Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017 9783504385910

Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH Whistleblowing-Pflichten und Whistleblower-Rechte Insiderrec

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Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017
 9783504385910

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Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung

Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (Hrsg.) Band 23

Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mit Beiträgen von

Dr. Gabriele Apfelbacher LL.M. (Columbia) Rechtsanwältin, Frankfurt am Main

Prof. Dr. Ingo Drescher Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe

Prof. Dr. Gerd Krieger Rechtsanwalt, Düsseldorf

Prof. Dr. Dörte Poelzig M.jur. (Oxon.) Universitätsprofessorin, Leipzig

Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard) Universitätsprofessor, Bonn

Dr. Thomas Trölitzsch Rechtsanwalt, Stuttgart

2018

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-62723-2 ©2018 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Stückle, Ettenheim Printed in Germany

Vorwort Am 10.11.2017 fand in Frankfurt/M. die 20. Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mit mehr als 400 Teilnehmern statt. Der vorliegende 23. Band der VGR-Schriftenreihe enthält die Referate und Diskussionsberichte dieser Jubiläumstagung. Auch in diesem Jahr umfasste das Programm einen bunten Strauß an Themen aus allen Bereichen des Gesellschaftsrechts. Am Beginn der Tagung stand wie immer der Bericht über die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH durch den Vorsitzenden des 2. Zivilsenats. Prof. Dr. Ingo Drescher stellte elf der interessantesten Entscheidungen aus der Senatspraxis des letzten Jahres vor, davon eine zur Vereinslöschung, eine zur Kommanditistenhaftung, vier zur GmbH, zwei zur Limited und drei zur Aktiengesellschaft. Vortrag und anschließende Diskussion spiegelten auch in diesem Jahr aktuelle Trends in der Rechtswirklichkeit wider, beispielsweise die zunehmende praktische Bedeutung anderer Unternehmensträger als der klassischen Handelsgesellschaften, konkret des Vereins und der englischen Limited. Im Anschluss führte Prof. Dr. Gregor Thüsing von der Universität Bonn in die aktuellen Fragen rund um das Whistleblowing ein. Den Gesellschaftsrechtlern hat die jüngste Kodexänderung die Bedeutung von Whistleblower-Hotlines als Element des Compliance Management Systems vor Augen geführt. Das Referat machte deutlich, dass die Probleme weit darüber hinaus weisen und bei Einrichtung und Betrieb von Hinweisgebersystemen komplexe haftungs-, arbeits- und datenschutzrechtliche Aspekte zu beachten sind. Praktische Probleme betreffen insbesondere die Wahrung der Anonymität des Informanten, Beschlagnahmerechte der Staatsanwaltschaft auch beim Ombudsmann und das Recht des angezeigten Mitarbeiters auf Information über Vorwurf und Person des Whistleblowers. Frau Rechtsanwältin Dr. Gabriele Apfelbacher gab vor der Mittagspause einen Überblick über die Relevanz des neuen Insiderrechts für M&ATransaktionen. Der Schwerpunkt lag auf der Frage, ob und was die 2016 in Kraft getretene Marktmissbrauchsverordnung im Vergleich zu den §§ 12 ff. WpHG a.F. an Neuem bringt. Dazu wurden sowohl die zentralen Begriffsdefinitionen und Konzepte als auch die M&A-spezifischen Anwendungsfragen dargestellt. Es zeigte sich, dass nach wie vor schwierige Abgrenzungsprobleme etwa bei den folgenden Fragen bestehen: Wann

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Vorwort

liegt bei einem gestreckten M&A-Prozess eine Insiderinformation vor? Darf der Bieter in der Due Diligence erlangte Insiderinformationen bei seiner Entscheidung zur Fortsetzung des Beteiligungsaufbaus oder dem Abbruch der Transaktion berücksichtigen? Welche Möglichkeiten bietet das Recht zu Marktsondierungen? Im Ergebnis hat die MMVO zwar einen Teilbereich des Insiderrechts im M&A-Kontext erstmals kodifiziert; fast alle der bisher offenen Rechtsfragen und Unsicherheiten sind jedoch geblieben. Das inhaltliche Programm des Nachmittags begann mit einem Vortrag von Prof. Dr. Dörte Poelzig von der Universität Leipzig zu Angriffen auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip und deren Folgen für die Konzernleitung. Anlass für das Thema ist der rechtspolitische Trend in Deutschland und noch stärker in der EU, Konzernmütter für Rechtsverstöße von Tochtergesellschaften in die Haftung zu nehmen. Das Referat ging auf die verschiedenen Angriffe auf das Trennungsprinzip durch konzernweite Aufsichtspflichten insbesondere im Finanzmarktaufsichtsrecht, Bußgeld- und Schadenersatzhaftung von Muttergesellschaften für Rechtsverstöße ihrer Töchter insbesondere im Bereich des Kartellrechts und die Bemessung von Bußgeldhöchstgrenzen am Konzernumsatz im Kapitalmarktrecht ein. Diesen gesteigerten Pflichten und Risiken der Mutter korrespondiert eine konzernweite Legalitätskontrollpflicht, zu deren Erfüllung die Mutter auf die Versorgung mit Informationen durch die Töchter angewiesen ist. Im faktischen AG-Konzern stellt sich in diesem Zusammenhang die spannende Frage, inwieweit die gesteigerte Verantwortung und Haftung der Mutter die Geschäftsleitungspflichten des Vorstands der Tochter modifizieren. Das diesjährige personengesellschaftsrechtliche Thema betraf die Frage, wie in einer Gesellschafterversammlung bei der Beschlussfassung beispielsweise über die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers, die Einziehung von Geschäftsanteilen oder den Ausschluss eines Gesellschafters aus wichtigem Grund praktisch mit dessen bloßer Behauptung und dem Stimmverbot des Betroffenen umzugehen ist. Anlass für die Themenstellung war ein Urteil des BGH vom 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701, das die hier interessierende Frage aber gerade nicht zu entscheiden hatte. Rechtsanwalt Dr. Thomas Trölitzsch stellte den Konflikt zwischen Gesellschafterminderheit und Mehrheitsgesellschafter und den nach wie vor zerklüfteten Meinungsstand zur Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf den wichtigen Grund und die Rolle des Versammlungsleiters bei dessen Prüfung dar. Anschließend entwickelte er

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Vorwort

eine eigene Lösung für Personengesellschaften und GmbHs unter besonderer Berücksichtigung der Rolle des Versammlungsleiters und seiner Haftung. Den Abschluss bildeten Überlegungen, wie diese nach wie vor hoch umstrittene Problematik durch Gestaltung des Gesellschaftsvertrags entschärft werden kann. Das Schlussreferat betraf Fragen rund um Organhaftung und Schiedsverfahren. Das Organhaftungsrecht hat die Praxis und entsprechend auch die VGR in den letzten Jahren intensiv beschäftigt. Prof. Dr. Gerd Krieger stellte zunächst die Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen im Hinblick auf Organhaftungsstreitigkeiten und die Möglichkeiten ihres Abschlusses dar. Der Schwerpunkt seiner Überlegungen lag dann auf einer Darstellung der praktischen Vor- und Nachteile des Schiedsverfahrens. Neben den altbekannten Vorteilen von Schiedsverfahren sind gravierende Nachteile zu beachten, die mit den Besonderheiten von Organhaftungsverfahren zusammenhängen: In Organhaftungsfällen kommen regelmäßig eine Mehrzahl von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern als Anspruchsgegner in Betracht, was sich an der großen Zahl von Streitverkündungen bei Klagen vor den staatlichen Gerichten zeigt. Eine befriedigende Lösung für die Erstreckung des Schiedsverfahrens auf Dritte würde komplexe und aufwendige Regelungen voraussetzen. Im Übrigen muss bei der Frage des Ob und Wie einer Schiedsvereinbarung die dominante Stellung der D&O-Versicherung beachtet werden. Es wurde deutlich, warum Schiedsvereinbarungen bei Organhaftungsverfahren in der Praxis nur eine geringe Bedeutung haben und dass die Frage, ob eine Schiedsvereinbarung abgeschlossen werden soll, nicht generell, sondern nur für den Einzelfall entschieden werden kann. Zu jedem der Referate fand eine ausführliche und teilweise kontroverse Diskussion statt, die in den Diskussionsberichten im Anschluss an den jeweiligen Vortrag zusammengefasst ist. Vorstand und Beirat der VGR danken allen, die zum Gelingen der 20. Jahrestagung beigetragen haben, insbesondere den Referenten, den Diskussionsleitern und -teilnehmern, den Verfassern der Diskussionsberichte sowie Frau Heike Wieland, in deren bewährten Händen auch in diesem Jahr die perfekte Vorbereitung und Organisation der Tagung lag. München, im März 2018 Für Vorstand und Beirat der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung Jochen Vetter

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Inhalt* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Ingo Drescher Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH . . . .

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I. Verein und Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. GmbH und Limited . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kim Rohwetter Bericht über die Diskussion des Referats Drescher . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Vereinsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. GmbH-Recht und Limited . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Gregor Thüsing/Dr. Johannes Fütterer Whistleblowing im Spannungsfeld von Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht und Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Vom neunten Kreis der Hölle in den DCGK – Ein Überblick über die internationalen und nationalen Entwicklungen . . . . . .

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II. Ein Blick auf die Unternehmenspraxis der DAX-30-Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Pflichten des Unternehmens zur Whistleblower-Hotline . . . . . .

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IV. Schutz vor dem Whistleblowing für „verpfiffene“ Mitarbeiter . .

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V. Schutz von Whistleblowern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Summa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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* Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.

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Inhalt

Benedikt Happ Bericht über die Diskussion des Referats Thüsing . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Gabriele Apfelbacher, LL.M. (Columbia) Insiderrecht im M&A-Kontext: (Nicht) viel Neues nach der Marktmissbrauchsverordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Zentrale Begriffsdefinitionen und Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. M&A-spezifische Anwendungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Silke Jurczyga Bericht über die Diskussion des Referats Apfelbacher . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Dörte Poelzig, M.jur. (Oxon.) Angriffe auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip und ihre Folgen für die KonzernleitungPoelzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Angriffe auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip . . . . . . . .

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C. Folgen für die Konzernleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Lösungsmöglichkeiten de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 E. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Tabea Bauermeister Bericht über die Diskussion des Referats Poelzig . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Dr. Thomas Trölitzsch Der behauptete wichtige Grund als Grundlage für ein Stimmverbot in der Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Zur Ausgangssituation in Gesellschafterversammlungen und bei sich anschließenden Beschlussmängelstreitigkeiten . . . 120 III. Praktische Folgefragen, wenn der Stimmrechtsausschluss wegen eines „wichtigen Grundes“ für das Beschlussergebnis entscheidend ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

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Inhalt

IV. Rechtsgrundlage für ein Stimmverbot wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 V. Überblick über den Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 VI. Kriterien für einen konsistenten Lösungsvorschlag . . . . . . . . . 144 VII. Versammlungsleitung im GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 VIII. Haftung des Versammlungsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 IX. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Dr. Daniel Schillerwein Bericht über die Diskussion des Referats Trölitzsch . . . . . . . . . . . . . . 174 Prof. Dr. Gerd Krieger Organhaftung und Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Zulässigkeit und Abschlusskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 III. Pros und Cons des Schiedsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 IV. Sorgfaltspflichten des für die Anspruchsverfolgung zuständigen Organs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 V. AGB-Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 VI. Schiedsverfahren und D&O-Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Nikolas J. Klein, LL.M. (Cambridge) Bericht über die Diskussion des Referats Krieger . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

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Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH Prof. Dr. Ingo Drescher Vorsitzender Richter am BGH, Karlsruhe I. Verein und Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinslöschung, Beschluss vom 16.5.2017 – II ZB 7/16, NJW 2017, 1943, z.V.b. in BGHZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kommanditistenhaftung, Urteil vom 25.7.2017 – II ZR 122/16, NJW 2017, 3232 . . . . II. GmbH und Limited . . . . . . . . 1. Eingeschriebener Brief im GmbH-Recht, Urteil vom 27.9.2016 – II ZR 299/15, BGHZ 212, 104 . . . . . . . . . . . 2. Bewertung des Masseausgleichs, Urteil vom 4.7.2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 3. Einladungsbefugnis eines abberufenen, noch im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführers, Urteil vom 8.11.2016 – II ZR 304/15, NJW 2017, 1471 = BGHZ 212, 342 4. Stimmverbot bei Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers, Urteil vom 4.4.2017 – II ZR 77/16, ZIP 2017, 1065 . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Besicherung eines Darlehens durch Gesellschaft – GmbH, Urteil vom 21.3.2017 – II ZR 93/16, ZIP 2017, 971, z.V.b. in BGHZ . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Löschung einer Auslandsgesellschaft, Beschluss vom 22.11.2016 – II ZB 19/15, ZIP 2017, 421 = BGHZ 212, 381. . III. Aktiengesellschaft . . . . . . . . 1. Abberufung eines Vorstandsmitglieds, Urteil vom 15.11.2016 – II ZR 217/15, AG 2017, 239 . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besicherung eines Darlehens durch Gesellschaft – AG, Urteil vom 10.1.2017 – II ZR 94/15, ZIP 2017, 472, z.V.b. in BGHZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausschluss von Minderheitsaktionären und Verbriefung, Urteil vom 31.1.2017 – II ZR 285/15, ZIP 2017, 483, z.V.b. in BGHZ . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Verein und Personengesellschaft 1. Vereinslöschung, Beschluss vom 16.5.2017 – II ZB 7/16, NJW 2017, 1943, z.V.b. in BGHZ Sachverhalt: Der Beteiligte begehrt die Einstellung des Verfahrens auf Löschung im Vereinsregister. Er ist seit dem 2.10.1995 im Vereinsregister beim AG Charlottenburg eingetragen. § 2 seiner Satzung lautet: „Der Verein verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke i.S.d. Abschnitts ‚steuerbegünstigte Zwecke‘ der Abgabenordnung. Diese Zwecke sollen durch theoretische und praktische Arbeit auf dem Gebiet der Erziehung und Jugendberatung erreicht werden. Insbesondere durch Projekte wie die Einrichtung von Elterninitiativ-Kindertagesstätten, durch den Aufbau von beispielsweise Beratungsstellen oder Selbsthilfeprojekten für Jugendliche und junge Erwachsene. Der Verein ist selbstlos tätig, er verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke. Die Mittel des Vereins dürfen nur für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden. Der Vorstand ist ehrenamtlich tätig.“

Der Beteiligte hat elf Mitglieder und betreibt neun Kindertagesstätten mit einer Größe von jeweils 16 bis 32 Kindern. Er ist mit Bescheid des Finanzamts von der Körperschaftssteuer und Gewerbesteuer befreit, weil er ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten gemeinnützigen Zwecken i.S.d. §§ 51 ff. AO dient. Rechtliche Würdigung: Die Amtslöschung kommt bei offener Rechtsformverfehlung (Eintragung eines Vereins, dessen Zweck nach der Satzung auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist) oder verdeckter Rechtsformverfehlung (Verein führt nachträglich satzungswidrig in der Hauptsache einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb) in Frage. Der Verein führte hier einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, weil er planmäßig, auf Dauer angelegt und nach außen gerichtet, d.h. über den vereinsinternen Bereich hinausgehend, eigenunternehmerische Tätigkeiten entfaltete, die auf die Verschaffung vermögenswerter Vorteile zugunsten des Vereins oder seiner Mitglieder abzielen. Ein Verein kann aber auch dann ein nichtwirtschaftlicher Verein sein, wenn er zur Erreichung seiner ideellen Ziele unternehmerische Tätigkeiten entfaltet, sofern diese dem nichtwirtschaftlichen Hauptzweck zu- und untergeordnet und Hilfsmittel zu dessen Erreichung sind (sog. Nebenzweckprivileg). Die Anerkennung eines Vereins als gemeinnützig i.S.d. §§ 51 ff. AO hat Indizwirkung dafür, dass er nicht auf einen wirt-

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schaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist und in das Vereinsregister eingetragen werden oder bleiben kann. Die Gesetzgebungshistorie zeigt, dass der Gesetzgeber den gemeinnützigen Verein als einen Regelfall eines Idealvereins angesehen hat, der nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Gegenstück sind Gesellschaften, die auf Geschäftsgewinn und den wirtschaftlichen Vorteil des Einzelnen abzielen. Dagegen dürfen die Mitglieder eines nichtwirtschaftlichen Vereins bei Gemeinnützigkeit keine Gewinnanteile und in ihrer Eigenschaft als Mitglieder auch keine sonstigen Zuwendungen aus Mitteln der Körperschaft erhalten Die Größe und der Umfang des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs allein sind nicht aussagekräftig für das Nebenzweckprivileg. Wenn der Verein Mittel für ideellen Zweck erwirtschaften darf, darf er auch den ideellen Zweck unmittelbar mit seinen wirtschaftlichen Aktivitäten erfüllen. Es entstehen keine besonderen Risiken für die Gläubiger.

2. Kommanditistenhaftung, Urteil vom 25.7.2017 – II ZR 122/16, NJW 2017, 3232 Sachverhalt: Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin, einer Ltd. & Co. KG. Director der Komplementärin und einziger Kommanditist war der Beklagte mit einer Hafteinlage von zunächst 1.000 t, die später auf insgesamt 197.500 t erhöht wurde. Mit Vertrag vom 31.12.2008 traf der Beklagte mit der Schuldnerin eine Vereinbarung über die Leistung einer Kommanditeinlage an Erfüllungs statt durch Übereignung von acht Schuldverschreibungen über je 20.000 t. Die restliche Einlageverpflichtung des Beklagten sollte durch Umbuchung eines entsprechenden Betrages vom dem auf seinem Privatkonto aufgelaufenen Guthaben auf sein Festkapitalkonto erbracht werden. Am 27.1.2009 ging auf dem Privatkonto des Beklagten eine Gutschrift aus der Veräußerung der Schuldverschreibungen i.H.v. 166.871,68 t ein. In der Folgezeit zahlte der Beklagte an verschiedene Gläubiger über 300.000 t. Nach Insolvenzeröffnung nahm der Kläger gem. § 171 Abs. 1, Abs. 2 HGB den Beklagten auf Zahlung von 197.500 t in Anspruch.

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Rechtliche Würdigung: Der Insolvenzverwalter kann sowohl die Außenhaftung gegenüber Gläubigern (§ 171 Abs. 2 HGB) als auch den Anspruch auf Leistung der Einlage nach § 80 Abs. 1 InsO geltend machen. Die Außenhaftung des Kommanditisten war hier zunächst teilweise durch Leistung der Einlage mit Schuldverschreibungen an Erfüllungs statt erloschen. Die Einlage galt aber gem. § 172 Abs. 4 HGB als nicht geleistet wegen der Rückzahlung der Einlage mit der Gutschrift aus der Einlösung der Schuldverschreibungen auf das Konto des Kommanditisten. Soweit der Kommanditist vor der Eintragung der erhöhten Hafteinlage Gläubiger befriedigte und mit seinem Anspruch aus § 110 HGB aufrechnete, erbrachte er die Einlage nicht, da nicht der Nennwert, sondern der realer Wert der befriedigten Gläubigerforderungen maßgebend ist und dazu keine Feststellungen getroffen waren. Die Außenhaftung war aber erloschen durch Befriedigung der Gläubiger nach Erhöhung der Haftsumme und vor Insolvenzeröffnung. Insoweit ist der Nennwert der Gläubigerforderungen maßgebend. Auch ein Anspruch auf Leistung der Einlage (§ 80 Abs. 1 InsO) bestand nicht mehr. Entweder war der Anspruch ggf. bereits mit Leistung an Erfüllungs statt erloschen. Die Rückzahlung der Einlage war insoweit ohne Bedeutung, da sie nicht zum Wiederaufleben der Einlageschuld führt. Falls nicht schon aus diesem Grund kein Anspruch mehr bestand, war eine Aufrechnung mit dem Erstattungsanspruch nach § 110 HGB wegen Gläubigerbefriedigung auch in der Insolvenz möglich, die zum Erlöschen des Einlageanspruchs führt. Insoweit ist der Nennwert, nicht der reale Wert maßgeblich.

II. GmbH und Limited 1. Eingeschriebener Brief im GmbH-Recht, Urteil vom 27.9.2016 – II ZR 299/15, BGHZ 212, 104 Sachverhalt: Mit Einwurf-Einschreiben der Deutschen Post AG vom 23.6.2011 wurde die Beklagte aufgefordert, einen noch offenen Betrag von 15.000 t auf das Stammkapital der Klägerin zu zahlen, eine Frist wurde bis 31.7.2011 für die Zahlung gesetzt und angekündigt, dass für den Fall der Nichteinhaltung der Frist gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 GmbHG der Ausschluss aus der Gesellschaft erfolgen werde.

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Drescher – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

Rechtliche Würdigung: Die formalen Anforderungen einer erneuten Aufforderung mittels eingeschriebenen Briefs gem. § 21 Abs. 1 Satz 2 GmbHG werden durch ein Einwurf-Einschreiben der Deutschen Post AG gewahrt. Der Wortlaut erfasst auch das Einwurf-Einschreiben. Aus dem Willen des Gesetzgebers lässt sich kein Ausschluss des Einwurf-Einschreibens als zulässiger Form der Übermittlung i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 2 GmbHG herleiten. Bei einer Gesamtbetrachtung der Vor- und Nachteile der beiden Versendungsarten in Bezug auf Sinn und Zweck der Norm, nämlich der Zugangssicherung und der Sicherung der Beweisführung, ist das Einwurf-Einschreiben dem Übergabe-Einschreiben zumindest gleichwertig.

2. Bewertung des Masseausgleichs, Urteil vom 4.7.2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 Sachverhalt: Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer private company limited by shares nach englischem Recht, die eine Niederlassung in Deutschland hatte. Der Beklagte war deren Director. Geschäftsgegenstand der Schuldnerin war die Vermarktung von Anteilen einer englischen Gesellschaft. Einnahmen erzielte sie vornehmlich aus Provisionszahlungen für von ihr vorgenommene Vermittlungstätigkeiten. Zwischen dem 14.9.2009 und dem 9.12.2009 zahlte die Schuldnerin vom Geschäftskonto und aus der Barkasse für Strom Telefon, Telekommunikation und Kaffeeservice zusammen 6.508,27 t und an Angestellte 9.208,51 t für Gehälter für Juni 2009, insgesamt 15.716,78 t. Rechtliche Würdigung: Auf den Director einer private company limited by shares nach englischem Recht ist 64 Satz 1 GmbHG entsprechend anwendbar. Die Regeln des Bargeschäfts nach § 142 InsO a.F. sind auf § 64 GmbHG nicht entsprechend anwendbar. Die Vorschriften beruhen nicht auf einem vergleichbaren Zweck. Das Anfechtungsrecht betrifft auch die Vermehrung der Schuldenmasse, § 64 Satz 1 GmbHG aber nur die Verminderung der Aktivmasse. Die Bestimmung zum Bargeschäft im Anfechtungsrecht dient dem Schutz des Geschäftspartners, der Geschäftsführer ist bei § 64 GmbHG aber nicht schutzbedürftig. Er darf keine Geschäfte mehr betreiben, sondern muss einen Insolvenzantrag stellen.

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Drescher – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

Die Ersatzpflicht des Geschäftsführers kann unabhängig von einer entsprechenden Anwendung von § 142 InsO nach der Rechtsprechung des Senats entfallen, wenn die Masseschmälerung in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang durch einen Massezufluss ausgeglichen wird. Maßgebend für die Bewertung des Massezuflusses ist die Verwertbarkeit durch Gläubiger, weil in der Insolvenzsituation, die § 64 GmbHG voraussetzt, auf die Interessen der Gläubiger abzustellen ist. Eine solche Verwertbarkeit ist in der Regel bei Arbeits- oder Dienstleistungen nicht gegeben. Auch geringwertige Verbrauchsgüter sind durch den Insolvenzverwalter nicht verwertbar. Bei Verwertbarkeit ist der Massezufluss mit dem Liquidationswert zu bewerten. Der Senat hat aber offen gelassen, ob nicht ausnahmsweise Fortführungswerte anzusetzen sind, wenn eine Fortführung auch in der Insolvenz wahrscheinlich ist.

3. Einladungsbefugnis eines abberufenen, noch im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführers, Urteil vom 8.11.2016 – II ZR 304/15, NJW 2017, 1471 = BGHZ 212, 342 Sachverhalt: Der Kläger ist Gesellschafter der Beklagten, eines Familienunternehmens in der Rechtsform einer GmbH. Er hält einen Geschäftsanteil i.H.v. 49 % des Stammkapitals. B. L. hält einen Geschäftsanteil i.H.v. 51 % und war einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer. In einer Gesellschafterversammlung vom 7.3.2014 wurden u.a. die Abberufung von B. L., die fristlose Kündigung seines Anstellungsvertrags sowie die Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer beschlossen und von dem Kläger als Versammlungsleiter festgestellt. Die von B.L. hiergegen erhobene Nichtigkeits- und Anfechtungsklage blieb erfolglos. Der Versuch des Klägers, die am 7.3.2014 gefassten Beschlüsse im Handelsregister eintragen zu lassen, blieb erfolglos. In einem einstweiligen Verfügungsverfahren vom 31.3.2014 wurde B. L. untersagt, die Geschäfte der Beklagten zu führen und die Beklagte zu vertreten, sofern der Kläger nicht zuvor schriftlich zugestimmt habe. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Anfechtungsverfahren wurden seine Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht dahingehend eingeschränkt, dass mit sofortiger Wirkung nur noch Gesamtvertretungsmacht und Gesamtgeschäftsführungsbefugnis aller Geschäftsführer der Beklagten bestehe.

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B. L. lud den Kläger als Geschäftsführer der Beklagten zu einer Gesellschafterversammlung am 20.6.2014 ein und kündigte als Tagesordnungspunkte u.a. eine Beschlussfassung über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer an. In der Versammlung wurden jeweils gegen die Stimmen des Klägers und ohne Rücksicht auf seine u.a. die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung betreffenden Rügen ein Beschluss über die Abberufung des Klägers gefasst und festgestellt. Dagegen richtet sich die Beschlussmängelklage des Klägers. Rechtliche Würdigung: Nach gefestigter Rechtsprechung sind Beschlüsse bei der Einberufung durch einen Unbefugten entsprechend § 241 Nr. 1 AktG auch bei der GmbH nichtig. Die Einberufungsbefugnis fehlte hier B. L. nicht schon deshalb, weil seine Geschäftsführungsbefugnis dahin eingeschränkt war, dass nur noch Gesamtgeschäftsführungsbefugnis mit dem Kläger bestand. Auch bei Gesamtgeschäftsführungsbefugnis kommt jedem Geschäftsführer einzeln die Einberufungsbefugnis zu. Der einberufende B. L. war aber zum Zeitpunkt der Einberufung nicht mehr Geschäftsführer, weil jedenfalls nach Rechtskraft der Beschlussmängelklage zu seiner Abberufung feststeht, dass er wirksam abberufen war. Damit stellt sich die Frage, ob er einberufungsbefugt war, weil er noch im Handelsregister als Geschäftsführer eingetragen war. Die Streitfrage, ob in Analogie zu § 121 Abs. 2 AktG dem im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer unabhängig von der wirklichen Rechtslage eine Einberufungsbefugnis zusteht, hat der BGH verneint. Die Ausgangslage ist bei der GmbH anders als bei der Aktiengesellschaft: die Gesellschafter sind an der Bestellung und Abberufung der Geschäftsleitung im Gegensatz zur Aktiengesellschaft beteiligt. In der Regel sind die Verhältnisse auch überschaubarer als bei der Aktiengesellschaft, wo § 121 AktG Rechtssicherheit gewährleisten soll. Ob eine Einberufungsbefugnis auch einem faktischen Geschäftsführer zuzuerkennen ist, hat der Senat offengelassen, da B. L. nicht als faktischer Geschäftsführer handelte.

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4. Stimmverbot bei Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers, Urteil vom 4.4.2017 – II ZR 77/16, ZIP 2017, 1065 Sachverhalt: Die Beklagte ist eine GmbH, an der der Kläger mit 49 % und der seit 2002 zum Alleingeschäftsführer bestellte W.S. mit 51 % beteiligt sind. Der Geschäftsführer der Beklagten lud am 19.9.2014 zu einer Gesellschafterversammlung auf den 13.11.2014 ein. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 4.11.2014 die Aufnahme weiterer Tagesordnungspunkte, u.a. die sofortige Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund und die fristlose Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags aus wichtigem Grund. Der Kläger stimmte für die Beschlussanträge; der Geschäftsführer der Beklagten stimmte dagegen und stellte als Versammlungsleiter die Ablehnung fest. Der Kläger hat die ablehnenden Beschlüsse angefochten und entsprechende positive Beschlussfeststellungsanträge gestellt. Rechtliche Würdigung: Der Senat hat noch einmal in Erinnerung gerufen, dass bei der Beschlussfassung über die gewöhnliche Abberufung eines GesellschafterGeschäftsführers einer GmbH dieser ebenso wenig einem Stimmverbot wie bei der Beschlussfassung über die ordentliche Kündigung seines Anstellungsvertrags unterliegt. Dagegen unterliegt der GesellschafterGeschäftsführer bei der Beschlussfassung über seine Abberufung als Geschäftsführer aus wichtigem Grund in gleicher Weise einem Stimmverbot wie bei dem Beschluss über die außerordentliche Kündigung seines Anstellungsvertrags. Streitig ist, unter welchen Voraussetzungen der Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Abstimmung über die Abberufung oder Kündigung seines Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund einem Stimmverbot unterliegt bzw. unter welchen Voraussetzungen der Versammlungsleiter ein Stimmverbot anzunehmen hat. Diese Streitfrage brauchte der Senat jedoch nicht zu entscheiden. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen ist allein darauf abzustellen, ob tatsächlich ein wichtiger Grund im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorlag oder nicht. Das Vorliegen des wichtigen Grunds hat im Rechtsstreit jeweils derjenige darzulegen und zu beweisen, der sich darauf beruft.

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5. Besicherung eines Darlehens durch Gesellschaft – GmbH, Urteil vom 21.3.2017 – II ZR 93/16, ZIP 2017, 971, z.V.b. in BGHZ Sachverhalt: Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der G. mbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin). Die Beklagten sind Kommanditisten der Schuldnerin und Gesellschafter ihrer Komplementärin. Zum Betriebsvermögen der Schuldnerin gehörte ein Grundstück. Dieses war zugunsten der S. Bank mit einer Buchgrundschuld belastet, die zuletzt aufgrund der Zweckerklärung vom 7.7.2003 eine Darlehensforderung der Gläubigerin gegen die frühere Beklagte zu 1 sicherte. Im Juni 2011 kündigte die S. Bank das Darlehen. Nach Insolvenzeröffnung am 6.12.2011 meldete sie eine Forderung von 306.604,92 t zur Tabelle an und verlangte abgesonderte Befriedigung aus der Grundschuld. Der Kläger verkaufte das Grundstück im Einvernehmen mit der S. Bank für 74.000 t. Davon erhielt die S. Bank 54.876,63 t. Der Kläger hat mit seiner am 31.12.2014 eingegangen Klage von der Beklagten zu 1 Zahlung von 54.876,63 t verlangt und hinsichtlich der Beklagten zu 2 bis 4 jeweils die Feststellung begehrt, dass sie verpflichtet seien, jeweils 8.521,53 t bei Ausfall der Beklagten zu 1 zu zahlen und zudem jeweils diesen Betrag bei Ausfall eines der weiteren Beklagten. Rechtliche Würdigung: In der dinglichen Besicherung eines Darlehens, das der Gesellschafter bei einer Bank aufnimmt, durch die Gesellschaft kann eine Auszahlung i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG vorliegen. Das Auszahlungsverbot betrifft nicht nur Geldleistungen an Gesellschafter, sondern Leistungen aller Art. Mit der Überlassung einer Grundschuld für Zwecke der Kreditbeschaffung wird dem Gesellschafter Vermögen der Gesellschaft zur Verfügung gestellt. Die Gläubiger der Gesellschaft haben nach der Sicherheitenbestellung keinen Zugriff mehr auf die Sicherheit. Eine Auszahlung liegt entgegen einer verbreiteten Meinung nicht erst bei drohender Inanspruchnahme der Sicherheit vor. Bei Leistungen, die durch einen vollwertigen Gegenleistungsanspruch gedeckt sind, liegt nach § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG allerdings keine Auszahlung vor. Gegenleistungsanspruch in diesem Sinn ist der Freistellungsanspruch, den die Gesellschaft gegen ihren Gesellschafter hat, sie von der Inanspruchnahme der Sicherheit bei Fälligkeit des Darlehens

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freizustellen. Die Vollwertigkeit dieses Anspruchs hängt davon ab, ob der Gesellschafter aus der ex-ante-Perspektive zum Zeitpunkt der Bestellung der Sicherheit zur Rückzahlung des Darlehens in der Lage ist. Wenn der Freistellungsanspruch bei Bestellung der Sicherheit nicht vollwertig ist, liegt eine Auszahlung vor, die aber nur bei Bestehen oder Hervorrufen einer Unterbilanz verboten ist. Dann bestünde ein Anspruch nach § 31 GmbHG. Besteht oder entsteht keine Unterbilanz, gibt es keinen Anspruch. Auch wenn später eine Unterbilanz entsteht, erwächst daraus kein Anspruch nach § 31 GmbHG. Wenn der Freistellungsanspruch bei Bestellung der Sicherheit werthaltig ist, liegt schon keine Auszahlung vor, auf eine Unterbilanz kommt es dann nicht an. Die spätere Wertverschlechterung des Freistellungsanspruchs ist dann keine (erneute) Auszahlung. Es besteht nur eine Verpflichtung des Geschäftsführers zur Reaktion. Unterlässt der Geschäftsführer in dieser Situation eine Reaktion, ist sein bloßes Unterlassen noch keine Auszahlung, erst etwa ein Verzicht auf den Freistellungsanspruch. Die Verjährung des Anspruchs nach § 31 GmbHG beginnt mit einer Auszahlung im vorgenannten Sinn, nicht erst mit der Verwertung der Sicherheit. Maßgeblich ist die Auszahlung, auch wenn sie vielleicht erst später in der Bilanz vermerkt wird. Die Auszahlung durch eine Sicherheitenbestellung ist auch keine bloße Vermögensgefährdung, die sich erst mit Verwertung realisiert.

6. Löschung einer Auslandsgesellschaft, Beschluss vom 22.11.2016 – II ZB 19/15, ZIP 2017, 421 = BGHZ 212, 381 Sachverhalt: Die Beteiligten sind Eigentümer mehrerer Grundstücke, die in dem beim AG M. geführten Grundbuch eingetragen sind. Auf diesen Grundstücken lastet eine Buchgrundschuld zugunsten einer Limited mit Sitz in Nassau/Bahamas i.H.v. 3 Mio. DM. Die Beteiligten tragen vor, dass die Limited im Jahr 1990 vom Vater der Beteiligten zu 1 gegründet und im Register von Nassau/Bahamas eingetragen worden sei. Seit 1991 habe der Vater der Beteiligten zu 1 sämtliche Anteile nicht mehr für sich, sondern als Treuhänder eines von der Beteiligten zu 1 gegründeten Treuhandvermögens namens „C.Trust No 4“ gehalten. Im Dezember 1997 sei der Vater der Beteiligten zu 1 von seiner Funktion als Treuhänder zurückgetreten und habe die für die Kontrolle

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des Treuhandvermögens erforderlichen Dokumente der Beteiligten zu 1 übersandt. Am 31.8.2002 sei die Limited in den Registern der Bahamas wegen nicht beglichener Registergebühren schließlich gelöscht worden. Die Beteiligten beabsichtigten, die Grundstücke zu veräußern, was aber wegen der noch für die Betroffene eingetragenen Grundschuld, die in Vergessenheit geraten sei, unmöglich sei. Da die Limited nach Löschung in den Registern der Bahamas nicht mehr existiere, sei zur Erteilung der Löschungsbewilligung die Anordnung einer Pflegschaft gem. § 1913 BGB für die Limited notwendig. Rechtliche Würdigung: Keine Pflegschaft nach § 1913 BGB ist anzuordnen, wenn der rechtliche Träger des Vermögens bekannt ist. Das war hier der Fall: Entweder handelt es sich bei der Limited um eine echte Auslandsgesellschaft mit Verwaltungssitz im Ausland. Dann ist nach der Löschung rechtlicher Träger die inländische Restgesellschaft. Eine Gesellschaft ausländischen Rechts, die infolge der Löschung im Register ihres Heimatstaates durch eine behördliche Anordnung ihre Rechtsfähigkeit verliert, besteht für ihr in Deutschland belegenes Vermögen als Restgesellschaft fort. Dann wird die Restgesellschaft, wenn nur noch einzelne Liquidationsmaßnahmen erforderlich sind, durch einen Nachtragsliquidator vertreten. Oder es handelt sich um eine Scheinauslandsgesellschaft mit dem Verwaltungssitz in Deutschland. Dann handelte es sich nach der Sitztheorie um eine deutsche Gesellschaft, mangels Eintragung um eine BGBGesellschaft/OHG oder einen Einzelkaufmann bzw. eine Einzelperson. Die Löschung im ausländischen Register ist dann ohne Auswirkungen, die Vertretung richtet sich nach deutschem (Gesellschafts)-Recht.

III. Aktiengesellschaft 1. Abberufung eines Vorstandsmitglieds, Urteil vom 15.11.2016 – II ZR 217/15, AG 2017, 239 Sachverhalt: Der Kläger war eines von zwei Vorstandsmitgliedern der beklagten Aktiengesellschaft, die eine einzige Aktionärin hat. Zwischen den Parteien bestand ein Vorstandsdienstvertrag, der befristet und an die wirksame Organstellung gekoppelt war.

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Am 14.1.2013 fand zu einer Bewerbung der Beklagten auf eine Ausschreibung um ein Mandat im Zusammenhang mit dem Bau des Großflughafens B. eine Vorstandssitzung statt, deren Ergebnis zwischen den Parteien streitig ist. Nach Auffassung der Beklagten sandte der Kläger die Bewerbung eigenmächtig mit anderem Inhalt ab als besprochen. Die außerordentliche Hauptversammlung der Beklagten beschloss am 29.1.2013, dem Kläger das Vertrauen zu entziehen. In einer fernmündlichen Sitzung am selben Tag fasste der Aufsichtsrat der Beklagten den Beschluss, die Bestellung des Klägers zum Vorstand der Beklagten zu widerrufen und seinen Dienstvertrag vorsorglich mit Wirkung zum 28.2.2013 zu kündigen. Dies wurde dem Kläger mit Schreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden vom 30.1.2013 mitgeteilt und die Kündigung ausgesprochen. Rechtliche Würdigung: Die Abberufungsentscheidung fällt in die Kompetenz des Aufsichtsrats, § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG. Voraussetzung der Abberufung ist ein wichtiger Grund. Als wichtigen Grund benennt das Gesetz ausdrücklich auch den Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung. Der dafür erforderliche Hauptversammlungsbeschluss lag hier vor. Der Beschluss über den Vertrauensentzug ist auch durch einen Alleinaktionär möglich. Der Vertrauensentzug ist dann der wichtige Grund i.S.v. § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG. Für ihn muss nicht zusätzlich ein wichtiger Grund vorliegen. Der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung ist dann kein Grund für die Abberufung, wenn das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist. Der Entzug des Vertrauens aus offenbar unsachlichen Gründen ist nicht mit der fehlenden Beweisbarkeit einer groben Pflichtverletzung, dem anderen klassischen Abberufungsgrund, gleichzusetzen. Unsachlich ist ein willkürlicher, haltloser oder wegen des damit verfolgten Zwecks sittenwidriger, treuwidriger oder sonstwie rechtswidriger Entzug des Vertrauens. Eine Begründung des Hauptversammlungsbeschlusses ist nicht erforderlich, auch nicht, um zum Vorliegen eines unsachlichen Grundes vortragen zu können. Das Gesetz verlangt vielmehr, dass die Gründe offenbar unsachlich sein müssen, d.h. die Gründe müssen auf der Hand liegen. Vor dem Widerrufsbeschluss ist keine Anhörung erforderlich.

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2. Besicherung eines Darlehens durch Gesellschaft – AG, Urteil vom 10.1.2017 – II ZR 94/15, ZIP 2017, 472, z.V.b. in BGHZ Sachverhalt: Die Beklagten waren Vorstandsmitglieder der T.AG (im Folgenden: Schuldnerin), über deren Vermögen im Jahr 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Vor dem Börsengang der Schuldnerin im Jahr 1998 bot sie ihren Mitarbeitern sowie 240 ausgewählten Handelsvertretern des Vertriebsunternehmens T. Vertriebs GmbH die bevorrechtigte Zeichnung von Aktien an. Die Interessenten hatten weder genügend Eigenkapital für den Kauf von Aktien noch konnten sie die für eine Fremdfinanzierung erforderliche bankübliche Sicherheit stellen. Die Nebenintervenientin auf Seiten des klagenden Insolvenzverwalters gewährte 264 Aktienerwerbern Darlehen zur Finanzierung der jeweiligen Kaufpreise i.H.v. insgesamt 8,2 Mio. DM gegen Verpfändung der Aktien. Im Gegenzug verpfändeten die Beklagten zur Besicherung dieser Darlehen Kontoguthaben einer von ihnen beherrschten Gesellschaft. Etwa die Hälfte der Kreditnehmer wollte die Aktien nach Fälligkeit der Darlehen weiter behalten und die Finanzierung um ein halbes Jahr verlängern. Die Beklagten erklärten dazu gegenüber der Nebenintervenientin, dass die Schuldnerin nun selbst die Sicherheit stellen werde. Die Nebenintervenientin verlängerte daraufhin die Darlehensgewährung für 136 Kreditnehmer. Die Beklagten verpfändeten in Vertretung der Schuldnerin zu deren Vermögen gehörende Kontoguthaben als Sicherheit statt der bisherigen Sicherheit. Die Nebenintervenientin forderte nach Kursverlusten die noch verbliebenen Kreditnehmer vergeblich zur Darlehensrückzahlung auf und befriedigte sich wegen der Außenstände aus der gestellten Sicherheit. Der Insolvenzverwalter hat mit der Begründung, die Bestellung einer Sicherheit durch die Schuldnerin habe gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßen, von den Beklagten als Gesamtschuldnern Zahlung verlangt. Rechtliche Würdigung: Besicherung ist eine Einlagenrückgewähr. Einlagenrückgewähr ist jede von der Gesellschaft dem Aktionär erbrachte, auf seiner Gesellschafterstellung beruhende Leistung, auf die ihm das Aktiengesetz keinen An-

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spruch gewährt und die auch nicht aufgrund einer speziellen gesetzlichen Regelung zugelassen ist. Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch i.S.d. § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG ist der Freistellungsanspruch gegen den Aktionär. Dieser ist vollwertig, wenn nach einer vernünftigen kaufmännischen Beurteilung im Zeitpunkt der Besicherung ein Forderungsausfall für den Darlehensrückzahlungsanspruch unwahrscheinlich ist. Das war hier nicht der Fall, die Mitarbeiter waren nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zur Rückzahlung in der Lage. Die Besicherung des Darlehens mit den Aktien genügte ebenfalls nicht, um eine Inanspruchnahme der von der AG gestellten Sicherheit unwahrscheinlich zu machen. Die Bestellung der Sicherheit war auch nicht nach § 71a Abs. 1 Satz 2 AktG privilegiert. Eine Privilegierung nach § 71a Abs. 1 Satz 2 AktG setzt voraus, dass zum Zwecke des Erwerbs von Belegschaftsaktien eine Sicherheit geleistet wird. Erforderlich ist damit ein Zusammenhang der Besicherung mit dem Erwerb der Aktien. Die Leistung der Gesellschaft muss objektiv dem Aktienerwerb dienen, die Parteien des Finanzierungsgeschäfts müssen dies wissen und die Zweckverknüpfung rechtsgeschäftlich zum Inhalt ihrer Vereinbarung machen. Der Zusammenhang der Besicherung mit dem Aktienerwerb fehlt bei der Unterstützung eines zahlungsschwachen Aktionärs, der ansonsten seine bereits erworbenen Anteile verkaufen müsste.

3. Ausschluss von Minderheitsaktionären und Verbriefung, Urteil vom 31.1.2017 – II ZR 285/15, ZIP 2017, 483, z.V.b. in BGHZ Sachverhalt: Die Klägerin beansprucht unter Vorlage von Aktienurkunden eine weitergehende Barabfindung nach einem Ausschluss von Minderheitsaktionären (Squeeze-out). Die Beklagte war Hauptaktionärin der B.Q. AG. Deren Hauptversammlung beschloss den Ausschluss der Minderheitsaktionäre; die Barabfindung wurde auf 743,52 t je Aktie festgelegt. Der Beschluss wurde im Handelsregister eingetragen. In dem anschließenden Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung schlossen mehrere Antragsteller mit der Beklagten einen Vergleich, der eine Erhöhung der Barabfindung um 92,32 t je Aktie vorsieht, der als echter Vertrag zugunsten Dritter für alle ehemaligen Minderheitsaktionäre wirkt.

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Die Klägerin ist Inhaberin von 13 auf den Inhaber ausgestellten Aktienurkunden der B.Q. AG. Alle Aktienurkunden tragen auf der Rückseite einen von der Beklagten aufgebrachten Stempelaufdruck mit dem Text: „UNGÜLTIG wegen Squeeze-out Barabfindung erhalten“. Entsprechend gestempelte Aktienurkunden der B.Q.AG werden im Internet als Sammlerstücke zum Kauf angeboten. Die Klägerin begehrt Zahlung des in dem Teilvergleich vereinbarten Erhöhungsbetrags entsprechend dem Nennwert der vorgelegten Aktienurkunden, Zug um Zug gegen Übergabe der Aktienurkunden. Sie ist der Auffassung, ihre Berechtigung zur Geltendmachung des durch den Teilvergleich erhöhten Barabfindungsanspruchs werde bereits durch die Vorlage der Aktienurkunden nachgewiesen, die sie im Nachlass ihres im Jahr 2008 verstorbenen und von ihr allein beerbten Ehemannes aufgefunden habe. Rechtliche Würdigung: Der Hauptaktionär erwirbt mit der Eintragung des Übertragungsbeschlusses die Anteile, aber nicht das Eigentum an den Aktienurkunden. Die Aktienurkunden verbriefen ab der Rechtswirksamkeit der Übertragung vielmehr den Barabfindungsanspruch. Barabfindungsanspruch meint nicht nur den Anspruch auf die angebotene Abfindung, sondern auch den Abfindungsergänzungsanspruch also eine eventuelle Erhöhung im Spruchverfahren. Die Verbriefung wirkt aber nur bis zur Aushändigung der Aktienurkunde an den Hauptaktionär. Bei einer bloßen Vorlage der Urkunden zur Teilleistung (angebotene Abfindung) und Behalten der Aktien (ohne Aushändigung) verbriefen sie daher auch den Abfindungsergänzungsanspruch. Anders ist dies bei einer Aushändigung, also einer Übergabe. Hier hat das Berufungsgericht eine Übergabe und damit eine Aushändigung festgestellt. Dass die Urkunden wieder in den Verkehr gelangt sind, führt nicht zum Aufleben der Verbriefungswirkung. Anders wäre dies, wenn auf den Urkunden ausdrücklich nur eine Vorlage zur Teilleistung der angebotenen Abfindung vermerkt wäre. Der Aktionär kann seine Berechtigung für den Abfindungsergänzungsanspruch bei Aushändigung der Aktienurkunden an den Hauptaktionär, um schon die angebotene Abfindung zu erhalten, ggf. durch eine Quittung nachweisen.

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Bericht über die Diskussion des Referats Drescher Kim Rohwetter Richterin am Landgericht, Hamburg/Karlsruhe I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .

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III. GmbH-Recht und Limited . .

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II. Vereinsrecht. . . . . . . . . . . . . .

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IV. Aktienrecht. . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung Der Diskussionsleiter Altmeppen dankte Drescher für sein Referat und eröffnete die Diskussion, die sich sodann auf die von Drescher dargestellten Entscheidungen aus den Bereichen des Vereinsrechts, des GmbH-Rechts, des Rechts der Limited sowie des Aktienrechts gleichermaßen erstreckte und nachfolgend entsprechend der Reihenfolge der besprochenen Entscheidungen dargestellt wird.

II. Vereinsrecht T. Jung (RA aus Heidelberg) bezog sich auf die Entscheidung des Senats zum Vereinsrecht1 und verwies darauf, dass in seiner Beratungspraxis immer wieder Vereine aufträten, die wirtschaftlich eher als Unternehmensträger zu betrachten seien, aber trotzdem in der Rechtsform des Vereins agierten. Nach seiner Wahrnehmung verspürten findige Unternehmensgründer seit der aktuellen Entscheidung des Senats eine Wahlfreiheit zwischen den Rechtsformen der handelsrechtlichen Gesellschaften und einem Verein. Vor diesem Hintergrund halte er die genannte Entscheidung des BGH für problematisch, weil dieser Entwicklung so Vorschub geleistet werde. Er führte weiter aus, unter der Berücksichtigung, dass es sich bei dem in der Entscheidung betroffenen Verein eher um ein mittelständisches Unternehmen mit neun verschiedenen Tagesstätten sowie einem eigenen Küchenbetrieb gehandelt habe, frage er sich, was der Hauptzweck sei, den dieser Verein mit nur elf Mitgliedern verfolge. Zudem warf er die Frage auf, welche rechtlichen Folgen einträten, wenn die Anerkennung als gemeinnützig im Rahmen einer Prüfung weg1 BGH, Beschl. v. 16.5.2017 – II ZB 7/16, NJW 2017, 1943.

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fiele. Möglich wäre seiner Ansicht nach etwa die Annahme einer Rechtsformverfehlung mit der Folge, dass der Verein aus dem Vereinsregister gelöscht werde und fortan als OHG anzusehen wäre. Drescher hielt den Ausführungen Jungs entgegen, in dem zu entscheidenden Fall sei die Gemeinnützigkeit festgestellt gewesen und der Verein wohl auch in dieser Weise ursprünglich gegründet worden. Über die rechtlichen Folgen eines nachträglichen Wegfalls der Gemeinnützigkeit habe der Senat nicht zu entscheiden gehabt. Überlegungen dazu würde der Senat anstellen, wenn ein solcher Fall zur Entscheidung anstehe. K. Müller-Eising (RA und Notar aus Frankfurt) begrüßte die Entscheidung des Senats zum Vereinsrecht, da sie nach seiner Auffassung für das kulturelle Leben in Deutschland sehr wichtig sei. Viele Organisationen unterhielten mit kleinen Vereinen wirtschaftliche Betriebe gerade auch auf dem Gebiet der Gemeinnützigkeit. Es habe eine Vielzahl von Beratern gegeben, die versucht hätten, diese Organisationen in die Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH zu drängen. Das sei indes gar nicht gewollt, weil die Organisation mitgliederbetrieben geführt werden sollte. Zu den von Jung angesprochenen Themen im Hinblick auf die Frage des Wegfalls der Gemeinnützigkeit vertrete er die Auffassung, dass dies eher auf dem Gebiet des Steuerrechts zu regeln sei, nicht aber über das Thema der Rechtsformverfehlung. H. Anzinger (Universität Ulm) schloss sich dem Lob Müller-Eisings hinsichtlich der Entscheidung des Senats zum Vereinsrecht an und stellte heraus, die Entscheidung habe einige pragmatische Vorzüge. Sie diene jedenfalls aus Sicht der Praxis der Rechtssicherheit, da es bisher gelebte Vorstellung der Vereinspraxis gewesen sei, dass die Gemeinnützigkeit und die wirtschaftliche Betätigung gleichzusetzen seien. Die Entscheidung diene aber auch der Verfahrensökonomie, denn bisher hätten die Vereinsregister bei den Industrie- und Handelskammern Erkundigungen eingeholt, wenn es Zweifel an der Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nicht wirtschaftlicher Betätigung gegeben habe. Nunmehr verlangten die Register einfach die Vorlage der Gemeinnützigkeitsbestätigung des Vereins. Schließlich diene die Entscheidung der Gründungserleichterung für gemeinnützige Aktivitäten. Dabei stehe auch die Zukunft der gemeinnützigen GmbH und der gemeinnützigen UG in Frage. Er wolle allerdings auch Kritik üben. Die Entscheidung des Senats werfe die Frage auf, ob wirklich Zweck, Wertung und Kriterien des Vereinsrechts denen des Steuerrechts entsprächen. Diese Problematik werde nach seiner Auffassung insbesondere dann aufkommen, wenn einem Verein die Gemein-

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nützigkeit aberkannt werde. Insoweit stelle sich die Frage, welche Kriterien für die Annahme der Gemeinnützigkeit eines Vereins den Regelungen zur Gemeinnützigkeit in den §§ 51 ff. AO zu entnehmen seien. Hier hätte er sich eine Stellungnahme des Senats dazu gewünscht, welche Kriterien für die Annahme eines Idealvereins maßgeblich sein sollten. Drescher stellte klar, dass der Senat in der Entscheidung ausgeführt habe, nur in der Regel spreche die steuerliche Anerkennung als gemeinnützig für die Annahme, dass ein gemeinnütziger Verein im Sinne des Gesellschaftsrechts vorliege – diesem Umstand komme insoweit lediglich eine Indizwirkung zu. Zuzustimmen sei Anzinger, dass es nun die Aufgabe sein sollte, Kriterien zu entwickeln, wann das nicht (mehr) der Fall sei. Dies sei jedoch nicht Inhalt der aktuellen Entscheidung gewesen.

III. GmbH-Recht und Limited Wertenbruch bezog sich auf das Urteil vom 27.9.20162 und verwies darauf, dass es sich bei der Frage des Zugangs bei dem Übergabeeinschreiben nicht um ein spezielles Problem der Kaduzierung handele. Vielmehr werde der BGH mit diesem Problem nun in allen Bereichen des Zivilrechts zu tun haben, da es die ständige Rechtsprechung des BGH gebe, dass beim Übergabe-Einschreiben ein Zugang i.S.d. § 130 BGB nicht vorliege, wenn der Benachrichtigungszettel im Briefkasten liege und die nächste Abholmöglichkeit am folgenden Tag nicht wahrgenommen werde. In der Literatur werde zwar – unter Bezugnahme auf die BGHRechtsprechung – die Auffassung vertreten, Zugang sei nur dann gegeben, wenn das Übergabe-Einschreiben abgeholt worden sei, anderenfalls müsse der Absender eine arglistige Zugangsvereitelung nachweisen. Dieser Nachweis gelinge dem Absender jedoch regelmäßig nicht, wenn der Adressat sich damit verteidige, der Benachrichtigungszettel müsse zwischen Gratis-Zeitschriften und Werbung gelegen haben. In der Praxis errege das Übergabe-Einschreiben in allen Bereichen Aufsehen und der BGH sei nun gezwungen, überall das Übergabe-Einschreiben als ausreichend anzuerkennen. Seines Erachtens sei dies die Folge einer unrichtigen Rechtsprechung. Drescher stellte heraus, dass sich auch aus der Kaduzierungsentscheidung ergebe, dass das Übergabe-Einschreiben keinen Zugang bewirke, wenn dieses nicht abgeholt werde und eine arglistige Zugangsvereitelung nicht bewiesen werden könne. Aus diesem Grund 2 BGH, Urt. v. 27.9.2016 – II ZR 299/15, BGHZ 212, 104 = GmbHR 2017, 30 m. Anm. Bayer.

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sehe er keine Diskrepanzen zu den bisherigen Entscheidungen. In der zugrunde liegenden Entscheidung habe der Senat vielmehr ausgeführt, das Einwurf-Einschreiben habe für den Zugang genügt. Hinsichtlich der Entscheidung des Senats vom 4.4.20173 und der Frage der Anwendung des Beschlussanfechtungssystems des Aktienrechts auf die GmbH führte Wertenbruch aus, der Fall sehe zwar aus wie ein Spezialproblem, seines Erachtens handele es sich jedoch um ein Grundsatzproblem. Die Anwendung des Beschlussanfechtungssystems des Aktienrechts auf die GmbH führe dazu, dass die Mehrheit zunächst den Versammlungsleiter bestimmen könne, welcher dann, wenn positiv die Feststellung des (Abberufungs-)Beschlusses beantragt sei, diesen feststellen könne. In der Literatur werde zwar behauptet, die Bestimmung des Versammlungsleiters mit einfacher Mehrheit führe nicht dazu, dass dieser die Beschlussfeststellungskompetenz habe. Dies könne aber seiner Ansicht nach nicht anders sein. Wenn der Beschluss durch den Versammlungsleiter positiv festgestellt worden sei, sei die Minderheit wiederum gezwungen, Anfechtungsklage zu erheben. In dem von dem Senat entschiedenen Fall, welchem die Abberufung eines Geschäftsführers zugrunde gelegen habe, könne demnach die Mehrheit den Versammlungsleiter stellen. Wenn dieser dann feststelle, dass der Beschluss nicht zustande gekommen sei, müsse die Minderheit eine positive Beschlussfeststellungsklage erheben. Das sei nun mal eine Folge des Systems. Hierzu ergänzte Drescher, dass der Fall auch nicht anders läge, wenn ein Abberufungsbeschluss vorliege und kein Versammlungsleiter vorhanden sei, der den Beschluss feststelle. In diesem Fall läge keine positive Feststellung vor und der Mehrheitsgesellschafter wäre weiterhin Geschäftsführer, weil er sich darauf berufen könne, nicht abberufen zu sein. Auch hier müsse der Minderheitsgesellschafter Feststellungsklage erheben. Daher ändere sich über die Zuständigkeit des mit einfacher Mehrheit gewählten Versammlungsleiters zur Beschlussfeststellung, soweit diese angenommen werde, wobei es dazu keine ausdrückliche Entscheidung des Senats gebe, im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Klage nichts. M. Pöschke (Universität Köln) nahm zu dem Urteil vom 21.3.20174 Stellung und stimmte dem Senat insoweit zu, dass der für die Vermögensverlagerung entscheidende Zeitpunkt nach § 30 GmbHG derje3 BGH, Urt. v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701 = ZIP 2017, 1065. 4 BGH, Urt. v. 21.3.2017 – II ZR 93/16, GmbHR 2017, 643 m. Anm. Bormann = ZIP 2017, 971.

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nige sei, in welchem die dingliche Sicherung gestellt worden sei. In diesem Zusammenhang warf er die Frage auf, ob dies konsequenterweise nicht auch für die Gewährung einer schuldrechtlichen Sicherung gelten müsse. Bezugnehmend auf die Pflichten des Geschäftsführers der Gesellschaft und die Ausführungen Dreschers, die Geschäftsführung müsse handeln, wenn sich die Vermögensverhältnisse später verschlechtern würden, warf er die Frage auf, wie der Geschäftsführer zu handeln habe, wenn im konkreten Fall zum Zeitpunkt der Bestellung der Sicherheit der Freistellungsanspruch gegen den begünstigten Gesellschafter werthaltig gewesen sei und sich dies später ändere. Unter der Berücksichtigung, dass der Gläubiger selten die Sicherheit freigeben wolle und bei dem Gesellschafter möglicherweise auch keine Liquidität vorhanden sei, frage er sich, ob der Senat in diesem Fall entscheiden würde, das Unmögliche sei dann nicht geschuldet mit der Folge, dass dann der Geschäftsführer nicht pflichtwidrig gehandelt habe. Eine andere Überlegung sei, ob der Geschäftsführer nicht sogar verpflichtet sei, für diesen Fall bereits zum Zeitpunkt der Bestellung der dinglichen Sicherheit vertragliche Vorkehrungen zu treffen. Hierzu bemerkte Drescher, mit der Entscheidung sei der Senat dem Willen des Gesetzgebers gefolgt. Er stellte heraus, dass der Senat in seiner Begründung ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass die Ausführungen nur für den Fall einer dinglichen Sicherheit gelten. Mit der schuldrechtlichen Sicherheit habe sich der Senat nicht befasst. Hinsichtlich der Frage der Handlungspflichten des Geschäftsführers bemerkte Drescher, dies sei ein Problem des Schadensersatzanspruchs. Der Geschäftsführer könne sich schadensersatzpflichtig machen, wenn er, sobald sich die Vermögenslage verschlechtere, nichts unternehme. Lobenswert sei, wenn der Geschäftsführer für diesen Fall schon vorher Vorkehrungen treffen würde. Eine Entscheidung dazu gebe es bisher indes nicht. R. Bärwaldt (RA und Notar aus Berlin) äußerte sich zu der Löschung einer Auslandsgesellschaft5 und führte aus, die Entscheidung habe in seinem Umfeld Freude ausgelöst. Viele gingen davon aus, die Entscheidung schreibe die modifizierte Sitztheorie in der Tradition der TrabrennbahnEntscheidung aus 2008 in der Form weiter fort, dass eine Sitzverlegung aus einem Nicht-EU oder Nicht-EWR Staat nach Deutschland zumindest allgemein zulässig sei, wenn anerkannt werde, dass die Rechtsform, die in Deutschland weiter fortlebe, wenigstens eine Personengesell5 BGH, Beschl. v. 22.11.2016 – II ZB 19/15, AG 2017, 237 = GmbHR 2017, 367 m. Anm. Seggewiße/Weber = ZIP 2017, 421.

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schaft, wie die BGB-Gesellschaft oder die OHG sei. Vor dem Hintergrund vermehrt auftretender Sitzverlegungen aus dem Nicht-EU und NichtEWR Ausland stelle sich die konkrete Frage, ob der dargestellte Schluss zulässig sei. Drescher erwiderte, bisher sei diese Frage nur als Haftungsproblem aufgetreten. Die betroffenen Gesellschaften wollten, wenn der Verwaltungssitz der Scheinauslandsgesellschaft im Inland lag, vermeiden, dass sie als BGB-Gesellschaft behandelt werden und den daraus folgenden Haftungsregelungen unterworfen sind. Dass dadurch Fragen der Zulässigkeit der Sitzverlegung berührt sein könnten, sei neu und eine Fallgestaltung, über die der Senat nachdenken müsste, sobald ein solcher Fall zur Entscheidung anstehe. Altmeppen zeigte in Bezug auf das Urteil vom 4.7.20176 folgendes Fallbeispiel auf: Der Geschäftsführer in der Insolvenzreife beauftrage den Rechtsanwalt Gerd Krieger für ein vertraglich vereinbartes Honorar i.H.v. 10.000 t, welcher dann für die Gesellschaft eine Forderung i.H.v. 1 Mio. t eintreibe. Die Masse werde durch den guten Rat von Gerd Krieger also um 1 Mio. t bereichert. Er – Altmeppen – habe das Urteil so verstanden, dass das Anwaltshonorar für die Dienstleistung nicht kompensationsfähig sei, er habe jedoch Zweifel, ob man das so ohne weiteres sagen könne. Drescher erwiderte, in der Entscheidung habe der Senat lediglich ausgeführt, Dienstleistungen seien grundsätzlich nicht kompensationsfähig. Jedenfalls für die Art von Dienstleistungen in dem entschiedenen Fall sei dies anzunehmen. Alle anderen Arten von Dienstleistungen müsse der Senat am konkreten Fall beurteilen. Außerdem sei der unmittelbare Zusammenhang zwischen Masseschmälerung und Massezufluss zu beachten.

IV. Aktienrecht Altmeppen bezog sich auf die Entscheidung des Senats vom 15.11.20167 und bemerkte, die Ausführungen des Senats, der wichtige Grund bedürfe keiner Begründung und müsse nicht vorliegen, seien nachvollziehbar. Es stelle sich jedoch die Frage, welche Restitutionsmöglichkeiten der Betroffene, dem das Vertrauen entzogen worden sei, habe, wenn sich später herausstelle, dass der Entzug des Vertrauens durch die Hauptversammlung irrtümlich auf einen Grund gestützt wurde, der nicht vor6 BGH, Urt. v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, GmbHR 2017, 969 m. Anm. Münnich = ZIP 2017, 1619. 7 BGH, Urt. v. 15.11.2016 – II ZR 217/15, AG 2017, 239.

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gelegen habe. Drescher erläuterte hierzu, dass der Vertrauensentzug keinen wichtigen Grund brauche. Der Grund des Widerrufs sei, dass die Hauptversammlung kein Vertrauen mehr habe. Das Gesetz formuliere insoweit, nur wenn der Vertrauensentzug ausnahmsweise aus einem offensichtlich unsachlichen Grund geschehe, reiche dieser nicht für den Widerruf der Bestellung aus. Der unsachliche Grund müsse dem Vertrauensentzug insoweit „auf die Stirn“ geschrieben stehen. Abschließend bedankte sich Altmeppen erneut auch im Namen aller herzlich bei Drescher für den präzisen und prägnanten Vortrag sowie bei allen Teilnehmern für die anschließende spannende und ertragreiche Diskussion.

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Whistleblowing im Spannungsfeld von Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht und Datenschutz Prof. Dr. Gregor Thüsing/Dr. Johannes Fütterer Universität Bonn I. Vom neunten Kreis der Hölle in den DCGK – Ein Überblick über die internationalen und nationalen Entwicklungen . . 1. Der Sarbanes-Oxley-Act als „Benchmark“ über die Grenzen der USA hinaus. . . . 2. Die Entwicklungen auf europäischer und deutscher Ebene II. Ein Blick auf die Unternehmenspraxis der DAX-30Unternehmen . . . . . . . . . . . . III. Pflichten des Unternehmens zur Whistleblower-Hotline . . 1. Aktienrechtliche Pflicht zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems? . . . . . . . . 2. Unionsrechtliche Vorgaben zur Einrichtung einer Whistleblower-Hotline? . . . . IV. Schutz vor dem Whistleblowing für „verpfiffene“ Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Berücksichtigung anonymer Hinweise in einem Hinweisgebersystem . . . . . . . . . .

2. Unterrichtungs- und Auskunftspflichten gegenüber dem Angezeigten . . . . . . . . . 24

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V. Schutz von Whistleblowern 1. Verpflichtung des Arbeitnehmers zum Whistleblowing? 2. Höchstrichterlich geklärt: Zutreffende Informationen ohne Schädigungsabsicht im zunächst internen Kommunikationsweg. . . . . . . . . . . . . 3. Fahrlässig falsche Information: Reicht der gute Glaube? a) Schutzbedürfnis des anzeigenden Arbeitnehmers vor Kündigung und Schadensersatzansprüchen. . . . . . . b) Die Anwendbarkeit der Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung aa) Der Grundsatz der beschränkten Arbeitnehmerhaftung . . . . . . . . bb) Die Anwendbarkeit bei einem fahrlässigen falschen Hinweis . . . VI. Summa . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Vom neunten Kreis der Hölle in den DCGK – Ein Überblick über die internationalen und nationalen Entwicklungen Whistleblowing – schon der Ursprung des Wortes gibt einen Hinweis auf seine ursprünglich negative Konnotation. Denn „to blow the whistle“ bedeutet nichts anderes, als jemanden zu verpfeifen. Der Whistleblower – ein Verräter? Das niedrige Ansehen von Verrätern hat auch durchaus Tradition, das „Verpetzen“ eines anderen wird als anstößig empfunden. In Dantes göttlicher Komödie sind die Verräter im neunten und damit innersten Kreis der Hölle versammelt, wo sie zur Strafe für ihren Verrat bis zum Hals in Eisblöcken festgefroren sind.1 „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“2 In jüngerer Zeit verliert das Whistleblowing jedoch mehr und mehr das ihm ursprünglich vielleicht anhaftende „Schmuddelimage“. Es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass ein erhebliches öffentliches Informationsinteresse an den Hinweisen von Whistleblowern besteht.3 Dazu tragen die verschiedenen Skandale bei, die sich in der letzten Zeit in großen deutschen Unternehmen ereignet haben: Abgas-Skandal im VW-Konzern, die Manipulation des Libor- und Euribor-Zinssatzes durch Mitarbeiter der Deutschen Bank und die Preisabsprachen unter den Lkw-Herstellern. Allerdings belegen die genannten Beispiele auch, dass ein Hinweisgebersystem alleine nicht genügt, um Rechtsbrüche innerhalb von Unternehmen zu verhindern. Die an den genannten Skandalen beteiligten Unternehmen verfügen jeweils über interne Hinweisgeber1 Verrat ist in Dantes Vorstellung die schlimmste aller Sünden, daher wird sie im letzten Kreis bestraft. Er besteht aus vier Regionen: Kaina (Verräter an Verwandten), Antenora (politische Verräter), Tolomea (Verräter an Gästen) und Judecca (Verräter an Wohltätern). 2 So angeblich Hoffmann von Fallersleben. Hat er es wirklich gesagt? In Sanders Citatenlexikon (Leipzig 1899, S. 117) wird als Quelle „Politische Gedichte, Sprüche Nr. 17“ angeführt. Geprüft habe ich das nicht. Es besteht Anlass zu erheblichen Zweifeln, vgl. Krätzner in Krätzner, Hinter vorgehaltener Hand, Göttingen 2015, S. 7 f. Gleichwohl hat dieses Zitat einen festen Platz in Geschichtswissenschaft und Publizistik eingenommen. 3 Vgl. in der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur monographisch z.B. Kreis, Whistleblowing als Beitrag zur Rechtsdurchsetzung, Dissertation 2017; Sänger, Whistleblowing in der börsennotierten Aktiengesellschaft, Dissertation 2011; interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Betrachtung der rechtlichen Aspekte des Whistleblowing durch den Arbeitgeber durch Eufinger, NZA 2017, 619.

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systeme; die Rechtsverstöße durch Mitarbeiter der Unternehmen wurden hierdurch allerdings nicht verhindert, zu einer Verhinderung größeren Schadens durch ein frühzeitiges Erkennen der Rechtsverstöße kam es nicht.

1. Der Sarbanes-Oxley-Act als „Benchmark“ über die Grenzen der USA hinaus Maßnahmen zu der erforderlichen Trennung des nicht schutzwürdigen Denunziantentums von dem schutzwürdigen und im Sinne öffentlicher Belange erwünschten Whistleblowing werden in der Rechtspolitik, Rechtswissenschaft und Unternehmenspraxis ausführlich diskutiert.4 Gerade dort, wo die Aufdeckung eines Rechtsverstoßes ohne einen Whistleblower nicht oder nur unter größten Schwierigkeiten möglich ist,5 wird das Whisleblowing nunmehr als effektives Mittel erkannt, um rechtmäßige Zustände schaffen zu können. Beispielhaft für die Entwicklung ist der als Reaktion auf Bilanzskandale von Unternehmen wie Enron oder Worldcom in den USA erlassene Sarbanes-Oxley-Act (SOX). Dieser enthält u.a. Regelungen zur Einrichtung von Hinweisgebersystemen (s. 302 (4) (A) SOX) in solchen Gesellschaften, deren Wertpapiere (Aktien, Anleihen etc.) an einem US-amerikanischen regulierten Finanzmarkt notieren, sowie zum Whistleblower-Schutz (s. 806 SOX). Der Anwendungsbereich des Sarbanes-Oxley-Act erstreckt sich auch auf Unternehmen, die ihren Sitz in einem der Mitgliedstaaten der EU haben, sofern diese konsolidierte Tochterunternehmen von US-Unternehmen (s. 302 (4) (B) SOX) oder an US-Börsen notiert sind. Allerdings 4 Die erste umfassendere Veröffentlichung zu der Thematik war der Beitrag von Nader/Betkas/Blackwell, Whistle-Blowing, The Report on a Conference on Professional Responsibility, New York 1972. In der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur sind u.a. als Beiträge aus neuerer Zeit zu nennen Kreis, Whistleblowing als Beitrag zur Rechtsdurchsetzung, Dissertation 2017; Sänger, Whistleblowing in der börsennotierten Aktiengesellschaft, Dissertation 2011; Thüsing/Thüsing/Forst, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 2. Aufl. 2014, § 6; Sethe in FS Weber, 2011, S. 189 ff.; Berndt/Hoppler, BB 2005, 2623; Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013; Forst, SGb 2014, 413 ff.; Maume/Haffke, ZIP 2016, 199 ff.; Schmolke, RIW 2012, 224 ff.; Schneider/Nowak in FS Kreutz, 2010, S. 855 ff.; Schulz, BB 2011, 629 ff.; von Busekist/Fahrig, BB 2013, 119 ff.; von Zimmermann, RDV 2006, 242 ff.; Weber-Rey, AG 2006, 406 ff.; Wisskirchen/Körber/Bissels, BB 2006, 1567 ff.; Wybitul, BB 2009, 1582 ff. 5 Vgl. auch Thüsing/Thüsing/Forst, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 2. Aufl. 2014, § 6 Rz. 1 ff.

