis cuius und finis quo Thomas dazu dient, eine Verbindung zwischen dem christlichen beatitudo-Begriff und der aristotelischen Glückslehre herzustellen: Aristoteles hatte die beatitudo ausschließlich anthropologisch bestimmt, nämlich als Tätigkeit des Menschen. Diese nach Thomas im Sinne der beatitudo als finis quo durchaus richtige Bestimmung ist aber aus christlicher Sicht noch dahingehend zu ergänzen, daß als Bezugspunkt solcher Tätigkeit, als ihr finis cuius, allein Gott zu gelten hat. Dieser ist entweder die Ursache (causa) der geschaffenen beatitudo, sofern er operationes beatitudinis überhaupt erst ermöglicht, oder er ist der Gegenstand (obiectum), auf den sich die geschaffene beatitudo bezieht. Dieser Gedanke erinnert nicht nur an die im Sentenzenkommentar vollzogene Unterscheidung zwischen finis exterior und finis interior (vgl. Anm.80), sondern auch an einen Hinweis, den Thomas im Ethikkommentar gegeben hat. Den Zusammenhang zwischen dieser Stelle aus Sententia Libri Ethicorum I 10 ( M . 1 2 0 ; L . 4 1 - 4 5 ) und Summa Theologiae I a -II ae 3,1 soll Übersicht 4 verdeutlichen.

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Primo ergo modo (als finis cuius, R.L.), ultimus hominis finis est bonum increatum, scilicet Deus, qui solus sua infinita bonitate potest voluntatem hominis perfecte implere (ebd.; vgl. Anm.97). Si ergo beatitudo hominis consideretur quantum ad causam vel obiectum, sic est aliquid increatum: si autem consideretur quantum ad ipsam essentiam beatitudinis, sic est aliquid creatum (ebd.).

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA

THEOLOGIAE

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Daß Thomas von 3,1 an die beatitudo als finis quo behandelt, läßt sich auch mühelos dem weiteren Gedankengang von quaestio 3 entnehmen. Denn die Artikel 2-5, in deren Verlauf gezeigt wird, daß sich die beatitudo hominis in spekulativer Verstandestätigkeit realisiert, gehen ausdrücklich von der Glückseligkeit aus, sofern diese als geschaffenes Gut im Menschen besteht 101 . Die Gedankenfolge der genannten Artikel ist in Übersicht 5 dargestellt. Daß die beatitudo, sofern nach ihrer Ausprägung im Menschen gefragt wird, in Anlehnung an Aristoteles als operatio hominis bestimmt wird, ist zwar, wie schon mehrfach deutlich wurde, für die thomanische beatitudo-Lehre von entscheidender Bedeutung, war aber im 13 Jahrhundert durchaus nicht selbstverständlich; es ist schon darauf hingewiesen worden, daß etwa Bonaventura die Glückseligkeit als einen dem Menschen von Gott verliehenen habitus verstanden hat (vgl. S.91f.). In Summa Theologiae I a -II ae 3,2 begründet Thomas seine Auffassung allerdings nicht ausdrücklich mit dem Hinweis auf die imago-Dei-Bestimmung des Menschen, wie es sich etwa vom Prolog her nahelegen würde; statt dessen versucht er, die Angemessenheit seiner Bestimmung der beatitudo als operatio auf der Grundlage des aristotelischen Denkens zu erweisen. Thomas weist zunächst darauf hin, daß ein Seiendes erst dann seine perfectio erreicht hat, wenn es das, worauf es seiner Potentialität nach ausgerichtet ist, in actu realisiert: Eine unverwirklichte Möglichkeit ist etwas Unvollkommenes102. Zum besseren Verständnis dieser Auffassung ist nochmals daran zu erinnern, daß in der aristotelischen Philosophie, auf die sich Thomas hier ausdrücklich bezieht, jedes Seiende als immanent teleologisch verfaßt gilt. Die jedem Ding zukommende Hinordnung auf sein jeweiliges Ziel besteht nach Aristoteles wie nach Thomas wegen der operatio, die entweder zur Erreichung des Ziels nötig ist oder das Ziel selbst darstellt, mittels derer sich jedenfalls die Hinordnung des Einzelseienden auf sein Ziel realisiert 103 . In diesem Sinne wird das bloße Vorhandensein einer auf 101

102

103

secundum quod beatitudo hominis est aliquid creatum in ipso existens, necesse est dicere quod beatitudo hominis sit operatio (Summa Theologiae I a -II ae 3,2c). potentia sine actu imperfecta est (ebd.). Bereits in Summa Theologiae I a -II ae 2,7 hat der auch hier herangezogene Gedanke eine Rolle gespielt, daß Aktualität etwas Vollkommeneres darstellt als Potentialität: Weil, so hatte es dort geheißen, die Seele in sich betrachtet lediglich reine Möglichkeit ist, kann sie nicht als bonum perfectum gelten. Von daher ist das Aristoteles-Zitat im corpus von 3,2 zu verstehen, in dem gesagt wird, jedes Ding sei seiner operatio wegen da (res unaquaeque dicitur esse

188

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

einen finis gerichteten res als deren perfectio prima bezeichnet, während die ,operationale' Realisierung des finis als ihre perfectio secunda gilt, die auch perfectio ultima heißen kann 104 . Daraus ergibt sich hinsichtlich der beatitudo, daß sie als bonum perfectum hominis in der höchsten Verwirklichungsform menschlichen Seins bestehen muß. Das aber heißt, sie muß in der aktual vollzogenen Realisierung der Finalität des Menschen und mithin in der ihm durch sein Sein vorgezeichneten operatio bestehen. Und genau dies kommt in der Ευδαιμονία-Definition des Aristoteles zum Ausdruck, die Thomas heranzieht: felicitas est operatio secundum virtutem perfectam105. Die Argumentationskette, die in 3,2 zur Bestimmung der beatitudo als operatio geführt hat, ist in Übersicht 6 nochmals zusammenfassend dargestellt. Seine so vollzogene Bestimmung der beatitudo als operatio muß Thomas allerdings noch gegenüber einem Kritikpunkt absichern, der in den obiectiones 4-6 vorgetragen und in der umfangreichen responsio ad4 geklärt wird. Es geht dabei um die Frage, ob der aus dem irdisch-menschlichen Erfahrungsbereich stammende operatioBegriff des Aristoteles wirklich dafür geeignet ist, die Präsenz der christlich verstandenen beatitudo im Menschen zu verdeutlichen. Denn während alle menschlichen operationes entweder irgendwann beendet sind oder jederzeit unterbrochen werden können, muß, so argumentieren die genannten obiectiones, die beatitudo (als bonum perfectum) etwas Ununterbrochenes sein, weshalb es - im Gegensatz zur Vielzahl der menschlichen Handlungen - auch nur eine beatitudo ,propter suam operationemvgl. schon Summa Theologiae I 1 0 5 , 5 c : omttis res sit propter suam operationem). Ebenfalls in Anlehnung an Aristoteles, der das in-actu-Sein als eine .zweite Wirklichkeit' von der Potentialität unterschieden hatte, hebt Thomas hier die operatio als actus secundus vom Status der Möglichkeit ab. 104

Thomas unterscheidet perfectio prima und perfectio secunda z.B. im Zusammenhang mit der Frage nach der Interpretation von Gen 2 , 2 a (complevit Deus die séptimo opus suum quod fecerat): Prima quidem perfectio est, secundum quod res in sua substantia est perfecta. Quae quidem perfectio est forma totius, quae ex integritate partium consurgit. - Perfectio autem secunda est finis. Finis autem est vel operatio ... vel est aliquid ad quod per operationem pervenitur. Die completio, von der Gen 2 spricht, bezieht sich nach Thomas auf die perfectio prima, während die perfectio secunda (= ultima) auf die eschatologische Vollendung bezogen wird: Ultima autem perfectio ... erit in ultima consummatione saeculi. Prima autem perfectio ... fuit in prima rerum institutione (alle Zitate aus Summa Theologiae I 7 3 , 1 c ) .

105

Summa Theologiae I a -II ae 3 , 2 sed contra.

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA

THEOLOGIAE

189

geben kann 1 0 6 . Diese Einwände widerspiegeln eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem in Summa Theologiae II unternommenen Versuch, den reditus des Menschen zu Gott als seinem finis auf der Grundlage einer Analyse der menschlichen Handlungswirklichkeit zu beschreiben. Thomas behandelt diese Einwände, indem er die verschiedenen Möglichkeiten nennt, in denen sich die beatitudo realisieren kann und sie miteinander in Beziehung setzt. Gott ist beatitudo per essentiam, und deshalb muß er, anders als die creatura intellectualis, sein Glück nicht erst noch erlangen. Die in quaestio 3 gestellte Frage, worin die beatitudo als bonum creatum besteht, trifft deshalb auf Gott gar nicht zu 1 0 7 . Die beatitudo der Engel aber, die, wie schon erwähnt, ihre Glückseligkeit bereits nach einem einzigen verdienstlichen Akt erlangen, besteht nach Thomas in einer einzigen und ewigen operatio, womit exakt die in den obiectiones geforderten Kriterien erfüllt sind. Nun ist, so Thomas, auch dem Menschen genau diese beatitudo als seine eschatologische Vollendung von Gott verheißen worden, heißt es doch in Mt 2 2 , 3 0 , daß die Menschen nach der Auferstehung sein werden wie die Engel im Himmel. Es steht also fest, daß auch für die mit der eschatologischen beatitudo perfecta verbundene operatio hominis die in den obiectiones angemahnten Bedingungen erfüllt sind 108 . Was die von Aristoteles thematisierte operatio hominis betrifft, die die beatitudo des status praesentis vitae konstituiert, so ist auch für Thomas deutlich, daß sie weder kontinuierlich ist noch eine einzige 109 . Daraus folgt aber keinesfalls, daß sie zur Beschreibung der uns von Gott verheißenen eschatologischen

106

beatitudo permanet in beato. Operatio autem non permanet, sed transit (Summa Theologiae I a -II ac 3,2 obiectio 4); beatitudo inest beato absque interruptione. Sed operatio humana frequenter interrumpitur (Summa Theologiae I a -II ae 3,2 obiectio 6); unius hominis est una beatitudo. Operationes autem sunt multae (Summa Theologiae I a -II ae 3,2 obiectio 5).

107

Dies ergibt sich bereits aus Summa Theologiae I 2 6 , l a d 2 : Sicut igitur Deus habet esse, quamvis non generetur; ita habet beatitudinem, quamvis non mereatur.

108

promittitur nobis a Deó beatitudo perfecta, quando erimus sicut angelt in coelo ... Quantum ergo ad illam beatitudinem perfectam, cessât obiectio: quia una et sempiterna operatione in ilio beatitudinis statu mens hominis Deo coniungetur (Summa Theologiae I a -II ae 3,2ad4). Schon in Summa contra Gentiles III 4 8 (M.2262;Allgeier 2 0 0 . 2 0 2 ) hat Thomas Mt 2 2 , 3 0 als biblischen Beleg für die Verheißung der eschatologischen Gottesschau herangezogen.

109

haec operatio nec continua potest esse, et per consequens nec unica est (Summa Theologiae P-II a e 3,2ad4).

190

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

beatitudo untauglich wäre. Im Gegenteil: Gerade weil die mit dem status praesentis vitae verbundene intercisio operationis und die daraus folgende multiplicatio als defizitär empfunden werden, kann, ja muß dem aus dem irdisch-menschlichen Erfahrungsbereich stammenden Begriff der operatio eine Relevanz für die theologische beatitudo-Lehre zukommen. Thomas erinnert hier an die im Kommentar zur NIKOMACHISCHEN ETHIK eingehend herausgearbeitete Einsicht, daß es Aristoteles selbst ist, der seinen auf die Perspektive dieses Lebens begrenzten Glücksbegriff als defizitär beurteilt, da den mit der beatitudo in hac vita verbundenen operationes die für die Vollform des Glücks erforderliche unitas und continuitas fehlen 110 . Wegen dieser Defizienzerfahrung hat die im irdischen Bereich vollzogene operatio hominis Hinweischarakter bezüglich jener operatio continua et sempiterna, in der das empfundene Defizit beseitigt ist und in der deshalb die beatitudo perfecta hominis besteht. Diesen Hinweischarakter, aus dem sich für Thomas die theologische Legitimation seines Ansatzes in Summa Theologiae II ergibt, bringt er hier zur Geltung, indem er das irdisch erreichbare Glück als Teilhabe an der beatitudo perfecta interpretiert: in praesenti vita ... deficimus a

beatitudinis perfectione. Est tamen aliqua participatio

beatitudini^.

I a -IF e

Im nächsten Artikel (Summa Theologiae 3,3) stellt Thomas heraus, in welcher Weise verstandhafter und sinnenhafter Teil des Menschen jeweils an der beatitudo beteiligt sind. Da die Glückseligkeit essentialiter in der Verbindung des Menschen mit Gott als dem summum bonum increatum besteht, diese coniunctio aber durch eine operatio sensus nicht hergestellt werden kann, ist es ausgeschlossen, daß der Vollzugsbereich der beatitudo wesenhaft in der pars sensitiva des Menschen liegt. Allerdings gehört die Sinnestätigkeit in einem vorgängigen Sinn (antecedenter) durchaus zur beatitudo. Denn die operatio intellectus, in der die in diesem Leben erreichbare beatitudo

110

Vgl. zum Problem der continuitas im Ethikkommentar die in 2 . 3 . 2 . 2 (S. 1 3 5 1 3 8 ) behandelte diesbezüglich einschlägige Stelle Sententia Libri Ethicorum 1 1 0 ( M . 1 2 9 f . ; L . 1 5 3 - 1 7 6 ) . In Summa Theologiae I a - I I " 3 , 2 a d 4 bezieht sich T h o m a s ausdrücklich auf jene Bemerkung aus der NIKOMACHISCHEN ETHIK, die schon in Summa c o n t r a Gentiles III 4 8 (M.2254;Allgeier 1 9 8 ) eine Rolle spielte (vgl. 2 . 2 . 2 ; S. 1 1 0 - 1 1 2 ) , und bei deren Interpretation er im Ethikkommentar in besonderer Weise hervorgehoben hatte, daß die christliche beatitudo-Lehre legitimerweise an den Glücksbegriff des Aristoteles anknüpfen kann: I I I ( 1 1 0 1 a l 9 - 2 1 ) ; vgl. dazu Sententia Libri Ethicorum 1 1 6 ( M . 2 0 2 ; L . 2 1 8 - 2 2 5 ) sowie die in 2 . 3 . 2 . 2 erfolgte Behandlung dieses Textes (S. 1 4 0 - 1 4 5 ) .

111

Summa Theologiae I a -II ae 3 , 2 a d 4 .

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

191

besteht, ist an die ihr vorangehende Sinneserkenntnis gebunden. Während die operatio sensus demnach antecedenter zur beatitudo imperfecta gehört, gehört sie zur beatitudo perfecta in einer nachfolgenden Weise (consequenter). Denn, so sagt Thomas in Anlehnung an Augustin, die eschatologische beatitudo animae wirkt auf den auferstandenen Leib zurück, wobei in diesem Fall die den Menschen mit Gott verbindende operatio nicht von der Sinnestätigkeit abhängt. Summa Theologiae Ia-IIae 3,4 stellt die Frage, ob die beatitudo, als operatio intellectivae partis, vom intellectus des Menschen oder von seiner voluntas vollzogen wird, ein von Thomas bereits im Sentenzenkommentar behandeltes Problem, das hier in ganz ähnlicher Weise gelöst wird (vgl. 2.2.1; S.102-105). Thomas erinnert in seiner Antwort zunächst an die in Summa Theologiae Ia-IIae 2,6 vorgenommene Unterscheidung der beatitudo in deren essentia und ihr accidens proprium, als das ihm die delectatio gilt. Die Tätigkeit, in der die essentia beatitudinis besteht, wird in 3,4 dem Verstand zugesprochen. Zur Begründung beruft sich Thomas auf Summa Theologiae IaIIae 2,7. Hier hatte er gezeigt, daß die beatitudo zwar als finis cuius keinesfalls ein Gut der Seele sein kann, wohl aber als finis quo, da der Mensch sein Ziel durch die Seele erreicht. Da sich Thomas in quaestio 3 lediglich für die Erreichung des finis ultimus interessiert, bestimmt er in Artikel 4 die beatitudo als consecutio finis ultimi. Hält man aber fest, daß die operatio beatitudinis mit der Erreichung des Letztziels identisch ist, so wird klar, daß sie unmöglich von der voluntas vollzogen werden kann. Denn der Wille begehrt entweder ein noch nicht erreichtes Ziel, oder er freut sich angesichts der schon erfolgten Erreichung seines finis. Weder das Begehren nach etwas Abwesendem noch die Freude angesichts der Erreichung des Begehrten können aber als consecutio finis und damit als beatitudo gelten. Denn das desiderium des Willens bewirkt noch nicht die Erreichung des ultimus finis humanae vitae. Präsent wird dem Willen nach Thomas sein Letztziel erst infolge eines actus intellectus, und aufgrund der so realisierten Erlangung des Ziels kommt es dann zur delectatio des Willens. Summa Theologiae Ia-IIae 3,5 widmet sich der Frage, ob die bislang als operatio intellectus bestimmte beatitudo eine Tätigkeit des spekulativen oder des praktischen Verstandes ist. Daß sie in einer Tätigkeit des intellectus speculativus bestehen muß, macht Thomas mit drei Argumenten deutlich. (1) Die beatitudo, als höchste Verwirklichung der menschlichen Möglichkeiten, muß notwendig die operatio optima hominis sein. Als diese aber gilt die Tätigkeit des

192

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

höchsten menschlichen Vermögens hinsichtlich seines höchsten Gegenstandes. Das höchste menschliche Vermögen ist nach Thomas der intellectus und dessen höchster Gegenstand das bonum divinum; dies ist allerdings eindeutig kein Objekt des intellectus practicus, sondern eines des intellectus speculativus. Er beruft sich hier auf Aristoteles, der am Ende der N I K O M A C H I S C H E N E T H I K das ausschließlich der Schau des Ewigen gewidmete Leben als Maximalform der ευδαιμονία bestimmt hatte. (2) Das zweite Argument hat ebenfalls einen aristotelischen Hintergrund. Die contemplatio divinorum wird, so Thomas, in höchstem Maße um ihrer selbst willen angestrebt. Dagegen zielt der praktische Verstand auf von seinem Eigenvollzug unterschiedene Handlungen, die ihrerseits wiederum auf ihr jeweiliges Ziel ausgerichtet sind. Da aber die beatitudo gerade als etwas gilt, das stets nur propter seipsum erstrebt wird und auf nichts außerhalb ihrer abzielt, kann sie keine Handlung des intellectus practicus sein. (3) Das dritte und letzte Argument geht davon aus, daß der Mensch in der vom intellectus speculativus vollzogenen vita contemplativa mit Gott und den Engeln kommuniziert. Und weil die beatitudo gerade in dem so gegebenen Bezug zur natura superiora besteht, muß sie als Tätigkeit des spekulativen Verstandes gelten. Dies wird auch daran deutlich, daß der Mensch in der vita activa notwendig auch mit seinesgleichen Umgang hat und dieser Umgang gerade keine assimilatio an die natura superiora impliziert. - Die in den drei Argumenten enthaltenen Erkenntnisse wendet Thomas abschließend auf die schon mehrfach erwähnte Unterscheidung von beatitudo perfecta und beatitudo imperfecta an: Erstere, die nach diesem Leben erhofft wird, besteht ausschließlich in der vom intellectus speculativus vollzogenen Kontemplation und kann in keiner Weise als operatio intellectus practici angesprochen werden. Die in diesem Leben erreichbare beatitudo imperfecta besteht vorrangig in spekulativer Verstandestätigkeit, da eine Ausschließlichkeit unter irdischen Bedingungen nicht realisierbar ist. Lediglich in zweiter Linie besteht sie auch in einer Tätigkeit des intellectus practicus, sofern dieser nämlich die Tätigkeiten und Leidenschaften des Menschen auf den möglichst ungestörten Vollzug der Schau ausrichtet. Thomas ist mit seiner Argumentation in 3,5 weitgehend Aristoteles gefolgt. Aus diesem Grund ist es durchaus konsequent, wenn nun gefragt wird, ob der Gegenstand, dem sich der beatus in operatione intellectus speculativi widmet, mit dem von Aristoteles bestimmten Objekt der Kontemplation identisch ist. Wie die obiectiones 1 und 2 unter Hinweis auf die N I K O M A C H I S C H E E T H I K und die M E T A P H Y S I K

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA

THEOLOGIAE

193

zeigen, ist diese contemplatio vom Philosophen auf die spekulativen Wissenschaften bezogen worden. Diesen Schritt vollzieht Thomas in Summa Theologiae I a -II ae 3,6 jedoch nicht mit. Denn da die beatitudo als perfectio hominis gilt, diese perfectio aber nur durch die Erkenntnis einer Sache erlangt werden kann, die den intellectus humanus übersteigt, kann die consideratio scientiarum speculativarum keinesfalls die operatio sein, in der die beatitudo hominis besteht. Denn, und dies sagt Thomas wieder in Anknüpfung an Aristoteles, die Erstprinzipien der spekulativen Wissenschaften sind sinnlich erfaßt. Da aber in den Erstprinzipien einer Wissenschaft auch all ihre Einzelinhalte wenigstens virtualiter schon enthalten sind, ergibt sich, daß die consideratio scientiarum speculativarum über die sensibilia nicht wirklich hinauskommt. Das sinnlich Erfaßte liegt aber unterhalb der Ebene des menschlichen Verstandes und kann diesen deshalb nicht vervollkommnen. Allerdings begegnet in allen sinnlich erfaßten Dingen eine gewisse Ähnlichkeit mit den substantiae superiores, die sich als Teilhabe beschreiben läßt. Obwohl also die stets an die sensibilia zurückgebundene Betrachtung der spekulativen Wissenschaften grundsätzlich nicht zur natura superior durchdringt, kann sie wegen der partizipativen Ähnlichkeit der sensibilia mit der höheren Natur doch wenigstens als participatio beatitudinis perfectae gelten. Wenn für die beatitudo als perfectio hominis die Erkenntnis einer den menschlichen Verstand übersteigenden Sache nötig ist, dann legt sich der Gedanke nahe, sie bestehe in der Erkenntnis der Engel, die als natura spiritualis tatsächlich den intellectus humanus überragen. Gegen diese Konsequenz stellt Thomas in Summa Theologiae I a -II ae 3,7 heraus, daß den Engeln, obwohl sie der Naturordnung nach über dem Menschen angesiedelt sind, dennoch aufgrund ihrer Geschöpflichkeit lediglich eine Teilhabe am Sein selbst zukommt, weshalb aus ihrer Betrachtung nicht die perfectio ultima intellectus resultieren kann. Diese ist nur denkbar als contemplatio Gottes, dem das Sein nicht nur partizipativ, sondern seinem Wesen nach zukommt. Die Schau der Engel kann deshalb, wie auch die Betrachtung der spekulativen Wissenschaften, lediglich eine beatitudo imperfecta gewährleisten; vollständig glücklich macht allein die Gottesschau. Die in 3,7 getroffene Feststellung, daß ausschließlich die contemplatio Dei die perfekte beatitudo gewährleisten kann, wird in Summa Theologiae I a -II ae 3,8 noch einmal hinterfragt und eigens begründet. Die Argumentation dieses Artikels enthält in äußerst gedrängter Form die Darstellung jener für das Denken des Thomas so wichtigen Lehre vom desiderium naturale in visionem beatificam.

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Was ist, in aller Kürze, der Inhalt dieser Doktrin? In dem berühmten Anfangssatz aus dem ersten Kapitel der aristotelischen M E T A P H Y SIK heißt es: Alle Menschen streben von Natur nach Wissen (Πάντες άνθρωποι του είδέναι ορέγονται φύσει)112. Aristoteles läßt dieses Wissen bei den Sinneswahrnehmungen beginnen, die der Mensch mit den Tieren teilt. Von dieser untersten Stufe ausgehend, schreitet die menschliche Erkenntnis über die Erinnerung zur Erfahrung als der Einsicht in das Daß (τό ότι) fort und gelangt schließlich zur höchsten epistemischen Stufe, die die Kenntnis nicht nur des Daß, sondern auch des Warum (τό διότι) beinhaltet. Daß dieses Streben auch nach dem Wissen der höheren Stufen dem Menschen in der Tat von Natur aus (φύσει) zukommt, belegt Aristoteles im zweiten Kapitel mit dem Hinweis auf das Staunen (θαυμάζειν) des Menschen beim Eintreten von Unerwartetem, das ihm als Anfang allen Philosophierens gilt 1 1 3 . Das durch das Staunen ausgelöste Naturforschen geschieht aber nicht um eines Nutzens, sondern nur um des gesuchten Wissens selbst willen 114 . Deshalb beschreibt Aristoteles die sich im Fortschritt des Wissens ergebende - im Erkennen der Prinzipien und der Ursachen bestehende - höchste Steigerung der epistemischen Möglichkeiten des Menschen als selbstzweckliche und deshalb im höchsten Maße freie Wissenschaft, die keinem ihr äußerlichen Zweck dient, sondern nur um ihrer selbst willen betrieben wird. Nun ist es, wie oben gesehen, nach Nikomachische Ethik I 5 die ευδαιμονία, die ausschließlich um ihrer selbst und niemals um eines anderen willen erstrebt wird (vgl. 2.1.3.1; S.74-77). Aus dem Zusammenhang mit den Anfangskapiteln der METAPHYSIK ergibt sich auch die Folgerichtigkeit der von Aristoteles in Buch X der NIKOMACHISCHEN ETHIK dargestellten Auffassung, daß die Maximalform des für den Menschen spezifischen άγαθόν, nach dem die Ethik fragt, im Vollzug der vita contemplativa besteht. Denn nur hier ist jene Tätigkeit voll verwirklicht, nach der der Mensch von Natur aus strebt, in der deshalb sein ureigenes Leben besteht und in deren Vollzug er in höchstem Maße glücklich ist 1 1 5 .

112 113

Aristoteles, M e t a p h y s i k I 1 ( 9 8 0 a 2 1 ) . δια γάρ τ ό θαυμάζειν ol άνθρωποι και νυν καί τό πρώτον ήρξαντο φιλοσοφείν (Aristoteles, M e t a p h y s i k I 2 [ 9 8 2 b l 2 f . ] ) .

φανερόν δτι διά τ ό είδέναι τ ό έπίστασθαι έδίωκον, καί ού χρήσεώζ tivoç ενεκεν (aaO, 982b20f.). 1 1 5 τό γάρ οικεΐον έκάστω τ η φύσει κράτιστον και ήδιστον έστιν έκάστω· και τ ω άνθρώπω δή ό κατά τον νοΰν βίος, είπερ τ ο ΰ τ ο μάλιστα άνθρωπος, ούτος άρα καί εύδαιμονέστατος (Aristoteles, N i k o m a c h i s c h e Ethik Χ 7 [ 1 1 7 8 a 5 - 8 ] ) . 114

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA

THEOLOGIAE

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Die von Aristoteles als Maximalform menschlichen Glücks herausgestellte vita contemplativa mußte dem christlichen Theologen Thomas, gemessen an der verheißenen beatitudo post hanc vitam, als etwas Unvollkommenes erscheinen. Überboten wird der Glücksbegriff des Aristoteles bei Thomas stets durch den Hinweis auf die eschatologische visio Dei. Da Thomas einerseits mit der gesamten christlichen Tradition die Auffassung teilt, daß der Mensch seine perfectio erst in der eschatologischen Gottesgemeinschaft empfängt, andererseits das in der aristotelischen Philosophie beschriebene natürliche Glücksstreben des Menschen ernst nehmen und auf diese jenseitige Erfüllung hingeordnet verstehen will, ergibt sich, daß die Natur des Menschen nach Thomas ein αγαθόν (bonum) als ihr Ziel intendiert, das gerade kein άγαθόν ττρακτόν (bonum operatum) ist, also mit menschlichen Möglichkeiten gar nicht realisiert werden kann. Gleichwohl muß, wie er nicht müde wird zu betonen, dieses Ziel erreichbar sein, da die Natur nichts umsonst tut und deshalb durch ein ins Leere gehendes desiderium ,frustriert' würde 1 1 6 . Obwohl Thomas versucht hat, die Richtigkeit dieser von ihm immer wieder ausgesprochenen Konsequenz gerade unter Hinweis auf Aristoteles selbst zu belegen 1 1 7 , dürfte die nachdrückliche Herausstellung dieses Gedankens primär theologische Gründe haben. Denn das desiderium naturale in visionem beatificam kommt dem Menschen zu, sofern dieser von Gott geschaffen ist. Es ist aber angesichts der unendlichen Vollkommenheit Gottes schlechterdings nicht denkbar, daß die der Natur von ihrem Schöpfer eingestifteten Ziele nicht realisierbar sind. Daß Thomas so denkt, wird an jener Stelle der S E N T E N T I A L I B R I E T H I C O R U M deutlich, die die Ablehnung des regressus in infinitum durch Aristoteles kommentiert 1 1 8 . Gäbe es, so Thomas, beim Begehren der Ziele ein procedere in infinitum, würde kein Ziel wirklich erreicht werden, da in diesem Fall jedes Erreichte immer nur Ausgangspunkt weiteren

116

Einer der zahlreichen von T h o m a s gegebenen Hinweise darauf, dai? das desiderium naturale nicht unnütz (inanis) sein kann, begegnete bereits im Ethikkommentar: Et quia non est inane naturae desiderium, recte aestimari potest quod reservatur homini perfecta beatitudo post hanc vitam (Sententia Libri Ethicorum I 1 6 [ M . 2 0 2 ; L . 2 2 2 - 2 2 5 ] ) .

117

Dies wurde bereits bei der Untersuchung von Summa contra Gentiles III 4 8 deutlich (vgl. 2 . 2 . 2 ; bes. S . l l l f . ) .

118

Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik I 1 ( 1 0 9 4 a 2 0 f . ) und Sententia Libri Ethicorum I 2 ( M . 2 1 ; L . 3 2 - 4 8 ) .

196

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Strebens sein könnte. Etwas Unerreichbares wird aber umsonst angestrebt. Nun ist das Streben des Menschen nach seinem bonum als Ziel ein desiderium naturale, dessen Aussichtslosigkeit deshalb undenkbar ist, weil es aus einer ordinatio des Erstbewegers resultiert, die keineswegs unnütz sein kann 119 . Es ist also letztlich der Gedanke der uneingeschränkten Vollkommenheit des Schöpfers, aus dem sich ergibt, daß die visio beatifica für den Menschen tatsächlich erreichbar sein muß. Nur kann er sie durch eigenes Handeln nicht gewinnen, sondern ist für ihre Erlangung auf die von Gott her kommende Gnade angewiesen. Während die hier kurz skizzierte beim Wissensverlangen des Menschen ansetzende Argumentation für die Lehre vom desiderium naturale in der SUMMA THEOLOGIAE und der SUMMA CONTRA GENTILES von vorrangiger Bedeutung ist, geht Thomas bei der Darstellung dieser Doktrin im COMMENTUM IN QUATUOR LIBROS SENTENTIARUM und in den QUAESTIONES DISPUTATAE eher vom Glücksverlangen des Willens aus. Paulus Engelhardt, auf den diese Erkenntnis zurückgeht, hat die genannte Verschiedenheit mit den unterschiedlichen von Thomas verarbeiteten Quellen begründet: Der vom menschlichen Wissensverlangen ausgehende Ansatz ist auf den Einfluß des Aristoteles zurückzuführen, während die auf dem Glücksbegehren des Willens beruhende Argumentation eher am augustinischen Denken orientiert ist 120 . Der hier zu verfolgende Gedankengang aus Summa Theologiae Ia-IIae 3,8 ist in der Tat sehr stark an die aristotelische Argumentation angelehnt: Es gibt ein dem Menschen naturaliter zukommendes Verlangen, über die Erkenntnis von Wirkungen hinaus nicht nur um die Existenz von Ursachen zu wissen, sondern auch deren Wesen zu verstehen. Für diese Behauptung beruft sich Thomas ausdrücklich auf den Anfang der METAPHYSIK. Seine perfectio, so heißt es weiter, erreicht der intellectus humanus nicht durch die Erkenntnis der von der prima causa ausgehenden Wirkungen, sondern durch die Erfassung des Wesens der Erstursache. Zu seiner

119

naturale desiderium nihil aliud est quam inclinatio inhaerens rebus ex ordinatione primi moventis, quae non potest esse supervacua (aaO, M.21;L.44-47).

120

Vgl. dazu Paulus Engelhardt, Zu den anthropologischen Grundlagen der Ethik des Thomas von Aquin. Die Enthüllung des maßgebenden Lebenszieles durch das desiderium naturale, in: Paulus Engelhardt (Hg.), Sein und Ethos. Untersuchungen zur Grundlegung der Ethik, Mainz 1963 ("WSAMA.P 1), 186-212 sowie ders., Art. Desiderium naturale, in: HWP II (1972), 118-130.

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA

THEOLOGIAE

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Vollendung gelangt der Mensch deshalb durch die Vereinigung mit Gott als dem Objekt, in dem seine Glückseligkeit besteht1 1 . Diese Feststellung kann hier als Ausgangspunkt einer kurzen Zusammenfassung dienen, in der noch einmal deutlich werden soll, wie Thomas in der S U M M A T H E O L O G I A E die beatitudo als ultimus finis humanae vitae bestimmt. Der finis ultimus sowohl des Menschen als auch der übrigen Geschöpfe ist allein Gott. In diesem Sinne gilt Gott als finis cuius, als objektives Letztziel des gesamten Weltprozesses, der deshalb von Thomas als Rückkehr der Schöpfung zu ihrem Ursprung aufgefaßt wird. Der creatura rationalis als imago Dei ist es nun aufgegeben, ihr Bestimmtsein ad Deum auch in die eigene Intentionalität zu übernehmen. Sofern der Mensch dies tut, erstrebt er den finis ultimus auch als sein subjektives Letztziel, als finis quo. Dies war bereits in quaestio 1 klargeworden. Da die Realisierung der Bestimmung des Menschen zugleich seine perfectio ultima bedeutet, diese aber vom Menschen her als beatitudo aufgefaßt wird, ergibt sich die Identität von ultimus finis humanae vitae und beatitudo. Entsprechend der Unterscheidung von finis cuius und finis quo stellt Thomas in quaestio 2 heraus, daß die beatitudo einmal in Gott selbst als dem ungeschaffenen bonum perfectum besteht, sofern Gott die Ursache allen menschlichen Glücks und die Sättigung des menschlichen Glücksstrebens nur im Bezogensein auf Gott als Gegenstand erreichbar ist. Die erst eschatologisch mögliche Schau des göttlichen Wesens, in der der Mensch dieses Bezogensein verwirklicht, wird in quaestio 3 beschrieben als subjektive Vereinigung des Menschen mit seinem objektiven Letztziel (per unionem ad Deum sicut ad obiectum). Aus dem Gesagten ergibt sich dreierlei: 1. Die subjektiv erfaßte beatitudo hominis ist nach Thomas grundsätzlich nicht unabhängig von Gott als dem objektiven finis ultimus bestimmbar. Vielmehr wird das menschliche Glücksstreben am Beginn von Summa Theologiae II überhaupt nur thematisiert, sofern es sich auf Gott als obiectum richtet. Denn die Unterscheidung von finis cuius und finis quo meint gerade nicht zwei verschiedene fines, 121

Si igitur intellectus humanas, cognoscens essentiam alicuius effectus creati, non cognoscat de Deo nisi ,αη est'... nondum est perfecte beatus. Ad perfectam igitur beatitudinem requiritur quod intellectus pertingat ad ipsam essentiam primae causae. Et sic perfectionem suam habebit per unionem ad Deum sicut ad obiectum, in quo solo beatitudo hominis consistit (Summa Theologiae I a -II a e 3,8c).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

sondern zwei Aspekte ein- und desselben finis: Das Ziel vom Standpunkt des Ziels selbst aus und dasselbe Ziel vom Standpunkt des darauf Gerichteten aus 1 2 2 . Die in diesem Leben erreichbare beatitudo imperfecta kann deshalb nicht als weltliche Selbstverwirklichung beliebiger Art verstanden werden. Nach Thomas kann irdisches Glück nur dann wirklich als Glück gelten, wenn es auf Gott bezogen ist und sich der beatitudo perfecta innerhalb der Bedingungen dieses Lebens möglichst weit annähert. Diese Einsicht führt auch in der SUMMA T H E O L O G I A E zur Vorordnung des theoretischen gegenüber dem praktische Leben 1 2 3 . 2. Die Anbindung der beatitudo hominis an Gott als ihr obiectum macht nochmals die Parallelität zwischen der imago-Dei-Lehre des Thomas und seiner beatitudo-Lehre deutlich. Schon bei der Behandlung von Summa Theologiae I A - I I A E 1,8 war festgestellt worden, daß die Begründung, die Thomas dafür gibt, daß der Mensch sein Letztziel auch als finis quo anstreben kann, sachlich der in Summa Theologiae I 93,2 gegebenen Erklärung dafür entspricht, warum er imago Dei genannt wird. So wie nach Summa Theologiae I 93,8 der Mensch seine imago-Dei-Bestimmung nur in Ausrichtung auf Gott realisieren kann, so ist nach der Unterscheidung von finis cuius und finis quo im beatitudo-Traktat die Verwirklichung seiner Bestimmung ebenfalls nur im Bezogensein auf Gott als obiectum denkbar. 3. Daraus folgt, daß die theologische Legitimität der aristotelischen Lehre von der beatitudo als einem menschlichen Gut nach Thomas in der imago-Dei-Bestimmung des Menschen begründet ist. Sofern der Mensch als imago Dei bestimmt wird, ist geradezu gefordert, daß sein Glück auch etwas von ihm selbst Ergriffenes und folglich ein geschaffenes Gut ist. Dem trägt Thomas dadurch Rech-

122

Dies bringt Thomas selbst deutlich zum Ausdruck: finis dicitur dupliciter: uno modo, ipsa res; alio modo adeptio rei. Quae quidem non sunt duo fines, sed unus finis, in se consideratus, et alteri applicatus (Summa Theologiae I a -II a e l l , 3 a d 3 ) .

123

in praesenti vita ... deficimus a beatitudinis perfectione. Est tarnen aliqua participatio beatitudinis; et tanto maior, quanto operatio potest esse magis continua et una. Et ideo in activa vita, quae circa multa occupatur, est minus de ratione beatitudinis quam in vita contemplativa, quae versatur circa unum, idest circa veritatis contemplationem (Summa Theologiae I a -II ae 3,2ad4); vgl. schon Summa contra Gentiles III 63 (M.2383;Allgeier 2 6 2 ) , Super Evangelium S. Matthaei Lectura, Caput 5 ( 4 0 7 ) und Sententia Libri Ethicorum I 1 0 ( M . 1 2 6 ; L . 1 0 7 - 1 2 0 - der Kommentar zu Aristoteles, Nikomachische Ethik I 6 [1098a3-6]).

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

199

nung, daß er die beatitudo (im Sinne des finis quo) als einen vom Menschen ausgehenden Vollzug bestimmt und so den aristotelischen Ansatz unverkürzt integriert. Sofern der Mensch als imago Dei bestimmt wird, kann die von ihm geleistete operatio beatitudinis nur dann ,glücken', wenn sie auf Gott als das ungeschaffene Gut bezogen ist, in dem allein der auf das bonum universale gerichtete Wille des Menschen seine Erfüllung findet. Dem trägt Thomas Rechnung, indem er herausstellt, daß die beatitudo (im Sinne des finis cuius) allein in Gott bestehen kann. 2.4.1.4 Erfordernisse und Erlangung des Letztziels (Summa Theologiae I a -IP e 4.5) Hatte Thomas in quaestio 3 die essentia beatitudinis (im Sinne des finis quo) als intellektuelle Schau des göttlichen Wesens bestimmt, so fragt er jetzt danach, was für die so aufgefaßte Glückseligkeit erforderlich ist (quaestio 4), bevor er in der den beatitudo-Traktat abschließenden quaestio 5 die mit der Erreichung des vollendeten Glücks zusammenhängenden Fragen diskutiert. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Darstellung der wichtigsten in diesen beiden quaestiones enthaltenen Aussagen zum beatitudo-Begriff bei Thomas. Die Artikel Summa Theologiae I a -II ae 4,1.2 behandeln nochmals das bereits in Summa Theologiae Ia-IIae 2,6; 3,4 angesprochene Problem der delectatio. Die Frage ist zunächst, ob die delectatio zur beatitudo erfordert wird. In den obiectiones zu Artikel 1 wird dies unter Hinweis darauf bestritten, daß die beatitudo als eine Tätigkeit des Intellekts gilt, auf die sich delectationes stets störend auswirken. Im sed contra setzt Thomas dieser Auffassung das schon erwähnte Augustin-Zitat entgegen, in dem die beatitudo als gaudium de veritate beschrieben wird. In seiner eigenen Argumentation im corpus articuli stellt er zunächst heraus, daß die Aussage, eine Sache werde für etwas anderes erfordert, in vierfacher Weise verstanden werden kann: Erstens als Voraussetzung, wie etwa eine gewisse Schulung erforderlich ist, damit Wissen zustande kommt; zweitens im Sinne einer Vervollständigung, so wie eine Seele für das Leben eines Körpers erforderlich ist; drittens im Sinne einer Hilfe, so wie manchmal Freunde gebraucht werden, um etwas zu bewirken; und schließlich, viertens, im begleitenden Sinne, so wie die Wärme für das Feuer erforderlich ist - sie konstituiert es nicht, aber sie gehört zwingend dazu. Und lediglich in diesem zuletzt genannten Sinn ist nach Thomas Freude

200

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

zum Glück erforderlich, da die in der adeptio beatitudinis erreichte vollständige Zufriedenstellung allen Strebens ohne begleitende Freude gar nicht möglich ist 124 . Wenn aber, so fragt Artikel 2, visio und delectatio in der beatitudo so verbunden sind, wie in Artikel 1 festgestellt, welchem von beiden Vollzügen kommt dann die Priorität zu? Nachdem die obiectiones für den Vorrang der Freude plädiert haben, weist Thomas selbst im corpus articuli zunächst darauf hin, daß diese Frage beim Philosophen ungelöst geblieben sei 125 . Er seinerseits meint nun, durchaus zeigen zu können, daß die visio notwendigerweise als etwas besseres zu gelten habe als die delectatio 126 . Um dies zu verdeutlichen, geht er auf den Zusammenhang ein, der zwischen dem Verhältnis von visio und delectatio auf der einen und dem von intellectus und voluntas auf der anderen Seite besteht: Die visio ist eine operatio intellectus, und die delectatio besteht in der Ruhe, die die voluntas findet, wenn sie ihr Ziel erreicht hat. Die folgende Argumentation lehnt sich sowohl an Aussagen im Sentenzenkommentar als auch in Summa Theologiae P-II ae 3,4 an (vgl. 2.2.1;2.4.1.3; S.102-105;191): In bezug auf den finis ultimus kann sich der Wille nur in zweifacher Weise verhalten. Entweder strebt er nach dem noch abwesenden oder er freut sich am bereits erreichten Letztziel. Der Übergang von der ersten zur zweiten Tätigkeit, vom desiderium zur delectatio, wird durch das Gegenwärtig-Sein des Ziels bewirkt. Dieses GegenwärtigSein selbst ist aber keine operatio des Willens, denn zu begehren ist nichts mehr (das Ziel ist präsent), und die Freude ist bereits eine Folge davon, daß das Ziel erreicht ist - sie kommt dem Willen zu,

124

125

126

Delectatio enim causatur ex hoc quod appetitus requiescit in bono adepto. Unde, cum beatitudo nihil aliud sit quam adeptio summi boni, non potest esse beatitudo sine delectatione concomitante (Summa Theologiae Ia-IIae 4,1c); vgl. nochmals Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 (408): delectatio ... perficit felicitatem, sicut pulchritudo iuventutem. Aristoteles berührt die Frage, ob wir das glückliche Leben um der Lust oder die Lust um eines solchen Lebens willen wählen, in Nikomachische Ethik X 5 und verzichtet tatsächlich ausdrücklich auf eine Antwort (Πότερον δέ δια τήν ήδονήν το ζην αίρούμεθα ή δια τό ζην τήν ήδονήν, άφείσθω έν τω τταρόντι [1175al8f.]). Bereits in seinem Kommentar zu der in der vorigen Anmerkung zitierten Aristoteles-Stelle weist Thomas darauf hin, daß konsequenterweise der operatio, in der das Glück besteht, der Vorzug vor der (dieser Tätigkeit folgenden) delectatio eingeräumt werden müsse: ipsa operatio, quae delectat ..., videtur per prius appetibilis quam delectatio (Sententia Libri Ethicorum X 6 [M.2037;L.203205]).

