Gesundheitsverletzung und Gesundheitsschaden: Ärztliche Verantwortung im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB [1 ed.] 9783428516667, 9783428116669

Ärztliche Behandlungsfehlerhaftung, die Problematik der Beweislastverteilung, der Tatbestand der »Gesundheitsverletzung«

133 53 773KB

German Pages 184 Year 2005

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Gesundheitsverletzung und Gesundheitsschaden: Ärztliche Verantwortung im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB [1 ed.]
 9783428516667, 9783428116669

Citation preview

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 324

Gesundheitsverletzung und Gesundheitsschaden Ärztliche Verantwortung im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

Von Stefanie Heidelk

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

STEFANIE HEIDELK

Gesundheitsverletzung und Gesundheitsschaden

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 324

Gesundheitsverletzung und Gesundheitsschaden Ärztliche Verantwortung im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

Von Stefanie Heidelk

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-11666-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2004 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Bremen als Dissertation angenommen. Bis November 2004 erschienene Rechtsprechung und Literatur konnten in der Veröffentlichung berücksichtigt werden. Zum Gelingen der Arbeit haben viele beigetragen. Durch die Aufnahme in das Doktorandenkolleg „Technisierung, Objektivierung, Ökonomisierung und Verrechtlichung von Behandlungs- und Kommunikationsprozessen in der Medizin“ am Institut für Gesundheits- und Medizinrecht der Universität Bremen (IGMR), wurde mir die inhaltliche und finanzielle Grundlage für meine Dissertation gelegt. Im Rahmen des Doktorrandenkollegs habe ich wertvolle Anregungen und Impulse durch die betreuenden Professoren Dr. Dieter Hart (geschäftsführender Direktor des IGMR), Dr. Reinhard Damm, Dr. Eike Schmidt, Dr. Robert Francke und Dr. Gert Brüggemeier sowie der wissenschaftlichen Assistentin, Frau Dr. Katrin Becker-Schwarze erhalten. Insbesondere bin ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Eike Schmidt für die intensive Betreuung während der gesamten Dauer der Dissertation zu Dank verpflichtet. Er trug wesentlich zur gedanklichen Entwicklung der Arbeit bei. Ohne den anregenden Austausch mit ihm wäre die Vollendung der Arbeit in der vorliegen Fassung nicht möglich gewesen. Eine wertvolle Unterstützung war die Gemeinschaft der Doktoranden am Institut für Gesundheits- und Medizinrecht. Die intensiven fachlichen Diskussionen und die kollegiale Unterstützung haben zum Gelingen der Arbeit wesentlich beigetragen. Bedanken möchte ich mich bei Prof. Dr. Dieter Hart für die Zweitbegutachtung meiner Arbeit. Zu besonderem Dank bin ich meinem Mann Nils Heidelk verpflichtet, der mich während der Dissertationszeit ertragen musste, mir fachlich und menschlich stets zur Seite gestanden hat und gemeinsam mit meiner Mutter, Frau Roswitha Regge, der ich ebenfalls danke, das Manuskript Korrektur gelesen hat. Dem Verlag Duncker & Humblot danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe ,Schriften zum Bürgerlichen Recht’ und die freundliche Betreuung der Veröffentlichung. Bremen, im November 2004

Stefanie Heidelk

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung

13

I. Problemstellung und Konkretisierung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

II. Sachverhaltskonstellation im Arzthaftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

III. Ärztliche Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

1. Die ärztliche „Heilbehandlung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

2. Die ärztliche Behandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

IV. Zivilrechtliches System ärztlicher Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

1. Vertragliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

2. Deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

3. Annäherung der vertraglichen und deliktischen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

4. Verlagerung der Arzthaftung vom Deliktsrecht ins Obligationenrecht . . . . . . . . . . .

26

V. „Gesundheit“ als Schutzgut und potentieller Leistungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

Kapitel 2 Fachübergreifende Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

31

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

1. Der Gesundheitsbegriff der WHO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

2. Der Gesundheitsbegriff in der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

a) Gesundheitsverständnis im Wandel der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

b) Naturwissenschaftliche Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

c) Das biopsychosoziale Gesundheitsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

8

Inhaltsverzeichnis d) praktische Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesundheitsverständnis in der medizinischen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesundheitsbegriff in medizinischen Nachschlagewerken . . . . . . . . . . . . . . cc) Gesundheitsbegriff in medizinischen Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 37 37 38

3. Gesundheitsbegriff aus soziologischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

a) Soziologisch-theoretische Konzeptualisierung nach Parsons . . . . . . . . . . . . . . . .

41

b) Codewerte im Krankenversorgungssystem nach Luhmann . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

c) Medizinsoziologische Theorie von Antonovsky . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

4. Psychologischer Gesundheitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

a) Subjektive Alltagstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

b) Die seelische Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

5. Der Gesundheitsbegriff der Rechtswissenschaft außerhalb des Zivilrechts . . . . . .

48

a) Der verfassungsrechtliche Schutz der „Gesundheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

b) Der Gesundheitsbegriff im Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

c) Der Gesundheitsbegriff im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

II. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

1. „Gesundheit“ als Wertaussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

2. „Gesundheit“ als Abgrenzungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

3. „Gesundheit“ als Funktionsaussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Kapitel 3 Ziviljuristischer Umgang mit dem „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

62

I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

II. Die herkömmliche juristische Vorstellung vom „Gesundheitsverletzungstatbestand“

65

1. Juristische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

2. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

1. Rechtsprechungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

a) BGH 10. 07. 1959 – VI ZR 87 / 58 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

b) BGH 13. 11. 1962 – VI ZR 214 / 61 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

Inhaltsverzeichnis

9

c) BGH 03. 03. 1970 – VI ZR / 68 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

d) LG Regensburg 14. 10. 1971 – 3 O 163 / 71 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

e) OLG Düsseldorf 31. 01. 1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

f) BGH 03. 12. 1985 – IV ZR 106 / 84 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

g) BGH 24. 06. 1986 – VI ZR 21 / 85 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

h) BGH 03. 08. 1988 – VI ZR 201 / 87 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

i) BGH 18. 04. 1989 – VI ZR 221 / 88 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

j) BGH 04. 10. 1994 – VI ZR 205 / 93 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

k) BGH 27. 01. 1998 – VI ZR 339 / 96 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

l) BGH 06. 10. 1998 – VI ZR 239 / 97 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

m) OLG Stuttgart 27. 07. 99 – 14 U 3 / 99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

n) BGH 27. 06. 2000 – VI ZR 201 / 99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

o) Brandenburgisches OLG 14. 11. 2001 – 1 U 12 / 01 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

2. Auswertungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

3. Literaturübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

a) Schrifttum allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

b) Differenzbetrachtung nach Mertens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

aa) Differenzbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

bb) Behandlungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

cc) „Normalerweise“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

4. Stellungnahme / Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

Kapitel 4 Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB und ihre Adäquanz für die Dienstleistungshaftung

94

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

II. Die Konzeption des Generaltatbestandes des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, § 280 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

1. Gegenständlicher Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

a) Leistungsbezogene Pflichten gemäß § 241 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

b) Schutzpflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

10

Inhaltsverzeichnis c) Nichtvertretenmüssen, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

d) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Nicht-Gegenständliche Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Leistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Nichtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Schlechtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 III. Anwendbarkeit der Konzeption des § 280 Abs. 1 BGB auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Arbeitnehmerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Anwaltshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Rechtsnatur des Anwaltsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Haftungsnorm und Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) objektive Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Vertretenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Kausalität und Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Arzthaftung hinsichtlich der Behandlungsfehlerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Diskussionsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Vermutung des Vertretenmüssens gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB . . . . . . . 116 cc) Abgrenzungsversuche von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen . . . . . (1) „Äußere“ und „Innere“ Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Höchstmaß und Normalmaß an Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Änderungen der Sorgfaltsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Entschuldbarer Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118 118 121 125 125

c) Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 aa) Das Pflichtenkonzept bei der ärztlichen Behandlungsfehlerhaftung . . . . 127 bb) Pflichtenkonzept bei der Verletzung von Aufklärungspflichten . . . . . . . . . 130 cc) Pflichtverletzungskonzept bei der Organisationsfehlerhaftung . . . . . . . . . . 131

Inhaltsverzeichnis

11

Kapitel 5 Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB – ein Lösungsansatz

133

I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 II. Haftungsrechtliche Folgen der Pflichtenkonzeption des § 280 Abs. 1 BGB auf die Behandlungsfehlerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 III. Verfassungsrechtliche Grundsätze zur Beweislastverteilung im Behandlungsfehlerbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 IV. Die Beweislastumkehr infolge des Vorliegens eines „groben Behandlungsfehlers“ 138 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Voraussetzungen der Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Das Merkmal „grob“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Die „generelle Eignung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Rechtsfolge der Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4. Begründungsversuch der Beweislastsonderregel durch die h.M. . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5. Kritische Würdigung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Differenzierung zwischen „einfachem“ und „grobem“ Behandlungsfehler . . 144 b) „Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 6. Kritische Würdigung dogmatischer Begründungsversuche der Beweislastsonderregel in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 V. Ein Lösungsansatz zur Umdeutung von § 280 Abs. 1 BGB – de lege lata . . . . . . . . . . 150 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. „Haftungsaufhänger“: Standardwidrige Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Standardfeststellung als Programmierungsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Standardunterschreitung als vom Patienten nachzuweisendes Einzelgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 aa) Darlegung und Beweis eines Behandlungsfehlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 bb) Die Rolle des medizinischen Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 c) „Generelle Eignung“ im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

12

Inhaltsverzeichnis 3. Auslegung von § 280 Abs. 1 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 4. Ergebnis: Lösungsmodell für § 280 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Zusammenfassung / Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

Abkürzungsverzeichnis Die verwendeten Abkürzungen richten sich nach: Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin / New York 1993; Duden, Konrad, Die deutsche Rechtschreibung, 22. Auflage, Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich, 2000.

Kapitel 1

Einführung I. Problemstellung und Konkretisierung des Themas Verletzt der behandelnde Arzt1 die „Gesundheit“ des Patienten, so hat dieser – bei Vorliegen der entsprechenden tatbestandlichen Voraussetzungen – einen deliktischen und / oder vertraglichen Anspruch auf Ersatz des ihm durch die Verletzungshandlung entstandenen Schadens. An dieser Aussage erscheint zunächst nichts Besonderes, da sie den geltenden gesetzlichen Regelungen entspricht und sich in jedem Lehr- und Handbuch zum Arzthaftungsrecht finden lässt.2 Auch gibt es zahlreiche gerichtliche Entscheidungen, durch die Schadensersatzansprüche des Patienten wegen einer „Gesundheitsverletzung“3 zugesprochen oder auch abgewiesen wurden.4 Wer sich mit der Problematik der ärztlichen Einstandspflicht für „Gesundheitsverletzungen“ intensiver beschäftigt, wird allerdings sehr schnell feststellen, dass das Rechtsgut „Gesundheit“, welches ausdrücklich z. B. im Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB und in § 253 Abs. 2 BGB normiert ist5, weder im Rahmen des Arzthaftungsrechts noch an anderer Stelle durch den Gesetzgeber, die Rechtsprechung oder auch die Lehre eine inhaltliche Ausformung erfahren hat. Es stellt sich daher die Frage, was mit dem Rechtsgut „Gesundheit“ in der Arzthaftung geschützt wird und worin eine Verletzung der „Gesundheit“ durch ärztliches Handeln besteht. Zu dieser Problemstellung untersucht die Arbeit zunächst interdisziplinär den Begriff der „Gesundheit“. Anschließend wird anhand einer Rechtsprechungsanalyse der ziviljuristische Umgang mit dem „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht beleuchtet. Hierbei steht die Behandlungsfehlerhaftung im Mittelpunkt der Betrachtung. 1 Im Folgenden steht der besseren Lesbarkeit halber die maskuline Bezeichnung der betreffenden Personen synonym für beide Geschlechter. 2 Vgl. nur Katzenmeier, Arzthaftung, S. 111; Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 103, Rdnr. 4. 3 Die Rechtsprechung spricht allerdings nicht von „Gesundheitsverletzungen“, sondern von „Gesundheitsschäden“ – BGH VersR 1988, 1273 f.; BGH VersR 1986, 1121 ff.; OLG Zweibrücken, OLG-Report Koblenz, Saarbrücken, Zweibrücken 199, 489, 490; OLG Zweibrücken, VersR 1997, 1281, 1282. 4 Siehe Rechtsprechungsübersicht, Kapitel 3 III. 1. 5 Siehe auch § 309 Nr. 7a BGB.

14

Kapitel 1: Einführung

Es werden die Besonderheiten und die damit wiederum verbundenen Schwierigkeiten, die speziell der ärztlichen Behandlungsfehlerhaftung wegen der kaum aufzuklärenden koexistierenden Kausalverläufe – dem durch die fehlerhafte Behandlung des Arztes gesetzten und durch die Eigenart des menschlichen Organismus im Körper des Patienten angelegten – anhaften, aufgezeigt. Bedingt durch diese Aufklärungsprobleme kommt der Beweislastverteilung im Arzthaftungsrecht besondere Bedeutung zu. Sie führt in der Praxis in der Regel dazu, dass derjenige, der die Beweislast trägt, im gerichtlichen Verfahren unterliegt. Als Anspruchsteller ist der Patient grundsätzlich verpflichtet, die Voraussetzungen der jeweiligen Schadenseratznorm zu beweisen, was ihn nicht selten vor erhebliche Probleme stellt. In der Vergangenheit haben sich durch die Rechtsprechung besondere Grundsätze zur Beweislastverteilung herausgebildet, die der Herstellung der Waffengleichheit zwischen Patient und Arzt dienen sollen. Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr sind dem Patienten nach der Formel des BGH bei einem „groben“ Behandlungsfehler zu gewähren, wenn dieser generell geeignet ist, die eingetretene „Gesundheitsverletzung“ beim Patienten verursacht zu haben. Primär das In-Kraft-Treten des Schadensrechtsänderungsgesetzes im Jahre 2002 und in der Folge auch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz haben maßgeblich auf die Strukturen des Arzthaftungsrechts Einfluss genommen. Obwohl im Rahmen der Reformdiskussion immer wieder auf die wachsende Bedeutung des Dienstleistungsrechts hingewiesen wurde, orientieren sich die Regelungen des allgemeinen Schuldrechts, die für Leistungsstörungen im Zusammenhang von Dienstleistungen bzw. bei der Berufshaftung nutzbar gemacht werden können, nicht anders als vor über 100 Jahren bei der Formulierung der ersten Fassung des BGB am Leitbild des Kaufrechts. In den Bundestags- und Bundesratsdrucksachen finden sich im Zusammenhang mit den allgemeinen Leistungsstörungsregeln keine Hinweise auf die Praktikabilität und auf eine gedankliche Prüfung der neuen Norman anhand der Haftung der freien Berufe wie der Arzthaftung. Diese Prüfung wird im Rahmen der Arbeit erfolgen. Es werden insbesondere die Schwierigkeiten erörtert, die mit der Anwendung der Haftungsnorm des § 280 Abs. 1 BGB auf die nicht erfolgsbezogene Dienstleistungshaftung und hier speziell die Arzthaftung bestehen. Vor allem die Regelung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, die Vermutung des Vertretenmüssens, ist dabei von zentralem Interesse. Am Ende der Betrachtung steht ein Vorschlag zu einer neuen Beweislastverteilung im Arzthaftungsrecht, der vor allem dem Gebot des fairen Verfahrens Rechnung trägt und die der alten Rechtslage anhaftende Rechtsunsicherheit beseitigt.

II. Sachverhaltskonstellation im Arzthaftungsrecht

15

II. Sachverhaltskonstellation im Arzthaftungsrecht Zum Verständnis der sich ergebenden Probleme im Zusammenhang mit der Haftung für Verletzungen der „Gesundheit“ im Rahmen der ärztlichen Behandlung ist es wichtig, sich die besondere Sachverhaltskonstellation des Arzthaftungsrechtes vor Augen zu führen, die sich in vielerlei Gesichtspunkten vom übrigen Haftungsrecht unterscheidet. Der Patient begibt sich im Regelfall – und nur dieser soll im Rahmen der Arbeit behandelt werden – erst dann in ärztliche Behandlung, wenn er bereits „erkrankt“ ist6.7 Das hat – geht man von einer binären Gesundheits- / Krankheitsvorstellung aus8- zur Folge, dass der Patient schon beim Einsetzen der ärztlichen Behandlung, nicht mehr „gesund“ war und sich somit die Frage stellt, wie er dann noch an seiner Gesundheit verletzt werden kann.9 Die Aufgabe des Arztes besteht in der Behandlung des Patienten mit dem Ziel die bestehende Grunderkrankung zu beheben, zu lindern oder unter Kontrolle zu halten.10 Hierbei wirkt er auf einen jeweils verschieden reagierenden, regelmäßig durch Krankheit gestörten Organismus ein, ohne selbst bei optimaler Behandlung das Erreichen des Behandlungsziels garantieren zu können.11 Die Gründe liegen einerseits in den biologischen Grenzen, die durch die jeweils verschiedenen Befindlichkeiten des Patienten vorgegeben sind. Hier ist insbesondere an Vorerkrankungen, an den natürlichen Alterungsprozess sowie an die häufig zweifelhafte „natürliche“ Entwicklung eines pathologischen Verlaufs12 zu denken.13 Andererseits ergeben sich Gründe aus den teilweise wenig zu beherrschenden, häufig auch für den Mediziner unvorhersehbaren Reaktionen des mensch6

Abgesehen von den Fällen, in denen sich Patienten z. B. Schönheitsoperationen unterzie-

hen. Zu dem Problem auch Deutsch, VersR 1982, 305. Siehe in Kapitel 2 beispielsweise unter Gliederungspunkt I. 2. c), dass es auch Gesundheits- und Krankheitskonzepte gibt, die von dem binären Model abweichen. 9 Esser / Weyers, Schuldrecht BT Bd. II / 2, § 55 I 1a) der sich mit der Frage beschäftigt, ob eine Verletzung der Gesundheit vorliegt, wenn jemand es verursacht hat, dass ein Mensch bereits als Behinderter oder Kranker geboren wird, und somit das Problem besteht, dass nie ein „Gesunder existiert hat. 10 Matthies, Schiedsinstanzen im Bereich der Arzthaftung, S. 94. 11 Vgl. beispielsweise Wolf / Weihrauch, Internistische Therapie, S. 700 f. zur Therapie der akuten Leukämie; Steffen / Dressler, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 128; Stoll, AcP 176, 145, 156; Kasche, Verlust von Heilungschancen, S. 29; Matthies, Schiedsinstanzen im Bereich der Arzthaftung, S. 96; Graf, Die Beweislast bei Behandlungsfehlern im Arzthaftungsprozess, S. 17. 12 Vgl. Großerichter, Hypothetischer Kausalverlauf und Schadensfeststellung, S. 245. 13 Vgl. Stoll, AcP 176, 145, 156; Bodenburg, Der ärztliche Kunstfehler als Funktionsbegriff zivilrechtlicher Dogmatik, S. 28. 7 8

16

Kapitel 1: Einführung

lichen Organismus,14 dessen biologische und physiologische Reaktionen sich weitgehend den strengen naturgesetzlichen Regeln entziehen.15 Daraus ergibt sich die ständige Konkurrenz mehrerer denkbarer Ursachen: Fehlerhafte ärztliche Behandlung und Fortwirkung der möglicherweise nicht einzudämmenden Grunderkrankung.16 Darüber hinaus ist die durch das Haftungsrecht sanktionierte ärztliche Handlung auf das Abhelfen oder zumindest die Linderung einer Fehlentwicklung gerichtet.17 Der Gesetzgeber hatte hingegen bei der Aufnahme des Rechtsguts „Gesundheit“ in den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB nur Verletzungen vor Augen, die infolge eines Handelns hervorgerufen werden, jedenfalls aber nicht von vornherein auf die Verbesserung eines „Gesundheitszustandes“ abgezielt haben. Die Möglichkeit einer „Gesundheitsverletzung“ als Folge eines ärztlichen Heileingriffes, welcher die Verbesserung des „Gesundheitszustandes“ anstrebt, wurde erklärlicherweise wegen der entgegengesetzten Perspektive des Deliktsrechts – Integritätsschutz anstelle der Leistungsperspektive – nicht bedacht.18

III. Ärztliche Behandlung 1. Die ärztliche „Heilbehandlung“ Im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung werden gerade im Arzthaftungsrecht Begrifflichkeiten wie „Heilbehandlung“ oder auch „Heileingriff“19 verwendet, was den Eindruck vermitteln könnte, ärztliches Handeln sei ausschließlich auf die „Heilung“ i. S. d. Wiederherstellung der „Gesundheit“20 des Patienten gerichtet. Bereits aus der definitorischen Bestimmung des rechtlichen Heilbegriffes ergibt sich aber, dass unter „Heilbehandlung“ alle Eingriffe und therapeutischen Maßnahmen verstanden werden, die am Körper eines Menschen vorgenommen werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder 14 Siehe nur BGH NJW 1984, 661 ff. mit Anm. Taupitz; Matthies, Schiedsinstanzen im Bereich der Arzthaftung, S. 87. 15 vgl. BGH VersR 56, 499; BGH NJW 1980, 1333; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 416; Sick, Beweisrecht im Arzthaftpflichtprozeß, S. 47. 16 Bodenburg, VersR 1980, 996; Kasche, Verlust von Heilungschancen, S. 30; Matthies, Schiedsinstanzen im Bereich der Arzthaftung, S. 95. 17 Deutsch, in: Festschrift für von Caemmerer, S. 329. 18 Zu diesem Problem ausführlich Kapitel 3. 19 Nach ständiger Rechtsprechung wird jeder ärztliche Heileingriff als Körper- verletzung qualifiziert, die lediglich durch die Einwilligung des Patienten ihre Rechtfertigung erfährt – siehe nur Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 103, Rdnr. 5 m. w. N. 20 Zu der Frage, was unter Gesundheit verstanden wird, siehe Gliederungspunkt Kapitel 2.

III. Ärztliche Behandlung

17

zu lindern.21 Der Begriff der „Heilbehandlung“ umfasst somit nicht nur alle medizinischen Maßnahmen, die zur vollständigen Heilung – soweit diese überhaupt möglich ist – führen, sondern auch solche, die der Diagnose einer Erkrankung, deren Linderung oder Stabilisierung dienen. Gerade auch unter dem Aspekt, dass die Entwicklung der modernen Medizin Behandlungen wie kosmetische Operationen, nicht medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche, künstliche Befruchtung und Organentnahmen zum Zwecke der Transplantation ermöglicht hat, bei denen es an einer medizinischen Indikation ebenso wie an einer Heiltendenz fehlt, ist es angezeigt, auf den Zusatz „Heil“ zu verzichten und schlicht von der ärztlichen Behandlung zu sprechen. Aus medizinischer Sicht kann die ärztliche Behandlung grob in zwei Phasen, eine diagnostische und eine therapeutische22, unterteilt werden.23 Die Diagnostik, die sich nochmals in Anamnese24 und Untersuchung des Patienten gliedern lässt, ist der Prozess der Erkenntnis und Analyse der Erkrankung.25 Das Ergebnis der Diagnose entscheidet über die Art der Therapie. Allerdings können selbst erfahrene Ärzte durch Erheben einer Anamnese, welche den wichtigsten Teil der Diagnostik darstellt26, nur in 80% der Fälle eine Krankheit diagnostizieren oder zumindest eine diagnostische Richtung festlegen.27 Ursächlich dafür ist neben der Vielzahl der bekannten Krankheiten – gegenwärtig kennt die naturwissenschaftliche Medizin über 30.00028 – vor allem der Unstand, dass ein und dieselbe Erkrankung bei verschiedenen Patienten unterschiedlich verläuft und auch zu sehr unterschiedlichen Symptomen und subjektiven Beschwerden führen kann.29 Außerdem stützt sich die Diagnose immer auf statistisch 21 Uhlenbruck / Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 52, Rdnr. 1 – wobei sie unter Rdnr. 2 die Frage stellen, ob der Begriff der Heilbehandlung nicht als überholt angesehen werden müsse, da es ihr angesichts der Möglichkeiten der modernen Medizin häufig an einer Heiltendenz fehle. 22 Rechtlich wird der medizinische Behandlungsprozess zur Bestimmung des jeweiligen Behandlungsfehlers in Prävention, Diagnostik, Indikation, Therapie und Nachsorge unterteilt – siehe Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 644; Hart, Arzneimitteltherapie und ärztliche Verantwortung, S. 86; Francke / Hart, Charta der Patientenrechte, S. 34 f. 23 Siegenthaler, Differenzialdiagnose innere Krankheiten, 1.2; Classen / Diehl / Kochsiek, Innere Medizin, 1.2. 24 Anamnese ist die subjektiv, innerliche und vom Patienten und seinen Angehörigen mitgeteilte Vorgeschichte einer akuten Erkrankung (Eigenanamnese), die ergänzt wird durch Krankheitsangaben aus dem Familienbereich (Familienanamnese) – siehe Uhlenbruck / LaufsLauf / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 48, Rdnr. 1. 25 Siegenthaler, Differenzialdiagnose innerer Krankheiten, 1.2; vgl. auch Hart, Arzneimitteltherapie und ärztliche Verantwortung, S. 17. 26 Siehe Uhlenbruck / Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 48, Rdnr. 1. m. w. N. 27 Siegenthaler, Differenzialdiagnose innerer Krankheiten, 1.3. 28 Schwartz / Siegrist / von Troschke, in: Schwartz et. al., Public Health, S. 11. 29 Vgl. beispielsweise die Symptome und Beschwerden bei der Altersosteoporose, in: Classen / Diehl / Kochsiek, Innere Medizin, 15.1.

2 Heidelk

18

Kapitel 1: Einführung

ermittelte Fakten, während die Krankheit eines einzelnen Menschen den Charakter der Einmaligkeit hat30 und Krankheiten geradezu niemals „wie in einem Lehrbuch“ verlaufen.31 Bei der Wahl der Therapie ist der Mediziner verpflichtet, diejenige anzuwenden, welche nach anerkanntem ärztlichen Fachstandard32 zur Behandlung der von ihm diagnostizierten Erkrankung angezeigt ist.33 Ob diese zum erhofften Behandlungsziel führt, kann allerdings nie mit Sicherheit vorausgesehen werden.34 Die Medizin kann vielmehr nur mit dem ihr zur Verfügung stehenden Wissen und den ihr zur Seite stehenden Apparatschaften und Arzneimitteln versuchen, bestmöglich zu behandeln. Schlägt eine gewählte Therapie nicht an oder führt sie nicht zu dem gewünschten Behandlungsziel, wendet der Mediziner in der Regel eine andere Behandlungsmethode an, bei der er am ehesten vom Erreichen des Behandlungsziels ausgehen kann.35 Das angestrebte Behandlungsziel kann sowohl von Krankheit zu Krankheit variieren, als auch vom Stadium der Erkrankung abhängen.36 Die Therapie neuroendokriner Tumore des gastropankreatischen Systems37 beruht beispielsweise, je nach Art und Größe des Tumors, auf sehr unterschiedlichen Behandlungsmethoden mit sehr unterschiedlichen Behandlungszielen:38 Die chirurgische Exzision bei solitären Tumoren hat die Heilung des Patienten zum Behandlungsziel.39 Die medikamentöse, symptomatische Therapie, die bei nicht mehr resezierbaren Tumoren angewendet wird, zielt auf die Kontrolle klinischer Symptome und damit der Erhaltung der „Lebensqualität“ 40 ab.41 Die antiproliferative Therapie bei Lebermetastasen dient der Kontrolle des Tumorwachstums und soll damit zur Verlängerung der Lebenserwartung führen.42 Siegenthaler, Differenzialdiagnose innerer Krankheiten, 1.2. Classen / Diehl / Kochsiek, Innere Medizin, 1.2. 32 Der Standardbegriff, der in der Medizin und in der Rechtswissenschaft relativ unbestimmt ist, wird häufig folgendermaßen beschrieben: „Standard in der Medizin repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat.“ – vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 279; Hart, MedR 1998, 8. 33 Vgl. nur Hart, Jura 2000, 14 ff. u. 64 ff., 64; Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 61 f.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 278 ff. m. w. N. 34 Matthies, Schiedsinstanzen im Bereich der Arzthaftung, S. 96. 35 Beispielsweise in der Krebstherapie müssen häufig unterschiedliche Therapiekonzepte ausprobiert werden ! siehe hierzu Wolff / Weihrauch, Internistische Therapie, 699 ff. 36 Beispielsweise Wolff / Weihrauch, Internistische Therapie; Classen / Diehl / Kochsiek, Innere Medizin; König / Reinhardt / Schuster, Kompendium der praktischen Medizin. 37 Tumore, die den Bereich des Margen-, Darmtrakts betreffen – vgl. Pschyrembel Stichwort: gastrointestinal. 38 Spitzweg / Gölke, Der Internist, 219 – siehe insbesondere Schaubild auf Seite 222. 39 Spitzweg / Gölke, Der Internist, 219, 220, 222. 40 Wenn auch unklar ist, was hier unter Lebensqualität verstanden wird. 41 Spitzweg / Gölke, Der Internist, 219, 220, 222. 30 31

III. Ärztliche Behandlung

19

Festzuhalten ist daher, dass Behandlungsziele bzw. angestrebte Behandlungserfolge nicht ausschließlich in der Heilung der Patienten bestehen – kurative Erfolge sind im Gegenteil sogar nur in Einzelfällen möglich –, sondern als Behandlungserfolge grob in folgende Fallgruppen untergliedert werden können: a) Heilung / Verbesserung des bestehenden Zustandes; b) Erhaltung des bestehenden Zustandes; c) Reduzierung der unausweichlichen Verschlechterung. Beispielhaft für die Fallgruppe a) sind neben den oben genannten solitären Tumoren Erkrankungen wie bakterielle Infektionen und Sehstörungen in Form von Strabismus43 bei Kindern zu nennen. Unter die Fallgruppe b) fallen Herzkranzgefäßerkrankungen, die durch Einsetzen einer künstlichen Herzklappe oder durch Legen eines Bypasses behandelt werden können. Erkrankungen wie Parkinson, MS, Osteoporose oder Diabetes können beispielhaft für die dritte Fallgruppe genannt werden. Mit Hilfe einer richtigen Therapie können zwar die Erkrankungen nicht geheilt werden, aber zumindest kann das Voranschreiten der jeweiligen Erkrankung verlangsamt oder können zumindest die Schmerzen gelindert werden.44 2. Die ärztliche Behandlungspflicht Im Rahmen der zivilrechtlichen Vertragsfreiheit steht es dem Arzt frei, eine von ihm erbetene Behandlung zu übernehmen oder abzulehnen.45 Ist eine Behandlungsübernahme erfolgt, besteht für den Arzt die Pflicht, die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen vorzunehmen, für deren Unterlassen er ebenso wie für sein Tun einzustehen hat.46 Die Behandlungspflicht umfasst allerdings nur die Pflicht, „lege artis“ zu handeln, nicht aber einen vom Patienten gewünschten oder erwarteten Behandlungserfolg47 zu erzielen.48 Denn unabhängig von der zu behandelnden Erkrankung kann die ärztliche, lege artis durchgeführte Behandlung, nie mit Sicherheit zum Erfolg führen, sondern im Einzelfall der Behandlungserfolg – aus welchen Gründen aus immer – ausbleiben, selbst wenn die statistische Wahrscheinlichkeit eines Behandlungserfolges hoch ist. Das vom Arzt durch die Behandlung übernommene „Krankheitsrisiko“ des Patienten soll nicht zum „Arztrisiko“ werden.49 Spitzweg / Gölke, Der Internist 219, 220, 222. Pschyrembel, Stichwort: Strabismus – bedeutet Schielen. 44 Vgl. König / Reinhardt / Schuster, Kompendium der praktischen Medizin, 2000 – wo Therapien der einzelnen Erkrankungen mit den jeweiligen Therapiezielen dargestellt werden. 45 Uhlenbruck / Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 52, Rdnr. 4. 46 Uhlenbruck / Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 52, Rdnr. 4. 47 Unbelassen bleibt den Parteien natürlich, einen solchen ausdrücklich zu vereinbaren. 48 OLG Karlsruhe VersR 1996, 62; Müko-Mertens, § 823, Rdnr. 403; Steffen / Dressler, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 128; Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, S. 35. 49 Vgl. nur Steffen / Dressler, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 128. 42 43

2*

20

Kapitel 1: Einführung

Selbst im aussichtslosen Stadium der Krankheit ist der Arzt gehalten, die Behandlung, etwa in palliativer Form, fortzusetzen.50 Zwar hat er gemäß § 627 Abs. 1 BGB wegen seiner vertraglichen Vertrauensstellung ein Kündigungsrecht, doch muss er erst die anderweitige Fortsetzung der Behandlung des Patienten sicherstellen. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht die Pflicht zur weiteren Behandlung des Patienten fort.

IV. Zivilrechtliches System ärztlicher Haftung Spezielle Vorschriften zur Regelung der zivilrechtlichen Arzthaftung kennt das deutsche Recht nicht. Erwägungen51 zur Aufnahme eines medizinischen Behandlungsvertrages als eigenständigen Vertragstypus in das BGB wurden durch den Gesetzgeber im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung 2002 nicht umgesetzt, so dass die Beurteilung der Einstandspflicht des Arztes auch zukünftig auf der Grundlage der allgemeinen Vorschriften erfolgt. Als Haftungsgrundlagen kommen sowohl Ansprüche aus dem Arztvertrag als auch aus unerlaubter Handlung in Betracht. Beide Haftungsordnungen basieren vom Grundsatz her auf unterschiedlichen Prinzipien.52 Während der Vertrag als willensbezogene Verfassung einer Austausch- und Kooperationsbeziehung zwischen Arzt und Patient grundsätzlich selbstbestimmte, vereinbarte Leistungs- und Konfliktregeln enthält53 und die Sorgfaltspflichten gegenüber dem Vertragspartner insoweit darauf beruhen, dass der Pflichtige eine bestimmte Verbindlichkeit freiwillig, privatautonom und mit dem Ziel der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung übernommen hat54, nimmt das Recht der unerlaubten Handlungen, unabhängig vom Parteiwillen, die Integritätsschutzfunktion wahr. Zu diesem Zweck hält es fremdbestimmte, allgemeine Rechtsregeln guter Berufsausübung durch den Arzt bereit.55 Die Sorgfaltspflichten, die potentiell gegenüber jedermann bestehen, ihren Sinn im Schutz der Rechtsgüter Dritter und ihren Grund in der allgemeinen Rechtsordnung finden, beruhen hier schlicht auf der Teilnahme am allgemeinen Verkehr.56 Deutsch, MedR 2001, 435. Deutsch / Geigel, Medizinischer Behandlungsvertrag, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 1049 ff.; Schreiber, Handlungsbedarf für den Gesetzgeber?, in: Laufs / Dierks / Wienke / Graf-Baumann / Hirsch, S. 342, 344 ff. – Die Autoren befürworteten die Aufnahme des Behandlungsvertrages in das BGB. a.A. Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1072; ders., Arzthaftung, S. 30 ff., 35 ff. – mit der Argumentation, dass eine Normierung auch immer Festschreibung eines bestimmten Status quo bedeuten würde, die einer künftigen Entwicklung der Arzthaftung im Wege stehen könnte. 52 Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 80 m. w. N. 53 Francke / Hart, Ärztliche Verantwortung und Patienteninformation, S. 1. 54 Huber, in: Festschrift für E. R. Huber, 253, 260. 55 Francke / Hart, Ärztliche Verantwortung und Patienteninformation, S. 1. 56 Huber, in: Festschrift für E. R. Huber, 253, 260: Die Sorgfaltspflicht zielt also auf das „neminem laedere“. 50 51

IV. Zivilrechtliches System ärztlicher Haftung

21

Im Zuge der Schuldrechtsreform wurde durch § 241 Abs. 2 BGB nunmehr neben der Leistungs- auch die Schutzperspektive ausdrücklich ins vertragliche Obligationenrecht transferiert,57 so dass die in der Vergangenheit vorgenommene Differenzierung des Vertragsrechts als leistungsorientiert und dem Deliktsrecht als verletzungsnegierend nicht weiter zutreffend ist.58 Vielmehr bestehen nunmehr auch in den vertraglichen Schuldverhältnissen Schutzpflichten zur Wahrung des Integritätsinteresses des anderen Teils, d. h. seines persönlichen- und vermögensrechtlichen Status quo.59 Vertragliche und deliktische Haftung kommen nach dem Grundsatz der Anspruchskonkurrenz nebeneinander zur Anwendung.60 Nach der alten Rechtslage war dies in verschiedenen Punkten bedeutsam: Allein das Deliktsrecht gewährte Schmerzensgeld für immaterielle Schäden gemäß § 847 BGB a.F. und Ersatz für Unterhaltsverlust bei Tod gemäß § 844 BGB. Die Verjährungsfrist divergierte zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen: Bei Ersteren betrug sie gemäß § 195 BGB a.F. 30 Jahre, bei Letzteren nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. drei Jahre ab Kenntnis des Geschädigten vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen. Bei der Gehilfenhaftung, die sich deliktsrechtlich nach § 831 Abs. 1 BGB richtet, besteht gegenüber dem Vertragsrecht (§ 278 BGB) die Möglichkeit für den Arzt, sich zu exculpieren. Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz61 und das Schadensrechtsänderungsgesetz62 sind hier wesentliche Änderungen eingetreten, die im Rahmen der Arbeit eingehend aufgezeigt und bearbeitet werden. Die vertragliche Haftungsgrundlage ist seit In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts durch § 280 Abs. 1 BGB gesetzlich normiert, die deliktische Haftung richtet sich nach §§ 823 ff. BGB. 1. Vertragliche Haftung Die vertragliche Haftung richtet sich nach § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB.63 Voraussetzung ist ein zwischen dem behandelnden Arzt bzw. Ausführlich dazu Kapitel 4 II. 1. b). Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 4. 59 Palandt-Heinrichs, § 241, Rdnr. 6; Canaris, JZ 2001, 499, 512; Mattheus, JuS 2002, 209 ff., 211; Lorenz / Riehm, Schuldrecht, Rdnr. 356; Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 160 f. 60 Vgl. nur Müko-Mertens vor §§ 823 – 853, Rdnr. 29 m. w. N. 61 In-Kraft-getreten am 01. 01. 2002 – BGBl. 2001, S. 3138. 62 In-Kraft-getreten am 01. 08. 2002 – BGBl. 2002, S. 2674. 63 Nach der alten Rechtslage ergab sich die vertragliche Haftung aus dem geschlossenen Behandlungsvertrage i.V.m. den nicht normierten Voraussetzungen der positiven Vertragsverletzung. 57 58

22

Kapitel 1: Einführung

einem Krankenhausträger und dem Patienten in aller Regel geschlossener Behandlungsvertrag64 sowie ein Behandlungsfehler, der kausal eine „Gesundheitsverletzung“ beim Patienten verursacht haben muss.65 Der Behandlungsvertrag kann sowohl durch ausdrückliche – mündliche oder schriftliche – Vereinbarung als auch durch konkludentes Verhalten66 der Parteien zustande kommen. Es kommt auch nicht darauf an, ob es sich um Privat- oder Kassenpatienten handelt; nach ganz h.M. Meinung bestehen ebenso wie zwischen dem Arzt / Krankenhausträger und dem Privatpatienten auch zwischen dem Arzt / Krankhausträger und dem Kassenpatienten unmittelbare vertragliche Beziehungen.67 Bei der Vertragsform (Dienstvertrag nach § 611 BGB oder Werkvertrag nach § 631 BGB) geht die weitaus überwiegende Rechtsprechungs- und Literaturmeinung von einem Dienstvertrag aus.68 Ein Werkvertrag wird von einer Mindermeinung vor allem bei bestimmten Operationen, wie der Entfernung des Blinddarms, der Sterilisation oder der Amputation eines Körperteils angenommen.69 Allerdings scheint es keinen ersichtlichen Grund zu geben, weshalb ein Chirurg – anders als der Internist – dem Patienten den Erfolg und nicht lediglich die Durchführung des Eingriffs nach medizinischem Standard schulden soll. Eine Erfolgsgarantie würde vom Arzt Unmögliches verlangen, da die Behandlung einer Krankheit, wozu beispielsweise auch die chirurgische Entfernung eines erkrankten Blinddarms gehört, wie oben aufgezeigt, nicht mit Sicherheit zum Erfolg führt.70 Auch der auf eine prothetische Behandlung gerichtete Vertrag wird – bis auf die technische Anfertigung der Prothese, die allein dem Werkvertragsrecht unterliegt – grundsätzlich als Dienstvertrag angesehen.71 Aus diesem schuldet der Arzt regelmäßig nur die

64 Wenn beispielsweise in Not- oder Sondersituationen ein wirksamer Vertrag zwischen Arzt und Patient nicht zustande kommt, kann auf quasivertragliche Rechtsverhältnisse, insb. die Geschäftsführung ohne Auftrag zurückzugreifen sein – siehe dazu Katzenmeier, Arzthaftung, S. 109 ff. 65 Siehe eingehend zur strukturellen Konzeption des § 280 Abs. 1 BGB und den Anwendungsschwierigkeiten auf die allgemeine Dienstleistungshaftung, insb. auf die Arzthaftung, Kapitel 4 und 5. 66 Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, S. 13 – „dadurch, dass sich der Patient bei einem Arzt in Behandlung begibt und der Arzt die Behandlung übernimmt.“ 67 Siehe nur BGHZ 85, 327 ff., 332; BGHZ 97, 273 ff., 276; Giesen, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 5 m. w. N. 68 Vgl. nur BGHZ 63, 306 ff., 309; BGHZ 76, 249 ff., 261; BGHZ 97, 273; OLG Köln VersR 1988, 1049; Palandt-Putzo, Einf. vor § 611 BGB, Rdnr. 18; RGRK-Nüßgens, § 823, Anh II, Rdnr. 11; MüKo- Müller-Glöge, § 611, Rdnr. 44 – 48; Esser-Weyers, Schuldrecht II, § 27 II 3 d; Larenz, Schuldrecht I, § 52 I, Fikentscher, Schuldrecht, § 79 I 1 a; Erman-Hanau, § 611 BGB Rdnr. 47. 69 Staudinger-Ricardi, Vorbem zu §§ 611 ff., Rdnr. 53 f. 70 Siehe unter Gliederungspunkt Kapitel 1 III. 1. 71 Siehe nur OLG Karlsruhe VersR 1996, 62 f.

IV. Zivilrechtliches System ärztlicher Haftung

23

sachgerechte Behandlung des Patienten, nicht aber den gewünschten Erfolg.72 Bei der Vertragsform ist somit insgesamt von einem Dienstvertrag auszugehen. 2. Deliktische Haftung Die deliktische Haftung des Arztes richtet sich, ohne Rücksicht auf das Vorliegen eines Behandlungsvertrages, nach den Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB73, wonach ein Haftungsanspruch dem Grunde nach gegeben ist, wenn eine Verletzung der ausdrücklich im Tatbestand genannten Rechte und Rechtsgüter, zu denen auch die Gesundheit gehört, vorliegt.74 Der Gesetzgeber hat sich ganz bewusst gegen eine, wie im französischen Recht verwandte, Generalklausel entschieden.75 Nur derjenige, dessen Interessen besonders schutzwürdig erschienen, sollte Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen können.76 Dadurch ist der Ersatz reiner Vermögensschäden ausgeschlossen worden. Die Durchführung des Tatbestandsgedankens bereitet allerdings im Einzelfall und insbesondere in der Arzthaftung Schwierigkeiten. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass das Rechtsgut „Gesundheit“ klar konturiert ist und es der Rechtsprechung keine Probleme bereiten würde, es inhaltlich, wie die übrigen genannten Rechtsgüter auch, auszugestalten.77 Eine solche Ausgestaltung ist jedoch weder im Arzthaftungsrecht noch an anderer Stelle erfolgt.78 Worin eine Verletzung der „Gesundheit“ durch ärztliches Handeln besteht, d. h. was Rechtssprechung und Lehre an dieser Stelle prüfen oder auch nicht prüfen, wird im Kapitel 3 Gegenstand einer eingehenden Untersuchung sein. 72 OLG Karlsruhe VersR 1996, 62 f.; Geigel-Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozeß, Rdnr. 212. 73 Daneben kommt noch die Krankenhausträgerhaftung für Fehler von Organen gemäß § 823 I i.V.m. §§ 31, 89 BGB, die Haftung für beamtete Organe gemäß § 839 I BGB i.V.m. §§ 31, 89 BGB und die Haftung für Fehler des sonstigen – auch beamteten-ärztlichen und nicht-ärztlichen Personals nach § 831 BGB in Betracht. Da es auf diese Unterscheidung für die, im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchende Problematik, nicht ankommt, wird im Folgenden nur auf § 823 I BGB abgestellt. 74 Kötz / Wagner, Deliktsrecht, Rdnr. 47. 75 Hierzu Kötz / Wagner, Deliktsrecht, Rdnr. 42. 76 Hierzu Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 34 I. 77 Eine Legaldefinition von „Gesundheit“ gibt es, obwohl „Gesundheit“ in verschiedenen zivilrechtlichen Vorschriften, wie §§ 823 Abs. 1 BGB, 847 Abs. 1 BGB, 1 ProdHaftG, 1 AMG, 84 Abs. 1 AMG und seit 01. 08. 02 auch in § 253 II BGB erwähnt wird, nicht. Gleiches gilt für die Rechtsgüter Leben und Körper. 78 Vgl. Möllers, Haftungsrecht, S. 40 ff. – der sich mit dem Gesundheitsbegriff im Zivilund Umweltrecht zu beschäftigen, aber letztendlich über eine Wiedergabe des Gesundheitsbegriffs der WHO nicht hinauskommt, um dann alle erheblichen Störungen des körperlichen und geistigen oder seelischen Befindens als Gesundheitsverletzung zu qualifizieren.

24

Kapitel 1: Einführung

3. Annäherung der vertraglichen und deliktischen Haftung Die Zweispurigkeit der Haftung war in der bisherigen praktischen Rechtsanwendung von geringerem Gewicht, als dies nach dem oben gesagten zunächst den Anschein haben mag. Die Rechtsprechung versuchte bereits seit längerem, die entscheidenden Fragen in der Arzthaftung im Vertrags- und Deliktsrecht weitgehend homogen zu lösen. Der Unterschied zwischen der Gehilfenhaftung nach § 278 BGB und § 831 Abs. 1 BGB hat sich in der Rechtspraxis kaum ausgewirkt. Die Gerichte haben den Entlastungsbeweis gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB durch immer höhere Anforderungen wesentlich erschwert, so dass im Arzthaftungsrecht der Nachweis nur noch selten gelingen konnte.79 Im Ergebnis wurden die verschiedenen Einstandspflichten für Hilfspersonen damit einander angeglichen.80 Hinsichtlich der Anforderungen an die vertraglichen und deliktischen „Sorgfaltspflichten“ ist die Rechtsprechung sogar noch einen Schritt weiter gegangen: Diejenigen Sorgfaltspflichten, die aus dem Behandlungsvertrag erwachsen, sah sie als deckungsgleich mit deliktischen Sorgfaltsanforderungen an, die dem Arzt aufgrund seiner Garantenstellung für die übernommene Behandlungsaufgabe obliegen.81 Begründet wurde die Vereinheitlichung damit, dass sich die Sorgfaltspflichten jeweils auf eine den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Versorgung des Patienten mit dem Ziel, so wörtliche Rechtsprechung und Lehre, „des Schutzes der Gesundheit bzw. der Wiederherstellung der körperlichen und gesundheitlichen Integrität,“82 richten. Dadurch verliere der strukturelle Unterschied zwischen vertraglichen Obligationen und deliktischen Verhaltenspflichten an Bedeutung. Der Schutz von Leben und Gesundheit, also die Sicherheit des Patienten, sei daher auch Gegenstand der vertraglichen Hauptleistungspflicht.83 Interessant ist an dieser Stelle, dass die Sorgfaltspflichten auch im Vertragsrecht ganz selbstverständlich auf den Schutz der „Gesundheit“ bezogen worden sind.84 Siehe nur Katzenmeier, Arzthaftung, S. 133 m. w. N. Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 97, Rdnr. 12. 81 BGH NJW 1985, 2749; BGH VersR 1988, 1273 f.; BGH NJW 1989, 767 f.; BGH NJW 1991, 2960; vgl. ebenfalls Steffen / Dressler, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 3; Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 97, Rdnr. 11; Giesen, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 4; Bodenburg, Der ärztliche Kunstfehler als Funktionsbegriff zivilrechtlicher Dogmatik, S. 9; WeberSteinhaus, Ärztliche Berufshaftung als Sonderdeliktsrecht, S. 6; Frahm / Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 62. 82 BGH NJW 1989, 767, 768; Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 97 Rdnr. 11. 83 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 82. 84 BGH NJW 1986, 1121 ff.; Frahm / Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 63. 79 80

IV. Zivilrechtliches System ärztlicher Haftung

25

In einer Entscheidung des BGH vom 24. 06. 198685 heißt es dazu: „Die vertragliche Haftung des Arztes für Behandlungsfehler knüpft an die Verletzung von Verhaltenspflichten an, die in gleicher Weise und mit demselben Inhalt auf den Schutz der Gesundheit des Patienten bezogen sind wie die Pflichten, deren Verletzung zur deliktischen Arzthaftung führen.86 Was geschützt werden soll, bleibt allerdings völlig unklar, da niemand sich dazu äußert, was unter dem „Gesundheitsbegriff“ zu verstehen ist. Im Zusammenhang mit der Argumentation der strukturgleichen Sorgfaltspflichten führt die Rechtsprechung aus, sie sehe auch den Haftungsgrund im Delikts- und Vertragsrecht als identisch an. Verwirklicht sei dieser erst mit Eintritt der Verletzung eines der durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter87, und nicht, wie von einigen Stimmen in der Literatur88 vertreten, bereits mit Begehung eines Behandlungsfehlers. Zur Begründung führt der BGH aus, das Deliktsrecht sehe den Schutz von Rechtsgütern und die Sanktion des Schadensersatzes nur für den Fall der Verletzung eines individuellen Rechtsgutes vor.89 Dies müsse auch für die Ansprüche aus verletzten vertraglichen oder nachvertraglichen Pflichten gelten, da eine Differenzierung zwischen Vertrag und Delikt zu unhaltbaren Ergebnissen führen würde.90 Dies bedeutet aber auch, dass der BGH die positive Feststellung einer Rechtsgutverletzung, d. h. im Arzthaftungsrecht in der Regel einer „Gesundheitsverletzung“, als Voraussetzung für einen Anspruch auf Schadensersatz verlangt. Um so verwunderlicher ist es, dass der BGH eine ausdrückliche Prüfung, wann eine Verletzung der „Gesundheit“ vorliegt, im Arzthaftungsrecht mit Ausnahme der Fälle91, in denen sie als Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand nachteilig abweichenden Befindens definiert werden kann, nicht vornimmt.92 Eine Angleichung von Vertrags- und Deliktsrecht ist darüber hinaus bei den Kausalitätsanforderungen erfolgt.93 Wurde früher im Vertragsrecht der Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Verschlechterung des Krankheitsverlaufes der haftungsausfüllenden Kausalität zugerechnet, so wird heute von der Rechtsprechung, in Anlehnung an das Deliktsrecht, die Auffassung vertreten, die haftungsbegründende Kausalität betreffe den Ursachenzusammenhang zwiBGH VersR 1986, 1121, 1123. Siehe auch Rechtsprechungsübersicht, Kapitel 3 III. g). 87 BGH NJW 1987, 705, 706. 88 Deutsch, in: Festschrift für von Caemmerer, S. 329. 89 Vgl. nur BGH NJW 1987, 705. 90 BGH NJW 1987, 705, 706. 91 Vgl. beispielsweise BGHZ 114, 284 – HIV-Entscheidung. 92 Siehe hierzu die Rechtsprechungsübersicht in Kapitel 3 III. und vgl. auch Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung als Sonderdeliktsrecht, S. 35; Wendt, Die ärztliche Dokumentation, S. 144. 93 Steffen / Dressler, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 514; Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Einl. Rdnr. 2. 85 86

26

Kapitel 1: Einführung

schen Behandlungsfehler und Rechtsgutverletzung, wohingegen die haftungsausfüllende den Zusammenhang zwischen Rechtsgutverletzung und Schaden beschreibe.94 Die weitgehende Gleichbehandlung vertraglicher und deliktischer Ansprüche in der Arzthaftung wird insbesondere bei der Lektüre gerichtlicher Entscheidungen deutlich. In den Entscheidungsgründen wird in den allermeisten Fällen eine Unterscheidung zwischen Delikts- und Vertragsrecht nicht vorgenommen. Bei stattgebenden Urteilen hinsichtlich materieller Schadensersatzansprüche heißt es in aller Regel schlicht, der Beklagte sei dem Kläger grundsätzlich sowohl vertraglich als auch deliktisch zum Schadensersatz verpflichtet.95 Eine weitergehende Differenzierung erfolgt lediglich bei den Entscheidungen, die immateriellen Schadensersatz zusprechen, jedoch auch nur insoweit, dass § 847 BGB als Anspruchsnorm genannt wird.

4. Verlagerung der Arzthaftung vom Deliktsrecht ins Obligationenrecht Die Regelungen des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts96 und des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schadensrechtes97 greifen tief in die Strukturen des ärztlichen Haftungssystems ein. Sie werden auf die zukünftige Entwicklung des Arzthaftungsrechts großen Einfluss haben. Die Gewährung von Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB für Vertragsverletzungen wird zu einer dogmatischen Verlagerung des Haftungsrechts vom Deliktsrecht zum Obligationenrecht führen.98 Gründe hierfür bestehen in der unbedingten Einstandspflicht für Hilfspersonen99 und der Vermutung des Vertretenmüssens des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Allerdings wird im Zusammenhang mit letzterem noch eingehend zu untersuchen sein, ob die Beweislastumkehr überhaupt auf das Arzthaftungsrecht Anwendung findet – dies ist in der Literatur umstritten100 – und wenn ja, welche Auswirkungen 94

BGH VersR 1986, 1121 ff. – mit dieser Entscheidung hat der BGH seine Ansicht geän-

dert. 95 Vgl. nur BGH VersR 1988, 1273; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 84 wörtlich: “ Auch wenn die Rechtsprechung in den zu entscheidenden Fällen noch beide Haftungsordnungen nennt, geht sie doch kaum einmal auf die Besonderheiten der vertraglichen Beziehung ein. Die Verletzung von Vertragspflichten erscheint bei der Haftung gleichsam nur als leeres Anhängsel ohne selbstständige Bedeutung.“ 96 In-Kraft-getreten am 01. 01. 2002 – BGBl 2001, S. 3138. 97 In-Kraft-getreten am 01. 08. 2002 – BGBl 2002, S. 2674. 98 Wagner, NJW 2002, 2049 ff., 255; Spickhoff, NJW 2002, 2530 ff., 2532; Deutsch, JZ 2002, 588 ff., 592; Lippert, GesR 2002, 41. 99 Für das Deliktsrecht besteht auch weiterhin, zumindest die theoretische Möglichkeit des Arztes gemäß § 831 BGB sich zu exkulpieren. 100 Katzenmeier, VersR 2002, 1066 ff.; Spickhoff, NJW 2002, 2530 ff.; Deutsch, JZ 2002, 588, 590 ff.

IV. Zivilrechtliches System ärztlicher Haftung

27

eine solche Beweislastumkehr für das Arzthaftungsrecht hätte.101 In diesem Zusammenhang taucht die – wegen der insoweit gegensätzlichen Beweislastverteilung – zu behandelnde Frage auf, ob das Vertretenmüssen von der Pflichtverletzung differenziert werden kann.102 Von entscheidender Bedeutung ist die Einführung von § 253 Abs. 2 BGB103, einem allgemeinen Anspruch auf Schmerzensgeld, der an die Stelle von § 847 BGB a.F. getreten ist.104 Danach kann nunmehr eine billige Entschädigung in Geld nicht nur aus deliktischen Ansprüchen gewährt werden, sondern auch bei vertraglichen Pflichtverletzungen. Zusätzliche Voraussetzung ist, dass Körper, Gesundheit, Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung verletzt sind. Keine Erwähnung findet das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Tatbestand des § 253 Abs. 2 BGB. Dies könnte vor dem Hintergrund, dass die h.M. in der Literatur105 bei unzureichender Aufklärung bzw. eigenmächtiger ärztlicher Behandlung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung annimmt106, dazu führen, dass ein vertraglicher Schmerzensgeldanspruch bei solchen Verletzungen zukünftig nur unter großen interpretatorischen Anstrengungen oder sogar gar nicht gewährt werden kann.107 In der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung heißt es dazu, der Gesetzgeber habe keinen Anlass zu einer ausdrücklichen Einbeziehung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in § 253 Abs. 2 BGB gesehen, weil der Anspruch bei dessen Verletzung seine Grundlage ohnehin nicht in § 847 BGB a.F. habe, sondern ein auf Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG gestützter Rechtsbehelf eigener Art sei.108 Da somit der Geldanspruch von dem jeweils geltenden Recht der §§ 847, 853 BGB unabhängig sei, könnten Änderungen dieser Vorschriften den Anspruch auch nicht tangieren.109 Ob diese Interpretation tatsächlich mit der gel101 102 103

Ausführlich dazu Kapitel 4 III. 2. b) bb). Ausführlich dazu Kapitel 4 III. 3. b) cc). Zur Vorgeschichte der Einführung des § 253 Abs. 2 BGB, v. Mayenburg, VersR 2002,

278 f. 104 Zu den, über das Arzthaftungsrecht hinausgehenden Auswirkungen, siehe, Deutsch, ZRP 2001, 351 ff.; Jahnke, ZfS 2002, 105 ff., v. Mayenburg, VersR 2002, 278, 279 ff. 105 Siehe nur ausführlich Hart, in: Festschrift für Heinrichs, S. 291 ff.; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 699 ff.; Damm, JZ 1998, S. 926, 928; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 112 ff., 119 m. w. N.; a.A. Wagner, NJW 2002, 2049, 2055. 106 Die Rechtsprechung geht noch immer von der Körperverletzungsdoktrin aus, wonach jeder ärztliche Eingriff – auch der medizinisch gebotene und fachgerecht durchgeführte, eine Körperverletzung darstellt. Lediglich die Rechtswidrigkeit soll bei einer nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommenen Behandlung entfallen, sofern in den Eingriff wirksam, d. h. nach vorheriger ordnungsgemäßer Aufklärung, wirksam eingewilligt worden ist – siehe nur BGHZ 106, 391, 397 f. 107 Hart, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung in der gemeinsamen Sitzung des Rechts- und Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages am 27. 02. 2002 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, S. 1. 108 BT – Dr 14 / 7752, S. 25; BVerfG NJW 2000, 897 – zur Feststellung „ein von Schmerzensgeld zu unterscheidendes Recht“. 109 BT – Dr 14 / 7752, S. 25.

28

Kapitel 1: Einführung

tenden Gesetzeslage vereinbar ist, wird im Schrifttum110 bereits kontrovers diskutiert. Unterschiedliche Auffassungen werden in diesem Zusammenhang insbesondere hinsichtlich der Frage vertreten, ob in Fällen, in denen der immaterielle Schmerzensgeldanspruch auf die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gestützt wird, auf das Deliktsrecht zurückzugreifen ist. Da sich die Arbeit nicht mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, sondern mit dem Rechtsgut „Gesundheit“ beschäftigt, bei dessen Verletzung § 253 Abs. 2 BGB ausdrücklich Schmerzensgeld gewährt, wird auf eine Auseinandersetzung dieser Problematik verzichtet. Vertragsrecht kommt in diesen Fällen unproblematisch zur Anwendung. Mit § 253 Abs. 2 BGB wird eine grundlegende Änderung im deutschen Recht unternommen. Erstmals wird ein vom Haftungsgrund unabhängiger Schmerzensgeldanspruch bei Verletzung der genannten Rechtsgüter gewährt.111 Das hat insofern Folgen für die Arzthaftung, als dass der Patient sein Schadensersatzbegehren nicht mehr kumulativ auf Vertrags- und Deliktsrecht stützen muss, sondern die Geltendmachung vertraglicher Ansprüche vollkommen ausreichend ist. Das gilt selbst dann, wenn es um Behandlungsfolgen von Kindern oder Einwilligungsunfähigen geht, da der Schmerzensgeldanspruch wegen Vertragsverletzungen nicht nur dem Vertragspartner, sondern auch Dritten zusteht, die in den Schutzbereich der Norm aufgenommen worden sind.112 Aus den angeführten Gründen und der Tatsache, dass sich das Vertragsrecht durch die eingefügte Vorschrift des § 309 Nr. 7 a BGB, wonach ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung „bei schuldhafter, mindestens leicht fahrlässiger Verletzung von Körper und Gesundheit“ unwirksam ist, als AGB-fest erweist, braucht in Zukunft nur in Ausnahmefällen auf die außervertragliche Haftung zurückgegriffen zu werden. Notwendig bleibt der Rückgriff auf die deliktischen Anspruchsgründe im Rahmen der Arzthaftung nur außerhalb vertraglicher Beziehungen und außerhalb von Konstellationen der Geschäftsführung ohne Auftrag113. Dies sind insbesondere Fälle, in denen auf Grund eines entsprechenden totalen Krankenhausvertrages vertragliche Beziehungen des Patienten nur mit dem Krankenhausträger bestehen, aber beispielsweise aus prozesstaktischen Gründen (Ausschluss des entsprechenden Zeugenbeweises) oder einer Insolvenz des Krankenhausträgers auf den behandelnden Arzt zurückgegriffen werden soll.114 Daneben 110 Bejahend Wagner, NJW 2002, S. 2049 ff., 2056; vgl. Karczewski, VersR 2001, 1070 ff., 1072; Lippert, GesR 2002, 41; ablehnend Hart, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung in der gemeinsamen Sitzung des Rechts- und Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages am 27. 02. 2002 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, S. 1.; v. Mayenburg, VersR 2002, 278 ff., 283; Ratzel, AnwBl 2002, 485 ff., 487. 111 BT – Dr. 14 / 7752, S. 24; Karczewski, VersR 2001, 1071; 112 Deutsch, JZ 2002, 590. 113 BT – Dr 14 / 6040, S. 135 – bezieht die gesetzlichen Schuldverhältnisse ausdrücklich in die Regelung des § 280 Abs. 1 S. 1 BGB ein. 114 Spickhoff, NJW 2002, 2530 ff., 2532.

V. „Gesundheit“ als Schutzgut

29

wird die Inanspruchnahme eines Arztes auf deliktischer Grundlage erforderlich, wenn es sich um eine – wohl nur in den seltensten Fällen vorkommende – reine Gefälligkeitsleistung des Arztes handelt oder der Arzt nur als Angestellter in einer Praxis arbeitet. Im letzteren Fall bestehen vertragliche Beziehungen allein zwischen Patient und Praxisinhaber. Da das Deliktsrecht somit für das Arzthaftungsrecht nur noch in wenigen Einzelfällen von Relevanz ist, wird sich die Arbeit im Folgenden ausschließlich mit dem neuen Obligationenrecht beschäftigen.

V. „Gesundheit“ als Schutzgut und potentieller Leistungsgegenstand Nicht nur über das Deliktsrecht (§ 823 Abs. 1 BGB) genießt der Patient Schutz vor Beeinträchtigungen seiner „Gesundheit“, sondern auch über das Obligationenrecht (§ 241 Abs. 2 BGB). Gemäß § 241 Abs. 2 BGB sind die Obligationsteilnehmer zur Rücksichtnahme u. a. auf die „Gesundheit“ des jeweils anderen Teils verpflichtet. Auch nach altem Recht waren die vertraglichen Verhaltenspflichten des Arztes im Rahmen der Behandlungsfehlerhaftung inhaltlich auf den Schutz der Gesundheit des Patienten bezogen.115 Als Haftungstatbestand wurde nicht bereits der Behandlungsfehler, sondern erst die Verletzung des Rechtsgutes „Gesundheit“ angesehen.116 Der Anspruch auf Schmerzensgeld ist gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB ebenfalls vom Vorliegen einer „Gesundheitsverletzung“ abhängig. Neben dem Schutzobjekt ist „Gesundheit“ im Vertragsrecht auch potentieller Leistungsgegenstand. Der Arzt wird mit der Intention tätig, den Patienten, sofern möglich, zu heilen – d. h. seine „Gesundheit“ wieder herzustellen.117 Die ärztliche Behandlung bezieht sich also auf die Förderung der „Gesundheit“ des Patienten.118 Das Rechtsgut „Gesundheit“ ist im Rahmen der Behandlungsfehlerhaftung somit von zentraler Bedeutung.119 Um so verwunderlicher ist, dass sich weder die einschlägigen Werke zum Medizin- und Gesundheitsrecht zum „GeBGH VersR 1986, 1121 ff., 1123. BGH VersR 1986, 1121, 1123; Stoll, AcP 176, 145 ff., 187; siehe Kapitel 1 2. c) und Kapitel 3 III. g) – Rechtsprechungsübersicht. 117 Differenziert Kapitel 1 III. 1. 118 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 100. 119 Im Gegensatz dazu wird bei der Haftung für Aufklärungsfehler auf die Körperverletzung bzw. das allgemeine Persönlichkeitsrecht abgestellt – siehe ausführliche Darstellung bei Katzenmeier, Arzthaftung, S. 112 ff. 115 116

30

Kapitel 1: Einführung

sundheitsbegriff“ äußern120, noch an anderer Stelle eine definitorische Ausgestaltung des Rechtsguts Gesundheit für das Zivilrecht erfolgt. Im Rahmen einer disziplinären und interdisziplinären Untersuchung des „Gesundheitsbegriffs“ wird daher zunächst der Frage nachgegangen werden, was sich hinter dem Begriff „Gesundheit“ verbirgt.

120 Katzenmeier, Arzthaftung; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht; Giesen, Arzthaftungsrecht; Steffen / Dressler, Arzthaftungsrecht; Laufs / Uhlenbruck; Handbuch des Arztrechts, § 1 Rdnr. 3 – erwähnen zumindest in der Einleitung die Gesundheitsdefinition der WHO.

Kapitel 2

Fachübergreifende Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs Im folgenden Abschnitt soll zur Untersuchung der Frage, was sich hinter der Begrifflichkeit „Gesundheit“ verbirgt, ein Überblick über Definitionsversuche und Theorien des Gesundheitsbegriffs anderer Fachdisziplinen gegeben werden. Da überwiegend die Meinung vertreten wird, der Gesundheitsbegriff bestehe aus vier Ebenen, einer medizinischen, einer psychologischen, einer soziologischen und einer rechtlichen, wird sich die Darstellung auf diese Wissensgebiete beschränken.1 Dabei kann aufgrund des weitgespannten Themas kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Es soll lediglich für die juristische Sichtweise aufgezeigt werden, dass es sich bei Gesundheit um kein eindeutig objektivierbares Phänomen handelt, welches einheitlich und allgemeingültig definiert werden kann. Je nach den unterschiedlichen Erfordernissen und Perspektiven der einzelnen Fachdisziplinen wird Gesundheit – und muss sie wohl auch – unterschiedlich verstanden.

