Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016 9783504385507

Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH (Prof. Dr. Lutz Strohn) Rechtsstellung des besonderen Vertre

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Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016
 9783504385507

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Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung

Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (Hrsg.) Band 22

Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mit Beiträgen von

Prof. Dr. Gregor Bachmann Universitätsprofessor, Berlin

Dr. Hilke Herchen Rechtsanwältin, Hamburg

Dr. Marc Löbbe Rechtsanwalt, Frankfurt am Main

Dr. Birgit Spießhofer Rechtsanwältin, Berlin

Prof. Dr. Lutz Strohn Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe

Dr. Thomas Wachter Notar, München

2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-62722-5 ©2017 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: VUA Schaus, Büttelborn Printed in Germany

Vorwort Mit diesem 22. Band der VGR-Schriftenreihe werden die Referate und Diskussionsberichte der 19. Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung vorgelegt, die am 4. November 2016 in Frankfurt stattgefunden hat und mit rund 400 Teilnehmern erneut ausgebucht war. Traditionsgemäß begann die Tagung mit dem Bericht über die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH, diesmal durch den Stellvertretenden Vorsitzen des II. Zivilsenats, Prof. Dr. Lutz Strohn, der sich dankenswerterweise bereiterklärt hatte, das Referat anstelle des erkrankten Senatsvorsitzenden zu übernehmen. Er stellte von den zahlreichen im Berichtszeitraum liegenden erledigten Verfahren je drei Entscheidungen aus den Bereichen Personengesellschaftsrecht, GmbH-Recht und Aktienrecht vor, darunter wichtige Urteile zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ein bestimmtes Abstimmungsverhalten fordern kann, zur Abfindung bei Einziehung von Geschäftsanteilen und zur Mitteilungspflicht nach § 20 AktG. Im Anschluss behandelte Dr. Marc Löbbe den besonderen Vertreter nach § 147 AktG. Die Bestellung besonderer Vertreter durch die Hauptversammlung spielt in der Praxis seit einiger Zeit eine gewisse Rolle, zumeist in Fällen, in denen eine Aktionärsminderheit die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Mehrheitsaktionär fordert, der bei der Abstimmung gemäß § 136 AktG vom Stimmrecht ausgeschlossen ist. Das Referat behandelt die in vielen Punkten bestehende Unsicherheit über die Rechtsstellung des besonderen Vertreters, insbesondere die Frage des erforderlichen Konkretisierungsgrades des Einsetzungsbeschlusses, des Umfangs des dem besonderen Vertreter zuzubilligenden (beschränkten) Informationsrechts und seiner Entscheidungsspielräume bei der Geltendmachung des Ersatzanspruchs. Zum Abschluss des Vormittags gab Dr. Birgit Spießhofer einen Einblick in die unter der Überschrift Corporate Social Responsibility (CSR) seit langem fortschreitende transnationale Rechtsentwicklung, die – zumal nach den neuen Berichtspflichten, die die Umsetzung der CSR-Richtlinie mit sich bringen wird – jetzt auch in Deutschland erst allmählich Aufmerksamkeit findet. Das Referat beschreibt eine „schleichende Revolution“, die davon gezeichnet ist, den Unternehmen immer mehr CSR-Ver-

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Vorwort

antwortung aufzuerlegen, auf breiter Front Legalität durch Legitimität der Unternehmensführung zu überlagern, den unternehmerischen Verantwortungsbereich immer weiter auszudehnen und das konzernrechtliche Trennungsprinzip in Frage zu stellen. Der Nachmittag begann mit dem Vortrag von Dr. Hilke Herchen, die sich mit Beschlussmängeln im GmbH- und Personengesellschaftsrecht auseinandersetzte. Da das Beschlussmängelrecht dort nicht kodifiziert ist, führen Beschlussmängelstreitigkeiten immer wieder zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Das Referat gibt Anregungen für vorausschauende Gestaltungen im Gesellschaftsvertrag und plädiert dafür, jedenfalls die auf Rechtssicherheit und Bestandskraft zielenden Grundelemente der §§ 241 ff. AktG in das Recht der Personengesellschaften und der GmbH zu übertragen. Prof. Dr. Gregor Bachmann befasste sich anschließend mit der derzeit äußerst umstrittenen Frage des Dialogs zwischen Investor und Aufsichtsrat. Hierzu hat eine private Arbeitsgruppe acht Leitsätze entwickelt und die Kodex-Kommission hat das Thema inzwischen in Form einer Anregung in Ziff. 5.2 Abs. 2 DCGK 2017 ebenfalls aufgegriffen. Die elementare Frage hierzu ist, ob und ggf. in welchen Grenzen der Aufsichtsrat nach dem Aktiengesetz überhaupt zu einem Dialog mit Investoren befugt und wie dieser ggf. auszugestalten ist, um die vorrangige Geschäftsführungskompetenz des Vorstands nicht zu beeinträchtigen. Die Diskussion fiel erwartungsgemäß besonders lebhaft und kontrovers aus. Das Schlussreferat von Dr. Thomas Wachter widmete sich dem Thema Brexit und Gesellschaftsrecht. Der bevorstehende Brexit wird rund 10.000 englische Limiteds mit Verwaltungssitz in Deutschland, rund 3.000 Ltd. & Co. KGs, einige PLC & Co. KGs sowie eine Reihe englischer SEs betreffen. Das Referat geht nach einem Überblick über Rechtsgrundlagen, Voraussetzungen und allgemeine Folgen des EU-Austritts eingehend auf die Fragen ein, wie sich der bevorstehende Wegfall der Niederlassungsfreiheit auf die betroffenen Gesellschaften auswirkt und welche Handlungsmöglichkeiten aus der Sicht der Gesellschaften und aus der Sicht des Gesetzgebers bestehen.

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Vorwort

Vorstand und Beirat der VGR danken allen, die zum Gelingen der 19. Jahrestagung beigetragen haben, insbesondere den Referenten, den Diskussionsleitern und -teilnehmern, den Verfassern der Diskussionsberichte sowie Frau Heike Wieland, in deren Händen wie immer die perfekte Vorbereitung und Organisation der Tagung lag. Düsseldorf, im Februar 2017 Für Vorstand und Beirat der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung Gerd Krieger

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Inhalt* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Lutz Strohn Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Malte Hansen Bericht über die Diskussion des Referats Strohn . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Marc Löbbe Die Rechtsstellung des besonderen Vertreters nach § 147 AktG . . .

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I. Einführung und Themeneingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Der besondere Vertreter in der neueren Rechtsprechung . . . . . .

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III. Entwicklungsgeschichtliche Verortung (historische Auslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Systematisch-teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Konsequenzen für die Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Thesen . . .

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Dr. Jonas Fischbach Bericht über die Diskussion des Referats Löbbe . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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* Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.

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Inhalt

Dr. Birgit Spießhofer, M.C.J. (New York University) Corporate Social Responsibility – „Indienstnahme“ von Unternehmen für gesellschaftspolitische Aufgaben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Unternehmerische Verantwortung – Einzelfragen . . . . . . . . . . . .

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III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Max Kolter Bericht über die Diskussion des Referats Spießhofer . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Hilke Herchen Beschlussmängel im GmbH- und Personengesellschaftsrecht . . . . .

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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Geltendes Recht und die Rechtsprechungsgrundsätze . . . . . . . .

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III. Vorschläge der Literatur, insbesondere Beschlüsse des Juristentags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 IV. Praktische Probleme und Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . 119 V. Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Dr. Daniel Otte, LL.M. (Boston Univ.) Bericht über die Diskussion des Referats Herchen . . . . . . . . . . . . . . . 129 Prof. Dr. Gregor Bachmann Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I. Einführung: „Leitsätze für den Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 II. Hintergrund und Bedeutung der Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 III. Die Kompetenz des Aufsichtsrats zum Dialog mit Investoren

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IV. Konstellationen eines Investorendialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 V. Allgemeine Schranken der Investorenkommunikation . . . . . . . 161 VI. Die Ausgestaltung des Investorendialogs im Einzelnen . . . . . . 171 VII. Zur neuen Kodex-Empfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

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Inhalt

Dr. Jan-Erik Schirmer Bericht über die Diskussion des Referats Bachmann . . . . . . . . . . . . . 181 Dr. Thomas Wachter Brexit und Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 B. Austritt eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union . . . . 194 I. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Voraussetzungen für einen Austritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 III. Rechtsfolgen eines Austritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 IV. Austritt aus der EU (nicht aus dem EWR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 V. Territoriale Folgen des Austritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 C. Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 I. Limited . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 II. Ltd. & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 III. Europäische Aktiengesellschaft (SE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 D. Zusammenfassung und Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Philipp Pauschinger Bericht über die Diskussion des Referats Wachter . . . . . . . . . . . . . . . 233 I. Sitzverlegung als Lösungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 II. Temporäre Anknüpfung als Lösungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . 233 III. Kosten als Ergebnis der Strukturierungsentscheidung . . . . . . . . 234 IV. Einfluss des englischen Rechtsdenkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 V. Schwierigkeiten in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 VI. Keine „Konservierung“ der Limiteds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 VII. Probleme der Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

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Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Lutz Strohn Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe I. Personengesellschaftsrecht . . 1. Prospekthaftung, Urteil vom 21.6.2016 – II ZR 331/14 . . . . 2. Auskunftsrecht des Kommanditisten, Beschluss vom 14.6.2016 – II ZB 10/15 . . . . . 3. Auflösung einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft, Urteil vom 8.12.2015 – II ZR 333/14. . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . 1. Treuepflicht der Gesellschafter, Urteil vom 12.4.2016 – II ZR 275/14 . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Voreinzahlung, verdeckte Sacheinlage, Urteil vom 19.1.2016 – II ZR 61/15. . . . . 3. Gesellschafterhaftung nach Einziehung, Urteil vom 10.5.2016 – II ZR 342/14. . . . III. Aktienrecht. . . . . . . . . . . . . . 1. Mitteilungspflichten der Gesellschafter, Urteil vom 5.4.2016 – II ZR 268/14. . . . . 2. Barabfindung beim Squeezeout, Beschluss vom 12.1.2016 – II ZB 25/14 . . . . . . . . . . . . . 3. Herabsetzung der Vorstandsvergütung, Urteil vom 27.10.2015 – II ZR 296/14. . .

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I. Personengesellschaftsrecht 1. Prospekthaftung, Urteil vom 21.6.2016 – II ZR 331/14 Im Berichtszeitraum seit der letztjährigen VGR-Tagung hatte sich der II. Zivilsenat des BGH wiederum mit zahlreichen Fällen aus dem Recht der als Personengesellschaften organisierten Fondsgesellschaften zu befassen. Einen „Grundfall“ aus diesem Bereich bildet die Sache II ZR 331/14. Sie betrifft die Prospekthaftung im weiteren Sinne. Fall: K beteiligte sich über einen Treuhänder an einem geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft. Er nimmt den Treuhänder und zwei Gründungsgesellschafter auf Rückzahlung seiner Einlage und Freistellung von allen Pflichten aus der Beteiligung in Anspruch, Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte aus der Beteiligung.

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Strohn – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

Grund: Er sei nicht ordnungsgemäß über die relative Höhe der „Weichkosten“ informiert worden. Lösung: Passivlegitimation: Während unter „Prospekthaftung im engeren Sinne“ die Haftung aufgrund spezieller Anspruchsgrundlagen zu verstehen ist – etwa aus § 306 KAGB –, bezeichnet die „Prospekthaftung im weiteren Sinne“ – um die es hier geht – eine Haftung für culpa in contrahendo nach § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB. Diese Haftung setzt ein Vertragsanbahnungsverhältnis voraus. Der beabsichtigte Vertragsschluss besteht bei einem Fonds-Beitritt in dem Aufnahmevertrag zwischen dem Neugesellschafter und sämtlichen Altgesellschaftern. Die Fondsgesellschaft selbst haftet dagegen nicht aus c.i.c., weil sie nach allgemeinen Grundsätzen an dem Aufnahmevertrag nicht beteiligt ist – die geschäftsführenden Gesellschafter handeln vielmehr im Regelfall nur aufgrund einer Vollmacht der (Alt-)Gesellschafter. Damit könnte sich der (Neu-)Gesellschafter an sämtliche (Alt-)Gesellschafter wenden, wenn er aus dem Vertragsanbahnungsverhältnis Ansprüche geltend machen will. Das wäre hinsichtlich der nur kapitalistisch beteiligten „Anlagegesellschafter“, die auf die Vertragsgestaltung und die Vertragsschlüsse erkennbar keinen Einfluss haben, grob unbillig. Denn sie sitzen „im selben Boot“ wie der Neugesellschafter. Sie sind im Zweifel ebenso durch eine fehlerhafte Aufklärung zum Vertragsschluss verleitet worden wie der Neugesellschafter. Deshalb beschränkt der Senat die c.i.c.-Haftung auf diejenigen Gesellschafter, die nicht nur kapitalistisch beteiligt sind. Das sind zweifelsfrei die Gründungsgesellschafter, die Einfluss auf die Vertragsgestaltung und die Vertragsschlüsse haben. Ob auch ein Treuhandgesellschafter, der nicht schon an der Gründung der Fondsgesellschaft beteiligt war, darunter fällt, ist nicht ganz klar. Er hat zwar Einfluss zumindest auf die Vertragsschlüsse, weil er die Treuhandverträge schließen muss. Wenn er aber ausschließlich Geschäftsanteile als Treuhänder hält und sich nicht auch mit einem „eigenen“ Anteil beteiligt hat, ist die Frage offen, ob er dennoch als „echter“ Gesellschafter zu behandeln ist und damit in den Kreis der für die c.i.c.-Haftung passivlegitimierten Altgesellschafter fällt. Aktivlegitimation: Auch insoweit bestehen wegen der Treuhandkonstruktion Besonderheiten. An sich könnte nur der Treuhänder Ansprüche aus c.i.c. geltend machen, da nur er Partner des Aufnahmevertrags mit den (Alt-)Gesellschaftern wird, während der Anleger nur Treugeber ist und als solcher grundsätzlich auf die Ansprüche aus der Treuhand beschränkt bleibt. In der Praxis sind die Treuhandverträge aber derart mit

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den Gesellschaftsverträgen „verzahnt“, dass im Innenverhältnis dem Treugeber-Gesellschafter die gleichen Rechte und Pflichten eingeräumt werden, wie sie ein „echter“ Kommanditist hat. Das beinhaltet etwa die Pflicht, die Einlage direkt an die Fondsgesellschaft zu zahlen, ferner die Informationsrechte, das Recht auf Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen, das Stimmrecht in den Gesellschafterversammlungen (!) und das Recht auf Gewinnausschüttung und anteilige Zahlung eines etwaigen Liquidationserlöses. Wer derart einem Kommanditisten gleichgestellt ist, hat im Innenverhältnis – und nur darum geht es hier – auch die Aktivlegitimation für die Schadensersatzansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis. Pflichtverletzung: Die haftungsbegründende Pflichtverletzung besteht bei der Prospekthaftung im weiteren Sinne in einem Aufklärungsmangel. Der Anleger wird nicht ordnungsgemäß aufgeklärt über die Chancen und Risiken des Anlageobjekts. Der Aufklärungsmangel kann im Rahmen einer mündlichen Beratung geschehen. Denn die Anspruchsgrundlage c.i.c. setzt keine Aufklärung durch einen Prospekt voraus. Dennoch ist in der Praxis die Übergabe eines Prospekts üblich – und weitgehend auch vorgeschrieben. Dann ist zu prüfen, ob der Prospekt den Anlageinteressenten ausreichend aufklärt. Der Anlageinteressent muss über alle Umstände, die für seine Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, verständlich und vollständig aufgeklärt werden. Dazu gehört auch – und insbesondere – eine Aufklärung über Umstände, die den Vertragszweck vereiteln können. Diese Gefahr kann bei den „Weichkosten“ bestehen. Dabei handelt es sich um Aufwendungen, die nicht in das Fondsobjekt fließen, wie etwa Vertriebsprovisionen. Sie erhöhen den Wert des Fondsobjekts nicht und sind deshalb ein Umstand, der die zu erwartende Rendite gefährden kann. Sind sie unverhältnismäßig hoch (. 15 %, BGH, Urt. v. 23.6.2016 – III ZR 308/15, Rz. 12 f.), muss darüber aufgeklärt werden. Das muss in verständlicher Weise geschehen. Es genügt nicht, dass der – durchschnittlich informierte – Anlageinteressent in der Lage ist, die relevanten Daten durch einen Abgleich von verschiedenen Prospektangaben zu ermitteln und sodann durch eine Reihe von Rechengängen die prozentuale Höhe der Weichkosten zu berechnen. Andererseits ist dem Anlageinteressenten aber zuzumuten, den Prospekt aufmerksam zu lesen und einen einfachen Rechenschritt vorzunehmen. Diesen Anforderungen genügt der Prospekt hier. Zwar sind die Vertriebskosten als absolute Zahl und als Prozentzahl aufgeführt, wobei die

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Strohn – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

Prozentzahl bezogen ist auf die Gesamtinvestition und nicht, wie es richtig wäre, auf das Anlagekapital. Da aber auf derselben Seite des Prospekts auch diese Gesamteinlagen in einer absoluten Zahl angegeben sind, kann man die Prozentzahl der Weichkosten, bezogen auf das Anlagekapital, unschwer errechnen. Damit liegt insoweit kein Prospektfehler vor.

2. Auskunftsrecht des Kommanditisten, Beschluss vom 14.6.2016 – II ZB 10/15 Die Sache II ZB 10/15 betrifft ein FamFG-Verfahren hinsichtlich des Informationsrechts des Kommanditisten. Fall: A ist Kommanditist der B, einer GmbH & Co. KG. Geschäftsgegenstand der B ist die Errichtung und der Betrieb von Windkraftanlagen. Dieses Vorhaben ist trotz geraumer Zeit noch nicht umgesetzt. B soll deshalb nach einem Verlangen des A diesem Informationen über die Gründe der Verzögerung geben. Die Instanzgerichte weisen den Antrag zurück, weil von § 166 Abs. 3 HGB nur Informationen bezüglich des Jahresabschlusses erfasst würden. Lösung: Das Informationsrecht des Kommanditisten aus § 166 Abs. 3 HGB ist – anders als das Einsichtsrecht aus § 166 Abs. 1 HGB – nicht auf Themen beschränkt, die der Prüfung des Jahresabschlusses dienen oder gar zum Verständnis des Jahresabschlusses erforderlich sind. Vielmehr begründet § 166 Abs. 3 HGB ein Recht des Kommanditisten – bei Vorliegen eines wichtigen Grundes – auf Informationen auch über die Geschäftsführung. Das ergibt die Auslegung des § 166 Abs. 3 HGB. So spricht schon der Wortlaut (sonstige Aufklärungen) dafür, dass hier mehr gemeint ist als die Informationen, die der Kommanditist schon über Abs. 1 der Norm erhalten kann. Die systematische Auslegung stützt dieses Ergebnis. Während § 166 Abs. 1 HGB ein anlassloses Informationsrecht gewährt, bedarf eine Information nach Abs. 3 eines wichtigen Grundes; und während das Recht aus § 166 Abs. 1 HGB im Verfahren vor dem Prozessgericht verfolgt werden muss, sind für die Durchsetzung des Rechts aus § 166 Abs. 3 HGB die Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach dem FamFG zuständig. Dieses Bild wird abgerundet durch die Entstehungsgeschichte des § 166 HGB und durch eine gleichartige Aus-

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legung des Informationsrechts des stillen Gesellschafters nach § 233 Abs. 3 HGB. In einer „Segelanweisung“ hat der Senat darauf hingewiesen, dass der Kommanditist nicht wie ein persönlich haftender Gesellschafter ein Recht auf jederzeitige Kontrolle der Geschäftsführung nach §§ 118, 166 Abs. 2 HGB hat und dass das Informationsrecht des Kommanditisten durch sein aus dem wichtigen Grund hergeleitetes Informationsbedürfnis begrenzt wird. Ein etwa eingeräumtes vertragliches Informationsrecht geht vor. Erst wenn damit das Interesse des Kommanditisten, die Gefahr einer Schädigung abzuwenden, nicht hinreichend gewahrt ist, kann sich ein Recht aus § 166 Abs. 3 HGB ergeben.

3. Auflösung einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft, Urteil vom 8.12.2015 – II ZR 333/14 Häufig kommt es aus Anlass des Ausscheidens eines Gesellschafters oder der Auflösung der Gesellschaft zu Streitigkeiten. Die Sache II ZR 333/14 betrifft einen Sonderfall, nämlich die Auflösung einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft. Fall: K ist neben zahlreichen anderen Personen atypischer stiller Gesellschafter der B, einer GmbH & Co. KG. Nach dem Gesellschaftsvertrag erhalten die Gesellschafter bei Ausscheiden oder „Liquidation“ eine Abfindung entsprechend dem Verhältnis ihrer Einlagen zu den Gesamteinlagen. Die stillen Gesellschafter beschließen die „Liquidation“ der stillen Gesellschaft zum 15.12.2009. K verlangt von B im Wege der Stufenklage Errechnung seines Auseinandersetzungsguthabens zum 15.12.2009. Das Berufungsgericht hält die Klage für unbegründet, weil der Liquidationsbeschluss nicht zur Vollbeendigung der Gesellschaft geführt habe, sondern zunächst die Gläubiger zu befriedigen seien. Lösung: Die mehrgliedrige stille Gesellschaft unterscheidet sich dadurch von einer Vielzahl „einfacher“ stiller Gesellschaften, dass bei der mehrgliedrigen stillen Gesellschaft Strukturen wie bei einer Kommanditgesellschaft bestehen. Nach dem vorliegenden Gesellschaftsvertrag soll „mehrgliedrig“ heißen, dass nur eine einzige atypisch stille Gesellschaft zwischen dem Geschäftsinhaber und allen atypisch stillen Gesellschaftern besteht,

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dass Gesellschafterbeschlüsse in Gesellschafterversammlungen oder im schriftlichen Beschlussverfahren gefasst werden und dass die Kündigung eines stillen Gesellschafters nicht die Auflösung der stillen Gesellschaft insgesamt, sondern lediglich das Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters zur Folge hat (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.2013 – II ZR 383/12, Rz. 18 ff.). Diese Ausgestaltung der stillen Gesellschaft betrifft aber nur das Innenverhältnis. Im Außenverhältnis bleibt es dabei, dass nur der Inhaber des Handelsgeschäfts in Erscheinung tritt, d.h. Rechte erwirbt und Verbindlichkeiten eingeht. Die stillen Gesellschafter treten im Außenverhältnis nicht auf. Deshalb hat die stille Gesellschaft weder ein Gesellschaftsvermögen, noch hat sie Schulden. Dann aber findet auch kein Liquidationsverfahren statt, in dem Vermögen versilbert wird und Gesellschaftsgläubiger befriedigt werden. Der Auflösungsbeschluss einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft führt damit – ebenso sie die Auflösung einer „normalen“ stillen Gesellschaft – nicht zur Liquidation, sondern zur sofortigen Vollbeendigung der Gesellschaft. Falls nichts anderes vereinbart ist, hat der Auflösungsbeschluss der stillen Gesellschaft dagegen keinen Einfluss auf das Recht des Geschäftsinhabers, sein Geschäft ohne die stillen Gesellschafter fortzuführen. Das ändert freilich nichts daran, dass sich der Geschäftsinhaber nach der Auflösung mit den stillen Gesellschaftern nach § 235 Abs. 1 HGB „auseinanderzusetzen“ hat. Er muss danach die im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Ansprüche oder die darin vorgesehenen Nachschusspflichten der stillen Gesellschafter berechnen und die entsprechenden Beträge auszahlen bzw. einfordern. Das geschieht aber – anders als bei einem klassischen Liquidationsverfahren – bezogen auf den Stichtag der Auflösung. Ob etwas anderes gilt, wenn die Gesellschaft, die als Inhaberin des Handelsgeschäfts auftritt, zeitgleich mit dem Auflösungsbeschluss der stillen Gesellschaft auch ihre Auflösung beschließt, hat der Senat offen gelassen.

II. GmbH-Recht 1. Treuepflicht der Gesellschafter, Urteil vom 12.4.2016 – II ZR 275/14 Das GmbH-Recht hat traditionsgemäß eine große und im Verhältnis zum Aktienrecht überragende Bedeutung in der Rechtsprechung des Senats. Teilweise gibt es auch Überschneidungen zum Recht der Personengesellschaften. Das gilt etwa für die Sache II ZR 275/14, in der es um die gesellschafterliche Treuepflicht geht.

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Fall: GmbH (B) ist Holding der Media-Saturn-Gruppe. Klägerin (K) ist an B zu 21,62 % beteiligt. Die restlichen Anteile hält die Streithelferin (S) der B. In der Gesellschafterversammlung werden Beschlüsse mit 80 % der Stimmen gefasst. Die Geschäftsführung der B legt der Gesellschafterversammlung 50 Vorschläge für die Eröffnung neuer Märkte vor. S stimmt in neun Fällen gegen den Beschlussentwurf und erklärt dabei, sie sei nicht gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen, sondern stimme aus formalen Gründen dagegen, weil sie der Auffassung sei, die Geschäftsführung habe dafür die alleinige Zuständigkeit. K erhebt Anfechtung- und positive Beschlussfeststellungsklage. Lösung: Rechnerisch hat B bezüglich der neun streitigen Märkte nicht die für einen Beschluss der Gesellschafterversammlung erforderliche 80-%-Mehrheit erreicht, so dass die Beschlussvorlage insoweit abgelehnt ist. Das wäre nur dann anders, wenn die Stimmen der S nicht mitzuzählen wären. Einem Stimmverbot nach § 47 Abs. 4 GmbHG unterliegt die S nicht. Ihre Stimmen könnten aber unwirksam sein, wenn sie damit gegen die gesellschafterliche Treuepflicht verstößt. Das kommt in Betracht, wenn die Entscheidung über die Eröffnung neuer Märkte der Gesellschafterversammlung vorbehalten wäre und nicht zu den von den Geschäftsführern selbst zu erledigenden Geschäften gehörte. Die Gesellschafterversammlung könnte zwar diese Kompetenz jederzeit an sich ziehen. Dafür wäre aber ein wirksamer Gesellschafterbeschluss erforderlich, der hier wegen der beiderseitigen Blockademöglichkeiten nicht zustande kommen kann. Der Senat hat sich mit der Frage, wer für die Eröffnung neuer Märkte zuständig ist, nicht befasst. Er hat vielmehr die Anforderungen, nach denen eine Stimmrechtsausübung wegen Treuwidrigkeit unwirksam ist, in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung präzisiert und dabei so hoch angesetzt, dass der vorliegende Streit nicht darunter fällt. Aufgrund der Treuepflicht muss ein Gesellschafter nur dann in einem bestimmten Sinne abstimmen, wenn die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich und dem Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist, wenn also der Gesellschaftszweck und das In-

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teresse der Gesellschaft gerade diese Maßnahme zwingend gebieten und ein Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigert. Zur Begründung hat der Senat darauf abgestellt, dass ein Gesellschafter nicht verpflichtet ist, seine Stimmabgabe zu begründen. Dann kann es ihm grundsätzlich auch nicht zum Nachteil gereichen, wenn er eine falsche oder gar törichte Begründung abgibt. Die Frage, was dem Interesse der Gesellschaft nützt und deren Zwecke fördert, sollen die Gesellschafter nicht im Rahmen einer Anfechtungsklage klären lassen. Dass ein Gesellschafter vermeintlich gegen die Interessen der Gesellschaft stimmt, müssen die übrigen Gesellschafter grundsätzlich hinnehmen. Die Stimmabgabe der S ist auch nicht wegen widersprüchlichen Verhaltens unwirksam. Ihr Abstimmungsverhalten ist nicht widersprüchlich, und selbst eine eindeutige Ankündigung einer bestimmten Stimmabgabe wäre nicht in dem Sinne verbindlich, dass sich der Gesellschafter davon nicht lösen könnte. Die Stimmabgabe der S ist schließlich auch nicht rechtsmissbräuchlich. Die S hat ihr Stimmrecht nicht dazu missbraucht, ausschließlich eigene Zwecke zu verfolgen, und etwa ihre Blockademacht dazu zu benutzen, ihren Lästigkeitswert zu erhöhen und so in den Genuss von ungerechtfertigten Sonderrechten zu kommen.

2. Voreinzahlung, verdeckte Sacheinlage, Urteil vom 19.1.2016 – II ZR 61/15 Obwohl den Senat nach dem Inkrafttreten des MoMiG nur noch wenige Fälle aus dem Bereich der Kapitalaufbringung erreichen, ist das eine Materie, mit der sich Insolvenzverwalter zwingend zu beschäftigen haben und die daher nach wie vor im Blick zu halten ist. Dazu hat die Sache II ZR 61/15 Gelegenheit gegeben. Fall: Gesellschafter und Geschäftsführer (= B) einer GmbH überweist am 31.3. in einer Schieflage 100.000 Euro an die Gesellschaft. Genauer Zweck ist unklar. Der Betrag wird von der Buchhalterin vorläufig als Gesellschafterdarlehen verbucht. Am 29.4. beschließt die Gesellschafterversammlung eine Kapitalerhöhung um 100.000 Euro. B übernimmt den neuen Geschäftsanteil. Am 5.6. überweist die Gesellschaft an B 100.000 Euro mit dem Verwendungszweck „Rückzahlung“. Am 9.6. überweist B an die Gesellschaft 100.000 Euro mit dem Verwendungszweck „Kapitaleinlage“. Im nachfolgenden Insolvenzverfahren verlangt der Insolvenzverwalter nochmalige Zahlung der 100.000 Euro.

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Lösung: Zu prüfen ist ein Anspruch aus §§ 14, 19 Abs. 1, § 55 Abs. 1 GmbHG, also aus der Pflicht, auf den übernommenen Geschäftsanteil die Einlage zu leisten. In Frage kommen dafür zwei Zahlungen, nämlich die vom 31.3. und die vom 9.6. Die Zahlung vom 31.3. hat schon grundsätzlich keine Erfüllungswirkung, weil zu dem Zeitpunkt, zu dem sie geleistet wurde, mangels eines vorherigen Beschlusses der Gesellschafterversammlung noch keine Einlagepflicht entstanden war. Eine „Voreinzahlung“ ist grundsätzlich unwirksam. Das ist nur in zwei Fallgestaltungen anders: Wenn das Geld – etwa in Form eines durchgängig in Höhe der geleisteten Zahlung bestehenden positiven Saldos auf dem Geschäftskonto – noch vorhanden ist, oder wenn es zur Abwendung einer Insolvenzreife benötigt wird und eine dafür vorgesehene Kapitalerhöhung wegen der Einladungsfrist zur Gesellschafterversammlung nicht rechtzeitig beschlossen werden kann. Beide Ausnahmen liegen hier nicht vor. Hinsichtlich der Zahlung vom 9.6. stellt sich die Frage, ob es sich dabei um eine verdeckte Sacheinlage i.S.d. § 19 Abs. 4 GmbHG handelt. Dazu muss – wie hier – eine Bareinlage vereinbart sein, im wirtschaftlichen Ergebnis aber – aufgrund einer entsprechenden Absprache – eine Sache oder eine Forderung des Gesellschafters einzubringen sein. Eine solche Forderung besteht hier in Form des Anspruchs wegen ungerechtfertigter Bereicherung aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB hinsichtlich der Zahlung vom 31.3. Das Berufungsgericht hatte angenommen, B könne sich nicht darauf berufen, dass er durch die Zahlung vom 31.3. einen Bereicherungsanspruch erlangt habe und dementsprechend kein Darlehen gegeben worden sei, weil er als (Gesellschafter-)Geschäftsführer nach § 41 GmbHG für die ordnungsgemäße Buchführung verantwortlich sei; und aus § 488 BGB habe der B keinen fälligen Anspruch. Das war schon deshalb falsch, weil es (auch) einem Geschäftsführer freistehen muss nachzuweisen, dass eine einzelne – ohne seine Kenntnis vorgenommene – Buchung falsch ist. Das ist mithin für das Revisionsverfahren zu unterstellen. Damit ist der Weg frei, die beiden Buchungen vom 5. und 9.6. als Verschleierung einer verdeckten Sacheinlage zu werten. Mit diesen Zahlungen wurde der Gesellschaft kein neues Eigenkapital zugeführt. Vielmehr verzichtet B auf die Erfüllung seiner Bereicherungsforderung. Er hätte diese Forderung – bei korrektem Vorgehen – als offene Sacheinlage einbringen können. Tatsächlich hat er sie als verdeckte Sacheinlage eingebracht. Die dafür erforderliche Absprache wird angesichts der kur-

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zen Zeiträume vermutet. Die Geschäftsführer dürfen deshalb bei der Anmeldung der Kapitalerhöhung beim Registergericht nicht die Erklärung nach § 8 Abs. 2 GmbHG abgeben, dass die (Mindest-)Einlage geleistet und sich endgültig in ihrer freien Verfügung befinde. Dass zunächst der Bereicherungsanspruch des B „zurückgezahlt“ und dann vier Tage später der gleiche Betrag als „Kapitaleinlage“ überwiesen wird, kann die Verknüpfung dieser beiden Zahlungen nicht aufheben. Die Reihenfolge spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass der Kapitalzufluss schon am 31.3. stattgefunden hat und am 5./9.6. nicht (erneut) 100.000 Euro an die Gesellschaft zur freien Verfügung der Geschäftsführer geleistet werden soll. Die Rechtsfolge der verdeckten Sacheinlage hat sich durch das MoMiG geändert. Nach § 19 Abs. 4 GmbHG ist der Wert des verdeckt eingebrachten Gegenstands auf den Bareinlageanspruch anzurechnen. B muss aber – anders als bei einer offenen Sacheinlage – darlegen und beweisen, dass seine Bereicherungsforderung einen Wert von 100.000 Euro oder ggf. einen bestimmten geringeren Wert hatte, dass seine Forderung also vollwertig oder teilweise vollwertig war. Um vollwertig zu sein, muss der Wert der Forderung den Betrag der übernommenen Geldeinlagepflicht erreicht haben. Eine gegen die Gesellschaft bestehende Forderung ist in diesem Sinne dann nicht vollwertig, wenn das Gesellschaftsvermögen bei Befriedigung der Forderung (in Höhe des Betrags der übernommenen Geldeinlagepflicht) nicht ausreichen würde, um alle (sonstigen) fälligen Forderungen der Gesellschaftsgläubiger zu erfüllen. Ist der Wert der im Wege der verdeckten Sacheinlage eingebrachten Forderung im maßgeblichen Zeitpunkt geringer als der Betrag der übernommenen Geldeinlagepflicht, so ist der Inferent nur im Umfang des anzurechnenden Werts von seiner Geldeinlagepflicht befreit.

3. Gesellschafterhaftung nach Einziehung, Urteil vom 10.5.2016 – II ZR 342/14 Sehr prozessträchtig sind Fragen im Zusammenhang mit der Einziehung und Ausschließung von Gesellschaftern. Hier geht es zum einen um die Anfechtung des Einziehungs- bzw. Ausschließungsbeschlusses, zum anderen um die Höhe und die Zahlbarkeit der Abfindung. Der Senat hat insoweit seine Rechtsprechung durch Urteil vom 24.1.2012 – II ZR 109/11 geändert. Diese Änderung hat er konkretisiert in der Sache II ZR 342/14.

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Fall: Kläger (K) und vier Beklagte (B) sind Gesellschafter einer GmbH. Nach dem Gesellschaftsvertrag können die Geschäftsanteile mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters eingezogen werden. Der Gesellschafter soll mit Zugang des Beschlusses ausscheiden. Eine Abfindung soll in drei gleichen Jahresraten zu zahlen sein, beginnend sechs Monate nach dem Stichtag des Ausscheidens. Die Gesellschafterversammlung beschließt am 30.6.2008 mit Zustimmung des K, dessen Geschäftsanteil einzuziehen und ihm als Abfindung je 300.000 Euro zum 1.8.2008, 1.2.2009 und 1.8.2009 zu zahlen. In einem „Vergleich“ vom selben Tag, an dem alle Gesellschafter beteiligt waren, werden weitere Einzelheiten festgelegt. So sollen B 1 und 2 ihre Geschäftsanteile an den K verpfänden. K soll berechtigt sein, die verpfändeten Anteile zu verwerten, wenn die Gesellschaft mit einer Abfindungsrate einen Monat in Verzug gerät. Die Einziehung soll erst mit Zahlung der ersten Rate und der notariell beurkundeten Verpfändung der Geschäftsanteile wirksam werden. B verpflichten sich, bis zur vollständigen Zahlung der Abfindung keine Gewinnausschüttungen vorzunehmen und ihre Geschäftsführergehälter um nicht mehr als 20 % zu erhöhen. Dem K werden die Anteile verpfändet und es werden ihm die ersten beiden Abfindungsraten gezahlt. Hinsichtlich der dritten Rate teilt ihm die Gesellschaft am 31.7.2009 mit, wegen einer bilanziellen Überschuldung zur Zahlung nicht in der Lage zu sein. Am 16.3.2010 wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet. K verlangt von B als Gesamtschuldnern Zahlung der letzten Abfindungsrate. Lösung: Ein Einziehungsbeschluss ist unwirksam, wenn schon bei Beschlussfassung feststeht, dass die Abfindung nicht aus freiem Vermögen – also aus Vermögen, das oberhalb der Stammkapitalziffer liegt – gezahlt werden kann. Das stand hier nicht fest, schon weil die Abfindung in Raten zu zahlen war. Problematisch ist dagegen, dass die Wirksamkeit der Einziehung im Gesellschaftsvertrag anders geregelt ist als in dem „Vergleich“ der Parteien. Das ist eine „punktuelle“ Satzungsdurchbrechung. Während eine dauernde Satzungsdurchbrechung zumindest anfechtbar ist, besteht bei der punktuellen Satzungsdurchbrechung insoweit ein Meinungsstreit. Der Senat brauchte dazu nicht Stellung zu nehmen. Denn jedenfalls ist

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(auch) eine punktuelle Satzungsdurchbrechung allenfalls ein Anfechtungsgrund, und angefochten ist der Einziehungsbeschluss wegen dieses Gesichtspunkts nicht. Damit ist der Beschluss analog § 241 Nr. 5, § 246 Abs. 1 AktG nicht wegen der Satzungsdurchbrechung nichtig. Auch sonst sind keine Gründe ersichtlich, warum die Einziehung unwirksam sein soll. Der Verzug mit der letzten Abfindungsrate kann den Beschluss jedenfalls nicht rückwirkend unwirksam machen. Schuldnerin der Abfindung ist die Gesellschaft. Sie kann mangels freien Vermögens nicht zahlen. Damit besteht der Anspruch fort, kann aber erst dann geltend gemacht werden, wenn die Gesellschaft wieder freies Vermögen hat. Zu prüfen ist, ob in dieser Situation die Gesellschafter persönlich haften. Das hat der Senat in seiner Grundsatzentscheidung vom 24.1.2012 – II ZR 109/11 angenommen und im vorliegenden Fall fortentwickelt. Die in der GmbH verbleibenden Gesellschafter werden durch den Untergang des Geschäftsanteils, der eingezogen wird, bereichert. Während zuvor das Gesellschaftsvermögen durch fünf geteilt werden musste, um den Wert der Beteiligung des einzelnen Gesellschafters zu ermitteln, muss es nun nur noch durch vier geteilt werden. Jeder der verbliebenen Gesellschafter „verdient“ also an der Einziehung in Höhe der Differenz zwischen 1/4 und 1/5, das sind 1/20. Auch wenn er diesen Betrag nicht in Form einer Gewinnausschüttung realisieren kann, weil bei Vorhandensein eines Gewinns der ausgeschiedene Gesellschafter wieder auf das Gesellschaftsvermögen zugreifen könnte, gibt es Wege, auf denen der Wertzuwachs den verbliebenen Gesellschaftern zugutekommt, etwa in Form entsprechender Geschäftsführergehälter. Wenn sie sich diese Wertsteigerung ihrer Geschäftsanteile gefallen lassen, ohne dafür zu sorgen, dass der Gesellschaft freies Vermögen zugeführt wird, verhalten sie sich treuwidrig. Dann ist es gerechtfertigt, sie persönlich pro rata haften zu lassen. Dass eine solche Haftung bei der GmbH keinesfalls systemwidrig ist, zeigen §§ 24 und 31 Abs. 3 GmbHG. Danach haften die Mitgesellschafter bei bestimmten Verstößen gegen die Grundsätze der Kapitalaufbringung und der Kapitalerhaltung. Um nichts anderes geht es bei der hier zu beantwortenden Frage. Als Ausweg aus dieser persönlichen Haftung zeigt der Senat die Möglichkeit einer Auflösung der Gesellschaft auf. Im Rahmen der Liquidation ist dann der Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters – ohne die Sperre der § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG – zu bedienen, soweit ausreichendes Gesellschaftsvermögen – inklusive stiller Reserven – vorhanden ist.

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Um diese verschiedenen Möglichkeiten prüfen und die entsprechenden Maßnahmen durchführen zu können, bedarf es eines gewissen Zeitfensters. Deshalb stellt der Senat in der vorliegenden Entscheidung nicht nur auf die Bereicherung der verbliebenen Gesellschafter ab, sondern auf den Verstoß gegen die gesellschafterliche Treuepflicht. Erst wenn die Gesellschafter völlig passiv bleiben oder gänzlich ungeeignete Maßnahmen einleiten, verstoßen sie gegen ihre Treuepflicht. Keine Rolle spielt dabei, ob die Einziehung mit oder ohne Zustimmung des ausscheidenden Gesellschafters erfolgt. Die Grundsatzentscheidung vom 24.1.2012 – II ZR 109/11 bezog sich auf eine Zwangseinziehung, die vorliegende Entscheidung betrifft eine Einziehung mit Zustimmung des Gesellschafters. Das Argument für eine persönliche Haftung ist in beiden Fällen gleich. Dass sich ein Gesellschafter bei einer Einziehung mit seinem Willen besser gegen Nachteile schützen kann, reicht noch nicht aus, um ein unterschiedliches Haftungsregime zu begründen. Entscheidungserheblich ist dagegen die Frage, ob die Gesellschaft tatsächlich kein freies Vermögen hat oder ob sie aus anderen Gründen zahlungsunwillig ist, etwa weil sie die Höhe der von dem ausscheidenden Gesellschafter geltend gemachten Abfindung bestreitet. Vor derartigen Umständen muss ein Gesellschafter nicht durch eine persönliche Haftung der Mitgesellschafter geschützt werden. Das ist sein normales Risiko, wie es jeden Gläubiger treffen kann. Das Gleiche gilt für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Damit ist die Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG von Gesetzes wegen aufgelöst. Die Frage, ob die verbliebenen Gesellschafter mittels einer Auflösung eine persönliche Zahlungspflicht vermeiden können, stellt sich also nicht mehr. Dass der ausgeschiedene Gesellschafter in dem Insolvenzverfahren wahrscheinlich keine Zahlung erhält, ist wiederum sein Risiko. Die Verschlechterung der Vermögenslage der Gesellschaft bis hin zur Insolvenzreife hat er durch die Stundung des Abfindungsanspruchs in Kauf genommen. Das ist nur dann anders, wenn die verbliebenen Gesellschafter die Insolvenzreife etwa bewusst herbeiführen, um die Abfindung nicht zahlen zu müssen, oder wenn sie die Stellung des Insolvenzantrags in unzulässiger Weise hinauszögern. Schließlich ist noch der „Vergleich“ der Parteien zu betrachten. Darin sind Regelungen vorgesehen, die den Nachteil, der mit der satzungsgemäß sofort wirksam werdenden Einziehung verbunden ist, abmildern sollen. Diese Regeln verlieren zwar mit der persönlichen Haftung der

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Mitgesellschafter an Bedeutung. Dennoch sind sie daraufhin zu überprüfen, ob sie auch nach der neuen Rechtslage noch wirksam und vielleicht auch ausreichend sind, um eine Ausnahme von der persönlichen Haftung der Mitgesellschafter annehmen zu können. Das kommt hier etwa in Bezug auf die Verpfändung der Geschäftsanteile zweier Mitgesellschafter in Betracht, wenn K damit die Auflösung der Gesellschaft hätte erzwingen können.

III. Aktienrecht 1. Mitteilungspflichten der Gesellschafter, Urteil vom 5.4.2016 – II ZR 268/14 Im Aktienrecht standen nur wenige Grundsatzentscheidungen an. Die Sache II ZR 268/14 war eine davon. Sie betraf die Mitteilungspflichten nach § 20 AktG. Fall: K ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. X ist ihr Alleinaktionär. Ende 2002 übersendet die B, eine AG & Co. KG, der K einen Kaufvertragsentwurf, aus dem sich ergibt, dass B die Anteile von X – nach noch einzuholender Zustimmung der Hauptversammlung der K – mit Wirkung zum 31.12.2002 übernehmen soll. Einziger Kommanditist der B ist die A-Bank Ltd. Die Zustimmung der Hauptversammlung wird erteilt. Ende 2005 teilt B der K mit, sie verfüge über eine Mehrheitsbeteiligung. Ferner teilt die D-Bank PLC mit, sie halte über die B, die A-Bank, die B-Bank und die C-Bank eine mittelbare Mehrheitsbeteiligung an der K. K verlangt von B wegen nicht ordnungsgemäßer Mitteilungen nach § 20 AktG Rückzahlung der 2002 bis 2004 ausgeschütteten Dividenden i.H.v. 4,1 Mio. Euro. Lösung: Anspruchsgrundlage ist § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG. Danach sind Leistungen, die der Aktionär entgegen den Vorschriften des Aktiengesetzes empfangen hat, zurückzugewähren. Entgegen den Vorschriften des Aktiengesetzes empfangen sind die gezahlten Dividenden, wenn B darauf nach § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG keinen Anspruch hatte. Dieser Rechtsverlust tritt ein, wenn der Aktionär seine Mitteilungspflichten aus § 20 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 4 AktG verletzt, wenn er also einen Erwerb von

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mehr als 1/4 der Anteile oder einer Mehrheitsbeteiligung nicht mitteilt. Der Sinn und Zweck dieser Mitteilungspflichten besteht darin, die Aktionäre, die Gläubiger und die Öffentlichkeit über bestehende oder entstehende Konzernbildungen zu informieren und Rechtssicherheit über die Beteiligungsquoten zu schaffen. Dazu ist der Vorstand nach § 20 Abs. 6 Satz 1 AktG verpflichtet, die Mitteilung des Aktionärs unverzüglich in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. Dieser Schutzzweck gebietet es, auch – und gerade – Alleinaktionäre zu den mitteilungspflichtigen Unternehmen zu zählen. Da die Anteile dem Aktionär „gehören“ müssen, muss die Mitteilung nach oder gleichzeitig mit dem Erwerb erfolgen. Schon deshalb war die Mitteilung der B nicht ordnungsgemäß. Denn nach dem Inhalt des Kaufvertragsentwurfs sollte der Erwerb erst mit Ablauf des 31.12.2002 vollzogen werden, und es war noch die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich. Zwar konnte der Vorstand unschwer erkennen, dass diese beiden Voraussetzungen am 1.1.2013 erfüllt waren. Das reicht aber nicht aus. Der Aktienerwerb ist dennoch vom Aktionär mitzuteilen. Der Vorstand darf nicht korrigierend eingreifen müssen. Auch muss für ihn klar sein, dass die Äußerung des Aktionärs eine Mitteilung nach § 20 AktG sein soll. Auch daran fehlt es hier. Denn die Übersendung des Kaufvertragsentwurfs kann auch den Zweck haben, den Vorstand aufzufordern, eine Hauptversammlung einzuberufen, auf der die Zustimmung zu dem Aktienkauf beschlossen werden kann. Die Entscheidungserheblichkeit dieser Fehler lässt sich anhand der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilen. Nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG besteht eine Pflicht zur Rückzahlung von – wie hier – Dividenden nur dann, wenn der Aktionär wusste oder infolge von Fahrlässigkeit nicht wusste, dass er zum Bezug nicht berechtigt war; und nach § 20 Abs. 7 Satz 2 AktG entfällt der Rechtsverlust in Bezug auf die Dividenden, wenn die Mitteilung nicht vorsätzlich unterlassen worden ist und – unverzüglich – nachgeholt wird. Dazu fehlen Feststellungen des Berufungsgerichts. Der Senat hat abschließend darauf hingewiesen, dass nach §§ 20 Abs. 1 Satz 2, 16 Abs. 4 AktG auch alle Unternehmen mitteilungspflichtig sind, die mittelbar an der Aktiengesellschaft beteiligt sind. Als solche kommen hier die A-Bank, die B-Bank, die C-Bank und die D-Bank PLC in Betracht, von denen aber nach der Feststellung des Berufungsgerichts nur die D-Bank PLC den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung mitgeteilt hat. Auch wenn ein nur mittelbar beteiligtes Unternehmen seine Mit-

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teilungspflicht verletzt, verliert das unmittelbar beteiligte Unternehmen, also der die Beteiligung vermittelnde Aktionär, seine Rechte aus der Mitgliedschaft.

2. Barabfindung beim Squeeze-out, Beschluss vom 12.1.2016 – II ZB 25/14 Streitanfällig sind auch die Spruchverfahren. Dazu verhält sich der Senatsbeschluss in der Sache II ZB 25/14. Fall: Zwischen einer Aktiengesellschaft und ihrem Mehrheitsgesellschafter (98,8 %) besteht ein Gewinnabführungsvertrag (GAV). Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass dieser beendet werden soll. Der Mehrheitsaktionär führt ein Squeeze-out durch. Im Spruchverfahren will das OLG die Barabfindung nach dem Barwert der aus dem GAV geschuldeten Ausgleichszahlungen bestimmen und nicht nach dem höheren anteiligen Unternehmenswert. Da es damit von anderen OLG abweichen würde, legt es die Sache dem Senat vor. Lösung: Für die Angemessenheit der Barabfindung im Falle des Ausschlusses von Minderheitsaktionären ist bei Vorliegen eines GAV der auf den Anteil des Minderheitsaktionärs entfallende Teil des Unternehmenswerts jedenfalls dann maßgeblich, wenn dieser höher ist als der Barwert der aufgrund des GAV dem Minderheitsaktionär zustehenden Ausgleichszahlungen. Denn nur so kann der „wahre“ Wert der übertragenen Aktien festgestellt werden. Grundsätzlich ist der Aktienwert auf zwei Wegen zu errechnen, nämlich mittelbar als quotaler Anteil an dem durch eine Unternehmensbewertung ermittelten Wert des Unternehmens und unmittelbar unter Rückgriff auf den Börsenwert der Anteile, wenn davon auszugehen ist, dass die Marktteilnehmer den Verkehrswert des Unternehmens zutreffend einschätzen. Dieser Gleichlauf ist auch beim Bestehen eines GAV gegeben. Der Anteilswert koppelt sich auch dann nicht vollständig vom Unternehmenswert ab. Vielmehr ersetzt die Ausgleichszahlung nach dem GAV nur den Dividendenanspruch. Der Anteil an der Vermögenssubstanz wird davon nicht erfasst. Dieser realisiert sich bei einer Auflösung der Gesellschaft und einer Verteilung ihres Vermögens. Würde man bei der Bewertung der Anteile nur von dem Ausgleichsanspruch nach dem GAV ausgehen, so würde ein etwa darüber hi-

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nausgehender Unternehmenswert ohne Entschädigungspflicht in das Vermögen des Hauptaktionärs fließen. Das wäre ein unbilliges Ergebnis.

3. Herabsetzung der Vorstandsvergütung, Urteil vom 27.10.2015 – II ZR 296/14 Abschließend soll noch eine eher selten angewandte Vorschrift in den Blick genommen werden, nämlich § 87 Abs. 2 AktG über die Herabsetzung der Vorstandsvergütung. Darum geht es in der Sache II ZR 296/14. Fall: Ein Vorstandsmitglied (K) wird wegen einer wirtschaftlichen Schieflage der Aktiengesellschaft abberufen und von weiteren Dienstleistungen freigestellt. Der vorläufige Insolvenzverwalter verlangt vom Aufsichtsrat eine Herabsetzung der monatlichen Vergütung des Vorstands nach § 87 Abs. 2 AktG auf 2.500 Euro. Der Aufsichtsrat beschließt, „die Bezüge aller Vorstandsmitglieder auf 2.500 Euro ab Insolvenzeröffnung“ herabzusetzen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hebt ein neu gewählter Aufsichtsrat diesen Beschluss wieder auf. K klagt gegen den Insolvenzverwalter auf Zahlung seiner Bezüge bzw. auf Feststellung zur Tabelle. Lösung: Als erstes stellt sich die Frage, ob § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG im Insolvenzverfahren anwendbar ist. Diese Frage hat der Senat bejaht. Zwar kann der Insolvenzverwalter mit seinem Sonderkündigungsrecht aus § 113 InsO dafür sorgen, dass die Gesellschaft nur noch für drei Monate die Vergütung der Vorstandsmitglieder zahlen muss. Das rechtfertigt es aber nicht, § 87 Abs. 2 InsO nur außerhalb des Insolvenzverfahrens anzuwenden. Problematisch ist lediglich, ob für eine Herabsetzung der Vergütung während des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter zuständig ist. Das konnte hier offen bleiben. Denn der Aufsichtsrat hat genau das getan, was der vorläufige Insolvenzverwalter verlangt hat. Somit hätte sich der Insolvenzverwalter nicht darauf berufen können, dass (nur) er zuständig gewesen sei. Weiter ist zu prüfen, ob der Beschluss des Aufsichtsrats wegen Unbestimmtheit unwirksam ist. Bei wörtlicher Auslegung wird K nicht von dem Beschluss erfasst, weil er kein Vorstandsmitglied mehr ist. Der Beschluss ist aber nach allgemeinen Kriterien auszulegen. Zwar können Aufsichtsratsbeschlüsse nicht konkludent gefasst werden (BGH, Urt. v.

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21.6.2010 – II ZR 24/09, Rz. 14). Sie können aber ausgelegt werden, und diese Auslegung muss nicht beim Wortlaut stehen bleiben. Danach ist hier klar, dass auch K von dem Beschluss erfasst sein soll. Der gegenläufige Beschluss des neu gewählten Aufsichtsrats ist jedenfalls deshalb unwirksam, weil dazu in dem nun eröffneten Insolvenzverfahren die Zustimmung des Insolvenzverwalters nach § 80 InsO erforderlich ist. Ein gewichtiger Einwand des K betrifft die Frage, ob der Aufsichtsrat eine eigenständige Entscheidung getroffen hat, oder ob er sich an den Wunsch des vorläufigen Insolvenzverwalters gebunden gefühlt hat. Das wäre fehlerhaft und würde möglicherweise zur Nichtigkeit des Beschlusses führen, da eine Anfechtbarkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses im Gesetz nicht vorgesehen ist. Konkret geht es um die Frage, ob die Erklärung der Gesellschaft gegenüber dem K, dass seine Vergütung auf 2.500 Euro herabgesetzt sei, deshalb wirkungslos ist, weil der dieser Erklärung zugrunde liegende Beschluss des Aufsichtsrats – unterstellt – an einem Mangel bei der internen Willensbildung leidet. Das hat der Senat verneint. Es ist aus Rechtsgründen nicht geboten, dass derartige Mängel ohne weiteres auf die Wirksamkeit der im Außenverhältnis abgegebenen Willenserklärung durchschlagen. Das Vorstandsmitglied ist hinreichend dadurch geschützt, dass es gerichtlich überprüfen lassen kann, ob die Herabsetzung seiner Bezüge sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach den gesetzlichen Vorgaben des § 87 Abs. 2 AktG entspricht. Damit sind die Tatbestandsmerkmale des § 87 Abs. 2 AktG zu prüfen. Die Lage der Gesellschaft muss sich danach derart verschlechtert haben, dass die Weitergewährung der Bezüge des Vorstandsmitglieds für die Gesellschaft unbillig wäre. Das ist hier angesichts der Insolvenz der Gesellschaft zweifellos der Fall. Denn die Gründe für die Insolvenz wurden in der Zeit gelegt, in der K noch aktives Vorstandsmitglied war. Der Vorstand muss die Verschlechterung der Lage nicht verschuldet haben, sie muss ihm nur zurechenbar sein. Als Rechtsfolge sieht § 87 Abs. 2 AktG vor, dass der Aufsichtsrat die Vergütung der Vorstandsmitglieder herabsetzen „soll“. Das ist als Mussvorschrift aufzufassen. Nur ganz außergewöhnliche Umstände können die Beibehaltung der bisherigen Bezüge rechtfertigen. Konkret muss der Aufsichtsrat die Vergütung so weit herabsetzen, dass sie gerade noch nicht unbillig ist. Weiter darf er sie nicht herabsetzen, weil er sonst in die Grundrechte des Vorstandsmitglieds aus Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1

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GG unbefugt eingreifen würde. Der Aufsichtsrat hat folglich kein Ermessen. Er muss alle Umstände des Falles berücksichtigen. Dazu gehören etwa der Umfang der Verschlechterung der Lage gegenüber dem Zeitpunkt der Vergütungsvereinbarung, der Grad der Zurechenbarkeit, die persönlichen Verhältnisse des Vorstandsmitglieds und der Umstand, dass er ggf. schon den variablen Teil seiner Vergütung verliert. Ein Abwägungsgesichtspunkt ist auch der Nutzen der vom Vorstandsmitglied noch zu erbringenden Leistungen für die Gesellschaft. Dabei kann man aber nicht pauschal sagen, ein abberufenes Vorstandsmitglied habe gar keinen Nutzen mehr für die Gesellschaft und deshalb könne seine Vergütung stets auf Null herabgesetzt werden. Nicht zu berücksichtigen sind dagegen die Gehälter der leitenden Angestellten. Wenn diese nahe an die Vorstandsgehälter heranreichen, kann es durchaus vorkommen, dass die nach § 87 Abs. 2 AktG herabgesetzte Vorstandsvergütung darunter liegt. Das ist deshalb möglich, weil die leitenden Angestellten keine dem Vorstand vergleichbare Treuepflicht haben, die es rechtfertigen würde, auch ihre Gehälter unter Verstoß gegen den Grundsatz pacta sunt servanda herabzusetzen.

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Bericht über die Diskussion des Referats Strohn Malte Hansen Richter am Amtsgericht, Hamburg/Karlsruhe I. Personengesellschaftsrecht . .

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II. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . .

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III. Aktienrecht. . . . . . . . . . . . . .

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Diskussionsleiter Krieger dankte Strohn für das Referat und eröffnete die Diskussion, die sich sodann auf die von Strohn dargestellten Entscheidungen aus den Bereichen des Personengesellschaftsrechts, des GmbH-Rechts und des Aktienrechts gleichermaßen erstreckte und die nachfolgend entsprechend der Reihenfolge der besprochenen Entscheidungen dargestellt wird.

I. Personengesellschaftsrecht K. Schmidt stimmte dem Beschluss vom 14.6.2016 – II ZB 10/15, ZIP 2016, 1769, zu, aus seiner Sicht habe das Verfahren gar nicht anders ausgehen können. Eine andere Auslegung [des § 166 Abs. 3 HGB] könne man angesichts des Wortlauts der Vorschrift nicht ernstnehmen. Im Übrigen habe auch der Deutsche Juristentag vorgeschlagen, § 166 HGB zu ändern. Die Vorschrift sei antiquiert. Nach Ansicht von K. Schmidt wird ein weitergehendes Informationsrecht des Kommanditisten benötigt, es solle dem Informationsrecht des GmbH-Gesellschafters angenähert sein. Zu dem Urteil vom 8.12.2015 – II ZR 333/14, ZIP 2016, 523, erklärte K. Schmidt, die „Innen-KG“ sei zwar nur Innenverband, habe kein Vermögen und sei auch nicht Rechtsträgerin, zumindest die Steuerrechtler betrachteten sie aber als „fiktive Gesamthand“ mit einem treuhänderisch vermittelten Vermögen. Das könne dann entgegen der Ansicht des II. Zivilsenats auch liquidiert werden. Strohn entgegnete, die Rechtsprechung des Senats basiere darauf, dass sich allein aus dem Innenverhältnis nicht auf das Außenverhältnis schließen lasse.

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Hansen – Bericht über die Diskussion des Referats Strohn

II. GmbH-Recht Pöschke fragte bezüglich des Urteils vom 12.4.2016 – II ZR 275/14, ZIP 2016, 1220, ob in dem Fall, in dem ein von einem Minderheitsgesellschafter angeregter Beschluss über Geschäftsführungsmaßnahmen durch das Verhalten der Mehrheit der Gesellschafter nicht zustande komme, es sich aber um Maßnahmen handele, für die nach der Satzung die Geschäftsführung grundsätzlich zuständig sei, die Geschäftsführung trotz des Nichtzustandekommens des Beschlusses die Geschäftsführungsmaßnahmen durchführen dürfe. Strohn erklärte dazu, dass die Geschäftsführung in diesem Fall nicht am eigenständigen Handeln gehindert sei. H.-F. Müller stellte zunächst im Hinblick auf das Urteil vom 10.5.2015 – II ZR 342/14, ZIP 2016, 1160, dar, dass nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats zu § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB entgegen dem missverständlichen Wortlaut der Vorschrift die Gesellschaft selbst Schuldnerin des Abfindungsanspruchs sei. Die Einstandspflicht der Gesellschafter richtete sich dann nach der jeweiligen Haftungsverfassung der Gesellschaft. In der GbR gelte § 128 HGB analog, für die GmbH sei aber § 13 Abs. 2 GmbHG zu beachten. Danach hafteten GmbH-Gesellschafter gar nicht für die Schulden der Gesellschaft. Aus seiner Sicht stehe die Entscheidung des Senats in Widerspruch dazu. Zwar erhöhe sich die Beteiligung der verbleibenden Gesellschafter durch die Einziehung des Geschäftsanteils des ausscheidenden Gesellschafters, doch sei zugleich das Gesellschaftsvermögen durch den Abfindungsanspruch belastet. Auch der Verweis auf § 24 und § 31 Abs. 3 GmbHG passe nicht, weil es dort um die Auffüllung des statutarischen Haftungsfonds der Gesellschaft zugunsten der Gläubigergesamtheit und nicht um die Durchsetzung der Forderung eines einzelnen früheren Gesellschafters gehe. Er stellte die Frage, ob der Senat nicht etwas pragmatisch über die gesetzgeberische Grundsatzentscheidung des § 13 Abs. 2 GmbHG hinweggehe. Strohn erwiderte, dass § 13 Abs. 2 GmbHG bei der Entscheidung gesehen worden sei; es gehe jedoch auch hier um den Schutz des Stammkapitals, denn die Gesellschaft – der es unter Umständen ansonsten gut gehe – dürfe wegen § 30 GmbHG nicht zahlen. Dies erlaube den Vergleich mit §§ 24 und 31 Abs. 3 GmbHG.

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III. Aktienrecht Uwe H. Schneider lobte das Urteil vom 5.4.2016 – II ZR 268/14, ZIP 2016, 1919, und gratulierte dem Senat zu der fein ziselierten und gut egründeten Entscheidung. Es stelle sich aber die – vom Senat offengelassene – Frage nach den Mitteilungspflichten im Konzern. Verliere wirklich auch die Tochter den Dividendenanspruch, wenn die Muttergesellschaft ihre Pflichten nicht erfülle? Aus seiner Sicht müsse der Konzern auch in dieser Hinsicht als „ein Unternehmen“ angesehen werden. Strohn erwiderte darauf, dass die Mitteilungspflicht vermittelt werde und alle Unternehmen in der Kette treffe, die alle einzeln zu berücksichtigen seien. Rechte verlieren könne nur der unmittelbare Aktionär; dafür könnten die subjektiven Elemente (guter Glaube etc.) indes bei der Tochter anders vorliegen als bei der Mutter. E. Vetter fragte angesichts des Urteils vom 5.4.2016 – II ZR 268/14, ZIP 2016, 1919, wann genau ein korrigierender Eingriff des Vorstandes in die Mitteilung des Aktionärs vorliege. Maßgeblich sei nach seinem Verständnis der Entscheidung der Empfängerhorizont. Liege vor diesem Hintergrund ein korrigierender Eingriff vor, wenn der Vorstand aus einem umfangreichen Schreiben des Aktionärs – wie es in der Praxis nicht selten sei – die korrekte Stimmrechtsmitteilung herauslöse und veröffentliche? Spreche nicht bei einer korrekten, gesetzgemäßen Veröffentlichung des Vorstands zumindest eine Vermutung für das Vorliegen einer pflichtgemäßen Mitteilung des Aktionärs? Strohn erläuterte dazu, dass die pflichtgemäße Erfüllung der Mitteilungspflicht formal zu betrachten sei; bereits wenn der Vorstand gezwungen sei, sich die relevanten Daten herauszusuchen, um eine Mitteilung zu veröffentlichen, bestünden Fehlerrisiken. Wasmann wies zum Beschluss vom 12.1.2016 – II ZB 25/14, ZIP 2016, 666, darauf hin, dass Rz. 30 des Beschlusses den Barwert der Ausgleichszahlungen als untere Grenze nenne, wenn er dem Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung entspreche. Bereits in der Jenoptik-Entscheidung von 2006 sei entschieden worden, dass der Abfindungsanspruch gem. § 305 AktG kein in der Aktie verkörpertes Mitgliedschaftsrecht sei, sondern ein schuldrechtlicher Anspruch gegen das herrschende Unternehmen. Für den Ausgleichsanspruch nach § 304 AktG könne nichts anderes gelten. Er fragte, ob es vor diesem Hintergrund nicht so sei, dass der Barwert der Ausgleichszahlungen gar nicht dem Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung entsprechen könne. Strohn erwiderte, dass dies

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Hansen – Bericht über die Diskussion des Referats Strohn

vom Senat nicht zu entscheiden gewesen wäre und auch nicht entschieden worden sei. Enderle merkte zu der Frage von Wasmann an, dass bereits die Prämisse der Frage falsch sei. Der Abfindungsanspruch setze die Aktionärseigenschaft voraus; der Gewinnbeteiligungsanspruch werde nicht ersetzt.

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Die Rechtsstellung des besonderen Vertreters nach § 147 AktG Dr. Marc Löbbe Rechtsanwalt, Frankfurt am Main I. Einführung und Themeneingrenzung. . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der besondere Vertreter in der neueren Rechtsprechung. . . . 1. „HVB/UniCredit“-Entscheidungen (BGH/OLG/LG München). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. LG Stuttgart – Urteil vom 27.10.2009 . . . . . . . . . . . . . . . 3. KG – Beschluss vom 16.12.2011 . . . . . . . . . . . . . . . 4. LG Duisburg – Urteil vom 16.4.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . 5. LG Heidelberg – Beschluss vom 4.12.2015 . . . . . . . . . . . . 6. „Strabag“-Entscheidungen (LG/OLG Köln) . . . . . . . . . . . 7. LG Duisburg – Urteil vom 9.6.2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwicklungsgeschichtliche Verortung (historische Auslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgabenverteilung zwischen Sondervertreter und Vorstand (Aufsichtsrat) . . . . . . . . . . . . .

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2. Stellung der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Systematisch-teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis zwischen § 147 Abs. 1 und Abs. 2 AktG . . . . 2. Verhältnis von § 142, § 147 und § 148 AktG. . . . . . . . . . . V. Konsequenzen für die Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konkretisierung des Verpflichtungs- und Bestellungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . 2. Informations- und Ermittlungsrechte des besonderen Vertreters. . . . . . . . . . . . . . . . a) Reichweite. . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zum Verpflichtungs- und Bestellungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . 3. Entscheidungsspielräume des besonderen Vertreters? . . . . . VI. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Thesen. . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung und Themeneingrenzung Lange Zeit fristete der besondere Vertreter ein Schattendasein. Die Wende kam mit dem Fall „HVB/UniCredit“1. Nicht nur, dass das Rechtsinstitut zum ersten Mal eine zentrale Rolle in einer derart prominenten, wirtschaftlich bedeutenden Auseinandersetzung spielte. Überdies hat die Art und Weise, wie insbesondere das erstinstanzliche Gericht, das LG München I,2 die Rechtsstellung des besonderen Vertreters konkretisierte, für erhebliche Unruhe gesorgt.3 Der Sondervertreter, so wie ihn die Kammer in ihrem Urteil vom September 2007 ausgestaltete, war ein echter Sonderermittler mit einem sehr weiten Ermessensspielraum und umfassenden Auskunfts- und Ermittlungsbefugnissen. Als dann das OLG München in einer Reihe von Entscheidungen4 in wichtigen Punkten dem LG München I widersprach und dem besonderen Vertreter, unter Zustimmung der Literatur,5 in seinen Handlungsmöglichkeiten einschränkte, erwarteten viele, dass es um den § 147 AktG wieder etwas ruhiger werde. Doch das Gegenteil ist eingetreten: Die Liste der Unternehmen, die Erfahrungen mit besonderen Vertretern gesammelt haben, wird immer länger.6 Ein wichtiger Grund für die gewachsene Bedeutung des § 147 AktG liegt darin, dass sich das Instrument in den letzten Jahren immer mehr zu einem Instrument des Minderheitenschutzes gewandelt hat. Im Anschluss an den wichtigen Beitrag von Bruno Kropff aus dem Jahr 20007 vertritt die heute herrschende Meinung die Auffassung, dass über den insoweit zu engen Wortlaut des § 147 AktG hinaus der Hauptversammlung das Recht zukommt, mit Mehrheitsbeschluss auch die Geltendmachung konzernrechtlicher Ersatzansprüche gegen den herrschenden Aktionär zu verlangen.8 Zu diesem Zweck kann auch ein besonderer Vertreter bestellt 1 Der Verfasser weist darauf hin, dass er an den rechtlichen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der vom besonderen Vertreter eingereichten Klage als rechtlicher Berater des Aufsichtsrats der HVB beteiligt war. 2 LG München I, ZIP 2007, 1809 und 2420. 3 Vgl. statt vieler nur G. Wirth in FS Hüffer, 1129; Mock, DB 2008, 393. 4 OLG München, ZIP 2008, 73 und1916. 5 Vgl. nur Hüffer, ZHR 175 (2010), 671 (678 f.); Kling, ZGR 2009, 190 (216 ff.); Westermann, AG 2009, 237 (246). 6 Beispielhaft seien die Easy Software AG, die Gelita AG, die Strabag AG und die IFA Hotel & Touristik AG angeführt. 7 Kropff in FS Bezzenberger, 2000, S. 233, 244 ff. 8 Rieckers/J. Vetter in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2014, § 147 AktG Rz. 140 ff.; Bayer, AG 2016, 637, 641 f.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 147

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werden. Das herrschende Unternehmen, gegen das Ansprüche geltend gemacht werden sollen, darf sich gem. § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG an der Abstimmung nicht beteiligen. Im Ergebnis entscheiden daher in einer solchen Fallkonstellation allein die vom Stimmverbot nicht betroffenen Minderheitsaktionäre über die Geltendmachung der Ersatzansprüche. Im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen kann auf die Thematik des Minderheitenschutzes und des besonderen Konzernkonfliktes nur am Rande eingegangen werden.9 Der Beitrag konzentriert sich vielmehr auf die Rolle des besonderen Vertreters bei der Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen. Nach einem Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung in den letzten Jahren soll das Rechtsinstitut dogmatisch verortet werden, um anschließend die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Praxis aufzuzeigen.

II. Der besondere Vertreter in der neueren Rechtsprechung 1. „HVB/UniCredit“-Entscheidungen (BGH/OLG/LG München) Auslöser für die in den vergangenen Jahren in Wissenschaft und Praxis lebhaft geführte Debatte über Gehalt und Grenzen des § 147 AktG war der Fall „HVB/UniCredit“. An den „HVB/UniCredit“-Sachverhalt knüpften eine ganze Reihe von Entscheidungen an, wobei nicht alle schwerpunktmäßig die Rechtsstellung des besonderen Vertreters betrafen. Der vorliegende Überblick beschränkt sich auf die Darstellung von zwei Entscheidungssträngen, die regelmäßig in den rechtlichen Auseinandersetzungen mit und um den besonderen Vertreter verbunden sind: das – zeitlich vorangehende – einstweilige Rechtsschutzverfahren, angestrengt vom besonderen Vertreter zur (vorläufigen) Durchsetzung seiner Informationsrechte, und das Hauptsacheverfahren, in dem die Wirksamkeit der Bestellung des besonderen Vertreters verhandelt wird. Letzterer war durch den Hauptversammlungsbeschluss dazu verpflichtet worden, Schadensersatzansprüche „gegen die gegenwärtigen und ehemaligen Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der HVB sowie gegen die Großaktionärin“ geltend zu machen. Als anspruchsrelevante Sachverhaltskomplexe führte der Beschluss insbesondere den AktG Rz. 4; Mock in Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 147 AktG Rz. 13; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 147 AktG Rz. 20; Herrler in Grigoleit, 2013, § 147 AktG Rz. 5; Lochner in Heidel, AktienR und KapitalmarktR, 4. Aufl. 2014, § 147 AktG Rz. 4. 9 Verwiesen sei insoweit auf die vor kurzem erschienenen Studie von Walter Bayer, AG 2016, 637.

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„Vermögensschaden der Gesellschaft durch die Veräußerung der Anteile an der B. AG vor dem Hintergrund der bisherigen und äußerst erfolgreichen Osteuropastrategie des HVB-Konzerns“ auf.10 Als der besondere Vertreter neben der bereitgestellten Kopie des Hauptversammlungsprotokolls in großem Umfang weitere Unterlagen anforderte und Auskünfte der verantwortlichen Mitarbeiter verlangte, weigerte sich die HVB diese Informationen zur Verfügung zu stellen. Daraufhin beantragte der besondere Vertreter, der Gesellschaft im Wege der einstweiligen Verfügung zu verbieten, seine Tätigkeit direkt oder indirekt zu behindern. Ferner verlangte er, alle die benannten Sachverhaltskomplexe betreffenden Unterlagen vollständig zugänglich zu machen.11 Vor dem LG München I war er mit diesem Antrag weitgehend erfolgreich: Bei der Auswahl der für – seine Aufgaben relevanten Unterlagen – so die Rechtsauffassung der zuständigen Kammer habe der besondere Vertreter einen weiten Ermessensspielraum, der nur auf Missbrauch hin überprüft werden könne. Ferner stehe ihm ein umfassendes Auskunftsrecht u.a. gegenüber den Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern der Gesellschaft sowie deren Angestellten zu.12 Das OLG München gestand dem besonderen Vertreter in der Berufungsinstanz zwar ebenfalls Auskunfts- und Einsichtsrechte zu, zog den Umfang der Kompetenzen allerdings deutlich enger als die Vorinstanz. Der zuständige Senat betonte in seiner Entscheidung, die Rechte seien unmittelbar an die Geltendmachung bestimmter Ersatzansprüche gebunden und folglich nicht so umfassend wie die Prüfungsbefugnisse eines Sonderprüfers. Der besondere Vertreter habe weder einen Anspruch auf ungehinderten Zugang zu Räumlichkeiten der Gesellschaft noch Direktionsbefugnisse gegenüber der Belegschaft.13 Andererseits gehe es aber auch zu weit, dem besonderen Vertreter jegliche Prüfung der den zugrunde liegenden Tatsachen zu verwehren, da dies das „rechtliche Instrument letztlich im Regelfall zur Wirkungslosigkeit verdammen“ würde.14 Ein ähnliches Meinungsbild zeigte sich im Hauptsacheverfahren. Das LG München I wies die Anfechtungsklagen gegen den Bestellungsbeschluss in vollem Umfang zurück. Der Beschluss sei hinreichend bestimmt, da der Lebenssachverhalt klar beschrieben sei und es bei einem 10 11 12 13 14

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LG München I, ZIP 2007, 2420 (2421). LG München, ZIP 2007, 1809 (1812). LG München, ZIP 2007, 1809 (1812 ff.). OLG München, ZIP 2008, 73 (78 f.). OLG München, ZIP 2008, 73 (77).

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Beschluss über die Bestellung eines besonderen Vertreters genüge, wenn die Anspruchsgegner der geltend zu machenden Ersatzansprüche bestimmbar seien.15 Auch insoweit nahm das OLG München teilweise eine andere Position ein: In Bezug auf einige Ansprüche sei der Lebenssachverhalt nicht hinreichend klar umrissen, weil nicht ersichtlich sei, auf welche Weise der streitgegenständliche Vertrag zu Schäden geführt haben könnte und welcher Art diese Schäden seien.16 Immerhin teilte das OLG in anderen wichtigen Punkten die Rechtsauffassung der Vorinstanz, namentlich stellte es fest, es sei der Hauptversammlung unbenommen, den besonderen Vertreter mit der Prüfung zu beauftragen, gegen welchen von mehreren Anspruchsgegnern eine Rechtsverfolgung Erfolg verspreche.17

2. LG Stuttgart – Urteil vom 27.10.2009 Auch in dem vor dem LG Stuttgart verhandelten Fall standen die Auskunfts- und Informationsrechte des besonderen Vertreters im Mittelpunkt. Ein solcher Vertreter war durch Hauptversammlungsbeschluss zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die Organe der betroffenen AG und der mit ihr konzernrechtlich verbundenen Unternehmen verpflichtet worden. Hintergrund war u.a. die Abwerbung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der AG durch die Mehrheitsaktionärin. Der besondere Vertreter verlangte von der Gesellschaft (nach vergeblicher Aufforderung gegenüber den zuständigen Organen) gerichtlich, ihm alle entscheidungsrelevanten Unterlangen zugänglich zu machen. Mit diesem Anliegen hatte er bei der zuständigen Kammer keinen Erfolg.18 Das LG Stuttgart stellt in seiner Entscheidung fest, dass bei einer Auskunftsklage das Gericht zu prüfen habe, ob der Anspruch überhaupt von Aufgabe und Funktion des besonderen Vertreters gedeckt sei. Liege dem Hauptversammlungsbeschluss gem. § 147 Abs. 1 AktG kein hinreichend konkreter oder konkretisierbarer Lebenssachverhalt zugrunde, stehe dem besonderen Vertreter auch kein Informations- und Auskunftsrecht zu. Das gelte selbst dann, wenn der Hauptversammlungsbeschluss bereits Bestandskraft erlangt habe. Das Merkmal „konkretisierbarer Sachverhalt“ sei nicht erfüllt, wenn der Beschluss auf „einen bestimmten Lebenssachverhalt ohne Anzeichen, d.h. ohne sog. Anfangsverdacht für das 15 16 17 18

LG München, ZIP 2007, 2420 (2422 f.). OLG München, ZIP 2008, 1916 (1921). OLG München, ZIP 2008, 1916 (1919 f.). LG Stuttgart, ZIP 2010, 329 (329).