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

201

weil das Ziel gegenwärtig ist, nichts aber wird dadurch gegenwärtig, daß der Wille sich daran freut. Das die delectatio bedingende Gegenwärtig-Sein des Ziels wird deshalb von Thomas als eine Tätigkeit des Verstandes aufgefaßt, als die visio Dei intellectualis. Die so erwiesene Tatsache, daß eine nicht vom Willen selbst vollzogene Tätigkeit für die delectatio voluntatis vorausgesetzt werden muß, dient Thomas in 4,2 als Ausgangspunkt für seine These, daß die visio der delectatio wertmäßig vorzuordnen ist. Denn da als Ziel des begehrenden Willens eine Tätigkeit gedacht werden muß, die nicht wiederum eine Tätigkeit des Willens ist, kann das von der voluntas erstrebte bonum nicht die delectatio sein, sondern es muß sich um jene operatio handeln, die die Voraussetzung der delectatio bildet. Der menschliche Wille erstrebt deshalb nach Thomas sein bonum nicht, um darin Ruhe und Freude zu finden, sondern weil die Tätigkeit, durch die er dann Ruhe und Freude erlangt, ihm ein bonum ist 127 . Allerdings hat sich Thomas hinsichtlich dieser Feststellung mit zwei gewichtigen Einwänden auseinanderzusetzen. Obiectio 2 weist darauf hin, daß die die beatitudo realisierenden operationes letztlich doch wegen der sich anschließenden delectatio erstrebt werden. So habe etwa die Natur die für die Erhaltung des Einzelnen und der Art erforderlichen Handlungen mit Freude verbunden, und diese Freude sei letztlich das Motiv des Strebens nach den sie verursachenden Tätigkeiten. In seiner responsio bestreitet Thomas diese Behauptung nicht, er stellt aber fest, daß sie nur auf das sinnliche Streben zutrifft, also sowohl für die Tiere als auch für den Menschen als Sinnenwesen gilt. Hier ist die schon von Geiger in seiner Kritik an Rousselot geltend gemachte thomanische Lehre von den verschiedenen Formen des appetitus vorausgesetzt: Während das sinnliche Streben zwar auf Wahrnehmung zurückgeht, sich jedoch nicht frei vollzieht, geht das verstandhafte Streben auf eine freie Entscheidung zurück und wird deshalb Wille genannt 128 . Die enge Bindung der voluntas an den 127

Nec voluntas quaerit bonum propter quietationem ... Sed ideo quaerit quod quietetur in operatione, quia operatio est bonum eius (Summa T h e o l o g i a e I a -II a e 4,2c).

128

Alius autem est appetitus consequens apprehensionem ipsius appetentis, sed ex necessitate, non ex iudicio libero. Et talis est appetitus sensitivus in brutis ... Alius autem est appetitus consequens apprehensionem appetentis secundum liberum iudicium. Et talis est appetitus rationalis sive intellectivus, qui dicitur voluntas ( S u m m a T h e o l o g i a e I a -II a e 2 6 , 1 c ; zu Geigers Kritik a n R o u s s e l o t vgl. 1.3, hier a u c h weitere Belege f ü r die t h o m a n i s c h e a p p e t i t u s - D i f f e r e n z i e r u n g aus d e r SUMMA THEOLOGIAE; v g l . b e s .

S.39-44).

202

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

intellectus hat zur Folge, daß sich der menschliche Wille über die Einzeldinge hinaus auf das bonum seiner allgemeinen Beschaffenheit nach beziehen kann. Er ist aufgrund seiner Intellektgebundenheit dadurch definiert, daß er ein Gut nicht wegen der ihm daraus entstehenden delectado, sondern um dieses Gutes selbst willen anstrebt 1 2 9 . Diese Auffassung steht im Hintergrund, wenn Thomas an der hier zu behandelnden Stelle betont, daß die für den appetitus sensitivus zugestandene Priorität der delectatio für die voluntas (als appetitus rationalis) aufgrund ihrer Intellektgebundenheit nicht gilt. Denn, so wird man Thomas verstehen müssen, da der (das Streben des Menschen bestimmende) Verstand das bonum, auf dessen Erlangung Freude folgt, seiner allgemeinen Beschaffenheit nach erfaßt, erstrebt der Wille eher das bonum selbst als die der Erfassung folgende Freude daran 1 3 0 . Der zweite Einwand argumentiert damit, daß der eschatologischen visio in diesem Leben der Glaube entspricht, während als irdisches .Gegenstück' der delectatio (sive fruitio) die caritas gilt. Da diese aber nach I Kor 1 3 , 1 3 höher steht als der Glaube, muß auch die Freude an der Gottesschau höher stehen als die Gottesschau selbst. Thomas beantwortet diesen Einwand mit der Feststellung, daß die caritas ihr geliebtes Gut nicht wegen der mit dessen Erlangung verbundenen Freude erstrebt. Die delectatio stellt sich nämlich erst infolge der Präsenz des finis caritatis ein. Deshalb kann die caritas keineswegs, wie in der obiectio geschehen, als irdisches , Gegenstück' der himmlischen delectatio aufgefaßt werden. Der caritas entspricht nicht die delectatio als Ziel, sondern vielmehr die visio, durch die ihr das Ziel gegenwärtig wird 1 3 1 . Zur Erläuterung dieses letzten Gedankens sei auf zwei Aspekte hingewiesen. (1) Schon die responsio ad 2 hatte festgehalten, daß sich die voluntas als appetitus rationalis (also

129

130

131

Dies hatte Thomas bereits in der Anthropologie der Pars Prima hervorgehoben: appetitus intellectivus, etsi feratur in res quae sunt extra animam singulares, fertur tarnen in eas secundum aliquant rationem universalem; sicut cum appétit aliquid quia est bonum (Summa Theologiae I 80,2ad2). intellectus apprehendit universalem rationem boni, ad cuius consecutionem sequitur delectatio. Unde principalius intendit bonum quam delectationem (Summa Theologiae I a -II ae 4,2ad2). caritas non quaerit bonum dilectum propter delectationem: sed hoc est ei consequens, ut delectetur in bono adepto quod amat. Et sic delectatio non respondet ei ut finis, sed magis visio, per quam primo finis fit ei praesens (Summa Theologiae I a -II ae 4,2ad3).

Die beatitudo-Lehre in der

S U M M A THEOLOGIAE

203

aufgrund ihrer Intellektgebundenheit) unmittelbar auf ihr bonum beziehen kann und für ihre Orientierung keines diesem bonum äußerlichen Motivs, wie etwa der delectatio, bedarf. (2) Da, wie Thomas dann im caritas-Traktat ausdrücklich festhält, als subiectum caritatis die voluntas zu gelten hat 132 , ergibt sich folgerichtig, daß die höchste der theologischen Tugenden unmittelbar auf das bonum divinum gerichtet ist, weshalb, wie es in der responsio ad 3 heißt, ihr finis nicht in der delectatio, sondern in der visio Dei intellectualis besteht. In Summa Theologiae Ia-IIae 4,3 wird die Frage behandelt, ob eine Erfassung (comprehensio) des Ziels für die beatitudo erforderlich ist. Natürlich ist sich Thomas darüber im klaren, daß Gott als der ultimus finis humanae vitae von keinem geschaffenen intellectus im eigentlichen Sinne erfaßt werden kann 133 . Comprehensio versteht er hier auch nicht so, als ob der Erfassende das Erfaßte völlig in sich einschlösse, sondern lediglich so, daß das gegenwärtige Ziel auch ergriffen wird in dem Sinne, daß der die visio Vollziehende ein Verhältnis zum geschauten Ding bzw. der Schau selbst hat 134 . In dieser Weise ist die comprehensio nach Thomas in der Tat erforderlich für die beatitudo, so wie die visio und die delectatio. Es ist übrigens nicht zu übersehen, daß sich Thomas bemüht, die drei für die eschatologische beatitudo perfecta erforderlichen Elemente, visio, comprehensio und delectatio, zu fides, spes und caritas in Beziehung zu setzen, jenen drei theologischen Tugenden, durch die der Mensch in diesem Leben auf das zukünftige Glück hingeordnet wird: Der in der jenseitigen visio gegebenen cognitio perfecta finis entspricht (respondet) in diesem Leben die cognitio imperfecta des Glaubens,

132

Caritatis autem obiectum non est aliquod bonum sensibile, sed bonum divinum, quod solo intellectu cognoscitur. Et ideo caritatis subiectum, non est appetitus sensitivus, sed appetitus intellectivus, idest voluntas (Summa Theologiae II a -II ae 24,1c).

133

Dies ist bereits in Summa Theologiae I 12,7 klar geworden und wird auch hier wiederholt: Deus non potest comprehendi ab aliquo intellectu creato (Summa Theologiae I a -IF e 4,3adl); vgl. schon Summa contra Gentiles III 55: divina substantia ab intellectu creato videtur, non tarnen comprehenditur (M. 2323;A11geier 230). comprehensio nihil aliud nominai quam tentionem alicuius rei iam praesentialiter habitae (Summa Theologiae I a -II ae 4 , 3 a d l ) ; comprehensio non estaliqua operatio praeter visionem: sed est quaedam habitudo ad finem tam habitum. Onde etiam ipsa visio, vel res visa secundum quod praesentialiter adest, est obiectum comprehensionis (aaO, ad3).

134

204

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

und der in der zukünftigen comprehensio gegebenen praesentia finis entspricht (respondet) in diesem Leben die Hoffnung. Der Zusammenhang zwischen der in der zukünftigen delectatio oder fruitio gegebenen quietatio auf der einen und der Liebe dieses Lebens auf der anderen Seite ist, wie Thomas bereits in 4,2ad3 klargestellt hatte, nicht der einer Entsprechung, vielmehr folgt (consequitur) die Freude am finis praesens der Liebe135 - und zwar ganz offensichtlich im begleitenden Sinne (concomitans), nämlich in der Weise, in der nach 4,1 die delectatio zur beatitudo erfordert wird. Daß, wie Summa Theologiae P-II ae 4,4 feststellt, die Rechtheit des Willens (rectitudo voluntatis) für die beatitudo erforderlich ist, kann nach dem bisher Gesagten nicht überraschen. Vor der Erlangung des finis ultimus (antecedenter) ist die Rechtheit des Willens gefordert, weil in ihr die für die Erreichung des finis ultimus erforderliche Hinordnung auf das Ziel besteht. Die rectitudo voluntatis wird aber durch die adeptio beatitudinis nicht überflüssig. Auch nach Erlangung der Seligkeit ist die Rechtheit des Willens erforderlich, nämlich im Sinne einer Begleitfolge (concomitanter). Denn wenn sich der Wille bereits im Status der cognitio imperfecta finis ganz auf Gott gerichtet hat, wird er durch die in der zukünftigen visio gegebene cognitio perfecta in seiner irdischen Ausrichtung bestätigt, und eine andere Tendenz ist ihm gar nicht mehr möglich, da er jetzt Gott mit vollendeter Gewißheit als das summum bonum weiß . Hatte sich schon in Artikel 3 ein Vorgriff auf die Lehre von den theologischen Tugenden feststellen lassen, so erweist sich auch der zuletzt herangezogene Gedanke aus Artikel 4 bei genauerem Hinsehen als ein impliziter Ausblick auf die caritas-Lehre. Denn wenn Thomas betont, daß die rectitudo voluntatis für die adeptio beatitudinis erfordert wird, spricht er damit die maßgebliche Bedeutung

135

136

perfecta cognitio finis respondet imperfectae; praesentia vero ipsius finis respondet habitudini spei; sed delectatio in fine iam praesenti consequitur dilectionem ... Et ideo necesse est ad beatitudinem ista tria concurrere: scilicet visionem, quae est cognitio perfecta intelligibilis finis; comprehensionem, quae importât praesentiam finis; delectationem νel fruitionem, quae importât quietationem rei amantis in amato (Summa Theologiae Ia-IIae 4,3c). rectitudo voluntatis requiritur ad beatitudinem et antecedenter et concomitanter. Antecedenter quidem, quia rectitudo voluntatis est per debitum ordinem ad finem ultimum. ... Concomitanter autem quia ... beatitudo ultima consistit in visione divinae essentiae, quae est ipsa essentia bonitatis. Et ita voluntas videntis Dei essentiam, ex necessitate amat quidquid amat, sub ordine ad Deum (Summa Theologiae I a -II ae 4,4c).

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA

THEOLOGIAE

205

an, die der caritas (als deren subiectum ja die voluntas gilt - vgl. Anm.132) für den reditus creaturae rationalis in finem zukommt1 1 . Hier, vor der eigentlichen Thematisierung der caritas-Lehre, ist noch auf einen für den Zusammenhang zwischen Glückseligkeit und Gottesliebe wichtigen Aspekt hinzuweisen. Weil, wie es in Summa Theologiae I a -II ae 4,4 heißt, die rectitudo voluntatis für die Erlangung der beatitudo perfecta bereits antecedenter gefordert ist, kommt der Willensausrichtung in statu huius vitae eine besondere Bedeutung zu. Dem entspricht es, wenn Thomas an verschiedenen Stellen der S U M M A T H E O L O G I A E ausdrücklich betont, daß die voluntas manchmal und in gewisser Hinsicht als eine potentia altior gegenüber dem intellectus anzusprechen ist 138 . Der intellectus nämlich, so argumentiert er, ist dann am Ziel, wenn er sein Objekt

,verinnerlicht' hat: actio intellectus consistit in hoc quod ratio rei

intellectae est in intelligente139. Unter den Bedingungen dieses Lebens ist es freilich unmöglich, daß Gott im menschlichen Intellekt ist sicut cognitum in cognoscente140, dies ermöglicht erst die eschatologische visio Dei intellectualis. Das unter den Bedingungen der cognitio imperfecta erreichbare Maximum an Hinwendung zu Gott besteht deshalb in der Ausrichtung der voluntas auf ihn. Und weil sich der Wille in dieser Ausrichtung auf Gott auf etwas orientiert, das größer ist als die Seele selbst, kommt ihm in via gegenüber dem Verstand ebenso die Priorität zu wie dem amor Dei gegenüber der cognitio 141 . Daß dennoch dem intellectus schlechthin der Vorrang gegenüber dem Willen zugesprochen wird, hat damit zu tun, daß es eben der Verstand ist, als dessen spezifische Tätigkeit Thomas die beatitudo

137

Die „Hinordnung (des Menschen, R . L . ) auf Gott geschieht durch die caritas" (Dietmar Eickelschulte, Beatitudo als Prozeß, 1 8 2 ; vgl. auch Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 2 8 4 f . u. ö.).

138

Vgl. etwa Summa Theologiae I 8 2 , 3 sowie Summa Theologiae II a -II ae 2 3 , 6 a d l . Z u m Problem des Verhältnisses zwischen intellectus und voluntas bei T h o m a s siehe auch Ulrich Kühn, Erkenntnis und Liebe als W e g zum Glück. T h o m a s von Aquin zu Sinn und Ziel unseres Daseins, in: Wilhelm Achleitner/Ulrich Winkler (Hg.), Gottesgeschichten. Beiträge zu einer systematischen Theologie. Für Gottfried Bachi, Freiburg-Basel-Wien 1 9 8 9 , 2 3 9 - 2 5 3 .

139

Summa Theologiae I 8 2 , 3 c .

140

Summa Theologiae I 4 3 , 3 c .

141

actus ... voluntatis perficitur in hoc quod voluntas inclinatur ad ipsam rem prout in se est... Quando igitur res in qua est bonum, est nobilior ipsa anima, in qua est ratio intellecta; per comparationem ad talem rem, voluntas est altior intellectu ... Unde melior est amor Dei quam cognitio (Summa Theologiae I 8 2 , 3 c ) .

206

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

bestimmt hat (vgl. vor allem Summa Theologiae Ia-IIae 3,4). Und wenn der intellectus an seinem Letztziel angelangt ist, kann der Wille gar nicht mehr anders, als sich dem nun als summum bonum erkannten Gott voll und ganz zuzuwenden (vgl. Anm.136) 142 . Die in Summa Theologiae Ia-IIae 4,5.6 enthaltenen Gedanken sind bereits an anderer Stelle kurz angedeutet worden (vgl. 2.1.3.3; S.92). Thomas hält fest, daß für die in diesem Leben mögliche beatitudo in jedem Fall sowohl ein Körper im allgemeinen als auch dessen Vollkommenheit erforderlich ist. Was dagegen die beatitudo perfecta betrifft, so ist zu sagen, daß sie zwar essentialiter von der Seele vollzogen wird und deshalb des Körpers bzw. einer perfectio corporis prinzipiell nicht bedarf. Da es aber für die Seele natürlich ist, mit dem Körper vereinigt zu sein, will sie die ihr in der beatitudo perfecta zuteil gewordene fruitio Dei auf den Körper übergehen lassen, weil dadurch ihre eigene beatitudo gesteigert wird. Äußere Güter, die in gewissen Grenzen für das irdische Glück unverzichtbar sind, werden, wie Thomas in Summa Theologiae Ia-IIae 4,7 feststellt, im vollendeten Glück ganz und gar überflüssig. Ähnlich verhält es sich mit der Gemeinschaft von Freunden (Summa Theologiae Ia-IIae 4,8). Der Glückliche braucht Freunde - ausgehend von diesem Zitat aus der Freundschaftslehre des Aristoteles 14 zeigt Thomas, daß beide Formen der beatitudo dieses Lebens ohne Freunde nicht möglich sind. Die societas amicorum wird benötigt, damit der Glückliche den Freunden Gutes tun kann und damit er von ihnen Unterstützung in seinem eigenen guten Handeln erhält. Was die beatitudo perfecta betrifft, so wird diese Gemeinschaft nicht notwendigerweise gefordert - der soziale Charakter des eschatologischen Glücks ist bereits durch die Gottesgemeinschaft gewährleistet. Den-

142

Vgl. dazu Albert Ilien, Wesen und Funktion der Liebe im Denken des Thomas von Aquin: „Die nur dem Menschen eigentümliche Potenz, der Intellekt, ist als Konvenienzermöglichung mit dem Sein selbst gerade in seiner eigentlichsten Funktion konstitutiv vom eigenen Scheitern begleitet" (190f.). Dagegen erscheint die voluntas „als transzendentales und geschichtlich-prädikamental .unermüdliches' Vermögen zum Übersprung, das ... aus der fragmentarischen Erkenntnis in die umfassende Liebe hineinzutreiben vermag" (191). „,In statu glorie' aber ist dies anders ... Der Intellekt - in der totalen Erfüllung seiner eigenen Möglichkeiten - bedarf des vorwärtstreibenden Impulses der Voluntas nun nicht mehr, und auch nicht mehr ihrer antizipierenden Seinsbeziehung, weil er nun selbst die totale Seinskonvenienz ,per participationem' ist" (192).

143

δει δρα τω εϋδαίμονι φίλων (Aristoteles, Nikomachische Ethik IX 9 [1169b22]).

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

207

noch kann, wie Thomas unter Heranziehung eines Augustin-Zitats a u s D E GENESI AD LITTERAM ( 4 0 4 - 4 1 4 ) b e t o n t , d i e i n n e r l i c h e b e a t i t u d o

durch eine gemeinschaftliche Freude der Seligen in Gott ergänzt werden 1 4 4 . Was die in Summa Theologiae I a -II ae 5 behandelte Erreichung (adeptio) der beatitudo betrifft, so stellt Thomas zunächst noch einmal ihre grundsätzliche Möglichkeit heraus: Die beatitudo (im Sinne des finis quo) wird verstanden als Erreichung des bonum perfectum. Wer für dieses bonum perfectum empfänglich ist (capax), der wird es auch erreichen können. D a ß dem Menschen diese capacitas zukommt, daran hat Thomas nie einen Zweifel gelassen. Denn der intellectus hominis kann das allgemeine und vollendete Gut erfassen, und die voluntas kann es anstreben 1 4 5 . Diese Einsicht ist erstmals in Summa Theologiae I 12,1 formuliert, wo die Zweifel an der Fähigkeit des Menschen zur visio Dei per essentiam (in der die beatitudo besteht) nicht nur als glaubensfremd bezeichnet werden (alienum a fide), sondern wo unter Hinweis auf die dann in Summa Theologiae I a -II ae 3,8 ausgeführte Lehre vom desiderium naturale auch die Unvernünftigkeit solcher Zweifel betont wird (praeter rationem). In Summa Theologiae I 9 3 hatte Thomas die Glücksfähigkeit des Menschen (= die capacitas summi boni) als Argument dafür herangezogen, daß dieser - im Unterschied zur creatura irrationalis - als imago Dei angesprochen zu werden verdient 1 4 6 . Die in Summa Theologiae I a -II a e 5,1 behauptete Erreichbarkeit der beatitudo durch den Menschen stellt von daher keine eigentlich neue Erkenntnis dar, sondern erinnert vorrangig an andernorts bereits erarbeitete Einsichten und bereitet damit die sich ab Artikel 2 anschließenden Untersuchungen vor, die nach den Bedingungen fragen, unter denen sich die als prinzipiell möglich erwiesene adeptio beatitudinis vollziehen kann.

144

creatura ergo spiritalis et intellectualis perfecta et beata ... nonnisi intrínsecas adiuuatur aeternitate, ueritate, caritate creatoris; extrinsecus uero si adiuuari dicendo est, eo fortasse solo adiuuatur, quod inuicem uident et de sua societate gaudent in deo (Augustin, De Genesi ad Litteram 8,25, CSEL 28/1,264,17.192 2 ) . Thomas zitiert diese Stelle in unwesentlich anderem Wortlaut.

145

Quicumque ergo est capax perfecti boni, potest ad beatitudinem pervenire. Quod autem homo perfecti boni sit capax, ex hoc apparet, quia et eius intellectus apprehendere potest universale et perfectum bonum, et eius voluntas appetere illud. Et ideo homo potest beatitudinem adipisci (Summa Theologiae IMI a e 5,1c).

146

Vgl. Summa Theologiae I 93,2ad3.

208

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Die Frage, ob ein Mensch glücklicher sein kann als der andere, beantwortet Thomas in Summa Theologiae I a -II ae 5,2 unter nochmaligem Hinweis auf die Differenz von finis cuius und finis quo. Was die Sache selbst betrifft, in der die Menschen ihr Glück finden, also dessen Gegenstand und Ursache (beatitudinis obiectum et causa), kann es keine Unterschiede geben, da nur Gott als das einzige summum bonum das menschliche Glücksstreben zur Ruhe bringen kann. Hinsichtlich der beatitudo als finis quo sind jedoch verschiedene Stufen denkbar. Denn es ist ohne weiteres möglich, daß der eine Mensch den finis ultimus mit höherer Intensität ,genießt' als der andere, weil er besser auf die fruitio Dei ausgerichtet ist. Und insofern wird er glücklicher sein. Nach der Möglichkeit einer beatitudo in hac vita fragt Summa Theologiae I a -II ae 5,3. Der Artikel bewegt sich ganz im Rahmen der bisher untersuchten Aussagen des Thomas zu diesem Thema: Die beatitudo perfecta, deren grundsätzliche Erreichbarkeit in 5,1 nochmals eingeschärft wurde, ist in diesem Leben ausgeschlossen; hier ist nur eine participatio beatitudinis möglich. Allerdings begründet Thomas seine Auffassung an dieser Stelle - anders als z.B. in Summa Theologiae I a -II ae 3,2ad4 - nicht mit dem Hinweis auf die aristotelische Lehre von der prinzipiellen Begrenztheit allen irdischen Glücks, sondern er bezieht sich mit seinem ersten Argument auf Augustine Kritik der philosophischen Glückslehren. Weil Übel, welcher Art auch immer, in diesem Leben nicht auszuschließen sind, kann kein Glück dieses Lebens als perfectum et sufficiens bonum betrachtet werden. In seinem zweiten Argument erinnert Thomas noch daran, daß die visio divinae essentiae, in der die beatitudo besteht, in diesem Leben dem Menschen gar nicht möglich sein kann: Um die Wesenheit Gottes zu schauen, bedarf der Mensch eines lumen gloriae, das seinen Intellekt verstärkt 147 . Die permanente Bedrohtheit des irdischen Glücks durch Veränderungen verschiedenster Art bedingt auch die in Summa Theologiae I a -II ae 5,4 herausgestellte Verlierbarkeit der beatitudo imperfecta: Weder die felicitas contemplativa noch die felicitas activa sind von

147

Dicendum ergo quod ad videndum Dei essentiam requiritur aliqua similitudo ex parte visivae potentiae, scilicet lumen gloriae, confortans intellectum ad videndum Deum: de quo dicitur in Psalmo [Ps 36,10b] in lumine tuo videbimus lumen (Summa Theologiae I 12,2c; der Hinweis auf diese Psalmenstelle begegnete schon in Summa contra Gentiles III 53 [M.2303;Allgeier 222]).

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

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diesen mutationes verschont. Hier orientiert sich Thomas wieder stärker an Aristoteles. Dieser selbst habe, so die Argumentation im corpus articuli, die beiden genannten Realisierungsmöglichkeiten des Glücks nicht als Glück schlechthin, sondern als unter den Bedingungen des Menschseins mögliches Glück aufgefaßt, das der von ihm beschriebenen ratio beatitudinis (perfectae) nicht gerecht werden kann - hier ist die Anknüpfung an Summa Theologiae P-II a e 3,2ad4 und vor allem an Sententia Libri Ethicorum I 16 unübersehbar. Die beatitudo perfecta ist dagegen nach Thomas unverlierbar, einmal, weil zu der für den ultimus finis humanae vitae geforderten perfectio et sufficientia auch die Gewißheit der Unverlierbarkeit gehören muß, weiterhin, weil in der eschatologischen Gottesschau notwendig jedes Begehren erfüllt und jedes Mangelempfinden ausgeschlossen ist. Allerdings kann, wie Summa Theologiae I a -II ae 5,5 deutlich macht, der Mensch die beatitudo perfecta nicht mit eigenen Mitteln erreichen; diese genügen nur zur Erlangung der beatitudo imperfecta. Wie schon in Artikel 3, so erinnert Thomas auch hier wieder an seine bereits in der Gotteslehre der Pars Prima formulierte Einsicht, nach der die visio essentiae divinae, in der nach Summa Theologiae I a -II ae 3,8 die beatitudo perfecta besteht, die Erkenntnismöglichkeiten eines geschaffenen Wesens unendlich weit übersteigt. Deshalb bedarf der geschaffene Verstand einer gnadenhaften Zuwendung von Seiten Gottes, um zum vollkommenen Glück zu gelangen, einer Zuwendung, die als lumen creatum die natürliche Erkenntniskraft des menschlichen intellectus auf die für die Schau des göttlichen Wesens erforderliche Stufe erhebt 148 . Diese Zuwendung muß, so Thomas in Summa Theologiae I a -II ae 5,6, ganz unmittelbar von Gott ausgehen und darf nicht von anderen geschöpflichen Wesen, etwa von Engeln, erwartet werden. Bei der Analyse des Prologs zu Summa Theologiae II war festgestellt worden, daß nach Thomas die Erlangung der beatitudo durch den Menschen an dessen Handeln gebunden ist. Dementsprechend wird in Summa Theologiae I a -II ae 5,7 die Notwendigkeit,guter Werke'

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Thomas hat die hier angedeuteten Gedanken im ersten Teil der SUMMA THEOLOGIAE entfaltet: Non igitur potest intellectus creatus Deum per essentiam videre, nisi inquantum Deus per suam gratiam se intellectui creato coniungit, ut intelligibile ab ipso (Summa Theologiae 112,4c). Cum igitur virtus naturalis intellectus creati non sufficiat ad Dei essentiam videndam ..., oportet quod ex divina gratta superaccrescat ei virtus intelligendi. Et hoc augmentum virtutis intellectivae illuminationem intellectus vocamus (Summa Theologiae I 12,5c).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

für die adeptio beatitudinis festgehalten: Anders als Gott, dem allein das bonum perfectum schon seiner Natur nach zukommt, anders auch als die Engel, die die beatitudo bereits nach einem einzigen verdienstlichen Akt erlangen, müssen die Menschen zahlreiche Handlungen vollziehen, um den finis ultimus zu erreichen, Handlungen, die Thomas hier Verdienste nennt 1 4 9 . Diese Feststellung im vorletzten Artikel des beatitudo-Traktats weist schon auf die in quaestio 6 beginnende consideratio moralis humanorum actuum voraus: Wenn die Menschen durch Handlungen zu ihrem Letztziel gelangen, dann muß untersucht werden, welche Handlungen der Erreichung des finis ultimus förderlich und daher als verdienstlich anzusprechen sind, und welche Handlungen die Erreichung des Letztziels behindern; diese Untersuchung vollzieht sich zunächst (Prima Secundae) im allgemeinen und daraufhin (Secunda Secundae) im Hinblick auf das einzelne 150 - der Rückweg der vernünftigen Geschöpfe zu Gott wird von deren Handlungspotential ausgehend dargestellt. Offenbar ebenfalls im Hinblick auf die sich unmittelbar anschließende Behandlung der menschlichen Akte unter dem Aspekt ihrer Glückszuträglichkeit ist der den beatitudo-Traktat abschließende Artikel Summa Theologiae I a -II ae 5,8 formuliert. Eigentlich ist die hier aufgeworfene Frage, ob alle Menschen die beatitudo erstreben, längst beantwortet. Schon in Summa Theologiae I a -II ae 1 hatte Thomas gezeigt, daß alle Menschen ein und dasselbe Letztziel anstreben, jedenfalls was den finis ultimus im allgemeinen betrifft, die perfectio. Aus der bereits in Summa Theologiae I a -II ae lprol. festgehaltenen Identität von finis ultimus und beatitudo ergibt sich deshalb zwingend, daß auch die beatitudo, wenigstens ihrer allgemeinen Bestimmung nach, von allen gewollt wird. Dementsprechend heißt es auch in Summa Theologiae I a -II ae 5,8, daß notwendigerweise jeder Mensch die beatitudo secundum communem rationem anstrebt, sofern jeder

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Habere autem perfectum bonum sine motu, convenit ei quod naturaliter habet illud. Habere autem beatitudinem naturaliter est solius Dei... angelus, qui est superior ordine naturae quam homo, consecutus est earn ... uno motu operationis meritoriae ... Homines autem consequuntur ipsam multis motibus operationum, qui merita dicuntur (Summa Theologiae I a -II ae 5,7c).

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Quia igitur ad beatitudinem per actus aliquos necesse est pervenire, opportet consequenter de humanis actibus considerare, ut sciamus quibus actibus perveniatur ad beatitudinem, νel impediatur beatitudinis via ... Moralis igitur consideratio primo quidem est tradendo in universali; secundo vero, in particulari (Summa Theologiae I M I " 6 prol.).

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA THEOLOGIAE

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nach Sättigung seines Willens verlangt. Dies bedeutet aber noch nicht, daß auch jeder auf die konkrete Sache abzielt, in der die beatitudo besteht. Dieser hier von Thomas erneut vorgetragenen Argumentation kommt insofern Verweischarakter hinsichtlich der in Summa Theologiae Ia-IIae 6 beginnenden considerado moralis zu, als sie noch einmal vor Augen führt, daß das menschliche Streben nach beatitudo stets von der Möglichkeit des Scheiterns begleitet ist. Es ist für die Erlangung der beatitudo nicht ausreichend, einfach nur glücklich sein zu wollen, sondern es kommt darauf an, Gott als die res zu erfassen, in der allein die gesuchte beatitudo gefunden werden kann. Die thomanische Untersuchung der actus humani unter dem Aspekt ihrer Glückszuträglichkeit ist deshalb zugleich eine Darstellung jener actus (meritorii), die den Menschen zu Gott als dem ultimus finis humanae vitae gelangen lassen. 2.4.2 Zwischenbilanz Nach der teilweise recht eingehenden Behandlung der fünf ersten quaestiones des zweiten Teils der S U M M A T H E O L O G I A E in 2 . 4 . 1 soll nun gefragt werden, was sich daraus für das Problem des Eudämonismus in der thomanischen beatitudo-Lehre ergibt. Warum es sich dabei - vorerst - nur um eine Zwischenbilanz und noch nicht um eine abschließende Zusammenfassung handeln kann, wird sich aus den folgenden Ausführungen selbst ergeben. Anknüpfend an die am Ende von 2 . 4 . 1 . 3 (S. 1 9 7 - 1 9 9 ) gegebene Zusammenfassung ist zunächst festzuhalten, daß die beatitudo perfecta von Thomas auch in der S U M M A T H E O L O G I A E als eine eschatologische Gnadengabe aufgefaßt wird: Zwar ist der Mensch auf die vollendete Glückseligkeit hin orientiert, erreichen kann er sie jedoch weder aus eigenen Kräften, noch in diesem Leben. Deutlich wurde vor allem, daß sich Thomas in seinem Spätwerk in besonderer Weise darum bemüht hat, die Gnadengabe der beatitudo zugleich als ein vom Menschen durch dessen Tätigkeit anzueignendes Gut darzustellen, und es konnte gezeigt werden, daß dieses Bemühen letztlich in einer theologischen Überzeugung gründet: Aufgrund ihrer imagoDei-Bestimmung ist die creatura rationalis auf eigentätige Teilnahme am innertrinitarischen Erkenntnis- und Liebesprozeß hin geschaffen. Dieser Standpunkt kann als Grund für die von Thomas so konsequent vollzogene Einbindung der aristotelischen εύδοαμονία-Lehre in das christliche beatitudo-Verständnis gelten. Ebenso hat sich erneut erwiesen, daß der thomanische beatitudo-Begriff streng theologisch

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

geprägt ist: Erst wenn der Mensch ganz bei Gott ist, kann er wahrhaft glücklich sein. Das Glück dieses Lebens kann deshalb nur als beatitudo imperfecta gelten, wenn es auf die zukünftige beatitudo perfecta hingeordnet ist. Das christliche Ethos, die Sittlichkeit des Pilgerstandes, besteht deshalb in einer möglichst vollständigen Ausrichtung des Menschen auf Gott als sein Letztziel. Dies bringt Thomas zum Ausdruck, indem er die Notwendigkeit der rectitudo voluntatis für die Erlangung der vollkommenen Glückseligkeit betont (Summa Theologiae Ia-IIae 4,4). Da es sich hierbei, wie bereits angedeutet wurde, um einen impliziten Vorgriff auf die caritas-Lehre in Summa Theologiae IIa-IIae 23-46 handelt, ist klar, daß nur ein von der höchsten theologischen Tugend durchformtes Leben als irdischer Weg des Menschen zur eschatologischen Glückseligkeit bei Gott gelten kann; einzig eine vita caritate formata kann nach Thomas als via hominis ad beatitudinem perfectam gelten1. Mit der Feststellung, daß die vollendete Glückseligkeit nach Thomas nur auf dem Weg über die sich in der caritas realisierende möglichst ausschließliche Hinwendung zu Gott erreicht werden kann, ist allerdings das Problem des Eudämonismus in der Ethik des Thomas noch nicht gelöst. Denn die in Teil 1 vorgetragene Kritik an seiner beatitudo-Lehre bezog sich zunächst nicht auf die konkreten Einzelvollzüge, in denen sich christliche Sittlichkeit manifestiert, sondern vielmehr auf das Motiv, das nach Thomas hinter all diesen Einzelvollzügen steht. Den warumb der mensch etwas thut, das ist sein got, so hatte es bei Luther geheißen2, und als entscheidend galt ihm deshalb die Frage, ob der Mensch in seinem Tun von Heilsgewißheit getragen oder vom Streben nach Heilsbewirkung bestimmt ist. Vergleichbar hatte Kant die moralische Qualität der menschlichen Handlungen davon abhängig gemacht, ob sie aus unmittelbarem Gehorsam gegenüber dem Sittengesetz oder lediglich vermittelst der im Prospect gesehnen Glückseligkeit vollzogen werden 3 .

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So Thomas selbst in Summa Theologiae IIa-II" 184,1c, wo, in Anlehnung an die biblische Bestimmung der caritas als vinculum perfectionis (Kol 3,14: σύνδεσμο? τήΐ τελειότητος), festgestellt wird: secundum caritatem specialiter attenditur perfectio vitae Christianae. Martin Luther, Ein Sermon von dreierlei gutem Leben, das Gewissen zu unterrichten, WA 7,801,13. Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, Akademie-Textausgabe VI 377,25f. (Hervorhebung im Text, R.L.).

D i e b e a t i t u d o - L e h r e i n d e r SUMMA THEOLOGIAE

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Auch Hans Reiner hatte nicht bestritten, daß die Erlangung der beatitudo bei Thomas an die sittliche Vollkommenheit der Gottesund Nächstenliebe gebunden ist, kritisiert hatte er allerdings, daß die vita caritate formata bei Thomas als via ad beatitudinem sive perfectionem verstanden ist, weil damit nach Reiner auch die äußerste Hingabe an Gott und den Nächsten letztlich dem Streben des Menschen nach Selbstvervollkommnung untergeordnet bleibt. Ließe sich nun nachweisen, daß das Streben nach Beseitigung eines ontologischen Vollkommenheitsdefizits bei Thomas den eigentlichen Motor der christlichen Sittlichkeit darstellt, dann müßte seiner beatitudo-Lehre gerade aus evangelischer Sicht in der Tat die theologische Legitimität abgesprochen werden. Denn dann bliebe, um eine schon zitierte Bemerkung Baurs nochmals aufzunehmen, der Mensch allerdings „im Zirkel seiner perfectio" 4 gefangen, und die Gnade Gottes, ohne die er das ihm konstitutiv zukommende ontologische Vollkommenheitsdefizit nicht beseitigen kann 5 , wäre letztlich zum Mittel der Befriedigung des menschlichen Glücksstrebens degradiert. Nun ergeben sich sowohl aus der Gesamtstruktur des zweiten Teils der S U M M A T H E O L O G I A E als auch aufgrund verschiedener Formulierungen im beatitudo-Traktat mehrere Anhaltspunkte, die eine Interpretation nahelegen, nach der der appetitus beatitudinis sive perfectionis nach Thomas die Wurzel der Sittlichkeit darstellt. So gilt die in Summa Theologiae Ia-IIae 1-5 behandelte beatitudo als Ziel der Selbstbewegung der creatura rationalis, während die den gesamten Rest der Pars Secunda umfassenden Untersuchungen (Summa Theologiae Ia-IIae 6 bis IIa-IIae 189) die für die Erreichung des Ziels erforderlichen actus humani behandeln, also die menschlichen Tätigkeiten auf ihre Glückszuträglichkeit hin befragen. Sowohl Gesetz und Gnade als auch die theologischen Tugenden einschließlich der caritas kommen nach diesem Aufriß als von Gott dem Menschen zur Erreichung seines Letztziels bereitgestellte Hilfsmittel in den Blick6. Auch im beatitudo-Traktat selbst ist immer wieder davon die Rede, daß das notwendigerweise von allen Menschen erstrebte Letztziel, 4 5 6

Jörg Baur, Fragen eines evangelischen Theologen an Thomas von Aquin, 173. Vgl. Summa Theologiae Ia-IIae 5,5.6. Nach Summa Theologiae Ia-IIae 1 prol beschäftigt sich das Werk ab quaestio 6 mit den Dingen, durch die der Mensch zur beatitudo gelangen oder vom richtigen Weg dorthin abkommen kann (de his per quae homo ad hune finem pervenire potest, νel ab eo deviare).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

auf dessen Erlangung die christliche Sittlichkeit zielt, in der Erreichung der perfectio besteht, darin, daß das Streben des Willens zufriedengestellt wird 7 . In besonderer Weise greifbar wird dies in Summa Theologiae P-II ae 1,7; 5,8, zwei Artikel, in denen Thomas auffällig parallel argumentiert; der Zusammenhang zwischen den beiden Artikeln ist in Übersicht 7 dargestellt. Führt man sich die genannten Indizien vor Augen, dann werden die in Teil 1 referierten Vorbehalte gegenüber der Ethik des Thomas sowie die ebenfalls erwähnte grundsätzliche Kritik an seiner Theologie verständlich: Weil sich der motus rationalis creaturae in Deum auf der Grundlage eines natürlichen Vollkommenheitsstrebens des Menschen vollzieht, müssen einerseits alle Handlungen, in denen sich die Selbstbewegung der vernunftbegabten Geschöpfe aktualisiert, teleologisch auf die vom Menschen erstrebte Erreichung seines Letztziels bezogen werden 8 und sind deshalb notwendig eudämonistisch motiviert; andererseits kann so die dem Menschen von Gott her mitgeteilte Gnade, ohne die das übernatürliche Letztziel unerreichbar bliebe, nur als ,Zusatzausstattung' zum Zweck der Erlangung der Glückseligkeit in den Blick kommen, und es legt sich der Verdacht nahe, daß Gottes Gottheit auf den Rang eines Mittels zur menschlichen Bedürfnisbefriedigung herabgesetzt wird. Eine solche Interpretation ist verständlich, allein schon deshalb, weil sie sich scheinbar ohne weiteres überzeugend an Thomas-Texten belegen läßt. Dennoch soll sie hier nicht übernommen werden; sie ist vielmehr kritisch zu hinterfragen. Als Ausgangspunkt dieser Nachfrage dient die in 2.4.1.1 hervorgehobene und für eine kompetente Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre überaus wichtige Feststellung, daß die Pars Secunda der SUMMA THEOLOGIAE, auch wenn sie das Handeln des Menschen in seinem reditus in Deum thematisiert, nicht als eine Moraltheologie oder Ethik im heutigen Verständnis zu lesen ist. Das, wofür sich Thomas in Summa Theologiae II eigentlich

Diese Bestimmung der ratio communis finis ultimi sive beatitudinis durch Thomas hatte Reiner als Beleg dafür herangezogen, daß auch die für die Erreichung des Letztziels erforderliche sittliche Vollkommenheit den egoistischen Charakter des beatitudo-Begriffs nicht aufhebt. Wo nämlich das perfectio-Streben als anthropologisches Grunddatum gilt, dem auch die selbstloseste Sittlichkeit untergeordnet bleibt, da kann von einer wirklichen Uberwindung der Selbstbezogenheit nicht die Rede sein, und die von Pinckaers und Bujo vorgeschlagene Trennung von Eudämonismus und Egoismus verliert jeden Sinn. Dies hatte Thomas in Summa Theologiae Ia-IIae 1,6 ausdrücklich hervorgehoben.

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA

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interessiert, ist das Handeln Gottes, das hier freilich unter dem Aspekt behandelt wird, daß es sich in der Selbstbewegung des Menschen als imago Dei aktualisiert. Schon deshalb ist es, vorsichtig formuliert, ungenau, wenn etwa Lange behauptet, im „Mittelpunkt der Handlungstheorie des heiligen Thomas (stehe) nicht Gott" 9 , sondern „der Mensch, der nach seiner Vollendung verlangt" 10 . Die Analyse des Prologs zu Summa Theologiae II hat erwiesen, daß die jAnthropozentrik' der Pars Secunda nur im Lichte der konsequenten Theozentrik des Gesamtwerks angemessen verstanden werden kann: Dasselbe Handeln Gottes am Menschen, das seinen Höhepunkt nach Summa Theologiae I 43 in der Einwohnung der trinitarischen Personen im Gerechtfertigten erreicht, wird in Summa Theologiae II noch einmal thematisch, jetzt freilich unter dem Aspekt, daß es sich in der Handlungswirklichkeit des Menschen niederschlägt - in der contemplano Dei als dem actus ultimus hominis manifestiert sich die Einwohnung Gottes, durch die das Herz des Menschen zum templum sanctum Dei wird, templum enim a contemplando dici videtur11. Berücksichtigt man das Gesagte, so wird klar, daß die von Thomas in Summa Theologiae II behandelte beatitudo weder ausschließlich noch primär als Verwirklichung eines letztlich egozentrisch zu interpretierenden menschlichen Vollkommenheitsstrebens verstanden werden kann. Zwar gilt sie in der Tat als ultimus finis humanae vitae. In dieser Perspektive erörtert Thomas die beatitudo aber nur, weil ihre Erlangung durch den Menschen den Höhepunkt des göttlichen Handelns an der creatura rationalis darstellt, nämlich die Verwirklichung ihrer imago-Dei-Bestimmung. Die perfectio hominis wird folglich in Summa Theologiae II nicht deshalb zum Thema, weil sie die Selbstverwirklichung des Menschen bedeutete, sondern weil sie dem Menschen von Gott her bestimmt ist, der diese Bestimmung in seinem Heilshandeln realisiert. Und so ist es nur scheinbar paradox, wenn man formuliert, daß Thomas als das eigentliche Subjekt der beatitudo hominis gerade nicht den Menschen im Blick hat, sondern

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Winfried Lange, Glückseligkeitsstreben und uneigennützige Lebensgestaltung bei Thomas von Aquin, 34. AaO, 35. Super Evangelium S.Matthaei Lectura, Caput 5 (435); vgl. dazu den weiteren Zusammenhang: ,Beati mundo corde', qui scilicet habent munditiam generale»! ab alienis cogitationibus, per quam cor eorum templum Dei sanctum est, in quo Deum contemplandum vident: templum enim a contemplando dici videtur.