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs 1. Der Gesundheitsbegriff der WHO Die am weitesten verbreitete und wohl bekannteste Definition von Gesundheit ist die der Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Präambel des WHO Gründungsdokuments von 1946 wird Gesundheit als „Zustand des vollständigen körperlichern, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur als Freisein von Krankheit und Gebrechen“ definiert. Diese sehr umstrittene Definition versteht unter Gesundheit somit nicht nur das Gegenteil von Krankheit, sondern bezieht darüber hinaus psychische, soziale und geistige Dimensionen in den Gesundheitsbegriff mit ein. Sie ist vor dem Hintergrund des kurz zuvor beendeten Zweiten Weltkrieges entstanden. Zu dieser Zeit 1 Vgl. nur Becker, Seelische Gesundheit, S. 4 – m. w. N.; Schipperges, Krankheit und Kranksein im Spiegel der Geschichte; Lutz / Mark, Wie gesund sind Kranke?; ähnlich Schwartz / Siegrist / von Troschke in: Schwartz et al., Puplic Health, S. 8 ff – analysieren die Vorstellungen und Bedeutungen von Gesundheit in drei Bezugssysteme: Gesellschaft, betroffene Person, Medizin und benachbarte Professionen.

32

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

war weltweit und insbesondere in Europa die Hoffnung auf eine, für alle Zukunft, friedliche Welt allgegenwärtig. Entsprechend postulierte die WHO-Definition, Gesundheit müsse überall in der Welt erreichbar sein. Sie formulierte mit ihrer Gesundheitsvorstellung Ziele und zeigte Visionen für die Zukunft auf.2 Seit Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden diese zur Grundlage großer gesundheitspolitischer Programme der WHO, wie z. B. „Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000“.3 Darüber hinaus nimmt die Gesundheitsvorstellung der WHO Einfluss auf Zieldefinitionen der Gesundheitspolitik einzelner Länder.4 In der Ottawa-Charta, die im Rahmen der 1. Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung der WHO 1986 verabschiedet und 1989 Teil der Resolution der Weltgesundheitsversammlung wurde, ist ein neues Konzept einer bevölkerungsbreiten Gesundheitsförderung (new public health) formuliert worden, das entsprechend der WHO-Definition in seiner Zielsetzung soziale und individuelle Ressourcen gleichermaßen betont wie körperliche Fähigkeiten.5 An die Stelle des herrschenden, überwiegend rein medizinischen Gesundheitsverständnisses soll nach Vorstellung der WHO ein soziales treten, welches auch präventiv die Gesundheit fördert.6 Durch diese sogenannte Gesundheitsförderung7 sollen bestehende erhebliche Ungleichheiten in der Gesundheits- und Lebenserwartung unterschiedlicher sozialer Gruppen durch Veränderung und Förderung des individuellen und des kollektiven Gesundheitsverhaltens reduziert werden.8 Die Gesundheitsdefinition der WHO versucht nicht, einen bestehenden Zustand zu beschreiben, sondern sie stellt eine Absichtserklärung – die Lebensumstände optimieren zu wollen – dar. Gesundheit kann hier nur als normative Idealversion verstanden werden, die wohl nirgends auf der Welt zu erreichen ist und daher für das Haftungsrecht kaum brauchbar sein dürfte. 2 Kickbusch, in: Abholz et al, Risikofaktorenmedizin, S. 267 ff.; Gerhardt, Gesundheit ein Alltagsphänomen, S. 7 f.; Schwartz / Siegrist / von Troschke, in: Schwartz et al., Public Health, S. 10 f.; Grauhan, in: Bürokratischer Staatspolitscher Produktion und Selbstverwaltung, S. 247. 3 Kickbusch, in: Häfner, Gesundheit –unser höchstes Gut?, S. 278; Kickbusch, in: Abholz et al., Risikofaktorenmedizin, S. 268; Brösskamp-Stone / Kickbusch / Walter, in: Schwartz et al., Public Health, S. 142. 4 Schwartz / Siegrist / von Troschke, in: Schwartz et al., Public Health, S. 11; Kickbusch, in: Abholz et al., Risikofaktorenmedizin, S. 268 ff.; Brösskamp-Stone / Kickbusch / Walter, in: Schwartz et al., Public Health, S. 142. 5 Nachweis bei Brösskamp-Stone / Kickbusch / Walter, in: Schwartz et al., Public Health, S. 142. 6 Kickbusch, in: Häfner, Gesundheit – unser höchstes Gut?, S. 276 f.; Holz, Zur Neuorientierung des Gesundheitsbegriffs, S. 18; Brösskamp-Stone / Kickbusch / Walter, in: Schwartz et al., Public Health, S. 142. 7 Zum Begriff der Gesundheitsförderung – Mühlenbruch, Gesundheitsförderung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. 8 Kickbusch, in: Abholz et al., Risikofaktorenmedizin, S. 268 ff.; Brösskamp-Stone / Kickbusch / Walter, in: Schwartz et al., Public Health, S. 142.

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs

33

2. Der Gesundheitsbegriff in der Medizin Das Gesundheitsverständnis in der Medizin ist sehr vielschichtig und beschränkt sich keineswegs auf die Formel, Gesundheit sei die Abwesenheit von Krankheit. Zur Veranschaulichung des nicht leicht zu fassenden Verständnisses soll ein Überblick über unterschiedliche medizinische Wissensgebiete sowie eine kurze Darstellung des historischen Wandels des Gesundheitsbegriffs gegeben werden. a) Gesundheitsverständnis im Wandel der Geschichte Die Aufgabenstellung angewandter Medizin bestand von der Antike bis Mitte des 19. Jahrhunderts in der Förderung und Erhaltung menschlicher Gesundheit.9 Erst durch die großen Fortschritte der naturwissenschaftlichen Medizin im 19. und 20. Jahrhundert hat ein Wandel – weg von der Erhaltung der Gesundheit hin zur Behandlung von Krankheiten – und dadurch eine Wendung von der Naturphilosophie auf die Naturwissenschaft stattgefunden.10 Die alten Heilkulturen beruhten auf Gesundheitslehren, die in Ermangelung wirksamer kurativer Maßnahmen primär auf die Prävention von Krankheiten ausgerichtet waren. Galen (129 – 199 n. Chr.), dessen Lehren bis in das Mittelalter große Beachtung fanden, fasste die Medizin der Antike als Lehre von der Gesundheit auf.11 Gesundheit bzw. Krankheit galt zu dieser Zeit nicht als private Befindlichkeit, sondern vielmehr als Zustand des menschlichen Mikrokosmos in Parallele zum Makrokosmos. Krankheiten traten nicht an oder im Menschen auf, sondern „es geriet der Mensch in seiner kosmologischen Verstrebung aus dem Gleichgewicht“.12 Selten wurden Krankheiten daher auf eine Stelle am Körper, auf einen bestimmten Vorgang oder auch nur auf ein einzelnes Individuum eingegrenzt. Vorherrschend war die Sichtweise, dass das Schicksal der Person von den Elementen der Welt, ihren Kräften und ihrer Symmetrie abhängig war. Der Weg zur Gesundheit führte zur damaligen Zeit über eine ausgewogene Lebensführung (Diätetik). Die Entstehung von Krankheiten wurde durch Fehler in der Lebensführung erklärt. „Die antike Heilkunde hatte den Auftrag, ein natürliches Streben nach Harmonie zu unterstützen, Entgleisungen harmonischer Verhältnisse zu korrigieren, Gesundheit durch Diätetik, Gymnastik, kathartischer Reinigung oder Musik zu fördern.“13 Es galt daher, das Gleichgewicht des Leibes mit immer neuen Anstrengungen zu regulieren. Nicht Gesundheit wurde als Normalzustand verstanden, sondern die neutralitas.14 Gesundheit galt als Ergebnis einer Leistung, die der Einzelne in perKrumenacker, Gesundheit – von der Residualgröße zur konkreten Utopie, S. 76. Schipperges, Krankheit und Kranksein, S. 145. 11 Siehe bei Schipperges, Krankheit und Kranksein, S. 36. 12 Ridder, Gesundheitshandeln im gesellschaftlichen Alltag, S. 78 ff. 13 Ridder, Gesundheitshandeln im gesellschaftlichen Alltag, S. 80. 14 Schipperges, Krankheit und Kranksein, S. 20 u. 37. 9

10

3 Heidelk

34

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

sönlicher Verantwortung zu erbringen hatte. Die Aufgabe der Medizin lag primär in der Kontrolle des Lebensstils des Patienten. Die Gesundheit zu erhalten, galt als moralische Pflicht und persönliche Verpflichtung im Sinne einer konstruktiven Teilhabe an der kosmischen Ordnung. Paracelsus (1493 - 1541) sah die Gesundheit nicht als „naturhafte Verfassung“, sondern er verstand sie als „menschliche Möglichkeit, über den sichtbaren Körper zum Geistigen zu gelangen“.15 Natürlich waren bereits in der Antike, im Mittelalter und an der Wende zur Neuzeit zahlreiche erfolgversprechende Maßnahmen zur Intervention und heilenden Behandlung im Krankheitsfall bekannt. Doch wirkten diese, wie auch die Maßnahmen zur Prävention, nicht zuverlässig. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts etablierte sich die naturwissenschaftliche Medizin und mit ihr ein neues Gesundheits- bzw. Krankheitsverständnis. Die Erkenntnisse der Bakteriologie ebneten hierfür den Weg.16 Sie verhalfen der modernen Medizin erstmals zu bedeutenden Erfolgen in der Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Krankheit wurde jetzt als spezifische biologische Ursache gesehen, deren Verlauf beeinflusst werden kann, indem Arzt und Medizin entweder auf den Krankheitserreger bzw. -überträger einwirken oder auf die Person, in der sich die Krankheit manifestieren könnte. In der Medizin etablierte sich zunehmend das strikte Denken in den Kategorien eindeutig krank oder eindeutig gesund. Krankheiten wurden entweder als durch einen Erreger verursacht oder nicht verursacht betrachtet.17 Auch heute noch wirkt sich der Erkenntnisstand der naturwissenschaftlichen Medizin und das damit verbundene Gesundheitsverständnis auf die Praxis des Gesundheitswesens und das Verständnis vieler Laien maßgeblich aus. In Abhängigkeit der unterschiedlichen medizinischen Wissensgebiete zeichnet sich allerdings die Rückkehr zu einem umfassenderen Gesundheitsverständnis und damit die Abkehr von einer binären Gesundheits- / Krankheitsvorstellung ab.

b) Naturwissenschaftliche Medizin Die naturwissenschaftliche Medizin verfügt über keinen wissenschaftlich fundierten Gesundheitsbegriff.18 Sie unterscheidet vielmehr zwischen „gesundheitlichen Zuständen“, „Gesundheit“ und „Krankheit“, ohne sie aber jeweils genau zu definieren. Siehe bei Schipperges, Krankheit und Kranksein, S. 81 ff. Die entscheidenden Grundlagen der Bakteriologie legten Louis Pasteur (1822 – 1895) und Robert Koch (1843 – 1910). 17 Schipperges, Krankheit und Kranksein, S. 177. 18 Wieland, in: Becker / Schipperges, Krankheitsbegriff, S. 59 ff.; Lanzerath / Honnefelder, in: Düwell / Mieth, Ethik in der Humangenetik, S. 52.; Novak, in: Gawatz / Novak, Soziale Konstruktionen von Gesundheit, S. 15. 15 16

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs

35

Gesundheit wird schlicht mit Abwesenheit von Krankheit beschrieben.19 Eine positive Beschreibung dessen, was Gesundheit ist, kennt die naturwissenschaftliche Medizin nicht.20 Die Ursache hierfür liegt wohl darin, dass sie sich in ihrer täglichen Praxis mit der Untersuchung und Erforschung von Krankheiten beschäftigt.21 Gegenwärtig kennt die naturwissenschaftliche Medizin über 30.000 Krankheiten und Syndrome22.23 Die Folge hiervon ist die nur negative Bestimmung des Gesundheitsbegriffs in Abgrenzung zu Krankheit. Zur Annäherung an die Problematik, was die naturwissenschaftliche Medizin unter Gesundheit versteht, ist es daher erforderlich, sich mit dem Krankheitsbegriff auseinander zu setzen. Als Krankheit wird ganz allgemein das Vorliegen von Symptomen und / oder Befunden bezeichnet24 – mit anderen Worten wird das Vorliegen biologischer Strukturdefekte oder physiologischer Funktionsstörungen als pathologischer Zustand angesehen.25 Im Umkehrschluss erfolgt somit eine Gleichsetzung von Gesundheit und „normaler“ Struktur oder Funktion bzw. physiologischen Normzuständen. Die Feststellung, wann von Normabweichungen und damit von Krankheit gesprochen werden kann, bereitet allerdings häufig Schwierigkeiten. Wegen der extremen Schwankbreite biologischer Normverteilung in verschiedenen Populationen und dem begrenzten Wissen über die pathophysiologische Bedeutung mancher Abweichungen, ist es der naturwissenschaftlichen Medizin in einer großen Anzahl von Fällen kaum möglich festzustellen, was als Abweichung von einem physiologischen Gleichgewicht, einer Realgröße, einer Organfunktion oder einer Organstruktur zu gelten hat.26 Eine klare Dichotomie zwischen „gesund“ und „krank“ ist in einer Vielzahl von Fällen nicht gegeben.27 Zwischen „sicher gesund“ und „sicher krank“ gibt es aus naturwissenschaftlicher Sicht vielmehr einen umfangreichen Zwischenbereich grenzwertiger Phänomene.28

19 Novak, in: Gawatz / Novak, Soziale Konstruktionen von Gesundheit, S. 15; Schwartz / Siegrist / von Troschke, in: Schwartz et al., Public Health, S. 11. 20 Schwartz / Siegrist / von Troschke, in: Schwartz et al., Public Health, S. 11. 21 Vgl. Krummenacker, Von der Residualgröße zur konkreten Utopie, S. 75. 22 Syndrome sind Symptome bzw. Befundkomplexe, für die eine definierte Ursache nicht bekannt ist bzw. die mehrere Ursachen haben können. 23 Schwartz / Siegrist / von Troschke, in: Schwartz et al., Public Health, S. 11. 24 Schwartz / Siegrist / von Troschke, in: Schwartz et al., Public Health, S. 11. 25 Novak, in: Gawatz / Novak, Soziale Konstruktionen von Gesundheit, S. 15. 26 Schwartz / Siegrist / von Troschke, in: Schwartz et al., Public Health, S. 11. 27 Ebda. 28 Schwartz / Siegrist / von Troschke, in: Schwartz et al., Public Health, S. 11.

3*

36

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

c) Das biopsychosoziale Gesundheitsverständnis Unter biopsychosozialer Medizin werden alle neuen interdisziplinären medizinischen Gebiete verstanden. Im Gegensatz zur rein naturwissenschaftlichen Medizin beziehen die, an sich sehr unterschiedlichen, Fachgebiete übereinstimmend ökologische, verhaltensbezogene und psychische Faktoren in ihre jeweiligen gesundheitstheoretischen Überlegungen mit ein.29 Der binäre Krankheits-Gesundheitsbegriff wird dort von umfassenderen Konzepten abgelöst.30 Als Beispiel für einen biopsychosozialen Ansatz soll hier kurz auf die systemisch-psychosomatische Medizintheorie von Uexküll und Wesiack31 eingegangen werden. Dieser Theorieansatz geht von einem Menschenbild aus, in dem der Mensch nicht nur eine Einheit aus Psyche und Physis bildet, sondern sich als psychisch-physische Person stets in einem sozialen Feld befindet, mit dem er interagiert. Gesundheit und Krankheit werden dem gemäß nicht als rein biologische Phänomene aufgefasst, sondern sie beinhalten immer auch psychische und soziale Elemente.32 Im Mittelpunkt dieses Gesundheits- bzw. Krankheitsverständnisses steht als normative Größe das „gesunde Gesundheitserleben des Individuums“. Dies betont nicht nur, dass es auch ein „krankes Gesundheitserleben“ und ein „krankhaftes Gesundheitsgefühl“ gibt, sondern hiermit wird auch Gesundheit „als Selbstvertrauen, das auf der Fähigkeit zu autarkem Handeln beruht“, definiert.33 Unter Gesundheit verstehen Uexküll und Wesiack dann „den ungestörten Aufbau der subjektiven Umwelt, wobei die Umgebung Nützlichkeiten und Schädlichkeiten bieten muss, die den kreativen Fähigkeiten des Lebewesens entsprechen. Krankheit tritt ein, wenn das raffinierte Gleichgewicht zwischen subjektiver Kreativität und objektivem Angebot gestört wird.“34 Dem Begriffspaar Gesundheit / Krankheit wird durch dieses Verständnis der dichotome Charakter genommen. Gesundheit vollzieht sich als ein ständiger Aufund Umbau konkreter Beziehungen zwischen Mensch und Umgebung mit dem Ziel, die Befriedigung der vitalen Bedürfnisse und psychisches und soziales Wohlbefinden zu ermöglichen.35

29 Novak, in: Gawatz / Novak, Soziale Konstruktionen von Gesundheit, S. 16; Hurrelmann, Gesundheitssoziologie, S. 59 f. 30 Ebda. 31 Uexküll / Wesiack, Theorien der Humanmedizin, S. 303; vgl. auch Interview mit Uexküll, in: Die Zeit vom 07. 02. 01, S. 13 f. 32 Uexküll / Wesiack, in: Uexküll et al., Psychosomatische Medizin, 5 ff. 33 Uexküll / Wesiack, Theorien der Humanmedizin S. 609 ff. 34 Uexküll / Wesiack, Theorien der Humanmedizin, S. 90. 35 Vgl. Hurrelmann, Gesundheitssoziologie, S. 60.

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs

37

d) praktische Medizin Unter der Überschrift der praktischen Medizin soll hier eine Zusammenstellung von Gesundheitsvorstellungen und Gesundheitsdefinitionen erfolgen, wie sie von praktisch tätigen Medizinern gesehen werden und wie sie sich in medizinischen Publikationen und Lexika finden. aa) Gesundheitsverständnis in der medizinischen Praxis Anfang der 90er Jahre knüpfte der Deutsche Ärztetag mit seiner Gesundheitsdefinition an die der WHO an. Gesundheit wird als die „aus der Einheit von subjektivem Wohlbefinden und individueller Belastbarkeit erwachsende körperliche, seelische und soziale Leistungsfähigkeit des Menschen“ verstanden.36 Ein darauf basierendes Konzept von Gesundheit ist bislang allerdings nicht erarbeitet worden.37 Eine umfangreiche empirische Studie über Gesundheitsvorstellungen niedergelassener Ärzte hat ergeben, dass diese keine über das Laienverständnis hinausgehende definierte Vorstellung von Gesundheit haben.38 Die Bewertung von Gesundheit ergibt sich bei ihnen zum einen aus der Abwesenheit von Krankheit, zum anderen aus überlieferten Stereotypen, wie z. B. Gesundheit sei bei der Geburt festgelegt, Gesundheit sei Schicksal etc. Dies verwundert, da Ärzten spätestens seit der Sozialversicherungsgesetzgebung der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts die nahezu täglich wiederkehrende Entscheidung darüber obliegt, ob ein Mensch gesund oder krank ist.39 bb) Gesundheitsbegriff in medizinischen Nachschlagewerken In gängigen medizinischen Lexika finden sich dem WHO-Begriff sehr ähnliche Definitionen wieder. Meist wird zwischen der Gesundheit im engeren und im weiteren Sinn unterschieden. Für die Definition von Gesundheit i.w.S. wird der Begriff der WHO übernommen. Die Definition der Gesundheit i.e.S. verzichtet auf das Kriterium des vollständigen Wohlbefindens und beschränkt sich auf das subjektive Empfinden des Fehlens körperlicher, geistiger und seelischer Störungen.40 In vielen medizinischen Handbüchern ist der Begriff Gesundheit als Stichwort erst gar nicht enthalten.41 Wenn der Gesundheitsbegriff Erwähnung findet, dann 36 Bundesärztekammer: Gesundheitspolitisches Programm der Deutschen Ärzteschaft. Beschluss des 97. Deutschen Ärztetages, in DÄ 1994, 3. 37 Vgl. Schwartz / Siegrist / von Troschke, in: Schwartz et al., Public Health, S. 11. 38 Franke, Die medizinischen Probleme des Gesundheitsbegriffs, S. 87 ff. 39 Jores, DÄ 1967, 2147.; Schipperges, in: Schipperges et al., Kranker, Heilkunst, Heilung, S. 20. 40 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Gesundheit; Zetkin / Schaldach, Stichwort: Gesundheit.

38

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

nur in der Wiedergabe der allgemeinen Formel. Die Lexika des 20. Jahrhunderts dokumentieren trotz alledem den Wechsel der Begriffsbildung und zeigen die Schwierigkeiten auf, die sich bei der Definition des Gesundheitsbegriffs auftun.42 In Meyers Konversations-Lexikon von 1904 findet sich unter dem Stichwort Gesundheit: „Die Lehre von der Erhaltung der Gesundheit heißt Hygiene; sie dient entweder dem einzelnen Individuum als private Hygiene oder dem Staatsinteresse als öffentliche Gesundheitspflege.“43 1982 erscheint hingegen „Gesundheit“ in Meyers Universal-Lexikon lediglich als ein „vielschichtiger und vielbedeutender Begriff für das normale Befinden, Aussehen und Verhalten sowie das Fehlen von der Norm abweichender Befunde.“44

cc) Gesundheitsbegriff in medizinischen Publikationen In medizinischen Publikationen zu der Frage, was Gesundheit ist, werden sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten. Überwiegend abgelehnt werden sowohl der weite Gesundheitsbegriff der WHO als auch der Gesundheitsbegriff im engeren Sinn und darüber hinaus die Gesundheitsdefinition des deutschen Ärztetages.45 Die Autoren vertreten zwar teilweise sehr unterschiedliche Auffassungen, in folgenden Punkten sind sie sich jedoch weitgehend einig: „Gesund“ und „krank“ verstehen sie nicht als Gegensätze, sondern als Qualitätsunterschiede in einem organischen System.46 Der menschliche Organismus enthalte in der Regel Gesundheit wie Krankheit, da kaum alle Organe und Funktionen gleichzeitig völlig intakt („kerngesund“) seien.47 Ein Organ kann „erkrankt“ sein, während andere Organe „gesund“ bleiben. Entsprechendes gelte für Funktionen, wie z. B. den Stoffwechsel. Gesundheit und Krankheit seien daher polare Komplementärfaktoren des menschlichen Seins, von denen jeweils das eine gelegentlich überwiege, von dem anderen aufgehoben, adaptiert oder auch auf anderen Ebenen reguliert werden könne.48 Hierzu führt beispielsweise Becker die Aortenklappenstenose an, die häufig nicht entdeckt werde, weil die Hypertrophie der linken Herz41 Lanzerath / Honnefelder, Ethik in der Humangenetik, in: Düwell / Mieth, S. 52; Jacob, DÄ 1979, 2197. 42 Schipperges, Krankheit und Kranksein, S. 21. 43 Zitiert aus Schipperges, Krankheit und Kranksein, S. 21. 44 Meyers großes Universal-Lexikon, Stichwort: Gesundheit. 45 Becker, in: Becker / Schipperges, Krankheitsbegriff, S. 1 ff. m. w. N. 46 Becker, in: Becker / Schipperges, Krankheitsbegriff, S. 3; Schipperges, in: Schäfer, Der gesunde kranke Mensch, S. 18 – der meint, Gesundheit und Krankheit seien niemals eigenständige Kategorien gewesen. Erst durch die Reichsversicherungsordnung, nach der man „sich krank melde“ oder „gesund geschrieben werde“, seien sie dies geworden. 47 Schipperges, Heilkunde, S. 7. 48 Schipperges, Heilkunde, S. 7.

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs

39

kammerwandung den Fehler ausgleiche.49 Jeder Mensch habe daher auch seine eigene individuelle Gesundheit, von der er abweiche oder der er näher komme, die er aber niemals erreichen werde.50 Darüber hinaus werden die angeführten Gesundheitsdefinitionen der WHO, des Deutschen Ärztetages etc., als zu statisch angesehen.51 Gesundheit sei kein Zustand und noch dazu kein Dauerzustand, sondern ein sich verändernder Prozess, der immer an die Lebensentwicklung eines jeden einzelnen Menschen gebunden sei.52 Dies zeige insbesondere der Alterungsprozess. Die Gebrechen und Einschränkungen, die mit dem Altern verbunden seien, gehörten nämlich nicht zu den eigentlichen Krankheiten.53 Ein alter Mensch könne durchaus „gesund“ sein, weil er mobil ist, seine Zähne zwar durch Prothesen ersetzt hat, bebrillt gut sehen kann, falls nötig, das Hörgerät benutze.54 Das Altern sei eben keine Krankheit, sondern vielmehr eine Fülle von Beeinträchtigungen des gesunden Lebensablaufes.55 Viele Autoren meinen, Mediziner seien nicht in der Lage, eine Entscheidung über Gesundheit oder Krankheit eines Patienten zu treffen, weil die Begriffe „gesund“ und „krank“ für die wissenschaftliche und praktische Medizin keinerlei normative Bedeutung hätten.56 Die Intention des Mediziners richte sich auf die Fülle der Inhalte, die unter solche Begriffe gebracht und mit ihrer Hilfe charakterisiert werden können, nicht aber auf die „dünne Luft“ dieser Begriffe selbst.57 Karl Jaspers hat diesen Umstand sehr treffend mit dem Satz beschrieben: „Was gesund und was krank im Allgemeinen bedeutet, darüber zerbricht sich der Mediziner am wenigsten den Kopf.“58 Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, Gesundheit sei ein Begriff, der mit naturwissenschaftlichen oder medizinischen Denkmethoden nicht untersucht werden könne, weil er dem geistigen Bezirk – der Religion oder der Philosophie – angehöre.59 Becker, in: Becker / Schipperges, Krankheitsbegriff, S. 3. Schipperges, in: Schipperges et al., Krankheit, Heilkunst, Heilung, S. 485. 51 Deich, ÄM 1957, 495; Krumenacker, Von der Residualgröße zur konkreten Utopie, S. 177 ff.; Schwartz / Siegrist / von Troschke, in: Schwartz et al., Public Health, S. 11 mit Hinweis auf Franke, A., in: Franke, A. / Broda, S. 15 – 35. 52 Deich, ÄM 1957, 495; Krumenacker, Von der Residualgröße zur Utopie, S. 177 ff.; Schwartz / Siegrist / von Troschke, in: Schwartz et al., Public Health, S. 11. 53 Becker, in: Becker / Schipperges, Krankheitsbegriff, S. 3. 54 Ebda. 55 Becker, in: Becker / Schipperges, Krankheitsbegriff, S. 5. 56 Vgl. beispielsweise Jores, DÄ 1967, 2147. 57 Wieland, in Becker / Schipperges, Krankheitsbegriff, S. 59. 58 Jasper, Der Arzt im technischen Zeitalter, S. 7 ff.; Im Hinblick auf eine ähnliche Situation bei den Juristen formuliert Immanuel Kant: „Noch suchen die Juristen eine Definition zu ihrem Begriff vom Recht.“ Denn in seiner professionellen Arbeit hat der Jurist explizit nur mit den vielerlei einzelnen Rechten, Ansprüchen und Forderungen zu tun, aber eben immer nur implizit mit dem Recht als solchem – Nachweis bei Wieland, in: Becker / Schipperges, Krankheitsbegriff, S. 60. 49 50

40

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

Da der Mediziner aber gerade aufgrund rechtlicher Anforderungen dazu gezwungen ist, Aussagen über die Gesundheit oder Krankheit eines Menschen – teilweise sogar ausgedrückt in Prozenten – zu treffen, stellen sich Mediziner die Frage, ob dies durch Erhebung des von ihnen geforderten objektiven Befundes – also durch objektive Untersuchungsmethoden feststellbaren Abweichungen von Normen – möglich ist. Jores60 beschäftigt sich ausführlich mit der Frage und kommt zu dem Ergebnis, dass Entscheidungen über „gesund“ und „krank“ nicht von objektiven Befunden abhängig gemacht werden können. Einerseits bestehe zwischen objektivem Befund und subjektivem Erleben keine feste Bindung und andererseits gebe es objektive Befunde, die zu keinen subjektiven Störungen führen. Darüber hinaus komme es vor, dass sich Patienten subjektiv schwer krank fühlen, ohne dass aber ein objektiver Befund erhoben werden könne. Die Entscheidung nur von dem subjektiven Befinden abhängig zu machen, sei aber ebenso wenig möglich, da dieses völlig von der inneren Einstellung des Patienten zum Beruf und zum Leben überhaupt abhängig sei.61 Hellner62 ist dagegen der Meinung, ein Patient sei erst dann „krank“, wenn objektive und subjektive Krankheit vorliege. Subjektives Kranksein werde dabei vom Kranken bestimmt, das objektive vom Arzt festgestellt.63 Wenn ein Mensch sich krank fühle und der Arzt objektiv die Funktionsstörung an der Grenze oder jenseits der Grenze der Anpassungsfähigkeit festgestellt habe, dann sei der Mensch subjektiv und objektiv krank.64 Abschließend lässt sich wohl feststellen, dass die Mediziner von Gesundheit ganz überwiegend in Form eines Idealbegriffs sprechen, der sich über das reale Leben mit Anpassung, Kompensation, Altern, Narben etc. hinausentwickelt, aber nicht allgemeingültig definiert werden kann.65 „Die Gesundheit“ ist diesem Verständnis folgend nur approximativ zu erreichen und stellt ein Postulat und keine naturwissenschaftliche Erkenntnis dar. „Krankheit“ ist dagegen die wahrscheinlichste Form, Gesundheit in biophysikalischer Hinsicht der unwahrscheinlichste „Zustand“.66

Deich, ÄM 1957, 495. Jores, DÄ 1967, 2147 ff.; vgl. ebenfalls Bartens, in: Die Zeit 07. 02. 01, S. 11 ff. 61 Jores, DÄ 1967, 2147 ff., 2151. 62 Hellner, Arzt Kranker Krankheit, S. 63. 63 Ebda. 64 Hellner, Arzt Kranker Krankheit, S. 63. 65 Becker, in: Becker / Schipperges, Krankheitsbegriff, S. 6; Schipperges, Krankheit und Kranksein, S. 20; vgl. Schipperges, in: Schipperges et al., Krankheit, Heilkunst, Heilung, S. 485. 66 Doerr, Der Kassenarzt 1983, S. 29 ff.; Becker, in: Becker / Schipperges, Krankheitsbegriff, S. 6. 59 60

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs

41

3. Gesundheitsbegriff aus soziologischer Perspektive Die Soziologie beschäftigt sich auf sehr unterschiedliche Weise mit Gesundheit. Im Hinblick auf das Thema der Arbeit wird sich die Darstellung auf die soziologischen Gesundheitstheorien von Talcott Parsons, Niklas Luhmann und Aaron Antonovsky beschränken. Diese Autoren setzen sich in der medizinsoziologischen Literatur67 auf grundlegende Weise mit dem Gesundheitsbegriff auseinander.

a) Soziologisch-theoretische Konzeptualisierung nach Parsons Parsons hat sich aus soziologischer Perspektive in systematischer und grundsätzlicher Weise mit der Definition von Gesundheit und Krankheit beschäftigt und eine soziologisch-theoretische Konzeptualisierung der Gesundheit entwickelt.68 Für ihn ist Gesundheit „eine der funktionalen Vorbedingungen eines jeden sozialen Systems, so dass ein niedriges Niveau der Gesundheit und ein zu häufiges Auftreten von Krankheit dysfunktional im Hinblick auf das Funktionieren eines sozialen Systems sind.“69 Die Gesundheit des Bürgers ist für Parsons in erster Linie die funktionelle Voraussetzung für ein geordnetes Gesellschaftsleben. In diesem Zusammenhang definiert er Gesundheit als Zustand optimaler Leistungsfähigkeit eines Individuums für die wirksame Erfüllung der Rollen und Aufgaben, für die es sozialisiert worden ist.70 Ob ein Mensch gesund oder krank ist, bestimmt sich nach Meinung Parsons nach dessen Leistungsfähigkeit.71 Nur derjenige, der mit den Anforderungen der Gesellschaft reibungslos zurechtkommt, ist körperlich und geistig gesund und kann dies auch bleiben.72 In einem späteren Text erfasst Parsons die Gesundheit mit dem Begriff der Teleonymie („Heilkraft der Natur“).73 Hiermit bezeichnet er die Fähigkeit des Menschen, mit adversen Gegebenheiten sowohl des körperlichen Zustandes als auch der Umwelt fertig zu werden, ohne dass medizinische Intervention notwendig 67 Hier sei nur verwiesen auf Antonovsky, Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit; Gawatz / Novak, Soziale Konstruktionen von Gesundheit; Gerhardt, Gesundheit – ein Alltagsphänomen; Hurrelmann, Gesundheitssoziologie; Krumenacker, Gesundheit – von der Residualgröße zur konkreten Utopie; Margraf / Neumer / Siemer / Siegrist, Gesundheitsoder Krankheitstheorie?; Grauhan, in: Bürokratischer Staatspolitischer Produktion und Selbstverwaltung, S. 235 ff. 68 Parsons, in: Mitscherlich et al., Der Kranke in der modernen Gesellschaft, S. 57. 69 Parsons 1951, zit. n. Gerhard, Gesundheit – ein Alltagsphänomen?, S. 179. 70 Parsons, in: Mitscherlich et al., Der Kranke in der modernen Gesellschaft, S. 71. 71 Ebda. 72 Parsons zit. n. Hurrelmann, Gesundheitssoziologie, S. 66. 73 Parsons, Action Theory and the Human Condition, S. 66 – 81.

42

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

wird. Die Folge des Zusammenbruchs der teleonymischen Fähigkeiten des Menschen ist für ihn Krankheit.74 Die Medizin sieht Parsons als Ergänzung der teleonymischen Fähigkeit. Sie hat die Aufgabe, die teleonymischen Kräfte des Einzelnen zu stärken, d. h. im Einklang mit solchen Kräften zu arbeiten, anstelle willkürlich zu intervenieren, ohne Bezug auf solche Fähigkeiten.75 In diesem Sinn dient seiner Meinung nach das Arzt-Patienten-System dazu, die Gesundheit – möglichst – wiederherzustellen. Gesundheit bildet für ihn den Schlusspunkt des Krankseins. Parsons kommt jedoch zu der Erkenntnis, dass Gesundheit – medizinisch betrachtet – approximativ und letztlich unerreichbar sein mag, obwohl – gesellschaftlich betrachtet – ein Leben geführt wird, das alle Aufgaben und Möglichkeiten des normalen Staatsbürgers enthält. Gesundheit könne daher als gesellschaftlicher Tatbestand gleichzeitig mit Krankheit als medizinischem Befund vorhanden sein. Dies verdeutlicht er am Beispielsfall des chronisch kranken Diabetikers. Dieser lebe, trotz seiner Erkrankung, meist ein Leben wie ein Gesunder, lediglich mit Einschränkungen. Infolgedessen kann – wenn Funktionsfähigkeit im normalen Berufs- und Familienleben möglich ist – Gesundheit im gesellschaftlichen Sinn mit organischen Erkrankungen einhergehen.76

b) Codewerte im Krankenversorgungssystem nach Luhmann Die Betrachtungsweise und Darstellung des Gesundheitsbegriffs Luhmanns unterscheidet sich von der Parsons. Luhmann bezeichnet mit den Begriffen „gesund“ und „krank“ keinerlei Körperzustände oder funktionale Voraussetzungen eines sozialen Systems, sondern abstrahierte binäre Codewerte im Krankenversorgungssystem der modernen Gesellschaft.77 Die Codierung der Mitglieder der Gesellschaft erfolgt nach den Eigenschaften „gesund“ oder „krank“ durch die medizinische Profession.78 Für sie, die nach Auffassung Luhmanns keine Zwischenkategorien zwischen gesund und krank kenne, sei Krankheit ein Positivwert und Gesundheit ein Negativwert.79 Dies führt er darauf zurück, dass nur Krankheiten für den Arzt von Bedeutung seien. Nur mit Krankheiten könne er etwas anfangen, da er ausschließlich zur Herstellung der verlorenen Leistungs- und Funktionsfähigkeit eines Menschen ausgebildet worden sei.80 Der Status „Gesundheit“ gebe der medizinischen Profession keine Aufgaben und keinen Anlass zum fachlichen Handeln. Sie reflek74 75 76 77 78 79 80

Parsons, Action Theory and the Human Condition, S. 68 – 69, 81. Parsons, Action Theory and the Human Condition , S. 67. Parsons, zit. n. Gerhardt, Gesundheit –ein Alltagsphänomen, S. 4. Luhmann, Soziologische Aufklärung 5, S. 183 ff. . Luhmann, Soziologische Aufklärung 5, S. 186. Luhmann, Soziologische Aufklärung 5, S. 187. Luhmann, Soziologische Aufklärung 5, S. 187.

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs

43

tiere allenfalls das, was fehlt, wenn jemand krank sei. Entsprechend gebe es viele Krankheiten und nur eine Gesundheit. Die Krankheitsterminologien wüchsen mit der Medizin, und der Begriff der Gesundheit werde zugleich problematisch und inhaltsleer.81 Gesunde seien für das Krankenversorgungssystem der Gesellschaft medizinisch gesehen nicht krank oder nicht mehr krank, oder sie würden an noch unentdeckten Krankheiten leiden. Sie seien im Grunde genommen „uninteressant“, weil die Zuständigkeit des Systems für diese Gruppe von Menschen nicht gegeben sei. Luhmann beschäftigt sich zwar nicht mit der Findung einer Definition von Gesundheit, aber er veranschaulicht sehr deutlich, dass bereits durch das klassische Aufgabengebiet der medizinischen Profession unserer Gesellschaft eine klare Dichotomie zwischen „gesund“ und „krank“ vorgenommen wird.

c) Medizinsoziologische Theorie von Antonovsky Im Rahmen der Gesundheits- bzw. Krankheitsursachenforschung hat der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky eine Theorie von Gesundheit und Krankheit entwickelt, die er mit dem von ihm geprägten Begriff der „Salutogenese“ bezeichnet.82 Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Untersuchung der Fragestellung, warum Menschen, die besonderen psychosozialen Stressoren (z. B. Immigration, Armut, Aufenthalt im Konzentrationslager) ausgesetzt waren, diesen Belastungen widerstehen können, ohne einen gesundheitlichen Zusammenbruch zu erleiden.83 Hieraus entwickelte Antonovsky den sogenannten salutogenetischen Ansatz, der im Gegensatz zu dem bis dahin in der Gesundheits- und Krankheitsursachenforschung angewandten pathogenetischen Ansatz von einer umgekehrten Fragestellung ausgeht. Beim pathogenetischen Ansatz wird danach gefragt, welche Faktoren die Gesundheit stören und damit zur Entwicklung von Krankheit beitragen.84 Er ist auf die Aufdeckung und sodann auf die Bekämpfung gesundheitlicher Beeinträchtigungen gerichtet. Der salutogenetische Ansatz fragt im Gegensatz dazu, welche Einflussfaktoren zur Entwicklung von Gesundheit beitragen und vor Krankheiten schützen.85 Dieser Luhmann, Soziologische Aufklärung 5, S. 187. Antonovsky, Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit, Tübingen 1997 (deutsche Ausgabe) / Originalausgabe: Health, stress, and coping. San Francisco: Jossey-Bass 1979. 83 Antonovsky, Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. 84 Becker; in: Margraf et al. , Gesundheits- und Krankheitstheorien, S. 1. 85 Dazu Becker; in: Margraf et al., Gesundheits- und Krankheitstheorien, S. 13. 81 82

44

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

Ansatz zielt auf die Erhaltung von Gesundheit ab, ist also primär prophylaktisch ausgerichtet. Gesundheit wird im salutogenetischen Modell als ein labiles, aktives und sich dynamisch regulierendes Geschehen verstanden.86 Das „Grundprinzip“ menschlicher Existenz ist nach dieser Vorstellung nicht Gleichgewicht, sondern Ungleichgewicht. Bezogen auf den Gesundheitszustand bedeutet dies, dass Gesundheit immer wieder neu aufgebaut werden muss und dass gleichzeitig der Verlust von Gesundheit ein natürlicher und allgegenwärtiger Prozess ist.87 Der Kampf in Richtung Gesundheit wird als permanent und nie ganz erfolgreich verstanden.88 In Übereinstimmung mit vielen sozialwissenschaftlich orientierten Theoretikern vertritt Antonovsky in der Salutogenese ein Kontinuumsmodell der Gesundheit bzw. Krankheit.89 Dies besagt, dass ein Mensch nicht entweder gesund oder krank, sondern nur mehr oder weniger gesund oder krank sein kann. Zur Bestimmung des Gesundheitsniveaus bzw. der Lokalisierung einer Person auf dem GesundheitsKrankheits-Kontinuum verwendet Antonovsky die folgenden Kriterien:90 – das Fehlen oder Vorhandensein von mehr oder weniger starken Schmerzen, – das Fehlen oder Vorhandensein von mehr oder weniger funktionellen Beeinträchtigungen von Lebensaktivitäten, die von der betreffenden Person als für sie angemessen betrachtet werden, – die vom Gesundheitsexperten (z. B. einem Arzt) geäußerte, mehr oder weniger günstige oder ungünstige Prognose, – sowie die vom Gesundheitsexperten für notwendig erachteten mehr oder weniger aufwendigen Maßnahmen präventiver oder kurativer Art.

Das oben Gesagte und insbesondere die aufgezählten Kriterien verdeutlichen, dass der salutogenetische Ansatz von Antonovsky über kein positives Konzept von Gesundheit verfügt. Der Gesundheitszustand eines Individuums wird lediglich in negativen Begriffen formuliert . Dies liegt vermutlich in dem Forschungsansatz von Antonovsky begründet. Er ist daran interessiert, in Erfahrung zu bringen, weshalb Personen, trotz zahlreicher mikrobiologischer, chemischer, physikalischer, psychologischer, sozialer und kultureller krankheitserzeugender Bedingungen ihre Gesundheit bewahrt haben91 und nicht an einer positiven Beschreibung oder gar Begriffsbestimmung von Gesundheit. 86 87 88 89

Siehe hierzu Hurrelmann, Gesundheitssoziologie, S. 56. Ebda. Bengel / Strittmatter / Willmann, in: Bengel et al., Was hält den Menschen gesund?, S. 26. Antonovsky, „Gesundheitsforschung versus Krankheitsforschung“, in A. Franke et al.,

S. 8. 90 Zitiert aus Becker, in: Margraf et al., Gesundheits- und Krankheitstheorien, S. 17 und aus Becker, seelische Gesundheit, S. 9 – mit Verweis auf Originalfundstelle: Antonovsky, health, stress and coping. San Francisco: Jossey-Bass 1979, S. 57 f. . 91 Dazu Hurrelmann, Gesundheitssoziologie, S. 55.

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs

45

4. Psychologischer Gesundheitsbegriff Die Durchsicht ausgewählter psychologischer Fachliteratur vermittelt den Eindruck, dass in der Psychologie überwiegend von einem Krankheits-GesundheitsKontinuum und nicht von einem binären Code ausgegangen wird. Zur Verdeutlichung werden im Folgenden zwei ausgewählte psychologische Gesundheitskonzepte vorgestellt, die Gesundheit aus verschiedenen Perspektiven betrachten: psychologische Alltagstheorien von Gesundheit und Theorien seelischer Gesundheit.

a) Subjektive Alltagstheorien Subjektive Theorien von Gesundheit bestehen aus den im Alltag vorherrschenden Annahmen darüber, was das körperliche und psychische Wohlbefinden beeinflusst.92 Sie werden aus einem Gefüge individueller Vorstellungen von der eigenen Gesundheit gebildet, in die kognitive, emotionale und motivationale Faktoren ebenso eingehen, wie Vorstellungen von der eigenen Person und vom Körper sowie vom Verhältnis zur sozialen und materiellen Umwelt.93 Die folgende Darstellung der von Flick94 zusammengestellten subjektiven Gesundheitsbegriffe soll veranschaulichen, dass die Vorstellungen von Gesundheit durch ausgeprägte Unterschiedlichkeit gekennzeichnet sind: – „Gesundheit ist, wenn ich nur abends ins Bett gehen muss (nicht auch tagsüber).“ (Schülerin, 9. Klasse) – „Gesundheit ist, dass das Leben relativ ausgewogen ist, dass man mit sich selbst doch einig ist und voll hinter sich selbst steht.“ (Mann, 22 Jahre) – „Gesundheit verbinde ich erst mal mit meinem körperlichen Wohlsein, daraus resultiert auch die gesunde Ernährung, die ich so betreibe, und dass ich mich eigentlich körperlich und dadurch vielleicht auch geistig wohlfühle rundrum. Und eben auch auf meine Gesundheit achten muss.“ (Verwaltungsangestellte, 33 Jahre) – „Also Gesundheit, sich wohl fühlen, keine Sorgen haben, Arbeit haben, tja, das beinhaltet eigentlich schon alle Sachen, wenn man sich wohl fühlt, und die anderen Sachen kommen dann von selber so.“ (Krankenpflegerin, 51 Jahre) – „Psychische Gesundheit ist ,funktionieren’, viel reden, auch über Gefühle, Aktivitäten mit Freunden.“ (chronisch psychisch kranke Frau, 42 Jahre)

Die subjektiven Vorstellungen von Gesundheit hängen demnach von den allgemeinen und konkreten Vorstellungen ab, unter denen sie zum Thema werden. 92 93 94

Flick, Wann fühlen wir uns gesund?, S. 8 ff.; Hurrelmann, Gesundheitssoziologie, S. 52. Flick, Wann fühlen wir uns gesund?, S. 8. Ebda.

46

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

Zentrale Einflussfaktoren sind dabei Geschlecht, Alter und körperliches sowie geistiges Befinden.95 b) Die seelische Gesundheit Der Begriff der „seelischen Gesundheit“ wird in der psychologischen Literatur unterschiedlich verwendet. Insbesondere wird zwischen seelischer Gesundheit als Zustand und seelischer Gesundheit als Eigenschaft differenziert.96 Die seelische Gesundheit als Zustand betrifft Aspekte des aktuellen Verhaltens und Erlebens, beispielsweise die momentane emotionale Befindlichkeit oder die aktuelle Funktions- und Leistungsfähigkeit.97 Von Becker98 wurde ein Indikatorenmodell entwickelt, anhand dessen sich, seiner Auffassung nach, der seelische Gesundheitszustand eines Menschen beschreiben lässt. Als Indikatoren gibt er sieben Bereiche an: (1) Positive vs. negative emotionale Befindlichkeit, (2) hohes Energieniveau vs. Antriebsschwäche, (3) Expressivität vs. Defensivität, (4) Leistungsfähigkeit vs. Funktionsfähigkeit, (5) Selbsttranszendenz vs. Selbstzentrierung, (6) Autonomie vs. Hilfesuchen und Abhängigkeit sowie (7) hohes vs. niedriges Selbstwertgefühl. Auffällig ist, dass jeder dieser Bereiche sowohl körperliche als auch seelische Erfahrungen, Empfindungen und Bewertungen enthält. Hinsichtlich der seelischen Gesundheit als Eigenschaft lassen sich drei Grundmodelle, das Regulationskompetenz-, das Selbstaktualisierungs- und das Sinnfindungsmodell unterscheiden.99 Becker hat diese einer vergleichenden Gegenüberstellung unterzogen.100 Er kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich zwei Kategorien als Kriterien für seelische Gesundheit übereinstimmend von allen Theoretikern genannt werden: Die Fähigkeit und Bereitschaft zum produktiven Tätigsein und die Fähigkeit zum Eingehen liebevoller, intimer Beziehungen. Darüber hinaus verwenden die Theoretiker eine Reihe weiterer, sehr unterschiedlicher Kriterien. Nach dem Regulationsmodell101, welches u. a. von Freud vertreten wurde und von der Leitidee der (Wieder-)Herstellung des inneren und äußeren Gleichgewichtes sowie des (Meta-)Gleichgewichtes ausgeht, benötigt der seelisch Gesunde einerseits vor allem hohe Frustrationstoleranz und Widerstandsfähigkeit gegen Stress, andererseits aber auch hinreichende Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.

Flick, Wann fühlen wir uns gesund?, S. 8. Vgl. Becker, Seelische Gesundheit und Verhaltenskontrolle, S. 186. 97 Ebda. 98 Vgl. Becker, Seelische Gesundheit und Verhaltenkontrolle, S. 186. 99 Becker, Seelische Gesundheit und Verhaltenkontrolle, S. 186. 100 Becker, Psychologie der seelischen Gesundheit, S. 142 ff. . 101 Wird insb. vertr. von Freud und Menninger; Nachweis bei Becker, Psychologie der seelischen Gesundheit, S. 146 – 147. 95 96

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs

47

In den Selbstaktualisierungsmodellen102 werden die Offenheit für Erfahrung und Gefühle sowie die Bejahung des eigenen Körpers für wesentliche Kriterien der seelischen Gesundheit erachtet. Den seelisch gesunden Menschen kennzeichnet nach dieser Auffassung, dass er sich frei entwickeln, seine eigenen Anlagen und Potentiale auf schöpferischem Weg zur Entfaltung bringen kann und einen gewissen Widerstand gegen Entkulturation leistet. Sein Verhalten orientiert sich nicht an von außen aufgezwungenen oder kritiklos übernommenen Normen und Wertvorstellungen, sondern erreicht die Stufe der autonomen Moral und der Selbstverantwortlichkeit für sich und andere. Die Vertreter des Sinnfindungsmodells103 gehen davon aus, dass es für das Verständnis von Gesundheit nicht sehr fruchtbar ist, von einem Modell der Befriedigung bestimmter biologischer Bedürfnisse oder Spannungsreduktion auszugehen. Sie betonen statt dessen das Prinzip der „funktionellen Autonomie der Motive“ bzw. den „Willen zum Sinn“. Der Mensch sei neben dem biologischen auch ein „geistiges“ Wesen, das sein Handeln an bestimmten Werten und Sinninhalten orientiere. Gelinge es einem Menschen nicht mehr, sein Leben mit einem Sinn zu füllen, so gerate er in eine existentielle Krise, entwickele psychische und psychosomatische Symptome oder beende sein Leben durch Suizid. Bereits diese stark vereinfachte Gegenüberstellung der drei übergeordneten Modellvorstellungen von seelischer Gesundheit zeigte deutliche Divergenzen zwischen den einzelnen Modellen auf. Während beispielsweise die Regulationsmodelle die seelische Gesundheit eher mit Stabilität, innerer und äußerer Harmonie sowie mit Ordnung in Verbindung bringen, heben die Selbstaktualisierungsmodelle stattdessen gerade das Gegenteil, die dynamischen Veränderungen, das Sich-Weiter-Entwickeln und das Reifen als Kriterium seelischer Gesundheit hervor.104 Ein deutlicher Gegensatz besteht auch zwischen Sinnfindungs- und Regulationsmodellen. Sinnfindungstheoretiker üben insbesondere Kritik am Kriterium des direkten Strebens nach Wohlbefinden und Glück, sowie am Kriterium der Symptomfreiheit.105 Becker106 hat den Versuch unternommen, die drei Grundmodelle seelischer Gesundheit in einer Theorie zu integrieren. Der Kerngedanke diese Modells ist zugleich auch seine Definition von seelischer Gesundheit. Sie lautet: Seelische Gesundheit ist „die Fähigkeit zur Bewältigung externer und interner Anforderungen, die sich in optimistischer Stimmung, seelisch-körperlichem Wohlbefinden, Selbstaktualisierung und selbst- und fremdbezogener Wertschätzung ausdrücken“.107 102 Wird insb. vertr. von Roger und Malslow; Nachweis bei Becker, Psychologie der seelischen Gesundheit, S. 147. 103 Wird insb. vertr. von Frankl und Allport; Nachweis bei Becker, Psychologie der seelische Gesundheit, S. 148. 104 Becker, Psychologie der seelischen Gesundheit, S. 147 f. 105 Becker, Psychologie der seelischen Gesundheit, S. 149. 106 Becker, Psychologie der seelischen Gesundheit, S. 278 ff.

48

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

In seiner Theorie nimmt er eine Unterscheidung zwischen hoher und geringer seelischer Gesundheit vor.108 Für die Ausprägung hoher seelischer Gesundheit benennt er Eigenschaften wie hohe Bewältigungskompetenz, Optimismus, Flexibilität, körperliches und seelisches Wohlbefinden, Sinnerfülltheit und Autonomie. Eng assoziiert mit hoher seelischer Gesundheit ist soziale Anpassung, die durch Gewissenhaftigkeit, Empathie, Leistungsorientierung, Arbeitsorientierung und Ehrlichkeit gekennzeichnet ist, und Selbstaktualisierung, ausgedrückt durch Geselligkeit, Unternehmensfreude, Ausgelassenheit, positive Emotionen und Extraversion.109 Ausprägungen geringer seelischer Gesundheit beschreibt er mit niedriger Bewältigungsfähigkeit, Pessimismus, eng mit der Assoziation von Zügellosigkeit und Gehemmtheit verbunden.110 Eine stabile und überdauernde Form von seelischer Gesundheit wird von Becker als „habituelles Wohlbefinden“ und „Lebensfreude“ bezeichnet. Psychisch Gesunde haben seiner Auffassung nach ein gutes Selbstwertgefühl, Selbstachtung und Selbstsicherheit. Besondere Gefühle des Glücks, der Erfüllung und der Ergriffenheit treten in Verbindung mit Gefühlen der Erregung und der Entspannung. Die insoweit dargestellten Gesundheitskonzepte machen deutlich, dass die Psychologie nicht nur eine, sondern viele „Gesundheiten“ bzw. viele Befindlichkeitsdimensionen kennt. Eine objektive Bestimmung, wann seelische Gesundheit gegeben bzw. nicht mehr gegeben ist, erscheint nach alledem nicht möglich.

5. Der Gesundheitsbegriff der Rechtswissenschaft außerhalb des Zivilrechts Der Begriff der „Gesundheit“ ist neben dem zivilen Haftungsrecht insbesondere auch im Straf-, Verfassungs- und Sozialrecht von Bedeutung. Es soll daher festgestellt werden, inwiefern eine Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit „Gesundheit“ in den einzelnen Rechtsgebieten erfolgt, um gegebenenfalls diese Erkenntnisse auf das Arzthaftungsrecht zu übertragen.

a) Der verfassungsrechtliche Schutz der „Gesundheit“ Wörtlich findet die „Gesundheit“ im Grundgesetz keine Erwähnung. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG spricht von der körperlichen Unversehrtheit. Inwiefern der Grundrechtsschutz der körperlichen Unversehrtheit den „Gesundheitsschutz“ mit umfasst, wird vom Inhalt des Gesundheitsbegriffs abhängig gemacht. Unstreitig 107 108 109 110

Becker, Psychologie der seelischen Gesundheit, S. 279 ff. Becker, Seelische Gesundheit und Verhaltenskontrolle, S. 51. Ebda. Becker, Seelische Gesundheit und Verhaltenskontrolle, S. 51.

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs

49

beinhaltet das Recht der körperlichen Unversehrtheit die Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne.111 Deutlich wird hierdurch bereits, dass Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die in § 823 Abs. 1 BGB angelegte Trennung von Körper und Gesundheit nicht vollzieht.112 Der naturwissenschaftliche, also der biologischphysiologisch verstandene Gesundheitsbegriff wird vom Begriff der körperlichen Unversehrtheit vollständig abgedeckt. Was unter Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinn zu verstehen ist, wird nur insofern detaillierter bestimmt, als gesagt wird, dass sich der Grundrechtsschutz nicht auf denjenigen eines Freiseins von Krankheit beschränke. In diesem Zusammenhang wird ausgeführt, dass sowohl Wirkungen wie beispielsweise Schmerzen (die nicht zur Entstehung von Krankheiten führen) als auch Eingriffe wie z. B. Blutentnahmen (die entweder „gesundheitsneutral“ sind oder Maßnahmen in Form von „Heileingriffen“, die auf die Wiederherstellung der Gesundheit gerichtet sind oder solche Maßnahmen vorbereiten sollen (diagnostische Eingriffe)), vom Schutzbereich erfasst sind.113 Als nicht hinreichend geklärt sieht das Bundesverfassungsgericht die Frage an, ob der Begriff der körperlichen Unversehrtheit mit dem weiten Gesundheitsbegriff der WHO gleichzusetzen sei.114 Für diesen Fall würden als gesundheitliche Beeinträchtigungen, neben somatischen, auch psychische und das soziale Wohlbefinden beeinträchtigende Auswirkungen erfasst werden. Gegen die Zugrundelegung des weiten Gesundheitsbegriffs der WHO wird angeführt, dass der Parlamentarische Rat den seit 1946 bekannten Begriff nicht übernommen, sondern stattdessen den Begriff der körperlichen Unversehrtheit in das Grundgesetz aufgenommen hat.115 Dies geschah sicherlich vor dem Hintergrund, dass es sich bei der WHO-Definition von Gesundheit um eine unverbindliche Proklamation handelt, während Art. 2 Abs. 2 GG „hartes“ Verfassungsrecht ist, welches gemäß Art. 1 Abs. 3 GG alle staatliche Gewalt bindet. Bei Zugrundelegung des Gesundheitsbegriffs der WHO bestehe die Gefahr, jeder staatliche Eingriff könne mit dem Argument abgelehnt werden, er verletze das seelische und soziale Wohlbefinden des Betroffenen.116 Dies ließe befürchten, alle Eingriffe von staatli111 BVerfGE 56, 54, 73; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Bonner Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 177; v. Münch / Kunig-Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 2, Rdnr. 62; Bleckmann, Staatsrecht II, S. 626. 112 v. Münch / Kunig-Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 2, Rdnr. 62. 113 Siehe BVerfGE 52, 171, 175 f.; v. Münch / Kunig-Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 2, Rdnr. 62. 114 BVerfGE 56, 54 ff. – in der sog. Fluglärmentscheidung lässt das BVerfG diese Frage offen. 115 BVerfGE 56, 54, 74; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Bonner Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 177. 116 v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Bonner Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 177.

4 Heidelk

50

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

cher Seite in die Bürgersphäre und wahrscheinlich jede Form staatlichen Handelns, müssten unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes betrachtet werden.117 Trotzdem beschränkt sich der Grundrechtsschutz nicht auf solche Einwirkungen, die Verletzungen des Körpers darstellen. Vielmehr werden auch nichtkörperliche Einwirkungen, die das Ausmaß erreichen, das als körperlicher Schmerz empfunden wird, beispielsweise durch Fluglärm, von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfasst.118 Von Interesse für unser Vorhaben sind die Parallelen, die zwischen Haftungsund Verfassungsrecht bestehen sowie die Frage, wie das Verfassungsrecht mit dem weiten, nicht sehr konkretisierten Schutzbereich der körperlichen Unversehrtheit und damit auch der „Gesundheit“ umgeht. Ebenso wie das Haftungsrecht vor Eingriffen in die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte und Rechtsgüter schützt, ist das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein Abwehrrecht, welches in dieser Funktion ebenfalls vor Eingriffen schützt. Das BVerwG lässt es allerdings bereits an einem Eingriff fehlen, wenn die Körpersphäre „nur geringfügig und damit zumutbar“ betroffen ist. Sinn des Grundrechtsschutzes sei es nicht, vor solchen Beeinträchtigungen zu schützen, die unwesentlich sind. Das weite Verständnis des Begriffs der körperlichen Unversehrtheit gibt der Rechtsprechung offensichtlich Anlass, bereits bei der Feststellung des Schutzbereichs relativierend anzusetzen. Nicht jede noch so kleine Einwirkung, wie beispielsweise ein Klaps oder jede durch den Geruchssinn spontan verursachte Übelkeit, soll den Grundrechtsschutz tatbestandlich aktivieren können.119 Zu untersuchen ist daher die Frage, welche Qualität ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit aufweisen muss, damit von einer Beeinträchtigung des Schutzbereiches gesprochen wird. Da bei den Anforderungen nach der Art der Berührung des Schutzgutes differenziert wird und auch differenziert werden muss, soll hier nur auf die für das Arzthaftungsrecht interessanten Beeinträchtigungen der Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne abgestellt werden. Über die Erfassung jeder Beeinträchtigung im biologisch-physiologischen Sinne vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. S. 1 GG besteht Einigkeit. Jede Berührung des Schutzbereiches soll einen Eingriff darstellen. Eine nähere Bestimmung, was unter Beeinträchtigungen im biologisch-physiologischen Sinn zu verstehen ist, erfolgt nur insoweit, als dass auch medizinische Maßnahmen, die auf „Heilung“ oder deren Vorbereitung (Diagnose) gerichtet sind120, Eingriffsqualität haben.121 Ebenso Ebda. BVerfGE 56, 54, 73; v. Münch / Kunig-Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 2, Rdnr. 62. 119 v. Münch / Kunig-Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 2, Rdnr. 64. 120 Wobei mit „Heilung“ sicherlich auch die Maßnahmen gemeint sind, die von vorn herein nicht auf „Heilung“, sondern auf Erhaltung des bestehenden Zustandes oder auch auf Reduzierung der unausweichlichen Verschlechterung gerichtet sind. 121 v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Bonner Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 219; v. Münch / Kunig-Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 2, Rdnr. 65. 117 118

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs

51

wie die von der h.M. im zivilen Haftungsrecht vertretene Auffassung, soll nur die Einwilligung des Patienten die Eingriffsqualität entfallen lassen.122 Für die Fragen, was Gesundheit eigentlich ist und wann ein Eingriff bzw. eine Verletzung der Gesundheit durch ärztliches Handeln vorliegt, hilft das Verfassungsrecht nicht wesentlich weiter. Inhaltlich gehen die Überlegungen zur Begrifflichkeit nicht über die der WHO-Definition hinaus. Von Interesse ist allerdings, dass die Weite des Schutzbereiches erkannt wurde und hierauf mit einer Einschränkung des Schutzbereiches derart reagiert wurde, dass auch solche Beeinträchtigungen wie Übelkeit, die eindeutig in den Schutzbereich fallen, dann nicht von diesem erfasst werden, wenn sie nur geringfügig und damit zumutbar sind. Hier scheint es sich um eine Art von Fällen des allgemeinen Lebensrisikos zu handeln, die bei Geringfügigkeit vom Schutzbereich ausgenommen sind. Für das Zivilrecht wird zu untersuchen sein, ob Rechtsprechung und Lehre sich auch dort der Weite des Schutzbereiches bewusst sind, und wenn ja, wie mit dem Problem umgegangen wird. Auch der Blick auf die grundrechtliche Bewertung der medizinischen Maßnahmen hilft nicht weiter, da hier nur der Problemkreis der eigenmächtigen ärztlichen Behandlung thematisiert wird. Ob ein Eingriff in den Schutzbereich vorliegt, wird in den diskutierten und entschiedenen Fällen vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der Einwilligung des Patienten abhängig gemacht.123

b) Der Gesundheitsbegriff im Sozialrecht Die Betrachtung der sozialrechtlichen Gesundheits- und Krankheitsbegriffe124 wird sich im Hinblick auf die zivilrechtliche Ausrichtung des Vorhabens auf die des gesetzlichen Krankenversicherungsrechts beschränken. Dieser Bereich des Sozialrechts scheint sich für eine Untersuchung der Begrifflichkeiten, aufgrund zahlreich ergangener Entscheidungen des Bundessozialgerichtes (BSG), besonders zu eignen. Sowohl der Gesundheits- als auch der Krankheitsbegriff sind im Krankenversicherungsrecht von zentraler Bedeutung, da das Vorliegen des jeweiligen Zustandes „gesund“ oder „krank“ unterschiedliche Leistungsansprüche des Versicherten zur Folge hat. Krankheit löst einen Anspruch auf Krankenbehandlung gemäß § 27 Abs. 1 SGB V aus, wohingegen Ansprüche gemäß der §§ 20 ff. SGB V auf 122 Siehe nur v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Bonner Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 219; v. Münch / Kunig-Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 2, Rdnr. 65. 123 v. Münch / Kunig-Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 2, Rdnr. 65. 124 Im Sozialrecht besteht Übereinstimmung, dass die Annahme einer Krankheit das Vorliegen eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes voraussetzt und auch die seelischen Veränderungen zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus weichen die Begriffsbestimmungen der gesetzlichen Unfallversicherung und der Rentenversicherung voneinander ab – Nachweis insoweit bei Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 27, Rdnr. 44 ff. m. w. N.

4*

52

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

Präventionsmaßnahmen zur Gesundheitsförderung und Krankheitsverhütung bei vollkommener bzw. geschwächter Gesundheit bestehen. Im Gegensatz zum Gesundheitsbegriff hat der Krankheitsbegriff, von dessen definitorischer Bestimmung der Gesetzgeber bewusst Abstand genommen hat125, durch Praxis und Rechtsprechung eine konkrete inhaltliche Bestimmung erfahren. In ständiger Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) und des BSG ist Krankheit i. S. d. gesetzlichen Krankenversicherung ein regelwidriger körperlicher und geistiger Zustand, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge hat.126 Bei der Definition hat sich die Rechtsprechung am Gesetzeszweck des SGB V orientiert und aufgrund dessen einen zweigliedrigen rechtlichen Zweckbegriff geschaffen.127 Mit dem Merkmal der Regelwidrigkeit wird das Bedürfnis des Versicherten nach Gesundheit zum Ausdruck gebracht, wohingegen die Einbeziehung der Kriterien Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit diesen weiten Risikobereich an den Möglichkeiten und Zielen der Gesellschaft ausrichten und damit zur Begrenzung des Versicherungsrisikos beitragen sollen.128 Nicht sämtliche mit einer Krankheit verbundenen Risiken sollen durch das Krankenversicherungsrecht abgedeckt werden, sondern nur diejenigen Lasten, die der Einzelne in der Regel nicht zu tragen vermag, wie die Aufwendungen für die Krankenbehandlung und den Ersatz des krankheitsbedingten Lohnausfalls.129 Bei der Beurteilung des Vorliegens eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes stellt das BSG in ständiger Rechtsprechung darauf ab, ob der Zustand vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht, ob also der Versicherte zur Ausübung der normalen psycho-physischen Funktionen in der Lage ist oder nicht.130 Bei der Bestimmung, ob eine normwidrige Funktionseinbuße vorliegt, wird die Bandbreite der individuellen Verschiedenheiten berücksichtigt.131 Nicht um einen regelwidrigen Zustand handele es sich dann, wenn – wie bei der Schwangerschaft oder der Altersgebrechlichkeit – Funktionseinschränkungen und Beschwerden auftreten, die üblicherweise mit einem solchen Zustand oder einer solchen Entwicklung zusammenhängen.132 Die körperlichen und funktionellen Wandlungen, wie 125 Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass der Begriffsinhalt dem ständigen Wandel der Zeit unterworfen sei und einer Normierung damit die erforderliche Flexibilität fehle. 126 Zur Entwicklung vgl. BSGE 13, 134, 133 m. w. N. aus der Rspr. der RVA.; BSGE 33, 202, 203; 48, 23, 26; 59, 119, 120; 66, 248, 249. 127 Höfler, in: KassKomm, SGB V, § 27, Rdnr. 9. 128 Höfler, in: KassKomm, SGB V, § 27, Rdnr. 9; R. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, § 27, Rdnr. 54. 129 R. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, § 27, Rdnr. 54; Schulin-Schneider, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, § 20, Rdnr. 27. 130 Vgl. nur BSGE 59, 119, 121; 66, 248, 249. 131 Schulin-Schneider, Handbuch des Sozialversicherungsrecht, § 20, Rdnr. 31; R. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, § 27, Rdnr. 63. 132 R. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, § 27 Rdnr. 64 m. w. N.