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gilt dabei nach einer Entscheidung des U.S. Court of Appeals (1st Circuit) die bedeutende Einschränkung, dass die Vorschriften des SarbanesOxley-Act über den Schutz von Hinweisgebern nicht für ausländische Staatsbürger gelten, die außerhalb der USA für ausländische Niederlassungen von Unternehmen arbeiten, auch wenn diese Niederlassungen die übrigen Bestimmungen des Sarbanes-Oxley-Act erfüllen müssen.6 Trotz der Unsicherheit, die sich durch die Entscheidung des U.S. Courts of Appeals hinsichtlich der Anwendung der Vorschriften über den Schutz von Hinweisgebern auf Unternehmen mit Sitz in einem der Mitgliedstaaten der EU ergibt, sah die „Gruppe für den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten“ sich veranlasst, mit Blick auf den Sarbanes-Oxley-Act eine Stellungnahme zu Leitlinien zur Umsetzung interner Verfahren zur Meldung von Missständen nach den EU-Datenschutzvorschriften zu veröffentlichen.7 Diese Stellungnahme zeigt zugleich sehr deutlich, dass ein Spannungsfeld zwischen der Förderung des Whistleblowing im öffentlichen Interesse und dem Schutz von Whistleblowern auf der einen Seite und dem Schutz personenbezogener Daten der Arbeitnehmer auf der anderen Seite besteht. Die Gruppe kommt in ihrer Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass ein Verfahren zur Meldung von Missständen rechtmäßig ist, wenn die Verarbeitung der personenbezogenen Daten im Rahmen dieses Verfahrens eine der in Art. 7 der RL 95/46/EG genannten Voraussetzungen erfüllt.

2. Die Entwicklungen auf europäischer und deutscher Ebene Nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch in Deutschland ist die Vereinbarkeit der Einrichtung interner Verfahren zur Anzeige von Missständen bereits seit einiger Zeit Gegenstand des rechtlichen Diskurses. So setzt sich die Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Datenschutz“ des als Gremium in der Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder geschaffenen Düsseldorfer Kreises in ihrem Arbeitsbericht mit der Vereinbarkeit von Whistleblowing-Hotlines mit den Vor6 Carnero v. Boston Scientific Corp., 433 F.3d 1 (1st Circuit 2006). 7 Stellungnahme 1/2006 zur Anwendung der EU-Datenschutzvorschriften auf interne Verfahren zur Meldung mutmaßlicher Missstände in den Bereichen Rechnungslegung, interne Rechnungslegungskontrollen, Fragen der Wirtschaftsprüfung, Bekämpfung von Korruption, Banken- und Finanzkriminalität, vom 1.2.2006, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/justice/data-protection/article-29/ documentation/opinion-recommendation/files/2006/wp117_de.pdf.

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schriften des BDSG auseinander.8 Das Fazit der Arbeitsgruppe lautet, dass sich das Meldeverfahren mittels Whistleblowing-Hotlines unter besonderer Berücksichtigung des von dem Unternehmen verfolgten Zwecks und der Einrichtungsmodalitäten datenschutzgerecht gestalten und betreiben lässt. Auch gab es in Deutschland bereits eine Gesetzesinitiative zur Schaffung von Regelungen, mit denen ein besserer Schutz von Whistleblowern erreicht werden sollte. Im April 2008 legten das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und das Bundesjustizministerium einen Vorschlag für einen neuen § 612a BGB vor, der ein Anzeigerecht für Arbeitnehmer vorsah, wenn diese auf Grund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung sind, dass im Betrieb oder bei einer betrieblichen Tätigkeit gesetzliche Pflichten verletzt werden.9 In einem solchen Fall sollten die Arbeitnehmer sich an den Arbeitgeber oder eine zur innerbetrieblichen Klärung zuständige Stelle wenden und Abhilfe verlangen können. Falls der Arbeitgeber diesem Verlangen nach Abhilfe nicht oder nicht ausreichend nachgekommen wäre, sollte der Arbeitnehmer das Recht haben, sich an eine zuständige außerbetriebliche Stelle zu wenden. Ein vorheriges Verlangen nach Abhilfe sollte zudem nicht erforderlich sein, wenn dieses dem Arbeitnehmer nicht zumutbar wäre. Der Gesetzesvorschlag wurde jedoch schließlich aufgrund politischen Widerstandes nicht mehr weiter verfolgt.10 Eine bedeutende Wegmarke für die weitere Entwicklung des Umgangs mit Whistleblowern setzte der EGMR mit seinem Urteil in der Sache Heinisch.11 Der Gerichtshof entschied, dass Strafanzeigen von Arbeitnehmern gegen ihren Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in ihren Unternehmen oder Institutionen offenzulegen, in den Geltungsbereich des Art. 10 MRK fallen. Er rügte im konkreten Fall, dass die deutschen Gerichte keinen angemessenen Ausgleich zwischen der Notwendigkeit, 8 Whistleblowing-Hotlines: Firmeninterne Warnsysteme und Beschäftigtendatenschutz, abrufbar unter: https://www.datenschutz.hessen.de/download. php?download_ID= 246. 9 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, AusschussDrucks. 16(10)849. 10 Vgl. dazu Stoffels, Whistleblowing – Gesetzesänderung auf Eis gelegt, beckblog, abrufbar unter: https://community.beck.de/2009/01/27/whistleblowinggesetzesanderung-auf-eis-gelegt/. 11 EGMR v. 21.7.2011, Application no. 28274/08, NZA 2011, 1269; vgl. dazu auch die Anmerkung von Schlachter, RdA 2012, 108 ff.

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den Ruf des Arbeitgebers zu schützen einerseits, und derjenigen, das Recht der Arbeitnehmerin auf Freiheit der Meinungsäußerung zu schützen andererseits, herbeigeführt hätten. Ein maßgeblicher Gesichtspunkt, auf den der EGMR in seinem Urteil hinwies, war, dass ein Arbeitnehmer, der in gutem Glauben von seinem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Erstattung von Strafanzeigen Gebrauch mache, keine Nachteile dadurch erleiden dürfe, dass sich seine Behauptung im anschließenden Verfahren als unrichtig oder nicht aufklärbar erweise.12 Die deutschen Gerichte richten sich nunmehr nach dem vom EGMR in der Rechtssache Heinisch vorgenommenen Ausgleich zwischen dem Arbeitgeber- und dem Arbeitnehmerinteresse.13 In Gesetzesform ist das Whistleblowing in Deutschland bislang also zwar noch nicht gegossen worden, doch hat es seinen Weg nunmehr in den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) gefunden. In Ziff. 4.1.3 Satz 3 ist dort nun geregelt: „Beschäftigten soll auf geeignete Weise die Möglichkeit eingeräumt werden, geschützt Hinweise auf Rechtsverstöße im Unternehmen zu geben; auch Dritten sollte diese Möglichkeit eingeräumt werden.“

Anders als der nicht Gesetz gewordene Entwurf des § 612a BGB nimmt diese Regelung des DCGK das Whistleblowing nicht von dem Standpunkt des Arbeitnehmers aus in den Blick, sondern formuliert es als Aufgabe des Vorstandes, ein Hinweisgebersystem im Unternehmen zu implementieren. Aufgrund des „comply or explain“-Mechanismus des § 161 AktG für börsennotierte Gesellschaften müssen diese sich daher nunmehr zwingend mit den Rechtsfragen auseinandersetzen, die sich im Zusammenhang mit der Implementierung eines Hinweisgebersystems im Unternehmen stellen.14 Auch die BaFin hat den möglichen Nutzen eines Hinweisgebersystems bereits erkannt und bewertet ein solches in ihren Auslegungs- und Anwendungshinweisen zu § 25c KWG als zumindest „hilfreich“.15 Mit die12 EGMR v. 21.7.2011, Application no. 28274/08, Rz. 80, NZA 2011, 1269, 1272. 13 Vgl. BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 646/11 Rz. 37, AP Nr. 240 zu § 626 BGB. 14 Zu den mittelbaren Rechtswirkungen des Kodex als „Geltungsanspruch mit Ausstiegsklausel“ vgl. Bayer/Scholz in Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 161 AktG Rz. 16 f.; Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 161 AktG Rz. 3; Spindler in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 161 AktG Rz. 8. 15 Auslegungs- und Anwendungshinweise zu § 25c KWG („sonstige strafbare Handlungen“), Stand: 1.6.2011: „Abhängig von der Größe und Organisations-

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ser vorsichtigen Formulierung gibt die BaFin zu erkennen, dass sie nicht davon ausgeht, dass die Finanzinstitute generell verpflichtet sind, ein Hinweisgebersystem einzurichten, macht aber zugleich deutlich, dass sie solchen Systemen aufgeschlossen gegenübersteht und sie als Instrument der Compliance positiv bewertet.

II. Ein Blick auf die Unternehmenspraxis der DAX-30-Unternehmen Während die Diskussion über die rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Einrichtung eines Hinweisgebersystems in Rechtspolitik und Rechtswissenschaft noch nicht abgeschlossen ist, hat die Unternehmenspraxis bereits auf die laufenden Entwicklungen reagiert. Die 30 im DAX notierten Unternehmen haben allesamt ein Hinweisgebersystem eingerichtet und interne Richtlinien zur Ausgestaltung desselben formuliert. In der konkreten Ausgestaltung dieser Richtlinien werden jedoch die Unterschiede der einzelnen Ausgestaltungen sichtbar, die regelmäßig genau an den Stellen verlaufen, an denen noch offene Fragen bestehen, die Gegenstand der gegenwärtigen Diskussion sind. Im Einzelnen: Die Regelungen der Unternehmen unterscheiden sich vor allem im Hinblick auf den Kreis der Meldeberechtigten. Während einige Unternehmen diesen nur auf Mitarbeiter beschränken (z.B. adidas16, Deutsche Bank17, Deutsche Post18, E.ON19), bzw. ihn auf Geschäftspartner erweitern (so Deutsche Börse20, Infineon21 und Linde22), steht bei anderen Unternehmen auch externen Dritten die Möglichkeit einer

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struktur des Instituts kann die Schaffung eines internen oder externen niedrigschwelligen Informationsweges, der die Anonymität von Mitarbeitern sicherstellt (z.B. Hinweisgebersystem bzw. „Whistleblowing“), bei der Aufdeckung strafbarer Handlungen hilfreich sein.“ Abrufbar unter: http://sustainabilityreport.adidas-group.com/de/SER2010/_as sets/downloads/adidasSR2010_Employees.pdf, S. 5 f. Abrufbar unter: https://www.db.com/cr/de/konkret-bestimmungen.htm. Abrufbar unter: http://www.dpdhl.com/de/ueber_uns/code_of_conduct.html. Abrufbar unter: https://www.eon.com/content/dam/eon/eon-com/Documents/ de/Verhaltenskodex_neu_final_ %C3 %9Cbersicht.pdf. Abrufbar unter: https://cr-bericht2011.deutsche-boerse.com/corporate-respon sibility-bericht-2011/cr-themen/compliance/. Abrufbar unter: https://www.infineon.com/dgdl/Infineon_CSR16_D_ 29.11. 2016_FINAL.pdf?fileId= 5546d461584d1a550158b45c6f8f091f. Abrufbar unter: http://www.the-linde-group.com/de/corporate_responsibili ty/business_and_governance/compliance/index.html.

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Meldung offen (z.B. Allianz23, Commerzbank24, Daimler25, VW26). Gemeldet werden können Verstöße gegen gesetzliche Regelungen, wobei diese teilweise eingeschränkt werden auf compliance-relevante Vorschriften wie Betrug, Untreue oder Verstöße gegen Wettbewerbs- und Kartellrecht (z.B. Lufthansa27). Zudem wird den Hinweisgebern auch ermöglicht, Verstöße gegen interne Richtlinien oder den Verhaltenskodex zu melden. Lediglich vier Unternehmen (adidas, Fresenius28, Fresenius MedicalCare29 und Bayer30) haben in ihrem Verhaltenskodex die Pflicht aufgeführt, Verstöße zu melden. Dagegen ist dies in den anderen Unternehmen als Option ausgestaltet, wenngleich teilweise zur Meldung ausdrücklich aufgefordert wird (z.B. bei der Deutschen Bank oder der Deutschen Post) oder jedenfalls erwartet wird, dass die Mitarbeiter bei den Untersuchungen umfassend kooperieren (so SAP31). Grundsätzlich ist bei fast allen Unternehmen die Wahrung der Anonymität bei der Meldung möglich, was auf unterschiedliche Weise umgesetzt wird. Teilweise kann über ein Kontaktformular eine anonyme Meldung abgegeben werden. Oft wird eine externe Anwaltskanzlei als Mittler (sog. Ombudsmann) zwischengeschaltet, die zunächst die Informationen auf Plausibilität prüft, und dann den Kontakt zwischen Hinweisgeber und Unternehmen herstellt, indem sie die Daten ggf. anonymisiert an das Unternehmen weiterleitet (z.B. bei Allianz, E.ON,

23 Abrufbar unter: https://www.allianz.de/compliance/. 24 Abrufbar unter: https://www.commerzbank.de/de/nachhaltigkeit/governance/ compliance_1/schutz_vor_wirtschaftskriminalit_t_1/Hinweisgebersystem.html. 25 Abrufbar unter: https://www.daimler.com/konzern/corporate-governance/ compliance/bpo.html. 26 Abrufbar unter: https://www.volkswagenag.com/de/group/compliance-andrisk-management/whistleblowersystem.html. 27 Abrufbar unter: https://investor-relations.lufthansagroup.com/corporate-go vernance/compliance/ombudssystem.html. 28 Abrufbar unter: https://www.fresenius.de/media/Fresenius_EZU_Vergue tung_2016_deutsch.pdf. 29 Abrufbar unter: https://www.freseniusmedicalcare.com/fileadmin/data/com/ pdf/About_us/Responsibility/Br_Code_of_Ethics_dt.pdf, S. 17. 30 Abrufbar unter: https://www.bayer.de/downloads/corporate_compliance_de. pdfx, S. 24. 31 Abrufbar unter: https://www.sap.com/docs/download/investors/2017/sapcode-of-business-conduct-for-employees-de.pdf, S. 19.

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Lufthansa, VW, Vonovia32). Dies hat gegenüber einer bloßen Meldung den Vorteil, dass bei Unklarheiten nochmals kommuniziert werden kann. Wird auf die Zwischenschaltung eines „Vertrauensanwalts“ verzichtet, ermöglichen manche Systeme, eine Art Postfach anzulegen, so dass trotz Anonymität eine Kommunikation stattfinden kann (so bei dem elektronischen Whistleblowing-Portal der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft33 und bei HeidelbergCement34). Teilweise wird der Hinweisgeber explizit ermutigt, seine Identität zur Ermöglichung eines offenen Austauschs preiszugeben (Deutsche Post, RWE35). Die Deutsche Post weist in diesem Zusammenhang zudem darauf hin, dass Informationen über die Identität des Hinweisgebers unter Umständen gegenüber den an den Ermittlungen beteiligten Personen oder Behörden oder im Rahmen eines Gerichtsverfahrens offengelegt werden müssen, sofern das anwendbare Recht dies erfordert. Daimler führt aus, dass länderspezifisch unterschiedliche Anforderungen bestehen können, so dass die Anonymität nur gewahrt werden kann, wenn die lokalen Anforderungen dies zulassen. Dem Hinweisgeber wird insofern Schutz eingeräumt, als dass in vielen Unternehmen auch Falschmeldungen gemäß dem Verhaltenskodex nicht sanktioniert werden, sofern diese „gutgläubig“ (Bayer), „in guter Absicht“ (BASF36), „in gutem Glauben“ (Deutsche Post, Pro7Sat.1 Media37) oder „nach bestem Wissen“ (Siemens38) erfolgen. Teilweise wird nicht explizit auf die Gutgläubigkeit abgestellt, aber statuiert, dass „höchste Vertraulichkeit und Fairness im Umgang mit dem Hinweisgeber sichergestellt“ wird (Allianz) oder jedenfalls eine „Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten“ (Commerzbank) stattfindet. 32 Abrufbar unter: http://investoren.vonovia.de/websites/vonovia/german/7030/ compliance.html. 33 Abrufbar unter: https://www.munichre.com/de/group/company/corporate-go vernance/compliance/index.html. 34 Abrufbar unter: http://www.heidelbergcement.com/de/erklaerung-zur-unter nehmensfuehrung. 35 Abrufbar unter: http://www.rwe.com/web/cms/de/2700146/rwe/ueber-rwe/ compliance/externer-ansprechpartner/. 36 Abrufbar unter: https://www.basf.com/de/company/about-us/management/ code-of-conduct.html. 37 Abrufbar unter: http://www.prosiebensat1.com/uploads/2016/12/07/Verhal tenskodex_P7S12016.pdf, S. 23. 38 Abrufbar unter: https://www.siemens.com/global/de/home/unternehmen/ nachhaltigkeit/compliance/meldewege.html.

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Auf die Frage, ob der Hinweisgeber über das Ergebnis der Meldung informiert wird, geht lediglich RWE ein; hier erfolgt eine Mitteilung nur, wenn der Hinweisgeber ausdrücklich darum bittet.

III. Pflichten des Unternehmens zur Whistleblower-Hotline Eine rechtliche Einordnung des Whistleblowings nach dem status quo erfordert eine Ordnung der Rechte und Pflichten der verschiedenen beteiligten Parteien. An erster Stelle steht hierbei die Frage, ob für Unternehmen eine rechtliche Pflicht besteht, eine Whistleblower-Hotline einzurichten.

1. Aktienrechtliche Pflicht zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems? Im Aktiengesetz findet sich keine Regelung, die ausdrücklich vorschreibt, dass in einer Aktiengesellschaft ein Hinweisgebersystem einzurichten ist. Die Diskussion der Frage, ob im Einzelfall eine ungeschriebene Vorstandspflicht zur Implementierung eines Hinweisgebersystems besteht, hat im aktienrechtlichen Schrifttum erst begonnen.39 Es ist noch nicht abschließend ausdiskutiert, ob die Einrichtung eines Hinweisgebersystems notwendiger und unverzichtbarer Teil der Complianceorganisation in einem Unternehmen ist. Dass die Diskussion sich noch in ihren Anfängen befindet, vermag auch vor dem Hintergrund nicht zu verwundern, dass schon die vorgelagerte Frage, ob es überhaupt eine generelle Verpflichtung der Unternehmensleitung zur Einrichtung eines Compliancesystems gibt, nicht unumstritten ist.40 39 Gegen eine Pflicht Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 91 AktG Rz. 68; ausführlich zu dem Problem Korte, Die Information des Aufsichtsrats durch die Mitarbeiter – Whistleblowing und Mitarbeiterbefragung als Mittel zur Verbesserung der Informationsasymmetrien in der AG, 2009, S. 119 ff. 40 Allerdings bestehen zwischen den beiden Ansichten tatsächlich keine großen Unterschiede. Während die Befürworter einer grundsätzlichen Pflicht zur Einrichtung eines Compliance-Systems Ausnahmen bei kleinen, gut überschaubaren Unternehmen zulassen, erkennen die eine solche grundsätzliche Pflicht ablehnenden Autoren eine Pflicht zur Einrichtung einer Complianceorganisation bei einer im Unternehmen bestehenden Gefahrenlage an, die bei größeren Unternehmen regelmäßig besteht. Zu der Diskussion im Überblick Schneider/Nowak in FS Kreutz, 2010, S. 855, 860 ff.; für die Pflicht zur Einrichtung einer Complianceorganisation die wohl h.M., vgl. Fleischer in Spind-

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Die Kommission DCGK geht offensichtlich nicht davon aus, dass generell eine Vorstandspflicht zur Einrichtung einer Whistleblower-Hotline besteht. Andernfalls hätte sie diese Pflicht nicht in einer „Soll“-Regelung im Kodex festschreiben dürfen, sondern sie in eine gesetzeskonkretisierende Regelung im Kodex aufnehmen müssen. Die Regelung in Ziff. 4.1.3 Satz 3 DCGK deutet allerdings an, dass die Kommission DCGK die Einrichtung eines Hinweisgebersystems im Rahmen eines Compliance-Systems für regelmäßig erforderlich erachtet. Mit dieser „Soll“-Regelung wird erreicht, dass sich Vorstände mit der Einrichtung eines solchen Hinweisgebersystems auseinandersetzen müssen und sich für den Fall, dass sie ein solches System nicht einrichten, über diese Entscheidung erklären müssen. Wenngleich durch die Regelung im DCGK also keine unmittelbare Rechtspflicht für die Vorstände börsennotierter Aktiengesellschaften begründet, entsteht durch sie doch ein erheblicher Rechtfertigungsdruck bei der Nichteinrichtung eines Hinweisgebersystems. Die Aufnahme der Einrichtung eines solchen Systems als ComplianceMaßnahme in den DCGK kann damit als Katalysator für die weitere Entwicklung wirken und den Prozess der Anerkennung von Hinweisgebersystemen als grundsätzlich unverzichtbarer Bestandteil von Compliance-Systemen beschleunigen. Auch die Betonung der Compliance-Pflichten des Vorstandes in der neueren Rechtsprechung deutet darauf hin, dass je nach den Umständen die Einrichtung eines Hinweisgebersystems als Bestandteil eines funktionierenden Compliance-Systems im Unternehmen geboten sein kann. Einen maßgeblichen Orientierungspunkt bietet hierbei der erste Leitsatz der Neubürger-Entscheidung des LG München I: „Im Rahmen seiner Legalitätspflicht hat ein Vorstandsmitglied dafür Sorge zu tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverstöße wie Schmiergeldzahlungen an Amtsträger eines ausländischen Staates oder an ausländische Privatpersonen erfolgen. Seiner Organisationspflicht genügt ein Vorstandsmitglied bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte ComplianceOrganisation einrichtet. Entscheidend für den Umfang im Einzelnen sind dabei

ler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 91 AktG Rz. 47 f.; Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 91 AktG Rz. 52; Berg, AG 2007, 271, 274 ff.; Bürkle, BB 2005, 565, 568 ff.; v. Busekist/Hein, CCZ 2012, 41, 43; Fleischer, AG 2003, 291, 298 ff.; Kiethe, GmbHR 2007, 393, 396 f.; gegen eine solche Pflicht Hölters in Hölters, 3. Aufl. 2017, § 93 AktG Rz. 92; Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 76 AktG Rz. 14 ff.; Kort, NZG 2008, 81, 84.

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Thüsing/Fütterer – Whistleblowing Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch Verdachtsfälle aus der Vergangenheit.“41

Der Vorstand hat danach die Pflicht, ein funktionsfähiges ComplianceSystem zur Verhinderung von Rechtsverstößen im Unternehmen zu errichten, wenn eine Gefährdungslage im Hinblick auf Rechtsverstöße im Unternehmen besteht. Gerade bei größeren Unternehmen wird man wohl auch davon ausgehen müssen, dass es stets bestimmte Bereiche gibt, in denen eine Gefährdungslage besteht und für die der Vorstand demnach ein Compliance-System einrichten muss. Wie genau dieses Compliance-System im Einzelnen ausgestaltet sein muss, ist abhängig von den jeweiligen Eigenschaften des Unternehmens. Es gibt also keine Lösung im Sinne eines „one size fits all“, sondern der Vorstand muss analysieren, wie das Compliance-System beschaffen sein muss, um Rechtsverstöße innerhalb des Unternehmens zu verhindern. Bei der Ausgestaltung des Compliance-Systems verfügt der Vorstand daher auch nach zutreffender Ansicht in der gesellschaftsrechtlichen Literatur über ein weites Gestaltungsermessen. Nur durch die Anerkennung eines solchen Gestaltungsermessens kann verhindert werden, dass überzogene Anforderungen an das Verhalten des Vorstandes gestellt und ihm von den Gerichten aufgrund einer ex-post-Perspektive nach dem Versagen des ComplianceSystems vorgegeben wird, wie genau er die Compliance hätte organisieren müssen.42 Die Anerkennung eines Organisationsermessens des Vorstandes hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung des Compliance-Systems bringt es mit sich, dass eine Pflicht zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems dort besteht, wo das Ermessen des Vorstandes auf Null reduziert ist, d.h. sich derart verengt, dass nur die Entscheidung für die Einrichtung eines Hinweisgebersystems ermessensfehlerfrei erfolgen kann.43 Bei der Prüfung, ob eine solche Ermessensreduzierung gegeben ist, müssen die Vorteile des Hinweisgebersystems mit seinen Nachteilen abgewogen werden. Nur dann, wenn es sich im Rahmen dieser Prüfung erweist, dass die Vorteile des Hinweisgebersystems die aus ihm erwachsenden Nachteile klar überwiegen und es keine andere Möglichkeit gibt, ein funktionsfähiges Compliance-System ohne ein Hinweisgebersystem zu errichten, 41 LG München I v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, NZG 2014, 345 = AG 2014, 332; vgl. in diese Richtung im Kontext der Einrichtung eines WhistleblowingSystems auch Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1016. 42 Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1012, 1016. 43 Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1012, 1016.

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ist das Ermessen des Vorstandes auf Null reduziert und es besteht eine Pflicht zur Einrichtung. Die Vorteile eines Hinweisgebersystems liegen auf der Hand: Es ist ein Instrument, das es der Unternehmensleitung ermöglicht, an geheimes Wissen über Missstände zu gelangen und gehört im Hinblick darauf zu den ergiebigsten Informationsquellen. Gerade dann, wenn der Verdacht besteht, dass Missstände im Verborgenen blühen und mit sonstigen üblichen Untersuchungsmethoden schwer oder gar nicht aufzudecken sind, kann ein Hinweisgebersystem der entscheidende Mosaikstein in einem Compliance-System sein.44 Dabei bietet das interne Whistleblowing den großen Vorteil, dass ein größerer Reputationsverlust des Unternehmens durch eine rasche Behebung der Missstände verhindert wird. Durch das Vorhandensein eines internen Whistleblowing-Systems kann somit verhindert werden, dass Mitarbeiter sich veranlasst sehen, unmittelbar die Aufsichtsbehörden oder gar die Öffentlichkeit über interne Missstände zu informieren.45 Doch diesen Vorteilen stehen Nachteile gegenüber, die von erheblichem Gewicht sein können. Dies sind zum einen die Kosten, die bei der Einrichtung und der Verwaltung eines solchen Systems entstehen bzw. die Kosten, die für die Einschaltung eines externen Dienstleisters zur Bereitstellung eines solchen Systems anfallen.46 Dies ist aber zum anderen auch die Gefahr des Entstehens einer Atmosphäre des Misstrauens durch die Angst vor böswilligen Unterstellungen im Unternehmen, die durch eine missbräuchliche Nutzung eines Whistleblower-Systems durch Arbeitnehmer entstehen oder gefördert werden kann. Schneider und Nowak verweisen in diesem Zusammenhang nicht ohne Grund darauf, dass die Einrichtung einer Whistleblowing-Stelle ungute Erinnerungen an den Blockwart oder Abschnittsbevollmächtigten wecken könnte.47 Diese möglichen negativen Auswirkungen muss der Vorstand bei seiner Ermessensentscheidung ebenfalls berücksichtigen. Angesichts der Kosten, die sich bei Rechtsverstößen für die Unternehmen ergeben können, und der zunehmend positiven Wahrnehmung des Vorhandenseins einer Hinweisgeberstelle fallen diese negativen Aspekte jedoch immer weniger ins Gewicht.

44 Zum Whistleblowing als Instrument der Compliance allgemein s. auch Thüsing/Thüsing/Forst, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 2. Aufl. 2014, § 6 Rz. 1 ff. 45 Hunziker in FS von der Crone, 2007, S. 163, 169 f.; Bürkle, DB 2004, 2158, 2159; Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1012, 1015. 46 So auch schon Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1012, 1017. 47 Schneider/Nowak in FS Kreutz, 2010, S. 855, 856.

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Aus dem Gesagten ergibt sich aktuell das folgende Bild: Es gibt keine generelle aktienrechtliche Pflicht zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems. Allerdings führen die neueren Entwicklungen zu einer zunehmenden Verengung des Spielraums, der den Vorständen im Rahmen ihres Organisationsermessens zukommt. Gerade in börsennotierten Unternehmen, deren Vorstände und Aufsichtsräte der Berichtspflicht des § 161 AktG unterliegen, führt die Neuregelung in Ziff. 4.1.3 Satz 3 DCGK dazu, dass sie sich mit der Einrichtung eines Hinweisgebersystems auseinandersetzen müssen und unter Rechtfertigungsdruck stehen, wenn sie ein solches nicht im Unternehmen etablieren. Der Blick auf die derzeitigen DAX-30-Unternehmen zeigt jedoch, dass die großen Unternehmen bereits über entsprechende Systeme verfügen. Die Regelung der Ziff. 4.1.3 Satz 3 DCGK wird daher ihre Wirkung wohl vor allem dadurch entfalten, dass sie auf sonstige Unternehmen auch über den Anwendungsbereich des § 161 AktG hinaus ausstrahlt und einen bedeutenden Schritt hin zur Anerkennung des Hinweisgebersystems als wichtiger Bestandteil eines Compliance-Systems bedeutet.

2. Unionsrechtliche Vorgaben zur Einrichtung einer Whistleblower-Hotline? Im Unionsrecht bestehen keine Vorgaben, aufgrund derer die Leitungsorgane von Unternehmen zur Einrichtung einer Whistleblower-Hotline bzw. einer Hinweisgeberstelle verpflichtet sind. Entwicklungen in die Richtung auf die Schaffung einer solchen Pflicht sind derzeit auch nicht zu erkennen. Dabei steht auch die Kommission der Einrichtung von Hinweisgebersystemen in privaten Unternehmen offen gegenüber und begrüßt sie als Mittel der Korruptionsbekämpfung sogar. In der Mitteilung der Kommission an den Rat, das europäische Parlament und den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss „Eine umfassende EU-Politik zur Bekämpfung der Korruption“ vom 28.5.2003 findet sich die Aussage: „Bestechung ist ein verborgenes Phänomen, da es sich auf einen „Pakt des Schweigens“ zwischen Bestechendem und Bestochenem gründet. Die Unternehmen sollten daher über eindeutige Regeln für die Meldung von Missständen (whistleblowing) durch Mitarbeiter verfügen, d. h. über Verfahren, die anzuwenden sind, wenn ein Mitarbeiter von korrupten Verhaltensweisen innerhalb des Unternehmens Kenntnis erhält. Dies sollte auch Schulungsmaßnahmen und die Überwachung dieser Regeln beinhalten, damit klar wird, dass Korruption inakzeptabel ist, und die Mitarbeiter ermutigt werden, Bestechungsfälle aufzudecken.“48 48 KOM(2003) 317 endgültig; abrufbar unter: https://db.eurocrim.org/db/de/ doc/574.pdf.

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Es besteht auf europäischer Ebene auch kein Handlungsdruck im Hinblick auf die Regelung einer Verpflichtung von Unternehmen zur Einrichtung von Hinweisgebersystemen. Wie das Beispiel der DAX-30-Unternehmen zeigt, sehen sich größere Unternehmen auch ohne eine solche Regelung auf der Ebene des Unionsrechts dazu veranlasst, Hinweisgebersysteme einzurichten. Der fortschreitende Ausbau der Compliance-Systeme in privaten Unternehmen führt dazu, dass die Diskussion über eine Pflicht zur Einrichtung von Hinweisgebersystemen in den Hintergrund rückt, während der Fokus weiterhin auf den Schutz des Whistleblowers auf der einen und den Datenschutz zugunsten der durch den Hinweis eines Whistleblowers betroffenen Mitarbeiter sowie den Schutz der Geschäftsgeheimnisse auf der anderen Seite gerichtet ist. Beispielhaft ist hier die Regelung in Art. 5 lit. b der Richtlinie (EU) 2016/943 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung zu nennen. Dort ist normiert, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass die Einleitung eines zivilrechtlichen Verfahrens wegen eines angeblichen Erwerbs, einer angeblichen Nutzung oder einer angeblichen Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen – gerichtet z.B. auf Unterlassung und/oder Schadensersatz – abgelehnt wird, wenn der angebliche Erwerb oder die angebliche Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses zur Aufdeckung eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens oder einer illegalen Tätigkeit erfolgt ist. Um den Anwendungsbereich dieser Ausnahmevorschrift zu eröffnen, muss der Whistleblower zudem in der Absicht gehandelt haben, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen. Diese Regelung wird allerdings stark kritisiert, weil sie den Whistleblower erheblich belastet, indem sie ihm die Beweislast dafür aufbürdet, dass er bei der Weitergabe des Geschäftsgeheimnisses im öffentlichen Interesse gehandelt hat.

IV. Schutz vor dem Whistleblowing für „verpfiffene“ Mitarbeiter Bei der Einrichtung eines Hinweisgebersystems sind die Grenzen zu beachten, die durch das Datenschutzrecht gezogen werden. Bei den Daten, die von einem Hinweisgeber weitergegeben werden, handelt es sich im

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Regelfall um personenbezogene Daten i.S.d. § 3 Abs. 1 BDSG.49 In der Speicherung und der Verwendung dieser Daten durch das Unternehmen im Anschluss liegen Datenerhebung, -speicherung und -nutzung i.S.d. § 3 Abs. 3 bis Abs. 5 BDSG. Zwar sind auch Whistleblowingsysteme denkbar, bei denen nur Hinweise aufgenommen werden, die keinen Personenbezug erkennen lassen, doch sind diese Systeme weniger effektiv als solche Systeme, bei denen auch personenbezogene Daten verwendet werden und daher in der Praxis wenig verbreitet.50 Die durch ein Whistleblowingsystem erhobenen personenbezogenen Daten sind dabei zu einem Teil solche, die dem Anzeigenden zuzuordnen sind, zum anderen Teil und vor allem aber solche, die dem Angezeigten zuzuordnen sind.51 Recht unproblematisch ist dabei noch die Zulässigkeit der Nutzung der personenbezogenen Daten des Anzeigenden. Dieser kommt mit der Anzeige in vielen Fällen einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht nach, so dass die Daten für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sind, § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG.52 Sinnvoll ist es für den Arbeitgeber jedoch, auch die Einwilligung des Hinweisgebers in die Erhebung, Verwendung und Speicherung seiner personenbezogenen, für das Whistleblowing relevanten Daten nach den Vorgaben des § 4a BDSG einzuholen.53 Um das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BDSG auch im Hinblick auf die personenbezogenen Daten des angezeigten Beschäftigten zu überwinden, bedarf es der Erfüllung der Voraussetzungen einer Erlaubnisvorschrift. Die Literatur stützt WhistleblowingSysteme auf § 32 BDSG. Dessen Tatbestand ist sehr allgemein gehalten und setzt jeweils eine Interessenabwägung im Einzelfall voraus, was bei der Etablierung eines Hinweisgebers zu Unsicherheiten führt, da es an klaren, einfach umzusetzenden Vorgaben fehlt. Der Rechtssicherheit wäre sehr gedient, wenn ein Gesetz bestimmen würde, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten für Zwecke eines Whistleblowing-Systems zulässig ist, sofern das System bestimmten Anforderungen genügt, die das 49 Vgl. dazu Gola/Klug/Körffer in Gola/Schomerus, 12. Aufl. 2015, § 3 BDSG Rz. 2 ff.; Wisskirchen/Körber/Bissels, BB 2006, 1567, 1568. 50 ErfK/Franzen, 17. Aufl. 2017, § 32 BDSG Rz. 22. 51 Zu den Datenströmen bei einem Whistleblowingsystem s. auch „Whistleblowing-Hotlines: Firmeninterne Warnsysteme und Beschäftigtendatenschutz“, S. 2, abrufbar unter: https://www.datenschutz.hessen.de/download.php?down load_ID= 246. 52 Hierzu ausführlich unter V.1. 53 Schemmel/Rumannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme: Implementierung im Unternehmen, 2012, S. 241 ff.

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Gesetz für Whistleblowing-Systeme aufstellt. Eine solche Regelung würde durch die Beantwortung der gegenwärtig diskutierten „materiellen“ Fragen des Whistleblowing Klarheit schaffen und für die Unternehmenspraxis eine erhebliche Erleichterung bedeuten. Nach einhelliger Auffassung ist die Errichtung eines Hinweisgebersystems gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig. Die mit einem Hinweis verbundene Datennutzung dient der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses des Angezeigten, denn durch sie sollen Straftaten oder sonstige Rechtsverstöße verhindert werden, die im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis stehen.54

1. Die Berücksichtigung anonymer Hinweise in einem Hinweisgebersystem Eine wichtige Frage, die sich im Zusammenhang mit den Hinweisgebersystemen in Unternehmen stellt, ist der Umgang mit anonymen Hinweisen.55 An ihr zeigt sich beispielhaft, dass die aktuelle Gesetzeslage keine ausreichende Klarheit und Rechtssicherheit bietet. So erklärt die Ad-hocArbeitsgruppe „Beschäftigtendatenschutz“ des Düsseldorfer Kreises: „Anonymität läuft dem Transparenzprinzip zuwider, begünstigt gegenüber der namentlichen Nennung von ‚Roß und Reiter‘ eher Missbrauch und Denunziantentum. Einer durch anonymen Hinweis gemeldeten Person bleibt keine Möglichkeit, sich gegen eine etwaige Verleumdung in einem rechtsstaatlichen Verfahren zur Wehr zu setzen. Ein von vornherein auf die Erhebung personenbezogener Daten abstellendes Verfahren hat andererseits den Nachteil, dass auch bei gewünschten Hinweisen ein Abschreckungseffekt möglich ist. Dies sollte jedoch gegenüber anonymen Hinweisen in Kauf genommen werden, zumal diese auch ohne eine Whistleblowing-Hotline jederzeit möglich sind. Besonders hingewiesen werden sollte auf angemessene Garantien für den Schutz der Hinweisgeberin oder des Hinweisgebers vor diskriminierenden oder disziplinarischen Maßnahmen.“

Die Arbeitsgruppe knüpft damit an die Stellungnahme 1/2006 der Artikel-29-Datenschutzgruppe an, die ebenfalls einen skeptischen Standpunkt im Hinblick auf die Zulassung anonymer Meldungen im Rahmen eines Hinweisgebersystems einnimmt. Gegen die Zulassung anonymer Meldungen sprechen laut der Datenschutzgruppe einige gewichtige Argumente. Die Anonymität hindere andere nicht mit Erfolg daran, zu erraten, von wem die Meldung stamme. Auch sei eine Beschwerde schwe54 So schon der Gesetzentwurf, BT-Drucks. 16/13657, 21. 55 Vgl. dazu auch Dendorfer-Ditges in Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2017, § 35 Rz. 144.

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rer zu überprüfen, wenn keine Rückfragen gestellt werden könnten. Der Schutz des Hinweisgebers vor Vergeltungsmaßnahmen sei ebenfalls leichter zu organisieren, wenn dieser bekannt sei. Vor allem führe eine anonyme Anzeige womöglich dazu, dass der Hinweisgeber stärker in den Mittelpunkt rücke, weil er verdächtigt werden könnte, nur aus Bosheit gehandelt zu haben. Schließlich könne die Möglichkeit, auch anonym Hinweise zu geben, dazu führen, dass ein schlechtes soziales Klima in dem Unternehmen bis hin zu einer Kultur anonymer böswilliger Meldungen entstehe. Auf der anderen Seite ist sich die Artikel-29-Datenschutzgruppe jedoch auch über die praktische Relevanz anonymer Meldungen im Klaren: „Der Gruppe ist jedoch bewusst, dass manche Hinweisgeber vielleicht nicht immer in der Lage sind oder nicht immer die psychische Veranlagung haben, mit Namen versehene Meldungen zu machen. Sie ist sich ferner der Tatsache bewusst, dass anonyme Beschwerden innerhalb von Unternehmen Wirklichkeit sind, auch und vor allem, wenn es keine organisierten vertraulichen Verfahren zur Meldung von Missständen gibt, und dass diese Wirklichkeit nicht übersehen werden darf. Die Gruppe ist daher der Auffassung, dass Verfahren zur Meldung von Missständen dazu führen können, dass über das System anonyme Meldungen gemacht werden und daraufhin gehandelt wird, aber als Ausnahme von der Regel [...].“

Es fällt auf: All das sind im Kern keine datenschutzrechtlichen Argumente. In ihren Verhaltenskodizes lassen die meisten der DAX-30-Unternehmen vielleicht deswegen anonyme Meldungen ausdrücklich zu. Teilweise werden dann aber bestimmte zusätzliche Anforderungen gestellt. So fordert die Allianz bei einer anonymen Anzeige von Missständen, dass besonders viele Details genannt werden. Die Deutsche Post und Daimler stellen die Möglichkeit einer anonymen Anzeige unter den Vorbehalt, dass diese nach dem jeweils anwendbaren Recht zulässig ist. Dies alles führt zu der Frage, wie de lege lata nach dem BDSG mit anonymen Hinweisen umzugehen ist. Da es an einer Regelung fehlt, die sich ausdrücklich mit dem Umgang mit anonymen Hinweisen auseinandersetzt, muss die Lösung aus den allgemeinen Vorgaben des § 32 Abs. 1 BDSG hergeleitet werden. Es bedarf daher gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG der Erforderlichkeit der Daten zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses. Die Erforderlichkeit hängt aber gerade nicht davon ab, ob ein Hinweis anonym oder offen erfolgt ist. In beiden Fällen sind die Daten relevant für das Arbeitsverhältnis und damit erforderlich im Sinne der

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Vorschrift.56 Zudem ist nach dem herrschenden Verständnis auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne durchzuführen.57 Auch wenn man bei einem Hinweisgebersystem die Anforderungen des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG – dort ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung expressis verbis vorgegeben – anlegen wollte, weil dieses gerade auch der Aufdeckung von Straftaten durch die Beschäftigten dient, ergibt sich daher nichts anderes. Maßgeblich ist hierbei, dass das schutzwürdige Interesse des Angezeigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt und dabei insbesondere Art und Ausmaß der Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind. Das schutzwürdige Interesse des Angezeigten hängt jedoch nicht damit zusammen, ob ein Hinweis offen oder anonym erfolgt ist. Die Argumente, die gegen eine Zulassung anonymer Hinweise sprechen, stammen vielmehr alleine aus dem Interessenbereich des Unternehmens bzw. aus dem Interessenbereich des Anzeigenden selbst. So liegt es in erster Linie im Interessenbereich des Unternehmens, dass Rückfragen an den Anzeigenden möglich sind und dass die Betriebsatmosphäre nicht gestört wird. Der Anzeigende hat ein Interesse daran, dass er vor Vergeltungsmaßnahmen geschützt wird. Für den Angezeigten macht es hier jeweils keinen entscheidenden Unterschied, ob der Hinweis offen oder anonym erfolgt ist. Eine Entgegennahme und Verwendung anonymer Hinweise im Rahmen eines Hinweisgebersystems ist auch nicht generell unverhältnismäßig. Genau wie bei offenen Hinweisen kommt es für die den Hinweis entgegennehmende Stelle darauf an, ob genügend Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten vorliegen, so dass dem Hinweis nachzugehen ist. Zunächst wird bei der Verwendung eines anonymen Hinweises auf Missstände im Unternehmen das legitime Ziel verfolgt, diese Missstände aufzuklären und zu beseitigen sowie die verantwortlichen Personen zur Rechenschaft ziehen zu können. Zur Erreichung dieses Ziels kann anonymen Hinweisen nicht generell die Eignung abgesprochen werden. Ein zutreffender anonymer Hinweis ist ebenso geeignet, eine Aufklärung zu fördern, wie ein offen erfolgter Hinweis. Schließlich kann es auch erforderlich sein, anonyme Hinweise zuzulassen. Wenn es nicht möglich ist, 56 Es ist ein weites Verständnis bei dem Begriff der Erforderlichkeit anzulegen, vgl. ErfK/Franzen, 17. Aufl. 2017, § 32 BDSG Rz. 6. 57 ErfK/Franzen, 17. Aufl. 2017, § 32 BDSG Rz. 6; zu der Prüfung im Einzelnen BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 546/12, NZA 2014, 143; Wybitul, BB 2010, 1086 ff.

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auf anderem Wege an die Informationen zu gelangen, die erforderlich sind, um Missstände aufdecken zu können, können anonyme Hinweise das einzige geeignete Mittel sein. Berücksichtigung kann die Anonymität eines Hinweises daher nur bei dem Umgang mit dem Hinweis selbst erfahren. Sie kann eine strengere Prüfung der Anhaltspunkte erforderlich machen, als sie bei einem offenen Hinweis vorgenommen werden muss. Auf Hinweise, die jemand offen und unter Bekanntgabe seiner Identität abgibt, darf die Stelle mehr vertrauen als auf solche Hinweise, bei denen sich der Hinweisgeber nicht zu erkennen gibt.58 In dem geltenden deutschen Datenschutzrecht findet die nur eingeschränkte Zulassung anonymer Hinweise in einem Hinweisgebersystem, wie sie die Artikel-29-Datenschutzgruppe und die Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Beschäftigtendatenschutz“ befürworten, damit keine gesetzliche Stütze. Die weite Verbreitung der Zulassung anonymer Hinweise in den Verhaltenskodizes der Dax-30-Unternehmen zeigt jedoch, dass die Praxis hier bereits das praktische Bedürfnis nach der Zulassung von anonymen Hinweisen erkannt hat und diese deswegen im Rahmen ihrer Hinweisgebersysteme zulässt.

2. Unterrichtungs- und Auskunftspflichten gegenüber dem Angezeigten Eine weitere Frage, die sich im Rahmen des geltenden Datenschutzrechtes stellt, ist die nach den Unterrichtungs- und Auskunftspflichten, die gegenüber einem angezeigten Beschäftigten bestehen, wenn ein Hinweis auf ein von diesem begangenes Fehlverhalten erfolgt ist. Solche Pflichten bestehen gem. § 33 Abs. 1 BDSG bei der Speicherung und Übermittlung von personenbezogenen Daten. Allerdings kann die Benachrichtigung des Angezeigten über den Hinweis dazu führen, dass dieser Beweise vernichtet und sein Fehlverhalten verschleiert. Um dies zu vermeiden, bedarf es einer Ausnahme von der Benachrichtigungspflicht. In der Literatur wird hierfür § 33 Abs. 2 Nr. 7 lit. b) BDSG herangezogen, der die Benachrichtigungspflicht ausschließt, wenn die Daten für eigene Zwecke gespeichert sind und die Benachrichtigung die Geschäftszwecke der verantwortlichen Stelle erheblich gefährden würde, es sei denn, dass das 58 Auch Reichold in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2009, § 49 Rz. 11 erkennt an, dass der Arbeitgeber auch anonymen Hinweisen nachgehen kann, lehnt es aber ab, dass die Arbeitnehmer durch eine WhistleblowingKlausel auch zu anonymen Hinweisen aufgefordert werden dürfen. Vgl. dazu auch Mahnhold, NZA 2008, 737, 740.

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Interesse an der Benachrichtigung die Gefährdung überwiegt.59 Dieser Tatbestand wird so ausgelegt, dass keine Informationspflicht des Verantwortlichen bestehe, sofern der Angezeigte Beweismittel zu vernichten drohe und der Missstand hinreichend schwer wiege. Die Information des Angezeigten sei aber unverzüglich nachzuholen, wenn es der Geschäftszweck nicht mehr erfordere. Auch hier bietet das BDSG mit seinem Erfordernis einer Interessenabwägung nicht die Rechtssicherheit, die im Sinne der Praxis wünschenswert ist, und belastet die zur Entgegennahme der Hinweise zuständige Stelle zudem mit der Aufgabe, die geforderte Interessenabwägung vorzunehmen. Dem Schutz der Beteiligten wäre besser gedient, wenn eine Benachrichtigungspflicht generell erst nach dem Abschluss der Ermittlungen infolge des Hinweises bestünde und diese sich zudem nur auf solche Informationen erstreckte, die keinen Rückschluss auf den Hinweisgeber zulassen.60

V. Schutz von Whistleblowern Neben dem Anliegen des Schutzes vor dem Whistleblowing für die „verpfiffenen“ Mitarbeiter ist auch dem Interesse des Whistleblowers Rechnung zu tragen, vor möglichen negativen Auswirkungen geschützt zu werden, die ihm aufgrund des Hinweises auf die Missstände im Unternehmen drohen können. An erster Stelle ist dabei zu klären, ob und inwieweit eine Pflicht gegenüber dem Unternehmen als Arbeitgeber zum Whistleblowing besteht. Dahinter steht die Überlegung, dass es gerade dann eines besonderen rechtlichen Schutzes des Whistleblowers bedarf, wenn er selbst rechtlich dazu verpflichtet ist, auf unternehmensinterne Missstände hinzuweisen. Im Anschluss an die Untersuchung, ob eine Anzeigepflicht besteht, soll der status quo der Rechtsprechung des BAG zur Behandlung des Whistleblowing als Kündigungsgrund dargestellt werden. Auf der Grundlage dieser Bestandsaufnahme sollen sodann einige Gedanken zur möglichen Verbesserung des Schutzes der Arbeitnehmer präsentiert werden. Dabei soll der Blick vor allem auch auf den Schutz des Arbeitnehmers vor einer möglichen Haftung bei einem nicht zutreffenden Hinweis gerichtet werden. 59 In diesem Sinn Gola/Klug/Körffer in Gola/Schomerus, 12. Aufl. 2015, § 33 BDSG Rz. 34; Breinlinger/Krader, RDV 2006, 60, 67 f.; Grau, KSzW 2012, 66, 72; von Zimmermann, RDV 2006, 242, 246 f. 60 So auch schon Thüsing/Forst, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 2. Aufl. 2014, § 6 Rz. 80.

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1. Verpflichtung des Arbeitnehmers zum Whistleblowing? Schon früh wurde darüber diskutiert, ob es ein Arbeitnehmer aufgrund der gegenüber dem Arbeitgeber bestehenden Treuepflicht zum Whistleblowing verpflichtet ist. So führte Kaskel schon 1925 in seiner Gesamtdarstellung des Arbeitsrechts die Pflicht zur Anzeige als Ausfluss der Treuepflicht auf: „Die Treuepflicht äußert sich vor allem in der Pflicht zu achtungsvollem Verhalten, zur Unterlassung übler, insbesondere wirtschaftlich schädigender Nachrede (Kreditgefährdung), in der Verpflichtung zur Verhinderung schädigender Handlungen seitens der Mitarbeiter, die in besonderen Fällen zur Anzeigepflicht führen kann (wenn z.B. der Prokurist merkt, daß der Kassierer unterschlägt), in der Schweigepflicht über Geschäftsgeheimnisse und im Konkurrenzverbot.“61

Das BAG zeigte sich in seinen Urteilen bislang sehr vorsichtig. In einzelnen Fällen hat es aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers eine aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht von Arbeitnehmern abgeleitet bzw. diskutiert, die in bestimmten Fällen eingreifen soll.62 Eine verallgemeinerungsfähige Aussage zu einer Pflicht zum Whistleblowing ist diesen sehr stark auf den jeweiligen Einzelfall bezogenen Judikaten des BAG gleichwohl nicht zu entnehmen.63 Die überwiegende Ansicht im deutschen Schrifttum wertet bei der Annahme einer Pflicht zum Whistleblowing sehr zurückhaltend: Sie hält den Arbeitgeber grundsätzlich nur für berechtigt, eine Pflicht zum Whistleblowing in den Grenzen billigen Ermessens durch sein Direktionsrecht oder auch vertraglich anzuordnen.64 Die Grenze billigen Ermessens soll bei einer solchen Anordnung jedoch schon dann überschritten sein, wenn nicht nur erhebliche Verstöße erfasst werden oder auch das außerbetriebliche Verhalten geregelt wird.65 Die Regelung der Meldepflicht ist unter Einhaltung dieser Grenze des billigen Ermessens 61 Kaskel, Arbeitsrecht, 2. Aufl. 1925, S. 78. 62 BAG v. 12.5.1958 – 2 AZR 539/56, NJW 1958, 1747; BAG v. 18.6.1970 – 1 AZR 520/69, AP BGB zu § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 57. 63 Vgl. dazu auch Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43, 49, zu dem unterlassenen Whistleblowing als Pflichtverletzung des Arbeitnehmers. 64 Gola/Klug/Körffer in Gola/Schomerus, 12. Aufl. 2015, § 32 BDSG Rz. 21; Breinlinger/Krader, RDV 2006, 60; Schmidl, DuD 2006, 353; von Zimmermann, RDV 2006, 235. 65 Gola/Klug/Körffer in Gola/Schomerus, 12. Aufl. 2015, § 32 BDSG Rz. 21; Reichold in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2009, § 49 Rz. 11; Mengel/Hagemeister, BB 2007, 1386, 1389; Schuster/Darsow, NZA 2005, 273, 276.

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auch in einem Verhaltenskodex möglich, der auf arbeitsvertraglicher Ebene für in dem jeweiligen Arbeitsverhältnis anwendbar erklärt wird. Dieses Regelungsmodells bedienen sich beispielsweise die Unternehmen adidas, Fresenius, Fresenius MedicalCare und Bayer. Eine originäre arbeitsvertragliche Pflicht zum Whistleblowing als Bestandteil der Treuepflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber wird hingegen zu Recht alleine dann angenommen, wenn der jeweilige Arbeitnehmer in einer leitenden Funktion tätig bzw. mit ComplianceAufgaben betraut ist.66 Dies überzeugt, da für Arbeitnehmer in leitender Funktion eine gesteigerte Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber besteht, die es rechtfertigt, ihnen eine Pflicht zur Anzeige von Missständen aufzuerlegen. Dies muss erst recht dann gelten, wenn ein Arbeitnehmer mit Compliance-Aufgaben betraut ist, seine arbeitsvertragliche Pflicht also gerade darin besteht, rechtmäßige Zustände im Unternehmen herzustellen. Auf der Ebene einer Betriebsvereinbarung hat das BAG die Vereinbarung einer für sämtliche Mitarbeiter geltenden Meldepflicht für Verstöße gegen den Verhaltenskodex des Unternehmens ebenfalls zugelassen.67 Die Betriebsvereinbarung ist damit ein praxistaugliches Instrument, durch dessen Einsatz eine Meldepflicht kollektiv für sämtliche Arbeitnehmer eines Betriebes statuiert werden kann.

2. Höchstrichterlich geklärt: Zutreffende Informationen ohne Schädigungsabsicht im zunächst internen Kommunikationsweg Bedeutung hat das Whistleblowing im deutschen Arbeitsrecht bislang vor allen Dingen im Zusammenhang mit der Frage erlangt, unter welchen Umständen die Aufdeckung von Missständen durch einen Arbeitnehmer ein wichtiger Grund ist, der den Arbeitgeber zur Kündigung des Arbeitnehmers berechtigt.68 Hier gilt nach der Rechtsprechung des 66 Weiter noch Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43, 49; für Arbeitnehmer in Führungspositionen Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 243; für leitende Angestellte Thüsing/Forst in Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 2. Aufl. 2014, § 6 Rz. 41. 67 BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248; vgl. auch Degendorf/Dittges in Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2017, § 35 Rz. 131 f. 68 BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 646/11, AP zu § 626 Nr. 240; BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 400/05, NZA 2007, 502; BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427.

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BAG, dass eine zur Kündigung berechtigende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung eines Arbeitnehmers dann vorliegt, wenn der Arbeitnehmer in einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber oder einen seiner Repräsentanten wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat oder eine sonstige kündigungsrelevante erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten begangen hat.69 Eine solche sonstige erhebliche Verletzung der vertraglichen Nebenpflichten liegt beispielsweise dann vor, wenn der Arbeitnehmer den Hinweis sofort an externe Stellen weitergegeben hat und nicht zuerst die Missstände intern gemeldet hat, obwohl er dies aus seiner Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers hätte tun müssen.70 Im Fall der Erstattung von Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen kann daher eine vertragswidrige Pflichtverletzung bereits dann vorliegen, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt.71 In einem solchen Fall besteht eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers auch dann, wenn dieser die Anzeige erstattet, ohne dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen.72 Folglich kann eine Anzeige auch unabhängig vom Nachweis der mitgeteilten Verfehlung und ihrer Strafbarkeit ein Grund zur Kündigung sein. Diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze kann man für den Fall, dass ein internes Hinweisgebersystem existiert, spezifizieren. In diesem Fall ist der Beschäftigte schutzwürdig, wenn er die Anzeige bei der vom Arbeitgeber zur Entgegennahme von Anzeigen eingerichteten Stelle vornimmt und hierbei in gutem Glauben ist, d.h. weder wissentlich noch leichtfertig falsche Angaben macht. Zudem muss der Arbeitnehmer den Missstand zur Wahrung der berechtigten Interessen des Arbeitgebers, einen Ansehensverlust des Unternehmens zu verhindern, zunächst intern über das Hinweisgebersystem anzeigen. Dies gilt nur dann nicht, wenn das Hinweisgebersystem seine Funktion, Missstände nach deren Beseitigung zu beseitigen, nicht erfüllt und auch ein sonstiger Weg der internen Meldung für den Beschäftigten nicht erkennbar ist, der hinsichtlich der Beseitigung des Missstandes Erfolg verspricht. Der Missstand muss im Übrigen auch derart erheblich sein, dass eine externe Meldung auch unter Berücksichtigung der Interessen des Arbeit69 70 71 72

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BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427. BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427. BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 646/11, AP zu § 626 BGB Nr. 240. BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 646/11, AP zu § 626 BGB Nr. 240.

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gebers eine verhältnismäßige Reaktion auf dessen Verhalten oder das Verhalten seines Repräsentanten darstellt. Hiervon wird man regelmäßig dann ausgehen können, wenn durch das Verhalten ein Straftatbestand verwirklicht wird.

3. Fahrlässig falsche Information: Reicht der gute Glaube? Nicht geklärt ist bislang, wie es sich auswirkt, wenn ein Beschäftigter fahrlässig einen nicht zutreffenden Hinweis gegeben hat, ohne dabei leichtfertig zu handeln. Die Richtlinien einiger der DAX-30-Unternehmen enthalten Formulierungen, dass Mitarbeiter bei einem „gutgläubigen“ Hinweis bzw. einem Hinweis, den sie „nach bestem Gewissen“ gegeben haben, geschützt seien, oder dann, wenn die Anzeige ein „integres Verhalten“ darstelle. Dies lässt erkennen, dass das Schutzbedürfnis der Mitarbeiter von den Arbeitgebern anerkannt wird. Jedoch steht diesem Schutzbedürfnis des Hinweisgebers auf der anderen Seite das Schutzbedürfnis der Angezeigten sowie des Unternehmens selbst vor falschen Hinweisen gegenüber. Für die Unternehmen geht es also darum, den Drahtseilakt zwischen der Ermunterung der Mitarbeiter zum Whistleblowing mit dem Zweck der Schaffung rechtmäßiger Zustände in dem Unternehmen auf der einen Seite und der Verhinderung eines Denunziantentums und einer Stimmung des Misstrauens im Unternehmen auf der anderen Seite zu meistern.

a) Schutzbedürfnis des anzeigenden Arbeitnehmers vor Kündigung und Schadensersatzansprüchen Das Schutzbedürfnis des anzeigenden Arbeitnehmers umfasst dabei nicht alleine den Schutz vor einer Kündigung. Hinzu kommt der Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Arbeitgebers und des angezeigten Mitarbeiters. Für den Arbeitgeber kann sich ein Schaden daraus ergeben, dass er aufgrund des Hinweises weitere Nachforschungen anstellt, für welche ihm Kosten entstehen. Der angezeigte Mitarbeiter mag sich dazu veranlasst sehen, aufgrund der Anzeige Kosten zu seiner Verteidigung aufzuwenden, um die Vorwürfe zu entkräften. Damit entsteht jeweils ein Schaden, für den der anzeigende Arbeitnehmer unter Umständen haftbar gemacht werden kann. Gegenüber dem Arbeitgeber haftet der Arbeitnehmer wegen der Verletzung der Pflicht aus seinem Arbeitsvertrag gem. § 280 Abs. 1 BGB, gegenüber dem angezeigten Mitarbeiter kann eine Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts

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sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB (üble Nachrede) oder § 187 StGB (Verleumdung) bestehen.

b) Die Anwendbarkeit der Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung aa) Der Grundsatz der beschränkten Arbeitnehmerhaftung Zur rechtlichen Verankerung des Schutzes des Hinweisgebers, der fahrlässig einen falschen Hinweis gibt, können die Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung parallel herangezogen werden. Entsprechend dem Grundsatz der beschränkten Arbeitnehmerhaftung findet der im allgemeinen Schadensrecht geltende Grundsatz der Totalreparation, wonach ein Schadensverursacher selbst bei leichtester Fahrlässigkeit auf den vollen Schaden haftet, im Arbeitsverhältnis keine uneingeschränkte Anwendung.73 Er wird vielmehr modifiziert, indem die von Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils zu tragenden Anteile an dem entstandenen Schaden im Rahmen einer umfassenden Abwägung ermittelt werden. Maßgebliches Kriterium ist dabei vor allem der Verschuldensgrad des Arbeitnehmers. Nach der gefestigten Rechtsprechung der ArbG gilt im Grundsatz, dass dem Arbeitnehmer bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit in der Regel keine Haftungsentlastung gewährt wird.74 Bei mittlerer Fahrlässigkeit werden die Schäden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal verteilt75, bei leichtester Fahrlässigkeit ist der Schaden allein vom Arbeitgeber zu tragen76. Durch diese Modifikation soll das unbillige Ergebnis vermieden werden, dass ein Arbeitnehmer, der seine Arbeitsleistung für den Arbeitgeber zu dessen wirtschaftlichem Nutzen einsetzt, bei einem fahrlässigen Verhalten in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit die volle Haftung tragen muss.77 Dogmatisch wird der Grundsatz der be-

73 Vgl. dazu ErfK/Preis, 17. Aufl. 2017, § 619a BGB Rz. 9; Henssler in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 619a BGB Rz. 8 f. 74 BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 705/11, NZA 2013, 640; BAG v. 16.2.1995 – 8 AZR 493/93, NZA 1995, 565. 75 BAG v. 24.11.1987 – 8 AZR 524/82, NZA 1988, 579; BAG v. 16.2.1995 – 8 AZR 493/93, NZA 1995, 565. 76 BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 705/11, NZA 2013, 640; BAG v. 16.2.1995 – 8 AZR 493/93, NZA 1995, 565. 77 Vgl. zu den rechtsgeschichtlichen und dogmatischen Grundlagen des Grundsatzes der beschränkten Arbeitnehmerhaftung ausführlich Henssler in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 619a BGB Rz. 5 ff. m.w.N.; ErfK/Preis, 17. Aufl. 2017, § 619a BGB Rz. 9 ff.

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schränkten Arbeitnehmerhaftung von der herrschenden Meinung mit einer analogen Anwendung des § 254 BGB begründet.78

bb) Die Anwendbarkeit bei einem fahrlässigen falschen Hinweis Die Erwägungen, auf denen generell die Anwendung der Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung beruht, können auch bei einer fahrlässig falschen Anzeige herangezogen werden. Die Anzeige ist als betriebliche Tätigkeit einzuordnen, denn das Hinweisgebersystem dient den Interessen des Arbeitgebers und wurde von diesem eingerichtet, um Missständen in seinem Unternehmen entgegenwirken zu können. Es besteht daher ein derartiger innerer Zusammenhang zwischen der betrieblichen Tätigkeit und dem durch den Hinweis ausgelösten Schadensereignis, dass die Verfolgung betrieblicher Zwecke als die entscheidende Schadensursache anzusehen ist.79 Die Anzeige erfolgt mit Bezug zum Betrieb des Arbeitgebers.80 Für die Haftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber ergibt sich daraus, dass eine Schadensersatzpflicht des Arbeitnehmers wegen eines falschen Hinweises dann anzunehmen ist, wenn der Arbeitnehmer eine Anzeige abgibt, wobei er wusste oder grob fahrlässig nicht wusste, dass die Anzeige falsch war. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des BAG, das eine zur Kündigung berechtigende Pflichtverletzung u.a. dann annimmt, wenn der Arbeitnehmer bei einer Anzeige wissentlich oder leichtfertig (= grob fahrlässig) falsche Angaben macht. Bei einem nur leicht fahrlässig falschen Hinweis haftet der Arbeitnehmer hingegen nicht. Offen bleibt damit alleine die Frage, wie hoch der Schadensanteil ist, für den der Arbeitnehmer haftet, wenn ihm der Vorwurf mittlerer Fahrlässigkeit wegen einer unzutreffenden Anzeige zu machen ist. Wenn allein ein guter Glaube des Arbeitnehmers gefordert ist, damit dieser nicht für die Folgen einer falschen Anzeige haftet, so legt dies nahe, dass ein Maß78 BAG v. 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083; BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 705/11, NZA 2013, 640; Henssler in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 619a BGB Rz. 10; ErfK/Preis, 17. Aufl. 2017, § 619a BGB Rz. 10; dazu auch Henssler, RdA 2002, 129, 133; Krause, NZA 2003, 577, 578; Waltermann, RdA 2005, 98, 99 f. 79 BAG v. 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NZA 2011, 345; ErfK/Preis, 17. Aufl. 2017, § 619a BGB Rz. 10. 80 Zur Betriebsbezogenheit als Kriterium BAG v. 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NZA 2011, 345; ErfK/Preis, 17. Aufl. 2017, § 619a BGB Rz. 10.

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stab entsprechend § 932 Abs. 2 BGB gelten und der Arbeitnehmer nur bei Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis der Falschheit seiner Anzeige haften soll. Bei einfacher Fahrlässigkeit wäre eine Haftung dann ausgeschlossen. Dies entspricht allerdings nicht der Haftungsverteilung nach den Grundsätzen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung, nach denen bei mittlerer Fahrlässigkeit eine anteilige Haftung des Arbeitnehmers besteht, deren Höhe durch eine umfassende Abwägung nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu ermitteln ist und von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt, wobei insbesondere Schadensanlass und Schadensfolgen zu berücksichtigen sind.81 Es erscheint hier geboten, bei der Abwägung die konkrete Ausgestaltung des Hinweisgebersystems zu berücksichtigen. Wenn der Arbeitgeber dem gutgläubigen Hinweisgeber in seinen Richtlinien zum Hinweisgebersystem Schutz zugesagt hat, so muss er sich hieran festhalten lassen. Eine Haftung des Arbeitnehmers bei mittlerer Fahrlässigkeit scheidet dann in der Regel aus. Fehlt es jedoch an einer solchen Zusage des Schutzes bei gutgläubiger Anzeige, so spricht dies im Grundsatz dafür, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer anteilig für die Kosten in Anspruch nehmen kann, die ihm durch eine aufgrund des Hinweises eingeleitete Untersuchung entstanden sind. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass den Arbeitgeber die Obliegenheit trifft, Hinweise auf Fehlverhalten zunächst auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen. Insoweit ist das Verhalten der für ihn in der Compliance tätigen Mitarbeiter zuzurechnen. Leiten diese Untersuchungen ein, obwohl sie hätten erkennen müssen, dass ein Hinweis falsch war, so ist dies zugunsten des anzeigenden Arbeitnehmers als Mitverschulden des Arbeitgebers in die Abwägung einzustellen und dürfte sogar, je nach den Umständen des Einzelfalles, sogar eine vollständige Haftungsfreistellung des Arbeitnehmers rechtfertigen.

VI. Summa Unübersehbar bestehen rund um das Thema Whistleblowing noch zahlreiche offene Rechtsfragen. Weniges scheint schon in Stein gemeißelt, vieles ist noch im Fluss. Dabei besteht in diesem Bereich zugleich ein erhebliches praktisches Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch klare Antworten. Der status quo lässt sich mit den folgenden Aussagen zusammenfassen: 81 BAG v. 24.11.1987 – 8 AZR 524/82, NZA 1988, 579; BAG v. 16.2.1995 – 8 AZR 493/93, NZA 1995, 565.

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Es besteht keine generelle rechtliche Pflicht von Unternehmen zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems als Bestandteil eines effektiven Compliance-Systems. Gleichwohl führen die neueren Entwicklungen – unter diesen vor allem der Umstand, dass im DCGK nunmehr die Einrichtung eines Hinweisgebersystems vorgesehen ist, sowie die strengen Maßstäbe für ein Compliance-System, die das LG München in der Neubürger-Entscheidung aufgestellt hat – zu einer zunehmenden Einengung des unternehmerischen Ermessens bei der Entscheidung, ob ein Hinweisgebersystem im Unternehmen einzurichten ist.



Die Einrichtung eines Hinweisgebersystems ist datenschutzrechtlich zulässig, da die Hinweise auf Fehlverhalten im Unternehmen letztlich der Durchführung des Arbeitsverhältnisses des angezeigten Mitarbeiters dienen und damit dem Erlaubnistatbestand des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG unterfallen. Es ist von dem Arbeitgeber allerdings stets darauf zu achten, dass bei der Datenerhebung und -nutzung die Grenze der Verhältnismäßigkeit eingehalten wird.



Es besteht keine generelle Pflicht von Arbeitnehmern, Missstände im Unternehmen gegenüber dem Arbeitgeber anzuzeigen. Etwas anderes gilt nur für leitende Angestellte und Mitarbeiter, die mit Compliance-Aufgaben betraut sind. Der Arbeitgeber kann jedoch unter Beachtung der Grenze des billigen Ermessens kraft des arbeitsvertraglichen Weisungsrechts bestimmen, dass die Arbeitnehmer zum Whistleblowing verpflichtet sind. Eine entsprechende Pflicht kann auch in einer Betriebsvereinbarung festgelegt werden.



Eine zur Kündigung berechtigende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung eines Arbeitnehmers liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer in einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber oder einen seiner Repräsentanten wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat oder eine sonstige kündigungsrelevante erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten begangen hat. Im Fall der Erstattung von Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen kann daher eine vertragswidrige Pflichtverletzung bereits dann vorliegen, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt.

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Die folgenden Thesen sind Vorschläge, wie sich bislang noch offene Rechtsfragen sinnvoll de lege lata beantworten lassen: –

Die Entgegennahme und Nutzung anonymer Meldungen ist datenschutzrechtlich zulässig. Ihre Nutzung ist nicht per se unverhältnismäßig, so dass es auch möglich sein muss, Arbeitnehmern die Möglichkeit zur Abgabe anonymer Anzeigen zu eröffnen.



