Glaube 9783825250348, 3825250342

Das Stichwort Glaube umgreift das Ganze der christlichen Theologie. Es gilt, am Begriff des Glaubens die radikale Subjek

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Glaube
 9783825250348, 3825250342

Table of contents :
Titelei
Impressum
Inhalt
Einführung
Friedrich W. Horn
Glaube in sieben theologischen Disziplinen
Sekundärliteratur
Altes Testament
Christoph Levin
Glaube im Alten Testament
1. Die Etymologie von hæʾæmîn (»glauben«)
2. Jesaja 7,9b als Ausgangspunkt
3. Die Immanuel-Weissagung Jesaja 7,1 – 17
4. Die Forderung des Glaubens hat ihren Grund in der Davidverheißung
5. Das Bündnisverbot
6. Der Glaube ist Antwort auf die Verheißung
7. Die Anwendung von Jesaja 7,9b in 2. Chronik 20,20
8. Der Jahwekrieg Ex 14
9. Das Ecksteinwort Jesaja 28,16
10. Abrahams Glaube nach Genesis 15,6
11. Exodus 4 und der Zweifel an den religiösen Amtsträgern
12. Die Unbedingtheit der Glaubensforderung
13. Ein theologischer Schlüsselbegriff aus der Spätzeitdes Alten Testaments
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Sekundärliteratur
3. Literaturhinweise zum vertiefenden Studium
Neues Testament
Friedrich W. Horn
Glaube – Nicht Weisheit der Menschen, sondern Kraft Gottes
1. Einführung
1.1. Das Vorkommen des Lexems Glaube im Neuen Testament
1.2. Forschungsgeschichte
1.3. Erste Unterscheidungen
2. Glaube in Judentum und Hellenismus
2.1. Septuaginta
2.2. Judentum
2.3. Hellenismus
3. Jesus
3.1. Der Berge versetzende Glaube
3.2. Der rettende Glaube
4. Die Pistis-Formel
5. Paulus
5.1. Gerecht nicht durch Werke des Gesetzes, sondern durch Glauben an Jesus Christus
5.2. Abraham – Urbild des Glaubens
5.3. Glaube, Liebe, Hoffnung
5.4. Der Glaube Jesu Christi
6. Pastoralbriefe
7. Johannesevangelium
8. Hebräerbrief
9. Glaube im Neuen Testament
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Sekundärliteratur
3. Literaturhinweise zum vertiefenden Studium
Kirchengeschichte
Martin Ohst
Glaube in der Kirchengeschichte –Zu den geschichtlichen Wandlungen eines Zentralbegriffs der christlichen Religion
1. Der Glaube im Antiken Christentum
1.1. Anfänge
1.2. Paulus: Produktive Spannungen
1.3. Verfestigungen
2. Augustinus
2.1. Die Rationalität des Autoritätsglaubens
2.2. Glaube und Erlösung
2.3. Glaube und Freiheit
2.4. Glaube und Lehre
2.5. Bilanz – Rückblick – Ausblick
3. Konturen des katholischen Glaubensbegriffs seit dem Frühmittelalter
3.1. Übergang
3.2. Der kirchengeschichtliche Rahmen
3.3. Glaube und Taufe
3.4. Glaube und Buße
3.5. Glaubenshilfen: Wunder und Visionen
3.6. Die Grenzen des Glaubens
4. Die reformatorische Transformation des Glaubensbegriffs
4.1. Geschichtliche Orientierung
4.2. Die Grundlagen: Reformatorische Theologie vor der Reformation
4.3. Glaube und Buße
4.4. Geschichtlicher Glaube
5. Verfestigungen und beginnende Auflösungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Sekundärliteratur
3. Literaturhinweise zum vertiefenden Studium
Systematische Theologie
Christiane Tietz
Der Glaube – sein Charakter, seine Nachbar- und Gegenbegriffe aus systematisch-theologischer Perspektive
1. Glaube und Erkennen, Wissen, Verstehen
2. Glaube und Gefühl
3. Glaube, Religion und Offenbarung
4. Der Glaube und sein Gegenstand
5. Gewissheit, Zweifel und Unglaube
6. Die Passivität und Aktivität des Glaubens
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Sekundärliteratur
3. Literaturhinweise zum vertiefenden Studium
Praktische Theologie
Jan Hermelink
Glauben – die Perspektive der Praktischen Theologie auf die gegenwärtige christliche Religion
1. Einführung: ›Glauben‹ in praktisch-theologischen Lehrbüchern und Überblickswerken
2. ›Glauben‹ in praktisch-theologischen Einzeldisziplinen
2.1. Religionspädagogik: Glauben als spezifischer Lernprozess
2.2. Poimenik: Glauben als individuelle Erfahrung und persönliches Bekenntnis
2.3. Aszetik: Glauben als christlich transformierte Spiritualität
3. ›Glauben‹ im populären Sprachgebrauch der Gegenwart
4. Religionssoziologische Perspektiven
5. ›Glauben‹ als normatives Gegenüber von ›Religion‹ in der Praktischen Theologie Wilhelm Gräbs
5.1. ›Glauben‹ als Konstitutionsbegriff der Praktischen Theologie
5.2. ›Glauben‹ als Normbegriff der Homiletik
5.3. ›Glauben‹ als Zielbegriff des kirchlichen Handelns?
6. Bündelung: ›Glaube‹ als Hinweis auf wesentliche Anliegen der Praktischen Theologie
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Sekundärliteratur
3. Literaturhinweise zum vertiefenden Studium
Religionswissenschaft
Daniel Cyranka
›Glaube‹ als Gegenstand der Religionswissenschaft
1. Phänomenologie und theologische Hinsichten
1.1. ›Glaube‹ als universales Thema
1.2. ›Glaube‹ als Thema in den abrahamitischen Religionen
1.3. ›Glaube‹ als Thema des (protestantischen) Christentums
2. Religionswissenschaftliche Problematisierungen
2.1. ›Glaube‹ in der Neustil-Phänomenologie
2.2. Religionswissenschaft ohne das Thema ›Glaube‹?
2.3. Religiosität und religiöse Spezialisten
2.4. Problematisierung des Religionsbegriffs
Exkurs: Religionssoziologie und Religionspsychologie
2.5. Religionsgeschichtliche Historisierung des Themas ›Glaube‹
3. ›Glaube‹ als Gegenstand der Religionswissenschaft?
3.1. Das Problem des Religionsvergleichs
3.2. Konsequenzen für die Religionswissenschaft
3.3. Konsequenzen für die Theologie
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Sekundärliteratur
2. Literatur zum vertiefenden Studium
Judaistik
Matthias Morgenstern
Glaube und Glauben im Judentum
1. Der Begriff des jüdischen Glaubens
1.1. Juden als ethnische Minderheit
1.2. Juden als religiöse Gemeinschaft in der Moderne
1.3. Säkulare (»glaubenslose«) Juden
1.4. Das Interesse der christlichen Theologie
1.5. Probleme der christlichen Perspektive
2. Glaube in der jüdischen Bibel
3. Glaube im rabbinischen Judentum
3.1. Mischna und Talmud
3.2. Die »Sprüche der Väter«
3.3. Die Wurzel ˀmn im zwischenmenschlichen Bereich und im Verhältnis zu Gott
3.4. Das Glaubensthema im Midrasch
3.5. Antichristliche Kontroverstheologie?
3.6. Der talmudische »Mechanismus« und seine reformjüdische Kritik
4. Glaube in der mittelalterlichen Religionsphilosophie des Judentums
4.1. Halachisierungen des Glaubens bei Saadja Gaon und Maimonides
4.2. Maimonides’ Mischne Tora
4.3. Maimonides’ dreizehn Prinzipien
4.4. Maimonides’ Führer der Unschlüssigen
4.5. Widerspruch gegen Maimonides
5. Glaube in der modernen jüdischen Religionsphilosophie
5.1. Hermann Cohen
5.2. Jeshajahu Leibowitz
5.3. Martin Buber und Emanuel Lévinas
6. Häretischer Glaube
6.1. Sabbatai Zwi und Jakob Frank
6.2. Chassidim und »messianische Juden«
7. Zusammenfassung und Ausblick
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen und Übersetzungen
2. Sekundärliteratur
3. Literaturhinweise zum vertiefenden Studium
Zusammenschau
Friedrich W. Horn
Glaube – weniger Darstellung der Glaubensgegenstände als vielmehr Blick auf die subjektive Seite der christlichen Religion
Literatur
Autoren
Personenregister
Sachregister

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utb 5034 5034 UTB

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld

Themen der Theologie herausgegeben von Christian Albrecht, Volker Henning Drecoll, Hermut Löhr, Friederike Nüssel, Konrad Schmid

Band 13

Friedrich W. Horn (Hg.)

Glaube

Mohr Siebeck

Friedrich W. Horn, geboren 1953; 1972   – 1978 Studium der Evangelischen Theologie in Wuppertal und Göttingen; 1982 Promotion; 1990 Habilitation; 1992   – 1996 Professor für Neues Testament an der Gerhard-MercatorUniversität Duisburg; seit 1996 Professor für Neues Testament an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

ISBN  978-3-8252-5034-8 (UTB Band 5034) Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www. utb-shop.de. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Mohr Siebeck, Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von pagina in Tübingen gesetzt und von Hubert & Co. in Göttingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.

Inhalt Einführung Friedrich W. Horn: Glaube in sieben theologischen Disziplinen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Sekundärliteratur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Altes Testament Christoph Levin: Glaube im Alten Testament  . . . . . . . . . . . . . 9 1.  Die Etymologie von hæʾæmîn (»glauben«) .. . . . . . . . . . . 9 2.  Jesaja 7,9b als Ausgangspunkt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3.  Die Immanuel-Weissagung Jesaja 7,1 – 17  . . . . . . . . . . . . 11 4.  Die Forderung des Glaubens hat ihren Grund in der Davidverheißung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 5.  Das Bündnisverbot  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 6.  Der Glaube ist Antwort auf die Verheißung  . . . . . . . . . . 15 7.  Die Anwendung von Jesaja 7,9b in 2. Chronik 20,20 . . . . 16 8.  Der Jahwekrieg Ex 14 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 9.  Das Ecksteinwort Jesaja 28,16 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 10.  Abrahams Glaube nach Genesis 15,6  . . . . . . . . . . . . . . . 21 11.  Exodus 4 und der Zweifel an den religiösen Amtsträgern  .23 12.  Die Unbedingtheit der Glaubensforderung . . . . . . . . . . . 24 13.  Ein theologischer Schlüsselbegriff aus der Spätzeit des Alten Testaments .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Quellen- und Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Neues Testament Friedrich W. Horn: Glaube – Nicht Weisheit der Menschen, sondern Kraft Gottes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.  Das Vorkommen des Lexems Glaube im Neuen Testament .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Forschungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.  Erste Unterscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 33 34 36

VI  Inhalt 2.  Glaube in Judentum und Hellenismus  . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Septuaginta .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Hellenismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Jesus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.  Der Berge versetzende Glaube .. . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.  Der rettende Glaube  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.  Die Pistis-Formel .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.  Gerecht nicht durch Werke des Gesetzes, sondern durch Glauben an Jesus Christus . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.  Abraham – Urbild des Glaubens  . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.  Glaube, Liebe, Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.  Der Glaube Jesu Christi  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Pastoralbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Hebräerbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.  Glaube im Neuen Testament  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38 39 39 40 41 42 43 44 45 48 51 52 52 53 55 57 59

Quellen- und Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Kirchengeschichte Martin Ohst: Glaube in der Kirchengeschichte – Zu den geschichtlichen Wandlungen eines Zentralbegriffs der christlichen Religion .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1.  Der Glaube im Antiken Christentum  . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.  Paulus: Produktive Spannungen  . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Verfestigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.  Die Rationalität des Autoritätsglaubens . . . . . . . . . . . 2.2.  Glaube und Erlösung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.  Glaube und Freiheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.  Glaube und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.  Bilanz – Rückblick – Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.  Konturen des katholischen Glaubensbegriffs seit dem Frühmittelalter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Übergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.  Der kirchengeschichtliche Rahmen . . . . . . . . . . . . . .

65 65 67 70 81 81 83 85 88 89 92 92 93

Inhalt  VII

3.3.  Glaube und Taufe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.4.  Glaube und Buße  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.5.  Glaubenshilfen: Wunder und Visionen  . . . . . . . . . . . 101 3.6.  Die Grenzen des Glaubens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.  Die reformatorische Transformation des Glaubensbegriffs  .104 4.1.  Geschichtliche Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4.2.  Die Grundlagen: Reformatorische Theologie vor der Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.3.  Glaube und Buße  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.4.  Geschichtlicher Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5.  Verfestigungen und beginnende Auflösungen .. . . . . . . . . 122 Quellen- und Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Systematische Theologie Christiane Tietz: Der Glaube – sein Charakter, seine Nachbar- und Gegenbegriffe aus systematisch-theologischer Perspektive .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1.  Glaube und Erkennen, Wissen, Verstehen  . . . . . . . . . . . . 2.  Glaube und Gefühl  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.  Glaube, Religion und Offenbarung .. . . . . . . . . . . . . . . . . 4.  Der Glaube und sein Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.  Gewissheit, Zweifel und Unglaube  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.  Die Passivität und Aktivität des Glaubens .. . . . . . . . . . . .

133 139 141 147 150 153

Quellen- und Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Praktische Theologie Jan Hermelink: Glauben – die Perspektive der Praktischen Theologie auf die gegenwärtige christliche Religion . . . . . . . . 163 1.  Einführung: ›Glauben‹ in praktisch-theologischen Lehrbüchern und Überblickswerken  . . . . . . . . . . . . . . . . 2.  ›Glauben‹ in praktisch-theologischen Einzeldisziplinen  .. 2.1.  Religionspädagogik: Glauben als spezifischer Lernprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.  Poimenik: Glauben als individuelle Erfahrung und persönliches Bekenntnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

163 166 166 170

VIII  Inhalt 2.3.  Aszetik: Glauben als christlich transformierte Spiritualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.  ›Glauben‹ im populären Sprachgebrauch der Gegenwart  .. 4.  Religionssoziologische Perspektiven .. . . . . . . . . . . . . . . . 5.  ›Glauben‹ als normatives Gegenüber von ›Religion‹ in der Praktischen Theologie Wilhelm Gräbs  . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.  ›Glauben‹ als Konstitutionsbegriff der Praktischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.  ›Glauben‹ als Normbegriff der Homiletik  . . . . . . . . . 5.3.  ›Glauben‹ als Zielbegriff des kirchlichen Handelns?  .. 6.  Bündelung: ›Glaube‹ als Hinweis auf wesentliche Anliegen der Praktischen Theologie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175 177 180 184 185 186 188 189

Quellen- und Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Religionswissenschaft Daniel Cyranka: ›Glaube‹ als Gegenstand der Religionswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1.  Phänomenologie und theologische Hinsichten . . . . . . . . . 1.1.  ›Glaube‹ als universales Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.  ›Glaube‹ als Thema in den abrahamitischen Religionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.  ›Glaube‹ als Thema des (protestantischen) Christentums  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.  Religionswissenschaftliche Problematisierungen  . . . . . . . 2.1.  ›Glaube‹ in der Neustil-Phänomenologie .. . . . . . . . . 2.2.  Religionswissenschaft ohne das Thema ›Glaube‹?  . . . 2.3.  Religiosität und religiöse Spezialisten  . . . . . . . . . . . . 2.4.  Problematisierung des Religionsbegriffs  . . . . . . . . . . 2.5.  Religionsgeschichtliche Historisierung des Themas ›Glaube‹  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.  ›Glaube‹ als Gegenstand der Religionswissenschaft?  . . . . . 3.1.  Das Problem des Religionsvergleichs .. . . . . . . . . . . . 3.2.  Konsequenzen für die Religionswissenschaft . . . . . . . 3.3.  Konsequenzen für die Theologie . . . . . . . . . . . . . . . .

198 198 206 207 211 211 212 214 216 221 223 224 225 226

Quellen- und Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Inhalt  IX

Judaistik Matthias Morgenstern: Glaube und Glauben im Judentum  . . . 231 1.  Der Begriff des jüdischen Glaubens  . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.  Juden als ethnische Minderheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.  Juden als religiöse Gemeinschaft in der Moderne .. . . 1.3.  Säkulare (»glaubenslose«) Juden  . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.  Das Interesse der christlichen Theologie  . . . . . . . . . . 1.5.  Probleme der christlichen Perspektive . . . . . . . . . . . . 2.  Glaube in der jüdischen Bibel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.  Glaube im rabbinischen Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.  Mischna und Talmud  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.  Die »Sprüche der Väter«  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.  Die Wurzel ˀmn im zwischenmenschlichen Bereich und im Verhältnis zu Gott .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.  Das Glaubensthema im Midrasch  . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.  Antichristliche Kontroverstheologie? .. . . . . . . . . . . . 3.6.  Der talmudische »Mechanismus« und seine reformjüdische Kritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.  Glaube in der mittelalterlichen Religionsphilosophie des Judentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.  Halachisierungen des Glaubens bei Saadja Gaon und Maimonides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Maimonides’ Mischne Tora  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.  Maimonides’ dreizehn Prinzipien  . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Maimonides’ Führer der Unschlüssigen  . . . . . . . . . . . . 4.5.  Widerspruch gegen Maimonides . . . . . . . . . . . . . . . . 5.  Glaube in der modernen jüdischen Religionsphilosophie  . 5.1.  Hermann Cohen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.  Jeshajahu Leibowitz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.  Martin Buber und Emanuel Lévinas  . . . . . . . . . . . . . 6.  Häretischer Glaube  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.  Sabbatai Zwi und Jakob Frank . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.  Chassidim und »messianische Juden«  . . . . . . . . . . . . 7.  Zusammenfassung und Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231 231 232 233 234 234 236 237 237 238 239 239 241 242 242 242 243 244 246 246 247 247 248 249 250 250 251 252

Quellen- und Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

X  Inhalt Zusammenschau Friedrich W. Horn: Glaube – weniger Darstellung der Glaubensgegenstände als vielmehr Blick auf die subjektive Seite der christlichen Religion .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Literatur .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Autoren .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Personenregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Sachregister .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

Einführung

Friedrich W. Horn

Glaube in sieben theologischen Disziplinen Das Stichwort Glaube benennt nicht ein Thema der Theologie neben vielen anderen, sondern umgreift das Ganze der christlichen Theologie und des christlichen Glaubens. Christen werden daher auch einfach Glaubende bzw. Gläubige genannt. Der Glaube gehört grundlegend zum Kennzeichen ihrer Religion oder, auf den Einzelnen bezogen, zu seinem religiösen Selbstverständnis. Was das Wesen des Christentums und der Theologie ist, kann vom Stichwort Glaube her erschlossen werden. Dennoch kann es in diesem Band nicht darum gehen, das Ganze des christlichen Glaubens als christliche Glaubenslehre darzustellen, so wie Friedrich Schleiermacher dies in seiner Glaubenslehre, ausgehend von einer Theorie des religiösen unmittelbaren Selbstbewusstseins, getan hat. Der Anlage der Reihe Themen der Theologie folgend soll in die einzelnen Disziplinen der Theologie, die sich im Laufe der letzten 150 Jahre herausgebildet haben, geschaut werden, um genauer wahrzunehmen, wie Glaube in ihnen zur Sprache kommt. Dass hierbei neben den biblischen Disziplinen Altes und Neues Testament, der Kirchengeschichte, der Systematischen Theologie und der Praktischen Theologie jetzt auch Religionswissenschaft und Judaistik aufgenommen werden, entspricht einerseits der jüngeren weiteren Ausdifferenzierung der theologischen Fächer, ist andererseits aber von der Sache her auch unumgänglich. Evangelische Theologie darf nicht darauf verzichten, das eigene Profil gerade im Gespräch mit Judaistik und Religionswissenschaft oder mit Interkultureller Theologie zu schärfen. Im Geleitwort des neuen Grundlagentextes des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aus dem Jahr 2015 heißt es: »Der vorliegende Grundlagentext erläutert diese Haltung des christlichen Glaubens in evangelischer Perspektive und schreibt die theologischen Leitlinien aus dem Jahr 2003

2  Einführung (»Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen« EKD-Texte 77) in Richtung einer Theorie des Pluralismus fort.« Und wenn der interreligiöse Dialog zum Grundbestand moderner Gesellschaften gehört, ist die Klärung dessen, was Gegenstand des Dialogs sein soll, unabkömmlich. Es wäre auch reizvoll gewesen, das Thema Glaube direkt einem Islamwissenschaftler, einem Ethiker, einem Religionssoziologen, einem Pädagogen oder einem Religionspsychologen vorzulegen. Doch hat die Konzentration auf die im Studium der Evangelischen Theologie direkt begegnenden Disziplinen die Auswahl hier gesteuert und begrenzt. Immerhin bietet Daniel Cyranka in seinem Artikel einen Exkurs zu Glaube in Religionssoziologie und Religionspsychologie. Eine erste Einsicht im Gespräch mit allen Beiträgern des Bandes lautete: das Thema Glaube ist in den verschiedenen theologischen Disziplinen in äußerst unterschiedlicher Gewichtigkeit präsent. Sei es zum einen, dass wie im Alten Testament der quellensprachliche Befund und die Dichte des Vorkommens weitaus geringer sind als oftmals behauptet. Sei es zum anderen, dass das Thema Glaube, wie innerhalb der Religionswissenschaft, bislang nicht wirklich thematisiert, ja gelegentlich sogar ausgegrenzt wird bzw., wie innerhalb der Praktischen Theologie, eigentlich erst in jüngerer Zeit, hier dann aber prägnant, in den Fokus der Betrachtung tritt. In den Disziplinen Neues Testament, Kirchengeschichte und Systematische Theologie hingegen war das Stichwort Glaube immer gegenwärtig, was sich auch bis heute an einer Vielzahl von Monographien zum Thema ablesen lässt. Von Glaube ist im Alten Testament nicht häufig die Rede. Für haeʾaemîn finden sich nur 28 Belege, die teilweise noch untereinander vernetzt sind. Nach gegenwärtiger Forschung kann nicht mehr Jes 7,9b als Aussage des Propheten Jesaja im 8. Jahrhundert als Ausgangspunkt des Glaubensbegriffs im Alten Testament gelten. Christoph Levin zeigt, dass die meisten Belege erst nachträglich in diesen Kontext von Jes 7 und ebenso in andere alttestamentliche Kontexte gekommen sind, so dass haeʾaemîn als ein theologischer Schlüsselbegriff aus der Spätzeit des Alten Testaments aufgenommen wird. Levin datiert sein Vorkommen zeitlich noch nach deuteronomistischen und priesterschriftlichen Texten in die hellenistische Zeit. Glaube beschreibt eine Gottesbeziehung, deren Besonderheit im Unterschied zu anderen Arten der Gottesbeziehung darin liegt, dass der Glaube stets auf die vorausgehende Zuwendung Jahwes, auf Verheißungen und Wunder antwortet. Levin formuliert daher: Glaube, wie er im Alten Testament verstanden wird, ist seinem Wesen nach Antwort. Der Unglaube hingegen schlägt diese

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Zuwendung Gottes aus und gilt daher als schweres Vergehen. Glaube gewinnt hierbei eine personale Dimension. Er überschreitet das Festmachen an Verheißungen und Wundern hin zu einer personalen Beziehung und begegnet dann als Glaube an Gott. Im Neuen Testament steht Glaube im Vergleich mit dieser eher schmalen und vergleichsweise spät sich artikulierenden alttestamentlichen Vorgeschichte dominant im Mittelpunkt, was zunächst schon allein der statistische Befund in der Konkordanz anzeigt. Sowohl das Substantiv πίστις als auch das Verb πιστεύειν begegnen je 243-mal. Diese Steigerung ist einerseits verständlich vor dem Hintergrund, dass das Christentum an Vorgaben religiösen Sprachgebrauchs innerhalb des Hellenismus anknüpfen konnte. Andererseits aber wird der Begriff des Glaubens zu einer solchen Kategorie, die unterschiedliche Beziehungen und Dimensionen des Christseins umfasst und sich zu einer umfassenden Bestimmung des Christseins entfaltet. Ein Impuls Jesu, Glaube als die Haltung des unbedingten Vertrauens in Gottes Fürsorge zu verstehen, wird hierbei sicher aufgenommen. Dieser findet sich etwa in dem Wort des Berge versetzenden Glaubens, aber auch in der formelhaft verdichteten Rede vom rettenden Glauben, etwa im Kontext von Wundern Jesu. Doch sind es vor allem die neutestamentlichen Schriften und unter diesen vorrangig die Paulusbriefe und das Johannesevangelium, die dem Glauben eine Zentralstellung innerhalb ihrer theologischen Entwürfe zuweisen. Der Schriftbezug durch Zitat oder Anspielung auf Gen 15,6; Jes 28,16 und Hab 2,4 wird für Paulus wesentlich, da diese Vorgaben an Schaltstellen seiner Briefe (Röm 1,17; 4,3; 5,5; 9,33; 10,11; Gal 3,6.11) grundsätzlich aufgenommen und entfaltet werden, etwa zur Gerechtigkeit aus Glauben ohne Werke des Gesetzes. Darüber hinaus umgreift Glaube das gesamte christliche Leben, was etwa in der von Paulus gewählten Trias Glaube, Liebe, Hoffnung (1Thess 1,3; 1Kor 13,13) zum Ausdruck kommt. Glaube und Christsein werden nahezu synonym verwendet. Die Christen können als Glaubende angesprochen werden und die Rede von ›eurem Glauben‹ wird zu einem umfassenden Hinweis auf die neue Identität. Die sog. Pistisformeln halten wohl fest, worauf dieser Glaube sich bezieht und woran er sich hängt, jedoch stehen sie und auch die Haltung des doxastischen Fürwahrhaltens eher am Rand des Neuen Testaments. Dass im Johannesevangelium ausschließlich und reichlich nur vom Verb πιστεύειν Gebrauch gemacht wird, ist von der Christologie her einsichtig. Glaube gewinnt die Gestalt des Erkennens Jesu Christi und des Vertrauens in diesen als den von Gott Gesandten.

4  Einführung Die Darstellung des Glaubens in der Kirchengeschichte nimmt in diesem Buch den weitaus größten Raum ein, auch wenn es in Absprache mit der Systematischen Theologie noch eine einschränkende Begrenzung gegeben hat. Letztere setzt mit der Aufklärung und dem Neuprotestantismus ein, und der kirchengeschichtliche Beitrag führt in etwa bis zur altprotestantischen Orthodoxie. Hierbei wird von vornherein der Versuchung widerstanden, jeder theologischen Stimme in diesem Zeitraum einen gebührenden Ort einzuräumen. Vielmehr bietet der Beitrag von Martin Ohst eine fünffache Konzentration. Diese thematisiert in enger Bindung an die Quellen diejenigen Entwürfe, die für den Glaubensbegriff und das Glaubensverständnis der Kirche und in ihrer Geschichte bis heute irreversibel grundlegend geworden sind: a) die Anfänge (Neues Testament, Antikes Christentum); b) Augustinus; c) die Scholastik und der katholische Glaubensbegriff des Frühmittelalters; d) Martin Luther und die reformatorische Transformation des Glaubensbegriffs und e) die unmittelbar nachreformatorische Zeit. Gewisse Überschneidungen mit dem neutestamentlichen Teil sind unvermeidlich, auch wenn Martin Ohst teilweise andere Akzentuierungen als dieser setzt. Natürlich kommt der Darstellung des Glaubensbegriffs Martin Luthers eine zentrale Aufmerksamkeit zu, da er von einem erneuerten Verständnis von Gott und Mensch her neu erfasst wurde und so an einen neuen Ort in der Topographie der denkenden Rechenschaft vom christlichen Glauben rückte. Christiane Tietz bewegt sich in ihrem Beitrag zur Darstellung des Glaubens in der Systematischen Theologie theologiegeschichtlich vorwiegend in dem Raum seit Aufklärung und Idealismus über Neuprotestantismus, Dialektische Theologie, Dietrich Bonhoeffer bis hin etwa zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre von Katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund. Hierbei verknüpft sie den Blick auf die jüngere Theologiegeschichte mit den in ihr zutage tretenden Problemkonstellationen des Glaubensverständnisses und trifft eigene Bewertungen: a) Glaube und Erkennen, Wissen, Verstehen; b) Glaube und Gefühl; c) Glaube, Religion und Offenbarung; d) der Glaube und sein Gegenstand; e) Gewissheit, Zweifel und Unglaube; f) die Passivität und Aktivität des Glaubens. Der Beitrag von Christiane Tietz setzt sich von solchen, nach ihrer Sicht reduktionistischen Entwürfen ab, die den Glauben auf den Glaubensvollzug beschränken, in denen sich das glaubende Ich in seinem Selbstverständnis beschreibt. Hiernach entsteht der Gottesgedanke gleichzeitig mit dem Glauben, ist diesem aber nicht vorgeordnet. Jesus Christus ist Vorbild solchen Glaubens, in ihm vergegenständlicht sich der Glaubensvollzug.

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Jan Hermelink konstatiert in seinem praktisch-theologischen Beitrag zunächst, dass das Stichwort Glauben in der Fachliteratur nur selten thematisiert worden ist. Es begegnete allenfalls als die subjektive oder individuelle Seite der Religion. Praktische Theologie an sich hingegen basiert auf einem spezifischen, weiter gefassten Religionsbegriff. In einigen praktisch-theologischen Unterdisziplinen, in denen der Einzelne im Vordergrund steht, wird jedoch gegenwärtig wieder verstärkt nach dem Glauben gefragt: in der Religionspädagogik, in der Poimenik (Seelsorgelehre) und in der Aszetik (Theorie der Frömmigkeit). Der Beitrag geht dieser Thematisierung ausführlich nach und beschreibt innerhalb der Religionspädagogik den Glauben als spezifischen Lernprozess, innerhalb der Seelsorgelehre den Glauben als individuelle Erfahrung und persönliches Bekenntnis, innerhalb der Aszetik den Glauben als christlich transformierte Spiritualität. Es schließt sich ein Abschnitt an, der dem Glauben im populären Sprachgebrauch der Gegenwart nachgeht. Sodann wird in religionssoziologischer Perspektive der Glaube als radikal subjektivierte, dadurch zugleich intensivierte und erfahrungsbezogene Form religiöser Überzeugung beschrieben. Jan Hermelink geht abschließend auf das Werk des Berliner Praktischen Theologen Wilhelm Gräb ein, der einerseits eine Religionskulturhermeneutik vertritt, andererseits aber Glauben als notwendiges und normatives Gegenüber von Religion beschreibt. Im Rückblick erkennt Jan Hermelink, dass dem Glauben durchweg ein kritisches, ja antithetisches Moment gegen jeweils dominante wissenschaftliche Paradigmen oder auch gegen selbstverständliche Überzeugungen eignet. Dies wird vielleicht am ehesten erkennbar im Blick auf das Verhältnis der subjektiven, individuellen, auch auf persönlicher Erfahrung beruhenden Gestalt von Glauben im Gegenüber zu kirchlichen, dogmatischen und vermeintlich objektiven Lehrsätzen. Daniel Cyranka setzt mit einem Versuch ein, Glaube als Gegenstand der Religionswissenschaft überhaupt ausfindig zu machen. In einem ersten Abschnitt beschreibt er in einem Literaturüberblick der vergangenen Jahrzehnte phänomenologische und theologische Hinsichten, in denen das Thema Glaube als religionsgeschichtliche Universalie bzw. als anthropologische Grundbestimmung, als Thema abrahamitischer Religionen und als christlich-protestantisches Thema konzeptionalisiert wird. Der im engeren Sinn religionswissenschaftliche Beitrag fokussiert sich sodann auf neuere Ansätze, auch wenn diese Glaube oftmals durch religiöse Intention ersetzen und das Thema dieses vorliegenden Buches eher ausblenden. So beschreibt etwa Jacques Waarden-

6  Einführung burg Phänomene und Tatbestände, die aufgrund religiöser Intentionen als religiös wahrgenommen werden, ohne hierbei den Begriff des Glaubens zu bemühen. Ebenso begreifen die Religionswissenschaftler Fritz Stolz, Burkhard Gladigow und Johann Figl Glaube als eine denkerische Innenseite der Religion, die nicht Thema der Religionswissenschaft ist. Cyranka erkennt innerhalb der religionswissenschaftlichen Theoriebildung eine theologische oder phänomenologische Ausgrenzung des Themas oder eine historisierende Beschreibung. Die Bestandsaufnahme führt zu der ernüchternden Einsicht, dass Glaube gegenwärtig kein Thema der religionsgeschichtlichen Frage ist. Daraus folge für den interreligiösen Dialog die Forderung, dass der Glaube als Zentrum christlicher Theologie nicht gleichzeitig das Zentrum religiöser Verständigungsprozesse sein kann. Hier seien eher vernachlässigte Ebenen wie Ritual oder Praxis aufzunehmen. Matthias Morgenstern setzt in seinem Beitrag zum Glauben innerhalb der Judaistik mit einer notwendigen Klärung dessen ein, was überhaupt der Begriff des jüdischen Glaubens impliziert. Jüdisches Leben definiert sich zeitweise eher über Tora, Volk oder Land, aber nicht über Glauben. Die Rede von einem jüdischen Glauben ist in Europa vornehmlich eine Folge der Aufklärung und sodann der Religionsgesetzgebung, der zufolge die jüdischen Synagogalgemeinden als Religionsgemeinden konzipiert sind. Im Mittelpunkt des Beitrags stehen Ausführungen zu folgenden Schwerpunkten: a) Glaube in der jüdischen Bibel; b) Glaube im rabbinischen Judentum; c) Glaube in der mittelalterlichen Religionsphilosophie des Judentums (vor allem Maimonides); d) Glaube in der modernen jüdischen Religionsphilosophie (vor allem Hermann Cohen, Jeshajahu Leibowitz, Martin Buber, Emanuel Lévinas; e) Häretischer Glaube (Sabbatai Zwi und Jakob Frank, Chassidim, messianische Juden). Morgenstern schließt mit dem Ausblick, dass angesichts der Erosion der traditionell-halachisch geprägten Lebensweise die Notwendigkeit entsteht, die Beziehung zu Gott anders als traditionell zu beschreiben, also nicht in objektbezogenen Aussagen, sondern in persönlich-subjektiven Vertrauensaussagen. Dem haben jüdische Theologen des 20. Jahrhunderts längst Rechnung getragen. Dies wiederum eröffnet Chancen für den interreligiösen Dialog mit Christen und anderen Religionen. In den Beiträgen dieses Bandes wechselt die Rede gelegentlich von Glaube zu Glauben. Wiewohl Glauben im Duden als selteneres Stichwort unter dem Hauptstichwort Glaube geführt wird, verbindet sich mit beiden Begriffen ein wichtiger Hinweis auf eine grundlegende

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Unterscheidung in der theologischen Tradition, was in diesem Band wiederum dazu geführt hat, beide Begriffe je nach Gebrauch stehen zu lassen und nicht zu vereinheitlichen. Einerseits ist es der Glaube, der geglaubt wird, also vor allem der Glaubensgegenstand. Dieser findet Ausdruck in Glaubensbekenntnissen, in der regula fidei (Irenaeus, Adversus haereses I,10,1), dann auch in theologischen Abhandlungen, die in systematisierender Weise darlegen, was der Gegenstand des christlichen Glaubens ist. Andererseits aber spricht man vom Glauben, mit dem geglaubt wird, und denkt hierbei an den individuellen, existentiellen Glaubensvollzug, das personale Vertrauensverhältnis des Einzelnen. In der theologischen Tradition verbinden sich beide Perspektiven mit den Formeln fides quae creditur und fides qua creditur. In der Sache wird diese Unterscheidung erstmals bei Augustin gefunden (De trinitate XIII,2,5: aliud sunt ea, quae creduntur, aliud fides qua creduntur). Der Scholastiker Petrus Lombardus (Sententiae III 23 C und D) hat die fides qua creditur in eine dreifache Gestalt überführt: aliud est enim credere in Deum, aliud credere Deo, aliud credere Deum. In der lutherischen altprotestantischen Orthodoxie spricht Johann Gerhard dann explizit von der fides quae creditur und der fides qua creditur, und diese Begrifflichkeit und die mit ihr einhergehende Unterscheidung ist ab jetzt Grundbestand der lutherischen und der reformierten Orthodoxie. Johann Gerhard überführt die dreigliedrige Form der fides qua creditur des Petrus Lombardus (credere in Deum bzw. Deo bzw. Deum) in eine eigene Formel und spricht von der existentiellen Glaubenshaltung als fiducia, assensus und notitia.

Sekundärliteratur Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive. Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland herausgegeben vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh 2015. Schleiermacher, Friedrich: Der christliche Glaube. Nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (2 Bände), hrsg. v. Martin Redeker, Berlin 1960.

Altes Testament

Christoph Levin

Glaube im Alten Testament »Das Verständnis der grundlegenden religiösen Relation als ›Glaube‹ ist keineswegs allgemeines Element religiöser Sprache, hat vielmehr einen begrenzten geschichtlichen Ursprungsort« (Ebeling 1958: 209). Der Begriff, der im Neuen Testament vor allem von Paulus, in den Evangelien nach Markus und Johannes und im Brief an die Hebräer in je eigener Weise gebraucht wird, stammt aus dem Alten Testament. Das griechische πιστεύειν (»glauben«) mit dem Nomen πίστις (»Glaube«) führt über die Septuaginta, die vorchristliche griechische Übersetzung des Alten Testaments, auf die hebräische Wurzel ʾmn (»fest sein«). Die Übersetzer haben den Kausativstamm hæʾæmîn (»[sich] fest machen, glauben«) außer in Spr 26,25 immer mit πιστεύειν oder den Komposita ἐμπιστεύειν (»anvertrauen«) und καταπιστεύειν (»vertrauen«) wiedergegeben, wie umgekehrt πιστεύειν mit Ausnahme von Jer 25,8 für ʾmn steht, und zwar immer für hæʾæmîn. Die Prägung ist so eindeutig, dass ohne das Alte Testament weder über den neutestamentlichen Befund noch über die an ihn anschließende Wirkung in der Geschichte der christlichen Theologie geurteilt werden kann.

1.  Die Etymologie von hæʾæmîn (»glauben«) »Die ʾmn entsprechenden Vokabeln in den andern semitischen Sprachen lassen zusammen mit dem alttestamentlichen Befund keinen Zweifel darüber bestehen, daß die Grundbedeutung der Wurzel ›fest, sicher, zuverlässig‹ ist« (Wildberger 1967: 373). Im Einzelnen lässt sich die Semantik (im Anschluss an Kaiser 2000: 944) so bestimmen: Der Grundstamm (qal) ʾmn bedeutet ein beständiges Beistehen. Im passiven oder reflexiven Stamm (nifal) ist næʾæman das dauerhafte oder zu-

10  Altes Testament verlässige Verhalten einer Person, Handlung oder Sache. Im Kausativstamm (hifil) meint hæʾæmîn den dieser Zuverlässigkeit antwortenden vertrauensvollen oder treuen rezeptiven Akt. Gerhard Ebeling hat das in die Formeln gefasst, »daß nʾmn dies bezeichnet: daß etwas dem entspricht, was es zu sein verspricht […] Man könnte auch sagen: daß etwas hinsichtlich dessen, was es erwarten läßt, nicht enttäuscht« (Ebeling 1958: 211). Daraufhin hat »das Hiphil hʾmyn […], kausativ bzw. deklarativ, die Bedeutung: etwas nʾmn sein lassen bzw. für nʾmn erklären, also gelten lassen bzw. ihm das zusprechen, daß es dem entspricht, was es verspricht« (Ebeling 1958: 212). Ein Fingerzeig zum Verständnis liegt auch darin, dass die Nomina ʾæmæt (»Gewissheit, Wahrheit«) und ʾæmûnāh (»Festigkeit, Treue«) von demselben Wortstamm gebildet sind. Auch an das geläufige Wort »Amen« ist zu erinnern, im Hebräischen die Formel für nachdrückliche, förmliche Zustimmung: »So sei es!« »Man könnte das Hif umschreiben: ›Zu etwas Amen sagen mit allen Konsequenzen für Objekt und Subjekt‹« (Weiser 1935: 90). Für den im engeren Sinne religiösen Gebrauch von hæʾæmîn gibt es im Alten Testament nur etwa 28 Belege. Sie sind noch dazu teilweise untereinander vernetzt. »hʾmyn als Glaubensbegriff gehört offensichtlich nicht an den Anfang der israelitischen Religionsgeschichte und taucht als solcher nur in gewissen Schichten des Alten Testamentes auf« (Wildberger 1967: 386). So sehr die Sache am Ende allgemein geworden ist, war sie am Anfang speziell.

2.  Jesaja 7,9b als Ausgangspunkt Die Entstehung des Begriffs hat man immer in Jes 7,9b gesucht: ʾim loʾ taʾamînû kî loʾ teʾāmenû (»Wenn ihr euch nicht fest macht, werdet ihr nicht fest stehen«). Luther hat das Wortspiel treffend mit »Gleubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht« übersetzt. »Die Stelle ist hochinteressant. Man sieht in ihr den Begriff des ›Glaubens‹ sich bilden« (Stade 1887: 594 Anm. 2). Sie galt lange Zeit als sicher datierbar. »Die Stelle […] hat den Vorzug, daß wir den Autor, dessen Zeit und geistige Heimat kennen und darum wissen, von welchem Hintergrund her der Satz zu verstehen ist« (Wildberger 1968: 131). »Jesaja scheint den Ausdruck in die religiöse Sprache eingeführt zu haben« (Guthe 1922: 601, Anm. b). Diese Sicherheit ist der neueren Exegese verloren gegangen. Das Kapitel Jes 7 unterbricht den Zusammenhang, der zwischen Jesajas Be-

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rufung in Jes 6 und der zeichenhaften Zeugung des Sohnes »Raubebald Eilebeute« in Jes 8 bestanden hat (Becker 1997: 24 – 31). Beide sind als Selbstbericht in der Ich-Rede des Propheten geschrieben. Hingegen berichtet in Jes 7 ein anderer, was Jesaja getan und gesagt haben soll. Der früher verbreitete Vorschlag, diesen Bericht ebenfalls auf eine IchRede zurückzuführen (Budde 1885: 125; Marti 1920: 115), hat gegen sich, dass man keinen Grund nennen kann, warum der Text geändert worden sein sollte. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass dieses Zwischen-Kapitel nicht auf den Propheten Jesaja im 8. Jahrhundert zurückgeht. Das schließt nicht aus, dass der religiöse Begriff des Glaubens dennoch hier seinen Ursprung hat.

3.  Die Immanuel-Weissagung Jesaja 7,1 – 17 Im Mittelpunkt von Jes 7 steht die berühmte Immanuel-Weissagung in V. 14: »Siehe, die junge Frau ist schwanger geworden und wird einen Sohn gebären, den Immanuel nennen.« Die Geburt dieses Kindes soll ein Hoffnungszeichen sein in einer Lage, die durch die Feindschaft zweier Könige bestimmt ist. »Denn ehe der Knabe Böses verwerfen und Gutes wählen kann, wird das Land verlassen sein, vor dessen zwei Königen dir graut« (V. 16). Abgesehen von der äußeren Bedrohung bleiben die Umstände indes unbestimmt: Die junge Frau wird als dem Leser bekannte Person eingeführt. Wer ist sie? Und wer ist das Kind, dessen Geburt bevorsteht? Eine Heilsprophetie dieser Art will kein Rätsel aufgeben. Die Lösung findet sich sofort im folgenden Kapitel. Die Ankündigung in Jes 7,14b.16 stimmt in Aufbau und Wortlaut auffallend überein mit der Zeichenhandlung Jes 8,1 – 4 (Kaiser 1981: 177 Anm. 13). Dort berichtet Jesaja, wie er mit der Prophetin, anscheinend seiner Kollegin, einen Sohn zeugt und ihn auf Jahwes Geheiß maher šālāl ḥāš baz nennt: »Raubebald Eilebeute«. Der Name drückt aus, was das Kind ist, nämlich eine lebende Drohung gegen die Feinde Judas: »denn ehe der Knabe ›Vater‹ und ›Mutter‹ sagen kann, trägt man den Reichtum von Damaskus und die Beute von Samaria vor den König von Assur« (V. 4). An seiner kindlichen Sprachentwicklung lässt sich die Niederlage Arams und Israels absehen. Der Anlass für diese Heilsprophetie dürfte jener Angriff gewesen sein, zu dem Aram und Israel sich in den Jahren 734 / 33 gegen Juda zusammentaten und den man gemeinhin den »syrisch-

12  Altes Testament ephraimitischen Krieg« nennt. Nur ein Jahr später trat der assyrische Großkönig Tiglatpileser III. auf den Plan und machte dem Reich der Aramäer ein Ende. Der König von Israel aber musste sich Assyrien unterwerfen und verlor einen großen Teil seines Gebiets. Es spricht nichts dagegen, dass die Zeichenhandlung auf Jesaja selbst zurückgeht. Die Übereinstimmung des Wortlauts stellt außer Frage, dass die Ankündigung in Jes 7 im Vorausblick auf die Zeichenhandlung in Jes 8 gelesen werden soll. Anhand des Berichts aus den Büchern der Könige (2Kön 16,1.5), der dafür eingangs zitiert wird, fügt sie vorab die historischen Umstände hinzu: Es geschah zur Zeit des Ahas, des Sohnes Jotams, des Sohnes Usijas, des Königs von Juda, da zog herauf Rezin, der König von Aram, und Pekach, der Sohn Remaljas, der König von Israel, nach Jerusalem, um gegen es kämpfen. […] 2[…] Da schwankte sein Herz und das Herz seines Volks, wie Waldbäume schwanken im Wind. 3Und Jahwe sprach zu Jesaja: Geh hinaus Ahas entgegen […] 4und sprich zu ihm: […] Fürchte dich nicht, und dein Herz sei nicht verzagt! […] 7So spricht […] Jahwe: Es wird nicht zustande kommen und nicht geschehen! […] 14[…] Siehe, die junge Frau ist schwanger geworden und wird einen Sohn gebären, den Immanuel nennen. […] 16Denn ehe der Knabe Böses verwerfen und Gutes wählen kann, wird das Land, vor dessen zwei Königen dir graut, überlassen sein […] 17[…] an den König von Assur. 1

Die junge Frau ist keine andere als die Prophetin; denn sie ist bereits schwanger (hārāh perf.). Deswegen ist es auch dasselbe Kind, das hier vorab einen weiteren, diesmal heilvollen Namen erhält: ʿimmānû ʾel (»Gott ist mit uns«). Dieser Name ist ein Bekenntnis: die Antwort auf die Zusage »Fürchte dich nicht!«, die der Prophet dem König verkündet, dessen Herz vor den heraufziehenden Feinden schwankt wie Waldbäume im Wind: »Es wird nicht zustande kommen und nicht geschehen!« Da die Deutung, die Jes 7 der Ankündigung in Jes 8,1 – 4 gibt, nicht älter sein kann als die Königebücher, auf deren Darstellung sie zurückgreift, kann der Kern des Kapitels frühestens aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts stammen.

4.  Die Forderung des Glaubens hat ihren Grund in der Davidverheißung Ein Heilsorakel wie in Jes 7 ergeht in der Regel ohne Bedingung. Doch wie der Text heute vorliegt, wird es an eine Voraussetzung geknüpft: »So spricht […] Jahwe: Es wird nicht zustande kommen und nicht ge-

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schehen! […] Wenn ihr euch nicht fest macht, werdet ihr nicht fest stehen« (V. 7.9b). Die Mahnung zum Glauben, die sich jetzt an die Zusage anschließt, richtet sich an eine Gruppe, nicht mehr an König Ahas allein. Daraus geht hervor, dass sie literarisch auf eine spätere Ebene gehört. Ernst Würthwein hat erkannt, wie sie gemeint ist. Der Satz loʾ teʾāmenû (»ihr werdet nicht fest stehen«) spielt auf die Dynastieverheißung in 2Sam 7,16 an, die David durch den Propheten Nathan erhalten haben soll: »Dein Haus und dein Königtum sollen fest stehen (wenæʾman) für immer« (Würthwein 1954: 139). Für die Davidverheißung ist bayit næʾæmān (»beständiges Haus«) der stehende Begriff (1Sam 2,35; 25,28; 1Kön 11,38; ferner Jes 55,3; Ps 89,29.38; vgl. Veijola 1975: 74 f.). Dass Jes 7,9b »die davidische Dynastie und diese ihr gegebene Verheißung im Sinne hat, wird bis in den Wortlaut hinein spürbar, da in dem teʾāmenû von V. 9b das entscheidende Stichwort der Nathanweissagung – nʾmn – aufgenommen wird« (Würthwein 1954: 141). Demnach betrifft die Bedingung: »Wenn ihr euch nicht fest macht, werdet ihr nicht fest stehen« = »Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht«, das Haus David und dessen von Jahwe verheißenen dauernden Bestand. Die Nathanverheißung in 2Sam 7 bildet nicht nur die inhaltliche Voraussetzung für den heutigen Text von Jes 7, sondern erlaubt es auch, diese weitere Ebene des Textes zu datieren. »Das 7. Kapitel […] ist ziemlich jungen Datums« (Wellhausen 1885: 254). In V. 2 und 6 ist das Zeltheiligtum am Sinai vorausgesetzt, das die Priesterschrift im 5. Jahrhundert für ihre Fassung der Frühgeschichte des Gottesvolkes erfunden hat. Daraufhin steht das ganze Kapitel traditionsgeschichtlich zwischen der deuteronomistischen Theologie und dem chronistischen Geschichtswerk (Levin 1985: 251 – 254; Porzig 2009: 174 f.). Es befindet sich »auf dem Weg zum Davidbild der Chronik« (Kratz 2000: 187). Wenn Jes 7,9b die Verheißung in 2Sam 7,16 zur Voraussetzung hat, gehört das Motiv des Glaubens von Anfang an in den Rahmen der spätalttestamentlichen Theologie.

5.  Das Bündnisverbot Die theologiegeschichtlichen Koordinaten lassen sich noch genauer bestimmen. In 2Kön 16,5abα.8.9aβb ist ein Fragment aus den Regesten des Jerusalemer Tempels erhalten geblieben, das behauptet, König Ahas sei es gewesen, der Tiglatpileser III. bewogen habe, gegen Aram vorzugehen:

14  Altes Testament 5 Damals zog herauf Rezin, der König von Aram, und Pekach, der Sohn Remaljas, der König von Israel, nach Jerusalem zum Kampf, und sie belagerten Ahas. […] 8Da nahm Ahas das Silber und das Gold, das sich im Hause Jahwes und in den Schätzen des Königshauses fand, und sandte dem König von Assur ein Huldigungsgeschenk. 9 […] Und der König von Assur zog herauf gegen Damaskus und eroberte es und führte es in die Verbannung, und den Rezin tötete er.

Diese Quelle steht in Widerspruch zu der sogenannten Tontafelinschrift Tiglatpilesers, nach deren Darstellung Ahas dem Großkönig seinen Tribut nicht allein, sondern gemeinsam mit den anderen südlevantinischen Königen dargebracht hat (TUAT I / 4: 374 f.). Das geschah wahrscheinlich erst nach der Eroberung von Damaskus. Wie immer der historische Hergang gewesen sein mag – über die theologische Bewertung hat entschieden, dass Ahas mit seinem Hilfegesuch an den Großkönig gegen einen bekannten Grundsatz des chronistischen Geschichtswerks verstoßen hätte, auf dessen umfassende Bedeutung Tetsuo Yamaga aufmerksam gemacht hat: das strikte Bündnisverbot (Yamaga 2001). Für die chronistische Theologie gehörte es zu den schlimmsten Sünden der Könige von Juda, wenn sie sich mit ausländischen Mächten einließen, statt sich für den Bestand ihres Königtums bedingungslos auf den Gott Jahwe zu verlassen. Dieses Motiv, dessen Anlass in der hellenistischen Zeit zu vermuten ist, als Jerusalem zwischen den Seleukiden im Norden und den Ptolemäern im Süden politisch jonglierte, hat auch in die Königebücher und in die prophetischen Bücher Eingang gefunden. Deshalb wurde in 2Kön 16,5bβ – und in Jes 7,1b in ähnlicher Weise – nachträglich hinzugefügt, dass Rezin und Pekach gar nicht in der Lage gewesen seien, Jerusalem wirksam zu bedrohen: »Aber sie konnten (es) nicht erobern.« Um die Sünde des Königs Ahas offenkundig zu machen, nennt 2Kön 16,7 das angebliche Gesuch sogar im Wortlaut: Ahas sandte Boten zu Tiglatpileser, dem König von Assur, und ließ sagen: Ich bin dein Knecht und dein Sohn. Zieh herauf und errette mich aus der Hand des Königs von Aram und aus der Hand des Königs von Israel, die aufgestanden sind gegen mich.

Der Bearbeiter, der diesen Vers eingefügt hat, unterstellt Ahas, mit seinem Hilferuf an den Großkönig die Zusagen ausgeschlagen zu haben, die Jahwe David einst für seinen Sohn und damit für seine Dynastie gegeben hat: »Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein« (2Sam 7,14). Stattdessen habe Ahas in frevelhafter Weise dem König von Assur die Rolle angetragen, die allein Jahwe zukam: ihn zu erretten. Die heutige Fassung von Jes 7 reagiert auf diese Verfehlung. »Genau

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an diesem Punkt, nämlich in der leidenschaftlichen Ausschaltung jeglicher eigenen Sicherung, setzt Jesajas Eifern ein« (von Rad 1960: 170). Deshalb wurde das ursprüngliche Heilsorakel so ergänzt, dass es zur Warnung wird: Es geschah zur Zeit des Ahas, des Sohnes Jotams, des Sohnes Usijas, des Königs von Juda, da zog herauf Rezin, der König von Aram, und Pekach, der Sohn Remaljas, der König von Israel, nach Jerusalem, um gegen es zu kämpfen. Er konnte aber nicht gegen es kämpfen. 2Da wurde dem Hause David gemeldet: Aram hat sich gelagert gegen Ephraim. Da schwankte sein Herz und das Herz seines Volks, wie Waldbäume schwanken im Wind. 3Und Jahwe sprach zu Jesaja: Geh hinaus, Ahas entgegen […] 4und sprich zu ihm: Hüte dich und bleibe still! Fürchte dich nicht, und dein Herz sei nicht verzagt vor diesen beiden Brandscheiten, die nur noch rauchen, vor der Zornesglut Rezins und Arams und des Sohnes Remaljas. […] 7So spricht […] Jahwe: Es wird nicht zustande kommen und nicht geschehen! […] 9[…] Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht. 1

Das Ineinander von Heilsansage und Drohung, das die Ausleger immer frappiert hat, geht auf Überarbeitung zurück. In V. 2 wird über den König hinaus das Haus David ins Spiel gebracht: »Da wurde dem Haus David gemeldet: Aram hat sich gelagert gegen Efraim.« Die Zornesglut Rezins und Pekachs wird bagatellisiert: Die beiden Könige sind »Brandscheite, die nur noch rauchen« (V. 4a). Der Beruhigungsformel »Fürchte dich nicht!« geht nun die Mahnung voraus: »Hüte dich und bleibe still!« Zwischen den Zeilen steht, dass Ahas sich nicht gehütet hat und nicht still geblieben ist. Doch nicht mehr der judäische König im 8. Jahrhundert ist der Adressat, sondern die tatsächlichen oder möglichen Vertreter des davidischen Königtums in der hellenistischen Gegenwart (Yamaga 2001: 153).

6.  Der Glaube ist Antwort auf die Verheißung Man hat gefragt, ob die Entstehung des Begriffs hæʾæmîn (»glauben«) »in Verbindung mit einem Wortspiel, wie es Jes 7,9 enthält, wahrscheinlich ist oder gerade das Wortspiel bereits den Begriff voraussetzt« (Ebeling 1958: 215 Anm. 22). Diese Alternative lässt sich entscheiden. Die besondere Semantik des Hifil hæʾæmîn (»sich festmachen, glauben«) erklärt sich anhand des Nifal næʾæman (»beständig sein«), das auf der Verheißung in 2Sam 7,16 beruht. Es ist dieses Wortspiel, das die besondere, religiöse Bedeutung von hæʾæmîn hervorgebracht hat: hæʾæmîn (»glauben«) heißt, etwas næʾæman sein zu lassen, also gelten

16  Altes Testament zu lassen oder ihm zuzusprechen, dass es dem entspricht, was es verspricht (vgl. Ebeling 1958: 212). Das bedeutet: Glaube, wo der Begriff seinen Ursprung hat, ist dem Wesen nach Antwort auf eine gegebene Verheißung. Darin liegt die Besonderheit von hæʾæmîn und der Unterschied zu anderen Verben, die das Gottesverhältnis beschreiben, wie ʾhb (»lieben«), yrʾ (»fürchten«), ʿbd (»dienen«), bṭḥ (»vertrauen«), ḥsh (»sich bergen«), qwh pi. (»hoffen«), yḥl pi. (»warten«), ḥkh pi. (»harren«). Alle diese Verben bezeichnen Regungen, mit denen der Mensch von sich aus in ein Verhältnis zu Gott – oder auch zu anderen Göttern – tritt. Für den Glauben aber ist wesentlich, dass er nicht auf sich selbst steht. Er ist Antwort. Er setzt die Verheißung voraus. »›Glaube‹ bei Jesaja ist, um es zugespitzt zu sagen, nicht Glaube an Gott und auch nicht Glaube an das prophetische Wort, sondern eine aus dem Wissen um Gott und seine Verheißungen sich ergebende Haltung der Festigkeit, der Zuversicht und des Vertrauens angesichts der Bedrohlichkeit der konkreten Situation« (Wildberger 1967: 377), »dieses Raumgeben dem Walten Gottes, dieses Abstehen von Selbsthilfe« (von Rad 1960: 170). Und wie Gottes Verheißung ohne Vorbehalt ergeht, so ist der, dem sie zugesprochen wird, aufgefordert, sich vorbehaltlos auf sie einzulassen und seine Existenz auf die Verheißung zu gründen. Ein Vertrauen unter Vorbehalt wäre kein Vertrauen. Die Bedingungslosigkeit ist Bedingung, und sie ist hart bis zur Drohung: »Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!«

7.  Die Anwendung von Jesaja 7,9b in 2. Chronik 20,20 Die Ausrichtung auf eine gegebene Verheißung und der Zusammenhang mit dem Bündnisverbot, die den Begriff des Glaubens an seinem Ursprung geprägt haben, kehren in weiteren Belegen wieder. Ein Beispiel ist 2Chr 20,20, wo die Mahnung aus Jes 7,9b in erzählendem Zusammenhang aufgenommen wird. Die beiden Texte stehen in nächster Nähe zueinander, und auch die Situation ist ähnlich wie in Jes 7: König Joschafat wird von den Moabitern, den Ammonitern und den Edomitern angegriffen und ist außerstande, sich mit militärischen Mitteln zu helfen. Aber er reagiert im Gegensatz zu Ahas. Statt sich mit fremden Mächten zu verbünden, ruft er ein Fasten aus. Die Judäer versammeln sich im Vorhof des Tempels, und Joschafat richtet ein großes Bittgebet an Jahwe. Der Levit Jahasiël übermittelt, vom Geist geleitet, die göttliche Antwort und verkündet, dass Jahwe selbst für sein Volk

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kämpfen werde. Am Morgen ziehen die Judäer ihren Feinden entgegen. Joschafat gibt wie Jesaja die Weisung aus: »Glaubt (haʾamînû) an euren Gott Jahwe, so werdet ihr fest bleiben (weteʾāmenû).« Die Fortsetzung bringt zum Ausdruck, dass der König mit diesen Worten die prophetische Überlieferung zitiert: »Glaubt (haʾamînû) an seine Propheten, so wird es euch gelingen.« Was weiter geschieht, führt den Lohn solchen Vertrauens vor Augen: Während die Sänger Loblieder anstimmen, lässt Jahwe die Feinde sich gegenseitig vernichten. Für die Israeliten bleibt nur, eine gewaltige Kriegsbeute zu teilen. Die Erzählung vom Sieg über die ostjordanischen Feinde ist in ihrer Tragweite nur zu verstehen, wenn man sie als Gegenstück zu dem in 2Chr 18 vorangehenden Kriegszug gegen die Aramäer liest. »Das Bild des Joschafat hier steht im krassen Gegensatz zu dem in Kap. 18, wo Joschafat sich auf das menschliche Mittel der Bündnispolitik verlassen hat und dadurch einen schmerzlichen Verlust erlitt« (Yamaga 2001: 114). Damals hatte Joschafat gegen das Bündnisverbot verstoßen und sich mit König Ahab von Israel eingelassen. Daraufhin führte der Kampf gegen die Aramäer in eine schwere Niederlage. Ahab fand den Tod; Joschafat kam zwar davon, wurde aber in Jerusalem von einer Strafpredigt des Sehers Jehu empfangen (2Chr 19,2), die ihn immerhin zu einer großen Reform veranlasste (2Chr 19,4 – 11) – und dazu, es beim nächsten Kriegszug in 2Chr 20 richtig zu machen.

8.  Der Jahwekrieg Ex 14 2Chr 20 ist kein frei gestalteter Text. Zu den Vorlagen gehört neben Jes 7 die Erzählung vom Feldzug gegen die Moabiter in 2Kön 3 (Wellhausen 1905: 203; Yamaga 2001: 95.128 – 141), aber auch die Erzählung vom Rettungswunder am Meer in Ex 14, die zum Musterbeispiel für den Jahwekrieg geworden ist. Wenn der Levit Jahasiël in 2Chr 20,17 verkündet: »Tretet herzu und steht und seht die Hilfe Jahwes an euch, Juda und Jerusalem. Fürchtet euch nicht und zittert nicht! Morgen zieht ihnen entgegen, und Jahwe ist mit euch!«, nimmt er wörtlich das Heilsorakel auf, das Mose in Ex 14,13 f. der Furcht der Israeliten entgegengerufen hat: »Fürchtet euch nicht! Tretet herzu und seht die Hilfe Jahwes, die er euch heute erweisen wird; denn wie ihr die Ägypter heute seht, werdet ihr sie niemals wieder sehen für immer. Jahwe wird für euch kämpfen!« (von Rad 1934: 251 f.; Yamaga 2001: 118). Die Querverbindung zwischen den beiden Erzählungen ist deshalb

18  Altes Testament von Belang, weil auch Ex 14 auf den Glauben der Israeliten hinausläuft – allerdings sekundär und wahrscheinlich erst, nachdem die Erzählung ihrerseits zum Vorbild für 2Chr 20 geworden war (zum Wachstum des Textes von Ex 14 vgl. Levin 2009). Die erweiterte Fassung endet mit dem Resümee: »Israel sah die große Machttat, die Jahwe an Ägypten getan hatte, und das Volk fürchtete Jahwe, und sie glaubten (wayyaʾamînû) an Jahwe und an seinen Knecht Mose« (Ex 14,31). Das Motiv ist an einen älteren Erzählschluss angehängt worden: »So errettete Jahwe an jenem Tage Israel aus der Hand Ägyptens, und Israel sah die Ägypter tot am Gestade des Meeres« (V. 30; vgl. Smend 1967: 246). Die Rettungserzählung wurde nachträglich zur Glaubenserzählung gestaltet. Wie in 2Chr 20,20 bezieht sich der Glaube sowohl auf Jahwe als auch auf seinen Propheten, hier Mose. Auch der jüngere Geschichtspsalm 106 versteht die Erzählung vom Meerwunder als Beispiel für den Glauben des Gottesvolks: »Und sie glaubten an seine Worte und sangen sein Lob« (Ps 106,12, vgl. Ex 14,31). Anders als in 2Chr 20 ist der Glaube in Ex 14,31 nicht die Voraussetzung des Rettungswunders, sondern dessen Folge. Wieder steht der Zusatz nicht allein. Ihm geht voraus, dass die Israeliten angesichts der ägyptischen Übermacht an Jahwes rettender Macht gezweifelt haben. Das wird ihnen in V. 11 f. in den Mund gelegt, vermutlich durch denselben Bearbeiter (vgl. Aurelius 1988: 184 Anm. 238): »Gab es keine Gräber in Ägypten? Du hast uns herausgenommen, damit wir in der Wüste sterben. Was hast du uns angetan, uns aus Ägypten herauszuführen!« Das geläufige Motiv vom Murren der Israeliten, das auch an anderer Stelle in die Wüstenüberlieferung eingetragen worden ist, »ist natürlich ein sehr wirksames Kontrastmittel« (von Rad 1951b: 46). Es gibt nicht die Bedingungen der Frühzeit wieder, sondern den Zweifel der Gegenwart. In dem Angriff auf Mose spiegelt es auch den Protest gegen die Theologie und ihre amtlichen Sachwalter. Wieder ist der unmittelbare Anlass ein Krieg. Und wieder, wie in 2Chr 20, vernichtet Jahwe die Feinde ohne Zutun der Israeliten. Der Motivkreis ist eng umrissen. Ein eigentümliches Echo hat Ex 14,31 in der Jona-Erzählung gefunden: »Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und ließen ein Fasten ausrufen und zogen alle, groß und klein, den Sack zur Buße an« (Jon 3,5). Die Schilderung deutet die Vorlage nach Art der Midrasch-Exegese. Das Stichwort wayyaʾamînû beʾlohîm »sie glaubten an Gott« verweist auf den ganzen Vers und setzt voraus, dass der Leser ihn kennt: Die assyrischen Bewohner von Ninive »sahen die große

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Machttat, die Jahwe an Ägypten getan hatte, und glaubten an Jahwe.« Das besagt: Als die Niniviten am Beispiel des Meerwunders erkannten, dass Jahwe die Feinde Israels zu vernichten imstande war, fuhr ihnen der Schreck in die Glieder, und sie beeilten sich, Jahwe durch Bußriten umzustimmen – was auch gelang. Dieser einzige Beleg, der von einem Glauben von Nichtisraeliten berichtet, gehört nicht zum Motiv im eigentlichen Sinne.

9.  Das Ecksteinwort Jesaja 28,16 Jes 28,16bβ ist der zweite Beleg im Buch Protojesaja: hammaʾamîn loʾ yāḥîš (»Wer glaubt, der weicht/eilt/flieht nicht!«). Wie in Jes 7,9b ist auch hier Ausdruck und Folge des Glaubens die Standhaftigkeit, und der Anlass für das Motiv ist wieder das Bündnisverbot. Jes 28 beginnt in V. 1 – 13 mit einem »Wehe« gegen »die stolze Krone« von Ephraim, hoch »auf dem Haupt des fetten Tals« gelegen und voll lallender Trunkener. Die wütende Polemik richtet sich anscheinend gegen ein prosperierendes, auf einem Berg thronendes Heiligtum im Gebiet des (ehemaligen) Nordreichs. Ihm wird der Untergang durch einen Starken und Mächtigen angesagt, der wie ein schreckliches Unwetter dreinfahren und es einreißen wird (V. 2). In der Folge wird Jahwe selbst für den Rest seines Volkes wieder die herrliche Krone sein. Der Abschnitt mündet in V. 13 in ein »Wort Jahwes« – der Begriff ist im Buch Jesaja ungewöhnlich – , das das Lallen der Trunkenen »ṣaw lāṣāw ṣaw lāṣāw qaw lāqāw qaw lāqāw« zur Drohung werden lässt: »dass sie gehen und rücklings straucheln, zerbrechen, sich verstricken und gefangen werden.« Im nächsten Abschnitt V. 14 – 22 folgt ein weiteres »Wort Jahwes«, nun als direkte Anrede. Diesmal richtet es sich nach Süden: gegen die Übermütigen, die über das Volk in Jerusalem herrschen. Sie werden mit ihren eigenen Worten überführt: »Denn ihr spracht: Wir haben mit dem Tod einen Bund geschlossen und mit dem Totenreich Vertrag gemacht. Die strömende Geißel, wenn sie einherfährt, wird uns nicht treffen« (V. 15abα). Die »strömende Geißel«, ein Attribut des dreinfahrenden Wettergotts (Gese 1970: 131 f.), benennt eine ähnliche militärische Bedrohung, wie sie in V. 3 dem Norden galt. Die Rettung suchen die Oberen Jerusalems in der Bündnispolitik. Die aber, so die Polemik, trägt das Verderben in sich selbst: Die Bundesgenossen sind Tod und Totenreich. Mit ihnen im Bunde wird das Unheil nicht abge-

20  Altes Testament wehrt, sondern im Gegenteil heraufbeschworen. Es kommt von Jahwe selbst: »Darum, so spricht […] Jahwe: […] Die strömende Geißel, wenn sie einherfährt, werdet ihr von ihr niedergewalzt werden« (V. 16aα.18b; dazu Müller 2014). Anklage und Drohung, die wortgenau aufeinander bezogen sind, werden von einer Verheißung für den Zion auseinandergerissen: dem »Ecksteinwort«. Dieses Bildwort hat möglicherweise einst anders angeschlossen. »Es wäre doch zu merkwürdig, annehmen zu wollen, daß diese verheißenden Verse mitten in einer Unheilsweissagung ihren legitimen Ort haben sollten« (Herrmann 1965: 143). Sie klingen wie das positive Gegenstück zu der Drohung gegen die stolze Krone Ephraims: […] Siehe, in Zion einen Stein, einen Festungsstein (?), einen kostbaren Eckstein als Fundament [: Wer glaubt, der weicht nicht!] 17und mache das Recht zur Richtschnur (leqāw) und die Gerechtigkeit zum Senklot. Und Hagel wird wegfegen die lügnerische Zuflucht, und Wasser wird das Versteck wegschwemmen. 18 Gesühnt werden wird euer Bund mit dem Tod, und euer Vertrag mit dem Totenreich wird nicht zustande kommen. 16

Während die Krone Ephraims ins Tal gerissen wird, ist der Tempel in Zion fest gegründet. Das Stichwort qaw (»Richtschnur«), das in dem Lallen der Trunkenen anklang, wird zum Anlass der Verheißung, dass Jahwe das Heiligtum von Jerusalem auf Recht und Gerechtigkeit gründen will. Das Bildwort wird unterbrochen von der Mahnung »Wer glaubt, der weicht nicht!« (V. 16bβ). Man hat wieder und wieder versucht, diesen Satz als ursprünglichen Teil der Aussage zu deuten (vgl. zuletzt Hartenstein 2004). Doch das will nicht recht gelingen. »Tatsächlich spricht eine Reihe von Gründen dafür, die Wendung […] als Deutung der vorangehenden metaphorischen Rede zu begreifen« (Barthel 1997: 324). Deshalb ist auch hier am wahrscheinlichsten, dass das Motiv des Glaubens hinzugefügt worden ist. Das zweite mûsād (»als Fundament«) (Wildberger 1982: 1067: »zweifellos Dittographie«) könnte sogar das Stichwort (Lemma) für eine Randglosse gewesen sein. Die Masoreten haben es als Partizip mûssād (»gegründet«) gelesen, um dem jetzigen Text notdürftig einen Sinn abzugewinnen. Der Zusatz bewirkt, dass der ganze Vers nunmehr »als eine ins Positive gewendete Variante des Wortes vom Glauben in 7,9b zu lesen« ist (Barthel 1997: 325). Nicht nur der Wortlaut beider Stellen hängt eng zusammen; auch der Anlass ist derselbe wie dort: Die Oberen Jerusalems machen Bündnisse, statt allein auf Jahwe und auf seine Verheißung zu vertrauen. »In diesem Zusammenhang gewinnt auch lʾ yḥyš [sc. ›der weicht nicht‹]

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einen guten Sinn. Es beschreibt die politische Konkretion des Glaubens im Unterschied zur Politik der militärischen Bündnisse […]. Das ›nicht eilen‹ ist ein prägnanter Ausdruck für jene Haltung des Stilleseins, die ausführlicher in 30,15 und auf andere Weise auch in 7,4 beschrieben wird« (Barthel 1997: 324). Der Verweis auf Jes 30,15 trifft die Sache: »In Stillesein und Vertrauen läge eure Kraft.« Das isolationistische Gottvertrauen bestimmt nicht nur die Theologie der Chronik, sondern ist nachdrückliches Programm auch der späten Ergänzer des Jesajabuchs. Wieder ist auch an Ex 14,14 zu erinnern: »Jahwe wird für euch kämpfen, ihr aber sollt still sein!« Wahrscheinlich stammt die polemische Verballhornung, die in V. 15bβ das Zitat der Oberen fortführt (vgl. Müller 2012: 59), von derselben Hand: »Denn wir haben Lüge zu unsrer Zuflucht gemacht und uns versteckt in Trug.« Als Reaktion auf den Unglauben wurde dem Ecksteinwort in V. 17b–18a eine Drohung angehängt: »Und Hagel wird wegfegen die lügnerische Zuflucht, und Wasser wird das Versteck wegschwemmen. Gesühnt werden wird euer Bund mit dem Tod, und euer Vertrag mit dem Totenreich wird nicht zustande kommen.« Dass der Ausdruck loʾ tāqûm (»wird nicht zustande kommen«) wörtlich mit Jes 7,7 übereinstimmt, dürfte kein Zufall sein.

10.  Abrahams Glaube nach Genesis 15,6 Der erste Beleg in der Lesefolge des Alten Testaments ist zugleich der bekannteste, weil Paulus ihn in Röm 4 und Gal 3 zitiert: »Und er (Abraham) glaubte an Jahwe (wehæʾæmin beyhwh), und er rechnete es ihm zur Gerechtigkeit an.« Voran ging Abrahams Klage, keinen rechtmäßigen Nachkommen zu haben. Die Verheißungen, die Abraham erhalten hatte, drohten ins Leere zu gehen. Jahwe antwortet, indem er ihn auffordert, zum gestirnten Himmel aufzublicken: »So werden deine Nachkommen sein!« Ursprünglich endete die Szene an dieser Stelle. Abrahams Reaktion ist später ergänzt worden. »Und er glaubte« (wehæʾæmin) ist grammatisch ein aramaisierendes Perfectum copulativum (Hoffmann 2006: 85 f.), das oft am Einsatz literarischer Zusätze steht. Die Feststellung steht in Spannung zur anschließenden Erzählung von Jahwes Bundesschluss mit Abraham in V. 7 – 21, für die noch immer Abrahams Zweifel der Anlass ist. Die Szene Gen 15,1 – 5, die durch V. 6 gedeutet wird, gehört zu den Stücken, die erst lange nach der Verbindung von Jahwist

22  Altes Testament und Priesterschrift in den Pentateuch kamen, das heißt nicht vor Mitte bis Ende des 5. Jahrhunderts (Levin 2004). Die Ergänzung ist folglich noch jünger. Abraham wird nachträglich als Vorbild dargestellt, als Vater des Glaubens. Die Feststellung setzt voraus, was sie begründen will: Abrahams Gerechtigkeit. Abraham, der Jahwe bald darauf als Anwalt der Gerechten entgegentritt (Gen 18,23 – 32), weil die Zerstörung Sodoms auch Gerechte treffen könnte, musste selbst ein Gerechter gewesen sein. Worin bestand seine Gerechtigkeit? Die älteren Erzählungen kreisen darum, dass Abraham von Jahwe die Verheißung empfing. Jahwe verheißt ihm seinen Beistand und Segen, zahlreiche Nachkommen (Gen 12,2 f.) und schließlich das Land (Gen 13,15). Auf diese Verheißung hin hat Abraham sein Vaterhaus verlassen, um in ein ihm unbekanntes Land zu ziehen. Auf diese Verheißung hin hat er Lot bei der Wahl, wo er siedeln wolle, den Vortritt gelassen (Gen 13,9). Das tat er gegen den Augenschein, hatte doch Jahwe das Land ihm und seinen Nachkommen zugesprochen. Aber Abraham zweifelte nicht, dass Jahwe seine Verheißung dennoch erfüllen werde. Vielleicht kann man auch Abrahams größten Gehorsam einbeziehen, als er bereit war, auf Gottes Geheiß den verheißenen Sohn zu opfern (Gen 22), denn sogar als Gott sich selbst widersprach, hielt Abraham an der Verheißung fest. Daraus zieht Gen 15,6 die Folgerung: Abraham »glaubte«. Wieder gibt es gute Gründe, dass Jes 7,9b das Muster dafür gewesen ist, das Festhalten an der Verheißung mit dem Wort hæʾæmin zu bezeichnen (Smend 1967: 247 f.). Abrahams Glaube war »die Leistung seines gesammten Lebens, die Gott von ihm forderte« (Smend 1899: 393), und dieser Glaube wurde ihm, vergleichbar dem Verfahren im kultischen Gottesbescheid (vgl. von Rad 1951a), zur Gerechtigkeit angerechnet. »Alles Gewicht liegt auf Gott und seiner Verheißung. Das einzig mögliche Verhalten des Menschen gegenüber der Verheißung ist das des Glaubens, des Entgegennehmens, des Sich-Einlassens auf die Verheißung« (Schmid 1980: 408). Unter dieser Voraussetzung bildet die Gerechtigkeit, und zwar die Gerechtigkeit aus dem Glauben, das Kriterium im (eschatologischen) Gottesgericht (vgl. Ez 18 u. ö.). Die Deutung, die Paulus gegeben hat, trifft genau: »Abraham zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde stark im Glauben und gab Gott die Ehre und wusste aufs allergewisseste: was Gott verheißt, das kann er auch tun. Darum ist es ihm auch ›zur Gerechtigkeit gerechnet worden‹« (Röm 4,20 – 22).

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Hab 2,4b, der andere für Paulus ausschlaggebende Beleg (vgl. Röm 1,17; Gal 3,11), ist der Sache nach hier anzuschließen: »Der Gerechte wird durch seine Treue (bæʾæmûnātô) am Leben bleiben.« »Die ʾæmûnāh ist die unwandelbare Treue, das unverrückbare Vertrauen auf Gott, mit einem Worte: der Glauben, dass das Festhalten an Gott und seinem Willen das Heil bedinge. Leben hat hier den prägnanten Sinn von ›verschont werden im Gericht, Rettung, Heil erfahren‹ und die Aussage von V. 4b fasst das jesajanische Wort Jes 7,9 zusammen« (Marti 1904: 337). Auch dieser Satz steht nicht ursprünglich in seinem Kontext, sondern dürfte ein Nachtrag sein. »Die Zusammenbindung von 2,1 – 3 mit 2,4 bleibt problematisch« (Perlitt 2004: 66).

11.  Exodus 4 und der Zweifel an den religiösen Amtsträgern Die Mahnung zum Glauben richtet sich nicht nur gegen die außenpolitischen Machenschaften, das heißt gegen den Zweifel an der alles entscheidenden Macht Jahwes, sondern auch gegen das Misstrauen, dem Jahwes Sachwalter sich ausgesetzt sehen. Der Mittler des Gotteswillens schlechthin ist Mose. Im Rahmen seiner Berufung äußert er das Bedenken: »Siehe, sie werden mir nicht glauben (loʾ yaʾamînû lî)« (Ex 4,1). Dieser Einwand geht dem klassischen »Einwand des Berufenen«, mit dem Mose nach dem Vorbild Jeremias behauptet, nicht reden zu können (Ex 4,10 ← Jer 1,6), noch voraus. Der Abschnitt Ex 4,1 – 9, der erzählt, wie Jahwe Moses Zweifel entkräftet, ist nachträglich eingefügt worden – und mit ihm das Motiv des Glaubens. Das Mittel gegen den Zweifel ist das Wunder. Auf Moses Bedenken hin verwandelt Jahwe dessen Stab in eine Schlange und auch wieder zurück. Damit wird das Erweiswunder vorweggenommen, das Aaron auf Moses Geheiß vor dem Pharao tun wird (Ex 7,8 – 10). Die Schlussfolgerung folgt unvermittelt: »So werden sie glauben (yaʾamînû), dass Jahwe dir erschienen ist, der Gott ihrer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs« (V. 5). Damit nicht genug: Jahwe tut noch ein zweites Wunder, diesmal an Mose selbst: Moses Hand wird aussätzig und wieder rein. Erneut kommt die Schlussfolgerung unvermittelt: »Wenn sie dir nun nicht glauben (loʾ yaʾamînû lāk) und nicht auf das erste Zeichen hören, so werden sie glauben (wehæʾæmînû) auf das zweiten Zeichen hin« (V. 8). Auch damit nicht genug: »Wenn sie aber auch auf diese beiden Zeichen hin nicht glauben (loʾ yaʾamînû) und nicht auf deine Stimme hören werden, so nimm von dem Wasser

24  Altes Testament des Nils und gieß auf das Trockene. Das Wasser, das du aus dem Nil nimmst, wird zu Blut werden auf dem Trockenen« (V. 9). Die dreifache Staffelung der Zeichen, die wahrscheinlich nicht in einem Zuge niedergeschrieben wurde, zeigt, wie dringend das Problem war. Es ist, als würde Jahwe selber der Überzeugungskraft seiner Wunder misstrauen. Mit der Verwandlung des Nilwassers in Blut wird die erste der ägyptischen Plagen vorweggenommen (Ex 7,17 – 24) – die auf diese Weise allesamt den Glauben erwecken sollen. Als Mose zu den Israeliten zurückkehrt, begleitet ihn Aaron und vollbringt die Wunderzeichen. »Da glaubte (wayyaʾamen) das Volk« (Ex 4,31a), genauso wie es bei der Rettung am Schilfmeer an Jahwe und an Mose glauben wird (Ex 14,31). Vor der Offenbarung der Tora am Sinai wird die Bestätigung wiederholt: »Siehe, ich komme in einer dichten Wolke zu dir, damit das Volk höre, wie ich mit dir rede, und auch dir für immer glaube (yaʾamînû)« (Ex 19,9). Mose in Person wird einbezogen in die Theophanie. Die wiederholende Rückbindung »Und Mose berichtete Jahwe die Worte des Volks« zeigt, dass V. 9 nachträglich an V. 8 angeschlossen worden ist. Durch all diese Zusätze rahmt das Motiv des Glaubens den Weg von Ägypten bis zum Gottesberg. Es gewinnt für die Darstellung der Geschichte des Gottesvolks strukturbildende Funktion (Schmitt 1979 und 1995).

12.  Die Unbedingtheit der Glaubensforderung Das vorbehaltlose Vertrauen auf Gott ist Inbegriff der richtigen religiösen Haltung und zugleich eine ständige Herausforderung. »Es ist […] bedeutsam, daß von den 50 Stellen mit hʾmyn allein 33 Stellen verneint sind. Diese negierten Stellen bezeichnen, sofern sie in theologischem Zusammenhang stehen, nun alle mehr oder weniger deutlich das ›Nicht-Glauben‹ als die vor Gott unmögliche Haltung, ja als Sünde. Dagegen wird der Glaube als das rechte Verhalten, als die Grundhaltung des Frommen vor Gott deutlich« (Pfeiffer 1959: 154). Die Erinnerung an die Geschichte wird zur Mahnung an die Gegenwart. Als die Kundschafter zurückkehren und berichten: »Das Land frisst seine Bewohner« (Num 13,32), und die Gemeinde sich daraufhin anschickt, nach Ägypten zurückzukehren (Num 14,1 – 5), und sie Mose und Aaron, die das verhindern wollen (V. 5 – 10a), mit Steinigung drohen, erscheint die Herrlichkeit Jahwes:

Christoph Levin  25 Und Jahwe sprach zu Mose: Wie lange soll dieses Volk mich lästern! [Und wie lange wollen sie nicht an mich glauben (loʾ yaʾamînû bî) bei all den Zeichen, die ich in ihrer Mitte getan habe!] 12Ich will es schlagen mit Pest und will es vernichten und dich zu einem größeren und stärkeren Volk machen als dieses. 11

Die Doppelung »und wie lange« zeigt, dass der Satz über den Unglauben ein »ungeschickt eingefügter« Nachtrag ist (Noth 1966: 96). Auch hier hat der Zweifel an der Autorität der religiösen Amtsträger das Motiv des Glaubens auf den Plan gerufen. Anders als in Ex 4 lassen die Israeliten sich diesmal von den Wunderzeichen nicht überzeugen. In der Nacherzählung Dtn 1 – 3 findet sich das »traurige Fazit« (Perlitt 2013: 110): »Doch selbst daraufhin wart ihr ohne Glauben (ʾênekæm maʾamînim) an Jahwe, euren Gott« (Dtn 1,32). Als die Israeliten den Rückweg nach Ägypten einschlagen wollten, bedeutete dies, dass sie der Landverheißung den Glauben verweigerten. So hat auch Ps 106,24 es gedeutet: »Sie verachteten das kostbare Land; sie glaubten nicht (loʾ hæʾæmînû) seinem Wort.« »Die richtige Reaktion des Gottesvolkes auf die erfahrene Güte wäre […] gläubiges Vertrauen auf Jahwe gewesen, worin im Jahwekrieg die einzige angemessene Einstellung zu Gott lag (Ex 14,31; Jes 7,9; 28,16), und als Israel nun am Mangel des Vertrauens scheiterte […], wurde aus seinem Verhalten ein Paradigma des Unglaubens« (Veijola 2004: 39). Auch in Dtn 9,23 hat Num 14,11 ein Echo gefunden (vgl. Schmitt 2001: 319): »Als Jahwe euch aus Kadesch-Barnea sandte und sprach: Geht hinauf und nehmt das Land ein, das ich euch gegeben habe!, da lehntet ihr euch auf gegen den Befehl Jahwes, eures Gottes, [und glaubtet nicht an ihn (weloʾ hæʾæmantæm lô)] und gehorchtet seiner Stimme nicht.« Die Doppelung zeigt, dass auch an dieser Stelle der Ungehorsam nachträglich als Unglaube bestimmt worden ist. Bevorzugt richtete sich der Vorwurf des Unglaubens in der Spätzeit gegen die Bewohner des ehemaligen Nordreichs, die die Geschichte, wie Jahwe sein Volk in der Frühzeit geleitet und gerettet hatte, mit den Jerusalemern teilten, aber nicht entfernt daran dachten, ihren eigenen Kult aufzugeben. In dem großen Geschichtspsalm Ps 78, der »die Verwerfung Ephraims und die Erwählung Judas« (Hupfeld 1860: 354) begründet, wird die Heilsgeschichte zum Grund der Anklage. Trotz der Rettungswunder während des Wüstenzugs »glaubten sie nicht (loʾ hæʾæmînû) an Gott und vertrauten nicht auf seine Hilfe« (V. 22). Sogar als Jahwe die Wunderzeichen wiederholte, blieben die Israeliten bei dieser Haltung: »Sie sündigten weiter und glaubten nicht (weloʾ

26  Altes Testament hæʾæmînû) an seine Wunder« (V. 32). »Ihr Herz war nicht beständig bei ihm, und sie standen nicht fest (weloʾ næʾæmnû) in seinem Bund« (V. 37). In dem immer weiter vermehrten Geschichtsresümee 2Kön 17,7 – 23, das auf den Untergang des Nordreichs folgt, lautet ein zentraler Satz, Jahwe habe alle seine Knechte, die Propheten, zu ihnen gesandt, »aber sie gehorchten nicht, sondern waren halsstarrig wie ihre Väter, die nicht glaubten (loʾ hæʾæmînû) an Jahwe, ihren Gott« (2Kön 17,14). Die Halsstarrigkeit, die die Väter mit der Sünde des Goldenen Kalbs an den Tag gelegt haben (Ex 32,9; 33,3.5; 34,9; Dtn 9,6.13), wird nunmehr als Unglaube bestimmt. Der Vorwurf blieb nicht auf die Polemik gegen die (Nord-)Israeliten beschränkt. Als die Rolle des Mose immer mehr an Bedeutung gewann, wurde der Umstand, dass in der Landnahme-Überlieferung nicht Mose, sondern Josua der Führer des Volkes war, zum Problem. Warum hatte Mose den Jordan nicht überschritten? In der Murr-Erzählung Num 20,12 wird in einem Nachtrag, der die Ätiologie von Meriba in V. 13 von ihrem Anlass in V. 11 trennt, die Anklage hinzugefügt: »Jahwe aber sprach zu Mose und Aaron: Weil ihr nicht an mich geglaubt habt (loʾ hæʾæmantæm bî), um mich vor den Augen der Israeliten zu heiligen, darum sollt ihr diese Versammlung nicht in das Land bringen, das ich ihnen gegeben habe.« Es musste ein schwerwiegendes Vergehen gewesen sein, das verhinderte, dass Mose das Volk in das Land der Verheißung geführt hat, wie es seines Amtes gewesen wäre. Der Unglaube galt als die Sünde schlechthin.

13.  Ein theologischer Schlüsselbegriff aus der Spätzeit des Alten Testaments Mit dem Motiv des Glaubens hat die immer tiefer in den Text wie in die Sache eindringende theologische Reflexion den Kern der Gottesbeziehung auf einen schlüssigen Begriff gebracht. Wie gut das gelungen ist, zeigt die breite Wirkung im Neuen Testament und darüber hinaus. Gemessen daran erstaunt freilich, dass der Begriff im Alten Testament selbst nur an wenigen, wenn auch wichtigen Stellen begegnet. Der einfache Grund dafür ist, dass er erst in der Spätzeit entstanden ist. Die meisten Belege sind erst nachträglich in ihren Kontext gekommen. Schon die ältesten von ihnen setzen das Bündnisverbot voraus, das für die Theologie der Chronik leitend gewesen ist. Dem Paktieren mit äußeren Mächten wird die Forderung des bedingungslosen

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Glaubens an Jahwe entgegengestellt. Dieses Motiv hat auch im Buch Jesaja ein breites Echo gefunden. Der zeitgeschichtliche Anlass ist in der hellenistischen Zeit zu vermuten. Der Begriff des Glaubens kann weder auf den Propheten Jesaja zurückgehen, wie man früher angenommen hat, noch stammt er aus der deuteronomistischen Theologie oder der Theologie der Priesterschrift, wenn er auch mit alldem gut zu vereinbaren ist, wie die Zusätze im Buch Jesaja sowie in den deuteronomistischen und priesterschriftlichen Texten zeigen. Eine besondere Affinität besteht zum Motiv der Gerechtigkeit (bes. Gen 15,6; Hab 2,4b). Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit steht im Horizont des (eschatologischen) Gottesgerichts. Von anderen Verben, die die Gottesbeziehung beschreiben, unterscheidet sich hæʾæmîn darin, dass der Glaube auf die vorausgehende heilvolle Zuwendung Jahwes antwortet, auf Gottes Verheißungen und auf seine Wunder. Glaube, wie er im Alten Testament verstanden wird, ist seinem Wesen nach Antwort. Gerade deshalb ist der Unglaube, der Gottes Zuwendung ausschlägt, ein so schweres Vergehen. »Mit negiertem hʾmyn b / l wird […] ein theologischer Begriff […] gebraucht, mit dem das Mißtrauen gegenüber Jahwes Verheißen und Wirken zugunsten Israels als Mangel an Vertrauen auf Jahwe selbst, also als Schuld bezeichnet werden kann. […] Wenn durch solche Vertrauensverweigerung aber alle Landverheißungen und Führungszusagen praktisch zu Lügen erklärt werden, wird Gott selbst zum Lügner, wie das in 1Joh 5,10 gesagt wird: ὁ μὴ πιστεύων τῷ θεῷ ψεύστην πεποίηκεν αὐτόν« (Perlitt 2013: 111). »Wer Gott nicht glaubt, der hat ihn zum Lügner gemacht.« Mit dem Glauben steht tatsächlich alles auf dem Spiel: »Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!« Das bedingungslose Festhalten an Gott ist das Wesen des Glaubens. Dabei gibt es eine Entwicklung, in deren Verlauf das »Sich-Festmachen« von einer Gegenstandsbeziehung – dem Festhalten an den Wundern, den Verheißungen, dem Wort – immer mehr zu einer personalen Beziehung wird, zum »glauben an«. In dieser Form wurde hæʾæmîn (»glauben«) zu einem Begriff eigenen Rechts für – man kann es nicht besser sagen – den »Glauben« an Gott. Die Semantik ist am Ende so eindeutig, dass man sie auch ohne Ableitung versteht.