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs

53

beispielsweise das Nachlassen der Kräfte, die Minderung des Seh- und Hörvermögens, der Verlust von Zähnen, die altersbedingt im Laufe des Lebens in allen Organen festzustellen sind, werden bei zeitgerechtem Auftreten als physiologisch, also der Norm entsprechend aufgefasst.133 Wird allerdings auf Einzelgebieten das übliche Maß überschritten, so kann dies eine Regelwidrigkeit darstellen und damit Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts gegeben sein.134 In Grenzbereichen ist die Beurteilung, ob Regelwidrigkeit vorliegt oder nicht, von den geltenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Konventionen abhängig.135 Die beiden weiteren Elemente des Krankheitsbegriffs, die der Arbeitsunfähigkeit und die der Behandlungsbedürftigkeit, haben ebenfalls durch die Rechtsprechung des BSG eine weitreichende Ausgestaltung erfahren. Behandlungsbedürftigkeit ist gegeben, soweit der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand ärztlicher Behandlung zugänglich ist und bedarf, um ihn nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu heilen, zu verbessern, vor Verschlimmerung zu bewahren oder zu lindern.136 Die Beantwortung der Frage, ob ein Zustand behandlungsbedürftig ist, hängt davon ab, ob die genanten Behandlungsziele erreicht werden können – mit anderen Worten der Zustand einer Behandlung zugänglich ist. Der vom Patienten gewünschte Endzustand einer Behandlung ist nicht maßgeblich.137 Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte überhaupt nicht oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit oder einer ähnlichen Tätigkeit nachzugehen.138 Zur Bejahung einer Krankheit i. S. d. GKV braucht sie bei Vorliegen eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustands allerdings nur alternativ zur Behandlungsbedürftigkeit zu bestehen. Die Rechtsprechung hat bei der inhaltlichen Bestimmung des von ihr entwickelten Krankheitsbegriffs nicht nur den medizinischen Aspekt berücksichtigt, sondern sich von der Funktion der Krankheit als Versicherungsfall leiten lassen. Durch die Einbeziehung der Merkmale Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit in den Krankheitsbegriff ist der Gesetzeszweck mit einbezogen worden und hierdurch der Anspruch, einen allgemeingültigen Krankheitsbegriff zu formulieren, von Anfang an unberücksichtigt geblieben. Ähnliches würde wohl auch für einen Gesundheitsbegriff im Arzthaftungsrecht zu gelten haben. Er müsste sich speziell an der bestehenden und gewollten Reichweite des Haftungsrechts orientieren. 133 R. Schmidt, in: Peters Krankenversicherung, SGB V, § 27, Rdnr. 64; Schulin-Schneider, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, § 20, Rdnr. 32; Höfler, in: KassKomm, SGB V, § 27, Rdnr. 14. 134 Vgl. Schulin-Schneider, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, § 20, Rdnr. 34. 135 Beispielsweise tolerierbares Körpergewicht – vgl. R. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SBG V, § 27, Rdnr. 68. 136 BSGE 26, 240, 242; BSGE 30, 151, 153; BSGE 35, 10, 12. 137 Schulin-Schneider, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, § 20, Rdnr. 40. 138 Vgl. nur Höfler, in: KassKomm, SGB V, § 27, Rdnr. 28; Schulin-Schneider, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, § 27, Rdnr. 50.

54

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

Obwohl im Rahmen des § 11 i.V.m. §§ 20 ff. SGB V der Aufgabenbereich der Gesundheitsförderung verankert ist, hat im Gegensatz zum Krankheitsbegriff der Gesundheitsbegriff weder an dieser noch an anderer Stelle im SGB V eine konkrete Ausformung erhalten. Lediglich im Zusammenhang mit der Beurteilung, dass ein regelwidriger Körperzustand im Rahmen des § 27 SGB V dann vorliegt, wenn er von der durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägten Norm abweicht, hat das BSG ausgeführt: „Der seinerseits nicht leicht zu beschreibende Zustand der „Gesundheit“ ist dabei für die Rechtspraxis ausreichend mit dem Zustand gleichzusetzen, der dem Einzelnen die Ausübung der körperlichen Funktionen ermöglicht.“139 Das BSG scheint somit unter Gesundheit – zumindest für die Rechtspraxis – Funktionstauglichkeit zu begreifen. Unter Funktionstauglichkeit versteht es dabei die Ausübung der „normalen psychophysischen Funktionen“.140 Ist der Versicherte in der Lage, diese auszuführen, wird er als gesund angesehen, unabhängig davon, ob Abweichungen von der morphologischen Idealnorm bestehen.141 Die Einschränkung des Gesundheitsbegriffs des BSG auf die Rechtspraxis lässt darüber hinaus den Schluss zu, dass in anderen Bereichen Gesundheit über die Funktionsfähigkeit hinausgehend verstanden werden könnte.142 Des Weiteren verdeutlicht das Gesundheitsverständnis des BSG seine binäre Sichtweise von Gesundheit und Krankheit. Diese Unterscheidung scheint allerdings bereits bedingt durch die unterschiedlichen Leistungsansprüche des Versicherten nach dem SGB V, je nachdem, ob er „gesund“ bzw. „krank“ ist. Leistungen gemäß der §§ 20 ff. erhält nur der noch nicht erkrankte Mensch. Liegt bereits Krankheit vor, kommen Ansprüche aus § 27 SGB V in Betracht.

c) Der Gesundheitsbegriff im Strafrecht Neben dem Verfassungs- und Sozialrecht ist der Begriff der Gesundheit auch im Strafrecht von Bedeutung. Die Schädigung143 der Gesundheit eines Menschen wird im Strafgesetzbuch unter dem Abschnitt „Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit“144 mit Strafe bedroht. Ausdrückliche Erwähnung findet die Gesundheit in § 223 Abs. 1 StGB und § 225 Abs. 1 StGB. Als Grundtatbestand definiert § 223 Abs. 1 StGB, wann BSGE 35, 10, 12. BSGE 59, 119, 121. 141 BSGE 35, 10, 12. 142 Siehe hierzu Mühlenbruch, Gesundheitsförderung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 108 f. 143 Durch das 6. StrRG vom 26. 01. 98 heißt es nun in § 223 StGB, „an der Gesundheit schädigt“, statt bisher „beschädigt“. 144 Neue, vom 6. StrRG eingeführte Abschnittsüberschriften, die die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit eines anderen Menschen hervorhebt – Nachweis bei Tröndle / Fischer-Tröndle, § 223, Rdnr. 2. 139 140

I. Interdisziplinäre Betrachtung des Gesundheitsbegriffs

55

eine Körperverletzung vorliegt – nämlich im Falle einer körperlichen Misshandlung oder einer Gesundheitsschädigung. Dies impliziert, dass § 223 Abs. 1 StGB die Körperverletzung in zwei gleichwertige Unterfälle, die der körperlichen Misshandlung und der Gesundheitsschädigung, teilt.145 Die Gesundheitsschädigung wird in jedem Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden krankhaften Zustand körperlicher oder seelischer Art gesehen.146 Nach Arzt / Weber147 ergibt sich eine Definition am besten mit Hilfe von Krankheit, dem Gegensatz von Gesundheit: „Wer einen anderen krank oder kränker macht, schädigt dessen Gesundheit.“ Was Krankheit ist, wird jedoch ebenso wenig generell definiert wie die Frage gestellt, was eigentlich Gesundheit ist, deren Schädigung mit Strafe bedroht wird. Für das Vorliegen einer Gesundheitsschädigung werden lediglich Beispiele angeführt, wie Erkrankungen innerer Organe, Knochenbrüche, Sehnenrisse, Wunden, Infektionen, Vergiftungen, Hämatome, die Beeinträchtigung der normalen körperlichen Funktionen durch Betäubung148 und ganz allgemein durch die Herbeiführung einer Krankheit (wobei der offene Ausbruch der Krankheit nicht erforderlich ist149),150 die Verschlimmerung oder Verlängerung eines bestehenden Krankheitszustandes151. Im Gegensatz zur Gesundheitsschädigung umfasst der Tatbestand der körperlichen Misshandlung alle substanzverletzenden Einwirkungen auf den Körper sowie jede üble unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird.152 Als Misshandlungen gelten insbesondere das Bewirken von Substanzschäden, wie beispielsweise Schwellungen, Blutergüsse, Schnitte, Risse, Narben, Wucherungen und dergleichen, oder Substanzeinbußen, wie der Verlust von einzelnen Gliedern, Organen, Zähnen etc.153 Das Zufügen von Schmerzen ist nicht erforderlich.154 In den Kommentierungen zu § 225 Abs. 1 StGB, der ebenfalls ausdrücklich Vgl. nur Arzt / Weber, Strafrecht BT, § 223, Rdnr. 21. BGHSt 36, 1, 6; 43, 346; Wessels / Hettinger, Strafrecht BT, § 5 II 2, Rdnr. 257; LKHirsch, § 223, Rdnr. 11. 147 Arzt / Weber, Strafrecht BT, § 6, Rdnr. 24. 148 BGH NJW 1983, 462; Wessels / Hettinger, Strafrecht BT, § 5 II 2, Rdnr. 259. 149 BGHSt 36, 1, 7 – die Infizierung mit dem HIV Virus reicht aus, ohne dass es zum Ausbruch der Erkrankung kommen muss, da die Infizierung objektiv den körperlichen Normalzustand des Opfers tiefgreifend verändert. 150 LK-Hirsch, § 223, Rdnr. 12. 151 BGH NJW 1960, 2253; Wessels / Hettinger, Strafrecht BT, § 5 II, Rdnr. 259; Schönke / Schröder-Eser, § 223, Rdnr. 5. 152 BGHSt 14, 269; OLG Düsseldorf NJW 1991, 2918; LK-Hirsch, § 223, Rdnr. 6; Schönke / Schröder-Eser, § 223, Rdnr. 3. 153 BGH NJW 1953, 1440; 66, 1763; Wessels / Hettinger, Strafrecht BT, § 5 II 2, Rdnr. 256. 154 Schon angesichts der Möglichkeit der Betäubung braucht das Opfer keinen Schmerz zu empfinden. BGH NJW 1953, 1440 – Abschneiden eines Bartes. 145 146

56

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

die Schädigung der Gesundheit bestraft, wird im Wesentlichen auf § 223 Abs. 1 StGB verwiesen. Erweiternd wird hier nur die Beeinträchtigung der „gesunden“ Entwicklung des Kindes als Gesundheitsschädigung aufgeführt.155 Festzuhalten ist, dass auch das Strafrecht über keine definierte Vorstellung von Gesundheit verfügt. Insbesondere auf die hier untersuchte Fragestellung, worin die Gesundheitsbeschädigung eines bereits erkrankten Patienten besteht und ob dieser überhaupt noch durch eine ärztliche Heilbehandlung an seiner „Gesundheit“ verletzt werden kann, hat auch das Strafrecht keine weiterführenden Antworten. Die strafrechtliche Definition der Gesundheitsschädigung beschränkt sich auf Aussagen wie „krankhafte Abweichung vom Normalzustand“, ohne diese ihrerseits konkretisierungsbedürftigen Begriffe näher zu bestimmen. Dies verwundert, da man gerade aufgrund des besonderen Charakters des Strafrechts eine sehr differenzierte Ausgestaltung – insbesondere vor dem Hintergrund von Art. 103 Abs. 2 GG – hätte erwarten dürfen. In Zusammenhang mit ärztlichen „Heileingriffen“ wird im Strafrecht seit langem lediglich das Problem der Qualifizierung der eigenmächtigen ärztlichen Behandlung als Körperverletzung diskutiert. Diese Rechtsprechung, die durch eine Entscheidung des Reichsgerichts 1894 einführt und sodann auch von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung übernommen worden ist, wird bis heute, entgegen sich mehrenden Stimmen in der Literatur, durchgehalten. Grund für diese Entscheidung war, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten unter allen Umständen gegen ärztliches Handeln zu schützen.156 Das Strafgesetzbuch beinhaltet(e) sowohl in der damaligen Fassung als auch in der heutigen keinen geeigneten Tatbestand, um einen Verstoß des Arztes gegen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten strafrechtlich zu erfassen. Die von ihrem Charakter in Frage kommenden Tatbestände der Freiheitsberaubung oder der Nötigung boten und bieten keine geeignete Handhabe, da sie nur vorsätzlich verwirklicht werden und somit den großen Bereich fahrlässigen Verhaltens, der den Schwerpunkt der Arzthaftung bietet, nicht mit abdecken können. Anders als bei der strafrechtlichen Gesundheitsverletzung wurde bei der Qualifizierung der eigenmächtigen ärztlichen Behandlung als Körperverletzung zumindest von einigen Literaten erkannt, dass der strafrechtliche Fundamentalgrundsatz „nullum crimen sine lege“ es eigentlich verbietet, den im Hinblick auf Art. 1 und 2 GG für erforderlich gehaltenen Patientenschutz dadurch sicherzustellen, dass man den Köperverletzungstatbeständen kurzerhand noch das Selbstbestimmungsrecht „auflädt“.157 Der Gesetzgeber ist daher gefragt, die Gesetzeslücke im besonderen Teil des Strafrechts zu schließen. Vgl. nur Tröndle / Fischer-Tröndle, § 225, Rdnr. 10. Siehe Bodenburg, Der ärztliche Kunstfehler als Funktionsbegriff zivilrechtlicher Dogmatik, S. 17 m. w. N. 157 Ulsenheimer-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 138, Rdnr. 4.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 117. 155 156

II. Resümee

57

Das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts158 sah in jüngster Vergangenheit deshalb einen Sonderstraftatbestand der „eigenmächtigen Heilbehandlung“ vor. Neben dem vordringlichen Ziel der Novellierung, das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Unversehrtheit des Patienten unabhängig von Indikation und der Kunstgerechtigkeit des Eingriffes zu schützen, sollte die ärztliche Behandlung ausschließlich durch Ihren Zweck bestimmt sein. Auf ihren medizinischen Erfolg sollte es nicht ankommen, da der Arzt unter kein Erfolgsrisiko gestellt werden sollte.159 Vorgesehen waren daher der Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung (§ 229 E), der die Qualifizierung des ärztlichen Heileingriffes als Körperverletzung entfallen lassen würde und ein Tatbestand der fehlerhaften Heilbehandlung (§ 230 E). Auf die Einführung der Tatbestände wurde wegen einiger ungeklärter Detailfragen verzichtet.160 Somit ist auch weiterhin das Sonderproblem der eigenmächtigen und der fehlerhaften ärztlichen Behandlung nach dem unter Rechtsgutsgesichtspunkten nicht sachgerechten Tatbestand der Körperverletzung bzw. fahrlässiger Tötung zu beurteilen. Für die hier zu untersuchende Fragestellung ist interessant, dass selbst die vorgeschlagenen Sonderstraftatbestände nicht ohne die Begrifflichkeit „Gesundheit“ ausgekommen sind. Die fehlerhafte Heilbehandlung hätte beispielsweise zu einer Gesundheitsverletzung führen müssen. Dies zeigt, dass auch im Strafrecht das Problem des konturlosen Gesundheitsbegriffs, insbesondere auch für die besonderen Sachverhaltskonstellationen des Arzthaftungsrechts, nicht erkannt worden sind.

II. Resümee Es wurde aufgezeigt, dass das Verständnis von „Gesundheit“ je nach Einzelfall, Fachdisziplin und Perspektive des Betrachters, sehr unterschiedlich ist. Der Begriff Gesundheit findet sich dabei in allen Bereichen des Lebens und beschränkt sich nicht auf physisch oder psychische Zustände, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Auch Gesellschaftssysteme werden beispielsweise in der Soziologie als „gesund“ bzw. „krank“ bezeichnet. Dass es für die zu bearbeitende Fragestellung nicht auf die soziologische Sichtweise ankommt, ist offensichtlich. Sie verfolgt keinen – für das Haftungsrecht sicherlich erforderlichen – individuellen und patientenbezogenen Ansatz, sondern beurteilt gesamtgesellschaftliche Prozesse. Veranschaulicht werden sollte mit der soziologischen Sichtweise, dass „Gesundheit“ sich eben nicht ausschließlich auf Lebewesen und ihre seelischen und körperlichen Befindlich158 159 160

BGBl. I, Jahrgang 1998, Nr. 75, S. 3322. S. 93 der Begründung des Referentenentwurfs. Siehe weitere Nachweise bei Katzenmeier, Arzthaftung, S. 118.

58

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

keiten beschränkt, sondern der Begriff eine wesentlich größere Dimension aufweist. Festzuhalten ist zunächst, dass Gesundheit wohl von jedem Einzelnen, jeder Fachdisziplin – sofern sie sich überhaupt mit der Frage, was Gesundheit ist, beschäftigt – unterschiedlich, immer abhängig von der jeweiligen Situation und perspektivischen Sichtweise definiert wird. Gemeinsam haben alle Definitionen und Vorstellungen von Gesundheit zweierlei: Es handelt sich immer um eine Wertidee. Die Wertidee hat immer einen positiven Gehalt. Darüber hinaus können die Bemühungen um die inhaltliche Bestimmung des Gesundheitsbegriffs in drei Gruppen von Motiven und Interessen unterschieden werden, die sich zum Teil allerdings überschneiden:161 Gesundheit als Wertaussage Gesundheit als Abgrenzungskonzept Gesundheit als Funktionsaussage

1. „Gesundheit“ als Wertaussage Die üblichste und umgangssprachlichste Begriffsverwendung ist, „Gesundheit“ oder „gesund“ als Wertaussage zu fassen. Gesundheit wird in diesem Zusammenhang als Metapher für positive physische, psychische und auch soziale Umstände und Konstellationen verwendet. Hierzu lassen sich von den dargestellten Gesundheitsvorstellungen vor allem diejenigen der WHO, der „seelischen Gesundheit“ und Aussagen wie „Gesundheit als umfassende Lebenskompetenz“ oder „vitales Fähigkeitsgefühl“ zuordnen. Charakteristisch für diese Gruppe ist, dass „Gesundheit“ als Symbol für den Wunsch nach einem besseren Leben dient und somit als abstrakter, teilweise in die Utopie reichender Maßstab für die Qualität individueller oder auch gesellschaftlicher Lebensumstände angesehen wird. Für das Haftungsrecht wird diese Sichtweise kaum brauchbar sein, da das Haftungsrecht eine entscheidungsbezogene, auf den individuellen Einzelfall blickende Ausrichtung haben muss. Aufgabe des Haftungsrechts ist es, bei Vorliegen generell bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen, die durch das Gesetz bestimmten Rechtsfolgen anzuordnen oder bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen, diese entsprechend nicht anzuordnen. Der Ansatzpunkt und das Ziel der Definitionsbemühungen der WHO ist ein völlig anderer: Lebensumstände sollen durch die nur als Absichtserklärung zu verste161 Vgl. Bauer, Lexikon des Sozial und Gesundheitswesens, Stichwort: Gesundheitsbegriff.

II. Resümee

59

hende Gesundheitsdefinition optimiert werden. Gesundheit wird hier als Idealzustand verstanden, der nicht existent ist und wohl in seinem vollen Umfang niemals zu erreichen sein wird. 2. „Gesundheit“ als Abgrenzungskonzept Als Beispiele für Gesundheit als Abgrenzungskonzept sind insbesondere das medizinisch – naturwissenschaftliche und das sozialrechtliche Verständnis sowie der soziologische Ansatz Luhmanns zu nennen.162 Gesundheit wird in diesem Zusammenhang als Abwesenheit von Krankheit bezeichnet. Dies führt zu einer fiktiven Schnittstelle zwischen Gesundheit und Krankheit, die sich – wie aufgezeigt – kaum begründen lässt, weil es sich einerseits bei den bezeichneten Zuständen immer um Leben in einem breiten Deutungsfeld handelt und andererseits eine klare Abgrenzung allein aus medizinischer Sicht, die wohl für das Haftungsrecht die bedeutende sein wird, nicht möglich ist. Das breite Deutungsfeld umfasst mindestens zwei Sichtweisen. Einerseits die Selbsteinschätzung des Betroffenen und andererseits die Einschätzung des Arztes bzw. der verschiedenen Berufsgruppen des Krankenversorgungssystems. Dies kann zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen. Beispielsweise wird sich ein alternder Mensch sicherlich nicht selbst als krank bezeichnen, wenn er an altersbedingten Einschränkungen wie der des Seh-, Höroder Gehvermögens leidet. Ein chronisch Kranker oder auch behinderter Mensch, der es gelernt hat, mit seinen Einschränkungen zu leben und sich subjektiv wohlfühlt, wird sich sicherlich als „gesund“ im Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten ansehen. Ganz anders werden diese Zustände aus Sicht unseres Krankversorgungssystems eingestuft. Gründe hierfür sind beispielsweise, dass die Einordnung „gesund“ oder „krank“ zu unterschiedlichen Zuständigkeiten und auch Ansprüchen auf Kostenübernahme von Behandlungen im System der gesetzlichen Krankenkassen führen kann.163 Anspruch auf gesundheitsfördernde Maßnahmen gemäß §§ 20 ff SGB V hat beispielsweise nur der noch nicht erkrankte Mensch. Liegt Krankheit vor, kommen hingegen Ansprüche aus § 27 SBG V in Betracht. Im Sozialrecht wird der Krankheitsbegriff anscheinend immer dann verwendet, wenn relativ präzise tatbestandliche Voraussetzungen normiert werden müssen, um bei Vorliegen des Tatbestandes durch das Gesetz definierte Rechtsfolgen anzuordnen. Der Gesundheitsbegriff scheint dagegen immer dann Verwendung zu finden, wenn es um Regelungen geht, die zu untergesetzlicher Rechtssetzung164 oder zur 162 Vgl. Bauer, Lexikon des Sozial und Gesundheitswesens, Stichwort: Gesundheitsbegriff. 163 Siehe hierzu Luhmann unter Gliederungspunkt Kapitel 2 I. 3. b). 164 Satzungsleistung nach dem SBG V für Prävention.

60

Kapitel 2: Aussagen und „Theorien“ des Gesundheitsbegriffs

Realisierung gesundheitspolitischer Programme ermächtigen165 und somit auf eine finale Programmierung gerichtet sind. Aus dem Vergleich beider Anwendungsbereiche lässt sich für das Sozialrecht folgende Hypothese formulieren: Der Gesundheitsbegriff eignet sich für Programm- und Planungsrechtsnormen, der Krankheitsbegriff dagegen ist für die konditionale Programmierung die richtige Kategorie. Soweit konditionale Programmierung benötigt wird, ist Krankheit i.S.v. Regelwidrigkeit im naturwissenschaftlichen Sinne der maßgebliche Tatbestand und es gilt das binäre Konzept, wonach Gesundheit die Abwesenheit von Krankheit ist. Bei finaler Programmierung ist tatbestandliche Offenheit möglich und auch erforderlich und daher der Gesundheitsbegriff, der hier zutreffende. Fraglich ist, ob die für das Sozialrecht aufgestellte Hypothese ganz oder zumindest teilweise auf das Arzthaftungsrecht übertragbar ist. Dagegen dürfte bereits die Verwendung des Gesundheitsbegriffs in den Tatbeständen der §§ 823 Abs. 1 und 253 Abs. 2 BGB sowie nunmehr die Integration in § 241 Abs. 2 BGB sprechen. Denn das Rechtsgut „Gesundheit“ wird dort nicht als Zielvorstellung verwendet, sondern soll einen real existierenden Zustand darstellen, der vor Eingriffen / Verletzungen geschützt wird. Eine tatbestandliche Offenheit führt an der Ausrichtung des Haftungsrechts, die entscheidungsbezogen ist, vorbei. Auch der Versuch, Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit zu definieren, um sich über diesen Weg einem möglichst präzisen Tatbestand anzunähern, führt, insbesondere für das Arzthaftungsrecht, nicht weiter. Das erste Problem stellt sich bei der Frage, wie Krankheit zu definieren ist. Ebenso wie Gesundheit wird auch Krankheit, je nach Sichtweise und Fachdisziplin, vollkommen unterschiedlich gesehen. In den Rechtswissenschaften – und hier insbesondere im Sozialrecht – hat der Krankheitsbegriff eine differenzierte Ausgestaltung erfahren. Neben Regelwidrigkeit wird als weiteres Element die Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit angeführt. Hintergrund hierfür ist, dass das GKV-System auf die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit abzielt. Das Haftungsrecht verfolgt eine völlig andere Intention, nämlich den Integritätsschutz des Einzelnen vor Eingriffen Dritter in seine Rechtssphäre.166 Ob das allerdings auch im Arzthaftungsrecht der Fall ist oder hier eine vom klassischen Haftungsrecht abweichende Schutzrichtung besteht, wird in Kapitel 4 „Juristisches Synonym für Gesundheit im Kontext der Arzthaftung“ noch eingehend zu untersuchen sein.

§ 20 SGB V. Regenbogen, Ärztliche Aufklärung und Beratung in der prädiktiven genetischen Diagnostik, S. 178; Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 4; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 80. 165 166

II. Resümee

61

3. „Gesundheit“ als Funktionsaussage In fast allen definitorischen Bestimmungen von Gesundheit finden sich Funktionsaussagen wieder. Der Soziologe Parsons167 beschreibt mit „Gesundheit“ das Funktionieren eines gesellschaftlichen Systems. Die Psychologen definieren über Funktionsaussagen – wie die Fähigkeit zur produktiven Tätigkeit oder dem Eingehen liebevoller Beziehungen – die seelische Gesundheit. Die naturwissenschaftliche Medizin setzt Gesundheit teilweise mit der Funktionsfähigkeit von Organen oder Gliedmaßen gleich, was zu Aussagen führt wie „Gesundheit ist das Leben im Schweigen der Organe.“ Auf unterschiedliche Weise kommen all diese Definitionsbemühungen substanziell nur zu der Feststellung, dass ein hochintegriertes System störungsfrei funktioniert. Eine Konkretisierung darüber hinaus, d. h. eine inhaltliche Ausgestaltung der ihrerseits definitionsbedürftigen Metapher „störungsfrei“ erfolgt nicht. Selbst wenn allerdings mit Hilfe von Expertenwissen Aussagen möglich sind, wann ein Organ oder ein Organismus störungsfrei funktioniert, hilft dies für das Arzthaftungsrecht nicht weiter, da sich der Patient eben nicht in einem störungsfreien Zustand zum Arzt begibt, sondern – im optimalsten Fall – gerade auf Wiederherstellung des störungsfreien Zustandes hofft.

4. Zusammenfassung Würdigt man die sehr unterschiedlichen Versuche, Gesundheit zu definieren, wird sehr schnell die Unmöglichkeit deutlich, ein einheitliches Substrat zu finden. Diese Feststellung ist nicht neu, hat aber, wie oben aufgezeigt, immer wieder zu neuen Definitionsversuchen in den verschiedensten Fachdisziplinen – mit Ausnahme der Rechtswissenschaft – geführt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gesundheit schlecht konturierbar ist, sondern lediglich eine „Worthülse“ mit positivem Gehalt darstellt. Gesundheit fungiert in der Gesellschaft und in den einzelnen wissenschaftlichen Fachdisziplinen als Wert, Ziel oder auch Legitimation. Gesundheit ist aber nie etwas Feststehendes. Der Begriff „Gesundheit“ erfährt von jeder Fachdisziplin und jedem Individuum eine eigene inhaltliche Ausgestaltung. Fraglich ist, wie im Haftungsrecht mit diesem offenen „Rechtsgut“ umgegangen wird und werden sollte. Eine inhaltliche Ausgestaltung des Begriffs speziell für das zivile Schuld- und Haftungsrecht gibt es, wie noch aufzuzeigen sein wird, nicht.168

167 168

Siehe hierzu Gliederungspunkt Kapitel 2 I. 3. a). Siehe Kapitel 3.

Kapitel 3

Ziviljuristischer Umgang mit dem „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht I. Problemstellung Nahezu einhellig wird von Rechtsprechung und Literatur das Vorliegen einer tatbestandlichen „Gesundheitsverletzung“ als Haftungsvoraussetzung sowohl für deliktische als auch vertragliche Schadensersatzansprüche im Arzthaftungsrecht verlangt.1 Probleme bestehen neben dem Umgang mit dem „Gesundheitsbegriff“ mit der Anwendung der traditionellen Verletzungstatbestandsvorstellungen. Die Verletzungshandlung wird in der nachteiligen Beeinträchtigung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte und Rechtsgüter2 gesehen.3 Nachteilige Beeinträchtigung bedeutet beispielsweise beim Recht Eigentum, die Zerstörung, Beschädigung, Verunstaltung oder auch Entziehung der Sache,4 bei der Freiheit, die Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit,5 beim Rechtsgut Leben, die Tötung eines Menschen6 und beim Körper, den Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit.7 Für die Beeinträchtigung der Gesundheit wird regelmäßig auf die inneren Funktionen und Vorgänge des Körpers, also eine Art

1 Vgl. Gliederungspunkt Kapitel 1 IV.; BGH VersR 1963, 67 ff.; BGH VersR 1986, 72 ff.; BGH NJW 1998, 1782 ff. BGH VersR 1999, 60 f.; BGH VersR 2000, 1282 f.; Müko-Mertens, § 823, Rdnr. 358; RGRK- Nüßgens, § 823 Anh. II, Rdnr. 287; Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 103, Rdnr. 4; Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 320; Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 2, § 34 I; Larenz, Schuldrecht AT I, § 76 II 1 g; Esser / Weyers, Schuldrecht BT Bd. II / 2, § 55 I; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 675; Kasche, Verlust von Heilungschancen, S. 251; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 111; Medicus, Schuldrecht II BT, Rdnr. 781; 2 Bei Leben, Körper und Gesundheit spricht man von Rechtsgütern und nicht von Rechten, weil der Träger nicht wie beim Eigentum, dem Gegenstand zugeordnet ist – Larenz / Canaris, Schuldrecht II / BT 2, § 76 I 1 a. 3 Palandt-Thomas, § 823 Rdnr. 2. 4 Vgl. nur Palandt-Thomas, § 823 Rdnr. 8; Esser / Weyers, Schuldrecht BT Bd. II / 2, § 55 I 2 a. 5 Vgl. nur Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 211. 6 Siehe nur Palandt-Thomas, § 823, Rdnr. 3. 7 Vgl. nur RGRK-Steffen, § 823, Rdnr. 8.

I. Problemstellung

63

innere Integrität abgestellt.8 Typische Beispiele für eine Gesundheitsverletzung stellen Infektionen und Vergiftungen dar.9 Zur Feststellung, ob eine nachteilige Beeinträchtigung vorliegt, wird nach der traditionellen Verletzungstatbestandsvorstellung eine Differenzbetrachtung im Sinne eines Vergleichs des Rechtes oder Rechtsguts jeweils vor und nach der Verletzungshandlung angestellt. Weicht der Zustand von demjenigen nachteilig ab, der vor der Verletzungshandlung bestanden hat, liegt eine Verletzung des jeweiligen Rechts oder Rechtsguts vor. Prinzipieller Ausgangszustand ist bei der Betrachtung ein „intaktes“ Recht oder Rechtsgut: Beim Eigentum beispielsweise das unversehrte Auto und beim Rechtsgut Körper, die unversehrte Wange. Die nachteilige Beeinträchtigung und damit der Verletzungstatbestand wird in den Beispielsfällen im Vorliegen einer Beule im Auto und einer angeschwollenen Wange nach der Verletzungshandlung gesehen. Diese Beispiele veranschaulichen sehr deutlich, dass beim traditionellen Verletzungstatbestand in Minusvorstellungen gedacht wird, die ihren Ausgangspunkt in der „Heilheitsvorstellung“ des Rechts oder Rechtsguts finden. Dieser prinzipielle Ansatz lässt sich natürlich bei bereits beeinträchtigten Schutzobjekten fortführen. Stets wird der vorherige Zustand als Fixpunkt betrachtet und jede Weiterung – sei es als Intensivierung oder als Verschlechterung an anderer Stelle – in die Minusvorstellung miteinbezogen. Für den „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht ergeben sich für die hier zu untersuchenden Fallkonstellationen, in denen der Patient bereits erkrankt ist, folgende Probleme: Weder ist das Rechtsgut „Gesundheit“ konturiert (1), der Patient vor der Verletzungshandlung überhaupt „gesund“ (2), hat jede ärztliche Verletzungshandlung eine nachteilige Beeinträchtigung des Patienten zur Folge (3), noch ist eine simple Differenzbetrachtung in Form eines Vergleichs – vor / nach dem Behandlungsgeschehen – zur Bestimmung des Verletzungserfolges möglich (4). (1) Wie in Kapitel 3 ausführlich dargestellt, ist „Gesundheit“ ein vollkommen offener Begriff. Es verwundert daher kaum, dass das Rechtsgut Gesundheit, obwohl es sich neben §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB und § 309 Nr. 7a BGB auch in verschiedenen anderen zivilrechtlichen Vorschriften, wie in den §§ 843 Abs. 1 BGB, 1 ProdHaftG, 1 AMG, 84 Abs. 1 AMG Erwähnung findet sowie indirekt auch in § 241 Abs. 2 BGB, weder eine Legaldefinition noch sonst eine nähere inhaltliche Ausgestaltung erfahren hat.10 In Abgrenzung zum Rechtsgut Körper, welches ebenfalls in den obigen Vorschriften genannt wird und auch über keine Legaldefinition verfügt, wird die „GeStaudinger-Hager, § 823, Rdnr. B 20. Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 102, Rdnr. 4; Fuchs, Deliktsrecht, S. 11. 10 Vgl. hierzu auch Möllers, Rechtsgüterschutz im Umwelt- und im Haftungsrecht, S. 29 ff., Gottschick, ÄM 1963, 1246, 1251. 8 9

64

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

sundheit“ regelmäßig auf die inneren Funktionen und Vorgänge des Körpers, auf die innere Integrität, begrenzt.11 Umfasst werden sowohl psychische als auch physische Vorgänge.12 Der Begriff „Körper“ soll im Gegensatz zur „Gesundheit“ den äußeren Bereich, die körperliche Integrität13, den statischen Zustand eines Menschen14 beinhalten. Geschützt werde die persönlich-leibliche Sphäre.15 Als klassisches Beispiel für eine Körperverletzung wird der „Schnitt“ genannt.16 Häufig werden „Gesundheit“ und „Körper“ auch undifferenziert in einem Atemzug genannt, da die Distinktion wegen der identischen Rechtsfolgen als haftungsrechtlich bedeutungslos angesehen wird.17 Eine darüber hinausgehende inhaltliche Bestimmung, was „Gesundheit“ ist, erschöpft sich im Zivilrecht, soweit überhaupt eine Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung erfolgt, in der Wiedergabe des Gesundheitsbegriffs der WHO.18 Völlig unklar ist daher, was mit „Gesundheit“ als schützenswertem Rechtsgut im Arzthaftungsrecht gemeint ist. (2) Eine weitere Diskrepanz, welche den „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht von allen andern klassischen Verletzungstatbeständen unterscheidet, ergibt sich daraus, dass selbst dann, wenn „Gesundheit“ für das Arzthaftungsrecht definierbar wäre, der Patient gerade nicht „gesund“, sondern „krank“ zum Arzt kommt.19 Der „Gesundheitszustand“ des Patienten – wie immer dieser zu definieren wäre – ist durch Angriffe der Natur, sei es durch Unfälle, sei es durch vorausgegangene, nicht erfolgreiche andere ärztliche Eingriffe, sei es durch schicksalhafte Ursachen welcher Art auch immer, versehrt. Hieraus ergibt sich, dass der Ausgangszustand für die klassische Differenzbetrachtung im Rahmen des „Gesundheitsverletzungstatbestands“ im Arzthaftungsrecht bereits unrichtig ist, da es ebenso wie an einem klar umrissenen an einem „intakten“ Rechtsgut fehlt. In diesem Zusammenhang könnte, in Anlehnung an die sog. „Schwimmschalterproblematik“20 bei der Eigentumsverletzung, daran gedacht werden, eine UnterStaudinger-Hager, § 823, Rdnr. B 20. MüKo-Mertens, § 823, Rdnr. 74. 13 Deutsch, Haftungsrecht, Rdnr. 60. 14 RGRK-Steffen, § 823, Rdnr. 8. 15 Erman-Schiemann, § 823, Rdnr. 17; Palandt-Thomas, § 823, Rdnr. 4. 16 Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 103, Rdnr. 4. 17 Erman-Schiemann, § 823, Rdnr. 17; Medicus, Schuldrecht II BT, Rdnr. 779. 18 Vgl. Möllers, Rechtsgüterschutz im Umwelt- und im Haftungsrecht, S. 31 ff. 19 Siehe Brügmann, NJW 1977, 1473, 1474 – der bezogen auf die Körperverletzung die Feststellung trifft, dass der Patient eben nicht körperlich unversehrt, sondern im Gegenteil sich gerade wegen seiner körperlichen Versehrtheit in ärztliche Behandlung begibt. 20 BGHZ 67, 359 – Schwimmschalterentscheidung; BGHZ 86, 256 – Gaszugentscheidung. Seit diesen beiden Entscheidungen ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die Beschädigung / Zerstörung einer intakten Restsache durch ein, von Anfang an defektes Einzelteil, eine Verletzung des Eigentumsrechts an der intakten Sache sein kann. 11 12

II. Die herkömmliche juristische Vorstellung

65

scheidung zwischen gesunden und kranken Teilen des menschlichen Körpers vorzunehmen. Hierzu müsste zunächst überhaupt eine solche Trennung zwischen gesunden und kranken Körperteilen möglich sein. Dies dürfte schon aus dem Grunde ausscheiden, dass i.d.R. mit einer Erkrankung nicht eingrenzbare Teile des menschlichen Organismus betroffen sind, sondern der Organismus als Ganzes. Selbst wenn aber beispielsweise nur ein vom sonstigen Körper isolierbares Organ, wie z. B. die Augen erkrankt sind, würde diese Vorgehensweise nicht weiter helfen, da es bei den hier betrachteten Fällen gerade darum geht, dass der Arzt das erkrankte Organ behandelt. Besonders geläufig: Zahnschmerzen wirken sich gegebenenfalls bis in die Zehenspitzen aus. Im Arzthaftungsrecht scheint der Arzt somit eine wie auch immer zu definierende „Gesundheitsverletzung“ an einem kranken Patienten begehen zu können. (3) Ein weiteres Problem der Anwendung des traditionellen Verletzungstatbestandes auf die arzthaftungsrechtliche „Gesundheitsverletzung“ ist das Denken in „Minusvorstellungen“. Dieses ist für das Arzthaftungsrecht unpassend. Die ärztliche Behandlung ist gerade auf die Verbesserung des „Gesundheitszustandes“ gerichtet21, so dass sicher nicht nur in der Verschlechterung des Zustandes, der vor der Behandlung bestanden hat, sondern auch bei kausal auf einem Behandlungsfehler beruhender Nichtverbesserung der Verletzungstatbestand erfüllt sein muss. Das führt zu der später noch zu vertiefenden Erkenntnis, dass der Arzthaftung weniger ein Erhaltungs- denn ein Erwartungsaspekt innewohnt. (4) Zumal aber wegen der im Arzthaftungsrecht immer existierenden zwei Kausalverläufe, der vom Arzt gesetzten und der im Organismus des Patienten angelegten Ursache, bereitet die traditionelle Differenzbetrachtung zur Feststellung der „Gesundheitsverletzung“ Schwierigkeiten. Häufig lässt sich nicht feststellen, auf welcher gesetzten Ursache der Nichteintritt des Behandlungsziels beruht. Hierin liegt die eigentliche Besonderheit! Mag auch der bereits erkrankte Patient noch mit der bereits vorgeschädigten Sache vergleichbar sein, so befindet sich letztere in einem stabilen Zustand, wohingegen bei Krankheiten deren dynamischer Fortgang typisch ist.

II. Die herkömmliche juristische Vorstellung vom „Gesundheitsverletzungstatbestand“ Die herkömmliche juristische Tatbestandsvorstellung geht beim Gesundheitsbegriff vom normalen Funktionieren der körperlichen, geistigen oder seelischen Lebensvorgänge nach ärztlicher Auffassung aus. Dies drückt sich sowohl in der 21

Vgl. nur Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 2, § 25 IV.

5 Heidelk

66

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

Rechtsprechung als auch in den Literaturmeinungen zum „Gesundheitsverletzungstatbestand“ aus. Nachfolgend soll zunächst ein Überblick zur Definition und Anwendung des „Gesundheitsverletzungstatbestandes“ im Zivilrecht gegeben werden. Im Anschluss erfolgt eine Auswertung für das Arzthaftungsrecht.

1. Juristische Literatur Die juristische Literatur unternimmt nicht den Versuch der Begriffsdefinition „Gesundheit“, sondern nähert sich der Problematik mit der Fragestellung, wann eine Gesundheitsverletzung vorliege. Hierfür fordert sie objektiv feststellbare Störungen der physischen, psychischen oder mentalen Befindlichkeit, die über das übliche Maß hinausgehen, medizinisch diagnostizierbar sind oder zumindest zu einem kurzfristigen pathologischen Zustand führen.22 Nicht Voraussetzung sei, dass die Verletzung von Schmerzen begleitet wird.23 Darüber hinaus wird teilweise verlangt, dass die Gesundheitsverletzung eine ärztliche Behandlung erforderlich mache.24 Das Abstellen auf einen pathologischen Zustand wird teilweise damit begründet, dass das Gegenteil von Gesundheit, Krankheit sei und es sich daher aufdränge, den Begriff „Krankheit“ zur Konkretisierung des Gesundheitsverletzungsbegriffs zu verwenden.25 In erster Linie sei daher nach dem Stand der Medizin zu beurteilen, ob eine Störung den Grad eines krankhaften Zustandes erreiche.26

2. Rechtsprechung Die Rechtsprechung beschäftigt sich ebenfalls lediglich mit dem Begriff der Gesundheitsverletzung und definiert diesen weiter als die juristische Literatur, indem 22 MüKo-Mertens, § 823, Rdnr. 74; RGRK-Steffen, § 823, Rdnr. 10; Kötz / Wagner, Deliktsrecht, Rdnr. 50; Larenz / Canaris, Schuldrecht II BT 2, § 76 II 1. a); Bick, Haftung für psychisch verursachte Körperverletzungen, S. 7; a. A. Möllers, Haftungsrecht, S. 41 – der das Kriterium des pathologischen Zustandes ablehnt und für die Qualifizierung aller erheblichen Störungen des körperlichen, geistigen oder seelischen Befindens als Gesundheitsverletzungen ist. 23 Staudinger-Hager, § 823, Rdnr. B 21; MüKo-Mertens § 823, Rdnr. 74, Fn 115. 24 Müko-Mertens, § 823, Rdnr. 54 ff.; Kötz / Wagner, Deliktsrecht, Rdnr. 50; a. A. Larenz / Canaris, Schuldrecht II BT 2, § 76 II 1 b – die es ausdrücklich ablehnen, die Behandlungsbedürftigkeit zum Begriffsmerkmal der Gesundheitsverletzung zu erheben. Die Behandlungsbedürftigkeit stelle lediglich ein paradigmenbildendes Kriterium dar, mit dessen Hilfe sich die wichtigsten „Regelbeispiele“ für die Anwendung von § 823 Abs. 1 BGB gewinnen ließen. 25 Larenz / Canaris, Schuldrecht II BT 2, § 76 II 1. a); Fuchs, Deliktsrecht, S. 11; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 190. 26 Ebda.

II. Die herkömmliche juristische Vorstellung

67

sie bei der physischen Gesundheitsverletzung das Vorliegen des pathologischen Zustandes nicht verlangt. Unter Gesundheitsverletzung versteht die Rechtsprechung eine Störung der inneren Lebensvorgänge, körperlicher, geistiger und seelischer Natur.27 Zur Bejahung einer physischen Gesundheitsverletzung lässt sie jedes Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustandes ausreichen, wobei unerheblich sein soll, ob Schmerzzustände auftreten oder bereits tiefgreifende Veränderungen der Befindlichkeit eingetreten sind.28 Auch psychisch kann die Gesundheit verletzt werden, ohne dass dafür eine organische Ursache unabdingbare Voraussetzung wäre. Allerdings müssen diese Verletzungen nach Ansicht der Rechtsprechung pathologisch fassbar, d. h. medizinisch feststellbar sein.29 Bei sogenannten Schockschäden Dritter30 schränkt die Rechtsprechung die Gesundheitsverletzung zusätzlich ein, indem sie die medizinische Bewertung des Gesundheitszustandes juristisch durch die allgemeine Verkehrsauffassung korrigiert.31 Durch diese Verrechtlichung des Begriffs der Gesundheitsverletzung versucht der BGH eine Haftungsbegrenzung zu erreichen.32

3. Auswertung Bei der Prüfung des „Gesundheitsverletzungstatbestandes“ nehmen Rechtsprechung und Literatur, entsprechend der klassischen „Verletzungstatbestandsvorstellung“, eine Differenzbetrachtung zwischen dem Normalzustand und dem Zustand, der nach der deliktischen Handlung eingetreten ist, vor. Wenn der Zustand nach der Handlung negativ vom Normalzustand abweicht, d. h. sich infolge derselben verschlechtert hat, liegt eine Gesundheitsverletzung vor. Unter Normalzustand, welcher nicht weiter definiert ist, wird scheinbar der Zustand verstanden, der vor der Handlung bestanden hat. Dieser scheint als „Gesundheit“ angesehen zu werden. Jede Verschlechterung, sofern sie den aufgestellten Anforderungen der Rechtsprechung bzw. der Lehre entspricht, wird dann als „Gesundheitsverletzung“ betrachtet. 27 28

BGHZ 8, 243 ff. (248) – Luesinfektion. BGHZ 114, 284 – HIV-Infektion, ohne dass die Krankheit Aids bereits ausgebrochen

ist. BGHZ 56, 163, 166; BGH VersR 1991, 704 – psychische Unfallauswirkungen. Z. B. die Überbringung der Nachricht vom tödlichen Unfall eines nahen Verwandten löst einen Schock aus. 31 BGHZ 56, 163, 165; BGH NJW 2317, 2318. Zustimmend auch RGRK-Steffen, § 823, Rdnr. 11 – der meint, dass die medizinische Bewertung in eine juristische, die sich am Schutzzweck der Unrechtshaftung ausrichtet, haftungsrechtlich übersetzt werden müsse. 32 Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 196; Staudinger-Hager, § 823, Rdnr. B 31; RGRKSteffen, § 823, Rdnr. 11. 29 30

5*

68

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

Ausgangszustand (Normalzustand)

Differenzbetrachtung

= Gesundheit

Verhalten

Endzustand (vom Normalzustand abweichendes Empfinden) = Gesundheitsverletzung

Für das Arzthaftungsrecht hilft diese Sichtweise nicht weiter, da sich die zugrunde liegenden Sachverhalte in wesentlichen Punkten unterscheiden. Der Patient befindet sich gerade nicht in einem „Normalzustand“, welcher sich aufgrund Handelns des Schädigers verschlechtert hat. Der Arzt wird vielmehr in der Regel – und auch nur diese Fälle sollen im Rahmen der Arbeit behandelt werden – bereits mit einer Grunderkrankung konfrontiert, auf welche er mit dem Ziel einwirkt, sie zu heilen oder zumindest zu lindern.33 Anders als in von Rechtsprechung und Lehre behandelten Fällen, wird der Mediziner somit mit dem Ziel der Verbesserung bzw. der Erhaltung des bestehenden „Gesundheitszustandes“ oder auch der Reduzierung der unausweichlichen Verschlechterung tätig34. Da der Arzt in diesem Zusammenhang allerdings immer auf einen funktionsmäßig beeinträchtigten „Gesundheitszustand“ des Patienten einwirkt, kann der schlechte Ausgang einer Behandlung immer auf zwei unterschiedlich gesetzten Ursachen beruhen: Der unaufhaltsamen Fortsetzung, der bereits vor der ärztlichen Maßnahme bestehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Eigenart des menschlichen Organismus oder aber dem ärztlichen Behandlungsfehler.35 Eine simple Differenzbetrachtung zwischen Zustand vor und Zustand nach der Behandlung des Patienten, wie Rechtsprechung und Lehre sie außerhalb des Arzthaftungsrechts vornehmen, ist schon aus diesem Grund nicht möglich. Denknotwendig ergibt sich aus der Pflichten- und Aufgabenstellung des Mediziners, dass – ebenfalls anders als in den Fällen außerhalb des Arzthaftungsrechtes – eine „Gesundheitsverletzung“ nicht nur in einer Verschlechterung des „Ausgangszustandes“, sondern auch in den Fällen gegeben sein muss, in denen eine irgendwie geartete mögliche Verbesserung des Zustandes aufgrund ärztlichen Fehlverhaltens, sei es durch Unterlassen einer gebotenen ärztlichen Behandlung oder durch Vornahme einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung, nicht erreicht worden ist. Das belegt erneut, dass bei der Arzthaftung – anders als sonst – nicht nach Verletzung 33 Vgl. Kapitel 1 II., in welchem die typische Sachverhaltskonstellation im Arzthaftungsrecht dargestellt wird; siehe nur Bodenburg, Der ärztliche Kunstfehler als Funktionsbegriff zivilrechtlicher Dogmatik, S. 28. 34 Vgl. zur differenzierten Darstellung von möglichen Behandlungserfolgen Kapitel 1 III. 1.; Matthies, Schiedsinstanzen im Bereich der Arzthaftung, S. 94; Wendt, Die ärztliche Dokumentation, S. 136. 35 Bodenburg, VersR 1980, 936.

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

69

i.S. eines Minus zum Vorherigen gedacht wird, sondern die „enttäuschte Erwartung“ das eigentliche Thema ist.

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht Zu klären bleibt demnach die Frage, wie mit dem Gesundheitsverletzungstatbestand im Arzthaftungsrecht umgegangen wird. Hierzu soll zunächst ein Überblick über die Rechtsprechung gegeben und sodann der Diskussionsansatz von Mertens zur Definition der „Gesundheitsverletzung“ erörtert werden.

1. Rechtsprechungsübersicht Die gerichtlichen Entscheidungen zum Umgang mit der „Gesundheitsverletzung“ im Arzthaftungsrecht lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Diejenigen, bei denen die Prüfung des Gesundheitsverletzungstatbestandes ausdrücklich unter Verwendung der von der Rechtsprechung aufgestellten Definition von Gesundheitsverletzung vorgenommen wird, und diejenigen, bei denen eine solche Prüfung nicht stattfindet. In die erste Kategorie fallen Entscheidungen wie beispielsweise die HIV- oder die Lues-Entscheidung36 des BGH. Diese Fälle haben die Prüfung einer „Gesundheitsverletzung“ gemein, die nicht im Zusammenhang mit einer Grunderkrankung steht. D.h., der Patient war vor der ärztlichen Behandlung entweder „gesund“ oder litt an einer Erkrankung, die mit dem nach der Behandlung bestehenden Zustand in keinerlei Zusammenhang steht. Der HIV-Entscheidung lag beispielsweise der Sachverhalt zugrunde, dass bei dem Ehemann einer Patientin eine HIV-Infektion festgestellt wurde, kurz nachdem die Patientin infolge einer Bluttransfusion mit dem HIV-Virus infiziert worden war. Der Arzt hatte es unterlassen, dem sich ebenfalls bei ihm in Behandlung befindenden Ehemann, über die Infektion der Ehefrau zu informieren. Die Gesundheitsverletzung bestand in diesem Fall in der Infektion des zuvor nicht infizierten Ehemanns. Diese Fälle, die im Arzthaftungsrecht eher die Ausnahme bilden, sind mit den klassischen Verletzungstatbestandsvorstellungen vereinbar und erlauben der Rechtsprechung daher eine saubere Subsumtion des Sachverhaltes unter ihrer Definition 36 BGHZ 114, 284 ff. – HIV-Infektion; BGHZ 8, 243 ff. – Luesinfektion; siehe auch die Entscheidung des OLG Celle, VersR 1998, 1023 ff. – Hepatitis -C-Infektion durch Immoglobulinpräparat.

70

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

von Gesundheitsverletzung37. Sie sind unproblematisch und daher nicht Thema dieser Arbeit. Der zweiten Kategorie sind alle übrigen Entscheidungen zuzurechnen.38 An Hand ausgewählter oberinstanzlicher Entscheidungen von den fünfziger Jahren bis heute werden exemplarisch in chronologischer Reihenfolge die typischen Sachverhalte, die arzthaftungsrechtlichen Entscheidungen zugrunde liegen, dargestellt. Dabei wird aufgezeigt, wie die Rechtsprechung den „Gesundheitsverletzungstatbestand“ in der Arzthaftung fixiert bzw. offen lässt. Bei den Entscheidungen handelt es sich ausschließlich um solche, die zumindest auch die Haftung wegen des Vorwurfs eines Behandlungsfehlers untersuchen. Entscheidungen, die sich ausschließlich mit Fragen der Aufklärungspflichtverletzung beschäftigen, wurden in die Betrachtungen nicht miteinbezogen, da hier, ausgehend von der in der Rechtsprechung vertretenen Köperverletzungsdoktrin, in jedem ärztlichen Heileingriff eine rechtswidrige Körperverletzung gesehen wird und daher eine Auseinandersetzung mit der „Gesundheitsverletzung“ nicht erfolgt, sondern die Frage des informed consent im Mittelpunkt der Prüfung steht. a) BGH 10. 07. 1959 – VI ZR 87 / 5839 Der Kläger erlitt einen Unfall, in dessen Anschluss sich sein Sehvermögen auf dem linken Auge mehr und mehr verschlechterte. Der Beklagte, bei dem sich der Kläger daraufhin in Behandlung begab, diagnostizierte eine „Netzhautvenenentzündung“ und nahm, abweichend von dem mit Prof. Dr. D abgestimmten Behandlungsplan, der eine konservative Behandlung vorsah, zehn Wochen nach dem Unfall eine Glaskörperabsaugung am kranken Auge vor. Infolge des operativen Eingriffs drangen Eitererreger in das Augeninnere und riefen dort eine „interoculare Infektion“ hervor, die zur Erblindung des Auges führten. Das Berufungsgericht hat in der Vornahme der Glaskörperoperation eine rechtswidrige Körperverletzung gesehen, weil es eine wirksame Einwilligung mangels ausreichender „Belehrung“ abgelehnt hat. Die Hauptangriffe des Beklagten in der Revision richten sich jedoch nicht gegen Annahme einer unwirksamen Einwilligung, sondern gegen die Auffassung des Berufungsgericht, „die Erblindung des linken Auges sei rechtlich als Folge des operativen Eingriffs anzusehen [. . .].“ Dazu führt der Beklagte aus: „Da der Kläger schon vor dem Eingriff des Beklagten praktisch „blind“ gewesen sei, könne höchstens die Frage aufgeworfen werden, ob die Wiederherstellung der Sehkraft des Herkömmliche Definition der Gesundheitsverletzung, siehe Kapitel 3 II. Siehe auch folgende Entscheidungen, in denen die erforderliche Gesundheitsverletzung unerwähnt bleibt: BGH VersR 1981, 462 f.; BGH NJW 1984, 661 f.; BGH, VersR 1988, 1273 f.; BGH NJW 1988, 1511 ff.; BGH NJW 1989, 2332 f.; BGH NJW 1989, 2330 f.; BGH VersR 1995, 46 f.; BGH NJW 1998, 1782 ff.; BGH NJW 1999, 3408 ff. 39 NJW 1959, 2299 f. 37 38

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

71

linken Auges durch die Operation verhindert worden sei. Die Aussicht für eine Wiedergewinnung der Sehkraft bei konservativer Behandlung sei aber sehr ungünstig gewesen. Angesichts dieses Sachverhalts gehe es nicht an, dass das Berufungsgericht den für den Schadensfall erheblichen Ursachenverlauf erst mit der Operation beginnen lasse und damit dem vor der Operation bereits bestehenden Krankheitszustand des Auges keine Bedeutung beimesse.“ Die Beweislast hierfür gehe zu Lasten des Klägers. Der BGH stellt zunächst klar, dass der Beklagte aufgrund des Fehlens einer wirksamen Einwilligung, den Eingriff überhaupt nicht vornehmen durfte, so dass er das Risiko und die Folgen eines rechtswidrigen Eingriffs in die körperliche Integrität zu tragen habe. Sodann führt er aus, dass selbst für den vom Beklagten herangezogenen Fall – ein Arzt begeht bei einer durch wirksame Einwilligung gedeckten Operation einen Kunstfehler40 – die fehlerfreie ärztliche Tätigkeit, der fehlerhaften Tätigkeit gegenüber zustellen sei. Das habe das Berufungsgericht mit der Feststellung, die durch die Operationsinfektion verursachte Erblindung sei ohne den Eingriff so nicht entstanden, auch getan. Abschließend stellt der BGH für diese Fallvariante fest, dass das Berufungsgericht zu Recht das Bestehen eines Ursachenzusammenhangs im Rechtssinne zwischen dem rechtswidrigen Eingriff des Beklagten und der Erblindung des linken Auges angenommen habe. Zwar stützt sich die Entscheidung auf die fehlende wirksame Einwilligung des Patienten und nicht auf eine fehlerhafte Behandlung des Arztes. Doch ergibt sich aus den Erwägungen, die der BGH zu dieser Fallvariante anstellt, sehr deutlich, dass schon in den fünfziger Jahren als tatbestandliche Haftungsvoraussetzungen nur der Behandlungsfehler und die haftungsbegründende Kausalität geprüft werden. Zur Bejahung des haftungsbegründenden Ursachenzusammenhangs wird die fehlerfreie ärztliche Tätigkeit der fehlerhaften ärztlichen Tätigkeit gegenübergestellt, was zu der Feststellung führt, „die durch die Operationsinfektion verursachte Erblindung sei ohne den Eingriff so nicht entstanden.“ Die „Gesundheitsverletzung“ scheint im negativen Ergebnis der Gegenüberstellung fehlerfreier / fehlerhafter ärztlicher Behandlung – hier der Erblindung des Auges – gesehen zu werden. Eine ausdrückliche Erwähnung findet sie jedoch in den Entscheidungsgründen nicht. b) BGH 13. 11. 1962 – VI ZR 214 / 6141 Der Patient begab sich wegen eines Hautauschlages in Behandlung des Dr. A, der eine resorcinhaltige Salbe zum Auftragen auf die betroffenen Hautstellen verordnete. Infolge der Anwendung der Salbe kam es beim Patienten zu allergischen Reaktionen, welche Dr. S dazu veranlassten, den Patienten an den Beklagten als 40 Heute sprechen der BGH und ganz überwiegend auch die Instanzgerichte vom Behandlungsfehler – zur Terminologie vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 274. 41 VersR 1963, 67 ff.

72

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

Facharzt mit dem schriftlichen Hinweis auf die allergische Reaktion nach der Anwendung von Resorcinspiritus zu überweisen. Nachdem der Beklagte klargestellt hatte, dass die von Dr. A verordnete Salbe in ihrer Zusammensetzung gestimmt hatte, verordnete er dem Patienten erneut eine recorcinhaltige Mixtur zum großflächigen Auftragen auf die befallenen Hautstellen. Daraufhin erlitt der Kläger einen Allergieanfall, daran anschließend eine Blut- und Knochenmarkserkrankung, deren Ursache möglicherweise die Allergie war. An den Folgen der letztgenannten Erkrankung verstarb der Patient. Der BGH stimmt mit dem Berufungsgericht in der Bewertung überein, dass der Beklagte durch die Verordnung der resorcinhaltigen Schüttelmixtur fahrlässig einen groben „Kunstfehler“ begangen hat, der ursächlich für den Allergieanfall des Patienten war und „[D]er Beklagte [. . .] daher, weil er den schweren Allergieanfall des [Patienten] [. . .] und die damit verbundene Gesundheitsstörung fahrlässig herbeigeführt hat, für die Schadensfolgen [. . .] einzustehen [hat].“ Als Haftungsgrundlagen wurden Vertrag und Delikt angenommen. Hinsichtlich der Knochenmarkserkrankung prüft der BGH, ob diese ursächlich durch den Allergieanfall ausgelöst wurde. Das Berufungsgericht hatte eine Beweislastumkehr zuungunsten des Beklagten angenommen. Der BGH ordnet die Knochenmarkserkrankung als Folgeschaden ein und verwies die Sache unter Aufhebung des Urteils an das Berufungsgericht zurück. Die Entscheidung aus den 60er Jahren verdeutlicht, dass eine ausdrückliche Prüfung der „Gesundheitsverletzung“ neben dem Behandlungsfehlervorwurf und der Kausalitätsprüfung auf der Tatbestandsebene nicht erfolgt. Der haftungsbegründende Kausalzusammenhang zwischen der Verordnung der resorcinhaltigen Schüttelmixtur und dem Allergieanfall wird wegen des nichterbrachten Entlastungsbeweises des Beklagten bejaht. Die „Gesundheitsverletzung“ wird bei der Prüfung stillschweigend im Allergieanfall und (wie es so schön heißt) in den damit verbundenen „Gesundheitsstörungen“ vorausgesetzt. c) BGH 03. 03. 1970 – VI ZR / 6842 Am ersten Tag nach der Geburt des Kindes der Kläger stellte sich bei diesem eine Gelbfärbung der Haut ein, die sich in den beiden folgenden Tagen deutlich verstärkte. Bei seinen täglichen Hausbesuchen beobachtete der Beklagte die Gelbfärbung, veranlasste aber erst am dritten Tag eine Überweisung in die Kinderklinik. Dort wurde im Blut des Kindes ein extrem hoher Gehalt an Bilirubin, der auf 42 VersR 1970, 544 f.; siehe auch BGH VersR 1970 – dort litt der Kläger nach einem Unfall an einer Schenkelhalsfraktur, die von Beklagten zu spät erkannt wurde und letztendlich zu dauernden Beschwerden und einer Berufsunfähigkeit des Klägers führte. Während die Frage des Vorliegens eines groben Behandlungsfehlers bei nicht rechtzeitiger Sicherung der ärztlichen Diagnose durch Röntgenaufnahmen diskutiert wurde, erfolgte eine Prüfung des Vorliegens einer „Gesundheitsverletzung“ nicht.

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

73

eine Unverträglichkeit der elterlichen Blutgruppen zurückzuführen war, festgestellt. Trotz mehrfachen Blutaustausches konnte nicht verhindert werden, dass eine auf der hohen Bilirubinkonzentration beruhenden Gehirnschädigung zum Siechtum und schließlich zum Tod des Kindes führte. Die Kläger behaupten, die Umblutung sei aufgrund des ärztlichen Versäumnisses zu spät erfolgt. Bei rechtzeitiger Umblutung wäre die Hirnschädigung vermieden worden. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und auch die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg. Die Gerichte haben sowohl im Unterlassen einer Blutuntersuchung während der Schwangerschaft, bei der die gefährliche Blutkonstellation der Eltern und das Vorhandensein von Antikörpern im Mutterblut hätte festgestellt werden können, als auch in der verspäteten Einweisung in das Krankenhaus einen schweren Behandlungsfehler mit der Folge der Beweislastumkehr gesehen. Der BGH diskutiert in dieser Entscheidung die Frage, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, der eine Umkehrung der Beweislast dahingehend zur Folge hat, „dass der Beklagte die Nichtursächlichkeit seines Fehlers für den Schaden beweisen müsse.“ Ob ein „Schaden“, mit welchem, wie sich aus den Entscheidungsgründen ergibt, die Hirnschädigung und letztendlich der Tod, also die Rechtsgutverletzung, gemeint sind, vorliegt, wird nicht geprüft. Als Voraussetzungen für den deliktischen Schadensersatzanspruch werden in dieser Entscheidung durch den BGH somit nur der Behandlungsfehler und die haftungsbegründende Kausalität geprüft. Die Rechtsgutverletzung wird, ohne dass sie überhaupt nur erwähnt wird, stillschweigend vorausgesetzt. d) LG Regensburg 14. 10. 1971 – 3 O 163 / 7143 Der Kläger hatte ein Ekzem an der linken Innenhand, welches der Beklagte durch Bestrahlen mit einem Dermopangerät behandelte. Kurz nach der letzten Bestrahlung bemerkte der Beklagte eine Rötung und druckempfindliche Schwellung der Haut, woraufhin er von weiteren Bestrahlungen absah. Eine starke Entzündung mit Eiterbildung stellte sich bald darauf ein, die zu einer vier monatigen Arbeitsunfähigkeit und erheblichen Schmerzen des Klägers führte. Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass sowohl Ansprüche aus unerlaubter Handlung als auch solche aus Vertragsverletzung voraussetzen würden, dass die Verletzung auf einem schuldhaft begangenen Behandlungsfehler beruhen würde, für deren Vorliegen dem Kläger der Beweis obliege, welchen er nicht erbracht habe.

43

VersR 1972, 209.

74

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

Die Hautverletzungen könnten nach Auffassung des Sachverständigen, dem das LG gefolgt ist, nicht auf falsche Bestrahlung zurückgeführt werden. Vielmehr könnten die Verletzungen durch den Umgang mit Ätznatron verursacht worden sein. Geprüft wird in diesen Entscheidungen aus den 70er Jahren, ob eine als feststehend angesehene (Gesundheits-)Verletzung, die Entzündung und Eiterbildung der Haut, kausal auf einem Behandlungsfehler beruht. Während die „Gesundheitsverletzung“ von vornherein feststeht, wurden der Behandlungsfehlervorwurf und die Kausalität auf der haftungsbegründenden Tatbestandsebene einer eingehenden Prüfung unterzogen. e) OLG Düsseldorf 31. 01. 198544 Die Klägerin begab sich mit einer Schwellung des linken Fußes und des Sprunggelenkbereichs in ärztliche Behandlung. Zur Linderung der Gelenkschmerzen und um die Beweglichkeit des Sprunggelenks wiederherzustellen, injizierte der Beklagte im Verlauf der Behandlung eine Gabe Fortecortin in das äußere obere Sprunggelenk. Im weiteren Verlauf der Behandlung wurde durch die Untersuchung von entnommen Gewebeproben ein tuberkulöser Entzündungsprozess festgestellt. Die Entzündung konnte durch eine 18 Monate dauernde Behandlung mit Tuberkulostika beendet werden. Die Klägerin behauptet, dass die Injektion mit Fortecortin vom Beklagten ohne Desinfektion gesetzt worden sei und sich hierdurch die Entzündung entwickelt habe. Vom LG wurde die Klage abgewiesen, die Berufung hatte keinen Erfolg. Das OLG Düsseldorf führt zur Begründung aus, es könne dahinstehen, ob der Einsatz von Fortecortin in der konkreten Situation ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen darstelle, weil eine Haftung jedenfalls schon deshalb entfalle, da nicht festgestellt werden könne, dass die Injektion die Entzündung ausgelöst habe. In diesem Zusammenhang sei ausschlaggebend, dass nach Befunden und nach dem Krankheitsverlauf nicht davon ausgegangen werden könne, dass es durch die intraartikuläre Injektion überhaupt zu einer bakteriellen Entzündung gekommen sei, die unabhängig vom Prozess der Knochentuberkulose die Schäden am Wurzelknochen herbeigeführt habe. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Injektion und der Entzündungsbildung sei damit nicht sicher festzustellen. Die Klage wird somit vom OLG mangels Nachweises des haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs zwischen Injektion und Entzündungsbildung abwiesen. In der Entzündungsbildung scheint daher, zumindest wenn der Klage stattgegeben worden wäre, die tatbestandliche „Gesundheitsverletzung“ angenommen zu werden. Eine ausdrückliche Prüfung erfolgt aber auch in dieser Entscheidung nicht.

