Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht: Eine videobasierte Praxeographie 9783839459515

Praxis ist durch Routine bei gleichzeitiger Vollzugsoffenheit gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund bestimmt Gianna Wil

170 15 14MB

German Pages 310 [313] Year 2021

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht: Eine videobasierte Praxeographie
 9783839459515

Citation preview

Gianna Wilm Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

Gender Studies

Gianna Wilm (Dr. phil.), geb. 1988, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung und dem Institut für Sportwissenschaft der Stiftung Universität Hildesheim. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind die empirisch-qualitative (Sport-)Unterrichtsforschung, die Soziologie der Praktiken, Geschlechterforschung und Kasuistik in der (inklusiven) Lehrer*innenbildung.

Gianna Wilm

Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht Eine videobasierte Praxeographie

Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Erziehungs- und Sozialwissenschaften der Stiftung Universität Hildesheim als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen. Erstgutachter: Univ.-Prof. Dr. Peter Frei Zweitgutachterin: Apl. Prof.in Dr. Ilka Lüsebrink

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Satz: Gianna Wilm Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5951-1 PDF-ISBN 978-3-8394-5951-5 https://doi.org/10.14361/9783839459515 Buchreihen-ISSN: 2625-0128 Buchreihen-eISSN: 2703-0482 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

!

!

!"#$%&' ! ! "!

#$%&'$()%*!!+!,!

-!

.'/01&'01(!2&/!/34$2&'!5627$/!!+!"8!

8!

9):!;36/01)%*/@36(ABC%('66$01(!!+!D,!

!

"#$! %&'()*&()+!,*'!-&./,0&0+&!1&.'+&**203'*&4'+203!5!! &40&!&+)06/&+)676*634'()&!8&.'-&9+4:&!!;!$60+403&0@!:60!%&'()*&()+!40!'6@4,*&.!8.,C4'!!;!DG! !

!

D!

! ! ! !

!

!

H!

!

=2.!HA.IJK&*&:,0@!'6@4,*&.!F4LL&.&0@&0!40!?()2*&!207!M0+&..4()+!!;!,+&36.4&!%&'()*&()+!40!!'-6.+-O7,3634'()&.!P6.'()203!!;!G"! QR*&4+203&0!!;!S"! E'(13=?3&3*B$/01'!F3%4'@($3% !!+ !GH !

8.,C&6*634&!,*'!P6.'()203'),*+203!207!4).!T&.)O*+04'!! :60!U)&6.4&!207!V/-4.4&!!;!S60+.,'+_!3&'()*&()+'0&2+.,*&!\.3,04',+460!!;!$'5&)2&$"3.$"B%&;"P.$,2'10A 2)3),;1,Q".%&'"*1/("3.$"B%&'",.6)*:&$"P.$,2'102).$"3.$"@&,/(:&/(2&'%)DD&'&$6&$Q"+&A ,-'./(&$1,:&+1$+&$"+&0:8'2"?&'%&$",.::2&$'5&)2"B@&$%&'"J'.15:&,Q"3.$" 91%)2(" G12:&'" D*$%" %&'" G&+')DD" B0.$,2'102)3),2),/(Q" W)$61+" )$" %)&" %&12,/(,-'*/()+&" O'*1&$A"1$%"@&,/(:&/(2&'D.',/(1$+"1$%"?1'%&")$"%&$"R&6&-2).$&$")$"%&'"O.:+&"(81D)+" ;)2" B%),01',2(&.'&2),/(Q" +:&)/(+&,&262$$8(&'1$+&$"S^*,&'."!YY_U"1$%">'5&)2&$B"%)&"*1D"%&'" @'1$%:*+&" %&'" 4.6).:.+)&" ^)&''&" G.1'%)&1," 5*,)&'&$" SW$+:&'" !YYN[" K`::)$+" \" P'*)," !YYaU60'+.29I +460! :60! %&'()*&()+! ,2L3&7&(9+! W&.7&0#! Q**&.7403'! )&R+! %6LL/,0! )&.:6.f! 7,''! 0&R&0!7&.!40+&.,9+4:&0!1&.'+&**203!&40&!'6@4,*'+.29+2.&**&!K,)/203!04()+!20R&I ,()+&+!R*&4R&0!7,.L#!F2.()!&40&!'6*()&!*6'&!>6--*203!:60!%&'&**'(),L+''+.29+2.! 207!A0+&.,9+460'6.70203!9,00!74&!8&.'-&9+4:&!,2L!%&'()*&()+'960'+.29+460&0!&.I W&4+&.+! W&.7&0#! Q2'! 74&'&/! %.207! W4.7! 4/! P6*3&07&0! 74&'&! c]3*4()9&4+! 7&.! >6--*203!4/!=2',//&0),03!/4+!&40&.!$',0$0.0$&'#//#')U#G/#L$E$090!7,.3&*&3+!207! 7,/4+!7,'!Q..,03&/&0+!7&.!%&'()*&()+&.!0,()!%6LL/,0!0,()3&@&4()0&+f!R&:6.!4/! 7,.,2LL6*3&07&0!>,-4+&*!74&'&!8&.'-&9+4:&0!40!&40&.!-.,C4'+)&6.&+4'()&0!%.207*&I 3203!@2',//&03&L`).+!207!&.W&4+&.+!W&.7&0#! X&4!'&40&0!X&+.,()+203&0!&.9&00+!%6LL/,0!@20O()'+!74&!R46*634'()!R&'+4//I R,.&0!M0+&.'()4&7&!@W4'()&0!7&0!%&'()*&()+&.0!,0!207!74'+,0@4&.+!'4()!7,/4+!:60! Q0'O+@&0! 74&! j&3*4()&! M0+&.'()4&7&! ,2L! >60'+.29+460'-.6@&''&! R&@4&)&0#! F&0I 06()!3&)+!&.!7,:60!,2'f!7,''!0,()!7&.!=26.70203'-.,C4'!,2L3.207!7&.!%&04+,*4&0! R&4!7&.!%&R2.+!&40&!3&'()*&()+'3&R207&0&!A7&0+4L49,+460'&+49&++&!40!%,03!3&'&+@+! W4.7f!74&!04()+!,2''()*4&h*4()!72.()!74&!3&.403&0!R46*634'()&0!M0+&.'()4&7&!@2! &.9*O.&0!'407#!V.!R&+60+!@27&/f!7,''!4/!%&3&0',+@!@2!,**&0!,07&.&0!M0+&.'()4&7&0! &40&.!8&.'60f!74&!R46*634'()&0!M0+&.'()4&7&!,2L!%.207*,3&!7&'!%&'()*&()+'!&)&.! ,*'!3&.403!&40@2'+2L&0!'407#!F,/4+!'+&**+!74&!=26.70203!@2!&40&.!%&'()*&()+'9*,''&! 7&0!&.'+&0!?().4++!40!&40&/!L6.+WO).&07&0!?6.+4&.203':6.3,03!7,.f!7&.!72.()!&40! 3&'()*6''&0&'! X`07&*! '6@4,*&.! %*,2R&0':6.'+&**203&0! 207! 8.,9+49&0! 3&'+`+@+! W4.7#!T60!7&.!%&R2.+!,0!W&.7&0!74&!8&.'60&0!j&!0,()!%&'()*&()+'@26.70203!20I +&.'()4&7*4()! R&),07&*+! 207! /,()&0! 7,72.()! 20+&.'()4&7*4()&! V.L,).203&0f! 3&I 0,2'6!W4&!,2()!74&!@23&6.70&+&0!8&.'60&0!,*'!P.,2!67&.!c,00!20+&.'()4&7*4()&! V.W,.+203&0! '+&**&0! 9]00&0! 207! ,2()! &.L`**&0! /`''&0! H:3*#! %6LL/,0! $BBEf! ?#! $NBLLJ#!A0!P6*3&!7&''&0!'4&)+!%6LL/,0!j&3*4()&!F,.'+&**203!207!1,07*203!04()+! ,*'!8&.'60&0/&.9/,*!,2L3.207!7&'!R46*634'()&0!%&'()*&()+'f!'607&.0!R&'().&4R+!

20 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

diesen Komplex als ,soziales Geschlecht‘4. Das Geschlecht kann eher als eine Eigenschaft von Organismen gesehen werden (vgl. ebd., S. 112). „[Es] lagert sich eine geschlechtsklassenspezifische Weise der äußeren Erscheinung, des Handelns und Fühlens objektiv über das biologische Muster, die dieses ausbaut, mißachtet [sic] oder durchkreuzt. Jede Gesellschaft bildet auf diese Weise Geschlechtsklassen aus, wenn auch jede auf ihre je eigene Art“ (Goffman, 1994, S. 109).

Je nach Gesellschaft entstehen dadurch unterschiedliche Charakteristika für die jeweilige Geschlechtsklasse, die, „sowohl lobens- als auch tadelnswerte Züge“5 beinhaltet. Wenn Individuen nun unter Bezugnahme ihrer Geschlechtsklasse sich selbst hinsichtlich der Idealvorstellungen von Männlich- und Weiblichkeit sehen und beurteilen, entsteht eine Art Geschlechtsidentität. Diese Geschlechtsidentität ist an die Glaubensvorstellungen der Individuen gekoppelt und trägt einen großen Beitrag zur Selbstidentifikation bei (vgl. ebd., S. 110). Goffman verweist damit ähnlich wie Harold Garfinkel (1967) oder West & Zimmerman (1991) auf eine große Beständigkeit der Geschlechtszugehörigkeit und damit auch von Geschlechtskonstruktionen und benennt Weiblichkeit und Männlichkeit als „Prototypen des essentiellen Ausdrucks“. Diese sogenannten Ausdrucksformen informieren das Gegenüber über die „essentielle Natur“ des Senders. Die Individuen verhalten sich so, dass sie ihren eigenen Vorstellungen genügen. Dieses „ZeichenGeben“ kann sich durch Ritualisierungen oder auch Symbole zeigen, deren Ikonizität überall zugegen ist. Entscheidend ist, dass nicht der Charakter oder das gesamte Wesen zum Ausdruck gebracht wird, sondern „einzelne, situationsgebundene Merkmale, die für den Betrachter relevant sind“ (Goffman, 1981, S. 35). Aus einer unendlichen Zahl von Eigenschaften, werden die Eigenschaften herausgegriffen, durch die es möglich ist, ihren Träger von den Menschen seiner Umgebung zu differenzieren. Dieses Ausdrucksverhalten ist nicht instinktiv im Menschen angelegt, sondern stellt eine gesellschaftlich definierte Kategorie dar, die sozial gelernt und geprägt wird. Ohne darüber nachzudenken, wird gewusst, wann welche Ausdrucksform, warum angebracht ist. Zudem können diese Ausdrucksformen auch spontan an den Tag gelegt werden, wodurch sie sich als natürlicher Ausdruck zeigen (vgl. Goffman 1981, S. 34f). Goffman deutet damit ein impli-

4

Der Begriff des ,sozialen Geschlechts‘ stammt aus der deutschen Übersetzung von Knoblauch (1994). Goffman verwendet im Original die im englischsprachigen Raum gebräuchliche Unterscheidung nach ,sex‘ und ,gender‘ (vgl. Knoblauch 1994, S. 109).

5

In diesem Zusammenhang stellt Goffman die Geschlechtsklasse der Frauen als benachteiligte Gruppe heraus. Hierzu weiterführend: Goffman (1994).

Geschlecht als soziale Praxis | 21

zites Wissen an, das er auf einen Lernprozess zurückführt: Durch das Erlernen, wie und wann welches Ausdrucksverhalten gezeigt werden soll, lernen die Individuen „Objekte zu sein, die einen bestimmten Charakter haben, die diesen Charakter zum Ausdruck bringen und für die dieser charakterlogische Ausdruck ganz natürlich ist“ (ebd., S. 35). Geschlechtsklassentypische „Handlungsweisen“, „Eigenschaften“ und „Charakterzüge“ sind demnach als Verkörperungen zu bezeichnen, die unbewusst vollzogen werden (vgl. Goffman, 1994, S. 113). In diesem Zusammenhang spricht Goffman von „Genderismus“ (ebd., S. 113) der nach Knoblauch (1994) am ehesten als eine „als Habitus inkorporierte Geschlechtsideologie“ (ebd., S. 113) übersetzt werden kann. Das gezeigte Verhalten6, lässt sich nicht auf formal festgelegte Regeln zurückführen, auf die das Individuum reagiert, sondern es tritt eher als eine „geschlechtsklassengebundene individuelle Verhaltensweise“ (Goffman, 1994, S. 113) auf. Zudem verweist er auf den Zusammenhang von Institutionen als „institutionalisierten Genderismus“, indem die Verhaltensmerkmale auf Organisationen zurückzuführen sind (vgl. ebd., S. 114). Der Begriff der Institutionen wird dabei von Goffman auf Formen des Zusammenlebens, wie die Institution der Paarbildung oder der Familie, aber auch auf räumliche Segregation und den Arbeitsplatz bezogen (vgl. Knoblauch 1994, S. 44). Entscheidend ist, dass bestimmte Verhaltensweisen zwar auf geschlechtsspezifisches Verhalten zurückzuführen sind, sich diese Verhaltensweisen allerdings erst aufgrund der Institutionen ausbilden. Die räumliche Trennung der Toiletten hat zunächst keinen geschlechtsspezifischen Hintergrund, da diese Trennung für beide Geschlechter auf gleiche Weise gilt und ihr auch keine biologisch erklärbaren Unterschiede zu Grunde liegt. Als Folge kann nun aber diese Trennung zum Anlass genommen werden, um eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter zu etablieren. Diese etablierten Unterschiede können daraufhin wieder leicht auf behauptete Charakterunterschiede zurückgeführt werden, wodurch der Eindruck einer personellen Verankerung geschlechtlicher Unterschiede entsteht (vgl. Goffman 1994, S. 114). Vergleichbar ist ebenfalls die parallele Organisation sportlicher Disziplinen. In den meisten Disziplinen findet eine Trennung anhand der Geschlechter statt, deren Begründung auf der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit basiert. Hierzu merkte bereits Bettina Rulofs (2003) an, dass Größe oder Gewicht ebenfalls eine Möglichkeit der Trennung darstellen würde (vgl. ebd., S. 14). Die institutionalisierte Trennung erscheint jedoch als logische Folge der biologischen Unterschiede,

6

Goffman spricht in diesem Zusammenhang von „Verhalten“ oder auch „Verhaltensweisen“ und macht damit einerseits eine Abwendung von Geschlecht als Personenkategorie und andererseits den Einfluss von Institutionen deutlich.

22 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

sodass sämtliche Unterschiede rückwirkend auf das Geschlecht bezogen werden können. So können „tief verankerte institutionelle Praktiken so auf soziale Situationen wirken, daß [sic] diese sich in Kulissen zur Darstellung von Genderismen beider Geschlechter [sexes] verwandeln“ (Goffman 1994, S. 150). Goffman bezeichnet dies als „institutionelle Reflexivität“ (ebd., S. 150), die als Schnittstelle zwischen Interaktionsordnung und Sozialstruktur angesehen werden kann. Diese beiden Ebenen sind nicht klar abgegrenzt, sondern sind durch die institutionelle Reflexivität miteinander verbunden und bilden eine eigene soziale Ordnung aus (vgl. Knoblauch 1994, S. 38). Es besteht also „eine ,lose Kopplung‘ interaktiver Praktiken und sozialer Strukturen“ (ebd., S.39), die sich bedingen können, aber nicht müssen. Genau an dieser Stelle wird die Differenz zu dem doing gender-Ansatz aus der ethnomethodologischen Perspektive deutlich, in deren Vordergrund die Vollzugswirklichkeit steht und Geschlechterunterschiede als eine andauernde Leistung der Handelnden angesehen werden. Goffman verweist hingegen auf eine institutionelle (Re-)Produktion der Zweigeschlechtlichkeit und damit auf eine Bedeutsamkeit der Sozialstruktur. Durch die Berührung der Ebenen der interaktiven Praktik und der Sozialstruktur besteht für das Individuum die Möglichkeit, in der Interaktion auf ein anderes Ausdrucksverhalten als auf die Darstellung der Geschlechterunterschiede zurückzugreifen. Die Geschlechterunterscheidung wird institutionell gestützt und bedarf keiner permanenten situativen Hervorbringung. Diese Aufweichung der permanenten Herstellung von Geschlechterunterschieden wird von Goffman an dieser Stelle deutlich gemacht: „Ähnlich wie andere Rituale, so können auch die Darstellungen der Geschlechter fundamentale Merkmale der Sozialstruktur ikonisch reflektieren; ebenso leicht aber können diese Ausdrucksweisen ein Gegengewicht zu fest verankerten Verhältnissen darstellen und für diese entschädigen“ (Goffman 1981, S. 38). Goffman beschreibt hier die grundsätzliche Möglichkeit im eigenen Ausdrucksverhalten, eine andere Darstellung als die Unterscheidung der Geschlechter zu gebrauchen. Dennoch wird bei der Kategorie Geschlecht eine starke Beständigkeit immer wieder deutlich. So konstatiert Goffman (1981): „jede Szene, so scheint es, läßt [sic] sich als Gelegenheit definieren, Geschlechterunterschiede darzustellen; und in jeder Szene lassen sich geeignete Mittel dafür finden“ (ebd., S. 42; H.i.O). Goffman erweitert somit den Blick auf Geschlecht, indem ein sozialstruktureller Einfluss mitgedacht wird und Geschlechtsdarstellungen damit in Ansätzen als kontingent beschrieben werden, aber grundsätzlich als beständig und wahrscheinlich verstanden werden.

$%&'()%'(*"+)&"&->/+)%"12+3/&"#"60@&-+&!&0+),*+&0!L`.!74&!X&+.,()+203!:60!%&'()*&()+!,*'!'6@4,*&!8.,I C4'! W4()+43&! V.9&00+04''&f! 74&! 4/! P6.+3,03! 04()+! :&.0,()*O''43+! W&.7&0! '6**&0f! '607&.0!40!&40&!-.,C4'+)&6.&+4'()&!8&.'-&9+4:4&.203!/4+!&40L*4&h&0!207!,0),07!7&I .&.!W&4+&.3&7,()+!W4.7#!14&.@2!W4.7!&40&!?4()+!,2L!%&'()*&()+!,2L3&3.4LL&0f!40!7&.! %&'()*&()+'960'+.29+460&0!,*'!a74'960+4024&.*4()&!V-4'67&0b!H14.'(),2&.f!"N$Df! ?#!$G$J!:&.'+,07&0!W&.7&0#!Q0'()*4&h&07!,0!%6LL/,0!W4.7!7,/4+!&R&0L,**'!74&! \/04.&*&:,0@,00,)/&!40L.,3&!3&'+&**+f!407&/!7,:60!,2'3&3,03&0!W4.7f!7,'!A0I +&.,9+460'@23!L`.!A0+&.,9+460'@23!7,'!'6@4,*&!%&'()*&()+!,2L+.&+&0f!,R&.!&R&0!,2()! :&.0,()*O''43+!W&.7&0!9,00!H:3*#!&R7#f!?#!$G$J#!Q*'!*634'()&!P6*3&!/2''!40!74&'&/! =2',//&0),03!&40&!%&'()*&()+'0&2+.,*4+O+!/4+3&7,()+!W&.7&0f!74&!0,()!14.'()I ,2&.!H"N$DJ!,*'!aR*407&.!P*&(9b!j&7&.!W4''&0'(),L+*4()&0!U)&/,+4'4&.203!7&.!%&I '()*&()+&.74LL&.&0@! R&@&4()0&+! W&.7&0! 9,00f! 7,! 74&'&! c6/&0+&! &0+W&7&.! ,*'! 04()+'',3&07!67&.!,2()!2040+&.&'',0+!,R3&+,0!W&.7&0!H:3*#!&R7#f!?#!$/+)%"12+3/&"#"B?"

!

