Geschichte der Philosophie der Neuzeit: Mitarbeit:Hedwig, Klaus;Herausgegeben:Hedwig, Klaus 3787306781, 9783787306787

In dem hier edierten dritten Teil des Würzburger Vorlesungszyklus und den ergänzenden Texten des Anhangs zeichnet Brenta

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Geschichte der Philosophie der Neuzeit: Mitarbeit:Hedwig, Klaus;Herausgegeben:Hedwig, Klaus
 3787306781, 9783787306787

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FRANZ BRENTANO

Geschichte der Philosophie der Neuzeit Aus dem Nachlaß herausgegeben und eingeleitet von KLAUS HEDWIG

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 359

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Brentano, Franz: Geschichte der Philosophie der Neuzeit I Franz Brentano. Aus d. Nachlass hrsg. u. eingeleitet von Klaus Hedwig. -Hamburg: Meiner, 1987. (Philosophische Bibliothek; Bd. 359) ISBN 3-7873-0678-1 NE:GT

©Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1987 Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Ubertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht§§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. - Satz und Druck: Wilhelm Carstens OHG, Schneverdingen. Buchbinderische Verarbeitung: R. Himmelheber, Hamburg. Printedin Germany.

INHALT

Vorwort. Von Klaus Hedwig Zur Textgestaltung der Ausgabe

IX XL

Franz Brentano Geschichte der Philosophie der Neuzeit Einleitung. Vom Begriff der Geschichte der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . .

1

Hauptteil 1.

Stadium der Entwicklung

13

A. Francis Bacon . B. Rene Descartes 1. Erkenntnis 2. Logik . . . . 3. Mängel . . . C. Thomas Hobbes D. Arnold Geulincx E. Nicolaus Malebranche F. Baruch Spinoza . . . . . G. Gottfried Wilhelm Leibniz 1. Monadologie 2. Theodicee . . . . . . . . H. John Locke . . . . . . . . . 1. Versuch über den menschlichen Verstand a) 1. Buch . b) II. Buch . . c) III. Buch . . d) IV. Buch . . . . 2. Ethik und Politik . .

13 15 15 18 19 20 21 21 22 25 25 27 28 28 29 29 30 32 34

VI

Inhalt 3. Von den Worten a) Über Worte oder Sprache im allgemeinen . b) Über die Bedeutung von Worten .. c) Über allgemeine Termini . . . . . . . . . . . . d) Über die Namen der einfachen Ideen . . . . . e) Über die Namen der gemischten Modi und Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . f) Über die Namen von Substanzen

34 34

35 35 39 40 40

II. Erstes Stadium des Verfalls .. A. Gründe . . . . . . . . . . . . B. George Berkeley . . . . . . C. Aufklärung in Frankreich D. Aufklärung in Deutschland ..

42 42 42

III. Zweites Stadium des Verfalls ... A. David Hume . . . . . .. . B. Thomas Reid . . . . . . . .

46 46 47

IV. Drittes Stadium des Verfalls . A. ImmanuelKant . . . . . . . . . . . 1. Kritik der reinen Vernunft . . . . . . . a) Transzendentale Ästhetik ... b) Transzendentale Logik . . . . . a) Transzendentale Analytik . ß) Transzendentale Dialektik 2. Kritik der praktischen Vernunft . 3. Kritik der Urteilskraft . . . . . . . a) Kritik der ästhetischen Urteilskraft b) Kritik der teleologischen Urteilskraft B. Johann Gottlieb Fichte . . . . . . . . . . . . . 1. Theoretische Wissenschaftslehre . . 2. Praktische Wissenschaftslehre . . . . . . . C. FriedrichHeinrichJacobi . . . . . . . . D. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling .... . 1. Naturphilosophie . . . . . . 2. Transzendentalphilosophie . 3. Spätere Entwicklungen ...

48 48 48 49 50 50 52

43

45

53 56 57 57 58 59 61

62 63 63 65 66

VII

Inhalt

67 68 69 71 72 72 74 76

E. Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1. Methode 2. System . . . . . . . . . a) Logik . . . . . . . . b) Naturphilosophie c) Geistphilosophie . F. Johann Friedrich Herbart G. Arthur Schopenhauer ..

77

Anhang: Texte aus dem Nachlaß I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.

IX. X.

XI. XII. XIII. XIV. XV. XVI. XVII. XVIII.

Philosophie der Geschichte der Philosophie . Zur Methode der historischen Forschung auf philosophischem Gebiet . . . . . . . . . . . . . . Vom Gesetz der geschichtlichen Entwicklung Descartes. Meditationen Zu Descartes . . . . . . . . . . . . . Pascal . . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal. Pensees sur les miracles . . Leibniz. Bemerkungen zur Monadologie und Aporien des Verständnisses seiner Lehren vom Raum, von der Seele und gegen den Solipsismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leibniz. Kritisches zu seinem Optimismus . . Leibniz. Über die Aufhebung der Körperwelt und ihres Raumes und deren Ersatz durch die Monadologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leibniz. Theodicee . . . . . . . . . . . . . . . . . Leibniz. Bemerkungen über die Theodicee . . Leibniz. Beweis des Daseins Gottes im Anfang des I. Buches der Theodicee . . . . . . . . . . . . Leibniz. Zur Lehre von Raum und Zeit . . . . Leibniz-Russell. Correspondence de Leibniz et d'Arnauld . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leibniz. Aus den Briefen an Des Bosses . . . . Leibniz. Korrespondenz mit Clarke . . . . Clarke. Über das Dasein und die Attribute Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 . .

81 95 106 110 111 116

. 118 132

136 147 166 . 170 . 175 180 . 183 188 194

Inhalt

VIII

XIX. XX. XXI. XXII. XXIII.

XXIV. XXV. XXVI. XXVII. XXVIII.

XXIX. XXX. XXXI.

Hume. Über partikuläre Providenz und jenseitiges Leben . . . . . . . . . . . . . . Hume. The Natural History ofReligion Hume. Gespräche über die natürliche Religion Bemerkungen zu Humes Gesprächen über die natürliche Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . Platner. Ein Gespräch über den Atheismus mit Beziehung aufHumes »Gespräche über natürliche Religion« . . . . . . . . . . . . . . Royer-Collard. Fragmente . . . . . . . Kant. Über die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft Kant. Ontologischer, kosmologischer und teleologischer Beweis . . . . . . . . . . . . . Kant. Über die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . Auguste Comte und die positive Philosophie 1. Zweck des Cours . . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendiger Sieg des Positivismus . . . . 3. Plan der fundamentalen Wissenschaften . 4. Klassifikation der fundamentalen Wissenschaften . . . . . . . . . . Renan. Souvenir d' enfance Newman Nietzsche . . . . . . . . . . .

201 203 206 214

222 226 232 236 243 246 246 266 274 287

295 296

297

Anmerkungen des Herausgebers

299

Manuskriptverzeichnis . .

373

Brentanos Handbibliothek

376

Literaturverzeichnis

382

Namenverzeichnis .

387

VORWORT

Es ist auch die Geschichte der Philosophie keine Philosophie. Aber es gibt eine Philosophie der Geschichte der Philosophie. Sie forscht nach den allgemeinen Gründen, den Gesetzen der Erscheinungen. Dies [ist] unser Gegenstand. Franz Brentano

Der Haupttext des vorliegenden Bandes gibt den dritten abschließenden Teil eines Vorlesungszyklus wieder, in dem Brentano die »Geschichte der Philosophie von ihren ersten Anfangen bis auf unsere Tage« 1 aufzuarbeiten versucht. Die philosophische Position, die Brentano dabei selbst bezieht, ist zwar primär durch die Forderung der »sachlichen Forschung« 2 gekennzeichnet, aber doch weist sie in der reflexiven Wiederholung der antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Traditionen eine geschichtliche Komponente auf, die generell für Brentanos Philosophie kennzeichnend ist. Diese Rückwendung in die Geschichte, die sich bis in die letzten Aufzeichnungen Brentanos verfolgen läßt, besagt nun aber keineswegs, daß sich die Wissenschaft »schließlich in Geschichte der Wissenschaft verwandeln und daß dies dann auch mit der Philosophie so ergehen müsse« 3. Es ist auffallend, daß Brentano das Historische nicht als historisch betrachtet, sondern als gegenwärtig, als »jetzt« relevant. Das heißt, daß die Geschichte der Philosophie, wie Brentano wiederholt formuliert, von einer »Philosophie der Geschichte der Philosophie« 4 unterlaufen wird, die die Ms. H 45: >Geschichte der Philosophie. Einleitung< (n. 25257). GGPh, 16: »Und so hat das Studium der Geschichte der Philosophie nur dann eine Berechtigung, wenn es in den Dienst der sachlichen Forschung tritt.« 3 Vgl. Anhang: >Zur Methode der historischen Forschung auf philosophischem GebietPhilosophie der Geschichte der PhilosophieAnhangGesch. d. Phil. Einleitung< (n. 25290): »Sechs Arten, in denen wir eine Ansicht gewinnen: 1) Intuition; 2) Deduktion; 3) Induktion; 4) Rhetorische Argumentation: a) Autorität; b) Analogie und Beispiele; c) Wahrscheinlichkeitsbeweis; 5) Poetisches Gewinnen. Pulchritudo requirit tria: integritatem, proportionem et claritatem; 6) Zeugnis des Glaubens«; vgl. die ausführliche Darstellung und Kritik der Methoden in der >Einleitung: Vom Begriff der Geschichte der PhilosophieEinteilung der Wissenschaften< (Anm. 13), auch die Bemerkung gegenüber H. Schell (2. 11. 1889): »Wie sehr aber bei mir der Forschungstrieb gegenüber dem Trieb zur Darstellung und Mitteilung überwiegt, mögen Sie daraus ersehen, daß ich, als ich einleitend die Gründe für die Scheidung d. Psych. in e. descript. und genet. darlegen wollte, mich von der allgemeinen Frage nach d. Klassifikation d. Wissenschaften so angezogen fand, daß ich anfing, sie B

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Klaus Hedwig

Der frühe Brentano - um 1870 - bezieht in die Ausarbeitung seines Philosophiebegriffes eine historisch breite Tradition 11 ein, um aber dann alle Definitionen der Philosophie, die er kritisch durchgeht, wieder abzulehnen. Auch die Klassifikation der Wissenschaften entsprechend den Aristotelischen Abstraktionsgraden 12 wird, vielleicht wegen einer beginnenden Ungründlicher als je zuvor einer Untersuchung zu unterwerfen, die mir nun, wie ich glaube, allerdings manches neue Licht gegeben hat« (Br. Schell, 50). 11 Vgl. >Einleitung: Vom Begriff der Geschichte der PhilosophieGesch. d. Phil. Einleitung< (n. 25945 ff.): »Wie wir aber in Betreff des Sensiblen auch noch in einem allgemeineren Sinn von einer Einheit der sensiblen Gattung sprechen könnten, so ist dies auch in Betreff des Intelligiblen der Fall, und zwar gibt es in diesem allgemeineren Sinn drei Gattungen intelligibler Wahrheiten. Das Intelligible unterscheidet sich nämlich dadurch vom Sensiblen, daß es geistig oder doch vergeistigt ist. Die Begriffe, auch wenn sie die Begriffe des Körperlichen sind, unterscheiden sich wenigstens dadurch von den sinnlichen Vorstellungen, daß sie abstrakt sind, während jene das Sinnlich-Einzelne erfassen. Durch die Abstraktion also werden die sensiblen Dinge intelligibel; sie gibt auch dem, was an und für sich bloß der Möglichkeit nach intelligibel ist, wirkliche lntelligibilität. -Die Abstraktion ist aber eine dreifache, die man die physische, mathematische und metaphysische oder auch die Abstraktion von der individuellen, sensiblen und intelligiblen Materie genannt hat. - Einige Begriffe abstrahieren nämlich nur von dem individuellen Unterschied, nicht aber von jeglicher sensiblen Qualität. So z.B. der Begriff der Farbe oder der des Tones, der der Pflanze, des Tieres und dgl. Andere Begriffe dagegen entfernen sich mehr von den sinnlichen Vorstellungen, indem sie nicht bloß von dem individuellen Unterschied, sondern zugleich auch von jeder sensiblen Qualität sowohl im besonderen als auch im allgemeinen abstrahieren; doch abstrahieren sie nicht von allem, was spezifisch Körperlich ist, wie z. B. der Begriff der Größe, welche das Fundament jeder sinnlichen Qualität bildet, die Begriffe der Fläche und Linie, Höhe und Breite und dgl. - Endlich gibt es auch solche Begriffe, die in einer noch höheren Weise abstrakt sind, die nicht bloß von jeder sensiblen Qualität, sondern von allem spezifisch Körperlichem abstrahieren. Wie z.B. der Begriff des Seienden. Sie sind denn auch Körperlichem und Geistigem gemeinsam und ebenso frei von Materie wie die Begriffe rein geistiger Wesen. Offenbar ist eine höhere Weise der Abstraktion nicht mehr denkbar;

Vorwort

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sicherheit in ontologischen Fragen, nicht weiterverfolgt. Das Gebiet der Philosophie ist vielmehr - ganz überraschend - in Abgrenzung zu den traditionellen Texten der sacra doctrina 13 des und es ergibt sich demnach, daß jeder unserer Begriffe in einer dieser drei Weisen abstrakt, also in einer dieser drei Weisen intelligibel sein muß. - Wir haben also im allgemeinen Sinn drei Gattungen des Intelligiblen, und je nachdem ein Begriff in der einen oder anderen Weise von der Materie abstrahiert, gehören die Dinge, insofern sie an ihm partizipieren, der einen oder anderen Gattung des Intelligiblen und somit auch der einen oder anderen Wissenschaft im allgemeinsten Sinn.« Vgl. Aristoteles, Metaph. VI 1, 1025 b 19 ff. und Thomas von Aquin, S. th. I, 85, 1, ad 2. Brentano hat später (1915), aber aus dem Gesichtspunkt einer reistischen Ontologie, das Problem der »Abstraktion« nochmals behandelt (Ps III, 89 ff.). 13 Ms. H 45: >Gesch. d. Phil. Einteilung der Wissenschaften< (n. 25253); »L Übernatürliche Wissenschaft 1 II. Natürliche Wissenschaft (einseitige Unabhängigkeit) 1. abstrakte Wissenschaft2 1) Mathematik3 2) Philosophie im weiteren Sinn a) physische Wissenschaft4 b) psychische Wissenschaft (philosophische Wissenschaften im engeren Sinn)S 2. konkrete Wissenschaft Anm. 1. Vgl. für diese Einteilung D. Th. I, 1, 1 ad 2 (vgl. auch [I, 1] 3 c.; 2 c.; 3 ad 2, auch 7 c. und 3 ad 1). Anm. 2. Diese Einteilung ist eine Einteilung nach dem, was im Subjekt der Wissenschaft bewiesen wird; entweder ist es ein Universale oder etwas Individuelles. Zu den individuellen Wissenschaften gehören z.B. Astronomie, Geographie, Geschichte, Jurisprudenz (positive Rechtswissenschaft) u. dgl. Doch ist zu unterscheiden: abstrakte und konkrete Astronomie, Physik. Anm. 3. Diese Einteilung ist 1) eine Einteilung nach dem Gesichtspunkt, unter welchem das Subjekt untersucht wird. Die Mathematik berücksichtigt die Dinge nur insofern, als sie ihrer Ausdehnung und Menge nach meßbar sind. Sie untersucht nicht die Gründe der Ausdehnung (Bewegung, Zeit und Vielheit), dieses tut vielmehr ein Zweig der Physik. Die Philosophie dagegen betrachtet die Ursachen, die Wirkungen und die vermöge einer anderen Weise kausalen Zusammenhangs begleitenden Eigenschaften. 2) Diese

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Thomas von Aquin definiert. Die Philosophie forscht in »einseitiger Unabhängigkeit« 14 von der Theologie, da sie eine »natürliche Wissenschaft« ist, die sich mit dem Seienden befaßt,

Scheidung verdient darum als eine der ersten und obersten gestellt zu werden, weil sie zwei Gebiete unterscheidet, von denen das eine vollkommen unabhängig vom anderen erforscht werden kann (wie auch die natürliche Wissenschaft gegenüber der Theologie) und das Subjekt der Mathematik eines der allerallgemeinsten, ja so allgemein als das der Philosophie selbst ist. Nicht bloß die Körper, auch die Geister sind ja zählbar und einander nah und fern. 3) Würde man die Einteilung später stellen, so würde sie beide Gebiete kreuzen. Auch ist Physik und Psych[ophys]ik der Methode nach sich verwandter als die Mathematik; diese ist in ihren Prinzipien a priori, jene sind nur a posteriori intelligibel; sie sind induktiv, jene ist deduktiv. Anm. 4. Aristoteles schied Natur- und Geisteswissenschaft. Andere schieden, dem Namen nach ihm gleich, der Sache nach aher verschieden, Wissenschaften der äußeren und der inneren Erfahrungsobjekte (z. B. Mill). Es scheint dies besser und praktischer. Die Psychologie läßt sich nicht trennen. Ebenso nicht die Ethik, Ästhetik u. dgl. Dagegen sind die Gebiete der äußeren und inneren Erfahrung nicht bloß a) für uns viel mehr geschieden, sondern auch b) durch Analogien weit weniger als die zu dem einen oder anderen Bereich gehörigen Begriffe verbunden, z.B. denken und empfinden. Auch Wollen und Denken hielten viele für eine Gattung. Anm. 5. Es bleiben gewisse Begriffe, unter welche die äußeren und inneren Erfahrungsobjekte gemeinsam fallen, und für welche ebenfalls die Eigentümlichkeiten wissenschaftlich festzuhalten sind. Welche der beiden Wissenschaften soll sie mituntersuchen (denn offenbar nicht beide)? Die psychische [Wissenschaft] 1) weil hier zuerst ein Seiendes erkannt [wird] wegen der Transzendentalphilosophie. Berührung mit dem Logischen; 2) weil an sie als die spätere allein die Psychophysik sich anschließen kann, und überhaupt muß bei induktiven Wissenschaften die spätere, bei deduktiven die frühere von dem Gemeinsamen handeln, z. B. bei der Mathematik die Arithmetik; 3) wegen der Theologie, die nach Analogie der inneren Erfahrungsbegriffe [verfährt]; 4) wegen der Kosmologie (Analogie zu unserem vernünftigen Denken); 5) weil die Geisteswissenschaften viel häufiger und in viel vorzüglicherer Weise auf sie [zurückweist]. Gleiches vermehrt, gibt Gleiches. Beim Dreieck die Lehre von der Figur, bei der Geraden die Lehre von der Linie im allgemeinen.

Vorwort

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das in der äußeren und inneren Wahrnehmung erkennbar und entsprechend klassifizierbar ist. Für den frühen Brentano ist die Philosophie im weiteren Sinn eine Erfahrungswissenschaft, die auch deren Methoden (vor allem die Induktion 15) zwar nicht in

(nochAnm.5)

So ergibt sich denn die Philosophie im engeren Sinn als die Wissenschaft, welche von dem Seienden und seinen Eigentümlichkeiten handelt, insofern es unter Begriffe fällt, welche durch innere Erfahrung gegeben sind, sei es daß sie nur durch sie gewonnen werden, oder doch nicht der äußeren Erfahrung ausschließlich angehören. « 14 Diese Differenz ist von Brentano sehr bald aufgegeben worden. Brentano hat in der »Würzburger Metaphysik« im Gegenstandsbereich der Metaphysik, die das »Seiende als solches« betrachtet, verschiedene »Teile« angenommen, die unter spezifischen Fragestellungen von den einzelnen Wissenschaften -Transzendentalphilosophie, Phänomenologie, Ontologie, Theologie, Kosmologie - untersucht werden (Ms. 96: >Würzburger MetaphysikkollegGesch. d. Phil.< (n. 25277): »Die Philosophie ist jene unter den induktiven (und im weiteren Sinn philosophischen) Wissenschaften, die vom Seienden handelt, insofern es unter solche Begriffe fällt, die durch die innere Erfahrung, sei es durch sie allein oder sei es durch die innere und äußere zugleich, gegeben sind«; vgl. ebd. (n. 25324): »Philosophie ... eine induktive Wissenschaft«; vgl. ebd. (n. 25290): »Die größten Denker haben so geforscht. Aristoteles, aber ebenso der ideale Plato, dem man am meisten den Empirismus entgegenhält. Ebenso Albertus und Thomas von Aquin, während man doch sagt, die induktive Methode sei von der Scholastik nicht gekannt. Oft sagt er: hoc experimento cognoscimus. Kein einziger Denker hat sich ganz von ihr losreißen können, selbst Spinoza nicht und andere, die die richtige Methode der Theorie völlig verkannten. F. A. Pouchet, Histoire des sciences naturelles au moyen-age, ou Albert Je Grand et son epoque consideres comme point de depart de l'ecole experimentale, Paris 1853«; vgl. LRU, 286 ff.; VE, 68 ff.; vgl. auch Anm. 70.

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Identität, aber doch in» Analogie« 16 anzuwenden hat. Dagegen - im engeren Sinn - wenn nach der axiomatischen Absicherung des Wissens gefragt wird, zieht sich das Gebiet der Philosophie auf die »innere Erfahrung« zusammen, so daß sie zunehmend mit der Psychologie identisch scheint. »So ergibt sich denn die Philosophie im engeren Sinn als die Wissenschaft, welche von dem Seienden und seinen Eigentümlichkeiten handelt, insofern es unter Begriffe fällt, welche durch innere Erfahrung gegeben sind, sei es daß sie nur durch sie gewonnen werden, oder doch nicht der äußeren Erfahrung ausschließlich angehören« 17. In diesem Rückgang auf die innere Wahrnehmung, die sich in ein differenziertes Gefüge psychischer Beziehungen auslegt, errichtet Brentano den Anspruch der Philosophie auf axiomatische Sicherheit, auf Wahrheit schlechthin. Für Brentano, der in diesem Zusammenhang den Vorwurf des »Psychologismus« 18 eher verwundert als verärgert vernahm, ist das Bewußtsein, wenn es sich intentional auf Gegenstände bezieht, sekundär auf sich selbst bezogen. In diesem vermittelten, die intentionalen Sachbezüge implizierenden Selbstverhältnis oder - wie Brentano mit Aristoteles sagen wird - EV JtaQEQy

Gesch. d. Phil. Einleitung< (n. 25301): »Es bleibt nur die Methode der Naturwissenschaft. Dies soll nicht sagen, alle Philosophie ruhe auf naturwissenschaftlicher Basis. Nur proportionale Forschung auf philosophischem Gebiet, wie auch verschiedene Zweige der Naturwissenschaften proportional forschen. Beobachtung und Experiment, besonders psychologische Selbstbeobachtung.« ZPh, 45: »... daß nur ein Verfahren nach Analogie der Naturwissenschaft der Geisteswissenschaft zum Heile gereichen könne«; vgl. ebd. 8; LWÖ, 37. 17 Vgl. Anm. 13. 18 Vom Psychologismus, in: Ps II, 179 ff.; vgl. auch VE, 194. 19 Diese für die strukturelle Eigenart der Philosophie Brentanos entscheidende These wird bereits früh - mit Bezug auf Aristoteles (Metaph. XII 9, 1074 b 35)-entwickelt (Ps I, 178 f.). Die vermeintliche Iteration der Reflexionsakte (»in steigender arithmetischer Progression ins Unendliche«) nimmt Brentano in einen »letzteinheitlichen Akt« zurück, in »ein einziges einheitliches Ding« (Ps 1, 136). 16

Vorwort

XVII

sich die Strukturen des Psychischen, die dann später zum Gegenstand deskriptiver 20 und axiomatischer Untersuchungen21 werden. Die Philosophie, weil sie sich in reflexiven Akten bewegt, hat nicht so sehr die Objekte, sondern vielmehr in den Vorstellungen, Urteilen und Gemütsbewegungen reflexiv die Wahrnehmung der Objekte zu beschreiben. Hier, in dieser Eigenbezüglichkeit des Bewußtseins, die unter dem Titel der »Evidenz« 22 zu einem Leitthema wird, steht die Philosophie auf einem Fundament, das axiomatisch sicher ist. Der frühe Brentano hat vor allem diese Fragen der systematischen und methodischen Grundlegung der Philosophie, die von der Psychologie her zu beantworten sind, zu klären versucht. Die spätere, durch den Bruch mit der dogmatisch verfaßten Religion bedingte Weiterentwicklung des Philosophiebegriffes nimmt in das Eigenverständnis der Philosophie andere, zusätzliche Gesichtspunkte auf. Die Erforschung dessen, was als »übernatürliche Offenbarung« zuvor der Theologie reserviert war, wird nunmehr - als »natürliche Offenbarung« 23 - der Vernunft aufgetragen. Damit gewinnt die Philosophie einen universalen Anspruch auf die Erklärung des Seienden, wie ihn zuvor eigentlich nur die Antike gekannt hat. Diese neue Wendung zeigt sich weniger darin, daß Brentano das Seiende auf die

Die »deskriptive Psychologie«, die die »Elemente des menschlichen Bewußtseins und ihre Verbindungsweisen« (DPs, 1) untersucht, wird von Brentano - allerdings in »praktischer« Hinsicht - als characteristica universalis (DPs, 76 f.) verstanden. 21 Brentano unterscheidet zwei Klassen von Axiomen: die affirmativen aposteriorischen Tatsachenerkenntnisse, die assertorisch gelten (verites defait), und die negativen, apriorischen Vernunftwahrheiten (verites de raison), die apodiktisch sicher sind; vgl. LRU, 144 ff., 162 ff. In den späten Mss. hat Brentano wiederholt Klassifikationen der Axiome aufgestellt; vgl. Ms. EI 3: Axiome (21. 9. 1914); El4:ZurAxiomatik(16.2.1916). 22 Von der inneren Wahrnehmung, in: Ps III, 1 ff.; vgl. auch WE, 149 ff.; VE, 149 ff. 23 Br. Sc.~ell, 64; 95; vgl. zur Kritik der Offenbarung RPh, 43 ff.; 61 ff.; LWO, 26. 20