28  Altes Testament

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellen Texte aus der Umwelt des Alten Testaments I / 4 (TUAT), hrsg. v. Otto Kaiser, Gütersloh 1984.

2. Sekundärliteratur Aurelius 1988: Aurelius, Erik: Der Fürbitter Israels: Eine Studie zum Mosebild im Alten Testament (CB.OT 27), Stockholm 1988. Barthel 1997: Barthel, Jörg: Prophetenwort und Geschichte (FAT 19), Tübingen 1997. Becker 1997: Becker, Uwe: Jesaja – von der Botschaft zum Buch (FRLANT 178), Göttingen 1997. Budde 1885: Budde, Karl: Ueber das siebente Capitel des Buches Jesaja, in: Études archéologiques, linguistiques et historiques; dédiées à Mr. le Dr. C. Leemans, Leiden 1885, 121 – 126. Ebeling 1958: Ebeling, Gerhard: Jesus und Glaube, ZThK 55 (1958), 64 – 110; auch in: ders.: Wort und Glaube, Tübingen 1960, 203 – 254. Gese 1970: Gese, Hartmut: Die strömende Geißel des Hadad und Jesaja 28,15 und 18, in: Kuschke, Arnulf / Kutsch, Ernst (Hgg.): Archäologie und Altes Testament. Festschrift für Kurt Galling zum 8. Januar 1970, Tübingen 1970, 127 – 134. Guthe 1922: Guthe, Hermann: Das Buch Jesaja 1 – 35 (HSAT), Tübingen 41922. Hartenstein 2004: Hartenstein, Friedhelm: Tempelgründung als »fremdes Werk«. Beobachtungen zum »Ecksteinwort« Jesaja 28,16 – 17, in: Witte, Markus (Hg.): Gott und Mensch im Dialog. Festschrift für Otto Kaiser zum 80. Geburtstag (BZAW 345 / I), Berlin / New York 2004, 491 – 516. Herrmann 1965: Herrmann, Siegfried: Die prophetischen Heilserwartungen im Alten Testament. Ursprung und Gestaltwandel (BWANT 85), Stuttgart 1965. Hoffmann 2006: Hoffmann, Hans Werner: Die Afformativkonjugation mit präfigiertem waw in der Genesis, in: Beck, Martin / Schorn, Ulrike (Hgg.): Auf dem Weg zur Endgestalt von Genesis bis II Regum. Festschrift Hans-Christoph Schmitt zum 65. Geburtstag (BZAW 370), Berlin / New York 2006, 75 – 88. Hupfeld 1860: Hupfeld, Hermann: Die Psalmen. Übersetzt und ausgelegt. Dritter Band, Gotha 1860. Kaiser 1981: Kaiser, Otto: Das Buch des Propheten Jesaja. Kapitel 1 – 12 (ATD 17), Göttingen 51981. Kaiser 2000: Kaiser, Otto: Art. Glaube II. Altes Testament, RGG4, Bd. 3, Tübingen 2000, 944 – 947. Kratz 2000: Kratz, Reinhard G.: Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Tesaments (UTB 2157), Göttingen 2000. Levin 1985: Levin, Christoph: Die Verheißung des neuen Bundes (FRLANT 137), Göttingen 1985. Levin 2004: Levin, Christoph: Jahwe und Abraham im Dialog: Genesis 15, in: Witte, Markus (Hg.): Gott und Mensch im Dialog. Festschrift für Otto Kaiser zum 80. Geburtstag (BZAW 345 / I), Berlin / New York 2004, 237 – 257; auch in: ders.:

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30  Altes Testament John A. (Hg.): Congress Volume Cambridge 1995 (VT.S 66), Leiden u. a. 1995; auch in: ders.: Theologie in Prophetie und Pentateuch (BZAW 310), Berlin / New York 2001, 277 – 294. Schmitt 2001: Schmitt, Hans-Christoph: Die Erzählung vom Goldenen Kalb Ex 32* und das Deuteronomistische Geschichtswerk, in: McKenzie, Steven L./ Römer, Thomas (Hgg.): Rethinking the Foundations. Historiography in the Ancient World and the Bible. Essays in Honour of John Van Seters (BZAW 294), Berlin / New York 2000, 235 – 250; auch in: ders.: Theologie in Prophetie und Pentateuch (BZAW 310), Berlin / New York 2001, 311 – 325. Smend 1899: Smend, Rudolf: Lehrbuch der alttestamentlichen Religionsgeschichte. Zweite umgearbeitete Auflage, Freiburg i. Br. u. a. 1899. Smend 1967: Smend, Rudolf: Zur Geschichte von hʾmyn, in: Hartmann, Benedikt u. a. (Hgg.): Hebräische Wortforschung. Festschrift zum 80. Geburtstag von Walter Baumgartner (VT.S 16), Leiden 1967, 284 – 290; auch in: ders.: Die Mitte des Alten Testaments. Exegetische Aufsätze, Tübingen 2002, 244 – 249. Stade 1887: Stade, Bernhard: Geschichte des Volkes Israel. Erster Band, Berlin 1887. Veijola 1975: Veijola, Timo: Die ewige Dynastie. David und die Entstehung seiner Dynastie nach der deuteronomistischen Darstellung (AASF B 193), Helsinki 1975. Veijola 2004: Veijola, Timo: Das fünfte Buch Mose. Deuteronomium Kapitel  1,1 – 16,17 (ATD 8,1), Göttingen 2004. Weiser 1935: Weiser, Artur: Glauben im Alten Testament, in: ders. (Hg.): Festschrift Georg Beer zum 70. Geburtstage, Stuttgart 1935, 88 – 99. Wellhausen 1885: Wellhausen, Julius: Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 1885. Wellhausen 1905: Wellhausen, Julius: Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 6 1905. Wildberger 1967: Wildberger, Hans: »Glauben«. Erwägungen zu hʾmyn, in: Hartmann, Benedikt u. a. (Hgg.): Hebräische Wortforschung. Festschrift zum 80. Geburtstag von Walter Baumgartner (VT.S 16), Leiden 1967, 372 – 386. Wildberger 1968: Wildberger, Hans: Glauben im Alten Testament, ZThK 65 (1968), 129 – 159. Wildberger 1982: Wildberger, Hans: Jesaja. 3. Teilband (BK X / 3), Neukirchen-Vluyn 1982. Würthwein 1954: Würthwein, Ernst: Jesaja 7,1 – 9. Ein Beitrag zu dem Thema: Prophet und Politik, in: Theologie als Glaubenswagnis. Festschrift für Karl Heim zum 80. Geburtstag, Hamburg 1954, 47 – 63; auch in: ders.: Wort und Existenz. Studien zum Alten Testament, Göttingen 1970, 127 – 143. Yamaga 2001: Yamaga, Tetsuo: König Joschafat und seine Außenpolitik in den Chronikbüchern, AJBI 27 (2001), 59 – 154.

3.  Literaturhinweise zum vertiefenden Studium Ebeling, Gerhard: Jesus und Glaube, ZThK 55 (1958), 64 – 110; auch in: ders.: Wort und Glaube, Tübingen 1960, 203 – 254.

Christoph Levin  31 Hermisson, Hans-Jürgen: Glauben im Alten Testament, in: ders./Lohse, Eduard: Glauben. Kohlhammer Taschenbücher 1005, Stuttgart 1978, 9 – 78. Kaiser, Otto: Art. Glaube II. Altes Testament, RGG4 3, Tübingen 2000, 944 – 947. Rudnig-Zelt, Susanne: Glaube im Alten Testament. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung von Jes 7,1 – 17; Dtn 1 – 3; Num 13 – 14 und Gen 22,1 – 19 (BZAW 452), Berlin / Boston 2016. Wildberger, Hans: Glauben im Alten Testament, ZThK 65 (1968), 129 – 159.

Neues Testament

Friedrich W. Horn

Glaube – Nicht Weisheit der Menschen, sondern Kraft Gottes 1. Einführung Wie soll man sich dem Thema Glaube im Neuen Testament angemessen nähern? Die Sache ist auch da anwesend, wo nicht von ihr gesprochen wird. Evangelium und Glaube sind fast deckungsgleich. Aber das Thema Glaube ist nicht identisch mit einer Theologie des Neuen Testaments, auch wenn es die meisten ihrer Themen umgreift. Ein ausschließlich begriffsgeschichtlich orientierter Zugang kommt schnell an Grenzen, weil er in der Gefahr steht, lexikalisch an den Begriffen πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«) zu kleben und sie von ihren Kontexten zu isolieren. Dennoch kann eine Orientierung am Vorkommen dieser Begriffe nicht umgangen werden, weil eine im Vergleich mit seiner Vorgeschichte gewaltige Ausbreitung des Lexems Glaube im frühen Christentum zu beobachten ist, die erklärt werden muss. Weiterführend ist daher der von Schumacher (2012: 18) eingeschlagene Weg: »Wenn also, wie in der vorliegenden Arbeit, der Blick in erster Linie auf die Wortsemantik gerichtet ist, so lässt sich diese nicht isoliert von den syntaktischen Bezügen und den jeweiligen – sowohl innertextlichen und soziokulturellen – Kontexten betrachten, sondern kann nur von diesen her bestimmt werden.«

1.1.  Das Vorkommen des Lexems Glaube im Neuen Testament Das Lexem Glaube tritt in den neutestamentlichen Schriften unerwartet und mit solcher Dominanz in den Mittelpunkt, dass im Vergleich mit seiner Vor- und Zeitgeschichte von einer »explosionsartigen Steigerung« (Jüngel 2000: 953; auch Weder 1992) gesprochen wurde.

34  Neues Testament Ein Blick in die Statistik der Konkordanz zum Novum Testamentum Graece zeigt: das Substantiv πίστις (»Glaube«) und das Verb πιστεύω (»ich glaube«) begegnen jeweils 243-mal, πιστεύειν (»glauben«) zum Vergleich in der gesamten Septuaginta 45-mal. Daneben sind noch einzubeziehen das Adjektiv πιστός/»treu« (67-mal), das Verb πιστόω/»ich erweise mich als treu« (einmal), das Adverb πιστῶς/»zuverlässig« (einmal) und die jeweiligen Gegenbegriffe ἀπιστία/»Unglaube« (11-mal), ἀπιστέω/»ich bin ungläubig« (8-mal) und ἄπιστος/»ungläubig« (23-mal) sowie ὀλιγοπιστία /»Kleinglauben« (einmal) und ὀλιγοπιστός/»kleingläubig«(5-mal). Übertroffen werden diese Werte insgesamt nur noch von θεός/»Gott« (1318-mal), κύριος/»Herr« (719mal), Χριστός/»Christus« (531-mal). Der Blick in die Konkordanz zeigt aber auch eine ungewöhnliche Häufung etwa des Begriffs πίστις (»Glaube«) in der Briefliteratur und in der Apostelgeschichte gegenüber nur 24 Belegen in den Synoptischen Evangelien und vier Belegen in der Johannesapokalypse. Freilich fällt auch auf, dass das Substantiv πίστις nur einmal im Corpus Johanneum verwendet wird, das Verb πιστεύειν (»glauben«) hingegen im Corpus Johanneum fast die Hälfte aller neutestamentlichen Belege abgibt. Kolosserbrief, Philemonbrief, 2. Petrusbrief und Johnnesapokalypse benutzen ausschließlich das Substantiv. Eine Konzentration des Lexems Glaube wiederum findet man in den Briefen des Paulus, und zwar sowohl in allen authentischen als auch in allen pseudepigraphen Briefen, und dabei wiederum liegen eindeutige Schwerpunkte im Römerbrief, im Galaterbrief und in den Pastoralbriefen (vgl. auch Karrer 1994; Merk 2003; Michel / Haacker 1997).

1.2. Forschungsgeschichte Die Forschungsgeschichte hat – auch wenn der oben dargelegte statistische Befund anderes nahegelegt hätte – den Glauben zwar immer mit bedacht, aber doch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nie zentral behandelt. Er war der Christologie, der Ekklesiologie, den Sakramenten, der Rechtfertigungslehre, der Ethik u. a. unter- oder zugeordnet und führte kein rechtes Eigenleben. Am Anfang der neueren Forschungsgeschichte steht Adolf Schlatters Werk Der Glaube im Neuen Testament. Eine Untersuchung zur neutestamentlichen Theologie, eine von der »Haager Gesellschaft zur Vertheidigung der christlichen Religion« gekrönte Preisschrift aus dem Jahr 1885. Dieses Werk erfuhr sechs Auflagen, Nachdrucke und Über-

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setzungen. Die letzte Auflage wurde im Jahr 1982 mit einem umfangreichen Vorwort von Peter Stuhlmacher (V – X XIII) erneut gedruckt, was die Bedeutsamkeit dieses umfassenden Werks zum Thema nur unterstreicht. Schlatter beschreibt den Glauben als ein bußwilliges inneres Geschehen, als eine Reue, als Haltung des Menschen vor Gott: »Die Gründung der Gemeinde auf Glauben ist das Zeugnis Jesu für die Superiorität Gottes über den Menschen« (Schlatter 31905: 552). Daneben ist Rudolf Bultmanns ThWNT-Artikel πιστεύω κτλ (»ich glaube«) aus dem Jahr 1959 zu nennen, in dem er – neben den Ausführungen in der Theologie des Neuen Testaments (Bultmann 1982) – seinen Ansatz der existentialen Interpretation darlegt (Bultmann 1959). An die Stelle der Reue in Schlatters Interpretation tritt nun in struktureller Fortführung von Schlatters Ansatz der Begriff der Entscheidung (Lührmann 1976: 55). Bultmann beschreibt in einer radikalen Individualisierung die Begegnung des einzelnen Menschen mit der Botschaft des Evangeliums, und er abstrahiert dabei von jeglicher Welt- und Heilsgeschichte. »Auch für Paulus, der den Begriff der πίστις (»Glaube«) in den Mittelpunkt der Theologie gestellt hat, ist πίστις nicht eine seelische Haltung des Menschen, sondern primär die Annahme des Kerygma, dh die Unterwerfung unter den von Gott beschlossenen und in Christus erschlossenen Heilsweg« (Bultmann 1959: 218). Etliche Publikationen zum Thema verfassten Gerhard Barth und Dieter Lührmann. Sie fragten vor allem nach der Ableitung des Begriffs πίστις und kamen zu völlig divergierenden Ergebnissen. Während Lührmann zum Verständnis des Begriffs ausschließlich die jüdische Vorgeschichte heranzog, lenkte Barth den Blick auf die pagane griechisch-hellenistische und römische Literatur. Heute warnt man vor einseitigen Kontextualisierungen, da weder ein spezifischer noch ein einheitlicher Sprachgebrauch bei Paulus vorliegt. Schumacher konstatiert, dass »der Ausgangspunkt der sprachlichen Entwicklung die gängige griechische Wortbedeutung darstellt« (2012: 472). Gegenüber der traditions- oder begriffsgeschichtlichen Frage wendet sich das Interesse vielmehr auf die Beobachtung der jeweiligen Verwendungszusammenhänge, in denen oftmals eine Bedeutung kreiert wird, die einen neuen Aspekt hervorbringt (Schumacher 2012: 477). Einen recht umfassenden Überblick über die Forschungsgeschichte mit Schwerpunkt Paulus hat Schließer (2007: 7 – 78) verfasst. Neben traditionsund religionsgeschichtlichen, zuletzt eher sprachgeschichtlichen Fragen der Ableitung des urchristlichen Glaubensbegriffs vom Judentum oder Hellenismus stehen in der jüngeren Forschung vor allem Einzel-

36  Neues Testament texte (Röm 1,17; Gal 3,6 / Röm 4,3; Joh 20,30 f.; Hebr 11,1 u. a.) und Syntagmata wie πίστις Χριστοῦ (»Glaube Christi«) oder νόμος πίστεως (»Gesetz des Glaubens«) im Mittelpunkt.

1.3.  Erste Unterscheidungen Es empfiehlt sich zunächst, einen sprachgeschichtlichen Einstieg und eine Analyse der Verwendung der Begrifflichkeit der fast 500 Belege in den Schriften des Neuen Testaments zu wählen: nicht, um das Lexem aus der Geschichte seiner Verwendung in der griechischen Literatur abzuleiten, sondern um seinen Gebrauch nacheinander in denjenigen Schriften oder Schriftengruppen auszulegen, die gehäuft und reflektiert von ihm Gebrauch machen. Hierbei ist jeweils der theologische Kontext der Schrift oder der Schriftengruppe unbedingt zu beachten. Eine thematische Darstellung (so Haacker 1984), die den Glauben nacheinander in Beziehung zu Mission, Rechtfertigung, Ethik etc. setzt, empfiehlt sich nicht, da ein solches Vorgehen den falschen Eindruck vermitteln würde, im Neuen Testament lägen zu diesen Themen bereits reflektierte Positionen vor. Die Glaubensthematik entwickelt sich jedoch erst in spezifischer Weise im frühen Christentum, sie wird sprachlich verdichtet und dies in sehr unterschiedlichen Akzentuierungen, was wiederum nur in den Schriften oder Schriftengruppen je für sich zu erkennen ist. Das Beachten der Sprachentwicklung kann einerseits helfen, vorschnellen theologischen Interpretationen entgegenzutreten. Andererseits ist nach einer spezifischen Prägung der neutestamentlichen Autoren zu fragen, für die Anknüpfungspunkte in alttestamentlicher, jüdischer, griechisch-hellenistischer und römischer Tradition gegeben sind und die sie auch wahrgenommen haben (insgesamt Schließer 2011: 9 – 26). Gleichwohl scheint die Häufigkeit und Konzentration dieses Lexems in den neutestamentlichen Schriften gegenüber der Tradition und dem paganen Umfeld darauf hinzudeuten, dass das frühe Christentum nicht einfach bestehende Begriffsfelder weiterführte, sondern dass ein spezifisch christliches Anliegen für diese Ausprägung leitend war (Barth 1992: 218). Noch deutlicher formuliert Thomas Schumacher: Die Entstehung einer christlichen Sprache basiert nicht auf Wortneuschöpfungen oder Begriffsumprägungen, sondern dadurch, »dass die entsprechenden Begrifflichkeiten in einem neuen spezifisch christlichen Bezugsrahmen verwendet worden sind« (2012: 476). Schon bei einem einzigen Autor, etwa bei Paulus, kann das Substan-

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tiv πίστις (»Glaube«) sehr unterschiedliche Bedeutungen haben und es kann sogar zwischen theologischem und nichtreligiösem Sprachgebrauch wechseln: Glaube, Vertrauen (Röm 4,5), Treue (Röm 3,3). Auch griechische Wörterbücher bieten in großer Breite ›Vertrauen, Glaube, Treue, Zuverlässigkeit, Versprechen, Glaubwürdigkeit oder Beweis‹ als Übersetzungsmöglichkeiten für πίστις an. Diesen uneinheitlichen Sprachgebrauch einerseits und die mit πίστις, πιστεύειν (»Glaube, glauben«) gegebene Reziprozität profaner und religiöser Beziehungen andererseits teilt Paulus mit der Sprache seiner Zeit. Paulus bindet πίστις (»Glaube«) sehr oft in bedeutungsschwere Ketten (1Kor 13,13; Gal 5,22), Präpositionalkonstruktionen mit διά (»durch«), ἐκ (»aus«), ἐν (»in«), εἰς (»auf«), ἐπί (»auf«), σύν (»mit«) (Röm 1,17; 3,22.25 u. a.) und vor allem Genitivverbindungen ein (Glaubensgehorsam, Christusglaube, Gottesglaube, Glaubensgesetz, Glaubensmaß, Glaubensgerechtigkeit, Glaubensanalogie, Glaubenswerk, Glaubenswort, Glaubensgemeinschaft, Glaubensgenossen, Glaubensdienst u. a.), deren Übersetzung und Deutung ausgesprochen schwierig und daher strittig sind. Auch bildet er Antithesen wie ›Werke des Gesetzes‹ und ›Glaube an Jesus Christus‹ (Gal 2,16; vgl. auch Röm 3,28) oder ›glauben‹ und ›wirken‹ (Röm 4,5), oder er schafft sprachliche Verdichtungen (Röm 3,30; 5,1; Gal 5,5), neue Zuordnungen wie die von Glaube und Liebe (Gal 5,6; 1Kor 13,13; 1Thess 3,6; 5,8) oder ›von Glaube zu Glaube‹ (Röm 1,17) und schließlich markante Kernsätze (Röm 14,23b). Das Johannesevangelium verknüpft Glauben vornehmlich mit Erkennen und Sehen und ordnet die in den Wundern Jesu offenbare Herrlichkeit dem Glauben zu. Es sind sachliche Unterscheidungen getroffen worden, die zu folgenden hilfreichen Kategorien auf die Sache des Glaubens geführt und Perspektiven eröffnet haben (Dalferth 1992: 108; Schließer, 2011: 11): a) Ich glaube, dass … bzw. etwas (doxastisches Fürwahrhalten). b) Ich glaube jemandem (fiduziales Vertrauenschenken). c) Ich glaube an jemanden (personales Sichverlassen). Man könnte auch, aus einer leicht veränderten Perspektive a) von einer subjektiven Seite des Glaubens, also von einem vom Einzelnen zu vollziehenden Glaubensakt sprechen, b) von einer intersubjektiven, also von einer gemeinschaftlichen, Identität stiftenden ekklesiologischen Seite und schließlich

38  Neues Testament c) von einer transsubjektiven Seite, die sich auf das dem Glauben zugrunde liegende Heilsereignis bezieht (Schließer 2011: 21). Natürlich gibt es Überschneidungen und gemeinsame Schnittmengen. Die unterschiedlichen Perspektiven helfen dabei, die Vielschichtigkeit im Blick zu halten und doch gleichzeitig zu strukturieren. Im Blick auf den neutestamentlichen Sprachgebrauch kann man noch feiner differenzieren (Barth 1992: 220 – 223) und folgende Unterscheidungen treffen: a) Glaube an Jesus Christus (bzw. an den Sohn, an den Menschensohn, an den Namen Christi, an den Herrn u. a.): Joh 3,36; 12,11; Gal 2,16; 1Petr 1,8 u. a. b) Glaube an Jesus Christus unter Bezugnahme auf das, was Gott an Jesus Christus getan hat. Hier finden sich formelhaft verdichtete Sätze, die mit πιστεύω ὅτι (»ich glaube, dass«) einsetzen und danach das Handeln Gottes an Jesus Christus beschreiben: Joh 6,69; Röm 10,9; 1Thess 4,14 u. a. c) Das Zum-Glauben-Kommen wird zumeist im Aorist angesprochen. Die πιστεύσαντες sind die »zum Glauben Gekommenen« oder einfach auch die »Glaubenden«: Apg 4,4; Röm 13,11; Eph 1,13 u. a. d) Der Glaube erscheint wie eine Haltung oder ein Stand, in dem man sich befindet, der bewahrt werden muss und der gefährdet ist: 1Kor 2,5; Kol 1,23; Eph 6,16 u. a. e) An wenigen Stellen scheint bereits der sich in der Folgezeit immer stärker durchsetzende Sprachgebrauch durch, der vom Glauben als von einem Glaubensinhalt spricht, sozusagen von der christlichen Religion: Röm 12,6; Gal 1,23; Eph 4,5 u. a. Glaube scheint ein komplexes Phänomen zu sein, das weit mehr und deutlich anderes impliziert als der umgangssprachliche Gebrauch im Sinne eines Fürwahrhaltens einer Sache andeutet.

2.  Glaube in Judentum und Hellenismus Wir haben von einer explosionsartig vermehrten Verwendung des Lexems Glaube im Vergleich mit seiner Vor- und Zeitgeschichte gesprochen. Was war im Blick, wenn im Neuen Testament von πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«) die Rede war? Bestanden An-

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knüpfungspunkte für das frühe Christentum? Erfährt die Begrifflichkeit eine Neuausrichtung? Daher soll zunächst die sprachliche Vorgeschichte des Lexems knapp erarbeitet werden.

2.1. Septuaginta In der Septuaginta sind Wörter des Stammes ‫( אמן‬ʾmn) durchgehend mit πιστεύειν, πίστις (»glauben«, »Glaube«) wiedergegeben worden, auch wenn diese nicht die einzigen Begriffe waren, um das Verhältnis Israels zu Gott anzusprechen. »Die Übersetzer müssen also eine sehr starke Kongruenz zwischen den beiden Wortstämmen pist- und ʾmn gesehen haben« (Lührmann 1976: 31). Daher werden die griechischen Wörter πιστεύειν, πίστις (»glauben«, »Glaube«) zu Bedeutungslehnwörtern, die ihren Bedeutungsinhalt aus den Kontexten ziehen, in denen sie als Übersetzungswörter begegnen (Lührmann 1976: 32). Im Blick auf die Septuaginta und weitere frühjüdische Schriften folgert Lührmann: »Glaube assoziiert den Zusammenhang der Grundelemente jüdischer Theologie: Gesetz, Gerechtigkeit, Schöpfung, endzeitliche Vergeltung« (Lührmann 1976: 44 f.). Diesen Zusammenhang habe das Judentum allerdings nur im internen Sprachgebrauch verwendet, nicht aber in der Mission oder in der Apologetik. Lührmann schließt folgenden Definitionsversuch an: »Glauben heißt, das Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer der Welt zusammenbringen mit der konkreten Erfahrung dieser Welt, die diesem Bekenntnis zu widersprechen scheint« (Lührmann 1976: 34). Ich nenne diejenigen wesentlichen Stellen der Septuaginta zum Thema Glaube, die im Neuen Testament explizit und teilweise mehrfach zitiert oder angespielt und zu Grundlagen weiterer Auslegungen gemacht werden: Gen 15,6: Röm 4,3; Gal 3,6; Jak 2,23; außerdem Hebr 11,8 Jes 28,16: Mt 21,42; Lk 20,17; Röm 5,5; 9,33; 10,11; 1Petr 2,4.6. Hab 2,4: Röm 1,17; Gal 3,11; Hebr 10,38.

Daneben greifen neutestamentliche Schriften auf Erzählungen der LXX zurück, um in typologischer oder allegorischer Auslegung die Struktur des Glaubens zu beschreiben: Röm 4,1 – 25; Hebr 11,1 – 38; Jak 2,21 – 25.

2.2. Judentum Dieter Lührmann hat in verschiedenen Publikationen das Verständnis des Glaubens im Judentum untersucht (Lührmann 1973; 1976,

40  Neues Testament 31 – 45; 1981: 55 – 64; 1990; zustimmend Lohse 1977: 90 – 92). Ihm ging es zunächst darum, einer These der Religionsgeschichtlichen Schule fundamental zu widersprechen. Wenn im frühen Christentum von Glaube, von πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«) die Rede ist, dann greife dieser Sprachgebrauch, so Lührmann, nicht auf die synkretistische Propaganda des Hellenismus zurück, die keinen religiösen Gebrauch dieses Lexems kenne. Zwar seien πίστις und πιστεύειν Wörter der griechischen Sprache, diese beziehen ihren Inhalt jedoch ausschließlich aus dem alttestamentlichen und jüdischen Bereich. Lührmann entfaltet den jüdischen Glaubensbegriff an ausgewählten Texten des hellenistischen Judentums (1Hen 61,3f; Sir 35,24 – 36,3; 3 Bar 57,2; 59,2 – 11) und erkennt, dass hier Glaube ein Kernbegriff jüdischer Theologie wird. Diese Texte zeigen, »[…] daß Glaube im J­ udentum einer der Begriffe ist, die das richtige Verhalten des Menschen benennen, der auf Gerechtigkeit aus ist. Dieser Glaube ist orientiert am Gesetz […]; es geht dabei weniger darum, das Gesetz zu halten, als vielmehr, sich an das Gesetz zu halten […]« (Lührmann 1976: 44; auch Hermis­ son / Lohse 1978: 88). Der jüdische Philosoph Philo von Alexandrien stellt Glaube allerdings als ein Vertrauen dar, das sich nicht auf irdische Gegebenheiten, sondern allein auf Gott bezieht ­(legum allegoria II 89: πῶς ἄν τις πιστεύσαι θεῷ; ἐὰν μάθῃ, ὅτι πάντα τὰ ἄλλα τρέπεται, μόνος δὲ αὐτὸς ἄτρεπτός ἐστι/»wie soll man Gott glauben? Wenn man lernt, dass alle Dinge sich wandeln, er allein aber unveränderlich ist«).

2.3. Hellenismus Gerhard Barth hat im Anschluss an Dieter Lührmann dessen These, dass der nichtjüdische und pagane Hellenismus einen religiösen Gebrauch von πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«) nicht kenne, in Frage gestellt und nach gründlicher Überprüfung und Besprechung des griechisch-hellenistischen Materials völlig andere Ergebnisse vorgelegt (Barth 1982; dann auch Schunack 1999). Vor allem bei Plutarch (ca. 45 – 125 n. Chr.), aber auch bei anderen Schriftstellern, finde sich der religiöse Gebrauch von πιστεύειν bezogen auf Götter, die Tyche, die Orakel, religiöse Rede, Wunder und Gottesverehrung »häufiger […] als anderswo« (181). Dies erkläre sich »am einfachsten wohl daher, daß dieser Gelehrte und Philosoph zugleich Priester in Delphi war, daß wir es hier also gewissermaßen mit einem heidnischen Theologen zu tun haben« (182). Es sei wohl nicht zu bestreiten, dass die Sprache des frühen Christentums maßgeblich vom hellenistischen Judentum beein-

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flusst sei, allerdings sei vor allem in der Gräzität, speziell bei Plutarch, der Gebrauch von πίστις im Sinne der fides quae creditur belegt (πάτριος καὶ παλαιὰ πίστις [»der väterliche und alte Glaube«], Mor 756B, 402E) wie auch die Konstruktion des Genitivus obiectivus (πίστις τοῦ θείου [Gottesglaube«], Mor 165B). Darüber hinaus werde πιστεύειν / πίστις (»glauben«/»Glaube«) häufig mit einem Dativ konstruiert (Glaube oder Vertrauen an einen Gott), es begegne wie im Neuen Testament und im Judentum die Konstruktion πιστεύειν ὅτι (»glauben, dass«) und einmal πίστις in Verbindung mit der Präposition πρός (»auf / an«). Allein für die Verbindung πίστις περὶ θεοῦ/ (»Glaube über Gott« für eine Überzeugung, die man über Gott oder im Blick auf Gott hat) begegne im Judentum und im Neuen Testament gar nicht. Ein wesentliches Nebenergebnis der Studie Barths ist, dass die urchristliche Missionsverkündigung an diesen Sprachgebrauch innerhalb des nichtjüdischen Hellenismus anknüpfen konnte (191). Wäre hingegen Lührmanns These korrekt, dass die Rede von πίστις und πιστεύειν ausschließlich im internen jüdischen und christlichen Sprachkontext verankert gewesen sei, dann bliebe das Aufkommen dieses Sprachgebrauchs in der frühchristlichen Mission geradezu unverständlich (192). Die Frage nach sprachlichen Anknüpfungspunkten im Bereich des Hellenismus ist zuletzt durch den wichtigen Hinweis Christian Streckers ergänzt worden, dass im Bereich der imperialen römischen Kultur fides (»Glaube«) gleichfalls ein wesentlicher Verstehenshorizont für die πίστις-Aussagen des Paulus war (Strecker 2005).

3. Jesus Nicht viele Worte innerhalb der Synoptischen Tradition sprechen von πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«). Das Johannesevangelium verwendet das Verb durchgehend, meidet aber das Substantiv. Unübersehbar hat die urchristliche Gemeinde ihr Glaubensverständnis in etliche dieser Worte Jesu eingetragen oder sie gänzlich geformt (z. B. Mt 18,6; 24,23; Mk 1,15; 9,42; Lk 8,12; Joh 8,24; 16,27). Allerdings sind spezifische, mit Glauben (und Bitten) zusammenhängende Themen und Wortfelder zu erkennen, die nicht direkt als Übernahme jüdischer Vorstellungen und auch nicht als von urchristlicher Theologie gezeichnet zu verstehen sind. In ihnen kommt wahrscheinlich ein eigenständiger Impuls Jesu zum Ausdruck, der im Kontext seines Gottesverständnisses erklärbar wird. Glaube begegnet als die Haltung des unbedingten Ver-

42  Neues Testament trauens in Gottes Fürsorge, Eingreifen und Handeln. Der Glaube lebt in der Gewissheit der Gebetserhörung (Mt 7,7; Lk 11,9), weiß aber auch um Zweifel und Unglaube angesichts der Verkündigung solch unbegrenzten Vertrauens (Mt 21,21; Mk 11,23). Glaube ist jedoch nicht bezogen auf ein Gegenüber oder auf bestimmte Lehrsätze, die geglaubt oder für wahr gehalten werden.

3.1.  Der Berge versetzende Glaube Im Markusevangelium findet sich im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12 – 14) das Wort Jesu: Wahrlich, ich sage euch: Wer zu diesem Berg spräche: Heb dich auf und wirf dich ins Meer! Und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, dass es geschehen werde, was er sagt, so wird’s ihm geschehen (Mk 11,23). Im Anschluss daran hebt ein zweites Wort das vorhergehende Amen-Wort auf eine allgemeine Ebene: Darum sage ich euch: Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubt nur, dass ihr’s empfangt, so wird’s euch zuteil werden (Mk 11,24). Mt 21,21 f. hat diese beiden Worte im Kern übernommen, allerdings ohne das Glaubensmotiv im Wort des Berge versetzenden Glaubens. Lukas hingegen übergeht die Vorlage des Markus. Daneben finden sich in Mt 17,20 und Lk 17,6 weitere Worte Jesu, die in der Sache dem ersten Wort recht nahe kommen. Sie sind wahrscheinlich als Doppelüberlieferung auf die Logienquelle zurückzuführen: »Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, könnt ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: sei entwurzelt und ins Meer verpflanzt! Und er wird euch gehorchen« (Zeller 1984: 59). Matthäus, der das Glaubensmotiv in Mt 21,21 f. nicht erwähnt hatte, bietet dieses nun in Mt 17,20 und bezieht den Glauben hierbei erneut auf die Kraft, einen Berg zu versetzen, nicht aber wie Lk 17,6 auf die Entwurzelung eines Maulbeerbaums. Lukas bindet dieses Wort jetzt an die Gegebenheit des schwachen Glaubens der Apostel zur Zeit Jesu (Lk 17,5). Er distanziert das Logion damit von dem möglichen Missverständnis, als sei ein Berge versetzender Glaube ein grundsätzliches Charakteristikum des Christseins (Wolter 2008: 568). Dies bedeutet, dass sowohl im Markusevangelium als auch in der Logienquelle als den ältesten synoptischen Quellenschriften ein Wort Jesu über die Kraft des (Berge versetzenden) Glaubens enthalten ist, was auf das hohe Alter dieses Wortes hinweist und es als Wort Jesu

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erkennen lässt (Hahn 2011: 454 f.). Neben Matthäus und Lukas sind aber auch noch an die Log 48 und Log 106 des Thomasevangeliums zu erinnern, die ein ähnliches Wort über die Macht, einen Berg zu versetzen, bieten, diese Kraft aber nicht an den Glauben, sondern an den Frieden in einem Haus bzw. an die Aufhebung der Dualität von Vater und Mutter bindet (Critical Edition of Q: 492 f.). Schließlich hat Joh 14,13 ein vergleichbares Wort über die Macht des Gebets. Es ist sogar nicht auszuschließen, dass 1Kor 13,2 (Wenn ich allen Glauben hätte, so dass ich Berge versetzen könnte) auf dieses Wort Jesu anspielt. Eine sprichwörtliche Rede vom ›Berge versetzen‹ begegnet in der antiken Literatur häufig, jedoch stets ohne einen Bezug zum Glauben (Lindemann 2000: 284). Das Sprichwort und so auch die Worte Jesu sprechen etwas Unmögliches an: ein Berg kann nicht versetzt werden, der besonders tief und fest wurzelnde Maulbeerbaum kann nicht verpflanzt werden. Selbst einer magischen Handlung wird man dieses nicht zutrauen wollen. Dass Gott am Ende der Zeiten Berge erhöhen und erniedrigen wird (Jes 40,4; 49,11; Lk 3,5), das wurde geglaubt, aber es war Sache Gottes und nicht des Menschen. Dieses dem Menschen Unmögliche wird nun in paradoxer Weise in Beziehung gesetzt zu etwas vermeintlich verschwindend Kleinem, dem Glauben und seinen ungeahnten Möglichkeiten. Er wird verglichen mit einem Senfkorn, das aufgrund seiner Winzigkeit auch an anderen Stellen für Vergleiche herangezogen wird (Mk 4,31; Mt 13,31; Lk 13,19), dort allerdings, um den Kontrast von klein zu groß auszudrücken. Die Worte Jesu werben für eine Haltung, die nicht im Zweifel (Jak 1,6 – 8) oder im Kleinglauben (Mt 6,20; 8,26; 14,31; 16,8; 17,20) verbleibt, sondern im Glauben eine tiefe Kraft entdeckt. Solcher Glaube findet Gestalt im Gebet (Mt 21,22; Joh 14,13) und lebt im Vertrauen auf Gottes Fürsorge (vgl. Lk 12,22 – 32). In der weiteren Rezeption und Auslegung wurde betont, und zwar gerade im Angesicht der Erfahrung von Kleinglauben, ein Berge versetzender Glaube müsse stark und fest sein, wenn er die Verheißung, Berge zu versetzen, empfangen möchte. Damit wurde allerdings die spezifische Pointe des Wortes Jesu verlassen, das ja gerade dem unscheinbar kleinen Glauben (wie einem Senfkorn) eine Zusage gibt (Barth 1982: 145).

3.2.  Der rettende Glaube In Heilungsgeschichten der Evangelien begegnet des Öfteren die Formel: Dein Glaube hat dich gerettet (Mk 5,34 par. Mt 9,22; Lk 8,48; Mk

44  Neues Testament 10,52 par. Lk 18,42; außerdem Lk 7,50; 17,19; vgl. auch Mt 9,27 – 31). Es ist höchst bedeutsam, dass der Glaube in diesen Geschichten nicht durch das Wunder und ein performatives Heilungswort ausgelöst wird, sondern dem Vertrauen in den Wundertäter Jesus und dem Wunder vorangeht. Dieser rettende Glaube wird als unbedingtes Vertrauen in die Macht und in die Person Jesu dargestellt. Annette Merz spricht von einem thaumaturgischen Synergismus, da Wundertäter und Empfänger des Wunders wechselseitig aufeinander angewiesen sind (Merz 2013: 122). In nachösterlicher Zeit bleibt dieser Zusammenhang von Glaube und Rettung, auch in dieser sprachlichen Form, präsent: Apg 14,9 f.; 15,11; 16,31 f.; Röm 10,9; 1Kor 15,2; Eph 2,8 u. a. Daher ist die Überlegung, dass sich vorösterlicher und nachösterlicher Sprachgebrauch in den Texten gegenseitig beeinflusst haben, gut möglich. Jedoch ist es nicht überzeugend, ›dein Glaube hat dich gerettet‹ als eine ausschließlich christlich exorzistische Formel zu verstehen, die nachträglich in die Jesusüberlieferung eingetragen worden sei. Vielmehr haben die synoptischen Evangelien ein Vertrauen, dass »es Änderungen unveränderlich erscheinender Gegebenheiten der Welt geben kann, als ›Glaube‹ bezeichnet« (Lührmann 1976: 30; Söding 21987), und sie haben darin wohl eine Erinnerung an die Verkündigung Jesu weitergegeben. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Grundlage der Glaubensthematik im frühen Christentum ausschließlich aus der Verkündigng Jesu abzuleiten ist.

4.  Die Pistis-Formel In den Briefen des Paulus als der ältesten christlichen Literatur begegnen Traditionsstücke, die in die Anfänge der Christenheit (30er und 40er Jahre) zurückreichen. Der Wortlaut dieser Stücke ist nicht mehr präzise zu rekonstruieren, auch sind Entstehungszeit und -ort nicht klar zu benennen. Doch deutet eine Vielzahl von Indizien auf älteres geprägtes Traditionsgut hin. In der formgeschichtlich orientierten Exegese sprach man im Blick auf eine Reihe von Formeln, in denen stets in geradezu technischer Verwendung πίστις (»Glaube«) und πιστεύειν (»glauben«) begegnen, von Pistis-, Glaubens-, Credoformeln oder gar von Glaubensbekenntnissen (Vielhauer 1975: 9 – 22; Hahn 2011: 459 f.). Weitere Formeln, verfestigte, bisweilen hymnisch anmutende Texte wären hier zu nennen. In diesen formelhaften Sätzen hat die frühe Christenheit ihre spezifische Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daher treffen wir hier auf Anfänge christlicher Theologie.

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In der ältesten christlichen Schrift, dem 1. Thessalonicherbrief (ca. 50 n. Chr.), begegnet erstmals folgende Pistis-Formel: »Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die entschlafen sind, durch Jesus mit ihm einherführen« (1Thess 4,14). Gegenstand des Glaubens ist im engeren Sinn, dass Jesus gestorben und auferstanden ist. Nicht mehr zur eigentlichen Formel gehört der Nachsatz, der Folgerungen aus diesem Geschehen im Blick auf die Glaubenden zieht. Dieser Gegenstand des Glaubens wiederum begegnet in etlichen Varianten, die in unterschiedlicher Weise den Tod und die Auferstehung / Auferweckung Jesu ansprechen (Röm 4,24; 10,9; 14,9; 1Kor 15,3 – 5; 2Kor 5,15 u. a.) und die wie in 1Kor 15,3 betont als ältere Tradition eingeführt werden. Der Blick richtet sich auf ein spezifisches Handeln Gottes, der den Gekreuzigten auferweckt hat. Es ist jedoch abwegig, den Glauben ausschließlich auf das Fürwahrhalten dieser Aussage zu reduzieren. Vielmehr wird wie in 1Thess 4,14 der Bezug auf Tod und Auferstehung Jesu verknüpft mit dem Glauben an die Auferstehung der verstorbenen Christen, mit der Vergebung der Sünden (1Kor 15,3), mit der Taufe und dem neuen Leben (Röm 6,3 f.) oder mit der Rettung der Glaubenden (Röm 10,9).

5. Paulus Paulus schließt sich an den Sprachgebrauch seiner Zeit und an den der jüdischen, durch die LXX vermittelten, und frühen christlichen Tradition an. Jedoch erhält das Lexem Glaube in allen Briefen des Paulus eine grundlegende zentrale Bedeutung, da die Inhalte des sich ausbildenden christlichen Denkens nicht ohne dieses Lexem angesprochen werden. Die Inhalte des Glaubens und des Evangeliums entsprechen sich. Glaube wird zur »umfassenden Bestimmung des Christseins« (Söding 1995: 671), zu einer »den ganzen Menschen erfassenden Lebensform« (Hahn 2011: 462). Überdies bezieht sich Glauben nicht mehr vornehmlich, wie in den πίστις-Formeln, auf einen Glaubensgegenstand, sondern umgreift Christsein in unterschiedlichen Beziehungen und Dimensionen. Paulus hat, wie Bultmann feststellt, »[…] den Begriff der πίστις in den Mittelpunkt der Theologie gestellt […]« (Bultmann 1959: 218). ›Euer Glaube‹ wird daher geradezu eine Bezeichnung der neuen Ausrichtung in den Gemeinden (Röm 1,8; 1Kor 2,5; 15,14; 2 Kor 10,15; 1Thess 1,8 u. a.), die Christen sind ›Glaubende‹ (1Kor 1,21; Gal 3,22; 1Thess 1,7) oder ›Christusglaubende‹ (Gal 2,16) und der Glaube ist das,

46  Neues Testament was die Identität der Christen ausmacht und sie zusammenschließt, ganz gleich ob sie einen jüdischen oder einen paganen Hintergrund haben. Glaube wird zur Signatur der Selbstdefinition (Lührmann 1992: 752). Im frühesten Brief des Paulus, dem 1. Thessalonicherbrief, wird Glaube durchgehend ohne nähere Ausführung oder Abgrenzung zu der Signatur der Christen (1Thess 1,3.7.8; 2,10.13; 3,2.5.6. 7. 10). Der Glaube ist in späteren Briefen zugleich wie ein Fluidum, in dem die Christen leben (Röm 1,17), sich bewegen (2 Kor 5,7) und wachsen (2 Kor 10,15), standfest (1Kor 15,58), schwach oder stark im Glauben sein können (Röm 14,1) oder aber wie eine Größe, auf die sie vielfältig zugeordnet sind, was die vielen, auf πίστις (»Glaube«) bezogenen präpositionalen Verbindungen und die Genitivverbindungen anzeigen. Überraschenderweise fehlt πιστεύω (1. Person Sing.) (zum Ganzen von Dobbeler 1987). Es ist unangemessen, diesen Glauben auf einen freien Entschluss oder auf eine Entscheidung des Menschen zu reduzieren. Paulus legt Wert darauf, dass der Glaube eine Gabe Gottes ist und dass diese Gabe der Entscheidung des Einzelnen vorausgeht (Röm 4,16; Phil 1,29). Auch kann der Glaube als Wirkung des Geistes angesprochen werden (Gal 5,22; 1Kor 12,9). Der Glaube ist bezogen auf die Verkündigung des Evangeliums und er ist daher ganz wesentlich ein auf Sprache, auf Reden und Hören bezogenes Geschehen (Röm 10,17; 1Kor 1,21) (Hofius 1990). Die Inhalte des Glaubens und die Inhalte des Evangeliums entsprechen sich. Es steht Jesus Christus im Mittelpunkt, was in dem Ausdruck ›Christusglaube‹ (Röm 3,22.26; Gal 2,16.20; 3,22; Phil 3,9) ebenso zum Ausdruck kommt wie in verbalen Formulierungen, in denen Jesus Christus das Objekt ist (Röm 9,33; 10,11.14; Gal 2,16; Phil 1,29). Demgegenüber treten solche Aussagen, in denen Gott das Objekt des Glaubens ist, deutlich zurück (Röm 4,5. 17. 24; 1Thess 1,8). Allerdings sind Christusglaube und Gottesglaube bei Paulus in der Gestalt verknüpft, dass es ja um den Glauben an den Gott geht, der Jesus von den Toten auferweckt hat (Röm 4,24). Nach Schumacher ist »die entscheidende Voraussetzung für die weitere sprachliche Entwicklung des Wortes πίστις darin zu sehen, dass Paulus diesen Begriff zur Beschreibung der wechselseitigen Christusbeziehung verwendet und ihn damit in einen neuen Bezugsrahmen einführt« (Schumacher 2012: 473). Paulus hat als Verfolger derjenigen Mitglieder der jüdischen Synagoge, die Jesus als den Christus bekannten, die ersten Umrisse der neuen Richtung innerhalb des Judentums kennengelernt. Im Rückblick hält er in Gal 1,23 eine umlaufende Bewertung fest:

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Der uns früher verfolgte, der predigt jetzt den Glauben, den er früher zu zerstören suchte (Gal 1,23). Die Berufung zum Heidenapostel spricht Paulus rückblickend als Beauftragung zur Aufrichtung des Glaubens unter den Heiden an (Röm 1,5; 16,26; vgl. auch Gal 2,7). Glaube ist ab jetzt wesenhaft auf das Wort und auf die Verkündigung bezogen (Röm 10,17; 1Kor 15,14). Einen prägenden Einfluss auf die sich ausbildende Theologie des Paulus hatten dann diejenigen christlichen Gemeinden, in denen Paulus lebte, bevor er als Missionar und Briefschreiber bekannt wurde: Damaskus, Jerusalem, Caesarea, Tarsus, vor allem aber Antiochia. Der Glaube, von dem Paulus ab jetzt sprechen wird, ist mit Jesus Christus so eng verknüpft, dass einerseits die vorhergehende Zeit geradezu als Zeit vor dem Glauben angesprochen wird (Gal 3,23.25), andererseits aber ein Glaube, der sich nicht auf den auferweckten Christus bezieht, als wertlos oder nichtig deklariert wird (1Kor 15,17). Sogar die Rede vom Glauben an Gott (neben etlichen trad. Verweisen in Röm 4 nur noch in 1Thess 1,8) tritt bei Paulus in den Hintergrund gegenüber dem Christusglauben. Dieser allerdings bestimmt bis auf Phlm 5 (κύριος/»Herr«) und Gal 2,20 (υἱός θεοῦ/»Sohn Gottes«) nahezu durchgehend in Formulierungen von πιστεύειν (»glauben«) bzw. πίστις (»Glaube«) mit Χριστός (»Christus«) die Diktion. In welchem Verhältnis steht der Christusglaube zum jüdischen Glauben an Gott? Es ist auffällig, dass Paulus die Rede über den Glauben im 1. Thessalonicherbrief noch in keiner Weise abgrenzt von einer jüdischen Glaubenshaltung, die auf Gesetz, Gerechtigkeit, Schöpfung und endzeitliche Vergeltung bezogen ist. Auch werden noch Ausführungen dazu vermisst, wie sich christlicher Glaube zu den sog. Identitätsmerkmalen jüdischen Glaubens wie Sabbat, Beschneidung, Reinheits- und Speisegebote verhält. Zunehmende Auseinandersetzungen mit judenchristlichen Missionaren, jüdischen Gegnern, aber auch die Verarbeitung der eigenen Lebensgeschichte führen bald dazu, die Gestalt des christlichen Glaubens in teilweise polemischen Abgrenzungen zu beschreiben, um ihn als Christusglaube zu bewahren. Michael Wolter beschreibt das paulinische Glaubensverständnis ganz im Gegensatz zu einem doxastischen Fürwahrhalten als Wirklichkeitsgewissheit: »Demgegenüber besteht die Eigenart des Glaubens nach paulinischem Verständnis darin, dass er bestimmte Sachverhalte als wirklich gegeben ansieht, weil sie – und allererst diese Begründung macht seine Wirklichkeitsannahme zu einer Glaubensgewissheit – mit der Wirklichkeit Gottes übereinstimmen. Aus diesem Grunde bezeich-

48  Neues Testament nen wir den Glauben als eine Wirklichkeitsgewissheit.« (Wolter 2011: 86). Um die wesentlichen Strukturelemente der paulinischen Glaubensvorstellung nachzuzeichnen, beschränke ich mich auf vier Gedankenkreise, in denen Paulus Glaube profiliert hat.

5.1.  Gerecht nicht durch Werke des Gesetzes, sondern durch Glauben an Jesus Christus In Gal 2,16 formuliert Paulus erstmals eine klare Alternative zwischen Glauben an Jesus Christus und Werken des Gesetzes. Röm 3,28 (vgl. auch 3,21; 4,6) wird diese Aussage erneut aufnehmen. Die in beiden Aussagen beschlossene Einsicht stellt die Basisformulierung der Rechtfertigungslehre des Paulus dar, deren Ausarbeitung der Galater- und der Römerbrief vollziehen: Wir wissen, dass ein Mensch nicht gerechtfertigt wird aus Werken des Gesetzes (ἐξ ἔργων νόμου), sondern durch Glauben an Jesus Christus (διὰ πίστεως Ιησοῦ Χριστοῦ), und wir sind zum Glauben an Christus Jesus gekommen (εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν ἐπιστεύσαμεν), damit wir gerechtfertigt werden durch den Glauben an Christus (ἐκ πίστεως Χριστοῦ/aus Glauben Christi) und nicht aus Werken des Gesetzes (οὐκ ἐξ ἔργων νόμου), denn aus Werken des Gesetzes (ἐξ ἔργων νόμου) wird niemand gerechtfertigt (Gal 2,16). Dieser Satz begegnet erstmals in der Besprechung des sog. antiochenischen Zwischenfalls (Gal 2,11 – 21). Die Mahlgemeinschaft von Heiden- und Judenchristen in der Stadt Antiochia ohne Beachtung der jüdischen Speisevorschriften war dem Bericht zufolge von Petrus zeitweise geteilt, nach dem Auftreten Jerusalemer Judenchristen in Antiochia aber wieder zurückgenommen worden. In der Folge seiner Entscheidung zogen sich auch die anderen Judenchristen Antiochias und selbst der theologische Ziehvater des Paulus, Barnabas, von der Mahlgemeinschaft zurück. Dies bedeutete, dass in Antiochia der Versuch, Heidenchristen und Judenchristen in einer Gemeinschaft ohne Beachtung der jüdischen Tora(vorschriften) zu verbinden, gescheitert war. Paulus bewertet im Rückblick das Verhalten des Barnabas und der anderen Judenchristen als Heuchelei (Gal 2,13) und hält Petrus u. a. die Konsequenz seines Verhaltens vor: Wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, dann ist Christus umsonst gestorben (Gal 2,21).

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Im Rückblick auf diesen Zwischenfall formuliert Paulus den Gegensatz von Glaube an Jesus Christus und Werken des Gesetzes und er trägt ihn in die Darstellung des antiochenischen Konflikts ein. Was aber ist mit diesen beiden Syntagmen gemeint und worauf zielt die Entgegensetzung? Die sog. New Perspective on Paul hat mit Recht darauf hingewiesen, dass es bei den Werken des Gesetzes keineswegs um eigene verdienstliche Werke gehe, die der Rechtfertigung entgegenstehen. Vielmehr eröffnet Paulus einen Gegensatz zu den von der Tora geforderten Handlungen oder Vorschriften. Innerhalb der New Perspective dachte man hierbei an diejenigen von der Tora geforderten Handlungen, die zur Identität des jüdischen Lebens in paganer Umgebung beitragen und sie erkennbar machen: Beschneidung, Sabbat, Reinheits- und Speisegebote. Distanziert Paulus sich von diesen Werken des Gesetzes, so eröffnet er Heiden einen Zugang zum Gottesvolk, ohne sie an jüdische Identitätsmerkmale zu binden. Diese Werke des Gesetzes haben im Zusammenhang der Rechtfertigung des Menschen vor Gott oder durch Gott keine Bedeutung mehr, an ihre Stelle tritt ausschließlich der Christusglaube. Man darf nun nicht im Umkehrschluss meinen, dass das Judentum eine Religion der Selbstrechtfertigung durch Werke des Gesetzes gewesen sei. Die Ausrichtung an der Tora diente vielmehr der Bewahrung des Bundes. Allerdings tritt jetzt, da die christlichen Gemeinden sich aus Juden und Heiden zusammensetzen, die Tora in dieser Funktion ganz zurück und an ihre Stelle tritt der Glaube an Jesus Christus als einzige Bedingung und Aneignungsform des Heils. Paulus weitet im Galater- und Römerbrief den Gegensatz zu den Werken des Gesetzes zunehmend aus und bezieht ihn nun auf die Tora insgesamt. Christus wiederum ist das Ende des Gesetzes (Röm 10,4). Diese Grundentscheidung verdichtet Paulus abschließend im Pro­ ömium des Römerbriefs im Blick auf das Evangelium: »[…] denn es ist eine Macht Gottes zum Heil für jeden, der glaubt, für den Juden vor allem und auch für den Heiden. Denn Gottes Gerechtigkeit wird in ihm offenbar aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: Der aus Glauben Gerechte wird leben« (Röm 1,16 f.). Die Bestimmung ›für jeden, der glaubt‹ wird zweimal im Blick auf Glauben aufgenommen. Mit der Präpositionalverbindung ›aus Glauben zu Glauben‹ deutet Paulus auf einen Anfang und ein Ziel, also auf eine nicht überbietbare Totalität, die vom Glauben umschlossen wird. Bestätigend für diese Sicht führt er das Schriftzitat aus Hab 2,4 an, das er bereits in Gal 3,11 eingesetzt hatte. Dieses Zitat soll neben Gen 15,6 (aufgenommen in Röm 4,3; Gal

50  Neues Testament 3,6) belegen, dass diese Verbindung von Gerechtigkeit und Glaube bereits im Alten Testament angesprochen worden ist. Dieses Zitat ist wohl so aufzunehmen, dass die Zuordnung von ἐκ πίστεως (»aus Glauben«) zu δίκαιος (»gerecht«) und nicht zu ζήσεται (»er wird leben«) gesetzt wird, also: der aus Glauben Gerechte wird leben. Ich rufe an dieser Stelle einen Einspruch auf, den der Jakobusbrief gegen diese Position vorträgt. Der Einspruch in 2,14 – 26 richtet sich gegen die Position des Paulus, was daran erkennbar wird, dass Jakobus die entscheidenden Stichworte aufnimmt, aber neu bestimmt: den mehrfachen Gegensatz von πίστις (»Glaube«) und ἔργα (»Werke«; allerdings nicht ἔργα νόμου [»Werke des Gesetzes«]), das Syntagma πίστις χωρὶς (τῶν) ἔργων (»Glaube ohne Werke«) (Röm 3,28 / Jak 2,18), μόνον (»allein«) (Röm 3,29 / Jak 2,24), die Verknüpfung dieses Themas mit dem Abraham-Beispiel (Jak 2,21 – 23 / Röm 4), das Zitat von Gen 15,6 (Röm 4,3 / Jak 2,28), das in beiden Texten von der LXX leicht abweicht. Wir wissen nicht, ob der Galater- oder der Römerbrief dem Verfasser des Jakobusbriefs bekannt war und er sich also direkt gegen beide Schriften und deren Verfasser wandte. Möglicherweise sind ihm die entscheidenden Stichworte durch Christen paulinischer Gemeinden oder auch von antipaulinisch gesinnten Christen übermittelt worden. Daneben wird allerdings auch die These vertreten, dass Paulus und Jakobus unabhängig voneinander auf den frühjüdisch / frühchristlich bezeugten Zusammenhang von Glaube und Rettung eingehen. Von Werken des Gesetzes spreche Jakobus aber gerade nicht (Konradt 2013: 552 f.). Gegenüber dieser Entgegensetzung von Glaube und Werken betont Jak 2,22: der Glaube wirkt zusammen mit seinen Werken, und durch die Werke wird der Glaube vollendet. Dies bedeutet nach 2,17: Der Glaube, der keine Werke hat, ist für sich allein tot. Der Jakobusbrief bietet mehr als diese Antithese (dazu Niebuhr 2009) und sein Verfasser hat den von Paulus eröffneten Gegensatz von Glaube und Werken nicht in der von diesem beschriebenen Tiefendimension aufgenommen. Das Gesetz (1,25; 2,8 – 12; 4,11) ist für Jakobus die Norm christlichen Lebens, Sünde besteht im Missachten der Gesetzesforderung. Paulus hingegen kann das Gesetz im Galater- und Römerbrief jedoch nicht mehr so uneingeschränkt als Norm anerkennen, da in der Begegnung mit dem Gesetz gerade die Begierde erweckt wird, die zur sündigen Tat führt. Auch würde sich Paulus nicht von den Beispielgeschichten in Jak 2,15 f., die einen Glauben ohne Werke illustrieren sollen, getroffen fühlen, wie das Insistieren auf Nächstenliebe in Röm 13,8 – 10; Gal 5,6.14; 6,2; 2 Kor 8,13 f. u. a. zeigt.

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5.2.  Abraham – Urbild des Glaubens Geradezu als Konsequenz der Ausführungen in Röm 1 – 3 wird Abraham in Röm 4 als Urbild des Glaubens eingeführt. Einerseits hatte Paulus bereits vor dem Römerbrief in Gal 3,6 Bezug genommen auf die Schriftstelle Gen 15,6, in der die Stichworte ›Glaube, anrechnen und Rechtfertigung‹ vorgegeben sind. Jetzt greift er erneut auf dieses Zitat zurück, um darzulegen, dass die Glaubensgerechtigkeit ohne Werke ist. Mit dieser Auffassung des Glaubens hebt sich Paulus von der jüdischen Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 markant ab, für die Abraham Beispiel eines wahren Frommen und Gerechten ist. In 4QMMT C 31, einem Text aus der Frühzeit der Qumrangemeinde, wird im Anschluss an Gen 15,6 festgestellt: Und es wird dir zur Gerechtigkeit angerechnet werden, weil du das getan hast, was recht und gut vor ihm (Gott) ist (Übersetzung nach J. Maier; zur Verwendung von Gen 15,6 im Judentum vgl.: Schließer 2007: 79 – 220).

Das weitere Zitat Ps 31,1 – 2 in Röm 4,6 – 8 nimmt nämlich das Stichwort »anrechnen« (λογίζεσθαι) auf und führt dahin, dass Gott die Gerechtigkeit ohne Werke anrechnet. Nach Wolter kam auf diesem Weg eines exegetischen Schlusses in Gal 3,6 überhaupt erst die Verknüpfung von Glaube und Gerechtigkeit in die Theologie des Paulus, zumal der hier beschriebene Vorgang der Rechtfertigung eines Menschen aufgrund seines Glaubens in der Antike ausschließlich in der Abrahamüberlieferung bezeugt ist (Wolter 2011: 345 – 348; 2014: 276). Andererseits aber kann Abraham als Beispiel der Glaubensgerechtigkeit von Juden und Heiden (so Röm 1,16 f.) eingeführt werden, da seine in Gen 15,6 angesprochene Glaubensgerechtigkeit zeitlich noch vor dem Beschneidungsbund (Gen 17) lag. Abraham bezieht sich in seinem Glauben ganz auf die im Wort gegebene Verheißung und eben nicht auf das Gesetz (Röm 4,22). Insofern kann Paulus in Röm 10,4 die These formulieren: Christus ist das Ende des Gesetzes für jeden, der glaubt. »Dem Glauben Abrahams kommt somit im Rahmen der identitätsund stabilitätsstiftenden Funktion des Glaubens eine besondere Rolle zu. Er präfiguriert nicht nur den Glauben des einzelnen Menschen, sondern ist zugleich bestimmendes Merkmal für die Zugehörigkeit zum Gottesvolk« (Schließer 2011: 30; umfassend ders. 2007).

52  Neues Testament

5.3.  Glaube, Liebe, Hoffnung Der früheste Beleg der Trias Glaube, Liebe, Hoffnung findet sich im Proömium des 1. Thessalonicherbriefs. Hier dankt Paulus in 1Thess 1,3 dafür, dass in der Gemeinde Glaube, Liebe und Hoffnung gegenwärtig sind. Was diese drei Begriffe, die von ihrer Herkunft her nicht eine typisch theologische Sprache repräsentieren, je für sich aussagen, ist im Kontext des Briefes gut abzulesen. Der Glaube stellt das Verhältnis zu Jesus Christus als dem Herrn dar, die Liebe wird als Liebe zueinander (3,12) oder als Bruderliebe (4,9f.) angesprochen, also als Liebe der Christen zueinander, die Hoffnung schließlich richtet sich ganz auf Jesus Christus, dessen Parusie in naher Zukunft erwartet wird. Die Trias in 1Thess 1,3 ist in dieser Form jedoch neu und sie ist wohl eine Bildung des Paulus, um für die jungen christlichen Gemeinden in Thessalonich so etwas wie eine Summe der neuen religiösen Ausrichtung zu formulieren. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Zusammenstellungen von Glaube und Liebe zu einem festen Begriffspaar noch weitaus prägnanter und häufiger in den Briefen des Paulus begegnen (1Thess 3,6; 5,8; Gal 5,6 u. ö.). Sie stellen möglicherweise eine christliche Variante des sog. hellenistischen Kanons der zwei Tugenden dar, in denen die Ethik auf zwei wesentliche Prinzipien, das rechte Verhalten gegenüber Gott und dem Menschen, konzentriert wird. Wenige Jahre später begegnet die Trias erneut, ebenfalls an prononcierter Stelle als Abschluss des Enkomions auf die Liebe in 1Kor 13,13 (Söding 1992). Gegenüber einer intellektualistischen oder gefühlsmäßigen Verengung des Glaubensbegriffs ist die Gestaltwerdung des Glaubens im Bereich der Kirche und ihrer Ethik vor allem in der Liebe (Gal 5,6) anzuerkennen. Glaube kann geradezu als christlicher Lebensstil angesprochen werden (1Thess 1,8; 3,5 f.; 2Kor 1,24; Röm 1,8), der sowohl um Wachstum (2Kor 10,15) als auch um Zweifel (Röm 14,1) weiß. Nach Schließer (2011: 99) fließen bei Paulus Christsein und Christusglaube ineinander. Der Glaube erscheint wie ein Raum, in dem man steht (1Kor 16,13; 2Kor 1,24; Röm 11,20) und sich bewegt, der Grenzen hat (Röm 12,3) und doch Freiheit eröffnet: Alles, was nicht aus Glauben kommt, ist Sünde (Röm 14,23).

5.4.  Der Glaube Jesu Christi Sehr umstritten ist, wie die Genitivverbindung πίστις (Ἰησοῦ) Χριστοῦ (»Glaube [Jesu] Christi«) zu interpretieren ist, die mit leichten Variationen in Gal 2,16; 3,22; Röm 3,22a.26, Phil 3,9 und Eph 3,12 begegnet

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(dazu Ulrichs 2007; Hooker 2000: 951 stellt diese Frage in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen zu Paulus; ausführlich Schumacher 2012: 304 – 473). Liest man mit der Vielzahl angloamerikanischer Exegeten einen Genitivus subiectivus (Hays 1983; Hooker 1989; kritisch Wolter 2014, 249 f.), dann erkennt man die Treue Jesu gegenüber Gott, den Gehorsam Jesu im Weg zum Kreuz oder eben den Glauben Jesu Christi. In Gal 2,16a wäre dieser Glaube / diese Treue Jesu angesprochen, in Gal 2,16b die Glaubensantwort des Menschen. Liest man aber mit der Mehrzahl der deutschen Exegeten einen Genitivus obiectivus (Konradt 2014), dann wäre Jesus Christus Objekt des menschlichen Glaubens. Beide Lesarten können verschiedene Argumente für sich in Anspruch nehmen und haben je in sich eine gewisse Plausibilität. Neuere Arbeiten versuchen, aus einer rein an grammatikalischen Aspekten orientierten Auslegung herauszukommen, indem sie Einsichten beider Auslegungstypen verknüpfen (Hooker 2000: 951 f.; Schließer 2011: 98 f.; Schnelle 2014: 281 f.). Für Wolter ist eine Aussage über den Christusglauben (Genitivus subiectivus) nie eine Aussage an sich, sondern eine Annahme des Glaubens: »Mit πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ meint Paulus also den Glauben, der im Christusgeschehen das Handeln Gottes zum Heil der Menschen erkennt« (Wolter 2014: 250). Schumacher votiert nicht aus grammatischen, sondern aus Sachgründen wiederum für einen Genitivus subiectivus, bezieht die πίστις (»Glaube«) Jesu aber nicht auf Gott, sondern auf die Zuwendung zu den Menschen, deren Antwort wiederum in πιστεύειν (»glauben«) besteht (2012: 463). Seine Auslegung argumentiert wesentlich von einer vor allem durch Papyrus 46, den Majuskeln B D* F G (b) und MVict vertretenen Textvariante in Gal 2,20 her, in der πίστις für ein Verhalten Gottes und Christi gegenüber den Menschen steht (2012: 392 f.).

6. Pastoralbriefe Im Bereich der deuteropaulinischen Briefe belegen die Pastoralbriefe ein reflektiertes Glaubensverständnis, in dem sowohl ein Abstand zu Paulus als auch eine Anpassung an eine veränderte kirchliche Lebenswirklichkeit auffallen (umfassend und in sehr differenzierter Beschreibung: Mutschler 2010). Der häufige Gebrauch des Substantivs πίστις (»Glaube«) dominiert eindeutig (33 Belege) gegenüber dem Adjektiv (17 Belege) und wenigen Verwendungen des Verbs (6 Belege). In den Pastoralbriefen schlägt sich der Übergang von dem existen-

54  Neues Testament tiellen Vollzug des Glaubens zu einem Verständnis von πίστις nieder, für das ein klar beschreibbarer Glaubensgegenstand im Gegenüber zu davon abweichender Lehre kennzeichnend ist. Daher treten der Begriff der διδασκαλία (»Lehre«) und der Begriff πίστις an etlichen Stellen nebeneinander und interpretieren sich gegenseitig (1Tim 4,6; 2Tim 1,13; 3,10), wie überhaupt der Aspekt der rechten und gesunden Lehre in den Pastoralbriefen auf verschiedenen Ebenen wichtig wird (διδακτικός/»gelehrt«, διδασκαλία/»Lehre«, διδάσκειν/ »lehren«, διδαχή/»Lehre«). Diese Konzentration auf einen lehrmäßig erfassten Glaubensinhalt erklärt sich teilweise durch den Gegensatz zu einer von der Sicht des Briefschreibers abweichenden Position, der sich bereits einige aus seiner Gemeinde angeschlossen haben (1Tim 1,6). Die Gegenposition, in der Literatur oft als Irrlehre angesprochen, vertritt nach seiner Sicht solche Einstellungen, die ›dem Ratschluss Gottes und dem Glauben‹ nicht dienen (1Tim 1,4). Dem stellt der Verfasser einleitend als Ziel oder Summe der Unterweisung die Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungeheucheltem Glauben gegenüber (1Tim 1,6). Im Fortgang der drei Briefe wird der Glaube oftmals explizit oder implizit aus seinem Gegensatz zur Irrlehre begriffen (1Tim 1,2. 4. 19; 2,7; 3,9.13; 4,1. 6. 16; 5,8; 6,10. 12. 21; 2 Tim 2,18; 3,8; 4,7; Tit 1,1. 4. 13; 2,2.10). Die inhaltliche Füllung des rechten Glaubens wird neben theologischen und christologischen Aussagen ganz wesentlich mit solchen Attributen vorgenommen, die eher aus dem Bereich der Tugendethik stammen: Liebe (1Tim 1,14; 2,15; 4,12; 6,11; 2Tim 1,13; 2,22; 3,10 f.; Tit 2,2), gutes Gewissen (1Tim 1,5.19; 3,9), Besonnenheit (1Tim 2,9.15), Heiligung (1Tim 2,15), Reinheit (1Tim 4,12), Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Geduld, Sanftmut (1Tim 6,11). Wenn solcher Glaube vorhanden ist, dann schlägt sich dies in dem (guten) Gewissen als Bewusstsein der Übereinstimmung mit der Lehre nieder (1Tim 1,5. 15. 19; 3,9; 4,2). Es gehört zur Erfahrung des Verfassers, dass Abfall vom Glauben, so wie er ihn versteht, stattgefunden hat (1Tim 1,5 f.; 4,1; 6,21), gerade in der Begegnung mit von seiner eigenen Position abweichenden Lehrern (1Tim 1,19; 2 Tim 2,18; 3,8; Tit 1,13). Der Glaube, gefasst in der Gestalt einer Lehre, soll innerhalb der Gemeinde von verlässlichen Personen weitergegeben werden. Dies betrifft zunächst die Apostelschüler Timotheus und Titus. »Wenn du die Brüder dies lehrst, so wirst du ein guter Diener Christi Jesu sein, erzogen in den Worten des Glaubens und der guten Lehre« (1Tim 4,6; außerdem 2Tim 3,10). Daneben tritt die Familie als generationen-

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übergreifender Ort der Glaubensweitergabe in Blick (2Tim 1,5). Dies ist umso bedeutsamer, als die Pastoralbriefe das Haus und die Hausgemeinschaft als den Ort begreifen, in dem christliches Leben Gestalt findet (1Tim 3,4. 5. 12.15; 5,4. 8. 14.16; 6,1 f.; 2Tim 4,19).

7. Johannesevangelium Das Johannesevangelium meidet den Gebrauch des Substantivs πίστις (»Glaube«), bietet aber 98 Belege für das Verb πιστεύειν (»glauben«), zumeist in der Kombination mit der Präposition εἰς (»auf / an«), also bezogen auf eine Person oder einen Gegenstand. Eine Erklärung für diesen Sachverhalt ist nicht sicher zu finden. Das Substantiv war im christlichen Sprachgebrauch fest verankert und es war dem Verfasser des Johannesevangeliums auch durch diejenigen der synoptischen Evangelien, die er kannte, vertraut. Ähnlich stellt sich der Befund im 1. Johannesbrief dar, hier stehen acht Verwendungen des Verbs immerhin einem einzigen Gebrauch des Substantivs gegenüber. Das Johannesevangelium wurde ausweislich seines Schlusssatzes deshalb geschrieben, »damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen« (20,31). Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Evangelist einen Teil, aber nicht alle ihm bekannten Wundertaten Jesu in seinem Evangelium aufgeschrieben (20,30). Durch die Offenbarung der Herrlichkeit Jesu in den Wundern entsteht Glaube an ihn (1,50; 2,11.23; 4,39.53; 7,31; 10,38.42; 11,45.48; 12,11.37; 14,11; 20,30 f.). Nur selten wird die Reihenfolge umgedreht, so dass der Glaube, wie in synoptischen Heilungsgeschichten, dem Wunder vorausgeht (4,50; 11,40). An dieser Zuordnung von Offenbarung der Herrlichkeit des Gesandten im Wunder und dem darauf bezogenen Glauben hat es, etwa durch Bultmann (1968: 425), insofern Kritik gegeben, als der Glaube nach seiner Sicht wesentlich auf die Botschaft und nicht auf ein äußerliches Zeichen (Wunder) bezogen sein darf. Man muss dagegen jedoch einwenden, dass das Johannesevangelium hier anders votiert. Der Glaube wird nicht durch ein Mirakel, ein Wunder an sich erweckt, sondern der Glaube erkennt den im Wunder sich offenbarenden Gottessohn (Hahn 2011: 467; 1985a; 1972). Die dann im Evangelium häufig belegte Kombination πιστεύειν mit Dativ μοι (»mir«) (4,21; 8,45) und vor allem von πιστεύειν mit der Präposition εἰς deutet auf einen personalen Bezug des Glaubens, und

56  Neues Testament zwar an den Namen Jesu (1,12; 3,18), an Jesus (Christus) (12,11), an ihn (2,11; 3,16), an den Sohn (3,36), an mich (3,35.38) oder auch an Gott und mich (14,1). Auch begegnet mehrfach die Rede vom Glauben an den, der mich (Jesus) gesandt hat (5,24.38; 6,29; 11,42; 12,44; 17,8). Dieser Glaube an Jesus bezieht sich auch auf sein Wort (4,41.50; 5,24) oder auf die Schrift, die von Jesus Zeugnis ablegt (5,46 f.). Auf der Ebene der nachösterlichen Gemeinde ist der Glaube an das im Johannesevangelium präsente Wort Jesu schlechthin der Zugang zu seiner Person, es ist die Gestalt des Glaubens. Diese Worte Jesu, denen Glauben geschenkt wird, beinhalten Zusagen und Heilsgaben, wie vor allem an den sog. Ich-bin-Worten deutlich wird (6,35. 41. 48.51; 8,12; 10,7. 9. 11.14; 11,25; 14,6; 15,1.5). Ein wesentlicher Aspekt des Glaubensverständnisses ist die Relation von Glaube und Erkennen (γινώσκειν/»erkennen«). »Im Erkennen erschließen sich die Dimensionen des Glaubens an Gott und Jesus Christus« (Hahn 2011: 466). Der Glaubende erkennt die Wahrheit und gewinnt Freiheit (8,32). Zunächst ist die gegenseitige Erkenntnis für Gott den Vater und Jesus den Sohn ausgesagt (10,15), dann aber auch für Jesus und die zu ihm Gehörenden (10,14). Diese Erkenntnis eröffnet die Einsicht für Gott (17,3; 1Joh 2,13; 4,6f.), in die Offenbarung Jesu (6,69; 10,14; 1Joh 4,16) und in die Wirksamkeit des Parakleten (14,17.20). Wer nicht im Glauben steht, hat nicht erkannt und erkennt auch gegenwärtig nicht (1,10; 16,3; 17,25). Wenn nicht von der Erkenntnis gesprochen wird, die der Glaube gewinnt, dann greift Johannes mittels des breit ausgearbeiteten Wortfeldes der optischen Wahrnehmung zu dem Bereich des Sehens / Schauens (vor allem ὁρᾶν, βλέπειν, θεωρεῖν/»sehen«). Es geht hierbei, wie bereits der Prolog des Evangeliums zeigt (1,14: wir sahen seine Herrlichkeit; dann auch 11,40; 17,24), »um das im Glauben mögliche Schauen der sich auf Erden bereits realisierenden Heilswirklichkeit« (Hahn 2011: 467). Auch hier gilt, dass den Glaubenden das Sehen eröffnet wird, während die nicht Glaubenden eben nicht sehen (16,16.22). Exemplarisch werden Sehen und Nicht-Sehen, Augenlicht und Blindheit der Wundergeschichte in Joh 9,39 – 41 zum Glauben in Beziehung gesetzt (dazu Labahn 2009). Der Blindgeborene wird durch den Glauben ein Sehender, die sich dem Glauben verschließenden Pharisäer werden zu Blinden. Der Glaube hat bereits gegenwärtig am Leben, am ewigen Leben, am Heil in vollem Umfang Anteil, denn der Glaubende geht nicht mehr auf ein Gericht zu, sondern ist bereits gerettet (3,17 – 19). Ruben Zimmermann (2004: 45 – 59) hat das ›Sehen‹ im Johannesevangelium als Basis der Christologie der

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Bilder vorgestellt. Sehen ist gerade nicht nur die empirische Wahrnehmung, sondern es impliziert eine Tiefendimension des geistigen Sehens. Diese Gedanken werden im Johannesevangelium in immer neuen Anläufen und mit leichten Variationen dargelegt. Im Kern wird das Thema des Glaubens verdichtet auf die Anerkennung Jesu als des Gesandten Gottes. Diese Anerkennung wiederum stellt in eine heilvolle Gemeinschaft mit Jesus und eröffnet einen tiefen Erkenntnisgewinn über das Leben.

8. Hebräerbrief Im Hebräerbrief wird das Substantiv πίστις (»Glaube«) 32-mal verwendet, das Verb πιστεύειν (»glauben«) jedoch nur zweimal. Eine Konzentration der Belege bietet Hebr 11,1 – 12,3. Hier reiht der Verfasser zunächst nacheinander eine ganze ›Wolke von Zeugen‹ (11,1) aus dem Alten Testament und aus der Geschichte aneinander (Abel, Henoch, Noah, Abraham, Sara, Isaak, Jakob, Josef, Mose u. a., auch Märtyrer der jüngeren zurückliegenden Zeit), bei denen die Standhaftigkeit des Glaubens zu erkennen ist. Da es sich um vorchristliche Vorbilder handelt, ist also nicht Glaube im christlichen Sinn einer Beziehung zu Christus im Blick, sondern eine Haltung der Beständigkeit und der Ausrichtung auf Gott gerade auch in lebensbedrohlichen Erfahrungen und in Hoffnungslosigkeit. Glaube erscheint hier wie eine Tugend oder wie eine erworbene Haltung, die sich bewähren muss. Die vergangene Beispielreihe wird in Beziehung zur Gegenwart der christlichen Gemeinde gesetzt (12,1), die im Begriff ist nachzulassen (12,12 f.). Die Vorbilder der Vergangenheit sollen die Gemeinde motivieren, am Glauben festzuhalten, auch wenn diese Vorbilder das Verheißene (noch) nicht erlangt haben. Nach diesem Rückblick richtet sich ihr Ausblick auf Jesus, der als ›Anfänger und Vollender des Glaubens‹ vorgestellt wird (12,2). Der Glaube der Gemeinde soll die aus athletischer Agonistik bekannte Gestalt eines Wettkampfs annehmen und den angefangenen Lauf mit Ausdauer siegreich beenden, indem sie sich an Jesus und seinem Beispiel der Geduld orientiert. Jesus nämlich ist als Anfänger dieses Laufs trotz der Niedrigkeitserfahrung und Schande des Kreuzes seinem Lauf treu geblieben und hat als Vollender das Ziel erreicht, da er jetzt zur Rechten Gottes sitzt. Es ist deutlich, dass der Hebräerbrief hier Glaube als Glaube, wie Jesus ihn beispielhaft im Sinne von Standhaftigkeit hatte, versteht und nicht vornehmlich als Glaube an Jesus.

58  Neues Testament Der Abschnitt über die Glaubenszeugen wird in 11,1 eingeleitet mit einer definitionsartigen Beschreibung des Glaubens, deren Übersetzung und Interpretation ausgesprochen schwierig sind: Ἔστιν δὲ πίστις ἐλπιζομένων ὑπόστασις, πραγμάτων ἔλεγχος οὐ βλεπομένων. (»Es ist aber der Glaube ein Dasein von Erhofftem, ein Nachweis [,der ausgeht] von Angelegenheiten, die nicht gesehen werden.«) (Übersetzung Karrer 2008: 258).

Es handelt sich um einen synthetischen Parallelismus. Die Aussage des ersten Satzteils wird mit derjenigen des zweiten Satzteils vereinigt, so dass insgesamt eine neue Aussage entsteht. Mit ὑπόστασις wird auf etwas »Feststehendes, Vorhandenes« abgehoben, welches in der πίστις gegeben ist. Dieses Feststehende oder Vorhandene des Glaubens besteht in der Wirklichkeit der erhofften Dinge oder des Erhofften. Dieses ist also vorhanden, feststehend, nicht aber unsicher. Der Gedanke wird im zweiten Teilsatz fortgeführt, insofern ein ἔλεγχος, ein »Nachweis« oder »Beweis« eingeführt wird. Der Beweis besteht in πραγμάτων, also in »Angelegenheiten (Tatsachen, Wirklichkeiten, Verhältnissen)«. Dem wird man zustimmen, denn was anderes als Tatsachen soll Beweiskraft haben? Nun aber spricht der Verfasser von Angelegenheiten, die man nicht sieht. Er denkt an die unsichtbare Welt, deren Vorhandensein er so gewiss ist, dass er sie als Beweis anführt. Was sagt also die definitionsartige Beschreibung? Die unsichtbare und jenseitige Welt, die gegenwärtig erhofft wird, ist eine Realität. Der Glaube bezieht sich auf diese himmlische Welt, ja der Glaube selbst ist Nachweis der Existenz dieser jenseitigen und unsichtbaren Wirklichkeit. Der Verfasser »macht den Glauben zur (objektiven) ›Garantie des Heils‹« (Gräßer 1997: 97; 1965). In dieser Ausrichtung können die Glaubenden an die großen Vorbilder, die Kap. 11 anschließend einführen wird, anknüpfen, da auch diese ganz auf die unsichtbare Wirklichkeit Gottes in ihrem Leben gesetzt haben. Hebr 11,1 liefert hier ganz sicher nicht mehr als eine Kontext-Definition, die auf die Standhaftigkeit des Glaubens abzielt, nicht aber einen Versuch, das Wesen des Glaubens umfassend zu beschreiben. Religionsgeschichtlich berührt sich der Hebräerbrief hier wie auch an anderen Stellen mit dem mittleren Platonismus, in dem das sichtbare Leben durch einen Gegensatz zur unsichtbaren himmlischen Welt relativiert wird. Innerhalb des hellenistischen Judentums hat Philo von Alexandrien am Beispiel Abrahams ganz ähnlich wie Hebr 11,1 argumentiert (Neuer Wettstein 1996: 1178):

Friedrich W. Horn  59 »… denn die Seele, die sich von einer guten Hoffnung abhängig macht, welche noch über ihr schwebt, – die auch das für unzweifelhaft gegenwärtig betrachtet, was noch nicht da ist, nur wegen der Verlässlichkeit des Verheißenden, hat den Glauben, das vollkommene Gut, den Kampfpreis erlangt« (Philo migr. 44; vgl. auch Abr. 275).

9.  Glaube im Neuen Testament Versuchen wir eine knappe Bündelung, auch wenn längst nicht alle Texte des Neuen Testaments zum Thema Glaube angesprochen werden konnten. Πίστις (»Glaube«) erscheint oftmals als ein Sammelbegriff, der das Christsein umfassend beschreibt. Glaube ist das Identitätsmerkmal der Kirche und des einzelnen Christen, deren Existenz von Glaube bestimmt ist. Das Substantiv πίστις und das Verb πιστεύειν (»glauben«) umfassen ein breites Bedeutungsspektrum in religiöser und profaner Rede, das sich auch im neutestamentlichen Sprachgebrauch niedergeschlagen hat. Vor allem durch Paulus und Johannes wird die Begrifflichkeit zur Beschreibung der wechselseitigen Christusbeziehung eingeführt und somit in ein neues Koordinatensystem eingezeichnet. Der Glaube wird zur Signatur des christlichen Lebens und er umfasst alle Dimensionen der Einstellungen und Hoffnungen des Christen, auch dessen Handlungen. Im Glauben partizipiert der Christ an den Heilsgütern, die metaphorisch mit Leben, Wahrheit, Weg u. a. benannt werden. Demgegenüber tritt das sog. doxastische Moment des Glaubens, dem es um das Fürwahrwalten bestimmter Aussagen geht, merklich zurück. In den Pistis-Formeln hat es eher die Gestalt des Vertrauens.

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellen Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel revidiert 2017. Mit Apokryphen, Stuttgart 2016. Neues Testament: Novum Testamentum Graece (Nestle-Aland), hrsg. v. Barbara Aland / Kurt Aland u. a., Stuttgart 282012. LXX: Septuaginta: Das Alte Testament Griechisch. Editio altera, hrsg. v. Alfred Rahlfs / Robert Hanhart, Stuttgart 42014. Hage, Wolfgang: Die griechische Baruch-Apokalypse, JSHRZ V / 1, Gütersloh 1974. Uhlig, Siegbert: Das äthiopische Henochbuch, JSHRZ V / 6, Gütersloh 1984.

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Kirchengeschichte

Martin Ohst

Glaube in der Kirchengeschichte – Zu den geschichtlichen Wandlungen eines Zentralbegriffs der christlichen Religion »Glauben, was man gemeinhin so nennt, annehmen was ein anderer gethan hat, nachdenken und nachfühlen wollen, was ein Anderer gedacht oder gefühlt hat, ist ein harter und unwürdiger Dienst, und statt das höchste in der Religion zu sein, wie man wähnt, muß er grade abgelegt werden, von Jedem der in ihr Heiligthum dringen will« ([Friedrich Schleiermacher], Über die Religion. Reden an die gebildeten unter ihren Verächtern, Berlin 1799, 120 f.). »Es giebt keine andere Art an der christlichen Gemeinschaft Antheil zu erhalten, als durch den Glauben an Jesum als den Erlöser« (Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Bd. I, Berlin 21830, 96 [§ 14, Leitsatz]).

1.  Der Glaube im Antiken Christentum 1.1. Anfänge Zu zentralen religiösen Reflexionsbegriffen konnten die Vokabeln, welche im Deutschen mit »glauben« und »Glaube« wiedergegeben werden, erst in der hellenistischen Kulturwelt werden: Das Römische Reich eröffnete dem einzelnen Menschen große Möglichkeiten der Mobilität und stellte ökonomische, rechtliche sowie politische Rahmenbedingungen für den Austausch, die Konkurrenz und die wechselseitige Beeinflussung von Kultur- und Kultformen bereit. Religiöse Propaganda, missionarische Verkündigung konnte entstehen, nämlich der werbende Hinweis auf eine Kultgemeinschaft mit einem System von Überzeugungen und moralisch-ethischen Orientierungen, welche demjenigen, der sich ihr anschloss, diesseitige oder jenseitige Lebenssteigerung bzw. Rettung / Erlösung versprachen.

66  Kirchengeschichte »Glauben« erfordern solche Missionsbotschaften, weil und sofern sie um die Zustimmung zu Behauptungen werben, welche sich der Verifikation durch verstandesmäßige oder gegenständliche Evidenz entziehen. In der synoptischen Überlieferung der Jesus-Worte bezieht sich der Glaube auf Jesus als Exorzisten / Heiler: Glaube ist das Vertrauen auf seine (und seiner Nachfolger!) Vollmacht. Dieses Vertrauen ist einerseits die Bedingung dafür, dass Jesus zu exorzisieren / heilen vermag, anderseits verheißt Jesus dem Vertrauen die Teilhabe an seiner Vollmacht: Hier wird auch die Frage nach dem Glauben als einer menschlichen Möglichkeit aufgeworfen: Lk 17,5; Mk 9,24. Die urchristliche Missionsverkündigung prädiziert und identifiziert den Einen Gott als den, welcher Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, der in Bälde zum Gericht wiederkommen wird (1Thess 1,9 f., vorpaulinisch). Der so verstandene Glaube umfasst das Fürwahrhalten der Botschaft von der Existenz und dem Geschichtshandeln des Einen Gottes, und er umfasst die Spezifizierung des exklusiven Monotheismus durch die Botschaft von Jesu Kreuz, seiner Auferweckung und seiner bevorstehenden Wiederkunft: Weil Jesus Christus am Kreuz gestorben und von Gott auferweckt worden ist, ist die Möglichkeit eröffnet, vor seiner Wiederkunft zum Gericht Buße zu tun und sich in einem erneuerten Lebenswandel so für das Hereinbrechen der Gottesherrschaft zu bereiten. Glaube ist also das Fürwahrhalten dieser Missionsbotschaft und ihrer Inhalte und damit die elementare conditio sine qua non für die Teilhabe an den in und mit ihr verheißenen Heilsgütern (Röm 10,9 f.): »Der Glaube ist ganz einfach gehorsame Annahme der Predigt von der Erlösung« (Wrede 1907: 67). »Glauben« heißt in diesem Sinne also inchoativ / ingressiv so viel wie sich bekehren oder bekehrt werden, zum Glauben kommen. Dass der Angesprochene fähig ist, diese ihn vor die Alternative »Heil oder Unheil« stellende Botschaft anzunehmen, wird vorausgesetzt. Ihre klassische Formulierung hat diese Grundschicht des urchristlichen Glaubensbegriffs in Hebr 11,1 gefunden: »Es ist aber der Glaube eine Zuversicht auf Erhofftes, eine Überführung über Dinge, die man nicht sieht« (Übers. Weizsäcker). Dieser Glaube ist wesentlich kontrafaktisch. Gerade deshalb ist er die unerlässliche Voraussetzung dafür, dass ein Mensch dieser Heilsgüter teilhaftig werden kann:

Martin Ohst  67

»Durch Glauben ward Enoch entrückt, so daß er den Tod nicht sah, und ward nicht gefunden, weil ihn Gott entrückt hatte; denn vor der Entrückung ist ihm bezeugt, daß er Wohlgefallen fand bei Gott; ohne Glauben ist aber das Wohlgefallen unmöglich; denn glauben muß, wer Gott naht, daß er ist, und daß er denen, die ihn suchen, ihren Lohn gibt« (Hebr 11,5 f.; Übers. Weizsäcker). Der kontrafaktische Glaube motiviert zu einem Verhalten, welches nur unter der Bedingung seiner Wahrheit sinnvoll ist: Der Glaube geht in sein durativ-habituelles Stadium über und bildet ein Gesamtkonzept der Lebensdeutung und -führung aus. So wird die im Lebensvollzug bewahrte und bewährte Glaubenszustimmung zur Tugend, der Glaube hat seinen Ort und seinen Rang in geordneten und gestuften Tugendkatalogen: Ihm zur Seite tritt Liebe, die eine ihm gemäße Lebensführung hervorbringt, daneben die Hoffnung, die seine Zukunftserwartung auch dann lebendig erhält, wenn er sich kontrafaktisch bewähren muss. Die Trias »Glaube – Liebe – Hoffnung« repräsentiert wohl Urgestein hellenistisch christlichen Denkens (Harnack 1916; Dibelius 1925: 3; Conzelmann 1969: 270 f.).