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Bestehen möglicher Anspruchsgegner“ Bezug nehme. Eines „dringenden Verdachts“ als Voraussetzung für einen Hauptversammlungsbeschlusses bedürfe es hingegen nicht.19 In dem konkreten Fall verneinte das Gericht bereits den „Anfangsverdacht“, weil allein die Tatsache, dass der ehemalige Vorstandsvorsitzende der AG nach Erreichen seines 65. Lebensjahres in den Vorstand der Mehrheitsgesellschafterin gewechselt sei, keinerlei Anhaltspunkte für den „Anfangsverdacht“ irgendwelcher Pflichtverletzungen biete.20

3. KG – Beschluss vom 16.12.2011 Eher untypisch war die Einkleidung des Falles, den das KG in 2011 zu entscheiden hatte: Die Mehrheitsaktionärin beantragte die Abberufung eines mit den Stimmen der Minderheitsaktionärin bestellten besonderen Vertreters, da es unter den gegebenen Umständen Anlass gebe, an dessen Neutralität und Unabhängigkeit zu zweifeln, und der Verdacht grob unsachgemäßer Anspruchsverfolgung bestehe.21 Das KG bestätigte zwar die Auffassung der Mehrheitsaktionärin, dass das Registergericht gem. § 147 Abs. 2 Satz 2 AktG nicht nur erstmals einen besonderen Vertreter bestellen, sondern auch einen von der Hauptversammlung bestellten besonderen Vertreter ersetzen könne, widersprach ihr aber im Übrigen in der Sache. Insbesondere existiere keine gesetzliche Pflicht, nur neutrale Personen zu besonderen Vertretern zu bestellen. Einen Interessenwiderstreit zwischen den Gesellschaftsorganen und den Vertretern der Minderheit, die Ersatzansprüche gegen sie geltend machen, gebe es notwendigerweise immer.22 In der gleichen Angelegenheit, wenn auch in einer anderen prozessualen Konstellation hatte das KG in einer Entscheidung vom 25.8.2011 sich zu den Anforderungen an die Bestimmtheit von Beschlüssen nach § 147 AktG geäußert und festgestellt, in komplexen Fällen erscheine es realitätsfern, dass die Hauptversammlung bei ihrer Beschlussfassung bereits über die Kenntnis sämtlicher Tatsachen verfüge, die für eine abschließende Beurteilung der Frage erforderlich wären, welche konkreten Mitglieder des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats in Anspruch zu nehmen

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LG Stuttgart, ZIP 2010, 329 (329 f.). LG Stuttgart, ZIP 2010, 329 (331). KG, FGPrax 2012, 76 (76). KG, FGPrax 2012, 76 (77). Daneben befasste sich das KG auch mit dem Anspruch des besonderen Vertreters auf eine angemessene Vergütung.

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seien.23 § 147 AktG bliebe weitgehend bedeutungslos, wenn die Vorschrift nur bei (nahezu) vollständig geklärten und einfachen Sachverhalten Anwendung finde.24

4. LG Duisburg – Urteil vom 16.4.2013 In diesem Verfahren ging es, wie häufig, um die Herausgabe von Unterlagen an den besonderen Vertreter. Dieser hatte einen entsprechenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt. Von dem fehlenden Verfügungsgrund einmal abgesehen, scheiterte der Antrag bereits deshalb, weil nach Auffassung des Gerichts die vom besonderen Vertreter geltend zu machenden Ersatzansprüche in dem Hauptversammlungsbeschluss gem. § 147 AktG nach Auffassung der Kammer nicht hinreichend konkret bezeichnet wurden. Nur so aber lasse sich der dem besonderen Vertreter erteilte Auftrag in nachprüfbarer Weise begrenzen. Im konkreten Fall seien die im Beschluss genannten Sachverhaltskomplexe zu allgemein gehalten. Man könne nicht erkennen, welche konkreten Verträge (Softwareüberlassungs-, Dienstleistungs-, Leasingverträge) die Annahme einer Pflichtwidrigkeit rechtfertigen und damit eine Ersatzpflicht begründen sollen.25 Wie das LG Stuttgart (vgl. dazu 2.) nahm das LG Duisburg demnach für sich in Anspruch, auch im Rahmen eines Auskunftsbegehrens den Hauptversammlungsbeschluss auf seine Bestimmtheit hin zu überprüfen und nicht lediglich – die im Beschluss aufgeführten Sachverhaltskomplexe und Ansprüche zugrunde legend – die Reichweite des Auskunftsrechts als solches.26 Das ist insoweit bemerkenswert, als in diesem Fall der Beschluss zwar keine Bestandskraft hatte (wie in dem Verfahren vor dem LG Stuttgart), doch immerhin eine Anfechtungsklage bei einem anderen Gericht anhängig und noch nicht entschieden war. Von einer Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses ging das Gericht offenbar ebenfalls nicht aus.

5. LG Heidelberg – Beschluss vom 4.12.2015 Auch in diesem Fall verlangte ein besonderer Vertreter wiederum Einsicht in Unterlagen (Aufsichtsrats- und Präsidialausschusssitzungsproto23 24 25 26

KG, WM 2012, 694 (695 f.). KG, WM 2012, 694 (695). LG Duisburg, ZIP 2013, 1379 (1380 f.). LG Duisburg, ZIP 2013, 1379 (1380).

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kolle), die ihm der Vorstand der Gesellschaft verweigerte. Das LG Heidelberg27 gab dem besonderen Vertreter zumindest teilweise Recht. Diesem komme – indes nur innerhalb seines Aufgabenkreises – durchaus ein umfassendes Informationsrecht zu. Ausdrücklich schließt sich das LG Heidelberg nicht der Auffassung des LG Stuttgarts an, wonach ungeachtet bestandskräftiger Bestellung eines besonderen Vertreters das Gericht ein „Anfangsverdacht“ hinsichtlich etwaiger Ersatzansprüche zu prüfen habe. Bei einer bestandskräftigen Bestellung sei das nicht Sache des Gerichts. Der Aufgabenkreis des besonderen Vertreters könne vielmehr in einer solchen Konstellation bereits dann als ausreichend bestimmt gelten, wenn ein konkreter Lebenssachverhalt dargelegt sei, auf den sich die geltend zu machenden Ersatzansprüche beziehen.

6. „Strabag“-Entscheidungen (LG/OLG Köln) Im Januar 2016 hatte das LG Köln im „Strabag“-Fall28 über eine von einer Minderheitsgesellschafterin erhobenen Beschlussanfechtungs- und positive Beschlussfeststellungsklage zu entscheiden.29 Die Klägerin hatte u.a. die Nichtigerklärung der Ablehnung jener Beschlussvorschläge begehrt, die die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder der Strabag AG gem. § 147 AktG vorsahen. Das Gericht ließ offen, ob Stimmverbote zum Nachteil der Mehrheitsgesellschafter bestanden, denn jedenfalls seien die ablehnenden Beschlüsse deshalb rechtmäßig, weil es den in den Beschlussvorschlägen angeführten Ersatzansprüchen an der erforderlichen Konkretisierung fehle.30 Hierzu führt das Gericht u.a. aus: Eine Beschlussfassung der Hauptversammlung nach § 147 Abs. 1 AktG erfordere zumindest das Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten für ein schadensersatzbegründendes Verhalten des in Anspruch zu nehmenden Haftungsschuldners. Behauptungen „ins Blaue hinein“ ohne jeglichen konkreten Anhaltspunkt für ein haftungsbegründendes Verhalten des in Anspruch zu nehmenden Haftungsschuldners reichten nicht aus. Die Beschlussfassung müsse auf der Grundlage eines Sachverhalts erfolgen, aus dem sich der geltend zu machende Anspruch schlüssig ergebe, jedenfalls aber eine konkrete Wahrscheinlichkeit hierfür bestehe. Sei ein solcher Sachverhalt noch

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LG Heidelberg, BeckRS 2016, 01668. Zu den Hintergründen Bayer, AG 2016, 637 (643 f.). LG Köln, ZIP 2016, 162. LG Köln, ZIP 2016, 162 (163).

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nicht ermittelt, müsse im Zweifel eine Sonderprüfung durchführt werden, um an die benötigen Informationen zu gelangen.31 Der landgerichtlichen Entscheidung vorangegangen war wiederum ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, in dem die Parteien über die Reichweite des Informationsanspruchs des besonderen Vertreters gegenüber der Gesellschaft gestritten hatten. In diesem Zusammenhang erging ein Urteil des OLG Köln, das die ablehnende Entscheidung32 der Vorinstanz abänderte und dem besonderen Vertreter ein weitreichendes Ermessen bei der Einforderung von Informationen zubilligte.33 Das OLG hob hervor, dass die von der Hauptversammlung beschlossene Bestellung des besonderen Vertreters bis zu einer anderslautenden, rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsachverfahren wirksam sei und daher die Gesellschaft die Informationen an den besonderen Vertreter herausgeben müsse. Eine inzidente Prüfung des Streitstoffes des in der Hauptsache zu führenden Nichtigkeits- und Anfechtungsprozesses in dem vom besonderen Vertreter angestrengten, auf Auskunft gerichteten Verfahren der einstweiligen Verfügung komme nicht in Betracht.34

7. LG Duisburg – Urteil vom 9.6.2016 Auch im Fall des vor dem LG Duisburg ausgetragenen Verfahrens stritten Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter über die hinreichende Konkretisierung des Bestellungsbeschlusses.35 Das Hauptsacheverfahren war noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, als der besondere Vertreter vom Vorstand Unterlagen und ein Bestandsverzeichnis gem. § 260 Abs. 1 BGB einforderte. Als der Vorstand den Forderungen des besonderen Vertreters nicht entsprach, begehrte dieser mit Erfolg Vorlage des Verzeichnisses im einstweiligen Verfügungsverfahren. Das LG Duisburg begründete seine Entscheidung damit, dass es nicht seine Aufgabe sei, in einem einstweiligen Verfügungsverfahren, in dem der besondere Vertreter Informationsrechte geltend mache, den Beschluss zu seiner Bestellung auf seine ausreichende Konkretisierung hin zu überprüfen. Zwar seien in dem Bestellungsbeschluss die Ersatzansprüche nach Gegner und Gegenstand hinreichend konkret zu bezeichnen. Doch solange der Beschluss nicht wirksam angefochten oder 31 32 33 34 35

LG Köln, ZIP 2016, 162 (163 f.). LG Köln, BeckRS 2015, 20417. OLG Köln, NZG 2016, 147. OLG Köln, NZG 2016, 147 (148). LG Duisburg, ZIP 2016, 1970.

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nichtig sei, habe das Gericht den Beschluss und die darin aufgeführten Ersatzansprüche zugrunde zu legen. Im einstweiligen Verfügungsverfahren sei lediglich zu prüfen, ob der besondere Vertreter Rechte beanspruche, die er zur Erfüllung seiner im Beschluss möglicherweise unzureichend, aber eben wirksam konkretisierten Aufgabe benötige. Da das im vorliegenden Fall zu bejahen sei, konnte der besondere Vertreter die erstrebten Informationen verlangen und auswerten.36

8. Zusammenfassende Bewertung Der vorstehende Überblick zeigt eine große Unsicherheit in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung über die Rechtsstellung des besonderen Vertreters. Während einige Instanzgerichte den besonderen Vertreter zu einem Sonderermittler mit umfassenden Ermittlungsbefugnissen und einem weiten rechtlich nicht kontrollierbaren Entscheidungs- und Beurteilungsspielraum ausgestalten wollen, der den von ihm geltend zu machenden Schadensersatzansprüchen zugrunde liegenden Sachverhalt zunächst ermitteln darf und muss, haben andere ein deutlich restriktiveres Verständnis von den Aufgaben und Befugnissen des besonderen Vertreters. Teilweise fordern die Gerichte als Voraussetzung für das Tätigwerden des besonderen Vertreters eine nähere Konkretisierung der geltend zu machenden Schadenersatzansprüche oder sogar einen „Anfangsverdacht“ im Hinblick auf das Vorliegen einer Pflichtverletzung der zu verklagenden Organmitglieder37. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen ste36 LG Duisburg, ZIP 2016, 1970 (1972). 37 Ein ähnlich vielfältiges Meinungsspektrum findet sich in der wissenschaftlichen Literatur (vgl. auch Bayer, AG 2016, 637 [645 f.]), wo sich neben Anhängern eines eher restriktiven Ansatzes, die scharf zwischen den Aufgaben und Befugnissen eines besonderen Vertreters einerseits und denen eines Sonderprüfers andererseits unterscheiden wollen (Binder, ZHR 176 (2012), 380 [388 ff.]; Humrich, NZG 2014, 441 ff.; Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 186 ff.; Kocher/Lönner, ZIP 2016, 653 [656 ff.]; Rieckers/J. Vetter in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2014, § 147 AktG Rz. 182 ff., 610 ff.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 147 AktG Rz. 9, 30 ff.; Bungert in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 13 Rz. 73; Fabritius in GS Gruson, 2009, S. 133, 147; Hüffer, ZHR 175 (2010), 671 ff.; Kling, ZGR 2009, 190 [213 ff.]; Westermann, AG 2009, 237 [246]; G. Wirth in FS Hüffer, S. 1129 [1143]; A. Wirth/Pospiech, DB 2008, 2471 [2474 f.]) auch Befürworter einer weiten Auslegung des § 147 AktG finden, die den besonderen Vertreter mit mehr oder weniger weitgehenden Ermittlungsbefugnissen ausstatten wollen (Lochner in Heidel, AktienR und KapitalmarktR, 4. Aufl. 2014, § 147 AktG Rz. 24a; Mock in Spindler/Stilz, 3. Aufl.

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hen dabei insbesondere zwei Fragestellungen: Zum einen die Frage nach der Reichweite der Informations- und Einsichtsrechte sowie etwaiger Ermittlungsbefugnisse des besonderen Vertreters und zum anderen die rechtlichen Anforderungen an die Beschlüsse der Hauptversammlung zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und der Bestellung des besonderen Vertreters, insbesondere im Hinblick auf die Konkretisierung der vom besonderen Vertreter geltend zu machenden Schadenersatzansprüche. In engem Zusammenhang damit steht die vom LG Duisburg aufgeworfene Frage nach der Reichweite der Prüfungskompetenz der Gerichte im einstweiligen Rechtsschutz, die in der Praxis – wie auch andere, teilweise abweichende instanzgerichtliche Entscheidungen gezeigt haben (vgl. dazu bereits I.2./4.) – von besonderer Bedeutung ist. Einerseits hat die Rechtsprechung die Wirksamkeit des Verpflichtungs- und Bestellungsbeschlusses zu beachten, soweit keine anderslautende rechtskräftige Entscheidung vorliegt. Anderseits besteht die Gefahr, dass versucht wird, mittels eines weit gefassten Beschlusses und einer daran anknüpfenden einstweiligen Verfügung an Informationen zu kommen, die zu ermitteln Aufgabe eines Sonderprüfers wäre (vgl. dazu ausführlich unter V.2.b). Der BGH hat zu diesen für die Rolle des besonderen Vertreters zentralen Rechtsfragen bislang keine Stellung genommen. Im „HVB/Unicredit“-Fall hat er sich im Rahmen einer – als „von vornherein unbegründet“ abgewiesenen – Nichtzulassungsbeschwerde in der Sache nur mit einem einzigen Detail befasst:38 In seiner Entscheidung billigte der II. Zivilsenat dem besonderen Vertreter in seinem Aufgabenkreises Organqualität zu mit der Folge, dass die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung auch auf ihn anwendbar seien und daher – auch bei Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses – die bis zu seiner Abberufung vollzogenen Rechtshandlungen wirksam blieben und im Übrigen seine Tätigkeit zu vergüten sei.39 Aus der Zuweisung der Organeigenschaft lassen sich indes weder im Hinblick auf die ihm obliegenden Aufgaben und die ihm zustehenden Befugnisse noch für die rechtlichen Anforderungen an den seiner Bestellung zugrunde liegenden Hauptver2015, § 147 AktG Rz. 30 f., 104 ff.; Mock, DB 2008, 393 (397); Nietsch, ZGR 2011, 589 (616 ff.); Uwe H. Schneider, ZIP 2013, 1985 (1987); Verhoeven, ZIP 2008, 245 (246 ff.); Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 147 AktG Rz. 26, 49 ff.). 38 BGH, NZG 2011, 1383. 39 BGH, NZG 2011, 1383 (1384).

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sammlungsbeschluss Schlussfolgerungen ableiten. Bereits Uwe Hüffer hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Zuordnung zu einem gemeinsamen dogmatischen Oberbegriff noch nichts über die rechtliche Stellung im Einzelnen besagt.40 Vielmehr sind Aufgaben und Befugnisse des besonderen Vertreters ebenso wie die Anforderungen an den Hauptversammlungsbeschluss durch Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen über den besonderen Vertreter zu entwickeln.

III. Entwicklungsgeschichtliche Verortung (historische Auslegung) Ungeachtet des Umstandes, dass der besondere Vertreter bis zum Fall „HVB/Unicredit“ in der Praxis eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat, gehört das Institut seit jeher zum traditionellen Inventar des deutschen Aktienrechts.41 Allerdings haben sich Funktion und Stellung des Sondervertreters im Verlaufe der letzten 150 Jahre nachhaltig gewandelt.

1. Aufgabenverteilung zwischen Sondervertreter und Vorstand (Aufsichtsrat) Schon das ADHGB von 1861 kannte ein Institut, das dem des besonderen Vertreters stark ähnelte, den sog. „Bevollmächtigten“ (geregelt in Art. 226 i.V.m. Art. 194, 195 ADHGB). Ihm oblag die Prozessführung gegen die Mitglieder des Vorstands und des damals bei der Aktiengesellschaft noch fakultativen Aufsichtsrats. Allerdings bestand insoweit ein gravierender Unterschied zur heutigen Rechtslage, als die Bestellung des „Bevollmächtigten“ damals die einzige Möglichkeit darstellte, Ansprüche gegen den Aufsichtsrat geltend zu machen.42 Wie die zeitgenössische Kommentarliteratur hervorhob,43 sollte dadurch jede Form gegenseitiger Rücksichtnahme des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat unterbunden werden. Demgegenüber konnte umgekehrt der Aufsichtsrat gegen den Vorstand vorgehen, sofern die Generalversammlung ihn dazu beauftragt hatte. Insoweit war also die Bestellung eines Bevoll40 Hüffer, ZHR 174 (2010), 642 (679 f.). 41 Vgl. Kling, ZGR 2009, 190 (193). 42 Renaud, Das Recht der Actiengesellschaften, 2. Aufl. 1875, S. 634; Puchelt, Commentar zum allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch, 1874, Art. 226 ADHGB Anm. 2 (S. 424). 43 Puchelt, Commentar zum allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch, 1874, Art. 226 ADHGB Anm. 2 (S. 424).

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mächtigten nicht erforderlich, obwohl das Argument der Rücksichtnahme auch in dieser Konstellation Gültigkeit beanspruchen kann. Diese Inkonsequenz wurde bereits in der zeitgenössischen Literatur kritisiert.44 Bis zur Reform des Aufsichtsrats 1884 war der Vorstand gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern also überhaupt nicht vertretungsbefugt. An der Bestellung eines Bevollmächtigten führte bei den Aufsichtsrat betreffenden Haftungsfragen somit kein Weg vorbei. Heute hingegen sind die primär zuständigen Organe Vorstand und Aufsichtsrat.

2. Stellung der Hauptversammlung Soweit der Aufsichtsrat und seit 1884 der Vorstand vertretungsbefugt waren, konnten sie allerdings auch nach der Novelle von 1884 nicht selbst tätig werden, sondern waren auf einen entsprechenden Beschluss der Generalversammlung angewiesen.45 Das neue HGB von 1897/1900 bedeutete nach 1884 den zweiten großen Bruch mit dem ursprünglichen Haftungskonzept. Nunmehr war der Vorstand unabhängig von der Willensbildung der Hauptversammlung befugt, Ansprüche zu verfolgen. Der Aufsichtsrat hingegen konnte weiterhin nur auf Grundlage eines Beschlusses der Hauptversammlung tätig werden.46 Der nächste grundlegende Wandel erfolgte mit der Reform des Aktienrechts von 1937, das eine Kompetenzverschiebung bewirkte, die mitunter auch als „Entmachtung der Hauptversammlung“ bezeichnet wird. Nunmehr war es der Hauptversammlung nicht mehr möglich, aufgrund eines allgemeinen Weisungsrechts die Verfolgung eines Anspruchs zu untersagen.47 Eine weitere wesentliche Veränderung brachte die Aktienrechts-

44 Puchelt, Commentar zum allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch, 1874, Art. 226 ADHGB Anm. 2 (S. 424). 45 Renaud, Das Recht der Actiengesellschaften, 2. Aufl. 1875, S. 607 (auch zu alternativen Satzungsgestaltungen); Gareis/Fuchsberger, ADHGB, 1891, Rz. 456, S. 529: „Entscheidung über die Verfolgung eines Anspruchs ... ausschließlich und endgültig in die Macht der Generalversammlung gelegt“; vgl. auch RG, JW 1901, 142 (142); z.T. allerdings in der damaligen Literatur bezweifelt. 46 Vgl. § 247 HGB 1900: „Der Aufsichtsrath ist befugt, die Gesellschaft bei der Vornahme von Rechtsgeschäften mit den Vorstandsmitgliedern zu vertreten und gegen die letzteren die von der Generalversammlung beschlossenen Rechtsstreitigkeiten zu führen“. 47 Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 21 f.

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reform von 1965 mit sich. Erst seither48 ist der Aufsichtsrat in Bezug auf die Geltendmachung von Ersatzansprüchen dem Vorstand insoweit gleichgestellt, als der Aufsichtsrat nicht mehr von der Willensbildung der Hauptversammlung abhängig ist, sondern unabhängig davon Ansprüche geltend machen darf.49 Einen wesentlichen Einschnitt in das System der aktienrechtlichen Organhaftung, insbesondere im Hinblick auf die Verfolgung bestehender Schadensersatzansprüche, bedeutete auch die „ARAG/Garmenbeck“Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1997.50 Danach ist der Aufsichtsrat nicht nur verpflichtet, bei Verdachtsmomenten Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder zu prüfen. Vielmehr trifft ihn auch die Pflicht, solche Ansprüche grundsätzlich durchzusetzen, wenn diese „voraussichtlich“ bestehen. Eine Ausnahme davon lässt der BGH nur in eng begrenzten Fallkonstellationen zu, wenn gewichtige Belange des Unternehmenswohls einer Anspruchsverfolgung entgegenstehen. Mit dieser Entscheidung wollte der BGH zum einen verhindern, dass die alleinige Kompetenz der Hauptversammlung, nach § 93 Abs. 4 AktG auf Organhaftungsansprüche zu verzichten, durch eine faktische Nicht-Verfolgung bestehender Schadensersatzansprüche unterlaufen wird. Zum anderen trägt die Entscheidung dem Interessenkonflikt Rechnung, in dem sich Vorstand und Aufsichtsrat bei der Verfolgung von Organhaftungsansprüchen typischerweise befinden. Macht der Aufsichtsrat Schadensersatzansprüche gegenüber dem Vorstand geltend, so setzt er sich dabei nicht selten der Gefahr aus, dass gegen ihn selbst der Vorwurf einer Pflichtverletzung erhoben wird – sei es auch nur im Rahmen einer Streitverkündung durch das beklagte Vorstandsmitglied.51 Ganz ähnliche Erwägungen liegen im Übrigen auch der ratio der Bestellung des besonderen Vertreters nach § 147 Abs. 2 AktG zugrunde.52 Schon deshalb muss die Rolle des besonderen Vertreters heute im engen Zusammenhang mit der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung des BGH gesehen werden.

48 Das AktG von 1937 hatte es in § 97 Abs. 1 bei der alten Formel „die von der Hauptversammlung beschlossenen Rechtsstreitigkeiten zu führen“ belassen. 49 Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 22. 50 BGHZ 135, 244 = BGH, NJW 1997, 1926. 51 Bieder, NZG 2015, 1178 (1179); Paefgen, AG 2008, 761 (766). 52 BT-Drucks. 15/5092, 20 (Begr. RegE UMAG); ferner Rieckers/J. Vetter in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2014, § 147 AktG Rz. 16.

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Als Fazit lässt sich somit festhalten: Zu Anfang war die Bestellung eines besonderen Vertreters die einzige Möglichkeit, Ersatzansprüche gegen den Aufsichtsrat geltend zu machen. Inzwischen hat sich das Verhältnis geradezu umgekehrt: Der Sondervertreter ist jetzt gleichsam Verfolgungsinstanz dritter Ordnung. Primär zuständig sind Vorstand und Aufsichtsrat, die ohne Mitwirkung der Hauptversammlung Organhaftungsansprüche geltend machen dürfen und nach den Prinzipien und unter den Voraussetzungen der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung grundsätzlich auch verfolgen müssen. Früher war die Hauptversammlung uneingeschränkt „Herr des Verfahrens“, heute sind nach der gesetzgeberischen Konzeption Vorstand und Aufsichtsrat die haftungsrechtlichen Zentralinstanzen bei der Verfolgung von Organhaftungsansprüchen. Dieser vom Gesetzgeber bewusst vollzogenen Stärkung der Stellung und Verantwortung der Verwaltungsorgane gegenüber der Hauptversammlung muss auch bei der Auslegung des § 147 AktG Rechnung getragen werden.

IV. Systematisch-teleologische Auslegung Entscheidend für die Bestimmung der Kompetenzen des Sondervertreters ist die richtige Einordnung dieses Instituts in das systematische Gefüge des Aktienrechts. Charakteristisch für den bisherigen Verlauf der Diskussion um die Rechtsstellung des besonderen Vertreters ist der Umstand, dass vielfach so getan wird, als bestehe § 147 AktG nur aus einem, nämlich dem zweiten Absatz. Indes erschließt sich die Stellung des Sondervertreters nur, wenn man an den Anfang der Überlegungen § 147 Abs. 1 AktG stellt (1.). Zudem sind bei der Bestimmung der Rolle und Befugnisse des besonderen Vertreters die flankierenden Vorschriften, namentlich die Vorschriften über die Sonderprüfung (§§ 142 ff. AktG) und die Aktionärsklage nach § 148 AktG mit in den Blick zu nehmen (2.).

1. Verhältnis zwischen § 147 Abs. 1 und Abs. 2 AktG Sowohl die amtliche Überschrift, die von „Geltendmachung von Ersatzansprüchen“ spricht, als auch die nachrangige Erwähnung in Abs. 2 sprechen dafür, dass der Sondervertreter nicht der dogmatische Fixpunkt des § 147 AktG ist – mag er auch in der Praxis den wichtigsten oder jedenfalls auffälligsten Anwendungsfall markieren. Bei unbefangener, allein auf den Gesetzeswortlaut bezogener Betrachtung zielt die Regelung zunächst vor allem darauf, die Hauptversammlung in die Lage zu versetzen, die an

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sich für die Verfolgung von Organhaftungsansprüchen zuständigen Organe, nämlich Vorstand und Aufsichtsrat, zu einem Tätigwerden zu verpflichten. Davon, dass nach der Entscheidung der Hauptversammlung Vorstand oder Aufsichtsrat noch irgendein Entscheidungsspielraum bleibt, ist nicht die Rede, denn die Ansprüche „müssen geltend gemacht werden“. Angesichts dieses bereits sehr weitgehenden Eingriffs in das aktienrechtliche Kompetenzgefüge stellt § 147 Abs. 2 AktG nach der gesetzlichen Wertung eine weitere Eskalationsstufe dar: Der Sondervertreter kommt dann zum Einsatz, wenn die Aktionäre Vorstand bzw. Aufsichtsrat noch nicht einmal mehr zutrauen, selbst nach einer Verpflichtung durch die Hauptversammlung Schadensersatzansprüche professionell gerichtlich oder außergerichtlich geltend zu machen. In Anbetracht der primären Zuständigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat bei der Verfolgung von Organhaftungsansprüchen ergibt sich die Reichweite des § 147 Abs. 1 AktG fast von selbst. Es wäre nämlich unverständlich, wenn die Regelung nur dazu dienen sollte, die Hauptversammlung in den Stand zu versetzen, eine Verpflichtung zu begründen, die von Gesetzes wegen ohnehin schon besteht. Nach den Grundsätzen der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung53 sind Vorstand und Aufsichtsrat verpflichtet, Schadensersatzansprüche gegen das jeweilig andere Organ zu prüfen. Sie müssen dazu gegebenenfalls entsprechende Sachverhaltsermittlungen anstellen und nach einer umfassenden Prozessrisikoanalyse eine Entscheidung über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen treffen. Eine Durchsetzungspflicht besteht grundsätzlich dann, wenn Schadensersatzansprüche „voraussichtlich“ bestehen. Ein gleichlautender Beschluss der Hauptversammlung wäre überflüssig. Daher lässt sich die Rolle des besonderen Vertreters heute sinnvoll nur im Lichte der „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung und der darin stipulierten grundsätzlichen Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats bestimmen. Danach kann ein Bedürfnis für eine Durchsetzung von Ansprüchen durch den besonderen Vertreter insbesondere in vier Fallgruppen bestehen: Die erste Fallgruppe lässt sich am besten mit „pflichtvergessener“ Aufsichtsrat bzw. Vorstand umschreiben: Hier kommen die primär für die Verfolgung der Ersatzansprüche zuständigen Organe ihrer Pflicht zur Prüfung von Schadensersatzansprüchen auf der ersten Stufe der „ARAG/ Garmenbeck“-Prüfung oder ihrer Pflicht zur Durchsetzung von Scha53 BGHZ 135, 244 = BGH, NJW 1997, 1926.

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densersatzansprüchen nach erfolgter Prüfung nicht nach. Sie bleiben untätig, obwohl Ersatzansprüche gegen Organmitglieder „voraussichtlich“ bestehen und auf der zweiten Stufe der „ARAG/Garmenbeck“-Prüfung keine überwiegenden oder zumindest gleichwertigen Gründe des Gesellschaftswohls ein Absehen von der Durchsetzung rechtfertigen. Wenn jedoch in dieser Fallgruppe die Prüfung der Schadensersatzansprüche auf der ersten Stufe noch eine weitere Ermittlung oder Aufklärung des Sachverhalts voraussetzt, muss die Hauptversammlung zunächst den Weg der Sonderprüfung nach § 142 AktG beschreiten und kann nicht einfach einen besonderen Vertreter nach § 147 AktG mit der Aufklärung des Sachverhalts beauftragen. Die zweite Fallgruppe betrifft die abweichende Beurteilung der Erfolgsaussichten durch die primär zuständigen Organe und die Hauptversammlung: Angesichts des Umstandes, dass die Beurteilung der Erfolgschancen möglicher Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder in vielen Fällen schwierig und selten eindeutig ist, kann es durchaus sein, dass das primär zuständige Organ – Vorstand oder Aufsichtsrat – die Erfolgschancen einer Organhaftungsklage anders beurteilt als die Hauptversammlung. In einem solchen Fall kann die Hauptversammlung nach § 147 AktG vorgehen, wenn sie die Erfolgsaussichten möglicher Schadensersatzansprüche auf der ersten Stufe der „ARAG/Garmenbeck“Prüfung günstiger einstuft als die primär für die Verfolgung der Ersatzansprüche zuständigen Organe. Die dritte Fallgruppe betrifft Fälle, in denen die Hauptversammlung auf der zweiten Stufe der „ARAG/Garmenbeck“-Prüfung zu einer anderen Beurteilung als die primär zuständigen Organe im Hinblick auf die Frage kommt, ob überwiegende oder zumindest gleichwertige Gründe des Unternehmenswohls ein Absehen von der Durchsetzung der Schadensersatzansprüche rechtfertigen. Schließlich kann sich ein Anwendungsfall für § 147 AktG auch dann ergeben, wenn die primär zuständigen Organe der Hauptversammlung einen Organhaftungsvergleich vorschlagen, den die Hauptversammlung für unangemessen hält und deshalb ablehnt. Will die Hauptversammlung in einem solchen Fall auf eine gerichtliche Geltendmachung der Schadensersatzansprüche hinwirken, kann sie entweder die zuständigen Organe durch einen Beschluss nach § 147 Abs. 1 AktG zur Durchsetzung der Ansprüche verpflichten oder zu diesem Zweck einen besonderen Vertreter nach § 147 Abs. 2 AktG bestellen.

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Vor diesem Hintergrund erscheint auch die in der Rechtsprechung und der Literatur mitunter geäußerte Befürchtung unberechtigt, dass das Instrument des besonderen Vertreters ohne praktischen Anwendungsbereich bliebe oder gar „leer liefe“, wenn man ihn nicht mit umfassenden Ermittlungsbefugnissen ausstatte.54 § 147 Abs. 1 AktG begründet in vorgenannten Fallgruppen somit eine bindende Verpflichtung, einen bestimmten konkreten Anspruch geltend zu machen. Kennzeichnend für Abs. 1 ist demnach zum einen die unbedingte Pflicht zur Geltendmachung von Ansprüchen und zum anderen das Vorliegen eines abschließend ermittelten Sachverhalts. Dieser sollte es der Hauptversammlung ermöglichen, genau die Abwägung zwischen den Vorteilen und Nachteilen einer Geltendmachung vorzunehmen, die ansonsten Vorstand und Aufsichtsrat nach Ende ihrer Prüfungen und Ermittlungen vornehmen müssten. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, ist bereits der Anwendungsbereich des § 147 Abs. 1 AktG nicht eröffnet. Da Abs. 2 auf Abs. 1 aufbaut, scheidet in einem solchen Fall die Bestellung eines besonderen Vertreters von vornherein aus. Für eine solche Auslegung streitet auch der Wortlaut der Vorschrift, der von „Geltendmachung“ und nicht von „Prüfung“ oder „Ermittlung“ von Ansprüchen spricht. Denn ein „Geltendmachen“ setzt die Überzeugung der Hauptversammlung voraus, dass ein bestimmter Anspruch auf Basis eines weitgehend ausermittelten Sachverhalts existiert oder zumindest gute Erfolgsaussichten im Hinblick auf eine Durchsetzung des Anspruchs bestehen.55 Zudem bildet auch die verhältnismäßig kurze Sechs-Monatsfrist des § 147 Abs. 1 Satz 2 AktG ein gewichtiges Indiz dafür, dass der Gesetzgeber von einem bereits abschließend ermittelten Sachverhalt ausgeht. Denn nur in solchen Fällen reicht eine so kurze Zeitspanne aus, um die für die Erstellung einer Klageschrift erforderlichen Maßnahmen einzuleiten. Könnten und müssten hingegen zunächst umfassende Prüfungen und Ermittlungen in einer Vielzahl von denkbaren haftungsrelevanten Sachverhalten erfolgen, erscheint eine Anspruchsgeltendmachung bzw. Klageerhebung innerhalb einer Frist von sechs Monaten von vornherein unrealistisch.56 54 So aber OLG München, ZIP 2008, 73 (77); KG, WM 2012, 694 (695). 55 Hüffer, ZHR 174 (2010), 642 (664). 56 OLG München, ZIP 2008, 73 (77); LG Köln, ZIP 2016, 162 (164); Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 56; Rieckers/J. Vetter in

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Es ist zwar richtig, dass der besondere Vertreter funktional an die Stelle von Vorstand und Aufsichtsrat tritt.57 Doch bedeutet das nicht, dass dem Sondervertreter alle Rechte zustehen, über die Vorstand oder Aufsichtsrat im Allgemeinen verfügen.58 Vielmehr kommen ihm nur die Rechte zu, die ein Vorstand (Aufsichtsrat) im Rahmen einer Verpflichtung nach § 147 Abs. 1 AktG ausübt. Das sind, wie dargelegt, gerade nicht Ermittlungsrechte, sondern allein die Kompetenzen im Bereich der Prozessführung und dessen sachgerechte Vorbereitung.

2. Verhältnis von § 142, § 147 und § 148 AktG In systematischer Hinsicht lässt sich nicht bestreiten, dass die Sonderprüfung nach § 142 AktG,59 die Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 147 AktG sowie die Klagezulassung gem. § 148 AktG in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Sie sind nicht nur in einem Unterabschnitt des Gesetzes zusammengefasst. Vielmehr sind sie auch wechselseitig aufeinander bezogen und stehen zueinander in einem gewissen Stufenverhältnis. Dieses Verständnis entsprach bereits dem Willen des historischen Gesetzgebers. In der Gesetzesbegründung heißt es ausdrücklich, dass die Revision der Vorbereitung des Verfolgungsrechts diene.60 Auch die Aktionärsklage nach § 148 AktG61 erfasst nur die Verfolgung eines genau determinierten, d.h. in seinen Voraussetzungen bereits ermittelten Ersatzanspruchs, weil allein ein solcher Gegenstand einer Klagezulassung sein kann.62 Warum angesichts des engen Sach- und Regelungszusammenhangs bei § 147 und § 148 AktG insoweit jeweils andere Maßstäbe gelten sollen, erschließt sich nicht.63

57 58 59 60 61 62 63

KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2014, § 147 AktG Rz. 602; Kocher/Lönner, ZIP 2016, 653 (655); Kling, ZGR 2009, 190 (217). Verhoeven, ZIP 2008, 245 (246). Vgl. auch Hüffer, ZHR 174 (2010), 642 (679 f.). Dazu Bayer, AG 2016, 637 (640 f.). Begr. Entwurf eines Gesetzes betreffend die KGaA und AG 1884, bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 470. Dazu jetzt Gaschler, Das Klagezulassungsverfahren gem. § 148 AktG, 2017. Spindler in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 148 AktG Rz. 24, 28; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 148 AktG Rz. 38 ff. Vgl. Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 58.

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V. Konsequenzen für die Rechtspraxis Auf Basis der vorstehenden Ausführungen zu den dogmatischen Grundlagen der Stellung des besonderen Vertreters soll nachfolgend untersucht werden, welche Konsequenzen sich daraus für die Rechtspraxis ergeben. Da eine erschöpfende Bestandsaufnahme den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde, kann nur exemplarisch auf einige für die Praxis besonders wesentliche Aspekte eingegangen werden, die – wie einleitend dargestellt – teilweise auch bereits die instanzgerichtliche Rechtsprechung beschäftigt haben (II.). Dazu zählen neben der Konkretisierung des Verpflichtungs- und Bestellungsbeschlusses (1.), die Informations- und Ermittlungsrechte des besonderen Vertreters (2.) und ein etwaiger dem besonderen Vertreter im Hinblick auf die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche zustehender Entscheidungsspielraum (3.).

1. Konkretisierung des Verpflichtungs- und Bestellungsbeschlusses Die Frage nach der Reichweite der Ermittlungsbefugnisse im Rahmen von § 147 AktG hat Bedeutung bereits für die Rechtmäßigkeit des Beschlusses nach § 147 Abs. 1 AktG. Der Konkretisierungsgrad muss dabei höher liegen als bei der Bestellung des Sonderprüfers gem. § 142 AktG. Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut: § 147 AktG spricht davon, dass der besondere Vertreter „zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs“ berufen ist, während der Sonderprüfer „zur Prüfung von Vorgängen“ bestellt wird.64 Der Anspruch muss daher im Falle des § 147 AktG durch die Angabe der wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen individualisiert sein. Dazu zählen bei Organhaftungssprüchen insbesondere die Person des Anspruchsgegners, die dem Organmitglied vorgeworfene Pflichtverletzung und der der Gesellschaft daraus entstandene Schaden – einschließlich Kausalität und Zurechnung. Der Verweis auf die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage (§ 93 Abs. 2 AktG) genügt ebenso wenig wie eine allgemeine Umschreibung der Anspruchsvoraussetzungen. Vielmehr muss die Beschlussfassung nach § 147 AktG auf der Grundlage eines hinreichend konkretisierten Sachverhalts erfolgen, aus dem sich zumindest die wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen ergeben. Hierfür genügt nicht der gegenüber dem Vorstand bzw. einzelnen Vorstandsmitgliedern pauschal erhobene 64 Kocher/Lönner, ZIP 2016, 653 (655).

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Vorwurf des Organisationsverschuldens bei Compliance-Verstößen im Unternehmen. Ebenso wenig reicht hierfür die Behauptung, der Vorstand trage die Verantwortung dafür, dass die Gesellschaft bei einer Unternehmenstransaktion einen zu hohen Preis gezahlt habe, wenn es an tatsächlichen Anhaltspunkten für ein abweichendes Preisniveau fehlt.65 Ebenfalls erkennbar sein müssen Kausalität und Zurechenbarkeit zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Demgegenüber sind für die Rechtmäßigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses weder die Erfolgschancen der vom besonderen Vertreter zu erhebenden Klage noch die Wahrscheinlichkeit des Bestehens der von ihm geltend zu machenden Ersatzansprüche zu überprüfen. Auch bedarf es insoweit keines „Anfangsverdachts“ oder gar eines „hinreichenden Tatverdachts“ (im strafrechtlichen Sinne) für das Vorliegen einer Pflichtverletzung des Organmitglieds.66 Vielmehr genügt, dass dem Hauptversammlungsbeschluss ein hinreichend konkretisierter Sachverhalt zugrunde liegt, aus dem sich die geltend zu machenden Ersatzansprüche in schlüssiger Weise ergeben. Im Rahmen der Anforderungen an die gegenüber der Hauptversammlung darzulegende Pflichtverletzung des Organmitglieds ist die Beweislastregelung des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG zu beachten. Danach muss die Gesellschaft bei der Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen nur die Möglichkeit einer Pflichtverletzung darlegen und beweisen. Gelingt dies, trägt das Organmitglied selbst die Beweislast dafür, dass es seinen Sorgfaltspflichten im konkreten Fall nachgekommen ist67. Dementsprechend muss es für die Konkretisierung der Pflichtverletzung im Rahmen eines Beschlusses nach § 147 Abs. 1 und Abs. 2 AktG auch genügen, wenn sich aus dem der Hauptversammlung vorgelegten Sachverhalt jedenfalls die Möglichkeit einer Pflichtverletzung ergibt und das Organmitglied im Rahmen der von dem besonderen Vertreter anzustrengenden Klage gehalten wäre, sich zu entlasten. Im Hinblick auf den im Hauptversammlungsbeschluss zu konkretisierenden Schaden muss die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen sein. Vielmehr genügt bereits eine für die Erhebung einer Fest-

65 Vgl. LG Köln, ZIP 2016, 162 (164 f.). 66 Für die Anforderung eines „Anfangsverdachts“ LG Stuttgart, ZIP 2010, 329 (329 f.); ausdrücklich a.A. LG Heidelberg, ZIP 2016, 471 (471). 67 Dazu i.E. Koch in Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 93 AktG Rz. 53; Bachmann BB 2015, 771 (774 f.).

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stellungsklage ausreichende Schadenswahrscheinlichkeit.68 Andernfalls bestünde das Risiko, dass bei einer noch nicht abgeschlossenen Schadensentwicklung eine Verjährung des Schadensersatzanspruchs eintritt, ohne dass die Hauptversammlung bzw. der von ihr berufene besondere Vertreter Maßnahmen zur Verjährungsunterbrechung durch Erhebung einer Feststellungsklage einleiten könnte. Demgegenüber kann die Hauptversammlung den besonderen Vertreter nicht in einem ersten Schritt zunächst mit der Prüfung von Schadensersatzansprüchen beauftragen und dann – abhängig von den bestehenden Erfolgsaussichten – auf der zweiten Stufe mit deren anschließender Durchsetzung. Ebenso wenig kann sie dem besonderen Vertreter die Auswahl der in Anspruch zu nehmenden Organmitglieder überlassen.69 Liegen keine ausreichenden Informationen vor, um sinnvoll über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu beschließen, ist zunächst der Weg der Sonderprüfung nach § 142 AktG zu beschreiten.70 Vorbehaltlich der durch die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Treubindungen gezogenen Grenzen kommt es grundsätzlich auch nicht darauf an, ob dem Beschluss überwiegende Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen. Zwar unterliegen auch die Aktionäre bei ihren Entscheidungen sowohl im Verhältnis untereinander als auch im Verhältnis zur Gesellschaft der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht.71 Eine analoge Anwendung von § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG72 ist aber im Rahmen von § 147 AktG grundsätzlich abzulehnen. Die Aktionäre müssen als Eigentümer des Unternehmens die Möglichkeit haben, die stark von Wertungen abhängende Frage des Gesellschaftswohls anders zu beurtei-

68 Vgl. BGH, NJW 2012, 2022 (2023); NJW 2006, 830 (832 f.); NJW1993, 648 (653 f.). 69 G. Wirth in FS Hüffer, S. 1129 (1150 f.). 70 G. Wirth in FS Hüffer, S. 1129 (1151); Hüffer, ZHR 174 (2010), 642 (682); Binder, ZHR 176 (2012), 380 (410 f.); Humrich, NZG 2014, 441 (446); Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 186; Kocher/Lönner, ZIP 2016, 653 (658); Rieckers/J. Vetter in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2014, § 147 AktG Rz. 613 ff.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 147 AktG Rz. 9, 33. 71 Bungeroth in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 53a AktG Rz. 25; Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 53a AktG Rz. 49; Koch in Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 53a AktG Rz. 16 f.; Rieckers in Münchener Hdb. d. GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 17 Rz. 24. 72 Dazu Gaschler, Das Klagezulassungsverfahren gem. § 148 AktG, 2017, S. 105 ff.

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len als die primär für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zuständigen Organe (Vorstand und Aufsichtsrat). Etwas anderes gilt für den – in der Praxis häufigen – Fall eines Minderheitsverlangens, wenn also die Vorschrift des § 147 AktG entgegen der ursprünglichen gesetzlichen Konzeption aufgrund des Stimmverbots nach § 136 AktG zum Minderheitsrecht umfunktioniert wird. In dieser Konstellation ist die in § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, dass die Minderheit Schadensersatzansprüche nicht zu Lasten des Unternehmenswohls durchsetzen darf. In einer solchen Fallgestaltung können überwiegende Gründe des Gesellschaftswohls der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch den besonderen Vertreter entgegenstehen73.

2. Informations- und Ermittlungsrechte des besonderen Vertreters a) Reichweite In der Sache ist der besondere Vertreter zur Prozessführung berechtigt und verpflichtet. Er ist indes kein Sonderermittler, der in gleicher Weise Einsicht in die Geschäftsunterlagen nehmen kann wie Vorstand und Aufsichtsrat. Erst recht hat der besondere Vertreter kein Haus- und Direktionsrecht gegenüber den Mitarbeitern des Unternehmens.74 Dem besonderen Vertreter stehen als Annex zu seiner gesetzlichen Vertretungsaufgabe allerdings begrenzte Informationsrechte zu. Er hat einen Anspruch auf Informationen und Einsicht in Unterlagen, die zur Geltendmachung der Ersatzansprüche erforderlich oder zweckdienlich sind.75 Als aufgabengerechte Informationen kommen insbesondere in Betracht: Urkunden über anspruchsrelevante Gesellschaftsverhältnisse, Vorstands- und Aufsichtsratsprotokolle zu den im Antrag konkretisierten geschäftlichen Vorgängen, ebenso Abhängigkeitsberichte, Geschäftsverteilungspläne, Rechtsgutachten, Prüfungsberichte der Abschlussprüfer und etwaige Unterlagen zu alternativen Angeboten (z.B. bei 73 So zutreffend: W. Bayer, AG 2016, 637 (647 ff.). 74 Fabritius in GS Gruson, S. 133 (147); G. Wirth in FS Hüffer, S. 1129 (1150 f.); Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 175. 75 Rieckers/J. Vetter in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2014, § 147 AktG Rz. 623; Spindler in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 147 AktG Rz. 30; Binder, ZHR 176 (2012), 380 (393 ff.).

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Beteiligungsveräußerungen).76 Maßgeblich für die Abgrenzung ist stets, ob die erstrebten Informationen der Geltendmachung der Ersatzansprüche dienen und nicht der vorgelagerten Ermittlung des Sachverhalts, wie sie nach der aktienrechtlichen Konzeption dem Sonderprüfer (§ 142 AktG) vorbehalten ist.

b) Verhältnis zum Verpflichtungs- und Bestellungsbeschluss Eine sinnvolle Begrenzung der Informationsrechte des besonderen Vertreters ist nur bei einem hinreichend konkretisierten Beschluss der Hauptversammlung nach § 147 AktG möglich. Zudem erscheint andernfalls eine sinnvolle Abgrenzung zum Instrument der Sonderprüfung nach § 142 AktG ausgeschlossen. Die einleitend referierte Entscheidung des LG Duisburg77 führt allerdings vor Augen, dass unter Umständen auch ein unzulässig weit gefasster Verpflichtungs- und Bestellungsbeschluss zur Beschaffung von Informationen missbraucht werden kann, die eigentlich nur mittels Sonderprüfung zu erlangen sind. Das ist dann der Fall, wenn im einstweiligen Rechtsschutz das Gericht sich weigert, einen nicht hinreichend konkretisierten, aber vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens noch wirksamen Beschluss zu prüfen.78 Zwar ist der besondere Vertreter befugt und grundsätzlich auch verpflichtet, seinen Auftrag auszuführen und seine Befugnisse als besonderer Vertreter wahrzunehmen, insbesondere seine Informationsrechte auszuüben, auch wenn der zugrunde liegende Hauptversammlungsbeschluss angefochten wurde. Dies ergibt sich daraus, dass der Beschluss – vorbehaltlich des Vorliegens eines besonderen Nichtigkeitsgrundes – solange wirksam ist, bis er rechtskräftig für nichtig erklärt wurde (§ 241 Nr. 5 AktG). Die Gesellschaft bzw. ihre Organe können daher dem besonderen Vertreter Auskünfte und die Einsicht in Unterlagen nicht allein deshalb verweigern, weil der zugrunde liegende Hauptversammlungsbeschluss angefochten wurde und daher unsicher ist, ob er rechtlich Bestand haben wird.79

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Vgl. OLG Köln, BeckRS 2015, 20140; OLG München, ZIP 2008, 73 (78). Vgl. näher unter II.7. So OLG Köln, NZG 2016, 147, 148; LG Duisburg, ZIP 2016, 1970 (1972). Abweichend Kocher/Lönner, ZIP 2016, 653 (657), die bei mangelnder Bestimmtheit Nichtigkeit annehmen; vgl. ferner LG Duisburg, ZIP 2013, 1379 (1380); LG Stuttgart, ZIP 2010, 329 (331).

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Das (in der Regel im einstweiligen Verfügungsverfahren) mit dem Informationsbegehren des besonderen Vertreters befasste Gericht hat daher nicht die Rechtmäßigkeit des Verfolgungs- und Bestellungsbeschlusses zu überprüfen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Beschlüsse der Hauptversammlung zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und zur Bestellung des besonderen Vertreters angefochten sind. Etwas anderes gilt jedoch in Missbrauchsfällen. Ein solcher Fall ist anzunehmen, wenn der Hauptversammlungsbeschluss durch den besonderen Vertreter mangels hinreichender Konkretisierung so weit gefasst ist, dass die Grenzen zur Sonderprüfung verschwimmen. Das Informationsbegehren des besonderen Vertreters darf nicht primär dazu dienen, auf Grundlage des zu weit gefassten Hautversammlungsbeschlusses während der noch laufenden Anfechtungsklage den maßgeblichen Sachverhalt überhaupt erst zu ermitteln. Im Rahmen einer solchen Missbrauchskontrolle ist das zur Entscheidung über das Informationsbegehren des besonderen Vertreters berufene Gericht – auch im einstweiligen Verfügungsverfahren – befugt, aber auch gehalten, die Beschlüsse zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und zur Bestellung des besonderen Vertreters zu überprüfen.

3. Entscheidungsspielräume des besonderen Vertreters? Aus der Tatsache, dass ein Beschluss nach § 147 Abs. 1 AktG Aufsichtsrat bzw. Vorstand eine zusätzliche, nicht ohnehin von Gesetzes wegen bestehende Verfolgungspflicht auferlegt, folgt, dass die verpflichteten Organe grundsätzlich zur unbedingten Umsetzung des Beschlusses verpflichtet sind.80 Nach der „ARAG/Garmenbeck“-Rechtsprechung trifft den Aufsichtsrat bereits ohne einen Beschluss nach § 147 Abs. 1 AktG eine grundsätzliche Verfolgungspflicht. Diese greift nur dann nicht, wenn das zuständige Organ nach sachgerechter Prozessrisikoanalyse zur Auffassung gelangt, dass eine Verurteilung voraussichtlich nicht zu erwarten ist, oder gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls gegen eine Verfolgung sprechen. Die zusätzliche Verpflichtungswirkung des § 147 Abs. 1 AktG besteht demnach darin, dass sich die nach dieser Vorschrift Verpflichteten ihrer Pflicht nicht durch einen Verweis auf unzureichende Prozessaussichten oder eine Beeinträchtigung des Gesellschaftswohls entziehen können. Daher kann der nach § 147 Abs. 1 AktG Verpflichte80 Ebenfalls gegen ein Ermessensspielraum des besonderen Vertreters G. Wirth in FS Hüffer, S. 1129 (1142); Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 58.

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te nicht von der Geltendmachung mit der Begründung absehen, eine Pflichtverletzung komme nach den gegebenen Umständen nicht in Betracht. Eine Ausnahme könnte man allenfalls anerkennen, wenn nach Beschlussfassung neue Tatsachen bekannt werden, die die Darlegung der Schadensersatzansprüche unschlüssig erscheinen lassen. In diesem Fall kann eine erneute Befassung der Hauptversammlung durch den besonderen Vertreter zulässig und sogar geboten sein. Das „Ob“ der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche steht somit nicht im Ermessen des Verpflichteten. Im Übrigen unterliegt auch der besondere Vertreter dem Verzichtsverbot des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, d.h. er kann nur mit Zustimmung der Hauptversammlung auf Schadensersatzansprüche verzichten bzw. sich über diese vergleichen. Davon zu unterscheiden ist das „Wie“ der Anspruchsverfolgung (prozessuale Vorgehensweise, Höhe der Forderung usw.). Insoweit sind Entscheidungsund Beurteilungsspielräume des besonderen Vertreters anzuerkennen – allerdings wiederum nur in den durch den Hauptversammlungsbeschluss gezogenen Grenzen.

VI. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Thesen 1. Funktion und Stellung des Sondervertreters haben sich im Verlaufe der letzten 150 Jahre nachhaltig gewandelt. Ursprünglich waren Aufsichtsrat und Vorstand bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf einen entsprechenden Beschluss der Generalversammlung angewiesen. Infolge der vom Gesetzgeber bewusst vollzogenen Stärkung der Stellung und Verantwortung der Verwaltungsorgane (Aufsichtsrat/Vorstand) gegenüber der Hauptversammlung haben sich die Verhältnisse nunmehr umgekehrt: Primär zuständig für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen sind Aufsichtsrat und Vorstand, die ohne Mitwirkung der Hauptversammlung Ansprüche geltend machen dürfen und – nach den Prinzipien und unter den Voraussetzungen der „ARAG/Garmenbeck“- Rechtsprechung – grundsätzlich auch verfolgen müssen. 2. Die Rolle des besonderen Vertreters ist heute im Lichte der „ARAG/ Garmenbeck“-Entscheidung zu sehen. Danach kann ein Bedürfnis für eine Durchsetzung von Ansprüchen durch den besonderen Vertreter in vier Fallgruppen bestehen: (i) Die primär für die Verfolgung der Ersatzansprüche zuständigen Organe kommen ihrer Pflicht zur Prüfung von Schadensersatzansprüchen auf der ersten Stufe der „ARAG/Garmen-

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beck“-Prüfung oder ihrer Pflicht zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nach erfolgter Prüfung nicht nach, obwohl Ersatzansprüche gegen Organmitglieder „voraussichtlich“ bestehen und auf der zweiten Stufe der „ARAG/Garmenbeck“-Prüfung keine überwiegenden oder zumindest gleichwertigen Gründe des Gesellschaftswohls ein Absehen von der Durchsetzung rechtfertigen. (ii) Die Hauptversammlung beurteilt die Erfolgsaussichten möglicher Schadensersatzansprüche auf der ersten Stufe der „ARAG/Garmenbeck“-Prüfung abweichend von den primär für die Verfolgung der Ersatzansprüche zuständigen Organen. (iii) Die Hauptversammlung kommt auf der zweiten Stufe der „ARAG/ Garmenbeck“-Prüfung zu einer anderen Beurteilung als die für die Verfolgung primär zuständigen Organe im Hinblick auf die Frage, ob überwiegende oder zumindest gleichwertige Gründe des Unternehmenswohls ein Absehen von der Durchsetzung der Schadensersatzansprüche rechtfertigen. (iv) Die primär für die Verfolgung der Ersatzansprüche zuständigen Organe (Vorstand/Aufsichtsrat) schlagen der Hauptversammlung einen Organhaftungsvergleich mit einem oder mehreren Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmitgliedern vor, den die Hauptversammlung für unangemessen hält und deshalb ablehnt. 3. Die Verpflichtung nach § 147 AktG betrifft nur die Geltendmachung von Ersatzansprüchen, nicht eine ihr vorgelagerte Ermittlungstätigkeit. Der besondere Vertreter ist kein vorstandsgleicher Sonderermittler, der ungehindert Geschäftsräume betreten und von Mitarbeitern die Aushändigung von Unterlagen verlangen kann. Durchzusetzen hat er Ansprüche aus einem wenigstens im Hinblick auf die wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen bekannten Sachverhalt. Zur tatsächlichen Ermittlung der Anspruchsvoraussetzungen ist der besondere Vertreter nicht befugt. 4. Dem besonderen Vertreter stehen als Annex zu seiner gesetzlichen Vertretungsaufgabe begrenzte Informationsrechte zu. Er hat einen Anspruch auf Informationen und Einsicht in Unterlagen, die zur Geltendmachung der Ersatzansprüche erforderlich oder zweckdienlich sind. Maßgeblich ist stets, ob die erstrebten Informationen der Geltendmachung der Ersatzansprüche dienen und nicht der vorgelagerten Ermittlung des Sachverhalts, wie sie nach der aktienrechtlichen Konzeption dem Sonderprüfer (§ 142 AktG) vorbehalten ist. 5. Die Frage nach der Reichweite der Ermittlungsbefugnisse im Rahmen von § 147 AktG hat nicht nur Bedeutung für die Informationsansprüche des besonderen Vertreters, sondern bereits für die Rechtmäßigkeit des Beschlusses der Hauptversammlung nach § 147 AktG. Der Konkretisie-

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rungsgrad muss bei § 147 AktG deutlich höher liegen als bei der Bestellung des Sonderprüfers gem. § 142 AktG. Der Anspruch muss durch Angabe der wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen (Pflichtverletzung, Schaden, Kausalität und Zurechnung) individualisiert sein. Demgegenüber sind für die Rechtmäßigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses weder die Erfolgschancen der vom besonderen Vertreter zu erhebenden Klage bzw. die Wahrscheinlichkeit des Bestehens der von ihm geltend zu machenden Ersatzansprüche zu überprüfen noch bedarf es insoweit eines „Anfangsverdachts“ oder gar eine „hinreichenden Tatverdachts“ für das Vorliegen einer Pflichtverletzung des Organmitglieds. Vielmehr genügt, dass dem Hauptversammlungsbeschluss ein hinreichend konkretisierter Sachverhalt zugrunde liegt, aus dem sich die geltend zu machenden Ersatzansprüche in schlüssiger Weise ergeben. 6. Die Hauptversammlung kann den besonderen Vertreter auch nicht (zunächst) mit der Prüfung von Schadensersatzansprüchen (im Hinblick auf die bestehenden Erfolgsaussichten) und ihrer (erst) anschließenden Durchsetzung beauftragen. Ebenso wenig kann sie dem besonderen Vertreter die Auswahl der in Anspruch zu nehmenden Organmitglieder überlassen. 7. Auch kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob dem Beschluss überwiegende Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen. Etwas anderes gilt indes für den in der Praxis häufigen Fall, wenn die Vorschrift des § 147 AktG aufgrund des Stimmverbots nach § 136 AktG zum Minderheitsrecht umfunktioniert wird. In dieser Konstellation ist die in § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, dass eine Minderheit der Anteilseigner die Geltendmachung von Ersatzansprüchen nicht zu Lasten des Unternehmenswohls erzwingen darf. 8. Der besonderer Vertreter ist befugt und grundsätzlich auch verpflichtet, seinen Auftrag auszuführen und seine Befugnisse als besonderer Vertreter wahrzunehmen, insbesondere seine Informationsrechte auszuüben, auch wenn der zugrunde liegende Hauptversammlungsbeschluss angefochten wurde. Dies ergibt sich daraus, dass der Beschluss – vorbehaltlich des Vorliegens eines besonderen Nichtigkeitsgrundes – solange wirksam ist, bis er rechtskräftig für nichtig erklärt wurde (§ 241 Nr. 5 AktG). Die Gesellschaft bzw. ihre Organe können daher dem besonderen Vertreter Auskünfte und die Einsicht in Unterlagen nicht allein deshalb verweigern, weil der zugrunde liegende Hauptversammlungsbeschluss angefochten wurde und daher unsicher ist, ob er rechtlich Bestand haben wird. Etwas

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anderes kann in Missbrauchsfällen gelten, etwa wenn der Hauptversammlungsbeschluss mangels hinreichender Konkretisierung so weit gefasst ist, dass die Grenzen zur Sonderprüfung verschwimmen und die Informationsbegehren des besonderen Vertreters primär dazu dienen, auf Grundlage des zu weit gefassten Hautversammlungsbeschlusses (während der noch laufenden Anfechtungsklage) den Sachverhalt überhaupt erst zu ermitteln, der den geltend zu machenden Ersatzansprüchen zugrunde liegt. 9. Der besonderer Vertreter ist grundsätzlich zur unbedingten Umsetzung des Beschlusses der Hauptversammlung zur Geltendmachung der im Hauptversammlungsbeschluss konkretisierten Schadensersatzansprüche verpflichtet. Das „Ob“ der Geltendmachung steht nicht im Ermessen des besonderen Vertreters (im Übrigen unterliegt auch er dem Verzichtsverbot des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG). Davon zu unterscheiden ist das „Wie“ der Anspruchsverfolgung (prozessuale Vorgehensweise, Höhe der Forderung usw.). Aber auch insoweit besteht ein Entscheidungs- und Beurteilungsspielraum nur in den durch den Beschluss gezogenen Grenzen.

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Bericht über die Diskussion des Referats Löbbe Dr. Jonas Fischbach Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Schwerpunkt der von Bayer geleiteten Diskussion über den Vortrag von Löbbe war die von den Teilnehmern kontrovers diskutierte Frage nach der Reichweite der Kompetenzen des Besonderen Vertreters gem. § 147 Abs. 2 AktG. An dem Meinungsaustausch beteiligten sich Uwe H. Schneider, Heidel, Harnos, Enderle, C. Schäfer, J. Vetter und Hollweg. Uwe H. Schneider vertrat die Auffassung, dass der Besondere Vertreter ein wichtiges und für die effektive Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen Organwalter notwendiges Instrument des Aktienrechts sei. Die Rechtsposition des Besonderen Vertreters müsse daher gestärkt und seine Befugnisse müssten erweitert werden. Die Thesen von Löbbe führten dagegen zu einer Schwächung des Besonderen Vertreters und zu einer Einschränkung seiner Befugnisse. Ein Problem stelle insbesondere das – im Vortrag von Löbbe nicht behandelte – Budgetrecht des Besonderen Vertreters dar. Der Besondere Vertreter benötige für seine Tätigkeit Zugriff auf ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen. In der Praxis werde nicht hinreichend anerkannt, dass ihm von der Gesellschaft ein adäquates Budget für entsprechende Aufwendungen zur Verfügung zu stellen sei. Zudem kritisierte Schneider die Position Löbbes, wonach dem Besonderen Vertreter grundsätzlich keine Ermittlungsbefugnisse zustünden und für die Sachverhaltsermittlung erforderlichenfalls ein Sonderprüfer bestellt werden müsse. Der Besondere Vertreter benötige diejenigen Befugnisse, die zur Erfüllung seiner Aufgabe erforderlich seien. Da er mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen betraut sei, müsse er auch Zugriff auf die in Betracht kommenden Beweismittel haben; andernfalls könne er eine Klage nicht sachgerecht vorbereiten. Zu diesem Zweck müssten ihm auch Ermittlungsbefugnisse zugestanden werden. Heidel sprach sich ebenfalls für ein extensiveres Verständnis der Rolle des Besonderen Vertreters aus. In den Thesen von Löbbe werde nicht hinreichend deutlich zwischen dem Beschluss zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gem. § 147 Abs. 1 AktG und dem Beschluss

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zur Bestellung eines Besonderen Vertreters gem. § 147 Abs. 2 AktG differenziert. Heidel vertrat die Auffassung, dass der Beschluss der Hauptversammlung zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gem. § 147 Abs. 1 AktG keiner sachlichen Rechtfertigung bedürfe; er sei vielmehr „rechtfertigungslos“. Die Hauptversammlung müsse die geltend zu machenden Ansprüche lediglich hinreichend konkret (d.h. bestimmbar) benennen; mehr sei für den Beschluss nach Abs. 1 nicht erforderlich. Rechtfertigungslos sei auch der Beschluss zur Bestellung eines Besonderen Vertreters gem. § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG. Dessen Bestellung führe zu einer Verschiebung von Kompetenzen des Vorstands und des Aufsichtsrats auf den Besonderen Vertreter. Der Besondere Vertreter sei daher kein Organ minderer Güte, sondern ersetze innerhalb seines Aufgabenbereichs Vorstand und Aufsichtsrat. Den Grund für die Diskussion über die Reichweite der Rechte des Besonderen Vertreters sah Heidel in Konstellationen, in denen der Bestellungsbeschluss von Minderheitsaktionären herbeigeführt werde, die aufgrund von Stimmverboten über eine Hauptversammlungsmehrheit verfügen. Diese Konstellationen könnten aber kein Argument für eine Einschränkung der Befugnisse des Besonderen Vertreters sein, weil gesetzlich angeordnete Stimmverbote zu akzeptieren seien. Richtig sei zwar, dass der Besondere Vertreter nicht über umfassende Ermittlungsbefugnisse verfüge. Er müsse aber in die Lage versetzt werden, den Sachverhalt so aufzuarbeiten, dass er seine Aufgabe effektiv erfüllen könne. Zu diesem Zweck müsse er auch eigene Ermittlungen durchführen können. Harnos stellte die Frage, ob die These Löbbes, wonach der Beschluss zur Bestellung eines Besonderen Vertreters die Individualisierung des geltend zu machenden Anspruchs durch Angabe der wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen und eines hinreichend konkretisierten Sachverhalts erfordere, mit der Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG vereinbar sei. Zudem wies er darauf hin, dass ungeklärt sei, welche Handlungsoptionen Vorstand und Aufsichtsrat hätten, um einen Besonderen Vertreter an einer Überschreitung seiner Kompetenzen zu hindern. Insoweit stelle sich die Frage, ob Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden könnten. Enderle bemerkte zu dem Argument Löbbes, dass die sechsmonatige Frist zur Geltendmachung der Schadensersatzansprüche gem. § 147 Abs. 1 Satz 2 AktG gegen eine Befugnis des Besonderen Vertreters zu

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umfangreichen Ermittlungen spreche, dass die Überzeugungskraft dieses Arguments von dem Beginn dieser Frist abhänge. Es sei zu erwägen, die Frist erst mit dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, zu dem der Sonderprüfer über die für eine Klageerhebung erforderliche Tatsachengrundlage verfüge. Dann spreche die Frist nicht gegen Ermittlungsbefugnisse des Besonderen Vertreters. C. Schäfer äußerte sich überrascht, dass einige der vorangegangenen Diskussionsbeiträge deutliche rechtspolitische Tendenzen aufwiesen. Thema des Referats von Löbbe sei nicht die Rechtslage de lege ferenda, sondern de lege lata gewesen. Auf Grundlage des geltenden Rechts habe Löbbe eine sowohl historisch als auch systematisch stringent begründete und im Ergebnis überzeugende Position entwickelt. Mit dem Wunsch einiger Diskussionsteilnehmer, die Rechte des Besonderen Vertreters zu erweitern, lasse sich Kritik an dem Vortrag Löbbes nicht begründen. Denn den vorgestellten Thesen liege das geltende Recht zugrunde und auf dieser Grundlage seien sie absolut plausibel. Auch J. Vetter bezweifelte, ob ein extensives Verständnis der Rolle des Besonderen Vertreters – wie es in der Diskussion insbesondere von Schneider und Heidel gefordert wurde – mit der Gesetzessystematik in Einklang zu bringen sei. Ausgangspunkt der Systematik des § 147 AktG sei das in § 147 Abs. 1 geregelte Recht der Hauptversammlung, die Geltendmachung bestimmter dort genannter Schadensersatzansprüche zu verlangen. Das Vorliegen der „Ersatzansprüche der Gesellschaft“ sei Tatbestandsvoraussetzung für die Zulässigkeit eines Beschlusses nach § 147 Abs. 1 AktG. Die Bestellung eines Besonderen Vertreters gem. § 147 Abs. 2 AktG diene der Umsetzung dieses Verlangens. Die Kompetenzen des Besonderen Vertreters müssten ihm selbstverständlich die Erfüllung seines Auftrags ermöglichen. Dies führe aber keineswegs zu grenzenlosen Befugnissen, weil die Kompetenzen des Besonderen Vertreters nicht über die Kompetenzen der Hauptversammlung hinausgehen könnten und bereits Letztere nicht grenzenlos seien. Nach § 147 Abs. 1 AktG könne die Hauptversammlung nur die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen verlangen und nicht deren Ermittlung. Die Begrenzungen der aktienrechtlichen Kompetenzen der Hauptversammlung seien zwingend und stünden auch nicht zur Disposition der Hauptversammlungsmehrheit. Deshalb könnten auch weitreichende Ermittlungsbefugnisse des Besonderen Vertreters nicht durch oder unter Berufung auf den Hauptversammlungsbeschluss begründet werden. Eine Ausweitung der Kompetenzen des Besonderen Vertreters, wie sie ins-

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besondere von Heidel befürwortet worden sei, sei daher mit dem geltenden Recht nicht vereinbar. Hollweg wies schließlich darauf hin, dass das Gesetz zu den Kompetenzen des Besonderen Vertreters keine expliziten Aussagen treffe. Aus der Gesetzessystematik könne man durchaus den Eindruck gewinnen, dass der Besondere Vertreter mindestens die Rechte eines Sonderprüfers haben müsse. Dies schließe insbesondere das Recht zur effektiven Sachverhaltsermittlung ein. Die Position Löbbes halte er vor diesem Hintergrund für deutlich zu restriktiv. Löbbe betonte in seinem Schlusswort, dass sein Vortrag keineswegs auf eine Schwächung der Rolle des Besonderen Vertreters oder eine Einschränkung von dessen Rechten abziele. Ausgangspunkt seiner Überlegungen sei der Befund gewesen, dass die vorhandenen gerichtlichen Entscheidungen und die verfügbare Literatur von den Befugnissen des Besonderen Vertreters ein unscharfes Bild zeichnen und in der Praxis zu kaum lösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Vor diesem Hintergrund habe er sich darum bemüht, eine rechtsdogmatisch und -systematisch begründete Position zu entwickeln, die eine möglichst klare Bestimmung der Rolle des Besonderen Vertreters erlaube. Hierzu bedürfe es einer klaren Abgrenzung der Befugnisse des Besonderen Vertreters von den Kompetenzen anderer Organe, sofern man den Besonderen Vertreter nicht zu einem Sonderermittler mit unbegrenzten Rechten weiterentwickeln wolle. Gewisse Abgrenzungsschwierigkeiten seien zwar nie ganz zu vermeiden, sein Anliegen habe aber darin bestanden, diese soweit wie möglich zu minimieren. Die Annahme einiger Diskussionsteilnehmer, dass es ihm um eine Einschränkung der Rechte des Besonderen Vertreters gehe, könne zum Teil auch auf Missverständnisse zurückzuführen sein. So habe er etwa das von Schneider angesprochene Budgetrecht in seinem Vortrag nicht erwähnt, weil er es für selbstverständlich halte, dass dem Besonderen Vertreter ein Anspruch auf Aufwendungsersatz und auf eine angemessene Vergütung zustehe. Des Weiteren vertiefte Löbbe seine Ausführungen zu dem Zusammenhang zwischen § 147 Abs. 1 und 2 AktG. Er stellte zunächst klar, dass er in seinem Vortrag weder für den Beschluss nach § 147 Abs. 1 AktG noch nach Abs. 2 eine sachliche Rechtfertigung oder gar eine materielle Beschlusskontrolle gefordert habe. Auch eine Prüfung der Begründetheit der geltend zu machenden Ansprüche sei nicht erforderlich. Nach seiner Überzeugung sei für beide Beschlüsse allerdings im Hinblick auf die we-

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sentlichen Anspruchsvoraussetzungen eine hinreichend präzise Konkretisierung der geltend zu machenden Ansprüche notwendig. Wenn man an den Beschluss zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen gem. § 147 Abs. 1 AktG geringere Anforderungen an die Konkretisierung der geltend zu machenden Schadensersatzansprüche stelle als er dies in seinem Vortrag getan habe, wirke sich dies natürlich auch auf den Beschluss zur Bestellung eines Besonderen Vertreters gem. § 147 Abs. 2 AktG aus. Mit Blick auf die von Harnos geäußerten Zweifel im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG führte Löbbe aus, dass die dort geregelte Beweislastumkehr bei den Anforderungen an die Konkretisierung der den Vorstandsmitgliedern vorzuwerfenden Pflichtverletzung zu berücksichtigen sei, ohne dass dies aber von dem Erfordernis einer Individualisierung der betroffenen Ansprüche entbinden könne. Kritisch äußerte sich Löbbe schließlich zu der Überlegung von Hollweg, wonach die Rechte des Besonderen Vertreters zumindest denen eines Sonderprüfers entsprechen müssten; dies sei mit der geltenden Rechtslage schwer vereinbar.

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Corporate Social Responsibility – „Indienstnahme“ von Unternehmen für gesellschaftspolitische Aufgaben? Dr. Birgit Spießhofer, M.C.J. (New York University) Rechtsanwältin, Berlin I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . II. Unternehmerische Verantwortung – Einzelfragen . . . . . 1. CSR – eine „Indienstnahme“ von Unternehmen für gesellschaftspolitische Aufgaben? . 2. Die „Verletzung universeller Menschenrechte“ . . . . . . . . .

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3. Die CSR-Reporting-Richtlinie und das deutsche Umsetzungsgesetz – Revolution oder Paradigmenwechsel? . . . . . . 69 4. „Soft Law with Hard Sanctions“ – neues Verantwortungsund Haftungsregime . . . . . . . 71 III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung Corporate Social Responsibility (CSR) ist auf dem Radar des deutschen Wirtschaftsrechts angekommen. Peter Hommelhoff hat in Anbetracht der EU-CSR-Reporting-Richtlinie1 die Revolution übers Bilanzrecht ausgerufen.2 Mathias Habersack hat bereits beim Thema Frauenquote die Frage aufgeworfen, ob dies nicht eine unzumutbare „Indienstnahme“ von Unternehmen für gesellschaftspolitische Aufgaben ist.3 In der deutschen Jurisprudenz macht sich eine vage Ahnung breit, dass das Thema Corporate Social Responsibility (CSR) in die gleiche Richtung gehen könnte, man die Genese, Wirkungsweise und Durchsetzung von „Soft Law“ viel1 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen v. 22.10.2014, ABl. EU v. 15.11.2014, L 330, S. 1 ff. („CSR-ReportingRichtlinie“). 2 Hommelhoff, Nichtfinanzielle Ziele in Unternehmen von öffentlichem Interesse – Die Revolution übers Bilanzrecht, in Bork/Kayser/Kebekus (Hrsg.), FS Bruno M. Kübler, 2015, S. 291 ff. 3 Habersack, Staatliche und halbstaatliche Eingriffe in die Unternehmensführung, in Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 69. Deutschen Juristentages München 2012, Band I, 2012, S. 1, 36 ff.