S1D;&'0,*;0&)2" 3&',/()&52" ,)/(" 3.$" %&$" B)$$&'&$" >1DD.'%&'1$+&$Q" S%&$" 7.2)3&$U" .%&'"%&$"3&'5*:&$">1DD.'%&'1$+&$"+&$&'*:),)&'2&'">$%&'&'"S%&$"s.';&$U"61"%&$",)21*2)3&$" e;,28$%&$B"%)&"1$,"X*$%:1$+&$"$*(&:&+&$B"1$%"6?*'",.?.(:")('&"W'?*'25*'0&)2"S*:,"3.$" %&$"J&):$&(;&'$"0.+$)2)3"+&'*(;2&">$:8,,&U"*:,"*1/(")('&"7*/(5*'0&)2"p"*:,";)2"K)$+&$B" 7&$,/(&$"1$%"F&)/(&$"*$+&DL::2&"@&:&+&$(&)2&$B"%)&"1$,"&2?*,"21$";*/(&$".%&'":*,,&$I" SX)',/(*1&'B"=T!bB"460@&-+!7&'!3&$'()(#': 3#"!R&*&2()+&+!W&.7&0!207!/4+!&40&.!-.,C4'+)&6.&+4'()&0!8&.'-&9+4:&!%&'()*&()+! ,*'!960+403&0+&!8.,C4'!960@4-4&.+!W&.7&0#!14&.@2!W4.7!,2'3&L`).+f!40W4&L&.0!74&! \/04.&*&:,0@,00,)/&!:60!%&'()*&()+!,2'!&+)06/&+)676*634'()&0!%.207*&320I 3&0! L,**&0! 3&*,''&0! W&.7&0! 9,00#! %&'()*&()+! W4.7! ,*'! a74'960+4024&.*4()&! V-4I '67&b!H14.'(),2&.f!"N$Df!?#!$G$J!R&+.,()+&+f!407&/!%&'()*&()+!40!'6@4,*&0!?4+2,I +460&0!.&*&:,0+!3&'&+@+f!,R&.!,2()!4/!140+&.3.207!:&.R*&4R&0!9,00#!14&.R&4!'+&**+! '4()!,**&.7403'!74&!'6@4,*&!>,+&36.4&!%&'()*&()+!4/!%&3&0',+@!@2!,07&.&0!'6@4,*&0! >,+&36.4&0! ,*'! R&'607&.&! )&.,2'#! F4&! =W&43&'()*&()+*4()9&4+! &.W&4'+! '4()! ,*'! '+,R4*&!?+.29+2.!207!&.'()&40+!7,72.()!20)40+&.3&)R,.#!A0!j&7&.!?4+2,+460!'407!W4.! R&.&4+'!8+''!67&.!!"+.)207!,*'!'6*()&!,2()!&.9&00R,.#!?6!:&.W&4'+!14.'(),2&.! H"NN$J!7,.,2Lf!7,''!4/!%&3&0',+@!@2!,07&.&0!'6@4,*&0!A7&0+4+O+&0!74&!%&'()*&()+'I @23&)].439&4+! 72.()! &40&! a92*+2.&**! 3,.,0+4&.+&! ?4()+R,.9&4+b! R&'+4//+! 4'+#! H:3*#! &R7#f! ?#! "$EJ#! F4&! %&'()*&()+'@23&)].439&4+! 9,00! 7&/0,()! 04()+! ,*'! &40&! Q.+! aU&4*@&4+Ig6Rb! R&+.,()+&+! W&.7&0#! ?4&! 4'+! '4+2,+460'`R&.3.&4L&07! 207! ,07,2&.07! :60! X&7&2+203_! ac,0! 4'+! 04()+! @&4+I! 207! 6.+'-&@4L4'()! &40! %&'()*&()+f! '607&.0! D&',0+'0!207!..4+49-209+&0f!74&!,0!74&!/49.6'6@46*634'()&0!Q.R&4+&0!4/!Q0'()*2''!,0!74&! ?+274&0! :60! %,.L409&*! ,2L3&96//&0! '407#! %&',! e407&/,00! H$BBDJ! 9.4+4'4&.+! R&4'-4&*'W&4'&f!7,''!74&!Q9+&2.&!,*'!L.&4!L*6++4&.&07&!%&'()*&()+'960'+.29+&2.&!40! 74&'&0!Q.R&4+&0!R&'().4&R&0!W&.7&0!207!14.'(),2&.!H$BBEJ!W&4'+!7,.,2L!)40f!7,''!

Geschlecht als soziale Praxis | 37

die „Kontingenz und Konstruiertheit individueller Geschlechtszugehörigkeit“ in diesen Arbeiten zwar gezeigt wird, aber die „situationsübergreifende Stabilität dieser sozialen Konstruktion“ als Leerstelle in der Konzeption verbleibt (vgl. ebd., S. 670f). Hieran anschließend wird im folgenden Abschnitt zunächst der Körper als Geschlechterkörper betrachtet, um im Anschluss auf die gesellschaftlichen Kontextbedingungen einzugehen. Geschlechterkörper und ihre Darstellungspraxis Im Hinblick auf die beteiligten Körper von Praktiken stellt sich Geschlecht als besondere Kategorie dar. Denn von Geburt an, vor dem Alltagsverständnis einer Zweigeschlechtlichkeit, werden wir anhand der primären Geschlechtsorgane zu Mädchen/Frauen und Jungen/Männern erklärt. Die Zweigeschlechtlichkeit wird dabei biologisch begründet und als naturhaft empfunden, sodass diese Einteilung als nicht-hinterfragtes Wissen fungiert. In diesem Zusammenhang lernt der Körper durch einen kontinuierlichen Gebrauch als Mann oder Frau, ein Geschlechterkörper zu sein. Dieser jahrelange spezifische Gebrauch führt dazu, dass sich ihm „kulturelle Verhaltenscodes“ (Hirschauer, 2013, S. 155) einschreiben, wodurch der Körper befähigt wird, sich geschlechtsangemessen zu bewegen und zu verhalten und dies ohne Bewusstseinsbeteiligung als implizites praktisches Wissen. Zugleich wird durch dieses praktische Wissen die Darstellungspraxis zu jederzeit für Andere interpretier- und zuordenbar zu einem Geschlecht. Diese Zuordnungspraxis des Publikums geht dabei so weit, dass selbst uneindeutige Zeichen letztendlich so ausgelegt werden, dass sie in Übereinkunft mit einem Geschlecht zu deuten sind. Hieraus resultiert nach Hirschauer (1994) für Verkörperungen eine paradoxe Leistung: „Sie bewerkstelligen ein weitgehendes Vergessen für den Darsteller und ein Erinnern für das Publikum“ (ebd., S. 675). Die Darstellungspraxis von Geschlecht reproduziert damit also Wissen von sozialen Strukturen und das vor den Augen eines Publikums (vgl. Hirschauer 2013, S. 154). Zugleich wird dadurch die Möglichkeit geboten, jederzeit die Geschlechtszugehörigkeit für die Interaktion zu nutzen. Hierzu schreibt Hirschauer (2001), dass Interaktionsteilnehmer*innen ihre Geschlechtszugehörigkeit als Mitgliedschaftskategorie oder Relationskategorie aufbauen können (vgl. ebd., S. 217). Hierdurch wird eine Entlastung geschaffen, indem die Anschlussmöglichkeiten auf eine gleich- oder verschiedengeschlechtliche Bezugnahme eingegrenzt werden. „Dieser Einbau in die Interaktionsstruktur schafft einen Rahmen, durch den das gesamte Interaktionsgeschehen als Durchführung einer Geschlechterbeziehung inszeniert werden kann“ (Hirschauer, 2013, S. 163). Die Teilnehmer*innen haben dadurch die Möglichkeit, die Komplexität zu reduzieren, indem auf bereitliegende Interaktionsschemata zurückgegriffen werden kann. „Sie starten ein Set von Skripten, die ihren Ver-

38 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

haltensspielräumen bestimmte Formate anbieten“ (Hirschauer, 2013, S. 164). Dieses Umschwenken wird nicht bewusst vollzogen, sondern beruht vielmehr auf einem praktischen Wissen und wird demnach ohne Bewusstseinsbeteiligung vollzogen (vgl. Hirschauer, 2013, S. 164). Hierdurch besteht die Möglichkeit, dass Geschlecht jede Praktik mitbestimmt. Die Infrastruktur von Geschlecht Durch die Verkörperungen einschließlich der Darstellungs- und Zuordnungspraxis konnte die Konstanz individueller Geschlechtszugehörigkeit aufgezeigt werden. Hierdurch wurde zudem deutlich, dass anders als für andere soziale Zugehörigkeiten die Geschlechtsdarstellung nicht ohne weiteres abgelegt oder gewechselt werden kann, da der Körper jahrelang gelernt hat, auf eine spezifische Weise ein Geschlechterkörper zu sein. Neben dieser Besonderheit weist Hirschauer auf gesellschaftliche Kontextbedingungen hin, die zusätzlich zu einer ständigen Wiederholung von geschlechtskonstruierenden Praktiken einladen (vgl. Hirschauer, 2013, S. 156). Hierdurch wird die Historizität von Geschlechterdifferenzierungen hervorgehoben, die durch eine Vielzahl von institutionellen Arrangements aufgezeigt wird, wodurch sich die Praxis der Geschlechterunterscheidung dort gewissermaßen immer wieder neu begegnet. Die Zweigeschlechtlichkeit ist dabei so stark in den Strukturen verankert, dass Hirschauer von einem „Willen zum Wissen“ (ebd., S. 156) der Geschlechtszugehörigkeit spricht, der in der Infrastruktur institutionalisiert ist. Hierdurch hat sich ein „sexuiertes Zeichensystem“ (Hirschauer, 1994, S. 685) ausgebildet, das als Verdichtung von Sinn verstanden werden kann und damit auf besondere Weise die Zweigeschlechtlichkeit stützt. Als basale Elemente lassen sich die Sprache (beispielsweise das grammatische Genus, Anredeformen oder auch Vornamen) und auch die Mode nennen, die damit eine visuelle und sprachliche Dauerpräsenz eröffnen und sozusagen die Weichen für die interaktive Geschlechterherstellung stellen (vgl. Hirschauer, 2013, S. 156). Allein das grammatische Genus oder Anredeformen zwingen uns, das Geschlecht von Anderen zu identifizieren (vgl. Hirschauer, 1994, S. 685). Diese Strukturen stellen sich dabei als stabil und wenig wandlungsfähig heraus, obwohl mittlerweile besonders in formalem Schriftverkehr neben männlich und weiblich, durch den Zusatz divers eine Aufweichung der starren dichotomen Struktur festzustellen ist. Auch Vornamen sind mittlerweile einem Wandel unterlegen. So verweist Nübling

Geschlecht als soziale Praxis | 39

(2017) darauf, dass in Deutschland9 nach wie vor den Vornamen das Geschlecht eingeschrieben ist, aber ein Wandel in Bezug auf die Zulassung von Doppelnamen wie ,Lisa Erik‘ bei intersexuellen Kindern (vgl. Nübling, 2017, S. 326), auf Unisexnamen wie Eike, Toni oder Kim (vgl. ebd., S. 329) bis zu einer Aufweichung der phonologischen Distanz zum anderen Geschlecht durch ähnlich klingende Namen (vgl. ebd., S. 327) festzustellen ist und damit eine Grenzverwischung sichtbar wird. Ähnlich können auch Geschlechterstereotype oder auch stereotype Verhaltenscodes gefasst werden. Aus ihnen können Gesten, Haltungen, Sprechweisen etc. entnommen werden, die für die Darstellung als Frau oder Mann angewendet werden. Diese sogenannten Darstellungsrepertoires haben einen eingrenzenden Charakter auf das, was von einem normalen Geschlecht erwartet wird und verweisen auf eingeschriebene Muster (vgl. Hirschauer, 1994, S. 685) Sie sind demnach Annahmen über geschlechtsspezifische Eigenschaften und Verhaltensweisen. Eine große Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Medien und Bilddiskurse. Professionell erzeugte Idealbilder verweisen einerseits auf Prototypen des Männlichen oder Weiblichen und andererseits werden die Rezipienten gleichzeitig auf ihre Mängel gestoßen, die den Wunsch nach Kompensation erzeugen. Nach Hirschauer (1994) erhalten Darstellungen dadurch einen „chronischen kompensatorischen Zug“ (vgl. Hirschauer 1994, S. 685), indem versucht wird, die eigenen Mängel auszugleichen und ein*e bessere*r Mann oder Frau zu werden. Weitergeführt wird dies durch materielle Artefakte, die zu einer geschlechterdifferenzierenden Inszenierung beitragen und damit im besonderen Maße ein visuelles sexuierendes Zeichensystem darstellen. Diese Artefakte sind geschlechtlich aufgeladen, symbolisieren dadurch Geschlechterunterschiede und suggerieren eine bestimmte Art des Gebrauchs. Hierbei sind besonders Konsumgüter wie Kleidungsstücke, Taschen und Luxusartikel hervorzuheben, die explizit für ein bestimmtes Geschlecht entworfen werden oder sich direkt als Gegensatzpaare auf dem Markt zeigen, wie bei Windeln für Jungen oder Mädchen, Parfum, Überraschungseiern oder auch Schulmaterialien. Zusätzlich fallen auch Waren darunter, die nicht direkt einen Geschlechterunterschied signalisieren. Hirschauer (2013) verweist in diesem Zusammenhang auf Werkbänke oder Bügelbretter, die auf den ersten Blick keine Geschlechterunterscheidung beinhalten, aber in ihrer tech-

9

Im Gegensatz zu Deutschland gilt in Schweden mittlerweile das Namenswahlrecht und das unabhängig vom biologischen Geschlecht. Für Furore sorgte 2013 ein Gewinnspiel der Lufthansa, in dem als Preis ein Flug von Stockholm nach Berlin, ein Jahr mietfreies Wohnen vor Ort und ein Deutschkurs angeboten wurde. Teilnahmeberechtigt waren alle Schweden, die ihren Vornamen in „Klaus-Heidi“ umänderten (vgl. Lufthansa, 2013).

40 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

nischen Norm an weibliche oder männliche Normalkörper angepasst sind, durch die ein Skript für Geschlechterunterscheidungen vermittelt wird (vgl. Hirschauer, 2013, S. 156f). Im Hinblick auf die überhistorische Stabilität von sexuierenden Artefakten kann in diesem Zusammenhang allerdings ebenfalls auf einen Wandel verwiesen werden. Beispielsweise galten Hosen lange Zeit als ausschließliches Kleidungsstück für Männer, wohingegen heutzutage Hosen für beide Geschlechter selbstverständlich sind. Zudem haben sich mittlerweile auch zahlreiche unisexGegenstände etabliert. Institutionelle Arrangements Neben diesem geschlechtskonstruierenden Zeichensystem bilden institutionelle Arrangements eine weitere Facette für die (Re-)Produktion der sozialstrukturellen Zweigeschlechtlichkeit. Hirschauer (1994) hebt hierzu hervor, dass „die Geschlechtsklassifikation von Personen nicht einfach die ,Basis‘ für darauf aufbauende komplexere Strukturen wie die ,geschlechtliche Arbeitsteilung‘, die Ehe oder die Disprivilegierung von Frauen ist, sondern daß [sic] auch umgekehrt die Verwendung der Geschlechterunterscheidung für die Allokation von Tätigkeiten, die Bildung von Paarbeziehungen und die Zuteilung von ökonomischen Existenz- und politischen Partizipationschancen die Unterscheidung zweier Klassen von Personen katalysiert“ (Hirschauer 1994, S. 686; H.i.O.).

So wird zum Beispiel durch bestimmte Umgangskonventionen der Alltag rhythmisiert. Das Geschlecht wird für eine Regelung des Nacheinanders von Handlungszügen benutzt, wie die Reihenfolge der Bedienung im Restaurant oder auch bei Kontaktinitiativen. Auch in bestimmten „Gesellungsformen“, wie in Freundschaften, Cliquen, Studentenverbindungen etc. sind soziale Strukturen eingebaut, die die Geschlechterdifferenz hervorbringen und bestimmen. Sie zeigen sich als „geschlechtlich exklusiv oder Geschlechter verbindend“. Das heterosexuelle Paar stellt dabei die zentralste Institution dar (vgl. Hirschauer, 2013, S. 158). In diesem Zusammenhang kann eine Verbindung zu den Arbeiten von Goffman geschaffen werden, der auf eine Verbindung der Sozialstruktur und Interaktionsebene, im Sinne einer „institutionellen Reflexivität“ verwiesen hat. Goffman (1994) führte dazu auf, dass bestimmte Konventionen in Paarbeziehungen, wie Machtverhältnisse oder die Aufteilung von Aufgaben im oder außerhalb des Haushaltes nicht mit dem biologischen Geschlecht erklärt werden können, sondern durch ein „geschlossenes Bündel sozialer Glaubensvorstellungen und Praktiken“ (vgl. Goffman, 1994, S. 106) gestützt werden. Auch Segregationsmaßnahmen, wie die räumliche Separierung vieler Bereiche wie Umkleidekabinen oder auch eine geschlechtliche Arbeitsteilung in Männer- und Frauenberufe unterliegen ähnlichen

Geschlecht als soziale Praxis | 41

Effekten. Durch sie werden bestimmte Orte oder auch Tätigkeiten zu einem geschlechtlich aufgeladenen Schauplatz. Hirschauer (2013) zeigt dazu auf, dass dadurch die Akteure die Möglichkeit erhalten sich selbst durch die Durchführung oder Vermeidung von solchen sexuierenden Tätigkeiten zu ,erwähnen‘. Soziokulturelle Strukturen nehmen also die Geschlechterdifferenz auf und lassen sie konsequenzenreich werden. Sie werden als Lösungen für Organisationsprobleme herangezogen und bringen umgekehrt die Geschlechterunterscheidung von Personen hervor, indem die Eindeutigkeit der Geschlechtszugehörigkeit eingefordert wird (vgl. Hirschauer, 2013, S. 157ff). „Man kann die Geschlechtszugehörigkeit von Individuen daher nicht nur als Effekt ihrer situativen Darstellungspraxis betrachten, sondern ebenso als Effekt von segregierten Toiletten und bestimmten Artefakten, von Arbeitswelten und Paarstrukturen: Sie erklären uns zu ,Mann und Frau‘“ (ebd., S. 159). Hierdurch zeigt sich, dass die Geschlechtszugehörigkeit tieferliegend verankert ist und zusätzlich durch eine relativ stabile Infrastruktur vorstrukturiert wird. „Die Sexuierung von Personen wird getragen von der Sexuierung vieler anderer kultureller Objekte und umgekehrt“ (Hirschauer, 1994, S. 684). Geschlecht wird dadurch als naturhaft angesehen und reproduziert sich ständig selbst. Dies lässt eine routinisierte und permanente Wiederholung von geschlechtskonstruierenden Praktiken wahrscheinlicher werden. Geschlecht ist dadurch niemals Verschwunden, sondern kann jederzeit in Interaktionen durch doing gender der Teilnehmer*innen relevant gesetzt werden. Allerdings erweist sich die Praxis dennoch als kontingent und vollzugsoffen. Entscheidend ist, ob Geschlecht aktualisiert wird, also in der Situation relevant gesetzt, fortgesetzt oder aufrechterhalten wird. Hierdurch bietet sich auch die Möglichkeit, „gendered structures“ (Hirschauer, 2001, S. 226) nicht in Gebrauch zu nehmen, wodurch diese in den Hintergrund treten und die Interaktion damit nicht von außen bestimmen. Zur Vollzugsoffenheit und einer Perspektiverweiterung auf Undoing Gender Durch eine praxistheoretische Perspektivierung rückt für die Betrachtung von Geschlecht die materielle Vollzugswirklichkeit in den Blick. Hierdurch können die aufeinander bezogenen und miteinander verflochtenen Praktiken in ihrer raumzeitlichen-Verortung rekonstruiert werden. Im Hinblick auf Praktiken der Geschlechtskonstruktion gerät zudem die tätige Involvierung der Teilnehmer*innen in den Vordergrund, also deren Verwicklung in ein laufendes eigendynamisches Geschehen durch doing oder auch undoing gender. Hiermit deutet sich bereits ein Unterschied zu dem von Garfinkel (1967) und West & Zimmermann (1991) konzipierten doing gender-Konzept an, in dem von einer permanenten Herstellung von Geschlecht ausgegangen wurde. Diese Annahmen beruhen dabei vor allem

42 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

auf der visuellen Omnipräsenz von Geschlecht und einem damit zusammenhängenden Ausweiszwang. Geschlecht stelle sich dadurch als unhintergehbar dar und laufe damit in jeder sozialen Situation mit. Vor diesem Hintergrund wurde doing gender als permanente Herstellungsleistung verstanden und als omnipräsent deklariert. Mit einer praxistheoretischen Perspektivierung ist es hingegen nicht relevant, ob zu jederzeit das Geschlecht erkennbar ist und damit als Hintergrund einer jeden Situation mitläuft. So beschreibt Hirschauer (2013), dass es vielmehr von Bedeutung ist, wann, wie und wo die Hintergrunderwartung in den Vordergrund von sozialen Situationen tritt (vgl. ebd., S. 160) und damit Geschlecht aktualisiert wird. Aus praxistheoretischer Sicht hat die Praxis die Möglichkeit mit den sozialen Strukturen zu spielen. Somit besteht eine gewisse Kontingenz, mit der „die Praxis (z.B. von Interaktionen) eine strukturell gesetzte (Ir-)Relevanz von Geschlecht unterlaufen kann“ (Hirschauer, 2001, S. 226). Hirschauer beschreibt dazu, dass grammatische Strukturen oder auch Stereotype nur dann Konsequenzen haben, wenn die Geschlechtszugehörigkeit auch interaktiv als Mitgliedschaftskategorie aufgebaut wird. Erst der Vollzug einer Übersetzung als Unterscheidung von gleich oder verschieden, sorgt für eine Wirksamkeit von sexuierenden Strukturen. Dieser rekursive Zusammenhang erschließt sich dann erst endgültig durch den interaktiven Vollzug der Anschlussstellen (vgl. Hirschauer, 2001, S. 226). „Die soziale Struktur bleibt irrelevant, wenn sie nicht situiert wird“ (ebd., S. 226; H.i.O.). Mit einer solchen Perspektive können Geschlechtskonstruktionen als Episoden verstanden werden, in denen das Geschlecht in sozialen Situationen auftaucht und verschwindet (vgl. Hirschauer, 2013, S. 160). Wird Geschlecht demnach für eine soziale Situation nicht in Gebrauch genommen, spricht Hirschauer von einem Absehen, als eine Art „soziales Vergessen“ (ebd., S. 160) und benennt dies als „undoing gender“ (erstmalig: Hirschauer, 1994), der damit den Terminus der Geschlechtsneutralität präzisiert. Undoing gender wird dabei ebenfalls als eine Konstruktionsleistung von Individuen verstanden, woraus sich zwei Präzisierungen ergeben: Zunächst kann undoing gender vielmehr als ein doing undoing gender beschrieben werden, wodurch zugleich der Bezug zu doing gender hergestellt wird. „Man kann nur etwas ungeschehen machen, das gesehen ist; nur von etwas absehen, das man gesehen hat“ (Hirschauer, 2001, S. 216). Demnach stellt doing gender immer die Bezugsgröße dar ohne die undoing gender nicht zu erklären wäre. Geschlechtsneutralität darf somit nicht fälschlicher Weise als ein „not doing gender“, im Sinne einer Geschlechtslosigkeit, verstanden werden. Mit Geschlechtsneutralität ist stattdessen eher ein stillstehen einer Geschlechterunterscheidung gemeint, in dem Geschlecht aber dennoch im Horizont verbleibt (vgl. Hirschauer, 2001, S. 220). Als zweiter Aspekt wird mit undoing gender häufig