1.2.  Paulus: Produktive Spannungen Literarisch fixiert wurde die Trias im frühen Christentum erstmals durch Paulus (1Thess 1,3; 1Kor 13,13). Aber Paulus verwob auch in seiner Fassung des Glaubensbegriffs die von ihm übernommenen Ergebnisse urchristlicher Denk- und Verständigungsarbeit in ein hochkomplexes gedankliches System; dieses System hatte seine Triebkraft in der besonderen Lebensfügung des Apostels, der vom Verfolger zum Vordenker und Missionar frühchristlicher Gemeinden geworden war und neben einer vielfältigen Bildung eine überragende intellektuelle Begabung mitbrachte (Holtzmann 1897 II: 205; auch Vollenweider 2003). Paulus hat sein eigenes Zum-Glauben-Kommen nicht als Resultat eines Prozesses der Kenntnisnahme, der Erwägung, des allmählichen Überzeugtwerdens erlebt, sondern als ihn bis ins Innerste hinein umwerfendes und umformendes Ergriffenwerden (Phil 3,10) durch eine unwiderstehliche Macht: Pauli Bekehrung geschah als ihm in einer Vision (1Kor 9,1; 2Kor 4,6) widerfahrende Selbstidentifikation des himmlischen Christus mit dem gekreuzigten Jesus von Nazareth. Der gekreuzigte Jesus, dessen Anhänger er um ihrer Relativierung der Mose-Thora willen als Gotteslästerer bekämpft hatte, erwies sich ihm in

68  Kirchengeschichte einem grenzüberschreitenden Widerfahrnis der Neuausrichtung als Gottes in den Himmel erhöhter und von dort aus lebendig wirkender, endgültiger Sachwalter (Messias / Christus; Kyrios). Damit war für ihn die Mose-Thora als maßgebliche Selbstkundgabe des Gotteswillens abgelöst und zur Episode in der Vorgeschichte der Selbstkundgabe Gottes in Jesus Christus geworden. Der Glaubensbegriff hat in der theologischen Rechenschaft hiervon seinen Ort zunächst einmal in einem »juridischen«, wie man im klassischen Historismus formulierte (Holtzmann 1897 II: 107 – 111), Gedankengang: Christus hat am Kreuz die Versöhnung zwischen Gott und Mensch erwirkt und damit die Thora-Ordnung unwirksam gemacht. Der Glaube bezeichnet die gehorsame Aneignung der Botschaft, die das verkündet, und er gibt Teil an der Befreiung von der Heilsordnung der Thora. Es ist deutlich, dass hier eine zuspitzende, radikalisierende Variante des gemeinurchristlichen Glaubensbegriffs vorliegt, in welcher Glaube und Gesetzeswerke in einer frühchristlichem Denken (Jak 2,14 – 26) sonst nicht geläufigen Weise einander entgegengesetzt werden: Röm 3,28. Von dieser Gedankenschicht unterschied man im Denken des Apostels eine »ethische« oder »mystische«: Paulus hat ja sein Zum-GlaubenKommen als ein erlittenes Ergriffen- und Umgewendetwerden durch den erhöhten Gekreuzigten erfahren und gedeutet. Das Zum-Glauben-Kommen wird in diesem Reflexionskontext also nicht als Tat des menschlichen Freiheitsvermögens gedeutet, sondern ganz als Wirkung des souveränen göttlichen Zugriffs, und von hier aus zieht Paulus die Grundlinien seiner Prädestinations- bzw. Erwählungslehre – individualisierend (Gal 1,15) wie universalisierend (Röm 8,28 – 30; 9,14 – 21). Weiterhin hat Paulus die besondere Art des ihn in den Christusglauben versetzenden Initialimpulses deutend und explizierend für das Verständnis des Christseins nach seiner durativen Seite fruchtbar gemacht: Der einst in seiner »Bekehrung« durch Christus Ergriffene bezeichnet sich selbst dauerhaft eben als von Christus ergriffen werdend, als in seinen Todesweg hineingezogen werdend und insofern die Mitauferstehung erwartend (Phil 3,10 f.); er bekennt, dass Christus in ihm lebt (Gal 2,20), wobei »Christus« und »Geist« in solchen Zusammenhängen durchaus als Wechselbegriffe (2Kor 3,17; Röm 5,5) fungieren; auch auf die ihm offenkundig vorgegebene Deutung der Taufe als Kultmysterium kann Paulus in solchen Gedankenkonfigurationen zurückgreifen (Röm 6,3 – 11). Paulus identifiziert also das Christsein als ein passives Ergriffensein

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bzw. Ergriffenwerden, ein Gestaltetwerden des einzelnen Menschen durch Gott selbst, welcher im und am Menschen im und durch den erhöhten Jesus Christus bzw. durch den Geist wirkt und solchermaßen im derart ergriffenen Menschen eine neue Weise des Gottes-, Weltund Selbstverhältnisses entbindet (so ältere Forschungspositionen aufnehmend und zuspitzend Deißmann 1925 und Schweitzer 1930, neuerdings wieder Theißen 2013): »Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben« (Gal 2,20). Der »Glaube«, dessen Inhalt Paulus an dieser Stelle wohl in eine von ihm selbst individualisierend zugespitzte überkommene Formel fasst, wird hier rein thetisch als Wechselbegriff zum Leben Christi im Subjekt gesetzt. Eng verwandt hiermit ist die Argumentation in Phil 3,9 f.: Mit dem »Christus Gewinnen« und mit dessen Wechselbegriff, dem »In-Christus-erfunden-Werden«, wird thetisch die »Gerechtigkeit aus dem Glauben an Jesus Christus« bzw. »aus Gott« verbunden; die juridische und die mystische Gedankenreihe schlingen sich also förmlich ineinander, bleiben jedoch irreduzibel eigenständig und bilden so je für sich und miteinander den schroffen, exklusiv-kontradiktorischen Gegensatz zur eigenen »Gerechtigkeit aus dem Gesetz«. Glaube wird also zur formelhaften Bezeichnung für das Christsein, welches verstanden ist als schöpferisch-tätige Herrschaft des Auferstandenen (»Gesetz« Christi: Gal 6,2) über seine Erwählten und Berufenen. Er hat sein Korrelat in der Freiheit (Gal 5,1; 2Kor 3,17), und die hat ihr Maß und Ziel am Willen Gottes, der im Nächsten seine konkrete Gestalt gewinnt (Gal 5,13 f.). Ist der Glaube in dieser Weise als Transformiertwerden der ganzen Person in der Lebensgemeinschaft mit Christus verstanden, dann ist er es selbst, »der durch die Liebe tätig ist« (Gal 5,6): Die Liebe ist mit dem Glauben wesenseins, sie ist dessen ureigene, spontane Wendung nach außen. In Phil 3,10 ist noch eine weitere Spannung spürbar, nämlich die im Verhältnis von »Glaube« und »Erkenntnis«. Paulus verwendet hier das »Erkennen« Jesu Christi und das »Gleichgestaltetwerden« mit seinem Tode als Wechselbegriffe – das Stichwort »Erkennen« gehört also wohl primär in die »mystische« Gedankenreihe hinein. Liest man den Vers jedoch im Zusammenhang mit 3,9, dann zeigt sich, dass ebenfalls eine

70  Kirchengeschichte Verbindung zwischen dem worthaft-kognitiven »Glauben« an die Botschaft und dem »Erkennen« besteht. Fordert schon dieses Changieren zum Weiterdenken und Weiterdeuten heraus, so stellt des Apostels anderweitig bezeugte Herabstufung der »Erkenntnis« gegen die »Liebe« (1Kor 8,1) wieder vor neuartige Zuordnungsprobleme. Hier zeigen sich deutliche Spannungen, die alsbald unterschiedliche Zuordnungsoptionen hervortreiben werden. Paulus hat also den ihm überkommenen Glaubensbegriff mit Bedeutungsgehalten und dynamischen Problempotentialen befrachtet, welche seinen frühjüdischen wie gemein-frühchristlichen Umfang sprengen.

1.3. Verfestigungen Fundamente.  Dem paulinischen Verständnis des Glaubens war im nachapostolischen Zeitalter zunächst keine reiche Wirkung beschieden. Für den Epheserbrief ist die Frage, ob und inwiefern der Glaube an Jesus Christus und der Thora-Dienst zusammengehören, im heidenchristlichen Sinne gelöst (Eph 2,13 – 21). Er betont, dass die Seligkeit, das Zum-Glauben-Kommen, reines, unverdientes Geschenk der göttlichen Gnade durch das Evangelium im Geist ist (Eph 2,5 – 9; vgl. auch 1. Clemensbrief 32,4). Der Glaube weist dann allerdings über sich selbst hinaus auf seine Zweckbestimmung in den guten Werken (Eph 2,10; vgl. auch 1. Clemensbrief 30, 2 – 8). Auch von der Einwohnung Christi in den Gläubigen ist die Rede (Eph 3,17), allerdings im Modus der Fürbitte und in Kombination mit der Liebe, die als ihm zur Seite gehend gefasst wird (6,23). Glaube ist hier also verstanden als der Empfang der Heilsbotschaft der Sündenvergebung, welcher Teilhabe an der Erlösung und Erneuerung bedingt, welche dann ihrerseits in der Liebe bzw. in den guten Werken ihr Ziel haben. In den Pastoralbriefen werden Glaube und Liebe einander formelhaft koordiniert (1Tim 1,14). Der Glaube kann auch als christliche Wurzel- oder Primärtugend zur Sprache kommen: »Die Hauptsumme aller Unterweisung aber ist Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungefärbtem Glauben« (1Tim 1,5). Glaube ist also nicht das Heil, aber er ist dessen unabdingbare Fundamentalvoraussetzung: »Vor allem glaube zuerst, daß Gott einer ist, der alles schuf und gestaltete, der aus dem Nichtsein das All ins Dasein rief, der alles in sich faßt, einzig aber unfaßbar ist. Ihn glaube, ihn

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fürchte, in solcher Furcht aber sei enthaltsam. Dies beachte, dann wirst du alle Sünden ablegen und dich mit jeder gerechten Tugend bekleiden und wirst Leben haben bei Gott, wenn du dies Gebot beachtest« (Hermas, mandata I, 1 f.). Für den antiochenischen Märtyrerbischof Ignatius gehört der Glaube in die Reihe der Einzeltugenden hinein, in welchen sich das Christsein konkretisiert: »Hiervon bleibt euch nichts verborgen, wenn ihr in vollkommener Weise den Glauben und die Liebe, die Anfang und Ende des Lebens sind, auf Jesus Christus richtet; der Anfang der Glaube, das Ende die Liebe. Die beiden aber zur Einheit geworden, das ist Gott« (Ignatius an die Epheser 14,1; vgl. auch 3,1 f.). Auch sonst koordiniert der Märtyrer-Bischof formelhaft Glaube und Liebe als Kennzeichen des Christenstandes (Ignatius an die Epheser 1,1; vgl. dann auch Irenaeus, Adversus haereses V,6,1). An die Stelle der paulinischen Alternative »Glaube oder Observanz« tritt bei ihm die von »jüdisch leben« und »christlich leben« (Ignatius an die Magnesier 8,1; 10,3). Glaube allein?  Glaube kann verstanden werden als Akt oder Habitus der Zustimmung zu einer metaphysischen Theorie, und dann bleibt er religiös und ethisch neutral: Ihn haben, so betont Jak 2,19, auch die Teufel, und er bringt ihnen weder Frieden noch Seligkeit. Er bedarf also der tathaften Bewährung. Dann prägt und gestaltet er gelebtes Leben – das zeigen Kataloge von Glaubensheroen (Hebr 11; 1. Clemensbrief 9 – 12). Glaube wird also zum Synonym für Geduld, diese kommt als lohnwürdige Leistung in Betracht. Die missrät allerdings zur Fehlinvestition, wenn sie das ihr gesetzte Vollmaß nicht erreicht: »Es wird euch nämlich die ganze Zeit eures Glaubens nichts nützen, wenn ihr im letzten Moment nicht vollkommen seid« (Didache 16,2; s. auch Barnabasbrief 4,9). Das hier vor dem Hintergrund lebenspraktischer Widrigkeiten und Anfechtungen präludierte Motiv wird späterhin immer wiederkehren und die kognitiv-materiale »Vollständigkeit« des Glaubens anmahnen. Unter diesen Voraussetzungen ist folgerichtig auch mit einem Glauben, also der Annahme und dem Fürwahrhalten der Christusbotschaft und ihrer Heilsverheißung, zu rechnen, dem die Lebenspraxis nicht entspricht. Solchen Glauben wird der Jakobusbrief vor Augen gehabt haben, wenn er die These verficht, dass »der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot [ist] in sich selber« (Jak 2,17). Und folgerichtig wird Abraham (Gen 15,6) in diesem Zusammenhang als Musterbeispiel für den in Werken

72  Kirchengeschichte seine Wahrheit gewinnenden Glauben angeführt (Jak 2,22). Im Brief des Polykarp wird der Glaube spezifiziert als Glaube an Gott als denjenigen, der Christus von den Toten auferweckt hat und das Gericht nach dem Glauben und nach den Werken üben wird (2,1 – 3). Dem Glauben wird also Heil in Aussicht gestellt – unter festen Bedingungen, und so kann der Glaube »unser aller Mutter« heißen, welcher »die Hoffnung folgt und die Liebe zu Gott, Christus und dem Nächsten vorangeht« (ebd. 3,3). Der »Hirte« des Hermas konzediert Menschen, die sich von der christlichen Gemeinde und ihren Lebensordnungen abgesondert haben: »Von Gott sind sie nicht abgefallen, vielmehr beharrten sie beim Glauben, taten aber die Werke des Glaubens nicht« (similitudines VIII,9; vgl. auch Tertullian, De paenitentia 5,10). Solche Sätze stehen insgesamt im Zusammenhang mit dem Problem der »Zweiten Buße« (Goldhahn-Müller 1989). So ist der »bloße« Glaube also als Basistugend christlichen Lebens verstanden, auf der dann weitere entstehen und sich entfalten müssen. Seine Vollendung erreicht dieser Entfaltungsprozess im Märtyrer, der um seinetwillen das irdische Leben hingibt. Die seit der Mitte des 2. Jahrhunderts (Martyrium des Polykarp) ausgebildete Märtyrer-Verehrung illustriert das Verständnis des Glaubens als unentbehrlicher, aber ergänzungsfähiger und -bedürftiger Basistugend mit unübertrefflicher Prägnanz. Glauben und Erkennen I.  Ist Glaube das persönlich vollzogene und verantwortete Fürwahrhalten der Botschaft vom Einen Gott, der in Tod und Auferweckung Jesu Christi den endgültigen Weg zum Heil eröffnet, dann ist damit das Durchdenken dieser Botschaft selbst, ihrer Voraussetzungen und Konsequenzen, als notwendig gesetzt. Die ältesten urchristlichen Formeln – 1Kor 15,3 – 5 – bezeugen das in ihrer ganzen lapidaren Kürze: Sie sind immer schon aus dem Durchdenken des Glaubens erwachsene Deutungsleistungen, Theologie. Das Verstehen- und Erkennenwollen hat, wie schon Pauli ambivalente Stellung (s. o.) indiziert, immer die Gefahren des Verkennens und des Missverstehens bei sich, und so tritt dem Glaubenszeugnis alsbald der Kampf um dessen Gehalt an die Seite: »Lehre« und »Irrlehre« sind gleichursprünglich. Die ersten Formationen des Gegensatzes liegen wiederum bei Paulus vor (Gal 1,8 f.). Inhaltlich sehr viel schwerer fassbar sind Pauli Auseinandersetzungen mit Christusgläubigen, die eine höhere Stufe der »Erkenntnis« für

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sich reklamieren. Hier hat Paulus nach Grenzbereinigungen und abstufenden Zuordnungen gesucht und auch hiermit ein dauerhaft wirksames Verhaltensmuster begründet: »Es scheint, als habe stets eine Art Immunisierungsverfahren stattgefunden: man impfte der ›gesunden‹ Lehre die Irrlehre in starker Verdünnung ein und feite sie so gegen die akute Infektion« (Harnack 1924: 122 Anm. 1). Der früh nachpaulinische Kolosserbrief polemisiert einerseits deftig gegen »Philosophie und leeren Trug« (Kol 2,8 f.), anderseits bekundet er selbst beträchtliches theologisches Interesse an kosmologischen Vorstellungskreisen (1,15 f.; 2,15): Die Abwehr gefährlich erscheinender Gedankenbildung wird zwar in aller Entschiedenheit praktiziert, aber diese Entschiedenheit wird nicht um den Preis der sterilen Selbstabschließung erkauft. Und es verweist in die Zukunft, wenn der Autor in diesem Zusammenhang seine Leser aufruft: »seid in ihm [Jesus Christus] verwurzelt und gegründet und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid« (Kol 2,7). Anfangshaft spezifiziert sich der Glaube hier zum treuen Festhalten an der überkommenen Lehre. Ein erheblich fortgeschrittenes Stadium dieser Entwicklung bezeugen dann die Pastoralbriefe, wo der Glaube mindestens ansatzweise »zur fides quae creditur verdichtet« (Holtzmann 1880: 180) erscheint. Ähnliche Verschiebungen sind auch im Corpus Johanneum feststellbar, wo einerseits der Glaube als in sich vollendete Heilsteilhabe aufgefasst werden kann (prominent Joh 11,25), anderseits der Terminus μένειν (»bleiben«) den Aspekt des der lehrhaft gefassten Wahrheit treu bleibenden Glaubens (1Joh 2,18 – 29) vertritt. Sicherungen.  Wenn der so verstandene Glaube seine eigene Selbstverfehlung als Möglichkeit beständig bei sich hat bzw. in sich trägt, dann bedarf er zu seiner vergewissernden Absicherung eines zuverlässigen Maßstabs (κάνων, regula) (zum Folgenden Campenhausen 1972; in Kürze Drecoll 2004). Die frühchristlichen Gestalten solcher Glaubensregeln reichen mit ihren Wurzeln vielleicht bis in die Verkündigung Jesu hinein, der seinen Jüngern aufgab, sich auch und gerade im Angesicht des Widerspruchs zu ihm zu »bekennen« (ὁμολογεῖν; Mt 10,32par.). Urchristliche Bekenntnisformeln (Röm 10,9 f.) prädizieren zunächst rein thetisch die Würde und die Heilsbedeutung des Auferstandenen und sind eng mit Akklamationen verwandt (Phil 2,11), rücken jedoch in fließenden Übergängen (1Kor 12,3) auch in abgrenzend-polemische Funktionen ein: Deutlich greifbar wird das Insistieren auf der göttlichen Würde gerade des Menschen Jesus, das

74  Kirchengeschichte sich gegen die Behauptung der nur scheinbaren Leiblichkeit des Erlösers (Doketismus) richtet, welche sich unter den Denknotwendigkeiten eines dualistischen, die Erscheinungswelt radikal abwertenden Wirklichkeitsverständnisses nahelegt (1Joh 4,15; 2,22). Je deutlicher die unterschiedlichen Ansichten sich widereinander profilieren, desto detaillierter und ausführlicher werden die sich weiter ausprägenden thetisch-polemischen Sätze: »Einer nur ist Arzt, fleischlich und zugleich geistlich, gezeugt und ungezeugt, im Fleisch geboren ein Gott, im Tode wahres Leben, aus Maria sowohl wie aus Gott, erst dem Leiden unterworfen und dann unfähig zu leiden, Jesus Christus unser Herr« (Ignatius an die Epheser 7,2). Im Verbund mit der Ausbildung unterschiedlicher theologischer Gesamtentwürfe wachsen derartige Formeln und nehmen an Präzision zu. Indem sich in und mit der Aus- und Absonderung gnostischer Kreise und Schulen die Herausbildung eines sich selbst als katholisch prädizierenden (Ignatius an die Smyrnäer 8,2; Martyrium des Polykarp 19,2) Gemeindechristentums vollzieht, gewinnt die Glaubensregel (κανὼν τῆς πίστεως; regula fidei) Gestalt: Knappe, thetische Satzreihen zur Gottes- und Schöpfungslehre, zu Person und Werk Jesu Christi und zur Heilsaneignung. Die unterschiedlichen Einzelausprägungen sind nicht aufeinander oder auf einen gemeinsamen Grundtypus reduzierbar. Es handelt sich also um freie Formulierungen der jeweiligen Autoren (Irenaeus, Tertullian), die sachlich wie formal darin übereinkommen, dass sie den Bewusstseinsstand ihrer Gemeinden bzw. Gemeindekreise auf einprägsame Formulierungen bringen und so Konsense zu normativen Formulierungen verdichten, die zugleich integrierend und abgrenzend wirken. Damit sie diese Aufgaben erfüllen können, nehmen diese Formulierungen überpersönliche, kollektive Autorität für sich in Anspruch: Nicht ein Autor macht sich in ihnen vernehmlich, sondern eine diesem und seinen Lesern vor- und übergeordnete Instanz, »die Kirche«. Und auch die agiert und lehrt wiederum, indem sie auf eine sie legitimierende Bezugsgröße zurückverweist, nämlich die Apostel als die authentischen Zeugen und Organe der abschließenden göttlichen Selbstmitteilung: Die Kirche »hat von den Aposteln und ihren Schülern den Glauben angenommen« (Irenaeus, Adversus haereses I,10,1), »und diesen Glauben, wie gesagt, bewahrt die Kirche, obwohl sie über die ganze Welt verbreitet ist, so sorgfältig, wie wenn sie in einem einzigen Haus wohnte« (ebd., 2). Der Glaube ist hier also verstanden als Komplex von inhaltlich formulierten Sätzen, die für wahr zu halten sind; er gründet auf göttlich-apostolischer Autorität. Auf göttlich-apostoli-

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scher Autorität beruht ebenso der Bibelkanon, dessen anderweitig dem Missverstehen bzw. der Verfälschung preisgegebener Inhalt sich im Lichte der »Glaubensregel« zum kohärenten und konsistenten Erzählzusammenhang fügt, der die Einheit des Schöpfer- und Erlösergottes als Vater, Sohn und Geist bezeugt. Seine personale Vollendung findet dieses Autoritätengefüge in den rechtgläubigen Bischöfen und Ältesten, die ihrerseits in nachweisbaren Sukzessionsreihen mit den Aposteln verbunden sind. Dieser inhaltlich profilierte und institutionell abgesicherte Glaubensinhalt ist dem aneignenden Glauben auf- und vorgegeben: »Und sie [die Kirche, M. O.] glaubt so daran, als ob sie nur eine Seele und ein Herz hätte, und verkündet, lehrt und überliefert das, als hätte sie nur einen Mund« (ebd.). Der so verstandene Glaube informiert den Menschen, der zur ewigen Seligkeit kommen will, über die Bedingungen, die er zu erfüllen hat, damit er dieses Ziel erlangen kann, und er gehört selbst elementar in das Gefüge dieser Bedingungen hinein (vgl. Irenaeus, Epideixis 1 f.). Der Glaube als formale Leistung der Kognition und Anerkennung ist also durch die Möglichkeit gefährdet, dass ihm falsche Sätze untergeschoben werden: »Nun, damit uns das nicht zustößt, sollen wir den Kanon des Glaubens unverrückt halten und die Gebote Gottes erfüllen, indem wir Gott glauben und ihn fürchten, da er Herr ist, und ihn lieben, da er Vater ist« (ebd., 3). Reinheit des Glaubens ist also unabdingbar. Das Glauben ist ein Aspekt heilswirksamer Lebenspraxis im Verbund mit anderen: »Denn was hat es für einen Nutzen, das Wahre in Worten zu wissen, den Leib aber zu verunreinigen und die Werke der Bosheit zu erfüllen? Oder andererseits, welchen Nutzen kann überhaupt die Reinheit des Leibes bieten, wenn keine Wahrheit in der Seele ist?« (ebd., 2). In allen diesen Bestimmungen tritt schon hier deutlich hervor, dass es eigentlich die lebendigen kirchlichen Autoritäten sind, die dem aneignenden Glauben seine Gehalte proponieren. Dass sie es letztlich sind, auf die sich der Glaube faktisch stützt und richtet, ist allerdings intellektuell noch nicht wirklich durchgeklärt, und auch die Ausübung der kirchlichen Lehrautorität bedarf noch der institutionellen Fixierung. Der Glaube als Akt der Freiheit.  Zu den Themenfeldern, auf denen Irenaeus und seine mit ihm die katholische Rechtgläubigkeit formierenden Zeitgenossen den Kampf gegen den Gnostizismus führten, ge-

76  Kirchengeschichte hörte auch die Anthropologie, insbesondere die Frage nach der Freiheit des Willens, zwischen Gut und Böse zu wählen. Die gnostischen Systeme vertraten hier deterministische Optionen, während die Protagonisten der großkirchlichen Theologie mit biblischen Argumenten die stoisch-popularphilosophische Überzeugung von der dem Menschen wesenseigenen Freiheit verfochten und damit Denkmuster ausarbeiteten, die im katholischen Christentum seither ungebrochen fortwirken. Irenaeus (Adversus haereses IV,37,1 – 5) reklamiert die menschliche Entscheidungsfreiheit als Gottes unveräußerliche Gabe an sein Geschöpf. Gott selber respektiert sie: Er übt bezüglich des Heils keinen Zwang aus, sondern gewährt dem Menschen lediglich Möglichkeiten, die dieser zu seinem Heil nutzen oder zu seinem Verderben ausschlagen kann. Allein hierdurch wird der Mensch moralisch zurechnungsfähig; fehlte es ihm an dieser Freiheit, so träfe ihn weder Lob noch Tadel: »Aber nicht nur in den Werken, sondern sogar im Glauben hat Gott die Freiheit und Selbstentscheidung des Menschen beachtet, indem er spricht: [Mt 9,29], womit gesagt ist, daß der Glaube des Menschen ebenso sein Eigentum ist wie sein freier Wille« (Adversus haereses IV,37,5). Mit Blick auf Mk 9,23 und Mt 9,22 resümiert Irenaeus: »Alle derartigen Stellen lehren, daß der Glaube von der freien Zustimmung des Menschen abhängt« (ebd.; vgl. auch IV,39,2). Das Heil des Menschen ist ganz Gottes Gabe und Werk, sofern er es dem Menschen rein gnadenhaft darbietet, indem er ihn zum Glauben einlädt. Und es liegt zugleich ganz in der Entscheidung des Menschen, ob er Gottes Angebot annimmt oder ausschlägt. Der Glaube gehört so, als heilsame Betätigung der Willensfreiheit, in die Reihe der Werke hinein – zunächst an deren Spitze und dann kontinuierlich übergehend in Ausdauer, Geduld und Hoffnung. Glauben und Erkennen II.  Irenaeus und Tertullian sind hervorragende Zeugen des altkatholischen Gemeindechristentums, welches sich in dezidierter Abstandnahme von gnostischen Gruppen an der Autoritätentrias des biblischen Doppelkanons, der Glaubensregel und des »apostolisch« verstandenen monarchischen Bischofsamtes orientiert und identifiziert. Der Glaube als Gehorsamsakt und als beharrliches, in einer ethisch verantwortlich gestalteten Lebensführung bewährtes Durchhalten ist diejenige Haltung, die den Menschen zum Christen macht. Inhalt des Glaubens ist die von der Kirche in göttlicher Vollmacht verkündete und ausgelegte Heilsbotschaft von Gottes endgültiger Selbsterschließung in Jesus Christus und von den Bedingungen,

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welche erfüllen muss, wer die von ihr eröffneten Heilsmöglichkeiten für sich verwirklichen will. In der Polemik gegen äußere Gegner, mehr noch in internen Konfrontationen versteift sich dieses Selbstverständnis zum schroffen, abwehrenden Ausschließlichkeitsanspruch: Andere Auffassungen des christlichen Glaubens sind Lüge bzw. Häresie; Judentum und heidnische Kulte sind verstockter Unglaube und Götzendienst. Aber es bleibt doch auch die von Harnack diagnostizierte Antinomie wirksam: Der durch die Glaubensregel zentrierte Gehalt der Bibel wird ausgearbeitet zur Grundlage eines umfassenden Bildes von Gott und Welt, Mensch und Geschichte. Die Verneinung der gnostischen Entwürfe wird so durch einen Gegenentwurf fundiert, der auf der Grundlage der Einheit des Schöpfer- und Erlösergottes konsistente Antworten auf die Fragen nach dem Woher, Wozu und Wohin menschlicher Existenz gibt. Genau diese Doppelrichtung des Denkens und der Schriftstellerei haben die beiden alexandrinischen Theologen Clemens (Völker 1952: 221 – 254) und Origenes (Völker 1930: 76 – 85) in größerem Stil, v. a. auf einem erheblich höheren Bildungsniveau fortgeführt. Beide setzten den Kampf gegen die häretisierte Gnosis fort. Dabei ließen sie jedoch das Bemühen um die in den gnostischen Schulen aus katholischer Sicht durchaus vorhandenen Wahrheitspartikel erheblich deutlicher in den Vordergrund treten. So insistierten sie darauf, dass die christliche Religion ihrem Wesen nach gehorsamer Glaube sei, also eine Teilhabe an Gottes heilsamer Selbstmitteilung, die jedem Menschen ungeachtet seines Alters, seines Geschlechts, seines sozialen Status und seines Bildungsgrades zugänglich ist. Damit wandten sie sich zugleich gegen das elitäre Selbstbewusstsein gnostischer Zirkel und gegen den Bildungsaristokratismus heidnischer Kritiker, welche die christliche Religion als minderwertigen Unterschichtenkult ablehnten. Glauben kann jeder Mensch, denn Gott hat sich in seiner Selbstoffenbarung der gegebenen menschlichen Fassungskraft in allen ihren Abstufungen angepasst. Die Menschheit zerfällt in die Gruppen der Hyliker, der Psychiker und der Pneumatiker. In den Hylikern herrscht die Materialität, und so ist ihre Weltorientierung wie ihre Jenseitshoffnung am Materiellen orientiert. Der Pneumatiker hingegen durchschaut die materielle Sphäre – er sieht gleichsam durch sie hindurch auf die rein geisthafte, immaterielle Wahrheit, welcher die Materie lediglich als Sinnbild und Gleichnis dient; er sucht und findet sein Heil in der (asketischen) Abkehr vom Materiellen mit seinen unberechenbaren

78  Kirchengeschichte Wechselfällen und in der Hinkehr zur Transzendenz. In der Mitte steht der Psychiker – er ist zwar kein Hyliker mehr, aber er ist noch kein Pneumatiker. Diese Stufung ist gnostisches Erbe, dort allerdings wird sie auf unabänderliche Prädetermination zurückgeführt. Dieses System der prädeterminierten Menschenklassen verflüssigen Clemens und Origenes und verstehen die Gegensätze als Stufen, als idealtypisches Schema des Menschseins wie des Christseins. Jeder Mensch beginnt seinen Lebensweg als Hyliker, gebunden an das Diesseits und an die Materie und orientiert an diesseitigem Schmerz und diesseitiger Lust. Diesem Menschen nun erschließt sich Gott in der buchstäblich-gegenständlich gelesenen Bibel, der irdisch-diesseitigen Außenseite seiner Heilsbotschaft: Sie fordert ihm autoritativ Glauben und Gehorsam ab, indem sie ihm Entschädigung bzw. Lohn verheißt – im Diesseits wie im Jenseits. Die Ewigkeit, die dieser Glaube antizipiert, ist lediglich ein auf Dauer gestelltes, von Unzuträglichkeiten befreites Diesseits. Der Inbegriff und die Norm dieses Glaubens ist die regula fidei. Sie stellt den mit unverlierbarer Willensfreiheit ausgestatteten Menschen in die Entscheidung zwischen dem heilsamen Gehorsam des Glaubens und dem heillosen Unglauben. Insofern ist und bleibt sie die Grundlage, an ihr vorbei führt kein Weg zum Heil. Aber der Weg zum Heil endet nicht bei ihr, zumal nicht beim wörtlich-gegenständlichen Verständnis ihrer Inhalte. Sie ist eines anderen, höheren Verstehens würdig, bedürftig und fähig. Das Christwerden ist also der erste Schritt auf einem fortgehenden Wege des sich erweiternden und vertiefenden Verstehens, in dem der Christ allmählich aus dem Hyliker-Sein herausgelangt und zum Psychiker bzw. (anfangshaft) zum Pneumatiker wird. Christsein ist so als ganz und gar individueller Bildungsprozess verstanden, in welchem die Stufen und Fortschritte des religiösen und intellektuellen Lernens zugleich die Stadien der praktischen Lebensdeutung und Lebensführung markieren. Wer ist Herr, wer ist Subjekt dieses Bildungsprozesses? Die Antwort zumal des Origenes auf diese Frage ist zweideutig: Einerseits ist jeder Mensch selbst letztlich Herr seiner Bildung. Anderseits ist der göttliche Weltplan so gestaltet, dass jede Menschenseele, nach welchen diesseitigen oder jenseitigen (Fegefeuer!) Wegen und Umwegen auch immer, pneumatisch wird: Die Linie der Freiheit und die der Determination schneiden sich im Unendlichen. Der »Glaube« ist damit gerade als Akt des Gehorsams gegenüber der Vertrauen und Gehorsam ermöglichenden und fordernden Autorität legitimiert, und es ist zugleich die Einsicht fixiert, dass Christsein erheblich mehr ist oder doch zu sein vermag als ein solcher vertrauen-

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der Autoritätsglaube. Der Glaube ist vom Verstehen und vom Wissen scharf unterschieden, aber er ist ihnen nicht entgegengesetzt, sondern zugeordnet. Ob diese Zuordnung eine Über- oder eine Unterordnung ist, bleibt dabei offen. Mit diesem Gedankengang ist der Versuch gemacht, Glauben und Wissen / Verstehen, Gemeinde- und Elitenchristentum miteinander auszusöhnen. Aber diese Legitimation des Autoritätsglaubens will nun auch vor Gesprächspartnern / Kritikern verantwortet sein, die im Namen des Verstehens, der freien Vernunfteinsicht, gegen die Anmutung des Autoritätsglaubens protestieren. Clemens und Origenes haben hier erkenntnistheoretisch geantwortet und ihre erkenntnistheoretische Antwort dann noch einmal theologisch rückgebunden bzw. überhöht. Sie verweisen unter Berufung auf gängige epistemologische Theorien darauf, dass alles vernünftige Wissen in seiner Genese und in seiner Geltung letztlich auf axiomatischen Grundlagen ruht, welche sich ihrerseits der verständigen Analyse und Rekonstruktion entziehen. Formal betrachtet ist also die Autoritätsfundierung christlichen Glaubenswissens gar kein Sonderfall, sondern entspricht durchaus einer auch anderweitig gültigen Gesetzmäßigkeit. Inhaltlich jedoch bürgt die Besonderheit jenes Autoritätsfundaments gerade für den einzigartigen Rang der christlichen Glaubenserkenntnis, handelt es sich doch hier um die Selbstmitteilung des Einen Gottes! Sodann entspricht auch der vorgesehene Fortgang vom Autoritätsglauben zur selbstständigen Einsicht der allgemeingültigen lern- und erkenntnistheoretischen Regel: Indem ein Mensch bestimmte Wissensund Erkenntnisbestände zunächst auf Autorität hin annimmt, vollzieht er lediglich einen Vorgriff, sofern die äußerlich-formal übernommenen Gegenstände ja gerade daraufhin innerlich wirklich durchdrungen und angeeignet werden können. Der Glaube ist also vorgreifendes, vorwegnehmendes Wissen, und das Wissen bzw. Verstehen ist angeeigneter, durchgearbeiteter Glaube. Die Kirche als Lehrerin und Garantin des Glaubens.  Der Glaube erweist also seine Tragfähigkeit darin, dass er über sich selbst hinausweist in den Bereich des Wissens und des Erkennens. Und gerade um dieser seiner Tragfähigkeit willen bedarf er einer starken, unzweideutigen und damit unzweifelhaften Autoritätsgrundlage. Er hatte sie in der regula fidei (Glaubensordnung), die sich ihrerseits auf die Bibel und auf das apostolische Bischofsamt abstützte,

80  Kirchengeschichte und sie verfestigte sich weiter: Die altkatholische Bischofskirche entwickelte im Institut der Synode Entscheidungsinstanzen oberhalb der Einzelgemeinde. Mit ihrer Durchbildung zur Reichskirche wuchs ihr als höchstes Organ die Reichssynode zu, und in deren Lehrentscheidungen betätigte sich (erstmals Nicaea 325) kirchliche Wahrheitsmacht auf sinnfälligste Weise. Dies allerdings längst nicht so, dass für den Einzelfall oder gar generell alle derartigen Fragen gelöst gewesen wären, vielmehr gilt: Gerade die trinitätstheologischen Streitigkeiten zeigten die Katholische Kirche nicht zuletzt aufgrund des in ihr maßgeblichen Glaubensbegriffs in der Arbeit an der »Erzeugung einer rechtlichen Organisation als Gesamtgemeinde […]. Diesem großen Ziel ist in der katholischen Kirche die kirchenverfassungsgeschichtliche Bewegung vom vierten bis in das neunzehnte Jahrhundert in ununterbrochener, stetig fortschreitender Bewegung nachgegangen« (Sohm 1892: 332). Es ist sicherlich diese zutiefst religiös begründete Suche nach der unerschütterlich zuverlässigen Autorität im Spiel, wenn für die Beschlüsse ökumenischer Konzilien der höchstmögliche Grad an Verbindlichkeit reklamiert wird (vgl. Harnack 1909: 92 – 97) und wenn Ambrosius von Mailand den Beschlüssen der 318 Konzilsväter durch den Rückbezug auf die 318 Knechte Abrahams (Gen 14,14) eminenten heilsgeschichtlichen Rang einräumt (vgl. Ambrosius, De fide I Prolog 1,5). Welche Verlegenheiten dem Glauben bereitet sind, wenn er sich angesichts offener Fragen nicht auf solche autoritativen Instanzen zu beziehen vermag, das beweist die vielzitierte Auskunft des Vinzenz von Lerinum. Gerade die »Höhe« der Heiligen Schrift ist der Grund dafür, dass diese immer wieder einander widersprechende Auslegungen hervortreibt (Commonitorium II,2), und angesichts dieser quälenden Vielfalt gilt es in der Katholischen Kirche, sich an das zu halten, »was überall, immer und von allen geglaubt worden ist, denn das ist wahrhaft und eigentlich katholisch« (ebd., II,3). Leitend ist das Bedürfnis nach festen Vorgaben für einen Glauben, der auf zuverlässige, propositionale Gehalte angewiesen ist: Er will und soll ja unerschütterliche Grundlagen für die praktische Lebensführung wie für das über die Gegenstandswelt hinausstrebende Erkennen bereitstellen. Wenn sie nicht sowieso in unzweifelhaft gültiger Weise da sind, dann muss er sie sich suchen, und zwar im authentischen Glauben und Handeln der Kirche, welches, das ist die Voraussetzung, seine Wahrheit zuverlässig in sich trägt: Das, was später affirmativ als fides implicita (»›eingewickelter‹ Glaube«) oder abwertend als Köhlerglaube (Hoffmann 1903 – 1909, Ritschl 1890) bezeichnet wird, ist hier schon in den tragenden Strukturen voll ausgebildet.

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2. Augustinus 2.1.  Die Rationalität des Autoritätsglaubens Diese Denkweise, die für den Glauben nach sicheren, zuverlässigen Stützen sucht, war auch Augustin nicht fremd (Lütcke 1968). In einem langen Lehrbrief an Hieronymus hat er die unterschiedlichen Optionen zur Entstehung der einzelnen menschlichen Seele dargelegt, vermag sich aber keiner von ihnen ohne Vorbehalt anzuschließen. So hält er sein Urteil in der Schwebe, legt aber dennoch sein Hauptkriterium dar: Zutreffen kann allein eine solche Theorie, welche nicht mit dem »überaus festen und wohlbegründeten Glauben der Kirche« im Widerspruch steht, kraft dessen sie Säuglinge zur Vergebung der Sünden tauft (Augustin, Epistula 166, IX,28). Nicht die kirchliche Praxis wird an der theoretischen Einsicht gemessen, sondern unter der Voraussetzung, dass diese wahrheitshaltig und wahrheitsträchtig ist, wird sie zum Maßstab erhoben, an welchem Theorien ihre Stichhaltigkeit erweisen müssen. Auch für Augustin kann Glaube nur entstehen und sich bewähren, weil und sofern er sich auf die in des Wortes primärem Sinne glaubwürdige Autorität der Kirche abstützen kann: »Ich glaubte dem Evangelium nicht, wenn mich nicht die Autorität der Katholischen Kirche dazu bewegte« (Contra epist. Manichaei quam vocant fundamenti V,6). Zu beachten ist der Zusammenhang: Augustin meint mit »Evangelium« den historischen Gehalt der vier neutestamentlichen Evangelien; diesen hält er auf die Autorität der Kirche hin für wahr, und darum weigert er sich, Mani als Apostel anzuerkennen. Wie in allen seinen Auseinandersetzungen mit der spätgnostischen Gegenkirche der Manichäer müht sich Augustin allerdings auch auf diesem Themenfeld um die Klärung und Bewältigung seiner eigenen Vergangenheit. Seine eigene Hinwendung zum Manichäismus, also die Abkehr vom katholischen Christentum seiner Kindheit, kann er in die Worte fassen, er habe sich eingeredet, es sei »eher denen zu glauben, die lehren, als denen, die befehlen« (De beata vita I,4): Er sei also von der Katholischen Kirche mit ihrer Forderung des auf eigenes Verständnis und eigene Einsicht verzichtenden Glaubens zum Manichäismus übergegangen, der sich ihm durch den (angeblichen) Verzicht auf derartige Zumutungen empfohlen habe. In einer langen Reihe von gewichtigen Schriften hat er polemisch und apologetisch seine Abkehr vom Manichäismus begründet und hierbei zugleich dargelegt, inwiefern das gläubige Sichbeugen unter Autorität einer Ver-

82  Kirchengeschichte nunft, welche in realistischer Selbsterkenntnis und -einschätzung ihre eigenen Grenzen und ihre Vervollkommnungsbedürftigkeit einsieht, nicht nur keineswegs unwürdig, sondern geradezu unentbehrlich ist. Er hat dabei Argumente, die schon von Clemens und Origenes eingeführt worden waren, aufgenommen und weiter ausgearbeitet. Ablesen lässt sich das alles exemplarisch an einem Brief Augustins. Der Adressat, Consonantius, hatte ihm einen literarischen Entwurf zur Verteidigung der rechtgläubigen Trinitätsanschauung zugesandt und damit die Bitte verbunden, Augustin möge ihm Anteil an seinen Bemühungen um die rationale Durchdringung dieses Glaubensgeheimnisses gewähren. Einschränkend hatte er jedoch hinzugefügt, letztlich komme es hier ja doch allein auf den Glauben an die mit kirchlicher Autorität verkündete Lehre an, denn andernfalls werde die Teilhabe an der christlichen Religion auf die intellektuellen Eliten restringiert. Die innere Widersprüchlichkeit dieser Anfrage nimmt Augustin zum Anlass einer scheinbar mühelosen, fast schon spielerischen Erörterung des Verhältnisses von Glauben und Wissen. Ausgangspunkt und Ziel seiner Argumentation liegen in der These, dass fester, auf Autorität gegründeter Glaube und vernünftige / verständige Einsicht einander mitnichten im Wege stehen, sondern vielmehr erfordern. Was die vernünftige Einsicht sich noch nicht zu erarbeiten vermag, das eignet sich der Glaube im Vorgriff an. Und so gilt die allgemeine lerntheoretische Regel: »[…] der Glaube soll der Einsicht vorangehen« (Epistula 120,3). Augustin vertieft sie allerdings noch einmal schöpfungstheologisch. Es ist die Fähigkeit zur vernünftigen Einsicht, welche gemäß dem Willen des Schöpfers dem Menschen seine einzigartige Stellung gibt, und damit ist die Annahme eines kategorialen Widerspruchs zwischen dem von Gott geforderten Glauben und der von Gott gewährten Einsicht schlechterdings unvereinbar: »Wir könnten gar nicht glauben, wenn wir keine vernünftigen Seelen hätten. Dass also in einigen Bereichen der Heilslehre, die wir noch nicht vernünftig verstehen können, der Glaube dem Verstehen vorangehen kann, damit das Herz gereinigt wird und damit es das große Licht des Erkennens in sich aufnehmen und ertragen kann, rührt von der Vernunft her« (ebd.). Der Glaube ist eben selbst ein Akt der Vernunft, welche ihrer eigenen Begrenztheit und Erweiterungsbedürftigkeit innewird. Sie gibt sich also keineswegs auf, wenn sie sich zum Glauben entscheidet, sondern in Wahrheit gewinnt sie sich überhaupt erst im Glauben: »Wenn es also vernünftig ist, dass auf dem Wege der Einsicht zu Gegenständen, welche die Vernunft noch nicht zu erfassen vermag, der Glaube vorangeht, dann geht doch die

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wenn auch noch so kleine vernünftige Einsicht, die sich davon überzeugt, dem Glauben ihrerseits voran« (ebd.). All das verdichtet sich für Augustin in Jes 7,9, denn diesen Vers gibt seine altlateinische Bibelübersetzung gemäß der LXX-Lesart wieder: »Wenn ihr nicht glaubt, so werdet ihr nicht erkennen«.

2.2.  Glaube und Erlösung Dieses gedankliche Schema kann Augustin auch noch anders akzentuieren, indem er das Versöhnungswerk Christi am Kreuz hervorhebt: »Jesus Christus, der Gottmensch, ist der Erweis der göttlichen Liebe zu uns und das Vorbild der menschlichen Demut, auf dass unser großes Geschwulst durch die größere Medizin geheilt werde. Groß ist das Elend, der hochmütige Mensch, aber größer ist die Barmherzigkeit, der demütige Gott« (De catechizandis rudibus IV,8). So ist Christus die Verkörperung der schöpferischen göttlichen Barmherzigkeit, die sich des in Sünde gefallenen Menschen annimmt, ohne irgendwelche vorhergehenden Verdienste zu fordern. Sie ist größer als die menschliche Schuld; der Mensch ist auf sie schlechterdings angewiesen. Damit sie ihm zugutekommen kann, muss er jedoch seiner eigenen Bedürftigkeit innewerden: »Das ist deshalb wahr, weil die Menschen das Gesetz annahmen und sich ihrer eigenen Kräfte voll Hochmut überhoben und nicht durch den rechten Glauben die göttliche Hilfe im Kampfe gegen die bösen Begierden erflehten. Sie übertraten das Gesetz und belasteten sich mit noch schwereren Missetaten, und so haben sie unter dem Zwang der Schuld Zuflucht zum Glauben genommen, durch welchen sie die Barmherzigkeit der Nachsicht verdienten [mererentur] und die Hilfe des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat« (De fide et operibus XIV, 21). Gerade das Eingeständnis der Hilflosigkeit eröffnet also den Zugang zur göttlichen Barmherzigkeit. Die Einsicht, kein Verdienst vorweisen zu können, wird ihrerseits, wie Augustins Wortwahl zeigt, funktional zum Verdienst. All das fließt zusammen in einem Begriff des Glaubens als des Eingeständnisses der eigenen Hilflosigkeit. Er ist die Voraussetzung, die der Mensch erbringen muss, damit ihm Gott hilft. So unentbehrlich der Glaube ist – er ist in sich nichts Ganzes, sondern er ist lediglich Teil in einer Doppelbewegung, wie die Fortsetzung des eben zitierten Satzes zeigt: »Damit sie [die Gläubigen; M. O.], nachdem durch den Heiligen Geist die Liebe [charitas] in ihre Herzen ausgegossen ist, mit Liebe [dilectio] tun, was ihnen gegen die Begierden

84  Kirchengeschichte dieser Welt aufgegeben ist« (ebd.). Die paulinische Rede von der Rechtfertigung ohne des Gesetzes Werke legt Augustin also dergestalt aus, dass er die paulinische Rede vom Glauben durch die Bestimmungen von Jak 2 und 2Petr 3 einhegt: »Wenn also Paulus sagt, er urteile, dass der Mensch gerechtfertigt werde durch den Glauben ohne des Gesetzes Werke, dann tut er das nicht, damit wegen des angenommenen und bekannten Glaubens die Werke der Gerechtigkeit geringgeschätzt werden, sondern lediglich, damit jeder wisse, dass er gerechtfertigt werden kann, auch wenn keine Werke des Gesetzes vorhergegangen sind. Sie folgen nämlich dem Gerechtfertigten nach und gehen nicht etwa vor dem Rechtfertigungsbedürftigen her« (ebd.). Und Paulus »nennt nicht einen jeden Glauben, mit dem man an Gottes Existenz glaubt, heilsam und wahrhaft evangeliumsgemäß, sondern denjenigen, dessen Werke aus der Liebe hervorgehen [Gal 5,6]« (ebd.). Augustin gibt dem Glauben also seinen Ort und seine Funktion innerhalb der prozesshaft verstandenen Erlösung: Gott restituiert den in Sünde gefallenen Menschen in seinen schöpfungsmäßigen Zustand. Jesus Christus und die Kirche, in der und durch die er wirkt, helfen Menschen aus ihrer Verstrickung in die Sinnenwelt heraus und ebnen ihnen durch Erziehung den Weg in eine Lebensführung, die sich von der Herrschaft der vergänglichen Reize und Bindungen der Sinnenwelt löst und sich am wahren, höchsten Gut orientiert. Sie öffnen ihnen die Augen für die intelligible Welt und die geisthafte Gotteserkenntnis. Lebensführung und Lebensdeutung, Theorie und Praxis sind untrennbar miteinander verbunden, sind letztlich nur unterschiedliche Aspekte eines einzigen Gesamtvorgangs. Zielpunkt dieses Prozesses ist die reine, geistige Gottesschau ohne jede Vermittlung. Das Verhältnis des Glaubens hierzu ist zweischichtig. Er ist auf dieses Ziel hingeordnet, aber er ist eben doch nur eine Etappe auf dem Wege, welche begrenzt und überwindungsbedürftig ist. Jesus Christus ist diejenige Verkörperung des göttlichen Willens, die dem depravierten Zustand des menschlichen Erkenntnisvermögens nach dem Sündenfall angepasst ist. Die reine Schau am Ziel wird ihn als sinnlich-geschichtliche Vermittlungsinstanz nicht mehr benötigen (1Kor 15,24). Ihm entspricht die gehorsame Erkenntnishaltung des Glaubens, der sich der Differenz, die zwischen ihm selbst und der reinen Einsicht, der Schau, besteht, immer bewusst bleibt und gerade im Wissen um seine eigene Vorläufigkeit rein er selbst ist: Wie er dem Erkennen gleichsam vorausläuft, um ihm einmal Platz zu machen, so ist er auch religiös dazu bestimmt, einer anderen Weise der Vergegenwärtigung der Wahrheit

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Platz zu machen. Der Glaube versteht sich nicht als Angekommensein am Ziel, sondern als Etappe auf dem Wege der Seele zu ihrer Einkehr in ihren Grund: Die Unmittelbarkeit der »Mystik« ist dem Glauben als Ziel vorgegeben; ein Vorgeschmack auf sie ist in unaussprechlich überschwänglichen Momenten schon auf Erden möglich (Confessiones IX, X,24). Diese Orts- und Funktionsbestimmung des Glaubens lässt sich noch einmal christologisch zurückbinden: Der Glaube hat es mit Christus in der Verhüllung der Inkarnation zu tun. Wie diese über sich selbst hinausweist auf die göttliche Natur in ihrer Reinheit, so ist es dem Glauben verheißen und aufgegeben, im Transzendieren der Menschheit zu vergehen und so der übergegenständlichen Schau der göttlichen Natur Platz zu machen.

2.3.  Glaube und Freiheit In seiner antimanichäischen Schriftstellerei knüpfte Augustin auch insofern an die antignostischen Väter und an die alexandrinischen Theologen an, als er gegen den im manichäischen Dualismus verwurzelten Determinismus die menschliche Entscheidungsfreiheit hervorhob und betonte: Ob der einzelne Mensch zum Heil oder zum Unheil kommt, hängt davon ab, ob er das göttliche Heilsangebot annimmt oder ausschlägt. So sehr also das Heil göttliches Geschenk ist, so wenig ist Gott die Ursächlichkeit dafür bzw. die Schuld daran zuzuschreiben, dass dennoch Menschen ewig verloren gehen. Die Zeit, in der Augustin neuerlich in der Katholischen Kirche heimisch wurde und ins Bischofsamt hineinwuchs, fiel zusammen mit einer Periode stark intensivierter Paulus-Rezeption in der westlichen Kirche; an ihr beteiligte sich auch Augustin. Die Erwählungs- und Prädestinationsaussagen des Apostels legte er sich anfangs auf die gängige Weise zurecht: Paulus setze selbstverständlich die menschliche Willens- und Entscheidungsfreiheit voraus; Gottes unabänderliche und von aller Beeinflussung unabhängig vollzogene Vorherbestimmung betreffe lediglich das von ihm gesetzte Bedingungsgefüge, die Heilsordnung, und wenn Paulus von Erwählung rede, dann drücke er damit lediglich aus, dass Gott kraft seiner alle Zeit umgreifenden Allwissenheit immer schon wisse, wer seine Angebote annehmen und ausschlagen werde: Der Glaube ist freie Mitwirkung des Menschen zu seinem Heil, und Prädestination ist lediglich ein missverständlicher Ausdruck für Präszienz. Je tiefer Augustin in die paulinische Gedankenwelt eindrang, desto weiter nahm er allerdings das menschliche Freiheitsvermögen zurück

86  Kirchengeschichte und desto stärker betonte er das Übergewicht der göttlichen Initiative. Dennoch erschien es ihm weiterhin denknotwendig, dass der Mensch ein Minimum an Eigeninitiative erbringen müsse, damit Gott ihm gerechterweise seine Gnade geben oder widrigenfalls versagen könne: Den Glauben vermöge der Mensch aus eigener Kraft nicht zu erschwingen, wohl aber das Glaubenwollen, und daraufhin schenke Gott dann den Glauben. Die Anfragen des Simplician brachten Augustin dazu, sich nochmals Wort für Wort in die abgründigen Aussagen des Paulus über Gottes freie, durch keinerlei menschliches Wollen und Verhalten bedingte Gnadenwahl (Röm 9,19 – 29) zu vertiefen – mit der Absicht, wie er später bezeugte, das »freie Entscheidungsvermögen des menschlichen Willens« zu erweisen – »aber Gottes Gnade trug den Sieg davon« (Augustin, Retractationes II,1,1). Die paulinische Deutung des ungleichen Geschicks der Zwillinge Jakob und Esau systematisiert Augustin, indem er den Begriff des meritum (»Verdienst«) als Deutungskategorie einführt: Weder ein gegebenes noch auch ein vorausgesehenes Verdienst eines der beiden hat Gott dazu motiviert, den einen zu begnadigen und den anderen der Sünde und ihrer gerechten Strafe zu überlassen. Gottes Erwählung setzt kein Verdienst voraus. Und das gilt nicht nur für »Werke«, sondern auch für den »Glauben«, den Augustin hier also, wie deutlich zu sehen ist, als einen Spezialfall in die Kategorie der Werke einordnet: »Der barmherzige Gott beruft, und zwar ohne dabei Verdienste auch nur des Glaubens zu berücksichtigen, denn die Verdienste des Glaubens folgen auf die Berufung und gehen ihr nicht etwa voran« (De diversis quaestionibus ad Simplicianum I,2,7; es folgt das Zitat von Röm 10,14). Es bleibt hier also noch die Möglichkeit offen, die dem verdienstlichen Glauben vorgängige Gnade mit der äußerlichen Berufung zu identifizieren. Und genau diese Verständnismöglichkeit seines Gedankens schneidet Augustin bewusst und effizient ab, indem er darauf verweist, dass ja nicht alle, die die Berufung empfangen, ihr auch Folge leisten, indem sie glauben. Liegt es also am menschlichen Willensentschluss, ob die göttliche Berufung zum Ziel kommt, oder nicht? Nein, antwortet Augustin: Wenn hier des Menschen Wille maßgeblich wäre, dann wäre er beim Zustandekommen des Glaubens mitursächlich, und damit wäre gegen Röm 9,16 das göttliche Erbarmen nicht alleinursächlich. Daraus folgt zwingend: Obgleich an alle Menschen äußerlich dieselbe Berufung ergeht, trifft sie die einen so, dass sie in ihnen Zustimmung freisetzt, und die anderen so, dass sie sich gegen sie verhärten. Das heißt also, dass Gott dem

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äußerlichen Befund entgegen auf unterschiedliche Weise beruft – die einen passend, wirksam (congruenter), die anderen unwirksam (incongruenter). Die congruenter Berufenen sind gemäß Mt 22,14 die (wenigen) Auserwählten, neben denen in der großen Zahl der Berufenen diejenigen stehen, die Gott bei der Erwählung zum Heil nach seinem ewigen, unerforschlichen Ratschluss übergangen hat (vgl. ebd., 13). Mit einer eindrucksvollen Reihe biblischer Reminiszenzen zeigt Augustin, dass schon in der Zeit von Jesu Erdenleben angesichts derselben Erlebnisse Menschen zum Glauben gefunden haben und vom Glauben abgestoßen worden sind; sie sind ihm ein zuverlässiger Hinweis darauf, dass zur äußeren Berufung eben noch eine innere Gnadenwirkung auf den Menschen kommen muss, damit der Glaube entsteht (ebd., 14). Später hat er das lapidar so formuliert: »Wenn also das Evangelium gepredigt wird, dann glauben die einen, und die anderen glauben nicht. Diejenigen aber, die glauben, wenn des Predigers Stimme äußerlich ertönt, die hören und lernen innerlich vom Vater. Die aber nicht glauben, die hören zwar äußerlich, aber innerlich hören und lernen sie nicht, und das heißt: Den einen wird es geschenkt, dass sie glauben, und den anderen nicht« (De praedestinatione sanctorum VIII,15). Der Glaube also ist reines Geschenk, erwirkt dann jedoch seinerseits bei Gott die Sündenvergebung, wirkt also als Verdienst (vgl. Epistula 194, III,9 – 15). Der Glaube ist also das verdienstliche gute Werk par excellence. Gerade an ihm lässt sich nämlich ablesen, was gemäß Augustins ausreflektierter Gnadenlehre für alle guten Werke gilt: »Wenn Gott unsere Verdienste krönt, dann krönt er seine eigenen Werke« (Epistula 194, V,19). Und Paulus selbst, der zum Glauben bekehrte Verfolger, ist für Augustin der schlechthin authentische Zeuge dafür, dass Gottes Berufung in keiner Weise auf menschliche Prädispositionen angewiesen ist, sondern gerade im Niederbrechen des Widerstandes ihre vollmächtige Dynamik erweist. In diesem Verweis kulminiert die Antwort auf die Frage des Simplician (De diversis quaestionibus ad Simplicianum, 22). Das »Gegenstück« (so P. Frederiksen bei Drecoll 2007: 293) hierzu hat Augustin daneben in seinen Bekenntnissen geliefert: Hier hat er seinen eigenen Lebensgang betend durchdacht – unter der Leitperspektive, dass und wie Gott etwas vermag, was dem Menschen schlechterdings unmöglich ist, nämlich die Änderung der Grundrichtung des Willens, also des dynamischen Zentrums der menschlichen Persönlichkeit. Diese Ursprungsdynamik ist in allen Lebensäußerungen des menschlichen Subjekts wirksam, aber es sind dem menschlichen

88  Kirchengeschichte Subjekt keine wirksamen Rückwirkungen darauf möglich. Seit die Menschheit in Adam ihre Freiheit missbraucht hat, ist dieses Persönlichkeitszentrum eines jeden Menschen in Hochmut verfangen, und so ist es dem Menschen schlechterdings unmöglich, die von Gott geforderte Lebenshaltung der Demut und der Liebe zu erschwingen – es sei denn, dass Gott eben durch die Zuwendung seiner Gnade genau das im Willen des Menschen bewirkt. Diese gänzlich unanschauliche, auf keine Weise mit Gewissheit konstatierbare Besitzergreifung der göttlichen Gnade nun kann Augustin, wie gesehen, sehr nahe an den Glauben heranrücken. Aber er vollzieht diese scheinbar ganz nahe liegende Identifikation doch nicht. Warum er das nicht tut, und warum er das auch gar nicht kann, das zeigt ein vertiefender Blick auf die inhaltlichen Konturen seines Glaubensbegriffs.

2.4.  Glaube und Lehre Was also »glaubt« eigentlich nach Augustin der Glaube? Nun, er hält für wahr, was die Kirche verkündet, nämlich das von Gott in Jesus Christus begründete und gewährleistete Gefüge von Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit der Mensch zum Heil kommt, mitsamt den transzendenten, sich der unmittelbaren Evidenz entziehenden Grundlagen hierfür: Kernbestand ist für Augustin wie für seine Zeitgenossen der im Sinne der rechtsgültigen Reichsorthodoxie gefasste trinitarische Gottesbegriff; der Verstoß gegen diese Vorgabe begründet im Primärsinne den Straftatbestand der Häresie. Dass auch anderweitige Lehrabweichungen in diesen besonderen Gefährdungsbereich fallen könnten, bedurfte für Augustin noch zu Beginn der Auseinandersetzungen mit Pelagius der besonderen Begründung (vgl. Epistula 188, III,10). Insofern also vertritt Augustin den gemeinkatholischen Glaubensbegriff in derjenigen Spielart, welche durch die werdende Reichsorthodoxie bestimmt ist. Diesen Glaubensbegriff verfeinert er nun allerdings noch einmal erheblich: »Wer verleugnet, dass ein Gut, welches von Gott kommt, von Gott kommt, der fügt doch Gott eine Beleidigung zu – und damit jener Trinität« (ebd.). Und genau das tut jeder, der sich, ungeachtet der mahnenden Erinnerung des Apostels (1Kor 4,7), sein frommes Leben und dessen Verdienste als eigene Leistung zuschreibt. Das gilt auch für den Anfang des frommen Lebens, den Glauben selbst. Und so rückt das Bekenntnis dazu, dass der Glaube keine Möglichkeit menschlich-kreatürlicher Wahlfreiheit ist, hinein in die Reihe derjenigen Wahrheiten, die der Glaube mit Zustimmung denkt, denn das

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ist ja Augustins Definition: »Glaube ist nichts anders als Denken mit Zustimmung« (De praedestinatione sanctorum II,5). Der Glaube ist also (auch) die Zustimmung zu der Gedankenfolge, dass die Rechtfertigung nicht durch das Gesetz der Werke erfolgt, sondern »durch das Gesetz des Glaubens, demzufolge man glaubt, dass allein durch die Gnade die Hilfe gewährt wird, welche zur Erfüllung der Gebote des Gesetzes der Werke hinreicht« (De spiritu et littera IX,16). Der Glaube ist also die im Gehorsam gegen die kirchliche Autorität angenommene Einsicht in die Angewiesenheit auf die Gnade und ihr Wirken.

2.5.  Bilanz – Rückblick – Ausblick Der Glaube bringt die Seele auf den Weg zu ihrem Ziel, indem er ihr die Hoffnung inspiriert: »Durch den Glauben nimmt sie ihre Zuflucht zu Gott, auf dass er ihr schenke, was er gebietet, und mit dem Hauch der Gnade des Heiligen Geistes das, was er gebietet, wohlgefälliger macht als das, was diesem im Wege steht« (De spiritu et littera XXIX,51; vgl. auch X,16). So steht der Glaube am Anfang des Heilsweges, an dessen Ende der Mensch zu seiner wahren Bestimmung gelangt: »Wer glaubt, der vertraut sich ihm [Gott; M. O.] an, damit alle Sünden vergeben und alle seine Gebrechen geheilt werden, damit er von seinem Licht erleuchtet und von seiner Wärme durchflutet wird; aus seiner Gnade wird er gute Werke haben, aus welchen er auch dem Leibe nach vom Verderben erlöst wird. Er wird gekrönt werden und mit ewigen, nicht zeitlichen Gütern gesättigt werden – über alles Bitten und Verstehen hin­­­aus« (De spiritu et littera XXXIII, 58; im Hintergrund steht Ps 103,3 f.). Hier gilt es ganz genau zu lesen: Einerseits ist der Glaube gleichsam die erste Stufe auf diesem Weg, anderseits antizipiert er dessen Ziel / Ende, sofern er bloße Möglichkeiten in Erwartungen umschmilzt und damit zur Hoffnung wird. Aber er ist nicht eigentlich das Subjekt des Prozesses oder das Werk der göttlichen Transformationen, sondern hier nennt Augustin vielmehr die caritas (»Liebe«) bzw. die humilitas (»Demut«) als gesamthafte Leitbegriffe, welche die Lebenshaltung bzw. die Lebensleistung des im Prozess der Erlösung Befindlichen charakterisieren. Dieser Glaube mitsamt der Einsicht in sein Wesen und seine Entstehungsbedingungen ist ganz und gar von Gott ermöglicht – einerseits durch die geschichtliche Heilsveranstaltung in Christus, anderseits dadurch, dass auf Seiten des Subjekts sogar der Wille zum Glauben von Gott kommt. Und dennoch: In und trotz alledem muss der Glaube als

90  Kirchengeschichte Tat des zu ihm befreiten Willens vom Subjekt geleistet sein, und gerade als solche durch und durch gnadenhaft bedingte und ermöglichte Tat des Subjekts verhält er sich zum eigentlichen Einströmen der Gnade lediglich als Vorstufe, wie das folgende Zitat zeigt: »Meines Erachtens ist eher derjenige ein Sohn des Glaubens, der weiß, von wem er erhoffen kann, was er noch nicht hat, als derjenige, der sich selbst zuschreibt, was er hat« (De spiritu et littera XII,22). Als gnadenhafte Heilsgabe und zugleich als Leistung der menschlichen Willensfreiheit ist der Glaube das Werk aller Werke, das Hauptwerk, das gegeben / geleistet sein muss, damit überhaupt weitere gute Werke erfolgen können. Die Annahme dieses Glaubens verbindet Augustin nun mit dem Beginn der Transformation des menschlichen Willens durch die Gnade, welche den Erwählten widerfährt. Diese Verbindung bleibt allerdings rein thetisch. Augustin schafft es nicht, den Glaubensakt in seiner Bezogenheit auf den ihn ermöglichenden bzw. hervorrufenden Inhalt hin derart zu verstehen, dass er selbst gerade als Akt des wachen menschlichen Bewusstseins als Ergriffenwerden durch die göttliche Gnade durchsichtig wird. Hier klafft eine deutliche Lücke, denn hier stoßen in Augustins Gedankenwelt zwei nie wirklich miteinander ausgeglichene Gedankenformationen aneinander: Einmal die gemeinkatholische, in welcher Gottes Gnadengabe und Gottes Leistungsforderung miteinander ein Spannungsfeld erzeugen, das den Glauben des Menschen motiviert und freisetzt und ihn im Widerspiel von Furcht und Hoffnung zur aktiven Tugend formt; zum andern die Theorie der souveränen Alleinwirksamkeit Gottes, der die nach seinem unergründlichen Ratschluss Erwählten durch das Einströmen seiner Gnade derart formt und bildet, dass sie seiner innewerden und, sich ablösend von ihrem sündhaften Hochmut, mit Gott und miteinander in Demut und Liebe gemeinschaftsfähig werden. Diese Gedankenkomplexe gestaltet Augustin so, dass sie sich immer wieder einander annähern und einander überschneiden, aber es gelingt ihm nicht, sie in einen wirklich schlüssigen Zusammenhang zu fügen. Diese Aporie korrespondiert mit einem analogen Problem seiner Christologie: Jesus Christus ist der Erlöser, sofern er durch sein stellvertretendes Lebens- und Leidensopfer bei Gott das Verdienst erbracht hat, welches die im Glauben / in der Taufe zu empfangende Sündenvergebung ermöglicht; er verbürgt die gesamte Heilsordnung, durch welche Teilhaber der Sünde Adams dennoch zur ewigen Seligkeit zu gelangen vermögen (sacramentum).

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Er ist zugleich auch das schlechthin authentische, unerreichbare und unüberbietbare Urbild (exemplum) des gottgemäßen Lebens und symbolisiert das Transformationswerk der göttlichen Gnade am Menschen: Die aus reiner, grundloser Gnade erwählte Menschheit Christi steht dafür ein, dass dieses Transformationswerk ausschließlich in Gottes ewigem, schöpferisch-grundlosen Ratschluss gründet. Der Glaube richtet sich auf Jesus Christus als den Gekreuzigten, sofern er die Sündenvergebung verbürgt und mit ihr die Möglichkeit des Heilserwerbs. Daneben ist er das Urbild und Vorbild der Liebe und der Demut, also genau derjenigen Lebenshaltungen, derer der Mensch aus eigener Kraft schlechterdings unfähig ist. Er symbolisiert also zugleich eine von Gott geschichtlich gesetzte Ordnung von Bedingungen und Gottes absolut schöpferisch-spontanes, gänzlich unanschauliches Wirken auf das einzelne Subjekt. Wie beides miteinander verbunden werden kann, bleibt letztlich offen. In einem vielfach ganz anders geformten intellektuellen und religiösen Kontext tritt hier eine ganz ähnliche Unausgeglichenheit zutage wie bei Paulus: Paulus redet, urchristliche Gemeinüberzeugungen aufnehmend, vom »Glauben« als von der Annahme der Heilsbotschaft: Die ist vom Subjekt zu erbringen und von ihm in einer entsprechenden Lebenspraxis zu verifizieren. Daneben fasst er, offenkundig seine eigene Erfahrung deutend, das neue Leben in Christus als ein passives Ergriffen- und Umgeformtwerden, dessen souveränes Subjekt der erhöhte und gerade als solcher sich im und am Subjekte vergegenwärtigende Christus ist. Es ist deutlich, dass bei Augustin diese Funktion der »mystischen« Gedankenreihe des Apostels die gänzlich unanschauliche, den Menschen in einer jenseits seines wachen Bewusstseins liegenden Persönlichkeitsschicht ergreifende, durchdringende und transformierende Gnade erfüllt. Das Verhältnis dieses eigentlich entscheidenden Prozesses zum geschichtlichen Jesus Christus, der von Gott in ihm gesetzten Heilsordnung sowie zu den geschichtlichen Medien seiner Selbstvergegenwärtigung bleibt letztlich ungeklärt. Den entscheidenden Schritt hat hier, noch einmal in einer durchgreifend veränderten intellektuellen und religiösen Atmosphäre, Martin Luther getan: Er identifizierte, darin nicht nur über Augustin, sondern auch über Paulus hinausgehend, das Wirken des erhöhten Christus mit den geschichtlichen Medien seines Fortwirkens (Wort und worthaft verstandene Sakramente). Den durch Christi Wirken vermittels ihrer im Subjekt entzündeten, vom Subjekt zwar bewusst,

92  Kirchengeschichte aber gänzlich passiv empfangenen Glauben bestimmte er als den subjektiven Reflex des Heilswirkens des Dreieinigen Gottes im und am einzelnen Menschen. Das konnte er allerdings erst tun, nachdem sich (auch) hinsichtlich des Glaubensbegriffs die unterschiedlichen Stadien und Schulen mittelalterlicher Theologie und Philosophie ihr Werk der Differenzierung und Klärung an den schöpferischen Impulsen Augustins getan und dadurch neue, nicht etwa restaurative, sondern genuin schöpferische Rückgriffe auf die urchristliche und paulinische Gedankenbildung ermöglicht hatten.

3.  Konturen des katholischen Glaubensbegriffs seit dem Frühmittelalter 3.1. Übergang In der Geschichte der westlichen Kirche zwischen dem Ausgang der christlichen Antike und der Reformation verbleiben die Modifikationen am Glaubensbegriff in der Frömmigkeit und in der theologischphilosophischen Theorie auf den altkirchlichen Grundlagen, wie Augustin sie zusammengefasst und zugleich mit zukunftsweisenden Problemanzeigen versehen hatte. In den epistemologischen und erkenntnistheoretischen Debatten der Scholastik wurde die Frage nach der Vernünftigkeit des Glaubens in einer kaum übersehbaren Vielfalt von hochdifferenzierten Theorieentwürfen gestellt und beantwortet; dieser Strang der Philosophiegeschichte kann in dieser kirchengeschichtlichen Darstellung jedoch nicht angemessen verfolgt werden (Landgraf 1953, Gößmann 1971). Die folgende Skizze ist also ganz ausdrücklich auf die Frage fixiert, welche Bedeutungen dem Glauben für das Heil und die Seligkeit des Menschen zugeschrieben wurden. Die hier einschlägigen Problemfelder und Theorieansätze lassen sich durchgängig durch Begriffspaare (optimal entfaltet bei Altenstaig 1517, Stichwort: fides) anzeigen, welche relative Gegensätze markieren und im Verlauf der mittelalterlichen und nachmittelalterlichen katholischen Theologiegeschichte in einer unübersehbaren Fülle von Auslegungsvarianten erscheinen. Dass ich hier immer wieder durch Verkürzung ein kaum verantwortbar hohes Maß an Eindeutigkeit suggeriere, ist mir durchaus bewusst. Diese Begriffspaare nun lassen sich ohne allzu viel Gewalt recht

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deutlich wiederum zwei bestimmten Großperspektiven zuordnen, die durch zwei zentrale rituelle Handlungsvollzüge bzw. Sakramente gegeben sind, nämlich die Taufe und die Buße.

3.2.  Der kirchengeschichtliche Rahmen Für das Thema »Glaube« markiert, jedenfalls in der Perspektive westlichen Christentums, das frühe 5. Jahrhundert auch frömmigkeits- und kirchengeschichtlich eine Wasserscheide. Die Säuglingstaufe wurde zum maßgeblichen Regelfall des Beginns einer christlichen Lebensgeschichte: Menschen wurden forthin in das christliche System der Lebensdeutung und -orientierung gleichsam hineingeboren. Der »Glaube« war damit scheinbar zur überindividuell fraglos gültigen, den Einzelnen souverän beanspruchenden, tragenden und begrenzenden unverbrüchlichen Lebensordnung geworden. Aber die Erinnerung daran, dass zum Christsein das unvertretbar individuelle Dabeisein des Einzelnen hinzugehört, blieb erhalten, und damit eine immer wieder sich meldende Unterscheidung zwischen dem Glauben als der bloßen passiven Teilhabe an der gesellschaftlich gültigen Welt religiöser Vorstellungen und Normen und der lebensprägenden individuellen Überzeugung des Subjekts. Es blieb auch das Wissen darum bzw. die Ahnung davon wirksam, dass zum Christsein das Christwerden hinzugehört, also ein Akt der individuell-unvertretbaren Entscheidung. Diese Intuition war einmal wirksam in den fortgehenden Bemühungen, nach dem Fortfall des katechetischen Unterrichts vor der Taufe Eltern und Paten zur Vermittlung elementaren Glaubenswissens an Kinder und Heranwachsende anzuhalten. Sodann gehören hierher die Riten der Ratifikation, in denen Jugendliche die einst für sie von den Eltern und Paten stellvertretend gefällte Entscheidung für den christlichen Glauben selbstständig nachzuvollziehen hatten: Bestandteile des altkirchlichen Taufritus verselbstständigten sich, und aus ihnen bildete sich das Sakrament der confirmatio/ Firmung. Es wurde in den Kirchen der Reformation als unbiblisch abgeschafft; die allmählich an seine Stelle tretende Konfirmation verstärkte erheblich den Rückbezug auf die Katechese und das Moment des durch diese fundierten persönlichen Glaubensbekenntnisses. Endlich war die Buße eine weitere Situation, in der dem Einzelnen eine dem Zum-Glauben-Kommen durchaus vergleichbare Entscheidung unter Einsatz seiner Fähigkeit zur verbindlichen Selbstbestim-

94  Kirchengeschichte mung eingeräumt bzw. zugemutet wurde. Der getaufte Christ, so die Voraussetzung, ist aus dem Gnadenstand, in den ihn Glaube und Taufe versetzt hatten, durch Sünde herausgefallen. Der Wiedereintritt in den Gnadenstand ist in der Geschichte der christlichen Religion, worauf Harnack hingewiesen hat (Harnack 1891: 128), nie durch eine ja theoretisch durchaus denkbare Wiederholung der Taufe bewerkstelligt worden, sondern durch das in vielen Varianten ausgebildete Verfahren der Buße, dessen erste Spuren in der Mitte des 2. Jahrhunderts nachweisbar sind: In einem kooperativen Zusammenhang von Handlungen des Einzelnen und der Gemeinde bzw. ihrer Leiter / Repräsentanten bezeugt derjenige, der flagrant die dem Glauben entsprechende, in der Taufe als verpflichtend angenommene Lebensgestalt verfehlt hat, seine Reue und den Vorsatz einer besseren Lebensführung. Er wird daraufhin wieder in das Vollmaß seiner kirchlichen Mitgliedschaftsrechte restituiert, und, so die mal stillschweigende, mal offen ausgedrückte Grundannahme, sein Gottesverhältnis wird dergestalt in Ordnung gebracht, dass er die verlorene Anwartschaft auf die ewige Seligkeit wiedererlangt. Legt man den als Tugend verstandenen Begriff des Glaubens nach seinem durativen Aspekt zugrunde, dann heißt das: Sein zwar immer noch als Anerkennung der Heilsordnung vorhandener, aber in seiner lebenspraktischen Betätigung defizitär bzw. unwirksam gewordener Glaube gelangt wieder zu vollgültiger Wirksamkeit.

3.3.  Glaube und Taufe Die Taufe ist als Sakrament die vollgültige Sündenvergebung, sie macht den Menschen so, dass Gott ihm das Ewige Leben schenken kann. Ihr alleiniger Ermöglichungsgrund ist das Verdienst Christi, das sich der Mensch im Glauben aneignet; in umgeprägter augustinischer Terminologie: In der Taufe ergießt sich die Gnade in des Menschen Seele. Das alles gilt es seit dem Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter mit Bezug auf Säuglinge zu denken, denn sie sind es ja in aller Regel, die die Taufe empfangen. Taufe und Glaube gehören zusammen, und so muss mit zwingender Systemnotwendigkeit vom getauften Säugling gesagt werden: Er ist des Glaubens teilhaftig, und zwar als einer ihm bei reiner Passivität gleichsam eingeflößten innerlichen Zuständlichkeit – »habitus infusus«, und dieser Glaube heißt fides infusa, eingegossener Glaube. Er ist, da vor dem Erwachen des Bewusstseins schon dem Menschen mitgeteilt, inhaltlich noch völlig unbestimmt; dem vergegenständlichenden, analytischen Zugriff stellt er sich als reine, noch

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unbestimmte Bereitschaft dar, fides implicita, »eingewickelter« Glaube (von plicare – »wickeln, verknäueln«). Wächst das Menschenkind heran, dann muss / wird sich mit dem Erwachen und der Ausformung des Bewusstseins auch die Potentialität der fides implicita realisieren – sie materialisiert sich in und an einzelnen Glaubensinhalten (fides explicita: »entfalteter, ausgewickelter Glaube«), die nach und nach ins Bewusstsein aufgenommen werden. Und nun entsteht ein weiteres Gegensatzpaar, denn auch der fides infusa tritt ein Korrelatbegriff zur Seite: Der eingegossene Glaube erwirbt sich Inhalte und wird zur fides acquisita (von acquirere: »erwerben«). Hier nun kommt die soteriologische Variante der erkenntnistheoretischen Frage nach dem Recht und nach der Eigenart des Glaubens ins Spiel. Er steht zwischen dem bloßen Meinen auf der einen Seite und dem echten, aus innerlich zwingender Einsicht hervorgehenden Wissen (Evidenz). Mit dem Meinen verbindet den Glauben das gemeinsame Defizit an Evidenz: Es liegt im Wesen des Glaubens, dass er nicht in Evidenz überführbar ist, und gerade daran hängt sein religiöser Wert. Auf der anderen Seite steht der Glaube jedoch dem Meinen mit dem Wissen gemeinsam gegenüber, weil er mit diesem die objektive Gewissheit teilt, ja, das Wissen hier sogar noch einmal übertrifft, denn er richtet sich auf einen ewig-unvergänglichen Gegenstand, nämlich die erste Wahrheit. Die ist Gott selbst, und zwar so, wie er sich kundgibt, also in den propositionalen Gehalt der Bibel bzw., was dasselbe ist, in der Katholischen Wahrheit: Die Bibel steht ja für katholische Theologie und Kanonistik nie als abstractum für sich, sondern sie wirkt in der Aneignung und Auslegung durch die verfasste Kirche, welche an ihr wiederum ihre Legitimationsurkunde hat. Dieser Glaube an die Katholische Wahrheit wird also als fides implicita dem als Säugling getauften Menschen eingegossen. Er ist, für sich betrachtet, reine Potentialität. Nähert man den Begriff der Erfahrungswirklichkeit an, dann ergibt sich: Er ist die vorgängige, vorbehaltlose Bereitschaft, das, was die Kirche autoritativ lehrt, im Gehorsam anzunehmen. Seine voll- und letztgültige Formulierung hat dieses Verständnis des Glaubens erst 1870 in der Gesetzgebung des I. Vatikanischen Konzils gefunden: »Folglich muss mit göttlichem und katholischem Glauben all das geglaubt werden, was im geschriebenen und überlieferten Wort Gottes enthalten ist und was von der Kirche durch feierlichen Urteilsspruch oder auch durch ihr ordentliches und allgemeines Lehramt als göttlich geoffenbart zu glauben vorgelegt wird« (DH 3011).

96  Kirchengeschichte Der so verstandene Glaube ist also wesentlich rein formal, inhaltlich unendlich variabel und damit unabhängig von jeder inneren Evidenz. Dieser erste Eindruck ist jedoch für sich genommen trügerisch: In Wahrheit hat der so verstandene Glaube ja eine ganz konkrete, greifbare Norm, welche zugleich sein eigentlicher Gegenstand ist, nämlich die verfasste Kirche mit ihrem Anspruch, die prima veritas zu explizieren bzw. zu repräsentieren. Diese Grundkonstellation waltete, wie gesehen, schon bei Augustin. Er hob sie hervor gegen Manichäer und Donatisten, also in Situationen, in welchen der Geltungsanspruch der Catholica zur Debatte stand. Der nächste Schub, der diese ekklesiologische Konkretion des katholischen Glaubensbegriffs weiter vorantrieb, waren die kirchenkritischen, häretischen bzw. häretisierten religiösen Bewegungen des 12./13. Jahrhunderts. Der bislang letzte erfolgte mit der Reformation und der aus ihr hervorgehenden dauerhaften Etablierung akatholischen kirchlichen Christentums: Die im Papsttum kulminierende Kirche als Repräsentantin und als Bürge der den Glauben begründenden Wahrheit ist, zumal mit den einschlägigen Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils (v. a. Lumen Gentium), in zuvor unbekannte Regionen der Selbstthematisierung und auf neuartige Höhen der Selbstglorifizierung vorgestoßen. Ob und wie sie die Glaubwürdigkeitslasten, welche sie sich damit aufgebürdet hat, wird tragen können, muss die Zukunft zeigen: Sicher, in der Theorie lässt sich die Kirche ihrer Wahrheit nach klar unterscheiden von pädophilen Priestern, betrügerischen Bischöfen oder korrupten Kardinälen. Aber damit ist ja noch nichts darüber ausgemacht, ob und wie Laien das verstehen. So ist also die fides implicita dem Christenmenschen als Gnade bzw. mit der Gnade in der Taufe eingegossen. Sie begründet damit im Menschen eine neue Qualität, die ihrerseits tathaft betätigt sein will: »In denjenigen, die über den Gebrauch ihres Verstandes verfügen, genügt nicht das Verdienst Christi, wie bei denjenigen, welche das nicht tun und folglich durch das Verdienst Christi erlöst werden und nicht durch eigenes Verdienst, sondern es ist notwendig, dass sie eigenes Verdienst hinzufügen gemäß jenen Worten ›Wenn du zum Leben eingehen willst, …‹ [Mt 19,17] und ›Glaube ohne Werke ist tot …‹ [Jak 2,17]. Und wie die Klugheit der Steuermann ist, der die Tugendwerke leitet, so leitet der Glaube die verdienstlichen Handlungen. Denjenigen, die über den Gebrauch ihres Verstandes verfügen, ist also bisweilen ein Akt des Glaubens ebenso notwendig, wie ihnen ein verdienstlicher Akt notwendig ist« (Altenstaig 1517: Bl. 89v).

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Die geschenkte Gnade überhaupt wirkt in guten, verdienstlichen Werken. Es ist ein Spezialfall dieser Regel, dass die fides implicita in Akten der fides explicita, des ausdrücklichen Glaubens an bestimmte Inhalte, wirksam wird. Die fides infusa, rein für sich betrachtet, also inhaltlich unbestimmt, ist als fides implicita Aufnahmebereitschaft. Konkrete Inhalte kommen ihr von außen zu; sie werden vom Menschen im kommunikativen Verkehr erworben (acquirere) wie andere Stücke seines Orientierungswissens auch: Die fides infusa / implicita materialisiert sich anhand konkreter Gegenstände, und diese Gegenstände werden als erworbener Glaube (fides acquisita) bezeichnet. Welche das jeweils sind, das ist ganz vom Lebensstand des Subjekts abhängig. Einschlägig ist hier die Faustregel des Thomas von Aquin: Die »minores«, also Menschen ohne hervorgehobenen kirchlichen Rang und höhere theologische Bildung, müssen »die Hauptartikel explizit glauben – dass Gott einer und drei ist, daß der Sohn Gottes Fleisch geworden, gestorben und auferstanden ist, und andere Gegenstände dieser Art, anlässlich derer die Kirche Feste feiert« (De veritate XIV,11, corpus). Mit dem Maße an religiös-theologischer Kenntnis und Bildung wächst der Umfang dessen, was so geglaubt werden muss. Noch im Gegenwartskatholizismus ist die Vorstellung gängig, dass ein Theologe schwerere Glaubenslasten zu tragen hat als ein Laie. Solange der einzelne Glaubensakt auf der fides implicita aufruht, also auf dem summarischen Glauben an die veritas catholica, ist ein materialer Irrtum hinsichtlich eines Glaubensinhalts harmlos. Wer z. B. irrtümlich glaubt, Abraham habe nur eine Frau gehabt, weil das so in der Bibel stehe bzw. Inhalt der kirchlichen Lehrverkündigung sei, der vollzieht dennoch einen guten Akt des expliziten Glaubens, also ein gutes, verdienstliches Werk. Er wird sich ja willig fügen, wenn ihm sein Irrtum von einem Zuständigen korrigiert wird. Eine in ihrem Wortlaut fälschlich, in ihrem Gehalt jedoch mit Recht Augustin zugeschriebene, im Spätmittelalter viel gebrauchte Sentenz markiert diesen Gehorsamsvorbehalt des Erkenntniswillens: »Errare potero, haereticus non ero« – »Ich kann mich irren, aber ich werde nicht zum Häretiker«. Gefährlich wird es erst dann, wenn jemand in einem vergleichbaren Falle auf seiner Position besteht, denn genau dann, wenn zum Irrtum die Halsstarrigkeit (pertinacia) hinzukommt, tut sich der Abweg in die Sünde bzw. in den Straftatbestand der Häresie auf, der, so die klassische Definition des kanonischen Rechts, bei allen anzunehmen ist, »welche vom Sakrament des Leibes und Blutes unsers Herrn Jesu Christi, von der Taufe, vom Bekenntnis der Sünden, von der Ehe oder

98  Kirchengeschichte von den anderen Sakramenten der Kirche anders zu meinen und zu lehren wagen, als die allerheiligste Römische Kirche lehrt und handelt« (Konstitution »Ad abolendam«, erlassen 1184 von Papst Lucius III. und Kaiser Friedrich I. Barbarossa [Corpus Iuris Canonici Bd. II, 780]. So ist in dieser Linie der Wahrnehmung der eingegossene Glaube die Grundlage, auf der sich im Individuum im Verlaufe seiner Lebensgeschichte ein Gebäude von weltdeutenden und handlungsleitenden religiösen Vorstellungen, Regeln und Maximen erhebt. Damit er hier nicht Gefahr läuft, sich selber zu schädigen, tut der Einzelne gut daran, sein Bauwerk an kirchlichen Normen auszurichten und es angelegentlich kirchlicher Inspektion und Kontrolle auszusetzen. Anders gestaltet sich das Begriffsgefüge, wenn es nicht von der Säuglingstaufe, sondern von der Erwachsenentaufe her konstruiert wird. Kommt ein Mensch erst als Erwachsener in den Strahlungsbereich der kirchlichen Heilsbotschaft, dann geht die fides acquisita voran. Das Fürwahrhalten der Drohungen und Verheißungen, mit welchen die Botschaft ihre Hörer konfrontiert, weckt den Wunsch bzw. den Willen, den Drohungen zu entgehen und der Heilsverheißungen teilhaftig zu werden. Akte der fides acquisita und die fides explicita gehen also voran und bereiten der Eingießung der Gnade bzw. der fides infusa den Weg – beides erfolgt dann in der Taufe.