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leicht doch nicht nur den Ökonomen, Soziologen und Politikwissenschaftlern (und der angelsächsischen Jurisprudenz) überlassen sollte.4 Worum geht es bei Corporate Social Responsibility (CSR)? Das nationale private und öffentliche Recht sowie das Strafrecht formulieren Standards verantwortungsbewussten Wirtschaftens. Sie können jedoch aufgrund ihres territorial begrenzten Wirkungsradius globale Wirtschaftsprozesse nicht angemessen erfassen. Diese „Governance Gaps“, die durch vielfältige Berichterstattung über sozial und ökologisch untragbare Zustände im Global South aber auch durch die globale Finanzkrise transparent wurden, sind maßgeblicher Grund und Treiber der CSR-Diskussion. CSR ist mithin Teil eines breiter angelegten Global Governance-Diskurses, dessen Kernfrage ist, wie ein globaler Ordnungsrahmen für globales Wirtschaften geschaffen werden kann. Compliance im Sinne der Einhaltung geltenden (nationalen) Rechts ist hinsichtlich des Maßstabs, seiner Sanktionen und Durchsetzungsmechanismen weitgehend greifbar, da an Hard Law orientiert. CSR geht darüber hinaus, umfasst transnationales „neues Recht“, vor allem in Gestalt von Soft Law. CSR hat viele „Definitionen“ erfahren.5 Die Europäische Kommission verkündete 2001: CSR ist ein „Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren.“6 In ihrer Mitteilung „Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung der Unternehmen“ vom 25.10.2011 legte die EU-Kommission eine neue Definition vor, wonach CSR „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ ist. Die Einhaltung geltenden Rechts (Compliance) ist danach das Minimum unternehmerischer Verantwortung. Um ihrer Verantwortung vollumfänglich gerecht zu werden, sollen Unternehmen darüber hinaus Prozesse einführen, die soziale, ökologische, wirtschaftsethische, menschenrechtliche und Verbraucherbelange in enger Zusammenarbeit mit ihren

4 Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 1 f. sprach sozialen Normen zwar nicht die Bedeutung ab, sah sie jedoch bei Ökonomen und Soziologen in guten Händen. 5 Vgl. dazu Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung. Zur Entstehung einer globalen Wirtschaftsordnung, Einführung, erscheint bei Nomos 2017. 6 KOM(2001) 366, 8.

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Stakeholdern in ihre Strategie und ihre Aktivitäten integrieren.7 Die EU-Kommission will unternehmerische Verantwortung durch einen „Smart Mix“ von edukatorischen, ökonomisch-incentivierenden, Soft und Hard Law-Instrumenten steuern. Zu den Hard Law bzw. hybriden Instrumenten gehören u.a. die CSR-Reporting-Richtlinie und die Koppelung von „Soft Law with hard Sanctions“, insbesondere hybride Verantwortungs- und Haftungsmechanismen. Unter der Überschrift CSR findet eine schleichende Revolution mit weitreichenden Folgen statt, allerdings nicht (nur) übers Bilanzrecht. Die CSR-Reporting-Richtlinie ist nur eine vom juristischen Radar erfasste Spitze eines Eisbergs. Sie ist die Emanation eines sehr viel breiteren und seit über vier Dekaden sich vor allem im internationalen und angelsächsischen Bereich und außerhalb der Jurisprudenz aufbauenden politischen Diskurses, der die Grenzen unternehmerischen Wirtschaftens zunehmend von Legalität zu Legitimität verschiebt. Damit ändert sich nicht nur die von Unternehmen erwartete Rollenverantwortung. Vielmehr verschwimmen auch die Grenzen von öffentlichem und privatem Recht, und der Befund von Dieter Grimm, die zunehmende Erosion von repräsentativer Demokratie und Rechtsstaat, wird bestätigt und erweitert. Wie von ihm diagnostiziert, findet die Erosion von zwei Seiten statt: einerseits durch Usurpation und Verlagerung von Steuerungsfunktionen auf internationale und europäische Institutionen, andererseits durch zivilgesellschaftliche Normbildungsprozesse, transnationales Recht oder „global Law without a State“, bspw. die Lex Mercatoria.8 Die unter der Überschrift CSR ablaufenden normativen Prozesse speisen und verstärken beide Tendenzen.

II. Unternehmerische Verantwortung – Einzelfragen Im Folgenden sollen aus dem weiten Spektrum normativer Fragen, die unter der Überschrift CSR verhandelt werden, vier Aspekte beleuchtet werden:

7 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung der Unternehmen (CSR), KOM(2011) 681, 7. 8 Grimm, Die Zukunft der Verfassung. Auswirkungen von Europäisierung und Globalisierung, 2012, S. 294 ff.

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(1) Ist CSR eine „Indienstnahme“ von Unternehmen für gesellschaftspolitische Aufgaben, oder verschiebt sich die originäre Rolle und damit der Verantwortungskanon von Unternehmen? (2) Was bedeutet die „Verletzung universeller Menschenrechte“, die u.a. für die CSR-Reporting-Richtlinie und das Thema zivilrechtlicher Haftung bedeutsam ist? (3) Die CSR-Reporting-Richtlinie und das deutsche Umsetzungsgesetz – Revolution oder Paradigmenwechsel? (4) „Soft Law with Hard Sanctions“ – neue Verantwortungs- und Haftungsregime.

1. CSR – eine „Indienstnahme“ von Unternehmen für gesellschaftspolitische Aufgaben? Was unternehmerische Verantwortung in der modernen Marktwirtschaft bedeutet, ist umstritten. Nach Milton Friedmans berühmtem Satz: „The social responsibility of business is to increase its profits“ besteht die Verantwortung von Unternehmen in erster Linie darin, rentabel zu wirtschaften und Gewinne zu erzielen.9 Andererseits besteht eine lange Tradition der Verbindung von Ökonomie und sozio-ökologischer Moral, die sich in der Geschichte der sozialen Marktwirtschaft10, aber auch in der Konzeption der „Nachhaltigen Entwicklung“11 niederschlägt. Dieser Ansatz findet seine Fortsetzung in der CSR-Diskussion.

9 Friedman, The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits, New York Times Magazine, 13.9.1970; allerdings gibt dies keinen Freibrief für unverantwortliches Verhalten, Friedman, Kapitalismus und Freiheit, 7. Aufl. 2010, S. 38 ff. 10 Vgl. Heidbrink, Das Verantwortungsprinzip in der Marktwirtschaft, in Heidbrink/Hirsch (Hrsg.), Verantwortung als marktwirtschaftliches Prinzip. Zum Verhältnis von Moral und Ökonomie, 2008, S. 11 ff. 11 Vgl. den Bericht der Brundtland-Kommission „Our Common Future“, 1987, der Nachhaltige Entwicklung definiert als (1) eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können, und (2) ein Wandlungsprozess, in dem die Nutzung von Ressourcen, das Ziel von Investitionen, die Richtung technologischer Entwicklung und institutioneller Wandel miteinander harmonieren und das derzeitige und künftige Potential vergrößern, menschliche Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen, http://www.undocuments.net/wcedocf.htm, aufgerufen am 1.11.2016.

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Der Begriff der „Indienstnahme“ kommt ursprünglich aus dem allgemeinen Polizeirecht. Er bezeichnet die Inanspruchnahme und mitbürgerschaftliche Hilfspflicht des Nichtstörers, ein Sonderopfer, das nach Kompensation verlangt. Indienstnahme steht im Gegensatz zum Störerbegriff, der die rechtsstaatliche Verantwortlichkeit des Polizeipflichtigen erfasst. Der Bereich originärer unternehmerischer Verantwortung wurde nicht nur durch gesellschaftsrechtliche Vorgaben wie die Frauenquote, sondern auch durch das Sonderpolizeirecht, insbesondere das Bau-, Planungs- und Umweltrecht sukzessive weiter ausgedehnt. Überwachungsverantwortung wurde zunächst im Umweltrecht, später allgemein unter der Konzeption „Compliance“ weitgehend auf Unternehmen verlagert. Die CSR-Instrumente, insbesondere die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte12 und die sie rezipierenden OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen13 und ISO 26000:2010 Social Responsibility14 verschieben die Grenzen zwischen privater Verantwortung und Indienstnahme für das Gemeinwohl noch weiter. Unternehmen sollen zum politischen Akteur werden.15 Ihrer im Rahmen der Globalisierung gewachsenen ökonomischen Macht soll eine weitergehende Übernahme politischer Verantwortung entsprechen. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte wollen daher Unternehmen für die „Respektierung aller Menschenrechte“ verantwortlich machen, und zwar nicht nur für ihren eigenen Binnenbereich, sondern auch für Beteiligungsunternehmen und Lieferanten. Die Verantwortung soll nicht nur die von dem Unternehmen selbst verursachten „negativen Auswirkungen“ erfassen, sondern auch die Dritter, zu denen das Unternehmen im weitesten Sinne „beigetragen“ hat (weit jenseits der Beihilfe im strafrechtlichen Sinn oder der Haftungszurechnung im zivilrechtlichen). Unternehmen sollen darüber hinaus für alle „negative impacts“ verantwortlich sein, die mit dem Unternehmen, seinen Produkten oder Geschäftspartnern „direkt verbunden“ sind. Das Unternehmen soll zu Due Diligence im Sinne von Sorgfalt gegenüber Dritten verpflichtet sein und 12 https://www.globalcompact.de/wAssets/docs/Menschenrechte/Publikationen/leit prinzipien_fuer_wirtschaft_und_menschenrechte.pdf, aufgerufen am 1.11.2016. 13 Ausgabe 2011, http://www.oecd.org/corporate/mne/48808708.pdf, aufgerufen am 1.11.2016. 14 http://www.iso.org/iso/home/standards/iso26000.htm, aufgerufen am 1.11.2016. 15 Vgl. Scherer/Palazzo, Towards a Political Conception of Corporate Responsibility – Business and Society seen from a Habermasian Perspective, in Academy of Management Review 32, 4 (2007), S. 1096 ff.

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dafür sorgen, dass „negative Auswirkungen“ weitestmöglich vermieden, gemindert oder kompensiert werden, und zwar auch dann, wenn sie legal sind. Verhältnismäßigkeitskriterien wie Risikointensität des Unternehmens und des Landes, Aufwand der Due Diligence und Prioritätensetzungen sollen nicht bei der Verantwortungsbegründung, sondern nur bei den daraus abzuleitenden Handlungsfolgen berücksichtigt werden. Dies bedeutet, dass eine Parallelordnung zu nationalem Recht etabliert wird, die eine Verantwortung für negative Auswirkungen auf alle Menschenrechte umfasst, nicht nur Menschenrechtsverletzungen, weit jenseits gesetzlicher Verantwortungs- und Haftungsregime. Der durch sie kreierte „Standard of expected behaviour“ ist zwar nicht „rechts“verbindlich im herkömmlichen Sinne, jedoch soll er auch nicht dem Belieben des Unternehmens im Sinne von „freiwillig“ überlassen sein. Vielmehr soll er verbindliches Soft Law sein, von Betroffenen und NGOs einzufordern in den „Courts of public opinion“ oder in den Verfahren vor den Nationalen Kontaktstellen, die nach den OECD-Leitsätzen für Multinationale Unternehmen eingerichtet wurden. Die Sorgfaltspflicht (Due Diligence) soll den Standard für die straf- und zivilrechtliche Fahrlässigkeitshaftung setzen. Die Unternehmen sind nicht mehr nur Selbstregulierer, vielmehr werden sie im Rahmen der Lieferkettenverantwortung und der Konzeptionen von „responsible finance“ und „responsible investment“ auch zum Fremdregulierer, was eine Fülle ungelöster Fragen aufwirft. Soweit die Skizze des Entwicklungsbogens vom Allgemeinen Polizeirecht mit überschaubarem Verantwortungsregime zu der weitgehenden CSR-Verantwortung von Unternehmen jenseits gesetzlicher Vorgaben mit unscharfem Randbereich und damit einem Verlust an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.

2. Die „Verletzung universeller Menschenrechte“ In vielen Publikationen wird von der „Verletzung universeller Menschenrechte“ wie von einem global gültigen feststehenden Kodex gesprochen. „Die Menschenrechte“ werden teilweise als universelles, zeit- und raumunabhängiges, auch zwischen Privaten unmittelbar anwendbares „Weltrecht“ verstanden, das einer autoritativen Konkretisierung (insbesondere durch den Gesetzgeber) nicht bedarf. Dies ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Im Rahmen der Business and Human Rights-Diskussion werden die Menschenrechte (nur) als Antagonist unternehmerischen Wirtschaftens wahrgenommen. Weitgehend ausgeblendet wird, dass auch

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die unternehmerische Betätigung selbst grundrechtlich geschützt ist16 und daher die Grundkonstellation die der Grundrechtskollision ist. Es stellen sich im wesentlichen vier grundlegende Fragen: (1) was „die Menschenrechte“ sind, (2) ob sie „universell“ gelten, (3) was die konstituierenden Merkmale der von den Menschenrechtskonventionen verbotenen Menschenrechtsverletzung sind und (4) ob und unter welchen Voraussetzungen „die Menschenrechte“ das Verhältnis zwischen Privaten unmittelbar regeln und Unternehmen unmittelbar völkerrechtlich Verpflichtete sind. „Die Menschenrechte“ sind kein eherner Kodex definierter Normen (soweit es nicht um ius cogens geht). Sie sind vielmehr ein vielschichtiges, mitnichten kohärentes Konglomerat von Konventionen und Instrumenten auf UN-, regionaler und nationaler Ebene. Menschenrechtskonventionen bedürfen für ihre territoriale Geltung grundsätzlich nationaler Ratifikation und im Regelfall der Konkretisierung durch nationales Recht, wobei den Staaten nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eine „margin of appreciation“ zusteht. Die Konkretisierung ist danach (legitimerweise) zeit- und raumabhängig und kann variieren. So hat der EGMR bspw. in der Entscheidung zum französischen Burkaverbot17 die Einschränkung der Religionsfreiheit der Muslima als durch die laizistische Tradition Frankreichs gerechtfertigt und noch innerhalb der „margin of appreciation“ des französischen Gesetzgebers liegend angesehen. Etwas anderes gilt nur, soweit es sich um zwingendes Völkerrecht (ius cogens) handelt, das erga omnes, d.h. gegenüber allen Völkerrechtssubjekten wirkt. Allerdings ist der Kreis der dadurch erfassten Rechte im wesentlichen auf das Verbot des Genozids, der Folter, der Sklaverei, der Leibeigenschaft und der willkürlichen Tötung sowie auf die Garantie eines Mindestmaßes an fairem Verfahren begrenzt.18 Die Menschenrechtskonventionen sind schon wegen ihrer Ratifizierungs- und Konkretisierungsbedürftigkeit und der in bestimmtem Rahmen legitimerweise unterschiedlichen nationalen Umsetzung nur be16 In Deutschland vor allem durch Art. 2, 12, 14 GG. 17 S.A.S. v. France, EGMR v. 1.7.2014, Appl. no. 43835/11, http://hudoc.echr.coe. int/eng?i= 001-145466#{„itemid“:[„001-145466“]}, aufgerufen am 1.11.2016. 18 Vgl. Klein, Universalität der Menschenrechte, in Kube/Mellinghoff/Morgenthaler/Palm/Puhl/Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts, P. Kirchhof zum 70. Geburtstag, Band I, 2013, S. 475, 479; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht mit Europarecht, 6. Aufl. 2013, S. 362 f.

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grenzt „universell“. Politischer Universalitätsanspruch und rechtliche Realität fallen i.Ü. auch wegen umfassender Schariavorbehalte im islamischen Bereich auseinander. Die „Verletzung“ von Grund- und Menschenrechten setzt eine negative Auswirkung auf den Schutzbereich und keine Rechtfertigung durch Grundrechtsschranken, insbesondere Rechte Dritter oder Interessen der Allgemeinheit voraus. Die Feststellung einer Verletzung erfordert, von eindeutigen Fällen abgesehen, eine autoritative Feststellung im Einzelfall und kann kulturell bedingt unterschiedlich ausfallen. Das BVerfG, aber auch andere Menschenrechtsgerichtshöfe wie der EGMR benötigen dafür oft umfangreiche Abwägungen. Das Spannungsverhältnis zwischen BVerfG, EuGH und EGMR, die die menschenrechtlichen Instrumente des Grundgesetzes, der EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention autoritativ auslegen, zeigt, wie schwierig die Feststellung einer Menschenrechtsverletzung allein in Europa sein kann (und dass die Gerichte nicht immer zu gleichen Ergebnissen kommen). Gegenstand intensiver Diskussionen ist die Frage, ob und inwieweit Unternehmen unmittelbare Adressaten der Menschenrechte sein können. Die Menschenrechte verpflichten in erster Linie die Staaten. Unternehmen sind als Private grundsätzlich Träger von Grundrechten. Eine unmittelbare Verpflichtung von Unternehmen durch die Menschenrechte scheitert daran, dass Unternehmen nach h.M. grundsätzlich keine Völkerrechtssubjekte sind.19 Ausnahmsweise können Menschenrechte auch zwischen Privaten unmittelbar anwendbar sein, wenn sie „selfexecuting“ oder mit „unmittelbarer Drittwirkung“ ausgestattet sind.20 Dies ist nach deutschem Verfassungsrecht nur für Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG anerkannt, der Abreden, die gegen die Koalitionsfreiheit verstoßen, für nichtig erklärt. In diesem Fall ist die Bewertung widerstreitender Positionen vom Grundrecht selbst getroffen. Die Business and Human Rights-Diskussion überspielt diese differenzierte Menschenrechtsdogmatik und die Notwendigkeit einer konkretisierenden politischen Entscheidung und kreiert eine unmittelbare Dritt19 von Arnauld, Völkerrecht, 2. Aufl. 2014, S. 260 ff. m.w.N.; vgl. auch Schmalenbach, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, AVR 39/2001, S. 57, 64 f. 20 Vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 51 Rz. 24 ff. m.w.N.; Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, in Kube/ Mellinghoff/Morgenthaler/Palm/Puhl/Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts, P. Kirchhof zum 70. Geburtstag, Band II, 2013, S. 1235, 1241 f. m.w.N.

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wirkung aller Menschenrechte gegenüber privaten Unternehmen in Soft Version. Es geht bei der Frage der unmittelbaren Drittwirkung und der Völkerrechtssubjektivität jedoch nicht nur um die Frage der direkten Verpflichtung von Unternehmen, sondern auch um die der Konkretisierungsmacht und der politischen Autorität zur Festlegung des Zulässigen und damit um das Spannungsverhältnis zu (demokratisch) legitimiertem nationalem Recht und zu rechtsstaatlichen Gewährleistungen.

3. Die CSR-Reporting-Richtlinie und das deutsche Umsetzungsgesetz – Revolution oder Paradigmenwechsel? In der CSR-Reporting-Richtlinie sieht Peter Hommelhoff eine „Revolution übers Bilanzrecht“21: Das bisherige von der Geschäftsleitung zu verfolgende Unternehmensziel der Gewinnerzielung werde nunmehr um nichtfinanzielle Aspekte wie die Achtung der Menschenrechte oder den Umweltschutz als eigenständige Unternehmensziele ergänzt. Nichtfinanzielle Faktoren waren indessen schon seither von den Unternehmen im Rahmen der Compliance mit Gesetzen zu berücksichtigen, die Menschenrechte und Umweltschutz konkretisieren wie bspw. Arbeitsschutz- und Immissionsschutzrecht. Auch die Berichterstattung über nichtfinanzielle und die Diversität betreffende Faktoren ist nichts gänzlich Neues. Bereits vorher sah nationales Recht vor, dass in den Lagebericht nichtfinanzielle Leistungsindikatoren, wie Informationen über Umwelt- und Arbeitnehmerbelange, einzubeziehen sind, allerdings im Regelfall nur, soweit sie für das Verständnis des Geschäftsverlaufs oder der Lage des Unternehmens von Bedeutung sind.22 Was ist also neu? Die CSR-Reporting-Richtlinie beinhaltet einen partiellen Paradigmenwechsel insofern, als es funktional nicht mehr nur um die Darstellung der Werthaltigkeit des Unternehmens und der sie beeinflussenden nichtfinanziellen Faktoren geht (Information), sondern auch um eine 21 Hommelhoff, Nichtfinanzielle Ziele in Unternehmen von öffentlichem Interesse – Die Revolution übers Bilanzrecht, in Bork/Kayser/Kebekus (Hrsg.), FS Bruno M. Kübler, 2015, S. 291, 296 ff.; vgl. auch Weller/Kaller/Schulz, Haftung deutscher Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen im Ausland, AcP 216 (2016), 387 (410). 22 Vgl. zu den weitreichenden Änderungen aufgrund europäischer Vorgaben Hommelhoff, Aktuelle Impulse aus dem europäischen Unternehmensrecht: Eine Herausforderung für Deutschland, NZG 2015, 1329 (1330 ff.).

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(indirekte) Verhaltenssteuerung der Unternehmen, um Due Diligence und Reporting, „know and show“, nicht nur gegenüber ökonomischen Stakeholdern wie Aktionären, Investoren und Gläubigern, sondern auch gegenüber der Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit (Transformation). Zudem wurde über den gesellschaftsrechtlichen Unternehmensverbund hinaus im Rahmen der Due Diligence die Liefer- und Dienstleistungskette und deren negative CSR-Auswirkungen in die Berichterstattung einbezogen.23 Die Ausdehnung der Berichterstattung ist ein weiterer Meilenstein in Richtung Stakeholder Value, eine zusätzliche Schicht der Rahmenordnung. Ob daraus jedoch eine grundlegende Umgestaltung des Unternehmensleitbildes selbst vom Shareholder zum Stakeholder Modell sozusagen „durch die Hintertür“ abgeleitet werden kann, erscheint fraglich. Dies würde berichtspflichtige Gesellschaften zu Public Benefit Corporations24 machen, während andere Gesellschaften gleicher Rechtsform weiterhin dem alten Unternehmensleitbild folgen würden. Eine derart weitreichende Änderung des Unternehmenszwecks bedürfte wohl einer expliziten Klarstellung im Gesellschaftsrecht ähnlich der Regelungen im angelsächsischen Bereich.25 Die CSR-Reporting-Richtlinie (und, ihr im wesentlichen 1:1 folgend, der Regierungsentwurf des deutschen Umsetzungsgesetzes) ist ein hybrides Instrument insofern, als die Verpflichtung zum Reporting durch Hard Law eingeführt wird, die Maßstäbe, an denen sich das Reporting orientieren soll, jedoch internationale und private Organisationen entwickelt haben. Es geht nicht nur um Risikoerfassung und -management für das Unternehmen selbst, sondern auch um die Vermeidung von negativen „Auswirkungen“ des Unternehmens auf die Gesellschaft, um eine „weiche“ Verhaltenssteuerung jenseits der Rechtsverletzung.26 Unternehmen sollen auch solche, mit ihnen lediglich kausal verbundene „Auswirkungen“ stetig optimieren bzw. ganz vermeiden, die nach den

23 Eingehend zur CSR-Reporting-Richtlinie Spießhofer, Die neue europäische Richtlinie über die Offenlegung nichtfinanzieller Informationen – Paradigmenwechsel oder Papiertiger?, NZG 2014, 1281 ff. 24 http://benefitcorp.net/businesses/find-a-benefit-corp?field_bcorp_certified_va lue=&state=&title=&submit2 =Go&sort_by=title&sort_order=ASC&op=Go& page= 208, aufgerufen am 1.11.2016. 25 Vgl. bspw. Sec. 172 UK Companies Act 2006. 26 Spießhofer/Eccles, Information und Transformation. CSR-Berichterstattung in Europa und den USA, Forum Wirtschaftsethik 22/2014, 27 (28).

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nationalen Rechtsordnungen zulässig wären oder nicht dem rechtlichen Verantwortungsbereich des Unternehmens zugeordnet werden.27 Mit der dynamischen Verweisung auf private und internationale Standards wird ein wesentlicher Teil der normativen Definition unternehmerischer Verantwortung, die ansonsten dem Gesetzgeber obliegt, auf diese Organisationen delegiert, denen, jedenfalls soweit sie privatrechtlich organisiert sind, jede demokratische Legitimation fehlt. Die Richtlinie will einerseits die Vielfalt der CSR-Ansätze von Unternehmen respektieren, andererseits aber soll sie auch europaweite Konsistenz und Vergleichbarkeit der Berichte gewährleisten,28 ein bei diesem Ansatz, ohne einheitliche inhaltliche und methodische Vorgaben, kaum erreichbares Ziel.

4. „Soft Law with Hard Sanctions“ – neues Verantwortungsund Haftungsregime Soft Law kann nicht nur zu Hard Law durch entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen werden, wie dies bspw. beim UK Modern Slavery Act erfolgt ist. Soft Law kann sich auch mit Hard Law zu einem hybriden Regime verbinden. So wird angestrebt, dass die Fahrlässigkeitstatbestände des Haftungs- und des Strafrechts durch den Sorgfaltsmaßstab der UN-Leitprinzipien geprägt werden sollen. Eine Soft/Soft-Kombination sind die Verfahren vor den Nationalen Kontaktstellen nach den OECDLeitsätzen für Multinationale Unternehmen. Strategic Litigation insbesondere von NGOs wird an Bedeutung gewinnen. Ziel ist vor allem eine Erosion des Trennungsgrundsatzes durch Ausdehnung der Parent Liability (bspw. Chandler v. Cape plc) und der Supply Chain-Verantwortung (bspw. Kik-Fall). In Chandler v. Cape PLC29 entschieden englische Gerichte, dass ein südafrikanischer Arbeiter, der an Asbestose erkrankte, weil die südafrikanische Tochtergesellschaft keine zureichenden Arbeitsschutzmaßnahmen ergriffen hatte, einen direkten Schadenersatzanspruch gegen die englische Muttergesellschaft hatte, und zwar nicht aus Durchgriffs- oder Konzernhaftung, sondern weil der Muttergesellschaft aufgrund besonderer Umstände

27 Vgl. Spießhofer, Wirtschaft und Menschenrechte – rechtliche Aspekte der Corporate Social Responsibility, NJW 2014, 2473 (2475). 28 Erwägungsgründe 3, 6 und 21. 29 v. 25.4.2012, (2012) EWCA Civ 525.

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eigene Verpflichtungen zum Schutz der Mitarbeiter der Tochtergesellschaft zugeschrieben wurden, die sie verletzt hatte. Neben der Haftung aufgrund der Verletzung vertraglicher Verpflichtungen kommt auch eine Haftung wegen unlauteren Wettbewerbs bei unzutreffenden Angaben oder Versprechungen in den veröffentlichten CSR-Policies30, aus Deliktsrecht sowie eine unmittelbare Haftung aufgrund der Versprechungen eines CoC in Betracht.31 Bei den Unglücksfällen in Bangladesh und Pakistan, die zu Klagen gegen US-amerikanische32 und deutsche33 Unternehmen geführt haben, werden die Haftungsanspüche u.a. auf die Haftung für das Verschulden Dritter (vicarious liability), auf deliktische Fahrlässigkeitshaftung (tort of negligence) und auf eine Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (damages under contracts with protective effect for third parties) gestützt. Die Unternehmen finden sich dabei in einer double-bind-Situation: Einerseits leiten die Kläger aus den UN-Leitprinzipien eine Sorgfaltspflicht (Due Diligence) des auftraggebenden Unternehmens hinsichtlich der Verhältnisse beim Lieferanten ab, d.h. eine Verpflichtung zur Einflussnahme auf den Lieferanten und seinen Geschäftsbetrieb, um Arbeitsschutz und -sicherheit zu gewährleisten. Kommt der Auftraggeber dieser Sorgfaltspflicht nicht nach, soll dies seine deliktische Haftung begründen. Andererseits leiten Kläger jedoch daraus, dass der Auftraggeber den Lieferanten seinen Code of Conduct unterschreiben und Audits bei ihm durchführen ließ sowie zahlreiche Nachbesserungen der Sicherheitsbestimmungen forderte und der Lieferant zu einem Großteil für 30 Vgl. Nike v. Kasky, Zusammenfassung des Falls, der schließlich in einem Vergleich für 1,5 Mio. US-$ und der Zusage der Verbesserung der Arbeitsbedingungen endete, http://www.businesshumanrights.org/Categories/Lawlawsuits/Law suitsregulatoryaction/LawsuitsSelectedcases/NikelawsuitKaskyvNikeredenial oflabourabuses, aufgerufen am 1.11.2016. 31 Vgl. Choc v. Hudbay Minerals Inc., 2013 ONSC 1414; „Hudbay is dedicated to promoting and respecting human rights, and implemented the (...) Voluntary Principles on Security and Human Rights for our personnel and contractors in Guatemala. This included extensive training of security personnel.“ 32 Vgl. zu den Klagen gegen Wal-Mart, JC Penny Corporation, The Children‘s Place u.a. Larry Catá Backer, Are Supply Chains Transnational Legal Orders?, S. 17 m.w.N., http://ssrn.com/abstract= 2685961, aufgerufen am 1.11.2016. 33 Klage gegen KiK vor dem LG Dortmund wegen des Brandes bei Ali Enterprises, Kik sieht sich nach Fabrikbrand nicht in der Haftung, F.A.Z. v. 2.9.2015; vgl. auch CCC & SOMO, Fatal Fashion, 3/2013, S. 17 ff. zu Ali Enterprises und Kik‘s Involvierung.

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den Auftraggeber fertigte, eine so maßgebliche Steuerung, Kontrolle und wirtschaftliche Dominanz der Geschäftstätigkeit des Lieferanten ab, dass der Lieferant faktisch wie eine Abteilung des Auftraggebers anzusehen sei. Darin wird eine einem unmittelbaren Arbeitsverhältnis zwischen Auftraggeber und geschädigten Lieferanten-Arbeitnehmern vergleichbare Konstellation gesehen mit entsprechenden Haftungsfolgen (vicarious liability). Der Code of Conduct des Auftraggebers, den der Lieferant unterzeichnet, wird als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Arbeitnehmer des Lieferanten gesehen, aus dem sich unmittelbar Ansprüche gegen den Auftraggeber ergeben sollen. Im Rahmen der Diskussion um den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte34 und darüber hinaus wird auch eine weitergehende extraterritoriale Erstreckung nationaler Gesetze und Gerichtsbarkeit, die Einführung von Sammelklagen (opt-in Variante) und ein Ausbau der Klagerechte von Betroffenen und NGOs, die Offenlegung interner Unternehmensdokumente nach dem Vorbild der US-pre-trial discovery und Beweislasterleichterungen für Kläger sowie die Kreation neuer Anspruchsgrundlagen diskutiert. Es ist vieles im Fluss, was das Thema Haftung nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Anwälte in den Vordergrund rückt. Eine Frage in diesem Zusammenhang ist, ob die herkömmlichen Anwaltshaftpflichtpolicen die Beratung im internationalen Soft Law überhaupt abdecken.

III. Ausblick Wo ist nun die von Peter Hommelhoff beschworene Revolution? Sie findet statt – und zwar auf vielfältige Weise. Wir sehen auf breiter Front eine Überlagerung von Legalität durch Legitimität. Die „legal licence to operate“ soll nicht mehr genügen, verlangt wird zusätzlich eine „social licence to operate“, der klare Konturen, Legitimation und Autorisierung weitgehend fehlen. Der unternehmerische Verantwortungsbereich wird in Gestalt eines „creeping law“, eines sich schleichend entwickelnden und teilweise erhärtenden oder hybridisierenden Rechts, fortlaufend weiter ausgedehnt. Dies geschieht durch eine Vielzahl von Prozessen, die den Rechtsbildungsmechanismen des Common Law mehr entsprechen als dogmatisch durchgeformtem Civil Law. Hinzu kommt eine weitgehende Instrumentalisierung ökonomisch relevan34 http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Aussenwirtschaft/Wirt schaft-und-Menschenrechte/Uebersicht_node.html, aufgerufen am 1.11.2016.

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ter Akteure unter den Schlagworten „responsible finance“, „responsible investment“ und neuerdings auch der internationalen Advokatur35. Das Thema Compliance wird umfassender verstanden werden müssen, wie dies bereits in der ISO 19600 Compliance Management Norm angelegt ist.

35 IBA Practical Guide on Business and Human Rights for Business Lawyers, http://www.ibanet.org/Article/NewDetail.aspx?ArticleUid=420dc178-5f9d-48eb978e-8876feffd8ab, aufgerufen am 1.11.2016.

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Bericht über die Diskussion des Referats Spießhofer Max Kolter Humboldt-Universität zu Berlin

I. Auf der VGR-Jahrestagung referierte Birgit Spießhofer zum Stand der aktuellen Diskussion zum Thema Corporate Social Responsibility („CSR“). Die Einleitung zum Vortrag gab Holger Altmeppen, der auch die anschließende Diskussion moderierte. Er eröffnete dabei mit der Frage an den Saal, wer von dem Begriff CSR schon etwas gehört habe. Lediglich ein Drittel der Hände gingen nach oben. Aktualität besitze das Thema nicht zuletzt aufgrund der 2014 durch die EU erlassenen und zum Ende des Jahres 2016 umzusetzenden sog. CSR-Reporting-Richtlinie1 („die Richtlinie“), die erstmals auf das am 1.1.2017 beginnende Geschäftsjahr anzuwenden sei. Die Richtlinie verpflichte Unternehmen zu nachhaltigem und sozial förderlichem Verhalten innerhalb und außerhalb der Grenzen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit. Spießhofer griff dies auf und sprach nicht nur über die Richtlinie, sondern auch zum Stand der CSRDebatte allgemein sowie zur Rolle der Unternehmen als politische Akteure bei der Lösung der gesellschaftlichen Grundproblematik. Nach dem Referat fiel das Wort wieder an Altmeppen zurück, der nun die Tagungsteilnehmer um Diskussionsbeiträge zur Konkretisierung der RichtlinienVorgaben bat.

II. Peter Hommelhoff steuerte zu dieser Frage als erster Diskutant bei, dass die Antwort hierauf zukünftig in den §§ 289b bis 289f HGB zu finden sei. Er sieht in der Implementierung der neuen nichtfinanziellen Berichtspflichten eine „enorme Aufweitung der Berichtspflichten“ im Vergleich zur Rechtslage seit Erlass der Änderungsrichtlinie 2013/34/EU („Bilanzrichtlinie“), die bereits die Berichterstattung über nichtfinan1 Richtlinie 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.10.2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen.

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Kolter – Bericht über die Diskussion des Referats Spießhofer

zielle Leistungsindikatoren im Lagebericht vorsah. In der CSR-Debatte sei eine Revolution auf dem Weg, die der deutsche Gesetzgeber jedoch zu vermeiden versucht habe, indem er die der CSR zugrunde liegende komplexe Problematik in der Richtlinien-Umsetzung regulativ ausschließlich dem Bereich des Bilanzrechts zugeordnet habe. Ein entscheidender steuerungspolitischer Impuls sei jedoch durch die an die Unternehmen gerichtete Vorgabe zur Entwicklung einer „CSR Policy“ (in der deutschen Fassung: „Konzept“) gesetzt worden, der weiter intensiviert werde durch die Verpflichtung, auch über den künftigen Verlauf der CSR-Konzepte zu berichten. Weiterhin erklärte Hommelhoff, die Diskussion benötige eine neue „theory of the firm“. Darüber hinaus wies er auf den begrenzten personellen Anwendungsbereich der Richtlinie als ein Effektivitätsproblem hin. Denn auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen komme es zu Menschenrechtsverletzungen und schädigenden Umwelteinwirkungen; auch sie outsourcten ihre Produktion in Entwicklungsländer. Für eine unterschiedliche Behandlung im Rahmen der staatlichen CSR-Politik bestehe daher keine Rechtfertigung. Das Wort erhielt sodann Spießhofer zur unmittelbaren Replik. Sie stimmte Hommelhoff darin zu, dass die Steuerung von CSR über das Bilanzrecht nur als ein Baustein bzw. Instrument eines viel „breiter angelegten Diskurses“ verstanden werden könne, die Richtlinie somit keinen erschöpfenden regulativen Steuerungsversuch unternehme. Sie griff auch die Problematik des engen Adressatenkreises auf und führte unterstützend aus, dass die gängigen „Soft-Law“-Instrumente wie die UN Guiding Principles on Business and Human Rights, die OECD Guidelines for Multi-National Enterprises und der ISO-26000-Standard jeweils sämtliche Unternehmen adressierten, wovon sogar Non-profit-Organisationen erfasst seien. Zudem äußerte sie sich zur Forderung nach einer neuen „theory of the firm“ grundsätzlich ebenfalls zustimmend, allerdings ist sie nicht der Auffassung, dass bereits die CSR-Richtlinie einen grundlegenden Wandel vom „shareholder value“ zum „stakeholder value“ herbeiführe. Vielmehr sei für eine derart grundlegende Veränderung – ähnlich wie in den USA und Großbritannien, wo in den Statuten der Public Benefit Corporations bzw. Sec. 172 UK Companies Act die Berücksichtigung von Stakeholder-Belangen durch die Leitungsorgane einer Gesellschaft verpflichtend vorgeschrieben ist – auch in Deutschland der Gesetzgeber gefordert. Für ambivalent hält sie eine – von Teilen der wirtschaftsethischen Literatur geforderte – politische Rolle von Unternehmen, da aus politischer Verantwortungsübernahme politische Macht folge, die in Konkurrenz zur staatlichen trete. Katja Langenbucher ver-

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Kolter – Bericht über die Diskussion des Referats Spießhofer

trat im späteren Verlauf der Diskussion die These, dass es bei CSR nicht nur um Stakeholder-Interessen oder „Gutmenschentum“ gehe, sondern hinter der Entwicklung des CSR-Konzeptes und der Deutungshoheit hierüber handfeste politische und wirtschaftliche Interessen stünden.

III. Im Anschluss an Hommelhoff brachte sich Peter Doralt mit der These ein, CSR sei in Wahrheit keine neue Entwicklung, sondern die Idee der sozialen unternehmerischen Verantwortung sei seit den 1930er Jahren im deutschen Gesellschaftsrecht verhaftet. Damit widersprach er auch Hommelhoffs These, dass eine Revolution auf dem Weg sei. Er untermauerte dies mit einem Zitat aus einem Gesetzesentwurf zum § 76 AktG (1965), der zusätzlich zur Leitungsautonomie des Vorstandes diesen zu einem Handeln verpflichten sollte, „wie es dem Wohl des Unternehmens unter Berücksichtigung der Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und des öffentlichen Interesses entspricht“. Aus opportunistischen Gründen habe diese Formulierung zwar nicht im endgültigen Gesetzeswortlaut Niederschlag gefunden, sie liege jedoch dem aktuellen Verständnis des Unternehmensinteresses i.S.d. § 76 AktG zugrunde und sei zudem vom österreichischen Gesetzgeber 1965 aufgegriffen und entsprechend umgesetzt worden. Er ging sogar noch weiter zurück und wies darauf hin, dass bereits das AktG von 1937 eine soziale Ausrichtung der Aktiengesellschaft gefordert habe, was auch im 19. Jahrhundert schon der gängigen Auffassung entsprochen habe. Spießhofer stimmte dem zu, erklärte jedoch, die Revolution liege in der qualitativen Umsetzung und Ausgestaltung des sozialen Gedankens, nicht in seiner grundsätzlichen Existenz.

IV. Im weiteren Verlauf lenkte Thilo Kuntz die Diskussion in neues Fahrwasser, indem er die zivil-, insbesondere deliktsrechtliche Haftung der Unternehmen für „CSR-Verstöße“ zum Thema machte. Das – im Vergleich zu Deutschland fortschrittlichere – US-amerikanische Gesellschaftsrecht sehe eine sehr weitreichende Haftung vor. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH zum Konzern-Begriff (im europäischen Kartellrecht) sei auch in Europa eine sich stetig ausweitende deliktsrechtliche Konzernhaftung für CSR-Verstöße auf Ebene von Tochterge-

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sellschaften oder entlang der Zulieferkette zu erahnen. Als Anregung für potentiell haftungserweiternde Argumentationsmuster wies er auf die Entscheidung des US Supreme Court Kiobel v Royal Dutch Shell hin und adressierte die Referentin mit der Frage nach Möglichkeiten der Eindämmung dieser Haftung. Diese nahm zur angeführten Entscheidung Stellung: Der US Supreme Court habe im Kiobel-Fall der Klage nicht stattgegeben, weil das Alien Tort Statute, welches die Anspruchsgrundlage für die Klage bildete, nicht extraterritorial anwendbar sei. Ein hinreichender Konnex des Sachverhalts mit den USA, der den Fall als national qualifiziert hätte, habe im Kiobel-Fall jedoch nicht vorgelegen, da Royal Dutch Shell einen Sitz nur in den Niederlanden und Großbritannien habe und die behauptete Menschenrechtsverletzung und alle anderen relevanten Faktoren in Nigeria stattfanden. Spießhofer warnte allerdings vor einer Überbewertung der Entscheidung in die eine oder andere Richtung: Schließlich hätte die Haftung auch auf andere Anspruchsgrundlagen (z.B. einzelstaatliches „Tort Law“) gestützt werden können. Dieser Umstand erschwere die Beratung in diesem Bereich. In einer weiteren Klage gegen Royal Dutch Shell vor einem niederländischen Gericht seien die niederländische Muttergesellschaft und die nigerianische Tochtergesellschaft wegen Umweltschäden in Nigeria gemeinsam verklagt worden. Das Gericht habe sich wegen Sachzusammenhangs auch für die Klage gegen die nigerianische Tochtergesellschaft für zuständig erklärt. Nach Abweisung der Ansprüche gegen die Muttergesellschaft seien die Ansprüche gegen die Tochtergesellschaft nach nigerianischem Common Law weiterverfolgt worden und der Klage wurde teilweise stattgegeben. Hiergegen sei ein Rechtsmittel („Appeal“) anhängig. In der Diskussion befinde sich auch eine allgemeine (Konzern-) Sorgfaltspflicht „nach französischem Vorbild“. Die Debatte um die CSR-Haftungsrisiken sowie die damit einhergehenden Rechtsberatungsrisiken, denen sich die Unternehmen bzw. Rechtsberater aufgrund der unklaren Rechtslage ausgesetzt sehen, wurde später von Karl Peter Puszkajler fortgeführt. Er konstatierte ein Dilemma der Unternehmen/Berater im Ausland insofern, als die unterlassene Wahrnehmung von CSR-Aktivitäten (etwa in Gestalt von Verhaltenskodizes, Management Guidelines etc.) ebenso zur Haftung führen könne wie die Durchführung von CSR-Aktivitäten, wie von Spießhofer erwähnt, etwa aus sog. „Vicarious Liability“ oder aufgrund der „Master-Servant Rule“. Spießhofer antwortete hierauf mit Zustimmung, unterstützt durch weitere Beispiele, insbesondere die Begründung einer zivilrechtlichen Haftung über die UN Guiding Principles sowie die weitreichende Verant-

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wortung nach den OECD Guidelines for Multinational Enterprises, geltend zu machen vor den Nationalen Kontaktstellen.

V. Claudia Junker warf die Frage nach dem grundlegenden dogmatischen Ansatz zur Aktivierung von Menschenrechten in der zivilrechtlichen Haftungsprüfung auf. Spießhofer stimmte zu, dass „die Menschenrechte“ im Regelfall in nationales Recht übersetzt werden müssten, um Grundlage für zivilrechtliche Haftungsansprüche sein zu können. Es werde in der Debatte teilweise ein „soziologisch-philosophisches Verständnis der Menschenrechte“ zugrunde gelegt, was sich gelöst habe von der juristischen Menschenrechtsdogmatik.

VI. Beiträge mit Bezug zur Umsetzung der Richtlinie lieferten Katja Langenbucher und Andreas Hecker: Langenbucher fragte, warum der Aufsichtsrat im Vergleich zum Abschlussprüfer eine so dominante Rolle im Rahmen der CSR-Konzeptentwicklung und -Berichterstattung einnehme. Spießhofer betonte, der Abschlussprüfer solle nach dem Regierungsentwurf zum Umsetzungsgesetz nur mit der Prüfung betraut werden, ob die nichtfinanzielle Erklärung bzw. der gesonderte nichtfinanzielle Bericht erstellt wurde, nicht jedoch mit einer inhaltlichen Überprüfung und/oder Bewertung. Die Mitgliedstaaten hätten zwar ein Wahlrecht, dies vorzusehen, allerdings nehme die Bundesregierung dieses Recht aller Voraussicht nach nicht wahr. Über die künftige Rolle des Aufsichtsrats im Berichterstattungsprozess hingegen wollte Spießhofer nicht spekulieren, sondern zunächst die Entwicklung, insbesondere im Bereich der Haftung, abwarten. Hecker ging es darum, inwiefern Spießhofer erwarte, dass im Rahmen der von ihr angesprochenen „hybriden Normsetzung“ durch die Bezugnahme der Richtlinie2 sowie des Regierungsentwurfes zum Umsetzungsgesetz3 auf nationale und internationale Rahmenwerke der Bericht2 Art. 19a Abs. 1 Unterabs. 5 der Bilanz-Richtlinie in der Fassung der CSR-Richtlinie. 3 § 289d HGB in der Fassung des RegE zum Umsetzungsgesetz; s. auch die Begründung zu § 289d HGB-E, S. 59 f., die namentlich u.a. die Leitsätze der OECD für multinationale Unternehmen, GRI G4, den Deutschen Nachhaltigkeitskodex, das Umweltmanagement und -betriebsprüfungssystem EMAS, die ISO 26000 und den UN Global Compact in Bezug nimmt.

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erstattung „Soft Law“ – jedenfalls mittelbar – zu verbindlichem Recht werde. Aus seiner Sicht sei dies – im Gegensatz zu § 161 AktG und dem Deutschen Corporate Governance Kodex – mangels Verbindlichkeit der Rahmenwerke bei der Berichtspflicht allenfalls mittelfristig aufgrund einer organischen Standardisierung bei der Erstellung der Berichte zu erwarten. In Bezug auf die von Langenbucher aufgeworfene Frage zur Aufsichtsratsverantwortung führte er aus, dass der Aufsichtsrat bereits aufgrund seiner allgemeinen Überwachungspflicht das Handeln des Vorstands auch im Bereich CSR im Blick haben müsse. Insoweit könne die im Regierungsentwurf zum Richtlinien-Umsetzungsgesetz vorgesehene Ergänzung von § 171 AktG zur Prüfungspflicht der nichtfinanziellen Berichte durch den Aufsichtsrat neben einer Erweiterung seines Pflichtenkreises auch eine Mahnung an die Aufsichtsratsmitglieder sein, sich mit dem Thema CSR intensiver zu befassen. Spießhofer führte zur Frage der „hybriden Normsetzung“ aus, dass sich Soft Law zu verbindlichem Recht entwickeln könne. Sie bestätigte Hecker in der Weise, dass man die Auswirkungen der Richtlinien-Vorgaben auf die Berichtspraxis, insbesondere die Guidelines der Europäischen Kommission sowie die Nutzung von verschiedenen Berichtsstandards durch die Unternehmenspraxis, abwarten müsse. Von den in der Richtlinie genannten Instrumenten seien im Übrigen nur die Standards der Global Reporting Initiative (GRI) „echte Reporting-Standards“. Die Wirtschaftsprüfer nutzten ISAE 3000.

VII. Der letzte Beitrag zur Diskussionsrunde kam von Karsten Schmidt: Zunächst dankte er den Organisatoren dafür, das „ungewöhnliche Thema“ CSR auf die Tagesordnung gesetzt zu haben, welches er für außerordentlich wichtig und zukunftsträchtig hält. Es gehe um ein „Transformationsgeschehen“, einen Prozess von Ethik und Moral hin zu Verrechtlichung, welche sich nicht notwendig in Gesetzesform verfestigen müsse. Mit „etwas Unsachlichem“ schloss er seinen Beitrag ab: einer Anekdote über den Besuch eines Ölmuseums in Norddeutschland, die hervorbrachte, dass ein US-amerikanisches Öl-Unternehmen u.a. die deutsche Wehrmacht im 2. Weltkrieg mit Öl belieferte, was heutzutage, im Rahmen der fortgeschrittenen CSR-Debatte, wohl nicht den wünschenswerten Standards entspräche. Spießhofer fasste im Anschluss an Schmidts Bemerkung die Ergebnisse der CSR-Diskussion noch einmal zusammen: Die Entwicklung des Konzeptes der unternehmerischen Verantwortung sei im Wandel, was ambivalente Folgen mit sich bringe:

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Zu befürworten sei die Verantwortungsübernahme durch Unternehmen. Problematisch sei hingegen die „Moralisierung der Wirtschaft“, die Verschiebung von Legalität zu in den Konturen unscharfer Legitimität. Es bestehe auch die Gefahr, dass Unternehmen lediglich „scheinheilige“ PR-Maßnahmen träfen. Insoweit sei allerdings ein Wandel zu einer ernsthaften Befassung mit CSR festzustellen. Bei unternehmerischer Verantwortung gehe es aber immer auch um Macht. Abschließend stellte Altmeppen fest, dass Spießhofers erstklassiger Vortrag nicht die bereits auf der Hand liegenden Fragen beantwortet, sondern viele neue Fragen aufgeworfen habe.

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Beschlussmängel im GmbH- und Personengesellschaftsrecht Dr. Hilke Herchen Rechtsanwältin, Hamburg I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . II. Geltendes Recht und die Rechtsprechungsgrundsätze . 1. Zustandekommen von Gesellschafterbeschlüssen und Quellen für „Beschlussmängel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mehrheitsbeschlüsse als Quelle von Beschlussmängeln a) Mehrheitsentscheidungen im GmbH-Recht . . . . . . . aa) Mehrheitsentscheidungen als Grundsatz bb) Vorläufige Bestandskraft und Beschlussfeststellung . . . . . . . . b) Mehrheitsentscheidungen im Personengesellschaftsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestimmtheitsgrundsatz und Kernbereichslehre. . . . . . . bb) Zwei-Stufen-Theorie des BGH . . . . . . . . . . cc) Anforderungen an das Beschlussverfahren bei Mehrheitsbeschlüssen. . . . . . . . dd) Folgerungen für die Praxis. . . . . . . . . . . . .

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3. Geltendmachung von Beschlussmängeln nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung . . 101 a) GmbH-Recht . . . . . . . . . 101 aa) Grundlagen . . . . . . . 101 bb) Reichweite der Analogie zu §§ 241 ff. AktG 106 (i) Anfechtungsbefugnis . . . . . . . . . 106 (ii) Freigabeverfahren 107 (iii) Vertretung der Gesellschaft. . . . 109 (iv) Heilung . . . . . . . 109 b) Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 110 aa) Passivlegitimation . . 112 bb) Inter omnes-Wirkung des Urteils? . . . . . . . 115 cc) Klagefrist/Verwirkung 116 dd) Gestaltungswirkung/ vorläufige Beschlusswirkungen? . . . . . . . 117 III. Vorschläge der Literatur insbesondere Beschlüsse des Juristentags. . . . . . . . . . . . . . . . 118 IV. Praktische Probleme und Gestaltungsmöglichkeiten . . . . 119 1. Der Zeitfaktor . . . . . . . . . . . . 119 2. Die Gewissheit über die Ungewissheit . . . . . . . . . . . . . . . 124 V. Zusammenfassende Thesen. 125

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I. Einleitung Das Beschlussmängelrecht bei der GmbH und bei Personengesellschaften ist nicht kodifiziert. Dies führt bei Beschlussmängelstreitigkeiten immer wieder zu Rechtsunsicherheit – sowohl materiell als auch prozessual. Das macht nicht nur Gesellschaftern zu schaffen, die sich im Klagewege gegen formell und/oder inhaltlich fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse zur Wehr setzen wollen, sondern ist auch für die Unternehmen, die unter Gesellschafterstreitigkeiten leiden, schädlich. Die Rechtsprechung hat damit ebenso zu kämpfen wie die Beratungspraxis. Beide sind aufgerufen, handhabbare Mechanismen zu schaffen. In der wissenschaftlichen Diskussion wird seit vielen Jahren immer wieder die Frage aufgeworfen und diskutiert, ob und inwieweit die aktienrechtlichen Regelungen, die die Rechtsprechung auf Beschlussmängelstreitigkeiten im GmbH-Recht bereits weitgehend analog anwendet, auf sämtliche oder zumindest bestimmte körperschaftlich strukturierte Personengesellschaften übertragen werden sollen. Zuletzt hat sich bekanntermaßen auch der 71. Juristentag in der Abteilung Wirtschaftsrecht (u.a.) diesem Thema gewidmet und ein Tätigwerden des Gesetzebers angemahnt. Mit großer Mehrheit hat der Juristentag den Beschluss gefasst, dass Beschlussmängel bei rechtsfähigen Personengesellschaften nicht automatisch zur Nichtigkeit führen, sondern durch eine befristete Anfechtungsklage gegenüber der Gesellschaft geltend zu machen sein sollten. Dies solle im Zuge einer Reform des gesamten Beschlussmängelrechts geregelt werden. Nachdem also die Beschlussmängelstreitigkeiten im Aktienrecht u.a. aufgrund der verschiedenen Reformen zur Eindämmung rechtsmissbräuchlicher Anfechtungsklagen etwas aus dem Blickfeld der rechtswissenschaftlichen Diskussion geraten sind, stehen nun die Beschlussmängel im GmbHund Personengesellschaftsrecht im Fokus. Lenkt man den Blick weg von der rechtsdogmatischen Diskussion, die mit der dogmatischen Einordnung der Personengesellschaften eng verbunden ist und immer wieder den Streit über grundlegende Themen der Verselbständigung der Personengesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern aufrührt, erkennt man die Relevanz des heutigen Themas in der Rechtswirklichkeit. Fälle großer Gesellschafterauseinandersetzungen, insbesondere bei Familiengesellschaften und anderen inhabergeführten Unternehmen, wie z.B. Suhrkamp oder im Fall Hagenbeck – wo der Gesellschafterstreit am Ende u.a. dazu führte, dass das LG Hamburg entscheiden sollte, ob es richtig sei, für das neue „Eismeer“ eine Gruppe von Zügelpinguinen anzuschaffen (!) –, zeigen die Relevanz der Thema-

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tik, insbesondere auch für das Schicksal der von den Gesellschaften betriebenen Unternehmen, die durch Gesellschafterauseinandersetzungen häufig in Mitleidenschaft gezogen werden – im Fall Suhrkamp bis hin zur „geplanten Insolvenz“. Vor diesem Hintergrund beginnt dieser Beitrag mit einer kurzen und notwendigerweise etwas oberflächlichen Darstellung des aktuellen Diskussionstandes und der von der Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätze des Beschlussverfahrens und der Geltendmachung von Beschlussmängeln (II.), sodann wird die Diskussion um eine potentielle Reform des Beschlussmängelrechts überblickartig dargestellt (III.) und im Folgenden werden einige der größeren und kleineren Schwierigkeiten aufgezeigt, die sich in der Beratungspraxis stellen sowie dazu einige Gestaltungsvorschläge unterbreitet (IV.). Eine Zusammenfassung schließt sich an (V.).

II. Geltendes Recht und die Rechtsprechungsgrundsätze 1. Zustandekommen von Gesellschafterbeschlüssen und Quellen für „Beschlussmängel“ Nach heute h.M. ist der Gesellschafterbeschluss ein mehrseitiges Rechtsgeschäft eigener Art, das sich aus den verschiedenen Stimmen zusammensetzt, die ihrerseits empfangsbedürftige Willenserklärungen sind und den allgemeinen Regeln über Rechtsgeschäfte unterstehen.1 Damit haben wir die erste Quelle für etwaige Beschlussmängel identifiziert: Mängel der einzelnen Willenserklärungen. Willenserklärungen im Rahmen eines Gesellschafterbeschlusses können an den allgemeinen Mängeln leiden.2

1 Allg. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 15 I 2. a), S. 436; zur WEG: BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, NJW 1954, 1563; zum Personengesellschaftsrecht: BGH v. 18.9.1975 – II ZB 6/74, BGHZ 65, 93 (96 f.) = NJW 1976, 49 (50); MünchKomm/HGB/Enzinger, 4. Aufl. 2016, § 119 Rz. 10; Henssler/Strohn/ Finckh, 3. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 5 m.w.N.; zur GmbH: BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, NJW 1967, 1963 (1966); Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 47 Rz. 9 f. und Rz. 374 f.; Großkomm/GmbHG/Hüffer/Schürnbrand, 2. Aufl. 2013, § 47 Rz. 44; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner, GmbHG, 5. Aufl. 2013, § 47 Rz. 23; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 47 Rz. 4 ff.; Messer in FS Fleck, 1988, S. 221, 224 ff. m.w.N. 2 Vgl. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 47 Rz. 8; Großkomm/GmbHG/Hüffer/Schürnbrand, 2. Aufl. 2013, § 47 Rz. 44; Rowedder/ Schmidt-Leithoff/Koppensteiner, GmbHG, 5. Aufl. 2013, § 47 Rz. 23; Wester-

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Diese Mängel wirken sich dann auf den Beschluss aus, wenn sein Zustandekommen darauf beruht.3 Praktisch bereitet diese Fehlerquelle (vielleicht mit Ausnahme von Vertretungsproblemen insbesondere im Rahmen von § 181 BGB) allerdings die wenigsten Schwierigkeiten, so dass auf diesen Bereich hier nicht näher eingegangen wird. Was Beschlüsse im Vergleich zu anderen Rechtsakten besonders fehleranfällig macht, ist, dass sie ein Akt kollektiver Willensbildung sind und es Regeln geben muss und gibt, wie diese kollektive Willensbildung stattfindet, d.h. wie das Beschlussverfahren gestaltet ist. Das klingt erst einmal recht trivial. Blickt ein unbefangener Rechtsanwender jedoch ins Gesetz, ist er erstaunt: Im GmbH-Recht finden sich immerhin noch einige Regelungen zum Beschlussverfahren. Viele Details sind aber (anders als im Aktienrecht) offen gelassen, z.B. die Protokollierung von Beschlüssen, die keiner notariellen Beurkundung bedürfen, das Recht zur Versammlungsleitung und die Geltendmachung von Beschlussmängeln. Im Personengesellschaftsrecht, insbesondere im Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ist das Innenverhältnis und damit auch das Beschlussverfahren weitgehend ungeregelt. Das beruht möglicherweise darauf, dass der Gesetzgeber von dem Regelfall ausgegangen ist, dass in der Personengesellschaft der Einstimmigkeitsgrundsatz und damit das Konsensualprinzip für Gesellschafterbeschlüsse gilt. Etwas vereinfacht heißt das: wenn sich alle einig sind, werden sie schon einen Weg finden, ihrem gemeinsamen Willen Ausdruck zu verleihen. Selbst bei Geltung des Einstimmigkeitsgrundsatzes kann man dies aus rein praktischen Erwägungen schon in Zweifel ziehen. Ein prominentes Beispiel gibt es aus dem GmbH-Recht: nach Ansicht des BGH ist selbst bei Einverständnis aller Gesellschafter ein Beschluss nichtig, wenn er auf einer „kombinierten Beschlussfassung“ beruht und diese in der Satzung nicht ausdrücklich zugelassen ist.4 Das ist schwer nachzuvollziehen und sollte überdacht werden. Bis dahin muss die Gestaltungspraxis dem Rechnung tragen und in Satzungen entsprechende Vorkehrungen treffen.

mann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 65. Erg. Lief. 2016, Rz. 551. 3 MünchKomm/HGB/Enzinger, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 94; Henssler/ Strohn/Finckh, 3. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 54. 4 BGH v. 16.1.2006 – II ZR 135/04, NJW 2006, 2044 f.

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Die Wirklichkeit der meisten Personengesellschaften weicht ohnehin von dem gesetzlichen Leitbild der Einstimmigkeit ab, dies gilt insbesondere für die Publikumsgesellschaften. Aber auch sonst sehen die meisten Gesellschaftsverträge die Möglichkeit von Mehrheitsbeschlüssen vor. Spätestens dann wird offenbar, dass es einer Regelung bedarf, wie die Mehrheit ermittelt wird und welchen Schutz diejenigen Gesellschafter sowohl formell als auch materiell genießen, die mit dem Willen der Mehrheit nicht einverstanden sind. Obwohl das Gesetz in § 119 Abs. 2 HGB die Möglichkeit von Mehrheitsbeschlüssen anerkennt, sucht man im Gesetz vergeblich nach Regeln, wie diese Gesellschafterbeschlüsse zustande kommen. Im günstigsten Fall enthält der Gesellschaftsvertrag ein schlüssiges, funktionierendes und dabei rechtlich zulässiges Regelwerk. Zum einen aber setzt dies voraus, dass die Gesellschafter bei Gründung der Gesellschaft qualifiziert anwaltlich beraten waren, zum anderen lässt diese gesetzliche Lücke auch viel Raum für Auslegung durch die Rechtsprechung, die nicht immer eindeutig zu antizipieren ist. So überrascht nicht, dass das Beschlussverfahren, d.h. die formellen und materiellen Anforderungen an das Zustandekommen von Gesellschafterbeschlüssen im Personen- und GmbH-Gesellschaftsrecht, eine maßgebliche Quelle von Beschlussmängeln ist und sich bei der Geltendmachung dieser Mängel zahlreiche ungeklärte Rechtsfragen stellen. Gleiches gilt für die besonderen materiellen Anforderungen an einzelne Entscheidungen der Gesellschafterversammlung, die bei Gesellschafterauseinandersetzungen häufig den Kern des Streits bilden, beispielsweise wenn es um die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers aus wichtigem Grund oder die Einziehung von Geschäftsanteilen geht. Auf diese Anforderungen soll nachfolgend aber nicht im Einzelnen eingegangen werden, da dies den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde.

2. Mehrheitsbeschlüsse als Quelle von Beschlussmängeln a) Mehrheitsentscheidungen im GmbH-Recht aa) Mehrheitsentscheidungen als Grundsatz Mehrheitsentscheidungen der Gesellschafterversammlung sind im GmbH-Recht die Regel. Beschlüsse kommen nach § 47 Abs. 1 GmbHG mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen zustande. Für das Beschlussverfahren und die Einberufung der Gesellschafterversammlung finden sich in § 47 Abs. 3 und 4 GmbHG und §§ 48–51 GmbHG recht ausführliche Regeln. Weitere Einzelheiten können im Gesellschaftsver-

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trag bestimmt sein. Daneben gibt es aber selbstverständlich einen Individualschutz des Gesellschafters gegen Eingriffe in seine individuellen Rechte auf der materiellen Ebene. Eine nachträgliche Einführung von Nachschusspflichten durch Satzungsänderung z.B. bedarf neben der erforderlichen satzungsändernden Mehrheit der ausdrücklichen Zustimmung aller Gesellschafter, die von der Nachschusspflicht betroffen sein sollen (vgl. § 53 Abs. 3 GmbHG). Entsprechendes gilt auch für die nachträgliche Vinkulierung von Gesellschaftsanteilen.5 Ebenso bedarf die Entziehung von satzungsmäßigen Sonderrechten und relativ unentziehbaren Mitgliedschaftsrechten der Zustimmung des betroffenen Gesellschafters. Dies gilt z.B. für ein satzungsmäßiges Sonderrecht auf Geschäftsführung.6 Bei Streitigkeiten um den Entzug solcher Sonderrechte aus wichtigem Grund spielen ganz regelmäßig Fragen der ordnungsgemäßen Einladung der Versammlung sowie die Anwendung von Stimmverboten eine zentrale Rolle. Gerade weil die Reichweite und Anwendbarkeit eines Stimmverbotes namentlich bei Maßnahmen gegen einen Mitgesellschafter aus wichtigem Grund häufig entscheidender Kernpunkt der Auseinandersetzungen sind, mit deren Lösung der Beschluss steht oder fällt, ist es für die Praxis in der Regel ganz entscheidend, was bis zu einer gerichtlichen Klärung dieser Fragen (vorläufig) gilt. Dies hängt nach der Rechtsprechung mit der Frage der Feststellung des maßgeblichen Beschlussinhalts zusammen.

bb) Vorläufige Bestandskraft und Beschlussfeststellung Anders als das Aktienrecht enthält das GmbH-Recht keine Regelung über eine förmliche Beschlussfeststellung. Häufig finden sich in den Gesellschaftsverträgen Regelungen, die aber nicht immer vollkommen sind. Wie später noch näher erörtert wird, ist die förmliche Beschlussfeststellung nach der Rechtsprechung des BGH eine Voraussetzung für die analoge Anwendbarkeit der §§ 241 ff. AktG auf Beschlussmängelstreitigkeiten 5 RG v. 4.4.1908 – I 302/07, RGZ 68, 210, 211; OLG Celle v. 8.7.1998 – 9 U 233/97, GmbHR 1999, 131; OLG Dresden v. 10.5.2004 – 2 U 286/04, GmbHR 2004, 1080; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 53 Rz. 34; Ulmer in Großkomm/GmbHG, 1. Aufl. 2008, § 53 Rz. 139; Michalski/ Hoffmann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 53 Rz. 126; a.A. Fette, GmbHR 1986, 75 ff.; Wiedemann, NJW 1964, 282. 6 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 53 Rz. 35 m.w.N.

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im GmbH Recht.7 Dies wird damit begründet, dass die Anfechtungsklage ein bestimmtes Beschlussergebnis voraussetze, das im Klagewege „kassiert“ werden solle.8 Nach der Rechtsprechung hängt daher auch die Gestaltungswirkung des Urteils und die vorläufige Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen entscheidend davon ab, ob ein Versammlungsleiter ausdrücklich ein bestimmtes Beschlussergebnis festgestellt hat.9 Selbst wenn der Gesellschaftsvertrag eine Versammlungsleitung vorsieht, ist damit nicht zwangsläufig geregelt, dass der Versammlungsleiter auch die Befugnis zur förmlichen Beschlussfeststellung hat. Die Befugnis zur förmlichen Beschlussfeststellung kann nämlich nur durch eine hinreichend klare Regelung im Gesellschaftsvertrag oder einen Gesellschafterbeschluss, der nach wohl überwiegender Meinung mit der einfachen Mehrheit,10 nach anderer Auffassung nur einstimmig11 gefasst werden kann, verliehen werden. Ist der Versammlungsleiter zur Feststellung des Beschlussergebnisses befugt, obliegt ihm die Einschätzung, welche Mehrheit und sonstige Anforderungen für den Beschluss erforderlich sind, ob und welche Stimmen wirksam abgegeben wurden und welche Gesellschafter etwa von einem Stimmrechtsausschluss betroffen sind. Durch die Beschlussfeststellung des Versammlungsleiters wird der Beschluss mit dem festgestellten Inhalt vorläufig verbindlich.12 Ob man daraus weitergehend schließen kann, dass die Feststellung für den Beschluss konstitutive Bedeutung hat, er ohne Feststellung also quasi inexistent ist, wie teilweise angenommen wird, ist weniger gewiss. Auch diejenigen, die von der konstitutiven Be7 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317 (318); BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, NJW 1988, 1844; vgl. auch Stephan/Tieves in MünchKomm/ GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 38 Rz. 119. 8 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317 (318, Rz. 23). 9 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317 (318, Rz. 24); s. auch Stephan/Tieves in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 38 Rz. 119, 144. 10 OLG München v. 12.1.2005 – 7 U 3691/04, GmbHR 2005, 624 (625); OLG Celle v. 27.3.1997 – 9 U 154/96, GmbHR 1999, 35 und OLGR 1998, 340; BGH v. 4.5.2009 – II ZR 166/07, DStR 2009, 2542 (2543, Rz. 7 f.); Scholz/ Seibt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 48 Rz. 33; Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 48 Rz. 98; Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 48 Rz. 8; Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086 (1089); a.A. OLG Frankfurt v. 4.12.1998 – 5 W 33/98, NZG 1999, 406. 11 OLG Frankfurt v. 4.12.1998 – 5 W 33/98, NZG 1999, 406; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 48 Rz. 16 f. 12 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 106, 66 ff., NJW 1988, 1844; BayObLG v. 1.7.1993 – 3Z BR 96/93, DStR 1993, 1717 (1718).

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deutung der Beschlussfeststellung sprechen, sind daher überwiegend der Auffassung, dass die Feststellung keine Wirksamkeitsvoraussetzung des Beschlusses sei.13 Anders sieht es wohl Altmeppen unter Verweis auf Wolfgang Ernst.14 Nach seiner Auffassung ist es auch nicht originär der Versammlungsleiter, dem die Kompetenz zur Beschlussfeststellung zukommt, sondern die Gesellschafterversammlung selbst, die sich zu diesem Zweck nur des Versammlungsleiters als ausführendem Organ bedienen kann.15 Die Gesellschafterversammlung könne, auch wenn ein Versammlungsleiter bestellt sei, diese Beschlussfeststellungskompetenz jederzeit wieder an sich ziehen.16 Auch wenn gute Gründe für die Überlegung sprechen, dass der Versammlungsleiter letztlich nur „Erfüllungsgehilfe“ der Gesellschafterversammlung bei der Beschlussfeststellung sei, ist diese These doch im Ergebnis nicht überzeugend. Haben die Gesellschafter im Rahmen einer wirksam einberufenen Versammlung ihre Stimmen abgegeben, so gibt es einen Beschluss. Der Inhalt dieses Beschlusses mag zwischen den Beteiligten streitig sein. Das allein kann aber nicht dazu führen, dass der Beschluss ohne eine ausdrückliche Feststellung als rechtliches Nullum zu betrachten wäre. Dies würde die Gesellschafterversammlung der GmbH letztlich nur mit einer weiteren und gerade bei Gesellschafterstreitigkeiten wenig hilfreichen Formalie belasten. Denn ebenso, wie die Gesellschafter über den Inhalt des Beschlusses als solches streiten können, würden sie über den Inhalt und die Berechtigung zur Beschlussfeststellung streiten. Zu begrüßen ist das Bestreben von Altmeppen, auf diese Weise zu einer höheren Rechtssicherheit und Legitimation des vorläufig wirksamen Beschlusses zu gelangen. Um Ungewissheiten über die Berechtigung zur Beschlussfeststellung vorzubeugen, billigt er der Mehrheit der Stimmen das Recht zu, diese vorläufige Wirksamkeit herzustellen, auch wenn im Streit steht, ob diese Mehrheit von Stimmrechtsverboten betroffen ist.17 Gerade dieser Punkt vermag aber im Ergebnis nicht recht zu überzeugen. In einem Fall, wo die Gesellschafter untereinander darüber streiten, ob der Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführer aus wichtigem Grund abbe13 BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, NJW 1969, 841 (842); MünchKomm/GmbHG/ Liebscher, 2. Aufl. 2016, § 48 Rz. 118; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 47 Rz. 26; Scholz/Seibt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 48 Rz. 52 m.w.N. 14 Altmeppen, NJW 2016, 2833 (2837). 15 Altmeppen, NJW 2016, 2833 (2837). 16 Altmeppen, NJW 2016, 2833 (2837). 17 Altmeppen, NJW 2016, 2833 (2837).

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rufen werden kann und dieser Grund erst mühsam aufgearbeitet und ermittelt werden muss, mag das zunächst einleuchten. Aber unterstellt, es lägen tatsächlich Straftaten, vielleicht sogar im Zusammenhang mit der Führung der Gesellschaft vor, auf die die Minderheitsgesellschafter eine Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers stützen möchten, erscheint ein Ergebnis doch unangemessen, das es dem Mehrheitsgesellschafter erlaubt, trotzdem vorläufig und bis zur gerichtlichen Feststellung des Gegenteils, die bekanntlich durchaus etliche Jahre in Anspruch nehmen kann, im Amt zu bleiben. Dies erscheint schwerlich akzeptabel, wenn die Gesellschafter sich nicht einem solchen Regime bewusst unterworfen haben, indem sie beispielsweise dem Mehrheitsgesellschafter ein satzungsmäßiges und nur aus wichtigem Grund entziehbares Sonderrecht zur Geschäftsführung eingeräumt haben. Der Minderheit könnte u.U. die Möglichkeit der einstweiligen Verfügung helfen. Doch ist auch dies angesichts der starken Zurückhaltung, die die Gerichte bei einstweiligen Verfügungen im Gesellschaftsrecht zeigen, kein einfaches Unterfangen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Verfügungen, die auf die Willensbildung der Gesellschafter Einfluss nehmen, da die autonome Willensbildung und Willensäußerung eines jeden Gesellschafters rechtlich gewährleistet ist.18 Hinzu kommt, dass Anordnungen im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich keine unumkehrbaren Tatsachen schaffen dürfen, die eine Vorwegnahme der Hauptsache darstellen.19 So soll der allgemeinen Auffassung zufolge die vorläufige Ausschließung eines Gesellschafters nicht möglich sein.20 Die Gerichte sollen dem Gesellschafter jedoch für die Dauer des Ausschließungsprozesses die Geschäftsführungsbefugnis beziehungsweise die Vertretungsbefugnis vorläufig entziehen können, wenn dies die Sicherung der Mitgesellschafter gebietet.21 Das gelingt auch durchaus mit Erfolg, wenn es hart auf hart 18 Drescher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2012, § 935 Rz. 45, Fn. 189. 19 Vgl. OLG München v. 20.7.1998 – 23 W 1455/98, NZG 1999, 407; OLG Düsseldorf v. 18.5.2005 – 15 U 202/04, NZG 2005, 633 (634). 20 Baumbach/Hopt/Roth, 37. Aufl. 2016, § 140 HGB Rz. 21; Henssler/Strohn/ Klöhn, 3. Aufl. 2016, § 140 HGB Rz. 33; Drescher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2012, § 935 Rz. 49. 21 BGH v. 11.7.1960 – II ZR 260/59, BGHZ 33, 105 (107) = NJW 1960, 1997; Drescher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2012, § 935 Rz. 49; vgl. auch: Schlegelberger/K. Schmidt, HGB, Bd. 3, 5. Aufl. 1992, § 127 Rz. 31; Jauernig, ZZP 79 (1966), 321 (334); Erman in FS Möhring, 1965, S. 11 f.; Baumbach/Hopt/Roth, 37. Aufl. 2016, § 117 HGB Rz. 7; Drescher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2012, § 935 Rz. 49.

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kommt, doch ist der Streit damit nicht beseitigt, sondern eher angefacht, solange der Betroffene noch Gesellschafter ist. Die Situation bleibt sicherlich immer ein gewisses Dilemma, für das es keine eindeutig beste Lösung gibt. Solange aber die Gerichte dermaßen zurückhaltend bei dem Erlass von einstweiligen Verfügungen sind, ist die Frage der vorläufigen Wirksamkeit des Beschlusses für die Praxis besonders wichtig. Es erscheint dafür im Ergebnis die bessere Lösung, wenn man die vorläufige Wirksamkeit des Beschlusses nicht an eine weitere Willensäußerung der Gesellschafterversammlung sondern an die Befugnisse und Aufgaben eines – im Idealfall neutralen – Versammlungsleiters anknüpft. Dies verlagert die Streitigkeit allerdings schnell auf die Frage, wer der richtige und wirksam ernannte Versammlungsleiter ist. Dann kann es, wie Altmeppen zurecht hervorhebt, dazu kommen, dass sich der Gesellschafterstreit in einen Streit darüber verlagert, welcher Versammlungsleiter wirksam bestellt wurde und wer die Kompetenz zur Beschlussfeststellung hat, was nicht selten zu Überkreuzklagen der jeweiligen Gesellschaftergruppen gegen die Abwahl des Versammlungsleiters und die von diesem festgestellten Beschlüsse führt. Dies liegt wohl in der Natur der Sache eines solchen Gesellschafterstreits. Der durch Geschäftsordnung oder einen Gesellschafterbeschluss bestellte Versammlungsleiter kann grundsätzlich jederzeit mit einem einfachen Mehrheitsbeschluss wieder abberufen werden.22 Nach der Rechtsprechung ist ein Gesellschafter bei der Entscheidung über seine Wahl oder Abwahl als Versammlungsleiter aus Anlass eines ihn betreffenden Interessenkonflikts in Bezug auf den Gegenstand der Tagesordnung nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen.23 Dies wird zurecht in Zweifel gezogen. Die Grundannahme, dass der Versammlungsleiter, weil er an die anwendbaren Rechtsvorschriften über Stimmverbote bei der Feststellung des Beschlussergebnisses gebunden sei, auch bei Vorliegen eines Interessenkonflikts objektiv zur Beschlussfeststellung geeignet ist, die ihm faktisch ermöglicht, zumindest vorläufig seine Interessen weiter durchzusetzen, erscheint zweifelhaft. Daher ist der Gegenauffassung zuzu22 MünchKomm/GmbHG/Liebscher, 2. Aufl. 2016, § 48 Rz. 108; Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 48 Rz. 99; Scholz/Seibt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 48 Rz. 34; Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086 (1089 ff.). 23 Für den satzungsgemäß bestellten Versammlungsleiter BGH v. 21.6.2010 – II ZR 230/08, DStR 2010, 1997 (1998); Werner, GmbHR 2006, 127 (129); Wicke/ Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 37 Rz. 17.