Geschlecht als soziale Praxis | 43

fälschlicherweise eine ausschließliche Geschlechtsneutralität verstanden. Doing und undoing gender werden mit dieser Perspektive dualistisch strukturiert, als eine Gebrauchnahme oder ein Absehen, durch das Geschlecht im Hintergrund verbleibt und beispielsweise durch andere Relevanzsetzungen überlagert wird. Wenn aber als Bezugsgröße für undoing gender ein doing gender verstanden wird, kommt eine solche Betrachtung schnell an ihre Grenzen. Ich möchte diese Sicht anhand der Darstellung der unterschiedlichen Aktivitätsniveaus (vgl. Abb. 1) der Teilnehmer*innen in Praktiken verdeutlichen. Wie Hirschauer (2016) aufgezeigt hat, können die Aktivitäten der Teilnehmer*innen mit einem unterschiedlichen Intensitätsgrad ausfallen. Hierdurch wurde aufgezeigt, inwiefern sich die Teilnehmer*innen in das laufende eigendynamische Geschehen mit ihren Tätigkeiten als personalized doing einfädeln können. Demnach können diese unterschiedlichen Aktivitätsgrade auch auf doing gender übertragen werden. Geschlecht kann beispielsweise bewusst relevant gesetzt werden (unternehmend handeln), indem die Interaktionsteilnehmer*innen als Mann oder Frau angesprochen werden und die Geschlechtszugehörigkeit als Kriterium für den Interaktionsverlauf gesetzt wird („Können Sie als Frau bitte ihre Perspektive beschreiben“). Geschlecht kann aber auch routinisiert praktiziert werden, indem die Situation als gleich- oder verschiedengeschlechtlich gerahmt wird, ohne dass dies der Aushandlung bedarf (eine Aufteilung der Schüler*innen in ausschließlich gleichgeschlechtliche Gruppen). Diese Aktivitätsgrade reichen hinunter bis zu einer nicht-Gebrauchnahme von Geschlecht, indem Geschlecht beispielsweise durch andere soziale Kategorien überlagert wird und Geschlecht durch die dennoch vorhandene visuelle Präsenz damit bloß im Hintergrund verweilt. Im Rahmen des Kontinuums von Aktivitätsniveaus kann undoing gender dabei als die inhibitive Seite von doing gender beschrieben werden. Demnach lassen sich auch hier unterschiedliche Aktivitätsgrade differenzieren. Hierbei kann eine erhöhte Aktivität als aktives undoing gender bezeichnet werden, im Sinne eines Konterkarierens von doing gender, beispielsweise durch ein Entgegentreten von erfolgten Relevanzsetzungen. Des Weiteren können routinisierte Unterbindungen beschrieben werden, indem z.B. Geschlecht als aufgerufene Kategorie in einem Gesprächsverlauf in der Folge übergangen wird und inhaltliche Aspekte in den Vordergrund gerückt werden, bis letztlich mit weiter absinkender Aktivität ein-nicht-entstehen-lassen ebenfalls in diesem Rahmen eingeschlossen ist, indem, wie Hirschauer als Beispiel anführt, durch eine Distanzwahrung gleich- oder verschiedengeschlechtliche Assoziationen vermieden werden (vgl. Hirschauer, 2001, S. 221). Mit erhöhter Aktivität ist demnach die Situation alles andere als Geschlechtsneutral. Geschlecht kann sogar explizit für die Situation relevant gesetzt werden, allerdings im Sinne eines Versuchs des Ent-

44 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

gegentretens, wodurch dies als undoing gender im Rahmen von doing gender bezeichnet werden kann. Damit stellt diese Perspektiverweiterung einerseits einen Gewinn für die Betrachtungsmöglichkeit sozialer Situationen dar, indem doing gender-Prozesse differenzierter betrachtet werden können und zugleich einer bekannten Kritik der Geschlechterforschung entgegengetreten wird, der Suche nach Geschlechterunterschieden. Doing gender wird damit nicht als festes Beobachtungsschema angelegt, durch das sich fast jede Situation prinzipiell als geschlechtskonstruierend beschreiben lässt. Andererseits wirft die Perspektiverweiterung auf undoing gender auch methodologische Fragen, im Hinblick auf die Beobachtungsmöglichkeit auf, die in Kapitel 4.1.2 aufgegriffen werden. Es kann demnach zusammenfassend festgestellt werden, dass Geschlecht als kontingente Praxis zu sehen ist. Durch eine praxistheoretische Perspektivierung konnte einerseits dargelegt werden, durch welche Zusammenhänge sich Praxis als prinzipiell routinisiert darstellt und zu wiederholenden Praktiken einlädt und sich andererseits eine prinzipielle Vollzugsoffenheit von Praxis zeigt. Praktiken wiederholen sich nicht stumpf immer auf dieselbe Art und Weise, sondern finden in einer spezifischen raum-zeitlichen-Situiertheit als eine materielle Vollzugswirklichkeit statt. Hierdurch ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten der Modulation, Irritation und Unberechenbarkeit. In Bezug auf Geschlecht zeigt sich in diesem Zusammenhang ein Spezifikum: Anders als bei anderen eingelagerten Dispositionen ist der Körper übergreifend immer auch ein Geschlechterkörper. Die Geschlechtszugehörigkeit stellt sich als tief verankert dar und ist visuell omnipräsent. Die Teilnehmer*innen verfügen über ein praktisches Wissen jederzeit geschlechtsangemessen zu handeln und sich zu verhalten und können zudem andere jederzeit in ihrer Geschlechtszugehörigkeit erkennen. Eine geschlechtliche Infrastruktur mit einem inhärenten sexuierten Zeichensystem sorgt zudem für eine Vorstrukturierung, die geschlechtskonstruierende Praktiken wahrscheinlicher werden lässt. Dennoch können Aufweichungen dieser Strukturen beobachtet werden, sodass sich diese nicht als überhistorisch stabil zeigen. Zudem konnte darauf verwiesen werden, dass durch eine geschlechtliche Vorstrukturierung Geschlecht zwar immer bereits im Hintergrund mitläuft, aber nur dann Relevanz entfaltet, wenn Geschlecht von den Teilnehmer*innen auch aktualisiert wird. Hierdurch wird der Blick auf die Teilnehmer*innen von Praktiken gerichtet, die durch unterschiedliche Aktivitätsgrade des doing oder undoing gender in Erscheinung treten können. Durch diese Perspektiverweiterung kann einerseits (un)doing gender differenzierter gefasst werden und andererseits der Zusammenhang mit anderen Praktiken hervorgehoben werden. Die Teilnehmer*innen fädeln sich mit ihren Aktivitäten immer in ein bereits

Geschlecht als soziale Praxis | 45

laufendes eigendynamisches Geschehen ein. Dies drückt sich durch eine Koaktivität mit anderen Teilnehmer*innen und durch ein spezifisches materielles Arrangement (Artefakte, situative Settings, selbsttätige Körperprozesse) aus (vgl. Hirschauer, 2016, S. 50). Genau durch diese Verwicklungen und die aufeinander bezogenen Praktiken ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, nicht an eine geschlechtliche Vorstrukturierung oder auch geschlechtliche Darstellungspraxen anzuknüpfen. Hierzu schreibt auch Judith von der Heyde (2018), dass die Geschlechterperformanz immer auch hinter andere Praktiken und Ordnungssysteme treten kann, wodurch Geschlecht lediglich im Hintergrund mitläuft (vgl. ebd., S. 61). Je nach Kontext, in dem sich die Teilnehmer*innen befinden, werden demnach andere institutionelle Rahmungen gestellt und damit auch potenziell andere Zugehörigkeiten ermöglicht. Die Geschlechtszugehörigkeit ist dabei zwar als übergreifend zu betrachten, kann aber eben auch zweitweise durch andere Zugehörigkeiten überlagert werden. Hirschauer und Boll (2017) sprechen in diesem Zusammenhang von Mehrfachzugehörigkeiten und verweisen auf eine dynamische Konkurrenz und auf ein komplexes Spiel der wechselseitigen Überlagerung und Außerkraftsetzung (vgl. ebd., S. 12). Mit Blick auf das Forschungsfeld Schule und (Sport-)Unterricht ergibt sich hierdurch eine institutionelle Zugehörigkeit als Schüler*innen und Lehrer*innen, wodurch andere (u.a. pädagogische) Praktiken in den Vordergrund rücken. Die entscheidende Frage ist demnach, wann, wie und in welchem Zusammenhang Geschlecht in der sportunterrichtlichen Praxis aktualisiert wird, obwohl sich zunächst erstmal eine institutionelle Zugehörigkeit ergibt, durch die andere Praktiken in den Vordergrund rücken, die jenseits von geschlechtskonstruierenden Praktiken liegen. Aus diesem Grund erscheint es besonders interessant in diesem Rahmen Geschlechteraktualisierungen in den Blick zu nehmen und dabei die spezifische raum-zeitliche-Situiertheit und die materiellen Bestandteile zu rekonstruieren, in deren Zusammenhang Praktiken der Geschlechtskonstruktion eingebettet sind.

3

Zum Forschungsfeld Schule und (Sport-)Unterricht

Anknüpfend an die Herleitung der relativen Stabilität bei gleichzeitiger Vollzugsoffenheit von geschlechtskonstruierenden Praktiken und dem damit verbundenen praxistheoretischen Blick, können auch Schule und Unterricht betrachtet werden. Eine solche Perspektive auf Schule und Unterricht und eine damit zusammenhängende Hinwendung zu Unterrichtsprozessen erfreut sich hierbei in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit (u.a. Breidenstein, 2006; Rabenstein, Reh, Ricken & Idel, 2013; Reh, Rabenstein, Fritzsche & Idel, 2015; Röhl, 2016) und speziell für den Sportunterricht (u.a. Kamper, 2015; Wolff, 2017). So weist Breidenstein (2006) daraufhin, dass eine praxistheoretische Perspektive einen neuen Blick auf den schulischen und unterrichtlichen Alltag eröffnen kann und beschreibt: „Die Theorie sozialer Praktiken erschließt der Analyse den schulischen Alltag als ein Bündel aufeinander bezogener, ineinander verschränkter sozialer Praktiken, die es in ihrer Eigendynamik und in ihrem immanenten Funktionieren zu erkunden gilt. Sie untersucht die Kompetenz, die in die Handhabung der Unterrichtssituationen eingehen und in die Ausführungen der unterrichtlichen Aktivitäten. Sie vermag die Implikation spezifischer Praktiken zu beschreiben und deren Verknüpfung mit anderen Praktiken“ (Breidenstein, 2006, S. 18).

Hierdurch tritt die Bedeutung einer verwobenen Struktur schulischer Praxis zu Tage, die auf die Materialität und Prozesshaftigkeit des Geschehens verweist. Unterricht konstituiert sich immer in einem Zusammenspiel von Praktiken und deren materiellen Bestandteilen, in einem spezifischen raum-zeitlichen-Setting. Durch Schule und Unterricht wird somit immer ein spezifischer Rahmen gestellt, der den Vollzug der (pädagogischen) Praktiken einbettet. Beginnend bei der gesellschaftlichen Funktion der Schule, durch die bestimmte Vorgaben immanent sind, über organisatorische Rahmungen wie eine spezifische Zeittaktung (zumeist 45 Minuten Zeitstunden) und räumlichen Gestaltung des Klassenzimmers (beispielsweise durch eine Tafelzentrierung und charakteristischem Mobiliar) bis hin zu abge-

48 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

stimmten Verhaltensmustern, die sich beispielsweise durch Rituale im Unterricht zeigen, wird eine verwobene Struktur der Makro-, Meso- und Mikroebene von Schule und Unterricht deutlich, die dadurch immer auch bei der Betrachtung der Mikroebene der Interkation ihre Relevanz entfaltet. Breidenstein (2006) hebt dazu hervor, dass sich durch die Anschauung des Gegenstandsbereichs die Überzeugung für ein praxistheoretische Perspektive aus sich selbst heraus ergibt. Denn besonders im schulischen Geschehen sind die Beteiligten durch einen Klassenverband oder auch im Lehrer*innenkollegium jahrelang aufeinander bezogen, wodurch sich zahlreiche Routinen ausbilden (vgl. ebd., S. 18f). Anhand des „Schülerjobs“ rekonstruiert er beispielsweise die Teilnahmepraktiken der Schüler*innen, die weit mehr umfassen, als die Erstellung von Produkten wie das Ausfüllen von Arbeitsblättern und Erledigen von Aufgaben (vgl. ebd., S. 259ff). Hiermit wird deutlich, dass weder eine „Input“-Orientierung des Unterrichts, durch Einstellungen, Absichten und Ziele der Lehrpersonen, noch eine „Output“-Orientierung im Sinne von Messungen der Schulleistungen im Vordergrund stehen. Stattdessen wird der situative und praktische Vollzug von Unterricht betrachtet (vgl. ebd., S. 19). Zur Untermauerung dieser Perspektive äußert Breidenstein Kritik an der „fast ausschließlichen Orientierung der Unterrichtsforschung an der pädagogischen Psychologie als Leitperspektive“ (ebd., S. 264) und verweist darauf, dass das Lernen so im Individuum verabsolutiert wird. Er beschreibt weiter, dass es in der Unterrichtssituation um sehr viel mehr gehen würde. Eine Analyse nach den beobachtbaren Praktiken der Unterrichtsteilnahme müsste nach den „kommunikativen und interaktiven Funktionen dieser Praktiken in der Situation“ (ebd., S. 264; H.i.O.) fragen. Damit würde aus der mikrosoziologischen Perspektive beschrieben werden, welche spezifische Gestalt die „Interaktionsordnung“ (Goffman, 1994) in der Unterrichtssituation einnehmen würde (vgl. ebd., S. 264). Hiermit zeigt sich eine mikrosoziologische Perspektivierung mit einer praxistheoretischen Brille als gewinnbringend für die Betrachtung von Unterricht. Auch hierzu betont Breidenstein (2006) weiter, dass auch im Hinblick auf die Erfassung und Verbesserung der „Unterrichtsqualität“ eine Betrachtung von Unterricht im engeren Sinne unter der Bedingung der Unterrichtsituation unumgänglich erscheint (vgl. ebd., S. 265). Hieran anknüpfend kann auch die Frage nach Geschlechteraktualisierungen in sportunterrichtlicher Praxis anschließen. Im Hinblick auf Schule und (Sport-)Unterricht wird spätestens seit der Einführung des koedukativen Unterrichts die Frage nach Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit in der Institution Schule gestellt und untersucht, mit dem letztendlichen Ziel die Ungerechtigkeiten zu vermeiden, Geschlechtersensibilität zu fördern und einer damit verbundenen Verbesserung der Unterrichtsqualität. Es kann sich somit als gewinnbringend er-

Zum Forschungsfeld Schule und (Sport-)Unterricht | 49

weisen, einen Blick auf die Unterrichtssituation zu werfen, um die dort stattfindenden Praktiken zu explizieren und die Zusammenhänge herauszustellen. Mit einer praxistheoretischen Perspektive wird Unterricht demnach als Vollzug von aufeinander bezogenen Praktiken verstanden, die sich in einem je spezifischen Setting vollziehen. Hierbei ist das unterrichtliche Geschehen immer bereits als Eigendynamik zu verstehen, durch die wiederholende, routinisierte Praktiken den Teilnehmer*innen nahegelegt werden, diese aber immer auch wandelbar sind und sich erst situativ vollziehen. Interessant erscheint hierbei besonders die Verknüpfung von pädagogischen Praktiken, die durch die Institution im Vordergrund stehen, mit den mitlaufenden geschlechterkonstruierenden Praktiken. Die in Schule und Unterricht eingebetteten Strukturen spielen dabei ebenso eine Rolle, wie die gesellschaftlichen Strukturen der Zweigeschlechtlichkeit, die durch ein implizites, praktisches Wissen, Verkörperungen und eine stabile Infrastruktur gestützt wird und damit eine (Re-)Produktion einer Geschlechterordnung nahelegt. Für eine mikrosoziologische Perspektivierung auf Geschlechteraktualisierungen im Sportunterricht spielen demnach diese strukturellen Gegebenheiten der Makro- und Mesoebene eine entscheidende Rolle. Hierzu zeigt Bräu (2017) auf, dass Schule und Unterricht Einrichtungen sind, in denen die Geschlechterordnung interaktiv hergestellt wird. Sie verweist dabei auf den Stellenwert der Schule als Institution, die Handlungsweisen und Handlungsmöglichkeiten eröffnet sowie begrenzt und damit nicht nur die individuellen Handlungen und Interaktionen eines Einzelnen im Vordergrund stehen (vgl. ebd., S. 104). Sie spricht hiermit die nach Goffman (1994) beschriebene „institutionelle Reflexivität“ an, durch die eine wechselseitige Verbindung zwischen Gesellschaftsstruktur und Interaktionsordnung beschrieben wird. So gesehen kann auf eine Verbindung verwiesen werden, wie in der Schule mit den dort „institutionalisierten Ordnungen, organisatorischen Rahmungen, den räumlichen und zeitlichen Strukturen sowie den vorhandenen Materialien und Artefakten“ Geschlecht interaktiv hergestellt wird (vgl. Bräu, 2017, S. 105). Die bisherige theoretische Darlegung hat dabei zunächst das Gegenstandsverständnis von Geschlecht als soziale Praxis expliziert und damit einerseits die Stabilität der Zweigeschlechtlichkeit hervorgehoben, aber eben auch den Stellenwert der Vollzugsoffenheit stark gemacht. Hierdurch wurde die Fragestellung dieser Arbeit legitimiert, indem deutlich wurde, dass Geschlecht als diskontinuierliche Episode zu betrachten ist und deshalb Aktualisierungen überhaupt erst in den Blick geraten können. Zudem wurde die Perspektive auf doing und undoing gender erweitert, indem anhand eines Kontinuums verschiedene Aktivitätsniveaus der Teilnehmer*innen dargestellt wurden und dadurch die unterschiedliche Involvierung der Individuen durch unterschiedliche Aktivitätsgrade in der Praxis

?;"#"$%&'()%'(*"+)&",-.*/.0%.*%"12+3/&"/4"56-2*7.*%22/'(*"

,2L3&@&43+!W&.7&0!9600+&#!c4+!74&'&/!>,-4+&*!'6**!@2'O+@*4()!7,'!P6.'()203'L&*7! ?()2*&!207!M0+&..4()+!4/!140R*4(9!,2L!%&'()*&()+!R&+.,()+&+!W&.7&0#!d4&!R&.&4+'! 7,.3&'+&**+f!04//+!?()2*&!207!M0+&..4()+!7,R&4!&R&0L,**'!V40L*2''!,2L!74&!'+,++L40I 7&07&0!8.,9+49&0!207!'+&**+!&40!'-&@4L4'()&'!.,2/I@&4+*4()&'!?&++403!7,.#!Q2'!74&I '&/!%.207!W4.7!@20O()'+!&40!X*4(9!,2L!74&!3&'&**'(),L+*4()&!P209+460!:60!?()2*&! 3&W6.L&0f!2/!40!74&'&/!=2',//&0),03!74&!HA.IJK&*&:,0@!:60!'6@4,*&0!F4LL&.&0I @&0!40!?()2*&!207!M0+&..4()+!7,.@2*&3&0!207!74&!7,.,2'!)&.:6.3&)&07&!X&7&2+203! :60!%&'()*&()+!,*'!'6@4,*&!F4LL&.&0@4&.203!)&.:6.@2)&R&0#!=27&/!W&.7&0!V40I '4()+&0! `R&.! 74&! V0+W4(9*203! 7&.! %&'()*&()+&.3&.&()+439&4+! 40! 7&.! ?()2*&f! /4+! &40)&.3&)&07&0!F&R,++&0!2/!>6&729,+460f!%&07&.!c,40'+.&,/403!207!%&07&.I 96/-&+&0@!3&3&R&0f!2/!74&!)4'+6.4'()&!V0+W4(9*203!7,.@2'+&**&0!207!74&!0,()I ),*+43&!X.4',0@!7&'!U)&/,'!@2!:&.7&2+*4()&0#!A/!,0'()*4&h&07&0!U&4*9,-4+&*!W4.7! 7&.!X&@23!@2/!?-6.+20+&..4()+!)&.3&'+&**+#!iR&.!&40&!F,.*&3203!7&.!>6&729,+4I 60'7&R,++&!40!'-6.+-O7,3634'()&0!P6.'()203&0!W4.7!7&.!?-6.+20+&..4()+!4/!140I R*4(9! ,2L! 74&! X&'607&.)&4+! 4/! PO()&.9,060! R&+.,()+&+f! 407&/! '4()! @2/! &40&0! 72.()!74&!?-6.+),**&0!67&.!I-*O+@&!&40!,07&.&'!.O2/*4()&'!Q..,03&/&0+!/4+!'-&I @4L4'()&0!/,+&.4&**&0!X&'+,07+&4*&0!&.34R+!207!@2/!,07&.&0!72.()!&40&!=&0+.,*I '+&**203!7&'!>].-&.'!%&'()*&()+&.74LL&.&0@4&.203&0!&40&0!,07&.&0!?+&**&0W&.+!&.I ),*+&0#!14&.,2'!&.34R+!'4()!@27&/!&40!W&4+&.&'!?-&@4L492/f!7,!'4()!4/!?-6.+20+&.I .4()+!&40&!&03&!T&.R407203!@2/!,2h&.20+&..4()+*4()&0!UO+439&4+'L&*7!7&'!?-6.+'! 7,.*&3&0!*O''+f!W&'),*R!40!&40&/!VC92.'!74&!X&7&2+203!:60!%&'()*&()+!4/!He&4'I +203'IJ?-6.+!)&.,2'3&'+&**+!W4.7#!QR'()*4&h&07!W&.7&0!P,(&++&0!,2'!7&.!?-6.+H20I +&..4()+'JL6.'()203!7,.3&*&3+f!2/!74&!?+.]/203&0!4/!140R*4(9!,2L!74&!>,+&36.4&! %&'()*&()+!4/!?-6.+20+&..4()+!,2L@2@&43&0#!! !