Bei einem unzutreffenden Hinweis wird durch die Anwendung der Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung ein interessengerechter Schutz des anzeigenden Arbeitnehmers erreicht.



Danach haftet ein Arbeitnehmer nicht, wenn er nur leicht fahrlässig nicht erkennt, dass sein Hinweis falsch ist. Hingegen haftet ein Arbeitnehmer, der vorsätzlich oder grob fahrlässig einen falschen Hinweis gibt. Bei mittlerer Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber nur anteilig, wobei die Anteile jeweils durch eine umfassende Abwägung der Gesamtumstände, insbesondere von Schadensanlass und Schadensfolgen unter Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu ermitteln sind.



Durch die Zusage des Schutzes bei einer gutgläubig unzutreffenden Anzeige gibt der Arbeitgeber zu erkennen, dass der Arbeitnehmer erst ab grob fahrlässigem Handeln einen Anteil am entstandenen Schaden tragen soll. Hieran muss sich der Arbeitgeber auch im Rahmen der Anwendung der Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung festhalten lassen.

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Bericht über die Diskussion des Referats Thüsing Benedikt Happ Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Goethe-Universität Frankfurt/M. In der von Langenbucher geleiteten Aussprache meldete sich zunächst von Dietze zu Wort. Er berichtete von einer externen Ausprägung des Whistleblower-Gedankens, wie sie ihm in seiner anwaltlichen Praxis in Form des Code of Conduct einer japanischen Unternehmensgruppe begegnet sei: Diese Unternehmensgruppe verlangte von allen Mitarbeitern, dass alle ihnen bekannt gewordenen Gesetzesverstöße direkt bei den zuständigen Behörden zu melden seien. Zudem sah von Dietze kritisch, dass das Referat die datenschutzrechtlichen Fragestellungen zu sehr aus Sicht des Mitteilenden beleuchtet habe und dabei nicht deutlich geworden sei, dass das Datenschutzrecht auch für den Beschuldigten gelte. Insoweit fragte von Dietze, wann der Beschuldigte über Datenerhebungen informiert werde, wie lange solche Daten gespeichert werden dürften und wann sie zu löschen seien. Thüsing erklärte, dass kein fixer Zeitpunkt zur Frage einer Benachrichtigung des Beschuldigten oder etwaige feste Speicherfristen normiert seien. Allerdings stünden dem Beschuldigten unter Umständen gem. §§ 33, 34 BDSG (zukünftig Art. 14, 15 VO (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung)) Benachrichtigungs- und Auskunftsansprüche sowie gem. §§ 20, 35 BDSG (zukünftig Art. 16 ff. VO (EU) 2016/679) Berichtigungsansprüche gegen die verantwortliche Stelle zu. Im Rahmen von Benachrichtigungs- und Auskunftsansprüchen seien dem Beschuldigten jedoch nur diejenigen Informationen mitzuteilen, die ihm die Wahrnehmung seiner Rechte ermöglichten, was regelmäßig nicht Informationen über den Mitteilenden selbst umfassen solle. In diesem Zusammenhang sei auf den Vorbehalt des § 33 Abs. 2 Nr. 7b BDSG hinzuweisen, dessen Reichweite mangels verbindlicher Hinweise und wegen der geringen Zahl gerichtlicher Entscheidungen nur schwer einzuschätzen sei. In der Literatur bestehe insoweit Streit, ob auf Grundlage dieses Vorbehalts eine Benachrichtigung generell unterbleiben könne, um nicht etwaige Hinweisgeber in Zukunft entgegen dem maßgeblichen Unternehmensinteresse an einem wirksamen Whistleblowing abzuschrecken. Die herrschende Meinung gehe indes davon aus, dass eine Benachrichtigung erfolgen müsse, wenn der Ermittlungszweck nicht mehr gefährdet ist.

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Happ – Bericht über die Diskussion des Referats Thüsing

Dies sei spätestens mit dem offenen Ansprechen des Beschuldigten anzunehmen. Die Speicherdauer hänge vom Vorliegen eines legitimen Zwecks zur Speicherung ab, der nicht außer Verhältnis zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten stehen dürfe. Nach herrschender Meinung sei eine Löschung vorzunehmen, wenn sich der Vorwurf gegen den Beschuldigten als ungerechtfertigt erwiesen oder das Unternehmen sich entschlossen habe, trotz relevanter Kenntnisse keine weiteren Nachforschungen anzustellen. Liebscher gab zu Bedenken, dass viele DAX-Unternehmen Whistleblowing-Hotlines nicht nur für die bloße Mitteilung eines etwaigen Verstoßes, sondern auch für die Klärung rechtlicher Zweifelsfragen der Mitarbeiter im Sinne einer Selbstvergewisserung anböten. Der von Thüsing vorgestellte Beschluss des LG Bochum zum verneinten Beschlagnahmeverbot bei externen Compliance-Ombudspersonen sei deshalb zweifelhaft, da eine solche Sichtweise den selbstvergewissernden Mitarbeiter am Nachfragen und damit möglicherweise an einem in der Zukunft angepassten (rechtmäßigen) Verhalten hindern könnte. Thüsing stimmte im Grundsatz zu. Er hielt es für sinnvoll, Whistleblowing und Selbstvergewisserung in der Unternehmensorganisation etwa durch separate Hotlines zu trennen. In der Folge sei anzunehmen, dass nach Ansicht des LG Bochum ein Beschlagnahmeverbot nur für die abgrenzbaren Informationen des Whistleblowings nicht in Betracht komme. Würden beide Funktionen zusammengefasst, sei eine solche Trennung und damit eine Eingrenzung der Nichtanwendbarkeit des Beschlagnahmeverbots kaum möglich. Wichtig sei der Hinweis, dass im Falle einer Selbstvergewisserung die Abwägungsentscheidung hinsichtlich der zulässigen Speicherdauer der Daten im Einzelfall anders beurteilt werden könne, da der Mitarbeiter ein Eigeninteresse an einer Speicherung haben könnte. Kritisch sah Nietsch den schnellen Schritt von der Verdammnis der im Whistleblowing häufig gesehenen „Denunziation“ in der Vergangenheit, die sich anscheinend über Nacht zu einer Rechtspflicht gewandelt habe. Der Hinweis auf die Vorstellungen der Neubürger-Entscheidung des LG München I zu den Compliance-Pflichten sei zwar im Grundsatz gerechtfertigt, aber das Whistleblowing werde dort nicht explizit adressiert. Eine generelle Pflicht zur Einrichtung einer Whistleblowing-Möglichkeit sei zweifelhaft; eine solche könne nur unternehmensbezogen, d.h. im Einzelfall begründbar sein. Nietsch erwog zur Umgehung datenschutzrechtlicher Fallstricke in der Praxis, das Whistleblowing nicht

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Happ – Bericht über die Diskussion des Referats Thüsing

personen-, sondern vorgangsbezogen auszugestalten, so dass das deutsche Datenschutzrecht mangels personenbezogener Daten nicht anwendbar sein dürfte. Für eine solche Ausgestaltung spreche, dass Vorgänge einfacher zu benennen seien als Einzelpersonen. Thüsing stimmte hinsichtlich der Unterscheidung zwischen personenund vorgangsbezogenen Mitteilungen zu. Solange ein Personenbezug aus der Vorgangsbeschreibung nicht herzustellen ist, sei das Datenschutzrecht nicht anwendbar. Allerdings sah er kritisch, dass die Unternehmen ein Interesse an einer möglichst detailreichen Beschreibung des möglicherweise inkriminierten Vorgangs hätten und oftmals Mitarbeiter ein Verfahren ausgehend von Einzelhandlungen beschrieben, womit wiederum personenbezogene Daten betroffen sein könnten. Dies verdeutliche den Interessenkonflikt zwischen Compliance und Datenschutz. Aus der allgemeinen Unternehmensleitungspflicht des Vorstands sei eine Pflicht zur Einrichtung von Whistleblowing-Möglichkeiten abzuleiten. Zwar sei mit der Neubürger-Entscheidung des LG München I ein „one size fits all“ abzulehnen, doch sei es weniger umstritten, ob eine WhistleblowingMöglichkeit eingerichtet werden müsse. Der Streit bestehe eher hinsichtlich der Art und Weise. Ob die Art und Weise einer Whistleblowing-Möglichkeit als unternehmerische Entscheidung des Vorstands zu qualifizieren sei, fragte Langenbucher nach. Dies bejahte Thüsing. Er gab hinsichtlich der Bewertung der Ermessensentscheidung zu bedenken, dass die 30 DAX-Unternehmen eine Whistleblowing-Möglichkeit geschaffen haben und dies Ausdruck eines Marktstandards zur Regelbefolgung sei. Möchte ein Vorstand von diesem Marktstandard abweichen, sollte er seine Entscheidung tiefschürfend begründen, um etwaigen Schadensersatzansprüchen des Unternehmens gegen sich vorzubeugen. Die Diskussionslast werde sich auf die Frage der Verbesserung bestehender Whistleblowing-Systeme unter dem Gesichtspunkt eines effektiven Datenschutzes verlagern. Abschließend stellte Thüsing dar, dass die Compliance-Vorgaben des U.S. amerikanischen Sarbanes-Oxley-Act (SOX) teilweise extraterritoriale Anwendbarkeit besäßen, woraus unter Umständen eine Kollision mit dem deutschen Datenschutzrecht folge. Es sei zu beachten, dass allein der Imperativ eines ausländischen Rechts keinen Rechtfertigungstatbestand einer Datenüberleitung darstelle. Unternehmen sollten den Datentransfer daher nicht allzu leichtfertig nehmen, um etwaigen Schadensersatzverpflichtungen gegenüber den Betroffenen vorzubeugen.

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Insiderrecht im M&A-Kontext: (Nicht) viel Neues nach der Marktmissbrauchsverordnung? Dr. Gabriele Apfelbacher, LL.M. (Columbia) Rechtsanwältin, Frankfurt am Main I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Insiderrecht . . . . . . . . . . . . . . 2. Insiderrechtsrelevante Konstellationen im M&A-Kontext . . . . . . . . . . . . II. Zentrale Begriffsdefinitionen und Konzepte . . . . . . . . . . . . . 1. Insiderverbot . . . . . . . . . . . . . 2. Insiderinformationen . . . . . . a) Nicht öffentlich bekannt b) Präzise. . . . . . . . . . . . . . . . c) Erhebliches Kursbeeinflussungspotential . . . . . . 3. Insidergeschäfte . . . . . . . . . . . a) Relevante Tatbestände. . . b) Nutzen von Insiderinformationen . . . . . . . . . . . . . c) Insider . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Legitime Handlungen . . . . . . a) Ausdrückliche Ausnahmen von der Nutzungsvermutung . . . . . . . . . . . . b) Rückausnahme . . . . . . . . c) Sonstige Ausnahmen von der Nutzungsvermutung 5. Unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen . . . 6. Marktsondierungen . . . . . . . . III. M&A-spezifische Anwendungsfragen . . . . . . . . . . . . . .

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1. Insiderinformationen im M&A-Kontext . . . . . . . . . . . . a) Ausgangssituation. . . . . . b) Auslegungsfragen . . . . . . c) Fallbeispiele. . . . . . . . . . . 2. Offenlegung von Insiderinformationen im M&AKontext . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Transaktionsbezogene Insiderinformationen . . . aa) Allgemeines . . . . . . . bb) Sonderfall Marktsondierung. . . . . . . . . b) Sonstige Insiderinformationen . . . . . . . . . . . . . 3. Insidergeschäfte im M&AKontext . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beteiligungsaufbau . . . . . aa) Erwerbsplan als Insiderinformation . . . . bb) Über Erwerbsplan hinausgehende Insiderinformationen . . . . . . cc) Masterplan . . . . . . . . b) Sonstige Insidergeschäfte unter Nutzung transaktionsbezogener Insiderinformationen. . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . .

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Apfelbacher – Insiderrecht im M&A-Kontext

I. Einführung Insiderrecht im M&A-Kontext – dieses Thema wurde unter dem WpHG a.F., jedenfalls was die kapitalmarktrechtliche Zulässigkeit bestimmter M&A-Techniken anbelangt, vielfach behandelt, und kann insofern beinahe schon als Dauerbrenner bezeichnet werden. Dabei wurde über einzelne Aspekte, wie etwa den Beteiligungsaufbau im Vorfeld von Unternehmensübernahmen, durchaus auch kontrovers diskutiert.1 Eine gewisse Aktualität kann man dem Thema sicher auch derzeit nicht absprechen, denkt man nur an die Insideruntersuchungen bzw. -verfahren im Zusammenhang mit dem geplanten Zusammenschluss von Deutscher Börse und London Stock Exchange oder der noch laufenden Fusion von Linde und Praxair. Aktuell gesellten sich Berichte über Insideruntersuchungen bei Metro dazu, wenngleich es sich bei der Aufspaltung der Metro zugegebenermaßen nicht um eine klassische M&ATransaktion handelte. Sichtet man die Literatur zum Insiderrecht im M&A-Kontext, fällt auf, dass der Schwerpunkt sowohl unter der Geltung des WpHG a.F. als auch nach der Marktmissbrauchsverordnung („MAR“) beim Beteiligungsaufbau nach Durchführung einer Due Diligence liegt.2 Wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden, ist der Beteiligungsaufbau ein wichtiges, jedoch keineswegs das einzige insiderrechtlich relevante Thema im M&A-Kontext nach Inkrafttreten der MAR.

1. Insiderrecht Insiderrechtlich relevante Normen im M&A-Kontext finden sich sowohl in Kapitel 2 der MAR (Art. 7 mit 14 MAR) als auch in Kapitel 3 der MAR (Art. 17 mit 21 MAR). Der nachfolgende Beitrag fokussiert auf das Insiderrecht im engeren Sinn, also die insiderrechtlichen Regelungen des Kapitels 2 der MAR (Verbot von Insidergeschäften und unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen samt den damit im Zusammenhang stehenden Normen), die bisher weniger beleuchtet wurden. Insiderrechtliche Fragestellungen zu Kapitel 3 der MAR im M&A-Kon-

1 Siehe etwa Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 623 ff. einerseits und Assmann, ZHR 172 (2008), 635, 651 f. andererseits. 2 So für die Hauptstoßrichtung der Praktiker-Literatur zum WpHG a.F. Bachmann, Das Europäische Insiderhandelsverbot, 2014, S. 59. Aktuell etwa Bühren, NZG 2017, 1172.

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Apfelbacher – Insiderrecht im M&A-Kontext

text, insbesondere zur Veröffentlichung von Insiderinformationen, wurden bereits verschiedentlich erörtert.3

2. Insiderrechtsrelevante Konstellationen im M&A-Kontext Nachdem der zu untersuchende rechtliche Rahmen abgesteckt ist, stellt sich die Frage, in welchen Fallkonstellationen das Insiderrecht der MAR im M&A-Kontext überhaupt einschlägig werden kann. Das Insiderrecht der MAR kommt nur zur Anwendung, wenn es sich bei mindestens einem der an der M&A-Transaktion Beteiligten, also Käufer, Verkäufer und/oder Zielgesellschaft, um einen Emittenten von Finanzinstrumenten handelt, die zum Handel im regulierten Markt einer Börse in der Europäischen Union zugelassen sind oder an einem sog. MTF oder OTF gehandelt werden. Praktisch wichtiges Beispiel für einen deutschen MTF ist der Freiverkehr einer deutschen Börse. Weiterhin ist Voraussetzung für einen insiderrechtlich relevanten Sachverhalt, dass Insiderinformationen in Bezug auf mindestens einen der an der M&ATransaktion Beteiligten bzw. die von ihm emittierten Finanzinstrumente vorliegen. Dabei kann es sich um transaktionsbezogene oder sonstige Insiderinformationen handeln. Werden diese Insiderinformationen nun im Rahmen eines transaktionsbezogenen oder sonstigen Geschäfts genutzt oder transaktionsbezogen oder auf sonstige Weise offengelegt, ergeben sich vier potentiell insiderrelevante Grundkonstellationen im M&A-Kontext, die in Teil III unten näher beleuchtet werden. Fallkonstellation 1: Transaktionsbezogenes Geschäft unter Nutzung von transaktionsbezogenen Insiderinformationen. Beispiel: Umsetzung eines Erwerbsplans. Fallkonstellation 2: Transaktionsbezogenes Geschäft unter Nutzung sonstiger Insiderinformationen. Beispiel: Übernahmeangebot oder Beteiligungsaufbau nach Erlangung von Insiderinformationen im Rahmen einer Due Diligence. Fallkonstellation 3: Offenlegung transaktionsbezogener Insiderinformationen. Beispiel: Marktsondierung. Fallkonstellation 4: Sonstiges Geschäft unter Nutzung transaktionsbezogener Insiderinformationen. Beispiel: Erwerb von Aktien eines an 3 Herfs in Meyer-Sparenberg/Jaeckle, Beck’sches M&A-Handbuch, 2017, § 21 Rz. 8 ff. m.w.N.; Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, 5. Aufl. 2017, Band II, § 107 Rz. 133 ff.; Klöhn, AG 2016, 423, 429 ff.

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der M&A-Transaktion beteiligten Unternehmens durch ein Organmitglied dieses Unternehmens.

II. Zentrale Begriffsdefinitionen und Konzepte Trotz aller Kritik an den handwerklichen Unzulänglichkeiten der MAR4 fördert auch hier ein Blick ins Gesetz die Rechtskenntnis. Bevor M&Aspezifische Anwendungsfragen des Insiderrechts diskutiert werden, soll nachfolgend das Insiderrecht der MAR dem bis 1. Juli 2016 geltenden einschlägigen Insiderregime des WpHG a.F. gegenübergestellt werden.

1. Insiderverbot Das Insiderverbot des Art. 14 MAR umfasst wie bereits § 14 WpHG a.F. das Tätigen bzw. versuchte Tätigen von Insidergeschäften, die Empfehlung von und das Verleiten – der in der MAR verwendete Begriff des Anstiftens ist eine unzutreffende Übersetzung aus dem Englischen5 – zu Insidergeschäften sowie die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, was die Erwägungsgründe 23 Satz 1 und 24 Satz 3 der MAR über den Zweck des Insiderverbots aussagen: Danach dient das Insiderverbot dem gleichberechtigten Informationszugang und der Vermeidung ungerechtfertigter Vorteile zum Nachteil solcher Dritter, die die Insiderinformationen nicht kennen. Weitergehend sollen damit die Integrität der Finanzmärkte und das Vertrauen der Investoren in ihre Gleichbehandlung gestärkt werden. Erwägungsgrund 24 Satz 2 stellt klar, dass das Insiderverbot im Hinblick auf die genannten Zwecke ausgelegt werden muss. Darauf wird im Hinblick auf einzelne M&A-relevante Konstellationen noch zurückzukommen sein.

2. Insiderinformationen Auch die Definition der Insiderinformationen in Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR ist weitgehend übereinstimmend mit der Definition des § 13 WpHG a.F. Nach der MAR sind Insiderinformationen nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und erhebliches Kursbeeinflussungspotential haben. Wie bereits in Teil I.2. oben aus4 Klöhn, AG 2016, 423, 424. 5 Klöhn, AG 2016, 423, 424.

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geführt, sind relevante Emittenten bzw. Finanzinstrumente nur solche, deren Finanzinstrumente bzw. die zum Handel im regulierten Markt an einer EU Börse zugelassen bzw. an einem MTF oder OTF gehandelt werden. Sieht man sich die einzelnen Elemente der Definition der Insiderinformationen nach der MAR im Vergleich zum WpHG a.F. näher an, sind die folgenden – zum Teil auch nur vermeintlichen – Unterschiede erwähnenswert:

a) Nicht öffentlich bekannt Nach der MAR sind nicht öffentlich bekannt solche Informationen, die nicht einer breiten Kapitalmarktöffentlichkeit bekannt gegeben wurden. Damit ist eine bloße Bereichsöffentlichkeit im Sinne einer kritischen Masse professioneller Anleger nicht ausreichend. Auch das Einstellen von Informationen auf der Website des Emittenten macht diese grundsätzlich nicht einer breiten Kapitalmarktöffentlichkeit bekannt. Auch wenn die BaFin und die überwiegende Meinung in der Literatur unter dem WpHG a.F. beim Vorliegen der „Bereichsöffentlichkeit“ von öffentlicher Bekanntheit ausgingen, dürfte insoweit kein Unterschied zur MAR bestehen. Denn die BaFin und ihr folgend die überwiegende Meinung in der Literatur gehen nur dann von „Bereichsöffentlichkeit“ aus, wenn die Insiderinformationen einem breiten Anlegerpublikum zeitgleich zugänglich sind, etwa durch Veröffentlichung in einem allgemein zugänglichen elektronischen Informationsverbreitungssystem.6

b) Präzise Präzise sind gem. Art. 7 Abs. 2 MAR bereits eingetretene Umstände oder ein zukünftiges Ereignis, dessen Eintritt vernünftigerweise erwartet werden kann, soweit die Umstände oder das Ereignis jeweils spezifisch genug sind, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Umstände oder dieses Ereignisses auf die Kurse der Finanzinstrumente zuzulassen. Damit handelt es sich bei dem Tatbestandsmerkmal „präzise“ um nicht mehr als ein Ausschlusskriterium für vage und unkonkrete Informationen. Sofern es um zukünftige Ereignisse geht, ist wohl überwie-

6 BaFin, Emittentenleitfaden, 4. Aufl. 2013, S. 34; Klöhn, AG 2016, 423, 426 f.; Herfs in Meyer-Sparenberg/Jaeckle, Beck’sches M&A-Handbuch, 2017, § 21 Rz. 29, 30.

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gende Eintrittswahrscheinlichkeit (50 % plus) erforderlich.7 Letztlich kodifiziert Art. 7 Abs. 2 MAR die Geltl-Rechtsprechung des EuGH und entspricht damit auch der sich anschließenden Rechtsprechung des BGH und der in der Literatur vertretenen Ansicht.8

c) Erhebliches Kursbeeinflussungspotential Erhebliches Kursbeeinflussungspotential haben gem. Art. 7 Abs. 4 MAR Informationen, die ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen würde. Dies ist aus einer ex-ante Perspektive unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Auswirkungen der Informationen, insbesondere der Gesamttätigkeit des Emittenten, der Verlässlichkeit der Informationsquelle und sonstiger Marktvariablen, die das Finanzinstrument unter den gegebenen Umständen beeinflussen können, zu ermitteln, vgl. Erwägungsgrund 14 Sätze 1 bis 3 MAR. Dabei haben erhebliches Kursbeeinflussungspotential grundsätzlich nur solche Informationen, die einen Kauf- oder Verkaufsanreiz bieten und aufgrund derer das Geschäft für den verständigen Anleger lohnend erscheint.9 Umgekehrt scheiden Informationen, deren Verwertung von vorneherein keinen nennenswerten wirtschaftlichen Vorteil verspricht, als kurserheblich aus. Die Vorgaben der MAR zur Ermittlung des Kursbeeinflussungspotentials sind nicht unähnlich dem bisherigen zweistufigen Test der BaFin, der auch im Emittentenleitfaden reflektiert ist.10 Damit ist jedoch noch nichts zum Begriff des verständigen Anlegers ausgesagt. Eine Definition des verständigen Anlegers bleibt die MAR ebenso schuldig wie zuvor schon das WpHG a.F. In der Literatur hatten sich primär zwei Konzepte herausgebildet: Zum einen die Auffassung, wonach verständiger Anleger ein mit den Marktgegebenheiten

7 Herfs in Meyer-Sparenberg/Jaeckle, Beck’sches M&A-Handbuch, 2017, § 21 Rz. 21 m.w.N. 8 EuGH v. 28.6.2012 – C-19/11, ZIP 2012, 1282, 1285 = AG 2012, 555; BGH v. 23.4.2013 – II ZB 7/09, WM 2013, 1171, 1176 = AG 2013, 518; Mennicke/Jakovou in Fuchs, 2. Aufl. 2016, § 13 WpHG Rz. 61. 9 Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, Band II, § 107 Rz. 54; BaFin, Emittentenworkshop vom 11.12.2017, Präsentationsunterlage „Veröffentlichung von und Umgang mit Insiderinformationen“, S. 8, abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/ Veranstaltungen/DE/171211_Workshop_Emittenten_Marktmissbrauch.html; jsessionid=DF0BCA52404E84E71CB8880BFF76A732.1_cid363. 10 BaFin, Emittentenleitfaden, 4. Aufl. 2013, S. 35.

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vertrauter börsenkundiger Anleger ist,11 zum anderen die stark kapitalmarkttheoretisch geprägte Auffassung, wonach der verständige Anleger mit einem vollständig rational handelnden Marktteilnehmer gleichzusetzen ist.12 Zumindest letzterem hat die BaFin in ihren Frequently Asked Questions zu Art. 17 MAR unter Berufung auf das Lafonta-Urteil des EuGH eine deutliche Absage erteilt: Nach Auffassung der BaFin sind auch spekulativ handelnde Anleger verständige Anleger. Daraus folgert die BaFin, dass das Potential zur erheblichen Kursbeeinflussung im Zweifel eher früher als später anzunehmen sei.13

3. Insidergeschäfte a) Relevante Tatbestände Den Grundtatbestand des Insidergeschäfts nach Art. 8 Abs. 1 Satz 1 MAR verwirklicht, wer als Insider unter Nutzung von Insiderinformationen direkt oder indirekt für eigene oder fremde Rechnung relevante Finanzinstrumente erwirbt oder veräußert. Eine nach Art. 8 Abs. 2 lit. a MAR tatbestandliche Empfehlung oder Verleitung14 nimmt vor, wer als Insider auf der Grundlage von Insiderinformationen Dritten empfiehlt oder sie dazu verleitet, relevante Finanzinstrumente zu erwerben oder zu veräußern. Insoweit bestehen keine Unterschiede zu § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 3 WpHG a.F. Neu und insoweit abweichend vom WpHG a.F. gelten nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 MAR auch die Stornierung oder Änderung eines Auftrags in Bezug auf relevante Finanzinstrumente unter Nutzung von Insiderinformationen als Insidergeschäft, wenn der Auftrag vor Erlangung der Insiderinformationen erteilt wurde. Entsprechend ist gem. Art. 8 Abs. 2 lit. b MAR auch tatbestandlich, auf der Grundlage von Insiderinformationen Dritten zu empfehlen oder diese dazu zu verleiten, einen Auftrag in Bezug auf relevante Finanzinstrumente zu stornieren oder zu ändern. Neu gegenüber dem WpHG a.F. ist auch die Regelung des Art. 8 Abs. 3 MAR, wonach ein Insidergeschäft auch vornimmt, wer einer nach Art. 8 Abs. 2 MAR tatbestandlichen Empfehlung oder Verleitung folgt, 11 Mennicke/Jakovou in Fuchs, 2. Aufl. 2016, § 13 WpHG Rz. 141. 12 Klöhn in Hirte/Möllers KölnKomm/WpHG, 2. Aufl. 2014, § 13 WpHG Rz. 248 ff. 13 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs) Stand: 20.6.2017, abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Down loads/DE/FAQ/dl_faq_mar_art_17_Ad-hoc.html. 14 Zum Vorliegen eines Übersetzungsfehlers bei der Verwendung des Begriffs der „Anstiftung“ in Art. 8 Abs. 2 und 14 lit. b MAR, s. oben Teil II.1.

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sofern er weiß oder wissen müsste, dass die Empfehlung oder Verleitung auf Insiderinformationen beruht.

b) Nutzen von Insiderinformationen Während der Begriff des „Verwendens“ („Nutzens“ in der Diktion der MAR) von Insiderinformationen nach dem WpHG a.F. teilweise unklar und umstritten war, liegt den Insidergeschäften des Art. 8 MAR ausweislich von Erwägungsgrund 24 Satz 1 und 2 MAR eine widerlegliche Vermutung zugrunde, dass eine Person, die in Besitz von Insiderinformationen Finanzinstrumente, auf die sich diese Information beziehen, erwirbt oder veräußert (oder dies versucht), diese Insiderinformationen genutzt hat. Damit folgt die MAR der Spector Photo Group-Rechtsprechung des EuGH.15

c) Insider Insider sind gem. Art. 8 Abs. 4 MAR und insoweit übereinstimmend mit dem WpHG a.F. Personen, die als Organmitglied oder Aktionär des Emittenten, aufgrund der Ausübung ihres Berufs, ihrer Tätigkeit oder ihrer Aufgabe oder aufgrund der Beteiligung an einer kriminellen Handlung über Insiderinformationen verfügen. Insider sind darüber hinaus alle Personen, die aus sonstigen Gründen über Insiderinformationen verfügen, soweit sie wissen oder wissen müssten, dass es sich um Insiderinformationen handelt.

4. Legitime Handlungen a) Ausdrückliche Ausnahmen von der Nutzungsvermutung Art. 9 Abs. 1 bis 5 MAR enthält eine nicht abschließende Aufzählung von Fallgruppen, bei denen in der Regel davon ausgegangen wird, dass keine Nutzung der vorliegenden Insiderinformationen erfolgt und daher kein Insidergeschäft vorliegt. Die MAR bezeichnet die betreffenden Geschäfte als „legitime Handlungen“, womit wohl nur zum Ausdruck kommen soll, dass es sich bei Vorliegen der Voraussetzungen jeweils nicht um ein verbotenes Insidergeschäft handelt. Unter dem WpHG a.F. gab es keine entsprechende gesetzliche Regelung, vielmehr wurden die entsprechenden Fallgruppen im Zusammenhang mit dem Tatbestands-

15 EuGH v. 23.12.2009 – C-45/08, ZIP 2010, 78, 82 = AG 2010, 74.

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element der „Verwendung“ von Insiderinformationen diskutiert.16 Von besonderer Bedeutung im hier interessierenden M&A-Kontext sind Art. 9 Abs. 4 und 5 MAR, auf die in Teil III. noch näher eingegangen wird. Wer im Zusammenhang mit einem Unternehmenszusammenschluss oder einer Unternehmensübernahme aufgrund eines öffentlichen Angebots Insiderinformationen erwirbt und danach das öffentliche Angebot weiterführt, nutzt diese Informationen nicht im Sinne eines Insidergeschäfts gem. Art. 8 Abs. 1 MAR, sofern die Insiderinformationen spätestens in dem Zeitpunkt, in dem die Annahme durch die Anteilseigner der Zielgesellschaft möglich ist, veröffentlich werden oder ihre Eigenschaft als Insiderinformationen verloren haben, s. Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 1 MAR. Diese Ausnahme von der Nutzungsvermutung soll ausdrücklich nicht für den Beteiligungsaufbau gelten, s. Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR. Dabei ist unter Beteiligungsaufbau jeder Erwerb von Anteilen an einem Unternehmen zu verstehen, durch den keine rechtliche oder regulatorische Verpflichtung entsteht, ein Übernahmeangebot abzugeben, vgl. Art. 3 Abs. 1 Nr. 31 MAR. Nach Art. 9 Abs. 5 MAR ist die Nutzungsvermutung auch für Geschäfte in Umsetzung des eigenen Plans, Finanzinstrumente zu erwerben, widerlegt. Darüber hinaus normiert die MAR auch allgemeine Ausnahmen von der Nutzungsvermutung für juristische Personen bei entsprechenden organisatorischen Vorkehrungen, Market-Maker, Kreditinstitute und Finanzdienstleister bei der Ausführung von Kundenorders sowie für die Erfüllung von vor Erhalt der Insiderinformationen begründete vertraglichen oder gesetzliche Verpflichtungen (vgl. Art. 9 Abs. 1 bis 3 MAR), die je nach den Umständen des Einzelfalls auch im M&A-Kontext relevant werden können.

b) Rückausnahme Auch wenn die Voraussetzungen eines der Ausnahmetatbestände erfüllt sind, kann gem. Art. 9 Abs. 6 MAR dennoch eine unzulässige Nutzung von Insiderinformationen und damit ein verbotenes Insidergeschäft vorliegen, wenn das betreffende Geschäft eine Umgehung des Insiderverbots darstellen würde.17 Vor diesem Hintergrund dürfte es sich empfehlen, die „legitimierenden“ Umstände, die den Ausnahmetatbestand begründen, 16 S. etwa BaFin, Emittentenleitfaden, 4. Aufl. 2013, S. 38, 39. Mennicke in Fuchs, 2. Aufl. 2016, § 14 WpHG Rz. 64 ff. 17 Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, Band II, § 107 Rz. 99; zu der „gesetzestechnisch ... fast skandalös schlechten Qualität“ der Norm, Klöhn, ZBB 2017, 261, 271.

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und die dem Geschäft zugrunde liegende Motivation, sorgfältig zu dokumentieren.

c) Sonstige Ausnahmen von der Nutzungsvermutung Vor dem Hintergrund von Erwägungsgrund 24 Satz 2 MAR, wonach die Nutzungsvermutung grundsätzlich widerleglich ist, sind über den Katalog des Art. 9 Abs. 1 bis 5 MAR hinaus auch weitere Fallgruppen anzuerkennen, bei denen vorliegende Insiderinformationen ausnahmsweise nicht genutzt werden. Beispiele sind sog. Face-to-Face Geschäfte oder Geschäfte entgegen der Insiderinformation oder erwarteten Kursentwicklung, da mit den betreffenden Geschäften jeweils kein ungerechtfertigter Sondervorteil aus den vorliegenden Insiderinformationen gezogen werden kann.18 Grundsätzlich sollte diese Argumentation auch für Geschäfte in Umsetzung eines vor Erlangung der Insiderinformationen gefassten Masterplans einschlägig sein. Allerdings ist im Hinblick auf Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR die Nutzbarkeit der Masterplanausnahme für den Beteiligungsaufbau unklar, worauf in Teil III. noch näher einzugehen sein wird. Unstreitig sollte sein, dass der Rechtsgedanke des Art. 9 Abs. 6 MAR auch auf die ungeschriebenen Ausnahmen von der Nutzungsvermutung Anwendung findet. Die Nutzung von Insiderinformationen kann keine legitime Handlung darstellen, wenn es für das betreffende Geschäft keinen legitimen Grund gibt.

5. Unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen Den Tatbestand der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen gem. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 MAR verwirklicht, wer als Insider Insiderinformationen an einen Dritten weitergibt, sofern die Weitergabe nicht ausnahmsweise rechtmäßig ist. Die Weitergabe der Insiderinformationen kann sowohl durch Mitteilung als auch durch Zugänglichmachen der Informationen erfolgen. Insoweit besteht kein Unterschied zu § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG a.F. Nach Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 MAR liegt keine unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen vor, wenn diese im Rahmen der normalen Ausübung des Berufs oder der Beschäftigung oder der Erfüllung von Aufgaben erfolgt. Die genannten Rechtmäßigkeitsgründe entsprechen den Umständen, unter denen nach dem WpHG a.F. davon ausgegangen wurde, dass keine unbefugte Weitergabe 18 Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, Band II, § 107 Rz. 96; Klöhn, WM 2017, 2085, 2089 f.

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von Insiderinformation erfolgt. Dabei dürfte das Vorliegen von Rechtmäßigkeitsgründen in entsprechender Anwendung der Grøngaard und Bang-Entscheidung des EuGH19 und Erwägungsgrund 24 Satz 2 MAR eng auszulegen sein, um dem Ausnahmecharakter der Rechtmäßigkeitsgründe und dem Sinn und Zweck des Insiderverbots – Sicherstellung des gleichberechtigten Informationszugangs und Vermeidung ungerechtfertigter Vorteile zum Nachteil Dritter – Rechnung zu tragen. Danach muss ein enger Zusammenhang der Weitergabe der Insiderinformationen mit der Ausübung des betreffenden Berufs oder der Beschäftigung bzw. der Erfüllung der Aufgaben bestehen und die Weitergabe der Informationen muss erforderlich sein. Bei wissentlicher Weitergabe von Insiderinformationen durch den Emittenten oder eine für ihn handelnde Person muss der Informationsempfänger in jedem Fall durch Vertrag, Rechtsnorm oder Satzung zur Verschwiegenheit verpflichtet werden bzw. sein. Andernfalls ist der Emittent gleichzeitig mit der Weitergabe (unverzüglich danach bei versehentlicher Weitergabe) zur Veröffentlichung der betreffenden Informationen verpflichtet, s. Art. 17 Abs. 8 MAR. Der Weitergabe von Insiderinformationen durch einen Insider steht gem. Art. 10 Abs. 2 MAR die Weitergabe von Empfehlungen oder die Verleitung eines Dritten, nachdem der Verleitende selbst verleitet wurde, gleich.

6. Marktsondierungen Marktsondierungen wurden in der MAR für das deutsche Recht erstmals verbindlich einer spezifischen Regelung zugeführt. Dabei ist die Regelung insgesamt sehr sperrig ausgefallen, und darf wohl als wenig geglückt bezeichnet werden, wobei eine umfassende Auseinandersetzung mit der Thematik den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde.20 Art. 11 Abs. 2 MAR definiert Marktsondierungen im M&A-Kontext als Offenlegung von Insiderinformationen durch einen potentiellen Bieter an die Aktionäre der Zielgesellschaft im Vorfeld eines öffentlichen Übernahmeangebots zur Ermittlung der Andienungsbereitschaft der Aktionäre der Zielgesellschaft, soweit die Kenntnis der Andienungsbereitschaft für die Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots erforderlich ist. 19 EuGH v. 22.11.2005 – C-384/02, NJW 2006, 133, 135. 20 Siehe dazu etwa Singhof, „Market Sounding“ nach der Marktmissbrauchsverordnung, ZBB 2017, 193; Zetzsche, Die Marktsondierung nach Art. 11 MAR – Pflichten der Sondierenden und der Marktgegenseite, AG 2016, 725; Tissen, Die Investorensuche im Lichte der EU-Marktmissbrauchsverordnung, NZG 2015, 1254.

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Werden im Rahmen einer solchen Marktsondierung Insiderinformationen, wie etwa die Bedingungen eines geplanten Übernahmeangebots, offengelegt, gilt die Offenlegung gem. Art. 11 Abs. 4 MAR als rechtmäßig, wenn der Sondierende sämtliche aus Art. 11 Abs. 3 und 5 MAR resultierenden Verpflichtungen einhält. Diese umfassen folgende Pflichten: Prüfung, ob die Marktsondierung die Offenlegung von Insiderinformationen beinhaltet, schriftliche Dokumentation des Ergebnisses und laufende Aktualisierung (Art. 11 Abs. 3 MAR); Einholung der Zustimmung des Sondierungsempfängers zum Erhalt von Insiderinformationen sowie Unterrichtung des Sondierungsempfängers über das Verbot, die erhaltenen Insiderinformationen zu nutzen und seine implizit erteilte Zustimmung zur vertraulichen Behandlung der erhaltenen Insiderinformationen (Art. 11 Abs. 5 Unterabs. 1 MAR); Dokumentation sämtlicher dem Sondierungsempfänger übermittelten Informationen, der Identität der potentiellen Anleger, gegenüber denen die Marktsondierung erfolgt ist, sowie des Datums und der Uhrzeit jeder Offenlegung (Art. 11 Abs. 5 Unterabs. 2 MAR).

III. M&A-spezifische Anwendungsfragen 1. Insiderinformationen im M&A-Kontext a) Ausgangssituation Die erste Schwierigkeit im M&A-Kontext besteht darin, festzustellen, ab wann im Prozess transaktionsbezogene Informationen Insiderinformationen darstellen. Wie in Teil II.2. oben dargelegt, unterscheidet sich die Definition der Insiderinformationen der MAR nur unwesentlich von der des WpHG a.F. Unverändert muss es sich um nicht öffentlich bekannte präzise Informationen handeln, die sich direkt oder indirekt auf einen oder mehrere Emittenten oder Finanzinstrumente beziehen und erhebliches Kursbeeinflussungspotential haben. Hinzu kommt, dass es sich bei M&A-Transaktionen ausnahmslos um mehrstufige, d.h. zeitlich gestreckte Vorgänge handelt. Bei diesen können, wie die MAR insoweit übereinstimmend mit der Geltl-Rechtsprechung des EuGH bestimmt, sowohl das künftige Endereignis als auch die Zwischenschritte auf dem Weg dorthin Insiderinformationen darstellen. Auch bei Zwischenschritten müssen jeweils sämtliche Kriterien für Insiderinformationen erfüllt sein. Auf Zwischenschritte oder gar künftige Zwischenschritte kommt es nur an, soweit das künftige Endereignis im maßgeblichen Zeitpunkt nicht bereits selbst eine Insiderinformation darstellt.

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b) Auslegungsfragen Mit dem Merkmal der „präzisen“ Informationen können nur ganz vage und unkonkrete Informationen ausgeschlossen werden, die keinen Schluss auf eine mögliche Auswirkung auf den Kurs der Wertpapiere zulassen. Bei künftigen Ereignissen sind präzise wohl nur solche, deren Eintritt überwiegend wahrscheinlich ist. Sieht man sich dies am Beispiel einer Übernahmetransaktion näher an, so wird im Zeitpunkt der Mandatierung von Beratern und der Aufnahme erster Vorgespräche durch den späteren Bieter in der Regel weder die künftige Durchführung der Übernahmetransaktion noch deren Ankündigung überwiegend wahrscheinlich sein.21 Viel schwieriger zu beantworten ist die Frage, wann eingetretene Zwischenschritte ihrerseits Insiderinformationen darstellen. Hier kommt dem Merkmal des erheblichen Kursbeeinflussungspotentials entscheidende Bedeutung zu. Dieses bestimmt sich danach, ob ein verständiger Anleger die Informationen wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen nutzen würde.22 Das Kursbeeinflussungspotential eines Zwischenschritts lässt sich nicht völlig losgelöst vom Endereignis beurteilen.23 Die BaFin geht unter Berufung auf die Geltl-Rechtsprechung des EuGH davon aus, dass ein Zwischenschritt nur dann Kursbeeinflussungspotential haben kann, wenn der Eintritt des Endergebnisses jedenfalls nicht unwahrscheinlich ist.24 Darüber hinaus ist unklar, ob nur solche Informationen insiderrechtlich relevant sind, von denen wahrscheinlich Auswirkungen auf den Fundamentalwert einer Aktie ausgehen oder auch solche, die im Falle ihres Bekanntwerdens jedenfalls kurzfristig erhebliche Kursschwankungen auslösen würden, weil sie für einen mit den Marktgegebenheiten vertrauten börsenkundigen Anleger den Mix an vorhandenen relevanten Informationen wesentlich verändern. Die MAR beantwortet diese Fragen nicht; ebenso wenig gibt es Hilfestellung von der ESMA.25 Wohl aber hat sich die BaFin dahingehend geäußert, dass auch spekulativ handelnde Anleger verständi21 Herfs in Meyer-Sparenberg/Jaeckle, Beck’sches M&A-Handbuch, 2017, § 21 Rz. 28; Krause/Brellochs, AG 2013, 310, 313 f. 22 Siehe oben Teil II.2.c). 23 Herfs in Meyer-Sparenberg/Jaeckle, Beck’sches M&A-Handbuch, 2017, § 21 Rz. 93. 24 Siehe etwa BaFin, Emittentenworkshop vom 11.12.2017, Präsentationsunterlage „Veröffentlichung von und Umgang mit Insiderinformationen“, S. 12. 25 Poelzig, NZG 2016, 528, 532.

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ge Anleger sind und dass daher das Potential zur Kursbeeinflussung im Zweifel eher früher als später angenommen werden sollte.26

c) Fallbeispiele Die Auslegungsschwierigkeiten lassen sich an folgendem Beispiel illustrieren: Man denke etwa an Flightradar 2427, eine Website, auf der man jegliche Flugaktivitäten, auch von privaten Flugzeugen, in Echtzeit online verfolgen kann. Es soll Hedgefonds-Manager in den USA geben, die anhand der Flugbewegungen von Corporate Jets wiederholte Treffen hochrangiger Manager in kurzen Abständen identifizieren und daraus Schlussfolgerungen auf bevorstehende Übernahmen ziehen und entsprechend Positionen aufbauen oder verkaufen. Dies führt zurück zur Ausgangsfrage. Stellen etwa gehäufte Treffen der CEOs zweier börsennotierter europäischer Banken Insiderinformationen dar? Als solches mangels Präzision sicher nicht, aber wie ist die Situation zu beurteilen, wenn weitere Umstände hinzutreten, etwa wenn es schon in der Vergangenheit entsprechende Übernahmegerüchte gab, beide Unternehmen Berater engagiert haben und jetzt größere Teams, die dem einen und dem anderen Unternehmen zuzuordnen sind, mit öffentlichen Verkehrsmitteln mal zum einen und mal zum anderen Unternehmen reisen und ein unvorsichtiges Teammitglied dabei selbstvergessen etwas von zu realisierenden Synergien in der europäischen Bankenlandschaft etwas zu laut ins Telefon ruft? Stellt man hier auf den spekulativen Anleger ab, lässt sich möglicherweise nicht abstreiten, dass diese Informationen bei ihrem Bekanntwerden jedenfalls kurzfristig zu erheblichen Kursausschlägen führen können, auch wenn sich fundamental für die betroffenen Unternehmen noch nichts geändert hat. Die Unsicherheiten bei der Abgrenzung nicht insiderrelevanter Vorbereitungshandlungen von Insiderinformationen sind vielleicht auch der Grund für die in jüngerer Zeit zumindest gefühlt häufiger auftretenden Insiderverfahren rund um M&A-Transaktionen. Aus der Sicht des Beraters wäre hier eine weitere Konkretisierung und Präzisierung der Abgrenzungskriterien hilfreich. Gesichert dürfte sein, dass im Übernahmekontext Insiderinformationen vorliegen, sobald die Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots über-

26 Zum vorstehenden s. oben Teil II.2.c). 27 https://www.flightradar24.com/.

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wiegend wahrscheinlich ist.28 Bei sonstigen M&A-Transaktionen muss man nach den Umständen der Transaktion weiter differenzieren. Exklusivität bei Auktionsverfahren, Einigung über kommerzielle Eckpunkte der Transaktion und Ausräumen möglicher Transaktionshindernisse können das Vorliegen von Insiderinformationen indizieren.29

2. Offenlegung von Insiderinformationen im M&A-Kontext a) Transaktionsbezogene Insiderinformationen Ist ein Stadium erreicht, in dem transaktionsbezogene Insiderinformationen vorliegen, und die Zielgesellschaft diese nicht veröffentlicht, sondern die Veröffentlichung aufgeschoben hat, so stellt sich die Frage, unter welchen Umständen diese Insiderinformationen etwa vom Bieter offengelegt werden dürfen.

aa) Allgemeines Die Offenlegung von Insiderinformationen ist nach Art. 10 Abs. 1 MAR grundsätzlich unrechtmäßig, sofern sie nicht im Rahmen der normalen Ausübung des Berufs oder der Beschäftigung oder der Erfüllung von Aufgaben erfolgt. Ist der Offenlegende selbst Emittent im Sinne der MAR, darf die Offenlegung zudem nur erfolgen, wenn der Empfänger zur Vertraulichkeit verpflichtet wird.30 Nach diesen Grundsätzen ist etwa die Offenlegung einer geplanten Übernahme gegenüber Beratern, Teammitgliedern im eigenen Unternehmen und vergleichbaren Personen zulässig. Im Hinblick auf Sinn und Zweck der MAR, nämlich die Verbreitung von Insiderinformationen einzudämmen, damit erst gar keine ungerechtfertigten Informationsvorsprünge entstehen, sollten die Ausnahmen eng ausgelegt werden, d.h. die Offenlegung muss unerlässlich sein und darf nur auf einer „need-to-know“ Basis erfolgen.

bb) Sonderfall Marktsondierung Über diese auch schon nach dem WpHG a.F. bestehenden Ausnahmen hinaus sieht Art. 11 Abs. 4 MAR die Rechtmäßigkeit der Weitergabe 28 Wackerbarth in Goette/Habersack, MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2017, § 3 WpÜG Rz. 36. 29 So zuletzt BaFin, Emittentenworkshop vom 11.12.2017, Präsentationsunterlage „Veröffentlichung von und Umgang mit Insiderinformationen“, S. 11. 30 Siehe oben Teil II.5.

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von Insiderinformationen im Rahmen einer sog. Marktsondierung vor, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Wie dargelegt, handelt es sich bei einer Marktsondierung im M&A-Kontext nach Art. 11 Abs. 2 MAR um die Übermittlung von Insiderinformationen an Aktionäre der Zielgesellschaft, vor Abgabe eines Übernahmeangebots, zur Ermittlung der Annahmebereitschaft der Aktionäre, vorausgesetzt, die Feststellung der Annahmebereitschaft ist für die Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots erforderlich.31 Dem potentiellen Bieter ist also unter den genannten Voraussetzungen ein sog. „Testing the Waters“ erlaubt, d.h. die Ansprache wichtiger institutioneller oder ggf. auch sonstiger größerer Aktionäre mit den Eckpunkten des geplanten Übernahmeangebots, wenn deren Bereitschaft, in das Angebot einzuliefern, Voraussetzung für die Abgabe eines entsprechenden Übernahmeangebots durch den Bieter ist. Die Weitergabe von Insiderinformationen ist in dieser Situation jedoch nur dann rechtmäßig, wenn der Sondierende, d.h. der potentielle Bieter umfängliche Prüfungs-, Dokumentations-, Unterrichtungs- und Dokumentenaufbewahrungspflichten erfüllt, die sich aus Art. 11 Abs. 3 und 5 MAR ergeben. Nicht klar ist, ob es sich bei Art. 11 Abs. 4 MAR um einen Safe Harbor oder um eine echte Ausnahme vom Verbot der Offenlegung von Insiderinformationen handelt. Im Fall eines Safe Harbors wäre eine Marktsondierung, bei der die Verfahrensvorschriften des Art. 11 Abs. 3 und 5 MAR nicht eingehalten werden, nicht automatisch rechtswidrig. Vielmehr wäre zu prüfen, ob die Marktsondierung nach den allgemeinen Vorschriften, also wegen des engen Zusammenhangs mit der Ausübung eines Amts oder Berufs oder der Erfüllung einer Aufgabe rechtmäßig ist.32 Gegen die Einordnung als Safe Harbor spricht, dass es in der MAR für die Marktsondierungen an einem Pendant zu Erwägungsgrund 11 fehlt, wonach Rückkaufprogramme und Stabilisierungsmaßnahmen, die nicht unter die Ausnahmevorschrift des Art. 5 MAR fallen, nicht als solche Marktmissbrauch darstellen. Dennoch gibt es gewichtige Gründe, die für die Einordnung als Safe Harbor sprechen: Zum einen enthält Erwägungsgrund 35 MAR Ausführungen, die in Richtung eines Safe Harbor deuten. So heißt es dort: „Von Marktteilnehmern, die bei der Durchführung einer Marktsondierung diese Verordnung nicht einhalten, sollte nicht angenommen werden, dass sie Insiderinformationen unrechtmäßig offengelegt haben; sie können jedoch nicht in den Genuss der 31 Siehe oben Teil II.6. 32 Singhof, ZBB 2017, 193, 203 f.

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Ausnahme kommen, die denjenigen gewährt wird, die diese Bestimmungen eingehalten haben. Ob sie gegen das Verbot einer unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen verstoßen haben, sollte unter Berücksichtigung sämtlicher einschlägigen Bestimmungen dieser Verordnung untersucht werden [...].“ Zudem spricht der Umstand, dass Art. 11 Abs. 4 MAR keine Rückausnahme vorsieht, die es der zuständigen Behörde trotz formalen Vorliegens der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen erlaubt, positiv einen rechtswidrigen Grund für die Marktsondierung festzustellen, gegen eine Ausnahmevorschrift. Die BaFin geht aber wohl von einer Ausnahmevorschrift aus.33 Art. 11 MAR enthält auch Verfahrensvorschriften, deren Einhaltung nicht erforderlich ist, um die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen zu vermeiden. Interessant ist, dass Verstöße gegen diese Vorschriften keine Sanktionen nach §§ 119 ff. WpHG n.F. nach sich ziehen, was gegen den zwingenden Charakter der Vorschriften spricht. Dies sollte ein weiteres Argument dafür sein, dass es sich bei Art. 11 Abs. 4 MAR um einen Safe Harbor und keine Ausnahmevorschrift handelt. Unabhängig von der dogmatischen Einordnung des Art. 11 Abs. 4 MAR stellt sich im M&A-Kontext die weitere Frage, ob die Offenlegung eines Übernahmeplans im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Irrevocable Undertaking mit einem oder mehreren Großaktionären eine Marktsondierung darstellt. Dies ist zu verneinen. Bei der Marktsondierung geht es um die Feststellung der Annahmebereitschaft bestimmter Aktionäre, die Voraussetzung für die Abgabe eines Übernahmeangebots ist. Es geht nicht um die bilaterale Verhandlung und Vereinbarung einer Verpflichtung eines Aktionärs, in das Angebot einzuliefern. Die Behandlung von Irrevocable Undertakings sollte parallel zur Behandlung des Abschlusses von Festbezugserklärungen oder Backstop Commitments im Kapitalmarktkontext erfolgen, für die überzeugend dargelegt worden ist, dass sie keine Marktsondierung darstellen.34 Anders könnte eine Konstellation zu beurteilen sein, bei der Irrevocable Undertakings mit mehreren Großaktionären verhandelt werden, die zusammen die geplante Annahmeschwelle erreichen. Dies dürfte jedoch praktisch kaum jemals der Fall sein.

33 BaFin, Informationsveranstaltung zur Konsultation MAR Level-2 Maßnahmen vom 6.10.2014, Präsentationsunterlage „Marktsondierungen Insiderverzeichnisse“, S. 4. 34 Singhof, ZBB 2017, 193, 197.

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b) Sonstige Insiderinformationen Die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Offenlegung sonstiger Insiderinformationen stellt sich vor allem im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer Due Diligence bei der Zielgesellschaft, gegebenenfalls – wie etwa im Übernahmekontext bei Umtauschangeboten – auch einer Confirmatory Due Diligence der Zielgesellschaft beim Bieter. Die Weitergabe von Insiderinformationen im Rahmen einer Due Diligence richtet sich nach den allgemeinen Regeln und ist danach zulässig, sofern die Due Diligence im Unternehmensinteresse, aktienrechtlich zulässig und marktüblich ist.35 Dabei ist in der Regel das „need to know“ Prinzip einzuhalten, also die Weitergabe von Insiderinformationen auf das Erforderliche zu beschränken und der Empfängerkreis möglichst klein zu halten. Wann immer ein Emittent Insiderinformationen offenlegt, ist der Empfänger im Hinblick auf Art. 17 Abs. 8 MAR zur Verschwiegenheit zu verpflichten.

3. Insidergeschäfte im M&A-Kontext a) Beteiligungsaufbau Beim Beteiligungsaufbau geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen es sich bei Aktienerwerben im Besitz von Insiderinformationen, etwa im Vorfeld einer Übernahmetransaktion, um legitime Handlungen oder um verbotene Insidergeschäfte handelt.

aa) Erwerbsplan als Insiderinformation Ein mögliches Szenario betrifft den Fall, dass der potentielle Bieter entsprechend seinem Plan, im Hinblick auf ein späteres Übernahmeangebot eine Beteiligung an der Zielgesellschaft aufzubauen, Aktien der Zielgesellschaft erwirbt. Grundsätzlich stellt der Erwerb von Finanzinstrumenten durch einen Insider im Besitz von Insiderinformationen ein verbotenes Insidergeschäft dar, da die Nutzung der Insiderinformationen vermutet wird. Früher war umstritten, ob auch selbst geschaffene innere Tatsachen – also etwa ein Aktienerwerbsplan – Insiderinformationen darstellen. Art. 9 Abs. 5 MAR qualifiziert die Nutzung eines eigenen Erwerbs- oder Veräußerungsplans ausdrücklich als „legitime Handlung“, also als eine Fallkonstellation, in der die Vermutung der Nutzung einer 35 Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, Band II, § 107 Rz. 108.

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Insiderinformation widerlegt ist und daher kein verbotenes Insidergeschäft vorliegt. Würde es sich bei der inneren Tatsache des eigenen Aktienerwerbsplans nicht um eine Insiderinformation handeln, bedürfte es des Art. 9 Abs. 5 MAR nicht. Damit ist die Frage, ob es sich bei inneren Tatsachen um Insiderinformationen handelt, durch die MAR geklärt und unzweifelhaft zu bejahen. Der Erwerber dürfte sich nicht mehr auf Art. 9 Abs. 5 MAR berufen können, sobald er Mitteilungspflichten zu Stimmrechtsanteilen verletzt, da der Erwerber dann zusätzlich zu seinem Erwerbsplan die Information über eigentlich offenzulegende Beteiligungsverhältnisse nutzt.36

bb) Über Erwerbsplan hinausgehende Insiderinformationen Weitergehend stellt sich die Frage, wie der Beteiligungsaufbau zu beurteilen ist, wenn sich die beim Erwerber vorliegenden Insiderinformation nicht auf den eigenen Erwerbsplan beschränken, sondern der Erwerber darüber hinaus über Insiderinformationen betreffend die Zielgesellschaft verfügt. Solche Insiderinformationen kann der Erwerber etwa im Rahmen einer Due Diligence erlangt haben. Gemäß Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 1 MAR liegt mangels Nutzung von Insiderinformationen kein Insidergeschäft vor, wenn Insiderinformationen im Zuge einer Unternehmensübernahme, und zwar Übernahme im Wege eines öffentlichen Übernahmeangebots, erworben wurden und ausschließlich zur Weiterführung des Übernahmeangebots genutzt werden, soweit die Insiderinformationen offengelegt werden, sobald die Möglichkeit der Annahme des Angebots besteht, also spätestens mit der Veröffentlichung des Übernahmeangebots. Direkt dürfte damit etwa der Fall gemeint sein, dass der Bieter nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots Insiderinformationen erhält und danach das Übernahmeangebot weiterführt, also die Angebotsunterlage veröffentlicht. Sieht man sich die Bestimmung jedoch im Kontext mit Unterabs. 2 an, der den bloßen Beteiligungserwerb im Kontext einer Übernahmetransaktion nach Erlangung einer Insiderinformation explizit nicht als legitime Handlung einordnet, sollte die „Übernahmeangebotsausnahme“ auch gelten, wenn der spätere Bieter in den Besitz einer Insiderinformation gelangt ist, er eine Beteiligung erwirbt, die zur Abga36 Wackerbarth in Goette/Habersack, MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2017, § 3 WpÜG Rz. 37; mit Einschränkungen Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, Band II, § 107 Rz. 91.

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be eines Übernahmeangebots verpflichtet und in der Angebotsunterlage oder alternativ durch die Zielgesellschaft die Insiderinformationen offengelegt werden.37 Weiterhin zulässig ist nach dem Erwerb von Insiderinformationen über die Zielgesellschaft ein sog. Face-to-Face Geschäft, bei dem Erwerber und Veräußerer über den gleichen Informationsstand verfügen, da dann kein ungerechtfertigter Sondervorteil genutzt werden kann.38

cc) Masterplan Damit verbleibt noch die Frage nach der Zulässigkeit eines Beteiligungsaufbaus im Markt (oder auch von Dritten, die nicht über entsprechende Insiderinformationen verfügen), wenn der Erwerber im Besitz von Insiderinformationen ist und entsprechend einem Masterplan handelt, der weder Modifikationen noch Stornierungen zulässt. Hierbei stellt sich zunächst die Frage, ob Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR einen Beteiligungsaufbau entsprechend einem Masterplan per se verbietet. Die Unzulässigkeit des Beteiligungsaufbaus ohne nachfolgendes Übernahmeangebot betrifft direkt die Fälle, in denen die Erwerbsabsicht nach Erlangung der Insiderinformation gefasst wird. Beim Masterplan wird die Erwerbsabsicht jedoch vor Erlangung der Insiderinformation gefasst. Ob man den Erwerb auf Grundlage eines Masterplans, der weder Modifikationen noch Stornierungen erlaubt, nach Erlangen von Insiderinformationen unverändert für zulässig hält, hängt davon ab, was man für das dem Insiderverbot zugrunde liegende, tragende Konzept hält: Stellt man allein auf die Erlangung eines ungerechtfertigten Sondervorteils ab, muss man die Masterplanausnahme wohl ablehnen. Stellt man darauf ab, dass die erlangte Insiderinformation keinerlei Einfluss auf den Erwerb haben konnte, wird man sie für zulässig halten können.39 Zu beachten ist jedoch, dass der Erwerber auch beim Erhalt negativer Insiderinformationen an seinen Plan gebunden bleibt und erteilte Order nicht stornieren darf. Hier wird ein Vorstand sehr genau prüfen müssen, ob ein derartiger Masterplan im Unternehmensinteresse liegt und den Sorg37 A.A. Klöhn, ZBB 2017, 261, 269. 38 Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, Band II, § 107 Rz. 96; Bühren, NGZ 2017, 1172, 1175. 39 Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, Band II, § 107 Rz. 98; Bühren, NGZ 2017, 1172, 1175, 1176.

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faltsanforderungen genügt. Mit abzuwägen ist auch das Risiko, dass der Erwerber bei Nichtdurchführung des Übernahmeangebots auf einem im Wert sinkenden Aktienpaket sitzen bleibt, weil auch die Veräußerung der Beteiligung nach Erlangen von Insiderinformationen unzulässig ist.

b) Sonstige Insidergeschäfte unter Nutzung transaktionsbezogener Insiderinformationen Beispielhaft kann man hier an Geschäfte in Aktien des Bieters oder der Zielgesellschaft im zeitlichen Zusammenhang mit M&A-Transaktionen durch Organmitglieder denken. Wie nicht zuletzt aktuelle Insideruntersuchungen und Insiderverfahren in diesem Zusammenhang gezeigt haben, lassen sich potentielle Verstöße gegen das Insiderverbot am besten durch ein frühzeitiges umfassendes Handelsverbot für alle in die Vorbereitung einer potentiell insiderrelevanten M&A-Transaktion eingebundenen Personen vermeiden.

IV. Zusammenfassung Zurückkommend auf die Ausgangsfrage, ob hinsichtlich des Insiderrechts im M&A-Kontext unter der MAR alles beim Alten geblieben ist oder es viel Neues gibt, lässt sich zusammenfassend folgendes festhalten: 1. Teilbereiche des Insiderrechts im M&A-Kontext sind in der MAR erstmals kodifiziert; zum Teil wird EuGH-Rechtsprechung reflektiert, zum Teil entsprechen die Kodifizierungen der Verwaltungspraxis der BaFin unter dem WpHG a.F. 2. Geblieben sind die Unsicherheiten bei der Beurteilung von Zwischenschritten als Insiderinformationen. Sehr frühe Stadien einer M&ATransaktion sollten keine Insiderinformationen darstellen; allerdings ist ein gewisser Trend zur Vorverlagerung beobachtbar. 3. Ähnlich wie schon unter dem WpHG a.F. fehlt es an einer Definition des Begriffs des verständigen Anlegers. Dabei wäre eine europaweit einheitliche Klärung mehr als wünschenswert. Handelt es sich um den seine Anlageentscheidungen ausschließlich auf eine Veränderung des Fundamentalwerts stützenden homo oeconomicus, umfasst der Begriff auch den kurzfristig orientierten spekulativen Anleger oder ist der verständige Anleger ein Anlegertypus dazwischen? 4. Neu geregelt sind Marktsondierungen nicht nur im Kapitalmarktsondern auch im M&A-Kontext. Die Regelung schafft nicht zuletzt

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wegen sprachlicher Unzulänglichkeiten nur bedingt Klarheit. Konzeptionell sollte die Marktsondierungsausnahme einen Safe Harbor darstellen. 5. Trotz einer spezifisch M&A-bezogenen Ausnahme von der Nutzungsvermutung und einer Rückausnahme für bloßen Beteiligungserwerb verbleiben Unsicherheiten hinsichtlich der insiderrechtlichen Beurteilung des Beteiligungsaufbaus nach der Erlangung von Insiderinformationen aus einer Due Diligence. So ist unklar, ob die MasterplanTheorie weiterhin Anwendung findet. In jedem Fall ist zu beachten, dass auch die nachträgliche Stornierung oder Änderung von Orders ein verbotenes Insidergeschäft darstellt. Daher kann der über die Due Diligence hinaus angelegte Beteiligungsaufbau möglicherweise Haftungsrisiken für den Vorstand begründen.

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Bericht über die Diskussion des Referats Apfelbacher Dr. Silke Jurczyga Rechtsanwältin, Frankfurt/M. Dr. Gabriele Apfelbacher, Rechtsanwältin in Frankfurt/M., referierte zu wesentlichen Neuerungen des Insiderrechts im M&A-Kontext aufgrund der Marktmissbrauchsverordnung.1 Die Einleitung zum Referat übernahm Dr. Stephan Harbarth, Rechtsanwalt in Frankfurt/M. und Mannheim, der auch die anschließende Diskussion moderierte. Daran beteiligten sich Dr. Karsten Müller-Eising, Rechtsanwalt und Notar in Frankfurt/M., Dr. Katharina Stüber, Rechtsanwältin in Frankfurt/M., Dr. Ferdinand Fromholzer, Rechtsanwalt in München, Prof. Dr. Dr. Klaus J. Hopt, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, sowie Carsten Hollweg, Rechtsanwalt in Essen. Karsten Müller-Eising merkte an, dass ein Bieter eine während einer Due Diligence gewonnene Insiderinformation über die Zielgesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen verwenden dürfe. Jedenfalls aber müsse diese Information im Zeitpunkt der Annahme des Angebots durch den Bieter veröffentlicht sein, also bis dahin ihre Qualität als Insiderinformation verloren haben. Die Marktmissbrauchsverordnung gebe dem Bieter nicht die Erlaubnis, eine solche Insiderinformation selbst zu veröffentlichen. Vielmehr bleibe die Herrschaft über (Insider)Informationen bei der Zielgesellschaft und ihr obliege grundsätzlich die Entscheidung über die Veröffentlichung und den Zeitpunkt dafür. Insoweit sei der Bieter von der Zielgesellschaft abhängig. Daraus leitete Karsten Müller-Eising ab, dass ein Bieter eine Due Diligence grundsätzlich nur durchführen dürfe, wenn sich die Zielgesellschaft zuvor vertraglich verpflichtet habe, etwaige Insiderinformationen ordnungsgemäß und rechtzeitig vor der Annahme eines etwaigen Angebots zu veröffentlichen. Diese weitere Anforderung an eine ordnungsgemäße Due Diligence sei zukünftig zu beachten.

1 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 173 v. 12.6.2014, S. 1.

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Gabriele Apfelbacher stimmte dieser Anmerkung aus dem Themenkomplex Insiderfalle grundsätzlich zu und wies zugleich darauf hin, dass – zumindest bei einem Friendly Deal – das Business Combination Agreement häufig Regelungen zur Veröffentlichungspflicht der Zielgesellschaft enthalte. Nichtsdestotrotz sei die praktische Handhabung der Thematik durch die Marktmissbrauchsverordnung schwieriger geworden. Katharina Stüber bat darum, einen Aspekt des Beteiligungsaufbaus zu vertiefen. Konkret ging es um die Frage, warum eine Verletzung von Stimmrechtsmitteilungspflichten die an sich zulässige Umsetzung eines Übernahmeplans zu einem unzulässigen Insidergeschäft machen könne. Gabriele Apfelbacher erläuterte, dass die Erwerbsplanausnahme nur greife, wenn der Erwerbsplan die einzige Insiderinformation sei. Komme die nicht öffentlich bekannte Information zum Überschreiten relevanter Beteiligungsschwellen oder zu den mit der Beteiligung verfolgten Absichten hinzu, sei der Erwerb weiterer Anteile nicht mehr von der Erwerbsplanausnahme gedeckt, weil das Risiko bestehe, dass der Markt über den Umfang des Erwerbsplans getäuscht werde. Die Marktmissbrauchsverordnung habe das Verhältnis von Beteiligungspublizität und Insiderhandel nicht ausdrücklich geregelt. Ferdinand Fromholzer äußerte, dass er die Vorschriften der Marktmissbrauchsverordnung zur Marktsondierung hinsichtlich typischer Verhandlungssituationen bei M&A-Transaktionen für unpassend halte. Die anwaltliche Beratung müsse folglich zugrunde legen, dass die Vorschriften zur Marktsondierung nicht ausreichend praxistauglich seien. So könne es nicht sein, dass erste Gespräche wegen der Anforderungen an Marktsondierungen gänzlich unmöglich seien. Gabriele Apfelbacher stellte heraus, dass zwischen dem Screening potentieller Investoren im Vorfeld einer Kapitalmarktemission einerseits und der Ermittlung der Verkaufsabsicht einiger weniger Großaktionäre im M&A-Kontext andererseits zu differenzieren sei. Sie stimmte der Aussage Fromholzers zu – eine unverbindliche Erstansprache einiger weniger Großaktionäre einer Zielgesellschaft müsse in jedem Fall möglich sein, ohne den Anwendungsbereich der Marktsondierungsvorschriften der Markmissbrauchsverordnung zu eröffnen und die entsprechenden formalen Anforderungen erfüllen zu müssen. Andernfalls könnten solche Vorgespräche nicht mehr stattfinden.

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Klaus J. Hopt dankte Gabriele Apfelbacher für ihren Vortrag und bat sie, zu zwei Aspekten Stellung zu nehmen: Zum einen sprach er das Verhältnis von Marktmissbrauchsverordnung und Übernahmerichtlinie2 an und fragte, ob sich die Zulässigkeit der Weitergabe von Insiderinformationen, etwa des Plans, ein Übernahmeangebot abzugeben, nicht auch aus übernahmerechtlichen Grundsätzen ergeben könne. So müsse etwa ein Bieter einem potentiellen Mitbieter diesen Plan offenlegen dürfen. Zum anderen warf Klaus J. Hopt die Frage auf, ob im Zusammenhang mit dem Beteiligungsaufbau eine Pflicht zur Aufklärung des Vertragspartners, etwa abgeleitet aus dem deutschen Bankrecht, bestehen könne, die dazu führe, dass ein Face-to-Face Geschäft vorliege. Gabriele Apfelbacher betonte bezüglich des ersten angesprochenen Aspekts, dass mangels einer generellen Bereichsausnahme für das Übernahmerecht in der Marktmissbrauchsverordnung die Kompatibilität von Insiderrecht und Übernahmerecht jeweils im Einzelfall zu ermitteln sei. Wünschenswert sei, dass beide Bereiche künftig durch Rechtsprechung und Rechtsetzung besser in Übereinstimmung gebracht werden. Die Fallkonstellation des Mitbieters sei ein treffendes Beispiel für bestehende Unklarheiten. Hinsichtlich des zweiten angesprochenen Aspekts befürwortete Gabriele Apfelbacher die Schaffung eines einheitlichen Informationsniveaus und unterstrich zugleich, dass die Entscheidung, ob Informationsgleichheit durch Aufklärung hergestellt werden könne oder die Aufklärungspflicht von dem Insiderverbot verdrängt werde, von den Gegebenheiten des jeweiligen konkreten Einzelfalls abhänge. Carsten Hollweg fragte schließlich, wie sich die Marktmissbrauchsverordnung auf Vereinbarungen zwischen Verkäufer, Erwerbsinteressent und Zielgesellschaft auswirke und ob vertraglich geregelt werden könne, wann eine Information offengelegt werden kann, darf bzw. muss. Gabriele Apfelbacher stellte unter Hinweis auf Art. 17 Abs. 8 der Marktmissbrauchsverordnung klar, dass der Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung nicht aus dem Regelungsregime der Marktmissbrauchsverordnung entlasse, sondern umgekehrt die Weitergabe einer (Insider)Information zwingend die Vereinbarung einer Verschwiegenheitspflicht mit dem Informationsempfänger verlange. Zudem könne 2 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EU Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12.