XVIII

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Grundstruktur des »Realen« 24 zentriert. Die Philosophie ist vielmehr eine Wissenschaft, die nicht nur, wie jede wissenschaftliche Erkenntnis, nach dem »Warum« (i:o Öt6u) des Realen fragt, sondern versucht, diese Kausalanalysen in breit angelegten Untersuchungen auf den »ersten realen Grund« 25 zurückzuführen, auf das »unmittelbar Notwendige«, auf» Gott«. In dieser theologischen Spitze der Philosophie kehrt problemgeschichtlich die antike Auffassung der »Weisheit« ( aoqi(a) wieder, die die erste, höchste Ursache des Kosmos betrachtet. Es ist nun interessant, daß Brentano diese Fassung der Philosophie - vergleichbar der JtQW11'] qitf..oaoqi(a, wie sie Aristoteles konzipiert 26 - in eine doppelte Aufgabe des Wissens ausfaltet. Die Philosophie 27 ist zwar einerseits »Wissenschaft«, da sie von der Kreatur her über die Kausalanalyse zu einer ersten, alles begründenden Ursache führt. Aber andererseits - da sie diese erste, von sich her »ursachelose« Ursache betrachtet-ist sie nicht

Diese »Fortbildung«, wie Brentano die neue Lehre nennt, ist in K, WE und ANR detailliert dargelegt. 25 RPh, 94. Vgl. auch ANR, 313: »Selbst nachdem ich erkannt habe, daß alles, was ist, notwendig ist, und daß es bei allem, wovon ich das ön erkannt habe, auch ein ÖL6n geben muß, vermag ich vielleicht das ÖL6n nicht anzugeben und werde vielleicht vergeblich danach forschen ... Warum liegt dieses Steinchen jetzt vor mir auf der Straße? Wer könnte die Frage genügend beantworten? Erst wenn einer dies getan hat, hat er aber die eigentümliche Notwendigkeit des hier befindlichen Steinchens aus seiner Natur und der des W eltganzen und des ersten Weltprinzips eingesehen. Bis dahin ist seine Erkenntnis aber nicht, so wie sie Gott eigen ist, gewonnen.« 26 Aristoteles, Metaph. IV 1, 1003 a 21 ff.; 1 1, 983 a 8 f.; VI 1, 1026 a 18ff.; XI 7, 1064 b lff.; vgl. auch den Hinweis auf Aristoteles in RPh, 100. 27 RPh, 101: »Da die Weisheit einesteils Einsicht, anderenteils Wissenschaft ist, so könnte es sich wohl treffen, daß ihr Objekt, insofern sie Einsicht und insofern sie Wissenschaft ist, nicht das gleiche wäre. Und so ist es denn auch tatsächlich. Insofern die Weisheit Einsicht ist, ist ihr Objekt Gott. Insofern sie aber Wissenschaft ist, ist ihr Objekt die Kreatur, das nicht unmittelbar in sich selbst notwendige Reale.« 24

Vorwort

XIX

nur Wissenschaft, sondern »Einsicht« 28 in Gott selbst. Hier - in dieser »Erhabenheit« - als Einsicht in den ersten Grund, der »Über alles sein Licht ausbreitet«, wäre für Brentano die Philosophie durchaus im antiken Sinn »Glück«, »Freude« und »Weihe«29 des Menschen. Insofern nun die Welt durch die »Unendliche Weisheit« geschaffen ist, wird sie-nach Brentanoder »glücklichsten Zukunft entgegengehen«. Es ist daher die Aufgabe des Philosophen, die Einsicht in diese Perfektibilität der Welt »allen Menschen« zu eröffnen, derart, daß die Philosophie zur »Religion des Volkes«3o würde. Aber dennoch bleibt der unerhörte Anspruch dieser Konzeption, wie Brentano selbst bemerkt, abstrakt. Im strengen Sinn nämlich existiert weder die Wissenschaft noch die Philosophie als solche, sondern nur dieser Mensch 31 , der - auch wenn er denkt - doch hier und jetzt lebt und damit in den geschichtlichen Wandel seiner Welt hereingenommen ist. Die Philosophie, auch wenn es ihr primär um Erkenntnis geht, um Wahrheit, muß doch in ihr Eigenverständnis auch den geschichtlichen Kontext aufnehmen, den der Mensch konkret erlebt. Wenn nun für Brentano die Geschichte von der »Erkenntnis und Darstellung der Erlebnisse des Menschen« handelt, dann hat die Philosophiegeschichte von den »Erlebnissen« zu berich-

28 RPh, 100: »So ist denn auch dem strengen Begriff, den das Altertum vom Wissen hat, die Erkenntnis Gottes, zu welcher uns die Weisheit gelangen läßt, kein Wissen, sondern eine Einsicht.« 29 Ebd. 97, 101 ff. 30 Ebd. 71: »Dann wird dem Volke nicht mehr in der Religion ein Surrogat für die Philosophie geboten werden, sondern die Philosophie selbst wird zur Religion des Volkes geworden sein, m. a. W. Philosophie und Religion werden sich nicht mehr unterscheiden«; ebd. 118 u. ö. 31 Für die aristotelische Tradition, in der auch Brentano steht, haben in theoretischer Hinsicht das Wissen und die Wissenschaft, aber auch in praktischem Belang die Tugend nur den Status einer E~Li:;, eines habitus. Es ist nicht der Verstand oder der Wille, der erkennt oder will, sondern der Mensch, der durch diese Vermögen tätig ist; vgl. auch K, 119; 211; 238; 250; 276.

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ten, die die Menschen in der» Entdeckung von Wahrheiten« gemacht haben. »Sie hat uns also über die Entdeckungen dieser Wahrheiten, sowie über die Bestrebungen, die zu diesen Entdeckungen führten oder doch führen sollten und über die Umstände, die dabei fördernd oder hindernd einwirkten, zu berichten« 32. Um dieser »Herausstellung der Wahrheit« 33 willen, von der her auch »Begriff«, »Zweck«, »Methode« und »Einteilung«34 der Philosophiegeschichte abzuleiten sind, hat die philosophiegeschichtliche Forschung die komplexen äußeren, auch biographischen Bedingungen der Philosophie 35 aufzuklären. Die Hermeneutik, die Brentano nicht zuletzt auch im »Blick auf Berlin« entwickelt, versucht der vielschichtigen Bedingtheit philosophischer Wahrheit gerecht zu werden. Der entscheidende, vor allem in der Kontroverse mit E. Zeller36 immer wieder von Brentano herausgestellte Grundsatz philosophiegeschichtlicher Forschung besagt, daß nur die »Philosophie die Geschichte der Philosophie erfolgreich anzubauen vermag« 37 . Dabei gelten Verfahrensweisen, die dazu Vgl. >Einleitung: Vom Begriff der Geschichte der PhilosophieGesch. d. Phil. Einleitung< (n. 25285) skizziert Brentano die Gesichtspunkte, unter denen er einen Autor interpretiert: »... so werden wir beobachten: seine Lebenschicksale, Grundzüge und Zusammenhang seines Systems vollständig, Methode, Wahrheit der Resultate, historische Stellung, Stellen aus seinen Werken.« 36 Vgl. Anhang: >Zur Methode der historischen Forschung auf philosophischem GebietZur Methode der historischen Forschung auf philosophischem GebietZur Methode Aristotelischer Studien und zur Methode geschichtlicher Forschung auf 32 33

Vorwort

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dienen, den philosophischen Gehalt eines Systems freizulegen. Es handelt sich zunächst darum, die Teilaspekte eines Textes im Licht des Ganzen zu sehen, die Themen eines Autors mit denen seiner Vorgänger zu vergleichen, den Gedanken des Verfassers denkend entgegenzukommen, um dann - in dieser Annäherung - sich vom »Geist« des Werkes durchdringen zu lassen. Eine ähnliche Stufung der Interpretationsschritte gilt auch für die Fragen, die die Einheit, Wertung und Kritik eines philosophischen Werkes betreffen. Aber das zentrale, in allen Einzelpunkten durchgehaltene Prinzip philosophiegeschichtlicher Hermeneutik liegt für Brentano, der hier eine ältere Tradition weiterführt, in der »Analogie« 38 , der zufolge die Interpretation den interpretierten Text »widerspiegeln« muß. Es handelt sich im Verständnis eines Autors darum, die »eigene Subjektivität in die seine« zu verwandeln, eine »Verähnlichung« zu erreichen, durch die dann der begriffliche Gehalt eines Textes adäquat erfaßt werden kann. Das, was erstrebt wird, ist daher die »Kongenialität« mit dem interpretierten Autor selbst. An diesem hohen Anspruch, der aber seltsamerweise die Leistungsfähigkeit historisch-kritischer Forschung unterschätzt, wären konsequent auch Brentanos eigene Interpretationen der philosophischen Tradition zu messen. Die hier als Haupttext3 9 edierte Vorlesung, die Brentano in Würzburg gehalten hat, zeichnet in großen, thematisch zusammenfassenden Übersichten die Grundlinien der philosophischen Systeme der Neuzeit nach, deren Beurteilung relativ philosophischem Gebiete überhaupt< (Ms. A 154); >Grundsätze für die Interpretation großer philosophischer Denker, insbesondere des Aristoteles< (Ms. A 2); >Aristoteles' Terminologie< (Ms. H 20). 38 Ebd., 90: »Man weiß, ein wie mächtiges Mittel die Analogie im Bereiche der Naturforschung ist. Sie vorzüglich führt zu den großartigsten Entdeckungen. Etwas ähnliches gilt nun bei der Erforschung der Lehre eines Philosophen.« 39 Nach den Angaben des Vorlesungsverzeichnisses der Universität Würzburg hat Brentano mehrfach über »Geschichte der neueren Philosophie« gelesen: WS 1866/67; WS 1867/68; WS 1868/69; SS 1870; WS 1871 /72. Der vorliegende Text datiert vom SS 1870.

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eindeutig ist und auch später nicht mehr wesentlich korrigiert wird. Es scheint, daß Brentano bereits früh von einem fest gefügten, nur in Nuancen sich ändernden Konzept philosophiegeschichtlicher Wertung ausging. Ähnlich wie in der Geschichte der griechischen Philosophie 40 , aber anders als in der Darstellung der scholastischen Epoche 41 , stützt sich Brentano in der Interpretation der Philosophie der Neuzeit weitgehend auf Primärquellen, während die einschlägige Fachliteratur 42 Vgl. GGPh, 23 ff. 41 Nur mit Ausnahme der Thomas-Texte hat Brentano die Belege von Stöckl, Haureau und Ueberweg übernommen; vgl. GMPh, >VorwortGesch. d. Phil. Einleitunghilosophie 368 beschäftigt sich mit unserer freien Einwirkung auf die Außenwelt. Hier ist besonders der Versuch einer Philosophie der Geschichte originell und Vorzeichen der künftigen Richtung [in Schellings Philosophie]. Drei Perioden [werden unterschieden]: in der ersten offenbart sich das Absolute als blinde Macht, in der zweiten als Natur und in der dritten wird es sich als Vorsehung offenbaren. »In dieser Periode wird Gott sein.« 3) Die Philosophie der Naturzwecke und der Kunst36 9 soll die Antinomie lösen, die Schelling darin findet, daß unsere Vorstellungen von einer Außenwelt abhängig seien und umgekehrt diese von unserem Denken beherrscht werden soll. Die Lösung liege in der Übereinstimmung des Subjektiven und

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Objektiven, welche die Teleologie und Ästhetik nachweisen. Jene betrachtet die Naturproduktion, die, obwohl sie eine bewußtlose ist, einer bewußten gleicht; diese die ästhetische Produktion des Künstlers, die eine bewußte ist, aber einer bewußtlosen gleicht. In der Natur ist die Lösung bewußtlos, in der Kunst bewußt gegeben. In ihr gelangt die Intelligenz zur vollkommenen Selbstanschauung; sie ist die einzige und ewige Offenbarung des Absoluten und unveränderlich Identischen, das allem Dasein zugrunde liegt; und daher ist sie sogar höher als die Philosophie zu stellen. So [Schellings Philosophie um) 1800. System des transzendentalen Idealismus. [2.) In den folgenden Jahren (1802-1803) näherte er sein System, indem er eine völlige Indifferenz des Idealen und Realer. annahm, noch mehr Spinoza an. »Die absolute Vernunft ist die Vernunft als totale Indifferern~ des Subjektiven und Objektiven gedacht. Außer ihr ist nichts. Das höchste Gesetz für das Sein der Vernunft, also für alle> Sein, ist das Gesetz der Identität.« 370 »Wir behaupten eine innere Identität aller Dinge und eine potentielle Gegenwart von allem in allem«. 371

[3. SpätereEntwicklungen]

[1.] Schelling [hat] noch mehrere Perioden 372 durchlaufen, indem er den Neuplatonikern, Giordano Bruno, Jakob Böhme, St. Martin, Franz von Baader373 sukzessiven Einfluß gestattete; sein System näherte sich dem Theismus an, ohne recht aus dem Pantheismus herauszukommen. Das wahre Göttliche soll Vereinigung von Naturalismus und Theismus sein - immer mys tischer. [2.] Später fügte er zu seiner bisherigen Philosophie, als der bloß negativen Hälfte, eine zweite positive bei in der Philosophie der Mythologie und Offenbarung374. Wir können nicht daraufeingehen, weil [sie] eigentlich keinen Einfluß auf die Entwicklung375 [hatte). Metaphysik ist Unsinn.

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E. Georg Wilhelm Friedrich Hegel [1.] G. W. F. Hegel376 (1770-1831) galt zuerst als Anhänger des fünf Jahre jüngeren Schelling; 1807 trat er mit seiner Phänomenologie des Geistes als ein auf eigene Faust Philosophierender auf; 1818 nach Berlin berufen, trat er in enge Beziehung zum preußischen Staat, und der Verbindung mit ihm hat er zum großen Teil seinen Ruhm zu danken. Seine Philosophie wurde in der Art Staatsphilosophie, daß alles andere ihr zu Gefallen unterdrückt wurde. J. F. Fries sagt daher nicht ohne Grund: »Hegels Lehre gehört ihrem großen Einfluß nach mehr in die Geschichte der Schulpolizei Berlin, als in die Geschichte der Philosophie; denn das Ministerium Altenstein hat ihr lange Zeit einen forcierten Cours hoch über Pari gesichert.« 377 Hegel [zeigte sich] nicht undankbar. Er deduziert in seiner Philosophie der Geschichte den preußischen Staat als das Ende der weltgeschichtlichen Entwicklung, als das verwirklichte Ideal der Philosophie des Rechtes. [2.] Im Osten beginnt die Weltgeschichte und endet im Westen, wo es dem Geist durch den Protestantismus endlich gelingt, sich ganz als das zu erfassen, was er ist. Preußen aber ist im prägnanten Sinn der protestantische Staat378. Dieses Preußen also mit seiner Erbmonarchie und ihren beratenden Ständen, [mit] einem Zentner Absolutismus in der einen und zwei Quäntchen Volksfreiheit und öffentliche Meinung in der anderen Waagschale, ist die zum Bewußtsein ihrer selbst gekommene sittliche Substanz, die Vernunft und Freiheit selber. [3.] Nichtsdestoweniger [ist] der Erfolg Hegels nicht bloß auf Rechnung äußerer Unterstützung [zu setzen]. Es lag im Geist der Zeit. Hegel starb auf dem Gipfel des Ruhms 1831 an Cholera. Gerade im rechten Moment; hätte er länger gelebt, so würde er die Auflösung seiner Philosophie erlebt haben.]. E. Erdmann379 selbst [muß dies anerkennen]. Charakteristisch für Hegel und seine Philosophie ist die Äußerung, die er kurz vor seinem Tode getan: Von seinen Schü-

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lern habe ihn nur einer verstanden, und dieser habe ihn mißverstanden380. [4.] Auf die skeptische Weise des theoretischen Philosophierens bei Kant war eine kräftige Reaktion gefolgt; namentlich hatte Schelling beinahe alle Schranken des Kritizismus gebrochen und mit unmittelbarer intellektueller Anschauung das Absolute als Identität des Subjektiven und Objektiven gefaßt. Dadurch hatte man, wenn auch in einer unnatürlichen Weise, Fülle an die Stelle des Mangels gesetzt. Allein der Mangel jeglicher Ableitung und Methode mußte sich mehr und mehr fühlbar machen. Hegel half nun auch diesem Bedürfnis ab. Wenn Schelling ein Surrogat gegeben hatte für die erkannte Wahrheit, so gab Hegel nun auch ein Surrogat für die Ableitung der Wahrheit in seiner dialektischen Methode, indem er zugleich die Lehre umbildete und bereicherte in der Weise, daß er das Absolute nicht bloß als Identität, sondern ebenso zugleich als das immanente Setzen eines Systems von Unterschieden innerhalb seiner selbst faßte. [Denn Wissenschaft sei etwas anderes »als die Begeisterung, die, wie aus der] Pistole [geschossen, mit dem Absoluten Wissen unmittelbar anfängt«]. [Andernfalls wäre dieses absolute Wissen, da in seiner Identität nichts zu unterscheiden ist, gleichsam die] Nacht, in der alle Kühe schwarz seien381 . Bei Schelling [ist] das Absolute Indifferenz, bei Hegel Entwicklung.

[1. Methode]

[1.] Das Eigentümliche bei Hegel ist die Methode382. Nach ihr soll das Denken, wenn man es frei gewähren läßt, voraussetzungslos die gesamte und absolute Wissenschaft produzieren. [2.] Jeder Begriff hat nämlich seinen eigenen Gegensatz, seine eigene Negation von sich, ist einseitig, treibt fort zu einem zweiten, welcher sein Gegensatz, aber für sich ebenso einseitig ist wie der erste; daran zeigt es sich, daß sie nur Momente eines dritten Begriffes sind, der die höhere Einheit der beiden ersten ist, sie in höherer Weise in sich enthält. Aber dennoch

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ergibt sich auch dieser Begriff als einseitig, treibt zu seiner Negation und dann zu einer höheren Einheit fort usw. Diese immanente Selbstbewegung des Begriffes ist die Hegelsche Methode, die »absolute Methode«, die »dialektische Methode«383. [3.] »Alle Position ist Negation; jeder Begriff hat das Gegenteil seiner selbst an ihm und führt somit fort zu seiner Negierung in einem Entgegengesetzten. Aber auch alle Negation ist Position, Affirmation. Wird ein Begriff negiert, so ist das Resultat nicht das reine Nichts, ein reines Negatives, sondern ein konkret Positives; es resultiert ein neuer, um die Negation des Vorhergehenden bereicherter Begriff.« 384 So ist die Negation Vehikel des Fortschrittes 385 . Position, Negation, Einheit beider sind die drei Momente der absoluten Methode, die Hegel durch sein ganzes System, freilich mit dem größten und widernatürlichsten Zwang auf der einen und mit der größten, nur leise verdeckten Willkür und Inkonsequenz auf der anderen Seite, durchführt. Darum [ist] seine Philosophie der Gipfel der Philomanie oder - wie man sagt - der Ausartung. [2. System]

[1.] Sein System zerfällt in drei Teile386, wie überhaupt gemäß seiner Methode alles dreiteilig ist: Wissenschaft der Logik, Naturphilosophie, Philosophie des Geistes. [2.] Das Reich der Logik38 7 ist die Wahrheit, wie sie »ohne Hülle« ist. Sie ist sozusagen »die Darstellung Gottes, wie er in seinem ewigen Wesen vor Erschaffung der Welt und eines endlichen Geistes ist«. In dieser Hinsicht ist sie allerdings ein »Reich der Schatten«. Nur diese Schatten sind andererseits auch die einfachen, von aller sinnlichen Materie befreiten Wesenheiten, in deren dramaturgisches Netz das Universum hineingebaut ist. Das Absolute ist nämlich zuerst reiner, stoffloser Gedanke; seine Entwicklung als solche, die logische Entwicklung des Absoluten, gibt die Wissenschaft der Logik.

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[3.] Dann aber entäußert [das Absolute] sich selbst, wird Anderssein des reinen Gedankens. Auseinandergehen desselben in Raum und Zeit - gleich Natur 38 8. Davon [handelt die] Naturphilosophie; sie betrachtet die Idee in der Form des Andersseins, als den aus der logischen Abstraktion herausgesetzten, eben damit aber auch selbst einseitig gewordenen Begriff. [4.] Endlich kehrt [das Absolute] zu sich selbst zurück, hebt das Anderssein der Natur auf und wird dadurch wirklicher, sich wissender Gedanke - Geist389. Die Geistphilosophie betrachtet die Aufhebung der Selbstentäußerung des Begriffes in die Natur, das Identischgewordensein von Denken und Natur. [5.] Wie das Ganze, so sind auch alle Teile und die Teile der Teile dreigliedrig 390 . Logik: Lehre vom Sein, Wesen, Begriff. Naturphilosophie: Mechanik, Physik, Organik. Geistphilosophie: Lehre vom subjektiven, objektiven und absoluten Geist. [Die Logik behandelt die Lehre] vom Sein: von der Qualität, Quantität, dem Maß; die Lehre vom Wesen: von dem Wesen, der Erscheinung, der Modalität; die Lehre vom Begriff: vom subjektiven Begriff, objektiven Begriff(d. i. vom Objekt, vom begrifflich bestimmten Sein), der Idee usf. So zerfällt auch innerhalb des Gebietes die Naturphilosophie. Die Lehre von der Organik [handelt]: vom geologischen, vegetabilischen und animalischen Organismus. (Mineral-, Tier-, Pflanzenreich). Dann in der Geistphilosophie, die Hegel mehr durchgearbeitet hat, [finden wir] die Lehre vom subjektiven Geist: Anthropologie, Phänomenologie, Pneumatologie; [die Lehre] vom objektiven [Geist]: Recht, Moralität und die beide in sich vereinigende Sittlichkeit; [die Lehre] vom absoluten Geist: Kunst, welche die Idee in Form der Anschauung, Religion, welche die Idee in Form der Vorstellung, Philosophie, welche die Einheit der beiden ersten, die Idee in Form des Gedankens ist. Diese Dreigliederung 391 geht noch weiter ins einzelne. Sehen wir davon ab und betrachten wir den Ausgangspunkt der absoluten Philosophie.

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[a) Logik]

[1.] In seinem Anfang392 kann das Denken noch keinen besonderen und bestimmten Inhalt haben. Der Anfang der Wissenschaft ist daher der unmittelbare, bestimmungslose Begriff des Seins3 93, ein völlig dumpfes, leeres Bewußtsein. In seiner Bestimmungslosigkeit [ist das Sein] gleich Nichts3 94; so schlägt dann das Sein in sein Gegenteil um. Es läßt sich das Sein nicht festhalten, es geht über in das Nichts. Ebenso ist umgekehrt das Nichts nicht festzuhalten; indem wir versuchen, es zu fixieren, wird es uns unter der Hand wieder zum bestimmungslosen Sein. So ist ein beständiges Hinüberund Herübergeben, ewige Unruhe, d. i. das reine Werden3 95, welches weder Sein, noch Nichts, aber ebendarum die Einheit und Wahrheit beider ist. Das Werden enthält einen Widerspruch, der sich nur aufhebt, indem seine Unruhe zur Ruhe [kommt]. »Das Werden ist eine haltlose Unruhe, die in ein ruhiges Resultat zusammensinkt«396 . Dieses ruhige Resultat, der Niederschlag des Werdens, die endlich ruhige Einheit des Seins und Nichts, ist das Gewordensein, das Dasein397. [2.] So geht nun das reine Denken fort von den inhaltslosesten bis zu dem inhaltsvollsten Gedanken, der als der höchste alle früheren Bestimmungen aufgehoben in sich enthält in der doppelten Bedeutung des Wortes: als aufgelöst und aufbewahrt398. Wir können ihm nicht Schritt für Schritt auf diesem langen Wege folgen, auf dem die Unterschiede und Gegensätze der Begriffe sich auseinander hervortreiben und sich zu immer höheren und reicheren [Bestimmungen] aufheben: Qualität, Quantität und Maß; Wesen, Erscheinung und Begriff; subjektiver Begriff, Objektivität und Idee; Mechanismus, Chemismus und Teleologie; Leben, Erkennen und endlich die absolute Idee399. Alles quillt aus dem Anfang, dem noch bestimmungslosen Sein hervor. [3.] Die absolute Idee, die höchste und letzte in der logischen Entfaltung des Absoluten, enthält alle früheren Bestimmungen aufgehoben in sich und ist die Einheit aller Unterschiede und Gegensätze, die »sich wissende Methode und alle Wahrheit« 400.

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[4.J »Diese absolute Idee nun«, sagt Hegel, »entläßt sich frei, ihrer absolut sicher und in sich ruhend«401. Als aus sich entlassen, ist sie das Andere ihrer selbst, die Natur.

[b) Naturphilosophie]

[1.] In der Natur 402 ist, was im Schatten- und Geistesreich der Logik abstrakt und durchsichtig war, materiell und äußerlich geworden: räumlich und zeitlich in die Reiche des Mechanischen, Physikalischen und Organischen ausgebreitet, liegt der ganze Inhalt der Idee. [2.] Hier lebt die Idee gewissermaßen in der Fremde. Inadäquater Ausdruck. Hegel selbst fühlt sich also wirklich mit seiner Idee in der Fremde heimatlos.