! 5.+!7/+89+#'#4)-5!$15/)'#+!2/::#+#-5#-! /-!$%&.'#!.-2!.-(#++/%&(!!

! d4&!@2:6.!,2'3&L`).+f!9,00!R&4!7&.!X&+.,()+203!:60!?()2*&!207!M0+&..4()+!,2L! :&.'()4&7&0&!VR&0&0!:&.W4&'&0!W&.7&0#!V40&!M0+&.'()&47203!7&.!c,9.6If!c&'6I! 207!c49.6&R&0&0!'+&**+!7,R&4!:6.!,**&/!&40&!,0,*[+4'()&!U.&00203!7,.f!74&!9&4I 0&'L,**'!,*'!L&'+&!QR3.&0@203!:&.'+,07&0!W&.7&0!7,.L#!d4&!R&.&4+'!3&@&43+!W2.7&f! @&43+! '4()! :4&*/&).! &40&! T&.W6R&0)&4+! 7&.! :&.'()4&7&0&0! VR&0&0f! 74&! '4()! 4/! ?400&!&40&.!a40'+4+2+460&**&0!K&L*&C4:4+O+b!H%6LL/,0f!$BBEJ!4//&.!,2()!,2L!7&.! c49.6&R&0&! 7&'! M0+&..4()+'! W47&.'-4&3&*0#! Q2'! 74&'&/! %.207! 34*+! &'! @20O()'+! &40&0!X*4(9!,2L!74&!3&'&**'(),L+*4()&!P209+460!:60!?()2*&!@2!W&.L&0f!2/!'4()!7&/! 7,.,2'!.&'2*+4&.&07&0!8,.,76C!7&.!-.40@4-4&**&0!m),0(&03*&4())&4+!R&4!3*&4()@&4I +43&.!K&*&:,0@!:60!'6@4,*&0!F4LL&.&0@&0!40!-O7,3634'()&0!8.,9+49&0!@2!W47/&0#! 14&.@2!W4.7!/4+!K`(93.4LL!,2L!P&07+'!aU)&6.4&!7&.!?()2*&b!@20O()'+!74&!3&'&**I

Zum Forschungsfeld Schule und (Sport-)Unterricht | 51

schaftliche Funktion von Schule herausgestellt und die damit zusammenhängende Reproduktionsfunktion betrachtet. Die hier angesprochenen Funktionen sind dabei die hinlänglich bekannten Hauptfunktionen von Schule: die Qualifizierungsund Ausbildungsfunktion, die Selektions- und Allokationsfunktion, die Integrations- und Legitimationsfunktion und die Funktion der Kulturüberlieferung (vgl. u.a. Klafki, 2002, S. 43), wobei hauptsächlich die drei erstgenannten Funktionen in schultheoretischen Erörterungen betrachtet werden, da sie die Reproduktionsfunktion der Schule für die Gesellschaft darstellen. Ich möchte im Folgenden kurz auf die verschiedenen Funktionen näher eingehen, bevor ich das Paradox dieser schulstrukturellen Gegebenheit in Verbindung mit der geforderten Chancengleichheit betrachte. Zudem stelle ich dar, welche Rolle soziale Differenzen in Verbindung mit dem Leistungsprinzip der Schule spielen und möchte das bipolare Verhältnis von Gleichheit und Differenz zu Gunsten eines von Budde vorgeschlagenen dreipoligen Spannungsverhältnis von Universalität, Differenz und Individualität erweitern, das sowohl auf der schulstrukturellen Ebene als auch auf der unterrichtlichen Ebene in pädagogischen Praktiken wiederzufinden ist. Die erste gesellschaftliche Funktion von Schule ist die Qualifizierungsfunktion. Das Schulwesen übernimmt damit die Aufgabe, die nachwachsende Gesellschaft mit den nötigen „Fähigkeiten, Fertigkeiten, Erkenntnissen, Kenntnissen und Einstellungen“ (Klafki, 2002, S. 46) auszustatten, damit eine Beteiligung am gesellschaftlichen Produktionsprozess ermöglicht wird. Neben der Qualifizierung für das spätere Arbeits- und Berufsleben steht aber zusätzlich der Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen für eine individuelle Reproduktion im Fokus, also die Ausstattung, die benötigt wird, um in den gegebenen, gesellschaftlichen Bedingungen über die Arbeitstätigkeit hinaus zu existieren (vgl. ebd., S. 46). Es geht folglich darum, sich auf der einen Seite für einen bestimmten beruflichen Werdegang zu qualifizieren, aber auch darum, am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können z.B. indem man sein Geld einteilen, einkaufen oder auch Ankündigungen und Benutzerhinweise lesen kann. Die zweite Funktion der Schule umfasst die Selektion- und Allokationsfunktion, die eng mit der Integrations- und Legitimationsfunktion von Schule zusammenhängt. Diese sind darauf zurückzuführen, dass moderne Gesellschaften arbeitsteilige bzw. funktionsteilige Gesellschaften sind. Hieraus ergibt sich automatisch eine hierarchische Abstufung von Über- und Unterordnungen, die dadurch unterschiedliche Möglichkeiten bietet. Die Schule nimmt in diesem Zusammenhang in gewisser Weise eine Auslese, in Form von Leistungs- und Prüfungsmaßstäben für dieses funktionsteilige und hierarchische Gesellschaftssystem vor. Je nachdem wie erfolgreich die Schüler*innen diesen schulischen Ausleseprozess

52 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

durchlaufen, stehen unterschiedliche Berufe oder auch soziale Positionen offen. Leitend hierfür ist das Leistungsprinzip, das sich im Benotungs- und Zeugniswesen niederschlägt (vgl. ebd., S. 48). So gesehen, nimmt die Schule bewusst eine Differenzierungsfunktion ein, nämlich die nach Leistung. Die Selektions- und Allokationsfunktion setzt damit an einer mitgedachten Chancengleichheit an. Für alle Schüler*innen sollen die gleichen Voraussetzungen gelten, die Differenzierung findet nur aufgrund der erbrachten Leistung in der Schule statt. Damit ist die Schule auf der programmatischen Ebene indifferent gegenüber sozialen Differenzierungen wie Geschlecht, Ethnizität, soziale Herkunft oder Behinderung. Die Schule schafft eine kategoriale Gleichheit der Schüler*innen zu Beginn, indem sie sich auf ein festgelegtes Alter und auf eine altersgemäße Entwicklung beruft. Kalthoff (2017) geht hierbei allerdings von einer „Gleichheitsunterstellung“ aus, da anhand von diesen zwei Merkmalen eine Gleichbehandlung in Bezug auf die Unterrichtsinhalte im Zeitverlauf realisiert werden soll (vgl. Kalthoff, 2017, S. 271). Mit Kalthoff klingt also schon an, dass diese Chancengleichheit sich nicht in allen Belangen bestätigen kann. Eine solche Homogenisierung sorgt für vermeintlich gleiche Voraussetzungen, die aber u.a. ungleiche familiäre und soziale Voraussetzungen außer Acht lässt. So zeigen die Studien zu verschiedenen Differenzdimension in Verbindung mit Schule und Unterricht immer wieder auf, dass sich die Chancengleichheit nur auf der schulstrukturellen Ebene zeigt und in den pädagogischen Praktiken soziale Differenzierungen unter dem Deckmantel der Leistungsdifferenzierung dennoch eine Rolle spielen (vgl. u.a. Budde, Kansteiner & Bossen, 2016; Diehm, Kuhn & Machold, 2017; Rabenstein, Reh, Ricken & Idel, 2013). Auch Breidenstein (2018) merkt dazu an, dass die Selektionsfunktion der Schule immer in einem Spannungsverhältnis zu der pädagogischen Aufgabenbestimmungen steht (vgl. ebd., S. 311). Zudem verweist Klafki (2002) darauf, dass durch das Leistungsprinzip in unserem Schulsystem in erster Linie Kinder aus sozial schwächeren Bevölkerungsschichten benachteiligt werden und dadurch nicht allen Kindern die gleiche Bildungschance geboten werden kann. Er sieht dabei aber nicht die Schule als primären Erzeuger von Chancenungleichheit, sondern zeigt auf, dass sich in der Schule die soziale Ungleichheit der Gesellschaft fortsetzt. Damit wird die Chancenungleichheit vor allem in der vorschulischen und außerschulischen Sozialisation erzeugt. Die Selektions- und Allokationsfunktion setzt damit bereits vor der Schulzeit ein. Hierdurch besteht die Gefahr, dass die bereits angeschobenen Selektions- und Allokationsprozesse in der Schule weiter aufgegriffen und fortgeführt und sogar institutionalisiert werden (vgl. Klafki, 2002, S. 49). An dieser Stelle greift die angesprochene Verbindung zur Integrations- und Legitimationsfunktion von Schule, die sich grundsätzlich auf den Zusammenhang zwischen der Schule und dem gesellschaftlich-politisch-kulturellen

Zum Forschungsfeld Schule und (Sport-)Unterricht | 53

System bezieht (vgl. ebd., S. 50). So verweist Klafki (2002) weiter darauf, dass es neben der eigentlichen Funktion der Integrations- und Legitimationsfunktion, nämlich die nachwachsende Generation in das gegebene, gesellschaftlich-poltisch-kulturelle System mit den jeweiligen verbindlichen Ordnungen und Verhaltensregeln einzugliedern, auch indirekte Faktoren wirken. Diese können ihre Bedeutung u.a. im Umgangsstil zwischen den Schüler*innen und Lehrkräften, im Schulklima oder auch in Ritualen beim Eintritt neuer Schüler*innenjahrgänge entfalten. In dieser schulischen Realität stecken oft unreflektiert wirkende Integrations- und Legitimationsfaktoren. Genau in diesen Bereich fällt das schulische Leistungsprinzip, dass durch eine strukturelle Chancengleichheit legitimiert wird. Klafki führt dazu weiter aus, dass Lehrer*innen häufig in der Überzeugung handeln, es gäbe eine tatsächliche Chancengleichheit und dass die entsprechenden Bewertungen auf dieser Grundlage vorgenommen werden würden. Auf der gleichen Basis ordnen zudem die Schüler*innen ihre Leistungen ein. An diesen Stellen kann das schulische Leistungsprinzip unreflektiert praktiziert und verinnerlicht werden (vgl. ebd., S. 51f). „[D]ie tatsächliche Ungleichheit der faktischen Gesellschaft kann dann verschleiert werden, Integration wird zur kritiklosen Einpassung und Anpassung an eine unaufgeklärte Realität, und Chancengleichheit wird zur Ideologie, d.h. zum gesellschaftlich falschen Bewusstsein statt zu einem Maßstab, an dem man die gesellschaftliche Realität kritisch messen kann“ (Klafki, 2002, S. 52). Wie also schon angedeutet, wird sich schultheoretisch auf Chancengleichheit berufen, in dem das schulische Leistungsprinzip leitend ist. Mit Klafki wird aber gezeigt, dass sich die Indifferenz gegenüber sozialen Differenzierungen als haltlos erweist. Viel mehr kann von einer Verwobenheit der schulstrukturellen und gesellschaftlichen Ebene mit der Mikroebene des Unterrichts und zusätzlich eine Verwobenheit von sozialen Differenzen und Leistung gesprochen werden. So stellen auch Rabenstein et al. (2015) die These auf, „dass in Praktiken der sozialen Konstruktion von Leistung im Unterricht soziale Differenzen in Leistungskategorien konvertiert und darin als soziale Differenzen re-inszeniert werden“ (Rabenstein et al. u.a. 2015, S. 247; zit. n. Budde, 2018, S. 145). Hierdurch wird ein Paradox von Schule und Unterricht angedeutet. Dies wird noch deutlicher, wenn neben der gesellschaftlichen Funktion von Schule mit Klafki (2002) die pädagogische Aufgabe in den Fokus rückt. Er formuliert eine Verantwortung gegenüber den jungen Menschen, die er als „Anerkennung des Eigenrechts und des eigenen Wertes jedes jungen Menschen als sich entwickelnde Person“ (ebd., S. 58) beschreibt. Zudem formuliert er die Aufgabe „jedem einzelnen jungen Menschen zu seiner optimalen Entfaltung, seinen individuellen Möglichkeiten zu verhelfen, zu seiner Mündigkeit und seiner Selbstbestimmung“ (ebd., S. 58, H.i.O.). Hiermit spricht Klafki die Entfaltung der einzelnen Personen an, nimmt also die Individuen in den

54 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

Blick. Finden nun also soziale Differenzierungen unter dem Deckmantel von Leistungsdifferenzierungen statt, dann kann diese Forderung nach optimaler Entfaltung und der Ausschöpfung der individuellen Fähigkeiten nicht eingelöst werden. So zeigt Budde (2015) ebenfalls auf, „dass im Vollzug pädagogischer Praktiken, in der Herstellung spezifischer schulischer Wissenskonzepte, deren differentieller Bewertung und der (diagnostischen) Zuschreibung fachlicher Kompetenzen anhand soziokultureller Kategorien sowie in den Einstellungen der Lehrkräfte Differenzen expliziert werden, die zumeist zu Einsortierungen der Schüler*innen in stabile Klassifikationsschemata führen“ (Budde, 2015b, S. 102).

Eine solche Einsortierung der Schüler*innen in stabile Klassifikationsschemata entspricht einer kategorialen Zugehörigkeit, durch die immer das Individuum in den Hintergrund rückt. Werden Eigenschaften und Stereotype einer bestimmten Gruppe zugeschrieben und diese dann auf die einzelnen Personen übertragen, können soziale Ungleichheiten entstehen und sich verfestigen. Hirschauer (2017) unterscheidet hierbei in nicht-gewählte kategoriale Zugehörigkeiten, wie Geschlecht oder Ethnizität, Mitgliedschaften in Berufsorganisationen und Zwangsmitgliedschaften wie in Schulen oder Anstalten (vgl. ebd., S. 44). In der Schule müsste also eigentlich die Mitgliedschaft zu dieser Organisation bedeutsam sein und nicht die Mitgliedschaft anderer sozialer Kategorien. Dieses unlösbare Spannungsverhältnis hat Budde (2018) auf den Punkt gebracht, indem er das Paradox von Schule formuliert: „Schule als Institution ist mit dem Paradox konfrontiert, einerseits Leistungsunterschiede als zentrale Zuweisungs- und Differenzierungskategorie zu verwenden, im Unterrichtvollzug permanent herzustellen und die Differenz gerade als legitim und notwendig zu markieren. Andererseits soll Schule sozial integrieren und Chancengleichheit sichern. Soziokulturelle Differenzen als solche zu markieren, gilt auf der normativ-moralischen Ebene als illegitim, wenn sie im Kontext sozialer Ungleichheit Verwendung finden, und werden auf der ,Oberflächenstruktur‘ des Unterrichts tabuisiert“ (Budde, 2018, S. 148).

Es kann also festgehalten werden, dass die Schule immer auch ein Ort der Differenzherstellung ist und dies nicht immer nur aufgrund des schulischen Leistungsprinzips. Diehm et al. (2017) betonen ebenfalls den starken Einfluss der Schule bei der Re-Produktion von Differenzen und beziehen dies auf alle Ebenen: „Das Bildungssystem im Gesamt, sind maßgeblich beteiligt an der Re-Produktion von ungleichheitsrelevanter Differenz, mithin auch von Ungleichheit. Diese ist auf allen Ebenen

Zum Forschungsfeld Schule und (Sport-)Unterricht | 55

des Sozialen anzutreffen: auf der Mikro-Ebene der Interaktion und Praktiken, auf der MesoEbene der Konzeptualisierung und Formulierung von Programmatiken, Richtlinien, Konzepte und Curricula sowie des Organisierens und auf der Makro-Ebene gesellschaftlicher Diskurse und politischer Strukturen“ (ebd., S. 1).

Zudem konnte mit der Betonung der pädagogischen Aufgabe und mit dem damit zusammenhängenden Verweis auf den Stellenwert der Individualität die Differenzdebatte erweitert werden. Die hier aufgezeigte Verwobenheit greift also nicht nur ein bekanntes Spannungsverhältnis von Differenz und Gleichheit auf, sondern nimmt zudem als dritte Komponente die Individualität auf. Mit diesem dreipoligen Spannungsverhältnis hat sich vor allem die Arbeitsgruppe um Jürgen Budde beschäftigt, die dazu schreibt, dass das Spannungsverhältnis von Differenz, Universalität und Individualität die Schule auf gesellschaftlicher, erziehungswissenschaftlicher und unterrichtspraktischer Ebene konstituiert (vgl. Budde et al., 2016, S. 13). Diese drei Ebenen werden als miteinander verwoben beschrieben und stellen einen Verweisungszusammenhang dar, der von seiner Struktur, in Anlehnung an Helsper (1996), als antinomisch zu sehen ist. Neu ist hierbei vor allem das dreipolige Verhältnis, dem ein linear gedachtes bipolares Verhältnis von Gleichheit und Differenz weicht (vgl. ebd., S. 21). So verstanden, ist mit der gesellschaftlichen Funktion der Schule ein universalistischer Anspruch formuliert, der aber mit einem Anspruch auf Individualisierung nicht einzuhalten ist. So merken Budde et al. weiter dazu an, dass die Umsetzung dabei nicht immer diesem Anspruch an Gleichbehandlung entspricht, aber das Schulsystem ohne diesen Anspruch nicht zu legitimieren wäre. Verdeutlicht wird dies durch die Leistungsbewertung in der Schule und etlichen Belegen der Einflussnahme bei der Beurteilung durch das Geschlecht (vgl. ebd., S. 23). Eine solche Erweiterung des bipolaren Verhältnisses von Gleichheit und Differenz bietet die Möglichkeit eines differenzierten Blickes. Besonders bei der Betrachtung des Stellenwertes von Geschlecht in der Schule spielt die Individualität eine große Rolle, die nicht in Gleichheit aufgehen kann. Durch die Zweigeschlechtlichkeit wird immer bereits eine Differenzierung nahegelegt, die die Mitglieder zu der jeweiligen Gruppe mit bestimmten Eigenschaften und Merkmalen versämtlichen, wodurch gleichzeitig individuelle Potenziale in den Hintergrund rücken. Bedeutsam ist hierbei, dass auch auf der unterrichtspraktischen Ebene Geschlechterdifferenzen eigentlich irrelevant sind. Universalität zeigt sich im einheitlichen Unterricht für alle, Differenzierungen werden als Leistungsdifferenzen vorgenommen und die Individualität zeigt sich durch Ansätze, in denen an den individuellen Voraussetzungen angesetzt wird. Diese jeweiligen Komponenten stehen dabei in einem Spannungsverhältnis, sodass je nach Vorgehen andere

56 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

Aspekte in den Hintergrund geraten. Wenn allerdings auf dieser Ebene soziale Differenzierungen hinzukommen, zeigt dieses Spannungsverhältnis schnell Benachteiligungen auf. So verweisen Budde et al. (2016) ebenfalls darauf, dass Differenz auf der unterrichtlichen Ebene dann vor allem im Kontext der Geschlechterkategorie als Einteilung von ,den Jungen‘ und ,die Mädchen‘ im Sinne von homogenen, durch klar voneinander unterscheidender Verhaltensweisen und Interessen getrennte Gruppen auftaucht (vgl. ebd., S. 24), die dann zu individuellen Benachteiligungen führen können. Geschlecht als Differenzierungsdimension in Schule und Unterricht Auf den unterschiedlichen Ebenen von Schule spielt das Thema Differenz demnach eine große Rolle. Mehr oder weniger offensichtlich und bewusst werden soziale Differenzierung als Einteilungs- und Bewertungskriterium verwendet. In den letzten Jahren hat sich hierdurch vermehrt der Blick auf Differenzierungspraktiken und die Herstellung von Differenz gerichtet. Heterogenität wird dabei ebenso häufig genannt wie Diversität. Spätestens durch den Beschluss der Behindertenrechtskonvention durch den eine Teilhabe für alle gewährleistet werden soll und hierdurch alle Schulen per Papier in einem bestimmten Zeitverlauf zu inklusiven Schulen wurden, ist die Debatte noch deutlicher in den Vordergrund gerückt. Im weiten Sinne bedeutet Inklusion eine Teilhabe für alle, unabhängig von verschiedenen Differenzdimensionen wie Geschlecht, Migration, soziale Herkunft oder Behinderung. Diese Hinwendung zeigt sich durch etliche Sammelbände, die diese unterschiedlichen Differenzierungsdimension in den Blick nehmen (vgl. u.a. Diehm et al., 2017; Bräu & Schlickum, 2015; Tervooren, Engel, Göhlich, Miethe & Reh, 2014). Geschlecht wird dabei häufig im Zuge der Differenzdebatte mitgenannt und in ein Verhältnis zu anderen Differenzierungsdimensionen gesetzt. So schreibt schon Tenorth (1997), dass die Diskussion um die Koedukation der Geschlechter politisch wie theoretisch ihre produktive wie auch provozierende Kraft verloren habe und das, ohne dass es schon ähnlich brisante Nachfolgekonzepte geben würde (vgl. ebd., S. 849). Wenn dann zusätzlich bedacht wird, dass der Bundesstaat Deutschland im September 1994 eine Novellierung des Grundgesetzes von Art. 3 Absatz 2 GG vornahm, um die tatsächliche Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen aufzunehmen und die Beseitigung bestehender Nachteile zu fördern und sogar als Staatsziel festzuschreiben (vgl. Art.3 Abs. 2 GG), dann hat sich spätestens hieraus eine Aufforderung für das Bildungssystem und die Schulen ergeben. So schreibt Horstkemper (2017) dazu, dass die Schulen aufgefordert sind, „zum Abbau von Geschlechterhierarchien beizutragen, geschlechterstereotype Zuschreibungen zu vermeiden und dadurch zu ermöglichen, dass Vielfalt und Differenz gelebt werden können, ohne durch die Geschlechts-