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Gott, der seinen Heilsplan mit dem Menschen dadurch verwirklicht, daß letzterer durch sein eigenes Handeln in den innertrinitarischen Erkenntnis- und Liebesprozess eintritt 12 . So wird deutlich, daß der Begriff der beatitudo bei Thomas anders verstanden wird, als dies im Eudämonismus-Vorwurf vorausgesetzt ist. Einfach gesagt: Während die Kritik am thomanischen beatitudoBegriff davon ausgeht, daß die Wendung ,perfectio hominis' als Genitivus subiectivus zu verstehen ist, hat Thomas selbst sie offenbar in erster Linie im Sinne eines Genitivus obiectivus gemeint; er begreift die beatitudo nicht einfach als Vollendung des Menschen, sondern als von Gott gewirkte Vollendung für den Menschen. Konstitutiv für die christliche Sittlichkeit ist nicht das Streben des Menschen nach Beseitigung seiner ontologischen Unvollkommenheit, sondern das ,Streben' Gottes nach der Verwirklichung seines Heilsplans mit dem Menschen, wobei, wie sich noch zeigen wird, dieses ,Streben' im Sinne einer communicatio bonitatis ad hominem zu verstehen ist. Ein weiterer bei Thomas mehrfach begegnender Gedanke ist geeignet, diese Interpretation zu untermauern bzw. zu präzisieren. Gemeint ist die Auffassung, nach der als eigentliches Ziel des gesamten göttlichen Handelns in Schöpfung und Heilsgeschichte ausschließlich Gott selbst zu gelten hat. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß diese Lehre dem Bemühen entspringt, die biblischchristliche Vorstellung von der Welt- und Menschenbezogenheit Gottes mit dem aristotelischen Gottesbegriff zusammenzudenken, der von der reinen Selbstbezogenheit des unbewegten Bewegers ausgeht 13 . Bemerkenswerterweise hat Thomas gerade an dieser Stelle biblisch argumentiert und sich auf die Vulgata-Übersetzung von Prov 16,4a berufen: Der Herr hat alles um seiner selbst willen geschaffen Universa propter semetipsum operatus est Dominus™. Diese Stelle 12

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Dazu sein noch einmal an Summa Theologiae I 43,3c erinnert: Et quia, cognoscendo et amando, creatura rationalis sua operatione attingit ad ipsum Deum, secundum istum specialem modum Deus non solum dicitur esse in creatura rationali, sed etiam habitare in ea sicut in templo suo. „Der Gedanke, bei der Bewirkung der Welt und ihrer Prozesse könne das Unbewegte nur sich selbst bedacht und gewollt und dies in der Weise der Rühmung verwirklicht haben, vollzieht die Anpassung der aristotelischen Grundbedingung an die heterogenen Voraussetzungen der christlichen Dogmatik" (Hans Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt, 229). Es sei angemerkt, daß die von der Vulgata-Übersetzung ausgehende Deutung nicht der Intention des Urtextes entspricht. Darin ist nicht von einer Selbstbezogenheit Gottes in seinem Schöpfungshandeln die Rede, sondern vom je

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wird in Summa Theologiae I in verschiedenen Zusammenhängen herangezogen und dabei stets im sed contra zitiert. In der ersten quaestio der Schöpfungslehre dient sie als Ausgangspunkt der Feststellung, daß das Handeln Gottes nicht einem außerhalb seiner selbst liegenden Ziel gilt, sondern auf die Mitteilung (communicatio) der in ihm immer schon präsenten Vollkommenheit, d.h. seiner Güte, an die Geschöpfe zielt, eine Zielstellung, die sich im Streben der Geschöpfe nach der similitudo perfectionis et bonitatis divinae aktualisiert 1 5 . V o n daher werden, wie T h o m a s an anderer Stelle betont, alle innerweltlich beobachtbaren partiellen teleologischen Zusammenhänge nochmals übergriffen von der Ausrichtung der Schöpfung auf die repraesentatio Gottes, die letztlich seiner gloria gilt 1 6 - auch in diesem Zusammenhang ist Prov 1 6 , 4 a im sed contra zitiert. Entscheidend ist dabei, daß die perfectio hominis hier ausdrücklich in die Realisierung des göttlichen Selbstbezugs ein- und ihr untergeordnet wird, nämlich im Sinne eines modus specialis der universalkreatürlichen Ausrichtung auf G o t t 1 7 . Es ist von daher konsequent, wenn T h o m a s , wiederum an anderer Stelle, als den finis der göttlichen Weltregierung, also als das eigentliche Ziel aller geschöpflichen Prozesse, abermals Gott selbst als das bonum universale bestimmt: Ziel hat die Bewandtnis von Gut, und als universales Ziel der Dinge kann nur ein universales Gut in Betracht kommen, das einzig bei

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eigenen Zweck der Einzelgeschöpfe. Vgl. zur Übernahme der thomanischen Interpretation von Prov 16,4 in der altprotestantischen Dogmatik sowie zur Kritik am Gedanken einer direkten Selbstbezogenheit des göttlichen Handelns Wolfhart Pannenberg, Systematische Theologie 2, Göttingen 1991, 72-75. primo agenti, qui est agens tantum, non conventi agere propter acquisitionem alicuius finis; sed intendit solum communicare suum perfectionem, quae est eius bonitas. Et unaquaeque creatura intendit consequi suum perfectionem, quae est similitudo perfectionis et bonitatis divinae (Summa Theologiae I 44,4c). unaquaeque creatura est propter suum proprium actum et perfectionem. Secundo autem, creaturae ignobiliores sunt propter nobiliores ... Ulterius autem, singulae creaturae sunt propter perfectionem totius universi. Ulterius autem, totum universum, cum singulis suis partibus, ordinatur in Deum sicut in finem, inquantum in eis per quandam imitationem divina bonitas repraesentatur ad gloriam Dei (Summa Theologiae I 65,2c). totum universum, cum singulis suis partibus, ordinatur in Deum sicut in finem, inquantum in eis per quandam imitationem divina bonitas repraesentatur ad gloriam Dei: quamvis creaturae rationales speciali quodam modo supra hoc habebant finem Deum, quem attingere possunt sua operatione, cognoscendo et amando (ebd.). Der Zusammenhang dieser Stelle mit Summa Theologiae I 4 3 , 3 c ist evident (vgl. Anm.12).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Gott, also außerhalb der Welt, angetroffen wird 18 . Nun hatte obiectio 2 gegen diese These geltend gemacht, daß nach Aristoteles die Ziele aller innerweltlichen Prozesse entweder in Tätigkeiten (operationes) oder in Werken (opera, operata) bestehen, die ebenfalls nur im intramundanen Bereich begegnen, weshalb das Ziel der Weltlenkung nicht in etwas außerhalb der Welt Befindlichem liegen kann 1 9 . Es ist interessant, daß mit dem Hinweis darauf, daß sich die innerweltlichen fines stets nur innerweltlich realisieren, implizit der Letztzielcharakter der in Summa Theologiae I a -II ae 3 ausdrücklich als operatio bestimmten beatitudo hominis gegen die Lehre von Gott als principium et finis totius universi ins Feld geführt wird: Wenn das Glück durch menschliche Tätigkeit realisiert wird, kann nicht Gott unsere beatitudo sein. In der responsio unterscheidet Thomas die Weise, in der Werke und Tätigkeiten als innerweltliche Ziele gelten, von der Weise, in der Gott als finis seiner eigenen gubernatio aufzufassen ist: Gott als das außerhalb der Welt liegende bonum universale gehört nicht - wie die opera und die operationes - zu den fines artium, sondern er ist insofern Ziel, als seine gubernatio dazu führt, daß alle Geschöpfe nach participatio et assimilatio Dei streben 20 . Die herangezogenen Stellen aus Summa Theologiae I 4 4 , 1 65 und I 103 haben gezeigt, daß die beatitudo hominis bei Thomas deshalb so konsequent theozentrisch verstanden ist, weil alle innerweltlichen Tätigkeiten, einschließlich der operationes beatitudinis, als Clemente' der göttlichen gubernatio mundi aufgefaßt werden, deren Ziel

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Manifestum est ertim quod bonum habet rationem finis ... finis autem universalis rerum omnium est quoddam bonum universale. Bonum autem universale est quod est per se et per suam essentiam bonum ... Manifestum est autem quod in tota universitate creaturarum nullum est bonum quod non sit participative bonum. Unde illud bonum quod est finis totius universi, oportet quod sit extrinsecum a toto universo (Summa Theologiae 1103,2c; auch in diesem Artikel hatte Thomas im sed contra auf Prov 16,4a verwiesen). Philosophus dicit, I Ethic., quod finium quidam sunt operationes, quidam opera', idest operata. Sed nihil extrinsecum a toto universo potest esse operatum: operatio autem est in ipsis operantibus. Ergo nihil extrinsecum potest esse finis gubernationis rerum (Summa Theologiae I 103,2 obiectio 2). Philosophus loquitur de finibus artium, quarum quaedam habent pro finibus operationes ipsas, ... quaedam vero habent pro fine quoddam operatum ... Contingit autem aliquid extrinsecum esse finem ... sicut possessum seu habitum ... Sic igitur potest dici quod bonum extrinsecum a toto universo est finis gubernationis rerum sicut habitum et repraesentatum: quia ad hoc unaquaeque res tendit, ut participet ipsum, et assimiletur ei, quantum potest (Summa Theologiae I 103,2ad2).

Die beatitudo-Lehre in der

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wiederum Gott selbst ist. Die beatitudo gilt als der dem Menschen bestimmte modus specialis des sich in der gubernatio Dei realisierenden göttlichen Selbstbezugs. Erst vor dem Hintergrund dieser Voraussetzungen wird verständlich, in welchem Sinn die beatitudo auch als bonum hominis gelten kann, nämlich sofern der göttliche Selbstbezug gerade darin gipfelt, daß der Mensch als imago Dei die beatitudo als sein bonum erfaßt - gloria Dei und beatitudo hominis stehen deshalb bei Thomas nicht, wie Santeler gemeint hat, in einem Konkurrenzverhältnis, sondern sie sind insofern aufeinander bezogen, als sich Gottes gloria gerade in der perfectio hominis verwirklicht. Daß trotz der konsequenten Theozentrik des thomanischen beatitudo-Begriffs dessen praktische, bei der menschlichen Erfahrungswirklichkeit ansetzende Dimension nicht preisgegeben wird, sondern gerade innerhalb dieser Theozentrik ihre Relevanz unverkürzt entfaltet, wurde in 2.4.1 durchgehend hervorgehoben. Indem sich Thomas, um die göttliche Heilsmitteilung an den Menschen von dessen Geschöpflichkeit her zu entfalten, der aristotelischen Ethik bedient, bringt er zugleich einen zutiefst christlichen Gedanken zur Geltung, daß nämlich Gottes Handeln tatsächlich ein Heilshandeln für uns ist: Es ist die pro-nobis-Dimension des göttlichen Handelns, die Thomas mit Hilfe des aristotelischen Denkens artikuliert. Daß die beatitudo hominis in den Plan Gottes gehört, hatte er bereits der Heiligen Schrift entnommen, wobei er den Seligpreisungen Jesu eine zentrale Bedeutung beigemessen hat. Die ebenfalls biblisch begründete Bestimmung des Menschen als imago Dei, wie Thomas sie verstanden hat, ließ ihm plausibel erscheinen, daß, was Gott an der creatura rationalis tut, deren geschöpflichen Strukturen nicht einfach fremd bleibt; vielmehr wird sie in ihrer Eigentätigkeit (sua operatione) diesem Bestimmtsein entsprechen. ,Perfectio hominis' kann deshalb nicht ausschließlich als Genitivus obiectivus bestimmt werden, sondern muß, wenn Gottes Heil für uns auch wirklich unser Heil sein soll, zugleich als Genitivus subiectivus gedacht werden können. Das große Interesse an der aristotelischen Ethik, nach der das höchste Gut des Menschen an der Struktur seiner Eigentätigkeit abgelesen werden kann, ist demnach darin begründet, daß Thomas hier das Material vorgefunden hat, das geeignet war, die vom Menschen ausgehende Entsprechung zum an ihm geschehenden Heilswerk Gottes zu beschreiben. Als Ergebnis dieser Zwischenbilanz kann festgehalten werden, daß sich - in den Worten des Thomas - bereits auf der Ebene der

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ratio communis beatitudinis eine eudämonistische Interpretation seiner beatitudo-Lehre nicht halten läßt. Denn es wurde deutlich, daß eine solche Interpretation, unabhängig von der Beurteilung des dabei diagnostizierten Eudämonismus, auf der von Thomas gar nicht geteilten Voraussetzung beruht, daß die Glückseligkeit primär als Erfüllung menschlicher Sehnsüchte verstanden wird. Dagegen thematisiert Thomas die beatitudo hominis in erster Linie als Ziel des göttlichen Heilshandelns am Menschen und nimmt sie nur innerhalb dieses Rahmens auch als den vom Menschen selbst erstrebten finis ultimus in den Blick21. Diese Feststellung ist allerdings noch im Bereich der beatitudo secundum specialem rationem zu verifizieren. Dabei geht es darum, wie sich die Realisierung des göttlichen Selbstbezugs aus der Perspektive des Menschen gestaltet: Wenn, wie bereits festgehalten wurde, die vollendete Glückseligkeit nach Thomas nur auf dem Weg über die sich in der caritas realisierende möglichst ausschließliche Hinwendung zu Gott erreicht werden kann, welche Bedeutung kommt dann der Glückseligkeitserlangung in der vita caritate formata zu? Eigentlich ist diese Frage mit der Abweisung einer eudämonistischen Interpretation der thomanischen beatitudo-Lehre ,im engeren Sinne', also ihrer in Summa Theologiae Ia-IIae 1-5 vorliegenden Ausprägung, bereits entschieden. Denn wenn die perfectio hominis primär eine Absicht Gottes mit dem Menschen meint, dann wird auch die in der perfectio Christianae vitae bestehende via hominis ad beatitudinem perfectam primär als ein Weg Gottes mit dem Menschen zu verstehen sein und kann deshalb nicht als Strategie der Selbstvervollkommnung interpretiert werden. Daß die Frage nach dem Eudämonismus des Thomas anhand seiner Liebeslehre trotzdem noch einmal aufgeworfen werden muß, ergibt sich aus dem Rückblick auf einige der in Teil 1 dargestellten Positionen. Hier zeigte sich, daß sich die Kritiker der thomanischen Ethik nicht nur auf die beatitudo-, sondern zum Teil gerade auf die caritas-Lehre berufen, wenn es darum geht, eine eudämonistische Motivation des Sittlichen bei Thomas nachzuweisen. Sowohl Holl als auch Nygren und Brechtken haben behauptet, daß die dem menschlichen Streben nach Selbstvollendung (perfectio

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Damit erweist sich die These von Lange, innerhalb der S U M M A T H E O L O G I A E sei eine Entwicklung von einem eudämonistischen (beatitudo-Traktat) zu einem theonomen Ansatz (caritas-Lehre) nachweisbar, als unzutreffend: Das thomanische Glückseligkeitsverständnis ist nicht weniger theozentrisch konzipiert als die Lehre von der Gottesliebe.

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

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hominis) entsprechende Selbstliebe bei Thomas als Wurzel der Gottesliebe gilt: Wie gerade dessen caritas-Lehre deutlich macht, gelte, „trotz aller Versicherungen, daß Gott um seiner selbst willen geliebt werden m ü s s e " 2 2 , doch das Glückseligkeitsverlangen des Menschen als letzter Maßstab der christlichen Sittlichkeit, ein Ansatz, der auch durch die Einführung des Gedankens der Freundschaftsliebe (amor amicitiae) als eines „Korrektiv(s) der Egozentrizität" 2 3 nicht aufgehoben, sondern letztlich sogar bekräftigt werde, weil nach Thomas der amore amicitiae geliebte Mitmensch letztlich als alter ego geliebt wird, und so die „die ganze Freundschafts- und Nächstenliebe ... im Sinne uneigennützigen Wohlwollens ... im Grunde wieder reduziert ist auf nichts anderes als - Selbstliebe" 2 4 . Es ist übrigens unschwer zu erkennen, daß sich diese Auffassung nur insofern von der Interpretation Rousselots und Bujos unterscheidet, als sie bei den zuletzt Genannten nicht mit einer Bestreitung der theologischen Legitimität des thomanischen Ansatzes verbunden wird. Gegen solche Reduktion des caritas-Gedankens auf Selbstliebe (auch wenn es sich dabei um die Philautie des Edlen im Sinne des Aristoteles handelt) steht allerdings die sogar von einem so konsequenten Kritiker des thomanischen beatitudo-Begriffs wie Hans Reiner festgehaltene Einsicht, daß in der caritas-Lehre des Thomas auch Texte begegnen, die sich gegen eine eudämonistische Interpretation sperren. Die noch einmal in Erinnerung gerufenen Differenzen in der Beurteilung der thomanischen Ethik haben zu der Einsicht geführt, daß eine Berücksichtigung der caritas-Lehre für eine hinreichende Klärung des Eudämonismus-Problems bei Thomas unumgänglich und eine abschließende Beurteilung seiner beatitudo-Lehre erst auf der Grundlage einer Untersuchung des thomanischen Liebesbegriffs möglich ist. In 2.4.3 sind deshalb die für die Eudämonismus-Thematik relevanten Aspekte aus der amor- und der caritas-Lehre des Thomas zusammenzutragen.

22 23 24

Karl Holl, Der N e u b a u der Sittlichkeit, 179 A n m . l . Anders Nygren, Eros und Agape, 509. Josef Brechtken, Augustinus Doctor Caritatis, 164.

222

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

2.4.3 Amor und caritas in ihrer Bedeutung für die beatitudo-Lehre - dieser Titel einer kleinen Schrift von Heinrich Maria Christmann 1 bringt die zentrale Bedeutung zum Ausdruck, die dem Gedanken der Liebe im thomanischen Denken zukommt. Albert Ilien hat daran erinnert, daß Thomas schon vor seiner 1323 erfolgten Heiligsprechung, also bereits kurz nach seinem Tod, von Dante in dessen wahrscheinlich zwischen 1311 und 1321 (Dantes Tod) verfaßter DIVINA COMMEDIA als Lehrer der göttlichen Liebe vorgestellt wird 2 : Die geschöpfliche Wirklichkeit in all ihrer Vielfalt auf den verschiedenen Seinsstufen hat, so Thomas bei Dante, ihren Grund letztlich in der Liebe und der Güte Gottes (bei Thomas selbst heißt es: amor Dei est infundens et creans bonitatem in rebus3). Freilich kommt die sich in der Welt widerspiegelnde göttliche Idee in allen nicht unmittelbar geschaffenen Dingen nur unvollkommen zum Ausdruck, während Vollkommenes dort entsteht, wo der dreieinige Gott direkt schaffend wirkt - bei der Schöpfung des ersten Menschen und bei der Geburt Christi. Die entsprechende Passage aus Paradiso XIII sei im folgenden zitiert 4 : THOMAS VON AQUIN ALS THEOLOGE DER LIEBE

Ciò che non muore e ciò può morire

52

Non è se non splendor di quella idea Che partorisce, amando, il nostro sire: Che quella viva luce che sì mea Dal suo lucente, che non si disuna Da lui ne dall'amor ch'a lor s'intrea, Per sua bontate il suo il raggiare aduna, Quasi specchiato, in nove sussistenze, Eternalmente rimanendosi una. Quindi discende all'ultime potenze Giù d'atto in atto, tanto divenendo Che più non fa che brevi contingenze ...

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1

2

3 4

Das, was nicht stirbt und was bestimmt zu sterben, Ist alles nur ein Abglanz des Gedankens, Den unser Herr durch Liebe hat geboren. Denn das lebendige Licht, das von der Leuchte Ausstrahlt, die niemals sich von ihm entfernte, Noch von der Liebe, die im Bund die dritte, Vereint durch seine Kraft sein eignes Strahlen, Gleichsam gespiegelt in neun Wesenheiten Und dennoch ewig seine Einheit wahrend. Von dorten steigt es zu den letzten Mächten Von Grad zu Grad herunter, so verwandelt, Daß nur noch kurze Zufallswesen werden ...

Vgl. Heinrich Maria Christmann, Thomas von Aquin als Theologe der Liebe, Heidelberg 1958 (TiG 1). Vgl. Albert Ilien, Wesen und Funktion der Liebe im Denken des Thomas von Aquin, 16f. Das Epitheton ,divina' im Titel von Dantes Hauptwerk begegnet erst in der zweiten Hälfte des 14.Jahrhunderts, nämlich bei dem Bewunderer und Biographen Dantes Giovanni Boccaccio (1313-1375). Summa Theologiae I 20,2c. Textgrundlage: Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie. Italienisch und deutsch. Übersetzt und kommentiert von Hermann Gmelin, Band 3 (1951): Dritter Teil: Paradiso - Das Paradies, Nachdr. München 1988.

D i e b e a t i t u d o - L e h r e in der SUMMA THEOLOGIAE Ma la natura la dà sempre scema, Similemente operando all'artista, C'ha l'abito dell'arte e man che trema. Però se il caldo amor la chiara vista Della prima virtù dispone e segna, Tutta la perfezion quivi s'acquista. Così fu fatta già la terra degna Di tutta l'animai perfezione, Così fu fatta la Vergine pregna.

76 77 78 79 80 81 82 83 84

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Doch die Natur gewährt es immer schwächer Und handelt so oft wie ein Künstler handelt; Er übt die Kunst, doch seine Hände zittern. Wenn aber heiße Liebe klare Bilder Der höchsten Macht entwirft und ausgestaltet, Dann muß Vollkommenheit darin erscheinen. So ist die Erde würdig einst geworden Für die Vollkommenheit der Lebewesen; So konnte auch die Jungfrau schwanger werden.

Während sich Dante an dieser Stelle auf den ,metaphysischen' Hintergrund des thomanischen Liebesbegriffs (besser: seine trinitarischtheologische Fundierung) bezieht, wird in der neueren Thomas-Forschung die überragende Bedeutung des Liebesgedankens vielfach vorrangig anhand der sich auf den Ebenen des amor und der caritas entfaltenden menschlichen Liebe und ihrer Relevanz für den motus rationalis creaturae in Deum hervorgehoben. Dies gilt schon für Christmann, der zwei Jahre nach dem Erscheinen der oben erwähnten Schrift einen Kommentar zu den ersten elf quaestiones des caritasTraktats vorgelegt hat 5 , und dies gilt in besonderer Weise für Eberhard Schockenhoff, der in der caritas-Lehre des Thomas „die Mitte und den Kristallisationspunkt seines theologischen Denkens" 6 erreicht sieht. Da es, wie in 2.4.2 betont, im folgenden darum gehen soll, die Realisierung des göttlichen Selbstbezugs darzustellen, sofern sie sich in der perfectio Christianae vitae manifestiert, wird auch hier die vom Menschen vollzogene Entsprechung zum göttlichen Heilshandeln im Vordergrund stehen, also die im Menschen angekommene Liebe Gottes. Es entspricht diesem Ansatz, daß im folgenden diejenigen Textzusammenhänge der SUMMA THEOLOGIAE Berücksichtigung finden, in denen der Mensch als Subjekt der Liebe erscheint, nämlich der amor- und der caritas-Traktat der Pars Secunda (Summa Theologiae Ia-IIae 26-28; Summa Theologiae IIa-IIae 23-46). Da die Liebeslehre des Thomas nicht den Primärgegenstand dieser Untersuchung bildet und nur thematisiert wird, weil ihre Berücksichtigung für die Eudämonismus-Thematik unerläßlich ist, sind die beiden mit dem amor bzw. der caritas befaßten Abschnitte der SUMMA THEOLOGIAE nicht in allen Einzelheiten zu analysieren, sondern s

Vgl. T h o m a s v o n Aquin, Die Liebe (Summa Theologiae II a -II ae 2 3 - 3 3 ) , übersetzt und kommentiert v o n Heinrich Maria Christmann, Heidelberg-Graz-Wien-Köln 1 9 5 9 ( D T h A 1 7 A).

6

Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 4 7 6 (im Anschluß an Heinrich Maria Christmann, T h o m a s von Aquin als T h e o l o g e der Liebe, 8f.).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

lediglich auf ihren Beitrag zur Lösung des Eudämonismus-Problems hin zu befragen. Ebenso soll darauf verzichtet werden, einen inhaltlichen Bogen vom beatitudo- zum amor- und von dort zum caritasTraktat zu schlagen. Um dennoch den Kontext ein wenig zu erhellen, in dem Thomas das Phänomen der Liebe an den genannten Stellen thematisiert, ist in Übersicht 8 der Grobaufbau des zweiten Teils der SUMMA THEOLOGIAE dargestellt. 2.4.3.1 Zum amor-Begriff in Summa Theologiae I a -II ae 26-28 Erfahrungsgemäß kommt in den einzelnen Traktaten der SUMMA der jeweiligen Einleitungsabhandlung eine besondere Bedeutung zu. Vielfach ist es auch so, daß Thomas bereits im ersten Artikel einer quaestio die für ihn entscheidende These jedenfalls in Grundzügen formuliert und die folgenden Artikel überwiegend einer Präzisierung dienen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß für die Interpreten der thomanischen amor-Lehre Summa Theologiae I a -II ae 26,1 eine wichtige Rolle spielt, ein Artikel, der danach fragt, ob der amor seinen Sitz in der pars concupiscibilis hat, im sinnlichen Begehrvermögen des Menschen. Für die Kritiker des thomanischen Ansatzes ist an dieser Stelle die Frage nach dem Eudämonismus meist schon geklärt: Da hier der begehrende Charakter aller Liebe betont werde, komme der Primat des Eros-Begriffs gegenüber dem Agape-Motiv unverkennbar zum Ausdruck, wodurch klar wird, daß im thomanischen Denken „alles in der Liebe ... auf die Selbstliebe zurückgeführt" 7 wird und „das egozentrische, an der Bedarfsbefriedigung des Ich orientierte Strebevermögen" 8 im Mittelpunkt steht. Der dann für die caritas-Lehre wichtige Gedanke des amor amicitiae, der zuerst in Summa Theologiae I a -II ae 26,4 begegnet, wird zwar durchaus als ein Versuch des Thomas zur Relativierung der Dominanz des Begehrlichen in seinem Liebesverständnis wahrgenommen, aber als ein von vornherein zum Scheitern verurteilter Versuch, weil der Begriff des amor amicitiae wegen seiner Anknüpfung an die Freundschaftslehre des Aristoteles kein vom Primat des Eigeninteresses gelöstes sittliches Verhalten begründen kann. THEOLOGIAE

Gegenüber dieser Deutung ist im folgenden zu zeigen, wie es Thomas bereits im amor-Traktat gelingt, den Boden für die dann in Summa Theologiae II a -II ae 23ff. breit ausgeführte Konzeption der 7 8

Anders Nygren, Eros und Agape, 508. Josef Brechtken, Augustinus Doctor Caritatis, 159.

D i e b e a t i t u d o - L e h r e i n d e r SUMMA THEOLOGIAE

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christlichen Liebe zu bereiten. Dabei wird deutlich werden, daß - bei aller unbestreitbaren Anknüpfung - auch hier keinesfalls von einer unreflektierten Rezeption und schon gar nicht von einer Übernahme der aristotelischen Auffassung die Rede sein kann. Vielmehr modifiziert Thomas an entscheidender Stelle die Lehre des Philosophen, wobei diese Modifikation ihren Grund in seinem theozentrischen Verständnis der beatitudo hominis hat. Zunächst ist festzuhalten, daß Thomas das Phänomen des amor im Zusammenhang seiner Summa Theologiae Ia-IIae 22-48 umfassenden Behandlung jener actus humani thematisiert, die der Mensch mit den anderen Lebewesen gemeinsam hat 9 . Da der amor bei Thomas als „die Grundleidenschaft der passionierten menschlichen Existenz" 10 gilt, ist die Analyse des Liebesphänomens von besonderer Bedeutung für die Frage nach der moralischen Qualität der menschlichen Leidenschaften Thomas geht es bei seiner Analyse offenbar darum, die differentia specifica des amor humanus gegenüber dem amor im Sinne eines die gesamte Schöpfung bestimmenden Strebens herauszuarbeiten. Denn in Summa Theologiae Ia-IIae 26,1c werden die verschiedenen im kreatürlichen Bereich begegnenden Arten der Liebe einander gegenübergestellt und mit den unterschiedlichen Ausprägungen des geschöpflichen Strebens verbunden 12 . Bei den verschiedenen Arten des appetitus, so Thomas, ist der entsprechende amor jeweils das, was den Ursprung des Strebens darstellt: Beim appetitus naturalis ist es die Naturverwandtschaft (connaturalitas) mit dem erstrebten Gut; beim appetitus sensitivus sowie beim appetitus rationalis sive intellectivus spricht Thomas von coaptatio

9 10

11

12

Dies geht aus Übersicht 8 klar hervor. Peter L. Oesterreich, Thomas von Aquins Lehre von der Liebe als menschlicher Grundleidenschaft, in: ThPh 66 (1991), 90-97, hier 90. Der von Oesterreich (ebd.) zitierte Beleg macht dies deutlich: omtiis actio quae procedit ex quacumque passione, procedit etiam ex amore, sicut ex prima causa (Summa Theologiae I a IIae 28,6ad2). Vgl. zu diesem hier nicht eingehend zu erörternden Problemkomplex Stephanus Pfiirtner, Die sinnlichen Triebkräfte in ihrer Bedeutung für das Tugendleben nach Thomas von Aquin, in: FZPhTh 2 (1955), 3-27 (auch in: Thjb [L] 1959, 189-209) und ders., Triebleben und sittliche Vollendung. Eine moralpsychologische Untersuchung nach Thomas von Aquin, Freiburg/Schweiz 1958 (SF.NF 22) sowie die Hinweise bei Peter L. Oesterreich, Thomas von Aquins Lehre von der Liebe als menschlicher Grundleidenschaft, 96f. Vgl. die Hinweise zur Differenzierung des appetitus-Begriffs bei Thomas in 1.3 (S.43).

226

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

bzw. von complacentia boni 13 . Auf der Grundlage dieser Vorklärung kann er folgern, daß der amor sensitivus wegen seiner Verbindung mit dem sinnlichen Streben in der Tat zum Begehrvermögen gehört . Für den Menschen heißt dies dreierlei. ( 1 ) Sofern er als Naturwesen aufgefaßt wird, gehört zu seinem Sein eine teleologische Struktur, die ihn auf ein bonum hinordnet. (2) Sofern der Mensch als Sinnenwesen aufgefaßt wird, aktualisiert er diese ihm eingeschaffene Ausrichtung in der Verfolgung dessen, was ihn im sinnlichen Bereich anspricht, was ihm Vergnügen bereitet; in den Zusammenhang dieser Feststellung gehört die Bemerkung des Thomas in Summa Theologiae Ia-IIae 4,2ad2, wo bezüglich des appetitus sensitivus die finale Priorität der delectatio gegenüber den operationes beatitudinis festgehalten wird. (3) Für den Menschen als Vernunftwesen gilt, daß er sich unmittelbar auf sein bonum beziehen kann, also ohne eine dem erstrebten bonum äußerliche Motivation, wie etwa die Aussicht auf delectatio (vgl. 2.4.1.4; S.201-203). Der Artikel läßt erkennen, daß durch die Abgrenzung des amor rationalis (= humanus) vom sinnlichen Begehrvermögen eine hedonistische Interpretation des spezifisch menschlichen appetitus ausgeschlossen werden soll. Eine solche Differenzierung war bereits in Summa Theologiae Ia-IIae 2,6 ausgesprochen worden und begegnet 13

amor est aliquid ad appetitum pertinens: cum utriusque obiectum sit bonum. Onde secundum differentiam appetitus, est differentia amoris ... In unoquoque autem horum appetituum, amor dicitur illud quod est principium motus tendentis in finetn amatum. In appetitu autem naturali, principium huiusmodi motus est connaturalitas appetentis ad id in quod tendit, quae dici potest amor naturalis ... Et similiter coaptatio appetitus sensitivi, vel voluntatis, ad aliquod bonum, idest ipsa complacentia boni, dicitur amor sensitivus, vel intellectivus seu rationalis (Summa Theologiae I a -II ac 2 6 , 1 c ) .

14

Amor igitur sensitivus est in appetitu sensitivo, sicut amor intellectivus in appetitu intellectivo. Et pertinet ad concupiscibilem (ebd.). Die letzte Zuordnung erstreckt sich, wie obiectio 1 und die responsio a d i deutlich machen, nur auf den appetitus sensitivus: Obiectio 1 hatte zunächst auf die Liebe zur Weisheit hingewiesen, von der in Weish 8 , 2 die Rede ist. Da, so das Argument, die Weisheit zwar nicht sinnlich erfaßt, aber doch geliebt wird, kann die Liebe nicht zum sinnlich verhafteten Begehrvermögen gehören. Die responsio erkennt den Einwand an, weist aber darauf hin, daß die zitierte Schriftstelle nur den amor intellectivus im Blick hat und demnach der amor sensitivus trotzdem, wie im corpus behauptet, zum Begehrvermögen gehören kann: auctoritas illa (Weish 8 , 2 , R.L.) loquitur de amore intellectivo vel rationali (Summa Theologiae I a -II ae 2 6 , l a d l ) . Brechtken hat diese wichtige Differenzierung übersehen und behauptet deshalb, daß nach Thomas „dies alles (die Liebe insgesamt, R.L.) das .Begehrliche' betrifft" (Josef Brechtken, Augustinus Doctor Caritatis, 1 5 9 ) .

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

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im übrigen schon bei Aristoteles. Zwar ist vorausgesetzt, daß der Mensch als Geschöpf ontologisch von einem Streben (appetitus) bestimmt ist, als dessen Ursprung (principium) die Liebe zu einem ihm wohlgefälligen bonum fungiert. Doch eine unbesehen eudämonistische Interpretation dieses Gedankens ist problematisch, hatte sich doch gezeigt, daß der appetitus hominis von Thomas ursprünglich als eine innergeschöpfliche Aktualisierung der gubernatio Dei verstanden wird, die nun freilich aus der Perspektive der creatura rationalis im Blick ist, deren spezifischen Strebens- und Handlungsstrukturen Thomas nachgeht. Die in Artikel 1 herausgearbeitete differentia specifica der menschlichen Liebe wird in Summa Theologiae Ia-IIae 26,3 zunächst terminologisch präzisiert. Thomas grenzt hier die Bedeutung der vier Wörter ,amor', ,dilectio', ,caritas' und ,amicitia' voneinander ab. Dabei stellt er zunächst fest, daß ,amicitia' einen habitus bezeichnet, während ,amor' und .dilectio' im Sinne einer Handlung bzw. einer Leidenschaft verstanden werden; mit ,caritas' kann beides gemeint sein. Die Liebe als actus kann demnach in dreifacher Weise benannt werden, wobei ,amor' als ein Oberbegriff für alle Liebesakte fungiert, während bei ,dilectio' eine vorangegangene Wahl (electio) vorausgesetzt ist, weshalb actus dilectionis der natura rationalis vorbehalten sind. Mit ,caritas', sofern sie als Liebesakt aufgefaßt ist, wird eine Liebe beschrieben, der eine gewisse Vollkommenheit zukommt, eine perfectio, die daraus resultiert, daß der geliebte Gegenstand vom Liebenden hochgeschätzt wird, ihm also teuer (carus) ist. Einer Veranschaulichung der skizzierten Differenzierung dient Übersicht 9. In Summa Theologiae Ia-IIae 26,4 nimmt Thomas eine weitere und äußerst folgenreiche inhaltliche Präzisierung des Liebesbegriffs vor: Er stellt fest, daß es angemessen ist, alle Liebesäußerungen auf zwei Grundformen des amor zurückzuführen, nämlich die Liebe des Begehrens (amor concupiscentiae) und die Liebe der Freundschaft (amor amicitiae). Der Ausgangspunkt der Argumentation ist die auf Aristoteles zurückgehende Bestimmung der Liebe als eines velie alicui bonum (jemandem Gutes wollen)15. Liebe richtet sich danach stets auf zweierlei, nämlich (1) auf das bonum, das man für etwas oder für jemanden will, sowie (2) auf dieses etwas oder diesen jemand, für das oder den das bonum gedacht ist; im ersten Fall handelt es sich um

15

εστω δή TÒ φιλείν τό βούλεσθαί τινι à οίεται αγαθά (Aristoteles, Rhetorik II 4 [1380b35f.]).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

amor concupiscentiae, im zweiten Fall um amor amicitiae 1 6 . Die begehrende Liebe ist demnach von der Art, daß sie sich nicht auf das erstrebte Objekt als es selbst bezieht, sondern nur, sofern es einen bestimmten Zweck erfüllt, also jemandem (alicui) dienlich ist, wobei Thomas ausdrücklich offenhält, ob es sich dabei um die eigene Person oder um jemand anderen handelt (vel sibi vel alii). Die im sed contra angeführten (von Aristoteles stammenden) Beispiele machen den instrumentalisierenden Charakter der begehrenden Liebe deutlich: Den Wein lieben wir nicht um seiner selbst willen, sondern wegen der für uns angenehmen Süße 1 7 . Der amor amicitiae steht dagegen für eine Liebe, mit der wir uns auf das Geliebte als es selbst beziehen, eine Liebe, die nicht durch ein dem geliebten Objekt äußerliches Gut, sondern ausschließlich durch das Objekt als solches motiviert ist. Ein Vergleich beider Grundformen der Liebe ergibt nach Thomas, daß dem amor amicitiae der eindeutige Vorrang zukommt: Was mit Freundschaftsliebe geliebt wird, wird schlechthin und an sich geliebt, weil im amor amicitiae das Objekt der Zuwendung mit dem Worumwillen der Liebesbewegung identisch ist - der Freund, auf den ich mich liebend beziehe, ist auch der Zweck meiner Zuwendung. Im amor concupiscentiae dagegen fallen diese beiden Aspekte auseinander - der Wein als solcher ist gerade nicht das, worauf es dem Weinkenner letztlich ankommt; als Zweck seines Weininteresses ist vielmehr der mit dem Konsum dieses Getränks verbundene Genuß anzusprechen 18 . Die zur Verdeutlichung der Differenz von amor amicitiae und amor concupiscentiae herangezogenen Beispiele weisen schon auf die 16

17

18

sicut Philosophus dicit in II Rhetoric., ,amare est velie alicui bonum'. Sic ergo motus amoris in duo tendit: scilicet in bonum quod quis vult alicui, vel sibi vel alii; et in illud cui vult bonum. Ad illud ergo bonum quod quis vult altert, habetur amor concupiscentiae: ad illud autem cui aliquis vult bonum, habetur amor amicitiae (Summa Theologiae I a -II ae 26,4c). quaedam dicimur amare quia ea concupiscimi: sicut ,dicitur aliquis amare vinum propter dulce quod in eo concupisci^, ut dicitur in II Topic. Sed ad vinum, et ad huiusmodi non habemus amicitiam, ut dicitur in VIII Ethic. (Summa Theologiae I a -II ae 2 6 , 4 sed contra; vgl. Aristoteles, Topik II 3 [110b38l l l a 4 ] ; Nikomachische Ethik VIII 2 [1155b29-31]). id quod amatur amore amicitiae, simpliciter et per se amatur: quod autem amatur amore concupiscentiae, non simpliciter et secundum se amatur, sed amatur alteri ...Et per consequens amor quo amatur aliquid ut ei sit bonum, est amor simpliciter: amor autem quo amatur aliquid ut sit bonum alterius, est amor secundum quid (Summa Theologiae Ia-IIae 26,4c).

Die beatitudo-Lehre in der

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Verschiedenartigkeit der Objekte hin, denen die Liebesformen jeweils gelten: Während die Freundschftsliebe eher auf Personen zu beziehen ist, geht die begehrende Liebe primär auf Gegenstände aus. Albert Ilien hat deshalb den amor amicitiae mit Partner- und den amor concupiscentiae mit Gegenstandsliebe gleichgesetzt 19 . Ausgehend von der Feststellung, daß der Begriff der Partnerliebe den von Thomas im amor amicitiae stets mitgemeinten Aspekt einer Freundschaft des Menschen mit sich selbst nicht zur Geltung bringen kann, hat Schockenhoff eine Präzisierung der Zuordnung Iiiens vorgeschlagen; er will den amor amicitiae als eine personal verstandene vom amor concupiscentiae als einer funktional verstandenen Liebe unterschieden wissen 2 0 . Ob Partner- oder personale Liebe, entscheidend ist in jedem Fall, daß der amor amicitiae, der nicht durch etwas dem geliebten Objekt Äußerliches, sondern nur durch dieses selbst motiviert ist, als eine spezifisch menschliche Liebesform zu gelten hat, weil sie dem appetitus rationalis entspricht, von dem ebenfalls gilt, daß er sich unmittelbar auf sein bonum beziehen kann und dabei keiner Vermittlung' durch etwas diesem bonum Äußerliches bedarf. - Hatte Thomas in 26,1 durch die Betonung des Zusammenhangs von amor sensitivus und (sinnlichem) Begehrvermögen das intellektgeleitete Streben als spezifisch menschliche Ausprägung des gesamtkreatürlichen appetitus herausgestellt, so wird dieses Streben in 26,4 als Freundschaftsliebe (amor amicitiae) qualifiziert. Nun macht gerade der Begriff des amor amicitiae deutlich, daß von einem Eudämonismus im thomanischen Liebesverständnis keine Rede sein kann, ist doch die Freundschaftsliebe dadurch charakterisiert, daß sie sich ganz auf den anderen bezieht, dem sie Gutes will 2 1 . 19

20 21

Vgl. dazu Albert Ilien, Wesen und Funktion der Liebe im Denken des Thomas von Aquin, 112-119. Vgl. Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 496 Anm.81. Einer eudämonistischen Interpretation bzw. einem eudämonistischen Mißverständnis des amor amicitiae wurde allerdings dadurch Vorschub geleistet, daß Bernhard Ziermann in der Deutschen Thomas-Ausgabe einen für den Charakter der Freundschaftsliebe überaus wichtigen Satz aus Summa Theologiae I a -II ae 26,4c falsch übersetzt hat, wodurch die Intention der Aussage geradezu in ihr Gegenteil verkehrt wird. Dieser äußerst bedauernswerte Umstand ist allerdings schon länger bemerkt worden (vgl. den Hinweis bei Servais Pinckaers, Der Sinn für die Freundschaftsliebe als Urtatsache der thomistischen Ethik, 2 3 l f . Anm.2). Hier sei noch erwähnt, daß eine ältere deutsche Übersetzung der SUMMA THEOLOGIAE die Stelle richtig wiedergibt (Die katholische Wahrheit oder die theologische Summa des Heiligen Thomas von Aquin, deutsch wiedergegeben von Ceslaus Maria Schneider, Band 5, Regensburg 1887). In Übersicht 10 sind Thomas' Text und die beiden genannten Übersetzungen nebeneinandergestellt.

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Schockenhoff hat allerdings davor gewarnt, den Unterschied zwischen Begehr- und Freundschaftsliebe im Sinne des Gegensatzes von .interessierter' und ,desinteressierter' bzw. selbstloser' und »selbstbezogener' Liebe zu verstehen: „ich kann z.B. selbstlos einem Freund Gesundheit oder Erfolg wünschen, und dennoch handelt es sich in thomanischer Terminologie um einen Akt des amor concupiscen22 tiae" . Nun ist freilich gerade dieses Beispiel alles andere als überzeugend. Denn in thomanischer Terminologie handelt es sich bei in .selbstloser' Weise gegenüber einem Freund geäußerten Gesundheitsoder Erfolgswünschen nur insofern um Akte des amor concupiscentiae, als sich die Wünsche auf die bona (Gesundheit, Erfolg) richten, die für den Freund gewollt werden. Fundiert ist das Streben nach solchen Gütern aber im Wohlwollen gegenüber dem Freund, und sofern dieser der Adressat der gewünschten bona ist, handelt es sich nach Thomas unzweifelhaft um einen Akt des amor amicitiae. Für wahre Freundschaftsliebe ist aber, im Gegensatz zum amor concupiscentiae, ein Absehen vom Eigeninteresse gerade charakteristisch. Unter Heranziehung der aristotelischen Differenzierung des Freundschaftsbegriffs, nach der amicitia utilis, amicitia delectabilis und amicitia honesta zu unterscheiden sind, hält Thomas ausdrücklich fest, daß eine auf Nutzen oder Lustgewinn gerichtete Freundschaft nicht als amicitia vera gelten kann. Zwar will auch in solchen .Freundschaften' jemand einem anderen ein Gut, doch hat er es dabei letztlich auf die eigene Lust und den eigenen Nutzen abgesehen - als Ursprung einer so motivierten Zuwendung gilt deshalb eindeutig der amor concupiscentiae 23 . Wenn nun, wie oben festgehalten, im amor amicitiae (bzw. in der amicitia vera) der Freund als solcher das eigentliche Worumwillen des velie amico bonum darstellt, dann ist klar, daß die im landläufigen Verständnis etwa mit .Selbstlosigkeit' bezeichnete ethische Haltung jedenfalls als ein wichtiger Aspekt des amor amicitiae im thomanischen Sinne gelten kann. Daß dennoch, wie die Behandlung der caritas-Lehre ergeben wird, die Pointe des

22

Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 4 9 6 Anm.81.

23

in amicitia utilis et delectabilis, vult quidem aliquis aliquod bonum amico: et quantum ad hoc salvatur ibi ratio amicitiae. Sed quia illud bonum refert ulterius ad suam delectationem ν el utilitatem, inde est quod amicitia utilis et delectabilis, inquantum trabitur ad amorem concupiscentiae, deficit a ratione verae amicitiae (Summa Theologiae I a -II ae 26,4ad3). Der Zusammenhang zwischen der hier vorausgesetzten divisio amicitiae des Aristoteles (Nikomachische Ethik VIII 3-5) und der thomanischen divisio amoris ist in Übersicht 11 verdeutlicht.