3.4.  Glaube und Buße Die in der zuletzt skizzierten Konfiguration angedeuteten Bewegungsmuster gewinnen ihre konkrete Gestalt im Bußwesen / Bußsakrament. Hier geht es um den Menschen, der zwar die Taufe empfangen hat, für den aber durch eigenes Verschulden die Heilszusagen der Taufe keine Geltung mehr haben: Er hat der trotz der Taufe in ihm verbliebenen inneren Disposition zum Sündigen nachgegeben und ist aus dem Gnadenstand herausgefallen, befindet sich also in einem Zustand, der dem eines Erwachsenen vor der Taufe strukturell vergleichbar ist. Die Buße ist die Rückkehr in den Gnadenstand – ein Geflecht von göttlichen Gnadenhilfen, die ihrerseits menschliche Anstrengungen ermöglichen und hervorrufen. Und diese durch die Gnade ermöglichten menschlichen Handlungen ebnen weiteren göttlichen Gnadenwirkungen den Weg. Die Buße wird auf mehreren Theorieebenen reflektiert. Deren höchste ist die Lehre von der Gnade und der Rechtfertigung (iustificatio). Hier kann es allein darum gehen, den Stellenwert des Glaubens

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in diesen seelen- und gnadenmetaphysischen Theoriekomplexen aufzuweisen. Wer das Bußritual vollzieht bzw., in späterer Terminologie ausgedrückt, das Bußsakrament empfängt, der tut das ja immer schon, weil und sofern er glaubt: Einmal hält er allgemein die Heilsverheißungen und die Drohungen der kirchlichen Botschaft, soweit er sie kennt und versteht, für gültig. Insbesondere nimmt er sodann an, dass das Bußverfahren / das Bußsakrament, das er vollziehen bzw. empfangen will, kein leeres Ritual ist, sondern dass es für ihn und für sein ewiges Ergehen von einschneidender Bedeutung ist. Damit sich diese positive Erwartung allerdings bewahrheiten kann, muss zu diesem Fürwahrhalten noch etwas hinzukommen, nämlich der Wille, sich so zu verhalten, dass dies im je individuellen Falle geschehen kann, und das heißt: Der bloße zur Kenntnis nehmende und für wahr haltende Glaube bedarf eines ihn von innen heraus aktivierenden zusätzlichen Impulses. Es ist deutlich: Hier geht die fides acquisita, also die auf dem Wege aller kognitiven Prozesse erworbene und auf glaubwürdige Autorität sich abstützende Überzeugung von der Existenz eines bestimmten von Gott gesetzten Systems von Möglichkeitsbedingungen und Hilfen (Hamm 1977), voran, und es zeigt sich, dass sie einerseits unentbehrlich und anderseits zugleich völlig unzureichend ist: Sie markiert also lediglich ein Durchgangsstadium. Der Glaube, welcher die Zugangsbedingung zum Bußverfahren / Bußsakrament bildet, entsteht und besteht in einer Situation, in welcher im Subjekt die Gnade und mit ihr die fides infusa absent sind. Dennoch oder gerade deshalb kann er durchaus positiv gewürdigt werden, und dann wird er als äußerlich korrekte kirchliche Gesinnung und Lebensführung charakterisiert: »Durch diese innere Haltung [habitus] begibt sich der Geist des Menschen ja gewissermaßen in die gehorsame Gefolgschaft Christi [2Kor 10,5]. Er glaubt wahrhaftig an Dinge, die nicht vor Augen liegen [Hebr 11,1], er meidet Irrtümer und Phantastereien. So verhält es sich bei vielen Christen, denen es zwar an der Liebe [charitas] mangelt, die aber gern die Worte des Heils hören und die Niedertracht der Ketzer verabscheuen« (Altenstaig 1517: Bl. 87r, nach Bonaventura). Die fides acquisita kommt also hier als toter Glaube in Betracht (fides mortua), wobei der Akzent allerdings nicht auf dem Aspekt des Verstorbenseins bzw. der fortschreitenden Verwesung liegt, sondern auf der Möglichkeit bzw. der Notwendigkeit der Belebung bzw. der Wiederbelebung: Die evangelische Erzählung von der Auferweckung

100  Kirchengeschichte des Lazarus (Joh 11) gehört zu den erstrangigen Referenztexten mittelalterlicher Bußtheorie und Gnadenlehre. Bedeutungsäquivalent ist ein anderes Gegensatzpaar, das denselben Sachverhalt in aristotelisierender Terminologie bezeichnet: Das bloße Überzeugtsein von der Existenz bestimmter Sachverhalte oder vom Wahrheitsgehalt nicht überprüfbarer Behauptungen ist der »ungeformte Glaube« (fides informis); wenn jedoch hierdurch der Wille des Menschen dergestalt affiziert wird, dass er in einen Transformationsprozess gemäß diesen Tatsachen- und Vorstellungskomplexen hineingerät, dann wird aus der fides informis die fides caritate formata, »der durch die Liebe geformte«, also sinngemäß belebte Glaube. Diese Formung bzw. Belebung bewirkt die Gnade in einem durch scholastische Denker immer neu und immer feiner zergliederten Prozess der Kooperation mit Akten des menschlichen Willens / Bewusstseins. All das geschieht in Bereichen der menschlichen Seele, welche der Erfahrung entzogen sind: Wer die rein theoretischen einschlägigen Sätze der Metaphysik und der Transzendentalpsychologie im Sinne Luthers oder Schleiermachers erfahrungs- oder bewusstseinstheologisch interpretiert, verbaut sich von vornherein jegliches Verständnis. Trotzdem muss der (idealtypische) lebenspraktische Bezug der Theoriebildung präsent gehalten werden: Die »Belebung« oder »Formung« des Glaubens in der Buße geschieht entweder durch die contritio, also die vom Heiligen Geist inspirierte, von jeder selbstischen Regung freie und daher vollgültige Reue, welche den Sünder von der ewigen Sündenschuld und der Verdammnis befreit. Das ist die Ausnahme, die Regel ist die attritio, die von selbstischen Regungen der Furcht und Hoffnungen begleitete Reue, die allerdings den Sünder dergestalt disponiert, dass sie in ihm durch den Empfang des Absolutionswortes zur Vollreue emporgesteigert wird. So wird also durch die Gnade die fides mortua zur fides viva, die fides informis zur aktiven, lebendigen fides caritate formata. Bei alledem bleibt der Glaube in seiner kognitiven Substanz unverändert. Er behält seine charakteristische Eigenart, die eben darin besteht, dass er nicht etwa in reine, bezwingende Evidenz übergeht, sondern seinem Subjekt Anstrengung und Selbstüberwindung abverlangt. Die Not, die in diesem strukturellen Plausiblitätsdefizit liegt, ist es, was den Glauben zur verdienstlichen Tugend macht; genau das besagt ein Dictum Gregors des Großen, das in diesem Zusammenhang stereotyp angeführt wird: »Ein Glaube, dem die menschliche Vernunft Erfahrungsgewissheit zuschreibt, trägt kein Verdienst in sich« (Evangelien-Homilien II, 26,1; Bd. II, 473). Das gilt für die fides mortua wie

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für die fides viva, nur, dass die fides mortua, um es in der Terminologie der späteren Franziskanertheologie auszudrücken, bei Gott kein vollgültiges Verdienst (meritum de condigno) erwirbt, sondern lediglich ein eingeschränktes, dessen Geltung lediglich daran hängt, dass Gott es kraft der von ihm gesetzten Ordnung aus Billigkeitsgründen anrechnet (meritum de congruo). Entscheidend ist jedoch: Der Glaube ist gerade als Akt des vom Willen geleiteten Verstandes, welcher nicht nur unter bestimmten Umständen, sondern seinem Begriff zufolge Widerstände in seinem Subjekt zu überwinden hat, religiös von positiver Bedeutung, nämlich als verdienstliche Handlung, durch welche das Subjekt mit Gottes Hilfe die von Gott zu seinem eigenen Besten gesetzte Heilsordnung ein Stück weit erfüllt und damit etwas für sich selbst tut.

3.5.  Glaubenshilfen: Wunder und Visionen Bei allem schier unerschöpflichen Reichtum an konkurrierenden und streitenden Schulen und Lehrmeinungen sind mittelalterliche Theologen im Gefolge Augustins über zweierlei einig. Einmal: Kein menschliches Individuum kommt zum Heil, ohne dass an ihm die göttliche Gnade wirksam wird, und der letzte Grund dafür, ob das geschieht, liegt im unergründlichen Geheimnis der göttlichen Gnadenwahl. Sodann gilt jedoch: Die göttliche Gnade wirkt an Menschen, die ihr Raum geben, ihr die Bahn bereiten, weil und sofern sie ihnen begegnet. An der Schnittstelle dieser beiden Bewegungslinien liegt der Glaube. Er ist immer zugleich unverdientes Geschenk und verdienstliche Leistung. Der erworbene, noch tote, ungeformte Glaube, den der Mensch ja überhaupt allein deshalb zu fassen vermag, weil Gott ihm in der Kirche menschlich überzeugende Beweggründe dazu schenkt, bereitet (disponiert) den Menschen für den sakramentalen Gnadeneinschuss in der Taufe bzw. im Losspruch im Rahmen des Bußsakraments. Der somit eingegossene, belebte und geformte Glaube ist selbst ein verdienstliches Werk. Und er ist zugleich das Substrat der Liebe, die weitere gute Werke hervorbringt. Dass der Glaube dem Menschen erhalten bleibt, liegt einerseits in seiner Verantwortung und in seinem wohlverstandenen Eigeninteresse. Zugleich ist die Kirche damit betraut, ihn im Glauben zu stützen und zu stärken, und zwar auf allen Stadien seines Weges. Sie hat ihn zum Festbleiben im Glauben zu ermuntern und muss dabei gegen zwei Gruppen von Faktoren kämpfen: Die erste wird angeführt von der Gewohnheit und der Trägheit; diese Faktoren schläfern den Glauben schleichend

102  Kirchengeschichte ein. Die andere macht sich die wesentliche, gerade seinen religiösen Wert als Verdienst bedingende Kontrafaktizität des Glaubens zunutze und suggeriert dem Subjekt entweder, dass das ganze System der bedingten Heilszusagen, welches der Glaube annimmt, illusionär sei, oder dass es selbst, das Subjekt, den Anforderungen, die das System stellt, ja doch nicht gewachsen sei. Die mittelalterliche Predigt ist in diesem Sinne weithin vorherrschend seelsorgerlich ausgerichtet, nämlich als Hilfe zum Glauben. Und in diesen Zusammenhang gehört die schier unermessliche Menge der Wunderüberlieferungen, die für das katholische Christentum des Mittelalters charakteristisch ist. Dass sich daran qualitativ bis heute nichts geändert hat, belegt ein Hinweis auf die Selig- und Heiligsprechungslegislatur und -praxis der römischen Kurie: Jeder Heilige muss zwei medizinisch unzweifelhaft nachweisbare Wunder vollbracht haben; ausgenommen hiervon sind allein Märtyrer (Fallstudien bei Ohst 2015). Mirakel sind flüchtig – der einmal Gerettete stirbt irgendwann ja doch. Mirakel sind mehrdeutig – ihr Urheber kann Gott sein, aber auch der Teufel. Und Mirakel sind ja Ausnahmen – in der Regel entzieht sich das Walten der göttlichen Weltregierung der empirischen Überprüfung an den Tatsachen. Dass jeder Gute seinen Lohn empfängt und ebenso kein Böser seiner gerechten Strafe entgeht, liegt unter den Bedingungen von Raum und Zeit nicht vor Augen, sondern muss eben geglaubt werden. Erst jenseits der Todesgrenze wird jeder Schein der Zweideutigkeit verschwinden. Im Himmel, in der Hölle und (vor allem) im Fegefeuer wird das von Gott gesetzte Bedingungsgefüge ohne jeden Rest an Unsicherheit oder Zweifel seine allumfassende Kraft und Gültigkeit erweisen: Alles Gute wird belohnt, und alles Böse wird bestraft. Vorblicke hierauf eröffnen Berichte von Jenseitsvisionen, eine reiche Gattung von Texten jeder literarischen und intellektuellen Höhenlage – immerhin gehört auch Dantes Göttliche Komödie hierher! Die Berichte von Menschen, die in Entrückungszuständen die Hölle, das Fegefeuer oder (in seltenen Ausnahmen) den Himmel mit eigenen Augen gesehen haben wollen, helfen dem Glauben, indem sie ihn gleichsam über sich selbst ins Schauen hinausführen.

3.6.  Die Grenzen des Glaubens Gemäß dem bisher geschilderten Verständnis verbindet also der Glaube Menschen insofern mit Gott, als der Mensch sich mittels seiner

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anfangshaft dem von Gott für sein Heil gesetzten Bedingungsgefüge unterwirft und anpasst. Er markiert und befestigt jedoch nicht zufällig, sondern strukturell gerade die Scheidung des Menschen von Gott, denn sein entscheidendes Motiv liegt ja darin, dass der Mensch für sich selbst etwas von Gott will, nämlich sein Heil, und genau deshalb mit Anstrengung eine Leistung erbringt, die Gott von ihm verlangt. Es bleibt bei einer Spannung im Verhältnis des menschlichen Subjekts zu seinem Schöpfer und Herrn. So gewiss die von Gott gesetzte Ordnung unverbrüchlich wirkt und waltet, so ungewiss ist es, ob der Mensch ihr auch tatsächlich gerecht zu werden vermag. So weist der Glaube also nach diesem Verständnis strukturell über sich selbst hinaus, denn er bezeichnet zwar eine dem Menschen gewährte Gemeinschaft mit Gott, aber diese ist anfangshaft, ergänzungsund vollendungsbedürftig, denn sie ist durch den intellektuellen und durch den existentiellen Zweifel gespannt und gefährdet. Diese beiden Spannungen werden in der theologischen Theorie wahrgenommen, und sie werden positiv bewertet, weil sie dem werkförmigen und werktätigen Glauben den Antrieb zu seiner eigenen immer weiter fortgehenden Selbststeigerung und Vertiefung geben. Im Laufe der mittelalterlichen Geschichte des Christentums sind aber auch immer neue Versuche zu beobachten, genau diese Spannung abzuschwächen oder gar abzubauen. Einmal ist an die Versuche zu erinnern, die materialen Gehalte des Glaubens intellektuell möglichst weitgehend zu plausibilisieren bzw. den Glauben intellektuell derart zu fassen und zu begründen, dass er als Akt in seiner Eigenart seinerseits rational zwingend plausibel wird. Diese Versuche haben immer wieder den Widerstand von Denkern provoziert, die genau hierdurch die Eigenart und den religiösen Rang des Glaubens, welche in seiner wesentlichen, widerständigen Unterschiedenheit von aller rationalen Evidenz liegen, gefährdet sahen. Sodann ist an die vielfältigen und höchst unterschiedlichen, erst seit der Neuzeit pauschal als »Mystik« bezeichneten Bestrebungen (Langer 2004) zu erinnern, den im Glauben ja gerade betonten Hiat zwischen dem menschlichen Subjekt und seinem göttlichen Grund durch den Überschwang des kontemplativen Denkens und der Liebe zu überwinden. Sie führten zu schweren Verwerfungen, sobald sie den Eindruck erweckten, sie wollten dem Einzelnen Wege religiösen Lebens über den Glaubensgehorsam gegen die Kirche hinaus oder an ihm vorbei eröffnen (außergewöhnlich instruktiv Hahn-Jooß 2010). Beobachtern, die sich gewohnheitsmäßig in den Denkbahnen und

104  Kirchengeschichte Vorstellungskreisen evangelischen Christentums bewegen, fällt es oftmals schwer zu sehen, dass es in den unterschiedlichen Spielarten der mittelalterlichen Mystik nicht um Verheißungen und Möglichkeiten geht, die dem Glauben selbst gewährt sind, sondern um religiöse Deutungsweisen und die Aussicht auf Erfahrungen, die den Glauben, wie er herkömmlich verstanden wurde, transzendierten. Diese strukturelle Verstehensschwierigkeit hat ihren Grund darin, dass an der Wurzel der gesamten reformatorisch-protestantischen Transformation des westlichen Christentums ein Verständnis des Glaubens liegt, welches – neuartig – in diesem selbst die von Gott gewährte Erlösung, verstanden als Aufnahme des menschlichen Willens in den göttlichen, wahrnimmt und insofern ebenfalls von Anfang an zu seiner eigenen Selbstverständigung und für seine Explikation nach außen auf herkömmliche Inventarstücke mystischer Sprache zurückgreifen konnte, wenn nicht gar musste (anders akzentuiert Hamm 2007).

4.  Die reformatorische Transformation des Glaubensbegriffs 4.1.  Geschichtliche Orientierung In der reformatorischen Theologie Martin Luthers wurde der Glaubensbegriff von einem erneuerten Verständnis von Gott und Mensch her neu gefasst und rückte an einen neuen Ort in der Topographie der denkenden Rechenschaft vom christlichen Glauben (Hamm 2010; Schwarz 1962; Schwarz 1998). Beide Veränderungen, die mit dem Glaubensbegriff hier vor sich gingen, sind nur an- und miteinander zu verstehen, und darum muss auch die Genese der Veränderung wie der Ortsverschiebung kurz angesprochen werden. Danach wird an einigen Beispielen gezeigt, wie die Neufassung des Glaubensbegriffs in der reformatorischen Transformation zentraler Bereiche theologischen Denkens und kirchlicher Praxis wirksam wurde. Bevor diese Verschiebungen skizziert werden können, müssen zwei im Grunde ganz triviale Verstehensvoraussetzungen in Erinnerung gerufen werden. Einmal ist auf ein zunächst scheinbar stabiles Substratum von Kontinuitäten und Konsensen zu verweisen, welches den im Folgenden zu schildernden Erneuerungen und Auseinandersetzungen den Kampf- und Schauplatz bot. Luther versteht den wirklichen Menschen wie die Theologen vor und neben ihm als in und durch Adam von seiner Wahrheit durch die Sünde entfremdet und

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deshalb dem ewigen Tode verfallen. Rettung gibt es für den Menschen allein, weil und sofern Gott sich seiner aus reiner Güte und Barmherzigkeit heraus annimmt. Er hat das in Jesus Christus ein für alle Mal getan, und die heilsame Selbstkundgabe Gottes in Jesus Christus ist insofern endgültig, als dass sie sein Wollen und Wirken unüberholbar und unumstößlich manifestiert. Gültig dokumentiert ist das alles in der Heiligen Schrift – sie ist als Gottesbuch dem Glauben vorgegeben und über jedweden Zweifel erhaben: Sie bezeugt den dreieinen Gott als Schöpfer, Herrn und Vollender der Welt und sein Geschichtshandeln. Dieser »Glaube« an die Schrift war Luther und der überwältigenden Mehrheit seiner Zeitgenossen eine in sich unproblematische, ihrem Denken schlichtweg vorgegebene Selbstverständlichkeit, die von den Debatten über Wesen und Wert des Glaubens zunächst scheinbar allein insofern tangiert wurde, als dieser »Glaube« an die Schrift im Gefolge der radikalen Abwertung der kirchlichen Lehrautorität an Gewicht hinzugewann. Dass gerade das spezifisch reformatorische Verständnis des Glaubens mit seiner neuartigen radikalen Verneinung des Verdienstbegriffs der kritischen Zersetzung der formalen Schriftautorität sehr viel weniger würde entgegenzusetzen haben als der katholische Glaubensbegriff und seine Folgebildungen, erwies sich erst Jahrhunderte später. Sodann ist zu beachten, dass die neuartigen Gedankenbildungen durchgängig mit hergebrachtem Begriffs- und Vorstellungsmaterial arbeiten, welches mal durch sie von innen heraus zersprengt wird, sie aber auch bisweilen an der Entfaltung hindert. Das konnte ja auch gar nicht anders sein; dennoch: Auch und gerade für die Geschichte des Glaubensbegriffs in und seit der Reformation wäre Mk 2,22 das optimale biblische Motto.

4.2.  Die Grundlagen: Reformatorische Theologie vor der Reformation Als Mensch des späten Mittelalters ist Martin Luther in ein Verständnis der christlichen Religion als eines von Gott aus reiner Barmherzigkeit in Christus gestifteten Gefüges von Bedingungen hineingewachsen. Als Bettelmönch hat Luther sich auf diejenige Spielart der Bedingungsordnung eingelassen, gemäß welcher er ein Höchstmaß an Eigenbeteiligung zu erbringen hatte und auf kirchliche Hilfsangebote wie Ablässe und gekaufte Messen verzichtete. Im Gegenzug erstrebte er Gewissheit – das Bewusstsein, die eigenen Lebenskräfte so rückhaltlos

106  Kirchengeschichte eingesetzt zu haben, dass ihn das für die Ewige Seligkeit qualifizierte. Diese Gewissheit blieb ihm versagt, weil er bei konsequenter Selbstprüfung nie zu dem Ergebnis kam, wirklich alle Bedingungen auch nur subjektiv, geschweige denn objektiv erfüllt zu haben. Es war dieser Erfahrungshintergrund, vor dem Luther unter Hinzuziehung der modernen philologischen Hilfsmittel seiner Zeit und versehen mit dem kompletten Rüstzeug der gängigen Schultheologie zentrale biblische Texte auslegte. Schon Luthers Aufzeichnungen für seine Römerbrief-Vorlesung 1515 / 16 (WA 56; vgl. auch Holl 1911 sowie Ohst 2012) bezeugen die Verschiebung der Kategorien seines Denkens. Immer deutlicher prägte sich ihm das Bild einer grundsätzlich verfehlten Konfiguration von gängigen Wahrnehmungs- und Denkmustern aus. Hiernach will der Mensch, obzwar er durch die Sünde in seiner Einsicht und in seinen Kräften gemindert und beschädigt ist, letztlich das Gute: Die zuverlässige, konstante Leitinstanz seines Willens ist die gute Absicht, sich bei Gott für das Ewige Leben zu qualifizieren. Und genau auf diese gute Absicht spricht ihn Gott mittels des von ihm gesetzten Systems der bedingten Heilsverheißungen an. Er leitet ihn an, seine trotz der Erbsünde durchaus verbliebenen guten Kräfte so zu gebrauchen, dass er sich dadurch für den Empfang weiterer Hilfen qualifiziert und sich so unter Aufbietung seiner Kräfte und unter Inanspruchnahme der göttlichen Hilfen das Heil erarbeitet. Trotz aller quantitativer Asymmetrie ist das menschliche Gottesverhältnis also letztlich kooperativ gedacht. Und diese Kooperation erwächst daraus, dass Gottes und des Menschen Wille letztlich in der Wurzel übereinkommen: Der Mensch will sein eigenes Heil, und Gott will dem Menschen das Heil gewähren – allerdings unbeschadet seiner ihm wesenseigenen Gerechtigkeit. Damit ihr Genüge geschah, musste der Gottmensch am Kreuze sterben. Der Heilswert seines unendlich verdienstlichen Kreuzestodes liegt darin, dass seinetwegen nun dem Menschen trotz der Sünde die Möglichkeit eröffnet ist, seinerseits gute, verdienstliche Werke zu tun, denn auch das erfordert die göttliche Gerechtigkeit: Sie kann um ihrer selbst willen nichts geben, ohne dass ihr eine Gegengabe dargebracht wird, und sei diese auch noch so klein. Gegen dieses Bild, das ihm mit seinen konstruktiven Einsichten zugleich erwachsen war, ja, das seinerseits auch schon aus der Perspektive der sich durchklärenden neuen Einsichten konstruiert war, richtete Luther seine Angriffe; an ihm profilierte er ein ganz neuartiges Grundverständnis von Gottes Wesen, seinem Willen und seinem Handeln am Menschen. Dabei argumentierte er in dem Bewusstsein, er vertrete die

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in der verfassten Kirche rechtsgültige wahre Lehre gegen zeitweilige Missverständnisse und Fehldeutungen. Gedanklich und terminologisch entwickelte Luther seine Einsichten in und mit den Ausdrucksmitteln, welche ihm der reiche, vielfältige, lebendig fließende Strom spätmittelalterlicher Theologie darbot; dabei orientierte er sich, allerdings in pointierter Auswahl, vorzugsweise an Augustin. Sachlich ging Luther in bestimmten Grundgedanken auf Paulus zurück, allerdings nicht mit dem moderner Exegese wesentlichen Bestreben, komplexe Gedankengebilde am geschichtlichen Ort ihres Urhebers zu rekonstruieren, sondern mit dem elementaren Willen, »das« in den Texten sprechende »Evangelium« herauszuarbeiten und womöglich noch deutlicher zu formulieren, als das einst dem Apostel gelungen war. Zwei Besonderheiten seiner Wahrnehmung sind als besonders wichtig und folgenreich hervorzuheben: Einmal ließ Luther sich primär leiten von denjenigen Gedanken des Apostels, die in der modernen Forschung als »mystisch« gekennzeichnet worden sind, die also das Christwerden und Christsein des Menschen als ein passives Ergriffenwerden durch Jesus Christus verstehen. Diese Vorstellungs- und Begriffskomplexe verband und verwob er mit denen über den die Botschaft vom Sühnetod Jesu Christi annehmenden Glauben und seine Heilsbedeutung, und zwar dergestalt, dass er nun überall dort, wo er hiervon las, genau jenes Ergriffenwerden und Ergriffensein mitdachte: Er schob die »mystischen« und die »juridischen« Gedankenreihen bei Paulus noch einmal sehr viel kräftiger ineinander, als der Apostel selbst das getan hatte mit dem Ergebnis, dass er die »mystischen« Vorstellungen zu verständnisleitenden Kategorien für alle Aussagen über den Glauben erhob. Dadurch verblasst in seiner Wahrnehmung der Glaube in seiner Eigenart als zwar notwendige, aber durchaus vorläufige, der Erweiterung und Verlebendigung bedürftige kognitive Anerkennungsleistung und nimmt die Lebendigkeit der Liebe und der Hoffnung gleichsam in sich selbst auf: Liebe und Hoffnung werden zu Lebensäußerungen des Glaubens selbst, der ihnen sachlich vor- und übergeordnet ist (Hamm 1998; Schwarz 1962; Schwarz 1998). Glaube ist Chiffre für das Christwerden und für das Christsein, wobei die Differenz zwischen dem ingressiven und dem durativen Aspekt tendenziell verschwindet, und zwar deshalb, weil das Christsein als ein dauerndes Christwerden verstanden wird. Es ist kein ruhiger Zustand, sondern ein immer neues Angesprochen- und Ergriffenwerden: Das ganze Christenleben ist Buße, ein immer neues Ergriffenwerden

108  Kirchengeschichte durch den Bußruf und das Vergebungswort Jesu Christi. Der Christ ist Gerechter und Sünder zugleich – Sünder gemäß seiner eigenen Selbstwahrnehmung und Gerechter nur insofern, als er sich gegen den Augenschein der eigenen Selbstwahrnehmung dem göttlichen Urteil anvertraut. Insofern ist der Glaube auch in Luthers Deutung wesentlich kontrafaktisch bestimmt. Sodann: Derjenige, der den Menschen ergreift, war für Paulus, der gerade in und an diesem Thema als theologischer Denker seine eigene Bekehrung gedanklich bearbeitete und durchdrang, der Gekreuzigte als Erhöhter, als himmlischer Kyrios. Luther nun ließ sich von hier aus auch sein Bild des lehrenden und streitenden, heilenden und leidenden Jesus gestalten, wie es sich ihm in den Evangelien darbot und wie es dann gerade hinsichtlich der subjektiven Bewegungen noch Nuancierungen und Vertiefungen durch die als Gebete Jesu Christi verstandenen Psalmen fand. Wo Paulus vom himmlischen Kyrios schreibt, da setzt Luther den geschichtlichen, im Zeugnis der Bibel sich selbst vergegenwärtigenden Jesus Christus ein. So wurde ihm der geschichtliche Jesus Christus in einer ganz eigentümlichen Verstehensbewegung zum souverän den Glauben wirkenden Wort Gottes. Auch hier ist die Kontinuität zu herkömmlichen Gedankenmustern mit Händen zu greifen: Der arme, demütige Christus ist nach mittelalterlichem Verständnis die Personifikation des Willens Gottes, die dem wirklichen Menschen immerdar zum anklagenden Spiegel wird, in dem er erkennt, wie er sein sollte und wie er eben nicht ist. Und als Leidender steht er zugleich für den göttlichen Vergebungswillen. Dieser Vergebungswille wird dem Einzelnen aber immer nur dann und insofern zur wirksam bestimmenden Realität, wenn er sich ihm aktiv öffnet, anders gesagt: wenn er sich für das Einströmen der Gnade disponiert, wobei ihm wiederum der Schmerzensmann hilft, indem er durch den Affekt des Mitleids sein hartes Herz erweicht. Und genau hier geht Luther einen scheinbar kleinen, in Wahrheit jedoch großen, einen qualitativen Sprung markierenden Schritt weiter: Der sich im Geiste vergegenwärtigende Jesus Christus überwindet aktiv die in der Sünde und im Sündenbewusstsein wurzelnden inneren Widerstände und gibt den Glauben, vollzieht also das, was Luther in uneigentlicher, ironisch travestierender Aufnahme des gemeinscholastischen Sprachgebrauchs gern als Eingießung der Gnade bezeichnet (besonders eindrücklich dann etwas später in der Disputatio de fide infusa et acquisita, 1520 [WA 6, 84 – 98]). All das hat sein orientierendes Zentrum in einer allenthalben greifbaren Neubestimmung der Gottesanschauung: Gott ist nicht derjenige,

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der ein Gefüge von Bedingungen und Hilfen errichtet hat, in welchem und durch welches nun der Mensch seinen Weg zum Heil finden muss, sondern er ist geradezu lebendige Dynamik, weil und sofern er in Jesus Christus, seinem geistgetragenen Wort, im Gewissen des Menschen wirkt, indem er sich in ihnen vergegenwärtigt, und der Terminus Glaube bezeichnet diejenige Gestalt menschlichen Bewusstseins, in welcher sich dieses worthafte Ergriffen- und Bestimmtwerden durch Gott widerspiegelt. Und indem Gott in dieser Weise den Menschen ergreift, »rechtfertigt« er ihn, zieht er ihn in einem lebenslangen Bildungsprozess in seine Wahrheit hinein. Unter diesen Prämissen ist die Behauptung zwingend, dass allein der Glaube rechtfertigt. Sie ist kein Exegetenfündlein, an dem sich mit exegetischen Quisquilien her­ ummäkeln ließe, sondern in ihr kulminiert eine paulinische Impulse schöpferisch aufnehmende eminente Denkleistung. Deren Gültigkeit hängt nicht daran, ob sie sich an formalen Autoritäten zu legitimieren vermag, sondern sie entscheidet sich an ihrer lebensdeutenden und -orientierenden Plausibilität. Grundsätzlich bestreitet Luther das von der Normaltheologie vor­ ausgesetzte Konvergenzverhältnis zwischen dem Willen Gottes und dem des Menschen. Gott will vom Menschen den reinen, selbstlos gehorchenden und vertrauenden Liebesgehorsam. Der Mensch als Sünder will zuerst und zuletzt in Zeit und Ewigkeit sich selbst, und alles außer ihm, Gott eingeschlossen, will er lediglich als Mittel zur Durchsetzung seiner selbst. So lebt jeder Mensch als Sünder von Natur aus und von Geburt an zunächst einmal in tiefster Willensentzweiung mit Gott, und diese Willensentzweiung ist nur desto tiefer, je mehr sie von der Illusion der Übereinstimmung verdeckt ist. Der Glaube an Gottes Existenz, an seine Selbstmitteilung in der Schöpfung etc. ändert daran rein gar nichts, sondern er wird vom »natürlichen« Menschen in das umfassende Konzept seiner Selbstdurchsetzung und Selbstsicherung integriert. Der Normaltheologie seiner Zeitgenossen wirft Luther vor, dass sie das gesamte rechtgläubige Sprach- und Vorstellungssystem in den Dienst dieser abgründigen Verkehrung stelle. Aus alledem folgt: Gott kann beim »natürlichen« Menschen nicht anknüpfend und verstärkend an eine in sich grundsätzlich richtige Willenseinstellung appellieren, sondern er muss zunächst einmal das Geflecht aus illusorischem Selbst- und Gottesbewusstsein zerstören: Gott offenbart seinen Zorn über die Sünde, und zwar am Kreuze Jesu Christi.

110  Kirchengeschichte Auch hier ist jedoch zu beachten, dass es sich nicht um einen äußerlich-objektiven Sachverhalt handelt: Das Kreuz Christi erschließt sich in dieser seiner Bedeutung allein demjenigen, der den dort waltenden Zorn Gottes als ihm selbst geltend erleidet, sich also in seinem natürlichen Selbstsein als ganz und gar von Gott verneint erfährt. Auch die Selbstbekundung von Gottes Zorn ist nicht zu verstehen als eine Art Appell, der den Adressaten vor die Wahl zwischen Zustimmung und Ablehnung stellt. Vielmehr greift sie auf den Menschen als eine durch überwältigende Plausibilität überzeugende Deutung seiner selbst zu, und sie wird deshalb vom Menschen angeeignet, obwohl sie ihn zutiefst verneint. Im Ergriffenwerden durch sie zerfällt das »natürliche« Selbstverständnis des Menschen. Diese Selbsterkenntnis und Selbsterfahrung sub specie Dei bzw. sub specie crucis ist nun jedoch keine dem Menschen gewährte Möglichkeit oder gestellte Aufgabe, sondern in ihr handelt Gott selbst in souveräner Vollmacht am Menschen, und zwar in seinem Wort an und in dessen wachem Bewusstsein, welchem dadurch eine Umstimmung / Neubestimmung zuteilwird. Dieses Identifiziertwerden als vom Zorne Gottes Getroffener im und am wachen Bewusstsein widerfährt dem Menschen als sich an ihm ereignende, ihn überwältigende Plausibilität, und indem es ihm dergestalt geschieht, dass er vom Wort identifiziert wird, wird er zum Glaubenden: Das ist kein Akt menschlicher Freiheit, die vor die Wahl gestellt wäre, ihn zu erbringen oder zu verweigern, sondern Gottes Werk, das er an Menschen seiner Gnadenwahl tut und den anderen verweigert. Wie neuartig dieses Verständnis des Glaubens war, zeigt sich auch daran, dass Luther um seinetwillen eine Umstellung der anthropologischen Begriffe in Angriff nehmen musste. Als Ort, an dem Gott auf den Menschen zugreift, bestimmte er das Gewissen. Damit unterwarf er diesen Begriff mit seiner reichen Vorgeschichte einer tief eingreifenden Transformation. Hatte er zuvor die bildungsfähige und -bedürftige kategoriale Ausstattung gemeint, welche den Menschen dazu in Stand setzt, sich über seinen Standort und seinen Weg im göttlichen Bedingungsgefüge Klarheit zu verschaffen, so versteht Luther unter Gewissen diejenige Stelle im menschlichen Bewusstsein, an der Gott sich worthaft seiner bemächtigt (Hirsch 1954). So verstanden und von allen naiven oder böswilligen Missdeutungen unterschieden, ist Karl Holls Rede von Luthers »Gewissensreligion« (Holl 1917) unüberbotene Treffsicherheit und Präzision zu bescheinigen.

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4.3.  Glaube und Buße In kirchen- und frömmigkeitsgeschichtlicher Hinsicht gewann Luthers theologische Neuorientierung ihre erste Gestalt als Neuverständnis des Bußverfahrens / Bußsakraments: Spätmittelalterliche Normaltheologie fordert vom Pönitenten Reue über seine Sünde(n) als Voraussetzung dafür, dass ihm im Absolutionswort Erlass der ewigen Sündenschuld bzw. die Wiedereingießung der heiligmachenden Gnade widerfahren kann; über die Art bzw. den notwendigen Grad dieser Reue stritten die theologischen Schulen. Auch Luther spricht hier von einer Bewegung in und an der wachen, bewussten menschlichen Subjektivität, allerdings nicht von einem Akt menschlicher Selbstbestimmung auf der Grundlage der Wahlfreiheit, sondern von einer Bestimmtheit des Gewissens, die allein als Widerschein von Gottes Handeln in Betracht kommt. Und Gottes Handeln ist seinerseits als am wachen Bewusstsein geschehend verstanden, also als worthaft. Rein formal ist also deutlich eine Kontinuität zur scholastischen Rede von der Gnadeneingießung und der menschlichen Disposition zu erkennen. Allerdings ist innerhalb der Kontinuität die Neubestimmung der Faktoren grundstürzend und grundlegend zugleich: Gott selbst vollzieht in souveräner Alleinwirksamkeit die Disposition wie die Eingießung, und bei der Disposition wie bei der Gnadeneingießung handelt es sich um worthafte Vorgänge, welche der Mensch im und am wachen Bewusstsein erfährt. Gott allein ist es, der aktiv-vollmächtig am Menschen handelt: Er tötet ihn, um ihn lebendig zu machen; er tut am Menschen sein fremdes Werk, um ihn für sein eigentliches Werk zu bereiten. Damit sind Gotteserfahrung und menschliche Selbsterfahrung streng aufeinander bezogen, und zwar immer in polaren, dialektisch widereinander sich spannenden Bewegungen. Der Glaube steht auf dieser Etappe von Luthers Denkweg für das Bewegtwerden des Menschen durch Gottes fremdes und eigenes Werk, sein Töten und Lebendigmachen insgesamt. Der Mensch, über den im Glauben Gottes Verdammungsurteil im sich ihm mitteilenden Wort ergeht, erleidet eine grundstürzende und grundlegende Transformation seines Selbst- und Gottesverständnisses. Er sieht und versteht sich selbst im Zorn Gottes als Sünder, und in dieser Selbstsicht wird er dabei auf die Seite Gottes gestellt, dem er im Verdammungsurteil wider sich selbst recht gibt – all das eben als Akt des Glaubens, der durch das ihn treffende Wort in ihm geschaffen und erhalten wird. Indem dem Menschen auf diese Weise im Glauben Gottes Urteil

112  Kirchengeschichte über sich zugeeignet wird, erschließt sich ihm zugleich eine weitere Bedeutungsdimension des Kreuzes Christi in neuartiger Weise: Im Geschick des sündlosen Gottessohnes wirkt ja nicht allein der Zorn Gottes, sondern vielmehr sein schöpferischer Gnadenwille, der dem Menschen um des Verdienstes Christi willen die Sündenvergebung und die Erlösung zusagt, und zwar im Glauben und für den Glauben. Die Anteilgabe an der Erlösung erfolgt im Modus der Verheißung, und diese Verheißung ist bedingt: Sie gilt demjenigen, der glaubt, also passiv die Transformation seines Bewusstseins erleidet. Die Erfüllung dieser Bedingung ist jedoch in gar keiner Weise dem wählenden Willensratschluss anheimgestellt, sondern sie vollzieht sich im worthaft-schöpferischen Wirken Gottes am Menschen. Es ist deutlich, dass sich Luther mit diesen »exegetisch« entwickelten Überlegungen ganz im Bereich spätmittelalterlicher Bußfrömmigkeit in ihrer mönchisch-radikalen Zuspitzung bewegt. Die Mönchsexistenz als Ganze ist ja der Einsatz aller Lebensenergie für die Disposition zum Empfang der heilig machenden Gnade, und mit ihrem willentlichen Verzicht auf die elementaren Vollzüge menschlicher Selbstbestimmung (Armut, Keuschheit, Gehorsam) ist sie demjenigen, der in der Gnade steht, ein insgesamt verdienstliches Bußwerk. Hiervon ist nun noch einmal zu unterscheiden der sakramentale Akt der Buße. Hier geht es eigentlich nicht um eine lebensgeschichtlich identifizierbare Zeitstrecke, sondern allein um das punctum mathematicum, welches zwei solche Zeitstrecken ohne eigene Ausdehnung zugleich voneinander scheidet und miteinander verbindet, und genau hierauf fokussiert sich die gesamte Mannigfaltigkeit hoch- und spätmittelalterlicher Rechtfertigungstheorien. In Luthers früher Theologie sind hier zwei tief eingreifende Modifikationen zu notieren: Einmal: Gott selbst wird in seinem Wort als der allein und souverän Handelnde erfasst; der Mensch kommt nur als Subjekt dessen in Betracht, was Emanuel Hirsch (Hirsch 1963: passim) in einer wirklich kongenialen Formulierung als »bejahtes Gotterleiden« bezeichnet hat. Sodann: Das, was Luther hier über das Handeln Gottes am Menschen aussagt, will nicht nur jenes punctum mathematicum zwischen zwei Zeitstrecken bezeichnen, sondern dieses zunächst vergleichsweise abstrakt entfaltete Widereinander und Wechselspiel der Bewegungen und der Perspektiven will die innerliche Dramatik christlichen Lebens überhaupt auf den Begriff bringen, also eine Struktur, welche sich in der unüberschaubaren Mannigfaltigkeit konkret-einmaliger menschlicher Lebensgeschichten entfaltet: Die »Rechtferti-

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gungslehre« wird also schon hier, auf einer Stufe ihrer Neubildung vor ihrem reformatorischen Wirksamwerden, aus einer Metatheorie des Bußsakraments zu einer umfassenden Theorie christlichen Lebens. Dass die hierarchisch-rituellen Zusammenhänge des Bußsakraments hier transzendiert werden und sich neue Dimensionen der Selbstwahrnehmung und -deutung religiöser Innerlichkeit eröffnen, gibt immer wieder Anlass zu der Vermutung, dass Luther sich hier im Fahrwasser der Mystik bewege. Dieser Schein trügt allerdings. Deren unterschiedliche Spielarten kommen ja darin überein, dass sie die ek­ statische Prolepse der vollendeten Erlösung an einen Schritt über die geschichtlich-kommunikativen Heilsmittel wie Bibelwort und Sakramente hinaus knüpfen: In der Dominikanischen Mystik eines Meister Eckart und seiner popularisierenden Nachfolger liegt das auf der Hand, aber auch in der Jesus-Mystik, wie sie ihren Klassiker in Bernhard von Clairvaux hatte, bildet die alle Anschauung hinter sich lassende Vereinigung mit der göttlichen Natur Christi das Ziel, der Umgang mit dem Menschen Jesus nur eine Etappe des Weges dorthin. Der Glaube, der es mit dem geschichtlich von Gott gesetzten Gefüge von Bedingungen zu tun hat, war ja immer auf die ihn überschreitende Liebe hin geöffnet. Das ist nun bei Luther anders: Es ist der Glaube selbst, in welchem und durch welchen Gott selbst in Jesus Christus jeden Christenmenschen ergreift, und es sind die geschichtlichen Heilsmittel, in denen und durch die der Einzelne den Zugriff Gottes auf sich erfährt und erleidet. Anders als die unterschiedlichen Spielarten der Mystik will die reformatorische Rede vom Glauben auch nicht allein Lebensmöglichkeiten asketisch-monastischer Elitechristen bezeichnen, sondern klären, was jedem Christen widerfährt. Dieses Neuverständnis der Buße ist auch in Luthers erster Ablassthese vom Herbst 1517 wirksam: »Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: ›Tuet Buße‹ etc., da wollte er, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein solle« (WA 1, 233). Gottes in der Buße und im Glauben erlittenes Handeln am Gewissen ist das, was den Christen zum Christen macht. Im Zuge des Streits um die Buße, in den die Ablasskontroverse überging, hat Luther sein Gesamtverständnis von Gottes Handeln am Menschen erheblich präzisiert. Die Notate zur Römerbrief-Vorlesung setzen implizit voraus, dass im Prozess der religiösen Kommunikation und Reflexion, welcher das Leben eines Mönches erfüllt, der Übergang von der Gerichtserfahrung zur Annahme der Gnaden- und Erlösungsverheißung fließend

114  Kirchengeschichte verläuft. Mit »Evangelium« kann Luther Gottes Töten und sein Lebendigmachen bezeichnen, und der eigentliche Umschwung, in dem die Gerichtserfahrung in den Vergebungsglauben übergeht, ist noch klärungsbedürftig. Die Resolutiones (Erläuterungen) zu den Ablassthesen (1518) führen hier weiter: Luther stellt sich die Frage, wie genau sich der Umschwung von der Gerichtserfahrung zum Heilsvertrauen ereignet, m. a. W.: Wie kommt es dazu, dass der Mensch, der sich als in der Buße von Gott restlos verneint erfährt, dessen innewird, dass ihm eben hierin die – wie Luther fast schon travestierend sagt – »Gnade eingegossen« wird? »Er meint ja, dass ihm nicht etwa die Gnade eingegossen wird, sondern dass Gottes Zorn sich über ihn ergießt« (WA 1, 540)? »Solange diese elende Verwirrung seines Gewissens andauert, hat er weder Frieden noch Trost – es sei denn, er nimmt Zuflucht zur Vollmacht der Kirche, legt sein Elend und seine Sünden durch das Bekenntnis offen und erbittet Trost und Hilfe. Er kann sich nämlich weder durch eigenen Rat noch durch eigene Hilfe Ruhe verschaffen, vielmehr würde er am Ende durch Traurigkeit in Verzweiflung versinken. Wenn der Priester hier die Demut und Reue sieht, dann soll er annehmen, dass vollständiges Vertrauen zu seiner Lösegewalt vorliegt, und er soll lösen, die Lossprechung feierlich erklären, und ihm so Gewissensfrieden schenken« (ebd.). Es ist deutlich: Luther nimmt hier die sakramentale Beichte auf – die hat ja herkömmlicherweise ihren religiösen Wert als disponierende Leistung, und zwar darin, dass sie ehrlich und nach Kräften vollständig ist und deshalb den, welcher sie ablegt, hinlänglich auf den Empfang der Gnade im Absolutionswort disponiert. Diesen rituellen Vollzug setzt Luther als bestehend voraus. Aber er entkernt ihn gleichsam, und die Hülle füllt er mit einem gänzlich neuartigen Inhalt: Der Priester konstatiert, dass der Büßer von Reue heimgesucht wird. Er erkennt darin Gottes heilsames Wirken an ihm und spricht ihn los, d. h. er vollzieht für ihn eine Deutungsleistung, die dieser selbst für sich nicht zu erbringen vermag – er macht ihm klar, dass Gott an ihm sein fremdes Werk tut, um sein eigenes tun zu können, dass Gott ihn tötet, um ihn lebendig zu machen. Er richtet damit dem Sünder ganz unselbstständig Gottes eigenes Wort aus. Dem Sünder wird im Glauben, den das Wort in ihm entzündet, das an und in ihm sich vollziehende Geschehen einsichtig und durchsichtig: »Der Loszusprechende hüte sich mit aller Macht vor dem Zweifel daran, dass ihm seine Sünden bei Gott vergeben sind, er soll in seinem Herzen ruhig sein. Auch, wenn er wegen der Verwirrung

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seines Gewissens in Unruhe schwebt – so soll es ja sein, wenn die Reue echt ist – dann soll er im Urteil des anderen festen Stand gewinnen, und zwar nicht wegen seines geistlichen Ranges oder irgendeiner Vollmacht seinerseits, sondern wegen des Wortes Jesu Christi, der ja nicht lügen kann, wenn er sagt: Was immer ihr auf Erden lösen werdet [Mt 16,19]. Der Glaube an dieses Wort nämlich schafft den Gewissensfrieden, sofern der Priester ihm gemäß losgesprochen hat« (WA 1, 540 f.). Der Grund für den Gewissensfrieden liegt nicht in der Person des Büßers und ihrer, sei es auch durch Wort bzw. Gnade modifizierten, Verfassung, sondern außerhalb seiner, in Jesus Christus, der um seinetwillen den Zorn Gottes erlitten hat und ihm durch sein Wort zusagt, dass sein eigenes Leiden sich um seinetwillen, des je einzelnen Büßers willen ereignet hat und ihm zugutekommt: »Wer aber den Frieden auf anderem Wege sucht, nämlich innerlich durch Erfahrung, der versucht offenkundig Gott [vgl. Mt 4,7; M. O.] und will den Frieden objektiv in sich selbst und nicht außerhalb seiner selbst im Glauben haben. Unser Friede ist nämlich Christus [Eph 2,4], aber im Glauben« (ebd.). Etwas eher schon konnte Luther formulieren: »Es rechtfertigt nämlich nichts als allein der Glaube an Christus, zu welchem der Dienst am Wort durch den Priester notwendig ist« (WA 1, 633, Th. 33). Der Glaube bleibt also auch in seinem reformatorischen Neuverständnis wesentlich kontrafaktisch. Seine Kontrafaktizität liegt hier allerdings nicht darin, dass er wider den Augenschein der Alltagserfahrung eine von Gott gesetzte und verbürgte Heilsordnung als gültig und wirksam anerkennt und somit zu einem ihr gemäßen Verhalten motiviert. Im reformatorischen Verständnis glaubt der Mensch dem göttlichen Urteil um Christi willen, das ihn gerecht spricht, obwohl er sich selbst im Lichte des in seiner ganzen Tiefe sich ihm erschließenden Gesetzes als Sünder wahrnimmt. Es ist dieser Glaube gegen den Augenschein (Von den Guten Werken, WA 6, 208 f.), der den Christen mit Christus vereinigt wie die Braut mit dem Bräutigam (Von der Freiheit eines Christenmenschen, WA 7, 25). Für die seelischen Erscheinungsformen dieses Ergriffenseins bzw. Ergriffenwerdens durch Christus benutzt Luther seit seinen Anfängen gern Ausdrücke, die in der ethisch-seelsorgerlichen Terminologie seiner Zeit eindeutig negativ besetzt sind: Dem Glauben eignet Verwegenheit (audacia), Trotz / Halsstarrigkeit (pertinacia), ja, Hochmut (superbia)! Und diese elementare, publizistisch natürlich außerordentlich wirkungsvolle Lust an der paradoxen, den herkömmlichen Sprachgebrauch travestierenden Formulierung ist es auch, die ihn motiviert, in Aufnahme herkömmlicher katechetischer Redeweise

116  Kirchengeschichte den Glauben als das »erste und hochste aller edlist gut werck« (Von den Guten Werken, WA 6, 204, s. o. zu Augustin) zu bezeichnen – gerade deshalb, weil mit der inhaltlichen Neubestimmung des Glaubens nicht nur dessen Wertung als Werk verneint ist, sondern die gesamte am Verdienstbegriff orientierte Logik der guten, weil verdienstlichen Werke, denn: Christus ist nicht gekommen, »um uns bloß darüber zu belehren, wie man gut lebt. Sondern er hat das getan, damit er selbst in uns lebe und regiere und unser Herr sei, der in uns alle unsere Werke tut, was allein durch den Glauben an ihn geschieht« (Gegen Ambrosius Catharinus, WA 7, 726 f.). Der so verstandene Glaube bedarf keiner Überformung durch die Liebe, sondern er ist in sich selbst Liebe, die in freier Selbstvergessenheit dem Nächsten ihrerseits zum Christus werden will (vgl. Von der Freiheit eines Christenmenschen, WA 7, 35 f.), er ist den Menschen innerlich transformierende und nach außen hin in Tätigkeit setzende Dynamik: »Aber glawb ist eyn gotlich werck ynn uns, das uns wandelt und new gepirt aus Gott, Johan. 1. und todtet den allten Adam, macht uns gantz ander menschen von hertz, mut, synn, und allen krefften, und bringet den heyligen geyst mit sich, O es ist eyn lebendig, schefftig, thettig, mechtig ding um den glawben, das unmuglich ist, das er nicht on unterlas solt gutts wircken, Er fraget auch nicht, ob gutte werck zu thun sind, sondern ehe man fragt, hat er sie than, und ist ymer im thun« (Vorrede zum Römerbrief, WA DB 7, 10 [1522]).

4.4.  Geschichtlicher Glaube Vorbemerkung.  Das reformatorische Neuverständnis des Glaubens ist darin von allen Spielarten mittelalterlicher Mystik unterschieden, dass es den Christen nicht in eine Sphäre der übergeschichtlichen Unmittelbarkeit führt, sondern ihn gerade an die herkömmlichen geschichtlichen Heilsmittel verweist und bindet: Die Schrift bzw. die Predigt und die Sakramente. Wie am Bußverfahren gezeigt, heißt das im Gegenzug, dass die geschichtlich gewachsenen Institutionen der kirchlichen Kommunikation kritisch gesichtet und inhaltlich durchgreifend neu bestimmt wurden: Von sieben Sakramenten verfielen fünf der Kritik, unter ihnen das Bußsakrament – trotz oder wegen seiner herausragenden Bedeutung als Entdeckungs- und primärer Explikationskontext des reformatorischen Christentumsverständnisses. Da die großen Reformationskirchen gegen den Einspruch des Täufertums an der Säuglingstaufe mit allen ihren Implikationen für das Wesen und die Aufgaben der sichtbar-verfassten Kirche festhielten, fielen hier die Ver-

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änderungen für oberflächliches Hinsehen gering aus; Formulierungen wie Confessio Augustana IX trugen bewusst dazu bei, ungebrochene Kontinuität zu suggerieren: »Von der Taufe wird gelehrt, daß sie nötig sei und daß dadurch Gnade angeboten werde, daß man auch die Kinder taufen soll, welche durch solche Taufe Gott überantwortet und gefällig werden. Deshalb werden die Wiedertaufer verworfen, welche lehren, daß die Kindertaufe nicht recht sei.« Die Messe / Eucharistie hingegen wurde in den Reformationskirchen durchgreifend neu- und umgestaltet. Nach Maßgabe der in sich wieder unterschiedlichen konstruktiven Leitintentionen entstanden neuartige liturgische Rituale, in denen ausgewählte Bestandteile des katholischen Zentralsakraments Verwendung fanden. Der kanonische Bestand der Heiligen Schrift wurde nur an den Rändern strittig. Aber in den Reformationskirchen wurde ihr eine gänzlich neuartige Stellung im kirchlichen Autoritätengefüge angewiesen, und sie wurde in ebenfalls völlig neuartiger Weise als Medium der den Glauben begründenden Selbstvergegenwärtigung Jesu Christi verstanden. Die Schrift und die neu verstandenen Sakramente werden miteinander und mit dem geschwisterlichen Gespräch als Medien dem einen in ihnen allen sich selbst vergegenwärtigenden Evangelium zugeordnet, welches den Glauben hervorbringt (Schmalkaldische Artikel III,4). Die Schrift als Urkunde des Glaubens.  Nach katholischem Verständnis ist die Schrift die ätiologische Urkunde der Kirche, an der diese zugleich die Beglaubigung ihrer Autorität und ihrer Heilsbedeutung hat. Nach reformatorischem Verständnis ist die Schrift primär das Dokument der lebendigen Anrede Gottes, die an Menschen aller Zeiten und Zonen ergeht. Ihr produktives Sinnzentrum ist das Zeugnis von Christi Wort, Weg und Werk. Wenn Luther es mit der Abbreviatur »Wort« belegt, dann verfolgt er damit jedoch nicht die Absicht, es in die abstrakte Unanschaulichkeit eines »Kerygma« zu verdünnen, sondern er hebt so den Anredecharakter auch und gerade der erzählenden Texte hervor. In ihnen macht Jesus Christus sich selbst mit dem Hörer / Leser gleichzeitig: »Wenn du nun das Evangelienbuch aufschlägst und liest oder hörst, wie Christus hierhin oder dahin kommt oder wie jemand zu ihm gebracht wird, dann sollst du dadurch die Predigt oder das Evangelium vernehmen, durch welche er zu dir kommt oder du zu ihm gebracht wirst. Denn in der Predigt des Evangeliums geschieht nichts sonst, als

118  Kirchengeschichte dass Christus zu uns kommt oder dass wir zu Christus gebracht werden. Wenn du aber siehst, wie er wirkt und jedermann hilft, der zu ihm kommt oder zu ihm gebracht wird, dann sollst du wissen, dass genau dasselbe der Glaube in dir bewirkt und er deiner Seele dieselbe Hilfe und Güte durch das Evangelium anbietet. Wenn du hier stillhältst und dir wohl tun lässt, d. h., wenn du glaubst, dass er dir wohltut und hilft, so hast du es gewiß, so ist Christus dein und dir als Gabe geschenkt. Danach ist es notwendig, daß du ein Exempel daraus machst und deinem Nächsten genauso hilfst, denn du bist auch ihm als Gabe und Exempel gegeben« (Ein klein Unterricht, WA 10,I,1, 13 f. [1522]). Die Schrift als Gesetz und Evangelium: Das Evangelium spricht den Menschen immer darauf an, dass er schon in einem Lebensverhältnis zu Gott steht. Luther setzte es als kulturelle Selbstverständlichkeit voraus, dass ein Mensch seiner Zeit glaubte / wusste, dass die Bibel zuverlässig über Gott als den Schöpfer, Herrn und Vollender der Welt Auskunft gibt, dass sie über des Menschen Herkunft und Zukunft Aufschluss bietet und ihm vollauf überzeugend Lohn für gelingendes und Strafe für misslingendes Leben vor Augen stellt – die Basisnormen hierfür sind ohnehin seinem Gewissen unauslöschlich eingestiftet. Allein: Dieses dem Menschen als Sünder naturhaft immer schon selbstverständliche Gottesverhältnis ist ganz und gar gesetzlich geprägt: Der Mensch will für sich etwas von Gott, und um das zu erreichen, erbringt er zweckhaft religiöse und ethisch-moralische Leistungen, die jedoch letztlich seine tiefe Entzweiung mit Gott lediglich vertiefen. Aus diesem trügerischen Gleichgewicht muss der Mensch zunächst einmal durchgreifend und nachhaltig aufgestört werden, und zwar dadurch, dass ihm die göttliche Forderung der reinen, rückhaltlosen Willenshingabe ins Gewissen gesenkt wird. Das Gesetz, welches dem Menschen immer schon plausibel ist, muss sich in seiner ganzen Schärfe zunächst gegen den Menschen wenden, um ihn für das Evangelium verständnisfähig zu machen. So zeigt sich hier, dass der reformatorische Begriff des Glaubens immer zwieschichtig ist: Er bezeichnet bestimmte kulturell allgemeingültige Wahrheitsüberzeugungen, die letztlich alle miteinander in den Bereich des Gesetzes gehören, welches im irdisch sozialen Leben notdürftig für Ordnung sorgt (erster Gebrauch des Gesetzes). Der Glaube im eigentlich evangelischen Sinne kann nur entstehen, wenn Gott mittels dieses Gesetzes den Menschen seines unüberwindlichen Sünderseins innewerden lässt und ihn in die Buße treibt (zweiter Gebrauch des Gesetzes): Diese Buße führt ihn ohne das Vergebungswort des Evangeliums in die Verzweiflung, aber das Ver-

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gebungswort des Evangeliums kann nur dort den ihm allein gemäßen Glauben schaffen bzw. finden, wo das gepredigte, d. h. in der ganzen vernichtenden Schärfe seines Totalitätsanspruchs den Menschen im Gewissen verstörende Gesetz (Schloemann 1961) ihm den Weg bereitet. So ist der Glaube an das Evangelium auch als Vertrauen auf Gottes sich durchsetzende schöpferische Barmherzigkeit und Liebe keine einfache, in sich konstante Grundlage religiöser Selbstdeutung, sondern wie das Evangelium das Gesetz zu seiner sachlich notwendigen Voraussetzung hat, so kann der Glaube immer nur in der Buße bestehen: Der Glaube ist immerdar ein Neuanfang, denn der Mensch bleibt lebenslang Sünder und damit dem ihn anklagenden, ja tötenden Gesetz unterworfen. Seine Erlösung ist im Erdenleben sein Mitsterben mit Jesus Christus, das seine Vollendung im Auferstehen mit ihm erst jenseits der Todesgrenze findet. Gottes Handeln am Gewissen, welches den Glauben schenkt, ist in sich dialektisch verfasst, und genau diese Dialektik von Gottes Handeln bezeugt die Schrift, wenn und sofern sie als Dokument von Gottes lebendiger Anrede in Gesetz und Evangelium verstanden wird. Der inneren Dialektik von Gottes worthaftem Wirken in Gesetz und Evangelium entspricht exakt die Auffassung des gelebten Glaubens als Umkehr, als Buße, als immer neu geschehende Überwindung seines Widerspiels. Dass damit dem reformatorischen Glaubensverständnis zutiefst seine Genese in einer tiefstmöglich eingreifenden Wende des Gottes- und Selbstverständnisses eingeschrieben ist (vgl. Luthers Lied EG 341), verbindet es bei allen sachlichen Differenzen mit dem paulinischen, aber auch dem Augustins. Taufe, Glaube und Freiheit.  Die Taufe figuriert in der mittelalterlichen Normaltheologie als rituell-sakramentale Ersteingießung der heiligmachenden Gnade in die Seele. Dem reformatorischen Verständnis erschließt sie sich als ein für alle Mal gültige schöpferische Anrede, die dem Menschen die Sündenvergebung zusagt und zu ihrer Ratifikation allein des Glaubens bedarf, den Luther auch hier mit spürbarer Lust an der Travestie als »Werk« bezeichnet, um, mit Augustin-Reminiszenzen spielend, fortzufahren: »Durch dieses allein wirst du gerettet werden, auch wenn du zwangsweise von allen anderen abgehalten wirst. Er ist nämlich Gottes und nicht des Menschen Werk, wie Paulus lehrt. Alle anderen Werke tut er mit uns und durch uns, nur dieses eine tut er in uns und ohne uns« (De captivitate, WA 6, 530; vgl. z. B. Augustin, Sermones 120,11).

120  Kirchengeschichte Nach katholischem Verständnis ist das in der Taufe übereignete Heilsgut höchst fragil – bei der ersten Todsünde geht die Gnade verloren und muss durch das Bußsakrament neu eingegossen werden. Was die Taufe dem Menschen hingegen unauslöschlich aufprägt, ist die Pflicht des Gehorsams gegen die Lehr- und Disziplinargewalt der Kirche, also im Kern die Pflicht des Glaubens, verstanden als fides implicita. Genau das kehrt sich im reformatorischen Verständnis um: Der Heilsgehalt der Taufe wird dem Menschen unwiderruflich zugeeignet, die Buße ist nichts weiter als »Rückkehr zur Taufe« (De captivitate, WA 6, 528), und deswegen hat Luther seit dem Ende der Arbeit an der Schrift von der Babylonischen Gefangenschaft der Beichtbuße den Rang eines Sakraments abgesprochen. Und weil und sofern in der worthaft verstandenen Taufe und im Glauben Gott selbst auf des Menschen Gewissen zugreift, kann die verfasste Kirche als irdische Organisation nicht beanspruchen, dem Menschen mit der Vollmacht Gottes gegenüberzutreten, sondern sie hat im Gewissensbereich dessen Freiheit zu respektieren, die nichts weiter ist als die der Welt und dem Mitmenschen zugewandte Seite seiner Glaubensbindung an Gott: »Deshalb sage ich: Weder der Papst noch ein Bischof noch irgendein Mensch hat das Recht, einem Christenmenschen auch nur eine Silbe aufzuerlegen, wenn es nicht mit dessen Zustimmung geschieht« (De captivitate, WA 6, 536). Die organisierte Kirche hat damit neben der weltlichen Obrigkeit und dem Recht ihren Platz in Gottes Regiment zur Linken; es liegt zutiefst in Luthers Fassung des Glaubensbegriffs begründet, dass eine Auffassung seiner Zwei-Reiche / Regimente-Lehre als Geflecht von Aussagen über das Verhältnis von »Kirche und Staat« diese vollständig verzeichnet. Abendmahl und Glaube.  Mit fast schon formelhafter Präzision hat Luther seinen Glaubensbegriff in der Entfaltung seines Abendmahlsverständnisses formuliert: »Weder hat Gott jemals anders am Menschen gehandelt noch handelt er anders an ihm als durch das Wort der Verheißung. Wir wiederum können uns nicht anders zu Gott verhalten als durch den Glauben an sein Wort der Verheißung« (De captivitate, WA 6, 516). Solch ein Verheißungswort par excellence sind die verba testamenti, verstanden als in der Zusage der Sündenvergebung kulminierend: »Wenn sie [die Messe] nämlich, wie gesagt, wesentlich Verheißung ist, dann kommt man nicht zu ihr durch Werke, Kräfte und Verdienste, sondern allein durch den Glauben. Wo nämlich das Wort des verheißenden Gottes ist, dort ist der empfangende Glaube von-

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nöten, damit deutlich wird, dass der Anfang unseres Heils im Glauben liegt, der am Worte des verheißenden Gottes hängt, der ohne Rücksicht auf unser Bemühen uns in seiner geschenkten, unverdienten Barmherzigkeit zuvorkommt und uns das Wort seiner Verheißung darbietet. […] Das Wort Gottes ist das erste überhaupt, ihm folgt der Glaube, dem Glauben die Liebe, und die Liebe tut jedes gute Werk, denn sie tut nichts Böses, sondern ist vielmehr des Gesetzes Erfüllung« (De captivitate, WA 6, 514). Die Assonanzen an gemeinmittelalterliche Redeweisen und Vorstellungen sind frappierend. Ebenso deutlich ist, dass gerade sie Diskontinuitäten markieren. Im Kontext des Altarsakraments ist hier wie dort vom Glauben die Rede – dort allerdings vom Fürwahrhalten der Behauptung, dass sich die Menschwerdung des ewigen Wortes Gottes als Brotwerdung vollziehe, hier vom im Wort selbst geschenkten Glauben an die Zusage der Sündenvergebung, der dem Gewissen den Frieden der Sündenvergebung schenkt. Hier wie dort ist der Glaube mit der Liebe verknüpft. Bezeichnete jedoch dort der Glaube ein religiös und ethisch zunächst indifferentes Zustimmen zu bestimmten Behauptungen, das, um wirksam zu werden, der Belebung durch die Liebe bedarf, so bezeichnet der Glaube hier das Ergriffensein des Einzelnen durch Gott, dessen Lebensgestalt die Liebe ist. Dass Luther in der Reifegestalt seiner Abendmahlslehre in neuer, dezidierter Weise die Realpräsenz Christi nach seiner menschlichen Natur in den Elementen verfocht, ist mitnichten als Rückkehr zur herkömmlichen Lehrform zu werten, sondern hat sein Motiv in Luthers neuartigem Begriff des Glaubens, welcher sich der Selbstvergegenwärtigung Christi verdankt: »Es ist ein Mißverständnis, das auch Kierkegaard nicht überall vermieden hat, als ob wir mit Jesus gleichzeitig werden müßten. Nein, er will es mit uns werden. Wir bleiben an Ort und Stunde gebunden, und er kommt mit seinem Worte und seinem Leben zu uns. […] Nur dann kommt ihm der Herrenname mit Recht zu, wenn er die Macht hat, als ein gegenwärtiger an unserm Gewissen zu handeln. Wo ein lebendiges Herz ist, siehe, da will er auch sein. Ich bin mir bewußt, damit einen Gedanken Luthers aufgenommen zu haben, den man meist als Schrulle behandelt, seine Lehre von der Allgegenwärtigkeit Jesu Christi nach seiner Menschheit. Es ist noch kaum beobachtet und doch wahr: wollte Luther Jesus Christus in seiner Menschheit ernstlich als uns zu Gottes Wort geworden verstehen, dann war er auf diese Lehre hingedrängt. Sie hat also in den Tiefen seines Evangeliums ihre Wurzel« (Hirsch 1926: 60).

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5.  Verfestigungen und beginnende Auflösungen Wenn Luther den Glauben aus der Perspektive des Menschen beschreibt, kommt er als Reflex von Gottes schöpferischem Handeln am religiös-ethischen Bewusstsein des Menschen in den Blick. Gottes Gerechtigkeit ist aktiv, schöpferisch, sich durchsetzend. Der Mensch erleidet dieses alles, vermag es zu erleiden, weil ihm das Vertrauen befohlen ist, dass Gott ihn trotz seiner bleibenden Sünde haben will, ihn zu sich zieht und annimmt. Der Grund hierfür ist das stellvertretende Leiden Christi, in dem Gott selbst mit dem Menschen und für den Menschen seinen eigenen Zorn trägt. An ihm wird deutlich: Gottes richtende Gerechtigkeit, die das Gewissen als seinen Zorn erleidet, ist seiner schöpferischen Liebe dienend zu- und untergeordnet. Das Leiden Christi ist zugleich aber noch einmal der Grund dafür, dass Gott den Menschen trotz seiner Sünde unbeschadet seiner eigenen Wahrhaftigkeit gelten zu lassen vermag: Luther greift paulinische Formeln (z. B. Röm 4,9 f.) auf, die in der spätscholastischen Theologie weitergedacht worden sind, und entwickelt schon früh die Theorie, dass der (passiv empfangene) Glaube an Christus dem Menschen derart angerechnet (imputari) werde, dass dieser seinerseits um des Glaubens willen vor Gott als Gerechter zu gelten vermöge (reputari). Damit ist gewährleistet, dass die authentische Selbstwahrnehmung und Selbstbeurteilung des Menschen als Sünder Bestand hat, und zwar im antinomischen Spannungsverhältnis zu seinem Vertrauen darauf, bei Gott dennoch ohne jede Bedingung durch vorgängige oder nachfolgende Leistung angenommen zu sein. Die Gerechtigkeit, die der Glaube ergreift und aneignet, ist somit nie eigene, selbsterworbene, sondern bleibend fremde, zugesprochene: In mystisch-poetischer Sprache kann Luther das auch in das Bild der Gütergemeinschaft fassen, welche durch die Ehe der Seele mit ihrem Bräutigam Christus entsteht (Von der Freiheit eines Christenmenschen, WA 7, 25 f.). Diese gedankliche Konstruktion will zwei Anliegen erfüllen: Sie will einmal sicherstellen, dass das Heil und die Erlösung dem Menschen ganz und gar geschenkhaft zuteilwerden; sie will gerade den tragenden Zentralbegriff des Glaubens förmlich abriegeln gegen ein Verständnis, gemäß dem dieser ein Eigenbeitrag wäre, welchen der Mensch im Gefüge einer Ordnung von Bedingungen und Hilfen zu leisten hätte. Sie will sodann klarmachen, warum Gottes Gottheit durch die Rechtfertigung allein aus dem Glauben um Christi willen nicht tangiert wird,

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sondern warum, ganz im Gegenteil, gerade der so verstandene Glaube exakt die der Gottheit Gottes (Althaus 1931) gemäße Anerkennung ist, auf welche hin Gott seinerseits den Menschen anerkennt (Von der Freiheit eines Christenmenschen, WA 7, 25). Die schulmäßigen Fassungen der Rechtfertigungslehre, für die Luther selbst so die Grundlagen bereitstellte, welche dann für die Folgezeit maßgeblich von Philipp Melanchthon (vgl. Seeberg 1920) ausreflektiert wurden, waren motiviert von dem Bestreben, gegen abweichende reformatorische Lehrgestalten (Karlstadt, Schwenckfeld, Agricola, Osiander), aber auch und vor allem gegen den altgläubigen Einspruch diese Grundgedanken in eine Fassung zu bringen, welche den Standards wissenschaftlicher Debatten kompatibel war: Das reformatorische Verständnis des Glaubens wurde mit zunehmender Akribie als Lehrstück einer Dogmatik bearbeitet, in welcher das reformatorische Verständnis des Christentums mit dem Begriffsinstrumentarium einer gesamteuropäisch, über politische und konfessionelle Grenzen hinweg sich erneuernden Scholastik sich verständlich zu machen trachtete. Melanchthon unterschied im Glauben drei Stufen. Die erste ist die Kenntnisnahme der »Lehre«, also der biblisch verbürgten Basisaussagen über Gott, die Schöpfung, die Sünde und ihre Folgen, die Erlösung und ihre Aneignung. Summarisch sind also Gesetz und Evangelium Gegenstände der notitia. Sie werden aufgefasst als schulmäßig lehr- und lernbare Gehalte. Geltung haben sie schon vor jedem aneignenden Glauben als biblisch-kirchlich verbürgte weltanschauliche Selbstverständlichkeiten. Es entspannen sich allerdings Debatten über deren hinreichenden Minimalbestand, es trat also die gesamte Problematik der Vermittlung kognitiver »Glaubensinhalte« in neuer Gestalt auf den Plan – und mit ihr widerwillige Anknüpfungen an die einst temperamentvoll verabschiedete (Ritschl 1890) Lehre von der fides implicita (Hoffmann 1903 – 1909). Auf die Kenntnisnahme erfolgt die Zustimmung (assensio), also die verstandesmäßige Bejahung der zur Kenntnis genommenen Lehre: Beweggründe hierfür sind in lebendigem Mit- und Widereinander die Gewissensschrecken über die Sünde und ihre Straffolgen und die zunächst diffuse Hoffnung, durch Jesus Christus dennoch Erlösung zu gelangen. Sie entspricht der fides acquisita bzw. der fides informis, wobei allerdings, gänzlich anders als im vor- und gegenreformatorischen Christentum, sichergestellt werden muss, dass sie keinesfalls, ebensowenig wie die notitia, als verdienstliche Leistung bewertet werden darf. Darin, dass reformatorisch geprägtes Christentum, will es sich nicht um des äußeren Erfolges willen selbst verleugnen, schlechterdings nicht

124  Kirchengeschichte die Option besitzt, gerade den gegen innere Widerstände geleisteten »Glauben« wider den Augenschein als verdienstliches, heilsrelevantes Werk zu empfehlen, dürfte ein schwerlich zu überschätzender Grund für die unterschiedlichen Reaktionen evangelischen und katholischen Christentums auf die Umformungskrise der Neuzeit liegen. Erst recht gilt diese Kautel gegen die Fehlbewertung des Glaubens als eines verdienstlichen Werks für den eigentlich entscheidenden Umschlag der bloßen distanzierten Kenntnisnahme in das existentielle Vertrauen auf die »Heilsbotschaft«, die fiducia: Sie ist Geschenk Gottes in seinem Wort. Hier hat Melanchthon allerdings in folgenreicher Weise der schulmäßigen Psychologie seiner Zeit Tribut gezollt, indem er beim Zustandekommen des Glaubens dem menschlichen Willen eine minimale, aber schlechterdings unentbehrliche Mitwirkung einräumte (»Synergismus«, Formula Concordia II). Der volle Fiduzialglaube eignet sich das Werk Christi an; er befreit den Menschen insofern, als ihm die Sünde, die nach wie vor faktisch in ihm ist und wirkt, nicht mehr angerechnet wird: So rechtfertigt der Glaube den Menschen um Christi willen – nicht als verdienstliches Werk oder Ersatzleistung für verdienstliche Werke, sondern als geschenkhaft empfangene und immer neu anzueignende religiöse Grundkonstitution, die dem Menschen vor aller tathaften Bewährung und auch ganz abgesehen von ihr das Vertrauen schenkt, dass Gott ihm trotz seiner Sünde wohl will. Um keinesfalls die Rechtfertigung von ihren konstatierbaren ethischen Folgewirkungen im Menschen abhängig werden zu lassen, wird die nachfolgende Heiligung von ihr begrifflich streng getrennt: Der Vertrauensglaube empfängt den Heiligen Geist, der im und am Menschen sein Werk tut, indem er ihn erneuert. Mit innerer Notwendigkeit bringt der Glaube also Gute Werke hervor, weil auf ihn hin der Heilige Geist den Menschen ergreift. Diese Werke sind in Wahrheit gut, weil sie nicht im selbstischen Verdienststreben ihre Wurzeln haben, sondern in der selbstlosen Liebe, welche ihr Tätigkeitsfeld in der geschichtlich gegebenen Menschenwelt und ihren gewachsenen Ordnungen hat (Confessio Augustana VI. XX). Diese theoretisch durchreflektierte Fassung des reformatorischen Glaubensbegriffs steht im Zentrum einer Bestimmung des christlichen Glaubens, welche diesen konsequent als authentische, wahrhaftige Selbstdeutung menschlichen Lebens versteht: Gottes Anrede im Gesetz wie im Evangelium meint den je einzelnen Menschen in der ganzen Bestimmtheit seiner einmalig-kontingenten Existenz; Christsein ist nicht das gehorsame Sicheinreihen in ein System kollektiver Absicherungen,

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sondern individuelles Leben, welches seine maßgebliche Deutung und Orientierung aus Gottes worthafter Selbstmitteilung empfängt. Die Kirche ist nicht mehr Heilsanstalt, welcher sich der Einzelne gehorsam ein- und unterordnet, um im Gegenzug an ihren Gnadenschätzen zu partizipieren, die seine Unzulänglichkeiten ausgleichen. Sie wird wesentlich zur Schule, zur Gemeinschaft der Erziehung und der worthaften religiösen Kommunikation, welche den Bildungsprozess des Einzelnen zur religiösen Selbständigkeit des Glaubens in allen Lebensphasen unterstützend begleitet. Gottes Anrede in Gesetz und Evangelium wirft den einzelnen Menschen so ganz auf sich selbst zurück. Aber indem sie das tut, verweist sie ihn zugleich darauf, dass sein Heil, so sehr es sein Heil ist, gänzlich außerhalb seines eigenen Verfügens im Gelingen wie im Versagen liegt. Der Glaube, den das Wort des Evangeliums entzündet und erhält, schenkt die unverbrüchliche Gewissheit um Gottes gnädige, wohlwollende Zuwendung, und zwar gerade deshalb, weil sie im Glauben als schlechterdings von allem menschlichen Tun und Leisten unabhängig erkannt und anerkannt wird. Die Plausibilität dieser Lehrgestalt und der in ihr wirksamen Auffassung des Glaubens beruht auf zwei von ihr wesentlich unterschiedenen Säulen, welche jeweils ihre Verbundenheit mit dem vor-, nicht- und gegenreformatorischen Christentum sowie ihre kategoriale Unterschiedenheit von ihm markieren. Das Bestreben, den Menschen seines Heils gerade so zu vergewissern, dass er selbst zu diesem aktiv nichts beizutragen vermag, spricht primär Menschen an, die, wie Luther selbst, ihren Weg im katholischen System der bedingten Heilsverheißungen und Heilshilfen gesucht und nicht gefunden haben. Die reformatorische Verknüpfung des Evangeliums mit dem vorgeschalteten Gesetz, welche behauptet, dass dieses notwendig in die Verzweiflung führende religiöse Leistungsprinzip die Basiskonfiguration im religiösen Bewusstsein des natürlichen, d. h. von der Erbsünde geprägten Menschen ist, will diesen bleibenden Grundcharakter des Evangeliums als des heilsamen Einspruchs bewahren. Sie will den qualifiziert verstandenen Glauben dabei behaften, dass er nie eine religiös-weltanschauliche Selbstverständlichkeit ist, sondern dass er immer in der Buße lebt, das heißt in der Bewegung weg vom heteronom-gesetzhaften, entfremdeten Gottesverhältnis in die befreiende Wahrheit des Evangeliums hinein. Wenn der religiöse Kontrast zwischen dem antreibenden und anklagenden Gesetz und dem freisprechenden Evangelium verblasst, weil das Bild des gnädigen, schen-

126  Kirchengeschichte kenden Gottes zur religiösen Selbstverständlichkeit wird, dann wird die Rückbindung des Glaubens an die Buße brüchig, und zugleich wird es theoretisch wie praktisch fraglich, inwiefern der Glaube mit innerer Notwendigkeit ein vom Verdienstgedanken freies Ethos der Liebe aus sich heraussetzt. Genau diese Problemkonstellation (Zeller 1962: XIII – LXVI) führte dazu, dass in der Seelsorge- und Predigtliteratur, welche den Pietismus vorbereitete, und dann im Pietismus selbst Akzentverschiebungen geschahen, welche als Ziel der Erlösung die den Menschen gesamthaft erneuernde, ihn in seinem Wollen und Tun mit Gott vereinigende Wiedergeburt hervorhoben und dem Glauben als einer Station auf dem Wege zu diesem Ziel seinen Ort anwiesen (Schmidt 1969). Der »bloße« Glaube ist defizitär, weil er in seiner wesentlichen Kontrafaktizität in Widerspannung zur Selbsterfahrung steht. Erst wenn er sich selber in einer authentischen Lebensgestalt zu erkennen gibt, vermag er sich selbst Wahrhaftigkeit zuzusprechen. Die Frage nach der Wahrheit des Glaubens wird so nach und nach auf dessen Subjekt hinübergeschoben. Eng verwandt hiermit sind die Transformationen, welche die frühe deutsche Aufklärungstheologie am Glaubensbegriff vornahm. Auch hier wurde die Rede von der Heilswirksamkeit des Glaubens nach und nach mit wachsender Folgerichtigkeit dem Primat der Frage nach der wirksamen ethischen Erneuerung des Menschen unterstellt. Der Glaube wird allmählich zur affektiv aufgeladenen und damit ethisch wirksamen Einsicht in die von Jesus Christus gewährleisteten Bedingungen eines guten, gelingenden Lebens. Ein Zeugnis hierfür ist Gellerts mit Motiven aus dem 1. Johannesbrief durchzogenes Gedicht »Der thätige Glaube«. Es setzt ein mit der Charakteristik eines ethisch inaktiven bloßen Glaubens: »Wer Gottes Wort nicht hält, und spricht: /Ich kenne Gott! der trüget; / In solchem ist die Wahrheit nicht, / Die durch den Glauben sieget. / Wer aber sein Wort gläubt und hält, / Der ist von Gott, nicht von der Welt«. Der wahre Glaube erkennt Jesus Christus als den Ermöglichungsgrund eines religiös und ethisch guten, Gott wohlgefälligen Lebens an, und er zieht aus dieser Überzeugung die praktischen Konsequenzen: »Alsdann bin ich Gott angenehm, / Wenn ich Gehorsam übe. / Wer die Gebote hält, in dem / Ist wahrlich Gottes Liebe. / Ein täglich thätig Christenthum, / das ist des Glaubens Frucht und Ruhm« (Gellert 1839: 103 f.). Gleichsam im Rücken dieser allmählichen geistes- und frömmigkeitsgeschichtlichen Verschiebungen bahnten sich allerdings Transformationen an, die auch den so verstandenen, scheinbar auf selbst-

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verständlichen Grundlagen ruhenden Glauben auf ungeahnte Weise fraglich machen sollten.

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3.  Literaturhinweise zum vertiefenden Studium Gößmann, Elisabeth: Glaube und Gotteserkenntnis im Mittelalter (Handbuch der Dogmengeschichte Bd. I, Faszikel 2b), Freiburg u. a. 1971. Hamm, Berndt: Warum wurde für Luther der Glaube zum Zentralbegriff des christlichen Lebens (1998), in: ders., Der frühe Luther, Tübingen 2010, S. 65 – 90. Harnack, Adolf: Geschichte der Lehre von der Seligkeit allein durch den Glauben in der alten Kirche. in: ZThK 1 (1891), 82 – 178. Hirsch, Emanuel: Der Glaube nach evangelischer und römisch-katholischer Anschauung, in: Der römische Katholizismus und das Evangelium, Stuttgart 1931, 61 – 141. Lührmann, Dieter: Art. Glaube, RAC XI, Stuttgart 1981, 48 – 122.

Systematische Theologie

Christiane Tietz

Der Glaube – sein Charakter, seine Nachbar- und Gegenbegriffe aus systematisch-theologischer Perspektive 1.  Glaube und Erkennen, Wissen, Verstehen Glauben und Erkennen stehen in der christlichen Theologie in einem Spannungsverhältnis. Auch wenn sie grundsätzlich zusammengehören (vgl. Joh 6,69; 1Joh 4,16), kann sowohl vom Glauben, der das Verstehen sucht (Anselm von Canterburys »Fides quaerens intellectum«, Proslogion 70), als auch vom Glauben als etwas, das der Vernunft anstößig ist (1Kor 1,23), gesprochen werden. Immer aber ist klar: Glauben ist eine spezifische, von anderen Erkenntnisweisen zu unterscheidende Form des Erkennens, insofern er sich auf etwas richtet, was nicht sichtbar ist (Luther, De servo arbitrio; WA 18, 633,7: »fides est rerum non apparentium«, in Aufnahme von Hebr 11,1). Angesichts dieser Spannung muss aus christlicher Sicht zunächst das Missverständnis abgewiesen werden, es handele sich beim Glauben um eine defizitäre Form des Wissens. Dann schiene man etwas dann glauben zu müssen oder (nur) zu können, wenn man es nicht so recht weiß. Eine solche Unterordnung des Glaubens unter das Wissen begegnet bereits bei Platon. Er unterscheidet die stets wahre Erkenntnis (ἐπιστήμη ἀληθής) vom – dem bloßen Meinen freilich überlegenen – Glauben, der ohne Wissen ist (πίστις ἄνευ τοῦ εἰδέναι) und deshalb wahr oder falsch sein kann (Platon, Gorgias 454 d – e). In der Neuzeit bestimmt Immanuel Kant ähnlich den Glauben als defizitäre Form des Wissens (vgl. Jüngel 2005): »Das Fürwahrhalten […] hat folgende drei Stufen: Meinen, Glauben und Wissen. Meinen ist ein mit Bewußtsein sowohl subjectiv, als objectiv unzureichendes Fürwahrhalten. Ist das letztere nur subjectiv zureichend und wird zu-

134  Systematische Theologie gleich für objectiv unzureichend gehalten, so heißt es Glauben. Endlich heißt das sowohl subjectiv als objectiv zureichende Fürwahrhalten das Wissen.« (Kant, Kritik der reinen Vernunft B 850) Meinen ist die unsicherste Form. Glauben ist mehr als unsicheres Meinen. »Auf ein pures Meinen von einer Erkenntniß kann man etwas zu thun nicht wagen.« (Kant, Wiener Logik 158) Beim Glauben spielt die Vernunft eine Rolle, aber nicht als theoretische, die die Existenz einer Sache erkennt, sondern als praktische. Bestimmte Dinge zu glauben, ist für die Vernunft notwendig im Sinne von Postulaten der praktischen Vernunft. Diese Postulate sind die Freiheit des Menschen, die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele. Nur wer daran glaubt, für den stimmt die aus der Moralität folgende Glückswürdigkeit des Menschen mit seiner Glückseligkeit zusammen. Glauben hat darum »subjective[.] Gründe[.]« (Kant, Kritik der reinen Vernunft B 857) im Gemüt, nämlich in meiner eigenen moralischen Gesinnung. Und insofern hat er die »größte apodictische [d. h. keinen Widerspruch duldende] Gewißheit.« (Kant, Wiener Logik 163) Das Geglaubte wird vom Glaubenden aber nicht als »für jedermann gültig [gehalten] […], so fern er nur Vernunft hat« (Kant, Kritik der reinen Vernunft B 848), weil nicht jedermann die gleiche moralische Gesinnung hat. Die moralische Gesinnung ist eben nur meine. Deshalb kann man noch »nicht einmal sagen: es ist moralisch gewiß, daß ein Gott sei etc.«, sondern nur: »ich bin moralisch gewiß«, dass ein Gott sei (vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft B 857). Glaube ist diese moralische Gewissheit. Weil eine Aussage über Gott nicht in Form eines Wissens, sondern nur in Form eines Glaubens möglich ist, sagt Kant über sein Projekt der Vernunftkritik: »Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben [im Sinne dieser moralischen Gewissheit] Platz zu bekommen […].« (Kant, Kritik der reinen Vernunft B XXX) Auch wenn Kant Recht damit hat, dass der Glaube nicht zu allererst Wissen, sondern subjektive Gewissheit ist (vgl. unten 5.), gehört zu ihm aus christlicher Sicht Universalität. Sie hängt nicht an der subjektiven Gewissheit, sondern an der Universalität des Glaubensgegenstandes (vgl. unten 4.). Anders gesagt: Zur subjektiven Gewissheit des christlichen Glaubens an Gott gehört die Überzeugung, dieser Gott sei der Gott aller Menschen. Kants Philosophie stellt eine grundlegende Herausforderung für eine theologische Bestimmung der erkenntnistheoretischen Dimension des Glaubens in der Moderne dar, hat Kant doch die Möglichkeit einer Erkenntnis der Existenz Gottes fundamental in Abrede gestellt.