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stimmen, dass ein Stimmverbot bei der Abwahl des Versammlungsleiters wegen Befangenheit in Bezug auf bestimmte Tagesordnungspunkte grundsätzlich durchgreift.24 Wünschenswert wäre es, wenn sich die Parteien in diesem Fall auf einen möglichst neutralen Versammlungsleiter einigen (oder diesen gar vorab in der Satzung bestimmt haben – sei es auch nur für den Streitfall; eine echte Aufgabe für die Beratungs- und Gestaltungspraxis), aber dafür ist es meistens schon zu spät. Im Aktienrecht hat diese Frage eine ganz befriedigende Lösung gefunden: Soweit die Abwahl des (satzungsmäßig berufenen) Versammlungsleiters überhaupt für möglich befunden wird,25 (wobei dann wiederum streitig ist mit welcher Mehrheit ein satzungsmäßig bestellter Versammlungsleiter abgewählt werden kann,26) ist ein wichtiger Grund erforderlich. Es führt nach der überwiegenden Rechtsprechung im Aktienrecht nicht zur Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit eines Beschlusses, wenn ein Beschluss zur Abwahl des Versammlungsleiters nicht zur Abstimmung gestellt oder falsch festgestellt wurde.27 Dies sollte auch bei der GmbH jedenfalls so lange gelten, wie das 24 So Hoffmann/Köster, GmbHR 2003, 1327 (1332 f.); Zöllner in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 48 Rz. 19. Allerdings hat der BGH in seinem Urteil vom 21.6.2010 anerkannt, dass die Gesellschafter die Möglichkeit haben, einen Versammlungsleiter aus wichtigem Grund abzuberufen, wenn er grundlegende Regeln der Versammlungsleitung verletzt (vgl. BGH v. 21.6.2010 – II ZR 230/08, NJW 2010, 3027 [3029]). 25 So die h.M.: OLG Frankfurt v. 8.2.2006 – 12 W 185/05, NJOZ 2006, 870 (876); OLG Hamburg v. 12.1.2001 – 11 U 162/00, NZG 2001, 513 (516); Spindler/ Stilz/Wicke, AktG, 3. Aufl. 2015, § 119 Rz. 4; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 112 m.w.N.; dagegen u.a. Krieger, AG 2006, 355 ff. 26 Nach einer Ansicht reicht auch hier die einfache Mehrheit: Rose, NZG 2007, 241 (244); v. Falkenhausen/Kocher, BB 2005, 1068, 1069; Nach wohl zutreffender Ansicht, ist eine 3/4 Kapitalmehrheit erforderlich: Kubis in MünchKomm/ AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 112; Spindler/Stilz/Wicke, 3. Aufl. 2015, Anh. § 119 AktG Rz. 4; Henssler/Strohn/Liebscher, 3. Aufl. 2016, § 129 AktG Rz. 24; Martens, Leitfaden für die Leitung der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, 3. Aufl. 2003, S. 47 f. 27 Vgl. OLG Hamburg v. 12.1.2001 – 11 U 162/00, NZG 2001, 513 (516); OLG Frankfurt a.M. v. 15.5.2012 – 5 U 66/11, BeckRS 2013, 10348; für die Anfechtbarkeit der nachfolgenden Beschlüsse: OLG Bremen v. 13.11.2009 – 2 U 57/09, AG 2010, 256 ff.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 Rz. 115; Spindler/Stilz/Wicke, 3. Aufl. 2015, Anh. § 119 AktG Rz. 4; für die Nichtigkeit der nachfolgenden Beschlüsse: LG Frankfurt/M. v. 11.1.2005 – 3-5 O 100/04, ZIP 2005, 1176.

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Stimmverbot nicht offenkundig ist, etwa weil der Versammlungsleiter wegen des wichtigen Grundes, der geltend gemacht wird, bereits zumindest erstinstanzlich verurteilt ist oder die Vorwürfe aus anderen Gründen ganz offensichtlich berechtigt sind. Anders sollte die Lage in Bezug auf den nicht durch die Satzung legitimierten Versammlungsleiter sein. Dieser sollte bereits dann vom Stimmrecht über seine Abberufung ausgeschlossen sein, wenn der wichtige Grund substantiiert dargelegt ist; darüber, ob dies der Fall war, können im Ergebnis doch wieder nur die Gerichte entscheiden. Ganz unabhängig von diesen rechtlichen Fragen ist es aufgrund der herausgehobenen und für den Ablauf der Versammlung entscheidenden Stellung des Versammlungsleiters wichtig, eine erfahrene und entscheidungsstarke Persönlichkeit als Versammlungsleiter zu haben, der die Versammlung besonnen und klar führt. Das muss bei der Auswahl unbedingt beachtet werden, da die beste Vorbereitung einer streitigen Gesellschafterversammlung schnell in sich zusammenbricht, wenn der Versammlungsleiter ins Wanken gerät.

b) Mehrheitsentscheidungen im Personengesellschaftsrecht Im Personengesellschaftsrecht stellen sich zunächst ähnliche Fragen wie im GmbH-Recht, beispielsweise in Bezug auf Stimmverbote. Im Wesentlichen gelten neben wenigen gesetzlichen Regelungen in §§ 113 Abs. 2, 117, 127 und 140 HGB die Tatbestände des § 47 Abs. 4 GmbHG analog,28 so dass sich bei Gesellschafterauseinandersetzungen im Wesentlichen die gleichen Fragen und Streitpunkte ergeben, wie im GmbH-Recht. Darüber hinaus stellen sich allerdings im Personengesellschaftsrecht vielfach grundlegende Fragen der notwendigen Mehrheit für Gesellschafterbeschlüsse. Denn das Personengesellschaftsrecht ist von dem Grundsatz geprägt, dass Beschlüsse einstimmig gefasst werden. Aus § 709 Abs. 2 BGB und § 119 Abs. 2 HGB ergibt sich aber, dass auch der Gesetzgeber bereits davon ausging, dass der Gesellschaftsvertrag, wie es gängiger Praxis entspricht, in Abweichung hiervon Mehrheitsentscheidungen zulassen kann. Erstaunlich ist, dass er keine Vorsorge für den dann notwendigen Minderheitsschutz u.a. durch Verfahrensregelungen getroffen hat. Während Mehrheitsklauseln auf der einen Seite den Mehrheitsgesellschaftern ein notwendiges Maß an Handlungsfähigkeit sichern, führen sie auf der 28 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Freitag, 3. Aufl. 2014, § 119 HGB Rz. 15; Baumbach/Hopt/Roth, 37. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 8.

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anderen Seite im Regelfall zu einer Fremdbestimmung der Minderheitsgesellschafter und somit zu einem Spannungsverhältnis innerhalb der Gesellschafterversammlung.29

aa) Bestimmtheitsgrundsatz und Kernbereichslehre Dieses Spannungsfeld versuchte die frühere Rechtsprechung und Lehre mithilfe des Bestimmtheitsgrundsatzes sowie der Kernbereichslehre zu lösen. Aus dem Bestimmtheitsgrundsatz wurde zunächst gefolgert, dass sich eine gesellschaftsvertragliche Bestimmung, nach der für die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung die einfache Mehrheit genügt, nur solche Beschlüsse erfasst, die laufende Geschäftsführungsangelegenheiten oder sonstige „gewöhnliche“ Beschlüsse zum Gegenstand haben. Wesentliche Änderungen des Gesellschaftsvertrages sollten von der Mehrheitsklausel nur erfasst sein, wenn sich dies „unzweideutig“ aus der Regelung ergab. Hieraus wurde geschlossen, dass eine Auflistung solcher außergewöhnlichen Beschlüsse in der Mehrheitsklausel erforderlich sei und sich etwa der Inhalt einer zu beschließenden Satzungsänderung entweder eindeutig oder zumindest durch Auslegung aus der Mehrheitsklausel entnehmen lassen müsse.30 Ergänzt wurde der Bestimmtheitsgrundsatz durch die Kernbereichslehre.31 Der Kernbereich der Mitgliedschaft sollte dem einzelnen Gesellschafter Mindestrechte erhalten, die gegen Einwirkungen durch die Gesellschaftermehrheit geschützt waren. Eingriffe in diesen mitgliedschaftlichen Kernbereich sollten nur mit zusätzlicher Legitimation möglich sein.32

29 Vgl. Schöne in Bamberger/Roth, BGB, Stand 1.8.2016, § 709 Rz. 32. 30 BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/51, NJW 1953, 102; BGH v. 13.7.1967 – II ZR 72/67, NJW 1967, 2157; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 63/77, NJW 1978, 1382; detaillierte Ausführungen hierzu bei Schöne in Bamberger/Roth, BGB, Stand 1.8.2016, § 709 Rz. 33 f. 31 BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194; BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, NJW 1956, 1198; BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, NJW 2007, 1685; K. Schmidt, ZHR 158 (1994), 205 (227); Schöne in Bamberger/Roth, BGB, Stand 1.8.2016, § 709 Rz. 35. 32 BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, NJW 1956, 1198 (1199); BGH v. 10.10.1994 – II ZR 32/94, NJW 1995, 192 (195); BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, NJW 2007, 1685; vgl. auch Löffler, NJW 1989, 2656 (2660).

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bb) Zwei-Stufen-Theorie des BGH Mittlerweile hat sich der BGH von beiden Grundsätzen ausdrücklich verabschiedet: In der sog. „Otto-Entscheidung“ hat der BGH zunächst klargestellt, dass es nicht erforderlich sei, dass der Gesellschaftsvertrag die Gegenstände, die der Mehrheitsklausel unterliegen, einzeln auflistet. Es reiche vielmehr aus, wenn sich durch Auslegung aus dem Gesellschaftsvertrag ergebe, dass der infrage stehende Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein solle.33 Mit dieser Maßgabe hat der BGH zunächst am Bestimmtheitsgrundsatz festgehalten.34 Zu der konkreten Fallgestaltung, in der es um die Frage der erforderlichen Mehrheit für die Feststellung des Jahresabschlusses ging, erklärte der BGH, er halte nicht an seiner Aussage fest, eine Mehrheitsklausel decke die Bilanzfeststellung als ein das Gewinnrecht der Gesellschafter tangierendes „Grundlagengeschäft“ nur bei ausdrücklicher Einbeziehung dieses Beschlussgegenstands und müsse auch Art und Umfang des zulässigen Eingriffs erkennen lassen. Diese Linie setzte der BGH in der Entscheidung „Schutzgemeinschaftsvertrag II“35 fort: Er bestätigte darin, dass auch als besonders gravierend angesehene Strukturmaßnahmen nicht von vornherein aus der Reichweite einer allgemeinen Mehrheitsklausel herausfallen.36 Zuletzt hat der BGH in seiner Entscheidung vom 21.10.2014 den Bestimmtheitsgrundsatz endgültig und ausdrücklich aufgegeben. Insbesondere findet der Bestimmtheitsgrundsatz auch in Bezug auf Grundlagenbeschlüsse keine Anwendung.37 Der BGH unterscheidet in seiner neueren Rechtsprechung ganz klar zwischen einerseits der formellen 33 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 (287, Rz. 9) = NJW 2007, 1685 (1686). 34 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 (287, Rz. 9) = NJW 2007, 1685 (1686). 35 BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08 (Schutzgemeinschaftsvertrag II), BGHZ 179, 13 (20, Rz. 15) = NZG 2009, 183 (185). 36 BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08 (Schutzgemeinschaftsvertrag II), BGHZ 179, 13 (22 f., Rz. 20 f.) = NZG 2009, 183 (185). 37 Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = NJW 2015, 859, Rz. 19; krit.: Schöne in Bamberger/Roth, BGB, Stand 1.8.2016, § 709 Rz. 38; Altmeppen, NJW 2015, 206 ff.; Keil, DZWiR 2015, 324 (326); Ulmer, ZIP 2015, 657 (659); Schäfer, ZIP 2015, 1313 (1315); Priester, NZG 2015, 529 f.; Seidel/Wolf, BB 2015, 2563.

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Legitimation der Mehrheitsentscheidung, die auch auf eine allgemeine Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag gestützt werden kann („erste Stufe“) und andererseits der materiellen Prüfung des gefassten Beschlusses („zweite Stufe“). Auf dieser zweiten Stufe wird der Beschluss einer inhaltlichen Richtigkeitskontrolle unterzogen, wobei insbesondere die Gesetzeswidrigkeit, Verstöße gegen die Treuepflicht und der Entzug von Individualrechten ohne hinreichende Legitimation den Beschluss fehlerhaft machen können. Auch der Kernbereichslehre hat der BGH eine Absage erteilt: In BGHZ 203, 77 weist das Gericht in Fortführung von BGHZ 179, 13 („Schutzgemeinschaftsvertrag II“) und BGHZ 170, 283 („OTTO“) darauf hin, dass die materielle Grenze der Mehrheitsherrschaft künftig nicht mehr ausschließlich entlang des Kernbereichs verlaufe, sondern vielmehr entlang der subjektiven Rechte der Gesellschafter, wie z.B. dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der gesellschaftlichen Treuepflicht, zu ziehen sei.38 Dass die Wirksamkeit der jeweiligen Mehrheitsentscheidung eine sowohl formelle als auch materielle Wirksamkeitsprüfung voraussetze, gelte nämlich, wie das Gericht hervorhebt, allgemein für alle Beschlussgegenstände, also auch bei sog. „Grundlagengeschäften“ oder Maßnahmen, die in den „Kernbereich“ der Mitgliedschaftsrechte beziehungsweise in absolut oder relativ unentziehbare Rechte der Minderheit eingreifen.39 Greift der Beschluss in absolut unentziehbare Mitgliedschaftsrechte ein, wie z.B. das Informationsrecht40 oder das Teilnahmeund Rederecht des Gesellschafters in der Gesellschafterversammlung,41 ist er nichtig. Greift er in relativ unentziehbare Mitgliedschaftsrechte ein, also solche, die mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters oder aus wichtigem Grund entziehbar sind, so geht der BGH in seiner jüngeren Rechtsprechung davon aus, dass eine treuwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht im Regelfall zu vermuten und die Entscheidung somit auch bei Eingriffen in relativ unentziehbare Mitgliedschaftsrechte

38 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = NJW 2015, 859. 39 BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08 (Schutzgemeinschaftsvertrag II), BGHZ 179, 13 = NZG 2009, 183; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = NJW 2015, 859. 40 BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16 III 3 b; MünchKomm/HGB/Enzinger, 4. Aufl. 2016, § 119 Rz. 72 m.w.N.; Henssler/Strohn/Verse, 3. Aufl. 2016, § 14 GmbHG Rz. 60. 41 Henssler/Strohn/Verse, 3. Aufl. 2016, § 14 GmbHG Rz. 61.

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insgesamt unwirksam sei.42 In sonstigen Fällen bleibe es demgegenüber dabei, dass die Minderheit den Nachweis einer treupflichtigen Mehrheitsentscheidung zu führen habe.43 Bei Eingriffen in die rechtliche und vermögensmäßige Position des Gesellschafters in der Gesellschaft gelte es dann zu prüfen, ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar sei.44 Insofern lassen sich auch in der neuen Rechtsprechung Parallelen zur Kernbereichslehre erkennen. Es scheint fast, als wolle der BGH nur den Begriff vermeiden, um zu verhindern, dass Praxis und Wissenschaft bei der Anwendung der Entscheidung in alte Denkmodelle zurückverfallen. Das scheint unnötig und führt nicht unbedingt zu mehr Klarheit, aber wir wollen uns im Folgenden auf die neue „Diktion“ des BGH einstellen.

cc) Anforderungen an das Beschlussverfahren bei Mehrheitsbeschlüssen Teilweise wird in der Literatur postuliert, dass die Zulassung von Mehrheitsbeschlüssen die Einführung angemessener Verfahrensregeln im Gesellschaftsvertrag voraussetze.45 Das kann jedoch der Rechtsprechung des BGH nicht entnommen werden. Ausgehend von dem durch die Rechtsprechung aufgestellten Grundsatz, dass sich die Befugnis zu Mehrheitsentscheidungen aus jeder Vereinbarung der Gesellschafter ergeben kann, die einer dahingehenden Auslegung zugänglich ist,46 kann die Verknüpfung mit umfassenden Verfahrensregelungen nicht zwingend sein. Denn wenn bereits die konkludente Vereinbarung einer Mehrheitszuständigkeit zwischen den Gesellschaftern für eine formelle Recht-

42 BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08 (Schutzgemeinschaftsvertrag II), BGHZ 179, 13 (21, Rz. 17) = NZG 2009, 183 (185); BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = NJW 2015, 859 (861, Rz. 12). 43 BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08 (Schutzgemeinschaftsvertrag II), BGHZ 179, 13 (21, Rz. 17) = NZG 2009, 183 (185); BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = NJW 2015, 859 (861, Rz. 12). 44 BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194; BGH v. 4.7.2005 – II ZR 354/03, NJW-RR 2005, 1347; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, NJW 2015, 859, Rz. 19. 45 Weipert in MünchHdbGesR, Band 1, 4. Aufl. 2014, § 57 Rz. 88. 46 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = NJW 2015, 859 (861, Rz. 14).

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mäßigkeit der Entscheidung ausreicht,47 schließt das praktisch aus, dass damit feste und klare Verfahrensregelungen verbunden sein müssen. Es dürfte jedoch ebenso unzweifelhaft sein, dass für den Minderheitenschutz auch auf formeller Ebene (und nicht erst bei der materiellen Beschlusskontrolle) Mindestregeln notwendig sind. Der Gesellschaftsvertrag sollte also idealerweise Regelungen für den Fall enthalten, dass sich nicht jeder der Beteiligten durch Stimmabgabe am Verfahren beteiligt. Was aber gilt, wenn die Parteien dazu nichts vereinbart haben? Von Teilen der Literatur wird auf eine entsprechende Anwendung von § 32 BGB verwiesen.48 Für Publikumsgesellschaften wird zum Teil eine analoge Anwendung der Vorschriften zum Aktienrecht vertreten.49 Näher liegt aber wohl die sinngemäße Anwendung des Regelungen des GmbH-Gesetzes über die Einberufung und Abhaltung von Gesellschafterversammlungen (§§ 47 ff. GmbHG), die zur Lückenfüllung sowohl für personalistische als auch für Publikumspersonengesellschaften gleichermaßen geeignet sind.50

dd) Folgerungen für die Praxis Kurz zusammengefasst bedeutet dies für die Praxis was folgt: Es reicht für die Legitimation jedweder Mehrheitsbeschlüsse (auch über Änderungen des Gesellschaftsvertrages bis hin zur Liquidation der Gesellschaft) aus, wenn der Gesellschaftsvertrag anordnet: „Sämtliche Gesellschafterbeschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst.“ (Nichts desto trotz würde man in der Gestalungspraxis im Zweifel noch hinzusetzen: „Dies gilt insbesondere auch für die Änderung dieses Gesellschaftsvertrages und die Auflösung der Gesellschaft.“) Zur weiteren formellen Legitimation ist darüber hinaus allerdings zu fordern, dass ein faires und angemessenes Beschlussverfahren angewendet wird, das es jedem Gesellschafter erlaubt, seine Rechte angemessen zu wahren. Ob die Entscheidung allerdings inhaltlich standhält, ist da47 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = NJW 2015, 859 (861, Rz. 14): vgl. insb. K. Schmidt, ZIP 2009, 737 (738). 48 Weipert in MünchHdbGesR, Band 1, 4. Aufl. 2014, § 57 Rz. 87. 49 Heymann/Emmerich, HGB, 2. Aufl. 1996, § 119 Rz. 6. 50 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Freitag, 3. Aufl. 2014, § 119 HGB Rz. 56; Baumbach/Hopt/Roth, 37. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 29; Staub/Schäfer, HGB, 5. Aufl. 2009, § 119 Rz. 17; MünchKomm/HGB/Enzinger, 4. Aufl. 2016, § 119 Rz. 48; Beck‘scher Online-Kommentar HGB/Klimke, Stand: 1.8.2016, § 119 Rz. 66; vgl. auch Lutz, Der Gesellschafterstreit, 4. Aufl. 2015, Rz. 82.

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von abhängig, dass sie die nach Gesetz, Gesellschaftsvertrag und den anerkannten, nicht kodifizierten Grundsätzen des Gesellschaftsrechts geltenden Grenzen einhält, insbesondere die gesellschaftliche Treuepflicht. Nach der Rechtsprechung des BGH verschiebt sich somit die Frage nach der formellen Legitimation der Mehrheitsentscheidung durch eine qualifizierte Mehrheitsklausel, die quasi auch als antizipierte Zustimmung durch Unterwerfung unter den Mehrheitswillen gedeutet werden kann, jedenfalls bei den relativ unentziehbaren Rechten darauf, wann mit der Unterwerfung unter eine allgemeine Mehrheitsklausel ein Verzicht auf diese Rechte verbunden ist.51 Orientiert man sich bei der Beantwortung der Frage an den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, so ist dies jedenfalls dann der Fall, wenn sich aus der Vertragsklausel eindeutig eine Eingriffsbefugnis der Mehrheit ergibt.52 Dies macht es erforderlich, dass sich die Klausel (i) eindeutig auf einen Eingriff im vorbezeichneten Sinne bezieht sowie (ii) Art und Ausmaß des Eingriffs erkennen lässt.53 Bei Eingriffen in individuelle Rechte hat sich die Problematik durch die Rechtsprechungsänderung bei genauer Betrachtung also nur verschoben: wo es früher darum ging, ob die Klausel „bestimmt“ genug sei, um (formell) eine Mehrheitsentscheidung zu rechtfertigen, geht es nun um die Frage, ob sie „bestimmt“ genug ist, um eine antizipierte Zustimmung anzunehmen. Um hier Zweifel zu vermeiden, sollte die Gestaltungspraxis für wesentliche Fälle die antizipierte Zustimmung ausdrücklich mit in den Vertrag aufnehmen.

51 Vgl. hierzu BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08 (Schutzgemeinschaftsvertrag II), BGHZ 179, 13 (23 f., Rz. 22) = NZG 2009, 183 (186) unter Hinweis auf Ulmer in MünchKomm/BGB, damals § 709 BGB Rz. 92 (nunmehr: MünchKomm/ BGB/Schäfer, 6. Aufl. 2013, § 709 BGB Rz. 92). 52 BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194 (195); vgl. auch MünchKomm/BGB/Schäfer, 6. Aufl. 2013, § 709 BGB Rz. 92; kritisch zur Terminologie der „antizipierten Zustimmung“ im Ergebnis aber wohl zustimmend: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Freitag, 3. Aufl. 2014, § 119 HGB Rz. 70. 53 Zu den Anforderungen an eine nachträgliche Erhöhung der Beitragspflichten, die allgemein auf Kernbereichseingriffe Anwendung finden vgl. BGH v. 23.1.2006 – II ZR 306/04, NJW-RR 2006, 827; BGH v. 23.1.2006 – II ZR 126/04, NJW-RR 2006, 829; BGH v. 4.7.2005 – II ZR 354/03, NJW-RR 2005, 1347; BGH v. 9.2.2009 – II ZR 231/07, NJW-RR 2009, 753; MünchKomm/BGB/Schäfer, 6. Aufl. 2013, § 709 BGB Rz. 92; vgl. auch Baumbach/Hopt/Roth, 37. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 38.

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3. Geltendmachung von Beschlussmängeln nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung a) GmbH-Recht aa) Grundlagen Das GmbHG enthält keine Vorschriften über die Folgen von Beschlussmängeln und ihre Geltendmachung.54 Trotz ausführlicher Diskussionen und Reformüberlegungen55 finden sich ausdrückliche gesetzliche Regelung zum Beschlussmängelrecht bislang nur im Aktienrecht. Im GmbHRecht füllt die höchstrichterliche Rechtsprechung sowie die ihr folgende h.M. im Schrifttum diese Regelungslücke durch eine weitgehende Analogie zu den §§ 241 ff. AktG.56 Hinsichtlich der Art und Weise der Geltendmachung von Beschlussmängeln unterscheidet die Rechtsprechung bislang danach, ob das Beschlussergebnis ordnungsgemäß festgestellt worden ist.57 Diese Voraussetzung ist jedenfalls dann erfüllt, wenn das Ergebnis der Beschlussfassung durch den Versammlungsleiter förmlich verkündet worden ist.58 Die Beschlussfeststellung soll darüber hinaus aber auch durch ordnungsgemäß errichtetes Protokoll möglich sein, soweit dieses gleichermaßen dazu geeignet 54 Vgl. BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317 (318). 55 Vgl. die Beschlüsse des 67. Deutschen Juristentags, Abteilung Wirtschaftsrecht, Beschluss 16a sowie des 69. Deutschen Juristentags, Abteilung Wirtschaftsrecht, Beschluss Nr. 21; Arbeitskreis Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617 ff.; statt vieler etwa Karsten Schmidt, AG 2009, 248 ff.; Habersack/Stilz, ZGR 2010, 710 ff.; Bayer/Fiebelkorn, ZIP 2012, 2181 ff.; Fleischer, AG 2012, 765 ff.; vgl. auch die Gesetzesbegründung der Aktienrechtsnovelle 2016 unter BT-Drucks. 18/6681, 12. 56 So grundlegend erstmals der BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231 (235); seitdem in ständiger Rechtsprechung BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209 (210); BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66 (69); BGH v. 25.11.2002 – II ZR 69/01, GmbHR 2003, 171; BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426; BGH v. 4.5.2009 – II ZR 169/07, GmbHR 2009, 1327; vgl. auch MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 1; Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 47 Rz. 1; Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 47 Rz. 91; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 35 m.w.N. 57 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317 (318, Rz. 24); MünchKomm/ GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 172. 58 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317 (318, Rz. 24); Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 38; MünchKomm/ GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, § 47 Rz. 175 m.w.N.

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ist, Unsicherheiten über die Fassung des Beschlusses zu beseitigen.59 Streitig ist in diesem Fall allerdings, welche Anforderungen das Protokoll zu diesem Zweck erfüllen muss, insbesondere, ob es von sämtlichen Gesellschaftern einvernehmlich unterzeichnet sein muss.60 Gerade in streitigen Fällen wird es hieran vielfach fehlen. Ordnungsgemäß festgestellte Beschlüsse sollen ihrem Inhalt nach verbindlich und nur noch durch (fristgebundene) Anfechtungsklage angreifbar sein.61 Demgegenüber soll für schwere Beschlussmängel, die die Nichtigkeit des Beschlusses begründen, die Nichtigkeitsfeststellungklage statthaft sein.62 Betrachtet man dies mit etwas Abstand, wirkt das nahezu kurios: Die formelle Frage, ob eine Beschlussfeststellung vorgenommen oder ein Protokoll über den (vermeintlichen) Beschluss aufgenommen wurde, entscheidet darüber, in welcher Art und Weise ein Beschlussmangel geltend zu machen ist und damit auch darüber, welche Wirkungen der Mangel materiell hat: Abhängig von dieser formellen Frage ist damit im Ergebnis nicht nur, ob der Beschluss bis zur Feststellung seiner Nichtigkeit als wirksam zu behandeln ist, sondern auch, ob er nach Ablauf der Anfechtungsfrist wirksam wird oder dauerhaft nichtig bleibt. Teilweise gibt es die Tendenzen, dass es für die Zulässigkeit (und Notwendigkeit) der Anfechtungsklage auch ausreicht, dass sich die Gesellschafter einig sind, dass ein bestimmtes Beschlussergebnis erreicht wurde.63 Begründet wird dies damit, dass die Gesellschafter als „stimmberechtigte Mitglieder der Gesellschafterversammlung“ ohnehin die „unmittelbaren Adressaten“ der förmlichen Feststellung des Beschlussergebnisses sind, so dass der förmlichen Feststellung insofern nur eine Beweisfunktion zukomme.64

59 Stephan/Tieves in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 38 Rz. 120; BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317 (318, Rz. 24); Scholz/Seibt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 48 Rz. 53. 60 Dafür: OLG München v. 29.1.2004 – 23 U 3875/03, NZG 2004, 422 (423); Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 38. 61 BGH v. 21.2.1988 – II ZR 308/87, NJW 1988, 1844; BGH v. 25.11.2002 – II ZR 69/01, ZIP 2003, 116; so zuletzt auch BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317 (318); Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 48 Rz. 53. 62 Vgl. Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 48 Rz. 53. 63 OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, GmbHR 2015, 84 (88); MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 290 sowie Rz. 177. 64 MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 177.

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Ist demgegenüber ein förmliches Beschlussergebnis durch den Versammlungsleiter nicht festgestellt worden und ist auch kein (von allen unterzeichnetes) Protokoll aufgenommen worden, soll die allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO einschlägig sein, die im Gegensatz zur Anfechtungsklage keiner Fristenbindung unterliegt.65 Die Anfechtungsklage ist analog § 246 Abs. 1 AktG fristgebunden. Von der wohl h.M. in Literatur und Rechtsprechung wird eine strikte Analogie zu § 246 Abs. 1 AktG abgelehnt.66 Ist die Frist im Gesellschaftsvertrag nicht geregelt, gilt danach eine nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessende angemessene Frist, die aus der Leitbildfunktion des § 246 AktG herzuleiten ist, keinesfalls aber kürzer als die für das Aktienrecht geltende Frist sein darf. Eine wesentliche Überschreitung der Monatsfrist soll dann unschädlich sein, wenn der Gesellschafter an einer früheren Klageerhebung durch zwingende Umstände gehindert gewesen ist.67 Von der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG, von eng begrenzten Ausnahmen abgesehen, insofern mittlerweile als allgemeiner Maßstab angesehen.68 In der Lehre ist die Frist im Einzelnen umstritten.69 Für die Geltendmachung der Nichtigkeit eines Beschlusses soll der Gesellschaftsvertrag keine Frist anordnen dürfen, jedenfalls keine, die unterhalb der 3-Jahres-Frist für die Heilung nach § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG liegt.70 Das ist aus Sicht der Praxis zu bedauern und auch nicht ganz einsichtig: warum sollen sich die Gesellschafter nicht darauf verständi65 BGH v. 28.1.1980 – II ZR 84/79, BGHZ 76, 154 (156 f.); BGH v. 21.2.1988 – II ZR 308/87, NJW 1988, 1844; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 288/94, NJW 1996, 259; BGH v. 1.3.1999 – II ZR 205/98, NJW 1999, 2268; BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317 (318). 66 RGZ 170, 358 (380); RGZ 172, 76 (79); BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, NJW 1990, 2625; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, NJW 1988, 1844; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, NJW 1988, 1844; BGH v. 17.10.1988 – II ZR 18/88, NJW-RR 1989, 347. 67 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, NJW 1987, 2514. 68 BGH v. 18.4.2005 – II ZR 151/03, NZG 2005, 551; OLG Hamm v. 4.12.2003 – 27 U 112/03 = NZG 2004, 380. 69 Die wohl herrschende Lehre will ebenfalls eine angemessene Frist annehmen, binnen derer die Anfechtung zu erklären ist, wobei die Forderungen zum Teil zwischen sechs Wochen und drei Monaten variieren. Andere stellen wiederum ausschließlich auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ab und wollen auf ein Fristerfordernis vollständig verzichten. 70 So MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 225; vgl. auch Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 46; Zöllner in

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gen dürfen, dass sie jegliche Einwände gegen die Wirksamkeit eines Beschlusses innerhalb einer bestimmten Frist geltend machen müssen? Dass möglicherweise bei Nichtigkeitsmängeln Dritte, sofern sie ein Feststellungsinteresse haben, weiterhin berechtigt sein müssen, den Mangel geltend zu machen, ist davon zu trennen. So sollte schließlich auch die relative Befristung der Nichtigkeitsklage nach § 249 Abs. 2 Satz 3 AktG-E Aktienrechtsnovelle 2014 nur für den Aktionär und nicht für Dritte gelten. Hat der Versammlungsleiter festgestellt, dass ein Beschluss abgelehnt worden sei, nützt dem dagegen klagenden Gesellschafter die Beseitigung des ablehnenden Beschlusses alleine nicht. Ist er mit seiner Klage erfolgreich, führt dies zunächst nur dazu, dass allein die Ablehnung entfällt und immer noch kein Beschluss besteht, sondern erst wieder eine neue Abstimmung vorgenommen werden müsste. Um dies zu vermeiden, muss der Gesellschafter neben der Anfechtungsklage eine positive Beschlussfeststellungklage erheben.71 Der auf Nichtigkeit gerichtete Klageantrag kann zu diesem Zweck mit dem Ziel verbunden werden, den wirklich und rechtmäßig beschlossenen Inhalt des Gesellschafterbeschlusses feststellen zu lassen.72 Die Feststellungsklage muss hierzu jedoch innerhalb derselben Frist wie die Anfechtungsklage erhoben werden.73 Gleich dem Anfechtungsurteil entfaltet auch das Beschlussfeststellungsurteil gestaltende Wirkung inter omnes.74

71

72 73 74

Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 29; a.A. wohl BGH v. 20.1.1977 – II ZR 217/75, NJW 1977, 1292. BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, NJW 1984, 489 (491); BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, NJW 1986, 2051 (2052); BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, NJW 2009, 2300 (2302); Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 186; MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 283 ff.; MünchKomm/GmbHG/Liebscher, 2. Aufl. 2016, § 48 Rz. 121; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 180; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 40. Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 40. BGH v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, NJW 1980, 1465 (1467); Lutter/Hommelhoff/ Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 40. BGH v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, NJW 1980, 1465 (1467); BGH v. 10.5.2001 – III ZR 262/00, NJW 2001, 2176 (2177); Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 40; MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 285; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 181; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 193.

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Die einfache Beschlussfeststellungsklage, die nach h.M. zu erheben ist, wenn keine Beschlussfeststellung erfolgt ist, ist nicht an eine Frist gebunden, wenn nicht der Gesellschaftsvertrag eine Frist vorsieht. Hier kommt lediglich die Verwirkung in Betracht.75 Wann diese Verwirkung eintritt, hängt allerdings von den Umständen des Einzelfalls ab. Das OLG Zweibrücken hat in einem Fall, in dem die Klage über zehn Monate nach der Beschlussfassung eingereicht worden war, diese Frist als zu lang angesehen und verlangt, die Klage müsse „zeitnah“ nach der Beschlussfassung eingereicht werden.76 Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Kläger Kenntnis von der Sachlage hat und anderenfalls bei den übrigen Gesellschaftern der Eindruck entstünde, der Streit sei beigelegt worden.77 Eine generelle Pflicht zur zeitnahen Klageerhebung wird hingegen nicht gefordert.78 Dies ist unbefriedigend, weil es für die betroffenen Gesellschafter und vor allem für das Unternehmen wichtig ist, zügig und innerhalb eines klar umrissenen Zeitraums Rechtssicherheit zu erlangen. Im Grundsatz sollte auch für die allgemeine Feststellungsklage, so man sie denn für einschlägig hält, eine Monatsfrist gelten. Im Hinblick auf die potentiell fehlende Feststellung bzw. Protokollierung dürfte die Frist allerdings erst laufen, wenn der Kläger von dem (vermeintlich) gefassten Beschluss Kenntnis erlangt hat. Umstritten ist auch die Urteilswirkung des Feststellungsurteils nach § 256 ZPO. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass sich bei der allgemeinen Feststellungsklage das Urteil nur auf die Prozessparteien erstrecke, da eine analoge Anwendung von § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht in Betracht komme.79 Nach überwiegender Ansicht aber wird dem Urteil inter omnes-Wirkung zugesprochen.80 Darüber hinaus wird auch 75 BGH v. 13.11.1995 – II ZR 288/94, NJW 1996, 259 f.; BGH v. 1.3.1999 – II ZR 205/98, NJW 1999, 2268; MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 291; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 181; vgl. auch Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, Anh. § 47 Rz. 591. 76 OLG Zweibrücken v. 29.6.1989 – 7 U 259/97, GmbHR 1999, 79 (80). 77 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 181; MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 291. 78 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 181; MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 291; a.A. OLG Zweibrücken v. 29.6.1998 – 7 U 259/97, GmbHR 1999, 79. 79 Großkomm/GmbHG/Raiser, 2. Aufl. 2013, Anh. § 47 Rz. 284. 80 MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 74 Rz. 292; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 182; Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, Anh. § 47 Rz. 598.

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bei der allgemeinen Feststellungsklage, auf die (angeblich) ja die §§ 241 ff. AktG keine analoge Anwendung finden, von der herrschenden Literatur zwischen Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründen unterschieden. Nichtigkeitsbegründende Mängel sollen stets zu berücksichtigen sein, während bei anfechtbarkeitsbegründenden Mängeln eine Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses nur möglich sein soll, wenn die Anfechtbarkeit im Prozess durch einen anfechtungsbefugten Beteiligten geltend gemacht wird.81 Dies ist in sich nicht schlüssig und zeigt, dass die eingangs bereits als „kurios“ bezeichnete Annahme, dass von der formellen Frage der Beschlussfeststellung wesentliche materielle Fragen der Beschlusswirkungen abhängen sollen, nicht überzeugend ist. Es sollten daher die §§ 241 ff. AktG stets auf GmbH-Gesellschafterbeschlüsse Anwendung finden.82

bb) Reichweite der Analogie zu §§ 241 ff. AktG Die Reichweite der Analogie der aktienrechtlichen Regelungen ist im Einzelnen noch umstritten.

(i) Anfechtungsbefugnis Anfechtungsbefugt ist grundsätzlich jeder Gesellschafter.83 Dabei spielt es keine Rolle, ob er an der Beschlussfassung teilgenommen oder dem Beschluss widersprochen hat.84 Die Regelungen über die Anfechtungsbefugnis nach § 245 Nr. 1–3 AktG finden aufgrund der Strukturunterschiede nach h.M. im GmbH-Recht keine entsprechende Anwendung.85

81 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 74 Rz. 182; MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 291. 82 Vgl. auch: Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, Anh. § 47 Rz. 21, der sich ebenfalls für eine analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG im GmbHRecht stark macht. 83 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 128; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 136; Lutter/Hommelhoff/ Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 70; Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 47 Rz. 138. 84 Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 71; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 136; Michalski/ Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, Anh. § 47 Rz. 393; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 129; Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 47 Rz. 141; Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170 (1171). 85 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 136.

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Insbesondere § 245 Nr. 1 AktG soll nicht gelten, wonach ein Aktionär nur dann zur Anfechtung befugt ist, wenn er in der Versammlung Widerspruch zu Protokoll erklärt hat.86 Eine wörtliche Anwendung scheitere demnach schon daran, dass es bei der GmbH nicht zwingend ein Protokoll gebe. Sogar im Personengesellschaftsrecht verlangt die Rechtsprechung aber von dem Gesellschafter, dass er zumindest formelle Mängel sofort rügt (dazu sogleich). Daher spricht viel dafür, auch im GmbH-Recht einen Widerspruch in der Versammlung als Voraussetzung der Klagebefugnis anzusehen, zumindest wenn es sich um formelle oder erkennbare inhaltliche Mängel handelt.87 Jedenfalls sollte der Gesellschaftsvertrag dies anordnen können. Fraglich ist, ob entsprechend § 245 Nr. 4 und 5 AktG neben den Gesellschaftern auch Organmitglieder, also insbesondere Mitglieder der Geschäftsführung sowie des Aufsichtsrats – sofern ein solcher besteht – zur Anfechtung und somit zur Klageerhebung befugt sein sollen. Sicher ist, dass die Gesellschafter den Organmitgliedern im Rahmen der Satzung ein weitgehendes Anfechtungsrecht einräumen können.88 Ansonsten wird in der gesellschaftsrechtlichen Literatur ein eigenes Anfechtungsrecht der Organe und ihrer Mitglieder ganz überwiegend verneint.89

(ii) Freigabeverfahren Umstritten ist weiter, ob das aktienrechtliche Freigabeverfahren analog § 246a AktG auf die GmbH Anwendung findet. Dies wird im Schrifttum und in der bisher ergangenen Rechtsprechung ganz überwiegend verneint.90 Zur Begründung wird überwiegend darauf verwiesen, dass keine 86 Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 47 Rz. 141; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 71; Zöllner in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 136; Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, Anh. § 47 Rz. 393; Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170 (1171). 87 So wohl auch Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170 (1171). 88 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 135; Großkomm/ GmbHG/Raiser, 2. Aufl. 2013, Anh. § 47 Rz. 181; Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, Anh. § 47 Rz. 437. 89 Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, Anh. § 47 Rz. 427 ff.; vgl. auch Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 140 f.; ein Anfechtungsrecht des obligatorischen Aufsichtsrats bejahen: Scholz/ K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 134. 90 KG v. 23.6.2011 – 23 AktG 1/11, NZG 2011, 1068; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 137; MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch,

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vergleichbare Interessenlage bestehe. Sinn und Zweck der Einführung des § 246a AktG91 war es, missbräuchliche Ausübungen des Anfechtungsrechts zu Lasten der Gesellschaft zu beschränken.92 Dieses Bestreben folgt in erster Linie dem Befund von Baums/Vogel/Tacheva, der als Gutachten zum 63. Deutschen Juristentag den Novellierungsbemühungen durch das UMAG zugrunde lag.93 Im Gegensatz zur AG ist die GmbH jedoch zumeist personalistisch strukturiert, was zur Folge hat, dass angenommen wird, Klagen durch querulatorische Minderheitseigentümer zu Blockadezwecken seien im Wesentlichen ein „Phänomen“ der AG.94 Dass dem nicht so ist, wird die Praxis bestätigen können. Dennoch ist die Ausgangslage eine andere, weil die Anteile an der GmbH aufgrund ihrer geringen Verkehrsfähigkeit in der Regel nicht als reine Kapitalanlage dienen und es anders als bei der AG nicht die Regel ist, dass eine nur minimale Beteiligung rein zur Blockade genutzt wird. Auf Grundlage dieser Überlegungen wollen Bayer/Lieder die Regelungen über das aktienrechtliche Freigabeverfahren im GmbH-Gesellschaftsrecht modizifiert zur Anwendung bringen. Sie verweisen mit Recht auf die Vergleichbarkeit der Rechtsfolgen von Beschlussmängelklagen im Aktien- und GmbH-Recht.95 Schließlich sieht neben dem AktG auch das UmwG ein Freigabeverfahren vor, das rechtsformunabhängig auch auf die GmbH Anwendung findet.96 Auch verfassungsrechtliche Bedenken, die von Seiten des KG geäußert wurden,97 teilen sie nicht.98 Allerdings weisen sie darauf hin, dass aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslage in Bezug auf den typischen Gesellschafterkreis Anpassungen erforderlich sind: Eine Ausnahme soll insbesondere für das in § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG vorgeschriebene Mindestquorum gelten, da anderenfalls aufgrund des ohnehin sehr geringen Mindeststammkapitals

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2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 209; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 54 Rz. 28; Fleischer, DB 2011, 2132 ff.; a.A. Bayer/ Lieder, NZG 2011, 1170 ff. Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) v. 22.9.2005, BGBl. 2005, Teil I, Nr. 60, S. 2802. BT-Drucks. 15/5092, 29 f. Baums/Vogel/Tacheva, Rechtstatsachen zur Beschlusskontrolle im Aktienrecht, ZIP 2000, 1649. MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 209. Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170 (1172). Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170 (1172). Vgl. KG v. 23.6.2011 – 23 AktG 1/11, NZG 2011, 1068 (1069). Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170 (1173).

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eine Benachteiligung der Minderheitsgesellschafter zu befürchten sei.99 Außerdem ist im Rahmen der Interessenabwägung auf die Beteiligungshöhe des klagenden Gesellschafters und die Gesellschafterstruktur insgesamt Rücksicht zu nehmen.100 Wird dem entsprochen, so verliert auch der Einwand, dass es dem Gesellschafter, der als Mitunternehmer an einer GmbH beteiligt ist, nicht zumutbar sei, nach einer Freigabe eines möglicherweise rechtswidrigen Gesellschafterbeschlusses im Nachhinein auf Schadensersatzansprüche verwiesen zu sein, an Gewicht.

(iii) Vertretung der Gesellschaft Die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage ist gegen die GmbH vertreten durch ihre Geschäftsführer zu richten. Auch dann, wenn die Gesellschaft einen Aufsichtsrat hat, wird sie – anders als nach § 246 Abs. 2 Satz 2 AktG – nicht durch diesen (mit)vertreten.101 Wird mit der Klage der Beschluss über die Abberufung eines Geschäftsführers angegriffen, so kann dieser Geschäftsführer die GmbH im Prozess nicht vertreten; ist die GmbH deswegen führungslos, sind zunächst die Gesellschafter nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG zu Passivvertretung berufen. Da diese aber nicht aktiv für die Gesellschaft auftreten können, muss der Kläger dafür sorgen, dass ein Prozesspfleger bestellt wird, damit seine Klage nicht als unzulässig abgewiesen wird. Ein Versäumnisurteil gegen die Gesellschaft mangels Verteidigung ergeht nämlich nicht.102

(iv) Heilung Nach § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG kann die Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses nach § 241 Nr. 1, 3 oder 4 AktG nicht mehr geltend gemacht werden, wenn seit der Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister drei Jahre verstrichen sind. Diese Heilungsregelung findet nach der Rechtsprechung auch auf GmbH-Gesellschafterbeschlüsse Anwendung.103 Im Ergebnis hat dies zur Folge, dass anfänglich nichtige, eintragungspflichtige Beschlüsse doch noch Wirksamkeit erlangen.104 Ei99 Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170 (1174). 100 Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170 (1173, 1174 f.). 101 MünchKomm/GmbHG/Wertenbruch, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 231 m.w.N. 102 BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, NZG 2011, 26. 103 BGH v. 23.3.1981 – II ZR 27/80, NJW 1981, 2125 (2126). 104 Vgl. Spindler/Stilz/Casper, 3. Aufl. 2015, § 242 AktG Rz. 12; Hüffer in MünchKomm/AktG/Schäfer, 3. Aufl. 2013, § 242 Rz. 3 u. 19 f.

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ne Löschung des Beschlusses kann dann nur noch von Amts wegen nach § 398 FamFG durch das Registergericht erfolgen, wenn er durch seinen Inhalt zwingende gesetzliche Vorschriften verletzt – was bei Nichtigkeit der Fall ist – und seine Beseitigung im öffentlichen Interesse erforderlich erscheint (vgl. § 246 Abs. 2 Satz 3 AktG). Dies ist im Sinne der dadurch gewonnenen Rechtssicherheit sehr zu begrüßen. Fraglich ist jedoch, ob nach Ablauf der drei Jahre nicht doch im Einzelfall eine Anpassung des Beschlussergebnisses in Betracht kommt. Dies erscheint auf den ersten Blick jedenfalls dort richtig, wo eine Anpassung nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung bereits praktiziert wird,105 wie etwa im Falle nachträglich unwirksam gewordener Abfindungsklauseln.106 In der Literatur wird hierzu zum Teil vorgetragen, dass derjenige, der mit einer von Anfang an nichtigen Klausel konfrontiert wird, im Vergleich zu demjenigen, der einer später unwirksam gewordenen Klausel ausgesetzt ist, schutzwürdiger sei.107 Dies kann nicht überzeugen, zumal die Heilungswirkung unabhängig davon ist, ob ein Gesellschafter im „Heilungszeitraum“ bereits Gesellschafter war oder später eingetreten ist. Eine Anpassung könnte auch in anderen Fällen ggf. erforderlich sein, wenn aufgrund der Klausel in (relativ) unentziehbare subjektive Rechte eingeriffen wird. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass eine Anpassung den notwendigerweise gebotenen Rahmen nicht überschreitet und nicht zu einer Aushebelung des Gesetzeszweckes von § 242 Abs. 2 AktG führt.108

b) Personengesellschaftsrecht Die Rechtsprechung des BGH wendet die §§ 241 ff. AktG im Personengesellschaftsrecht nicht analog an.109 Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei der jeweiligen Gesellschaft um eine GbR, oHG oder KG handelt und ebenso unabhängig davon, ob es sich um eine typische, personalistische Personengesellschaft oder um eine große Publikumsgesellschaft handelt.110 Dies wirft, gerade im Recht der Publikumsgesellschaften, viele 105 Vgl. auch Winkler, GmbHR 2016, 519 (523). 106 Vgl. BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, GmbHR 1993, 505 (506); BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, GmbHR 1993, 806 (807). 107 Winkler, GmbHR 2016, 519 (523). 108 So auch Geißler, NZG 2006, 527 (529), der sich für eine Anpassung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausspricht. 109 BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, NJW 2011, 2578 (2580). 110 BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NZG 1999, 935.

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Ungereimtheiten und Schwierigkeiten auf, sofern der Gesellschaftsvertrag keine hinreichende Vorsorge getroffen hat, was allerdings möglich ist.111 Teile der Literatur sprechen sich in dieser Folge dafür aus, das kapitalgesellschaftsrechtliche Beschlussmängelrecht auch im Personengesellschaftsrecht Anwendung finden zu lassen.112 Die Frage wird gern darauf zugespitzt, dass aufgrund der vorbenannten Rechtsprechungspraxis im Personengesellschaftsrecht nicht zwischen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen unterschieden werde, so dass hier auch kleine Verfahrensfehler sofort zur Nichtigkeit des Beschlusses führen würden. Dies allerdings ist dadurch etwas entschärft, dass insbesondere Verstöße gegen Verfahrensvorschriften nach der Rechtsprechung unerheblich sind, wenn es sich hierbei um „reine Ordnungsvorschriften“ handelt, die die Belange der Gesellschafter bei der Wahrnehmung ihrer Rechte nicht wesentlich berühren; jedenfalls soll keine Nichtigkeit eintreten, wenn ausgeschlossen werden kann, dass das Zustandekommen des Beschlusses durch den Fehler beeinflusst ist.113 Selbst der Verstoß gegen Form, Frist und Inhalt der Einberufung der Gesellschafterversammlung werden vom BGH als unerheblich angesehen, wenn z.B. die Verspätung der Einladung nur geringfügig ist, so dass auszuschließen ist, dass das Beschlussergebnis anders gewesen wäre, wenn die Ladungsfrist eingehalten worden wäre.114 In jedem Fall verlangt die h.M., dass die Verletzung von Verfahrensvorschriften unverzüglich gerügt wird; anderenfalls soll das Recht zur Berufung auf die Nichtigkeit verwirkt sein.115 Auch wenn man sich hier durch eine Übertragung der zwischendurch doch recht etablierten und ausgereiften Rechtsprechung aus dem Aktien- und GmbH-Recht und die damit verbundene Unterscheidung zwischen Anfechtbarkeit und 111 Vgl. BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, NZI 2009, 907 (908); BGH v. 20.1.1977 – II ZR 217/75, NJW 1977, 1292. 112 Vgl. K. Schmidt, ZGR 2008, 1 (26 f.) u.a. m.w.N.; K. Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 217, 242 f.; Scholz, WM 2006, 897 (904); Schröder, GmbHR 1994, 532 (537). 113 Vgl. BGH v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, NJW 1995, 1353; BGH v. 16.10.2012 – II ZR 251/10, NZG 2013, 57 (62, Rz. 47); BGH v. 11.3.2014, DStR 2014, 1297; (etwas ungenau: „wenn nicht kausal“) MünchKomm/HGB/Enzinger, 4. Aufl. 2016, § 119 Rz. 95. 114 BGH v. 11.3.2014, DStR 2014, 1297 (1298). 115 BGH v. 27.6.1957 – II ZR 15/56, NJW 1957, 1358; BGH v. 26.2.1996 – II ZR 77/95, BGHZ 132, 84 = DStR 1996, 1211; BGH v. 1.3.1999 – II ZR 205/98, WM 1999, 796; BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, WM 1999, 1619; weitere Nachweise bei MünchKomm/HGB/Enzinger, 4. Aufl. 2016, § 119 Rz. 95.

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Nichtigkeit eine etwas größere Rechtssicherheit erhoffen würde, erscheint dies nicht als das dringendste Problem im Beschlussmängelrecht der Personengesellschaft. Praktisch bedeutsamer und „quälender“ scheinen die Fragen der Passivlegitimation im Beschlussmängelstreit, der inter omnes-Wirkung des Urteils und der Frage der vorläufigen Gestaltungswirkung eines (festgestellten?) Gesellschafterbeschlusses. Darauf soll daher im Folgenden näher eingegangen werden:

aa) Passivlegitimation Da eine analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG im Personengesellschaftsrecht nach der Rechtsprechung ausscheidet, sind Beschlussmängel stets mit der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO geltend zu machen (wenn sie nicht inzident im Rahmen einer Unterlassung- oder Leistungsklage vorgebracht werden [können]).116 Die Klage, mit der die Nichtigkeit eines Beschlusses geltend gemacht wird, ist nach der Rechtsprechung des BGH im Grundsatz gegen die Gesellschafter und nicht gegen die Gesellschaft selbst zu richten,117 wenn im Gesellschaftsvertrag nichts anderes geregelt ist.118 Dies gilt im Grundsatz sogar auch bei Publikumsgesellschaften, so dass ein Gesellschafter, der einen Beschlussmangel geltend macht, ggf. auch 250 oder mehr Mitgesellschafter verklagen müsste, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag nichts anderes ergibt. Die Rechtsprechung hilft hier mit einer relativ großzügigen Auslegung des Gesellschaftsvertrages,119 doch wenn auch diese nicht weiterhilft, bleibt es dabei, dass gegen alle Mitgesellschafter zu klagen ist. Hier beginnt das Problem dann u.U. schon mit der Ermittlung der zustellungsfähigen Adressen, weshalb die Rechtsprechung dem Kommanditisten ein Auskunftsrecht gegen die Komplementärin zuspricht.120 Dennoch ist diese Folge nicht nur für den Kläger, sondern auch für die anderen Kommanditisten, die sich als reine Kapitalanleger verstehen und sich trotz116 BGH v. 30.6.1966 – II ZR 149/64, WM 1966, 1036; BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NJW 1999, 3113 (3114). 117 BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, NJW 2011, 2578; BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08 (Schutzgemeinschaftsvertrag II), BGHZ 179, 13, Rz. 8 = DStR 2009, 280; BGH v. 13.2.1995 – II ZR 15/94, NJW 1995, 1218; BGH v. 13.7.1981 – II ZR 56/80, NJW 1981, 2565; a.A. Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Goette, 3. Aufl. 2014, § 119 HGB Rz. 81. 118 Vgl. auch MünchKomm/BGB/Schäfer, 6. Aufl. 2013, § 709 Rz. 114 m.w.N. 119 Vgl. etwa BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/99, NZG 1999, 935 (936). 120 Zur GbR BGH v. 21.9.2009 – II ZR 264/08, NJW 2010, 439 f.; zum Treuhandkommanditisten BGH v. 11.1.2011 – II ZR 187/09, NJW 2011, 921 f.

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dem einem solchen Beschlussmangelstreit als Partei ausgesetzt sehen (mit dem damit verbunden Aufwand, Anwaltskosten etc.), unangenehm und ist sicherlich nicht effizient. Es spricht daher viel dafür, unabhängig von konkreten Hinweisen im Gesellschaftsvertrag,121 bei Publikumsgesellschaften stets die Klage gegen die Gesellschaft für zulässig und ausreichend anzusehen. Wie aber erkennt man, dass man es mit einer Publikumsgesellschaft zu tun hat? Eine abschließende Begriffsbestimmung existiert bislang nicht. Der BGH geht von einer Publikumsgesellschaft aus, wenn es der Gesellschaft an einem „geschlossenen Gesellschafterkreis“ fehlt und die Gesellschaft bei Gründung darauf angelegt ist, eine unbestimmte Vielzahl von Investoren aufzunehmen.122 Weiteres Indiz kann die Trennung von Leitungsorganen und Gesellschafterversammlung sein.123 Im Gegensatz zur personalistisch strukturierten Gesellschaft ist die Publikumsgesellschaft somit körperschaftsähnlich. Das sollte als Merkmal in der Tat ausreichen, denn damit ist hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass es an einer persönlichen Beziehung zwischen den Gesellschaftern, die einen Beschlussmängelstreit zu einer „persönlichen“ Auseinandersetzung zwischen ihnen macht, fehlt. Nach anderer Ansicht reicht alleine die Tatsache, dass nach dem Gesellschaftsvertrag Mehrheitsbeschlüsse möglich sind, aus um anzunehmen, dass die Klage gegen die Gesellschaft zu richten ist.124 Das allein überzeugt aus Sicht der Praxis nicht. Denn auch wenn Mehrheitsbeschlüsse möglich sind, spricht aus praktischer Sicht manches dafür, den Rechtsstreit unter den Gesellschaftern zu führen, wenn es sich um einen überschaubaren Gesellschafterkreis handelt. Denn der Kläger, insbesondere wenn er der Mehrheitsgesellschafter ist, wird dann häufig zugleich der geschäftsführende Gesellschafter (oder deren Geschäftsführer bei der GmbH & Co KG) sein und muss dann quasi gegen sich selbst klagen. Das löst nicht nur für die beratenden Anwälte berufsrechtlich relevante Interessenkonflikte aus – das wäre im Ergebnis wie auch im 121 Zur Zulässigkeit der Übernahme des kapitalgesellschaftsrechtlichen Klagesystems aufgrund Gesellschaftsvertrags: BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, NJW 2011, 2578 (2580); Baumbach/Hopt/Roth, 37. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 32; Oetker/Weitemeyer, HGB, 4. Aufl. 2015, § 119 Rz. 58 m.w.N.; dagegen: MünchKomm/HGB/Enzinger, 4. Aufl. 2016, § 119 Rz. 97; Henssler/ Strohn/Finckh, 3. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 59. 122 BGH v. 7.11.1977 – II ZR 105/76, NJW 1978, 755; vgl. auch BGH v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, NJW 1995, 1353 (1354 f.). 123 Vgl. K. Schmidt, ZGR 2008, 1 (13). 124 K. Schmidt, ZGR 2008, 1 (28).

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GmbH-Recht hinzunehmen –, sondern führt auch zu administrativem Aufwand, wenn für die Klage besondere Prozessvertreter bestimmt werden müssen. Auch in anderen Gesellschaften, z.B. großen Familiengesellschaften mit 100 und mehr Kommanditisten, mag es ein ähnliches Bedürfnis geben, eine Klage gegen die Gesellschaft zuzulassen, doch ist es hier schwierig, eine Zahl von Gesellschaftern zu definieren, bei deren Überschreiten eine Klage gegen die Gesellschaft erforderlich und ausreichend ist. Soll man für die erforderliche Größe einer „Publikumsgesellschaft“ an eine Höchstzahl von 30 Gesellschaftern, die nach Recht von Delaware die relevante Grenzue darstellen, oder 100 Gesellschaftern, die für die S.A.R.L. nach französischem Recht125 erforderlich sind oder an die Höchstzahl von 50 Aktionären in der geschlossen Aktiengesellschaft (ZAO) nach russischem Recht anknüpfen? Eine pauschale Antwort ist schwierig – vermutlich läge sie wohl bei eher 30 als 100 – so dass eine Abgrenzung ohne eine gesetzliche Regelung schwer fällt. Hier, bei den großen aber personalistisch strukturierten Gesellschaften, ist dann im Zweifelsfall wohl doch ein hinreichender Hinweis im Gesellschaftsvertrag erforderlich, um die Beschlussmängelklage gegen die Gesellschaft möglich zu machen. Ist die Klage nach aktueller Rechtsprechung (und zumindest für personalistische Gesellschaften nach hier vertretenen Ansicht auch in Zukunft) gegen die Gesellschafter zu richten, so nimmt die Rechtsprechung jedoch an, dass die Klage nicht notwendig gegen alle Gesellschafter zu richten ist. Vielmehr soll eine Klage gegen diejenigen ausreichen, die der Auffassung des klagenden Gesellschafters, ein Beschluss sei nichtig (oder umgekehrt wirksam zustande gekommen) widersprochen haben.126 Zumindest dies aber ist endgültig zweifelhaft. Wie soll verlässlich festgestellt werden, ob ein Gesellschafter nur vorläufig oder endgültig dem klagenden Gesellschafter widerspricht und ob er bei seiner Meinung bleibt? Dies ist besonders kritisch, weil das Urteil im Feststellungsprozess nach ständiger Rechtsprechung nur unter den Parteien des Rechtsstreits wirkt und das Urteil keine Wirkung für sämtliche Gesellschafter entfaltet. Kon125 Vgl. die Nachweise bei Bachmann/Eidenmüller/Engert/Fleischer/Schön, Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft, ZGR Sonderheft 18, 4 f., Fn. 4. 126 OLG Hamburg, BB 1967, 1267; ebenso Schäfer in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 709 Rz. 113; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Goette, 3. Aufl. 2014, § 119 HGB Rz. 77.

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sequenterweise müssten daher doch alle Gesellschafter am Prozess beteiligt werden, wenn diese nicht bindend erklärt haben, sich auch ohne Parteistellung an das Ergebnis gebunden zu fühlen.

bb) Inter omnes-Wirkung des Urteils? Die Entscheidung über die allgemeine Feststellungsklage wirkt nach allgemeiner Auffassung nur gegen die Gesellschafter, gegen die sie gerichtet war, d.h. lediglich inter partes.127 Die Gesellschafter sollen auch keine notwendigen Streitgenossen i.S.v. § 62 ZPO sein, so dass auch deswegen an dem Verfahren über die Feststellungsklage nicht zwingend sämtliche Mitglieder der Personengesellschaft zu beteiligen sind.128 Selbst wenn der Gesellschaftsvertrag anordnet, dass die Klage gegen die Gesellschaft zu richten ist, führt dies nach der Rechtsprechung nicht dazu, dass das Urteil als Gestaltungsurteil gegen alle Gesellschafter wirkt. Diese sollen vielmehr nur schuldrechtlich verpflichtet sein, sich dem Urteil zu unterwerfen.129 Dies ist eine rechtliche „Krücke“, die dogmatisch nicht recht überzeugt und praktisch unnötig kompliziert ist. Die Rechtskrafterstreckung hat der BGH wiederholt verneint, auch dann, „wenn aus Gründen der Logik eine einheitliche Entscheidung gegenüber nicht am Rechtsstreit beteiligten Personen notwendig oder wünschenswert sei“.130 Da sich der Gesetzgeber dem Beschlussmängelrecht jedoch bislang nicht ausdrücklich gewidmet hat, ist jedenfalls von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen. Die besseren Argumente sprechen daher dafür, (i) im Verfahren gegen die Gesellschafter alle als notwendige Streitgenossen i.S.v. § 62 ZPO anzusehen und (ii) einem Urteil gegen die Gesellschaft, wenn diese verklagt werden kann, Bindungswirkung gegenüber allen Gesellschaftern

127 Henssler/Strohn/Finckh, 3. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 59 ff.; MünchKomm/ HGB/Enzinger, 4. Aufl. 2016, § 119 Rz. 97; a.A. Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn/Goette, 3. Aufl. 2014, § 119 HGB Rz. 81. 128 BGH v. 15.6.1959 – II ZR 44/58, NJW 1959, 1683; BGH v. 9.11.1998 – II ZR 213/97, NJW 1999, 571 (572) = WM 1999, 79 (80); Schäfer in MünchKomm/ BGB, 6. Aufl. 2013, § 709 Rz. 113; MünchKomm/HGB/Enzinger, 4. Aufl. 2016, § 119 Rz. 97; a.A. K. Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 217, 236. 129 BGH v. 13.2.1995 – II ZR 15/94, NJW 1995, 1218; BGH v. 30.4.1984 – II ZR 293/83, NJW 1984, 2104. 130 BGH v. 16.4.2015 – I ZB 3/14, NZG 2015, 1242 (1245); vgl. auch BGH v. 15.6.1959 – II ZR 44/58, BGHZ 30, 195 = NJW 1959, 1683 (1684 f.).

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zuzubilligen, insofern in einer Analogie zum Aktien- oder – wem das lieber ist – zum GmbH-Recht.131

cc) Klagefrist/Verwirkung Im Personengesellschaftsrecht gibt es nach der Rechtsprechung für die Geltendmachung von Beschlussmängeln keine gesetzlichen oder am Leitbild des § 246 AktG orientierten Klagefristen.132 Die Geltendmachung des Mangels kann jedoch nach allgemeinen Grundsätzen verwirkt sein. Die Rechtsprechung hält hierbei Verwirkungsfristen zwischen sechs Monaten und bis zu drei Jahren für angemessen.133 Im Gesellschaftsvertrag kann allerdings eine Frist für die Geltendmachung vorgesehen werden, jedoch darf diese nicht unter einem Monat liegen.134 Blickt man zurück auf das, was wir soeben zur GmbH betrachtet haben, erstaunt auch dies wieder: Im Personengesellschaftsrecht wird einheitlich von der Nichtigkeit fehlerhafter Beschlüsse ausgegangen. Das heißt, schwerwiegende wie weniger schwerwiegende Mängel werden grundsätzlich, sofern sie überhaupt relevant sind, gleich behandelt. Dennoch wird hier die Anordnung einer Monatsfrist für die Klage zugelassen, während diese angeblich bei der GmbH jedenfalls für Nichtigkeitsgründe nicht zulässig sein soll. Das OLG Celle hat daraus folgendes geschlossen: Sieht der Gesellschaftsvertrag einer Publikumspersonengesellschaft vor, dass die Unwirksamkeit von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung binnen einer bestimmten Frist gerichtlich angefochten werden muss, soll für dieses der Beschlussanfechtungsklage des Kapitalgesellschaftsrechts nachgebildete Verfahrenserfordernis die Differenzierung zwischen Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründen gelten. Unheilbar nichtige Beschlüsse unterliegen demnach (ebenso wie unwirksame Beschlüsse)135 nicht dem Erfordernis einer befristeten Beschlussanfechtung.136 Das ist sehr weitgehend und nicht unzweifelhaft. In der Gestaltung des Gesellschaftsvertrages sollte dem Rechnung getragen werden, d.h. die Fristen-

131 Ebenfalls für eine Analogie zum Aktienrecht: Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn/Goette, 3. Aufl. 2014, § 119 HGB Rz. 82. 132 BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NZG 1999, 935. 133 BGH v. 28.1.1991 – II ZR 20/90, NJW 1991, 1890. 134 BGH v. 13.2.1995 – II ZR 15/94, NJW 1195, 1218 f. 135 Vgl. K. Schmidt, ZGR 2008, 1 (30). 136 OLG Celle v. 21.12.2005 – 9 U 96/05, NJW-RR 2006, 539.

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regelung sollte deutlich machen, für welche „Arten“ von Mängeln sie Wirkung entfalten soll.

dd) Gestaltungswirkung/vorläufige Beschlusswirkungen? Da nach der h.M. fehlerhafte Beschlüsse im Personengesellschaftsrecht stets nichtig und damit von vornherein unwirksam sind, und zudem nicht zwischen Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründen unterschieden wird, kommt dem Feststellungsurteil im Personengesellschaftsrecht keine Gestaltungswirkung zu. Es stellt lediglich die ohnehin vorhandene Nichtigkeit des Beschlusses fest. Der Beschluss kann, wenn nicht ausnahmsweise die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft eingreifen, bis dahin nicht als wirksam angesehen werden. Dies ist unbefriedigend und auch dogmatisch nicht überzeugend, wie von anderen bereits dargelegt wurde.137 Die Lage wird dadurch erschwert, dass es nicht einmal der Gestaltungspraxis gestattet wird, hiervon im Gesellschaftsvertrag abzuweichen und festzulegen, dass der Beschluss bis zum Erfolg einer gegen ihn gerichteten Klage wirksam ist. Eine solche Regelung wird als unzulässig angesehen, weil Gestaltungsklagen nicht durch rechtsgeschäftliche Vereinbarungen der Partei quasi „erfunden“ werden könnten.138 Dieses Argument aber kann aus zwei Gründen nicht überzeugen: Zum einen zeigt schon die Rechtsprechung zum GmbH-Recht, dass die Gerichte zumindest anerkennen, dass im Wege der Rechtsfortbildung weitere Fälle der Gestaltungsklagen geschaffen werden können. Dies sollte auch im Personengesellschaftsrecht geschehen. Zum anderen ließe sich eine entsprechende Klausel auch dahingehend verstehen, dass keine Gestaltungswirkung im engeren Sinne mit dem Urteil verbunden wird, die Gesellschafter sich aber untereinander bis zur gerichtlichen Entscheidung so behandeln, als sei ein von ihnen gefasster Beschluss wirksam. Geht man zudem mit der hier vertretenen Auffassung davon aus, dass die gerichtliche Feststellung bindende Wirkung gegenüber allen Gesellschaftern entfaltet, so ist dem Urteil doch zumindest rein faktisch gestaltende Wirkung zuzuschreiben, auch wenn es sich der Natur nach nicht um eine Gestaltungsklage handelt.

137 Scholz, WM 2006, 897 (900); K. Schmidt, ZGR 2008, 1 (31); Gaul, DStR 2009, 804 (807) jew. m.w.N. 138 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 61/89, NJW-RR 1990, 474 (475); ebenso Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn/Freitag, 3. Aufl. 2014, § 119 HGB Rz. 80.

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III. Vorschläge der Literatur, insbesondere Beschlüsse des Juristentags In der Praxis und Literatur wird die Lösung der Rechtsprechung zu Beschlussmängelstreitigkeiten insbesondere im Personengesellschaftsrecht häufig als unbefriedigend empfunden. Insbesondere die Fragen der Gestaltungswirkung des Urteils, der generellen Nichtigkeit von fehlerhaften Gesellschafterbeschlüssen und die Fragen der generellen Geltung einer Klagefrist werden vielfach kritisch gesehen. Dabei mehren sich die Stimmen derjenigen, die für eine analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG auf die Personengesellschaften eintreten.139 Auch auf dem 71. Deutschen Juristentag ist über die Frage diskutiert worden, ob eine Reform des Beschlussmängelrechts im Personengesellschaftsrecht angezeigt ist. Zwar hat sich Carsten Schäfer in seinem Gutachten dieser Position nicht angeschlossen.140 Aus der Praxis wurden jedoch andere Stimmen laut. So hatte insbesondere Gabriele Roßkopf in ihrem Referat die Forderung erhoben, auch bei Personengesellschaften, jedenfalls bei eingetragenen, sollten Beschlussmängel nicht automatisch zur Nichtigkeit führen sondern grundsätzlich durch eine befristete Anfechtungsklage gegenüber der Gesellschaft geltend zu machen sein.141 Beschlossen wurde schließlich142 mit großer Mehrheit, dass Beschlussmängel bei rechtsfähigen Personengesellschaften nicht automatisch zur Nichtigkeit führen, sondern durch eine befristete Anfechtungsklage gegenüber der Gesellschaft geltend zu machen sein sollen. Dies solle im Zuge einer Reform des gesamten Beschlussmängelrechts geregelt werden. Darüber hinaus hat sich der Juristentag aber auch mit dem Innenrecht der Personengesellschaften außerhalb der Beschlussmängelstreitigkeiten beschäftigt. Wieder war es Gabriele Roßkopf, die aus Sicht der anwaltlichen Beratungspraxis forderte, dass durch ein Mindestmaß an dispositiven Regelungen auch für Gesellschaften mit lückenhaften Gesellschaftsverträgen eine rechtssichere und in der Praxis funktionierende Basis vorhanden 139 Dafür insbesondere: K. Schmidt, ZGR 1, 33; Gaul, DStR 2009, 804 (809); K. Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 217 ff.; MünchKomm/HGB/Enzinger, 4. Aufl. 2016, § 119 Rz. 99, 106 ff.; (mit Einschränkungen) Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Freitag, 3. Aufl. 2014, § 119 HGB Rz. 82; Scholz, WM 2006, 897 (904). 140 Carsten Schäfer, Gutachten E zum 71. Deutschen Juristentag, S. 108 ff. 141 Thesen im Wirtschaftsrecht 71. Deutscher Juristentag, Thesen zum Referat von Rechtsanwältin Dr. Gabriele Roßkopf, Ziff. 8. 142 Beschlüsse des 71. Deutschen Juristentags, Abteilung E zu IV, Ziff. 9.

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sein müsse. Namentlich hob sie hervor, dass ein Minimum an dispositiven Regelungen für das Beschlussverfahren (Gesellschafterversammlung, Einberufung, Berechnung von Mehrheiten, Stimmverboten) wünschenswert wäre. Sie konkretisierte das dahingehend, dass Mehrheiten (entsprechend den Regelungen in den meisten Gesellschaftsverträgen) nur dann nach Köpfen bemessen werden sollten, wenn Beitrags- oder Beteiligungsquoten nicht ermittelt werden können.143 Dem ist aus Sicht der Praxis unbedingt zuzustimmen.

IV. Praktische Probleme und Gestaltungsmöglichkeiten 1. Der Zeitfaktor Neben der bereits angesprochenen Rechtssicherheit spielt häufig der Zeitfaktor eine besondere Rolle, wenn es darum geht, ein Unternehmen trotz Gesellschafterstreits weiter wirtschaftlich erfolgreich zu führen. Auch die Rechtssicherheit hat bereits einen zeitlichen Aspekt. Durch die gesellschaftsvertraglich vorgesehene oder nach der hier vertretenen Auffassung generell geltende Klagefrist zumindest bei Anfechtungsmängeln und die Anordnung der Notwendigkeit des Widerspruchs in der Versammlung kann erreicht werden, dass relativ schnell Klarheit darüber herrscht, ob ein Gesellschafterbeschluss umstritten ist. Geht ein Gesellschafter jedoch fristgerecht gerichtlich gegen einen Beschluss vor, sollte idealerweise schnell geklärt werden, was zumindest vorläufig bis zur finalen Entscheidung gilt; und auch die finale Entscheidung sollte nicht zu lange auf sich warten lassen. Angesichts der Verfahrensdauer, die zumindest außerhalb von einstweiligen Verfügungsverfahren vor deutschen Gerichten inzwischen angesichts der Komplexität und der Menge der Arbeitslast herrschen, ist diese Geschwindigkeit nicht immer gewährleistet. Deswegen sollte überlegt werden, ob es nicht doch einfacher möglich sein sollte, durch einstweilige Verfügung zumindest die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zu erreichen. Die Gerichte sind hier wegen der Gefahr der Vorwegnahme der Hauptsache und auch wohl deswegen zurückhaltend, weil es vielfach für unangemessen gehalten wird, dass das Gericht seine eigene (letztlich doch individuelle) Auffassung an die Stelle der Meinungsbildung der Gesellschafter setzt. Da die Autonomie der Willensbildung und der Willensäußerung im Gesellschaftsrecht rechtlich gewährleistet ist, sei im materiellen Recht keine 143 Thesen zum Referat von Rechtsanwältin Dr. Gabriele Roßkopf, Ziff. 1 und Ziff. 7.

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Norm enthalten, die Eingriffe in die Willensbetätigung und Willensäußerung der Gesellschafter vorsehe.144 Verfügungen, die auf den Willensbildungsprozess beziehungsweise die Willensäußerung der Gesellschafter Einfluss nehmen, etwa indem durch sie angeordnet wird, das Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung in einem bestimmten Sinne auszuüben, sollen daher grundsätzlich nicht möglich sein.145 Eine andere Beurteilung kann jedoch, neben Fällen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, immer dann geboten sein, wenn innerhalb der Gesellschaft wirksame und somit auf dem Rechtsweg durchsetzbare Stimmrechtsbindungsverträge vorliegen.146 Nach anderer Ansicht soll ausnahmsweise eine Einwirkung auf die gesellschaftsrechtliche Willensbildung möglich sein, wenn die Rechtslage eindeutig ist oder wenn ein besonderes Schutzbedürfnis des betroffenen, antragstellenden Gesellschafters besteht.147 Davon abgesehen ist jedoch ohne weiteres nicht damit zu rechnen, dass sich die Praxis der Gerichte deutlich ändern wird. Von daher steht die Gestaltungspraxis vor der Aufgabe, andere Lösungen zu entwickeln. Es kann sich daher anbieten, anstelle der ordentlichen Gerichtsbarkeit die Klärung von Gesellschafterstreitigkeiten durch Schiedsverfahren vorzusehen.148 Wichtig ist dabei, dass die Schiedsvereinbarung den Maßstäben gerecht wird, die die Rechtsprechung an die Behandlung von Beschlussmängelstreitigkeiten stellt. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass auch bei einer Klage gegen die Gesellschaft sämtliche Gesell144 Drescher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2012, § 935 ZPO Rz. 45. 145 KG v. 19.10.2004 – 14 W 49/04, NZG 2005, 83; OLG Frankfurt v. 15.12.1981 – 5 W 9/81, GmbHR 1982, 237; OLG Saarbrücken v. 30.6.1989 – 4 U 2/89, NJW-RR 1989, 1512 (1513); OLG Koblenz v. 25.10.1990 – 6 U 238/90, NJW 1991, 1119; Drescher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2012, § 935 ZPO Rz. 45; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rz. 202; Henssler/Strohn/Drescher, 3. Aufl. 2016, § 246 AktG Rz. 53. 146 Drescher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2012, § 935 ZPO Rz. 45; Henssler/ Strohn/Drescher, 3. Aufl. 2016, § 246 AktG Rz. 53. 147 OLG Saarbrücken v. 30.6.1989 – 4 U 2/89, NJW-RR 1989, 1512 (1513) m.w.N.; OLG Düsseldorf v. 18.5.2005 – 15 U 202/04, NZG 2005, 633 (634); OLG Frankfurt v. 1.7.1992 – 17 U 9/91, GmbHR 1993, 161; OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 65/91, NJW 1992, 186; OLG München v. 20.7.1998 – 23 W 1455/98, NZG 1999, 407 m. Anm. Michalski/Schulenburg. 148 Vgl. BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08 (Schiedsfähigkeit II), NJW 2009, 1962; BGH v. 16.4.2015 – I ZB 3/14, NZG 2015, 1242; a.A. noch BGH v. 29.3.1996 – II ZR 124/95 (Schiedsfähigkeit I), NJW 1996, 1753; zu den Anforderungen an Schiedsklauseln in Gesellschaftsverträgen vgl. auch OLG Frankfurt v. 9.9.2010 – 26 SchH 4/10, NJW-Spezial 2011, 112.