D i e b e a t i t u d o - L e h r e in der SUMMA THEOLOGIAE

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thomanischen Liebesbegriffs nur verkürzt zum Ausdruck kommt, wenn man von ,amour désintéressé' oder von Selbstlosigkeit' spricht, ändert nichts daran, daß eine eudämonistische Interpretation des amor amicitiae von Thomas selbst in Summa Theologiae I a -II ae 26,4ad3 ausdrücklich abgewiesen wird. Für eine angemessene Deutung der thomanischen Lehre von der Freundschaftsliebe ist es wichtig, die Relevanz des aristotelischen Denkens für den Begriff des amor amicitiae sachgemäß zu bestimmen. Denn das gerade zurückgewiesene eudämonistische Verständnis der Freundschaftsliebe kann sich immerhin darauf berufen, daß nach Aristoteles, auf dessen φιλία-Lehre sich Thomas ausdrücklich bezieht, auch auf der Ebene der amicitia honesta letztlich die Selbstvervollkommnung des sittlich hochstehenden Menschen im Mittelpunkt steht. Die aristotelische Lehre von der Philautie, auf die sich gerade Bujo bei seiner eudämonistischen Interpretation des thomanischen amor-amicitiae-Begriffs gestützt hat, macht deutlich, daß für den Philosophen die je eigene ευδαιμονία auch dort das entscheidende Worumwillen allen Handelns darstellt, wo sich der Freund dem Freunde wohlwollend um seiner selbst willen zuwendet, ja sogar dort, wo er sein eigenes Leben für den anderen hingibt: Menschen, die dies tun, wählen, wie Aristoteles sagt, für sich selbst ein hohes Gut 2 4 . Es ist von daher unübersehbar, daß Aristoteles die beatitudo stets ausschließlich als beatitudo hominis im Sinne eines Genitivus subiectivus versteht. Genau hier liegt aber eine wichtige und überaus folgenreiche Differenz zu Thomas. Denn die Behandlung von dessen beatitudo-Lehre hatte ergeben, daß die beatitudo hominis ein Implikat des göttlichen Heilshandelns darstellt, weshalb für Thomas nicht der Mensch, sondern Gott als das eigentliche Subjekt der beatitudo hominis gilt und diese Wendung zunächst als Genitivus obiectivus zu verstehen ist. Die thomanische Lehre vom amor amicitiae kann demnach nur angemessen gewürdigt werden, wenn man sie innerhalb der die SUMMA THEOLOGIAE bestimmenden theologischen Voraussetzungen interpretiert, die sich dahingehend zusammenfassen lassen, daß Gott die aus ihm hervorgegangene Schöpfung auf dem Weg über Christus zu sich zurückführt. Die beatitudo hominis als Moment dieser gubernatio Dei hat aber ihr letztes Worumwillen gerade nicht, wie die ευδαιμονία des Aristoteles, im Menschen, sondern vielmehr in

24

αίροΰνται δή μέγα καλόν έαυτοΐς (Aristoteles, N i k o m a c h i s c h e Ethik IX 8 [1169a26]).

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Gott als Ursprung und Ziel der gesamten Heilsgeschichte. Wie die noch zu behandelnde Bestimmung der caritas als amor amicitiae zeigt, ist es der Bezug des Menschen zu diesem gerade nicht-menschlichen finis, den Thomas als Freundschaftsliebe beschreibt. Nicht die je eigene beatitudo steht im Mittelpunkt des amor amicitiae, sondern die Bejahung des göttlichen Heilsplans, unabhängig von der Reflexion auf das bonum privatum. Einer eudämonistische Deutung des thomanischen Liebesbegriffs, sei sie kritisch (Nygren, Brechtken) oder auch apologetisch motiviert (Bujo), ist von daher vorzuhalten, daß sie die Bedeutung dieses theologischen Rahmens für die Unterscheidung von amor amicitiae und amor concupiscentiae weit unterschätzt. Daß der amor amicitiae von Thomas nicht auf Selbstliebe zurückgeführt, sondern - im Gegenteil - als eine im Vollsinn ekstatische Liebesform beschrieben wird, sei im folgenden an Summa Theologiae I a -II ae 28,3 demonstriert. Im Kontext seiner Behandlung der effectus amoris in der Abschlußquaestio des amor-Traktats stellt Thomas die Frage, ob die éxtasis als Wirkung der Liebe angesprochen werden kann. Ein Außer-sich-Sein des Menschen kann nach Thomas zunächst die Wahrnehmungskraft (vis apprehensiva) betreffen. Sobald jemand in eine Erkenntnisweise versetzt wird, die sich von der ihm eigentlich zukommenden unterscheidet, spricht man von éxtasis. Dabei kann zum einen gemeint sein, daß die Erkenntnis des Menschen über das erhoben wird, was er mit Sinnen und Vernunft zu erfassen in der Lage ist; zum anderen kann auch eine (etwa durch Wut oder Wahnsinn verursachte) Versetzung in eine dem Normalstandard gegenüber niedrigere Erkenntnisweise als Außer-sich-Sein bezeichnet werden 25 . Nun wird nach Thomas nicht nur der Wahrnehmungs-, sondern auch der Strebenskraft (vis appetitiva) éxtasis zugesprochen. Dies ist der Fall, wenn sich das Streben eines Menschen so auf einen anderen richtet, daß er aus sich selbst herausgeht 26 . Beide Formen der éxtasis 25

26

Secundum quidem vim apprehensivam aliquis dicitur extra se poni, quando ponitur extra cognitionem sibi propriam: νel quia ad superiorem sublimatur, sicut homo, dum elevatur ad comprehendenda aliqua quae sunt supra sensum et rationem, dicitur extasim pati, inquantum ponitur extra connaturalem apprehensionem rationis et sensus; νel quia ad inferiora deprimitur; puta, cum aliquis in furiam vel amentiam cadit, dicitur extasim passus (Summa Theologiae Ia-IIae 28,3c). Secundum appetitivam vero partem dicitur aliquis extasim pati, quando appetitus alicuius in alterum fertur, exiens quodammodo extra seipsum (ebd.).

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA

THEOLOGIAE

233

können als Wirkungen der Liebe gelten, jedoch in jeweils verschiedener Weise. Im Bereich der vis apprehensiva bewirkt die Liebe eine Hinordnung auf éxtasis. Der amor verursacht eine intensive geistige Beschäftigung mit dem geliebten Gegenstand 27 , eine Beschäftigung, die, in den Worten des vorangegangenen Artikels 2 8 , 2 , zu einer mutua inhaesio amantis et amati führt: Das Geliebte ist im Liebenden, indem es in dessen Erkennen weilt; das Liebende ist im Geliebten, indem es dieses bis ins Innerste zu erforschen strebt und dadurch in sein Inneres eintritt 2 8 . D a ß Thomas in 2 8 , 3 die meditatio de amato als dispositio ad extasim beschreibt, wird man dahingehend zu verstehen haben, daß sich diese meditatio zwar noch mit den Mitteln menschlicher Erkenntnis und innerhalb ihrer Grenzen vollzieht, aber auf eine illuminatio intellectus angelegt ist, durch die der Mensch zu einer höheren Erkenntnisstufe geführt wird, mittels derer er Anteil am göttlichen Selbstbezug, am innertrinitarischen Erkenntnis- und Liebesprozeß, gewinnen kann. Auf der Ebene der vis appetitiva ist die éxtasis in ganz direkter Weise als effectus amoris anzusprechen 29 . Allerdings vollzieht Thomas hier eine wichtige Differenzierung: Ob es sich um ein schlechthinniges Außer-sich-Sein handelt oder ob man nur näherungsweise von éxtasis sprechen kann, hängt davon ab, ob es sich bei der verursachenden Liebe um amor amicitiae oder um amor concupiscentiae handelt. Auch im amor concupiscentiae ist der Liebende in gewisser Weise (quodammodo) ,außer sich', wendet er sich doch, unzufrieden mit dem ihm zur Verfügung stehenden Gut, von sich selbst weg auf etwas außerhalb seiner, das er zu genießen strebt und von dem er sich mehr oder gar völlige Zufriedenheit verspricht. Genau diese Reflexion auf möglichst optimale .Bedürfnisbefriedigung' als Folge der Hinwendung zu einem äußerlichen Gut ist es aber, derentwegen man nach Thomas nicht von wirklicher éxtasis sprechen kann. Denn das Bedürfnis nach Selbstvervollkommnung ist als

27

Primam quidern extasim facit amor dispositive, inquantum scilicet facit de amato ... intensa autem meditatio unius abstrahlt ab aliis (ebd.).

28

quantum ad vim apprehensivam amatum esse dicitur in amante, inquantum amatum immoratur in apprehensione amantis ... Amans vero dicitur esse in amato secundum apprehensionem, inquantum amans non est contentus superficiali apprehensione amati, sed nititur singula quae ad amatum pertinent intrinsecus disquirere, et sic ad interiora eius ingreditur (Summa Theologiae I a II ae 2 8 , 2 c ) .

29

secundam

extasim facit amor directe

(Summa Theologiae I a - I F e 2 8 , 3 c ) .

meditari

234

Die beatitudo-Lehre des T h o m a s von Aquin

solches gerade nicht ekstatisch, sondern bleibt innerhalb des Bedürftigen 30 . Anders beim amor amicitiae. Hier ist die Hinwendung zum anderen nicht auf ein letztlich im Liebenden gegründetes Bedürfnis rückführbar, weil dieser um des Freundes selbst willen dessen Sache zu der seinen macht 31 . Diese Unterscheidung der beiden Formen von éxtasis korrespondiert ersichtlich den zwei Möglichkeiten des Verhältnisses zur beatitudo, von denen Thomas in De caritate 2 spricht, jenem Text, den Servais Pinckaers gegen Reiners Eudämonismus-These ins Feld geführt hatte: Die dem amor amicitiae folgende éxtasis entspricht genau jener nicht egozentrischen Haltung gegenüber der beatitudo, die Thomas in De caritate 2 als der caritas gemäß beschrieben hatte. Den sachlichen Zusammenhang zwischen beiden Texten soll Übersicht 12 verdeutlichen. Die hier vorgelegte Auslegung der thomanischen Lehre vom amor amicitiae ergibt, daß eine eudämonistische Interpretation dem Verständnis von Freundschaftsliebe, wie es sich im amor-Traktat niedergeschlagen hat, schwerlich gerecht werden kann. Vielmehr haben die behandelten Texte gezeigt, daß die von Thomas als spezifisch humane Ausprägung des amor aufgefaßte Freundschaftsliebe durchaus die Möglichkeit einer nicht vom menschlichen Eigeninteresse dominierten Liebe eröffnet. Andererseits ist unbedingt ernstzunehmen, daß gerade innerhalb des amor-Traktats Stellen begegnen, die der hier gegebenen Interpretation zu widersprechen scheinen. Diesbezüglich ist - im Anschluß an Brechtken - auf zweierlei hinzuweisen. Zunächst (1) muß noch einmal an die Bestimmung von amor concupiscentiae und amor amicitiae in Summa Theologiae I a -II ae 26,4 erinnert werden. Die Liebe, so hatte Thomas festgestellt, richtet sich stets auf zwei Dinge, nämlich auf das für jemanden erstrebte Gut (sei dieser jemand ein anderer oder man selbst: vel sibi vel alii) und auf den hier im Neutrum genannten Empfänger des Gutes (in illud cui vult bonum).

30

31

in amore concupiscentiae, quodammodo fertur amans extra seipsum: inquantum scilicet, non contentus gaudere de bono quod habet, quaerit frui aliquo extra se. Sed quia illud extrinsecum bonum quaerit sibi habere, non exit simpliciter extra se, sed talis affectio in fine infra ipsum concluditur (ebd.). Sed in amore amicitiae, affectus alicuius simpliciter exit extra se: quia vult amico bonum, et operatur, quasi gerens curam et providentiam ipsius, propter ipsum amicum (ebd.).

Die beatitudo-Lehre in der SUMMA

THEOLOGIAE

235

Der Bezug auf das bonum gilt Thomas als amor concupiscentiae, der auf dessen Empfänger als amor amicitiae. Brechtken ist nun durchaus recht zu geben, wenn er aufgrund dieser formalen Abgrenzung, wie Thomas sie hier vollzogen hat, zu dem Ergebnis kommt, daß es im amor amicitiae nicht darauf ankommt, „daß man für einen a n d e r e n etwas Gutes will, sondern es interessiert überhaupt nur das ,Für', und es scheint so, daß derjenige, ,für' den ich im amor amicitiae etwas Gutes will, nach Thomas auch i c h s e l b s t sein k a n n " 3 2 ; „selbst der reine amor amicitiae kann etwas sein, wobei es ausschließlich um mich selbst geht" 3 3 . (2) Diese Erkenntnis, nach der ein Primat der Selbstliebe auch im amor amicitiae nicht ausgeschlossen ist, findet Brechtken an anderen Stellen des amor-Traktats bestätigt, wobei er sich - wie in 1.2 erwähnt - auf Summa Theologiae I a -II ae 2 7 , 3 (similitudo als causa amoris) und Summa Theologiae I a -II ae 2 8 , 1 (unio als effectus amoris) bezieht. In beiden Artikeln ist davon die Rede, daß sich der Liebende im amor amicitiae so auf den anderen bezieht, daß er ihm Gutes will - wie auch sich selbst 34 . Deshalb, so heißt es in 2 8 , 1 unter implizitem Rückbezug auf Aristoteles, wird der Freund auch als zweites Ich bezeichnet 35 , ein Gedanke, der Thomas in Summa Theologiae II a -II ae 4 4 , 7 als Leitfaden seiner Interpretation des biblischen Gebots der Nächstenliebe dient. Es ist nicht zu bestreiten, daß die hier vorausgesetzte Anbindung der Freundschafts- bzw. der Nächstenliebe an die Selbstliebe auf den ersten Blick in einer gewissen Spannung zu den oben herausgearbeiteten ekstatischen Implikationen des thomanischen amor-Verständnisses steht. Die sich nun anschließende Behandlung der für die Eudämonismus-Thematik wichtigen Aussagen aus der caritas-Lehre wird deshalb auch danach zu fragen haben, was bei Thomas unter Selbstliebe verstanden wird.

32

33 34

35

Josef Brechtken, Augustinus Doctor Caritatis, 160 (Hervorhebungen im Text, R.L.). AaO, 161. affectus uttius tendit in alterum, sicut in unum sibi; et vult ei bonum sicut et sibi (Summa Theologiae Ia-IIae 27,3c) cum aliquis amat aliquem amore amicitiae, vult ei bonum sicut et sibi vult bonum: unde apprehendit eum ut alterum se, inquantum scilicet, vult ei bonum sicut et sibi ipsi (Summa Theologiae Ia-IIae 28,1c). Et inde est quod amicus dicitur esse ,alter ipse' (Summa Theologiae Ia-IIae 28,1c; vgl. dazu Aristoteles, Nikomachische Ethik IX 4 [1166a31f.]: εστί yàp ό φίλο? αλλ os AÙTÔÇ; IX 6 [1170b6f.]: ετεροζ γαρ αύτόζ ò φίλος εστίν).

236

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

2.4.3.2 Zum caritas-Begriff in Summa Theologiae IF-II ae 23ff. Die in der Prima Secundae der SUMMA T H E O L O G I A E vollzogene consideratio moralis in universali wird in der Secunda Secundae durch eine consideratio in particulari vervollkommnet 36 . Im Grunde müßte man, wie Pesch zutreffend bemerkt hat, die Secunda Secundae „inhaltlich, wenn sich das ob ihres Umfanges nicht verbieten würde, als Anhang zum Traktat über die inneren Handlungsprinzipien bezeichnen, also zu I-II 49-89 ... Denn sie bietet nur die materiale Entfaltung dessen, was grundsätzlich schon I-II 49-89 erörtert wurde ... Nur weil diese materiale Entfaltung im Rahmen von I-II 49-89 zu umfangreich geworden wäre ..., wurde sie einem eigenen Teil vorbehalten" 3 7 . Die Untersuchung der Tugenden, Gaben, Laster und Gebote im ersten Hauptteil dieser materialen Entfaltung geht, um Wiederholungen zu vermeiden, stets von einer Tugend und der ihr entsprechenden Gabe aus und behandelt daraufhin die jeweils entgegengesetzten Laster und die entsprechenden Gebote. Da alle Tugenden von Thomas auf sieben zurückgeführt werden, ranken sich die ersten 170 quaestiones der Secunda Secundae an diesen sieben Haupttugenden entlang 38 . Die Behandlung setzt mit den theologischen Tugenden ein, wobei die caritas hinter fides und spes an dritter Stelle thematisiert wird. Im umfangreichen caritas-Traktat, der zwei quaestiones mehr umfaßt als die Untersuchungen zu fides und spes zusammen, hat Thomas das von ihm selbst im Prolog zur Secunda Secundae vorgegebene Schema durchbrochen: Die der Gottesliebe entgegenstehenden Laster und die zu ihr gehörenden Gebote werden bereits vor der Behandlung der ihr entsprechenden Gabe (der Weisheit) thematisiert. Die innere Struktur des caritas-Traktats ist in Übersicht 13 dargestellt.

36

Vgl. Summa Theologiae I M I " 6 prol. und IIMI a e prol. sowie Übersicht 8.

37

O t t o H e r m a n n Pesch, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und T h o m a s von Aquin, 4 0 7 A n m . 2 9 .

38

In Summa Theologiae I M I " 6 2 , 3 hatte T h o m a s in Anlehnung an I K o r 1 3 , 1 3 a fides, spes und caritas als die virtutes theologicae herausgestellt. Bereits in der quaestio davor hatte er prudentia, iustitia, temperantia und fortitudo als virtutes cardinales benannt ( 6 1 , 2 ) . Den Kanon der vier Kardinaltugenden hatte bereits das spätantike Christentum aus der platonisch-stoischen Tradition übernommen. Die Verbindung dieser Kardinaltugenden mit den drei theologischen Tugenden begegnet erstmals bei Gregor dem Großen (vgl. Martin Anton Schmidt, Die Zeit der Scholastik, 6 6 7 A n m . 3 2 ) .

D i e b e a t i t u d o - L e h r e i n d e r SUMMA THEOLOGIAE

237

Die im ersten Artikel des caritas-Traktats hergestellte Verknüpfung von Gottesliebe und Freundschaft (caritas und amicitia) ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Lehre des Thomas von der höchsten theologischen Tugend. Dies wird schon rein äußerlich daran deutlich, daß er im weiteren Verlauf des Traktats immer wieder an den in Summa Theologiae IIa-IIae 23,1 definierten Zusammenhang zwischen caritas und amicitia erinnert 39 . Daß Thomas dem Gedanken der Freundschaft eine solche Relevanz für seinen caritas-Begriff zuerkannt hat, ist deshalb bemerkenswert, weil es sich hier, wie zu Recht immer wieder hervorgehoben wird, um ein theologiegeschichtliches novum handelt: „Kein mittelalterlicher Theologe vor ihm hat es gewagt, den Freundschaftsgedanken aus der aristotelischen Ethik in solcher Unmittelbarkeit und gedanklicher Konsequenz zur spekulativen Analyse der Gottesliebe heranzuziehen, wie Thomas es versucht" 40 . Die grundsätzliche Frage nach der Möglichkeit einer Freundschaft des Menschen mit Gott ist allerdings schon lange vor Thomas in der philosophischen und theologischen Überlieferung gestellt worden. So taucht der Gedanke der Gottesfreundschaft beispielsweise im Platonismus, im Kynismus und in der Stoa auf 41 . In der Bibel bezeichnet Gottesfreundschaft ein besonderes Vertrauens- und Erwählungsverhältnis zu Gott. So werden z.B. Moses (Ex 33,11) und Abraham (Jes 41,7; Jak 2,23) als Freunde Gottes bezeichnet, und auch Jesus nennt die Jünger seine Freunde (Lk 12,4; Joh 15,13-15). Besonders die Alexandrinische Theologie hat diese Impulse aufgenommen und eine sich in mystischem Erleben oder in radikalem Vollzug christlicher Ethik artikulierende Haltung mit dem Wort,Gottesfreundschaft' bezeichnet 42 . Für das lateinische Mittelalter ist besonders die Schrift des Aelred von Rievaulx (gest. 1167) mit dem Titel D E SPIRITUALI 43 AMICITIA von Bedeutung . Im 13.Jahrhundert haben dann Albertus Magnus, Bonaventura und andere den Begriff der Gottesfreundschaft

39

40 41

42 43

So in Summa Theologiae IIa-IIae 23,5;24,2;25,2.4.10.12;26,1;31,1;44,3 - jeweils im corpus articuli; 27,2 sed contra. Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 501. Vgl. Erik Peterson, Der Gottesfreund, in: ZKG 42 (1923), 161-202, hier 161165. Vgl. aaO, 186-201. Aelred von Rieval, Über die geistliche Freundschaft, Lateinisch-deutsch, ins Deutsche übertragen von Rhaban Haacke, eingeleitet von Wilhelm Nyssen, Trier

238

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

im Zusammenhang mit der caritas-Lehre verwendet 44 , erst bei Thomas wird er jedoch zum festen Bestandteil einer theologischen Gesamtkonzeption durch „die systematische Verwendung dieses Begriffs in der Gnadenlehre" 45 . Im 14.Jahrhundert spielte der Gedanke der Gottesfreundschaft innerhalb der von den mystagogischen Predigten dominikanischer Seelsorger beeinflußten Laienfrömmigkeit eine wichtige Rolle. Neben dem Weltpriester Heinrich von Nördlingen, der in Basel einen Kreis von ,Gottesfreunden' um sich scharte und intensive Kontakte zu mehreren vom Predigerorden betreuten Frauenklöstern im oberdeutschen Raum unterhielt, verdient hier die durch den Kaufmann Rulmann Merswin ins Leben gerufene und maßgeblich von seiner Person geprägte Gesellschaft von , Gottesfreunden' auf dem Grünen Wörth in Straßburg Erwähnung. Merswin, der Tauler als seinen Beichtvater erwähnt 46 , ist vermutlich der Erfinder jenes geheimnisvollen ,Gottesfreundes aus dem Oberland', der lange als Hauptexponent der Bewegung galt 47 . In der Laienfrömmigkeit manifestiert sich das Selbstverständnis der Gottesfreunde häufig in ausgeprägter Weltfeindschaft und verbindet sich mit einem elitären Erwählungsbewußtsein. Bei Thomas begegnet die Einbindung des Freundschaftsgedankens in die caritas-Lehre nicht erst in der SUMMA THEOLOGIAE, sondern bereits im Sentenzenkommentar und, jedenfalls andeutungsweise, in der SUMMA CONTRA GENTILES 4 8 . Die im folgenden zu behandelnden 1 9 7 8 (Occidens. Horizonte des Westens, Band 3); vgl. dazu Richard Egenter, Gottesfreundschaft, 2 0 1 - 2 4 3 . 44

45

Vgl. Heinrich Maria Christmann, Thomas von Aquin als Theologe der Liebe, 25. Richard Egenter, Gottesfreundschaft, 5 2 Anm.

46

Vgl. Merswins Vier anfangende Jahre, in: Philipp Strauch (Hg.), Schriften aus der Gottesfreund-Literatur, Heft 2, Halle 1 9 2 7 , 1-27, hier 5f.

47

So Francis Rapp, Art. Gottesfreunde, in: T R E 14 (1985), 9 8 - 1 0 0 , hier 9 8 ; vgl. auch Manfred Gerwing, Art. Gottesfreunde; Gottesfreundschaft, in: LMA 4 (1989), 1586f. sowie Richard Egenter, Die Idee der Gottesfreundschaft im 14.Jahrhundert, in: Albert Lang/Joseph Lerchner/Michael Schmaus (Hg.), Aus der Geisteswelt des Mittelalters, [Band 2] 1 0 2 1 - 1 0 3 6 .

48

Vgl. Commentum in Quatuor Libros Sententiarum 3 d.27:q.2,l sowie Summa contra Gentiles IV 21f. ( 3 5 7 5 - 3 5 8 3 . 3 5 8 4 - 3 5 9 0 ; bes. 3 5 7 8 f . 3 5 8 5 - 3 5 8 7 ) . In der quaestio disputata D E CARITATE dagegen taucht der Gedanke der Gottesfreundschaft nicht auf. Einen kurzen Vergleich zwischen den teilweise verschiedenen Ansätzen der Verbindung von caritas und amicitia im Sentenzenkommentar und der SUMMA THEOLOGIAE zieht Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 5 0 3 505.

D i e b e a t i t u d o - L e h r e in der SUMMA THEOLOGIAE

239

Ausführungen des Spätwerks sind nicht nur für sein theologisches Denken von großer Bedeutung, sondern veranschaulichen noch einmal die Spezifik seiner Aristoteles-Rezeption: Der Versuch, der Intention des Philosophen gerecht zu werden, ist begleitet, ja umfangen von dem Bemühen, das aristotelische Denken mit der christlichen Lehre zu verbinden. Diese Zielstellung wird in Summa Theologiae j j a j j a e 2 3 ^ exemplarisch deutlich. Grundsätzlich ist festzuhalten, daß sich Thomas für seine Verwendung des Begriffs der Gottesfreundschaft zunächst gar nicht unmittelbar auf Aristoteles bezieht. Er ist ein viel zu guter Kenner der NIKOMACHISCHEN E T H I K , um nicht zu wissen, daß die in den Büchern VIII und IX enthaltene Freundschaftslehre eine Lehre über die zwischenmenschliche Freundschaft ist, die es nur unter Gleichen geben kann, weshalb, wie Aristoteles ausdrücklich feststellt, eine Freundschaft mit Gott überhaupt nicht denkbar ist 49 . Diese prinzipielle Feststellung wird auch durch die spätere Aussage des Aristoteles, nach der der in der θεωρία lebende Mensch von den Göttern am meisten geliebt wird, nicht relativiert50. Denn bei dieser Bemerkung handelt es sich offenbar um eine dem volkstümlichen Denken der Griechen geschuldete Redeweise; die hier genannten Götter haben demnach nichts mit dem unbewegten Beweger zu tun, dessen Grundbestimmung es nach Aristoteles widerspräche, Liebe zu Menschen zu entwickeln. Es ist deshalb durchaus folgerichtig, daß die drei obiectiones in 23,1, die den Freundschaftsgedanken als untauglich für die Charakterisierung der caritas erklären, je ein Aristoteles-Zitat enthalten. Für seine eigene These, nach der dem amicitia-Begriff dennoch eine maßgebliche Bedeutung für ein angemessenes Verständnis der caritas zukommt, stützt sich Thomas auf die Autorität der Heiligen Schrift: Er zitiert Joh 15,15. In diesem Vers aus den johanneischen Abschiedsreden sagt Jesus seinen Jüngern zu, daß er sie nicht mehr als Knechte, sondern als seine Freunde ansieht. Denn dadurch, daß er ihnen alles vollständig mitgeteilt hat, was er vom Vater gehört hat, sind die Jünger nicht mehr einfach nur gehorsam, sondern die Wissens- und Willenskonformität mit Jesus hat einen Zustand zur Folge,

49

όταν γαρ κατ' αξίαν ή φίλησις γίνηται, τότε γίνεται πως ίσότης, δ δή τη? φιλίας είναι δοκεΐ (Aristoteles, N i k o m a c h i s c h e Ethik V i l i 8 [ 1 1 5 8 b 2 7 f . ] ) .

50

ό δε κατά νουν ενεργών καί τοΰτον θεραττεύων καί διακείμενος άριστα και θεοφιλέστατος εοικευ (Aristoteles, N i k o m a c h i s c h e Ethik Χ 9 [ 1 1 7 9 a 2 2 - 2 4 ] ) .

240

D i e beatitudo-Lehre des T h o m a s v o n Aquin

in dem die Herr-Knecht-Struktur durch ein Verhältnis neuer Qualität, nämlich das der Freundschaft, überboten ist. Und diese neue Qualität, so das Argument im sed contra, ist gegründet in der (den Jüngern gnadenhaft mitgeteilten) caritas, weshalb es berechtigt ist, die Gottesliebe unter Heranziehung des Freundschaftsbegriffs zu beschreiben: Ergo caritas est amicitiaS1. Im corpus articuli nimmt Thomas interessanterweise das im sed contra herangezogene Argument zunächst gar nicht auf, obwohl es sich als Grundlage für die Formulierung seiner Position durchaus eignen würde. Statt dessen setzt er bei der aristotelischen Lehre von der (menschlichen) Freundschaft an. Er erinnert an die schon im amor-Traktat referierte Unterscheidung von amor amicitiae und amor concupiscentiae (sive benevolentiae) und betont, daß nur eine mit Wohlwollen (benevolentia) verbundene Liebe als Freundschaft angesprochen zu werden verdient (1). Er hebt darüber hinaus die von Aristoteles betonte Notwendigkeit einer Gegenseitigkeit des Wohlwollens (mutua benevolentia) in der Freundschaft hervor (2), und er stellt schließlich, ebenfalls in Anlehnung an den Philosophen, fest, daß Gegenseitigkeit des Wohlwollens in irgendeiner Form von communicatio zwischen den Freunden gründen muß (3). - Die Frage danach, ob es eine amicitia des Menschen mit Gott geben kann, ist demnach letztlich davon abhängig, ob hinsichtlich des Gott-MenschVerhältnisses eine solche communicatio festzustellen ist. Übersicht 14 führt den Duktus der bisher referierten thomanischen Argumentation sowie die wichtigsten ihr zugrunde liegenden aristotelischen Bezugstexte vor Augen. Erst im zweiten Abschnitts des corpus articuli bringt Thomas seine biblisch gegründeten theologischen Voraussetzungen in die Argumentation ein. Daß hinsichtlich des Gott-Mensch-Verhältnisses tatsächlich von communicatio gesprochen (und von daher auch eine Freundschaft des Menschen mit Gott angenommen) werden kann, begründet er mit der Feststellung, daß Gott uns seine Glückseligkeit mitteilt 52 . Das hier implizierte Gottesbild ist nun offensichtlich nicht

51

52

Vgl. auch den ganzen Zusammenhang: Sed contra est quod loan. 15 dicitur: ,Iam non dicant vos servos, sed amicos meos.' Sed hoc non dicebatur eis nisi ratione caritatis. Ergo caritas est amicitia (Summa Theologiae IIa-IIae 23,1 sed contra). Cum igitur sit aliqua communicatio hominis ad Deum secundum quod nobis suam beatitudinem communicat, super hac communicatione oportet aliquam amicitiam fundari (Summa Theologiae IIMI" 23,1c).

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

241

mehr aristotelisch: Aristoteles denkt das Bezogensein der Welt und des Menschen auf Gott ausschließlich ,νοη unten' - der unbewegte Beweger bewegt nicht aufgrund eigener Aktivität, sondern als Ziel aller immer schon auf ihn gerichteten Weltfinalität - als έρώμενον53. Für den in Schöpfung und Geschichte handelnden Gott der biblischchristlichen Tradition ist dagegen weit- und menschenbezogene ,Eigentätigkeit' geradezu konstitutiv. Die neuplatonische Lehre vom bonum diffusivum sui machte es allerdings möglich, das christliche mit dem aristotelischen Gottesbild zu verbinden. Die Einzelheiten des thomanischen Gottesbegriffs sind hier freilich nicht zu verhandeln; es geht lediglich darum, zu zeigen, daß sich Thomas, bei allem Aristotelismus seines Freundschaftsverständnisses, bei der Begründung des für den Gedanken der Gottesfreundschaft so wichtigen Begriffs einer Gott-Mensch-communicatio gerade nicht auf Aristoteles stützt, sondern aus einer spezifisch christlichen Perspektive argumentiert, für die das auf die Schöpfung insgesamt und auf den Menschen als imago Dei in besonderer Weise ausgerichtete Heilshandeln Gottes entscheidend ist, ein Heilshandeln, dessen Realisierung seitens der creatura rationalis Thomas in Summa Theologiae II thematisiert. Wie Thomas das Handeln Gottes an der Schöpfung konkret versteht, wird am besten deutlich, wenn man sich die Bedeutungsbreite des hier bislang unübersetzt gebliebenen Wortes ,communicatio' vor Augen führt. Als Ausgangspunkt dafür dienen die eingehenden, durch zahlreiche Belege gestützten Erläuterungen bei Christmann, die Schockenhoff zusammengefaßt wiedergegeben hat 5 4 . An erster Stelle (1) ist der aktiv-dynamische Bedeutungsgehalt des communicatioBegriffs zu nennen, der sich mit dem deutschen Wort Mitteilung am besten wiedergeben läßt: Dem Adressaten wird von einem anderen her etwas zuteil, das in seine ontologische Verfaßtheit eingeht. Darüber hinaus (2) kann ,communicatio' auch statisch verstanden werden, als die infolge der geschehenen Mitteilung entstandene seinshafte Gemeinsamkeit, durch die der Adressat mit dem Urheber der Mitteilung verbunden ist, eine Bedeutung, die der des Wortes ,similitudo' nahesteht. Schließlich (3) kann ,communicatio' auch im sozialen Sinn verstanden werden, als die sich aus der Gemeinsamkeit 53

54

κινεί δε ώς έρώμενον, κινούμενον δε τάλλα κινεί (Aristoteles, Metaphysik XII 7 [1072b3f.]). Vgl. Thomas von Aquin, Die Liebe (Summa Theologiae IIa-IIae 23-33), übersetzt und kommentiert von Heinrich Maria Christmann, 3 3 4 - 3 3 9 sowie Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 507Í.516-518.

242

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

ergebende Gemeinschaft, eine Bedeutung, die dem aristotelischen Verständnis von κοινωνία am ehesten entspricht und im Lateinischen auch mit Worten wie ,societas' oder ,conversado' wiedergegeben werden kann. Die communicatio des Menschen mit Gott besteht also nach Thomas unter den Voraussetzungen christlicher Theologie darin, daß Gott uns seine beatitudo mitteilt, quod nobis suam beatitudinem communicat (1), ein Vorgang, infolge dessen wir an der beatitudo Dei teilhaben (2) und gemeinschaftlichen Umgang mit Gott und den Engeln pflegen können (3), wie in 23,ladl ausdrücklich festgehalten wird . Unter der communicatio beatitudinis, von der Thomas hier spricht, ist nichts anderes zu verstehen als der den Menschen betreffende Spezialfall jener communicatio perfectionis sive bonitatis, von der bereits in der Schöpfungslehre die Rede war 56 . Allerdings wird der so gegebene Gottesbezug jetzt ausdrücklich christologisch qualifiziert. Schon das im sed contra zitierte Wort Jesu aus Joh 15,15 hatte deutlich gemacht, daß es der Sohn ist, in dem uns Gott die Freundschaft zusagt. Durch die Heranziehung des Schlußverses aus dem Proömium des ersten Korintherbriefs (I Kor 1,9) im corpus articuli wird abermals betont, daß Gott den Menschen seine beatitudo in Christus mitteilt, weshalb es die (freundschaftliche) Gemeinschaft mit Christus ist, in die wir von Gott gerufen sind57. Auf die Christusbezogenheit des thomanischen Denkens, die sich auch in dieser Konkretisierung des göttlichen Heilshandelns zeigt, wurde bereits bei der Behandlung des Prologs zu Summa Theologiae II hingewiesen. Durch sein Geschaffensein ad imaginem Dei ist der Mensch auf die imago Dei perfecta orientiert, also auf Christus, in dessen Person der Heilswille Gottes offenbar wird. Da sich diese Orientierung nach Thomas unter irdischen Bedingungen in einem möglichst weitgehend von der caritas durchdrungenen Leben realisiert, ist es nur konsequent, daß

55

56

57

secundum hatte vitam (= secundum vitam spiritualem, R.L.) est nobis conversatio et cum Deo et cum angelis. In praesenti quidem statu imperfecte ... Sed ista conversatio perficietur in patria (Summa Theologiae IIa-IIae 2 3 , l a d l ) . (Deus) intendit... communicare suum perfectionem, quae est eius bonitas (Summa Theologiae I 44,4c). Cum igitur sit aliqua communicatio hominis ad Deum secundum quod nobis suam beatitudinem communicat, super hac communicatione oportet aliquam amicitiam fundari. De qua quidem communicatione dicitur I ad Cor. 1:,Fidelis Deus, per quem vocati estis in societatem Filii eius' (Summa Theologiae IIa-IIae 23,1c).

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

243

er die der caritas zugrunde liegende communicatio beatitudinis ausdrücklich an Christus bindet. Die in dieser Weise von Gott her auf den Menschen gerichtete communicatio begründet, so Thomas weiter, notwendigerweise eine Freundschaft zwischen den sonst völlig ungleichen Partnern, ist doch damit die nach Aristoteles für das Zustandekommen von Freundschaft entscheidende Forderung erfüllt: super hac communicatione oportet aliquam amicitiam fundari58. Im Anschluß an diese Feststellung identifiziert er den solcher Freundschaft entsprechenden amor (der, weil es sich um Freundschaft handelt, ein amor amicitiae sein muß) mit der caritas: Amor autem super hac communicatione fundatus est caritas59. Erst aufgrund dieser Identifikation kann der Zusammenhang zwischen aristotelischer Freundschaftslehre und christlicher Gottesliebe ausdrücklich hergestellt werden: Unde manifestum est quod caritas amicitia est quaedam hominis ad Deum60. Für den Umgang mit Aristoteles ist bezeichnend, daß Thomas die Bedingungen, unter denen die Freundschaftslehre des Philosophen steht, zwar im Grundsatz akzeptiert, daß er aber bezüglich der Erfüllung dieser Bedingungen, so scheinbar zwanglos er sie in 23,1 konstatiert, den Rahmen des aristotelischen Denkens entschieden sprengt und sich allein an den Aussagen der christlichen Theologie orientiert: „Das Zueinander der Begriffskoordinaten der aristotelischen Analyse ist geblieben, aber die Achse, um die alles gruppiert ist, wendet sich aus der Waagerechten auf und ragt nun steil nach oben" 61 . Durch diese .Vertikalisierung' der Intention des Philosophen wird aber dessen Lehre von der menschlichen Freundschaft nicht relativiert oder gar ad absurdum geführt. Vielmehr ist sie in ihrer prinzipiellen Richtigkeit bestätigt und erfährt sogar eine Erweiterung ihres 58

59 60 61

Ebd.; vgl. dazu die - etwas barocken aber präzisen - Formulierungen bei Schockenhoff: „Die theologische Tugend der Liebe, die Gottesfreundschaft des begnadeten Menschen verwirklicht sich in der Tat auf der Ebene der .Gleichheit', wie sie Aristoteles von jeder Freundschaft fordert, aufgrund einer Proportion und Angemessenheit in der durch göttliche Initiative gemeinsamen Würde beider Partner, die der Philosoph nicht hat erahnen noch auch nur von ferne schauen können, da das Wissen um das, was Gott den ihn Liebenden bereitet, nicht in der aufsteigenden Linie des Denkens erschlossen, sondern nur in der Selbstmitteilung der göttlichen Liebe dem Menschen offenbart und in sein Herz hinabgesenkt werden kann" (Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 515). Summa Theologiae IIa-IIae 23,1c Ebd. Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 516.

244

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Relevanzbereichs, indem sie nun auch zur Beschreibung des christlich verstandenen Verhältnisses von Gott und Mensch herangezogen wird. Daß Thomas sowohl hier als auch an allen anderen Stellen im caritas-Traktat, an denen er sich auf 23,1 zurückbezieht, nicht einfach von einer amicitia hominis ad Deum redet (wie im sed contra), sondern immer nur von einer amicitia quaedam, hängt zweifellos damit zusammen, daß er sich darüber im klaren war, daß die übernatürliche Freundschaft des Menschen mit Gott wegen dessen gänzlicher Verschiedenheit von allem Geschaffenen auch etwas gänzlich anderes ist als jede noch so vollkommene Freundschaft im irdischmenschlichen Bereich, weshalb das Wort .amicitia' als Charakterisierung einer Beziehung zwischen Mensch und Gott nur analog verwendet werden kann. Die gerade erwähnte Erweiterung des Relevanzbereichs der aristotelischen Freundschaftslehre steht also unter den spezifischen Bedingungen der theologischen Analogie. Das mit diesem Stichwort angesprochene Thema kann hier freilich nicht eingehend behandelt werden; wegen seiner Bedeutung für die thomanische Bestimmung der caritas als amicitia quaedam ist eine kurze Erwähnung jedoch unerläßlich. Daß Thomas die caritas lediglich als amicitia quaedam bestimmt, ist zunächst von der im sed contra angeführten Stelle Joh 15,15 her nicht naheliegend. Jesus nämlich redet in diesem Vers die Jünger ganz direkt und ohne Einschränkung als seine Freunde an. Die zurückhaltendere Formulierung im corpus articuli hängt demnach mit der hier erfolgten Einbindung der Freundschaftslehre des Philosophen in den caritas-Begriff zusammen. Würde nämlich der aristotelische φιλίαGedanke im univoken Sinne auf das von der caritas getragene Verhältnis des Menschen zu Gott angewandt, führte dies zu Konsequenzen, die dem christlichen Verständnis von Gottesliebe nicht entsprechen: Der lediglich auf zwischenmenschliche Verhältnisse anwendbare Freundschaftsbegriff des Philosophen wäre nicht geeignet, im Kontext einer theologischen Rede von einer amicitia hominis ad Deum auch die unendliche Seinsdifferenz mit zum Ausdruck zu bringen, die zwischen Gott als Schöpfer auf der einen und dem Menschen als Geschöpf auf der anderen Seite besteht. Noch wichtiger ist jedoch ein anderer Aspekt. Wie in 2.4.3.1 festgehalten wurde, steht im Mittelpunkt der aristotelischen Freundschaftslehre stets die Selbstvervollkommnung des tugendhaften Menschen, in dessen Philautie alle Sittlichkeit gründet. Am Beispiel von Summa Theologiae I a -II ae 28,3 konnte gezeigt werden, daß sich der thomanische Begriff des amor amicitiae von seinem aristotelischen Analogon, der amicitia

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245

honesta, durchaus unterscheidet, weil bei Thomas die Freundschaftsliebe in einer für den Philosophen so gar nicht denkbaren Weise ekstatisch gedacht wird. Der amore amicitiae Liebende macht nicht um seiner ευδαιμονία, sondern um des Freundes selbst willen dessen Sache zu der seinen. Weil gerade angesichts der Identifizierung von amor amicitiae und caritas diese wichtige Differenz bestehen bleiben muß, kann Thomas die in Joh 15,15 ausgesprochene direkte Gleichsetzung von Freundschaft und Gottesliebe nicht aufnehmen - das caritas est amicitia im sed contra wird deshalb im corpus articuli durch die vorsichtigere Formulierung ersetzt: caritas amicitia est quaedam hominis ad Deum. An die Stelle einer univoken Verwendung von ,amicitia' tritt der analoge Gebrauch dieses Wortes: Die Freundschaftslehre des Aristoteles mag dafür geeignet sein, die Willensverfassung des Menschen in statu caritatis zu verdeutlichen; größer als alle Ähnlichkeit ist jedoch die Unähnlichkeit zwischen der christlichen Gottesliebe und der aristotelischen amicitia honesta. Die letzten Bemerkungen erlauben eine Präzisierung dessen, was bisher über die Relevanz des aristotelischen Denkens für die thomanische Liebeslehre gesagt wurde. Eine eudämonistische Deutung des thomanischen Liebesbegriffs, deren zentrales Argument die Integration der aristotelischen Freundschaftslehre bildet, unterschätzt, so wurde bereits festgestellt, die Bedeutung des theologischen Gesamtzusammenhangs, innerhalb dessen die Unterscheidung von amor amicitiae und amor concupiscentiae in der S U M M A T H E O L O G I A E begegnet, und sie überschätzt dementsprechend die Relevanz der aristotelischen Freundschaftslehre für das thomanische Liebesverständnis. Dies bedeutet zugleich, so läßt sich jetzt darüber hinaus sagen, daß eine solche Interpretation die gerade festgestellte analoge Verwendung des aristotelischen φιλία/amicitia-Gedankens durch Thomas nicht hinreichend berücksichtigt. Diese Einsicht entspricht übrigens der in 1.2 erwähnten Erkenntnis von Pesch, nach der die thomanische Lehre von der Gnade als einem habitus bzw. einer qualitas animae keineswegs eine philosophische Überfremdung des christlichen Heilsgeschehens zum Ausdruck bringt, sondern analog zu verstehen ist, im Sinne einer anthropologischen Erhellung des neuen Seins, das dem Menschen in der Gottesgemeinschaft geschenkt ist - eine Feststellung, die zweifellos auch auf die Charakterisierung der caritas als amicitia quaedam zutrifft (vgl. S.35). Das schon mehrfach bemerkte theologisch motivierte Interesse des Thomas an einer eingehenden Berücksichtigung der menschlichen Handlungsstrukturen im Zusammenhang seiner Darstellung des

246

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Heilsgeschehens kommt auch in Summa Theologiae II a -II ae 2 3 , 2 zum Ausdruck, wo er die caritas als etwas Geschaffenes in der Seele bestimmt. Mit dieser These bezieht er dezidiert Stellung gegen die von Petrus Lombardus vertretene Lehre, nach der der in der caritas vom Menschen ausgehende motus dilectionis unmittelbar vom Heiligen Geist stammt und nicht als in einem habitus gegründeter menschlicher Eigenvollzug zu gelten hat 6 2 . Thomas würdigt zwar das Bestreben des Magisters, die Besonderheit der caritas gegenüber den anderen theologischen Tugenden zum Ausdruck zu bringen 6 3 . Solche excellentia der Gottesliebe wird auch von ihm keineswegs bestritten, vielmehr hebt er sie in Summa Theologiae II a -IP e 2 3 , 6 - 8 selbst mit Nachdruck hervor: Die caritas ist aufgrund ihrer unmittelbaren Ausrichtung auf Gott selbst die größte aller Tugenden (Artikel 6); weil sie die Akte aller anderen Tugenden auf das Letztziel ausrichtet, kann es ohne sie überhaupt keine wahre Tugend geben (Artikel 7), weshalb sie mit Recht als forma virtutum gelten kann (Artikel 8). Anstoß nimmt Thomas aber an der Weise, in der Petrus Lombardus sein berechtigtes Anliegen umsetzt. Der entscheidende Kritikpunkt bezieht sich darauf, daß eine unmittelbare Rückbindung des motus dilectionis an den Heiligen Geist als Verursacher dem Wesen der Liebe widersprechen würde, ist diese doch dadurch bestimmt, daß sich der Liebende aus sich selbst heraus dem Geliebten zuwendet. D a ß menschliche Gottesliebe durch die Eingießung des Heiligen Geistes verursacht wird 6 4 , kann deshalb nicht bedeuten, daß der Mensch als Ursprung der Liebesbewegung völlig ausscheidet, sondern ist so zu verstehen, daß die voluntas humana durch den Heiligen Geist dazu befähigt wird, aus sich selbst heraus Akte der Gottesliebe 62

Magister... ponit... quod iste motus dilectionis est a Spiritu Sancto non mediante aliquo habito (Summa Theologiae II a -II ae 2 3 , 2 c ) ; vgl. dazu Petrus Lombardus, Sententiarum Libri Quatuor I distinctio 1 7 , 1 : Dictum quidem est supra et sacris auctoritatibus ostensum, quod Spiritus sanctus amor est Patris et Filii, quo se invicem amant et nos. His autem addendum est quod ipse idem Spiritus sanctus est amor sive Charitas, qua nos diligimus Deum et proximum; quae charitas cum ita est in nobis ut nos faciat diligere Deum et proximum, tunc Spiritus sanctus dicitur mitti vel dari nobis ( M P L 1 9 2 , 5 6 4 ) . Über die Gnadenlehre des Lombarden und ihre kontroverse Rezeption im Mittelalter informiert Johann Schupp, Die Gnadenlehre des Petrus Lombardus, Pfullendorf (Baden) 1 9 3 2 , zugl. Diss. Freiburg i. Br. 1 9 3 2 , 2 1 6 - 2 4 2 .