44

VersR 1986, 919 ff.

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

75

f) BGH 03. 12. 1985 – IV ZR 106 / 8445 Bei der Klägerin wurden zur Behandlung eines Trümmerbruchs des Oberarmknochens operativ Drähte in das Schultergelenk eingebracht, die der Stabilisierung der reponierten Trümmer dienten. Zur Rehabilitation wurden Bewegungsübungen durchgeführt, bei denen die Klägerin über heftige Schmerzen klagte. Nachdem Kontrolluntersuchungen ergaben, dass die zum Teil überstehenden Drähte gewandert waren, wurden diese entfernt. Da sich eine Festigung des Oberarms nicht mehr erreichen ließ, musste der Oberarm schließlich operativ versteift werden. Während die Klägerin die notwendige Versteifung auf die fehlerhafte Behandlung zurückführte, wurde seitens der behandelnden Ärzte46 vorgebracht, die schlechte Heilung sei „schicksalhaft“. Nach Feststellung sowohl des Sachverständigen Dr. S in der ersten Instanz, als auch des Sachverständigen Dr. A in der zweiten Instanz, war die Wanderung der überstehenden Drähte geeignet, „einen Bruch wieder in Unordnung zu bringen und eine zusätzliche Bewegungsbehinderung herbeizuführen“, ohne dass aber festgestellt werden konnte, ob dies tatsächlich der Fall gewesen war und wie der Heilungsprozess des komplizierten Bruchs bei korrekter Behandlung verlaufen wäre, ob und in welchem Umfang also nachteilige Konsequenzen ausgeblieben wären. Während das LG aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. S von einem groben Behandlungsfehler ausgegangen ist, hat das OLG die Auffassung vertreten, dass der in erster Instanz gehörte Sachverständige Dr. S das Vorgehen der Ärzte nicht als groben Verstoß gewertet habe, er einen solchen Ausdruck jedenfalls nicht gebraucht und ausgesprochen habe. Da Dr. A Fehler in der Anordnung der Bewegungsübungen nicht gesehen, diese vielmehr als nur als „wenig empfehlenswerte Maßnahmen“ bezeichnet habe, seien sich die Sachverständigen jedenfalls darin einig, dass von schweren Behandlungsfehlern nicht gesprochen werden könne. Das Berufungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe den ihr obliegenden Beweis für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Fehlbehandlung und der Versteifung des rechten Schultergelenks nicht erbracht. Vom BGH wurde die Entscheidung aufgehoben und an das OLG zurückverwiesen. Das OLG müsse den Widerspruch zwischen den Sachverständigen des 1. und des 2. Rechtszuges aufklären, da nicht auszuschließen sei, dass es nach der gebotenen weiteren Sachaufklärung, ebenso wie das LG einen Sachverhalt feststelle, der die rechtliche Bewertung zulasse, dass die verantwortlichen Ärzte des beklagten Landes zu Lasten der Klägerin einen schweren Behandlungsfehler begangen haben. Es wäre dann Sache des beklagten Landes, den Beweis dafür zu 45 NJW 1986, 1540 f. mit Anm. Deutsch, der die Auffassung vertritt, dass in dieser Entscheidung als Haftungsgrund nunmehr eindeutig die Fehlbehandlung und nicht die Verletzung des Körpers, angesehen wird. Vgl. zu einer ähnlichen Fallkonstellation, BGH VersR 1988, 1273 f. 46 Beklagte war in diesem Fall das Land, welches die Klinik betrieben hat.

76

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

erbringen, dass die Versteifung des rechten Schultergelenks der Klägerin nicht auf einem solchen Fehlverhalten der Ärzte beruhe. Im Mittelpunkt dieser Entscheidung steht erneut die Frage, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, der zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich des Kausalzusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und der Versteifung des Arms führen würde. Von entscheidender Bedeutung ist die Beweislastverteilung deswegen, weil sich nicht feststellen lässt, wie der Heilungsprozess bei korrekter Behandlung verlaufen wäre, insbesondere ob eine Versteifung hätte vermieden werden können. Die „Gesundheitsverletzung“ scheint somit für den Fall präsumtiv in der Versteifung des rechten Arms gesehen zu werden, dass ein grober Behandlungsfehler angenommen wird und der Beklagte in diesem Fall das Risiko des unaufklärbaren Ursachenzusammenhangs zu tragen hat.

g) BGH 24. 06. 1986 – VI ZR 21 / 8547 Der Kläger begab sich nach einem Unfall mit einer schweren Fraktur am rechten Unterschenkel mit Sprunggelenksbeteiligung in Behandlung des Zweit- und Drittbeklagten. Diese entschieden, die Fraktur zunächst in Vollnarkose manuell einzurichten und mit Hilfe eines durch das Fersenbein geschossenen Extensionsdrahtes und eines Gipsverbandes die Stellung zu halten. Für den Fall, dass die Stellung nicht gehalten werden könnte, sollte eine Operation erfolgen. Diese müsste, worüber der Kläger jedoch nicht aufgeklärt wurde, spätestens innerhalb von 10 bis 12 Wochen nach dem Unfall durchgeführt werden. Obwohl die vorgenommene konservative Behandlung nicht zum Erfolg führte (es trat eine Versteifung des rechten Sprunggelenks ein) erfolgte eine Operation nicht. Der Kläger ist der Auffassung, dass durch eine rechtzeitige Operation die vorhandenen Beschwerden vermieden, in jedem Fall aber gemindert worden wären. Während die Vorinstanzen die Klage abwiesen, führte die Revision des Klägers zur Aufhebung und Zurückverweisung. Der BGH führt aus, das Berufungsgericht sei rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Beweis, ob zwischen dem unterlassenen ärztlichen Hinweis auf die Fristgebundenheit der Operation und der beim Kläger bestehenden Gelenkarthrose ein ursächlicher Zusammenhang besteht, nach § 286 ZPO zu beweisen ist. „Bezüglich der Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB entspricht es gefestigter Rechtsprechung des BGH, dass der Zusammenhang zwischen Tun und Lassen des Schädigers und dem ersten Verletzungserfolg, hier also der Körperschädigung, nach § 286 ZPO zu beweisen ist.“ Bei vertraglichen Ansprüchen hatte der erkennende Senat die Auffassung vertreten, dass über den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und einer etwaigen Verschlechterung des Krankheitsverlaufs, der Richter sich nach § 287 ZPO eine Überzeugung verschaffen müsse. Diese Rechtsprechung gibt der erkennende Senat in dieser Entscheidung mit folgender Begründung 47

VersR 1986, 1121 ff. .

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

77

auf: „[. . . ] immer dann, wenn eine Haftung für die Schädigung der in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter ( . . . ) in Frage steht, wie bei der Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB die Verletzung des Rechtsguts selbst im Sinne des ersten Verletzungserfolges, [ist diese] dem Bereich der haftungsbegründenden Kausalität zuzuordnen; [ . . . ].“ . . . Die vertragliche Haftung des Arztes für Behandlungsfehler knüpft an die Verletzung von Verhaltenspflichten an, die in gleicher Weise und mit demselben Inhalt auf den Schutz der Gesundheit des Patienten bezogen sind wie die Pflichten, deren Verletzung zur deliktischen Arzthaftung führen. Stimmen aber vertragliche und deliktische Verhaltenspflichten völlig überein bzw. besteht „Strukturgleichheit“ von vertraglichen und deliktischen Sorgfaltspflichten, dann muss auch der Haftungsgrund in gleicher Weise abgegrenzt werden.“ Die Beweislast des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Behandlungsfehler und seiner „Gesundheitsschädigung“ obliege dabei grundsätzlich dem Patienten. Nur für den Fall des Vorliegens eines „groben Behandlungsfehlers“, welchen der BGH entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes annimmt, würde sich diese umkehren. Zurückverwiesen wurde die Sache an das Berufungsgericht, weil der BGH nicht in der Lage war, abschließend in der Sache zu erkennen, „da die Beklagten in den Tatsacheninstanzen nicht daraufhingewiesen wurden, dass ihnen möglicherweise die Beweislast für den Misserfolg der Operation obliegt und das Berufungsgericht bisher zugunsten des Klägers das Gutachten von Prof. Dr. C vernachlässigt hat, der davon ausgegangen ist, die jetzt beim Kläger bestehende Sprunggelenkarthrose wäre auch durch operative Versorgung mit Wahrscheinlichkeit nicht vermeidbar gewesen. Mit dieser Entscheidung hat der BGH seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass wegen desselben Inhalts der Pflichten – dem Schutz der Gesundheit – auch bei Vertragsverletzungen der Eintritt der Rechtsgutverletzung explizit nach § 286 ZPO zu beweisen ist. Trotzdem erfolgt eine Prüfung des Eintritts der „Gesundheitsverletzung“ nicht. Es werden weiterhin nur der Behandlungsfehler und die haftungsbegründende Kausalität geprüft. Der Nachweis des haftungsbegründenden Ursachenzusammenhangs ist, wie der BGH ausdrücklich in den Entscheidungsgründen anspricht, zwischen dem Behandlungsfehler und der „Gesundheitsschädigung“ zu führen. Die Gesundheitsverletzung wird stillschweigend in der Sprunggelenkarthrose angenommen. h) BGH 03. 08. 1988 – VI ZR 201 / 8748 In dieser Entscheidung ging es um eine 19jährige Patientin49, deren Oberschenkel durch Überrollen eines LKWs schwer verletzt wurde und im Laufe der ärztlichen Behandlung amputiert werden musste. 48 49

NJW 1988, S. 1511 ff. Der Kläger war in diesem Fall der Haftpflichtversicherer des Halters des LKW.

78

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

Das Berufungsgericht war der Auffassung, der behandelnde Arzt habe die erforderliche Versorgung der Gefäßverletzungen nicht rechtzeitig vorgenommen, insbesondere zu spät die Verdachtsdiagnose auf einen Gefäßabriss gestellt. Es liege somit ein grober Behandlungsfehler vor. Hieraus ergebe sich eine Beweislastumkehr für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Verlust des Beins der Patientin. „Zwar wäre eine Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Beins der Patientin ohnehin nicht mehr möglich gewesen; indessen habe der Beklagte50 nicht bewiesen, dass bei medizinisch richtigem Vorgehen im Krankenhaus des Beklagten, das Bein der Patientin nicht mehr hätte gerettet werden können.“ Die Revision des Beklagten führte mit folgender Begründung zur Aufhebung und Zurückweisung: „Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach der gebotenen weiteren Aufklärung des Sachverhalts zu dem Ergebnis kommen kann, dass Dr. T nicht der Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers trifft mit der Folge, dass die Klage wegen Unaufklärbarkeit des Ursachenverlaufs abzuweisen sei.“ In dieser Entscheidung wird, da der Ursachenzusammenhang zwischen der Fehlbehandlung und dem Verlust des Beines nicht mehr aufzuklären ist, schwerpunktmäßig untersucht, ob ein grober Behandlungsfehler des behandelnden Arztes vorliegt. Deutlich wird an dieser Vorgehensweise ein weiteres Mal, dass die Rechtsgutverletzung, der Verlust des Beines, zunächst stillschweigend vorausgesetzt wird und ihr nur im Rahmen der nicht mehr aufzuklärenden Kausalfrage in der Weise Bedeutung beigemessen wird, wer die Folge der Unaufklärbarkeit des Ursachenzusammenhangs zu tragen habe; also im Falle eines groben Behandlungsfehlers die Beklagte beweisen muss, dass eine Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit des Beines, selbst bei fehlerfreier ärztlicher Behandlung nicht möglich gewesen wäre bzw. die Klägerin51 bei einem einfachen Behandlungsfehler den Beweis erbringen muss, dass die fehlerhafte Behandlung die Amputation verursacht hat. i) BGH 18. 04. 1989 – VI ZR 221 / 8852 Nach einem Unfall wurde die Klägerin mit Schmerzen im Brustkorb und in der rechten Schulter ins Krankenhaus eingeliefert. Dort erfolgte durch den Beklagten u. a. eine Röntgenkontrolle der rechten Schulter, bei der er die vorhandene und auch erkennbare Schultergelenkssprengung übersah. Nach der Entlassung der Klägerin aus dem Krankenhaus suchte diese wegen fortdauernder Schmerzen ihren Hausarzt auf, der die komplette Sprengung des rechten Schultergelenks diagnostizierte und die Klägerin in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik in D. überwies. Eine Operation, von der nach Auffassung des untersuchenden Arztes Dr. H Beklagte war in diesem Fall der Landkreis als Träger des Kreiskrankenhauses. Klägerin war in diesem Verfahren der Haftpflichtversicherer des Halters des LKW, durch welchen der Unfall verursacht wurde. 52 NJW 1989, 2332 f.; vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall BGH NJW 1989, 2330 ff. 50 51

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

79

zu diesem Zeitpunkt keine Befundverbesserung mehr zu erwarten sei, lehnte die Klägerin ab. Sie hat seitdem Beschwerden im rechten Schultergelenk. Das LG hat der Klage stattgegeben und das OLG die Berufung der Beklagten53 zurückgewiesen. Die Revision hatte keinen Erfolg. Berufungsgericht und Revisionsinstanz gehen davon aus, dass die Beklagten durch das Nichterkennen der Schultergelenkssprengung und infolgedessen der Nichtvornahme, der nach einhelliger medizinischer Auffassung gebotenen Therapie, einen groben Behandlungsfehler begangen haben. „Zwar lasse sich – naturgemäß – nicht sicher sagen, ob sich durch einen alsbaldigen operativen Eingriff ein beschwerdefreier Zustand hätte herbeiführen lassen. Indessen hat ein grober Behandlungsfehler für den Patienten Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zur Folge. Demzufolge konnte das Berufungsgericht die heutigen Beeinträchtigungen der Klägerin ohne Rechtsfehler auf die Versäumnisse der Beklagten zurückführen.“ Die Feststellung, ob es sich um einen einfachen oder einen groben Behandlungsfehler handelt, steht im Zentrum der Entscheidung. In der Diskussion um den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang ist lediglich am Rande die Rede von den heutigen Beeinträchtigungen der Klägerin, in welchen wohl die „Gesundheitsverletzung“ gesehen wird, ohne deren Vorliegen jedoch selbstständig zu prüfen. j) BGH 04. 10. 1994 – VI ZR 205 / 9354 Während der Schwangerschaft traten bei der Mutter des Klägers vaginale Blutungen auf. Der Beklagte diagnostizierte eine Harnwegsinfektion und überwies die Mutter des Klägers ins Krankenhaus. Von dort wurde sie einige Tage später, am 15. 01. 1985, wieder in die ambulante Behandlung des Beklagten entlassen. Am 25. 01. 1985 klagte die Mutter des Klägers über starke Schmerzen im Rückenbereich. Der Beklagte diagnostizierte erneut eine Harnwegsinfektion, ohne eine weitergehende vaginale Untersuchung durchzuführen. Aufgrund starker Blutungen wurde die Mutter des Klägers am 29. 01. 1985 ins Krankenhaus eingewiesen, wo sie trotz wehenhemmender Medikamente, den Kläger in der 26. Schwangerschaftswoche mit weniger als 1000 g zur Welt brachte. Der Kläger ist mehrfach behindert und vollständig pflegebedürftig. Er leidet u. a. an beiderseitiger Blindheit, einer Hüftluxation, motorischer Unruhe sowie Sprachentwicklungs- und Verhaltensstörungen. Der Kläger behauptet, „die Frühgeburt und seine daraus resultierenden körperlichen und gesundheitlichen Schäden hätten bei sachgerechter Behandlung seiner Mutter durch den Beklagten vermieden werden können.“ Das Berufungsgericht gab der Klage mit der Begründung statt, dass das Unterlassen der vaginalen Untersuchung am 25. 01. 1985 auf Anzeichen einer bevorste53 54

Erstbeklagter ist der Chefarzt der Station und Zweitbeklagter ist der Stationsarzt. VersR 1995, 46 f.

80

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

henden Geburt als grob fehlerhaft zu bewerten sei und daher dem Kläger die Beweislast für die Schadensursächlichkeit des ärztlichen Fehlverhaltens abgenommen werde. „Der ursächliche Zusammenhang mit den durch die Frühgeburt entstandenen Schäden sei zwar als unwahrscheinlich anzusehen; dem Beklagten sei jedoch nicht der zum Ausschluss seiner Haftung erforderliche Nachweis gelungen, dass eine hochgradige Unwahrscheinlichkeit vorliege.“ Der BGH hat die Entscheidung mit der Begründung aufgehoben, dass es einerseits bereits an einem groben Behandlungsfehler fehle und andererseits selbst bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers in diesem Fall eine Beweislastumkehr nicht gerechtfertigt sei, da eine kausale Verknüpfung mit dem „Schaden“ in hohem Maße unwahrscheinlich sei, was bei der Frage, ob und inwieweit ein grober Behandlungsfehler eine Beweiserleichterung für die Kausalität rechtfertigt, nicht unberücksichtigt bleiben dürfe. Der Sachverständige hatte es als hochwahrscheinlich bezeichnet, dass die schweren „Schäden“ des Klägers auch durch eine bereits am 25. 01. 1985 begonnene Tokolyse nicht vermeidbar gewesen wären, da nach seiner Schätzung sich in 90% der Fälle die Schwangerschaft durch eine Tokolyse um höchstens zwei Tage verlängern lasse, wodurch im Streitfall die kritische Altersgrenze des Embryos von 30 Wochen nicht erreicht worden wäre. In dieser Entscheidung wurden die körperlichen und gesundheitlichen „Schäden“, wie OLG und BGH die Verletzungen des Klägers bezeichnen, wiederum als feststehend vorausgesetzt. Eingehend untersucht wurde lediglich die Frage, ob der Behandlungsfehler des Beklagten als grob einzustufen sei und ob selbst bei einem hohen Maß an Unwahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und „Gesundheitsverletzung“, bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers, eine Beweislastumkehr in Betracht kommt.

k) BGH 27. 01. 1998 – VI ZR 339 / 9655 Ebenso wie in der vorstehenden Entscheidung hatte der BGH hier die Frage zu entscheiden, ob die nicht rechtzeitige Befundabklärung – hier die Durchführung einer Kernspintomographie der Halswirbelsäule zur Erkennung eines gutartigen Meningeoms – einen groben Behandlungsfehler darstellt. Das Berufungsgericht hat lediglich einen einfachen Behandlungsfehler angenommen und die Klage wegen des durch den Kläger nicht bewiesenen haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs abgewiesen. In der Entscheidung heißt es: „Der Kläger habe [ . . . ] nicht den ihm obliegenden Nachweis geführt, dass der ärztliche Fehler für seinen Gesundheitsschaden ursächlich sei, da sich nicht feststellen lasse, dass bei Abklärung des Befundes schon im Januar 1992 und einer um 55

NJW 1998, 1782 ff.

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

81

ca. vier Monate früheren Operation die bei ihm eingetretenen Lähmungen und ihre Folgen vermindert worden wären.“ Die Entscheidung wurde durch den BGH zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. „Mit Recht beanstandet die Revision [ . . . ], dass das Berufungsgericht für den dem Kläger obliegenden Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden keine Beweiserleichterungen hat greifen lassen, weil der Behandlungsfehler nicht grob gewesen sei.“ Das Berufungsgericht müsse die bislang nicht erfolgte Gesamtbetrachtung des ärztlichen Fehlers nachholen und auf dieser Grundlage beurteilen, ob dem Kläger Beweiserleichterungen für den Kausalzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden zuzubilligen seien. Auch in dieser Entscheidung des BGH geht es einmal mehr um die zentrale Frage, ob ein einfacher oder ein grober Behandlungsfehler vorliegt. Der „Gesundheitsschaden“, wie der BGH wohl die gemeinte „Gesundheitsverletzung“ bezeichnet, wird nur im Zusammenhang mit der Frage erwähnt, wer den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und „Gesundheitsschaden“ zu beweisen hat. Worin der „Gesundheitsschaden“ besteht, wird weder ausdrücklich geprüft, noch überhaupt angeführt. Aus der Begründung des Berufungsgerichts, „. . ..dass bei Abklärung der Befunde schon im Januar 1992 und einer um ca. vier Monate früheren Operation, die bei ihm eingetretenen Lähmungen und ihre Folgen nicht vermieden worden wären“, lässt sich entnehmen, dass in der Lähmung des Patienten und ihren Folgen stillschweigend die Gesundheitsverletzung angenommen worden wäre. l) BGH 06. 10. 1998 – VI ZR 239 / 9756 Nachdem sich der Kläger bereits mehrere Wochen nach einem Unfall wegen Schmerzen im Nieren- und Thoraxbereich in ärztlicher Behandlung befindet, wird bei ihm am 12. 01. 1990 im Krankenhaus, in welches er mit starken Schmerzen und Schüttelfrost eingeliefert worden ist, ein Goodpasturesyndrom mit vollständiger Niereninsuffizienz festgestellt. Seitdem muss sich der Kläger drei- bis viermal wöchentlich einer Dialysebehandlung unterziehen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen im Berufungsverfahren hätte sich bei einer Kontrolluntersuchung des Klägers um den 04. 01. 1990 und einer dann sofort durchgeführten Biopsie die Chance auf Heilung drastisch erhöht und etwa 70% betragen. Das Berufungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass eine Wahrscheinlichkeit von 70% für den vom Kläger zu erbringenden Nachweis „einer haftungsbegründenden Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden“ nicht genüge. 56

VersR 1999, 60 f.

6 Heidelk

82

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

Vom BGH wurde das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe bei der Prüfung der Frage, ob der Behandlungsfehler des Beklagten als grob zu bewerten sei, lediglich auf das Unterlassen der Befunderhebung an sich abgestellt. Ob sich die Verkennung eines solchen Befundes oder die Nichtreaktion auf ihn seitens des Beklagten als grob fehlerhaft dargestellt habe, habe das Berufungsgericht nicht geprüft. Dies habe es, da die insoweit erforderliche Beurteilung dem Tatrichter obliege, nachzuholen. Einmal mehr wird in dieser Entscheidung wegen der nicht zu erbringenden Beweismaßanforderungen für die haftungsbegründende Kausalität problematisiert, wem der Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen „dem Behandlungsfehler und Gesundheits-(schaden) verletzung “ obliegt. Das Vorliegen der „Gesundheitsverletzung“ wird wiederum nicht geprüft, sondern als feststehend im Nierenversagen gesehen. m) OLG Stuttgart 27. 07. 99 – 14 U 3 / 9957 Der Kläger begab sich im Oktober 1993 mit einer Schwellung im rechten Stirnbereich in ärztliche Behandlung. Der Beklagte diagnostizierte nach röntgenologischer Untersuchung ein flächiges altes Hämatom und empfahl eine weitmaschige Kontrolle durch den Hausarzt. Dieser riet, nachdem die Schwellung nicht zurückgegangen war, im Januar 1994 zu einer operativen Revision. Eine daraufhin vorgenommene histologische Untersuchung ergab einen bösartigen Tumor. Bei der Operation wurde festgestellt, dass der Tumor in die Orbitawand eingebrochen war, was die Entfernung des rechten Auges notwendig machte. Das OLG hat die Klage für begründet erachtet, da bei einer zeitnahen Beobachtung der Schwellung bereits Anfang November 1993 der Tumor hätte entdeckt werden können. Aufgrund der Bejahung eines groben Behandlungsfehlers geht das OLG zugunsten des Klägers davon aus, dass der Tumor während der Verzögerung von rd. 2 Monaten bis in die Orbita gewachsen ist, weshalb bei der Operation das rechte Auge des Kl. entfernt werden musste, während es bei einer früheren Operation hätte erhalten werden können. Das OLG hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, der Beklagte habe den ihm obliegenden Beweis – des Fehlens eines Kausalzusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und eingetretenem Schaden – nicht erbracht. Aus der Argumen57 VersR 2000, 1546 ff.; siehe auch die Entscheidung OLG Stuttgart vom 24. 08. 1999, VersR 2001, 190, in welcher zu Gunsten der Klägerin eine Beweislastumkehr wegen Nichterhebung einer gebotenen Befunderhebung bei Verdacht auf Beinvenenthrombose angenommen wurde, was dazu führte, dass der Beklagte beweisen musste, dass er den von der Klägerin behaupteten „Primärschaden“ – das postthrombotische Syndrom – nicht verursacht hat. Der „Primärschaden, in welchem wohl die „Gesundheitsverletzung“ gesehen wurde, wurde nicht selbständig geprüft.

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

83

tation des OLG, dass zugunsten des Klägers die Rettung des rechten Auges angenommen werden muss, ist davon auszugehen, dass das OLG mit Schaden den Verlust des Auges und damit wohl die „Gesundheitsverletzung“ meint. Eine ausdrückliche Feststellung oder gar Prüfung des Tatbestandsmerkmals der „Gesundheitsverletzung“ erfolgt jedoch neben der Behandlungsfehlerprüfung und des haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs auch in dieser Entscheidung nicht. n) BGH 27. 06. 2000 – VI ZR 201 / 9958 In dieser Entscheidung ging es um eine Klägerin, bei der es nach einer operativen Behandlung des Kniegelenks zu einer Infektion desselben kam, woraufhin der Beklagte zunächst eine antibiotische Behandlung – ohne vorherige Maßnahmen zur Erregerbestimmung – einleitete und nach erheblicher Verschlechterung des Zustandes eine Revisionsoperation durchführte. Die Infektion der Klägerin flackerte auch nach ihrer Entlassung aus der Behandlung des Beklagten immer wieder auf. Sie wurde in den Folgejahren 30 mal operiert, wobei u. a. eine Oberschenkelamputation und eine Exartikulation im linken Hüftgelenk durchgeführt wurden. Das Berufungsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, dass sowohl in der verspäteten Revisionsoperation als auch in der ungezielten Antibiotikatherapie, entgegen der medizinischen Darlegungen des Sachverständigen, ein grober Behandlungsfehler zu sehen sei und angesichts dessen sich die Beweislast hinsichtlich der Kausalität für die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsschäden zu ihren Gunsten umkehre. Da der Beklagte in der Kausalitätsfrage beweisfällig geblieben sei, hafte er der Klägerin auf Ersatz der ihr entstandenen Schäden. Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückweisung. Der BGH sieht die Überlegungen des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft an, mit denen im Berufungsurteil eine Kausalität des Behandlungsfehlers des Beklagten für die Gesundheitsschäden der Klägerin bejaht werden. Das Berufungsgericht habe, ohne dass sich hinreichende Anhaltpunkte für die Erfüllung der Voraussetzungen eines groben Behandlungsfehlers aus den medizinischen Darlegungen des Sachverständigen ergeben, die in Rede stehenden Behandlungsfehler als grob angesehen und hieraus eine Beweislastumkehr angenommen. Ohne ausreichende Grundlagen in den medizinischen Ausführungen des Sachverständigen sei es dem Tatrichter aber nicht gestattet, einen Behandlungsfehler aus eigener Bewertung als „grob“ anzunehmen. Obwohl der Schwerpunkt dieser Entscheidung die Feststellung war, die tatrichterliche Feststellung eines groben Behandlungsfehlers könne nicht ohne entsprechende Darlegung oder gar entgegen den medizinischen Ausführungen eines Sach58 VersR 2000, 1282 f.; siehe auch BGH NJW 1999, 3408, wo es um einen ähnlich gelagerten Fall ging.

6*

84

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

verständigen getroffen werden, stand im Mittelpunkt wieder das Problem, wer die Beweislast hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität zwischen Behandlungsfehler und der „Gesundheitsverletzung“ zu tragen hat. Auch in dieser Entscheidung wurde eingehend untersucht, worin der Behandlungsfehler besteht, und ob er als grob einzustufen sei. Die „Gesundheitsverletzung“ bzw. die „Gesundheitsschäden“, wie sie vom BGH bezeichnet werden, wird wiederum weder geprüft noch überhaupt erwähnt. Sie scheinen in der Verschlechterung des „gesundheitlichen“ Zustandes seit Beginn der ärztlichen Behandlung gesehen zu werden. o) Brandenburgisches OLG 14. 11. 2001 – 1 U 12 / 0159 Der 13 Jahre alte Kläger erlitt am Abend des 13. 03. 1995 beim Fußballspiel einen Tritt in der Unterleib. Um ca. 0.45 Uhr nahmen die zunächst abgeklungenen Schmerzen am rechten Hoden und in der Leistengegend derart zu, dass ein Notarzt gerufen wurde, der den Kläger mit der Verdachtsdiagnose „Hodentorsion“ ins Krankenhaus der Beklagten zu 1) einwies. Dort wurde der Kläger von zwei Chirurgen untersucht, die beide den Verdacht auf Hodentorsion nicht ausschließen konnten und deshalb die Vorbereitung der operativen Freilegung des Hodens veranlassten und gleichzeitig den Beklagten zu 2) benachrichtigten. Der Beklagte zu 2) gelangte nach Einsichtnahme in die Mess- und Laborwerte und der Untersuchung des Klägers zu der Annahme, dass keine Hodentorsion vorliege und ein operativer Eingriff daher zunächst unterbleiben könne. Am Morgen des nächsten Tages wurde durch zwei weitere Ärzte der Verdacht einer Hodentorsion mit der Empfehlung einer sofortigen operativen Freilegung des Hodens geäußert. Bei der daraufhin vorgenommenen Operation bestätigte sich der Verdacht der Hodentorsion. Der rechte Hoden konnte nicht mehr gerettet werden. Nach den Ausführungen des Sachverständigen war nicht zu klären, ob der rechte Hoden des Klägers bei sofortiger operativer Freilegung hätte gerettet werden können. Da im Unterlassen des operativen Eingriffs jedenfalls ein grober Behandlungsfehler angenommen wurde, geht der BGH zugunsten des Klägers davon aus, „dass die Rettung des Hodens gelungen wäre. Die Unklarheit hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den Eintritt des Körperschadens (hier: Verlust des Hodens) gehe in diesem Sinne zu Lasten des Beklagten.“ In dieser Entscheidung spricht das Brandenburgische OLG zwar von Körperund nicht vom „Gesundheitsschaden“, prüft dessen Vorliegen aber ebenso wenig, wie in den zuvor dargestellten Entscheidungen die „Gesundheitsverletzung“. Geprüfte haftungsbegründende Voraussetzungen sind auch hier lediglich der Behandlungsfehler und der Ursachenzusammenhang sowie die Frage, ob der Behandlungsfehler als grob zu qualifizieren ist und sich damit die Beweislast umkehrt. Für die Feststellung des haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs wird das 59

MedR 2002, 149 ff.

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

85

hypothetische Behandlungsergebnis nach einer fehlerfreien Behandlung dem Ergebnis aus der fehlerhaften ärztlichen Behandlung gegenüber gestellt. Das hypothetisch erreichbare Behandlungsziel war in diesem Fall die Rettung des Hodens, so dass im Verlust des Hodens, also einem schlechteren als dem erreichbaren Zustand, ein „Körperschaden“ gesehen wurde.

2. Auswertungsergebnis Die vorstehende Rechtsprechungsübersicht zeigt, dass die Judikatur zwar auf die „Gesundheitsverletzung“ abstellt, diese aber nicht prüft, sondern sie bei Nichteintritt des „erwarteten Behandlungserfolges“ stillschweigend voraussetzt. Die Gründe sind offensichtlich und wurden zum Großteil bereits an anderer Stelle herausgearbeitet 60: Die „Gesundheitsverletzung“ kann nicht lediglich – wie bei den traditionellen Verletzungstatbeständen – in der Verschlechterung des Zustandes, in einem Minus zum Ausgangszustand gesehen werden, da die ärztliche Behandlung stets auf Verbesserung gerichtet ist. Der Verletzungstatbestand muss vielmehr auch dann erfüllt sein, wenn die Nichtverbesserung des „Gesundheitszustandes“ kausal auf einem Behandlungsfehler beruht. Der Patient begibt sich gerade mit der Erwartung der Linderung oder gar Heilung seiner Beschwerden in ärztliche Behandlung. Die „Gesundheitsverletzung“ des Patienten wäre demnach in einem Minus zum hypothetisch erreichbaren Behandlungsziel zu sehen. Genau an dieser Stelle liegt das Problem: In der Arzthaftung haben wir es immer mit zwei konkurrierenden Kausalverläufen zu tun: demjenigen Kausalverlauf, der durch ärztliches Handeln in Gang gesetzt wird, einerseits und dem natürlichen Verlauf andererseits.61 Dadurch, dass der Patient sich mit „gesundheitlichen“ Beschwerden in ärztliche Behandlung begibt, trägt er typischerweise selbst eine Ursache für die Gefahr, dass sich sein Zustand auch durch ärztliche Behandlung nicht verbessert oder unter Umständen sogar noch verschlechtert, in sich. Es ist daher möglich, dass im Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff Krankheitserscheinungen auftreten, die bereits im menschlichen Körper angelegt waren, die also nicht durch den Eingriff hervorgerufen worden sind. Die Schwierigkeit liegt nun in der Beantwortung der Frage, welche Bedeutung die ärztliche Behandlung in diesem Geschehen hatte. Wenn die ärztliche Behandlung den Sorgfaltsanforderungen entsprochen hat, d. h. standardgemäß war, steht fest, dass das Nichterreichen des Behandlungsziels seine Ursache allein im menschlichen Organismus findet. Eine „Verletzung“ des Patienten liegt mangels einer negativen Abweichung seines Ist – Zustandes zu dem mit standardgemäßer Behandlung erreichbaren hypothetischen Behandlungsziels nicht vor. Bei fehlerhafter ärztlicher Behandlung bleibt fraglich, ob die ärztliche Behandlung oder allein die Eigenart des menschlichen Organismus ursächlich für den 60 61

Siehe insbesondere Kapitel 3 I. und II. 3. Großerichter, Hypothetischer Kausalverlauf und Schadensfeststellung, S. 246.

86

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

ausbleibenden Behandlungserfolg war.62 Nur wenn die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers feststeht, wäre hierin ein Minus zum hypothetisch erreichbaren Behandlungsziel und damit eine „Gesundheitsverletzung“ zu sehen. Gerade diese Feststellung ist jedoch wegen der Unberechenbarkeit des menschlichen Organismus kaum möglich. Medizinische Sachverständige, derer man sich im Haftungsprozess zur Aufklärung des Ursachenzusammenhangs bedient, können nur Wahrscheinlichkeitsangaben machen, ohne sich auf eine Sicherheit festzulegen.63 Denn die medizinische Wissenschaft kennt keine absolute Sicherheit.64 Eine „Gesundheitsverletzung“ im Sinne eines Minus zum hypothetisch erreichbaren Behandlungsziel ist wegen der Konkurrenz der zwei möglichen Ursachen – dem Behandlungsfehler und den Auswirkungen der Grunderkrankung – nicht bestimmbar.65 Dies ist wohl der Grund weshalb die Judikatur die „Gesundheitsverletzung“ im Rahmen der Arzthaftung nicht prüft. An Stelle dessen bewertet sie nur eine Handlung: “ Negative Abweichung vom medizinischen Standard“. 3. Literaturübersicht Auch im Schrifttum wird das Problem mit dem Umgang des „Gesundheitsverletzungstatbestandes“ in der Arzthaftung kaum behandelt. Im Gegensatz zur Rechtsprechung äußern sich allerdings einige Autoren zumindest am Rande – und Mertens sogar mit einem Definitionsversuch – zu dieser Problemstellung. a) Schrifttum allgemein Im Schrifttum wurde von einigen wenigen Autoren erkannt, dass der BGH die nach dem Wortlaut des § 823 Abs. 1 BGB an sich erforderliche Körper- und Gesundheitsverletzung zumeist unerwähnt lässt, sie gleichsam stillschweigend voraussetzt und stattdessen auf den Behandlungsfehler abstellt.66 Weitergehende Definitionsversuche sind durch diese Autoren allerdings nicht erfolgt. Bis auf Deutsch67, der explizit die Auffassung vertritt, wegen der im Arzthaftungsrecht 62 Bodenburg, Der ärztliche Kunstfehler als Funktionsbegriff zivilrechtlicher Haftung, S. 28; Park, Das System des Arzthaftungsrechts, S. 87. 63 Kasche, Verlust von Heilungschancen, S. 46. 64 Wachsmuth / Schreiber, NJW 1982, 2094, 2095. 65 Auch Taupitz / Johns, in: „Waffen-Gleichheit“ – Das Recht der Arzthaftung, Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht e.V., S. 80, die im Zusammenhang mit der Diskussion um die Annerkennung der Heilungschance als Rechtsgut einwenden, „dass sie in Wahrheit kein neues Rechtsgut schützen will, sondern lediglich ein Instrument darstellt, über den mangelnden Kausalitätsnachweis bezüglich der Verletzung des eigentlich schutzwürdigen Rechtsguts (Leben, Körper, Gesundheit) hinwegzutäuschen.“ 66 Wendt, Die ärztliche Dokumentation, S. 144; Weber-Steinhaus, Die ärztliche Berufshaftung als Sonderdeliktsrecht, S. 35. 67 Deutsch, in: Festschrift für v. Caemmerer, S. 331.

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

87

angewendeten Verhaltensunrechtshaftung könne die „Gesundheitsverletzung“ stillschweigend vorausgesetzt werden, ziehen die anderen Autoren keine weiteren Schlussfolgerungen aus ihren Erkenntnissen. Wendt68 schreibt beispielsweise einige Seiten nach ihrer Feststellung, dass der BGH die Gesundheitsverletzung unerwähnt lässt, „für einen deliktischen Schadensersatzanspruch des Patienten aus unerlaubter Handlung und damit auch für einen Schmerzensgeldanspruch ist der Nachweis einer Körper- und Gesundheitsverletzung erforderlich.“

b) Differenzbetrachtung nach Mertens Intensiver hat sich im Schrifttum nur Mertens mit der arzthaftungsrechtlichen „Gesundheitsverletzung“ beschäftigt, wenn auch nur am Rande im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Lehre vom Verhaltensunrecht. In diesem Zusammenhang definiert er Gesundheitsverletzung folgendermaßen: Ergeben sich bei einem ärztlichen Eingriff mit wirksamer Einwilligung, medizinischer Indikation, objektiver Zweckmäßigkeit und gegebener Eignung des Arztes negative Eingriffsfolgen, die bei ordnungsgemäßer Behandlung normalerweise nicht eingetreten wären, so ist in der Abweichung vom Sollzustand eine Gesundheitsverletzung zu sehen.69 Zielsetzung seiner Überlegungen ist es, die aus seiner Perspektive unnötige Diskriminierung des ärztlichen Berufstandes dadurch, dass jeder ärztliche Heileingriff eine tatbestandliche Körperverletzung darstellt, auszuschließen.70 Allerdings hält er für den Fall des Eingriffs ohne wirksame Einwilligung hieran fest, da seiner Ansicht nach mit der körperlichen Integrität in § 823 Abs. 1 BGB auch immer die Selbstbestimmung des Patienten geschützt werde.71 Liege allerdings eine wirksame Einwilligung vor und bleibe der ärztliche Eingriff ohne Folgen, soll es bereits an einer tatbestandlichen Körperverletzung fehlen und nicht erst an der Rechtswidrigkeit. Ergeben sich negative Folgen, die bei ordnungsgemäßer Behandlung normalerweise nicht eingetreten wären, sieht er hierin eine Gesundheitsverletzung.72 Das Unwerturteil ärztlichen Handelns würde in diesem Fall erst mit der Feststellung des Behandlungsfehlers gefällt werden.73 An den Ergebnissen der Arzthaftung verändere sich, insbesondere auch unter beweisrechtlichen Aspekten, zwar nichts und brauche sich auch nichts zu ändern, aber es führe zu einer Veränderung der Optik. Gerade der Vorwurf der Ärzte gegen die Juristen, diese rubrizierten sie als berufsmäßige Körperverletzer im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, deren rechts68 69 70 71 72 73

Wendt, Die ärztliche Dokumentation, S. 151. MüKo-Mertens, § 823, Rdnr. 363. Mertens, VersR 1980, 397 ff., 400. Müko-Mertens, § 823, Rdnr. 361. Müko-Mertens, § 823, Rdnr. 363. Ebda.

88

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

widriges Tun nur dadurch gerechtfertigt werde, dass es sich die Patienten gefallen lassen, richte sich ganz wesentlich gegen diese verfehlte Optik.74 Eine Herleitung des „Gesundheitsverletzungstatbestandes“ oder weiterführende Überlegungen erfolgen durch Mertens nicht. Aus diesem Grunde bedarf der Definitionsansatz einer eingehenden Untersuchung hinsichtlich seiner Praktikabilität und Tauglichkeit für den Bereich der Arzthaftung.

aa) Differenzbetrachtung Mertens’ Überlegungen zur „Gesundheitsverletzungsdefinition“ liegt folgende Differenzbetrachtung zugrunde:

realer Zustand nach der Behandlung

Differenzbetrachtung

(Ist-Zustand)

negative Abweichung

hypothetischer Zustand, der nach standardgemäßer Behandlung normalerweise bestehen würde (Soll-Zustand)

Sie erfolgt durch den Vergleich des real nach der Behandlung bestehenden Zustandes (Ist-Zustand) mit dem Zustand, der hypothetisch nach standardgemäßer Behandlung normalerweise erreichbar gewesen wäre (Soll-Zustand). Weicht der Ist-Zustand vom Soll-Zustand negativ ab, sieht Mertens hierin eine „Gesundheitsverletzung“. Der Ansatz weist starke Ähnlichkeit mit dem der haftungsbegründenden Kausalität zugrundeliegenden Prüfungsaufbau auf. Die haftungsbegründende Kausalität wird bejaht, wenn sich der Zustand des Patienten auf die festgestellte Fehlbehandlung zurück führen lässt und wenn eine nach medizinischem Soll-Standard richtige Behandlung den Eintritt der Gesundheitsverletzung verhindert hätte.75 Der einzige Unterschied beider Differenzbetrachtungen besteht darin, dass nach Auffassung Mertens alle Abweichungen, die „normalerweise“ bei ordnungsgemäßer Behandlung nicht eingetreten wären, bereits eine „Gesundheitsverletzung“ darstellen sollen.

Mertens, VersR 1980, 397 ff., 400. BGH NJW 1992, 2962 ff.; OLG Zweibrücken, OLG Report Koblenz, Saarbrücken, Zweibrücken 1999, 489 ff.; weitere Nachweise bei Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rdnr. 190. 74 75

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

89

bb) Behandlungsfehler Nach der Definition von Mertens ist der Behandlungsfehler bzw. dessen Gegenteil, die standardgemäße Behandlung, für die Bestimmung der arzthaftungsrechtlichen „Gesundheitsverletzung“ von zentraler Bedeutung. Die Feststellung, ob im konkreten Fall eine „Gesundheitsverletzung“ vorliegt, erfolgt anhand eines Vergleichs zwischen dem individuellen Zustand, in dem sich der Patient nach der Behandlung befindet, und jenem Zustand, der nach standardgemäßer Behandlung hypothetisch erreichbar gewesen wäre. Zur Feststellung der beiden „gesundheitlichen“ Zustände des Patienten, die letztendlich miteinander verglichen werden, wird also der ärztliche Standard in die Ist- / Soll-Betrachtung als Bezugsgröße miteinbezogen. Erforderlich ist die Einbeziehung des ärztlichen Standards, da bei schlichtem Abstellen auf den Erfolgseintritt, wie es die erfolgsbezogene Konzeption des § 823 Abs. 1 BGB vorsieht, eine rechtswidrige „Gesundheitsverletzung“ bereits bei Eintritt eines Verletzungserfolges angenommen werden müsste. Jede ärztliche Behandlung wäre dann eine Gesundheits- und – sofern es sich „nur“ um einen Eingriff in die körperliche Integrität ohne Folgen, also beispielsweise einen Schnitt oder eine Injektion handelt76 – eine Körperverletzung. Nur wenn dem Arzt Rechtfertigungsgründe, insbesondere in Form einer Einwilligung, zur Seite stehen, würde die Rechtswidrigkeit des Verletzungserfolges nach der Lehre vom Erfolgsunrecht entfallen.77 Dieses erfolgsorientierte Modell78 ist in der deliktischen Arzthaftung für Behandlungsfehler79 nie ernsthaft zugrundegelegt worden.80 Anstelle dessen gehen Rechtsprechung und Lehre von einem verhaltensbezogenen Haftungskonzept bei ärztlichen Behandlungsfehlern aus.81 Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für das

76

Zur allgemeinen Abgrenzung der Körper von der Gesundheitsverletzung siehe Kapitel 2

5. a). 77 Siehe nur Wendt, Die ärztliche Dokumentation, S. 136; Weber-Steinhaus, Die ärztliche Berufshaftung als Sonderdeliktsrecht, S. 31. 78 Ausführlich zur Lehre vom Erfolgsunrecht, Larenz, Schuldrecht BT § 72 I c; PalandtHeinrichs, § 276, Rdnr. 8 f.; Palandt-Thomas, § 823, Rdnr. 33; Staudinger-Schäfer, § 823 Rdnr. 1 ff. 79 Anders bei der Haftung für Aufklärungsfehler, wo zumindest die h.M jede eigenmächtige Behandlung als Körperverletzung qualifiziert – vgl. nur Müko-Mertens § 823, Rdnr. 358, m. w. N. 80 Vgl. Wendt, Die ärztliche Dokumentation, S. 136 m. w. N.; sowie Weber-Steinhaus, Die ärztliche Berufshaftung als Sonderdeliktsrecht, S. 34; Bodenburg, Der ärztliche Kunstfehler als Funktionsbegriff zivilrechtlicher Dogmatik, S. 24; Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 388 – der Gesetzgeber ist von der erfolgsorientierten Konzeption ausgegangen, weil er den, in § 823 I BGB aufgezählten Rechtsgütern einen unbedingten Schutz zukommen lassen wollte und deshalb schon jeden Eingriff per se missbillige, gleichgültig wie er zustande gekommen ist.

90

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

Rechtswidrigkeitsurteil und damit die Haftung des Arztes ist hiernach nicht der Erfolgseintritt, sondern das Verhalten des Arztes. Erst wenn dieses Verhalten einen Verstoß gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht darstellt, wird nach der Lehre vom Verhaltensunrecht die vom Arzt verursachte Verletzung des Patienten an seinem Körper oder seiner „Gesundheit“ als rechtswidrig angesehen. Der Unterschied zwischen Erfolgs- und Verhaltensunrechtslehre besteht somit darin, dass bei Zugrundelegung der verhaltensbezogenen Konzeption zusätzlich zum Erfolgseintritt ein Verstoß gegen eine Sorgfaltspflicht vorliegen muss, um die Widerrechtlichkeit zu begründen. Mit Hilfe der Gründe, die für die Anwendung der verhaltensorientierten Konzeption angeführt werden, lässt sich sehr gut verdeutlichen, warum zur Bestimmung der „Gesundheitsverletzung“ im Arzthaftungsrecht die Einbeziehung des ärztlichen Verhaltens notwendig ist. Vergegenwärtigt man sich die typische ärztliche Tätigkeit, insbesondere wenn es sich um invasive Maßnahmen (wie z. B. Operationen, die Bestrahlung eines Patienten im Rahmen einer Krebstherapie, die Durchführung einer Darmspiegelung zu diagnostischen Zwecken oder auch nur die Injektion von Arzneimitteln) handelt, so verwirklichen sich zwangsläufig verletzungsgleiche Eingriffe an Körper und „Gesundheit“ des Patienten. Die bei der ärztlichen Tätigkeit regelmäßig entstehenden Beeinträchtigungen des Patienten müssen aber als Teilaspekt der ärztlichen Gesamttätigkeit für sich allein genommen wertneutral bleiben und dürfen isoliert keine haftungsrechtlich relevante Aussagekraft besitzen.82 Ohne körperliche Beeinträchtigung wäre ganz im Gegenteil die typische ärztliche Tätigkeit überhaupt nicht denkbar. Die entsprechende Wertung, ob eine ärztliche „Gesundheitsverletzung“ vorliegt, kann daher erst durch die Einbeziehung des ärztlichen Verhaltens vorgenommen83 werden, da anderenfalls die Tatbestandsstufe der „Gesundheitsverletzung“ völlig entleert würde.84 Der entscheidende Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der arzthaftungsrechtlichen „Gesundheitsverletzung“ ist mithin im (Fehl-)Verhalten des Arztes zu sehen. Folgerichtig ist zur Bestimmung der „Gesundheitsverletzung“, wie es die Rechtsprechung unbewusst durch ihr verhaltensorientiertes Konzept ebenfalls macht, zu81 Ausführlich zur Lehre vom Verhaltensunrecht, Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 85 f.; ders., AcP 182 (1982), 384, 449 f; ders., JZ 1986, 969, 973; Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 2, § 25 IV 1 c; Esser / Weyers, Schuldrecht BT Bd. II / 2, § 55 II 3. 82 Bodenburg, Der ärztliche Kunstfehler als Funktionsbegriff zivilrechtlicher Dogmatik, S. 22; Wendt, Die ärztliche Dokumentation, S. 144. 83 So auch Matthies, Schiedsinstanzen im Bereich der Arzthaftung, S. 95 f. 84 Bodenburg, Der ärztliche Kunstfehler als Funktionsbegriff zivilrechtlicher Dogmatik, S. 22; Wendt, Die ärztliche Dokumentation, S. 144.

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

91

nächst die Feststellung des Vorliegens eines Behandlungsfehlers85 des Arztes notwendig. Erst im Anschluss an diese Feststellung ist an einen Vergleich zwischen dem individuellen Zustand des Patienten nach der fehlerhaften Behandlung und jenem Zustand, der nach ordnungsgemäßer Behandlung erreichbar gewesen wäre, zu denken. Bodenburg86 hat diese Situation wie folgt formuliert: Zumindest für den Bereich des ärztlichen Heileingriffs seien die Rechtsgüter Leben, Körper und Gesundheit von Verhaltenspflichten umgeben, die man als „Begriffshof“ erfassen könne. Der sich darin befindende „Begriffskern“ sei für den Bereich der ärztlichen Tätigkeit nur verletzbar, wenn im „Begriffshof“ eine Pflichtverletzung feststellbar sei. Dies bedeute in letzter Konsequenz aber auch für den Bereich ärztlicher Tätigkeit die Veränderung des auf den ersten Blick so geschlossen scheinenden Tatbestands des § 823 Abs. 1 BGB hin zu einem „offenen Tatbestand“. Der im Vordergrund stehende Verhaltenspflichtverstoß bewirke erst die Verletzung des betroffenen Rechtsguts. Die Analyse der Rechtsprechung hat ergeben, dass dieser Schritt dort in Wirklichkeit längst vollzogen wurde, ohne ihn jedoch als solchen zu bezeichnen. Die Gerichte prüfen, ob ein Behandlungsfehler vorliegt und ob dieser kausal den nach der ärztlich Behandlung bestehenden „Gesundheitszustand“ verursacht hat. Nach dem Gesagten ist Mertens zuzustimmen, dass Gesundheit nur unter Einbeziehung des Behandlungsgeschehens definiert werden kann.

cc) „Normalerweise“ Den Knackpunkt der Überlegungen von Mertens bildet der Terminus „normalerweise“. Es verdeutlicht das Problem der Nichtaufklärbarkeit präexistierender Kausalverläufe, der vom Arzt gesetzten und der im menschlichen Organismus angelegten. Beide können zur Nichterreichung des Behandlungsziels geführt haben.87 Auch wenn Mertens sich nicht erklärend zu seinem Definitionsansatz geäußert hat, ist wohl aufgrund des zuvor angesprochenen Problems davon auszugehen, dass er eine „Gesundheitsverletzung“ bereits dann annehmen will, wenn die Erreichung des Behandlungsziels bei standardgemäßer Behandlung wahrscheinlich gewesen wäre. 85 Ob ein Behandlungsfehler im Einzelfall gegeben ist orientiert sich am Standard, welcher häufig wie folgt beschrieben wird: „Standard in der Medizin repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat.“ – vgl. nur Hart, MedR 1998, 8 f., 9; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 279. 86 Bodenburg, Der ärztliche Kunstfehler als Funktionsbegriff zivilrechtlicher Dogmatik, S. 24. 87 Kasche, Verlust von Heilungschancen, S. 30.

92

Kapitel 3: „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

Allerdings findet sich in der fachwissenschaftlichen Literatur zu Wahrscheinlichkeiten der Begriff „normalerweise“ an keiner Stelle.88 Zwar wird in gerichtlichen Entscheidungen in sehr unterschiedlichen Formulierungen – wie eine „an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ oder eine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ – auf Grade von Wahrscheinlichkeit abgestellt, eine Formulierung wie „normalerweise“ wird jedoch nicht verwendet.89 Sprachlich könnte sie mit Aussagen wie „im Regelfall“ und „wie gewöhnlich“ übereinstimmen. Übersetzt in Wahrscheinlichkeitsangaben könnte hiermit „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ gemeint sein, d. h. mit ca. 70 v.H. . Es stellt sich die Frage, ob es weiterführend ist, die „Gesundheitsverletzung“ in der Arzthaftung mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu definieren. Folgender hypothetischer Beispielsfall zur Verdeutlichung des Problems:90 Ein Patient begibt sich mit konkreten Beschwerden zum Arzt. Dieser untersucht ihn und stellt dabei keine ernsthafte Erkrankung fest. Einige Zeit später verschlechtert sich das Befinden des Patienten. Bei erneuter Untersuchung ergibt sich, dass das rechte Auge von einem Tumor befallen ist, was die Entfernung des Auges erforderlich macht. Bei umfassender Untersuchung hätte der Tumor bereits beim ersten Arztbesuch entdeckt werden müssen. Nach medizinischen Erkenntnissen herrscht jedoch Ungewissheit darüber, ob eine bereits nach der ersten ärztlichen Untersuchung eingeleitete Therapie erfolgreich gewesen wäre, da in vergleichbaren Fällen nur bei ca. 70 v.H. der Patienten mit einem Tumor in diesem Stadium das Auge gerettet werden konnte. Der Beispielsfall zeigt, dass die medizinischen Sachverständigen Wahrscheinlichkeitsangaben nur zu Patientengruppen machen können. Ihre Angaben basieren auf statistischen Erkenntnissen über Krankheitsverläufe und Erfolgsaussichten verschiedener Behandlungsmethoden.91 Das statistische Material resultiert aus früheren, in ähnlichen Situationen gesammelten Patientendaten sowie aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Mit Hilfe der Statistik kann der Sachverständige nur erklären, wie viele Patienten in einer bestimmten Vergleichsgruppe bei ordnungsgemäßer Therapie genesen wären.92 Er kann nicht sagen, welche Einzelpersonen das sind.93 Ob der klagende Patient zu den statistischen 70 v.H. der geheilten oder zu den 30 v.H. der nicht geheilten Patienten gehört hätte, bleibt unklar. Würde der Patient Literaturrecherchen waren ergebnislos. Vgl. Weber, Der Kausalitätsbeweis im Zivilrecht, S. 48 – mit einer Zusammenstellung, der in gerichtlichen Entscheidungen verwandten Formulierungen für den Grad von Wahrscheinlichkeiten. 90 Ähnliche Fallkonstellation BGH VersR 1999, S. 60 ff. 91 Scholl, NJW 1983, 319, 320. 92 Ebda. 93 Kasche, Verlust von Heilungschancen, S. 239. 88 89

III. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ im Arzthaftungsrecht

93

aber zu den 30 v.H. der Nichtheilbaren zählen, läge nach der Definition von Mertens trotzdem eine tatbestandliche „Gesundheitsverletzung“ vor, obwohl der Patient in Wahrheit nie hätte „geheilt“ werden können. Umgekehrt sind auch Fälle denkbar, in denen die Heilungschancen bei weniger als 70 v.H. liegen. Hier wäre nach Mertens Definitionsvorschlag bereits der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ zu verneinen, da eine „Heilung“ des Patienten sehr unwahrscheinlich gewesen wäre. Allerdings könnte der individuelle Patient durchaus zu den heilbaren gehört haben. Diese Unsicherheit wird durch die Definition von Mertens mithin nicht aus der Welt geschafft. Es bleibt vielmehr bei der Ungewissheit, ob überhaupt eine „Gesundheitsverletzung“ des Patienten vorliegt.

4. Stellungnahme / Ergebnis Es wurde aufgezeigt, dass weder die Judikatur noch die Literatur - mit Ausnahme von Mertens – jemals auch nur den Versuch unternommen haben, „Gesundheitsverletzung“ für den Bereich des Arzthaftungsrechts zu definieren. Im Rahmen der Prüfung des Verletzungstatbestandes wird nicht auf die Verletzung des Rechtsguts „Gesundheit“ abgestellt, sondern die ärztliche Behandlung – standardgemäßes oder nicht standardgemäßes Handeln des Arztes – bewertet. Ist ein Behandlungsfehler gegeben, wird eine „Gesundheitsverletzung“ des Patienten stillschweigend vorausgesetzt, was aber nicht gleichzeitig die Implikation enthält, die „Gesundheitsverletzung“ sei auch ursächlich durch den Behandlungsfehler hervorgerufen worden. Diese Prüfung erfolgt separat und entscheidet letztendlich – zumeist in Form einer Beweislastentscheidung – darüber, ob der Patient Schadensersatz erhält.94 Die Gründe für diese Vorgehensweise bestehen, wie oben eingehend herausgearbeitet wurde95, einerseits schon in der mangelnden Definierbarkeit des Rechtsguts „Gesundheit“, und andererseits darin, dass sich im Regelfall noch nicht einmal feststellen lässt, ob eine Verletzung der „Gesundheit“ des Patienten im Sinne eines Minus vorliegt.

94 95

Siehe Kapitel 4 III. 3. c) cc). Siehe Kapitel 3 III. 2.

Kapitel 4

Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB und ihre Adäquanz für die Dienstleistungshaftung I. Einleitung Durch In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts1 und des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schadensrechts2 wird das Vertragsrecht nunmehr den wesentlichen Rahmen für das Arzthaftungsrecht abgeben.3 Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen und wofür der Arzt dem Patienten nunmehr gegenüber haftungsrechtlich einzustehen hat. Zielsetzung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes war es unter anderem, die Mängel im Bereich des allgemeinen Leistungsstörungsrechts zu beheben.4 Obwohl der Bereich der Dienstleistungs- und Berufshaftung immer größere Bedeutung erlangt, sind die Regelungen des neuen allgemeinen Schuldrechts, die auch für die Leistungsstörungen im Zusammenhang mit Dienstleistungen bzw. bei der Berufshaftung anzuwenden sind, nicht anders als bei der ersten Formulierung des BGB vor über 100 Jahren erneut am Leitbild des Kaufrechts ausgerichtet worden.5 In den Bundesrats- oder Bundestagsdrucksachen zur Schuldrechtsmodernisierung finden sich im Zusammenhang mit den allgemeinen Leistungsstörungsregeln keine Hinweise auf die Praktikabilität und auf die Anwendbarkeit bei der Haftung der freien Berufe wie der Arzthaftung. Das erstaunt, da insbesondere das Arzthaftungsrecht – noch zu Beginn der Diskussion um die Schuldrechtsreform6 – mehrfach Gegenstand von Reformüberlegungen7, auch auf europäischer Ebene8, war. In-Kraft-getreten am 01. 01. 2002 – BGBl. 2001, S. 3138. In-Kraft-getreten am 01. 08. 2002 – BGBl. 2002, S. 2674. 3 Siehe Kapitel 1 IV. 3. 4 So die Formulierung in BT - Dr. 14 / 7052, S. 1. 5 Siehe Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 242; Spickhoff, NJW 2002, 2530. 6 Deutsch / Geiger, in: BJM (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. II. 1982, S. 1049, 1090 ff. 7 Insbesondere auf dem 52. DJT 1978. Weyers kam in seinem Gutachten A für den 52. Deutschen Juristentag allerdings zu dem Ergebnis, dass es keinen Regelungsbedarf auf dem 1 2

II. Die Konzeption des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, § 280 Abs. 1 BGB

95

Im Rahmen der fachlichen Diskussion des im September 2000 vorgelegten Regierungsentwurfes eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes wurde lediglich am Rande bemerkt, dass das allgemeine Leistungsstörungsrecht zu sehr am Kaufrecht orientiert sei und die wichtigsten Besonderheiten der anderen Schuldverhältnisse unberücksichtigt geblieben seien.9 Bitten, der wachsenden Bedeutung der Dienstleistungshaftung stärker Rechnung zu tragen, wurden nicht erfüllt.10 Es bleibt daher zu untersuchen, ob das neue Schuldrecht angemessene und leistungsfähige Regelungen für die Dienstleistungshaftung – insbesondere die Arzthaftung – bereit hält.

II. Die Konzeption des Generaltatbestandes des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, § 280 Abs. 1 BGB Im Mittelpunkt des allgemeinen Leistungsstörungsrechts steht nunmehr der Generaltatbestand des § 280 Abs. 1 BGB.11 Er stellt – abgesehen von § 311a Abs. 2 BGB – die einzige Anspruchsgrundlage für Schadensersatz auf Grund eines vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnisses dar. In ihm gehen neben der Unmöglichkeit und dem Verzug auch die bis dato ungeschriebenen, durch die Rechtsprechung entwickelten Institute der culpa in contrahendo und der positiven Forderungsverletzung auf. Durch diese Normierung sollte einerseits die Kluft zwischen dem Leistungsstörungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches und dem wirklich „gelebten“ Leistungsstörungsrecht geschlossen werden und andererseits eine Annäherung an internationale Rechtsstandards erfolgen, wie z. B. das UN-Kaufrecht, welches als grundlegende Orientierung für die Schuldrechtsreform diente und ebenfalls auf einem zentralen Haftungsgrund aufbaut.12 Voraussetzung für einen Anspruch auf Schadensersatz ist gemäß § 280 Abs. 1 BGB die Verletzung einer Pflicht aus dem Schuldverhältnis. Der Terminus der „Pflichtverletzung“ als Zentralbegriff der Leistungsstörungen ist in der Schuldrechtskommission und während des Gesetzgebungsverfahrens sehr kontrovers disGebiet des Arzthaftpflichtrechts gebe. Siehe auch Geiger, Gesetzliche Regelungen des medizinischen Behandlungsvertrages, S. 131 ff. 8 EG-Richtlinienvorschlag zur Dienstleistungshaftung in Europa – ABl. EG C 12 vom 18. 01. 1991, 8 ff; vgl. auch Entschließung des 24. Deutschen Ärztetages zur damals geplanten Arzthaftung nach EG-Recht, in: MedR 1991, 165. 9 Lieb, in: Ernst / Zimmermann (Hrsg.), S. 553 ff., 555; Dauner-Lieb, JZ 2001, 8 ff., 17. 10 Dauner–Lieb, JZ 2001, 8 ff., 17. 11 Zur Entstehungsgeschichte der Schuldrechtsmodernisierung: Canaris, Schuldrechtsreform 2002; Dauner-Lieb, JZ 2001, 8 ff.; Zimmermann, JZ 2001, 171 ff. 12 Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, S. 311; Huber, ZIP 2000, 2273, 2279.

96

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

kutiert worden.13 Letztendlich wurde diesem von Diederichsen14 entwickelten Begriff der Vorzug vor der von Huber15 vorgeschlagenen „Nichterfüllungsterminologie“ gegeben. Ausschlaggebend für die Entscheidung waren keine Sacherwägungen, sondern rein terminologische Aspekte.16 Der Begriff der Nichterfüllung wurde sprachlich als besetzt angesehen. Das Bürgerliche Gesetzbuch verwende den Begriff der Nichterfüllung nur für den Fall, dass die geschuldete Leistung ganz oder teilweise ausbleibt. Bloße Abweichungen der Leistung vom Geschuldeten hinsichtlich der Zeit oder der Begleitumstände würden üblicherweise nicht als „Nichterfüllung“ bezeichnet.17 Mit dem Tatbestand der Pflichtverletzung hat der Gesetzgeber einen Oberbegriff für sämtliche Abweichungen vom Obligationenprogramm eingeführt, der sowohl Leistungsstörungen als auch Schutzpflichtverletzungen umfasst und rein objektiv zu verstehen ist.18 Es geht deshalb bei der Pflichtverletzung zunächst nur um einen Vergleich zwischen dem Gesollten und tatsächlich Geschehenen. D.h. jedes Defizit – gemessen am positiven Leistungs- bzw. Schutzinteresse des Gläubigers – erfüllt den Tatbestand der Pflichtverletzung.19 Darauf, wie es zu der Pflichtverletzung gekommen ist, kommt es an dieser Stelle noch nicht an.20 Die Schadensersatzpflicht folgt gemäß § 280 Abs. 1 S. 1 BGB unmittelbar aus der Pflichtverletzung, die lediglich unter dem in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB angefügten Vorbehalt steht, dass der Schuldner beim Nachweis fehlenden Vertretenmüssens von der Ersatzpflicht befreit wird. Die Konzeption des Einheitstatbestandes erschließt sich am ehesten, wenn zunächst zwischen gegenständlichen und nichtgegenständlichen Tatbeständen unterschieden wird und diese wiederum unterteilt werden nach leistungsbezogenen Pflichten (§ 241 Abs. 1 BGB) und Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB).

13 Von einer Vielzahl von Autoren ist der Tatbestand der Pflichtverletzung als unpassend abgelehnt – siehe z. B. Huber, ZIP 2000, 2273 ff.; Holm, ZIP 2001, 184 ff.; Schapp, JZ 2001, S. 583 ff.; Palandt-Heinrichs, § 280, Rdnr. 3; Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 149, die vorschlagen, anstelle des Begriffs der Pflichtverletzung, denjenigen der Vertrags- oder Obligationswidrigkeit zu verwenden. 14 Diederichsen, AcP 182, (1982) 101, 117 ff. 15 Huber, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd. I, S. 647, 699 f. 16 BT-Dr. 14 / 60, S. 133. 17 BT-Dr. 14 / 60, S. 134 f. 18 BT-Dr. 14 / 60, S. 135; Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 149; MüKo-Ernst, § 280, Rdnr. 12. 19 Münch, JURA 2002, 361 ff., 364; Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 149. 20 Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 149.