Zum Forschungsfeld Schule und (Sport-)Unterricht | 57

zugehörigkeit eingeengt zu werden“ (ebd., S. 17). Die so formulierte normative Leitlinie soll in der Praxis umgesetzt werden. Wird also die Kategorie Geschlecht in der Schule relevant, verstößt dies strenggenommen gegen das Gleichberechtigungsgesetz und ist damit illegitim. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Kategorie in der Forschung und in der Unterrichtspraxis selbst immer weniger Bedeutung erhält. So beschreibt auch Budde (2018), dass das Geschlecht zunehmend als „unverdächtige“ Differenzkategorie in Unterrichtsinteraktion aufzutauchen scheint (vgl. ebd., S. 140). Im Folgenden soll es jetzt zunächst um (aktuelle) Diskussionen zu Geschlecht in der Schule gehen. Hierzu wird in Kürze die historische Entwicklung der Gleichberechtigungsbemühungen dargelegt und die Koedukationsdebatte aufgegriffen. Zudem wird es in diesem Zuge um vielbenutze und zuletzt politisch aufgeladenen Begriffe wie Genderkompetenz und Gender Mainstream gehen, die zum einen auf der Ebene der Interaktion und zum anderen auf der schulstrukturellen Ebene bestimmt sind. Anschließend wird auf Besonderheiten des Sportunterrichts im Fächerkanon der Schule eingegangen und der Stellenwert der Kategorie Geschlecht in diesem Zusammenhang beleuchtet, um abschließend Ableitungen für das Forschungsvorhaben dazulegen. Zur Koedukationsdebatte Betrachtet man die Thematisierung der Kategorie Geschlecht in der Schule, so geht es häufig um die Koedukationsdebatte, die in ihren Anfängen Ende der 1960er Jahre vor allem von Euphorie und Zuversicht geprägt war. Die gemeinsame Erziehung wurde als Errungenschaft angesehen und stellte ein entscheidendes Zeichen für die Gleichberechtigung dar. Allerdings geriet schon Ende der 1970er Jahre diese Reform in die Kritik und die gleichberechtige, gemeinsame Erziehung wurde angezweifelt. Es wurden besonders schlechtere Bildungschancen für Mädchen attestiert, wodurch ein Konzept der Mädchenförderung erwuchs (vgl. Kreienbaum, 2008, S. 690), das damit mit der vorherrschenden Frauenbewegung und den Feministischen Studien konform ging. Erst durch die PISA-Studie (2000) wurde laut Stecklina und Spies (2008) eine „Mädchenlastigkeit“ der Forschungsaufmerksamkeit deutlich und eine Bildungsbenachteiligung der Jungen wahrgenommen. Hieraus entwickelte sich dann ein konträres Bild: eine Jungenförderung, die einerseits aus besonderen Förderungen der Lese- und Rechtschreibkompetenz bestand und andererseits an der Team- und Konfliktfähigkeit ansetzte (vgl. ebd., S. 90f) und damit stereotypen Vorstellungen von Jungen und Männern entsprach. Auffällig an diesen Debatten ist der erneute Blick auf die Zweigeschlechtlichkeit als Unterscheidungskriterium. Mädchen und Jungen wurden zwar gemeinsam unterrichtet, aber immer noch als zwei unterschiedliche Gruppen

58 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

wahrgenommen. Damit einhergehend wurden zudem Programme entwickelt, die eine Ausgeglichenheit von Männern und Frauen im Lehrberuf fördern sollten, konkret die Forderung z.B. nach mehr Männern auch in Grundschulen. Diese Forderung setzt damit an der Annahme an, dass Jungen männliche Vorbilder im Bildungssektor benötigen würden und ein niedriger Männeranteil sich negativ auf die Entwicklung von Jungen auswirken könnte (vgl. Baar, 2012, S. 235). Allerdings erweisen sich solche Vorstellungen als haltlos. So schreibt Baar (2012), dass es keine empirischen Belege dafür gibt und verweist darauf, dass hier vielmehr normative Vorstellungen von Geschlecht und geschlechtlicher Identität zur Geltung kommen (vgl. ebd., S. 236). Wenn also davon ausgegangen wird, dass Schüler Lehrer als männliche Vorbilder benötigen, knüpft dies direkt an stereotypen Vorstellungen an und das in doppelter Hinsicht. Es wird zum einen mit einem stereotypen Bild der Lehrperson gearbeitet, dass männliche Lehrpersonen sich besser in Jungen hineinversetzen und demnach besser für die Konfliktlösung geeignet wären oder auch durch eine bestimmte Art der Vermittlung den Wissenserwerb der Jungen positiv beeinflussen könnten. Zudem wird die Forderung des Ersatzes einer ansonsten nicht vorhandenen oder mangelhaften Vaterfigur gestellt und damit auf fragwürdige Weise die Erziehung in den Vordergrund gestellt. Zum anderen wird davon ausgegangen, dass die Kinder ebenfalls dem stereotypen Bild der raufenden, aktiven Jungen erfüllen, die demnach eine andere Art der Ansprache benötigen würden. Als Ausgangspunkt bleiben somit immer bipolare Annahmen, wodurch die durch die Koedukation erhoffte „Geschlechtergerechtigkeit“ nicht in „Gerechtigkeit für die Geschlechter“ (Budde, 2011, S. 103) aufgeht, die sich auf gleiche Rechte, Chancen und Möglichkeiten für alle bezieht, sondern sie wird eher als „den Geschlechtern gerecht werden“ (ebd., S. 103) verstanden, die sich auf die Differenz der Geschlechter bezieht und damit spezifische Neigungen der Jungen und Mädchen fördern möchte (vgl. ebd., S. 103). Hieran ansetzend hat Hannelore Faustich-Wieland bereits 1991 den programmatischen Begriff der „reflexiven Koedukation“ (Faulstich-Wieland, 1991) geprägt. Hiermit wird aufgegriffen, dass die bis dahin durchgeführte Koedukation in der Schulpraxis vor allem auf der organisatorischen Ebene vollzogen wurde, aber pädagogische, didaktische oder methodische Konzepte damit nicht verbunden waren. Die so hergestellte formale Gleichheit erzeugte damit eher Ungleichheit, die dann häufig zu Verfestigung von Geschlechterhierarchien beitrugen (vgl. Kreienbaum, 2008, S. 690). Für einen gemeinsamen gleichberechtigten Unterricht reicht also die formale Gemeinsamkeit nicht aus, weshalb Faulstich-Wieland sich stattdessen für eine Reflexion der Geschlechterverhältnisse ausspricht, die eine Geschlechtervielfalt zum Ziel hat und auf der Unterrichtsebene zum Abbau von Stereotypen beitragen soll. Hieran anschließend verweisen Kampshoff und Scholand (2017) darauf, dass mit diesem

Zum Forschungsfeld Schule und (Sport-)Unterricht | 59

Konzept vor allem die Selbstreflexion des eigenen doing gender im Vordergrund steht und damit die Lehrkräfte in den Fokus rücken (vgl. ebd., S. 67). Bezogen auf die Handlungsebene merkt Budde (2011) in diesem Zusammenhang allerdings an, dass es bisher noch keine konkreten Konzepte für die Umsetzung einer solchen reflexiven Koedukation gibt (vgl. ebd., S. 111) und auch Tenorth (1997) schreibt, dass die reflexive Koedukation noch nicht überzeugt (vgl. ebd., S. 849). Gender Mainstreaming und Genderkompetenz Trotz fehlender Konzepte verhalf die „reflexive Koedukation“ besonders auf der unterrichtlichen Ebene zum Weiterdenken. Neben dieser Debatte erhielten zudem besonders politisch aufgeladene Begriffe, wie Gender Mainstreaming als politisches Programm auf allen Ebenen und „Genderkompetenz“ (Kunert-Zier, 2005) im Zuge des Professionalisierungsdiskurs auf der Handlungsebene Aufmerksamkeit. Diese beiden Begriffe gehen hierbei miteinander einher und fußen in Deutschland auf der angesprochenen Grundgesetznovellierung, die die Förderung der Gleichberechtigung als Zielsetzung aussprach. Die politische Strategie des Gender Mainstreaming ist hierbei keine Neuerung, die speziell für Bildungseinrichtung entwickelt wurde, sondern sie konkretisierte sich bereits in anfänglichen Ideen auf der dritten Weltfrauenkonferenz der UNO 1985 in Nairobi. Zum politischen Programm in Deutschland wurde sie allerdings erst dadurch, dass die Europäische Union diese auf die politische Agenda setzte und das Gender Mainstreaming damit als neue Gleichstellungstrategie als Ergänzung zu bisherigen Maßnahmen der Frauenförderung aufnahm. Besonders durch die Aufnahme in den Amsterdamer Vertrag 1999 erlangte dieses Programm Popularität, sodass in der EU die Forderung nach der Integration von Maßnahmen der Chancengleichheit in allgemeinen Programmen und Strategien nachgekommen wurde. Damit umfasst Gender Mainstreaming alle gesellschaftlichen Aktivitäten und Ebenen und bezieht sich u.a. auf Organisationen, Strukturen und Richtlinien, aber auch auf die Gestaltung von Prozessen, Arbeitsabläufen und der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Kahlert, 2011, S. 71f). In diesen Bereichen sollen die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern berücksichtigt und gleichzeitig deren Hemmnisse überwunden werden (vgl. Stiegler, 2008, S. 927). Hierdurch greift dieses Programm ebenfalls erneut auf eine bipolare Unterscheidung zurück, anstatt diese zu beheben. So verweist auch Gramespacher (2011a) darauf, dass Gender Mainstreaming sich ausschließlich auf bipolare Ausprägungen der sozialen Strukturkategorie Gender bezieht und damit nicht der Kontingenz von doing gender Rechnung trägt (vgl. ebd., S. 11). Zudem zeigt sich bei der Umsetzung, dass beim Gender Mainstreaming eine Top-Down-Strategie angewandt wird, durch die die Organisationskultur verändert werden soll, ohne

60 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

dass dafür ein Beauftragtenwesen vorgesehen ist. Auch scheint in manchen Organisationen mit der Implementierung von Gender Mainstreaming die Gleichstellung der Geschlechter als erfüllt zu gelten, sodass allein der Name bereits als Freifahrtschein gesehen wird und weitergehende Überlegungen ausbleiben (vgl. Kahlert, 2011, S. 72). Gleichwohl kann Gender Mainstreaming als Chance verstanden werden, der einen veränderten Blick hervorrufen kann. Schließlich wurde hierdurch Gender zum Thema, alle Organisationen hatten den Auftrag ihre Abläufe hinsichtlich der Genderrelevanz zu prüfen und der ausschließliche Blick auf die Benachteiligung der Frauen wurde zumindest durch den Begriff Gender für beide Geschlechter geöffnet (vgl. Meuser, 2009, S. 95). Spannend im Schulwesen ist die ganzheitliche Betrachtung auf allen Ebenen, die von der Struktur des Schulsystems, über soziale Rahmenbedingungen, Personalentwicklung und Schulleitung sowie den Unterricht selbst führt (vgl. Kahlert, 2011, S. 75). Durch das Gender Mainstreaming ergibt sich damit auch für die Schulentwicklung eine Chance. Der Blick wird nicht ausschließlich auf die Unterrichtsebene gerichtet, sondern die Schule als System wird ganzheitlich auf allen Ebenen betrachtet und einer „Genderanalyse“ (Gramespacher, 2011a, S. 12) unterzogen. Auch Budde (2011) verweist mit Rückgriff auf Helsper (1998) auf die umfassende Aufgabe, die mit einer geschlechtersensiblen Schule verbunden ist und die sich auf die gesamte Schulkultur bezieht (vgl. Budde, 2011, S. 116). Für eine solche Gendersensibilität und damit auch die Möglichkeit der Organisationsentwicklung wird auf zwei wesentliche Ressourcen gesetzt: Information und Wissen (vgl. Kahlert,2011, S. 80). Die entscheidenden Komponenten sind also das Verständnis über bestimmte Mechanismen, ein Wissen darüber und die Fähigkeit der Umsetzung – kurz „Genderkompetenz“ (Kunert-Zier, 2005), die damit als erforderliche Kompetenz für die Umsetzung von Gender Mainstreaming gilt. Nach Kahlert (2011) und auch Sobiech (2010) ist sie folglich als (Schlüssel-)Kompetenz zu sehen, die in dem organisationalen und persönlichen Umfeld von Organisationsmitgliedern zu genderkompetentem Handeln verhelfen soll. Die Auslegung des Kompetenzbegriffs ist dabei je nach Vertreter*innen sehr unterschiedlich. Sigrid Metz-Göckel und Christine Roloff verstehen Genderkompetenz beispielsweise in ähnlicher Weise wie die Fachkompetenz, indem sie sich im Wesentlichen auf den kognitiven Bereich des Genderwissens, in Form von „Grundwissen“, „Forschungsstand“ und „kontextbezogenem Detailwissen“ beziehen. In Anlehnung an Thiessen (2005) kann Genderkompetenz hingegen umfassender betrachtet werden. Sie bezieht neben der Fachkompetenz, mit der Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Individualkompetenz drei weitere Kompetenzbereiche ein, die im Zusammenhang mit Genderkompetenz gedacht werden sollen. Hinsichtlich der Methodenkompetenz wird beispielsweise überlegt, welche Methoden einen geschlechtersensiblen

Zum Forschungsfeld Schule und (Sport-)Unterricht | 61

Unterricht unterstützen würden (vgl. Kahlert, 2011, S. 81f). Auch Budde (2011) fasst Genderkompetenz weiter, indem er sich auf Kunert-Zier (2005, S. 284) beruft, die „Wollen, Wissen und Können“ als Elemente von Genderkompetenz beschreibt. Dies meint „die Verfügung über genderbezogenes Wissen (bspw. um doing gender-Prozesse, Hierarchien), genderbezogene Praxiskompetenz (geschlechtersensible Unterrichtsmethoden) und genderbezogene Selbstkompetenz (Reflexion, Entstereotypisierung)“ (Budde, 2011, S. 117). So verstanden gleicht Genderkompetenz eher einer professionellen Handlungskompetenz und deutet damit die komplexen Zusammenhänge für die Gestaltung einer geschlechtersensiblen Schule an. Die Reflexion der doing gender-Prozesse und die Ermöglichung von Vielfalt sind dabei als entscheidende Bausteine zu betrachten. Hiermit wird deutlich, auf welchen Ebenen und auf welche Art und Weise die Kategorie Geschlecht in der Schule diskutiert wird. Besonders im Vordergrund steht die Gleichberechtigung, die entweder als gleiche Chance für alle und damit nicht an bipolaren Unterscheidungen ansetzt oder eher die Beseitigung von festgestellten Benachteiligungen für das jeweilige Geschlecht in den Blick nimmt. Auf politischer Ebene wurde hierzu das Gender Mainstreaming Programm veranschlagt, dass durchaus Potenzial zur Organisationsentwicklung beinhaltet. Allerdings verweist Kahlert (2011) darauf, dass die verschiedenen Beteiligten und die verschiedenen Ebenen der Schule ein „hohes Widerstandspotenzial“ (ebd., S. 84) gegenüber dem Gender Mainstreaming aufweisen. Hierbei bleibt jedoch unklar, ob sich dieser Widerstand gegen Veränderungen im Allgemeinen oder auf Veränderungen in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit und -sensibilität bezieht. Mit der Genderkompetenz, die sich auf „Wollen, Wissen & Können“ (Kunert-Zier, 2005) bezieht, werden die Akteure im Feld in den Mittelpunkt gestellt, die unmittelbar an einer gelingenden Umsetzung einer gendersensiblen Schule beteiligt sind. Die Betonung der Reflexionsprozesse geht dabei Hand in Hand mit der Reformulierung der Koedukation als reflexive Koedukation. Dennoch scheinen konkrete Ideen bei der Umsetzung beziehungsweise beim Erwerb von Genderkompetenz auszubleiben. Es wird aber deutlich, dass für einen geschlechtersensiblen Unterricht Genderkompetenz notwendig ist, die sich auf unterschiedliche Ebenen bezieht. An dieser Stelle soll deshalb die Sportunterrichtsforschung hinsichtlich der Kategorie Geschlecht in den Blick genommen werden. So weisen Kampshoff und Scholand (2017) auf eine vielfältige Koedukationsdebatte in der sportpädagogischen Forschung hin (vgl. ebd., S. 68f). Des Weiteren wird die Besonderheit des Sportunterrichts im Vergleich zu den anderen Schulfächern betrachtet und abschließend die Erkenntnisse im Hinblick auf die Fragestellung dieser Untersuchung in Bezug gesetzt. Zudem wird in einem Exkurs die Bedeutung von Geschlecht im (Leistungs-)Sport hervorgehoben.

@23&*/,00f!K]3&.!207!d&43&*+!H"NNGJ!7,.,2Lf!7,''!9,2/!&40!,07&.&'!U)&/,!40! 7&.! ?-6.+-O7,36349! '6! 960+.6:&.'! 74'92+4&.+! W2.7&f! W4&! 7,'! 7&'! 96&729,+4:&0! ?-6.+20+&..4()+'!H:3*#!&R7#f!?#!"G$J#!14&.R&4!*,''&0!'4()!@20O()'+!&.'+/,*!8,.,**&I *&0!@2!7&0!>60@&-+&0!,2L@&43&0f!74&!72.()!74&!3&0&.&**&!V40L`).203!7&.!>6&72I 9,+460!40!7&.!?()2*&!&0+'+,07&0!'407#!Q**&.7403'!W2.7&0!&.'+&!A/-2*'&!7&.!40!7&0! GN&.!g,).&0!7&'!"N#!g,).)207&.+'!&403&L`).+&!>6&729,+460!40!7&.!?-6.+-O7,36349! &.'+!$N!g,).&!'-O+&.!,2L3&3.4LL&0#!X4'!7,)40!3,*+!&40&!'+.49+&!207!'&*R'+:&.'+O07*4I ()&!.O2/*4()&!U.&00203!:60!cO7()&0!207!g203&0!207!7,/4+!@2',//&0)O03&0I 7&0!40),*+*4()&0!M0+&.'()&47203&0!H:3*#!?6R4&()f!"N$Nf!?#!6&729,+460!,2LI 3&R.6()&0f!407&/!,2()!7,'!'6@4,*&!e&.0&0!,*'!W&'&0+*4()&!A0+&0+460!L`.!7&0!?-6.+I 20+&..4()+! 40! 7&0! X*4(9! 3&.4&+! 207! 7,'! =4&*! 4/! Q2LR.&()&0! +.,74+460&**&.! %&I '()*&()+&..6**&0!*,3!H:3*#!&R7#f!?#!60+.,'+4&.203!@2!3&$'()P.P$/!,*'!@2!&.W,.+&07&'!?()`*&.Y40I 0&0:&.),*+&0#!14&.72.()!'+&)&0!74&!?()`*&.Y400&0!40!20+&.'()4&7*4()&0!966-&.,I +4:&0!?-4&*L6./&0!207!7&.&0!40+&.,9+4:&!1&.I!207!F,.'+&**203!4/!P692'#!?4&!:&.I 3*&4()&0! ,0),07! :60! T47&6,2L@&4()0203&0! 7.&4! 20+&.'()4&7*4()&! 966-&.,+4:&! ?-4&*&!207!@&43&0!,2Lf!7,''!74&!?()`*&.Y400&0!40+&.,9+4:!,0!7&.!a1&.I!207!F,.'+&*I *203!:60!%&'()*&()+&.3.&0@&0!:6.!,**&/!40!966-&.,+4:I3&/&40'(),L+*4()!,03&*&3I +&0!?-4&*L6./&0b!H&R7#f!?#!$D^J!R&+&4*43+&0!'407#!=27&/!7&2+&+!'4()!,0f!7,'!966-&I .,+4:IW&++9,/-LI6.4&0+4&.+&!?-4&*L6./&0!7,'!86+&0@4,*!L`.!&40!3&'()*&()+'0&2+.,I *&'!c4+&40,07&.!,2LW&4'&0!H:3*#!&R7#f!?#!$D^J#!! !

! )60@&-+!7&.!.&L*&C4:&0!>6I &729,+460!HP,2*'+4()Id4&*,07f!$BB$J!,090`-L+f!W4.7!7,R&4!,*'!a?6**I=2'+,07b!)&.I ,2'3&'+&**+f!7&.!'4()!,R&.!40!W&4+&0!U&4*&0!06()!,*'!74LL&.&0+!@2/!aA'+I=2'+,07b! @&43+!207!7,/4+!0,()!W4&!:6.!F&L4@4+&!4/!140R*4(9!,2L!%&'()*&()+&.3&.&()+439&4+! 4/!?-6.+20+&..4()+!L&'+3&'+&**+!W&.7&0#!=27&/!/&.9&0!%4&hI?+`R&.!&+!,*#!H"N$GJ! ,0f!7,''!&'!40'3&',/+!,0!&/-4.4'()&0!?+274&0!@2!M0+&..4()+'-.6@&''&0!4/!?-6.+I 20+&..4()+!/,03&*0!W`.7&!207!7,''!@2'O+@*4()!?+274&0!L&)*&0!W`.7&0f!40!7&0&0! M0+&..4()+'-.6@&''&! 4/! 96&729,+4:&0! ?-6.+20+&..4()+! ,2'! 3&'()*&()+&.+)&6.&+4I '()&.!8&.'-&9+4:&!,0,*['4&.+!W&.7&0!H:3*#!&R7#f!?#!$"$J#!X&'607&.'!40!9*&40&.&0! U&4*'+274&0!7&2+&+!'4()!)4&.@2!,0f!7,''!&40!7&+,4**4&.+&.!X*4(9!,2L!3&$'()(#'3#"!40! V.W&4+&.203!/4+!.'3&$'()(#'3#"!,*'!3&W400R.403&07!&.'()&40+#!A0!74&'&0!?+274&0! W4.7!7,R&4!&0+W&7&.!7&.!P692'!,2L!74&!e&).9.OL+&!'6W4&!7&.&0!1,07&*0!67&.!,2L! 74&!?()`*&.Y400&0!3&*&3+#!Q**&.7403'!@&43+!'4()!40!74&'&0!?+274&0!74&!8&.'-&9+4:&! ,2L!.'3&$'()(#'3#"!7,R&4!W&043!,2'74LL&.&0@4&.+#!2'3&$'()(#'3#"!W4.7!)4&.R&4! &)&.! ,*'! iR&.*,3&.203! :60! ,07&.&0! 8.6@&''&0! :&.'+,07&0f! '6! 7,''! ?4+2,+460&0! '+,++7&''&0!3&'()*&()+'0&2+.,*!:&.*,2L&0#!14&.72.()!L407&+!&0+W&7&.!3&$'()(#'3#"!