63

Et hoc dicebat propter

64

In Summa Theologiae II a -II ae 2 4 , 2 c wird - unter Berufung auf R o m 5 , 5 (zitiert im sed contra) - ausdrücklich die infusio Spiritus Sancti als Ursache der menschlichen Gottesliebe bestimmt.

excellentiam

caritatis (Summa Theologiae II a -IF e 2 3 , 2 c ) .

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247

zu setzen65. Von daher ergibt sich die Notwendigkeit einer zwar das natürlichen Vermögen übersteigenden, aber dennoch dem Menschen zugehörigen (und damit geschaffenen) Disposition, kraft derer er aus sich selbst heraus actus caritatis vollziehen kann66. Es ist durchaus kein Zufall, daß die Unabdingbarkeit einer den actus dilectionis zugrunde liegenden forma habitualis im Namen der menschlichen Willensfreiheit behauptet wird67. Diese „Verschränkung von Freiheit und Liebe als neue Sinnspitze"68 der Argumentation bestätigt vielmehr die schon bei der Behandlung des Prologs zu Summa Theologiae II getroffene Feststellung, daß die Notwendigkeit einer vom Menschen ausgehenden Entsprechung zum göttlichen Heilshandeln nach Thomas theologisch begründet ist: Weil der Mensch als imago Dei selbsttätig handelt69, müssen auch jene Handlungen, die ihm nur mit Hilfe der Gnade möglich sind, als die seinen angesprochen werden können. Hier liegt die theologische Legitimationsbasis für die umfassende Rezeption der aristotelischen Ethik - weil der Mensch auch die nur durch Gottes Gnade möglichen Handlungen selbst zu vollziehen hat, muß der ultimus finis humanae vitae anhand der humanen Handlungsstrukturen bestimmbar sein, die von Aristoteles so umfassend analysiert worden sind. Im folgenden soll, sowohl auf der Grundlage des oben dargestellten caritas-Verständnisses bei Thomas als auch anknüpfend an die zuletzt getroffenen Feststellungen zur Bedeutung der aristotelischen Ethik für sein Denken, noch einmal die Frage nach dem Eudämonismus der thomanischen beatitudo-Lehre aufgeworfen und abschließend beantwortet werden, wobei, wie schon angekündigt, das Problem der Selbstliebe zu berücksichtigen ist.

65

Non enim motus caritatis ita procedit a Spiritu Sancto movente humanam mentent, quod humana mens sit mota tantum et nullo modo sit principium huius motus ... Sed oportet quod sic voluntas moveatur a Spiritu Sancto ad diligendum quod etiam ipsa sit efficiens hunc actum (Summa Theologiae IIa-IIae 23,2c).

66

Unde maxime necesse est quod ad actum caritatis existât in nobis aliqua habitualis forma superaddita potentiae naturali, inclinans ipsam ad caritatis actum (ebd.).

67

Hoc (die Lehre des Lombarden, R.L.) enim est contra rationem voluntarii, cuius oportet principium in ipso (= in homine, R.L.) esse ... Sic enim (wenn der menschliche Wille rein werkzeuglich vom Heiligen Geist zum Liebesakt bewegt würde, R.L.) etiam tolleretur ratio voluntarii, et excluderetur ratio meriti (ebd.).

68

Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 521. suorum operum principium, quasi liberum arbitrium habens et suorum potestatem (Summa Theologiae Ia-IIae prol).

69

operum

248

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Karl Holl hat den von Thomas im caritas-Traktat mehrfach formulierten Zusammenhang zwischen Gottesliebe und Glückseligkeitserlangung so interpretiert, als wende sich der Mensch Gott in der caritas letztlich um der Erlangung seiner eigenen beatitudo willen zu (vgl. 1.2; bes. S.20f.;27). Geht man aber von dem Befund aus, der sich aus der oben vollzogenen Analyse von Summa Theologiae IIaIIae 23,1 ergibt, und betrachtet man überdies das hier begegnende caritas-Verständnis im Gesamtzusammenhang von Summa Theologiae II, dann erweist sich eine solche Deutung als unhaltbar. Denn es ist nicht zu übersehen, daß der actus caritatis hominis nach Thomas gerade nicht in einem Defizienzempfinden gründet. Nicht das desiderium beatitudinis sive perfectionis gilt als das Motiv der Gottesliebe, sondern ihre Basis ist die communicatio beatitudinis, die dem Menschen von Gott her gewährte (irdisch noch unvollkommene) Teilhabe an der beatitudo aeterna Dei. Zugespitzt gesagt: Was nach Holl in der caritas erst intendiert wird, muß für Thomas schon gegeben sein, damit menschliche Gottesliebe möglich wird. - Die caritas kann nicht eudämonistisch interpretiert werden, weil die Teilhabe an der Eudämonie Gottes nicht ihr Motiv, sondern ihr ontologischer Ermöglichungsgrund ist. Zwei Aspekte des thomanischen caritas-Verständnisses sind geeignet, diese Interpretation zu untermauern. 1. Die Begründung für die Priorität der Gottesliebe gegenüber den anderen theologischen Tugenden. Thomas thematisiert das Verhältnis der virtutes theologicae untereinander zum ersten Mal in Summa Theologiae Ia-IIae 62,4. Hier werden, wie später auch im Vergleich zwischen caritas und spes (Summa Theologiae IIa-IIae 17,8), ordo generationis und ordo perfectionis unterschieden. Dabei stellt Thomas fest, daß die Priorität der Gottesliebe nur hinsichtlich des ordo perfectionis gilt. Es ist deshalb konsequent, wenn in Summa Theologiae IIa-IIae 4,7 der Glaube (fides) als erste der Tugenden (prima inter virtutes) bezeichnet wird. Denn die Unterscheidung zwischen ordo perfectionis und ordo generationis ist an dieser Stelle gar nicht erwähnt, doch der Sache nach schränkt Thomas seine Betrachtung auf den ordo generationis ein. In Summa Theologiae IIa-IIae 23,6 verzichtet er ebenfalls darauf, die genannte Unterscheidung aufzunehmen, doch geht aus der Argumentation eindeutig hervor, daß die Frage nach der excellentia caritatis hier hinsichtlich des ordo perfectionis untersucht wird. Die obiectiones in 23,6 zielen darauf, die Exzellenz des Glaubens (obiectio 1.2) bzw. der Hoffnung (obiectio 3) gegenüber der caritas

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

249

zu erweisen. Von daher ist klar, daß es lediglich um das Verhältnis der theologischen Tugenden untereinander geht, eine Feststellung, die sich auch aus dem im sed contra zitierten zweiten Halbvers von I Kor 13,13 ergibt, werden doch von Paulus im ersten Halbvers auch nur fides, spes und caritas genannt. Dennoch unternimmt es Thomas im corpus articuli, den prinzipiellen Vorrang der theologischen gegenüber den moralischen und verstandhaften Tugenden noch eigens zu begründen: Die menschlichen Handlungen folgen einer doppelten Regel, nämlich zum einen der menschlichen Vernunft und zum anderen Gott. Gott gilt als regula prima, an der die ratio humana als regula secunda ausgerichtet werden muß. Weil diejenigen Handlungen erhabener sind, die der höheren von beiden Regeln gerecht werden, kommt jenen Tugenden der Vorrang zu, die den an der regula prima orientierten Handlungen zugrunde liegen 70 . Was das Verhältnis der auf Gott bezogenen Tugenden untereinander betrifft und dies ist das eigentliche Problem des Artikels - , so gilt entsprechend, daß diejenige als bedeutendste gelten kann, die am meisten an Gott heranreicht 71 . Um dies entscheiden zu können, muß nach Thomas gefragt werden, in welcher der theologischen Tugenden der Gottesbezug uneingeschränkt, also ohne ein ihm äußerliches Motiv, verwirklicht ist. Stets nämlich ist das, was an sich (per se) besteht, mehr als das, was aufgrund eines anderen (per aliud) besteht. Die Antwort ist klar: Fides und spes reichen zwar an Gott heran, aber nur insofern, als Gott der Ursprung unserer Wahrheitserkenntnis und der Erlangung unseres bonum ist. Die caritas dagegen reicht an Gott selbst heran, um bei Ihm Selbst zu bleiben, nicht aber, weil uns von ihm etwas zukommt 72 . Wie schon in Summa Theologiae I a -II ae 26,4 der Vorrang des amor amicitiae gegenüber dem amor concupiscentiae damit begründet wurde, daß in der Freundschaftsliebe schlechthin und an sich (simpliciter et per se) geliebt wird, weil Motiv und Objekt der Liebe identisch sind, so wird in Summa Theologiae II a -II ae 23,6 die excellentia caritatis damit begründet, daß nur in dieser 70

71

72

Et ideo virtutes theologicae, quae consistunt in attingendo illam régulant primant, eo quod earum obiectum est Deus, excellentiores sunt virtutibus moralibus vel intellectualibus, quae consistunt tn attingendo rationem humanam (Summa Theologiae HMI ae 23,6c). Propter quod oportet quod etiam inter ipsas virtutes theologicas ilia sit potior quae magis Deum attingit (ebd.). Fides autem et spes attingunt quidem Deum secundum quod ex ipso proventi nobis vel cognitio veri vel adeptio boni: sed caritas attingit ipsum Deum ut in ipso sistat, non ut ex eo aliquid nobis proveniat (ebd.).

250

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Tugend Gott selbst sowohl das geliebte Objekt als auch das intendierte Gut ist, während bei fides bzw. spes auf dem ,Umweg' über den Gottesbezug aliquid nobis intendiert wird, nämlich die cognitio veri bzw. die adeptio boni. Anders ausgedrückt: caritas tendit in ultimum finem sub ratione finis ultimi; quod non conventi alicui alii virtuti73. Weil durch diese für die caritas charakteristische Identität von Objekt und Motiv auch die Differenz von bonum divinum und bonum privatum aufgehoben ist, wird der Vorwurf des Eudämonismus zwangsläufig obsolet, weil er gerade von der Konkurrenz zwischen diesen beiden Gütern ausgehen muß. Diese Interpretation bestätigt auch die in 1.3 erwähnte Deutung, die Geiger in Auseinandersetzung mit der Auffassung Rousselots entwickelt hat: Die Möglichkeit eines amour désintéressé beruht nicht auf einer nachträglichen und wieder eudämonistisch interpretierbaren Unterordnung des Eigenguts unter das Allgemeingut, sondern sie gründet in der konstitutiven Bezogenheit des appetitus intellectivus auf das bonum commune. Die als amor amicitiae verstandene Gottesliebe beschreibt Thomas als ein Bezogensein des Menschen auf Gott, das deshalb nicht vom Streben nach Erreichung eines bonum privatum bestimmt sein kann, weil es in einer communicatio beatitudinis aeternae gründet, in deren Folge sich der Liebende Gott in allem unterwirft 74 , wodurch an die Stelle der Differenz zwischen dem Willen Gottes und dem des Menschen eine unio quaedam hominis ad Deum tritt 75 . 2. Substantielle Identität von diesseitiger und eschatologischer caritas. Thomas stellt ausdrücklich fest, daß die caritas die einzige der Tugenden ist, die sich numerisch ins Jenseits hinein durchhält, weil ihr schon jetzt eine quasi eschatologische Vollkommenheit zukommt. Ein von der caritas geprägtes Leben ist nur biographisch' noch dem Pilgerstand zuzurechnen, ,ethisch' gehört es bereits dem Eschaton an, es ist jedenfalls in dieser Hinsicht in der beatitudo perfecta nicht mehr zu überbieten. Auch hier unterscheidet sich die Gottesliebe nachhaltig von fides und spes. Der Glaube, dem die imperfectio cognitionis anhängt und der deshalb mit der in der 73 74

75

Summa Theologiae II a -II ae 2 6 , l a d l . (ratio propria caritatis) consistit in hoc quod Deus diligatur super omnia, et quod homo totaliter se Uli subiicat omnia sua referendo in ipsum. Est igitur de ratione caritatis ut sic diligat Deum quod in omnibus velit se ei subiicere (Summa Theologiae II a -II ae 24,12c). caritas importât unionem quandam ad Deum: non autem fides ñeque spes (Summa Theologiae II a -II ae 24,12ad5).

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eschatologischen beatitudo gegebenen perfectio hominis nicht zusammen bestehen kann, wird durch die visio divinae essentiae ersetzt, in der die beatitudo perfecta besteht 7 6 . A u c h die H o f f n u n g , die bei T h o m a s als Bewegung auf etwas noch nicht Gehabtes (quod non habetur) aufgefaßt ist, kann nicht weiter bestehen, wenn das erstrebte Ziel erreicht wird (quando habebitur), w a s in statu gloriae der Fall ist 7 7 ; sie wird durch die comprehensio finis ersetzt 7 8 . Für die höchste der theologischen Tugenden gilt dagegen: Caritas nunquam excidit79. Die Liebe nämlich kann sich sowohl auf etwas Gehabtes als auch auf etwas (noch) nicht Gehabtes, sowohl auf etwas Geschautes als auch auf etwas (noch) nicht Geschautes richten 80 . Während zwischen der fides und ihrem eschatologischen Analogon, der visio, ebenso eine qualitative Differenz besteht wie zwischen spes und comprehensio, ist die Caritas viae von der caritas patriae lediglich quantitativ verschieden: Die Differenzen zwischen caritas viae und caritas patriae betreffen nicht die Substanz dieser T u g e n d 8 1 , sondern beziehen sich

76

Manifestum est autem quod perfectum et imperfectum non possunt simul esse secundum idem ... Fides autem in sui ratione habet imperfectionem quae est ex parte subiecti, ut scilicet credens non videat id quod credit: beatitudo autem de sui ratione habet perfectionem ex parte subiecti, ut scilicet beatus videat id quo beatificatur ... Unde manifestum est quod impossibile est quod fides maneat

simul cum beatitudine in eodem subiectu (Summa Theologiae Ia-IIae 67,3c); vgl. auch Summa Theologiae IIa-IIae 4,4adl: oportet quod, adveniente perfecto, imperfectum excludatur: sicut, adveniente aperta visione, excluditur fides. 77

Spes autem importât motum quendam in id quod non habetur... Et ideo quando habebitur id quod speratur, scilicet divina fruitio, iam spes esse non poterit

(Summa Theologiae Ia-IIae 67,4c); vgl. auch Summa Theologiae IIa-IIae 18,2c: subtracto eo quod dat speciem rei, solvitur species, et res non potest eadem remanere ... Spes autem recipit speciem a suo obiecto principali ... Obiectum autem principale eius est beatitudo aeterna secundum quod est possibilis haberi ex auxilio divino ... Quia ergo bonum arduum possibile non cadit sub ratione spei nisi secundum quod est futurum, ideo, cum beatitudo iam non fuerit futura sed praesens, non potest ibi esse virtus spei. Et ideo spes, sicut et fides, evacuatur in patria, et neutrum eorum in beatis esse potest. 78

79 80

81

Zur Ersetzung der spes durch die comprehensio vgl. das in 2.4.1.4 (S.203f.) zu Summa Theologiae Ia-IIae 4,3 Gesagte sowie Übersicht 15. I Kor 13,8a; von Thomas zitiert in Summa Theologiae Ia-IIae 67,6 sed contra. Caritas autem est amor; de cuius ratione non est aliqua imperfectio: potest enim esse et habiti et non habiti, et visi et non visi. Unde caritas non evacuatur per gloriae perfectionem, sed eadem numero manet (Summa Theologiae I a -II ae 67,6c). imperfectio caritatis per accidens se habet ad ipsam: quia non est de ratione amoris imperfectio. Remoto autem eo quod est per accidens, nihilominus remanet substantia rei. Unde, evacuata imperfectione caritatis, non evacuatur ipsa caritas

(Summa Theologiae Ia-IIae 67,6adl).

252

Die beatitudo-Lehre des T h o m a s von Aquin

beispielsweise auf die Möglichkeiten von augmentum, diminuitio oder amissio caritatis, die in Summa Theologiae II a -II ae 24,4-12 eingehend behandelt werden. Daß der caritas bereits unter den Bedingungen dieses Lebens eine für fides und spes unerreichbare perfectio zukommt, kam bereits in Summa Theologiae I a -II ae 4,4 zum Ausdruck, jenem Artikel, auf dessen Bedeutung für die caritas-Lehre schon hingewiesen wurde (vgl. S.204f.). Thomas bestimmt an dieser Stelle die rectitudo voluntatis als Erfordernis für die Erlangung der beatitudo - sowohl antecedenter als auch concomitanter: Ohne die vorgängige Rechtheit des Willens könnte die beatitudo gar nicht erreicht werden, und durch die in der adeptio beatitudinis gegebene cognitio perfecta ist ohnehin nur noch eine gänzlich an Gott orientierte Willensverfassung möglich. In Übersicht 15 ist dieser Zusammenhang verdeutlicht. Es ergibt sich: Weil die caritas viae als vorgängige rectitudo (bzw. perfectio) voluntatis bereits unter den Bedingungen einer noch nicht erlangten beatitudo (= unter den Bedingungen der cognitio imperfecta finis) grundsätzlich so orientiert ist, wie sie es auch angesichts der eschatologischen Gottesschau sein wird, ist eine eudämonistische Motivation per definitionem ausgeschlossen. Was für die Willensverfassung des Menschen angesichts der visio divinae essentiae gilt, muß nämlich im Prinzip schon auf die caritas viae zutreffen. Wenn Thomas sagt, daß die Willensintention dessen, der Gott schaut, notwendigerweise der .objektiven Wertordnung' entspricht, indem er alles, was er liebt, unter Hinordnung auf Gott liebt 82 , so gilt dies ebenso für die Willensintention dessen, der Gott zwar (noch) nicht schaut, aber infolge der infusio caritatis so auf ihn bezogen ist, als schaute er ihn schon - der Unterschied liegt nur darin, daß der vorgängigen rectitudo voluntatis die Notwendigkeit der die Gottesschau begleitenden Willenskonformität fehlt, weil sich diese Notwendigkeit erst aus dem Vollzug der eschatologischen visio ergibt. Eine eudämonistische Interpretation der caritas ist also, so kann abschließend gesagt werden, deshalb unangemessen, weil diese nach Thomas eine Willenskonformität mit Gott impliziert, aufgrund derer die im Eudämonismus-Vorwurf notwendig vorausgesetzte Konkurrenz zwischen dem Willen Gottes und dem des Menschen gar nicht denkbar ist. Dieses Verständnis der caritas hatte ihn ganz offensichtlich auch zur Einbeziehung des amicitia-Begriffes bewogen, ist doch 82

voluntas videntis Dei essentiam, ex necessitate amat quidquid amat, sub ordine ad Deum (Summa Theologiae I a - I I " 4,4c).

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

253

nach Joh 15 die Wissens- und Willenskonformität mit den Jüngern für Jesus der Anlaß, sie seine Freunde zu nennen 83 . Zu ergänzen ist diese Feststellung allerdings dahingehend, daß die Konformität des menschlichen mit dem göttlichen Willen von Thomas erst eschatologisch als eine vollständige .Gleichschaltung' aufgefaßt wird 84 , in diesem Leben dagegen, wie es in Summa Theologiae jja jjae 26,7ad2 heißt, als eine proportionale Ähnlichkeit: caritas facit hominem conformavi Deo secundum proportionem. Wie schon in Summa Theologiae Ia-IIae 19,10, einem Text, der mit dem gerade zitierten in einem sachlichen Zusammenhang steht 85 , grenzt sich Thomas nachdrücklich gegen ein Verständnis von Sittlichkeit ab, das nur die völlige Identität von menschlichem und göttlichem Willen als gut gelten läßt. Seine Forderung einer proportionalen Ähnlichkeit besagt dagegen, daß sich der Mensch zu dem, was sein ist, so verhalten soll wie Gott zu dem, was Gottes ist - ein Ansatz, der materiale Differenzen zwischen göttlichem und menschlichem Willen durchaus gelten läßt 86 . Denn indem der Mensch sein bonum particulare verfolgt, handelt er in Entsprechung mit dem Willen Gottes, auf den die dem Menschen eigentümliche apprehensio particularis boni zurückgeht - er will damit daß, von dem Gott will, daß er es will87. Die 83

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87

Dies ist oben bereits hervorgehoben worden und sei hier nochmals anhand eines Abschnitts aus der SUMMA CONTRA GENTILES illustriert: Est autem hoc amicitiae proprium, quod amico aliquis sua secreta revelet. Cum enim amicitia coniunget affectus, et duorum faciat quasi cor unum, non videtur extra cor suum aliquis illud protulisse quod amico revelat: unde et Dominus dicit discipulis, IOAN. 15,15: ,Iam non dicam vos servos', sed ,amicos' meos: ,quia omnia' quae ,audivi a patre meo nota feci vobis' (Summa contra Gentiles IV 21 [3578]). Vgl. zum Folgenden Robert Spaemann, Reflexion und Spontaneität. Studien über Fénelon, Stuttgart2 1990 ( 1 1963; zugl. HabSchr. Münster 1963), 100-102. Im Kontext der Untersuchung über die Gutheit bzw. Schlechtheit der menschlichen Handlungen geht es hier um die Frage, ob es notwendig ist, daß der menschliche Wille, um gut zu sein, hinsichtlich des Gewollten mit der voluntas divina übereinstimmt. Die Bedeutung dieses Artikels zeigt sich sowohl am bemerkenswerten Umfang des corpus als auch an der Tatsache, daß, im Anschluß an die drei obiectiones, auch drei Gegenargumente angeführt werden, während sonst in der SUMMA THEOLOGIAE üblicherweise nur ein sed contra begegnet. ut scilicet ita se habeat homo ad illud quod suum est, sicut Deus ad illud quod suum est. Quaedam enim possumus ex caritate velie, quia sunt nobis convenientia, quae tarnen Deus non vult, quia non convenit ei ut ea velit (Summa Theologiae IIa-IIae 26,7ad2). Unde consuevit dici quod conformatur, quantum ad hoc, voluntas hominis voluntati divinae, quia vult hoc quod Deus vult eum velie (Summa Theologiae Ia-IIae 19,10c).

254

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Gutheit des menschlichen Willens ist also unabhängig von der materiellen Identität mit dem, was Gott aufgrund der nur ihm möglichen apprehensio universalis boni will. Gefordert für die bonitas voluntatis ist allerdings eine formale Angleichung des menschlichen an den göttlichen Willen, und nur unter dieser Bedingung ist die materiale Differenz legitim 88 . Dies aber kann, wie Summa Theologiae I a -II ae 1 9 , 1 0 a d 2 deutlich macht, durchaus die Annahme der eigenen Verdammnis bedeuten: Sie kann zwar niemals materialiter gewollt werden, ist aber denkbar als Konsequenz der für die bonitas voluntatis geforderten formalen Zustimmung zur iustitia Dei. Ähnliches gilt hinsichtlich der in obiectio 3 getroffenen Feststellung, daß die vollständige Übereinstimmung mit dem Willen Gottes unter Umständen gegen die pietas verstoßen kann - nämlich wenn Gott den Tod des eigenen Vaters will. Dieses bereits von Augustin diskutierte Problem kann Thomas auf der Basis seiner Argumentation dahingehend lösen, daß niemand materialiter den Tod des eigenen Vaters wollen muß, wohl aber kann die Hinnahme eines solchen Ereignisses das unvermeidliche Implikat der formalen conformitas voluntatis humanae mit dem ordo naturae sein 89 . Die referierte Auffassung zum Verhältnis von voluntas humana und voluntas divina kann als ein eindrucksvoller Beleg für die Ange88

89

Non est autem recta voluntas alieuius hominis volentis aliquod bonum particulate, nisi référât illud in bonum commune sicut in finem: cum etiam naturalis appetitus cuiuslibet partis ordinetur in bonum commune totius. Ex fine autem sumitur quasi formalis ratio volendi illud quod ad finem ordinatur. Unde ad hoc quod aliquis recta volúntate velit aliquod particulare bonum, oportet quod illud particulare bonum sit volitum materialiter, bonum autem commune divinum sit volitum formaliter (ebd.). Die sich aus der caritas ergebende Willenskonformität wird ausdrücklich als ein Modus der conformitas formalis bestimmt: Est et alius modus conformitatis secundum rationem causae formalis, ut scilicet homo velit aliquid ex caritate, sicut Deus vult. Et ista etiam conformitas reducitur ad conformitatem formalem (ebd.). Deus vult damnare aliquem, quem praescit in mortali peccato moriturum. Si ergo homo teneretur conformare voluntatem suam divinae voluntati in volito, sequeretur quod homo teneretur velie suam damnationem, quod est inconveniens (Summa Theologiae Ia-IIae 19,10 obiectio 2); nullus tenetur velie aliquid quod est contra pietatem. Sed si homo vellet illud quod Deus vult, hoc esset quandoque contra pietatem, puta cum Deus vult mori patrem alieuius (Summa Theologiae Ia-IIae 19,10 obiectio 3); Ad secundum dicendum quod Deus non vult damnationem alieuius sub ratione damnationis, nec mortem alieuius inquantum est mors, quia ipse ,vult omnes homines salvos fieri' [I Tim 2,4]; sed vult ista sub ratione iustitiae. Unde sufficit circa talia quod homo velit iustitiam Dei et ordinem naturae servari. Onde patet solutio ad tertium (Summa Theologiae IaIIae 19,10ad 2.3).

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

255

messenheit der Rede vom christlichen Humanismus bei Thomas gelten 90 . Einerseits ist Gott sowohl Ursprung als auch zentraler Bezugspunkt und damit entscheidender Maßstab allen menschlichen Handelns. Die konsequente Theozentrik des thomanischen beatitudoVerständnisses hängt damit zusammen. Andererseits haben die letzten Analysen gezeigt, daß der Mensch nach Thomas keinesfalls nur dazu da ist, für Gott die „durch den Sturz der Anhänger Luzifers dezimierten Himmelschöre aufzufüllen" 91 . Infolge seiner imago-DeiBestimmung repräsentiert er unter den Bedingungen geschöpflicher Begrenztheit die bonitas Dei infinita, und diese repraesentatio manifestiert sich gerade in der materialen Pluralität der Willensorientierungen. Der Verzicht auf die Forderung einer vollinhaltlichen Identität von göttlichem und menschlichem Willen ist deshalb nicht einfach nur ein unumgängliches Zugeständnis an die Beschränktheit menschlicher Einsicht in die Komplexität des Universums, sondern bringt zum Ausdruck, daß Thomas das Handeln der creatura rationalis nicht nur instrumenteil auf die Realisierung des göttlichen Selbstbezugs orientiert denkt, sondern den Menschen, weil er imago Dei ist, immer auch als Selbstzweck begreift. Nach dieser Präzisierung des thomanischen Verständnisses der Willenskonformität des Menschen mit Gott ist noch der letzte für die Klärung des Eudämonismus-Problems relevante Aspekt zu thematisieren: Die Bedeutung der Selbstliebe bei Thomas. Dabei geht es um die Frage, ob die festgestellte Spannung zwischen den ekstatischen Implikationen seines amor-Verständnisses einerseits und der Anbindung von Freundschafts- und Nächstenliebe an die Selbstliebe ande90

91

Kurt Flasch hat bestritten, daß die Lehre des Thomas mit der Formulierung .christlicher Humanismus' zutreffend charakterisiert ist. Dieser Ausdruck verschweige, „wie strikt Thomas alle menschlichen Werte in die theologische, zuletzt kirchlich-papalistische Zielsetzung eingespannt hat" (Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, 337). Dagegen wird hier davon ausgegangen, daß es gerade die Dominanz der Theologie im Denken des Thomas ist, aus der sich sein Sinn für ,menschliche Werte' und mithin für Humanismus ergibt. Hans Blumenberg, die Genesis der kopernikanischen Welt, 231; vgl. den ganzen Zusammenhang: „Thomas von Aquino hat versucht, die gespaltene Teleologie des Aristoteles als eine geschachtelte Teleologie darzustellen, deren übergreifende Bestimmung die gloria Dei ist. Sieht man genauer hin, so tritt aus der verfeinerten Sprache der Hochscholastik nur der krude Gedanke Augustine wieder hervor, Gott habe den Menschen geschaffen, um seine durch den Sturz der Anhänger Luzifers dezimierten Himmelschöre aufzufüllen, und zwar nur mit den ausgewählten Stimmen der zum Heil Prädestinierten" (ebd.; Kursivdruck im Text, R.L.).

256

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

rerseits damit zusammenhängt, dal? die Dominanz des amor sui letztlich doch erhalten bleibt und auch im amor amicitiae nicht wirklich durchbrochen ist. Im amor-Traktat hatte Thomas festgehalten, daß es der Selbstbezug des Menschen ist, durch den Liebe allererst möglich wird. So kann die Ähnlichkeit (similitudo) mit einem anderen deshalb als Ursache der Liebe gelten, weil sie eine Ausweitung des Selbstverhältnisses auf ihn hin ermöglicht. Die durch solche Ausweitung begründete Beziehung zum anderen erreicht aber, da es sich nur um eine unio similitudinis handeln kann, nie die Intensität der auf einer unio substantialis beruhenden Beziehung des Liebenden zu sich selbst 92 . Deshalb gilt: Magis autem unusquisque seipsum amat quam alium: quia sibi est unus in substantia, alterio vero in similitudine alicuius formae93. Daß die hier behauptete prinzipielle Priorität der Selbstliebe gegenüber der Liebe zum anderen nicht nur den amor concupiscentiae, sondern auch den amor amicitiae betrifft, geht zum einen schon aus dem näheren Kontext der gerade zitierten Stelle hervor und wird zum anderen im caritas-Traktat nochmals ausdrücklich eingeschärft: sicut unitas est principium unionis, ita amor quo quis diligit seipsum, est forma et radix amicitiae94. Die sich von solchen Aussagen her zunächst naheliegende Vermutung, daß der caritas-Gedanke von Thomas am Ende doch auf so etwas wie eine wohlverstandene Selbstliebe reduziert wird, ist allerdings nicht nur deshalb problematisch, weil sie allen bislang gewonnenen Erkenntnissen zu seinem Glückseligkeits- und Liebesverständnis widerspricht, sondern vor allem deshalb, weil eine solche Interpretation der Gesamtaussage des m.E. für das thomanische caritas-Verständnis außerordentlich wichtigen Textes Summa Theologiae IF-II ae 25,4 nicht hinreichend gerecht würde. Die in diesem Artikel aufgeworfene Frage, ob der Mensch sich selbst ex caritate lieben müsse, wird nämlich in zwei voneinander getrennten Argumentationslinien diskutiert. 92

93 94

unto tripliciter se habet ad amorem. Quaedam enitn unio est causa amoris. Et haec quidem est unio substantialis, quantum ad amorem quo quis amat seipsum: quantum vero ad amorem quo quis amat alia, est unio similitudinis (Summa Theologiae Ia-IIae 28,lad2). Summa Theologiae Γ-ΙΙ" 27,3c. Summa Theologiae IIa-IIae 25,4c; im Text folgt ein Verweis auf eine AristotelesStelle, an der dieser das Selbstverhältnis des Menschen als Ursprung seines freundschaftlichen Verhältnisses mit einem anderen bestimmt: Aristoteles, Nikomachische Ethik IX 4 (1166alf.).

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA T H E O L O G I A E

257

Im Rückblick auf die in Summa Theologiae II a -IF e 23,1 getroffene Grundentscheidung geht Thomas zunächst davon aus, daß es sich bei der caritas um eine amicitia quaedam handelt. Dieser Ansatz eröffnet einen doppelten Zugang zum Phänomen der caritas, weshalb auch die Frage nach der dilectio ipsius sui ex caritate in zweifacher Weise aufgeworfen werden kann. In 25,4 wird sie zuerst (1) im Hinblick auf den amicitia-Begriff im allgemeinen behandelt 95 . In dieser Hinsicht ist zu sagen, daß es eine Freundschaft mit sich selbst im strengen Sinne nicht geben kann, weil, und darin ist den ersten beiden obiectiones rechtzugeben, amicitia stets ein Verhältnis zu einem anderen zum Ausdruck bringt, ist sie doch, wie es im corpus articuli im Anschluß an Dionysius heißt, eine einigende Kraft. Weil nun, so Thomas weiter, als Grundlage jeder unio eine unitas vorauszusetzen ist, muß das sich in der amicitia realisierende liebende Bezogensein auf den anderen in einem Selbstbezug wurzeln, weshalb, wie oben zitiert, die Selbstliebe als forma et radix amicitiae gilt 96 . Damit ist aber keinesfalls alles gesagt. Denn von der caritas als amicitia quaedam kann auch (2) im Hinblick auf die ratio propria caritatis gesprochen werden, nämlich sofern die caritas in erster Linie als eine Freundschaft mit Gott gilt und sich eine Freundschaft zu Nichtgöttlichem erst als Folge solcher Gottesbeziehung ergibt. Hier ist die sich aus dem Wesen der caritas als einer amicitia quaedam ergebende Tatsache impliziert, daß der eigentliche Gegenstand der menschlichen dilectio caritatis Gott selbst ist, der, wie dann in Summa Theologiae II a -II ae 26,3 eigens ausgeführt wird, über alles zu lieben ist. Dies aber vorausgesetzt, ist eine Selbstliebe ex caritate nicht nur möglich, sondern, als Implikat der »Freundschaft' mit Gott als Ursprung und Ziel alles Seienden, sogar notwendig: Aufgrund der in der caritas gegebenen conformitas mit Gott muß ich auch mich selbst als von Gott gewollt wollen, als pars earum quae sunt Dei 97 . 95

96

97

cum caritas sit amicitia quaedam, sicut dictum est, dupliciter possumus de caritate loqui. Uno modo, sub communi ratione amicitiae (Summa Theologiae IIa-IIae 25,4c). secundum hoc (= secundum rationem communem amicitiae, R.L.) dicendum est quod amicitia proprie non habetur ad seipsum, sed aliquid maius amicitia: quia amicitia unionem quamdam importât... Onde sicut unitas est principium unionis, ita amor quo quis diligit seipsum, est forma et radix amicitiae (ebd.). Alio modo possumus loqui de caritate secundum propriam rationem ipsius, prout scilicet est amicitia hominis ad Deum principaliter, et ex consequenti ad ea quae sunt Dei. Inter quae etiam est ipse homo qui caritatem habet. Et sic inter cetera quae ex caritate diligit quasi ad Deum pertinentia, etiam seipsum ex caritate diligit (ebd.).

258

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Erst an dieser Stelle wird evident, was Thomas unter Selbstliebe versteht. Diese wird gerade nicht als ausschließlicher Selbstbezug aufgefaßt, sondern als Folge der dem Menschen in der caritas gewährten Teilhabe an der beatitudo aeterna Dei. Selbstliebe ex caritate ist theozentrisch gedacht, als ein bewußtes J a ' dazu, daß sich der Schwerpunkt meines Seins außerhalb meiner selbst befindet. Der in Summa Theologiae II a -II ae 25,7 herausgearbeitete Unterschied zwischen der Selbstliebe der Guten und der der Bösen macht deutlich, daß dieses J a ' nichts anderes ist als ein J a ' des Menschen zu seiner imago-Dei-Bestimmung. Natürlich lieben auch die Bösen sich selbst. Diese Selbstliebe ist aber deshalb nicht recht, weil sie auf die Sinnen- bzw. Leibhaftigkeit gerichtet ist, die von den Bösen fälschlich für das Entscheidende im Menschen gehalten wird. Die Guten dagegen, die den vernünftigen Geist (mens rationalis) als das Zentrum des Menschseins erkennen, sind aufgrund dieser richtigen Erkenntnis auch in der Lage, sich selbst richtig zu lieben, nämlich im Hinblick darauf, daß sie mit mens rationalis begabt sind 98 - ein Hinweis, der unübersehbar an die thomanischen Lehre vom Menschen als imago Dei erinnert". Selbstliebe, so kann man zusammenfassen, besteht nach Thomas darin, daß der Mensch sich in seinem Bestimmtsein von Gott her bejaht. Eine egozentrisch orientierte Selbstliebe im heutigen Sinne des Wortes kann von dieser Auffassung her nur als ,Selbstentmenschung' bezeichnet werden, weil sie einen Verzicht auf das impliziert, was den Menschen erst zum Menschen macht. Es ist offenkundig, daß stets die sich aus der ratio propria caritatis ergebende ekstatische Selbstliebe gemeint ist, wenn Thomas von einer jeder Nächstenliebe zugrunde liegenden dilectio ipsius sui spricht. Dies wird schon in Summa Theologiae II a -II ae 26,4 klar. Hier stellt er - im Rahmen seiner eingehenden Untersuchung zum ordo caritatis - die Frage, ob der Mensch sich selbst mehr zu lieben hat als 98

99

Principale in homine enim est mens rationalis, secundarium est autem natura sensitiva et corporalis ... Boni autem aestimant principale in seipsis rationalem naturam sive interiorem hominem ... Mali autem aestimant principale in seipsis naturam sensitivam et corporalem scilicet exteriorem hominem. Onde non recte cognoscentes seipsos, non vere diligunt seipsos, sed diligunt illud quod seipsos esse reputant. Boni autem, vere cognoscentes seipsos, vere seipsos diligunt (Summa Theologiae II a -II ae 25,7c). Siehe etwa Summa Theologiae I 93,6c: Id autem in quo creatura rationalis excedit alias creaturas, est intellectus sive mens. Unde reliquitur quod nec in ipsa rationali creatura invenitur Dei imago, nisi secundum mentem.

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

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den Nächsten. In Anknüpfung an Summa Theologiae IF-II ae 25,7 wird diese Frage im Hinblick auf die natura spiritualis hominis bejaht. Als Ausgangspunkt der Begründung dient auch hier wieder die Feststellung, daß der Mensch in der caritas zunächst Gott über alles liebt, nämlich als Ursprung jenes Gutes, in dem die caritas gründet (gemeint ist ganz offensichtlich die communicatio beatitudinis). Hieran wird alles weitere orientiert: Sich selbst liebt der Mensch als particeps beatitudinis aeternae, den Nächsten auf der Basis einer consociatio huius participationis. Unter Zuhilfenahme des bereits im ersten Teil des corpus articuli von Summa Theologiae IIa-IIae 25,4 angeführten, auf Aristoteles zurückgehenden Arguments, die unitas sei das principium unionis, wird schließlich die Selbstliebe der Nächstenliebe vorgeordnet. Denn die participatio entspricht einer unio, während die consociatio als in der participatio gründende unitas aufzufassen ist: Die Tatsache, daß der Mensch am göttlichen Gut teilhat, ist deshalb ein stärkerer Liebesgrund als die Tatsache einer Gemeinsamkeit in dieser Teilhabe mit einem anderen (letztere wird nämlich nur durch erstere möglich), und deshalb muß er sich selbst mehr lieben als den Nächsten 100 . Aus dieser Argumentation ergibt sich, daß für Thomas nicht schon die Selbstliebe als solche, sondern erst jene aus der caritas folgende hier als ekstatisch bzw. theozentrisch beschriebene Selbstliebe die forma et radix aller Liebe ist 101 . Nur dadurch, daß der in der caritas zum Gottesfreund gewordene Mensch Gott ganz hingegeben ist und sich selbst als von Gott gewollt erfährt und bejaht, ist sein Verhältnis zum Nächsten ,caritativ' gestaltbar. Dies heißt zwar nicht, daß das 100

101

Deus diligitur ut principium boni super quo fundatur dilectio caritatis; homo autem seipsum diligit ex caritate secundum rationem quae est particeps praedicti boni; proximus autem diligitur secundum rationem societatis in isto bono. Consociatio autem est ratio dilectionis secundum quamdam unionem in ordine ad Deum. Unde sicut unitas potior est quam unio, ita quod homo ipse participet bonum divinum est potior ratio diligendi quam quod alius associetur sibi in hac participatione. Et ideo homo ex caritate debet magis seipsum diligere quam proximum (Summa Theologiae II a -II ae 26,4c). So auch Eberhard Schockenhoff, Bonum hominis, 530 (zu Summa Theologiae I I a - I I a e 25,4): „Die Selbstliebe ist nicht mehr die Primärgestalt der Liebe; statt ihre Wurzel und ihr Maß zu sein, ist sie selbst Auswirkung und Folge einer Liebe, die sich in ihrer .ersten' und spontansten Bewegung von der Überfülle des göttlichen Seins und der göttlichen Gutheit anziehen läßt und sich aus der Kraft geschenkter Erfüllung, gleichsam auf dem Rückweg, auch, aber niemals ausschließlich in ihren Ursprung im eigenen Ich zurückwendet" (Kursivdruck im Text, R.L.).

260

Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Maß der Nächstenliebe von der sich für einen selbst ergebenden Heilszuträglichkeit abhängig gemacht werden könnte. Sondern weil schon die Selbstliebe theozentrisch gedacht wird, ist letztlich Gott das Maß auch aller Nächstenliebe. Aber es bedeutet, daß nur solche Nächstenliebe ihren Namen wirklich verdient, die sich aus der in Gott gegründeten Selbstliebe ergibt: Der Wunsch, dem Nächsten die participatio beatitudinis Dei zu ermöglichen, darf deshalb, wie Thomas auch sagt, nicht dazu führen, daß man etwas tut, das die eigene participatio durch eine Sünde infrage stellt 102 - und zwar weil dies mit dem Willen Gottes unvereinbar wäre, nicht aber, weil die eigene beatitudo ein höheres Gut darstellte als die des Nächsten. An dieser Stelle wird auch klar, warum man im Hinblick auf die caritas-Lehre des Thomas zwar durchaus von hingebender, nicht jedoch von »selbstloser' Liebe sprechen kann: Wenn der Mensch sein wahres Selbst als in Gott gegründet erfaßt, wäre ein völliges Desinteresse gegenüber diesem Selbst geradezu mit Gottesverachtung verbunden - theozentrisch verstandene Selbstliebe ist also gerade keine eudämonistische Einschränkung der Hingabe des Menschen an Gott, sondern vielmehr deren notwendiges Implikat. Das bislang erarbeitete Verständnis des thomanischen SelbstliebeBegriffs wird auch durch die in Summa Theologiae II a -II ae 44,7 vollzogene Behandlung des biblischen Gebots der Nächstenliebe bestätigt. Dies kann schon deshalb nicht überraschen, weil bereits in 2 5 , 4 und in 26,4 jeweils im sed contra auf Lev 19,18 oder/und Mt 2 2 , 3 9 hingewiesen worden war. Auch bringt 44,7 gegenüber den beiden genannten Artikeln nichts eigentlich Neues, es geht lediglich darum, auf der Basis des darin Erarbeiteten zu begründen, daß im biblischen Gebot in angemessener Weise (convenienter) zum Ausdruck kommt, was über die dilectio caritatis im Hinblick auf den Nächsten gesagt werden muß. Dementsprechend fällt der Artikel zum Nächstenliebe-Gebot vergleichsweise kurz aus. Mt 22,39 1 0 3 kann deshalb als angemessene Formulierung für ein praeceptum caritatis hinsichtlich des Verhältnisses zum Nächsten gelten, weil hier sowohl ratio diligendi als auch modus dilectionis hinreichend berücksichtigt sind. Die ratio diligendi wird mit dem Wort ,proximus' angesprochen. Damit ist nach Tho102

103

homo non debet subire aliquod malum peccati, quod contrariatur participationi beatitudinis, ut proximum liberei a peccato (Summa Theologiae II a -II ae 26,4c). Versteil b: Diliges proximum tuum sicut teipsum (so zitiert in Summa Theologiae I I a - l l " 4 4 , 7 sed contra).