II. Die Konzeption des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, § 280 Abs. 1 BGB

97

1. Gegenständlicher Tatbestand Mit Gegenständlichkeit ist Erfolgsbetontheit gemeint.21 Bei der Konzeption der Generalnorm des § 280 Abs. 1 BGB hat sich der Gesetzgeber ausschließlich von den klassischen Sachleistungen des Kauf-, Werk-, und Mietvertrages leiten lassen. Sie haben – ob Leistungspflichten oder Schutzpflichten – durchweg einen Erfolgsbezug. a) Leistungsbezogene Pflichten gemäß § 241 Abs. 1 BGB Als leistungsbezogene Pflichten werden all jene bezeichnet, die auf eine Veränderung der Güterlage des Gläubigers abzielen.22 Es kann sich hierbei um Pflichten handeln, die die rechtzeitige, vollständige und ordnungsgemäße Erfüllung oder die Absicherung der vertraglich begründeten oder gesetzlich entstandenen Ansprüche zum Inhalt haben.23 Systematisch werden die Störungen in solche unterschieden, die sich auf die vertragliche Leistung selbst beziehen (die Nicht-, Spät-, Schlechtleistung) und in solche, die die Verletzung sonstiger leistungsbezogener Nebenpflichten zum Gegenstand haben.24 Als Beispiele für leistungsbezogene Pflichten i. S. d. § 241 Abs. 1 BGB werden die klassischen Hauptleistungspflichten, wie die Übergabe der verkauften Sache, die Zahlung des Kaufpreises, die Herausgabe des aus der Geschäftsbesorgung Erlangten sowie die Herstellung des versprochenen Werkes angeführt.25 Die Verletzung einer Leistungspflicht liegt vor, wenn der Gläubiger in seinem durch das Schuldverhältnis begründeten und geschützten Leistungsinteresse beeinträchtigt wird. In der nicht bzw. nicht pünktlich erbrachten Leistung besteht beispielsweise bei den klassischen Tatbeständen der Unmöglichkeit und des Verzuges die Pflichtverletzung i. S. d. § 280 Abs. 1 BGB.26 Einen Verhaltensbezug weist die leistungsbezogene Pflichtverletzung – für sich genommen – nicht auf.27 Sie ist rein objektiv zu verstehen.28 Daher wird die Pflichtverletzung auch unabhängig davon bejaht, ob dem Schuldner, dem Gläubiger oder keiner der Parteien die Pflichtverletzung zuzurechnen ist: Jede negative Differenz zwischen Soll und Ist, die sich als Enttäuschung der Leistungsinteressen ausnimmt, erfüllt den Tatbestand der PflichtEsser / Schmidt, Schuldrecht BT Bd. I / 2; § 29 III 5b. BT-Dr. 14 / 6040, S. 125. 23 Mattheus, JuS 2002, 209, 211. 24 Vgl. zu den Pflichten nur MüKo-Emmerich, Vorb. § 275, Rdnr. 282 ff.; Palandt-Heinrichs, § 276, Rdnr. 113 ff. 25 BT-Dr. 14 / 6040; siehe auch beispielsweise Lorenz / Riehm, Schuldrecht, Rdnr.172. 26 BT-Dr. 14 / 6040, S. 135; Canaris, JZ 2001, 499 ff., 512. 27 BT-Dr. 14 / 6040. S. 135; Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 149; MüKo-Ernst zu § 280, Rdnr. 12. 28 BT-Dr. 14 / 6040, S. 135; MüKo-Ernst zu § 280, Rdnr. 12; Wilmowsky, JuS 2002, Beilage zu Heft 1, S. 1 ff., 3. 21 22

7 Heidelk

98

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

verletzung. Selbst eine durch ein Naturereignis verursachte Störung des Schuldverhältnisses kann eine tatbestandliche „Pflichtverletzung“ darstellen. Ob dem Schuldner die Nichteinhaltung einer Pflicht persönlich vorzuwerfen ist, betrifft die Frage des Vertretenmüssens (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB) und besitzt für die Feststellung einer Pflichtverletzung keinerlei Bedeutung.29

b) Schutzpflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB Mit Einführung des § 241 Abs. 2 BGB ist ausdrücklich klargestellt worden, dass zu den leistungsbezogenen Pflichten weitere Pflichten hinzutreten, die in der Literatur als Verhaltens – oder Schutzpflichten bezeichnet werden.30 Bislang wurde ihre Verletzung häufig unter Berufung auf die positive Vertragsverletzung und im Bereich des vorvertraglichen Schuldverhältnisses durch Heranziehung der Grundsätze der c.i.c. sanktioniert. Im Gegensatz zu den Leistungspflichten geht es bei den Schutzpflichten nicht um die geschuldete Leistung selbst, sondern darum, die Rechte und sonstigen Rechtsgüter und Vermögensinteressen der Gegenpartei zu schützen.31 Gegenstand dieser Pflichten, die die gegenwärtige Güterlage jedes an dem Schuldverhältnis Beteiligten bewahren sollen, ist das Integritätsinteresse des anderen Teils, d. h. sein personen- und vermögensrechtlicher Status quo.32 Umfang und Intensität werden dabei nicht durch § 241 Abs. 2 BGB bestimmt, sondern durch das jeweilige Schuldverhältnis selbst.33 Da sie in aller Regel weder gesetzlich normiert noch vertraglich fixiert sind, werden sie von den Gerichten anhand des konkreten Einzelfalls entwickelt.34 Sie sollen dem Umstand Rechnung tragen, dass die Partner eines Schuldverhältnisses in stärkerem Maß als rechtlich unverbundene Personen in der Lage sind, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen Teils einzuwirken und diese zu beeinträchtigen. 35 Um diese gesteigerten Einwirkungsmöglichkeiten rechtlich zu bändigen, werden die Parteien durch § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen Teils verpflichtet. Anders als bei den Leistungspflichtverletzungen kann der Tatbestand der Schutzpflichtverletzung nicht bereits aus der objektiven Abweichung vom vorWilmowsky, JuS 2002, Beilage zu Heft 1, S. 1 ff., 3. Palandt-Heinrichs, § 241, Rdnr. 6.; Jauernig-Vollkommer, § 280, Rdnr. 16. 31 Ausführlich zu den unterschiedlichen Arten von Schutzpflichten, Ehmann / Sutschet / Finkenauer / Hau, S. 71 ff. 32 Palandt-Heinrichs, § 241, Rdnr. 6; Canaris, JZ 2001, 499, 512; Mattheus, JuS 2002, 209 ff., 211; Lorenz / Riehm, Schuldrecht, Rdnr. 356; Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 160 f. 33 Palandt-Heinrichs, § 241, Rdnr. 7; Wilmowsky, JuS 2002, Beilage zu Heft 1, S. 5*; Lorenz / Riehm, Schuldrecht, Rdnr. 356. 34 Wilmowsky, JuS 2002, Beilage zu Heft 1, S. 5*. 35 Ebda. 29 30

II. Die Konzeption des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, § 280 Abs. 1 BGB

99

gegebenen Leistungsprogramm abgelesen werden.36 Neben der Beeinträchtigung der in § 241 Abs. 2 BGB bezeichneten Rechte, Rechtsgüter und Interessen bedarf es der weitergehenden Feststellung, ob der Eintritt der Verletzung auf einem Verhalten des Schuldners beruht.37 Auf der Schutzpflichtebene kommt damit der Verhaltensaspekt bereits im objektiven Tatbestand zum Tragen.38 Begründet ist dies darin, dass anders als bei der Leistungsbeziehung, in der die Person des Verpflichteten als Schuldner bereits feststeht, der Urheber der Integritätseinbuße erst noch ausfindig gemacht werden muss, was durch Rückführung der fraglichen Verletzung auf das Verhalten des Schutzpflichtigen geschieht.39 Die Qualität des Verhaltens, vorsätzliche oder fahrlässige Herbeiführung, findet an dieser Stelle aber noch keine Berücksichtigung.40 Sie spielt erst im Rahmen des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB eine Rolle. Auf der Schutzpflichtebene geht es allein um den objektiven Verstoß gegen eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis.41

c) Nichtvertretenmüssen, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB Eine Haftung des Schuldners scheidet gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nur dann aus, wenn er die Pflichtverletzung nicht gemäß der §§ 276 bis 278 BGB zu vertreten hat. Es handelt sich hierbei um einen Einwendungstatbestand.42 Denn entgegen einer weitverbreiteten Auffassung43 setzt die Schadenszuständigkeit bei Leistungsstörungen ein Verschulden auch nicht „an sich“ voraus.44 Durch die Formulierung in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB wird vielmehr deutlich, dass der Haftungsgrund bereits gelegt ist, aber den vermeintlichen Schuldner keine Ersatzpflicht trifft, wenn er gehörige Sorgfaltsanstrengungen nachweisen kann. Konzeptionell handelt es sich nicht um eine „Ausnahme“ von der Verschuldenshaftung, sondern um eine eigenständige Haftungskategorie, die zwischen derjenigen mit vollem Verschuldensnachweis und der Garantiehaftung steht.45 Gerechtfertigt ist sie durch das vertragliche Versprechen, bei dessen Nichteinlösung es nahe liegt, dem Versprechenden 36 MüKo-Ernst, § 280, Rdnr. 13; Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 160; Wilmowsky, JuS 2002, Beilage zu Heft 1, S. 5*. 37 Wilmowsky, JuS 2002, Beilage zu Heft 1, S. 5*. 38 Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 149. 39 Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 149; MüKo-Ernst, § 280, Rdnr. 13. 40 Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 149, Fußnote 169. 41 Müko-Ernst, § 280, Rdnr. 13; Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 160. 42 Palandt-Heinrichs, § 280, Rdnr. 34; Schmidt, JuS 2003, 1007, 1012. 43 So beispielsweise Jauernig-Vollkommer, § 280, Rdnr. 20; Medicus, Schuldrecht I, § 35 III 1. b); Regenbogen, Ärztliche Aufklärung und Beratung in der prädiktiven genetischen Diagnostik, S. 239; Däubler, NJW 2001, 3728, 3731; Otto, JURA 2002, 2, 3; Schwab, JuS 2002, 1, 3. 44 Schmidt, JuS 2003, 1007, 1012. 45 Schmidt, JuS 2003, 1007, 1012.

7*

100

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

das Aufklärungsrisiko aufzuerlegen.46 Darüber hinaus spielt auch die Nähe des Schuldners zum Geschehen eine Rolle, der in der Regel eher in der Lage sein dürfte, die zumeist in seinem Bereich entstandenen Hinderungsgründe aufzuklären.47 Zu vertreten hat der Schuldner die Pflichtverletzung, wenn er für sie gemäß § 276 Abs. 1 BGB verantwortlich ist. Die Verantwortlichkeit ist dabei nicht mit dem Verschulden des Schuldners gleichzusetzen, obwohl das Gesetz in § 276 BGB davon ausgeht, dass ein Verschulden in Form von Vorsatz und Fahrlässigkeit der regelmäßige Zurechnungsgrund ist. Die Zurechnung kann auch auf der Übernahme einer Garantie oder eines Risikos beruhen (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB).48 Bezugspunkt des Vertretenmüssens ist die jeweilige Pflichtverletzung.49 Das führt zu einer unterschiedlichen Betrachtungsweise der leistungs- und nichtleistungsbezogenen Pflichten. In Fällen der Verletzung des positiven Leistungsinteresses muss der Schuldner den eingetretenen Umstand der Nicht-, Spät- oder Schlechterfüllung vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Hat er eine Garantie oder ein Beschaffungsrisiko übernommen, kommt es nur darauf an, ob das festzustellende Leistungsdefizit von der übernommenen Garantie oder der Risikoübernahme erfasst ist.50 Bei der Verletzung von Schutzpflichten hat der Schuldner diese zu vertreten, wenn er es als sicher voraussieht oder es zumindest für möglich hält und zugleich damit einverstanden ist, dass er mit seinem Verhalten ein sonstiges Recht, Rechtsgut oder Interesse des Gläubigers verletzen wird.51 Zur Verdeutlichung der Trennung von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen führt der Gesetzgeber die klassischen Tatbestände Nichtleistung und Spätleistung an: Die „Pflichtverletzung“ i.S. von § 280 Abs. 1 BGB bestehe in diesen Fällen in der nicht bzw. nicht pünktlichen Erbringung der geschuldeten Leistung.52 Die Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt liege demgegenüber beispielsweise in der unsorgfältigen Behandlung des Vertragsgegenstandes durch den Schuldner, der so die Unmöglichkeit herbeigeführt hat, oder darin, dass er die geschuldete Ware nicht frühzeitig genug auf den Weg gebracht hat, obgleich beispielsweise mit einem Eisenbahnstreik oder dgl. zu rechnen war. Ebda. Medicus, Schuldrecht I, Rdnr. 418. 48 Lorenz / Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rdnr. 175; Müko-Ernst, § 280, Rdnr. 13. 49 MüKo-Ernst, § 280, Rdnr. 21. 50 Müko-Ernst, § 280, Rdnr. 24. 51 Wilmowsky, JuS 2002, Beilage zu Heft 1, S. 6*, a. A. Müko-Ernst, § 280, Rdnr. 22, der meint, dass die Schutzpflichtverletzung bereits die Feststellung der Pflichtverletzung voraussetze, so dass der Schuldner durch ein objektiv nicht-gesolltes Verhalten einen Schaden verursacht habe. Dem entsprechend und angesichts des objektiv-abstrakten Sorgfaltsmaßstabs, wie er für § 276 angenommen werde, beschränke sich der Gegenstand der Exkulpation nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB im Wesentlichen darauf, dass der Schuldner einen Rechtsirrtum darlege und beweise. Auch die Berufung auf mangelnde Zurechnungsfähigkeit bleibe möglich. 52 Canaris, JZ 2001, 499 ff., 512. 46 47

II. Die Konzeption des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, § 280 Abs. 1 BGB

101

d) Darlegungs- und Beweislast Aus der negativen Formulierung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt sich eine Vermutung der Verantwortlichkeit des Schuldners für die Pflichtverletzung. Um der Schadensersatzhaftung zu entgehen, obliegt es dem Schuldner darzulegen und zu beweisen, dass er die Verletzung nicht zu vertreten hat.53 Diese Verteilung der Behauptungs- und Beweislast entspricht nach Auffassung des Gesetzgebers den §§ 282, 285 BGB a.F., wonach den Schuldner die Beweislast dafür trifft, dass die Unmöglichkeit bzw. der Verzug nicht Folge eines von ihm zu vertretenen Umstandes sei. Da der § 282 BGB a.F. von der Rechtsprechung in der Vergangenheit auch auf die meisten Fälle der positiven Forderungsverletzung angewendet worden ist, wurde die Beweislastregelung in den allgemeinen Haftungstatbestand des § 280 Abs. 1 BGB mit aufgenommen.54 Hierdurch sollte eine Verallgemeinerung der Beweislastregeln, über die klassischen Leistungsstörungen hinaus, erreicht werden. Im Kommissionsentwurf von 1992 wurde zwar auf einige Ausnahmen hinsichtlich der Anwendung des § 282 BGB a. F., z. B. bei der Arzthaftung, hingewiesen. Nach Auffassung der Kommission waren diese Ausnahmen einer gesetzlichen Regelung damals jedoch noch nicht zugänglich, weshalb die Verteilung der Behauptungsund Beweislast einstweilen ohne Ausnahme formuliert werden müsse. Eine Absage an die bisher geübte Praxis sollte dies aber nicht bedeuten.55 Im Gesetzgebungsverfahren bat der Bundesrat mit der Begründung, dass weder von der Lehre noch von der Rechtsprechung eine entsprechende Anwendung des § 282 BGB a.F. auf alle Bereiche der positiven Vertragsverletzung befürwortet werde, sondern die Rechtsprechung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen differenziere, um eine Überprüfung der Beweislastverteilung.56 Diese wurde von der Bundesregierung mit folgender Begründung abgelehnt57: „. . . § 280 Abs. 1 S. 2 BGB – RE setzt eine Pflichtverletzung im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 der Vorschrift voraus. Diese Pflichtverletzung muss der Gläubiger beweisen. Gelingt der Beweis, so steht fest, dass der Schuldner seinen Pflichten aus dem Schuldverhältnis nicht so nachgekommen ist, wie es das Schuldverhältnis von ihm verlangt. Das rechtfertigt es, in diesem Fall von dem Schuldner zu verlangen, sich zu entlasten, wenn es um die Frage geht, ob er diese objektiv festgestellte Pflichtverletzung auch zu vertreten hat. Der Schuldner ist es, der den Anforderungen aus dem Schuldverhältnis nicht nachkommt. Er ist deshalb auch sehr viel eher in der Lage, die Ursachen für die Pflichtverletzung darzulegen. Es ist richtig, dass die Rechtsprechung unter Heranziehung des Gedankens aus § 282 BGB bei der Haftung aus positiver Vertragsverletzung eine Beweislastverteilung nach Gefahrenund Verantwortungsbereichen annimmt. Dies greift der Entwurf aber gerade auf: Verletzt BT-Dr. 14 / 6040, S. 136. BT-Dr. 14 / 6040, S. 136. 55 Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts 1992, S. 130. 56 Stellungnahme des Bundesrates, abgedruckt in: Canaris, Schuldrechtsreform 2002, S. 945 f. 57 Gegenäußerung der Bundesregierung, abgedruckt in: Canaris, Schuldrechtsreform 2002, S. 1008. 53 54

102

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

der Schuldner objektiv eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so stammt die Störung bei der Abwicklung aus seinem Bereich; ihm ist deshalb sehr viel eher als dem Gläubiger zuzumuten, die Ursachen der Pflichtverletzung darzulegen.“

Entgegen der Auffassung der Bundesregierung blieb es aber bei der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen grundsätzlich bei der Beweislast des Anspruchsstellers für den objektiven Tatbestand der Pflichtverletzung einschließlich der Kausalität der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden. Erst wenn ihm dieser Beweis gelungen war, kam „entsprechend“ § 282 BGB a.F. eine Umkehr der Beweislast in Betracht, vorausgesetzt, die feststehende Ursache des Schadens stammte aus dem Gefahrenbereich des Schuldners.58 Das Konzept konnte – schlicht ausgedrückt – reduziert werden auf die Aussage: Wer aus einer Leistungsbeziehung rauswollte, musste sich entlasten.

2. Nicht-Gegenständliche Tatbestände Probleme bereitet die Konzeption des § 280 Abs. 1 BGB in den Fällen, in denen zwar Leistungspflichten zur Debatte stehen, jedoch jede Erfolgsbetonung fehlt. Gemeint sind hiermit reine Tätigkeitspflichten, bei denen der Schuldner die üblichen Standards einhalten muss, ohne zugleich ein bestimmtes Ergebnis seiner Handlung zu schulden. Dies trifft in erster Linie auf Dienstleistungs- und Arbeitspflichten, also insbesondere auch auf die Fälle des hier näher zu betrachtenden Arztrechts zu. Bei diesen tritt an die Stelle der ausnahmslos sach- und erfolgsbezogenen gegenständlichen Leistungspflicht die Pflicht zum sorgfältigen Tätigwerden.59 Nach alter Rechtslage fielen diese Fälle unter die Regelung der positiven Vertragsverletzung. Zu differenzieren ist, ebenso wie bei den gegenständlichen, auch bei den nichtgegenständlichen Tatbeständen zwischen Leistungs- und Schutzpflichten. a) Leistungspflichten Bei den Leistungspflichten muss weiterhin zwischen der Nichtleistung – „der totalen Untätigkeit“ – und der Schlechterfüllung – dem standardwidrigen Verhalten – unterschieden werden. aa) Nichtleistung Die Fälle der Nichtleistung sind mit der gesetzgeberischen Konzeption des § 280 Abs. 1 BGB kompatibel, da die notwendige Differenzierung – wegen der insoweit 58 59

338.

Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, S. 349 m. w. N. Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 236; Demberg, Jura 1987, 337 ff.,

II. Die Konzeption des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, § 280 Abs. 1 BGB

103

gegensätzlichen Beweislastverteilung – zwischen objektiver Pflichtverletzung und Vertretenmüssen ohne weiteres möglich ist. Die Nichtleistung ist die Pflichtverletzung. Zu vertreten hat der Schuldner die Pflichtverletzung, wenn er sie vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat.

bb) Schlechtleistung Anders sind die Fälle der Schlechtleistung zu beurteilen, welche den Schwerpunkt der Haftungsfälle bilden. Bei den Dienstleistungs- und Arbeitspflichten geht es um die Qualität der Leistungshandlung.60 Der Schuldner muss die üblichen Standards einhalten, ohne zugleich ein bestimmtes Ergebnis zu „garantieren“. Symptomatisch für die Dienstleistungspflichten ist gerade, dass selbst im Falle ihrer ordnungsgemäßen Erbringung, ein etwa angestrebter Erfolg sich nicht zwingend einstellt, weil für dessen Ausbleiben noch andere Umstände – namentlich aus dem Gläubigerbereich – maßgeblich sind.61 Das trifft insbesondere auf die ärztliche Behandlung zu: dort existieren immer zwei mögliche Ursachen, die vom Arzt gesetzte und die im Organismus der Patienten angelegte.62 Folglich korrespondiert in diesen Fällen nicht zwingend der Nichteintritt des avisierten Erfolges mit der Pflichtverletzung. Es stellt sich mithin die Frage, worin der objektive Tatbestand bei der nichterfolgsbezogenen Dienstleistung im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB zu sehen ist. Weil nur ein dem Berufsstandard entsprechendes Verhalten und nicht ein bestimmtes Ergebnis der Handlung geschuldet ist – der Arzt ist dem Patienten gegenüber „nur“ zu einer standardgemäßen Behandlung, der Anwalt dem Mandanten zu einer standardgemäßen Beratung verpflichtet – muss also eine Verhaltenspflicht verletzt sein. Das führt zu folgender Schwierigkeit: Bevor der Tatbestand des § 280 Abs. 1 BGB überhaupt festgestellt werden kann, muss der Kausalzusammenhang aufgeklärt werden. D. h., es erfolgt zwingend eine Differenzbetrachtung zwischen dem Ist-Ergebnis nach dem pflichtwidrigen Verhalten und dem Soll-Ergebnis nach dem pflichtgemäßen Verhalten. Weicht das Ist-Ergebnis vom Soll-Ergebnis ab, ist der Tatbestand des § 280 Abs. 1 BGB gegeben. Diese Reihenfolge ist im Schuldrecht einzigartig. Normalerweise steht erst der Tatbestand fest und dann wird der Beweis erhoben, ob sich der Schuldner die Schlechtleistung auch zurechnen lassen muss. Ein weiteres Problem liegt darin begründet, dass sich die Qualität der Leistungshandlung – der geforderte Standard – ebenso wie das Vertretenmüssen in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nach der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestimmt und damit die Pflichtverletzung bereits den Sorgfaltspflichtverstoß impliziert. Daraus erwach60 61 62

Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 2, § 29 5b. Ebda. Großerichter, Hypothetischer Kausalverlauf und Schadensfeststellung, S. 246.

104

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

sen nachstehende Komplikationen: Bei § 280 Abs. 1 BGB ist es die objektive Pflichtverletzung, die den Ersatzanspruch des Gläubigers prinzipiell zur Entstehung gelangen lässt.63 Durch § 280 Abs. 1 S. 2 BGB wird dem Schuldner ein Entschuldigungsgrund eingeräumt, eine haftungshindernde Einwendung.64 Seine Ersatzpflicht ist danach ausgeschlossen, wenn er sein sorgfaltgemäßes Verhalten nachweisen kann.65 Bei der nichterfolgsbezogenen Dienstleistungshaftung scheint aber gerade die Regelung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB wegen der wohl kaum möglichen Differenzierung zwischen Pflichtverletzung und Vertretenmüssen ins Leere zu laufen. Da die Beweislast insoweit gegensätzlich verteilt ist, ist die Abgrenzbarkeit beider Kategorien aber von gravierender Bedeutung. Bezogen auf die hier zu untersuchende Arzthaftung stellt dies, neben dem fehlenden objektivierten Tatbestand, den „Knackpunkt“ des § 280 Abs. 1 BGB dar. Wie die Literatur mit dieser Problematik im Arzthaftungsrecht umgeht, welche Lösungsansätze vertreten werden und wie die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung – dargestellt am Beispiel der Anwaltshaftung – evtl. doch noch im Wege einer Hilfskonstruktion auf § 280 Abs. 1 BGB angewendet werden kann, wird eingehend im nächsten Abschnitt untersucht. b) Schutzpflichten Bei den Schutzpflichten handelt es sich ausschließlich um die Vermögenssorge. Allen weiteren in § 241 Abs. 2 BGB genannten Rechten und Rechtsgütern liegen gegenständliche Schutzpflichten zugrunde, da deren Verletzung am negativen Erfolg, z. B. dem Eintritt der Körperverletzung, abzulesen ist. Da die Vermögenssorge nicht Thema der Bearbeitung ist, sollen lediglich kurz die Probleme, die im Zusammenhang mit § 280 Abs. 1 BGB auftauchen, angesprochen werden, ohne diese jedoch weiter zu vertiefen. Durch die Einbeziehung von Schutzpflichten i. S. d. §§ 241 Abs. 1, 311a Abs. 2 BGB wurde nunmehr originäres Deliktsrecht, welches durch die Judikatur freilich schon frühzeitig unter den Stichwörtern positive Vertragsverletzung und culpa in contrahendo der Vertragshaftung zugeschrieben wurde, im Vertragsrecht verankert. Die vertragliche Schutzpflichtverletzung unterscheidet sich aber in zwei Punkten vom Deliktsrecht: Einerseits ist sie von vornherein personell fixiert auf die Obligationsbeteiligten, die bei einer unerlaubten Handlung erst noch ausfindig gemacht werden müssen; andererseits – und gerade dieser Punkt bereitet nunmehr im Vertragsrecht große Schwierigkeiten – übertrifft sie deren Reichweite, indem sie über die bislang allein behandelte Integritätswahrnehmung hinaus eben auch die Vermögenssorge umgreift.66 Im Delikts63 „Deshalb ist auch die weitverbreitete Aussage falsch, die Schadenszuständigkeit bei Leistungsstörungen setze ,an sich‘ Verschulden voraus.“ – Schmidt, JuS 2003, 1007, 1012. 64 Schmidt, JuS 2003, 1007, 1012. 65 Zum Einwendungstatbestand, siehe ausführlich Kapitel 4 II. 1. c). 66 Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 160.

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

105

recht genoss die Vermögenssorge wegen ihrer tatbestandlich schwer abgrenzbaren Konturen keinen regulären Schutz. Insofern tauchen an dieser Stelle vermutlich ähnliche Probleme im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB auf, wie beim Gesundheitsverletzungstatbestand im Bereich der Arzthaftung. Die Pflichtverletzung wird wegen der Konturenlosigkeit des geschützten Interesses vermutlich in der „mangelhaften“ Vermögenssorge zu sehen sein. Wann eine Vermögenssorge „mangelhaft“ ist, richtet sich nach dem jeweiligen berufsspezifischen Standard, der sich wiederum gemäß § 276 Abs. 2 BGB nach der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestimmt. Insofern impliziert die Pflichtverletzung bereits den Sorgfaltspflichtverstoß, so dass auch hier wiederum fraglich ist, worin sich Satz 1 und Satz 2 von § 280 Abs. 1 BGB unterscheiden.

III. Anwendbarkeit der Konzeption des § 280 Abs. 1 BGB auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung 1. Arbeitnehmerhaftung Allein für die Arbeitnehmerhaftung wurde durch § 619a BGB eine Ausnahme zur Beweislast des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB geschaffen. Danach muss der Arbeitsgeber, der vom Arbeitnehmer Schadensersatz wegen Pflichtverletzung verlangt, dem Arbeitnehmer zusätzlich auch nachweisen, dass dieser die Pflichtverletzung zu vertreten hat.67 Durch diese Sonderregelung sollte im Anschluss an die jüngste Rechtsprechung des BAG68 klargestellt werden, dass für den Bereich der Arbeitnehmerhaftung auch weiterhin die alten Beweislastgrundsätze gelten sollen.69 Damit wurde ein einheitlicher Tatbestand der Pflichtwidrigkeit der Arbeitsleistung geschaffen. Der Bereich der Arbeitsnehmerhaftung ist aus diesem Grund die einzige nichtleistungsbezogene Dienstleistungshaftung bei der die Anwendung des § 280 Abs. 1 BGB keine Probleme bereitet.

2. Anwaltshaftung Im Folgenden soll die Anwaltshaftung exemplarisch für die allgemeine Dienstleistungshaftung im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB angeführt und anhand ihrer die Unterschiede zu den Fällen der ärztlichen Behandlungsfehlerhaftung herausgearbeitet werden.

67 68 69

Hierzu Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, S. 350. Grundlegend BAG NJW 1999, 1049, 1051 f. BT-Dr. 14 / 7052, S. 184.

106

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

a) Rechtsnatur des Anwaltsvertrages Bei der Tätigkeit des Anwalts handelt es sich gemäß § 675 i.V.m. § 611 BGB um eine entgeltliche Geschäftsbesorgung. Geschuldet wird dabei das bloße Tätigwerden und nicht das Versprechen eines Erfolges in Form eines Prozesssieges. Dieses würde auf eine, vom Anwalt nicht zu leistende, Garantiehaftung hinauslaufen.70 Die dem Anwalt fehlende Verpflichtung, für einen Prozess- (oder Beratungs-)Erfolg einzustehen, ist entscheidender Grund für seine deutliche Abgrenzung von den erfolgsbezogenen Verträgen, insbesondere dem Werkvertrag.71

b) Haftungsnorm und Pflichtverletzung Die Qualifizierung des Anwaltsvertrages als Dienstvertrag führt zur Anwendbarkeit des § 280 Abs. 1 BGB. Dabei haftet der Anwalt dem Mandanten grundsätzlich für alle Schäden, die sich aus einer vom ihm zu vertretenden Pflichtverletzungen ergeben. Worin die anwaltlichen Pflichten im Einzelnen bestehen, ist von der Rechtsprechung in einer reichhaltigen, kaum überschaubaren Anzahl von Fällen konkretisiert worden.72 Der Inhalt73 des Mandatsauftrages spielt dabei eine ebenso große Rolle, wie Art und Umfang der Geschäftsbeziehungen74. Der Anwalt ist verpflichtet, die Interessen seines Mandanten umfassend wahrzunehmen, d. h. den Sachverhalt erschöpfend zu prüfen, um dann die geeigneten Schritte zur Wahrung der Rechte des Mandanten zu unternehmen und ihn vor Rechtsverlusten und Schäden zu schützen.75 Insbesondere hat er dabei zu beachten, dass kein Rechtsverlust durch Verjährung oder durch Ablauf einer anderen Frist eintritt.76 Der konkrete Umfang der anwaltlichen Pflichten richtet sich dabei nach dem erteilten Mandat und den Umständen des einzelnen Falls.77 In rechtlicher Hinsicht wird vom Anwalt die Kenntnis aller einschlägigen Gesetze und Vorschriften in den Hauptbereichen des Rechts und eventuell in den von ihm zu bearbeitenden Spezialgebieten verlangt.78 Darüber hinaus hat er die höchst-

Borgmann / Haug, Anwaltshaftung, S. 51. Hirte, Berufshaftung, S. 12. 72 Lange, Die Beweislast im Anwaltsprozess, S. 83 ff. 73 Vollkommer / Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rdnr. 4; Hirte, Berufshaftung, S. 13; Borgmann / Haug, Anwaltshaftung, S. 142 ff. 74 Etwa Ausrichtung und Größe der Kanzlei / Schwierigkeiten von Rechts- und Tatsachenfragen. 75 Hirte, Berufshaftung, S. 13. 76 Siehe beispielsweise: BGH NJW-RR 1991, 91 (Wiedereinsetzung); BGH NJW 1993, 1323, 1324 (Terminsversäumung). 77 BGH NJW 1996, 2648. 78 Borgmann / Haug, Anwaltshaftung, S. 99 ff. 70 71

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

107

richterliche Rechtsprechung und – soweit aufgrund des Instanzenzuges die Untergerichte von Bedeutung sind – auch diese zu kennen.79 Kommen mehrere Vorgehensweisen in Betracht, muss der Anwalt stets die für seinen Mandanten sichersten und gefahrlosesten wählen.80 Darüber hinaus besteht eine umfassende Pflicht zur Aufklärung über die mit einem Prozess verbundenen Risiken, auch und insbesondere bezüglich der Prozesskosten.81

c) Beweislast Dem Mandanten obliegt nach dem Wortlaut des § 280 Abs. 1 S. 1 BGB der Beweis einer Pflichtverletzung durch den Anwalt, des Vorliegens eines Schadens sowie der Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Der Anwalt muss gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB beweisen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

aa) Objektive Pflichtverletzung Für den Anwaltsvertrag ist unstreitig, dass der Mandant die Beweislast hinsichtlich der Pflichtverletzung durch den Anwalt trägt.82 Unterschiede werden bei den Anforderungen an die Beweislast zwischen „erfolgsbezogenen Pflichten“ und „verhaltensbezogenen Pflichten“ vorgenommen:83 Bei ersteren, worunter die Versäumung einer Frist oder das Einreichen einer Klage bei einem unzuständigen Gericht verstanden wird, wird es als ausreichend angesehen, wenn der Mandant den Nichteintritt des geschuldeten Erfolges nachweist.84 Liquide Beweismittel wie Fristvermerke oder Eingangsstempel stehen ihm hierbei zur Seite. Gestützt wurde der Beweislastvorteil in der Vergangenheit von der h.M. auf § 282 BGB a.F. Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass es hier ausreicht, auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises abzustellen.85 Der Nachweis, dass ein Gericht ein Rechtsmittel wegen Fristversäumung als unzulässig verworfen hat, weist in aller Regel auf ein nicht fristgerechtes Einreichen des Schriftstückes bei Gericht Vollkommer / Heinemann, Anwaltshaftung, Rdnr. 200 ff. Hirte, Berufshaftung, S. 17. 81 Borgmann / Haug, Anwaltshaftung, S. 114 f. 82 BGH NJW 1991, 2280, 2281; BGH VersR 1995, 1096, 1098; Vollkommer / Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rdnr. 669; Baumgärtel-Laumen, Handbuch der Beweislast Bd. 1, § 675, Rdnr. 12; Borgmann / Haug, Anwaltshaftung, Rdnr. IX 7. 83 Heinemann, NJW 1990, 2345, 2347; Stoll, in: Festschrift für Hippel, S. 517, 543 ff.; Baumgärtel-Baumgärtel, Handbuch der Beweislast Bd. 1, Anh. § 282, Rdnr. 20 f. 84 Hirte, Berufshaftung, S. 31; Vollkommer / Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rdnr. 671; Heinemann, NJW 1990, 2345, 2347. 85 Lange, Die Beweislast im Anwaltsprozess, S. 100. 79 80

108

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

hin.86 Im Wege des Anscheinsbeweises kann daher auch nach neuem Recht vom Nichteintritt des Erfolges auf die Pflichtverletzung geschlossen werden. Unter „verhaltensbezogenen Pflichten“ werden sowohl Pflichten mit einem neutralen Charakter, wie der Abschluss eines Vergleichs oder die Missachtung von Weisungen des Mandanten, als auch Unterlassenspflichten des Anwalts verstanden. Hier reicht der Nachweis des Nichteintritts eines Erfolges zur Darlegung der objektiven Pflichtwidrigkeit nicht aus. Der Abschluss eines Vergleichs oder die Nichtannahme eines Vergleichsangebotes besagen für sich noch nichts über eine pflichtwidrige Handlung: der Mandant muss die Pflichtverletzung genauer eingrenzen, z. B. darlegen und beweisen, dass der Anwalt von Weisungen abgewichen ist oder nach dem bisherigen Stand der Dinge von Fehleinschätzungen ausgegangen ist.87 Erleichtert wird dem Mandanten dieser schwierige Beweis dadurch, dass der Anwalt verpflichtet ist, den Gang der Besprechung im Einzelnen zu schildern und konkret zu berichten, welche Ratschläge und Belehrungen er erteilt hat und wie der Mandant darauf reagiert hat.88

bb) Vertretenmüssen Ist dem Mandanten der Nachweis der Pflichtverletzung gelungen, scheidet die Haftung des Rechtsanwalts gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nur dann aus, wenn er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Für diesen Einwendungstatbestand89 obliegt dem Rechtsanwalt die Beweislast. Allerdings ist die Frage, ob der Anwalt eine Pflichtverletzung zu vertreten hat, im Rahmen der alten pVV-Haftung nur in einer verschwindend geringen Zahl von Fällen angesprochen worden.90 In den neueren Entscheidungen bleibt zudem die Auseinandersetzung mit dem Merkmal des „Verschuldens“ deutlich hinter dem zu Zeiten des Reichsgerichts oder in der Frühzeit des Bundesgerichtshofes üblichen Umfang zurück.91 An deren Stelle ist die knappe Feststellung getreten, in dem angegriffenen Verhalten liege eine „Pflichtverletzung“. Beispielhaft ist hier eine Entscheidung des BGH92 aus dem Jahr 1992. Dort heißt es in den Entscheidungsgründen: „Diese [erforderliche] Belehrung hat der Beklagte zu 1 – ausgehend vom Klagevortrag – fahrlässig unterlassen (§ 276 BGB).“ Wegen der Anknüpfung des § 276 BGB an einen objektiven, berufsspezifischen Sorgfaltsmaßstab, ist dieses nicht erstaunlich. Es ist nicht recht auszumachen, worin Ebda. Vollkommer / Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rdnr. 672; Heinemann, NJW 1990, 2345, 2347. 88 BGH NJW 1322, 1323; Heinemann, NJW 1990, 2345, 2347. 89 Allgemein zum Einwendungstatbestand des Vertretenmüssens Kapitel 4 II. 1. c). 90 Etwa BGH VersR 1961, 467, 469; BGH VersR 1967, 704, 705 („schuldhaft pflichtwidrig“); BGH WM 1995, 719, 721; OLG München VersR 1957, 32, 33 (verneinend). 91 Siehe Hirte, Berufshaftung, S. 21 m. w. N. 92 BGH NJW 1993, 1320, 1322. 86 87

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

109

sich die objektive Pflichtverletzung von der subjektiven Pflichtwidrigkeit unterscheidet.93 Ob dem Mandanten hinsichtlich der Frage des Vertretenmüssens der Beweislastvorteil des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zugute kommt, muss daher bezweifelt werden. Vielmehr wird es wohl so sein, dass dieser ins Leere läuft.

cc) Kausalität und Schaden Dem Mandanten obliegt darüber hinaus der Nachweis von Kausalität und Schaden. Beweiserleichterungen kommen ihm neben dem Anscheinsbeweis über § 287 ZPO zugute.94 Diese Norm gilt zwar nur für die haftungsausfüllende Kausalität, doch betrachtet die Rechtsprechung im Rahmen der Anwaltshaftung lediglich die Pflichtverletzung als haftungsbegründend95, so dass der ganze weitere Verlauf zur Haftungsausfüllung gerechnet wird.96 Den Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden kann das Gericht dementsprechend bereits dann bejahen, wenn die ermittelten Tatsachen nach seiner freien Überzeugung mit erheblicher Wahrscheinlichkeit dafür sprechen.97 Anders ist es im Arzthaftungsrecht, wo der Patient neben dem Behandlungsfehler auch noch die Kausalität für die Verletzung eines seiner absoluten Rechtsgüter beweisen muss, bevor ihm für den weiteren Verlauf § 287 ZPO zugute kommt.98 Dem strengen Beweis gemäß § 286 ZPO99 unterliegt der Haftungsgrund. Hiernach muss der Mandant das uneingeschränkte Mandat100 sowie fehlerhafte Sachverhaltsaufklärung101 oder eine falsche Beratung102 beweisen. 93 Hirte, Berufshaftung, S. 33; Heinemann, NJW 1990, 2345, 2347; Stathopoulos, in: FS für Larenz, S. 631 ff. 94 Ausführlich zu § 287 ZPO, Arens, ZZP 88, 1; Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung, S. 48 ff.; Klauser, JZ 1968, 167 ff. 95 Deshalb spielt auch die haftungsbegründende Kausalität im Bereich der Anwaltshaftung praktisch keine Rolle, sie steht in der Regel mit der anwaltlichen Pflichtverletzung fest. Lediglich dort kann sie Bedeutung erlangen, wo Dritte von der Mandatserledigung betroffen sind, ohne selbst Partei oder Leistungsberechtigter des Anwaltsvertrages zu sein. Denn ob nun bei pflichtwidrigem Verhalten des Rechtsanwaltes auch ein Ersatzanspruch des geschädigten Dritten ausgelöst wurde, ist eine Frage der haftungsbegründenden Kausalität. – Vollkommer / Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rdnr. 470. 96 BGH VersR 1975, 540, 541; BGH NJW 1985, 265, 266; BGH VersR 1994, 1231, 1233; Baumgärtel-Laumen, Handbuch der Beweislast Bd. 1, § 675, Rdnr. 18; Hirte, Berufshaftung, S. 34; Vollkommer / Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rdnr. 695. 97 Siehe nur Borgmann / Haug, Anwaltshaftung, S. 251 m. w. N., Vollkommer / Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rdnr. 695. 98 Heinemann, NJW 1990, 23 45, 2348; Hirte, Berufshaftung, S. 34. 99 Danach ist der Beweis erst erbracht, wenn der Richter persönlich voll überzeugt ist, und zwar nicht nur von der Wahrscheinlichkeit, sondern von der Wahrheit der behaupteten Tatsache – Baumbach-Lauterbach, § 286, Rdnr. 16 m. w. N. 100 BGH NJW 1996, 2929. 101 BGH NJW 2000, 730.

110

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

Im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität stellt sich demnach die Frage, wie sich der Mandant bei gehöriger Pflichterfüllung oder wie sich ein Dritter verhalten hätte.103 Darüber hinaus, wie ein Gericht im Vorprozess oder eine Behörde bei ordnungsgemäßer Pflichterfüllung entschieden hätte. Eine Beweislastumkehr, auch bei grobem Verschulden des Anwalts, wird durch den BGH104 nicht angenommen. Eine Beweislastumkehr sei unangemessen, da das Schadensrisiko des Mandanten bei groben Pflichtverletzungen im Vergleich zu sonstigen Fehlern nicht deutlich erhöht sei.105 Es genüge, wenn dem Mandanten im Einzelfall Beweiserleichterungen zugute kämen. Der Beweis der Kausalität und des Schadens können im Anwaltshaftungsprozess vor allem unter zwei Gesichtspunkten sehr problematisch sein: (1) Im Zusammenhang mit der Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten wird der Anwalt regelmäßig einwenden, es sei nicht klar, ob sich der Mandant, wäre er ordnungsgemäß beraten worden, auch entsprechend des hypothetischen Rates verhalten hätte und der Schaden deshalb auch bei richtiger Beratung eingetreten wäre. (2) Bemängelt der Mandant, dass der Prozess pflichtwidrig überhaupt nicht oder aber fehlerhaft geführt worden ist, wird der Anwalt ihm entgegenhalten, es sei ja nicht sicher, dass der Prozess, wäre er tatsächlich oder zumindest ordnungsgemäß durchgeführt worden, zum Sieg geführt hätte. Zu (1): Im Falle einer Verletzung der Aufklärungs-, Hinweis- oder Beratungspflichten wird zu Gunsten des Mandanten die Vermutung angenommen, er hätte sich bei richtiger Beratung durch den Anwalt auch beratungsgerecht verhalten.106 Dem Anwalt obliegt die Beweislast für sein Gegenvorbringen, dass der Mandant den Rat oder Hinweis, wäre er ordnungsgemäß erteilt worden, nicht befolgt hätte. Zur Begründung dieser Beweisregel, bei der es sich um keine Umkehr der Beweislast handelt107, wird angeführt, es entspreche der Lebenserfahrung, dass ein Auftraggeber, der einen anderen wegen dessen besonderer Sachkunde mit der Vertretung seiner Interessen beauftrage, sich den Bedenken nicht verschließe, wenn dieser ihn eindringlich darauf hinweise, dass das erstrebte Ziel rechtlich so zu erreichen sei, wie er es sich vorgestellt habe.108 Es handelt sich um einen Anwendungsfall des Anscheinsbeweises, der zur Beweiswürdigung gehört. Der BGH sieht die so verteilte Beweislast als Instrument angemessener Risikoverteilung, 102 103 104 105 106 107 108

BGH NJW 1995, 449. Borgmann, NJW 2000, 2953, 2962. Grundsatzurteil vom 09. 06. 1994, BGHZ 126, 217 = NJW 1994, 3295, 3298. BGH NJW 1994, 3295, 3298. BGH NJW 1993, 1325; BGH NJW 2000, 1944. Ausführliche Darstellung bei Borgmann, NJW 2000, 2953, 2963 m. w. N. BGH NJW 1992, 240; BGH NJW 1993, 3259; BGH NJW 2000, 730.

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

111

wenn sich die Reaktion des Mandanten auf eine vertragsmäßige Erfüllung nicht klären lässt.109 In Fällen, in denen die Aufklärung bzw. Beratung nur der Information zur freien Entscheidung des Mandanten gedient hat, greift die Vermutung nicht.110 Die Leistungspflicht des Anwalts erschöpfe sich hier in der gehörigen Belehrung; sein Tätigwerden habe nur den Sinn, dem Mandanten die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Selbstentscheidung zu geben, ohne ihn – den Anwalt – mit irgendwelcher Erfolgsverantwortung zu belasten.111 Zu (2): Weitere Probleme hinsichtlich von Kausalität und Schaden ergeben sich bei fehlerhafter Prozessführung des Anwaltes. Der Mandant wird sich in diesen Fällen darauf berufen, der Anwalt habe durch seine Pflichtverletzung ein Obsiegen im Vorprozess verhindert, weil er beispielsweise prozessuale Fristen versäumt, bestimmte Beweismittel nicht benannt oder die falschen Anträge gestellt habe. Hier kommt es auf den hypothetischen Ausgang des Vorprozesses an. Insoweit muss das über den Ersatzanspruch entscheidende Gericht feststellen, wie das ursprünglich angegangene Gericht den Rechtsstreit richtigerweise entschieden hätte.112 Für die Durchführung dieses sogenannten hypothetischen Inzidentprozesses gelten die gleichen Beweislastregeln, wie im Vorprozess.113 Zu Gunsten des Mandanten bleiben die im Vorprozess anwendbaren Regeln über die Beweislastumkehr sowie Beweiserleichterungen erhalten.114 Bei den Beweismitteln lässt die Rechtsprechung115 alle jene zu, welche zum Zeitpunkt des Regressprozesses zur Verfügung stehen. D.h., der Mandant ist im Regressprozess in der Wahl der Beweismittel nicht auf die im Vorprozess zulässigen und greifbaren Beweismittel beschränkt, sondern kann auf alle zum jetzigen Zeitpunkt vorhandenen und zulässigerweise verwertbaren Beweismittel zurückgreifen.116 Beispielsweise kann die Gegenpartei des Vorprozesses als Zeuge benannt werden.117

BGH NJW 1993, 3259. BGH NJW 1993, 3259, 3260 m. w. N. 111 Baumgärtel, VersR 1983, 450, 451. 112 Vgl. nur BGH VersR 1988, 35, 37; Baumgärtel-Laumen, Handbuch der Beweislast Bd. 1, § 675, Rdnr. 24; Borgmann-Haug, Anwaltshaftung, S. 179; Heinemann, NJW 1990, 2345, 2348. 113 Heinemann, NJW 1990, 2345, 2349. 114 BGH NJW 1984, 160, 161; BGH NJW-RR 1987, 898, 899. 115 BGH VersR 1984, 160, 161; BGH NJW 1988, 3013. 116 Heinemann, NJW 1990, 2345, 2349. 117 Ebda. 109 110

112

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

d) Fazit Ebenso wie der Arzt, schuldet der Anwalt im Regelfall118 keinen Erfolg, sondern bloßes objektives, dem Berufsstand entsprechendes sorgfältiges Tätigwerden.119 Ein Anwaltsfehler und damit eine Pflichtverletzung liegt vor, wenn das tatsächliche anwaltliche Verhalten negativ vom ordnungsgemäßen, dem Berufsstandard entsprechenden Verhalten abweicht. Dies ist gegeben, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt – die objektiv zu bestimmen ist – nicht eingehalten wird. Mit der Pflichtverletzung ist daher auch bei der Anwaltshaftung die Pflichtwidrigkeit impliziert.120 Es fehlt mithin an der von § 280 Abs. 1 BGB geforderten Unterscheidung zwischen Pflichtverletzung und Vertretenmüssen und damit auch am objektiven Tatbestand der Pflichtverletzung.121 Um dennoch zu einer Anwendbarkeit des § 280 Abs. 1 BGB auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistung zu gelangen, wäre folgende Hilfskonstruktion denkbar: Der Tatbestand i. S. d. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB wird durch den Vergleich zwischen dem Ist-Ergebnis nach pflichtwidrigem Verhalten und dem Soll-Ergebnis nach pflichtgemäßem Verhalten erzeugt. D. h., das pflichtwidrige Verhalten ist verletzungs- und schadenskausal, wenn bei korrektem Verhalten Positiveres herausgekommen wäre. Im Wege dieser Differenzbetrachtung, die im Rahmen z. B. des Regressprozesses zu sicheren Ergebnissen führt, kann zumindest eine „Objektivierung 2. Klasse“ für § 280 Abs. 1 BGB erreicht werden. Die Einwendungsmöglichkeit des Anwalts, der Mandant hätte sich nicht beratungsgerecht verhalten, könnte dann unter § 280 Abs. 1 S. 2 BGB als Entlastungsbeweis gefasst werden. Diese Auslegung des § 280 Abs. 1 BGB ermöglicht zumindest eine interessengerechte Anwendung auf die Fälle der nichterfolgsbezogenen Dienstleistungshaftung, für die exemplarisch die Anwaltshaftung untersucht wurde. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB käme diesem Vorschlag zufolge eine Funktion zu und ginge nicht zu Lasten des Haftungsgläubigers gänzlich ins Leere. Auf die Arzthaftung lässt sich diese Konstruktion, wie nachfolgend aufzuzeigen sein wird, aufgrund ihrer Sonderproblematik allerdings nicht übertragen.

Siehe die wenigen erfolgsbezogenen Pflichten unter Kapitel 4 III. 3. d. aa). Hirte, Berufshaftung, S. 12 und 21. 120 Lange, Die Beweislast im Anwaltsprozess, S. 131; Baumgärtel-Laumen, Handbuch der Beweislast Bd. I, § 675, Rdnr. 16; Heinemann, NJW 1990, 2345, 2347; Hirte, Berufshaftung, S. 33. 121 Vollkommer / Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rdnr. 391, 402 – unterscheiden Pflichtverletzung und Vertretenmüssen durch die Zuordnung von „Höchstmaß“ an Sorgfalt zu ersterem und „Normalmaß“ an Sorgfalt zu letzterem. Das ist abzulehnen, siehe ausführlich Kapitel 4 III. 3. b) cc) (3). 118 119

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

113

3. Arzthaftung hinsichtlich der Behandlungsfehlerhaftung In der Literatur hat nunmehr die Diskussion um das System der Arzthaftung im reformierten Schuldrecht begonnen. Einhellig wird die Auffassung vertreten, dass es vor allem aufgrund des neuen § 253 Abs. 2 BGB zu einer dogmatischen Verlagerung der Arzthaftung vom Deliktsrecht, das bislang allein einen Schmerzensgeldanspruch gewährte, zur vertraglichen Haftung kommt.122 Die nachfolgende Darstellung des Diskussionsstandes wird sich auf den Bereich der Behandlungsfehlerhaftung konzentrieren. Die Sonderprobleme, die sich im Zusammenhang mit der Aufklärungspflichtverletzung stellen, werden – da sich hier das Problem des „Gesundheitsverletzungstatbestandes“ nicht stellt –, nur am Rande behandelt.123 a) Rechtsprechung Bislang liegen noch keine Entscheidungen zur dogmatischen Einordnung der Behandlungsfehlerhaftung im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB vor.124 Die Vorsitzende des VI. Zivilsenats des BGH, Frau Dr. Müller, hat jedoch bereits im Vorfeld angedeutet, dass es trotz der geänderten normativen Rahmenbedingungen jedenfalls in Bezug auf die Haftungsgründe zu keiner substanziellen Verschiebung kommen werde.125 Zur Begründung führt sie aus, Ansatz für eine vertragliche Haftung sei der allgemeine Grundsatz, dass der Vertragsschuldner für einen bestimmten Erfolg einzustehen habe, wenn er sich zu dessen Herbeiführung verpflichtet habe. Weil die ärztliche Haftung an sich keine Erfolgshaftung sei, bedürfe dieser Grundsatz für den Bereich des Arzthaftungsrechts der Klarstellung. Grundsätzlich übernehme der Arzt mit der Behandlung nicht in dem Sinn das Krankheitsrisiko, dass er für trotz der Behandlung verbleibende Gesundheitsschäden haftet. Vielmehr habe er nur für Schäden einzustehen, die sich aus einem Unterschreiten des Qualitätsstandards bei der Behandlung ergeben. An diesem Grundsatz werde sich nach ihrer Einschätzung auch durch die § 280 Abs. 1 BGB nichts an der bisherigen Beweislastverteilung im Arzthaftungsrecht ändern.

b) Diskussionsstand in der Literatur In der Literatur wird dagegen überwiegend die Auffassung vertreten, das Arzthaftungsrecht werde durch die hintereinander geschalteten Reformen des Schuldrechts – das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz und das SchadensrechtsändeDazu eingehend Kapitel 1 IV. 3. c). Zur Dogmatik der Aufklärungspflichtverletzung im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB, Hart, MedR 2003, 603, 608 und Kapitel 4 III. 3. c) bb). 124 Spickhoff, NJW 2003, 1701, 1705. 125 Müller, NJW 2003, 697, 698. 122 123

8 Heidelk

114

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

rungsgesetz – in nicht unerheblichem Maße beeinflusst.126 Bezweifelt wird, dass dem Gesetzgeber und den anderen Beteiligten die mögliche außerordentliche Ausweitung der Haftung, insbesondere bei der sogenannten nicht erfolgsbezogenen Dienstleistungshaftung, bewusst gewesen ist.127 Nicht nur die Arzthaftung falle aus dem Muster des § 280 Abs. 1 BGB hinaus, das gleiche gelte vielmehr auch für die Haftung des Anwaltes, Wirtschaftsprüfers, Architekten, Steuerberaters usw.128 Andere Meinungen129 in der Literatur gehen davon aus, dass sich mit der Neufassung des § 280 Abs. 1 BGB „kaum etwas Substantielles ändern“ wird, da dass Arzthaftungsrecht im Wesentlichen durch Richterrecht ausgeformt sei. Neben denjenigen, die ohne weitere Begründung davon ausgehen, die Pflichtverletzung i. S. d. § 280 Abs. 1 BGB sei im Arzthaftungsrecht der Behandlungsfehler130, weisen andere darauf hin, dass weder bereits das Missraten einer Maßnahme noch die Verschlechterung einer Situation trotz Einsatzes eines Freiberuflers als Haftungsgrund angesehen werden können. Vielmehr müsse eine besondere Verpflichtung des Schuldners verletzt sein.131 Handele es sich bei dieser Pflicht, wie bei der Dienstleistungshaftung im allgemeinen üblich, um eine reine Verhaltenspflicht, sei die Verletzung des Verhaltensprogramms schon eine Pflichtwidrigkeit.132 Fraglich sei, was dann noch für die Zurechnung, das Vertretenmüssen – insbesondere wegen der, insoweit gegensätzlichen, Beweislastverteilung – übrig bleibe.133 In der Bestimmung, worin sich das Vertretenmüssen von der Pflichtverletzung unterscheide, findet daher auch die eigentliche Diskussion statt.134 Ob die Vermutung des Vertretenmüssens gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB auf die Arzthaftung anzuwenden ist, ist in der Literatur höchst umstritten. Die ersten Stellungnahmen im Schrifttum reichen von Prognosen der Nichtanwendung des neuen Schuldrechts auf die Arzthaftung insofern, als dass die Verschuldensvermutung teleologisch reduziert135 werden wird, bis hin zur uneingeschränkten Anwendbarkeit.136 Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 127. Deutsch, JZ 588, 590; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 127. 128 Deutsch, JZ 2002, 588, 590. 129 Martis / Winkhart, Arzthaftungsrecht aktuell, S. 227; Rebhorn, MDR 2002, 1281, 1288. 130 Palandt-Heinrichs, § 280, Rdnr. 42; Huber / Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rdnr. 219; Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1068; Medicus-Hass / Medicus / Rolland / Schäfer, S. 107; MüKo-Ernst, § 280, Rdnr. 158. 131 Deutsch, JZ 2002, 588, 590. 132 Schmidt / Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 242; Deutsch, JZ 2002, 588, 590. 133 Deutsch, JZ 2002, 588, 590. 134 Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 135 ff; Deutsch, JZ 2002, 588, 590; Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2535 f.; Ratzel, AnwBl. 8 +9, S. 485 ff.; Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1069 f.; Müko-Ernst, § 280, Rdnr. 158; Deutsch, AcP 202 (2002), 889, 890 ff. 135 Rehborn, MDR 2002, 1181, 1287. 136 Jauernig-Vollkommer, § 280, Rdnr. 27; Spickhoff, NJW 2002, 1758 f.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 493; ders., VersR 2002, 1066 ff.; Martis / Winkhart, Arzthaftungsrecht aktuell, S. 228; Palandt-Heinrichs, § 280, Rdnr. 42; Deutsch, JZ 2002, 588, 590; Giesen, Arzthaf126 127

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

115

aa) Pflichtverletzung Dass die Pflichtverletzung jedenfalls zum erheblichen Teil nichts anderes ist als die Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, mit welcher § 276 Abs. 2 BGB gerade die Fahrlässigkeit als Verschuldensform definiert, ist in der Literatur unstreitig.137 Schwierigkeiten werden in der Zuordnung dessen, was zur Pflichtverletzung und was zum Vertretenmüssen gehören soll, gesehen.138 Lege man das Wesentliche bereits in die Pflichtverletzung, sei das Verschuldensprinzip gefährdet und die Zurechnung würde entleert werden.139 Lege man umgekehrt viele Merkmale in das Vertretenmüssen hinein, die auch schon bei der Sorgfaltspflicht eine Rolle spielen, so werde wegen der Beweislastverteilung im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB der Arzt möglicherweise einer Verdachtshaftung unterworfen.140 Bei dem Versuch der Formulierung der jeweiligen Pflichten geht die Literatur grundlegend von diesen Überlegungen aus.141 Keine Schwierigkeiten werden bei den sogenannten erfolgsbezogenen Pflichten, die im Arzthaftungsrecht freilich die Ausnahme darstellen, gesehen.142 Es handelt sich um Bereiche, die von der Rechtsprechung als „voll beherrschbar“ für Ärzte und Krankenhäuser angesehen werden. Dies sind namentlich solche aus technischapparativen Zusammenhängen (beispielsweise die nicht ordnungsgemäße Lagerung eines Patienten auf dem OP-Tisch, der davon herunterfällt).143 Bereits nach alter Rechtslage wurde aufgrund einer Sphärenbetrachtung analog der §§ 282, 285 BGB a.F. die Beweislast zu Gunsten des Patienten umgekehrt, was zur Folge hatte, dass der Arzt die Einhaltung der darauf gerichteten Sorgfalt darzulegen und zu beweisen hatte.144 Die erfolgsbezogene Pflicht im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB lässt sich mithin so formulieren, dass der Patient in der Art und Weise auf einem OP-Tisch gelagert werden muss, dass er nicht herunter stürzt.145 Ist also tungsrecht, Rdnr. 461 f. – der bereits zum bisher geltenden Recht die Auffassung vertreten hat, § 282 BGB a.F. sei auch in Fällen der pVV eines Arztvertrages anwendbar. Zur Begründung führt er aus, „Zwischenfälle im Gefolge einer ärztlichen Heilbehandlung deuten in der Regel auf ärztliches Fehlverhalten hin, ausnahmsweise könnten sie auch schicksalhaft eintreten“; vollkommen abwegig Lippert, GesR 2002, 41 ff. – der meint, dass die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, weil sie im allgemeinen Schuldrecht angesiedelt ist, auch auf die Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB anzuwenden sei. 137 Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 129; Canaris, JZ 2001, 499, 512. 138 Deutsch, JZ 2002, 288, 291; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 129; Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2532 f. 139 Deutsch, JZ 2002, 288, 291. 140 Ebda. 141 Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 129. 142 Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 129 f. 143 Beispielsweise BGH NJW 1995, 1618; BGH NJW 1984, 1403; OLG Köln VersR 2000, 974. 144 BGH NJW 1984, 1403. 145 Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 129. 8*

116

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

eine im Schutzbereich einer solchen Pflicht liegende Schädigung eingetreten, dann lag und liegt es am Schädiger, sich zu exkulpieren, also etwa darzulegen, dass der Patient übermächtige und unvorhersehbare Kräfte entfaltet und sich nur deshalb von den Schnallen auf dem OP-Tisch hat lösen können.146 In der Literatur wird allerdings darauf hingewiesen, dass im Bereich der Arzthaftung erfolgsbezogene Pflichten die absolute Ausnahme darstellen, da der Arztvertrag prinzipiell kein Werkvertrag, sondern ein Dienstvertrag sei.147 Bei der Formulierung solcher erfolgsbezogener Pflichten sei deshalb eine erhebliche Zurückhaltung angebracht. Der Arzt schuldet nicht den Behandlungserfolg, sondern nur ein ordnungsgemäßes ärztliches Bemühen zu Zwecken der Herbeiführung des Behandlungsziels.148 Die Gründe liegen in der Eigenart des menschlichen Organismus, der selbst bei bestmöglicher ärztlicher Behandlung nicht voll beherrschbar ist.149 Im Arzthaftungsrecht könne daher keinesfalls die Pflichtverletzung mit der Nichtheilung des Patienten korrespondieren.150

bb) Vermutung des Vertretenmüssens gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB In der Vergangenheit wurde die Nichtanwendbarkeit der Verschuldensvermutung151 auf den Arztvertrag mit der Eigenart des ärztlichen Tätigkeitsfeldes begründet: Aufgrund der nicht voll beherrsch- und vorhersehbaren Reaktionen des menschlichen Organismus könne eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht per se als Indiz für ein ärztliches Fehlverhalten gedeutet werden.152 Der Arzt schulde nur eine sachgerechte Behandlung des Patienten, nicht aber die Gewähr für den Eintritt des erwünschten Behandlungserfolgs. Hierin wurde die materiellrechtliche Grundlage für die Beweislastverteilung im Bereich der vertraglichen Arzthaftung gesehen. Die Beweislastverteilung sei der Ausdruck des vom Schuldner übernommenen Leistungsrisikos.153 Der Schuldner dürfe aus diesem Grund durch die Beweislastverteilung nicht über das von ihm übernommene LeistungsEbda. Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2532 f.; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 129. 148 Siehe hierzu ausführlich Kapitel 1 II. u. III. 149 Siehe hierzu ausführlich Kapitel 1 II. 150 Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 130. 151 Während die h. M. in der Literatur § 282 BGB a.F. analog hinsichtlich des Vertretenmüssens auch auf die Fälle der pVV angewendet hat, hat die Rechtsprechung eine Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen vorgenommen. Ausgespart waren davon nur die Arzthaftung und die Arbeitnehmerhaftung – siehe ausführlich zur alten Diskussion: Demberg, Jura 1987, 337; Weber, NJW 1997, 761; a. A. Keßelring, Die Beweislastverteilung in Arzthaftungsprozessen, S. 27 f, 39 – der die Auffassung vertrat, dass § 282 BGB als allgemeines Prinzip ohne Ausnahme auch im Arzthaftungsrecht zu befürworten ist. 152 BGH NJW 1978, 1631; BGH NJW 1980, 1333; BGH NJW 1991, 540. 153 Stoll, AcP 176 (1976), 145, 149. 146 147

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

117

risiko hinaus belastet werden. Da der Behandlungserfolg somit außerhalb des ärztlichen Leistungsrisikos liege, könne es bei einer Beweislastverteilung nach dem vertragsspezifischen Leistungsrisiko nicht zum Nachteil des Arztes gereichen, wenn im Prozess ungeklärt bleibt, aus welchen Gründen das Behandlungsziel ausgeblieben sei.154 Katzenmeier 155 vertritt die Auffassung, dass die Argumente, die gegen eine Verschuldensvermutung angeführt werden, in Wahrheit gegen eine Fehler- und Kausalitätsvermutung sprechen. Anknüpfungspunkt einer Verschuldensvermutung sei nicht der ausbleibende Behandlungserfolg, sondern vielmehr ein feststehender Behandlungsfehler des Arztes. Diesen habe der Geschädigte nach den allgemeinen Grundsätzen darzulegen und zu beweisen. Insofern helfe § 282 BGB a. F. und auch § 280 Abs. 1 S. 2 BGB beim medizinischen Behandlungsvertrag nicht. Gelinge dem Patienten der schwierige Nachweis des objektiven Pflichtverstoßes, dann sei es sachgerecht, dass der Arzt die Umstände darzulegen und zu beweisen habe, unter denen er die festgestellte Pflichtverletzung ausnahmsweise nicht zu vertreten habe.156 Dies begründet er damit, dass im Haftpflichtprozess in der Regel allein die Behandlungsseite in der Lage sei, hinreichend substanziierte Ausführungen betreffend der Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit eines eingetretenen Medizinschadens zu machen. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb der Arzt gegenüber anderen Vertragsschuldnern, die ebenfalls beweisbelastet sind, wenn sie sich bei einer festgestellten Pflichtverletzung auf mangelndes Verschulden berufen, zu privilegieren wäre. Die Unberechenbarkeit des menschlichen Organismus lasse sich insoweit jedenfalls nicht anführen. Dass ein „Gesundheitsschaden“157 aufgrund der Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus auch schicksalhaft eintreten könne, spreche lediglich gegen eine Kausalitätsvermutung und nicht gegen die Annahme, der Handelnde habe seine objektive Pflichtverletzung auch zu vertreten.158 Katzenmeier 159 kommt zu folgendem Schluss: Bei einer sorgfältigen Differenzierung von Pflichtverletzung einerseits – die grundsätzlich vom Patienten darzulegen und zu beweisen sei – und „Verschulden“ andererseits, sei gegen die nunmehr allgemein vorgesehene Verschuldensvermutung nichts einzuwenden, vielmehr sei sie auch im Rahmen des medizinischen Behandlungsvertrages angemessen.160 154 Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht, Rdnr. 466; a. A. Staudinger- Löwisch zu § 282, Rdnr. 29; Giesen, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 375 ff.; Soergel-Wolf § 276, Rdnr. 144. 155 Katzenmeier, VersR 2002, 1066 ff. 156 Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1068. 157 Richtigerweise müsste es „Gesundheitsverletzung“ heißen, da ein Schaden gemäß §§ 249 ff. BGB nur materieller oder immaterieller Natur sein kann. Siehe BGHZ 54, 45: „Nicht der Wegfall der Arbeitskraft als solcher ist ein Schaden im haftungsrechtlichen Sinne, sondern der dadurch entstandene Ausfall der Arbeitsleistung.“ Ebenso Staudinger / Medicus, § 252, Rdnr. 29 ff.; Werner, Beweiswürdigung im Schadensersatzprozeß nach § 287 ZPO; a. A. Grunsky, Aktuelle Probleme zum Vermögensschaden, 73 ff. 158 Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1068; Soergel-Wiedemann vor § 275, Rdnr. 559. 159 Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1069. 160 Zustimmend Martis / Winkhart, Arzthaftungsrecht aktuell, S. 228.