Zum Forschungsfeld Schule und (Sport-)Unterricht | 83

statt oder Geschlecht wird nicht relevant gesetzt, sodass undoing gender als Gegenfigur konzipiert wird. Durch diese Darstellung wird deutlich, dass besonders eine aktuelle Studie zu Geschlecht im Sportunterricht fehlt, die den Praxisvollzug in den Blick nimmt und dabei nicht ausschließlich das Lehrer*innen- oder Schüler*innenhandeln fokussiert. Mit einer praxistheoretischen Perspektivierung wird Geschlecht als soziale Praxis begriffen und nicht als Merkmal von Individuen, sodass sich die Frage nach einer Engführung hinsichtlich der Betrachtung von Lehrer*innen oder Schüler*innen nicht stellt. Mit Goffman (1971) gesprochen: „Es geht hier nicht um Menschen und ihre Situationen, sondern um Situationen und ihre Menschen“ (ebd., S. 9). Zudem stellt sich immer ein wechselseitiger Bezug von Struktur und Praxis dar, wodurch Geschlecht immer erst im interaktiven Vollzug hergestellt wird und durch einen jeweiligen interaktiven Anschluss die Bedeutung entfaltet. Hierbei bieten geschlechtliche Strukturen die Möglichkeit der Aktualisierung, die aber nicht zwangsläufig auf der Mikroebene der Interaktion im Vollzug zum Tragen kommen müssen. Wie eingangs dargelegt, stellen sich Schule und Unterricht auf struktureller Ebene als indifferent gegenüber sozialen Differenzierungen dar, sich aber dennoch eine anhaltende Relevanz von Geschlechterdifferenzierungen auf unterschiedlichen Ebenen der Institution verzeichnen lässt. Der Sportunterricht erscheint hierbei zudem eine Sonderstellung einzunehmen, da sich eine „Persistenz geschlechtsbezogener Differenzsetzungen“ (Gieß-Stüber & Sobiech, 2017) wie in keinem anderen Unterrichtsfach aufweisen lässt. Mit einem Blick auf die materielle Vollzugswirklichkeit eröffnet sich hierbei die Chance die Zusammenhänge zwischen der gesellschaftlich verankerten Zweigeschlechtlichkeit, den dargestellten institutionellen Strukturen und dem außerunterrichtlichen Bezugsfeld des Sports nicht außen vor zu lassen. Es zeigt sich damit eine verwobene Struktur durch eine schulische raum-zeitliche-Strukturierung, durch den Bezug zu außerunterrichtlichem Sport und deren Materialien, die eine Aktualisierung von Geschlecht nahelegen, obwohl pädagogische Praktiken durch die Vermittlung von Wissen, der Ermöglichung von Bewegungserfahrung und Lerngelegenheiten schulstrukturell vordergründig sein müssten. Mit einem praxistheoretischen Blick wird das Augenmerk auf die Herstellung von sozialer Ordnung gelegt, bei der es besonders interessant erscheint, inwiefern Geschlecht hierbei als Bezugsrahmen auftaucht und dadurch aktualisiert wird. Hierdurch wird nicht danach gefragt, welche Relevanz Geschlecht im Sportunterricht hat und welche Geschlechterunterschiede es diesbezüglich gibt, sondern wie Geschlechterdifferenzierungen und konstruktionen praktisch aufgebaut werden. Daraus ergibt sich, dass der Blick sowohl auf routinisierte Vollzüge, die für wiederholende, stabile Praktiken stehen, sowie auf Modulationen in Form von Irritationen oder sogar Aushandlungen

84 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

geschärft wird. Es werden dadurch auch solche Situationen extrahiert, in denen Geschlecht unverdächtig und selbstverständlich als Bezugsrahmen dient, auch wenn diese keine Dramatisierung von Geschlecht zur Folge haben. Zudem bietet die praxistheoretische Perspektive einen differenzierteren Blick auf doing und undoing gender. Indem doings als Aktivitäten von Individuen eingeordnet werden, die sich damit immer in ein eigendynamisches Geschehen einordnen und sich hieraus unterschiedliche Aktivitätsniveaus ergeben, die mehr oder weniger von der bereits laufenden Praxis bestimmt sind, kann eine Verbindung zwischen dem materiellen Arrangement und den Aktivitäten der Individuen geschaffen werden. In diesem Zusammenhang stellt sich undoing gender ebenfalls als ein doing dar, wodurch undoing gender nicht ausschließlich in geschlechtsneutralen Situationen aufgeht. Eine ausführliche Darstellung dieser differenzierten Betrachtung und der sich daraus ergebenden Beobachtungsmöglichkeit von undoing gender werden im anschließend Kapitel 4.1.2 diskutiert. Es bleibt hervorzuheben, dass es mit einem praxistheoretischen Blick auf Sportunterricht um die aufeinander bezogenen Praktiken geht, die sich immer in einem jeweiligen spezifischen, materiellen Arrangement konstituieren. Der Blick fällt damit neben der sprachlichen Verfasstheit der Situation immer auch auf den Raum, die darin enthaltenden Dinge und Materialien und auf die verwendeten Zeichen und Körperbewegungen, durch die eine soziale Ordnung hervorgebracht wird. Diese Betrachtung stellt sich als besonders gewinnbringend heraus, um die Verschränkung der ablaufenden Praktiken mit geschlechtskonstruierenden Praktiken ins Blickfeld zu nehmen. Folglich eröffnet sich ein Verständnis über diese Zusammenhänge, durch die Geschlecht im Sportunterricht situativ in den Vordergrund rückt. Es kann dadurch für solche Situationen sensibilisiert werden, wodurch die Grundvoraussetzung für Genderkompetenz geschaffen wird, die Sobiech (2010) als „Schlüsselqualifikation“ für (Sport-)Lehrer*innen bezeichnet.

!

C' D+%2-A*01#+'E2"3+?&*2"' ! ! c4+!74&'&/!>,-4+&*!W4.7!5!W4&!L`.!W4''&0'(),L+*4()&!Q.R&4+&0!`R*4()!5!7,'!/&+)6I 74'()&! T6.3&)&0! 7,.3&*&3+! 207! R&3.`07&+#! F2.()! 74&! :6.,03&'+&**+&0! +)&6.&+4I '()&0!iR&.*&3203&0!W2.7&!R&.&4+'!&40&!'-&@4L4'()&!?4()+!,2L!?6@4,*4+O+!6LL&0R,.+f! 74&!)4&.72.()!&40&!V406.70203!@2!&40&/!P6.'()203'-,.,743/,!200]+43!W&.7&0! *O''+#!?6!:&.W&4'+!R&.&4+'!7,'!aW4&b!7&.!P.,3&'+&**203!,2L!&40&0!Z2,*4+,+4:I.&960I '+.29+4:&0!=23,03f!72.()!7&0!74&!/,+&.4&**&!T6**@23'W4.9*4()9&4+!40!7&0!X*4(9!3&I 06//&0!207!40!74&'&/!=2',//&0),03!7&.!P.,3&!0,()3&3,03&0!W&.7&0!9,00f! M$#!%&'()*&()+!4/!?-6.+20+&..4()+!,9+2,*4'4&.+!W4.7#!X&:6.!74&!7,/4+!@2',//&0I )O03&07&0!/&+)674'()&0!V0+'()&47203!,2L3&@&43+!W&.7&0f!'6**!&'!,R&.!@20O()'+! 2/!74&!F4'92''460!:60!/&+)676*634'()&0!P.,3&0!3&)&0f!74&!'4()!,0!74&!,03&*&3+&! -.,C4'+)&6.&+4'()&!8&.'-&9+4:4&.203!,0'()*4&h&0#! !

! *+)6#1'1"/#!)'$!:1+$%&.-"$&)'(.-"!.-2! /&+!4#+&;'(-/$!41-!(+/#!.-2!#,*/+/#!!

! A0!7&.!Z2,*4+,+4:&0!P6.'()203!+,2()+!'()0&**!&40&!U.&00203!:60!U)&6.4&!207!V/I -4.4&!,2Lf!74&!&40&!=26.70203!@2!7&.!&40&0!67&.!,07&.&0!?&4+&!:&.*,03+#!A0!74&'&/! ?400&!W4.7!74&!c]3*4()9&4+!&40&.!&/-4.4&L.&4&0!U)&6.4&!67&.!,2()!&40&.!+)&6.4&I L.&4&0!V/-4.4&!'233&.4&.+#!%&.,7&!,R&.!40!7&.!Z2,*4+,+4:&0!?6@4,*L6.'()203!W4.7! 74&'&.! F2,*4'/2'! *O03'+! 04()+! /&).! '6! '+.&03! R&+.,()+&+f! '607&.0! 4/! %&3&0+&4*! )O2L43!,2()!,*'!40&40,07&.!:&.W6R&0!3&'&)&0!H:3*#!2#,#!>,*+)6LLf!"N$.O)09&! n! ?()&LL&.f! "N$SJ#! k4()+! 2/'60'+! -*O74&.&0!?+.`R403!&+!,*#!H"N$SJ!7,L`.f!7,''!3&.,7&!40!7&.!Q2L*]'203!74&'&.!F4()6I +6/4&f!,*'6!7&.!T&.R407203!:60!U)&6.4&f!V/-4.4&!207!,2()!7&.!c&+)67&f!74&!w2,I *4+O+!Z2,*4+,+4:&.!?6@4,*L6.'()203&0!'+&(9+#!?4&!L6./2*4&.&0!'63,.!74&!a+)&6.&+4'()&! F2.()7.403203b!4/!140R*4(9!,2L!&40&!'6*()&!T&.R407203!,*'!&40!%`+&9.4+&.42/! Z2,*4+,+4:&.!?6@4,*L6.'()203!H:3*#!&R7#f!"N$Sf!?#!BNLJ#!! Q2'!74&'&/!%.207!*4&3+!&'!0,)&!'4()!/4+!7&0!X&@&4()0203&0!U)&6.4&!207!V/I -4.4&!207!7&.!Q2L*]'203!74&'&'!F2,*4'/2'!@2!R&'()OL+43&0#!X&'607&.'!4/!140R*4(9!

!

86 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

auf eine praxeologische Forschungshaltung und auch eine wiederkehrende Problematik innerhalb der Geschlechterforschung, die Reifizierung. Es stellt sich also die Frage, inwiefern eine theoretische Auseinandersetzung mit Geschlecht im Zusammenspiel mit der eigenen stark verwobenen Geschlechtlichkeit als Forscherin nur eine weitere Verfestigung von machtvollen Diskursen über Zweigeschlechtlichkeit darstellt oder inwiefern die theoretischen Bezüge und die Auseinandersetzung mit einer Aktualisierung von Geschlecht eine Notwendigkeit im Hinblick einer Sensibilisierung und damit auch einer nicht gewollten permanenten Fortschreibung ist. Dafür gilt es zunächst, einen differenzierten Blick darauf zu werfen, was unter Theoriehaltigkeit qualitativer Sozialforschung zu verstehen ist und welchen Stellenwert in diesem Zusammenhang die Empirie einnimmt. Denn laut Hirschauer (2015) kann der empirischen Forschung eine Theoriebestimmtheit vorgehalten werden, in der die Bedeutung des Vorwissens (Meinefeld, 1997), aber auch die Begriffsabhängigkeit der Forschung (Nassehi & Sake, 2002) wesentliche Überlegungen auszumachen scheinen, die in einer „Theoriegeladenheit aller Beobachtung“ (Hirschauer, 2015, S. 167) münden. Nicht zu Letzt könnte man sich daran anschließend die Frage stellen, „warum überhaupt noch geforscht werden soll, wenn sich jedes empirische Ergebnis ,monokausal‘ auf eine theoretische Optik zurechnen lassen soll“ (Hirschauer, 2015, S. 168). Dennoch ist laut Strübing et al. (2018) eine theoretische Durchdringung unabdingbar. Denn „erst der sensible Umgang mit Theorieperspektiven [erlaubt es], aus der Fülle empirischer Eindrücke Auswahlen zu treffen sowie unvermeidliche Beobachtungslücken gedanklich zu überbrücken“ (ebd., S. 91). Gleichzeitig kann erst die tiefe Verstrickung ins empirische Material die Relevanz theoretischer Perspektiven aufzeigen. Theoriebezüge haben also die Aufgabe, dafür zu sensibilisieren, was es im Feld zu entdecken gibt, ohne dass diese theoretischen Bezüge eins zu eins auf die empirischen Daten übertragen werden und man sozusagen blind für Neues wird (vgl. ebd., S.91f). Auch Kalthoff (2015) bezeichnet Theorien vielmehr als beobachtungsleitende Annahmen, mit denen der Gegenstand der soziologischen Forschung überhaupt erst benannt werden kann. Es ist also unabdingbar zunächst ein theoretisches Verständnis darüber zu explizieren, wie die Beschaffenheit sozialer Ordnung soziologisch zu verstehen und damit auch zu erforschen ist. Die soziologischen Forschungsmethoden setzen dabei „die theoretischen Annahmen über die soziale Welt um, die sie empirisch-theoretisch beobachten“ (ebd., S. 12). Die Aufgabe der Forschungsmethoden ist es dabei, die Ergebnisse zu reflektieren, die entweder durch die theoretischen Annahmen Sinn ergeben oder auch für Irritation sorgen können (vgl. ebd., S. 12). So formuliert Hirschauer (2015) dazu: „Theorien haben Erfahrungen erst dann wirklich gemacht, wenn sie selbst verändert aus

Method(olog)ische Konzeption | 87

ihnen hervorgehen“ (Hirschauer, 2015, S. 176, H.i.O.). Zusätzlich sorgen theoretische Konzepte immer für eine spezifische Optik, mit der die soziale Welt betrachtet wird (vgl. Strübing et al., 2018, S. 92). Damit geht einher, dass jede Betrachtung immer nur eine Seite der Medaille widerspiegeln kann und damit anderes verborgen bleibt und als blinder Fleck zu betrachten ist. So weist Kalthoff (2015) im Sinne einer „theoretischen Empirie“ darauf hin, dass Theorien nicht dafür stehen, Gesellschaft oder gesellschaftliche Umstände realistisch abzubilden. Sie dürfen nicht als wörtliche Übersetzungen von Gesellschaft gelten, sondern als Vorschläge, diese mit theoretischen Begrifflichkeiten zu sehen und zu begreifen (vgl. ebd., S. 15). Theorie und Empirie fallen also auf dem Begriff der Beobachtung zusammen. Eine Beobachtung ist damit immer eine Bezeichnung im Rahmen einer Unterscheidung, die es gilt, sichtbar zu machen und reflexiv zu handhaben (vgl. Idel, Rabenstein & Ricken, 2017, S. 145). Eine logische Konsequenz, die sich dadurch ergibt, ist eine „abduktive Forschungshaltung15“ (Strübing et al., 2018, S. 92; Reichertz, 2003), in der induktive, abduktive und deduktive Modi den Prozess abwechseln (vgl. Strübing et al., 2018, S. 92). An dieser Stelle erscheint mir eine praxeologische Forschungshaltung besonders geeignet, um dieser Verzahnung Rechnung tragen zu können. Denn in ihr ist eben dies bereits angelegt. So bezeichnet Schmidt (2018) den sogenannten practice turn gleichzeitig als empirical turn, der seine Theorie-Entwicklung aus der empirischen Forschung betreibt. Auch hier ist das Entgegenwirken einer reinen Trennung von theoretischen und empirischen Arbeiten eines der wichtigsten Punkte. Aus diesem Grund verfolgt die Praxeologisierung eine empirische Verunsicherung, Destabilisierung und Erneuerung der existierenden theoretischen Konzepte und Konstrukte (vgl. ebd., S. 21f). Als wesentliche Ausgangslage wird dabei Beobachtung immer als Beobachtung 2. Ordnung aufgefasst. Die praktischalltäglichen Konstruktions- und Verstehensprozesse der Teilnehmer*innen werden damit als Konstruktionen 1. Ordnung verstanden, die aufgenommen werden und auf deren Grundlage Konzepte und Beschreibungen entwickelt werden (vgl. ebd., S. 23). Angelehnt an die Ethnomethodologie steht damit das praktische Tun der Akteure im Mittelpunkt und im Zusammenhang mit der Materialität sozialer Praxis durch Körper und Dinge, die materielle Vollzugswirklichkeit. Es geht also darum,

15 Ich möchte an dieser Stelle darauf verweisen, dass mit der abduktiven Forschungshaltung eine Grundhaltung während des gesamten Forschungsprozesses gemeint ist. Im Verlauf des Kapitels wird diese Haltung immer wieder aufgegriffen und beispielsweise im Hinblick des Umgangs mit Geschlechtertheorien, aber auch im Zuge des Analyseprozesses im Umgang mit dem empirischen Material dargelegt.

88 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

die Hervorbringung und Konstitution dieser materiellen Vollzugswirklichkeit zu rekonstruieren. An dieser Stelle kommt eine weitere Besonderheit der Praxistheorie auf das Tableau, nämlich eine übliche Entgegensetzung von Struktur und Handlung aufzubrechen und sowohl eine starke Routinisiertheit von Praktiken durch eingeschriebene Verkörperungen als auch die prinzipielle Offenheit mit einer einhergehenden Brechung oder auch Modulation in der Praxis in den Blick zu nehmen. Der Begriff der Struktur bezieht sich dabei auf die Historizität von Praktiken und eine damit einhergehende Tendenz der Stabilität und Wiederholung von Praktiken, wohingegen das Pendent der Handlung sich auf intentionale Akte der Akteure bezieht. Der Begriff der Handlung orientiert sich damit also an einem sehr stark intentionalistischen Verständnis, welches damit eine eingeschränkte Sicht auf Handlungstheorien wirft. So verstanden verweisen Handlungen auf einen bewussten Akt, der ausschließlich im Kopf der Handelnden stattfindet. Der Begriff der Handlung wird demnach an dieser Stelle enggeführt und als Extremauslegung in dieser Richtung verwendet. Die durch die Praxistheorie hervorgehobene Chance der Zusammenbringung von Struktur und Handlung und einer damit verbundenen Auflösung des Körper-Geist-Dualismus lässt damit ebenfalls gewinnbringende Ansätze beispielsweise des Pragmatismus16 für diese Erklärung außen vor. Um diese Chance der Zusammenbringung deutlich zu machen, werde ich mich ebenfalls auf diese Engführung der Begriffe Handlung und Struktur, begriffen als gegenüberliegende Pole, beziehen, um die gewinnbringende praxistheoretische Perspektive der Zusammenbringung hervorheben zu können. 4.1.1 Zur Zusammenbringung von Struktur und Handlung und den Auswirkungen auf die Beobachter*innenperspektive „Praktiken bestehen bereits, bevor der/die Einzelne handelt, und ermöglichen dieses Handeln ebenso wie sie es strukturieren und einschränken. Sie werden nicht nur von uns ausgeführt, sie existieren auch um uns herum und historisch vor uns. Sie zirkulieren unabhängig

16 Ich möchte hier u.a. auf Georg Herbert Mead und seinen Schüler Herbert Blumer verweisen, die mit dem symbolischen Interaktionismus bereits eine Annäherung von Handlung und Struktur durch ein Verständnis einer symbolisch vermittelten Wirklichkeit schaffen. So nennt Blumer (1973) beispielsweise als Prämisse für den symbolischen Interaktionismus die Bedeutung der „Dinge“ auf deren Grundlage die Menschen handeln, aus denen sie Bedeutung ableiten, und die in einem interpretativen Prozess durch die Auseinandersetzung gehandhabt und abgeändert werden kann (vgl. Blumer, 1973, S. 84).

Method(olog)ische Konzeption | 89

von einzelnen Subjekten und sind dennoch davon abhängig, von ihnen aus- und aufgeführt zu werden.“ (Schäfer 2016, S. 12; H.i.O.)