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Gegen die Vereinseitigungen des Rationalismus wie des Empirismus seiner Zeit behauptet Kant, dass die Erkenntnis von der Existenz eines Dinges zweierlei bedarf: der sinnlichen Anschauung oder Erfahrung und der diese Anschauung strukturierenden Verstandesbegriffe. Sinnliche Wahrnehmung und Verstand arbeiten bei der Erkenntnis eines Gegenstandes zusammen (vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft B 75). Der Verstand benötigt sinnliche Erfahrung von einem Gegenstand, um von ihm Existenz aussagen zu können; allein durch seinen Begriff von einem Gegenstand (z. B. ein flaches Möbelstück, an dem man sitzen kann, ist ein Tisch) kann der Verstand nicht zur Existenz eines Dinges (z. B. eines Tisches) kommen. »Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm [sc. dem Begriff] herausgehen, um diesem die Existenz zu ertheilen. Bei Gegenständen der Sinne geschieht dieses durch den Zusammenhang mit irgend einer meiner Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen« (Kant, Kritik der reinen Vernunft B 629). Ich muss sinnliche Eindrücke (z. B. etwas Flächiges mit Beinen etc.) haben, die ich mit dem Begriff von einem Tisch in Verbindung bringen kann, um zu erkennen, dass das Etwas, das vor mir steht, ein Tisch ist. Damit ergibt sich aber ein grundlegendes Problem für die Theologie und für ihr Verständnis des Glaubens als Erkenntnis Gottes: Gott ist nach Kant kein Gegenstand möglicher Erfahrung. Er ist kein Gegenstand der Sinne, den ich empirisch wahrnehmen kann. Denn Gott existiert nicht in Raum und Zeit, welches aber die Anschauungsformen sind, unter denen sich sinnliche Erkenntnis vollzieht. Damit ergibt sich: »Vom Übersinnlichen ist, was das spekulative [d. h. das theoretische] Vermögen der Vernunft betrifft, kein Erkenntnis möglich« (Kant, Fortschritte A 55). Kant behauptet damit nicht, dass es Gott nicht gibt. Er behauptet nur, dass wir seine Existenz nicht mit der Vernunft erkennen können – und auch nicht mit der Vernunft widerlegen können. Damit aber steht die Theologie seit Kant vor der Frage, ob sie den Glauben nach wie vor als Erkenntnis denken kann bzw. wo, wenn nicht durch die Vernunft erkennbar, der Glaube seinen anthropologischen Ort hat. Lessing und Hegel verbinden den Glauben enger mit der Vernunft. Gotthold Ephraim Lessing beobachtet zunächst, dass es eine Art des Glaubens gibt, die keine letzte Sicherheit verleiht: »Wir alle glauben, daß ein Alexander gelebt hat, welcher in kurzer Zeit fast ganz Asien besiegte. Aber wer wollte, auf diesen Glauben hin, irgend etwas von großem dauerhaften Belange, dessen Verlust nicht zu ersetzen wäre,

136  Systematische Theologie wagen? […] Ich wahrlich nicht. Ich habe itzt gegen den Alexander und seine Siege nichts einzuwenden: aber es wäre doch möglich, daß sie sich eben so wohl auf ein bloßes Gedicht des Chörilus, welcher den Alexander überall begleitete, gründeten« (Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft 13). Ein Glaube, der sich auf eine nur überlieferte Historizität bezieht, kann das Handeln des Menschen nicht sicher orientieren. Ein orientierender Glaube muss anders beschaffen und vor allem anders begründet sein. Er kann sich nicht auf irgendwelche als historisch behaupteten Wunder oder Übernatürlichkeiten richten. Die Jünger, die jene unmittelbar erlebten, erfuhren sie als »Beweis des Geistes und der Kraft«, für die Menschen heute sind diese Wunder aber nur noch »menschliche[.] Zeugnisse[.] von Geist und Kraft« (ebd. 10 f.). Es besteht eben ein Gewissheitsunterschied zwischen dem, was ich »bei glaubwürdigen Geschichtsschreibern« lese, und dem, »was ich selbst erfahre« (ebd. 12). Als Aufklärungsphilosoph ist Lessing davon überzeugt, dass es »in dem 18ten Jahrhunderte […] keine Wunder mehr gibt« (ebd. 11). Deshalb muss der Glaube anders begründet werden. Der gewisse Glaube richtet sich nicht auf »zufällige Geschichtswahrheiten«, sondern auf »notwendige Vernunftswahrheiten«. Beide sind zu unterscheiden, denn: »zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftswahrheiten nie werden« (ebd. 12, im Original alles kursiv). Glaube richtet sich damit auf etwas, was – weil es vernünftig ist – nicht anders sein kann. Dazu gehört für Lessing die Vorstellung, dass Gott der Schöpfer dieser Welt ist und Gute belohnt wie Böse bestraft. Die Inhalte dieser »natürlichen Religion«, wie dieses Aufklärungskonzept sich nennt, benötigen, weil dem Menschen in seiner Vernunft einsichtig, keine Offenbarung mehr. Mit dieser Bestimmung hat Lessing der christlichen Theologie die Frage aufgegeben, wie sich der christliche Glaube zu den geschichtlichen Ereignissen, von denen in den biblischen Texten berichtet wird, verhält. Lessing seinerseits beantwortet diese Frage so, dass Gott das Volk Israel zur »Erziehung durch unmittelbare sinnliche Strafen und Belohnungen« (Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts § 16) erwählt hat und später, als die Menschheit reifer war, alle Menschen durch Jesus als Erzieher zur Wahrheit führen wollte. Erziehung aber »giebt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst haben könnte: sie giebt ihm das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter.« (ebd. § 4) Die in der Bibel erzählten Ereignisse bringen diese Erkenntnisse schneller und einfacher zu den Menschen, die Inhalte des Glaubens kann der Mensch aber schon durch die Vernunft gewinnen.

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel führt Glauben und Wissen wieder zusammen, womit die Eigenbedeutung des Glaubens aber aufgegeben wird. Glaube ist nicht etwas rein Subjektives, sondern ist Wissen von etwas Objektivem. Glaube ist »die Gewißheit von der objektiven Wahrheit« (Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften § 555) des Glaubensgegenstandes. Weil die objektive Welt eine Form des Geistes und damit rational ist, kann der Glaubensgegenstand philosophisch so durchdrungen werden, dass deutlich wird, inwiefern das Geglaubte vernünftig notwendig ist. Dies führt Hegel beispielsweise für die Menschwerdung Gottes durch, indem er zeigt, wieso Gott hat Mensch werden müssen: Gott als Geist kann sich nur im Anderen seiner selbst, in einem endlichen, leiblichen Wesen als der erkennen, der er ist. Um ganz Geist zu sein, muss er deshalb zu einem konkreten beschränkten Wesen werden. In expliziter Abgrenzung gegenüber diesem vernunftgeleiteten Zugang bei Hegel und Lessing hat Sören Kierkegaard als Gegenstand des Glaubens das Paradox der Menschwerdung benannt. Die paradoxe Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus kann nicht in ihrer Notwendigkeit erwiesen und damit gewusst, sie kann nur geglaubt werden. Glauben hat mit Wissen nichts zu tun: »Kann man aus der Geschichte etwas über Christus zu wissen bekommen? Nein. Warum nicht? Weil es überhaupt kein ›Wissen‹ von ›Christus‹ gibt; er ist das Paradox, des Glaubens Gegenstand, nur da für den Glauben. […] Daß ein einzelner Mensch Gott ist, das heißt, sagt, er sei Gott, ist […] das Ärgernis schlechthin. […] Die Beweise für Christi Gottheit, welche die Schrift anführt: seine Wunder, seine Auferstehung von den Toten, Himmelfahrt, sind auch nur für den Glauben, d. h. sie sind keine ›Beweise‹: sie wollen ja auch nicht beweisen, daß all dies mit der Vernunft übereinstimme, sie wollen umgekehrt gerade beweisen, daß es wider die Vernunft streitet und also ein Gegenstand für den Glauben ist.« (Kierkegaard, Einübung im Christentum XII 24 f.) Jesus Christus ist der einzige Ort in der Geschichte, an dem der unendliche qualitative Unterschied zwischen Gott und Mensch überbrückt ist. Diese Überbrückung ergibt sich aber nicht aus der Natur des Menschen oder Gottes. Weil zwischen Gott und Mensch ein unendlicher qualitativer Unterschied besteht, ist Jesus Christus das Paradox. Wenn der Mensch Jesus Christus begegnet, dann begegnet ihm darum die Möglichkeit des Ärgernisses. Hier ist »der Scheideweg […]. Man biegt von der Möglichkeit des Ärgernisses entweder in das Ärgernis oder in den Glauben; aber man kommt niemals zum Glauben außer von der Möglichkeit des

138  Systematische Theologie Ärgernisses her.« (ebd. XII 78) Das Ärgernis lässt sich mit der Vernunft gerade nicht dialektisch auflösen, wie Hegel meinte. Wie kann der Mensch nach Kierkegaard dann zum Glauben kommen? Es gibt nur einen Weg zum Glauben: Der Mensch muss sich dazu entscheiden zu glauben. Glaube ist eine aktive Wahl, ein Sprung, der Entschluss zu glauben. Im 20. Jahrhundert und in Aufnahme von Kierkegaards Betonung des Glaubens als Entscheidung hat Rudolf Bultmann gleichwohl darauf insistiert, dass der Glaube ein Verstehen ist, insofern es in diesem Glauben durch das Kerygma zu einem neuen Selbst- und Weltverständnis kommt: Der Glaube versteht »Welt und Mensch so […], wie sie wirklich sind« (Bultmann, Wahrheit und Gewißheit 197). Vor allem kommt es im Glauben zu einem neuen Verstehen des jetzigen Augenblicks: »Der Glaube versteht […] das Jetzt aus der Zukunft, d. h. […] als den Augenblick, der durch das göttliche Wort qualifiziert ist […], das ich nur hören, dem ich nur gehorchen kann« (ebd. 203). Im Glauben versteht sich der Mensch aus dem, was er hört, »was ihm von einem Jenseits seiner selbst als Möglichkeit zugesprochen wird und deshalb zukommt« (Jüngel 1990a: 58). In den beschriebenen Auseinandersetzungen um die Erkenntnis-, Verstehens- und Wissensdimension kommt die Einsicht zur Geltung, dass christlicher Glauben stets auch Erkenntnis und Wissen (notitia) ist. In der christlichen Theologie wurde zwar im Geiste negativer Theologie immer wieder auch die Unerkennbarkeit und Unwissbarkeit Gottes betont, so schon beim Kirchenvater Gregor von Nazianz: »Jenseits von allen! Wie anders dürft ich Dich preisen? Wie soll Dich rühmen ein Wort? Denn Du bist jedem Worte unsagbar. Wie soll Dich schauen eine Einsicht? Denn Du bist jeder Einsicht unfaßbar.« (Gregor von Nazianz, Carmen 29, MPG 37, 507 f., Übersetzung Theill-Wunder 1970: 141) Die Betonung einer letzten Unerkennbarkeit Gottes bringt dabei zum Ausdruck, dass Gott der Schöpfer dieser Welt und kein Geschöpf ist; insofern bleibt er für menschliches Erkennen, das den Erkenntnisgegenstand zum Objekt des erkennenden Subjekts zu machen versucht, unverfügbar (vgl. Jüngel 1990a: 45). Diese Einsicht in die erkenntnistheoretische Unverfügbarkeit Gottes darf aber nicht zu der These führen, Gott könne man aus christlicher Perspektive gar nicht erkennen, von ihm könne man gar nichts wissen. »Kein leichtfertiges Reden von Gottes Unerkennbarkeit!« (Bultmann, Theologische Enzyklopädie 51) Denn der christliche Glaube richtet sich auf Jesus Christus und seinen Vater, den Gott Israels, von denen die biblischen Texte

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erzählen und die in der Gemeinde verkündigt werden (vgl. Barth, Die Kirchliche Dogmatik Bd. IV / 1, 851). Deshalb ist der christliche Glaube immer inhaltlich bestimmt. Er ist kein diffuses, unbestimmtes menschliches Grundgefühl vom ganz Anderen, sondern entspringt aus einem und richtet sich auf einen konkreten Inhalt, selbst wenn er darum weiß, dass erst dereinst diese Erkenntnis nicht mehr vermittelt, sondern vollkommen sein wird (vgl. 1Kor 13,12).

2.  Glaube und Gefühl In Abgrenzung zu Hegels Zuordnung des Glaubens zum Wissen und zu Kants Zuordnung des Glaubens zum Tun gesteht Friedrich Schleiermacher dem Glauben einen ganz eigenen Ort im Menschen zu. Religion und Glauben gehören weder in den Bereich des Wissens, d. h. der Metaphysik, noch in den Bereich des Tuns, d. h. der Moral. In frühromantischer Diktion macht Schleiermacher klar: Die Religion »begehrt nicht das Universum seiner Natur nach zu bestimmen und zu erklären wie die Metaphysik, sie begehrt nicht aus Kraft der Freiheit und der göttlichen Willkühr des Menschen es fortzubilden und fertig zu machen wie die Moral. Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Anschauen will sie das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüßen will sie sich in kindlicher Paßivität ergreifen und erfüllen laßen.« (Schleiermacher, Über die Religion 50, 211) Entgegen der von vielen Aufklärern unternommenen Unterordnung des Glaubens unter das, was der Vernunft einsichtig ist, weist Schleiermacher der Religion einen eigenen Erfahrungsbereich zu. Zur Religion gehört »eine eigne Provinz im Gemüthe« (ebd. 37, 204). In der ersten Auflage der Reden Über die Religion beschreibt Schleiermacher dieses religiöse Gemütsvermögen durch das Paar »Anschauung und Gefühl«; in den weiteren Auflagen tritt der Anschauungsbegriff zugunsten des Gefühlsbegriffs zurück. In seiner Glaubenslehre bezeichnet Schleiermacher dieses Gefühl, insofern es kirchlich ist, als »Frömmigkeit« und entfaltet es in einer Theorie menschlichen Selbstbewusstseins: »Die Frömmigkeit, welche die Basis aller kirchlichen Gemeinschaften ausmacht, ist rein für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins« (vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube § 3, Leitsatz, I, 14). Der Inhalt des frommen Gefühls »ist dieses, daß wir uns unsrer

140  Systematische Theologie selbst als schlechthin abhängig […] bewußt sind« (ebd. § 4 Leitsatz, I, 23). Jeder Mensch, so Schleiermachers These, hat ein solches Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit. Es negiert nicht das menschliche Gefühl relativer Freiheit; aber es verdankt sich dem »unser ganzes Dasein begleitende[n], schlechthinnige Freiheit verneinende[n] Selbstbewußtsein« (ebd. § 4.3, I, 28). Dass der Mensch seiner als eines Wesens bewusst ist, das nie ganz frei ist, ist gleichbedeutend damit, dass er sich seiner als eines Wesens bewusst ist, das schlechthin, d. h. grundlegend abhängig ist. Dieses Bewusstsein schlechthinniger Abhängigkeit kann durch unser sinnliches Selbstbewusstsein überlagert sein. Doch ist es stets vorhanden; andernfalls ist die Seele des Menschen krank (vgl. ebd. § 33, I, 177). Der christliche Glaube unterscheidet sich nach Schleiermacher von allen anderen Frömmigkeitsformen darin, dass in ihm »alles […] bezogen wird auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung« (ebd. § 11, Leitsatz, I, 74), die darin besteht, dass Jesus »die Gläubigen in die Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins auf[nimmt]« (ebd. § 100, Leitsatz, II, 90). Hegel hat Schleiermachers Bestimmung des Glaubens als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit fundamental kritisiert: »Soll das Gefühl die Grundbestimmung des Wesens des Menschen ausmachen, so ist er dem Thiere gleichgesetzt, denn das Eigene des Thieres ist es, das, was seine Bestimmung ist, in dem Gefühle zu haben, und dem Gefühle gemäß zu leben. Gründet sich die Religion im Menschen nur auf ein Gefühl, so hat solches richtig keine weitere Bestimmung, als das Gefühl seiner Abhängigkeit zu seyn, und so wäre der Hund der beste Christ, denn er trägt dieses am stärksten in sich, und lebt vornehmlich in diesem Gefühle. Auch Erlösungsgefühle hat der Hund, wenn seinem Hunger durch einen Knochen Befriedigung wird.« (Hegel, Vorrede zu Hinrichs’ Religionsphilosophie 19) Trotz dieser Verortung des Glaubens im menschlichen Gefühl wäre Schleiermacher missverstanden, wollte man seiner Glaubenstheorie den Verstandesbezug absprechen. »Wenn […] das Übervernünftige in dem christlichen Selbstbewußtsein darin besteht, daß es, so wie es ist, nicht durch die Tätigkeit der Vernunft kann hervorgebracht werden: so folgt daraus noch gar nicht, daß die Aussagen über dieses Selbstbewußtsein auch müßten übervernünftig sein.« (Schleiermacher, Der christliche Glaube § 13. Zusatz, I, 92) Alle christlichen Sätze sind »in einer Beziehung übervernünftig […], in einer andern aber auch alle vernünftig; übervernünftig aber sind sie in derselben Beziehung, in der auch alles Erfahrungsmäßige übervernünftig ist, wie es denn auch eine innere Erfahrung ist, auf welche sie alle zurückgehen, nämlich daß sie

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auf einem Gegebenen beruhen, und ohne dieses nicht hätten können durch Ableitung oder Zusammensetzung aus allgemein anerkannten und mitteilbaren Sätzen entstehen. […] Daher gehört zu dieser Übervernünftigkeit auch, daß eine wahre Aneignung der christlichen Sätze nicht auf wissenschaftliche Weise erfolgen kann […]; sondern sie erfolgt nur, sofern jeder selbst hat wollen die Erfahrung machen« (ebd. § 13. Zusatz, I, 93). Die christliche Offenbarung ist aber auch vernünftig: Denn »[w]ird […] danach gefragt, ob die Sätze, welche die christlichen Gemütszustände und deren Zusammenhang ausdrücken, nicht denselben Gesetzen der Begriffsbildung und Verknüpfung unterworfen sind wie alles Gesprochene, […] so muß in diesem Sinne alles in der christlichen Lehre durchaus vernunftmäßig sein.« (ebd.) Die wichtigste Verschiebung im Glaubensbegriff bei Schleiermacher ist die explizite Vorordnung des menschlichen Selbstbewusstseins vor dem Gottesbegriff. Aussagen über Gott sind nur als aus jenem abgeleitete möglich, weshalb Gott für Schleiermacher der Ausdruck für das »Woher« des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit ist: »das in diesem Selbstbewußtsein mitgesetzte Woher unseres empfänglichen und selbsttätigen Daseins [soll] durch den Ausdruck Gott bezeichnet werden« (ebd. § 4.4, I, 28 f.). Mit dieser Bezeichnung kommt für Schleiermacher nichts Neues hinzu; »Sich-schlechthin-abhängig-Fühlen und Sichseiner-selbst-als-in-Beziehung-mit-Gott-bewußt-Sein [ist] einerlei« (ebd. § 4.4, I, 30). Entsprechend konstruiert Schleiermacher seine Glaubenslehre nicht mehr vom Gottesbegriff, sondern vom menschlichen Selbstbewusstsein aus. »Christliche Glaubenssätze sind Auffassungen der christlich frommen Gemütszustände in der Rede dargestellt.« (ebd. § 15. Leitsatz, I, 105) Nur diejenigen Traditionsaussagen, die sich als Beschreibungen des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls auffassen lassen, will Schleiermacher noch gelten lassen (vgl. ebd. § 31.2, 164). Theologie ist fortan nicht mehr Gottes-, sondern Glaubenslehre.

3.  Glaube, Religion und Offenbarung Für die Theologie des 20. Jahrhunderts war die von der sog. Dialektischen Theologie, insbesondere von Karl Barth dominierte Debatte mit liberalen Ansätzen über das Verhältnis von Glauben und Religion prägend. Ist Glaube Element von Religion? Karl Barth hat sich in seinem epochalen Kommentar Der Römerbrief (Zweite Fassung 1922) kritisch gegen die Dominanz des Religionsbegriffs gewandt, weil Re-

142  Systematische Theologie ligion ein menschliches Unternehmen ist und damit im Bereich des Menschen bleibt. Religion erreicht nicht nur nie Gott, Religion ist, wie alles, »[w]as im Menschen und durch den Menschen Sein und Gestalt und Ausdehnung gewinnt, […] Ehrfurchtslosigkeit und Unbotmäßigkeit« (Barth, Römerbrief [Zweite Fassung] 85). Alles, was vom Menschen kommt, ist vor Gott nichts. Den unendlichen qualitativen Unterschied zwischen Mensch und Gott kann Religion nicht überbrücken. »Also keine religiöse Botschaft, keine Nachrichten und Anweisungen über die Göttlichkeit oder Vergöttlichung des Menschen, sondern Botschaft von einem Gott, der ganz anders ist, von dem der Mensch als Mensch nie etwas wissen noch haben wird und von dem ihm eben darum das Heil kommt.« (ebd. 47) Diese Botschaft kann in ihrer Wahrheit nicht plausibel gemacht, nicht begründet werden. Nur im Glauben kann man dies richtig verstehen. Der Glaube ist »die der Treue Gottes begegnende Gegentreue des Menschen.« (ebd. 54) Aber auch dieser Glaube ist von Gott geschaffen, der Mensch als solcher kann nicht glauben. Entsprechend ist Glaube auch kein religiöser Vollzug, der sich phänomenologisch beschreiben ließe. So wenig wie für den Menschen Gott habbar ist, so wenig ist es sein eigener Glaube: »Gerade der Glaube ist ja, wenn er wirklich Glaube an Gott ist, Hohlraum, Beugung vor dem, was wir nie werden, nie haben, nie tun können.« (ebd. 124) Im Anschluss an Kierkegaard führt Barth aus: »Glaube ist darum nie fertig, nie gegeben, nie gesichert, er ist, von der Psychologie aus gesehen, immer und immer aufs neue der Sprung ins Ungewisse, ins Dunkle, in die leere Luft.« (ebd. 138) Glaube ist »die senkrechte Linie, die durch alle unsere Frömmigkeiten und Erlebnisse hindurch- und großenteils auch daran vorbeigeht.« (Barth, Der Christ in der Gesellschaft 567) Um diese Unhabbarkeit des Glaubens zu betonen, streitet Barth mit seinen anfänglichen dialektischen Weggefährten darüber, ob der Glaube eine Möglichkeit des Menschen ist. Bultmann und andere betonen, dass Glaube doch als eine »menschliche Möglichkeit«, zumindest im Sinne einer »ontologische[n] Möglichkeit« verstanden werden muss, weil »das Wunder des Glaubens sich am Menschen ereignet« (Bultmann, Brief an Karl Barth [16. 2. 1930], Karl Barth / Rudolf Bultmann Briefwechsel 102). Auch wenn Gott den Glauben schaffe, sei es doch der Mensch, der glaubt. Deshalb sei auch eine philosophische Ontologie zur Beschreibung der Existenz des Menschen (nämlich die Martin Heideggers) zulässig und erhelle, was es um den Menschen ist. Zwar sei im Glauben »die vorgläubige Existenz existentiell-ontisch überwunden«, d. h. kom-

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me es zu einer faktischen Neubestimmung des Menschen. Aber dies heiße nicht, »daß die existential-ontologischen Bedingungen von Existieren vernichtet sind. […] der Glaube ist […] eine stets neu ergriffene Möglichkeit des Daseins« (Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins und der Glaube 78). Emil Brunner geht ähnlich von einer rein formalen Ansprechbarkeit des Menschen auf Gottes Wort aus: »Daß es einen Anknüpfungspunkt für die göttliche Erlösungsgnade gibt, kann im Grunde niemand leugnen, der anerkennt, daß nicht Steine und Klötze, sondern nur menschliche Subjekte das Wort Gottes und den Heiligen Geist empfangen können. Der Anknüpfungspunkt ist eben: die auch dem Sünder nicht abhanden gekommene formale imago dei, das Menschsein des Menschen, die humanitas, nach ihren […] Momenten: Wortmächtigkeit und Verantwortlichkeit.« (Brunner, Natur und Gnade 18) Nur weil der Mensch bereits eine gewisse Form von Gottesbewusstsein hat, insbesondere in Gestalt der Religion, kann das Wort Gottes ihn erreichen. Barth sieht in dieser Position »eine großartige Rückkehr zu den Fleischtöpfen Ägyptens«; denn indem man den Glauben »als begründet in einer menschlichen Möglichkeit verstehen« wolle, liefere man »die Theologie aufs neue der Philosophie in die Hände« (Barth, Brief an Rudolf Bultmann [5. 2. 1930], Karl Barth / Rudolf Bultmann Briefwechsel 99). »Beides zugleich und nebeneinander scheint mir nicht durchführbar und haltbar zu sein: der Begriff des durch das Wort Gottes konstituierten Menschen und der Begriff eines bloßen neutralen Könnens dieses Menschen.« (Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd. III / 2, 156) Selbst sagt Karl Barth in der Kirchlichen Dogmatik dann aber deutlich mehr über den Glauben, als dass er nur Hohlraum ist. Er bestimmt ihn als Tat des Menschen in den drei Formen des Anerkennens, Erkennens und Bekennens (vgl. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd. IV / 1, § 63.2). Diese Debatte ist Teil der im 20. Jahrhundert mehrfach geführten Auseinandersetzung darüber, ob es eine Gotteserkenntnis unabhängig vom Glauben gibt, ob also »natürliche Theologie« möglich ist. Barth hatte sich in Kritik von theologischen Modellen, die die nationalsozialistische Ideologie unterstützten, gegen jede Form von natürlicher Theologie ausgesprochen. Ohne Glauben sei keine Erkenntnis Gottes möglich. Gottes Offenbarung habe sich an nichts anderem als an sich selbst auszuweisen. Übergeordnete Kriterien dafür, was Offenbarung Gottes ist, gibt es nicht. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Karl Barths Behauptung, dass Gottes Offenbarung sich an nichts anderem ausweisen kann und muss, sondern quasi selbstevident ist, vor allem von Wolfhart Pannenberg vehement kritisiert. Pannenberg

144  Systematische Theologie wandte sich gegen eine quasi von oben in die menschliche Wirklichkeit einbrechende, beziehungslos zu ihr stehende Offenbarung, der nur der Glaube korrespondiert. Vielmehr gilt: »Jedes Reden von Gott […] muß sich daran bewähren, daß es die Welt der Erfahrung als Erweis seiner Macht in Anspruch nehmen kann« (Pannenberg, Systematische Theologie, I, 120.). Pannenberg gewinnt diese Einsicht, indem er davon ausgeht: Gott kann in seiner Offenbarung ohne Glauben erkannt werden. Seine zentralen Thesen zum Wesen der Offenbarung finden sich in einem Sammelband mit dem Titel Offenbarung als Geschichte und haben in den sechziger und siebziger Jahren eine rege Debatte ausgelöst. Der Titel des Buches verdankt sich Pannenbergs grundlegender These, dass sich Gottes Selbstoffenbarung »nicht direkt, etwa in der Weise einer Theophanie, sondern indirekt, durch Gottes Geschichtstaten, vollzogen« (Pannenberg, Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung 91) hat. Pannenberg beobachtet, dass in allen geschichtlichen Ereignissen, von denen im Alten Testament die Rede ist, das Offenbarwerden Gottes das Ziel ist: »Erst wenn sie geschehen sind, kann an ihnen Gottes Gottheit erkannt werden.« (ebd. 96) Im Laufe des Alten Testaments findet eine Verschiebung statt vom einzelnen Ereignis hin zur Universalgeschichte: Das entscheidende Heilsgeschehen, das endgültige Offenbarwerden Jahwes, liegt in der Zukunft. »Zwar ist nicht etwa der ganze Verlauf der Geschichte, sondern erst ihr Ende als Offenbarung Gottes mit seinem Wesen eins, aber insofern das Ende als Vollendung der Geschichte deren Verlauf voraussetzt, gehört sie, die von ihrem Ende her ihre Einheit empfängt, wesentlich zur Gottesoffenbarung hinzu. Das Wesen Gottes, obwohl von Ewigkeit zu Ewigkeit dasselbe, hat in der Zeit eine Geschichte.« (ebd. 97) Insofern gilt: »Die Offenbarung findet nicht am Anfang, sondern am Ende der offenbarenden Geschichte statt.« (ebd. 95) Charakteristikum der geschichtlichen Offenbarung Gottes ist nach Pannenberg, dass sie »jedem, der Augen hat zu sehen, offen« (ebd. 98) ist; darin besteht ihr universaler Charakter. Nur so werde Offenbarung nicht als etwas verstanden, was »durch eine geheime Mitteilung kund wird«, und mit einem »gnostischen Geheimwissen« (ebd. 98 f.) verwechselt. »Was Jahwe in der Geschichte wirkt, das kann nicht als Einbildung frommer Seelen abgetan werden, sondern es geschieht vor aller Augen, und auch die ihm innewohnende Bedeutung – Jahwes Gottheit zu offenbaren – wird sich einem jeden aufdrängen.« (ebd. 99) Der Mensch kann deshalb das Evangelium »mit seiner normalen Erkenntnisausstattung« (ebd. 99) erkennen. Wenn Menschen die Offenbarung nicht wahrnehmen, liegt dies nicht daran, dass Gott in ihnen

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keinen Glauben gewirkt hätte, sondern daran, dass sie »die offen zutage liegende Wahrheit nicht sehen wollen« (ebd. 99) oder so in Vorurteilen verfangen sind, dass sie »erst zur Vernunft gebracht werden« (Pannenberg, Einsicht und Glaube 233) müssen, damit sie recht hinsehen. Pannenberg will mit seinen Aussagen nicht behaupten, dass dem Menschen in der so verstandenen Offenbarung »nur bestätigt würde, was er kraft seiner Vernunft auch sonst schon weiß« (Pannenberg, Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung 100). Vielmehr bringen die »Gott offenbarenden Ereignisse und die Botschaft, die von diesem Geschehen berichtet, […] den Menschen zu einer Erkenntnis, die er nicht aus sich selbst hat« (ebd. 100). Aber sie tun das in der »Sprache der Tatsachen«, die »überführende Kraft« hat (ebd.). Deshalb muss man »keineswegs den Glauben schon mitbringen, um in der Geschichte Israels und Jesu Christi die Offenbarung Gottes zu finden. Vielmehr wird durch die unbefangene Wahrnehmung dieser Ereignisse der echte Glaube erst geweckt.« (ebd. 100 f.) Gerade dadurch werde gesichert, dass der Glaube sich wirklich Gott verdankt. Pannenberg will nicht den Glauben damit überflüssig machen. Der Glaube schließt vielmehr an die so wahrgenommenen Ereignisse an – als zukünftiges Vertrauen, sein Leben auf das Wahrgenommene zu setzen. Wichtig ist Pannenberg: »man vertraut nicht blind, sondern auf Grund eines als zuverlässig erachteten greifbar Gegebenen« (ebd. 101). Pannenberg möchte deshalb keinen »Sprung in den Glauben«, sondern das »Wissen von Gottes Offenbarung« als »Grund des Glaubens« (ebd. 101) herausstellen. Der Glaube gründet sich auf Wissen, eben das Wissen von Gottes Offenbarung. Die Zuverlässigkeit dieses Wissens zu prüfen, sei Aufgabe der Theologie. Der einzelne Glaubende könne »vertrauen in der Annahme, daß es mit dem Grunde seines Vertrauens seine Richtigkeit haben werde« (Pannenberg, Einsicht und Glaube 227). Mit seinem Einsatz beim historisch gesicherten Wissen von Offenbarung, das erst den Glauben wirkt, will Pannenberg die Reinheit des Glaubens sichern, der, wenn »auf die Dauer die vernünftige Überzeugung von seinem Grunde ausbleibt«, seine Reinheit verlieren würde, weil er »zur blinden Vertrauensseligkeit gegenüber dem Autoritätsanspruch der verkündeten Botschaft, zum Aberglauben wegen ihres anscheinenden Widerspruchs gegen besseres Wissen oder doch zum mühsam und krampfhaft abgerungenen Werk des Glaubenden« (ebd. 223) wird. Wenn behauptet werde, die zum Glauben gehörende Erkenntnis erschließe »sich erst im glaubenden Hinnehmen der Botschaft« (Althaus 1962: 325), dann begründe letztlich »die Glaubensent-

146  Systematische Theologie scheidung die Gewißheit des Glaubensinhaltes« (Pannenberg, Einsicht und Glaube 225). Das extra nos des Glaubens werde damit »faktisch zugunsten einer Selbstbegründung des Glaubens preisgegeben« (ebd. 225). Eberhard Jüngel hat sich in seinem Aufsatz Das Dilemma der natürlichen Theologie und die Wahrheit ihres Problems mit Pannenbergs Argumenten auseinandergesetzt und gegen Pannenberg eingewandt, dass eine Gotteserkenntnis außerhalb des Glaubens gar nicht möglich ist. Es mache, so Jüngel, keinen Sinn, dass »Gott […] zuvor von der Vernunft als Gott oder zumindest doch als ein existierendes X gewußt werden soll«, wenn es doch allein der Glaube ist, der »Gott Recht gibt, weil allein der Glaube Gott Gott sein läßt und also Gott als Gott erkennt« (Jüngel, Das Dilemma der natürlichen Theologie 173). Jüngel hält dafür, dass sich die Gewissheit der Glaubensentscheidung nur mit der Glaubensentscheidung einstellt, wenn auch selbstverständlich nicht begründet durch die Entscheidung, sondern durch den Glaubensinhalt. Den Grund des Glaubens könne man eben ohne Glauben gar nicht erkennen. Der Glaube wird begründet (passiv!), er gründet sich nicht selbst auf einen Grund, und dieses Begründet-Werden vollzieht sich in der Erkenntnis des Glaubensinhaltes. Anders gesagt: Der Glaubensinhalt kann nicht erkannt werden unter Sistierung des Glaubens, sondern eben nur im Glauben – eben genau deshalb, weil es zum Wesen des Glaubensinhaltes gehört, Glauben zu begründen. Gegenüber dem Vorwurf, er konstruiere damit einen Zirkel, bemerkt Jüngel: »Der Vorwurf des Zirkels […] ist insofern – aber auch nur insofern – richtig, als der sich nicht selbst begründende Glaube nur im Ereignis des Glaubens begründet wird. […] allein der Glaube [lässt] seinen Gegenstand als Grund des Glaubens gelten« (ebd. 173 f.). Während Pannenberg zustimmend Hannelis Schulte zitiert: »Das Evangelium ist kein dialektisches Spiel zwischen Offenbar- und Verborgensein, sondern es ist ganz offenbar« (Schulte 1949: 24), spricht Jüngel von einer »präzisen Verborgenheit« Gottes (Jüngel, Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes 171) im Evangelium, die nur dem Glauben als Offenbarung erkennbar wird. Jüngel redet in diesem Kontext vom Glauben als einer »Erfahrung mit der Erfahrung« (Jüngel, Das Dilemma der natürlichen Theologie 176; Jüngel hat die Formel unabhängig und nahezu zeitgleich zu Gerhard Ebeling geprägt: vgl. Jüngel, Drei Vorbemerkungen 8; Ebeling, Die Klage über das Erfahrungsdefizit in der Theologie 22 u. ö.). Der Sache nach schließt die Formel an Hegel an, denn Hegel unterscheidet den Kant-

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schen Erfahrungsbegriff, der sich auf die sinnliche Welt bezieht, von einer Erfahrung »innerhalb des Bewußtseins […]: Erfahrung ist die Selbstbewußtwerdung des Bewußtseins« (Schröder 1998: 279). Der Glaube ist Erfahrung, aber nicht der Aufweis der Erfahrbarkeit Gottes anhand von Welt- und Selbsterfahrungen, sondern eine Erfahrung mit den Welt- und Selbsterfahrungen, die im Glauben »in einem neuen Licht verstehbar werden« (Jüngel, Das Dilemma der natürlichen Theologie 175): »Der als Gotteserfahrung sich ereignende Glaube besteht auf jeden Fall darin, daß wir mit unseren alltäglichen Erfahrungen eine neue Erfahrung machen, die zwar aus unseren alltäglichen Erfahrungen nicht einfach entspringt […], die aber an unseren alltäglichen Erfahrungen sich als das ausweisen muß, was sie ist.« (ebd. 176)

4.  Der Glaube und sein Gegenstand Glaube ist aus christlicher Sicht wesentlich eine Relation, nämlich die angemessene Bezogenheit des Menschen auf Gott. Entsprechend beschreibt das apostolische Glaubensbekenntnis Glauben als Bezugnahme auf seinen Gegenstand: »ich glaube (an) …« Karl Barth führt dazu aus: »Ich glaube an … so sagt das Bekenntnis, und alles liegt an diesem an […]. Das Credo expliziert dieses ›an‹, diesen Gegenstand des Glaubens, von dem unser subjektiver Glaube lebt. […] Ich glaube –­ jawohl, das ist meine, das ist eine menschliche Erfahrung und Tat: eine menschliche Daseinsform. Aber […] ich sehe mich, indem ich glaube, ganz und gar von diesem Gegenstand meines Glaubens erfüllt und bestimmt.« (Barth, Dogmatik im Grundriß 17) Das bedeutet: Dass ein Mensch Gott glaubt, hängt daran, wer dieser Gott ist und dass sich Gott als der, der er ist, dem Menschen erschließt. Dies ist kein Fürwahrhalten regulativer Sätze, sondern ein diesem Glaubensgegenstand, diesem Gegenüber des Glaubens geltendes Vertrauen. Deshalb sind fides qua creditur und fides quae creditur nicht voneinander zu trennen. Die »fides qua creditur […] ist nur sichtbar, wo primär ihr Gegenstand gesehen ist. Keine Analyse kann aber aus der fides qua creditur, wenn sie ohne ihren Gegenstand gesehen ist, diesen nachträglich herausanalysieren« (Bultmann, Wahrheit und Gewißheit 190). Weil in der Kirche als der durch Wort und Sakrament konstituierten Gemeinschaft der Glaubenden dieser Gegenstand – Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus – bewahrt und weitergegeben wird, ist Glaube nur im Bezug zur Kirche möglich. Wer dieser Jesus Christus

148  Systematische Theologie ist und wie sich in ihm Gott erschlossen hat, kann der Mensch nicht aus sich selbst haben; es wird ihm erst durch das Zeugnis der Kirche zugänglich. Im Predigtwort wird das Kerygma von Jesus Christus so verkündigt, dass Glauben im Menschen entstehen kann. In den Sakramenten als sichtbaren Worten wird es leibhaft und sinnlich erfahrbar. Erst in der Neuzeit wird diese Gegenstandsbezogenheit des Glaubens problematisiert. Die Infragestellung der Möglichkeit objektiver Gotteserkenntnis und die damit einhergehende Subjektivierung des Glaubens führt mehrheitlich zu einer Verschiebung: weg vom Glaubensgegenstand, hin zum Glauben selbst und seinem Vollzugscharakter. Am Beginn dieser Verschiebung steht René Descartes. Durch den Zweifel, genauer: durch das unbezweifelbare cogito, ergo sum (besser noch: dubito, ergo sum – ich zweifele, also bin ich) stellt Descartes erst den Menschen als dauerhafte res cogitans, die Welt der res extensa und die Existenz Gottes sicher. Grund von allem ist nicht Gott, sondern der menschliche Zweifel als Gestalt menschlichen Denkens. Damit ist die subjektivitätstheoretische Wende der Moderne begonnen. Sie wird weitergeführt in der Religionskritik Ludwig Feuerbachs, der den Gegenstand des Glaubens verändert: Nicht Gott ist der Gegenstand des Glaubens des Menschen, sondern der Mensch selbst. »Das Bewußtsein Gottes ist das Selbstbewußtsein des Menschen, die Erkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen. […] Gott ist das offenbare Innere, das ausgesprochne Selbst des Menschen« (Feuerbach, Das Wesen des Christentums 46). In der Religion vergegenständlicht der Mensch sein eigenes Wesen; er projiziert es außerhalb seiner selbst und konfiguriert es als das Wesen Gottes: »Die Religion […] ist das Verhalten des Menschen zu sich selbst oder richtiger: zu seinem […] Wesen, aber [!] das Verhalten zu seinem Wesen als zu einem andern Wesen. Das göttliche Wesen ist nichts andres als […] das Wesen des Menschen, gereinigt, befreit von den Schranken des individuellen Menschen, verobjektiviert, d. h. angeschaut und verehrt, als ein andres, von ihm unterschiednes, eignes Wesen« (ebd. 48 f.). Indem der Mensch sich sein vollkommenes Wesen in einem gegenständlich gedachten Gott gegenüberstellt, kann er seines eigenen Wesens ansichtig werden. Entsprechend ist der Glaube »nichts andres als die Zuversicht zur Realität des Subjektiven im Gegensatz zu den Schranken, d. i. Gesetzen, der Natur und Vernunft […] Der Glaube ist eben nichts andres als der Glaube an die absolute Realität der Subjektivität.« (ebd. 227 f.) Gegenwärtig kommt es nicht nur in der Religionskritik, sondern

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auch in der Systematischen Theologie selbst manchmal zu einer Reduktion des Glaubens auf den Glaubensvollzug, auf die fides qua creditur. »Der Glaube ist das Geschehen des Sich-Verständlich-Werdens des Menschen in seinem bewussten Selbstbezug. Er stellt sich in seinen Inhalten als eben dieses geschichtlich eingebundene Geschehen selbst dar und beschreibt sich selbst.« (Danz 2013: 203) Gott ist diesem Glauben nicht vorgängig, sondern der Gottesgedanke entsteht gleichzeitig mit dem Glauben, insofern in ihm die Unableitbarkeit des Glaubensvollzuges artikuliert wird (vgl. ebd. 212). Folglich sind die traditionell als fides quae creditur gefassten »materialen Inhalte der christlichen Religion […] von der Dogmatik als die symbolischen Medien auszuarbeiten, mit denen sich das sich selbst in seiner Tiefenstruktur erfassende und artikulierende Selbst beschreibt. Sie haben keine gegenständliche Funktion« (Danz 2010: 23). Jesus Christus wird in diesem Zusammenhang von einem, an den als Erlöser geglaubt wird, zu einem Vorbild im Glauben und damit zu einer Vergegenständlichung des Glaubensvollzuges. Das »Christusbild« steht dafür gut, dass der Glaube sich über »die Bindung menschlichen Sich-Verstehens an die Geschichte, die Notwendigkeit des individuellen Selbstvollzugs des Glaubens sowie die Unableitbarkeit dieses Geschehens aus der Geschichte oder dem eigenen Lebensvollzug [auf]klärt« (Danz 2013: 204). »Der Bezug auf die Person Jesus von Nazareth, also auf ein extra nos, bringt das Eingebundensein jeder Deutung der Geschichte in eine konkrete, inhaltlich bestimmte Geschichte zum Ausdruck. Der geglaubte Christus symbolisiert das Geschehen des Sich-Verständlich-Werdens des Menschen in seiner Geschichtlichkeit.« (ebd. 204 f.) Gegen eine solche Sicht auf den Glauben hat bereits Rudolf Bultmann eingewandt: »Soll die Theologie von der Wahrheit des Glaubens reden, so darf sie nicht von der Wahrheit der Religion als einer notwendigen und schöpferischen Funktion des Geistes- und Kulturlebens reden, sonst redet sie eben nicht vom Glauben; sondern sie muß vom Gegenstand des Glaubens selbst reden. […] Sie muß, um das zu können, den Glauben als eine bestimmte Weise, seinen Gegenstand, Gott, zu sehen, anerkennen; sie muß also den Sätzen des Glaubens Erkenntniswert zuerkennen, ihnen Wahrheit, das heißt den Charakter des Aufdeckens der göttlichen Wirklichkeit zuerkennen.« (Bultmann, Wahrheit und Gewißheit 193 f.) Ähnlich hat Barth gegen eine Fokussierung auf den Glaubensvorgang eingewandt, hier werde »die christliche Wahrheit so dar[gestellt], als sei das ihre höchste Ehre, rund um das christliche Individuum mit seinem bißchen Glauben rotieren zu dürfen« (Barth,

150  Systematische Theologie Die Kirchliche Dogmatik, IV / 1 828). Barth fügt trocken hinzu: »Solche Wichtigtuerei kann dem christlichen Individuum nicht verstattet werden.« (ebd. 828)

5.  Gewissheit, Zweifel und Unglaube Schleiermachers Glaubenstheorie bringt einen für die Reformatoren zentralen Aspekt zum Ausdruck: Glaube ist die fundamentale Gewissheit des Menschen über den Grund und die Bestimmung seiner Existenz. Diese Gewissheit trägt und tröstet den Menschen im Leben wie im Sterben (vgl. Heidelberger Katechismus, Frage 1 f.; Reformierte Bekenntnisschriften 2 / 2 175 f.). Konsens besteht in der christlichen Theologie darüber, dass die Gewissheit des Glaubens nicht selbstreflexiv erzeugt werden kann, z. B. durch das Überprüfen seiner psychischen Beschaffenheit. Die Glaubensgewissheit wird vielmehr verstanden als unmittelbar gegeben (Schleiermacher), als durch ein Wissen begründet (Pannenberg) oder als durch ihren Gegenstand erzeugt (Barth). Sie schließt eine basale Selbstgewissheit mit ein: »Der christliche Glaube ist seiner selbst inne als einer spezifischen ›Lebensform‹; das heißt: als einer Gestalt der Führung des menschlichen Lebens, die ihr spezifisches Profil erhält durch den Inhalt derjenigen Gewißheit über Ursprung, Verfassung (Natur) und Bestimmung des Daseins, die sie ermöglicht, motiviert und orientiert (verlangt und ausrichtet).« (Herms, Glaube 458) Glaube vollzieht sich entsprechend im Zentrum menschlicher Existenz, biblisch gesprochen im Herzen des Menschen. Zu glauben bedeutet, reformatorisch formuliert, mit seinem Herzen ganz an Gott zu hängen, von ihm alles Gute zu erwarten und in jeder Not zu ihm zu fliehen (vgl. Luther, Der Große Katechismus; BSELK 932,4 – 11). Dieses Vertrauen schließt nicht den Zweifel aus, sondern vielmehr ein, insofern das Vertrauen in den guten Gott durch die Wirklichkeit der Welt unaufhörlich in Frage gestellt wird. Wer nicht zweifelte, hätte sich in dieser durchaus ambivalenten Welt eingerichtet und würde nicht mehr auf die mächtige, die Welt verändernde Güte Gottes hoffen. Besonders nachdrücklich hat Paul Tillich den Zweifel als zum Glauben hinzugehörend verstanden. In seinem Text Der Mut zum Sein (1952) entfaltet er, dass der Mensch Mut zum Sein benötigt, weil er als endliches Seiendes ständig durch die Macht des Nichtseins bedroht ist. Tillich beobachtet in der Christentumsgeschichte zwei Formen dieses Mutes zum Sein, die mystische und die personalistische. Durch Teilhabe

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am Seinsgrund in der Mystik oder durch Vertrauen auf Gott in einem personalen Glauben erwächst dem Menschen Mut zum Sein, d. h. die »Selbstbejahung des Seienden trotz der immer gegenwärtigen Drohung des Nichtseins« (Tillich, Der Mut zum Sein 118). Dieser Mut zum Sein ist Ausdruck des Glaubens, insofern Glaube »Ergriffensein [ist] von dem, was uns unbedingt angeht, dem Grund unseres Seins und Sinns« (ebd. 118). Glaube ist »die Erfahrung der Macht des Seins-Selbst, die einem Seienden den Mut zum Sein gibt« (ebd.). Das Sein-Selbst, das für Tillich die Grundlage von allem Seienden ist, verleiht diesen Mut, denn es hat seinerseits den »Charakter der Selbstbejahung trotz des Nichtseins« (ebd. 123). Das Sein-Selbst ist so beschaffen, dass es nicht der Drohung durch das Nichtsein ausweichen muss, um es selbst sein zu können; vielmehr überwindet es das Nichtsein beständig. Der Mut zum Sein ist Selbstbejahung trotzdem – aufgrund des Trotzdem des Glaubens: Der Mensch bejaht im Glauben, dass er angenommen ist, obwohl er unannehmbar ist; dieses Angenommensein ist die Grundlage seiner Selbstbejahung. Unsere Zeit ist nach Tillich insbesondere durch Nichtsein in Gestalt von Zweifel und Sinnlosigkeit bedroht. Die Angst davor ist die bestimmende Angst unserer Zeit, welche noch fundamentaler ist als die früheren Ängste vor der Bedrohung durch das Nichtsein in Gestalt von Schicksal und Tod und von Schuld und Verdammung. Denn jene Ängste konnten noch durch Sinn getröstet und aufgehoben werden. Der heutigen Angst vor Zweifel und Sinnlosigkeit hingegen kann man durch nichts mehr entfliehen. Aber sie kann überwunden werden im Glauben, genauer: in der höchsten Form des Glaubens, dem absoluten Glauben, in welchem der Zweifel selbst als ein Akt des Lebens bejaht wird: »man […] bejaht [sich] trotz des Zweifels an dem Sinn einer solchen Bejahung« (ebd. 120). Das Besondere dieses absoluten Glaubens ist, dass er keinen spezifischen Inhalt hat, weil der Zweifel jeden Inhalt zerstört hat. »Er ist einfach Glaube – ohne auf etwas Bestimmtes gerichtet zu sein, absoluter Glaube. Er ist undefinierbar, da alles Definierte durch Zweifel und Sinnlosigkeit aufgelöst ist.« (ebd. 120) Diese Auflösung gilt insbesondere für den personalistischen Glaubensmut, der aus der vertrauensvollen Ich-Du-Beziehung zwischen Mensch und Gott gewonnen werden konnte. Weil er Gott als Seiendes denkt, hält selbst er dem Zweifel nicht stand. Aber auch der mystische Glaubensmut hilft nicht weiter, insofern er den Zweifel, wie er durch die endliche Welt ausgelöst wird, gar nicht ernstnimmt. Der absolute Glaube hingegen hat als seinen Inhalt den »Gott über Gott« (ebd. 124), »der

152  Systematische Theologie erscheint, wenn Gott in der Angst des Zweifels untergegangen ist« (ebd. 129), und der inhaltlich nicht beschrieben werden kann. Der absolute Glaube ist »das Bejahen des Bejahtseins ohne jemanden oder etwas, das uns bejaht. Es ist die Macht des Seins-Selbst, die bejaht und den Mut zum Sein verleiht« (ebd. 126). Für diesen absoluten Glauben steht bei Tillich der Gekreuzigte gut, denn er rief am Kreuz »den Gott an […], der Gott blieb, nachdem der Gott des Vertrauens ihn in dem Dunkel der Verzweiflung und der Sinnlosigkeit verlassen hatte« (ebd. 128). Der absolute Glaube ist nichts, was man beschreiben oder in dem man sich einrichten könnte. »Er ist kein Ort, wo man leben kann; er ist ohne die Sicherheit, die Worte und Begriffe vermitteln, er ist ohne Namen, ohne Kirche, ohne Kult, ohne Theologie. Aber er ist in der Tiefe von ihnen allen wirksam. Er ist die Macht des Seins, an dem sie alle partizipieren und dessen fragmentarische Ausdrucksformen sie sind.« (ebd. 128) Zweifel ist also nicht eigentlich der Feind des Glaubens. Vielmehr vermag der Glaube, recht verstanden, den Zweifel zu integrieren. Vom Zweifel ist der Unglauben noch einmal zu unterscheiden. Ingolf U. Dalferth arbeitet ihn als Gegenbegriff zum Glauben heraus. Glauben bezeichnet nach Dalferth den Modus, in dem ein Mensch lebt: Wie existiert dieser Mensch vor Gott? – in der Weise des Glaubens oder in der Weise des Unglaubens (vgl. Dalferth, Transzendenz und säkulare Welt 147 f.). Anthropologisch kann man den Glauben zwar als ein Mehr oder Weniger und vermischt mit Zweifel, Skepsis und Aberglauben beschreiben. Theologisch ist dies jedoch nicht möglich, weil Glaube Überwindung des Unglaubens durch Gott ist, so dass Gott nun »vor der Klammer steht, die alle weltlichen Phänomene einschließt«, und der Mensch »von einer Sicht und Praxis des Lebens, die nur Weltliches kennt, zu einer Sicht der Welt als Schöpfung« (ebd. 150) hinüberwechselt. Jetzt vollzieht er sein Leben »in Dank und Bitte, Lobpreis und Klage vor Gott« (ebd. 150). Glauben und Unglauben sind so verstanden strenge Alternativen: »Wo man sich lebensorientierend auf Gott bezieht, versteht man nicht nur Gott anders (als seinen Schöpfer), sondern auch sich selbst (als Geschöpf) und seine Welt (als Gottes Schöpfung).« (ebd. 152) Wichtig ist, dass Glauben und Unglauben keine Urteile über Einzelphänomene im Leben eines Menschen sind, sondern »Glaube und Unglaube sind – formal gesprochen – die theologisch bestimmten existentialen Modaloperatoren, die die ganze Reihe der Vollzüge eines menschlichen Lebens qualifizieren, aber sie sind nicht selbst bestimmte Lebensvollzüge in dieser Reihe.« (ebd. 168) Insofern markieren Glauben und Unglauben auch »keine

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besonderen Erfahrungen menschlichen Lebens, sondern eine modale Qualifizierung aller Erfahrungen im Licht des christlich verstandenen Gottesbezugs.« (ebd. 169)

6.  Die Passivität und Aktivität des Glaubens Nach evangelischem Verständnis rechtfertigt der Glaube allein (sola fide), ohne alle Werke. Denn aus evangelischer Sicht kann der Mensch die Rechtfertigung allein aus Gnade (sola gratia) nur empfangen. Im Glauben lässt der Mensch Gottes Gnade, Vergebung und Liebe gelten, lässt zu, dass der Mensch sich nicht durch das definiert, was er selbst tut, sondern durch das, was Gott für ihn getan hat und tut. Dieser Glaube wird durch Gott und seinen Geist gewirkt. Er ist Gottes, nicht des Menschen Werk. Glauben ist also keine Leistung des Menschen, die dieser nun, statt aller religiösen oder ethischen Werke, aus sich hervorbringen müsste, um Gottes Gnade zu erreichen. In diesem Sinn ist der Mensch im Glauben passiv (»res […] mere passiva« – »eine rein passive Sache«; vgl. Calvin, Institutio Christianae Religionis III, 13,5, 220; vgl. zu dieser Kategorie Stoellger 2010). Deshalb wird in der evangelischen Theologie in der Regel eine Wahlfreiheit des Menschen für den Glauben abgelehnt und von einer Willensunfreiheit des Menschen gegenüber Gott ausgegangen. Diese besagt nicht, dass der Mensch keinen Willen gegenüber Gott hätte. Sie besagt aber, dass der Wille des Menschen, der selbst eine sündhafte Ausrichtung gegen Gott besitzt, diese Ausrichtung nicht aus eigener Kraft ändern kann, sondern nur dadurch, dass der Wille des Menschen »mutata et blande assibilata per spiritum Dei« – »durch den Heiligen Geist verändert und liebkosend angesäuselt« (Luther, De servo arbitrio; WA 18, 634,37 f.) wird. Denn könnte der Mensch sich frei für den Glauben entscheiden, müsste dies wieder als Werk des Menschen vor Gott verstanden werden. Von dieser Grundentscheidung her wird es zu einer Aufgabe evangelischer Theologie, die Frage zu klären, wie das personale Beteiligtsein des Menschen am Glauben gedacht werden kann. Der Mensch ist keine Marionette und auch kein Stein oder Block, über den Gott einfach verfügt und den er vom Ort des Nichtglaubens an den Ort des Glaubens versetzt: »Wenn man aber davon redet, wie Gott in dem Menschen wircke, so hat gleichwol Gott, der Herr, einen modum agendi oder weise zu wircken in einem menschen als in einer vernünfftigen Creatur [d. h. der eine vernünftige Kreatur ist], und eine andere zu wircken in

154  Systematische Theologie einer andern unvernünfftigen Creatur oder in einem stein und block.« (Formula Concordiae. Solida Declaratio Art. II; BSELK 1374) Auch wenn Gott den Glauben im Menschen wirkt, entsteht der Glaube doch in ihm, in und mit seiner Person. Wie dieses personale Beteiligtsein des Menschen im Glauben genauer gedacht werden muss, ist, so wurde bereits in Erinnerung an die Debatte innerhalb der Dialektischen Theologie deutlich, in der evangelischen Theologie durchaus umstritten, weil zugleich das sola gratia bewahrt werden muss. Exemplarisch sei auf Rudolf Bultmann verwiesen, der den Glauben als Entscheidung bestimmt, indem er das Kierkegaardsche Paradox (s. o.) erweitert: Es besteht darin, dass in einem geschichtlichen Ereignis das Eschaton gegenwärtig sein kann: »das eben ist ja die ärgerliche christliche Behauptung, daß ein relatives historisches Phänomen, daß diese bestimmte Verkündigung, Gottes Wort sei« (Bultmann, Die Krisis des Glaubens 17). Inhalt der Verkündigung ist die Gnade Gottes, die in seinem Handeln in Jesus Christus wirklich geworden ist. Glaube ist Gehorsam und Vertrauen, die »Entscheidung des Menschen gegen sich und für Gott« (Bultmann, Gnade und Freiheit 156). Glaube ist der »Akt […] der gläubigen Annahme der Verkündigung« (Bultmann, Theologie des Neuen Testaments 91). Dabei ist für Bultmann allerdings klar, dass die Möglichkeit zu dieser Entscheidung immer nur durch Gott eröffnet wird. Sie ist »Geschenk der befreienden Gnade Gottes« (Bultmann, Der Gedanke der Freiheit nach antikem und christlichem Verständnis 51). Bultmann unterscheidet deshalb terminologisch zwischen Werk und Tat: »Glaube ist der Verzicht auf Werke; aber er ist Tat der Entscheidung. […] Der Glaube ist die Bedingung für den Empfang der Gnade; jedoch nicht so, daß der Glaubende meinen könnte, er habe diese Bedingung erfüllt und könne daraufhin auf die Gnade Anspruch machen. Alles dies würde ja den Glauben gerade zunichte machen: das Blicken auf sich selbst, das Sich-rühmen, das Anspruch-erheben. Damit hätte der Glaube sich selbst aufgehoben und wäre zum Werk geworden. Der Glaube ist gerade darin echte Tat, daß er sich bewußt ist, nichts sich selbst, sondern alles der ihm begegnenden Gnade zu verdanken.« (Bultmann, Gnade und Freiheit 156 f.) In der katholischen Theologie wird von einer »Mitwirkung« des Menschen beim Glauben ausgegangen, insofern stärker akzentuiert wird, dass der Mensch Gottes rechtfertigendem Handeln zustimmen muss. In kritischer Auseinandersetzung mit, aber auch im Missverstehen reformatorischer Positionen hat das Reformkonzil in Trient (1545 – 1563) in seinen »Kanones über die Rechtfertigung« deshalb

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festgehalten: »Wer sagt, der von Gott bewegte und erweckte freie Wille des Menschen wirke durch seine Zustimmung zu der Erweckung und dem Ruf Gottes nichts dazu mit, sich auf den Empfang der Rechtfertigungsgnade zuzurüsten und vorzubereiten, und er könne nicht widersprechen, wenn er wollte, sondern tue wie etwas Lebloses überhaupt nichts und verhalte sich rein passiv: der sei mit dem Anathema belegt« (DH 1554). In jüngster Zeit ist in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999) von Katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund festgehalten worden, dass damit von katholischer Seite aber nicht die Rechtfertigung allein aus Gnade negiert werden soll: »Wir bekennen gemeinsam, dass der Mensch im Blick auf sein Heil völlig auf die rettende Gnade Gottes angewiesen ist. […] als Sünder […] ist [er] unfähig, sich von sich aus Gott um Rettung zuzuwenden oder seine Rechtfertigung vor Gott zu verdienen oder mit eigener Kraft sein Heil zu erreichen. Rechtfertigung geschieht allein aus Gnade. […] Wenn Katholiken sagen, dass der Mensch bei der Vorbereitung auf die Rechtfertigung und deren Annahme durch seine Zustimmung zu Gottes rechtfertigendem Handeln ›mitwirke‹, so sehen sie in solch personaler Zustimmung selbst eine Wirkung der Gnade und kein Tun des Menschen aus eigenen Kräften.« (Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre Nr. 19 f., 424) Umgekehrt betont die lutherische Seite: »Wenn sie [Lutheraner] betonen, dass der Mensch die Rechtfertigung nur empfangen kann (mere passive), so verneinen sie damit jede Möglichkeit eines eigenen Beitrags des Menschen zu seiner Rechtfertigung, nicht aber sein volles personales Beteiligtsein im Glauben, das vom Wort Gottes selbst gewirkt wird« (ebd. Nr. 21, 424 f.). Gleichwohl wird man an diesem Punkt eine bleibende Differenz zwischen evangelischem und katholischem Glaubensverständnis sehen können. Die reformatorische Gegenüberstellung von Glaube und Werkgerechtigkeit führte schon zu Luthers Zeit dazu, dass er sich mit dem Missverständnis auseinandersetzen musste, das Handeln des Menschen sei von seinem Glauben strikt zu unterscheiden und deshalb diesem gegenüber nachrangig: »›Ey so denn der glaub alle ding ist und gilt allein gnugsam frum zumachen, Warumb sein denn die gutten werck gepotten? so wollen wir gutter ding sein und nichts thun‹.« (Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen; WA 7, 29,36 – 30,2) Dabei war Luther der Überzeugung, dass sich das gute Handeln um des Nächsten willen quasi wie von selbst aus dem Glauben ergibt. Wer sich von Gott gerechtfertigt weiß, muss sich in seinem eigenen Tun nicht mehr um

156  Systematische Theologie seine eigene Gerechtigkeit kümmern, sondern kann in seinem Handeln danach fragen, was dem Nächsten nützt und dient. Luther war überzeugt: Durch den Glauben gewinnt der Mensch »lust zu Gottes gebotten« (Luther, Vorrede auf die Epistel S. Pauli an die Römer; WA.DB 7, 11,32). Entsprechend sind die Werke ein Zeichen des Glaubens: »[…] die werck […] seind ein gewisses zaychen und wie ein sigel an einem brieff gedruckt, damit ich sicher sey, das der glaub recht sey. e Ursach: findt ich in meinem hertzen, das das werck daherfleuszt ausz lieb, so bin ich gewisz, das mein glaub rechtgeschaffen sey.« (Luther, Predigten des Jahres 1522 Nr. 38; WA 10 / III, 225,35 – 226,3) Immer wieder hat sich im Luthertum dieses Missverständnis gehalten, um der Passivität und Reinheit des Glaubens willen müsse man diesen vom konsequenten Handeln abtrennen (vgl. Baur 2010: 351 – 362). Dieser Sachverhalt wird im 20. Jahrhundert von Dietrich Bonhoeffer pointiert kritisiert mit seiner Formel von der »billigen Gnade«: »Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade. Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament; […] Gnade ohne Preis, ohne Kosten. […] Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde und nicht des Sünders. Weil Gnade doch alles allein tut, darum kann alles beim alten bleiben. […] Es lebe also auch der Christ wie die Welt, er stelle sich der Welt in allen Dingen gleich und unterfange sich ja nicht – bei der Ketzerei des Schwärmertums! – unter der Gnade ein anderes Leben zu führen als unter der Sünde! […] Billige Gnade ist die Gnade, die wir mit uns selbst haben.« (Bonhoeffer, Nachfolge 29 f.) Dem stellt Bonhoeffer die »teure Gnade« entgegen, die eine umfassende Lebensänderung bedeutet: »Teure Gnade ist der verborgene Schatz im Acker, um dessentwillen der Mensch hingeht und mit Freuden alles verkauft, was er hatte; die köstliche Perle, für deren Preis der Kaufmann alle seine Güter hingibt; […] der Ruf Jesu Christi, auf den hin der Jünger seine Netze verläßt und nachfolgt. […] Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft; teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt […]. Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie Gott teuer gewesen ist, weil sie Gott das Leben seines Sohnes gekostet hat […] und weil uns nicht billig sein kann, was Gott teuer ist.« (ebd. 30 f.) Den unlösbaren Zusammenhang von Glauben und Handeln fasst Bonhoeffer in der Doppelformel: »Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.« (ebd. 52) Er wendet sich damit gegen die

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Trennung des Handelns vom Glauben. Im Anschluss an die Nachfolge-Geschichten der Evangelien redet Bonhoeffer von einem »erste[n] Schritt des Gehorsams«, der erst in die existentielle Situation führt, in der geglaubt werden kann: »Der erste Schritt des Gehorsams muß den Petrus fort von den Netzen, aus dem Schiff heraus, muß den Jüngling aus dem Reichtum führen.« (ebd. 53) Der erste Schritt ist Antwort auf den Ruf Jesu und insofern selbst wieder »ein Tun des Glaubens an das Wort Christi« (ebd. 55). Erst nach diesem ersten Schritt ist eine Entscheidung für die Nachfolge möglich. Nachfolge selbst findet dort statt, wo Glaube und Gehorsam gemeinsam vorhanden sind. »Die Jünger – sie gehörten ja selbst noch vor kurzem ganz und gar zur Menge des Volkes. Sie waren wie alle anderen auch. Dann kam der Ruf Jesu; da ließen sie alles zurück und folgten ihm nach. Seitdem gehören sie zu Jesus, ganz und gar. Nun gehen sie mit ihm, leben mit ihm, folgen ihm, wohin er sie auch führt.« (ebd. 99) Dieses Leben ist für die Nachfolgenden dann wieder selbstverständlich, und die einzige Gefahr besteht nach Bonhoeffer darin, aus dieser Gleichzeitigkeit von Glauben und Gehorsam wieder herauszufallen (vgl. ebd. 127). Konkret hat Bonhoeffer dabei die Situation des Kirchenkampfes während des Nationalsozialismus vor Augen, in der sich Pfarrer wieder von der Bekennenden Kirche abwandten mit dem Argument, auch in der Reichskirche könnten sie ihren Glauben leben; man dürfe eine bestimmte Verhaltensweise – die Treue zu den Bekenntnissen von Barmen und Dahlem – nicht zur Bedingung des rechten Glaubens machen, das sei Werkgerechtigkeit (vgl. dazu Schmitz 2013: 386f.). Bonhoeffer weist mit diesen Überlegungen darauf hin, dass eine Trennung von Glaube und Gehorsam, von Glaube und Tun, das Wesen des Glaubens ignoriert. Zum Glauben gehört, die ganze Existenz des Menschen bestimmen und durchdringen und – lutherisch gesprochen – eine conformitas zwischen innerem Menschen, d. h. dem Menschen in seinem Gottesbezug, und äußerem Menschen, d. h. dem Menschen in seinem Weltbezug, herstellen zu wollen. Zur Aktivität des Glaubens gehört schließlich das Bekennen, bei dem der Mensch Zeuge Jesu Christi ist (vgl. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd. IV / 1 868). Dieses Reden ist für den Glauben unverzichtbar: »Ich glaube, darum rede ich [2Kor 4,13]. Nicht von mir und meinem Glauben – das jedenfalls nur, sofern es nun einmal dazugehört. Ich glaube, darum rede ich von dem Gott, an den ich glaube, und von seiner befreienden Wahrheit.« (Jüngel 1990: 3) Zeugnis und Mission sind vom Glaubensvollzug nicht zu trennen. In einem Grundsatzreferat auf der EKD-Synode 1999 hat Eberhard

158  Systematische Theologie Jüngel dies angesichts einer unguten Praxis und einer skeptischen Abwehr des Missionsbegriffs in Erinnerung gerufen: »Wenn die Kirche ein Herz hätte, ein Herz, das noch schlägt, dann würden Evangelisation und Mission den Rhythmus des Herzens der Kirche in hohem Maße bestimmen. Und Defizite bei der missionarischen Tätigkeit der christlichen Kirche, Mängel bei ihrem evangelizzesthai würden sofort zu schweren Herzrhythmusstörungen führen. Der Kreislauf des kirchlichen Lebens würde hypotonisch werden. Wer an einem gesunden Kreislauf des kirchlichen Lebens interessiert ist, muss deshalb auch an Mission und Evangelisation interessiert sein. Weithin ist die ausgesprochen missionarische Arbeit zur Spezialität eines ganz bestimmten Frömmigkeitsstils geworden. […] Doch wenn Mission und Evangelisation nicht Sache der ganzen Kirche ist oder wieder wird, dann ist etwas mit dem Herzschlag der Kirche nicht in Ordnung.« (Jüngel, Referat zur Einführung in das Schwerpunktthema 1)

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Christiane Tietz  159 Bultmann, Rudolf: Die Geschichtlichkeit des Daseins und der Glaube. Antwort an Gerhardt Kuhlmann, in: Noller, Gerhard: Heidegger und die Theologie. Beginn und Fortgang der Diskussion, München 1967, 72 – 94. Bultmann, Rudolf: Gnade und Freiheit, in: ders.: Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze, Bd. 2, Tübingen 31961, 149 – 161. Bultmann, Rudolf: Die Krisis des Glaubens, in: ders.: Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze, Bd. 2, Tübingen 31961, 1 – 19. Bultmann, Rudolf: Theologie des Neuen Testaments, hrsg. v. Otto Merk, Tübingen 8 1980. Bultmann, Rudolf: Theologische Enzyklopädie, hrsg. v. Eberhard Jüngel / Klaus  W.  Müller, Tübingen 1984. Bultmann, Rudolf: Wahrheit und Gewißheit, in: ders.: Theologische Enzyklopädie, hrsg. v. Eberhard Jüngel / Klaus W. Müller, Tübingen 1984, 183 – 205. Dalferth, Ingolf U.: Transzendenz und säkulare Welt. Lebensorientierung an letzter Gegenwart, Tübingen 2015. DH: Denzinger, Heinrich / Hünermann, Peter (Hgg.): Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum – Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Lateinisch – Deutsch, Freiburg i.Br. u. a. 442014. Ebeling, Gerhard: Die Klage über das Erfahrungsdefizit in der Theologie als Frage nach ihrer Sache, in: ders.: Wort und Glaube, Bd. 3, Tübingen 1975, 3 – 28. Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums, Gesammelte Werke, Bd. 5, hrsg. v. Werner Schuffenhauer, 2., durchgesehene Auflage, Berlin[-Ost] 1984. Formula Concordiae [Konkordienformel]. Solida Declaratio [1577]: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, hrsg. v. Irene Dingel, Göttingen 2014, 1304 – 1607 [zit. als BSELK]. Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche [1999]: Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene, Bd. III: 1990 – 2001, hrsg. v. Harding Meyer u.a., Paderborn / Frankfurt a. M. 2003, 419 – 437. Gregor von Nazianz: Carmen 29, Patrologia Graeca, Bd. 37, hrsg. v. Jacques Paul Migne, Paris 1862. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), hrsg. v. Friedhelm Nicolin / Otto Pöggeler, Philosophische Bibliothek, Bd. 33, Hamburg 71969. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorrede zu Hinrichs’ Religionsphilosophie, in: ders.: Sämtliche Werke, hrsg. v. Hermann Glockner Bd. 20, Stuttgart 1958, 1 – 28. Heidelberger Katechismus [1563]: Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 2 / 2, bearb. von Mihály Bucsay †, Emidio Campi, Zoltán Csepregi, Wilhelm H. Neuser und Jan Gerard Jakob van Booma, Neukirchen-Vluyn 2009, 174 – 212. Herms, Eilert: Glaube, in: ders.: Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens, Tübingen 1992, 457 – 483. Jüngel, Eberhard: Das Dilemma der natürlichen Theologie und die Wahrheit ihres Problems. Überlegungen für ein Gespräch mit Wolfhart Pannenberg, in: ders.: Entsprechungen: Gott – Wahrheit – Mensch. Theologische Erörterungen, München 1980, 158 – 177.

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Christiane Tietz  161 Schriften und Entwürfe, Bd. 2: Schriften aus der Berliner Zeit 1796 – 1799, hrsg. v. Günter Meckenstock, Berlin / New York 1984, 185 – 326. Tillich, Paul: Der Mut zum Sein. Mit einem Vorwort von Christian Danz, Berlin u.a. 22015.

2. Sekundärliteratur Althaus 1962: Althaus, Paul: Offenbarung als Geschichte und Glaube. Bemerkungen zu Wolfhart Pannenbergs Begriff der Offenbarung, ThLZ 87 (1962), 321 – 330. Baur 2010: Baur, Jörg: Lutherische Gestalten – heterodoxe Orthodoxien. Historischsystematische Studien, Tübingen 2010. Danz 2010: Danz, Christian: Einführung in die evangelische Dogmatik, Darmstadt 2010. Danz 2013: Danz, Christian: Grundprobleme der Christologie, Tübingen 2013. Jüngel 1990: Jüngel, Eberhard: »Meine Theologie« – kurz gefaßt, in: ders.: Wertlose Wahrheit. Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens. Theologische Erörterungen III, München 1990, 1 – 15. Jüngel 1990a: Jüngel, Eberhard: Glauben und Verstehen. Zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns, in: ders.: Wertlose Wahrheit. Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens. Theologische Erörterungen III, München 1990, 16 – 77. Jüngel 1999: Jüngel, Eberhard: Referat zur Einführung in das Schwerpunktthema der Synodentagung, EKD-Synode, Leipzig, 0.11.1999, in: epd-Dokumentation 49/99, 1 – 12. Jüngel 2005: Jüngel, Eberhard: Der Mensch im Schnittpunkt von Wissen, Glauben, Tun und Hoffen. Die theologische Fakultät im Streit mit der durch Immanuel Kant repräsentierten philosophischen Fakultät, in: Gerhard, Volker (Hg.): Kant im Streit der Fakultäten, Berlin 2005, 1 – 38. Schmitz 2013: Schmitz, Florian: »Nachfolge«. Zur Theorie Dietrich Bonhoeffers, Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, Bd. 138, Göttingen 2013. Schröder 1998: Schröder, Bernd: Erfahrung mit der Erfahrung – Schlüsselbegriff erfahrungsbezogener Religionspädagogik?, ZThK 95 (1998), 277 – 294. Schulte 1949: Schulte, Hannelis: Der Begriff der Offenbarung im Neuen Testament (BEvTh 13), München 1949. Stoellger 2010: Stoellger, Philipp: Passivität aus Passion. Zur Problemgeschichte eine ›categoria non grata‹, Tübingen 2010. Theill-Wunder 1970: Theill-Wunder, Hella: Die archaische Verborgenheit. Die philosophischen Wurzeln der negativen Theologie, Humanistische Bibliothek, Bd. 8, München 1970.

3.  Literaturhinweise zum vertiefenden Studium Härle, Wilfried / Preul, Reiner (Hgg.): Glaube, Marburger Jahrbuch Theologie 4, Marburg 1992. Schulz, Heiko: Theorie des Glaubens, Tübingen 2001. Seils, Martin: Glaube, Handbuch Systematischer Theologie 13, Gütersloh 1996.

Praktische Theologie

Jan Hermelink

Glauben – die Perspektive der Praktischen Theologie auf die gegenwärtige christliche Religion 1.  Einführung: ›Glauben‹ in praktisch-theologischen Lehrbüchern und Überblickswerken In der praktisch-theologischen Literatur der letzten Jahrzehnte wird der Begriff ›Glauben‹ selten zum Thema gemacht. Betrachtet man zunächst die einschlägigen Lehrbücher, so erscheint der Begriff etwa bei Gert Otto (1986), Peter C. Bloth (1994), Eberhard Winkler (1996), Wolfgang Steck (2000 / 2011) und auch bei Christian Grethlein (2012) weder im Stichwortregister noch als Überschrift größerer Abschnitte. Das Gleiche gilt für die große Theorie- und Problemgeschichte der Praktischen Theologie, die Christian Grethlein und Helmut Schwier 2007 herausgegeben haben. Im Handbuch der Praktischen Theologie aus dem gleichen Jahr (Gräb / Weyel 2007) verzeichnet das Register ca. 15 Einträge zum Stichwort ›Glauben‹; und in Dietrich Rösslers Grundriß der Praktischen Theologie (1986) gibt es einige wenige, aber signifikante Registereinträge. Orientiert man sich an dem letztgenannten Werk, dessen Grundbegriffe, -unterscheidungen und -akzente die Debatte bis heute prägen, so ist der zentrale Begriff hier wie in vielen jüngeren Beiträgen der Begriff der ›Religion‹. Der Religionsbegriff markiert die allgemeine Bedeutung der praktisch-theologischen Themen (Rössler 1986: 67 – 78); er markiert auch die zentrale Bedeutung, die dem Einzelnen und seinen religiösen Überzeugungen in der Praktischen Theologie zukommen soll (75 – 78, 99 – 102). Wird die individuelle Religion zum Thema, dann ist meist von »Überzeugungen« oder »Gesinnung« (104, 495) die Rede, oder von den verschiedenen Ausprägungen der »Frömmigkeit« (110 – 113). Diese dem individuellen ›Glauben‹ semantisch nahe-

164  Praktische Theologie stehenden Begriffe werden auch in der Theorie- und Problemgeschichte der Praktische[n] Theologie (Grethlein / Schwier 2007) häufig registriert; dazu kommt hier der Begriff der Spiritualität. Im Kontext einer durch den Religionsbegriff fundierten Praktischen Theologie (vgl. Meyer-Blanck 2007) kommt dem Begriff des Glaubens, das lässt sich etwa am Handbuch von Gräb / Weyel (2007) zeigen, dann vor allem die Aufgabe zu, die spezifisch christliche Religion zu bezeichnen. ›Glauben‹ markiert eine religiöse »Erfahrung mit der Erfahrung« (59) oder eine Reflexivität der Religion (49), wie sie sich vor allem im Christentum findet (vgl. auch 195 – 197). Was bei Rössler nur impliziert ist, wird hier gelegentlich ausdrücklich: In der Form des ›Glaubens‹ erweist die christliche Religion ihre kulturelle Überlegenheit (vgl. 44, 743). Im Einzelnen kommt ›Glauben‹ bei Rössler in zweierlei Hinsicht vor. Zum einen, das ist der schwächere Strang, wird auf den gemeinsamen christlichen Glauben verwiesen, wie er sich im »Glaubensbekenntnis« artikuliert (214, 381) und als »Glaubensinhalt« dogmatisch zu entfalten ist (322). Eine dementsprechende Rede von ›dem (christlichen) Glauben‹ findet sich, oft in Anlehnung an G. Ebeling, etwa auch in Failing / Heimbrocks Entwurf Gelebte Religion wahrnehmen (Failing / Heimbrock 1998: 17 f., 27, 159). Besonders deutlich ist diese objektive Fassung des Glaubens im einschlägigen Artikel »Glaube V. Praktisch-theologisch« der RGG4, demzufolge das gesamte kirchliche Handeln auf die »Ermöglichung des G., ferner auf die Pflege des Ausdrucks und der Kommunikation des G. und schließlich auf das Wirksamwerden des G. im Leben der Christen« (Preul 2000: 974 f., i. O. z. T. kursiv) gerichtet ist. ›Glauben‹ ist hier demnach keine Ausgangs-, sondern eine indirekte Zielbestimmung der kirchlichen Praxis; sie dient diesem Ziel durch »die klare, verstehbare und […] zugleich situations-, lebens- und problembezogene Artikulation des verbum externum« (975), und zwar in allen ihren Formen von der Predigt bis zu Diakonie und Publizistik. Dass ›der‹ Glauben hier im Wesentlichen von einem einheitlichen Bezugspunkt, »der christl. Botschaft« (977) aus konzipiert ist, zeigt auch die Warnung vor »frei wuchernder und dem Geist des Evangeliums widersprechender Frömmigkeitspraxis« (ebd.). Bei Rössler selbst kommt ›Glauben‹ jedoch vor allem als subjektive Größe in den Blick. So sind die klassischen ekklesiologischen Bestimmungen wie Einheit, Heiligkeit oder Katholizität der Kirche praktisch-theologisch deshalb von Interesse, weil sie »eine unmittelbare hermeneutische Bedeutung für den einzelnen Christen« haben:

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»Sie sind Grundbegriffe einer Deutung seiner persönlichen Glaubenserfahrung […].« (Rössler 1986: 268). Die »lehrmäßigen Bestimmungen«, wie sie das Credo zusammenfasst, liegen dem Glauben hier also nicht voraus, sondern sie sollen »alle auf ihre Weise die Erfahrung des Glaubens interpretieren« (ebd.). In ähnliche Richtung geht der zustimmende Hinweis auf Trutz Rendtorffs Theorie der sozialen Institutionen, die weniger von einer »um Objektivität bemühten Gotteslehre« als vielmehr durch eine »an der Subjektivität orientierten Glaubenslehre« zu beschreiben sind (416): »Glaubenslehre […] sucht auf der Ebene der individuell erfahrbaren Wirklichkeit von Menschen das einzuholen […], was in der Gotteslehre prinzipiell gewusst werden kann« (Rendtorff, zit. bei Rössler 1986: ebd.). ›Glauben‹ markiert hier dezidiert das subjektive Moment der Religion: die individuelle und damit auch vielfältige Erfahrung menschlicher Wirklichkeit im Blick auf ihre »Erneuerungsfähigkeit« und »Überholbarkeit« (268). Ähnlich kommt der Glauben etwa auch in Wilfried Engemanns Sammlung zu Grundmuster[n] der Praktischen Theologie (2003) zu stehen: »als Glaube einer Person« (291), als »individueller Glaube« (257), in dem es um eine je eigene, nicht hintergehbare »Lebensentscheidung« geht (154). Die Betonung der Individualität oder Subjektivität des Glaubens, wie sie sich bei Rössler, bei Engemann oder en passant auch bei Winkler (Winkler 1998: 158: »Glauben ist eine persönliche, individuelle Einstellung und Lebensweise«) findet, ist demnach oft gepaart mit einer dezidierten Antithetik: ›Glauben‹ markiert gegenüber dem objektiven Credo, der kirchlichen Institution oder auch »dem Unglauben« (Winkler 1998: 159) die Dimension des Unverrechenbaren, der je neuen Erfahrung bzw. das Moment einer individuellen Entschiedenheit, die seitens des kirchlich-institutionellen Handelns nicht herzustellen, sondern allenfalls zu fördern, vor allem aber zu respektieren ist. Es verwundert von daher nicht, dass ›Glauben‹ in den letzten Jahrzehnten vor allem von denjenigen praktisch-theologischen Disziplinen thematisiert worden ist, in denen die Einzelnen besonders im Vordergrund stehen: in der Seelsorge, in der Religionspädagogik und in der Aszetik, der Theorie der Frömmigkeit. In den einschlägigen Diskursen markiert der Rekurs auf den Glauben jeweils eine kritische Wendung gegenüber den dominanten Paradigmen, sei es die Erfahrungs- oder auch die Inhaltsvergessenheit der Seelsorge, sei es ein funktionaler Begriff des religiösen Lernens oder ein allzu innerliches, selbstzentriertes Verständnis von Spiritualität.

166  Praktische Theologie Im Durchgang durch diese Diskurse sind im Folgenden die spezifischen Aspekte zu eruieren, die der Praktischen Theologie am Begriff des Glaubens wichtig sind (s. u. 2.). Daran anschließend sind die kulturellen bzw. wissenschaftlichen Kontexte dieser Fachdebatten, nämlich das Verständnis von ›Glauben‹ in der populären religiösen Literatur (s. u. 3.) sowie in der Religionssoziologie (4.) zu umreißen. Besondere Aufmerksamkeit gebührt sodann dem praktisch-theologischen Ansatz von Wilhelm Gräb (5.), weil hier einerseits die Orientierung an Begriff und Phänomenen der Religion, wie sie das Fach bis heute mehrheitlich prägt, konsequent durchgeführt ist, in diesem Horizont aber andererseits der Begriff des Glaubens eine konstitutive, ebenso kritische wie normative Bedeutung für die Profilierung des Faches erhält. Den Schluss bildet eine zusammenfassende Skizze zum spezifischen Verständnis des Glaubens in der Praktischen Theologie (6.): Dieser Begriff markiert offenbar, in je unterschiedlicher Akzentuierung, wesentliche Anliegen des Faches gegenüber theologischen wie außertheologischen Wissenschaften unter den Bedingungen der pluralen Gegenwart.

2.  ›Glauben‹ in praktisch-theologischen Einzeldisziplinen 2.1.  Religionspädagogik: Glauben als spezifischer Lernprozess Während die Reformation ihre Einsicht, dass das Gottesverhältnis sich allein auf einen selbst verantworteten, biblisch gebildeten Glauben gründen kann, in zahlreiche pädagogische Initiativen und Institutionen umgesetzt hatte, wandte Schleiermacher – nun unter dem Leitwort der Religion – sich dezidiert gegen die Vorstellung, Religion – als freie Kommunikation von Individuen – könne gezielt und methodisch im schulischen Kontext gelehrt werden. In der dadurch ausgelösten, bis heute andauernden Debatte über »Religion und ihre Lernbarkeit« (Schröder 2012: 196 – 213) votierte Richard Kabisch (1910) – im Rekurs auf Schleiermacher einerseits, zeitgenössische Psychologie und Pädagogik andererseits – wirkmächtig für einen Religionsunterricht, der durch Anregung der kindlichen Phantasie religiöse Erlebnisse – und damit ausdrücklich »den Glauben« – erzeugen könne (zit. nach Schröder 2012: 122). Im Kontext der Dialektischen Theologie hielt vor allem Gerhard Bohne (1929) dagegen, »der Glaube [sei] eine völlig analogielose, mit keinem sonstigen Zustand vergleichbare Haltung. Und gerade deshalb […] kann er nur von Gott geschaffen werden.«

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(zit. nach Schröder 2012: 139). Der schulische Religionsunterricht wird dadurch, so Bohne, »zur großen Störung« einer Erziehung, die planvoll-methodisch vorgehen muss, im Falle des Glaubens aber ihr Ziel so gerade nicht erreichen kann. Die Religionspädagogik macht den Glauben vor allem unter dem Aspekt seiner Lehr- und Lernbarkeit zum Thema, weil sich hier offenbar verschiedene fachspezifische Konfliktlinien bündeln. So spiegelt sich in jener Frage die neuzeitliche Ausdifferenzierung verschiedener religiöser Lernorte: Während der Glauben in der Familie, aber auch in Konfirmandenunterricht und anderen gemeindlichen Kontexten recht selbstverständlich als Gegenstand von Lernprozessen erscheint, wird dies im Kontext einer allgemeinbildenden Schule strittig, die ihre Lernziele methodisch ausweisen und abprüfen muss. Wird Glauben – etwa unter Rekurs auf Confessio Augustana V – vor allem als ein menschlich unverfügbares Widerfahrnis konzipiert, dann kann, so scheint es, in der zielorientiert arbeitenden Schule eben nur »Religion«, nicht aber Glauben zum Thema werden. Ohne den Bezug zum Glauben aber steht für die Religionspädagogik nicht weniger auf dem Spiel als ihr Charakter als theologische Disziplin – während die These, Glaube sei nicht lehrbar, umgekehrt die Gesprächsfähigkeit des Faches mit der Allgemeinen Pädagogik zu gefährden scheint (vgl. Schröder 2012: 204). Nicht zuletzt markiert die Frage nach der Lehrbarkeit des Glaubens auch die berufsständische Konkurrenz zwischen Pfarrerinnen und Pfarrern, die für die Verkündigung wie für die Verkörperung des Glaubens stehen, einerseits und den schulischen Religionslehrkräften andererseits, die die Frage nach dem Glauben – auch für sich persönlich – eher offenhalten wollen und müssen. Eine besonders pointierte, insofern instruktive Position zum Verhältnis von Lernen und Glauben vertritt gegenwärtig Ingrid Schoberth. Sie kritisiert die verbreitete Tendenz, nur »Religion« als lehr- und lernbar zu begreifen, »während Glaube nicht als Gegenstand des Lernens gelten [könne], sondern als Unverfügbares interpretiert wird und darum unreflektiert bleibt« (Schoberth 1998: 43). Damit aber sei der Glauben pädagogisch unterbestimmt, ja neutralisiert. Dagegen betont sie: »Glaube selbst hat ein genuines Moment des Lernens in sich, das als Glauben-lernen wahrzunehmen und zu beschreiben ist.« (42 f.) Näherhin ist dieses Lernen als ein inhaltlich bestimmtes »Leben aus dem Glauben« zu bestimmen (35), als eine immer, ja »täglich neue« Gewissheitserfahrung, die zugleich ein »pneumatologisches Geschehen« darstellt wie auch ein »Handeln des Menschen im Angesicht Gottes« (36).

168  Praktische Theologie Der Aspekt des fortdauernden Lernens markiert darum die spezifische Lebensform des Glaubens und zugleich seine Bindung an die diskursive Lerngemeinschaft der Kirche im Ganzen. Als soziale Orte, an denen diese Lernbewegung des Glaubens konkret wird, nennt Schoberth die holländische Lehrhausbewegung (127 – 130), gemeinschaftliche Bibelarbeit (240 – 250) sowie tägliche Andachtspraxis (303 – 306). Auch dort, wo das Lernen des Glaubens nicht derart strikt auf anspruchsvolle binnenkirchliche Vollzüge beschränkt wird, steht der religionspädagogische Rekurs auf den Glauben doch für die Markierung einer inhaltlichen Bestimmtheit: Die christliche Theologie »führt bestimmte religiöse Erfahrungen auf Gott als deren Subjekt zurück, und nennt die dem Individuum widerfahrende Öffnung für solche Erfahrungen ›Glaube‹« (Schröder 2012: 200). Auf diese Weise ergibt sich ein »religionspädagogisches Paradox«: Christliches Erziehen und dessen Theorie können »Glauben und christliche Existenz nicht methodisch erarbeiten, sondern müssen sich bewusst bleiben, dass beide Geschenk Gottes sind. […] Auf der anderen Seite aber sind der Glaube und das Evangelium, auf das er sich bezieht, auf Verstehen angewiesen – sie […] müssen in persönlicher Verantwortung und mit theologischer Kompetenz vor der Welt vertreten werden.« (212 f.) Auch wenn die Lehrbarkeit des Glaubens also unter einem »theologischen Vorbehalt« steht (ebd.), so akzentuiert die religionspädagogische Rede von Glauben doch sehr energisch dessen wesentliche Lernbarkeit: Das Lernen ist »eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Bedingung des Glaubens« (Schweitzer 2006: 32). In diesem Kontext gewinnt die lutherisch-orthodoxe Unterscheidung von drei Aspekten des Glaubens an Interesse: Mindestens die Kenntnis (notitia) von Glaubensinhalten, aber auch deren kritische Prüfung und Anerkennung (assensus) sind als Lernprozesse zu konzipieren; und das daseinsbestimmende Vertrauen auf das göttliche Gegenüber (fiducia) unterliegt – von außen gesehen – einer lebenslangen Entwicklung. Die Entwicklung des Glaubens als einer fortdauernden Sinnsuche (meaning making) und darin als einer Lebensgewissheit (faith) thematisiert James Fowler in seiner Theorie der »Stufen des Glaubens« (1991). Ihm geht es dezidiert nicht um spezifische Glaubensinhalte (beliefs), sondern um in sich kohärente, zunehmend komplexe Formen des Welt- und Selbstverständnisses, der Symbolbildung und des Transzendenzbezuges, die in der individuellen Lebensgeschichte regelhaft aufeinander aufbauen. Die religionspädagogische Rezeption dieser und anderer Stufentheorien unterstreicht die biographische Prägung des

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Glaubens, seinen lebensgeschichtlich unabschließbaren Prozesscharakter; sie kritisiert jedoch die inhaltliche Unbestimmtheit solcher Entwicklungsmodelle: »Glauben« ist, im Unterschied zu »Religion« oder faith, jedenfalls durch spezifische Traditionen, Einsichten und Lebensvollzüge zu bestimmen. Weitere Akzente hat der religionspädagogische Begriff des Glaubens seit den 1990er Jahren durch die Verbreitung von »Glaubenskursen« für Erwachsene erhalten. Ursprünglich waren die meisten dieser Kursformate, etwa »Christ werden – Christ bleiben« (entwickelt von Burghard Krause, Hermannsburg) oder »Emmaus« (aus der Anglikanischen Kirche), »missionarisch« auf die Gewinnung neuer bzw. die Vergewisserung »distanzierter« Kirchenmitglieder ausgerichtet. Derartige Kurse zielen auf die Vermittlung elementarer Glaubensinhalte, deren Aneignung in einer temporären, intensiven Gemeinschaft und die starke Betonung spiritueller Vollzüge. Auch die Taufkurse für Erwachsene, die schon seit Längerem in Ostdeutschland praktiziert werden, gehören in diesen Zusammenhang. Inzwischen hat sich das Angebot von Glaubenskursen enorm erweitert; die Initiative der EKD Erwachsen glauben (2008) zielt durch ein Handbuch und zahlreiche Materialien darauf, »Kurse zum Glauben zu einem Regelangebot an verschiedenen kirchlichen Lernorten auszubauen« (zit. nach Hofmann 2013: 16). Viele der neueren Kursformate folgen eher erwachsenenpäd­ agogischen als missionarischen Prinzipien; sie zielen weniger auf eine Vermittlung von immer schon feststehenden Einsichten des Glaubens und vielmehr auf die gemeinsame Verständigung über solche Einsichten und deren individuelle Vertiefung. Die Praxis solcher Glaubenskurse, insbesondere ihre didaktische Anlage und deren Rezeption durch Teilnehmende, hat Beate Hofmann 2009 in einer größeren empirischen Studie, in den Regionen Nürnberg und Dresden untersucht. Dabei wird deutlich, wie sehr dieses kirchliche Angebot für die Einzelnen jeweils in einen komplexen sozialen Prozess der Erkundung, der Klärung und Vertiefung ihres Glaubens eingebettet ist. Für das religionspädagogische Verständnis des Glaubens sind dann vor allem drei Aspekte bedeutungsvoll. Zum einen kann die Entstehung des Glaubens – auch im Kontext einschlägiger Kurse – nicht als radikale Wende, als kognitive und soziale Konversion verstanden werden. Die Kurse stellen einen Raum für die Konkretisierung, die Öffnung, auch die Weiterentwicklung des individuellen Glaubens zur Verfügung; diese Prozesse führen aber nicht zum Bruch mit bisherigen Bindungen

170  Praktische Theologie und Überzeugungen, sondern werden als Schritte auf einem längeren lebensgeschichtlichen Weg gedeutet. Nur wenn ›Glauben‹ dezidiert als Gehorsam gegenüber ›Gottes Wort‹ und als personal-verbindliches Verhältnis zu Jesus Christus verstanden wird (so Heinzpeter Hempelmann in Zimmermann / Schröder 2010: 38 – 43), lässt sich die empirische Frage »Wie kommen Erwachsene zum Glauben?« mit Rekurs auf Bekehrungserfahrungen, die im Kontext von Glaubenskursen gemacht wurden, sowie auf die Intensivierung von Gemeinde- und Kirchenbindung beantworten. Dies aber entspricht gerade nicht dem Verständnis der meisten Kursteilnehmer. Diese heben vielmehr (zweitens) den kommunikativen Aspekt des Glaubens hervor: Es ist die gemeinsame, gesprächsweise Auseinandersetzung mit Texten, Deutungen und Erfahrungen, die eine individuelle, im Einzelnen ganz unterschiedliche Aneignung und Vertiefung ermöglicht. In religionspädagogischer Perspektive vollzieht sich das Lernen, das zum Glauben stets gehört, wesentlich als eine wechselseitige »Kommunikation über das Evangelium, die zu einer Kommunikation des Evangeliums werden kann« (Hofmann 2013: 457) – Glauben erscheint dann wesentlich als ein sozialer Vollzug, in dem aktive und passive Momente ineinanderliegen. Schließlich wird auch auf diese Weise das Subjekt als Ort des Glaubens markiert. Wenn Schröder die neuzeitliche Individualisierung der Religionspädagogik, »ihre programmatische Ausrichtung« auf die »Subjektwerdung« der Einzelnen betont (Schröder 2012: 4), dann kann auch der Glauben selbst nur verstanden werden als ein je individueller Lernprozess, der verantwortliche Subjektivität zur Voraussetzung wie zum Ziele hat.