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sich bei bloß sensiblen Informationen unterhalb der Schwelle der Insiderinformation eine Pflicht zum Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung auch aus dem Aktienrecht ergeben.

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Angriffe auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip und ihre Folgen für die Konzernleitung Prof. Dr. Dörte Poelzig, M.jur. (Oxon.) Universität Leipzig* A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . B. Angriffe auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip I. Konzernverantwortung im Finanzaufsichtsrecht . . . . . . . II. Konzernverantwortung im deutschen und europäischen Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . 1. Konzernhaftung im deutschen und europäischen Kartellrecht . . . . . . . . . . . 2. Kein Verbandsvorbehalt. . 3. Begründung der Konzernverantwortlichkeit . . . . . . III. Konzernverantwortung im Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . 1. Bußgeldhöchstgrenzen nach dem Konzernumsatz . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine echte Konzernverantwortung der Mutter . . 3. Sanktionierung der Tochter auf Konzernniveau . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . C. Folgen für die Konzernleitung I. Konzernweite Legalitätskontrollpflicht . . . . . . . . . . . .

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1. Konzernweite Legalitätskontrollpflicht im Interesse der Muttergesellschaft 2. Generelle konzernweite Legalitätskontrollpflicht im Konzerninteresse an Legalität . . . . . . . . . . . . . . II. Umfang und Grenzen der konzernweiten Legalitätskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalt und Umfang . . . . . 2. Grenzen der Durchsetzung. . . . . . . . . . . . . . . a) Vertrags- und Eingliederungskonzern . . . . . b) Faktischer GmbHKonzern . . . . . . . . . . . c) Faktischer Aktienkonzern . . . . . . . . . . . 3. Europäisches Wirtschaftsrecht vs. Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Lösungsmöglichkeiten de lege ferenda. . . . . . . . . . . . 108 I. Schaffung eines europäischen Konzerngesellschaftsrechts 108 II. Keine pauschale Konzernverantwortung . . . . . . . . . . . 109 E. Thesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

* Frau Wiss. Mit. Tabea Bauermeister sei für wertvolle Diskussionen herzlich gedankt.

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Poelzig – Angriffe auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip und ihre Folgen

A. Einleitung Das Trennungsprinzip ist ein fundamentaler Grundsatz des Gesellschaftsrechts. Hiernach sind Gesellschaften und ihre Gesellschafter streng voneinander zu trennen.1 Daraus folgt insbesondere, dass gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 13 Abs. 2 GmbHG für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nur das Gesellschaftsvermögen haftet und nicht das Vermögen der Gesellschafter. Dahinter verbirgt sich vor allem der volkswirtschaftlich sinnvolle Gedanke, Haftungsrisiken zu begrenzen und so Anreize zur Eingehung unternehmerischer Risiken zu schaffen.2 Dieses fundamentale Prinzip wird zunehmend aufgeweicht,3 soweit Konzerne nicht nur in der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern auch rechtlich als Einheit betrachtet werden. So werden Muttergesellschaften verstärkt für das Fehlverhalten oder finanzielle Schwierigkeiten ihrer Töchter in die Verantwortung genommen. Hierfür lassen sich zahlreiche aktuelle Beispiele finden: etwa die Nachhaftung für den Rückbau von Atomkraftanlagen4 oder die im Anschluss an die VGR-Tagung5 im vergangenen Jahr geführte Debatte um die Haftung von Muttergesellschaften für Menschenrechtsverstöße durch ausländische Tochtergesellschaften.6 1 Statt aller Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 1980, § 4 II 3b S. 214; zur Differenzierung zwischen Unternehmen und Unternehmensträger K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 3 IV 2. Rz. 44 ff. 2 Statt aller Altmeppen, EWiR § 302 AktG 1/91, S. 945; Bayer in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 13 GmbHG Rz. 11; Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2018, § 13 GmbHG Rz. 60 ff.; Dauner-Lieb in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2017, § 1 AktG Rz. 30 ff.; Grigoleit in Grigoleit, 2013, § 1 AktG Rz. 17; Heider in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 1 AktG Rz. 47 ff.; Merkt in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 13 GmbHG Rz. 332 ff.; Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, § 13 GmbHG Rz. 47; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 13 GmbHG Rz. 16 ff. Zu den anerkannten Durchbrechungen Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 39 Rz. 1 ff. 3 Habersack, AG 2016, 691, 696 („grobschlächtige Bewältigung der Konzernproblematik“). 4 Ausführlich Krieger, ZfU 2017, 25 ff.; aus verfassungsrechtlicher Perspektive Wieland, ZfU 2017, 42 ff. Hierzu und zu weiteren Beispielen im Umweltrecht Kessler/Schulz, NVwZ 2017, 577 ff. 5 Zur CSR-Richtlinie Spießhofer in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 61 ff. 6 Siehe nur Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017, 9. Kap. II; Wagner, RabelsZ 2017, 717 ff.; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387 ff.; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385 ff. zur Klage gegen den Textildiscounter KiK vor dem LG Dortmund, Az. 7 O 95/15. Zur Parent Liability in England Chandler v. Cape PLC (2012) EWCA Civ 525. In der Schweiz wurde die Eidgenössische

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Poelzig – Angriffe auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip und ihre Folgen

Paradigmatisch für diese Tendenz hin zu einer Konzernverantwortung, die blind für die Grenzen des Gesellschaftsrechts ist, sind auf unterschiedliche Art und Weise vor allem das Finanzmarktaufsichtsrecht, das Kartellrecht und das Kapitalmarktrecht (B.). Auch wenn oder gerade weil diese Entwicklung vollkommen unbeeindruckt von den Grenzen des nationalen Gesellschaftsrechts stattfindet, hat sie doch erhebliche Folgen für die Konzernleitung (C.). Die große Herausforderung wird daher künftig darin liegen, die gesteigerte Konzernverantwortung und das konzernrechtliche Trennungsprinzip sinnvoll aufeinander abzustimmen (D.).

B. Angriffe auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip I. Konzernverantwortung im Finanzaufsichtsrecht Ein erstes Beispiel einer konzernweiten Verantwortung der Muttergesellschaft für die Einhaltung des Rechts in Tochtergesellschaften findet sich bereits seit einiger Zeit im Finanzaufsichtsrecht: Hier gelten gem. § 25a Abs. 1 KWG in Umsetzung der CRD-IV-Richtlinie 2013/36/EU7 besondere Organisationspflichten für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen.8 Gemäß § 25a Abs. 3 KWG sind die Geschäftsleiter des übergeordneten Unternehmens in einer Institutsgruppe verpflichtet, im Rahmen einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation dafür zu sorgen, dass die gesetzlichen Bestimmungen nicht nur im eigenen Institut, sondern

Volksinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“ (BBl. 2015, 3245) angestoßen; hierzu Kaufmann, SZW 2016, 45. 7 Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl. EU Nr. L 176 v. 27.6.2013, S. 338. 8 Eine ähnliche Regelung findet sich für Versicherungen in § 64a Abs. 2 VAG. Die Bezeichnung „Konzernverantwortung“ ist an dieser Stelle streng genommen zu eng, da § 25a KWG Institutsgruppen erfasst, mit den §§ 17 ff., 308 ff. AktG nicht notwendigerweise kongruent sind (hierzu Weber-Rey/Gissing, AG 2014, 884, 887 für das Versicherungsaufsichtsrecht Dreher/Ballmaier in Dreher/Wandt, Solvency II in der Rechtsanwendung 2013, 2014, S. 45, 55 für die Versicherungsgruppe. Da sich die Begriffe aber weitgehend decken (Binder, ZGR 2013, 760, 771), soll hier gleichwohl der Begriff der Konzernverantwortung verwendet werden.

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gruppenweit eingehalten werden.9 Die bankaufsichtsrechtlichen Compliancevorgaben dienen der Konzernsteuerung, indem sie Anreize zur konzerninternen Durchsetzung des Rechts schaffen.10 Die Mutter wird also als zusätzliche „Aufsichtsinstanz“ installiert, um die Einhaltung des Bankaufsichtsrechts in den Tochtergesellschaften zum Schutz eines funktionsfähigen Bankensystems und dem Schutz der Einleger vor Vermögenseinbußen zu gewährleisten.11 Fraglich ist aber, wie intensiv die Mutter auf die Tochter einwirken kann und muss, um konkrete Compliance-Maßnahmen durchzusetzen, also beispielsweise spezielle Schulungen oder die Herausgabe von Informationen zu verlangen. Der deutsche Gesetzgeber beschränkte die konzernweiten Organisationspflichten des übergeordneten Instituts bis Ende 2013 gem. § 25a Abs. 1a Satz 2 KWG a.F. über einen Verweis auf § 10a Abs. 12 KWG a.F. auf das gesellschaftsrechtlich zulässige Maß. Demnach war eine konzernweite Kontrolle aufsichtsrechtlich nur soweit verlangt, wie es der Mutter gesellschaftsrechtlich überhaupt möglich war, auf die Tochter einzuwirken.12 Anfang 2014 wurde dieser Verbandsvorbehalt mit dem CRD-IV-Umsetzungsgesetz13 ersatzlos gestrichen. Der Gesetzgeber führt dazu in seiner Gesetzesbegründung aus, dass „die Einwirkungsrechte des übergeordneten Unternehmens [im Einklang mit der CRD IV9 Ausführlich zu den konzernrechtlichen Folgen Binder, ZGR 2015, 667 ff.; Mülbert/Wilhelm, ZHR 178 (2014), 502, 533; Tröger, ZHR 177 (2013), 475 ff.; Weber-Rey/Gissing, AG 2014, 884 ff.; monographisch Th. Schneider, Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen und bankenaufsichtsrechtlichen Anforderungen an Risikomanagement auf Gruppenebene, 2009; Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012. 10 Siehe ausführlich zur Verhaltenssteuerung durch finanzielle Sanktionen Ackermann, ZHR 179 (2015), 538 ff. 11 Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 485. 12 Zur Bedeutung dieses Verbandsvorbehalts für das Verhältnis von Aufsichtsund Gesellschaftsrecht Binder, ZGR 2015, 667 ff.; Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753 ff.; Mülbert, ZHR 179 (2015), 645, 662 ff.; Tröger, ZHR 177 (2013), 475 ff.; monographisch Th. Schneider, Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen und bankenaufsichtsrechtlichen Anforderungen an Risikomanagement auf Gruppenebene, 2009; Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012. 13 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRD IV-Umsetzungsgesetz vom 28.8.2013, BGBl. I 2013, 3395.

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Richtlinie] uneingeschränkt gelten und auch nicht durch anderweitiges Gesellschaftsrecht beschnitten werden“ sollen.14 § 25a Abs. 3 Satz 3 KWG sieht einen Vorbehalt lediglich in Drittstaatenfällen vor. Demnach müssen die aufsichtsrechtlichen Pflichten von Tochterunternehmen der Gruppe mit Sitz in einem Drittstaat nur insoweit beachtet werden, als diese Pflichten nicht dem geltenden Recht im Herkunftsstaat des Tochterunternehmens entgegenstehen. Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung auch, dass das nachgeordnete Unternehmen weiterhin berechtigt bleibt, Weisungen des übergeordneten Unternehmens auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und Weisungen zu nachteiligen – insbesondere existenzgefährdenden – Maßnahmen und Rechtsgeschäften zurückzuweisen. Auf diese Weise solle dem Gesellschaftsrecht Rechnung getragen werden.15 Damit werden aber lediglich die äußeren Grenzen aufgezeigt. Die gruppenweite Aufsichtspflicht des KWG gilt demnach nun also grundsätzlich unabhängig davon, ob das nationale Gesellschaftsrecht der Mutter die notwendigen Instrumente zur Verfügung stellt.

II. Konzernverantwortung im deutschen und europäischen Kartellrecht Ähnliches, also eine konzernweite Verantwortung der Muttergesellschaft für rechtmäßiges Verhalten ihrer Töchter, lässt sich seit Längerem im europäischen und seit der 9. GWB-Novelle in diesem Jahr auch im deutschen Kartellrecht beobachten.

1. Konzernhaftung im deutschen und europäischen Kartellrecht Der Normadressat ist im Kartellrecht anders als in anderen Rechtsgebieten nicht die juristische Person, sondern das Unternehmen als wirt14 Begr. RegE CDR IV-UmsetzungsG, BT-Drucks. 77/10974, 86. 15 „Davon unberührt – und zwar auch bei vertraglicher Vereinbarung von Durchgriffsrechten – bleibt die Pflicht des nachgeordneten Unternehmens zu prüfen, inwieweit Weisungen des übergeordneten Unternehmens rechtmäßig sind. Ebenso unberührt bleibt das Recht des nachgeordneten Unternehmens, Weisungen des übergeordneten Unternehmens zum Abschluss für das nachgeordnete Unternehmen nachteiliger – insbesondere existenzgefährdender – Rechtsgeschäfte oder zur Durchführung anderer nachteiliger Maßnahmen nicht auszuführen. Damit wird Grundsätzen deutschen Gesellschaftsrechts Rechnung getragen“ (Begr. RegE BT-Drucks. 17/10974, 86). Kritisch hierzu WeberRey/Gissing, AG 2014, 884, 887 („zu allgemein, unklar, teilweise sogar widersprüchlich und schafft Raum für unterschiedliche Interpretationen“).

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schaftliche Einheit.16 So sind Mutter- und Tochtergesellschaft als wirtschaftliche Einheit gemeinsame Adressaten des Kartellverbots gem. Art. 101 AEUV.17 Verstößt die Tochter gegen Art. 101 AEUV, kann die Europäische Kommission nach Art. 23 VO 1/2003 ein Bußgeld bis zu 10 % des Konzerngesamtumsatzes sowohl gegen die Tochter als auch gegen die Mutter als Gesamtschuldner verhängen. Voraussetzung ist, dass die Mutter bestimmenden Einfluss auf die Tochter ausüben kann und tatsächlich ausübt, „die Tochtergesellschaft also trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht selbständig bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt.“.18 Der EuGH vermutet seit seinem Akzo-Urteil aus dem Jahre 2009 das Vorliegen einer solchen wirtschaftlichen Einheit, wenn die Mutter (annähernd) alle Anteile an der Tochter hält.19 Die wirtschaftlichen, organisatorischen oder auch rechtlichen Beziehungen verbinden die beiden Rechtssubjekte zu einer „Haftungsklammer“.20 Im deutschen Kartellrecht konnte die Mutter bei Verstößen der Tochtergesellschaft neben dieser gem. § 81 Abs. 1 GWB bislang nur über die Trias §§ 9, 30, 130 OWiG bebußt werden, wenn sie selbst über die Konzernleitung oder durch ihre Mitarbeiter an dem Verstoß beteiligt war oder aber nach umstrittener und höchstrichterlich nicht bestätigter Praxis des BKartA ihre Pflicht zur Aufsicht über die Tochter gem. § 130 OWiG verletzt hat.21 Seit der 9. GWB-Novelle im Jahr 2017 haftet für Kartellverstöße der Tochter nach wie vor diese selbst gem. §§ 81 Abs. 1 GWB i.V.m. der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Trias gem. §§ 9, 30, 130 OWiG. Daneben haftet die Mutter nach § 81 Abs. 3a GWB als Ge16 Statt aller: EuGH, Urt. v. 20.1.2011 – C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química Rz. 45; EuGH, Urt. v. 29.3.2011 – C-201/09 P und C-216/09 P, ECLI:EU:C:2011:190 – ArcelorMittal Rz. 95. 17 Vgl. Kersting, Der Konzern 2011, 445, 448 f.; Ost, NZKart 2013, 25, 26 („kartellrechtsfähig“). Kritisch Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016, S. 22 f. 18 St. Rspr., statt aller EuGH, Urt. v. 27.4.2017 – C-516/15 P, ECLI:EU:C:2017: 314 – AKZO Nobel Rz. 52; Urt. v. 17.9.2015 – C-597/13 P, ECLI:EU:C: 2015:613 – Total SA Rz. 35. 19 Grundlegend: EuGH, Urt. v. 10.9.2009 – C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – AKZO Nobel Rz. 60. Jetzt st. Rspr., statt aller: EuGH, Urt. v. 16.6.2016 – C-155/14 P, ECLI:EU:C:2016:446 – Evonik Degussa und AlzChem Rz. 28. 20 Füller in KölnKomm/KartellR, 2016, Art. 101 AEUV Rz. 47. 21 BKartA, Fallbericht v. 9.2.2009 zu Az. B1-200/06-P2 und B1-200/06-U13 – ETEX Rz. 5. Kritisch hierzu J. Koch, WM 2009, 1013, 1015 f.; J. Koch, AG 2009, 564 ff.

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samtschuldner, unabhängig davon, ob sie ein eigenes Fehlverhalten trifft. Hierdurch ist vor allem eine Anpassung an das europäische Kartellrecht bezweckt.22 Voraussetzung ist gem. § 81 Abs. 3a GWB n.F. auch hier, dass Mutter und Tochter eine wirtschaftliche Einheit bilden und die Mutter bestimmenden Einfluss ausübt. Diese Begrifflichkeiten sind unter Berücksichtigung der europäischen Rechtsprechung auszulegen.23 Ob mit der Einführung des § 81 Abs. 3a GWB die breite Anwendung von § 130 OWiG und damit insbesondere auch die Bußgeldverantwortlichkeit der Konzernleitung über § 9 OWiG obsolet geworden sind, lässt der Gesetzgeber zwar offen. Es spricht aber viel dafür, da der Gesetzgeber die Streitfrage mit der spezialgesetzlichen Neuregelung gerade klären wollte und die Konzernbußgeldhaftung nur auf das Kartellrecht beschränkt hat.24 Ob die Mutter nach den vorgenannten Grundsätzen nicht nur bußgeldrechtlich, sondern auch deliktsrechtlich gem. § 33a GWB für Kartellverstöße der Töchter einzustehen hat und der Konzern auch hier als Einheit zu betrachten ist, ist bislang noch nicht geklärt, wird aber vielfach unter Berücksichtigung der Kartellschadensersatzrichtlinie bejaht.25

2. Kein Verbandsvorbehalt Anders als im Finanzaufsichtsrecht setzt die Konzernverantwortung im deutschen und europäischen Kartellrecht noch nicht einmal ein eigenes Fehlverhalten der Muttergesellschaft voraus.26 Damit zeigt sich das Kartellrecht erst recht vollkommen unbeeindruckt von gesellschaftsrechtlichen Grenzen im Konzern. Der EuGH hat gesellschaftsrechtliche 22 Begr. RegE 9. GWB-Novelle, BT-Drucks. 18/10207, 88. 23 Begr. RegE 9. GWB-Novelle, BT-Drucks. 18/10207, 89. 24 Im Ergebnis auch Schücking in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 41.63. Hierzu ebenfalls tendierend Harnos, ZWeR 2016, 284, 304 f. 25 Befürwortend: Haus/Serafimova, BB 2014, 2883, 2884; Kersting, WuW 2014, 564; Krohs in Busche/Röhling, KölnKomm/KartellR, 2017, § 33 GWB Rz. 69; Kühne/Woitz, DB 2015, 1028; Lettl, WRP 2015, 537, 538; Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7, 8; Schweitzer, NZKart 2014, 335, 343; Vollrath, NZKart 2013, 434, 438; Weitbrecht, WuW 2015, 959, 964 f. Ablehnend: von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 299 f.; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 79; Kasten/Traugott, CCZ 2015, 157, 163; Mäger, NZKart 2015, 329; Stauber/Schaper, NZKart 2014, 346, 437. 26 Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016, S. 13; Kersting, Der Konzern 2011, 445, 451 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 20.1.2011 – C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Quimica Rz. 102.

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Hindernisse auf Seiten der Mutter bei der Verhinderung von Kartellverstößen in Tochtergesellschaften als Verteidigungslinie ausdrücklich zurückgewiesen.27 So ist insbesondere unerheblich, ob und inwieweit die Mutter gesellschaftsrechtlich auf die Tochter überhaupt einwirken und den Kartellverstoß verhindern konnte28 – es kommt rein auf die tatsächliche Einflussnahme an.29 Dass damit erhebliche grundrechtliche Bedenken verbunden sind,30 etwa im Hinblick auf den Grundsatz in dubio pro reo, die Unschuldsvermutung gem. Art. 48 Abs. 1 GRCh oder das (strafrechtliche) Bestimmtheitsgebot, hat der EuGH für das europäische Kartellrecht in der Rs. Villeroy & Boch jüngst kurz und knapp zurückgewiesen.31

3. Begründung der Konzernverantwortlichkeit Nicht immer ganz deutlich wird die Motivation, die hinter der Inanspruchnahme der Mutter für Kartellverstöße ihrer Töchter steht. Als Begründung für die gesamtschuldnerische Inanspruchnahme der Muttergesellschaft klingt sowohl in der europäischen Rechtsprechung als auch in der Gesetzesbegründung zur 9. GWB-Novelle an, dass so die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit verringert und damit die Abschreckung erhöht werden sollen.32 Befürchtet wird demnach wohl vor allem, dass ohne eine derartige Konzernhaftung missbräuchlichem Verhalten durch 27 EuGH, Urt. v. 8.5.2013 – C-508/11 P, ECLI:EU:C:2013:289 – Eni Rz. 81 f. 28 EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 29.11.2012 – C-440/11, ECLI:EU:C:2012:763 – Stichting Rz. 71. Selbst Compliance-Maßnahmen können die Muttergesellschaft nicht exkulpieren (EuGH, Urt. v. 18.7.2013 – C-501/11 P, ECLI:EU:C:2013:522 – Schindler Rz. 142 ff.). 29 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.7.2013 – C-440/11 P, ECLI:EU:C:2013:514 – Stichting Rz. 66. 30 Zum europäischen und deutschen Kartellbußgeldrecht Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016, S. 16 f., 50 ff. 31 EuGH, Urt. v. 26.1.2017 – C-625/13 P, ECLI:EU:C:2017:52 – Villeroy & Boch Rz. 149. 32 EuGH, Urt. v. 10.4.2014 – C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich Rz. 59; EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 23.4.2009 – C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:262 – AKZO Nobel Rz. 43; Begr. RegE 9. GWB-Novelle, BT-Drucks. 18/10207, 85 f. Ferner Ackermann, ZWeR 2010, 329, 346; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, EU-WettbewerbsR, 5. Aufl. 2012, Art. 101 AEUV Rz. 46; Füller in KölnKomm/KartellR, 2016, Art. 101 AEUV Rz. 42; Meyer-Lindemann in Kersting/Podzun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, S. 371 ff.

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„Outsourcing“ kartellanfälliger Geschäftsbereiche in finanziell schlecht ausgestattete Tochtergesellschaften oder durch Umstrukturierungen Tür und Tor geöffnet werde.33 In der Gesetzesbegründung zur 9. GWBNovelle heißt es gar, dass die Konzernbußgeldhaftung die Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte verbessert.34 Die Aufbesserung der öffentlichen Haushalte allein kann die Konzernverantwortung jedoch nicht rechtfertigen. Bußgelder bezwecken nicht die Förderung des Staatshaushalts. Sie sollen vielmehr das Verhalten ihrer Adressaten steuern,35 also hier das Verhalten der Konzernmutter.36 Fraglich ist aber, was das vorwerfbare und vermeidbare Verhalten auf Seiten der Mutter ist, das durch präventiv wirkende Bußgelder verhindert werden soll. Wenn es tatsächlich – wie es häufig anklingt – die unzureichende finanzielle Ausstattung der Töchter bzw. Umgehungsstrategien zur Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit der Tochter sein sollen, dürfte sich die Inanspruchnahme der Mutter auch nur auf diese Fälle beschränken. Dies ist aber nicht der Fall.37 Auch die bestimmende Einflussnahme als solche stellt kein vorwerfbares Fehlverhalten der Mutter dar.38 Die einzig legitime Erklärung für die gesamtschuldnerische Bußgeldhaftung der Mutter kann daher lediglich sein, dass sie – wie im Finanzaufsichtsrecht auch – im öffentlichen Interesse an der Einhaltung des Kartellrechts zur Aufsicht über die Tochter angehalten werden soll.39 Finanzielle Sanktionen gegenüber Unternehmen sollen „Anreize für eine auf Rechtstreue ausgerichtete Organisation“ setzen.40

33 Siehe Ackermann, ZHR (2015), 539, 540; Ackermann, ZWeR 2010, 329, 332. 34 Begr. RegE 9. GWB-Novelle, BT-Drucks. 18/10207, 42. 35 Allgemein zur Alternativität „zwischen einer Unternehmenssteuerung durch extern angedrohte Sanktionen für Rechtsverletzungen und einer Unternehmenssteuerung durch Vorgaben für die Corporate Governance und Compliance“ Ackermann, ZHR (2015), 539, 546. 36 In der Tendenz auch EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 23.4.2009 – C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:262 – AKZO Nobel Rz. 38 ff. 37 Siehe nur EuGH, Urt. v. 10.9.2009 – C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – AKZO Nobel. 38 A.A. Beck, AG 2017, 726, 728 („Vorwurf eines fehlerhaften Verhaltens in Form seiner Einflussnahme“). 39 Im Ergebnis ebenso Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016, S. 62. 40 Siehe ausführlich zur Verhaltenssteuerung durch finanzielle Sanktionen Ackermann, ZHR 179 (2015), 538 ff., 556.

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III. Konzernverantwortung im Kapitalmarktrecht An dieses Konzept der einheitlichen Betrachtung von Konzernen lehnt sich nun auch das neue Kapitalmarktsanktionenrecht an.41 Hier bestimmt sich die Höchstgrenze für Bußgelder nach dem Konzerngesamtumsatz.42

1. Bußgeldhöchstgrenzen nach dem Konzernumsatz Nachdem § 39 Abs. 4 WpHG a.F. zunächst noch eine absolute Bußgeldhöchstgrenze von 1 Mio. t vorsah, sind die Bußgeldhöchstgrenzen – angestoßen durch das EU-Kapitalmarktrecht – sukzessive für verschiedene kapitalmarktrechtswidrige Verhaltensweisen und jüngst mit dem Ersten und Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz (FiMaNoG) deutlich verschärft worden.43 Demnach können juristische Personen oder Personenvereinigungen mit Bußgeldern bis zu einer Höchstgrenze – je nach Art des Verstoßes – von zwei bis zu 15 % des Gesamtumsatzes, d.h. des Nettoumsatzerlöses i.S.d. § 120 Abs. 18 WpHG im letzten Geschäftsjahr geahndet werden.44 Für Konzerngesellschaften bestimmt sich der Gesamtumsatz nach dem Konzernumsatz (s. § 120 Abs. 23 Satz 2 WpHG). Begehen etwa die Vorstände einer börsennotierten Aktiengesellschaft eine Marktmanipulation durch das pflichtwidrige Unterlassen einer adhoc-Mitteilung, droht auch der Gesellschaft gem. §§ 9, 30 OWiG ein Bußgeld bis zu 15 % des jährlichen Konzerngesamtumsatzes. Geht man von einem realistischen Konzerngesamtumsatz von 50 Mrd. t und einem Gesamtumsatz der Tochter von 5 Mrd. t aus, müsste die Tochter allein aufgrund ihrer Konzernzugehörigkeit mit einem Bußgeld von bis zu 7,5 Mrd. t und damit deutlich über ihrem eigenen Jahresgesamtumsatz rechnen. Mit 15 % des Konzerngesamtumsatzes sind künftig

41 Zur Parallele von Kartell- und Kapitalmarktsanktionenrecht Kämmerer in FS Hopt, 2010, S. 2043, 2046 ff., 2053; Veil, ZGR 2016, 305, 313 f. 42 Unklar ist, ob und inwieweit sich auch die Bußgeldvorschriften der Datenschutzgrundverordnung (s. ErwGr. 150 sowie Art. 83 EU-DSGVO) am Kartelloder Kapitalmarktrecht orientieren (hierzu Cornelius, NZWiSt 2016, 421 ff.; Dannecker/Dannecker, NZWiSt 2016, 162 ff.; Spindler, DB 2016, 937 ff.; Faust/Spittka/Wybitul, ZD 2016, 160 ff.). 43 Ausführlich Veil, ZGR 2016, 304 ff.; Poelzig, NZG 2016, 492 ff. 44 Zum Verständnis als Obergrenze in Abgrenzung zur Kappungsgrenze im europäischen Kartellrecht Veil, ZGR 2016, 304, 316 f.; Poelzig, NZG 2016, 492, 498.

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theoretisch Größenordnungen denkbar, die man so bisher noch nicht einmal aus dem Kartellrecht kennt.45

2. Keine echte Konzernverantwortung der Mutter Anders als im Kartellrecht kann das Bußgeld nach dem WpHG nur gegen die Tochter, nicht aber gegen die Mutter verhängt werden. Eine bußgeldrechtliche Konzernverantwortung der Muttergesellschaft für das kapitalmarktrechtswidrige Verhalten der Tochter ließe sich allenfalls über das allgemeine Ordnungswidrigkeitenrecht begründen. Nach § 130 OWiG kann gegen den Inhaber eines Unternehmens ein Bußgeld verhängt werden, wenn eine bußgeld- oder strafbewehrte Zuwiderhandlung begangen wird und er seine Aufsichtspflicht verletzt hat. Ob aber der gesamte Konzern mit einem Unternehmen und die Muttergesellschaft mit dem Unternehmensinhaber i.S.d. § 130 OWiG gleichgesetzt werden können und ob darüber hinaus eine Aufsichtspflicht der Muttergesellschaft besteht, ist höchst umstritten.46 Die konzernweite Anwendung von § 130 OWiG wird teilweise bejaht, indem der Unternehmensbegriff funktional und damit weit verstanden wird.47 Und auch das BKartA hatte noch vor der 9. GWB-Novelle in der ETEX-Entscheidung auf dieser 45 Das bisher höchste Bußgeld im Kartellrecht betrug 2,42 Mrd. t und richtete sich gegen Google (Hoppe/Steger/Heide/Karabasz, Großer Schlag gegen den Riesen, Handelsblatt, 27.6.2017, http://www.handelsblatt.com/my/unterneh men/it-medien/milliardenstrafe-gegen-google-grosser-schlag-gegen-den-riesen/ 19985978.html, letzter Zugriff: 30.1.2018). 46 (Differenzierende) Zustimmung: Bohnert/Krenberger/Krumm, 4. Aufl. 2016, § 130 OWiG Rz. 7; Caracas, CCZ 2016, 44 ff.; Caracas, CCZ 2015, 167, 168 f.; von Galen/Maass in Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2017, § 130 OWiG Rz. 16; Rogall in Karlsruher Komm-OWiG, 4. Aufl. 2014, § 130 OwiG Rz. 27; Ziegler in Blum/Gassner/Seith, 2016, § 130 OWiG Rz. 16. (Tendenziell) ablehnend: Aberle/Holle in Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 117, 120 ff.; Achenbach, NZKart 2014, 473, 477; Gürtler in Göhler, 17. Aufl. 2017, § 130 OWiG Rz. 5a; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 405 ff.; J. Koch, AG 2009, 564, 565 ff.; J. Koch, WM 2009, 1013, 1017 f.; Meyer-Lindemann in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, KartellR, 3. Aufl. 2016, § 81 GWB Rz. 31; Petermann in Eisele/Koch/ Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 99, 104 f.; von Schreitter, NZKart 2016, 253, 258; Tschierschke in Eisele/Koch/ Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 137, 142 f. 47 Rogall in Karlsruher Komm-OWiG, 4. Aufl. 2014, § 130 OWiG Rz. 27.

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Grundlage ein Bußgeld gegen die Mutter für Kartellverstöße der Tochter verhängt.48 Das OLG München hat im Jahr 2014 eine pauschale Antwort für Konzernsachverhalte abgelehnt und eine differenzierende Betrachtung je nach der konkreten Einflussnahme befürwortet, im konkreten Fall aber eine Anwendung abgelehnt.49 Der BGH hat diese Frage noch nicht ausdrücklich entschieden; hat aber in verschiedenen Urteilen eine eher ablehnende Haltung erkennen lassen.50 Überzeugende Argumente haben jedenfalls im Kapitalmarktrecht diejenigen in der Literatur auf ihrer Seite, die die konzernweite Anwendung von § 130 OWiG ablehnen. Gegen die Anwendung sprechen die rechtliche Selbständigkeit der Konzerngesellschaften und der Zweck der Vorschrift, Sanktionslücken zu schließen.51 Da die Tochter bebußt werden kann, entsteht hier keine solche Sanktionslücke. Zudem adressiert das Kapitalmarktrecht – anders als das Kartellrecht – ausdrücklich die juristische Person, im konkreten Fall also die Tochter, und nicht das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit (s. etwa Art. 10, 30 Abs. 2 lit. j) MAR).

3. Sanktionierung der Tochter auf Konzernniveau Auch wenn sich das Kapitalmarktsanktionenrecht weitgehend am Kartellrecht orientiert, lässt sich hier eine unmittelbare Konzernverantwortung der Mutter für das Fehlverhalten ihrer Töchter nicht begründen. Eine Pflichtverletzung der Muttergesellschaft ist gerade keine Voraussetzung für die konzernweite Umsatzzurechnung.52 Bei einem Verstoß der Tochtergesellschaft kann diese daher grundsätzlich auch allein auf Konzernniveau53 und u.U. weit über ihrem eigenen Umsatz bebußt werden.54 Adressaten des Kapitalmarktrechts sind aber nicht – wie im Kartellrecht – Unternehmen als wirtschaftliche Einheiten, sondern natürliche und 48 BKartA, Fallbericht v. 9.2.2009 zu Az. B1-200/06-P2 und B1-200/06-U13 – ETEX Rz. 5. 49 OLG München, Beschl. v. 23.9.2014 – 3 Ws 599, 3 Ws 600/14, BB 2015, 2004 Rz. 16. 50 BGH, Urt. v. 1.12.1981 – KRB 3/79 – Transportbeton-Vertrieb, GRUR 1982, 244, 247; BGH, Beschl. v. 10.8.2011 – KRB 55/10 – Versicherungsfusion, BGHSt 57, 193, 200 Rz. 20. 51 Hierzu nur J. Koch, WM 2009, 1013, 1018. 52 Veil, ZGR 2016, 305, 317; zur parallelen Vorschrift des § 81 Abs. 4 Satz 3 GWB a.F. vor der 9. GWB-Novelle Brettel/Thomas, ZWeR 2009, 25, 59 ff.; Buntscheck, EuZW 2007, 423, 425 f. 53 So zu § 81 Abs. 4 Satz 3 GWB a.F. Thomas in FS Möschel, 2011, S. 675, 688. 54 So auch kritisch zu § 81 Abs. 4 Satz 3 GWB a.F. vor der 9. GWB-Novelle Klusmann, ZGR 2016, 252, 260 f.

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juristische Personen. Daher erscheint die konzernweite Umsatzzurechnung hier noch problematischer als im Kartellrecht,55 wo sie auf den mittlerweile etablierten, aber nicht unumstrittenen funktionellen Unternehmensbegriff gestützt wird.56 Hinter der konzernumsatzabhängigen Bußgeldbemessung im Kapitalmarktrecht steht der Gedanke, dass der Konzern eine größere Wirtschaftskraft besitzt und damit auch höhere Geldbußen möglich sein müssen, um eine ausreichend abschreckende Wirkung zu erzielen (vgl. ErwGr. 71 MAR; ErwGr. 16 Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie 2013/50/EU).57 Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Tochter kann sich zwar u.U. auch aus der Wirtschaftskraft des Gesamtkonzerns ergeben, zwingend ist dies aber nicht. So steht der Tochter im Vertragskonzern regelmäßig ein Verlustausgleichsanspruch gem. § 302 Abs. 1 AktG gegen die Mutter zu, die wirtschaftlichen Folgen der Geldbuße trägt dann letztlich die Mutter.58 Im faktischen Konzern oder auch im GmbH-Konzern gibt es einen solchen Anspruch der Tochter gegen die Mutter hingegen nicht.59 Sofern die Muttergesellschaft an dem kapitalmarktrechtlichen Verstoß nicht ursächlich mitgewirkt hat, kommt hier eine Innenhaftung der Muttergesellschaft gegenüber der Tochtergesellschaft – etwa in Form

55 Poelzig, NZG 2016, 492, 498. 56 Zu § 81 Abs. 4 Satz 3 GWB a.F. vgl. BGH, Beschl. v. 26.2.2013 – KRB 20/12 – Grauzementkartell, BGHSt 58, 158 = NJW 2013, 1972; Vollmer in MünchKomm/GWB, 2. Aufl. 2015, § 81 GWB Rz. 130 f. Zu Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 s. nur EuG, Urt. v. 20.3.2002 – T-9/99 – HFB Holding, Slg. 2002, II-1487 Rz. 54, 528 = BeckRS 2008, 70887; EuG, Urt. v. 26.4.2007 – T-109/02 – Bolloré, Slg. 2007, II-947 Rz. 548; EuG, Urt. v. 12.12.2007 – T-112/05 – AKZO Nobel, Slg. 2007, II-5049 Rz. 90 = BeckRS 2007, 71038; Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, Art. 23 VO 1/2003 Rz. 119; Thomas, KSzW 2011, 10. 57 Ebenso Krämer/Heinrich in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015, 2016, S. 23, 29 f.; Veil, ZGR 2016, 305, 317. 58 Habersack, AG 2016, 691, 697; Kremer/Klahold in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 25.13. Zur vergleichbaren Vorschrift des § 81 Abs. 4 Satz 3 GWB i.d.F. 2005 vor der 9. GWB-Novelle Buntscheck in FS Bechtold, 2006, S. 81, 87; ihm folgend Aberle, Sanktionsdurchgriff und wirtschaftliche Einheit im deutschen und europäischen Kartellrecht, 2013, S. 217. 59 So auch zu § 81 Abs. 4 Satz 3 GWB a.F. vor der 9. GWB-Novelle Thomas in FS Möschel, 2011, S. 675, 688 f.

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der Existenzvernichtungshaftung gem. § 826 BGB60 – nicht in Betracht. Die analoge Anwendung der §§ 302 f. AktG auf die abhängige GmbH über die Figur des sog. qualifiziert faktischen Konzerns hat der BGH aufgegeben.61 Wie im Kartell- und Finanzaufsichtsrecht behandelt der europäische Gesetzgeber den Konzern also auch im Kapitalmarktrecht als Einheit, um die Vorschriften im öffentlichen Interesse effektiv durchzusetzen und ohne das gesellschaftsrechtliche Innenleben des Konzerns zu berücksichtigen. Mit der konzernumsatzabhängigen Bußgeldhöchstgrenze für Töchter bleibt das Kapitalmarktsanktionenrecht jedoch in fragwürdiger Weise auf halber Strecke stehen.62 Dieser „Konstruktionsfehler“63 des europäischen Kapitalmarktrechts ist jedenfalls bei der Festsetzung des Bußgeldes im konkreten Einzelfall zu berücksichtigen, indem dann auf die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Tochter abzustellen ist.64 So hat die BaFin bei der endgültigen Bußgeldfestsetzung u.a. auch ein angemessenes Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bußgeldadressaten zu wahren (vgl. § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG).65

IV. Zwischenergebnis Das Trennungsprinzip gerät insbesondere unter dem europäischen Einfluss zunehmend unter Druck. Zwar sind dem deutschen Gesellschafts60 Zur Existenzvernichtungshaftung als Innenhaftung des Gesellschafters gegenüber der GmbH BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, BGHZ 173, 246, 257 f. = AG 2007, 657 = GmbHR 2007, 927 m. Anm. Schröder. 61 BGH, Urt. v. 17.9.2001 – II ZR 178/99 – Bremer Vulkan, BGHZ 149, 10 = AG 2002, 43 = GmbHR 2001, 1036; BGH, Urt. v. 24.6.2002 – II ZR 300/00 – KBV, BGHZ 151, 181 = GmbHR 2002, 902 m. Anm. Schröder. 62 Kritisch insoweit auch zu § 81 Abs. 4 GWB a.F. vor der 9. GWB-Novelle Klusmann, ZGR 2016, 257, 261. 63 So zur parallelen Problematik im Kartellrecht vor der 9. GWB-Novelle Thomas in FS Möschel, 2011, S. 675, 688. 64 Nach Auskunft der BaFin ist bei einem Rechtsverstoß einer Tochtergesellschaft „zwar bei der Bestimmung des Bußgeldrahmens auf den Gesamtumsatz des Konzerns abzustellen, in Schritt drei der Stufe zwei jedoch in der Regel auf die aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Tochtergesellschaft“ (von Buttlar/Brück, BaFin Journal März 2017, S. 15, 19). 65 Zum Kapitalmarktrecht Nartowska/Walla, NZG 2015, 977, 983. Zum Kartellrecht Leitlinien der Kommission, ABl. 2006, Nr. C 210/02, F. Ziff. 35; hierzu auch Holterhus, WRP 2011, 1406 ff.; Aberle, Sanktionsdurchgriff und wirtschaftliche Einheit im deutschen und europäischen Kartellrecht, 2013, S. 221.

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recht Angriffe auf das Trennungsprinzip in Form eines Haftungsdurchgriffs auf die Gesellschafter einer GmbH oder einer AG nicht gänzlich fremd: Zu nennen sind etwa die Figur des „qualifiziert faktischen Konzerns“,66 der durch die Existenzvernichtungshaftung abgelöst wurde,67 oder die Haftung wegen einer Vermögensvermischung.68 Hierbei handelt es sich aber jeweils um Fälle, in denen die Gesellschafter die gesetzliche Haftungsbeschränkung der Kapitalgesellschaft pflichtwidrig missbrauchen.69 Die Konzernverantwortung im europäischen Finanzaufsichtsund Kartellrecht sowie im Ansatz auch im Kapitalmarktrecht hat aber eine andere Qualität. Sie basiert unabhängig von einem pflichtwidrigen Missbrauch der Rechtsform auf dem Ziel, die Einhaltung des europäischen Wirtschaftsrechts konzernweit durch die Indienstnahme der Mutter als zusätzliche „Aufsichtsinstanz“ zu verbessern.70 Es besteht jeweils ein besonderes öffentliches Interesse an der Einhaltung des Kartell-, Finanzaufsichts- und Kapitalmarktrechts.71 Und um das Recht im öffentlichen Interesse vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes gem. Art. 4 Abs. 3 EUV möglichst wirksam durchzusetzen, wird auf die rechtliche Trennung und Eigenständigkeit

66 BGH, Urt. v. 23.9.1991 – II ZR 135/90 – Video, BGHZ 115, 187 = NJW 1991, 3142 = AG 1991, 429 m. Anm. Mertens = GmbHR 1991, 520. Hierzu Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2009, Rz. 503. 67 Grundlegend: BGH, Urt. v. 17.9.2001 – II ZR 178/99 – Bremer Vulkan, NJW 2001, 3622 = AG 2002, 43 = GmbHR 2001, 1036; BGH, Urt. v. 24.6.2002 – II ZR 300/00 – KBW, GmbHR 2002, 902 m. Anm. Schröder = NJW 2002, 3024. 68 Grundlegend: BGH, Urt. v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 333 f. = AG 1986, 15 = GmbHR 1986, 78; BGH, Urt. v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 368 ff. = GmbHR 1994, 390. 69 Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2009, Rz. 500. Vgl. BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NZG 2007, 667, 668 Rz. 16 = AG 2007, 657 = GmbHR 2007, 927 m. Anm. Schröder. Siehe auch König, Der Konzern 2017, 61, 63. Ausführlich zur dogmatischen Begründung der Durchgriffshaftung Bitter, Durchgriffshaftung, S. 82 ff.; Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2018, § 13 GmbHG Rz. 112 ff.; Lieder in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 13 GmbHG Rz. 376 ff.; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 39 Rz. 21 ff. 70 Tendenziell ebenso, im Ergebnis aber kritisch Hommelhoff, AG 2016, 684, 689 f. 71 Zur Bedeutung des öffentlichen Interesses in diesem Zusammenhang ebenso Weck, NZG 2016, 1374, 1376 f.; für das Finanzaufsichtsrecht Tröger, ZHR 177 (2013), 475 ff. Allgemein zum Einfluss öffentlicher Interessen an der effektiven Durchsetzung des europäischen Wirtschaftsrechts Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012.

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der einzelnen Konzerngesellschaften keine Rücksicht genommen.72 Gleichwohl oder gerade deshalb erhöht die zunehmende Konzernverantwortung aber auch den gesellschaftsrechtlichen Pflichtenkanon der Konzernleitung.73

C. Folgen für die Konzernleitung Das leitet über zu der großen Frage nach einer Konzernleitungspflicht des Muttervorstands, die erstmals in der Habilitationsschrift von Hommelhoff aufgeworfen wurde, hier aber nur mit einem kleinen Ausschnitt zu behandeln ist.74 Betroffen ist speziell die Frage, ob und inwieweit die Konzernverantwortung im europäischen Wirtschaftsrecht auch den Muttervorstand zur verstärkten Legalitätskontrolle im gesamten Konzern zwingt.

I. Konzernweite Legalitätskontrollpflicht Eine allgemeine Konzernleitungspflicht des Muttervorstands besteht ebenso wenig wie eine allgemeine Pflicht zur Überwachung des Rechts in den Tochtergesellschaften.75

72 Zum unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz als den treibenden Motor für eine funktionelle Betrachtung des Zivilrechts Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 255 ff. 73 Habersack, AG 2016, 691, 696 f. 74 Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 1982, S. 43 ff. 75 Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 311 AktG Rz. 402; Grigoleit in Grigoleit, 2013, § 311 AktG Rz. 9; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 311 AktG Rz. 10; Habersack in FS Möschel, 2011, 1175, 1182; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts – Die Juristische Person, 1983, S. 90 Fn. 97; Fleischer, DB 2005, 759, 760 f.; Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 311 AktG Rz. 5; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 311 AktG Rz. 152; Langenbucher in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 291 AktG Rz. 40; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 31 II 4c, S. 947; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 311 AktG Rz. 132; J. Vetter, ZHR 171 (2007), 342, 345. Differenzierend: Krieger in MünchHdb/AG, 4. Auflage 2015, § 70 Rz. 27. A.A. Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 43 ff.; Uwe H. Schneider, BB 1981, 249, 256 ff.; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173; Uwe H. Schneider/S. H. Schneider, AG 2005, 57, 61; Uwe H. Schneider/S. H. Schneider, ZIP 2007, 2061, 2063 f., 2064 f.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 509 ff.

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1. Konzernweite Legalitätskontrollpflicht im Interesse der Muttergesellschaft Weitgehende Einigkeit besteht aber darüber, dass die Konzernleitung gem. §§ 76, 93 Abs. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG im Rahmen ihrer Schadensabwendungspflicht zu einer konzernweiten Legalitätskontrolle verpflichtet ist, soweit dies zur Abwendung von Nachteilen für die Muttergesellschaft erforderlich ist.76 Muss die Mutter also fürchten, für das Fehlverhalten ihrer Tochter – wie im Kartellrecht – unmittelbar mit einem Bußgeld oder Schadensersatzanspruch sanktioniert zu werden, muss die Konzernleitung die gebotenen Maßnahmen zur Legalitätskontrolle in der Tochter ergreifen. Das gilt aber auch dann, wenn der Muttergesellschaft zwar keine unmittelbaren Nachteile durch eine eigene Bußgeld- oder Schadensersatzhaftung drohen, sondern – wie im Kapitalmarktrecht – allenfalls mittelbare Nachteile durch die vertragskonzernrechtliche Verlustausgleichpflicht gem. § 302 Abs. 1 AktG bzw. durch eine drohende Insolvenz der Tochtergesellschaft.77 Das schützenswerte Eigeninteresse der Muttergesellschaft stützt sich in letzterem Falle vor allem auf die Beteiligung an der Tochtergesellschaft.78 Eine Pflicht zur konzernweiten Legalitätskontrolle besteht hiernach allerdings nicht, wenn der Muttergesellschaft durch Rechtsverstöße der Tochter gar kein Schaden droht.79 Theoretisch denkbar, wenn auch angesichts der erheblichen Sanktionen sowie der verschärften Aufdeckungsmaßnahmen nicht sehr wahrscheinlich wäre etwa, dass die Compliance-Kosten den der Muttergesellschaft drohenden Schaden durch Bußgelder oder Schadensersatzansprüche übersteigen würden, weil eine Aufdeckung und Verfolgung völlig unwahrscheinlich ist.

76 Statt aller Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175, 1177 ff.; Lutter in FS Goette, 2011, S. 289, 291; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 408. 77 Habersack, AG 2016, 691, 697: „Es ist dann fast eine zu vernachlässigende Frage, ob die Muttergesellschaft unmittelbar für ein Kapitalmarktdelikt der Tochter bebußt werden kann oder ob zwar nur die unmittelbar verantwortliche Konzerngesellschaft bebußt wird, die wirtschaftlichen Folgen des Bußgeldes indes mittelbar von der Konzernspitze zu tragen sind“. 78 Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175, 1182 f.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 408. 79 So auch Seibt in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 76 AktG Rz. 28; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 413.

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2. Generelle konzernweite Legalitätskontrollpflicht im Konzerninteresse an Legalität Das Finanzaufsichts- und das Kartellrecht haben indes eine strikte Legalitätskontrollpflicht zur Folge: Denn die nach außen gerichtete Organisationspflicht der Geschäftsleitung des übergeordneten Instituts gem. § 25a Abs. 3 KWG wird über die Legalitätspflicht gem. §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG in eine Binnenpflicht des Muttervorstands übersetzt.80 Dies gilt im Ergebnis auch im Kartellrecht.81 Zwar wird die Konzernverantwortung hier gerade nicht mit der Verletzung einer Pflicht der Muttergesellschaft zur Aufsicht über die Tochter begründet. Das Kartellverbot gem. Art. 101 AEUV ist aber nicht nur an die einzelne Gesellschaft gerichtet, sondern an die wirtschaftliche Einheit aus Mutter und Tochter (B.II.). Die Mutter ist demnach als Bestandteil der wirtschaftlichen Einheit verpflichtet, die Einhaltung des Kartellrechts konzernweit sicherzustellen. Insoweit erschöpft sich die Pflicht des Muttervorstands nicht darin, die Einhaltung des Rechts in den Tochtergesellschaften zu überwachen, um drohende Schäden von der Mutter abzuwenden, sondern besteht auch dann, wenn das Schadenspotential für die Muttergesellschaft gering ist. Der Vorstand der Muttergesellschaft ist daher der eigenen Gesellschaft gegenüber gem. §§ 76, 93 Abs. 1 AktG verpflichtet – soweit möglich und zumutbar – sicherzustellen, dass sich die Tochterund Enkelgesellschaften sowie deren Mitarbeiter rechtmäßig verhalten. Insoweit kann man also von einer kartell- und finanzaufsichtsrechtlichen Konzernleitungs- oder genauer Konzernlegalitätskontrollpflicht sprechen. Unklar ist, ob der neuformulierte Deutsche Corporate Governance Kodex i.d.F. 24.4.2017 eine solche generelle Legalitätskontrollpflicht über das Finanzaufsichts- und Kartellrecht hinaus für sämtliche Rechtsbereiche und damit auch für das Kapitalmarktrecht empfiehlt.82 In Ziff. 4.1.3. DCGK heißt es zunächst wie bisher auch: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance)“. Demnach hat der Vorstand in den Grenzen des gesellschaftsrechtlich Möglichen auf Legalität hinzuwir80 J. Koch, WM 2009, 1013, 1015; Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 495 ff.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 409. 81 Im Ergebnis wohl auch Seibt in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 76 AktG Rz. 28. Wohl a.A. Bosch, ZHR 177 (2013), 454, 473. 82 In diese Richtung Baur/Holle, NZG 2017, 170, 171.

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ken.83 Ergänzt wird dies nun durch den folgenden Satz: Der Vorstand „soll für angemessene, an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtete Maßnahmen (Compliance Management System) sorgen […]“. Maßgeblich ist, wie man den Begriff des Unternehmens hier versteht. Versteht man ihn weit und erfasst sämtliche Konzerngesellschaften, bedeutete dies ein unbedingtes Gebot zur konzernweiten Einrichtung von Compliance-Systemen, sofern nur irgendwo im Konzern ein Haftungsrisiko besteht.84 Unabhängig davon, ob dies tatsächlich so gemeint ist, handelt es sich letztlich jedenfalls doch nur um eine Empfehlung für börsennotierte Unternehmen, die keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet.85 Im Kapitalmarktrecht bleibt es daher – jedenfalls sofern man wie hier die generelle konzernweite Anwendung von § 130 OWiG auf Muttergesellschaften ablehnt (B.III.2.) – bei der beschränkten Legalitätskontrollpflicht im Eigeninteresse der Muttergesellschaft zur Abwendung von Schaden. Ein solcher Schaden droht der Mutter insbesondere im Vertragskonzern, da sie dann gem. § 302 Abs. 1 AktG den Verlust der Tochter in Form des Bußgeldes ausgleichen muss.86

II. Umfang und Grenzen der konzernweiten Legalitätskontrolle 1. Inhalt und Umfang Die Konzernleitung muss in diesem Rahmen für eine konzernweite Legalitätskontrolle sorgen. Für den konkreten Inhalt der Pflicht kann die Siemens/Neubürger-Entscheidung des LG München I aus dem Jahr 2013 Orientierung bieten.87 Hiernach hängt der Umfang der Aufsichtspflichten im Konzern von Art, Größe und Organisation des Unternehmens, den zu beachtenden Vorschriften, der geografischen Präsenz sowie Verdachtsfällen aus der Vergangenheit ab. Sind in einer Tochtergesellschaft bereits Kartellverstöße aufgetreten oder sind die Geschäftsaktivitäten der Tochter besonders riskant, gelten strengere Kontrollpflichten.88 Nur 83 Statt aller Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 188. 84 Kritisch dazu Baur/Holle, NZG 2017, 170, 171. 85 J. Koch, WM 2009, 1013, 1019. 86 So auch Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175, 1180. 87 LG München I, Urt. v. 10.12.2013 – 5HK O 1387/10 – Siemens/Neubürger, AG 2014, 332 = NZG 2014, 345 = ZIP 2014, 570 mit Anm. Bachmann. 88 LG München I, Urt. v. 10.12.2013 – 5HK O 1387/10 – Siemens/Neubürger, AG 2014, 332 = NZG 2014, 345, 347.

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eine solche Ausrichtung am Einzelfall kann den Besonderheiten einer speziellen Konzernstruktur gerecht werden. Soweit die konzernweite Legalitätskontrollpflicht – wie im Kapitalmarktrecht – mit der allgemeinen Schadensabwendungspflicht gem. §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG begründet wird (C.I.1.), findet die Business Judgement Rule gem. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG Anwendung, da es hierbei nicht um die Erfüllung einer rechtlich gebundenen Pflicht geht, sondern die Schadensabwendung eine unternehmerische Entscheidung darstellt.89 Wird die konzernweite Legalitätskontrollpflicht indes – wie im Finanzaufsichts- und Kartellrecht – damit begründet, dass der Muttervorstand eine rechtlich gebundene Pflicht der Mutter im Außenverhältnis – namentlich § 25a Abs. 3 KWG bzw. Art. 101, 102 AEUV – im öffentlichen Interesse zu erfüllen hat (C.I.2.), liegt keine lediglich am Gewinnziel der Gesellschaft orientierte unternehmerische Entscheidung i.S.d. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG vor.90 Damit steht zwar das „Ob“ konzernweiter Legalitätskontrolle im Finanzaufsichts- und Kartellrecht nicht zur Disposition des Muttervorstands, aber beim „Wie“, also der konkreten Ausgestaltung derselben, verfügt der Muttervorstand gleichwohl über ein gerichtlich nicht voll überprüfbares Beurteilungsermessen,91 so etwa bei der Frage, ob ein standardisiertes Compliance-System eingerichtet wird oder ad-hoc-Überwachungsmaßnahmen ausreichen oder ob eine zentrale oder dezentrale Compliance-Organisation einzuführen ist.92 89 Verse, ZHR 175 (2011), 401, 415 f.; allgemein Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT 2014, S. 44 f. 90 Allgemein hierzu Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 108 f. Zum Finanzaufsichtsrecht Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 136 ff.; Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 513. Zum Kartellrecht Säcker, WuW 2009, 362, 366. 91 Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT 2014, S. 44; Habersack in E. Lorenz, Karlsruher Forum 2009, S. 5 ff.; Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175, 1184; Harbarth in FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 338 ff.; Holle, AG 2011, 778, 785; Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 514; ähnlich Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 119 („flexibles Verständnis des unternehmerischen Ermessens“). 92 Zur Compliancepflicht in der Einheitsgesellschaft Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 147 ff.; C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1256; Uwe H. Schneider, DB 2011, 99, 100; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 505 ff.; Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 513 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 69; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 182 ff.; Hüffer/Koch,

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Notwendige Mindestbedingungen zur Durchsetzung einer wirksamen konzernweiten Legalitätskontrolle sind aber jedenfalls ausreichende Möglichkeiten der Mutter, die erforderlichen Informationen von der Tochter zu erhalten und erforderlichenfalls auf die Tochter einzuwirken.93 So benötigt der Muttervorstand z.B. Informationen über in der Tochter begangene Rechtsverstöße. Darüber hinaus muss die Konzernleitung erforderlichenfalls auf die Umsetzung des Compliance-Systems hinwirken und z.B. verlangen können, dass die Tochtergesellschaft Schulungen durchführt, spezielle Monitoring-Systeme einführt, auf bestimmte riskante Geschäfte verzichtet oder Kontrollen durch die Muttergesellschaft duldet.94

2. Grenzen der Durchsetzung Ob und inwieweit der Konzernleitung die hierfür notwendigen gesellschaftsrechtlichen Instrumente, insbesondere ein Weisungsrecht oder Möglichkeiten zur Informationsgewinnung, zur Verfügung stehen, hängt davon ab, wie stark die Gegenkräfte in der Tochtergesellschaft wirken. Dies wiederum bestimmt sich nach der Art der Verbundenheit der Konzerngesellschaften – Vertragskonzern oder faktischer Konzern – und der Rechtsform der Tochtergesellschaft – AG oder GmbH.95

12. Aufl. 2016, § 76 AktG Rz. 14; Kort in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 91 AktG Rz. 123, 179 ff. Ebenso allerdings im Rahmen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT 2014, S. 44 f.; Bachmann in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, 2008, S. 65, 80; Bachmann, ZIP 2014, 579, 581; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 22 f.; Spindler in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2014, § 91 AktG Rz. 66. Ausführlich zum Streitstand und m.w.N. Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 67 ff. 93 Fleischer, CCZ 2008, 1, 6; Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175, 1187; Lutter in FS Goette, 2011, S. 289, 292; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 416 f.; Drygala/ Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, 2012, § 33 Rz. 11 ff.; Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 506 ff. Ausführlich Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 123 ff. 94 Gebauer/Fett in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch für Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 24.60. 95 Ausführlich hierzu Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014.

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a) Vertrags- und Eingliederungskonzern Beruht die Konzernverbindung auf einem Beherrschungsvertrag oder ist die Tochtergesellschaft eingegliedert, stehen der Muttergesellschaft ausreichend gesellschaftsrechtliche Instrumente zur konzernweiten Legalitätskontrolle zur Verfügung.96 Sie kann der Tochter über §§ 308 Abs. 1, 323 Abs. 1 AktG auch nachteilige Weisungen erteilen, solange dies den Belangen der Mutter oder anderer verbundener Unternehmen dient,97 also die Weisung etwa auf die Einhaltung des Rechts gerichtet ist.98

b) Faktischer GmbH-Konzern Beruht die Verbindung lediglich faktisch auf der mitgliedschaftlichen Beteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft, ist die Durchsetzung einer konzernweiten Legalitätskontrolle auch dann vergleichsweise einfach, wenn es sich bei der Tochtergesellschaft um eine GmbH handelt.99 In diesem Fall ist die Muttergesellschaft in der Lage, über das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung gem. § 37 GmbHG unmittelbaren Einfluss auf die GmbH zu nehmen und ihre Vorstellungen von einer konzernweiten Legalitätskontrolle durchzusetzen.100 Außerdem können die Gesellschafter über § 51a GmbHG auf alle Informationen zugreifen, die sie benötigen, um ihre Weisungs- und Kontrollrechte ausüben zu können.101 Unzulässig sind lediglich Weisungen zu existenzgefährdenden Maßnahmen.102 96 Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175, 1187; Lutter in FS Goette, 2011, S. 289, 293; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 418; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, 2012, § 33 Rz. 12. Speziell zum Finanzaufsichtsrecht Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 503 ff. 97 Ausführlich Altmeppen, Die Haftung des Managers im Konzern, 1998, S. 11 ff.; Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 308 AktG Rz. 102 ff. 98 Zur AG gem. § 308 Abs. 2 AktG Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 311 AktG Rz. 21 ff.; Leuering/Goertz in Hölters, 3. Aufl. 2017, § 308 AktG Rz. 27 ff. Zur entsprechenden Anwendung auf die GmbH Altmeppen in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Anh. § 13 GmbHG Rz. 56. 99 Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175, 1187; Lutter in FS Goette, 2011, S. 289, 294; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, 2012, § 33 Rz. 12. 100 Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 2003, S. 137. 101 Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, 171 f.; Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 2003, S. 134 ff. 102 Statt aller Drygala in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbHGeschäftsführung, 2. Aufl. 2011, § 43 GmbHG Rz. 29; Haas/Ziemons in

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c) Faktischer Aktienkonzern Schwieriger gestaltet sich die konzernweite Legalitätskontrolle indes im faktischen Aktienkonzern.103 Hier sind die Gegenkräfte der Tochtergesellschaft stärker. Die Schwierigkeiten bei der konzernweiten Durchsetzung und Implementierung von Compliance-Maßnahmen wurzeln letztlich vor allem darin, dass der Tochtervorstand im faktischen Konzern gem. §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG allein dem Verbandsinteresse seiner eigenen Gesellschaft verbunden bleibt104 und grundsätzlich nicht verpflichtet ist, Weisungen der Mutter zu folgen.105 Zudem hat die Mutter auch keinen allgemeinen Informationsanspruch, der über den unzureichenden § 131 Abs. 1 AktG hinausgeht.106 Der spezielle Auskunftsanspruch zur Erstellung des Konzernabschlusses gem. § 294 Abs. 3 Satz 2 HGB ist weder analog anwendbar noch nach seinem Rechtsgedanken verallgemeinerungsfähig.107 Die Mutter kann zwar über ihre Vertreter

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BeckOK-GmbHG, § 43 GmbHG Rz. 85; Liebscher in MünchKomm/ GmbHG, 2. Aufl. 2015, Anh. § 13 GmbHG Rz. 830; Wicke, 3. Aufl. 2016, § 37 GmbHG Rz. 5. Differenzierend: Altmeppen in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Anh. § 13 GmbHG Rz. 57 ff. Fleischer, CCZ 2008, 1, 6. Fett/Gebauer in FS Schwark, 2009, S. 375, 377; allgemein Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 311 AktG Rz. 443 m.w.N.; Grigoleit in Grigoleit, 2013, § 311 AktG Rz. 3, 53; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 311 AktG Rz. 78; Hopt/ Roth in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 100; Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 311 AktG Rz. 48. Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175, 1191; Lutter in FS Goette, 2011, S. 289, 294; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 419; allgemein zum Fehlen eines Weisungsrechts der Konzernleitung Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 311 AktG Rz. 403 m.w.N. Zur Verschwiegenheitspflicht im Konzern Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 288. Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175, 1191; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 423. Allgemein zum Fehlen eines Auskunftsrechts der Konzernleitung statt aller Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 311 AktG Rz. 424 m.w.N.; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 AktG Rz. 42; Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016 § 90 AktG Rz. 7a; Ziemons in Ziemons/ Binnewies, Handbuch Aktiengesellschaft, Loseblatt, Teil I Rz. 12.330. Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175, 1191; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 423. A.A. Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, S. 300 ff.; Uwe H. Schneider/S. H. Schneider, ZIP 2007, 2061, 2064 f.; Drygala in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 107 AktG Rz. 77; Drygala/ Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, 2012, § 33 Rz. 15.

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im Tochteraufsichtsrat an der Überwachung des Tochtervorstands mitwirken, so Informationen erhalten und einzelne Maßnahmen durch Zustimmungsvorbehalte verhindern; diese Möglichkeiten sind aber sehr begrenzt.108 Im Weiteren kann die Mutter über den Aufsichtsrat den Tochtervorstand mit kooperationswilligen Personen besetzen oder notfalls durch die drohende Abberufung die Kooperation erzwingen.109 Daher kann die Mutter in der Praxis angesichts ihrer „Personalhoheit“ regelmäßig auf einen kooperationswilligen Tochtervorstand hoffen, der bereit ist, die Maßnahmen der Mutter zur konzernweiten Legalitätskontrolle umzusetzen und die Informationen weiterzugeben.110 Rechtlich abgesichert durch ein Weisungsrecht der Mutter oder jedenfalls eine Folgepflicht des Tochtervorstands ist dies im faktischen Aktienkonzern aber jedenfalls nicht.

3. Europäisches Wirtschaftsrecht vs. Gesellschaftsrecht Das ist aber insbesondere dann misslich, wenn die Mutter – wie im Kartell- und Finanzaufsichtsrecht – unbedingt und ohne Rücksicht auf gesellschaftsrechtliche Grenzen dafür zu sorgen hat, dass kein Fehlverhalten im Konzern auftritt. Das Kartell- und Finanzaufsichtsrecht formulieren Pflichten ohne Verbandsvorbehalt (B.I., B.II.2.). Will man dieses Spannungsverhältnis zwischen dem wirtschaftsrechtlich von der Mutter Verlangten einerseits und dem gesellschaftsrechtlich Zulässigen andererseits auflösen,111 kann die Lösung nicht zuletzt wegen des Vorrangs des europäischen Unionsrechts nur zugunsten des Kartell- und Finanzaufsichtsrechts ausfallen.112 Das europäische Wirtschaftsrecht überlagert inso-

108 Schockenhoff, ZHR 180 (2016), 197, 209. Ausführlich hierzu Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 181 f., 209 ff. 109 Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 181 f., 209 ff. 110 Lutter in FS Goette, 2011, S. 289, 294; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 419. 111 Zu diesem Spannungsverhältnis Habersack, AG 2016, 691, 696. 112 Im Ergebnis ebenso zum Finanzaufsichtsrecht Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 513. Weitergehend für „das öffentliche Recht (unter Einschluss des Strafund Ordnungswidrigkeitenrechts)“ Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, 2012, § 33 Rz. 13. A.A. allgemein für das Gesellschaftsrecht Fleischer, CCZ 2008, 1, 6; Lutter in FS Goette, 2011, S. 289, 294; zum Finanzaufsichtsrecht Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012, S. 204.

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weit das nationale Gesellschaftsrecht.113 Dies entspricht auch den Vorstellungen der Gesetzesbegründung zum Finanzaufsichtsrecht, wonach „die Einwirkungsrechte des übergeordneten Unternehmens uneingeschränkt gelten und auch nicht durch anderweitiges Gesellschaftsrecht beschnitten werden“.114 Anknüpfungspunkt für die Auflösung des Spannungsverhältnisses ist die Legalitätspflicht des Tochtervorstands, die ebenso wie die Pflichten der Konzernleitung durch das europäische Wirtschaftsrecht determiniert wird.115 Art. 101 AEUV und § 25a Abs. 3 KWG binden sowohl die Mutter als auch die Tochter. Und weil das Finanzaufsichts- und Kartellrecht nicht nur die Befolgung durch die Tochter, sondern die konzernweite Einhaltung und damit zusätzlich auch Aufsichtsmaßnahmen durch die Mutter einfordert, ist auch der Tochtervorstand gem. §§ 76, 93 AktG116 gegenüber der Tochtergesellschaft im öffentlichen Interesse an der Einhaltung des Rechts verpflichtet, bei der Implementierung der konzernweiten Legalitätskontrolle durch den Muttervorstand soweit geboten mitzuwirken. Die Mitwirkungspflicht mündet in eine Pflicht zur Weitergabe der Informationen und Befolgung von Weisungen, soweit dies zur konzernweiten Legalitätskontrolle und damit zur Wahrnehmung der Konzernverantwortung erforderlich ist.117 Insoweit scheitert die Mitwirkung auch nicht an § 311 AktG.118 In der Gesetzesbegründung zum Finanzaufsichtsrecht zeigt der Gesetzgeber zugleich aber auch die Grenzen 113 Ausführlich zur Ausstrahlungswirkung aufsichtsrechtlicher Verhaltenspflichten auf das Gesellschaftsrecht Dreher, ZGR 2010, 496 ff. 114 Begr. RegE CDR IV-UmsetzungsG, BT-Drucks. 77/10974, 86. 115 So auch für das Finanzaufsichtsrecht, ablehnend hingegen für das Kartellrecht Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 499 f. Zum Vorrang der Legalitätspflicht Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 861. 116 Zur Anwendbarkeit von § 93 AktG Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 207 ff. 117 Für das Finanzaufsichtsrecht ähnlich – allerdings für Weisungsrecht – Gebauer/Fett in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch für Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 24.61. Zum faktischen Konzern als bürgerlich-rechtliche Innengesellschaft Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, S. 221 ff. 118 So auch speziell zur Weitergabe von Informationen im Rahmen eines effizienten konzernweiten Risiko- und Compliance-Managements jedenfalls bei vertraulicher Behandlung J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 311 AktG Rz. 72; im Ergebnis ebenso Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175, 1190 f.; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 311 AktG Rz. 51a; Verse, ZHR 175 (2011), 401; 420 f.

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der Mitwirkungspflichten auf: Demnach behält der Tochtervorstand stets das Recht, Weisungen der Muttergesellschaft auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und Weisungen insbesondere zu existenzgefährdenden Maßnahmen zurückzuweisen.119 Das hat insbesondere im Finanzaufsichtsrecht zur Konsequenz, dass das hier grundsätzlich vorherrschende Gebot der Eigenverantwortlichkeit der Geschäftsleiter120 insoweit für die untergeordneten Unternehmen nur eingeschränkt gilt.121

D. Lösungsmöglichkeiten de lege ferenda Damit zwingt das europäische Wirtschaftsrecht im Ergebnis Muttergesellschaften zu einer immer intensiveren Aufsicht über die Einhaltung des Rechts in den Tochtergesellschaften im öffentlichen Interesse und schränkt so die Möglichkeiten einer dezentralen Konzernstruktur zunehmend ein. Die Angriffe auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip stellen damit nicht zuletzt auch die Geschäftsleitungen der Konzerngesellschaften vor neue Herausforderungen. Um diese Herausforderungen bewältigen zu können, benötigen sie das notwendige Instrumentarium.122 Künftig wird es daher vor allem darum gehen müssen, die zunehmende Konzernverantwortung im europäischen Wirtschaftsrecht und die gesellschaftsrechtlichen dem Trennungsprinzip verpflichteten Regelungen de lege ferenda sinnvoll aufeinander abzustimmen, um sowohl die Muttergesellschaft als auch Mutter- und Tochtervorstand vor unübersehbaren Haftungsrisiken zu bewahren.