118

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

Da es in der Vergangenheit aber praktisch nie vorgekommen sei, dass ein Gericht einen Behandlungsfehler festgestellt, aber ein Verschulden des Arztes als nicht bewiesen angesehen habe (in weniger als einem Prozent der geltend gemachten Arzthaftpflichtansprüche soll streitig gewesen sein, ob ein Behandlungsfehler des Arztes auch von diesem zu vertreten sei161), werde der Vermutung des Vertretenmüssens allerdings keine besondere Bedeutung zukommen.162 cc) Abgrenzungsversuche von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen Ausgehend von der Annahme, der Behandlungsfehler sei die Pflichtverletzung und bilde damit den objektiven Tatbestand im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB, haben Stimmen in der Literatur163 versucht, das Nichtvertretenmüssen durch Zuweisung von positiven Merkmalen von der Pflichtverletzung abzugrenzen. Begründet werden diese Anstrengungen vor allem damit, dass es solche positiven Verschuldenselemente geben müsse, da anderenfalls die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB schlicht ins Leere laufen würde164, wogegen verschiedene Überlegungen sprächen: Zunächst ganz allgemein die Vermutung, der Gesetzgeber wolle keine solcherart sinnlosen Normen erlassen.165 Darüber hinaus die erwähnte Passage der Schuldrechtskommission166 zur Verschuldensvermutung, wonach drohende Konsequenzen aus der Anwendbarkeit der Verschuldensvermutung auch für den Bereich der Arzthaftung gesehen werden, die aber hintangehalten werden sollten. (1) „Äußere“ und „Innere“ Sorgfalt Zur Differenzierung von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen wird die Aufgliederung der Sorgfalt in eine „äußere“ und eine „innere“ Komponente vorgeschlagen.167 Die äußere Komponente entspräche dem äußerlich sachgerechten Verhalten im Sinne eines Höchstmaßes an Sorgfalt.168 Auf sie richte sich die innere Sorgfalt, die zur Erkennbarkeit des Normbefehls und zur Durchsetzung der Befolgung eingesetzt werde.169 Die Verletzung der „äußeren“ Sorgfalt entspräche der Statistische Untersuchung von Stolz, VersR 1979, 797 ff. Palandt-Heinrichs, § 280, Rdnr. 42; das hat schon Kesselring, Die Beweislastverteilung in Arzthaftungsprozessen, S. 39 – hinsichtlich, der von ihm befürworteten Anwendbarkeit des § 282 BGB auf die Arzthaftung, so gesehen. 163 Deutsch, JZ 2002, 588, 591 f.; Spickhoff, NJW 2002, 2530 ff.,2535. 164 Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2535. 165 Ebda. 166 Siehe Kapitel 4 I. 2.; Abschlussbericht der Schuldrechtskommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 192, S. 130. 167 Deutsch, JZ 2002, 588, 591; ders., AcP 202 (2002), 879 ff. 168 Deutsch, Haftungsrecht, Rdnr. 385. 169 Deutsch, JZ 2002, 588, 591; ders., Haftungsrecht, Rdnr. 387. 161 162

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

119

Pflichtverletzung und die der „inneren“ dem Vertretenmüssen. Dem Gläubiger obliege hiernach gemäß § 280 Abs. 1 BGB die Beweislast hinsichtlich der Verletzung der „äußeren“ Sorgfalt, während die Nichteinhaltung der „inneren“ Sorgfalt vom Schuldner darzulegen und zu beweisen wäre.170 Als Argument für diese Aufgliederung wird angeführt, dass dem Verschulden so noch ein, einer Vermutung überhaupt zugänglicher, eigener Gegenstand verbleibe171 und im übrigen diese Beweislastverteilung der Linie der haftungsrechtlichen Rechtsprechung entspräche, wonach die Nichteinhaltung der „äußeren“ Sorgfalt die Verletzung der „inneren“ indiziere.172 Speziell für den Bereich der Arzthaftung wird eingewendet, eine pauschale Zuordnung der Verletzung der „äußeren“ Sorgfalt zur Pflichtverletzungsebene und der Verletzung der „inneren“ Sorgfalt zum Vertretenmüssen sei nicht sachgerecht.173 Als Beispiel wird der Diagnosefehler angeführt. Bei diesem könne aus der Verletzung der „inneren Sorgfalt“ eher die Verletzung der „äußeren Sorgfalt“ folgern, da der Arzt sein Verhalten auf seine Diagnose ausrichtet.174 Man komme daher nicht umhin zu konstatieren, dass es offensichtlich Pflichten gebe, die auf die Erkennbarkeit bestimmter Umstände gerichtet seien.175 Beim Diagnosefehler handele es sich bei der Erkennbarkeit um eine Hauptpflicht, so dass „die innere Sorgfalt“ in diesem Fall nicht dem Verschulden, sondern der Pflichtverletzung zuzuschlagen und damit vom Geschädigten zu beweisen sei.176 Grundlegend stellt sich die Frage, ob eine Differenzierung zwischen „innerer“ und „äußerer“ Sorgfalt überhaut möglich und sinnvoll ist. Die zur Differenzierung von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen vorgenommene Aufspaltung der Sorgfalt in eine „äußere“ und „innere“ Komponente ist seit je her ein stark umstrittenes Thema im Schrifttum177. Die Befürworter178 meinen, die Sorgfalt verlange neben dem sachgemäßen Verhalten („äußere“) noch eine „innere Sorgfalt“. Diese „innere Sorgfalt“ sei ein intelDeutsch, JZ 2002, 588, 591; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 136. Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 136. 172 Deutsch, JZ 2002, 588, 591 mit Hinweis auf BGH NJW 1968, 1279 ff.; BGH VersR 1986, 766 ff. 173 Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2536. 174 Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2536. 175 Ebda. 176 Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 136; Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2536. 177 Befürworter: Deutsch, Haftungsrecht, Rdnr. 385; Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1069; ders. Arzthaftung, S. 188 f.; U. Huber, in: FS f E. R. Huber, 253, 265 ff. a.A.: sehr ausführlich Fabarius, Äußere und Innere Sorgfalt; Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 V; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 113; Hart, JURA 2000, 14, 19. 178 Deutsch, Haftungsrecht, Rdnr. 385; Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1069; ders. Arzthaftung, S. 188 f.; U. Huber, in: FS f. E. R. Huber, 253, 265 ff; Stathopoulos, in: Festschrift für Larenz, 631, 636 – der allerdings meint, dass die „innere“ und „äußere“ Fahrlässigkeit, 170 171

120

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

lektuell-emotionaler Vorgang, der einerseits auf die Erkenntnis der möglichen Tatbestandsverwirklichung und andererseits auf die Erbringung der „äußeren“ Sorgfalt gerichtet sei.179 Sie bestimme sich aber ebenfalls wie die „äußere“ Sorgfalt nach objektiven Kriterien.180 Deutsch181 führt exemplarisch für die „innere“ Sorgfalt beispielsweise an, dass man in Erfahrung zu bringen habe, dass im Straßenverkehr Tempo 50 in der Stadt und Tempo 100 auf Landstraßen gelte. Dieser Auffassung wird die erklärte Absicht des Gesetzgebers entgegengehalten, mit § 276 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. (entspricht § 276 Abs. 2 BGB n. F.) einen generalisierten Sorgfaltsmaßstab zu schaffen.182 Der Wortlaut dieser Norm bringe dies unmissverständlich zum Ausdruck, indem er das „im Verkehr Erforderliche“ zum Sorgfaltsmaßstab erhebe und sich hierdurch in doppelter Hinsicht vom Einzelgeschehen entferne.183 Das Geschehen werde am „Verkehr“, d. h. an den typischen Fähigkeiten der Berufsgruppe oder des Verkehrskreises gemessen, dem der Schädiger angehöre.184 Darüber hinaus orientiere sich das zivilrechtliche Fahrlässigkeitsurteil nicht an den konkret Handelnden, sondern an dem für die möglichst reibungslose Durchführung dieses Verkehrs Gebotenen, „dem Erforderlichen“.185 Hier liege auch die Unterscheidung zum strafrechtlichen Fahrlässigkeitsurteil. Dort stehe die Sanktionswürdigkeit individuellen Fehlverhaltens zur Debatte, weshalb die subjektive Vorwerfbarkeit unverzichtbare Strafbarkeitsvoraussetzung sei.186 Anders sei es im Zivilrecht, wo es um eine gerechte Schadensverteilung gehe.187 Seit jeher werde daher der Sorgfaltsmaßstab in der Zivilrechtspraxis auch unstreitig an einem objektiven Maßstab gemessen.188 Da faktisch kein Raum für eine Differenzierung zwischen einer „äußeren“ und einer „inneren“ Sorgfaltskomponente besteht, ist dieser Auffassung zuzustimmen. als rechtlich relevante Haftungselemente immer koexistieren , so dass sie aber höchstens als zwei nebeneinander bestehende Komponenten derselben Haftungsvoraussetzungen, nicht aber als zwei selbstständige, getrennt zu fordernde Voraussetzungen betrachtet werden können. 179 Deutsch, Haftungsrecht, Rdnr. 385; U. Huber, in: FS E. R. Huber, 253, 265. 180 So zumindest die h.M. innerhalb dieser Auffassung, siehe beispielsweise Larenz, Schuldrecht AT I, § 20 III; Deutsch, Haftungsrecht, Rdnr. 387 ff. 181 Deutsch, Haftungsrecht, Rdnr. 388. 182 Vgl. Mot. I 279 – in Orientierung der pflichtgemäßen Sorgfalt „an dem Fleiße, der Umsicht, der Thatkraft eines tüchtigen, sorgsamen Hausvaters.“ 183 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 26 II. 184 Kötz / Wagner, Deliktsrecht, Rdnr. 112. 185 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 26 II. 186 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 V; Kötz / Wagner, Deliktsrecht, Rdnr. 112; Kupisch / Krüger, JuS 1980, 574, 579; Debong, ArztR 2003, 288. 187 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 V. 188 RGZ 95, 17; 127, 315; 152, 240; BGHZ 24, 27; 39, 281; vgl. für das Schrifttum nur Palandt-Heinrichs, § 276, Rdnr. 15; Staudinger-Löwisch, § 276, Rdnr. 13; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 106 ff.; Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 V u. § 26 II; Kupisch / Krüger, JuS 1980, 574, 579; Larenz, Schuldrecht AT I, § 20 III u. IV.

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

121

Für den Bereich der Arzthaftung wird häufig als Beispiel für eine individuelle Reduzierung der erforderlichen Sorgfalt („innere Sorgfalt“) die Notfallbehandlung angeführt. Bei diesem Beispiel handelt es sich jedoch in Wahrheit um eine objektive Sorgfaltsbestimmung für die typische Notfallbehandlung.189 Denn § 276 Abs. 2 BGB verlangt keine Sorgfalt „an sich“, da es nicht um allgemeines Wohlverhalten, sondern um die Risikoverteilung zwischen den Beteiligten geht.190 In die Bewertung fließen ohne weiteres alle Besonderheiten der jeweiligen Situation ein.191 Die Verkehrsnotwendigkeiten werden auf sie im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Erfolges zugeschnitten. Durch diese zutreffende Objektivierung wird die sogenannte „innere“ Sorgfalt faktisch funktionslos.192 Die Anmerkung von Kötz / Wagner193, dass mit der Unterscheidung „wohl nur ein Rückzugsgefecht geführt werde, um wenigstens theoretisch dem ,Verschulden’ noch einen gewissen Anwendungsbereich offen zu halten“, verdient Zustimmung. Diese Auffassung bestätigt dem Grunde nach auch die neuere Rechtsprechung, die mit der Verletzung der „äußeren“ Sorgfalt stets auch die „innere“ Sorgfalt indiziert sieht.194 Jüngst hat der 6. Senat des BGH195 nochmals ausdrücklich festgestellt, dass angesichts des auch im Arzthaftungsrecht maßgeblichen objektivierten zivilrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs der behandelnde Arzt grundsätzlich für sein dem medizinischen Standard zuwiderlaufendes Vorgehen auch dann haftungsrechtlich einzustehen habe, wenn dieses aus seiner persönlichen Lage heraus – subjektiv – als entschuldbar erscheinen möge. Für eine Differenzierung zwischen „äußerer“ und „innerer“ Sorgfalt als Kriterium zur Abgrenzung von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen bleibt mithin wegen des objektivierten Sorgfaltsmaßstabes im Arzthaftungsrecht und der damit einhergehenden Identität von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen kein Raum. (2) Höchstmaß und Normalmaß an Sorgfalt Des Weiteren wird die Möglichkeit erwogen, zwischen der sogenannten Sorgfalt im Höchstmaß und der situationsbedingten Sorgfalt zu unterscheiden.196 Als Pflichtverletzung sei dann die Verletzung der Sorgfalt im objektiv möglichen Hart, JURA 2000, 15, 19; Debong, ArztR 2003, 288. Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 V. 191 Jüngst BGH, VersR 2003, 1128 mit Anmerkung von Walter, VersR 2003, 1131 – der dem BGH darin zustimmt, dass die Tatsache, dass die behandelnde Ärztin in den neuen Bundesländern im Umgang mit einem medizinischen Gerät nicht hinreichend vertraut war, keine Entlastung beigemessen werden kann. 192 Siehe hierzu Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 113. 193 Kötz / Wagner, Deliktsrecht, Rdnr. 118. 194 BGH NJW 1986, 2757, 2758. 195 BGH NJW 2001, 1786, 1787 = BGH MDR 2001, 565, 566. 196 Deutsch, JZ 2002, 588, 591; Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2536; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 136. 189 190

122

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

Höchstmaß des betreffenden Verkehrskreises zu verstehen.197 Demgegenüber reduziere sich der Maßstab beim Vertretenmüssen auf das Normalmaß an Sorgfalt – ausgerichtet an der jeweils konkreten Situation.198 Der in Anspruch Genommene, der sich darauf berufe, die bestmögliche Sorgfalt auch als Angehöriger des betreffenden Verkehrskreises in der konkreten Situation nicht erkennen und erfüllen zu können, habe dann dafür die konkreten Gründe darzulegen und zu beweisen. Bezogen auf die Beweislastverteilung im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB bedeute dies mithin, das Höchstmaß an Sorgfalt würde zur Beweislast des Verletzten, das herabgesetzte Normalmaß zur Beweislast des Verletzers. Von den Vertretern dieses Ansatzes wird eingeräumt, dass die praktische Relevanz dieser Differenzierung keine große sei, da sie insbesondere keinen Wechsel des Verkehrskreises erfasse.199 Der sich in der Ausbildung befindliche Arzt werde von vornherein einem anderen Verkehrskreis zuzurechnen sein, als der ausgebildete Arzt oder der Facharzt, so dass nicht das Zurückbleiben hinter beispielsweise dem Standard des Facharztes eine Pflichtverletzung des Anfängers auslöse, sondern – von der Nichteinhaltung des Standards eines entsprechend Ausgebildeten abgesehen – nur Fehler bei der Übernahme der Behandlung.200 Die Erwägung, einen gewissen Wechsel im Sorgfaltsmaßstab vorzunehmen, geht im Zivilrecht201 auf die Diskussion um die Bestimmung der handlungsbezogenen Rechtswidrigkeit in Abgrenzung zum Verschulden zurück. Hier besteht ein ähnliches Abgrenzungsproblem wie bei der Pflichtverletzung und dem Vertretenmüssen in Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB. Die dort angeführten Argumente lassen sich daher im Rahmen dieser Erörterung größtenteils verwenden. Umstritten ist in der Literatur die Frage, welcher Sorgfaltsmaßstab – Höchstmaß oder Normalmaß – zur Bestimmung der verhaltensbezogenen Rechtswidrigkeit anzuwenden ist. Einige Stimmen in der Literatur202 sind der Ansicht, die im „Verkehr erforderliche Sorgfalt“ i. S. d. § 276 Abs. 2 BGB bilde bei der zivilrechtlichen Verhaltenshaftung den Rechtswidrigkeitsmaßstab, da sie sich am Durchschnittsvertreter des jeweils betreffenden Verkehrskreises orientiere und somit ihre Einhaltung möglich Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2536. Deutsch, JZ 2002, 588, 591. 199 Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2536; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 136. 200 Ebda. 201 Die Unterscheidung zwischen einem Höchstmaß an Sorgfalt und ein, dem Handelnden individuell mögliches Maß an Sorgfalt kommt aus der strafrechtlichen Dogmatik. Die ganz herrschende Meinung nimmt aufgrund eines veränderten Verständnis des Unrechts, insbesondere der Erkenntnis, dass erst eine über das normale Risiko hinausgehende Gefahr ein Unrecht begründen kann, dort eine Doppelfunktion der Fahrlässigkeit als objektiver und subjektiver Fahrlässigkeit an – vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdnr. 46 ff. m. w. N. in Fn. 57. 202 Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 98 u.111 ff.; Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 IV1 c.; Stathopoulos, in: Festschrift für Larenz, 631, 633. 197 198

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

123

und zumutbar sei.203 Hierdurch werde ein interessengerechter Ausgleich zwischen dem Gläubiger- und Rechtsgüterschutz einerseits und der grundgesetzlich verbrieften Handlungs- und Entfaltungsfreiheit andererseits garantiert.204 Andere Stimmen in der Literatur205 meinen, der Maßstab für die Bestimmung der verhaltensbezogenen Rechtswidrigkeit sei ein Höchstmaß an Sorgfalt, welches aufgrund einer ex-post-Betrachtung bestimmt werde. Diese höchstmögliche Sorgfalt gelte allgemein, ohne Rücksicht darauf, inwieweit sie der Angehörige einer bestimmten Verkehrsgruppe in der konkreten Situation hätte erkennen und erfüllen können.206 Erst im Rahmen des Verschuldens komme es hierauf an. Hintergrund der unterschiedlichen Auffassungen ist u. a. die Problematik der Abgrenzbarkeit von Rechtswidrigkeit und Verschulden. Wird bei der Rechtswidrigkeit ebenfalls wie der Fahrlässigkeitsprüfung im Rahmen des Verschuldens auf den Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB abgestellt, so decken sich die Voraussetzungen beider Merkmale.207 Dem Verschuldenserfordernis kommt dann nach der Bejahung der Rechtswidrigkeit keine eigenständige Bedeutung mehr zu.208 In der Literatur wird aus diesem Grund auch die Auffassung vertreten, auf die Schuldprüfung könne verzichtet werden209, weil mit der Bejahung der Rechtswidrigkeit zugleich feststehe, dass dem Handelnden wenigstens Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.210 In diesem Zusammenhang wird auch vorgeschlagen, die Haftung nicht mehr als Verschuldenshaftung, sondern vielmehr als Unrechtshaftung zu titulieren.211 Die Vertreter212 der Gegenauffassung argumentieren u. a. damit, dass 203 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25IV 1 c; Stathopoulos, in: Festschrift für Larenz, 631, 633. 204 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 IV1 c. 205 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 188, Soergel-Wolf § 276, Rdnr. 36 u. 73; Larenz / Canaris, Schuldrecht II / BT 2, § 75 II 3 d. 206 Larenz / Canaris, Schuldrecht II / BT 2, § 75 II 3 d; Soergel-Wolf § 276 Rdnr. 36. 207 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 V 1; Stathopoulos, in: Festschrift für Larenz, 631, 636 – siehe auch die Darstellung bei Kupisch / Krüger, JuS 1980, 574, 579. 208 Hier von sind die Fälle auszunehmen, in den über die Rechtswidrigkeit hinaus zusätzliches durch besondere Vorschriften, wie §§ 690, 708, 1359, 1664, 2131, 827, 828 BGB gefordert wird. 209 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 V geht daher auch nur noch von einem zweigliedrigen Haftungssystem aus, welches neben der Tatbestandsmäßigkeit und der Wiederrechtlichkeit auf das Verschulden verzichtet. 210 Nachweis bei Kupisch / Krüger, JuS 1980, 574, 579; siehe auch Nipperdey, NJW 1957, 1777, 1779 ff. – der meint, dies sei eine an sich unabweisbare Folge der (herrschenden) Meinung, die einen objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstab das Wort rede. Nipperde selbst bezieht in den Schuldbegriff eine Art subjektive Fahrlässigkeit ein, indem er die persönliche Fähigkeit des Täters, seine individuelle Vorhersehbarkeit u.s.w. bei der Schuldbestimmung gelten lässt, nachdem er die objektivierte Fahrlässigkeit als Rechtswidrigkeitsmerkmal ansieht. 211 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 V 1. 212 Ausführliche Darstellung bei Katzenmeier, Arzthaftung, S. 150 ff. zum Verschuldensprinzip im Vertrags- und Deliktsrecht m. w. N.

124

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

sich diese Ansicht mit dem geltenden Recht nicht vereinbaren lasse, welches eben zwischen Rechtswidrigkeit und Verschulden unterscheide. Die Differenzierung von Höchstmaß und Normalmaß an Sorgfalt ist zur Abgrenzung von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen aus den gleichen Gründen abzulehnen wie die angeführten bei der Abgrenzung von Rechtswidrigkeit und Verschulden: Ebenso wie bei der Differenzierung zwischen „innerer“ und „äußerer“ Sorgfalt wird bei der Unterscheidung zwischen Höchstmaß und Normalmaß an Sorgfalt insinuiert, als abstrahiere das zivilrechtliche Fahrlässigkeitsurteil zunächst von den Umständen des konkreten Falls, welche dann erst auf der Verschuldensebene zu berücksichtigen seien.213 Da es um die Risikoverteilung zwischen den Beteiligten und nicht um allgemeines Wohlverhalten geht, ist kein von der Erfüllbarkeit durch den Durchschnittsverkehrsteilnehmer unabhängiges „Höchstmaß an Sorgfalt“ zu verlangen. In die Bewertung müssen vielmehr alle Besonderheiten einfließen, und die Verkehrsnotwendigkeiten müssen auf die jeweilige Situation im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Erfolges zugeschnitten sein. Brüggemeiers214 Aussage „Zivilistische Fahrlässigkeit sei Verkehrswidrigkeit“, die die Verletzung der von dem jeweiligen Rechtssubjekt in seinem sozialen Kontext zu erwartenden Verhaltensstandards sanktioniere, verdient daher Zustimmung. Dies gilt insbesondere auch für den Bereich der Berufshaftung, bei der sich die Verhaltensanforderungen zwar zunächst nach dem jeweiligen Erkenntnisstand des technisch sowie wissenschaftlich Möglichen und Notwendigen richten, dann aber für eine „Anpassung“ an die besonderen Umstände des Einzelfalls offen sind.215 Im Bereich der ärztlichen Berufshaftung bleibt der objektive Qualitätsmaßstab ebenfalls nicht auf einer abstrakten Ebene stehen, sondern die Anforderungen, die an den ärztlichen Standard gestellt werden, sind für eine Anpassung an die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls frei.216 Somit ist nicht erst der Sorgfaltsmaßstab der Fahrlässigkeit im Rahmen des Vertretenmüssens an einer situations-, gruppen- oder bereichsspezifischen Betrachtung auszurichten, sondern bereits der Sorgfaltsmaßstab der Pflichtverletzung i.R.d. § 280 Abs. 1 BGB. Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt ist demnach sowohl für die Pflichtverletzung als auch das Vertretenmüssen der richtige Maßstab. Eine Differenzierung beider Ebenen durch unterschiedliche Sorgfaltsmaßstäbe ist abzulehnen und kommt somit auch für eine Abgrenzung im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB nicht in Betracht.

Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 V 1. Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 114. 215 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 V 1. 216 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 1, § 25 V 1; Stathopoulus, in: FS für Larenz, 631, 635; Giesen, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 25. 213 214

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

125

(3) Änderungen der Sorgfaltsanforderungen Als Ausnahme vom Vertretenmüssen sind des Weiteren solche Fälle in Betracht gezogen worden, bei denen sich die Sorgfaltsanforderungen nach den Vorstellungen des Verkehrs verschärft haben, der normal Handelnde die verschärfte Norm im Allgemeinen aber nicht kennen müsse, so dass er nicht sofort zu haften habe.217 Zur Begründung wird auf eine Entscheidung des BGH218 aus dem Jahr 1985, in welcher es um Verkehrssicherungspflichten eines Schleppliftunternehmers ging, verwiesen. Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass dem beklagten Schleppliftunternehmer zwar die Pistensicherungspflicht oblag, scharfkantige Liftstützen, die in einen Übungshang integriert waren, durch Strohballen oder dergleichen zu sichern. Aber wegen fehlenden Verschuldens wurde die Klage eines Skifahrers abgewiesen, der sich an den Liftstützen verletzt hatte. Die Verkehrssicherungspflichtverletzung hätte für den Beklagte zum Zeitpunkt des Unfalls bei Anwendung der verkehrserforderlichen Sorgfalt erkennbar gewesen sein müssen. Da es zum Zeitpunkt des Vorfalls weder bautechnische Vorgaben noch Entscheidungen deutscher Gerichte zu vergleichbaren Pistensicherungspflichten gab und in deutschen Fachkreisen keine Sicherung von Liftstützen bei Verhältnissen wie den vorliegenden gefordert wurden, hätte der Unternehmer diese Sicherungspflicht im Jahr 1981 noch nicht zu kennen brauchen. Wenn, wie im angeführten Beispielsfall, durch richterliche Rechtsfortbildung höchstrichterlich erstmalig neue Verhaltens- oder Verkehrspflichten formuliert werden, kann von ihrer Geltung vor der zumindest erstmaligen Postulierung einer Verhaltensnorm als Rechtspflicht nicht ausgegangen werden, da richterrechtliche Normen keine Rückwirkung besitzen.219 Mangels vorheriger Geltung einer entsprechenden Verhaltensnorm liegt deshalb schon keine pflichtwidrige Handlung des Schädigers vor. Auch dieser Vorschlag ist als Differenzierungskriterium zwischen Pflichtverletzung und Vertretenmüssen im Rahmen des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB daher abzulehnen. (4) Entschuldbarer Irrtum Ein weiteres Abgrenzungskriterium wird – von einigen in der Literatur sogar als einzig denkbarer Fall der nicht zu vertretenden Pflichtverletzung220 – im entschuldbaren Irrtum gesehen.221 Die Zurechnung soll dann entfallen können, wenn Deutsch, JZ 2002, 588, 591. BGH NJW 1985, 620. 219 Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 114. 220 Huber, in: Ernst / Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 102; Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2636 f.; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 137. 221 Deutsch, JZ 2002, 588, 591. 217 218

126

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

sich der Handelnde in einem entschuldbaren Irrtum befunden hat.222 Als Beispiele für einen entschuldbaren Irrtum werden im Arzthaftungsrecht die Fälle der Verkennung des Standards angeführt. Während die Verletzung des medizinischen Standards eine vom Patienten zu beweisende Pflichtverletzung i.S.v. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB sei, habe der Arzt die (Nicht-)Erkennbarkeit des jeweiligen konkreten medizinischen Facharztstandards darzulegen und zu beweisen.223 Ausgehend von der hier vertretenen Auffassung, dass der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab bei der Pflichtverletzung und dem Vertretenmüssen identisch ist und sich am jeweiligen Verkehrskreis orientiert, bleibt für den entschuldbaren Irrtum kein Raum. Der Arzt schuldet dem Patienten eine sachgerechte Behandlung.224 Sachgerecht ist die Behandlung, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt einhält.225 Der Maßstab der erforderlichen Sorgfalt richtet sich nach objektiv typisierenden Merkmalen.226 Danach kommt es auf die im jeweiligen Verkehrskreis der Allgemeinoder Fachärzte vorausgesetzten Fähigkeiten und die dort zu erwartenden Kenntnisse und Fertigkeiten an. Diese hat der Arzt durch regelmäßige Lektüre der einschlägigen Fachzeitschriften zu kennen bzw. durch Fortbildungen zu erlernen oder zu festigen.227 Er kann sich nicht darauf berufen, er habe den neuesten Standard nicht gekannt228. Fälle des unvermeidbaren Nichtkennens eines Standards gibt es nicht. Entweder eine Behandlungsmethode ist Standard – dann muss sie dem behandelnden Arzt bekannt sein – oder sie ist nicht Standard. Häufig werden neben Sachverhalten der Verkennung des Standards die Fälle der sogenannten unvermeidbaren „Diagnoseirrtümer“ als Schuldausschließungsgründe angeführt.229 Anhand einer Entscheidung des OLG Stuttgart230 lässt sich exemplarisch verdeutlichen, dass selbst die Rechtsprechung hier nicht erst die Schuld entfallen lässt, sondern bereits die objektive Pflichtverletzung. Der beklagte Arzt hatte während eines operativen Eingriffs palpatorisch einen „kirschgroßen derben Knoten“ festgestellt und diesen in der Meinung, es handele sich um einen Lymphknoten, entfernt. Tatsächlich handelte es sich dabei aber um einen Kolondivertikelstein. Die Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, zur Überzeugung des Gerichtes stehe fest, dass der Beklagte den bei der Operation getasteten Kno222 223 224 225 226 227 228 229 230

Ebda. Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2636 f. Steffen / Dressler, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 128. Siehe nur Lauf-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99, Rdnr. 7. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 72. Steffen / Dressler, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 167 ff. Siehe nur Lauf-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99, Rdnr. 7. Siehe Katzenmeier, Arzthaftung, S. 189 – Nachweise in FN 272 u. FN 273. OLG Stuttgart VersR 1989, 1094 f.

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

127

ten für einen Lymphknoten halten durfte, die Verwechselung mithin keinen Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst darstelle und somit kein Behandlungsfehler vorliege. Diese Entscheidung verdeutlicht, dass die Frage der Vermeidbarkeit bzw. Unvermeidbarkeit einer Fehlvorstellung auf der Ebene der Pflichtverletzung zu behandeln ist. Persönliche Defizite können aufgrund des objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstabes nicht in die Bewertung, ob etwas unvermeidlich war oder nicht, mit einfließen. Grundlage bei der Pflichtwidrigkeitsprüfung sind der jeweilige Verkehrskreis und die spezifische Situation. Gleiches gilt für die Prüfung des Vertretenmüssens. Was danach unvermeidbar war, verstößt nicht gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt und lässt bereits den Tatbestand entfallen. Das Kriterium des unvermeidbaren Irrtums eignet sich mithin ebenfalls nicht, dem Vertretenmüssen einen eigenständigen Charakter zu verleihen.

c) Eigene Auffassung Das Problem der Anwendbarkeit des § 280 Abs. 1 BGB auf die Fälle der Arzthaftung lässt sich aus den oben angeführten Gründen – insbesondere wegen der Identität von Pflichtverletzung und Pflichtwidrigkeit –, nicht mit dem Ansatz der Literatur lösen, den Gegenstand der Verschuldensvermutung in Abgrenzung zur Pflichtverletzung zu konkretisieren. Der Konstruktionsfehler von § 280 Abs. 1 BGB liegt in dem Anspruch begründet, trotz seiner Gegenstandsbetontheit eine allgemeine Lösung für die Vertragshaftung – unabhängig davon, ob es sich um erfolgsbezogene Pflichten oder nichterfolgsbezogene Verhaltenspflichten handelt – vorzuhalten.

aa) Das Pflichtenkonzept bei der ärztlichen Behandlungsfehlerhaftung Nach der Systematik des § 280 Abs. 1 BGB löst die gegenstands- bzw. erfolgsbezogene Pflichtverletzung die Vermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB mit der Folge aus, dass sich der Schuldner nunmehr hinsichtlich der Sorgfaltswidrigkeit seines Handelns zu entlasten hätte.231 Im Arzthaftungsrecht und auch im übrigen Dienstvertragsrecht der freien Berufe fehlt es aber an solchen erfolgs- bzw. gegenstandsbezogenen Pflichten, deren Verletzung von ihrer sorgfältigen Erbringung getrennt werden könnte.232

231 232

Siehe Kapitel 4 II. zur allgemeinen Systematik von § 280 Abs. 1 BGB. Siehe Kapitel 4 II. 1. und 2.

128

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

Die ärztlichen Leistungspflichten233 sind verhaltens- und nicht erfolgsbezogen. Der Arzt schuldet dem Patienten – wie bereits mehrfach betont – aus seiner Berufspflicht im Regelfall nicht den Behandlungserfolg, sondern nur ein ordnungsgemäßes ärztliches Bemühen zu Zwecken der Herbeiführung des Behandlungsziels. Die Gründe sind offensichtlich und wurden an anderer Stelle bereits eingehend herausgearbeitet234: Aufgrund der Eigenart des menschlichen Organismus, der selbst bei bestmöglicher Behandlung nicht voll beherrschbar ist, muss die Ursache für das Nichterreichen des ins Auge gefassten Behandlungsziels nicht zwingend auf dem ärztlichen Fehlverhalten beruhen, sie kann ebenso im menschlichen Organismus begründet sein.235 Man könnte also im Zusammenhang mit der Arzthaftung von einer „erfolgsgeeigneten“ Dienstleistung im Gegensatz zu einer „erfolgsorientierten“ Dienstleistung sprechen. Die Leistungspflicht bestimmt sich nach dem ärztlichen Standard236. Das hat zur Folge, dass der Behandlungsfehler als Standardverfehlung identisch mit der Pflichtverletzung des § 280 Abs. 1 S. 1 BGB ist und sich von der Pflichtwidrigkeit nicht unterscheiden lässt. Letzteres insbesondere deswegen, weil eine Differenzierung zwischen „innerer“ und „äußerer“ Sorgfalt nicht tragfähig ist.237 Damit fehlt es an einem „objektivierten“ Tatbestand der Pflichtverletzung. Dem könnte § 241 Abs. 2 BGB entgegenzuhalten sein, der indirekt qua Schutzpflichten u. a. den Katalog des § 823 Abs. 1 BGB in die Obligationen transferiert und gleichfalls in § 280 Abs. 1 BGB einfließt. Die Schutzpflichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB beziehen sich auf das Integritätsinteresse des anderen Teils, auf die Erhaltung seines personen- und vermögensrechtlichen Status quo.238 Eine Schutzpflichtverletzung liegt vor, wenn das Schuldnerverhalten zu einer Verletzung der Rechte oder Rechtsgüter des Gläubigers geführt hat.239 Bei der ärztlichen Verant233 Leistungspflichten sind zwar anerkanntermaßen ein janusköpfiges Gebilde: Sie können sich auf einen Leistungserfolg (§ 362 Abs. 1 BGB – „Bewirken“ als Resultat) oder ein Leistungsverhalten (§ 242 BGB – „so [derartig] zu bewirken“ als Maßstab für das Bemühen) beziehen – siehe vertiefend bei Münch, Jura 2002, 361. Im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB sind aufgrund der Konstruktion der Norm aber erfolgsbezogene Leistungspflichten gemeint. 234 Kapitel 1 II. 235 Siehe dazu Kapitel 1 II. 236 Umstritten ist die Frage, ob sich der medizinische Standard vom rechtlichen Standard im Rahmen der Problematik des Behandlungsfehlers unterscheidet. Da der Unterscheidung im Rahmen dieser Arbeit keine Bedeutung zukommt, soll an dieser Stelle auf die verschiedenen Standpunkte nur hingewiesen werden. Siehe dazu: h.M. – eine Unterscheidung zwischen rechtlichem und medizinischem Standard sei möglich, und die Fehlerbewertung hänge immer von einer abschließenden rechtlichen Kontrolle ab – Katzenmeier, Arzthaftung, S. 180 ff.; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 125 ff.; Giesen, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 99 ff.; ständige Rechtsprechung BGH NJW 2001, 1786; a.A. – der medizinische Standard wird von dem rechtlichen Standard identifiziert – Francke / Hart, Charta der Patientenrechte, S. 21 ff.; Hart, Jura 2000, 64 ff. 237 Eingehend zu den Differenzierungsversuchen von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen, Kapitel 4 III. 2. c); ebenso Hart, MedR 2003, 609, 608. 238 Eingehend Kapitel 4 II. 1. b). 239 Siehe Kapitel 4 II. 1. b).

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

129

wortlichkeit geht es konträr dazu in erster Linie nicht um Integritätsschutz (von den Fällen der sogenannten vollbeherrschbaren Risiken240 – Patient fällt vom OPTisch und verletzt sich, Arzt amputiert das falsche Bein – einmal abgesehen), sondern um „Verbesserungsperspektiven“, d. h. statt der üblichen Erhaltungsinteressen um Erwartungsinteressen, die normalerweise auf der Leistungsebene angesiedelt sind.241 Der Patient begibt sich in der Regel wegen einer „Erkrankung“ bzw. eines körperlichen Defizits in ärztliche Behandlung. Er hat die Erwartung, durch die ärztliche Maßnahme „geheilt“ zu werden bzw. durch die Behandlung zumindest eine Verbesserung oder Stabilisierung seines Zustandes zu erlangen. Der Arzt ist also gehalten, auf einen vorgeschädigten Körper mit dem Ziel einzuwirken, eben diese Vorschädigung möglichst zu beheben, zu lindern oder unter Kontrolle zu halten.242 Die anstelle des Integritätsschutzes primäre Leistungsorientierung ist im Arzthaftungsrecht bereits aus den oben angeführten Gründen nicht durchführbar. Darüber hinaus weist auch die Schutz- / Leistungsrichtung „Gesundheit“ keine festen Konturen auf. Die disziplinäre und interdisziplinäre Untersuchung des Gesundheitsbegriffs hat ergeben, dass „Gesundheit“ eine Worthülse mit positivem Gehalt ist.243 Für die Rechtswissenschaft und insbesondere für das Arzthaftungsrecht wurde „Gesundheit“ nie definiert. Die Verletzung der „Gesundheit“ wird im Kontext des Arzthaftungsrechts ebenfalls nicht geprüft, sondern stillschweigend angenommen.244 Das hat seinen Hintergrund darin, dass zwar rein theoretisch im Wege der Differenzbetrachtung ermittelt werden kann, ob der Gesundheitszustand des Patienten bei standardgemäßer ärztlicher Behandlung hypothetisch besser wäre als der bestehende Zustand des Patienten tatsächlich ist; praktisch führt diese Betrachtung allerdings kaum zu relevanten Ergebnissen. Aufgrund der zwei Kausallinien, der durch den Behandlungsfehler gesetzten und der Patientenkausalität, kann nicht mit der gesetzlich geforderten an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit (§ 286 Abs. 1 ZPO) festgestellt werden, ob der Behandlungsfehler ursächlich für das Nichterreichen des ins Auge gefassten Behandlungsziels war.245 Eben diese zwei Kausallinien führen ferner dazu, dass es anders als in den Fällen der §§ 831 ff. BGB, die ebenfalls von einer Verschuldensvermutung ausgehen246, an einer Vermutungsbasis für die Verhinderung der Gesundheitsverbesserung fehlt. Dort existiert immer nur eine Kausalreihe, nämlich das Verhalten des Geschäftsführers in Bezug auf seinen Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB), das Verhalten des Aufsichtspflichtigen in Bezug auf eine beaufsichtigungsbedürftige Person (§ 832 BGB) oder in Bezug auf ein Haustier (§§ 833, 834 BGB) sowie das Verhalten des Grundstückbesitzers bzw. Gebäudeunterhaltspflichtigen in Bezug auf ein Gebäude oder ein Werk, das 240 241 242 243 244 245 246

Siehe Kapitel 4 III. 3. b. aa). Ausführlich Kapitel 3 I. und Kapitel 1 III. 1. Matthies, Schiedsinstanzen im Bereich der Arzthaftung, S. 94. Ausführlich Kapitel 2. Siehe Kapitel 3 III. 1. und insbesondere Kapitel 3 III. 2. Wendt, Die ärztliche Dokumentation, S. 341. Darüber hinaus gehen die Normen auch von einer Ursächlichkeitsvermutung aus.

9 Heidelk

130

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

mit dem Grundstück verbunden ist (§§ 836, 837, 838 BGB). Fügt ein Verrichtungsgehilfe, eine beaufsichtigungspflichtige Person oder ein Haustier einem anderen eine Verletzung zu oder entsteht einem anderen durch den Einsturz oder die Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen mit dem Grundstück verbundenen Werkes eine Verletzung, so spricht zumindest ein erstes Indiz für die Sorgfaltswidrigkeit des Geschäftsherrn bei der Auswahl etc. des Verrichtungsgehilfen, des Aufsichtspflichtigen bei der Beaufsichtigung der beaufsichtigungsbedürftigen Person bzw. des Haustieres, des Gebäudebesitzers etc.247 Die Arzthaftungsrechtsfälle unterscheiden sich im wesentlichen von den Fällen der §§ 831 ff. BGB dadurch, dass die nach der Behandlung eingetretene Verschlechterung bzw. ausgebliebene Verbesserung des Gesundheitszustandes des Patienten kein vergleichbares erstes Indiz für eine Sorgfaltswidrigkeit des behandelnden Arztes bildet.248 Ihm Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB haben wir es bei der ärztlichen Behandlungsfehlerhaftung also mit einem weiteren Problem zu tun: Bevor überhaupt ein „Tatbestand“ festgestellt werden kann, ist es erforderlich, Beweis zu erheben. In allen anderen Fällen des Schuldrechts stellt sich das genau umgekehrt dar: erst steht der Tatbestand fest und dann erfolgt die Beweiserhebung. Aber nur durch Erhebung eines Beweises bezüglich des haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs kann letztendlich im Wege der Beweislastverteilung ein Tatbestand für die Fälle der Behandlungsfehlerhaftung erzeugt werden. Wegen der beiden Kausalverläufe ist es im Wege der Differenzbetrachtung nicht möglich mit Sicherheit festzustellen, ob der Patient an seiner „Gesundheit“ verletzt ist.249 Letztendlich wird die Haftung des Arztes also ohne feststehenden Tatbestand begründet. Sie erfolgt auf der Grundlage einer Beweislastentscheidung.250

bb) Pflichtenkonzept bei der Verletzung von Aufklärungspflichten Nur am Rande soll kurz die Problematik der Aufklärungspflichtverletzung251 im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB angesprochen werden. Auch hier lässt sich aus denselben Gründen die Pflichtverletzung von der Pflichtwidrigkeit nicht trennen. Neben der Tatsache, dass § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ins Leere läuft, führt der Tatbestand des § 280 Abs. 1 BGB im Gegensatz zur alten Rechtslage zu einer weiteren Unangemessenheit: Bislang oblag es nach einhelliger Auffassung von Rechtsprechung und Literatur dem Arzt, nachzuweisen, dass er den Patienten ordnungsWendt, Die ärztliche Dokumentation, S. 341. Ebda. 249 Siehe Kapitel 4 II. 2. bb) und zum Tatbestand der Anwaltshaftung Kapitel 4 III. 2. e). 250 Siehe dazu Kapitel 4 III. 3. c) cc) und Kapitel 5 IV. 251 Zu den Aufklärungspflichten allgemein siehe Darstellung bei Katzenmeier, Arzthaftung, S. 322 ff. und Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 61 bis § 68. 247 248

III. Anwendbarkeit auf die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung

131

gemäß aufgeklärt hat.252 Die üblicherweise mit § 280 Abs. 1 BGB verbundene Beweislastverteilung – der Patient hat die Pflichtverletzung (mithin die Aufklärungspflicht) zu beweisen – , kehrt diese Rechtslage um, ohne dass dafür in den Debatten zur Schuldrechtsmodernisierung ein einziger Grund ersichtlich wäre.253 Durch die Literatur wird nahezu254 einhellig eine solche konstruktive Konsequenz des § 280 Abs. 1 S. 1 BGB mit dem Verweis auf Risikosphären und Beherrschbarkeitsüberlegungen abgelehnt.255 Darüber hinaus wird angeführt, dass die Beweislast des Arztes für die angemessene Aufklärung des Patienten europäischem Standard entspreche.256 Einen rechtlichen Hinweis gibt außerdem auch § 309 Nr. 12 BGB, nach welchem eine Bestimmung in allgemeinen Geschäftbedingungen unwirksam ist, die die Beweislast zum Nachteil des anderen Vertragsteils ändert, insbesondere indem der Verwender dem anderen Vertragsteil die Beweislast für Umstände auferlegt, die in seinem eigenen Verantwortungsbereich liegen.257 Aus den vorgenannten Gründen wird eine Beweislastumkehr schon auf der Pflichtverletzungsebene greifen müssen. Anderenfalls käme es konstruktionsbedingt zusätzlich zu einem Auseinanderfallen von vertraglicher und deliktsrechtlicher Beweislastverteilung.258

cc) Pflichtverletzungskonzept bei der Organisationsfehlerhaftung Bei der vertraglichen Arzt- / Krankenhausträgerhaftung für Organisationsfehler, bei der ebenfalls die Pflichtverletzung von der Pflichtwidrigkeit nicht zu trennen ist, kann die Struktur des § 280 Abs. 1 BGB im Gegensatz zur Behandlungsfehlerhaftung m.E. nach noch im Wege einer Hilfskonstruktion gerettet werden.259 In Fallkonstellationen, in denen feststeht, dass die Verletzung aus einem Bereich stammt, dessen Gefahren ärztlicherseits voll ausgeschlossen werden können und müssen (sog. voll beherrschbare Risiken), ist die Vermutung der Pflichtverletzung nach ständiger Rechtsprechung vom Arzt bzw. Krankenhausträger zu entSiehe nur Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 67 m. w. N. Hart, MedR 2003, 603, 608. 254 a. A. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 502 f., wobei aber unklar bleibt, ob er eine generelle Beweislast beim Patienten akzeptieren würde. 255 Hart, MedR 2003, 603, 608; Regenbogen, Ärztliche Aufklärung und Beratung in der prädiktiven genetischen Diagnostik, S. 238; Müller, MedR 2001, 487, 494; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr.132; Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2534 f.; ders., NJW 2003, 1701, 1707; Martis / Winkart, Arzthaftungsrecht aktuell, S. 57, gehen sogar ohne jegliche Begründung davon aus, dass auch unter § 280 Abs. 1 BGB der Arzt mit dem Nachweis der ordnungsgemäßen Aufklärung belastet ist. 256 Regenbogen, Ärztliche Aufklärung und Beratung in der prädiktiven genetischen Diagnostik, S. 238. 257 Ebda. 258 Ebda. 259 Ebenso Hart, MedR 2003, 603, 609. 252 253

9*

132

Kapitel 4: Strukturelle Konzeption der Haftungsnorm § 280 Abs. 1 BGB

kräften.260 Die Pflichtverletzung i. S. d. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB kann hier gegenständlich, mit Eintritt des negativen Erfolges, festgestellt werden, die Entlastung von der Verletzung als Vermeidbarkeit dem § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zugewiesen werden.

260

974.

Beispielsweise BGH NJW 1995, 1618; BGH NJW 1984, 1403; OLG Köln VersR 2000,

Kapitel 5

Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB – ein Lösungsansatz I. Vorbemerkung Die Regel, dass der Patient das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, dessen Ursächlichkeit für die entstandene Verletzung und den daraus resultierenden Schaden beweisen muss1 – die nach Auffassung der Literatur2 auch unter der Geltung der Beweislastsonderregel des § 280 Abs. 1 BGB bestehen bleiben soll3 –, ist vom Bundesgerichtshof durch zahlreiche am Schutz des Patienten orientierte Beweiserleichterungen ergänzt und abgemildert worden. Hintergrund sind die enormen Beweisschwierigkeiten des Patienten. Das vom BGH geschaffene Instrumentarium der einzelnen Beweiserleichterungen soll dazu dienen, unbillig erscheinende Störungen der Waffengleichheit in einer nach Lage des Falls billig erscheinenden Weise auszugleichen. In diesem Sinne zählen der Grundsatz des fairen Verfahrens und das Prinzip der Waffengleichheit im Zivilrecht zu den wichtigsten Ausformungen der verfassungsrechtlichen Garantie des effektiven Rechtsschutzes im Privatrecht.4 Es fragt sich einerseits, ob durch die den Parteien gewährten Beweiserleichterungen eine gerechte Risikoverteilung zwischen Arzt und Patient erreicht worden ist und andererseits, ob unter der Geltung des § 280 Abs. 1 BGB überhaupt noch uneingeschränkt an der grundsätzlichen, d. h. dem Patienten obliegenden vollen Beweislast festgehalten werden kann bzw. muss.

1 Vgl. nur OLG Brandenburg, VersR 2001, 1241, 1242; Müller, MedR 2001, 487, 489; dies. NJW 1997, 3049 ff.; siehe allgemein zur Beweislastverteilung Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, Bd. 1, § 823 Anhang C II.; Martis / Winkhart, Arzthaftungsrecht aktuell, S. 226 ff. 2 Rechtsprechung zur neuen Gesetzgebung ist noch nicht vorhanden. 3 Siehe Kapitel 4 III. 3. b). 4 OLG Schleswig, NJW 1983, 347.

134

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

II. Haftungsrechtliche Folgen der Pflichtenkonzeption des § 280 Abs. 1 BGB auf die Behandlungsfehlerhaftung Trotz der herausgearbeiteten Sondersituation bei der Behandlungsfehlerhaftung und der Tatsache, dass die Konstruktion des § 280 Abs. 1 BGB auf die Fälle der Behandlungsfehlerhaftung nicht passt, soll nach Auffassung der Literatur im Ergebnis alles beim Alten verbleiben. Dem Patienten obliegt die Beweislast hinsichtlich des Behandlungsfehlers und des haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs. Steht beides fest, soll als Neuerung nunmehr den Arzt die Beweislast dafür treffen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Da bei der Arzthaftung die Pflichtverletzung den Sorgfaltspflichtverstoß gemäß § 276 Abs. 2 BGB und damit das Vertretenmüssen impliziert, führt die Anwendung der Vermutungsregelung des § 280 Abs. 2 BGB jedoch zu keiner tatsächlichen Änderung im Arzthaftungsrecht. Prozessentscheidend ist zumeist die Frage des haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs. Hier zeigt sich, dass es im Arzthaftungsrecht um Risikoentscheidungen geht. Der Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität, der dem Patienten nach ständiger Rechtsprechung5 obliegt, gestaltet sich ausgesprochen schwierig6: Grundlage der haftungsbegründenden Kausalität ist die Differenzbetrachtung zwischen dem gegenwärtigen Gesundheitszustand und dem „Gesundheitszustand“, wie er hypothetisch nach standardgemäßer Behandlung aussehen würde. Der Differenzbetrachtung wiederum liegt – wie bereits erwähnt – die Prüfung von zwei Kausalitäten, der realen und der hypothetischen, zugrunde. Die erstere unterscheidet sich von der letzteren in ihrem fiktiven Charakter, der darin besteht, dass der nur hypothetische Geschehensablauf nie in der Wirklichkeit eingetreten ist.7 Im Nachweis dieses hypothetischen Kausalverlaufs liegen die Probleme. Grundsätzlich hat der Patient unter den strengen Anforderungen des § 286 ZPO den Beweis8 der Kausalität des Behandlungsfehlers für seinen gegenwärtigen Zustand zu führen.9 Hierfür sind die „generelle“ sowie die „konkrete“ Kausalität nachzuweisen.10 Während sich die generelle Kausalität auf die Fragestellung bezieht, ob die Fehlbehandlung überhaupt allgemein geeignet war, den bestehenden Patientenzustand BGHZ 99, 391, 398; BGHZ 129, 6, 10 jeweils m. w. N. Vgl. nur Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 350. 7 Weber, Der Kausalitätsbeweis im Zivilprozeß, S. 120. 8 Baumbach-Lauterbach, § 286, Rdnr. 16, 56; siehe zum Grad der richterlichen Überzeugungsbildung und der Abgrenzung zu § 287 ZPO, Arens, ZZP 88, 1, 7 ff., 27 ff.; Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung, S. 49 ff. 9 Die Beweisführung kann durch einen Anscheinsbeweis erleichtert werden, wenn der eingetretene Zustand eine typische Folge des Behandlungsfehlers darstellt. 10 Vgl. zu den Stichworten „generelle“ u. „konkrete“ Kausalität, Esser / Schmidt § 33 I 1.; Mummenhoff, Erfahrungssätze im Beweis der Kausalität, S. 31 ff.; Beulke / Bachmann, JuS 1992, 737, 738. 5 6

II. Haftungsrechtliche Folgen der Pflichtenkonzeption

135

hervorzurufen11, beschäftigt sich die konkrete Kausalität mit der Frage, ob bei standardgemäßer Behandlung der angestrebte Zustand, das Behandlungsziel, (fast) stets erreichbar gewesen wäre.12 Dieser Nachweis dieses Kausalverlaufs wird wegen seines hypothetischen Charakters und der naturgegebenen Konkurrenz, der vom Arzt gesetzten und der im menschlichen Organismus angelegten „natürlichen“ Ursachen, in aller Regel scheitern.13 Aus diesem Grund verzichtet die Rechtsprechung auch, wie oben herausgearbeitet wurde, auf die Bestimmung der „Gesundheitsverletzung“, die ebenfalls nur im Wege einer Differenzbetrachtung zwischen hypothetischem Gesundheitszustand nach fehlerfreier und tatsächlichem Gesundheitszustand nach fehlerhafter Behandlung zu ermitteln wäre14 und setzt diese an Stelle dessen stillschweigend voraus.15 Im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität versuchte die Rechtsprechung bislang, dem beweisbelasteten Patienten aus seiner Not zu helfen, indem sie ihm bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers16 hinsichtlich des Nachweises der Kausalität Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr gewährte.17 Aufgrund der Tatsache, dass die Rechtsprechungspraxis beim groben Behandlungsfehler – entgegen ihrer eigenen Formel – nur ein starres „Entweder – Oder“ gewährte und keine quantitative Abstufung vornahm,18 beschränkten sich allerdings die tatsächlich zugestandenen Beweiserleichterungen auf die „höchstmögliche Form“, die Umkehr der Beweislast.19 Der BGH hat dies denn auch explizit statuiert.20 Ist dem Patienten der Nachweis eines groben Behandlungsfehlers gelungen, obliegt es dem Arzt, sich dahingehend zu entlasten, dass sein Fehler nicht ursächlich für die Verletzung geworden ist; m.a.W. der gegenwärtige oder ein vergleichbarer Zustand des Patienten auch bei korrekter Behandlung eingetreten wäre.21 11 Umstritten ist bei der Beurteilung der generellen Kausalität, ob für ihre Bejahung ein naturgesetzlicher Zusammenhang bestehen muss, oder ob Wahrscheinlichkeiten und Erfahrungswerte, auf die sich der Richter stützen kann, ausreichen – vgl. hierzu ausführliche Mummenhoff, Erfahrungssätze im Beweis der Kausalität, S. 31 ff. Und siehe Kapitel 5 IV. 2. b) bb); Beulke / Bachmann, JuS 1992, 737, 738. 12 Anderenfalls, d. h. wenn die Erreichbarkeit des angestrebten Patientenzustandes nicht stets erreichbar ist, befindet sich die Wahrscheinlichkeit in einem „Genesungskorridor“. 13 Großerichter, Hypothetischer Kausalverlauf und Schadensfeststellung, S. 246. 14 Siehe dazu Kapitel 3 II. und insbesondere Kapitel 3 III. 2. 15 Siehe Kapitel 3 III. 2. und. 4. 16 Zu den einzelnen Voraussetzungen der Beweislastsonderregel des „groben Behandlungsfehlers“ und ihrer Begründung siehe ausführlich unter Kapitel 5 IV. 17 Nachweise bei Kasche, Heilungschancen, S. 107. 18 Prölls, Beweiserleichterungen im Schadensprozeß, S. 91; Gaupp, Beweisfragen im Rahmen ärztlicher Haftungsprozesse, S. 81; Laumen, NJW 2002, 3739, 3743 ff. 19 Laumen, NJW 2002, 3739, 3740; siehe ausführlich zu dieser Problematik Kapitel 5 IV. 2. und. 4. a). 20 BGH NJW 2004, 2011 ff.

136

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

Da in der Regel weder dem Patienten der Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität, noch dem Arzt der Entlastungsbeweis gelingen wird, entscheidet mithin die Verteilung der Beweislast darüber, ob der Arzt dem Patienten gegenüber für seinen Behandlungsfehler haftungsrechtlich einzustehen hat oder nicht.22 Prozessentscheidende Bedeutung erlangt damit die Qualifikation des Behandlungsfehlers als einfach oder grob. In Erinnerung zu rufen ist dabei, dass die Schwere des Behandlungsfehlers für die Frage nach der Haftungsbegründung irrelevant ist. Die Verantwortlichkeit des Arztes richtet sich nach den allgemeinen Prinzipien der Verschuldenshaftung, so dass bereits die einfache Fahrlässigkeit gemäß § 276 Abs. 2 BGB für die Haftungsbegründung ausreichend ist. Die Kategorisierung des Behandlungsfehlers ist allein im Hinblick auf die Zurechnung des Beweisrisikos entscheidend. Die Anwendung der Grundsätze der Rechtsprechung zum groben Behandlungsfehler hat zur Folge, dass nur der Arzt, der einen groben Behandlungsfehler begangen hat, das Risiko der Unaufklärbarkeit des Kausalverlaufs trägt und damit dem Patienten gegenüber haftungsrechtlich einzustehen hat. In allen anderen Fällen trägt der Patient das Risiko und geht in der Regel leer aus. Während Großerichter zwar ganz richtig feststellt, dass bei der Beweislastumkehr nicht nur unterstellt wird, dass der ärztliche Fehler im tatsächlichen Hergang Ursache des eingetretenen Erfolges war, sondern implizit auch, dass der Patient anderenfalls geheilt worden wäre,23 sieht er nicht auch die gegenteilige Problematik, die da heißt: Immer, wenn der Arzt lediglich einen einfachen Behandlungsfehler begeht, führt dies dazu, dass der Patient auf seinem – zumindest möglichen Schaden – sitzen bleibt. Es stellt sich die Frage, ob nicht angesichts der neuen Rechtslage – einer generalisierten vertraglichen Haftungsnorm, deren Konstruktion mit nichtleistungsbezogener Dienstleitungshaftung unvereinbar ist – der Weg frei ist für neue Ansätze im Arzthaftungsrecht unter dem Aspekt, ein faires Verfahren zu ermöglichen und insbesondere das erhebliche Ungleichgewicht zwischen der Position des anspruchstellenden Patienten und dem Anspruchsgegner auszugleichen, wie es von einigen Stimmen in der Literatur24 schon seit langem gefordert wird.

21 Großerichter, Hypothetischer Kausalverlauf und Schadensfeststellung, S. 247 m. w. N: Fälle, in denen einem Arzt dieser Beweis gelungen ist, sind allerdings nicht bekannt – Gaupp, Beweisfragen im Rahmen ärztlicher Haftungsprozesse, S. 68; Park, System des Arzthaftungsrechts, 228, 297, 300; Sick, Beweisrecht im Arzhaftungsprozeß, S. 72. 22 So ähnlich Baumgärtel-Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht Bd. 1, § 823 Anhang C II, Rdnr. 22. 23 Großerichter, Hypothetischer Kausalverlauf und Schadensfeststellung, S. 246. 24 Giesen, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 368 ff.; Kleinwerfers / Wilts, VersR 1967, 617 ff.; Reinecke, Die Beweislastverteilung im Bürgerlichen Recht und im Arbeitsrecht als rechtspolitische Regelungsaufgabe, S. 149 f.; Hanau, NJW 1968, 2291 f.; Schmidt J., JuS 1975, 430 f.

III. Verfassungsrechtliche Grundsätze

137

III. Verfassungsrechtliche Grundsätze zur Beweislastverteilung im Behandlungsfehlerbereich In seinem Beschluss vom 25. 07. 1979 hat sich das Bundesverfassungsgericht25 zur Entwicklung der beweisrechtlichen Praxis des BGH im Arzthaftungsrecht geäußert und ausdrücklich dem BGH darin zugestimmt, dass die bereits vorhandenen Beweiserleichterungen zu Gunsten des Patienten bis hin zur Beweislastumkehr ausgeschöpft werden müssten, wenn nach tatrichterlichem Ermessen dem Patienten die volle Beweislast für einen Arztfehler billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann. Einigkeit herrschte unter den Verfassungsrichtern darin, dass gerade in Arzthaftungsprozessen den verfassungsrechtlichen Grundsätzen eines fairen Prozesses nur durch besondere, auch die Prozesssituation des Patienten berücksichtigende Beweiserleichterungen Genüge getan werden kann. Selbst von den vier die Entscheidung nicht tragenden Verfassungsrichtern wurde die Auffassung vertreten, dass künftig Akzentverschiebungen in Fortentwicklung der bereits geltenden Rechtssätze in Richtung auf weitere Beweiserleichterungen für den Patienten bis hin zur Beweislastumkehr nicht auszuschließen sind.26 Die vier die Entscheidung nicht tragenden Verfassungsrichter sahen im Beweisverfahren des OLG Stuttgart den Verfahrensgrundsatz einer fairen Prozessführung im Zivilprozess nicht mehr gewahrt und bejahten im konkreten Fall einen Verstoß gegen das Willkürverbot. Ihrer Meinung nach muss es verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, die Beweislast für ein bestimmtes Vorbringen generell einer Seite aufzubürden, die von der typischen Art der Fallgestaltung her in der Regel nicht in der Lage sein kann, den erforderlichen Beweis zu erbringen.27 Die Beweisführungs- bzw. Beweislast führe von der Sache her insbesondere dazu, dass der Patient sich wegen der tatsächlichen Gegebenheiten einer Heilbehandlung üblicherweise erheblichen Schwierigkeiten in seiner Beweisführung ausgesetzt sehe; dies schlage typischerweise zum Vorteil des Arztes oder Krankenhausträgers aus.28 Um dem zu begegnen, müssen ihrer Auffassung nach die von der Rechtsprechung bereits entwickelten Beweiserleichterungen ausgebaut und konsequenter angewendet werden.29 Insbesondere müsse in jedem Einzelfall anhand von Gerechtigkeitserwägungen und im Wege einer Betrachtung der Gesamtprozesssituation festgestellt werden, ob die übliche Beweislastverteilung dem Patienten überhaupt zugemutet werden kann.30

25 26 27 28 29 30

BVerfGE 52, 131 ff. BVerfGE 52, 131 ff. (155). BVerfGE 52, 131 ff. (146 ff.). BVerfGE 52, 131 ff. (146). BVerfGE 52, 131 ff. (147). BVerfGE 52, 131 ff. (152 f.).

138

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

Der BGH hat im Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts seine Hinweise auf mögliche Beweiserleichterungen im Einzelfall verstärkt und eine flexible, dem Gebot der Waffengleichheit der Parteien entsprechende Verhandlungsführung verlangt.31 Die Rechtsprechung im Arzthaftungsrecht war seitdem um so mehr von hoher, einzelfallorientierter Flexibilität bestimmt: Der immer problematisch werdende Nachteil an dieser flexiblen und der Einzelfallgerechtigkeit dienenden Vorgehensweise war die mangelnde Bestimmbarkeit der Beweislastverteilung, die vor allem auf Seiten des Patienten – aber auch ärztlicherseits – zu kaum noch erträglicher Rechtsunsicherheit führte und sich darauf befragen lassen musste, ob sie noch mit den Grundsätzen einer fairen Prozessführung in Einklang zu bringen war. „Will man daher das Verfahren in Arzthaftungssachen nicht zu einem Roulettespiel mit höchst ungewissem Ausgang werden lassen, dann dürfen die für eine faire, zumutbare Handhabung des Beweisrechts Sorge tragenden Beweislastregeln möglichst nicht in jeder Prozesslage erst wieder neu erstellt, müssen sie vielmehr im Voraus bestimmt werden oder wenigstens bestimmbar sein“.32 Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die derzeitigen Beweiserleichterungen überhaupt ausreichend sind, um das den Arzthaftungsfällen typischerweise anhaftende Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes nach den Grundsätzen eines fairen Verfahrens gerecht – insbesondere auch unter dem Aspekt der Beweislastsonderregel des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB – zu verteilen.

IV. Die Beweislastumkehr infolge des Vorliegens eines „groben Behandlungsfehlers“ 1. Einleitung Die größten Beweisschwierigkeiten bereitet den Patienten die Unberechenbarkeit des menschlichen Organismus. Denn, wie bereits oben herausgearbeitet 33, kann der Beweis der Kausalität des Behandlungsfehlers für die vermeintlich eingetretene „Gesundheitsverletzung“ sehr häufig nicht geführt werden, weil aufgrund der Unbeherrschbarkeit des menschlichen Organismus sich nicht aufklären lässt, ob der Behandlungsfehler für die „Gesundheitsverletzung“ – deren Vorliegen selbst schon nicht festgestellt werden kann und deshalb stillschweigend vorausgesetzt wird34 – ursächlich war oder diese „schicksalhaft“ eingetreten ist. Die Rechtsprechung versucht zur Herstellung der „Waffengleichheit“ den Beweisschwierigkeiten des Patienten im Behandlungsfehlerbereich mit Hilfe von Be31 32 33 34

BGH NJW 1980, 2751; BGH NJW 1982, 1335; BGH NJW 1988, 2302. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 367. Ausführlich dazu: Kapitel 1 II.; Kapitel 3 III. 2.; Kapitel 4 III. 3. c) cc). Ausführlich dazu Kapitel 3, insbesondere Kapitel 3 III. 2.

IV. Die Beweislastumkehr infolge eines „groben Behandlungsfehlers“

139

weiserleichterungen35, insbesondere der Beweislastumkehr bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers, abzuhelfen.36 Im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB stellt sich nunmehr die grundsätzliche Frage, ob der Patient überhaupt zwingend mit dem Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität beweisbelastet sein muss, oder ob aufgrund der Tatsache, dass die Struktur des § 280 Abs. 1 BGB mit der nichterfolgsbezogenen Dienstleistungshaftung unvereinbar ist – die Vermutungsregelung des Absatzes 2 hier ins Leere läuft –, an eine neue Beweislastverteilung gedacht werden kann. Hierzu soll zunächst die Begründung der Rechtsprechung und Literatur zur Umkehr der Beweislast beim „groben Behandlungsfehler“ untersucht und darauf befragt werden, ob die dort verwendete Argumentation sich nicht bereits für eine generelle Beweislastumkehr bezüglich des haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs verwenden lässt. Von einigen Stimmen in der Literatur wird bereits seit längerem vertreten, zugunsten des Patienten eine generelle Umkehr der Beweislast hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität einzuführen.37

2. Voraussetzungen der Beweislastumkehr Laut Rechtsprechung des BGH muss ein Arzt, dem ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist, der geeignet ist, eine Verletzung38 der eingetretenen Art herbeizuführen, beweisen, dass dieser die Verletzung nicht verursacht hat, es dazu vielmehr auch ohne seinen Fehler gekommen wäre.39 Dem Patienten obliegt demgegenüber die Beweislast für die Feststellung eines groben Behandlungsfehlers.

35 Hierbei handelt es sich um den Anscheinsbeweis und eine großzügige Inanspruchnahme von § 287 ZPO. Weil der Anscheinsbeweis nur bei typischen Geschehensabläufen in Betracht kommt, also in Fällen, in denen das Eingreifen des Arztes eine Verletzung zur Folge hat, die regelmäßig auf einen Behandlungsfehler zurückgeht, Eingriffszwischenfälle in der Medizin aber selbst bei einer lege artis Behandlung auftreten können, spielt der Anscheinsbeweis eine sehr geringe Rolle im Arzthaftungsrecht – siehe ausführlich dazu Katzenmeier, Arzthaftung, S. 429 ff. Durch die klare Bezugnahme der neueren Rechtsprechung auf die sich aus dem materiellen Recht ergebenden Unterscheidung zwischen Rechtsgutverletzung und Schadensentstehung bei der Abgrenzung der §§ 286, 287 ZPO steht fest, dass § 287 ZPO nur noch auf die haftungsausfüllende Kausalität anwendbar ist, was zu einer abnehmenden Bedeutung von § 287 ZPO im Arzthaftungsrecht geführt hat – siehe dazu ausführlich ebenfalls Katzenmeier, Arzthaftung, S. 424 ff. 36 Siehe dazu bereits Kapitel 4 III. 3. c) cc) und vgl. diverse Urteile aus der Rechtsprechungsübersicht zum „Gesundheitsverletzungstatbestand“ in Kapitel 3 III. 1. 37 Kleinwerfers / Wilts, VersR 1967, 617, 625; Reinecke, Die Beweislast im Bürgerlichen Recht und im Arbeitsrecht als rechtspolitische Regelungsaufgabe, S. 149; Hofmann, NJW 1974, 1641, 1644; Giesen, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 383 u. 462 – allerdings weitergehend. Siehe ausführlich zu dieser Frage unten Kapitel 5 V. 1. 38 Der BGH spricht von Schaden, meint aber Verletzung. 39 Vgl. dazu Baumgärtel, Handbuch der Beweislast Bd. 1, § 823 Anh. C. II., Rdnr. 30.