2.2.  Poimenik: Glauben als individuelle Erfahrung und persönliches Bekenntnis In der neueren Seelsorgelehre sind dem ›Glauben‹ nur wenige Monographien gewidmet worden (Haendler 1952, Tacke 1975, Klessmann 1980, Josuttis 2007); gleichwohl werden mit diesem Thema in der Poimenik nicht selten wichtige Positionsbestimmungen und -verschiebungen markiert. Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg publiziert der Greifswalder Praktische Theologe Otto Haendler ein Buch über »Angst und Glaube« (1952). Angesichts der »Kaskaden von Katastrophen«, die den »europäischen Traum« zerstört und »erneut die jagenden Ängste zum

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Merkmal bangen Zeitgeschehens« gemacht haben (9 f.), wird zunächst nach philosophischen und psychologischen »Hilfen gegen die Angst« gesucht (64 – 73). Aus gründlicher eigener Kenntnis traut Haendler der Psychotherapie hier besonders viel zu; je mehr eine Therapie aber die personale »Ganzheit« in den Blick nimmt, umso mehr wird die Frage nach dem Glauben auch hier unausweichlich (78 f.). Im zweiten Teil wird die für Haendler charakteristische Sicht eines Menschen »am Rande« (7) leitend: Gerade dieser weiß, »was Glaube eigentlich wesenhaft ist, und spürt, […] welch unvergleichliche Kraft er enthält« – zugleich aber »scheut er sich, einen Glauben zu übernehmen, der nicht dem Subjekt wesensentsprechend ist, in dem richtigen Gefühl, dass ein solcher Glaube ja kein eigentlicher Glaube wäre« (80). Haendlers Schrift zielt darauf, den Glauben als eine anspruchsvolle, »inhaltgefüllte Schau der Wirklichkeit« verständlich zu machen (83), die aber nur je persönlich, in konkreten geistlichen »Grundpraktiken« (131 – 139) anzueignen ist und dann auch die vielfältigen Ängste überwinden kann. Haendlers theologisch unzeitgemäßes Anliegen, Objektivität und Subjektivität des Glaubens zu vermitteln, wird von seinem Schüler Klaus Winkler in der Formulierung aufgenommen, die Seelsorge ziele auf ein »persönlichkeitsspezifisches Credo« (1982), nämlich darauf, »sich allgemeine Glaubensaussagen gezielter anzueignen« und ihren individuellen, durch spezifische Erinnerungen und Konflikte geprägten »›Sitz im Erleben‹ besser wahrzunehmen« (162). In seinem Lehrbuch der Seelsorge (2000) begreift Winkler diese denn auch wesentlich als ein »glaubensbezogenes Geschehen«, ja als Eröffnung einer »Bekenntnissituation« (274 – 288): »An entscheidender Stelle muss die ebenso persönlich wie individuell ›er-lebte‹ […] Glaubensfrage gestellt werden, wenn denn ein neuer Lebensbewältigungsmodus wirklich den ganzen Menschen betreffen soll« (275). Im Bemühen um einen »persönlichkeitsspezifischen« Glauben wird das Verhältnis von Theologie und Psychologie, für Winkler die Grundfrage der Poimenik, besonders virulent. Denn die psychologische Frage nach der individuellen Konfliktgeschichte wird dann auch die Suche nach ritualistischen oder intellektualistischen Verengungen des je eigenen Glaubens umfassen; dessen Erleben kann dann nicht mehr »zur Tabu-Zone erklärt« werden (324). Begründet die Thematisierung des Glaubens bei Winkler die poimenische Rezeption psychologischer, v. a. psychoanalytischer Einsichten, so zielt Helmut Tackes Rede von der Seelsorge als »Glaubenshilfe« (1975) auf eine umfassende Kritik des pastoralpsychologischen

172  Praktische Theologie Paradigmas: »In der beratenden Seelsorge wird der Glaube nur selten angesprochen. Die Themen des Glaubens, die in Predigt und Unterricht ständig reflektiert werden, führen in der seelsorgerlichen Praxis ein Schattendasein. Glaube erscheint als Regung ganz subjektiver Gefühle, die man kaum hinterfragen darf und die mit dem Leben offenbar wenig zu tun haben.« (33) Tacke zielt darauf, die ›objektiven‹ Gehalte des Glaubens sowie seine spezifische Ausrichtung erneut in die Seelsorge einzubeziehen. »Entscheidend ist, dass der Glaube nicht als Gläubigkeit verstanden wird, sondern als Richtung des Herzens und der Sinne zum Du der Partnerschaft Gottes. Dementsprechend sieht der Glaube nicht nach innen, sondern nach außen, über die Erfahrung und Selbsterfahrung des Menschen hinaus.« (191) Die seelsorgliche »Lebenshilfe« richtet sich darum vor allem an Menschen, »die in und mit sich selbst müde geworden sind« (208), die sich selbst von äußeren wie inneren Ansprüchen überfordert sehen. Glaube darf daher nicht als »Glaubenskraft« missverstanden werden (ebd.), sondern er schließt – als Artikulation von »Gottesferne« und »Gottesängsten« (210) – den Umgang mit Zweifel und Anfechtung ein. Seelsorgliche »Lebenshilfe« kann der Glauben auch für Tacke nur dann werden, wenn er nicht als ein statischer, immer schon gewusster Inhalt präsentiert, sondern kommunikativ konkretisiert wird, in je spezifischen Gesprächssituationen. In der pastoralpsychologischen Praxis besteht aber die Gefahr, dass »das evangelische Proprium der Seelsorge nicht nur als kommunikationsvermittelt, sondern als kommunikationsidentisch« gesehen wird: »Damit wäre die Kommunikation in sich selbst zur Seelsorge erhoben.« (68) Die Konzentration auf eine angemessene Gestalt der seelsorglichen Beziehung darf nicht zu einer »Divinisierung des Humanen« führen (37 – 45), sondern jene Beziehung muss als gemeinsames »Glauben aus dem Hören« begriffen werden. Soll das Evangelium nicht in Kommunikation aufgehen, sondern als eigener Inhalt erkennbar werden, dann bedarf es einer dezidiert verbalen Explikation – der Glauben vermittelt sich eben nicht »im Medium von Gefühlen, sondern im Medium des Wortes« (Tacke 1975: 71, vgl. 55, 148). Als »Kommunikation des Glaubens« soll die Seelsorge darum auf Texte der Bibel, dazu auf ihre typischen Sprachformen zurückgreifen: das Erzählen, das Mahnen und Trösten. Insgesamt ist es, so Tacke, »zur dringenden Aufgabe geworden, im seelsorgerlichen Gespräch die Erkenntnis dafür aufzuschließen, wie der Glaube an Jesus Christus in unser Leben eingreift, welche Anstöße er gibt und welche Veränderungen er auslöst« (33 f.).

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Seit den 1990er Jahren hat die pastoralpsychologische Seelsorge ihrerseits notiert, es bestehe »eine erhebliche Scheu von seiten der Gesprächspartner, Glaubensfragen anzusprechen, und von seiten der Seelsorgerinnen und Seelsorger, mit Glaubensfragen umzugehen« (Lemke 1992, 7). Helga Lemke rät darum dazu, auf »die oft recht verschlüsselten Signale zu hören, die auf Glaubensprobleme im weiteren Sinne hindeuten« (ebd.). Es sind vor allem Zweifel, Fragen der Schuld und des eigenen Leides, deren religiöse Dimension auf diese Weise ausdrücklicher werden; und auch für Lemke besteht der Gewinn einer solchen seelsorglichen Praxis darin, bisher nur ›gewusste‹ Glaubensinhalte in das je eigene Erleben zu transformieren und die Gotteserfahrung so mit der individuellen Konfliktgeschichte zu vermitteln. Während Lemke auf diese Weise das subjektive Moment des Glaubens akzentuiert, ist Michael Klessmann, der die Seelsorge insgesamt als »Begegnung und Lebensdeutung im Horizont des christlichen Glaubens« versteht (2008, Untertitel), eher an den spezifischen Glaubensinhalten orientiert. Der einschlägige Paragraph seines Lehrbuchs (2008, 178 – 224) vollzieht einen Dreischritt, indem zunächst der Deutungsbegriff psychoanalytisch und systemisch (»Umdeutung«) rekonstruiert und sodann auf religiöse Deutung zugespitzt wird, die eine transzendente »Sehnsucht nach dem Ganzen, nach Vollendung und Heil« benennt. Der »Horizont des christlichen Glaubens« wird schließlich durch die spezifischen »Motive« der Rechtfertigung und der Freiheit markiert. Zu dieser recht kognitiven Sicht passt es, dass Klessmann die »Sprachfähigkeit« betont, die mit dem Glauben einhergehe (254). Erscheint Glauben hier vor allem als subjektives Erfahrungs- oder Deutungsmuster, so geht Christoph Morgenthaler, der im Rahmen seiner »Systemischen Seelsorge« die Funktion von Religiosität und »Gotteskonstrukten« ausführlich diskutiert (2000: 86 – 96, 258 – 260), einen Schritt weiter. Er arbeitet heraus, dass die Gottesbeziehung familiäre Konstellationen nicht nur stabilisieren kann, sondern sie auch »auf ein sich entziehendes, transzendierendes Mehr als Lebensmöglichkeiten hin aufbricht« (268). Das klassische pastoralpsychologische Anliegen, im Glauben der Beteiligten »die Einflüsse ihrer Biographie und Prägungen zu erkennen«, muss ergänzt werden durch die Einsicht, dass »die Beziehung zu Gott eine Wirklichkeit eigener Art ist«, die sich eben nicht allein als »Übertragung menschlicher Beziehungsmuster auf ein transzendentes Gegenüber« verstehen lässt (ebd.). Die Glaubensbeziehung vermag vielmehr eine – durchaus ambivalente – Eigendynamik zu entwickeln, die »über jedes System hinausführt« (269).

174  Praktische Theologie Wenn Manfred Josuttis in einer seiner späten Veröffentlichungen »Kraft durch Glauben« thematisiert (2007), so setzt er diese Linie fort, Glauben primär weder inhaltlich noch als subjektive Erfahrung zu verstehen, sondern als Kontakt mit einer »transpersonalen Macht« (23). Auch Josuttis nähert sich dem Phänomen zunächst über psychologische Theorien, indem er den »gelebten Glauben« als religiöse Konkretisierung des »Kohärenzgefühls« nach A. Antonovsky entfaltet. Im Anschluss verweist er jedoch auf die biblische Redeweise von der Seele als einem intra-, ja transpersonalen Gegenüber des Bewusstseins, als »Liebeskraft zwischen Gott und der Schöpfung« (27). Die »energetischen«, in Leib und Seele wirksamen Kräfte werden für Josuttis zu Kräften des Glaubens, indem die göttliche Macht ausdrücklich angerufen und in den geprägten Worten des Bekenntnisses und des Segens zugesprochen wird – »was die Worte besagen, das geschieht jetzt an mir« (29). Insgesamt nutzt die poimenische Debatte den Rekurs auf den Glauben offenbar immer wieder dazu, das Verhältnis des seelsorglichen Geschehens zu seinen ›Konkurrenten‹ zu bestimmen: Die besondere Bedeutung des Glaubens markiert Nähe und Distanz der Seelsorge zu Psychotherapie wie säkularer Beratung einerseits und zu objektiv-theologischer Lehre und kirchlicher Verkündigung andererseits. Dabei hebt die poimenische Debatte vor allem vier Aspekte hervor. Zum einen gehört zum Glauben, der durchaus als »Bekenntnis« (Winkler) gelten kann, doch jedenfalls die subjektive, unverwechselbar persönliche Aneignung. Dieser persönliche Glauben ist sodann durch biographische Prägungen, durch eine individuelle Konfliktgeschichte geprägt, die mit psychologischen Kategorien beschrieben werden muss, um den Glauben selbst vor Erstarrung und vor Verabsolutierung einzelner Aspekte zu schützen. Seelsorglich bedeutsam ist daher drittens eine bestimmte Erfahrungsdynamik des Glaubens: Er gewinnt seine Wirkung im Kontext von seelischen Grunderfahrungen der Angst (Haendler), der Schuld (Lemke), der Müdigkeit und Schwäche (Tacke, Josuttis). Diese Bedrohungen der individuellen Integrität werden durch den Glauben nicht etwa negiert, sondern in einen neuen Horizont gestellt: Zur Gottesbeziehung gehören Anfechtung, Zweifel, ja die Erfahrung der »Gottesferne« (Haendler, Tacke) wesentlich hinzu. Von den heilenden und tröstenden Erfahrungen, die die Einzelnen auch in der Therapie sowie in anderen religiösen Kontexten machen können, unterscheidet sich der Glauben schließlich durch den expliziten Bezug auf die christliche Überlieferung: Die Erzählungen und

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Symbole der Bibel (Tacke), die Formeln von Bekenntnis und Ritual (Winkler, Josuttis) sowie die Kategorien der Rechtfertigungslehre oder der Christologie (Klessmann) sind geeignet, im seelsorglichen Kontext die heilsame Kraft des Glaubens ausdrücklich zu machen.

2.3.  Aszetik: Glauben als christlich transformierte Spiritualität Wurde die Praxis der Frömmigkeit, der »gelebten Religion« (Pfleiderer 2002) oder der Spiritualität in der Praktischen Theologie lange nur am Rande wahrgenommen, so hat sich die ›Aszetik‹ seit etwa 25 Jahren (wieder) zu einer eigenen Disziplin entwickelt (Herbst / Eyselein 2003) – dabei ist die Grenze zwischen wissenschaftlichen und allgemein verständlichen, zwischen theoretischen und pragmatischen Überlegungen hier womöglich noch fließender als in anderen praktisch-theologischen Disziplinen. In den einschlägigen Lehrbüchern (etwa Zimmerling 2003; Dahlgrün 2009) bleibt der Begriff des Glaubens meist unbetont; allerdings markiert er in diversen populären Titeln eine spezifisch christliche Ausrichtung der ›Spiritualität‹ (vgl. etwa Steffensky 1989, 2012; Wolf 2011). Im Verhältnis zu diesem dominanten Leitbegriff erfährt der Glauben in aszetischen Beiträgen vor allem drei Akzentuierungen: Zum einen wird im Namen der Spiritualität ein verengtes Verständnis des Glaubens kritisiert (a); sodann werden bestimmte Züge gegenwärtiger Spiritualität im Namen des christlichen Glaubens kritisiert (b); schließlich wird die christliche Spiritualität als ›gelebter‹ oder ›gestalteter Glauben‹ positiv konturiert (c). (a) »In Deutschland herrscht vielfach der Irrglaube, Glaube sei eine Weltanschauung. Nein!« (Wolf 2011, 26) Was hier populär formuliert ist, findet sich ebenso in der Lehrbuchdefinition, christliche Spiritualität bezeichne den »gelebten Glauben«, der sich »in der konkreten Lebensgestaltung zu bewähren« habe (Dahlgrün 2009: 2, 99, 590 u. ö.; vgl. Zimmerling 2003: 16). Gegenüber einer theologisch-kirchlichen Tradition, die den Glauben vor allem durch bestimmte, satzhafte Inhalte definiert, betont die aszetische Literatur einerseits, der Glaube stelle primär eine Beziehung dar; er sei eine ganz persönliche Erfahrung und Überzeugung. Im Horizont der gängigen Rede von Spiritualität wendet sich die Aszetik darum kritisch gegen die Vorstellung, der christliche Glauben sei durch Tradition oder Institution immer schon festgelegt: War der kirchlich-traditionale Glauben durch eine »Aura von unbedachten Selbstverständlichkeiten« gekennzeichnet, so eignet dem Glau-

176  Praktische Theologie ben heute eine je eigene Wahl, ja eine persönliche »Entschiedenheit«, die nur individuell zu verantworten ist (Steffensky 2012: 10 f.). Andererseits richtet sich die praktisch-theologische Thematisierung von Spiritualität gegen ein Verständnis des Glaubens, das diesen ganz in der Innerlichkeit, in der ganz und gar passiven Erfahrung der Rechtfertigung verortet. Der Glauben muss vielmehr zu einer sichtbaren Praxis finden, er muss auch ein »tatsächliches Handeln«, einen konkreten, konturierten »Lebensvollzug« umfassen (Dahlgrün 2009: 131): Zur Rechtfertigung gehört auch im evangelisch verstandenen Glauben zugleich die Heiligung, als »von Gottes Gnade […] begleitetes Tun« (ebd., 407). (b) Die Aszetik rezipiert wesentliche Momente der gegenwärtigen Rede von Spiritualität, etwa ihren antiinstitutionellen Impetus und ihre Konzentration auf das persönliche Erleben. »Letztlich geht es darum, eigene Erfahrungen zu sammeln« und auf diese Weise die »Kraft« des Glaubens zu erleben, »Leben schon jetzt zu verändern« (Wolf 2011: 84, 141). Eben weil auch ›christliche Spiritualität‹ wesentlich eine individuelle, durch je eigene Suchbewegungen geprägte Erfahrung ist, betonen die einschlägigen Autorinnen und Autoren jedoch immer wieder, dass der Glauben eben nicht im individuellen Ich zentriert sei, sondern die Erfahrung einer Beziehung darstellt, die von Gott ausgeht und wesentlich von diesem Gegenüber geprägt ist (Dahlgrün 2009: 146 – 148; Wolf 2011: 194 f.). Eben darum eignet der christlichen Spiritualität auch ein Moment der Entscheidung: »Der Glaube kann sein ganzes Potenzial entfalten, wenn man ernst macht. Oder um es deutlicher zu sagen: Man muss heute […] im positiven Sinne fundamental werden.« (Wolf 2011: 134) Auch eine Spiritualität, die sich ganz auf persönliche Übungen der Frömmigkeit konzentriert, kann im Namen ›des Glaubens‹ kritisiert werden, weil dieser immer auch »die Verantwortung gegenüber der Welt«, ein diakonisches und / oder politisches Handeln umfasst (Dahlgrün 2009: 310 – 326). Noch weiter geht F. Steffensky, wenn er – wie viele andere Autoren – auf die Bedeutung regelmäßiger spiritueller Übung, auch ohne Erfahrungsqualität hinweist. »Es kann sein, dass der Glaube gelegentlich nur noch aus Handlungen besteht. […] Der Glaube ist dann wie eine leere und ausgeräumte Kapelle. Nicht beten, aber in die Maske der Beter schlüpfen […]. Karsamstagsglaube, der Glaube schweigt.« (Steffensky 2012: 11) (c) Die traditions- wie die gegenwartskritischen Momente der aszetischen Rede vom Glauben kommen dort zusammen, wo die christli-

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che Spiritualität mit Hilfe dieses Begriffs nun auch positiv konturiert wird. Zum ›gelebten Glauben‹ gehört eine Gemeinschaft des Glaubens, ein gruppen- und dann auch institutionskirchlicher Zusammenhang (Wolf 2011: 82, 112 – 118). Immer wieder beschreibt etwa Steffensky, wie gefährdet eine (protestantische) Spiritualität ist, die sich nur auf die eigenen Einsichten und Überzeugungen stützt, ohne »den Trost der Geschwister [zu] suchen«, ohne den »Glaube des eigenen Herzens« mit der »Gemeinschaft der Heiligen« zu verbinden (Steffensky 1989: 28 – 39; 2012: 50 f.). Schließlich ist die christliche Spiritualität als ›gelebter Glauben‹ darum durch einen positiven Bezug auf die tradierten Texte und Rituale bestimmt. »Dem Glauben eine Gestalt geben« (Steffensky 1989: 40 – 51) – das bedeutet stets den Rekurs auf biblische Texte, deren Lektüre den Kern gerade der evangelischen Spiritualität ausmacht, dann auch auf andere christliche Überlieferungen. Und zum gelebten Glauben gehört die Einübung in die traditionellen Vollzüge des Glaubens, die in den Lehrbüchern zur Spiritualität daher ebenso regelmäßig wie ausführlich thematisiert werden (vgl. Zimmerling 2003: 192 – 208; Dahlgrün 2009: 423 – 597): Gebet, Andacht, Singen sowie die Erfahrung des Segens.

3.  ›Glauben‹ im populären Sprachgebrauch der Gegenwart Ähnlich wie ›Religion‹ oder ›Kirche‹ ist auch ›Glauben‹ nicht nur ein wissenschaftlicher Begriff, sondern zugleich ein Wort der Alltagssprache, das zudem sowohl binnenkirchlich als auch im allgemeinen Sprachgebrauch verbreitet ist. Diese alltägliche Rede von ›Glauben‹ ist für die Praktische Theologie, die das kirchliche Handeln dezidiert im Kontext gegenwärtiger Lebenswelten untersucht, von besonderem Interesse. Während sich der binnenkirchliche Sprachgebrauch vor allem anhand des aktuellen aszetischen Diskurses rekonstruieren lässt (s. o. 2.3.), ist das allgemeine, immer schon selbstverständlich vorausgesetzte Verständnis von ›Glauben‹ nur indirekt fassbar. Hier soll versucht werden, diese Alltagsbedeutung anhand einiger populärer Texte zu eruieren, die über den Glauben dezidiert nicht aus der Perspektive von Theologen, Geistlichen oder anderen Religionsprofessionellen reden, sondern aus der Sicht von Laien, für die Glauben ein Teil des Alltags (geworden) ist. In Frage kommen einerseits journalistische Texte – gewählt wurden

178  Praktische Theologie exemplarisch das Themenheft »Mein Glaube« der Zeitschrift Spiegel Wissen (2013) sowie ein Band mit etwa zwei Dutzend Reportagen über die »Glaubensrepublik Deutschland« (Drobrinki / Keller 2011) – , andererseits engagierte Selbstberichte (Magnis 2012; Weizsäcker 2012). Gemeinsam ist den hier betrachteten Texten zunächst, dass sie das Phänomen des Glaubens an einzelnen Personen festmachen – das legt sich journalistisch zwar nahe, wird hier aber zum durchgehenden Prinzip. Es sind stets konkrete, oft eindrücklich abgebildete und fast immer mit Namen genannte Individuen, an denen Glauben zum Thema wird (vgl. etwa Mein Glaube 2013: 32 – 40, 52 – 62). Kontur gewinnen diese Glaubenden durch ausführliche biographische Schilderungen, die häufig mit dramatischen Einschnitten verbunden sind. In den beiden Bekenntnisbüchern ist es der Tod eines besonders geliebten Bruders; in den Reportagen aus der ›Glaubensrepublik‹ werden verschiedentlich schwere Krankheit, Scheidung, berufliches Scheitern oder andere Lebenskrisen genannt. Von »Bekehrung« sprechen wenige (Magnis 2012; Mein Glaube 2013: 86), aber eine ›Lebenswende‹ (oder mehrere) wird doch von den meisten Glaubenden berichtet. Eine Lebensgeschichte, die durch ›Glauben‹ bestimmt ist, hat sich auf die eine oder andere Weise ausdrücklich von der Normalbiographie abgewandt – die im Umfeld jeweils üblichen Lebensformen, die selbstverständlichen Werte und Einstellungen werden mehr und mehr verlassen. Insbesondere die gewohnten, wenig konturierten religiösen Überzeugungen genügen nicht mehr; das bisherige, meist distanzierte, mitunter auch intensive Verhältnis zur kirchlichen Tradition wird persönlicher und reflektierter, ja »ehrlicher« (Weizsäcker 2012: 28 f.). Im Ganzen lassen die Glaubenden – wiederum stärker als durch die journalistische Form erklärbar – ein hohes Maß an persönlichem Profil erkennen: Von ihren Aufgaben und Zielen im Leben, gleichsam von ihrer Bestimmung haben sie nun ein klares Bild. Diese innere Entschiedenheit schließt weitere Entwicklungen des persönlichen Glaubens, Bewegungen der Suche oder auch des Zweifels keineswegs aus (Weizsäcker 2012); vor allem aber kann der Glauben zu einer immer größeren eigenen Gewissheit werden. Worauf sich dieser Glauben im Einzelnen bezieht, ist naturgemäß höchst unterschiedlich. Es fällt allerdings auf, dass nur wenige sagen können (oder wollen), an welche Instanz sich ihr Gebet richtet, von welchem Gegenüber sie sich begleitet oder auch unbedingt herausgefordert sehen. Es scheint, als würden ausdrückliche Benennungen und bildliche Fixierungen eher gemieden. Deutlich ist aber, dass der

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Glaube – im Unterschied zu einer unverbindlichen ›Spiritualität‹ oder zu einer allgemeinen ›Religiosität‹ – ein konkretes Gegenüber hat. Prägend für die Glaubensbiographie sind weniger bestimmte inhaltliche Vorstellungen als vielmehr die Begegnungen mit bestimmten Personen. Dies können Geistliche und andere religiöse Lehrerinnen und Lehrer, es können aber auch anderen Glaubende sein, die für eine kürzere oder längere Zeit zu Wegbegleitern werden. Oft werden entscheidende Szenen sehr genau geschildert, oder es werden die Sätze zitiert, die den Glaubenden wichtig geworden sind (etwa Mein Glaube 2013: 35; Weizsäcker 2012: 40 f., 48 f., 63 u. ö.). Der Umgang mit solchen Worten, auch mit biblischen oder anderen heiligen Texten, ist dabei ausdrücklich und bewusst subjektiv; auch die religiösen Rituale müssen persönlich angeeignet werden, wenn sie Teil ›meines‹ Glaubens werden sollen. Es dürfte eben diese je eigene Aneignung der jeweiligen religiösen Tradition sein, die durch die prägenden Begegnungen mit Anderen gefördert wird. Ein Bezug auf eine religiöse Gemeinschaft, gar auf eine Institution tritt dagegen in den journalistischen Berichten und Selbstberichten eher in den Hintergrund. Zur dezidiert subjektiven Signatur, den ›Glauben‹ im allgemeinen Sprachgebrauch zu haben scheint, gehört sodann eine hohe Bereitschaft, über diesen eigenen Glauben Auskunft zu geben. Nicht nur die Bekenntnisbücher, auch die verschiedenen journalistischen Berichte lassen jeweils eine hohe Sprachfähigkeit, eine große Artikulationskraft erkennen (vgl. Magnis 2012; Drobinski / Keller 2011: 82 – 90, 93 – 99, 130 – 137, 159 – 165). Dem unhintergehbar individuellen, stets an eine Person gebundenen Profil des Glaubens entspricht schließlich die Pluralität dieses Phänomens. Die journalistischen Texte präsentieren »meinen Glauben« stets in einer Mehrzahl, die nicht nur durch das Nebeneinander verschiedener Religionen, sondern auch durch unterschiedliche Akzente innerhalb des Judentums, des Islam etc. bestimmt ist. Ebenso legen die Selbstberichte der Glaubenden höchsten Wert darauf, keinen ›objektiven‹ Absolutheitsanspruch zu erheben, sondern die (ebenso entschieden) anders Glaubenden mit im Blick zu behalten (Weizsäcker 2012: 38 – 41, 77 f., 309 f.). Zusammengefasst heißt ›Glauben‹ in der (journalistischen) Laienperspektive, das eigene Leben in einer persönlich engagierten, biographisch reflektierten Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen zu führen, sich ihre Texte und Rituale subjektiv anzueignen, besonders aber mit prägenden Personen in Kontakt zu sein, die ihrerseits den

180  Praktische Theologie Glauben zur Darstellung bringen. Gegenüber dem Begriff der ›Religion‹ erscheint der Glauben dann als persönlicher und stärker biographisch bestimmt; gegenüber der ›Spiritualität‹ eignet dem Glauben ein höheres Maß an Verbindlichkeit und Konkretion.

4.  Religionssoziologische Perspektiven In der gegenwärtigen Religionssoziologie wird von ›Glauben‹ selten, dann aber mit einer sehr klaren Akzentuierung gesprochen: Im Kontext eines allgemeinen Religionsverständnisses sowie einer Deutung der gegenwärtigen, höchst pluralen und dynamischen religiösen Verhältnisse markiert ›Glauben‹ jeweils eine spezifische, vor allem in Christentum und Judentum begegnende Form der Religion, die dezidiert subjektiv verfasst, in je individuellen Erfahrungen, Überzeugungen und Selbstdeutungen fundiert ist. Diese gesellschaftstheoretische Bestimmung von ›Glauben‹ sei an einschlägigen Ausführungen von Peter L. Berger, Armin Nassehi und Hans Joas entfaltet. Für Peter L. Berger stellt Religion generell eine Spielart des gesellschaftlichen Bestrebens dar, die Vielfalt menschlicher Erfahrung, Praxis und Sinndeutung in einen übergreifenden, allgemein verbindlichen und handlungsleitenden Zusammenhang zu bringen. Ein solcher SinnBaldachin (amer.: canopy) ist dann religiös, wenn er die soziale Weltund Lebensdeutung auf eine transzendente, absolut übermächtige Wirklichkeit bezieht (vgl. Berger 1988: 26 – 28). In der Moderne ist die Geltung solcher religiös-gesellschaftlicher »Kosmisierung« (25) durch die zunehmende Pluralität von religiösen, philosophischen und politischen Weltdeutungen bedroht, die zu einer »kognitiven Kontaminierung« vormals selbstverständlicher Sinnordnungen führt (Berger 1999: 44). Eine zunehmende Säkularisierung, im Sinne einer Auflösung religiös verbindlicher Sinndeutung, scheint mit den Rationalisierungsprozessen der modernen Gesellschaft daher unweigerlich verbunden. Für die Gegenwart vor allem der US-amerikanischen, aber auch der europäischen Gesellschaften konstruiert Berger daher einen Hiatus zwischen einem »extremen Relativismus«, der der Religion »jeden Wahrheitsgehalt […] abspricht« und religiöse Behauptungen als rein subjektive, wirklichkeitsferne Äußerungen versteht, und einer vormodernen »Gewissheit«, die zwar empirisch von vielen traditionellreligiösen Gruppen gelebt und verfochten wird, sich aber doch immer wieder als höchst anfällig gegenüber der pluralistischen »Kontami-

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nierung« erweist (Berger 1999: 24 f.). Religiöser Glaube kann unter den Bedingungen weltanschaulicher Pluralität und Entscheidungsfreiheit nicht mehr durch eine religiöse Gemeinschaft verbürgt und gesichert sein, sondern ist das – stets fragile – Resultat einer unhintergehbar individuellen, existenziell zu wagenden Wahrheitssuche (vgl. 92 – 96, 132 – 148). Ein solcher moderner Glaube, wie ihn Berger (mit persönlichem Engagement) skizziert, geht aus von der Erfahrung, »dass die normale Realität in Wirklichkeit doppelbödig ist«: Hinter ihrer scheinbar stabilen Selbstverständlichkeit zeigt sich immer wieder »eine andere, viel mächtigere Realität, die mit der Alltagswelt durch verschiedene Türen und Tore verbunden ist« (134). Als Beispiele nennt Berger »die sexuelle Verzückung, die theoretischen Ekstasen der reinen Mathematik und die ästhetischen der Musik« (133), aber auch die alltäglichen Erfahrungen des Spiels und des Humors (vgl. 145 f.). Glauben heißt dann, solche Erfahrungen bewusst als »Signale der Transzendenz« zu deuten, als Hinweis auf eine letztgültige Realität, die »mir zum Wohle gereicht« (139). Was Berger auf diese Weise mit religions- und wissenssoziologischen Argumenten rekonstruiert, ist also – in seinen eigenen Worten – das »lutherische« Verständnis »von Glauben (fides) als Vertrauen (fiducia)« in »die letztendliche Güte der Schöpfung« (139) – und zwar in Form einer persönlichen »Glaubensentscheidung« (145) unter gewandelten sozialstrukturellen Bedingungen. Von ganz anderen Voraussetzungen her kommt Armin Nassehi zu ähnlichen Beschreibungen der religiösen Kommunikationsform, die in der Gegenwart als ›Glauben‹ erscheint (vgl. zum Folgenden Nassehi 2009: 188 – 190). Mit Luhmann versteht Nassehi Religion als ein Kommunikationssystem, das den Code ›Transzendenz / Immanenz‹ nutzt, um – angesichts der Brüche und Kontingenzen der Wirklichkeitserfahrung – doch ihre Sinnhaftigkeit zu artikulieren. Für die Moderne ist es insbesondere die Erfahrung der eigenen Lebensgeschichte, die einer solchen Konsistenz verbürgenden Deutung bedarf. Auch Nasssehi wendet sich gegen die verbreitete These einer Abnahme religiöser Kommunikation in der Gegenwart; vielmehr findet er empirische Belege für eine »erstaunliche religiöse Kompetenz« (2009: 170): Im alltäglichen Gespräch werden Verweise auf Gott, auf transzendente Instanzen und eben auch auf ›den Glauben‹ genutzt, um die radikale Vielfalt der faktischen Wirklichkeits- wie der Selbstdeutungen zu bearbeiten. Nassehi spricht pointiert von der »Fernsehformatierung« der gegenwärtigen Sinnkommunikation (197): Die alltägliche

182  Praktische Theologie Erfahrung, mit einem Klick auf die Fernbedienung ganz unterschiedliche Themen, Formate und Sichtweisen der Wirklichkeit nebeneinander ›auf dem Schirm‹ zu haben, plausibilisiert das allgemeine Bewusstsein einer Vielfalt von Sinndeutungen, die sich in keine allgemein geteilte Weltsicht mehr einordnen lassen. Religiöse Kommunikation hat, so sieht es Nassehi, unter diesen Bedingungen radikaler Pluralität und Inkonsistenz nun die Funktion, gleichwohl eine ›Ganzheit‹ der Welt und v. a. der eigenen Lebensgeschichte kommunizieren zu können. Dazu bedient sich die religiöse Kommunikation einer indirekten, bildhaft und symbolisch verschlüsselten Sprache, und sie artikuliert »im Modus des Glaubens« (200): in einer Sprachform, die die Authentizität der eigenen Überzeugung als letzte, absolute Begründung einsetzt. Nur in dieser kommunikativen Form einer durch das eigene Erleben, durch den dezidierten Einsatz des ›Ich glaube‹ verbürgten religiösen Sinndeutung kann so etwas wie die Ganzheit des eigenen Lebens in der Gegenwart noch artikuliert werden. Die Kommunikationsform des Glaubens verbindet insofern einen radikalen Selbstbezug mit dem Rekurs auf transzendente, freilich nur noch indirekt und symbolisch zu benennende Instanzen. Wiederum andere, nämlich v. a. handlungstheoretische Grundlagen nutzt Hans Joas, um die Eigenart des Glaubens unter den gegenwärtigen Bedingungen zu beschreiben. Grundsätzlich stellt der »religiöse Glaube« ein System von Symbolen und Praxisformen dar, das »auf intensiven Erfahrungen [beruht]; [der Glaube] ermöglicht die Teilhabe an Ritualen, die selbst wieder Quelle von Erfahrungen sind; er bietet Vorbilder an, die uns zur Nachfolge einladen, und er enthält Geschichten und Mythen, die uns bei der Deutung unseres eigenen Lebens und der Geschichte anleiten« (Joas 2012: 150 f.). Der Ausgangspunkt von Religion sind Joas zufolge »Erfahrungen der Selbsttranszendenz« (153 u. ö.), die einen aus den alltäglichen Praxis- und Deutungsroutinen her­ ausreißen und die von Glaubenden als »Begegnung mit realer Transzendenz« gedeutet werden (ebd.). Dabei spielen, wie eigens zu notieren ist, persönliche »Vorbilder«, die in der religiösen Überlieferung oder auch in der gegenwärtigen Erfahrung begegnen, eine wesentliche Rolle. Die gesellschaftliche Gegenwart will Joas nicht als ›Moderne‹ oder ›Postmoderne‹ begreifen, weil damit die »tatsächliche Variabilität der Konstellationen« (120), die faktische Vielfalt institutioneller wie individueller Akteure sowie die wechselseitige Bedingtheit ihres Handelns vorschnell als ein unilinearer Prozess begriffen wird. Auch Säkularisierungsprozesse sind dann nur eine Dimension der sozialen Dyna-

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mik unter vielen; sie können im Einzelnen ganz unterschiedlich stark und wirksam sein. Gemeinsam ist den gegenwärtigen Verhältnissen jedoch »die Zunahme der Optionen unseres Handelns und [… die] Zunahme der Widerfahrnisse in unserem Leben, die sich […] aus der Steigerung individueller Handlungsmöglichkeiten [ergeben]« (136, vgl. 121 f. u. ö.). Bevor er auf die Folgen dieser »Optionssteigerung« (121) für den Glauben kommt, erläutert Joas ihre Folgen für soziale Bindungen und Werte. Dabei betont er, dass wachsende Kontingenz – im Sinne von mehr Handlungsfreiheit, aber auch mehr Zufälligkeit – keineswegs eo ipso personale Bindung gefährdet, wohl aber die Bindungsformen verändert: Angesichts der Auflösung fester Geschlechter- und Generationenrollen haben sich »die Umgangsformen der Partner miteinander und mit den Kindern gewandelt. […] Koordinations- und Besprechungsaufwand steigen, die Sensibilisierung für die aktuelle Situation und die Bedürfnisse des Gegenüber steigen« (140) – und dieser Umgang erzeugt eine »dynamische Stabilität« (ebd.), die durchaus stärker sein kann als die traditionell-statische Bindungsstabilität. – Ähnlich beruht die soziale Bedeutung von Werten nicht mehr auf deren selbstverständlich-alternativloser Geltung, sondern – angesichts der wachsenden Kontingenz – u. a. auf der Einsicht, dass gemeinsame, das Handeln steuernde Werte aus verschiedenen, auch religiösen Traditionen begründet sein können und dass es einer Einfühlung in fremde Überzeugungen und Wertbindungen bedarf, um – mittels einer »reflexiven Distanzierung von sich selbst« (143) – die je eigene Wertbindung auch für andere, für Fremde zu unterstellen und zu respektieren. Sozialen Bindungen eignet unter den Bedingungen vermehrter Handlungsoptionen jedenfalls »ein höheres Maß an Freiheit«; ohne die bewusst »immer erneute Einwilligung in schon bestehende Bindung« ist gesellschaftliche Integration nicht mehr denkbar. Aus solchen Überlegungen, die den Thesen Bergers zum Freiheitsgewinn durch Pluralität durchaus ähnlich sind, ergibt sich für Joas nun für den Glauben: Zwar wird es für die Einzelnen leichter, auch ihre religiösen Bindungen zu wechseln oder zu transformieren – jedoch »der Glaube, der aus dieser prekären Situation der Gegenwart hervorgeht, kann gerade deshalb stärker sein, weil er sich der unverzerrten Alternative gestellt hat« (148). Auch der religiöse Glauben ist heute faktisch immer eine »kontingente Gewissheit« (126 f., 148); seine Lebendigkeit beruht auf dem Bezug zu eindrücklichen, »konstitutiven Erfahrungen« der Selbsttranszendenz und Selbsttransformation (161). Die Gewissheit

184  Praktische Theologie des Glaubens hängt dann – auch Joas wird hier positionell – wesentlich »ab von den Fähigkeiten derer, die diese Option vertreten und vorleben, und von ihrem Vertrauen [… auf deren] Anziehungskraft« (148). Bei allen Unterschieden der soziologischen Theoriebildung zeichnen Berger, Nassehi und Joas doch hinsichtlich des ›Glaubens‹ ein bemerkenswert übereinstimmendes Bild: Die gegenwärtige Gesellschaft ist gekennzeichnet durch eine radikale Inkonsistenz individueller Erfahrung und insbesondere durch eine hohe Optionenvielfalt bezüglich des sozialen Handelns wie auch dessen Sinndeutung. Das heißt nicht, dass übergreifende Kommunikations- und Deutungszusammenhänge sich gänzlich auflösen würden; auch und gerade religiöse Sinnsysteme werden keineswegs immer und überall säkularisiert. Wohl aber müssen solche Ganzheitsdeutungen das allgemeine Wissen um ihre eigene Pluralität integrieren, sie müssen »kontingente Gewissheit« (Joas) bieten – und dies geschieht, indem sich (auch) religiöse Praxisund Deutungskomplexe in mehrfacher Hinsicht individualisieren: Sie verstehen sich zunehmend als unhintergehbar individuellen Umgang mit Erfahrungen der (Selbst-)Transzendenz, die ihrerseits ganz individuell gemacht und daher nur symbolisch-indirekt kommuniziert werden können. Werden diese intensiven Selbsterfahrungen ausdrücklich unter Rückgriff auf religiöse Sprache gedeutet, dann kann man soziologisch von ›Glauben‹ sprechen: Dieser stellt eine radikal subjektivierte, dadurch zugleich intensivierte, erfahrungsbezogene Form religiöser Überzeugung oder Kommunikation unter den Bedingungen der Gegenwart dar.

5.  ›Glauben‹ als normatives Gegenüber von ›Religion‹ in der Praktischen Theologie Wilhelm Gräbs Für das praktisch-theologische Verständnis des Glaubens ist das Œuvre des Praktischen Theologen Wilhelm Gräb (geb. 1948, zuletzt in Berlin) besonders aufschlussreich. Denn auf der einen Seite versteht Gräb die Praktische Theologie programmatisch als »Religionskulturhermeneutik« und akzentuiert damit den Mainstream des Faches, ›Religion‹ zum Grund- und Leitbegriff zu machen, mit spezifischer Verve (vgl. etwa Grethlein 2012: 85 – 87). Auf der anderen Seite hat Gräb jedoch immer wieder auch den Begriff des Glaubens herangezogen, um die Eigenart der Praktischen Theologie zu bestimmen: Es muss ihr um die »Mitteilung des Glaubens« (Gräb 1988) gehen, wenn sie die ›Religion

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der Menschen‹ nicht nur wahrnehmen, sondern im Sinne des Christentums vertiefen und reflexiv steigern will. Dieses spezifische Verständnis des ›Glaubens‹ sei im Folgenden an drei Hauptwerken Gräbs erläutert.

5.1.  ›Glauben‹ als Konstitutionsbegriff der Praktischen Theologie Im Jahre 1985 publizierten die Göttinger Assistenten Dietrich Korsch und Wilhelm Gräb einen ambitionierten enzyklopädischen Essay, der die »Praxisrelevanz« wie die »Erfahrungsoffenheit« der Praktischen Theologie durch eine subjektivitätstheoretische Explikation der Rechtfertigungslehre erweisen soll (Gräb / Korsch 1985: 15 u. ö.). Die Pointe ihres Vorschlags markiert der Titel ihres Buches: »Selbsttätiger Glaube«. Der Praxisbegriff, den »es in einer [praktisch-]theologischen Praxistheorie zu analysieren, zu kritisieren und konstruktiv zu entwerfen gilt« (37), beschreibt demnach die eigentümliche Praxis des Glaubens. In der Rekonstruktion von Luthers Rechtfertigungslehre halten die Autoren vor allem drei Momente dieses Glaubens fest. Zunächst muss die Rechtfertigungslehre, den neuzeitlichen Verständnishorizont aufnehmend, als eine Theorie über den Aufbau von – endlicher, immer schon bedingter – Subjektivität begriffen werden. Der rechtfertigende Glaube ist insofern nicht etwa nur eine Dimension oder eine Eigenschaft des zuvor schon gegebenen Subjekts, sondern vielmehr seine Begründung: Die Praxis des Glaubens ist nur so richtig beschrieben, »dass ihr Subjekt im Rechtfertigungsglauben allererst zu dem wird, als was es ist und wozu es sich in sinnhaft-intentionaler Praxis bestimmt weiß« (15, Hervorh. J. H., vgl. 41 – 49). Sodann ist dieser subjektkonstitutive Glauben stets und von vorneherein als eine Praxis, oder – in der Terminologie Luthers – als ein »Werk« zu begreifen (vgl. 50 – 52). Denn christlicher Glaube ist zunächst und zuerst die Befolgung des ersten Gebots. Zum Glauben gehören darum nicht erst sekundär, sondern von vorneherein bestimmte »Handlungsmuster« (53 – 60), die anhand der Zehn Gebote rekonstruiert werden können. In dieser Perspektive besteht die Praxis des Glaubens zunächst in der Befolgung der ersten vier Gebote, die insgesamt, so Gräb / Korsch, die »Bestimmtheit durch den Glauben im Handeln darstellen« (53). Die Praxis des Glaubens ist insofern zunächst religiöse, genauer gottesdienstliche und verkündigende Praxis (vgl. 54 – 58); oder allgemeiner gefasst: Zum Rechtfertigungsglauben gehört immer schon die öffentliche Darstellung und die intentionale Mitteilung – der Glaube ist insofern wesentlich als eine kommunikative Praxis verfasst.

186  Praktische Theologie Schließlich heben Gräb / Korsch hervor, dass es zur »Mitteilungspraxis des Rechtfertigungsglaubens selber« gehört, »sich in einem selbsttätig vollzogenen Auslegungs- und Aneignungsprozess, der seinen situativen Kontext immer bei sich hat, aufzubauen« (95). Die lebensweltlichen Umstände des kirchlichen Handelns sind nicht nur eine Art »empirisches Vorfeld« (ebd.), sondern konstitutiver Bestandteil der Glaubenskommunikation selbst. So schließt sich der argumentative Kreis: Erst »die sich betätigende Selbstauslegung der beteiligten Subjekte«, die sich das kommunikative »Auslegungsangebot« des Rechtfertigungsglaubens so zu eigen machen, dass ihre je eigene »Lebenserfahrung« in diese Aneignung einbezogen ist, macht jene Beteiligten zu Subjekten ihres je eigenen Glaubens (ebd.). Die Praxis der Kirche, die den Gegenstand der Praktischen Theologie bildet, wird auf diese Weise in ihrer theologischen Begründung, ihrem aktualen Ausgangspunkt, ihrem kommunikativen Vollzug und in ihrer Zielbestimmung als »Kommunikation von Rechtfertigungsglauben« ausgewiesen (94 – 96) – der so verstandene ›Glauben‹ erscheint für das Fach als ganz und gar konstitutiv.

5.2.  ›Glauben‹ als Normbegriff der Homiletik Wie diese kommunikative Praxis, die »Mitteilung des Glaubens« konkreter beschrieben und orientiert werden kann, hat Gräb einige Jahre später in seiner gleichnamigen, der Homiletik gewidmeten Habilitationsschrift entfaltet (Gräb 1988). Die zeitgenössische Homiletik erscheint theologisch unterbestimmt, weil der »dogmatische Predigtbegriff« den »praktischen Predigtvollzug« nicht mehr »über sich selbst verständigen und ihm zum Organisationszentrum dienen könnte« (11); eine orientierende, auch kritische theologische Verständigung über das Predigen sei damit erheblich erschwert. Im Durchgang durch klassische »Varianten in der Entfaltung des dogmatischen Predigtbegriffs« (45 – 49) benennt Gräb vier homiletische Aspekte, die die Predigt zugleich als eine exemplarische Kommunikationspraxis des Glaubens zeigen. Zum einen macht Gräb deutlich, dass auch die Predigtlehre im Kern als eine Theorie über das angemessene Verständnis der predigenden Person zu entwerfen ist: Die Homiletik muss »die Subjektivität des Predigers als ihr Organisationszentrum begreifen« (261), sie muss ein Selbstkonzept des homiletischen Subjekts ausarbeiten. Die Predigtlehre erweist sich damit als paradigmatische Disziplin einer Praktischen

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Theologie, die insgesamt nach der Verfassung der Subjekte der kirchlichen Praxis fragt und dabei auf deren »selbsttätigen Glauben« verweist (s. o.). Eben diese Bestimmung des Subjekts durch die Normativität des Glaubens macht Gräb – am Beispiel Karl Barths – nun (zweitens) auch für die Homiletik geltend. Die Auseinandersetzung mit dem biblischen Text wie mit der dadurch aufgerufenen christlichen Tradition zielt faktisch zunächst auf die Glaubenserfahrung des Predigers (64 – 77); es ist dessen Subjektivität, die auf diese Weise immer neu konstituiert und spezifisch bestimmt wird. Die nähere Ausarbeitung dieser normativen Bestimmung führt Gräb an der Predigtlehre Emanuel Hirschs vor, indem er (drittens) auf die spezifische Prozessualität der Predigtarbeit verweist, die theologisch als Bewegung zwischen Gesetz und Evangelium gefasst werden kann: »Eingespannt in das Insgesamt ihrer Wirklichkeitsbezüge« arbeitet sich die predigende Subjektivität ab »an der Antinomie von Glaubensinhalt und Lebenserfahrung […]. Sie durchläuft immer erst die spannungsreiche Bewegung ihres eigenen Zustandekommens als einer das Evangelium bezeugenden und darin erst wahrhaft handlungsfähig werdenden Subjektivität. Darin überführt sich die Widerspannung von Gesetz und Evangelium in die Struktur der Predigt als Handlung« (249). Diese »Widerspannung«, diese antinomische Bewegung, die den Prediger zu seinem Herkommen selbst in Widerspruch geraten und stets neu zum Glauben an das Evangelium kommen lässt, macht die spezifische Dynamik der Predigtarbeit aus. Mit Rekurs auf Schleiermacher akzentuiert Gräb schließlich die »Faktizität« des Predigtvollzugs, der wesentlich durch die »Pluralität seiner kommunikativen Realisierungen« gekennzeichnet ist (234). Zum Selbstkonzept des Predigers muss eine Ausrichtung auf die Hörenden gehören, »die an ihrem Ort und auf ihre Weise mitvollziehen, was er mit […] seiner Predigt zur Darstellung bringt« (263). Die Predigt hat insofern auf die »Vielstimmigkeit« des Glaubens zu zielen: Sie hat die Vielfalt der jeweiligen Lebensbezüge, Erfahrungen und Erwartungen zu gewärtigen, in deren Kontext die je subjektive Aneignung der Predigt Glauben »hervorrufen soll« (ebd.). Auch im Kontext der Homiletik erweist sich ›Glaube‹ für Gräb als orientierender, ja als normativer Leitbegriff der kirchlichen Praxis. Zugleich jedoch wird am Beispiel der Predigt noch deutlicher, warum in den folgenden Publikationen Gräbs der Begriff der Religion immer mehr in den Vordergrund tritt: Mit ›Religion‹ kann die eigene Selbst- und

188  Praktische Theologie Sinndeutungsaktivität der Menschen, denen die kirchliche Praxis gilt, ebenso markant akzentuiert werden wie die Vielfalt dieser Aktivitäten und ihrer kulturellen Prägungen. ›Religion‹ macht für Gräb in besonderer Weise die gegenwärtigen Verhältnisse namhaft, in deren je individueller Selbstauslegung der christliche Glaube allererst Plausibilität und Überzeugungskraft bekommen kann. Erst wenn die Praktische Theologie sich daher zunächst und vor allem als »Religionskulturhermeneutik« begreift (Gräb 2013: 61 u. ö.), kann sie – im zweiten Schritt – auch eine Theorie der christlichen Religionspraxis, eine Theorie der Mitteilung des Glaubens ausarbeiten. Eben dieses Gefälle von der »Religionshermeneutik« zur »Glaubenspraxis« bestimmt denn auch die ausgearbeitete Homiletik, die Gräb vor kurzem vorgelegt hat (Gräb 2013). In dieser Theorie der »religiösen Rede« ist der Begriff des Glaubens zwar nicht mehr leitend; er spielt jedoch in zwei Hinsichten weiterhin eine wesentliche Rolle. Zum einen steht ›Glauben‹ für die Differenz wie den Zusammenhang der Predigt – als »Glaubensrede« – mit der Dogmatik als der »Glaubenslehre« (66 – 71). Während die dogmatische Arbeit darauf zielt, »ihre je eigene Zeit in systematisch geordnete Glaubensgedanken [zu] fassen« (70), nutzt die Predigt dies, um »auf spirituell anregende und zum Glauben motivierende Weise Gott zur Sprache zu bringen« (71). Die spezifische »religiöse Lebensdeutung«, die die Predigt zur Mitteilung bringen will, ist darum auf eine »homiletische Glaubenslehre« angewiesen (209 – 245), die ihre Orientierung an der »paulinischen Rechtfertigungslehre« gewinnen kann – wenn diese denn als »Angebot an die Selbstdeutung« (213), als »Perspektivenverschiebung in der Selbstdeutung« (242 f.) begriffen wird. Eine normierende Kraft kann der christliche Glaube für die Predigt also nur dann entfalten, wenn er ebenso sach- wie zeitgemäß dogmatisch reflektiert und sodann als »existenziell tragfähiges Lebensdeutungsangebot« (79 u. ö.) artikuliert wird.

5.3.  ›Glauben‹ als Zielbegriff des kirchlichen Handelns? Die zweite Hinsicht, in der Gräbs Theorie der religiösen Rede den Glauben thematisiert, betrifft das Ziel der Predigt – die hier wiederum exemplarisch für die gesamte kirchliche Praxis steht. »Die Predigt will das Leben im Lichte des christlichen Glaubens deuten, indem sie zu solchem Glauben zugleich anstiftet und ermutigt« (Gräb 2013: 251). Ähnlich wird die Predigt mit Rekurs auf Kierkegaard als eine »indirekte

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Rede« beschrieben, »weil sie auf den Glauben zielt, den die Rede nicht machen, sondern den sie lediglich am Ort der Hörenden als dessen Selbstvollzug anregen kann […] Im Glauben ist jeder unvertretbar er selbst. Keiner kann für einen anderen glauben. Keiner kann in einem anderen den Glauben bewirken.« (298) An solchen, nicht eben häufigen Stellen, die ›Glauben‹ als Predigtziel formulieren, fällt nun ein doppelter Gebrauch des Begriffs auf: Auf der einen Seite wird im Singular, in der bestimmten Einzahl von ›dem [christlichen] Glauben‹ gesprochen – er erscheint hier als eine nahezu objektive, dogmatisch-normativ zu entfaltende Größe. Auf der anderen Seite wird betont, dass Glauben als eine unvertretbar subjektive Selbstdeutungsaktivität, als »je individueller Vollzug« (298) zu sehen ist, oder mit anderen Worten: als eine spezifische Form religiöser Selbst- und Lebensdeutung. Häufiger, etwa am Schluss des Buches bestimmt Gräb das Predigtziel daher eher nicht als ›Glauben‹; die Predigt hat vielmehr »zu einer religiösen Deutung des Lebens sowohl zu ermutigen als auch zu befähigen« – im Vertrauen darauf, dass die Hörenden »den Weg des christlichen Lebens selbst gehen« (301). ›Glauben‹ kommt in dieser Homiletik also vor allem als die normative Grundierung der kirchlichen Praxis in den Blick; der je eigene, sinndeutende Selbstvollzug, auf den diese Praxis zielt, wird dagegen eher als religiöse Praxis und kaum einmal als Vollzug des Glaubens begriffen. Die dezidiert theologische, eben dogmatische Fassung ›des Glaubens‹ tendiert insofern, auch wenn sie die Prozessualität und die Individualität dieses Glaubens noch so sehr betont, bei Gräb doch dazu, jene individuellen Vollzüge eher der autonomen, gerade nicht durch Kirche und Theologie zu normierenden ›Religion‹ zuzuschreiben.

6.  Bündelung: ›Glaube‹ als Hinweis auf wesentliche Anliegen der Praktischen Theologie Die spezifischen semantischen Akzente, die der Begriff des Glaubens gegenwärtig in den Diskursen der Praktischen Theologie, der Religionssoziologie sowie im alltäglichen Sprachgebrauch erhält, lassen sich vielleicht am ehesten durch die Beobachtung verbinden, dass ›Glaube‹ fast durchgehend als ein antithetischer Begriff erscheint: Die Rede vom Glauben markiert eine kritische Wendung gegen die jeweils dominanten wissenschaftlichen Paradigmen bzw. gegen selbstverständliche,

190  Praktische Theologie allgemein geteilte Überzeugungen. Näherhin lassen sich dann drei ›Fronten‹ des praktisch-theologischen Glaubensbegriffs unterscheiden. (a) Gegenüber einer kirchlichen, insbesondere klassisch-dogmatischen Tradition, die ›Glauben‹ als Ensemble von ›objektiven‹ Lehrsätzen fasst, markiert die Rede vom Glauben in der pastoralpsychologischen Seelsorge, in der Aszetik oder in Gräbs Homiletik die Einsicht, dass die christliche Religion wesentlich als eine persönliche, ganz und gar individuelle Erfahrung verstanden werden muss. Insbesondere unter den gegenwärtigen, modernen Bedingungen kann von Glauben nur als einer je eigenen, jeweils unvertretbar selbst verantworteten Aneignung der tradierten Einsichten des Christentums gesprochen werden. Glauben ist im praktisch-theologischen, aber auch im allgemeinen Religionsdiskurs zunächst und vor allem ein subjektives Phänomen, ja der (Rechtfertigungs-)Glauben kann sogar als notwendige Bedingung von handlungsfähiger Subjektivität verstanden werden (Gräb / Korsch 1985). Für die Praktische Theologie ist diese personale, subjektive Fassung des Glaubens deswegen von besonderem Interesse, weil das glaubende Subjekt zugleich stets als ein handelndes Subjekt erscheint. In der Aszetik wird das Moment der Heiligung betont – Glauben ist nicht rein ›innerlich‹, sondern umfasst stets eine konturierte religiöse und soziale Praxis; auch die Poimenik verbindet mit dem Glauben eine bestimmte Form aktiver Konflikt- und sozialer ›Lebensbewältigung‹ (Winkler, Josuttis u. a.). Und für Gräb ist die ›Selbsttätigkeit‹ des Glaubens der situative Kontext, in dem die kirchliche Praxis als Mitteilung eben dieses tätigen Glaubens begriffen und seitens der Praktischen Theologie kritisch wie konstruktiv orientiert werden kann. (b) In anderer Weise bilden die vielgestaltigen Phänomene der ›Religion‹ oder der ›Spiritualität‹ in der Gegenwart ebenfalls einen allgemeinen Hintergrund, vor dem der ›Glauben‹ als eigentümliches Phänomen erscheint. In der Religionspädagogik, in der Aszetik, aber auch in der Religionssoziologie verweist ›Glauben‹ auf einen bestimmten inhaltlichen Bezug des Religiösen. Zum Glauben gehört zwar nicht die selbstverständliche Übernahme, wohl aber die gründliche, engagierte Auseinandersetzung mit der christlichen Tradition, mit ihren Texten, Ritualen und Frömmigkeitsformen – die diffuse Spiritualität, die plurale Allgemeinheit der religiösen Erfahrung erhält in der Praxis des Glaubens eine konkrete, inhaltlich ausgewiesene Kontur. Auch für

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Gräbs Homiletik und für die unterschiedlichen Seelsorgekonzepte von Winkler, Tacke oder Klessmann ist die Kommunikation des Glaubens wesentlich durch spezifische Bilder und normative Einsichten zu bestimmen. Noch einen Schritt weiter gehen die praktisch-theologischen Ansätze, die die Unverfügbarkeit des Glaubens betonen und ihn daher – wie etwa Schoberth, Josuttis, Dahlgrün oder Morgenthaler – auf ein Handeln Gottes zurückführen, das die Einzelnen wie ihre sozialen ›Systeme‹ oder Netzwerke aus den vertrauten, auch den religiös vertrauten Routinen und Überzeugungen herausreißt und eine ganz neue, individuell wie gemeinsam verbindliche Praxis des Glaubens begründet. (c) Als kritisches Gegenüber zu selbstverständlichen, allgemein verbreiteten Überzeugungen und Lebensformen wird der Glauben zudem im Blick auf seine konkrete, empirische Verfassung konzipiert. Das gilt für die Aszetik, die die anspruchsvolle Eigenart des Glaubens, der christlich transformierten Spiritualität gegenüber einer bequemen ›Wellness-Spiritualität‹ hervorhebt; und das gilt ganz ähnlich für die populäre, auch die journalistische Rede vom Glauben: Wer glaubt, erzeugt deswegen öffentliche Aufmerksamkeit und soziologisches Interesse, weil sie oder er sich in dezidierte und dauerhafte Distanz zur Normalität, zur allgemein üblichen Lebensführung und -deutung begeben hat (vgl. Drobinski / Keller 2011; Joas 2012). Zum Glauben gehört in praktisch-theologischer wie alltagssprachlicher Perspektive insbesondere eine spezifische biographische Dynamik. Wer glaubt, wendet sich stets aufs Neue von hergebrachten, erstarrten und erfahrungsfernen Überzeugungen ab – das lässt sich pastoralpsychologisch als produktiver Umgang mit einer individuellen Konfliktgeschichte beschreiben, oder stärker phänomenologisch als Erfahrung einer – allmählichen oder plötzlichen – biographischen Wende. Im pädagogischen Bereich sind es die Glaubenskurse, die diese lebensgeschichtliche Verfassung des Glaubens erkennbar machen. Theologisch kann diese Prozessualität des Glaubens mittels der nicht stillzustellenden Dynamik von Zweifel und Gewissheit (Tacke) oder der »Widerspannung« von Gesetz und Evangelium beschrieben werden, wie sie – Gräb zufolge – das Predigtgeschehen (und im Grunde die gesamte kirchliche Praxis) auszeichnet. Aus dieser vielfältigen Antithetik des praktisch-theologischen Glaubensbegriffs, sowohl in wissenschaftlicher wie in stärker phänomenologischer Perspektive, resultieren schließlich zwei weitere Akzente.

192  Praktische Theologie Zum einen gehört zum Glauben ein außerordentlich hohes Maß an Reflexivität, an bewusster Auseinandersetzung und symbolisch verfasster Selbstdeutung. Nicht nur Gräbs, Klessmanns oder Joas’ Betonung der spezifischen Deutungsaktivität, die mit dem Glauben einhergeht, impliziert eine solche Reflexivität, sondern auch die religionspädagogischen Überlegungen zum Glauben-Lernen oder die aszetischen Hinweise zur bewusst bedachten Gestaltung des je eigenen Glaubens. Es ist insbesondere, wenn auch nicht nur die sprachliche Artikulation, die den Glauben etwa in den Selbstberichten engagiert Glaubender oder als ›persönlichkeitsspezifisches Credo‹ in der Seelsorge auszeichnet. Diese reflexive, besonders sprachliche Artikulationskraft erklärt sich – zum Zweiten – dadurch, dass der Glauben in den hier betrachteten Diskursen durchgehend als eine ›Option‹ (Joas, auch Berger), als bewusst gewählte Möglichkeit unter anderen erscheint: Glauben ist ›authentische‹ Kommunikation unter den Bedingungen weltanschaulicher Inkonsistenz (Nassehi) und pragmatischer Kontingenz (Joas). Ganz ähnlich reflektieren Religionspädagogik und Aszetik den Glauben stets im Horizont seiner (religiösen oder spirituellen) Alternativen, die den Beteiligten durchgehend vor Augen stehen. Aus dem Wissen um die weltanschauliche Pluralität der Gegenwart resultiert dann auch das Moment individueller Entschiedenheit, das dem Glauben in der Seelsorge, in der Aszetik und insbesondere im populären Sprachgebrauch zugeschrieben wird. Wenn die Praktische Theologie am Begriff des Glaubens die radikale Subjektivität und ebenso die theologisch bestimmte, auf Gottes Handeln verweisende Objektivität hervorhebt, wenn sie die Reflexivität des Glaubens betont sowie die Pluralität anderer religiöser Optionen, wie sie mit diesem Begriff aufgerufen wird – dann ist deutlich, dass das Fach mit dem Glaubensbegriff wesentliche Anliegen seiner eigenen Theoriebildung zum Ausdruck bringt. Wenn sich das kirchliche Handeln in der Gegenwart auf selbständige, immer schon sich selbst reflektierende Subjekte bezieht, wenn es sich dabei immer neu seiner christlich-inhaltlichen Bestimmung vergewissern muss, und zwar im Horizont einer zunehmenden Pluralität der Lebensführung und -deutung – dann lässt sich ›Glauben‹ zwar nicht als Zentral-, wohl aber als ein aufschlussreicher Grund- und Zielbegriff der Praktischen Theologie verstehen. Will man die hier namhaft gemachten Akzente des Glaubensbegriffs schließlich in das gesamttheologische Gespräch einbringen, so bietet sich dafür der Hinweis auf das Bekenntnis an. Wenn ›Glauben‹

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in praktisch-theologischer Perspektive unhintergehbar subjektiv verfasst ist, wenn er zugleich auf ›objektive‹ Gehalte und Praktiken der Tradition verweist, wenn er das Wissen um konkurrierende Optionen markiert und sich mit hoher sprachlicher Kraft artikuliert – dann kann man sagen, dass die Praxis des Glaubens hier im Wesentlichen als eine Praxis des Bekennens verstanden wird. Umgekehrt gilt dann: Wo es in der Praktischen Theologie um ›Glauben‹ geht, dort werden – in der Predigt- wie in der Seelsorgelehre, in der Religionspädagogik wie in der Theorie der Frömmigkeit – im Grunde die Praxisbedingungen, -formen und -probleme diskutiert, die jedes christliche Bekenntnis in der Gegenwart kennzeichnen.

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellen Confessio Augustana, in: BSELK: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, hrsg. v. Irene Dingel, Göttingen 2014.

2. Sekundärliteratur Berger 1988: Berger, Peter L.: Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft. Elemente einer soziologischen Theorie, Frankfurt / M. 1988 (amerik.: The Sacred Canopy: Elements of a Sociological Theory of Religion, Garden City, NY 1967). Berger 1999: Berger, Peter L.: Sehnsucht nach Sinn. Glauben in einer Zeit der Leichtgläubigkeit, Gütersloh 1999 (engl.: A Far Glory. The Quest for Faith in an Age of Credulity, New York 1992). Dahlgrün 2009: Dahlgrün, Corinna: Christliche Spiritualität. Formen und Traditionen der Suche nach Gott, Berlin / New York 2009. Drobinski / Keller 2011: Drobinski, Matthias / Keller, Claudia: Glaubensrepublik Deutschland. Reisen durch ein religiöses Land, Freiburg i. Br. u. a. 2011. Engemann 2003: Engemann, Wilfried: Personen, Zeichen und das Evangelium. Argumentationsmuster der Praktischen Theologie, Leipzig 2003. Failing / Heimbrock 1998: Failing, Wolf-Eckart / Heimbrock, Hans-Günter: Gelebte Religion wahrnehmen. Lebenswelt – Alltagskultur – Religionspraxis, Stuttgart 1998. Fowler 1991: Fowler, James: Stufen des Glaubens. Die Psychologie der menschlichen Entwicklung und die Suche nach Sinn, Gütersloh 1991 (engl./[amerik.]: Stages of Faith. The Psychology of Human Development and the Quest for Meaning, New York 1981). Gräb 1988: Gräb, Wilhelm: Predigt als Mitteilung des Glaubens. Studien zu einer prinzipiellen Homiletik in praktischer Absicht, Gütersloh 1988. Gräb 2013: Gräb, Wilhelm: Predigtlehre. Über religiöse Rede, Göttingen 2013.

194  Praktische Theologie Gräb / Korsch 1985: Gräb, Wilhelm / Korsch, Dietrich: Selbsttätiger Glaube. Die Einheit der Praktischen Theologie in der Rechtfertigungslehre, Neukirchen-Vluyn 1985. Gräb / Weyel 2007: Gräb, Wilhelm / Weyel, Birgit (Hgg.): Handbuch Praktische Theologie, Gütersloh 2007. Grethlein 2012: Grethlein, Christian: Praktische Theologie, Berlin / New York 2012. Grethlein / Schwier 2007: Grethlein, Christian / Schwier, Helmut (Hgg.): Praktische Theologie. Eine Theorie- und Problemgeschichte, Leipzig 2007. Haendler 1952: Haendler, Otto: Angst und Glaube, Berlin 1952, 31954. Herbst / Eyselein 2003: Herbst, Michael / Eyselein, Christian u. a. (Hgg.): Spirituelle Aufbrüche. Perspektiven evangelischer Glaubenspraxis, Göttingen 2003. Hofmann 2013: Hofmann, Beate: Sich im Glauben bilden. Der Beitrag von Glaubenskursen zur religiösen Bildung und Sprachfähigkeit Erwachsener, Leipzig 2013. Joas 2012: Joas, Hans: Glaube als Option. Zukunftsmöglichkeiten des Christentums, Freiburg i. Br. 2012. Josuttis 2007: Josuttis, Manfred: Kraft durch Glauben. Biblische, therapeutische und esoterische Impulse für die Seelsorge, Gütersloh 2007. Klessmann 2008: Klessmann, Michael: Seelsorge. Begleitung, Begegnung, Lebensdeutung im Horizont des christlichen Glaubens. Ein Lehrbuch, NeukirchenVluyn 2008. Krause 2000: Krause, Burghard: Reise ins Land des Glaubens. Christ werden – Christ bleiben, Neukirchen-Vluyn 2000. Lemke 1992: Lemke, Helga: Seelsorgerliche Gesprächsführung. Gespräche über Glauben, Schuld und Leiden, Stuttgart u. a. 1992. Magnis 2012: Magnis, Esther Maria: Gott braucht dich nicht. Eine Bekehrung, Hamburg 2012. Mein Glaube 2013: Mein Glaube. Auf der Suche nach einer höheren Wahrheit, SPIEGEL WISSEN, Nr. 2 / 2013. Morgenthaler 2000: Morgenthaler, Christoph: Systemische Seelsorge. Impulse der Familien- und Systemtherapie für die kirchliche Praxis, Stuttgart u. a. 22000. Nassehi 2009: Nassehi, Armin: Religiöse Kommunikation. Religionssoziologische Konsequenzen einer qualitativen Untersuchung, in: Bertelsmann-Stiftung (Hg.): Woran glaubt die Welt? Analysen und Kommentare zum Religionsmonitor, Gütersloh 2009, 169 – 203. Pfleiderer 2002: Pfleiderer, Georg: »Gelebte Religion« – Notizen zu einem Theoriephänomen, in: Grözinger, Albrecht / ders. (Hgg.): »Gelebte Religion« als Programmbegriff Systematischer und Praktischer Theologie, Zürich 2002, 23 – 41. Preul 2000: Preul, Reiner: Art. Glaube. Praktisch-theologisch, RGG4 3, Tübingen 2000, 974 – 977. Rössler 1986: Rössler, Dietrich: Grundriß der Praktischen Theologie, Berlin u. a. 1986. Schoberth 1998: Schoberth, Ingrid: Glauben-lernen. Grundlegung einer katechetischen Theologie, Stuttgart 1998. Schröder 2012: Schröder, Bernd: Religionspädagogik (NThG), Tübingen 2012. Schweitzer 2006: Schweitzer, Friedrich: Religionspädagogik (Lehrbuch Praktische Theologie), Gütersloh 2006.

Jan Hermelink  195 Steffensky 1989: Steffensky, Fulbert: Wo der Glaube wohnen kann, Stuttgart 1989. Steffensky 2012: Steffensky, Fulbert: Gewagter Glaube, Stuttgart 2012. Tacke 1975: Tacke, Helmut: Glaubenshilfe als Lebenshilfe. Probleme und Chancen heutiger Seelsorge, Neukirchen-Vluyn 1975 Weizsäcker 2012: Weizsäcker, Beatrice von: Ist da jemand? Gott und meine Zweifel, München 2012 Winkler 1982: Winkler, Klaus: Das persönlichkeitsspezifische Credo, WzM 34 (1982), 159 – 163. Winkler 2000: Winkler, Klaus: Seelsorge. 2., verb. u. erw. Auflage, Berlin / New York 2000. Wolf 2011: Wolf, Notker: Schmetterlinge im Bauch. Warum der Glaube Flügel verleiht, Asslar / München 2011. Zimmermann / Schröder 2010: Zimmermann, Johannes / Schröder, Anne Konstanze (Hgg.): Wie finden Erwachsene zum Glauben? Einführung und Ergebnisse der Greifswalder Studie, Neukirchen-Vluyn 2010. Zimmerling 2003: Zimmerling, Peter: Evangelische Spiritualität. Wurzeln und Zugänge, Göttingen 2003.

3.  Literaturhinweise zum vertiefenden Studium Berger, Peter L.: Suche nach Sinn. Glaube in einem Zeitalter der Leichtgläubigkeit, Gütersloh 1999 (amer.: A Far Glory. The Quest for Faith in an Age of Credulity, 1992). Drobinski, Matthias / Keller, Claudia: Glaubensrepublik Deutschland. Reisen durch ein religiöses Land, Freiburg i. Br. u. a. 2011. Gräb, Wilhelm / Korsch, Dietrich: Selbsttätiger Glaube. Die Einheit der Praktischen Theologie in der Rechtfertigungslehre, Neukirchen-Vluyn 1985. Immink, F. Gerrit: Faith. A Practical Theological Reconstruction, Michigan / Cambridge 2005. Meyer-Blanck, Michael: Praktische Theologie und Religion, in: Grethlein, Christian / Schwier, Helmut (Hgg.): Praktische Theologie. Eine Theorie- und Problemgeschichte, Leipzig 2007, 353 – 397.

Religionswissenschaft

Daniel Cyranka

›Glaube‹ als Gegenstand der Religionswissenschaft Religion und Glaube gehören zusammen. Das scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein. Religionswissenschaft wird dementsprechend mit der Erforschung von ›Glaube‹ beschäftigt sein. Auch diese Voraussetzung wird man auf den ersten Blick teilen. In diesem Beitrag soll es darum gehen, ob und inwieweit diese Voraussetzungen für zeitgenössische religionswissenschaftliche Perspektiven gelten. Mit Blick auf die Gegenstandsbestimmung der Religionswissenschaft selbst (Was ist Religion / Was sind Religionen?) spricht Michael Bergunder jedenfalls von einer »großen Kontradiktion« der Religionswissenschaft: »Auf der einen Seite konnte sich die Religionswissenschaft in den mehr als 100 Jahren ihres Bestehens nicht auf einen Gegenstand einigen. Auf der anderen Seite gibt es sie auch ohne erfolgreiche Gegenstandsbestimmung immer noch, und es geht ihr unter diesen Umständen ausgesprochen gut.« (Bergunder 2011: 5). Bergunder greift mit dieser Feststellung ein äußerst kontrovers diskutiertes, grundlegendes Thema der Religionswissenschaft auf. Im Hinblick auf das hier zu erörternde Thema ist dementsprechend zu fragen, ob das Stichwort ›Glaube‹ wie das Stichwort ›Religion‹ ebenfalls letztlich gar nicht übergreifend definierte oder begründete Verwendung finden? Ist also – analog zum Religionsbegriff – vom ›unerklärten Glauben‹ als ›unerklärtem Gegenstand‹ der Religionswissenschaft zu reden? Selbstverständlich sind in der Literatur die Ausdrücke ›Glaube‹ oder ›Gläubige‹ resp. ›Glaubensgemeinschaft‹ u. Ä. zu finden, allerdings nicht mit Rekurs auf das Thema ›Glaube‹ selbst, sondern in der Regel in objektbezogener, gewissermaßen ›transitiver‹ Verwendung (Glaube an …). Glaube hat in diesen Verwendungen immer eine externe Bezugsgröße und ist somit kein Gegenstand an sich. Eine gewisse Ausnahme bildet die Verwendung als ›Gläubige‹, ›Glaubende‹, die als

198  Religionswissenschaft Träger des Glaubens bezeichnet werden; Gegenbegriffe wie ›Aberglaube‹ oder ›Unglaube‹ finden sich ebenfalls. Im Folgenden wird es angesichts des oben vorläufig behaupteten Widerspruchs zwischen Verwendung und Begründung darum gehen, ›Glaube‹ als Gegenstand der Religionswissenschaft ausfindig zu machen. Es geht also nicht darum, diverse religionsgeschichtliche Parallelen oder textliche Fundstellen zu präsentieren, um das so oder so definierte (oder nicht definierte) Thema ›Glaube‹ aus differenten religiösen Traditionen heraus zu illustrieren. Vielmehr werden religionswissenschaftliche Deskriptionen und Konzeptionen daraufhin zu befragen sein, ob und auf welche Weise das Thema ›Glaube‹ eingeschrieben, nicht eingeschrieben oder ausgeblendet wird. Der Überblick wird zeigen, dass Glaube durchaus als religionsübergreifendes Thema postuliert oder beschrieben wird (vgl. unten 1.). Dagegen finden sich – verstärkt in den letzten Jahren – religionswissenschaftliche Problematisierungen, die die Frage nach dem Thema ›Glaube‹ als Gegenstand der Religionswissenschaft mittelbar oder unmittelbar betreffen (vgl. unten 2.). Abschließend ist zu fragen, wie die Bestandsaufnahme die erfragte Korrelation des Themas ›Glaube‹ mit akademischer Religionswissenschaft erscheinen lässt und – im Sinne der Reihe »Themen der Theologie« – was diese Verhältnisbestimmung auch für die Theologie bedeuten kann (vgl. unten 3.).

1.  Phänomenologie und theologische Hinsichten Die ersten Beobachtungen gelten phänomenologischen und theologischen Hinsichten, in denen das Thema ›Glaube‹ als religionsgeschichtliche Universalie, als anthropologische Grundbestimmung, als Thema abrahamitischer Religionen und als christlich-protestantisches Thema konzeptionalisiert wird. Die Grenzen zwischen Religionswissenschaft und Theologie sind hier oftmals nicht trennscharf.

1.1.  ›Glaube‹ als universales Thema Der erste zu beachtende Beitrag führt zurück in die Zeit um 1960, in der das bis zum Ende des 20. Jahrhunderts maßgebliche Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft in dritter Auflage erschien. In diesem Kontext erscheint ›Glaube‹ als universales Thema, als grund-

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legendes, letztlich in allen Religionen vorhandenes Phänomen und damit als Grundkategorie konzeptionalisiert. Der Marburger Professor für Systematische Theologie, Geschichte der Theologie und Religionsphilosophie, Carl Heinz Ratschow, studierter Orientalist und habilitierter Alttestamentler, nimmt in seinem 1958 im zweiten Band der RGG3 erschienenen Artikel »Glaube« den Bezugspunkt des Glaubens als Ausgangsfrage und erhebt deutliche Unterschiede zwischen diversen religiösen Tradidtionen. »Die Krisis besteht darin, daß die Verhaltens-Analogie an der meist sehr tiefen Unterschiedenheit des G[laube]nsgegenstandes so erhellt wird, daß die Modifikationen als ›Unterschiede an einer Einheit‹ erkennbar werden, daß die Einheit aber als nur in der Modifikation möglich hervortritt.« (Ratschow 1958: 1587). Glaubenshaltungen könne man dementsprechend nur »analogice« aus ihrem Gegenteil erheben, am »demonstrierbaren Wissen, der sachunbeziehbaren Angst und dem verdienstvollen Werk«. Wie Religion nur an und in den Religionen zu erheben sei, so sei Glaube »nur an den Gottheiten und ihrer Eigenart aufweisbar« (ebd.: 1588). Ratschow hält fest, dass Glaube »so tief von seinem Gegenstande als subiectum her bewegt und bestimmt« sei, dass »er in seiner Eigenart wie großen Verschiedenheit gerade erst in der korrelativen Sicht auf diesen Gegenstand hervortritt« (ebd.: 1587). Er versucht, einer religionsgeschichtlich unangemessen ausgeweiteten Anwendung des Glaubensbegriffes zu entgehen, gleichzeitig aber nicht auf übergreifende religionsgeschichtliche Analogien zu verzichten. Vorausgesetzt ist bei Ratschow, trotz aller Problematisierung, dass es so etwas wie Glaube in allen Religionen gebe und dass man zwar nicht kohärente Glaubenskonzepte wie im Christentum, aber doch Momente von Glaubenskonzepten anhand ihrer »Gegenstellungen« (Wissen, Angst, Werk) erfassen könnte. Erkenntnisleitendes Interesse ist hier, die religionsvergleichende phänomenologische Methode auch angesichts der erkannten Disparatheit des religionsgeschichtlichen Materials zu ermöglichen. Glaube wird hier als Grundkategorie religiöser Traditionen entworfen. Ist eine solche Konzeptionalisierung des Themas ein Phänomen der 1950er und 60er Jahre und in neueren Ansätzen überholt? Für die Bearbeitung der Frage in der Theologischen Realenzyklopädie lässt sich dies für die 1980er Jahre zunächst nicht feststellen. Hier wird in ähnlicher Weise argumentiert. Der Heidelberger Religionswissenschaftler Günter Lanczkowski gibt eine ähnliche Auskunft wie Carl Heinz Ratschow Jahrzehnte zuvor, wenn er feststellt: »In allen Religionen ist der Glaube wesentliches Element des religiösen Lebens.«

200  Religionswissenschaft (Lanczkowski 1984: 275). Allerdings divergiere der Gegenstand des Glaubens (Mythos, bedeutender Mensch, heiliger Lehrer oder Guru). Am häufigsten sei jedoch der Glaube an die Gnade einer gütigen Gottheit, ob in polytheistischen Systemen oder in Monotheismen. Auch die Bedeutung des Glaubens sei in den Religionen verschieden: in Offenbarungsreligionen sei diese zentral, legitimiere die Offenbarung, wirke als Gebetsmotiv und sei die verpflichtende Instanz ethischer Gebote. »Im Leiden und Tod der Märtyrer findet er [der Glaube] seine stärkste Bewährung. Eine vergleichsweise geringere Bedeutung des Glaubens kann sich in der mystischen Frömmigkeit finden, die häufig dazu neigt, dem subjektiven Erlebnis des Mystikers eine vorrangige Stellung zu verleihen.« (ebd.: 276). Nach diesen grundsätzlichen Erwägungen gibt Lanczkowski knappe Hinweise auf den Koran (’āmana, arab.: »glauben, vertrauen«; mu’min, arab.: »gläubig«; ʾimān, arab.: »Glaube«) und auf das islamische Glaubensverständnis, das vollständige Unterwerfung unter den göttlichen Willen und Verwirklichung in guten Werken verlange. Weitere knappe Hinweise gelten zoroastrischen, hinduistischen und buddhistischen Quellen (vgl. ebd.: 276). Der Artikel fasst ausgewählte Momente aus Texten verschiedener religiöser Traditionen unter dem Aspekt eines verallgemeinerten Glaubensverständnisses zusammen. Das Judentum wird in dieser Betrachtung ausgespart. Es findet lediglich als historische Größe in dem benachbarten Artikel »Glaube III. Zwischentestamentliche Zeit und rabbinisches Judentum« Erwähnung. Auch für Günter Lanczkowski ist ›Glaube‹ eine grundlegende religionswissenschaftliche Kategorie. Diese Sicht findet sich ebenfalls in der von dem rumänisch-amerikanischen Religionsphänomenologen Mircea Eliade herausgegebenen Encyclopedia of Religion. Diese Enzyklopädie ist aufgrund ihres Ansatzes an Grundbegriffen interessiert, die einen phänomenologischen Religionsvergleich ermöglichen sollen. Der dort 1987 erschienene Artikel »Faith« stammt von dem US-amerikanischen Historiker Jaroslav Pelikan (1923 – 2006), einem Spezialisten für christliche Kultur- und Theologiegeschichte. Bereits die ersten Sätze des Eintrages machen jedoch ein Grundproblem phänomenologisch-systematisierender Konstruktion deutlich. Glaube (»faith«) wird zunächst als »the assurance of things hoped for, the conviction of things not seen« beschrieben. Diese Definition stammt aus den christlichen Schriften, insbesondere aus dem Hebräerbrief. Trotzdem wird sie auf vielfältige religiöse Traditionen bezogen, denn sie könne »mutatis mutandis, be applied across a broad spectrum of religions and religious traditions« (Pelikan 1987:

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250). Ob der Ausdruck selbst in diesen Traditionen erscheine, sei ein Übersetzungsproblem. Der Ausdruck ›Glaube‹ decke jedenfalls eine Gruppe verwandter, nicht aber identischer Konzepte in Judentum und Christentum ab. Pelikan beschreibt Glaube als abstrakten Ausdruck, als eine Haltung des menschlichen Geistes, deren konkreter Ausdruck das Gebet sei (Friedrich Heiler). Wenn dies zutreffe, würden – so Pelikan – eines oder mehrere dieser Konzepte in jeder religiösen Tradition eine Rolle spielen. Daher sei zwar keine logische Definition (»logical definition«), aber eine kumulative Beschreibung (»cumulative description«) von Glaube möglich, eine Aufzählung dieser verschiedenen Konzepte, von denen jedes auf irgendeine Weise ein Synonym für Glaube sei. Die Frage nach Glaube ist also eine vor allem christliche Frage. Das wird zwar festgestellt, dennoch werden aber christliche Verständnisse von Glaube zu Prototypen erhoben, an deren abstrahierten Merkmalen ein Konzept von Glaube (bzw. eine kumulative Deskription) entwickelt wird: Frömmigkeit (»Faith-as-Faithfulness«); Gehorsam (»Faith-asObedience«); Glaube und Werke (»Faith and Works«) u. a. (Pelikan 1987). Die historische Gebundenheit dieser Aspekte wird trotz der von Pelikan einführend formulierten Einsicht in den christlichen Ursprung des Ausgangskonzeptes in phänomenologischer Absicht aufgehoben und das Thema ›Glaube‹ wird in diverse inhärente Konzepte zerlegt, um einen religionssystematisch polyvalenten Begriff zu postulieren. Die dem so entwickelten polyvalenten Begriff von ›Glaube‹ inhärenten diversen Konzepte werden von Pelikan als suprahistorische Entitäten skizziert, um Handwerkszeug für das Aufspüren von ›Glaube‹ in unterschiedlichen religionsgeschichtlichen Zusammenhängen zur Verfügung zu stellen (ohne dass dies in dem entsprechenden Artikel geschieht). Insofern wird der Vorschlag höchstens hypothetisch plausibilisiert, nicht aber religionsgeschichtlich eingeholt. Somit bleibt das historische Vorhandensein der Konstruktion hypothetisch. Bis auf wenige Hinweise (z. B. Dharma, Konfuzius in der westlichen Aufklärung, Islam, Gautama Buddha) bleiben die Referenzen dementsprechend im christlichen, vornehmlich westlichen Rahmen: Neben dem Orthodoxen Christentum wird vor allem auf das Lateinische rekurriert, auf Pelagianismus, Calvinismus, Thomismus, Lutherische und Reformierte Orthodoxie und Aufklärung. Referenzautoren sind u. a. Kant, Luther, Goethe, Feuerbach, Rudolf Otto und Joachim Wach. Der Ausdruck ›faith‹ wird hier also an seinen (vor allem christlichen) Entstehungsort zurückgebunden und auf dem Umweg über das

202  Religionswissenschaft Stichwort ›Gebet‹ von seinem historischen Ort wiederum gleichzeitig gelöst und in praktisch alle religiösen Traditionen eingeschrieben. Versucht man nun anhand der Encyclopedia of Religion eine Debatte zu diesem Thema innerhalb der letzten ca. 25 Jahre zu entdecken, so geht die Suche ins Leere. Die Herausgeberschaft der neuen Ausgabe von 2005 hat sich geändert, der Artikel »Faith« von 1987 wird allerdings unverändert wieder abgedruckt. Auch Literatur ist nicht dazugekommen (vgl. Pelikan 2005). Der wiederholt publizierte Beitrag von Pelikan konstruiert das Thema ›Glaube‹ und bezieht es auf diverse Traditionen, aus deren Gesamtheit wiederum eine kumulative Deskription von Glaube erhoben werden könne. Ein religionshistorisch konkretes Konzept wird somit abstrahiert und transhistorisch in die Religionsgeschichte eingeschrieben. Eine solche Arbeitsweise ist kennzeichnend für die im 20. Jahrhundert die Religionswissenschaft dominierende Religionsphänomenologie, die das ›Wesen‹ von Religionen unabhängig von konkreten historischen Kontexten erschließen will. Ist das Thema ›Glaube‹ aus religionswissenschaftlicher Sicht also ein Bestandteil der Religionsphänomenologie, deren »Auslaufen« (Kehrer 1998: 424) allerdings spätestens seit den 1980er Jahren unter Religionswissenschaftlern konstatiert wurde und derzeit als Konsens gelten kann? (Schalk 2013: IX) Diese Frage würde von Udo Tworuschka, Religionswissenschaftler an den Universitäten Bonn und Jena (ab 1993), verneint werden. Er bezeichnet in seinem 1988 im Wörterbuch des Christentums erschienenen religionsgeschichtlichen Artikel den Ausdruck ›Glaube‹ als eines der meistgebrauchten Wörter über Religion bzw. Religionen (Tworuschka 1988: 415). Umgangssprachlich bezeichne Glaube verschiedene Gewissheits- bzw. Wissensabstufungen, vor allem sei es aber ein Wort der religiösen Sprache. Tworuschka schließt sich hier einer Bestimmung des systematischen Theologen, Religionspsychologen und -historikers Karl Beth (1872 – 1959) an und bestimmt Glaube als das Innenleben des religiösen Menschen in Bezug auf ein personal vorgestelltes göttliches Gegenüber. Im Gegensatz zur Mystik sei in prophetischen Religionen eine »Du-Bezogenheit« zu finden. Mit Gustav Mensching klassifiziert Tworuschka Judentum, Islam, Zoroastrismus, Shin-Buddhismus und »Strömungen des Vishnuismus« als »prophetische Glaubensreligionen«. Martin Bubers Versuch, die jüdische ‫( אמונה‬ʾæmûnāh/»Treue, Vertrauen, Aushalten, Glaube«) von der christlichen πίστις (»Glaube«) zu unterscheiden, sei auf Kritik gestoßen. Tworuschka verweist auf die im Koran häufig gebrauchten Ausdrücke für Glaube und Unglaube

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(amāna, arab.: »Ehrlichkeit, Treue, Sicherheit«; kafara, arab.: »undankbar sein, ungläubig sein«). Die Bemerkungen über Zoroastrismus, Hinduismus und Buddhismus zusammenfassend heißt es in dem Artikel, dass im indoeuropäischen Bereich Glaube »das wesentl[iche] Kennzeichen für die Beziehung zwischen Gott und Menschen« (ebd: 416) sei. Tworuschka nennt weiterhin Glaube als Gnadengeschenk Amida-Buddhas im Shin-Buddhismus und diskutiert das Verhältnis von Glaube und Werken in Anlehnung an dieses ›typologische Urphänomen‹ (Heinrich Frick) als heuristisches Paradigma. Dies gelte zwar nicht mehr für die zeitgenössische Verhältnisbestimmung von katholisch und evangelisch, sei aber religionsgeschichtlich brauchbar für ein Phänomen des Vishnuismus (›Affenweg‹ und ›Katzenweg‹). Unglaube habe es nicht erst seit der Aufklärung, sondern schon im alten Indien, China, Griechenland und Rom gegeben. Mit dem Thema ›Glaube und Werke‹ verwendet Tworuschka also ein protestantisches, antirömisches Paradigma der Reformationszeit für die Religionsgeschichte und illustriert dies mit einem Beispiel aus dem Shri-Vishnuismus im Anschluss an Rāmānuja (ca. 1050 – 1137) bzw. aus vishnuitischer Literatur. Sein knapper Überblick über Begriffe aus diversen religiösen Traditionen unter der Überschrift »Glaube«, vor allem aber seine Anwendung einer vergangenen konfessionspolemischen Figur auf die gesamte Religionsgeschichte als heuristisches Instrument, stehen klar für die phänomenologisch-konstruierende Richtung der Religionswissenschaft, die ihre general terms vornehmlich im Referenzrahmen der westlichen, christlichen Kultur generiert. Neben den drei genannten Beispielen für übergreifende religionsphänomenologische Konzeptionalisierungen des Themas ›Glaube‹ lässt sich noch auf Beiträge des römisch-katholischen Theologen und Religionsphilosophen Hans Waldenfels verweisen, der als religionsgeschichtlichen Beleg für ›Glaube‹ u. a. auch auf śraddhā, skrt.: »glauben«; eigtl. »das Herz auf etw. setzen« in Hinduismus und Buddhismus verweist (vgl. Waldenfels 1988). Waldenfels hält grundsätzlich fest, dass aus religionsphänomenologisch vergleichender Sicht »G. weder als Haltung des Urvertrauens auf Gott, das Numinose bzw. numinose Mächte noch als Fürwahrhalten und Überzeugtsein von rel. Lehre real wie verbal im außerchristl. Raum fehlt.« (Waldenfels 1988: 206). Glaube trete vor allem dort in Erscheinung, wo Gott als personales Gegenüber gesehen werde, im Christentum, Judentum und Islam, aber auch in Hinduismus und Buddhismus, die im Hinblick auf die Personalität des Göttlichen ambivalent oder ablehnend seien.