I. Schaffung eines europäischen Konzerngesellschaftsrechts Die zunehmende Konzernverantwortung, wie sie vor allem im europäischen Wirtschaftsrecht anzutreffen ist, erfordert aber nicht nur nationale, sondern vornehmlich europäische Antworten. So helfen die hier angestellten Überlegungen zur Reaktion des Aktienrechts einer deutschen 119 Begr. RegE CDR IV-UmsetzungsG, BT-Drucks. 77/10974, 86. 120 Statt aller Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, 5. Aufl. 2016, § 1 KWG Rz. 209. 121 Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 504. 122 So auch Hommelhoff in Hommelhoff/Lutter/Teichmann, Corporate Governance im grenzüberschreitenden Konzern, 2017, S. 337; Teichmann, ZGR 2017, 485, 489; Teichmann in Hommelhoff/Lutter/Teichmann, Corporate Governance im grenzüberschreitenden Konzern, 2017, S. 3, 16.

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Muttergesellschaft im grenzüberschreitenden Kontext nur wenig weiter, wenn sich das Gesellschaftsrecht der ausländischen Tochtergesellschaft Weisungen der Muttergesellschaft widersetzt.123 Die zunehmende Konzernverantwortung stellt daher vor allem grenzüberschreitend tätige Unternehmen vor große Herausforderungen und lässt sich nicht allein mit dem nationalen Gesellschaftsrecht bewältigen, sondern erfordert europäische Antworten.124 Die aktuell wieder intensiv geführte Debatte über ein europäisches Konzernrecht und die verschiedenen wissenschaftlichen Initiativen kommen daher zur rechten Zeit.125

II. Keine pauschale Konzernverantwortung Doch nicht nur das (europäische) Gesellschaftsrecht hat Nachholbedarf. Eine pauschale Konzernverantwortung für Rechtsverstöße von Tochtergesellschaften ohne Rücksicht auf ein Fehlverhalten der Muttergesellschaft – wie im europäischen und deutschen Kartellbußgeldrecht – stößt jedenfalls im Bußgeldrecht auf grundrechtliche Bedenken. Zwar könnte man an eine Strukturhaftung – etwa im Sinne einer Gefährdungshaftung wie im Zivilrecht – denken, wenn man die Gefahr in der Konzernierung als solche erblicken wollte.126 Nach dem Schuld- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gem. Art. 48 Abs. 1, 49 Abs. 3 EU-GRCh bzw. Art. 20 GG ist zur Bebußung einer Person aber ein vorwerf- und vermeidbares Verhalten notwendig.127 Das kann hier auch nicht durch das vorwerfbare Ver123 Teichmann, ZGR 2017, 485, 489. Anders Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 504, wonach die „grenzüberschreitende Stoßkraft der nationalen (aufsichtsrechtlichen) Wertungen [...] weniger vom ausländischen Verbandsrecht“ abhängt. 124 So auch Teichmann in Hommelhoff/Lutter/Teichmann, Corporate Governance im grenzüberschreitenden Konzern, 2017, S. 3, 16; Teichmann, ZGR 2017, 485, 489. 125 Hierzu insbesondere The Informal Company Law Expert Group (ICLEG) Report on the recognition of the interest of the group, Oktober 2016, http:// ec.europa.eu/justice/civil/files/company-law/icleg_recommendations_interest _group_final_en.pdf, letzter Zugriff: 30.1.2018. Ausführlich Hommelhoff/ Lutter/Teichmann, Corporate Governance im grenzüberschreitenden Konzern, 2017. 126 So der Hinweis von Bachmann in der Diskussion im Anschluss an den Vortrag. 127 Nach der EMRK können sich auch juristische Personen auf den Schuldgrundsatz berufen (Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016, S. 17; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, Art. 6 EMRK Rz. 4. Im deutschen Verfassungsrecht wird

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halten der wirtschaftlichen Einheit als Adressat des Kartellrechts ersetzt werden, da der Grundrechtsschutz der Mutter – selbst bei Annahme von Grundrechtsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit – nicht entfällt.128 Eine Konzernverantwortung lässt sich daher grundrechtlich und unter Beachtung des Trennungsprinzips nur unter Berücksichtigung eines eigenen Fehlverhaltens der Muttergesellschaft rechtfertigen, indem man sie de lege ferenda zur Aufsicht verpflichtet und die Haftung hieran knüpft.129 Die Anerkennung einer Compliance-Defense130 auf Konzernebene wäre ein gelungener Kompromiss, der das Bedürfnis nach abschreckenden Sanktionen zur Durchsetzung des europäischen Wirtschaftsrechts einerseits und das konzernrechtliche Trennungsprinzip andererseits in einen angemessenen Ausgleich bringt und so die Konzernleitung gegen die Angriffe auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip wappnet.

E. Thesen 1. Für Verstöße gegen das europäische Wirtschaftsrecht werden Konzerne unter Missachtung des gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzips zunehmend als Einheit in die Verantwortung genommen. 2. Paradigmatisch hierfür sind die konzernweiten Aufsichtspflichten im Finanzaufsichtsrecht, die Bußgeld- und Schadensersatzhaftung von Mutdie Anwendung des Schuldprinzips auf Unternehmen hingegen zwar abgelehnt (BVerfG v. 26.2.1997 – 1 BvR 2172/96, NJW 1997, 1841, 1844). Aber jedenfalls das Übermaßverbot i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verlangt eine schuldangemessene Sanktionierung, die sich an dem vorwerfbaren Verhalten orientiert (BVerfG, Beschl. v. 25.10.1966 – 2 BvR 506/63, BVerfGE 20, 323, 331). 128 Eingehend hierzu Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016, S. 57 f. A.A. Kersting, Der Konzern 2011, 445 ff.; Kersting, WuW 2014, 1156, 1159; Ost, NZKart 2013, 25, 26. 129 Ausführlich hierzu Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit, 2016, S. 27 f. (allerdings für das europäische Kartellbußgeldrecht bereits de lege lata). Siehe bereits Thomas, Journal of European Competition Law & Practice, 2012, 11 ff. In diese Richtung auch Zandler, NZKart 2016, 98, 104. 130 Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016, S. 27, 65; Roos, Compliance Defence, 2014, S. 217 ff.; Linsmeier/Dittrich, NZKart 2014, 485 ff.; jedenfalls für eine bußgeldmindernde Berücksichtigung Jungbluth, NZKart 2015, 44, 45; Ost in FS Roth, 2015, S. 413, 425. Zur allgemeinen Anerkennung einer solchen Compliance-Defense vgl. Beulke/Moosmeyer, CCZ 2014, 146, 147 ff.; Moosmeyer, NJW 2012, 3013, 3017; Lösler, NZG 2005, 104, 105.

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tergesellschaften für Kartellverstöße ihrer Tochtergesellschaften und die Bemessung der Bußgeldhöchstgrenzen nach dem Konzernumsatz im europäischen Kapitalmarktrecht. Maßgebend für die Konzernverantwortung ist jeweils ein besonderes öffentliches Interesse an der Einhaltung des Rechts. 3. Die Konzernverantwortung im Kartell- und Finanzaufsichtsrecht wirkt auf die Leitungspflichten des Vorstands der Muttergesellschaft im Innenverhältnis zurück. Es gilt gem. § 93 Abs. 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG eine konzernweite Legalitätskontrollpflicht nicht nur im Eigeninteresse der Muttergesellschaft, sondern eine unbedingte konzernweite Legalitätskontrollpflicht im Konzerninteresse an der Einhaltung des Rechts. 4. Eine konzernweite Legalitätskontrolle setzt eine ausreichende Informationsversorgung des Muttervorstands und effektive Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Tochtergesellschaften voraus. 5. Während die Durchsetzung einer konzernweiten Legalitätskontrolle im Vertragskonzern, bei der Eingliederung und im faktischen GmbHKonzern vergleichsweise wenig Probleme bereitet, stößt sie vor allem im faktischen Aktienkonzern auf die Gegenkräfte in der Tochtergesellschaft und damit an die Grenzen des gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzips. Doch beeinflusst das gemeinsame auf Einhaltung des Rechts gerichtete öffentliche Interesse auch die Geschäftsleitungspflichten in der Tochtergesellschaft. 6. Die zunehmende Konzernverantwortung stellt angesichts unterschiedlicher nationaler Gesellschaftsrechte vor allem grenzüberschreitend tätige Unternehmen vor große Herausforderungen und lässt sich daher nicht allein mit dem nationalen Gesellschaftsrecht bewerkstelligen. Die aktuell wieder intensiv geführte Debatte über ein europäisches Konzernrecht kommt daher zur rechten Zeit, um auf Angriffe auf das Trennungsprinzip aus dem europäischen Wirtschaftsrecht zu reagieren. 7. Eine pauschale Konzernverantwortung für Rechtsverstöße von Tochtergesellschaften ohne Rücksicht auf ein Fehlverhalten der Muttergesellschaft – wie im europäischen und deutschen Kartellbußgeldrecht – unterliegt insbesondere vor dem Hintergrund des Schuld- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verfassungsrechtlichen Bedenken. De lege ferenda lässt sich eine Konzernverantwortung nur unter Berücksichtigung eines eigenen Fehlverhaltens der Muttergesellschaft rechtfertigen. Konzernweite Compliance-Aktivitäten sind hierbei angemessen zu berücksichtigen.

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Bericht über die Diskussion des Referats Poelzig Tabea Bauermeister Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Leipzig Prof. Dr. Alfred Bergmann (Vorsitzender Richter am BGH a.D.) eröffnete die Diskussion, indem er Frau Prof. Dr. Dörte Poelzig für ihren Vortrag dankte. Der erste Wortbeitrag stammte von Prof. Dr. Gregor Bachmann (Humboldt Universität Berlin). Zunächst stimmte er These 6 zu. Sodann hinterfragte er These 7 mit der Argumentation, dass das Schuldprinzip nur für Individuen, nicht hingegen für Unternehmen gelte. Außerdem verwies er auf das Institut der Gefährdungshaftung. Bachmann fragte, ob dies nicht auf den Konzern in dem Sinne übertragbar sei, dass man ihn als Gefahrenquelle betrachte. Außerdem wies er daraufhin, dass die Problematik aus seiner Sicht weniger eine verfassungsrechtlich-juristische, sondern vielmehr eine ökonomische sei. Daran anschließend hinterfragte Prof. Dr. Thilo Kuntz (Universität Bremen), ob der Gedanke an das Verschuldensprinzip nicht zu sehr dem deutschen Rechtsdenken verhaftet sei und dem Problemfeld nicht vielmehr deliktsrechtliche Ansätze zugrunde lägen. Er verwies insofern auf die Verkehrssicherungspflichten, in deren Kontext das Verschuldensprinzip im Ergebnis nahezu abgeschafft sei. Möglicherweise könnten stattdessen die Kriterien der AKZO Nobel-Rspr. auch als Haftungsanknüpfungspunkt dienen. Das Verschulden könne darin gesehen werden, dass der Konzern einheitlich organsiert und die an sich eigenständigen juristischen Personen nicht respektiert würden. Eine Haftung könne konsequenterweise nur vermieden werden, wenn die rechtliche Selbstständigkeit der Konzerngesellschaften respektiert würde. Poelzig erwiderte, dass – wolle man den Schuldgrundsatz, der sich sicherlich aus der Menschenwürde ableite, nicht anwenden – jedenfalls der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dasselbe Ergebnis gebiete. Hinsichtlich des Verweises auf die Gefährdungshaftung entgegnete sie, dass es bei der von ihr aufgeworfenen Problematik gerade nicht um das Zivilrecht, sondern um das Bußgeldrecht gehe. Dort würden strengere Anforderungen als im Zivilrecht gelten. Die Frage sei deshalb anders als die der Verkehrssicherungspflichten zu beantworten.

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Außerdem müsse man sich die Frage stellen, warum die Konzerne als Einheit hafteten. Aus ihrer Sicht bestünde das eigentliche Ziel in der Abschreckung und Verhaltenssteuerung der Unternehmen. In dem Maße, in dem man auch die Mutter adressiere, wolle man die Mutter durch Abschreckung zu einem Verhalten motivieren. Dieses Verhalten könne sicherlich darin liegen, die Tochter mit ausreichenden finanziellen Mitteln auszustatten. Darüber hinaus würde das Verhaltensgebot jedoch vor allem auf eine Einhaltung des Rechts abzielen. Letztlich wolle man die Muttergesellschaft zur Aufsicht über die Tochter anhalten. Als drittes meldete sich Dr. Christian Decher (Freshfields Bruckhaus Deringer LLP) zu Wort. Zunächst hinterfragte er, inwiefern die Gesetzgebungsmaterialien zum KWG eindeutig seien oder nicht vielmehr auch gegen einen Vorrang des Aufsichtsrechts sprechen könnten. Mit Blick auf einen deutschen Zivilrichter, der möglicherweise dem deutschen Gesellschaftsrecht näher stehe, regte Decher darüber hinaus an, dass eine Folgepflicht der Tochtergesellschaft auch mit dem deutschen Recht begründbar sei. Da die Tochter jedenfalls zu konzernfreundlichem Verhalten berechtigt sei, lasse sich möglicherweise auch eine entsprechende Verpflichtung ableiten. Zur Gesetzesbegründungstellte Poelzig fest, dass diese in der Literatur in der Tat unterschiedlich gedeutet würde. Für die Aufgabe des Verbandvorbehalts spreche jedoch, dass es sich bei den in der Gesetzesbegründung aufgezeigten Grenzen lediglich um das sonstige Gesetzesrecht sowie die Vermeidung einer Existenzgefährdung der Tochter handle. Außerdem gehe das Europarecht dem nationalen Recht vor. Ferner erwiderte Poelzig, dass sie ebenfalls lang über die konzernrechtliche Treuepflicht nachgedacht habe. Der Unterschied läge ihrer Ansicht nach darin, dass eine über eine konzernrechtliche Treuepflicht begründete Verpflichtung zu einem echten Weisungsrecht der Mutter, inklusive Anspruch dieser, führe. Die Lösung über das (europäische) Wirtschaftsrecht begründe hingegen nur eine Folgepflicht der Tochtergesellschaft, die sich aus der Legalitätspflicht gegenüber dem Tochtervorstand ableite. Der vierte Wortbeitrag stammte von Dr. Laurenz Wieneke (Noerr LLP), der zunächst die vorgenommene Differenzierung zwischen Verhaltensund Sanktionsnormen lobte. An zweiter Stelle setze er bei der Position der Tochtergesellschaft an. In der Praxis würden Compliance-Regeln häufig nur über die konzerneigene Homepage bekannt gemacht, so dass sich für die Tochter die Frage stelle, in welchen Fällen und in welchem Ausmaß die Regeln auch für sie gelten würden. Die Abwägung zwi-

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schen Gesellschaftsrecht und Aufsichtsrecht sei für die Tochter besonders problematisch. Sie stünde vielfach vor der Frage, inwieweit das Aufsichtsrecht im konkreten Einzelfall durchsickere. Poelzig erwiderte, dass sich das Aufsichtsrecht nicht ohne weiteres auf das Gesellschaftsrecht auswirke. Es bedürfe vielmehr einer Übersetzung in das Gesellschaftsrecht. Diese bestünde in der Legalitäts- und Legalitätskontrollpflicht, die sowohl Mutter als auch Tochter verpflichtete. An These 3 anknüpfend stellte Prof. Dr. Jochen Vetter (Hengeler Mueller) die Frage, ob sich aus Poelzigs Sicht auch die Tochter auf die konzernweite Legalitätskontrollpflicht der Mutter berufen und in der Konsequenz sogar Schadensersatzfordern könne, wenn die Mutter dieser nicht ausreichend nachkomme. Darüber hinaus bezog sich Vetter auf These 5 und wies darauf hin, dass die auf die Legalitätskontrolle und die Einhaltung des Rechts gerichteten Maßnahmen der Tochter der Konkretisierung bedürfen. Hierfür gelte seiner Meinung nach die Business Judgement RuleEr frage sich, ob insoweit noch Raum für eine Ermessensentscheidung der Tochter und die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule bleibt, wenn die Mutter konkrete Compliance-Maßnahmen vorgibt. Poelzig erwiderte, dass die Verpflichtung des Muttervorstands zur Legalitätskontrolle nur hinsichtlich des Muttervorstands bestünde. Einen einklagbaren (Schadensersatz-)Anspruch der Tochter gebe es hingegen nicht. Allerdings sei der Tochtervorstand gegenüber der Tochtergesellschaft durchaus verpflichtet, bei den Compliance-Maßnahmen der Mutter mitzuwirken und zu kooperieren. Die Business Judgement Rule sei ihrer Meinung nach nicht anzuwenden, da die Pflicht zu Compliance-Maßnahmen aus einer Legalitätspflicht resultiere. Nichtsdestoweniger existiere aber ein Beurteilungsspielraum, so dass die konkret vorzunehmenden Maßnahmen vom Einzelfall abhingen. An sechster Stelle stimmte Dr. Jens Riedel (Axel Springer SE) Poelzig zunächst darin zu, dass das Aufsichtsrecht das Gesellschaftsrecht überlagere. Er hinterfragte jedoch, inwiefern dies nicht auch aus den Umsetzungsnormen in das deutsche Recht herzuleiten sei. Dabei handle es sich schließlich um die spezielleren und jüngeren Regelungen. Möglicherweise gebiete dies eine einschränkende Auslegung der §§ 76, 93 AktG. Im daran anschließenden Wortbeitrag stellte Frau Dr. Hildegard Ziemons (Rechtsanwältin beim BGH) die (in ihren Worten) „ketzerische

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These“ auf, dass die aus These 4 folgende Legalitätskontrollpflicht möglicherweise die Verabschiedung der Konzernorganisationsfreiheit und des Trennungsprinzips gebiete. Sofern ein Beherrschungsvertrag nicht möglich sei, müsse eine Tochtergesellschaft möglicherweise schlicht als GmbH oder gar als Zweigniederlassung organisiert werden. Dies löse letztlich auch die Probleme, die sich im Ausland ergäben. Poelzig erwiderte auf Riedels Beitrag, dass sich die Frage nach dem Verhältnis des Gesellschaftsrechts zum originär nationalen Aufsichtsrecht vor allem dann stelle, wenn – was sie aber für die Verantwortlichkeit der Mutter für kapitalmarktrechtswidriges Verhalten ihrer Töchter ablehne – § 130 OWiG ins Spiel komme. Es handle sich hier – im Unterschied zum europäisch geprägten Kartell- und Finanzaufsichtsrecht – nicht zwingend um ein Vorrangverhältnis zwischen § 130 OWiG und dem Gesellschaftsrecht. Vielmehr müsse die Mutter alle ihr im Gesellschaftsrecht zur Verfügung stehenden Mittel ausnutzen. Eine Pflicht des Tochtervorstands zur Mitwirkung lasse sich in diesem Fall nicht begründen. Möglicherweise käme es dann sogar zu der von Frau Ziemons vorgeschlagenen Extremlösung. Als achtes meldete sich Herr Thomas Stoll (Jones Day) im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen Konzernrecht und KWG zu Wort. Früher habe die BaFin vor dem Hintergrund der Alleinverantwortung des Vorstands eines Kreditinstituts verlangt, dass das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens in einem Beherrschungsvertrag unter den ausdrücklichen, im Beherrschungsvertrag zu regelnden Vorbehalt gestellt wird, dass das herrschende Unternehmen bei seinen Weisungen die nach dem KWG bestehende Alleinverantwortung des Vorstands des herrschenden Unternehmens beachten und zudem keine Weisungen erteilen wird, deren Ausführung zur Folge hat, dass das abhängige Unternehmen oder dessen Organe gegen die ihnen durch aus dem KWG auferlegten Pflichten verstoßen. Er fragte daran anknüpfend, inwieweit sich dies geändert habe. Poelzig entgegnete, dass man dies in der Tat nicht mehr aufrechterhalten könne. Vielmehr verlange das Finanzaufsichtsrecht die Zulassung uneingeschränkter Beherrschungsverträge. Schließlich stimmte Prof. Dr. Gerd Krieger (Hengeler Mueller) zunächst Bachmann darin zu, dass es sich auch seines Erachtens um ein rein ökonomisches Theman handle. Das Atomrecht sei ein Beispiel dafür, dass die konzernweite Haftung nicht nur aus aufsichtsrechtlichen Gründen, sondern dort allein aus fiskalischen Gründen bestehe. Allerdings be-

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zweifle er die ökonomische Sinnhaftigkeit einer konzernweiten Haftung, da das Institut des Konzerns mit der Haftungstrennung der einzelnen Konzerngesellschaften und der großen Flexibilität der Leitungsstruktur eine enorme Errungenschaft darstelle. Die Aufweichung des Trennungsprinzips ziehe jedoch zwangsläufig eine enge Konzernführung nach sich. Damit sei ein für die Konzernführung nachteiliger Verlust an Flexibilität verbunden. Und weitere Eingriffe in das Prinzip der Haftungstrennung gefährdeten ein Fundament der Wirtschaftsordnung. Vor dieser Entwicklung könne er nur warnen. Poelzig stimmte insofern zu, als dass die Konzernhaftung sicherlich oft durch die Verhinderung von Zahlungsausfällen motiviert sei (Stichwort: „Wurstlücke“). Allerdings ginge die Haftung der wirtschaftlichen Einheit, wie sie der EuGH und nun auch § 81 Abs. 3a GWB vorsehe, über das hinaus, was notwendig sei, um das Problem der Zahlungsunfähigkeit anzugehen. Ihrer Meinung nach könne eine Konzernbußgeldhaftung nur an ein vorwerfbares Fehlverhalten der Mutter, wie etwa eine Aufsichtspflichtverletzung im Finanzaufsichtsrecht, anknüpfen.

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Der behauptete wichtige Grund als Grundlage für ein Stimmverbot in der Gesellschafterversammlung Dr. Thomas Trölitzsch Rechtsanwalt, Stuttgart I. Problemstellung . . . . . . . . . . 118 II. Zur Ausgangssituation in Gesellschafterversammlungen und bei sich anschließenden Beschlussmängelstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . 1. Personengesellschaftsrecht 2. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Rechtsschutzmöglichkeiten (im GmbH-Recht) III. Praktische Folgefragen, wenn der Stimmrechtsausschluss wegen eines „wichtigen Grundes“ für das Beschlussergebnis entscheidend ist . . . 1. „Minderheit wird Mehrheit“? . . . . . . . . . . . . . . a) Abberufung eines Mehrheitsgesellschafters als Geschäftsführer. . . . . . . . b) Einziehung der Geschäftsanteile des Mehrheitsgesellschafters . . . . . . . . . 2. „Mehrheit übergeht Rechtslage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Rechtsgrundlage für ein Stimmverbot wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes. . . . . . . . . . . . . . . . . 134 V. Überblick über den Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . 138 1. „Objektive“ Auffassung . . . . 138 2. Streng „subjektive“ Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

3. Eingeschränkt „subjektive“ Auffassung . . . . . . . . . . . . . . 4. Stark eingeschränkte „subjektive“ Auffassung . . . 5. Abstellen auf die rechnerische Mehrheit . . . . . . . . . . . 6. Stand der Rechtsprechung . .

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VI. Kriterien für einen konsistenten Lösungsvorschlag . . . 144 VII. Versammlungsleitung im GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . 1. Notwendigkeit eines Versammlungsleiters . . . . . . . . 2. Recht zur Bestellung eines Versammlungsleiters. . . . . . 3. Formen von Beschlussfeststellungen. . . . . . . . . . . . 4. Beschlussfeststellungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . a) Versammlungsleiter aufgrund von Satzungsregelungen . . . . . . . . . . . b) Ad hoc bestellte Versammlungsleiter. . . . . . . 5. Sinnvoll: Satzungsregelung VIII. Haftung des Versammlungsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgrundlage . . . . . . . . . 2. Haftungsmaßstab bzw. Haftungsbegrenzung . . . . . . 3. Mitverschulden . . . . . . . . . . 4. Ergebniskontrolle. . . . . . . . .

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IX. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 169

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I. Problemstellung Bei Gesellschafterstreitigkeiten kommt es häufig zu der Situation, dass in Gesellschafterversammlungen einer Personengesellschaft oder einer GmbH über Maßnahmen Beschluss gefasst wird, die aus wichtigem Grund gegenüber einem Gesellschafter getroffen werden sollen. Im GmbH-Recht sind dies insbesondere die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers und die (außerordentliche) Kündigung seines Dienstvertrages, ferner kann es um die Einziehung von Geschäftsanteilen wegen des Vorliegens eines wichtigen Grundes in der Person des betroffenen Gesellschafters oder um dessen Ausschluss aus wichtigem Grund gehen. Bei Personenhandelsgesellschaften (OHG/KG) ist dies der Fall, wenn es um den Entzug der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis (§§ 117, 127 HGB, vgl. auch §§ 712, 715 BGB) eines persönlich haftenden Gesellschafters oder um den Ausschluss eines Gesellschafters (§§ 140 Abs. 1 Satz 1, 133 HGB) geht. In all diesen Fällen hat der „wichtige Grund“ eine doppelte Bedeutung: Er ist zum einen materielles Tatbestandsmerkmal in der Sache, sein Vorliegen also Voraussetzung dafür, dass eine bestimmte Rechtsfolge überhaupt eintreten kann. Zugleich entspricht es allgemeiner Auffassung, dass der betroffene Gesellschafter bei einer Beschlussfassung über eine Maßnahme aus wichtigem Grund, die sich gegen ihn richtet, vom Stimmrecht ausgeschlossen sein kann. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei diesen Beschlüssen um solche mit körperschaftsrechtlichem Charakter bzw. Maßnahmen der mitgliedschaftlichen Willensbildung, also um sog. „Sozialakte“, handelt, bei denen grundsätzlich die gesetzlichen Stimmverbote nicht eingreifen.1 Letzteres, d.h. die Annahme eines Stimmverbots, ist dabei unstreitig für den Fall, dass der „wichtige Grund“ im Zeitpunkt der Beschlussfassung tatsächlich vorlag und ein Gericht nun über die Wirksamkeit des Beschlusses bzw. die Wirksamkeit von Stimmabgaben bei der Beschlussfassung zu entscheiden hat. Dies hat der BGH jüngst in seinem Urteil vom 4.4.2017,2 in dem es um 1 Vgl. nur BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 210; BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209, 215; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 47 GmbHG Rz. 8211 und Drescher in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 47 GmbHG Rz. 161, 165, 171 m.w.N. 2 BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701 ff. = WM 2017, 1014 = ZIP 2017, 1065 = DB 2017, 1256 = BB 2017, 1297 = NZG 2017, 700 = NJW-RR 2017, 808 = DStR 2017, 1836 = DZWiR 2017, 433; Haase, BB 2017, 1807; Hippeli, EWiR 2017, 391; Paefgen/Sirovina, WuB 2017, 491; Römermann, GmbHR

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eine Beschlussfassung über die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers bei einer GmbH ging, an der der betroffene Geschäftsführer zu 51 % beteiligt war, unter einhelliger Zustimmung der Literatur entschieden.3 Ob ein „wichtiger Grund“ tatsächlich vorlag, steht in der Regel aber erst am Ende eines Rechtsstreits fest. Es ist daher höchst umstritten, unter welchen Voraussetzungen in der Versammlung bzw. bei der Beschlussfeststellung durch einen Versammlungsleiter ein entsprechendes Stimmverbot vorliegt bzw. angenommen werden kann. Diese Frage hat der BGH für das GmbH-Recht in der Entscheidung vom 4.4.2017 unter ausführlicher Wiedergabe des Streitstands in Rechtsprechung und Literatur offen gelassen und für seinen Fall auch offen lassen4 können. Für die Praxis ist aber gerade diese Frage von großer Bedeutung.5 Dabei geht es insbesondere darum, wie sich ein evtl. Versammlungsleiter bei einer Beschlussfeststellung zu verhalten hat. Es geht damit zugleich darum, wer in einer sich an eine streitige Beschlussfassung anschließenden Beschlussmängelstreitigkeit, aufgrund einer in der Versammlung erfolgten Beschlussfeststellung, die „Klagelast“ trägt, also gegen den festgestellten Beschluss vorgehen muss. Durch die Annahme eines Stimmverbots wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes in der Versammlung werden zudem vorläufig Fakten geschaffen, da auch mängelbehaftete Beschlüsse, solange kein Nichtigkeitsgrund vorliegt, zunächst rechtswirksam sind und deshalb ggf. auch im Handelsregister eingetragen werden.6 Bei allem gilt nach h.M. auch ein von der rechnerischen Mehrheit (ohne Berücksichtigung von Stimmverboten) abweichend festgestelltes Beschlussergebnis als vorläufig verbindlich. Diesen Fragestellungen soll nachfolgend im Einzelnen nachgegangen und dazu ein Lösungsvorschlag unterbreitet werden, der zum einen Eingriffe in Gesellschafterrechte durch bloße Behauptungen erschwert, umgekehrt aber dem weitgehend anerkannten Bedürfnis Rechnung trägt, je-

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2017, 1121, 1125 f.; C. Kunkel/O. Kunkel, jurisPR-HaGesR 6/2017 Anm. 2 sowie eingehend Karsten Schmidt, GmbHR 2017, 670 ff. und Altmeppen, ZIP 2017, 1185 ff; vgl. auch schon Fischer, BB 2013, 2819 ff. und Ensenbach, GmbHR 2016, 8 ff. Zu dem Urteil vgl. auch schon oben den Rechtsprechungsbericht von Drescher. Vgl. BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701 Rz. 11 ff. Altmeppen, ZIP 2017, 1185 ff.; Noack, GmbHR 2017, 792, 797 f.; Römermann, GmbHR 2017, 1121, 1126. Bayer in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, Anh zu § 47 GmbHG Rz. 38.

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denfalls auch GmbH-Beschlussmängelstreitigkeiten möglichst weitgehend im System der fristgebundenen Anfechtungsklage austragen zu können.

II. Zur Ausgangssituation in Gesellschafterversammlungen und bei sich anschließenden Beschlussmängelstreitigkeiten Die Rechtslage bei Personenhandelsgesellschaften und GmbHs unterscheidet sich im Hinblick auf Beschlussfassungen „aus wichtigem Grund“ sowohl im materiellen Recht wie im Beschlussmängelrecht7 deutlich:

1. Personengesellschaftsrecht Wenn und soweit im Personengesellschaftsrecht das Gesetz bestimmte Entscheidungen vom Vorliegen eines wichtigen Grundes abhängig macht, so ist, sofern der Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung trifft, für die materielle Rechtsänderung nicht der Beschlusszeitpunkt, sondern der Zeitpunkt der „gerichtlichen Entscheidung“, also der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung über eine entsprechende Maßnahme, entscheidend. So kann die Befugnis zur Geschäftsführung einem Gesellschafter auf Antrag der übrigen Gesellschafter „durch gerichtliche Entscheidung“ entzogen werden (§ 117 HGB; entsprechendes gilt für die Vertretungsmacht § 127 HGB) und § 140 Abs. 1 Satz 1 HGB bestimmt durch Verweis auf § 133 HGB, dass bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Person eines Gesellschafters vom Gericht die Ausschließung dieses Gesellschafters aus der Gesellschaft ausgesprochen werden kann, sofern die übrigen Gesellschafter dies beantragen. In den genannten Fällen entscheidet das Gericht durch Gestaltungsurteil8, d.h. die Wirkung tritt erst mit Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung unmittelbar ein. Bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung gibt es also keine, auch keine vorläufige Rechtsänderung. Das Problem, ob und unter welchen Voraussetzungen die Behauptung 7 Zu Beschlussmängeln im GmbH- und Personengesellschaftsrecht vgl. schon eingehend Herchen, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 83 ff. 8 Vgl. nur Roth in Baumbach/Hopt, 37. Aufl. 2016, § 140 HGB Rz. 22 und § 127 HGB Rz. 8 sowie § 117 HGB Rz. 9; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 127 HGB Rz. 8, 20 ff. und § 140 HGB Rz. 64.

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eines wichtigen Grundes in der Gesellschafterversammlung zu einem Stimmverbot führt, stellt sich also so im Personengesellschaftsrecht nicht, da letztlich die materielle Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung entscheidend ist. Bis dahin bleibt die Möglichkeit, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes (§§ 935, 940 ZPO) eine vorläufige Regelung herbeizuführen, z.B. durch vorläufige Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis gem. §§ 117, 127 HGB.9 Im Übrigen führen Beschlussmängel – sofern es der Gesellschaftsvertrag nicht abweichend regelt und etwa bei Beschlussmängeln eine Klage gegen die Gesellschaft unter Einhaltung einer Klagefrist vorsieht10 – stets zur Nichtigkeit des Beschlusses, die im Wege einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO gegen die Mitgesellschafter geltend gemacht werden muss.11 Bis dahin gilt, dass derjenige, der aus einem Gesellschafterbeschluss die für sich günstigere Rechtsfolge herleitet, die wirksame Beschlussfassung zu beweisen hat.12 Das vom BGH in seiner Entscheidung vom 4.4.2017 offengelassene und nicht nur bei Entscheidungen über die Abberufung eines GesellschafterGeschäftsführers aus wichtigem Grund, sondern auch für andere Beschlussfassungen, die gegenüber einem Gesellschafter aus wichtigem Grund ergehen, bestehende Problem stellt sich daher im Personengesellschaftsrecht so nicht. Ursächlich hierfür ist, dass die Gesellschaften vor dem Hintergrund der grundsätzlich bestehenden persönlichen Haftung der Gesellschafter, des Grundsatzes der Selbstorganschaft und des gesetzlichen Einstimmigkeitsprinzips bei § 709 Abs. 1 BGB und § 119 HGB (gegenüber dem Mehrheitsprinzip in § 47 Abs. 1 GmbHG) anders strukturiert sind13 und Rechtsänderungen – soweit nicht abweichend geregelt –

9 Dazu etwa Drescher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2012, § 935 ZPO Rz. 44 ff., 49 ff.; Lutz, Der Gesellschafterstreit, 5. Aufl. 2017, Rz. 805, 897. 10 Zur Möglichkeit einer Übernahme des kapitalgesellschaftsrechtlichen Systems bei einer Personengesellschaft vgl. BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, NJW 2011, 2578, 2580 Rz. 21 und OLG München v. 26.9.2012 – 7 U 2565/11, BeckRS 2012, 20321. 11 Vgl. etwa OLG Stuttgart v. 19.12.2012 – 14 U 11/12, BeckRS 2013, 04339; Henssler/Strohn/Finckh, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 119 Rz. 60; a.A.: Karsten Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 217 ff. 12 Roth in Baumbach/Hopt/, 37. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 31 a.E. unter Hinweis auf BGH v. 19.1.1987 – II ZR 158/86, NJW 1987, 1262 f.; Enzinger in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 97. 13 So auch Pentz, GmbHR 2017, 801, 805.

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auch bei einem wichtigen Grund erst mit der gerichtlichen Entscheidung eintreten.

2. GmbH-Recht Die Rechtslage im GmbH-Recht ist dadurch geprägt, dass bei Beschlussmängeln in Anlehnung an das Aktienrecht und die Regelungen in den §§ 241 ff. AktG zwischen Nichtigkeitsgründen und sonstigen inhaltlichen und formellen Beschlussmängeln differenziert wird, die nach herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung nur im Wege der fristgebundenen Anfechtungsklage geltend gemacht werden können. Voraussetzung dafür ist, dass es einen Beschluss mit festgestelltem Inhalt gibt.14 Mit Ablauf der Anfechtungsfrist, die – soweit der Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes regelt – grundsätzlich (entsprechend § 246 Abs. 1 AktG) einen Monat beträgt, wird also ein festgestellter Beschluss bestandskräftig, es sei denn, dass ein Nichtigkeitsgrund vorliegt. Im Gegensatz zum Personengesellschaftsrecht treten grundsätzlich auch die materiellen Rechtsänderungen, wie das Ende des Amtes bei der Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers oder der Verlust der Gesellschafterstellung bei der Einziehung der Geschäftsanteile eines Gesellschafters, bei Anwesenheit des Betroffenen schon mit der Beschlussfassung,15 gegenüber abwesenden Gesellschaftern unmittelbar mit der Bekanntgabe des wirksam gefassten Beschlusses ein.16 Es muss also keine gerichtliche Entscheidung über eine Gestaltungsklage vorliegen, sondern die materiellen Folgen des Beschlusses treten, wenn auch nur mit vorläufiger Verbindlichkeit, schon mit der Beschlussfeststellung ein, es sei

14 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317 (318); Herchen, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 83, 89; vgl. Altmeppen, GmbHR 2018, 225; krit. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 GmbHG Rz. 311. 15 Seit Aufgabe der sog. „Bedingungslösung“ durch den BGH (Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, GmbHR 2012, 387 m. Anm. Münnich = ZIP 2012, 422 ff.; dazu etwa Fastrich in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 34 GmbHG Rz. 4211; Trölitzsch, KSzW 2013, 55 ff.; einschränkend BGH v. 10.5.2016 – II ZR 342/14, GmbHR 2016, 754 m. Anm. Münnich = NZG 2016, 742 ff.) gilt das auch für die Einziehung der Geschäftsanteile eines Gesellschafters. 16 Wird über die Erhebung einer Ausschließungsklage Beschluss gefasst, so lässt sich ein Stimmverbot schon aus § 47 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 GmbHG begründen und der Rechtsverlust tritt erst durch gerichtliches Urteil ein, vgl. BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 174 ff.; Lutter/Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 34 GmbHG Rz. 65 m.w.N.

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denn, dass Nichtigkeitsgründe vorliegen. Derjenige, der daher eine Beschlussfeststellung treffen kann, trifft deshalb im GmbH-Recht eine weitreichende vorläufige Entscheidung, insbesondere über die Klagelast. Nachdem in der Rechtsprechung seit Langem anerkannt ist, dass die aktienrechtlichen Vorschriften der §§ 241 ff. AktG über Beschlussmängelstreitigkeiten bei der GmbH entsprechend Anwendung finden, soweit dies mit der Struktur der GmbH vereinbar ist17 und diese richterliche Rechtsfortbildung heute jedenfalls in der Praxis nicht mehr in Zweifel gezogen wird,18 wird im GmbH-Recht auf die allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO zur Klärung von Streitigkeiten über das Zustandekommen eines Beschlusses nur dann zurückgegriffen, wenn es keine (wirksame) Beschlussfeststellung gibt.19 Anders gewendet verdrängt die Anfechtungsklage die allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO, wenn und soweit eine vorläufig verbindliche Beschlussfeststellung durch einen (wirksam bestellten) Versammlungsleiter vorliegt. Begründet wird dies zum einen damit, dass bei fehlender Beschlussfeststellung unter den Beteiligten nicht klar wäre, wogegen sich eine Anfechtung zu richten hätte,20 zum anderen damit, dass es sich bei Anfechtungsund Nichtigkeitsklagen analog §§ 241 ff. AktG um speziellere und deshalb vorrangige Klagearten handele.21 Das ist allerdings nur dann richtig, wenn man mit der ganz h.M. die §§ 241 ff. AktG entsprechend anwendet. Der Vorteil der Anfechtungsklage gegenüber der allgemeinen Feststellungsklage liegt dann vor allem in der Verpflichtung, die Klage innerhalb der Anfechtungsfrist zu erheben, während es eine solche feste Frist

17 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 ff. = AG 1988, 15 = GmbHR 1988, 18; vgl. schon RG v. 20.1.1941 – II 96/40, RGZ 166, 129, 131 ff.; BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231; BGH v. 10.6.1991 – II ZR 234/89, GmbHR 1991, 362 und BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426 sowie Wertenbruch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 GmbHG Rz. 1, 120 ff.; Leinekugel in BeckOK/GmbHG, 33. Edition, Stand 1.8.2017, Anh. Beschlussanfechtung Rz. 51 ff., 131 ff.; krit. Zöllner/Noack, ZGR 1989, 525 ff.; Casper, ZHR 163 (1999), 54 f. und Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 GmbHG Rz. 3 ff. 18 Vgl. auch Noack, GmbHR 2017, 792, 794: „Messe gelesen“. 19 OLG Stuttgart v. 25.10.2011 – 8 W 387/11, NZG 2011, 1301 f.; OLG München v. 23.2.2017 – 23 U 4888/15, GmbHR 2017, 476 Rz. 38 unter Hinweis auf BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, ZIP 2016, 817 Rz. 32. 20 Vgl. etwa OLG Köln v. 16.5.2002 – 18 U 31/02, GmbHR 2002, 913 f. 21 So etwa OLG Koblenz v. 17.11.2005 – 6 U 577/05, NZG 2006, 270 für die Nichtigkeitsklage.

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bei der Feststellungsklage nicht gibt, sondern nur die Grundsätze der Verwirkung eingreifen.22 Der Umstand, dass im Falle einer erfolgreichen Anfechtungsklage der Beschluss mit inter omnes Wirkung rückwirkend beseitigt wird (§§ 248 Abs. 1, 241 Nr. 5 AktG) und Klagegegner anders als im Personengesellschaftsrecht nicht die anderen Gesellschafter, sondern die Gesellschaft ist, unterscheidet hingegen die Anfechtungsklage in der GmbH nicht von Feststellungsklagen nach § 256 ZPO, die mangels einer wirksamen Beschlussfeststellung erhoben werden müssen. Auch insoweit ist nämlich in der Rechtsprechung und h.M. anerkannt,23 dass wenn bei einer GmbH auf eine gerichtliche Feststellungsklage hin durch Urteil ein Beschluss gegenüber der Gesellschaft festgestellt wird, dies ebenfalls analog § 248 AktG gegen jedermann gilt. Bei entsprechendem Feststellungsbedürfnis ist umgekehrt auf Seiten der GmbH gegen einen widersprechenden Gesellschafter eine Feststellungsklage möglich, wenn der betreffende Gesellschafter etwa eine bestimmte Beschlussfassung bzw. eine bestimmte Rechtsfolge zu Unrecht bestreitet oder behauptet.24 Erfolgt allerdings nach entsprechenden Beschlussfassungen in einer GmbH keine Beschlussfeststellung (weil es entweder keinen feststellungsberechtigten Versammlungsleiter gibt oder dieser – was er darf – auf eine Feststellung verzichtet), so tritt faktisch die gleiche Situation 22 Im Personengesellschaftsrecht kann dies schon nach 3 bis 6 Monaten seit der Beschlussfassung der Fall sein, wenn auch das Umstandsmoment gegeben ist (vgl. etwa OLG Stuttgart v. 17.3.2014 – 14 U 52/13, GmbHR 2015, 309 und BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/99); vgl. auch BGH v. 1.3.1999 – II ZR 205/98, GmbHR 1999, 477 f., wonach die Erhebung einer Feststellungsklage nach 10 Monaten unabhängig vom Zeitmoment dann noch möglich ist, wenn das Umstandsmoment nicht gegeben ist. 23 Römermann in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, Anh. § 47 GmbHG Rz. 593; Wertenbruch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 GmbHG Rz. 292; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 GmbHG Rz. 182; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 47 GmbHG Rz. 132; vgl. auch K. Schmidt, GmbHR 1992, 9, 12 und OLG München v. 27.3.1996 – 7 U 6037/95, GmbHR 1996, 451 f. sowie BGH v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 199 = AG 1980, 187; a.A. (Beschränkung der Rechtskraft auf die Prozessparteien) Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, Großkomm/GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 GmbHG Rz. 283. 24 OLG Zweibrücken v. 29.6.1998 – 7 U 259/97, GmbHR 1999, 79 f.; vgl. auch BGH v. 1.3.1999 – II ZR 205/98, GmbHR 1999, 477 f. zur Klage auf Feststellung, dass der beklagte Gesellschafter nicht mehr Geschäftsführer der klagenden GmbH ist.

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wie im Personengesellschaftsrecht ein: Das Vorliegen eines Beschlussmangels bzw. die Wirksamkeit des Beschlusses muss über Feststellungsklagen geklärt werden. Die gerichtliche Entscheidung ist dann allerdings kein Gestaltungsurteil, da die Rechtsänderung nicht erst mit der Rechtskraft des Urteils eintritt, sondern auf die nicht fristgebundene Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO hin rückwirkend festgestellt wird, dass ein bestimmter Beschluss gefasst wurde oder nicht.25 Praktisch unterscheiden sich die Situationen aber nicht, da – von Eingriffen durch gerichtliche Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz abgesehen (die wie im Personengesellschaftsrecht während eines laufenden Rechtsstreits über Maßnahmen nach §§ 117, 127 HGB bzw. 712, 715 BGB ergriffen werden können26) – vorläufig kein Verlust einer Rechtsposition, also etwa der Gesellschafterstellung und/oder der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis bzw. der Geschäftsführerposition eintritt. Neben dem Fall der fehlenden Beschlussfeststellung sind im GmbHRecht weitere Sonderkonstellationen anerkannt, in denen bei Maßnahmen aus wichtigem Grund letztlich die materielle Rechtslage entscheidend ist, also eine Rechtsänderung (abweichend von dem vorstehend geschilderten Grundsatz) nicht schon mit der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung eintritt. Ein praktisch wichtiger Fall ist die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers (ohne Sonderrecht) in einer personalistischen GmbH, insbesondere einer Zwei-Personen-Gesellschaft.27 Hier gilt nicht nur, dass die Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes besonders hoch sind, sondern es ist vor allem anerkannt, dass die Wirksamkeit einer Abberufung aus wichtigem Grund von der materiellen Rechtslage abhängt und der bis zur gerichtlichen Entscheidung in der Sache eintretende Schwebezustand eben hin25 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 GmbHG Rz. 118 ff., 124, 181. 26 Drescher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2012, § 935 ZPO Rz. 52 f.; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 38 GmbHG Rz. 58, 69 m.w.N.; vgl. auch Liebscher/Aller, ZIP 2015, 1, 5. 27 Grdl. BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177 ff.; OLG Stuttgart v. 18.2.1992 – 20 W 11/97, GmbHR 1997, 312 f.; OLG München v. 18.10.2010 – 7 U 3343 Rz. 10; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 38 GmbHG Rz. 31; Oppenländer, DStR 1996, 426; gegen eine Sonderbehandlung der zweigliedrigen GmbH jetzt ausführlich Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1070, die einen Sonderfall ablehnen und stets auf das (objektive) Vorliegen der „materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen im Zeitpunkt des Abberufungsbeschlusses“ abstellen.

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zunehmen sei.28 Eine Abberufung ist also in solchen Fällen weder in entsprechender Anwendung des § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG sofort wirksam, noch tritt die Wirksamkeit der Abberufung in entsprechender Anwendung der §§ 117, 127 HGB erst mit rechtskräftiger Entscheidung ein, sondern es kommt darauf an, ob materiell die Abberufung im Beschlusszeitpunkt berechtigt oder unberechtigt ist. Solange allerdings noch keine rechtskräftige Entscheidung hierüber vorliegt, scheidet jedenfalls die Eintragung der Abberufung des Geschäftsführers im Handelsregister ebenso aus,29 wie allein aus einer evtl. gleichwohl erfolgten Beschlussfeststellung keine vorläufige Verbindlichkeit des Beschlusses abgeleitet werden kann, weil eben alleine die objektiv von vorneherein feststehende materielle Rechtslage entscheidend für die Wirksamkeit der Abberufung ist.30 Ein weiterer Sonderfall liegt schließlich nach h.M.31 bei Beschlüssen über die Abberufung von Geschäftsführern mit Sonderrecht (§ 35 BGB) auf Geschäftsführung vor. Diese ist nach § 38 Abs. 2 Satz 1 GmbHG nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich. Richtigerweise32 ist dabei zwischen der „abstrakten“ und analog § 35 BGB der Zustimmung des Sonderrechtsinhabers bedürfenden Abschaffung des Sonderrechts in der Satzung (also der Satzungsänderung) und der konkreten Abberufung des aufgrund des Sonderrechts bestellten Geschäftsführers zu unterscheiden. Letztere ist bei tatsächlichem Vorliegen eines wichtigen Grundes auch ohne Satzungsänderung möglich. Es ist daher auch unzutreffend,33 dass die Formvorschrift des § 53 Abs. 2 GmbHG zu beachten sei, weil die 28 Grdl. BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 181 ff. = GmbHR 1983, 149; Stephan/Tieves in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 38 GmbHG Rz. 146, 148, 154; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 38 GmbHG Rz. 31; a.A. Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 38 GmbHG Rz. 80; Grunewald in FS Zöllner 1998, Band 1, S. 177, 185 f. 29 OLG München v. 18.8.2011 – 31 Wx 300/11, GmbHR 2011, 1102; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 38 GmbHG Rz. 31. 30 So BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 182. 31 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 38 GmbHG Rz. 50 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 38 GmbHG Rz. 34; Altmeppen in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 38 GmbHG Rz. 63 f.; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 38 GmbHG Rz. 66; offen gelassen in BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 181; vgl. jetzt dazu eingehend Pentz, GmbHR 2017, 801 ff. 32 Vgl. Pentz, GmbHR 2017, 801, 807 ff. m.w.N. 33 So aber OLG Nürnberg v. 10.11.1999 – 12 U 813/99, GmbHR 2000, 563 f.

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Satzungsregelung selbst von der Abberufung nicht tangiert wird. In diesen Fällen wird von der wohl herrschenden Meinung34 gleichwohl die Auffassung vertreten, dass von einem einstweiligen Fortbestand der Geschäftsführerstellung bis zu einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über das tatsächliche Vorliegen eines wichtigen Grundes auszugehen sei, weil ansonsten in die nach der Satzung dem Geschäftsführer nur mit seiner Zustimmung oder bei tatsächlichem Vorliegen eines wichtigen Grundes entziehbare Sonderstellung eingegriffen werde.35

3. Weitere Rechtsschutzmöglichkeiten (im GmbH-Recht) Ein von einer gegen ihn ergangenen Beschlussfassung, bei der ein Stimmverbot aus „wichtigem Grund“ angenommen wurde, betroffener Gesellschafter kann und muss zur Wahrung seiner Rechte neben einer Anfechtungs- bzw. positiven Beschlussfeststellungsklage im Hinblick auf den Beschluss weitere Schritte ergreifen, um Nachteile zu verhindern. Zu denken ist dabei an Anträge bzw. Anregungen bei dem für die Gesellschaft zuständigen Registergericht, sowie Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (§§ 935, 940 ZPO).36 Beim Registergericht kommt ein Antrag auf Aussetzung des Eintragungsverfahrens nach §§ 21, 381 FamG in Betracht, insbesondere bei einer Beschlussfassung über die Abberufung des Geschäftsführers.37 Ein 34 Dazu Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 38 GmbHG Rz. 34; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, Großkomm/GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 38 GmbHG Rz. 216; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 38 GmbHG Rz. 60a, 66 und Altmeppen in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 38 GmbHG Rz. 63 f. sowie Grunewald in FS Zöllner, 1998, Band 1, S. 177, 189 f. und Kubis in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 387, 402; offengelassen in BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 181 = GmbHR 1983, 149. 35 Kritisch hierzu Pentz, GmbHR 2017, 801, 809, der den betroffenen Geschäftsführer auf die Möglichkeit der Anfechtungsklage verweist und anführt, dass so ein unzumutbarer Schwebezustand hinsichtlich der Geschäftsführerstellung vermieden wird (unter Hinweis auf die Überlegung des BGH zur sofortigen Wirksamkeit der Einziehung von Geschäftsanteilen im Urteil BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 ff. = GmbHR 2012, 387 m. Anm. Münnich). 36 Vgl. oben Fn. 26 und Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 38 GmbHG Rz. 35a ff. 37 OLG München v. 18.8.2011 – 31 Wx 300/11, GmbHR 2011, 1102 = ZIP 2011, 2057 Rz. 8, 12; OLG Frankfurt v. 15.3.2016 – 20 W 330/15; vgl. auch Hübner, NZG 2016, 933 ff.

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solcher Antrag bzw. eine solche Anregung ist sinnvoll, obwohl Eintragungen im Register nur deklaratorisch sind, da sowohl nach außen (vgl. § 15 Abs. 1 HGB) als auch intern bei Bekanntwerden einer Eintragung erhebliche Nachteile für den Betroffenen entstehen können. Ob das Registergericht ein Eintragungsverfahren aussetzt, steht allerdings grundsätzlich in dessen pflichtgemäßem Ermessen, weshalb es dringend geboten ist, dass der von einer Maßnahme betroffene Gesellschafter hier aktiv wird. In welchem Umfang das Registergericht eine Prüfungspflicht hat, ist ebenfalls umstritten. Von der wohl überwiegenden Meinung wird aber nur ein formelles Prüfungsrecht des Registergerichts38 angenommen, d.h. der Registerrichter hat nicht, auch nicht überschlägig, zu prüfen, ob ein wichtiger Grund tatsächlich vorlag.39 Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Ausführung und Umsetzung von Beschlüssen über Maßnahmen, die gegen einen Gesellschafter „aus wichtigem Grund“ getroffen werden sollen, ist ebenfalls in vielfacher Weise möglich. So ist es (wenn auch nur in Ausnahmefällen) schon vor der Gesellschafterversammlung möglich, die Untersagung der Gesellschafterversammlung,40 die Untersagung der Stimmabgabe bzw. eine Verpflichtung zur Stimmabgabe in einem bestimmten Sinn (positive Stimmpflicht)41 oder die Untersagung der Wahl eines (bestimmten) Versammlungsleiters42 zu beantragen. Auch die Untersagung der Beschlussfeststellung durch einen schon bekannten oder noch zu wählenden Versammlungsleiter kann Gegenstand einer gerichtlichen einstweiligen Verfügung sein, nicht aber dessen Verpflichtung, bestimmte oder über38 OLG Karlsruhe v. 28.4.2016 – 11 W 31/16 (Wx), NZG 2016, 946 Rz. 13; KG v. 3.6.2016 – 22 W 20/16, GmbHR 2016, 927 Rz. 8, RNotZ 2016, 606; OLG Hamburg v. 24.9.2014 – 11 W 47/14, GmbHR 2014, 1321 = NJW-RR 2015, 234 Rz. 10; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 39 GmbHG Rz. 10. 39 Anders für den Fall, dass sich die Treu- oder Rechtswidrigkeit des Beschlusses aufdrängt, OLG Frankfurt v. 6.11.2008 – 20 W 385/00, GmbHR 2009, 378 f. 40 OLG Frankfurt v. 15.12.1981 – 5 W 9/81, GmbHR 1982, 237; OLG Jena v. 4.12.2001 – 8 U 751/01, NZG 2002, 89 Rz. 6 (nicht wenn Verfügungsanspruch fehlt); OLG Koblenz v. 25.10.1990 – 6 U 238/90, GmbHR 1991, 21 Rz. 20. 41 OLG München v. 13.9.2006 – 7 U 2912/06, AG 2007, 335 = ZIP 2006, 2334 Rz. 28, 29 f.; OLG Koblenz v. 25.10.1990 – 6 U 238/90, GmbHR 1991, 21 Rz. 22; OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 65/91, NJW 1992, 186 Rz. 2 = GmbHR 1991, 467 m. Anm. Schmidt; BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276 = GmbHR 1986, 426. 42 BGH v. 21.6.2010 – II ZR 230/08, GmbHR 2010, 977 m. Anm. Münnich = DStR 2010, 1997.

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haupt Feststellungen zu treffen.43 Ob es auch möglich ist, wie im Aktienrecht,44 gerichtlich einen „neutralen“ Versammlungsleiter bestellen zu lassen, ist hingegen zweifelhaft, da das Gesetz im Unterschied zur Aktiengesellschaft bei der GmbH einen Versammlungsleiter nicht als zwingend erforderlich ansieht. Eine solche Möglichkeit dürfte daher nur dann in Betracht kommen, wenn die Satzung der GmbH die Wahl eines Versammlungsleiters vorsieht, die nach der Satzungsregelung vorgesehene oder konkret zur Wahl anstehende Person jedoch objektiv ungeeignet ist. Nach einer Beschlussfassung über eine Maßnahme aus wichtigem Grund gegenüber einem Gesellschafter kann einstweiliger Rechtsschutz in vielfacher Form beantragt und gewährt werden, etwa dadurch, dass der Geschäftsführung die Vornahme einer bestimmten Handelsregisteranmeldung (vgl. § 16 Abs. 2 HGB) bzw. die Einreichung einer neuen Gesellschafterliste45 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung untersagt oder eine einstweilige Regelung der Geschäftsführungs- und/oder Vertretungsbefugnisse46 (positiv etwa: Zugang zu Geschäftsräumen, weitere Ermöglichung der Geschäftsführungstätigkeit; negativ etwa: Entzug der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis beim Geschäftsführer bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Beschlussmän43 OLG Köln v. 9.3.2017 – 18 U 19/16, NZG 2017, 1344 Rz. 275 = AG 2017, 351; OLG Düsseldorf v. 11.11.2008 – I-6 W 62/08, BeckRS 2009, 08571; OLG Hamm v. 28.5.2009 – 4 U 60/09, BeckRS 2009, 19343. 44 AG Köln v. 17.3.2017 – HRB 556, BeckRS 2017, 106548 (gerichtl. bestellter Versammlungsleiter); OLG Köln v. 16.6.2015 – 18 Wx 1/15, AG 2015, 716 = NZG 2015, 1118. 45 OLG München v. 13.9.2006 – 7 U 2912/06, ZIP 2006, 2334 Rz. 35 = AG 2007, 335; KG v. 10.12.2015 – 23 U 99/15, GmbHR 2016, 416 Rz. 15 f.; OLG Hamburg v. 24.9.2014 – 11 W 47/14, GmbHR 2014, 1321 Rz. 10; OLG Hamm v. 6.7.1992 – 8 W 18/92, GmbHR 1993, 163. 46 Positiv: OLG München v. 17.1.2013 – 23 U 4421/12, GmbHR 2013, 369 Rz. 10 f. (Zugang zu Geschäftsräumen); OLG Celle v. 1.4.1981 – 9 U 195/80, GmbHR 1981, 264 und Lutz, Der Gesellschafterstreit, 5. Aufl. 2017, Rz. 205, 805 ff., 900; Drescher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2012, § 935 ZPO Rz. 53. Negativ: OLG Naumburg v. 21.11.2013 – 1 U 105/13, GmbHR 2014, 714 Rz. 7 (Entzug der Vertretungsbefugnis); KG v. 11.8.2011 – 23 U 114/11, GmbHR 2011, 1272 Rz. 16 (Tätigkeitsverbot); OLG München v. 17.1.2013 – 23 U 4421/12, GmbHR 2013, 369 Rz. 12 (Verbot Ausübung der Organtätigkeit); OLG München v. 10.12.2012 – 23 U 4354/12, GmbHR 2013, 714 Rz. 14, und KG v. 11.8.2011 – 23 U 114/11, GmbHR 2011, 1272 (Tätigkeitsverbot und Verbot Ausübung der Organtätigkeit); OLG München v. 17.1.2013 – 23 U 4421/12, GmbHR 2013, 369 Rz. 12 (Hausverbot).

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gelstreitigkeit bzw. allgemeines Tätigkeitsverbot und Verbot der Ausübung der Organtätigkeit, Hausverbot) begehrt wird. Auch insoweit bestehen für den betroffenen Gesellschafter aber stets Unsicherheiten, die sich z.T. aus dem summarischen Charakter des einstweiligen Rechtsschutzes, z.T. auch aus faktischen Problemen etwa bei der Darlegung der Dringlichkeit, ergeben können.

III. Praktische Folgefragen, wenn der Stimmrechtsausschluss wegen eines „wichtigen Grundes“ für das Beschlussergebnis entscheidend ist In einer streitigen Gesellschafterversammlung und bis zu einer (rechtskräftigen) gerichtlichen Entscheidung entscheidet die Frage, ob ein Stimmverbot wegen Vorliegens eines „wichtigen Grundes“ angenommen wird, der Versammlungsleiter, wenn er eine (wirksame) Beschlussfeststellung trifft. Die sich aus seiner vorläufigen verbindlichen Entscheidung über das Vorliegen eines Stimmverbots ergebenden Folgefragen lauten deshalb: Ist es möglich, dass ein Mehrheitsgesellschafter oder eine Gesellschaftermehrheit durch die bloße Behauptung eines wichtigen Grundes um ihr Stimmrecht gebracht und so bei entsprechenden Beschlüssen die „Minderheit zur Mehrheit“ wird? Und umgekehrt: Kann ein Mehrheitsgesellschafter trotz tatsächlichem oder wahrscheinlichem Vorliegen eines wichtigen Grundes in seiner Person durch die Übernahme oder Bestimmung der Versammlungsleitung und die Art der Beschlussfeststellung bis zu einem rechtskräftigen Abschluss eines jahrelangen Rechtsstreits verhindern, dass Maßnahmen aus wichtigem Grund gegen ihn beschlossen und umgesetzt werden? Beides sind nicht nur theoretische Fragestellungen, sondern Konstellationen, die in Gesellschafterstreitigkeiten häufig auftreten und bei denen durch das Verhalten der Beteiligten vor und in der Gesellschafterversammlung, vor allem aber durch die Beschlussfeststellung eines Versammlungsleiters, vorläufige Fakten geschaffen werden, die für den Verlauf und den Ausgang eines Gesellschafterstreits entscheidend sein können. An drei Beispielen soll dies verdeutlicht werden:

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1. „Minderheit wird Mehrheit“? a) Abberufung eines Mehrheitsgesellschafters als Geschäftsführer Gesellschafter A ist mit 49 % an einer GmbH beteiligt, bei der er und der 51%ige Mehrheitsgesellschafter B Geschäftsführer sind. In einer Gesellschafterversammlung, in der A (aufgrund einer Satzungsregelung oder einvernehmlich) die Versammlungsleitung übernimmt, wird auf dessen Antrag hin über die Abberufung des Mehrheitsgesellschafters B als Geschäftsführer aus wichtigem Grund Beschluss gefasst. Nach kurzer Diskussion stimmt der Minderheitsgesellschafter A für und der Mehrheitsgesellschafter B gegen den Beschlussantrag. A stellt als Versammlungsleiter fest, dass der Mehrheitsgesellschafter abberufen sei, und gibt dies auch bekannt. Ebenso wird im Anschluss die außerordentliche Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrages des Mehrheitsgesellschafters B beschlossen und festgestellt. Minderheitsgesellschafter A kann nur als Geschäftsführer den von ihm festgestellten Abberufungsbeschluss selbst zum Handelsregister anmelden mit der Folge, dass nun B innerhalb der Monatsfrist (analog § 246 Abs. 1 AktG) gezwungen ist, Anfechtungsklage gegen den Abberufungsbeschluss zu erheben. Beim Registergericht kann und muss er unter Hinweis auf die Anfechtungsklage eine Aussetzung des Eintragungsverfahrens (§§ 21, 381 FamFG) beantragen und vorsorglich auch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (gegen die Gesellschaft) stellen, um sicher zu gehen, dass er sein Amt trotz der Beschlussfassung und der Beschlussfeststellung bis zu einer Entscheidung über die Anfechtungsklage weiter ausüben kann. Der Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung hätte dann nach § 16 Abs. 2 HGB zudem zur Folge, dass das Registergericht hieran gebunden ist und keine Eintragung der Amtsbeendung vornehmen darf. Selbst wenn man einwenden mag, dass eine solche Verfügung jedenfalls dann, wenn ein wichtiger Grund nicht eindeutig vorliegen sollte, im Zweifel ergehen würde, und dann vor einer Entscheidung eines Gerichts über die „Hauptsache“47 der Mehrheitsgesellschafter seine Stellung vor Ort nicht räumen muss, so trägt der Mehrheitsgesellschafter letztlich allein aufgrund der gegen Ihn gerichteten Beschlussfeststellung doch die volle Klagelast und die darin liegenden prozessualen Risiken (z.B. im Hin47 Mit Hauptsache ist hier nicht das Hauptsacheverfahren zum Verfügungsverfahren, sondern die Beschlussmängelstreitigkeit gemeint.

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blick auf die Anfechtungsfrist und die Notwendigkeit, innerhalb dieser Frist den gesamten anfechtungsrelevanten Sachverhalt vorzutragen48). Der B gerät also in eine „Minderheitenposition“, auch wenn es hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf den wichtigen Grund dabei verbleibt, dass diesen im Anfechtungsprozess die GmbH als diejenige darzulegen und zu beweisen hat, die sich darauf mit dem Beschluss berufen hat.49

b) Einziehung der Geschäftsanteile des Mehrheitsgesellschafters Die Situation, dass die Minderheit in einer Gesellschafterversammlung zur Mehrheit wird, kann sich auch bei anderen Fragen als bei der Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers stellen, und dort nicht weniger dramatisch. Hat in unserem Ausgangsfall der Gesellschafter A als Tagesordnungspunkt formal ordnungsgemäß auch die Einziehung der Geschäftsanteile des Gesellschafters B aus „wichtigem Grund“ angekündigt und geht er dann in der Gesellschafterversammlung als Versammlungsleiter bei der Abstimmung von einem entsprechenden Stimmverbot des Mehrheitsgesellschafters wegen des „wichtigen Grundes“ aus,50 so kann er als Versammlungsleiter auch die Einziehung der Geschäftsanteile des Mehrheitsgesellschafters feststellen und diesen Beschluss (und einen Beschluss über die Aufstockung seiner Beteiligung) dem Mehrheitsgesellschafter bekanntgeben. Die Einziehung wird damit, wenn keine andere Satzungsregelung vorliegt, sofort wirksam.51 So kann er auch eine neue Gesellschafterliste, in der der Mehrheitsgesellschafter nicht mehr verzeichnet ist, zum Handelsregister einreichen und aufnehmen lassen. Wäre dies erreicht, so hätte der Mehrheitsgesellschafter weder beim Registergericht die Möglichkeit, eine Änderung der Liste vor einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache zu erreichen52, noch könnte er nach derzeit wohl h.M. eine solche Änderung der Gesellschafterliste

48 BGH v. 14.3.2005 – II ZR 153/03, GmbHR 2006, 620, 623 und Bayer in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, Anh. § 47 GmbHG Rz. 68 m.w.N. 49 BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16 Rz. 14, GmbHR 2017, 701. 50 Vgl. dazu zuletzt BGH v. 24.9.2013 – II ZR 216/11, WM 2013, 2223 Rz. 13, 15, 17 = GmbHR 2013, 1315 m. Anm. Werner sowie zum Stimmverbot aus „wichtigem Grund“ BGH v. 2.12.2014 – II ZR 322/13, BGHZ 203, 303, 306 Rz. 16 = GmbHR 2015, 416 m. Anm. Blunk/Rabe. 51 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 ff. 52 Sogar gegen die Möglichkeit einer Aussetzung des Eintragungsverfahrens jedenfalls OLG Hamburg v. 24.9.2014 – 11 W 47/14, GmbHR 2014, 1321 ff.

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durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erreichen bzw. verhindern.53 Im Ergebnis kann es also durch die Feststellung eines Zwangseinziehungsbeschlusses und die Änderung der Gesellschafterliste erreicht werden, dass ein Gesellschafter „über Nacht“ seine Gesellschafterstellung verliert, was nicht nur im Hinblick auf die Wahrnehmung von Gesellschafterrechten in der Gesellschaft (§ 16 Abs. 1 GmbHG),54 sondern auch insoweit Nachteile bringen kann, als die so jedenfalls vorläufig verlorene Beteiligung mangels Nachweisbarkeit der Gesellschafterstellung nicht veräußert werden kann. Schadensersatzansprüche gegen die oder den diesen Beschluss betreibenden Gesellschafter sind zwar wegen Verletzung der gesellschafterlichen Treuepflicht oder nach Deliktsrecht, auch nach § 823 Abs. 1 BGB wegen eines „Eingriffs in die Mitgliedschaft“55 denkbar, aber praktisch kaum durchsetzbar, da allein die Stimmabgabe noch nicht zum Schaden geführt hat und auch ein Stimmrechtsmissbrauch nicht schon in der Zustimmung zum Einziehungsbeschluss bei tatsächlichem Fehlen eines wichtigen Grundes gesehen werden kann.56

2. „Mehrheit übergeht Rechtslage“ Umgekehrt stellt sich die Situation so dar, dass ein Mehrheitsgesellschafter, der typischerweise dann, wenn die Satzung keine Regelung über den Versammlungsleiter enthält, in einer streitigen Versammlung sich selbst oder einen Vertrauten zum Versammlungsleiter bestellt, dies gerade auch mit dem Ziel unternimmt, die mit dieser Funktion nach h.M. verbundene Kompetenz zur Beschlussfeststellung zu erlangen und auszunutzen. Damit erreicht der Mehrheitsgesellschafter, dass er nicht 53 So KG v. 10.12.2015 – 23 U 99/15, GmbHR 2016, 416 ff., kritisch dazu Kleindiek, GmbHR 2017, 815 ff.; vgl. auch OLG Jena v. 24.8.2016 – 2 U 168/16, GmbHR 2017, 416 ff.; Lieder, GmbHR 2016, 271 ff. und Brüggemann im Blog von www.roemermann.com/de/aktuelles. 54 Seit der Neufassung des § 16 Abs. 1 GmbHG durch das MoMiG gilt, dass derjenige, der nicht (mehr) in der Gesellschafterliste verzeichnet ist, keine Mitgliedschaftsrechte in der GmbH mehr ausüben kann, BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 Rz. 7 = GmbHR 2014, 248; vgl. auch OLG Naumburg v.1.9.2016 – 2 U 95/15, GmbHR 2017, 86, 89. 55 Vgl. BGH v. 12.3.1990 – II ZR 179/89 – Schärenkreuzer, BGHZ 110, 323 und OLG München v. 23.2.2017 – 23 U 4888/15, GmbHR 2017, 476 Rz. 45. 56 Denkbar ist bei Verschulden aber eine Haftung des Geschäftsführers nach § 40 Abs. 3 GmbHG.

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nur bei Tagesordnungspunkten, bei denen er unstreitig die Beschlüsse mit seiner Stimmenmehrheit herbeiführen kann, entsprechende Beschlüsse als „vorläufig wirksam und für alle Beteiligten verbindlich“ feststellen kann,57 sondern dieses ist dem Mehrheitsgesellschafter auch und gerade in Fällen möglich, in denen – etwa weil es um Beschlussfassungen gegen ihn wegen Vorliegens eines „wichtigen Grundes“ geht, weil seiner Stimmrechtsausübung ein anders Stimmverbot nach § 47 Abs. 4 GmbHG entgegensteht oder sie treuwidrig sein könnte58 – er einem Stimmverbot unterliegt. Auch in dieser typischen Mehrheits-Minderheits-Konstellation wird daher mit gutem Grund die Frage aufgeworfen, ob man in personalistischen GmbHs wirklich einen (feststellungsberechtigten) Versammlungsleiter braucht bzw. wann und mit welcher Rechtfertigung ein solcher berechtigt sein soll, vorläufig verbindliche Beschlussfeststellungen zu treffen und damit über die „Klagelast“ oder gar den Verlust der Gesellschafterstellung zu entscheiden.59 Auch hier stellt sich – erst Recht – für den Minderheitsgesellschafter bei einem Zwangseinziehungsbeschluss das praktische Problem, dass er unter Umständen seine Austragung aus der Gesellschafterliste weder beim Registergericht noch durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verhindern und so jedenfalls vorläufig bis zu einer positiven Entscheidung über seine Anfechtungsklage seine Gesellschafterstellung vorläufig verlieren kann. Kann all dies – sanktionslos – aufgrund der Annahme eines Stimmverbots aus wichtigem Grund durch einen Versammlungsleiter bewirkt werden? Und woraus, d.h. aufgrund welcher rechtlichen Grundlage, rechtfertigt sich das?