Die beatitudo-Lehre in der

SUMMA THEOLOGIAE

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mas gemeint, daß wir andere Menschen ex caritate lieben sollen, sofern sie uns proximi sind, das heißt aufgrund ihrer Gottebenbildlichkeit sowie ihrer Fähigkeit zur Teilhabe an der ewigen Herrlichkeit 104 . Als Ursprung aller Nächstenliebe wird damit ausdrücklich die Gemeinsamkeit der Menschen hinsichtlich ihres Gegründetseins in und Bezogenseins auf etwas außerhalb ihrer selbst festgehalten. Diese Gemeinsamkeit prägt auch den mit den Worten ,sicut teipsum' angesprochenen modus dilectionis, eine Formulierung, die Thomas nicht im Sinne einer aequalitas, sondern einer similitudo versteht. Daß hier Summa Theologiae II a -II ae 25,4 und Summa Theologiae II a II ae 26,4 im Hintergrund stehen, wird bereits beim ersten der drei Aspekte deutlich, die bei dieser similitudo zu unterscheiden sind. Es wird die Priorität der Gottes- gegenüber der Selbstliebe vorausgesetzt, wodurch gleichzeitig auch die Nächstenliebe in der caritas verankert bleibt: Das ,sicut teipsum' meint nach Thomas zuerst, daß der Nächste propter Deum geliebt werden soll, also um Gottes willen, so, wie man auch sich selbst (im Sinne von 25,4) propter Deum lieben soll 105 . Der zweite Aspekt betont die am Ende des corpus von 26,4 schon angesprochene Konsequenz, daß es der Gottesbezug ist, der die dilectio proximi konstituiert: Sich dem Nächsten zuliebe einem malum hinzugeben, ist ebenso schlecht, wie für sich selbst etwas Schlechtes zu erstreben 106 . Der dritte und letzte Aspekt betont dann, unter unausdrücklichem Rückbezug auf die Unterscheidung von amor amicitiae und amor concupiscentiae, daß die Beziehung zum Nächsten nicht zugunsten einer Erlangung von Eigengütern instrumentalisiert werden darf 107 .

104

Ratio quidem diligendi tangitur ex eo quod ,proxitnus' nominatur: propter hoc enim ex caritate debemus alios diligere, quia sunt nobis proximi et secundum naturalem Dei imaginem et secundum capacitatem gloriae (Summa Theologiae IIa-IIae 44,7c).

105

Modus autem dilectionis tangitur cum dicitur ,sicut teipsum'. Quod non est intelligendum quantum ad hoc quod aliquis proximum aequaliter sibi diligat; sed similiter sibi. Et hoc tripliciter. Primo quidem, ex parte finis: ut scilicet aliquis diligat proximum propter Deum, sicut et seipsum propter Deum debet diligere; ut sic sit dilectio proximi sancta (ebd.). Secundo, ex parte regulae dilectionis: ut scilicet aliquis non condescendat proximo in aliquo malo, sed solum in bonis, sicut et suae voluntati satisfacere debet homo solum in bonis; ut sic sit dilectio proximi iusta (ebd.). Tertio, ex parte rationis dilectionis: ut scilicet non diligat aliquis proximum propter propriam utilitatem νel delectationem, sed ea ratione quod velit proximo bonum, sicut vult bonum sibi ipsi; ut sic dilectio proximi sit vera (ebd.).

106

107

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Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin

Die Ausführungen zum Problem der Selbstliebe haben deutlich gemacht, daß darunter bei Thomas nicht etwa ein egozentrischer Selbstbezug verstanden wird, sondern vielmehr eine sich aus der Teilhabe an der beatitudo Dei ergebende Selbstbejahung propter Deum. Konstitutiv für das Verhältnis zum Nächsten ist deshalb nach thomanischer Lehre nicht - wie bei Aristoteles - der Selbstbezug des Menschen als solcher 108 , sondern das sich infolge der ihm gnadenhaft gewährten Gottesfreundschaft ergebende neue Selbstverständnis, in dem er seiner selbst im Lichte der Wahrheit Gottes ansichtig wird. Aus diesem Wechsel der Grundperspektive ergibt sich eine tiefgreifende Theologisierung der aristotelischen Lehre vom Freund als alter Ego durch Thomas, eine Theologisierung, die im Zusammenhang steht mit der oben beschriebenen ,Vertikalisierung' der aristotelischen Freundschaftslehre. Hinsichtlich der EudämonismusThematik kann von daher als Ergebnis festgehalten werden, daß sich eine eudämonistische Interpretation der thomanischen caritas-Lehre weder allgemein auf die Tatsache einer Rezeption der Freundschaftslehre des Philosophen noch speziell auf die Vorordnung der Selbstgegenüber der Nächstenliebe bei Thomas berufen kann.

2 . 5 Zusammenfassung: Eudämonismus bei T h o m a s ? Auf der Grundlage sowohl der geistesgeschichtlichen Einbettung (2.1) als auch eines kurzen Einblicks in die wichtigsten Frühschriften des Thomas (2.2), gestützt auf die Betrachtung seines Umgangs mit der Tradition einerseits (2.3) und eine eingehende Analyse des beatitudoTraktats der SUMMA THEOLOGIAE andererseits (2.4.1), konnte in 2.4.2 und 2.4.3 die These vom Eudämonismus der thomanischen Ethik auf allen Ebenen seines beatitudo-Begriffs zurückgewiesen werden. Das entscheidende Argument für die Abweisung des Eudämonismus-Vorwurfs ergibt sich aus der Differenz zwischen dem darin 108

μάλιστα γ α ρ φίλοζ αύτώ· και φιλητέον δή μάλισθ' εαυτόν (Aristoteles, Nikomachische Ethik I X 8 [ 1 1 6 8 b 9 f . ] ) . D a ß der Gedanke der „Selbstaufopferung für das Glück des anderen" bei Aristoteles nicht begegnet, hat auch Dirlmeier (im Z u s a m m e n h a n g seines Kommentars zu Nikomachische Ethik V 3 ) ausdrücklich festgestellt: „In den Freundschaftsbüchern könnte er an diese Grenzsituation kommen. Aber da wird alles abgefangen durch den Satz ,Freund = alter ego' und so wird die Diskussion zentral: φιλία-φιλαυτία" (beide Zitate: Aristoteles, Nikomachische Ethik, übersetzt und kommentiert von Franz Dirlmeier, 4 0 2 ) .

Zusammenfassung: Eudämonismus bei Thomas ?

263

vorausgesetzten Verständnis von beatitudo und der Auffassung des Thomas. Während die eudämonistische Interpretation der thomanischen Glückseligkeitslehre die beatitudo primär als Selbstverwirklichung des Menschen deutet, wird sie von Thomas selbst als die vom Menschen vollzogene eigentätige Aneignung des von Gott geschenkten Heils aufgefaßt. Daß die Struktur dieser Eigentätigkeit in enger Anlehnung an die aristotelische Ethik beschrieben wird, ändert nichts daran, daß nach Thomas für die operationes beatitudinis der Gottesbezug konstitutiv ist, ist es doch Gottes Handeln am Menschen, das sich in dessen Glücksvollzügen aktualisiert. Aus diesem theozentrischen Verständnis der beatitudo hominis erhellt, daß das menschliche Glücksstreben nach Thomas gar nicht auf ein von Gott unterschiedenes Ziel rückführbar ist. Daraus ergibt sich die entscheidende Aporie einer eudämonistischen Thomas-Interpretation: Der Eudämonismus-Vorwurf impliziert zwingend eine Trennung von menschlichem Glücksstreben und göttlichem Heilshandeln. Erst unter dieser Voraussetzung ist der Gedanke sinnvoll, daß die göttliche Gnade zum Instrument menschlicher Vervollkommnung herabgesetzt und die durch die Gnade ermöglichte sittliche Vollkommenheit der Gottes- und Nächstenliebe zugunsten der Heilserlangung instrumentalisiert wird. Die konsequente Einordnung aller auf die Glückserlangung gerichteten und aller aus der Glücksteilhabe sich ergebenden operationes hominum in das göttliche Heilshandeln, wie sie bei Thomas festgestellt wurde, macht es dagegen widersinnig, neben Gott selbst als dem Ziel seiner Geschichte mit der Schöpfung noch einen alternativen - sozusagen rein menschlichen - finis anzunehmen. Auch wenn Thomas die beatitudo ausdrücklich als finis ultimus humanae vitae bestimmt, ist dies nicht im Sinne eines von Gott selbst zu unterscheidenden ,Konkurrenzziels' gemeint. Vielmehr wird damit, in Anknüpfung an die Bestimmung des Menschen als imago Dei, der Gedanke zum Ausdruck gebracht, daß die perfectio hominis genau darin besteht, daß Gottes Plan mit der Schöpfung in die Intentionalität der creatura rationalis aufgenommen wird. Im folgenden Teil 3 sollen zunächst einige Aspekte benannt werden, die es erlauben, die hier festgestellte Differenz zwischen dem im Eudämonismus-Vorwurf vorausgesetzten Glücksverständnis und dem thomanischen beatitudo-Begriff ein wenig zu präzisieren, bevor abschließend die Frage anzusprechen ist, was sich aus dieser Differenz für die Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre aus evangelischer Sicht ergibt.

3 Zur Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre Aus der in Teil 2 erarbeiteten Erkenntnis, daß eine eudämonistische Interpretation der thomanischen beatitudo-Lehre ihrem Gegenstand nicht gerecht wird, ergeben sich vor allem zwei Fragen: 1. Wie konnte es zu der hier so nachdrücklich zurückgewiesenen Interpretation kommen - warum wurde (und wird) der thomanischen Ethik ein eudämonistischer Charakter zugesprochen? 2. Welche Konsequenzen hat die hier behauptete Unangemessenheit dieser Interpretation für die Bewertung der beatitudo-Lehre des Thomas speziell aus evangelischer Perspektive? Die folgenden Ausführungen, die diesen beiden Fragen gewidmet sind, können keineswegs alle damit zusammenhängenden Probleme umfassend behandeln oder gar abschließend klären. Es geht lediglich darum, einige Aspekte anzuführen, deren Berücksichtigung für eine angemessene Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre von entscheidender Bedeutung ist.

3.1 Eudämonismus-Problem und Neuzeit Bereits in der Einleitung wurde darauf hingewiesen, daß die mit der Eudämonismus-Kritik sowohl der philosophischen als auch der theologischen Ethik gestellte Herausforderung historisch gesehen eine neuzeitliche Herausforderung ist. Dazu zunächst einige allgemeine Hinweise. Als entscheidendes Kennzeichen der Neuzeit gilt gemeinhin, daß sich im Verlauf dieser historischen Epoche eine Ablösung von den das Mittelalter prägenden Traditionen vollzogen hat (und vielleicht noch vollzieht), die nahezu alle Lebensbereiche umfaßt. Die mit der Renaissance in Italien im 15.Jahrhundert beginnende „Investitur des Humanen" 1 setzt dem theozentrisch dominierten Mittelalter eine anthropozentrische Weltsicht entgegen: „Der Mensch versucht, sich Hellmut Diwald, Anspruch auf Mündigkeit, um 1400-1555 (Propyläen Geschichte Europas 1 [1975]), Nachdr. Frankfurt/M. 1992, 134.

E u d ä m o n i s m u s - P r o b l e m und Neuzeit

265

zunehmend aus allem Gegebenen und Umgreifenden zu emanzipieren, sich selbst zu bestimmen, Maß, Weg und Ziel seines Lebens in sich selbst zu finden und erfahrbares Glück durch sich selbst zu verwirklichen"2. Infolge dieses Umbruchs ergibt sich notwendigerweise eine Auflösung des bei Thomas noch unhinterfragt vorausgesetzten Zusammenhangs von irdischem Glück und jenseitigem Heil. Die neuzeitliche Anthropologisierung des Glücks erlaubt es nicht mehr, die beatitudo hominis als Manifestation des göttlichen Heilshandelns zu verstehen; statt dessen wird die Suche nach und die Bewirkung von Glück zum Ausdruck menschlicher Selbstversicherung. Betrachtet man vor diesem Hintergrund den in 1.2 skizzierten Ansatz Luthers, so wird deutlich, daß hier der neuzeitliche Antagonismus von Glück und Heil nicht nur vorausgesetzt ist, sondern durch die theologisch motivierte Forderung nach unbedingter Priorität des Heils sogar verschärft wird - weil Glück als Ausdruck des Humanum gilt, darf ihm keine Heilsrelevanz zukommen, wenn Gottes Gottheit gewahrt bleiben soll. Als ein weiteres Resultat der neuzeitlichen Anthropologisierung des Glücksbegriffs kann dessen konsequente Relativierung und Subjektivierung gelten. Die Einheit im Bezogensein auf Gott, die nach Thomas alle einzelnen Glücksvorstellungen nicht nur miteinander verband, sondern es vor allem erlaubte, sie miteinander in Beziehung zu setzen und »richtiges' von falschem' Glück zu unterscheiden, wich einer Beliebigkeit, die einen gewissen Höhepunkt in der heute landläufig üblichen Identifizierung von Glück und Wohl-Gefühl erreicht hat. Die Menschen werden danach .glücklicher', wenn Mechanismen gefunden sind, die die Erzeugung angenehmer Gefühle befördern. Diese Reduktion führt freilich umgehend zum Verlust des Glücksbegriffs überhaupt, da sie die Unterscheidung zwischen einem auf gelingendem Leben beruhenden Glück und einem wie auch immer erzeugten Rauschzustand nivelliert3. Diese Relativierung des 2

Gisbert Greshake, Glück und Heil, in: C G G 9 ( 1 9 8 1 ) , 1 0 1 - 1 4 6 , hier 1 2 0 .

3

Die Absurdität dieses Reduktionismus wird leicht durch ein von Spaemann vorgeschlagenes Gedankenexperiment klar: „Stellen wir uns einen Menschen vor, der bewußtlos auf einem Operationstisch liegt; in sein Gehirn sind Drähte eingeführt. Durch diese wird ein leichter elektrischer Strom geleitet, der einen Zustand chronischer Euphorie erzeugt. Es wird uns versichert, der Zustand der Euphorie werde so lange andauern, bis man mit dem Abschalten des Geräts zugleich das Leben dieses Menschen beende ... Obwohl dieser Mensch sich subjektiv offensichtlich vollkommen wohl fühlt, wird niemand von uns mit ihm tauschen wollen" (Robert Spaemann, Glück und Wohlwollen, 60f.).

266

Z u r Beurteilung der t h o m a n i s c h e n beatitudo-Lehre

Glücksbegriffs gehört zum Hintergrund der Eudämonismus-Kritik Kants, setzt doch seine Bestreitung der ethischen Relevanz des Glücks genau hier an: Das Verlangen nach Glückseligkeit ist objectiv ein gar sehr zufälliges praktisches Prinzip, das in verschiedenen Subjecten sehr verschieden sein kann und muß, mithin niemals ein Gesetz abgeben kann4. - Deshalb können allgemein verbindliche sittliche Maßstäbe nur unabhängig vom menschlichen Glücksstreben gewonnen werden. Die bis hierher lediglich auf der Grundlage einiger allgemeiner Hinweise vertretene Auffassung, nach der der Epochenwechsel vom Mittelalter zur Neuzeit den spezifischen Hintergrund des Eudämonismus-Problems bildet, ist im folgenden unter Heranziehung von Erkenntnissen der philosophischen Neuzeit-Forschung zu präzisieren. Es ist vor allem Robert Spaemann gewesen, der den Zusammenhang von Eudämonismus-Problem und Neuzeit betont hat. In REFLEXION UND SPONTANEITÄT, seiner 1963 erstmals erschienenen und viel beachteten Habilitationsschrift, geht er bei der Untersuchung dieses Zusammenhangs aus von der Kontroverse zwischen François de Salignac de la Mothe Fénelon, dem Erzbischof von Cambrai, und Jacques Bénigne Bossuet, dem Erzbischof von Meaux. Bei dieser Auseinandersetzung, „dem letzten theologischen Streit, der im gebildeten Europa allgemein Anteilnahme findet" 5 , ging es um das Verhältnis von Selbstliebe auf der einen und Gottes- sowie Nächstenliebe auf der anderen Seite: Vollzieht sich, so lautete die Frage, die in der caritas gipfelnde Hingabe des Menschen an Gott und den Nächsten im Hinblick auf „die Verewigung und Beseligung seiner endlichen Existenz ..., die durch Gott allein bewirkt werden kann" 6 (so Bossuet)? Oder besteht das Wesen der caritas nicht vielmehr in einer von jeder Reflexion auf die Glückseligkeitserlangung freien Spontaneität der Liebe, also gerade darin, „daß sie aus dem Zirkel der Selbstbezogenheit des Endlichen ausbricht"7 (so Fénelon)? - Es geht, anders ausgedrückt, um die theologische Legitimität einer Auffassung, die bereits Luther knapp zwei Jahrhunderte vor Fénelon energisch zurückgewiesen hatte und die Kant ein gutes halbes Jahrhun-

4

Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Akademie-Textausgabe V 2 5 , 3 3 - 3 5 (Hervorhebungen im Text, R.L.).

5

Robert Spaemann, Reflexion und Spontaneität, 16.

6

AaO, 40.

7

AaO, 42.

Eudämonismus-Problem und N e u z e i t

267

dert nach Fénelon im Kontext einer philosophischen Ethik erneut zurückweisen sollte. Jenen Streit, aus dem Fénelon politisch zwar als Verlierer, moralisch jedoch als Sieger hervorging , befragt Spaemann auf seine geistesgeschichtlichen Hintergründe hin. Denn daß ein solcher Konflikt entstand, war alles andere als selbstverständlich. Eine von beiden Streitparteien gleichermaßen anerkannte Lehrtradition über das Thema der Debatte lag bereits seit Jahrhunderten vor. Aber: „In dem Auftreten eines unausgleichbaren Gegensatzes bei der Interpretation der traditionellen Doktrin wird gewöhnlich offenbar, daß die geistige Erfahrung einer Zeit sich so gewandelt hat, daß sie sich im Begriffsgefüge der Tradition nicht mehr zu artikulieren vermag" 9 . Die Voraussetzungen des Disputs, also die veränderte geistige Erfahrung, die die Interpretation des traditionellen Lehrguts strittig werden ließ, beschreibt Spaemann mit den Stichworten „Bürgerliche Ethik und nichtteleologische Ontologie " 1 0 . Die Harmonisierung von menschlichem Glücksstreben und Hingabe an Gott, die sich aus dem in der beatitudo-Lehre des Thomas vorausgesetzten Zusammenhang zwischen irdischem Glück und jenseitigem Heil ergibt, ist nur nachvollziehbar auf dem Hintergrund „eines teleologischen Naturbegriffs und eines entsprechenden ,ekstatischen' Verständnisses des Menschen, deren Preisgabe zu den Grundvoraussetzungen der neuzeitlichen Metaphysik gehörte" 11 . Nach der vorneuzeitlichen Auffassung wird das der Schöpfung als ganzer zukommende Bezogensein auf Gott vom Menschen bewußt und willentlich umgesetzt, so daß er in seinem Handeln sein bloßes Dasein „auf ein Anderes seiner selbst hin als auf sein Worumwillen transzendiert" 12 . Die nach Spaemann für die Neuzeit konstitutive Abwendung von diesem Natur- und Menschenverständnis wird von ihm Papst Innozenz XII. hat in einem Breve vom März 1699 verschiedene Aussagen Fénelons zwar verdammt, aber nicht ohne „den Zensurierten seiner speziellen Sympathie versichern" zu lassen. „Der Nachfolger des Papstes, Clemens XI., hatte als Kardinal Albani mit anderen gegen die Verurteilung gestimmt" (beide Zitate aaO, 17). 9 10 11 12

AaO, 58. Vgl. aaO, 58-71. AaO, 60. AaO, 61; Spaemann bezieht sich hier auf Summa Theologiae I 65,2c, einen in 2.4.2 (S.217) bereits herangezogenen Artikel, w o als das letzte Ziel des Menschen etwas außerhalb seiner selbst, nämlich der Genuß Gottes, genannt wird: totus homo est propter aliquem finem extrinsecum, puta ut fruatur Deo.

268

Z u r Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre

beschrieben als „eine Inversion der Teleologie: Das Sein steigert sich nicht zum Tätigsein, sondern die Tätigkeit ihrerseits hat zum alleinigen Ziel die Erhaltung dessen, was ohnehin schon ist" 1 3 . Die Selbsterhaltung als das höchste Ziel alles Seienden wird folgerichtig auch zum Maßstab der Sittlichkeit, und von daher ist es nur konsequent, wenn die caritas als „Mittel zum Zweck der eigenen Erhaltung" 1 4 im Sinne einer Verewigung und Beseligung der endlichen Existenz des Menschen interpretiert wird. Nach Fénelon ist eine solche Instrumentalisierung der Gottesliebe mit dem authentisch christlichen caritas-Verständnis nicht vereinbar. Die der caritas eigene Ekstasis kann deshalb unter den Bedingungen einer invertierten Teleologie nur gewahrt bleiben, wenn die Hingabe an Gott vom Selbsterhaltungsstreben des Menschen abgekoppelt wird; die caritas kann sich „nur auf den ,Ruin', den ,Tod' einer invertierten, durch Selbsterhaltung definierten Natur gründen" 1 5 . Bossuet, der den aus der Tradition überkommenen Zusammenhang zwischen Natur und Gottesliebe aufrechterhalten will, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er genau dadurch das Anliegen der Tradition verfehlt, weil der neuzeitliche Naturbegriff, auf dessen Boden beide Kontrahenten stehen, gerade nicht als Paradigma für die der caritas eigene Selbsttranszendenz taugt. Diese Erkenntnis bildet den Hintergrund für das Bemühen Fénelons, gegenüber dem reflektierten Eudämonismus seiner Zeit die Spontaneität der Liebe zu betonen und dadurch denjenigen Erfahrungen, die das Schema der invertierten Teleologie sprengen, ihren Realitätsanspruch theoretisch zu sichern 16 . Während Spaemann - jedenfalls in seiner Habilitationsschrift die Genese jener folgenreichen Preisgabe des mittelalterlichen Naturund Menschenverständnisses nicht eingehend thematisiert 17 , hat es Hans Blumenberg unternommen, den Epochenwechsel vom Mittelalter zur Neuzeit historisch zu rekonstruieren. In seinem erstmals 1 9 6 6 erschienenen Buch DIE LEGITIMITÄT DER NEUZEIT, das er unter Berücksichtigung der dagegen vorgebrachten philosophischen Kritik zwischen 1973 und 1976 überarbeitet und erweitert hat 1 8 , geht er

13 14 15 16 17

Robert Spaemann, Reflexion und Spontaneität, 61. A a O , 62. A a O , 65. Vgl. aaO, 48. 72. Er bezieht sich a a O , 61-65 lediglich andeutungsweise auf Telesio und Campanella, auf Bacon, Descartes, Spinoza und Hobbes.

Eudämonismus-Problem und Neuzeit

269

dabei von einer massiven Kritik am Säkularisierungstheorem aus. Wo der Begriff der Säkularisierung zur Beschreibung von Vorgängen der neuzeitlichen Kultur- und Geistesgeschichte angewendet und die durch Säkularisierung gewonnene Weltlichkeit als Realisierung christlicher Substanz gedeutet wird 19 , kommt es nach Blumenberg zu einer Disqualifizierung des antitheologisch orientierten Potentials der Neuzeit. Damit aber ist letztlich die Infragestellung ihrer historischen Legitimität verbunden, weil die antitheologische Orientierung, die Behauptung einer Diskontinuität gegenüber der Tradition, gerade konstitutiv für das Selbstverständnis der frühen Neuzeit ist: Indem die Säkularisierungsthese den Anspruch der Neuzeit auf Diskontinuität durch den Nachweis ihrer geschichtlichen Herkunft relativiert, wird dem neuzeitlichen Selbstbewußtsein „das nachträgliche Eingeständnis seiner illegitimen Rückgriffe abverlangt" 20 . Nun geht es Blumenberg nicht darum, die frühneuzeitliche Idee eines absoluten Neuanfangs als unhinterfragbares Faktum zu restituieren. Er gesteht durchaus zu, daß aus dem proklamativen Anspruch der Neuzeit nicht automatisch dessen historische Realität folgt Er fordert aber, diesen Anspruch als für die Epochenwende konstitutives Moment ernstzunehmen 22 - er sieht die Legitimität der Neuzeit gewahrt in der Anerkennung ihres Anspruchs auf Diskontinuität gegenüber dem Mittelalter, „wobei es gleichgültig ist, ob diese Diskontinuität fiktiv oder real ist" 23 . Seine geschichtliche Darstellung des Epochenbruchs zielt deshalb auf eine Herausarbeitung der Faktoren, die zur Artikulation des frühneuzeitlichen Selbstverständnisses geführt haben.

18

19

20 21 22 23

Im folgenden ist zugrunde gelegt: Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe, Frankfurt/M. 2 1988. Ihre vielleicht prominenteste Ausformung im theologischen Bereich hat die von Blumenberg kritisierte These gefunden bei Friedrich Gogarten, Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit. Die Säkularisierung als theologisches Problem, Stuttgart 1 9 5 3 ( 2 1958). Einen instruktiven Überblick zur Anwendungsgeschichte der (ursprünglich juristisch beheimateten) Kategorie Säkularisierung' auf Vorgänge der abendländischen Geistesgeschichte bietet Hermann Zabel, Art. Säkularisation, Säkularisierung III (Der geschichtsphilosophische Begriff), in: GGB 5 (1984), 8 0 9 - 8 2 9 . Vgl. zum Begriff der Säkularisierung in philosophischer Perspektive auch Giacomo Marramao, Art. Säkularisierung, in: HWP 8 (1992), 1 1 3 3 - 1 1 6 1 . Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, 538. Vgl. ebd. Vgl. aaO, 543. AaO, 129.

270

Zur Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre

Hierzu nimmt Blumenberg die spätscholastische Theologie in den Blick, die nach seiner - nicht unkritisiert gebliebenen - Interpretation vor allem in Gestalt des ockhamschen Denkens einen theologischen Absolutismus ausgebildet hat, der dem Menschen jede Möglichkeit sinnvoller Orientierung in der Welt nahm 2 4 . Ihren Rückhalt fand diese Theologie in der 1277 ausgesprochenen Verurteilung von 2 1 9 Sätzen durch den Pariser Bischof Stephan Tempier, die sich gegen den heterodoxen Aristotelismus an der Pariser Artistenfakultät richtete. Diese Verurteilung bedeutete jedoch zugleich die theologische Radikalisierung gerade eines aristotelischen Gedankens, der im Christentum rezipiert worden war: „daß es Gott in jedem seiner Akte im Grund nur um sich selbst gehen dürfe" 2 5 und daß deshalb sein Handeln nur sekundär als auf den Menschen bezogen gedacht werden kann. Dies gilt für Schöpfung und Inkarnation gleichermaßen: „Nicht nur die Welt konnte nicht mehr zugunsten des Menschen geschaffen sein, sondern auch die Menschwerdung Gottes durfte nicht mehr im Menschen ihren ausschließlichen Bezug haben" 2 6 . Auch die Soteriologie wird in den Zusammenhang der perfekten Theozentrik einbezogen: Erwählung oder Verwerfung der so oder so Prädestinierten können nur als sekundär auf den Menschen ausgerichtete Akte des göttlichen Willens interpretiert werden. Auch die zum Heil Bestimmten sind deshalb letztlich nur Instrumente für die Realisierung des göttlichen Selbstbezugs. An diesem Punkt hat die göttliche Transzendenz, von der her sich der mittelalterliche Mensch verstand und auf die hin er sich orientierte, ihre humane Relevanz und damit ihre „geschichtliche Effektivit ä t " 2 7 eingebüßt: Die christliche Theologie hat ihre Erklärungsfunktion für das menschliche Orientierungsbedürfnis verloren. Die ,Stelle', an der sie bis dahin ihre Funktion ausgeübt hatte, mußte 24

Mit Nachdruck kritisiert wird Blumenbergs These vom theologischen Absolutismus im Denken Ockhams bei Jan P. Beckmann, Allmacht, Freiheit und Vernunft. Z u r Frage nach .rationalen Komponenten' im Denken des späten Mittelalters, in: Jan P. Beckmann, Ludger Honnefelder, Ganglof Schrimpf, Georg Wieland (Hg.), Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen, Hamburg 1 9 8 7 , 2 7 5 - 2 9 3 . Dagegen wird - wenn auch ohne ausdrückliche Berufung auf Blumenberg - dessen These zur Erklärung der Epochenwende herangezogen bei Erich Heintel, Art. Neuzeit II (Philosophisch), in: T R E 2 4 ( 1 9 9 4 ) , 4 0 1 4 1 1 , vgl. bes. 4 0 3 f .

25

Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, 1 9 9 .

26

AaO, 197.

27

AaO, 171.

Eudämonismus-Problem und Neuzeit

271

deshalb neu besetzt werden. Dieser von Blumenberg ,Umbesetzung' genannte Vorgang erfolgte dadurch, daß der in der spätscholastischen Theologie geforderte völlige Verzicht auf theoretische Ansprüche aller Art eine immanente Dynamik entfesselt hat, die auf ein ganz anderes Resultat zulief, nämlich „auf die Ausbildung des Bewußtseins, daß gerade in dem, was preisgegeben werden sollte, das Unverzichtbare des menschlichen Interesses liegen müsse" 28 . Ein Gott, der keine ,Orientierungshilfe' bietet, läßt jedes ihn einbeziehende menschliche Nachdenken über die Welt und das Heil als absurd erscheinen. Da jedoch solches Nachdenken grundsätzlich unverzichtbar ist, konnte es sich angesichts der spätscholastischen Bestreitung seiner Möglichkeit nur durch eine Abgrenzung von der Tradition in seinem Recht behaupten. Diese Abgrenzung artikuliert sich in Descartes' cogito ergo sum als „Aufdeckung des immanenten Absoluten" 29 gegen die unerträglich gewordene „Provokation des transzendenten Absoluten" 30 . Indem sich so die humane Selbstbehauptung dem theologischen Absolutismus der Spätscholastik entgegensetzt, werden die theoretischen Ansprüche des Menschen nun aber in einer qualitativ neuen Weise geltend gemacht. Infolge der Abgrenzung gegen die spätmittelalterliche Verzichtsforderung werden sie in der Neuzeit ausdrücklich ergriffen und zum primären Bezugspunkt des menschlichen Interesses erhoben. Die hier nur in aller Kürze dargestellten Positionen Spaemanns und Blumenbergs erlauben es nun, den oben behaupteten Zusammenhang zwischen Eudämonismus-Problem und Neuzeit genauer zu fassen: Der theologische Absolutismus der Spätscholastik provozierte eine a-theologische Selbstdefinition des Menschen. Dieser sich in einer Aufdeckung des immanenten Absoluten realisierende Akt humaner Selbstbehauptung (Blumenberg) hat dann zu jener Preisgabe des klassischen teleologischen Naturbegriffs und des damit zusammenhängenden ekstatischen Menschenverständnisses geführt, die als Inversion der Teleologie bezeichnet werden kann (Spaemann) und die Voraussetzung einer Anthropologisierung des Glücksverständnisses und damit einer am persönlichen Glück des einzelnen Menschen orientierten Moral darstellt.

28 29 30

AaO, 173. AaO, 2 0 2 (Kursivdruck im Text, R.L.). Ebd. (Kursivdruck im Text, R.L.).

272

Zur Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum die thomanische Ethik eudämonistisch interpretiert werden konnte. Der hier zentrale Begriff der beatitudo wurde im neuzeitlichen Sinne verstanden, also ausschließlich als vollendete Befriedigung der Bedürfnisse des Menschen. Thomas selbst hat zwar das Glück des Menschen durchaus auch als die Erfüllung aller Sehnsüchte beschrieben, aber eben immer so, daß sich in dieser beatitudo hominis das Handeln Gottes spiegelt, das, weil es ein auf die Vollendung der Schöpfung gerichtetes Heilshandeln ist, die perfectio creaturae rationalis notwendig impliziert. Es ist die Eliminierung dieser theologischen Dimension im neuzeitlichen Glücksverständnis, die dazu geführt hat, daß die beatitudoLehre des Thomas in den Augen moderner Rezipienten ihre Eindeutigkeit verlor. Die in Teil 1 dargestellte Eudämonismus-Diskussion, die diesen Verlust an Eindeutigkeit belegt, hat demnach ihren letzten Grund in der Differenz zwischen dem beatitudo-Begriff des Thomas und dem Glücksverständnis der Moderne. Eine befriedigende Lösung findet das hier thematisierte Problem erst, wenn dieser Differenz bei der Interpretation der Thomas-Texte Rechnung getragen wird, wenn diese also, soweit es möglich ist, von ihren eigenen Voraussetzungen her gedeutet werden, wie es in Teil 2 versucht wurde. Dann freilich zeigt sich, daß der Streit um einen Eudämonismus bei Thomas strenggenommen gegenstandslos ist, weil schon der Begriff des Eudämonismus von der Differenz zwischen Glück und Heil ausgeht, einer Differenz, die sich, wie durchgehend deutlich wurde, bei Thomas selbst gar nicht findet. Wenn es richtig ist, daß eine eudämonistische Interpretation der beatitudo-Lehre des Thomas einen unthomanischen Glücksbegriff unterstellt, dann muß sich auch an den in Teil 1 dargestellten Kritiken einer beim menschlichen Glücksverlangen ansetzenden Ethik zeigen lassen, daß sie den beatitudo-Begriff des Thomas nicht betreffen. Dieser Nachweis soll zunächst gegenüber Kants Kritik an einer eudämonistischen Ethikbegründung versucht werden, bevor in 3.2 auf die in 1.2 dargestellten evangelischen Vorbehalte eigegangen wird. Wie in 1.1 gezeigt wurde, versteht Kant unter Glückseligkeit zunächst ein permanentes Annehmlichkeitsgefühl, nach dem alle Menschen als bedürftige Wesen notwendig streben, sofern sie der Sinnenwelt angehören. Diese stets vorausgesetzte Bindung der Glückseligkeit an die Sinnenwelt hat zur Folge, daß sich ein an der Glückserlangung ausgerichtetes Leben nie über die Sinnenwelt erhebt. Vernunft und Wille, jene in die intelligible Welt gehörenden Vermögen, die den

Eudämonismus-Problem und Neuzeit

273

Menschen erst eigentlich zum Menschen machen, wären nach Kant überflüssig, wenn die Glückseligkeit der eigentliche Zweck seines Daseins wäre: Wäre nun an einem Wesen, das Vernunft und einen Willen hat, seine Erhaltung, sein Wohlergehen, mit einem Worte seine Glückseligkeit, der eigentliche Zweck der Natur, so hätte sie ihre Veranstaltung dazu sehr schlecht getroffen ... Denn alle Handlungen ... würden ihm weit genauer durch Instinct vorgezeichnet..., als es jemals durch Vernunft geschehen kann31. Im Gegensatz zu dieser Trennung von Vernunft und Glückseligkeit hat Thomas die beatitudo gerade an das Vorhandensein von Vernunft gebunden: Wie mehrfach deutlich wurde, stellt er mit Aristoteles die beatitudo sive felicitas als propria operatio hominis heraus; die Glücksfähigkeit wird unmißverständlich an die Fähigkeit zum usus rationis gekoppelt. Schon dieser Hinweis macht deutlich, wie problematisch es ist, die kantische Kritik an einer beim Glücksstreben ansetzenden Ethik auf den thomanischen beatitudo-Begriff zu beziehen. Daß weder die conservado hominis in esse (Kant: seine Erhaltung) noch die voluptas corporalis (Kant: sein Wohlergehen) als Letztziel des Menschen angesprochen zu werden verdient, hatte auch Thomas festgehalten 32 . Gerade deshalb aber lehnt er die Identifizierung solcher bona mit der beatitudo ab, während bei Kant eben diese Identifizierung vollzogen wird. Während sie sich nämlich bei ihm konsequenterweise aus dem vorausgesetzten Zusammenhang zwischen Sinnlichkeit und Glückseligkeit ergibt, ist sie bei Thomas - ebenso konsequenterweise - infolge des von ihm behaupteten Zusammenhangs zwischen Vernunft und Glückseligkeit ausgeschlossen. Hinzu kommt ein weiteres. Kant hat keinesfalls vollends auf den Glücksbegriff verzichten wollen, sondern ihn in der Dialektik der reinen praktischen Vernunft wieder in den moralischen Kontext integriert. Dieser in 1.1 bereits angesprochene Schritt deutet sich schon im zweiten Hauptstück seiner Analytik an, wo er sich mit der traditionellen Moralphilosophie auseinandersetzt, für die der Begriff des höchsten Gutes als oberstes Prinzip der Moral gilt. Er weist hier darauf hin, daß die lateinischen Wörter ,bonum' und ,malum' im Deutschen jeweils zweierlei bedeuten können: ,bonum' steht sowohl für das Gute als auch für das Wohl,,malum' sowohl für das Böse als 31

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785), AkademieTextausgabe IV 395,7-16.

32

Vgl. etwa Summa Theologiae Γ-ΙΙ" 2,5.6.

274

Z u r Beurteilung der t h o m a n i s c h e n b e a t i t u d o - L e h r e

auch für das Übel (oder Weh). Während die jeweils erste Bedeutung jederzeit eine Beziehung auf den Willen (zum Ausdruck bringt, R.L.), so fern dieser durchs Vernunftgesetz bestimmt wird , steht die jeweils zweite Bedeutung für den empirisch erfaßten Empfindungszustand einer Person, bedeutet also immer nur eine Beziehung auf unseren Zustand der Annehmlichkeit oder Un34 annehmlichkeit . Wird nun der Begriff des summum bonum zur Basis einer Moralphilosophie, so gefährdet die terminologische Ineinssetzung eines aus der intelligiblen (das Gute) und eines aus der empirischen Welt (das Wohl) stammenden Bestimmungsgrundes die für das oberste Moralprinzip erforderliche Reinheit von materialen Bestimmungsgründen des Handelns. Die beiden Aspekte müssen deshalb klar unterschieden werden. Ein praktisches Gesetz a priori kann nämlich per definitionem nicht mit Rücksicht auf unser Wohl oder Weh formuliert werden. Das bonum im Sinne der zweiten Bedeutung darf deshalb erst weit hinterher, wenn das moralische Gesetz allererst für sich bewährt und als unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens gerechtfertigt ist, dem nunmehr seiner Form nach a priori bestimmten Willen als Gegenstand vorgestellt werden35. Es ist von großer Bedeutung, daß Kant die beiden im traditionellen bonum-Begriff enthaltenen Aspekte trotz der unabdingbaren Notwendigkeit ihrer Trennung aufeinander bezogen wissen will, ja die Denknotwendigkeit dieses Zusammenhangs betont: Die Tugend als solche ist noch nicht das ganze und vollendete Gut...; denn um das zu sein, wird auch Glückseligkeit dazu erfordert1i6. Als das vollendete Gut (consummatum) gilt folglich die Koinzidenz von Tugend und Glückseligkeit, wobei letztere in diesem Zusammenhang als etwas aufgefaßt wird, was dem, der sie besitzt, zwar angenehm, aber nicht für sich allein schlechterdings und in aller Rücksicht gut ist, sondern jederzeit das moralische gesetzmäßige Verhalten als Bedingung voraussetzt37. 33

Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Akademie-Textausgabe V 6 0 , 1 4 f . (Hervorhebungen im T e x t , R.L.).

34

A a O , 6 0 , 9 f . (Hervorhebungen im Text, R.L.).

35

AaO, 64,30-33.

36

A a O , 1 1 0 , 2 2 . 2 4 (Hervorhebung im T e x t , R.L.).

37

A a O , 1 1 1 , 3 - 5 . Im Hinblick auf diese und weitere Stellen in Kants Schriften hat Ralf Ludwig, Kategorischer Imperativ und Metaphysik der Sitten. Die Frage nach der Einheitlichkeit von Kants Ethik, Frankfurt/M.-Bern-New York-Paris 1 9 9 2 (EHS: Reihe 2 0 [Philosophie], Band 3 6 3 ; zugl. Diss. Augsburg 1 9 9 1 ) mit Recht „zwei Bedeutungselemente des einen Glückseligkeitsbegriffs" konstatiert

Eudämonismus-Problem und Neuzeit

275

Bezieht man diese Bestimmung der Glückseligkeit als einer denknotwendigen Folge sittlichen Handelns auf den thomanischen beatitudo-Begriff, so ergibt sich eine bemerkenswerte Übereinstimmung. Die prinzipielle Differenz, die darauf beruht, daß die zur Glückseligkeit führende Tugend bei Kant menschliche Leistung ist, während die caritas bei Thomas als ein Gnadengeschenk Gottes aufgefaßt wird, kann hier einen Moment vernachlässigt werden; es geht um eine Analogie der Struktur: Wie nach Kant die Erlangung der Glückseligkeit stets das moralische gesetzmäßige Verhalten voraussetzt, so ist nach Thomas die adeptio beatitudinis notwendig an die rectitudo voluntatis gebunden, also an eine Haltung, in der der Mensch ,nicht das Seine sucht' 3 8 . Man kann deshalb - bei aller gebotenen Vorsicht - Kants kategorischen Imperativ als einen philosophischen Versuch interpretieren, das im traditionellen christlichen caritasBegriff implizierte Seinsverständnis, wonach sich der Mensch in seinem Handeln auf ein Anderes seiner selbst hin als auf sein Worumwillen transzendiert (Spaemann), unter den Bedingungen einer invertierten Teleologie neu zu denken. Die Reduktion von beatitudo auf das, was unserem Eigenwohl dient, wird schon bei Thomas abgelehnt. Vor dem Hintergrund der Anthropologisierung und der damit zusammenhängenden Relativierung des Glücksbegriffs in der Neuzeit hatte Kant zunächst ein solches auf subjektives Wohlbefinden reduziertes Glücksverständnis mit Glückseligkeit überhaupt gleichgesetzt. Die konsequente Trennung von Glückseligkeit und Sittlichkeit war die Folge, und ein sittlich legitimes Verständnis von Glück konnte erst jenseits dieser Trennung wiedergewonnen werden. Der beatitudo-Begriff des Thomas ist dagegen von Anfang an theozentrisch gedacht. Wo z.B. Erhaltung oder Wohlbefinden des Menschen als Letztziele aufgefaßt werden, konstatiert er defiziente Glücksauffassungen, ohne jedoch die beatitudo als solche mit ihren Defekten zu identifizieren. Es wäre deshalb widersinnig, wenn die Trennung von Glückseligkeit und Sittlichkeit seine Ethik konstituierte; die beatitudo impliziert bei

(285). .Glückseligkeit' bezeichnet danach bei Kant sowohl „einen hedonistischen Standpunkt" (ebd.) als auch „ein wesentliches Element des summum bonum" (aaO, 286). 38

Vgl. Summa Theologiae Ia-IIae 4 , 4 sowie den in 2.4.1.4 (S.204f.) und 2 . 4 . 3 . 2 (S.250-252) dargestellten Zusammenhang zwischen der in diesem Artikel formulierten Auffassung und der caritas-Lehre.

276

Zur Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre

Thomas immer schon caritative Sittlichkeit, und sie entspricht von daher in gewisser Weise der jenseits aller Distanzierung von Glück und Moral angesiedelten und nur unter der Voraussetzung von Sittlichkeit legitimen Glückseligkeit bei Kant. - Der thomanische beatitudo-Begriff ist demnach nicht nur verschieden von dem Glück, dessen ethische Relevanz Kant bestreitet, sondern er steht sogar in einer bestimmten Entsprechung zu dem Glück, dessen sittliche Legitimität Kant behauptet.