204  Religionswissenschaft Als religionsgeschichtlich problematisch erscheint es jedoch, wenn Glaube als anthropologische Grundbestimmung behauptet, gleichzeitig aber als christliches Konzept überhöht bzw. reserviert wird. Und genau dies markiert Waldenfels in einem weiteren Beitrag mit Bezug auf den an einer evangelischen Fakultät lehrenden römisch-katholischen Theologen Otto Hermann Pesch, für den Glaube einerseits ein analogieloser »Totalakt« der Person ist, dessen christliches Verständnis durch einen anthropologischen Vergleich andererseits aber nicht eingeholt werden könnte (vgl. Pesch 1995: 666 f.). Waldenfels stellt diese Bestimmung von Glaube als anthropologischer Grundbegriff nämlich in einen religionswissenschaftlichen und damit auch in einen empirischen religionshistorischen Rahmen: »Als anthropolog. Grundbegriff ist G. in den versch. Religionen ein grundlegender Verhaltensbegriff sowohl anderen Menschen als auch v. a. übermenschl. Wesen, letztlich Gott als der tragenden Wirklichkeit, gegenüber.« Davon unterscheidet Waldenfels das Verständnis von Glaube als »Fürwahrhalten v. Lehre«. In monotheistischen Religionen (»bes. in der israelitisch-jüd. Religion, im Christentum u. im Islam«) bezeichne Glaube die »Selbstübereignung an Gott den Schöpfer wie an Gott das letzte Ziel des Lebens« und sei eine »Antworthaltung«. Wo Glaube Basis der Heilsvermittlung, Weg und Erfüllung werde, sei er »der rel. Grundbegriff schlechthin« (Waldenfels 1995: 667). Selbst in Religionen, in denen die letzte Wirklichkeit namenlos, zumindest nicht als Gott, sondern als Wissen oder Erleuchtung in Erscheinung trete, wie in ›der Gnosis‹ oder im Buddhismus, sei Glaube zentral für das menschliche Leben. Auch wenn in solchen »eher gnostisch zu nennenden Religionen« Glaube hinter Wissen zurücktrete, sei er »zumindest als grundlegendes Vertrauen in die sich im Wissen vermittelnde heilende Urkraft« zu finden (ebd.: 668). Glaube wird von Waldenfels also als anthropologische Universalie vorgestellt, die in den Religionen in unterschiedlicher Weise zu finden sei. Was Waldenfels abschließend als religionswissenschaftliche Fragen formuliert, erweist sich bei näherer Betrachtung letztlich aber als römisch-katholische Theologie, denn die ersten beiden Fragen – nach dem Verhältnis von Glaube, Wissen und Heilsvermittlung – führen konsequent auf die dritte, die das Thema Heilsnotwendigkeit der (römisch-katholischen) Kirche und Theologie der Religionen impliziert: »Wie verhält sich der christlicherseits geforderte G. in seiner Heilswirksamkeit zu außerchr. Gestalten des Glaubens? (Heilsnotwendigkeit der Kirche; Theologie der Religionen).« (ebd.: 668) Hier ist zu fragen,

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ob – mit Bezug auf die vorgenommene anthropologische Grundbestimmung und gleichzeitig reservierte christliche Sonderstellung (vgl. Pesch 1995) – außerchristliche Glaubenskonzepte nicht letztlich immer nur defizitär sein können? Unabhängig von der Antwort auf diese Frage ist festzustellen, dass dieses aus römisch-katholischer Perspektive formulierte Thema außerhalb religionswissenschaftlicher Geltungsansprüche und Beurteilungsraster liegt. Ein letztes Beispiel für die Konzeptionalisierung von ›Glaube‹ als universales Thema der Religionsgeschichte soll hier genügen. Dabei zeigt sich, dass die Behauptung von ›Glaube‹ als anthropologische Konstante zwar aufgestellt, religionsgeschichtlich aber gar nicht eingeholt wird. Der britische Theologe und Religionswissenschaftler John Bowker, der sich auch prominent mit dem ›Neuen Atheismus‹ (Richard Dawkins) auseinandergesetzt hatte (vgl. Bowker 1995), bestimmt mit Verweis auf den Cambridger Theologen und Religionsphilosophen Frederick Robert Tennant (1866 – 1957) Glaube als eine religiös-erkenntnistheoretische Basiskategorie (vgl. Bowker 1999: 352). Tennant hatte festgehalten: »Ever since mankind possessed a presentiment of a Beyond, or the vaguest theology, religion has been organic to human nature; it is the inevitable affective and volitional response to the ideal objects of theological belief.« (Tennant 1930: 241). Bowker rechtfertigt ›Glaube‹ als grundlegendes Thema mit Hilfe der Annahme einer anthropologischen Konstante und wendet dies – als Spezialfall einer allgemeineren Bestimmung – auf die Religionsgeschichte an. Dabei erläutert er diesen Spezialfall mit Bemerkungen zu Paulus und zur christlichen Tradition. Für Glaube im Buddhismus wird in Bowkers Oxford Dictionary of World Religions auf den Eintrag »śraddhā« (skrt.: »glauben«; eigtl. »das Herz auf etw. setzen«; pali: saddhā) verwiesen, für den Islam auf »īmān« (arab.: »Vertrauen, Glauben, Zuversicht«), umgekehrt wird allerdings jeweils nicht auf den Artikel »faith« verwiesen; Gleiches gilt für den Index. Es findet sich in Bowkers Übersicht also kein gemeinsames Oberthema ›Glaube‹, auch wenn Glaube als anthropologische Kategorie vorgestellt und mit drei divergenten Beispielen illustriert wird. Die Beispiele machen deutlich, dass das Thema ›Glaube‹ mit Hilfe religionsphänomenologischer und anthropologischer Bestimmungen universalisiert wird, das religionsgeschichtlich präsentierte Material sich bei näherer Betrachtung aber einer solchen Universalisierung bzw. einer religionssystematischen Zusammenfassung versperrt.

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1.2.  ›Glaube‹ als Thema in den abrahamitischen Religionen Eine andere Variante findet sich, wenn das Thema mit Bezug auf die abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam aufgegriffen wird. Hier ist zunächst das Lexikon religiöser Grundbegriffe. Judentum, Christentum, Islam zu nennen, das erstmals 1987 von dem damaligen Münsteraner melkitisch-katholischen Theologen und Orientalisten Adel Theodor Khoury herausgegeben wurde. Dem Anliegen des Lexikons »dem gebildeten Leser eine erste zuverlässige Information über die Grundlagen dieser drei Religionen zu geben« (Khoury 1987: V) entsprechend, ist der Artikel »Glaube« in die Abschnitte »1. Jüdisch« (Vetter 1987), »2. Christlich« (Schlosser 1987), »3. Islamisch« (Balić 1987) eingeteilt. Es werden hier jeweils theologische Grundkonzepte von Glaube nebeneinander vorgestellt, ohne religionsgeschichtliche oder religionsvergleichende Aspekte zu nennen. Die Texte stehen ohne Klammertext nebeneinander. Glaube wird demnach als Grundbegriff vorausgesetzt, nicht aber erläutert. Auf eine religionssystematische Ordnung wird dementsprechend verzichtet. Ähnliche Konzeptionalisierungen werden aus der Sicht evangelischer Theologie vorgenommen, die diese oftmals innerhalb der Struktur ihrer Teildisziplinen bearbeitet: Im 1989 erschienenen Artikel »Glaube« im Evangelischen Kirchenlexikon findet sich dementsprechend ein religionswissenschaftlicher Appendix. Auf Abschnitte über die Disziplinen Altes und Neues Testament sowie Systematische Theologie (wo bleiben Kirchengeschichte und Praktische Theologie?) folgt ein vierter Abschnitt des Heidelberger Islamwissenschaftlers Raif Georges Khoury unter der Überschrift: »Nichtchristl. Religionen; exemplarisch: Islam«, der verschiedene Aspekte islamischen Glaubensverständnisses erläutert. Auch hier steht Islamkunde exemplarisch und unverbunden neben den genannten theologischen Disziplinen. Eine explizite religionenübergreifende Konzeptionalisierung des Themas findet sich nicht. Glaube wird in den beiden vorgestellten Lexika zwar innerhalb abrahamitischer Traditionen verortet und auf diese eingegrenzt. Diese Verortung bleibt sowohl religionsgeschichtlich als auch religionssystematisch aber unkommentiert. Auch der Tübinger systematische Theologe Christoph Schwöbel grenzt das Thema in seinem Artikel »Glaube« im Taschenlexikon Religion und Theologie deutlich ein. Allerdings geschieht dies explizit und wird kommentiert. Schwöbel geht von einer christlichen Grundbestimmung des Themas aus und setzt diese in ein Verhältnis zu Judentum und Islam: »Der Glaubensbegriff hat auch im Judentum und im Islam

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eine herausragende Stellung. Allerdings zeigen sich Unterschiede in der inhaltlichen Ausdeutung und formalen Bestimmung des G., die darauf hindeuten, dass das Verständnis des G. als des organisierenden Zentrums von Grund, Inhalt und Vollzug des christl. [!] Lebens ein christl. [!] Spezifikum ist […].« (Schwöbel 2008: 439). Schwöbel macht hier deutlich, dass Glaube ein Thema dreier religionsgeschichtlich verwandter Traditionen sei, was einen theologischen Dialog ermögliche und erfordere. Er privilegiert damit religionsgeschichtlich den Monotheismus – allerdings aufgrund einer theologischen Entscheidung. Gleichzeitig grenzt er das Thema deutlich von einem (ahistorischen bzw. unkonkreten) übergeschichtlichen Verständnis des Glaubensbegriffes ab, wie er in der Tradition der Phänomenologie stark gemacht oder in der Abweisung phänomenologischer Herangehensweisen ausgeschieden wird (s. u.). Schwöbels Beitrag changiert – wie viele andere – an der Grenze zwischen theologischen und religionsgeschichtlichen Interessen bzw. Themen. Im Hinblick auf ein in diversen, vor allem früheren Texten konstruiertes übergeschichtliches oder gar anthropologisch postuliertes Vorhandensein des Phänomens Glaube hält Schwöbel sich jedoch zurück und begrenzt das Thema somit religionsgeschichtlich wie theologisch auf Judentum, Christentum und Islam. Nach der früheren Vereinnahmung des globalen religiösen Feldes durch einen (christlich imprägnierten) Glaubensbegriff, der allen Religionen, ja allen Menschen eigne, findet sich im Beitrag Schwöbels die Ausgrenzung differenter Traditionen aus dem Dialog (bzw. besser Trialog) über ein grundlegendes christliches Thema. Beide Varianten – Vereinnahmung wie auch Ausgrenzung – bestimmen über den Rahmen aufgrund theologischer Voraussetzungen. Aus der Sicht der Religionswissenschaft sind beide Spielarten des Umgangs mit religiöser Differenz unter dem Stichwort ›Glaube‹ nicht dazu geeignet, als Gegenstände oder Fragestellungen der Religionswissenschaft konzeptionalisiert zu werden. Es handelt sich eher um theologische Projekte.

1.3.  ›Glaube‹ als Thema des (protestantischen) Christentums Lassen sich im Rahmen religionswissenschaftlicher und religionskundlicher Äußerungen noch stärkere Eingrenzungen des Themas finden? Gibt es Konzeptionalisierungen des Themas ohne religionsgeschichtliche Entgrenzungen? Eine Reihe von Beiträgen markiert ›Glaube‹ als Thema des Christentums, vor allem in seinen protestantischen Spielarten. Dafür ein erstes Beispiel:

208  Religionswissenschaft In dem auf die Themen Gegenwart, Alltag und Medien fokussierten Metzler Lexikon Religion beschäftigt sich der Mitherausgeber Christoph Auffarth mit dem Thema »Religiosität / Glaube« (Auffarth 2005). Der Synonymisierung im Lemma entspricht auch die Verwendung der Ausdrücke »Religiosität« und »Glaube« im Artikel. Als Religiosität beschreibt Auffarth ein Phänomen, das er in der europäischen Religionsgeschichte ausfindig macht: »die Distanz zwischen der Religion als Institution und dem Bewußtsein der Einzelnen von der Bedeutung von Religion als Teil ihres Lebens.« (ebd.: 188). Mit dieser Herkunftsbestimmung bewegt Auffarth sich im Rahmen der vornehmlich protestantisch geprägten Theologie und Philosophie des späten 18. Jahrhunderts. Der auf diese Bestimmung folgende Artikel des habilitierten Religionswissenschaftlers und promovierten Theologen Auffarth besteht dementsprechend zum überwiegenden Teil aus einer Art Kritik an deutschen protestantischen kirchlichen Verhältnissen, die als eine Replik auf marxistisch-leninistische Religionskritik gelesen werden kann. Auffarth konstatiert zum Beispiel eine zeitgenössische Distanz zwischen den »berufsmäßige[n] Vertreter[n] der Religion« und den »gewöhnlichen Trägern der Religion, den Laien«. Die berufsmäßigen Vertreter müssten permanent ihre Finanzierung rechtfertigen, was sie durch Kompetenzbeweise täten, »beispielsweise durch das Erlernen fremder, nicht mehr gesprochener Sprachen und Begriffe« (ebd: 188). Den kirchlichen Beamten bescheinigt der Autor »[m]angelnde Kenntnis […] von den Risiken des Lebens«. Die hier nicht weiter darzustellenden Bemerkungen kulminieren in zwei Definitionen von Religiosität, die sich – der Kirchenkritik des Textes entsprechend – diametral entgegenstehen: »Aus der Sicht der Funktionäre ist Religiosität also Religion minus die Institution, während man beschreibend in Religiosität das Verlangen der ›Benutzer‹ nach Religion sehen wird, das die Institution nur teilweise ausfüllt.« (ebd.: 189). Welchen empirischen Anhalt diese Aussagen haben, lässt sich aus dem Text nicht erheben. In jedem Fall lässt sich aber verzeichnen, dass das Stichwort ›Glaube‹ hinter das Stichwort ›Religiosität‹ zurücktritt. »Glaube« wird in der Überschrift des Artikels zwar erwähnt, im Text aber nicht erklärt. Der Ausdruck erscheint noch einmal als eine Art Glosse oder Zwischenüberschrift neben folgender Bemerkung: »Religiosität wird vielfach dort beobachtet und beschrieben, wo die gewohnte Identität in eine Krise geraten ist. Und die Beamten-Theologen, die den Krisen nicht ausgesetzt sind, spötteln über die ›Bastel-Religion‹ der Suchenden.«

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(ebd.: 194). Ohne dieses Phänomen hier grundsätzlich leugnen zu wollen, soll doch gefragt werden, welchen Informationswert diese Kritik besitzt bzw. welchen Erkenntnisgewinn sie mit sich bringt. In der 2006 bei Brill in Leiden erschienenen englischen Fassung dieses Lexikons findet sich dieser Artikel jedenfalls nicht wieder. Allerdings wurde er auch nicht durch einen anderen Artikel etwa über »faith« oder »belief« ersetzt. (vgl. Stuckrad 2006: X). Dagegen werden ›große Themen‹ wie »God«, »Christianity« oder »Hinduism« durch eigene Artikel tradiert. Klar ist, dass auch im Brill Dictionary of Religion ›Glaube‹ kein Gegenstand der Religionswissenschaft ist. Auf derartige ›große Themen‹ hatte das Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe programmatisch verzichtet (s. u. 2.2.). Es finden sich hier keine Einträge wie »Christentum« oder »Hinduismus«, um keine sich kohärent gebenden großen Erzählungen zu konstruieren, die in einer kulturwissenschaftlichen Perspektive ja gerade zu dekonstruieren und zu kontextualisieren wären. Das Wörterbuch der Religionen von 2006 will daran anknüpfen und erhebt den Anspruch, in seinem Format »das religionswissenschaftliche Referenzwerk sein« zu wollen (Auffarth u. a. 2006: VI). Die Herausgeber weisen auf die Notwendigkeit einer neuen religionswissenschaftlichen Begriffssprache hin, deren erstes Resultat das Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe sei: »Diese Arbeit wird hier fortgesetzt, zusammengefasst und, wo nötig, revidiert.« (ebd.: VII). Die Revision besteht u. a. darin, dass Artikel wie »Christentum« oder »Hinduismus«, die das Handbuch explizit nicht (mehr) enthalten hatte, nunmehr wieder erscheinen, so auch ein Artikel über »Glaube / Glauben« des auch dieses Wörterbuch mit herausgebenden Autors Christoph Auffarth. Auffarth definiert Glaube hier als Verhaltensmotivation und als »Verbindung von Überzeugungen, die von der Solidarität der religiösen Gemeinschaft getragen werden.« Es wird nicht angezeigt, welchen religionsgeschichtlichen Referenzrahmen der Autor mit dieser Bestimmung vor Augen hat. Die der Definition folgenden Bemerkungen lassen vermuten, dass der Text auf die genannte »protestant. Tradition« zielt, die »das ›Für-Wahr-Halten‹« hervorhebe. Es finden sich wiederum Äußerungen, die an den aus der englischen Fassung gestrichenen Artikel »Religiosität / Glaube« im Metzler Lexikon Religion von 2000 erinnern: »Bei einem hohen Grad an Professionalisierung von Religionen konstruieren Theologen aus den überlieferten Traditionen Glaubenssätze, die mitzusprechen jedes Mitglied verpflichtet ist (Sprechakt des Credo). Ihre Wahrheit erweist sich in der

210  Religionswissenschaft Solidarität des Handelns und der erwarteten Treue zwischen Gott und seinem Volk. Die Ungläubigen (lat. infideles, perfidi) schließen sich selbst von Gottes Schutz aus.« (Auffarth 2006: 184). Es ist hier zwar von ›Religionen‹ die Rede, der Bezug ist aber eindeutig die oben genannte protestantische Tradition, aus der der Autor selbst stammt. Ob der in das Wörterbuch der Religionen neu aufgenommene Eintrag zum Thema »Glaube / Glauben« die Arbeit des Handbuch[s] religionswissenschaftlicher Grundbegriffe fortsetzt, zusammenfasst oder revidiert (s. o.), soll hier nicht entschieden werden. Deutlich ist aber, dass das Thema ›Glaube‹ zwar genannt wird, sich jedoch ausschließlich kritisch auf den (deutschen) Protestantismus bezieht und insofern gewissermaßen theologische Hinsichten bedient bzw. Kritik an kirchlich-theologischen Verhältnissen formuliert. Ähnliches gilt für das Glossar des Liverpooler Religionswissenschaftlers Ron Geaves (Continuum Glossary of Religious Terms 2002), in dem religiöse Begriffe aus religionswissenschaftlicher Sicht erläutert werden. »Faith« wird hier als vornemlich protestantischer, auf Martin Luther bezogener Begriff in einem eigenen Artikel geschildert (Geaves 2002: 115). Verweise auf andere Begriffe finden sich nicht, auch wenn Geaves ‫( אמונה‬ʾæmûnāh/»Treue, Vertrauen, Aushalten, Glaube«) und īmān (arab.: »Vertrauen, Glauben, Zuversicht«) in jeweils eigenen Einträgen skizziert und als »faith« übersetzt. Allerdings erscheint statt śraddhā (skrt.: »glauben«; eigtl. »das Herz auf etw. setzen«) hier lediglich śrāddha (»Ahnenverehrung«, Derivat von skrt.: śraddhā; vgl. ebd.: 110, 161, 386). Glaube wird hier also als christliches, vornehmlich protestantisches Thema konzeptionalisiert; Verbindungen zu anderen einschlägigen Einträgen werden nicht hergestellt. In ähnlicher Weise fokussiert die Heidelberger systematische Theologin Friederike Nüssel das Thema ›Glaube‹ in der Enzyklopädie der Neuzeit ausschließlich auf das Thema Christentum und dies ebenfalls mit Schwerpunktsetzung im deutschen Protestantismus (neben wenigen Seitenblicken auf den römischen Katholizismus). Eine Darstellung oder Diskussion des Themas ›Glaube‹ außerhalb des Christentums findet sich in diesem europäischen Epochenüberblick nicht. Die einzige Bemerkung über einen außerchristlichen Kontext findet sich in der vorangestellten Begriffsbestimmung: »G[laube] bezeichnet im Judentum und im Christentum die der Bestimmung des Menschen entsprechende Beziehung zu Gott als dem Schöpfer, Erhalter und Ziel menschlichen Lebens. Die nzl. Entwicklung des G[laubens]-Begriffs basiert dabei sowohl in der christl. wie auch in der jüd. Tradition ent-

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scheidend auf der philosophischen Formierung der Theologie im MA und den unterschiedlichen Konstellationen der Frömmigkeitsentwicklung.« (Nüssel 2006: 911). Dass ›Glaube‹ nach diesem Artikel in der Neuzeit als ein vornehmlich deutsches, protestantisches Thema vorgestellt wird, überrascht angesichts der europäischen Ausrichtung des Lexikons. Deutlich ist aber, dass hier keinerlei religionsübergreifende oder diverse Religionen umfassende Thematisierung oder Konzeptionalisierung von Glaube vorgenommen wird. Das Thema ›Glaube‹ wird hier – dem Ansatz der Enzyklopädie entsprechend – auf den Rahmen der (europäischen) Neuzeit reduziert und exklusiv mit vornehmlich deutscher protestantischer Theologiegeschichte gefüllt.

2.  Religionswissenschaftliche Problematisierungen Neuere religionswissenschaftliche Ansätze diskutieren nicht zuletzt die Herkunft des Religionsbegriffs und die damit gegebene Spannung zu der Vielfalt der Religionsgeschichte. Für das Thema ›Glaube‹ ergeben sich dabei unterschiedliche Konsequenzen, die innerhalb der vorzustellenden Deskriptionen und Konzeptionen wahrzunehmen sind. Inwieweit ›Glaube‹ durch Vorstellungen von ›religiösen Intentionen‹ ersetzt, inwieweit das Thema explizit oder implizit ausgeblendet oder auch in seiner historischen Kontingenz kontextualisiert wird, ist Gegenstand der folgenden Abschnitte.

2.1.  ›Glaube‹ in der Neustil-Phänomenologie Für die Problematisierung des Religionsbegriffs sei zunächst auf den niederländischen Religionswissenschaftler und Theologen Jacques Waardenburg verwiesen. Er legte bereits 1985 eine systematische Einführung in die Religionswissenschaft unter dem Titel Religionen und Religion vor. Waardenburg weist darauf hin, dass »der Begriff der Religion, der in der westlichen Kultur entwickelt worden ist, […] unpräzis« sei. »Ein einseitiger, an Europa orientierter und theologisch bestimmter Religionsbegriff hat auch zur Folge gehabt, daß man im Westen die anderen Religionen eigentlich nur innerhalb jener Grenzen wahrzunehmen und zu interpretieren vermochte, die durch die westlichen normativen Ideen über Religion gezogen waren. Demgegenüber brauchen wir einen Religionsbegriff, der der Pluralität der Kulturen gerecht wird und erlaubt, ihre Religionen als eigenständige Größen zu

212  Religionswissenschaft begreifen.« Die Religionswissenschaft habe im empirischen Material meistens das wiedergefunden, »was sie zuvor als Religion definiert und konzipiert hatte« (Waardenburg 1986: 33). Waardenburg nimmt demzufolge nur eine vorläufige Bestimmung von Religionen als »Orientierungssysteme« vor (ebd.: 34). Fragt man nun nach dem Thema ›Glaube‹ in diesem Ansatz, so wird man der Rede von »religiösen Tatbeständen« begegnen, die nach Waardenburg kontextuell und auch hermeneutisch zu bearbeiten sind (ebd.: 31 u. ö.). Waardenburg verweist weiterhin auf »Themenkomplexe, die zum Gegenstandsbereich einer jeden breiter angelegten Religionsforschung« gehörten (ebd.: 211). Als zentrales Beispiel dieser »religiösen Tatbestände«, die meistens nicht auf den religiösen Bereich beschränkt seien, nennt er: Symbole, Mythen, Mystik, Schriften und Ethik (vgl. ebd.: 212 – 231). Waardenburg liefert einen multiperspektivischen Ansatz der Religionswissenschaft, mit dem er der »Krise des Religionsbegriffes« (ebd.: 32) zu begegnen sucht. Zu den von ihm thematisierten »religiösen Tatbeständen« bzw. »Themenkomplexen« gehört das Thema ›Glaube‹ jedoch nicht. Die von Waardenburg thematisierten subjektiven Sinndeutungen, die er mit dieser »Neustil-Phänomenologie« (vgl. Hock 2002: 68 – 70), die keine »Quasi-Theologie« (ebd.: 68) sein will, aufzuspüren sucht, gehen jedoch nicht dem Thema ›Glaube‹ nach, sondern beschreiben »Phänomene und Tatbestände, die aufgrund religiöser Intentionen als religiös wahrgenommen und gedeutet werden« (ebd.: 70).

2.2.  Religionswissenschaft ohne das Thema ›Glaube‹? Das Thema ›Glaube‹ kommt auch in dem 1988 erschienenen einführenden Überblickswerk Grundzüge der Religionswissenschaft des Zürcher Religionswissenschaftlers Fritz Stolz letztlich nicht vor. Stolz bezieht sich nur zweimal kurz darauf, wenn er das Verhältnis der Religionswissenschaft zur Theologie beschreibt. Dabei wird deutlich, dass ›Glaube‹ nach Stolz’ Verhältnisbestimmung zur Theologie gehört (»Durchdenken der Religion ›von innen‹«): »Glaube ist dabei Inbegriff des religiösen Empfindens und Wertens sowie des unmittelbar religiösen Verhaltens.« (Stolz 1988: 36). Die Religionswissenschaft hat es nach Stolz nicht mit Glaube zu tun, der nach der christlichen Tradition Nachdenken (und damit Theologie) bewirke, sondern sie markiert das »Durchdenken der Religion ›von außen‹« im Sinne der größtmöglichen methodischen Distanz. Somit ist Glaube nach Stolz kein

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Gegenstandsbereich, der religionswissenschaftlich bearbeitet werden könnte. Glaube ist nach Stolz vielmehr eine Thematisierungshinsicht für Religion(en), die von religiösem Interesse geprägt ist, während Religionswissenschaft die kulturell bedingten Horizonte der eigenen Fragestellungen auf Phänomene bezieht, Fragen revidiert und auf diesem Wege Hypothesen und Modelle bildet. Beide Modelle (außen – innen) seien zu trennen, verwiesen aber aufeinander. Die (mit Glaube zusammenhängende) Theologie habe die Fragen, die den kulturellen und religiösen Horizont hiesiger Religionswissenschaftler bildeten, »auf der Ebene der Reflexion in ungeheurer Breite und Tiefe bearbeitet.« (ebd.: 44). Das bereits genannte (›postphänomenologische‹) Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe enthält – der Kritik an den großen, kohärenten Erzählungen der Phänomenologie entsprechend – gar keinen Artikel zum Stichwort »Glaube(n)«. Allerdings beginnt der alphabetische Teil mit dem Artikel »Aberglaube« (Gladigow 1988) – ein Ausdruck, der nach Hartmut Zinser selbst eine religiöse Qualifizierung beinhalte und darum kein religionswissenschaftlich verwendbarer Terminus sei (vgl. Zinser 2010: 12). Burkhard Gladigow weist im betreffenden Artikel dementsprechend auch darauf hin, dass ›Aberglaube‹ ein Begriff aus der europäischen Religionsgeschichte und wegen seines polemischen Zuges kein deskriptiver oder analytischer Begriff, sondern vielmehr als objektsprachlicher Ausdruck selbst Untersuchungsgegenstand sei. Wenn das zutrifft, muss allerdings geklärt werden, was es mit der ersten von Gladigow aufgeführten Wortbedeutungen auf sich hat: »Mit Aberglaube wird eine Vorstellung (und Praxis) bezeichnet und ausgegliedert, die zeitgenössischen wissenschaftlichen Postulaten nicht entspricht« (Gladigow 1988: 388). Wie verhielte sich der positive Gegenbegriff zu einer solchen Bestimmung? Vor allem ist aber zu fragen, warum dieses fünfbändige Handbuch einen Artikel zum polemisch abgrenzenden Thema ›Aberglaube‹, nicht aber zu seinem positiven Gegenstück – ›Glaube‹ – enthält? Wird das Thema damit als geklärt vorausgesetzt oder als ungeklärt ausgeblendet? Oder wird hier subkutan der Glaube an die Wissenschaft als Gegenposition eingeschrieben? Handelt es sich letztlich nicht (in beiden Fällen) um Auslegungsdifferenzen? Der moderne Wissenschaftsbegriff wird generalisiert. Impliziert die Konnotation von ›Aberglaube‹ mit ›Unwissenschaft‹ nicht aber eine Zuordnung von ›Glaube‹ auf die Seite der ›Wissenschaft‹? Der Wiener Theologe und Religionswissenschaftler Johann Figl will mit seinem Handbuch Religionswissenschaft eine Fachkonzeption über-

214  Religionswissenschaft greifend darstellen, die sich auch auf konkrete Inhalte bezieht: »Es geht um die Herausstellung zentraler Inhalte, die nicht nur in (fast) allen Religionen anzutreffen sind, sondern darüber hinaus auch in der individuellen Religiosität sowie in funktional-religiösen anthropologischen Aktivitäten.« (Figl 2003: 77). Das Stichwort »Glaube« kommt unter den »zentralen Themen« der Religionen im zweiten Teil des Handbuches, der systematischen und komparativen Zugängen bzw. eben »Themen« gewidmet ist, nicht vor. Auch hier ist ›Glaube‹ letztlich kein Gegenstand der Religionswissenschaft, sondern der Ausdruck läuft in diesem Werk gewissermaßen unspezifisch mit. In der Regel findet er sich in Komposita (z. B. Glaubensvorstellungen, (Geisterglaube) oder in Wendungen mit einer klar identifizierten Referenzgröße, mit einem Objekt (z. B. Glaube an Götter). Glaube erscheint im Kontext der Beiträge als ein Fürwahrhalten und nicht als ein religiös bereits in sich aufgeladener Begriff. ›Glaube‹ wird nicht als eigenständiges Thema behandelt. Die Wörter »Religiosität« oder »Spiritualität« stehen nicht im Register dieses Überblickswerkes. Alle drei Konzeptionalisierungen von Religionswissenschaft kommen ohne das Thema ›Glaube‹ aus. ›Glaube‹ ist in diesem Horizont kein Thema der Religionswissenschaft.

2.3.  Religiosität und religiöse Spezialisten Wenn ›Glaube‹ kein Thema der Religionswissenschaft ist, stellt sich die Frage: Gibt es religionswissenschaftliche Themen, die das Thema ›Glaube‹ ersetzen, ablösen oder diesem vergleichbar sind? Der Bayreuther Religionswissenschaftler Christoph Bochinger formuliert 2013 aus seiner Sicht einen Fachkonsens der Religionswissenschaft bezüglich Religion und Säkularität. Dabei geht er zwar nicht auf das Stichwort ›Glaube‹, aber auf »[i]ndividuelle Religiosität« ein. Für eine religionswissenschaftliche Gegenstandsbestimmung nach dem cultural turn gelte: »Individuelle Religiosität wird nicht als anthropologisches Kontinuum im Sinne einer ›religiösen Anlage‹ gesehen, die dem Menschen angeboren ist, oder ihn sogar erst zum Menschen macht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Religiosität (ebenso wie die Sprache und andere kulturelle Errungenschaften) kulturell erworben wird und damit Ergebnis eines Sozialisationsprozesses ist.« (Bochinger 2013: 21). Auch diese Sicht stellt das Thema ›Glaube‹ als kultur- bzw. religionsübergreifendes Thema in Frage, weil es um Religiosität geht, die auf den frei gewordenen Platz des Glaubens gesetzt wird. Hier wird aus

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einer kulturwissenschaftlich orientierten Konzeption von Religionswissenschaft das Gegenteil zu religionsphänomenologischen und theologischen Hinsichten formuliert. Eine andere Variante bietet der Marburger Religionswissenschaftler und Psychologe Sebastian Murken, der explizit nach religiöser Indifferenz fragt und feststellt, für viele bliebe »ein diffuser Wunsch nach Transzendenzbezug offen«. Aus Murkens religionspsychologischer Perspektive geht es um individuelle Sinnkonstruktionen, die den Menschen »durch die Tür seines Glaubens oder durch die Tür seines Unglaubens« betrachtet gleichermaßen auszeichneten. Murken verschiebt somit deutlich den Fragehorizont und stellt fest, »dass aus religionswissenschaftlicher Sicht die religiös-apologetisch geprägten Kategorien Glauben vs. Unglauben nicht wirklich sinnvoll und hilfreich sind« (Murken 2013: 149). In ähnlicher Weise wendet sich der Erfurter Religionswissenschaftler Jörg Rüpke vom Thema ›Glaube‹ ab. Seine einführende Historische Religionswissenschaft behandelt – trotz einer kurzen Erwähnung Friedrich Schleiermachers als prägend für die liberale protestantische Theologie und für die Religionswissenschaft – nicht etwa einen Gegenstand ›Glaube‹. Mit Blick auf Schleiermachers Rede vom »Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit« heißt es zwar: »Der einzelne Mensch und sein göttliches Gegenüber, Botschaft und Glauben, der den Menschen ganz treffende Anruf des Transzendenten und die Reaktion des so Angesprochenen darauf bestimmten in vielfältigen Variationen die Forschungsperspektive.« (Rüpke 2007: 128). Von dieser forschungsgeschichtlichen Feststellung ausgehend, skizziert Rüpke Joachim Wachs Typen religiöser Autorität mit Bezug auf das religiöse Charisma und setzt dann aber die Unmöglichkeit, Religionen historisch aus eindimensionalen Transzendenzbezügen zu analysieren, dagegen. Historische Religionswissenschaft könne ihren Gegenstand (die Religionen) nur als soziales System, als System von Handlungen oder Symbolsystem analysieren. Ein Ansatz beim ›Glauben‹, beim ›Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit‹ (Friedrich Schleiermacher) oder bei – vom Transzendenzverhältnis letztlich abhängigen – ›Typen religiöser Autorität‹ (Joachim Wach) sei somit nicht gangbar: Nicht die Intensität der Beziehung zur Gottheit, sondern die (umfassendere) »Position des Spezialisten innerhalb des sozialen Systems Religion« sei analytisch entscheidend (Rüpke 2007: 131). Das ist ein neuer Aspekt. Bei Rüpke wird das Thema ›religiöse Spezialisten‹ nicht vom Thema ›Glaube‹ her entwickelt, sondern ›Religion‹ wird unter Ausblendung dieses Themas

216  Religionswissenschaft von der Rolle und den Funktionen religiöser Spezialisten her konzeptualisiert. Gefragt wird somit nach sozialen Interaktionsprozessen und nicht nach religiösen ›Inhalten‹ an sich.

2.4.  Problematisierung des Religionsbegriffs Der Rostocker Religionswissenschaftler und Theologe Klaus Hock entwirft in seiner seit 2002 in drei Auflagen erschienenen Einführung in die Religionswissenschaft ein umfassendes fachgeschichtliches sowie theorie- und methodenorientertes Panorama zum Thema Religionswissenschaft. Dabei gelten für ›Glaube‹ offenbar analoge Kautelen bzw. Probleme wie für ›Religion‹. Hock schreibt zum Religionsbegriff: »Eines der Probleme bei der Bestimmung des Religionsbegriffs ist darin zu sehen, dass der Begriff selbst in einem ganz spezifischen kulturellen und historischen Umfeld entstanden ist – er gehört zunächst einmal in die abendländische Geistesgeschichte. Spätestens dann, wenn wir versuchen, den Religionsbegriff als Allgemeinbegriff auf Phänomene in anderen geschichtlichen und kulturellen Zusammenhängen zu übertragen, geraten wir in unerwartete Schwierigkeiten.« (Hock 2002: 10). Nach Hock stellt sich die Frage, ob die Religionen so etwas wie einen kleinsten gemeinsamen Nenner hätten, der sich in einem allgemeinen Religionsbegriff finden könnte, oder ob ein allgemeiner Begriff nicht angemessene Deskriptionen einzelner Religionen verhindere, »da wir in diesem Fall immer schon unsere Wahrnehmung der anderen Religion auf das reduzieren, was unserem Verständnis von ›Religion‹ entspricht? Jedenfalls gibt es gute Gründe, einen solchen Einwurf ernst zu nehmen.« (ebd.: 14). Interessanterweise vollzieht sich auch die von Hock in einem fachgeschichtlichen Überblick geschilderte Problematisierung einer Religionsdefinition, die auf »Glaube an geistige Wesen« (Edward Burnett Tylor) abstellt, nicht am Begriff ›Glaube‹, sondern am Ausdruck »spiritual beings« (Tylor) bzw. »superhuman beings« (Spiro 1966), also an der Orientierung an geistigen bzw. übermenschlichen Wesen, an Göttern oder Gott. Spiro selbst spricht dementsprechend auch von »kulturell geformter Interaktion mit kulturell postulierten übermenschlichen Wesen« (»culturally patterned interaction with culturally postulated superhuman beings«; [ebd: 96]). Dementsprechend findet sich in Hocks Beschreibung historischer und systematischer Zugänge der Religionswissenschaft das Thema ›Glaube‹ nicht als expliziter Gegenstand.

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Exkurs: Religionssoziologie und Religionspsychologie Unabhängig davon, ob man die Religionssoziologie und die Religionspsychologie als Teilgebiete der Religionswissenschaft oder als Thematisierungshorizont der Soziologie resp. der Psychologie verbuchen will, stellt sich m. E. aus religionswissenschaftlicher Perspektive die Frage, ob ›Glaube‹ explizites Thema dieser Disziplinen ist oder ob das Thema im Nebel des Religiösen verschwimmt bzw. als unhinterfragte Alltagsvoraussetzung eingeschrieben wird. Deutlich ist, dass das Thema ›Glaube‹ in Hocks Einführung weder unter den »Themenbereichen religionssoziologischer Forschung« noch unter der Rubrik »Gegenstand, Aufgaben und Methoden der Religionspsychologie« erscheint. Nach Hock herrsche in der Religionspsychologie Konsens darüber, »dass der religiösen Erfahrung gegenüber religiösen Ausdrucksformen in Wort und Tat Priorität zukommt« (Hock 2002: 142). Dadurch rücke die Erfahrung in den Fokus, »noch vor dem, was er ›glaubt‹ (an Dogmen; z. B. die Jungfrauengeburt Jesu) oder ›tut‹ (in Ritualen; z. B. die Teilnahme an der Eucharistiefeier)« (ebd.: 143). Auch die Gegenstandsbestimmung der Religionspsychologie kommt aus dieser Perspektive also ohne Diskussion des Themas ›Glaube‹ aus. Darüber hinaus wäre dieses Thema aus der Perspektive der Soziologie und der Psychologie außerdem nicht auf den Bereich des Religiösen beschränkt oder für diesen reserviert. Wenn sich also konstatieren lässt, dass Glaube kein expliziter Gegenstand der Religionswissenschaft im engeren Sinne ist, so ist es auch nicht verwunderlich, dass Soziologie und Psychologie, insofern sie sich mit religiösen, religioiden oder religionswissenschaftlichen Fragen beschäftigen, ›Glaube‹ nicht zum expliziten Gegenstand machen (können). Stattdessen ist in der Religionssoziologie z. B. die Rede von »communication about […] postulated transcendent realities and about the communication with them« (Beyer 2006: 92), während ›spirituality‹ als ein Vermeidungsausdruck beschrieben wird, der von etablierter Religion unterscheiden solle (»to ›look like a duck and quack like a duck‹, but avoid identification as a duck« [ebd.: 8]). Die Religionswissenschaftler Hans G. Kippenberg (Bremen / Erfurt) und Kocku von Stuckrad (Amsterdam / Groningen) skizzieren in ihrer Einführung in die Religionswissenschaft ein Forschungsfeld, »weg von den subjektiven Akten des Glaubens und Handelns und hin zur Kommunikation« (Kippenberg / von Stuckrad 2003: 12). Dieser Ansatz will »Glaubensanschauungen […] nicht mehr zu zeitresistenten eingängigen Kategorien – etwa dem Glauben an geistige Wesen – verdichte[n]«

218  Religionswissenschaft (ebd.: 13). (Bemerkenswerterweise ist hier von Glaube an etwas die Rede, also nicht von subjektiven Akten, sondern von Referenzgrößen.) Mit Bezug auf Russell T. McCutcheon (McCutcheon 1997) verweisen sie auf die enormen Konsequenzen religionswissenschaftlicher Konzepte wie »das Sakrale, Religion ›an sich‹, Glaube, Macht, das Heilige« (Kippenberg / von Stuckrad 2003: 69), die es zu dekodieren gelte, um den Zusammenhang von Begriffsbildungen mit der konkreten religiösen Praxis untersuchen zu können. Die Einsicht, dass moderne Religionswissenschaft es immer auch mit ihren eigenen Wirkungen zu tun hat, dass es keine wertneutralobjektive Beobachterposition gibt, mag zu der Zurückhaltung großen Themen gegenüber geführt haben. Vor einem solchen Horizont, wie Kippenberg und von Stuckrad ihn zeichnen, sind Themen wie ›Glaube‹ jedenfalls kein Gegenstand der Religionswissenschaft. Vielmehr geht es hier um die Verwobenheit des religiösen Feldes mit Macht, Politik, Gesellschaft, Kunst, Wissenschaft etc. Es findet sich sogar eine explizite Absage an das Thema in den weiteren Ausführungen: »Die Religionswissenschaft sollte ihren analytischen Blick nicht nur auf Religionsgemeinschaften richten oder Religion im Sinne von ›Glauben‹ als inneres Geschehen untersuchen, sondern die Rolle religiöser Semantiken in einem öffentlichen Feld betrachten. Dabei geht Religion nicht nur in politische Diskurse ein, sondern kann das gesamte öffentliche Zeichensystem mitprägen, von der Architektur bis zu den modernen Massenmedien.« (ebd.: 95). Noch einmal zusammengefasst: »Da religiöse Überzeugungen erst dann wissenschaftlich erkennbar werden, wenn sie geäußert und in Handlung kommuniziert werden, geht es der Religionswissenschaft nicht um den inneren ›Glauben‹, sondern um die öffentliche Organisation von Glaubensaussagen und die kulturelle Manifestation religiöser Traditionen.« (ebd.: 135). Die Autoren wenden sich somit gegen jede Anthropologisierung des Themas, sie stellen derart systematisierte Hinsichten hinter die Beschreibung des Diskurses, in dem so etwas wie Glaube oder Religion steht, zurück. Zu einer ähnlichen Einschätzung – wenn auch aus anderen Gründen – kommt auch Hartmut Zinser in seinen Grundfragen der Religionswissenschaft. Der bereits zitierte Berliner Religionswissenschaftler setzt sich mit dem Thema ›Glaube‹ im Rahmen des Problems der Religionsdefinitionen auseinander. Zinser macht deutlich, dass Glaube kein geeignetes Definitionsmerkmal für Religionen sein könne, denn nicht alles, was mit Glaube zusammenhinge, sei religiös. Aberglaube auf der einen und Wissenschaftsglaube auf der anderen Seite sind nach Zinser

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nicht ohne Weiteres als Religion anzusehen. Darüber hinaus macht er eine entscheidende Zäsur, wenn er festhält, »daß Glaube in seinem spezifisch christlichen Sinne als Weg oder Mittel zur Erlösung, wie er von Paulus formuliert und im Glaubensbekenntnis eine dogmatische Gestalt erhalten hat, in anderen Religionen kaum aufweisbar ist.« (Zinser 2010: 58). Zinser isoliert das Thema also nach zwei Seiten: einerseits sei Glaube nicht spezifisch religiös, andererseits dagegen spezifisch christlich. Egal mit welcher der beiden Begründungen: das Thema soll keine Grundfrage der Religionswissenschaft markieren. In ähnlicher Weise wie die genannten Autoren widmet sich auch der Göttinger Religionswissenschaftler Andreas Grünschloß u. a. der Problematisierung des Religionsbegriffs. Im Gegensatz zur eben vorgeführten konzeptionellen Ausblendung des Themas hat Grünschloß in seiner Neufassung des RGG-Artikels »Glaube« (Grünschloß 2000) genau dieses zu diskutieren. Grünschloß verbindet mehrere, bisher bereits aufscheinende Dimensionen und Probleme, von der Etymologie über die Problematisierung rein begriffsgeschichtlichen Arbeitens bis zur Frage der religionswissenschaftlichen Theorie. Zunächst unterscheidet Grünschloß mit Blick auf das Thema ›Glaube‹ zwischen einer emischen (objektsprachlichen) und einer etischen (metasprachlichen) Sicht. Objektsprachlich finde sich mit śraddhā (skrt.: »glauben«; eigtl. »das Herz auf etw. setzen«); saddhā (pāli: »glauben«) bzw. zrazdā (avest.: »gläubig«) ein indoeuropäisches etymologisches Pendant zum lateinischen credo (credere, lat.: »glauben«), wie die mögliche Rekonstruktion des indogermanischen *k’red-dhē (»sein Herz setzen auf«) zeige. Grünschloß bietet Beispiele aus Hinduismus, Buddhismus, (die sich auf diese etymologische Konstruktion beziehen ließen) sowie aus dem Islam (vor allem islām, arab: »Ergebenheit, Hingabe«; īmān, arab.: »innere Überzeugung, Glaube«). Derartige Beispiele durchziehen die Literatur seit Jahrzehnten. Grünschloß bleibt nun aber nicht bei dieser Aufzählung stehen, sondern hält als Fazit fest, dass sich trotz vieler Analogien eine allgemeine Bedeutung von ›Glaube‹ aus den verschiedenen Kontexten nur schwer erheben lasse. Die Bedeutungsvielfalt umfasse unter anderem »innere Zustimmung, sicheres Wissen, festes Vertrauen in eine numinose Gestalt, hingebungsvolle Praxis und Bekenntnis der Glaubensinhalte«. Außerdem impliziere Glaube »eine Abgrenzung von den vermeintlich ›Ungläubigen‹« (Grünschloß 2000: 941). Neben der Problematik der Dominanz christlicher Assoziationen weist Grünschloß vor allem darauf hin, dass die metasprachliche Ver-

220  Religionswissenschaft wendung uneinheitlich sei: ›Glaube‹ werde im Sinne von ›Religion‹ verstanden; im Sinne von ›Glaubensvorstellungen‹ (›beliefs‹) und auch als phänomenologisches Konzept (›faith‹). Er hält fest: »Zur anthropologischen Universalie hypostasiert, kann er [der so verstandene Glaube] den religionswiss. Diskurs sehr leicht in normativ-rel. oder philos. Fahrwasser steuern (›Welt-Theol.‹ o. ä.).« (ebd.: 942). Die von Grünschloß hier gebotene Aufzählung umgreift die in der Literatur zu findenden, expliziten wie impliziten metasprachlichen Verwendungen. Diese Gefahr droht – über Grünschloß’ Hinweis hinausgehend – allerdings bereits dann, wenn ›Glaube‹ als kulturübergreifend vorhandenes Phänomen postuliert und auf religionsgeschichtlich diverses Material angewendet wird. In Frage zu stellen ist nämlich, in welchem Referenzrahmen der Vergleichspunkt (general term) jeweils generiert wird. Mit Blick auf Wilfred Cantwell Smiths vergleichende Studien zum Thema ›Glaube‹ bermerkt Grünschloß, dass diese die skizzierte begriffliche Vielfalt auf religiöse Erfahrung und das korrespondierende Antwortverhalten reduzierten. Smiths Versuch, den Religionsbegriff durch eine Unterscheidung von (innerem) ›personal faith‹ und (äußeren) ›beliefs‹ bzw. ›cumulative traditions‹ zu ersetzen, habe sich nicht durchgesetzt, auch wenn Smith damit auf die Einseitigkeit rationalistischer Religionsbeschreibungen hingewiesen habe. Darüber hinaus habe Smith die Involviertheit des Forschenden der herrschenden Vorstellung von einer Zentralperspektive entgegengesetzt und dazu beigetragen, die »forschenden Subjekte mit ihren ›glaubensmäßigen Bindungen‹ in eine ›dialogische‹ Religionswiss. zu involvieren« (Grünschloß 2000: 942). Allerdings könne weder die emphatisch sogenannte ›Perspektive der Gläubigen‹ (Hans-Jürgen Greschat), noch die eigene religiöse Empfänglichkeit (sensus numinis [Joachim Wach]) ein tragfähiger Boden für eine kritische Religionswissenschaft sein, weil so der subjektiven Deutung zu viel Spielraum eingeräumt werde (Kurt Rudolph). Smiths Versuch, den Religionsbegriff in der Religionswissenschaft durch den Glaubensbegriff abzulösen, wird von Grünschloß allerdings noch in einer grundsätzlichen Hinsicht positiv gewertet. Auch wenn sich dieser Ansatz nicht durchgesetzt habe, so habe er doch »eine konstruktivere Beziehung zw. der traditionell hist.-philol. orientierten Religionswiss. und sozialwiss. Ansätzen zur empirisch-ethnographischen Erforschung ›gelebten G.‹ in Gegenwartskontexten« (Grünschloß 2000: 942) ermöglicht. Ob sich dies unter dem – wiederum als Zentralstichwort fungierenden – ›gelebten Glauben‹ zutreffend beschreiben lässt,

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ist allerdings fraglich, denn neuere Ansätze problematisieren doch gerade derartige ›Zentralperspektiven‹.

2.5.  Religionsgeschichtliche Historisierung des Themas ›Glaube‹ Auf die Fragen »Was ist Religionswissenschaft? Wie arbeitet man religionswissenschaftlich? Was sind religionswissenschaftliche Probleme? Wie behandelt man diese?« versucht der 2012 von dem in Bergen / Norwegen ansässigen Religionswissenschaftler Michael Stausberg herausgegebene Sammelband Religionswissenschaft zu antworten. Die Beiträge der 30 Autoren (in der Regel Inhaber religionswissenschaftlicher Lehrstühle im deutschsprachigen Raum) machen ebenfalls deutlich, dass ›Glaube‹ derzeit kein eigenständiges Thema der Religionswissenschaft ist. ›Glaube‹ erscheint zunächst im Zusammenhang der Wortgeschichte von »Religion«. Michael Stausberg bringt mit kurzem Verweis auf Ernst Feils begriffsgeschichtliche Studie, die den Religionsbegriff durch den Glaubensbegriff ersetzen will (Feil 1986 – 2007; vgl. dazu Bergunder 2011: 20 – 22), folgenden Sachverhalt zum Ausdruck: »Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde Religion als Tugend der ›Liebe‹ oder ›Einigung mit Gott‹ verstanden; fortan wurde sie zu etwas Innerlichem, sie galt als emotionale Angelegenheit und konnte dem ›Glauben‹ entgegengesetzt werden […], wobei Glaube heutzutage oft als Bestandteil von Religion angesehen wird.« (Stausberg 2012: 36). Hier wird ›Glaube‹ einer Vorstellung entgegengesetzt, die eine Art von Mystik als (eigentliche) Religion bestimmt, während ›Glaube‹ als Teil eines Gegenstandsbereiches ›Religion‹ aufgefasst wird. Feils Anliegen ist es, den neuzeitlichen Religionsbegriff, dessen Beschreibung er mit dem 18. Jahrhundert beginnen (und enden!) lässt – der also ohne die religiöse Globalisierung seit dem 19. Jahrhundert und ohne die ›Entdeckung der Religionsgeschichte‹ (Kippenberg) auskommen soll – als eine »Ablösung des Glaubens« (Feil 1986 – 2007: 893) zu entlarven. Seiner Ansicht nach ist der theologischen Konjunktur des Religionsbegriffes mit Hilfe eines bis in das 18. Jahrhundert vorherrschenden christlichen Grundkonzeptes von ›Glaube‹ zu begegnen und ›Religion‹ als Basiskategorie durch ›Glaube‹ zu ersetzen. Diesem theologischen Grundkonzept begegnen weite Teile der Religionswissenschaft grundsätzlich, indem auf dem – nicht definierten, aber ständig vorausgesetzten – Religionsbegriff bestanden wird. Auch auf diese Weise wandert das Thema ›Glaube‹ aus der Religionswissenschaft heraus, insofern es als (christliche) Opposition zum Religionsbegriff aus der Untersuchung von Religion(en) ausgeblendet wird.

222  Religionswissenschaft Entgegen derartigen Ausblendungen des Themas ›Glaube‹ finden sich in jüngster Zeit Ansätze, dieses Thema selbst in konkreten Einzelstudien zu kontextualisieren und damit konsequent zu historisieren. Hier steht nicht ein systematischer Oberbegriff im Zentrum bzw. als Basis der Untersuchung bereit, sondern es wird auf (inter)kulturelle und (inter)religiöse Aushandlungsprozesse fokussiert, in denen das Thema ›Glaube‹ jeweils eingeschrieben und neu formiert wurde. Der Bochumer Religionswissenschaftler Sven Bretfeld bringt in dem genannten, von Michael Stausberg herausgegebenen Band ein Fallbeispiel, das diesen Ansatz wie auch den historischen Vorgang selbst verdeutlicht. Bretfeld skizziert hier den Widerstand von Buddhisten in Sri Lanka gegen den von dem Theosophen Henry Steel Olcott 1881 vorgelegten Buddhistische[n] Katechismus. Olcott bemühte sich nach Bretfeld, die vermeintlich verlorene Essenz der buddhistischen Religion – wie er sie aus seiner westlichen Religionskonzeption heraus verstand – zu formulieren, um »die Buddhisten zu lehren, woran sie eigentlich selbst ›glaubten‹« (Bretfeld 2012: 428). Die Kritik und der Widerstand von Buddhisten in Sri Lanka richteten sich gegen Olcotts »rationalistische, ritual- und frömmigkeitsfeindliche BuddhismusDeutung«, die als »›unfriendly takeover‹« des Buddhismus verstanden wurde (ebd.: 429). Dem rationalistischen Ansatz beim Glauben seien eigene buddhistische Handbücher entgegengesetzt worden, in denen es auch um die korrekte rituelle Praxis geht. Hier zeigt sich im religionsgeschichtlichen Material, wie ein durchrationalisiertes Glaubenssystem, verstanden als Basis bzw. Kern von Religion, in transkulturelle Aushandlungsprozesse eingeschrieben wird, in denen ihm Gegenentwürfe begegnen und die hybride Formationen hervorbringen. Die (u. a. bei Olcott) zugrunde liegende Annahme wird von Bretfeld historisiert und anhand des genannten Fallbeispiels illustriert. Sie lautet, »dass Religion ein Glaube sei, der sich in den Individuen als Bekenntnis und Überzeugung manifestierte, aus der wiederum Maximen des Handelns und der Lebensführung abgeleitet werden. Dem Glauben – im Sinne einer verinnerlichten Zustimmung zu propositionalen Aussagen – wird damit systematisch eine Priorität vor inkorporierten Ritualen und Körperpraktiken unterstellt.« (Bretfeld 2012: 428). Und genau diese systematische Priorität, diese privilegierte Einschreibung eines Generalthemas in die Religionsgeschichte ist selbst nicht tragende oder leitende Voraussetzung, sondern ein religionshistorischer Untersuchungsgegenstand. Als Zwischenbilanz ließe sich formulieren, dass, wenn sich Re-

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ligionswissenschaftler in den letzten Jahren überhaupt explizit zur ›Problematik‹ des Themas ›Glaube‹ äußern, sie dieses Thema entweder als ›theologisch‹ oder ›phänomenologisch‹ aus der religionswissenschaftlichen Theoriebildung und Gegenstandsbestimmung ausgrenzen oder es historisieren, in seiner jeweils konkreten historischen Genese beschreiben und auf diese Weise zu differenten Thematisierungshinsichten und Gegenständen gelangen. Das Thema ›Glaube‹ bewegt sich dabei im letzteren Fall zwischen Religionsgeschichte und Fachgeschichte der Religionswissenschaft, deren Interdependenzen spätestens seit Hans Gerhard Kippenbergs Entdeckung der Religionsgeschichte (Kippenberg: 1997) Gegenstand des Interesses sind.

3.  ›Glaube‹ als Gegenstand der Religionswissenschaft? Die vorgeführte Bestandsaufnahme zeigt: Die Frage nach ›Glaube‹ ist derzeit keine religionswissenschaftliche Frage. ›Glaube‹ ist kein expliziter, zentraler oder systematischer Gegenstand zeitgenössischer Religionswissenschaft. In phämonenologischen wie auch in theologischen Hinsichten wird das Thema übergreifend konzeptionalisiert und durch stichprobenartige Beispiele aus Texten der Religionsgeschichte illustriert. Kulturwissenschaftlich orientierte Ansätze schieben das Thema aus dem Fokus der Religionswissenschaft oder nehmen zumindest keinen expliziten Bezug. Ausnahmen bilden historisierende Untersuchungen, die das Thema in einem konkreten Kontext im Sinne von Einschreibung, Widerständen und hybriden Formationen erheben. Die auf das Thema ›Glaube‹ zielende Frage nach Glaube ist eine genuin religiöse, eine theologische, oft auch apologetisch- oder dialogisch-theologische Frage. Glaube fungiert meistens als Trenn- oder als Verbindungsbegriff, nicht aber als analytischer Begriff. Ein Band über »Glaube« in der Reihe »Themen der Theologie« spiegelt einerseits die zentrale Bedeutung des Themas für die (evangelische) Theologie. Andererseits tanzt die Religionswissenschaft als wichtige Bezugsdisziplin evangelischer Theologie in diesem Band nunmehr aus dieser Reihe, insofern dieses ›Thema der Theologie‹ nicht (jedenfalls nicht explizit) im Zentrum ihrer Konzeptionen und Deskriptionen steht, ja sogar aus diesem Zentrum verschwindet. Eingangs wurde die Frage gestellt, ob vom unerklärten Glauben als

224  Religionswissenschaft unerklärtem Gegenstand der Religionswissenschaft zu reden sei, wie Michael Bergunder dies mit Verweis auf den amerikanischen Religionssoziologen Arthur Greil für den Religionsbegriff in der Religionswissenschaft formuliert hat (Bergunder 2011: 17). Die Antwort lautet: Nein, es ist nicht vom unerklärten Glauben als unerklärtem Gegenstand der Religionswissenschaft zu reden. Dies würde nur dann gelten, wenn man ›Glaube‹ und ›Religion‹ – wie im Alltagsverständnis – ganz oder weitestgehend gleichsetzte. Als Tendenz lässt sich also feststellen: Das religionswissenschaftliche Thema ›Religion‹ bleibt, während das religionswissenschaftliche Thema ›Glaube‹, das über längere Zeit explizit und in systematischer Absicht in das Feld der Religionswissenschaft bzw. Religionskunde eingetragen worden war, als religionenübergreifendes Thema verschwindet.

3.1.  Das Problem des Religionsvergleichs Das Thema ›Glaube‹ wird – wie der Überblick zeigt – problematisiert, karikiert oder ausgeblendet; es wird ›protestantisiert‹, aber eben auch historisiert und auf diese Weise neu in die Religionswissenschaft eingeschrieben. Im letzteren Moment scheint derzeit ein Umdenken und auch das Generieren von Forschungsfragen bezüglich des Themas ›Glaube‹ zu liegen. Wenn man nämlich nach ›Glaube‹ als Thema der Religionswissenschaft fragt, geht es letztlich um die Frage nach dem Religionsvergleich (comparative religion), die im Kern die Frage nach der Generierung von Vergleichspunkten (bzw. general terms) ist. Es ließe sich behaupten, dass das, was zum Vergleichspunkt erhoben wird, Thema bzw. Gegenstand der Religionswissenschaft wird. Die schon in den 1980er Jahren formulierte Einsicht in die Verwobenheit des Glaubensthemas mit christlicher Religion und Theologie hat in den letzten Jahren dazu geführt, ›Glaube‹ nicht (mehr) als einen Gegenstand der Religionswissenschaft zu generieren, der über differente religiöse Traditionen hinweg eine religionswissenschaftliche Deskription verlangte (oder auch nur ermöglichte). Was bedeutet es aber für die Religionswissenschaft und was bedeutet es für die Theologie, nach deren Themen diese Studienreihe fragt, wenn das Thema ›Glaube‹ religionswissenschaftlich keine Konjunktur hat?

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3.2.  Konsequenzen für die Religionswissenschaft Für die Religionswissenschaft ist das Verschwinden des Themas ›Glaube‹ ein Anzeichen dafür, dass comparative religion nach der Auseinandersetzung mit postmoderner Kritik anders konzeptionalisiert wird. Stellvertretend dafür sei auf die US-amerikanische Religionswissenschaftlerin Barbara A. Holdrege verwiesen. Holdrege hält fest, dass akademische Religionsforschung bis in die jüngste Zeit hinein von Paradigmen dominiert (gewesen) sei, die aus einem christlichprotestantischen Kontext stammten. Einige Kategorien würden privilegiert, andere dagegen marginalisiert. Hierarchische Dichotomien wie zwischen ›heilig‹ und ›profan‹ oder auch ›Glaube‹ und ›Praxis‹ würden betont. Holdrege nennt vier Trends bzw. Tendenzen in der bisherigen Religionswissenschaft: 1) die Betonung der Trennung von heilig und profan und damit von Religion und Kultur; 2) die Tendenz, Religion als Glaubenssystem (belief system) zu definieren und Kategorien wie Glaube (faith, belief), Lehre und Theologie gegenüber Praxis, Ritual und Gesetz zu bevorzugen; 3) dem Individuum als dem Ort des religiösen Lebens Vorrang vor der Gemeinschaft zu geben und entsprechend weniger Aufmerksamkeit auf soziale und kulturelle Dimensionen der Religion zu legen; 4) religiöse Identität in Begriffen zu beschreiben, die das Universale gegenüber dem Einzelnen privilegierten und somit ein missionarisches Modell der religiösen Tradition spiegelten (Holdrege 2000: 85). Mit einer solchen Kritik fällt Glaube (als faith und belief) unter das Verdikt der unangemessenen kategorialen Privilegierung. Auch an der Fortführung des Projekts comparative religion interessierte Autoren wie Holdrege stellen dieses Thema dementsprechend zurück. Eine Historisierung und Kontextualisierung von Aushandlungsprozessen um das Thema ›Glaube‹, wie sie exemplarisch mit dem Beitrag von Sven Bretfeld vorgeführt wurde, wird dieses Thema dagegen in historischen Konkretionen aufnehmen. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass derartige thematische Aufarbeitungen zu einem neu generierten general term ›Glaube‹ führen, der eine religions- und kulturübergreifende Universalie bezeichnet. Comparative religion wird sich vielmehr polyzentrische und kulturell-religiös divergente historische Referenzrahmen wählen, um von diesen Referenzrahmen aus, die nicht länger christlich oder westlich dominiert sind, religionsvergleichend zu arbeiten. Beide Varianten der Religionsforschung, historisch-diskursiv arbeitende Religionswissenschaft wie comparative religion stehen derzeit nicht für ein explizites und generalisierendes Thema ›Glaube‹.

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3.3.  Konsequenzen für die Theologie Für die Theologie ist festzuhalten, dass sich die Ausgangs- und Kernpunkte inter-theologischer Verständigungen nicht sinnvoll im Voraus bestimmen lassen. Vielmehr wird erst im theologischen Umgang mit differenten religiösen Traditionen jeweils zu entdecken sein, was unter welchen Gesichtspunkten in den Fokus bzw. auch in Mittelpunkt konkreter inter-theologischer Gespräche kommt und was in der Aufmerksamkeit auch (wieder) zurücktritt. Als ein Beispiel für ein solches Vorgehen kann das gerade in zwei Sprachen parallel erschienene, dreibändige Lexikon des Dialogs (Heinzmann 2013) herangezogen werden. Der Bezugsrahmen dieses Unternehmens ist das Zusammenleben von Muslimen und Christen in Deutschland. Dabei liegt der Fokus auf dem sunnitischen türkischen Islam einerseits und dem römisch-katholischen Christentum andererseits. Vertreter beider Gruppen haben als Kooperationsprojekt zwischen der Universität Ankara und der Eugen-Biser-Stiftung in München ein Lexikon über Grundbegriffe aus Christentum und Islam publiziert, in dem jeweils als zentral angesehene Begriffe des sunnitischen türkischen Islam und deutscher katholischer Theologie nebeneinander präsentiert werden, um eine Verständigungs- und Gesprächsgrundlage über diese Traditionen in türkischer und deutscher Sprache zur Verfügung zu stellen. Das Thema ›Glaube‹ wird dementsprechend in zwei knappen theologischen Skizzen vorgestellt. Dabei wird hier – wie in diesem Lexikon insgesamt – auf religionswissenschaftliche Kommentierung explizit verzichtet, auch wenn einer der (christlichen) deutschen Herausgeber ein profilierter Religionswissenschaftler ist. Hier stehen eine muslimische und eine christliche Seite (idealtypisch) nebeneinander. Religionshistorische Aspekte zum Thema ›Glaube‹ oder systematischreligionswissenschaftliche Perspektivierungen werden also bewusst ausgeblendet. Für die Theologie bedeutet die weitgehende Ausblendung des Themas aus dem religionswissenschaftlichen Diskurs, die Zentralität des Glaubensthemas in der interreligiösen Verständigung (interfaithdialogue) kritisch zu analysieren, zu reflektieren – und ggf. zu modifizieren. Das Zentrum christlicher Theologie muss nicht – und kann vielleicht auch gar nicht – das Zentrum interreligiöser Verständigungsprozesse sein. Vernachlässigte (marginalisierte) Ebenen wie z. B. Ritual und Praxis sind stärker als bisher in den Blick zu nehmen. Die Frage »Was glaubst Du?« enthält bereits den Kern der sagbaren Antwort.

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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Sekundärliteratur Auffarth 2005: Auffarth, Christoph: Art. Religiosität / Glaube, Metzler Lexikon Religion. Gegenwart – Alltag – Medien, Bd. 3, hrsg. v. Christoph Auffarth u. a., Stuttgart / Weimar 2000 (Sonderausgabe 2005), 188 – 196. Auffarth u. a. 2006: Auffahrt, Christoph u. a.: Vorwort. Wörterbuch der Religionen, hrsg. v. dies., Stuttgart 2006, VI – VIII. Auffarth 2006: Auffarth, Christoph: Art. Glaube / Glauben. Wörterbuch der Religionen, hrsg. v. Auffahrt, Christoph u. a., Stuttgart 2006, 184. Balić 1987: Balić, Smail: Art. Glaube 3. Islamisch. Lexikon religiöser Grundbegriffe. Judentum, Christentum, Islam, hrsg. v. Adel Theodor Khoury, Graz u. a. 1987, 380 – 381. Bergunder 2011: Bergunder, Michael: Was ist Religion? Kulturwissenschaftliche Überlegungen zum Gegenstand der Religionswissenschaft, ZfR 19(1 / 2) (2011), 3 – 55. Beyer 2006: Beyer, Peter: Religions in Global Society, London / New York 2006. Bochinger 2013: Bochinger, Christoph: Das Verhältnis zwischen Religion und Säkularität als Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung, in: Führding, Steffen / Antes, Peter (Hgg.), Säkularität in religionswissenschaftlicher Perspektive, Göttingen 2013, 15 – 57. Bowker 1995: Bowker, John: Is God a Virus? Genes, Culture and Religion, London 1995. Bowker 1999: Bowker, John (Hg.): Das Oxford-Lexikon der Weltreligionen. Für die deutschsprachige Ausgabe übersetzt und bearbeitet von Golzio, Karl-Heinz, Düsseldorf 1999 (The Oxford Dictionary of World Religions, Oxford 1997). Bretfeld 2012: Bretfeld, Sven: Dynamiken der Religionsgeschichte. Lokale und translokale Verflechtungen, in: Stausberg, Michael (Hg.): Religionswissenschaft, Berlin / Boston. 2012, 423 – 434. Feil 1986 – 2007: Feil, Ernst: Religio, 4 Bde., Göttingen 1986 – 2007. Figl 2003: Figl, Johann: Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen, Innsbruck 2003. Geaves 2002: Geaves, Ron: Continuum Glossary of Religious Terms, London u. a. 2002. Gladigow 1988: Gladigow, Burkhard: Art. Aberglaube. Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. 1, hrsg. v. Hubert Cancik u. a., Stuttgart u. a. 1988, 387 – 388. Grünschloß 2000: Grünschloß, Andreas: Art: Glaube I. Zum Begriff. 1. Religionswissenschaftlich, RGG4 3, Tübingen 2000, 940 – 943. Heinzmann 2013: Heinzmann, Richard u. a. (Hgg.): Lexikon des Dialogs. Grundbegriffe aus Christentum und Islam, 2 Bde., Freiburg / i. Br. 2013. Hinnells 1995: Hinnells, John R. (Hg.): A New Dictionary of Religions, Oxford / Cambridge, MA 1995. Hock 2002: Hock, Klaus: Einführung in die Religionswissenschaft, Darmstadt 2002.

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Daniel Cyranka  229 Stuckrad 2006: Stuckrad, Kocku von (Hg.): The Brill Dictionary of Religion. Revised edition of Metzler Lexikon Religion edited by Christoph Auffarth, Jutta Bernard and Hubert Mohr. Translated from the German by Robert R. Barr, Vol. I: A – D, Leiden / Boston 2006. Tennant 1930: Tennant, Frederick Robert: Philosophical Theology, Bd. 2: The World, the Soul, and God, Cambridge 1930 (Neudruck 1968). Tworuschka 1988: Tworuschka, Udo: Art. Glaube A. Religionsgeschichtlich. Wörterbuch des Christentums, hrsg. v. Volker Drehsen u. a., Gütersloh / Düsseldorf 1988, 415 f. Vetter 1987: Vetter, Dieter: Art. Glaube 1. Jüdisch. Lexikon religiöser Grundbegriffe. Judentum, Christentum, Islam, hrsg. v. Adel Theodor Khoury, Graz u. a. 1987, 365 – 369. Waardenburg 1986: Waardenburg, Jacques: Religionen und Religion. Systematische Einführung in die Religionswissenschaft, Berlin / New York 1986. Waldenfels 1988: Waldenfels, Hans: Art. Glaube. V. Außerchristlich. Lexikon der Religionen, hrsg. v. ders., Freiburg i. Br. u. a. 21988, 206 f. Waldenfels 1995: Waldenfels, Hans: Art. Glaube, Glauben II. Religionswissenschaftlich, LThK 4, Freiburg i. Br. u. a. 1995, 667 – 668. Zinser 2010: Zinser, Hartmut: Grundfragen der Religionswissenschaft, Paderborn 2010.

2.  Literatur zum vertiefenden Studium Bergunder, Michael: Was ist Religion? Kulturwissenschaftliche Überlegungen zum Gegenstand der Religionswissenschaft, ZfR 19(1 / 2) (2011), 3 – 55. McCutcheon, Russell T.: Religionswissenschaft. Einführung und Grundlagen, Frankfurt / M. 2014. Schmidt-Leukel, Perry / Nehring, Andreas (Hgg.): Interreligious comparisons in religious studies and theology. Comparison revisited, New York 2016. Stausberg, Michael (Hg.): Religionswissenschaft, Berlin / Boston 2012.

Judaistik

Matthias Morgenstern

Glaube und Glauben im Judentum 1.  Der Begriff des jüdischen Glaubens 1.1.  Juden als ethnische Minderheit Die Rede von einem »jüdischen Glauben« ist in historischer Perspektive alles andere als selbstverständlich. In den vergangenen zweitausend Jahren haben Juden, um ihr Selbstverständnis auszudrücken und der Außenwelt gegenüber das ihnen Eigene zu bezeichnen, durchaus nicht immer – schon gar nicht in erster Linie – von ihrem »Glauben« gesprochen. Weitaus häufiger findet sich als Kernelement des jüdischen Selbstverständnisses die Rede von einem jüdischen Volk, das seine eigenen Traditionen hat, von der Tora, die die Juden zum Erfüllen bestimmter Gebote verpflichtet, oder von einem Land, Erez Israel, aus dem sie infolge göttlichen Ratschlusses vertrieben wurden und in das sie am Ende der Zeiten aufgrund der gnädigen Zuwendung Gottes wieder zurückkehren werden. In den Ländern ihrer Zerstreuung, nicht nur im lateinischen Westen, sondern auch im zunächst griechisch-orthodox, dann islamisch geprägten Osten wurden sie meist nicht in erster Linie als Glaubensgemeinschaft, sondern als ethnische Minderheit wahrgenommen, die zwar ihre eigenen Überlieferungen und Lehren hat, deren Glauben für sie aber weniger identitätsbildend war als ihre Abstammung. Vor dem Hintergrund der den Juden im Mittelalter von der christlichen Obrigkeit aufgezwungenen jüdisch-christlichen Glaubensdialoge, in denen die Juden durch exegetische und dogmatische Argumente überzeugt und – nicht selten gewaltsam – zur Taufe bewegt werden sollten, empfanden viele Juden noch Jahrhunderte später die von außen kommende Nachfrage nach einer definitorischen Präzisierung ihrer Glaubensinhalte als eher unangenehme Zumutung und konzentrierten sich stattdessen auf die Bewahrung ihrer althergebrachten jüdischen Lebensweise.

232  Judaistik

1.2.  Juden als religiöse Gemeinschaft in der Moderne Während diese Selbst- und Fremdwahrnehmung, die dem Glauben eine eher untergeordnete Bedeutung zumisst, im islamisch dominierten Kulturbereich bis in die Gegenwart anhält, verstehen sich die Juden nach der Aufklärung und im Gefolge ihrer rechtlichen Gleichstellung (Emanzipation) in Europa seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zunehmend auch, teilweise sogar in erster Linie, als religiöse Gemeinschaft. Wenn in einem westlichen Kontext von einem »jüdischen Glauben« die Rede ist, so verdankt sich dieser Sprachgebrauch daher im Wesentlichen zwei Faktoren: zum einen hatte die Judenemanzipation, mit der die jüdischen Gemeinden ihre rechtliche Autonomie, die Befugnis zur internen verbindlichen Anwendung eigener Rechtsbestimmungen (vor allem auf dem Gebiet des Strafrechts, dann aber auch des Personenstandsrechts und weiteren Teilen des Zivilrechts) verloren, auch in religiöser Hinsicht eine teilweise Angleichung an die christlich geprägte Umwelt zur Folge: im deutschen Sprachraum verwandelten sich die Juden nun in deutsche Bürger israelitischer Konfession (oder mosaischen Glaubens), und die Synagogengemeinden verstanden sich zunehmend als Religionsgemeinden, die ihren Mitgliedern wie der Außenwelt über die Inhalte ihres Glaubens Rechenschaft geben wollten und zu geben hatten. Mit Blick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts steht damit im Einklang, dass die Synagogengemeinden in Deutschland dem Religionsprivileg des Grundgesetzes unterliegen und demgemäß nach außen – dem Staat und der nichtjüdischen Umwelt gegenüber – ebenso wie nach innen als Religionsgemeinden konzipiert sind. Zum andern hatte der Prozess der Emanzipation und Assimilation der Juden in Europa bereits im 19. Jahrhundert zur Entfremdung eines zunehmenden Teils der jüdischen Bevölkerung von ihren eigenen Traditionen geführt – dies vor allem auf dem Gebiet der praktischen Religionsausübung, also dem durch das jüdische Religionsgesetz (Halacha) gesteuerten Ritual. Unter dem Einfluss der jüdischen Reformbewegung (liberales Judentum) zogen es im 19. Jahrhundert nicht mehr observant lebende Juden, die sich auch äußerlich nicht mehr von ihrer nichtjüdischen Umgebung unterschieden, vor, ihr Selbstverständnis in religiöser Begrifflichkeit zum Ausdruck zu bringen. In einer christlich und in bedeutendem Maße auch protestantisch geprägten Umwelt bot sich hier der Begriff des »jüdischen Glaubens« an. Dieser Begriff hat zudem den Vorteil, dass er – anders als religionsgesetzlich erfassbare Tatbestände wie die Speisegesetze (Kaschrut), die Sabbat- und Feiertagsbestimmungen und das traditionelle jüdische Familienrecht, die

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von außen beobachtet und konstatiert werden können und der objektivierbaren Jurisdiktion synagogaler Institutionen (Rabbinatsgerichte) unterliegen – auf ein unverfügbares »Innen« rekurriert. Zudem gibt es für Juden in religiös-dogmatischer Hinsicht weder ein dem römischkatholischen vergleichbares »Lehramt« noch »Bekenntnisschriften« wie in der reformatorischen Tradition. Wenn moderne Juden über ihren Glauben sprechen wollen, können sie daher durch eigene Formulierungen und Akzentsetzungen viel freier über die Traditionsbestände verfügen und zu erkennen geben, ob und in welcher Hinsicht sie sich diese Traditionsbestände selbst zu eigen machen wollen. Ein Buchtitel wie Was ist koscher? Jüdischer Glaube, jüdisches Leben (Spiegel 2003) rückt die jüdische Speisepraxis daher in eine Distanz zu den objektiven religionsgesetzlichen Normen, indem sie sie gewissermaßen privatisiert und unter »Glaubensvorbehalt« stellt. Andererseits wird auch der Glaube in engem Zusammenhang mit dem »Leben« gesehen und von als übertrieben (und »christlich«) empfundenen Zumutungen des »Fürwahrhalten-Müssens« gelöst.

1.3.  Säkulare (»glaubenslose«) Juden Säkulare Juden, sei es in einem zionistischen Kontext im Staat Israel, in dem das Judentum vornehmlich oder ganz von seinen nationalen Aspekten her interpretiert wird, sei es in der Diaspora, wo man die kulturellen Überlieferungen des Judentums hervorhebt, stehen der Rede von einem jüdischen »Glauben« meist distanziert gegenüber. Der deutsch-jüdische Schriftsteller Ralph Giordano etwa reduziert sein Judesein auf das biographische Faktum der Abstammung von einer jüdischen Mutter und bezeichnet sich selbst als »glaubenslos« (Giordano 1991: 504 – 510). Umgekehrt bezeichnen solche Juden, die die angestammte, durch das Religionsgesetz bestimmte Lebensform bewahrt haben, sich selbst als »toratreu« und »Glaubenstreue Israels«. Seit dem späten 19. Jahrhundert wird diese jüdische Richtung – zunächst diffamierend im Urteil ihrer innerjüdischen Gegner, später auch als Selbstbezeichnung – »orthodox« (»rechtgläubig«) genannt (Morgenstern 1995: 181 – 184), wenngleich die auf das rechte Tun zielende Bezeichnung »Orthopraxie« angemessener wäre. Im Kontext der innerjüdischen Auseinandersetzungen kann es auch vorkommen, dass orthodoxe Juden ihren liberalen oder assimilierten Gegnern ihren »Unglauben« zum Vorwurf machen (Breuer 1934: 7).

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1.4.  Das Interesse der christlichen Theologie Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach dem »jüdischen Glauben«, wenn sie religionsvergleichend und aus einer christlich-theologischen Perspektive gestellt wird, aus mehreren Gründen belangvoll: zum einen verspricht sie – dies ergibt sich aus dem zuletzt Gesagten – eine interessante Fallstudie zu den Wandlungen der Funktion der Rede vom Glauben (und der Gestalt des Glaubens) in der Moderne; des Weiteren sind Einblicke in die Rolle und Wirkweise des Glaubens im Gesamtsystem der religiösen Symbole des Judentums zu erwarten, die auch deshalb von vergleichendem Interesse sind, weil das Thema des Glaubens (sola fide?) auch innerchristlich nicht unstrittig ist. Schließlich kommt das jüdische Glaubensverständnis, wo es sprachlichen Ausdruck findet, bis auf den heutigen Tag mit Texten der Bibel des alten Israel – vor allem aus den Psalmen – zum Ausdruck; abgesehen von der nachbiblischen jüdischen Traditionsliteratur (Talmud und Midrasch), die das biblische Erbe für Juden gedeutet und in einen neuen Kontext gestellt hat, bezieht sich der jüdische Glaube somit auf Texte, aus denen sich, freilich in anderer Form, auch das neutestamentliche Glaubensverständnis speist.

1.5.  Probleme der christlichen Perspektive Die Mehrdeutigkeit des Glaubensbegriffs.  Die historischen Wurzeln des jüdischen Glaubensverständnisses sind für die christliche Theologie auch deshalb von Belang, weil sie in der Geschichte oft verkannt und missdeutet wurden. Angesichts der Mehrdeutigkeit des Glaubensbegriffes, der einerseits ursprünglich das Wortfeld Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Gewissenhaftigkeit abdeckt, andererseits aber auch auf das Kennen und Fürwahrhalten bestimmter Glaubensinhalte bezogen ist, konnte bereits ein exegetischer Befund, bezogen auf das Alte Testament, zu Fehldeutungen führen. Denn das reformatorische Glaubensverständnis mit seiner Unterscheidung von notitia (»Kenntnis«), assensus (»Zustimmung«) und fiducia (»Vertrauen«), das der Mehrdeutigkeit des Glaubensbegriffs Rechnung trägt, zugleich aber das Augenmerk auf die fiducia legen will, scheint im biblischen Hebräisch, wo die Sprachwurzel »ˀmn« zunächst »fest, sicher, zuverlässig sein«, in den unterschiedlichen Stammesmodifikationen dann aber auch Beständigkeit, Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Treue bezeichnet, zunächst einmal eine Parallele zu finden. Dem entspricht die christliche Tendenz, dem solchermaßen konstatierten biblischen Interesse am

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»Subjekt des Vertrauensaktes« (Wildberger 1984: 188), eine gewisse Nähe zur fiducia zu entnehmen. Christliches Interesse, jüdisches Desinteresse am »Glauben«. Zum christlichen Interesse am Glaubensthema passt, dass christliche Exegeten gern über den lexikalischen Bestand der Wortwurzel »ˀmn« hinausgehen und darauf verweisen, dass die »Sache des Glaubens« in der Bibel des alten Israel auch in anderer Terminologie zur Sprache komme (Wildberger 1984: 189). Jüdische Ausleger sehen die hier diagnostizierte biblische »Emuna« freilich im Gegensatz zu einem als »griechisch« geprägt empfundenen Verständnis des Glaubens (πίστις) im Neuen Testament, in dem der Glaube »an« Jesus Christus im Mittelpunkt steht. Von diesem Gegensatz her beginnen sie ihre Ausführungen zu diesem Thema gern mit einem negativen Befund: »In the Bible there are no articles of faith or dogmas in the Christian or Islamic sense of the terms« (Abrahams 1971: 429). Ein solcher Befund wird häufig positiv gedeutet, weil das (weitgehende oder gänzliche) Fehlen eines Dogmas im Judentum im Vergleich mit »komplizierten« Dogmengebäuden anderer Religionen gerade ein Vorzug sei. Andererseits hat die hier abgewiesene Orientierung an einem »objektiven« Glaubensverständnis, an einem zu glaubenden Sachverhalt (»glauben, dass«) – ein Sprachgebrauch, der sich biblisch nur an wenigen Stellen nachweisen lässt (z. B. 1Kön 10,7; Jes 53,1) – , im Judentum seit dem Mittelalter aber erheblich an Gewicht gewonnen, als jüdische Religionsphilosophen begannen, die Inhalte ihres Glaubens in systematischer Form und auch als »Glaubensbekenntnis« darzulegen. Da diese Ausführungen aber im Kontext der Begegnung und Auseinandersetzung mit nichtjüdischen Kulturen standen, wird in der jüdischen Reflexion auch in dieser Hinsicht die kritische Frage nach dem authentisch »Jüdischen« gestellt (Ben Chorin 1979: 24 – 26). Abgrenzungsinteressen, Apologetik, Rückkopplungen und gegenseitige Beeinflussung.  Stellt man daher im Kontext der christlichen Theologie die Frage nach dem »jüdischen Glauben«, so muss man sich zunächst klarmachen, dass eben diese Frage in der Geschichte jüdischerseits unterschiedliche konstruktive, aber auch abwehrende Antworten hervorgerufen hat, die dabei immer wieder auch auf das Christentum zurückgewirkt haben. Solche Rückkopplungen betreffen bereits die christliche Beschäftigung mit jüdischen Schriften der Zeit des zweiten Tempels und mit der Traditionsliteratur des entstehenden

236  Judaistik rabbinischen Judentums (Mischna, Talmud und Midrasch). Diese war meist weniger dem Interesse an diesen Texten selbst geschuldet, sondern diente dem Zweck, die Ursprünge des neutestamentlichen Glaubensverständnisses herauszuarbeiten und die Unterschiede zwischen dem Glauben der ersten Christen und der religiösen Einstellung ihrer Umwelt herauszustellen. Aus einer solchen Perspektive heraus heißt es in Strack / Billerbecks Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, »der Nomismus des rabbinischen Judentums« habe »den Glauben völlig in seine Fesseln geschlagen« (Strack / Billerbeck 1994: 188). Ein solches Urteil konnte den Begriffen und Nuancen einer Bewegung von Traditionsträgern aber nicht gerecht werden, die zunächst in ihrem eigenen Kontext und in ihren eigenen internen Auseinandersetzungen zu verstehen sind – zumal in nachbiblischer Zeit auch ein rabbinisches Interesse an der Abgrenzung zum Christentum oder Judenchristentum eine Rolle gespielt haben mag. Hinzu kommt die Tatsache, dass der christliche Vorwurf, der Vollzug der jüdischen Religion gehe in der Orthopraxie auf, in der Regel von der abwertenden Vorstellung eines berechnenden Lohndenkens geprägt ist. Ein solches Lohndenken beruhe auf einer Selbstgerechtigkeit, die sich Gott gegenüber, paulinisch gesprochen, in eine Position »des Rühmens« begebe. Aber auch neuere theologische Stellungnahmen, die im Gegenschlag zur älteren antijudaistisch verdächtigen Position nun gerade Wert darauf legen, den alten jüdischen Texten ein positives Glaubensverständnis zuzuschreiben (Avemarie 1996: 369 – 371), lassen sich vielleicht nicht von apologetischen Fixierungen lösen, wenn das Interesse nun darauf liegt, den jüdischen und christlichen »Glauben« näher aneinander heranzurücken.