Dieses Zitat von Hilmar Schäfer zeigt, dass nicht ausschließlich die Gesellschaft bzw. Strukturen, die Entwicklung des Individuums beeinflussen und bestimmen, ebenso wenig, dass sich ausschließlich aus individuellen Handlungen das Soziale zusammensetzt. Sozialität und Individualität sind vielmehr ein Resultat aus Praktiken. Die Akteure reproduzieren dabei die Bedingungen für ihr Handeln in ihrer Praxis. Handlungen werden somit nicht isoliert betrachtet, sondern immer in einem Zusammenhang (vgl. ebd., S. 11f). Wie auch schon mit Kapitel 2.3 aufgegriffen wurde, wird der Begriff der Handlung im Rahmen der Praxistheorie anders gefasst. Brümmer (2015) beschreibt hierzu, dass Aktivitäten, die durch Praktiken konstituiert werden, durchaus als Handlungen bezeichnet werden und demnach auch als wichtiger Baustein von Praktiken zu sehen sind. Es geht vielmehr um die Verortung des Sinns von Handlungen, die nicht ausschließlich auf bewussten Entscheidungen einzelner Akteure beruhen, sondern sich Handlungen im Rahmen von vorstrukturierten Verlaufsformen abspielen – in Praktiken. Handelnde können sich in diesen Praktiken in ihrem Tun verstricken und sich an ihnen orientieren. Daraus abgeleitet beziehen diese Handlungen dann ihre intentionale Gerichtetheit, wodurch die Intentionalität deutlich anders gelagert verstanden wird. Praktiken machen damit bestimmte Dinge überhaupt erst möglich und sinnhaft (vgl. ebd., S. 62f). So verstanden beziehen sich Praktiken immer auf einen Zusammenhang von Handlungen und Strukturen: „Die Identität einer Praxis ist demnach abhängig von ihrem Verhältnis zu anderen (auch vergangenen) Praktiken und von ihrem sozialen Kontext, in dem sie auftritt“ (Schäfer, 2016, S. 11). Praxis kann nach Hörning und Reuter (2004) auch als Scharnier zwischen dem Subjekt und den Strukturen verstanden werden. Auf der einen Seite sind in der Praxis Erfahrungen, Erkenntnisse und Wissen eingelagert, auf der anderen Seite werden die Erfahrungen, Erkenntnisse und das Wissen immer wieder neu in die Praxis eingebracht, erlebt und mobilisiert (vgl. ebd., S. 13). Damit richten sich Praxistheorien gegen objektivistische (kollektivistische, holistische, strukturalistische) und auch gegen subjektivistische (individualistische, atomistische, intentionalistische) Erklärungen des Sozialen. Stattdessen wird ein Zwischenweg zwischen methodologischem Kollektivismus und methodologischem Individualismus gewählt (vgl. Alkemeyer & Buschmann, 2016, S. 116). Lag also bisher der Fokus entweder auf einer makrosoziologischen Perspektive des Sozialen und damit auf verhaltensbestimmenden Kontexten wie Strukturen oder Systemen oder auf mikrosoziologischen Ansätzen und damit auf dem (kreativen) Handeln und vor allem auf den Interaktionen von Individuen, aus denen Muster und Routinen, aber eben auch Neues entstehen

90 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

kann, wird in Praxistheorien versucht diese Makro-Mikro-Unterscheidung aufzulösen und miteinander zu vereinen (vgl. ebd., S. 118). „Sie gehen weder von einer präpraktischen Existenz sozialer Ordnungen noch von individuellen Handlungen aus, sondern richten ihr Interesse auf das Ordnen des Sozialen in den Geflechten alltäglicher Praktiken, an denen nicht nur Menschen und (ihre) Körper, sondern auch Dinge und kulturelle Artefakte teilhaben“ (Alkemeyer & Buschmann, 2016, S.118, H.i.O.).

Diese Betonung der Verknüpfung von Handlung und Struktur, Mikro- und Makrosoziologie und der damit verbundenen relativen Offenheit und Geschlossenheit der Praxis fällt bei unterschiedlichen Autor*innen17 dabei different aus (vgl. Reckwitz, 2003, S. 294). Hierzu verweist auch Brümmer (2015) darauf, dass u.a. in dem Aufsatz von Andreas Reckwitz (2003) über die Grundelemente sozialer Praktiken zwar diese zwei Strukturmerkmale einer Routinisiertheit und einer Unberechenbarkeit interpretativer Unbestimmtheit beschrieben werden (vgl. ebd., S. 294), aber der Autor ähnlich wie Schmidt und Schatzki Praktiken als gelingende Verkettungen von Handlungen skizziert, die auf der Basis impliziter Wissensbestände und praktischer Verstehensfähigkeiten als Routine dargestellt werden (vgl. Brümmer, 2015, S. 66f). Damit wird vor allem die Routinisiertheit betont, die stark an strukturalistische Ansätze anschließt. Praktiken werden dann eher wie ein regelhaftes Spiel begriffen, das die individuellen Handlungen und Aktionen der einzelnen Spieler übergreift. Die Rolle der Dinge, Settings oder auch der Infrastruktur wird dann als „überdauernde Depots von Gebrauchsgewährleistungen, Zwecksetzungen und soziale Regeln“ (Alkemeyer & Buschmann, 2016, S. 121) begriffen, die Gebrauchsweisen, Abläufe und Tätigkeiten kanalisieren und auch stabilisieren. Auch die beteiligten Körper treten dabei eher als „geformte skilled bodies, als Träger von Körpertechniken, Verhaltensroutinen und einem Können“ (ebd., S. 121f, H.i.O.) auf, wodurch sie die Befähigung erlangen, Praktiken am Laufen zu halten. Die Akteure werden damit eher als den Praktiken erliegend dargestellt, die abhängig von den Strukturen und Mustern sind (vgl. Alkemeyer & Buschmann, 2016, S. 121ff). So betrachtet würde sich der tradierte Körper-GeistDualismus nicht auflösen, sondern nur verschieben. Die frühere mentalistische Engführung von intentionalistisch ausgerichteten Handlungstheorien, würde zugunsten von Routinen und präreflexiv ablaufenden Tätigkeiten weichen, die auf

17 Als jeweilige Pole können dabei die Arbeiten von Bourdieu für ein Hervorheben der Routinisiertheit und die Arbeiten von Garfinkel, mit einem Fokus auf die Vollzugswirklichkeit genannt werden.

Method(olog)ische Konzeption | 91

impliziten Wahrnehmungs- und Deutungsschemata beruhen (vgl. ebd., S. 122). Zudem bliebe in dieser Perspektive wenig Raum für Kreativität und unberechenbare Momente. Besonders im Sportkontext würde eine solche Sicht zu kurz greifen. Denn was für ein Verständnis von Sport hätte man, wenn jegliches Handeln routiniert ablaufen würde und es keinen Platz für kreative Momente im Sportspiel gäbe. Zumal es genau solche kreativen, unvorhersehbaren Spielzüge sind, die letztlich die Zuschauer an den Bildschirmen fesseln und für Spannung sorgen. Wird hingegen ein eben solches Verständnis von Praxis mit dem Fokus auf der Vollzugswirklichkeit und den kreativen Ausführungen der Akteure angelegt, können eher Anleihen bei der Ethnomethodologie erkannt werden. Diese sich stark unterscheidende Perspektive, die sich mikrosoziologischen Ansätzen anschließt, fokussiert die prozessuale Herstellung sozialer Ordnung in interaktiven Vollzügen. Es geht dabei vor allem um die analytische Beschreibung des Wie der Vollzugswirklichkeit. Es werden also nicht Typisierungen, Muster und Routinen herausgearbeitet, sondern Praxis wird als eine gemeinsam zu leistende Hervorbringung verstanden. Es geht darum, die sprachlichen und körperlichen Aktivitäten zu beobachten, mit denen die Teilnehmer*innen in unterschiedlichen Settings ihre Aktionen koordinieren und zuordenbar (accountable) machen. Praxis wird hier als ein sich entfaltendes Vollzugsgeschehen verstanden, das durch prinzipiell störanfällige Interaktionen gekennzeichnet ist. Eine „Modellierung der Praxis“, also die flexible Adaption an fortlaufend sich verändernde Situationen und auch die Neugestaltung rücken damit ins Zentrum der Analysen (vgl. ebd., S. 123f). Je nachdem welches Praxisverständnis angelegt wird, rückt also anscheinend entweder die eine oder andere Seite der Praxis in den Vordergrund, wodurch das gewollte Zusammenbringen von Handlung und Struktur immer nur teilweise eingelöst wird. Je nach Beobachter*innenperspektive wird Unterschiedliches scharf gestellt: Im ersten Fall wird das Teilnehmer*innenhandeln von der zu analysierenden Praktik hinsichtlich der Anpassung an deren Anforderungen und normative Erwartungen aus beobachtet. Im zweiten Fall wird den Teilnehmer*innen quasi über die Schulter geguckt, um deren Bewältigungsstrategien zu erfassen und zu beschreiben (vgl. Alkemeyer & Buschmann, 2016, S. 126). Je nach Perspektive besteht also die Gefahr, die jeweils andere Seite zu vernachlässigen. Dennoch ist laut Hirschauer (2016) „das Konzept der Praktiken etwas flexibler darin, zwischen ,Mikro‘ und ,Makro‘ zu ,zoomen‘“ (ebd., S. 60). Dieser Zoom kann dann je nach Fragestellung variabel gestaltet werden (vgl. ebd., S. 61). Auch Alkemeyer & Buschmann (2016) schlagen vor, die jeweilige Perspektive nicht gegeneinander auszuspielen, sondern sie aufeinander zu beziehen, indem unterschiedliche Aspekte scharfgestellt werden, sie sich aber auch gegenseitig relativieren, irritieren

92 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

und stimulieren können (vgl. ebd., S. 127). „Für jede der beiden Perspektiven bildet dann die jeweils andere einen Referenzrahmen der Beobachtung“ (ebd., S. 127). Die Vorstrukturiertheit und damit die Routinisiertheit der Praxis, aber auch die Vollzugsoffenheit dürfen also nicht außer Acht gelassen werden. Alkemeyer & Buschmann (2016) beschreiben deshalb, dass es darum geht, „über die systematisch-empirische-Verschränkung von Theater- und Teilnehmerperspektive empirisch sichtbar zu machen, wie soziale Ordnungen von ihren Teilnehmern fortlaufend erzeugt und aufrechterhalten werden und wie die Teilnehmer im selben Prozess Befähigungen des (praktischen) Erkennens, Deutens und Beurteilens sowie eine Bedeutung oder Identität erlangen, die ihnen verschiedene Formen und Modi der (engagierten) Teilnahme ermöglichen – vom routinierten Mitmachen über reflektiertes Eingreifen bis hin zu kritischen Stellungnahmen oder Ausstieg“ (ebd., S. 129).

Hierbei wird durch die verschiedenen Formen und Modi der Teilnahme genau auf diese Verbindung verwiesen, wodurch der Blick auf Praxis durchaus geschärft wird. Mit einer Darstellung verschiedener Aktivitätsniveaus der Teilnehmer*innen in einem Kontinuum (vgl. Kapitel 2.3) hat Hirschauer (2016) dieses Zusammenbringen noch weiter ausdifferenziert und die Verbindung von Handlung und Verhalten hinsichtlich präpraktisch vorauszusetzender Muster und kreativen Umoder Neugestaltung im Vollzug durch die Teilnehmer*innen aufgezeigt. Er verweist darauf, dass etwas explizit getan oder konterkariert werden kann (handeln i.e.S.), routiniert vollzogen/unterbunden oder beiläufig mitvollzogen/nicht entstehen gelassen werden kann, bis hin zu der Möglichkeit etwas unbeachtet liegen zu lassen (z.B. ein Thema nicht aufzugreifen). Mit dieser Darstellung wird aufgegriffen, dass die Teilnehmer*innen sich nicht einfach nur gegebenen situativen Bedingungen gegenübersehen, sondern sich das eigene Tun vielmehr in ein bereits laufendes eigendynamisches Geschehen einfügt. Es wird also sowohl auf Handlungen gesetzt, die durch eine „Bewusstseinsbeteiligung, Selbststeuerung, Initiative, Impulsivität, und affektiven Engagiertheit“ gekennzeichnet ist, aber eben auch eine Zurücknahme der Aktivität durch eine ,Koaktivität‘ mit Artefakten, situativen Settings und selbsttätiger körperlicher Prozesse mit einbezieht. Hierdurch kann der Blick dafür geöffnet werden, dass einerseits bewusstes unternehmerisches Handeln nicht außen vor gelassen wird, aber andererseits vorstrukturierte situative Gelegenheiten Menschen auch handeln lassen. Bestimmte Umstände können bestimmte Handlungen nahelegen, die ihre Machbarkeit erst im Zusammenspiel mit beteiligten Dingen, Menschen und Zeichen erfahren (vgl. ebd., S. 49ff). Es besteht also die Möglichkeit, durch vorstrukturierte Settings routiniert

Method(olog)ische Konzeption | 93

zu handeln, aber eben auch die Möglichkeit für Irritationen, Um- oder Neudeutungen. Diese Überlegungen zu den Perspektivierungen der Praxis und dem damit zusammenhängenden Blick als Forscher*in auf die beobachtbare Praxis führt zu einer Sensibilisierung und kann helfen, nicht zu einseitig auf das Geschehen zu Blicken. Wenn doing gender also als spezifische Aktivitäten angesehen wird und sich diese Aktivitäten aus Sicht der Teilnehmer*innen sowohl aktiv als auch passiv zeigen können, kann das zu einer Perspektiverweiterung führen. Wie bereits in Kapitel 2.4 ausführlicher beschrieben, ist es hierdurch möglich, doing gender und undoing gender nicht als gegenüberliegende Pole zu betrachten, wodurch das Herstellen von Geschlecht entweder aktiv vollzogen oder aktiv unterbunden werden würde. Es eröffnet sich vielmehr eine Vielschichtigkeit von doing gender-Prozessen, die durch unterschiedliche Aktivitätsniveaus in der Praxis hervortreten können. Die Teilnehmer*innen können durch eine hohe Eigeninitiative bewusst zur Herstellung von Geschlecht beitragen oder bewusst diese zurückweisen, es zeigen sich aber auch Facetten von doing und undoing gender, in denen die Aktivität der Teilnehmer*innen absinkt und sie sich dadurch vermehrt der Praxis überlassen und die Situation durch vorstrukturierte Settings damit das Tun der Teilnehmer*innen bedingt und in gewisser Weise vorgibt. Diese Perspektiverweiterung soll in diesem Zusammenhang aber nicht als Beobachtungsfolie verstanden werden, durch die die unterschiedlichen Grade von Aktivität in der Praxis gesucht und mit Beispielen gefüllt werden. Es soll helfen, vorstrukturierte Settings im Blick zu behalten und die sich daraus ergebende materielle Vollzugswirklichkeit zu beobachten und zu beschreiben. Denn gerade die stark verankerte Zweigeschlechtlichkeit spielt bei der Analyse hinsichtlich der Aktualisierungen von Geschlecht eine besondere Rolle. So kann es vorkommen, dass einerseits der Fokus auf der Umgestaltung und Modulation von Praktiken liegt, an anderer Stelle aber vermehrt routinisierte Vollzüge in den Blick geraten. Aus diesem Grund befasst sich das nächste Kapitel mit der inbegriffenen Besonderheit jeder Geschlechterforschung – der großen Bedeutung von routinisierten Darstellungen und vorstrukturierten Mustern und der erhöhten Gefahr einer empirischen Reifizierung bekannter Geschlechtertheorien. Eine so verstandene Betrachtung der materiellen Vollzugswirklichkeit, orientiert sich damit an einer mikrosoziologischen Perspektivierung, da neben der Historizität der Praktiken und den eingeschriebenen Mustern entscheidend ist, wie sich die Praxis durch das Tun der Teilnehmer*innen ausgestaltet. Dennoch spielt ein eigendynamisches Geschehen von laufenden Praktiken immer eine Rolle, die deshalb mitgedacht werden müssen. Wie in vorangehenden Kapiteln dargestellt, zeigt sich dies beispielsweise in Situationen, in denen Strukturen aus dem

94 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

Leistungssport in den Sportunterricht übertragen werden und dort in der Praxis relevant gesetzt werden. 4.1.2 Zur (Re-)Produktion einer Geschlechterordnung Wie zuvor angedeutet, kommen bei der Betrachtung von geschlechtskonstruierenden Praktiken und deren Aktualisierung einige Besonderheiten ins Spiel. Die tiefe Verankerung der Zweigeschlechtlichkeit mit einer zusätzlichen institutionellen Rahmung weist eine starke Beständigkeit auf, die sich historisch stabil ausgestaltet. Der Stellenwert von Routinen bei der Herstellung von Geschlecht und der damit zusammenhängenden (Re-)Produktion von Geschlechterordnungen scheint dadurch zunächst höher zu sein, sodass eingeschriebene Muster zu einer ständigen Wiederholung einladen. So verstanden stellt sich Gender als Strukturkategorie dar, der ein Wissen um die zweigeschlechtliche Ordnung zugrunde liegt, die allen Teilnehmer*innen als grundlegendes Wissen zugänglich ist. So weist auch Judith von der Heyde (2018) darauf hin, dass der Strukturkategorie Gender je nach Kontext ein Wissen um angemessene Praxis immanent ist und sich so ein starres Ordnungssystem zeigt. Dieses Ordnungssystem stellt sich zudem als stabil gegenüber widersprüchlichem Verhalten dar, da dieses als störend herausgestellt wird (vgl. ebd., S. 327f). Wenn also West & Zimmermann (1991) in ihrem grundsätzlich ertragreichen Konzept zum doing gender zu ihrem Fehlschluss einer permanenten Hervorbringung und Herstellung von Geschlecht kommen, dann erscheint dies auf dieser Grundlage zunächst nicht verwunderlich. Wird aber die Herstellung von Geschlecht als ein Zusammenspiel von Praktiken verstanden, wodurch sich eine je spezifische Praxis ausbildet, greift das Konzept von West & Zimmermann schnell zu kurz. Das hier enthaltene Potenzial der Neu- und Umgestaltungen von Praktiken ist an dieser Stelle entscheidend. Die Historizität und Stabilität von Praktiken bilden dadurch nur den Rahmen, der in der Praxis durch das Tun der Teilnehmer*innen aktualisiert werden kann. Die Fragestellung zur Aktualisierung von Geschlecht in sportunterrichtlicher Praxis verweist damit bereits auf eine mikrosoziologische Perspektivierung die ihren Fokus auf das Wie der Praxis legt. Für eine solche Fragestellung scheint es also zunächst irrelevant zu sein, wie stark die Möglichkeit der Wiederholung von geschlechtskonstruierenden Praktiken ist, solange diese Praktiken nicht aktualisiert werden. Auch die Erweiterung des doing gender-Konzeptes durch die Perspektive des undoing gender (u.a. Hirschauer, 1994 & 2001) ist an dieser Stelle hilfreich. Besonders die Verkettung von Praktiken legt eine Überlagerung von anderen doings nahe, sodass durch bestimmte materielle Bestandteile der Praxis (z.B. geschlechtsspezifische Kleidung) Geschlechtlichkeit angedeutet wird, aber für die Interaktion keine weitere Rolle

Method(olog)ische Konzeption | 95

spielt. Eine Differenzierung des undoing gender, als die inhibitive Seite des doing gender, von einem not doing gender als eine Art Geschlechtslosigkeit (vgl. Hirschauer, 2001, S.220), ist dabei entscheidend. Durch die stabile zweigeschlechtliche Ordnung und geschlechtsbezogene materielle Bestandteile der Praxis ist eine Geschlechtsneutralität im Sinne einer Geschlechtslosigkeit nicht denkbar. Eine Aktualisierung geschlechtskonstruierender Praktiken ist vielmehr immer möglich, findet aber nicht immer statt. Interessant sind also jene Situationen, in denen eine solche Aktualisierung auf eine bestimmte Weise vollzogen werden oder aber auch eine aufgerufene Aktualisierung hintergangen wird. Hier setzt diese Untersuchung an, wodurch sich allerdings in diesem Zusammenhang ein methodologisches Problem ergibt: die Frage nach der Beobachtbarkeit von undoing gender. Beobachtbarkeit von undoing gender Bevor die Beobachtbarkeit von undoing gender in den Blick genommen werden kann, möchte ich diesen Begriff zunächst noch einmal schärfen, um nicht dem Missverständnis von undoing gender als Gegenfigur des doing gender zu unterliegen. Undoing gender ist nicht als entweder rein bewusster Akt, als ein Entgegenwirken gegenüber Geschlechterkonstruktionen zu sehen und auch nicht ausschließlich als unbewusster unterschwelliger Akt, indem Geschlecht in einer bestimmten Situation keine Relevanz zukommt. Es ist eher als eine spezifische Form des doing gender zu sehen, als ein doing undoing gender. Wenn Hirschauer (2016) also die unterschiedlichen Aktivitätsniveaus darstellt, dann bezieht er sich auf die Tätigkeiten der Teilnehmer*innen als eine spezifische Art der tätigen Involviertheit von Menschen. Doing gender erscheint also zwangsläufig als eine Art Sammelbegriff für jeweils spezifische Hervorbringungen von Geschlechtskonstruktionen. Wie bereits beschrieben, sind darin in Anlehnung an Hirschauer (2016) aktive bewusste Handlungen enthalten, hin zu eher passiven Aktivitäten, in denen sich Teilnehmer*innen der Situation überlassen und sich damit in ein laufendes eigendynamisches Geschehen einfädelt (vgl. ebd., S. 50). In diesem Kontinuum von Aktivitätsniveaus kann neben einer proaktiven Seite auch eine hemmende Seite beschrieben werden. So können die Teilnehmer*innen etwas nicht mehr entstehen lassen, etwas routinisiert unterbinden oder gar konterkarieren, sich also bewusst dagegenstellen. Diese hemmende Seite markiert den Bereich des undoing gender, der dementsprechend nicht als Gegenfigur zu sehen ist, sondern als eine Facette des doing gender. Wenn Hirschauer (2001) also einerseits von Praktiken des undoing gender spricht und beispielsweise ein Übergehen einer Flirtofferte, ein Abschneiden eines Gesprächsthemas, bei dem die Geschlechtszugehörigkeit des Sprechers von Bedeutung wäre nennt und andererseits präventive Formen wie eine Distanzwahrung zu Paarbeziehungen, um eine bestimmte Form der Asso-

96 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

ziation vorzubeugen beschreibt (vgl. ebd., S. 221), dann bezieht er sich auf unterschiedliche Aktivitätsniveaus der Teilnehmer*innen. Hieran anschließend stellt sich die Frage, inwiefern es demnach möglich ist, undoing gender zu beobachten und welche Unterschiede sich durch ein Erhöhen oder Absinken des Aktivitätsniveaus der Teilnehmer*innen ergeben. Denn wenn undoing gender als ein „nicht entstehen lassen“ auftritt, würde sich die Beobachtung auf eine Art Nicht-Konstruktion von möglichen geschlechtskonstruierenden Praktiken beziehen. Noch verschärfter wäre eine Situation, in der wie selbstverständlich Geschlecht keine Rolle spielt und beispielsweise durch andere Differenzkategorien oder auch ganz andere doings überlagert wird. Das Herausarbeiten solcher undoing gender-Momente wäre bizarr und auch nicht zielführend. Sobald also die Aktivität der Teilnehmer*innen absinkt, ist es demnach unmöglich, undoing gender zu analysieren. Um sich dennoch undoing gender nähern zu können, wird also eine hohe Aktivität der Teilnehmer*innen benötigt, die sich in ihrem Tun zusätzlich auf doing gender-Prozesse beziehen. Das bedeutet, dass die Beobachtbarkeit von undoing gender immer den Beobachtungsrahmen des doing gender erfordert. Auf diese Weise ausdifferenziert können nur Situationen in den Blick geraten, die einen Bruch zu Praktiken des doing gender aufweisen, indem aufgerufene Aktualisierungen übergangen oder auch abgewehrt werden. Undoing gender kann damit niemals ohne die Bezugsgröße des doing gender beobachtet werden. Hierdurch kommen Situationen wie das Abwehren von aufgerufenen geschlechtsbezogenen Skripten, immer auch einer Aktualisierung von Geschlecht gleich, da Geschlecht damit zum Thema gemacht wird, also relevant gesetzt wird. Rein analytisch ist dies dennoch dem undoing gender zuzuordnen, da an diesen Stellen ein entgegenwirken der Teilnehmer*innen gegenüber eingeschliffenen geschlechtskonstruierenden Praktiken beobachtet werden kann. An dieser Stelle ist also die Aktivität der Teilnehmer*innen, die durch ein Konterkarieren doing gender betreiben, von der Beobachter*innenperspektive zu unterscheiden. Dennoch bleibt, dass undoing gender immer nur vor dem Hintergrund einer Bezeichnung des Unterschieds von Männern und Frauen und damit zusammenhängenden Wissensbeständen und auch sprachlichen Markierungen beschrieben werden kann. Es findet damit immer ein Abgleich zu dieser Unterscheidung statt. Diese Problematik stellt sich aber nicht als spezifisch für undoing gender dar, sondern erscheint als altbekannte Problematik der Geschlechterforschung – nämlich als Verfestigung von stereotypen Annahmen durch die Untersuchung eben dieser Muster.