3 . 2 D i e t h o m a n i s c h e b e a t i t u d o - L e h r e in evangelischer Sicht Wenn im folgenden abschließend gefragt wird, wie die beatitudoLehre des Thomas aus evangelische Perspektive zu beurteilen ist, so geschieht dies vor dem Hintergrund der in Teil 2 gewonnenen Erkenntnis, nach der eine eudämonistische Interpretation das Proprium des thomanischen Glücksverständnisses verfehlt. Ist aber der Vorwurf des Eudämonismus hinfällig, dann wird die beatitudo-Lehre des Thomas auch nicht von der in 1.2 dargestellten Kritik getroffen, und es kann, ja es muß noch einmal über ihre theologische Legitimität nachgedacht werden. Als Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen dient erneut die Einsicht, daß ein Zusammenhang besteht zwischen dem im Eudämonismus-Vorwurf vorausgesetzten unthomanischen Glücksverständnis und der Epochenwende vom Mittelalter zur Neuzeit. Ist es möglich, diese im Hinblick auf Kant bereits fruchtbar gemachte Erkenntnis auch auf den Ansatz Luthers anzuwenden? Genauer gefragt: Kann man die von Luther im Namen der Gottheit Gottes geforderte Trennung von christlicher Sittlichkeit und Streben nach Heilserlangung als Konsequenz der neuzeitlichen Anthropologisierung des Glücksbegriffs verstehen? Weil die Beantwortung dieser Frage mit dem vieldiskutierten und gleichwohl nicht definitiv gelösten Problem einer geistesgeschichtlichen Einordnung Luthers zusammenhängt, sind dazu einige Vorbemerkungen erforderlich. In den oben angesprochenen primär philosophisch motivierten Neuzeit-Theorien von Spaemann und Blumenberg kommt Luther nur am Rande vor. Nach Spaemann spiegelt sich in Luthers Lehre von der radikalen Verdorbenheit der menschlichen Natur durch die Erbsünde in spezifisch reformatorischer Weise die neuzeitliche Inversion der Teleologie. War „für den teleologi-

Die thomanische beatitudo-Lehre in evangelischer Sicht

277

sehen Dynamismus der hochmittelalterlichen Philosophie und Theologie ... eine unmittelbare Finalität der menschlichen Natur auf das Ziel einer nur durch Gnade zu erreichenden Seligkeit" 1 konstitutiv, so kann unter den Bedingungen einer invertierten Teleologie der (unaristotelische) Gedanke nicht mehr nachvollzogen werden, daß die natura intellectualis ihrer immanenten Verfaßtheit nach auf etwas orientiert ist, das sie mit eigenen Mitteln per definitionem nicht erreichen kann. Im neuzeitlichen Katholizismus sei dieses gewandelte Bewußtsein an der Ausbildung der „Idee des ,status naturae purae'" 2 ablesbar, am Gedanken einer selbstgenügsamen Natur, die zwar eine passive Fähigkeit zur Aufnahme der Gnade besitzt, ohne jedoch zur Realisierung ihrer immanenten Finalität auf eine Begnadung angewiesen zu sein. Die reformatorische Theologie reagiert nach Spaemann auf dasselbe Problem, indem sie den Geschenkcharakter der Urstandsgnade bestreitet und die Natürlichkeit der paradiesischen Verfassung des Menschen betont, so daß die Natur in den Verlust der Urstandsgerechtigkeit mit hineingezogen wird. - „Die Idee der totalen Verderbtheit der menschlichen Natur durch den Sündenfall folgt hieraus" 3 . Luther, auf den sich Spaemann an dieser Stelle ausdrücklich bezieht 4 , wäre nach dieser Interpretation eindeutig der Neuzeit zuzuordnen, impliziert doch seine Sündenlehre nach Spaemann ein ganz klar postteleologisches Natur- und Menschenverständnis. In Blumenbergs Darstellung der Epochenwende gilt Luther nicht als Repräsentant der Neuzeit, sondern vielmehr als ,Vollender' des Mittelalters, nämlich als unfreiwilliger Wegbereiter einer Überwindung des theologischen Absolutismus der Spätscholastik. Die bekannte Formulierung aus den Disputationsthesen von 1 5 1 7 , nach der

1

2 J 4

Robert Spaemann, Zur Vorgeschichte von Rousseaus Naturbegriff, in: ABG 11/ 1 (1967), 59-74; auch in: Robert Spaemann, Rousseau. Bürger ohne Vaterland (1980), München 2 1992, 57-77, hier 62. Vgl. weiter Robert Spaemann, Art. Natur, in: HPG II (1973), 956-969. Robert Spaemann, Rousseau. Bürger ohne Vaterland, 64. Ebd. Spaemann zitiert aaO, 75 Anm.24 Martin Luther, Genesisvorlesung (15351545), WA 42 (1911),124,4-6; 125,21-23: Quin hoc statuamus, iusticiam non fuisse quoddam donum, quod ab extra accederei seperatum a natura hominis: Sed fuisse vere naturalem, ita ut natura Adae esset diligere Deum, credere Deo, cognoscere Deum etc. ... Porro haec omnia probant, originalem iusticiam fuisse de natura hominis, ea autem per peccatum amissa manifestum est naturalia non mansisse integra, sicut Scholastici délirant.

278

Z u r Beurteilung der t h o m a n i s c h e n b e a t i t u d o - L e h r e

der Mensch von Natur aus danach streben muß, sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen 5 , enthält nach Blumenberg das für das Denken der Neuzeit konstitutive „,Programm' der gegengöttlichen Selbstvergöttlichung" 6 . Freilich hat gerade Luther solche Selbstvergöttlichung des Menschen massiv abgelehnt und die Annahme der eigenen Geschöpflichkeit als Selbsthingabe an den Willen Gottes gefordert. Doch genau diese Forderung der völligen Selbsthingabe ist nach Blumenberg jene auf eine unerträgliche Spitze getriebene Steigerung des theologischen Absolutismus, die zu Descartes' Suche nach „absolute(r) Gewißheit auf dem Grunde des menschlichen Denkens selbst" 7 geführt hat. Und weil, wie die zitierte These Luthers zeigt, „der theologische Absolutismus ... seinen eigenen, ihm unentbehrlichen Atheismus und Anthropotheismus" 8 hat, stellt sich die humane Selbstbehauptung letztlich als eine „notwendige, mit Luthers These theologisch geforderte und unerwartet legitimierte Gegenposition" 9 zum theologischen Absolutismus dar. Es ist hier nicht der Ort, die geistesgeschichtliche Einordnung Luthers bei Spaemann und Blumenberg im einzelnen zu beurteilen. Die größeren Defizite dürften in Blumenbergs Interpretation zu finden sein, weil hier die Christologie völlig außer Acht gelassen wird, obwohl sie doch gerade für das Verhältnis von göttlicher All- und menschlicher Ohnmacht bei Luther eine entscheidende Rolle spielt 10 . Doch auch an Spaemanns Deutung wäre die Frage zu stellen, ob das

5

Non potest homo naturaliter velie deum esse deum, Immo pellet se esse deutn et deutn non esse deum (Martin Luther, Disputatio contra scholasticam theologiam, These 1 7 , W A 1 , 2 2 5 , I f . ) .

6

Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, 2 0 3 .

7

Ebd.

8

Ebd.

9

Ebd.

10

Vgl. dazu Walter Spam, Hans Blumenbergs Herausforderung der Theologie, in: T h R 4 9 ( 1 9 8 4 ) , 1 7 0 - 2 0 7 : „Luther erreicht... wieder eine Christologie, welche die Konkurrenz der Absolutismen auflöst. Seine Rechtfertigungslehre setzt allerdings die absolute Konkurrenz von menschlichen und göttlichen Ansprüchen voraus, ist selber aber alles andere als absolutistisch; sie stellt vielmehr, wie gerade ihre particulae exclusivae zeigen, selber eine Christologie dar, formuliert nämlich auf dem Stand des inzwischen, in der Geschichte des christlichen Glaubens selbst, aufgebauten Gewißheitsanspruches. In ihrer eindeutig christologischen Struktur löst sie sich von ihrer nominalistischen Vorgabe und stellt sich im Gegensatz sowohl zu deren quasi-pelagianischer Berücksichtigung des humanen Interesses als auch zu ihrer .monotheistischen' Sorge um die Absolutheit Gottes" ( 1 9 1 ; Kursivdruck im T e x t , R.L.).

Die thomanische beatitudo-Lehre in evangelischer Sicht

279

Verhältnis zwischen Luthers Lehre von der radikalen Sündenverfallenheit des Menschen und dem neuzeitliche Denken hinreichend bestimmt wird. Denn als das Entscheidende an diesem Gedanken Luthers wird weniger die Abhängigkeit von einer spezifischen (möglicherweise primär neuzeitlich geprägten) Anthropologie zu gelten haben als vielmehr das neuzeitkritische Potential, das sich von daher eröffnet - gerade angesichts der Tatsache, daß der christliche Sündenbegriff im Verlauf der neuzeitlichen Entwicklung zunehmend bagatellisiert wird. Das Thema ,Luther und die Neuzeit' erforderte jedenfalls eine gesonderte Behandlung. Allerdings sollen noch die prinzipiellen Erwägungen kurz zur Sprache kommen, die Gerhard Ebeling zu diesem Punkt angestellt hat 1 1 . Die Geschichte des Problems 12 macht seiner Auffassung nach deutlich, daß eine definitive geistesgeschichtliche Einstufung des Reformators aufgrund der - natürlich längst bemerkten 13 - ambivalenten Stellung seiner Theologie im Spannungsfeld der Epochenwende letztlich nicht möglich ist. Im Interesse eines authentischen Verständnisses des lutherischen Denkens plädiert Ebeling deshalb für den Verzicht auf eine disjunktive Zuordnung Luthers zum Mittelalter oder zur Neuzeit. Weil nämlich „der christliche Glaube nicht mit einer bestimmten Kulturperiode definitiv verbunden" ist 14 , war Luther „mit einem Sachverhalt beschäftigt, der Mittelalter und Neuzeit transzendiert. Eben dies befähigte ihn zur Kritik nach beiden Seiten" 1 5 . Berücksichtigt man dies, dann ist auch „eine sachgemäße Einbeziehung der kulturgeschichtlichen Aspekte" 1 6 wieder sinnvoll möglich, ja sogar gefordert, weiß sich der christliche Glaube „doch stets, solange er selbst lebendig ist, für das Lebensganze einer Zeit

11

12 13

14 15

16

Vgl. Gerhard Ebeling, Luther und der Anbruch der Neuzeit, in: ZThK 69 (1972), 185-213. Vgl. aaO, 185-201. Vgl. vor allem die Hinweise aaO, 189-200 zur geistesgeschichtlichen Einordnung der Reformation bei Hegel und Troeltsch. AaO, 2 1 2 . AaO, 2 1 1 ; Ebeling hat das hier angezeigte ambivalente Verhältnis Luthers zur Neuzeit am Beispiel der zwiespältigen Rezeption des reformatorischen Freiheitsbegriffs in der Neuzeit verdeutlicht - vgl. Gerhard Ebeling, Der kontroverse Grund der Freiheit. Zum Gegensatz von Luther-Enthusiasmus und Luther-Fremdheit in der Neuzeit, in: Luther in der Neuzeit. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte, Gütersloh 1983 (SVRG 192), 9-33. Gerhard Ebeling, Luther und der Anbruch der Neuzeit, 2 1 2 .

280

Z u r Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre

verantwortlich" 17 . Problematisch an Ebelings scheinbar salomonischer Lösung ist freilich, daß Luthers Denken durch eine quasiEnthistorisierung in den Rang einer theologia perennis erhoben wird: „Der Reformation Luthers soll eine überzeitlich normative Bedeutung vorbehalten bleiben", wie Pannenberg zu Ebelings Ansatz kritisch vermerkt hat 18 . Die von Pannenberg selbst versuchte konsequent historische Betrachtung hat ihn zu einer interessanten Einsicht hinsichtlich des Verhältnisses von Reformation und Neuzeit geführt: Er sieht die Neuzeit als nichtintendierte Folge der Reformation letztere erstrebte eine Reform der Gesamtkirche, verursachte de facto jedoch den Zerfall der kirchlichen Einheit, und der durch die Konfessionskriege unglaubwürdig gewordene konfessionelle Absolutismus trieb dann die säkulare Kultur hervor 19 . Was Ebeling mit Recht für Luthers Denken reklamiert, nämlich dessen Verankerung im christlichen Glauben als einem transhistorischen und transepochalen Grund, gilt ohne Zweifel auch für die Theologie des Thomas. Die von daher naheliegende Vermutung, daß sich die unbestreitbaren Unterschiede zwischen Thomas und Luther - bei kompetenter Einbeziehung der kulturgeschichtlichen Aspekte - als historisch, nicht als substantiell theologisch bedingt erweisen, hat sich in der Forschung schon mehrfach bestätigt 20 . Im folgenden soll versucht werden, diese Erkenntnis zu erhärten, indem die Lehre des Thomas von der Glückseligkeit als dem Letztziel des Menschen konfrontiert wird mit wichtigen Aussagen Luthers, die eine theologische Relevanz des Glücksgedankens nachhaltig bestreiten. Dabei handelt es sich um Texte aus dem Umfeld jener in 1.2 bereits zitierten Stelle aus Luthers Römerbrief-Vorlesung, die schon Holl mit Recht als Ausdruck einer anti-eudämonistischen Haltung interpretiert hat.

17 18

19

20

Ebd. Wolfhart Pannenberg, Reformation und Neuzeit, in: Protestantismus und Neuzeit, hg. von Horst Renz und Friedrich Wilhelm Graf, Gütersloh 1984 [TroeltschStudien 3], 21-34, hier 28. Pannenberg hat diese These mehrfach geäußert, zuerst in: Reformation zwischen gestern und morgen, Gütersloh 1969. Eine äußerst materialreiche und differenzierte Würdigung der geschichtlichen Rolle der lutherischen Reformation einschließlich ihres Verhältnisses zur Neuzeit stammt von Gunther Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch, Band 1, Berlin-New York 1996, 100-127 (§ 2,3: „Konfessionsstreit und politische Ordnung"). Hierfür sei nochmals auf die am Ende der Einleitung (Anm.9-12) genannte Literatur verwiesen (vgl. S.7).

Die thomanische beatitudo-Lehre in evangelischer Sicht

281

Die Beschränkung auf diesen frühen Text stellt keine Option zugunsten einer Frühdatierung von Luthers reformatorischem Durchbruch dar; in die komplizierte Diskussion um Zeitpunkt und Inhalt der reformatorischen Erkenntnis soll hier nicht eingetreten werden 2 1 . Im übrigen scheint es so, als stelle die massive Kritik an einer Einbeziehung des Glücksgedankens in die christliche Theologie eine Konstante bei Luther dar, unabhängig von sonstigen Akzentverschiebungen in seinem Denken; auch eine Heranziehung späterer Texte dürfte das sich aus der Römerbrief-Vorlesung ergebende Bild nicht wesentlich verändern. Vor allem aber kommt Luthers Kritik an einer auf dem Glücksgedanken basierenden Begründung christlicher Sittlichkeit in seinen Ausführungen zu R o m 8 und 9 besonders klar zum Ausdruck. Die Feststellung, daß die höchste Stufe der Erwählung durch eine Gotteshingabe charakterisiert ist, die die Bereitschaft einschließt, um Gottes willen den ewigen T o d hinzunehmen, begegnet im Zusammenhang der Kommentierung zu R o m 8,28ff. Nach Luther hebt Paulus in diesen Versen hervor, daß als Grund der Erwählung der Menschen zum Heil ausschließlich Gottes ewige und unabänderliche Liebe und der unbeugsam feste Wille seiner Vorherbestimmung gelten kann. Diese Entscheidung Gottes kann weder durch die Feindseligkeiten verhindert werden, denen seine Auserwählten ausgesetzt sind, noch kann der Mensch - etwa kraft eines freien Willens irgend etwas zu seiner Erwählung durch eigene Verdienste beitragen 2 2 . - Diese Auffassung resultiert aus der ,Klugheit des Fleisches', die, so Luther, von Paulus hier endgültig erwürgt und getötet wird 2 3 . Was Luther unter solcher ,prudentia carnis' im einzelnen versteht, wird deutlich im Rahmen seiner Behandlung der Einwände gegen

21

Vgl. dazu jetzt die Literaturhinweise, die Problembeschreibung sowie die Bemerkungen zum Forschungsstand bei Bernhard Lohse, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1 9 9 5 , 9 7 - 1 0 2 .

22

Immo et ideo sic (Deus, R.L.) saluat Et tot rapacibus manibus suos electos obiicit ...vt ostendat, quia non meritis nostris, Sed electione mera et immutabili volúntate sua ... saluet. Quia si non per tot monstra ducerei, multum relinqueret opinionis de nostris meritis. Sed nunc ostendit, quod immutabili dilectione eius saluamur. Ac non arbitrium nostrum, Sed inflexibilem et firmam sue predestinationis voluntatem per hec omnia probat (Martin Luther, Diui Pauli apostoli ad Romanos epistola, WA 56,382,1-9).

23

Siquidem hucusque Apostolos precidit ei (prudentiae carnis, R.L.) manus et pedes et linguam, Hic autem ingulat penitus et occidit earn (WA 5 6 , 3 8 2 , 1 8 - 2 0 ) .

282

Zur Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre

den für ihn so entscheidenden Gedanken der göttlichen Alleinwirksamkeit bei der Bestimmung zum Heil: Carnis prudentia sua quaerit tantum. Et plus timet miseriam suam quam ingloriam Dei, Ac per hoc plus voluntatem suam quam Dei24 - Fleischesklugkeit bezeichnet bei Luther offensichtlich einen Mangel des Menschen an Willenskonformität mit Gott. Aufgrund dieser Differenz zwischen dem eigensüchtigen Willen des Menschen und dem Willen Gottes kann die prudentia carnis darüber klagen, daß sich die gloria Dei auch und gerade in Leid und Elend der Menschen manifestiert25. Die Erwählten dagegen, weil sie den Willen Gottes gern tun wollen, erschrecken angesichts jeder Abweichung ihres Eigenwollens von der voluntas Dei, ja gerade dieses Erschrecken gilt als ein Zeichen der Erwählung. Das deutlichste signum electionis ist aber nach Luther die vollkommene Reinigung von allem Eigenwollen, eben jene Haltung, die die Bereitschaft impliziert, auch dann ganz und gar mit dem Willen Gottes konform zu gehen, wenn dies zum ewigen Tod führt erst solche von allem menschlichen Selbstbezug vollständig befreite Hingabe an Gott kann als wahre Liebe gelten, und diese ist deshalb nur für den Geliebten etwas Süßes; für den Liebenden ist sie dagegen bitter: dulcis in obiectum et amara in subiectum26. In den sich anschließenden Erläuterungen Luthers zu Rom 9,2 und 3 wird dieser Gedanke weiter vertieft. Die wahre Liebe, so heißt es, ist nicht nur dadurch charakterisiert, daß sie alles Leid willig erduldet, sondern ihr entscheidendes Kennzeichen ist geradezu der Haß gegen sich selbst: Est enim hec dilectio a contrario fortissima et extrema, Ubi per summi in seipsum odii signum summam ostendit dilectionem in alterum27; Est enim diligere seipsum odisse, damnare, malum optare2S. Wer also in der Liebe zu Gott auch für sich selbst ein Gut erstrebt, der liebt Gott nicht wirklich, sondern dessen ,Liebe'

24

WA 56,386,16-18.

25

Tunc dicit hic ,Prudentia carnis': durum est et miserum, suam querit in miseria mea (WA 5 6 , 3 8 6 , 1 3 - 1 5 ) .

26

W A 5 6 , 3 8 8 , 2 6 ; daß es das mit Leiden verbundene Liebeswerk Christi ist, das Luther als ,Modellfall' der Liebe gilt, wird schon kurz vor dem gerade Zitierten deutlich: Ideo Sub nomine Amoris Vel charitatis semper crux et passiones intelligende sunt (WA 5 6 , 3 8 8 , 2 1 f . ) .

27

WA 56,390,17f.

28

W A 5 6 , 3 9 2 , 2 0 f . Vgl. auch Martin Luther, Disputado contra scholasticam theologiam, These 9 5 , W A 1 , 2 2 8 , 2 9 : Diligere deum est seipsum odisse et praeter deum nihil novisse.

Quod

Deus

gloriam

Die thomanische beatitudo-Lehre in evangelischer Sicht

283

kann lediglich als amor concupiscentiae gelten 29 . Deshalb sollen wir nicht das Gute erstreben und vor dem Übel fliehen, sondern umgekehrt: Ideo oportet fugere bona et assumere mala30. Gerade dieser völlige Verzicht auf alles Eigene im Interesse einer vorbehaltlosen Konformität mit dem Willen Gottes bis hin zur resignatio ad infernum pro Dei volúntate ist es, der nach Luther zur Erlangung des Heils führt, ja führen muß - denn wer genau das will, was Gott will, der ist von Gott geliebt und wird deshalb auch selig 31 . Es sind vor allem zwei eng miteinander zusammenhängende Aspekte, bezüglich derer sich Luthers hier dargestellte Auffassung von der des Thomas deutlich unterscheidet. (1) Während Thomas, wie in 2.4.3.2 deutlich wurde, jedenfalls für die caritas viae lediglich von einer formalen Konformität des menschlichen mit dem göttlichen Willen ausgeht, fordert Luther bereits für den Glauben des hier und jetzt lebenden Christen eine conformitas pura, also eine vollständige Identität in materialer Hinsicht. Diese Differenz ergibt sich aus (2) einer unterschiedlichen Beurteilung des Zusammenhangs zwischen dem Glück des Menschen und seinem Heil: Während Thomas, wie in Teil 2 durchgängig gezeigt werden konnte, alles Streben nach Glück als auf das dem Menschen von Gott her bestimmte Letztziel bezogen denkt, geht Luther von einem unüberbrückbaren Gegensatz zwischen göttlichem Heilswillen und menschlichem Glücksstreben aus, eine Auffassung, die sich in der Forderung nach Selbsthaß niederschlägt. Wie man das Verhältnis zwischen Thomas und Luther in der Frage nach dem Letztziel des Menschen bestimmt, hängt davon ab, ob man den genannten Differenzen prinzipielle theologische Bedeu-

29

30

31

Notandum autem, Quod hec verba iis, qui sibi sancii videntur Et Deum amore concupiscentie diliguttt i. e. propter salutem et requiem eternam aut propter fugam inferni, hoc est, non propter Deum, Sed propter seipsos, mira, immo stulta videntur (Martin Luther, Diui Pauli apostoli ad Romanos epistola, WA 56,390,23-26. WA 56,393,24f.; bei diesem Satz handelt es sich um eine direkte Umkehrung des scholastischen und bei Thomas als primum praeceptum legis naturae bezeichneten Grundsatzes: bonum est faciendum et prosequendum, et malum vitandum (Summa Theologiae Ia-IIae 94,2c). Veruntamen sicut seipsos ita pure conformant Voluntati Dei, Sic est impossibile, ut in inferno maneant. Quia impossibile est, ut extra Deum maneat, qui in voluntatem Dei sese penitus proiecit. Quia Vult, quod vult Deus; Ergo placet Deo. Si placet, ergo est dilectus; Si dilectus, ergo Saluus (Martin Luther, Diui Pauli apostoli ad Romanos epistola, WA 56,391,12-16).

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Zur Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre

tung zuerkennt. Dies ist vielfach geschehen, nämlich aufgrund der durchaus zutreffenden Feststellung, daß das Proprium reformatorischer Theologie gerade in der konsequenten Abweisung des Gedankens einer menschlichen Heilskompetenz besteht. Die daraus resultierende Bestreitung einer theologischen Legitimität der Glückseligkeitslehre des Thomas wird allerdings problematisch und erweist sich ihrerseits als bestreitbar, wenn man den thomanisch-lutherischen Differenzen im Glücksverständnis jene Differenzen gegenüberstellt, die sich aus der Verschiedenheit des jeweiligen historischen Bezugsrahmens ergeben. Wie in Teil 1 schon erwähnt wurde, hat sich die Berücksichtigung der unterschiedlichen historischen Voraussetzungen bereits als durchaus fruchtbar für ein angemessenes Verständnis der thomanischen Lehre von der Gnade als einer qualitas quaedam animae erwiesen: Während Thomas damit der dem Menschen in der Gottesgemeinschaft geschenkten „Spontaneität der neuen Lebendigkeit und des ihr entspringenden neuen Handelns" 32 angemessen Ausdruck verleihen konnte, mußte Luther an dieser Lehre massiv Anstoß nehmen, hatte er es doch „mit der gesteigerten Selbsterfahrung der bürgerlich-neuzeitlichen Subjektivität zu tun, die alles, auch das christliche Geschehen, unter den Zugriff des Possessiven bringt, ein von Gott in ihr gewirktes sogleich als ihr Eigenes beansprucht" 33 . Eine vergleichbare Frontstellung kann man auch als Hintergrund von Luthers Bestreitung eines Zusammenhangs zwischen dem Glücksstreben des Menschen und dem Heilswillen Gottes feststellen. Luther selbst wendet sich in der Römerbrief-Vorlesung ausdrücklich gegen ein anthropologisiertes Glücksverständnis: Daß wahre Liebe an Selbsthaß gebunden ist, kommt denen, die Gott nicht um seiner selbst willen, sondern propter seipsos lieben, deshalb wunderlich und töricht vor, weil sie, so Luther, nesciunt, quid sit Beatum et saluum esse, Nisi seil, voluptari et bene habere secundum, phantasiam suam. Cum sit hoc esse Beatum, Voluntatem Dei etgloriam eius in omnibus Velie et suum nihil optare, Ñeque hic, ñeque in futuro34. Der Luthers Kritik zugrunde liegende beatitudo-Begriff läßt sich, unter Berücksichtigung des in 3.1 Gesagten, als ein Resultat der neuzeitlichen

32

33 34

Otto Hermann Pesch, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin, 707. Jörg Baur, Fragen eines evangelischen Theologen an Thomas von Aquin, 168. Martin Luther, Diui Pauli apostoli ad Romanos epistola, WA 56,391,2-6.

D i e t h o m a n i s c h e beatitudo-Lehre in evangelischer Sicht

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Anthropologisierung des Glücksverständnisses identifizieren. Luther bestreitet, daß das von Gott dem Menschen verheißene Heil mit dessen Vorstellungen über ein vergnügliches Leben in irgendeinem Zusammenhang steht; der Wille Gottes zielt nämlich nicht darauf ab, daß sich die Menschen auf etwas anderes als Gott selbst orientieren. Nicht um die Verewigung und Beseligung seiner endlichen Existenz geht es (optare suum hic vel in futuro 35 ), nicht um seine Erhaltung, sein Wohlergehen36 (voluptari et bene habere), sondern darum, in jeder Hinsicht genau das zu wollen, was Gott will (Voluntatem Dei et gloriam eius in omnibus Velie), ohne Rücksicht darauf, was dies für das Eigenwohl des Menschen bedeutet. Es ist offensichtlich, daß die von Luther hier so scharf abgewiesene Vorstellung über beatitudo bzw. salus die neuzeitliche Detheologisierung und Humanisierung des Glücksverständnisses voraussetzt. Wenn aber Glück ausschließlich als bonum humanum verstanden und insofern Heil-los gedacht wird, dann ist es theologisch nicht nur konsequent, sondern sogar gefordert, das allein bei Gott zu findende Heil unabhängig von der beatitudo humana zu bestimmen. Der biblisch-christliche Gedanke, wonach die Glückseligkeit des Menschen ein eschatologisches Gnadengeschenk Gottes ist, konnte angesichts eines auf die Realisierung menschenmöglichen Glücks orientierten Zeitgeistes nur durch die konsequente Abgrenzung des Heils von der phantasia humana gewahrt bleiben. Daß die von Luther kritisierte Vorstellung eines ausschließlich als bonum humanum verstandenen Glücks auch von Thomas unzweideutig zurückgewiesen wird, muß nicht wiederholt werden. Ebensowenig ist noch einmal eingehend darzustellen, daß die in Luthers Kritik vorausgesetzte Trennung von menschlichem Glücksstreben und göttlichem Heilshandeln bei Thomas so nicht gegeben ist. Nur eines sei angemerkt: Wo die beatitudo hominis als Manifestation des göttlichen Heilhandelns aufgefaßt wird, dort können Glück und Heil gar nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sie konvergieren zwangsläufig miteinander, und das ethische Interesse richtet sich vor allem darauf, wie sich der Heilswille Gottes in der menschlichen Handlungswirklichkeit niederschlägt. Man wird der thomanischen

35

36

Vgl. dazu nochmals W A 56,392,20f.: Est enim diligere seipsum adisse, damtiare, malum optare. Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akademie-Textausgabe IV 395,8f.

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Zur Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre

beatitudo-Lehre deshalb in keiner Weise gerecht, wenn man in ihr eine theologische Antwort auf das erst neuzeitlich virulent gewordene Programm einer gegengöttlichen Selbstvergöttlichung (Blumenberg) sucht, mit dem sich Luther offenbar konfrontiert sah. Die beatitudo hominis ist für Thomas gerade kein aus menschlicher Selbstbemächtigung resultierendes, sondern das dem Menschen von Gott her verheißene Ziel, auf das er seiner Geschöpflichkeit nach orientiert ist. Daß seine geschöpflichen Voraussetzungen für die Erlangung der beatitudo nicht ausreichen und er auf die Gnade Gottes angewiesen ist, daran läßt Thomas nie einen Zweifel, und daß der von Luther ausdrücklich kritisierte amor concupiscentiae nicht als Weg zur Seligkeit gelten kann, hatte auch Thomas hervorgehoben. Zusammenfassend läßt sich sagen: Luther hat mit seiner Bestreitung der menschlichen Heilskompetenz ein genuin christliches Anliegen unter den Bedingungen des gesteigerten Selbstbewußtseins der frühneuzeitlichen Subjektivität angemessen zur Geltung gebracht. Dabei richtet er seine Kritik gegen ein anthropologisch dominiertes Glücksverständnis, das mit dem beatitudo-Begriff des Thomas weder vergleichbar noch gar identisch ist. Daß die beatitudo-Lehre des Thomas ebenfalls als eine - aus den spezifischen Bedingungen des 13. Jahr hunderte heraus zu verstehende - theologisch legitime Ausprägung christlichen Denkens gelten kann, ist deshalb mindestens nicht ausgeschlossen und legt sich darüber hinaus auch aufgrund der in Teil 2 gewonnenen Analyseergebnisse nahe. Mit der letzten Bemerkung ist die Grundlage geschaffen für den sich nun anschließenden Versuch, die theologische Legitimität der thomanischen beatitudo-Lehre aus evangelicher Sicht nachzuweisen, ein Versuch, der hier freilich auf die Heranziehung einiger weniger Aspekte beschränkt bleiben muß. Zunächst ist deutlich, daß Luther die vom Menschen geforderte Haltung gegenüber Gott in ganz ähnlicher Weise beschreibt wie Thomas. Wenn Paulus sagt, er wünsche sich, zugunsten seiner Brüder verflucht und fern von Christus zu sein (Rom 9,3), so sind diese Worte nach Luther für jene Menschenpulcherrima ... et perfectissimi exempli tesimonia, qui vere Deum diligunt amore filiali et amicitie, qui non est ex natura, Sed spiritu sancto solum37. Auch wenn mit der 37

Martin Luther, Diui Pauli apostoli ad Romanos epistola, W A 5 6 , 3 9 1 , 7 - 9 (umgestellt); vgl. auch Martin Luther, Predigt am Trinitatisfeste, W A 1 5 , 7 2 5 , 3 3 f . :

Und eben wie zwene freundt mit einander vereyniget sein, unnd einer will, was der ander will.

Die thomanische beatitudo-Lehre in evangelischer Sicht

287

Bestreitung jeder natürlichen' Basis der Freundschaftsliebe die Relevanz der aristotelischen φιλία-Lehre für die Beschreibung des GottMensch-Verhältnisses implizit bestritten wird, so ist es doch bemerkenswert, daß sowohl Thomas als auch Luther den Begriff des amor amicitiae heranziehen, wenn es darum geht, die Gott geschuldete Liebe zu beschreiben. Daß Luther sich höchstwahrscheinlich vehement geweigert hätte, den von Thomas so umfassend rezipierten aristotelischen Hintergrund für sein Verständnis des amor amicitiae fruchtbar zu machen, ändert an dieser Gemeinsamkeit nichts; man vergegenwärtige sich nur, daß Thomas stets von einer amicitia quaedam hominis ad Deum spricht und daß seiner Anknüpfung an den Freundschaftsbegriff des Philosophen die vor allem in 2.4.3 festgestellte ,Vertikalisierung' des aristotelischen φιλία-Verständnisses zugrunde liegt. Die inhaltliche Relevanz dieser zunächst nur terminologischen Übereinstimmung ergibt sich aus dem Hinweis Luthers auf den Heiligen Geist als Ursprung der Freundschaftsliebe. Dieser ist es nämlich, dessen Wirken im Menschen nach Luther zur Willenskonformität mit Gott und zum Verzicht auf jedes humane Eigengut führt 3 8 . Nun hat auch Thomas in Summa Theologiae IF-Il ae 24,2 die infusio Spiritus Sancti als Ursache des amor amicitiae bestimmt. Die in dieser infusio gegebene communicatio beatitudinis aeternae führt, wie in 2.4.3.2 deutlich wurde, zu einer vollständigen Unterwerfung des Menschen unter Gott, ja zu einer unio quaedam hominis ad Deum 3 9 . Diese unio wird verstanden als Willenskonformität mit Gott, die zwar keine materiale, sondern lediglich eine formale Übereinstimmung mit der voluntas divina impliziert, die aber dennoch den Gedanken einer resignatio ad infernum im Sinne Luthers keineswegs ausschließt - auch nach Thomas kann die eigene Verwerfung gewollt werden, freilich ,nur' formaliter, als Implikat der Zustimmung zur iustitia Dei 40 .

38

39

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Vgl. aaO (WA 15,725,31-33): (Der Heilige Geist) machet den menschen ein dingk und einen geyst mit Gott, Also das er eben deß gesinnet wirt, daß will und begeret, daß suchet und liebet, daß Gott will. Die Einzelheiten müssen hier nicht wiederholt werden, nur die wichtigsten Thomas-Stellen seien nochmals kurz genannt: Est igitur de ratione caritatis ut sic diligat Deum quod in omnibus velit se ei subiicere (Summa Theologiae IIa-IIae 24,12c); caritas importât unionem quandam ad Deum: non autem fides et spes (Summa Theologiae IIa-IIae 24,12ad5). Hier sei erinnert an Summa Theologiae Ia-IIae 19,10 (vgl. dazu 2.4.3.2; S.253f.).

288

Z u r Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre

Auf der Grundlage dieser gnadengewirkten Annahme durch Gott ist es nach Thomas nicht nur möglich, sondern sogar gefordert, auch von einer Liebe zu sich selbst zu sprechen. Es konnte gezeigt werden, daß die Selbstliebe bei Thomas theozentrisch zu verstehen ist, als Jasagen dazu, daß Gott mich bejaht hat. Luther hat diese Konsequenz nicht gezogen; der Begriff der Selbstliebe bleibt in seinem Denken negativ besetzt. Dies wird schon daran deutlich, daß er die Lehre vom ordo amoris, innerhalb derer dem amor sui bei Thomas ein legitimer Ort zugewiesen wird, mit Vehemenz ablehnt: Garrientes,

Quod Charitas ordinata incipit a seipsa, Et sibi ipsi quisque optare debet primo salutem, deinde sicut sibi, ita ut proximo . Als die dem

,Geschwätz' von der Priorität der Selbst- gegenüber der Nächstenliebe zugrunde liegende falsche Auffassung diagnostiziert Luther die Reduktion von Glückseligkeit und Heil auf die phantasia humana 42 . Freilich wird man auch hier feststellen müssen, daß der Ansatz des Thomas von dieser Polemik Luthers nicht getroffen wird. Denn Thomas' Verständnis einer theologisch legitimen Selbstliebe entspricht gerade nicht der von Luther kritisierten Auffassung. Thomas selbst hat ausdrücklich bestritten, daß ein vom Interesse am bonum privatum getragener Selbstbezug als hinreichende Basis für eine christlich verstandene Nächstenliebe gelten kann 43 . Das Selbst, das nach Luther gehaßt werden muß, ist offensichtlich ein anderes als das, welches nach Thomas zu lieben ist. Vereinfachend könnte man sagen: Luther versteht das Selbst des Menschen grundsätzlich als etwas Gegengöttliches, als etwas, das, wenn es sich bejaht, zwangsläufig Gott verneint. Möglicherweise kann man in dieser Auffassung den Widerstand gegen den von Blumenberg als konstitutiv neuzeitlich bestimmten Atheismus und Anthropotheismus wiedererkennen, also eine Polemik gegen die gesteigerte Selbsterfahrung der bürgerlichneuzeitlichen Subjektivität, mit der sich Luther konfrontiert sah (Baur). Führt man sich die Ergebnisse der in Teil 2 angestellten Analysen vor Augen, dann wird außerdem offenkundig, daß sich auch aus der Theologie des Thomas eine analoge Polemik entwickeln ließe. Sein durchweg theozentrisches beatitudo-Verständnis hat dies deutlich 41 42

Martin Luther, Diui Pauli apostoli ad Romanos epistola, WA 5 6 , 3 9 0 , 2 6 - 3 9 1 , 2 . Hoc autem sapiunt, Quia nesciunt, quid sit Beatum et saluum esse, Nisi seil, voluptari et bene habere secundum phantasiam suam. Cum sit hoc esse Beatum, Voluntatem Dei et gloriam eius in omnibus Velie et suum nihil optare, Ñeque hic, ñeque in futuro (aaO, 391,2-6).

Die thomanische beatitudo-Lehre in evangelischer Sicht

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gemacht. Daß eine solche Polemik in der Konzeption des Thomas nicht explizit enthalten ist, hat mit dem historischen Ort seiner Theologie zu tun: Das .Programm' einer gegengöttlichen Selbstvergöttlichung ist ein spezifisch neuzeitliches ,Programm' und keine schon im 13.Jahrhundert relevante Herausforderung. Die Feststellung, nach der sich aus der Theologie des Thomas eine der lutherischen Polemik analoge Frontstellung gegen eine antigöttlich orientierte Selbstliebe entwickeln ließe, führt naturgemäß zu der umgekehrten Frage, ob von den Voraussetzungen Luthers her eine theologisch legitime Selbstliebe denkbar ist. Im Vorfeld einer umfassenden Klärung des damit angesprochenen Problems müßte freilich der Ansatz Luthers eingehender entfaltet werden, als es hier möglich war. Die folgenden Ausführungen beschränken sich deshalb auf die Nennung zweier für diese Fragestellung relevanter Aspekte. (1) Der Gedanke einer theologisch legitimen Selbstliebe bei Luther ist mit der prinzipiellen Schwierigkeit behaftet, daß in der reformatorischen Theologie die Rechtheit des Gottesverhältnisses nicht primär als Resultat einer von außen bewirkten inneren Veränderung des Menschen aufgefaßt wird, sondern vielmehr als ein nur von außen ergehender Zuspruch Gottes, der, wie der Begriff der iustitia aliena zeigt, dem Menschen in gewisser Weise auch äußerlich bleibt, ihm jedenfalls keine dann konstant verfügbaren neuen Seinsqualitäten mitteilt. Der Gedanke einer .geordneten' Selbstliebe des Gerechtfertigten paßt mit diesem Ansatz zunächst nicht zusammen, ist die Rechtfertigung als ein Versetztsein in Christus doch gerade mit der Absage an das von Luther stets als nur selbstisch aufgefaßte Selbst verbunden. (2) Andererseits weiß Luther durchaus davon zu reden, daß der Gerechtfertigte, obwohl die iustitia Dei nicht sein .Eigentum' wird, dennoch als cooperator Dei anzusprechen ist. Zwar hat er „den ,cooperatio'Begriff nicht für einen irgendwie in der Mitte seiner Theologie stehenden Begriff gehalten" 4 , doch verwendet er ihn, „solange er Theologie treibt, und bringt ihn in bestimmten Aussagebereichen immer wieder zur Geltung" 5 , nämlich vorwiegend in dem Sinn, „daß der 43

So macht Thomas z.B. in Summa Theologiae II a -II" 4 4 , 7 c geltend, daß der proximus geliebt werden soll non ... propter propriam utilitatem vel delectationem, sed ea ratione quod velit proximo bonum.

44

Martin Seils, Der Gedanke vom Zusammenwirken Gottes und des Menschen in Luthers Theologie, Berlin 1 9 6 2 , 1 9 1 .

45

Ebd.; vgl. zum Gedanken der cooperario bei Luther auch Otto Hermann Pesch, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin, 3 1 7 322.

290

Zur Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre

Mensch Gottes Instrument ist" 46 . Als entscheidende Voraussetzung des cooperatio-Gedankens kann die Einsicht Luthers gelten, daß Gott, obwohl er für die Vollendung seines Heilswerks nicht auf die ,Hilfe' der Menschen angewiesen ist, den Gläubigen dennoch Anteil an seinem Wirken geben will: er kans wol, ehr wil es aber nit allein thun, er wil, das wir mit yhm wirckert, unnd thut uns die ehre, das er mit uns und durch uns sein werck will wircken47. Man wird zunächst mit Recht sagen können, daß die Forderung des Selbsthasses für das gerade durch die Rechtheit des Gottesverhältnisses definierte ,Selbst' des cooperator Dei, des Werkzeuges Gottes, hinfällig wird. Denn ein so verstandener Selbsthaß wäre nichts anderes als Gotteshaß. Wird dies zugestanden, dann legt es sich auch nahe, von einer theologisch legitimen, ja sogar geforderten Selbstliebe der cooperatores Dei zu sprechen. Daß Luther dies nicht explizit getan hat, hängt wohl damit zusammen, daß er das seipsum amare nur als einen antigöttlichen Akt der menschlichen Selbstvergöttlichung auffassen konnte und sich deshalb die Frage nach der Möglichkeit einer ,geordneten' Selbstliebe der cooperatores Dei für ihn nicht gestellt hat. Gleichwohl ließe sich der Gedanke einer theologisch legitimen Selbstliebe im Zusammenhang mit dem cooperatio-Begriff entwikkeln, ohne den Ansatz Luthers zu verwässern und das Grundanliegen der reformatorischen Theologie zu verfehlen. Das bisher Gesagte läßt sich in drei Punkten zusammenfassen: 1. Sowohl Luther als auch Thomas betonen, daß nur eine in der gnadenhaften Eingießung des Heiligen Geistes gegründete Willenskonformität des Menschen mit Gott zur ewigen Seligkeit führt. 2. Die erst unter den Bedingungen des frühneuzeitlichen Anthropotheismus mit lutherischer Vehemenz formulierbare radikale Bestreitung jeglicher Heilskompetenz des Menschen und die damit verbundene Forderung nach Selbsthaß widerspricht der historisch völlig anders verankerten beatitudo-Lehre des Thomas insofern nicht, als dessen Glückseligkeits-Begriff gerade keine Gott-lose Selbstver-

46

47

Gerhard Ebeling, Disputado de homine. Dritter Teil (Die theologische Definition des Menschen). Kommentar zu These 20-40 (Lutherstudien II), Tübingen 1989, 610; vgl. auch den ganzen Zusammenhang aaO, 581-622. Martin Luther, Von den guten Werken, WA 6,227,29-31; vgl. auch Martin Luther, De servo arbitrio (1525), Studienausgabe 3 (1983), 323,7f.:(Deus) non operatur in nobis, sine nobis, ut quos ad hoc creauit (et) seruauit, ut in nobis operaretur, (et) nos ei cooperaremur.

Die thomanische beatitudo-Lehre in evangelischer Sicht

291

wirklichung des Menschen meint, sondern die Realisierung des göttlichen Heilsplans aus der Perspektive des Menschen. 3. Die thomanische Lehre von der Selbstliebe als einem notwendigen Implikat der caritas ist zwar für Luther angesichts der geistesgeschichtlichen Bedingungen des 16.Jahrhunderts nicht mehr in der traditionellen Weise formulierbar, steht aber zu seinem Grundanliegen nicht nur nicht im Widerspruch, sondern kann sogar als angemessene Konsequenz seines Ansatzes aufgefaßt werden. Nachdem die in Teil 2 vollzogene Analyse der thomanischen beatitudo-Lehre den Vorwurf des Eudämonismus zurückgewiesen hat, konnte in Teil 3 deutlich gemacht werden, daß die eudämonistische Interpretation der thomanischen Ethik ihren Ursprung in der neuzeitlichen Anthropologisierung des Glücksbegriffs hat: Infolge der durch die Epochenwende vom Mittelalter zur Neuzeit aufgebrochenen Differenz zwischen Glück und Heil mußte die Konzeption des Thomas zweideutig werden. Diese Zweideutigkeit, die sich in der bewegten Interpretationsgeschichte seiner beatitudo-Lehre spiegelt, löst sich jedoch auf, wenn man den thomanischen Begriff der beatitudo hominis vor dem Hintergrund der für Thomas noch gegebenen Einheit von Glück und Heil sieht, vor dem Hintergrund der Einheit von perfectio hominis und der Vollendung des göttlichen Heilsplans. Dann freilich werden auch die zahlreich geäußerten evangelischen Bedenken gegenüber dem Ansatz des Thomas hinfällig. Denn der Glaube daran, daß Gott Seine Auserwählten zu Leben und Seligkeit führen wird, beruht letztlich auf dem Zeugnis der Bibel und kann als in allen christlichen Bekenntnissen vorausgesetzte Grundüberzeugung gelten. Zwar hat Luther sehr stark darauf insistiert, daß sämtliche vom Menschen ausgehenden Wünsche und Aktivitäten hinsichtlich der Erlangung der Seligkeit ihr Ziel notwendig verfehlen müssen, weil das Heil einzig als Gnadengeschenk Gottes angemessen gedacht werden kann. Doch seine Forderung nach völligem Verzicht auf jede Form der Mitwirkung hat ja genau den Sinn, die Erlangung von Gnade und ewiger Seligkeit nicht auszuschließen, sondern zu ermöglichen. Daß es das sündhafte Selbstbemächtigungsstreben des Menschen ist, das so unübersehbar im Mittelpunkt von Luthers Theologie steht, hat damit zu tun, daß er sich mit einem Heilsverständnis konfrontiert sah, das zunehmend vom menschlichen Glücksbedürfnis dominiert wurde. Thomas, ein Denker des 13.Jahrhunderts, hatte sich mit einem solchen Heilsverständnis nicht in der Weise auseinanderzusetzen wie

292

Zur Beurteilung der thomanischen beatitudo-Lehre

Luther unter den Bedingungen der Frühneuzeit. Sein zentrales Interesse richtete sich dementsprechend nicht auf den von Luther so vehement betonten Widerstand, den die menschliche Sünde dem Willen Gottes in allem entgegensetzt, sondern der Hauptakzent seiner Theologie lag auf der Verwirklichung des göttlichen Heilsplans, wie sie sich faktisch - auch gegen alle Widerstände - vollzieht, wobei dem motus rationalis creaturae in Deum deswegen besondere Bedeutung zukommt, weil es der vernunftbegabten Schöpfung aufgegeben ist, ihr Letztziel eigentätig zu verfolgen. Diese Unterschiedlichkeit der Akzentsetzung in den Theologien von Luther und Thomas, wie sie hier formuliert wird, entspricht ersichtlich der von Pesch formulierten Charakterisierung der lutherischen als einer existentiellen' und der thomanischen als einer ,sapientialen' Theologie: Der Ansatz des Thomas steht dem Luthers nicht entgegen, sondern die christliche sapientia beruht auf dem existentiellen Glaubensvollzug 48 . Der oben festgestellte Zusammenhang zwischen den verschiedenen Schwerpunktsetzungen bei Thomas und Luther und der Epochenwende vom Mittelalter zur Neuzeit erlaubt es sogar, diese These noch zu präzisieren: Die neuzeitliche Infragestellung zentraler Grundeinsichten der sapientia Christiana erzwingt erneut eine eingehende Reflexion auf den existentiellen Glaubensvollzug, wie sie Luther umfassend geleistet hat. Geht man davon aus, dal? auch der sapientiale Ansatz des Thomas auf solcher Reflexion beruht (und die Angemessenheit dieses Ausgangspunktes dürfte hinreichend erwiesen sein), dann kann man auch den immer wieder als bibelfremd und deshalb theologisch bedenklich kritisierten metaphysischen Implikaten in seinem Denken besser gerecht werden. Denn bei Thomas erhält die dem Menschen konstitutiv zukommende und sich im desiderium naturale aktualisierende Hinordnung auf Gott im Kontext seines theologischen Gesamtentwurfs eine soteriologische Funktion: Es kommt nicht darauf an, daß der Mensch sein Glück sucht, sondern es geht darum, zu verstehen, daß sich Gott vom Menschen suchen läßt und sich von ihm finden lassen will. 48

„Der Vergleich der theologischen Gesamtkonzeptionen bei Thomas und Luther zeigte gerade dies, daß das omnia sub ratione Dei des Aquinaten als Organisations- und Verstehensprinzip einer theologischen Wissenschaft das luthersche homo reus ac perditus et Deus iustificans et salvator hinter sich hat" (Otto Hermann Pesch, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin, 945; Kursivdruck im Text, R.L.; vgl. auch den ganzen Zusammenhang aaO, 935-948).