[c) Geistphilosophie J

1. Aber aus ihrer Entäußerung kehrt in das Reich des Geistes403 die Idee wieder zu sich selbst zurück. Der Geist ist die Wahrheit der Natur, die Aufhebung seiner Entäußerung, das Identischgewordensein mit sich. Aber nicht plötzlich: die Idee, die so ganz und gar außer sich gekommen [ist), kann unmöglich anders als sehr allmählich sich wiederfinden. Von der Natur herkommend und gleichsam auf der Heimreise zu sich selbt begriffen, ist der Geist zuerst Seele oder Naturgeist, dann wird er bewußtes Fürsichsein, individuelles Ich, dann aber überwindet er, wie vorher das Natürliche, jetzt auch die Subjektivität. Er wird Gemeinbewußtsein, d. h. wahrhaft allgemeines, also wahrhaft vernünftiges Selbstbewußtsein, und wir haben jetzt den Geist als Geist. [2.] Als solcher 404 ist er zuerst theoretischer, dann praktischer Geist, d. i. Wille, der sich zum freien Willen ausbildet. Die Freiheit aber realisiert sich in Recht, Moralität und Sittlichkeit. Der sittliche Geist ist zuerst in der Form der Familie vorhanden, dann wird er, indem die Familie in eine Vielheit von Familien

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auseinandergeht, zur bürgerlichen Gesellschaft, und diese geht in den Staat über. [Hegels] Staatsideal405 ist, wie schon gesagt, nichts anderes als die Abstraktion des preußischen Staates, wenn nicht besser zu sagen: dieser [preußische Staat ist] die konkrete Darstellung des Hegelschen [Staatsideals]; denn vorher unverhüllter Absolutismus, a la Hegel jetzt ein Absolutismus im Schafspelz des nichtssagendsten Standestums, d. h. Stände sollen sein, aber in keiner Weise zur Kontrolle oder als Schranke der Regierung, nicht zur Wahrung der Volksrechte, sondern nur, damit das Volk erfahre, daß gut regiert werde, damit das Bewußtsein des Volkes dabei sei und der Staat ins Bewußtsein des Volkes komme. [3.] Der Staat und die einzelnen Völkergeister münden in den Strom der Weltgeschichte, sie stehen um den Thron des absoluten Geistes, d. i. des Geistes, insofern er aus der Objektivität zu sich selbst zum Wissen der absoluten Idee als der Wahrheit alles Seins zurückkehrt. Die erste Stufe des absoluten Geistes ist die Kunst, die zweite die Religion, die dritte die absolute Philosophie, die höhere Einheit von Religion und Kunst, das Wissen des Absoluten 406 • Sie ist der sich selbst als alle Wahrheit wissende, das ganze Reich der Natur und des Geistes aus sich selbst produzierende Gedanke. [4.] Wir haben [die absolute Philosophie] in ihren Grundlagen kennengelernt. Alle Namen, die je ein früheres philosophisches System verdient, kommen ihr zu. Jedes [frühere philosophische System] ist ein vollberechtigtes, vorbereitendes Entwicklungsmoment: der Grundgedanke vonjedem [wird] eine Kategorie, [aber in] zeitlicher Folge. Die absolute Philosophie, wie die absolute Idee, [hat] alle Kategorien in ihr aufgehoben. [Sie ist die] Einheit aller 407. [5.] Rückblick: Vergleich mit Cusanus408. Einfluß der Kirche. Naturwissenschaft. Vorwurf der philosophischen widernatürlichen Methode. Proklos409.

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F. Johann Friedrich Herbart ]. F. Herbart4 10 (1776-1841). (Die Erbschaft Kants sei in die Hände eines taumelnden Geschlechts gefallen. Kritizismus; aber nicht eigentlich skeptisch411). [1.] Realismus. Philosophie ist gleich »Bearbeitung der Begriffe« 412. In der Logik, um sie deutlich zu machen, in der Metaphysik, um sie begreiflich zu machen, in der Ethik, um sie durch Wertbestimmungen zu ergänzen. [2.] Wir achten nur auf die Metaphysik4 13. Was heißt: [Die Metaphysik macht die Begriffe begreiflich?] Die Begriffe, in welchen wir notwendig die Erfahrung der Dinge und unserer selbst fassen, tragen Widersprüche in sich: obwohl gegeben, sind sie daher undenkbar, soz. B. Raum, Zeit, Werden, Bewegung usw. Was also tun? Weggeworfen, [aber auch] beibehalten können sie nicht werden. - Es könnte nichts scheinen, wenn nichts wäre. Jeder Schein [ist eine] Hindeutung auf ein Sein. Umarbeiten, um die Widersprüche hinauszuschaffen - dies [ist] die Aufgabe der Metaphysik. [3.] Die drei hauptsächlichsten Begriffe, worin solche Widersprüche enthalten, sind die »Veränderung«, das »Ding mit mehreren Eigenschaften« und das »Ich mit mehreren Vorstellungen«. [4.] Warum aber gibt es Widersprüche? Dies [ist] aus dem Begriff des Seins 41 4 [zu erklären]. Jeder Begriff muß mit dem Wesen des Seins verträglich sein. Das Sein ist absolute Position, Setzung schlechthin. Die Qualität des Seienden muß daher so gedacht werden, daß sie dem Begriff der absoluten Setzung angemessen ist. Hieraus [folgt]: die Qualität des Seienden kann nur gesetzt werden als schlechthin positiv und affirmativ, daher schlechthin einfach - Vielheit der Teile würde Negation und Relation hineinbringen -, daher als durch Größenbegriffe schlechthin unbestimmbar und der Quantität unzugänglich. Daher [sind auch] die Bewegung und Veränderung, das Ding mit vielen Eigenschaften und das Ich als Subjekt mehrerer Vorstellungen widersprechend.

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[5.] Wie löst nun Herbart den Widerspruch? Mit der Einfachheit [der Begriffe] ist nicht die Einheit notwendig [gegeben]. Der Widerspruch weist auf eine Vielheit415 hin. [Man muß daher sagen:] 1) Statt des Dinges mit vielen Eigenschaften: viele einfache reale Wesen zusammen, davon jedes eine einfache, aber von denen der anderen verschiedene Qualität [besitzt]; 2) Statt der Veränderung: die ursprüngliche Verschiedenheit der Qualität eines Dinges von der eines anderen, welches sich ihr gegenüber ohne irgendeinen Wechsel behauptet, [ist] die Selbsterhaltung. Den Schein der Veränderung will Herbart durch den Hilfsbegriff des intelligiblen Raums und namentlich durch den der zufälligen Ansichten [erklären]. Eine graue Farbe z. B. scheint neben dem Schwarz weiß, neben dem Weiß schwarz, ohne daß ihre Qualität sich ändert. 3) Statt des Ich als Subjekt vieler Vorstellungen: in ähnlicher Weise [ist] die einfache Qualität der Seele, welche sich selbst erhält gegenüber anderen realen Wesen; die verschiedenen Empfindungen sind nichts anderes als die verschiedenen Selbsterhaltungen der Seele. [6.] Ähnlich [werden] auch die Begriffe der »Materie« und »Attraktion« 41 6 [erklärt]. [7.] Herbarts Widersprüche sind keine Widersprüche. Der Begriff des Seins wird in einen anderen verkehrt. Die absolute Position bezeichnete nur den Gegensatz gegen das bloß Gedachte; dann wird eine gänzlich positive Qualität, die gar keine Verneinung mit sich führt und völlig beziehungslos [ist], daraus gemacht. Allerdings kommt Einheit jedem Seienden zu, aber der Einheit des Seins widerspricht nicht die Mehrheit der Teile. Wäre es widersprechend, so würde wie Sein, [auch die] Vorstellung unmöglich sein.

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G. Arthur Schopenhauer [1.] Arthur Schopenhauer41 7 (1788-1860) geht aus von der Welt als unserer Vorstellung. Die Vorstellung ist nicht eine überwiegend sinnliche Tätigkeit, sondern überwiegend Operation des Verstandes 41 8. Die Sinneseindrücke liefern nur das Material, aus welchem der Verstand, dessen Eigentümlichkeit es ist, von den Wirkungen zur Ursache fortzugehen, mittels der apriorischen Anschauungen des Raums und der Zeit sowohl die Anschauung der Welt bildet, als auch die Objekte einfach verbindet und [damit die] empirischen Wissenschaften erzeugt. Die Vernunft abstrahiert dann von der durch den Verstand gegebenen Anschauung [und bildet] abstrakte Begriffe. [2.] Es fragt sich nun: Ist die Welt Vorstellung? Kant 419 hatte sie außerdem noch als unbekanntes X gelten lassen. Schopenhauer versucht, das unergründliche X zu ergründen. Wir können, meint er, in uns selbst dieses X unmittelbar erkennen. In uns ist es der Wille. Denn ich habe oder bin nicht nur Vorstellung, außer ihr bin ich Wille420. [3.] Von hier aus erkennen wir dann, was die Welt ist außer der Vorstellung! Sie ist Wille. Der Wille ist das allen Erscheinungen und Veränderungen zugrunde liegende Reale, das Wesen der Welt. Somit ist dieselbe als Objekt für einen Erkennenden nichts als Vorstellung, abgesehen von dieser aber nichts als Wille 421 . [4.] Da dem Willen erst auf der höheren Stufe seiner Verwirklichung die Erkenntnis hinzukommt, so ist das Wesen der Welt ein Streben ohne Sinn und Ziel 422 . Daher [ist] die Welt nicht die beste, sondern die schlechteste aller möglichen [Welten]. Sie ist nichts als Schlechtigkeit und Elend. Wie [wäre] nun zu helfen? Dies [ist] das ethische Problem. Die Erkenntnis muß den Willen zwingen, sich gegen sich selbst zu kehren, sich selbst zu negieren, aufzuheben. [Das heißt] nicht, das Leben uns zu nehmen 423 - dies wäre noch ein energischer Wille-, aber den Willen zum Leben. Der Wille ist der Grund des Lebens und Daseins und seines Unheils. Willenlosigkeit muß man also erreichen, um in das selige Nichts zu sinken 424 .

ANHANG: TEXTE AUS DEM NACHLASS 1. Philosophie der Geschichte der Philosophie 1. Philosophie 1 ist ein Name, mit welchem die Leute selten eine klare Vorstellung verbinden. Der Name Philosophie der Geschichte der Philosophie muß daher besonders dunkel sein. Ich habe darum schon Sorge getragen, der Ankündigung 2 selbst eine Erklärung des Zweckes beizugeben. Doch will ich auch jetzt Gegenstand und Absicht etwas erläutern. 2. Zur Philosophie rechnet man: Metaphysik, Psychologie, Ästhetik, Logik, Ethik, Politik und Soziologie (Nationalökonomie einbegriffen). Erklärungen: Sehen wir auf das Gemeinsame, so behandelt der Philosoph entweder ganz allgemeine Fragen oder solche, welche sich auf psychische Erscheinungen beziehen. Er tut es, indem er nach den Gründen, den allgemeinen Gesetzen forscht. So ist die Kulturgeschichte keine Philosophie, aber es gibt eine Philosophie der Kulturgeschichte, der Dynamik, der Soziologie. So ist auch die Geschichte der Philosophie keine Philosophie. Aber es gibt eine Philosophie der Geschichte der Philosophie. Sie forscht nach den allgemeinen Gründen, den Gesetzen der Erscheinungen. Dies [ist] unser Gegenstand. 3. Wohl haben wir es in gewisser Weise mit der Geschichte der Philosophie zu tun. Die [geschichtlichen] Perioden werden wir in den wenigen Stunden dieses Semesters uns vorüberführen, aber anders als der Geschichtsforscher es zu tun pflegt. Die Gesetze der Blüte 3 und des Verfalls werden wir darlegen. Und wenn wir die hauptsächlichsten Erscheinungen charakterisieren, so tun wir es, um die allgemeinen Behauptungen zu bewähren. 4. Das hohe Interesse springt in die Augen. 1) Die Philosophie [ist] interessanter als die Geschichte. Darum wie die Geschichte der Philosophie interessanter [ist]

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Texte aus dem Nachlaß

als die Geschichte der Geschichtsschreibung: so wieder die Philosophie der Geschichte der Philosophie als die Geschichte der Philosophie. Wenn unsere Aufgabe keine solche Länge der Darstellung verlangt, so eine größere Tiefe des Eindringens in die wesentlichen Zusammenhänge der Ereignisse. 2) Sie gibt auch eine Vorstellung von dem, was die Zukunft der Forschung 4 sein wird. 5. Sie hat auch hohe praktische Bedeutung. 1) Wer die allgemeinen Charaktere, welche am wesentlichsten unterschieden, die Symptome der Gesundheit und Krankheiten kennt, wer von den Bedingungen glücklicher Entwicklungen und den Verirrungen weiß, der wird mehr als andere in der Lage sein, sich über neue Erscheinungen ein Urteil zu bilden. 2) Und davon abgesehen: Auch in Ansehung älterer Erscheinungen sind grobe Irrtümer möglich. Die Urteile [sind] geteilt, widersprechend. Manche wollen unparteiisch, alles in seiner Weise gelten lassen: was Epoche gemacht hat, [wäre] groß. Und man sollte meinen, nach dem Beispiel anderer Wissenschaften [sei dies gerechtfertigt]. Aber nicht so: [Es gibt] Pseudophilosophen, Sophisten. Wie [dies] möglich, das zu erklären, wird mit meine Aufgabe sem. Da geschieht es dann, daß Anfänger blind zugreifen und, zumal die jüngste Vergangenheit viel falsche Philosophie [hervorbrachte], zuerst fehlgreifen; dann, je nachdem verzagend, zweifelnd und unwillig sich abwendend oder, als Lohn ihres Fleißes, [werden sie] nur einen falschen und absurden Glauben davontragen. 3) Dies [wird] vermieden, [wenn man] orientiert. Nach der Sonderung des Echten und Falschen [gewinnt man] erst die rechte Überzeugung davon, daß eine wissenschaftliche Philosophie [möglich ist]. 4) Und [man ist] imstande, Schriftsteller zu wählen, die wirklich fördern.

Philosophie der Geschichte der Philosophie

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Durch dieses Studium [wird der Anfänger] dann tiefer zugleich in die Geschichte der Philosophie und in die philosophische Forschung eingeführt, als die ausführlichste Geschichte der Philosophie, (die über den Wert im Unklaren) [ist, dies] zu tun vermöchte. Propädeutik. 5) Um diesen Vorteil zu gewähren, enthält sich zuerst die Geschichte der Philosophie des Urteils nicht. Aber [die Philosophiegeschichten scheinen] mehr von Historikern als Philosophen geschrieben; hier oft wesentlichst verfehlt. Werte nur in den Details. So Korrektur für die Lehrbücher, (die] ich um so mehr in der Weise zu geben mich gedrängt fühle, als ich nicht dazu komme, Geschichte der Philosophie zu lesen. 6. Die wesentlichsten Momente, welche beim Verständnis der Geschichte der Philosophie in Betracht kommen, sind wohl folgende vier: 1) Das Gesetz der vier Stadien, welches jede große Periode der Geschichte der Philosophie gleichmäßig unterscheiden läßt. 2) Das Gesetz der drei Phasen 5 der aufsteigenden Entwicklung, welche bei der Philosophie analog wie bei anderen allgemeinen, auf der Erfahrung beruhenden Wissenschaften gefunden werden. Dazukommt: 3) der Einfluß, welchen die Arbeitsteilung auf das Gebiet der Wissenschaft, insbesondere auf die Philosophie, gewinnen mußte. 4) der Einfluß, welchen die positive Religion gewinnen mußte, wo sie zu einer nennenswerten Theologie führte. Von diesen Momenten sind wieder die beiden ersten von größerer Wichtigkeit. 7. Wir könnten die Geschichte der Philosophie durchgehen, um jeden einzelnen Punkt ins Licht zu setzen. Aber besser wird es sein, namentlich bei der gebotenen Kürze, zugleich die verschiedenen Momente zu beachten. Ich will darum nur zuerst jeden einzelnen Punkt nur soweit erörtern, als zum klaren Verständnis nötig ist und eine kurze psychologische Begründung geben. Dann, indem ich die Ge-

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Texte aus dem Nachlaß

schichte der Philosophie in ihren vornehmsten Erscheinungen in gedrängter Übersicht vorführe, zeigen, wie das Gesagte darin seine Bestätigung findet. 8. Vor allem aber [ist] nochmals zum Begriff der Philosophie6 im allgemeinen zurückzukehren. Was ist sie? Verschiedene [Autoren] bestimmen [sie] verschieden. Gewöhnlich [sagt man], daß sie eine Wissenschaft [sei]; doch sogar das nicht alle. [A.] Sorel: wie Musik 7 . 9. In der Tat [spricht] manches dagegen. Unsicherheit: Uneinigkeit, Mangel an Tradition, allgemeine Meinung 8 . Doch wenigstens der Tendenz nach [ist sie Wissenschaft]. Und auch wirkliche Erfolge.

II. Zur Methode der historischen Forschung auf philosophischem Gebiet 1. Entwuif Wir haben eine philosophische Gesellschaft 1 gebildet und vereinigen uns heute zu einem ersten Vortrage. Gewiß dürfte es der Natur der Sache entsprechen, wenn derselbe einen gewissen einleitenden Charakter hat und diesen gebe ich ihm, indem ich über eine Frage der Methode spreche. Ich habe dabei im besonderen die Methode der historischen Forschung ins Auge gefaßt, denn ich denke mir und wünsche es zugleich, daß von den nachfolgenden Vorträgen ein gut Teil sich mit historischen Thematen beschäftigen werde. Ernest Renan hat in seinem Buch über Averroes et l'averroisme 2 die Behauptung ausgesprochen, daß alle Wissenschaft sich schließlich in Geschichte der Wissenschaft verwandeln und daß dies dann auch mit der Philosophie so ergehen müsse. Die Spuren dieses Verwandlungsprozesses seien auch heute unverkennbar. Wäre dies richtig, so würde es der Geschichte der Philosophie eine Präponderanz vor allen Forschungen systematischer Philosophie geben, welche ich ihr nicht zuzugestehen vermag. In der Tat war dies ein allzu kühner Versuch, das Interesse des Lesers für seine geschichtlichen Darstellungen zu steigern. Wo ist ein Mathematiker, wo ein Physiker, ein Chemiker oder sonst ein Naturforscher, der zugeben möchte, seine Wissenschaft sei in Geschichte der Wissenschaft aufgegangen oder fange an, in ihr aufzugehen. Im Gegenteil! So gewiß es ist, daß bei einem gewissen Grade der Entwicklung das Bedürfnis nach einer Geschichte der Wissenschaft mächtiger sich regt, so sicher ist es, daß sich in der systematischen Darstellung die Einmengung historischer Momente mit weiterem Fortschritt immer mehr verliert. Kaum daß in der Mathematik noch die Namen einiger Lehrsätze, wie der Pythagoräische Lehrsatz oder die Cardanische Formel, an die großen Männer und an die Zeit erinnern, welche sie in die Wissenschaft einführten.

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Texte aus dem Nachlaß

Die Geschichte der Philosophie mit der Philosophie identifizieren, das heißt einfach an der Philosophie irre geworden sein, das Vertrauen auf ihr wahres Gedeihen verloren haben. Es ist dies ja in unseren Tagen eine nicht seltene Erscheinung, und manche möchten darum einen Wechselbalg dem echten Kinde unterschieben: die einen eine enzyklopädische Zusammenstellung aus allen besonderen Wissensgebieten, andere ein ähnliches physiologisches Sammelsurium und wieder andere die Geschichte der gesamten - freilich im wesentlichen erfolglosen - philosophischen Bestrebungen. Jeder einzelne Fall, in welchem ein philosophischer Beweis siegreich zum Ziele geführt wird, widerlegt diese ganze pessimistische Konzeption. Wenn hier die Bedeutung der Geschichte der Philosophie auf Kosten dieser selbst übertrieben wird, so setzt eine andere sie übermäßig herab. Die Kenntnis der bisherigen philosophischen Versuche soll für die Philosophie keine wahre Forderung sein. Auch diese Behauptung wurzelt in einer Art Pessimismus. Fanden wir eben eine Verzweiflung an der Zukunft der Philosophie und ihrem jemaligen gedeihlichen Streben, so wird hier wenigstens über eine Vergangenheit von Jahrtausenden einfach der Stab gebrochen. Wäre die Ansicht richtig, so müßten wir nach § 2 unserer Statuten jeden Vortrag über ein geschichtlich philosophisches Thema unerbittlich ausschlagen. Daß ich dieser Meinung so wenig als der früher zurückgewiesenen beipflichten kann, habe ich schon zu erkennen gegeben. Ja angesichts der großartigen Erfolge, welche schon das Altertum auf dem Gebiet der Metaphysik, [Psycho ]logie, Logik, Ethik, Politik errungen hat, muß man über sie staunen. Doch ist etwas, was die Verwirrung begreiflicher erscheinen läßt. Sie birgt in der Tat einen guten Teil Wahrheit. Was von der ganzen Geschichte der Philosophie gesagt wird, das gilt von weitgedehnten Perioden. Sie bieten wenig oder nichts, was wir uns eigen machen dürften und haben für den philosophischen Forscher kaum ein anderes als ein pathologisches Interesse. Es sind dies die Perioden der Decadence, namentlich in ihren fortgeschrittenen Stadien, wie sie solche auch in der jüngsten Vergangenheit in einem Schelling, Hegel sich entwickelt hatte. Soll die

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Geschichte der Philosophie so betrieben werden, daß sie wirklich dem Fortschritt der Philosophie dient, so muß darum vor allem auf diesen Unterschied der Perioden Rücksicht genommen werden. 2. Bearbeitung

Einleitung: 1. Edles Ziel. Tempel der Freundschaft der edelsten, echtesten. Prädisponierte, wo nur die Begegnung fehlt. Feld des Kampfes. Die Ansichten. Fortschritt aller im Kampf ums Dasein. Besonderer Segen für uns Dozenten. Schulefür junge Talente. Ihnen gehört die Zukunft. 2. Schwierigkeit. Blick auf Berlin. Wiens jungfräulicher Boden vielleicht in manchem Betracht günstiger. Dennoch [sind] die Schwierigkeiten nicht zu unterschätzen. Und insbesondere die alte Lehre nicht zu verachten: mit dem Kleineren beginnend, erst allmählich zu Größerem überzugehen. So wünsche ich dem Verein allmähliches Wachstum. So und besonders denjüngeren Kräften ein allmähliches Übergehen von leichteren zu schwereren Aufgaben. 3. Zu dem Behuf empfehlen sich besonders historische Arbeiten. Indem heute der erste Vortrag naturgemäß einen einheitlichen Charakter hat, bespreche ich Fragen der Methode und im besonderen von der Methode der historischen Forschung auf philosophischem Gebiete. 4. Es fällt mir nicht ein, dieses Thema erschöpfen zu wollen. Jeder weiß, welch großartige Entwicklung die Methode der historischen Forschung im allgemeinen erfahren [hat]. Die allgemeinen Regeln, zu welchen sie gelangt, gelten auch hier. Ich nehme sie dankbar an, setze sie voraus, ohne bei ihnen zu verweilen, indem ich sofort den Blick gewissen Verirrungen zukehre, die trotz ihrer in weitem Umfang Platz gegriffen und den erfolgreichen Ausbau der Geschichte der Philosophie wesentlich beeinträchtigen. 5. In vierfacher Beziehung möchte ich mir erlauben, diesen Gedanken, soweit es die Zeit gestattet, etwas auszuführen: I. bezüglich der Wahl des zu behandelnden Stoffes;

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II. bezüglich der Mittel bei Dunkelheiten der Lehrsätze und fragmentarischem Charakter; III. bezüglich der Frage nach der Echtheit; IV. bezüglich der historischen Würdigung der an der Lehre zu übenden Kritik. 1. Zur Wahl der Themata 1. Pflicht einer gewissen Abstraktion. Ein Historiker [ist] wie

ein Maler, nicht zwar wie einer, der frei komponiert - diesem (ist eher] ein Romanschriftsteller ähnlich. Aber wie ein Portraitmaler, der, wesentlich verschieden von einem Photographen, von Unbedeutendem zu abstrahieren weiß und dadurch das Bedeutende in um so volleres Licht setzt. Allgemeine Klagen über historische Mikrologie. Auf dem Gebiet der Geschichte der Philosophie wird der Fehler ebenso begangen. Was für eine Fülle von philosophisch völlig Gleichgiltigem bringt uns z.B. Zellers Philosophie der Griechen3, wo sie von speziellen Meinungen der Naturphilosophen, von den Träumereien der Neuplatoniker, ja selbst von Lehren des Aristoteles handelt! Mit ein paar mächtigen Strichen hätte er uns wesentlich dasselbe, ja er hätte uns mehr geboten. Gar sehr würde ich es bereuen, unserer Gesellschaft den Rat gegeben zu haben, sich mit Historischem zu befassen, wenn er zur Folge hätte, daß wir so unsere philosophische Kraft vergeudeten. Das unter dem Gesichtspunkt der Philosophie bedeutende historische Faktum gehört allein in eine Geschichte der Philosophie. Es als solches zu erkennen, dazu gehört allerdings ein gewisser philosophischer Sinn, welcher den meisten, die sich jetzt mit Geschichte der Philosophie beschäftigen, sehr mangelhaft geliehen scheint. Es zeigt sich schon hier, was wir an späterer Stelle wieder und deutlicher erkennen werden, daß nur die Philosophie die Geschichte der Philosophie erfolgreich anzubauen vermag. 2. Auf das Einzelne kann ich hier nicht eingehen. Aber ein paar allgemeine Bemerkungen darf ich nicht unausgesprochen lassen. Perioden der aufsteigenden Entwicklung und des Ver-

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falls. Drei [absteigende] Stadien. Das letzte äußerster Verfall. Diese [Verfallsstadien haben] schier nur pathologisches Interesse. Eingehen in die Details lohnt sich unter philosophischem Gesichtspunkt eigentlich nur bei dem ersten. Was würde man zu einem Geschichtsforscher der Chemie sagen, der ebenso eingehend bei den Träumereien der Alchimisten als bei Lavoisier4 verweilte? Besondere Abmahnung für jugendliche Kräfte. 3. Wie hier Ausscheidung, andererseits Paralipomena Pascal und Fermat, Bernoulli, LaplaceS usw. Und wie vieles zur Logik der Entdeckung6! Franklin, Joh. Müller, Darwin, Thomson, Helmholtz 7 verdienen wohl mehr als mancher berücksichtigt zu werden, dem die Geschichte der Philosophie viele Seiten widmet und widmen wird. Wünschenswert eine Reihe von Arbeiten: Beiträge von N aturforschem.

II. Zur Ermittlung des Verständnisses dunkler und fragmentarisch überlieferter Lehren 1. Betrachtung des Teils im Licht des Ganzen, ähnlich Cuviers

Deduktionen. (Die Teile der Lehre müssen irgendwie, wenn nicht logisch, wenigstens psychologisch kompatibel sein!). Große Verstöße bei Zeller: a) Der göttliche Nus des Aristoteles 8 . Unkenntnis der Welt! Schein. Er selbst [sei] sein Objekt! Dagegen [sagt Aristoteles] 1) über Empedokles 9 : Es begegnet ihm, daß der glücklichste Gott der allerunwissendste wäre. 2) Der Zweck [ist] in ihm wie in dem OtQaTY]y6~10 die Ordnung des Heeres. b) Der göttliche Nus [habe] kein Wirken! Nikomachische Ethik: theoretisches Leben 11 . Aber im nächstfolgenden [finden wir] die Empfehlung des theoretischen Lebens unter dem Gesichtspunkt, daß der Gott besonders liebevoll für den ihm ähnlichsten sorgen werde. c) Insbesondere keine Schöpfung 12 ! Denn aus nichts wird nichts.