140

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

a) Das Merkmal „grob“ Eine exakte Definition des Begriffs „grober“ Behandlungsfehler, unter die sich die einzelnen Lebenssachverhalte zweifelsfrei subsumieren lassen, ist bislang durch die Rechtsprechung nicht aufgestellt worden und aufgrund der vielfältigen Fallgruppen wohl auch nicht zu erwarten.40 Ganz allgemein wird ein Behandlungsfehler als „grob“ bewertet, wenn ein medizinisches Fehlverhalten „aus objektiver ärztlicher Sicht bei Anlegung des für einen Arzt geltenden Ausbildungs- und Wissensmaßstabes nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf“41. Erläuternd führt der BGH aus, dies könne der Fall sein, „wenn auf eindeutige Befunde nicht nach gefestigten Regeln der ärztlichen Kunst reagiert wird, oder wenn grundlos Standardmethoden zur Bekämpfung möglicher, bekannter Risiken nicht angewandt werden, und wenn besondere Umstände fehlen, die den Vorwurf des Behandlungsfehlers mildern können“. Außerdem, wenn Verstöße gegen elementare medizinische Behandlungsstandards oder gegen elementare medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen vorliegen.42 Da der BGH bei der Feststellung, ob ein Behandlungsfehler als „grob“ anzusehen ist, eine Gesamtbetrachtung des Geschehens zugrunde legt, ist es möglich, dass die Häufung mehrerer Einzelfehler, die für sich genommen nicht besonders schwer wiegen, in der Gesamtwürdigung einen groben Behandlungsfehler begründen können.43 Bei der Bewertung des Behandlungsfehlers als „grob“ handelt es sich um eine rechtliche Wertung, die nicht dem medizinischen Sachverständigen, sondern dem – sachverständig beratenen – Gericht obliegt. Diese wertende Entscheidung des Tatrichters muss aber auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhen, die sich in der Regel aus der medizinischen Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen ergeben werden.44 Aus dem zuvor Gesagten ergeben sich bereits die ersten sachlichen Gründe, die gegen das Abhängigsein der Beweislastumkehr von der Qualifizierung des ärztlichen Handelns als „grob“ fehlerhaft sprechen: Die Grenze zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit ist insbesondere aufgrund der sehr allgemein gehaltenen Definition nur sehr schwer zu ziehen; Rechtsunsicherheit ist die Folge.45 Des Weiteren ist in einer Rechtsordnung, in der in der Regel nicht einmal die Haftung nach 40 Die Rechtsprechung bemüht sich allerdings um eine Konkretisierung durch eine zunehmende Fallgruppenbildung – siehe bei Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rdnr. B 252 und jüngst bei Martis / Winkhart, Arzthaftungsrecht aktuelle, 297 ff. 41 BGH VersR 1968, 850, 851; BGH NJW 1981, 2513, 2514; BGH VersR 1995, 46, 47; BGH NJW 1997, 798. 42 BGH NJW 1986, 1540, 1541; BGH NJW 1992, 754, 755; NJW 1998, 814. 43 BGH NJW 1983, 333; BGH NJW 1998, 1782; BGH NJW 2001, 2792, 2793; siehe auch BVerfGE 52, 131, 152. 44 BGH NJW 1997, 798; BGH NJW 1996, 2428; BGH NJW 1996, 1589, 1590 m. w. N. 45 Hanau, Kausalität der Pflichtwidrigkeit, S. 133.

IV. Die Beweislastumkehr infolge eines „groben Behandlungsfehlers“

141

dem Verschuldensgrad abgestuft ist, eine entsprechende Differenzierung der Beweislast ein Fremdkörper46, der sich kaum rechtfertigen lässt.47 b) Die „generelle Eignung“ Weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Beweislastsonderregel ist die generelle Eignung des Behandlungsfehlers dafür, die eingetretene Verletzung48 herbeizuführen.49 Diese erfordert, dass nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft durch die Fehlbehandlung die bestehende Verletzung generell eintreten konnte; nahe liegend oder wahrscheinlich braucht der Eintritt eines solchen Erfolges nicht zu sein.50 Im Zusammenhang mit dieser Konkretisierung des Eignungserfordernisses hat der BGH stets klarstellend ausgeführt, dass die Beweislastumkehr infolge eines groben Behandlungsfehlers auf einer anderen Grundlage beruht als etwa die Beweiserleichterung in Form des Anscheinsbeweises; jedenfalls in diesem Sinne muss der Ursachenzusammenhang zwischen grobem Behandlungsfehler und Rechtsgutverletzung51 nicht nahe liegend oder gar typisch sein. Vielmehr kommt es nur auf die Möglichkeit einer besonderen Erschwerung der Aufklärung des Behandlungsgeschehens durch den groben Behandlungsfehler an.52 Von Musielak53 ist gegen diese Rechtsprechung eingewandt worden, dass eine generelle Eignung des Behandlungsfehlers, den eingetretenen Schaden verursacht zu haben, nicht ausreichen könne, sondern nur dann eine Beweislastumkehr dem Arzt zuzumuten ist, wenn auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass das fahrlässige Verhalten des Arztes im konkreten Fall für den Schaden verantwortlich sei.54 Dem ist entgegenzutreten: Würde die Umkehr der Beweislast an Hanau, NJW 1968, 2291. Siehe unten Kapitel 5 IV. 3. a). 48 BGH spricht an dieser Stelle wieder von Schaden, meint aber Verletzung. Siehe zur Differenzierung der Begrifflichkeiten Kapitel 4 Fußnote 157. 49 Grundlegend BGH NJW 1983, 333, 334; vgl. auch BGH NJW 1988, 2203, 2204; BGH NJW 1988, 2949, 2950; BGH NJW 1997, 796, 797; BGH NJW 1997, 798, 799; OLG Stuttgart VersR 1990; 55, 56; OLG Köln VersR 1991, 669, 670; OLG Stuttgart 1994, 313, 314; OLG Schleswig VersR 1994, 310, 312; OLG Oldenburg VersR 1994, 178, 179. 50 BGH NJW 1983, 333, 334; BGH NJW 1986, 1540, 1541; jüngst BGH NJW 2004, 2012. 51 Der BGH spricht von Schaden, meint aber die Rechtsgutverletzung. 52 BGH NJW 1983, 333, 334; jüngst bestätigend BGH NJW 2004, 2011, 2013. Soweit in älteren Entscheidungen dennoch von einer „geeigneten und naheliegenden Ursache“ (BGH VersR 1967, 713, 714) die Rede ist, stellt der BGH klar, dass mit dieser Formulierung keine zusätzlichen Anforderungen im Sinne einer Einschränkung des Erfordernisses der allgemeinen Eignung verbunden sind. Vgl. BGH NJW 1997, 796, 797 m. w. N. 53 Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, 145 ff. 54 Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, 145 ff.; dagegen dezidiert BGHZ 85, 212, 216; BGH NJW 1986, 1540. 46 47

142

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

bestimmte Wahrscheinlichkeitsvoraussetzungen geknüpft, würde dies die Beweisführung des Patienten erheblich erschweren.55 Es ist wesentlich schwerer nachzuweisen, dass ein Behandlungsfehler des Arztes wahrscheinlich für den Schadenseintritt war, als schlüssig darzulegen, dass ein erwiesener Behandlungsfehler generell geeignet war, den Schaden herbeizuführen.56 Eine Umdeutung des Merkmals „Geeignetheit“ in ein Wahrscheinlichkeitserfordernis würde mithin dem angestrebten Zweck der Beweislastumkehr – den Patienten zu schützen – zuwiderlaufen.57 Der Patient muss somit im Verfahren lediglich den Nachweis führen, dass seine gesundheitliche Beeinträchtigung möglicherweise auf der ärztlichen Fehlbehandlung basiert. Gänzlich lässt der BGH Wahrscheinlichkeitserwägungen aber nicht außer Betracht: Eine Beweislastumkehr wird bei genereller Eignung dann verneint, wenn ein kausaler Zusammenhang zwischen dem groben Behandlungsfehler und der Rechtsgutverletzung des Patienten gänzlich unwahrscheinlich ist.58 Zwar lassen sich gegen diese Rechtsprechung wiederum die oben angeführten Bedenken anmelden; da die Beweislast für einen derartigen Grad an Unwahrscheinlichkeit aber nach der Rechtsprechung des BGH dem Arzt obliegt59, wirken sich diese Wahrscheinlichkeitserwägungen kaum zu Lasten des Patienten aus60 und stehen daher einer gerechten Beweislastverteilung nicht entgegen.

3. Rechtsfolge der Beweislastumkehr Ursprünglich knüpfte der BGH an den groben Behandlungsfehler die starre Rechtsfolge der Beweislastumkehr bezüglich des haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs zwischen schwerem ärztlichen Pflichtverstoß und der Gesundheitsbeeinträchtigung des Patienten. Seit Anfang der achtziger Jahre ging der BGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der grobe Behandlungsfehler „Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr“ impliziere.61 Allerdings hat die Rechtsprechung selbst nie Gebrauch vom Spektrum der Beweiserleichterungen gemacht, sondern vielmehr in den Fällen des groben Behandlungsfehlers stets eine volle Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes angeordnet.62 In der Instanzenrecht55 Nüßgens, in: FS für F. Hauß, 287, 297 ff.; Baumgärtel / Wittmann, in: FS für K. Schäfer, 13, 18 ff.; RGRK-Nüßgens, § 823 Anh. II, Rdnr. 300. 56 Nüßgens, in: FS für F. Hauß, 287, 297 ff.; Baumgärtel / Wittmann, in: FS für K. Schäfer, 13, 18 ff. 57 BGH NJW 1968, 1185; RGRK-Nüßgens, § 823 Anh. II, Rdnr. 300. 58 BGH NJW 1988, 2949, 2950; BGH NJW 1994, 801, 803; BGH VersR 1995, 46, 47; jüngst wieder BGH NJW 2004, 2011, 2013. 59 BGH NJW 1988, 2949, 2950. 60 Giesen, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 410. 61 Überblick bei Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rdnr. 257; kritisch dazu Laumen, NJW 2002, 3739 ff.

IV. Die Beweislastumkehr infolge eines „groben Behandlungsfehlers“

143

sprechung sind schon seit längerem neuere Tendenzen zu beobachten, die wieder von einer echten Beweislastumkehr als Rechtsfolgenanordnung ausgehen63. In einer grundlegenden Entscheidung zu den Rechtsfolgen eines groben Behandlungsfehlers hat nun auch der BGH Abstand von der Rechtsfigur der „Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr“ genommen.64 4. Begründungsversuch der Beweislastsonderregel durch die h.M. Mittlerweile ist die Anwendung der Beweislastsonderregel zu Gunsten des „grob“ fehlerhaft behandelten Patienten ständige Rechtsprechung. Die verfahrensrechtlichen und praktischen Auswirkungen einer Beweislastumkehr sind insbesondere im Arzthaftungsrecht von nicht zu unterschätzender Tragweite. Wie oben bereits ausgeführt wurde65, ist die Beweisentlastung des Patienten regelmäßig mit dem für ihn positiven Ausgang des Verfahrens gleichzusetzen. Da die Beweislastumkehr jedoch nichts anderes als die Durchbrechung des Grundsatzes der uneingeschränkten Beweislast des Anspruchstellers bedeutet, bedarf sie trotz ständiger Rechtsprechung einer Legitimierung.66 Als Gesetzeskorrektur ist sie nur dann zulässig, wenn unter besonderen Voraussetzungen die dringende Notwendigkeit einer Abänderung der allgemeinen Beweislastverteilung erkennbar ist, der innere Grund einer speziellen Regel klar herausgearbeitet und in plausible Anwendungsvoraussetzungen umgemünzt wird.67 Zur Begründung seiner Rechtsprechung zum groben Behandlungsfehler führt der BGH folgende Argumente an: Nach Treu und Glauben könne wegen des Gewichtes des Behandlungsfehlers dem Patienten der Kausalitätsbeweis nicht zugemutet werden. Eine ärztliche Behandlung, die eindeutig gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstoße, trage Aufklärungserschwernisse in das eigentliche Behandlungsgeschehen hinein, die sich insbesondere auch auf die Feststellung der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursache auswirkten.68 Beweiserleichterungen bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers stellten keine Sanktion für besonders schweres Arztverschulden dar, sondern lieferten einen Ausgleich dafür, dass der grobe Behandlungsfehler wegen 62 Siehe bei Franzki, Die Beweisregeln im Arzthaftungsprozeß, S. 62 f.; Hausch, VersR 2002, 671, 677. 63 OLG Stuttgart, VersR 1991, 821; OLG Oldenburg, VersR 1994, 178, 179. 64 BGH NJW 2004, 2011 ff. 65 Siehe Kapitel 4 III. 3. c) cc). 66 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 460. 67 Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht, Rdnr. 450; Baumgärtel / Wittmann, FS für K. Schäfer, 13, 25. 68 BGH NJW 1983, 333, 334; BGH NJW 1988, 2949; siehe auch Müller, NJW 1997, 3049, 3052.

144

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

seiner besonderen Schadensneigung das Spektrum der für den Misserfolg in Betracht kommenden Ursachen verbreitert bzw. verschoben habe.69

5. Kritische Würdigung der Rechtsprechung Das Vorliegen eines „groben“ Behandlungsfehlers führte laut Rechtsprechung und h.M. in der Literatur grundsätzlich zu „Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr“. Stets fraglich war in diesem Zusammenhang, ob „Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr“ vereinbar sind mit dem Gebot der Rechtssicherheit und der Überprüfbarkeit juristischer Entscheidungen und ob die von der Rechtsprechung angeführten Billigkeitsüberlegungen eine Differenzierung zwischen einfachem und grobem Behandlungsfehler rechtfertigen. Zu ersterem hat sich der BGH jüngst in einer grundlegenden Entscheidung eindeutig unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung geäußert70, letzteres Problem hat er ihm Rahmen der Befunderhebungsfehler thematisiert und hier den einfachen Fehler für eine Beweislastumkehr ausreichen lassen.71

a) Differenzierung zwischen „einfachem“ und „grobem“ Behandlungsfehler Die oben dargestellten Argumente der Rechtsprechung überzeugen nicht. Weder begründen noch rechtfertigen sie eine Differenzierung zwischen „groben“ und „einfachen“ Behandlungsfehlern bei der Beweislastumkehr. Aus welchem Grund soll ein „grober“ Behandlungsfehler für mehr Aufklärungsschwierigkeiten sorgen als ein „einfacher“ Behandlungsfehler? Auch Letztgenannter führt vielfach dazu, dass sich ex post nicht feststellen lässt, wie der Verlauf bei fehlerfreier Behandlung gewesen wäre, so dass unklar bleibt, ob die Verletzung durch das streitgegenständliche ärztliche Versagen oder durch andere Ursachen entstanden ist. Die Aufklärungsschwierigkeiten des Patienten liegen in der Eigenart des menschlichen Organismus begründet. Dieser reagiert individuell unterschiedlich und ist nicht voll beherrschbar, was dazu führt, dass aufgrund der Unwägbarkeiten ein exaktes Nachvollziehen der Abläufe im Köper des Patienten häufig nicht möglich ist. Zwar hat ein grober Behandlungsfehler sicherlich eine erhöhte Schadensneigung, dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass er bei der Sachverhaltsaufklärung auch mehr Schwierigkeiten erzeugt.72 Eine solche Korrelation ist bis dato nicht empirisch belegt.73 BGH NJW 1983, 333. BGH NJW 2004, 2011, 2012. 71 BGH NJW 2004, 2011, 2013. 72 Graf, Die Beweislast bei Behandlungsfehlern im Arzthaftungsprozeß, S. 123. 73 Matthies, NJW 1983, 335; Mork-Spieß, Beweiserleichterungen im Behandlungsfehlerprozeß, S. 102 f. 69 70

IV. Die Beweislastumkehr infolge eines „groben Behandlungsfehlers“

145

Auch die allgemeine Begründung des BGH, die wertungsmäßige Grundlage der Beweislastumkehr bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers beruhe auf einer gerechten Interessenabwägung, ist nicht nachvollziehbar.74 Unter dem Gesichtspunkt, der Arzt müsse beweisrechtlich dafür einstehen, dass er durch seinen groben Behandlungsfehler eine Lage geschaffen habe, die nicht mehr erkennen lasse, ob der Behandlungsfehler oder andere Umstände schadensursächlich waren, nimmt der BGH zur Behebung der Beweisnot des Patienten die Beweisnot des Arztes in Kauf, weil bei ärztlichen Behandlungsfehlern von erheblichem Gewicht die Beweislast dem Patienten billigerweise nicht zugemutet werden könne.75 Mit diesen Billigkeitserwägungen begründet der BGH nicht etwa die Unterscheidung zwischen einfachem und grobem Fehlverhalten bei der Beweislastverteilung, sondern in Wahrheit stehen hinter ihnen die von der Rechtsprechung76 angeblich nicht verfolgten Sanktionsgedanken77. Derjenige Arzt, der gegen elementare Regeln der ärztlichen Kunst verstößt, soll sich nicht beschweren, wenn ihm beweisrechtlich Konsequenzen auferlegt werden. Es sieht so aus, als nehme auch der BGH langsam Abschied von der Differenzierung zwischen einfachem und grobem Behandlungsfehler. Anders ist es nicht zu verstehen, dass die Beweislastumkehr schon bei einem einfachen Befunderhebungsfehler zu Gunsten des Patienten greifen soll, wenn zugleich rein hypothetisch auf einen groben Behandlungsfehler zu schließen ist, weil sich wiederum nur rein hypothetisch bei der unterlassenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde. Zur Begründung führt der BGH an, in derartigen Fällen führe nämlich bereits das – nicht grob fehlerhafte – Unterlassen der gebotenen Befunderhebung wie ein grober Behandlungsfehler zu erheblichen Aufklärungsschwierigkeiten hinsichtlich des Kausalverlaufs.78

b) „Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr“ Im Falle des Vorliegens eines groben Behandlungsfehlers, der generell geeignet ist, die bestehende Gesundheitsbeeinträchtigung beim Patienten hervorgerufen zu haben, gewährte die Rechtsprechung bis zur jüngsten Entscheidung des BGH79 im Jahr 2004 „Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr“. Der Umfang der gewährten Beweiserleichterungen sollte davon abhängig gemacht werden, inBGH NJW 1967, 1508 ff. BGH NJW 1981, 2513, 2514. 76 Siehe Müller, NJW 1997, 3049, 3055. 77 Hanau, Kausalität der Pflichtwidrigkeit, S. 123 f.; ebenso Demberg, Jura 1987, 337, 339 – die von Poenalisierungsgesichtspunkten spricht. 78 BGH NJW 2004, 2011, 2013. 79 BGH N JW 2004, 2011 ff. 74 75

10 Heidelk

146

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

wieweit der Arzt durch die fehlerhafte Behandlung die nachträgliche Aufklärung des haftungsbegründenden Kausalzusammenhanges erschwert hatte.80 Praktisch hatte das zur Folge, dass die beweisrechtlichen Konsequenzen nach tatrichterlichem Ermessen je nach Einzelfall festgelegt werden sollten.81 Während die Rechtsprechung vom Spektrum der Beweiserleichterungen nie Gebrauch gemacht hat82, ist in der Literatur die „flexible“ Rechtsfolgenanordnung sowohl auf Zustimmung als auch auf Ablehnung gestoßen. Von den Befürwortern wurde angeführt, die reine Beweislastumkehr sei – insbesondere unter dem Aspekt, dass die volle Beweislastumkehr wegen der ebenfalls zu berücksichtigenden Beweisnot des Arztes83 nur als ultima ratio einzusetzen84 sei – ein zu unflexibles Instrumentarium der Beweisbelastung.85 Vom früheren Bundesrichter Walter Dunz, der die vorgenannte Formel entwickelt hatte, wurde die Abkehr von der nackten Beweislastumkehr einerseits mit der Gefahr begründet, dass sie aufgrund der unsicheren Abgrenzung des „groben“ Fehlers willkürlich werden könne86, und andererseits, dass dem Tatrichter damit ein „Instrumentarium“ zur Verfügung stehen würde, unbillige Störungen des Grundsatzes der Waffengleichheit in einer nach Lage des Falls billig erscheinenden Weise auszugleichen.87 Die ablehnenden Stimmen sahen in der flexiblen Handhabung der Beweiserleichterungen vor allem das Problem der Rechtsunsicherheit88, zumal sich die Rechtsprechung zu keinem Zeitpunkt dazu geäußert hat, welche Art der Beweiserleichterungen sie konkret meinte.89 Dieser Auffassung, welche jetzt durch die jüngste Entscheidung des BGH90 bestätigt wurde, ist zuzustimmen. Das Argument, die Beweislastverteilung trage anhand der konkreten Sachlage durch tatrichterliBGHZ 72, 132, 136 f. Siehe Katzenmeier, Arzthaftung, S. 468; Katzenmeier, JZ 2004, 1030 f. 82 Hierzu Kapitel 5 IV. 3.; vgl. Franzki, Die Beweisregeln im Arzthaftungsprozess, S. 62 ff. 83 Baumgärtel-Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht Bd. 1, § 823 Anh. C II, Rdnr. 22. 84 Franzki, Die Beweisregeln im Arzthaftungsprozeß, S. 62. 85 Siehe jüngst Hausch, VersR 2002, 671, 676 ff. – Der sich ausdrücklich für eine flexible Handhabung der Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr ausspricht. Er schlägt vor, Wahrscheinlichkeitserwägungen bei der Beweislastverteilung mit zu berücksichtigen. „Ist der Ursachenzusammenhang nach medizinisch-wissenschaftlicher Einschätzung wahrscheinlicher als 50%, so gilt der Nachweis der Kausalität als erbracht. Ist die Wahrscheinlichkeit geringer, so fehlt der Nachweis der Kausalität. Ist eine Wahrscheinlichkeit nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu bestimmen, so geht dies zu Lasten der Behandlungsseite und eine Beweislastumkehr greift ein.“ 86 Dunz, Aktuelle Fragen zum Arzthaftungsrecht, S. 54. 87 Dunz, Aktuelle Fragen zum Arzthaftungsrecht, S. 59. 88 Laumen, NJW 2003, 3739, 3744; Laufs-Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 110 Rdnr. 3; Baumgärtel-Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht Bd. 1, § 823 Anh. C II, Rdnr. 4; RGRK-Nüßgens, § 823 Anh. II, Rdnr. 297. 89 Ausführlich bei Katzenmeier, Arzthaftung, S. 468. 90 BGH NJW 2004, 2011 ff. 80 81

IV. Die Beweislastumkehr infolge eines „groben Behandlungsfehlers“

147

ches Ermessen für die notwendige Einzelfallgerechtigkeit Sorge, war schon aus Gründen der Rechtssicherheit unbrauchbar. Außerdem war die Formel „Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr“ begrifflich falsch und irreführend. Sie suggerierte den Eindruck, das Gericht könne zur Linderung einer im Einzelfall bestehenden Beweisnot aus einem Katalog von Hilfsmitteln auswählen.91 Beweiserleichterungen, die im Rahmen der Beweiswürdigung eine Rolle spielen, hätten aber von der Beweislastumkehr strikt getrennt werden müssen.92 Die Beweiswürdigung stellt eine auf den konkreten Sachverhalt bezogene Tatfrage dar, während die Beweislastverteilung abstrakt-generell durch den Gesetzgeber oder im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung normiert werden muss.93 Aus dem Gebot der Rechtssicherheit, welches eine von vornherein feststehende, d. h. bereits vor Beginn des Prozesses, Verteilung der objektiven94 Beweislast erfordert, folgt, dass es gerade nicht dem Gericht nach Belieben überlassen bleiben darf, ob im Einzelfall eine bloße Beweiserleichterung oder eine Beweislastumkehr eingreifen soll.95 Der BGH führt in der bereits erwähnten grundlegenden Entscheidung96 nunmehr auch aus, dass dem Begriff der „Beweiserleichterungen“ gegenüber der Beweislastumkehr keine eigenständige Bedeutung zukomme. Soweit es in einigen Entscheidungen heiße, dass das Ausmaß der dem Patienten zuzubilligenden Beweiserleichterungen im Einzelfall danach abzustufen sei, in welchem Maße wegen der besonderen Schadensneigung des Fehlers das Spektrum des Misserfolgs in Betracht kommenden Ursachen verbreitert oder verschoben worden sei, betreffe dies die Schadensneigung des groben Behandlungsfehlers, also die Frage seiner Eignung, die Gesundheitsverletzung97 herbeizuführen. Insofern gehe es um die Bewertung und beweisrechtlichen Konsequenzen eines groben Behandlungsfehlers im konkreten Einzelfall.

6. Kritische Würdigung dogmatischer Begründungsversuche der Beweislastsonderregel in der Literatur Während die angeführten Gründe des BGH für die Beweislastumkehr beim groben Behandlungsfehler nicht über reine Billigkeitsargumente hinausgehen98, die Zöller-Greger vor § 284 Rdnr. 22. Ausführlich dazu Laumen, NJW 2003, 3739 ff.; Müko–ZPO–Prütting, § 286 Rdnr. 6 ff. 93 Siehe Laumen NJW 2003, 3739, 3744. 94 Zur Differenzierung zwischen objektiver Beweislast (Feststellungslast) und subjektiver Beweislast (Beweisführungslast) siehe ausführlich Laumen, NJW 2003, 3739, 3741 ff., siehe auch Schmidt, JuS 2003, 1007. 95 Laumen, NJW 2003, 3739, 3744; siehe auch Schmidt, JuS 2003, 1007, 1010 – zum generalisierbaren, von Umständen des Einzelfalls unabhängigen System der Beweislastverteilung. 96 BGH NJW 2004, 2011, 2012. 97 Der BGH spricht auch hier wieder von Gesundheitsschaden. 91 92

10*

148

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

jeglicher dogmatischer Grundlage entbehren99, wurde in der Literatur verschiedentlich der Versuch unternommen, die beweisrechtliche Modifikation dogmatisch aus anderen Bereichen des Prozessrechts herzuleiten. Franzki100 unterbreitet zu diesem Zweck den Vorschlag, Rückgriff auf die Grundsätze der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen zu nehmen. Die Gründe für die Gefahrenbereichstheorie, nämlich die Beweisnot des Geschädigten und die Schadensnähe des potentiellen Schädigers, träfen ebenso wie bei der Produzentenhaftung auch bei der ärztlichen Behandlungsfehlerhaftung zu. Problematisch ist bei dem Lösungsvorschlag von Franzki vor allem die Rechtsfolge bei der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen. Sie bezieht sich auf eine Umkehrung der Beweislast hinsichtlich des Verschuldens.101 Da beim groben Behandlungsfehler aber eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Kausalzusammenhangs begründet werden soll, kann die Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen nicht als Erklärung dienen. Hanau102 versucht die Beweisschwierigkeiten des Patienten bereits im Rahmen der Beweiswürdigung zu beheben. Durch eine extensive Anwendung des § 287 ZPO auf die haftungsbegründende Kausalität soll bereits die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs ausreichen, um diesen als bewiesen anzusehen. Eine Beschränkung der Beweislastumkehr auf den groben Behandlungsfehler sieht Hanau nicht vor, so dass seine These aus diesem Grund bereits keine Erklärung für die Beweislastumkehr, gerade beim groben Behandlungsfehler, bietet. Weitere Begründungsansätze103, auf welche an dieser Stelle – weil sie im Siehe Kapitel 5 IV. 3. Kleinwerfers / Wilts, VersR 1967, 617, 625; Hanau, Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, S. 132 ff.; Hoffmann, NJW 1974, 1641, 1644; J. Schmidt, JuS 1975, 430, 434 f.; Reinecke, Die Beweislastverteilung im Bürgerlichen Recht und im Arbeitsrecht als rechtspolitische Regelungsaufgabe, 143 ff.; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 683 f. 100 Franzki, Die Beweisregeln im Arzthaftungsprozeß, S. 67 ff. 101 Auch die Verfasser des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes haben die Beweislastverteilung nach Gefahren und Verantwortungsbereichen nicht verstanden: In der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es, „die Beweislast für die Pflichtverletzung trage grundsätzlich der Gläubiger, wobei ihm jedoch unter dem Gesichtspunkt der Sphärentheorie Beweiserleichterungen zugute kommen könnten. Erst anschließend sei es entsprechend der früheren §§ 282, 285 BGB a. F. Sache des Schuldners, sich durch den Nachweis zu entlasten, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten habe. § 280 Abs. 1 BGB enthalte damit eine Verallgemeinerung des früheren § 282 BGB.“ – abgedruckt in Canaris, Schuldrechtsreform, S. 1008. Richtigerweise war es nach altem Recht bei der Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen so, dass es grundsätzlich bei der Beweislast des Anspruchstellers für den objektiven Tatbestand der Pflichtverletzung einschließlich der Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden blieb. Erst wenn dieser Beweis gelungen war, kam entsprechend § 282 BGB a. F. eine Umkehr der Beweislast in Betracht, vorausgesetzt, die feststehende Ursache des Schadens stammte aus dem Gefahrenbereich des Schuldners – siehe Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, S. 349 ff. m. w. N. 102 Hanau, NJW 1968, 2291 f.; ders., Kausalität der Pflichtwidrigkeit, S. 138 ff. 103 Stoll, in: FS für v. Hippel, 517, 550 ff. – unter dem Aspekt der Beweisvereitelung; Franzki, Die Beweisregeln im Arzthaftungsprozeß, S. 67 ff. – Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen; Gaupp, Beweisfragen im Rahmen ärztlicher Haftungsprozesse, S. 92 – zieht 98 99

IV. Die Beweislastumkehr infolge eines „groben Behandlungsfehlers“

149

Ergebnis nicht weiterführend sind – nicht weiter eingegangen werden soll, hat in neuester Zeit Graf104 eingehend untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sämtliche Erklärungsversuche, die Beweislastumkehr im Falle eines groben Behandlungsfehlers dogmatisch anderen im Zivilrecht anerkannten Prinzipien105 unterzuordnen, gescheitert sind. Der Befund Hans Stolls106, dass in der Rechtsprechung und Lehre nach wie vor wenig Klarheit über den legitimen Bereich der Beweiserleichterungen besteht, und dort, wo eine echte Beweislastumkehr sich unzweifelhaft durchgesetzt hat, wie bei der groben Verletzung ärztlicher Berufspflichten, die Rechtfertigung für diese Beweislastverteilung bis heute nicht recht gelungen ist, ist mithin noch immer zutreffend und sollte m.E. – entgegen der derzeitigen Auffassung in der Literatur107, trotz der Schuldrechtsreform alles beim Alten zu belassen – Anlass zu Überlegungen hinsichtlich der Beweislastverteilung im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB geben.

7. Fazit Die Rechtsprechung hat mit der Beweislastsonderregel des groben Behandlungsfehlers vorbei am Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die bereits mit den Grundpositionen der Rechtsordnung nicht in Einklang zu bringen ist. Das gilt auch bei der Reduktion lediglich auf die Beweislastumkehr.108 Sie stellt einen „Fremdkörper“ im alten aber auch im geltenden Recht dar; eine Rechtsdurchbrechung, die sich auf nichts anderes als das Rechtsgefühl stützt.109 Weder der Rechtsprechung noch der Literatur ist es in der Vergangenheit gelungen, überzeugend – von einer dogmatischen Grundlage ganz abgesehen – zu begründen, weshalb die Beweislastumkehr im Behandlungsfehlerprozess vom Vorliegen eines „groben“ Behandlungsfehlers abhängig sein soll. Zur Wahrung sowohl des Gebots des fairen Verfahrens als auch der „Waffengleichheit“ im Prozess erfolgt die Beweislastumkehr zu Gunsten des Patienten. Ihre Koppelung an den „groben“ Behandlungsfehler, welche die Parallele zur Beweislastverteilung bei Verstößen gegen Schutzgesetze oder Unfallverhütungsvorschriften und versucht darüber hinaus die Beweislastumkehr damit zu erklären, dass die mit dem Beweisrisiko des Patienten verbundene Prozessgefahr als materieller Schaden anzusehen sei; Hanau, NJW 1968, 2291 f.; ders., Kausalität der Pflichtwidrigkeit, S. 138 ff. – Beweislastumkehr nach den für den Beweis der Reserveursachen geltenden Grundsätzen; Kegel, in: FS für Kronstein, 339 – Wahrscheinlichkeitsprinzip als Begründung für die Beweislastverteilung des BGH. 104 Graf, „Die Beweislast bei Behandlungsfehlern im Arzthaftungsprozess“, S. 128 ff.; vgl. auch Katzenmeier, Arzthaftung, S. 459 ff. 105 Siehe vorstehende Fußnote. 106 Stoll, in AcP 176 (1976), 145, 147. 107 Ausführlich dazu Kapitel 4 III. 3. b) und vgl. auch Kapitel 4 III 3. c) aa). 108 Seit jüngst BGH NJW 2004, 2011 ff. 109 Auch Sick, Beweisrecht im Arzthaftungsprozess, S. 106.

150

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

nunmehr durch die neue Entscheidung des BGH110 aufgeweicht wurde, wonach unter bestimmten hypothetischen Voraussetzungen schon ein einfacher Befunderhebungsfehler zur Beweislastumkehr führen soll, hat zu einer großen Rechtsunsicherheit geführt. Für den Patienten als medizinischen Laien ist es im Vorfeld des Prozesses nur schwer absehbar, ob das Gericht von einem groben Behandlungsfehler oder einem einfachen Befunderhebungsfehler, von dem wiederum auf einen groben Behandlungsfehler zu schließen ist, ausgehen wird und er somit seinen Schadensersatzanspruch infolge der Beweislastumkehr durchsetzen kann. Das finanzielle Risiko ist für ihn infolgedessen kaum kalkulierbar. Auch für den in Anspruch genommenen Mediziner ist die mangelnde Vorhersehbarkeit kaum zu ertragen: Zwar sieht er sich i.d.R. aufgrund der vorhandenen Berufshaftpflichtversicherung keinem finanziellen Risiko ausgesetzt, aber die Unsicherheit eines „groben“ Behandlungsfehlers bezichtigt zu werden, dass heißt in nicht mehr verständiger Weise behandelt zu haben, kann auch für ihn zu einer nicht zu unterschätzenden Belastung und damit zur Einschränkung seiner beruflichen Leistungsfähigkeit führen. Dennoch will die h. M. in der Literatur111 – obwohl schon die Struktur des § 280 Abs. 1 BGB mit den Fällen der nichterfolgsbezogenen Dienstleistungshaftung nicht vereinbar ist, die Behandlungsfehlerhaftung ohne Tatbestand und ohne ein konturiertes Rechtsgut, auf welches sich die ärztlichen Behandlungspflichten beziehen, auskommen muss112 – die Beweislastsonderregel unverändert unter der neuen Norm des § 280 Abs. 1 BGB anwenden. Dies ist nicht nachvollziehbar.

V. Ein Lösungsansatz zur Umdeutung von § 280 Abs. 1 BGB – de lege lata 1. Einleitung Angesichts der nicht als Haftungstatbestand mit Vermutungscharakter konstruierbaren Gesundheitsbeeinträchtigung 113 benötigt § 280 Abs. 1 BGB eine grundlegende Umdeutung. Denkbar wäre es, als „Haftungsaufhänger“ i.S. des § 280 Abs. 1 BGB, ebenso wie bei der sonstigen Dienstleitungshaftung114, das Verhalten – die standardwidrige ärztliche Behandlung – zu deklarieren.

110 111 112 113 114

BGH NJW 2004, 2011 ff. Gerichtliche Entscheidungen zur neuen Rechtslage sind noch keine ergangen. Siehe Kapitel 4 II. 2. Siehe Kapitel 4 III. 3. c) aa). Siehe Kapitel 4 II. u. III.

V. Ein Lösungsansatz zur Umdeutung von § 280 Abs. 1 BGB – de lege lata

151

2. „Haftungsaufhänger“: Standardwidrige Behandlung Im Rahmen der Behandlungsfehlerhaftung lässt sich im Regelfall einzig der Behandlungsfehler mit Sicherheit feststellen. Die „Gesundheitsverletzung“ kann nur vermutet werden115 und über den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang muss wegen der kaum aufzuklärenden und konkurrierenden Ursachenverläufe – der vom Arzt gesetzten und der Patientenkausalität – im Wege der Beweislastverteilung entschieden werden116. Diese Situation – die Arzthaftung muss ohne feststehenden Tatbestand auskommen117 – ist einzigartig. Bei der ebenfalls nichterfolgsbezogenen Anwaltshaftung, die oben exemplarisch angeführt wurde118, ist es in der Regel möglich, ex post im Wege eines Vergleichs zwischen dem Ist-Ergebnis nach fehlerhafter rechtlicher Beratung und dem hypothetischen Soll-Ergebnis nach fehlerfreier Beratung zu rekonstruieren, ob ein Kausalzusammenhang gegeben ist.119 Dieses Wissen kann bei der Behandlungsfehlerhaftung im Regelfall nicht erlangt werden.120 Einzig sinnvoller Anknüpfungspunkt für die ärztliche Verantwortlichkeit im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB ist in Anlehnung an die sonstige Dienstleistungshaftung und die obigen Ausführungen121 die standardwidrige Behandlung. Dem Patienten obliegt danach die Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers des Arztes. Zu differenzieren ist dabei bezüglich der vom Patienten zu erbringenden Sachverhaltsdaten – gemeint sind die singulären Daten des Einzelfalls – und denjenigen Tatsachen, deren Kenntnis das Gericht zur Aufbereitung der Norm benötigt.122 Das von der Literatur entwickelte Normtatsachenkonzept123 ergänzt insoweit den klassischen Verhandlungsgrundsatz und dient darüber hinaus der Abgrenzung von Parteilasten und Ermittlungsverantwortung des Gerichts.

Siehe Kapitel 3 III. 2. und 4. Siehe Kapitel 4 III. 3 c) cc) und Kapitel 5 IV. 117 Ausführlich Kapitel 4 III. 3. c) bb). 118 Siehe Kapitel 4 III. 2. 119 Siehe Kapitel 4. III. 2. c). 120 Ausführlich Kapitel 4 III. 3. c) cc), Kapitel 3 I. u. II. 121 Siehe Kapitel 4 II. 2. und III. 3. 122 Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 29 ff., 34 – zeigt auf, dass eine solche Differenzierung zwischen der Ermittlung des jeweiligen medizinischen Standards und der Tatsachenfeststellung, die die Beurteilung für ein Abweichen des behandelnden Arztes vom Sorgfaltsstandard im konkreten Fall ermöglicht, durch die Rechtsprechung nicht vorgenommen wird. 123 Entwickelt wurde der Begriff von Schmidt, RuP 1980, 106 ff.; ders., in: Festschrift für Wassermann, 807 ff.; siehe auch Rüßmann, KritV 1991, 402, Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß; Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 98 ff. 115 116

152

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

Der Entscheidung, ob ein ärztlicher Behandlungsfehler gegeben ist, liegt ein doppelter Wertungsakt124 des Gerichts zugrunde: In einem ersten Schritt ist der medizinische Standard zu ermitteln und festzulegen. Die Würdigung des konkreten Einzelfalls erfolgt anschließend in einem zweiten Schritt. Sich diese Differenzierung der beiden Ebenen vor Augen zu führen, ist für die nachfolgende Betrachtung hinsichtlich der Beweisbelastung des Patienten von erheblicher Bedeutung. Sie bildet die Basis für das Normtatsachenkonzept, welches zwischen „Subsumtionstatsachen“125 und „Normtatsachen“ unterscheidet. Bei Ersteren handelt es sich um Tatsachen, die den individuellen, singulären Faktenkonflikt der Parteien betreffen.126 Demgegenüber geht es bei Normtatsachen um generelle, fallübergreifende Daten, die als Grundlage für die Schaffung des Rechts zur Komplettierung eines offenen Rechtsprogrammes dienen und für eine Vielzahl von Fällen gelten.127 Das Spezifikum von Normtatsachen ist ihr zukunftsgewendeter Einsatz im Gegensatz zu den Subsumtionstatsachen, die an der gegenläufigen justiziellen Retrospektive teilnehmen.128

a) Standardfeststellung als Programmierungsfaktor Der medizinische Standard129 bestimmt sich gemäß § 276 Abs. 2 BGB nach der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“. Bei § 276 Abs. 2 BGB handelt es sich um einen sog. Normtatsachentatbestand, eine Norm, die der Gesetzgeber zwecks einer flexiblen Verhaltenssteuerung offen formuliert hat.130 Bevor ein Streitfall entschieden werden darf, besteht die Notwendigkeit der Konkretisierung der Normen durch das Gericht.131 Die Konkretisierung der von § 276 Abs. 2 BGB geforderten „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ erfolgt für den Bereich der Behandlungsfehlerhaf124 Siehe ausführlich bei Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß, S. 36 und S. 56 ff., zu den Stufen der Subsumtion bei ärztlichen Behandlungsfehlern. 125 Begriff von Seiter, in: Festschrift für Bauer, 573 ff. 126 Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß, S. 205. 127 Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 99; Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß, S. 40; Danner, Justizielle Risikoverteilung, S. 343. 128 Schmidt, in: Festschrift für Wassermann, S. 807, 811.; Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 99. 129 Zum Begriff des medizinischen Standards – Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 36 ff.; In der Literatur wird der medizinische Standard ganz überwiegend wie folgt definiert: „Standard in der Medizin repräsentiert den jeweiligen Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlicher Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat.“ – Nachweise, siehe bei Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 41. 130 Siehe Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß, S. 21 ff. mit weiteren Beispielen für offene Rechtsprogramme. 131 Fabarius, Äußere und Innere Sorgfalt, S. 78; Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß, S. 39 f.

V. Ein Lösungsansatz zur Umdeutung von § 280 Abs. 1 BGB – de lege lata

153

tung durch die Ermittlung und Festlegung des medizinischen Standards.132 Die Erlangung der betreffenden Kenntnis dient der Normaufbereitung; ihr Gegenstand sind deshalb Normtatsachen, ohne deren Feststellung dem Gericht die konkrete Normauslegung und danach die Normanwendung auf den konkreten Einzelfall nicht möglich ist.133 Erst im Anschluss an die Konkretisierung des § 276 Abs. 2 BGB ist die Subsumtion des streitbefangenen Lebenssachverhaltes möglich.134 Denn solange der medizinische Standard für die durchgeführte Behandlung dem Gericht nicht bekannt ist, ist dieses nicht in der Lage zu beurteilen, ob die fragliche Behandlung der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ entsprochen hat. Der medizinische Standard besitzt Tragweite über den konkreten Behandlungsfall hinaus als Maßstab für zahlreiche weitere Fälle. Durch ihn werden nicht nur die Leistungsanforderungen für den Einzelnen, sondern zukunftsgerichtete Anforderungen an jedermann formuliert.135 Die Ermittlung des medizinischen Standards dient der Komplettierung des Rechtsprogramms auf der Obersatzebene. Deshalb ist der Vorgang der Ermittlung und Bewertung von Normtatsachen Teil der Feststellung des jeweiligen Rechtssatzes. Da die Rechtssatzfeststellung zur rechtsprechenden Tätigkeit der Gerichte im Sinne des Art. 92 Hs. 1 GG gehört, sind sie und nicht die Parteien für die Normtatsachenermittlung und -bewertung zuständig.136 Im Zusammenhang mit der Erhebung von Normtatsachen kann es nicht zu Beweislastentscheidungen kommen. Das Denken nach Darlegungs-, Beweisführungs- und Beweislastregeln137 ist bei der Gewinnung von Normtatsachen unangebracht.138 Die beiden erstgenannten Risikokategorien sind der Vorstellung von der Privatheit des jeweiligen Einzelfalls geschuldet, die gerade bei den Normtatsachen keine Rolle spielt. Darüber hinaus passen aber auch die Folgen für den Fall eines non-liquet nicht, da bei verbleibender normtatsächlicher Offenheit keine verbindlichen Regeln dafür zur Verfügung stehen, wer die entsprechenden Nachteile hinzunehmen hat.139 Das Einräumen einer Nichtfeststellbarkeit wäre das Eingeständnis des Gerichts, die fragliche Norm nicht auslegen und korrekt anwenden zu können.140 Dies ist jedoch wegen des justiziellen „Entscheidungsdiktats“ nicht gestattet.141 Demzufolge ist das Gericht verpflichtet, alles daran zu Ausführlich dazu, Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 98 ff. Schmidt, in: Festschrift für Wassermann, 807, 812 f.; AK-ZPO-Schmidt, Einl. Rdnr. 79. 134 Sander, Normtatsachen im Zivilprozess, S. 25, 39; siehe auch Meinecke, Haftungskriterien für Injektionsschäden, S. 73 f. 135 Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 104. 136 Sander, Normtatsachen im Zivilprozess, S. 177 ff . 137 Differenziert zu den Begrifflichkeiten Beweislast, Beweisführungslast Laumen, NJW 2002, 3739 ff. 138 Schmidt, RuP 1980, 106, 109; AK-ZPO-Schmidt, Einl. Rdnr. 80. 139 Ebda. 140 Schmidt, RuP 1980, 106, 110; AK-ZPO-Schmidt, Einl. Rdnr. 80. 141 AK-ZPO-Schmidt, Einl. Rdnr. 80. 132 133

154

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

setzen, die Daten, die es zur Operationalisierung des „Obersatzes“ benötigt, zu beschaffen und bei Vagheiten selbst dann zu entscheiden, wenn Zuordnungszweifel zurückbleiben.142 Dies kann im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses durchaus auch zu der Erkenntnis des Gerichts führen, dass es einen Standard nicht gibt.143 Auch diese Feststellung enthält eine normative Aussage, so dass im Ergebnis der normative Satz nicht offen gelassen wird.

b) Standardunterschreitung als vom Patienten nachzuweisendes Einzelgeschehen Hat das Gericht im Wege der Amtsermittlung144 den medizinischen Standard festgestellt, obliegt dem Patienten der Nachweis, dass in seinem individuellen Fall die ärztliche Behandlung eben diesem Standard nicht entsprochen hat. Im Gegensatz zu den zuvor behandelten Normtatsachen, ist hier die Rede von den „Subsumtionstatsachen“, die den sog. Untersatz im Justizsyllogismus bilden. Gemeint sind die singulären Daten des jeweiligen Einzelfalls.

aa) Darlegung und Beweis eines Behandlungsfehlers Die Beweisführung hinsichtlich des Behandlungsfehlers im Einzelfall ist dem Patienten im Haftungsprozess als Laien der Materie und aufgrund der Tatsache, dass er in einer Vielzahl von Fällen das Behandlungsgeschehen nicht bei Bewusstsein verfolgen konnte145, in der Regel nur möglich, wenn Unterlagen über den Behandlungsverlauf, wie z. B. Operationsberichte, EKG, Röntgenaufnahmen, Krankenblätter, Patientenkarteien u. a. vorliegen.146 Aus diesem Grund knüpft die Rechtsprechung an die Verletzung von Dokumentationspflichten 147 (d. h. wenn ein Arzt die dem Patienten obliegende Beweisführung dadurch erschwert oder vereitelt, dass er aufzeichnungspflichtige medizinische Maßnahmen in den Krankenunterlagen pflichtwidrig nicht aufzeichnet148, Befunde nicht sichert oder Beweismittel später herstellt oder beseitigt149 oder vorhandene Krankenunterlagen manipuEbda; Velten, Der medizinische Standard, S. 114 ff. Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozess, S. 114 f. 144 Welche Anstrengungen das Gericht zur Standardfeststellung vorzunehmen hat, siehe bei Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 109 ff. 145 Siehe Kapitel 5 III. 1. 146 Zur rechtlichen Fundierung der ärztlichen Dokumentationspflicht und des Einsichtsrechts des Patienten, siehe Katzenmeier, Arzthaftung, S. 472. 147 Die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen und Verlaufsdaten der Behandlung sind zu dokumentieren – Bollweg / Brahms, NJW 2003, 1505, 1509; Bergmann, Die Arzthaftung, S. 153 ff. 148 BGHZ 99, 391, 396. 149 BGHZ 72, 132, 139; BGHZ 99, 391, 396. 142 143

V. Ein Lösungsansatz zur Umdeutung von § 280 Abs. 1 BGB – de lege lata

155

liert150) Beweiserleichterungen an.151 In solchen Fällen schließt das Gericht vom Fehlen der aufzeichnungspflichtigen Maßnahme in den Krankenunterlagen auf deren Ausbleiben und nimmt damit einen Behandlungsfehler als gegeben an.152 Aber selbst die Maßnahmen, die er beobachtet oder die er im Prozess nach Vorlage der Krankenunterlagen dokumentiert findet, können in der Regel weder der Patient noch sein Rechtsanwalt – mangels medizinischen Sachverstandes – in angemessener Weise beurteilen.153 Schon eine exakte Darlegung und der Nachweis eines möglichen Behandlungsfehlers fallen dem anspruchstellenden Patienten daher meist extrem schwer. Der BGH hat mit Rücksicht auf diese Beweisnot des Patienten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass an dessen Substantiierung einer Fehlerbehauptung nicht allzu große Anforderungen gestellt werden dürfen.154 Für den Patienten bedeutet das mithin, dass er trotz seiner Entfernung zum Geschehen und seiner Laienstellung eine reale Chance hat, den Nachweis eines Behandlungsfehlers zu führen. In der Regel wird er sich hierzu eines medizinischen Sachverständigen bedienen, der die Unterlagen der ärztlichen Dokumentation auswertet.

bb) Die Rolle des medizinischen Sachverständigen Weitere Schwierigkeiten bei der Beweisführung treten für den Patienten im Zusammenhang mit den im Arzthaftungsprozess zur Tatsachenfeststellung in aller Regel erforderlichen, medizinischen Sachverständigen auf.155 Das Gericht kann als medizinischer Laie eine rechtliche Entscheidung, ob eine Behandlung entsprechend dem Standard erfolgt ist, ohne sachverständige Beratung meist nicht zuverlässig treffen.156 Nur der Sachverständige ist aufgrund seiner wissenschaftlichen Qualifikation und seiner praktischen Erfahrung in der Lage, den Stand der medizinischen Wissenschaft in den entsprechenden Behandlungsgebieten zu beschreiben.157 Die wertende Entscheidung, ob ein Behandlungsfehler vorliegt, ist dann zwar wieder Sache des Gerichts, sie muss aber auf tatsächlichen Anhaltspunkten 150 151

BGH VersR 1961, 421, 422; OLG Frankfurt VersR 1992, 578, 579. Grundlegend zur ärztlichen Dokumentation, siehe Wendt, Die ärztliche Dokumen-

tation. 152 BGH NJW 1989, 2230, 2331; OLG Karlsruhe VersR 1989, 852, 853; siehe auch Frahm / Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 125. 153 Giesen, Jura 1981, 10, 20. 154 BGH NJW 1978, 1681, 1682, BGH NJW 1981, 630; BGH VersR 1981, 752; BGH VersR 1982, 168, 169. 155 Ausführlich zu den praktischen Problemen des Sachverständigenbeweises siehe, Stegers / Hansis / Alberts / Scheuch, Der Sachverständige im Arzthaftungsrecht, Rdnr. 1 ff. – mit einer ausführlichen Besprechung von Entscheidungen zu diesem Problemfeld, Rdnr. 839 ff. 156 Hart, MedR 1998, 8; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 282. 157 Uhlsenheimer, MedR 1992, 127, 129.

156

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

beruhen, die sich in aller Regel aus der sachverständigen Bewertung des Behandlungsgeschehens ergeben werden.158 Der Sachverständige hat im Prozess mithin eine einflussreiche Position, die so weit führt, dass in einigen Fällen aus dem Richtergehilfen ein „Beherrscher“ des Gerichts geworden ist.159 Gerade diese Position des Sachverständigen kann für den klagenden Patienten zu einem nicht unerheblichen Nachteil gereichen. Denn auch heute noch lassen sich Sachverständige gelegentlich von einer unterschwelligen Standessolidarität beeinflussen, die dazu führen kann – häufig sogar unbewusst – Ermessensspielräume im Sinne einer vorfixierten Tendenz auszunutzen.160 Der medizinische Sachverständige urteilt über Behandlungsmethoden und deren Durchführung, die er in aller Regel auch selbst vornimmt.161 Ein Vergleich mit der eigenen, unter Umständen nicht immer ausreichenden, Sorgfalt ist naheliegend und kann den Sachverständigen zu einer Verteidigung des in Anspruch genommenen Arztes veranlassen.162 Darüber hinaus erwachsen Schwierigkeiten aus der unterschiedlichen Herangehensweise des Sachverständigen als Natur- und zugleich Humanwissenschaftler und dem Haftungsrecht als normativem Fach auf der anderen Seite. Während die Medizin in der Diagnostik und Therapie mit statistischen Wahrscheinlichkeiten aufgrund von Fallstudien, Metaanalysen oder sonstigen Erfahrungswissen arbeitet, verlangt die sachverständige Begutachtung im Arzthaftungsprozess eine Einzelfallbetrachtung, ohne Erfahrungswissen außen vor zu lassen. Statistische Erkenntnisse lassen aber offen, ob in casu dieser oder jener Verlauf anzunehmen ist.163 Der BGH versucht diesen Problemen entgegenzuwirken, indem er mehrfach darauf hingewiesen hat, dass Auskünfte von Sachverständigen vom Richter kritisch auf ihre Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit zu überprüfen164 und notfalls zur weiteren Klärung des Sachverhaltes Zweitgutachten einzuholen seien.165 Darüber hinaus legt der BGH großen Wert auf die Befugnis des Gerichts und der Parteien, den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung zu befragen,166 da Belastendes im schriftlichen Gutachten häufig nicht direkt, sondern nur zwischen den Zeilen ausgeführt wird und in der mündlichen Verhandlung die Gutachter oftmals wesentlich direkter in ihren Äußerungen sind.167 158 Ständige Rechtsprechung siehe nur BGH MedR 1996, 517; BGH NJW 1996, 2428; NJW 1997, 798. 159 Hirsch / Graf-Baumann, in: Laufs / Dierks / Wienke / Graf-Baumann / Hirsch, Die Entwicklung der Arzthaftung, S. 300. 160 Franzki H., MedR 1994, 172, 174; Dunz, Zur Praxis der zivilrechtlichen Arzthaftung unter Berücksichtigung der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, S. 27. 161 Giesen, Arzthaftungsrecht, Rdnr. 398. 162 Ebda. 163 Stegers, VersR 2000, 419, 421. 164 BGH NJW 1989, 2322; BGH VersR 2003, 1128, 1129. 165 BGH NJW 1994, 1596; BGH NJW 1996, 1597; BGH VersR 1997, 191. 166 BGH NJW 1980, 2751; BGH NJW 1983, 340; BGH VersR 2003, 1128, 1129.

V. Ein Lösungsansatz zur Umdeutung von § 280 Abs. 1 BGB – de lege lata

157

c) „Generelle Eignung“ im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB Steht der Behandlungsfehler fest, muss als weitere Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch des Patienten die „generelle“ Eignung des Behandlungsfehlers zur Herbeiführung der eingetretenen Verletzung gegeben sein.168 Das Kausalitätserfordernis gehört zu den wichtigsten Bestandteilen der zivilrechtlichen Haftungsordnung.169 Nur bei ursächlicher Verknüpfung einer Handlung mit der Verletzung sowie dem nachfolgenden Schaden, haftet im Grundsatz der Handelnde dem Geschädigten auf Schadensersatz.170 Keinen Unterschied macht es, ob Verschuldens- oder Gefährdungshaftung in Rede steht. In beiden Fällen ist die Kausalität Anspruchsvoraussetzung. In den Naturwissenschaften herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass Aussagen zur Kausalität nur möglich sind, wenn zunächst abstrakte Kausalitätsfeststellungskriterien festgelegt wurden, bei deren Erfüllung ein Kausalitätsnachweis bzw. eine konkrete Aussage zur Kausalität zulässig sein soll.171 Von der Kausalitätsfeststellung im Einzelfall, der konkreten Kausalität172, ist daher die Festlegung von Entscheidungsmaßstäben zur Kausalitätsfeststellung, die sog. generelle173 Kausalität, zu unterscheiden.174 Letztere meint die generelle Nachweisbarkeit eines Ursachenzusammenhangs, erstere die individuelle Verknüpfung bestimmter Ereignisse. Die „generelle“ Kausalität verlangt, dass ein schädigendes Verhalten überhaupt geeignet sein muss, Verletzungsfolgen der Art hervorzurufen, wie sie im Einzelfall geltend gemacht werden.175 Einerseits fordert die „generelle“ Kausalität damit eine bestimmte abstrakte Beziehung der Einwirkung zur Verletzung. Andererseits wird auf die Überzeugung tatsächlich kausaler Verknüpfung in einem konkreten Fall noch verzichtet.176 Konkret auf die ärztliche Behandlungsfehlerhaftung bezogen bedeutet das, dass der fragliche Behandlungsfehler nicht immer zu einer „Gesundheitsverletzung“ beim Patienten führen muss, sondern es genügt, wenn die Verletzung als Folge des Behandlungsfehlers auftreten kann.177 167 BGH VersR 2003, 1128, 1129 – wobei es in dieser Entscheidung entgegengesetzt war: Der Sachverständige relativierte in der mündlichen Verhandlung seine schriftlich geäußerte Einschätzung. 168 Jüngst BGH NJW 2004, 2011 ff. 169 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 2, § 33 I. 170 Mummenhoff, Erfahrungssätze im Beweis der Kausalität, S. 1; Esser / Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I / 2, § 33 I. 171 Danner, Justizielle Risikoverteilung, S. 381 m. w. N. 172 Vgl. zu den Stichworten „generelle“ u. „konkrete“ Kausalität, Esser / Schmidt § 33 I.1.; Mummenhoff, Erfahrungssätze im Beweis der Kausalität, S. 31 ff.; Beulke / Bachmann, JuS 1992, 737, 738. 173 Mummenhoff, Erfahrungssätze im Beweis der Kausalität, S. 31 ff. – verwendet anstelle der Bezeichnung „generelle“ Kausalität den Begriff der „Schadenseignung“. 174 Danner, Justizielle Risikoverteilung, S. 381 m. w. N. 175 Mummenhoff, Erfahrungssätze im Beweis der Kausalität, S. 31. 176 Ebda.

158

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

Allerdings reicht für die Bejahung der generellen Kausalität nicht jede noch so geringe Wahrscheinlichkeit des Verletzungseintritts aus, sondern es muss der seltene vom praktisch ausgeschlossenen Verletzungseintritt noch zu unterscheiden sein. Denn Normen wie § 280 Abs. 1 BGB oder § 823 BGB, die Kausalität verlangen, fordern als Mindestvoraussetzung plausible Anhaltspunkte für einen Ursachenzusammenhang.178 Die Bindung der „generellen“ Kausalität an eine Mindesteintrittswahrscheinlichkeit bedeutet aber nicht, dass mit der Verneinung der generellen Kausalität der Nachweis eines individuell-konkreten Ursachenzusammenhanges zwischen Behandlungsfehler und „Gesundheitsverletzung“ ausgeschlossen ist.179 Im Rahmen der „generellen“ Kausalität wird nur eine Aussage über relative Häufigkeit ursächlicher Verknüpfung von Einwirkung und Verletzung getroffen und noch keine Feststellung darüber, ob die Verknüpfung sich tatsächlich ereignet hat oder ereignen wird bzw. wie groß die Unsicherheit ist, ob sie sich ereignet hat oder ereignen wird. Dies gilt auch, wenn die „generelle“ Kausalität in einer konkreten Situation festgestellt werden soll. Hier wird ebenfalls die Maßgeblichkeit der statistischen Wahrscheinlichkeit festgelegt und nicht nach der induktiven Wahrscheinlichkeit für einen individuellen Geschehensablauf gefragt.180 Dass es in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtes fällt aufzuklären, ob der in Rede stehende Behandlungsfehler überhaupt generell geeignet war, die bei dem Patienten bestehende Verletzung hervorzurufen, liegt nach den vorstehenden Ausführungen auf der Hand. Die Festlegung abstrakter Kausalitätsfeststellungskriterien stellt eine Konkretisierung des unbestimmten Tatbestandsmerkmals der Kausalität181 dar.182 Die konkrete Kausalitätsfeststellung im Einzelfall lässt sich nur vor dem Hintergrund einschlägiger Informationen über allgemeine Wirkungskreise – Naturgesetze, wissenschaftlich erprobter Zusammenhänge, kurz dem allgemeinen Wissen zur generellen Kausalität bestimmter Bedingungen für bestimmte Folgen – herleiten.183 Die Erlangung dieser Kenntnis dient also ebenso wie bei § 276 Abs. 2 BGB der Feststellung des Standards184 der Normaufbereitung. Damit handelt es sich bei den der generellen Kausalität jeweils zugrunde liegenden Daten ebenfalls um eine Normtatsache, die vom Gericht zu erheben ist.

Vgl. Mummenhoff, Erfahrungssätze im Beweis der Kausalität, S. 62. Vgl. Mummenhoff, Erfahrungssätze im Beweis der Kausalität, S. 64. 179 Vgl. Mummenhoff, Erfahrungssätze im Beweis der Kausalität, S. 66, der von einem Kausalzusammenhang zwischen Einwirkung und Schaden spricht. 180 Mummenhoff, Erfahrungssätze im Beweis der Kausalität, S. 85. 181 Zur Kausalität als Tatbestandsmerkmal, siehe ausführlich Weber, Der Kausalitätsbeweis im Zivilprozeß, S. 10 f. und 66 ff. 182 Danner, Justizielle Risikoverteilung, S. 385. 183 Danner, Justizielle Risikoverteilung, S. 343. 184 Siehe Kapitel 5 IV. 2. b) aa) (1). 177 178

V. Ein Lösungsansatz zur Umdeutung von § 280 Abs. 1 BGB – de lege lata

159

3. Auslegung von § 280 Abs. 1 S. 2 BGB § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ist für den Bereich der nichterfolgsbezogenen Arzthaftung dann folgendermaßen auszulegen: Der Arzt hat seinen generell zur Herbeiführung des Ist-Zustandes des Patienten geeigneten Behandlungsfehler dann nicht zu vertreten, wenn ihm der Nachweis gelingt, dass auch eine korrekte Behandlung zu keinem besseren Ergebnis geführt hätte. Diese Art des Entlastungsbeweises ist dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht fremd, sie findet sich u. a. auch in §§ 284 a. E., 287 S. 2 a. E., 831 ff. BGB. 4. Ergebnis: Lösungsmodell für § 280 Abs. 1 BGB Dem anspruchstellenden Patienten obliegt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, wobei dieser generell geeignet sein muss, die „Gesundheitsverletzung“ des Patienten verursacht zu haben. Ob eine generelle Eignung vorliegt, ist durch das Gericht zu klären. Stehen das Vorliegen des Behandlungsfehlers und seine generelle Eignung zur Herbeiführung des negativen Behandlungsresultats fest, obliegt es dem Arzt, sich dahingehend zu entlasten, dass sein Behandlungsfehler im konkreten Fall nicht ursächlich für das negative Behandlungsergebnis war, sondern dieses vielmehr schicksalhaft eingetreten ist. Diese „de lege lata“ Auslegung des § 280 Abs. 1 BGB für den Bereich der Behandlungsfehlerhaftung steht auch den Grundsätzen eines fairen Verfahrens nicht entgegen, sondern ist mit diesen vielmehr vereinbar. Schon das Reichsgericht hat die Beweisnot des Patienten durch Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr dann abgemildert, wenn dies zur Herstellung der Waffengleichheit im Prozess erforderlich war.185 Gerade in Arzthaftungsprozessen war dies notwendig, da die Ansprüche des Patienten regelmäßig an dem Nachweis des haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs scheitern und im Gegenzug die allgemeinen Grundsätze des Beweisrechts selbst denjenigen Arzt, der sich in außergewöhnlichem Maß außerhalb der zum Schutz des Patienten anerkannten Regeln seiner Profession bewegt, bevorzugen. Diese beweisrechtliche Praxis, die durch die Rechtsprechung des BGH bis heute fortgeführt wird und die Beweislastumkehr vom Vorliegen eines „groben“ Behandlungsfehlers mit der jüngsten Ausnahme186 bei einem einfachen Befunderhebungsfehler, wenn von diesem zugleich auf einen groben Behandlungsfehler geschlossen werden kann, abhängig macht187, ist aus den oben angeführten Gründen188, insbesondere wegen der ihr 185 186 187 188

Vgl. z. B. RGZ 171, 168, 171. BGH NJW 2004, 2011, 2013. Ausführlich Kapitel 5 IV. Ausführlich Kapitel 5 IV. 4.

160

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

innewohnenden Rechtsunsicherheit – für die Parteien ist im Vorfeld des Prozesses nur schwer einschätzbar, wie die Entscheidung des Gerichts hinsichtlich der Beurteilung des Behandlungsfehlers aussehen wird – und wegen der nicht begründbaren Differenzierung nach der Schwere des Behandlungsfehlers abzulehnen.189 Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss aus dem Jahre 1979 die beweisrechtliche Praxis des BGH zwar bestätigt, aber eine Akzentverschiebung in der Fortentwicklung der bereits geltenden Rechtssätze in Richtung auf weitere Beweiserleichterungen zu Gunsten des Patienten nicht ausgeschlossen190. Die Beweislast – wie oben vorgeschlagen – schon bei jeder Verletzung, die im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung steht, umzukehren, steht demnach nicht im Widerspruch zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, sondern entwickelt vielmehr – wie dort explizit als Möglichkeit angesprochen wurde – die Beweiserleichterungen zur Herstellung der Waffengleichheit im Arzthaftungsprozess konsequent fort. Diesen Weg scheint nunmehr auch der BGH191 mit seiner bereits erwähnten jüngsten Entscheidung zu gehen, wonach unter bestimmten Voraussetzungen schon ein einfacher Fehler zur Beweislastumkehr führen soll. Zugegebenermaßen gerät der Arzt bei dieser Beweislastverteilung zwar in die gleiche Beweisnot wie der Patient. Dies jedoch nicht ohne Grund, da ihm ein Verstoß gegen bewährte Behandlungsregeln vorzuwerfen ist. Im Gegensatz zum Krankheitsrisiko des Patienten, welches von niemandem beherrschbar ist, liegt das Behandlungsgeschehen in der Hand des Arztes. Von seinem Wissen und Handeln hängt es ab, ob der sich in seiner Behandlung befindliche Patient lege artis oder fehlerhaft behandelt wird. Durch den Behandlungsfehler setzt der Arzt den Patienten pflichtwidrig einer vermeidbaren Gefahr aus und schafft gleichzeitig eine Lage, die nicht mehr erkennen lässt, wie der Verlauf bei standardgemäßer Behandlung gewesen wäre.192 Der Arzt erzeugt das Risiko der Unaufklärbarkeit. Der häufig angeführte Einwand, dass der Erfolg bei ordnungsgemäßer Behandlung ungewiss ist, verfängt nicht. Hätte der Arzt nämlich standardgemäß behandelt, wäre, sofern das Behandlungsziel nicht erreicht worden ist, klar, dass die Ursache in der Eigenart des menschlichen Organismus begründet liegt.193 Die Interessenlage des ge189 Siehe Kapitel 5 IV. 4.; im Ergebnis ebenso Giesen, Arzthaftung, Rdnr. 368 ff.; ders., JR 1991, 485 ; ders., JURA 1981, 10, 20 f.; Hoffmann, NJW 1974, 1641, 1644; Reinecke, Die Beweislastverteilung im Bürgerlichen Recht und im Arbeitsrecht als rechtspolitische Regelungsaufgabe, S. 149; Hanau, NJW 1968, 2291 f.; Kleinwerfer / Wilts, VersR 1967, 617, 625; J. Schmidt, JuS 1975, 430, 433 – der meint, dass eine Beweislastumkehr überhaupt nicht erforderlich sei, sondern auch die normale Beweislastverteilung zu denselben Ergebnissen führen würde. „Wie in allen bestehenden Schuldverhältnissen, so sollte ganz allgemein der Arzt-Schuldner beweisen müssen, dass seine feststehende Pflichtwidrigkeit den entstandenen Schaden nicht verursacht hat.“ 190 Selbst die vier die Entscheidung tragenden Richter haben diese Auffassung vertreten – BVerfGE 52, 131, 152. 191 BGH NJW 2004, 2011, 2013. 192 Laumen, NJW 2002, 3739, 3732. 193 Hoffmann, NJW 1974, S. 1641.