2.  Glaube in der jüdischen Bibel Obwohl das Vertrauen auf Gott, der Glaube an ihn, in der Bibel des Alten Israel zu den lobend hervorgehobenen Eigenschaften eines Gottesmannes wie Abraham gehört (Gen 15,6) und der Prophet Jesaja den Glauben als Vorbedingung des Bestehens in einer militärischen Auseinandersetzung bezeichnet (Jes 7,9), fehlt es an religiös verpflichtenden Aufforderungen zu glauben. Ein Imperativ wie 2Chr 20,20 (»Glaubt [haˀaminu] an den Herrn, euren Gott,«) ist eher als Ratschlag des Königs Joschafat an sein Volk und nicht im engeren Sinne als verbindliches religiöses Gebot zu verstehen (Abrahams 1971: 429). Hinzu kommt die

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Tatsache, dass von der Wurzel ˀmn abgeleitete Formen, die außer »Glauben« auch »Vertrauen« und »Treue« bezeichnen, nicht nur im Hinblick auf Menschen, sondern auch in Bezug auf Gott angewendet werden können (vgl. Dtn 7,9; 32,4; Jes 49,7; Hi 4,18) – ein Sprachgebrauch, der sich deutlich von dem des Neuen Testamentes (vgl. etwa Röm 3,28; 1Joh 5,4) abhebt. Bezogen auf die Aspekte der notitia und assensio im Begriff des Glaubens, kann man konstatieren, dass es in der jüdischen Bibel an katechismusartigen Zusammenstellungen fehlt, obgleich man von axiomatischen Annahmen mit doktrinalem Bezug natürlich ausgehen muss: Diese betreffen u. a. zunächst die Existenz und Unvergleichlichkeit Gottes (vgl. Dtn 6,4 und Jes 40,18), die Schöpfung des Menschen nach seinem »Bilde« (Gen 1,27), die menschliche Neigung zur Sünde, aber auch seine Willensfreiheit (Gen 6,5; Dtn 30,15); unterschiedliche göttliche Kundgebungen dienten dann dem Zweck, der Menschheit den Weg der Gerechtigkeit zu zeigen. Die Offenbarung Gottes kulminierte schließlich in dem allein für das Volk Israel bestimmten Sinaiereignis, der »Gabe der Tora«, einer Gesetzesoffenbarung mit rechtlichen und rituellen, moralischen und geistigen Verpflichtungen, die das Volk Israel annahm und dadurch in einen »Bund« mit Gott eintrat und zu einem »Volk des Eigentums«, zu einem »königlichen Priestertum« und »heiligen Volk« wurde (Ex 19,5). Das Brechen dieses Bundes hatte als göttliche Strafe die Zerstörung Jerusalems und den Auszug des Volkes ins Exil zur Folge. Zugleich gab das Volk aber die Hoffnung auf die Wiederbringung des Zerstörten und die Heimkehr in das Land Israel nie auf. In diesem Zusammenhang ist auch die prophetische Verheißung (Hab 2,4) zu verstehen, dass der Gerechte »durch seinen Glauben« oder »in seinem Glauben« (in seiner »Emuna«) leben wird (Abrahams 1977: 432).

3.  Glaube im rabbinischen Judentum 3.1.  Mischna und Talmud Das rabbinische Judentum, diejenige jüdische Strömung, die sich nach der Zerstörung des zweiten Tempels im Jahre 70 n. Chr. und nach dem Bar-Kochba-Aufstand (132 – 135 n. Chr.) gegenüber konkurrierenden Richtungen (die Gemeinschaft vom Toten Meer, die Zeloten, die Sadduzäer und ihre Nachfahren sowie unterschiedliche judenchristliche Gruppierungen) durchsetzte, schließt einerseits an biblische Vorstellungen an; mit dem talmudischen Schrifttum, das schon bald als

238  Judaistik »mündliche Tora« und insofern als Offenbarungstext verstanden wird, kommt es andererseits aber in formaler wie inhaltlicher Hinsicht zu einem radikalen Neuanfang. Diese letzteren Texte – beginnend mit der von Rabbi Jehuda Ha-Nasi redigierten Mischna, die kein Bibelkommentar, sondern eine nach systematischen Gesichtspunkten zusammengestellte Sammlung von Rechtssätzen ist – seien Mose am Sinai von Gott überliefert worden, doch während der Pentateuch von Beginn an in schriftlicher Form vorlag, seien die darüber hinausgehenden Überlieferungen bis zu ihrer Niederschrift durch die Rabbinen über Generationen hinweg nur mündlich weitergegeben worden. Die in sechs »Ordnungen« mit insgesamt 63 Traktaten gegliederte Mischna mitsamt ihren zunächst in Palästina, dann in Babylon verfassten Kommentaren (palästinensischer und babylonischer Talmud) enthält Informationen und Vorschriften zur Landwirtschaft in Palästina (Ordnung »Saaten«), zu den jüdischen Fest- und Feiertagen (Ordnung »Festzeit«), zum Ehe- und Personenstandsrecht (Ordnung »Frauen«), zum Zivil- und Schadensersatzrecht (Ordnung »Schädigungen«) sowie zu kultischen und rituellen Fragen (Ordnungen »Heiliges« und »Reinheiten«), aber keine eigens zusammengestellten Überlieferungen zu doktrinären oder Glaubensfragen oder über das Verhältnis des Menschen zu Gott.

3.2.  Die »Sprüche der Väter« Dementsprechend ist auch das Thema des Glaubens in diesem Hauptkorpus der rabbinischen Literatur quantitativ schwach vertreten. Selbst die »Sprüche der Väter« (Pirqe Avot), derjenige Talmudtraktat, der von seinem Inhalt her einer theologischen Abhandlung nach christlichem Verständnis am nächsten kommt, behandelt eher Fragen des Tora- und Talmudstudiums und des Verhältnisses der Schüler zu ihrem Lehrer sowie Probleme ethischer und weisheitlicher Natur als in engerem Sinne Glaubensfragen. Wenn es in diesem Zusammenhang heißt »Alle deine Werke seien um des Himmels Willen« (mAvot 2,12), so kommt dabei freilich in anderer Terminologie ein Thema zur Sprache, dem man ebenso wie der Aufforderung, man solle die Lehre »um ihrer selbst willen« (‫ לשמה‬/ lishma) und nicht um ihres Ertrags willen lernen, eine gewisse Nähe zum »Glauben« zuschreiben kann. Zu erwähnen ist auch das Diktum, dass der Lohn einer Gebotserfüllung in der Gebotserfüllung selbst bestehe (mAvot 4,2), mit der der Tannaite Ben Azzai der Vorstellung einer an einem extrinsischen Lohn orientierten Werkgerechtigkeit entgegentrat (Avemarie 1996: 356).

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3.3.  Die Wurzel ˀmn im zwischenmenschlichen Bereich und im Verhältnis zu Gott Die Belege der Wurzel ˀmn betreffen in der Mischna vorwiegend den zwischenmenschlichen Bereich: die Vertrauenswürdigkeit eines Armen, der auf dem Markt Weizen verkauft (mPea 8,2), die Aussage einer vergewaltigten Frau (mKetubbot 2,2), die Zuverlässigkeit bei der Handhabung rechtlicher Modalitäten bei der Übergabe eines Scheidebriefes (mGittin 2,7) und die Aussagen auswärtiger Händler im Hinblick auf die rituelle Zuverlässigkeit des von ihnen zum Verkauf in die Stadt mitgebrachten Getreides (mDemai 4,7). Erst in der späteren Literatur fällt der Bezug des mit diesem Terminus anvisierten Vertrauens auf Gott in den Blick. Dies geschieht freilich häufig eher beiläufig, wenn etwa die »Männer des Vertrauens« (‫ אנשי אמונה‬/ anshej emuna nach mSota 9,12) im Kommentar des babylonischen Talmuds als solche kenntlich werden, die ihr Vertrauen auf Gott setzen (bSota 48b), oder wenn die von den jüdischen Frommen geforderte Solidarität in bBeza 15b in einem Ausspruch Rabbi Jochanans im Namen R. Eleazars b. Simeon mit dem Vertrauen auf die umfassende göttliche Fürsorge begründet wird: »Gott sprach zu Israel: Vertraut auf mich, denn ich werde es bezahlen« (‫ האמינו בי ואני פורע‬/ heˀeminu bi weˀani poreˁa). Im Babylonischen Talmud (bAvoda Sara 16b) heißt es von Rabbi Eliezer, der von der römischen Obrigkeit gefangen genommen worden war, dass er listigerweise dem ihn verhörenden Hegemon gesagt habe, »der Richter hat mein Vertrauen« (‫ נאמן עלי דיין‬/ neˀeman alaj dajan). Obgleich Rabbi Eliezer mit diesem Diktum nicht seinen irdischen Richter, sondern Gott gemeint hatte, wurde er nach diesem Kompliment freigelassen. Diese Erzählung erscheint nicht nur aufgrund der in ihr enthaltenen Tricksterszene als typisch für die mehrdeutige Verwendung des Emuna-Begriffs, sondern auch, weil der amerikanische Talmudforscher Daniel Boyarin in ihr vor dem Hintergrund der Tatsache, dass man Rabbi Eliezer beschuldigt habe, im Geheimen ein Judenchrist zu sein, einen weiteren doppelten Boden gefunden hat (Boyarin 1999: 26 f.).

3.4.  Das Glaubensthema im Midrasch Es ist vielleicht kein Zufall, dass sich eine vermehrte Beschäftigung mit Fragen des Glaubensaktes und Glaubensinhalts in den seit dem vierten nachchristlichen Jahrhundert vorliegenden Midraschsammlungen feststellen lässt – in einer Literatur, die sich, anders als der Talmud, nicht nur en passant, sondern thematisch mit der Auslegung der Bibel be-

240  Judaistik schäftigt. Dabei verwundert es nicht, dass solche Bezüge eher in aggadischen (erzählerischen) als in halachischen (religionsgesetzlichen) Auslegungspassagen auftreten. So behandelt der Midrasch Mekhilta de-Rabbi Jishmaˁˀel, ein textkontinuierlich vorgehendes Sammelwerk von rabbinischen Auslegungen zur zweiten Hälfte des Exodusbuches (ab Ex 12), die Frage, ob und in welchem Maße den Israeliten bei den unterschiedlichen Stationen ihres Auszugs aus Ägypten und ihrer Wüstenwanderung – bei ihrem Zug durchs Schilfmeer, bei ihrem Kampf gegen die Amalekiter, beim Empfang des Mannas vom Himmel – »Glauben« zukam oder ob sie wegen ihres »Kleinglaubens« zu tadeln waren. In einer rabbinischen Psalmenauslegung zu Ps 24,3 – 5 (Midrasch Tehillim 24, 8 – mit unsicherer Datierung) heißt es mit Bezug auf die Abrahamsgestalt: »›Wer darf auf den Berg des Ewigen gehen?‹ (Ps 24,3a) [Der Text] spricht von Abraham, denn es heißt: ›Geh in das Land Moria usw.‹ (Gen 22,2). ›Und wer darf stehen an der heiligen Stätte?‹ (Ps 24,3b) Das ist Abraham, denn es heißt: ›Abraham machte sich früh am Morgen auf an den Ort, wo er vor dem Ewigen gestanden hatte‹ (Gen 19,27). ›Wer unschuldige Hände hat‹ (Ps 24,4aα). ›Dass [ich von allem, was dein ist, nicht] einen Faden noch einen Schuhriemen [nehmen will]‹ (Gen 14,23), weil [Abraham] sich von Raubgut ferngehalten hat. ›Und reines Herzens ist‹ (Ps 24,4aβ). Denn es heißt: ›Du hast sein [Abrahams] Herz treu [‫ נאמן‬/ neˀeman] erfunden vor dir‹ (Neh 9,8). Und [die Schrift] sagt: ›Und [Abraham] glaubte [‫ האמין‬/ heˀemin] dem Ewigen‹ (Gen 15,6). ›Wer nicht bedacht ist auf Lug und Trug‹ (Ps 24,4aγ). [Das geschah Abraham] vor Nimrod. ›Wer nicht falsche Eide schwört‹ (Ps 24,4b). Denn es heißt: [Abraham sprach:] ›Ich hebe meine Hand auf zu dem Ewigen‹ (Gen 14,22). Deshalb [heißt es]: ›Der wird den Segen des Ewigen empfangen‹ (Ps 24,5). ›Und der Ewige segnete Abraham‹ (Gen 24,1). ›Und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils‹ (Ps 24,5b). Denn es heißt (Gen 15,6): ›Und [Abraham] glaubte dem Ewigen; das achtete er ihm als Bewährung‹« (Übersetzung: M. Morgenstern; vgl. Braude 1959: 342 f.). Auffällig an diesem Midrasch ist zunächst das Zitatverfahren, das im Sinne einer Textbricolage Textstellen aus unterschiedlichen Teilen des hebräischen Kanons der Bibel so »ineinanderschiebt«, dass der ausgelegte Psalm sich auf Lebensstationen Abrahams bezieht. Mit der zweimaligen Anführung von Gen 15,6 wird dabei der Glaube des Erzvaters thematisch, der aus seiner Handlungsweise und seinen biographisch ablesbaren Charaktereigenschaften (»unschuldige Hände«, »reines Herz«) erschlossen wird. Plausibilität erhält diese Deutung

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durch den biblischen Sprachgebrauch, der das »Treu-erfunden-Sein« Abrahams in Neh 9,8 (‫ נאמן‬/ neˀeman) mit der entsprechenden hebräischen Wurzel in Gen 15,6 in Verbindung zu bringen erlaubt.

3.5.  Antichristliche Kontroverstheologie? Möglicherweise enthält dieser Text auch einen von der Midraschredaktion bewusst eingesetzten kontroverstheologischen Zug. Sein Profil erhält der Text vor allem, wenn man seine Auslegung von Gen 15,6 mit dem Motiv des Glaubens Abrahams im Neuen Testament vergleicht, wo dieser Vers zur Illustration des paulinischen Spitzensatzes von der Gerechtwerdung des Menschen ohne die Werke des Gesetzes (des Sinaigesetzes) angeführt wird (Röm 4,3 – 5). Während es christlich vor allem auf den Glauben ankommt, wird der Glaube Abrahams hier aber als eine Tat des Erzvaters neben anderen thematisch. Hinzu kommt, dass der rabbinische Ausleger den Glauben des Patriarchen unbefangen in einen Zusammenhang mit dem Lohngedanken bringt – es geht um Voraussetzungen, die nach Ps 24 den Zugang zum heiligen Berg ermöglichen! Im Vergleich mit dem paulinischen Glaubensverständnis erscheint der Glaube hier theologisch gewissermaßen »eingeebnet« und als »Werk«, was in diesem Zusammenhang aber als Korrektur einer christlichen Überspitzung des Glaubensverständnisses gemeint sein kann. Zu einem solchen Verständnis passt auch ein weiterer Midrasch in der Mekhilta de-Rabbi Jishmaˁˀel, in dem mit Bezug auf Abrahams Glauben vom Lohn dieser und der kommenden Welt die Rede ist: »Ebenso findest du, daß unser Vater Abraham diese Welt und die kommende Welt nur als Lohn für den Glauben, mit dem er glaubte, erbte. Es heißt ja: ›Abraham glaubte dem Herrn, (und der Herr rechnete es ihm als Gerechtigkeit an).‹ Ebenso findest du, daß die Israeliten aus Ägypten nur zum Lohn für den Glauben, mit dem sie glaubten, erlöst wurden. Es heißt ja: ›Da glaubte das Volk‹ (Ex 4,31) usw.« (Mekhilta de-Rabbi Jishmaˁˀel, Beshalach, zu Ex 14,26 – 31). An anderer Stelle in eben diesem Midrasch werden dem Glauben Abrahams sogar – bezogen auf die Nachkommenschaft des Erzvaters – weitergehende heilvolle meritorische Wirkungen zugeschrieben: Aufgrund des Glaubens Abrahams spaltete Gott den Israeliten das Meer (Mekhilta de-Rabbi Jishmaˁˀel, Beshalach, zu Ex 14,15).

242  Judaistik

3.6.  Der talmudische »Mechanismus« und seine reformjüdische Kritik Einer solchen Aussage darf freilich keine systematische Bedeutung zugesprochen werden. Wenn eine Stelle im babylonischen Talmud (bMakkot 24a) den Glauben im Anschluss an Hab 2,4 als Quintessenz aller Gebote bezeichnet, so steht dieser von späteren Religionsphilosophen gern zitierte Text (Cohen 1978: 302; Ben-Chorin 1979: 14; Morgenstern 2012: 6) anderen Aussprüchen gegenüber – etwa das talmudisch freilich kontrovers diskutierte Diktum (bBerakhot 13a; bPesachim 114b; bEruvin 95b), dass »die Gebote zu ihrer Ausübung keiner Absicht bedürften« (‫ מצות אינן צריכות כונה‬/ mizwot ejnan zerikhot kawana) (Hildesheimer / Morgenstern 2013: 18). Im Sinne dieses ganz auf den äußerlichen Tatbestand der Gebotserfüllung abzielenden Satzes konnte der neoorthodoxe Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808 – 1888) formulieren, wer den Sabbat rituell entweihe, spreche damit aus, »es gebe keinen Gott« (ebd.). Diese Vernachlässigung der »Gesinnung«, durch die, so Abraham Geiger (1810 – 1874), der niedrigste »Mechanismus sanctioniert« werde, wurde im 19. Jahrhundert von liberalen Juden freilich heftig kritisiert. Aber selbst Geiger, der wohl profilierteste jüdische Reformtheologe im Deutschland des 19. Jahrhunderts, orientierte sich in seinem Widerspruch gegen die Reduktion auf das »nackte Thun«, das der Talmud als »einzig verdienstlich« ansehe, nicht an einem Leitbild des »Glaubens«. In seinem resümierenden Plädoyer für eine »zeitgemäße Gestaltung« des Judentums erscheint dieses letztere Stichwort neben »Wahrheit und Erkenntniß«, »Gerechtigkeit und Milde« als eines unter anderen und somit als charakteristisch eingehegt (Hildesheimer / Morgenstern 2013: 19).

4.  Glaube in der mittelalterlichen Religionsphilosophie des Judentums 4.1.  Halachisierungen des Glaubens bei Saadja Gaon und Maimonides Im Kontrast zur relativen Abständigkeit des Glaubensthemas in der rabbinischen Literatur, in der auch die Auseinandersetzung mit anderen Glaubensverständnissen – wenn überhaupt – nur untergründig geführt wurde, kommt es im Mittelalter zu einem emphatischeren Be-

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griff der Emuna und zur systematischen Ausformulierung eines jüdischen Glaubensbekenntnisses. Nachdem Saadja Gaon (882 – 942), der Verfasser des Buches der Glaubenslehren (Sefer Emunot we-Deot), den Glauben als erstes Gebot in seine Aufstellung der religionsgesetzlichen Normen aufgenommen hatte, griff Moses Maimonides (1138 – 1204), der bedeutendste Vertreter der mittelalterlichen jüdischen Philosophie, das Glaubensthema in zwei unterschiedlichen Hinsichten auf. In seinem Buch der Gebote (Sefer ha-Mitzwot) werden auch der Glaube und die Glaubensinhalte, ähnlich wie bei Saadja Gaon, religionsgesetzlich definiert und insofern in eine vom Talmud vorgegebene Systematik eingeordnet. Dies bedeutet, dass der Glaube nur ein positives Gebot neben 248 weiteren Geboten ist (Maimonides, Sefer ha-Mizwot, Jüdisches Lexikon, 914, Gebot 1). Die Anerkennung des Daseins und der Einheit Gottes sowie die Liebe zu Gott kommen nach dieser Zählung als weitere Gebote hinzu (ebd. Gebote 2 – 3); zusätzliche Toranormen betreffen das tägliche Rezitieren des Schema am Morgen und Abend, das Lernen und Lehren der Tora sowie das Anlegen der Gebetsriemen. Ihnen entsprechen Verbote, das Dasein eines anderen Gottes anzunehmen sowie ein Bild von Gott herzustellen oder zu besitzen (ebd. 920, Verbote 1 – 2).

4.2. Maimonides’ Mischne Tora In seinem religionsgesetzlichen Hauptwerk Mischne Tora (Wiederholung der Tora) bringt der Autor die Gebote und Verbote des Religionsgesetzes in ein Schema von jeweils übergeordneten und untergeordneten Normen und gliedert und bespricht diese Gebote auch inhaltlich. Im Abschnitt über »die halachischen Bestimmungen zu den Grundlagen der Tora« (Hilkhot Jesode ha-Tora) wird der jüdische Gottesglaube auch formal in deutlich halachisierter Form im Hinblick auf zehn religiöse Pflichten zum Ausdruck gebracht. Die folgenden sechs Gebote und vier Verbote obliegen demnach jedem Juden: 1) Zu wissen, dass es einen Gott gibt. 2) Es nicht einmal zu erwägen, ob es außer ihm einen anderen Gott geben könnte. 3) Ihn für einen Gott zu halten. 4) Ihn zu lieben. 5) Sich vor ihm zu fürchten. 6) Seinen Namen zu heiligen. 7) Seinen Namen nicht zu entweihen.

244  Judaistik 8) Nichts zu zerstören, worauf sein Name geschrieben steht. 9) Auf den Propheten zu hören, der in seinem Namen redet. 10) Ihn nicht zu versuchen. (Maimonides, Mischne Tora, 3; Übersetzung: M. Morgenstern) Die Erklärungen des Philosophen zu diesen Detailnormen setzen die bereits in der Aufzählung sichtbar werdende Tendenz fort, die einzelnen Bestimmungen »tatbestandsmäßig« dem Bereich des naturgemäß ja nur begrenzt normierbaren Mentalen zu entnehmen und in die praktisch-operable Sichtbarkeit zu verlegen: Sich vor Gott »zu fürchten«, den göttlichen Namen »zu heiligen« und »nicht zu entweihen«, bedeutet dann beispielsweise, religiöse Texte, die den unaussprechbaren Gottesnamen enthalten, respektvoll zu behandeln und sie, wenn sie außer Gebrauch genommen werden, nicht wie Abfall zu behandeln, sondern rituell in einer Genisa zu bestatten.

4.3.  Maimonides’ dreizehn Prinzipien Eine prägnante Zusammenfassung der jüdischen Glaubensinhalte, die Maimonides seinem Kommentar des Talmudtraktats Sanhedrin (Kap. 10, Pereq Heleq) folgen lässt, geht demgegenüber in eine andere Richtung. Dieser Text fasst, erstmals in dieser Form in der jüdischen Religionsgeschichte, die für Juden verbindlichen Glaubensinhalte systematisch und konfessorisch in dreizehn Prinzipien (sheloshaasar iqarim) – nach den dreizehn gnädigen Eigenschaften Gottes, die der Talmud aus Ex 34,6 f. herausliest – zusammen. Dieses Glaubensbekenntnis, das der Religionsphilosoph Schalom Ben-Chorin in seinen Tübinger Vorlesungen ausführlich interpretiert hat (Ben-Chorin 1979), kann auch deshalb als viel bekannter gelten, weil es im jüdischen Gebetbuch Platz gefunden hat und in das tägliche Ritualgebet der Juden eingegangen ist. Wie das Glaubensthema im religionsgesetzlichen Kodex Mischne Tora unter dem Einfluss des Rechts dargestellt wurde, so sind hier die philosophischen Interessen des Verfassers zu bemerken, der sich um eine philosophisch durchdrungene Formulierung des Eingottglaubens bemüht. Dies ist vor allem an der aristotelisch beeinflussten Terminologie in den ersten Sätzen des Glaubensbekenntnisses zu erkennen, wo sich der Autor offenbar mit der zeitgenössischen islamischen Philosophie auseinandersetzt. Der im Original in arabischer Sprache verfasste Text, der im Synagogengottesdienst heute meist in einer hebräischen Fassung oder in anderen Übersetzungen rezitiert oder auch gesungen

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wird, beginnt jeweils mit einem Bekenntnis des Glaubens (‫אני מאמין‬ ‫ באמונה שלמה‬/ ani maˀamin beˀemuna shelema), im Gebetbuch bezeichnenderweise mit »ich bin vollkommen überzeugt« übersetzt: 1. Ich bin vollkommen überzeugt, daß der Schöpfer, gelobt sei sein Name, alle Geschöpfe erschafft und führt, daß er allein alle Werke vollbracht hat, vollbringt und vollbringen wird. 2. … daß der Schöpfer, gelobt sei sein Name, einzig ist und daß es in keiner Beziehung eine Einigkeit gibt gleich ihm, daß er allein unser Gott war, ist und sein wird. 3. … daß der Schöpfer, gelobt sei sein Name, kein Körper ist, daß auf ihn die Eigenschaften eines Körpers nicht anzuwenden sind, daß es nichts gibt, mit ihm zu vergleichen. 4. … daß der Schöpfer, gelobt sei sein Name, allein vor allem war und nach allem sein wird. 5. … daß zum Schöpfer, gelobt sei sein Name, allein es sich gebührt zu beten, und daß es sich nicht gebührt zu einem außer ihm zu beten. 6. … daß alle Worte der Propheten Wahrheit sind. 7. … daß die Prophetie unseres Lehrers Mosche, Friede sei mit ihm, wahrhaftig war und daß er das Haupt war der Propheten, die vor ihm waren und die nach ihm kamen. 8. … daß die ganze Lehre, die sich jetzt in unseren Händen befindet, unserem Lehrer Mosche, Friede sei mit ihm, übergeben worden ist. 9. … daß diese Lehre nicht umgetauscht werden wird und keine andere Lehre kommen wird vom Schöpfer, gelobt sei sein Name. 10. … daß der Schöpfer, gelobt sei sein Name, alle Werke der Menschenkinder und all ihre Gedanken kennt, denn es heißt: Der insgesamt ihr Herz gebildet, er durchschaut alle ihre Werke. 11. … daß der Schöpfer, gelobt sei sein Name, denen Gutes erweist, die seine Gebote hüten, und diejenigen bestraft, die seine Gebote übertreten. 12. Ich bin vollkommen von der Ankunft des Gesalbten überzeugt, und wenn er auch zögert, trotzdem hoffe ich täglich auf ihn, daß er kommen wird. 13. … daß die Auferstehung der Toten sein wird zur Zeit, die wohlgefällig sein wird dem Schöpfer, gelobt sei sein Name und verherrlicht sein Gedenken immerfort und in Ewigkeit der Ewigkeiten (Sidur Sefat Emet, 78 f.)

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4.4. Maimonides’ Führer der Unschlüssigen Während diese konfessorischen Formulierungen ganz auf den Glaubensinhalt abheben, bezieht sich ein Abschnitt aus dem religionsphilosophischen Hauptwerk des Maimonides, dem Führer der Unschlüssigen (ca. 1290), auf die epistemologische Definition des Glaubensaktes. Maimonides führt dort aus, dass »der Glaube (‫ האמנה‬/ haˀemuna) nicht etwas ist, was man bloß mit dem Munde auszusprechen hat, sondern was man sich in der Seele vorstellt, indem man davon überzeugt ist, daß es so sei, wie man es sich vorstellt. (…) Es kommt ja bei unserem Denken und Untersuchen nicht darauf an, was wir sagen, sondern darauf, wovon wir überzeugt sind. Es gibt auch keinen Glauben, dem nicht eine Vorstellung vorhergeht; denn der Glaube besteht darin, daß man hinsichtlich dessen, was man sich vorstellt, für wahr hält, es sei außerhalb des Denkens (in Wirklichkeit) so, wie man es sich im Denken vorstellt« (Maimonides, Führer der Unschlüssigen I, 50). Konsequenz dieses Glaubensverständnisses ist bei Maimonides die Festlegung, dass der Glaube an das Verstehen gebunden ist und auch die Liebe zu Gott nur in dem Maße möglich ist, wie man in der (rationalen) Erkenntnis Gottes voranschreitet (‫האהבה היא כפי‬ ‫ ההשגה‬/ haˀahava hi kefi hahasaga – etwa: »der Glaube entspricht dem Erkennen«) (Maimonides, Führer der Unschlüssigen III, 51).

4.5.  Widerspruch gegen Maimonides Den definitorischen Festlegungen von Maimonides wurde freilich schon bald widersprochen: Vertreter der jüdischen Mystik (Kabbala) widersetzten sich der Intellektualisierung der jüdischen Religionspraxis, während nachmaimonidianische Philosophen für eine größere Flexibilisierung bei der Definierung der Glaubensinhalte eintraten. Nachdem der spanisch-jüdische Religionsphilosoph Chasdai Crescas (1340 – 1410) die Kriterien, die Maimonides zur Auswahl seiner Prinzipien bewogen hatten, in Frage gestellt und den Artikel über den Messias gestrichen hatte, legte sein Schüler Josef Albo (geb. zwischen 1360 und 1380, gest. 1444), der Verfasser des »Buches der Grund- und Glaubenslehren« (‫ ספר העקרים‬/ sefer haˁiqarim), eine radikal reduzierte Liste jüdischer Glaubensprinzipien vor. Albo unterschied zwischen »allgemeingültigen« oder »übergeordneten Prinzipien« oder »Wurzeln« (‫ עקרים כוללים‬/ iqarim kolelim) und »speziellen Prinzipien« (‫עקרים‬ ‫ פרטיים‬/ iqarim peratiyim) und wollte in der obersten Kategorie nur die Prinzipien der »Existenz Gottes« (‫ מציאות השם‬/ meziˀut ha-

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shem, wörtlich: »Existenz des Namens«), der Offenbarung (‫תורה מן‬ ‫ השמים‬/ tora min ha-shamajim, wörtlich: »Tora vom Himmel«) und des Grundsatzes von »Lohn und Strafe« (‫ שכר ועונש‬/ sakhar waˁonesh) anerkennen (Rauschenbach 2002: 6). Alle anderen Glaubenssätze, als »Zweige« (‫ ענפים‬/ anafim) bezeichnet, wie die Lehre von der Einheit, Unkörperlichkeit und Allwissenheit Gottes, die von der Schöpfung aus dem Nichts, von der Überlegenheit der Prophetie Moses, der Unveränderlichkeit der Tora und der Auferstehung der Toten, seien jeweils im Lichte der übergeordneten Wurzeln auszulegen (Rauschenbach 2002: 73). Diese Hierarchisierung der Glaubensprinzipien ermöglichte Albo, der 1413 – 1414 an der jüdisch-christlichen Disputation von Tortosa teilnahm, in den Diskussionen mit seiner Umwelt flexibel zu reagieren und Übereinstimmungen der Christen und Muslime mit den höchsten jüdischen Glaubensprinzipien herauszuarbeiten (Rauschenbach 2002: 73 f.). Zugleich war eine Lesart möglich – Albo selbst äußerte sich dazu nicht eindeutig – , die jüdische Leugner untergeordneter »Glaubenszweige« (oder auch unter Zwang vom Judentum Abgefallene) vom Verdikt befreien konnte, Ketzer zu sein und ihres Anteils an der kommenden Welt verlustig zu gehen.

5.  Glaube in der modernen jüdischen Religionsphilosophie 5.1.  Hermann Cohen Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass sich die Religionsphilosophie Josef Albos in der rationalistisch geprägten jüdischen Religionsphilosophie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts besonderer Wertschätzung erfreute. Der jüdische Neukantianer Hermann Cohen (1842 – 1918) berief sich in seinem religionsphilosophischen Spätwerk Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums immer wieder auf Albo. Wo es in der Religion der Vernunft um dogmatische Gehalte wie die Unsterblichkeit und die Auferstehung oder um das Problem einer in entmythologisierter Form vorzustellenden Heimkehr der Seele zu Gott (Cohen 1978: 355), um ewige Höllenstrafen (ebd.: 363), um das Theodizeeproblem (Cohen 1978: 367) oder generell um Jenseitsvorstellungen (ebd. 375) geht, zeigt sich Cohen als Anhänger dieses spanisch-jüdischen Philosophen, der ihm den Weg wies, diese Lehrgehalte zu relativieren. Vor dem Hintergrund seiner Theorie der stetigen Weiterentwicklung (»Idealisierung«) der jüdischen Religion

248  Judaistik ist dabei jene Stelle in Albos »Buch der Grund- und Glaubenslehren« für Cohen von besonderem Belang, die als Plädoyer für die Bestreitung der prinzipiellen Unveränderlichkeit des göttlichen Gesetzes in Anspruch genommen wird. Cohen dient dieses Motiv zur Bestätigung seiner Theorie der Dogmenferne der jüdischen Religion, die in ihrem Wesen ein »ethischer Monotheismus« sei. Eine ähnliche Vorstellung hatte vor ihm bereits der Berliner jüdische Aufklärungsphilosoph Moses Mendelssohn (1729 – 1786) vertreten, nach dem der Glaube Israels keine offenbarte Religion, sondern eine »geoffenbarte Gesetzgebung« darstelle. Im Gegensatz zum Christentum gründe sich das Judentum nicht auf Dogmen und erlösende Wahrheiten, sondern auf normative Lebensregeln und Vorschriften.

5.2.  Jeshajahu Leibowitz Die Religionsphilosophie von Jeshajahu Leibowitz (1903 – 1994), die sich als Weiterentwicklung des von Mendelssohn und Cohen vorgegebenen Ansatzes verstehen lässt, beruht auf der These, dass »das Judentum nicht nur seinen Ausdruck in der Erfüllung der religiösen Gebote finde«, sondern »das Tragen des ›Joches der Mizwot‹ oder die ›Halacha selbst‹ sei« (Morgenstern 2003: 404). Mit dieser reduktionistischen Formel tritt Leibowitz allen philosophisch-theologischen, aber auch mystischen Spekulationen entgegen, über die sich jüdische Denker über Jahrhunderte hinweg nicht hätten einigen können. Die antidogmatische Ausrichtung, mit der Leibowitz historisch vorfindliche Meinungen »im Judentum« von »dem Judentum« unterscheidet, führt so zu einer auf die Praxis des Lebens gerichteten Anschauung. Mit Bezug auf eine Bemerkung des Maimonides, nach der theologischphilosophische Streitfragen, die keine konkreten religionsgesetzlichen Auswirkungen haben, auch keiner religionsgesetzlichen Entscheidung unterworfen werden müssten und somit für das normative Judentum gleich-gültig seien, benennt Leibowitz im Umkehrschluss das in religiöser Hinsicht einzig Relevante: die durch das Religionsgesetz bestimmte individuelle wie kollektive Lebenspraxis der Juden, das seit den Tagen des Talmuds historisch-empirisch zweifelsfrei zu konstatierende und danach durch knapp zwei Jahrtausende zu verfolgende Phänomen der Lebensform eines ganzen Volkes. Diese Perspektive, die – worauf Kritiker hingewiesen haben – allerdings implizit die Annahme der Existenz Gottes und einen die Halacha begründenden Lehrsatz voraussetzt, ermöglicht es Leibowitz, den seit der Aufklärung gestellten religions- und

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traditionskritischen Fragen auszuweichen. Diese betreffen nach seiner Meinung nur die normativ gleichgültige und wandelbare religiöse Theorie. Die auf die Praxis bezogene Weisung der Tora sei hingegen »›ihrem Wesen nach ahistorisch‹ und nicht historischer Kritik unterworfen« (Morgenstern 2003: 405). Wer die Verpflichtung zum Gottesdienst anerkenne und dieser Verpflichtung durch die Erfüllung der Gebote Folge leiste, so Leibowitz, wird als »glaubend« (‫ מאמין‬/ maˀamin) bezeichnet (Leibowitz 1999: 19).

5.3.  Martin Buber und Emanuel Lévinas Damit kommt der Volkscharakter Israels in den Blick und die Tatsache, dass die Zugehörigkeit zu diesem Volk, wie der Religionsphilosoph Martin Buber (1878 – 1965) betont, nicht an Glaubensentscheidungen gebunden ist, sondern auf vorlaufenden gnädigen Setzungen Gottes beruht: »In der Welt Israels fehlt für eine Entscheidung des Glaubens oder Unglaubens die Voraussetzung, es fehlt dafür gleichsam der Ort: weil die Welt Israels aus Bundesschlüssen mit Gott gewachsen ist. Die Scheidung, die in der Schrift Israels angesagt wird, kann keine zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden sein, weil es hier keine Entscheidung des Glaubens oder Unglaubens gibt. Die Scheidung, die hier gemeint ist, vollzieht sich zwischen denen, die ihren Glauben wirklichmachen, und denen, die ihn nicht wirklichmachen« (Buber 1994: 38 f.). In seiner Paraphrase von Gen 15,6 macht Martin Buber auf den Abstand zu dem »nicht bloß griechischen, sondern wirklich hellenisierten« (ebd. 43) Textverständnis bei Paulus aufmerksam, bei dem der Glaube durch »eine Einengung, Verkargung jener ursprünglichen Lebensfülle« zu einem »Akt der Seele in dem erzählten Augenblick« mit dem Ziel einer bloß forensischen »Gerechtsprechung« des Menschen geworden sei (ebd. 45): »›Und er ließ beharren an JHWH‹ (eines Objekts bedarf es hier nicht), womit aber kein besonderer Akt, sondern nur gleichsam eine Kraftzufuhr an eine bestehende Wesensbeziehung des Vertrauens und der Treue in einem gemeint ist« (ebd. 43). Der Absicht der Tora gemäß komme »nicht der Masse der Handlungen, sondern dem Gerichtetsein des Herzens in und an ihnen der allein entscheidende Sinn und Wert zu« (ebd. 63). Ohne den Glaubensbegriff explizit zu erwähnen, wird die jüdische Distanz zu diesem Begriff von Emmanuel Lévinas (1905 – 1995) aus einer anderen Warte beleuchtet, wenn er den Christen einen Konvertiten nennt, der »seine christliche Essenz über seiner natürlichen Essenz« trage und – gemeint ist offenbar der Glaubenskampf – immer mit seiner Natur kämpfe. Aber »der Jude

250  Judaistik [wird] als Jude geboren und vertraut dem ewigen Leben, dessen Gewissheit er durch die fleischlichen Bande lebt, die ihn mit seinen Vorfahren und seinen Nachfahren verknüpfen.« (Lévinas 1996: 144).

6.  Häretischer Glaube 6.1.  Sabbatai Zwi und Jakob Frank Die Scheu vor der Verwendung des Stichwortes »Glauben« im jüdischen Zusammenhang ist auch in der geschichtlichen Erfahrung begründet, dass es im Laufe der Zeit im Zusammenhang mit messianischen Gruppen, die zum »Glauben« an ihren jeweiligen Messias aufriefen, immer wieder zu antinomistischen Auswüchsen und häretischen Abspaltungen kam. Der bekannteste Fall ist der Sabbatai Zwis (1626 – 1676), eines jüdischen Gelehrten und Kabbalisten im osmanischen Reich, der sich am 31. Mai 1665 während eines Aufenthaltes in Gaza, ermutigt durch die Prophezeiungen seines Propheten Nathan von Gaza, zum Messias erklärte und zwölf seiner Anhänger zu Repräsentanten der Stämme Israels ernannte. Es handelte sich hier um den Beginn einer Bewegung, des Sabbatianismus, die die ganze jüdische Diaspora erschüttern sollte und auch nicht zum Halt kam, als Sabbatai Zwi ein Jahr später von den osmanischen Behörden in Konstantinopel verhaftet wurde und er kurz darauf mit seiner Frau zum Islam übertrat. Zentraler Punkt der Theologie Nathans von Gaza, des Ideologen der Bewegung, war das Mysterion der Erlösung durch den Glauben »an« den Messias Sabbatai Zwi (Scholem 1992a: 378). Indem er ein »›quasichristozentrisches‹ Erlösungserlebnis einführte«, in dem es den an den Messias »Glaubenden« darum ging, in eine mystische Verbindung zu Sabbatai Zwi zu treten und in seinen mystischen Leib aufgenommen zu werden, verlor das traditionelle jüdische Religionsgesetz seine Funktion. Seine Übertretung wurde zu einem Vorzeichen der kommenden Erlösung. Durch den Sabbatianismus wurde so die »Gesetzesreligion« des rabbinischen Judentums in eine »Glaubensreligion« umgeformt (Elqayam 2003: 164). Die Anhänger Sabbatai Zwis nannten sich »die Glaubenden« (‫ המאמינים‬/ hamaˀaminim) oder – im judenspanischen Dialekt (Ladino) – »los Maaminimes« (Scholem 1992a: 836; 785). Auch derjenige Teil seiner Anhänger, der in der Konversion des Messias zum Islam ein messianisches Geheimnis sah, ein Hinabsteigen in die »Tiefe«, um dort gefallene göttliche Funken aufzusammeln –

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vergleichbar mit der christlichen Vorstellung der Höllenfahrt Christi (Descensus Christi ad inferos) – , und ihm auf seinem messianischen Weg in den Islam hinein nachfolgte und die Sekte der Dönme bildete, behielt in der Selbstbezeichnung den Namen der »Glaubenden« bei. Der Schlüssel zum Verständnis dieser Konversion für die Sabbatianer wurde die Lehre von der »Erlösung durch Sünde« (Scholem 1992b). Nach der Theologie Nathans von Gaza sollte der Weg zur vollkommenen Erlösung durch das Reich der widergöttlichen Mächte führen. Sabbatai Zwis Konversion war demnach kein Verrat am Judentum, sondern ein geheimnisvolles Mittel auf dem Weg zur messianischen Wiederherstellung aller Dinge – ein Mittel, an das seine Anhänger jedoch »glauben« mussten. Ein ähnlicher Glaube an ein Paradox, verbunden mit antinomistischen Praktiken, trat ein Jahrhundert später bei Sabbatai Zwis Nachfolger Jakob Frank (1726 – 1791) erneut auf den Plan, der nach einer islamischen Zwischenphase am Ende seines Lebens in Polen zum römischen Katholizismus übertrat und sich selbst zum Messias proklamierte.

6.2.  Chassidim und »messianische Juden« Auch in der Geschichte des Baal Schem Tov (Israel ben Eliezer, ca. 1700 – 1760), der Gründungsgestalt der chassidischen Bewegung Osteuropas – einer Bewegung, die von den rabbinischen Orthodoxen anfangs durchaus als sektiererisch-häretisch angesehen wurde – spielt der »Glaube« im Zusammenhang mit der Abwertung des traditionellrabbinischen Lernens und unterschiedlicher mystischer Praktiken eine Rolle. In den unterschiedlichen Flügeln des Chassidismus, in denen der jeweilige »Rebbe« als spirituelle Führungsfigur im Zentrum steht und mit seinen Anhängern (Chassidim) auf mystische Weise verbunden ist, gilt das »Glauben« bis heute als wichtige religiöse Forderung, auch wenn die Grenze zur Häresie dabei meist nicht überschritten wird. Eine spektakuläre Ausnahme ist die Bewegung der Lubawitscher Chassidim (Habad) des im Juni 1994 in New York verstorbenen Rebben Menachem Mendel Schneerson, der von seinen Anhängern als messianische Gestalt proklamiert wurde. Auch noch nach seinem Tod wird er von einem Teil seiner Chassidim, die an sein geheimnisvolles Weiterleben glauben oder seine baldige Wiederkunft erwarten, mit der Benediktion »es lebe unser Herr, unser Lehrer und unser Rav, der König Messias für immer« kultisch verehrt. Von einigen Theologen der Habad-Bewegung wird gar die Ansicht vertreten, es bestehe für heu-

252  Judaistik tige Juden die religionsgesetzliche Verpflichtung »to believe the rebbe is the messiah« (Schleifer / Gorenberg 1999: 32). Es handelt sich hier um einen Auswuchs des Messianismus, der von jüdischen Theologen traditioneller Provenienz als »christlich« gebrandmarkt und abgelehnt wird (Brumlik 2007: 21). In den Augen der meisten Juden passt es zu dieser häresiologischen Färbung des Glaubensbegriffs, dass die Selbstbezeichnung »believers« (‫ מאמינים‬/ maˁaminim) auch von der kleinen Minderheit von Juden verwendet wird, die Jesus Christus als den jüdischen Messias bekennen. »Messianic Judaism is the religion of Jewish people who believe in Jesus (Yeshua) as the promised Messiah« (Harvey 2009: 1; vgl. Ben-Chorin 1992: 174).

7.  Zusammenfassung und Ausblick Ungeachtet der traditionell-jüdischen Distanz dem Glaubensbegriff gegenüber scheinen wichtige Faktoren und Umstände die weitere Verwendung dieses Begriffs günstig zu beeinflussen. Zum einen entsteht für die Mehrzahl der Juden vor dem Hintergrund der Erosion der traditionell-halachisch geprägten Lebensweise die Notwendigkeit, ihre Beziehung zu Gott anders als traditionell zu beschreiben und zu begründen. Nach der Aufklärung und vor dem Hintergrund moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse kann die Beziehung des Menschen zu Gott aber nicht mehr in objektbezogenen Aussagen, sondern nur noch in persönlich-subjektiven Vertrauensaussagen zum Ausdruck kommen. Jüdische Theologen des 20. Jahrhunderts wie Franz Rosenzweig (1886 – 1929) und Abraham Heschel (1907 – 1972) tragen dem Rechnung, indem sie von einer Vertrauensbeziehung zwischen Mensch und Gott sprechen, die auf persönlicher Begegnung beruht. Heschel erzählt die Geschichte von einem Chassid, »der einem Gelehrten für mittelalterliche jüdische Scholastik zuhörte. Dieser redete über die Eigenschaften Gottes und bewies mit logischer Genauigkeit, welche Aussagen man über Gott machen könne. Als die Vorlesung zu Ende war, bemerkte der Chassid: ›Wenn Gott so wäre, würde ich nicht an ihn glauben‹« (Heschel 1985: 101). Zum andern legt die Tatsache, dass ein beträchtlicher Teil der Juden weiterhin in der Diaspora lebt, eine jüdische Selbstdefinition in religiöser Terminologie nahe. Für das jüdische Selbstverständnis im Gegenüber zu Christen und anderen Religionen, im interreligiösen Dialog, aber auch für die Abgrenzung gegenüber jüdischen »Häresien« bietet sich hier der Begriff des Glaubens in besonderer Weise an, um

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Gemeinsamkeiten herauszustellen und Unterschiede zu benennen. Schalom Ben-Chorin etwa formuliert im Gegenüber zu Christen: »Der Glaube Jesu einigt uns, der Glaube an Jesus trennt uns« (Ben-Chorin 1982: 4; Ben-Chorin 1970: 12). Schließlich hat die Bewältigung des jüdischen Leidens im 20. Jahrhundert einige jüdische Denker dazu bewogen, dieses Problem mit der Gottesfrage zu verbinden und die Frage nach dem »Glauben« an Gott »nach Auschwitz« zu stellen (Rubenstein 1966; Ben-Chorin 1986).

Quellen- und Literaturverzeichnis 1.  Quellen und Übersetzungen Albo, Sefer Ha-Ikkarim: Ludwig Schlesinger, ‫ ספר עקרים‬/ Buch Ikkarim. Grundund Glaubenslehren der Mosaischen Religion von Rab. Joseph Albo ins Deutsche übertr., Frankfurt a. M. 1844. Altes Testament / Hebräische Bibel: Biblia Hebraica Stuttgartensia. Editio funditus renovata, hrsg. v. Karl Elliger / Wilhelm Rudolph u. a., Stuttgart 1977. Der Babylonische Talmud. Neu übertragen durch Lazarus Goldschmidt, 12 Bde., Darmstadt 1996. Breuer 1934: Breuer, Isaac: Der Neue Kusari. Ein Weg zum Judentum, Frankfurt a. M. 1934. Cohen 1978: Cohen, Hermann: Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Wiesbaden 1978 (Nachdruck der 2. Auflage Frankfurt a. M. 1929). Mekhilta de-Rabbi Jishmaˁˀel. Ein früher Midrasch zum Buch Exodus. Aus dem Hebräischen übers. und hrsg. v. Günter Stemberger, Berlin 2010. Midrasch Tehilim. Schocher Tob, hrsg. v. Salomon Buber, Wilna 1891; Übersetzung: William G. Braude, The Midrash on Psalms, translated from the Hebrew and Aramaic, New Haven 1959. Die Mischna. Ins Deutsche übertragen, mit einer Einleitung und Anmerkungen von Dietrich Correns, Hannover 2004. Maimonides, Mischne Tora, ‫היד החזקה לרבינו משה בן מימון‬, Vol. II, ‫ספר‬ ‫המדע‬, Jerusalem 1956 / 57. Maimonides, Führer der Unschlüssigen: Moses ben Maimon, Führer der Unschlüssigen. Ins Deutsche übertragen und mit erklärenden Anmerkungen versehen von Adolf Weiss, Bde. I – II, Leipzig 1923. Maimonides, Sefer ha-Mizwot: Max Josef, Art. Gebote und Verbote der Tora, Jüdisches Lexikon, hrsg. v. Georg Herlitz / Bruno Kirschner, Bd. II, Berlin 1927 (Nachdruck 1987), 914 – 928 (tabellarische Wiedergabe der Gebote und Verbote von Maimonides’ Buch der Gebote). Maimonides 1960: ‫ספר מורה נבוכים להרב האלהי רבינו משה בן מימון‬ ‫( הספרדי ז"ל בהעתקת הרב ר’ שמואל אבן תיבון‬hebräische Übersetzung des Führers der Unschlüssigen von Shmuel Ibn Tibbon), Jerusalem 1960.

254  Judaistik Sidur Sefat Emet. Mit deutscher Übersetzung von Rabbiner Dr. S. Bamberger, Basel 1993.

2. Sekundärliteratur Abrahams 1971: Abrahams, Israel: Art. Belief. The Bible. Hellenistic Literature. Rabbinic Literature, Encyclopaedia Judaica, New York 1971, 429 – 434. Avemarie 1996: Avemarie, Friedrich: Tora und Leben (TSAJ 55), Tübingen 1996. Ben-Chorin 1970: Ben-Chorin, Schalom: Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht, München 31970. Ben-Chorin 1986: Ben-Chorin, Schalom: Als Gott schwieg. Ein jüdisches Credo, Mainz 1986. Ben-Chorin 1992: Ben-Chorin, Schalom: Theologia Judaica. Gesammelte Aufsätze, Bd. II, Tübingen 1992. Ben-Chorin 2001: Ben-Chorin, Schalom: Jüdischer Glaube: Strukturen einer Theologie des Judentums anhand des Maimonidischen Credo; Tübinger Vorlesungen, Tübingen 32001. Boyarin 1999: Boyarin, Daniel: Dying for God. Martyrdom and the Making of Christianity and Judaism, Stanford 1999. Brumlik 2007: Brumlik, Micha: Der christliche Gedanke im Herzen der Orthodoxie. Chabad Lubawitsch: Hilfe, Bedrohung oder beides?, Jüdische Zeitung 26 (2007), 21. Buber 1994: Buber, Martin: Zwei Glaubensweisen, Gerlingen 21994. Elqayam 2003: Elqayam, Abraham: Art. Nathan von Gaza, Metzler Lexikon jüdischer Philosophen, hrsg. v. Otfried Fraisse / Andreas B. Kilcher, Stuttgart 2003, 163 – 165. Giordano 1991: Giordano, Ralph: Erinnerungen eines Davongekommenen, 2007. Harvey 2009: Harvey, Richard: Mapping Messianic Jewish Theology. A Constructive Approach, Bletchley / Milton Keynes 2009. Heschel 1985: Heschel, Abraham Joshua: Die ungesicherte Freiheit. Essays zur menschlichen Existenz, Neukirchen-Vluyn 1985. Hildesheimer / Morgenstern 2013: Hildesheimer, Meir / Morgenstern, Matthias: Rabbiner Samson Raphael Hirsch in der deutsch-jüdischen Presse, Münster 2013. Leibowitz 1999: Leibowitz, Yeshayau: I wanted to ask you, Prof. Leibowitz. Letters to and from Yeshayahu Leibowitz, Jerusalem 1999 (hebr.). Lévinas 1996: Lévinas, Emmanuel: Schwierige Freiheit. Versuch über das Judentum. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer, Frankfurt a. M. 21996. Morgenstern 1995: Von Frankfurt nach Jerusalem. Isaac Breuer und die Geschichte des Austrittsstreits in der deutsch-jüdischen Orthodoxie, Tübingen 1995. Morgenstern 2003: Morgenstern, Matthias: Art. Jeshajahu Leibowitz, Metzler Lexikon jüdischer Philosophen, hrsg. v. Otfried Fraisse / Andreas B. Kilcher, Stuttgart 2003, 404 – 407. Morgenstern 2012: Morgenstern, Matthias: Hermann Cohen und seine Quellen des Judentums, in: Dober, Hans Martin / Morgenstern, Matthias (Hgg.), Religion aus den Quellen der Vernunft. Hermann Cohen und das evangelische Christentum, Tübingen 2012, 3 – 27.

Matthias Morgenstern  255 Rauschenbach 2002: Rauschenbach, Sina: Josef Albo. Jüdische Philosophie und christliche Kontroverstheologie in der frühen Neuzeit, Leiden u. a. 2002. Rubenstein 1966: Rubenstein, Richard L.: After Auschwitz. Radical Theology and Contemporary Judaism, Indianapolis / New York 1966. Schleifer / Gorenberg 1999: Schleifer, Yigal / Gorenberg, Gershom: Chabad’s Messiah Complex, The Jerusalem Report, June 21 (1999), 31 – 34. Scholem 1992a: Scholem, Gershom: Sabbatai Zwi. Der mystische Messias, Frankfurt a. M. 1992. Scholem 1992b: Scholem, Gershom: Erlösung durch Sünde (Judaica V), Frankfurt a. M. 1992. Spiegel 2003: Spiegel, Paul: Was ist koscher? Jüdischer Glaube, jüdisches Leben, München 2003. Strack / Billerbeck 1994: Strack, Herrmann / Billerbeck, Paul: Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, Bd. 3, München 91994. Wildberger 1984: Wildberger, Hans: Art. ʾmn fest, sicher, Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, hrsg. v. Ernst Jenni / Claus Westermann, München / Zürich 1984, 177 – 209.

3.  Literaturhinweise zum vertiefenden Studium Borowitz, Eugene Bernhard: The problem of the form of a Jewish theology, in: Hebrew Union College Annual XL / XLI, Cincinnati 1969 / 1970, 391 – 408. Buber, Martin: Der Glaube des Judentums, in: ders.: Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, 2. durchgesehene und erweiterte Auflage, Heidelberg 1988, 187 – 200. Calvary, Moses: Das Wagnis des Glaubens, in: Ben-Chorin, Schalom/ Lenzen, Verena (Hgg.): Lust an der Erkenntnis. Jüdische Theologie im 20. Jahrhundert, München / Zürich 1988, 294 – 299. Heschel, Abraham Joshua: Gott sucht den Menschen (Information Judentum 2), Neukirchen-Vluyn 1980. Schoeps, Hans-Joachim: Jüdischer Glaube in dieser Zeit. Prolegomena zur Grundlegung einer systematischen Theologie des Judentums, Berlin 1932. Steinberg, Milton: Anatomie des Glaubens, in: Ben-Chorin, Schalom / Lenzen, Verena (Hgg.): Lust an der Erkenntnis. Jüdische Theologie im 20. Jahrhundert, München / Zürich 1988, 419 – 422.

Zusammenschau

Friedrich W. Horn

Glaube – weniger Darstellung der Glaubensgegenstände als vielmehr Blick auf die subjektive Seite der christlichen Religion Eine Zusammenschau der einzelnen Beiträge aus den mittlerweile klassischen theologischen Disziplinen zum Thema Glaube macht zunächst deutlich, dass sich im Stichwort Glaube oftmals das Ganze aus den einzelnen theologischen Disziplinen spiegelt, sodass die jeweiligen Kontexte stets mitbedacht werden müssen, um zu verstehen, was mit Glaube im engeren Sinn gemeint ist. Dies gilt, wenn auch in unterschiedlichem Maße, für die meisten der hier zur Darstellung gekommenen theologischen Disziplinen und dies wiederum zugleich stärker als bei anderen theologischen Themen, zu denen bereits Bände vorliegen. Über Glaube kann folglich nicht in solcher Beschränkung gesprochen werden, als käme mit ihm ausschließlich ein einzelnes partielles Segment oder ein theologischer locus eines insgesamt größeren Ganzen zur Darstellung. Das Stichwort Glaube umschließt mehr. Der Beitrag von Christiane Tietz zeigt dies exemplarisch mit Blick auf die jüngere Theologiegeschichte auf. In ihr ist Glaube in Beziehung gesetzt worden zu Erkennen, Wissen, Verstehen (Kant, Hegel, Lessing, dagegen allerdings Kierkegaard), zu Gefühl (Schleiermacher), zu Religion und Offenbarung (Barth, Bultmann, Pannenberg, Jüngel), zum Gegenstand des Glaubens (Descartes, Religionskritik), zu Gewissheit, Zweifel und Unglaube (Tillich) und zur Ethik (Bonhoeffer, Katholische Kirche und Lutherischer Weltbund). Diese Verwobenheit des Glaubens in das umfassende theologische Denken ist in gleicher Weise in dem kirchengeschichtlichen Beitrag von Martin Ohst zu greifen, der dies exemplarisch an Augustin, den Theologen der Scholastik und Martin Luther deutlich macht. Und auch der neutestamentliche Beitrag zeigt auf, dass Glaube zur Signatur des christlichen Lebens wird und alle

258  Zusammenschau Dimensionen und Einstellungen und Hoffnungen der Christen umgreift, auch deren Handlungen. Eine abschließende Zusammenschau der sieben Beiträge kann nicht versuchen wollen, die Vielfalt der Aspekte, die mit dem Stichwort Glaube verwoben sind, nochmals zur Darstellung zu bringen. Dieser Versuch würde in einem reduktionistischen Verfahren darauf hinauslaufen, die Vielgestaltigkeit und die Vielfältigkeit, die als Gewinn zu begreifen ist, einzuengen und sie damit ihres Reichtums zu berauben. Auch ist ein Versuch nicht empfehlenswert, einen kleinsten gemeinsamen Nenner für alle Disziplinen zu suchen, in dem sie sich im Verständnis des Glaubens treffen. Jedoch gibt es Ansatzpunkte, in denen die theologischen Disziplinen insbesondere an das Thema Glaube andocken, möglicherweise auch gemeinsam. Denen ist nachzuspüren. Hierbei wechseln die Beiträge gelegentlich zwischen den Substantiven ›der Glaube‹ und ›das Glauben‹ oder arbeiten produktiv mit Relationsbestimmungen beider Begriffe. Von seiner indogermanischen Wurzel leubh (begehren, lieb haben, für lieb erklären, auch (ge)loben; englisch: belief, believe) her deutet Glaube auf ein freundschaftliches Vertrauen des Menschen der Gottheit gegenüber. So auch das lateinische Verb credere, in dem cor dare (das Herz geben) wiederzuerkennen ist. Glauben hingegen bezeichnet eher das Fürwahrhalten, auch das Vermuten. Die Verortung des Glaubens im Ganzen der Theologie ist mit Bezugnahme auf die klassische Unterscheidung des Glaubens als fides quae creditur oder als fides qua creditur erklärlich. Mit ersterem Begriff wird die Gegenstandsbezogenheit des Glaubens thematisiert, sozusagen die objektive Seite des Glaubens. Sie hat einen klaren und innerhalb der Kirche verbindlichen Ausdruck in Bekenntnissen gefunden, die die Inhalte des Glaubens ansprechen und, wie etwa das Apostolische Glaubensbekenntnis, wesentliche Themen späterer Dogmatiken vorwegnehmen. Diese tragen dann auch Titel wie etwa bei Friedrich Schleiermacher ›Der christliche Glaube‹ oder bei Helmut Thielicke ›Der Evangelische Glaube‹ oder bei Gerhard Ebeling ›Dogmatik des christlichen Glaubens‹, auch wenn in diesen genannten Werken nicht eine Konzentration auf die objektive Seite des Glaubens charakteristisch ist. Es kann demnach das Ganze der evangelischen Theologie unter das Stichwort des Glaubens gefasst werden. Glaube ist ein theologischer Zentralbegriff. Gleichzeitig aber hält der zweite Begriff der fides qua creditur die personale Bezogenheit des Menschen im Glauben auf seinen Gegenstand fest und lenkt den Blick also auf den individuellen Glaubensvoll-

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zug oder die subjektive Seite des Glaubens. So auch in den genannten drei Werken der systematischen Theologie. Auch wenn, wie in jüngeren theologischen Entwürfen, diese verobjektivierende, in geradezu materialen Elementen bestehende Gegenstandsbezogenheit des Glaubens grundsätzlich problematisiert und in Frage gestellt wird, um den Blick ganz auf den subjektiven Glaubensvollzug und das individuelle religiöse Bewusstsein zu richten, fungieren diese materialen Elemente doch auch in diesem Denken als symbolische Medien, auf die sich das glaubende Ich bezieht. Um die Fülle der Aspekte des Glaubensverständnisses einordnen zu können, wird von exegetischer Seite aus die Unterscheidung zwischen doxastischem Fürwahrhalten, fiduzialem Vertrauenschenken und personalem Sichverlassen angeboten. Im Blick auf alle Beiträge dieses Bandes ist eindeutig festzustellen, dass Formen eines doxastischen Fürwahrhaltens in der gegenwärtigen Theologie keine wirkliche Befürwortung mehr finden. Das Interesse liegt eindeutig auf dem individuellen Glaubensvollzug und auf der Subjektivität des Glaubens. Dies ist geradezu die Signatur des modernen Glaubensbegriffs. Christiane Tietz beschreibt mit kritischen Blick dies als neuzeitliche Problematisierung der Gegenstandsbezogenheit des christlichen Glaubens. Die Subjektivierung des Glaubens führe zu einer Verschiebung weg vom Glaubensgegenstand und hin zum Glauben selbst und seinem Vollzugscharakter. Dagegen hatten bereits Bultmann und Barth Einspruch erhoben und auf den Gegenstand des Glaubens verwiesen. Matthias Morgenstern zeigt deutlich, dass auch innerhalb der jüdischen Theologie des 20. Jahrhunderts Glaube ebenfalls überwiegend in persönlichsubjektiven Vertrauensaussagen zum Ausdruck kommt, was auf dem Hintergrund der Erosion der traditionell-halachischen Lebensweise verständlich sei. Eine Orientierung an Glaubensinhalten sei hingegen eher Ausdruck jüdischer Midraschliteratur gewesen, auch im talmudischen Mechanismus oder in mittelalterlicher Halachisierung des Glaubens zu finden. Dies alles habe jedoch bereits im 19. Jahrhundert die Kritik des Reformjudentums auf sich gezogen. Ganz unbeschadet von einer Vernetzung des Themas Glaube mit den theologischen Kontexten darf nicht der Eindruck entstehen, als sei Glaube zu jeder Zeit und in allen theologischen Disziplinen ein gleich gewichtiges, präsentes und grundlegendes Thema gewesen. Dies mag für die neutestamentliche Wissenschaft, die Kirchengeschichte und die Systematische Theologie weithin gelten. Doch bereits der alttestamentliche Beitrag zeigt auf, dass erst in hellenistischer Zeit der

260  Zusammenschau Begriff und die Sache des Glaubens in den Texten begegnen bzw. von Redaktoren in ältere Schriften (Jesaja, Deuteronomistisches Geschichtswerk, Priesterschrift) eingefügt worden sind. Sie setzen ihrerseits das Bündnisverbot der Chronikbücher voraus und lehren jetzt in dem ihnen zugewiesenen Kontext den bedingungslosen Glauben an Gott, der auf jede äußere, in der Regel politische Abstützung verzichtet. Das Thema Glaube hat demnach, wie Christoph Levin im Anschluss an eine Bemerkung Gerhard Ebelings sagt, im Alten Testament einen begrenzten geschichtlichen Ursprungsort und ist nicht allgemeines Element religiöser Sprache. Der religionswissenschaftliche Beitrag von Daniel Cyranka wird dieses Urteil für seine Disziplin bestätigen, da er aufzeigen kann, dass Glaube kein oder ein nur sehr peripheres Thema der Religionswissenschaft ist, was aber auch von der fachspezifischen Aufgabenstellung der Religionswissenschaft her zu erklären ist. Auch Jan Hermelink zeigt auf, dass Glaube innerhalb der Praktischen Theologie einen Ort in der Religionspädagogik, in der Poimenik (Seelsorgelehre) und in der Aszetik (Theorie der Frömmigkeit) hat, in den anderen Handlungsfeldern jedoch eher nicht begegnet, was wiederum ein Blick in führende gegenwärtige Lehrbücher offenlegt. Jan Hermelink formuliert jedoch Bedingungen, die Glauben zwar nicht zum Zentralbegriff der Praktischen Theologie, wohl aber zu einem aufschlussreichen Grund- und Zielbegriff werden lassen können. Praktische Theologie muss hierfür am Begriff des Glaubens die radikale Subjektivität ebenso hervorheben wie die auf Gottes Handeln verweisende Objektivität. Sie muss die Reflexivität des Glaubens ebenso betonen wie die Pluralität anderer religiöser Optionen. Dann jedenfalls kann das Fach wesentliche Optionen seiner Theoriebildung zum Ausdruck bringen. Jan Hermelink regt an, diese Akzente des Glaubensbegriffs in ein gesamttheologisches Gespräch einzubringen und bietet dafür die Praxis des Glaubens als Praxis des Bekennens an. Bereits in den wenigen alttestamentlichen Texten gewinnt Glaube den Charakter des absoluten Vertrauens auf die vorausgehende Zuwendung Gottes. Er wird aber auch in Beziehung zum Gericht Gottes gesetzt, da die Texte von einem Anrechnen des Glaubens im Gericht sprechen. Diese Grundstruktur, nämlich den Glauben als Vertrauen in Gott und als Hilfe im Gericht Gottes zu verstehen, prägt die christliche Theologie. Die setzt ein bei dem Wort Jesu vom Berge versetzenden Glauben über frühchristliche Beispiele aus der Rezeption biblischer Texte (das Vertrauen Abrahams in Gottes Verheißung) bis hin zum

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Verständnis des vertrauensvollen Glaubens an die Gegenwart des erhöhten Herrn bei seiner Gemeinde in den Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium. Diese Grundstruktur prägt aber auch jüdische Theologie des 20. Jahrhunderts, wie Matthias Morgenstern zeigt. Vor allem die Zitierungen von und Anspielungen auf Gen 15,6; Jes 28,16 und Hab 2,4 im Neuen Testament bilden hier eine Brücke für christliche Theologie zum Alten Testament. Gleichwohl ist die enorme Aufweitung der Glaubensthematik, die sich allein schon in der Vielzahl der Belege und der Vielfalt ihrer Verwendungen im Neuen Testament niedergeschlagen hat, bemerkenswert. Da Glaube jetzt im Rahmen der Christusbeziehung und nicht mehr allein in der Gottesbeziehung gedeutet wird, ist der Glaube durch Paulus und Johannes in ein neues Koordinatensystem eingetreten. Glaube wird das Signum der ekklesial gedachten und beschriebenen Christusgemeinschaft und wird gleichzeitig das Signum der individuellen religiösen Ausrichtung. Die Darstellung des Themas Glaube innerhalb der Geschichte der Kirche nimmt in diesem Buch einen vergleichsweise umfangreichen Raum ein. Das ist in der Sache gerechtfertigt, da die gegenwärtige Theologie auf die grundlegenden theologischen Entwürfe der Alten Kirche, der Reformationszeit und des Neuprotestantismus bezogen bleibt und als Evangelische Kirche ihr Selbstverständnis und ihr Profil aus dieser Tradition zieht. Diese vergangenen Entscheidungen sollen nicht konserviert werden, sondern für gegenwärtige Theologie als grundlegende Entwürfe bedacht und bewertet werden. Sie an ihrem historischen Ort zu verstehen und sie interpretierend aneignend für die Gegenwart aufzunehmen, ist immer wieder gefordert. Martin Ohst versteht die Behauptung, dass allein der Glaube rechtfertigt, nicht als ein Exegetenfündlein Luthers, sondern als eine Impulse des Paulus schöpferisch aufnehmende eminente Denkleistung, die das von der vorhergehenden Normaltheologie vorausgesetzte Konvergenzverhältnis zwischen dem Willen Gottes und dem des Menschen grundsätzlich bestreitet. In der reformatorischen Theologie Martin Luthers wurde der Glaubensbegriff folglich neu gefasst und er rückte an einen neuen Ort in der Topographie der denkenden Rechenschaft vom christlichen Glauben. Glaube wird eine Chiffre für Christwerden und Christsein, kein ruhiger Zustand, sondern ein beständiges neues Ergriffenwerden und Angesprochensein.

262  Zusammenschau

Literatur Ebeling, Gerhard: Dogmatik des christlichen Glaubens, 3 Bände, Tübingen 31987 (I); 21982 (II); 21982 (III). Schleiermacher, Friedrich: Der Christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2 Bände, hrsg. v. Martin Redeker, Berlin 71960. Thielicke, Helmut: Der Evangelische Glaube. Grundzüge der Dogmatik, 3 Bände, Tübingen 1968 (I); 1973 (II); 1978 (III).

Autoren Cyranka, Daniel, geb. 1969, ist Professor für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der Theologischen Fakultät der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg. Hermelink, Jan, geb. 1958, ist Professor für Praktische Theologie / Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen. Horn, Friedrich Wilhelm, geb. 1953, ist Professor für Neues Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes GutenbergUniversität Mainz. Levin, Christoph, geb. 1950, ist em. Professor für Altes Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Morgenstern, Matthias, geb. 1959, ist apl. Professor für Religionswissenschaft und Judaistik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls-Universität Tübingen. Ohst, Martin, geb. 1957, ist Professor für Historische und Systematische Theologie an der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal. Tietz, Christiane, geb. 1967, ist Professorin für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Der Bandherausgeber dankt der Autorin und den Autoren für ihre Beiträge. Sein Dank gilt insbesondere Jutta Nennstiel für die redaktionelle Betreuung des Bandes.

Personenregister Abraham  21f., 51, 241 Abrahams, Israel  235 Albo, Josef  246 Ambrosius 80 Anselm von Canterbury  133 Auffarth, Christoph  208 Augustinus  4, 7, 81, 107 Barth, Gerhard  35, 38, 40 Barth, Karl  139, 141, 143, 147, 149, 157, 187 Barthel, Jörg  20f. Ben-Chorin, Schalom  244, 253 Berger, Peter L.  180 Bergunder, Michael  197 Beth, Karl  202 Billerbeck, Paul  236 Bochinger, Christoph  214 Bohne, Gerhard  166 Bonhoeffer, Dietrich  4, 156 Bowker, John  205 Bretfeld, Sven  222 Brumlik, Micha  252 Brunner, Emil  143 Buber, Martin  6, 202, 249 Bultmann, Rudolf  35, 55, 138, 142, 149, 154 Calvin, Johannes  153 Campenhausen, Hans von  73 Cohen, Hermann  6, 247 Dalferth, Ingolf U.  152 Deißmann, Adolf  69 Descartes, René  148

Ebeling, Gerhard  9f.,146, 258 Eliade, Micea  200 Engemann, Wilfried  165 Eyselein, Christian  175 Feuerbach, Ludwig  148 Figl, Johann  6 Fowler, James  168 Frank, Jakob  6, 250 Geaves, Ron  210 Geiger, Abraham  242 Gellert, Christian Fürchtegott 126 Gerhard, Johann  7 Gladigow, Burkhard  6, 213 Gräb, Wilhelm  5, 164, 166, 184 Gregor der Große  100 Gregor von Nazianz  138 Grünschloß, Andreas  219 Haendler, Otto  170 Hamm, Berndt  99, 104, 107 Harnack, Adolf von  67, 77, 80, 94 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  137, 140, 146 Heidegger, Martin  142 Herbst, Michael  175 Herms, Eilert  150 Hirsch, Emanuel  110, 112, 121, 187 Hirsch, Samson Raphael  242 Hock, Klaus  216 Hoffmann, Georg  123 Hofmann, Beate  169f.

266  Personenregister  Holl, Karl  110 Holtzmann, Heinrich Julius  67f., 73

Mose 23 Murken, Sebastian  215 Mutschler, Bernhard  53

Ignatius  71 Irenaeus 76

Nassehi, Armin  181 Nüssel, Friederike  210

Jesus  41, 66 Joas, Hans  182 Josuttis, Manfred  174 Jüngel, Eberhard  33, 138, 146f., 157f.

Origines 77

Kabisch, Richard  166 Kaiser, Otto  11 Kant, Immanuel  133–135 Kierkegaard, Sören  121, 137, 142 Kippenberg, Hans G.  217 Klessmann, Michael  173 Korsch, Dietrich  185 Lanczkowski, Günter  199 Leibowitz, Jeshajahu  6, 248 Lemke, Helga  173 Lessing, Gotthold Ephraim  135 Lévinas, Emanuel  6, 249 Lindemann, Andreas  43 Lombardus, Petrus  7 Lührmann, Dieter  35, 39 Luther, Martin  4, 91, 104, 153, 156 Maimonides  6, 242, 246 Melanchthon, Philipp  123 Mendelssohn, Moses  248 Mensching, Gustav  202 Merz, Annette  44 Meyer-Blanck, Michael  164 Morgenthaler, Christoph  173

Pannenberg, Wolfhart  143 Paulus  45, 67, 84, 86, 91, 107 Pelikan, Jaroslav  200 Pesch, Otto Hermann  204 Pfeiffer, Egon  24 Platon 133 Plutarch 40 Preul, Reiner  164 Rad, Georg von  16 Ratschow, Carl Heinz  199 Rendtorff, Trutz  165 Ritschl, Albrecht  123 Rössler, Dietrich  163f. Rüpke, Jörg  215 Saadja Gaon  242 Schlatter, Adolf  34 Schleiermacher, Friedrich  1, 65, 139, 150, 166, 187 Schließer, Benjamin  35 Schloemann, Martin  119 Schmidt, Martin  126 Schoberth, Ingrid  167 Schröder, Bernd  166, 168 Schulte, Hannelis  146 Schumacher, Thomas  35f., 46, 53 Schwarz, Reinhard  104, 107 Schweitzer, Albert  69 Schwöbel, Christoph  206

Personenregister  267

Seeberg, Reinhold  123 Simplician 86 Smend, Rudolf  22 Sohm, Rudolph  80 Steffensky, Fulbert  176 Stolz, Fritz  6, 212 Strack, Hermann  236 Strecker, Christian  41 Tacke, Helmut  171 Tertullian 76 Theißen, Gerd  69 Thielicke, Helmut  258 Thomas von Aquin  97 Tillich, Paul  150, 152 Tworuschka, Udo  202 Vinzenz von Lerinum  80 Vollenweider, Samuel  67

Waardenburg, Jacques  5, 211 Waldenfels, Hans  203 Wellhausen, Julius  13 Weyel, Birgit  164 Wildberger, Hans  10, 16, 20 Winkler, Klaus  165, 171 Wolter, Michael  47, 51, 53 Wrede, William  66 Würthwein, Ernst  13 Yamaga, Tetsuo   14, 17 Zimmermann, Ruben  56 Zinser, Hartmut  218 Zwi, Sabbatai  6, 250

Sachregister Abendmahl 120 Aberglaube  152, 213 Abhängigkeit 140 Abrahamitische Religionen 206 Aktivität 4 Alleinwirksamkeit Gottes  90 Altprotestantische Orthodoxie 4 Amen 10 Andacht 177 Andachtspraxis  168 Anerkennung 75 Anfechtung 174 Angst  151, 171 Anknüpfungspunkt 143 Anschauung  135, 139 Anthropologie  76, 218 Antinomische Bewegung  187 Antithetischer Begriff  189 Antwort  2, 15f., 27 Antworthaltung 204 Apologetik 39 assensus/assensio  7, 168, 234, 237 Aszetik  5, 165, 175 attritio 100 Auferstehung 137 Aufklärung 6 Aufklärungstheologie 126 Aufrichtigkeit 234 Autorität  74, 81f., 89, 215 Autoritätsglauben 79 Baal Schem Tov  251 Basiskategorie  205, 221

Bedingung 12 Begriff  10, 15 Bekehrung  67, 178 Bekenntnis  5, 39, 157, 174, 192 – Bekenntnisformel  73 – Bekenntnisschriften  233 belief 220 Berufung 87 Beschneidung 47 Beständigkeit 234 Beweis 37 Beziehung  3, 175, 203 Bibel  78, 95 – Bibelarbeit  168 – Bibelkanon  75 – Bibelwort  113 Bildung  78, 97 Bildungsprozess  78, 109 Biographie  173, 178 Biographische Dynamik  191 Bischofsamt  76, 79 Buddhismus  203–205, 219 Bund  26, 237 Bündnisverbot  13, 16, 19, 26 Buße  93, 98, 111f., 125 – Bußritual  99 – Bußsakrament  98f., 111 – Bußverfahren  99, 111 – Bußwesen  98 Chassidim  6, 251 Christentum 206 Christologie 90 Christsein  3, 69, 107 Christusbeziehung 59 Christusglaube  37, 46f., 49

270  Sachregister  Christwerden 107 Chronistisches Geschichtswerk 13 Clemensbrief 77 comparative religion 224 conformitas 157 contritio 100 Corpus Johanneum  73 Credo  171, 219 cultural turn 214 Davidverheißung 12 Definition 58 Demut  88f., 91 Deutscher Protestantismus  210 Dialektische Theologie  4, 141 Diaspora 233 Du-Bezogenheit 202 Ecksteinwort 20 Einheit 164 Einsicht 82 Einzelne, der  5 Empirismus 135 Entscheidung  35, 46 93, 138, 146, 154, 157, 176 Entscheidungsfreiheit 85 Entwicklung 168 Epheserbrief 70 Erbsünde 106 Erez Israel  231 Erfahrung  5, 135, 146, 164, 172, 175, 182, 190, 217 Erfahrungsdynamik 174 Erkennen  3f., 37, 56, 79, 133 Erkenntnis  56, 69, 72, 134 Erkenntnisgewinn 57 Erlösung  83f., 112 Erwachsenentaufe 98 Erwählung 86f.

Ethik  52, 68, 212 Ethischer Monotheismus  248 Etymologie 9 Eucharistie 117 Evangelium  33, 46, 114 Ewiges Leben  106 Exorzistische Formel  44 extra nos 149 faith  200f., 210, 220 Familie  54, 167 Familienrecht 232 Fasten 18 Fegefeuer 102 Feiertagsbestimmungen 232 Festhalten an Gott  27 Festigkeit  10, 16 fides – fides acquisita  95–99, 123 – fides caritate formata 100 – fides explicita  95, 97f. – fides implicita  80, 95–97, 120, 123 – fides informis  100, 123 – fides infusa 97f. – fides mortua  99, 101 – fides qua creditur  7, 147, 149, 258 – fides quae creditur  7, 147, 149, 258 – fides viva 100f. fiducia  7, 124, 168, 181, 234 – Fiduziales Vertrauenschenken 37 – Fiduzialglaube  124 Firmung 93 Freiheit  75, 85, 119, 140 Frömmigkeit  165, 201 Frühmittelalter  4, 92 Fürsorge 42f.

Sachregister  271

Fürwahrhalten  66, 72, 204, 214, 234 Fürwahrhalten, doxastisches 37 Gabe 46 Gebet  177f., 201f. Gebetserhörung 42 Gebot 243 Geduld 71 Gefühl   4, 139f., 172, 215 Gegenüber 203 Gehorsam  78, 89, 157, 170, 201 Geist 46 Geistige Wesen  216 Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre  4, 155 Gemeinschaft 177 Gerechtigkeit  3, 22, 27, 39, 47, 50, 122 Geschichte 144 Geschichtswahrheit 136 Gesetz und Evangelium  118f., 125, 187 Gesetz  39f., 47, 50, 118 Gesetzgebung 248 Gesinnung 163 Gewissen  54, 110, 118f. Gewissenhaftigkeit 234 Gewissheit  4, 10, 42, 47, 150, 178 Glaube – Glaube an Jesus Christus  37, 46 – Glaube Jesu Christi  52 – Glaube, absoluter  151f. – Glaube, Berge versetzender 42 – Glaube, rettender  43 – Glaube, subjektiver  147

– Glaubensakt  246 – Glaubensanalogie  37 – Glaubensaussage  218 – Glaubensbegriff  68, 70, 88, 220 – Glaubensbekenntnis  7, 164, 244 – Glaubensbiographie  179 – Glaubensdienst  37 – Glaubensentscheidung  146 – Glaubensgegenstand  7, 45, 148 – Glaubensgehorsam  37 – Glaubensgemeinschaft  37 – Glaubensgenossen  37 – Glaubensgerechtigkeit  37 – Glaubensgesetz  37 – Glaubensgewissheit  150 – Glaubensinhalt  38, 54, 75, 146, 164, 173, 187 – Glaubenskonzept  199 – Glaubenskurs  169 – Glaubenslehre  1, 165, 188 – Glaubensmaß  37 – Glaubensordnung  79 – Glaubensrede  188 – Glaubensregel  73f., 76 – Glaubenssystem  222 – Glaubensvollzug  7, 149, 259 – Glaubensweitergabe  55 – Glaubenswerk  37 – Glaubenswort  37 – Gläubigkeit  172 Glaubwürdigkeit  37, 234 Gnade 98 Gnade, billige  156 Gnosis  77, 204 Gnostizismus 75 Gott – Gottesbegriff  88, 141

272  Sachregister – Gottesbeziehung  2, 26 – Gotteserkenntnis  84, 146 – Gottesferne  174 – Gottesgedanke  149 – Gottesgericht  22, 27 – Gottesglaube  37, 46 – Gottesverhältnis  106 – Gottheit  200 Götzendienst 77 Grundkategorie 199 Gute, das  106 Halacha 248 Halsstarrigkeit 115 Haltung  38, 57, 201 Häresie 251 Hebräerbrief 57 Heidnische Kulte  77 Heilige Schrift  105, 117 Heiligkeit 164 Heiligung  124, 176 Heilsorakel 15 Hellenismus 40 Hellenistische Kulturwelt  65 Hellenistisches Judentum  40 Herz  150, 172, 177 Hilflosigkeit 83 Himmelfahrt 137 Hinduismus  203, 219 Hirt des Hermas  72 Historisierung 224 Hochmut 115 Hoffnung  52, 89 Homiletik 186 Ich-bin-Worte 56 Ich-Du-Beziehung 151 Idealismus 4 Identität  3, 46 Identitätsmerkmal 59

Imago Dei  143 Immanuel-Weissagung 11 Immanenz 181 Individualität 165 Institution  175, 208 Interreligiöser Dialog  252 Irrlehre  54, 73 Islam  206, 219, 226 Jakobusbrief  50, 71 Johannesbrief, Erster  55 Johannesevangelium 55 Judentum  77, 206, 231 Jüdische Bibel  6 Jüdische Religionsphilosophie 247 Jüdischer Glauben  231f., 235 Jüdisches Volk  231 Juridische Linie  68f., 107 Kabbala 246 Kanon 76 Kategoriale Privilegierung  225 Katholische Wahrheit  95, 97 Katholizität 164 Kennen 234 Kerygma 117 Kirche  74, 79, 88, 125, 147, 204 Kognition 75 Köhlerglaube 80 Kolosserbrief 73 Kommunikation  170, 172, 191 – Kommunikationspraxis  186 – Kommunikationssystem 181 Konfirmandenunterricht 167 Konfirmation 93 Konfliktgeschichte 174 Konversion 169 Koran 200

Sachregister  273

Kraft 33 Land 6 Leben  23, 59 – Lebensdeutung  67, 84, 173 188f. – Lebensdeutungsangebot 188 – Lebensentscheidung  165 – Lebenserfahrung  187 – Lebensführung  67, 80, 84 – Lebenshilfe  172 – Lebenspraxis  75 – Lebensstil  52 – Lebensvollzug  176 – Lebenswende  178 Lehramt 233 Lehre  54, 88, 204 Lehrhausbewegung 168 Leid 173 Leiden Christi  122 Lernbarkeit 168 Lernen 168 – Lernbarkeit  168 – Lernorte  167 – Lernprozess  5, 170 Lexem Glaube  33 Liebe  37, 52, 67, 69, 88f., 91, 101, 116, 121, 246 Lohn 241 Manichäer 81 Märtyrer-Verehrung 72 Mensch, äußerer  157 Mensch, innerer  157 Menschwerdung 137 Messianische Juden  6, 251 Messianismus 252 Messias 250–252 Metaphysik 139

Midrasch 239 Mischna  237, 239 Mission 39 Monotheismus 207 Moral 139 Mystik  68f., 85, 103f., 107, 113, 116, 151, 202, 212, 221, 246 Mystiker 200 Mythos  182, 212 Nachfolge 157 Natürliche Religion  136, 143 Neuprotestantismus 4 Neustil-Phänomenologie 211 New Perspective on Paul 49 notitia  7, 123, 138, 168, 234, 237 Offenbarung  4, 55, 136, 141, 144 Offenbarungsreligion 200 Optionssteigerung 183 Orthopraxie 233 Paradox  137, 154 Passivität 4 Pastoralbriefe  53, 70 Paulus-Rezeption 85 Person 154 Personale Dimension  3 Personales Sichverlassen  37 Pietismus 126 Pirqe Avot  238 Pistis-Formel  3, 44, 59 Platonismus 58 Pluralität 192 Poimenik  5, 170 Polemik 77 Polykarpbrief 72 Prädestination 85

274  Sachregister Praxis  6, 176, 185, 226, 248 Praxisform 182 Prediger 186 Predigt 116f. Priesterschrift 27 prima veritas 96 Protestantisierung 224 Prozessualität 191 Psychologie 171 Psychotherapie  171, 174 Rabbinisches Judentum  6, 236f. Rationalismus 135 Realpräsenz Christi  121 Recht 244 Rechtfertigung  51, 84, 98, 109, 124, 176 Rechtfertigungslehre  48, 112, 123, 185 Reflexivität 192 regula fidei  7, 78f. Reichsorthodoxie 88 Reichssynode 80 Reinheit 75 Reinheitsgebote 47 Relation 147 Religion  4–6, 141–143 – Religionsbegriff  211 – Religionskulturhermeneutik 5 – Religionsgesetzgebung  6 – Religionspädagogik  5, 165f. – Religionsphänomenologie 202 – Religionsphilosophie, jüdische 247 – Religionsphilosophie, mittelalterliche 6

– Religionsphilosophie, moderne jüdische  6 – Religionspsychologie  217 – Religionssoziologie  180, 217 Religiöse Praxis  190 Religiosität  208, 214 res […] mere passiva 153 Rettung 44 Reue 35 Ritual  6, 177, 179, 182, 226 Römisches Reich  65 Sabbat 47 Sabbatbestimmungen 232 Sabbatianer 251 Sabbatianismus 250 Sakrament  113, 116 Säkularisierung 180 Säuglingstaufe  93, 98 Schauen  56, 85 Schlüsselbegriff 2 Scholastik  4, 92, 123 Schöpfung  39, 47 Schrift  56, 116f., 212 Schuld 173 Schule 167 Seele  89, 174 Seelsorge  165, 174 Seelsorgelehre 170 Segen 177 Sehen  37, 56 Sein 151 Selbst – Selbstbewusstsein  1, 139, 141 – Selbstbezug  182 – Selbstdefinition  46 – Selbstdeutung  189 – Selbstverständnis  1, 4, 138, 168

Sachregister   275 Septuaginta 39 Singen 177 Sinn-Balachin 180 Sinnlosigkeit 151 Skepsis 152 sola fide 153 sola gratia 153 Soziale Praxis  190 Speisegebote 47 Speisegesetz 232 Spiritualität  164f., 175, 180, 214 Sprache 46 Sprachentwicklung 36 Sprachfähigkeit 173 Staat Israel  233 Standhaftigkeit 57 Subjektivität  148, 165, 170, 185f., 190, 192, 259 Summe  52, 54 Sünde  94, 104 Symbol  182, 212 Symbolbildung 168 Synergismus 124 System 215 Talmud 237 Tat 154 Taufe  68, 93f., 96, 98, 119f. Taufkurs 169 Text 177 Theologie, deuteronomistische  13, 27 Theologie, dialektische  141 Theologie, spätalttestamentliche 13 Therapie 171 Tora  6, 49, 68, 231, 237, 243 Totalakt 204 Tradition  175, 179

Transformation  69, 111 Transpersonale Macht  174 Transzendenz 181f. Transzendenzbezug 168 Transzendenzverhältnis 215 Treue  10, 23, 37, 234, 237 Treue Gottes  142 Trient, Reformkonzil  154 Trotz 115 Tugend  52, 57, 67, 71f., 90, 94, 100 Tugendethik 54 Überlieferung 174 Überzeugung  5, 163, 175 Übung 176 Unerkennbarkeit Gottes  138 Unglaube  2, 4, 25, 42, 77, 152 Universalismus – Universalgeschichte  144 – Universalie  204, 220 – Universalisierung  205 – Universalität  134 Unterwerfung 35 Unverfügbarkeit Gottes  138 Urbild des Glaubens  51 Urbild 91 Vater des Glaubens  22 Vaticanum I  95 Vaticanum II  96 Verdienst  105, 116 Vergeltung  39, 47 Verhaltensbegriff 204 Verhaltensmotivation 209 Verheißung  2, 15f., 22, 27, 112, 120 Verkündigung 154 Vernunft  82, 92, 134–136, 138–140, 146, 247

276  Sachregister Vernunftswahrheit 136 Versprechen 37 Verstehen  4, 138, 246 Vertrauen  3, 16, 24, 37, 41–43, 66, 147, 150f., 204, 234, 237, 252, 260 – Vertrauensaussage  6 – Vertrauensglaube  124 – Vertrauensverhältnis  7 Verwegenheit 115 Vielstimmigkeit 187 Visionen 101 Volk  6, 249 Vollmacht 66 Vorbild  57, 91, 149, 182

Werke des Gesetzes  37, 49, 84 Werkgerechtigkeit 155 Wiedergeburt 126 Wille  86, 90, 99f. – Wille Gottes  109, 133, 137 – Willensfreiheit  76, 90 – Willensunfreiheit  153 Wirklichkeitsgewissheit 47 Wissen  4, 79, 82, 95, 133, 137, 139, 145 Wort Gottes  121 Wort  56, 172 Wunder  2f. , 23, 27, 37, 55, 101f., 136f. Wunderüberlieferungen 102

Wahrheit  10, 59, 137 Wahrheitssuche 181 Weg 59 Weisheit 33 Weltverständnis  138, 168 Werk  3, 48, 50, 76, 87, 90, 101, 124, 153f., 185, 201, 203

Zorn Gottes  110, 115 Zustimmung 89 Zuverlässigkeit  37, 234 Zuversicht 16 Zweifel  23, 25, 42, 52, 148, 151f., 173f.