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Aber [dagegen ist zu sagen:] 1) Der Gott [ist] das einzig überweltliche [Wesen], andere Geister [sind] Teile der Welt. Zweck in dem Ganzen. In Rücksicht auf sein Bedürfnis [sind sie] in ihrer Zahl bestimmt 13 . 2) Der menschliche Nus [ist] geistig; Form des Leibes; nicht prä- aber postexistent. Lösung 14: bei jenen Schöpfungen von Ewigkeit und darum kein Werden aus nichts, bei diesem aus dem Umstand, daß Geist und Leib des Menschen nach Aristoteles Teile einer einheitlichen Realität sind. Diese ist es nach den allgemeinen Lehren der Aristotelischen Ontologie, welche im eigentlichen Sinn ein Werden hat, nicht aber die Teile, da diese, solange die ganze einheitliche Realität ist, nichts für sich sind. Dieses Ganze aber, da es teilweise materiell ist und diesem Teile nach durch Samen und Embryo vorbereitet ist, wird nicht aus nichts und so gibt es nach Aristoteles in der Tat keinen Fall des Werdens aus nichts, obwohl nach ihm der Gott der Schöpfer aller Dinge ist. Diese Beispiele mögen zur Erläuterung des Gedankens genügen. Ich kann bei ihm nicht länger verweilen und bemerke nur noch, daß, wie die Betrachtung der Gesamtheit der Lehren das richtige Verständnis eines mißverständlichen Satzes gewinnen läßt, [sie] auch dazu dient, die Lücken fragmentarisch überlieferter Lehren zu ergänzen. Kepler 15 hat aus ein paar Beobachtungen des Mars die ganze Kurve konstruiert und die Gesetze erkannt, die den Lauf der Planeten beherrschen. So mag in einer Mehrheit von Aufstellungen ein nicht überlieferter Grundgedanke zu Tage treten! Ich habe in meiner Schrift Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles 16 die uns nirgends erhaltene, aber mehrfach vorausgesetzte Deduktion seiner Kategorientafel zu geben vermocht. 2. Ich komme zu einem zweiten wichtigen Mittel, das denselben Zwecken dient und meist nicht gebührend von den Historikern berücksichtigt wird. Es ist die Vergleichung einer Lehre mit dem, was sich bei Vorgängern und Nachfolgern findet. Oft besteht da eine Verwandtschaft, sei es in den Lehren selbst, sei es in den für sie maßgebenden Gründen (denn in der Begründung hauptsächlich, sagt Aristoteles mit Recht, besteht die Belehrung). Soll ich es an Beispielen erläutern, so kann dazu

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sogleich wieder die schwierige Lehre des Aristoteles 17 über den Ursprung der menschlichen Seele, insbesondere des menschlichen Nus, dienen. Die Präexistenz des Nus wird geleugnet, ebenso seine Entwicklung aus der der Materie. Daß er, wie alles, seine wirkende Ursache schließlich in Gott haben müsse, ist eine Forderung der allgemeinen metaphysischen Anschauungen des Philosophen. So ist es nahe genug gelegt, ihn in einem gewissen Stadium der embryonalen Entwicklung geschaffen zu denken. Aber es fehlt darüber ein deutlicher Ausspruch. Aristoteles sagt freilich da, wo er sagt, daß er nicht aus der Materie sich entwickle, daß er »göttlich« 18 sei, und es wäre möglich, dies im Sinn von gottentsprungen zu nehmen; aber Zeller 19 sträubt sich, dies anders als im Sinne von gottähnlich, das heißt immateriell wie die Gottheit zu deuten und weist daraufhin, daß es anderwärts in diesem Sinne zu verstehen sei. Da kommt uns nun der vergleichende Rückblick auf die Platonische Lehre von der Entstehung der menschlichen Seele recht sehr zu statten. Im Timaeus 20 finden wir, wie der Lehrer des Aristoteles den höchsten Teil der Seele schon unmittelbar von der Gottheit gebildet dem lebendigen Ganzen eingefügt werden läßt; und dieses Moment, wenn jenes {}Eiov sich fände, würde es allein vollends außer Zweifel setzen, daß [Aristoteles) die göttliche Schöpfung des Nus wirklich so angenommen habe, wie es alle seine Prämissen verlangen. Greifen wir zu einem anderen Beispiel. Die Notizen über die ersten jonischen Naturphilosophen sind vielfach recht mangelhaft. Von Thales21, dem ersten aller griechischen Philosophen, haben wir nur vier Sätze: Alles sei aus dem Wasser entstanden und sei Wasser. - Die Erde sei eine Scheibe, die auf dem Wasser schwimme. Der Magnet habe eine Seele, weil er das Eisen anziehe - und: Alles sei voll von Göttern. So geringe Daten! Man möchte verzweifeln, ein anschauliches Bild von dem Ganzen einer Lehre zu gewinnen und ihre Gründe zu verstehen, welche doch so bedeutend war, daß sie den Anstoß zu der großartigsten Entwicklung in der Geschichte der Wissenschaft werden konnte. Und dennoch ist dies nicht mehr unmöglich, wenn wir das Mittel anwenden, von welchem ich jetzt sprach: Betrachtung

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der Nachfolger und insbesondere Anaximander22, seinen nächsten Schüler. Offenbar er und die anderen nächstfolgenden [sind] ihm verwandt, da noch Herakfü23 ihn ehrt, der für so manchen anderen nur verächtliche Blicke hat. Großartiger hylozoistischer Pantheismus. Periodische Entfaltung und Auflösung der Welt. Aus [und] in Wasser, welches sich allseits ins Unendliche ausdehnt. Ein Hauptgrund, warum Wasser das Prinzip [ist, liegt darin,] daß es das Mittlere zwischen Extremen [ist]. (Anaximanders ämtgov 24). Ausführung vielleicht ein andermal. In ähnlicher Weise verhält es sich mit Xenophanes von Colophon 25 , der als der Gründer der Eleatischen Schule bezeichnet wird, die sich in so eigentümlichem Gegensatz zu der jonischen Naturphilosophie entwickelte. Die Fragmente, welche wir von ihm haben, würden wohl ein ganz falsches Bild von seinem Lehrsystem geben, wenn wir nicht das, was sich in Parmenides 26 aus ihm entwikkelte, mit ins Auge faßten. Nicht als ob seine Lehre dieselbe wie [die] dieses berühmten All-Einheitslehrers gewesen wäre. Parmenides27 sieht sozusagen von der bunten Welt nichts mehr, er verdammt sie als Schein, um seine Einheitslehre an die Stelle zu setzen. Xenophanes blickt auf die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, indem er sagt: Alles löse sich ihm in einer Einheit auf. So konnten eigentlich auch Thales, Anaximander, Heraklit sprechen. Warum also ist er 6 Jt(lcilTOc:; EV(oa; 28 ? Warum er erster Gründer der Einheitslehre? Es ermangelt mir die Zeit, nachzuweisen, wie dies aus einer reflektierenden Vergleichung Parmenideischer und Xenophanischer Lehren erkannt werden kann, und wie uns so erst die wahre Eigentümlichkeit der Xenophanischen Lehre als eine höchste Übergangsform begreiflich wird, die ich bis heute in der Geschichte der griechischen Philosophie nicht genügend verstanden und gewürdigt finde. Vielleicht darüber einmal in einem besonderen Vortrag. 3. Noch ein drittes Mittel, welches leider gar sehr vernachlässigt zu werden pflegt, erscheint aber, wo das Verständnis der Lehren und ihres Zusammenhangs bedeutendere Schwierigkeiten bereiten, unentbehrlich. Es besteht dies darin, daß man dem Gedanken des Autors philosophierend entgegenkommt.

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Das vorzüglich ist der Grund, weshalb nur ein Philosoph ein geeigneter Historiker der Philosophie sein kann. Wie es ja auch wohl kein anderer als ein Mathematiker unternehmen wird, eine Geschichte der Mathematik, kein anderer als ein Chemiker eine Geschichte der Chemie zu schreiben. Wie sehr würden sie die Lehren entstellt wiedergeben und uns statt ihrer einen Gallimathias zum besten geben, wenn sie nicht immer zugleich den Blick auf die Tatsachen gerichtet hielten, über welche die betreffenden Forscher handelten. Wenn wir den Vergleich mit den Lehren der Vorgänger und Nachfolger empfahlen, so taten wir es, weil ein kausaler Zusammenhang zu vermuten war. Wenn ich jetzt den Blick auf die Tatsachen und die eigene Erwägung derselben empfehle, so gilt noch viel deutlicher dasselbe. Hätte man dies nicht unterlassen, man hätte nicht so oft das Absurdeste und Menschenunmöglichste in die Schriften der feinsten Denker hineingetragen, indem man an dem toten Buchstaben klebte, statt seinem Autor in das lebendige Gebiet der Forschung zu folgen. Man hat allerdings viel gefehlt, indem man die eigene Subjektivität in die Lehre des fremden Denkers hineintrug. Hegel 29 hat ins besonders darin das Größte an Verkehrtheit geleistet. Aber will man, um diese Charybdis zu vermeiden, dem Historiker zur Pflicht machen, sich allen Mitdenkens und Mitforschens 30 zu enthalten, so verdammt man ihn dazu, nun um so sicherer von der Scylla verschlungen zu werden. Wir müssen das uns subjektiv Eigentümliche möglichst vermeiden, aber das allgemein Menschliche in uns fort und fort zur Hilfe nehmen. Wir müssen darum auch nicht das Tatsächliche in Rechnung ziehen in der Vollständigkeit und Aufhellung, wie es uns vorliegt, sondern in der Mangelhaftigkeit und Dunkelheit, in welcher es dem Philosophen vorlag, dessen Hypothesen und Kombinationen wir uns verständlich machen wollen. Es mag auch dabei noch mancherlei Gefahren bestehen, und ihnen muß vorsichtig Rechnung getragen werden. Ausweichen kann man ihnen nicht, wenn man nicht zugleich jeder Hoffnung auf Erfolg entsagen will. Sicher ist die fast durchgängige Vernachlässigung dieses Mittels der Hauptgrund, weshalb Zeller so fleißige und in einzelnen Details dan-

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kenswerte Arbeiten ihn doch immer in den Hauptlinien die Züge des Systems falsch wiedergeben lassen. Wenn man einem Philosophen philosophisch entgegenkommend, irgendwo einmal seine wahre Meinung gefunden hat, so mag man dem Funde zunächst immer noch mißtrauen. Aber es erfolgen dann alsbald Verifikationen durch andere Momente, die einem, wenn man nicht bereits den richtigen Standpunkt eingenommen hätte, viel leichter entgangen wären. (Scholastiker und Zeller) 31 . 4. Noch ein viertes Mittel muß ich aber schließlich namhaft machen, und es wird inbesonders dienlich sein, die Gefahren, welche sich an die eben beschriebene eigene, entgegenkommende Tätigkeit knüpfen, zu mildern. Es besteht darin, daß man sich von dem Geiste des Philosophen, dessen Lehren man erforscht, gewissermaßen durchdringen läßt. Man weiß, ein wie mächtiges Mittel die Analogie im Bereich der Naturforschung ist. Sie vorzüglich führt zu den großartigsten Entdekkungen. Etwas ähnliches gilt nun bei der Erforschung des Lehre eines Philosophen. All seine Lehren sind eines Geistes Kinder und so in gewisser Weise innig verwandt. So bewährt sich aus einem neuen Grund die Betrachtung des Ganzen als ein Mittel zum Verständnis der Teile. Ja das Ganze, welches in solcher Weise wertvoll werden kann, reicht weiter als dasjenige, von dem wir sprachen, als wir auf die Notwendigkeit einer Kompatibilität der Teile hinwiesen. Auch in dem Studium der Forschungen, welche ganz disparate Gegenstände betreffen, werde ich in die Denkeigenheiten des Forschers eingeweiht, nehme etwas, indem ich ihnen mit dem aufmerksamsten Interesse folge, von ihnen an, verwandle ein wenig meine Subjektivität in die seinige, assimiliere mich ihm: Und auf einem ganz anderen Gebiete kommt mir dann diese Verähnlichung zugute. Dieses sind die vier Mittel, auf welche ich, wo es sich um schwieriges Verständnis und Ergänzung fragmentarischer Überlieferung handelte, als auf vielfach zu sehr vernachlässigte aufmerksam machen wollte.

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III. Untersuchung über Echtheit 1. Nur kurz verweilen. Ich glaube, es wäre wenig praktisch für uns, [darauf] einzugehen: Ich hoffe, wir werden uns an das Bedeutende halten, und hinsichtlich seiner [besteht] nicht leicht ein einigermaßen gerechtfertigter Zweifel. 2. Eines indes kann ich nicht verschweigen. Wo einst Unkritik, [herrscht] jetzt eher Hyperkritik. Man bedenkt vielfach nicht, wenn irgend ein Grund es von vornherein nicht hätte erwarten lassen, daß der betreffende Philosoph die Schrift verfaßt oder diese Ansichten immer oder vorübergehend gehegt: es oft doch noch viel unwahrscheinlicher bleibt, daß ein anderer es getan, von dessen Lehren und Wirken wir sonst jede Spur verloren. So verstößt man gegen die Gesetze der Wahrscheinlichkeitsrechnung, nach welchen eine an sich von vornherein sehr unwahrscheinliche Hypothese für die Ursache eines vorliegenden Faktums sehr wahrscheinlich, ja so gut wie gewiß werden kann, weil jede andere sonst noch ungleich unwahrscheinlicher erscheint. Es häte von zwei Hypothesen, welche einzig ein Faktum erklären können, die eine von vornherein die Wahrscheinlichkeit von V100, die andere aber von V1000000 , so gewänne auf Grund der zu erklärenden Tatsache die eine doch eine Wahrscheinlichkeit von 10000 gegen 1, würde also schließlich als eine ganz überwiegend wahrscheinliche bezeichnet werden müssen. 3. Die Hyperkritik hat sich auf allen Gebieten eingenistet. Ein Schliemann mußte kommen, um sie durch die Erfolge einer vertrauensvolleren Aufnahme der Überlieferung zur Selbstbesinnung zu bringen. 4. In der Geschichte der Philosophie ist es infolge ihrer so weit gekommen, daß man den Sophistes und Parmenides Platon absprach und- mit wunderbarer Verkennung auch der inneren Wahrscheinlichkeit - die Republik als den Erstlingsdialog Platons32 bezeichnen sollte. Ja von Sokrates hat man bestritten, daß er die sokratische Methode geübt habe. Ähnlich wollte man Thomas von Aquin geradezu sein Hauptwerk, die Summa theologica, absprechen, bloß weil es in irgend einem früheren

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Verzeichnis seiner Schriften nicht genannt wird. Joudain33 fragt mit Recht: Wer ist dann der Verfasser, in welchem wir dann den größeren Denker und den größten des Mittelalters überhaupt zu verehren hätten? Ich habe so häufig gefunden, daß jetzt die Neigung zur H yperkritik größer ist als die der Kritik: daß ich, wo jetzt über Unechtheit keine Einigung besteht, zunächst immer geneigt bin, auf der konservativen Seite das Recht zu vermuten. Und diesen Rat möchte ich Ihnen schließlich allen geben. 5. Ich wiederhole übrigens, daß ich glaube, die Gesellschaft, welche überall und auch bei der historischen Forschung die Förderung der Philosophie selbst im Auge hat, werde wenig von den Untersuchungen über Echtheit Notiz zu nehmen haben. Das Bedeutende ist gesichert, und von dem Unbedeutenden mögen wir, ähnlich der Schrift, sagen: Laßt die philosophisch Toten die Toten begraben.

IV. [Kritik und Würdigung des philosophischen Gehaltes] Ich benütze lieber die wenigen Augenblicke, welche ich Ihre Aufmerksamkeit noch in Anspruch nehmen darf, zu einigen Bemerkungen über den vierten Punkt, von welchem ich sprechen wollte, nämlich über die Kritik des philosophischen Gehalts einer Lehre und die Würdigung ihres Verdienstes. 1. Gewiß gehört auch sie zur Aufgabe des Historikers der Philosophie. 2. Und für unseren Zweck ins besonders wäre es nicht förderlich, wenn wir von ihr abstrahierten. 3. Ich habe auch hier einige Fehler und Irrtümer namhaft zu machen, die nicht ungewöhnlich sind. Gewiß hat man bei einer überlieferten Lehre zu fragen, ob sie wahr oder falsch sei. Aber mit der Beantwortung dieser Frage hat man noch nicht das Wesentliche geleistet, was die Beurteilung der Verdienstlichkeit einer Lehre erheischt. Es kann einer eine Wahrheit aussprechen und weiß selbst nicht, wie er dazu kommt. Es war weniger Verstand als Zufall zu nennen. Epikur z.B. hat gelehrt, daß im

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leeren Raum alle Körper gleich schnell fallen. Lange 34 hat ihm dies sehr zum Verdienst anrechnen wollen. Aber wie wenig Wissenschaftlichkeit dabei war, erkannte man sofort an dem Widerspruch, in welchen er bei seiner Weltbildung mit der Lehre tritt. So hat auch Demokrits Atomistik, wenn die Atomistik sich als wahr herausstellen sollte, wenigstens nicht um dieser Wahrheit willen ein Verdienst. Denn, wenn sie richtig ist, ist sie es sicher nicht um der Gründe willen, welche Demokrit zu der Lehre bestimmten. In neuester Zeit hat man bald Heraklit, bald Empedokles gepriesen, weil sie in gewisser Weise Darwins3 5 Lehre antizipiert hätten. 1) Survival of the fittest und Neikos3 6 . Hier ist die Nichtigkeit des Lobes noch ersichtlicher. Nicht bloß die Gründe [haben] keine Ähnlichkeit, sondern auch die Lehre selbst verliert sie bei einigermaßen genauerer Betrachtung. Bei Heraklit Kampf der Gegensätze. Bei Darwin das Ähnliche. Bei Empedokles der Streit, gleich Streben nach Loslösung des verbundenen Heterogenen. Und die Erhaltung des Geeigneten nicht in diesem Kampf. Vielmehr eine ganz rohe Zufallstheorie. So hat man denn vielfach ungerecht gelobt, wegen einer sozusagen zufälligen Antizipation oder eines Anklanges an eine Wahrheit oder wenigstens eine moderne vorgeschrittene Hypothese. 2) Andererseits würde man aber auch vielfach das wahre Verdienst verkennen, wenn man die Würdigung mit dem Urteil über wahr oder unwahr abgetan glaubte. Schon Aristoteles37 [lobte] auch jenen, welcher minder Haltbares vorgebracht. Vergleich mit dem Musiker. 3) Indem man dies einigermaßen fühlte, kam man zu der Ansicht, der Historiker müsse eine immanente Kritik üben. Ob der Philosoph seinen eigenen Prinzipien treu bleibe, seiner eigenen Anforderung genüge: der Aufgabe, wie er sie stelle, entspreche. 4) Nicht ganz das Richtige. Vielmehr seine Leistung unter Berücksichtigung der Umstände: Daten, Vorarbeiten. Die logische oder wenigstens psychologische Kraft, die er bewährt. 5) Vorwiegender Wert der anerkennenden Würdigung, des Heraushebens des Guten.

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6) Abmahnung von zu weitgehender Verfolgung. Axt an der Wurzel. Warum dann noch jedes Zweiglein für sich fällen? Konflikt mit Laas 38 . - Wunsch der Erwerbung der Kongenialität.

III. [Vom Gesetz der geschichtlichen Entwicklung]

1. Wir haben die Einteilung 1 gegeben und dabei auf ein allge-

meines Gesetz aufmerksam gemacht, dem die philosophischen Forschungen in ihrem historischen Verlauf sich unterworfen zeigen. Offenbar ist es von großer Wichtigkeit. [Es hat:] 1) Interesse in sich selbst, 2) Bedeutung wegen mannigfacher Vorteile, die uns daraus fließen. a) Einsicht in den Charakter der verschiedenen Epochen. Eine Vorbereitung des Verständnisses wie nicht leicht durch etwas anderes. b) Blick in die Zukunft. Wenn wieder Verfall [eintritt, dann] die drei Stadien. c) Nicht jedoch [ist] gewiß, daß wieder Verfall [eintritt]. Die Gefahren [sind] offenbar mit der Zeit mehr und mehr verringert, insofern: a) die vollkommen ausgebildete Wissenschaft mehr Kraft hat, dem Verfall zu widerstehen, das Reis zum Baum erwachsen [ist]; ß) eine größere Beteiligung auf diesem wie auf allen wissenschaftlichen Gebieten und an der Geistesbildung überhaupt. y) Anfang praktischer Bewährung. Hoffen wir also! 8) Und um so mehr, als gerade auch die Kenntnis der Geschichte der Philosophie und zwar nicht bloß die Kenntnis ihrer einzelnen Tatsachen, sondern insbesondere das Verständnis ihres Zusammenhanges und ihrer Bedeutung, welches durch den Nachweis dieses Gesetzes nicht unwesentlich gefördert scheint, ein wichtiges Präservativmittel bilden möchte. 2. Es ist aber noch ein anderes großes Gesetz zu erwähnen, welches nicht speziell für den Verlauf 2 der philosophischen Forschungen, sondern in allgemeinerer Weise für den der induktiven Wissenschaften überhaupt aufgestellt3 wurde.

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Auch dieses [Gesetz] hat man psychologisch zu begründen und durch den Hinweis auf die Tatsachen zu verifizieren gesucht. Wie wir für unser Gesetz auf den (harmonischen) Gang 4 der verschiedenen Perioden der Philosophie, so hat man für dieses auf den übereinstimmenden Entwicklungsgang der verschiedenen Wissenschaften hingewiesen 5 . 3. Ein schon öfter von uns genannter französischer Denker, A. Comte 6 , war es, der zuerst dieses Gesetz in dem Entwicklungsgang der Wissenschaften entdeckte und (trotz mancher Versuche im einzelnen) mit Hilfe seiner ausgebreiteten Kenntnisse auf dem Gebiet aller Disziplinen in überzeugender Weise nachwies. Es besagt, daß der Mensch auf jedem der hauptsächlichen Gebiete des Denkens der Reihe nach drei Phasen der Entwicklung durchschreite, von denen Comte die erste als die theologische oder fiktive, die zweite als die metaphysische oder abstrakte, die dritte als die positive oder wissenschaftliche Phase bezeichnet 7. 4. Die Namen sind Mißverständnissen ausgesetzt; namentlich die beiden ersten, und Comte hat nicht bloß andere, sondern auch sich selbst dadurch manchmal irregeführt 8 . Darum hat schon Mill 9 vorgeschlagen, sie durch andere zu ersetzen: statt »theologisch« schlug er personnel oder volitionnel, statt »metaphysisch« abstractionnel oder ontologique vor, statt des Namens »positiv« möchte er lieber phenomenal oder experientiel sagen. Indessen sind vielleicht auch diese Ausdrücke nicht ganz der Sache entsprechend. 5. Ich will es versuchen, Ihnen in meiner Weise 10 dieses merkwürdige Gesetz, dessen Entdeckung gerechtes Aufsehen erregt hat, darzulegen und zu erläutern. Zu diesem Behuf müssen wir auf die Klassifikation der Wissenschaften 11 zurückgehen. Wir erinnern uns, wie die abstrakten Wissenschaften, die Grundlagen aller anderen, in zwei Klassen zerfielen: 1) die Klasse der mathematischen (rein demonstrativen),

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2) die der philosophischen [Wissenschaften] im weitesten Sinne (Erfahrungswissenschaften), welche statt mit bloßen Verhältnissen von Gleichheit und Verschiedenheit, auch mit Verhältnissen ursächlicher Beziehungen und anderer, die mit ihnen zusammenhängen, sich befassen. Unterschied in der Weise, wie sie ihre Gesetze feststellen: die einen a priori, die anderen a posteriori durch tatsächliche Beobachtungen im einzelnen. Dieser Unterschied hat einen zweiten zur Folge, nämlich hinsichtlich der Art der Einsicht, die sie gewähren. Wenn man den Mathematiker fragt, weshalb und wie es geschehe, daß ein bestimmtes Verhältnis der Gleichheit oder der Verschiedenheit sich zwischen gewissen Größen zeige, also z.B. warum das 6. zur 1'. Summe 2 R habe oder warum 12 die Diagonale des Quadrats inkommensurabel sei mit einer der Seiten, so kann er bis auf die ersten Grundsätze und Grundbegriffe zurückgehen und aus diesen das Gesetz 13 in der Art klar machen, daß der innerste Grund der Tatsache offenbar wird. Anders der Naturforscher. Er ist völlig unfähig, auf seinem Gebiet eine solche Einsicht zu gewinnen. Nie und in keinem Fall ist er im Stande, eine Tatsache oder ein Gesetz in der Art zu erklären, daß das innere Wie und Warum einem erkennbar wird. Wenn er ein Gesetz erklärt, so heißt das nichts anderes, als daß er es als einen besonderen Fall auf ein oder mehrere andere, allgemeinere Gesetze zurückführt 14. Ein Beispiel wird dies klar machen, und wir wollen dafür (wie Comte15) den Fall von naturwissenschaftlicher Erklärung nehmen, der vor allen als ein ausgezeichneter und vollkommener gilt, nämlich die Erklärung der allgemeinen Phänomene des Universums durch das von Newton festgestellte Gravitationsgesetz. Dieses Gesetz zeigt uns von der einen Seite die unermeßliche Mannigfaltigkeit astronomischer Tatsachen als eine einzige unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet, nämlich als die Tatsache, daß die Körper einander zustreben im direkten Verhältnis ihrer Masse und im ungekehrten Verhältnis der Quadrate ihrer Entfernungen. Es stellt uns von

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der anderen Seite diese allgemeine Tatsache dar als die einfache Erweiterung eines Phänomens, mit dem wir wie mit keinem anderen vertraut sind, nämlich der Schwere der Körper auf der Erdoberfläche. Newton mit dem Apfelbaum 16. Aber bestimmt es vielleicht auch nur das Geringste darüber, was diese Anziehung und was diese Schwere selbst seien? Zeigt es uns, warum und wie die Körper einander anziehen? - Keineswegs, und jeder Naturforscher betrachtet diese Fragen als unlöslich. 6. Ich glaube, der Unterschied, der in dieser Hinsicht zwischen den beiden Gruppen der Wissenschaften besteht, ist Ihnen einleuchtend. In der Tat ist er nicht eben schwer zu verstehen. Aber dennoch hatte ihn vielleicht noch keiner von Ihnen scharf erfaßt, ehe ich jetzt darauf aufmerksam machte. Um so mehr ist es selbstverständlich, daß beim Beginn der wissenschaftlichen Forschungen, ehe noch eine hinreichende Zahl von Gesetzen der einen und anderen Klasse gefunden war, keine Klarheit darüber herrschen konnte. 7. Was war da die Folge? Natürlich, daß man unterschiedslos auch auf dem Gebiet der induktiven Wissenschaften Einblick in das Wie und Warum zu erlangen strebte, wie in den mathematischen [Disziplinen]. Und hierdurch wurden die Forschungen mehrfach auf Abwege geführt, ja vielfach ihrem wahren Ziel ganz und gar entfremdet. Die vorzüglichsten Geister vergeudeten ihre Kraft, indem sie sich in die unfruchtbarsten Grübeleien und Wortklaubereien verwickelten. 8. Die (klare) Erkenntnis der wahren Aufgabe des Forschens auf diesem Gebiete, der natürlichen Grenzen, in welchen sie sich in der angegebenen Beziehung zu bewegen hat, war daher ohne Z weife! 17 etwas, was den gewaltigsten Fortschritt und eine Reinigung und eine Umbildung des Charakters der Wissenschaft zur Folge haben mußte. Vorher Kindes- und Jünglingsalter, dann Zeit der Reife und Mannesalter 18 .