V. Ein Lösungsansatz zur Umdeutung von § 280 Abs. 1 BGB – de lege lata

161

schädigten Patienten erfordert es daher, dass der Arzt die Folgen der Unaufklärbarkeit des Ursachenzusammenhangs trägt und sich einer Haftung für sein Versehen nicht ausschließlich deshalb entziehen kann, weil die Beweislastverteilung ihn begünstigt. Des Weiteren spricht für die vorgeschlagene Beweislastverteilung, dass die Haftung des Arztes, neben der Entschädigung des Patienten, den Erhalt der Qualität ärztlicher Behandlung bezwecken soll.194 Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn der Patient eine reale Chance hat, seinen Schadensersatzanspruch auch durchzusetzen. Wenn aber Ansprüche des Patienten bei Vorliegen eines Behandlungsfehlers meist am fehlenden Kausalitätsbeweis scheitern und eine Beweislastumkehr nur in den Fällen in Betracht kommt, in welchen vom Gericht ein „grober“ Behandlungsfehler angenommen wird, so ist die Erreichung dieses Zieles gefährdet. Kann sich doch der Arzt, solange er nicht in gänzlich unverständlicher Weise agiert, in Sicherheit vor Schadensersatzansprüchen des Patienten selbst dann wiegen, wenn feststeht, dass ihm ein Behandlungsfehler unterlaufen ist. Eine Erfolgseinstandspflicht muss dennoch ärztlicherseits schon deshalb nicht befürchtet werden, weil dem Patienten auch weiterhin der Nachweis des Behandlungsfehlers obliegt.195 Entscheidend für die Haftung des Arztes ist damit einzig der Behandlungsfehler und nicht schon die bloße Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten, wie im Zusammenhang mit der alten Diskussion um die Anwendbarkeit der §§ 282, 285 BGB a.F.196 und der neuen Diskussion um § 280 Abs. 1 S. 2 BGB197 als Befürchtung geäußert wurde. Für die Bejahung eines Behandlungsfehlers kommt es darauf an, ob der Arzt die Behandlung lege artis durchgeführt hat. Keineswegs knüpft dieser an eine bloße Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten an.198 Aufgrund der Nähe zum Geschehen wäre es zwar für den Arzt sicherlich leichter, das Behandlungsgeschehen aufzuklären, aufgrund einer interessengerechten Beweislastverteilung muss jedoch verhindert werden, dass sich der Arzt schon bei jeder Verletzung des Patienten während der Behandlung zu entlasten hat.199 Eine solche Beweislastverteilung könnte zur Gaupp, Beweisfragen im Rahmen ärztlicher Haftungsprozesse, S. 76. Derartige Befürchtungen werden aber aus der Ärzteschaft im Zusammenhang mit dem Gespenst der „generellen Beweislastumkehr“ geäußert – siehe Grafe, ArztR 2003, 118, 121. 196 Weber, NJW 1997, 761, 763 m. w. N.; Müko-Mertens, § 823 Rdnr. 412; Baumgärtel, Handbuch der Beweisrechtslast im Privatrecht Bd. 1, § 282 Anh. 46 u. § 823 Anh. C II., Rdnr. 2, 85. 197 Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2533. 198 Giesen, Arzthaftung, Rdnr. 380. 199 Reinecke, Die Beweislastverteilung im Bürgerlichen Recht und im Arbeitsrecht als rechtspolitische Regelungsaufgabe, S. 148; so aber wohl Giesen, Arzthaftung, Rdnr. 383, der von einer allgemeinen Fehlervermutung bei Behandlungszwischenfällen ausgeht. „Kann der Patient beweisen, dass zwischen dem bei optimaler Durchführung erzielbaren und dem konkreten Verlauf der bei ihm durchgeführten Heilbehandlung eine negative – schadensstiftende – Abweichung vorliegt, und ist dann streitig, ob diese Differenz die Folge eines vom Arzt oder Krankenhausträger zu vertretenden typischen Umstandes oder die Folge ausnahmsweise 194 195

11 Heidelk

162

Kapitel 5: Ärztliche Verantwortlichkeit im Kontext des § 280 Abs. 1 BGB

Lähmung der Handlungsbereitschaft und Initiative des ärztlichen Berufsstandes und damit zu einer Defensivmedizin führen.200 Auch wenn der hauptsächliche Vertragszweck eines Behandlungsvertrages die „Heilung“ oder Linderung einer bestimmten Erkrankung ist201, so schuldet der Arzt – schon angesichts der Tatsache, dass er auf einen lebenden Organismus wegen dessen eigener Unberechenbarkeit keinen Einfluss hat – nicht den Behandlungserfolg, sondern nur die ordnungsgemäße Behandlung des Patienten. Das ist bei der Beweislastverteilung zu berücksichtigen. Auch unter sozialen Gesichtspunkten erscheint es gerechtfertigt, den Arzt mit dem Aufklärungsrisiko zu belasten. Jeder Behandlungsfehler birgt die Gefahr außerordentlich hoher Schäden. Während der Arzt in der Regel durch seine Berufshaftpflichtversicherung voll abgesichert ist, weist der Versicherungsschutz des Patienten meist Lücken auf.202 Von der Sozialversicherung sind nicht alle Behandlungsfehlerfolgen gedeckt. So erhält der Patient beispielsweise bei Frühinvalidität entweder gar keine oder nur eine sehr geringe Rente.203 Bei der Behandlungsfehlerhaftung geht es um die Risikoentscheidung204, wer die Folgen der Unaufklärbarkeit des Geschehensablaufes205 zu tragen hat. Dem Arzt dieses Risiko aufzuerlegen, entspricht auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen dem Gebot eines fairen Verfahrens und gleichzeitig auch dem der Waffengleichheit im Prozess. Insbesondere ist noch einmal hervorzuheben, dass atypischer Schadensverläufe ist, so erscheint es nicht gerechtfertigt, den Urheber eines Heilzwecken dienenden Eingriffs, also dem die sorgfältige Heilbehandlung schuldenden Arzt, hinsichtlich des Entlastungsbeweises eine Sonderstellung einzuräumen.“ 200 Reinecke, Die Beweislastverteilung im Bürgerlichen Recht und im Arbeitsrecht als rechtspolitische Regelungsaufgabe, S. 148; Junghanns, ArztR 2003, 116, 118, der meint, dass schon die Angst vor einem Behandlungsfehlervorwurf zur Defensivmedizin führe, aber gleichzeitig im Rahmen des geltenden Rechts eine gewisse Garantie für die Einhaltung von Behandlungsstandards darstelle. 201 BGHZ 80, 366, 370; siehe ausführlich Kapitel 1 III. 1. 202 Junghanns, ArztR 2003, 116 meint dagegen, „wenn ein ärztlicher Fehler nicht nachweisbar ist, fällt der Kranke ja in unserem System nicht in Armut, oder er bekommt keine ausreichende medizinische Behandlung mehr, sondern er ist auch über die Renten- / Arbeitslosenversicherung, Krankenkasse, Berufsgenossenschaft und evtl. das Sozialamt ausreichend abgesichert.“ 203 Reinecke, Die Beweislastverteilung im Bürgerlichen Recht und im Arbeitsrecht als rechtspolitische Regelungsaufgabe, S. 147. 204 Zum Risikobegriff allgemein und dem „Zivilrecht als Recht der Risikoverteilung“ siehe Danner, Justizielle Risikoverteilung. 205 A.A. jüngst wieder Katzenmeier, JZ 2004, 1030, 1032 – der meint, dass andere Gesichtspunkte als die Erschwernisse der Aufklärung des Behandlungsgeschehens maßgeblich seien. Eine Beweislastumkehr dürfe nicht allein im Hinblick auf die den Patienten bisweilen hart treffenden Schadensfolgen und dessen Beweisnöte gewährt werden, sondern es sei auch stets die Aufgaben- und Pflichtenrolle des Arztes zu bedenken. Die Gesichtspunkte der Gefahrerhöhung und der Beherrschbarkeit des Geschehensablaufs erscheinen unverzichtbar, wolle man verhindern, dass auf dem Umweg eine Einstandspflicht des Arztes für den Erfolg der Behandlung eingeführt werde.

V. Ein Lösungsansatz zur Umdeutung von § 280 Abs. 1 BGB – de lege lata

163

den Arzt eine Einstandspflicht nur für die nicht sachgerechte Durchführung der Behandlung trifft. Ob ein avisiertes Behandlungsziel – dessen Herbeiführung sich verständlicherweise dem ärztlichen Herrschaftsbereich entzieht – verfehlt wurde, spielt für die Haftungsfrage keine Rolle. Für beide Parteien trägt die vorgeschlagene Beweislastverteilung letzten Endes zu mehr Rechtssicherheit bei. Das Prozessrisiko wird kalkulierbar, was sicherlich u. a. auch dazu führen kann, dass bei einem begründeten Behandlungsfehlerverdacht des Patienten sich der Arzt eher auf eine – vielleicht schon außergerichtliche – Einigung einlässt, da er im Prozess nicht mehr darauf hoffen kann, seiner Einstandsverpflichtung wegen eines nur „einfachen“ Behandlungsfehlers zu entgehen. Hierdurch könnten vermutlich viele langwierige, mit hohen Kosten verbundene Prozesse verhindert und auch die psychische Belastung, die solche Verfahren für beide Seiten typischerweise mit sich bringen, in Grenzen gehalten werden.

11*

Zusammenfassung / Ergebnisse der Untersuchung 1. Die Sachverhaltskonstellation der Arzthaftung weicht vom übrigen Haftungsrecht ab. Der Arzt wirkt auf einen bereits erkrankten Organismus mit dem Ziel ein, diesen zu heilen, zu verbessern oder den Zustand stabil zu halten. In den vom Gesetzgeber gedachten Fällen wird ein „Gesunder“ durch schädliches Einwirken eines Dritten an seiner „Gesundheit“ verletzt. 2. Die disziplinäre und interdisziplinäre Untersuchung des „Gesundheitsbegriffs“ hat ergeben, dass „Gesundheit“ eine Worthülse mit positivem Gehalt ist, die je nach Fachdisziplin und Verwendung unterschiedlich definiert wird. Für die Rechtswissenschaft wurde der „Gesundheitsbegriff“, obwohl er in unterschiedlichsten Normen Verwendung findet, an keiner Stelle definiert. 3. Der „Gesundheitsverletzungstatbestand“ wird im Arzthaftungsrecht nicht geprüft, sondern stillschweigend vorausgesetzt. Grund hierfür ist der, durch den menschlichen Organismus gesetzte, vom Behandlungsgeschehen unabhängige Kausalverlauf. Es kann nicht im Wege der üblichen Differenzbetrachtung mit der gemäß § 286 ZPO erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, ob das Nichterreichen des gesetzten Behandlungsziels seine Ursache im ärztlichen Behandlungsfehler findet oder ob aufgrund der Eigenart des behandelten menschlichen Organismus selbst bei lege artis Behandlung das Behandlungsziel nicht erreicht worden wäre. 4. Durch das Schuldrechtsmodernisierungs- und das Schadensrechtsänderungsgesetz wird – insbesondere wegen der Möglichkeit, nunmehr auch Schmerzensgeld aus Vertrag geltend zu machen – eine Verlagerung des Arzthaftungsrechts vom Deliktsrecht in das Vertragsrecht erfolgen. 5. Als wesentlicher Punkt der Arbeit wurde herausgearbeitet, dass die Konstruktion des § 280 Abs. 1 BGB nicht mit der nichterfolgsbezogenen Dienstleistung – und hier insbesondere nicht mit den Fallkonstellationen des Arzthaftungsrechts – vereinbar ist. Die Vorschläge innerhalb der Literatur, wie mit § 280 Abs. 1 S. 1 BGB in Bezug auf die Arzthaftung umzugehen sei, waren – da sie ihre Grundlage allesamt in der Unterscheidung zwischen „innerer“ und „äußerer“ Sorgfalt fanden – aufgrund des „objektiven Fahrlässigkeitsbegriffs“, der nach der hier vertretenen Auffassung keinen Raum für die zuvor genannte Differenzierung lässt, abzulehnen. Im Zusammenhang mit der Untersuchung von § 280 Abs. 1 BGB wurde festgestellt, dass das Arzthaftungsrecht gänzlich ohne feststehenden Tatbestand auskommen muss.

Zusammenfassung / Ergebnisse der Untersuchung

165

6. Für die Anwaltshaftung, die beispielhaft für die nichterfolgsbezogene Dienstleistungshaftung neben der Arzthaftung untersucht wurde, wurde, um zu einer Anwendbarkeit des § 280 Abs. 1 BGB zu gelangen, folgende Hilfskonstruktion angedacht: Der Tatbestand i. S. d. § 280 Abs. 1 BGB wird durch einen Vergleich zwischen dem Ist-Ergebnis nach pflichtwidrigem und dem Soll-Ergebnis nach pflichtgemäßem Verhalten erzeugt. Die Einwendungsmöglichkeit des Anwalts, der Mandant habe sich nicht beratungsgerecht verhalten, könnte unter § 280 Abs. 1 S. 2 BGB als Entlastungsbeweis gefasst werden. 7. Nach Auffassung der Literatur soll dem Patienten auch im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB weiterhin – mit Ausnahme der Beweislastsonderregel des „groben“ Behandlungsfehlers – die volle Beweislast hinsichtlich der anspruchbegründenden Tatsachen obliegen. Die Beweislastsonderegel entbehrt jeglicher dogmatischen Grundlage. Die Argumente, die für die Beweislastumkehr bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers sprechen, treffen alle auch auf die Fälle eines leichten Behandlungsfehlers zu. Die Beschränkung der Beweislastsonderregel nur auf grobes Fehlverhalten birgt die Gefahr der Rechtsunsicherheit in sich. 8. Aufgrund der neuen gesetzlichen Regelung, deren Konstruktion mit der nichterfolgsbezogenen Dienstleistungshaftung nicht vereinbar ist, und der nicht überzeugenden alten „Beweislastsonderregel“ – die die Herstellung der Waffengleichheit im Prozess und die Fairness im Verfahren sicherstellen soll – und dem Problem, dass es bei der Arzthaftung gänzlich an einem Tatbestand fehlt, ist Anlass genug, die Beweislast adäquater zu verteilen. 9. Vorschlag zur adäquaten Beweislastverteilung: Dem Kläger obliegt nach gerichtlicher Feststellung des jeweiligen Behandlungsstandards der Nachweis des Behandlungsfehlers, wobei dieser generell geeignet sein muss, den eingetretenen negativen „Gesundheitszustand“ beim Patienten verursacht zu haben. Ob eine generelle Eignung vorliegt, ist, da es sich hierbei um eine sogenannte Normtatsache handelt, durch das Gericht zu klären. Steht beides fest, muss der Arzt sich entlasten, d. h. den Nachweis führen, dass sein Behandlungsfehler gerade nicht kausal geworden ist.

Literaturverzeichnis Abholz, Heinz-Harald / Borgers, Dieter / Karmaus, Wilfried / Korporal, Johannes (Hrsg.): Risikofaktorenmedizin, Berlin / New York 1982. Alternativkommentar zur Zivilprozessordnung, Neuwied / Darmstadt 1987. Anders, Holm: Der zentrale Haftungsgrund der Pflichtverletzung im Leistungsstörungsrecht des Entwurfs für ein Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, in: ZIP 2001, S. 184 ff. Antonovsky, Aaron: Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit, Tübingen 1997. Arens, Peter: Dogmatik und Praxis der Schadensschätzung, ZZP 88, S. 1 ff. Arzt, Gunther / Weber, Ulrich: Strafrecht Besonderer Teil, 1. Auflage, Bielefeld 2000. Bartens, Werner: Krank ohne Befund, in: Die Zeit vom 07. 02. 01, S. 11 ff. Bauer, Rudolph (Hrsg.): Lexikon des Sozial- und Gesundheitswesens, München 1992. Baumbach, Adolf / Lauterbach, Wolfgang: Zivilprozessordnung, 62. Auflage, München 2004. Baumgärtel, Gottfried: Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Band 1 – Allgemeiner Teil und Schuldrecht BGB mit VOB, HOAI, KSchG und ProdhaftG, 2. Auflage, Köln 1999. – Beweislastpraxis im Privatrecht. Die Schwierigkeiten der Beweislastverteilung und die Möglichkeiten ihrer Überwindung, Köln / Berlin / Bonn / München 1996. – Anmerkung zum Urteil des OLG Köln vom 29. 01. 1982 – 8 U 408 / 81, in: VersR 1983, S. 450 f. Baumgärtel, Gottfried / Wittmann, Arno: Zur Beweislastverteilung im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB, in: Festschrift für Karl Schäfer zum 80.Geburtstag, Berlin / New York 1980, S. 13 ff. Becker, Peter: Seelische Gesundheit und Verhaltenskontrolle: eine integrative Persönlichkeitskontrolle und ihre klinische Anwendung, Göttingen 1995. – Psychologie der seelischen Gesundheit, Band 1, Göttingen 1982. Becker, Volker / Schipperges, Heinrich (Hrsg.): Krankheitsbegriff Krankheitsforschung Krankheitswesen, Berlin / Heidelberg / New York / London / Paris / Hongkong / Barcelona / Budapest 1995. Bengel, J. / Strittmatter, R. / Willmann, H.: Was erhält den Menschen gesund?, Köln 1989 Bergmann, Karl-Otto: Die Arzthaftung, Berlin / Heidelberg 1999. Beulke, Werner / Bachmann, Grego: „Die Lederspray-Entscheidung“ – BGHSt 37, 106, in: JuS 1992, S. 737 ff. Bleckmann, Albert: Staatsrecht II – Die Grundrechte, 4. Auflage, Köln / Berlin / Bonn 1997.

Literaturverzeichnis

167

Bodenburg, Reinhard: Der ärztliche Kunstfehler als Funktionsbegriff zivilrechtlicher Haftung, Göttingen 1983. – Die zivilrechtliche Arzthaftung und die Tätigkeit der ärztlichen Gutachter- und Schlichtungsstellen, in: VersR 1980, S. 996 ff. Bollweg, Hans-Georg / Brahms, Katrin: Patientenrechte in Deutschland – Neue Patientencharta, in: NJW 2003, S. 1505 ff. Borgmann, Brigitte: Die Rechtsprechung des BGH zum Anwaltshaftungsrecht in der Zeit von Mitte 1991 bis Mitte 2000, in: NJW 2000, S. 2953 ff. Borgmann, Brigitte / Haug, Karl: Anwaltshaftung, 3. Auflage, Frankfurt am Main 1995. Bick, Udo: Haftung für psychisch verursachte Körperverletzungen, Dissertation, Freiburg 1970. Brüggemeier, Gert: Deliktsrecht, Baden-Baden 1986. – Judizielle Schutzpolitik de lege lata – Zur Restrukturierung des BGB – Deliktsrechts, in: JZ 1986, S. 969 ff. – Gesellschaftliche Schadensverteilung und Deliktsrecht, in: AcP 182 (1982), S. 385 ff. Brügmann, Walter: Widerrechtlichkeit des ärztlichen Eingriffs und Aufklärungspflicht des Arztes, in: NJW 1977, S. 1473 ff. Bundesärztekammer: Gesundheitspolitisches Programm der Deutschen Ärzteschaft. Beschluss des 97. Deutschen Ärztetages, in: DÄ 1994, S. 3 ff. und S. 24 ff. Canaris, Claus-Wilhelm: Schuldrechtsreform 2002, München 2002. – Die Reform des Rechts der Leistungsstörungen, in JZ 2001, S. 499 ff. Classen, Meinhard / Diehl, Volker / Kochsiek, Kurt: Innere Medizin, 3. Auflage, München / Wien / Baltimore 1994. Däubler, Wolfgang: Neues Schuldrecht – ein erster Überblick, in: NJW 2001, S. 3730 ff. Danner, Martin: Justizielle Risikoverteilung durch Richter und Sachverständige im Zivilprozeß, Dissertation, Berlin 2001. Damm, Reinhard: Privatautonomie und medizintechnische Entwicklung, in: JZ 1998, S. 926 ff. Dauner-Lieb, Barbara: Die geplante Schuldrechtsmodernisierung – Durchbruch oder Schnellschuss?, in: JZ 2001, S. 8 ff. Deich, Friedrich: Was ist Gesundheit?, in: ÄM 1957, S. 493 ff. Demberg, Gisela: Die Anwendung des § 282 BGB auf den ärztlichen Behandlungsvertrag im Lichte der Rechtsprechung des BGH, in: Jura 1987, S. 337 ff. Deppe, Hans-Ulrich / Friedrich, Hannes / Müller, Rainer (Hrsg.): Öffentliche Gesundheit, Frankfurt am Main / New York 1991. Deutsch, Erwin: Die Fahrlässigkeit im neuen Schuldrecht, AcP 202 (2002), 889 – 911. – Die Medizinhaftung nach dem neuen Schuldrecht und dem neuen Schadensrecht, in: JZ 2002, S. 588 ff.

168

Literaturverzeichnis

– Schmerzensgeld für Vertragsverletzungen und bei Gefährdungshaftung, in: ZRP 2001, S. 351 ff. – Die Behandlungsprobleme von Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren als Rechtsproblem, in: MedR 2001, S. 435 ff. – Allgemeines Haftungsrecht, 2. Auflage, Köln 1996. – Die neue Entscheidung des BGH zur Aids-Haftung, in: NJW 1991, S. 1937 f. – Anmerkung zu BGH Urteil v. 22.11. 1993 – VI ZR 85 / 82, in: JZ 1984, S 889 f. – Tendenzen des modernen Arztrechts, in: VersR 1982, S. 305 ff. – Rechtswidrigkeitszusammenhang, Gefahrerhöhung und Sorgfaltsausgleichung bei der Arzthaftung, in: Festschrift für von Caemmerer zum 70. Geburtstag, Tübingen 1978, S. 329 ff. Deutsch, Erwin / Geiger, Michael: Medizinischer Behandlungsvertrag. Empfiehlt sich eine besondere Regelung der zivilrechtlichen Beziehung zwischen den Patienten und dem Arzt im BGB?, in: Bundesminister für Justiz, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. II, Köln 1981, S. 1049 ff. Deutsch, Erwin / Spickhoff, Andreas: Medizinrecht, 5. Auflage 2003. Diederichsen, Uwe: Zur Neuordnung des Schuldrechts, in: AcP 198 (1998), S. 171 ff. Doerr, Wilhelm: Altern – Schicksal oder Krankheit, in: Der Kassenarzt 1983, S. 29 ff. Düwell, Marcus / Mieth, Dietmar: Ethik in der Humangenetik, 2. Auflage, Tübingen / Basel 2000. Dunz, Walter: Aktuelle Fragen zum Arzthaftungsrecht unter Berücksichtigung der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, Köln 1980. – Zur Praxis der zivilrechtlichen Arzthaftung, Karlsruhe 1974. Ehmann, Horst / Sutschet, Holger / Finkenauer, Thomas / Hau, Wolfgang, Emmerich, Volker: Das Recht der Leistungsstörungen, 5. Auflage, München 2003. Engels, G.: Der Anscheinsbeweis der Kausalität. Unter besonderer Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung, Frankfurt-Main 1994. Erman, Walter: Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band I, §§ 1 – 853, 10. Auflage, Aschendorf 2000. Esser, Josef / Schmidt, Eike: Schuldrecht Band I Allgemeiner Teil, Teilband 2, 8. Auflage, Heidelberg 2000. – Schuldrecht Band I Allgemeiner Teil, Teilband 1, 8. Auflage, Heidelberg 1995. Esser, Josef / Weyers, Hans-Leo: Schuldrecht Band II Besonderer Teil, Teilband 2, 8. Auflage, Heidelberg 2000. Fabarius, Maria-Elisabeth: Äußere und innere Sorgfalt, Dissertation, Köln / Berlin / Bonn / München 1991. Fikentscher, Wolfgang: Schuldrecht, 9. Auflage, Berlin / New York 1997. Flick, Uwe (Hrsg.): Wann fühlen wir uns gesund?, Weinheim 1998. Frahm, Wolfgang / Nixdorf, Wolfgang: Arzthaftungsrecht, 2. Auflage, Karlsruhe 2001.

Literaturverzeichnis

169

Francke, Robert / Hart, Dieter: Charta der Patientenrechte, 1. Auflage, Baden-Baden 1999. – Ärztliche Verantwortung und Partienteninformation, Stuttgart 1987. Franke, Manfred: Die medizinischen Probleme des Gesundheitsbegriffs, Habilitation, Heidelberg 1970. Franke, A. / Broda, M. (Hrsg.): Psychosomatische Gesundheit, Tübingen 1993. Franski, Dietmar: Die Beweisregeln im Arzthaftungsprozeß: eine prozessrechtliche Studie unter Berücksichtigung des amerikanischen Rechts, Berlin 1992. Franski, Harald: Von der Verantwortung des Richters für die Medizin-Entwicklungen und Fehlentwicklungen zur Rechtsprechung im Arzthaftungsrecht, in: MedR 1994, S. 171 ff. Fuchs, Maximilian: Deliktsrecht, 4. Auflage, Berlin / Heidelberg 2003. Gaupp, Rolf Dietrich: Beweisfragen im Rahmen ärztlicher Haftungsprozesse, Dissertation, München 1969. Gawatz, Reinhard / Novak, Peter: Soziale Konstruktionen von Gesundheit, Ulm 1993. Geigel, Hans- Peter: Der Haftpflichtprozess, 23. Auflage, München 2001. Geiger, Michael: Gesetzliche Regeln des medizinischen Behandlungsvertrages, Göttingen 1989. Geiß, Karlmann / Greiner, Hans-Peter: Arzthaftpflichtrecht, 4. Auflage, München 2001. Gerhardt, Ute: Gesundheit – ein Alltagsphänomen, Berlin 1993. Giesen, Dieter: Arzthaftungsrecht, 4. Auflage, Tübingen 1995. – Zur Annäherung von Dienstleistungshaftung in Deutschland und Europa, in: JZ 1991, S. 485 ff. Giesen, Dieter: Grundzüge der zivilrechtlichen Arzthaftung, in: Jura 1981, S. 10 ff. Gottschick, Johann: Der medizinische und der juristische (Gesundheits- und) Krankheitsbegriff, in: ÄM 1963, 1246 – 1252 und 1303 – 1308. Gottwald, Peter: Schadenszurechnung und Schadensschätzung, Habilitation, München 1979. Graf, Ute: Die Beweislast bei Behandlungsfehlern im Arzthaftungsprozeß, Dissertation, München 2001. Grafe, Sieghart: Nachteile des geltenden Arzthaftungsrechts, in: ArztR 2003, S. 118 ff. Grauhan, Rolf-Richard: Gesundheitswesen oder gesundes Leben?, in: Bürokratischer Staatpolitischer Produktion und Selbstverwaltung, Bremen 1979. Großerichter, Helge: Hypothetischer Kausalverlauf und Schadensfeststellung, Dissertation, München 2001. Grunsky, Wolfgang: Aktuelle Probleme zum Begriff des Vermögensschadens, Gehlen 1968. Hanau, Peter: Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, Habilitation, Göttingen 1971. – Anmerkung zu BGH Urteil vom 11. 06. 1968 – IV ZR 116 / 67, in: NJW 1968, S. 2291. Häfner, Heinz (Hrsg.): Gesundheit – unsere höchstes Gut?, Berlin / Heidelberg 1999.

170

Literaturverzeichnis

Hart, Dieter: Arzneimittelinformation zwischen Sicherheits- und Arzthaftungsrecht, in: MedR 2003, S. 603 ff. – Stellungnahme für die öffentliche Anhörung in der gemeinsamen Sitzung des Rechts- und Gesundheitsausschusses des deutschen Bundestages am 27. Februar 2002 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung; Entwurf eines 2. Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften (Stand: 07. 12. 2001). – Grundlagen des Arzthaftungsrechts: Leistungs- und Haftungsschuldner, in: Jura 2000, S. 14 – 19 und S. 64 – 70. – Ärztliche Leitlinien – Definitionen, Funktionen, rechtliche Bewertung. Gleichzeitig ein Beitrag zum medizinischen und rechtlichen Standardbegriff, in: MedR 1998, S. 8 ff. – Autonomiesicherung im Arzthaftungsrecht, in: Festschrift für Heinrichs, München 1998, S. 291 ff. – Arzneimitteltherapie und ärztliche Verantwortung, Stuttgart 1990. Hass, Lothar / Medicus, Dieter / Rolland, Walter / Schäfer, Carsten / Wendtland, Holger: Das Neue Schuldrecht, München 2002. Hausch, Axe: Die neue Rechtsprechung des BGH zum groben Behandlungsfehler – eine Trendwende?, in: VersR 2002, S. 671 ff. Heinemann, Klaus: Bausteine anwaltlicher Berufshaftung: Die Beweislast, in: NJW 1990, S. 2345 ff. Hellner, Hans: Arzt Kranker Krankheit, München 1970. Hirte, Heribert: Berufshaftung, Habilitationsschrift, München 1996. Hofmann, Edgar: Zur Beweislastumkehr bei Verletzung vertraglicher Aufklärungs- oder Beratungspflichten, in: NJW 1974, S. 1641 ff. Holm, Andreas: Der zentrale Haftungsgrund der Pflichtverletzung im Leistungsstörungsrecht des Entwurfs für ein Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, in: ZIP 2001, S. 184 ff. Holz, Olaf: Zur Neuorientierung des Gesundheitsbegriffs, Dissertation, Schorndorf 1996. Huber, Ulrich: Die Pflichtverletzung als Grundtatbestand der Leistungsstörung im Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, ZIP 2000, S. 2273 ff. – Empfiehlt sich die Einführung eines Leistungsstörungsrechts nach dem Vorbild des einheitlichen Kaufgesetzes? Welche Änderungen im Gesetzestext und welche praktischen Auswirkungen auf das Schuldrecht würden sich ergeben?, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. I, Köln 1981, herausgegeben vom Bundesjustizminister der Justiz, S. 667 ff. – Zivilrechtliche Fahrlässigkeit, in: Festschrift für Ernst Rudolf Huber, Göttingen 1973, S. 253 ff. Huber, Peter / Faust, Florian: Schuldrechtsmodernisierung, München 2002. Hurrelmann, Klaus: Gesundheitssoziologie, 4. Auflage, München 2000. Jacob, Wolfgang: Der Arzt und das Thema Gesundheit, in: DÄ 1979, S. 2197 ff.

Literaturverzeichnis

171

Jahnke, Jürgen: Auswirkungen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes und des (geplanten) 2. Schadensänderungsgesetzes auf die Regulierung von Personenschadensansprüchen, in: ZfS 2002, S. 105 ff. Jasper, Karl: Die Idee des Arztes, in: Der Arzt im technischen Zeitalter, München 1986, S. 7 ff. Jauernig, Othmar: Kommentar zum bürgerlichen Gesetzbuch, 10. Auflage, München 2003. Jores, A. : Was ist Gesundheit?, in: DÄ 1967, S. 2147 ff. Junghanns, Klaus: Vorteile des geltenden Arzthaftungsrechts, in: ArztR 2003, S. 116 ff. Karczewski, Christoph: Der Referentenentwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, in: VersR 2001, S. 1070 ff. Kasche, Maria: Verlust von Heilungschancen, Dissertation, Frankfurt am Main 1999. Kasseler Kommentar: Sozialrecht, 41. Ergänzungslieferung, Stand 09 / 2003, München 2003. Katzenmeier, Christian: Anmerkung zu BGH JZ 2004, S. 1030 ff. – Arzthaftung, Habilitationsschrift, Tübingen 2002. – Schuldrechtsmodernisierung und Schadensrechtsänderungsgesetz Umbruch in der Arzthaftung, in: VersR 2002, S. 1066 ff. Kaufmann, Franz Josef: Die Beweislastproblematik im Arzthaftungsrecht, Dissertation, Köln / Berlin / München 1984. Kegel, Gerhard: Der Individualbeweis und die Verteilung der Beweislast nach überwiegender Wahrscheinlichkeit, in: Festschrift für Heinrich Kronstein, Karlsruhe 1967, S. 321 ff. Keßelring, Karl: Die Beweislastverteilung im Arzthaftungsprozess, Dissertation, Würzburg 1981. Klauser, Karl-August: Möglichkeit und Grenzen richterlicher Schadensschätzung (§ 287 ZPO), in: JZ 1968, S. 167 ff. Kleinwerfers, Herbert / Wilts, Walter: Die Beweislast für die Ursächlichkeit ärztlicher Kunstfehler, in: VersR 1967, S. 617 ff. Klinkhammer, Gisela: Ärztlicher Behandlungsfehler: Offenheit gefordert, in: DÄ 2003, S. A1174 f. – Ärztlicher Behandlungsfehler: Ein neues Qualitätsbewusstsein, in: DÄ 2003, S. A1175 f. König, Benno / Reinhardt, Dietrich / Schuster, Hans-Peter: Kompendium der praktischen Medizin, Berlin / Heidelberg 2000. Kötz, Hein / Wagner, Gerhard: Deliktsrecht, 9. Auflage, Berlin 2001. Kuppisch, Berthold / Krüger, Wolfgang: Grundfälle zum Recht der unerlaubten Handlung, in: JuS 1980, S. 574 ff. Krumenacker, Franz-Joes: Gesundheit – von der Residualgröße zur konkreten Utopie, Köln 1988. Lange, Frank-Holger: Die Beweislast im Anwaltshaftungsprozess, Dissertation, BadenBaden 2002.

172

Literaturverzeichnis

Laufs, Adolf: Anmerkung zu BGH Urteil vom 09. 11. 1993 – IV ZR 62 / 63, in: NJW 1994, S. 775 f. Laufs, Adolf / Uhlenbruck, Wilhelm: Handbuch des Arztrechts, 3. Auflage, München 2002. Laufs, Adolf / Dierks, Christian / Wienke, Albrecht / Graf-Baumann, Toni / Hirsch Günther (Hrsg.): Die Entwicklung der Arzthaftung: [Symposium der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht e.V. vom 6. und 8. Oktober 1995 in Berlin], Berlin 1995. Larenz, Karl: Lehrbuch des Schuldrechtes, Erster Band Allgemeiner Teil, 14. Auflage, München 1987. Larenz, Karl / Canaris, Claus: Lehrbuch des Schuldrechtes, Zweiter Band, Besonderer Teil 2. Halbband, 13. Auflage, München 1994. Lanzerath, Dirk: Krankheit und ärztliches Handeln, Dissertation, Bamberg 2000. Laumen, Hans-W.: Die „Beweiserleichterung bis zur Beweislastumkehr“ – Ein beweisrechtliches Phänomen, in: NJW 2002, S. 3739 ff. Leipziger Kommentar: Strafrecht, §§ 185 – 262, Fünfter Band, Berlin / New York 1989. Lenzen, Dieter: Krankheit als Erfindung: medizinische Eingriffe in die Kultur, Frankfurt am Main 1991. Lieb, Manfred: Vom Beruf unserer Zeit zur Modernisierung des Schuldrechts, in: Wolfgang, Ernst / Zimmermann, Reinhard (Hrsg.): Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, Tübingen 2001, S. 553 ff. Lippert, Hans-Dieter: Die Arzthaftung unter dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz und dem zweiten Gesetz zur Regelung schadensrechtlicher Vorschriften – am besten nichts Neues?, GesR 2002, S. 41 ff. Lorenz, Stephan / Riehm, Thomas: Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, München 2002. Luhmann, Niklas: Soziologische Aufklärung 5, Opladen 1990. Lutz, Rainer / Mark, Norbert (Hrsg.): Wie gesund sind Kranke?, Göttingen / Bern / Toronto / Seattle 1995. Mangoldt, v., Herman / Klein, Friedrich / Stark, Christian: Bonner Grundgesetz Kommentar, Band 1, Präambel Art. 1 – 19, 4. Auflage, München 1999. Margraf, Jürgen / Neumer, Simon / Siegrist, Johannes (Hrsg.): Gesundheits- oder Krankheitstheorie? Saluto – versus pathogenetische Ansätze im Gesundheitswesen, Berlin / Heidelberg 1998. Martis, Rüdiger / Winkhart, Martina: Arzthaftungsrecht aktuell, Köln 2003. Mattheus, Daniela: Schuldrechtsmodernisierung 2001 / 2002 – Die Neuordnung des Allgemeinen Leistungsstörungsrechts, in: JuS 2002, S. 209 ff. Matthies, Karl-Heinz: Schiedsinstanzen im Bereich der Arzthaftung: Soll und Haben, Dissertation, Berlin 1994. Matthies, Karl-Heinz: Anmerkung zum BGH Urteil vom 21. 09. 1982 – IV ZR 302 / 80, in: NJW 1983, S. 335 ff.

Literaturverzeichnis

173

Mayenburg, David v.: Nur Bagatellen? – Einige Bemerkungen zur Einführung von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung im Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, in: VersR 2002, S. 278 ff. Meinecke, Boris: Haftung für Injektionsschäden, Dissertation, Aachen 1997. Mertens, Hans-Joachim: Verkehrpflichten und Deliktsrecht, in: VersR 1980, S. 397 ff. Medicus, Dieter: Schuldrecht I Allgemeiner Teil, 14. Auflage, München 2003. – Schuldrecht II Besonderer Teil, 11. Auflage, München 2003. Meyers großes Universal-Lexikon: Band 5, Fe-Ge, Mannheim 1982. Mitscherlich, Alexander / Borcher, Tobias / Mering, Otto von / Horn, Klaus (Hrsg.): Der Kranke in der modernen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1984. Möllers, M. J. Thomas: Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht: Präventive Verkehrssicherungspflichten und Beweiserleichterung, Tübingen 1996. Mork-Spieß, Petra: Beweiserleichterungen im Behandlungsfehlerprozess unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechungsentwicklung zur Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern, Dissertation, Bochum 1998. Mühlenbruch, Sonja: Gesundheitsförderung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, Dissertation, Berlin 2002. Müller, Gerda: Unterhalt für ein Kind als Schaden, in: NJW 2003, S. 697 ff. – Arzthaftung und Sachverständigenbeweis, in: MedR 2001, S. 487 ff. – Beweislast und Beweisführung im Arzthaftungsprozeß, in: NJW 1997, S. 3049 ff. Münch v., Ingo / Kunig, Philip (Hrsg.): Grundgesetzkommentar, Band 1, Präambel bis Art. 19, 5. Auflage, München 2000. Münch, Joachim: Die „nicht wie geschuldet“ erbrachte Leistung und sonstige Pflichtverletzung, in: JURA 2002, S. 361 ff. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch: Band 2a, Schuldrecht Allgemeiner Teil (§§ 241 – 432), 4. Auflage, München 2003. – Band 5, Schuldrecht, Besonderer Teil III, (§§ 705 – 853), 3. Auflage, München 1997. Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, Band 1; §§ 1 – 354, 2. Auflage, München 2000. Mummenhoff, Winfried: Erfahrungssätze im Beweis der Kausalität, Köln / Berlin / Bonn / München 1997. Musielak, Hans Joachim: Kommentar zur Zivilprozessordnung, 2. Auflage, München 2002. – Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, Berlin 1975. Nipperdey, Hans Carl: Rechtswidrigkeit, Sozialadäquanz, Fahrlässigkeit, Schuld im Zivilrecht, in: NJW 1957, S. 1777 ff. Nüßgens, Karl: Zwei Fragen zur zivilrechtlichen Haftung des Arztes, in: Festschrift für Fritz Hauß, Karlsruhe 1978, S. 287 ff. Otto, Hansjörg: Die Grundstrukturen des neuen Leistungsstörungsrechts, in: JURA 2002, S. 1 ff.

174

Literaturverzeichnis

Palandt, Otto: Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Auflage, München 2004. Park, Younk-Kyu: Das System des Arzthaftungsrechts – Zur dogmatischen Klarstellung und sachgerechten Verteilung des Haftungsrisikos, Dissertation, Frankfurt am Main 1992. Parsons, Talcott: Action Theory and the Human Condition, New York 1978. Peters, Horst: Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, 19. Auflage, 49. Ergänzungslieferung, Stand 03 / 2003, Stuttgart / Berlin / Köln 2003. Prölls, Jürgen: Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, Karlsruhe 1966. Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch, 259. Auflage, Berlin / New York 2002. Ratzel, Rudolf: Die Reformgesetze, in: AnwBl. 2002, S. 485 ff. Regenbogen, Daniela: Ärztliche Aufklärung und Beratung in der prädiktiven genetischen Diagnostik, Dissertation, Baden-Baden 2003. Rehborn, Martin: Aktuelle Entwicklungen im Arzthaftungsrecht, in: MDR 2002, S. 1281 ff. Reinecke, Gerhard: Die Beweislastverteilung im Bürgerlichen Recht und im Arbeitsrecht als rechtspolitische Regelungsaufgabe, Berlin 1976. RGRK, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch: Band II, 5. Teil (§§ 812 – 831), 12. Auflage, Berlin / New York 1989. Ridder, Paul: Gesundheitshandeln im gesellschaftlichen Alltag. Medizin, Mensch, Gesellschaft, 1985. Rössler, Dietrich / Waller, Dierck (Hrsg.): Medizin zwischen Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft, Tübingen 1989. Rothschuh, Karl E. (Hrsg.): Was ist Krankheit?, Darmstadt 1975. Roxin, Claus: Strafrecht Allgemeiner Teil I, München 1992. Rüßmann, Helmut: Normtatsachen – Ein vorläufiger Überblick, in: KritV 1991, S. 402 ff. Sander, Jürgen H. A.: Normtatsachen im Zivilprozeß, Dissertation, Berlin 1998. Schaefer, Hans (Hrsg.): Der gesunde kranke Mensch, Düsseldorf 1980. Schapp, Jan: Empfiehlt sich die „Pflichtverletzung“ als Generaltatbestand des Leistungsstörungsrechts, in: JZ 2001, S. 583 ff. Schipperges, Heinrich: Krankheit und Kranksein im Spiegel der Geschichte, Berlin / Heidelberg 1999. – Heilkunde als Gesundheitslehre, Heidelberg 1993. Schipperges, Heinrich / Seidler, Eduard / Unschuld, Paul (Hrsg.): Krankheit, Heilkunst, Heilung, Freiburg / München 1978. Schmidt, Eike: Die Beweislast in Zivilsachen – Funktionen und Verteilungsregeln, in: JuS 2003, S. 1007 ff. Schmidt, Eike: Der Umgang mit Normtatsachen im Zivilprozeß, in: Festschrift für Rudolf Wassermann zum sechzigsten Geburtstag, Darmstadt / Neuwied 1985, S. 807 ff. – Wandlungen im Zivilprozeß und Relationstechnik, RUP 1980, S 106 ff.

Literaturverzeichnis

175

– Grundlagen des Haftungs- und Schadensrechts, in: Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts, Athenäum I, München 1972, S. 469 ff. – Schockschäden Dritter und adäquate Kausalität, in: MDR 1971, S. 539 ff. – Kompensation der Pflichtwidrigkeit durch nachfolgendes pflichtgemäßes Verhalten?, in: VersR 1970, S. 395 ff. Schmidt, Eike / Brüggemeier, Gert: Zivilrechtlicher Grundkurs, 6. Auflage, Neuwied 2002. Schmidt, Joachim: Probleme der Beweislastumkehr – BGHZ 61, 118, in: JuS 1975, S. 430 ff. Schönke, Adolf / Schröder, Horst: Strafgesetzbuch Kommentar, 26. Auflage, München 2001. Scholl, Claus: Sicherheit und Wahrscheinlichkeit – statistische und juristische Aspekte, in: NJW 1983, S. 319 ff. Schulin, Bertram: Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, München 1994. Schuller, Alexander / Heim, Nikolaus / Halusa, Günter (Hrsg.): Medizinsoziologie, Stuttgart / Berlin / Köln 1992. Schuster, Wolfgang: Beweislastumkehr extra legem, Dissertation, Freiburg i. Br. 1975. Schwab, Martin: Das neue Schuldrecht im Überblick, in: JuS 2002, S. 1 ff. Schwartz, Friedrich Wilhelm / Badura, Bernhard / Leidel, Reiner / Raspe, Heiner / Siegrist, Johannes (Hrsg.): Das Public Health Buch, München / Wien / Baltimore 2000. Seiter, Hugo: Beweisrechtliche Probleme der Tatsachenfeststellung bei richterlicher Rechtsfortbildung, in: FS für Fritz Baur, Tübingen 1981, S. 573 ff. Sick, Joachim: Beweisrecht im Arzthaftpflichtprozeß, Frankfurt am Main 1986. Siegenthaler, Walter (Hrsg.). Differentialdiagnose innerer Krankheiten, 16. Auflage, Stuttgart / New York 1988. Soergel, Th.: Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, Schuldrecht I, (§§ 241 – 432), 12. Auflage, Stuttgart / Berlin / Köln 1990. – Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Band 5, Schuldrecht II, (§§ 823 – 853), 12. Auflage, Stuttgart / Berlin / Köln 1998. Spickhoff, Andreas: Die Entwicklung des Arztrechts 2002 / 2003, in: NJW 2003, S. 1701 ff. – Das System der Arzthaftung im reformierten Schuldrecht, in: NJW 2002, S. 2530 ff. – Die Entwicklung des Arztrechts 2001 / 2002, in: NJW 2002, S. 1758 ff. Spitzweg, Christine / Gölke, B.: Therapie endokriner gastrointestinaler Tumore, in: Der Internist 2002, S. 219 ff. Staudinger, J. von: Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Buch, Recht der Schuldverhältnisse (§§ 249 – 252), 13. Auflage, Berlin 1998. – Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Buch, Recht der Schuldverhältnisse, (§§ 255 – 314), Neubearbeitung 2001, Berlin 2001. – Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Buch, Recht der Schuldverhältnisse, (§§ 611 – 615), 13. Auflage, Berlin 1999. Stathopoulos, Michael: Zum Verhältnis von Fahrlässigkeit und Rechtswidrigkeit im Zivilrecht, in: Festschrift für Larenz, München 1983, S. 631 ff.

176

Literaturverzeichnis

Steffen, Erich / Dressler, Wolf-Dieter: Arzthaftungsrecht: Neue Entwicklungslinien der BGHRechtsprechung, 9. Auflage, Köln 2002. Stegers, Christoph-M.: Der medizinische Sachverständige im Arzthaftungsprozeß, in: VersR 2000, S. 419 ff. Stegers, Christoph-M. / Hansis, Martin L. / Alberts, Martin / Scheuch, Sabine: Der Sachverständigenbeweis im Arzthaftungsrecht, Heidelberg 2002. Stoll, Hans: Notizen zur Neuordnung des Rechts der Leitungsstörungen, in: JZ 2001, S. 589 ff. – Schadensersatz für verlorene Heilungschancen vor englischen Gerichten in rechtsvergleichender Sicht, in: Festschrift für Erich Steffen, Berlin 1995, S. 465 ff. – Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Heidelberg 1993. – Haftungsverlagerung durch beweisrechtliche Mittel, in: AcP 176 (1976), S. 146 ff. – Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht, Tübingen 1968. – Die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung, in: Festschrift für Fritz Hippel, Tübingen 1967, S. 517 ff. – Zur Deliktshaftung für vorgeburtliche Gesundheitsschäden, in: Festschrift für Hans-Carl Nipperdey I, München Berlin 1965. Stolz, Wilhelm: Statistische Reformmodelle zum Arzthaftpflichtrecht, in: VersR 1979, S. 797 ff. Taupitz, Jochen / Jones, Emily: Das Alles oder Nichts-Prinzip im Arzthaftungsrecht – Quotenhaftung, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtanwälte im Medizinrecht e.V. (Hrsg.), „WaffenGleichheit“, Das Recht in der Arzthaftung, Heidelberg 2002, S. 67 ff. Tröndle, Herbert / Fischer, Thomas: Strafgesetzbuch, 51. Auflage, München 2003. Uexküll, Thure von: Interview in: Die Zeit vom 07. 02. 01, S. 13. Uexküll, Thure von / Wesiack, Wolfgang: Theorie der Humanmedizin. Grundlagen ärztlichen Handelns und Denkens, München 1991. Uexküll, Thure von / Adler, Rolf (Hrsg.): Psychosomatische Medizin, München / Wien / Baltimore 1990. Uhlsenheimer, Klaus: Zur zivil- und strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Arztes unter besonderer Berücksichtigung der neueren Judikatur und ihre Folgen auf eine Defensivmedizin, in: MedR 1992, S. 127 ff. Velten, Wolfram: Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, Dissertation, BadenBaden 2001. Vollkommer, Max / Heinemann, Jörn: Anwaltshaftungsrecht, 2. Auflage, München 2003. Wachsmuth, Werner / Schreiber, Hans-Ludwig: Sicherheit und Wahrscheinlichkeit – juristische und ärztliche Aspekte, in: NJW 1982, S. 2094 ff. Wagner, Gerhard: Das zweite Schadensrechtsänderungsgesetz, in: NJW 2002, S. 2049 ff. – Mangel- und Mangelfolgeschäden im neuen Schuldrecht?, in: JZ 2002, S. 475 ff. – Freie Beweiswürdigung, Habilitation, Tübingen 1979.

Literaturverzeichnis

177

Walter, Alexander: Anmerkung zum Urteil des BGH vom 06. 05. 2003 – IV ZR 259 / 02, in: VersR 2003, S. 1131. Weber, Helmut: Der Kausalitätsbeweis im Zivilprozeß, Habilitation, Tübingen 1997. – Muss im Arzthaftungsprozess der Arzt seine Schuldlosigkeit beweisen?, in: NJW 1997, S. 761 ff. Weber-Steinhaus, Dietrich: Ärztliche Berufshaftung als Sonderdeliktsrecht, Dissertation, Stuttgart 1990. Weyers, Hans-Leo: Empfiehlt es sich, im Interesse der Patienten und Ärzte ergänzende Regelungen für das ärztliche Vertrags-(Standes-) und Haftungsrecht einzuführen?, Gutachten A für den 52. Deutschen Juristentag, München 1978. Wessels, Johannes / Hettinger, Michael: Strafrecht Besonderer Teil / 1, Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 27. Auflage, Heidelberg 2003. Wolff / Weihrauch, T. R.: Internistische Therapie 96 / 96, 11. Auflage, München / Wien / Baltimore 1996. Weltgesundheitsorganisation (WHO): WHO Chronicle 1, 29, 1947. Werner, Manfred: Beweiswürdigung im Schadensersatzprozeß nach § 287 ZPO, Dissertation, Würzburg 1970. Wendt, Gerlind: Die ärztliche Dokumentation: Eine beweisrechtliche Untersuchung zu ihrer Bedeutung für die Entscheidung der Sorgfaltsfrage bei der deliktischen Arzthaftung, Dissertation, Baden-Baden 2001. Wessels, Johannes / Hettinger, Michael: Strafrecht BT, 27. Auflage, Heidelberg 2003. Wilmowsky, Peter v.: Pflichtverletzung im Schuldverhältnis, in: JuS 2002, Beilage zu Heft 1, S. 2* ff. Zetkin, Maxim / Schaldach, Herbert: Lexikon der Medizin, 16. Auflage, Wiesbaden 1999. Zimmermann, Reinhard: Schuldrechtsmodernisierung?, in: JZ 2001, S. 171 ff. Zöller, Richard: Zivilprozessordnung, 24. Auflage, Köln 2004.

Sachwortregister allgemeines Leistungsstörungsrecht 95 Alltagstheorien 45 – Subjektive 45 Altersgebrechlichkeit 52 Alterungsprozess 15, 39 Anamnese 17 Anpassungsfähigkeit 46 Anspruchskonkurrenz 21 Anwaltsfehler 112 – Pflichtverletzung 112 Anwaltshaftung 105, 112, 165 – Beweislastumkehr 110 – fehlerhafte Prozessführung 111 – haftungsausfüllende Kausalität 109, 110 – Haftungsbegründung 109 – objektive Pflichtverletzung 109 – Pflichtverletzung 106 – subjektiven Pflichtwidrigkeit 109 – Verschulden 108 – Vertretenmüssen 108 Anwaltsvertrag 106 – Aufklärungspflichten 107, 110 – Beratungspflichten 110 – Beweislast 107 – Dienstvertrag 106 Aortenklappenstenose 38 Arbeitnehmerhaftung 105 – § 619a BGB 105 Arbeitsfähigkeit 60 – Wiederherstellung 60 Arbeitsunfähigkeit 53 Arzt 15 – Aufgabe 15 Ärzte, Gesundheitsvorstellungen 37 Arzthaftung 151 – Auslegung § 280 Abs. 1 S. 2 BGB 159 – Lehre von der äußeren und inneren Sorgfalt 119 – Rechtswidrigkeit 123 – Sachverhaltskonstellation 164

– Verschuldenshaftung 123 – Verschuldensvermutung 117 Arzthaftungsrecht 14, 15, 65 – Beweisführung 154, 155 – erfolgsbezogene Pflichten 115, 127 – Gesundheitsverletzungstatbestand 69 – neue Beweislastverteilung 14 – Pflichtenkonzept 127 – Rechtsgut 64 – Sachverhaltskonstellation 15 ärztliche Behandlung – Standard 126 ärztliche Berufshaftung – objektiver Qualitätsmaßstab 124 ärztliche Leistungspflichten – verhaltensbezogen 128 ärztlicher Standard 89 Arztrisiko 19 Arztvertrag – Dienstvertrag 116 – Sorgfaltspflichten 20 Äußere und Innere Sorgfalt 118 – Differenzierung 119 Aufklärungspflichtverletzung 130 Aufklärungsrisiko 100 Befunde 35 – objektive 40 Behandlung 15, 16, 17 – ärztliche 17 – fehlerhafte 16 – standardgemäße 89 Behandlungsbedürftigkeit 53 Behandlungserfolg 19, 116, 128 – Erhaltung des bestehenden Zustandes 19 – Heilung / Verbesserung des bestehenden Zustandes 19 – Reduzierung der unausweichlichen Verschlechterung 19

Sachwortregister Behandlungsfehler 14, 83, 89 – Beweisnot des Patienten 145 – einfacher 144 – generelle Eignung 14, 141 – grober 14, 139 – Pflichtverletzung 118 Behandlungsfehlerhaftung 29, 113 – Haftungsgrund 114 – Pflichtverletzung 114, 115 – Verhaltenspflicht 114 – Vertretenmüssen 115 – § 280 Abs. 1 BGB 162 – § 280 Abs. 1 BGB 114 Behandlungsmethode 18 – unterschiedliche 18 Behandlungspflicht 19 Behandlungsphase – diagnostische 17 – therapeutische 17 Behandlungsvertrag 20, 22 – eigenständigen Vertragstypus in das BGB 20 Behandlungsziel 15, 18, 128 – hypothetisches 85 – nichterreichen 85 Behauptungslast 101 Berufshaftung 94 Betrachtung – Ist- / Soll- 89 Bewältigungskompetenz 48 Beweiserleichterung 14, 145, 160 – Spektrum der 146 Beweisführungslast 153 Beweislast 100 – §§ 282, 285 BGB a.F. 101 – haftungsbegründenden Kausalität 134 – Verschulden 117 Beweislastsonderregel 143, 165 Beweislastumkehr 14, 110 – Begründung der Rechtsprechung 143 – dogmatischer Begründungsversuche 147 – grober Behandlungsfehler 139 – Rechtsfolge 142 – Waffengleichheit 149 – Wahrscheinlichkeitserwägungen 142 Beweislastverteilung 14 – gegensätzliche 27 – materiellrechtliche Grundlage 116

179

– verfassungsrechtlichen Grundsätzen 137 – § 280 Abs. 1 BGB 161 Beweislastverteilung § 280 Abs. 1 BGB 165 Bypass 19 Codewerte 42 culpa in contrahendo 95 Deliktsrecht 16, 21, 26 – entgegengesetzte Perspektive 16 – verletzungsnegierend 21 Deutscher Ärztetag 39 Diabetes 19 Diagnose 17 Diätetik 33 Dichotomie 35 Dienstleistungshaftung 14 – nicht erfolgsbezogene 14,104 Dienstleistungsrecht 14 Dienstvertrag 22 Differenzbetrachtung 63, 64, 68, 103, 134 – Mertens’ 88 Dokumentationspflichten 154 Eigentumsverletzung 64 Einheitstatbestand 96 Einwendung 104 – haftungshindernde 104 Einwendungstatbestand 99 Erfolgseinstandspflicht 161 Erfolgsgarantie 22 Erfolgsunrecht 89 erwarteter Behandlungserfolg 85 Expertenwissen 61 Fachstandard 18 – ärztlicher 18 Fehlbehandlung 88 Fehlentwicklung 16 Frustrationstoleranz 46 Galen (129 – 199 n. Chr.) 33 Gefahrenbereich 101 Gefälligkeitsleistung 29 Gegenstandsbetontheit 127 Gehilfenhaftung 21, 24 Generalklausel 23 Generaltatbestand 95

180

Sachwortregister

generelle Eignung 157 Geschäftsführung ohne Auftrag 28 Gesellschaftssysteme 57 Gesundheit 16, 23, 24, 29, 39, 61 – Abgrenzungskonzept 58, 59 – approximativ 40 – biologisch-physiologischen Sinne 50 – biologische Phänomene 36 – Förderung 29 – Funktionsaussage 58, 61 – Funktionstauglichkeit 54 – gesellschaftlicher Sinn 42 – Idealbegriff 40 – Legaldefinition 63 – Leistungsgegenstand 29 – naturwissenschaftliche Medizin 35 – psychische und soziale Elemente 36 – seelische 45, 46, 47 – soziales System 41 – soziologisch-theoretische 41 – verfassungsrechtlicher Schutz 48 – Wertaussage 58 – Wertidee 58 – Wiederherstellung 16 Gesundheits- / Krankheitsvorstellung 15 – binären 15 Gesundheitsbeeinträchtigung 150 Gesundheitsbegriff 31, 164 – Definitionsversuche 31 – juristische Literatur 66 – juristische Tatbestandsvorstellung 66 – konturlose 57 – Rechtsprechung 66 – Sozialrecht 60 – sozialrechtliche 51 – strafrechtlicher 54 – Theorien 31 – WHO 31 Gesundheitsförderung 32 Gesundheitskonzepte 45 – psychologische 45 Gesundheitsschäden 84 Gesundheitsschädigung 55 – strafrechtliche Definition 56 Gesundheitsverletzung 13, 14, 62, 87, 90, 93 – arzthaftungsrechtliche 90 – Definition 69

– Rechtsprechungsübersicht 69 – schicksalhafte 117 – strafrechtliche 56 – unerwähnt 87 – vermutet 151 Gesundheitsverletzungstatbestand 63 – Differenzbetrachtung 67 – Ziviljuristischer Umgang 62 Gesundheitszustand 16 – Nichtverbesserung 85 – Verbesserung 16 GKV-System 60 grober Behandlungsfehler siehe Behandlungsfehler 143 Grunderkrankung 15 Grundgesetz 49 Grundrechtsschutz 49 Haftung 21 – außervertraglich 28 – deliktisch 23 – vertraglich 21 – Zweispurigkeit 24 haftungsbegründende Kausalität 88 Haftungsgrund 25, 99 Haftungsgrundlage 21 – deliktische 21 – vertragliche 21 Haftungsrecht 16 Haftungstatbestand 29 Heilbegriff 16 – rechtliche 16 Heilbehandlung 16, 57 – fehlerhafte 57 Heileingriff 16, 56 Heilheitsvorstellung 63 Heilung 16 Herzkranzgefäßerkrankung 19 Hilfskonstruktion 112 HIV-Entscheidung 69 Hygiene 38 Indikatorenmodell 46 informed consent 70 Innere Sorgfalt 119 Integritätsinteresse 98 Integritätsschutz 16

Sachwortregister Integritätswahrnehmung 104 Irrtum – entschuldbarer 126 Kausalität – hypothetische 134 Kausalitätsfeststellung 157 Kausalitätsvermutung 117 Kausalverlauf 14, 65 – koexistierender 14 Kausalverläufe 85 – konkurrierende 85 Komplementärfaktoren 38 Kontinuumsmodell 44 körperliche Integrität – Eingriff 89 körperliche Unversehrtheit 54 körperliche Misshandlung 55 körperliche Unversehrtheit 49 Körperverletzung 55 Krankenhausträgerhaftung 131 Krankenhausvertrag 28 – totaler 28 Krankheit 15, 17, 35, 39, 55 – biologische Phänomene 36 – objektive 40 – psychische und soziale Elemente 36 – subjektive 40 Krankheitsbegriff – binärer 36 – sozialrechtlicher 51 Krankheitserscheinungen 85 Krankheitsrisiko 19 Kündigungsrecht 20 kurativ 19 Lebenserwartung 18 – Verlängerung 18 Lebensqualität 18 lege artis 19 Leistungsfähigkeit 37 – seelische 37 – soziale 37 Leistungshandlung – Qualität 103 Leistungsperspektive 16 Leistungspflicht 97 – Verletzung 97 Leistungsrisiko 116

181

Leistungsstörungen 14 Lues-Entscheidung 69 Maßnahmen 16 – medizinische 17 – therapeutische 16 Makrokosmos 33 Medizin 33 – biopsychosoziale 36 – Gesundheitsverständnis 33 – naturwissenschaftliche 34 – praktische 37 Mediziner 37 medizinischer Standard 152 medizinische Indikation 17 medizinische Sachverständige 155 medizinischer Standard – Amtsermittlung 154 Medizinsoziologie 41, 43 Medizintheorie, systemisch-psychosomatische 36 Mikrokosmos 33 Minusvorstellungen siehe traditioneller Verletzungstatbestand Misshandlung 55 naturwissenschaftliche Medizin – Krankheitsbegriff 35 neutralitas 33 nichterfolgsbezogene Dienstleistung 103 Nichterfüllungsterminologie 96 Nichtleistung 97 Nichtvertretenmüssen 99 – positive Merkmale 118 non-liquet 153 Normalerweise 88, 91 Normalzustand 67 Normtatsachen 152 Normtatsachenkonzept 151 Objektive 104 objektivierter Fahrlässigkeitsbegriff 121 Obligationen 24 Obligationenprogramm 96 – Abweichungen 96 Obligationenrecht 26, 29 Operationen 17 – kosmetische 17

182

Sachwortregister

Rechtsgut 63 – Körper 63 Rechtsunsicherheit 14 Rechtswidrigkeit – verhaltensbezogene 122 Rechtswidrigkeitsurteil 90 Regelwidrigkeit 53 Regulationskompetenzmodell 46 Risikoverteilung 121

Schadensersatz 26 – immaterieller 26 Schadensrechtsänderungsgesetz 14 Schlechtleistung 97, 103 Schmerzensgeld 21, 26, 27, 29 Schuldausschließungsgründe – Diagnoseirrtümer 126 Schuldrecht 14 – allgemeines 14 Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 14, 94 Schutzpflichten 98 Schutzpflichtverletzung 96, 98 Schwangerschaft 80 Schwimmschalterproblematik siehe Eigentumsverletzung seelische Störungen 16 Selbstaktualisierung 47 Selbstaktualisierungsmodell 46 Selbstbestimmungsrecht 56, 57 Sinnfindungsmodell 46, 47 Sorgfalt – Höchstmaß 122 – Normalmaß 122 Sorgfaltsanforderungen 125 – Verschärfung 125 Sorgfaltspflichten 24 – deliktische 24, 77 – strukturgleich 25 – vertragliche 24, 77 Sozialrecht 60 Sozialversicherungsgesetzgebung 37 Soziologie 41 Spätleistung 97 Standard 126 – Nichtkenntnis 126 Statistik 92 Strabismus 19 strafrechtliche – Gesundheitsschädigung 55 Stressoren 43 Strukturgleichheit 77 Subsumtionstatsachen 152 Symptome 17 Syndrome 35

Salutogenese 43 Schaden 21 – immaterieller 21

Tatbestand 97 – gegenständlicher 97 – nichtgegenständlicher 102

Organisationsfehler 131 Organismus 15, 16, 65 – biologische und physiologische Reaktionen 16 – Eigenart 128 – gestörter 15 – menschlicher 38 – unvorhersehbare Reaktionen 15 Osteoporose 19 Ottawa-Charta 32 palliativ 20 Paracelsus (1493 – 1541) 34 Parkinson 19 pathogenetisch 43 pathologisch 35 pathologischer Verlauf 15 persönlich-leibliche Sphäre 64 Persönlichkeitsrecht 27 – allgemeiner 27 Persönlichkeitsrechtsverletzung 27 Pflichten 97 – leistungsbezogene 97 Pflichtverletzung 95 – Begriffshof 91 – objektiv 97 – Vermeidbarkeit von Fehlvorstellungen 127 Pflichtwidrigkeitsprüfung – Verkehrskreise 127 physiologische Funktionsstörung 35 positive Vertragsverletzung 98 positive Forderungsverletzung 95 positive Vertragsverletzung 101

Sachwortregister Teleonymie 41 teleonymische Fähigkeit 42 Therapie 17, 18 – medikamentöse 18 – symptomatische 18 Tumor 18 – solitärer 19 UN-Kaufrecht 95 unerlaubte Handlung – Integritätsschutzfunktion 20 unerlaubte Handlung 20 Unmöglichkeit 97 Ursachenzusammenhang 25, 76 – haftungsbegründer 77 Verantwortungsbereiche 101 Vergleichsgruppe 92 verhaltensbezogene Haftungskonzept 89 Verhaltenspflicht 24, 98 Verhaltensstandard 124 Verhaltensunrecht 87 Verhaltensunrechtshaftung 87 Verhandlungsgrundsatz 151 Verjährungsfrist 21 Verkehrsnotwendigkeiten 124 Verkehrswidrigkeit 124 Verletzungshandlung 13 Verletzungstatbestand – traditioneller 63, 85 Verletzungstatbestandsvorstellungen 62 Vermögensschaden 23 Vermögenssorge 104 Verschulden 108 Verschuldenselemente – positive 118

Verschuldenshaftung 99 Verschuldensvermutung 116 – Abgrenzung zur Pflichtverletzung 127 – Nichtanwendbarkeit 116 vertragliche Schuldverhältnisse – Schutzpflichten 21 vertragliche Schuldverhältnisse 21 Vertragsfreiheit 19 Vertragsrecht 21, 26 – leistungsorientiertes 21 Vertretenmüssen 14, 115 – Vermutung 14, 26 Verzug 97 Vorerkrankungen 15 Waffengleichheit 14, 133 Wahrscheinlichkeit – an Gewissheit grenzende 92 – an Sicherheit grenzende 92 – statistische 158 Wahrscheinlichkeitsangaben 86, 92 Werkvertrag 22, 116 Wertschätzung 47 Wertvorstellungen 53 – gesellschaftliche 53 WHO 31 Wohlbefinden 36, 48 – habituelles 48 – körperliches 48 – psychisches 36 – seelisches 48 – soziales 36 – subjektives 37 zivilrechtliche Verhaltenshaftung 122

183