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schafter über den Rechtsstreit informiert werden und sie sich am Verfahren beteiligen können. Außerdem muss – zumindest bei der GmbH – eine inter omnes-Wirkung des Schiedsurteils hergestellt werden.149 Dies setzt voraus, dass (i) die Schiedsabrede mit Zustimmung aller Gesellschafter in der Satzung verankert wurde oder außerhalb der Satzung vereinbart worden ist, (ii) jeder Gesellschafter über die Einleitung des Verfahrens informiert wird, um entscheiden zu können, ob er dem Schiedsverfahren als Nebenintervenient oder als Partei beitritt, (iii) alle Gesellschafter an der Auswahl der Schiedsrichter beteiligt sind, und (iv) gewährleistet ist, dass alle denselben Streitgegenstand betreffenden Beschlussmängelstreitigkeiten bei einem Schiedsgericht konzentriert sind.150 Die deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) hat darauf bereits vor einigen Jahren reagiert und spezielle Schiedsordnungen für die Behandlung von Gesellschafterstreitigkeiten entwickelt. Es handelt sich um die DIS ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten 09 (ERGeS)151. Doch auch ein Schiedsgerichtsverfahren kann sich lange hinziehen. Daher wäre es zu begrüßen, wenn auch die Geltung der ergänzenden Regeln für beschleunigte Verfahren der DIS152 oder vergleichbare Regelungsinstrumente auch im Gesellschafterstreit anerkannt würden. Für die Personengesellschaften eignen sich die DIS-Regeln über gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten vor allen Dingen dann, wenn im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist, dass die Klage gegen die Gesellschaft zu richten ist. Auch außerhalb des Stadiums, in dem die Gesellschafter bereits gerichtlich bzw. schiedsgerichtlich über die Wirksamkeit der Beschlüsse streiten, ist Zeit oft ein kritischer Faktor. Dies gilt sowohl bei Eilmaßnahmen, die sich gegen bestimmte Gesellschafter richten, weil diese z.B. wegen schwerwiegender Untreue zu Lasten der Gesellschaft von der Geschäftsführung oder gar aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden sollen, als auch für dringende Entscheidungen über zustimmungsbedürftige Maßnahmen der Geschäftsführung. Hier kommt es im Gesellschafterstreit häufig dazu, dass die Gesellschafterversammlungen boykottiert 149 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08 (Schiedsfähigkeit II), NJW 2009, 1962, Rz. 19 ff. 150 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08 (Schiedsfähigkeit II), NJW 2009, 1962 (1264); vgl. auch Berger, SchiedsVZ 2009, 289 (295). 151 Abrufbar unter: http://www.dis-arb.de/de/16/regeln/dis-erg%C3%A4nzen de-regeln-f%C3%BCr-gesellschaftsrechtliche-streitigkeiten-09-erges-id5. 152 Abrufbar unter: http://www.dis-arb.de/en/16/regeln/dis-erg%C3%A4nzen de-regeln-f%C3%BCr-beschleunigte-verfahren-08-erbv-id3.

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werden, um die Beschlussunfähigkeit herzustellen, sofern diese geregelt ist. Es ist ganz üblich, dass der Gesellschaftsvertrag eine Regelung enthält, nach der für die Gesellschafterversammlung grundsätzlich ein Quorum notwendig ist, das dieses aber für eine zweite Gesellschafterversammlung die mit gleicher Tagesordnung einberufen wird, keine Geltung mehr hat. Teilweise sind Fristen geregelt, innerhalb derer die zweite Gesellschafterversammlung einzuberufen ist. In den meisten Fällen ist aber auch für die zweite Gesellschafterversammlung dann erneut die gesamte Ladungsfrist des Gesellschaftervertrages, häufig mindestens zwei Wochen, zu wahren. So kann von der ersten Einladung zur ersten Versammlung bis hin zu der (beschlussfähigen) zweiten Versammlung ein Zeitraum von mindestens vier Wochen vergehen, bis es überhaupt zu einer Beschlussfassung kommt. Dies ist in Eilfällen unbefriedigend. Zwar sieht der Gesellschaftsvertrag in vielen Fällen vor, dass in dringenden Fällen die Frist bis auf eine Woche verkürzt werden kann, doch ist gerade bei einer drohenden Auseinandersetzung die Zurückhaltung in der Praxis sehr groß, es darauf ankommen zu lassen, ob die Fristverkürzung später vom Gericht anerkannt wird. Aus Gründen der anwaltlichen Vorsicht wird man daher meistens zur Vermeidung von Risiken die längere Frist einhalten. In der Praxis des Wohnungseigentumsrechts wird mit ähnlichen Regelungen anders umgegangen: Hier werden häufig Einladungen zur ersten und zweiten Versammlung gleichzeitig geschickt und zwar für die zweite Versammlung für den Fall, dass die erste beschlussunfähig gewesen sein sollte. In Extremfällen lautet die Ladung für die zweite Versammlung sogar auf den gleichen Tag wie die Ladung zur ersten Versammlung, nur auf eine spätere Uhrzeit. Die Einberufung der Wiederholungsversammlung wird dort durch § 25 Abs. 4 WEG geregelt. Diese darf grundsätzlich erst nach Feststellung der Beschlussunfähigkeit der Erstversammlung und Beendigung derselben erfolgen. Die Gemeinschaftsordnung soll von dieser Bestimmung jedoch in zulässiger Weise abweichen dürfen, „wenn diese Bestimmung zugleich vorsieht, dass die Wohnungseigentümer bei der (Eventual-) Einberufung darauf hingewiesen werden, dass die Versammlung ohne Rücksicht auf die Zahl der Erschienenen und die Größe der vertretenen Anteile beschlussfähig ist“.153 Die Frage ist, ob dies eigentlich auch im GmbH-Recht oder bei „sonstigen“ Personengesellschaften zulässig wäre. Dies erscheint zweifelhaft und ist im Ergebnis zu vernei153 OLG Köln v. 30.12.1998 – 16 Wx 187/98, MDR 1999, 799; vgl. auch Engelhardt in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 25 WEG Rz. 26.

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nen. Auch im WEG-Recht überzeugt diese Praxis nicht ganz. Denn der Zweck der Vorschriften über das Quorum und die zweite Versammlung ist es ja gerade, dem Gesellschafter, der bei einer Versammlung verhindert ist, die Teilnahme an der zweiten Versammlung effektiv zu ermöglichen. Dies kann kaum der Fall sein, wenn die Versammlung am selben Tag und fast zur gleichen Stunde stattfindet. Hinzu kommt, dass der Gesellschafter erst einmal erfahren müsste, ob er eigentlich zur zweiten Versammlung erscheinen muss oder ob die erste Versammlung nicht doch beschlussfähig war. Wenn ihm dies nicht mitgeteilt wird, ist fraglich, ob die Ladungsfrist eigentlich wirklich gewahrt ist. Denn der Gesellschafter kann nicht wissen, ob er sich auf den Weg zur zweiten Versammlung machen muss. Aus diesen Gründen spricht viel dafür, eine solche Praxis zumindest im GmbH- und auch wohl sonst im Personengesellschaftsrecht nicht anzuerkennen, jedenfalls sofern der Gesellschaftsvertrag das nicht ausdrücklich zulässt. Bei der GmbH müsste allerdings auch dann zumindest die Wochenfrist für die Einladung zur Gesellschafterversammlung gewahrt werden, die das Gesetz in § 51 Abs. 1 Satz 1 GmbHG vorsieht. Zumindest mit dieser Frist müsste der Gesellschafter noch einmal unterrichtet werden, dass die zweite Versammlung stattfindet. Dann aber kann man auch gleich neu einladen. Diese Gedanken geben Anlass zu der Überlegung, dass man im Einzelfall bei der Gestaltung des Gesellschaftsvertrages prüfen sollte, ob man nicht, auch wenn generell eine Frist von zwei Wochen für die Einberufung der Gesellschafterversammlung gilt, zumindest für die zweite Versammlung die Frist auf eine Woche, nämlich die gesetzliche Mindestfrist, verkürzen sollte. Ein weiteres Hindernis in der Vorbereitung der Gesellschafterversammlung kann die Zustellung der Einladung zur Versammlung sein. Sieht man einmal von Extremfällen (wie der Zustellung in außereuropäischen Ländern oder gar Krisengebieten) ab, ist dies in der Regel allerdings zu bewältigen. Empfehlenswert ist, gesellschaftsvertraglich zu regeln, dass eine Zustellung stets an die letzte mitgeteilte Adresse des Gesellschafters erfolgen kann. Selbst wenn eine solche Klausel fehlt, kann nach der Rechtsprechung die wirksame Zustellung an diese Adresse erfolgen, wenn der Gesellschaft ohne Fahrlässigkeit keine andere Zustellanschrift bekannt war.154 Dies gilt selbst dann, wenn bei Versendung Zweifel an 154 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 51 Rz. 4 f.; Henssler/Strohn/Hillmann, 3. Aufl. 2016, § 51 GmbHG Rz. 3; MünchKomm/ GmbHG/Liebscher, 2. Aufl. 2016, § 51 Rz. 12; Wicke/Wicke, GmbHG,

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der Richtigkeit der mitgeteilten Anschrift bestanden.155 Es könnte sich allerdings darüber hinaus insbesondere bei ausländischen Mitgesellschaftern anbieten, im Gesellschaftsvertrag vorzusehen, dass jeder Gesellschafter eine ladungsfähige Anschrift mit einem Zustellungsbevollmächtigten im Inland benennen muss.

2. Die Gewissheit über die Ungewissheit Angesicht der trotz aller Gestaltungsmöglichkeiten zu erwartenden Zeitdauer streitiger Verfahren sollte über Möglichkeiten nachgedacht werden, die Zeit der Ungewissheit durch zumindest vorübergehende Lösungen zu verkürzen. Hier kann zum einen daran gedacht werden, im Gesellschaftsvertrag Schlichtungsverfahren vorzusehen. Auch wenn sich Gesellschafter erfahrungsgemäß im Vorfeld schwer damit tun, sich bei Streitigkeiten dem Diktat Dritter zu unterwerfen, kann es sinnvoll sein, z.B. einem Aufsichtsrat die Entscheidung über die Zustimmung zu bestimmten Geschäften zu überlassen, wenn sich die Gesellschafter nicht einigen könnten und die Wirksamkeit eines Beschlusses im Streit ist. Die Überlegung liegt nahe, ob es nicht besser ist, die Entscheidung in solchen Fällen auf wirtschaftlich erfahrene interne Organe zu verlagern anstatt die Entscheidung im Ergebnis den Gerichten zu überlassen und die Gesellschaft bis dahin zu lähmen. Daneben sind insbesondere aus Joint Venture Verträgen auch Mechanismen bekannt, die bei einem dauerhaften „Deadlock“ Lösungsmöglichkeiten durch den gegenseitigen Herauskauf der Gesellschafter vorsehen. Auch damit hadert man in der Beratungs- und Gestaltungspraxis und es ist sicherlich auch nicht richtig, leichtfertig zu diesem Mittel zu greifen. Aber bei schwerwiegenden Gesellschafterstreitigkeiten sollte auch dieses Verfahren erwogen werden. Im Ergebnis läuft es in Gesellschafterstreitigkeiten ohnehin häufig auf das Ausscheiden einer Seite im Vergleichswege heraus – warum ist man hier nicht mutiger, das auch vorauszuplanen. Einfache und klare Regeln über das (freiwillige) Ausscheiden zu einem angemessenen Preis könnten in manchen Fällen ei-

3. Aufl. 2016, § 51 Rz. 5; demgegenüber wollen Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 51 Rz. 6 ausschließlich die in der Gesellschafterliste vermerkte Adresse für maßgeblich halten. 155 MünchKomm/GmbHG/Liebscher, 2. Aufl. 2016, § 51 Rz. 12.

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nen gangbaren Weg zur Vermeidung von Beschlussmängelstreitigkeiten darstellen. Welcher Rat ist nach alledem einem Geschäftsführer an die Hand zu geben, der vor der schwierigen Entscheidung steht, einen möglicherweise formell oder gar materiell rechtswidrigen Gesellschafterbeschluss im Rahmen einer Geschäftsführungshandlung umzusetzen oder das Ergebnis einer – im Zweifel langwierigen – gerichtliche Überprüfung abzuwarten? Die Antwort steht in einem engen Zusammenhang mit der eingangs erörterten Problematik, ob dem Beschlussergebnis eine vorläufige Wirksamkeit – im Zweifel durch Mehrheitsbeschluss – zuzusprechen ist und unterstreicht zugleich das bereits an anderer Stelle hervorgehobene Bedürfnis nach Rechtssicherheit. Insofern ist die Aufforderung zu wiederholen, im Gesellschaftsvertrag Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass das Gesetz eine vorläufige Wirksamkeit rechtswidriger Beschlüsse, wie etwa im Personengesellschaftsrecht, nicht vorsieht. Allerdings ist bei Kenntnis der Rechtswidrigkeit ein schuldhaft pflichtwidriges Verhalten und somit eine Haftung des Geschäftsführers nicht auszuschließen, wenn die Umsetzung des (im Ergebnis fehlerhaften) Beschlusses eine Schädigung der Gesellschaft zur Folge hat. Ist er sich selbst in der Bewertung des Beschlusses nicht sicher, kann er qualifizierten Rechtsrat zur Frage der Wirksamkeit des Beschlusses einholen und so – sollte sich nachträglich dennoch die Unwirksamkeit herausstellen – zumindest den Verschuldensvorwurf aus dem Weg räumen. Parallel könnte er den Gesellschafter, der von der Wirksamkeit des Beschlusses überzeugt ist und auf seinen Vollzug dringt, um Freistellung von einer etwaigen Haftung bitten oder – bei rein formellen Mängeln – auf einen Bestätigungsbeschluss drängen. Im schlimmsten Fall bleibt ihm wohl nur die (vorübergehende) Amtsniederlegung, die in der Praxis allerdings selten eine echte Option ist.

V. Zusammenfassende Thesen Da das Beschlussmängelrecht im GmbH- und vor allem im Personengesellschaftsrecht noch nicht ausgereift ist, besteht besonderer Bedarf an einer vorausschauenden und ausgewogenen Gestaltung im Gesellschaftsvertrag. Hier ist die Gestaltungspraxis gefragt, um den Gesellschaften möglichst gut und effizient zu Rechtssicherheit zu verhelfen und Streitigkeiten idealerweise bereits vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu klären.

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GmbH-Recht 1. Die Befugnis zur förmlichen Beschlussfeststellung kann einem Versammlungsleiter nur durch eine hinreichend klare Regelung im Gesellschaftsvertrag oder durch Gesellschafterbeschluss verliehen werden. Hinsichtlich der Wahl des Versammlungsleiters sollten sich die Gesellschafter bereits frühzeitig im Gesellschaftsvertrag auf eine neutrale Person einigen. 2. Bei der Entscheidung über die Wahl oder Abwahl eines Gesellschafters als Versammlungsleiter aus Anlass eines ihn betreffenden Interessenkonflikts sollte dieser von seinem Stimmrecht ausgeschlossen sein. Für den Fall, dass das Stimmverbot nicht offenkundig ist, sollte es ähnlich wie bei der AG auch im GmbH-Recht grundsätzlich unschädlich sein, wenn ein Beschluss zur Abwahl des Versammlungsleiters nicht zur Abstimmung gestellt oder falsch festgestellt worden ist. Der nicht durch Satzung legitimierte Versammlungsleiter sollte jedenfalls dann vom Stimmrecht über seine Abberufung ausgeschlossen sein, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und dieser substantiiert dargelegt worden ist. 3. Auf Beschlussmängelstreitigkeiten im GmbH-Recht sind die §§ 241 ff. AktG entsprechend anzuwenden. Dies sollte entgegen der derzeitigen h.M. unabhängig davon gelten, ob eine formelle Beschlussfeststellung erfolgt ist. 4. Für die Zulässigkeit der Anfechtungsklage sollte auch auf Basis der derzeit h.M. die Einigung der Gesellschafter, dass ein bestimmtes Beschlussergebnis erreicht worden ist, ausreichen. Eine formelle Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter oder mittels Protokoll ist nicht erforderlich. 5. Hält man mit der h.M. eine allgemeine (Beschluss-)Feststellungsklage für erforderlich, wenn es an einer Beschlussfeststellung mangelt, sollte aus Gründen der Rechtssicherheit zumindest für die Geltendmachung von weniger schweren Mängeln, die nicht analog § 241 AktG zur Anfechtbarkeit führen würden, auch für die allgemeine (Beschluss-)Feststellungsklage eine einmonatige Klagefrist analog § 246 Abs. 1 AktG gelten, wobei die Frist nicht vor Kenntniserlangung durch den Kläger zu laufen beginnt. 6. Auf die Anfechtungsbefugnis sind die §§ 241 ff. AktG dem Grundsatz nach entsprechend anwendbar. Dem (späteren) Kläger sollte es dabei entsprechend § 246 Nr. 1 AktG obliegen, die formelle bzw. materielle Fehlerhaftigkeit bereits während der Versammlung zu rügen, wobei ihn diesbe-

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züglich die Beweislast trifft. Dies gilt auch dann, wenn keine Protokollierung des Widerspruchs erfolgt ist. 7. Sind seit der Eintragung des GmbH-Gesellschafterbeschlusses in das Handelsregister drei Jahre vergangen, kann die Nichtigkeit des Beschlusses analog § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht mehr geltend gemacht werden. 8. Auch für die Geltendmachung der Nichtigkeit eines Beschlusses durch die GmbH-Gesellschafter sollte der Gesellschaftsvertrag eine Frist anordnen können, die unterhalb der 3-Jahres-Frist für die Heilung nach § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG liegt. Dies gilt nicht im Hinblick auf die Geltendmachung von Nichtigkeitsmängeln durch Dritte. 9. Nichtige Gesellschafterbeschlüsse, die analog § 242 Abs. 2 AktG geheilt worden sind, sind grundsätzlich wirksam, und können im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung inhaltlich angepasst werden, wenn der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung der Gesellschafter dies gebietet. 10. Auf GmbH-Gesellschafterstreitigkeiten sollte aufgrund der Vergleichbarkeit der Rechtsfolgen von Beschlussmängelklagen im Aktien- und GmbH-Recht das Freigabeverfahren analog § 246a AktG angewendet werden, wobei eine Ausnahme für das in § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG vorgeschriebene Mindestquorum gilt. Im Rahmen der Interessenabwägung ist auf die Beteiligungshöhe des klagenden Gesellschafters sowie die Gesellschafterstruktur Rücksicht zu nehmen. Personengesellschaftsrecht 1. Entgegen der gesetzlichen Grundregel sehen viele Gesellschaftsverträge (auch) die Beschlussfassung nach der Mehrheit der Stimmen vor. Die Stimmen richten sich in der Regel nach den Kapitalanteilen. Bei Mehrheitsbeschlüssen ist allerdings sicherzustellen, dass das Verfahren einen hinreichenden Minderheitenschutz bietet. Dafür wären Verfahrensregelungen im Gesetz zu begrüßen. Da es hieran derzeit mangelt, liegt hier eine Aufgabe für die Gestaltungspraxis. 2. Für die Personengesellschaften kann sich die Befugnis zur Mehrheitsentscheidung aus jeder Vereinbarung der Gesellschafter ergeben, die einer dahingehenden Auslegung zugänglich ist. Darüber hinaus sollte der Gesellschaftsvertrag jedoch hinreichende Verfahrensregeln enthalten, um den notwendigen Minderheitenschutz auch auf formeller Ebene zu gewährleisten. Im Übrigen sollten die §§ 47 ff. GmbHG als Modell dienen.

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3. Neben den gesetzlich geregelten Stimmverboten der §§ 113 Abs. 2, 117, 127, 140 HGB sind im Personengesellschaftsrecht die Tatbestände des § 47 Abs. 4 GmbHG entsprechend anwendbar. 4. Jedenfalls bei Publikumspersonengesellschaften sollte auch unabhängig von konkreten Hinweisen im Gesellschaftsvertrag die Klage wegen Beschlussmängeln gegen die Gesellschaft zu richten sein. 5. Ist die Klage gegen die Gesellschafter gerichtet, sollten diese – entgegen der h.M. – als notwendige Streitgenossen i.S.v. § 62 ZPO anzusehen sein, vorausgesetzt, dass der Urteilsinhalt notwendigerweise in die Rechtsposition sämtlicher Gesellschafter eingreift. Ist die Klage gegen die Gesellschaft gerichtet, sollte das Urteil in analoger Anwendung der §§ 248 Abs. 1, 249 Abs. 1 AktG für und gegen alle Gesellschafter wirken (inter omnes-Wirkung des Urteils), auch wenn diese nicht Partei des Rechtsstreits sind. Ihnen ist aber Gelegenheit zur Beteiligung zu geben. 6. Der Gesellschaftsvertrag sollte anordnen können, dass im Rahmen der Gesellschafterversammlung gefasste Beschlüsse bis zu ihrer endgültigen gerichtlichen Überprüfung als wirksam zu behandeln sind. 7. Beschlussmängelstreitigkeiten können kraft einer Schiedsvereinbarung im Gesellschaftsvertrag oder einer außerhalb der Satzung unter Mitwirkung aller Gesellschafter und der Gesellschaft getroffenen Individualabrede „schiedsfähig“ sein, sofern und soweit das schiedsgerichtliche Verfahren in einer dem Rechtsschutz durch staatliche Gerichte gleichwertigen Weise ausgestaltet ist. Die Schiedsabrede kann ein Weg sein, für eine möglichst schnelle Befriedung und Streitlösung zu sorgen. Allgemeine Schlussfolgerung Die Rechtsprechung sollte – bis zu einem etwaigen Tätigwerden des Gesetzgebers – den eingeschlagenen Weg der analogen Anwendung der §§ 241 ff. AktG konsequent fortsetzen, um Beschlussmängelstreitigkeiten schnell zu entscheiden und den Gesellschaften eine „Übergangslösung“ durch die vorläufige Wirksamkeit der Beschlüsse anbieten. Gerade im Personengesellschaftsrecht muss dies nicht zu einer Übernahme sämtlicher aktienrechtlicher Regelungen führen, doch die auf Rechtssicherheit und Bestandskraft zielenden Grundelemente sollten übernommen werden.

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Bericht über die Diskussion des Referats Herchen Dr. Daniel Otte, LL.M. (Boston Univ.) Rechtsanwalt, Köln Der Schwerpunkt der von Jochen Vetter, Rechtsanwalt in München, geleiteten Diskussion lag bei der Bedeutung der Beschlussfeststellung im GmbH-Recht und bei der Frage, inwieweit die Regelungen der §§ 241 ff. AktG in das Recht der Personengesellschaften und der GmbH übertragen werden können.

I. Johannes Wertenbruch, Philipps-Universität Marburg, merkte an, dass die Beschlussfeststellung für die analoge Anwendung der Anfechtungsklage im GmbH-Recht systematisch unverzichtbar sei. Er erläuterte, dass auch das Aktienrecht im ADHGB ursprünglich eine Beschlussanfechtungsklage nicht gekannt habe. Diese sei erst im Zuge der Aktienrechtsreform 1937 eingeführt worden, um die Nichtigkeitsfolgen von Beschlussmängeln einzuschränken. Dabei habe sich der seinerzeitige Reformgesetzgeber am Verwaltungsrecht orientiert und eine Regelung geschaffen, wie sie bereits für Verwaltungsakte bestanden habe. Wie diese sollten auch die Beschlüsse der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft als vorläufig wirksam anerkannt und nur durch ein entsprechendes Gestaltungsurteil für nichtig erklärt werden können. Die vorläufige Wirksamkeit der Beschlussfassung erfordere, so Wertenbruch, zwingend eine förmliche Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter als allseits anerkannter Autorität. Auf personalistisch strukturierte Personengesellschaften passe diese Regelung dagegen nicht. Hier bestünde kein Bedürfnis für eine vorläufige Wirksamkeit einer Beschlussfassung qua förmlicher Feststellung. Daher könnten die §§ 241 ff. AktG dort nicht analog angewendet werden. Wertenbruch sprach sich zudem dagegen aus, bei Nichtigkeitsfeststellungsklagen im Personengesellschaftsrecht die Gesellschaft für passivlegitimiert zu erachten. Eine Klage gegen die Gesellschaft führe wegen des Grundsatzes der Selbstorganschaft unweigerlich zu Systemproblemen. Die Gesellschafter einer personalistisch strukturierten Gesellschaft dürften nicht gezwungen werden, die Richtigkeit einer Beschluss-

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Otte – Bericht über die Diskussion des Referats Herchen

fassung zu verteidigen, die sie möglicherweise selbst angreifen wollten. Bei Publikumspersonengesellschaften könne dagegen der Gesellschaftsvertrag stets so ausgelegt werden, dass eine Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen die Gesellschaft und nicht gegen sämtliche Gesellschafter zu erheben sei. Insoweit bestünde kein Reformbedarf.

II. Sodann ergriff Carsten Schäfer, Universität Mannheim, das Wort. Er konstatierte einleitend, dass die Kernbereichslehre mit dem Urteil des BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13 noch nicht einem endgültigen Ende zugeführt worden sei. Auch könne dem Urteil nicht zwingend entnommen werden, dass eine einfache Mehrheitsklausel auch Änderungen des Gesellschaftsvertrages erfasse. Daher sei weiterhin eine eindeutige gesellschaftsvertragliche Regelung erforderlich. In Reaktion hierauf stellte Gabriele Caliebe, Richterin am BGH und Mitglied des II. Zivilsenats, im weiteren Verlauf der Diskussion klar, dass der II. Zivilsenat die Kernbereichslehre in der bislang vertretenen Form mit dem Urteil vom 21.10.2014 durchaus endgültig aufgegeben habe und dass eine einfache Mehrheitsklausel nach Auffassung des II. Zivilsenats auch sämtliche Änderungen des Gesellschaftsvertrages sowie die Liquidation der Gesellschaft umfasse, soweit dem Gesellschaftsvertrag dafür kein abweichendes Mehrheitserfordernis zu entnehmen sei. Schäfer widersprach sodann dem Vorschlag von Herchen, die förmliche Feststellung des Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter als Unterscheidungskriterium für die Erhebung einer Gestaltungs- oder einer (Nichtigkeits-)Feststellungsklage gegen die Beschlussfassung aufzugeben. Die förmliche und vorläufig verbindliche Beschlussfeststellung sei zwingende Voraussetzung für den Weg in eine Anfechtungsklage mit rechtsgestaltender Wirkung. Sollte diese Voraussetzung aufgegeben werden, müsste ein neuer Klagetyp geschaffen werden, etwa eine „Klarstellungsklage“ oder eine gesonderte Feststellungsklage für gesellschaftsrechtliche Beschlussmängel. Das geltende Recht gebe ein solches Verfahren nicht her. Auch unter rechtspolitischer Betrachtung, so Schäfer abschließend, ergebe sich aktuell kein Regelungsbedürfnis. Die Einberufung und Durchführung von Gesellschafterversammlungen seien im GmbHRecht hinreichend geregelt; diese Regelungen könnten im Personengesellschaftsrecht übernommen werden. Dagegen seien die aktienrecht-

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Otte – Bericht über die Diskussion des Referats Herchen

lichen Regelungen über die Geltendmachung von Beschlussmängeln nicht in das Recht der Personengesellschaft zu übernehmen. Häufig habe eine Personengesellschaft nicht mehr als zwei Gesellschafter. Die Passivlegitimierung der Gesellschaft führe dazu, dass ein Gesellschafter, der gegen die Wirksamkeit eines Beschlusses Klage erhebt, im Fall des Obsiegens dennoch, über seine Beteiligung an der unterlegenen Gesellschaft, zu 50 % an den Kosten der Klage beteiligt werde. Dieses Ergebnis sei nicht gerechtfertigt.

III. Thomas Heidel, Rechtsanwalt in Bonn, widersprach dem Vorschlag des Referats von Herchen, das Freigabeverfahren nach § 246a AktG im Recht der GmbH analog anzuwenden. Der Gesetzgeber habe dieses speziell für die Figur des „räuberischen Aktionärs“ geschaffen, der seine Beteiligung an der Gesellschaft ausschließlich dazu nutze, wichtige Entscheidungen aus eigennützigen Motiven zu blockieren. Es bestehe bei der GmbH keine Regelungslücke. Es gebe auch keine Rechtfertigung, ohne gesetzliche Grundlage den effektiven Rechtsschutz in der GmbH zu beschränken, wozu das Freigabeverfahren aber führe. Heidel plädierte zudem im Recht der Personengesellschaften für eine Abstandnahme von dem Grundsatz, die Nichtigkeit der Beschlussfassung von der (potentiellen) Kausalität des Verfahrensverstoßes abhängig zu machen.1 Maßgeblich müsse vielmehr wie im Recht der Aktiengesellschaft sein, ob es sich um einen für die Beschlussfassung relevanten Verfahrensfehler gehandelt habe. Dies gelte insbesondere für Publikumsgesellschaften. Darüber hinaus müsse, so Heidel, einem Urteil über die Feststellung der Nichtigkeit eines Gesellschafterbeschlusses Wirkung inter omnes zukommen.

1 Hierzu vgl. BGH v. 11.3.2014 – II ZR 24/13 Rz. 13, ZIP 2014, 1019; BGH v. 16.10.2012 – II ZR 251/10 Rz. 47, ZIP 2013, 68; BGH v. 10.10.1983 – II ZR 213/82, juris Rz. 13, WM 1983, 1407 (1408); BGH v. 19.1.1987 – II ZR 158/86, juris Rz. 6, ZIP 1987, 444 (445). Der BGH hat freilich stets hervorgehoben, dass bereits die hypothetische Kausalität des Mangels zur Nichtigkeit des Beschlusses führe. Von fehlender Kausalität könne nur dann ausgegangen werden, wenn „das Fehlen des Gesellschafters das Abstimmungsergebnis unter keinen Umständen beeinflusst haben kann [wird zitiert] oder [...] der Gesellschafter aufgrund seiner gesellschaftlichen Treuepflicht zur Zustimmung verpflichtet gewesen wäre“ (BGH v. 19.1.1987 – II ZR 158/86).

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IV. Franz Enderle, Rechtsanwalt in München, erklärte zu dem Wortbeitrag von Heidel, querulatorische Klagen kämen auch im GmbH-Recht immer wieder vor, so dass das Freigabeverfahren auch hier einen Anwendungsbereich hätte.

V. In ihrer abschließenden Stellungnahme erklärte Herchen, aus Sicht der Praxis stelle es keinen großen Unterschied dar, ob die Erhebung von Anfechtungsklagen an die förmliche Beschlussfeststellung angeknüpft werde oder nicht. Ein Rechtsanwalt werde stets vorsorglich sowohl eine Beschlussfeststellungs- bzw. Klage auf Feststellung der Nichtigkeit als auch eine Anfechtungsklage gegen den von der Gegenseite behaupteten Beschlussinhalt erheben. Im geltenden Regelungsregime sei zudem wahrscheinlich, dass auch der Klagegegner seinerseits eine eigene Klage erheben werde, um das jeweilige Gegenteil feststellen zu lassen. Daher gebe es keine praktisch relevanten Gründe dafür, im GmbH-Recht nur bei förmlicher Beschlussfeststellung die §§ 241 ff. AktG analog anzuwenden. Eine Rechtfertigung ergebe sich insbesondere nicht daraus, dass die Beschlussfeststellung im Aktienrecht Voraussetzung für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der §§ 241 ff. AktG sei. Herchen stellte klar, dass sie nicht für eine generelle Übertragung der §§ 241 ff. AktG auf das Recht der Personengesellschaft eintrete. Jedoch müsse den Gesellschaftern jedenfalls die Möglichkeit offenstehen, die Anwendung der §§ 241 ff. AktG gesellschaftsvertraglich zu vereinbaren. Dies gelte insbesondere für die Frage der Passivlegitimation und auch die vorläufige Wirksamkeit fehlerhafter Beschlüsse bis zur gerichtlichen Feststellung ihrer Unwirksamkeit. Allerdings spreche viel dafür eine generelle Klagefrist, angelehnt an die Monatsfrist des Aktienrechts anzunehmen. Bei Publikumspersonengesellschaften sei darüber hinaus stets eine analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG angezeigt, da es eine zur Aktiengesellschaft vergleichbare Interessenlage gebe. Zur Kernbereichslehre merkte Herchen an, dass diese bei der vom BGH nunmehr vertretenen Theorie der sachlichen Rechtfertigung eines Gesellschafterbeschlusses weiterhin durchschimmere. Herchen schloss sich ferner der Auffassung von Heidel an, dass die fehlende Kausalität eines Verfahrensverstoßes nicht zum Maßstab für die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen erklärt werden könne, sondern die Relevanz-

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theorie herangezogen werden solle. Mängel in der Einberufung von Gesellschafterversammlungen dürften nicht allein deswegen für die Wirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses ohne Bedeutung bleiben, weil sie nicht kausal für das Beschlussergebnis geworden seien. Dass nach der Rechtsprechung des BGH sogar Fehler bei der Ladungsfrist irrelevant sein sollten, wenn sie sich auf das Beschlussergebnis nicht ausgewirkt haben, sei nicht überzeugend angesichts dessen, dass solche Fehler im Aktien- und GmbH-Recht sogar zur Nichtigkeit führen würden. Hinsichtlich einer Übertragung des Freigabeverfahrens auf das Recht der GmbH erklärte Herchen, dass es auch nach ihrer Erfahrung blockierende Klageverfahren in GmbHs gebe. Der Gesetzgeber habe eine Übertragung des Freigabeverfahrens auf das GmbH-Recht nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Das Freigabeverfahren könne damit ein zusätzliches Instrument im Umgang mit Beschlussmängelklagen im Recht der GmbH darstellen. Insoweit gelte nichts anderes als für die Übertragung der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG.

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Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat Prof. Dr. Gregor Bachmann Humboldt-Universität zu Berlin I. Einführung: „Leitsätze für den Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat“ . . . . . . . . . 136 II. Hintergrund und Bedeutung der Leitsätze. . . . . . . . . . . . . . 137 1. Die Initiative und die hinter ihr stehenden Kräfte . . . . . . . 137 a) Anstoß: Reform der Aktionärsrechterichtlinie . . . . . 137 b) Die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe. . . . . . . 138 2. Die (fehlende) Rechtswirkung der Leitsätze. . . . . . . . . . . . . . 139 3. Inhalt und Rechtsfragen der Leitsätze „in a nutshell“ . . . . 140 III. Die Kompetenz des Aufsichtsrats zum Dialog mit Investoren . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung: Dialog keine Einbahnstraße . . . . . . . . . . . . 2. Meinungsstand und Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . b) Argumente pro und contra c) Kritische Würdigung der Debatte . . . . . . . . . . . . . . . 3. (Vermittelnde) Lösung: Begrenzte Aufsichtsratskompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ansätze für eine vermittelnde Lösung im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Methodische Fundierung. aa) Modelle konkurrierender Kompetenzen. . . .

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bb) Praktische Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsfortbildung extra legem . . . . . . . . dd) Parallele: Der „Deal“ im Strafverfahren . . . c) Einwand: „Verboardisierung“? . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . IV. Konstellationen eines Investorendialogs . . . . . . . . . 1. Investorendialog in der Hauptversammlung . . . . . . . a) Recht, aber keine Pflicht zu Auskunft. . . . . . . . . . . b) Grenzen der Aufsichtsratsauskunft . . . . . . . . . . c) Reform des Auskunftsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . 2. Investorendialog in der Öffentlichkeit (Presseerklärungen) . . . . . . . . . . . . . 3. Investorendialog im geschlossenen Kreis . . . . . . . . . . . . . . a) Kompetenz des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entwertung der Hauptversammlung? . . . . . . . . . V. Allgemeine Schranken der Investorenkommunikation . 1. Insiderrecht . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahrung der Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . 3. Informationelle Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . .

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„Sachlicher Grund“ für privilegierte Investoreninformation? . . . . . . . . . Auswahl der Investoren Pflicht zur Nachinformation der übrigen Aktionäre? . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 131 Abs. 4 AktG . bb) Ziff. 6.1 Satz 2 DCGK (Fair Disclosure). . . . . . . . . . cc) Ausbau der Nachinformation de lege ferenda? . . . . . . . . .

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VI. Die Ausgestaltung des Investorendialogs im Einzelnen . . 171

1. Die Kompetenzverteilung innerhalb des Aufsichtsrats. 171 2. Die zu behandelnden Themen . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3. Die Einbeziehung des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . 175 VII. Zur neuen Kodex-Empfehlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Vorschlag vom November 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . 3. Nachtrag: Die endgültige Kodex-Fassung vom 7.2.2017. .

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VIII. Zusammenfassung. . . . . . . . 178

I. Einführung: „Leitsätze für den Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat“ Im Juli 2016 hat eine private Arbeitsgruppe acht „Leitsätze für den Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat“ vorgelegt (nachfolgend: „Leitsätze“).1 Ziel der Initiative, die unter dem Namen „Developing Shareholder Communication“ antritt, ist es, den Gedankenaustausch zwischen institutionellen Investoren und dem Aufsichtsrat zu stimulieren und diesen „so fruchtbar wie möglich zu gestalten“. Mit diesem Anliegen will die Gruppe einerseits einer Erwartungshaltung institutioneller Investoren Rechnung tragen, die den Dialog nicht nur mit dem Vorstand, sondern mit dem gesamten „Board“ – einschließlich des Aufsichtsrats – suchen, und andererseits deutschen Emittenten, die dieser Erwartungshaltung entsprechen möchten, eine praktikable Handreichung geben. Juristisch bewegt sich die Initiative auf ungesichertem Terrain. Ob und in welchem Umfang der Aufsichtsrat direkt mit Aktionären und anderen (Eigen-)Kapitalgebern kommunizieren darf, ist im deutschen Recht ungeklärt. Ebenso offen ist die Frage, inwieweit der Gleichbehandlungsgrundsatz einer bevorzugten Information einzelner Investoren Schranken

1 Im Internet abrufbar unter https://www.dai.de/de/presse/pressemitteilungen.html ?d=400.

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setzt. Ziel dieses Beitrags ist es, die rechtlichen Rahmenbedingungen eines Investorendialogs durch den Aufsichtsrat aufzuhellen und die Leitsätze sowie die (geplante) Kodex-Empfehlung vor diesem Hintergrund auf den Prüfstand zu stellen. Zuvor ist ein kurzer Blick auf die Urheber der Leitsätze und die rechtliche Bedeutung dieses Regelwerks zu werfen.

II. Hintergrund und Bedeutung der Leitsätze 1. Die Initiative und die hinter ihr stehenden Kräfte a) Anstoß: Reform der Aktionärsrechterichtlinie Den äußeren Anstoß für das Tätigwerden der Initiative gibt die geplante Änderung der europäischen Aktionärsrechterichtlinie (2007/36/EG), die – dem Vorbild des britischen „Stewardship Code“ folgend2 – institutionelle Investoren stärker in die Verantwortung nehmen will. Dazu soll diesen aufgegeben werden, eine „Politik zur Einbeziehung der Aktionäre (‚Einbeziehungspolitik‘)“ auszuarbeiten, in welcher festgelegt wird, wie sie die Unternehmen, in die sie investieren, überwachen, und welche Dialoge sie dazu mit ihnen führen.3 Diese Vorschläge, die – wie der Rest des Richtlinienentwurfs – am angelsächsischen Muster des Emittenten ohne eigenständiges Überwachungsorgan orientiert sind, zwingen weder Investoren noch Aufsichtsräte in den Dialog. Sie erhöhen aber den ohnehin schon bei (ausländischen) Investoren aufgebauten Druck, nicht nur mit dem Vorstand, sondern auch mit dem Aufsichtsrat in einen stärkeren Gedankenaustausch zu treten. Auch wenn das Schicksal des nun schon seit zweieinhalb Jahren auf dem Tisch liegenden Richtlinienvorschlags weiterhin ungewiss ist,4 ist der Versuch der Arbeitsgruppe, schon jetzt „Leitplanken“ für einen solchen Dialog zu liefern und damit zugleich die Diskussion voranzubringen, zu begrüßen. Aus rechtspolitischer Sicht kann ihm nicht entgegengehalten werden, dass im deutschen dualistischen Modell allein der Vorstand für die Kommunikation mit Investoren zuständig ist. Denn es wäre wenig 2 Zum Stewardship Code nur Wilsing, ZGR 2012, 291, 293 f.; Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 726 ff. 3 Art. 3 f. des Richtlinienvorschlags v. 9.4.2014 (COM[2014] 213); s. jetzt auch Präambel Abs. 3 DCGK. 4 Widerstand gegen den Entwurf entzündete sich vor allem an dem darin ebenfalls vorgesehenen Vergütungsvotum der Aktionäre (Art. 9a des Entwurfs) und an den Regelungen zu den Related-Party-Transactions (Art. 9c des Entwurfs), s. zu letzterem Schmidt, VGR 20 (2014), S. 25, 32 ff.

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glaubwürdig, wenn dem Aufsichtsrat in Deutschland eine immer stärkere strategische Verantwortung zugewiesen wird, andererseits aber immer dann der Schutzschild des dualistischen Systems hochgehalten wird, wenn es gilt, mit der strategischen Rolle des Aufsichtsrats ernst zu machen. Ob die Leitsätze der Arbeitsgruppe mit der lex lata vereinbar sind, steht auf einem anderen Blatt.

b) Die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe Wer verbirgt sich hinter der Initiative „Developing Shareholder Communication“? Den Nukleus bildet eine neunköpfige Arbeitsgruppe. In dieser sind mit Klaus Hopt und Alexander Bassen je ein Hochschullehrer der juristischen bzw. betriebswirtschaftlichen Fakultät, ferner zwei erfahrene Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder großer deutscher Emittenten (Jürgen Hambrecht, Ulrich Lehner) sowie zwei Repräsentanten namhafter institutioneller Anleger (Hans-Christoph Hirt, Ingo R. Mainert) vertreten. Komplettiert wird die Gruppe durch eine Vertreterin der Beratungspraxis (Daniela Mattheus), den Präsidenten des Deutschen Investor-Relations-Verbandes (Stephan Lowis) und den bekannten Corporate-Governance-Experten, Multi-Aufsichtsrat und ehemaligen DWSChef Christian Strenger. Beratend stand der Arbeitsgruppe nach eigenem Bekunden eine sechzehnköpfige „Stakeholder-Gruppe“ zur Seite, die sich ausschließlich aus Praktikern rekrutiert. In dieser befinden sich wiederum Aufsichtsratsmitglieder großer Emittenten (einschließlich der Deutsche Börse AG), Vermögensverwalter, Investor-Relations-Praktiker und die Präsidentin des Deutschen Aktieninstituts (DAI). Bemerkenswert ist, dass in der Gruppe ein ehemaliges und ein künftiges Mitglied der Kodexkommission sowie der Leiter des gesellschaftsrechtlichen Referats im BMJV (dieser freilich unter der Flagge „Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf“ segelnd) mitgewirkt haben. Betrachtet man die einzelnen Beteiligten, dann überraschen die Ergebnisse der Arbeitsgruppe insofern nicht, als diese sich bereits früher für die grundsätzliche Zulässigkeit eines Investorendialogs mit dem Aufsichtsrat ausgesprochen hatten (Hopt)5 oder diesen gar mit Vehemenz 5 Vgl. GK/Hopt/Roth, 4. Aufl. 2005, § 111 Rz. 245 u. Rz. 538; grundsätzlich positiv auch die Ausführungen seines Mitkommentators Markus Roth, ZGR 2012, 343, 368 f. und seines Schülers Leyens, Information des Aufsichtsrats, 2006, S. 383 f.

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einforderten (Hirt).6 Betrachtet man die beteiligten Personen in der Summe, so lässt sich sagen, dass hier geballte Erfahrung sowohl von Seiten der am Dialog interessierten institutionellen Investoren als auch von Seiten der für den Dialog auserkorenen Aufsichtsräte vertreten ist, zu dem sich professoraler, ministerialer und „kodiziliarer“ Sachverstand hinzugesellt. Von einer pluralistischen Besetzung des Zirkels kann gleichwohl keine Rede sein, sticht doch das Fehlen von Vertretern kritischer Kleinaktionäre, Arbeitnehmerinteressen (Gewerkschaften), kleinen Emittenten oder sonstigen außerhalb der etablierten Finanz-Community stehenden Personenkreisen ins Auge. Das ist nicht per se verwerflich, weil die unmittelbar Betroffenen – Investoren, Aufsichtsräte und (ehemalige) Vorstandsmitglieder – in ausreichendem Maße repräsentiert sind, wobei eine stärkere Repräsentanz der aktiven Vorstandsseite dem Anliegen sicherlich gut getan hätte. Wie jeder Gremienerfahrene weiß, wird es indes schwerer, mit steigender Zahl der vertretenen Interessen noch einen Konsens zu erreichen.

2. Die (fehlende) Rechtswirkung der Leitsätze Bei den Leitsätzen handelt es sich (selbstverständlich) nicht um Rechtsnormen. Selbst der Charakter eines „soft law“, wie er z.T. den Empfehlungen des DCGK zugeschrieben wird, kommt ihnen nicht zu. Vielmehr handelt es sich um rein private Handlungsempfehlungen, die lediglich die innerhalb des geltenden Rechts bestehenden Handlungsspielräume konkretisieren wollen. Soweit die Leitsätze selbst die Grenzen dieser Spielräume markieren, sind sie als juristische Meinungsäußerung zu verstehen, die, ähnlich einem Kommentar oder Aufsatz, zur Überzeugungsbildung im rechtlichen Diskurs beitragen können (und dies auch wollen), dabei aber keine autoritative, sondern allein argumentative Kraft beanspruchen. Weil es sowohl an einer staatlichen Anbindung als auch an einer pluralistischen Gremienbesetzung fehlt, scheidet auch eine mittelbare Rechtswirkung, wie immer man sich eine solche vorstellen mag, aus.7 Daran vermag die Beteiligung ministerialer Kapazitäten nichts zu ändern.

6 Vgl. Hirt, ZGR 2012, 280 ff.; Hirt in Schoppen (Hrsg.), Corporate Governance, 2015, S. 234, 240 ff. 7 Näher Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 330 ff.; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001, S. 505 ff.

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Der Befund ändert sich nicht, wenn die Leitsätze, wie von ihren Verfassern erstrebt, als Empfehlung in den DCGK aufgenommen werden (hierzu ausführlich VII.). Geplant ist keine Übernahme in toto, wohl aber eine Empfehlung an den Aufsichtsratsvorsitzenden, sich für einen Investorendialog prinzipiell zur Verfügung zu stellen. Emittenten sind dann gezwungen, sich zu dieser Empfehlung zu bekennen (vgl. § 161 AktG). Rechtlich verbindlich wird sie dadurch nicht, und zwar auch nicht in mittelbarer Form.8 Weitergehend muss man sagen, dass Emittenten sich überhaupt nur zu der Empfehlung bekennen dürfen, wenn diese nicht mit geltendem Recht kollidiert. Diese Frage wird im Folgenden näher zu prüfen sein (unten III.).

3. Inhalt und Rechtsfragen der Leitsätze „in a nutshell“ Kondensiert man den Inhalt der mit Vorbemerkung und Präambel drei Textseiten füllenden Leitsätze, lassen sich hieraus vier Kernaussagen entnehmen: (1) Der Dialog von Aufsichtsrat und Investoren ist zulässig und auch wünschenswert; (2) er beschränkt sich auf Themen, für die der Aufsichtsrat zuständig ist; (3) innerhalb des Aufsichtsrats trägt der Aufsichtsratsvorsitzende die Verantwortung für den Dialog; (4) der Vorstand ist in den Dialog informationshalber einzubinden. Rechtlich werfen die Leitsätze zunächst und vor allem die Frage auf, ob der Aufsichtsrat befugt ist, mit Investoren in einen Informationsaustausch einzutreten. Soweit dies zu bejahen ist, schließt sich die Folgefrage an, wer innerhalb des Aufsichtsrats am Dialog zu beteiligen und inwieweit der Vorstand in diesen einzubeziehen ist. Schließlich stellen sich die schon für den Investorendialog des Vorstands aufgeworfenen Fragen, welche Grenzen die Verschwiegenheitspflicht, das Insiderrecht und der Gleichbehandlungsgrundsatz setzen. Weil diese Fragen nicht aufsichtsratsspezifisch sind, liegt der Fokus der nachfolgenden Betrachtung auf der rechtlichen Befugnis.

8 Vgl. Bachmann in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, DCGK, 6. Aufl. 2016, Rz. 81.

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III. Die Kompetenz des Aufsichtsrats zum Dialog mit Investoren Die elementare Frage lautet: Ist der Aufsichtsrat zu einem Dialog mit Investoren nach dem Aktiengesetz befugt? Sollte sie zu verneinen sein, würde sich die Beantwortung der weiteren Fragen erübrigen bzw. auf den Vorstand verlagern.

1. Vorbemerkung: Dialog keine Einbahnstraße Zuallererst ist darauf hinzuweisen, dass ein „Dialog“ – wie die Bezeichnung klar macht – keine Einbahnstraße ist, der Informationsfluss also nicht nur in die eine oder andere Richtung verläuft. Ziel des Investorendialoges ist nicht allein die (privilegierte, und daher oft misstrauisch beäugte) Weitergabe von Informationen an Investoren, sondern auch die umgekehrte Vermittlung von Eindrücken, Fragen und Anregungen von Seiten der Investoren an den Aufsichtsrat. Dies wird erleichtert, wenn der Aufsichtsrat sogleich rückfragen oder nachhaken kann, wie es in einem Dialog als geschützter Gesprächsrunde, nicht aber im Massenforum Hauptversammlung möglich ist. Zumindest in dieser Hinsicht: der Entgegennahme von Meinungen und Anregungen und der gegebenenfalls klarstellenden und erläuternden Erwiderung sollten einem Dialog keine ernsthaften Bedenken entgegengebracht werden.9 Der Aufsichtsrat muss nicht die Ohren verschließen, wenn Investoren mit ihren Anliegen bei ihm vorstellig werden. Dass er sich deren Ansinnen nicht blindlings ergeben darf, versteht sich angesichts der Höchstpersönlichkeit des Amts (§ 111 Abs. 6 AktG) und der Haftungsdrohung (§ 117 Abs. 2 AktG) von selbst.

2. Meinungsstand und Argumente Problematisiert wird im Schrifttum weniger die Informationsentgegennahme durch den Aufsichtsrat als die Informationsweitergabe durch diesen. Ist er dazu befugt, oder steht die Kommunikationsbefugnis allein dem Vorstand zu?

9 Pointiert Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 365: „keine Kontaktsperre“.

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a) Meinungsstand In der Literatur stehen sich zwei Meinungslager gegenüber, von denen das eine, konservativ geprägte dem Aufsichtsrat die Kompetenz zur Direktansprache von Investoren prinzipiell abspricht,10 während das andere, als progressiv zu bezeichnende, Investorenkontakte des Aufsichtsrats grundsätzlich für zulässig erachtet.11 Klar im Vordringen ist die zuletzt genannte Ansicht, die rein zahlenmäßig bereits die „herrschende“ genannt werden kann. Betrachtet man die Lager näher, stellt sich heraus, dass diese sich nicht so diametral gegenüberstehen, wie ihre Frontstellung in einschlägigen Darstellungen glauben macht. Namentlich das zweite, „progressive“ Lager spricht sich keineswegs für eine völlige Freiheit des Aufsichtsrats bei der Kommunikation mit Investoren aus, sondern betont deren Schranken, die es – neben den allgemeinen Grenzen wie Gleichbehandlungsgebot und Verschwiegenheitspflicht – in einer strengen Aufgabenbezogenheit der Kommunikation und dem Gebot der Koordination mit dem Vorstand („one voice policy“) sieht.12 Umgekehrt betont man im ersten Lager, dass der Aufsichtsrat nicht zu eigenmächtiger Kommunikation mit dem Kapitalmarkt befugt sei, und will dennoch einem mit dem Vorstand abgestimmten sowie von diesem gebilligten Investorendialog offenbar nicht gänzlich den Weg sperren.13

10 Prononciert E. Vetter, AG 2014, 387 ff.; E. Vetter in Fleischer/Koch/Kropff/ Lutter (Hrsg.), 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, S. 103, 125; Hexel, AG 2014, 121; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rz. 401 ff., 562 („Nur der Vorstand spricht für die Gesellschaft“); ferner Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rz. 284, 683; Habersack in MünchKomm, 4. Aufl. 2014, § 111 Rz. 89 f.; Selter, Die Beratung des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder, 2014, Rz. 332; kritisch auch Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2012, § 111 Rz. 34. 11 Etwa Grunewald, ZIP 2016, 2009, 2010 f.; M. Roth, ZGR 2012, 343, 368 f.; Hirt/ Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 730 ff.; Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 45; Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 362 ff.; Drinhausen/MarschBarner, AG 2014, 337, 349 f.; GK/Hopt/Roth (Fn. 5), § 107 Rz. 468, § 111 Rz. 245, 538; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl. 2013, § 107 Rz. 61; grundsätzlich auch Kremer in KBLW (Fn. 8), Rz. 1268. Aus der IR-Praxis: Bommer/Steinbach, BOARD 2013, 219; aus DAI-Sicht: Bortenlänger, BOARD 2014, 71. 12 Vgl. Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 45 ff.; Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 364 ff. 13 S. E. Vetter, AG 2016, 873 ff. (unter Relativierung seiner früheren Kritik in AG 2014, 387, 391: „zu pauschal und missverständlich“).

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Die Meinungsverschiedenheit konzentriert sich damit auf die Frage, ob der Aufsichtsrat kraft eigener Machtvollkommenheit mit Investoren kommunizieren darf (und sich dabei lediglich mit dem Vorstand irgendwie abzustimmen hat), oder ob seine Befugnis zur Außenkommunikation eine bloß abgeleitete ist (und daher stets der Zustimmung des Vorstands bedarf).

b) Argumente pro und contra Hintanzustellen sind Argumente, die zwar häufig vorgebracht und auch von den Leitsätzen aufgegriffen werden, rechtlich aber nur von bedingtem Wert sind, etwa: Investorenkontakte des Aufsichtsrats entsprächen der Erwartungshaltung der Beteiligten sowie der gelebten Praxis, und es sei schlicht „lebensfremd“, sie zu verbieten.14 Derartige Argumente sind juristisch nicht völlig wertlos und prägen auch an anderen Stellen die aktienrechtliche Debatte.15 Führt die Auslegung des Gesetzes zu einem Patt, können sie durchaus den Ausschlag geben.16 Methodisch gesehen tragen sie aber nur Reservecharakter und vermögen die Frage für sich genommen nicht zu entscheiden. Unter den rechtlich unmittelbar relevanten Argumenten stehen vier im Vordergrund, die, mit je unterschiedlichen Vorzeichen, von beiden Seiten gebraucht werden. So verweisen Gegner eines Investorendialogs darauf, dass der Aufsichtsrat ein reines Binnenorgan und schon deshalb nicht zur Kommunikation nach außen befugt sei.17 Befürworter kontern mit dem Hinweis, dass das Gesetz dem Aufsichtsrat an verschiedenen Stellen die Befugnis zum kommunikativen Wirken nach außen verleihe, namentlich in § 161 AktG (Entsprechenserklärung), in §§ 171, 176 AktG (Bericht an die Hauptversammlung) und in § 27 WpÜG (Stellungnahme zum Er14 Etwa Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 364 („Redeverbot lebensfremd“); KK/Mertens/Cahn (Fn. 11), § 107 Rz. 61 („Kommunikationsverbot weder zeitgemäß noch erforderlich“); Leitsätze (Vorbemerkung, dritter Absatz): „wird schon heute praktiziert“. 15 Etwa bei der verwandten Frage, ob nur der Vorstand oder auch der Aufsichtsrat zur Weitergabe vertraulicher Informationen an das herrschende Unternehmen befugt ist, die die h.M. im letztgenannte Sinne beantwortet und sich dazu auf die „gelebte Konzernwirklichkeit“ beruft, s. KK/Mertens/Cahn (Fn. 11), § 116 Rz. 42; GK/Hopt/Roth (Fn. 5), § 116 Rz. 274. 16 So bei der (umstrittenen) Frage, ob das AktG einen Doppelvorsitz im Vorstand zulässt, s. dazu Bachmann, Doppelvorsitz in Vorstand und Aufsichtsrat, in FS Baums, 2017, S. 107–125. 17 So z.B. E. Vetter, AG 2014, 387 (389); Lutter/Krieger/Verse (Fn. 10), Rz. 284.

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werbsangebot).18 Gegner untermauern ihre Auffassung weiter mit der Aussage, dass das Gesetz dem Aufsichtsrat einen Investorenkontakt nicht explizit gestatte,19 während Befürworter darauf verweisen, dass das Gesetz einen solchen Kontakt nicht ausdrücklich verbiete.20 Ferner wird von Kritikern geltend gemacht, dass die Kommunikation nach außen eine Frage der Geschäftsführung sei, welche das Gesetz exklusiv dem Vorstand zuweise (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG).21 Befürworter entgegnen, dass der Aufsichtsrat über seine beratende Funktion und über Zustimmungsvorbehalte (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) in die Geschäftsführung eingebunden sei, und dass der Investorendialog Fragen umfasse, für die der Vorstand gar keine Zuständigkeit besitze (Paradebeispiel: Vorstandsauswahl, § 84 AktG).22 Die Befugnis des Aufsichtsrats zur Außenkommunikation stelle sich damit als „Annexkompetenz“ dar.23 Schließlich erklären Dialog-Befürworter, dass der Aufsichtsrat seiner Überwachungsaufgabe (§ 111 Abs. 1 AktG) nur sinnvoll nachkommen könne, wenn er nicht für jeden Kontakt mit Aktionären das Plazet des zu Überwachenden einholen müsse.24 Dies wiederum wird von Gegnern des Investorendialogs bestritten.25

c) Kritische Würdigung der Debatte Wenig ergiebig ist der Streit um die Frage, ob der Aufsichtsrat ein Binnenorgan ist oder nicht.26 Denn ebenso unzweifelhaft wie der Umstand, 18 Vgl. Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 731 ff.; Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 362 f. 19 So E. Vetter, AG 2014, 387, 391. 20 Bortenlänger, BOARD 71, 72. 21 E. Vetter, AG 2014, 387, 389. Für die (von ihm bejahte) Auskunftsbefugnis des AR in der Hauptversammlung will Vetter dieses Argument nicht gelten lassen, s. E. Vetter in FS Westermann, 2008, S. 1589, 1593 f. 22 Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 363 ff.; Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 733 ff. 23 Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 365; Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 733; s. auch Hüffer/Koch (Fn. 10), § 111 Rz. 34. 24 Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 364; Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 45; M. Roth, ZGR 2012, 343, 369. 25 Vgl. E. Vetter, AG 2014, 387, 389: „Für die Wahrnehmung des Überwachungsauftrags bedarf es keiner Kommunikation gegenüber dem Kapitalmarkt“. 26 Ebenso J. Koch in Fleischer/Koch/Kropff/Lutter (Hrsg.), 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, S. 65, 88: „wenig aussagekräftig, weil mit den Begriffen nur graduelle Unterschiede beschrieben werden“; Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 733; KK/Mertens/Cahn (Fn. 11), § 107 Rz. 61.

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dass sich das Wirken des Aufsichtsrats in erster Linie auf den Vorstand (und damit in der Tat nach innen) richtet, ist das Faktum, dass damit nicht jedes Wirken nach außen verboten ist. Ob man nun die zitierten, expliziten Außenkommunikationsbefugnisse als enge, nicht erweiterungsfähige Ausnahmen oder als ausbaufähigen teleologischen Brückenkopf betrachtet, ist eine Frage, die ohne Hinzunahme weiterer Argumente notgedrungen offenbleibt. Mit dem Stichwort „Binnenorgan“ lässt sich für die vorliegende Frage also wenig gewinnen. Zurückzuweisen ist ferner die Auffassung, der Aufsichtsrat sei nur zu dem befugt, was ihm das Gesetz ausdrücklich gestattet. Sie beruht auf einer öffentlich-rechtlichen Vorstellung, wonach Eingriffe in Individualrechte einer eindeutigen Ermächtigungsgrundlage bedürfen (Lehre vom Gesetzesvorbehalt). Für ein privatrechtliches Organisationverhältnis passt das nicht. Ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen, die zwar im Detail umstritten, an sich aber anerkannt sind, wären mit einer solchen Vorstellung nicht begründbar. Damit ist nicht gesagt, dass der Aufsichtsrat alles tun darf, was ihm vom AktG nicht verboten wird. Die Schranken seines Tuns sind aber nicht aus einem (ungeschriebenen) Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, sondern aus den Kompetenzregeln des AktG abzuleiten. Als zentrale Hürde für die Befürworter eines Investorendialogs erweist sich damit die vom Gesetz exklusiv (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG) dem Vorstand zugewiesene Geschäftsführungsbefugnis. Zwar wird man nicht jedwede Kommunikation mit Außenstehenden unter den Begriff der „Geschäftsführung“ subsumieren können.27 Namentlich das zwanglose Gespräch am Rande der Hauptversammlung oder die Kontaktpflege mit der „Wählerschaft“ wird man dem Aufsichtsratsmitglied kaum versagen wollen. Je förmlicher das Investorentreffen indes arrangiert ist, umso eher handelt es sich um eine Maßnahme der Geschäftsführung, und umso fragwürdiger wird die Kompetenz des Aufsichtsrats, diese aus eigener Machtvollkommenheit treffen zu dürfen. Um diese Hürde zu überwinden, liegt es nahe, mit den Befürwortern des Dialogs den Gedanken der Annexkompetenz fruchtbar zu machen.28 Anknüpfend an diejenigen Regelungen des Aktiengesetzes, die dem Aufsichtsrat ausdrücklich bestimmte Kompetenzen zuweisen, ist ihm – so 27 Zutreffend J. Koch (Fn. 26), S. 65, 88; Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 46. 28 Nachweise oben (Fn. 23).

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der Gedankengang – als Annex die Befugnis zuzubilligen, über die damit verbundenen Fragen auch in einen Meinungsaustausch mit den Anlegern zu treten. Dieser Ansatz wäre ohne weiteres überzeugend, wenn die Natur der Sache es zwingend geböte, dass derjenige, welcher eine Sachentscheidung trifft, diese auch nach außen kommuniziert. Dies ist indes nicht der Fall, denn nicht jeder in einer Organisation Entscheidungsbefugte darf seine Gedanken ohne weiteres nach außen tragen, sondern es werden dafür in der Regel zentrale (Stabs-)Stellen für Public bzw. Investor Relations eingerichtet. Diese sind nicht dem Aufsichtsrat, sondern dem Vorstand unterstellt. Der Gedanke der Annexkompetenz, so einfach und verlockend er ist, bietet demnach zwar einen greifbaren Anhaltspunkt, vermag das Problem allein aber nicht zu lösen. Beschränkt man sich auf ihn, so drohen die Gegengründe, die für eine möglichst ausschließliche Außenkommunikationsbefugnis des Vorstands streiten, in den Hintergrund zu treten. Diese Gegengründe sind leicht zu sehen und in der Diskussion auch verschiedentlich betont worden. Es geht darum, dass das Unternehmen nach außen einheitlich auftritt und mit einer Stimme spricht („one voice policy“).29 Es ist daher weder Zufall noch Formalismus, wenn das Aktiengesetz die Außenrepräsentanz der Gesellschaft vornehmlich dem Vorstand zuweist.

3. (Vermittelnde) Lösung: Begrenzte Aufsichtsratskompetenz Das Dilemma, dass sich mit den referierten Argumenten keine eindeutige Ja/Nein-Entscheidung treffen lässt, wird im Schrifttum gesehen. Wie bereits gesagt, stehen sich die Meinungslager daher keineswegs so unversöhnlich gegenüber, wie es z.T. den Eindruck macht. Vielmehr bemühen sich die meisten Autoren ausdrücklich um eine vermittelnde Antwort. Sie erscheint in der Tat vorzugswürdig, doch fehlt dem vermittelnden Ansatz bislang noch der methodische Unterbau.

a) Ansätze für eine vermittelnde Lösung im Schrifttum Fleischer/Bauer/Wansleben sehen die grundsätzliche Kompetenz des Aufsichtsrats zum Investorendialog als Annex („Korollar“) zu dessen 29 Grunewald, ZIP 2016, 2009, 2010 f.; E. Vetter, AG 2014, 387, 392; Fleischer/ Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 360, 365; Bommer/Steinbach, BOARD 2013, 219, 222; Cromme/Claassen in Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 603, 622.

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Sachkompetenzen. Eine vollständige „Kontaktsperre“ gegenüber Investoren lasse sich „nicht schlüssig begründen“.30 Umgekehrt anerkennen die Autoren das „Gebot der einheitlichen Kommunikationsstrategie“, aus dem sich eine „Querschnittskompetenz“ des Vorstands zur Kapitalmarktkommunikation ergebe.31 Beide Kompetenzen – die sachbezogene Annexkompetenz des Aufsichtsrats und die kommunikationsbezogene Querschnittskompetenz des Vorstands – seien miteinander „abzugleichen“. Ergebnis dieses Abgleichs sind pragmatische Maximen: Der Aufsichtsrat dürfe bei seiner Kommunikation nicht „vorpreschen“, sich nicht „aus der Reserve locken“ lassen und dem Vorstand nicht „in die Parade fahren“.32 Auch Leyendecker-Langner spricht sich für eine Annexkompetenz des Aufsichtsrats zum Investorendialog aus, deren Grenzen er aber nicht aus einer „Querschnittskompetenz“ des Vorstands, sondern aus einer Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeiten von Vorstand und Aufsichtsrat ableitet.33 Dies führt ihn zu einer Zweiteilung: Für Themenbereiche aus dem „originären Aufgabenbereich“ des Aufsichtsrats sei dieser kommunikationsbefugt, für Fragen der „originären Unternehmensführung“ hingegen der Vorstand. In Bereichen, in denen sich die Zuständigkeiten überschneiden, plädiert Leyendecker-Langner für Zurückhaltung. Der Aufsichtsrat dürfe die ihn betreffenden Themen „mit einfließen“ lassen und den Vorstand kommunikativ „unterstützen“, kritische Äußerungen zu dessen Führungsarbeit seien ihm hingegen untersagt.34 Von konkurrierenden Kompetenzen gehen Hirt/Hopt/Mattheus – die (Mit-)Autoren der „Leitsätze“ – aus. Der Annexkompetenz des Aufsichtsrats zur Kommunikation über die ihn betreffenden Aufgaben stehe die allgemeine Leitungskompetenz des Vorstands gegenüber, welche die Befugnis des Aufsichtsrats zu Außenkontakten aber nicht verdränge.35 Dem aus dieser Konkurrenzsituation erwachsenden Spannungspotential wollen die Autoren mit dem Grundsatz zum loyalen Zusammenwirken der Organe begegnen. Ähnlich wie die zuvor genannten Autoren leiten sie daraus für den Aufsichtsrat ein Gebot der Mäßigung ab. Dieser müsse bei seinen Äußerungen darauf achten, den Vorstand nicht zu „beschä30 31 32 33 34 35

Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 365. Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 365. Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 365 f. Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 45. Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 45. Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 733.

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digen“, Konflikte nicht unnötig nach außen zu tragen und habe sich darüber hinaus zur Vermeidung von Missverständnissen mit dem Vorstand abzustimmen. Umgekehrt sei auch der Vorstand gehalten, bei seinen Äußerungen den Aufsichtsratsvorsitzenden nicht zu desavouieren.36 Komplexer ist der Gedankengang von Koch. Mit den zuvor genannten Autoren will er dem Aufsichtsrat nicht per se die Befugnis zur Außenkommunikation absprechen. Vielmehr äußert auch Koch große Sympathie für den Gedanken einer Annexkompetenz, die er aus teleologischen wie pragmatischen Gründen für „sehr erwägenswert“ hält.37 Grenzen werden dieser Kompetenz laut Koch allerdings durch den (dem Staatsrecht entlehnten) Grundsatz der Organadäquanz gezogen, wonach Entscheidungen im Zweifel von demjenigen Organ zu treffen seien, das dafür nach seiner Funktion, Zusammensetzung und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügt.38 Diese Voraussetzungen seien beim Aufsichtsrat aufgrund der großen Zahl der Mitglieder, der Ausgestaltung als Nebenamt und der fehlenden Nähe zur unternehmerischen Tätigkeit regelmäßig nicht gegeben.39 Anders könne entschieden werden, wenn man die Befugnis zum Investorengespräch nicht dem Gremium, sondern dem Aufsichtsratsvorsitzenden zuspreche. Damit aber würden die Befugnisse des Vorsitzenden überstrapaziert.40 Dieses Bild ändere sich indes wieder, wenn die Gesellschaft (gemeint sein dürfte der Aufsichtsrat), etwa in Gestalt einer „Kommunikationsordnung“, dem AR-Vorsitzenden die Möglichkeit einräume, Investor Relations eigenständig zu pflegen.41

b) Methodische Fundierung Wer (nur) auf das Ergebnis blickt, wird dem vorstehenden Bericht entnehmen, dass sich im Schrifttum ein Konsens anbahnt, der dem Aufsichtsrat Investorenkontakte nicht verbietet, ihn aber zur Mäßigung (und, folgt man Koch, darüber hinaus zur Ermächtigung des Vorsitzenden) anhält. Damit scheint eine für die Praxis brauchbare Formel gewon-

36 Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 735. 37 J. Koch (Fn. 26), S. 89; Hüffer/Koch (Fn. 10), § 111 Rz. 34. 38 J. Koch (Fn. 26), S. 82, 89 ff. Der Gedanke der Organadäquanz ist im Aktienrecht zur Abgrenzung von Hauptversammlungszuständigkeiten fruchtbar gemacht worden, s. dazu Fleischer in Fleischer/Kalss/Vogt (Hrsg.), Konvergenzen und Divergenzen, 2011, S. 81, 90 f.; Renner, AG 2015, 513. 39 J. Koch (Fn. 26), S. 89 f. 40 J. Koch (Fn. 26), S. 90 f.; Hüffer/Koch (Fn. 10), § 111 Rz. 34. 41 J. Koch (Fn. 26), S. 92; Hüffer/Koch (Fn. 10), § 111 Rz. 34.

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nen. Detailarbeit ist bei der Frage zu leisten, wie das Mäßigungsgebot praktikabel umgesetzt werden kann. Sie wird am Ende dieses Beitrags erfolgen. Zunächst muss versucht werden, dem vermittelnden Ansatz methodischen Boden unter den Füßen zu verschaffen.

aa) Modelle konkurrierender Kompetenzen Allen vermittelnden Ansätzen ist gemein, dass sie von einer Annexkompetenz des Aufsichtsrats zur Außenkommunikation ausgehen, soweit es um Fragen geht, für die der Aufsichtsrat zuständig ist. Eine solche Annexkompetenz ist in der Tat mit Händen zu greifen und daher kaum begründungsbedürftig, zumal die Figur der Annexkompetenz als solche allgemein anerkannt ist.42 Das eigentliche Ringen betrifft das Problem, wie diese Kompetenz mit der Leitungskompetenz des Vorstands synchronisiert werden kann. Hierzu lassen sich aus den referierten Ansätzen divergierende Modellbilder herausschälen: Fleischer et al. entwerfen das Bild einer Matrixstruktur. Bei dieser kreuzt sich die Kommunikationskompetenz des Aufsichtsrats mit der horizontal („Querschnitt“) gedachten Außendarstellungskompetenz des Vorstands. Hingegen zeichnet Leyendecker-Langner das Bild nebeneinander stehender Kreise, die nur in der Mitte eine Schnittmenge aufweisen, wohingegen Hopt et al. im Ausgangspunkt ein echtes, also freies Konkurrenzverhältnis zugrunde legen, das dann durch ein darüber gesetztes Prinzip („Grundsatz zur loyalen Zusammenarbeit“) gebändigt werden soll. Bei Koch wird der allgemeine Grundsatz („Organadäquanz“) nicht zur Zähmung, sondern zur Auflösung der Konkurrenzverhältnisse eingesetzt – mit der Pointe, dass der Aufsichtsrat die „Organadäquanz“ selbst herstellen kann und damit eine Art Kompetenz-Kompetenz besitzt. Es wäre reizvoll, diese Konkurrenzmodelle näher zu analysieren und dabei zu untersuchen, ob sich aus den elaborierten Konkurrenzlehren anderer Rechtsgebiete Aufschlüsse für unser Problem gewinnen lassen.43 Dieser Weg würde indes die Grenzen des hiesigen Beitrages sprengen und kann daher nicht beschritten werden. Stattdessen soll mit zwei bewährten Instrumenten der Methodenlehre belegt werden, dass der ausgleichende Lösungsansatz mehr als Pragmatismus ist. 42 Näher unten III.3.b.bb (S. 150). 43 Einen Schritt in diese Richtung unternimmt Koch mit der Anleihe beim staatsrechtlichen Grundsatz der Organadäquanz.

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bb) Praktische Konkordanz Ein erstes Fundament für den vermittelnden Ansatz liefert die aus der Grundrechtsdogmatik vertraute Figur der praktischen Konkordanz. Kollidieren zwei Grundwerte oder Prinzipien miteinander, hat danach nicht das eine hinter dem anderen zurückzutreten, sondern sind beide nach Möglichkeit so miteinander in Einklang zu bringen, dass sie beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen.44 Dieser Ansatz ist nicht über jede Kritik erhaben,45 liefert auch keine trennscharfen Resultate, kann aber dessen ungeachtet nicht nur im Verfassungsrecht, sondern auch im Zivilund im Wirtschaftsrecht fruchtbar gemacht werden.46 Mit einer solchen Prinzipienkollision haben wir es auch beim Investorendialog des Aufsichtsrats zu tun: Auf der einen Seite steht der grundsätzliche Gedanke der Annexkompetenz, wonach aus einer Aufgabenzuweisung die Befugnis folgt, die zur sachgemäßen Erledigung der Aufgabe notwendigen Handlungen vorzunehmen. Auf der anderen finden wir die (hier sog.) Konzentrationsmaxime, wonach es zur Vermeidung von Widersprüchen und Redundanzen sinnvoll sein kann, bestimmte Aufgaben gebündelt von einer Zentralstelle wahrnehmen zu lassen.47 Ausprägungen beider Prinzipien finden sich im Aktienrecht, wie die ungeschriebene Ordnungskompetenz des Hauptversammlungsleiters48 oder die Befugnis des Aufsichtsrats zur Beauftragung von Beratern49 (als Beispiele einer Annexkompetenz) bzw. die Konzentration der Aktionäre in der Hauptversammlung oder die Fokussierung des Fragerechts auf den Vorstand (als Ausprägungen einer Konzentrationsmaxime) zeigen. Beide Prinzipien verfolgen ein sachliches Anliegen. So fördert der Gedanke der Annexkom-

44 Zurückgehend auf K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Neudruck der 20. Aufl. 1999, Rz. 72; st. Rspr. BVerfGE 7, 198, 208 f.; 28, 243, 261; 41, 29, 51; 77, 240, 255; 81, 298, 308; aus der jüngeren Literatur Degenhart, Staatsorganisationsrecht, 32. Aufl. 2016, Rz. 22. 45 Kritisch etwa Fischer-Lescano, KJ 2008, 166 m.w.N. 46 Vgl. etwa Binder in Hopt/Wohlmannstetter, Handbuch Corporate Governance der Banken, 2011, S. 708; Seibt, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, 73. 47 Die Begrifflichkeit im Prozessrecht ist eine andere, dort bezeichnet „Konzentrationsmaxime“ den prozessualen Grundsatz, wonach ein Rechtsstreit zur Verfahrensbeschleunigung möglichst in einem umfassend vorbereiteten Termin erledigt werden soll, s. nur Rauscher in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl. 2016, Einl. Rz. 356 ff. 48 Vgl. BGHZ 44, 245, 248 = NJW 1966, 43. 49 Vgl. nur Hüffer/Koch (Fn. 10), § 111 Rz. 24.

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petenz die bestmögliche Aufgabenverwirklichung, während der Konzentrationsgedanke Prozesse „in geordnete Bahnen lenkt“.50 Die aufgezeigte Prinzipienkollision kann nicht dadurch aus der Welt geschafft werden, dass man ein Prinzip für vorrangig erklärt und das andere dadurch ignoriert. Dies wäre der Fall, wenn man die auf den Vorstand konzentrierte Außendarstellungsbefugnis mithilfe einer Annexkompetenz des Aufsichtsrats völlig beiseite schiebt oder, umgekehrt, eine denkbare Annexkompetenz des Aufsichtsrats zur Erläuterung seiner Personalentscheidung einer – als exklusive Geschäftsführungsmaßnahme ausgeflaggten – Zentralkompetenz des Vorstands zur Außendarstellung vollständig unterordnet. Überzeugender ist es, beide Prinzipien im Wege der praktischen Konkordanz zum Tragen zu bringen. Konkret bedeutet das: Dem Aufsichtsrat kann nicht jede Kompetenz abgesprochen werden, sich auch ohne detaillierte Abstimmung mit dem Vorstand unmittelbar an interessierte Investoren zu wenden. Seine (Annex-)Kompetenz, dies zu tun, ist vielmehr umso stärker, je mehr es sich um eine genuin aufsichtsratsbezogene Aufgabe handelt, und umso schwächer, je mehr sie sich davon entfernt (dazu unten VI.2.). Umgekehrt muss auch der Konzentrationsgedanke (Zentralisierung der Außendarstellung beim Vorstand) zum Tragen kommen, indem der Aufsichtsrat sich, wo immer möglich, mit dem Vorstand abstimmt und offene Widersprüche zu dessen Positionen meidet. Wie diese Leitlinien zu konkretisieren sind, wird weiter unten im Kontext der einzelnen Leitsätze zu erörtern sein.

cc) Rechtsfortbildung extra legem Wem die Figur der praktischen Konkordanz zu vage erscheint, um damit die Geschäftsführungskompetenz des Vorstands zugunsten des Aufsichtsrats zu beschneiden, der muss sich darauf verweisen lassen, dass sich eine solche Kompetenz auch im Wege der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung begründen lässt. Eine derartige Fortbildung ist zulässig, wenn sie auf unabweisbare Bedürfnisse des Rechtsverkehrs reagiert, denen das geschriebene Recht nur unzureichend Rechnung trägt, oder wenn sie von der Natur der Sache her geboten ist.51 Beide Ansatz50 So (für die Konzentrationsfunktion der HV) Hüffer/Koch (Fn. 10), § 118 Rz. 1. 51 Vgl. nur Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 415 ff.