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9. Hiernach zwei große Phasen 19 : 1) die Phase, in welcher absolute Einsichten [und] 2) die, in welcher nur relative Erklärungen angestrebt werden (ich nenne sie relativ, weil sie in nichts anderem bestehen als in der Bestimmung des Verhältnisses dieser besonderen [Tatsache] zu allgemeineren Tatsachen). 10. Aber die erste der beiden Phasen zerfällt naturgemäß wieder in zwei [Teile:] Nach der Weise, wie die absolute Erklärung versucht wird, nach den Mitteln, deren man sich zu den absoluten Erklärungen bedient. 11. Ein wirklich entsprechendes Mittel gibt es natürlich nicht. Das innere Wesen der Prozesse bleibt ja um nichts weniger verhüllt, wenn man auch meint, es zu enthüllen. Aber gewisse Mittel können doch vor anderen den Schein erwecken, als ob sie entsprechend seien. Es gibt Fälle von Verursachung, in welchen es besonders leicht geschehen kann, daß man sich einbildet, eine unmittelbare Einsicht in das innere Wie und Warum der Prozesse zu besitzen, und natürlich wird man nach ihrer Analogie20 dann auch die anderen [Ursachen] sich zu erklären suchen. Wenn wir sehen, wie die Nadel sich zum Magnet oder ein Schnitzelchen Papier zum geriebenen Bernstein bewegt, so ist es jedem nur einigermaßen nüchternen Beobachter klar, daß er wenigstens eine unmittelbare Einsicht in das innere Wesen des Vorganges nicht besitzt. [12.] Anders wenn wir uns selbst, unsere Hand, unseren Arm oder irgendein anderes unserer Glieder willkürlich bewegen. Hier geschieht es gar leicht, daß einer meint, er habe einen tieferen Einblick in das Phänomen. freilich ist auch dies [eine] Täuschung, ist doch die unmittelbare Wirkung unseres Willens gänzlich unbekannt, und auch von den zahlreichen bereits entdeckten physiologischen Mittelgliedern fällt keines in das Bewußtsein. Aber diese Täuschung ist eine sehr naheliegende, wie jedem die eigene individuelle Erfahrung lehrt. Daher ist denn auch das ganze Geschlecht zuerst mit einer Art Notwendigkeit ihr unterlegen.

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Hier glaubte man also, die Einsicht unmittelbar zu besitzen. Und man übertrug den Erklärungsgrund durch Analogie nun auch auf andere Fälle. Daher finden wir zuerst eine vitalistische Auffassung aller Phänomene, indem die Menschen derselben ursprünglichen Neigung folgten, die wir noch jetzt an kleinen Kindern täglich zu bemerken Gelegenheit haben, nämlich die eigene innere Beschaffenheit auf die ganze Außenwelt zu übertragen. Uhr2 1 , Tisch 22 , woran [ein Kind] sich gestoßen. So (allgemeiner Fetischismus) Hylozoismus. 13. Indessen mußte mehr und mehr das Unzutreffende der Analogie bemerklich werden. Und dies führte zu einer Reihe von Umbildungen der ursprünglichen vitalistischen Anschauung. Statt daß man die Dinge unmittelbar selbst für lebendig hielt, fing man mehr und mehr an, sie als von lebenden Wesen bewohnt zu betrachten, deren jedes einen gewissen Bereich von Dingen und Phänomenen beherrschte und lenkte 23 . Mit einem Wort, die vitalistische Anschauung 24 verwandelte sich aus einer hylozoistischen in eine polytheistische und in weiterer Entwicklung, indem die Ordnung in der Welt schlecht zu einer Vielheit waltender Geister stimmte, auch wohl in einen Monotheismus25. 14. Indem aber so die vitalistische Weltanschauung ihre einfachste und ursprüngliche Gestalt zu verlieren begann und sich aus dem Hylozoismus in eine Art von Theismus im eigentlicheren Sinn umbildete, mußte sich bald das Bedürfnis eines zweiten Erklärungsmittels fühlbar machen. Denn konnte man wohl die unsichtbaren bewußten Wesen, durch deren Walten man die Vorgänge in der N aturerklärte, noch unmittelbar als Grund jeder Veränderung in ihr betrachten? Im Anfang mochte man es tun, und in Bezug auf einzelne, besonders auffallende und gewaltige Erscheinungen tat man es wohl auch eine längere Zeit, wie z.B. in Bezug auf den Donner und andere Lufterscheinungen und in Bezug auf die himmlischen Gestirne. Aber in Bezug auf Fälle gewöhnlicherer Art fing man doch bald an, das Bedürfnis zu fühlen, ein Mittelglied zwischen je-

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nem göttlichen, eine ganze Klasse von Erscheinungen beherrschenden Wesen und den einzelnen beobachteten Phänomenen einzuschieben, eine Kraft26, die etwas, was den Dingen, an welchen die Erscheinungen beobachtet wurden, bleibend innewohnte, zu ihnen selbst gehörte, und darum auf fortdauernd sich in ihnen tätig erweisen konnte 27 . 15. Dies führte zur Annahme von gewissen Realitäten, welche den Substanzen als Eigenschaften anhafteten und als die unmittelbaren Ursachen ihrer Wirkungen betrachtet wurden. Sie wurden, wie früher das den Dingen zugeschriebene Wollen als die inneren Prinzipien und Erklärungsgründe ihrer Tätigkeit angesehen und unterschieden sich von diesen nur dadurch, daß es nunmehr unbewußte und jeder Willkür entbehrende Kräfte waren, die an die Stelle der bewußten eintraten28. Mehr und mehr nahm man für jede besondere Art von Wirkungen eine besondere Art von solchen Realitäten oder, wie man sie auch nannte, akzidentellen Formen an und gab ihr einen daraufbezüglichen Namen. Z.B. was ist der Grund, weshalb eine Elfenbeinkugel zusammengedrückt die vorige Gestalt wieder annimmt: die ihr innewohnende Elastizität. Was ist die Ursache, warum das Gold so viel wiegt [und] im Wasser zu Boden sinkt: die diesem Element zukommende Schwere. Was ist der Grund, weshalb der Dampf sich ausdehnt: sein Expansionsvermögen. Was ist der Grund, warum kein Körper in den anderen eindringt: seine Widerstandskraft oder U ndurchdringlichkeit u. s. f. · 16. Die lebendigen Prinzipien, welche nunmehr nur noch die entfernteren Erklärungsgründe bildeten, traten allmählich gegenüber diesen Formen mehr und mehr in den Hintergrund; und [dies ist] natürlich, da, wer einen Vorgang in der Natur erklären will, insbesondere auf seine nächsten Ursachen zu achten hat 29. Ja es geschah, daß man auch ganz und gar sie fallen ließ. Hierdurch nahm die Erklärungsweise einen wesentlich anderen Charakter an. An die Stelle der vitalistischen trat die formalisti-

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Texte aus dem Nachlaß

sehe Anschauung, welche leicht den Übergang zu der naturgemäßen Betrachtungsweise bilden konnte. Denn zur Zeit der formalistischen Erklärungen strebte man zwar immer noch nach absoluten Einsichten in das innere Wesen der Vorgänge, und man glaubte ganz unbedenklich durch die Unterscheidung einer entsprechenden Form oder Entität in den Dingen den inneren Grund der Phänomene gefunden zu haben. Aber auf die Dauer konnte die innere Leerheit dieser ganzen Erklärungsweise nicht verborgen bleiben. Alle Männer von Urteil mußten zuletzt einsehen, daß die vorgebliche Darlegung der inneren Gründe in nichts anderem als in der Bildung neuer Namen bestand, die sogar in sehr einförmiger Weise von den Namen des zu erklärenden Phänomens abgeleitet zu werden pflegten. Was ist es, wodurch30 ein Körper dem Eindringen eines anderen widersteht?- Seine Widerstandskraft. Was ist der Grund, weshalb das Gold schwer ist? - Seine Schwerkraft. Was macht, daß der Bernstein 31 andere Körper anzieht? - Seine Anziehungskraft. Und was macht, daß das Opium einschläfert? Seine Einschläferungskraft! - wie Moliere32 wenigstens karikierend seinen Arzt sagen läßt. Das blödeste Auge mußte nunmehr erkennen, daß hier keine Ursache, sondern nur, in naiver Wiederholung, das zu erklärende Phänomen selbst für sich selbst als Erklärung angegeben wurde. So verschwand denn der Traum von einer Möglichkeit absoluter Erklärungen, und die Forschung, so lange durch imaginäre Hoffnungen in ihrem Fortschritt aufgehalten (und von den richtigen Bahnen abgelenkt), wandte sich nun ausschließlich jenen Erklärungsversuchen zu, die allein den menschlichen Erkenntniskräften entsprechend sind. 17. Wir sehen hieraus, daß die erste Phase der Wissenschaft, wie wir sie oben unterschieden haben, die Phase, welche absolute Erkenntnisse anstrebt, wieder in eine doppelte zerfallt: 1) in die Phase der vitalistischen [und] 2) in die der formalistischen Erklärungsversuche. 18. Somit haben wir im ganzen drei Phasen33. Und diese sind im wesentlichen die drei Phasen, die Comte für die Ge-

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samtheit der Wissenschaften unterschieden hat (theologische, metaphysische und positive [Phase] und die erste [Phase]: Fetischismus, Polytheismus, Monotheismus). 19. Und, wie gesagt, für die induktiven Wissenschaften wenigstens hat er wirklich durch eingehende Betrachtungen über die Geschichte der Astronomie, der Physik, der Chemie, der Biologie usf. den Nachweis 34 erbracht. Nur die mathematischen Forschungen können nach dem, was wir über ihren eigentümlichen Charakter bemerkt haben, selbstverständlich nicht dem Gesetz unterliegen. Sicher ist es niemals vorgekommen, daß einer den Grund, weshalb 7 X 7 = 49 oder die 1= Summe eines 6 = 2 R in einer diesen Zahlen und Figuren innewohnenden willkürlichen Neigung gesucht hätte oder auch, wie Mill 35 bemerkt, daß einer zu einem Gott der Quadrate gefleht hätte, er möge doch das Quadrat der Hypotenuse größer als das der beiden Katheten werden lassen. Und aus demselben Grund wie das theologische, hat auch das, was Comte das metaphysische und positive Stadium nennt, hier keine Anwendung. Wir sind ja hier auf dem Gebiete, wo absolute Erkenntnis, eine Einsicht in das innere Wie und Warum wirklich möglich ist. Das absolute Stadium ist hier sogleich das positive. 20. Also nur die induktiven Wissenschaften [durchlaufen alle Stadien], diese aber allgemein. Nur natürlich auch hier [gibt es] keine abrupten, sondern vielmehr sehr allmähliche Übergänge. Nicht jede [Wissenschaft ist] mit der anderen gleichzeitig. Und auch jede einzelne [Wissenschaft ist] nicht sogleich ganz und vollständig; vielmehr [finden wir eine] sehr allmähliche Läuterung. In jeder [Wissenschaft sind] noch heute gewisse Spuren früherer Stadien zu finden. (Comte36). 21. Es fragt sich nun: Ist dieses Gesetz auch auf die Geschichte der Philosophie von Anwendung? Man möchte [es] erwarten. Sagten wir doch, sie sei eine induktive Wissenschaft37. Es scheint aber, [daß] der wirkliche Verlauf ihm nicht entsprechend [ist]. Und selbst die kurze Skizze 38 , die wir früher von ihm gegeben, scheint nicht 39 damit in Einklang zu brin-

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Texte aus dem Nachlaß

gen, da [wir]ja noch in allerneuester Zeit den kühnsten absoluten Idealismus [finden]. 22. Lösung: Hinweis auf den leichteren Verfall [der Philosophie]. Wir müssen die aufsteigenden Epochen betrachten. Wenn wir sie aneinanderreihen, dann in der Tat [besteht] kein Widerspruch, sondern Übereinstimmung und neue Bestätigung. Es würde zu weit führen, hier den Nachweis zu führen; er wird sich aber mit dem Verlauf unserer Darstellung von selbst ergeben, und wir werden nicht versäumen, gelegentlich darauf aufmerksam zu machen. Und eben darum hier erwähnt. 23. Wir sehen aber auch, wie kein Konflikt mit dem früher von uns betrachteten Gesetz der vier Stadien [besteht]. Jenes [ist] der aufsteigenden Entwicklung, dieses vorzüglich den leider viel weiter ausgedehnten Zeiten des Verfalls angehörig. (Dies löst sogar die Rätsel und Schwierigkeiten der Durchführung des anderen [Gesetzes]). 24. Aber wie? Sollen wir nicht auch das Comtische Gesetz mit zur Basis der Einteilung machen? Der Gedanke liegt nahe. 25. Betrachtet man aber die Verhältnisse näher, so zeigt er sich aus mehrfachem Grund unausführbar: 1) Allmählichkeit der Übergänge, so daß keine auch nur einigermaßen deutliche Grenze, vielmehr ein und derselbe Philosoph verschiedenen Lehren und Forschungen nach zu den drei verschiedenen Phasen zu rechnen [wäre]. 2) Der Verfall bliebe unberücksichtigt, der doch von großer historischer Bedeutung [ist]. 3) Die großen Abschnitte, die wir geschieden, [würden] durch die dazwischenliegenden Übergangszeiten und den Bruch mit der Vergangenheit zu scharf bestimmt, als daß irgendwelcher Grund schärfer einschneiden könnte. Nur in den einzelnen aufsteigenden Epochen könnte also etwa dieses Gesetz [zum] Einteilungsprinzip werden. Aber keine [dieser Epochen] im einzelnen zeigt vollständig und in ihrem vollen Charakter 40 die drei Stadien. 26. Irgendwie kann man indessen sagen, daß das Altertum der ersten, das Mittelalter dem zweiten, die neuere Zeit dem

Vom Gesetz der geschichtlichen Entwicklung

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dritten Stadium entspreche, insofern die Hauptentwicklungen des betreffenden Charakters dem größeren Teil nach der einen oder anderen der Perioden angehören. Nur nicht mit völligem Ausschluß [kann dies behauptet werden]. Insbesondere das Positive auch in der dritten [Periode], (welche eine besonders kurze aufsteigende Zeit hat), [ist] nicht völlig zum Durchbruch gekommen. Das vierte 41 [Zeitalter] wird es in dieser Beziehung ergänzen müssen.

IV. Descartes. Meditationen

I. Meditatio

1. Semel in vita generalis omnium mearum eversio necessaria est 1• 2. Ab incertis sicut ab aperte falsis assensio est cohibenda. Satis est ad omnes opiniones reiiciendas, si rationem dubitandi in unaquaque reperero2. 3. Singulae non erunt percurrendae, aggrediantur principia quibus omne nitebatur3. 4. Quidquid ut maxime verum admisi, vel a sensibus, vel per sensus accipi 4. 5. Sensus interdum fallant et nihil eorum, quae putamus sentire, tale est de quo dubitari plane non possit 5 . 6. Numquam certis iudiciis vigilia a somno potest distingui6. 7. Nequidem arithmetica, geometria aliaeque eiusmodi disciplinae, quae non nisi de simplicissimis et maxime generalibus rebus tractant, atque utrum eae sint in rerum natura, parum curant, aliquid certi atque indubitati continere videntur 7 . 8. Nihil est ex eis quae olim vera putabam de quo non liceat dubitare, idque propter validas et meditatas rationes 8 . 9. Consuetae opiniones assidue recurrunt. Prava consuetudo iudicium a recta rerum perceptione detorquet 9 . 10. Non male agam, si opiniones consuetas aliquo quidem modo dubias, sed nihilominus valde probabiles, aliquandiu omnino falsas imaginariasque esse fingam 10 .

II. Meditatio

1. Si nihil aliud, saltem hoc ipsum, pro certo, nihil esse certi, cognosco 11 .

Descartes. Meditationen

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2. Ego sum, ego cogito, necessario est verum 12 . 3. Sum praecise tantum res cogitans 13 . 4. Nihil eorum quae possum imaginationis ope comprehendere ad hanc quam de me habeo notitiam pertinet, mensque ab illis diligentissime est avocanda, ut suam ipsa naturam quam distinctissime percipiat 14. 5. Nihil facilius aut evidentius mea mente potest a me percipi 15 . III. Meditatio

1. In prima cognitione, qua certus sum me esse rem cogitantem, nil aliud est quod me de rei veritate certum reddat, nisi clara quaedam et distincta perceptio eius quod affirmo 16 . 2. Pro regula generali videor possum statuere, illud omne esse verum quod valde clare et distincte percipio 17 . 3. De existentia ignorata non videor de ulla alia re plane certus esse umquam posse 18. 4. Cogitationum mearum sunt tria genera: ideae, voluntates sive affectus et iudicia 19. 5. Praecipuus error consistit in eo quod ideas, quae in me sunt, iudicem rebus quibusdam extra me positis similes esse 20 . 6. Ideae vix errandi materia dare possent, nisi eas ad quidquam aliud referrem 21. 7. Ex ideis aliae innatae, aliae adventitiae, aliae a me ipso factae videntur22. 8. Ratio quae me movet, ut ideas quasdam a rebus extra me existentibus similes existimem, duplex est: primo ita videor doctus a natura, deinde experior illas non a mea voluntate nec proinde a me ipso pendere. Neutra satis firmis est 23. 9. Ideae quae substantias mihi exhibunt maius aliquid sunt et plus realitatis obiectivae in se continent, quam illae quae tantum modos sive accidentia repraesentant 24 . 10. Rursus illa per quam Deum intelligo plus realitatis obiectivae quam illae per quas finitae substantias exhibentur 25 . 11. Lumen naturale manifestum est tantumdem ad minimum esse debere in causa efficiente et totali, quantum in eius-

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Texte aus dem Nachlaß

dem causae effectu. Hinc sequitur, nec posse aliquid a nihilo fieri, nec id quod magis perfectum est ab eo quod minus26. 12. Hoc verum est non modo de effectibus quorum realitas est formaliter, sed etiam de ideis in quibus consideratur tantum exis tentia o biectiva 27. 13. Nec sufficit, si in causis eadem realitas sit obiectiva, sed opus est ut sit in eis formaliter vel eminenter2B. 14. Si realitas obiectiva alicuius ex meis ideis sit tanta ut certus sim eandem nec formaliter, nec eminenter in me esse, necessario sequitur non me solum esse in mundo 29 . 15. Si vero nulla talis in me idea reperiatur, nullum plane habebo argumentum quod me de alicuius rei a me diversae existentia certum reddat30. 16. In ideis rerum corporalium perpauca ea sunt, quae clare et distincte percipio: nemque magnitudinem, figuram, situm, motum; [quibus addi possunt] substantia, duratio et numerus31. 17. Caetera autem ut lumen, et colores, soni, odores, sapores, calor et frigus, aliaeque tactiles qualitates, nonnisi valde confuse et obscure a me cogitantur32. 18. In ideis falsitas proprie dicta non potest reperiri, sed falsitas materialis 33. 19. Ab ideis, quas habeo coloris et frigoris discere non possim an frigus sit tantum privatio caloris, vel calor privatio frigoris, vel utrumque sit realis qualitas, vel neutrum 34. 20. Si ideae, quae confuse a me cogitantur, sint falsae, a nihilo procedunt, hoc est non aliam ob causam in me sunt, quam quia deest aliquid naturae meae 35 . 21. Ideas substantiae, durationis, numeri ab idea mea ipsius videor mutuari potuisse 36 . 22. Idea Dei, eaque sola a me solo profecta esse non potest. Unde Deum necessario existere est concluendum 37 . 23. Non percipio infinitum per negationem finiti. Prior quodam modo in me est perceptio infiniti quam finiti, hoc est Dei quam mei ipsius3B. 24. Idea Dei est maxime vera et maxime clara et distincta39 .

Descartes. Meditationen

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25. Si supponam me forte semper fuisse ut nunc sum, non sequitur auctorem meae existentiae non esse quaerendum 40 . 26. Conservationem sola ratione a creatione differre lumine naturali manifestum est41. 27. Si quae vis in me esset me ipsum conservandi, eius procul dubio conscius essem 42. 28. Devenitur tandem ad causam ultimam quae est Deus. Nullus enim hoc datur processum in infinitum 43. 29. Quia unitas eorum quae in Deo sunt una est ex perfectionibus quas in eo intelligo, impossibile est plures causas partiales ad eius ideam concurrisse44. 30. Ex hoc solo quod existam, quaedamque idea entis perfectissimi, hoc est Dei, in me sit, evidentissime demonstrari Deum etiam existere 45 . 31. Idea Dei est innata, quemadmodum etiam idea mei ipsius46. 32. Percipitur per eandem facultatem, per quam me percipio47. 33. Omnis fraus et deceptio a defectu aliquo pendere manifestum est 48 . 34. In contemplatione Dei maximam, cuius in hac vita capaces simus, voluptatem percipi posse experimur49 •

V. Zu Descartes

Vorstellen und Urteilen. Zwei Grundklassen 1 . Quippe omnes modi cogitandi, quos in nobis experimur, ad duos generales referri possunt: [quorum unus est J perceptio sive operatio intellectus, alius vero volitio sive imperium voluntatis. Nam sentire (Empfindung), imaginari (Phantasie), et pure intelligere (Begriff) sunt tantum diversi modi percipiendi; ut et cupere, aversari, affirmare, negare, dubitare, suntdiversi modi volendi 2. Also auf der anderen Seite steht ajfirmare, negare und merkwürdig parallel: cupere, aversari 3 . Repugnat enim, ut putemus id quod cogitat, eo ipso tempere quo cogitat, non existere 4 . Ein rein negativer Satz, in dem weder unser Denken noch Sein behauptet ist. Übrigens bloße Anwendung des principium contradictionis, das ja keiner als den wesentlichen Fundamentalsatz Descartes' auffaßt. Das cogito in den Meditationes: Sed mihi persuasi nihil plane esse in mundo, null um caelum, nullam terram, nullas mentes, nulla corpora, nonne igitur etiam me non esse? lmmo certo ego eram si quid mihi persuasi. Und selbst wenn es einen allmächtigen Betrüger gäbe: haud dubie igitur ego etiam sum, si me fallit 5 . Das deutet schon entschieden mehr auf die Evidenz des Satzes: Ich denke, ich bin. Selbst wenn das »Ich« abgeleitet wäre[, so bliebe die Evidenz]. Mache einer wahrscheinlich, [daß ich denke, die Erde sei, obgleich es gar keine Erde gibt,] so müßte doch das cogitare unmittelbar erkannt sein 6 . Die einwandfreieste Formulierung ist darum: Hoc pronunciatum: Ego sum, ego existo, quoties a me profertur vel mente concipitur, necessario esse verum 7 . Und vor allem: Cogito, ergo sum 8 ; denn [das] cogito ist nirgendher abgeleitet.