Method(olog)ische Konzeption | 97

Zum Stellenwert der Reifizierung Eine Untersuchung der Aktualisierung von Geschlecht in sportunterrichtlicher Praxis bringt es also zwangsläufig mit sich, dass man die eigene Forschung hinsichtlich einer Verfestigung von eingeschriebenen Mustern und bekannten Ordnungen der Zweigeschlechtlichkeit prüft. Allerdings muss hier Unterschieden werden, auf welcher Ebene sich die Forschung mit der Geschlechterthematik auseinandersetzt. Wie auch schon Gildemeister (2004) betonte, trugen vor allem frühe Arbeiten der 50er und 60er Jahre zu einer Verfestigung von Unterschieden zwischen Männern und Frauen bei. Allerdings befassten sich diese Arbeiten vor allem mit der Herausarbeitung genau dieser Unterschiede und Stereotype. Auch die daran anschließende Frauenforschung schlug in dieselbe Kerbe. Hier stand vor allem die Benachteiligung der Frauen im Vordergrund, wodurch erneut Unterschiede betont wurden (vgl. ebd., S. 28ff). Forschungen die eine solche Perspektive anlegen, tragen ohne Frage zu einer Verfestigung von stereotypen Annahmen bei. So betonen auch Breidenstein und Kelle (1998) im Hinblick auf Geschlechterforschungen: „Die Forschung kann nach Geschlechterunterschieden fragen und daran anschließend die Ungleichheit der Geschlechter thematisieren oder sie kann die Praxis der Geschlechterunterscheidung zum Gegenstand der Analyse machen und deren konkrete Pragmatik und Kontextualität herausarbeiten. Die erste Möglichkeit reifiziert die Geschlechterunterscheidung, indem sie sie voraussetzt“ (ebd., S. 265, H.i.O.).

Hierdurch wird eine Perspektivänderung deutlich, die sich von vorausgesetzten Unterschieden differenziert und sich damit von individuellen Handlungsträgern hin zu sozialen Praktiken entwickelt. Mit einer praxistheoretischen Brille wird also Abstand von der Suche nach Unterschieden genommen und das Wie der materiellen Vollzugswirklichkeit in den Vordergrund gerückt. Damit verschiebt sich der Betrachtungswinkel und bietet die Chance, nicht erneut auf Unterschiede hinzuweisen, sondern zu analysieren, in was für einer Situation und in welcher Art und Weise durch die Teilnehmer*innen geschlechtskonstruierende Praktiken aktualisiert werden. Das Abwenden von der Omnirelevanzannahme, also einer permanenten Hervorbringung von Geschlecht, führt zusätzlich zu einer Erweiterung des Blickes. Zudem findet keine Betrachtung geschlechtsspezifischer Benachteiligungen statt. Allerdings muss festgestellt werden, dass dennoch die Grundproblematik der Geschlechterforschung nicht aufgehoben ist. So weist Gildemeister (2004) darauf hin, dass durch die Positionierung einer externen Beobachtung, das Grundproblem bestehen bleibt: „Die soziale Wirklichkeit ist zweigeschlechtlich strukturiert, die Differenz ist bereits in die soziale Welt eingeschrieben und unsere

98 | Geschlecht als kontingente Praxis im Sportunterricht

Wahrnehmung ist darauf ausgerichtet, in jeder Situation Frauen und Männer zu unterscheiden“ (ebd., S. 33; H.i.O.). Aus diesem Grund ist es unmöglich, sich als Forscher*in von den eigenen Wissensbeständen über die Zweigeschlechtlichkeit zu befreien. Hinzu kommt, dass neben dieser Ebene die uns zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel ebenfalls nur innerhalb dieses Horizontes existieren. Es stellt sich also die Frage, wie damit umgegangen werden kann. Hierzu greift vor allem der Stellenwert der von Strauss & Corbin benannten „theoretischen Sensibilität“, der sich zum einen auf das Vorwissen und die Erfahrungen der Forscher*innen, zum anderen auf das Einbeziehen von Theorien bezieht (vgl. Strauss & Corbin, 1996, S. 25). Wenn ich mich als Forscher*in mit der Geschlechterforschung auseinandersetze, dann spielen meine eigenen Erfahrungen und meine eigene Verwobenheit in geschlechtliche Strukturen eine große Rolle. Die eigene Rolle darf also nicht unter den Tisch gekehrt werden, sondern muss reflektiert werden. Denn nur durch eine Reflexion, wie man sich selbst in Bezug auf das zu beforschende Feld sieht, wie man sich selbst als Mann*Frau definiert, was für Erfahrungen basierend auf Geschlechterstereotypen man selbst gemacht hat und auch welche Beweggründe dazu geführt haben, sich mit einem bestimmten Forschungsfeld auseinanderzusetzen, kann erneuten Reifizierungen entgegenwirken. Das Explizieren dieser eigenen Erfahrungen stellt demnach einen wichtigen Ausgangspunkt dar, um bestimmte Deutungen hinterfragen zu können. Als zweiter wichtiger Punkt ist die Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand zu nennen. Diese theoretische Auseinandersetzung findet im Sinne der zuvor dargestellten „theoretischen Empirie“ (Kalthoff, 2015) statt. Ohne eine Auseinandersetzung mit der Verfasstheit der sozialen Ordnung wird es unmöglich sein, sich adäquat dem Forschungsgegenstand empirisch zu nähern. So weisen Strübing et al. (2018) darauf hin, dass das Verhältnis von Struktur und Handlung klar sein muss oder auch die Frage geklärt sein sollte, wie soziale Aggregate erzeugt, stabilisiert und modifiziert werden. „Ihren empirischen Gegenstand kann eine Studie nur soziologisch denken, wenn sie sich diesen Fragen in konsistenter Weise auf eine bestimmte dieser sozialtheoretischen Perspektiven bezieht“ (ebd., S. 92). Eine praxistheoretische Perspektivierung auf Geschlechterforschung und eine daraus resultierende dichte Auseinandersetzung mit der starken Verankerung der Zweigeschlechtlichkeit und eingeschriebenen Mustern, aber eben auch der Möglichkeit der Modulation dieser Praktiken, ist also eine Notwendigkeit zum Entdecken von Neuem. Auch Fritzsche (2015) betont, dass auf der einen Seite Reifizierungen zu vermeiden sind, aber ohne eine Betrachtung der vorsituativen gesellschaftlichen Verortung der Akteure als Kontext von Praktiken, die Bedeutung dieser Betrachtung ins Leere laufen würde (vgl. ebd., S. 174). Eine Aus-

Method(olog)ische Konzeption | 99

klammerung dieser Erkenntnisse wäre also falsch. Vielmehr können Theoriebezüge im Sinne von Amman und Hirschauer (1997) als „Denkwerkzeuge“ verstanden werden, die als intellektuelles Kapital in die Empiriebildung reinvestiert werden (vgl. ebd., S. 37). Es geht also ganz und gar nicht darum, einen Abgleich mit den bestehenden Erkenntnissen zu vollziehen und nur nach einem entsprechenden Passungsverhältnis zu suchen, denn das würde auf jeden Fall zu einer Reifizierung beitragen. Wie Strübing et al. (2018) bereits zusammenfassen, geht es darum „sich das empirische Feld unter Rekurs auf theoretische Perspektiven verfügbar zu machen und ihm so auch mehr Einsichten abzugewinnen als es selbst zu offenbaren in der Lage wäre“ (ebd., S. 93). Die von Hitzler (1991) beschriebene „künstliche Dummheit“ meint damit eben nicht das Ausklammern jedes Vorwissens, sondern die bewusste Handhabung des Wissens, indem die grundsätzliche Gültigkeit hinterfragt wird und ein Um- und Neudenken möglich ist. Damit kann auch die in der Geschlechterforschung schnell greifende Tendenz des Rückfalls auf eigene Vorannahmen oder sogar Vorurteile reduziert werden. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Problematik der massiven Vorkenntnisse durch eine alltägliche Bedeutung von Geschlecht und Geschlechterdifferenzen nicht aufzulösen ist. Durch eine theoretische Durchdringung des Gegenstandes, aber auch durch die Reflexion dieser Vorannahmen können sich Forscher*innen aber für eine Reifizierung sensibilisieren. Es ist also Notwendig, im Verlaufe des Forschungsprozesses immer wieder aufs Neue die eigenen Annahmen und das Wissen zu reflektieren und zu hinterfragen. Zudem ist es hilfreich, den eigenen, manchmal betriebsblind werdenden Blick, durch Datensitzungen mit anderen Forscher*innen wieder zu schärfen. Hierzu haben sich vor allem die gemeinsamen Interpretationssitzung im Promotionskolloquium18 als hilfreich herausgestellt. Die Teilnehmer*innen setzten sich dabei aus unterschiedlichen sportwissenschaftlichen Teildisziplinen zusammen. So befanden sich Sportpädagog*innen, Sportsoziolog*innen und Sportpsycholog*innen in dieser Gruppe, von denen niemand per se im Bereich der Geschlechterforschung zu Hause ist. Dadurch eröffnete sich während der gemeinsamen Datenarbeit die Chance, den eigenen Blick auf ausgewählte Sequenzen zu überprüfen. Besonders durch die heterogene Zusammensetzung der Gruppe, wurden geschlechtsbezogene Lesarten auf ganz andere Art und Weise hinterfragt und gemeinsam auf ihre Plausibilität geprüft.

18 Ein Dank gilt an dieser Stelle Dennis Wolff, Carina Eichele, Lena Tessmer, Edgar Dorn, Timo Habedank und natürlich Peter Frei als Leiter dieses Kolloquiums und Betreuer meines Dissertationsprojektes.

:;;"#"$%&'()%'(*"+)&",-.*/.0%.*%"12+3/&"/4"56-2*7.*%22/'(*"

! 4/2#160'+4+2+460!207!1&.'+&**203!7&.!/,+&.4&**&0!T6**@23'W4.9*4()9&4+! @2!R&'().&4R&0!207!@2!,0,*['4&.&0#!c4+!74&'&.!8&.'-&9+4:&!.`(9+!7,'!f$#!7&.!T6**I @23'W4.9*4()9&4+!,0'+,++!7&'!f+".*,!40!7&0!P692'#!F4&'&!V0+W4(9*203!&.L6.7&.+! &40&! F4'92''460! 7&.! c&+)67&0L.,3&f! W4&! &'! ,2()! R&.&4+'! ?()OL&.! 207! F,04&*! H"N$].-&.! 207! Q.+&L,9+&! 04&7&.'()*O3+! H:3*#!?()OL&.!n!F,04&*f!"N$,-4+&*! OP$#/"+.*)89''/$-6D#$0)R&'()OL+43+!'4()!/4+!7&.!)&3&/604,*&0!cO00*4()9&4+!207! 7&0!'4()!@&43&07&0!8.,9+49&0!7&.!T&.),07*203!:60!cO00*4()9&4+#!V'!W4.7!7&/I 0,()!cO00*4()9&4+'-.,C4'!,*'!R400&03&'()*&()+*4()&'!%&L`3&!R&+.,()+&+f!40!7&/! &40&!\.4&0+4&.203!,0!7&.!)&3&/604,*&0f!,*'6!`R&.*&3&0&0!cO00*4()9&4+!'+,++L407&+#! A0!74&'&/!=2',//&0),03!9]00&0!8.,9+49&0!7&.!M0+&.6.70203!207!d4&7&.)&.I '+&**203!:60!cO00*4()9&4+!'6W4&!8.,9+49&0!7&.!QR'4()&.203!47&0+4L4@4&.+!W&.7&0f! 74&! j&W&4*'! '4+2,+4:! )&.:6.3&R.,()+! W&.7&0#! F,! 74&! R400&03&'()*&()+*4()&! >60I '+.29+460!207!1&.'+&**203!:60!%&'()*&()+!40!7&0!+)&6.&+4'()&0!F,.*&3203&0!9&40&! 0O)&.&! X&,()+203! L407&+! 207! '4()! 74&! K&*&:,0@! :60! cO00*4()9&4+'-.,C4'! ,2'I '()*4&h*4()!`R&.!74&!&/-4.4'()&0!F,+&0!3&@&43+!),+f!W4.7!&40L`).&07!40!7,'!>,-4+&*! &40! iR&.R*4(9! `R&.! R&'+&)&07&! >60@&-+460&0! @2! cO00*4()9&4+! 3&3&R&0f! 2/! 4/! ?400&!7&.!+)&6.&+4'()&0!?&0'4R4*4+O+f!74&'&!,0!74&!F,+&0!.`(9@2R407&0!207!@2!&.I W&4+&.0#!F,'!L`0L+&!>,-4+&*!QP$,&3$,-6#,).'3&$'()(#'3#"!L692''4&.+!R&6R,()+R,.&! .'3&$'()(#'3#"!c6/&0+&#!F4&'&!&/-4.4'()&!V.W&4+&.203!@&43+!&40!:&.W6R&0&'! T&.)O*+04'!:60!3&$'(!207!.'3&$'()(#'3#"!,2L!207!04//+!:&.'+O.9+!74&!X&7&2+203! &40&.!aU.,0''&Z2&0+4,*4+O+b!H?()&LL&.f!"N$2)*/,00! H$BSGJ!,RW&()'&*07&!8),'&0!7&.!A0'@&04&.203!207!?@&0&#!M0+&.!?@&0&0!W&.7&0! 4/!W&4+&'+&0!?400&!X&W&3203'),07*203&0!:&.'+,07&0f!74&!72.()!A0'@&04&.203&0!

!

!

$%&'()%'(*%2+,*7+)/&/%27.0%."/."&6-2*7.*%22/'(*)/'(%2"12+3/&"#":BA"

! :6.R&.&4+&+!W&.7&0f!407&/!.&*&:,0+&!c&.9/,*&!4/!T6.,2'!'-.,()*4()!:&.7&2+*4()+! W&.7&0#!Q*'!X&4'-4&*&!0&00+!>2)*/,00!Q09`0743203&0!207!Q2LR,2+&0f!/4+)4*L&! 7&.&.!&40&!1,07*203'6.4&0+4&.203!L`.!74&!?@&0&!:6.3&3&R&0!207!74&!Q9+460!'400I '+4L+&07!R&*&3+!W4.7f!72.()!74&!T&.3,R&!:60!K6**&0!,0!74&!U&4*0&)/&.Y400&0!67&.! 74&! F2.()'+.29+2.4&.203! 7&'! @29`0L+43&0! 1,07*203'L&*7&'#! Q*'! A0'@&04&.203&0! 9]00&0!,*'6!j&0&!?(),*+'+&**&0!:60!?-6.+20+&..4()+!:&.'+,07&0!W&.7&0f!,2L!74&!&40! ?@&0&0W&()'&*!L6*3+!H:3*#!&R7#f!?#!$$J!207!74&!7,/4+!@2.!T6.R&.&4+203!74&0&0!207! '6/4+!4//&.!,2()!6.3,04'4&.&07&!c6/&0+&!&0+),*+&0#!d6*LL!H"N$^J!'-.4()+!40!74&I '&/!=2',//&0),03!:60!8),'&0!7&.!>60'+4+2+460_!iR&.!7&0!>].-&.!207!74&!?-.,I ()&!W&.7&0!a?+.29+2.&0f!\.4&0+4&.203&0!207!Q06.70203&0!7,.3&'+&**+f!74&!R&4!7&0! Q9+&2.&0!&40!T6.W4''&0!,9+4:4&.&0f!7,'!&40&!T6.'+&**203!7&.!,0'+&)&07&0!8&.L6.I /,0(&!&.*&4()+&.+b!H&R7#f!?#!"DBJ#!V.!R&'().&4R+!W&4+&.f!7,''!7&.!X#6"DV"P#"!74&! >60+2.&0!L`.!74&!:&.3,03&0&0!207!@29`0L+43&0!?4+2,+460&0!L`.!74&!X&+&4*43+&0!:6.I 34R+!207!7,''!74&'&.!8.6@&''!:6.0&)/*4()!'-.,()*4()!,..,034&.+!207!72.()!9].-&.I *4()&!8&.L6./,0(&!&.3O0@+!W4.7!H:3*#!&R7#f!?#!"DBJ#!T6.!74&'&/!140+&.3.207!'6**&0! 74&'&!\.3,04',+460'-.,9+49&0!40!7&0!X*4(9!3&.,+&0#!14&.@2!W&.7&0!?&Z2&0@&0!7,.I 3&*&3+f!40!7&0&0!%&'()*&()+!,*'!,23&0'()&40*4()&!74()6+6/&!?+.29+2.!40!74&'&!8),I '&0!7&.!\.3,04',+460!)40@23&@63&0!W4.7#!! A/!&.'+&0!QR'()04++!W&.7&0!)4&.@2!?4+2,+460&0!R&+.,()+&+f!40!7&0&0!74&!%&I '()*&()+'@23&)].439&4+!20:&.7O()+43!,*'!V40+&4*203'9.4+&.42/!74&0+!207!7,/4+!R&4I *O2L43!/4+:6**@63&0!W4.7#!A/!@W&4+&0!QR'()04++!W4.7!,2L!%&'()*&()+!.&92..4&.+f! 407&/!&40&!Z2,0+4+,+4:&!%*&4()R&),07*203!,*'!>.4+&.42/!L`.!%*&4()R&.&()+43203! )&.,03&@63&0!W4.7#!! ! M"#"#$ F+(,+&36.4&!e&4'+203!40!T&.R407203!/4+!7&/!%&'()*&()+!3&'+&**+#! A/!M0+&.'()4&7!@2!74&'&.!?&Z2&0@!W4.7!R&4!&40&.!c,00'(),L+'W,)*!74&!V.'+&**203! 7&.!c,00'(),L+&0!40!74&!1,07!7&.!?()`*&.Y400&0!`R&.3&R&0f!74&!,0),07!:60!&4I 3&0&0!>.4+&.4&0!4).&!c,00'(),L+!@2',//&0'+&**&0!7`.L&0#!14&.R&4!9]00&0!20+&.I '()4&7*4()&!>.4+&.4&0!*&4+&07!'&40#!?6!9,00!74&!d,)*!&0+W&7&.!72.()!:&./2+&+&! e&4'+203&0!7&.!?()`*&.Y400&0!&.L6*3&0!67&.!,R&.!,2()!,2L3.207!:60!P.&207'(),LI +&0! &0+'()4&7&0! W&.7&0#! F2.()! &40&! T6.'+.29+2.4&.203! W4.7! ,2L! 7&.! VR&0&! 7&.! e&4'+203!,2L!/]3*4()&!203*&4()&!T&.)O*+04''&!.&,34&.+f!407&/!,2L!O)0*4()&!9].I -&.*4()&!T6.,2''&+@203&0!400&.),*R!7&.!3&'()*&()+')6/63&0&0!%.2--&0!.&92.I .4&.+!207!'6/4+!,2L!74&'&.!VR&0&!V40L*2''!,2L!74&!T&.+&4*203!7&.!?()`*&.Y400&0! 3&06//&0!W4.7#!! ! >"