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punkte lassen sich hier fruchtbar machen, wie zunächst am Gedanken unabweisbarer Verkehrsbedürfnisse zu illustrieren ist: Die aus dem 19. Jahrhundert überkommene Vorstellung des Gesetzes, dass maßgebliche Risikokapitalgeber, wenn sie über keinen beherrschenden Einfluss verfügen, ihr legitimes Informationsbedürfnis zu zentralen, dem Aufsichtsrat zur Entscheidung zugewiesenen Fragen mit dem Bericht des Aufsichtsratsvorsitzenden in der Hauptversammlung stillen sollen, wird den Realitäten der modernen Finanzmarktkommunikation nicht gerecht und geht an den Verkehrsbedürfnissen des Kapitalmarkts vorbei.52 Themen, zu denen der Vorstand gar nicht kompetent ist, ausschließlich von diesem erläutern zu lassen, hilft den Investoren ebenfalls nicht weiter, weil ein Dialog, wie er zum sinnvollen Gedankenaustausch nötig ist, sich auf diese Weise gar nicht führen lässt, es sei denn, der Aufsichtsrat säße beim Investorendialog im „back office“ und flüsterte dem Vorstand die zu gebenden oder nicht zu gebenden Antworten zu – ein denkbar unpraktikables Szenario. Schließlich besteht beim über den Vorstand laufenden Dialog stets die Gefahr, dass Informationen aus der Hand des Aufsichtsrats bewusst oder unbewusst verfälscht werden („stille Post-Effekt“).53 Die Geschlossenheit, mit der sich die Interessenverbände hinter den von den Emittenten bereits praktizierten und z.T. durch „best practice“ standardisierten Aufsichtsratsdialog stellen, tut ein Übriges, um das dringende Verkehrsbedürfnis, dem das geschriebene Recht nicht gerecht wird, darzutun. Die tatsächliche Situation ist ohne weiteres mit derjenigen vergleichbar, in denen eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung im Interesse einer Leichtigkeit des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs in Rechtsprechung und Lehre in der Vergangenheit anerkannt worden ist (Schulbeispiele: Sicherungsübereignung und Anwartschaftsrecht).54 Hinzu kommt der Gedanke der Natur der Sache: Zwar gebietet die Sachnatur nicht zwingend, dass der Aufsichtsrat direkt mit Investoren kommuniziert, wohl aber legt sie es sehr nahe, den Umweg über den Vorstand jedenfalls dann zu meiden, wenn allein der Aufsichtsrat sachlich zuständig ist.55 Denn auch hier gilt, dass ein Dialog, im Unterschied zur 52 53 54 55

Zutreffend KK/Mertens/Cahn (Fn. 11), § 107 Rz. 61. Hierauf mit Recht hinweisend Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 45. Zu beidem näher Larenz (Fn. 51), S. 415 ff. Ebenso Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 734; KK/Mertens/Cahn (Fn. 11), § 107 Rz. 61; Bortenlänger, BOARD 2014, 71, 72: „geborener Ansprechpartner“.

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mechanischen Weitergabe einer Auskunft, sinnvoll nur von dem geführt werden kann, der in der Sache kompetent ist und daher ggf. spontan und sachadäquat reagieren kann. Soweit es um die Hauptversammlung geht, berufen sich bemerkenswerterweise auch ausgesprochene Kritiker eines vom Aufsichtsrat geführten Investorendialogs auf den Gedanken der Sachnatur, um die Auskunftsbefugnis des Aufsichtsrats zu bejahen.56 Schließlich: Selbst wenn man den Verkehrsbedürfnissen und der Sachnatur je für sich nicht so starke Kraft beimessen wollte, dass sie eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung tragen, gewinnen sie doch jedenfalls in ihrem Zusammenwirken die für einen vorsichtigen Schritt über das positive Recht hinaus erforderliche kritische Masse. Dass eine solche Fortentwicklung extra legem dem Aktienrecht keineswegs fremd ist, zeigt sich am bereits erwähnten Beispiel der „ungeschriebenen“ Hauptversammlungskompetenzen. An deren Begründung im Wege „offener“ (sic!) Rechtsfortbildung sehen sich weder der BGH noch die h.L. durch den Umstand gehindert, dass der an sich klare Text des AktG (§ 119 Abs. 1 AktG: „beschließt in den [...] ausdrücklich bestimmten Fällen“) dafür an sich keinen Raum lässt.57 Umso mehr muss die Begründung ungeschriebener Kompetenzen dort möglich sein, wo der Gesetzeswortlaut keine derart klaren Schranken zieht. Ihr lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass es bei der Hauptversammlung um die Begründung von Kompetenzen zugunsten der residualen Eigentümer (Art. 14 GG), hier hingegen um die Machtverhältnisse innerhalb der Verwaltung geht. Denn ungeschriebene Kompetenzen kennt das Aktienrecht nicht nur zugunsten der Hauptversammlung, sondern auch – und zwar auf Kosten der Hauptversammlung – zugunsten des Aufsichtsratsvorsitzenden, namentlich bei der Ordnung der Hauptversammlung.58

dd) Parallele: Der „Deal“ im Strafverfahren Wer nach alledem immer noch Bedenken gegenüber einer rechtsfortbildend begründeten Außenkommunikationskompetenz des Aufsichtsrats hat und eine Antwort durch den Gesetzgeber fordert, sei daran erinnert, dass es keineswegs ungewöhnlich, verfassungsrechtlich jedenfalls nicht 56 Prominent E. Vetter (Fn. 21), S. 1589, 1599 u. 1600 („Natur der Sache“). 57 Vgl. nur BGHZ 159, 30 = NJW 2004, 1860 (Gelatine). 58 Vgl. BGHZ 44, 245, 248 = NJW 1966, 43. Bei dieser originären Kompetenz soll es nach h.M. trotz der 1998 geschaffenen Geschäftsordnungsbefugnis der HV bleiben, s. nur Hüffer/Koch (Fn. 10), § 129 Rz. 22; kritisch Bachmann, AG 1999, 210 (211 ff.).

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ungeheuerlich ist, wenn sich Kommunikations- und Verständigungsprozesse aufgrund unabweisbarer praktischer Bedürfnisse zunächst außerhalb des Gesetzes, ja bisweilen gegen dieses entwickeln, bevor sie von den Gerichten domestiziert und vom Gesetzgeber legalisiert werden. Ein schönes Beispiel dafür liefert der strafprozessuale „Deal“. Die Sachverhalte sind durchaus vergleichbar, weil das Gesetz hier wie dort ein formalisiertes Kommunikationsforum (Hauptversammlung bzw. Hauptverhandlung) vorgibt, dessen Korsett von den Beteiligten aus nachvollziehbaren Gründen als zu eng empfunden und daher durch informelle Verständigung gesprengt wird. Vielfachen Bedenken zum Trotz konnte sich im Strafverfahrensrecht daher am Ende die Einsicht behaupten, dass die rechtlich eingehegte Absprache willkommener ist als ein rigides Verbot, dass die Verständigungsprozesse nicht austrocknet, sondern nur ins Halbdunkel drängt. Diese Erkenntnis, der sich zunächst die höchstrichterliche Rechtsprechung59 und sodann der Gesetzgeber anschlossen hat (vgl. § 257c StPO), muss umso mehr im Zivilrecht Beachtung finden, ist dieses doch weitaus weniger durch rechtsstaatliche Vorgaben eingezwängt als der Strafprozess.

c) Einwand: „Verboardisierung“? Ein Einwand bleibt: Wer für eine Außenkommunikationsbefugnis des Aufsichtsrats streitet, könnte der (weiteren) „Verboardisierung“, also der schleichenden Verschmelzung von Vorstand und Aufsichtsrat, Vorschub leisten.60 Tatsächlich beobachten wir seit geraumer Zeit, dass sich die Verwaltungsstrukturen von monistischem und dualistischem System einander annähern („Konvergenz“).61 Dazu gehört nicht nur der internationale Trend zum unabhängigen Direktor, sondern auch, dass der deutsche Aufsichtsrat sich vom nebenamtlichen Aufpasser zu einem professionellen Begleiter und Berater des Vorstands entwickelt hat. Die Anerkennung von Außenkommunikationsbefugnissen ist nicht der Sargnagel dieser Entwicklung, sondern zieht aus ihr nur die gebotenen Konsequenzen. Denn in dem Maße, in dem der Aufsichtsrat über seine ursprüngliche Prägung hinaus zum unternehmerischen Mitgestalter avan59 Vgl. BVerfG NJW 1987, 2662; BGHSt 43, 195. Zur nachfolgenden Entwicklung Beulke/Swoboda, JZ 2005, 67 ff. 60 Dies befürchtend E. Vetter, AG 2016, 873, 876; zu Problem und Vokabel s. Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 111 Rz. 5. 61 Zu diesem vielfach beschriebenen Phänomen nur GK/Hopt/Roth (Fn. 5), § 95 Rz. 10.

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ciert, darf und muss sich auch seine Rechenschaft gegenüber dem Anlegerpublikum weiten.62 Ihm das eine abzuverlangen und das andere zu versagen, wäre nicht nur dem (ausländischen) Investor schwer zu vermitteln, sondern schlicht widersprüchlich und insofern mit dem Gebot folgerichtiger Rechtsanwendung („Wer A sagt muss auch B sagen“) nicht zu vereinen.63

d) Zwischenergebnis Das Aktienrecht steht der Befugnis des Aufsichtsrats, unmittelbar und aus eigenem Recht mit Investoren zu kommunizieren, nicht im Wege. Eine solche Kompetenz lässt sich rechtsfortbildend als Annex zu den Sachbefugnissen des Aufsichtsrats begründen. Sie hat das gegenläufige Prinzip der kanalisierten Außenkommunikation über den Vorstand („Konzentrationsmaxime“), die Teil seiner exklusiven Geschäftsführungsbefugnis ist, zu beachten. Beide Grundsätze – Annexkompetenz und Konzentrationsmaxime – müssen und können im Wege praktischer Konkordanz miteinander in Einklang gebracht werden.

IV. Konstellationen eines Investorendialogs Die „Leitsätze“ und die (geplante) Kodexempfehlung widmen sich ausschließlich dem Investorendialog im geschlossenen Kreis. Für eine umfassende Perspektive sind zusätzlich der Informationsfluss in der Hauptversammlung und die Öffentlichkeitsarbeit des Aufsichtsrats in den Blick zu nehmen.

1. Investorendialog in der Hauptversammlung Einen ersten Test und zugleich die Bestätigung des bislang gewonnenen Ergebnisses liefert die Frage, inwieweit der Aufsichtsrat zum Investorendialog in der Hauptversammlung berufen ist.

a) Recht, aber keine Pflicht zu Auskunft Blickt man ins Gesetz, so beschränkt sich die Rolle des Aufsichtsrats in der Hauptversammlung auf die Teilnahme an derselben (§ 118 Abs. 3 62 So – für die Auskunftsbefugnis in der Hauptversammlung – auch E. Vetter (Fn. 21), S. 1589, 1594 ff. 63 Zu diesem Gebot Larenz (Fn. 51), S. 334 f.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 8. Aufl. 1983, S. 163 ff.

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AktG) und auf die Vorlage eines schriftlichen Berichts (§ 171 Abs. 2 Satz 1 AktG), der vom Aufsichtsratsvorsitzenden zu „erläutern“ ist (§ 176 Abs. 1 Satz 2 AktG). Sämtliche Fragen der Aktionäre sind sodann an den Vorstand zu richten und von diesem zu beantworten (§ 131 AktG). Dieses Verfahren ist ersichtlich unbefriedigend, wenn die (Nach-)Fragen der Aktionäre auf Themen zielen, zu denen allein der Aufsichtsrat Auskunft geben kann, also etwa die Auswahl (§ 84 AktG), Vergütung (§ 87 AktG) oder Überwachung (§ 111 AktG) des Vorstands, die Kandidatenvorschläge zur Aufsichtsratswahl (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG), die Zusammenarbeit mit dem Abschlussprüfer (§§ 111 Abs. 2 Satz 3, 171 Abs. 1 Satz 2 u. 3 AktG) und die Umsetzung von aufsichtsratsbezogenen Kodexempfehlungen. In all diesen Fällen wäre es wenig sinnvoll und zudem zeitraubend, wenn der Vorstand sich die Antwort zunächst intern vom Aufsichtsrat holen müsste, um sie anschließend gegenüber den Aktionären zu wiederholen. Zu Recht wird es daher heute weithin als zulässig angesehen, dass der Aufsichtsrat – in der Regel in Gestalt des Aufsichtsratsvorsitzenden – unmittelbar die gewünschte Auskunft erteilt.64 Bemerkenswerterweise wird diese Argumentation auch und gerade von denjenigen vertreten, die sich sonst gegen die Befugnis des Aufsichtsrats zum Investorendialog stemmen.65 Ist der Aufsichtsrat zur Auskunft berechtigt, so trifft ihn doch keine entsprechende Pflicht.66 § 131 AktG nimmt ausdrücklich (nur) auf den Vorstand Bezug. Da es sich dabei, wie die wiederholte und betonte Verwendung des Wortes „Vorstand“ in §§ 131, 132 AktG zeigt, nicht um ein gesetzgeberisches Versehen handelt, ist die Norm nicht im Wege der Analogie auf den Aufsichtsrat zu erstrecken.67 Allenfalls de lege ferenda kann dies erwogen werden.68 Dafür mag sprechen, dass die fehlende Verpflichtung des Aufsichtsrats die kuriose Folge hat, dass der Auskunfts64 Vgl. Hüffer/Koch (Fn. 10), § 131 Rz. 6; KK/Kersting (Fn. 11), § 131 Rz. 72; Kremer in KBLW (Fn. 8), Rz. 1268 („inzwischen gelebte Praxis“); Baums, ZIP 2004, 1877 (1878 f. u. 1883); offen noch GK/Hopt/Roth (Fn. 5), § 116 Rz. 256. 65 Prominent E. Vetter (Fn. 21), S. 1589, 1592 ff. 66 Ganz h.M., vgl. nur Hüffer/Koch (Fn. 10), § 131 Rz. 6; MünchKomm/Kubis (Fn. 10), § 131 Rz. 22; KK/Kersting (Fn. 11), § 131 Rz. 72; Herrler in Grigoleit, 1. Aufl. 2013, § 131 Rz. 7; a.A. Trescher, DB 1990, 515 f. 67 Zutreffend Siems in Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 131 Rz. 17. 68 So auch Siems in Spindler/Stilz (Fn. 67), § 131 Rz. 17; vertiefend Merkner/ Schmidt-Bendun, AG 2011, 734, 738.

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anspruch des Aktionärs durch eine Aufsichtsratsantwort, wie erschöpfend sie auch immer ausfällt, nicht erfüllt wird, weshalb der Vorstand sich diese nach h.M. zu eigen machen muss.69

b) Grenzen der Aufsichtsratsauskunft Das Auskunftsrecht des Aufsichtsrats darf nicht dazu führen, dass redefreudige Aufsichtsratsmitglieder allzu weitschweifige oder detaillierte Ausführungen machen und damit die Informationshoheit an sich reißen. Auch Konflikte innerhalb des Aufsichtsrats oder Beratungsgeheimnisse dürfen nicht preisgegeben werden.70 Praktisch ist dem dadurch zu begegnen, dass die Informationen ausschließlich vom Aufsichtsratsvorsitzenden erteilt werden, zumal es dieser ist, der den Bericht des Aufsichtsrats zu erläutern hat (§ 176 Abs. 1 Satz 2 AktG). Leitet der Vorsitzende, wie es weiterhin gängige Praxis ist, selbst die Versammlung, kann ihn die Doppelrolle als Auskunftserteilender und Ordnungshüter überfordern. Das gilt namentlich bei kontroversen Versammlungen. Emittenten, die eine aktive Informationspolitik des Aufsichtsrats in der Hauptversammlung befürworten, sollten daher erwägen, die Auskunftserteilung einem anderen, darauf vorbereiteten Mitglied des Gremiums zu übertragen oder, wenn die Satzung dies gestattet, die Versammlung von einer dritten Person leiten zu lassen. Weil in der Fokussierung des Auskunftsrechts auf den Vorstand auch der Konzentrationsgedanke zum Ausdruck gelangt (oben III.3.b), findet die Auskunftsberechtigung von Aufsichtsratsmitgliedern in der Hauptversammlung hierin eine immanente Grenze. Sie besteht darin, dass der Aufsichtsrat sich nicht offen zu Positionen des Vorstands in Widerspruch setzen darf und diesem bei der Entscheidung über die Beantwortung von Fragen jedenfalls dann den Vorrang lassen muss, wenn es um Angelegenheiten geht, die auch oder primär den Vorstand betreffen. Praktisch lassen sich daraus resultierende Schwierigkeiten vermeiden, indem bei der Vorbereitung der Hauptversammlung und im back-office dafür gesorgt wird, dass für zu erwartende oder gestellte Fragen eine Kommunikationsstrategie entwickelt wird.

69 Hüffer/Koch (Fn. 10), § 131 Rz. 6; krit. dazu E. Vetter (Fn. 21), S. 1589, 1600 ff. 70 Vgl. BGHZ 198, 354 = NJW 2014, 541; BGH NZG 2014, 423 Rz. 76.

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c) Reform des Auskunftsrechts? Im Schrifttum wird die gesetzliche Regelung des Auskunftsrechts verschiedentlich als reformbedürftig erachtet und für eine Korrektur des § 131 AktG geworben.71 Wagt man sich an eine solche Reform, könnte – wie z.T. schon de lege lata vertreten – der Aufsichtsrat in die Auskunftspflicht einbezogen werden.72 Dafür ließen sich die Erwägungen anführen, die oben zugunsten einer allgemeinen Außenkommunikationsbefugnis des Aufsichtsrats genannt wurden, namentlich der Umstand, dass der Aufsichtsrat mitunternehmerische Aufgaben erfüllt und insofern eine erweiterte Rechenschaft schuldig ist.73 Drängender Reformbedarf in dieser Richtung besteht jedoch nicht, weil Aufsichtsratsmitglieder, die auf Wiederwahl hoffen, schon von sich aus oft die gewünschte Auskunft geben werden. Umgekehrt steht zu befürchten, dass eine Ausweitung des Adressatenkreises der Auskunftspflicht notorischen Berufsklägern in die Hände spielt, die dann nicht nur den Vorstand, sondern auch den Aufsichtsrat mit endlosen Fragenkatalogen konfrontieren. Will man das Auskunftsrecht reformieren, dann sollte jedenfalls auch das Beschlussmängelrecht und am besten die gesamte Hauptversammlung auf den rechtspolitischen Prüfstand gestellt werden (dazu noch unten IV.3.b). Aber wie auch immer man die Auskunftspflicht des Aufsichtsrats am Ende gestaltet: das Bedürfnis für einen Dialog außerhalb der Hauptversammlung wird dadurch nicht verschwinden.

2. Investorendialog in der Öffentlichkeit (Presseerklärungen) Problematischer als der Investorendialog in der Hauptversammlung ist die unmittelbare Ansprache der Öffentlichkeit durch den Aufsichtsrat, etwa in Gestalt von Pressemitteilungen oder Interviews. Während in der Literatur z.T. noch kategorisch postuliert wird: „Der Aufsichtsrat gibt keine Erklärungen – auch keine Presserklärungen! – ab“,74 bewegt sich die Praxis hier mitunter auf anderen Gleisen. Wiederum gilt, dass eine

71 Etwa Siems in Spindler/Stilz (Fn. 67), § 131 Rz. 11, 18, 71, 93; zu den Funktionsmängeln der Norm auch Herrler in Grigoleit (Fn. 66), § 131 Rz. 2. 72 Dafür etwa E. Vetter (Fn. 21), S. 1589, 1600. Ablehnend noch Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 61. 73 S.o. III.3.c (S. 154 f.). 74 So Lutter/Krieger/Verse (Fn. 10), Rz. 40; Lutter (Fn. 10), Rz. 403.

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bloße Praxis sich nicht selbst legitimieren kann,75 allerdings Indikator eines gewandelten Rollenbildes sein mag. Das OLG Stuttgart hat im vielbeachteten Piëch-Urteil („Sardinien-Interview“) ausdrücklich offengelassen, „ob ein Mitglied des Aufsichtsrats im Allgemeinen berechtigt ist, sich öffentlich zu äußern“.76 Im konkreten Fall, in dem es um die Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden ging, hat es die von diesem gegenüber der Presse getätigte Äußerung, die vom Vorstand eingegangenen Risiken seien nicht abzuschätzen, als treuwidrig gewertet, weil dadurch die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft herabgesetzt worden sei, und weil der Aufsichtsratsvorsitzende in unzulässiger Weise einen internen Konflikt nach außen getragen habe.77 Zumindest in dieser Hinsicht sind die Schranken öffentlicher Äußerungen von Organmitgliedern damit klargestellt. Indem das OLG Stuttgart darauf hinweist, dass die Geschäftsführung dem Vorstand obliege, während der Aufsichtsrat nur als „Binnenorgan“ ausgestaltet sei,78 macht es sich zugleich ein Argumentationsmuster zu eigen, das – wie gesehen – von Kritikern eines Investorendialogs des Aufsichtsrats verwendet wird. Das OLG deutet damit eine restriktive Haltung an. Meines Erachtens ist hier in der Tat größere Zurückhaltung geboten als bei der vorbereiteten Ansprache von Aktionären, da – wie gerade der Fall des „Sardinien-Interviews“ zeigt – bei öffentlichen Spontanäußerungen die Gefahr von Missdeutungen oder Fehlverständnissen größer und die Breitenwirkung schwerer abzuschätzen ist. Presseäußerungen, die über die bloße Bekanntgabe bestimmter Aufsichtsratsentscheidungen (etwa: Bestellung eines neuen Vorstandsmitglieds) hinausgehen, sollten daher stets mit dem Vorstand abgestimmt sein und sich strikt auf die Aufgabenbereiche des Aufsichtsrats beziehen, darüber hinaus zurückhaltend ausfallen und im Zweifel besser ganz unterbleiben.

75 Deutlich OLG Stuttgart BeckRS 2012, 05280 („Piech“): „Die Existenz einer bestimmten Praxis [lässt] noch nicht auf deren Rechtmäßigkeit schließen“. 76 OLG Stuttgart BeckRS 2012, 05280 (unter B.I.1.b) cc) (2.3). 77 OLG Stuttgart BeckRS 2012, 05280 (insb. B.I.1.b) cc); s. auch Lutter (Fn. 10), Rz. 402. 78 OLG Stuttgart, BeckRS 2012, 05280 (unter B.I.1.b) cc) (2.3), unter Zitat von Lutter (Fn. 10), § 14 Rz. 401.

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3. Investorendialog im geschlossenen Kreis Die heute drängendste Frage, der allein sich die „Leitsätze“ widmen, gilt dem nichtöffentlichen Dialog des Aufsichtsrats mit ausgewählten Investoren.

a) Kompetenz des Aufsichtsrats Die „Leitsätze“ gehen in ihren Vorbemerkungen und in der Präambel davon aus, dass ein solcher Dialog zulässig ist, soweit er sich auf Themenkreise beschränkt, die in die Zuständigkeit des Aufsichtsrats fallen. Dem ist nach dem oben (III.3.) Gesagten zuzustimmen. Zwar fällt die Kompetenz zur Außendarstellung als Geschäftsführungsmaßnahme dem Vorstand zu. Wie aber eingehend dargelegt, verdrängt diese Querschnittskompetenz nicht die Befugnis des Aufsichtsrats, innerhalb seines Aufgabenfeldes den Informationsaustausch mit Anlegern zu betreiben, sondern ist mit dieser in praktischen Einklang zu bringen (s.o. III.3.b). Das eigentliche Problem des Investorendialogs steckt also nicht so sehr im Grundsätzlichen, als vielmehr in der Frage, wie der Dialog mit ausgewählten Investoren konkret zu gestalten ist. Dazu sind zunächst die Schranken jedweder Kommunikation mit den Investoren zu beleuchten (unten V.) und sodann die einzelnen Leitsätze im Detail zu betrachten (unten VI.). Vorab ist ein Generaleinwand aus dem Weg zu räumen, der immer wieder gegen das Gespräch im „stillen Kämmerlein“ erhoben wird.

b) Entwertung der Hauptversammlung? „Aktionäre üben ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft in der Hauptversammlung aus“ (§ 118 Abs. 1 Satz 1 AktG). Mit diesem lapidaren Satz hebt das Aktiengesetz die zentrale Bedeutung der Gesellschafterzusammenkunft in der AG hervor, welche diese fundamental von allen anderen Gesellschaftsrechtsformen unterscheidet. Die Hauptversammlung schafft ein quasi-öffentliches Forum, zu dem alle Aktionäre gleichmäßigen Zugang haben, und in dem die Verwaltung den frageberechtigten Eigenkapitalgebern nachvollziehbar Rede und Antwort steht. Wird diese Einrichtung durch einen formlosen Privatdialog mit Investoren ge- oder gar zerstört?

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Die Wahrheit ist, dass die Hauptversammlung zwar noch mancherlei Aufgabe erfüllen mag, die ihr zugedachte Rolle des zentralen Informationsforums aber längst ausgespielt hat.79 Ihre Funktionsdefizite sind zu oft beschrieben und beklagt worden, als dass sie hier noch einmal im Detail nachgezeichnet werden müssten.80 Für unsere Zwecke genügt die Feststellung, dass der Investorendialog die Hauptversammlung nicht entwertet, sondern lediglich das leistet, was die Hauptversammlung aus strukturellen Gründen nicht zu leisten imstande ist. Wer sich hieran stört, sollte nicht den Investorendialog dämonisieren, sondern durch Herausarbeitung klarer Regularien dafür sorgen, dass ein solcher Dialog in geordneten Bahnen verläuft. Nochmals sei auf die parallele Entwicklung der Verständigung im Strafverfahren hingewiesen.81 Wer zu radikaleren Thesen neigt, darf darüber hinaus die Frage stellen, ob die Hauptversammlung in ihrer zwingenden Gestalt noch zeitgemäß ist. Diese Frage habe ich an anderer Stelle aufgeworfen; auf die dort gegebene Antwort sei hier verwiesen.82

V. Allgemeine Schranken der Investorenkommunikation Kommunikation mit Investoren, gleich ob vom Vorstand oder vom Aufsichtsrat und gleich in welchem Forum geführt, muss die generellen Grenzen respektieren, die das Aktien- und Kapitalmarktrecht der Anlegerkommunikation ziehen. Das sehen auch die „Leitsätze“ und verweisen dazu auf die sinngemäße Anwendung der Grundsätze, „die schon heute Basis der Kommunikation von Investor Relations und des Vorstands mit einzelnen Investoren sind“.83 Weil diese Grundsätze praktisch von erheblicher Bedeutung, in ihrer Tragweite aber nicht durchweg erkannt sind, sollen sie hier in Erinnerung gebracht werden.

79 Deutlich Stengel, VGR 5 (2001), S. 61, 63 f.: „Das Gesetz betrachtet die Hauptversammlung als Informationsforum und verkennt, dass sie damit überfordert ist“. 80 Ausführlich Bachmann in FS G.H. Roth, 2011, S. 37, 42 ff.; Noack in Fleischer/Koch/Kropff/Lutter (Hrsg.), 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, 173, 175 ff. 81 S.o., III.3.b.dd. (S. 153 f.). 82 Bachmann (Fn. 80), S. 37, 48 (für Satzungsdispositivät der HV); zustimmend Noack (Fn. 80), S. 180; mit ähnlicher Stoßrichtung Seibt, Manager Magazin 9/2016, S. 69. 83 Leitsätze, Präambel Abs. 3 Satz 2.

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1. Insiderrecht Unzweifelhaft gelten für den Investorendialog des Aufsichtsrats die Spielregeln des Insiderrechts.84 Die Leitsätze erkennen das in ihrer Vorbemerkung ausdrücklich an. Dies bedeutet, dass an Investoren keine Insiderinformationen i.S.v. Art. 7 der Marktmissbrauchsverordnung (MMVO) herausgegeben werden dürfen (vgl. Art. 10 MMVO). Die in der Verordnung vorgesehene Ausnahme für den Fall, dass die Weitergabe im Rahmen der gewöhnlichen Ausübung bzw. Erfüllung einer Beschäftigung, eines Berufs oder einer Pflicht erfolgt, greift für die Weitergabe von Insiderinformationen an Aktionäre (Ausnahme: Konzern) nicht.85 Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Marktmissbrauchsrichtlinie, die für die MMVO fortgilt,86 ist diese Ausnahme ohnehin eng auszulegen.87 Sie greift nur, wenn die Weitergabe für den Weitergebenden „unerlässlich“ ist, was für den Aufsichtsrat im Verhältnis zu Investoren nach dem insoweit maßgeblichen deutschen Recht grundsätzlich zu verneinen ist. Das Weitergabeverbot gilt auch in der Hauptversammlung und bei Einzelgesprächen mit Journalisten.88 Angesichts der Weite des Begriffs der Insiderinformation werden dem Investorendialog damit deutliche Schranken gezogen. In der Praxis sollte sich der Aufsichtsrat stets die Testfrage stellen, ob die betreffende Information, würde sie öffentlich bekannt werden, einen erheblichen Kursausschlag zur Folge haben könnte. Weil auch Personalien den Charakter einer Insiderinformation tragen können, wie der Fall „Schrempp“ zeigte,89 muss der Aufsichtsrat sich mit konkreten (in der Terminologie der MMVO: „präzisen“) Angaben zurückhalten, wie es die Leitsätze denn auch vorsehen. Entsprechendes gilt für Äußerungen zu grundlegenden Geschäftsentscheidungen, Strategiefragen, Compliance-Vorfällen usw. 84 Unstr., s. nur Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 360, 366; Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 44, 47. 85 Bachmann in FS Schwark, 2009, S. 331, 337; näher KK-WpHG/Klöhn, 2. Aufl. 2014, § 14 Rz. 361 ff., 434 ff. 86 Bachmann, Das Europäische Insiderhandelsverbot 2015, S. 16. 87 Vgl. EuGH (Große Kammer) v. 22.11.2005 – Rs. C-384/02 (Knud Grøngaard, Allan Bang), NJW 2006, 133 und dazu Bachmann (Fn. 86), S. 22 ff.; abschwächend KK/Klöhn (Fn. 11), § 14 Rz. 325 ff. 88 KK/Klöhn (Fn. 11), § 14 Rz. 359 (Hauptversammlung) u. Rz. 452 (Journalisten). 89 EuGH v. 28.6.2012 – Rs. C-19/11 (Markus Geltl), ZIP 2012, 1281; dazu Bachmann (Fn. 86), S. 35 f.; eingehend Bachmann, DB 2012, 2206 ff.; KK/Klöhn (Fn. 11), § 13 Rz. 348.

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2. Wahrung der Verschwiegenheitspflicht Noch weiter eingeengt wird der Spielraum des Aufsichtsrats durch die Verschwiegenheitspflicht, die ihm der Gesetzgeber mit dem TransPuG (2002) in § 116 Satz 2 AktG ausdrücklich ins Stammbuch geschrieben hat. Sie gilt grundsätzlich – Ausnahme: Konzern – auch gegenüber Aktionären.90 Zwar wirkt die Verschwiegenheitspflicht nicht absolut, sondern darf hintangestellt werden, wenn die Preisgabe einer vertraulichen Information der Gesellschaft mehr nützt als schadet.91 Dies entbindet den Aufsichtsrat und seine einzelnen Mitglieder aber nicht von der Pflicht zur sorgfältigen Prüfung, ob dies hinsichtlich einer konkreten Information auch wirklich der Fall ist. Keineswegs darf sich der Aufsichtsrat damit beruhigen, dass ein Gedankenaustausch mit Investoren generell im Interesse der Gesellschaft liegt, weil die Verschwiegenheitspflicht bei einem solchen Verständnis leerliefe. Wie das Gesetz hervorhebt, umfasst die Verschwiegenheitspflicht insbesondere den Inhalt der vom Vorstand (§ 90 AktG) oder von Mitarbeitern erhaltenen „vertraulichen Berichte“ sowie alle „vertraulichen Beratungen“ im Aufsichtsrat bzw. mit dem Vorstand. Hierzu zählt auch ohne besondere Kenntlichmachung der gesamte Beratungsinhalt sowohl des Plenums als auch der Ausschüsse einschließlich der Redebeiträge und des Abstimmungsverhaltens der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder.92 Hintergrund ist, dass ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten innerhalb des Aufsichtsrats nur möglich erscheint, wenn Interna nicht nach außen dringen. Ob schon die Aussage, dass die Meinungen im Aufsichtsrat gespalten sind oder Angelegenheiten kontrovers beurteilt werden, einen Bruch mit der Verschwiegenheitspflicht darstellt, ist offen. Vorsorglich sollte eine derartige Aussage gemieden werden. Obwohl der Vorstand im Allgemeinen als „Herr der Geschäftsgeheimnisse“ angesehen wird, darf der Aufsichtsrat über die Offenlegung solcher Vorgänge entscheiden, die ausschließlich aus seiner Sphäre stammen, namentlich die Bestellung oder Abberufung von Vorstandsmitgliedern.93 Dies ist Ausdruck und Beleg der oben bereits angesprochenen Annexkompetenzen. Ferner darf der Aufsichtsrat sich selbst von seinem Beratungs90 Unstr., vgl. nur GK/Hopt/Roth (Fn. 5), § 116 Rz. 216. 91 Grundsätzlich BGHZ 64, 325, 330 ff. = NJW 1975, 1412. 92 Vgl. BGHZ 64, 325, 330 ff. = NJW 1975, 1412; Hüffer/Koch (Fn. 10), § 116 Rz. 9; Spindler in Spindler/Stilz (Fn. 67), § 116 Rz. 112 u. 113. 93 GK/Hopt/Roth (Fn. 5), § 116 Rz. 240; Spindler in Spindler/Stilz (Fn. 67), § 116 Rz. 102; a.A. Wilsing/von der Linden, ZHR 178 (2014), 419, 433 f.

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geheimnis befreien. Dafür genügt nach h.M. die einfache Stimmmehrheit, ohne dass es der Zustimmung jedes Betroffenen bedarf.94 Für den Aufsichtsratsvorsitzenden, der in der Praxis und nach den „Leitsätzen“ den Dialog mit Investoren führt, bedeutet dies, dass er sorgfältig abzuwägen hat, welche Informationen er ohne Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht an Investoren geben darf. Besondere Zurückhaltung ist geboten, wenn es um Informationen geht, die er selbst aus vertraulichen Berichten des Vorstands erhalten hat. Über den Inhalt interner Beratungen darf er sich überhaupt nur dann äußern, wenn das Gremium zuvor vom Beratungsgeheimnis dispensiert hat. Die Rolle des Vorsitzenden wird dadurch stärker eingeschränkt, als dies in den „Leitsätzen“ und in der geplanten Kodex-Empfehlung zum Ausdruck kommt.

3. Informationelle Gleichbehandlung Weniger Probleme scheint der Grundsatz der informationellen Gleichbehandlung zu bereiten. Zwar bestreitet niemand, dass dieser auch beim Investorendialog zu beachten ist. Weil der Gleichbehandlungsgrundsatz aber nicht absolut gilt, sieht man in der Praxis hier offenbar keine echte Hürde.95 In den „Leitsätzen“ findet der Grundsatz nur beiläufig Erwähnung. Ein näherer Blick zeigt, dass sich hier eine ganze Reihe ungeklärter Rechtsfragen auftun.

a) „Sachlicher Grund“ für privilegierte Investoreninformation? Grundlage des Gleichbehandlungsgebots sind § 53a AktG sowie § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG, die beide auf europarechtlicher Grundlage fußen und jeweils – § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG sogar vornehmlich – die informationelle Gleichbehandlung beinhalten.96 Beide Normen schließen eine privilegierte Information einzelner Aktionäre nicht aus, wie sich indirekt aus § 131 Abs. 4 AktG ergibt. Zulässig ist die informationelle Ungleichbehandlung, wenn dafür ein sachlicher Grund besteht. Doch worin kann dieser im Falle der Investorengespräche liegen? 94 Vgl. Wilsing/von der Linden, ZHR 178 (2014), 419, 440; Hüffer/Koch (Fn. 10), § 116 Rz. 10; Spindler in Spindler/Stilz (Fn. 67), § 116 Rz. 102; a.A. KK/Mertens/Cahn (Fn. 11), § 116 Rz. 53. 95 Skeptisch aber Cahn/Spannenberg in Spindler/Stilz (Fn. 67), § 53a Rz. 20: „Investorendialog nicht unbedenklich“; Hexel, AR 2014, 121: keine Sonderrechte für Großaktionäre. 96 Bachmann, ZHR 170 (2006), 144, 146; Bachmann (Fn. 85), S. 331, 338.

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„Klassische“ Gründe für eine informationelle Privilegierung einzelner Aktionäre sind zum einen die Weitergabe von Informationen an einen Kontrollaktionär, zum anderen das Abtasten der Anlagestimmung („market sounding“), etwa vor einer Kapitalerhöhung.97 Im Vertragskonzern, nach h.M. auch im faktischen Konzern, dürfen vertrauliche Informationen an das herrschende Unternehmen weitergegeben werden.98 Diese Situation liegt bei Investorengesprächen nicht vor. Auch die zweite Ausnahme hilft nicht weiter, wenn Investorengespräche turnusgemäß und ohne den besonderen Anlass einer bevorstehenden Kapitalmaßnahme o.Ä. stattfinden. Die Eigenschaft des Großaktionärs als solche rechtfertigt nach h.M. keine Vorzugsbehandlung.99 Das, was aus der am Dialog interessierten Praxis z.T. als Grund für eine Privilegierung vorgetragen wird, vermag nicht immer zu überzeugen. Dies gilt etwa für den Hinweis auf die treuhänderische Stellung institutioneller Investoren oder für die Notwendigkeit, die Tätigkeit des Aufsichtsrats besser beurteilen zu können.100 Wenn man einer Person aufgrund ihrer Treuhänderstellung Informationen zur Verfügung stellt, gibt es keinen Grund, warum sie dem unmittelbar Beteiligten (Aktionär) vorzuenthalten wären, und an der Bewertung der Aufsichtsratstätigkeit sind unmittelbare Anleger nicht weniger interessiert als mittelbare. Der in diesem Zusammenhang meist erfolgende Hinweis auf die Unzulänglichkeiten der Hauptversammlung, in der sich kein wirklicher Dialog führen lässt, ist richtig, rechtfertigt aber nur den Dialog als solchen, nicht die bevorzugte Informationsversorgung. Fruchtbar gemacht werden könnte die Überlegung, dass die Gewinnung eines „Ankeraktionärs“ es rechtfertigt, diesen bevorzugt mit Informationen zu versorgen, wenn und weil dies dem Unternehmensinteresse – verstanden als auf nachhaltige Wertschöpfung gerichtet (DCGK Präambel Abs. 2) – dienlich ist.101 Akzeptiert man diesen Ansatz ebenso wie die dahinterstehende Prämisse, dass es Vorstand und Aufsichtsrat 97 Vgl. nur Fleischer, ZGR 2009, 505, 521 f., 529 ff.; Weber-Rey/Reps, ZGR 2013, 597, 629; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 535 f. 98 Näher Hüffer/Koch (Fn. 10), § 93 Rz. 31 f., § 116 Rz. 12, § 131 Rz. 37 f., § 31 Rz. 36a ff. 99 Vgl. BayObLG NZG 2002, 1020, 1021; Fleischer, ZGR 2009, 505, 525; Hoffmann-Becking in FS Rowedder, 1994, S. 155, 166 f. 100 So etwa Hirt, Börsen-Zeitung v. 6.7.2016, S. 9 (Interview). 101 So Weber-Rey/Reps, ZGR 2013, 597, 612, 614, 626; Seibt/Wunsch, Der Konzern, 2009, 195, 198 f.

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nicht grundsätzlich verwehrt ist, auf die Aktionärspopulation Einfluss zu nehmen, dann müsste sich die bevorzugte Informationsversorgung auch damit rechtfertigen lassen, dass ein bereits vorhandener Ankeraktionär – wozu ein in nennenswertem Umfang beteiligter Institutioneller durchaus gerechnet werden kann – daran gehindert wird, mangels bevorzugter Informationsversorgung wieder „abzuspringen“. Problematisch an diesem Gedankengang ist, dass er, einmal akzeptiert, Erpressungspotential schafft. Mit der Drohung, ansonsten von Bord zu gehen, könnte ein „Ankeraktionär“ jedwede Sonderbehandlung einfordern, womit das Gleichbehandlungsgebot desavouiert wäre. Rechtfertigen lässt sich eine – maßvolle – informationelle Bevorzugung institutioneller Investoren am Ende mit der Überlegung, dass diese durch ihr aktives Engagement einen besonderen Beitrag zur Corporate Governance der Unternehmung und damit mittelbar zur Förderung des Unternehmensinteresses leisten.102 Wenn das Recht ihnen – wenn auch vorläufig nur in „weicher“ bzw. embryonaler Form – eine besondere Verantwortung in Gestalt von „Stewardship“-Pflichten ansinnt, dann ist es billig, ihnen zur Wahrnehmung dieser Verantwortung die dazu erforderlichen Mittel an die Hand zu geben. Dazu gehört auch und insbesondere das Recht zur Teilnahme an Gesprächen, in denen Vorstand und Aufsichtsrat – im engen Rahmen des nach Insiderrecht und Verschwiegenheitspflicht Zulässigen – Auskünfte geben, die in der Hauptversammlung so nicht zu erlangen sind. Weil diese Rechtfertigung zugegebenermaßen eine schwache ist, müssen ihr auch schwächere Rechtsfolgen korrespondieren.103 Fleischer will 102 In diesem Sinne auch Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 737 f.; Seibt, VGR 3 (2001), S. 37, 53; ferner Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 13 Rz. 701: „Wer sich besonders interessiert, darf auch mit gewissen zusätzlichen Informationen bedient werden“. Strenger Fleischer, ZGR 2009, 505, 523 ff., der eine Anreiz- bzw. Belohnungswirkung nicht als Sachgrund für eine privilegierte Informationsversorgung akzeptiert („mit dem geltenden Recht nicht in Einklang zu bringen“). Auch Fleischer plädiert – nicht ganz widerspruchsfrei – aber am Ende für eine „Relativierung“ von § 53a AktG, „um der gestiegenen Bedeutung des unterjährigen Meinungsaustauschs zwischen Verwaltung und wesentlich beteiligten Aktionären Rechnung zu tragen“ (ebd., S. 525 f.). 103 Diese „bewegliche“ Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge erscheint mir beim Gleichbehandlungsgebot überzeugender als eine Schwarz/WeißLösung, bei der eine informationelle Sonderbehandlung entweder ganz oder gar nicht zulässig ist. Sie findet sich – was hier nicht zu vertiefen ist – auch in der verfassungsgerichtlichen Handhabung von Art. 3 Abs. 1 GG wieder.

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den Inhalt von Investorengesprächen aus eben diesem Grund auf die „Erläuterung“ und „Vertiefung“ bekannter Informationen und das Ausräumen von Missverständnissen begrenzen, „ohne hierbei kursrelevante Neuigkeiten preiszugeben“.104 Dies, so Fleischer, sei „mehr als der Großaktionär bei rigoroser Handhabung des Gleichbehandlungsgebots erwarten darf, aber weniger als ein privilegierter Informationsstatus“.105 Auch Fleischer geht also implizit davon aus, dass unterhalb der Schwelle der Kursrelevanz Neues gesagt werden darf, denn wer erläutert, vertieft oder klarstellt, wiederholt damit nicht lediglich Bekanntes, sondern schafft eine Informationslage, die anderen Aktionären so nicht zur Verfügung steht. Dem institutionellen Investor darf mithin etwas „Mehr“ gesagt werden als anderen Aktionären.

b) Auswahl der Investoren Weder die Leitsätze noch die bisherige Literatur widmen sich der Frage, nach welchen Kriterien Vorstand oder Aufsichtsrat den Teilnehmerkreis eines Investorendialogs festzulegen haben. Diese Frage ist von Relevanz, da der Kreis der am Dialog Interessierten möglicherweise größer ist als von der Verwaltung in Betracht gezogen. Im jüngsten Schrifttum findet sich dazu der allgemein gehaltene Hinweis, dass der Dialog mit solchen Investoren geführt wird, „die für die Gesellschaft wichtig sind“.106 Darunter verstehen die Autoren neben institutionellen Investoren den „unternehmerisch beteiligten Anleger“ sowie „in bestimmten Fällen möglicherweise auch einzelne andere Aktionäre“. Praktische Relevanz scheinen die Verfasser der Frage nicht beizumessen, weil der einzelne Investor kein Recht auf Teilnahme an Gesprächen außerhalb der Hauptversammlung habe und die Entscheidung, ob und mit wem ein solcher Dialog geführt werde, allein bei der Gesellschaft liege.107 Diesen Ausführungen kann man sich nicht voll anschließen. Vorstand und Aufsichtsrat mögen frei darüber entscheiden, ob sie einen Investorendialog führen. Wenn sie sich aber dazu entscheiden, sind sie nicht in gleicher Weise frei, den Teilnehmerkreis zu begrenzen. Dem steht der Gleichbehandlungsgrundsatz im Wege, der eine sachlich begründete Auswahl verlangt. Wird ein interessierter Anleger ohne sachlichen Grund vom Dialog ferngehalten, kann ein aus § 53a AktG als mitglied104 105 106 107

Fleischer, ZGR 2009, 505, 525 (Hervorhebungen im Original). Fleischer, ZGR 2009, 505, 526 (Hervorhebung im Original). Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 738. Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 738.

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schaftlichem Grundrecht abgeleiteter, einklagbarer Anspruch auf Teilnahme am Investorengespräch nicht ausgeschlossen werden. Eine praktikable Lösung könnte darin bestehen, den Termin des Dialogs öffentlich bekannt zu machen und so jedem Anleger die Chance zu eröffnen, daran teilzuhaben. Eine solche Lösung ist z.T. in ausländischen Kodizes vorgesehen.108 Wenn absehbar ist, dass einer derartigen Einladung ohnehin nur eine begrenzte Zahl ernsthaft Interessierter Folge leistet, stellt dies einen gangbaren Weg dar. In Deutschland kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sich auf diese Weise der aus hiesigen Hauptversammlungen bekannte Typus des Berufsopponenten Zugang verschafft und durch unangemessenes Verhalten den Dialog zerstört. Die sich dann stellende (und wohl zu bejahende) Frage nach der Zulässigkeit von Ordnungsmaßnahmen sollte von vornherein vermieden werden. Sinnvoller erscheint es, ein Teilnahmerecht all denjenigen zuzusprechen, die mit ihrer Beteiligung gewisse, am Aktiengesetz orientierte Schwellenwerte überschreiten. Unterhalb dieser Schwelle sollten Vorstand und Aufsichtsrat über ein nach sachlichen Kriterien auszuübendes Ermessen verfügen, wen sie zum Dialog bitten. Hierzu bietet sich eine grobe Orientierung an der einschlägigen Verwaltungsrechtsprechung an.109 Unter den in Betracht kommenden Schwellenwerten sollte der niedrigste im Aktiengesetz verwandte herangezogen werden, also die 1-Prozent-Marke, die das Gesetz für den Antrag auf Sonderprüfung (§ 142 Abs. 2 Satz 1 AktG) und auf Klagezulassung (§ 148 Abs. 1 Satz 1 AktG) etabliert. Wenn das Gesetz nur diesen, nicht aber geringer beteiligten Aktionären Sonderrechte einräumt, kommt darin eine Wertentscheidung zum Ausdruck, die bei der Anwendung von § 53a AktG berücksichtigt werden muss. Soweit der Aufsichtsrat über die Auswahl der Einzuladenden entscheidet, ist dafür nicht der Vorsitzende, sondern das Plenum zuständig.110

108 Etwa Dutch Code of Corporate Governance, Ziff. 4.2.3; s. auch Belgian Code of Corporate Governance, Ziff. 8.2. 109 Zur Kontrolle von Auswahlentscheidungen s. nur BVerwG v. 27.4.1984 – 1 C 24.82, NVwZ 1984, 585; BVerwG v. 24.6.2011 – 8 B 31/11. 110 A.A. Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 738.

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c) Pflicht zur Nachinformation der übrigen Aktionäre? Die unter Gleichbehandlungsaspekten brisanteste Frage ist diejenige nach dem Recht der nicht am Investorendialog beteiligten Anleger, über den Inhalt der Gespräche nachträglich unterrichtet zu werden. Im deutschen Recht kommen dafür insbesondere zwei Anspruchsgrundlagen in Betracht.

aa) § 131 Abs. 4 AktG Ist einem Aktionär außerhalb der Hauptversammlung eine Auskunft gegeben worden, so muss sie nach § 131 Abs. 4 Satz 1 AktG jedem anderen Aktionär in der Hauptversammlung ebenfalls gegeben werden. Erfolgte die Auskunftserteilung durch den Aufsichtsrat, soll § 131 Abs. 4 AktG allerdings nach überwiegender, vom LG Frankfurt/M. unlängst bestätigter Ansicht nicht zum Zuge kommen, da die Norm nur vom Vorstand erteilte Auskünfte erfasse.111 Systematisch ist diese Aussage richtig, da § 131 AktG nur den Vorstand adressiert, sachlich ist sie falsch, da § 131 Abs. 4 AktG auf informationelle Gleichbehandlung zielt und es unter teleologischen Gesichtspunkten gleichgültig ist, ob die privilegierte Auskunft vom Vorstand oder vom Aufsichtsrat erteilt wurde. Wenigstens wenn man, wie hier vertreten, den Aufsichtsrat zur Information gegenüber Anlegern außerhalb der Hauptversammlung für berechtigt hält, sollte § 131 Abs. 4 AktG in diesem weiten Sinne verstanden werden. Der Wortlaut steht dem nicht im Wege. Die Frage braucht hier indes nicht vertieft zu werden, weil § 131 Abs. 4 AktG aus anderen Gründen leerläuft. Nach h.M. darf sich der Auskunftssuchende nicht mit einer Ausforschungsfrage begnügen, sondern muss die einem anderen Aktionär erteilte Auskunft konkret benennen.112 Dazu ist er in aller Regel nicht in der Lage. Zähne könnte § 131 Abs. 4 AktG in Zukunft erhalten, wenn man vom Aufsichtsrat, der außerhalb der Hauptversammlung mit Investoren gesprochen hat, verlangt, darüber in seinem Bericht an die Hauptversammlung (§ 171 Abs. 2 AktG) Rechenschaft zu geben.113 Dann wird dem Auskunftssuchenden 111 LG Frankfurt/M. ZIP 2016, 1535 mit insoweit zust. Ansicht Priester, EWiR 2016, 557; aus der Lit. nur Hüffer/Koch (Fn. 10), § 131 Rz. 40; MünchKomm/ Kubis (Fn. 10), § 131 Rz. 143; KK/Kersting (Fn. 11), § 131 Rz. 433. 112 Statt aller Hüffer/Koch (Fn. 10), § 131 Rz. 41. 113 Dafür Tüngler, BOARD 2016, 175, 176, der eine „Renaissance des § 131 Abs. 4 AktG“ erwartet.

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ein Anhalt geliefert, um sein Auskunftsbegehren nach § 131 Abs. 4 Satz 1 AktG so zu substantiieren, wie die h.M. es verlangt. Abgeblockt werden kann sein Begehren dann nur noch, wenn man die Norm teleologisch so reduziert, dass sie in Fällen einer sachlich gerechtfertigten (und daher nach § 53a AktG zulässigen) informationellen Ungleichbehandlung nicht zum Zuge kommt.114

bb) Ziff. 6.1 Satz 2 DCGK (Fair Disclosure) Über § 131 Abs. 4 AktG hinausgehend empfiehlt Ziff. 6.1 Satz 2 DCGK, Aktionären unverzüglich sämtliche wesentlichen neuen Tatsachen zur Verfügung zu stellen, die Finanzanalysten und vergleichbaren Adressaten mitgeteilt worden sind. Die Empfehlung, die der US-amerikanischen Regulation Fair Disclosure nachgebildet ist, zielt mit den „vergleichbaren Adressaten“ auch auf institutionelle Investoren.115 Emittenten, die ihr entsprechen wollen, müssen daher „wesentliche neue Tatsachen“, die in einem Investorendialog preisgegeben wurden, unverzüglich allen anderen Aktionären zugänglich machen. Dass die Tatsache nicht nur Investoren, sondern zugleich auch Analysten bekannt gegeben wurde, setzt die Ziffer trotz ihres insoweit missverständlichen Wortlauts („und“) nicht voraus.116 „Wesentlich“ im Sinne der Empfehlung können auch Tatsachen sein, die das Tatbestandsmerkmal der Insiderinformation nicht erfüllen, namentlich weil sie keine erhebliche Kursrelevanz aufweisen.117 Denn derartige Tatsachen sind schon nach Art. 17 MMVO publik zu machen, so dass Ziff. 6.1 Satz 2 DCGK beim gegenteiligen Verständnis leer liefe.118 Weil das unscharfe Attribut „wesentlich“ einen Graubereich lässt, wird der Praxis empfohlen, vorsorglich alle den betreffenden Adressaten mitgeteilten Informationen publik zu machen.119 Sicher vermeiden lässt sich die Nachpublizität gem. Ziff. 6.1 Satz 2 DCGK nur, wenn in Inves114 So eine verbreitete Lesart, s. etwa Fleischer, ZGR 2009, 505, 537 f.; Decher, ZHR 1994 (158), 473, 478 ff.; Verse (Fn. 97), S. 523 f. 115 v. Werder in KBLW (Fn. 8), Rz. 1611; offenlassend von der Linden in Wilsing (Hrsg.), DCGK, 2012, Ziff. 6.3 Rz. 11; für weites Verständnis des Adressatenkreises auch Zöllter-Petzold in Fuhrmann/Linnerz/Pohlmann (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Kodex, 2016, Ziff. 6 Rz. 20. 116 Bachmann, WM 2013, 2009 (2015); Zöllter-Petzold (Fn. 115), Ziff. 6 Rz. 21; a.A. von der Linden (Fn. 115), Ziff. 6.3 Rz. 12. 117 Zöllter-Petzold (Fn. 115), Ziff. 6 Rz. 25. 118 Bachmann, WM 2013, 2009, 2014; Zöllter-Petzold (Fn. 115), Ziff. 6 Rz. 25. 119 v. Werder in KBLW (Fn. 8), Rz. 1610.

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toren- oder Analystengesprächen keine „Tatsachen“, sondern nur „weiche“ Informationen vermittelt werden, oder wenn gem. § 161 Abs. 1 Satz 1 AktG das Nicht-Entsprechen mit der Empfehlung erklärt (und begründet!) wird. Den letztgenannten Weg will in den oberen Börsensegmenten aber niemand beschreiten, wie die 100-prozentige Befolgungsquote in DAX, MDAX, TecDAX und SDAX demonstriert.120

cc) Ausbau der Nachinformation de lege ferenda? In der Wirtschaftspresse ist gefordert worden, über die beschriebenen Nachinformationspflichten hinaus alles mit den Investoren Diskutierte publik zu machen, indem die Protokolle des Dialogs öffentlich zugänglich gemacht werden.121 In eine ähnliche Richtung geht das Ansinnen, der Aufsichtsratsvorsitzende möge in seinem Bericht an die Hauptversammlung dazu Stellung nehmen, welche Gespräche zu welchen Themen mit Investoren geführt wurden.122 Während sich letzteres schon im Rahmen des geltenden Rechts durch entsprechende Auslegung von §§ 171 Abs. 2, 176 Abs. 1 AktG bewerkstelligen lässt, fehlt es für ersteres derzeit an einer Rechtsgrundlage. Ausländische Kodizes sind hier z.T. weiter, indem sie – wie etwa der ÖCGK – empfehlen, die verwendeten Präsentationen ins Netz zu stellen oder in Echtzeit zugänglich zu machen.123 Solche Ansinnen sind prinzipiell zu unterstützen.124

VI. Die Ausgestaltung des Investorendialogs im Einzelnen 1. Die Kompetenzverteilung innerhalb des Aufsichtsrats Eine zentrale Rolle weisen die „Leitsätze“ dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu. Während der Gesamtaufsichtsrat (nur) die generelle Entscheidung über das „ob“ eines Dialogs trifft (Leitsatz 1 Satz 2), ist es der Vorsitzende, der die Entscheidung über den Eintritt in einen konkreten Dialog fällt (Leitsatz 1 Satz 3) und diesen führt (Leitsatz 7 Satz 1). Andere Aufsichtsratsmitglieder sollen an dem Dialog nur teilnehmen, wenn 120 Zahlen nach v. Werder/Bartz, DB 2014, 905, 911. 121 So Clausen, Manager Magazin Newsletter v. 8.7.2016. 122 Tüngler, BOARD 2016, 175, 176; Ihrig, Börsen-Zeitung v. 29.10.2016, S. 13. 123 Vgl. ÖCGK Ziff. 75; für letzteres Dutch Corporate Governance Kodex, Ziff. 4.2.3. 124 Dafür schon Bachmann, WM 2013, 2009 (2015); für Aktivierung des Aktionärsforums (§ 127a AktG) E. Vetter, AG 2016, 873, 876.

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der Vorsitzende sie hinzuzieht (Leitsatz 7 Satz 2). Im Übrigen wird der Aufsichtsrat „über die Gespräche informiert“ (Leitsatz 7 Satz 3), wobei die Leitsätze offenlassen, ob dies vor oder nach dem Dialog geschieht. An der Fixierung auf den Aufsichtsratsvorsitzenden hat sich Kritik entzündet. Die Kritiker meinen, dass dadurch die gesetzliche Rolle des Vorsitzenden überstrapaziert wird und die Rechte des Plenums, insbesondere in mitbestimmten Gesellschaften, nicht hinreichend gewürdigt werden.125 Diese Kritik berührt einen wunden Punkt. Sie sollte aber nicht dazu führen, das Kind mit dem Bade auszuschütten und den Investorendialog des Aufsichtsrats in Bausch und Bogen zu verdammen. Vielmehr sind die Leitsätze – selbiges gilt für die geplante Kodexempfehlung – so zurechtzurücken, dass die Machtverteilung zwischen Vorsitzendem und Plenum angemessen und gesetzeskonform zum Ausdruck gelangt. Zu beachten sind danach vor allem die vom Gesetz zwingend vorgegebenen Plenarvorbehalte (§ 107 Abs. 3 Satz 4 AktG). Wenn das Gesetz nur den gesamten Aufsichtsrat in der Sache für entscheidungsbefugt hält, dann muss auch die als Annex gedachte Kommunikationskompetenz diesen Vorbehalt respektieren. Das bedeutet nicht, dass nur der Aufsichtsrat als Ganzes den Dialog zu den betreffenden Fragen (etwa der Vorstandsvergütung) führen kann, wohl aber, dass er stärker in die Entscheidung, wann, mit wem und worüber das Gespräch gesucht wird, einzubinden ist – sei es, dass er über diese Fragen selbst befindet, sei es, dass er dem Vorsitzenden oder einem Kommunikationsausschuss klare Vorgaben macht.126 Entsprechendes gilt, wenn der Aufsichtsrat Ausschüsse gebildet und ihnen gewisse Aufgaben zur Vorbereitung und Erledigung zugewiesen hat. Auch diese Entscheidung muss durch Einbindung des betreffenden Ausschusses bzw. seiner Vorsitzenden in den Kommunikationsprozess honoriert werden. Um die Aufgabenverteilung innerhalb des Aufsichtsrats sach- und praxisgerecht abzubilden, empfiehlt sich eine „Kommunikationsordnung“, wie sie auch die „Leitsätze“ unausgesprochen vor Augen haben.127 Sie kann Bestandteil der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats sein, aber auch ein separates Regelwerk bilden. Die Befugnis zur Regelung derarti125 Vgl. E. Vetter, AG 2016, 873, 875; J. Koch (Fn. 26), S. 91; Hexel, AR 2014, 121. 126 In diesem Sinne auch Ihrig, Börsen-Zeitung v. 29.10.2016, S. 13. 127 Dafür Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 365; J. Koch (Fn. 26), S. 65, 92; reserviert Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 735 („möglicherweise unnötige Verrechtlichung“).

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ger Fragen ergibt sich unausgesprochen aus der Aufsichtsratsautonomie zur Regelung seiner eigenen Angelegenheiten.128 Sie umfasst, im Rahmen des gesetzlich Zulässigen (vgl. §§ 76 Abs. 1, 111 Abs. 4 Satz 1 AktG), auch die Abgrenzung zu den Kommunikationsaufgaben des Vorstands (vgl. § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG). Einzelheiten bedürfen noch der weiteren Vertiefung. Sinnvoller Inhalt einer Kommunikationsordnung kann die Ermächtigung des Vorsitzenden zur Führung des Dialogs, aber auch die Einrichtung eines Investor Relations-Ausschusses sein.129 Letzterem kann auch die Aufgabe der Beantwortung von Fragen in der Hauptversammlung zugewiesen werden.130 Im Übrigen ist die dominierende Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden, wie sie in den „Leitsätzen“ und in der Kodexergänzung zum Ausdruck gelangt, nicht zu beanstanden. Namentlich ist der Vorsitzende auch dann dazu befugt, den vom Plenum grundsätzlich gebilligten Dialog alleine zu führen, wenn er dazu nicht eigens ermächtigt wurde.131 Dies gilt auch in der mitbestimmten Gesellschaft.132 Zwar lässt sich die starke Stellung des Vorsitzenden nicht – wie es z.T. recht unbefangen geschieht – aus Ziff. 5.2 des Kodex ableiten, wonach der Vorsitzende die Belange des Aufsichtsrats nach außen wahrnimmt, denn der Kodex kann dem Vorsitzenden keine Befugnisse zuschreiben, die dieser nicht schon kraft Gesetzes hätte. Auch ohne eindeutige gesetzliche Ermächtigung ergibt sich die Sonderstellung des Vorsitzenden aber aus der Summe der ihm vom AktG zugedachten Funktionen, namentlich der Kontaktpflege mit dem Vorstand (vgl. § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG), der Erläuterung des Aufsichtsratsberichts gegenüber den Aktionären (§ 176 Abs. 1 Satz 2 AktG) und – in der mitbestimmten Gesellschaft – der Befugnis zum Stichentscheid (§ 29 Abs. 2 MitbestG).133 Praktisch dürfte die Frage von geringer Relevanz sein, weil der Aufsichtsratsvorsitzende schon wegen der Befreiung vom Beratungsgeheimnis regelmäßig das Plazet des Gremiums einholen wird. 128 Näher zu dieser Bachmann in FS Hopt, 2010, S. 337, 347 ff. 129 Dafür („Kommunikationsausschuss“) E. Vetter, AG 2016, 873, 875. 130 Für einen solchen „Hauptversammlungsausschuss“ E. Vetter (Fn. 21), S. 1589, 1604. 131 Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 46; Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 366 („geborener Repräsentant“); a.A. J. Koch (Fn. 26), S. 65, 91 f.; E. Vetter, AG 2016, 873, 875. 132 A.A. Hexel, AR 2014, 121: nicht ohne den stellvertretenden Vorsitzenden. Dieser ist aber auch in der mitbestimmten AG kein zweiter Vorsitzender, sondern bloß Stellvertreter. 133 Anders J. Koch, ebd.; Hüffer/Koch (Fn. 10), § 107 Rz. 8.

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2. Die zu behandelnden Themen Da die Kompetenz des Aufsichtsrats zum Investorendialog als Annex zu seinen Sachzuständigkeiten verstanden wird, beschränkt sie sich naturgemäß auf solche Themen, für die der Aufsichtsrat sachlich zuständig ist. Unproblematisch ist das für solche Fragenkreise, die ihm vom Aktiengesetz allein zur Entscheidung zugewiesen sind. Mit den „Leitsätzen“ wird man dem Aufsichtsrat daher die Befugnis zugestehen dürfen, mit interessierten Investoren über die Selbstorganisation des Aufsichtsrats, die Ausgestaltung der Überwachungs- und Mitwirkungsprozesse, die Ausschussbildung sowie die Effizienzprüfung zu sprechen (Leitsatz 3).134 Gleiches gilt für die Anforderungsprofile für Vorstandsmitglieder (Leitsatz 4 Satz 1), die Geschäftsverteilung im Vorstand und das Vorstandsvergütungssystem (Leitsatz 4 Satz 3).135 Ebenso spricht nichts dagegen, Inhalt und Qualität der Zusammenarbeit mit dem Prüfer zum Thema zu machen. Die Besetzung des Aufsichtsrats und dessen Vergütung fallen zwar ebenso wie die Wahl des Prüfers in die Kompetenz der Hauptversammlung, doch da der Aufsichtsrat hierfür die Vorschläge zu unterbreiten hat (vgl. § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG), darf er auch darüber mit Investoren sprechen. Aus den oben erläuterten allgemeinen Schranken folgt freilich, dass zu all diesen Themen keine kurserheblichen Informationen offenbart werden dürfen und sonstige wesentliche Tatsachen nur, wenn sie auch den übrigen Anlegern unverzüglich zur Verfügung gestellt werden (Ziff. 6.1 Satz 2 DCGK). Auch das Beratungsgeheimnis ist in den o.g. Grenzen zu wahren. Die „Leitsätze“ versuchen diesen Restriktionen auf doppelte Weise gerecht zu werden: Zum einen sollen die genannten Themen lediglich „erörtert“ bzw. „diskutiert“ werden; zum anderen ist die Nennung konkreter Personalien zu meiden (Leitsatz 2 Satz 2; Leitsatz 3 Satz 2; Leitsatz 4 Satz 2).136 Diese Maßgaben tragen den rechtlichen Schranken angemessen Rechnung, provozieren aber die Frage, ob der Wissensdurst der Inves-

134 Grunewald, ZIP 2016, 2009, 2010 f.; E. Vetter, AG 2016, 873, 874. 135 Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 364. 136 Vgl. Bortenlänger, BOARD 2014, 71, 71: „Über den Suchprozess wird in der Regel nicht berichtet werden können, weder für Vorstands- noch für Aufsichtsratskandidaten. Auch dürfte es schwierig sein, ein detailliertes Suchprofil zu veröffentlichen, um sich nicht zu sehr einzuschränken“.

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toren damit hinreichend gestillt wird.137 Dass Personalien in derartigen Gesprächen gar nicht erwähnt werden, ist jedenfalls kaum vorstellbar. Verboten ist das nicht, soweit der Aufsichtsrat bei sensiblen Informationen in den „Empfängermodus“ schaltet. Auch im Übrigen muss der Dialog nicht zwecklos sein, denn die allgemeine Diskussion, ob die Einführung bzw. Streichung dieser oder jener Vergütungskomponente oder die Einrichtung oder (Um-)Besetzung dieses oder jenes Ausschusses geboten ist, kann für beide Seiten zielführend sein. Problematisch unter den in den „Leitsätzen“ genannten Themen sind der Bericht des Aufsichtsrats (Leitsatz 3 Satz 1) und die „Einschätzung der Strategieumsetzung“ (Leitsatz 5). Beide haben denn auch prompt Kritik erfahren. Was zunächst den vom Aufsichtsrat an die Hauptversammlung zu erstattenden Bericht (§ 171 Abs. 2 AktG) betrifft, gehört dieser zwar zu dessen genuinem Aufgabenbereich, bietet aber ein Einfallstor zur Diskussion der Geschäftsführung an sich, denn in seinem Bericht hat der Aufsichtsrat darzulegen, wie er die Geschäftsführung des Vorstands – z.B. durch Zustimmungsvorbehalte oder Beratung – überwacht hat. Hier ist Zurückhaltung geboten, will der Aufsichtsrat in seinem Dialog mit Investoren nicht unzulässig in die Außendarstellungskompetenz des Vorstands hineinregieren. Ähnliches gilt für die „Einschätzung der Strategieumsetzung“.138 Zwar haben Investoren gerade daran ein erhebliches Interesse. Da die Entwicklung und Umsetzung der Unternehmensstrategie aber eine genuine Leitungsaufgabe ist, ist zu ihrer Erläuterung zuvörderst der Vorstand berufen. Nimmt man hinzu, dass der Aufsichtsrat interne Konflikte – etwa Meinungsverschiedenheiten in strategischen Fragen – nicht nach außen tragen darf,139 wird deutlich, dass der Aufsichtsrat hier besonders sensibel agieren muss. Praktisch empfiehlt es sich, den Dialog zu diesen Themen stets mit dem Vorstand abzustimmen.

3. Die Einbeziehung des Vorstands Zur Rolle des Vorstands bescheiden sich die Leitsätze mit der vagen Aussage, dass der Aufsichtsrat die Grundsätze für die Ausgestaltung seines Investorendialogs mit dem Vorstand „bespricht“ (Leitsatz 8). Soweit 137 Skeptisch Seibt, VGR 3 (2001), S. 37, 53: „Für die Mitteilung bereits bekannter Unternehmensdaten wird man kein besonderes Interesse in der Financial Community hervorrufen können“. 138 Ihrig, Börsen-Zeitung v. 29.10.2016, S. 13; Grunewald, ZIP 2016, 2009, 2010; E. Vetter, AG 2016, 873, 874, 876. 139 S.o., IV.1.b (S. 157) und 2 (S. 159).

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dies einen dezenten Hinweis auf eine Kommunikationsordnung darstellt, in der die Organe ihre Aufgabenverteilung klarstellen, ist das zu begrüßen.140 Offen bleibt dann lediglich, in welcher Form und mit welchem Inhalt eine solche Ordnung gestaltet werden kann. In Betracht kommen die Geschäftsordnungen von Vorstand und Aufsichtsrat, aber auch die Satzung. Sollen die Leitsätze dagegen so zu verstehen sein, dass der Aufsichtsrat den Vorstand lediglich im Groben über den Dialog unterrichtet und im Übrigen nach Belieben über dessen Beiziehung befindet, wäre das zu wenig. Geht es um Angelegenheiten, für die nur der Vorstand oder beide Organe gemeinsam zuständig sind, kann der Aufsichtsrat gar nicht ohne Beteiligung des Vorstands in einen Investorendialog eintreten.141 Aber auch zu Fragen, die genuin der Aufsichtsrat zu entscheiden hat, muss dem Vorstand vorab Gelegenheit gegeben werden, seine Meinung einzubringen.142 Weil die Außendarstellung in erster Linie Sache des Vorstands ist, wird man ihm sogar in diesen Fragen das Recht zubilligen müssen, vorab informiert zu werden.143 Ein Sprechverbot darf der Vorstand hierzu nicht verhängen, doch sollte sich der Aufsichtsrat über Bedenken und Wünsche des Vorstands nur dann hinwegsetzen, wenn diese treuwidrig sind oder das Unternehmensinteresse eine eigene Stellungnahme des Aufsichtsrats gebietet. Dabei ist dem Aufsichtsrat ein Beurteilungsspielraum einzuräumen.

VII. Zur neuen Kodex-Empfehlung 1. Der Vorschlag vom November 2016 Am 2.11.2016 hat die Kodex-Kommission den Vorschlag einer Kodexergänzung veröffentlicht und zur Diskussion gestellt.144 Neben einer Erweiterung von Ziff. 2.1, die institutionelle Investoren anhalten soll, ihre Eigentumsrechte aktiv und verantwortungsvoll auszuüben (Ziff. 2.1.3

140 S.o., Fn. 127. 141 Zutr. E. Vetter, AG 2016, 873, 876. 142 Ebenso Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 735; Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 46 f.; Kremer in KBLW (Fn. 8), Rz. 1268. 143 Unklar Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 46. 144 Dieser Vorschlag war Gegenstand meines Vortrags am 4.11.2016. Die unmittelbar vor der Drucklegung dieses Beitrags am 7.2.2017 beschlossene endgültige Kodex-Fassung folgt im Wesentlichen den hier und in meinem Vortrag gemachten Änderungsvorschlägen (s.u., VII.3., S. 178).

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DCGK-E), sieht der Vorschlag eine Empfehlung zum Investorendialog durch den Aufsichtsrat vor. Der Vorschlag lautet: „Der Aufsichtsratsvorsitzende soll in angemessenem Rahmen bereit sein, mit Investoren über aufsichtsratsspezifische Themen Gespräche zu führen. Das sind Gegenstände, für die der Aufsichtsrat allein verantwortlich ist und die von ihm allein zu entscheiden sind. Bei Fragen, die nur gemeinsam von Vorstand und Aufsichtsrat zu entscheiden sind, sollen Gespräche entweder allein vom Vorstand oder vom Aufsichtsratsvorsitzenden zusammen mit dem Vorstand geführt werden.“

Mit dieser Empfehlung, die im fünften Abschnitt („Aufsichtsrat“) in Ziff. 5.2 aufgenommen werden soll, übernimmt die Kommission wesentliche Kernaussagen der „Leitsätze“, nämlich, dass ein Dialog zulässig und wünschenswert ist, sich auf aufsichtsratsbezogene Themen beschränkt und vom Aufsichtsratsvorsitzenden geführt wird. Stärker als die „Leitsätze“ betont der Kodex-Vorschlag die Rolle des Vorstands, der bei gemeinsamen Themen nicht nur zu konsultieren, sondern aktiv zu beteiligen ist.

2. Stellungnahme Die Aufnahme einer entsprechenden Empfehlung ist in der Konsultation sehr kontrovers bewertet worden.145 Angesichts der praktischen Bedeutung, die der Investorendialog mit dem Aufsichtsrat inzwischen erlangt hat, ist eine Äußerung der Kommission zu dieser Frage aber grundsätzlich zu begrüßen. Da ein solcher Dialog – wie hier ausführlich begründet wurde – rechtlich zulässig ist (s.o., III.), stehen ihr keine fundamentalen Bedenken entgegen. Dennoch fragt sich, ob es einer Empfehlung wenigstens zum jetzigen Zeitpunkt bedarf, liegen mit den „Leitsätzen“ doch bereits vergleichbare Standards vor, die ihre Wirkung in der Praxis nicht verfehlen werden. Die Kommission sollte daher erwägen, statt einer Empfehlung lediglich eine Anregung auszusprechen und im Übrigen den weiteren Verlauf der Diskussion abwarten.146 145 Im Rahmen des öffentlichen Konsultationsverfahrens haben Vorstand und Beirat der VGR unter Mitwirkung des Verfassers am 12.12.2016 eine ausführliche Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen der Kommission abgegeben. Diese ist – wie die übrigen Stellungnahmen – auf der Internetseite der Kommission abrufbar und in AG 2017, 1 ff. veröffentlicht. Auf sie wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. 146 So auch die VGR-Stellungnahme (Fn. 145). Für völlige Enthaltsamkeit E. Vetter, AG 2016, 873; Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 367; Nikoleyczik/Graßl, NZG 2017, 161, 165.

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Auch im Detail bestehen Verbesserungsmöglichkeiten. So erweckt der Vorschlag beim unbefangenen Kodex-Leser den (falschen) Eindruck, dass für den Investorendialog primär der Aufsichtsrat zuständig ist. Diesem Eindruck kann gewehrt werden, wenn entweder zusätzlich eine entsprechende Empfehlung in den Abschnitt 4 zum Vorstand aufgenommen wird, oder, besser, eine beide Organe betreffende Empfehlung in Abschnitt 2 („Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat“) oder Abschnitt 6 („Transparenz“) erfolgt. Sätze 2 und 3 des vorgeschlagenen Texts tragen erläuternden Charakter und sollten im Interesse einer Verschlankung des Kodex gestrichen werden. Schließlich könnte die Rolle des Vorstands und des Plenums stärker betont werden.147

3. Nachtrag: Die endgültige Kodex-Fassung vom 7.2.2017 Die unmittelbar vor der Drucklegung dieses Beitrags beschlossene endgültige Kodex-Fassung folgt im Wesentlichen der hier vertretenen Linie. Auf eine völlige Enthaltsamkeit des Kodex zum Thema Investorengespräche wurde zu Recht verzichtet, statt einer Empfehlung aber nur eine Anregung („sollte“) ausgesprochen. Die beiden erläuternden Sätze wurden gestrichen. Die endgültige Fassung lautet: „Der Aufsichtsratsvorsitzende sollte in angemessenem Rahmen bereit sein, mit Investoren über aufsichtsratsspezifische Themen Gespräche zu führen“.