VI. Pascal

1. Eine wunderbare Vereinigung von wissenschaftlichem und künstlerischem Talent und heiligem Edelsinn! Gedächtnis. Wohlgeschulte Methode. Drang, aus einem Satz weittragende Konsequenzen zu ziehen. Drang, eine große Vielheit schon gewonnener allgemeiner Wahrheiten zu verflechten (esprit fin - esprit geometrique 1). Keine N euerungssucht. Bei der Forschung berücksichtigt er die hergebrachten Ansichten, will nur abweichen, wenn er muß. freilich nicht sich die Unsicherheit verbergend. Sie sind ihm Hypothesen, die er kritisiert. Experimenta crucis weiß er trefflich zu ersinnen. Geduldig verfolgt er die langwierigsten Arbeiten. Vielleicht war nie ein Forscher so allseitig eminent begabt wie er. 2. Großes hat er in seinem kurzen Leben geleistet, das auch noch durch Krankheit gehemmt war. Und doch wundert man sich noch immer, daß er bei so seltenen Gaben nicht noch Größeres geleistet. In der Mathematik 2 hat er die große Bedeutung der Descartes' sehen Reform nicht erkannt. In der Physik 3 bemerkt er nicht, daß gewisse Erscheinungen, welche Folgen der Adhäsion sind, zu der Größe des Luftdrukkes, auf den er sie zurückführen will, in keinem entsprechenden Verhältnis stehen. Schon die Schätzung konnte hinreichen, es zu zeigen, und eine genaue Messung war leicht anzustellen. In der Logik 4 hat er sich von der Descartes' sehen Abhandlung über die Methode nicht zu Untersuchungen über die Kunst der Forschung anregen lassen. Er glaubt mehr aus der Beobachtung des Verfahrens der Mathematiker als aus der alten Logik gewinnen zu können. Aber was schöpft er aus ihr?- die Nominaldefinition für Fälle ungenügender Kenntnis des sprachlichen Ausdrucks. Die Wahl der einleuchtendsten Sätze als Grundlage. Den Beweis aller ande-

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Texte aus dem Nachlaß

ren Aufstellungen aus diesen, indem man dem definierten Namen die Definition substituiert. Ähnlich soll die Nominaldefinition auf die bekanntesten Ausdrücke zurückgehen. So in derart de persuaders. Ein weiterer wertvoller Beitrag für die Logik liegt in der Anregung der Wahrscheinlichkeitsrechnung 6 , des einzigen Weges, das Induktionsproblem zu glücklicher Lösung zu führen, an dem Aristoteles 7 jämmerlich gescheitert und das auch Bacon 8 nicht wesentlich gefördert hat, wenn nicht etwa durch die Kritik der Theorie. (Verdienstlich war gewiß auch die Betonung der Bedeutung der Erfahrung und des Experimentes. Aber warum und in welchem Maß wir einer Induktion vertrauen sollen, hat Bacon damit nicht dargetan.) Aber Pascal begreift so wenig den wahren Charakter der Evidenz9, daß er ein mehr oder minder evident anzunehmen sich nicht scheut. Die Parallele mit dem Bekanntsein der Ausdrücke ist hier ästhetisch gefällig, aber nicht treffend. Auch von der Differenz der apodiktisch und assertorisch grundlegenden Sätze hören wir nichts. Descartes 10 hatte eine allgemeine Charakteristik der unmittelbar evidenten Sätze zu geben versucht. Vielleicht war der Versuch ohne viel Erfolg. Pascal tut nichts ähnliches. Dennoch wäre es vielleicht von großem Wert gewesen zu sagen, daß als unmittelbare Fakta nur Tatsachen der inneren Wahrnehmung und als Vernunftwahrheiten nur negative Urteile mit prädikativ geeinigter Materie, resp. die Vorstellung (eines, der dasselbe anerkennt und verwirft) als die eines, der absurd urteilt, einleuchten können. Daß Pascal 11 es für das Wünschenswerteste hielt, daß alles beweisbar, nichts unmittelbar anzunehmen sei, zeigt besonders klar die Verkennung der Bedeutung der unmittelbaren Evidenz. Wie könnte die mittelbare sicherer als das Kontradiktionsgesetz sein, da ihre Gesetze selbst unmittelbar einleuchten müssen, wenn der Beweis nicht aufhören soll, Beweis zu sein? Seltsamerweise wird auch übersehen, daß der Mathematiker im Postulat etwas wesentlich anderes als im Axiom geltend macht. (Daß er nicht andere Grundgesetze für Induktion und

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Deduktion kennt, gereicht ihm meines Erachtens zur Ehre und ist dem Gedanken der Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf sie günstig.) Pascal tut sich etwas darauf zugute, viel Unnützes der alten Logik 12 beseitigt zu haben. Wenn er aber die Zweiten Analytiken des Aristoteles eines Blickes gewürdigt hätte, so hätte er entdeckt, daß er mit dem Unnützen auch sehr Nützliches preisgegeben. Schon die Bedeutung der Modalität war nicht zu vernachlässigen*. Wie in Mathematik und Logik, so läßt er sich auch in der Psychologie nicht durch Descartes anregen. Wir finden ihn in der Psychologie schier gar nicht mit den elementarsten psychognostischen und psychogenetischen Untersuchungen beschäftigt. Keine Untersuchung über den Grundcharakter aller psychischen Phänomene im Gegensatz zu den physischen, keine über die Grundklassen der Beziehung. Gelegentlich bemerken wir freilich, daß er die Zweiteilung in Nus und Orexis beibehalten hat. Ebenso keine Untersuchung über die intellektive Tätigkeit im Gegensatz zur sinnlichen. Keine über das Wesen der Intensität, keine über die Gesetze der Assioziation. Doch gelegentlich bemerken wir, daß er die unvernünftige Macht der Gewohnheit 14 kennt und sie benutzen will. Hier wird eine Art teleologischer Bedeutung auch den blinden und instinktiven Trieben zuerkannt; anderwärts dagegen durch Zusammenordnung mit der Erbsünde herabgewürdigt. Seine Aufmerksamkeit wendet sich, ganz der Descartes'schen Regel widersprechend, fast immer sofort sehr komplizierten psychologischen Erscheinungen zu. Etwas ähnliches finden wir hinsichtlich des Metaphysischen. Schon daß er die Apologetik des Christentums !5 führt, ohne • Wertvolle Gedanken zur Logik dürften auch noch in der Unterscheidung von esprit fin und scientifique liegen. Vielleicht auch in: La vraie philosophie se moque de la philosophie. Und: Se moquer de la philosophie, c'est aussi philosopher. Und: La vrai morale se moque de la morale. La vraie poesie se moque de la poesie13.

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Texte aus dem Nachlaß

vor allem aufUntersuchungen über das Dasein Gotteseinzugehen 16 , ist auffällig. Auch die über die Unsterblichkeit der Seele treten zurück. Und doch erklärt er sie für so außerordentlich wichtig. Aber er wirft sich sofort auf das, was dem positiven Christentum im besonderen eigen ist. Eine Parteilichkeit in der Beurteilung des Für und Wider ist unverkennbar. Seine monströse Applikation der Wahrscheinlichkeitsrechnung zum Erweis der Glaubenspflicht hat Laplace sehr treffend kritisiert 17 . Pascal hätte sicher jedes seiner Argumente für das Christentum in ein Argument gegen dasselbe verwandeln können. Bezüglich der Ethik 18 finden wir sporadisch treffende Bemerkungen wie insbesondere die, wo er auf die Verkehrtheit hinweist, das gleiche Gut beim anderen nicht ebenso wie bei sich selbst zu lieben und zu werten. Aber eine eingehende Untersuchung über die Prinzipien der Ethik mangelt. Die Frage vom freien Willen [ist] auch nirgend erörtert. Die Stellung zum Hedonismus ist nicht deutlich. An gewissen Stellen scheint er die Lust beim Wollen den Ausschlag geben zu lassen. Seine wunderbare ästhetische Veranlagung, verbunden mit einem eminent wissenschaftlichen Geist, lassen auch für die Ästhetik bedeutende Beiträge erwarten. Aber auch hier finden wir nur einzelne wenige Aphorismen. Ähnlich wird Politisches nur eben gestreift. Unter solchen Umständen ist es wohl angezeigt, noch nach einem weiteren großen Hindernis zu suchen. Und ich denke, es liegt in dem Übergreifen von Willensneigungen und anderen als theoretischen Interessen. So lehnt er es ja geradezu ab, auf Gottesbeweise auszugehen, weil sie ja doch zum Heile nichts nützen. Furcht vor Verdammnis 19 . Hoffnung auf den Himmel, auch Entzücken über gewisse schöne, edle Erscheinungen auf dem Gebiete des christlichen Lebens und der Geschichte der Kirche beeinflussen ihn. Das rein philosophische Interesse leidet. Nur was wahrhaft oder scheinbar für eine christliche These spricht,

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wird beachtet. Was gegen sie spricht, dagegen werden scharfsinnige Gegenreden ersonnen, aber derselbe kritische Scharfsinn nicht an den Beweisen pro in Anwendung gebracht. Welche impulsive Natur Pascal war, zeigte er ja auch sonst, sowohl wenn er gegen Toricelli 20 spricht und dem Freunde Roberval2 1 allzuleichten Glauben schenkt, als auch wo er die Lettres provinciales 22 schreibt, die eine so vielfach ungerechte Schilderung geben. Er kennt auch den mächtigen Einfluß des Gemütes auf den Glauben der Menschen. Eine art de persuader 23 , welche lehren würde, wie man die Menschen zur Annahme von Beweisen bringt, scheint ihm eine viel schwierigere Kunst als eine solche, welche nur lehrt, eine unmittelbare evidente Wahrheit aufzuweisen oder Beweise daraus zu führen. So ist denn auch selbst er noch von anderen als vernünftigen Motiven beeinflußt. Der Mann, der schreiben konnte: »Il faut s' embeter dans la foi « 24, hat auch nach diesem Prinzip praktisch sich gerichtet. Und der, welcher so viel Herabsetzendes über die Vernunft 25 geschrieben, um die positive Religion zu erheben, hat sich natürlich von dieser anziehen lassen, ehe er, was jene ihn von Psychischem und Göttlichem hätte lehren können, durch entsprechende Untersuchung klar gelegt hatte. Welche herrliche Gestalt mehr würde die Geschichte der Philosophie ohne dieses traurige Verhängnis in Pascal besitzen! Wieviel hätten wir von ihm zu gewinnen in einer Zeit, wo der Baum der Kirche mehr und mehr abstirbt und fast nur noch Barbarenvölker oder die ungebildeten Teile der zivilisierten überschattet, so daß die Christen zu pagani geworden sind!

VII. Pascal. Pensees sur les miracles

1. Wunder als Anhalt zur Beurteilung der Lehre und umgekehrt 1. 2. Die Wahrheit, Hauptzweck der Wunder. Notwendigkeit einer Regel, um die Wunder, mit welchen Wahrheit und Falschheit verknüpft ist, zu unterscheiden. Wunder, welche zum Götzendienst oder zur Abkehr von Jesu führen, sind mit Falschheit verknüpft, alle anderen mit Wahrheit 2 . 3. Johannes 15, 243. 4. Man soll den Wundern glauben, wenn die Lehre nicht sichtlich falsch ist. Daß sie verdächtig ist, enthebt nicht von der Glaubenspflicht. Andernfalls läge ein Verstoß gegen das unerschütterliche Prinzip vor: Gott kann nicht in Irrtum führen, er würde pflichtwidrig handeln. Wenn größere Wunder entgegenstehen, ist die an die kleineren geknüpfte Lehre als falsch sichtlich gemacht. Anderes ist, zum Irrtum versuchen und in Irrtum führen. Das letztere geschähe, wenn Gott in die Notwendigkeit versetzte, Falsches zu glauben. So kann es denn nicht geschehen, daß einer Wunder wirkt, um Irrtümer, die er zunächst verbirgt, einzuschmuggeln. Und noch weniger, daß Gott zu seinen Gunsten eines wirkt 4 . 5. Wer offen gegen Christus spricht, kann vielleicht Wunder wirken, wer aber heuchelt für Christus zu sein, kann es nicht. Gründe, warum auf Grund der Wunder Christi zu glauben war: obwohl man meinte, er sei nicht von Bethlehem, er fehle gegen das Gebot der Sabbatheiligung, und obwohl er selbst anerkennt, daß der Antichrist ebenfalls Wunder wirken wird. Gegenüberstellung von Fällen, in welchen eine Lehre trotz der Wunder nicht glaubwürdig ist 5 . 6. Deuteronomium 13. Kapitel. Markus 13, 22 6 . 7. Man könnte, meint Pascal, keine falschen Religionen haben, wenn es keine wahre gebe 7 •

Pascal. Pensees sur les miracles

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8. Seltenheit der Wunder. Verborgenheit Gottes. Erstens in seinen Werken überhaupt. Zweitens in der Menschheit Christi. Drittens im Altarssakrament. Viertens in den doppelsinnigen Aussprüchen der Schrift. Fünftens: Jedes Ding birgt etwas. Sechstens: Die Drangsale der Heiligen bergen ihre künftige Seligkeit und die Genüsse der Sünder ihre künftigen Leiden 8. 9. Bedeutung des Wunders von Port-Royal. Falsche Taktik der Jesuiten. Mißbrauch der an sich wahren Sätze: die Wunder sind Anhalt für die Lehre und die Lehre Anhalt für die Wunder. Die Jesuiten haben von den drei Kennzeichen: Beständigkeit, gute Sitten, Wunder, wie die beiden früheren durch Neuerungen und probabilistische Moral, so diese durch ihren Kampf gegen das Wunder von Port-Royal zerstört9. 10. Weitere Vorwürfe gegen die Jesuiten in ihrem Verhalten zu dem Wunder von Port-Royal 10 • Dies scheint Pascal als wahres Wunder insbesondere darum unzweifelhaft, weil durch den Dorn der Krone Christi bewirkt, eine Rückführung auf teuflische Einflüsse unmöglich ist. Rückbeziehung auf[ das, was in] Nr. 4und5 [gesagt wurde].

VIII. Leibniz. Bemerkungen zur Monadologie und Aporien des Verständnisses seiner Lehren vom Raum, von der Seele und gegen den Solipsismus [1. Bemerkungen zur Monadologie J ad 1) Unter einfacher Substanz ist nicht eine solche gemeint,

die keine Zusammensetzung mit Akzidentien zeigt, nur substantielle Teile sollen bei ihr nicht vorkommen 1. ad 2) Leibniz hält es im Gegensatz zu anderen für evident, daß jedes Ganze, in welchem substantielle Teile vorkommen, aus unteilbaren substantiellen Einheiten bestehen müsse 2 . Wer solcher Meinung ist, müßte folgerichtig jede räumliche Kontinuität leugnen. Leibniz scheint dies auch zu tun, indem er unsere Vorstellung des Räumlichen als eine konfuse Vorstellung unendlich vieler, sich nicht berührender Monaden betrachtet. Dabei erscheint aber keine als die nächste, so daß sie hierin wie Raumpunkte sich verhalten. Auch als Phänomen müßte man hiernach sagen, bestehe ein Kontinuum nur scheinbar, und es ist aus diesem Grund die Leibnizsche Auffassung 3 des Raumes mit der Kantischen nicht zu identifizieren. Warum dann aber nicht auch die zeitliche? Und diese zu leugnen, wäre schlechterdings unmöglich. ad 4) Undenkbar erscheint die substantielle Umwandlung ohne Teilung von vornherein keineswegs 4 . ad 7) Auch diese Behauptung ist nicht evident. Ja, es ist nicht begreiflich, wie eine Menge verändert werden soll, wenn keine der Einheiten für sich einer Änderung unterliegt. Leibniz spricht, als wenn eine Änderung, auch eine akzidentelle, nur durch Hinzusetzung oder Wegnahme von substantiellen Einheiten stattfinden könnte. Eine solche findet ja aber auch nicht bei Änderungen von innen heraus statt. Eher könnte gegen die Möglichkeit der Änderung einer Monade durch eine andere (außer der göttlichen) daraus geschlossen werden, daß keine sich mit der anderen berührt. Auch Massenwirkungen sind darum im eigentlichen Sinn nicht möglich. Die Än-

Leibniz. Bemerkungen zur Monadologie und...

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derungen der Relationen setzen absolute Änderungen voraus5. Was von den Scholastikern gesagt wird, hat vielleicht auf die Lehre von der Transsubstantiation Bezug 6 . ad 8) Leibniz spricht, als ob die substantiellen Wesenheiten selbst Qualitäten seien, wo dann mit der Leugnung qualitativer Differenzen auch die der substantiellen Verschiedenheit und Vielheit ausgesprochen wäre 7 . ad 10) Die göttliche Substanz scheint Leibniz hier nicht einzuschließen. M. E. hätte er dies tun können s. ad 11) Leibniz hält es für evident, daß sie ein Prinzip haben müßte, was bei der Änderung in Gott nicht zutreffen würde. Wie es bei den anderen evident sei, legt er nicht dar 9 • ad 13) Hier scheint Leibniz den Satz, daß jedem Wechsel etwas bleibend zugrunde liege, als selbstevident anzunehmen. Auch hier leuchtet aber nicht ein, wie es dies sein soll 10. ad 14) Die Behauptung, jede Affektion, d. h. jedes Akzidens einer Substanz müsse Perception sein, entbehrt der Begründung. Auch die berührte Lehre der Scholastiker ist nicht widerlegt11. ad 15) Auch daß nur Begierden es seien, welche Änderung von Perceptionen herbeiführten, wird unbewiesen behauptet 12. ad 19) Leibniz scheint unter sentiment eine einigermaßen deutliche und von Gedächtnis begleitete Perception zu verstehen 13. ad 20) Die Erfahrung, von der Leibniz hier spricht, kann keine unmittelbare Wahrnehmung sein 14. ad 21) Daß eine Substanz nicht ohne Perception sein könne, ist nicht dargetan. Oder sollte die die Substanz unterscheidende Qualität selbst eine Perception sein? ts ad 23) Auch daß Bewegung natürlicherweise nur durch Bewegung erzeugt werden könne, ist nicht erwiesen 16. ad 29) Leibniz setzt die Differenz zwischen Menschen- und Tierseelen nicht in den Besitz oder Mangel allgemeiner Vorstellungen, sondern in den von notwendigen Wahrheiten. Ich glaube mit Recht. Und daß infolge davon kein Tier an der Got-

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Texte aus dem Nachlaß

teserkenntnis teilhabe, ist klar; aber kaum, daß es keine Selbsterkenntnis habe. Im Verkehr mit anderen Tieren und dem Menschen scheint es sowohl ein Ich als ein Du zu kennen 17. ad 32) Leibniz scheint hier 18 das principium rationis sufficientis dem Prinzip der Kontradiktion zu koordinieren, während er es in den Nouveaux essais 19 ihm deutlich unterordnet. Und auch in dieser Monadologie 20 • Wie, das macht er freilich nicht deutlich. Sein ontologisches Gottesargument 21 könnte, wenn es richtig wäre, dazu dienen. Doch deutet nichts an, daß er davon solchen Gebrauch gemacht. Den Weg, der sich in der Berücksichtigung der unentbehrlichen zeitlichen Kontinuität bietet, hat er so wenig als andere gekannt. Vielleicht liegt folgender Gedanke ihm nicht fern: Wenn unter denselben Umständen Entgegengesetztes eintreten kann, so muß auch Entgegengesetztes zugleich sein können; denn was noch nicht ist, kann auch noch nichts behindern, und somit kann keines der Entgegengesetzten das andere behindern anzufangen, während es selbst erst anfängt. Somit ist der Fall, daß unter denselben Umständen von zwei Entgegengesetzten das eine ebensogut als das andere anfangen könnte, durch das Gesetz des Widerspruchs ausgeschlossen. Indes, wenn diese Erwägung zu dem principium rationis sufficientis im Sinn der wirkenden Ursache führen könnte, so doch nicht im Sinn der finalen Ursache. Dazu scheinen Gedanken, die der Kontingenzbeweis 22 für das Dasein Gottes enthält, zu gehören, und dieser ist nicht rein a priori. Auch könnte man fragen, wie es sich mit solchem, was von Ewigkeit zufällig besteht, verhalte. Es hätte keine ratio sufficiens. Wollte man das eben dargelegte Argument darauf anwenden, so müßte man sagen: Wenn Entgegengesetztes von Ewigkeit gleich möglich ist, so kann keines das andere unmöglich machen und somit müßte Entgegengesetztes zugleich bestehen können, was widerspricht. Wenn in sensu diviso, müßten beide auch in sensu composito möglich sein. Auf dem Weg durch das ontologische Argument, der, wenn an und für sich unzulässig, doch Leibniz zulässig erscheinen mußte, würde er zur Feststellung des Satzes vom zureichen-

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den Grunde23 in seiner doppelten Bedeutung als eines Falles des Kontradiktionsgesetzes gelangt sein. ad 33) Die Unterscheidung von Vernunftwahrheiten und tatsächlichen hat ihr gutes Recht 24 . Doch ist es nicht richtig, daß es irgendeine wahrhaft kontingente Wahrheit gibt, so gewiß wie Leibniz selbst anerkennt, daß alles, was nicht unmittelbar notwendig wahr ist, einen Grund hat.· ad 35) Hier ordnet Leibniz alle unmittelbaren Einsichten notwendiger Wahrheiten dem Kontradiktionsprinzip unter 25 . folgerichtig muß dies darum auch von dem zuvor ihm scheinbar koordinierten principium rationis sufficientis 26 gelten. Ein Irrtum ist es, wenn Leibniz den Satz des Widerspruchs als Identitätsgesetz faßt. Aristoteles 27 ist in diesen Fehler nicht gefallen. Und der Fehler des ontologischen Arguments 28 hängt bei Leibniz damit zusammen. ad 38) Der Ausdruck »le detail des changements n'est qu'eminemment en Dieu comme dans Ja source«29 ist wenig verständlich. Leibniz scheint sagen zu wollen, daß Gott, der Unveränderliche, die Vollkommenheit der von ihm verursachten veränderlichen Kreaturen nicht so wie sie, wohl aber in überragender Weise besitze. Dies soll dann genügen, ihm alle positiven Attribute zukommend zu denken. ad 40) Leibniz hätte die Unbeschränktheit schärfer dartun sollen. Es könnte einer ja glauben, auch die Gesamtheit des Realen stelle keine Unendlichkeit dar 30 . ad 41) Die Gleichsetzung von Vollkommenheit und Realität scheint bedenklich 31 . Sie ist vielmehr gleich der Güte. Auch Schlechtes, wie Schmerz, irrige Behauptung, böser Wille, scheint positiv real. Es ist eine harte Zumutung zu glauben, daß ein Plus, das in einem Zahnweh besteht, noch ein Zuwachs von Vollkommenheit sein würde. Leibniz folgt hier früheren theistischen Denkern. ad 42) Leibniz gebraucht hier eine sehr subtile Ausdrucksweise, die einerseits unnötig, andererseits unfruchtbar scheint. Die Kreaturen haben nicht bloß das Sein im allgemeinen, sondern in specie und individuo von Gott, und von ihnen ist die Unendlichkeit nach dem Kontradiktionsgesetz ausgeschlossen32.

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ad 43) Man kann es nicht billigen, daß Leibniz auch dem bloß Möglichen Realität zuspricht 33 . Ein Gedachtes ist eine bloße Fiktion. Nur das Denkende ist im eigentlichen Sinn. ad 44) Der Ausspruch »l'essence renferme l'existence« 34 ist höchst ungenau und erweckt den Schein, als sei das Dasein Gottes ein Fall des Kontradiktionsgesetzes, was nicht richtig ist, obwohl er gewiß nicht minder unmittelbar notwendig ist, als dieses unmittelbar notwendig wahr ist. Es ist auch sonderbar, wenn gesagt wird, es bedürfe bei Gott nur der Möglichkeit zu seiner Wirklichkeit. Richtiger würde man sagen, es bedürfe bei ihm nur der Erkenntnis, daß er möglich sei, um zu erkennen, daß er wirklich sei. ad 45) Hier 35 zeigt sich, daß Leibniz zur Zeit, als er die Monadologie schrieb, noch ganz so wie früher an seinem ontologischen Argument festhielt. Sein angeblicher Beweis der Möglichkeit Gottes ist grundverkehrt, und zwar schon darum, weil es außer kontradiktorischen auch positiv konträre Bestimmungen gibt; dann aber auch darum, weil der Mangeljeder Kontradiktion keineswegs so einfach erweisbar ist, wie Leibniz annimmt, wie denn z.B. nach ihm selbst der Satz der ratio sufficiens den Charakter des Kontradiktionsgesetztes 36 haben soll. Aber die ratio sujficiens scheint für Gottes Existenz zu fehlen (Kant 37). Man kann behaupten, daß für nichts die Möglichkeit anders zu erweisen ist, als durch den Erweis der Wirklichkeit. Die Schlußbemerkung zeigt, daß Leibniz sich denn doch wohl bewußt ist, daß man gemeiniglich wenig geneigt ist, sich mit seinem apriorischen Gottesbeweis zu begnügen. Und ebenso darum hat er in der Theodicee 38 sich lieber eines aposteriorischen Argumentes bedient. Von diesem ist es aber nicht richtig, daß es sich nur auf die Tatsache eines Seienden im allgemeinen stützt, wie dies Kant39 vom kosmologischen Beweis behauptet. Nur in einem Brief an P. Lamy4° findet sich ein Beweismodus, welcher vom ontologischen Argument sich durch die bloße Zuhilfenahme der Tatsache irgendwelcher Realität unterscheidet. Wie sich Leibniz hier noch als Anhänger des ontologischen Arguments zeigt, so auch des augustinischen und wohl schon

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neuplatonischen, das die ewigen Wahrheiten 41 zum Ausgangspunkt nimmt. Er ist leicht auch hier des Irrtums zu überführen. ad 46) Mit einem gewissen Recht hat man gesagt, durch die Vollkommenheit Gottes sei jede Abweichung vom wirklichen Geschehen nach dem Kontradiktionsgesetz ausgeschlossen. Doch kann man zwischen solchem unterscheiden, was nur darum notwendig ist, weil es zur Vollkommenheit der Welt erforderlich ist, und solchem, wobei die Notwendigkeit unabhängig hiervon festgestellt werden kann. Zu dem ersteren gehört alles, was Leibniz eine kontingente Wahrheit nennt; nicht eben sehr glücklich, würde doch die Kontingenz auch auf göttliche Ratschlüsse ausgedehnt werden müssen, die doch im Begriffe Gottes selbst enthalten sind 42 . ad 49) Leibniz berührt hier die Aristotelische Lehre, wonach etwas wirkt vermöge einer Wirklichkeit, leidet, insofern es zu etwas in bloßer Möglichkeit ist. Wie so vielfach andere überkommene Lehren, wird auch dies unter seiner Hand etwas anderes, und führt zu Konsequenzen, die nichts weniger als gesichert sind. Auch eine konfuse Perception kann nur eine Wirklichkeit sein 43 . ad 50) Schwer verständlich 44 . Auf wen geht das »on trouve«? - Sie selbst? Oder anderes? Gott dürfte, dajede Monade Spiegel des Universums ist, in ihr alles finden, was auf das Ganze der Welt schließen läßt. Leibniz' Absicht geht offenbar dahin, ein Surrogat für die in Wahrheit mangelnde Aktion nach außen zu finden. Es scheint in einem Wollen gegeben, das von Erfüllung begleitet ist. ad 56) Wenn »Spiegel des Universums« nichts anderes besagen will als daß, wer irgendwelchen einzelnen Teil der Welt in seinem letzten Warum erkennt, die ganze Welt erkennen muß, so besteht die Lehre zu Recht. Wenn aber die Meinung dahin geht, daß das ganze Universum konfus in der Perceptionjeder Monade enthalten sei, so hat Leibniz sie nicht gesichert45. ad 57) Was ist der besondere Standpunkt einer Monade? Hängt er von einer Stelle ab, welche Leibniz einem gewissen Punkt im Raum zuschreibt? Glaubt Leibniz wahrhaft an einen Raum? Daß er durch die wechselseitige Beeinflussung der Mo-