IV. Rechtsgrundlage für ein Stimmverbot wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes Wenn auch im Ergebnis allgemein anerkannt ist, dass dem betroffenen Gesellschafter bei Beschlussfassungen wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes in seiner Person kein Stimmrecht zusteht,60 ist doch die 57 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426 mit Anm. Werner; BGH v. 21.6.2010 – II ZR 230/08, GmbHR 2010, 977 mit Anm. Münnich. 58 Vgl. etwa den Fall OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, bei der es um den Verkauf von Tochtergesellschaften an eine Gesellschaft geht, an der der Mehrheitsgesellschafter indirekt beteiligt ist. 59 Noack, GmbHR 2017, 792 ff. 60 BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177 f. = GmbHR 1983, 149; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 47 GmbHG Rz. 85; Römer-

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Rechtsgrundlage für ein solches Stimmverbot nach wie vor streitig. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass es keine gesetzliche Regelung für dieses Stimmverbot gibt und kein Fall eines der ausdrücklich geregelten gesetzlichen Stimmverbote (vgl. § 47 Abs. 4 Satz 1 und 2 GmbHG und § 34 BGB; vgl. auch § 136 Abs. 1 AktG und § 43 Abs. 6 GenG) vorliegt. Deshalb muss die Begründung anders gefunden werden. Für die Beschlussfassung über eine Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers aus wichtigem Grund wird zum Teil auf § 38 Abs. 2 GmbHG abgestellt,61 zum Teil wird die Auffassung vertreten, es gäbe einen (u.a. aus den §§ 117, 127, 140 HGB; §§ 712 Abs. 1, 715, 737 Satz 2 BGB abgeleiteten) allgemeinen Rechtsgrundsatz im Gesellschaftsrecht, wonach ein Gesellschafter immer dann vom Stimmrecht ausgeschlossen ist, wenn aus wichtigem Grund eine seine Gesellschafterrechte betreffende Maßnahmen ergriffen werden soll.62 Wohl überwiegend wird heute jedoch die Begründung in einem Rückgriff auf den hinter einem Teil der gesetzlichen Stimmverbote nach § 47 Abs. 4 GmbHG (und § 34 BGB) stehenden Gedanken gesehen, dass niemand „Richter in eigener Sache“ sein kann.63 Zusätzlich lässt sich anführen, dass es beim „wichtigen Grund“ um eine Gesamtwertung geht, bei der davon auszugehen ist, dass der abstimmende Gesellschafter gesellschaftsfremde Eigeninteressen verfolgt, weshalb auch eine § 47 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 GmbHG entsprechende Situation vorliegt, die einen Stimmrechtsausschluss rechtfertigt. Zusammenfassend lässt sich aber festhalten, dass sich allein aus den zur Begründung eines Stimmverbots aus wichtigem Grund angeführten Rechtsgrundlagen noch keine Antwort auf die Frage ergibt, unter welchen Voraussetzungen in der Gesellschafterversammlung selbst ein solches Stimmverbot angenommen und zur Grundlage einer Beschlussfeststellung gemacht werden darf. mann in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 47 GmbHG Rz. 240 ff.; Drescher in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 47 GmbHG Rz. 162; K. Schmidt in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 47 GmbHG Rz. 141. 61 RG v. 25.10.1932 – II B 17/32, RGZ 138, 98, 104; vgl. auch BGH v. 21.4.1969 – II ZR 200/67, NJW 1969, 1483 f. 62 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 47 GmbHG Rz. 85 m.w.N.; ebenso schon Zöllner, Grenzen mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, 236. 63 BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 178; K. Schmidt in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 47 GmbHG Rz. 102, 132, 141 und § 46 GmbHG Rz. 76; K. Schmidt, GmbHR 2017, 670 f.; krit. dazu Römermann, GmbHR 2017, 1121, 1126.

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Gerade in der materiell für die Annahme eines „wichtigen Grundes“ notwendigen umfassenden Interessenabwägung und Gesamtwürdigung64 liegt dabei ein gravierender Unterschied eines daraus abgeleiteten Stimmverbots zu den ausdrücklich im Gesetz geregelten Stimmverboten, bei denen sich i.d.R. schon aus dem Tagesordnungspunkt bzw. dem Beschlussantrag ergibt, ob einer der gesetzlichen Fälle eines Stimmverbotes vorliegt. So ist es bei der Entlastung oder bei der Frage, ob ein Gesellschafter von einer Verbindlichkeit befreit werden soll, i.d.R. schon aufgrund des gestellten Antrags möglich zu entscheiden, ob tatsächlich ein solcher Fall vorliegt. Nicht anders ist es, wenn es um die Beschlussfassung geht, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder die Einleitung und Erledigung eines Rechtsstreits gegenüber einem Gesellschafter betrifft. Eine Interessenabwägung und materielle Gesamtwürdigung eines Vorgangs ist hier nicht erforderlich. Das schließt nicht aus, dass auch über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung in den gesetzlichen Fällen eines Stimmverbotes gestritten wird. Diese Fälle sind dann aber nicht nur seltener und beschränken sich auf die Auslegung der geschilderten Tatbestandsmerkmale, sondern sie betreffen auch Fragestellungen, die von der eigentlichen Sachentscheidung zu unterscheiden und ohne eine umfassende Interessenabwägung zu entscheiden sind. Und umgekehrt ist es in den im Gesetz (z.B. bei der Entlastung gem. § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG) geregelten Fällen eines Stimmverbots so, dass die Stimmverbote stets eingreifen, also auch dann, wenn im Hinblick auf die konkrete Beschlussfassungen unter Gesellschaftern keine Meinungsunterschiede in der Sache bestehen. Für die Frage, ob ein Beschlussantrag angenommen wurde, kommt es im Übrigen nicht nur darauf an, ob die nach Gesetz oder Satzung notwendige Mehrheit der abgegebenen Stimmen für einen Beschluss gestimmt hat und Stimmverbote eingreifen, sondern stellt sich zusätzlich die Frage, ob bei Maßnahmen aus „wichtigem Grund“ gegenüber einem Gesellschafter weitergehende, statutarische Mehrheitserfordernisse auch in diesen Fällen gelten oder Maßnahmen aus wichtigem Grund stets mit einfacher Mehrheit der wirksam abgegebenen Stimmen getroffen werden können. Letzteres entspricht der h.M. in Rechtsprechung 64 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 38 GmbHG Rz. 12 für die Abberufung und Fastrich in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 34 GmbHG Rz. 10 unter Hinweis auf BGH v. 9.3.1987 – II ZR 215/86, GmbHR 1987, 302 f. für die Einziehung; BGH v. 25.1.1960 – II ZR 22/59, BGHZ 32, 17, 34 f.

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und Literatur.65 Und dies mit Recht: Liegt ein wichtiger Grund vor, so bedeutet dies, dass ein Umstand vorliegt, dessen Andauern (z.B. Verbleiben eines Geschäftsführers in der Geschäftsführung) nach Abwägung aller Umstände für die Mitgesellschafter unzumutbar ist.66 Die aus „wichtigem Grund“ notwendigen Maßnahmen müssen deshalb unabhängig von Sonderrechten getroffen werden können (vgl. § 38 Abs. 2 Satz 1 GmbHG); selbst statutarische Sonderrechte eines Gesellschafters stehen dem nicht entgegen. Dann kann entsprechender Schutz auch nicht mittelbar durch weitergehende Mehrheitserfordernisse in der Satzung geschaffen werden. Selbst wenn man aber dieser Auffassung nicht folgen wollte, würde sich im Ergebnis kaum etwas anderes ergeben. So ist allgemein anerkannt, dass die Treuepflicht es bei Vorliegen eines wichtigen Grundes den übrigen Gesellschaftern gebieten kann, der Maßnahme (etwa der Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers) zuzustimmen.67 Davon ist jedenfalls auszugehen, wenn das Bestehen eines wichtigen Grundes klar auf der Hand liegt.68 Diese positive Stimmpflicht kann dann ggf. sogar im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden. Beachten Gesellschafter ihre aus der Treuepflicht folgende Stimmpflichten nicht, so sind nach h.M.69 die Stimmen nicht wirksam abgeben und nicht mitzuzählen. 65 BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 179 = GmbHR 1983, 149; BGH v. 9.11.1987 – II ZR 100/87, BGHZ 102, 172, 178 f.; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 38 GmbHG Rz. 16. 66 BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 179 = GmbHR 1983, 149; BGH v. 9.11.1987 – II ZR 100/87, BGHZ 102, 172, 178 f.; a.A. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 38 GmbHG Rz. 30 und Kubis in Liber amicorum Martin Winter, 2011, 387, 393, 397 f. 67 BGH v. 9.11.1987 – II ZR 100/87, BGHZ 102, 172, 176; generell einschränkend im Hinblick auf positive Stimmpflichten jetzt BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14 – Media Markt/Saturn Rz. 16, GmbHR 2016, 759 m. Anm. SchmitzHerscheidt; vgl. auch OLG Stuttgart v. 13.5.2013 – 14 U 12/13, NZG 2013, 1146, 1148 = GmbHR 2013, 803; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 38 GmbHG Rz. 18 m.w.N. 68 OLG Braunschweig v. 9.9.2009 – 3 U 41/09, GmbHR 2009, 1276, 1279 unter Hinweis auf BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253, 257; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 38 GmbHG Rz. 4 und Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 38 GmbHG Rz. 20. 69 BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, GmbHR 1991, 62 = AG 1991, 137 = NJW 1991, 846; BGH v. 9.11.1987 – II ZR 100/87, BGHZ 102, 172, 176; OLG Köln v. 1.6.2010 – 18 U 72/09, GmbHR 2011, 135 = NZG 2011, 307; OLG Hamburg

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V. Überblick über den Meinungsstand Während für die gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen unstreitig ist, dass für das Vorliegen eines wichtigen Grundes allein darauf abzustellen ist, ob dieser tatsächlich im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorlag oder nicht,70 ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen (und unabhängig von der Rechtsgrundlage) ein Stimmverbot wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes in der Gesellschafterversammlung angenommen werden kann, nach wie vor ungeklärt. In Rechtsprechung und Literatur werden hierzu seit langem unterschiedliche Auffassungen vertreten, die sich dann zwar nicht auf die gerichtliche Entscheidung in der Sache, aber – wie erwähnt – auf die Verteilung der „Klagelast“ in der Beschlussmängelstreitigkeit und wegen der „vorläufigen Verbindlichkeit“ des festgestellten Beschlusses auch zumindest auf die Rechtslage auswirken, es sei denn, dass es aufgrund einer einstweiligen Verfügung bei „Status Quo“ bis zu einer Entscheidung über die Beschlussmängelstreitigkeit kommt und auch das Registergericht keine Eintragung vornimmt.

1. „Objektive“ Auffassung Nach einer in Rechtsprechung und Literatur verbreitet vertretenen Auffassung71 gelten in der Gesellschafterversammlung die gleichen Maßstäbe wie bei der gerichtlichen Entscheidung. Daher kann ein Stimmverbot wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes auch in der Gesellschafterversammlung nur dann angenommen werden, wenn der wichtige Grund v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43 ff.; vgl. auch Altmeppen in Roth/ Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 38 GmbHG Rz. 46 und Karsten Schmidt, GmbHR 1992, 9 ff. In der BGH-Entscheidung vom 19.11.1990 heißt es wörtlich: Stimmen, die in einer Gesellschafterversammlung trotz Vorliegens wichtiger Gründe gleichwohl für ein Verbleiben des Geschäftsführers im Amt abgegeben werden, können rechtsmissbräuchlich und deshalb nichtig sein. Bei der Feststellung des Beschlussergebnisses sind sie nicht mitzuzählen. 70 So zuletzt BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701 ff. Rz. 14. 71 Vgl. die Nachweise bei Rz. 14 des Urteils BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701 ff., sowie Bayer, GmbHR 2017, 665, 668 ff.; OLG Stuttgart v. 13.5.2013 – 14 U 12/13 Rz. 49; OLG Karlsruhe v. 25.11.2006 – 8 U 314/05, ZIP 2007, 1319 f.; OLG Düsseldorf v. 23.2.2012 – I-6 U 135/110 = BeckRS 2013, 00028; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 38 GmbHG Rz. 35; Bayer in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 47 GmbHG Rz. 45.

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auch tatsächlich („objektiv“) vorliegt. Die materielle Frage, ob dies der Fall ist, muss daher dann, wenn eine Beschlussfeststellung durch einen Versammlungsleiter erfolgt, durch diesen eigenständig geprüft und kann von ihm mit der Beschlussfeststellung (mit vorläufiger Verbindlichkeit72) entschieden werden. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Versammlungsleiter beim Stimmverbot materiell die gleiche, eine umfassende Gesamtabwägung erfordernde, Prüfung vorzunehmen hat, die das Gericht nachträglich bei seiner Entscheidung (bezogen auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung) über das Stimmverbot und bei der Sachentscheidung im Hinblick auf einen „wichtigen Grund“ vornimmt, wobei dem Versammlungsleiter allerdings nur eine vorläufige Entscheidung zusteht und er von einem anderen Erkenntnishorizont ausgeht.

2. Streng „subjektive“ Auffassung Nach der ebenfalls verbreitet vertretenen Gegenauffassung73 ist der Beschlussgegenstand entscheidend, d.h. ein Stimmverbot des betroffenen Gesellschafters in der Versammlung ist schon dann gegeben, wenn es nach dem Beschlussantrag um eine Maßnahme aus wichtigem Grund gegen ihn geht. Eine weitergehende materielle Prüfung (und eine Interessenabwägung) erfolgt durch den Versammlungsleiter also nicht. Soll über eine Maßnahme aus wichtigem Grund gegenüber einem Gesellschafter abgestimmt werden, also etwa über dessen Abberufung als Geschäftsführer und die außerordentliche Kündigung seines Anstellungsvertrages, so soll sich schon aus diesem Beschlussgegenstand ein Stimmverbot ergeben. Das heißt nicht die materielle Frage des tatsächlichen Vorliegens eines wichtigen Grundes, also das Prüfungsergebnis, rechtfertigt danach das Stimmverbot, sondern der Beschlussgegenstand als solcher. Der Vorteil gegenüber der „objektiven Auffassung“ wird dabei gerade darin gesehen, dass der Versammlungsleiter bei der Feststellung des 72 Anders, weil auf die materielle Wirksamkeit abstellend und generell eine vorläufige Wirksamkeit des Beschlussinhalts bei der Abberufung aus wichtigem Grund ablehnend, Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1070, 1074. 73 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 38 GmbHG Rz. 17; Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 46 GmbHG Rz. 76; Terlau in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 38 GmbHG Rz. 59 ff. m.w.N.

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Stimmrechts nicht wie ein Gericht materiell prüfen muss, ob der wichtige Grund tatsächlich vorliegt, sondern sich mit der vergleichsweise einfachen Feststellung begnügen kann, dass ein solcher wichtiger Grund geltend gemacht wird.74 Dem wird allerdings entgegengesetzt, dass so selbst ein Mehrheitsgesellschafter mit der bloßen Behauptung des Vorliegens eines wichtigen Grundes um sein Stimmrecht gebracht werden kann, bevor ein Gericht darüber befunden hat75, was nicht nur dem Mehrheitsprinzip im GmbH-Recht widerspreche, sondern auch einen sachlich so nicht zu rechtfertigenden Eingriff in Rechte der Betroffenen darstelle.

3. Eingeschränkt „subjektive“ Auffassung Nach einer vermittelnden, im Grundsatz aber auf den Beschlussgegenstand abstellenden Auffassung,76 wird zusätzlich verlangt, dass der wichtige Grund, aus dem das Stimmverbot in der Gesellschafterversammlung abgeleitet wird, auch in der Versammlung von den Antragstellern zumindest substantiiert behauptet werden muss und so dem Versammlungsleiter letztlich eine überschlägige Schlüssigkeitsprüfung ermöglicht wird. Ein Stimmverbot soll danach vom Versammlungsleiter nur angenommen werden dürfen, wenn es eine substantiierte Darlegung des wichtigen Grundes gebe. Der wichtige Grund dürfe „nicht aus der Luft gegriffen erscheinen“ und müsse „schlüssig behauptet“ werden.77 Damit wird zwar dem Einwand Rechnung getragen, dass die bloße Behauptung nicht genügen kann, um Rechte eines Gesellschafters (wenn auch nur vorläufig) zu beeinträchtigen. Es entfällt aber damit zugleich auch der Vorteil eines Abstellens auf den Beschlussgegenstand, weil auch nach dieser „eingeschränkt subjektiven“ Auffassung eine, wenn auch beschränkte, materielle Beurteilung der Sach- und Rechtslage vom Versammlungsleiter verlangt wird, was dann ebenso wie die „objektive“ Auffassung die Frage aufwirft, ab wann eine evtl. Fehlbeurteilung Folgen für den Versammlungsleiter hat.

74 Vgl. Karsten Schmidt, GmbHR 2017, 670, 671 f. 75 So insbesondere Altmeppen, NJW 2016, 2833, 2837 ff. und Altmeppen, ZIP 2017, 1185, 1186. 76 OLG Brandenburg v. 17.1.1996 – 7 U 106/95, GmbHR 1996, 539, 542; K. Schmidt in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 46 GmbHG Rz. 76; Grunewald in FS Zöllner, Band 1, 1998, S. 177, 183. 77 So Drescher in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 47 GmbHG Rz. 164.

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4. Stark eingeschränkte „subjektive“ Auffassung Noch einschränkender kommt nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung78 die Annahme eines Stimmverbots wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes jedenfalls bei besonders bedeutsamen Entscheidungen, die ggf. nachhaltig und unmittelbar in die Rechtsstellung eines Gesellschafters eingreifen, wie die Einziehung oder der Ausschluss aus wichtigem Grund bzw. die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers, nur ausnahmsweise in Betracht. Zwar könne ein Versammlungsleiter dann, wenn substantiiert Tatsachen für das Vorliegen eines wichtigen Grundes vorgetragen werden, bei denen mit einer großen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden muss, dass sie auch vorliegen, ein Stimmverbot bei dem Betroffenen annehmen. Diese Einschätzungsprärogative des Versammlungsleiters sei aber bei den genannten wesentlichen Entscheidungen auf Fälle beschränkt, in denen die Voraussetzung für einen wichtigen Grund „objektiv und unzweifelhaft“ vorliegen. Anderenfalls müsse der Versammlungsleiter die Stimmen mitzählen. Die Mitgesellschafter bzw. die Gesellschaft werden insoweit darauf verwiesen, dass sie entweder im Vorfeld einer Beschlussfassung eine Feststellungsklage (hinsichtlich des Vorliegens eines Stimmverbots) erheben können und es ihnen, falls sie davon keinen Gebrauch gemacht haben, unbenommen bleibt (neben der evtl. Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes), in einer Beschlussmängelstreitigkeit das Vorliegen eines wichtigen Grundes (ebenso wie das hieraus folgende Stimmverbot) geltend zu machen. Im Ergebnis nähert sich diese Meinung daher sehr der „objektiven“ Auffassung an, da sie gerade in den praktisch wichtigen Fällen (Abberufung, Einziehung, Ausschluss) die gleichen Anforderungen stellt, dabei aber (zurecht) die konkrete Entscheidungssituation berücksichtigt.

5. Abstellen auf die rechnerische Mehrheit Einen fünften, von den vorstehend beschriebenen Meinungen abweichenden Ansatz vertritt schließlich Altmeppen79. Ausgehend von der dogmatischen These, dass erst die Beschlussfeststellung den Gesell-

78 Casper in Bork/Schäfer, 3. Aufl. 2015, § 47 GmbHG Rz. 60. 79 Altmeppen in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 38 GmbHG Rz. 46 ff., 53 ff.; Altmeppen, NJW 2016, 2833 ff. und Altmeppen ZIP 2017, 1185 ff. sowie Altmeppen GmbHR 2018, 225 ff.

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schafterbeschluss als relevanten Organakt zur Entstehung bringe80, nimmt er eine Differenzierung nach der rechnerischen Mehrheit (§ 47 Abs. 1 GmbHG) bei einer Abstimmung (ohne Berücksichtigung evtl. Stimmverbote) vor. Es ist danach zunächst zu fragen, ob die Entscheidung (unter Ausblendung von Stimmverboten) mit oder ohne rechnerische Mehrheit getroffen worden wäre. Fehlt es an einer „rechnerischen Mehrheit“, weil etwa bei einer Beschlussfassung über die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers schon die dazu notwendige einfache Mehrheit nicht erreicht wird, wenn man die gegen seine Abberufung abgegebenen Stimmen des Betroffenen mitzählt, so werden durch den Beschluss und die Beschlussfeststellung des Versammlungsleiters noch keine, auch keine vorläufig gültigen Fakten geschaffen. Es ist dann vielmehr die materielle Rechtslage entscheidend, über die die Gerichte befinden. Da es dann keine vorläufige Verbindlichkeit eines Beschlussergebnisses gibt, kommt es also auch nicht darauf an, was der Versammlungsleiter formal als Beschlussergebnis feststellt. Hat die rechnerische Mehrheit ausweislich des Beschlussprotokolls den Antrag auf Abberufung eines Geschäftsführers nicht angenommen, schafft damit die Stimmabgabe derjenigen, die zu Unrecht einen wichtigen Grund behaupten, nicht zugleich vollendete Tatsachen. Vielmehr sind es dann sie, die sich auf einen Ausnahmefall berufen; sie müssen daher ggf. gerichtliche Hilfe im vorläufigen Rechtsschutz und im Wege der Beschlussfeststellungsklage in Anspruch nehmen, während sich der Betroffene auf den Standpunkt stellen kann, dass er einen „Abberufungsbeschluss“, der keine Mehrheit bekommen hat, zunächst noch nicht beachten muss. Umgekehrt bedeutet dies, dass ein Beschluss, der die „rechnerische Mehrheit“ gefunden hat, auch dann, wenn diese Mehrheit nur mit möglicherweise „befangenen“ Stimmen erreicht wurde, zunächst mit der Feststellung verbindlich ist, und von denen, die sich auf einen wichtigen Grund berufen, gerichtlich angegriffen werden muss. Praktisch bedeutet dies, dass nur eine Beschlussfeststellung „mit der Mehrheit“ verbindlich ist, also vermieden wird, dass allein mit der Behauptung eines wichtigen Grundes die normalen Mehrheitsverhältnisse ausgehebelt bzw. auf den Kopf gestellt werden können. Darin liegt ebenso ein praktischer Vorteil dieser Auffassung wie darin, dass – wie bei der streng subjektiven Ansicht – in der Versammlung letztlich keine materielle Entscheidung (mit einer ggf. überschlägigen Gesamtwürdigung)

80 So zuletzt Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 228 m.w.N.

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getroffen werden muss, also die Aufgabe des Versammlungsleiters relativ einfach erfüllt werden kann und er auch tatsächlich Beschlussfeststellungen treffen kann, ohne sich dem Vorwurf von Fehlbewertungen auszusetzen. Andererseits bleibt es erklärungsbedürftig, weshalb gerade dann, wenn die Beschlussfeststellung für den Organakt „Beschluss“ konstitutiv sein soll, dies letztlich nur für solche Beschlüsse gelten soll, hinter denen die Mehrheit steht, und weshalb einer Mehrheit (zusammen mit einem Versammlungsleiter) so die Möglichkeit gegeben werden soll, auch klar vorliegende Stimmverbote aus wichtigem Grund zu übergehen und letztlich klar unwirksam Beschlüsse vorläufig verbindlich festzustellen, also so Fakten zu Lasten der rechnerischen Minderheit zu schaffen.

6. Stand der Rechtsprechung Während das Reichsgericht die Frage, wann in der Gesellschafterversammlung ein Stimmverbot aus wichtigem Grund angenommen werden kann, offen gelassen hat81, heißt es in einigen (älteren) Entscheidungen des BGH ohne weitere Begründung wörtlich: „Deshalb darf der betroffene Gesellschafter/Geschäftsführer, wenn über seine Abberufung aus einem von den Mitgesellschaftern behaupteten wichtigen Grund Beschluss gefasst wird, selbst nicht mitstimmen.“.82 Die vom BGH in der Entscheidung vom 4.4.2017 offen gelassene Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Abstimmung über die Abberufung oder Kündigung seines Anstellungsvertrages aus wichtigem Grund in der Gesellschafterversammlung einem Stimmverbot unterliegt, ist allerdings auch in diesen früheren Entscheidungen nicht begründet und auch nicht in einer für die zu entscheidenden Fällen relevanten Weise bzw. jedenfalls nicht eindeutig beantwortet worden. Dies ist deshalb nachvollziehbar, weil die Gerichte sich für ihre Entscheidung immer nur mit der Frage befassen mussten, ob tatsächlich ein wichtiger Grund im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorlag oder nicht. Die Frage, ob schon in der Gesellschafterversammlung ein solches angenommen werden durfte bzw. musste, war mit anderen Worten nicht entscheidungserheblich. Der unterschiedlichen Per81 RG v. 25.10.1932 – II B 17/32, RGZ 138, 98, 104. 82 So etwa BGH v. 21.4.1969 – II ZR 200/67, NJW 1969, 1483 f.; BGH v. 27.10.1986 – II ZR 74/85, NJW 1987, 1889; vgl. auch BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177 f. = GmbHR 1983, 149.

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spektive war man sich aber durchaus bewusst. So weist schon das Reichsgericht in einer Entscheidung vom 25.10.1932 darauf hin, dass die Bejahung eines Stimmverbots bei der gerichtlichen Entscheidung selbst „deswillen weniger bedenklich ist“, als diese Entscheidung ja „bei den Gerichten liegt“. Zu der Frage, ob in der Gesellschafterversammlung aufgrund einer Behauptung ein Stimmverbot aus wichtigem Grund angenommen werden kann, hat sich das Reichsgericht aber – entgegen anders lautender Rezeptionen in der Kommentarliteratur – überhaupt nicht geäußert, sondern nur dazu, dass es die Grundlage für ein solches Stimmverbot bei der Abberufung eines Geschäftsführers „mit Sonderrecht“ in § 38 Abs. 2 GmbHG gesehen hat. Dies wiederum war in der Rechtsprechung des BGH aufgegriffen und erweitert worden. Dabei wurde dann – obiter dictum – und zugleich unter Bezug auf die o.g. Reichsgerichtsentscheidung angenommen, dass ein Stimmverbot bei den Betroffenen schon dann vorliegt, wenn ein wichtiger Grund i.S.v. § 38 Abs. 2 GmbHG von einem Mitgesellschafter nur behauptet wird.83 Eher feststellend als begründend ist vor diesem Hintergrund die Aussage zu sehen, dass der betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer, wenn über seine Abberufung aus einem von den Mitgesellschaftern behaupteten wichtigen Grund Beschluss gefasst wird, selbst nicht mitstimmen dürfe.84

VI. Kriterien für einen konsistenten Lösungsvorschlag Die Beantwortung der Frage, welche der vorgenannten Auffassungen zu folgen ist, kann nicht losgelöst von den Auswirkungen erfolgen, die sich hieraus ergeben. Dabei ist auch zwischen den Anforderungen an die Darlegung eines wichtigen Grundes (für die Annahme eines Stimmverbots) in der Gesellschafterversammlung und der Frage, wie sichergestellt wird, dass keine willkürlichen Annahmen getroffen werden können, zu unterscheiden. Zu berücksichtigen ist ferner, dass das GmbH-Recht grundsätzlich vom Mehrheitsprinzip geprägt ist und Minderheitenschutz materiell (vorbeugend) über die Satzung, das Gesetz, die gesellschafterliche Treue83 BGH v. 21.4.1969 – II ZR 200/67, NJW 1969, 1483 f. unter Hinweis auf BGH v. 16.3.1961 – II ZR 190/59, BGHZ 34, 367, 371. 84 So etwa BGH v. 21.4.1969 – ZR 200/67; BGH v. 27.10.1986 – II ZR 74/85, NJW 1969, 1483 f.; BGH v. 27.10.1986 – II ZR 74/85, NJW 1987, 1889 [für die Abstimmung wird die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages eines Gesellschafter-Geschäftsführers], vgl. auch BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177 f. = GmbHR 1983, 149.

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pflicht und den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie im Übrigen über den einstweiligen Rechtsschutz und eine Haftung einer Beteiligten, sowie (sehr eingeschränkt) über das Registerrecht möglich ist. Geht man von diesen Kriterien aus, so erscheint es bei isolierter Betrachtung der Stimmverbotsfrage zwar praktisch naheliegend, entsprechend der „Behauptungslösung“, wie bei den gesetzlichen Stimmverboten allein auf den jeweiligen Tagesordnungspunkt bzw. den jeweiligen Beschlussantrag abzustellen, also darauf, dass es in der Sache um eine Beschlussfassung gegen einen Gesellschafter wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes geht. Das deshalb, weil die Entscheidung über ein Stimmverbot dann einfacher getroffen werden kann. Da sich aber die für die Annahme eines wichtigen Grundes in der Sache (und bei der gerichtlichen Entscheidung über ein entsprechendes Stimmverbot) erforderliche Gesamtwürdigung gerade anhand eines von einem anderen Gesellschafter formulierten Beschlussantrags vornehmen lässt, würde dann ein von der Sachentscheidung abweichender Maßstab angewandt, was zumindest begründungsbedürftig ist. Ein unterschiedlicher Maßstab lässt sich, da mit der Annahme eines Stimmverbots in Rechte eines Gesellschafters eingegriffen wird, jedenfalls nicht allein mit der „häufig vorhandenen, gespannten und hektischen Atmosphäre“ einer Gesellschafterversammlung rechtfertigen.85 Im Gegenteil: Ginge es vor und in einer Gesellschafterversammlung nur darum, schnell und „formal unproblematisch“ zu „vorläufig verbindlichen“ Beschlüssen zu kommen, so würde man faktisch gerade die Verfahrensregeln, die für die Vorbereitung und Abhaltung einer Gesellschafterversammlung gelten, entwerten, indem man die betroffenen Gesellschafter letztlich allein auf die Möglichkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes verweisen würde. Das würde schon deshalb zu kurz greifen, weil diese „Verfahrensregeln“ gerade Kern des gesetzlichen Minderheitenschutzes und Ausprägung der gesellschafterlichen Treuepflichten sind. Gerade bei Gesellschafterstreitigkeiten wird der gerichtliche Rechtsschutz in der Hauptsache für den Betroffenen auch faktisch häufig zu spät kommen, zumal er sich auch nicht darauf verlassen kann, dass er – abgesehen von dem damit verbundenen Auf-

85 So BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 – Girmes, BGHZ 129, 136, 163 = GmbHR 1995, 665 = AG 1995, 368 für die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft und zu der Frage, wann die Rechtsausübung eines Aktionärs zu Schadensersatzverpflichtungen führen kann. Der BGH geht dabei im Hinblick auf die grundsätzlich freie Stimmrechtsausübung der Aktionäre davon aus, dass insoweit eine Haftung nur für vorsätzliches Handeln in Betracht kommt.

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wand an Zeit, Kosten und „Nerven“ – zuverlässig seine Rechtsposition über Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes wahren kann. Deshalb hat jeder Gesellschafter nicht nur allgemein ein Recht auf Teilnahme an Gesellschafterversammlungen, sondern dieses Recht umfasst neben dem Recht auf Anwesenheit in der Versammlung, auch das Recht auf Beteiligung an der Willensbildung in Form eines Anspruchs auf Aussprache und aktive Rede (Recht auf Gehör).86 Diese Rechte bestehen stets, d.h. unabhängig von der Frage, ob ein Stimmverbot bei konkreten Beschlussfassungen eingreift. Wegen der Bedeutung des „rechtlichen Gehörs“ gerade bei Beschlüssen, bei denen es um den Eingriff in die Rechtsstellung eines Gesellschafters geht, ist aber zudem anerkannt, dass (bei Fehlen entsprechender Satzungsregelungen) ein mit Maßnahmen aus wichtigem Grund konfrontierter Gesellschafter ggf. einen Anspruch auf Zulassung eines qualifizierten Beraters (Beistands) in der Gesellschafterversammlung hat, um sich qualifiziert an der Diskussion beteiligen und ggf. Verfahrensrechte wahrnehmen zu können. Der Zulassung eines Beraters als Beistand ist deshalb nach h.M.87 jedenfalls zuzustimmen, wenn ein Gesellschafter „unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse, der Struktur der GmbH und der Bedeutung des Beschlussgegenstandes dringend beratungsbedürftig ist“, was bei Maßnahmen, die aus wichtigem Grund gegenüber einem Gesellschafter ergriffen werden sollen, regelmäßig der Fall sein wird. In jedem Fall soll also dem Betroffenen ausreichend Gelegenheit gegeben werden, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen und dem behaupteten „wichtigen Grund“ in der Versammlung qualifiziert Stellung zu nehmen. Das setzt wiederum voraus, dass dem Betroffenen zunächst einmal mitgeteilt wird, was ihm eigentlich zur Last gelegt wird und den „wichtigen Grund“ darstellen soll. Diese Vorwürfe müssen dann in der Versammlung deshalb behandelt und besprochen werden, um eine weitere Sachaufklärung zu er86 Hierzu OLG Saarbrücken v. 10.10.2006 – 4 U 382/05-169, GmbHR 2007, 143, 145; Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 48 GmbHG Rz. 16 m.w.N.; Trölitzsch/ Leinekugel, Anwaltsstrategien bei Auseinandersetzungen unter GmbH-Gesellschaftern, 2008, Rz. 344; vgl. auch BGH v. 26.2.1996 – II ZR 77/95, BGHZ 132, 84, 89 f. = AG 1996, 264 zu einer Genossenschaft. 87 OLG Dresden v. 25.8.2016 – 8 U 347/16, GmbHR 2017, 1149 ff.= EWiR 2017, 139 (Trölitzsch/Haack); OLG Stuttgart v. 7.3.1997 – 20 W 1/97, GmbHR 1997, 1107; OLG Hamm v. 6.5.2003 – 27 U 131/02, GmbHR 2003, 1211 und OLG Düsseldorf v. 25.7.2001 – 17 W 42/01, GmbHR 2002, 67 sowie BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, GmbHR 2009, 770 m. Anm. Podewils = ZIP 2009, 1158; noch weitergehend OLG München v. 8.12.2010 – 7 U 3764/10.

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möglichen und dem Betroffenen die Möglichkeit geben, auf das Abstimmungsverhalten der anderen Gesellschafter einzuwirken.88 Ein ohne Beachtung dieser Verfahrensregeln gefasster Beschluss wäre unabhängig von der Frage, ob ein wichtiger Grund in der Sache vorlag und deshalb ein Stimmverbot anzunehmen ist, anfechtbar.89 Wenn aber ein Gesellschafter einen Anspruch darauf hat, dass auf der Gesellschafterversammlung inhaltlich eine Diskussion über das tatsächliche Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ geführt wird, so leuchtet es kaum ein, weshalb bei der Annahme eines Stimmverbots aus „wichtigem Grund“ diese Sachverhaltsaufklärung und Diskussion nicht benötigt bzw. vom Versammlungsleiter ausgeblendet werden können soll.90 Hinzu kommt, dass die Rechtsgrundlage für einen solch schwerwiegenden Eingriff in die Rechte eines Gesellschafters, hier konkret das Stimmrecht, beim Abstellen auf einen bloßen Antrag eines Mitgesellschafters fehlt, weil hierfür die bloße Behauptung eines Mitgesellschafters sicher nicht als solche in Betracht kommen kann.91 Erkennt man zudem an, dass es bei einem Stimmverbot aus wichtigem Grund darum geht, eine auf der Stufe mit den gesetzlichen Stimmverboten stehende, d.h. unabhängig von einer Einzelfallabwägung (wie bei Rechtsmissbrauch, Treupflichtverstoß etc.) eingreifende, starre Stimmrechtsschranke zu begrün88 OLG München v. 12.11.1997 – 7 U 2929/97, GmbHR 1998, 332, 333. 89 OLG München v. 12.11.1997 – 7 U 2929/97, GmbHR 1998, 332, 333; vgl. auch OLG Dresden v. 15.11.1999 – 2 U 2303/99, GmbHR 2000, 435, wonach sich in solchen Fällen aus der gesellschafterlichen Treuepflicht eine Wartepflicht „mit dem Aufruf eines Tagesordnungspunktes bzw. entsprechenden Beschlussfassungen ergibt, wenn ein Betroffener Gesellschafter nicht pünktlich erscheint“. 90 Daraus, dass sich aus den Treuepflichten der Gesellschafter untereinander ein Anspruch darauf ergibt, dass vor einer Beschlussfassung die Umstände, die einen wichtigen Grund begründen sollen, diskutiert werden, folgt allerdings nicht umgekehrt eine Verpflichtung des Betroffenen, sich an der Diskussion aktiv zu beteiligen, weshalb sich auch insoweit die Situation in der Gesellschafterversammlung von denjenigen unterscheidet, die sich in einem gerichtlichen Beschlussmängelverfahren ergibt. Aus der Treuepflicht kann sich allerdings eine Verpflichtung ergeben, eine Beschlussfassung nicht durch die Herbeiführung von Beschlussunfähigkeit zu verhindern, vgl. OLG Hamburg v. 9.11.1990 – 11 U 92/90, NJW-RR 1991, 673 und auch (im Ergebnis aber zu weitgehend) OLG Stuttgart v. 25.10.2011 – 8 W 387/11, GmbHR 2011, 1277 „Pflicht zur Teilnahme“; vgl. auch Wolff in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 3 [GmbH], 4. Aufl. 2012, § 39 Rz. 74 a.E. 91 So auch Altmeppen, ZIP 2017, 1185 ff.; a.A. Karsten Schmidt, GmbHR 2017, 670, 673.

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den, so ist diese jedenfalls nur zu begründen, wenn auch der wichtige Grund in der Sache tatsächlich vorliegt. Dafür spricht schließlich auch, dass die Frage, ob ein wichtiger Grund (in der Sache und als Grundlage für ein Stimmverbot) vorliegt oder nicht, in der Gesellschafterversammlung und bei einer gerichtlichen Entscheidung nicht unterschiedlich beantwortet werden kann. Gerade weil beide Fälle (wenn auch mit unterschiedlicher Intensität) mit Eingriffen in Rechte eines Gesellschafters verbunden sind, bedarf ein solcher Eingriff eben auch in beiden Fällen der Rechtfertigung. Bei der gerichtlichen Entscheidung ergibt sich diese letztlich daraus, dass zugleich über das Stimmverbot und den wichtigen Grund in der Sache entschieden werden darf und muss; in der Versammlung fehlt es hingegen an einer solchen hinsichtlich der Neutralität und der Entscheidungsbefugnis mit einem Gericht vergleichbaren Instanz. Daher sind die „subjektiven“, d.h. letztlich nur auf die (schlüssigen) Behauptung von Mitgesellschaftern abstellenden Auffassungen abzulehnen und der für die Sachentscheidung geltenden „objektiven“ Ansicht zu folgen. Würde man allerdings diesen Ansatz ganz konsequent verfolgen, so dürfte es bis zu einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache überhaupt keine bzw. allenfalls einvernehmliche Beschlussfeststellungen geben und bis dahin („Schwebephase“) wäre die materielle Rechtslage entscheidend.92 Ohne Beschlussfeststellung, gerade auch in streitigen Fällen, gelangt man aber nicht zu der in Rechtsprechung und Literatur seit Jahrzehnten bejahten analogen Anwendung der §§ 241 ff. AktG, also dazu, dass Beschlussmängel grundsätzlich im Wege der fristgebundenen Anfechtungsklage gegenüber der Gesellschaft geltend zu machen sind. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist eine Beschlussfeststellung daher in der Regel wünschenswert. Das „Dilemma“ besteht nun also in dem Unterschied zwischen der Situation eines Versammlungsleiters in der Gesellschafterversammlung und der am Ende eines Rechtsstreits über einen Beschluss entscheidenden Gerichte. So ist der Erkenntnishorizont in der Gesellschafterversammlung für den Versammlungsleiter in aller Regel enger als er für die 92 So in der Tat Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1070 f. und Römermann in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 47 GmbHG Rz. 596 ff. (für Verzicht auf Beschlussfeststellung und daran geknüpfte Rechtsfolgen); vgl. für den Sonderfall der „paritätischen Zwei-PersonenGmbH“ auch BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 182 = GmbHR 1983, 149.

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Gerichte nach umfangreichem Vortrag der Parteien und Beweisaufnahme sein kann. Er ist auch als Person nicht in gleicher Weise wie ein Gericht neutral, da er u.U. selbst von der Beschlussfassung betroffen ist, einem Gesellschafter familiär oder als Berater oder Geschäftsführer nahe steht bzw. von diesem ggf. sogar abhängig ist. Und es muss in der Versammlung schneller und in einer u.U. aufgeheizten Atmosphäre über Sach- und Rechtsfragen entschieden werden. Dies gerade bei der Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt erforderliche umfassende Interessenabwägung und Gesamtwürdigung aller Umstände ist daher faktisch und rechtlich in der Versammlung nicht oder nicht in gleicher Weise möglich wie in einem Gerichtsverfahren. Anders als ein Gericht muss ein Versammlungsleiter aber keine Entscheidung treffen. Es gibt daher Fälle, in denen die Sach- und Rechtslage so komplex ist, dass es nicht nur das „gute Recht“ eines Versammlungsleiters ist, auf eine Beschlussfeststellung zu verzichten, sondern gerade ein sachorientierter und auf Neutralität bedachter Versammlungsleiter so handeln sollte bzw. handeln wird, weil er die Sachlage nicht übersehen und sachgerecht entscheiden kann. Wenn er dann gleichwohl eine Entscheidung über einen strategisch „wichtigen Grund“ trifft, sollte er das zwar dürfen, dies dann aber auch begründen können und müssen.93 Dafür spricht auch, dass eine unterschiedliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Gesellschafterversammlung einerseits und bei der gerichtlichen Entscheidung andererseits dann nicht zu rechtfertigen ist, wenn man nicht nur auf den Beschlussgegenstand als solchen (und damit auf die bloße Behauptung) abstellt: Wenn das Vorliegen eines wichtigen Grundes bei der gerichtlichen Entscheidung von demjenigen, der sich darauf beruft, dargelegt und bewiesen werden muss,94 so wäre es widersprüchlich, wenn bis dahin, d.h. bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts (oder einer einstweiligen Regelung aufgrund eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung), der bloße Beschlussantrag verbunden mit einer Beschlussfeststellung eines Versammlungsleiters genügen würde, um zeitweise entsprechende Wirkung herbeizuführen. Das gilt erst Recht, wenn auf diese Weise Maßnahmen gegen eine an sich beste93 Wird ein Protokoll erstellt, in dem mehr als nur die Ergebnisse der Abstimmung und die Beschlussfeststellung enthalten sind, so hat er auch Anspruch darauf, dass die Begründung des Versammlungsleiters ins Protokoll aufgenommen wird. 94 So auch BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701.

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hende rechnerische Mehrheit in einer Gesellschafterversammlung beschlossen werden, da das GmbH-Recht vom Mehrheitsprinzip (vgl. § 47 Abs. 1 GmbH) geprägt ist. Wenig gewonnen wird dabei auch mit der Anforderung einer „schlüssigen“ Darlegung des wichtigen Grundes, da diese jedenfalls einem anwaltlich gut beratenen Antragssteller in den meisten Fällen ohne weiteres gelingen dürfte. Daher genügt im Rahmen der Beschlussfeststellung durch einen hierzu befugten Versammlungsleiter einer GmbH-Gesellschafterversammlung für die Annahme eines Stimmverbots nicht schon die (schlüssige) Behauptung eines „wichtigen Grundes“ in der Person des von der Beschlussfassung betroffenen Gesellschafters. Liegt aber der wichtige Grund objektiv aus Sicht des die Beschlussfeststellung vornehmenden Versammlungsleiters im Zeitpunkt der Beschlussfassung auf der Gesellschafterversammlung (und mit den dort bestehenden Erkenntnismöglichkeiten) tatsächlich vor, so kann der Versammlungsleiter ein Stimmverbot annehmen und eine entsprechende Beschlussfeststellung treffen.

VII. Versammlungsleitung im GmbH-Recht 1. Notwendigkeit eines Versammlungsleiters Während im Aktienrecht die Leitung der Hauptversammlung durch einen Versammlungsleiter, regelmäßig den Vorsitzenden des Aufsichtsrats, gesetzlich vorgesehen und weiter geregelt ist, dass eine Feststellung erfolgen und in der Niederschrift über die Hauptversammlung die Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlussfassung festgehalten werden muss (vgl. §§ 130 Abs. 1 und 2 Satz 1, 241 Nr. 2 AktG), enthält das GmbH-Gesetz weder zu der Person eines Versammlungsleiters noch zu einer Beschlussfeststellung Regelungen. Es ist auch allgemein anerkannt, dass es keine aus allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsätzen abzuleitende Verpflichtung der Gesellschafter einer GmbH gibt, in der Gesellschafterversammlung einen Versammlungsleiter zu bestellen. Gleichwohl ist dies sinnvoll und praktisch üblich. Dabei geht es i.d.R. nicht nur darum, einen „Moderator“ bzw. Sitzungsleiter zu haben, der – soweit die Gesellschafter nichts Abweichendes durch (Geschäftsordnungs-)Beschluss mit einfacher Mehrheit beschließen – etwa die Reihenfolge der Abhandlung der Tagesordnung und die Art der Abstimmung festlegt sowie das Recht hat, in der Diskussion das Wort zu erteilen und ggf. zu entziehen, also letztlich die Aufgabe hat, für einen sachlichen und ordnungsgemäßen Verlauf der Versammlung zu

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sorgen. Vielmehr erfolgt die Bestellung in der Regel (aber nicht zwingend) auch deshalb, damit es am Ende der Versammlung – wie in der Aktiengesellschaft – ein protokolliertes Beschlussergebnis mit Beschlussfeststellung gibt.

2. Recht zur Bestellung eines Versammlungsleiters Das Recht zur Bestellung eines Versammlungsleiters steht im Grundsatz in der GmbH den Gesellschaftern bzw. der Gesellschafterversammlung als dem obersten Organ der GmbH zu. Konkret erfolgt die Bestellung dann entweder aufgrund einer (kraft Satzungsautonomie, § 45 Abs. 2 GmbHG) entsprechenden Regelung in der Satzung, weshalb auf dieser Grundlage bestellte Versammlungsleiter zum Teil auch als „qualifizierter Versammlungsleiter“ bezeichnet und diese dann auch – weil sie ihre Kompetenzen aus der Satzung und damit der Verbandsverfassung ableiten – als Organe bezeichnet werden können.95 Fehlt eine Regelung in der Satzung, so folgt aus dem verbandsrechtlichen Grundsatz der Selbstorganisation, dass die Gesellschafterversammlung aber auch durch einfachen Beschluss ad hoc einen Versammlungsleiter bestellen kann.96 Dieser ist dann aber kein Organ der GmbH, sondern „nur“ ein Beauftragter der Gesellschafterversammlung, der (anders als dies bei einem in oder aufgrund der Satzung bestellten Versammlungsleiters der Fall sein kann) stets von den mit einfacher Mehrheit möglichen Weisungen der Gesellschafterversammlung abhängig ist. Die Frage, mit welcher Mehrheit eine solche Wahl möglich ist, war in der Rechtsprechung und Literatur lange umstritten, wobei zum Teil die Auffassung vertreten wurde, dass ein einstimmiger Beschluss erforderlich ist.97 In einem Beschluss vom 4.5.200998 hat der BGH im Anschluss

95 Vgl. dazu, wann bei einem Versammlungsleiter bei einer AG von einem Organ gesprochen werden kann, Poelzig, AG 2015, 476, 478 und Schürnbrand, NZG 2014, 1211 f. 96 Die Bestellung kann dabei auch ohne Satzungsgrundlage durch Mehrheitsbeschluss für künftige Gesellschafterversammlungen erfolgen, wenn dies vorbehaltlich einer anderweitigen künftigen Beschlussfassung erfolgt, vgl. OLG München v. 12.1.2005 – 7 U 3691/04, GmbHR 2005, 624. 97 OLG Frankfurt v. 4.12.1998 – 5 W 33/98, GmbHR 1999, 551 = NZG 1999, 406. 98 BGH v. 4.5.2009 – II ZR 166/07, GmbHR 2009, 1325 = DStR 2009, 2542.

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an die schon zuvor h.M.99 die einfache Mehrheit ausreichen lassen. Der BGH hat zwar in der o.g. Entscheidung vom 4.5.2009 nicht ausdrücklich dazu Stellung genommen, welche Kompetenzen ein mit einfacher Mehrheit gewählter Versammlungsleiter hat. Die ganz überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist aber seither mit Recht der Ansicht, dass mangels abweichender Satzungsregelung die Mehrheit nicht nur einen moderierenden, sondern auch einen Versammlungsleiter mit Beschlussfeststellungskompetenz wählen darf. Davon ist der BGH wohl auch in der Entscheidung vom 4.5.2009 ausgegangen. Es entspricht auch dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit, die mit einer Beschlussfeststellung als Grundlage für eine Anfechtungsklage geschaffen wird. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass durch die Bestellung eines Versammlungsleiters mit Beschlussfeststellungskompetenz eine Delegation von Organkompetenzen der Gesellschafterversammlung auf einen solchen Versammlungsleiter erfolgt, die einer Satzungsgrundlage bedarf. Grundlage der Tätigkeit eines ad hoc bestellten Versammlungsleiters ist keine Organfunktion, sondern ein schlichter Auftrag durch die Gesellschafterversammlung, als deren Beauftragter bzw. Funktionsgehilfe er agiert.100 Daher ist kein satzungsändernder oder -durchbrechender Beschluss für die Wahl eines Versammlungsleiters in der Gesellschafterversammlung erforderlich. Bei der Wahl eines Gesellschafters zum Versammlungsleiter ist dieser selbst stimmberechtigt, und zwar auch dann, wenn er bei einzelnen oder auch bei allen Beschlussfassungen anstehenden Themen der Tagesordnung selbst betroffen ist oder gar einem Stimmverbot nach § 47 Abs. 4 GmbHG (bzw. wegen eines wichtigen Grundes) unterliegt. Dabei hat der BGH101 für den Fall einer Abwahl mit Recht darauf abgestellt, dass der typische Interessenkonflikt, der ein Stimmverbot in der Sache recht99 OLG München v. 12.1.2005 – 7 U 3691/04, GmbHR 2005, 624, 625; K. Schmidt/Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 48 GmbHG Rz. 33 und Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 48 GmbHG Rz. 16. 100 Vgl. Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 48 GmbHG Rz. 32 („Funktionsgehilfe“), von einer reinen „Hilfsperson“ spricht Altmeppen, NJW 2016, 2833, 2837; Altmeppen, ZIP 2017, 1185, 1187; Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 226; vgl. auch Lange, NJW 2015, 3190, 3192 f. und Römermann in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 48 GmbHG Rz. 106. 101 BGH v.21.6.2010 – II ZR 230/08, DStR 2010, 1997, 1999 Rz. 16 ff. = GmbHR 2010, 977 m. Anm. Münnich; ebenso OLG München v. 12.1.2017 – 23 U 1994/16 Rz. 37 und Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 48 GmbHG Rz. 17.

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fertigt, bei dem Versammlungsleiter nicht in gleicher Weise angenommen werden könne. Ein Stimmverbot ergebe sich insoweit weder aus § 47 Abs. 4 GmbHG noch aus dem Rechtsgedanken, dass niemand „Richter in eigener Sache“ sein kann. Der Versammlungsleiter könne keine Beschlussgegenstände von der Tagesordnung absetzen, auch die Versammlung nicht vertagen; selbst wenn er – wie regelmäßig – Feststellungen des Ergebnisses der Abstimmungen vornehmen und dabei auch vorläufig darüber entscheiden könnte, ob einzelne Stimmen wegen eines Stimmverbotes nicht zu berücksichtigen seien, habe er dabei eben kein Ermessen, sondern müsse die gesetzlichen Regeln einhalten. Überträgt man diese Wertungen auf die Wahl eines Versammlungsleiters, insbesondere auch auf die Wahl eines mit Beschlussfeststellungskompetenz ausgestatteten Versammlungsleiters, so ändert selbst der Umstand, dass (unstreitig) in Bezug auf anstehende Beschlussgegenstände der Tagesordnung Stimmverbote nach § 47 Abs. 4 GmbHG vorliegen, nichts daran, dass ein Gesellschafter bei seiner Wahl zum Versammlungsleiter stimmberechtigt ist, also insoweit keine Stimmverbote eingreifen. Dies muss dann auch für den Fall gelten, dass Beschlussfassungen aus wichtigem Grund gegenüber dem Gesellschafter, der zum Versammlungsleiter gewählt werden soll, anstehen. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Gesellschafterversammlung auch ohne Grundlage in der Satzung mit einfacher Mehrheit einen Versammlungsleiter wählen kann. Auch ein Gesellschafter kann dabei zum Versammlungsleiter gewählt werden. Stimmverbote nach § 47 Abs. 4 GmbHG treten ebenso wenig ein, wie das Stimmrecht eines Gesellschafters bei seiner Wahl zum Versammlungsleiter deswegen ausgeschlossen ist, weil als Beschlussgegenstand auch Maßnahmen gegen ihn aus wichtigem Grund anstehen.

3. Formen von Beschlussfeststellungen Mit der Möglichkeit der Bestellung eines Versammlungsleiters ist noch nicht die Frage beantwortet, ob jedem Versammlungsleiter auch die Kompetenz zur verbindlichen Beschlussfeststellung zusteht bzw. woraus eine solche Kompetenz abgeleitet werden kann, da das GmbH-Recht selbst ja hierzu keine Regelungen enthält.102 Sicher ist nur, dass die Rolle eines 102 In der Rechtsprechung findet sich allerdings z.T. die Formulierung, dass die Voraussetzungen für eine förmliche Beschlussfeststellung „stets“ erfüllt wären, wenn ein Versammlungsleiter diese Feststellung trifft, so etwa BGH v.

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Versammlungsleiters, insbesondere die Kompetenz zur verbindlichen Beschlussfeststellung, nicht einfach aus dem Umstand abgeleitet werden kann, dass eine Person eine solche Rolle in der Gesellschafterversammlung tatsächlich einnimmt bzw. „usurpiert“ oder allgemein daraus, dass man im Hinblick auf die Anfechtungsklage eine Beschlussfeststellung „braucht“.103 Beschlussfeststellung ist dabei mehr als nur das Auszählen der abgegebenen Stimmen, nämlich die Aussage, dass ein bestimmter Beschluss der Versammlung die nach Gesetz oder Satzung notwendige Mehrheit der wirksam abgegebenen Stimmen gefunden hat oder nicht.104 Derartige Beschlussfeststellungen sind nach h.M. zwar auch ohne einen Versammlungsleiter denkbar, wenn die Gesellschafter einer GmbH am Ende der Beschlussfassung nachweislich einvernehmlich vom Zustandekommen eines bestimmten Beschlusses ausgegangen sind,105 was auch konkludent möglich ist, oder sie ihn einvernehmlich protokolliert haben.106 Will man aber erreichen, dass Beschlussfeststellungen auch in Situationen zustande kommen, in denen man sich uneinig ist, weil nur so der Weg zur fristgebundenen Anfechtungsklage eröffnet wird, so ergibt es Sinn, einen Versammlungsleiter ausdrücklich oder stillschweigend mit dieser Aufgabe zu betrauen. Faktisch wird daher gerade in Gesellschaften mit kleinem Gesellschafterkreis ein Versammlungsleiter auch vor allem deshalb bestellt. Von Altmeppen107 wird weitergehend die Auffassung vertreten, dass in einer GmbH die Beschlussfeststellung für einen Beschluss sogar konstitutiv sei. Die Beschlussfeststellung sei mit anderen Worten nicht nur erforderlich um nach § 243 Abs. 1 AktG analog einen Gegenstand zu haben, gegen den sich die Anfechtungsklage richten kann, sondern ohne

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24.3.2016 – IX ZB 32/15, AG 2016, 582 = GmbHR 2016, 587 m. Anm. Wagner = ZIP 2016, 817, 820 Rz. 37 unter Hinweis auf BGH v. 23.9.1996 – II ZR 126/95, AG 1997, 123 = NJW 1997, 318, 320 [zu einer Genossenschaft]. So zutreffend Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 48 Rz. 17; Leinekugel in BeckOK/GmbHG, 33. Edition, Stand 1.8.2017, Anh. Beschlussanfechtung, Rz. 129; Noack, GmbHR 2017, 792, 795. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 47 GmbHG Rz. 26; Puszkajler in Saenger/Inhester, GmbHG, 3. Aufl. 2016, Anh. § 47 GmbHG Rz. 6; vgl. auch Hoffmann/Köster, GmbHR 2003, 1327 ff. BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, ZIP 2016, 817, 820 Rz. 33 = AG 2016, 582 = GmbHR 2016, 587 m. Anm. Wagner. Vgl. etwa OLG Hamm v. 1.2.2006 – 8 U 46/05, GmbHR 2006, 1204. Altmeppen, NJW 2016, 2833, 2836 ff.; Altmeppen, ZIP 2017, 1185, 1187 f. und Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 228, jeweils unter Hinweis auf Ernst in FS Leenen, 2012, 1 ff.

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den Organakt der Beschlussfeststellung führe allein die Stimmabgabe der Gesellschafter noch nicht dazu, dass überhaupt ein gültiger Beschluss vorliegt. Dies erscheint überkonstruiert,108 zumal es für die GmbH gerade keine dem § 130 Abs. 2 AktG entsprechende Vorschrift gibt und damit die Fälle, in denen es keinen Versammlungsleiter gibt, nicht ohne weiteres erfasst werden. So kann ja – wie erwähnt – nach inzwischen wohl ganz überwiegender Auffassung eine Beschlussfeststellung auch in anderer Art und Weise erfolgen, als durch einen hierzu befugten Versammlungsleiter, etwa wenn feststeht, dass sich die Gesellschafter am Ende einer Versammlung über ein Beschlussergebnis einig waren109, was etwa durch ein von allen Beteiligten unterschriebenes oder akzeptiertes Protokoll belegt werden könnte. Zutreffend ist zwar, dass sich nur an die Beschlussfeststellung (egal wie sie erfolgt) die eingeschränkte Angreifbarkeit des Beschlusses durch befristete Anfechtungsklage anknüpft.110 Dies bedeutet aber nicht, dass ein Beschluss nicht auch ohne Feststellung im Zeitpunkt der Beschlussfassung zustande kommen kann. Im Streitfall muss das eben nur durch Feststellungsklage nach § 256 ZPO festgestellt werden. Dabei handelt es sich dann aber – anders als im Personengesellschaftsrecht – nicht um eine Gestaltungsklage, deren Wirkung erst mit der gerichtlichen Entscheidung eintritt, sondern das Gericht stellt im Rechtsstreit fest, welcher Beschluss tatsächlich im Beschlusszeitpunkt gefasst wurde. Um alle diese Unsicherheiten zu vermeiden, ergibt es Sinn, einen Versammlungsleiter zu bestellen. Bei grob rechtswidrigen oder „offensichtlich und zweifelsfrei willkürlichen“ Beschlussfeststellungen, also einem Missbrauch des Feststellungsrechts, fehlt es im Übrigen an der vorläufigen Verbindlichkeit, so dass nach wohl h.M. eine unbefristete Feststellungsklage möglich ist.111

108 So Noack, GmbHR 2017, 792 f. 109 So insbesondere Zöllner in FS Lutter 2000, S. 821, 828; vgl. auch Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 GmbHG Rz. 120a; Bayer in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, Anh zu § 47 GmbHG Rz. 38; OLG München v. 25.10.1999 – 7 U 3016/89, GmbHR 1990, 263 und OLG Celle v. 15.5.1996 – 9 U 185/95, GmbHR 1997, 172, 174; a.A. Römermann in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 47 GmbHG Rz. 587. 110 So Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 48 GmbHG Rz. 16. 111 Vgl. etwa BayObLG v. 19.9.1991 – BReg.3 Z 97/91, NJW-RR 1992, 295, 296 = GmbHR 1992, 306; vgl. auch Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 48 GmbHG Rz. 53; Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086, 1088; Werner, GmbHR 2006, 127, 129.

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Das ändert aber nichts daran, dass vorsorglich in der Praxis Anfechtungsklage erhoben werden muss.

4. Beschlussfeststellungskompetenz Die Frage, welche Kompetenzen ein Versammlungsleiter hat und ob und in welchem Umfang ihm insbesondere eine Feststellungskompetenz zukommt, kann aber nicht generell, d.h. abhängig von der Art und dem Inhalt seiner Bestellung, beurteilt werden.112 Dies schon deshalb nicht, weil eben die Rolle des Versammlungsleiters in der GmbH gesetzlich nicht festgelegt ist und es somit Sache der Gesellschafter ist zu entscheiden, wen und mit welchen Kompetenzen sie im Einzelfall bestellen wollen.

a) Versammlungsleiter aufgrund von Satzungsregelungen Von daher verbietet es sich auch, generell eine Person, die in oder aufgrund einer Satzungsregelung als Versammlungsleiter bestellt ist, als befugt anzusehen, Beschlussfeststellungen vorzunehmen, wie es eine verbreitete Auffassung113 annimmt. Es ist schon allein wegen der (möglichen) Beeinträchtigung von Rechten einzelner Gesellschafter nicht zutreffend, dass die bloße Satzungsbestimmung, es solle einen Versammlungsleiter geben, genügt, um diese Rechtsmacht anzunehmen. Vielmehr sind auch die Kompetenzen eines Versammlungsleiters jeweils durch Auslegung der Satzungsregelung bzw. des Bestellungsbeschlusses zu klären. Dabei kann allerdings zunächst davon ausgegangen werden, dass mit der Bestellung bzw. der Wahl eines Versammlungsleiters das Recht verbunden sein soll, für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung zu sorgen. Eine weiter112 So auch Noack, GmbHR 2017, 792, 794 f.; und OLG Stuttgart v. 10.2.2014 – 14 U 40/13, GmbHR 2015, 431; a.A., insbesondere gegen eine Differenzierung zwischen einem einfachen und einem qualifizierten Versammlungsleiter, Bunz, NZG 2017, 1366 ff.; dazu jüngst auch Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 226. 113 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 48 GmbHG Rz. 17 („Wenn ihm diese Rechtsmacht durch Satzung oder mit Zustimmung aller übertragen ist“); Bunz, NZG 2017, 1366, 1368; Jaeger in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, 2. Aufl. 2011, § 19 Rz. 113; Wolff in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4 [GmbHG], 4. Aufl. 2012, § 39 Rz. 72, 82; vgl. auch Karsten Schmidt, GmbHR 1992, 9, 13 f. und Lutz, Der Gesellschafterstreit, 5. Aufl. 2017, Rz. 131.

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gehende Aussage dahingehend, dass jeder Versammlungsleiter oder auch nur jeder Versammlungsleiter, der aufgrund einer Regelung in der Satzung bestellt ist, die konstitutive Beschlussfeststellungskompetenz besitzen soll,114 ist jedoch zu pauschal und zu weitgehend. Vielmehr ist auch und gerade bei Satzungsregelungen darauf abzustellen, was sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang der entsprechenden Regelung in der Satzung ergibt.115 Wird etwa auf den „Gesellschafter mit dem größten Anteil am Stammkapital“ oder den Gesellschafter mit den meisten Stimmen in der Versammlung abgestellt, so ist dies angesichts des im GmbH-Recht geltenden Mehrheitsprinzips (§ 47 Abs. 1 GmbHG) ein starkes Indiz dafür, dass dieser Versammlungsleiter auch Beschlüsse feststellen können soll. Ebenso mag es sich verhalten, wenn – was aber praktisch eher selten ist – in der Regelung bewusst die Bestellung einer neutralen Person116, die nicht Gesellschafter ist, als Versammlungsleiter vorgesehen wird. Vor dem Hintergrund, dass mit dem Recht zur Beschlussfeststellung aber der Versammlungsleiter über die „Klagelast“ in einer evtl. Beschlussmängelstreitigkeit entscheidet und aufgrund der vorläufigen Verbindlichkeit der festgestellten Beschlüsse auch materiell, wenn auch nur vorläufig, in Rechte von Gesellschaftern eingreift, ergibt sich im Zweifel ein anderes Auslegungsergebnis, wenn bei der Satzungsregelung solche Aspekte (wie Neutralität der Person oder Abstellen auf die Mehrheit) offenbar ausgeblendet wurden. Hängt es etwa nach der Satzungsregel völlig vom Zufall ab, welcher Gesellschafter bzw. welcher einem Gesellschafter nahestehender Dritter Versammlungsleiter wird, so spricht viel dafür, dass solche Personen nur als „moderierende Versammlungsleiter“ agieren sollen, ihnen also das 114 So wohl etwa Noack, GmbHR 2017, 792, 795 f. m.w.N. 115 Vgl. dazu etwa OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14 Rz. 63 – juris und allg. zur sog. objektiven Auslegung von Satzungen Fastrich in Baumbach/ Hueck, 21. Aufl. 2017, § 2 GmbHG Rz. 29, 31; Bayer in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 2 GmbHG Rz. 13, 19; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 2 GmbHG Rz. 16; vgl. auch BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364 = GmbHR 1992, 257; a.A. für eine stärkere Berücksichtigung des Willens der Gründer, Schockenhoff, ZGR 2013, 76 ff. und Grunewald, ZGR 1995, 68, 86 f. 116 Ein Notar kann, wenn er die Gesellschafterversammlung beurkundet, nicht zugleich Versammlungsleiter sein, vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 BeurkG und Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 48 GmbHG Rz. 14 m.w.N.

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Recht zur vorläufig verbindlichen Beschlussfeststellung nicht zukommen soll. Beispiele für solche Regelungen, bei denen die Annahme fernliegt, dass dem Versammlungsleiter auch das Recht zur Beschlussfeststellung übertragen sein soll, sind auch solche, die die Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschaft ignorieren, etwa wenn Versammlungsleiter der jeweils älteste in der Gesellschafterversammlung erschienene Gesellschafter oder Vertreter eines Gesellschafters sein soll oder gar vorgesehen ist, dass die Versammlungsleitung von den Gesellschaftern jeweils im Wechsel übernommen wird, es also dem Zufall (oder der Taktik der jeweiligen Beteiligten) unterliegt, auf welcher Seite eines potentiellen Gesellschafterkonflikts in einer Versammlung das Recht zur Beschlussfeststellung liegt oder nicht liegt. Verallgemeinerungen verbieten sich insoweit allerdings, weil es durchaus auch denkbar ist, dass man sich etwa bei einem Joint Venture bewusst für ein solch „rollierendes System“ der Versammlungsleitung mit dem Ziel entschieden hat117, im Streitfall zu einer Beschlussfeststellung zu kommen, und sich dies bei der Satzungsauslegung (unter Einbeziehung der für alle Beteiligten, insbesondere aus den zum Handelsregister eingereichten Unterlagen) aus der erkennbaren Historie der Gesellschaft ergibt. Wenn hingegen eine bestimmte Person oder ein bestimmter Gesellschafter die Funktion als Versammlungsleiter als Gründer, Senior oder allgemein anerkannter Vertrauensperson zugewiesen bekommen hat, spricht dies eher für dessen Recht zur Beschlussfeststellung. Und sollte – was i.d.R. wenig sinnvoll ist – die Versammlungsleitung nach der Satzung bei einem bzw. dem alleinigen (Fremd-)Geschäftsführer der Gesellschaft liegen, so kommt es bei der Auslegung auch auf die Realstruktur der GmbH und darauf an, ob er ein Geschäftsführer mit Sonderrecht ist bzw. dieser etwa durch qualifizierte Mehrheitserfordernisse gegen eine Abberufung geschützt ist: je stärker seine Stellung ge-

117 Nach der Rechtsprechung (BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 181 ff. = GmbHR 1983, 149; vgl. auch OLG Karlsruhe v. 4.12.1992 – 15 U 208/92, NJW-RR 1993, 1505, 1506 = GmbHR 1993, 154 und OLG Köln v. 26.8.1994 – 2 Wx 24/94, GmbHR 1995, 299 = NJW-RR 1995, 555 f.) hätte allerdings in einer Zwei-Personen-GmbH bei einer Beschlussfassung über die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführer auch eine Beschlussfeststellung, soweit die Satzung nicht ausdrücklich etwas anderes vorsieht, nicht zur Folge, dass der Beschluss mit vorläufiger Verbindlichkeit sofort wirksam würde, sondern die Wirksamkeit des Beschlusses würde von der materiellen Rechtslage abhängen.

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genüber den Gesellschaftern ist, umso eher ist von seiner Beschlussfeststellungskompetenz auszugehen. Wenn allerdings insbesondere von Zöllner und Noack118 die Ansicht vertreten wird, dass nur aufgrund der Satzung oder einvernehmlich bestellte Versammlungsleiter Beschlussfeststellungskompetenz haben, so geht das zu weit. Dem steht auch nicht nur die Aussage des BGH entgegen, wonach Versammlungsleiter „regelmäßig“119 diese Kompetenz übertragen bekommen, sondern dies entspricht auch nicht der gelebten Praxis bei Gesellschafterstreitigkeiten:120 Jedenfalls dann, wenn der Wahl in der Versammlung eine positive Mehrheitsentscheidung im Hinblick auf das Recht zur Beschlussfeststellung zugrunde liegt, ist mit Blick auf den Zweck der Beschlussfeststellung konsequenterweise davon auszugehen, dass auch der so gewählte Versammlungsleiter berechtigt sein kann, die Wirksamkeit der Beschlüsse festzustellen. Dies bedeutet ja nicht, dass die Minderheitsgesellschafter hierdurch schutzlos gestellt sind. Zum einen kann ein fehlerhaft festgestellter Beschluss im Wege der Anfechtungsklage angegriffen werden; daneben kann ein Versammlungsleiter, der nachweislich pflichtwidrig oder willkürlich agiert hat, in der Gesellschafterversammlung aus wichtigem Grund abgewählt werden.121 Zudem ist aber die Minderheit in der Gesellschafterversammlung auch dadurch vor etwaigen Pflichtverletzungen des Versammlungs118 Noack, GmbHR 2017, 792, 798 und Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 48 GmbHG Rz. 17 und Anh. § 47 GmbHG Rz. 120; ebenso etwa Wertenbruch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 GmbHG Rz. 180 m.w.N. 119 So BGH v. 21.6.2010 – II ZR 230/08, DStR 2010, 1997, 1998 Tz. 16 = GmbHR 2010, 977 m. Anm. Münnich. 120 Erstaunlich daher Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 38 GmbHG Rz. 41, wonach bei Abstimmung über die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers auch ohne feststellungsberechtigten Leiter in der Praxis wohl der Regelfall sein sollen und deshalb die Beteiligten auf die Klärung der Beschlusslage durch gerichtliche Entscheidung verwiesen werden. 121 Die Frage, ob einem an sich wirksam gewählten Versammlungsleiter dann, wenn auf den Abwahlantrag hin keine Beschlussfeststellung erfolgt, tatsächlich das Recht zur Versammlungsleitung und Beschlussfeststellung entzogen worden ist, ist gesondert zu untersuchen. Im Sinne der Rechtssicherheit liegt es, dass bei Streit über die Wirksamkeit der Abwahl in der Versammlung der bisherige, zunächst wirksam bestellte Versammlungsleiter weiter agiert und die Frage, ob er wirksame Beschlussfeststellungen vorgenommen hat, in den jeweiligen Rechtsstreitigkeiten geklärt wird, ebenso die Frage, ob er wirksam abgewählt wurde.