Mit dieser Kompromisslösung lässt sich gut leben. Sie ist auch rechtlich nicht zu beanstanden. Nicht aufgegriffen hat die Kommission den Vorschlag, die Anregung an anderer Stelle im Kodex zu platzieren und darin zusätzlich den Vorstand zu erwähnen. Weil der Investorendialog mit dem Vorstand heute in der Praxis selbstverständlich ist, dürfe das zu verschmerzen sein.

VIII. Zusammenfassung 1. Der unmittelbare Dialog zwischen dem Aufsichtsrat und Investoren ist rechtlich zulässig. Die Befugnis dazu ergibt sich als Annexkompetenz zu den Sachbefugnissen des Aufsichtsrats, die durch das gegenläufige Prinzip der einheitlichen, über den Vorstand laufenden Außenkommunikation begrenzt wird und mit dieser praktisch in Einklang zu bringen ist. Der Aufsichtsrat darf sich nicht öffentlich zu Aussagen des Vorstands in Widerspruch setzen, muss seine Kommunikation profes147 S.o., VI.1. (S. 170 ff.) u. VI.3 (S. 175 f.).

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sionell vorbereiten und diese so weit wie möglich mit dem Vorstand abstimmen. 2. Zu unterscheiden ist zwischen verschiedenen Foren des Dialogs: Der in der Hauptversammlung geführte Dialog, bei dem der Aufsichtsrat zu ihn betreffenden Themen direkt auf Fragen von Aktionären antwortet, wird auch von denjenigen für zulässig erachtet, die dem Dialog in anderen Foren kritisch gegenüberstehen. Der Dialog mit der Presse ist problematischer, da die Kommunikation mit den Medien grundsätzlich in die Kompetenz des Vorstands fällt. Interviews zu aufsichtsratsbezogenen Themen sind damit nicht ausgeschlossen, doch dürfen sie interne Konflikte nicht nach außen tragen. Im Fokus der Aufmerksamkeit steht der Investorendialog mit ausgewählten Teilnehmern im geschlossenen Kreis. Auch hierfür wird dem Aufsichtsrat heute überwiegend und zu Recht eine Kompetenz zuerkannt, soweit es sich um aufsichtsratsbezogene Themen handelt. 3. Bei allen Formen des Investorendialogs sind die allgemeinen Schranken zu wahren, die sich insbesondere aus dem Insiderrecht, der Verschwiegenheitspflicht und dem Gleichbehandlungsgebot ergeben. Insiderinformationen dürfen nicht preisgegeben werden; vertrauliche Informationen nur, wenn daran ein überwiegendes Unternehmensinteresse besteht und gegebenenfalls vom Beratungsgeheimnis dispensiert wurde. Zum Dialog sind alle Investoren einzuladen, die mindestens 1 % des Kapitals halten, im Übrigen besteht ein nach sachlichen Kriterien auszuübendes Ermessen. Alle weiteren Investoren sind gem. Ziff. 6.1 Satz 2 DCGK über „wesentliche Tatsachen“ nachzuinformieren. Weitergehend sollte auch der übrige Inhalt der Investorengespräche in passender Form publik gemacht werden. 4. Den Dialog führt – soweit nicht anders bestimmt – der Aufsichtsratsvorsitzende, der sich darüber jedoch mit dem Plenum bzw. dem zuständigen Ausschuss abzustimmen hat. Die Aufgabenverteilung im Einzelnen kann und sollte in einer Kommunikationsordnung niedergelegt werden. Darin sollte auch geregelt werden, wie die Abstimmung mit dem Vorstand zu erfolgen hat. Dieser ist auch dann vorab über den Dialog in Kenntnis zu setzen, wenn der Dialog nur aufsichtsratsbezogene Fragen betrifft. Bei Themen, die die Unternehmensleitung betreffen (Strategieplanung), ist besondere Zurückhaltung geboten und im Zweifel die Zustimmung des Vorstands einzuholen. 5. Die von einem privaten Arbeitskreis vorgestellten „Leitsätze für den Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat“ weisen in die richtige Rich-

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Bachmann – Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat

tung. Allerdings wird dort die Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden im Dialog tendenziell über- und die des Vorstands unterbetont (s. These 4.). Die neue Kodexregelung (DCGK Zif. 5.2 Abs. 2) trägt den rechtlichen Unsicherheiten um den Investorendialog Rechnung, indem sie statt einer Empfehlung eine bloße Anregung ausspricht. Diese Kompromisslösung ist zu begrüßen. Die aktuelle Herausforderung besteht darin, das Zusammenspiel von Vorstand und Aufsichtsrat konkreter als bisher geschehen herauszuarbeiten und dafür Muster möglicher Kommunikationsordnungen zu entwickeln.

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Bericht über die Diskussion des Referats Bachmann Dr. Jan-Erik Schirmer Humboldt-Universität zu Berlin

I. Dass es eine interessante Diskussion werden würde, hätte man sich bei dem Vortragsthema denken können. Dass der Stift des Berichterstatters am Ende förmlich glühte, war dann aber doch überraschend. Freilich hatten schon die Eingangsworte von Klaus Hopt, der die Diskussion moderierte, die Intensität der nächsten Dreiviertelstunde erahnen lassen. Nachdem er kurz Gregor Bachmann für seinen „fantastischen“ Vortrag gedankt hatte, wollte er „am liebsten direkt in die Diskussion springen“ – und ein kurzer Blick ins Auditorium machte deutlich, dass es nicht nur ihm so ging. Hopt mahnte sich (und den Rest) jedoch zur Mäßigung und bat zunächst Daniela Mattheus, die Entstehungsgeschichte der Leitsätze stellvertretend für die Arbeitsgruppe zu erläutern. Frau Mattheus berichtete von der offenen Bereitschaft, die von Investoren- aber auch von Aufsichtsratsseite dem Thema Investorendialog entgegengebracht werde. Dabei habe im Zentrum der Wunsch nach mehr Klarheit gestanden; insbesondere ausländischen Investoren solle durch eindeutige Regularien verdeutlicht werden, worüber der Aufsichtsrat reden dürfe – und worüber nicht. Da beim Start der Arbeitsgruppe unklar gewesen sei, ob die Kodex-Kommission überhaupt tätig werden würde, habe man die Initiative übernommen. Der Kritik des Referenten, dass weder Arbeitnehmer noch Minderheitsaktionäre in der Arbeitsgruppe ausreichend repräsentiert gewesen seien, begegnete sie mit der Erklärung, dass das Fehlen von Arbeitnehmervertretern dem Zuschnitt auf den Aufsichtsratsvorsitzenden geschuldet sei, und das mit Marc Tüngler von der DSW sehr wohl ein Aktionärsvertreter – allerdings nur beratenden – Einfluss gehabt habe. Die etwas nebulöse Rolle von Ulrich Seibert, der in der Arbeitsgruppe als Repräsentant der Universität Düsseldorf geführt wird, hellte Frau Mattheus dahingehend auf, dass dieser sich selbstverständlich auch in seiner originären Funktion als Referatsleiter beim BMJV eingebracht habe. Den inhaltlichen Einwand des Referenten, ob es nicht mit Blick auf die Praxis illusorisch sei, Personaldiskussionen zu untersagen, parierte sie mit der – verblüffenden – Aussage,

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dass dies von Investorenseite gar nicht gewünscht werde. Frau Mattheus schloss sodann mit einem Appell an die versammelten Gesellschaftsrechtler: Zwar habe der Vorschlag noch „offene Flanken“, jedoch möge der von der Arbeitsgruppe angestoßene Dialog – den ja auch die KodexKommission durch ihren kürzlich veröffentlichen Änderungsvorschlag aufgenommen habe – „konstruktiv begleitet werden“.

II. Damit war die eigentliche Diskussion eröffnet. Den Anfang machte Jens Koch, der den Vorschlägen von Arbeitsgruppe und Kodex-Kommission sogleich die Gefolgschaft verweigerte. Es sei nicht richtig, bei einer umstrittenen Sachfrage wie dem Investorendialog vorzupreschen und eine (Kodex-)Regulierung zu schaffen, die die Hälfte der Literatur für rechtswidrig erachte. Im Hinblick auf die Begründung der Kodex-Kommission, man habe eine „überkommene Rechtslage“ klären wollen, wüsste er gar nicht, wo er mit seiner Kritik anfangen solle. Jedenfalls sei es nicht Aufgabe der Kommission, sondern allein der Gerichte, für Rechtssicherheit zu sorgen. Aber auch in der Sache sei der vorgeschlagene Investorendialog höchst problematisch, weil er bestimmte Gruppen – Arbeitnehmer, Kleinaktionäre etc. – de facto ausschließe, auf diese Weise kapitalmarktrechtliche Informationsasymmetrien vertiefe und die Informationsmacht zugunsten Einzelner, namentlich großer Fondsgesellschaften, verschiebe. Während erstere sich mühevoll um Informationen bemühen müssten, händigte man letzteren einen „Backstage-Pass“ aus, der zu ungehindertem Zugang berechtige. Koch schloss seinen – mit starkem Applaus quittierten – Beitrag mit der Mahnung, die Klärung des Themas dem Gesetzgeber zu überlassen, der sich ja im Zuge der anstehenden Umsetzung der Aktionärsrechte-Richtlinie ohnehin damit befassen müsse. Eberhard Vetter bekannte sich ebenfalls zum „konservativen Lager“ der Skeptiker und schloss sich Jens Koch in vielen Punkten an. Er erinnerte daran, wie schwer es die deutschen Vertreter in Brüssel hätten, dort das dualistische System zu verteidigen. Es wäre deshalb ein fatales Signal, wenn man mittels des Investorendialogs auch hierzulande dem „angelsächsischen Zeitgeist“ mit seinem Board-Modell immer weiter nachgebe. Er verwies beispielhaft auf die Situation in einem „niedersächsischen Unternehmen“ und warnte davor, dass eine Regulierung „hyperaktive“ Aufsichtsratsvorsitzende weiter ermuntern könnte, detailliert über Inhalte Auskunft zu erteilen, über die sie „eigentlich die

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Klappe zu halten hätten“. In der Sache bezweifelte Vetter, dass die Normen des AktG die von Kodex-Entwurf und Leitsätzen unterstellte Sonderstellung des Aufsichtsratsvorsitzenden zu tragen vermögen. Dieser dürfe deshalb allenfalls über Dinge sprechen, für die er bzw. der Aufsichtsrat originär zuständig sei. Deshalb sei dann auch ein etwaiges Vetorecht für den Vorstand abwegig, da es sich um eine Kompetenzfrage handle, die – einmal positiv zugunsten des Aufsichtsrats(-vorsitzenden) beantwortet – zwingend zur Folge haben müsse, dass der Vorstand diesem dann „auch nicht mehr in die Parade fahren dürfe“. Trete der Vorsitzende sodann in den Dialog ein, müsse er sowohl Aufsichtsrat als auch die Aktionäre hierüber informieren – technisch ließe sich dies etwa über den bislang wenig beachteten § 127a AktG umsetzen. Das Informationsinteresse der übrigen institutionellen und sonstigen Aktionäre habe der Gesetzgeber im Grundsatz anerkannt, wie sich dem ebenfalls wenig beachteten § 27a Abs. 1 WpHG entnehmen ließe. Markus Roth widersprach seinen Vorrednern entschieden. Mit Blick auf die Bedürfnisse der Praxis wäre es rein prozedural nicht hinnehmbar, auf ein Einschreiten des Gesetzgebers zu warten. Vor allem aber sei es für ihn in der Sache letztlich „unvertretbar“, dem Aufsichtsrat, der ja gerade das Organ sei, das die Aktionärsinteressen wahrnimmt, einen Dialog mit eben jenen Aktionären zu verwehren. Dies widerspreche der deutschen Unternehmensverfassung. Ließe man einen Dialog nur in der Hauptversammlung zu, würde man die verschiedenen Organe vollständig „isolieren und verkapseln“, diese würden wie autarke „Raumschiffe“ behandelt. Richtig sei es jedoch, aus Gründen der Transparenz die Kommunikationsstrategie des Aufsichtsrats zu veröffentlichen. Der Aufsichtsrat müsse keineswegs allein durch den Aufsichtsratsvorsitzenden mit den Aktionären kommunizieren. Auf dem Beitrag von Koch aufbauend, dem sie zu „100 Prozent“ zustimmte, wies Barbara Grunewald auf zwei weitere Punkte hin: Sie fragte, ob wirklich nur dann von guter Corporate Governance geredet werden könne, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende mit Investoren in den Dialog einträte. Denn dies könnte genauso gut – oder gar besser – der Fall sein, falls ein Unternehmen sich entscheidet, den Vorstand mit den Gesprächen zu betrauen – insbesondere angesichts der Erfahrungen mit den erwähnten „hyperaktiven Aufsichtsräten“. Auch sei völlig unklar, was der Kodex-Vorschlag mit „aufsichtsratsspezifischen Themen“ meine, denn schließlich sei alles, was er mache, naturgemäß „aufsichtsratsspezifisch“.

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Laurenz Wieneke betonte, wie wichtig es sei, die tatsächlichen Fallgestaltungen in den Blick zu nehmen. Und dabei handle es sich vor allem um Situationen, in denen der Investor entweder schon mit dem Vorstand gesprochen hat und weiterer Informationsbedarf besteht oder der Vorstand einen Dialog gleich ganz verweigert. Es könne dann nicht sein, dass der Investor „an den Praktikanten in der Investor Relations-Abteilung durchgereicht wird“. Auch könne der Aufsichtsrat seiner Überwachungsverantwortung nur dann gerecht werden, wenn er in der Lage sei, von den Aktionären zu erfahren, wo der Schuh drückt – und dies müsse dann auch konkrete Themen wie die Strategie und die Zusammensetzung von Vorstand und Aufsichtsrat beinhalten dürfen. Bei der Außenkommunikation, so Wienekes Fazit, sei es indes richtig, darauf zu drängen, dass sich der Aufsichtsrat loyal gegenüber dem Vorstand verhält und Zurückhaltung an den Tag legt. Carsten Wettich erinnerte an die Parallelen zur Debatte um den Investorendialog des Vorstands, die seinerzeit ebenfalls heftig umstritten war. Auch hier habe sich die Praxis über die Bedenken der Literatur hinweggesetzt, ohne auf ein Machtwort des Gesetzgebers zu warten. Die Rechtswissenschaft sei aufgerufen, der Praxis Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Allerdings gebe es klare rechtliche Grenzen für einen Investorendialog des Aufsichtsrats. Konkret kritisierte er den ersten Leitsatz der Arbeitsgruppe dahingehend, dass nach dessen Satz 3 die Entscheidung über den Eintritt in einen konkreten Dialog der Aufsichtsratsvorsitzende trifft. Dies sei ein Novum, sonst könne der Vorsitzende auch nichts autonom entscheiden. Vielmehr treffe der Aufsichtsrat Entscheidungen durch Beschluss (§ 108 Abs. 1 AktG), die dann vom Aufsichtsratsvorsitzenden umgesetzt werden. Der Leitsatz müsse deshalb dahingehend geändert werden, dass auch über diese Frage das Aufsichtsratsplenum als Ganzes entscheide. Ähnlich wie der Referent bezeichnete Wettich die Stoßrichtung der Arbeitsgruppe als „naiv“, soweit sie den Dialog über konkrete Personalentscheidungen bzgl. Aufsichtsrat (Leitsatz 2) und Vorstand (Leitsatz 4) ausklammern will – dies sei schließlich der Punkt, „wo die Musik spielt“. Wenn die Initiative dies aber tatsächlich ernst meine, sei letztlich Leitsatz 5 interessant, wonach der Aufsichtsrat seine Einschätzung der Strategieumsetzung erläutern kann. Auch diesbezüglich äußerte Wettich erhebliche Vorbehalte. Denn hier drohe einerseits ein signifikanter Eingriff in die Kernkompetenz des Vorstands, der für Unternehmensplanung/Strategiefragen zuständig sei. Die Mitwirkung des Aufsichtsrats hieran müsse unternehmensintern gemeinsam mit dem Vorstand erfolgen. In diesem sensiblen Bereich dürfe

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der Aufsichtsrat nicht voranschreiten, bevor der Vorstand seine eigene Einschätzung kommuniziert hat. Auch dürften keine Konflikte nach außen getragen werden, wenn der Aufsichtsrat bspw. die Strategieumsetzung in einzelnen Punkten nicht für ausreichend hält. Dann drohe das Risiko, dass der Aufsichtsrat den Dialog um den Preis der Verletzung der Vertraulichkeitsgebote führe. Peter Hommelhoff stimmte dem Referenten zu, dass es sich im Kern um ein methodisches Problem handele. Der von verschiedener Seite angeführten Argumentation, die Rahmenbedingungen des Investorendialogs könnten via Rechtsfortbildung oder Kodex-Bestimmung ausgestaltet werden, erteilte er eine klare Absage. Zwar sei das Anliegen der institutionellen Investoren verständlich, mit dem Aufsichtsrat ins Gespräch zu kommen, zu einer solchen Regelung sei aber allein der Gesetzgeber berufen. Dies werde schon mit Blick auf § 131 Abs. 4 AktG deutlich, der nach einer Gleichbehandlung der (Streubesitz-)Aktionäre verlange und deshalb einen privilegierten Einzeldialog nicht zulasse. Gleiches gelte für den Kodex selbst, der in Ziff. 6.1 ebenfalls auf Gleichbehandlung setze. In dasselbe Horn wie Koch stoßend, beanstandete Lasse Pütz, dass es nicht die Aufgabe der Kodex-Kommission sei, für Rechtsklarheit zu sorgen. Ferner sei es mit Blick auf die Mitbestimmung höchst bedenklich, mittels des Instruments des Investorendialogs die Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden, der ja regelmäßig von der Eigentümerbank bestellt werde, weiter zu stärken und so die Einflussmöglichkeiten der Arbeitnehmer zurückzudrängen. Zudem würde schon die bloße Existenz einer Kodexempfehlung den Investoren ein Druckmittel an die Hand geben, mit jedem Aufsichtsrat direkt ins Gespräch zu kommen, obwohl dies in manchen Gesellschaften gar nicht gewünscht werde. Grundsätzliche Kritik formulierte Kai Schadbach. Schon die Bezeichnung „Kodex-Kommission“ verschleiere den wahren Einfluss dieses Gremiums, das sich in stetem Rhythmus über das geltende Recht hinwegsetze. Dieses Phänomen sei auch beim Investorendialog zu beobachten, wo dem Aufsichtsrat eine Kompetenz zugewiesen werde, die das Gesetz schlicht nicht vorsehe. Deutlich mache dies etwa § 109 Abs. 1 Satz 1 AktG, der – so jedenfalls Schadbachs Interpretation – anordne, dass der Vorstand an Aufsichtsratssitzungen teilnehmen solle, also ihm selbst dort eine Mitwirkungsmöglichkeit einräume, wo originäre Aufsichtsratskompetenzen in Rede stehen. Dann, so Schadbachs Schlussfolgerung, sei es aber widersprüchlich, dem Aufsichtsrat auf einem Ge-

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biet wie dem Investorendialog, das den originären Kompetenzbereich des Vorstands berühre, einen weitergehenden Spielraum einzuräumen. Genau dies tue aber Leitsatz 7, wonach der Aufsichtsratsvorsitzende den Vorstand in Gespräche einbeziehen kann. Diese von Kodex-Kommission und Arbeitsgruppe geschaffene „Schieflage“ sei für den Praktiker nicht hinnehmbar. Sebastian Sick befürchtete wie schon Koch und Pütz eine Verschiebung des Kompetenzgefüges zugunsten der Investoren. In Zeiten, in denen stakeholder-Themen (Stichwort CSR) zurecht immer mehr Beachtung geschenkt werde, sei es widersprüchlich, im Rahmen des Investorendialogs die Arbeitnehmer schleichend zu entmachten. Auch meldete er Zweifel an, ob das Aufsichtsratsplenum über die Gespräche zwischen Investor und Vorsitzenden, wie es Kodex und Leitsätze an sich vorsehen müssten, tatsächlich informiert werden wird. Nach so viel geballter Ablehnung war es Karsten Müller-Eising, der die Stimme für den Investorendialog erhob. Er regte an, dass „Pferd von hinten aufzuzäumen“. Wenn es doch so sei, dass der Aufsichtsrat im Rahmen eines Übernahmeangebots Informationen sammeln und gegenüber dem Kapitalmarkt Stellung beziehen dürfe, dann müsse dies auch „für den Weg dorthin“ gelten. Letztlich, so Müller-Eisings These, würde ein allgemeiner Investorendialog also vom Gesetz unausgesprochen vorausgesetzt, da der Aufsichtsrat nur so in der Lage sei, Informationen von den Aktionären zu erhalten und eine gute Entscheidung über das Übernahmeangebot zu treffen. Carsten Hollweg zeigte sich etwas enttäuscht, dass weder im Referat noch in der Diskussion die Sondersituation eines vom Investor direkt entsandten Aufsichtsrats zur Sprache gekommen sei. Denn hier ergebe sich für den entsandten Aufsichtsrat eine schwierig aufzulösende Spannungslage, da dieser nicht sicher wisse, welche Informationen er an „seinen“ Investor weitergeben dürfe. Dieses – in der Praxis häufig anzutreffende – Spezialproblem sollte deshalb, so Hollwegs Fazit, in der Diskussion mehr Berücksichtigung finden.

III. Abschließend war es an Gregor Bachmann, die zahlreichen Stellungnahmen einzuordnen. Anders als einige Vorredner bescheinigte er der Kodex-Kommission, dass sie ihren Kompetenzrahmen nicht überschritten habe. Denn die Kommission habe unter ihrem aktuellen Vorsitzen-

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den ihr Mandat stetig – und nur unter vereinzeltem Protest – erweitert. Zudem seien die Regelungen zum Investorendialog (jedenfalls waren sie es zum Zeitpunkt der Diskussion) ja noch im Vorschlagsstadium, womit es jedem freistünde, Einwände vorzubringen. Er selbst, so Bachmann weiter, könne auf eine Kodex-Regel jedoch verzichten, da die Frage in der Arbeitsgruppe und ihren Leitsätzen besser aufgehoben sei. Mit Blick auf Koch bezweifelte Bachmann, ob es wirklich stimme, dass es sich beim Investorendialog um ein Problem handle, dass in der Literatur völlig umstritten sei. Denn lese man die kritischen Stimmen genau(er), werde deutlich, dass zwar Details kontrovers diskutiert würden – etwa: Ist der Aufsichtsratsvorsitzende hierfür zuständig oder doch das Plenum? –, dass aber die Grundfrage, ob der Dialog generell mit dem AktG vereinbar ist, weitgehend bejaht werde. Den verbleibenden grundsätzlichen Skeptikern, die jede Form eines Investorendialogs außerhalb der Hauptversammlung ablehnen, hielt er entgegen, dass der „Zug lange abgefahren“ sei, da der Investorendialog mit dem Vorstand in der Praxis seit Jahren gelebt werde – und dann konsequenterweise auch dieser zurückgedreht werden müsse, was „weltfremd“ wäre. Zudem könne man nicht – Stichwort Überwachungsverantwortung – die Kompetenzen und Pflichten des Aufsichtsrats stetig ausweiten, nur um dann beim Dialog plötzlich kalte Füße zu bekommen. Er stimmte den Kritikern aber insoweit zu, dass die Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden in Kodex-Vorschlag und Leitsätzen zu dominant ausgefallen sei. Einmal in Fahrt, wurde Bachmann zum Abschluss noch einmal grundsätzlich. Die Problematik des Investorendialogs stelle sich doch in Wahrheit nur deshalb, weil die Hauptversammlung – als „ein Modell des 20. bzw. 19. Jahrhunderts“ – zur Informationsbeschaffung heutzutage nicht mehr tauge. Wenn also der Gesetzgeber zum Einschreiten aufgerufen werde, dann dürfe er sich nicht mit der Regelung von Einzelfragen des Investorendialogs begnügen, die bei den Gesellschaften ohnehin viel besser aufgehoben seien, sondern die Aktionärsbeteiligung als Ganzes müsse auf den Prüfstand – was etwa bedeuten könnte, die Hauptversammlung zur Disposition der Satzung zu stellen.

IV. Leider war es den Anwesenden nicht mehr vergönnt, diese letzte und unbestritten radikalste These zu diskutieren, da Klaus Hopt die Debatte

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angesichts der vorgerückten Zeit schließen musste. Zumindest durfte aber so auch dem Letzten klar geworden sein, dass die Problematik des Investorendialogs selbst nach intensiver Debatte nichts von ihrer Brisanz eingebüßt hat. Gewiss nicht die schlechteste Aussicht für kommende Tagungen.

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Brexit und Gesellschaftsrecht Dr. Thomas Wachter Notar, München* A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 190 B. Austritt eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union . I. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . II. Voraussetzungen für einen Austritt . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Austrittserklärung des Vereinigten Königreichs . 2. Austritt im Einklang mit britischem Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhandlung über ein Austrittsabkommen . . . . a) Abschluss eines Austrittsabkommens . . . . b) Fristverlängerung . . . . c) Keine Einigung und keine Fristverlängerung . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolgen eines Austritts. IV. Austritt aus der EU (nicht aus dem EWR) . . . . . . . . . . . . . . . V. Territoriale Folgen des Austritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . I. Limited. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangssituation . . . . . . 2. Rechtsfolgen des Wegfalls der Niederlassungsfreiheit a) Allgemeine Fragen . . . aa) Aus Sicht des englischen Rechts . . . bb) Aus Sicht des deutschen Rechts . . . .

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b) Einzelfragen . . . . . . . . . . 209 aa) Handelsregister . . . . 209 (1) Englische Companies House . . . . . 209 (2) Deutsche Handelsregister der inländischen Zweigniederlassung. . . 209 (3) Deutsche Handelsregister der Personengesellschaft . . . . . . . . . 210 bb) Haftung der Gesellschafter . . . . . . . . . . 211 cc) Haftung der Handelnden . . . . . . . . . . . . . . 213 dd) Vertretung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . 213 ee) Prozess- und Vollstreckungsrecht. . . . 215 ff) Steuerrecht . . . . . . . 216 3. Handlungsmöglichkeit aus Sicht der betroffenen Limiteds. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 a) Verlegung des Verwaltungssitzes . . . . . . . . . . . 216 b) Grenzüberschreitende Verschmelzung . . . . . . . 217 c) Grenzüberschreitender Formwechsel . . . . . . . . . 218 d) Identitätswahrende Sitzverlegung . . . . . . . . . 220 e) Übertragung der einzelnen Wirtschaftsgüter . . . 220 f) Zwischenergebnis . . . . . 221

* Stand des Beitrags: 4.11.2016.

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Wachter – Brexit und Gesellschaftsrecht 4. Handlungsoptionen aus Sicht des Gesetzgebers. . . . . 221 a) Ausgangssituation . . . . . 221 b) Einzelne Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . . 221 aa) Genereller Wechsel zur Gründungstheorie im deutschen IPR 222 bb) Partieller Wechsel zur Gründungstheorie bezüglich des Vereinigten Königreichs . . . . 223 cc) Fortgeltung der europarechtlichen Gründungstheorie für bestehende Gesell-

schaften aus dem Vereinigten Königreich. dd) Zwischenergebnis . . II. Ltd. & Co. KG . . . . . . . . . . . . III. Europäische Aktiengesellschaft (SE) . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangssituation. . . . . . 2. Rechtsfolgen für bestehende SE‘s im Vereinigten Königreich . . . . . . . . . . . . 3. Gestaltungsmöglichkeiten aus Sicht der betroffenen SE‘s. . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Handlungsoptionen aus Sicht des Gesetzgebers . .

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D. Zusammenfassung und Thesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

„The authority of EU law in Britain will end forever.“ Theresa May, Premierministerin, Großbritannien, Oktober 2016 „Der volle Zugang zum Binnenmarkt ist untrennbar mit der Akzeptanz der vier Grundfreiheiten verbunden.“ Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin, Bundesrepublik Deutschland, Oktober 2016 „Nous trouverons un accord dans tous les cas, mais pas à tout prix.“ Michael Barnier, Chef-Unterhändler der Europäischen Union und EU-Kommissar a.D., Oktober 2016

A. Einführung Mit Wirkung zum 1.1.1973 ist das Vereinigte Königreich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beigetreten. Der Beitritt war damals politisch sehr umstritten. Nach einem Regierungswechsel fand am 5.6.1975 ein Referendum über die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft statt. Das Referendum war die erste landesweite Volksabstimmung in der Geschichte des Vereinigten Königreichs. Bei einer Wahlbeteiligung von rund 64 % stimmten 67 % für den Verbleib in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.

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Wachter – Brexit und Gesellschaftsrecht

Am 23.6.2016 fand erneut ein Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union statt.1 Die alles entscheidende Frage lautete: „Should the United Kingdom remain a member of the European Union or leave the European Union?“ Bei einer Wahlbeteiligung von über 72 % stimmten 51,9 % der Wähler für einen Austritt aus der Europäischen Union. Das Ergebnis fiel (zumindest bei prozentualer Betrachtung) vergleichsweise knapp aus (51,9 % zu 48,1 %); in absoluten Stimmen war der Ausgang deutlicher (Vorsprung von fast 1,3 Mio. Wählerstimmen). Für das Referendum war weder ein Quorum noch eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Die einfache Mehrheit der Stimmen war ausreichend. Dies entspricht dem demokratischen Grundprinzip der Mehrheitsentscheidung („Mehrheit entscheidet“). Die überstimmte Minderheit muss sich der Entscheidung der Mehrheit fügen. Aus deutscher Sicht ist die weitreichende Geltung des Mehrheitsprinzips im Vereinigten Königreich immer wieder überraschend. In Deutschland besteht – nicht nur im Gesellschaftsrecht2 – ein stärkeres Bestreben, Minderheiten vor der Mehrheit zu schützen. Das Referendum ist rechtlich nicht bindend, politisch aber wohl unumkehrbar. Ein „Exit from Brexit“ dürfte kaum möglich sein.3 Die mehr als 40 Jahre währende (wechselvolle) Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union wird voraussichtlich im Jahr 2019 enden. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Europäischen Union, dass ein Mitgliedstaat aus der Gemeinschaft wieder austritt. Bislang war die Geschichte der Europäischen Union nur vom Beitritt neuer Mitgliedstaaten geprägt. 1 Rechtsgrundlage war u.a. der European Union Referendum Act 2015, 2015 c. 36, Volltext unter www.legislation.gov.uk. 2 Zur Bedeutung des Bestimmtheitsgrundsatzes bei Mehrheitsklauseln im Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft s. zuletzt BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, GmbHR 2014, 1303 mit Anm. Ulrich/Schlichting = ZIP 2014, 2231 = DB 2014, 2759 mit Anm. Göz = BB 2015, 328 mit Anm. Grunewald = EWiR 2015, 71 (Priester). – Ausführlich dazu Altmeppen, NJW 2015, 2065; Goette, W./Goette, M., DStR 2016, 74; Heckschen/Bachmann, NZG 2015, 531; Meyer, S., ZIP 2015, 256; Priester, NZG 2015, 529; Schäfer, ZIP 2015, 1313; Schäfer, NZG 2014, 1401; Schiffer, BB 2015, 584; Seidel/Wolf, BB 2015, 2563; Ulmer, ZIP 2015, 657; Wertenbruch, DB 2014, 2875. 3 Zumindest aus Sicht von Theresa May, Premierministerin, Großbritannien, Oktober 2016: „There is no opt-out from Brexit.“ Oder „Brexit means Brexit.“

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Für einen solchen Austritt gibt es keinerlei Blaupausen („unchartered territory“). Knapp ein halbes Jahr nach dem Referendum ist immer noch weitgehend offen, wie sich der Austritt im Einzelnen vollziehen wird. Das politische Umfeld ist derzeit ohnehin alles andere als einfach. Die Austrittsverhandlungen werden möglicherweise durch bevorstehende Wahlen in mehreren Mitgliedstaaten (u.a. Frankreich, Deutschland, Niederlanden, möglicherweise auch im Vereinigten Königreich selbst, ferner ein Referendum in Italien) noch zusätzlich erschwert. Die Unsicherheit ist für alle Beteiligten erheblich. Der Brexit wird weitreichende rechtliche4 und wirtschaftliche Auswirkungen haben, die sich heute allenfalls ansatzweise absehen lassen.5

4 Für einen Überblick zu den rechtlichen Folgen des Brexit s. (im deutschen Schrifttum) u.a. Basedow, ZEuP 2016, 567; Bronger/Söhnchen, EWS 2016, 131; Dorn/Schwarz, NWB 2016, Nr. 29, S. 2182; Eilers/Welling, DB 2016, Heft 47, M5; Falter/Rüdel, GWR 2016, 475; Giergerich, BB 2016, Heft 30, Die Erste Seite; Klötzel, RIW 2016, Heft 9, Die erste Seite; Lehmann/Zetzsche, JZ 2017, 62; Peykan/Hanten/Gegusch, DB 2016, 1526; Rühl, JZ 2017, 72; Rühl, EuZW 2016, 761; Mayer/Manz, BB 2016, 1731; Seggewiße/Weber, GmbHR 2016, 1302; Skouris, EuZW 2016, 806; Ulrich, GmbHR 2016, R225, Wilske, RIW 2016, Heft 12, Die erste Seite, sowie Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel (Hrsg.), Brexit und die juristischen Folgen, 2017. 5 Zu den Folgen des Brexit in einzelnen Rechtsgebieten s. u.a. (1) Arbeits- und Mitbestimmungsrecht: Wolff, BB 2016, 1784; Zimmer/Cox/Inhoffen, BB 2016, 1781. (2) Insolvenzrecht: Freitag/Korch, ZIP 2016, 1849; Hess, IPrax 2016, 409; Hoffmann/Giancristofano, ZIP 2016, 1951 und 1151; Rinze/Lehmann, DB 2016, 2946; Sax/Swierczok, ZIP 2016, 1945. (3) Prozess- und Verfahrensrecht: Hess, IPrax 2016, 409. (4) Steuer- und Bilanzrecht: Bode/Bron/FleckensteinWeiland/Mick/Reich, BB 2016, 1367; Cloer/Holle, FR 2016, 921; Demleitner, SteuK 2016, 478; Dorn/Schwarz, NWB 2016, Nr. 29, S. 2182; Frase, BB 2016, 1750; Herbst/Gebhardt, DStR 2016, 1705; Linn, IStR 2016, 557; Peykan/Hanten/Gegusch, DB 2016, 1526; Scheller, DStR 2016, 2196; Welling/Holle, IStR 2016, Heft 15, II; Welz, UVR 2016, 248; Zwirner, DStR 2016, 2665; Zwirner/ Tippelhofer/Hartmann, Board 2016, 165. (5) Erbrecht: Bron, ErbStB 2016, 177; Regierer/Vosseler, ZEV 2016, 473. (6) Datenschutzrecht: Gierschmann, MMR 2016, 501. (7) Verbraucherschutzrecht: Rott, VuR 2016, 281. (8) Kreditvertragsrecht: Schuhmacher, ZIP 2016, 2050. (9) Finanzrecht: Nemeczek/Pitz, WM 2017, 120. (10) IT-Recht: Lejeune, CR 2017, 1. – Umfassend zum Ganzen jetzt die zahlreichen Beiträge in dem Sammelband von Kramme/Baldus/SchmidtKessel (Hrsg.), Brexit und die juristischen Folgen, 2017.

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Im Bereich des Gesellschaftsrechts6 wird sich der Brexit (aus deutscher Sicht7) vor allem auf die rund 10.0008 englischen Limiteds9 (mit Satzungssitz im Vereinigten Königreich und Verwaltungssitz in Deutschland) auswirken.10 Darüber hinaus sind auch rund 3.000 Ltd. & Co. KG‘s unmittelbar betroffen (s. z.B. Müller Holding Ltd. & Co. KG; Ulm und Müller Ltd. & Co. KG, Ulm) sowie einige wenige, aber bekannte PLC & Co. KG‘s (s. z.B. ALBA group plc & Co. KG, Berlin und Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG, Berlin). Schließlich betrifft der Brexit unmittelbar rund 50 Europäische Aktiengesellschaften (SE) mit Satzungssitz und Verwaltungssitz im Vereinigten Königreich.11 Nicht (unmittelbar) betroffen sind dagegen (jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht) englische Gesellschaften mit Satzungssitz und Verwaltungssitz im Vereinigten Königreich. Die meisten der rund 2.500 Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen im Vereinigten Königreich dürften dort sowohl ihren Satzungssitz als auch ihren Verwaltungssitz haben, so dass sich die gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen insoweit nicht ändern.

6 Zum Thema Brexit und Gesellschaftsrecht s. (im deutschen Schrifttum) u.a. Bayer/J. Schmidt, BB 2016, 1923; Bode/Bron, GmbHR 2016, R129; Freitag/ Korch, ZIP 2016, 1361; Kersting, DB 2016, Heft Nr. 26-27, M5; Mayer/Manz, BB 2016, 1731; Schall, GmbHR 2017, 25; Seeger, DStR 2016, 1817; Vossius, notar 2016, 314; Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378. 7 Aus der Sicht anderer EU- bzw. EWR-Mitgliedstaaten ergeben sich ähnliche Probleme, sofern sie der Sitztheorie folgen. Beispielsweise soll es in Norwegen rund 8.000 englische Limiteds mit Satzungssitz im Vereinigten Königreich und Verwaltungssitz in Norwegen geben. In Österreich sollen derzeit noch rund 500 solcher Limiteds bestehen. 8 S. die statistischen Angaben bei Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, Einleitung Rz. 219 ff.; Kornblum, GmbHR 2016, 691 (691 f., 699 f.). 9 Limited steht hier als Kurzbezeichnung für „private companies limited by shares“ bzw. „private companies limited by guarantee having a share capital“. Die Rechtslage für „private companies limited by shares“ bzw. „private companies limited by guarantee having a share capital“ und für „public companies limited by shares“ bzw. „public companies limited by guarantee having a share capital“ ist vergleichbar, so dass beide Rechtsformen im Folgenden zusammen behandelt werden. 10 Die Auswirkungen auf andere Rechtsformen, wie EWiV, SCE oder LLP werden hier nicht näher behandelt. 11 Siehe die statistischen Daten unter www.ecdb-worker-participation.eu.

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Ferner hat der Brexit keine unmittelbaren Auswirkungen auf Europäische Aktiengesellschaften (SE) mit Satzungs- und Verwaltungssitz in Deutschland, bei deren Gründung englische Gesellschaften beteiligt waren. Der nachfolgende Beitrag gibt zunächst einen kurzen Überblick über die europarechtlichen Rahmenbedingungen des Austrittsverfahrens (Teil B.) und skizziert sodann einige ausgewählte Folgen eines möglichen Brexit für das Gesellschaftsrecht (Teil C.).

B. Austritt eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union I. Rechtsgrundlagen Lange Zeit bestand keine (ausdrückliche) Rechtsgrundlage für einen Austritt eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union. Bis vor kurzem war ein solcher Austritt auch kaum vorstellbar. Mit dem politischen Ziel einer immer weiteren Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union wäre ein solcher Austritt auch nicht vereinbar gewesen. Mit dem am 1.1.2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon wurde erstmals eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für einen Austritt eines Mitgliedstaates aus der Europäischen Union geschaffen (Art. 50 EUV). Erste Stellungnahmen gingen davon aus, dass der Vorschrift keine praktische Bedeutung zukommt (und zukommen wird). Mit der Möglichkeit des Austritts sollte vor allem die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft unterstrichen und der Kritik an der Zwangsmitgliedschaft in der Europäischen Union entgegen gewirkt werden. Die Vorschrift Art. 50 EUV lautet wie folgt: „(1) Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten. (2) Ein Mitgliedstaat, der auszutreten beschließt, teilt dem Europäischen Rat seine Absicht mit. Auf der Grundlage der Leitlinien des Europäischen Rates handelt die Union mit diesem Staat ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus und schließt das Abkommen, wobei der Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union berücksichtigt wird. Das Abkommen wird nach Art. 218 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgehandelt. Es wird vom Rat im Namen der Union geschlossen; der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. (3) Die Verträge finden auf den betroffenen Staat ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der in Abs. 2 genannten

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Wachter – Brexit und Gesellschaftsrecht Mitteilung keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern. (4) Für die Zwecke der Abs. 2 und 3 nimmt das Mitglied des Europäischen Rates und des Rates, das den austretenden Mitgliedstaat vertritt, weder an den diesen Mitgliedstaat betreffenden Beratungen noch an der entsprechenden Beschlussfassung des Europäischen Rates oder des Rates teil. Die qualifizierte Mehrheit bestimmt sich nach Art. 238 Abs. 3 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. (5) Ein Staat, der aus der Union ausgetreten ist und erneut Mitglied werden möchte, muss dies nach dem Verfahren des Art. 49 beantragen.“

Der mögliche Austritt eines Mitgliedstaats wird in dieser Vorschrift nur sehr allgemein und vergleichsweise kurz geregelt. Im wissenschaftlichen Schrifttum wurde die Regelung bislang wenig erörtert.12 Rechtsprechung gibt es dazu naturgemäß noch nicht. Mit dem Brexit wird die Neuregelung nunmehr erstmals praktisch erprobt werden. Erste Probleme zeichnen sich bereits ab.13

II. Voraussetzungen für einen Austritt 1. Austrittserklärung des Vereinigten Königreichs Am Beginn des Austrittsverfahrens steht die Erklärung des Mitgliedstaates, aus der Europäischen Union auszutreten. Der Austritt ist jederzeit möglich. Der Austritt muss nicht begründet werden. Die Austrittserklärung ist rechtlich von keinerlei Voraussetzungen abhängig. Die britische Premierministerin Theresa May hat zwischenzeitlich erklärt, den Austritt bis spätestens Ende März 2017 erklären zu wollen. Rechtlich ist das Vereinigte Königreich (trotz des Referendums) nicht verpflichtet, den Austritt zu erklären. Eine Frist für die Austrittserklä-

12 Ausführlich dazu u.a. Thiele, EuR 2016, 281, sowie die Kommentierungen zu Art. 50 EUV, u.a. Calliess in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016; Dörr in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 58. EL, Stand: Januar 2016; Meng in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015. 13 Ausführlich zum Ganzen u.a. Basedow, ZEuP 2016, 567; Baumgart, NJ 2015, 366; Bronger/Söhnchen, EWS 2016, 131; Frenz, BB 2016, 1603; Giegerich, BB 2016, Heft 30, Die Erste Seite; Rinze, ZIP 2016, 2152; Skouris, EuZW 2016, 806; Soltesz, EuZW 2016, 846; Thiele, EuR 2016, 281.

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rung besteht gleichfalls nicht. Die Austrittserklärung wird wohl mit ihrem Zugang beim Europäischen Rat wirksam. Umstritten ist, ob das Vereinigte Königreich die Austrittserklärung zu einem späteren Zeitpunkt (z.B. nach einem Regierungswechsel) wieder einseitig zurücknehmen könnte. Diese Frage beurteilt sich nach Europarecht und nicht nach britischem Recht. Die Zulässigkeit eines solchen einseitigen Rücktritts vom Austritt erscheint (vor allem nach dem Beginn der Austrittsverhandlungen) mehr als zweifelhaft. Selbst eine einvernehmliche Aufhebung des Austritts (mit Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rats) erscheint nicht ohne weiteres zulässig. Die Regelung zum Wiedereintritt eines ausgetretenen Mitgliedstaates (Art. 50 Abs. 5 EUV) spricht wohl eher gegen eine solche Möglichkeit.

2. Austritt im Einklang mit britischem Verfassungsrecht Europarechtlich ist vorgesehen, dass der Austritt eines Mitgliedstaates „im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften“ erfolgen muss (Art. 50 Abs. 1 EUV). Die Prüfung dieser Voraussetzung ist schon deshalb schwierig, weil das Vereinigte Königreich keine (jedenfalls keine kodifizierte) Verfassung besitzt.14 Dem Vernehmen nach sind im Vereinigten Königreich bereits mehrere Klagen anhängig, die die Verfassungsmäßigkeit eines möglichen Brexit zum Gegenstand haben.15 Dabei sind vor allem zwei Fragen umstritten. Erstens geht es um die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Parlament und Regierung. Kann die britische Regierung den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union auf der Grundlage des Referendums alleine erklären oder bedarf es dazu nicht zuvor eines Beschlusses des Parlaments? Die britische Premierministerin Theresa May hat ihre Auffassung zu dieser Frage im Oktober 2016 nochmals bekräftigt: „It is not up to the House of Commons to invoke Article 50, 14 Zu politischen Überlegungen für eine neue Verfassung s. House of Commons, Political and Constitutional Reform Committee, A new Magna Carta?, Second Report of Session 2014–2015, Volltext unter www.parliament.uk/pcrcconstitution. 15 S. dazu u.a. die (nicht rechtskräftige) Entscheidung des High Court of Justice vom 3.11.2016 in Sachen Gina Miller & Deir Tozetti Dos Santos and The Secretary of State for Exiting the European Union, (2006) EWHC 2768 (Admin), Volltext unter www.judiciary.gov.uk.

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and it is not up to the House of Lords. It is up to the government to trigger Article 50 and the government alone.“ Die Streitfrage ist vor allem deshalb von erheblicher praktischer Bedeutung, weil eine Mehrheit im Parlament für den Brexit derzeit eher unwahrscheinlich ist. Zweitens geht es um die Stellung Schottlands, dessen Bürger sich bei dem Referendum mit großer Mehrheit gegen einen Brexit ausgesprochen haben. Europa- und völkerrechtlich ist es wohl nicht möglich, dass Schottland in der Europäischen Union verbleibt, wenn das Vereinigte Königreich insgesamt seinen Austritt erklärt. Theresa May hat auch zu dieser Frage eine klare Meinung: „Because we voted in the referendum as one United Kingdom, we will negotiate as one United Kingdom, and we will leave the European Union as one United Kingdom.“ Diese Haltung könnte indes den politischen Bestrebungen für eine Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich neuen Auftrieb verleihen. Aus deutscher bzw. europäischer Sicht ist vor allem interessant, welche Auswirkungen diese verfassungsrechtlichen Fragen auf einen Austritt haben könnten. Mit anderen Worten: Geht es dabei lediglich um interne Fragen des britischen Verfassungsrechts oder haben diese auch Folgen für den gegenüber dem Europäischen Rat erklärten Austritt. Der Wortlaut des Vertrages (Art. 50 Abs. 1 EUV: „im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften“) könnte darauf hindeuten, dass die Übereinstimmung mit dem nationalen Verfassungsrecht eine Voraussetzung für eine wirksame Austrittserklärung ist. Nach überwiegender Auffassung ist dies jedoch nicht der Fall. Die Einhaltung des nationalen Verfassungsrechts ist keine Frage des Europarechts und nicht Aufgabe der Europäischen Institutionen. Andernfalls müsste der Europäische Gerichtshof über Fragen des britischen Verfassungsrechts entscheiden. Dies wäre von seinen Kompetenzen nicht gedeckt. Die Europäischen Verträge achten das nationale Verfassungsrecht auch im Übrigen und lassen die Strukturen nationaler staatlicher Identität grundsätzlich unberührt. Im Ergebnis ist somit davon auszugehen, dass eine Austrittserklärung des Vereinigten Königreichs rechtlich unabhängig davon wirksam ist, ob sie im Einklang mit dem britischen Verfassungsrecht steht. Das europarechtlich freie Austrittsrecht wird durch das britische Verfassungsrecht somit nicht beschränkt. Politisch dürfte ein Austritt aber gleichwohl kaum vollzogen werden können, wenn britische Gerichte den Austritt später aus verfassungs-

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rechtlichen Gründen für unwirksam erklären sollten. Ein Austritt sollte daher nach Möglichkeit erst nach Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen erfolgen.

3. Verhandlung über ein Austrittsabkommen a) Abschluss eines Austrittsabkommens Nach dem erfolgten Austritt beginnen die Verhandlungen über ein mögliches Austrittsabkommen. Der Inhalt dieses Abkommens ist völlig offen. Der Vertrag über die Europäische Union regelt lediglich, dass die Verhandlungen grundsätzlich innerhalb von zwei Jahren nach dem Austritt abgeschlossen sein müssen (aus heutiger Sicht somit ca. Ende März 2019). Die Frist von zwei Jahren ist nach allgemeiner Auffassung vergleichsweise kurz bemessen. Angesichts der Komplexität des Austritts erscheint es kaum vorstellbar, dass die Verhandlungen in nur zwei Jahren abgeschlossen werden können.16 Die bisherigen Erfahrungen aus den Verhandlungen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten oder den bilateralen Verträgen mit der Schweiz (Verhandlungsdauer von rund zehn Jahren) geben insoweit wenig Anlass zu Optimismus. Das Austrittsabkommen ist ein bilaterales Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich. Das Abkommen bedarf der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Der Europäische Rat beschließt darüber mit qualifizierter Mehrheit (ohne die Mitwirkung des Vereinigten Königreichs); Einstimmigkeit ist nicht erforderlich. Das Austrittsabkommen muss im Vereinigten Königreich ratifiziert werden. Eine Ratifizierung des Austrittsabkommens durch die (anderen) 27 Mitgliedstaaten ist dagegen (anders als beim Beitritt neuer Mitglieder) nicht erforderlich. Nicht absehbar ist derzeit, ob es neben dem Austrittsabkommen (zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich) noch weitere Abkommen (zwischen den 27 Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich) über die Regelung der künftigen Beziehungen geben wird.

16 S. nur Basedow, ZEuP 2016, 567 (572) (Austrittsverhandlungen werden „Agenda von immensen Ausmaßen“ haben); Cloer/Holle, FR 2016, 921 (921) (weisen darauf hin, dass selbst die Verhandlungen mit Grönland über einen bloßen Statuswechsel drei Jahre dauerten).

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b) Fristverlängerung Die (kurze) Frist von zwei Jahren kann verlängert werden. Die Verlängerung müsste vom Europäischen Rat im Einvernehmen dem Vereinigten Königreich beschlossen werden. Der Europäische Rat muss der Fristverlängerung einstimmig zustimmen. Eine qualifizierte Mehrheit genügt (anders als für den Abschluss des Austrittsabkommens) nicht. Die Frist kann beliebig oft und beliebig lang verlängert werden. Die Fristverlängerung ist ohne jegliche Voraussetzung möglich. Die politischen Hürden für eine Fristverlängerung sind hoch. Ohne Fristverlängerung wird der Austritt nach Ablauf der zweijährigen Frist wirksam. Die Austrittsverhandlungen stehen dadurch unter erheblichem Druck; die Verhandlungsposition des Vereinigten Königreichs wird dadurch wohl nicht unerheblich geschwächt.

c) Keine Einigung und keine Fristverlängerung Politisch unerwünscht, aber gleichwohl keineswegs unwahrscheinlich ist der Fall, dass es innerhalb der Frist von zwei Jahren zu keiner Einigung auf ein Austrittsabkommen kommt und auch keine Fristverlängerung erfolgt. Dann käme es zu einem ungeordneten Austritt („Chaos“) des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Mit Ablauf der Zweijahresfrist endet die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union sodann alleine auf der Grundlage der einseitigen Austrittserklärung und ohne ein vertragliches Austrittsabkommen.17 Das Vereinigte Königreich würde von heute auf morgen (aus heutiger Sicht ca. Ende März 2019) zum Drittstaat. Das gesamte europäische Recht würde automatisch und ohne jede Übergangsregelung außer Kraft treten. Dies gilt nicht nur für die Europäischen Verträge (AEUV und EUV, einschließlich der vier Grundfreiheiten18), sondern auch für alle Verordnungen, Richtlinien und sonstigen Rechtsakte. Die Entscheidungen der Europäischen Gerichte würden nicht mehr gelten. Britisches Recht wäre nicht mehr europarechtskonform auszulegen. Ein Austritt ohne jede vertragliche Regelung (vor al17 Cloer/Holle, FR 2016, 921 (921) weisen zu Recht darauf hin, dass dies den „voraussetzungslosen und einseitigen Charakter der Austrittsregelung“ verdeutlicht. 18 Gewisse Ausnahmen bestehen möglicherweise im Bereich der Kapitalverkehrsfreiheit, da diese grundsätzlich auch im Verhältnis zu Drittstaaten Anwendung findet. Siehe dazu auch Cloer/Holle, FR 2016, 921 (922).

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lem ohne jede Übergangsregelung) wäre sicherlich die härteste Form eines Brexit. Das Vereinigte Königreich wäre dann ein echter Drittstaat. Allenfalls aus der früheren Mitgliedschaft in der Europäischen Union könnten sich noch gewisse Treue- und Loyalitätspflichten ergeben. Europäisches Recht, das im Vereinigten Königreich in nationales Recht umgesetzt worden ist, würde allerdings auch in diesem Fall zunächst weiter fortbestehen. Der britische Gesetzgeber könnte dieses dann aber (ohne jede Bindung an europarechtliche Vorgaben) ändern, anpassen oder auch ganz aufheben. Bei der Gesetzesauslegung bestünden gleichfalls keinerlei Bindungen mehr an europäische Gerichtsentscheidungen oder Auslegungsgrundsätze.

III. Rechtsfolgen eines Austritts Ein (ungeordneter) Austritt ohne Austrittsabkommen ist alles anderes als wünschenswert. Ein geordneter Austritt setzt allerdings voraus, dass sich die Europäische Union und das Vereinigte Königreich innerhalb der Frist auf ein Austrittsabkommen einigen können. Die Folgen des Austritts richten sich dann (auch im Bereich des Gesellschaftsrechts) vorrangig nach diesem Abkommen. Über den Inhalt eines solchen Abkommens lässt sich derzeit nur spekulieren. In den Medien wurde vielfach erörtert, ob und inwieweit sich das Austrittsabkommen an dem Status von Norwegen, den bilateralen Verträgen mit der Schweiz, dem Zollvertrag mit der Türkei oder dem Freundschaftsvertrag mit den USA orientieren könnte. Die britische Premierministerin Theresa May hat sich jüngst kritisch zu solchen Gedankenspielen geäußert. Wörtlich sagte sie: „So it is not going to be a ,Norway model‘. It is not going to be a ,Switzerland model‘. It is going to be an agreement between an independent, sovereign United Kingdom and the European Union.“ Darüber hinaus hat Theresa May für 2019 ein „Great Repeal Bill“ angekündigt, mit dem der Herrschaft des europäischen Rechts über das Vereinigte Königreich endgültig ein Ende bereitet wird.19 Das bestehende 19 Siehe dazu auch die aktuellen Informationen auf der Homepage des britischen Ministeriums für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Euro-

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europäische Recht soll zunächst in britisches Recht umgewandelt werden, so dass der britische Gesetzgeber dieses dann später ändern, aufheben oder verbessern kann. Der European Communities Act 1972, der die Geltung europäischen Rechts im Vereinigten Königreich bislang regelt, soll aufgehoben werden. Aus Sicht des Gesellschaftsrechts kommt es vor allem auf die Geltung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) an. Die Niederlassungsfreiheit ist eine der vier Grundfreiheiten. Theoretisch wäre es möglich, dass die Fortgeltung der Niederlassungsfreiheit in einem Austrittsabkommen vertraglich vereinbart wird. Politisch erscheint es aber kaum vorstellbar, dass die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften ohne die Freizügigkeit für Arbeitnehmer gewährt wird. Im Übrigen gilt die Niederlassungsfreiheit derzeit nur im Verhältnis zu den EU-Mitgliedstaaten, zu den EWR-Mitgliedstaaten Norwegen, Island und Liechtenstein (Art. 31, 34 EWR-Vertrag) und zu den USA (Art. XXV Abs. 5 Freundschaftsvertrag Deutschland-USA 1954). Im Verhältnis zu allen anderen Staaten findet die Niederlassungsfreiheit dagegen keine Anwendung. Die Niederlassungsfreiheit ist insbesondere auch nicht in den bilateralen Verträgen mit der Schweiz verankert. Aus heutiger Sicht muss davon ausgegangen werden, dass die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften im Verhältnis zum Vereinigten Königreich ab dem Jahr 2019 keine Anwendung mehr finden könnte. Dies gilt sowohl für den Fall, dass die Austrittsverhandlungen erfolglos sind (oder nicht fristgerecht abgeschlossen werden) als auch für den Fall des erfolgreichen Abschlusses eines Austrittsabkommens. Eine isolierte Fortgeltung der Niederlassungsfreiheit („Rosinenpicken“) wäre mit den Grundgedanken der Europäischen Verträge nur schwer zu vereinbaren und erscheint daher unwahrscheinlich. Falls die Niederlassungsfreiheit auch nach dem Jahr 2019 noch gelten würde (etwa nach dem Vorbild des Freundschaftsvertrages zwischen Deutschland und den USA aus dem Jahr 1954), wären die Auswirkungen des Brexit für das Gesellschaftsrecht weniger weitreichend und würden vor allem britische SE‘s treffen (nicht aber die Limiteds und Ltd. & Co. KG‘s mit Verwaltungssitz in Deutschland).

päischen Union, www.gov.uk/government/organisations/department-for-exi ting-the-european-union.

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IV. Austritt aus der EU (nicht aus dem EWR) Das Referendum vom 23.6.2016 betraf ausschließlich den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Nicht Gegenstand der Abstimmung war dagegen ein Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem Europäischen Wirtschaftsraum. Im Schrifttum wird bislang überwiegend davon ausgegangen, dass das Vereinigte Königreich derzeit nicht Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums ist. Ein Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Europäischen Wirtschaftsraum sei jedoch jederzeit möglich (Stichwort: Norwegen-Modell).20 Im Falle eines solchen Beitritts würde auch die Niederlassungsfreiheit weiter Anwendung finden (Art. 31, 34 EWR, die inhaltlich weitgehend Art. 49, 54 AEUV entsprechen). Allerdings bestehen Bedenken, ob diese Überlegungen wirklich zutreffend sind.21 Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)22 ist ein Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union (als Rechtsnachfolgerin der EG, die ihrerseits Nachfolgerin der EWG ist, die das Abkommen abgeschlossen hat) und ihrer Mitgliedstaaten mit den EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen (nicht auch der Schweiz). Das Abkommen ist am 1.1.1994 in Kraft getreten und dehnt (stark vereinfacht) den Anwendungsbereich der vier Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarktes auf Island, Liechtenstein und Norwegen aus. Dies umfasst auch die Niederlassungsfreiheiten für Gesellschaften. Vertragsparteien des EWR-Abkommens sind neben der Europäischen Union u.a. auch deren Mitgliedstaaten. Damit sind auch das Vereinigte Königreich und die Bundesrepublik Deutschland Parteien dieses Abkommens. Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ändert daran nichts. Das Vereinigte Königreich war, ist und bleibt

20 Siehe etwa Basedow, ZEuP 2016, 567 (569); Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 (1362); Seeger, DStR 2016, 1817 (1817); Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378 (2380). 21 Ausführlich Daragan, ZErb 2016, 281; s. auch Cloer/Holle, FR 2016, 921 (922). 22 ABl. EU Nr. L 1 v. 3.1.1994, S. 1 ff., Volltext auch unter www.eur-lex.euro pa.eu.

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Vertragspartei des EWR-Abkommens.23 Das Vereinigte Königreich ist aus dem EWR-Abkommen bislang auch nicht ausgetreten. Damit gilt die Niederlassungsfreiheit (auf der Grundlage von Art. 31, 34 EWR-Abkommen) zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland auch über das Jahr 2019 hinaus unverändert fort. Dies wäre politisch aber nicht gewollt. Denn dann würde nicht nur die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften, sondern alle vier Grundfreiheiten (einschließlich der Freizügigkeit für Personen) fortgelten. Es ist daher davon auszugehen, dass das EWR-Abkommen im Zusammenhang mit den Austrittsverhandlungen von Großbritannien gekündigt (oder sonst beendet) wird (s. Art. 126 ff. EWR-Abkommen und Art. 62 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge).24

V. Territoriale Folgen des Austritts Mit dem Wirksamwerden des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ändert sich auch der räumliche Geltungsbereich der Europäischen Verträge (s. Art. 52 EUV und Art. 355 AEUV). Der Austritt betrifft grundsätzlich das gesamte Staatsgebiet des Vereinigten Königreichs. Im Rahmen eines Austrittsabkommens könnten die Vertragsparteien allerdings abweichende Regelungen vereinbaren. Aus praktischer Sicht erscheinen vor allem die Folgen eines Austritts für die britische Kronkolonie Gibraltar25 und die Kanalinseln (Guernsey, Jersey, Alderney und Sark) sowie die Isle of Man von Interesse. Gibraltar ist seit 1713 ein britisches Überseegebiet nach dem British Overseas Territories Act 2002. Danach ist Gibraltar kein souveräner Staat, sondern ein mit gewissen Selbstverwaltungsgarantien und eigener Regierung ausgestattete Jurisdiktion. Die Europäischen Verträge gelten grundsätzlich auch für Gibraltar (Art. 355 Abs. 3 AEUV). Lediglich in den Bereichen der gemeinsamen Handels-, Agrar- und Fischereipolitik sowie des Umsatzsteuerrechts bestehen aufgrund des Beitrittsvertrages 23 Deutlich Daragen, ZErb 2016, 281 (282); s. auch Hess, IPrax 2016, 409 (418, Fn. 126); Peykan/Hanten/Gegusch, DB 2016, 1526 (1526). 24 Cloer/Holle, FR 2016, 921 (922); Daragan, ZErb 2016, 281 (282); Dörr in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 50 EUV Rz. 39 (Stand: August 2011). 25 Zu den möglichen Folgen eines Brexit auf Gibraltar im Bereich ausgewählter besonderer Verkehrssteuern s. Welz, UVR 2016, 248. Zum Steuerrecht allgemein s. auch Cloer/Holle, FR 2016, 921 (921).

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aus dem Jahr 1972 einzelne Ausnahmen.26 Die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften gilt dagegen auch für Gibraltar. Die wahlberechtigten Bürger von Gibraltar haben in dem Referendum mit knapp 96 % der Stimmen gegen den Brexit gestimmt. Die Kanalinseln (Guernsey, Jersey, Alderney und Sark) sowie die Isle of Man gehören als halbautonome Schutzgebiete (crown dependency) nicht zum Vereinigten Königreich und damit auch zur Europäischen Union.27 Die auswärtigen Beziehungen der Inseln werden aber vom Vereinigten Königreich wahrgenommen (s. Art. 355 Abs. 3 AEUV). Die Anwendbarkeit der Europäischen Verträge wurde in dem Beitrittsvertrag aus dem Jahr 1972 (Protokoll Nr. 3) jedoch auf die Bestimmungen des freien Warenverkehrs und der gemeinsamen Handelspolitik beschränkt (s. Art. 355 Abs. 5 Buchst. c AEUV).28 Die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften findet insoweit keine Anwendung.

C. Gesellschaftsrecht I. Limited 1. Ausgangssituation Seit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen Centros (1999), Überseering (2002) und Inspire Art (2003) sind Gesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union wirksam gegründet worden sind in allen anderen Mitgliedstaaten in vollem Umfang anzuerkennen. Grundlage dafür ist die europäische Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV). Ein Unternehmer muss die Möglichkeit haben, eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat seiner Wahl zu 26 S. dazu Schmalenbach in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 355 AEUV Rz. 9 m.w.N. 27 Siehe dazu aus der deutschen Rechtsprechung u.a. BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 = GmbHR 2002, 1021 = ZIP 2002, 1763 = DStR 2002, 1678 mit Anm. Goette (zur angeblichen Sitzverlegung einer auf der Kanalinsel Jersey gegründeten Limited Company); OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, ZIP 2007, 1108 = GmbHR 2007, 763 m. Anm. Ringe = BB 2007, 1519 m. Anm. Binz (zur Rechts- und Parteifähigkeit einer Limited nach dem Recht der Isle of Man); KG v. 11.2.2005 – 5 U 291/03, ZIP 2005, 989 = GmbHR 2005, 771 mit Anm. Grohmann = EWiR 2005, 651 (Hirte) (zum Nachweis der Rechts- und Parteifähigkeit einer private Company Limited by Shares der Isle of Man). 28 S. dazu Schmalenbach in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 355 AEUV Rz. 14 m.w.N.

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gründen und mit dieser in allen anderen Mitgliedstaaten tätig werden zu können.29 Eine englische Limited ist danach in Deutschland auch dann als Kapitalgesellschaft anzuerkennen, wenn die Limited im Vereinigten Königreich lediglich ihren Satzungssitz, nicht aber auch ihren Verwaltungssitz hat. Dies gilt selbst dann, wenn die Gründung der Gesellschaft nur deshalb im Vereinigten Königreich erfolgt ist, um die deutschen Vorschriften über die Gründung von Kapitalgesellschaften (u.a. Mindeststammkapital, Kapitalaufbringung) (bewusst) zu umgehen. Die Einhaltung der deutschen Gründungsvorschriften ist keine Voraussetzung für die Anerkennung von Kapitalgesellschaften aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Das Personalstatut der englischen Limited richtet sich heute (auch aus deutscher Sicht) nach englischem Gesellschaftsrecht30 (Gründungstheorie). Für Gesellschaften, die in einem der EWR-Mitgliedstaaten Norwegen, Island und Liechtenstein31 (nicht auch der Schweiz) gegründet worden sind, gilt gleichfalls die Niederlassungsfreiheit (Art. 31, 34 EWR) und damit auch die (europarechtliche) Gründungstheorie.

29 Ausführlich zum Ganzen u.a. Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 4a Rz. 7 ff. und Anh zu § 4a Rz. 8 ff.; Behrens/Hoffmann in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, Einl. B; Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl. 2016, Teil 7, S. 1535 ff.; Kindler in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2015, IntGesR; Thorn in Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, Anh EGBGB Art. 12; H. P. Westermann in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, Anhang § 4a. 30 Zur Haftung des Direktors einer englischen private limited company by shares nach § 64 Satz 1 GmbHG, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist s. BGH v. 15.3.2016 – II ZR 119/14, GmbHR 2016, 592 mit Anm. Poertzgen = ZIP 2016, 821 = EWiR 2016, 329 (Seidel) = DB 2016, 1924 mit Anm. Seulen/Berjasevic, und zuvor EuGH v. 10.12.2015 – Rs. C-594/14 (Kornhaas), ZIP 2015, 2468 = EWiR 2016, 67 (Schulz) = GmbHR 2016, 24 mit Anm. Römermann = DB 2016, 225 mit Anm. von Wilcken = NJW 2016, 223 mit Anm. Weller/Hübner = JZ 2016, 571 mit Anm. Ringe. – Ausführlich dazu Geissler, GmbHR 2016, 1130; Kindler, EuZW 2016, 136; Mankowski, NZG 2016, 281; Mock, IPrax 2016, 237; Schall, ZIP 2016, 289. 31 BGH v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, BGHZ 164, 148 = GmbHR 2005, 1483 = ZIP 2005, 1869 = RIW 2005, 945 mit Anm. Leible/Hofmann = DNotZ 2006, 143 mit Anm. Thölke. – Ausführlich dazu Baudenbacher/Buschle, IPRax 2004, 26 (noch zur Vorinstanz); Rehm, Der Konzern 2006, 166; Weller, ZGR 2006, 748.

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Die Gründungstheorie gilt schließlich auch für Gesellschaften, die in den USA wirksam gegründet worden sind.32 Rechtsgrundlage hierfür ist die Meistbegünstigungsklausel in dem deutsch-amerikanischen Freundschaftsvertrag aus dem Jahr 1954.33 Für Gesellschaften aus allen anderen Staaten gilt dagegen (jedenfalls nach Auffassung der Rechtsprechung)34 die (modifizierte) Sitztheorie.35 Der BGH hat dies zuletzt in seinem Urteil „Trabrennbahn“ aus dem Jahr 2008 für eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts entschieden.36 Die Schweiz habe sich bewusst gegen eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union und dem Europäischen Wirtschaftsraum entschieden. Die Niederlassungsfreiheit findet demnach im Verhältnis zur Schweiz keine Anwendung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den bilateralen Verträgen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz. Die Schweiz ist bis heute ein Drittstaat. Eine Kapitalgesellschaft, mit Satzungssitz in der Schweiz und Verwaltungssitz in Deutschland ist daher in Deutsch32 BGH v. 13.10.2004 – I ZR 245/01, GmbHR 2005, 51 mit Anm. Kleinert = DStR 2004, 2113 mit Anm. Goette. Ausführlich dazu Paal, RIW 2005, 735; BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, DStR 2004, 1841 = BB 2004, 1868 mit Anm. Mellert = EWiR 2004, 919 (Paefgen). – Ausführlich dazu Ebke, RIW 2004, 740; Stürner, IPRax 2005, 305. 33 Art. XXV Abs. 5 des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika v. 29.10.1954, BGBl. II 1956, 488. – Ausführlich dazu u.a. Dammann, RabelsZ 68 (2004), 607; Drouven/Mödl, NZG 2007, 7; Frenzel/Axer, RIW 2007, 47; Kaulen, IPRax 2008, 389; Leyendecker, RIW 2008, 273; Schurig in Liber Amicorum Peter Hay, 2005, S. 369 ff. 34 Im Schrifttum zustimmend u.a. Kindler in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2015, IntGesR, Rz. 420 ff. und Rz. 455 ff.; Roth in Altmeppen/Roth, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 4a Rz. 11 ff.; Thorn in Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, Anh EGBGB Art. 12 Rz. 10. – Kritisch dagegen u.a. Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 4a Rz. 11 und Anh zu § 4a Rz. 11; Behrens/Hoffmann in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, Einl. B Rz. B 27 ff., v.a. Rz. B 34 und B 40; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmensund Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2012, § 6 Rz. 7, S. 71 und § 6 Rz. 53, S. 95 f.; J. Mayer in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 4a Rz. 31. 35 Siehe BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 227/06, ZIP 2009, 2385 = GmbHR 2010, 211 = EWiR 2010, 117 (Lieder) (zu einer Singapore Limited); BGH v. 2.12.2004 – III ZR 358/03, BGHZ 161, 224 (zu einer Panama Gesellschaft). 36 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 = ZIP 2008, 2411 = GmbHR 2009, 138 = NJW 2009, 289 mit Anm. Kieninger = DStR 2009, 59 mit Anm. Goette. – Ausführlich dazu u.a. Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735; Kindler, IPRax 2009, 189; Werner, GmbHR 2009, 191.

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land zwar anzuerkennen, aber nicht als Kapitalgesellschaft. Die Schweizer Kapitalgesellschaft ist in Deutschland vielmehr als eine rechtsfähige Personengesellschaft zu behandeln. Damit entfällt die Haftungsbeschränkung der Kapitalgesellschaft. Diese Entscheidung des BGH ist bis heute unverändert gültig. Eine Änderung der Rechtsprechung ist derzeit nicht zu erwarten.37 Für Kapitalgesellschaften mit Satzungssitz im Vereinigen Königreich und Verwaltungssitz in Deutschland kann nach dem Wirksamwerden eines Austritts nichts anderes gelten (vorbehaltlich einer abweichenden Regelung in dem Austrittsabkommen). Englische Limiteds mit Satzungssitz im Vereinigten Königreich und Verwaltungssitz in Deutschland sind demnach in Deutschland ab ca. März 2019 zwar weiterhin als rechtsfähige Gesellschaften anzuerkennen; allerdings nicht mehr als Kapitalgesellschaften, sondern als Personengesellschaften. Mit dem Wegfall der Niederlassungsfreiheit entfällt die Verpflichtung, Gesellschaften aus dem Vereinigten Königreich in Deutschland als Kapitalgesellschaften anzuerkennen.

2. Rechtsfolgen des Wegfalls der Niederlassungsfreiheit a) Allgemeine Fragen aa) Aus Sicht des englischen Rechts Das Vereinigte Königreich folgt im Bereich des internationalen Gesellschaftsrechts38 schon immer der Gründungstheorie. Die englische Limited ist wirksam im Vereinigten Königreich gegründet worden. Dementsprechend wird sie im Vereinigten Königreich als eine Kapitalgesellschaft 37 Siehe zuletzt u.a. BGH v. 8.9.2016 – III ZR 7/15, NZG 2016, 1187 = BB 2016, 2569 mit Anm. v. Oertzen (zur Anwendung der Grundsätze des Internationalen Gesellschaftsrechts auf das Stiftungskollisionsrecht bei einer Stiftung mit Sitz in Österreich); BGH v. 21.6.2016 – X ZR 41/15, ZIP 2016, 1703 (keine Verpflichtung zur Leistung von Prozesskostensicherheit bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Satzungssitz in Irland und Verwaltungssitz in Irland bzw. Finnland). 38 Zum englischen Gesellschaftsrecht (im deutschen Schrifttum) s. u.a. Eberhardt, RIW 2015, 271; Just, Die englische Limited in der Praxis, 4. Aufl. 2012; Schall, Companies Act, Kommentar 2014; Söhner, RIW 2016, 489; Stiegler, ZIP 2016, 1808; Triebel/Ilmer/Ringe/Vogenauer/Ziegler, Englisches Handelsund Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2012; Vorpeil, RIW 2016, 625, RIW 2016, 169 und RIW 2015, 646.

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(mit Haftungsbeschränkung) anerkannt. Daran ändert sich auch nach einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union nichts. Aus Sicht des englischen Rechts bleibt somit alles beim Alten. Die Limited besteht unverändert wirksam fort. Es kommt weder zu einem Rechtsformwechsel noch zu einem Statutenwechsel.

bb) Aus Sicht des deutschen Rechts Das deutsche internationale Gesellschaftrecht geht für Gesellschaften aus Drittstaaten (und damit ab ca. 2019 wohl auch für englische Limiteds) von der (modifizierten) Sitztheorie aus. Bei Gründung der englischen Limited wurden die in Deutschland für die Gründung von Kapitalgesellschaften geltenden Regeln nicht beachtet, obwohl die Gesellschaft hier ihren Verwaltungssitz hat. Nach der Sitztheorie ist die englische Limited in Deutschland nicht als Kapitalgesellschaft anzuerkennen (auch nicht als eine Vor-GmbH). Die englische Limited ist aus deutscher Sicht vielmehr als eine rechtsfähige Personengesellschaft (GbR oder OHG) zu behandeln.39 Eine Einpersonen-Limited ist in der Regel als Einzelunternehmen anzusehen, bei dem der Inhaber für alle Verbindlichkeiten mit seinem gesamten (auch privaten) Vermögen persönlich haftet.40 Bei dieser Umqualifizierung der englischen Limited handelt es sich aber nur um die Betrachtungsweise des deutschen Rechts. Die englische Limited wird somit nicht insgesamt in eine deutsche Personengesellschaft umgewandelt. Es handelt sich demnach auch nicht um einen Rechtsformwechsel kraft Gesetzes.41 Allenfalls handelt es sich um eine Umqualifizierung der fortbestehenden englischen Limited aus der Sicht des deutschen Rechts.42 39 Siehe auch Mayer/Manz, BB 2016, 1731 (1733) (Behandlung wie eine VorGmbH, also als Personengesellschaft). 40 So auch Seeger, DStR 2016, 1817 (1819). 41 Siehe aber Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 (1363) (automatischer Rechtsformwechsel, Statuten- und Formwechsel). 42 Kritisch zu dieser modifizierten Sitztheorie für Drittstaaten, die vielfach auch als „gespaltene Lösung“ oder als „Wechselbalgtheorie“ bezeichnet wird u.a. Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 4a Rz. 11 und Anh zu § 4a Rz. 11; Behrens/Hoffmann in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, Einl. B Rz. B 27 ff., v.a. Rz. B 34 und B 40; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl.

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In gleicher Weise führt der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union nicht zu einem Statutenwechsel. Aus englischer Sicht kommt weiterhin englisches Gesellschaftsrecht zur Anwendung. Lediglich aus deutscher Sicht führt der Wegfall der Niederlassungsfreiheit zur erstmaligen Anwendung deutschen Gesellschaftsrechts. Dementsprechend kommt es zu einer Statutenverdopplung,43 und nicht zu einem (vollständigen) Statutenwechsel.44 Im Ergebnis führt die englische Limited somit ab ca. März 2019 ein juristisches Doppelleben.45 Es handelt sich um eine gespaltene Gesellschaft, für die teilweise englisches und teilweise deutsches Gesellschaftsrecht gilt.46 Die gleichzeitige Anwendung von englischem und deutschem Gesellschaftsrecht auf ein und dieselbe Gesellschaft führt zu zahlreichen, schwer zu lösenden Folgeproblemen. Einige davon sollen im Folgenden kurz skizziert werden.

b) Einzelfragen aa) Handelsregister (1) Englische Companies House Im englischen Companies House ist und bleibt die englische Limited unverändert eingetragen.

(2) Deutsche Handelsregister der inländischen Zweigniederlassung Im deutschen Handelsregister ist regelmäßig eine inländische Zweigniederlassung der englischen Limited eingetragen (§§ 13d ff. HGB).47

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2012, § 6 Rz. 7, S. 71 und § 6 Rz. 53, S. 95 f.; J. Mayer in MünchKomm/ GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 4a Rz. 31. Bayer/J. Schmidt, BB 2016, 1923 (1933); Binz/Mayer, BB 2005, 2361 (2363 f.). Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 (1363). So bereits früher Halhuber, ZEuP 2003, 418 (431). Ähnlich bereits Ebke, JZ 2003, 927 (928) („Spaltung der Rechtspersönlichkeit“). – Von einem hinkenden Rechtsverhältnis sprechen Weller/Thomale/ Benz, NJW 2016, 2378 (2381). Ausführlich zu inländischen Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften (neben den Kommentierungen zu §§ 13d ff. HGB) zuletzt u.a. Bönner, RNotZ 2015, 253; Hoger, NZG 2015, 1219 und monographisch Voigt, Das Handelsrecht der Zweigniederlassung, 2010.