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naden gegeben sei, kann man nicht sagen, da Leibniz diese leugnet. Aber durch das, was er zu Surrogaten derselben machen will, scheint der besondere Standpunkt bedingt, ja in der Gesamtheit dieser Surrogate scheint er zu suchen, was ihn ausmacht, zumal wenn man die Surrogate für die mittelbaren Beeinflussungen mit ins Auge faßt46. ad 58) Keineswegs einleuchtend 47. ad 60) Offenbar schreibt Leibniz schon jetzt uns, ja den Monaden allen, eine konfuse Anschauung Gottes zu. Die Konfusion allein verhindere, daß sie eine visio beatifica ist. Aber liegt es dann nicht in der Konsequenz, daß nur für Gott eine wahre visio beatifica möglich ist? Alle, auch die vollkommensten Kreaturen, sind mit Konfusion behaftet. Von welchem Grade der Deutlichkeit an wäre von einer visio beatifica zu sprechen? Und von welchem an würde sie zu notwendiger Sündlosigkeit führen 48? ad 61) Hier49 zeigt sich die eigentümliche Meinung von Leibniz, nach welcher, obwohl keine Monade auf eine andere wirkt, doch Monadenmengen (denn solche sind ja nach ihm die Körper) auf andere Monadenmengen wirken. (Doch kann dies wirklich seine Meinung sein? Hier, wenn irgendwo, wäre die Absurdität handgreiflich. Richtiger ist wohl zu sagen, auch hier sei das Wirken auf andere nur scheinbar, und es suppliere die prästabilierte Harmonie.) Ferner zeigt sich, daß nach ihm, was nach Laplace für einen unendlich vollkommenen Verstand, der das ganze körperliche Universum, wie es besteht, erkennen würde, Geltung hätte, für einen solchen Verstand schon gelten soll, wenn er nur einen kleinen Teil des bestehenden Universums erfaßte. Alles andere, was ist, war und sein wird, wüßte er mechanisch daraus zu deduzieren. Leibniz findet daraufhin eine Ähnlichkeit zwischen Körperlichem und Monadeartigem, da, wie wir eben hörten, auch in ihr das All sich spiegelt. ad 62) Ohne viel Vorbereitung führt hier Leibniz die Lehre ein, daß jede Monade die Entelechie eines ihr zugehörigen, von ihr beherrschten Körpers sei so. ad 63) Was Leibniz hier lehrt, scheint konsequent, enthält aber eine offenbare Absurdität, nämlich die aktuell unendlich

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vielfache Gliederung eines Körpers. Sowohl diese als die aktuelle Unendlichkeit des körperlichen Universums ist unannehmbar51. ad 72) Warum dies? - wohl darum, weil eine sogenannte Einflußsphäre die nächste sein muß und immer ein solcher sogenannter Einfluß, und also auch ein nächster besteht. Warum aber dann nicht sagen, daß das kreatürliche Universum der Körper Gottes zu nennen sei? - Der Einfluß, der aktiv ist, ist hier sogar ein wirklicher, aber es fehlt jedes Analogon des sogenannten Einflusses, den andere Monaden erfahren. Die Entelechie eines Körpers erfahrt aber von ihm sogenannte nächste Einflüsse. [Aber] allernächste [Einflüsse] scheinen durch die Lehre, daß es keine nächsten Monaden gibt, eigentlich ausgeschlossen 52 . ad 74) So wahr es ist, was man in der Lehre omne vivum ex ovo für die Gegenwart dargetan hat, so falsch sind die Konsequenzen, die Leibniz hier mit anderen daran zu knüpfen wagt 53 . ad 78) Hier ist an das zu erinnern, was wir über die Schwierigkeit gesagt haben, den besonderen Standpunkt einer Monade sich klar zu machen. Schon ihre Beziehungen zu einem Raumpunkt bieten Schwierigkeit. Unleugbar könnte auch das ganze innere Geschehen einer Monade ganz so, wie es vor sich geht, bestehen, ohne daß das Universum bestände. Man könnte sich fragen, was unter solchen Umständen den Solipsismus widerlegte. Ja, ob nicht Monaden ohne jede Zusammenstimmung eine größere Mannigfaltigkeit und die Möglichkeit einer vollkommeneren inneren Welt ergäben, weil ihr in Rücksicht aufkeine andere ein Abtrag getan werden müßte. ad 79) Um was für ein »agir« handelt es sich? Um ein scheinbares oder um ein wirkliches? Die Monaden wirken nur scheinbar aufeinander. Wenn es sich also um ein Wirken der Monaden nach außen handelt, handelt es sich um ein bloßes Scheinwirken. Und kann es sich bei Körpern um ein wirkliches Wirken handeln? Kann eine Menge wirken, wenn keine dazu gehörige Einheit etwas wirkt? Aber wie? Sollte es nach Leibniz keine andere als scheinbare »causes efficientes« geben und sollte

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infolge davon seine Harmonie nur eine Scheinharmonie sein? Sollte der Raum für ihn wie für Kant nur phänomenale Wahrheit haben? Sollten wirklich die Absurditäten, die Kant hier lehrt, sich antizipiert finden? Einen deutlichen Ausspruch derselben findet man nicht. Auch das verworren Vorgestellte soll vielmehr eine noch immer richtige, wenn auch unvollkommene Vorstellung von an sich Seiendem sein. Wie also könnte man das Rätsel lösen 54? ad 80) So berechtigt der Tadel Descartes', so unberechtigt ist die Annahme, daß er durch die Berichtigung seines Fehlers zur prästabilierten Harmonie übergegangen wäre. Ihm war ja auch der Occasionalismus fremd 55. ad 81) Es ist vielmehr unverständlich, wie nach diesem System überhaupt von einem Wirken von Körpern, ja von einem eigentlichen Bestand derselben gesprochen werden kann. Eine Harmonie scheint nur zwischen den voneinander unabhängigen, inneren Entwicklungen sämtlicher Monaden zu bestehen 56. ad 83) Mir scheint, daß, wenn jede Monade Spiegel des Universums, auch jede Spiegel der Geister im Universum sein müsse. Sind diese Spiegel der Gottheit und ist der Spiegel des Spiegelbildes Spiegel des darin Gespiegelten, so ist, wenn der Geist, auch die nichtgeistige Monade Spiegel Gottes5 7 . ad 84) Von einer Gesellschaft mit Gott kann nicht die Rede sein, da keine Wechselwirkung [besteht]. Im übrigen vergl. die vorige Bemerkung5s. ad 86) Die Kenntnis Gottes durch die Geister kann nur eine verworrene sein. Und eine gewisse verworrene Kenntnis der Gottheit scheint auch der geringsten Monade kaum abgesprochen werden zu können; nicht durch Schluß erworben, aber schon durch unerschlossenes Denken gegeben 59 . Wenn Leibniz sagt, nur bei den Geistern zeige sich Gottes Güte, so scheint darin anerkannt, daß den nichtgeistigen Monaden nichts um seiner selbst willen Gutes, sondern nur Nützlichkeit eigen ist. ad 90) Die Aufnahme der christlichen Höllenlehre macht die Gottheit für einen Teil ihrer sogenannten Kinder zu einem

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höchst lieblosen Vater. Selbst vom Determinismus abgesehen, enthielt sie, sobald nur an einer allbestimmenden Providenz, welche auch das indeterminiert sich Betätigende vollkommen beherrscht, festgehalten wird, für die zur Verdammung bestimmten eine lieblose Härte. Alles in sich Guten beraubt, wären sie nur als Instrumente ausgenützt 60 .

[2.j Aporien

1. Man fragt, ob Leibniz dem Raum 61 , ähnlich wie Kant, eine bloß phänomenale Wahrheit zuerkannt habe. Es scheint dies unmöglich. Selbst den Sinnesqualitäten scheint er mehr als bloß phänomenale Wahrheit zuzugestehen (vgl. die Nouveaux essais62). Er nennt unsere räumliche Vorstellung eine »konfuse«63. Konfus heißt aber nicht falsch. Wer einen Akkord hört, ohne die einzelnen Töne darin zu unterscheiden, hört dasselbe wie der, welcher sie zu unterscheiden vermag. Hiermit ist gesagt, daß nach Leibniz, wer eine räumliche Vorstellung hat, eine Vorstellung von einer unendlichen Vielheit von Monaden hat, ohne diese im einzelnen unterscheiden zu können. Infolge davon müssen auch die räumlichen Abstände nach Leibniz an sich bestehende Differenzen sein, von denen die eine größer, die andere geringer ist, und welche geometrische Größenverhältnisse zeigen. Die Geometrie geht nicht auf etwas, was nur als Erscheinung und nicht auch an sich ist. Sind diese Abstände substantielle oder akzidentelle Unterschiede der Monaden? - Sie scheinen nicht substantielle sein zu können, da die Substanzen nur akzidentellem Wechsel unterliegen. Dieser akzidentelle Wechsel wird nicht durch den Einfluß einer Monade auf die andere hervorgebracht. Welches also ist die Ursache? Die erste Ursache ist natürlich Gott; die nächste scheint er aber hier so wenig als bei dem Entstehen einer neuen Perception zu sein. In den Monaden selbst scheint die Ursache zu liegen.

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Aber wie verursachen sie einen Wechsel der Abstände? Es kann dies offenbar nicht geschehen, ohne daß in der einen oder anderen oder in beiden Monaden, deren Abstand sich verändert, ein absoluter Wechsel stattfindet. Was aber wechselt? Qualitäten? Perceptionen? Apperceptionen? Affektionen anderer Art? Handelt es sich um das Totale aller augenblicklich gegebenen Akzidentien? - Es scheint das Letzte gesagt werden zu müssen. Und somit entscheiden sich die übrigen Fragen durch den Hinweis auf das, was Leibniz allein als Akzidens einer Monade betrachtet. So seltsam es ist, scheint es doch unleugbar, daß Leibniz die räumlichen Abstände als Differenzen ansieht, welche durch die Gesamtheit der Unterschiede unserer Perceptionen, Apperceptionen, Bestrebungen, Freuden, Leiden usw. gegeben sind. Diese Differenzen werden in der Erfassung des Abstandes konfus, aber darum doch nicht unwahr erfaßt. Da nun die räumlichen Abstände sich nach mechanischen Gesetzen der Bewegung und Ruhe ändern und dabei das Gesetz besteht, daß das Produkt aus Masse und Quadrat der Geschwindigkeit und diese unter Berücksichtigung der Richtungsdifferenzen gleich bleiben, so muß dies zugleich ein konfuser, aber genau richtiger Ausdruck der Gesetze der Änderungen sämtlicher Unterschiedsgrößen der psychischen Gesamtzustände der sämtlichen Monaden sein. Das ist gewiß etwas höchst Erstaunliches, aber im Grunde nicht erstaunlicher als daß räumliche Ausdehnungen (und vielleicht auch sinnliche Qualitäten) konfus vorgestellt wahre Monadenmengen mit ihren psychischen Zuständen sind. Was mich anlangt, so halte ich schon diese Behauptung für absurd, kann aber trotzdem nicht umhin, sie Leibniz zuzuschreiben und darum auch die Auffassung derer für verfehlt zu halten, welche, da sie etwas so Ungereimtes Leibniz zuschreiben, sich scheuten, ihn einen bloß phänomenalen Raum in der Weise Kants lehren ließen. Gott ist nach Leibniz der Architekt 64 der räumlichen Weltmaschine, und Gott ist nach ihm auch der Schöpfer und Beherrscher des Monadenreiches. Das eine und andere ist nach dem Gesagten untrennbar, ja wesentlich ein und dasselbe.

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Denn dasselbe wird richtig als jene Weltmaschine und ebenso richtig und nur zugleich deutlicher als jenes Geisterreich bezeichnet. Manchmal bezeichnet Leibniz auch die lebendigen, aber nicht tierisch beseelten oder geistigen Monaden als Teile der Weltmaschine und nicht des psychischen Reiches. 2. Leibniz spricht von der Seele 65 als einer das Ganze eines Körpers beherrschenden Monade. Dieser Körper hat aber Glieder und jedes Glied hat wieder eine herrschende Monade, und auch die Glieder haben Glieder und herrschende Monaden und so ins Unendliche. Es fragt sich, sind hier die Glieder von der Seele des Ganzen unter Vermittlung der die Glieder beherrschenden Monaden oder sind alle gleich unmittelbar von ihr beherrscht?-Ich glaube, es steht nichts im Weg, sich für das Erstere zu entscheiden, nur muß man nicht vergessen, daß der Ausdruck »beherrschen« in keiner Weise eine Beeinflussung ausdrückt. Und so ist denn wie überhaupt von keinem Wirken, auch nicht von einem Unterschied mittelbaren und unmittelbaren Wirkens die Rede. Die Monaden wirken nur auf sich selbst. Das sogenannte »Herrschen« einer Monade über andere Monaden ist in Wahrheit nichts als ein Herrschen Gottes über alle, welches den Schein einer Beeinflussung der einen Monade durch die andere erweckt. Daß die Unendlichkeit der Gliederung eine Absurdität ist, scheint unschwer zu erkennen. 3. Leibniz verwirft als unzulässig den Solipsismus 66. Hier weigert er sich, an einen bloßen Schein der Außenwelt zu glauben. Er verwirft aber nicht den bloßen Schein unserer ursächlichen Kommunikation mit der Außenwelt. Wenn nicht dieser, so wäre aber gewiß auch der bloße Schein der Außenwelt, den Gott uns weckte, seiner Wahrhaftigkeit nicht entgegen. Aus welchem anderen Grund also ist er verwerflich? Nur ein optimistischer Grund müßte geltend gemacht werden können. Welcher aber? Die Fülle des Reichtums wohl nicht. Denn diese brauchte nicht geringer zu sein, wie ja auch nicht die Menge der Monaden, wenn keine mit der anderen harmonierte. Ja die Nichtübereinstimmung schiene zu einer größeren Mannigfaltigkeit zu führen. Stellte doch in jeder Monade für den, welcher

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sie mit vollkommener Deutlichkeit erkännte, dasselbe Weltganze, dem sie jetzt zugehört, miterscheinend sich dar. Und somit würde sich dem, der alle mit voller Deutlichkeit erkännte, unendlich mehr Welten in voller Deutlichkeit darstellen, von denen dannjede in ihrer Art als ein aufs beste geordnetes Ganzes erscheinen könnte. Wäre der Verlust jener sogenannten Harmonie darnach ein wirklicher Verlust oder wenigstens einer, der nicht aufgewogen und überwogen wäre? Ja, hätten wir nicht eine neue, erhabenere Harmonie, insofern jede der geschaffenen Monaden von dem mit höchster Weisheit gewählten Standpunkt aus eine andere der unzähligen von Gott zu bildenden, in ihrer Art untadelhaft vollkommenen möglichen Welten zur Wirklichkeit brächte? - Der Gedanke, daß die Welt, der ich angehöre, die bestmögliche sei, entfiele, aber der Gedanke, daß das Gesamtwirken Gottes das größtmöglichste Maß von Gutem produzierte, erschiene, möchte man sagen, mehr noch als bei Leibniz gewahrt. Er gliche einem Meister, der nicht ein, sondern unendlich viele des Daseins würdige Werke zu schaffen imstande ist und sie alle wirklich schafft. Auch wenn man es besser finden sollte, daß das Ganze jeder einzelnen Welt nicht bloß entsprechend dem Standpunkt einer, sondern aller Monaden, die zu ihr gehörten, in Wirklichkeit dargestellt würde, könnte, [so] scheint es, dieser Forderung Rechnung getragen und doch noch gesagt werden, daß dies keinen Grund abgäbe, auch noch anderen in sich tadellosen Weltordnungen Dasein zu verleihen. Und hierdurch ergäbe sich 1) die Möglichkeit, daß keine Welt die bestmögliche und doch beim Schaffen niemals das Bessere dem Minderguten hintangesetzt erschiene, 2) daß auch gleichgute Welten möglich seien und es doch zu einem Schöpfungsentschluß kommen könne. Denn der Entschluß, die eine zu schaffen, wäre ja mit dem Entschluß, die andere ebenfalls zu schaffen, kompatibel. Doch der letztere Vorteil wäre nicht in solchem Umfang erreicht, wie man es wünschen möchte; denn gleichzeitige Welten mit gleichem Zentrum, von welchen die eine das Spiegelbild der anderen wäre, sind positiv konträr. Sie schließen sich also aus,

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und so bleibt uns keine Ausflucht als die, daß ein uns unbekannter Unterschied für die Bevorzugung der einen vor der anderen maßgebend gewesen sei. Vielleicht würde Leibniz imstande sein, auch positiven Widerstreit für die Schöpfung mehrerer Welten von verschiedenem Rang, deren jede in ihrer Art ein Gottes würdiges Werk sei, nachzuweisen. Und dann wäre sein Optimismus, im Sinne der Forderung einer bestmöglichen Welt gerettet.

IX. Leibniz. Kritisches zu seinem Optimismus

1. Leibniz fordert nicht, daß ein Teil der Welt losgelöst möglichst vollkommen erscheine, nur das Ganze der Welt soll möglichst vollkommen sein 1 . Aber die Welt besteht ebensowenig losgelöst von Gott als einer ihrer Teile von den übrigen. Somit könnte vielleicht gesagt werden, daß auch das Weltganze nicht für sich betrachtet, sondern mit Gott zusammengefaßt als das Bestmögliche gedacht werden müsse. Für die Welt selbst bleibt zunächst die Frage offen, ob nicht eine an sich minder gute Welt vorzuziehen sei, wenn dies dem aus ihr und der Gottheit gebildeten Ganzen am meisten dient. So allein scheint sich zu begreifen, warum ein Anfang der Welt in späterer Zeit gegenüber einem denkbar früheren Anfang den Vorzug verdienen könnte 2 . Nahe liegt freilich als Objektion der Aristotelische 3 Gedanke, daß jedes Gut durch Hinzufügung eines zweiten Guten zu einem größeren Gut werde. Allein Gutes liegt auch in den Verhältnissen, die ein Ganzes zeigt, also bei dem aus Gott und der Welt bestehenden Ganzen außer Gott nicht bloß in der Welt, sondern auch in ihrem Verhältnis zu ihm. 2. Leibniz will die Welt, als Einheit zusammengefaßt, als bestmögliche darstellen. Allein bei keinem Philosophen besteht weniger Zusammenhang zwischen den Teilen der Welt und so denn auch weniger Einheit. Er will die Zusammengehörigkeit ohne Wechselwirkung der Teile dadurch festhalten, daß er jede Monade als Spiegel der Gesamtheit denkt. Aber tut er dies eigentlich? Bei einem Spiegel haben wir Wirken und Leiden von außen her, bei Leibniz fehlt dies gänzlich. Was bleibt aber dann - eine Ähnlichkeit? Kann diese die Einheit herstellen oder würde nicht vielmehr, die Ähnlichkeit zur vollen Gleichheit erhoben, erst recht jede Monade als eine Welt für sich erscheinen lassen?

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Vielleicht sagt man, Leibniz meine nicht bloß Ähnlichkeit, sondern Hinweis, insofern jede Monade mit Rücksicht auf die anderen so geschaffen sei, wie sie geschaffen sei. Allein gerade diese Rücksicht erscheint eitel, wenn keine Monade auf die andere wirkt. Sie kannja dann auch nicht zu ihrer Vollkommenheit beitragen. Es scheint denn auch der Schluß von der Existenz einer Monade auf irgendwelche andere gefährdet. Als wirkende Ursache kann sie nicht erschlossen werden. Als Zweck, zu welchem die andere als Mittel geordnet ist, auch nicht. Man erschließt sie aus der Vollkommenheit Gottes, der die Schöpfung einer Monade nicht genüge, aber könnte man nicht in der indefiniten Entwicklung einer Monade über jede Stufe möglicher Vollkommenheit hinaus einen Ersatz finden, der mit anderen Vorzügen auch den vollkommener Einheitlichkeit des Ganzen verbände? 3. Leibniz scheint an die Wahrheit zu rühren, wenn er jedes einzelne Ding in der Welt als einen Spiegel des Universums 4 betrachtet, insofern der, welcher nicht bloß erkennt, daß, sondern auch warum das Ding ist, es allein in seinem Bestande begriffe. Dieses Wissen also muß man haben, um über das Ding vollkommen aufgeklärt zu sein, und haben wir es, so haben wir Kenntnis auch von allen anderen Dingen, da ja jedes Ding um des Universums willen ist und nicht sein könnte, wenn Gott nicht wäre, wie er wäre und wollte, wie er wollte. So scheint, was sich so ergibt, von dem, was Leibniz meint, wesentlich verschieden. Ist es wohl richtig, daß, wer ein Ding seiner Individualität nach in seinem Daß erkennen würde, auch Gott, wie er ist und alle andere Wahrheit erkennen müßte? Oder ist es nur richtig, daß wer nicht bloß das Ding, sondern auch das Warum der Individualität des Dinges erkennt, allwissend sein muß? Nicht zu leugnen scheint, daß manches zugunsten der ersten Ansicht spricht. 4. Große Mängel des Leibnizschen Optimismus hängen damit zusammen, daß er an die Möglichkeit unendlicher Vielheit5 glaubt. Er tut dies, obwohl er nicht verkennt, daß ihre

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Annahme zu absurden Konsequenzen zu führen droht, er sucht aber diesen dadurch zu wehren, daß er verbieten will, die unendliche Vielheit ähnlich wie endliche zu einem Ganzen zusammenzufassen. Man sieht nicht ein, was zu diesem Verbot berechtigen könnte, wenn überhaupt die unendliche Vielheit existierte. Wäre die unendliche Vielheit ebenso wie die indefinite Vervielfältigung möglich, so möchte man meinen, die ganze Evolution würde überflüssig erscheinen, könne man doch in einem Zugleich auch eine alles übertreffende Vollkommenheit des Universums annehmen. Ja, man könnte meinen, hinter dieser stehe dannjede Evolution ins unendliche zurück. Die Absurdität, deren Leibniz sich schuldig macht, indem er die Organismen ins unendliche aus kleineren Organismen bestehen läßt, hängt mit seinem allgemeinen Irrtum der Zulassung fertiger unendlicher Vielheiten zusammen. 5. Ein anderer großer Mangel in Leibniz' Kosmologie ergibt sich daraus, daß er es von vornherein für ausgeschlossen hält, daß statt eines dreidimensionalen Raums Topoide von beliebig anderer Zahl der Dimensionen 6 gegeben seien. Er hat hier eine Tatsache mit einem Axiom verwechselt. Bei der verkehrten Weise, wie er den Körper aus Monaden zusammensetzt, wobei sie als Punkte erscheinen und doch als Dinge für sich, ist, wenn man sie einmal als möglich zugelassen, auch die Konsequenz nicht mehr abzuwehren, daß sich dieselben Punkte ebensogut biquadratisch zusammensetzen könnten und ebenso zu ausgedehnten Topoiden von 5 und mehr Dimensionen. Freilich würde dann schon im ersten Fall ein Biquadratzoll mehr Punkte enthalten als ein dreidimensionaler Raum von unermeßlichen Dimensionen. Allein das entspricht ja um so mehr der Forderung einer bestmöglichen Welt, nur daß dieser dann erst bei der Annahme unendlich vieler Dimensionen genügt würde. 6. Zu den Fehlern, die Leibniz begeht, gehört auch die Behauptung, daß der Raum 7 nichts sei als eine bloße Ordnung, so daß der lokalen Bestimmung nur relative Bedeutung zukäme. Der Fehler findet sich bezüglich der Zeit 8 wiederholt. An diese Irrtümer knüpft sich aber für Leibniz der scheinbare Entfall

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einer nicht unbedeutenden Objektion gegen den Optimismus, nämlich der, warum die bestehende Welt vor einer anderen den Vorzug hat, bei welcher alles wie im Spiegelbild 9 derselben verlaufen würde. Aristoteles zerbricht sich vergebens den Kopf, um dieser Schwierigkeit in den Büchern De caelo 10 gerecht zu werden. Hätte Leibniz die richtige Auffassung von den örtlichen Bestimmtheiten gehabt, so hätte er, nachdem er die Monade mit einem körperlichen Punkt identifizierte, auch in innerer Wahrnehmung Örtlichkeit erfassen lassen müssen.