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leiters geschützt, dass dieser als Beauftragter der Gesellschafterversammlung agiert und er sich deshalb auch haftbar machen kann, da ihm bei der vorläufigen verbindlichen Feststellung von Beschlussergebnissen gerade „kein Ermessen“ zukommt, sondern er die gesetzlichen Regeln des § 47 GmbHG (bzw. Antrag der Mehrheitserfordernisse) einhalten muss.122 Im Ergebnis ist jedenfalls festzuhalten, dass allein eine Satzungsregelung dazu, dass es einen Versammlungsleiter gibt, noch nicht zu der anzustrebenden Klarheit und Rechtssicherheit im Hinblick auf die Kompetenzen dieser Person führt. Es ist daher dringend zu empfehlen, in der Satzung nicht nur eine Regelung dazu zu treffen, dass die Gesellschafterversammlung einen Versammlungsleiter wählt und ggf. den Kreis der Personen oder deren Auswahl näher einzugrenzen. Vielmehr sollten auch die Rechte, die dieser Versammlungsleiter dann hat oder nicht hat, klar bestimmt werden, insbesondere eine Aussage dazu getroffen werden, ob der Versammlungsleiter das Recht zur vorläufigen verbindlichen Feststellung von Beschlüssen hat.

b) Ad hoc bestellte Versammlungsleiter Bei Versammlungsleitern, die „nur“ ad hoc in der Gesellschafterversammlung gewählt werden, beantwortet sich die Frage nach ihren Kompetenzen ähnlich, d.h. nach dem Inhalt bzw. der Auslegung des Bestellungsbeschlusses. Dabei spricht dann, wenn ein Versammlungsleiter einstimmig in der Versammlung bestellt wird, eine gewisse Vermutung dafür, dass einem solchen Versammlungsleiter besonderes Vertrauen von allen Gesellschaftern und damit im Zweifel Beschlussfeststellungskompetenz übertragen werden soll.123 Auch davon sind aber Ausnahmen denkbar, insbesondere dann, wenn bei der einvernehmlichen Bestellung das Einvernehmen gerade nicht so weit geht, dem Versammlungsleiter die aus der Bestellungskompetenz folgende Rechtsmacht über die Gesellschaften geben zu wollen.

122 BGH v. 21.6.2010 – II ZR 230/08, DStR 2010, 1997, 1999 = GmbHR 2010, 977 m. Anm. Münnich. 123 Die Mehrheit in der Gesellschafterversammlung kann dies dabei durch (weiteren) Geschäftsordnungsbeschluss klarstellen bzw. ändern, etwa in der Versammlung in Form einer Weisung auch beschließen, dass eine Beschlussfeststellung unterbleiben soll oder auch den Versammlungsleiter von seiner Aufgabe entbinden.

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Ein Beispiel hierfür ist ein Fall, über den das KG jüngst zu entscheiden hatte124: An einer Zweipersonen-GmbH, die ihre Auflösung beschlossen und einen Liquidator bestellt hatte, waren die beiden Gesellschafter mit 51 bzw. 49 % beteiligt. In einer Gesellschafterversammlung, in der über eine Kapitalerhöhung beschlossen werden sollte, übernahm der Liquidator mit Zustimmung beider Gesellschafter die Versammlungsleitung. Nachdem der mit 51 % beteiligte Gesellschafter für und der 49%ige Minderheitsgesellschafter gegen die Kapitalerhöhung gestimmt hatten, vertrat der Liquidator als Versammlungsleiter die Meinung, dass die Stimmabgabe des Minderheitsgesellschafters treuwidrig und unwirksam gewesen sei und deshalb die nach §§ 53 Abs. 2, 55 Abs. 1 GmbHG erforderliche 3/4 Mehrheit für die Kapitalerhöhung erreicht worden wäre. Er stellte daher einen entsprechenden Beschluss fest und meldete die Kapitalerhöhung zur Eintragung im Handelsregister an. Mit Recht hat jedoch das KG (ebenso wie zuvor das Registergericht) die Eintragung der Kapitalerhöhung abgelehnt und darauf abgestellt, dass dem Liquidator als ad hoc bestellten Versammlungsleiter – trotz seiner einvernehmlichen Bestellung – weder ausdrücklich noch konkludent die Beschlussfeststellungskompetenz zugewiesen worden sei. Dies folge daraus, dass auch die konkludente Übertragung einer entsprechenden Kompetenz ein entsprechendes Bewusstsein der Gesellschafter voraussetze, welches sich hier auch nicht allein aus der Diskussion über die Möglichkeit einer Anfechtungsklage während der Versammlung ergeben habe.125 Der Entscheidung ist uneingeschränkt zuzustimmen, da nach dem vorliegenden Sachverhalt der in der Sache überstimmte Minderheitsgesellschafter sich durch das Einverständnis der Versammlungsleitung durch den Liquidator nicht seiner Rechte begeben und dem Versammlungsleiter die Befugnis zur Beschlussfeststellung übertragen126 und so eine 124 KG v. 12.10.2015 – 22 W 74/15, ZIP 2016, 422 ff. = GmbHR 2016, 58 f. 125 So KG v. 12.10.2015 – 22 W 74/15, ZIP 2016, 422 ff. = GmbHR 2016, 58 f.= BeckRS 2015, 20950 = EWiR 2016, 429 mit Anm. Wachter; tendenziell anders Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 GmbHG Rz. 120 (derartiges Einverständnis mit Kompetenz zur verbindliche Feststellung sei anzunehmen, wenn Versammlungsleiter einvernehmlich tätig wird und unwidersprochen Feststellungen vornimmt); ebenso OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 152; vgl. auch Hüffer/Schürnbrand in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, § 48 GmbHG Rz. 32; Noack, GmbHR 2017, 792, 796; Wicke, GmbHR 2017, 777, 785; Zöllner in FS Lutter, 2000, 821, 828. 126 Vgl. auch OLG Köln v. 16.5.2002 – 18 U 31/02, GmbHR 2002, 913 = NZG 2003, 40.

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nach dem Gesetz „Klagelast“ übernehmen wollte. Daher mag man zwar bei einvernehmlichen Bestellungen von Versammlungsleitern bei Fehlen anderweitiger Anhaltspunkte im Zweifel annehmen, dass der Versammlungsleiter auch berechtigt sein soll, die Wirksamkeit von Beschlüssen festzustellen. Dies lässt sich auch nicht einfach pauschal damit rechtfertigen, dass es typischerweise zu den „Kernaufgaben“ eines Versammlungsleiters gehöre, diese Befugnisse zu haben; das wäre vielmehr ein Zirkelschluss. Es trifft zwar zu, dass im Interesse der Rechtsicherheit die Feststellungen eines Versammlungsleiters als Grundlage für die Überprüfung von Gesellschafterbeschlüssen dienen sollten127, ein entsprechender Wille der Gesellschafter muss aber konkret festgestellt werden können.

5. Sinnvoll: Satzungsregelung Die im GmbH-Recht geltende Gestaltungsfreiheit (§ 45 Abs. 2 GmbHG) lässt es ohne weiteres zu, dass in der Satzung geregelt wird, wer bzw. auf welche Art ein Versammlungsleiter bestellt wird und welche Kompetenzen diesem dann zukommen. Insbesondere kann und sollte dabei eindeutig geregelt werden, ob dem Versammlungsleiter nur die Aufgabe und Befugnis zukommt, für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Gesellschafterversammlung zu sorgen, oder ob er auch das Recht zur Beschlussfeststellung hat. Die nachträgliche Einführung solcher Regelungen durch Satzungsänderungen ist dabei durch Beschluss mit „einfacher“ satzungsändernder Mehrheit (§ 53 Abs. 2 GmbHG) möglich. Sie stellt keine „Leistungsvermehrung“ für die Gesellschafter dar, bedarf also nicht etwa wegen § 53 Abs. 3 GmbHG der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter. In der Satzung geregelt werden kann und sollte auch die Mehrheit (einfache Mehrheit, qualifizierte Mehrheit, Einstimmigkeit) für die Bestellung eines Versammlungsleiters, ggf. auch Anforderungen an dessen Qualifikation, Neutralität und Unabhängigkeit sowie die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Abberufung geschehen soll, insbesondere eine Abberufung aus wichtigem Grund.

127 Vgl. dazu auch Böttcher/Grawe, NZG 2002, 1086 und Werner, GmbHR 2006, 127.

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VIII. Haftung des Versammlungsleiters 1. Rechtsgrundlage Ebenso wie die Person des Versammlungsleiters ist auch dessen Rechtsstellung zur Gesellschaft bzw. der Gesellschafterversammlung bei der GmbH gesetzlich nicht geregelt. Daher ist zwar im Grundsatz die Möglichkeit einer Haftung des Versammlungsleiters für fehlerhafte Maßnahmen, insbesondere fehlerhafte Beschlussfeststellungen, allgemein anerkannt.128 Umstritten ist hingegen die rechtliche Grundlage einer solchen Haftung. Letzteres macht einen Rückgriff auf die Rechtsstellung des Versammlungsleiters erforderlich. Auch insoweit ist dann zwischen in bzw. aufgrund der Satzung bestellten Versammlungsleitern, einvernehmlich agierenden Versammlungsleitern und solchen Versammlungsleitern zu unterscheiden, die (was praktisch der häufigste Fall sein dürfte) ad hoc von einer Mehrheit in der Gesellschafterversammlung gewählt werden. Während es für den im Gesetz vorgesehenen Leiter der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft nahe liegt, dass der dortige Versammlungsleiter als (nicht ständiges) Organ der Gesellschaft angesehen und daraus eine mögliche Haftung gegenüber der Gesellschaft abgeleitet wird,129 kann bei einer GmbH nur bei in oder aufgrund der Satzung bestellten Versammlungsleitern eine zumindest organähnliche Stellung angenommen und daraus bei Pflichtverletzungen eine Haftung abgeleitet werden. Ansonsten liegt der Tätigkeit der anderen Versammlungsleiter nur ein Auftrag gem. §§ 662 ff. BGB oder – falls die Tätigkeit ausnahmsweise entgeltlich erfolgt – ein Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) zugrunde.130 Bei den in oder aufgrund der Satzung bestellten Versammlungsleitern kann dann sowohl die korporative Sonderverbindung zwischen der Gesellschaft bzw. der Gesellschafterversammlung und dem Versamm128 Vgl. etwa Kleemann, Der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung, 2013, 154 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 48 GmbHG Rz. 14, 17; Noack, GmbHR 2017, 792, 798 sowie [zur AG] Marsch-Barner in FS Brambring, 2011, S. 267 ff. 129 Marsch-Barner in FS Brambring, 2011, S. 267, 281; Mülbert in Großkomm/ AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 AktG Rz. 246 ff., 248 und Rz. 124. 130 Kleemann, Der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung, 2013, 27; ferner Römermann in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 48 GmbHG Rz. 105; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 48 GmbHG Rz. 19 sowie Schindler in BeckOK/GmbHG, 33. Edition, Stand 1.8.2017, § 48 GmbHG Rz. 42.

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lungsleiter als auch ein mit der Annahme dieses „Amtes“ konkludent abgeschlossenen Auftragsverhältnis, also eine vertragsähnliche Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Versammlungsleiter in Form eines Auftrags oder einer Geschäftsbesorgung, Haftungsgrundlage sein.131 Bei ad hoc in der Gesellschafterversammlung bestellten Versammlungsleitern scheidet hingegen eine Haftung wegen korporativer Sonderverbindung aus. Neben der unstreitig (auch in der Satzung oder auf Grundlage der Satzung bestellten Versammlungsleitern) denkbaren deliktischen Haftung nach § 826 BGB, die jedoch kaum praktisch relevant werden wird, da sich die erforderliche Schädigungsabsicht schwerlich einmal wird nachweisen lassen können,132 kann sich bei ihnen eine Haftung gegenüber der Gesellschaft daher nur auf dieser schuldrechtlicher Grundlage, also wegen Verletzung der Pflichten aus dem (unentgeltlichen) Auftragsverhältnis nach den §§ 662 ff. BGB oder eines entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrages gem. § 675 BGB, ergeben. Anspruchsgrundlage ist dann bei schuldhaftem Handeln des Versammlungsleiters § 280 Abs. 1 BGB. Dabei haftet der Versammlungsleiter, da er letztlich ein Funktionsgehilfe der ihm gegenüber (allerdings unter Beachtung seiner auftragsimmanenten Neutralitätspflicht133) weisungsberechtigten Gesellschafter ist, unmittelbar gegenüber der Gesellschaftergesamtheit als seiner Auftraggeberin. Er haftet aber zugleich auch gegenüber einzelnen Gesellschaftern, und zwar nicht nur deliktisch, sondern auch aufgrund der sich aus dem Auftragsverhältnis ergebenden Sonderverbindung. Zwar ist der Versammlungsleiter von den Gesellschaftern beauftragt worden und handelt für diese; da der Schaden bei fehlerhaften Beschlussfeststellungen aber 131 So für den Versammlungsleiter in der Hauptversammlung einer AG: Mülbert in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 AktG Rz. 249; Hoffmann-Becking in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band IV [AG], 4. Aufl. 2015, § 37 Rz. 42; Marsch-Barner in FS Brambring, 2011, S. 267, 281; von der Linden, NZG 2013, 208, 210 f.; Poelzig, AG 2015, 476, 479; Theusinger/ Schilha, BB 2015, 131, 138 f. und Schürnbrand, NZG 2014, 1211 f.; ablehnend LG Ravensburg v. 8.5.2014 – 7 O 51/13 KfH 1, AG 2014, 910, 911; vgl. auch Heidel in Heidel, Aktienrecht, 4. Aufl. 2015, vor § 129 AktG Rz. 71. 132 So auch Mülbert in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 AktG Rz. 250 m.w.N. 133 Dazu Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 48 GmbHG Rz. 16 f., Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 48 GmbHG Rz. 35, 37 und für den Leiter der Hauptversammlung einer AG Marsch-Barner in FS Brambring, 2011, S. 267, 278; vgl. auch OLG München v. 8.10.1993 – 23 U 3365/93, GmbHR 1994, 251 f.

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i.d.R. nicht bei ihnen oder der Gesellschaft, sondern gerade bei den einzelnen Gesellschaftern eintritt, kommt auch eine Haftung nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gegenüber einzelnen Gesellschaftern in Betracht.134 Die Gesellschafter befinden sich in Leistungsnähe, weil sie der Gefahr einer fehlerhaften Beschlussfeststellung ebenso ausgesetzt sind wie die Gesellschaft. Aus der sich aus der Aufgabe des Versammlungsleiters ergebenden Neutralitätspflicht,135 die unabdingbarer Inhalt des dem Versammlungsleiter von der Gesellschafterversammlung erteilten Auftrags ist, ergibt sich, dass auch die Gesellschafter in den Schutzbereich des Auftrags stillschweigend miteinbezogen sind und dies für den Versammlungsleiter auch bei Annahme des „Amtes“ erkennbar ist. Folge ist, dass ein Versammlungsleiter bei einer schuldhaften Verletzung seiner Pflichten aus dem ihm erteilten und von ihm übernommenen Auftrag nicht nur der Gesellschaft, also der GmbH, gegenüber schadensersatzpflichtig ist, sondern sich eine entsprechende Verpflichtung auch gegenüber einzelnen geschädigten Gesellschaftern ergeben kann. Die Haftung des Versammlungsleiters ist dabei allerdings keine Erfolgshaftung, wie nach § 945 ZPO die Haftung des Gläubigers bei der Vollziehung einer einstweiligen Verfügung, sondern es handelt sich um eine Verschuldenshaftung, die sich aus einer schuldhaften Verletzung des der Tätigkeit des Versammlungsleiters zugrunde liegenden Schuldverhältnisses (korporative Sonderverbindung, Auftrag/Geschäftsbesorgung, auch mit Schutzwirkung zugunsten einzelner Gesellschafter) ergibt. Eine gewisse Parallelität besteht aber darin, dass die mögliche Haftung ein einem Missbrauch der Feststellungsbefugnis und damit der vorläufigen Entscheidungsbefugnis des Versammlungsleiters entgegenwirkendes Instrument darstellt.

2. Haftungsmaßstab bzw. Haftungsbegrenzung Der Maßstab für die Haftung des Versammlungsleiters ist umstritten. Ausgangspunkt muss auch hier das zugrunde liegende Rechtsverhältnis 134 Vgl. BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 – Girmes, BGHZ 129, 136, 167 ff m.w.N. = GmbHR 1995, 665 = AG 1995, 368. Dort wurde die Schutzbedürftigkeit der Aktionäre nur mit dem hier nicht passenden Argument verneint, ihnen stehe ein eigener und deshalb vorrangiger Schadenersatzanspruch zu. Eigene Ansprüche gegen den Versammlungsleiter haben einzelne Gesellschafter – von deliktischen Fällen abgesehen – aber nicht. 135 Vgl. hierzu oben Fn. 132.

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sein. Stellt man für die in oder aufgrund der Satzung bestellten Versammlungsleiter insoweit auf eine korporative Sonderverbindung ab, so gelangt man über eine analoge Anwendung der Haftungsvorschriften in § 43 Abs. 1 und Abs. 2 GmbHG bzw. §§ 116, 93 AktG i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB zu einer Haftung für die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes bzw. -leiters bzw. zu einer Haftung auch für (einfache) Fahrlässigkeit, nicht jedoch zu einer Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Geht man davon aus, dass Rechtsgrundlage der Tätigkeit des Versammlungsleiters ein Auftrag oder eine Geschäftsbesorgung ist, so ist Haftungsmaßstab bei der Ausführung des Auftrags grundsätzlich ebenfalls die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, also einfache Fahrlässigkeit i.S.d. § 276 BGB.136 Gehört der Versammlungsleiter zu einem Personenkreis, dem besondere berufliche Sorgfaltspflichten obliegen, und wird er gerade wegen dieser Zugehörigkeit zu dem entsprechenden Personenkreis beauftragt (was typischerweise bei Rechtsanwälten als Versammlungsleitern der Fall sein wird) hat er sogar die von diesem Personenverkehr zu fordernde besondere Sorgfalt als Beauftragter zu beachten.137 Einem Beauftragten kommt jedenfalls nach dem Gesetz auch bei Unentgeltlichkeit des Auftrags keine Haftungserleichterung zugute, was mit dem typischerweise bestehenden Vertrauensverhältnis begründet wird.138 Ein ausdrücklich oder stillschweigend vereinbarter Haftungsausschluss ist rechtlich aber möglich. Er ist bei einvernehmlich oder bei in bzw. aufgrund einer Regelung in der Satzung bestellten, unentgeltlich agierenden Versammlungsleitern in Form einer Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit auch in der Regel anzunehmen. Eine solche Haftungsbeschränkung kann hingegen nicht schon durch Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit als „Vertrag“ zu Lasten einer konkreten Gesellschafterminderheit beschlossen werden (§§ 138, 242 BGB). Bei dem durch Beschluss mit einfacher Mehrheit bestellten Versammlungsleiter kann nur die den Versammlungsleiter bestellende Mehrheit unter Umständen aufgrund sonstiger vertraglicher Beziehun-

136 BGH v. 30.4.1959 – II ZR 126/57, BGHZ 30, 40, 46 = NJW 1959, 1221. 137 So Steffen in RGRK-Kommentar z. BGB, 12. Aufl. 1978, auch § 662 BGB Rz. 11 und Schäfer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 662 BGB Rz. 68, 79 f.; vgl. Beuthin in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 662 BGB Rz. 16 und Kleemann, Der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung, 2013, 155. 138 Jauernig/Mansel, 16. Aufl. 2015, § 662 BGB Rz. 14 m.w.N.

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gen (z.B. Anwaltsvertrag) und dort erteilten Weisungen139 verpflichtet sein, den Versammlungsleiter intern nach § 670 BGB freizustellen.

3. Mitverschulden Eine weitere, mittelbare Begrenzung der (schuldrechtlich begründeten140) Haftung eines ad hoc bestellten Versammlungsleiters kann sich aus dem Einwand des Mitverschuldens (§ 254 BGB) gegenüber dem Betroffenen, d.h. dem durch die unberechtigte Annahme eines Stimmverbots aus wichtigem Grund geschädigten Gesellschafter, ergeben. Dieser Einwand kann dabei so weit gehen, dass er zu einem vollständigen Haftungsausschluss führt.141 Ein Fall des Mitverschuldens des betroffenen Gesellschafters ist daher etwa anzunehmen, wenn er durch sein Verhalten objektiv einen Tatbestand verwirklicht bzw. (mit-)verursacht hat, der – isoliert und ohne Gesamtwürdigung – einen „wichtigen Grund“ darstellen könnte. Das kann etwa der Fall sein, wenn ein GesellschafterGeschäftsführer wesentliche Beiträge zu einer Zerrüttung bzw. einem unheilbaren Zerwürfnis zu einem Mitgeschäftsführer142 geliefert oder einen schweren Kompetenzverstoß begangen hat, diese Vorkommnisse aber im Rahmen der gebotenen umfassenden Gesamtwürdigung nicht ausreichen, um die Maßnahme aus wichtigem Grund gegen den Betroffenen Gesellschafter in der Sache zu rechtfertigen. Ähnlich kann es sich verhalten, wenn ein mit einem in nachvollziehbarer Weise dargelegten Vorwurf, in seiner Person liege ein wichtiger Grund vor, konfrontierter Gesellschafter hierzu keine Stellung nimmt, zur Gesellschafterver139 Der Umstand, dass der Versammlungsleiter aufgrund seiner Neutralitätspflicht keine aufgabenbezogenen Weisungen von einzelnen Gesellschaftern entgegen nehmen darf, führt nicht dazu, dass er einen aus einem anderen davon zu trennenden Rechtsverhältnis resultierenden Freistellungsanspruch verliert, sondern kann sich nur als Pflichtwidrigkeit auf seine eigene Haftung als Versammlungsleiter auswirken. Ist die „Weisung“ von vornherein auf missbräuchliche Beschlussfassungen gerichtet, so ist diese ohnehin nicht wirksam. 140 Bei einer Organhaftung würde § 254 BGB nicht eingreifen, vgl. BGH v. 20.11.2014 – III ZR 509/13, ZIP 2015, 166, 167 Rz. 22. 141 Grüneberg in Palandt, 77. Aufl. 2018, § 254 BGB Rz. 64; Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl. 2015, Kap. 2 Rz. 53 m.w.N. 142 Zu einem unheilbaren Zerwürfnis als Abberufungsgrund BGH v. 12.1.2009 – II ZR 27/08, GmbHR 2009, 434 m. Anm. Werner = NJW-RR 2009, 618; OLG Hamm v. 25.7.2016 – 8 U 160/15 und OLG Stuttgart v. 19.12.2012 – 14 U 10/12 = GmbHR 2013, 414, 423; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 38 GmbHG Rz. 20a.

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sammlung nicht erscheint oder gar vor oder in der Versammlung durch sein Verhalten den Eindruck noch verstärkt, ein solcher Grund liege tatsächlich vor. Auch in diesem Fall hat er letztlich selbst daran mitgewirkt, dass es zu der Beschlussfeststellung und dem daraus bei ihm resultierenden Schaden gekommen ist. Die Situation ist insoweit durchaus mit derjenigen zu vergleichen, die sich bei der Schadensersatzpflicht nach § 945 ZPO in dem Fall ergibt, dass sich nachträglich die Anordnung einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt erweist. Auch insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Schadensersatzpflicht ausscheidet, wenn der Geschädigte selbst schuldhaft Veranlassung gegeben hat, dass ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt wurde, oder wenn er dadurch zur Entstehung des Schadens beigetragen hat, indem er zumutbare Maßnahmen (z.B. Erhebung eines Widerspruchs nach § 924 ZPO) unterlassen hat.143

4. Ergebniskontrolle Vor dem Hintergrund der dargestellten Handlungsoptionen und Haftungsbegrenzungen stellt es kein unzumutbares Haftungsrisiko für einen Versammlungsleiter dar, wenn man von ihm verlangt, in der konkreten Situation ein Stimmverbot aus wichtigem Grund nur dann anzunehmen, wenn der wichtige Grund bei objektiver Betrachtung in der Situation der Gesellschafterversammlung auch vorlag.144 Hat er Zweifel, muss er entweder auf eine Beschlussfeststellung verzichten oder (ggf., d.h. wenn der die Feststellung vornehmende Versammlungsleiter nicht selbst der den Beschluss betreibende Gesellschafter ist, freigestellt durch die die Beschlussfeststellung wünschende Gesellschaftermehrheit) die Feststellung auf das Risiko hin vornehmen, dass ihm im Nachhinein ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht wird.

143 BGH v. 23.3.2006 – IX ZR 134/04 Rz. 23, NJW 2006, 2557 f.; vgl. auch BGH v. 30.7.2015 – I ZR 250/12 Rz. 38 = GRUR 2016, 406 und BGH v. 20.7.2006 – IX ZR 94/03 =BGHZ 168, 352, 359 Rz. 30 f.; Vollkommer in Zöller, 31. Aufl. 2016, § 945 ZPO Rz. 14c. 144 Hat der Versammlungsleiter – was aber eher selten der Fall sein wird – auf vorab eingeholte qualifizierte Rechtsberatung vertraut, kann er sich hierauf nach den (engen) Grundsätzen der ISION-Rechtsprechung des BGH berufen, vgl. BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 = NZG 2011, 1271 ff.; und BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 = NJW-RR 2015, 988; Graewe/von Harder, BB 2017, 707 ff.; Fleischer, KSzW 2013, 3 ff.

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Wertungsgemäß ist die Situation dabei durchaus vergleichbar mit der, die sich ergibt, wenn ein Gesellschafter einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellt, mit der in Rechte eines Mitgesellschafters eingegriffen wird. Auch hier genügt es zwar für einen „Eingriff“ , dass Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund nur glaubhaft (§ 294 ZPO) gemacht werden; derjenige, der den Antrag gestellt hat, hat aber das Risiko zu tragen, dass das lediglich im summarischen Verfahren zustande gekommene, vorläufige Ergebnis am Ende keinen Bestand hat, weshalb er bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 945 ZPO haftet. Bei der Beschlussfeststellung in der Gesellschafterversammlung ist dabei auch die Gesellschaftermehrheit, die den Versammlungsleiter „ins Werk setzt“, mit dem Antragsteller im Verfügungsverfahren durchaus vergleichbar. Es ist daher wertungsmäßig gerechtfertigt, letztlich auch den- oder diejenigen (ggf. über eine konkludente interne Freistellungsverpflichtung gegenüber dem Versammlungsleiter) haften zu lassen, der/ die das gewünschte Ergebnis mit der Beschlussfeststellung mit vorläufiger Wirkung, d.h. schon vor einer gerichtlichen Entscheidung über die Sache, herbeiführt.

IX. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Allen, d.h. nicht nur den im allseitigen Einvernehmen oder in bzw. aufgrund der Satzung bestellten, sondern auch den in der Gesellschafterversammlung einer GmbH mit einfacher Mehrheit ad hoc gewählten Versammlungsleitern, kann (und wird regelmäßig) das Recht eingeräumt werden, Beschlussergebnisse mit vorläufiger Verbindlichkeit festzustellen. Ob einem Versammlungsleiter diese Beschlussfeststellungskompetenz eingeräumt ist, ist dabei – falls es nicht ausdrücklich bestimmt ist – durch Auslegung der Satzungsregelung bzw. des Gesellschafterbeschlusses zu ermitteln. 2. Versammlungsleiter sind unabhängig von der Art ihrer Bestellung zur sorgfältigen Wahrnehmung ihrer Aufgaben verpflichtet, wenn sie das „Amt“ annehmen. Diesen Aufgaben sind die Gebote der Neutralität und der Sachdienlichkeit immanent. 3. Versammlungsleiter mit Beschlussfeststellungskompetenz sind berechtigt (aber nicht verpflichtet), bei ihrer Beschlussfeststellung auch über ein Stimmverbot wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes vorläufig verbindlich zu entscheiden. Gegen den festgestellten Be-

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schluss muss der betroffene Gesellschafter dann mit der fristgebundenen Anfechtungsklage bzw. einer positiven Beschlussfeststellungsklage vorgehen. Parallel ist es für ihn möglich und ratsam, beim Registergericht ggf. die Aussetzung der Eintragung des entsprechenden Beschlusses zu beantragen (§§ 21, 381 FamFG) und bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO durch einstweilige Verfügung die Umsetzung und ggf. Bekanntgabe der angefochtenen Beschlüsse bis zu einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Beschlussmängelstreitigkeit untersagen zu lassen. 4. Im Rahmen der Beschlussfeststellung durch einen hierzu befugten Versammlungsleiter einer GmbH-Gesellschafterversammlung genügt für die Annahme eines Stimmverbots aus wichtigem Grund nicht schon der Beschlussgegenstand oder die (schlüssige) Behauptung eines „wichtigen Grundes“ in der Person des von der Beschlussfassung betroffenen Gesellschafters, sondern der wichtige Grund muss objektiv aus Sicht des die Beschlussfeststellung vornehmenden Versammlungsleiters im Zeitpunkt der Beschlussfassung auf der Gesellschafterversammlung (und mit den dort bestehenden Erkenntnismöglichkeiten) tatsächlich vorliegen, damit der Versammlungsleiter ein Stimmverbot annehmen darf. 5. Der für die gerichtliche Entscheidung geltende Grundsatz, dass derjenige, der sich auf einen wichtigen Grund beruft, diesen darzulegen und zu beweisen hat, muss auch in der Gesellschafterversammlung Beachtung finden. Im Zweifel hat der Versammlungsleiter daher vom Stimmrecht auszugehen oder auf eine Beschlussfeststellung zu verzichten, wenn es aus seiner Sicht nicht überwiegend wahrscheinlich ist, dass der wichtige Grund vorliegt. Die Annahme eines Stimmverbots ist also „begründungsbedürftiger“ als die Zulassung zum Stimmrecht. 6. Für die Annahme eines „wichtigen Grundes“ trägt der Versammlungsleiter nicht nur gegenüber der Gesellschaft bzw. der Gesellschafterversammlung, sondern entsprechend den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auch gegenüber dem vom Stimmrechtsausschluss betroffenen Gesellschafter die Verantwortung im Rahmen des ihm erteilten Auftrags. Verbleiben nach der Diskussion auf der Gesellschafterversammlung über das tatsächliche Vorliegen eines wichtigen Grundes bei objektiver Betrachtung Zweifel, ob der behauptete wichtige Grund vorliegt, so muss der

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Versammlungsleiter auf eine Beschlussfeststellung verzichten. Die Gesellschafter können den Versammlungsleiter – wenn keine entgegenstehende Satzungsregelung vorliegt – durch Beschluss mit einfacher Mehrheit auch anweisen, keine Beschlussfeststellung vorzunehmen oder ihn abwählen. Wegen der einem Versammlungsleiter auftragsimmanent obliegenden Neutralitätspflicht können die Gesellschafter den Versammlungsleiter aber nicht positiv anweisen, eine konkrete Beschlussfeststellung vorzunehmen. 7. Die Haftung (Verantwortung) des Versammlungsleiters ist ein Ausgleich für die ihm übertragene Feststellungsbefugnis („Macht“); sie wirkt einem Missbrauch der Befugnisse des feststellungsberechtigten Versammlungsleiters entgegen und entspricht z.T. dem aus § 945 ZPO bekannten Rechtsgedanken. Ein zu seiner Haftung führender Pflichtenverstoß eines Versammlungsleiters liegt aber nicht schon deshalb vor, wenn bei der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit eines von ihm festgestellten Beschlusses das letztinstanzlich entscheidende Gericht das Vorliegen eines wichtigen Grundes anders beurteilt, als es der Versammlungsleiter in der Gesellschafterversammlung getan hat. Ein (fahrlässiger) Sorgfaltspflichtverstoß liegt vielmehr nur dann vor, wenn die vom Versammlungsleiter vorgenommene Annahme des wichtigen Grundes in der konkreten Situation pflichtwidrig, unvertretbar oder sogar willkürlich war. 8. Beim Haftungsmaßstab ist zwischen den in bzw. aufgrund der Satzung oder einvernehmlich bestellten Versammlungsleitern und den Versammlungsleitern zu unterscheiden, die ad hoc mit einfacher Mehrheit in der Gesellschafterversammlung gewählt werden. Während bei einvernehmlich oder in bzw. aufgrund einer Regelung in der Satzung bestellten Versammlungsleitern, sofern ihnen eine Beschlussfeststellungskompetenz übertragen worden ist und sie unentgeltlich tätig werden, in der Regel von einer konkludent vereinbarten Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ausgegangen werden kann, haftet der nur durch einen mit einfacher Mehrheit gefassten Beschluss der Gesellschafterversammlung bestellte und beauftragte Versammlungsleiter grundsätzlich nach Auftragsrecht (§§ 662, 280 BGB) auch für einfache Fahrlässigkeit, wenn er (was er nicht muss) Beschlussfeststellungen vornimmt. Abweichende Regelungen zur Haftung, insbesondere eine Haftungsbegrenzung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit sind – da damit potentiell

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in Rechte der Minderheit eingegriffen wird – nicht durch einfachen Mehrheitsbeschluss, sondern nur einvernehmlich oder in der Satzung möglich. 9. Bei einer Verletzung der ihm obliegenden Sorgfaltspflichten haftet ein Versammlungsleiter nicht nur der Gesellschaft, sondern nach den Grundsätzen eines Vertrages zugunsten Dritter auch einzelnen Gesellschaftern, die in die, sich aus dem Auftragsverhältnis bzw. der Satzung ergebenden, Sonderverbindung und die sich hieraus ergebenden, Sorgfalts- und Schutzpflichten einbezogen sind, weil auch ihnen die Leistung des Versammlungsleiters nach dem Inhalt des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses bestimmungsgemäß zu Gute kommen soll. Die Schutzbedürftigkeit der einzelnen Gesellschafter entfällt nicht deshalb, weil sie bei fehlerhaften und sorgfaltswidrigen Beschlussfeststellungen u.U. auch eigene Schadensersatzansprüche gegen Dritte, also etwa gegenüber den für einen Beschluss stimmenden Gesellschaftern haben, da diese dann nicht auf gleicher Grundlage beruhen. 10. Ein Schadensersatzanspruch des vom Stimmverbot betroffenen Gesellschafters gegen den Versammlungsleiter kann ganz oder teilweise wegen Mitverschulden des betroffenen Gesellschafters nach § 254 BGB eingeschränkt oder ausgeschlossen sein, wenn der betroffene Gesellschafter etwa durch sein Verhalten einen isoliert betrachtet wichtigen Grund tatsächlich verwirklicht hat oder er in der Gesellschafterversammlung nicht zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen bzw. er den objektiv betrachteten Eindruck sogar verstärkt hat, dass in seiner Person ein „wichtiger Grund“ vorliegt. 11. Unabhängig davon, dass einem Versammlungsleiter der Auftrag von der Gesellschafterversammlung erteilt wird, kann er, falls er nicht selbst der Mehrheitsgesellschafter ist oder von einem Mehrheitsgesellschafter, der ihn zum Versammlungsleiter gewählt und so für seine Bestellung gesorgt hat, unter Umständen auf der Grundlage eines mit diesem, vom bestehenden gesonderten Auftrags der Gesellschafter zu unterscheidenden, Rechtsverhältnisses (z.B. Anwaltsvertrag) Freistellung von seiner Haftung verlangen. 12. Es empfiehlt sich, die Art der Bestellung eines Versammlungsleiters und dessen Aufgaben und Rechte in der Satzung einer GmbH im Einzelnen zu regeln. Insbesondere sollten auch die Beschlussfeststellungskompetenz, die Voraussetzungen für eine Abwahl und die

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Haftung bzw. Haftungsfreistellung des Versammlungsleiters ausdrücklich geregelt sein. Die nachträgliche Einführung solcher Regelungen durch Satzungsänderung ist durch Beschluss mit „einfacher“ satzungsändernder Mehrheit (§ 53 Abs. 2 GmbHG) möglich, bedarf also nicht etwa wegen § 53 Abs. 3 GmbHG der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter.

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Bericht über die Diskussion des Referats Trölitzsch Dr. Daniel Schillerwein Rechtsanwalt, Stuttgart Schwerpunkte der von Bayer geleiteten Diskussion über den Vortrag von Trölitzsch waren die Frage nach Umfang und Reichweite der Kompetenzen des Versammlungsleiters sowie die Thematik einer Haftung des Versammlungsleiters bei fehlerhafter Beschlussfeststellung. An dem Meinungsaustausch beteiligten sich Wertenbruch, Heidel, Puszkajler, Drygala, Enderle, Nietsch und C. Schäfer. Wertenbruch vertrat die Auffassung, die Vorstellung, es gebe einen Versammlungsleiter ohne Beschlussfeststellungskompetenz, sei eine in der Literatur kreierte Figur. In der Praxis habe ein Versammlungsleiter Beschlussfeststellungskompetenz, außer wenn die Gesellschafter dies ausdrücklich anderweitig festgelegt hätten. Die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2009, wonach ein Versammlungsleiter mit einfacher Mehrheit bestellt wird, könne – auch wenn dort von Beschlussfeststellungskompetenz nicht ausdrücklich die Rede sei – nicht anders verstanden werden, als dass der mit einfacher Mehrheit gewählte Versammlungsleiter auch Beschlussfeststellungskompetenz habe. Die in der Kommentarliteratur rezipierte Entscheidung des OLG Frankfurt, wonach ein mit einfacher Mehrheit gewählter Versammlungsleiter keine Beschlussfeststellungskompetenz habe, kritisierte Wertenbruch als widersprüchlich. Bezeichnenderweise hätte das OLG Frankfurt trotz Verneinung von Beschlussfeststellungskompetenz die Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage geprüft, was sowohl einen formell gefassten Beschluss als auch eine Beschlussfeststellung voraussetzen würde. Abgesehen von gelegentlich anzutreffenden Satzungsregelungen zum Versammlungsleiter gebe es in der Praxis auch viele Fälle, in denen der Versammlungsleiter nicht ausdrücklich, sondern konkludent dadurch bestimmt wird, dass jemand die Funktion tatsächlich übernehme und hiergegen kein Widerspruch erhoben wird. Der Widerspruch käme regelmäßig erst, nachdem Gesellschafter im Anschluss an die Beschlussfassung zum Anwalt gegangen seien, weil sie mit Beschlüssen nicht einverstanden sind. Zur Frage, ob ein von der nachfolgenden Beschlussfassung betroffener Versammlungsleiter (z.B. bei dessen Abberufung als Geschäftsführer) auch bei der Abstimmung über seine Abwahl als Versammlungsleiter einem

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Stimmverbot unterliegt, vertrat Wertenbruch die Ansicht, dass kein Stimmverbot bestehe. Die Mehrheit stelle den Versammlungsleiter und ob dies ein Missbrauch der Mehrheit ist, lasse sich erst später feststellen. Die ganze Thematik sei Folge des Mehrheitsprinzips in der GmbH sowie der Geltung des aktienrechtlichen Beschlussanfechtungssystems. Die Minderheit müsse sowohl damit leben, dass sie den Versammlungsleiter nicht bestimmen kann, als auch akzeptieren, dass dieser einen Beschluss feststellt, obwohl im Einzelfall kein wichtiger Grund für eine Abberufung vorliegt; hiergegen müsse dann eben rechtzeitig Anfechtungsklage erhoben werden. Bei gravierenden Verfehlungen des Versammlungsleiters müsse man einstweiligen Rechtsschutz ersuchen. Heidel sprach sich dafür aus, dass ein zum Versammlungsleiter zu wählender Gesellschafter bei der Wahl selbst dann keinem Stimmverbot unterliegt, wenn er bei allen Punkten der nachfolgenden Abstimmung befangen sein sollte. Heidel sah hier eine Parallele zum Aktienrecht. Dort sei anerkannt, dass bei der Abwahl des Versammlungsleiters auch dann kein Stimmverbot bestehe, wenn der Versammlungsleiter in dem zu beurteilenden Tagesordnungspunkt befangen sei. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb das GmbH-Recht hier strenger sein sollte. Heidel kritisierte sodann die Auffassung als unvertretbar, wonach bei einem in der Satzung vorgesehenen Versammlungsleiter geprüft werden müsse, ob mit einer solchen Bestimmung auch Beschlussfeststellungskompetenz einhergehe. Bei einer Satzungsregelung zum Versammlungsleiter sei stets auch eine Beschlussfeststellungskompetenz dieses Versammlungsleiters gegeben. Bei der Frage nach der Rechtsgrundlage eines Stimmverbots wegen Vorliegen eines wichtigen Grundes trat Heidel dafür ein, § 47 Abs. 4 GmbHG anlog anzuwenden. Ob ein Gesellschafter einem Stimmverbot unterliegt, habe sich allein danach zu beurteilen, was auf der Tagesordnung steht. Gehe es z.B. darum, ob gegen einen Gesellschafter Ersatzansprüche geltend zu machen sind, so unterliege dieser automatisch einem Stimmverbot. Genauso müsse es dann aber auch bei der Frage sein, ob jemand aus wichtigem Grund abzuberufen oder sein Anteil einzuziehen ist. Es bestehe dann per se ein Stimmverbot, woran letztlich auch die von Drescher vorgetragene Sicht des BGH, wonach es darauf ankomme, ob ein wichtiger Grund schlüssig vorgetragen wird, nichts ändere, da dies keine wirkliche Schwelle sei. Puszkajler hielt es aus Richtersicht für notwendig, dass ein Versammlungsleiter eine zumindest konkludent verliehene Beschlussfeststellungskompetenz hat. Ließe man dies offen, so würde man beim Rechts-

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schutz in völlig andere, eigenartige Prozesskonstellationen geraten. Im Prinzip müssten dann ja sowohl die Minderheit als auch die Mehrheit Klage erheben, um das Beschlussergebnis zu klären. Zu dem gleichen unbefriedigenden Ergebnis komme man, wenn der Versammlungsleiter bei schwierigen Sachlagen auf eine Beschlussfeststellung verzichte. Der Versammlungsleiter müsse den ihm erteilten Auftrag vernünftig erfüllen und dürfe daher einer Beschlussfeststellung nicht ausweichen, wenn es gerade besonders darauf ankomme. Puskajler wandte sich gegen das vorgetragene Haftungskonzept. Der Versammlungsleiter stehe zwar möglicherweise in einem auftragsähnlichen Rechtsverhältnis; da er für seine Tätigkeit in der Regel kein Entgelt bekomme, müsse seine Haftung aber auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz beschränkt sein. Drygala merkte an, es habe den Anschein, der Referent wolle den Versammlungsleiter gerne in seinen Kompetenzen beschneiden, indem er ihm die Beschlussfeststellungskompetenz in verschiedenen Konstellationen abspreche und ihn darüber hinaus mit Haftung bedrohe. Dies offenbar mit dem Ziel, dass der Versammlungsleiter sich aus schwierigen Entscheidungen möglichst heraus halte und keine Beschlussfeststellung vornehme. Man laufe dann aber Gefahr, den Vorteil zu verlieren, der sich im GmbH-Recht durch die Anwendung des Systems der Anfechtungsklage ergebe. Sofern man das nicht als Vorteil empfinde, müsste man darüber nachdenken, ob sich die Übertragung des aktienrechtlichen Beschlussmängelsystems auf die GmbH überhaupt bewährt habe oder ob es besser sei, das Beschlussmängelrecht in der GmbH wie bei den Personengesellschaften über die Feststellungsklage zu lösen. Das Beschlussmängelsystem sei ja ein generelles Thema, über das auch auf dem kommenden Juristentag gesprochen werde. Drygala äußerte die Hoffnung, dass hierbei nicht nur über das aktienrechtliche Beschlussmängelsystem, sondern auch über die GmbH gesprochen werde. Schließlich stellte Drygala die Frage, warum bei der vorgestellten Haftung des Versammlungsleiters ein Regress gegen die Gesellschaftermehrheit, welche den Versammlungsleiter eingesetzt hat, gegeben sei. Auftraggeber sei die GmbH, deren Organ Gesellschafterversammlung den Beschluss gefasst hat, eine bestimmte Person mit der Durchführung der Versammlung zu beauftragen. Ein Auftragsverhältnis zwischen dem Versammlungsleiter und der Gesellschaftermehrheit, die für den Versammlungsleiter gestimmt hat, könne er nicht erkennen.

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Trölitzsch betonte, es gehe nicht darum, dem Versammlungsleiter Kompetenzen abzusprechen. Wie dargelegt, könne auch durch Beschluss mit einfacher Mehrheit ein Versammlungsleiter mit Beschlussfeststellungskompetenz bestellt werden. Es gehe auch nicht darum, den Versammlungsleiter durch Haftungsandrohung von Beschlussfeststellungen abzuhalten. Eine Haftung sei aber die konsequente Folge der Macht der Mehrheit, in der Gesellschafterversammlung einen Versammlungsleiter mit Beschlussfeststellungskompetenz einsetzen zu können. Auch in anderen Fällen als in jenen, in denen nach der Rechtsprechung ohnehin die materielle Rechtslage entscheidend ist und ein Versammlungsleiter daher ohnehin keine wirksam Beschlussfeststellung treffen kann, sei es aber nicht zu beanstanden, wenn ein Versammlungsleiter von einer Beschlussfeststellung absieht. Dies insbesondere dann, wenn er die rechtliche oder tatsächliche Situation letztlich nicht beurteilen könne und deshalb ein gewisses Haftungsrisiko für sich sehe. Auch weil ein Versammlungsleiter bei der GmbH anders als bei der Aktiengesellschaft nicht gesetzlich vorgesehen ist, könne er nicht zu Beschlussfeststellungen verpflichtet sein. Entgegen Heidel müsse bei einer Satzungsregelung zum Versammlungsleiter stets zunächst der Inhalt der entsprechenden gesellschaftsvertraglichen Regelung durch Auslegung ermittelt werden. Da es dabei Fälle gebe, in denen nur eine bloße Sitzungsleitung geregelt werden sollte, müsse man aufpassen, hier nicht durch eine pauschale Zuerkennung von Beschlussfeststellungskompetenz zu falschen Ergebnissen zu kommen. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Satzungsregelung einen Versammlungsleiter vorsieht, der gerade nicht die Mehrheit Gesellschafterversammlung repräsentiert. Gerade weil der Versammlungsleiter grundsätzlich von der Mehrheit bestellt wird, müsse man sich bei Satzungsregelungen, die die Sitzungsleitung in die Hände eines Minderheitsgesellschafters legen, im Hinblick auf die Beschlussfeststellungskompetenz die Frage stellen, ob hier durch die Satzung vom Mehrheitsprinzip abgewichen werden sollte. Bezüglich der Haftung eines von der einfachen Mehrheit gewählten Versammlungsleiters wies Trölitzsch darauf hin, dass diese Mehrheit durch die Beschlussfeststellung des Versammlungsleiters bezwecke, der Gegenseite die Klagelast aufzuerlegen und vorläufige Verbindlichkeit der Beschlussfassung zu schaffen. Damit werde der Versammlungsleiter also gerade für die Gesellschafter tätig, die ihn bestellt haben. Folglich müssten die Gesellschafter, die den Versammlungsleiter ins Werk gesetzt haben, diesen bei einer Haftung des Versammlungsleiters wegen fehlerhafter Beschlussfeststellung auch nach § 670 BGB von Ansprüchen des von dem festgestellten Beschluss

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betroffenen Gesellschafters freistellen. Ein Freistellungsanspruch des Versammlungsleiters gegenüber der GmbH scheide dagegen aus. Enderle wies darauf hin, dass es bei der Diskussion im Kern darum gehe, welche Wirkung eine spätere erfolgreiche Anfechtungsklage, verbunden mit einer positiven Beschlussfeststellungsklage, habe. Habe die kombinierte Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage Erfolg und gehe man wie der BGH bei seiner Entscheidung zur Aufsichtsratswahl davon aus, dass die Beschlussfeststellungsklage ebenso wie die Anfechtungsklage auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung zurückwirke, so stelle sich das Problem der vorübergehenden Leitung der Gesellschaft durch einen Nichtberechtigten. Würde man dagegen die Wirkungen der Beschlussmängelklage auf einen späteren Zeitpunkt verlagern, wofür ja die Regelungen im Personengesellschaftsrecht sprächen, so stelle sich umgekehrt die Frage, was ein betroffener Minderheitsgesellschafter in der Zwischenzeit tun könne. Auch hierzu liefere das Personengesellschaftsrecht einen Anhaltspunkt. So sehe das HGB für die OHG bei der Frage des wichtigen Grundes die Möglichkeit vor, dass der Richter bis zur Hauptsacheentscheidung durch vorläufige Anordnungen in die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft eingreift. Nietsch griff das Thema des vorläufigen Rechtsschutzes nach Beschlussfeststellung und vor Hauptsacheentscheidung auf. Einstweiliger Rechtsschutz sei nicht die Lösung, da die Erkenntnismöglichkeiten im einstweiligen Verfügungsverfahren aufgrund der fehlenden Unmittelbarkeit noch viel geringer als in der Gesellschafterversammlung seien. Bei der Einstandspflicht des Versammlungsleiters sei es zwar im Grundsatz so, dass dieser bei Anwendung von Auftragsrecht trotz Unentgeltlichkeit für einfache Fahrlässigkeit hafte. Dies sei aber kein situationsangemessener Haftungsmaßstab, sondern in vielen Fällen zu streng, und zwar insbesondere da, wo die Haftung des Versammlungsleiters auf eine Haftung für Rechtsirrtum hinauslaufe. Da der Versammlungsleiter zwar kein Organ, aber in organähnlicher Funktion tätig sei, könne man unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 708 BGB zu einem angemessenen Haftungsmaßstab kommen. C. Schäfer hob hervor, es gebe keinen Anlass, darüber nachzudenken, das Beschlussmängelrecht der GmbH auf personengesellschaftsrechtlichen Standard zurückzunehmen. Als ein Plädoyer hierfür habe aber der Beitrag von Drygala verstanden werden können. Umgekehrt solle vielmehr im Personengesellschaftsrecht etwas getan werden, um das dortige Beschlussmängelrecht an das Niveau der GmbH heranzuführen.

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Genau hierüber werde im nächsten Jahr auf dem Juristentag in Leipzig wahrscheinlich diskutiert werden. Die Praxis habe jedenfalls sehr für eine Anhebung des Beschlussmängelrechts bei der Personengesellschaft auf das GmbH-Niveau plädiert. C. Schäfer trat der Ansicht von Heidel entgegen, dass es allein auf die bloße Behauptung des wichtigen Grundes für einen Stimmrechtsausschluss ankomme. Der wichtige Grund müsse tatsächlich vorliegen. Seines Erachtens habe der BGH dies in der Sache nun jetzt so entschieden, auch wenn dies bei der Abfassung der Entscheidung formal offengelassen wurde. Bei der Frage der Haftung des Versammlungsleiters trat C. Schäfer der Ansicht von Nietsch entgegen, dass es hier um eine Haftung für Rechtsirrtum gehe. Trölitzsch habe zu Recht hervorgehoben, dass der Versammlungsleiter auf einer anderen Erkenntnisgrundlage als später das Gericht im Beschlussmängelstreit entscheidet; gleiches gelte bei der Frage der Haftung des Versammlungsleiters. Sofern dieser ein Stimmverbot nicht gerade willkürlich annehme oder ablehne, bestehe für diesen kein relevantes Haftungsrisiko. Trölitzsch betonte in seinem Schlusswort, dass bei Gebrauch des Wortes Haftung offenbar reflexartig eine große Gefahr gesehen werde und entsprechende Abwehrmechanismen eingreifen würden. Die Haftung des Versammlungsleiters sei aber ein notwendiges Korrektiv dafür, wenn man eine vorläufig verbindliche Entscheidung durch ihn haben möchte. Vom Ergebnis her betrachtet sei klar, dass die fristgebundene Anfechtungsklage im Rechtsschutzsystem der GmbH gebraucht wird. Dies setze dann auch eine verbindliche Beschlussfeststellung voraus. Diese müsse jemand treffen und dieser müsse hierfür dann aber auch die Verantwortung übernehmen. Habe man sich einvernehmlich auf einen Versammlungsleiter geeinigt, komme dies quasi einer Haftungsfreistellung gleich. Habe dagegen die Mehrheit in der Gesellschafterversammlung den Versammlungsleiter gegen den Willen der Minderheit ins Werk gesetzt, so müsse diese Mehrheit – ähnlich wie bei § 945 ZPO – letztlich auch für durch unrichtige Beschlussfeststellung bei einem Gesellschafter verursachte Schäden einstehen. Die Haftung des Versammlungsleiters unterscheide sich im Übrigen durchaus von der Haftung bei Rechtsfragen nach den Grundsätzen der ISION-Entscheidung des BGH1. Aber selbst nach ISION komme es nicht darauf an, was man nachträglich alles weiß, sondern darauf, was in der konkreten Situation angenommen werden durfte. Haftungsreduzierend könne sich zudem ein etwaiges Mitverschulden des von der Beschlussfassung betroffenen Gesellschaf1 BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 = ZIP 2011, 2097.

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ters auswirken. In vielen Fällen würde ja das eigene Verhalten des von der Beschlussfassung Betroffenen der Annahme eines wichtigen Grundes Vorschub leisten, welche dann erst durch das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens widerlegt werde.

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Organhaftung und Schiedsverfahren Prof. Dr. Gerd Krieger Rechtsanwalt, Düsseldorf I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Zulässigkeit und Abschlusskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . 2. Gesellschaftsrechtliche Verzichts- und Vergleichsverbote 3. Schiedsvereinbarung . . . . . . . 4. Statutarische Schiedsklausel III. Pros und Cons des Schiedsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertraulichkeit . . . . . . . . . . . 2. Schnelligkeit . . . . . . . . . . . . . 3. Höhere Qualifikation . . . . . . 4. Verfahrensautonomie . . . . . . 5. Schiedsverfahren als Instrument der Haftungsmilderung? . . . . . . . . . . . . . . . 6. Erstreckung auf Dritte. . . . . .

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IV. Sorgfaltspflichten des für die Anspruchsverfolgung zuständigen Organs . . . . . . . . . 1. Verzicht auf die Rechtsmittelinstanz . . . . . . . . . . . . 2. Besetzung des Schiedsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einzelschiedsrichter . . . . b) Bestellung des Vorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . c) Haftungsausschluss zugunsten der Schiedsrichter?. . . . . . . . . . . . . . .

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V. AGB-Inhaltskontrolle . . . . . 202 VI. Schiedsverfahren und D&O-Versicherung. . . . . . . . 204 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

I. Einführung Wertet man die Literatur aus, ist man erstaunt, wie intensiv das Thema Organhaftung und Schiedsverfahren dort in den letzten Jahren behandelt wird.1 Im Mai 2017 hat sogar eine Tagung der DIS-Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. zum Thema „Schiedsgerichtsbarkeit zur Lösung von Organhaftungs- und D&O-Versicherungsfällen“ stattgefunden. Zumeist deutet ein solches Interesse auf große praktische Bedeu1 Vgl. etwa H.P. Westermann, ZGR 2017, 38, 48 ff.; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Schumacher, NZG 2016, 969; Scholz/Weiß, AG 2015, 523; Werner, VersR 2015, 1084, Werner, ZWH 2015, 129; Leuering, NJW 2014, 657; Bauer/ Arnold/Kramer, AG 2014, 677; Herresthal, ZIP 2014, 345; von Westphalen in FS Feigen 2014, 355; von Westphalen, ZIP 2013, 2184; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143; Thümmel in FS Geimer, 2002, S. 1331.

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tung hin, und mancher Beitrag spricht auch davon, Schiedsabreden mit Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern fänden zunehmend Verbreitung.2 Aus meiner Erfahrung kann ich das jedoch nicht bestätigen. In Anstellungsverträgen von Vorständen und Geschäftsführern trifft man gelegentlich auf Schiedsklauseln, ad hoc kommen solche Vereinbarungen nach meinem Eindruck selten zustande, und eine satzungsmäßige Schiedsklausel habe ich persönlich noch nie gesehen. Tatsächlich durchgeführte Schiedsverfahren zu Haftungsfragen sind vor allem im Zusammenhang mit der HSH Nordbank und der Sachsen LB bekannt geworden, viel mehr aber auch nicht. Das mag überraschen, denn auf den ersten Blick scheinen Schiedsvereinbarungen für Organhaftungsansprüche viele Vorteile zu bieten, namentlich die immer wieder genannten: Vertraulichkeit, größere Schnelligkeit und höhere Sachkunde der speziell für den konkret zu entscheidenden Fall ausgewählten Schiedsrichter. Aber sieht man genauer hin, sorgen einige Rechtsfragen für Unsicherheit, und ob praktische Vorteile für die Schiedsgerichtsbarkeit bei Organhaftungsstreitigkeiten sprechen, ist bei genauerer Betrachtung alles andere als eindeutig und zumindest sehr von den Umständen des Einzelfalls abhängig.

II. Zulässigkeit und Abschlusskompetenz 1. Schiedsfähigkeit Die grundsätzliche Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen über Organhaftungsstreitigkeiten steht heute außer Frage. Insbesondere die Schiedsfähigkeit ist – stellt man verfassungsrechtliche Bedenken aus Art. 92 GG3 zurück – heute kein Problem mehr, nachdem § 1030 Abs. 1 ZPO seit dem Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz von 1997 jeden vermögensrechtlichen Anspruch als schiedsfähig ansieht und anders als § 1025 Abs. 1 ZPO a.F. nicht mehr voraussetzt, dass die Parteien befugt sind, sich über den Gegenstand des Streits zu vergleichen. Eine vereinzelt vertretene Auffassung, wonach Schiedsvereinbarungen mit Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern wegen Verstoßes gegen die EU-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträ2 Etwa Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2 (für die GmbH). 3 Vgl. etwa Detterbeck in Sachs, 8. Aufl. 2018, Art. 92 GG Rz. 29; Voit in Musielak/Voit, 14. Aufl. 2017, § 1030 ZPO Rz. 1 mit Zweifeln, ob die Aufgabe des staatlichen Rechtsprechungsmonopols für nicht vergleichsfähige Ansprüche mit Art. 92 GG vereinbar ist.

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gen4 unwirksam seien,5 hat in der übrigen Literatur mit Recht einhellige Ablehnung erfahren6.

2. Gesellschaftsrechtliche Verzichts- und Vergleichsverbote Auch wenn die Vergleichsfähigkeit des Anspruchs nach § 1030 Abs. 1 ZPO nicht mehr Voraussetzung seiner Schiedsfähigkeit ist, ist es jedoch denkbar, dass gesellschaftsrechtliche Verzichts- und Vergleichsverbote dem Abschluss einer Schiedsvereinbarung über Organhaftungsansprüche Grenzen ziehen. Im Aktienrecht lässt § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG einen Verzicht oder Vergleich über Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder erst drei Jahre nach Entstehung des Anspruchs zu, verlangt auch dann die Zustimmung der Hauptversammlung und gibt einer Minderheit von 10 % des Grundkapitals ein Vetorecht. Im GmbH-Recht ist ein Verzicht oder Vergleich über Ersatzansprüche gegen Geschäftsführer unzulässig, wenn der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist (§§ 43 Abs. 3 Satz 2, 9b Abs. 1 GmbHG). Diese Regelungen gelten auch für andere Vereinbarungen, die einem Verzicht oder Vergleich wirtschaftlich gleichkommen,7 und legen die Frage nahe, ob die materiell-rechtlichen Vergleichsbeschränkungen auch für den Abschluss einer Schiedsvereinbarung gelten. Der Gesetzgeber des Schiedsverfahrens-Neuordnungsgesetzes 1997 hatte allerdings die Vorstellung, dass mit der Aufgabe des Kriteriums der Vergleichsfähigkeit künftig grundsätzlich jeder vermögensrechtliche Anspruch Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein könne und Vorschriften über Verfügungs-, Vergleichs- oder Verzichtsverbote so zu interpretieren seien, dass eine Schiedsfähigkeit der zugrunde liegenden Ansprüche nicht ausgeschlossen sei.8 Auch in der Literatur herrscht demgemäß die Meinung, nachdem das Gesetz die Schiedsfähigkeit nicht mehr von der Vergleichsfähigkeit abhängig mache, spielten Einschrän4 RL 99/13/EWG des Rates v. 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 95 v. 21.4.1993, S. 29. 5 So von Westphalen, ZIP 2003, 2184, 2185 ff.; von Westphalen in FS Feigen, 2014, S. 355, 379 ff. 6 Vgl. etwa Seyfarth, Vorstandsrecht, 2016, § 22 Rz. 29; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 5; Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1107 f.; Herresthal, ZIP 2014, 345, 346 f.; Bauer/Arnold/Cramer, AG 2014, 677, 679 ff. 7 Statt aller Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 93 AktG Rz. 77; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 528; Bayer in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 9b GmbHG Rz. 1. 8 Begr. RegE SchiedsVfG, BT-Drucks.13/5274, S. 34.

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kungen der Vergleichsfähigkeit für die Schiedsabrede keine Rolle mehr.9 Das ist jedoch so einfach nicht. Schiedsfähigkeit von Organhaftungsansprüchen bedeutet nur, dass das Gesetz für sie nicht auf dem staatlichen Rechtsprechungsmonopol beharrt, sondern Staatsgericht und Schiedsgericht als im Prinzip gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeiten akzeptiert und deshalb die Wahl zwischen staatlicher und privater Gerichtsbarkeit der Privatautonomie überlässt. Deshalb wird man zwar in der Tat sagen müssen, dass das Verzichts- und Vergleichsverbot aus §§ 43 Abs. 3, 9b Abs. 1 GmbHG der Wahl eines Schiedsgerichts nicht entgegensteht, denn sonst würde für Ansprüche, die zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich sind, das staatliche Rechtsprechungsmonopol wieder eingeführt, das der Gesetzgeber für vermögensrechtliche Ansprüche gerade abschaffen wollte.10. Gleiches gilt im Hinblick auf die Dreijahresfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG; auch sie kann einer vorher getroffenen Schiedsabrede nicht entgegenstehen, weil andernfalls für die Dauer dieser Frist das staatliche Rechtsprechungsmonopol wieder gelten würde. Bei der Frage aber, ob einer Schiedsvereinbarung im Aktienrecht entsprechend § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG die Hauptversammlung zustimmen muss und 10 % des Grundkapitals ein Vetorecht besitzen, geht es nicht um das staatliche Rechtsprechungsmonopol, sondern es geht um die innergesellschaftliche Entscheidungskompetenz. Deshalb ist es jedenfalls nicht durch § 1030 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen, die Hauptversammlungskompetenz des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG und das Vetorecht der Minderheit auch auf den Abschluss einer Schiedsvereinbarung zu erstrecken. Diese Frage ist vielmehr davon abhängig, ob der Abschluss einer Schiedsvereinbarung im Lichte des Zwecks der Hauptversammlungs-Kompetenz einem Vergleich über die Forderung gleichgestellt werden muss. In der Literatur wird das mit dem Argument verneint, ein Vergleich regele den Inhalt des Anspruchs, während die Schiedsvereinbarung nur das Verfahren zu seiner Klärung erfasse.11 Dieses Argument greift jedoch zu kurz. Der Zweck des Hauptversammlungs-Vorbehalts für einen Vergleichsabschluss ist es, durch Einschaltung der Hauptversammlung ei9 Vgl. etwa Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 93 AktG Rz. 90; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 12; Werner, VersR 2015, 1084, 1087; Herresthal, ZIP 2014, 345, 346; zweifelnd jedoch Scholz/Weiß, AG 2015, 523, 529; Bayer, NJW 2014, 2546, 2549. 10 Vgl. näher Begr. RegE SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, 34 ff. 11 Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 93AktG Rz. 90; Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 116 AktG Rz. 162; Schumacher, NZG 2016, 969, 970.

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ner wechselseitigen Verschonung von Vorstand und Aufsichtsrat vorzubeugen12. Verfahrensregeln können bekanntlich von erheblicher Bedeutung für das Verfahrensergebnis sein, und eine Verschonung des Haftungsschuldners lässt sich nicht nur durch einen unmittelbaren Verzicht oder Vergleich erreichen, sondern auch durch die Vereinbarung einer Schiedsgerichtsbesetzung und von Verfahrensregeln, die dem Betroffenen günstig sind. Aber wenn die ZPO von der prinzipiellen Gleichwertigkeit eines Schiedsgerichts und der staatlichen Gerichte ausgeht,13 kann man wohl nicht bei der Auslegung anderer gesetzlicher Vorschriften unterstellen, ein Schiedsgericht sei generell weniger zuverlässig als ein staatliches Gericht. Überdies bleibt zu beachten, dass die Organe der AG bei Abschluss einer Schiedsvereinbarung nicht frei sind, sondern – worauf zurückzukommen ist – ihren Sorgfaltspflichten genügen und eine unabhängige und qualifizierte Besetzung des Schiedsgerichts sicherstellen müssen.14 Im Ergebnis spricht das dann doch wohl gegen eine Erstreckung des Hauptversammlungs-Vorbehalts und des Vetorechts der Minderheit aus § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG auf Schiedsvereinbarungen.

3. Schiedsvereinbarung a) Eine Schiedsvereinbarung mit Geschäftsführungs- und Vorstandsmitgliedern kann als Schiedsklausel im Anstellungsvertrag enthalten sein oder in Form einer selbständigen Schiedsabrede bei Abschluss des Anstellungsvertrags oder später ad hoc abgeschlossen werden. Mit Aufsichtsratsmitgliedern gibt es keine Anstellungsverträge, aber gesonderte Schiedsabreden sind auch hier denkbar.15 Zu beachten bleibt nur, dass die betroffenen Organmitglieder nach ganz herrschender Meinung bei Abschluss ihres Anstellungsvertrags oder einer gesonderten Schiedsabrede als Verbraucher i.S.v. § 13 BGB angesehen werden, da der Vertragsschluss weder einer gewerblichen noch einer selbständigen beruflichen Tätigkeit zuzurechnen sei.16 Das hat zur Folge, dass § 1031 Abs. 5 ZPO eingreift, wonach Schiedsvereinbarungen, an denen ein Verbraucher beteiligt ist, in einer gesonderten und von den Parteien eigenhändig zu unterzeichnenden Urkunde niedergelegt sei müssen. 12 Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 93 AktG Rz. 78; Hopt/Roth in Großkomm/ AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 505. 13 So Begr. RegE SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, S. 34. 14 So mit Recht auch Scholz/Weiß, AG 2015, 523, 529. 15 Ebenso Westermann, ZGR 2017, 38, 49 f. 16 Vgl. etwa Hölters in Hölters, 3. Aufl. 2017, § 93 AktG Rz. 344; Ellenberger in Palandt, 77. Aufl. 2018, § 13 BGB Rz. 3; Werner, ZWH 2015, 129, 132.

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b) Für die Entscheidung über den Abschluss der Schiedsvereinbarung ist das allgemein für die Verfolgung von Organhaftungsansprüchen berufene Organ zuständig. Im GmbH-Recht entscheidet also die Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 8 GmbHG). Im Aktienrecht liegt die Zuständigkeit beim Aufsichtsrat, wenn eine Schiedsvereinbarung mit Mitgliedern des Vorstands geschlossen werden soll (§ 112 AktG), Schiedsabreden mit Mitgliedern des Aufsichtsrats sind Angelegenheit des Vorstands (§§ 76, 78 Abs. 1 AktG). Soweit es um Schiedsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern einer AG geht, wird in der Literatur allerdings vereinzelt die Auffassung vertreten, hierüber entscheide die Hauptversammlung, weil diese den Aufsichtsrat bestelle, nach § 147 Abs. 1 AktG die Geltendmachung von Ansprüchen verlangen könne und generell das dem Aufsichtsrat übergeordnete Organ sei.17 Diese Auffassung ist unzutreffend. Die Zuständigkeit für die Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen Aufsichtsratsmitglieder liegt mit seiner allgemeinen Geschäftsführungs- und Vertretungskompetenz beim Vorstand, der deshalb die Gesellschaft auch bei Abschluss einer Schiedsvereinbarung mit einem Aufsichtsratsmitglied zu vertreten hat. Aus § 147 Abs. 1 AktG folgt nichts anderes. Nach dieser Vorschrift müssen Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats geltend gemacht werden, wenn die Hauptversammlung es beschließt. Das ist aber nur eine Entscheidung über das „Ob“ der Anspruchsverfolgung, nicht über das „Wie“, für das weiterhin das allgemein zuständige Organ zuständig bleibt, sofern nicht ein besonderer Vertreter bestellt wird. Das Argument schließlich, die Hauptversammlung sei das dem Aufsichtsrat übergeordnete Organ, wäre angesichts der zwingenden Zuständigkeitsverteilung zwischen den Organen der AG selbst dann nicht geeignet, eine Hauptversammlungs-Zuständigkeit zu begründen, wenn es zuträfe. Tatsächlich aber ist die Vorstellung eines Rangverhältnisses zwischen Hauptversammlung und Aufsichtsrat nach modernem Aktienrechtsverständnis eine Fehlvorstellung. Die Organe der Aktiengesellschaft stehen nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis, sondern sind mit je unterschiedlichen Aufgaben gleichgeordnet.18 17 Werner, VersR 2015, 1084, 1087; Thümmel in FS Geimer, 2002, S. 1331, 1339 f.; Thümmel in FS Schütze II, 2014, S. 633, 640; a.A. Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 4; zweifelnd Schumacher NZG 2016, 969, 970. 18 Vgl. etwa Mülbert in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2017, vor § 118 AktG Rz. 43; Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 119 AktG Rz. 1; Spindler in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 119 AktG Rz. 1.

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c) In jüngerer Zeit werden gehäuft Schadensersatzklagen durch besondere Vertreter erhoben, die gem. § 147 Abs. 2 AktG zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs durch die Hauptversammlung bestellt worden sind. Hier kann man die Frage aufwerfen, ob auch sie berechtigt sind, eine Schiedsvereinbarung mit den betroffenen Organmitgliedern abzuschließen. Die Frage dürfte weitgehend akademischen Charakter haben. Folgt man der herrschenden Meinung, die den besonderen Vertreter als Organ der Gesellschaft ansieht und ihm weisungsfreies Ermessen hinsichtlich des „Wie“ der Anspruchsverfolgung zuerkennt19, dürfte es naheliegen, ihm grundsätzlich auch die Geschäftsführungs- und Vertretungskompetenz für den Abschluss einer ad hoc-Schiedsvereinbarung einzuräumen. Besteht bereits eine Schiedsvereinbarung zwischen dem Organmitglied und der Gesellschaft, ist auch der besondere Vertreter daran gebunden. Demgegenüber wird man einen gem. § 148 AktG zur Klageerhebung ermächtigten Aktionär (falls es das in der Praxis überhaupt einmal geben sollte) nicht für berechtigt halten können, Schiedsvereinbarungen zu treffen. Denn anders als der besondere Vertreter nach § 147 AktG handelt der Aktionär nicht im Namen der Gesellschaft, sondern nur in Prozessstandschaft für diese und nur unter dem Vorbehalt, dass die Gesellschaft jederzeit berechtigt ist, den Anspruch selbst gerichtlich geltend zu machen (§ 148 Abs. 3 Satz 1 AktG). Besteht allerdings bereits eine Schiedsvereinbarung, muss auch der nach § 148 AktG ermächtigte Aktionär eine Schiedsklage erheben.20

4. Statutarische Schiedsklausel Nach herrschender Meinung kann die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für Organhaftungsansprüche auch durch eine statutarische Schiedsklausel begründet werden.21 Als Vorteil einer Satzungsklausel wird es in der

19 Vgl. nur LG München I v. 28.7.2008 – 5HK O 12504/08, AG 2008, 794 = ZIP 2008, 1588; Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 147 AktG Rz. 8; Mock in Spindler/ Stilz, 3. Aufl. 2015, § 147 AktG Rz. 98. 20 Zur Bindung an eine bestehende Schiedsvereinbarung bei der actio pro socio vgl. etwa BGH v. 12.11.1990 – II ZR 249/89, NJW-RR 1991, 423, 424; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 76. Aufl. 2018, § 1029 ZPO Rz. 25. 21 Hölters in Hölters, 3. Aufl. 2017, § 93 AktG Rz. 345; Westermann, ZGR 2017, 38, 52 f.; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 1, 6 ff.; Werner, VersR 2015, 1084, 1087; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 145 ff.; a.A. Thümmel in FS Geimer, 2002, S. 1331, 1337; K. Schmidt, ZHR 162 (1998), 265, 275 ff.