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Diese Eintragung ist grundsätzlich auch nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union noch zutreffend, da die englische Limited (jedenfalls nach englischem Recht) als eine „Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz im Ausland“ fortbesteht. Eine Löschung der Eintragung der inländischen Zweigniederlassung ist insoweit nicht veranlasst. Gleichwohl würde das deutsche Handelsregister in diesem Fall in gewisser Weise einen falschen Rechtsschein vermitteln. Denn jedenfalls aus deutscher Sicht ist die englische Limited jetzt nicht mehr als eine „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ anzusehen. Die Eintragung einer inländischen Zweigniederlassung einer ausländischen Personengesellschaft ist im deutschen Handelsgesetzbuch bislang aber gar nicht vorgesehen (s. § 13d Abs. 1 HGB: Einzelkaufmann oder juristische Person). Zudem sind bei Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus NichtEU/EWR-Mitgliedstaaten zusätzliche Angaben erforderlich (z.B. § 13e Abs. 2 Satz 5 Nr. 4 HGB: Angabe der maßgeblichen Rechtsordnung). Diese wären jedenfalls ergänzend anzumelden.

(3) Deutsche Handelsregister der Personengesellschaft Aus deutscher Sicht ist die englische Limited (je nach Unternehmensgegenstand) als GbR oder als OHG zu qualifizieren. Die Neugründung einer OHG ist von allen Gesellschaftern zur Eintragung in das deutsche Handelsregister anzumelden (§§ 106 ff. HGB). Die OHG wird hier zwar nicht rechtlich neu gegründet, die Neugründung aufgrund der Umqualifizierung ist aber als eine vergleichbare Neugründung anzusehen. Im deutschen Handelsregister wäre die Gesellschaft dann einerseits als OHG in Abteilung A und andererseits als inländische Zweigniederlassung einer ausländischen Limited in Abteilung B eingetragen. Dies ist kein Widerspruch. Vielmehr spiegelt dies die unterschiedliche Qualifizierung der Gesellschaft im Vereinigten Königreich und in Deutschland wider. In der Praxis sollte zur Vermeidung von Missverständnissen bei OHG und Zweigniederlassung aber jeweils ein wechselseitiger Vermerk aufgenommen werden.

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bb) Haftung der Gesellschafter Der Wegfall der europäischen Niederlassungsfreiheit führt dazu, dass die englische Limited in Deutschland als GbR oder OHG qualifiziert wird. Für die Verbindlichkeiten der GbR48 bzw. OHG haften alle Gesellschafter persönlich und unbeschränkt. Die Haftung kann grundsätzlich nicht beschränkt werden (§§ 128 ff. HGB unmittelbar bzw. analog).49 Die Eintragung einer inländischen Zweigniederlassung im Handelsregister ändert an der persönlichen Haftung der Gesellschafter nichts. Das Auftreten als ausländische Kapitalgesellschaft mit einem die Haftungsbeschränkung andeutenden Rechtsformzusatz (Limited) lässt die persönliche Haftung gleichfalls nicht entfallen. Die Haftung trifft alle Gesellschafter persönlich. Auf Art, Umfang und Höhe der Beteiligung kommt es somit nicht an. Damit haften auch bloße Minderheitsgesellschafter, die auf die Geschäftsführung der Limited keinen Einfluss haben. Die persönliche Haftung gilt unstreitig für alle Neuverbindlichkeiten. Als Neuverbindlichkeiten in diesem Sinne sind Verbindlichkeiten anzusehen, die nach dem Wirksamwerden des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union entstehen (ca. März 2019). Nicht ganz so eindeutig ist dagegen, ob die Gesellschafter auch für etwaige Altverbindlichkeiten persönlich haften. Gegen eine Haftung auch für Altverbindlichkeiten spricht, dass die Gläubiger (von vertraglichen Ansprüchen) nicht von einer persönlichen Haftung der Gesellschafter ausgehen konnten, da sie ausschließlich mit einer Kapitalgesellschaft kontrahiert haben. Die Gläubiger würden somit „unverdient“ einen persönlichen Schuldner hinzugewinnen. Für eine Haftung auch für Altverbindlichkeiten50 spricht allerdings der Vergleich mit einem Gesellschafter, der einer deutschen GbR oder OHG beitritt. Der neu in eine GbR oder OHG eintretende Gesellschafter haftet für Altverbindlichkeiten, die bereits vor seinem Beitritt bestanden, 48 Siehe statt vieler Sprau in Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 714 BGB Rz. 11 ff. m.w.N. 49 Dies ist wohl unstreitig, s. nur Bayer/J. Schmidt, BB 2016, 1923 (1933); Hess, IPrax 2016, 409 (418); Peykan/Hanten/Gegushc, DB 2016, 1526 (1529); Kersting, DB 2016, Heft 26/27, M5; Mayer/Manz, BB 2016, 1731 (1733); Weller/ Thomale/Benz, NJW 2016, 2378 (2381). 50 Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 (1363).

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persönlich und unbeschränkt (s. § 130 HGB sowie ferner § 173 HGB und § 8 PartGG). In gleicher Weise müssen die Gesellschafter einer englischen Limited, die mit dem Wirksamwerden des Austritts erstmals zu persönlich haftenden Gesellschaftern werden, für die Altverbindlichkeiten der Gesellschaft haften. Die persönliche Haftung erscheint als ein sachgerechter Ausgleich für die Umgehung der deutschen Vorschriften über die Kapitalaufbringung. Aus Gläubigerschutzgesichtspunkten ist die Haftung zwingend geboten. Die Haftung ist auch nicht unbillig, weil die Gesellschafter mindestens zwei Jahre Zeit haben, eine persönliche Haftung durch einen Austritt aus der Gesellschaft, einen Rechtsformwechsel oder eine Auflösung der Gesellschaft zu vermeiden. Das Risiko einer persönlichen Haftung für (vertragliche) Altverbindlichkeiten lässt sich zudem dadurch reduzieren, dass diese jetzt noch von der Limited getilgt werden. Die persönliche Haftung für Altverbindlichkeiten trifft Minderheitsgesellschafter, die (rechtlich) keine Möglichkeit haben aus der Gesellschaft auszuscheiden oder eine Auflösung bzw. Umstrukturierung der Gesellschaft durchzusetzen, vergleichsweise hart. Die Haftung erscheint gleichwohl nicht unverhältnismäßig. Die persönliche Haftung ist schlicht die Folge des ursprünglichen Beitritts zu einer englischen Limited, die ohne Einhaltung der deutschen Gründungsvorschriften ausschließlich in Deutschland als Kapitalgesellschaft tätig ist. Die Rechtslage war und ist (trotz der formalen Anerkennung der Limited als Kapitalgesellschaft) in vielen Bereichen unsicher (z.B. die Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Insolvenzstatut51); diese Risiken sind die Gründer bewusst eingegangen und daher jetzt auch von ihnen zu tragen. Im deutschen Schrifttum wird vielfach erwogen, die persönliche Haftung der Gesellschafter (zumindest für eine gewisse Übergangszeit) abzumildern oder ganz auszuschließen.52 Dies wird überwiegend mit dem (verfassungsrechtlichen) Gedanken des Bestands- und Vertrauensschutzes begründet. Die Gesellschafter einer englischen Limited konnten und durften danach darauf vertrauen, dass sie für die Verbindlichkeit der Ge-

51 Siehe dazu die Nachweise in Fn. 30. 52 Dafür u.a. Bayer/J. Schmidt, BB 2016, 1923 (1934); Bode/Bron, GmbHR 2016, R129; Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 (1363 f. und 1367) (Übergangszeitraum von ca. zwei Jahren ab dem Wirksamwerden des Austritts des Vereinigten Königreichs). – Dagegen überzeugend und ausführlich Seeger, DStR 2016, 1817 (1819 ff.).

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sellschaft nicht persönlich haften. Der Brexit (und die damit verbundenen rechtlichen Folgen) waren nicht vorhersehbar. Gleichwohl erscheint eine Beschränkung der persönlichen Haftung der Gesellschafter nicht geboten. Die Gesellschafter haben bewusst von ihrer Möglichkeit der freien Rechtsformwahl Gebrauch gemacht und sich für eine englische Limited (und gegen eine deutsche GmbH) entschieden. Die Vorteile dieser Rechtsformwahl haben die Gesellschafter zu Recht für sich genutzt. Umgekehrt haben sie jetzt auch die Nachteile diese Rechtsformwahl zu tragen. Eine Korrektur durch den Gesetzgeber erscheint nicht geboten. Rechtspolitisch stellt sich zudem die Frage, warum der deutsche Gesetzgeber die rechtlichen Folgen einer Entscheidung des Vereinigten Königreichs korrigieren sollte. Dies sollte (wenn überhaupt) in einem bilateralen Austrittsabkommen (nicht aber auf nationalstaatlicher Ebene) erfolgen.

cc) Haftung der Handelnden Neben den Gesellschaftern können unter Umständen auch weitere Personen für die Verbindlichkeiten der englischen Limited persönlich haften. In Betracht kommt insbesondere eine Haftung der für die Limited handelnden Vertreter (§ 179 Abs. 1 BGB bzw. § 11 Abs. 2 GmbHG analog). Ein Vertreter, der für eine nicht bestehende Person auftritt, haftet nach deutschem Recht grundsätzlich persönlich. Diese Haftung könnte auch dann eingreifen, wenn jemand für eine englische Limited handelt, die jedenfalls aus deutscher SichtnichtalsKapitalgesellschaftanerkanntwird.53

dd) Vertretung der Gesellschaft Die rechtliche Umqualifizierung der englischen Limited als GbR bzw. OHG wirkt sich nicht nur im Bereich der Haftung, sondern vor allem auch bei deren Vertretung aus.54 Eine englische Limited wird grundsätzlich durch die directors vertreten. Fremdorganschaft ist dabei zulässig. Mehrere directors sind grundsätzlich gemeinsam zur Vertretung berechtigt, sofern die Gesellschafter

53 Siehe Mayer/Manz, BB 2016, 1731 (1733). – Ausführlich Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 (99 ff.). 54 Ausführlich Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 (1365 ff.).

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nichts anderes regeln. Die Möglichkeit einer generellen Erlaubnis von Insichgeschäften (§ 181 BGB) ist gesetzlich nicht vorgesehen. Bei einer deutschen OHG ist dagegen jeder Gesellschafter grundsätzlich einzeln zur Vertretung berechtigt (§§ 115, 125 HGB. – Anders aber bei der GbR, §§ 709, 714 BGB). Eine organschaftliche Vertretung durch Nicht-Gesellschafter ist bei deutschen Personengesellschaften unzulässig. Es gilt der Grundsatz der Selbstorganschaft. Die unterschiedlichen Regeln zur Vertretung im deutschen und englischen Gesellschaftsrecht lassen sich noch einigermaßen miteinander in Einklang bringen, wenn bei der englischen Limited ein Gesellschafter zum director bestellt ist. Die Vertretungsbefugnis für die englische Limited wird dann im Zweifel auch für die deutsche Personengesellschaft gelten. Die rechtliche Begründung ist aber selbst in diesem Fall alles andere als einfach und weitgehend ungeklärt. In Betracht kommt u.a. die Auslegung des englischen Gesellschafterbeschlusses über die Bestellung zum director, die Erteilung einer konkludenten, rechtsgeschäftlichen Vollmacht, die Anwendung der Grundsätze der Anscheins- bzw. Duldungsvollmacht oder der Schutz des Vertrauens auf den Fortbestand der Vertretungsmacht (s. Art. 12 EGBGB, § 15 HGB). Erheblich schwieriger ist die Rechtslage dann, wenn die Gesellschaft von mehreren Personen vertreten wird. Dann stellt sich insbesondere die Frage, ob eine etwaige Einzelvertretungsbefugnis bei der englischen Limited auch bei der deutschen GbR bzw. OHG fortwirkt. Der BGH hat in seiner Trabrennbahn-Entscheidung angedeutet, dass die in den Statuten einer Schweizerischen Aktiengesellschaft vorgesehene Einzelvertretungsbefugnis als abweichende Regelung der Vertretungsbefugnis der deutschen GbR anzusehen ist.55 Auf eine englische Limited kann diese Entscheidung wohl nicht ohne weiteres übertragen werden, da der Gesellschaftsvertrag bzw. der Bestellungsbeschluss (anders als in der Schweiz) aus dem englischen Handelsregister (companies house) nicht ersichtlich sind. Im Falle der Umqualifizierung einer englischen Limited in eine deutsche OHG stellt sich zudem die weitere Frage, welche Bedeutung der Eintragung bzw. Nichteintragung der Vertretungsbefugnis der Gesellschafter im deutschen Handelsregister zukommt (s. §§ 125, 106 Abs. 2 Nr. 4, 15 HGB). 55 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (s. oben Fn. 36).

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Besonders schwierig ist die Rechtslage schließlich dann, wenn bei der englischen Limited ein Nicht-Gesellschafter zum vertretungsberechtigten director bestellt worden ist. Der Grundsatz der Selbstorganschaft verbietet grundsätzlich die organschaftliche Vertretung einer deutschen Personengesellschaft durch einen Nicht-Gesellschafter. Möglicherweise kommt eine Umdeutung in eine rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis in Betracht. Bei allen Umdeutungs- und Auslegungsüberlegungen ist aber stets zu berücksichtigen, dass der mutmaßliche Wille der Gesellschafter gerade nicht auf die Begründung einer persönlichen Haftung gerichtet ist. In der Praxis ist davon auszugehen, dass die Reichweite der Vertretungsbefugnis der directors von englischen Limiteds in keiner Weise gesichert ist. Die handelnden Personen sollten daher (schon zur Vermeidung einer etwaigen persönlichen Haftung, s. § 179 BGB) nicht ohne Gesellschafterbeschluss bzw. Vollmacht handeln. Die Geschäftspartner von Limiteds sollten die Vertretungsbefugnis bei englischen Limiteds stets sorgfältig prüfen und sich entsprechend nachweisen lassen. Dies gilt vor allem deshalb, weil der Verwaltungssitz für Dritte in der Regel nur schwer erkennbar ist. Der Schutz des guten Glaubens (nach § 15 des deutschen HGB) gilt insoweit wohl nicht, da es im Vereinigten Königreich an vergleichbaren Regelungen fehlt.

ee) Prozess- und Vollstreckungsrecht Die unterschiedliche Qualifizierung der Gesellschaft als englische Limited einerseits und als deutsche GbR bzw. OHG andererseits führt auch im internationalen Prozess- und Vollstreckungsrecht zu schwierigen Folgefragen. Ansprüche der Gesellschaft können möglicherweise in beiden Staaten tituliert und vollstreckt werden, ohne dass dem der Einwand der entgegenstehenden Rechtskraft entgegen gehalten werden kann. Ein Vollstreckungstitel gegen eine englische Limited kann gegen eine deutsche GbR bzw. OHG wohl nicht vollstreckt werden. Umgekehrt kann mit einem Titel gegen eine deutsche GbR bzw. OHG nicht in das Vermögen einer englischen Limited vollstreckt werden. Im deutschen Grundstücksrecht könnte sich die Frage stellen, ob eine Berichtigung des Grundbuchs erfolgen muss, wenn eine englische Limi-

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ted als Eigentümerin eines Grundstücks (oder sonst dingliche Berechtigte) eingetragen ist.

ff) Steuerrecht Die englische Limited mit Satzungssitz im Vereinigten Königreich und Verwaltungssitz in Deutschland ist in Deutschland regelmäßig unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Mit der Umqualifizierung in eine deutsche GbR bzw. OHG besteht kein Körperschaftsteuersubjekt mehr.56 Weitgehend ungeklärt ist bislang, welche steuerlichen Folgen die Umqualifizierung (auf Ebene der Gesellschaft und auf Ebene der Gesellschafter) in Deutschland haben wird.57 Die Finanzverwaltung dürfte wohl von einer Liquidationsbesteuerung ausgehen, so dass es zu einer Versteuerung der stillen Reserven kommt.

3. Handlungsmöglichkeit aus Sicht der betroffenen Limiteds a) Verlegung des Verwaltungssitzes Die rechtlichen Probleme der Umqualifizierung der englischen Limiteds wären am einfachsten durch eine Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes zu lösen. Eine englische Limited könnte ihren Verwaltungssitz von Deutschland ins Vereinigte Königreich verlegen. Satzungssitz und Verwaltungssitz würden dann übereinstimmend im Vereinigten Königreich liegen. Für die Limited gilt dann unstreitig englisches Gesellschaftsrecht (und zwar unabhängig vom Streit um Gründungs- und Sitztheorie). Dieser Lösungsvorschlag dürfte in der Praxis aber vermutlich kaum jemals weiterhelfen. Der (tatsächliche) Verwaltungssitz befindet sich in diesen Fällen in Deutschland und soll auch hier verbleiben. Eine Verlegung in das Vereinigte Königreich kommt aus unternehmerischen Gründen regelmäßig nicht in Betracht. Im Vereinigten Königreich befin56 Allgemein zur steuerlichen Behandlung der englischen private limited company BMF, Schr. v. 6.1.2014, BStBl. I 2014, 111 = DStR 2014, 145; OFD Hannover, Verfügung v. 3.7.2009, DStR 2009, 1585, sowie Beinert/Werder, DB 2005, 1480; Haase, IStR 2013, 192; Kahle/Cortez, FR 2014, 673; Korts/Korts, BB 2005, 1474; Richter/Braun, GmbHR 2012, 18, und monographisch Hölscher, Die grenzüberschreitende Verlegung der Geschäftsleitung, Ertragsteuerliche Chancen und Risiken für Kapitalgesellschaft, 2012; Winter, Die steuerliche Behandlung von Scheinauslandsgesellschaften, 2013. 57 Siehe Seeger, DStR 2016, 1817 (1819).

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det sich oftmals nur der berühmte Briefkasten der Gesellschaft – mehr nicht. Zudem könnte eine (vollständige) Verlagerung des Verwaltungssitzes in das Vereinigte Königreich erhebliche steuerliche Belastungen zu Folge haben. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Vereinigte Königreich steuerrechtlich künftig als Drittstaat anzusehen sein sollte.

b) Grenzüberschreitende Verschmelzung Der sicherste Weg zur Vermeidung einer Umqualifizierung der englischen Limited in eine deutsche Personengesellschaft besteht derzeit in einer grenzüberschreitenden Verschmelzung. In Betracht kommt dabei u.a. eine Verschmelzung (zur Aufnahme bzw. zur Neugründung) auf eine deutsche GmbH, eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) (s. aber § 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG)58 oder eine andere Kapitalgesellschaft aus einem EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat (z.B. eine niederländische BV, eine luxemburgische SARL oder eine irische Limited). Für eine Verschmelzung einer englischen Limited auf eine deutsche GmbH bestehen in beiden Rechtsordnungen klare und gesicherte Rechtsgrundlagen. In Deutschland sind dies die §§ 122a ff. UmwG59 und im Vereinigen Königreich die Companies (Cross-Border Mergers) Regulations 2007, CCBMR.60 Alle Regelungen haben dabei ihre gemeinsame Grundlage in der europäischen Verschmelzungsrichtlinie (RL 2005/56/EG).61 Darüber hinaus ist die Verschmelzung steuerlich zu Buchwerten möglich.

58 Zur grenzüberschreitenden Verschmelzung einer Limited auf eine deutsche Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) s. Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 (1364); Seeger, DStR 2016, 1817 (1823) und allgemein Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 5a Rz. 69 ff. m.w.N. – Zur (nationalen) Umwandlungsfähigkeit von Unternehmergesellschaften (haftungsbeschränkt) s. Heinemann, NZG 2008, 820; Tettinger, Der Konzern 2008, 75. 59 Allgemein zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen (neben den Kommentierungen zu §§ 122a ff. UmwG) u.a. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2016, 841; Drygala/von Bressensdorf, NZG 2016, 1161; Stiegler, GmbHR 2016, 406. 60 Volltext u.a. www.legislation.gov.uk. 61 Siehe dazu Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2016, § 23, S. 703 ff.

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Solche grenzüberschreitenden Verschmelzungen wurden bereits mehrfach erfolgreich durchgeführt.62 In der Praxis kann dabei auf (zweisprachige) veröffentlichte Vertragsmuster zurückgegriffen werden.63 Eine grenzüberschreitende Verschmelzung ist notwendigerweise mit (nicht unerheblichen) Transaktionskosten (u.a. für die rechtliche und steuerliche Beratung) verbunden, die aus Sicht kleinerer Gesellschaften unter Umständen auch „abschreckend“ wirken können.64 Die Verschmelzung sollte nach Möglichkeit vor dem Wirksamwerden des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union in den Handelsregistern vollzogen sein. Die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Verschmelzung besteht nur für Kapitalgesellschaften aus den EU- und EWR-Mitgliedstaaten, nicht dagegen für Gesellschaften aus Drittstaaten.

c) Grenzüberschreitender Formwechsel Grundsätzlich könnten englische Limiteds auch einen (identitätswahrenden) Formwechsel in eine deutsche GmbH vornehmen (s. §§ 190 ff. UmwG). Ein solcher grenzüberschreitender Formwechsel ist bislang allerdings (anders als die grenzüberschreitende Verschmelzung, s. §§ 122a ff. UmwG) gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt.65 Auf der Grundlage der EuGH62 Siehe Bayer/J. Schmidt/Hoffmann, Der Konzern 2012, 225 (231), 234, wo u.a. von elf grenzüberschreitenden Verschmelzungen von englischen Limiteds nach Deutschland (cross border inbound) berichtet wird, darunter u.a. die Verschmelzung der Go Ahead Limited (dem früheren Marktführer beim Angebot von UK Limiteds in Deutschland) auf die Go Ahead GmbH. 63 S. etwa Herrler/Schneider, Von der Limited zur GmbH, 2010, S. 49 ff.; Just, Die englische Limited in der Praxis, 4. Aufl. 2012, Rz. 379 ff.; Tebben, J./Tebben, T., DB 2007, 2355. – Zum englischen Umwandlungsrecht und Umwandlungssteuerrecht s. (in deutscher Sprache) Tomsett/Thömmes in Widmann/ Mayer, Umwandlungsrecht, Anhang 3, Länderbericht Großbritannien. 64 Zu den Kosten s. die Hinweise von Mayer/Manz, BB 2016, 1731 (1733); Vossius, notar 2016, 314 (315). 65 Zum grenzüberschreitenden Formwechsel s. u.a. Heckschen, ZIP 2015, 2049; Winter/Marx/de Decker, DStR 2016, 1997. – Monographisch zuletzt Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, Ein Beitrag zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2015; Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, Die grenzüberschreitende Umwandlung von Gesellschaften in Europa, 2016.

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Entscheidungen in den Rechtssachen Cartesio (2008) und VALE (2012) spricht aber viel dafür, dass ein solcher grenzüberschreitender Formwechsel in europarechtskonformer Auslegung der nationalen Formwechselvorschriften zulässig ist.66 Die Zulässigkeit eines solchen grenzüberschreitenden Formwechsels wurde zwischenzeitlich von mehreren deutschen OLG für deutsch-französische67 und deutsch-luxemburgische68 Fälle bejaht. Entscheidungen zum Formwechsel von englischen Limiteds liegen bislang aber wohl noch nicht vor.69 Problematisch erscheint vor allem, ob englische Gerichte nach dem Referendum noch eine europarechtskonforme Gesetzesauslegung vornehmen werden. Im Schrifttum wird dies zu Recht angezweifelt.70 Bei einem Formwechsel von kleinen englischen Limiteds stellt sich in der Praxis zudem das Problem der Kapitalaufbringung (s. §§ 197, 220, 245 UmwG).71 Das Vermögen der englischen Limited muss nach dem Abzug der Schulden nachweislich mindestens 25.000 Euro betragen. Ein Formwechsel in eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) scheitert an dem Verbot von Sacheinlagen (§ 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG). 66 Zur Zulässigkeit eines grenzüberschreitenden Herausformwechsels s. das Vorabentscheidungsersuchen eines polnischen Gerichts v. 22.2.2016 – Rs. C-106/16 (Polbud-Wykonawstwo sp. z.o.o. in Liquidation). 67 KG v. 21.3.2016 – 22 W 64/15, ZIP 2016, 1223 = GmbHR 2016, 763 = DB 2016, 1625 mit Anm. Richter/Backhaus = NZG 2016, 834 mit Anm. Stiegler (Zulässigkeit eines Formwechsels eines französischen Sarl in eine deutsche GmbH). – Ausführlich dazu Winter/Marx/de Decker, DStR 2016, 1997. 68 OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, GmbHR 2014, 96 = ZIP 2014, 128 = EWiR 2014, 45 (Neye) = NZG 2014, 349 mit Anm. Stiegler = DNotZ 2014, 150 mit Anm. Hushahn (Zulässigkeit eines grenzüberscheitenden Formwechsels eines SARL von Luxemburg nach Deutschland). – Ausführlich dazu Bungert/de Raet, DB 2014, 761; Hübner, IPrax 2015, 134; Hushahn, RNotZ 2014, 137; Schaper, ZIP 2014, 810. – Anders noch OLG Nürnberg v. 13.2.2012 – 12 W 2361/11, ZIP 2012, 572 = EWiR 2012, 263 (Drygala) (Unzulässigkeit der Verlegung des Satzungs- und Verwaltungssitzes einer luxemburgischen GmbH nach Deutschland). – Ausführlich dazu Bartels, IPrax 2013, 153; Frenzel, NotBZ 2012, 249; Heckschen, ZIP 2015, 2049. 69 Mayer/Manz, BB 2016, 1731 (1733) gehen davon aus, dass sowohl die grenzüberschreitende Verschmelzung als auch der grenzüberschreitende Formwechsel in der Praxis erprobt sind. – Schall, GmbHR 2017, 25 hält sogar einen grenzüberschreitenden Formwechsel einer englischen Limited in eine deutsche UG & Co. KG für zulässig. 70 Vossius, notar 2016, 314 (315). 71 Siehe dazu auch Seeger, DStR 2016, 1817 (1822).

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Im deutschen Schrifttum wird teilweise erwogen, das Sacheinlageverbot für den Formwechsel von englischen Limiteds in deutsche Unternehmergesellschaften (haftungsbeschränkt) ganz oder zweitweise auszusetzen.72 Dafür besteht indes keinerlei Veranlassung. Eine solche Sonderregelung ist im Übrigen auch aufgrund der damit verbundenen Gefährdung des Gläubigerschutzes abzulehnen. Im Übrigen stehen den betroffenen Gesellschaften verschiedene andere Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung (z.B. eine grenzüberschreitende Verschmelzung auf eine bestehende Unternehmergesellschaft [haftungsbeschränkt]).

d) Identitätswahrende Sitzverlegung Eine gesetzliche Grundlage für eine identitätswahrende (grenzüberschreitende) Sitzverlegung einer englischen Limited nach Deutschland besteht bislang nicht. Die Vorschrift zur Sitzverlegung einer Europäischen Aktiengesellschaft (Art. 8 SE-VO) gilt insoweit weder unmittelbar noch entsprechend. Gerichtliche Entscheidungen zur Möglichkeit einer solchen Sitzverlegung fehlen bislang. Für die Praxis ist derzeit davon auszugehen, dass eine identitätswahrende Verlegung des Satzungssitzes mangels Rechtsgrundlage nicht möglich ist.73

e) Übertragung der einzelnen Wirtschaftsgüter Die Gesellschafter könnten die einzelnen Wirtschaftsgüter der englischen Limited grundsätzlich auch im Wege der Einzelrechtsübertragung auf eine deutsche GmbH übertragen (Asset Deal).74 Eine (offene) Sachkapitalerhöhung bei der deutschen GmbH wird dabei im Allgemeinen nicht gewünscht sein (u.a. wegen der registergerichtlichen Prüfung der Werthaltigkeit der Sacheinlagen). Eine verdeckte Sacheinlage ist in jedem Fall zu vermeiden. In der Praxis bleibt daher vielfach nur eine Einlage in 72 Siehe Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 (1364); wohl auch Seeger, DStR 2016, 1817 (1822 f.). 73 Zu den Arbeiten an einer europäischen Sitzverlegungsrichtlinie s. zuletzt ausführlich Kiem, ZHR 180 (2016) 289. – Zu (grenzüberschreitenden) Sitzverlegungen s. ferner Bayer in 10 Jahre SE, Beihefte der ZHR, Heft 77, 2015, S. 230 ff.; Franz, EuZW 2016, 930; Heckschen in FS Siegfried H. Elsing, 2015, S. 823 ff.; Hermanns, MittBayNot 2016, 297. – Monographisch Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, Ein Beitrag zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2015. 74 Siehe dazu Seeger, DStR 2016, 1817 (1822).

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die freie Kapitalrücklage (§ 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB). Allerdings ist dann steuerlich keine Buchwertfortführung möglich (s. §§ 20 ff. UmwStG). Vertragsverhältnisse können nur mit Zustimmung der anderen Vertragspartei übertragen werden. Verbindlichkeiten verbleiben ohne Zustimmung des Gläubigers bei der englischen Limited. Die Übertragung der einzelnen Aktiva und Passiva ändert zudem nichts daran, dass die englische Limited (als „leere Hülle“) bestehen bleibt. Die englische Limited muss dann noch aufgelöst und beendet werden75 (oder faktisch „entsorgt“ werden76).

f) Zwischenergebnis Die Rechtslage bleibt bis zum Wirksamwerden des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union zunächst unverändert. Dann ändert sich aber Alles möglicherweise sehr schnell. Angesichts der weitreichenden Rechtsfolgen eines (ungeordneten) Austritts sollen die betroffenen Gesellschaften die nächsten zwei Jahre nicht ungenützt verstreichen lassen.77 Zumindest für die Vorbereitung und Durchführung einer grenzüberschreitenden Umwandlung sollte ausreichend Zeit eingeplant werden. Die Umwandlung sollte dabei nach Möglichkeit vor dem Wirksamwerden des Austritts vollzogen sein.

4. Handlungsoptionen aus Sicht des Gesetzgebers a) Ausgangssituation Handlungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber besteht grundsätzlich nur dann, wenn die offenen Fragen nicht im Rahmen des Austrittsabkommens oder sonstiger bilateraler Vereinbarungen gelöst werden. Derzeit ist nicht abzusehen, ob die gesellschaftsrechtlichen Folgen des Brexit in diesem Rahmen erörtert und gelöst werden können. Angesichts der Vielzahl der Probleme erscheint dies eher unwahrscheinlich.

75 Seeger, DStR 2016, 1817 (1822). 76 So der Hinweis von Vossius, notar 2016, 314 (315). 77 Allgemeine Auffassung im Schrifttum, s. nur Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 (1364 und 1367); Mayer/Manz, BB 2016, 1731 (1731 ff.).

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Der deutsche Gesetzgeber sollte daher durchaus prüfen, ob und inwieweit aus seiner Sicht Handlungsbedarf besteht. Die gespaltene Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts verursacht ganz erhebliche Probleme, die Gerichte und Kautelarpraxis wohl nur schwer lösen können. Dabei handelt es sich keineswegs nur um wenige Einzelfälle, sondern (bei aller Unsicherheit des Zahlenmaterials) wohl um rund 10.000 englische Limiteds mit Verwaltungssitz in Deutschland. Die rechtlichen Schwierigkeiten betreffen zudem nicht nur die betroffenen Limiteds und deren Gesellschafter. Vielmehr wird die Sicherheit des deutschen Rechts- und Geschäftsverkehrs insgesamt erheblich belastet. Nachteilig betroffen sind neben den Geschäftspartnern von solchen Limiteds u.a. auch Finanzbehörden, Sozialversicherungsträger, Prozess- und Vollstreckungsgerichte, Grundbuchämter, Handelsregister, u.a.m. Neue Limiteds mit Satzungssitz im Vereinigten Königreich und Verwaltungssitz in Deutschland dürften jedenfalls seit dem 23.6.2016 kaum noch gegründet werden. Für die bestehenden Limiteds bedarf es aber einer praktikablen Lösung. Viele werden die vorgeschlagenen Gestaltungsmöglichkeiten (z.B. Verschmelzung auf eine deutsche GmbH) nicht bzw. nicht rechtzeitig verwirklichen (oder verwirklichen können). Der deutsche Gesetzgeber sollte daher zumindest für diese Altgesellschaften eine entsprechende (Auffang-)Lösung vorsehen.

b) Einzelne Handlungsmöglichkeiten aa) Genereller Wechsel zur Gründungstheorie im deutschen IPR Der deutsche Gesetzgeber könnte den Brexit zum Anlass nehmen, um im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht generell zur Gründungstheorie zu wechseln. Dabei könnte an einen Referentenentwurf aus dem Jahr 2008 angeknüpft werden.78 Die Arbeiten an dem Reformvorhaben wurden seinerzeit aufgrund politischer Widerstände eingestellt und seitdem nicht mehr weiterverfolgt. 78 Zu dem Referentenentwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen aus dem Jahr 2008 s. u.a. Bollacher, RIW 2008, 200; Clausnitzer, NZG 2008, 321; Franz/Laeger, BB 2008, 678; Kußmaul/Richter/Ruiner, DB 2008, 451; Roth in FS Harm Peter Westermann, 2008, S. 1345 ff.; Rotheimer, NZG 2008, 181; Schneider, BB 2008, 566; Wagner/Timm, IPrax 2008, 81.

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In Zeiten von Panama Papers und Geldwäschebekämpfung79 dürfte ein genereller Wechsel zur Gründungstheorie politisch aber wohl kaum mehrheitsfähig sein.80

bb) Partieller Wechsel zur Gründungstheorie bezüglich des Vereinigten Königreichs Der deutsche Gesetzgeber könnte die Geltung der Gründungstheorie auch nur beschränkt für Gesellschaften aus dem Vereinigten Königreich vorsehen. Solche Sonderregelungen sind allerdings weder sinnvoll noch wünschenswert. Es käme möglicherweise auch zu Fehlanreizen bei anderen austrittswilligen Mitgliedstaaten, wenn die Folgen des Brexit auf diese Weise (einseitig) abgemildert würden.

cc) Fortgeltung der europarechtlichen Gründungstheorie für bestehende Gesellschaften aus dem Vereinigten Königreich Denkbar wäre aber möglicherweise die schlichte Fortgeltung der Gründungstheorie für das Vereinigte Königreich als (früherem) EU-Mitgliedstaat. Englische Limiteds, die vor dem 23.6.2016 wirksam gegründet worden sind, wären danach auch in Zukunft noch als Kapitalgesellschaften mit beschränkter Haftung anzuerkennen.81 Die (europarechtliche) Gründungstheorie würde insoweit einfach weitergelten; für Altgesellschaften bliebe alles beim Alten. Nur für später gegründete Limiteds käme die (modifizierte) Sitztheorie zur Anwendung. Eine solche Fortgeltung der Gründungstheorie könnte ohne weiteres in dem Austrittsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union vereinbart werden. 79 Siehe dazu etwa die amtliche Gesetzesbegründung zur Aktienrechtsnovelle 2016 (BT-Drucks. 18/4349, 15 ff. mit Hinweisen auch auf Bedenken des Bundeskriminalamts). – Zu dem Referentenentwurf zur Umsetzung der 4. EUGeldwäscherichtlinie vom Dezember 2016 siehe Zentes/Glaab, BB 2017, 67. 80 Im Ergebnis ebenso Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 278 (2381). 81 Ähnlich Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 278 (2381 f.), die insoweit von einer „intertemporalen Anerkennungslösung für englische Altgesellschaften“ sprechen. – Siehe auch Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 (1363), die (u.a. unter Hinweis auf den Rechtsgedanken des Art. 220 EGBGB) hervorheben, dass der Statutenwechsel nach „allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts“ nicht ex tunc, sondern ex nunc wirke.

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Der deutsche Gesetzgeber könnte dies aber auch einseitig regeln (beispielsweise im deutschen EGBGB oder im EGGmbH bzw. EGAktG). In der Sache geht es um eine punktuelle Übergangsregelung des deutschen Internationalen Gesellschaftsrechts. Möglicherweise könnte die deutsche Rechtsprechung diese Lösung aber sogar ohne eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung entwickeln. Ansatzpunkt dafür könnte die europarechtliche Niederlassungsfreiheit im Zusammenhang mit den nachwirkenden Loyalitäts- und Treuepflichten der (früheren) EU-Mitgliedstaaten sein. Im Interesse der Rechtssicherheit sollte die (weitere) Anerkennung von bestehenden Limiteds als Kapitalgesellschaft in Deutschland aber nach außen verlautbart werden (jedenfalls dann, wenn es nicht zu einer gesetzlichen Regelung kommt). Dabei könnte an eine entsprechende Eintragung im Handelsregister der inländischen Zweigniederlassung angeknüpft werden. Durch einen entsprechenden Vermerk im deutschen Handelsregister wäre für jedermann ersichtlich, dass die Limited bereits vor dem 23.6.2016 wirksam gegründet worden ist und demnach auch künftig in Deutschland als „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ anerkannt wird. Mit einer solchen Übergangslösung wären alle rechtlichen Probleme der bestehenden Limiteds auf einen Schlag gelöst.

dd) Zwischenergebnis Eine zwingende Handlungsnotwendigkeit besteht für den deutschen Gesetzgeber derzeit nicht. Allerdings sollten praktikable Übergangsregelungen in Betracht gezogen werden, wenn die gesellschaftsrechtlichen Folgefragen des Brexit in einem Austrittsabkommen nicht oder nur unzureichend geregelt werden. Am einfachsten wäre es wohl (trotz Brexit) am Status quo festzuhalten (jedenfalls für die bestehenden Altgesellschaften).

II. Ltd. & Co. KG Persönlich haftender Gesellschafter einer deutschen KG kann grundsätzlich jede in- und ausländische, natürliche oder juristische Person sein (§§ 161 ff. HGB). Die Rechtsformvariante der Auslandsgesellschaft & Co. KG ist demnach im Grundsatz seit langem anerkannt. Ein

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häufiges Motiv für die Wahl dieser Rechtsform besteht in der Vermeidung der deutschen Mitbestimmung (s. §§ 1, 4 und 5 MitbestG). Die Auslandsgesellschaft & Co. KG unterliegt (anders als eine deutsche GmbH & Co. KG) auch bei mehr als 2.000 Arbeitnehmern nicht der Mitbestimmung. Dagegen lässt sich die Publizität durch eine Auslandsgesellschaft & Co. KG heute nicht mehr vermeiden (s. §§ 264a ff. HGB). Eine Ltd. & Co. KG82 ist von dem Brexit vollkommen unberührt, wenn die Komplementär-Limited ihren Satzungs- und Verwaltungssitz im Vereinigten Königreich hat. Anders ist es dagegen in dem (in der Praxis wohl häufigeren) Fall, dass die Komplementär-Limited nur ihren Satzungssitz, nicht aber auch ihren Verwaltungssitz im Vereinigten Königreich hat. Mit dem Wirksamwerden des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union kommt es (aus deutscher Sicht) dann zur Umqualifizierung der englischen Limited in eine deutsche GbR bzw. OHG. Eine solche OHG & Co. KG ist rechtlich ohne weiteres zulässig, allerdings entfällt dann die Haftungsbeschränkung. Nicht abschließend geklärt ist dagegen, ob eine GbR & Co. KG überhaupt zulässig ist. Nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kann eine GbR bislang nur Kommanditistin einer KG sein (s. § 162 Abs. 1 Satz 2 HGB). Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die mangelnde Registerpublizität der GbR der Anerkennung einer GbR & Co. KG nicht entgegensteht. Die GbR-Gesellschafter sind vielmehr auch in diesem Fall im Handelsregister der KG einzutragen (§ 162 Abs. 1 Satz 2 HGB analog).83 Die Haftungsbeschränkung der früheren Ltd. & Co. KG würde allerdings unstreitig entfallen. 82 Zur Ltd. & Co. KG s. u.a. Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249; Klöhn/Schaper, ZIP 2013, 49; Kowalski/Bormann, GmbHR 2005, 1045; Jerger, ZfIR 2012, 582; Linnertz/Scholl, NZG 2006, 293; Meining/Kruschke, GmbHR 2008, 91; Mülsch/Nohlen, ZIP 2008, 1358; Schlichte, DB 2006, 87; Schlichte, DB 2006, 1357; Schlichte, DB 2006, 2672; Süß, GmbHR 2005, 673; Teichmann, ZGR 2014, 220; Werner, GmbHR 2005, 28. – Monographisch Höhne, Die Ltd. & Co. KG, 2011; Kagan, Handels- und gesellschaftsrechtliche Rechtsverhältnisse der Ltd. & Co. KG, 2013. – Zum identitätswahrenden Wegzug nach Luxemburg im Fall einer SARL & Co. KG s. Graew/Hippeli, RIW 2016, 405. 83 Siehe OLG Celle v. 27.3.2012 – 9 W 37/12, ZIP 2012, 766 = EWiR 2012, 667 (Garbe). – Ausführlich zum Ganzen A. Bergmann, ZIP 2003, 2231. – Ferner Roth in Baumbach/Hopt, 37. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 28 m.w.N. zum Streitstand.

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Bei einer Einpersonen-Ltd. & Co. KG käme es zu einer Vollbeendigung der KG, da eine deutsche KG immer mindestens zwei verschiedene Gesellschafter haben muss. Falls der Gesellschafter der Limited und der Kommanditist personenidentisch sind, endet die KG kraft Gesetzes und das Vermögen wächst bei dem Gesellschafter an. Bei gewerblich geprägten Ltd. & Co. KG‘s (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) hätte die Umqualifizierung der Komplementärgesellschaft wohl eine ungewollte Betriebsaufgabe zur Folge. Persönlich haftender Gesellschafter wäre nicht mehr ausschließlich eine englische Kapitalgesellschaft, sondern (zumindest aus deutscher Sicht) eine deutsche GbR bzw. OHG. Für die Frage der Mitbestimmung ändert sich durch die Umqualifizierung der Komplementärin dagegen nichts. Eine GbR bzw. OHG & Co. KG unterliegt nicht der Mitbestimmung. Die betroffenen Ltd. & Co. KG können die Folgen der Umqualifizierung in gleicher Weise vermeiden, wie (isolierte) Limiteds. Denkbar wäre beispielsweise eine Verschmelzung der englischen Komplementär-Limited auf eine deutsche Komplementär-GmbH. Damit wird die Gesellschaft allerdings mitbestimmungspflichtig. Ein Austritt der Komplementär-Limited aus der KG bei gleichzeitigem Eintritt eines neuen Komplementärs ist grundsätzlich möglich. Allerdings greift dann zwingend eine fünfjährige Nachhaftung (§ 160 HGB).84 In Einzelfällen lässt sich die Rechtsform der Ltd. & Co. KG auch im Rahmen von Anwachsungsmodellen umstrukturieren (s. § 738 BGB).

III. Europäische Aktiengesellschaft (SE) 1. Ausgangssituation Jede Europäische Aktiengesellschaft (SE) muss ihren Satzungssitz und ihre Hauptverwaltung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben (Art. 7 SE-VO).85 Satzungssitz und Hauptverwaltung müssen dabei im gleichen Mitgliedstaat liegen (nicht unbedingt am gleichen Ort, s. Art. 7 Satz 2 SE-VO und § 2 SEAG a.F.).

84 Mayer/Manz, BB 2016, 1731 (1734). 85 S. dazu u.a. Diekmann in Habersack/Drinhausen, 2. Aufl. 2016, Art. 7 SE-VO Rz. 5 ff.; Ringe in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, Art. 7 SE-VO Rz. 5 ff.

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Darüber hinaus können Satzungssitz und Hauptverwaltung auch in einem Mitgliedstaat des EWR-Abkommens (Island, Liechtenstein und Norwegen) liegen.86 Eine SE mit einem Satzungssitz oder einer Hauptverwaltung außerhalb der EU/EWR-Mitgliedstaaten kann nicht wirksam gegründet werden. Die SE-Verordnung ist in diesem Fall nicht anwendbar. Rechtsgrundlage der SE ist vorrangig die europäische SE-Verordnung (Art. 9 SE-VO). Mit dem Wirksamwerden des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union entfällt diese Rechtsgrundlage.87 Die SEVerordnung gilt dann nicht mehr. Lediglich die nationalen Bestimmungen des Vereinigten Königreichs bestehen (jedenfalls zunächst) weiter fort.88 Ohne SE-Verordnung kann eine SE aber nicht bestehen. Neue SE‘s mit Satzungssitz und Hauptverwaltung können somit ab ca. März 2019 nicht mehr gegründet werden. Nicht abschließend geklärt ist bislang aber, welche Folgen der nachträgliche Wegfall der SE-Verordnung auf bereits bestehende SE‘s im Vereinigten Königreich hat.

86 Dazu u.a. Diekmann in Habersack/Drinhausen, 2. Aufl. 2016, Art. 7 SE-VO Rz. 7; Lutter in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, Art. 1 SE-VO Rz. 3. 87 Siehe dazu Basedow, ZEuP 2016, 567 (570). 88 Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen für eine SE mit Sitz im Vereinigten Königreich sind u.a. (1) The European Public Limited-Liability Company Regulations 2004, Statutory Instrument Nr. 2004/2326; (2) The European Public Limited-Liability Company (Amendment) Regulations 2009, Statutory Instrument No. 2009/2400; (3) The European Public Limited-Liability Company (Employee Involvement) (Great Britain) Regulations 2009; Statutory Instrument No. 2009/2401; (4) The European Economic Interest Grouping European Public Limited Company (Amendment) Regulations 2014, Statutory Instrument No. 2014/2382. – Siehe auch die aktuellen Informationen unter www.companieshouse.gov.uk. – Ausführlich zum Ganzen (in deutscher Sprache) u.a. Haernden/Becker in Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 2014, Länderbericht Vereinigtes Königreich, Kapitel 15, S. 1392 ff.; J. Schmidt, „Deutsche“ vs. „britische“ Societas Europaea (SE): Gründung, Verfassung, Kapitalstruktur, 2006.

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2. Rechtsfolgen für bestehende SE‘s im Vereinigten Königreich Die SE-Verordnung hat diesen Fall nicht ausdrücklich geregelt. In der SE-Verordnung findet sich lediglich ein spezifischer Auflösungsgrund für den Fall, dass Satzungssitz und Hauptverwaltung nachträglich auseinanderfallen und sich nicht mehr in dem gleichen Mitgliedstaat befinden (Art. 64 SE-VO). Die Vorschrift passt nach ihrem Wortlaut auf den vorliegenden Fall einer SE im Vereinigten Königreich allerdings nicht unmittelbar. Satzungssitz und Hauptverwaltung fallen gerade nicht auseinander, sondern bleiben beide unverändert im Vereinigten Königreich. Aufgrund des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union fallen Satzungssitz und Hauptverwaltung beide aus dem räumlichen Anwendungsbereich der SE-Verordnung heraus. Allerdings könnte die Vorschrift auf die Verlegung von Satzungssitz und Hauptverwaltung in einen Staat außerhalb der EU und des EWR entsprechend angewendet werden. Dagegen spricht allerdings, dass die SE-Verordnung im Vereinigten Königreich nach dessen Austritt gar nicht mehr anwendbar ist und es somit schon an einer geeigneten Rechtsgrundlage für eine zwangsweise Auflösung der Gesellschaft fehlt.89 Eine SE mit Satzungssitz und Hauptverwaltung außerhalb der EU und des EWR kann gleichwohl nicht dauerhaft fortbestehen. Die maßgeblichen Rechtsfolgen können sich aber nur nach britischem Recht richten (und nicht mehr der SE-Verordnung). Danach wird das Companies House im Einzelfall entscheiden müssen, ob und inwieweit die britischen SE‘s aufgelöst oder umgewandelt werden müssen (sofern die Gesellschaften dies nicht von sich aus tun oder der Gesetzgeber entsprechende Regelungen schafft).90

3. Gestaltungsmöglichkeiten aus Sicht der betroffenen SE‘s Die bestehenden britischen SE‘s sollten die Zeit bis zum Wirksamwerden des Austritts für entsprechende Anpassungsmaßnahmen nutzen. 89 Vgl. Casper in Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, Art. 64 SE-VO Rz. 3; Diekmann in Habersack/Drinhausen, 2. Aufl. 2016, Art. 8 SE-VO Rz. 128; Oechsler in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2012, Art. 8 SE-VO Rz. 70; Ringe in Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, Art. 8 SE-VO 102. 90 Ähnlich Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 (1367); Mayer/Manz, BB 2016, 1731 (1735).

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Die britischen SE‘s könnten ihren Satzungssitz und Verwaltungssitz (nur gemeinsam) beispielsweise in einen anderen EU- oder EWR-Mitgliedstaat verlegen (z.B. nach Irland oder Deutschland). Eine solche grenzüberschreitende Sitzverlegung ist bei der SE identitätswahrend möglich (Art. 8 SE-VO). Die Sitzverlegung sollte möglichst vor dem Wirksamwerden des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (ca. März 2019) abgeschlossen sein, da die maßgebliche Rechtsgrundlage danach nicht mehr anwendbar ist. Die Sitzverlegung führt zu einem Statutenwechsel. In der Praxis dürfte eine solche Sitzverlegung (vor allem der Hauptverwaltung) aber unternehmerisch oftmals schwierig und vielfach nicht gewollt sein. Daneben könnte eine britische SE auch in eine britische Aktiengesellschaft (public limited company) umgewandelt werden. Die Möglichkeit der Umwandlung in eine nationale Aktiengesellschaft ist in der SE-Verordnung ausdrücklich vorgesehen (Art. 66 SE-VO). Das maßgebliche Gesellschaftsstatut bleibt in diesem Fall unverändert englisches Recht.

4. Handlungsoptionen aus Sicht des Gesetzgebers Die Frage des Fortbestands der bestehenden britischen SE‘s sollte im Rahmen eines Austrittsabkommens unbedingt geregelt werden. Naheliegend wäre eine Art gesetzliche Zwangsumwandlung in britische Aktiengesellschaften. In jedem Fall sollte der britische Gesetzgeber diese Fragen auf nationaler Ebene regeln, da die britischen SE‘s andernfalls in einem mehr oder weniger rechtsfreien Raum bestehen würden. Am einfachsten wäre wohl auch eine gesetzliche Umwandlung in eine britische Aktiengesellschaft, sofern diese von den Beteiligten nicht selbst beschlossen wird. Hilfsweise könnte eine Auflösung vorgesehen werden.

D. Zusammenfassung und Thesen (1) Am 23.6.2016 haben die Briten im Rahmen eines Referendums mit knapper Mehrheit für einen Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Für das Referendum war weder ein Quorum noch eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Das Referendum ist rechtlich nicht bindend, politisch aber wohl unumkehrbar. (2) Es ist der erste Austritt eines Mitgliedstaats in der Geschichte der Europäischen Union. Für den Austritt gibt es keine (historischen) Vor-

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bilder. Eine Rechtsgrundlage für den Austritt besteht erst seit dem Jahr 2009 (Art. 50 EUV). Rechtsprechung gibt es dazu nicht. Die Rechtsunsicherheit ist groß. (3) Jeder Mitgliedstaat hat das Recht „im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften“ aus der Europäischen Union auszutreten (Art. 50 Abs. 1 EUV). Im Vereinigen Königreich wird derzeit über zahlreiche verfassungsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit dem Brexit kontrovers diskutiert. Europarechtlich besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass nationale Verfassungsfragen für die Wirksamkeit des Austritts ohne Bedeutung sind. Politisch wäre es aber wohl eine schwierige Situation, wenn der englische Supreme Court den Brexit (nach der Erklärung des Austritts) als verfassungswidrig ansehen würde. (4) Im günstigsten Fall schließen die Europäische Union und das Vereinigte Königreich ein Austrittsabkommen und regeln darin alle offenen Fragen. Die Zeit dafür ist mit zwei Jahren knapp bemessen. Eine Fristverlängerung ist nur einstimmig möglich. Eine Fortgeltung der für das Gesellschaftsrecht maßgeblichen Niederlassungsfreiheit ist aus heutiger Sicht keineswegs wahrscheinlich. Die Niederlassungsfreiheit gilt bislang nur für die EU-Mitgliedstaaten, die EWR-Mitgliedstaaten (Island, Norwegen und Liechtenstein) und die USA, nicht aber für alle anderen Staaten (auch nicht für die Schweiz). (5) Ohne ein Austrittsabkommen wird der Austritt zwei Jahre nach der Austrittserklärung wirksam. Aus heutiger Sicht wäre dies wohl ca. März 2019 der Fall. Das gesamte europäische Recht würde dann automatisch und ohne jede Übergangsregelung außer Kraft treten. Dies gilt nicht nur für die Europäischen Verträge (einschließlich der vier Grundfreiheiten), sondern auch für alle Verordnungen, Richtlinien und sonstigen Rechtsakte. Die Entscheidungen der Europäischen Gerichte würden nicht mehr gelten. Britisches Recht wäre nicht mehr europarechtskonform auszulegen. Das Vereinigte Königreich wäre dann ein Drittstaat. (6) Das Referendum vom 23.6.2016 betraf ausschließlich den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Nicht Gegenstand der Abstimmung war dagegen ein Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem Europäischen Wirtschaftsraum. Das Vereinigte Königreich war und ist Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums. Eine Kündigung im Zusammenhang mit den Austrittsverhandlungen ist allerdings wahrscheinlich.

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Wachter – Brexit und Gesellschaftsrecht

(7) Das Vereinigte Königreich plant derzeit ein „Great Repeal Bill“, mit dem der Herrschaft des europäischen Rechts über das Vereinigte Königreich für immer ein Ende bereitet werden soll. Das bestehende europäische Recht soll zunächst in britisches Recht umgewandelt werden, so dass der britische Gesetzgeber dieses dann später ändern, aufheben oder verbessern kann. Der European Communities Act 1972, der die Geltung europäischen Rechts im Vereinigten Königreich bislang regelt, soll aufgehoben werden. (8) Mit dem Wirksamwerden des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union findet die Niederlassungsfreiheit keine Anwendung mehr (vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen in einem Austrittsabkommen oder in bilateralen Vereinbarungen). Das Vereinigte Königreich gilt dann (zumindest für Zwecke des Gesellschaftsrechts) als Drittstaat. Die (europarechtliche) Gründungstheorie gilt nicht mehr. Englische Limiteds sind in Deutschland nicht mehr (zwingend) als Kapitalgesellschaften mit Haftungsbeschränkung anzuerkennen. Nach Auffassung des BGH gilt die (modifizierte) Sitztheorie. Danach ist eine englische Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland zwar anzuerkennen, aber nicht als Kapitalgesellschaft, sondern als Personengesellschaft. Damit entfällt die Haftungsbeschränkung. Alle Gesellschafter haften persönlich für die Verbindlichkeiten der Limited. Die Haftung umfasst Neu- und Altverbindlichkeiten. (9) Die (modifizierte) Sitztheorie führt zu einer Rechtsformverdopplung (kein Rechtsformwechsel) und zu einer Statutenverdopplung (kein Statutenwechsel). Aus englischer Sicht handelt es sich bei der Limited unverändert um eine englische Kapitalgesellschaft mit Haftungsbeschränkung; aus deutscher Sicht wird die englische Limited als Personengesellschaft behandelt, bei der die Gesellschafter persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften. Das maßgebliche Gesellschaftsstatut ist aus englischer Sicht englisches Gesellschaftsrecht und aus deutscher Sicht deutsches Gesellschaftsrecht. Die rechtliche Doppelnatur der englischen Limited führt zu zahlreichen rechtlichen Problemen (u.a. Vertretung der Gesellschaft, Prozess- und Vollstreckungsrecht, Steuerrecht). (10) Die betroffenen Gesellschaften sollten die verbleibende Zeit bis zum Wirksamwerden des Brexit aktiv nutzen und im Einzelfall mögliche Umstrukturierungsmöglichkeiten prüfen. In vielen Fällen wird die grenzüberschreitende Verschmelzung auf eine bestehende deutsche GmbH die einfachste und sicherste Möglichkeit sein. Dies gilt auch in steuerlicher Hinsicht.

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Wachter – Brexit und Gesellschaftsrecht

(11) Für den deutschen Gesetzgeber besteht derzeit kein zwingender Handlungsbedarf. Die offenen (gesellschaftsrechtlichen) Fragen sollten vorrangig in einem Austrittsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union geregelt werden. Falls dies nicht gelingt, sollte der deutsche Gesetzgeber vor allem praktikable Übergangsregelungen schaffen, damit die rund 10.000 englischen Limiteds mit Verwaltungssitz in Deutschland möglichst reibungslos in die deutsche Rechtsordnung (re-)integriert werden können. Am einfachsten wäre es wohl, den Status quo (trotz Brexit) zu konservieren, d.h. die Fortgeltung der (europarechtlichen) Gründungstheorie für Altgesellschaften (Gründung vor dem 23.6.2016) vorzusehen. Die (modifizierte) Sitztheorie sollte erst für Neugesellschaften (Gründung nach dem 23.6.2016) uneingeschränkt Anwendung finden. (12) Bei Ltd. & Co. KG‘s entfällt mit dem Wirksamwerden des Brexit die Haftungsbeschränkung. Bei gewerblich geprägten Ltd. & Co. KG‘s kommt es wohl zu einer steuerpflichtigen Betriebsaufgabe. Für die Mitbestimmung ändert sich nichts. Eine OHG & Co. KG bzw. GbR & Co. KG unterliegt auch dann nicht der deutschen Mitbestimmung, wenn sie mehr als 2.000 Arbeitnehmer hat. (13) Die SE-Verordnung verliert im Vereinigten Königreich mit dem Wirksamwerden des Brexit ihre Gültigkeit. SE‘s mit Satzungssitz und Hauptverwaltung im Vereinigten Königreich müssen ihren Sitz (und zwar beide gemeinsam) entweder in einen anderen EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat verlegen oder sich in eine nationale Aktiengesellschaft britischen Rechts umwandeln. Als britische SE können sie jedenfalls nicht fortbestehen. (14) Der Brexit dürfte auch für die europäische Rechtspolitik von erheblicher Bedeutung sein. Das englische Recht mit seiner großen Tradition, die britischen Juristen mit ihrer Argumentationskunst und die britischen Politiker mit ihrem Pragmatismus werden Europa fehlen – und verändern. Englisch wird aber wohl auch in Zukunft die wichtigste Amtssprache in der Europäischen Union bleiben. (15) Die Verbindungen zu außereuropäischen Rechtsordnungen, die maßgeblich vom englischen Recht geprägt worden sind (z.B. Australien, Indien, Kanada) werden vermutlich weniger werden.

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Bericht über die Diskussion des Referats Wachter Philipp Pauschinger Humboldt-Universität zu Berlin I. Sitzverlegung als Lösungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . 233

IV. Einfluss des englischen Rechtsdenkens . . . . . . . . . . . 234

II. Temporäre Anknüpfung als Lösungsmöglichkeit . . . . . . . 233

V. Schwierigkeiten in der Praxis 235

III. Kosten als Ergebnis der Strukturierungsentscheidung . . . . 234

VI. Keine „Konservierung“ der Limiteds . . . . . . . . . . . . . . . . 236 VII. Probleme der Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

Die anregende Diskussion wurde von Hommelhoff geleitet. Dieser erteilte zunächst Doralt das Wort.

I. Sitzverlegung als Lösungsmöglichkeit Doralt fragte nach, ob die Sitzverlegung der englischen Limiteds nach Irland die Probleme löse, welche durch den Fortfall der Freizügigkeit entstehen. Puszkajler weitete diese Frage auf eine mögliche Sitzverlegung in die Niederlande aus. Hierzu führte Wachter aus, dass eine grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes derzeit nur für die Societas Europaea (SE) in Art. 8 SEVO1 eine positive Rechtsgrundlage fände. Das Fehlen einer „EU-Sitzverlegungsrichtlinie“ erschwere die Sitzverlegung nach Deutschland. Anders könne dies zwar bei einer Sitzverlegung nach Irland zu beurteilen sein. Allerdings sei es fraglich, ob dies im Interesse der Betroffenen sei, denn diese haben regelmäßig einen deutschen Hintergrund.

II. Temporäre Anknüpfung als Lösungsmöglichkeit Auch merkte Puszkajler an, dass die von Wachter in seinem Vortrag vorgeschlagene Form der Anknüpfung hinsichtlich der Qualifikation der Ge1 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates v. 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. 294/1.

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Pauschinger – Bericht über die Diskussion des Referats Wachter

sellschaft zu eng sei. Vielmehr sei eine temporäre Anknüpfung zu wählen, wie sie auch bei anderen Statusentscheidungen, beispielsweise der Ehe, möglich ist. Dies bedeute, dass im temporären Sinne an den Zeitpunkt der Gründung angeknüpft wird. Im Falle des Brexits gehe gerade keine Handlung von der Gesellschaft aus. Daher könne nach diesem Ansatz die Gesellschaft in ihrer jetzigen Form auch im Sinne des IPR erhalten bleiben. Anders sei dies hingegen bei einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung zu beurteilen. Dem entgegnete Wachter, dass entweder der Gesetzgeber oder die Rechtsprechung versuchen könnten, den Bestand der Altgesellschaften zu sichern. Dabei sei es unerheblich, ob diese Debatte unter der Überschrift intertemporäre Anknüpfung, Bestandsschutz für Altgesellschaften oder Fortgeltung der europarechtlichen Gründungstheorie geführt werde. Allerdings sei zu beachten, dass dieser temporäre Bestandsschutz bislang lediglich in personen- und familienrechtlichen Zusammenhängen diskutiert wurde. Völlig ungeklärt sei somit, ob dieser Grundsatz auch bei gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen gilt. Weder hierauf noch auf den gesetzlichen Wechsel von der Gründungs- zur Sitztheorie gingen die einschlägigen Kommentierungen ein.

III. Kosten als Ergebnis der Strukturierungsentscheidung Günter H. Roth unterstrich, dass die „Briefkasten-Limited“ den Schwerpunkt des Vortrages bilde. Insoweit pflichtete er dem Vortragenden bei, dass die Verschmelzung auf eine deutsche GmbH beziehungsweise die Umwandlung in eine deutsche GmbH zwar ein kostspieliger und aufwendiger, aber ein durchaus gangbarer Weg sei. Insbesondere diejenigen, die seit der Centros-Entscheidung des EuGH2 die Verwendung der Limited in Deutschland kritisch beurteilen, würden die Kosten als Konsequenz einer willkürlichen und der wirtschaftlichen Realität widersprechenden Rechtsformentscheidung begreifen.

IV. Einfluss des englischen Rechtsdenkens Von grundsätzlicher Bedeutung, so Günter H. Roth, sei jedoch der Einfluss des englischen Rechtsdenkens, der regulatory philosophy, auf das europäische Gesellschaftsrecht, speziell auf die GmbH beziehungsweise die Europäische Privatgesellschaft. Diese Entwicklung sei mit den Stich2 EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459.

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Pauschinger – Bericht über die Diskussion des Referats Wachter

worten Deregulierung, Vertragsfreiheit und Regulierungswettbewerb unter verschiedenen Rechtsordnungen zu charakterisieren und stehe im Gegensatz zum gesetzlichen Interessenschutz und zu den zwingenden Mindeststandards der kontinentaleuropäischen Rechtstradition. Beispielhaft seien hier die Kapital- und Gründungserfordernisse zu nennen, die bei der Einführung der Unternehmergesellschaft preisgegeben wurden. Die zunehmende Dominanz des englischen Rechtsverständnisses in diesem Bereich hänge zwar nicht ausschließlich mit der Mitgliedschaft Großbritanniens zusammen. Sondern auch in der Rechtswissenschaft, insbesondere im deutschen Rechtsraum, habe dieses Rechtsdenken stets an Einfluss gewonnen. Nicht zuletzt zeige sich der Einfluss bei der EUKommission und dort besonders deutlich bei dem früheren Kommissar Barnier und seinen Mitarbeitern. Roth hält dies für eine Fehlentwicklung. Daher hoffe er, dass im Gefolge eines Brexits auch das Konkurrenzverhältnis zwischen dem anglo-amerikanischen Einfluss und der kontinentalen Rechtstradition neu überdacht werde und hierbei neue Einsichten gewonnen werden. Hierzu merkte Wachter an, dass im Falle eines Brexits der Einfluss von Irland und anderen Ländern nicht ausreichen werde, um englische Rechtsvorstellungen in dem jetzigen Maße nach Europa zu transportieren. Dies könne dazu führen, dass kontinentaleuropäische Überlegungen wieder an Bedeutung gewinnen; möglicherweise im GmbH-Recht oder auch im europäischen Gesellschaftsrecht. Daneben werde sich bereits dadurch, dass aufgrund der europäischen Personalpolitik weniger Mitarbeiter aus Großbritannien bei den Organen der EU arbeiten werden, der Einfluss deutlich verringern. Die Meinungen hierzu seien jedoch unterschiedlich.

V. Schwierigkeiten in der Praxis Tebben führte aus, dass grenzüberschreitende Verschmelzungen, wie sie Wachter vorgeschlagen hatte, sehr umständlich und daher für 10.000 in Deutschland tätige Limiteds nicht geeignet seien. Für eine derartige Verschmelzung benötige man Barristers sowie Solicitors und müsse eine Anhörung vor dem High Court durchführen. Dies stelle einen erheblichen formalen Aufwand dar und insbesondere der High Court verhalte sich in manchen Fällen nicht kooperativ. Daher sei die grenzüberschreitende Verschmelzung nicht die Lösung des Problems. Vielmehr sei es erforderlich, andere Lösungskonzepte zu entwickeln, wie es der Vortragende getan habe.

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Pauschinger – Bericht über die Diskussion des Referats Wachter

Dem stimmte Wachter zu. Auch seien die typischen Gründer derartiger Limiteds nicht bereit, die Transaktionskosten, den Verwaltungsaufwand sowie den Anwaltszwang auf sich zu nehmen.

VI. Keine „Konservierung“ der Limiteds Tebben widersprach allerdings dem Lösungsansatz, die Limiteds zu „konservieren“. Dies rühre daher, dass sie insbesondere rechtspolitisch unerwünscht seien. Die Zunahme der Limiteds sei ein Grund gewesen, weshalb es zu der Dynamik des MoMiGs kam. Seiner Ansicht nach sei es daher besser, die „verlorenen Söhne“ nach Hause zu holen. Hierzu solle ein Sonderrecht geschaffen werden, nach dem die Limiteds die Möglichkeit haben, sich aufzulösen, was auch nach englischem Recht unproblematisch möglich ist, und dann unter Inanspruchnahme der Buchwertfortführung den Betrieb in eine neugegründete UG oder GmbH einzubringen. Dies sei eine „minimalinvasive“ Lösung. Gegen ein derartiges Sonderrecht sperrte sich jedoch Wachter. Trotz der Tatsache, dass die Limiteds rechtspolitisch nicht gewollt waren und nicht gewollt seien, sei es dennoch erforderlich, Brücken zu bauen. Dies folge vor allem daraus, dass die Limiteds zu OHGs werden. In diesem Fall würden nicht nur die Gesellschafter persönlich haften, sondern es ergäben sich auch Konsequenzen für Dritte, beispielsweise bei der Abwicklung von Verträgen und gerichtlichen Streitigkeiten. Da die Folgeprobleme den allgemeinen Rechtsverkehr beträfen, sollten sie zumindest in einem gewissen Umfang abgemildert werden. Dies könne jedoch nicht dadurch geschehen, dass die Limited aufgelöst und in eine andere Gesellschaft eingebracht werde. Wird die Limited aufgelöst und in eine neu gegründete Gesellschaft eingebracht, so könne dies nicht steuerneutral zu den Buchwerten geschehen. Dies sei gerade der Hintergrund, weshalb man den Lösungsweg über die Verschmelzung oder den Formwechsel wähle. Andernfalls entstünde bei sämtlichen Gesellschaften, die stille Reserven oder einen Firmenwert haben, eine erhebliche Steuerlast. Hiergegen ließe sich zwar anführen, dass derartige Limiteds in der Regel keinen Firmenwert haben, doch sei dies lediglich eine Einzelfallbetrachtung und löse nicht das dahinterstehende Problem.

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Pauschinger – Bericht über die Diskussion des Referats Wachter

VII. Probleme der Vertretungsmacht Nolting vertrat zur Problematik der organschaftlichen Vertretung der Limited, nachdem sie zur OHG oder GbR geworden ist, die These, dass eine Lösung im deutschen Recht bereits bestünde. Hierbei verwies er auf die ipso iure Umwandlung zwischen GbR und OHG und den damit verbundenen Wechsel zwischen Gesamt- und Einzelvertretung. Darüber hinaus komme es auch zu einer ipso iure Umwandlung bei der Gründungsgesellschaft (Gründungs-GmbH), die ihre Eintragungsabsicht aufgibt und zu einer OHG wird. Damit sei auch ein Wechsel von einer Fremdorganschaft zu einer Selbstorganschaft verbunden. Die dort verwendeten Lösungsmechanismen müssten auch auf die Limiteds anwendbar sein. Dies folge insbesondere daraus, dass sich in all diesen Fällen die Haftungsproblematik des § 128 HGB stelle. Dem widersprach Wachter. Die Umqualifizierung von einer Limited in eine OHG sei gerade kein Formwechsel, auch kein Formwechsel kraft Gesetz oder kraft einer politischen Entscheidung. Hierbei handele es sich vielmehr um eine „Rechtsformverdoppelung“, ebenso wie es sich nicht um einen Statutenwechsel, sondern um eine „Statutenverdoppelung“ handele. Dies folge daraus, dass die englische Gesellschaft als Kapitalgesellschaft bestehen bleibe. Lediglich aus der deutschen Perspektive bestünde keine Limited mehr, sondern eine OHG. Daher sei die Analogie aus dem Umwandlungsrecht nicht zielführend, denn es ergebe sich stets die Problematik der „gespaltenen Rechtspersönlichkeit“. Dennoch sprach sich auch Wachter für eine pragmatische Lösung aus. Allerdings sei diese derzeit nicht im deutschen Recht zu finden. Dabei sei gerade im Bereich der Vertretungsmacht ein hohes Maß an Rechtssicherheit erforderlich, welches jedoch aufgrund der Folgeprobleme nicht bestünde. Zu nennen seien hier Fragen zur Einzel- und Gesamtvertretung, die Problematik im Rahmen des § 181 BGB sowie eine fehlende oder falsche Eintragung in das Handelsregister.

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Stichwortverzeichnis Aktionär – s. Gesellschafter (AG) Aufsichtsrat – Dialog mit Investoren 141 ff., 183 f., 187 – Kodexempfehlung 176 ff. – Leitsätze 136 ff., 184 f. Aufsichtsratsbeschluss – Vorstandsvergütung 17 ff. Austrittsabkommen – Niederlassungsfreiheit 198 ff.

Corporate Social Responsibility (CSR) 64 ff. – Haftung 71 ff., 77 f. – Menschenrechtsverletzung 66 ff., 76, 79 – Berichtspflichten, nichtfinanzielle 75 – Unternehmensinteresse 77 CSR-Reporting-Richtlinie – Aufsichtsrat 79 f. – Umsetzungsgesetz 69 ff., 79 f.

Beschlussmängel – Geltendmachung (GmbH) 101 ff. – Geltendmachung (Personengesellschaft) 110 ff. – Gesellschafterbeschluss 85 ff., 126 – Gestaltungsmöglichkeiten 119 ff. – Mehrheitsbeschluss 87 ff. Besonderer Vertreter – Abberufung 30 f. – Auslegung, historische 36 ff. – Auslegung, systematisch-teleologische 39 ff., 57 ff. – Bestellung 27 ff., 56 – Budgetrecht 55, 58 – Ermittlungsbefugnis 34 ff., 47 ff., 55, 56 – Herausgabeanspruch 31 – Informationsrecht 27 ff., 29 f., 31 ff., 47 ff. – Kompetenzen 28, 39 ff. – Verpflichtungs- und Bestellungsbeschluss 44 ff., 56 Brexit – britisches Verfassungsrecht 196 ff. – Europäische Aktiengesellschaft 226 ff. – Limited 204 ff. – Ltd. & Co. KG 224 ff. – Rechtsfolgen 200 f. – territoriale Folgen 203 f.

Europäische Aktiengesellschaft – Austritt EU 226 ff. Europäische Union – Austritt Mitgliedstaat 194 ff. Gesellschafter (AG) – Mitteilungspflicht 14 ff., 23 Gesellschafter (GmbH) – Abfindung 10 ff. – Einziehung 10 ff. – Einziehungsbeschluss, Anfechtung 12 – Gesellschafterhaftung 12 f. – Gesellschaftervertrag 11 f. – Gesellschaftsinteresse 8 – Haftung nach Einziehung – Minderheitsgesellschafter 22 – Stimmabgabe 8 – Stimmverbot 7 – Treuepflicht 6 ff., 13 Gesellschafterhaftung – Abfindungsanspruch 10 ff., 22 – Einziehung 10 ff. GmbH – Beschlussfeststellung 126 – Beschlussmängel 101 ff., 126 – Freigabeverfahren 131, 133 – Mehrheitsbeschluss 87 ff. – Mehrheitsklausel 130

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Stichwortverzeichnis Immobilienfonds – Prospekthaftung 1 ff. Investor – Dialog mit Aufsichtsrat 141 ff. – Investorenkommunikation, Schranken 161 ff. – Kodexempfehlung 176 ff. – Leitsätze 136 ff., 184 f. Kapitalaufbringung – verdeckte Sacheinlage 8 ff. – Voreinzahlung 8 ff. Kommanditist – Informationsrecht 4 f., 21 Leitsätze für Dialog Aufsichtsrat – Investor – Arbeitsgruppe 136, 138 f., 181 – Inhalt 140, 182 f., 184 – Investorendialog 155 ff., 171 ff., 187 – Kodexempfehlung 176 ff., 185 f. – Rechtswirkung 139 f. Limited – Formwechsel 218 ff. – Gesellschafterhaftung 211 ff. – Gründungstheorie 222 ff. – Handelndenhaftung 213 – Handelsregister 209 f. – Niederlassungsfreiheit 207 ff. – Sitzverlegung 220, 233 – Sonderrecht 236 – Steuerrecht 216

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– Verschmelzung 216, 234 ff. – Vertretung 213 ff., 237 Limited & Co. KG – Austritt 224 ff. Liquidation – Innen-KG 21 – stille Gesellschaft 5 ff. Niederlassungsfreiheit – Austrittsabkommen 198 ff. – Limited 207 ff. Personengesellschaft – Beschlussfeststellung 129 f. – Beschlussmängel 110 ff., 118, 128 – Mehrheitsbeschluss 94 ff., 127 – Nichtigkeitsfeststellungsklage 129, 132 – Passivlegitimation 132 Prospekthaftung – Aufklärungsmangel 3 – Immobilienfonds 1 ff. – Treuhandgesellschafter 2 – Weichkosten 3 Sonderprüfer 44, 51 f., 59 Squeeze-out – Barabfindung 16 – Unternehmenswert 16, 23 Stille Gesellschaft, mehrgliedrige – Liquidation 5 f. Vorstand – Vergütung, Herabsetzung 17 ff.

Tiefe

Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 1 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1998 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 1999, 146 S., brosch. 29,80 7. ISBN 978-3-504-62701-0 Bd. 2 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1999 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2000, 281 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62702-7 Bd. 3 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2000 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2001, 200 S., brosch. 38,– 7. ISBN 978-3-504-62703-4 Bd. 4 – Umwandlungen in den neuen Bundesländern nach der Rechtsprechung des BGH Von RiLG Dr. Guido Wißmann, RiLG Dr. Markus Märtens und VorsRiLG Dr. Enno Bommel. Herausgegeben von der Vereinigung. 2001, 171 S., brosch. 34,80 7. ISBN 978-3-504-62704-1 Bd. 5 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2001 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2002, 205 S., brosch. 42,80 7. ISBN 978-3-504-62705-8 Bd. 6 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2002 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2003, 204 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62706-5 Bd. 7 – Haftungsrisiken beim konzernweiten Cash Pooling Von RA Dr. Jochen Vetter und RA Dr. Christoph Stadler. Herausgegeben von der Vereinigung. 2003, 168 S., brosch. 34,80 7. ISBN 978-3-504-62707-2

Bd. 8 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2004, 195 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62708-9 Bd. 9 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2005, 187 S., brosch. 47,80 7. ISBN 978-3-504-62709-6 Bd. 10 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2005 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2006, 179 S., brosch. 47,80 7. ISBN 978-3-504-62710-2 Bd. 11 – Die GmbH-Reform in der Diskussion Sondertagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2006, 244 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62711-9

Tiefe

Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 12 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2007, 226 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62712-6 Bd. 13 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2008, 196 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62713-3 Bd. 14 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2008 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2009, 206 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62714-0 Bd. 15 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2010, 182 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62715-7 Bd. 16 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2010 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2011, 254 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62716-4 Bd. 17 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2012, 215 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62717-1 Bd. 18 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2013, 205 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62718-8 Bd. 19 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2014, 166 S., brosch. 44,80 7. ISBN 978-3-504-62719-5 Bd. 20 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2015, 244 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62720-1 Bd. 21 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2016, 192 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62721-8