Anhang Übersicht 1 Die Zuordnung der herkömmlichen Auffassungen vom Glück zu den Seligpreisungen Jesu nach Mt 5 im Kommentar des Thomas

Super Evangelium S.Matthaei Lectura Caput 5 (404-407)

M t 5,1-9

Quidam credunt quod beatitudo consistât...

1

in exterioribus

2

in hoc quod homo satisfaciat voluntad suae (in satisfactione appetitus)

Beati pauperes spiritu

triplex est appetitus in homine: 2.1

-appetitus irascibilis

2.2

-appetitus concupiscibilis

2.3

-appetitus voluntatis, qui est duplex:

Beati mites Beati qui lugent'

2.3.1

quod voluntas nulla superiori lege coerceatur Beati qui esuriunt et sitiunt iustitiam

2.3.2

quod possit restringere alios ut subditos

Beati misericordes

3

in virtutíbus activae vitae

3.1

-vel ordinantur ad seipsum

Beati mundo corde

3.2

-vel ordinantur ad alterum

Beati pacifici

4

in virtutíbus contemplativae vitae

... quoniam ipsi Deum videbunt ... quoniam Filii Dei vocabuntur

Die heute geläufige Reihenfolge des zweiten und dritten Makarismus ist bei Thomas umgekehrt, da in der Vulgata die Verse 4 und 5 gegenüber der alten Überlieferung vertauscht sind. Der prominenteste Textzeuge für die Vulgata-Reihenfolge ist der Codex Bezae Cantabrigiensis.

294

Anhang

Übersicht 2 Nikomachische Ethik I 5 (1097a22-24) und die Thomas vorliegende Übersetzung

Aristoteles, deutsche Übersetzung Nikomachische Ethik des griechischen Textes I5(1097a22-24)

Versio Latina der Nikomachischen Ethik (Leonina XLVII/1,30)

deutsche Übersetzung des lateinischen Textes

(22.23) ώστ' εϊ τι των πρακτών απάντων έστί τέλος, τοΟτ' αν εΐη τό ττρακτόν άγαθόν, εί δέ ττλείω,

(22.23) wenn es ein Ziel aller Handlungen gibt, ist dies das durch Handeln zu verwirklichende Gut, wenn aber mehrere,

(22) si quis operatorum om(23) nium est finis, hic utique erit operatum bonum. Si vero plura,

(22.23) wenn es ein Ziel aller Handlungen gibt, ist dies das durch Handeln zu verwirklichende Gut, wenn aber mehrere,

(24) ταύτα, μεταβαίνων δή ό λόγος εις ταύτόν άφΐκται

(24) (dann) diese. Anders (vor-)gehend ist somit die Untersuchung zum selben (Ergebnis) gekommen.

(24) haec transcendens utique sermo ad hoc ipsum pervenit

(24) gelangt die Untersuchung, diese überschreitend, zu diesem (einen Gut) selbst.

άφΐκται - Perfekt

pervenit - Präsens (so Thomas) oder Perfekt

Anhang

295

Übersicht 3 Die Gliederung von Nikomachische Ethik I 10.11 ( 1 1 0 0 a 5 - 1 1 0 1 b l 0 ) nach dem Kommentar des Thomas

Aristoteles, Nikomachische Ethik I 10.11 (1100a5-1101bl0)

Thomas von Aquin, Sententia Libri Ethicorum 115-17 (177-212) Philosophus hic movet quandam dubitationem de felicitate; circa hoc tria facit lectio 15

I 10(1100 a5-9) I 11 (1100al0-b7)

1. ponit dubitationis motivum 2. ponit ipsam dubitationem

(177-178) (179-186)

111 (1100 b7-l 101 b9)

3. ponit solutionem

(187-212) lectio 16

(1100 b7-l 101 a21) (1100 b7-l 1) (1 lOObl 1-17) (1100 bl 8-33) (1100 b33-l 101 a21)

3.1. solvit principalem dubitationem: de mutatione fortunae circa felicem 3.1.1 praemittit aliquid ad solutionem 3.1.2 applicai praemissa solutioni a) ostendit quod operationes secundum virtutem sunt maxime permanentes b) ostendet quod felicitas potent per totam vitam durare c) excludit quaedam inconvenienta

(187-202) (187) (188-190) (191-197) (198-202)

lectio 17 (1101 a22-b9)

3.2 solvit secundarium dubitationem: de mutatione fortunae circa amicos

(203-212)

296

Anhang

Übersicht 4 Der Zusammenhang zwischen Sententia Libri Ethicorum 110 (M.120;L.41-45) und Summa Theologiae Ia-IIae 3,1 Sententia Libri Ethicorum I 10 (M.119f.)

genus felicitatis est propria operatio hominis (M.l 19;L.40f.)

Si autem dicatur in aliquo alio felicitas consistere, aut hoc erit aliquid quo homo redditur idoneus ad huiusmodi operationem, aut erit aliquid ad quod per suam operationem attingit, sicut Deus dicitur esse beatitudo hominis (M.120;L.41-45)

Summa Theologiae Ia-IIae 3,1c ultimus finis hominis (als finis quo, R.L.) est aliquid creatum in ipso existens, quod nihil est aliud quam adeptio vel fruitio finis ultimi.... Si ergo beatitudo hominis consideretur... quantum ad ipsam essentiam beatitudinis, sic est aliquid creatum ultimus hominis finis (als finis cuius, R.L.) est bonum increatum, scilicet Deus Si ergo beatitudo hominis consideretur quantum ad causam

vel obiectum, sic est aliquid increatum.

Anhang

297

Übersicht 5 Die G e d a n k e n f o l g e v o n S u m m a T h e o l o g i a e I a -II a e 3 , 1 - 5 in A n k n ü p f u n g a n 2 , 7

utrum beatitudo consistât in bono animae nein (als finis cuius sive res ipsa in qua beatitudo consistit)

ja (als finis quo sive adeptio huius rei in qua beatitudo consistit) utrum beatitudo sit... ... aliquid creatum ja (als finis quo)

vel

aliquid increatum ja (als finis cuius) Die weitere Differenzierung bezieht die beatitudo als aliquid increatum nicht mehr ein, sondern behandelt nur die beatitudo als aliquid creatum (3.2)

... in potentia (nein)

vel

... operatio sensitivae partís (nein)

vel

operatio intellectivae partis íja)

(3.3)

operatio voluntatis (nein)

vel

operatio intellectus

(3,4)

operatio intellectus practici (nein)

vel

inactu

l¡a)

ÍÍ2) operatio intellectus speculativi

M

(3,5)

298

Anhang

Übersicht 6 Die Bestimmung der beatitudo als operatio nach Summa Theologiae I a -II ae 3,2

beatitudo =

beatitudo

beatitudo

ultima hominis perfectio

Boethius: beatitudo est status omnium bonorum aggregatione perfectus

perfectio = esse in actu

potentia sine actu imperfecta est

=

actus ultimus hominis actus ultimus hominis =

operatio

=

operatio

Aristoteles: quaelibet res sit propter suam operationem (vgl. Über den Himmel II 3 [286a8f.]); operatio est actus secundus (vgl. Über die Seele II 1 [412al9-28])

Übersicht 7 Der Zusammenhang zwischen Summa Theologiae I a -II ae 1,7 und 5,8

Summa Theologiae F-II"1,7c

Summa Theologiae Ρ - Ι Γ 5,8c

de ultimo fine possumus loqui dupliciter

beatitudo dupliciter potest consideran

uno modo secundum rationem ultimi finis

uno modo secundum communem rationem beatitudinis

Quantum igitur ad rationem ultimi finis, omnes conveniunt in appetitu finis ultimi quia omnes appetunt suam perfectionem adimpleri

si necesse est quod omnis homo beatitudinem velit... appetere beatitudinem nihil aliud est quam appetere quod voluntas satietur. Ouod quilibet vult.

alio modo, secundum id in quo finis ultimi ratio invenitur

quantum ad id in quo ista ratio invenitur, non omnes homines conveniunt

Alio modo possumus loqui de beatitudine secundum specialem rationem. quantum ad id in quo beatitudo consistit sic non omnes cognoscunt beatitudinem: quia nesciunt cui rei communis ratio beatitudinis conveniat. Et per consequens, quantum ad hoc. non omnes earn volunt

Anhang

299

Übersicht 8 Der Aufbau von Summa Theologiae II im Überblick

Summa Theologiae II De ultimo fine humanae vitae ( Ι ' - Ι Γ 1-5)

De his per quae homo ad hune finem pervenire potest vel ab eo deviare (IMI* 6 bis II'-II* 189) 1. Consideratio moralis in universali (IMI* 6-114) De principiis humanorum actuum ( I M I " 49-114)

De ipsis actibus humanis ( I M I " 6-48) De actibus qui sunt De actibus qui sunt homini aliisque animalibus proprie humani communes (De passionibus animae; I M I " 22( I M I " 6-21) 48) in generali in speciali (22-25) (26-48) -De passionibus concupiscibilis ( I M I " 26-39) De a m o r e ( Γ - Ι Ι " 26-28) - D e ipso amore (26) -De causa a m o r i s (27) -De effectibus a m o r i s (28) De o d i o (29) De concupiscentia et fuga (30) De delectatione (31 -34) De dolore seu tristitia (3539) De passionibus irascibilis (IMI* 40-48) 2. Consideratio moralis in particular! (II'-II* 1-189)

ex parte ipsius materiae moralis (II'-II" 1-170) virtutes theologicae (II'-II" 1-46) -De fide (II'-II" 1-16) -Despe (II'-II* 17-22) -De caritate (II'-II" 23-46) virtutes cardinales (II'-II* 47-170)

quantum ad speciales status hominum ( Ι Γ - Ι Γ 171-189)

300

Anhang

Übersicht 9 Die terminologische Präzisierung des amor in Summa Theologiae Ia-IIae 26,3

habitus

actus/passio

amicitia (est quasi habitus: εοικε δ' ή μέν φίλησίξ πάθει, ή δέ φιλία εξει, Aristoteles, Nikomachische Ethik Vili 5 [1057b28f.])

Differenter tarnen significatur actus per ista tria (= amor, dilectio, caritas): 1. amor (communius est inter ea) 2. dilectio (Addit enim dilectio supra amorem, electionem praecedentem ... Unde dilectio non est in concupiscibili, sed in volúntate tantum, et est in sola rational! natura)

3. caritas (utroque modo accipi potest; addit supra amorem, perfectionem quandam amoris, inquantum id quod amatur magni pretii aestimatur)

Übersicht 10 Zwei Übersetzungen von Summa Theologiae Ia-IIae 26,4

Thomas von Aquin Summa Theologiae Ia-IIae 26,4c

fehlerhafte Übersetzung (DThA 10 [1955],72)

Demgemäß also ist die Liebe, vermittelst deren etwas geliebt wird, damit es für einen selber damit ihm oder für dasselbe etwas gut sei ein Gut sei, .Liebe schlechthin*. e i n f a c h und s c h l e c h t h i n est amor simpliciter: Liebe. Jene Liebe aber, womit etwas amor autem quo amatur Die Liebe hingegen, mit geliebt wird, der etwas geliebt wird, aliquid damit es das Gut eines damit es für ein Anderes ein Gut ut sit bonum alterius, andern sei, sei, etwas Anderem angehöre, ist .Liebe mit Anderem diene, ist nur unter est amor secundum Einschränkung'. gewisser Voraussetzung als Liebe quid. zu bezeichnen. Et per consequens amor quo amatur aliquid ut ei sit bonum,

Folglich ist die Liebe, mit der man etwas liebt,

korrekte Übersetzung (C. M. Schneider, Band 5 [1887], 343)

Anhang

301

Übersicht 11 Divisio amicitiae bei Aristoteles und divisio amoris bei Thomas

Aristoteles Nikomachische Ethik VIII 3-5

amicitia utilis

Thomas von Aquin Summa Theologiae Ι Μ Γ 26,4

amicitia delectabilis

amor concupiscentiae

amicitia honesta

amor amicitiae

Übersicht 12 De Caritate 2 und Summa Theologiae I'-II" 28,3 im Textvergleich

De cantate 2c

Summa Theologiae IMI" 28,3c

amare bonum quod a beatis participatur ut habeatur vel possideatur, non facit hominem bene se habentem ad beatitudinem, quia etiam mali illud bonum concupiscunt;

in amore concupiscentiae, quodammodo fertur amans extra seipsum: inquantum scilicet, non contentus gaudere de bono quod habet, quaerit frui aliquo extra se. Sed quia illud extrinsecum bonum quaerit sibi habere, non exit simpliciter extra se, sed talis affectio in fine infra ipsum concluditur.

sed amare illud bonum secundum se, ut permaneat et diffundatur, et ut nihil contra illud bonum agatur, hoc facit hominem bene se habentem ad illam societatem beatorum. Et haec est caritas, quae Deum per se diligit, et proximos qui sunt capaces beatitudinis, sicut seipsos.

Sed in amore amicitiae, affectus alicuius simpliciter exit extra se: quia vult amico bonum, et operatur, quasi gerens curam et providentiam ipsius, propter ipsum amicum.

Anhang

302

Übersicht 13 Der Aufbau des caritas-Traktats im Überblick (Summa Theologiae IIa-IIae 23-46)

I De ipsa caritate (circa ipsam caritatem consideranda sunt quinqué) 1.1 De ipsa caritate - De caritate secundum se (23) - De caritate in comparatione ad subiectum (24) 1.2 De obiecto caritatis - De his quae sunt ex caritate diligenda (25) - De ordine caritatis (26) 1.3 De actibus caritatis - De principali actu caritatis (= dilectio; 27) - De effectibus dilectioni consequentibus a)

De effectibus interioribus De gaudio (28)

De pace (29)

1.4 De vitiis caritati oppositis - De odio (34)

De acedia (opposita gaudio inquantum est bonum divinum; 35) De invidia (opposita gaudio inquantum est bonum proximi; 36) De discordia (paci opposita in corde; 37) De contentione (paci opposita in ore; 38) De schismate (paci oppositum in opere; 39) De bello (paci oppositum in opere; 40) De rixa (paci opposita in opere; 41) De seditione (paci opposita in opere; 42)

De misericordia (30) b)

De De De De

effectibus exterioribus beneficentia (31 ) eleemosyna (32) correctione fraterna (33)

De scandalo (oppositum beneficientiae et correction! fraternae; 43)

1.5 De praeceptis caritatis (44) II De dono caritati correspondente De sapientia (45) De vitio sapientiae opposito (= stultitia; 46)

Anhang

303

Übersicht 14 Die Anknüpfung an die aristotelische Freundschaftslehre durch Thomas in Summa Theologiae IIa-IIae 23,1

Thomas von Aquin, Summa Theologiae iP-If* 23,1c

Aristoteles, Nikomachische Ethik

(1) non quilibet amor habet rationem amicitiae, sed amor qui est cum benevolentia: quando scilicet sic amamus aliquem ut ei bonum velimus

τ ώ δέ φίλω φασί δεΐν βούλεσβαι τάγαθά έκείνου Ε ν ε κ α (VIII 2 [1155b31])

Amicio autem aiunt opportere bonum velie

(2) Sed nec benevolentia sufficit ad rationem amicitiae, sed requiritur quaedam mutua amatio...

εύυοιαυ γαρ âv άντπτεποντόσι φιλίαυ είναι (VIII2 [1155b33f.])

Benevolentiam enim contra passis amicitiam esse

(3) Talis autem mutua benevolentia fundatur super aliqua communicatione

ίν κοινωνία γαρ ή φιλία ( V n i l l [1159b31f.])

in communicatione enim amicitia

Übersicht 15 Die theologischen Tugenden in ihrer irdischen und eschatologischen Ausprägung

in via

in patria

fides

cognitìo imperfecta finis

cognitio perfecta finis (= visio divinae essentiae)

spes

motus quidam in id quod non habetur (vgl. Ι*-ΙΙ" 67,4c)

comprehensio; praesentia finis

caritas

recti tudo voluntatis erforderlich für die Erlangung der beatitudo perfecta

notwendige Begleiterscheinung der erlangten beatitudo

Literaturverzeichnis 1. Quellen Aelred von Rieval, Über die geistliche Freundschaft, Lateinisch-deutsch, ins Deutsche übertragen von Rhaban Haacke, eingeleitet von Wilhelm Nyssen, Trier 1978 (Occidens. Horizonte des Westens, Band 3) Aristoteles, Aristotelis Opera ex recensione Immanuelis Bekkeri edidit Academia Regia Borussica, editio altera quam curavit Olof Gigon, 2 Bände, Berlin 1960 Aristoteles, Ethica Nicomachea, recognovit brevique adnotatione critica instruxit L. Bywater, Oxford 1894, Nachdr. 1984 (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis) Aristoteles, Nikomachische Ethik, übersetzt und kommentiert von Franz Dirlmeier, Berlin 9 1991 ( Ί 9 5 6 ; Aristoteles - Werke in deutscher Übersetzung 6) Aristoteles, Politik, Buch 1 (Über die Hausverwaltung und die Herrschaft des Herrn über Sklaven), übersetzt und erläutert von Eckart Schütrumpf, Berlin 1991 (Aristoteles - Werke in deutscher Übersetzung 9/1) Augustin, De Moribvs Ecclesiae Catholicae et de Moribvs Manichaeorum Libri Dvo, recensvit Johannes B. Bauer, Wien 1992 (CSEL 90) Augustin, De Diversis Quaestionibus octaginta tribus Liber Unus (MPL 40,11-100); vgl. auch CChr.SL 44A,11-249 Augustin, De Sermone Domini in Monte secundum Matthaeum Libri Duo (MPL 34,1229-1308); vgl. auch CChr.SL 35,1-188 Augustin, De Doctrina Christiana Libri Quattuor recensuit et praeperatus est Guilelmus M. Green, Wien 1963 (CSEL 80, 3-169); vgl. auch CChr.SL 32,1-167 Augustin, Confessionvm Libri Tredecim, recensvit et commentario critico instruxit Pivs Knöll, Prag-Wien-Leipzig 1896 (CSEL 33,1-388); vgl. auch CChr.SL 27,1-273 Augustin, De Genesi ad Litteram Libri Duodecim, recensvit Iosephvs Zycha, Prag-WienLeipzig 1894 (CSEL 28/1,3-435) Augustin, De Civitate Dei contra Paganos Libri XXII, recensvit et commentario critico instruxit Emanvel Hoffmann, Band 2 (Libri XIV-XXII), Prag-Wien-Leipzig 1900 (CSEL 40/2,1-670); vgl. auch CChr.SL 48,321-866 Augustin, Contra Maximinum Haereticum Arianorum Episcopum Libri Duo (MPL 42,743-814) Boethius, Philosophiae Consolatio, iteratis cvris edidit Lvdovicvs Bieler, Turnholt 1957 (CChr.SL 94) Boethius von Dacien, De summo bono sive de vita Philosophi, in: Martin Grabmann, Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen zur Geschichte der Scholastik und Mystik II, München 1936, 209-216

Literaturverzeichnis

305

Bonaventura, De reductione artium ad theologiam, in: ders., Itinerarium mentis in Deum. De reductione artium ad theologiam, deutsch-lateinische Ausgabe, Übersetzung, Einleitung und Erläuterungen von Julian Knaup, Darmstadt 1961, 234-271 Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie. Italienisch und deutsch. Übersetzt und kommentiert von Hermann Gmelin, Band 3 (1951): Dritter Teil: Paradiso - Das Paradies, Nachdr. München 1988; Band 6 (1957): Kommentar zum dritten Teil, Nachdr. München 1988 Fichte, Johann Gottlieb, Das System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre ( 1798), in: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften I 5 (Werke 1798-1799), Stuttgart-Bad Canstatt 1977, 19-317 Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft (Ί781 = A; 2 1787 = B), Leipzig o.J. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785), Akademie-Textausgabe (1902 ff.; Nachdr. Berlin-New York 1968) IV 385-464 Kant, Immanuel, Kritik der praktischen Vernunft (1788), Akademie-Textausgabe (1902 ff.; Nachdr. Berlin-New York 1968) V 1-164 Kant, Immanuel, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie (1796), Akademie-Textausgabe (1902ff; Nachdr. Berlin-New York 1968) VIII 387406 Kant, Immanuel, Der Streit der Fakultäten (1798), Akademie-Textausgabe (1902 ff.; Nachdr. Berlin-New York 1968) VII 1-116 Kant, Immanuel, Die Metaphysik der Sitten (1797), Akademie-Textausgabe (1902 ff; Nachdr. Berlin-New York 1968) VI 203-494 Luther, Martin, Diui Pauli apostoli ad Romanos epistola (Die Vorlesung über den Römerbrief, 1515/16), WA 56 (1938), 3-154 (Glossen). 157-528 (Scholien) Luther, Martin, Luther an Spalatin. Wittenberg, 19.Oktober 1516 (Nr. 27), WABr 1 (1930) 69-72 Luther, Martin, Disputado contra scholasticam theologiam (1517), WA 1 (1883) 221228 Luther, Martin, Von den guten Werken (1520), WA 6 (1888) 196-276 Luther, Martin, Ein Sermon von dreierlei gutem Leben, das Gewissen zu unterrichten (1521), WA 7 (1897) 792-802 Luther, Martin, Predigt am Trinitatisfeste (22.Mai 1524; Joh 3,Iff), WA 15 (1899) 567-570 Luther, Martin, De servo arbitrio (1525), Studienausgabe. In Zusammenarbeit mit Helmer Junghans, Joachim Rogge und Günther Wartenberg hg.v. Hans-Ulrich Delius, Band 3 (1983), 170-356 Luther, Martin, Predigten über das fünfte Buch Mose (1529), WA 28 (1903), 503-763 Luther, Martin, Der Kleine Catechismus für die gemeine Pfarrherr und Prediger (1529), WA 30 I (1910) 239-345 Luther, Martin, Der 117. Psalm ausgelegt (1530), WA 31 I (1913) 219-257 Luther, Martin, Predigt am 12.Sonntag nach Trinitatis in der Schloßkirche (23 .August 1534; Mk 7,31-37), WA 37 (1910), 506-520 Luther, Martin, Die Promotionsdisputation von Palladius und Tilemann (01 .Juni 1537), WA 39 I (1926) 198-257 Luther, Martin, Genesisvorlesung (1535-1545), WA 42 (1911); WA 43 (1912); WA 44 (1915)

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Register I. Stellen 1. Thomas voti Aquin C O M M E N T U M IN QUATUOR LLBROS SENTENTIARUM

I 3 4 4 4 4 4

d.2:div.text. d.27:q.2,l d.49:div.text d.49:q.l prol. d.49:q.l,l qla.2 sol. d.49:q.l,2 qla.l sol. d.49:q.l,l qla.4 sol.

98 238 99 100 103f. 103f. 100-102; 140

SUMMA CONTRA GENTILES

II 37 105 III [Überblick] 106-108 III 1 107 III 25 107 III 26-37 179 III 28-31 110 III 32 109 III 34-36 109f. III 35 108 III 37 110 III 48 110-112; 144; 189f.; 195 I I I 51 108f. I I I 52 112f. III 53 112-114; 208 III 55 203 III 63 137; 198 III 147 113 IV 21f. 238 IV 21 253 LECTURA SUPER EVANGELIUM S . M A T T H Ä I

Cap.5

118-125; 137; 183; 198; 200; 215; Übersicht 1

SENTENTIA LIBRI ETHICORUM ( = I N D E C E M LIBROS A R I S T O T E L E AD NICOMACHUM E X P O S I T I O )

I 2 I 4-8

151; 195f. 175

I

4

I

9.10 9 10.11 10

I I I

11 12-14 I 15-17 I 15 I 16 I 17 VII 1 I X 8.9 X 6 X 11 I

I

130f. 131 131-135; 150 Übersicht 3 135-138; 144; 146; 186; 190; 198; Übersicht 4 130 139 131; 139 101; 139f.; 150 141-146; 190; 195; 209 149-152 122 58 183; 200 146; 151

SUMMA THEOLOGIAE

I prol. 1,4.5 I 1,7 I 2 prol. I 3.4 14,2 I 4,3 I 12,1 I 12,2 I 12,4 I 12,5 I 12,7 I 14,4 I 14,8 I 20,2 I 26 I 26,1 I 35 I 43 I 43,3 I 44,3 I 44,4 I

3 163; 168 154 154; 158 159 159 156f.; 158 207 208 209 209 203 159 181 222 164; 168 165; 189 157 215 161f.; 205; 216f. 160 217; 242

Stellen 71 165 30; 40f. 164 217 188 167 165 43 202 174 205 166 165 156; 177f. 156f.; 160f. 178 158f.; 198; 207 159; 162 161 160f.; 166; 258 163 161; 198 218 166 166; 188 Übersicht 8 154-167; 247 4; 49; 52; 117; 153-211; 2 1 3 167-178 1 1 prol. 168; 210; 213 1,1 168f.; 177 1,2 169f.; 172; 177 1,3 170f.; 175 1,4-6 176 1,4-7 171; 177 171-175 1,4 1,5 173-176 1,6 173; 175; 214 1,7 175-177; 214; Übersicht 7 1,8 171; 176-178; 198 2.3 178-199 2,1-5 179-182 184 2,4.5 2,5.6 273 2,6 182-184; 191; 199 2,7 177; 184-187; 191; Übersicht 5 2,8 185

I 46,2 I 58,3.4 I 60,5 I 62,5 I 65,2 I 73,1 I 75ff. I 77,2 I 80,1.2 I 80,2 I 82,1 I 82,3 I 83,1 I 85,5 I 93 I 93,1 I 93,2.4 I 93,2 I 93,4 I 93,5 I 93,6 I 93,7 I 93,8 I 103,2 I 103,6 I 105,5 II [Überblick] I M I " prol. I M I " 1-5 Ι·-ΙΙΜ IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI"

IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI" IMI"

317 179 218 Übersicht 5 177; 185f.; Übersicht 4 187 187-190; 198; 208f.; Übersicht 6 190f. 3,3 3,4 183; 191; 199f.; 206 191f. 3,5 192f. 3,6 3,7 193 193-197; 207; 209 3,8 4.5 199-211 4,1.2 183; 199 4,1 199f.; 204 43; 200-204 4,2 4,3 203f.; 251 204-206; 212; 252; 275 4,4 4,5.6 206 4,7 206 4,8 206f. 5 207 207f. 5,1 5,2 208 208f. 5,3.4 5,5.6 209; 2 1 3 209f. 5,7 5,8 30; 48; 21 Of.; 214; Übersicht 7 6 - IP-I] " 189;213 6 211; 2 1 3 6 prol. 210; 236 11,3 198 18-21 170 18,6 170f. 19,10 253f.; 287 22-48 225 26-28 4; 223; 224-235 26,1-3 32 26,1 30; 43; 201; 225f.; 229 26,3 227; Übersicht 9 26,4 30; 32; 227-231; 234; 249; Übersicht 10.11 32; 235; 256 27,3 28,1 32; 235; 256 28,2 233 28,3 232-234; 244; Übersicht 12 28,6 225 3-5 3 3,1-5 3,1 3,2-5 3,2

318

Register

I'-II~ 61,2 236 IMI" 62,3 236 IMI" 62,4 248 251 I a -II" 67,3 IMI" 67,4 251; Übersicht 15 IMI" 67,6 251 IMI" 68,2 123 IMI" 68,5 123 IMI" 68,8 123 IMI" 69,2 124 IMI" 69,3 119f. IMI" 72,3 171 IMI" 90-108 44; 54 283 IMI" 94,2 IMI" 104,1 45 IMI" 109,3 40f. 236 IIMI" prol. IIMI" 4,4 251 IIMI" 4,7 248 248 IIMI" 17,8 IIMI" 18,2 251 IIMI" 23-46 4; 212; 223f.; 236-262; Übersicht 13 IIMI" 23,1 27; 237-245; 248; 257; Übersicht 14 246f. IIMI" 23,2 246 IIMI" 23,6-8 205; 248-250 IIMI" 23,6 43; 203 IIMI" 24,1 246; 287 IIMI" 24,2 165 IIMI" 24,3 252 IIMI" 24,4-12 IIMI" 24,12 250; 287 256f.; 259-261 IIMI" 25,4 258f. IIMI" 25,7 27 IIMI" 26,1 IIMI" 26,3 40; 257 258-261 IIMI" 26,4 253 IIMI" 26,7 30 IIMI" 26,13 32; 235; 260f.; 289 IIMI" 44,7 212 IIMI" 184,1 D E CARITATE

2c

48f.; 58f.; 234; Übersicht 12

D E VERITATE

17,3

44

D E UNITATE INTELLECTUS

Cap.2

72f.

2. Aristoteles TOPIK

II 3

228

PHYSIK

II 5 Vili 5

169 172

ÜBER DEN H I M M E L

14 II 3

lllf. Übersicht 6

ÜBER DIE SEELE

II 1 III 5

Übersicht 6 71-73; 113f.

METAPHYSIK

I 1 I 2 II 2 XII 7

109; 194 194 172f. 241

NIKOMACHISCHE ETHIK

I I I I

1 2-4 4 5

I I I I I I

6 7 8-10 10.11 10 11

V 3 V 8 VII 1 VIII 2 VIII 3-5 VIII 8 VIII 11 IX 4 IX 6 IX 8 IX 9 X 1-5 X 4 X 5 X 6-9 X 7

130; 144; 172; 195 175 74f. 76f.; 131-135; 194; Übersicht 2 78f.; 130; 135-138; 198 138 139 139-145; Übersicht 3 78; 108 79f.; 82; 101; 112; 133; 149; 190 120f.; 262 180 122 228; Übersicht 14 230; Übersicht 11 239 Übersicht 14 235; 256 235 231; 262 206 183 183 183; 200 80 146; 194

Stellen Χ

8

81

Χ

9

239

POLITIK I

319

K R I T I K DER PRAKTISCHEN V E R N U N F T

12-15; 266; 273f. V O N EINEM NEUERDINGS ERHOBENEN

9

180

VORNEHMEN T O N IN DER PHILOSOPHIE

227

D I E M E T A P H Y S I K DER S I T T E N

16

RHETORIK

II 4

9; 14-16; 212 3. AUGUSTIN

D E R S T R E I T DER FAKULTÄTEN

D E M O R I B V S ECCLESIAE C A T H O L I C A E ET DE M O R I B V S

MANICHAEORUM

11 2 7

170

5. Martin Luther

D E D I V E R S I S QUAESTIONIBUS OCTOGINTA TRIBUS

D I U I PAULI APOSTOLI AD R O M A N O S

QUAESTIO 7 4 QUAESTIO 5 1

156 159

EPISTOLA ( D I E V O R L E S U N G ÜBER DEN RÖMERBRIEF) 22; 24;

D E S E R M O N E D O M I N I IN M O N T E SECUNDUM M A T T H A E U M

L U T H E R AN SPALATIN.

I 1

118

D E DOCTRINA

281-288

CHRISTIANA

WITTENBERG, 1 9 . 0 K T O B E R

1516

DISPUTATIO CONTRA SCHOLASTICAM

12 14

97 87

CONFESSIONES

X 33

183

THEOLOGIAM 38; 278;

282

24-26;

290

V O N DEN GUTEN W E R K E N

E I N S E R M O N VON DREIERLEI GUTEM L E B E N ,

D E G E N E S I AD L I T T E R A M

VIII 2 5

207

DAS G E W I S S E N ZU UNTERRICHTEN 27;

D E CIVITATE DEI

XIX XIX XIX XIX XIX XIX

1 2 3 4 11 20

83 84 84 84-86 86 86

CONTRA MAXIMINUM

25

P R E D I G T AM TRINITATISFESTE (22.MAI

1 5 2 4 ; JOH 3,IFF.)

25;

D E R K L E I N E CATECHISMUS FÜR DIE

A R I A N O R U M EPISCOPUM

II 1 3 , 2

180

286F.

290

D E SERVO ARBITRIO

GEMEINE P F A R R H E R R UND P R E D I G E R

HAERETICUM

212

D E R 1 1 7 . PSALM AUSGELEGT

25

24

P R E D I G T AM 1 2 . S O N N T A G NACH

4. Immanuel Kant

T R I N I T A T I S IN DER S C H L O G KIRCHE (23.AUGUST 1 5 3 4 ;

ΜΚ

7,31-37)

25

K R I T I K DER REINEN V E R N U N F T

10-12; 14f.

D I E PROMOTIONSDISPUTATION VON PALLADIUS UND T I L E M A N N

G R U N D L E G U N G ZUR M E T A P H Y S I K DER

(01.JUNI

1537)

SITTEN

273; 285

GENESISVORLESUNG

26 277

320

Register

II. Personen (außer Thomas von Aquirt, Aristoteles, Augustin, Kant und Luther)

Abaelard, Petrus 40 Aelred von Rievaulx (Rieval) 237 Albertus Magnus 92f.; 99; 132; 237f. Alexander von Aphrodisias 71 Allgeier, Karl 106 Althaus, Paul 20f. Ambrosius 180 Auer, Alfons 54 Averroes 68; 72; 92 Avicenna 68 Bacon, Francis 268 Banniard, Michel 69 Bartholomäus von Spina 117 Baur, Jörg 20; 33f. ; 36-39; 213; 284; 288 Beckmann, Jan P. 270 Biel, Gabriel 36 Bien, Günther 74; 78; 84 Blumenberg, Hans 6; 111; 216; 268-271; 276-278; 286; 288 Boccaccio, Giovanni 222 Boethius, Anicius Manlius 66; 180; Übersicht 6 Boethius von Dacien 92; 94f. Bonaventura 89-93; 95; 187; 237 Bossuet, Jacques Bénigne 266-268 Bourke, Vernon J. 126; 128 Brechtken, Josef 31f.; 39; 220f.; 224; 232; 234f. Bujo, Bénézet 53-59; 117; 214; 221; 231f. Campanella, Tommaso 268 Chenu, Marie-Dominique 2; 126f. Christmann, Heinrich Maria 41; 222f.; 238; 241 Colish, Marcia L. 96 Colliva, Paolo 62 Cicero, Marcus Tullius 82 Crusius, Christian August 18 Clemens XI. (Papst) 267 Dante Alighieri Descartes, René

222 268; 271; 278

Dionysius Areopagita 257 Dirlmeier, Franz 75; 133; 172; 262 Diwald, Hellmut 264 Ebeling, Gerhard 34f.; 39; 97; 279f.; 290 Eckert, Willehad Paul 65 Egenter, Richard 41 f.; 238 Ehlers, Joachim 62 Eickelschulte, Dietmar 155; 164; 205 Endres, Josef 49 Engelhardt, Paulus 44; 47; 108; 196 Fénelon, François de Salignac de la Mothe 266-268 Fichte, Johann Gottlieb 9f.; 57 Flasch, Kurt 3; 66-68; 70f.; 73; 83; 92f.; 255 Flashar, Hellmut 75; 81 Friedrich II (Kaiser) 63; 69 Gauthier, René-Antoine 126-128; 132 Gehlen, Arnold 182 Geiger, Louis-Bertrand 41-44; 47; 201; 250 Gerhardt, Gerd 155 Gerwing, Manfred 238 Gilson, Etienne 41; 116 Gogarten, Friedrich 21; 269 Goris, Harm J.M.J. 116 Grabmann, Martin 66; 94; 96f.; 125; 127f. Gregor der Große 236 Greshake, Gisbert 265 Grundmann, Herbert 62; 64 Guindon, Roger 153; 158 Häring, Nikolaus 64 Hauck, Friedrich 81 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich Heinrich von Nördlingen 238 Heintel, Erich 270 Hinske, Norbert 108; 164 Hobbes, Thomas 268

279

Personen Hödl, Ludwig 93 Höffe, Otfried 16; 81 Hoffmann, Adolf 160 Holl, Karl 20-22; 27; 35; 39; 220f.; 248; 280 Holte, Ragnar 78; 81-83 Hugo von Sankt Victor 90 Ilien, Albert 164; 206; 222; 229 Innozenz XII. (Papst) 267 Jacobi, Klaus 76f.; 132 Jaffa, Harry V. 126; 148-151 Kaftan, Julius 18 Kandier, Karl-Hermann 67 Kantorowicz, Ernst H. 63 Kleber, Hermann 99f. ; 126; 134; 149; 153 Kluxen, Wolfgang 89; 95; 153 Krämer, Hans 16-18 Kühn, Ulrich 7; 106; 116; 123; 155f.; 205 Lais, Hermann 106 Lange, Winfried 49-51; 53; 55; 215; 220 LeGoff, Jacques 61 Lehmann, Karl 37 Leodegarius Bissuntinus 118 Lohse, Bernhard 281 Lorenz, Rudolf 86f. Ludwig, Ralf 274 Marquard, Anton 18 Marramao, Giacomo 269 Merks, Karl-Wilhelm 54; 155 Merswin, Rulman 238 de Noroñha Galvao, Henrique 84 Nygren, Anders 27-31; 39; 47; 220f.; 224; 232 Ohler, Klaus 126 Oesterreich, Peter L. 225 Ortwein, Birger 12 Owens, Joseph 125; 129 Pannenberg, Wolfhart 37; 217; 280 Papadis, Dimitrios 126 Paton, Herbert James 12; 14 Paulsen, Friedrich 18

321

Pelagius 83 Pesch, Otto Hermann 3; 7; 35f.; 63; 97f.; 116; 155; 158; 174; 236; 245; 284; 289; 292 Peter Marsilio 105 Peter von Scala 118 Peterson, Erik 237 Petrus Lombardus 96-99; 246 Petrus von Andria 118 Pfürtner, Stephanus 7; 225 Pieper, Josef 66; 68; 96; 174 Pinckaers, Servais 46-49; 53; 56; 58; 214; 229; 234 Pirenne, Henri 61 Plato 29; 71; 74; 88; lOOf.; 180 Priamos 79; 139; 143f. Raimund von Peñafort 105 Ramirez, Jacobus M. 153 Rapp, Francis 238 Reiner, Hans 44-50; 53; 57f.; 176; 213f.; 221; 234 Richard von St.Victor 40 Ritter, Joachim 78 Robert Grosseteste 127 Rousselot, Pierre 28; 39-44; 56; 201; 221; 250 Santeler, Josef 51-53; 219 Schmidt, Martin Anton 97; 236 Schneider, Ceslaus Maria 229 Schnoor, Christian 14 Schockenhoff, Eberhard 41; 99; 154f.; 205; 223; 229f.; 237f.; 241; 243; 247; 259 Scholz, Heinrich 18f.; 28 Schütrumpf, Eckart 74 Schupp, Johann 246 Seils, Martin 289 Sertillanges, Antonin-Gilbert 153 Siger von Brabant 72; 92 Solon 101; 139f.; 144 Spaemann, Robert 6; 17; 88; 253; 265; 266-268; 271; 275-279 Spam, Walter 278 de Spinoza, Baruch 268 van Steenberghen, Fernand 65; 68 Sturlese, Loris 93 Tafferner, Andrea 28; 31 Tauler, Johannes 238

322

Register

Telesio, Bernardino 268 Tempier, Stephan 270 Theophrast 72 Themistius 72 Torreil, Jean-Pierre 3; 65; 105; 117; 126 Troeltsch, Ernst 279 Varrò, Marcus Terentinus Völkl, Richard 42 Vorster, Hans 7; 37

82f.; 85

Weimar, Peter 64 Weisheipl, James A. 2; 4; 63; 65; 71; 105 Wenz, Gunther 280 Wieland, Georg 94; 132 Wilhelm von Moerbecke 127 Wilpert, Paul 94 Wittmann, Michael 91f. Zabel, Hermann 269 Ziermann, Bernhard 229 Zosimus (Papst) 83

MATTHIAS HEESCH

Lehrbare Religion? Studien über die szientistische Theorieüberlieferung und ihr Weiterwirken in den theologisch-religionspädagogischen Entwürfen Richard Kabischs und Friedrich Niebergalls 1997. 23 χ 15,5 cm. XIV, 322 Seiten. Leinen. D M 178,-/öS 1299,-/sFr 158,-/approx. US$ 111.00 • I S B N 3-11-015576-1 (Theologische Bibliothek Töpelmann 80) In dem Werk soll deutlich werden, welchen Einfluß bestimmte wissenschaftstheoretische Voraussetzungen auf die theologische Theoriebildung haben. Gleichzeitig wird eine materielle Kritik der Übertragung naturwissenschaftlicher Denkansätze auf die Theologie und der nur durch diese ermöglichten These von der Lehrbarkeit der Religion am Beispiel zweier Autoren von exemplarischer Bedeutung versucht.

G U D R U N NEEBE

Apostolische Kirche Grundunterscheidungen an Luthers Kirchenbegriff unter besonderer Berücksichtigung seiner Lehre von den notae ecclesiae 1997. 23 χ 15,5 cm. IX, 290 Seiten. Leinen. D M 156,-/öS 1139,-/sFr 139,-/approx. US$ 98.00 • ISBN 3-11-015628-8 (Theologische Bibliothek Töpelmann 82) Auf der Basis der Auswertung einzelner für die Thematik besonders bedeutsamer Schriften Luthers nach chronologischen und systematischen Gesichtspunkten erfolgt eine sytematisch-theologische Rekonstruktion der Anschauung Luthers von der Kirche. Dabei ist der Focus auf Luthers Verhältnisbestimmung der altkirchlichen notae ecclesiae zu den reformatorischen Kennzeichen der Kirche gerichtet.

Preisänderungen vorbehalten

SILVIA LETSCH-BRUNNER

Marcella - Discipula et Magistra Auf den Spuren einer römischen Christin des 4. Jahrhunderts 1998. 23 χ 15,5 cm. XI, 272 Seiten. Leinen. DM 168,-/öS 1226,-/sFr 150,-/approx. US$ 105.00 • ISBN 3-11-015808-6 (Beihefte zur Zeitschrift fur die neutestamencliche Wissenschaft 91) Ein Beitrag zur Kirchengeschichte des 4. Jahrhunderts und besonders zur Frauen- und zur Hieronymusforschung.

Aus dem Inhalt: Marcellas Leben im Kontext der Christianisierung der stadtrömischen Aristokratie - Weitere bedeutende römische Frauen: Laurentia und Irene (Mutter und Schwester des Papstes Damasus), Marcellina (Schwester des Bischofs Ambrosius), Asella, Lea, Paula, Blaesilla. Eustochium, Paulina, Laeta Hieronymus' Bedeutung filr Marcellas Leben (u.a. Exegese seiner Briefe an sie) - Erstübersetzung von Epistula I, ad Marcellam.

KURT N I E D E R W I M M E R

Quaestiones theologicae Gesammelte Aufsätze Herausgegeben von Wilhelm Pratscher und Markus Ohler 1998. 23 χ 15,5 cm. VIII, 323 Seiten. Leinen. D M 168,-/öS 1226,-/sFr 150,-/approx. US$ 105.00 • I S B N 3-11-015711-X (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 90) Ausgewählte Beiträge zur neutestamentlichen Exegese und Theologie. Aufsätze aus über 30 Jahren akademischer Tätigkeit aus den Themenbereichen: Synoptikerexegese, paulinische und johanneische Theologie, Didache, Hermeneutik Herausgabe ausgewählter Aufsätze des Autors, Professor für Neutestamentliche Wissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, anläßlich seiner Emeritierung. Preitfnderungen vorbehalten

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