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Literatur bezeichnet, dass damit gegenüber allen Mitgliedern des Organs eine einheitliche Handhabe bestünde und divergierende Entscheidungen durch unterschiedliche Spruchkörper von vornherein vermieden werden könnten.22 Zivilprozessual stellt sich hierbei das Problem, dass die Schiedsvereinbarung wegen der Verbrauchereigenschaft der Organmitglieder nach § 1031 Abs. 5 ZPO in einer gesonderten und von den Parteien eigenhändig zu unterzeichnenden Urkunde niedergelegt sein muss. Eine satzungsmäßige Schiedsklausel kann dieses Erfordernis des § 1031 ZPO nicht wahren. Die herrschende Meinung sieht sie jedoch grundsätzlich als durch § 1066 ZPO gedeckt an. § 1066 ZPO erklärt die Vorschriften über das Schiedsverfahren auch dann für anwendbar, wenn Schiedsgerichte in gesetzlich statthafter Weise durch nicht auf Vereinbarung beruhenden Verfügungen angeordnet werden. Rechtsprechung und herrschende Meinung lassen hierunter auch satzungsmäßige Schiedsklauseln fallen, da sich jeder Gesellschafter der Satzung und der von ihr vorgeschriebenen Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfe und gleiches auch für Organmitglieder gelte, die aufgrund ihrer Organstellung ebenfalls an die satzungsmäßigen Bestimmungen gebunden seien.23 Folgt man dem, kann man jedenfalls den GmbH-Geschäftsführer durch eine statutarische Schiedsklausel binden. Es bleibt insoweit nur die Sonderfrage, ob dies auch gilt, wenn die Schiedsklausel erst nach der Bestellung des Organmitglieds durch Satzungsänderung eingeführt wird; das wird zu verneinen sein, auch wenn der Betroffene theoretisch die Möglichkeit hätte, sich der Schiedsklausel durch Amtsniederlegung zu entziehen.24

22 Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 6; Werner, ZWH 2015, 129, 134; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 145. 23 S. nur BGH v. 19.7.2004 – II ZR 65/03, BGHZ 160, 127, 132 = GmbHR 2004, 1214 m. Anm. Papmehl; OLG München v. 13.2.1997 – 29 U 4891/96, NJW-RR 1998, 198; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 9; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 145 f.; im Ergebnis auch Beckmann, Statutarische Schiedsklauseln im deutschen Recht und internationalen Kontext, 2007, S. 67 ff., 109 ff. mit umfassenden Nachweisen zum Meinungsstand in Fn. 336; ablehnend von Westphalen in FS Feigen, 2014, S. 355, 358 ff.; Müller/Keilmann, SchiedsVZ 2007, 113, 116; Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rz. 506. 24 Näher Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 7 ff.; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 146.

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Eine andere Frage ist, ob gleiches auch für die Aktiengesellschaft gilt oder die aktienrechtliche Satzungsstrenge einer statutarischen Schiedsklausel entgegensteht. Nach § 23 Abs. 5 AktG kann bekanntlich von den Vorschriften des Aktiengesetzes nur abgewichen werden, wenn es ausdrücklich zugelassen ist. Hingegen sind ergänzende Bestimmungen der Satzung zulässig, es sei denn, das Gesetz habe eine abschließende Regelung getroffen. Die Literatur hält eine statutarische Schiedsabrede für Organhaftungsansprüche auch in der AG für zulässig und begründet das mit der Überlegung, das Aktiengesetz schreibe die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte für Organhaftungsansprüche nicht zwingend vor, so dass Raum für ergänzende Regelungen der Satzung bleibe.25 Dabei wird jedoch übersehen, dass das Aktiengesetz die Kompetenzordnung zwischen den Organen der Gesellschaft zwingend regelt und die Verfolgung von Ersatzansprüchen in der Zuständigkeit von Aufsichtsrat bzw. Vorstand liegt. Die Hauptversammlung hat gewisse Kompetenzen bei der Frage des „Ob“ der Anspruchsverfolgung, insbesondere durch Anordnung der Anspruchsverfolgung nach § 147 AktG und Mitwirkung bei Verzicht oder Vergleich (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG). Mitspracherechte der Hauptversammlung hinsichtlich des „Wie“ der Anspruchsverfolgung kennt das Aktiengesetz jedoch nicht, sondern darüber entscheidet das im konkreten Fall zuständige Organ Aufsichtsrat oder Vorstand in eigener Verantwortung. Hierzu gehört auch die Frage, ob die Gesellschaft Rechtsschutz bei den staatlichen Gerichten suchen oder sich auf eine Schiedsvereinbarung einlassen soll.

III. Pros und Cons des Schiedsverfahrens Schiedsverfahren über Organhaftungsansprüche sind also möglich. Sie können ad hoc vereinbart werden oder schon im Anstellungsvertrag vorgesehen sein. In der GmbH ist auch eine Schiedsklausel in der Satzung wirksam, in der AG hingegen nicht. Aber was sind in Haftungsfällen die Vor- und Nachteile eines Schiedsgerichts gegenüber dem staatlichen Gericht?

25 So z.B. Hölters in Hölters, 3. Aufl. 2017, § 93 AktG Rz. 345; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 6 f., 12; Werner, VersR 2015, 1084, 1087; Bauer/Arnold/ Kramer, AG 2014, 345, 347; Herresthal, ZIP 2014, 345, 347; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 146 f.; a.A. etwa K. Schmidt, ZHR 162 (1998), 265, 282.

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1. Vertraulichkeit Als wesentlicher Vorteil eines Schiedsgerichtsverfahrens wird stets die Vertraulichkeit genannt.26 Das Schiedsverfahren erlaube der Gesellschaft unter Umständen eine Schadenskompensation, ohne den Vorgang in der Öffentlichkeit bekannt werden zu lassen und möglicherweise andere Geschädigte mit Ansprüchen gegen die Gesellschaft auf den Plan zu rufen.27 Jedenfalls aber seien die Schiedsverhandlungen vertraulich, und es sei dadurch gewährleistet, dass keine Unternehmensinterna oder gar Geschäftsgeheimnisse in aller Öffentlichkeit verhandelt werden müssten.28 Außerdem sei es auch für die betroffenen Organmitglieder von Vorteil, wenn der Streit über ihnen vorgeworfene Pflichtverletzungen nicht in der Öffentlichkeit verhandelt werden müsse.29 Das sind nachvollziehbare Überlegungen, die allerdings auch ihre Tücken haben. Die Hoffnung, das Schiedsverfahren werde nicht bekannt, ist oft eine Illusion. Die Publizitätspflichten, denen jedenfalls börsennotierte Gesellschaften heute unterliegen,30 und die menschliche Natur schließen es zumeist aus, einen größeren Schadensfall vertraulich zu behandeln. Wenn sich das Unternehmen entschließt, gegen die verantwortlichen Organmitglieder Ersatzansprüche zu verfolgen, hat es überdies häufig ein eigenes Interesse daran, dies auch bekanntzumachen und zu demonstrieren, dass Rechtsverstöße konsequent verfolgt werden.31 Ein Schiedsverfahren könnte dann sogar zur publizistischen Belastung werden, wenn der Eindruck entstünde, dass unter Ausschluss der Öffentlichkeit „gekungelt“ werden solle. Die Diskussion um das Handelsabkommen TTIP und die dort vorgesehenen Schiedsgerichte wird noch allen in Erinnerung sein. Ob der Gesichtspunkt der Vertraulichkeit aus der Sicht des Betroffenen für das Schiedsgericht spricht, ist nicht generell zu beantworten. Einerseits werden die meisten Anspruchsgegner es als Vorteil empfinden, 26 Vgl. etwa Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 93 AktG Rz. 89; Westermann, ZGR 2017, 38, 48; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Werner, ZWH 2015, 129; Werner, VersR 2015, 1084, 1085; Leuering, NJW 2014, 657 ff.; Herresthal, ZIP 2014, 345; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 144; Thümmel in FS Geimer, 2002, S. 1331, 1333 f. 27 Werner, ZWH 2015, 129; Leuering, NJW 2014, 657, 658. 28 Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Werner, VersR 2015, 1084, 1085; Herresthal, ZIP 2014, 345; Leuering, NJW 2014, 657, 658; Thümmel in FS Geimer, 2002, S. 1131, 1334. 29 Westermann, ZGR 2017, 38, 48; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2. 30 Darauf hinweisend auch Leuering, NJW 2014, 657, 658 f. 31 Werner, ZWH 2015, 129.

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wenn ihr Fall nicht im Lichte der Öffentlichkeit und mit der Presse im Saal verhandelt werden muss, andererseits kann aber gerade auch ein Interesse der Gesellschaft an vertraulicher Behandlung des Falles vor einem Schiedsgericht für den Betroffenen ein Argument sein, um das Schiedsverfahren abzulehnen und den Verfolgungseifer des Aufsichtsrats zu bremsen. Denn ARAG/Garmenbeck lässt es ausnahmsweise zu, von einer Anspruchsverfolgung abzusehen und den eingetretenen Schaden kompensationslos hinzunehmen, wenn die Anspruchsverfolgung selbst für das Unternehmen zu einer größeren Belastung würde.32 Bei dieser Abwägung können auch Vertraulichkeitsaspekte eine Rolle spielen. Eine Schiedsabrede im Anstellungsvertrag engt den Abwägungsspielraum insoweit ein und kann damit den Druck erhöhen, einen Anspruch im Schiedsverfahren geltend zu machen,33 den die Gesellschaft wegen der Öffentlichkeitswirkung vor staatlichen Gerichten vielleicht nicht geltend machen müsste.

2. Schnelligkeit Der zweite Vorteil des Schiedsverfahrens wird im Allgemeinen darin gesehen, dass es schneller gehe als beim staatlichen Gericht.34 Sowohl für die Gesellschaft als auch für die Betroffenen ist die Schnelligkeit des Schiedsverfahrens ein starkes Argument. Die Gesellschaft hat stets ein Interesse, den Fall schnell abzuschließen und sich wieder auf ihr eigentliches Geschäft zu konzentrieren. Und für die betroffenen Organmitglieder stellt die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in aller Regel eine erhebliche psychische Belastung dar. Je schneller man diese los wird, um so besser. Das kann ein wichtiger Gesichtspunkt sein, um sich auf eine Schiedsvereinbarung einzulassen. Die größere Schnelligkeit des Schiedsverfahrens resultiert allerdings nur daraus, dass Schiedsverfahren üblicherweise auf eine Instanz beschränkt sind, die Beteiligten also auf die Rechtsmittelinstanz verzichten.35 Der Vorteil der 32 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 255 f.; dazu etwa Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rz. 449; Goette in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 377, 386 ff.; Lutter in FS HoffmannBecking, 2013, S. 747, 749 ff.; Casper, ZHR 176 (2012), 617, 632 ff.; Koch, AG 2009, 93, 97 ff. 33 Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2. 34 Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 144; Herresthal, ZIP 2014, 345; Leuering, NJW 2014, 657, 659; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2. 35 Darauf hinweisend auch Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Herresthal, ZIP 2014, 345.

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Beschleunigung wird also mit dem Nachteil des Rechtsmittelverzichts erkauft.

3. Höhere Qualifikation Ein dritter häufig genannter Vorteil des Schiedsverfahrens soll darin liegen, dass die Schiedsparteien sich ihre Richter selbst aussuchen und auf diese Weise die Möglichkeit haben, für eine überlegene fachliche Befähigung und erforderliche Fremdsprachenkenntnisse zu sorgen.36 Das soll insbesondere von Vorteil sein, wenn es um die Beurteilung unternehmerischer Entscheidungen nach den Kriterien der Business Judgment Rule geht.37 Zu ergänzen bleibt, dass Schiedsgerichte sich für die Bearbeitung ihrer Fälle, deutlich mehr Zeit nehmen und sich intensiver um eine angemessene Vergleichslösung bemühen können, als dies dem staatlichen Gericht meist möglich ist.38 Ich bin gegenüber diesen Argumenten skeptisch. Richtig ist zwar, dass Schiedsgerichte zumeist mehr Zeit in die Bearbeitung des Falles investieren können, als ein staatliches Gericht. Aber die Qualifikation der Staatsrichter in der ersten und zweiten Instanz sollte man nicht unterschätzen, sondern bei den Kammern und Senaten, die sich mit gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen befassen, sind die Fachkenntnisse vielfach sehr hoch. Unternehmerische Erfahrung hat man beim LG in einer Kammer für Handelssachen immer, in einem Schiedsgericht selten. Und wenn man sieht, wie manche Beisitzer in Schiedsverfahren sich weniger als Richter denn als quasi-anwaltliche Interessenvertreter der sie benennenden Partei verstehen, stellt sich die Frage, ob nicht die Unabhängigkeit des Staatsgerichts die vielleicht besseren Fachkenntnisse des Schiedsgerichts aufwiegt. Das gilt noch um so mehr, wenn sich die Beisitzer nicht auf einen Obmann verständigen können und dieser dann von einer neutralen Institution benannt wird, denn in solchen Fällen ist eine besondere Fachkunde des Obmanns keineswegs stets gewährleistet. Das Argument der höheren Qualifikation hat großes Gewicht, wenn es sich mit Unabhängigkeit paart und die Parteien ein wirklich qualifiziertes und unabhängiges 36 Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 93 AktG Rz. 89; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Bauer/Arnold/Kramer, AG 2014, 677, 683 f.; Herresthal, ZIP 2014, 345; Werner, VersR 2015, 1084, 1085; Leuering, NJW 2014, 657, 659; Thümmel in FS Geimer, 2002, S. 1333, 1335. 37 Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Werner, VersR 2015, 1084, 1086; Leuering, NJW 2014, 657, 659. 38 So auch Werner, VersR 2015, 1084, 1085.

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Schiedsgericht zur Streitentscheidung berufen. Ein mit „Parteischiedsrichtern“ besetztes Schiedsgericht ist hingegen gegenüber dem staatlichen Gericht die schlechtere Wahl.

4. Verfahrensautonomie Das Schiedsverfahrensrecht der ZPO lässt Raum für Verfahrensregelungen der Parteien. Soweit es daran fehlt und keine zwingenden gesetzlichen Regelungen bestehen, werden die Verfahrensregeln vom Schiedsgericht nach freiem Ermessen bestimmt (§ 1042 Abs. 4 ZPO). In der Literatur wird auch in dieser Freiheit, das Verfahren zu regeln, ein Vorteil des Schiedsverfahrens gesehen.39 Aber hierbei geht es im Wesentlichen um Äußerlichkeiten wie den Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens und die Verfahrenssprache. Die Literatur empfiehlt überdies Vereinbarungen, die die Gesellschaft zur Vorlegung von Unterlagen verpflichten.40 Aber solche Regelungen sind zunehmend ohnehin schon Gegenstand der Anstellungsverträge, und gelegentlich gibt es auch entsprechende vertragliche Zusagen gegenüber den Mitgliedern des Aufsichtsrats. Selbst wenn es daran fehlt, wird den ausgeschiedenen Organmitgliedern auch vor den staatlichen Gerichten ein materiell-rechtliches Einsichtsrecht gegen die Gesellschaft zugebilligt, und im Prozess gelten zugunsten der Organmitglieder die allgemeinen Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast.41 Insoweit sind Regelungen in der Schiedsvereinbarung möglich, aber kein wirklich nennenswerter Fortschritt. Nicht disponibel ist hingegen die Beweislastverteilung des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, wonach bei Streit über die Frage, ob die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt wurde, die Beweislast beim Vorstandsmitglied liegt.42 Eine Abänderung dieser Beweislastverteilung wäre zumindest pflichtwidrig, richtigerweise aber sogar als eine – zwar nicht materiell-rechtliche, wohl aber prozessrecht-

39 Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2; Werner, ZWH 2015, 129; Werner, VersR 2015, 1084, 1085. 40 Vgl. etwa Schumacher, NZG 2016, 969, 971; Leuering, NJW 2014, 657, 660. 41 Dazu näher etwa BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 285 = GmbHR 2003, 113 m. Anm. Lelley = AG 2003, 381; Wiesner in MünchHdb/ AG, 3. Aufl. 2015, § 26 Rz. 25; Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 3.40. 42 A.A. anscheinend Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 93 AktG Rz. 89; Werner, VersR 2015, 1084, 1086; Leuering, NJW 2014, 657, 660.

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liche – Haftungsmilderung wegen Verstoßes gegen das Vergleichs- und Verzichtsverbot des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG unwirksam.

5. Schiedsverfahren als Instrument der Haftungsmilderung? Gelegentlich wird die Frage aufgeworfen, ob das schiedsrichterliche Verfahren nutzbar gemacht werden kann, um die aktienrechtliche Vorstandshaftung abzumildern, ohne an die engen Schranken des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG gebunden zu sein.43 Für das GmbH-Recht stellt sich die Frage nicht, da dort auf Organhaftungsansprüche ohnehin verzichtet oder die Haftung beschränkt werden kann, soweit nicht ausnahmsweise §§ 30 oder 43 Abs. 3, 9b Abs. 1 GmbHG berührt sind. Im Hinblick auf das Aktienrecht hat die Antwort einen rechtlichen und einen tatsächlichen Aspekt: Das Schiedsverfahren kennt den Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut (§ 1053 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dabei handelt es sich um nichts anderes als um einen Vergleich zwischen den Parteien, der vom Schiedsgericht lediglich in der Form eines Schiedsspruchs festgehalten wird. Gleichwohl stellt sich die Frage, wie sich diese Form des Schiedsspruchs zu materiell-rechtlichen Vergleichsbeschränkungen verhält. Der Gesetzgeber des Schiedsverfahren-Neuregelungsgesetzes, der für die Schiedsfähigkeit vermögensrechtlicher Ansprüche auf das frühere Kriterium der Vergleichsfähigkeit verzichtet hat, hatte möglicherweise die Vorstellung, dass damit auch ein Vergleich mit vereinbartem Wortlaut unabhängig von der materiell-rechtlichen Vergleichsfähigkeit möglich werde.44 Richtigerweise muss sich der Zweck der materiell-rechtlichen Vergleichsbeschränkung aber auch gegenüber einem Vergleich im Schiedsverfahren durchsetzen, ebenso wie materiell-rechtliche Vergleichsbeschränkungen auch für einen Vergleich vor dem Staatsgericht gelten. Materiell-rechtliche Vergleichsbeschränkungen werden durch § 1053 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht obsolet45 und dementsprechend gelten die Beschränkungen des § 93 Abs. 3 Satz 4 AktG auch für den schiedsgerichtlichen Vergleich mit vereinbartem Wortlaut.46 Ob ein Verstoß gegen § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG zur 43 Vgl. insbesondere Scholz/Weiss, AG 2015, 523. 44 Gleiche Einschätzung bei Voit in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2014, § 1053 ZPO Rz. 1. 45 Zutreffend Voit in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2014, § 1053 ZPO Rz. 1 m.w.N. 46 Hölters in Hölters, 3. Aufl. 2017, § 93 AktG Rz. 342; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 12; Scholz/Weiss, AG 2015, 523, 524 ff.; Leuering, NJW 2014, 657, 660.

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Nichtigkeit des gleichwohl erlassenen Schiedsspruchs mit vereinbartem Wortlaut führt oder dieser nur nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO aufgehoben werden kann und im Übrigen eine Pflichtverletzung des beteiligten Gesellschaftsorgans vorliegt, braucht hier nicht weiter vertieft zu werden.47 § 1051 Abs. 3 ZPO erlaubt es, das Schiedsgericht zu einer Entscheidung nach Billigkeit zu ermächtigen. Gälte das auch für Organhaftungsansprüche, wäre das Schiedsverfahren ein probates Mittel, um die mit Recht vielfach kritisierte Rigorosität des aktienrechtlichen Haftungsrechts abzumildern. Es liegt jedoch auf der Hand, dass eine solche Regelung jedenfalls dann nicht zulässig sein kann, wenn man es mit der nach wie vor ganz herrschenden Meinung und der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung dem Aufsichtsrat verwehrt, aufgrund bloßer Billigkeitserwägungen von einer Anspruchsverfolgung ganz oder teilweise abzusehen.48 Es wäre deshalb zumindest eine Pflichtverletzung des zuständigen Gesellschaftsorgans, würde es an einer Schiedsvereinbarung mitwirken, die das Schiedsgericht zu einer Billigkeitsentscheidung ermächtigt.49 Richtigerweise hätte es damit aber nicht sein Bewenden, sondern mir scheint es näherliegend, in einer solchen Abrede einen direkten Verstoß gegen das aktienrechtliche Verzichts- und Vergleichsverbot aus § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG zu sehen, mit der Folge, dass die Schiedsvereinbarung unwirksam wäre und ein entsprechender Schiedsspruch durch das Staatsgericht aufgehoben werden könnte (§ 1059 Abs. 2 lit. b ZPO).50 Aus rechtlicher Sicht ist das Schiedsverfahren damit kein taugliches Instrument zur Haftungsmilderung. Rein tatsächlich würde ich das hingegen nicht ganz so strikt formulieren. Es ist zwar nicht klar zu greifen, aber nach meinem Eindruck haben Schiedsgerichte stärker als staatliche Gerichte die Neigung, Billigkeitserwägungen in ihre Entscheidung einfließen zu lassen, auch wenn sie nicht nach § 1051 Abs. 3 ZPO zu einer Billigkeitsentscheidung ermächtigt sind. Aus der Sicht des betroffenen Vorstandsmitglieds wird auch dies einer der Abwägungsgesichtspunkte sein, wenn er vor der Frage steht, ob er einer Schiedsvereinbarung zustimmen will oder nicht. 47 Eingehend dazu Scholz/Weiss, AG 2015, 523, 526 f. 48 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 255 f = AG 1997, 377; Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 111 AktG Rz. 10; s.a. oben Fn. 32. 49 So auch Scholz/Weiss, AG 2015, 523, 527 f. 50 Insoweit a.A. Scholz/Weiss, AG 2015, 523, 527; wie hier wohl Habersack/ Wasserbäch, AG 2016, 2, 12.

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6. Erstreckung auf Dritte Der größte Nachteil des Schiedsverfahrens liegt demgegenüber darin, dass Schiedsvereinbarungen grundsätzlich nur inter partes wirken und eine Beteiligung Dritter ohne besondere Regelungen nicht möglich ist.51 Soll gegen mehrere Organmitglieder der Anspruch verfolgt werden, muss mit jedem Organmitglied eine Schiedsvereinbarung geschlossen sein, sonst endet man mit dem einen beim Schiedsgericht und mit dem anderen beim staatlichen Gericht und riskiert sich widersprechende Entscheidungen. Auch wenn mit allen Anspruchsgegnern eine Schiedsvereinbarung geschlossen wird, muss sichergestellt werden, dass nicht mehrere Schiedsverfahren mit unterschiedlich besetzten Schiedsgerichten geführt werden müssen, sondern es möglich ist, alle Betroffenen in einem Mehrparteienverfahren vor demselben Schiedsgericht in Anspruch zu nehmen. Das setzt voraus, dass sich alle Organmitglieder in der Schiedsvereinbarung der Zuständigkeit desselben Schiedsgerichts unterwerfen;52 außerdem muss sichergestellt sein, dass mehrere Schiedsbeklagte sich entweder auf einen Schiedsrichter einigen oder alle Schiedsrichter durch eine neutrale Instanz bestellt werden.53 Andernfalls müssen auch bei Schiedsabreden mit allen Betroffenen parallele Schiedsverfahren geführt werden, wobei man nicht ausschließen kann, dass jedes Schiedsgericht anders besetzt ist und jedes zu einer anderen Entscheidung kommt. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass im Schiedsverfahren ohne das Einverständnis des Streitverkündeten durch Streitverkündung keine Interventionswirkung herbeigeführt werden kann54 und ohne das Einverständnis aller Beteiligten keine Nebenintervention55 möglich ist. Das kann den Innenregress gegenüber anderen Haftungsschuldnern er51 Vgl. nur Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 76. Aufl. 2018, § 1029 ZPO Rz. 23; Voit in Musielak/Voit, 14. Aufl. 2017, § 1029 ZPO Rz. 8 f. 52 Näher Gharibian/Pieper, BB 2018, 387/390 ff.; vgl. auch Seyfarth, Vorstandsrecht, 2016, § 22 Rz. 38; Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rz. 2806 ff.; Thümmel in FS Geimer, 2002, S. 1333, 1341; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 148. 53 Vgl. dazu nur Gharibian/Pieper, BB 2018, 387/391f.; Voit in Musielak/Voit, 14. Aufl. 2017, § 1034 ZPO Rz. 3, § 1035 ZPO Rz. 7; Schütze in Wieczorek/ Schütze, 4. Aufl. 2014, § 1034 ZPO Rz. 10 ff. 54 Vgl. etwa Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 76. Aufl. 2018, § 1029 ZPO Rz. 23; Voit in Musielak/Voit, 14. Aufl. 2017, § 1042 ZPO Rz. 11. 55 Vgl. etwa Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 76. Aufl. 2018, § 1042 ZPO Rz. 14 „Streithilfe“; Voit in Musielak/Voit, 14. Aufl. 2017, § 1042 ZPO Rz. 11.

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schweren, weil ohne Interventionswirkung dem Regressschuldner der Einwand vorbehalten bleibt, die Schadensersatzklage der Gesellschaft gegen das Vorstandsmitglied sei falsch entschieden. Dieses Problem kann im Verhältnis zu anderen Haftungsschuldnern gelöst werden, indem man untereinander die Herstellung der Interventionswirkung vereinbart. Dazu werden diese aber nur bereit sein, wenn sie ohnehin vor dem gleichen Schiedsgericht mitverklagt sind, während Haftungsschuldner, die entweder gar nicht oder vor einem anderen Gericht in Anspruch genommen werden, kaum bereit sein dürften, sich der Interventionswirkung im Hinblick auf einen zu erwartenden Schiedsspruch eines anderen Schiedsgerichts zu unterwerfen. Was wegen der fehlenden Interventionswirkung einer Streitverkündung auch kaum funktioniert, ist der bei in Anspruch genommenen Vorstandsmitgliedern beliebte Gegenangriff, den Mitgliedern des Aufsichtsrats den Streit zu verkünden und Regressansprüche anzudrohen, da sie das beanstandete Geschäftsführungshandeln des Vorstands gebilligt hätten. Das ist zwar rechtlich meist eine leere Drohung, aber kann psychologisch durchaus seine Wirkung haben und eine dämpfende Wirkung auf den Verfolgungseifer des Aufsichtsrats ausüben. Man sollte als betroffener Vorstand deshalb auch diesen Gesichtspunkt bei der Frage, ob man sich auf eine Schiedsvereinbarung einlassen will, nicht außer Betracht lassen.

IV. Sorgfaltspflichten des für die Anspruchsverfolgung zuständigen Organs In der Aktiengesellschaft ist der Aufsichtsrat für die Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder zuständig. Er hat diese Aufgabe mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsorgans zu erfüllen. Gleiche Sorgfaltspflichten treffen den Vorstand bei der Anspruchsverfolgung gegenAufsichtsratsmitglieder. Dazu hat der BGH in der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung Maßstäbe festgelegt, die im Kern darauf hinauslaufen, dass der Vermögensschutz der Gesellschaft es in der Regel gebietet, erfolgversprechende Ersatzansprüche geltend zu machen, wenn nicht überwiegende andere Interessen der Gesellschaft entgegenstehen56. Diese Grundsätze betreffen das „Ob“ der Anspruchsverfolgung, lassen sich aber ohne weiteres auch für das „Wie“ der Anspruchsverfolgung nutzbar machen. Auch dabei muss das zuständige Gesellschaftsorgan so vorgehen, dass einerseits das Vermögensinteresse der 56 Vgl. oben Fn. 32.

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Gesellschaft an der Schadenskompensation befriedigt wird, zugleich aber andere Interessen der Gesellschaft möglichst gewahrt bleiben. Es muss also sowohl bei der Frage, ob überhaupt ein Schiedsgericht vereinbart werden soll, als auch bei der Ausgestaltung der Schiedsabrede abgewogen werden, welche Gesichtspunkte des Unternehmensinteresses für und gegen die ins Auge gefasste Schiedsvereinbarung sprechen. Dieser Abwägungsaufgabe kann sich das zuständige Organ nicht etwa mit dem Argument entziehen, die ZPO gehe von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit des Verfahrens vor den staatlichen Gerichten und des Schiedsverfahrens aus. Als gleichwertig hat der Gesetzgeber die Verfahren für die Beurteilung der Frage angesehen, ob für nicht vergleichsfähige Ansprüche ein Entscheidungsmonopol der staatlichen Gerichte vorbehalten bleiben sollte.57 Das heißt aber nicht, dass Staatsgericht und Schiedsgericht auch im Hinblick auf den Schutz der Vermögensinteressen der Gesellschaft gleichwertig sein müssten. Bei der Abwägung der Pros und Cons einer Schiedsvereinbarung handelt es sich um eine Abwägung von Zweckmäßigkeitsüberlegungen und damit um eine unternehmerische Entscheidung, bei der dem zuständigen Organ der Schutz der Business Judgment Rule der §§ 93 Abs. 1 Satz 2, 116 Satz 1 AktG zugebilligt werden muss. Das schließt allerdings die Frage nicht aus, ob bestimmte Gestaltungen außerhalb des Ermessensspielraums liegen und demgemäß pflichtwidrig sein können:

1. Verzicht auf die Rechtsmittelinstanz Die Schnelligkeit des Schiedsverfahrens resultiert im Wesentlichen daraus, dass das Schiedsverfahren üblicherweise auf eine Instanz beschränkt ist. Genau daraus ergibt sich aber ein Problem. Handelt der Aufsichtsrat wirklich pflichtgemäß, wenn er von vornherein durch eine entsprechende Schiedsvereinbarung auf die Rechtsmittelinstanz verzichtet und sich gleichsam blind der Entscheidung durch eine Instanz unterwirft? Auch das lässt sich nicht schon mit dem Argument rechtfertigen, die ZPO sehe Schiedsverfahren als den Verfahren vor dem staatlichen Gericht gleichwertig an. Denn auch eine Schiedsvereinbarung kann eine Rechtsmittelinstanz vorsehen, es ist nur nicht üblich. Und wenn das Gesetz eine Rechtsmittelinstanz per se als entbehrlich ansähe, würde

57 Begr. RegE SchiedsVfG, BT-Drucks. 13/5274, S. 34.

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die Staatsgerichtsbarkeit im Zivilverfahren schwerlich eine zweite Tatsacheninstanz bereitstellen. Der Verzicht auf die zweite Instanz kann sich, fasst man allein den Vermögensschutz der Gesellschaft ins Auge, als Nachteil des Schiedsverfahrens gegenüber dem Verfahren vor dem Staatsgericht entpuppen. Darf sich das für die Anspruchsverfolgung zuständige Organ darauf einlassen? Die Problematik wird vielleicht fassbarer, wenn man sich die Situation vorstellt, dass der Aufsichtsrat einen Anspruch beim Staatsgericht geltend macht, sich aber mit dem Vorstand im Vorhinein darauf einigt, dass beide Seiten auf ein Rechtsmittel verzichten und sich der erstinstanzlichen Entscheidung unterwerfen. Bei einer solchen Vereinbarung würde sich sofort die Frage aufdrängen, ob nicht möglicherweise das Verzichts- und Vergleichsverbot aus § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG tangiert oder jedenfalls gegen Sorgfaltspflichten verstoßen wird. Ebenso muss dann aber auch die Vereinbarung eines auf eine Instanz beschränkten Schiedsgerichts Zweifeln begegnen. Ich glaube trotzdem, dass die Beschränkung auf eine Instanz kein Grund ist, ein so ausgestaltetes Schiedsverfahren als Verstoß gegen das Vergleichsverbot oder per se als pflichtwidrig anzusehen. Eine andere Beurteilung wäre wohl nur plausibel, wenn man sagen müsste, der Verzicht auf die Rechtsmittelinstanz entwerte den Anspruch. Das würde jedoch nicht überzeugen. Zum einen weiß man im Vorhinein nicht, zu wessen Gunsten oder Lasten es ausgeht, wenn eine erstinstanzliche Entscheidung nicht angefochten werden kann. Zum anderen ist der Verzicht auf eine zweite Instanz umso unproblematischer, je qualifizierter das Schiedsgericht besetzt ist. Pauschalaussagen verbieten sich deshalb. Das Fehlen der zweiten Instanz ist allerdings ein Gesichtspunkt, den das zuständige Organ bei seiner Abwägung einbeziehen und angesichts dessen es überlegen muss, ob der mögliche Verfahrensnachteil der fehlenden Rechtsmittelinstanz durch andere Vorteile aus der Sicht des Unternehmens ausgeglichen wird. In diesem Zusammenhang kann vor allem die mit dem Verzicht auf eine Rechtsmittelinstanz verbundene Beschleunigungswirkung einen adäquaten Vorteil darstellen, denn das Unternehmen hat in aller Regel ein beträchtliches Interesse daran, die Angelegenheit schnell abzuschließen, um nicht länger Geld und Ressourcen hierfür einsetzen zu müssen und – häufig noch viel wichtiger – die öffentliche Diskussion zu beruhigen.

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2. Besetzung des Schiedsgerichts Entscheidet sich das zuständige Gesellschaftsorgan für ein Schiedsgericht, muss dieses so besetzt werden, dass es in der einem Staatsgericht vergleichbaren Weise die Gewähr für die „richtige“ Entscheidung des Rechtsstreits bietet. Fehlt dem Schiedsgericht dafür die Qualifikation, wird der Aufsichtsrat seinem Auftrag, die Vermögensinteressen der Gesellschaft durch Verfolgung aussichtsreicher Ansprüche zu wahren, nicht gerecht. Auch das zieht Folgefrage nach sich:

a) Einzelschiedsrichter Gelegentlich finden sich Schiedsgerichte, die nur mit einem Einzelschiedsrichter besetzt sind. Folgt man der Meinung, dass der Aufsichtsrat für einen hinreichend qualifiziertes Schiedsgericht sorgen muss, mag man die Frage stellen, ob er auch einen Einzelschiedsrichter vereinbaren darf oder damit seine Sorgfaltspflichten verletzt. Auch insoweit lässt sich jedoch kein per se-Verbot begründen, zumal auch bei LG und OLG Einzelrichter anstelle des kompletten Spruchkörpers entscheiden können (vgl. insbesondere §§ 348, 526 ZPO). Man muss allerdings bedenken, dass im staatlichen Verfahren bei Übertragung auf einen Einzelrichter immer noch zwei Instanzen bleiben, während im Schiedsverfahren durch den gleichzeitigen Verzicht auf eine Rechtsmittelinstanz und eine Kammerberatung die Fehleranfälligkeit der Entscheidung steigt. Es wäre übertrieben, daraus die generelle Forderung nach einem mehrköpfigen Schiedsgericht abzuleiten, aber ein Einzelschiedsrichter wird im Allgemeinen nur bei Streitigkeiten von geringer wirtschaftlicher Bedeutung oder bei Streitigkeiten in Betracht kommen, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erkennbar einfach gelagert sind.

b) Bestellung des Vorsitzenden Im Schiedsgericht ist die Person des Vorsitzenden von größerer Bedeutung als beim Staatsgericht. Wenn beide Parteien je einen Schiedsrichter benennen, ist häufig der Vorsitzende derjenige, dessen Votum den Ausschlag gibt. Es ist daher besonders wichtig, diese Position unabhängig und qualifiziert zu besetzen. Dazu gehört in meinen Augen, dass der Vorsitzende jedenfalls über die Befähigung zum Richteramt verfügt und dass seine Auswahl entweder durch die Parteien gemeinsam oder durch eine neutrale Instanz erfolgt. Ich habe ein Schiedsgericht erlebt, in dem die Parteien sich auf einen untadeligen Unternehmer als Obmann ver-

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ständigt hatten, der jedoch mit den Rechtsfragen überfordert war und sich dazu noch einem vom Beklagten benannten Schiedsrichter ausgesetzt sah, der sich kompromisslos als anwaltlicher Interessenvertreter des Beklagten verstand. Ebenso habe ich ein Schiedsgericht gesehen, bei dem der Aufsichtsrat die Auswahl des Obmanns dem Beklagten überlassen hatte, weil er die Öffentlichkeit des Staatsgerichts vermeiden wollte und anders die Zustimmung des Beklagten zur Schiedsabrede nicht bekommen hätte. So besetzte Schiedsgerichte bieten keine hinreichende Gewähr, ihre Aufgabe ordnungsgemäß zu erfüllen, und sich auf ein solches Schiedsgericht einzulassen, ist im Anwendungsbereich der ARAG/ Garmenbeck-Pflichten zur Verfolgung aussichtsreicher Ersatzansprüche mit den Sorgfaltspflichten des zuständigen Gesellschaftsorgans schwerer zu vereinbaren.

c) Haftungsausschluss zugunsten der Schiedsrichter? Ich stelle mir auch die Frage, ob sich der Aufsichtsrat auf die weitgehend übliche Regelung einlassen darf, dass im Schiedsrichtervertrag die Haftung der Schiedsrichter entsprechend § 839 Abs. 2 BGB ausgeschlossen wird. Einerseits kann man argumentieren, ein Haftungsausschluss führe nicht zur Schlechterstellung gegenüber dem Staatsgericht, da auch dort der Richter nicht hafte. Andererseits stehen beim Staatsgericht zur Gewährleistung richtiger Entscheidungen Rechtsmittelinstanzen zur Verfügung, die im Schiedsverfahren fehlen. Und ist es nicht auch wertungswidersprüchlich, wenn der Gesetzgeber die Haftung des Vorstands zwingend anordnet, um die Vorstandsmitglieder qua Haftungsandrohung zu sorgfältiger Amtsführung anzuhalten, dann aber der Aufsichtsrat den Schiedsrichter, der über die Ersatzansprüche zu entscheiden hat, von seiner Haftung freistellt? Gleichwohl lässt sich m.E. ein Verbot einer solchen Haftungsfreistellung nicht begründen. Die Haftungsfreistellung des Spruchrichters dient nicht nur den fiskalischen Interessen des Staates, sondern ist auch ein wichtiges Element zur Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit, derer es auch im Schiedsverfahren bedarf. Und wenn man es für wertungswidersprüchlich ansieht, dass das Gesetz eine Haftungsbefreiung des Vorstands ausschließt, die Haftungsfreistellung des Schiedsrichters aber zulässt, ist dies weniger ein Argument gegen die Haftungsfreistellung des Schiedsrichters als ein weiterer Beleg

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dafür, dass der zwingende Charakter der Vorstandshaftung rechtspolitisch fragwürdig ist.58.

V. AGB-Inhaltskontrolle Schiedsvereinbarungen im Anstellungsvertrag werden typischerweise von der Gesellschaft vorformuliert und in allen Anstellungsverträgen verwendet. Abgesehen davon sind die Organmitglieder Verbraucher i.S.v. § 13 BGB mit der Folge, dass die Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB auf eine von der Gesellschaft vorformulierte Schiedsvereinbarung auch dann zur Anwendung kommt, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt ist und das Organmitglied aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Im Ergebnis wird das vielfach zur Anwendung der §§ 307 ff. BGB führen, die Bereichsausnahme für Verträge auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts (§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB) greift wohl nicht ein.59 Das führt zu der Frage, ob eine Schiedsklausel zu Organhaftungsansprüchen sich als unangemessene Benachteiligung des Organmitglieds darstellt. Der BGH geht grundsätzlich davon aus, dass eine formularmäßige Schiedsklausel keine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners begründet und deshalb auch kein besonderes Bedürfnis für die Einsetzung eines Schiedsgerichts seitens des Verwenders erforderlich ist.60 Vereinzelt ist in der Literatur für Schiedsklauseln zur Managerhaftung hingegen die Auffassung vertreten worden, eine Schiedsvereinbarung stelle eine unangemessene Benachteiligung des Organmitglieds dar, weil die Möglichkeit der Streitverkündung nicht bestehe und daher für einen nachfolgenden Regressprozess gegen andere mitverantwortliche Organmitglieder die Interventionswirkung nicht hergestellt werden könne. Das führe für den Betroffenen bei Bestehen einer D&O-Versicherung dazu, 58 Vgl. dazu nur Bachmann, Reform der Organhaftung, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, Band I, S. 9 ff.; Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 3.45; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 26 f., 398 ff. 59 Ebenso Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 4 f.; a.A. Herresthal, ZIP 2014, 345, 349 ff.; der im Wege teleologischer Reduktion die AGB-Kontrolle von Schiedsabreden zwischen Geschäftsleiter und Gesellschaft ausschließen will. 60 BGH v. 13.1.2005 – III ZR 265/03, BGHZ 162, 9, 16; ebenso etwa Schumacher, NZG 2016, 969, 970; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 6; Werner, ZWH 2015, 129, 132; Herresthal, ZIP 2014, 345, 352.

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dass er im Verhältnis zum D&O-Versicherer seiner Regresssicherungsobliegenheit aus § 86 Abs. 2 VVG nicht nachkommen könne und deshalb der D&O-Versicherer von der Leistungspflicht frei werde oder diese jedenfalls angemessen kürzen könne, wenn er später im Regress ausfalle.61 Ob die Regresssicherungsobliegenheit wirklich so weit geht,62 braucht hier nicht vertieft zu werden. Denn das Problem stellt sich auch unabhängig von dem Bestehen einer D&O-Versicherung. Die fehlende Möglichkeit zur Herstellung der Interventionswirkung ist für das betroffenen Organmitglied auch dann von Nachteil, wenn keine D&O-Versicherung besteht, sondern es ohne Versicherungsschutz zum Schadensausgleich verpflichtet und anschließend gezwungen ist, gegen Mitverantwortliche Regress zu nehmen. Der BGH hat sich mit diesem Gesichtspunkt bislang, soweit ersichtlich, nicht befasst. In der Literatur wird eingewandt, der Gesetzgeber habe im Rahmen der Schiedsverfahrensnovelle 1997 anerkannt, dass die Schiedsgerichtsbarkeit eine der staatlichen Gerichtsbarkeit gleichwertige Form des Rechtsschutzes bilde, und zwar ungeachtet der Unanwendbarkeit der §§ 68 ff. ZPO.63 Dass der Gesetzgeber Schiedsverfahren als grundsätzlich gleichwertig anerkannt hat, heißt aber nicht, dass Nachteile nicht existierten und schließt es nicht aus, es als eine unangemessene Benachteiligung anzusehen, wenn diese Nachteile einem Organmitglied durch vorformulierte Klauseln auferlegt werden. Das liegt bei einer formularmäßigen Schiedsgerichtsabrede für Managerhaftungsfälle vielmehr nahe, weil gerade in Fällen der Organhaftung häufig eine gesamtschuldnerische Haftung mehrerer besteht und sich im Innenverhältnis Regressfragen stellen. Dann aber ist es durchaus eine gravierende Belastung, wenn der in Anspruch Genommene keine Möglichkeit hat, die Interventionswirkung herzustellen, sondern das Risiko läuft, in einem späteren Regressprozess von einem anderen Spruchkörper gesagt zu bekommen, er sei zu Unrecht verurteilt worden und könne deshalb auch nicht Regress nehmen.64 Mir scheint es auch aus diesem Grunde nötig, durch Ausgestaltung der Schiedsabrede sicherzustellen, dass in Anspruch genommene Vorstandsmitglieder jedenfalls die Möglichkeit haben, anderen

61 von Westphalen in FS Feigen, 2014, S. 355, 375 ff. 62 Ablehnend Werner, VersR 2015, 1084, 1088; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 5 f. 63 Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 6; Werner, VersR 2015, 1084, 1088. 64 Ebenso wohl Westermann, ZGR 2017, 38, 51.

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möglicherweise mithaftenden Vorstandsmitgliedern den Streit zu verkünden.

VI. Schiedsverfahren und D&O-Versicherung Bei der Abwicklung von Organhaftungsfällen ist neben den betroffenen Organmitgliedern und der Gesellschaft in aller Regel eine D&O-Versicherung beteiligt, und in den Versicherungsbedingungen finden sich häufig Klauseln, die der D&O-Versicherung die Regulierung und Prozessführung übertragen.65 Das begründet wohl eine Obliegenheit, dem Versicherer die Prozessführung zu überlassen.66 In diesen Fällen bedarf es also schon aufgrund der Versicherungsbedingungen des Einverständnisses des D&OVersicherers, wenn ad hoc eine Schiedsvereinbarung getroffen werden soll. Aber auch wenn man von dem Inhalt der Versicherungsbedingungen absieht, wäre es sowohl für die Gesellschaft als auch für das betroffene Organmitglied problematisch, eine Schiedsvereinbarung ohne Zustimmung des D&O-Versicherers zu schließen, weil zweifelhaft ist, ob die D&OVersicherung in diesem Fall an die Entscheidung des Schiedsgerichts gebunden wäre. Normalerweise ist der Haftpflichtversicherer bei einer Inanspruchnahme im Deckungsverhältnis an das im Haftungsprozess gegen die versicherte Person ergangene Urteil gebunden. Verklagt die Gesellschaft ihr Vorstandsmitglied vor den staatlichen Gerichten auf Schadensersatz und wird das Organmitglied verurteilt, kann die D&O-Versicherung im anschließenden Deckungsprozess nicht mehr einwenden, der Haftungsprozess sei falsch entschieden.67 Ob das aber auch gilt, wenn im Haftungsprozess ohne das Einverständnis des D&O-Versicherers ein

65 Vgl. etwa Ziff. 4.4 AVB-AVG (Stand: August 2017) „Der Versicherer ist bevollmächtigt, alle ihm zur Abwicklung des Schadens oder Abwehr der Schadensersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen der versicherten Person abzugeben. Kommt es in einem Versicherungsfall zu einem Rechtsstreit über Schadensersatzansprüche gegen versicherte Personen, ist der Versicherer zur Prozessführung bevollmächtigt. Er führt den Rechtsstreit im Namen der versicherten Personen.“ 66 Voit in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, AVB-AVG Rz. 14 m.w.N.; a.A. Herdter, VP 2014, 46, 47; 67 BGH v. 18.2.2004 – IV ZR 126/02, VersR 2004, 590 f.; BGH v. 24.1.2007 – IV ZR 208/03, VersR 2007, 641, 642.

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Schiedsgericht entschieden hat, ist höchst ungewiss und umstritten.68 Gegen eine Bindungswirkung spricht zum einen, dass der Versicherer, wird er nicht eingebunden, an der Besetzung des Schiedsgerichts nicht beteiligt ist, und zum anderen, dass er im Schiedsverfahren nicht die Möglichkeit der Nebenintervention hat und auf den Ausgang des Schiedsverfahrens keinen unmittelbaren Einfluss nehmen kann. Es gelten hier ähnliche Überlegungen wie im Falle des Anerkenntnisses des Versicherungsnehmers. Ein solches Anerkenntnis schließt die Leistungspflicht des Versicherers nicht aus (§ 105 VVG), aber der Versicherer ist daran auch nicht gebunden. Die Interessenlage bei einem ohne Zustimmung des Versicherers vereinbarten Schiedsverfahren ist ähnlich, und es liegt deshalb nahe, dem Versicherer auch bei einem ohne seine Zustimmung geführten Schiedsverfahren im Haftungsprozess den Einwand einzuräumen, der Haftungsprozess sei falsch entschieden. Vor diesem Hintergrund ist für die Praxis klar, dass eine Schiedsvereinbarung ohne Zustimmung des D&O-Versicherers nicht abgeschlossen werden kann und etwa kraft Anstellungsvertrags oder Satzung bereits bestehende Schiedsvereinbarungen bei Abschluss des D&O-Versicherungsvertrags die Billigung des Versicherers finden müssen. Der D&OVersicherer muss aber nicht notwendig ein Interesse am Abschluss einer Schiedsvereinbarung haben. Das Vertraulichkeitsargument betrifft ihn nicht, und auch an der größeren Schnelligkeit des Schiedsverfahrensist ihm nicht unbedingt gelegen, sondern wenn die Angelegenheit nicht einvernehmlich erledigt werden kann und es zum Rechtsstreit kommt, wird sein Interesse eher darauf gerichtet sein, Zeit zu gewinnen. Es spricht allerdings einiges für die Annahme, dass der D&O-Versicherer zur Zustimmung verpflichtet ist, wenn Schiedsvereinbarung und Versicherungsbedingungen ihm die Möglichkeit der Nebenintervention und der Auswahl des Schiedsrichters bieten.69 Aber wenn man darüber stets im Einzelfall verhandeln muss, ist es einfacher, gleich zum Staatsgericht zu gehen.

68 Für eine Bindungswirkung auch im Schiedsverfahren Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 6; Lücke in Prölls/Martin, 29. Aufl. 2015, § 100 VVG Rz. 59; a.A. Sieg, VersR 1984, 501; Langheid in Langheid/Rixecker, 5. Aufl. 2016, § 100 VVG Rz. 36; Büsken, Allgemeine Haftpflichtversicherung, 5. Aufl. 2003, S. 15; zweifelnd auch Schumacher, NZG 2016, 969, 971. 69 Ebenso Schumacher, NZG 2016, 969, 971.

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VII. Fazit Versucht man aus alledem ein Fazit zu ziehen, lässt sich vielleicht folgendes sagen: Ein Schiedsverfahren für Organhaftungsstreitigkeiten ist für die Gesellschaft und die betroffenen Organmitglieder vor allem wegen der damit verbundenen Beschleunigung von Interesse. Hinzu kommt der Vertraulichkeitsaspekt. Die wesentlichen Nachteile liegen im Verlust der Rechtsmittelinstanz und den Problemen der Dritteinbeziehung. Die Gesellschaft kann sich auf eine Schiedsvereinbarung vernünftigerweise nur einlassen, wenn sichergestellt ist, dass sie alle gesamtschuldnerisch haftenden Organmitglieder in einem Mehrparteienverfahren in Anspruch nehmen kann, und für die Organmitglieder ist es wichtig, dass sie in der Lage sind, durch Streitverkündung die Interventionswirkung zumindest gegenüber anderen Mitgliedern desselben Gesellschaftsorgans herbeizuführen. Außerdem muss eine Besetzung des Schiedsgerichts sichergestellt sein, die für eine unabhängige und fachkundige Streitentscheidung bürgt. Nur dann wird man auch erwarten können, dass die D&O-Versicherer dem Schiedsverfahren zustimmen. Das alles erfordert einen erheblichen Regelungs- und Abstimmungsaufwand, der jedenfalls ad hoc-Schiedsvereinbarungen eher als unattraktiv erscheinen lässt, weil es einfacher ist, an Stelle langer Verhandlungen über eine angemessene Schiedsvereinbarung das staatliche Gericht anzurufen. Wünschenswert wäre es deshalb, dass die mit Schiedsverfahren befassten Institutionen speziell für Organhaftungsfälle eine Schiedsordnung entwickeln, die die Zustimmung der D&O-Versicherer findet, das Problem der Einbeziehung Dritter zufriedenstellend löst sowie einen Kreis von Schiedsrichtern bereitstellt, deren Unabhängigkeit und Fachkunde außer Zweifel steht und die im Idealfall nicht durch die Parteien, sondern die entsprechende Institution ausgewählt werden sollten. Bestrebungen in diese Richtung existieren, und man darf sich wünschen, dass sie erfolgreich abgeschlossen werden können. Solange es daran fehlt, mag es hier und da im Einzelfall Konstellationen geben, in denen ein Schiedsverfahren empfiehlt und sich als praktikabel erweist, aber große Bedeutung wird die Schiedsgerichtsbarkeit für Organhaftungsansprüche nicht erlangen. Ob und wie ggf. es gelingen kann, ein Schiedsverfahren nicht auf das Haftungsverhältnis zwischen Gesellschaft und Organmitglied zu beschränken, sondern auch das Deckungsverhältnis zum D&O-Versiche-

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rer in ein einheitliches Schiedsverfahren zu integrieren, ist nicht Gegenstand dieses Beitrags, sondern ein Thema, zu dessen Lösung weitere erhebliche Rechtsprobleme bewältigt werden müssten.70 Viel gewonnen wäre aber schon mit einem für alle Seiten akzeptablen Schiedsverfahren im Haftungsverhältnis.

70 Vgl. dazu Werner, VersR 2015, 1084, 1089 f.; zu Fragen eines Schiedsverfahrens im Deckungsverhältnis auch Schumacher, NZG 2016, 969, 972 ff.

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Bericht über die Diskussion des Referats Krieger Nikolas J. Klein, LL.M. (Cambridge) Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Freie Universität Berlin

I. In der von Gregor Bachmann geleiteten Diskussion zeichnete sich mehrheitlich Skepsis der Diskutanten gegenüber der Geeignetheit des Schiedsverfahrens für Organhaftungsklagen ab, wobei insbesondere die fehlende Rechtsmittelinstanz und die Problematik der Bindung des D&O-Versicherers wiederholt als Kritikpunkte aufgegriffen wurden. Als Konsens kann festgehalten werden, dass Organhaftungsklagen im Schiedsverfahren jedenfalls erheblichen Gestaltungsaufwand bei den Schiedsvereinbarungen erfordern. Das Meinungsspektrum erstreckte sich dabei von Wortmeldungen, die in aller Regel die besseren Argumente für die staatlichen Gerichte sprechen ließen (so explizit Hanno Merkt, ähnlich Olaf Berner und Philipp Kärcher, differenzierend Klaus J. Hopt), bis zu Karl Peter Puszkajler, der das Schiedsverfahren auch für den Bereich der Organhaftung als echte Alternative verteidigte und die Gestaltungsanforderungen an die Schiedsregelung für handhabbar erachtete. Der Referent sprach sich für eine differenzierte Betrachtung aus, wollte sich aber entgegen der Mehrzahl der Diskussionsbeiträge eher in der Nähe der Position Puszkajlers verstanden wissen.

II. Merkt eröffnete die Diskussion, indem er Kriegers kritische Beurteilung des Rechtsmittelverzichts aus der Richter-Perspektive bekräftigte und dringend empfahl, sich dies vor Abschluss einer Schiedsvereinbarung vor Augen zu führen: Am für Vollstreckbarkeitsverfahren nach §§ 1060, 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO sachlich zuständigen Senat des OLG Karlsruhe beobachte er häufig ein böses Erwachen der Parteien, wenn diese erfolglos versuchten, gegen einen aus ihrer Sicht misslungenen Schiedsspruch vorzugehen. Die Parteien übersähen nämlich regelmäßig, dass ein einmal erlassener Schiedsspruch im Vollstreckbarkeitsverfahren nur aufgrund der in § 1059 Abs. 2 ZPO aufgelisteten Kardinalfehler wieder aufgehoben wird. Solch fundamentale Verstöße gegen elementare Grundsätze der Rechtsordnung unterliefen den regelmäßig äußerst erfahrenen Schieds-

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richtern in der Praxis nicht. Wegen der für die Parteien häufig überraschend fehlenden Rechtsmittelinstanz sprächen in Organhaftungsfällen in aller Regel die besseren Argumente gegen das Schiedsverfahren. Hopt berichtete von der Tagung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) in Düsseldorf im Mai. Er sei dort Moderator der Podiumsdiskussion zum Thema Schiedsgerichtsbarkeit zur Lösung von Organhaftungs- und D&O-Versicherungsfällen gewesen und habe als überwiegende Meinung vernommen, dass das Schiedsverfahren für Organhaftungsfälle erhebliche Probleme bereithalte, insbesondere im Zusammenhang mit der D&O-Versicherung. Anschließend richtete er eine Frage an den Referenten als Praktiker: Die gebotene Bindung aller Vorstandsmitglieder sei in einem einzelnen Vorstandsanstellungsvertrag nicht zu verwirklichen. Wenn nun darüber hinaus auch der gesamte Aufsichtsrat gebunden werden solle und im Konzern möglicherweise gar die Organe aller Konzerngesellschaften, stelle sich für ihn die Frage, ob und ggf. wie diese Bindung in der Praxis erreicht werden könne. Abschließend ergänzte Hopt als wesentliches Argument für das Schiedsverfahren im internationalen Kontext, dass Schiedsrichter mit Sachverhalten und Unterlagen in verschiedenen Ländern und Sprachen regelmäßig besser umgehen könnten als staatliche Richter. Gerade hier sei jedoch unbedingt vorab die Bindung der D&O-Versicherung an den Schiedsspruch abzuklären. Denn in solchen internationalen Kontexten seien häufig nicht nur eine, sondern ganze Konsortien von D&O-Versicherern beteiligt, von denen einzelne selbst im Ausland sitzen können. Berner knüpfte an die Ausführung des Referenten an, Abschluss und Inhalt einer Schiedsvereinbarung mit dem Vorstand durch den Aufsichtsrat seien entsprechend der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH zu beurteilen. Konsequent fortgedacht müsse dies dazu führen, dass eine pflichtgemäße, fundierte Entscheidung zielgenau nur auf den einzelnen Haftungsfall bezogen und nicht pauschal möglich sei, da der Aufsichtsrat die Vor- und Nachteile des Schiedsverfahrens nur im konkreten Einzelfall sachgerecht im Interesse der Gesellschaft abwägen könne. Dies bedeute dann wiederum, dass Schiedsvereinbarungen über Organhaftungsansprüche nur ad hoc getroffen werden könnten, was praktisch kaum einen Anwendungsbereich belasse. Denn es wäre bereits nicht sicher, ob das in Haftung genommen Organmitglied sich noch im Haftungsfall auf eine Vereinbarung einlassen würde. Gravierender dürfe jedoch sein, dass eine Erstreckung der Schiedsvereinbarung auf andere

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Organmitglieder im Sinne einer Streitverkündung kaum ad hoc zu realisieren wäre. Ohne die Möglichkeit, andere Organmitglieder als Gesamtschuldner in das Verfahren zu ziehen, könne dem in Haftung genommenen Organmitglied aber nicht zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung geraten werden. In diesem Zusammenhang sei auch die Anspruchssicherungsobliegenheit des § 86 Abs. 2 VVG zu beachten, die ggf. die Möglichkeit einer Streitverkündung notwendig mache. Kärcher schloss sich den Bedenken seiner Vorredner an der Tauglichkeit des Schiedsverfahrens für den Bereich der Organhaftung an. Er habe auf der Frühjahrstagung der DIS im Mai den weitgehenden Konsens vernommen, dass sich Organhaftungsansprüche aus den genannten Gründen nicht für das Schiedsverfahren eigneten. Dort sei ebenfalls der Verlust der Rechtsmittel eines der wesentlichen Argumente gewesen. Hierzu merkte er ergänzend an, dass nicht nur im Vollstreckbarkeits-, sondern auch im Rahmen des Anfechtungsverfahrens nach § 1059 ZPO neben dem ordre public-Verstoß auch der Verstoß gegen das schiedsrichterliche Verfahren gem. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d) ZPO zur Aufhebung des Schiedsspruchs führe und verwies auf einen Beschluss des BGH vom 2.5.2017 (Az. I ZB 1/16), indem dieser eine Vollstreckbarerklärung des OLG Karlsruhe im Beschwerdeverfahren gem. § 1065 Abs. 1 ZPO aufhob und zur erneuten Entscheidung an das OLG zurückverwies. Da mithin auch bezüglich eines Verfahrensfehlers zwei staatliche Kontrollinstanzen – wenn auch mit abgeschwächter Kontrolldichte – bestünden, verliere das Endgültigkeitsargument gegen das Schiedsverfahren an Schlagkraft. Im Anschluss meldete sich Eberhard Vetter zum vermeintlichen Vorteil der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens zu Wort und gab zu bedenken, dass diese nicht gegenüber den Aktionären gelten könne. Da ein Schiedsverfahren kaum zwischen zwei Jahreshauptversammlungen abgeschlossen werde, relativiere sich dieser Vorteil durch die Berichtspflicht des Aufsichtsrats nach § 171 Abs. 2 AktG und das Fragerecht der Aktionäre in der Hauptversammlung, welches sich mittelbar aus § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG ableiten lasse. Franz Rupert Enderle ergänzte zur D&O-Problematik, dass in der Praxis außer Versicherungskonsortien auch mehrstufige (Rück-)Versicherungen vorkämen, was die Schwierigkeiten bei der Streitverkündung und allgemein der Bindung der D&O-Versicherer weiter verschärfe. Einzig Puszkajler widersprach der „einseitigen Kritik“ seiner Vorredner: Nach seinen praktischen Erfahrungen als staatlicher Richter und als Schiedsrichter könne man weder die fehlende Rechtsmittelinstanz als

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pauschales Argument gegen das Schiedsverfahren anführen, noch sei die Einbindung des D&O-Versicherers ein unüberwindbares Hindernis. Das Schiedsverfahren weise insgesamt mehr Flexibilität als das staatliche Verfahren auf und komme daher durchaus als echte Alternative in Betracht. In der letzten Wortmeldung richtete Thomas Stoll die Frage an den Referenten, ob die Schiedsklage auch zur Abwendung des Klageerzwingungsverfahrens nach § 148 AktG geeignet wäre und ob der Antragsteller des Klageerzwingungsverfahrens in diesem Fall im Schiedsverfahren beizuladen wäre.

III. In seiner abschließenden Stellungnahme dankte Krieger zunächst Merkt für seine Zustimmung, wollte aber nicht so pauschal verstanden werden, dass in aller Regel schon wegen der fehlenden Rechtsmittelinstanz die besseren Argumente gegen das Schiedsverfahren sprechen. Hier sah er sich eher auf der Seite Puszkajlers, dass das Schiedsverfahren eine echte Alternative zum staatlichen Verfahren darstelle und die Entscheidung für oder gegen eine Schiedsregelung von den jeweiligen Umständen abhänge. Die Frage Hopts beantwortete er dahingehend, dass in der Tat sinnvollerweise mit sämtlichen Vorstandsmitgliedern Schiedsvereinbarungen getroffen werden müssten und theoretisch auch mit den Aufsichtsratsmitgliedern, was jedoch wegen der geringeren Bedeutung der Organhaftungsklagen gegen Aufsichtsräte nicht die gleiche praktische Relevanz habe, wie Schiedsvereinbarungen mit den Vorständen. Ein praktisches Problem bei Aufsichtsräten sei die Verortung der Schiedsvereinbarung in Ermangelung eines Anstellungsvertrags. Theoretisch sei dies in einer Zusatzvereinbarung zwar möglich, das habe er in der Praxis aber noch nie gesehen. Hopts Argument bzgl. des Sprachvorteils des Schiedsverfahrens in internationalen Kontexten bestätigte Krieger genauso wie die Vermutung, dass die Bindung internationaler D&O-Versicherungskonsortien mitunter unüberwindbare Hindernisse bereiten könne. Die Schlussfolgerung Berners, dass pflichtgemäße Schiedsvereinbarungen nur ad hoc möglich seien, würdigte Krieger als interessante Erwägung, die er aber im Ergebnis für unzutreffend hielt: Eine pauschale ex ante-Schiedsregelung sei durchaus auch im Rahmen der ARAG/Garmenbeck-Grenzen möglich, sofern sie sorgfältig gestaltet sei.

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Klein – Bericht über die Diskussion des Referats Krieger

Zur Anmerkung Kärchers, dass die Überprüfung von Schiedssprüchen auf Verfahrensfehler durch die staatlichen Gerichte die fehlende Rechtsmittelinstanz im Schiedsverfahren relativiere, bemerkte Krieger, dass den Parteien damit in der Regel wenig geholfen sei, weil diese eine Revision auf Subsumtionsfehler anstrebten. Der Referent bestätigte den Einwand Eberhard Vetters im Hinblick auf die nicht existente Vertraulichkeit gegenüber Aktionären, sofern er sich auf das „ob“ eines Organhaftungsverfahrens beziehe. Trotzdem bestehe weiterhin ein erheblicher Vorteil gegenüber einem staatlichen Verfahren, denn die Unternehmensinterna und Geschäftsgeheimnisse müssen den Aktionären gegenüber nicht offengelegt werden, zum einen weil insofern ein Auskunftsverweigerungsrecht bestehe, zum anderen weil die Aktionäre schon gar nicht wüssten, was sie konkret fragen sollen. Zur Frage Stolls vermutete Krieger, dass die Aktionäre an die Schiedsregelung gebunden seien, mit dem Versprechen, dies in der schriftlichen Ausarbeitung des Vortrags zu vertiefen.

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Stichwortverzeichnis Aktie – Verbriefung 14 f. Aktiengesellschaft – Darlehensbesicherung 13 f. – Minderheitsaktionär, Ausschluss 14 f. Arbeitnehmer – Whistleblowing 44 ff. Aufsichtsrat – Anspruchsverfolgung 197 ff. – Sorgfaltspflicht 197 ff. Auslandsgesellschaft – Löschung 10 f., 20 f. Beschlussmängelstreitigkeit – Gesellschafterversammlung 120 ff. Darlehensbesicherung – AG 13 f. – GmbH 9 f., 19 f. Erwerbsplan – Insiderinformation 74 ff. Geschäftsführer (GmbH) – Einladungsbefugnis 6 f. Gesellschafter-Geschäftsführer (GmbH) – Stimmverbot 8 f., 19, 175 Gesellschafterversammlung – Beschlussfeststellung 123 ff., 153 ff., 174 – Beschlussmängelstreitigkeit 120 ff. – Stimmverbot 127 ff., 134 ff., 175 GmbH – Darlehensbesicherung 9 f., 19 f. – eingeschriebener Brief 4 f., 18 ff. – Versammlungsleitung 150 ff. Insiderrecht – Beteiligungsaufbau 58, 74, 80, 81 – Handlung, legitime 64 ff. – Insidergeschäft 63 f., 74 ff.

– Insiderinformation 60 f., 66 f., 68 ff., 79 – Insiderverbot 60, 81 – Marktmissbrauchsverordnung 58 ff. – Marktsondierung 67 f., 80 – Mergers & Acquisitions 68 ff. Insiderinformation – Mergers & Acquisitions 68 ff. Kapitalmarktrecht – Konzernverantwortung 87 ff. Kartellrecht – Konzernverantwortung 87 ff. Kommanditist – Haftung 3 f. Konzerngesellschaftsrecht – europäisches ~ 108 Konzernleitung – Legalitätskontrollpflicht 98 ff. Konzernverantwortung – Finanzaufsichtsrecht 85 ff. – Kapitalmarktrecht 92 ff. – Kartellrecht 87 ff., 115 – Konzernhaftung 115 f. – Konzernleitungspflicht 98 ff., 113 f. – Treuepflicht 113 – Verschuldensprinzip 112 Limited – Löschung 10 f., 20 f. – Masseausgleich 5 f., 21 Marktmissbrauchsverordnung – Insidergeschäft 63 f., 74 ff. – Insiderinformation 68 ff., 79 – Insiderrecht 58 ff. – Vertraulichkeitsvereinbarung 81 Mergers & Acquisitions – Insidergeschäft 74 ff. – Insiderinformation 68 ff. – Insiderrecht 58 ff.

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Stichwortverzeichnis Minderheitsaktionär – Ausschluss 14 f. Organhaftung – Schiedsverfahren 181 ff. Schiedsverfahren – AGB-Inhaltskontrolle 202 ff. – D&O-Versicherung 204 ff., 209, 210 – Organhaftung 181 ff., 209, 210 – Rechtsmittelverzicht 208, 211 – Schiedsklausel 187 ff. – Schiedsvereinbarung 185 ff. – Sorgfaltspflichten 197 ff. – Verzichts- und Vergleichsverbote 183 ff. – Vor- und Nachteile 198 ff., 209 – Zulässigkeit 182 Stimmverbot – Rechtsgrundlage 134 ff. – wichtiger Grund 118, 127 ff., 134 ff., 138 ff. Trennungsprinzip – Konzernverantwortung 85 ff.

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Verein – Amtslöschung 2 f. – Betätigung, wirtschaftliche 2 f., 16 f. – Rechtsformverfehlung 2 f., 16 f. Versammlungsleiter – Beschlussfeststellung 153 ff., 174 – Bestellung 151 ff. – Haftung 163 ff., 177, 179 Vorstandsmitglied – Abberufung 11 f. – Vertrauensentzug 11 f., 21 f. Whistleblowing – Arbeitnehmerhaftung 48 ff. – Beschuldigter 53 f. – Compliance 54 f. – Datenschutz 54 f. – Entwicklung 24 ff., 53 – Mitarbeiter-Schutz 37 ff. – Unternehmenspraxis 29 ff., 54, 55 – Unterrichtungs- und Auskunftspflichten 42 f. – Verpflichtung 44 f. – Whistleblower-Hotline 32 ff., 54 – Whistleblower-Schutz 43 ff.

Tiefe

Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 1 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1998 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 1999, 146 S., brosch. 29,80 7. ISBN 978-3-504-62701-0 Bd. 2 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1999 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2000, 281 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62702-7 Bd. 3 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2000 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2001, 200 S., brosch. 38,– 7. ISBN 978-3-504-62703-4 Bd. 4 – Umwandlungen in den neuen Bundesländern nach der Rechtsprechung des BGH Von RiLG Dr. Guido Wißmann, RiLG Dr. Markus Märtens und VorsRiLG Dr. Enno Bommel. Herausgegeben von der Vereinigung. 2001, 171 S., brosch. 34,80 7. ISBN 978-3-504-62704-1 Bd. 5 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2001 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2002, 205 S., brosch. 42,80 7. ISBN 978-3-504-62705-8 Bd. 6 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2002 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2003, 204 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62706-5 Bd. 7 – Haftungsrisiken beim konzernweiten Cash Pooling Von RA Dr. Jochen Vetter und RA Dr. Christoph Stadler. Herausgegeben von der Vereinigung. 2003, 168 S., brosch. 34,80 7. ISBN 978-3-504-62707-2

Bd. 8 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2004, 195 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62708-9 Bd. 9 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2005, 187 S., brosch. 47,80 7. ISBN 978-3-504-62709-6 Bd. 10 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2005 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2006, 179 S., brosch. 47,80 7. ISBN 978-3-504-62710-2 Bd. 11 – Die GmbH-Reform in der Diskussion Sondertagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von

Tiefe

Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 12 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2007, 226 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62712-6 Bd. 13 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2008, 196 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62713-3 Bd. 14 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2008 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2009, 206 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62714-0 Bd. 15 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2010, 182 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62715-7 Bd. 16 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2010 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2011, 254 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62716-4 Bd. 17 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2012, 215 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62717-1 Bd. 18 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2013, 205 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62718-8 Bd. 19 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2014, 166 S., brosch. 44,80 7. ISBN 978-3-504-62719-5 Bd. 20 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2015, 244 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62720-1 Bd. 21 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2016, 192 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62721-8 Bd. 22 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2017, 252 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62722-5