X. Leibniz. Über die Aufhebung der Körperwelt und ihres Raumes und deren Ersatz durch die Monadologie

1. Sie 1 sind Anhänger der Monadologie. Sie sind es, ohne sich dabei als Anhänger der ersten und größten der Monadologisten zu erweisen. Sie legen zwar wohl, wie Leibniz, der Erscheinung des Kontinuums eine direkte Vielheit geistiger Wesen zugrunde. Aber Sie glauben weder an seine unendliche Vielheit der Monaden, die es nirgends zu einem unüberbrückbaren Abstand kommen läßt, noch an seinen in absteigender Linie ins unendliche gehenden Aufbau der Organismen aus kleineren Organismen, noch endlich an das, was Leibniz vor allem wichtig war: an seine Impassibilität der Monaden von außen her samt der prästabilierten Harmonie. Die wesentlichsten Gründe, die zur ersten Aufstellung einer Monadologie führten, entfallen hiernach bei Ihnen gänzlich. Denn, wenn Leibniz dem von seiner Zeit so mächtig gefühlten Verlangen genügen wollte, das Rätsel der scheinbaren Wechselwirkung von Seele und Leib 2 zu lösen, so findet sich nach Aufgabe der prästabilierten Harmonie nichts mehr, was dieser Absicht diente. Wie die Wechselwirkung von Monaden und räumlichen Kontinuis, ist ja auch die zwischen Monaden untereinander unerklärlich. Sie muß einfach als Tatsache hingenommen werden. Wenn nun das Motiv entfällt, das den großen Erfinder der Monadologie bestimmte, was bleibt, um statt seiner eine Lehre zu empfehlen, die die Körperwelt aufhebt? 2. Es scheint, daß Renouvier 3 einen Einfluß auf Sie geübt hat und daß Sie mit ihm, durch die Argumente der Antisynechologisten 4 (wie Herbart 5 u. a.) getäuscht, ein Kontinuum für widersprechend hielten. Das wäre nun allerdings ein rascher und eminent kräftiger Beweis, wenn die angeblichen Widersprüche wirklich beständen. Aber das ist nicht der Fall. Vielmehr lassen sich in sämtlichen antisynechologischen Argumenten Paralogismen aufweisen. Und wenn jemand wegen der Subtilität dieser Untersuchungen hier kein sicheres Urteil

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sich zutraut, so genügt für ihn der Hinblick auf Tatsachen der inneren Wahrnehmung. Denn auch sie zeigt Kontinua auf dem Gebiet psychischer Wirklichkeit. Das Sehen zum Beispiel ist ebenso kontinuierlich wie das Gesichtsbild: jedem Teil der phänomenal gesehenen Farbe entspricht ein Teil des wirklich gegebenen Sehens. Hier also heißt es: Qui nimium probat, nihil probat. Selbst vor dem genauen Nachweis, worin die einzelnen antisynechologischen Paralogismen bestehen, ist die Trüglichkeit der Argumentation außer Zweifel gesetzt. Zum zweiten Mal also verliert die Monadologie ihren Boden. 3. Doch es scheint, daß Sie der Ansicht sind, Sie könnten ihn durch die Berufung auf einen gewissen instinktiven Drang wiedergewinnen. Sie behaupten nur, daß ein gewisser »metaphysischer lnstinkt«6 uns sage, daß die Körper bloße Phänomene seien. Aber ich hoffe, es werde nicht schwer sein, Sie davon zu überzeugen, wie wenig berechtigt eine solche Berufung ist. Vor allem ist es überhaupt durchaus ungestattet, in der Wissenschaft statt auf Einsichten aufblinden Vorurteilen zu bauen. Vertrauen wir gewissen instinktiven Urteilen wie Gedächtnis und gewohnheitsmäßiger Erwartung, so nur, weil die Tatsachen und die Wahrscheinlichkeitserwägungen ihnen vernünftige Autorität leihen, freilich indem sie zugleich das Maß derselben bestimmen. So ruht auch hier wissenschaftlich alles im letzten Grund auf dem, was evident ist. Noch mehr! In unserem Fall besteht keineswegs ein Instinkt, der uns zur Verwerfung, vielmehr ein blinder Drang, der zur Annahme einer körperlichen Außenwelt treibt. Das Vertrauen auf die äußere Wahrnehmung ist primitiv, wie das auf Gedächtnis und gewohnheitsmäßige Erwartung. Es wird wie sie erst durch Erfahrung und Erwägung in gewissem Maße eingeschränkt, doch auch dann nicht so, daß es nicht der Hauptsache nach erhalten bliebe. Sie leugneten dies nicht, als ich es schon mündlich geltend machte, meinten aber, das hindere nicht, zugleich jenen anderen, direkt entgegengesetzten »metaphysischen Instinkt« anzunehmen. Befremdlich wäre nun wohl ein solcher Widerstreit der Urteilsinstinkte. Denn die Wahrheit ist eine und wie der berüchtigte Gegensatz zwischen theologischer und

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philosophischer Wahrheit, wäre der zwischen metaphysischer und gemein menschlicher Wahrheit nur auf Grund einer Fälschung des Wahrheitsbegriffes zulässig. Aber noch viel unglaublicher müßte es erscheinen, daß von den älteren Philosophen, unter denen sich Männer von der metaphysischen Begabung eines Heraklit, Anaxagoras, Platon und Aristoteles fanden, Jahrtausende lang keiner etwas von diesem metaphysischen Instinkt empfunden hätte. Auch Descartes und Locke hatten ihn nicht, obwohl sie sich über den Mangel der unmittelbaren Evidenz der Außenwelt klar waren. Kant aber, der einflußreichste Phänomenalist, ist es für die äußere Welt nicht mehr als für die in innerer Wahrnehmung gegebenen psychischen Wirklichkeiten. Daß aber gegen diese kein metaphysischer Instinkt spricht, werden Sie nicht bezweifeln. Wenn nun alle diese nicht, sondern nur Sie und vielleicht einige andere Modeme einen solchen metaphysischen Instinkt zu verspüren meinen, so kann dieser, wie so mancher andere Drang, offenbar nur in singulären Angewöhnungen des Denkens seine Veranlassung haben. Kein Wunder, daß er darum, wie bei jenen Früheren, auch bei mir nicht ähnlich zu finden ist. 4. Wenn nun auch diese Stütze fällt, was bleibt noch, das für die Leugnung der Körperwelt und ihren Ersatz durch ein Monadensystem spräche? Es scheint, daß Sie die bewundernswerte Zweckordnung in der Natur, welche altüberlieferte Lehren auf den Verstand des schöpferischen Urgrundes zurückführen, vielmehr auf die Hypothese, daß alles in gewissem Grade an psychischen, also auch an Erkenntniskräften und Vermögen für Lust und Unlust teilhabe, zurückführen möchten. Sie kommen hierdurch dem von der Anaxagoreischen Nuslehre bekämpften und überwundenen Hylozoismus ganz nahe. Ja, ich entsinne mich einzelner Äußerungen, nach denen ich vermuten muß, daß jede Kraft Ihnen als Prinzip Seelisches zu verlangen scheint, indem nach Ihnen Körperliches (qualitativ Örtliches) keine Tätigkeit üben könnte. Und das erinnert ganz an Thales 7 , wenn er sagt, der Magnet habe eine Seele, weil er das Eisen anziehe und alles sei voll von Göttern oder (wie Aristoteles8 es interpretiert) es sei beseelt. So müßte denn die

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Philosophie zu ihren kindlichsten Anschauungen wesentlich zurückkehren, und es sähe aus, als gelte das Wort »Wenn ihr nicht werdet wie diese Kindlein ... « auch bezüglich des Eingangs in den Himmel philosophischer Herrlichkeit. Ich gestehe, daß ich demgegenüber große Bedenken habe, daß mir vielmehr eine Weltanschauung, welche dem Mechanismus weite Gebiete einräumt, das Terrain, das sie sich Schritt für Schritt in glorreichen Siegen erobert hat, mit Recht zu besitzen scheint und daß wir gut tun werden, uns an ihr Beispiel zu halten, indem wir auch da, wo geistige Ursachen nicht auszuschließen sind, doch diese geistigen Ursachen nicht ohne zwingende Gründe vervielfältigen. Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem 9 • Daß in meinen »willkürlichen Bewegungen« die Herrschaft meines Geistes sich offenbart, leugne ich nicht. Die Annahme der »Parallelisten«, daß ein Automatismus alles mit meinem Willen in Einklang vollbringe, ist ein Abgrund von Unwahrscheinlichkeit und müßte zur prästabilierten Harmonie zurücktreiben. Daß Analoges, wie von meinen, von den »willkürlichen Bewegungen« anderer menschlicher Körper gelte, hat ebenso eine unendliche Wahrscheinlichkeit für sich. Bei der Ausdehnung der Analogie auf die Tiere hielt Descartes 10 einen vernünftigen Zweifel für nicht unmöglich. Gewiß ist es, daß man ebenso oft durch zu große Annäherung des Tieres an den Menschen als durch Annahme eines zu großen Abstandes gefehlt hat. Die Beobachtungen scheinen zu bestätigen, was Aristoteles 11 lehrte: den Tieren fehlt das begriffiiche Denken. Hiermit ist jede Demonstration, jede vernünftige Induktion, jede Erweiterung von Raum und Zeit über die Grenzen des in der Perzeption Gegebenen hinaus und somit jede Vorstellung von Zukunft ausgeschlossen. Wunsch, Verlangen, Streben, Wollen, Wählen und somit jedes absichtliche Bewirken ist dem Tier abzusprechen. Es bleiben ihm Sensation, Lust und Schmerz und Phantasie, welche nach Gesetzen der Gewohnheit ihre reproduktive und variierende Fähigkeit entfaltet. In ihnen geht auch, was wir dem Tier von Erwartung zuschreiben, auf. Daß ihm wahre Apperzeption zukomme, scheint keineswegs

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sicher. Diese spärlichen Spuren eines Seelenlebens, verglichen mit dem, was sich in uns findet, machen den gänzlichen Wegfall einer Kulturgeschichte der Tiere begreiflich. Sie zeigen, daß, was von Teleologie in den Tätigkeiten des Tieres, die unseren willkürlichen Bewegungen gleichen, hervortritt, keineswegs auf eine Intelligenz im Tiere zurückzuführen ist. Die tierisch-psychischen Momente sind, wie das, was im Tier unabhängig von ihnen tätig ist, nur blind vermittelnde Glieder, zur Ausführung einer Ordnung, die, so gewiß sie nicht als rein scheinbar betrachtet werden darf, gänzlich auf ein nicht tierisch-psychisches, ordnendes Prinzip zurückgeführt werden muß. Gilt dies von den Tätigkeiten des Tieres, die von der eigentlichen Tierseele geübt werden, so gilt natürlich ähnliches oder jedenfalls nicht höheres von dem Einfluß, den etwa andere im Tierkörper befindliche geistige Wesen auf die organische Tätigkeit des Tierkörpers üben. Bei der geringen Seelenentfaltung des Tieres wäre die Annahme, daß statt einer Seele viele in annähernd gleichmäßigem Empfinden und Phantasieren in ihm herrschten, keineswegs absurd, und es könnten damit die Erscheinungen bei der Zerfallung eines Tieres in mehrere in Zusammenhang gebracht werden. (Vielleicht ist es bedeutungsvoll, daß sie nur auf sehr niedrigen Tierstufen vorkommen). Doch sind auch für sie andere Hypothesen nicht ausgeschlossen, wenn man nicht, wo man an den Grenzen der uns möglichen Erfahrung steht, auf alle Hypothesenbildung wie auf ein unverifizierbares Spielen mit Fiktion wissenschaftlich zu verzichten vorzieht. Daß, wo kein Nervensystem mit Fäden, die die Eindrücke von außen und die Einwirkungen auf die lokomotorische Gliederung vermitteln, besteht, irgendwelche psychische Tätigkeit sich fände, ist durch keinerlei Analogieschluß nahegelegt. Aber, wie gesagt, angenommen, sie bestände in allen Teilen des Tierleibes, so könnte sie doch nicht höherer Ordnung als die der eigentlichen Tierseele sein und würde darum ebensowenig, als die der Tierseele, irgendetwas von dem Schein der Teleologie als eine durch immanente Zwecktätigkeit gesetzte

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Ordnung begreifen lassen. Ähnliches gilt denn auch in Bezug auf die Funktionen der Pflanzen und die Prozesse in der unorganischen Natur. Jede Maschine zeigt, daß eine sehr hohe Zweckordnung in ihren Funktionen ohne Immanenz irgendwelcher Erkenntniskraft möglich ist. Es genügt für sie die Intelligenz des Werkmeisters. Descartes 12 hielt daraufhin die Funktionen der Tierkörper für solche, bei denen bezüglich der immanenten Tätigkeiten eine rein mechanische Auffassung möglich sei. Leibniz 13 ging noch weiter und wollte selbst bei so ungleich verwickelteren Lebensäußerungen, wie sie in den Wirkungen, die von menschlichen Leibern ausgehen, vorliegen, eine mechanische Einrichtung für denkbar halten, die alles das automatisch leistete. Ist Ihnen oder einem anderen die Widerlegung anders als durch den Rekurs auf die innere Erfahrung und den Nachweis der Unwahrscheinlichkeit der verkünstelten Leibnizschen Harmonielehre gelungen? Ich darf dies wohl entschieden bestreiten. - Und für den größeren Teil organischer Funktionen des Tieres und die Gesamtheit der pflanzlichen Funktionen, wo diese Art Widerlegung versagt, müssen wir darum die Denkbarkeit zugestehen. Andererseits werden Sie selbst nicht leugnen, daß außer Ihren immanenten erkennenden Wesen mit ihrer auch gegenüber der minimalsten menschlichen Intelligenz ganz unvergleichlichen, ja absoluten Borniertheit auch noch die antecedente Intelligenz eines Werkmeisters angenommen werden müßte, die der menschlichen unvergleichlich überlegen sei. Und das scheint mir dann den Verstoß gegen das entia non sunt multiplicanda besonders fühlbar zu machen. Sagt man: »Ich vervielfältige die Dinge nicht, ich nehme nur statt mechanischer psychische Ursachen an«, so antworte ich: Darin liegt eine Vervielfältigung der Bestimmungen; denn an die Stelle der relativ wenigen mechanischen, deren keine ohne Not eingeführt ist, tritt das Psychische mit seinen ungleich komplizierteren Gesetzen und zu den bekannten müssen noch viele andere hypothetisch hinzugefügt werden, um einigermaßen in der Erklärung über das Vage hinauszukommen. Sagt man: »Die Vielheit der Untertierseelen leistet doch auch teleo-

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logisch etwas. Jede arbeitet, ihrem Gefühl folgend, instinktiv dem Besten des Ganzen dienend«, so antworte ich: Dies heißt nichts von der Zweckmäßigkeit der Ordnung erklären, sondern die blinden Teile der Ordnung in unerwiesener Weise um ein Paar neue blinde Teile vermehren. Sagt man: »Der Instinkt zeigt sich oft richtiger bestimmend als die klügste verstandesmäßige Berechnung«, so antworte ich: Nicht sowohl richtig bestimmend, als vielmehr nicht bestimmt zeigt er sich, ähnlich wie ein Rädchen der Uhr und ihre Pendelschläge sich richtig bestimmt erweisen. Und so kann ich denn [die Behauptung], daß die Monadologie zur Erklärung des Scheins der Teleologie in der Natur auch nur den geringsten wahren Dienst leiste, unmöglich zugestehen. 5. Bleibt ihr, da auch dieses Argument versagt, eine andere Stütze? Ich finde keine, wohin ich immer schaue. Allerdings könnte einer als Vorteil für sie geltend machen, daß sie der Frage nach dem »Woher« der Seele enthebe. Und dies wäre in gewisser Weise richtig, da sie ja alles aus Seelen bestehen läßt. Aber daß die Monadologie dies Dunkel hebe, ohne [ein] äquivalentes Dunkel an die Stelle zu setzen, kann ich ihr nicht zugestehen, und nur in solchem Falle würde sie hier wahrhaft im Vorteil erscheinen. Scheint mir schon auf Grund der vorausgegangenen Betrachtungen die monadologische Lehre haltlos, so noch mehr, weil sehr gewichtige Argumente direkt gegen sie sprechen: 1) Unter der Annahme, daß kein Raum in Wirklichkeit bestehe, muß die bisherige Naturwissenschaft und selbst die rationelle Mechanik als wesentlich irrig verworfen werden. Es geht nicht an, mit Kant die Phänomene als solche in Kausalbeziehung zu setzen. Ein Phänomen als solches ist nicht wesenhaft, hat keine Ursache; es begleitet in seinem Entstehen das Entstehen der korrelativen Vorstellungsakte. Sollen die Gesetze der Mechanik gelten, so muß es nicht bloß Raumphänomene, sondern auch räumliche Noumena geben. Setzt man statt ihrer ein Wesenhaftes mit einer endlichen Zahl von Teilen, so kommt man, schon wenn man an dem Gesetz der Trägheit festhalten will, mit der Tatsache, daß die Zeit ein wahres Kon-

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tinuum ist, in unlöslichen Konflikt. (Renouviers 14 Annahme, auch die Zeit sei kein Kontinuum, ist durch direkte Erfahrung widerlegbar). 2) Ferner führt der Umstand, daß bei regelmäßiger Verteilung einer diskreten Menge von Punkten in einem Körper oder auch nur in einer Körperfläche, in verschiedenen Richtungen derselben Länge beträchtlich verschiedene Punktmengen entsprechen, zu neuen Inkonvenienzen, die eine endliche Vielheit als Surrogat für ein Kontinuum unmöglich erscheinen lassen. 3) Will einer die Monade mit der Annahme eines Raumes verbinden, indem er sie mit Boschcovich 1s, Fechner 16 u. a. als räumliche Punkte faßt, so verkennt er, daß ein Punkt nichts als eine Grenze ist und daß es so unmöglich ist, räumlich wie zeitlich, an derselben Stelle anzufangen und zu endigen. 4) Unter dem Gesichtspunkt der Wahrhaftigkeit Gottes erscheint es höchst bedenklich, daß er uns im eigentlichsten Sinn die Existenz einer räumlichen Welt vorspiegeln würde. Findet sich doch nirgends auch nur der mindeste Hinweis auf die Falschheit dieser Vorstellung, während ein solcher so leicht möglich wäre. Ich bemerkte in dieser Beziehung schon mündlich, daß er uns die körperlichen Phänomene ebenso gut alle als künftig hätte erscheinen lassen können, wo dannjede Möglichkeit, das jetzt in uns gegebene Psychische als Wirkung davon zu fassen, entfiele. Er hat aber vielmehr in dieser Beziehung den genauesten Schein der Wirklichkeit, die vollkommenste Harmonie mit dem in unmittelbarer Evidenz Erfaßten gewahrt. Allerdings zeigt sich uns eine Außenwelt nicht in evidenter Wahrnehmung, sondern ihre Anerkennung, die uns natürlich ist, ist instinktiv. Aber sie konnte nicht evident sein, da, wie Descartes 17 richtig bemerkt, die Einwirkung, welche eine Kreatur übt, die nicht mit uns identisch ist, ebenso direkt von Gott selbst ausgehen könnte. Wenn er sie uns aber darum nicht in unmittelbarer Evidenz erkennen läßt, so hat er uns doch nicht bloß ihre instinktive Anerkennung unmittelbar gegeben, sondern auch von dem, was geeignet ist, sie mittelbar zur Sicherheit zu bringen, nichts unterlassen. Und so ist die

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Existenz der Außenwelt meines Erachtens geradezu mit unendlicher Wahrscheinlichkeit erweisbar (was auch Helmholtz18 in den Tatsachen in der Wahrnehmung zugibt), und dagegen bildet (wo selbst der vollste Skeptizismus auftreten konnte) der Widerspruch vieler Philosophen von Namen keine ernste Instanz. 5) Was ich bezüglich der Wahrhaftigkeit Gottes bemerkt, erscheint um so gewichtiger, als es schlechterdings nicht gesagt werden kann, daß in dem Phänomen des qualitativ Ausgedehnten in Wahrheit eine Vielheit von Geistern, nur freilich ganz konfus, erscheine. Es ist dies schlechterdings falsch. Ein Akkord kann unmöglich eine konfuse Vorstellung von etwas anderem als Tönen sein. Es wäre absurd, zu behaupten, daß er eine konfuse Vorstellung von Farben oder Gerüchen sein könne. Ebenso oder doch jedenfalls nicht weniger absurd urteilten nun die, welche ihn für eine konfuse Vorstellung von Geistern erklären würden. Nein! Wenn es nichts Räumliches gibt, so bietet die Perzeption nicht eine Wahrheit, sondern sie ist einfach falsch zu nennen. Allerdings ist Leibniz 19 , da er in der Theodicee die Farbenvorstellung als konfuse Vorstellung von vielen Bewegungen zu fassen wagt, einer ähnlichen Absurdität verfallen und Descartes 20 darf in solcher Verirrung wohl als sein Vorgänger bezeichnet werden. 6) Der Vergleich des Instinktes, der uns zur Anerkennung der Außenwelt treibt, mit dem, der uns zum Vertrauen auf Gedächtnisvorstellungen und zur gewohnheitsmäßigen Erwartung führt, bestätigt, was ich schon ausführte. Bei Gedächtnis wie Erwartung bewähren unsere vernünftigen Argumente nachgerade den Instinkt in sehr bedeutendem Umfang. Es wäre aller Analogie entgegen, wenn es sich bei der äußeren Wahrnehmung anders verhielte. 7) Es kommt hinzu, daß der Monadologist kein Mittel besitzt, um zu erklären, warum die von Gott gewählte Trugvorstellung gerade dreidimensional und ausnahmslos dreidimensional sein sollte. Leibniz21 behauptete allerdings, das sei geometrisch a priori deduzierbar. Aber kein Geometer ist, der ihm heute noch hierin beipflichtet.

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8) Wenn es auch nicht bloß nicht mit absoluter Sicherheit, auch nicht einmal mitjener unendlichen Wahrscheinlichkeit erweisbar wäre, daß Körper wirklich bestehen, so wäre doch, da alle angeblichen Kontradiktionen der Kontinuität nichtig sind, an der Möglichkeit der Existenz solcher ausgedehnter Wesen nicht zu zweifeln. Daraufhin erscheint es aber unter optimistischem Gesichtspunkt gefordert, daß Gott sich nicht auf die Schöpfung null-dimensionaler Wesen beschränkt habe. Nur in der größtmöglichen Mannigfaltigkeit der Teile stellt das Weltall die göttliche Allmacht in vollkommenster Weise dar. Ich habe Ihnen schon mündlich auseinandergesetzt, wie fruchtbar dieser Gedanke ist und was für frohe Aussichten er uns für das Leben nach dem Tode eröffnet. So sehen Sie wohl, daß ich gar viele Gründe habe, allen monadologistischen Theorien gegenüber mich ablehnend zu verhalten. Was die Ihrige betrifft, so haben Sie mir sie niemals ausführlich dargelegt; ja sie erscheint mir wie ein Nebel, in welchem ich so gut wie nichts deutlich zu unterscheiden vermag. So wäre es vielleicht kühn, darüber zu urteilen, ob sich ein wirkliches System von Lehrsätzen, die wie Sonnen Licht geben und wie Planeten und Monde Corollarden an sich binden, daraus zu entwickeln begonnen habe oder auch nur je zu entwickeln beginnen könne. Doch Gründe, die gegen alle Monadologien, müssen auch gegen diese gelten. Trotzdem bin ich überzeugt, daß mir der tiefere Einblick in Ihre besonderen Anschauungen Gelegenheit gegeben hätte, mich an der Schönheit zu weiden, die immer an das Produkt eines ernst ringenden wissenschaftlichen Geistes und edel fühlenden Herzens geknüpft ist. Ich bedauere aufrichtig, daß mir dieser Genuß versagt geblieben ist. Wenn mir irgendein Punkt, wie ich ebenso aufrichtig aussprechen muß, in der Lehre mehr als bloß, weil ich ihn für unrichtig halte, unwillkommen und energischer Abweisung bedürftig erscheint, so ist es der Versuch, sie zur Erklärung der Teleologie in der Natur zu verwerten. Bei der traurigen Abneigung, die bei vielen besteht, den Herrn und Gott über und in sich anzuerkennen, könnte sich vielleicht mancher, statt an den

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Darwinistischen Balken, an diesen zu klammern suchen, um sich aus dem Schiffbruch, den sein Atheismus zu leiden droht, zu retten. Ich weiß, Sie werden mir daraufhin verzeihen, wenn ich in dieser Beziehung, wie, wo ich Ihre Glaubenslehre 22 besprach, mit einer Warnung schließe. Denn daß Sie ebenso wie ich die erhabenste und tröstlichste Überzeugung injeder Seele lebendig sehen möchten, weiß ich genugsam. Doch der Sieg bleibt unter allen Umständen diesem Gedanken: Gott ist Gott und die Besten und Einsichtigsten werden allzeit in ihrer Überzeugung an ihm halten, während die Hypothese Ihrer Helferisch-Monaden wie die Annahme jener den Himmeln zweckmäßig immanenten Geister, mit der ich sie einmal in eine Linie stellte, wohl längst verschwunden sein wird.

XI. Leibniz. Theodicee

Priface Bemerkenswert ist, daß Leibniz das wesentliche Verdienst der christlichen Offenbarung 1 darein setzt, daß es die natürliche Religion, die durch Moses nur unvollkommen gegeben war, in der Art ergänzt, daß es auch die Lehre der Unsterblichkeit hinzufügt und die Aussicht auf eine Vergeltung im Jenseits eröffnet 2 . Bemerkenswert ist ferner, daß er den Mohammedanismus wie eine christliche Sekte behandelt und ihm das Verdienst zuschreibt, in gewisser Weise die vom Christentum gebrachte vollendetere Lehre oder natürliche Religion auch in solchen Gegenden zu verkünden, wohin die christlichen Missionare nicht gelangt waren3. Drittens ist bemerkenswert, daß er Gott nicht für so vollständig unerkennbar hält wie die Neuplatoniker4 und auch Thomas von Aquin 5 noch es getan haben, da er behauptet, keiner der der Erfahrung entnommenen Begriffe sei auf Gott unanwendbar, selbst nicht der des Erinnerns und Wollens, sondern im Gegenteil sagt, alles das komme Gott zu und der Unterschied von uns bestehe nur darin, daß, was bei uns eng beschränkt, bei ihm ins Unendliche erweitert sei 6 • Nach Thomas würde Gott nicht wissen, daß 2 + 1 = 3. Nach Leibniz erschiene eine solche Behauptung wie eine Herabwürdigung Gottes. Weiter ist noch bemerkenswert, daß Leibniz insbesondere zwei Schwierigkeiten 7 zu finden glaubt, die es zu besiegen gilt. Die eine ergibt sich aus der Natur des Unendlichen, die andere aus dem Gegensatz von Freiheit und Notwendigkeit. Mit ihm und was damit zusammenhängt, hat er es in der Theodicee zu tun, um zu zeigen, wie, wenn alles in der Welt der Vorsehung Gottes unterliegt, die Tatsache des moralischen Übels so wenig als die des physischen, d. i. des Schmerzes, einen Grund abgibt, Gott Vorwürfe zu machen.

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Discours de la conformite Wiederholung der Behauptung, daß alle unsere Erkenntnisse und alle unsere Liebe zum Guten auch Gott im eigentlichen Sinn zukomme, nur noch unendlich mehrB. Mehrfache Anerkennung, daß, was widersprechend sei, unglaublich sei; daß im Falle des Nachweises eines Widerspruchs alle Glaubenspflicht und Glaubensmöglichkeit aufhören müsse 9 . Unterscheidung von expliquer (erklären, deutlich machen), comprendre (verstehen, erfassen, begreifen), prouver (beweisen) und soutenir (verteidigen, aufrecht halten) 10. Augustin, Boethius, Cassiodorus und ihm vereint Damascenus sind nach Leibniz die, welche am meisten dazu beigetragen haben, der Theologie eine wissenschaftliche Fassung zu geben 11 . Bei den Scholastikern 12 hauptsächliches Streben, Glaube und Wissen in Einklang zu bringen. Unvollkommenes Gelingen infolge der Irrtümer, die sich in die Theologie selbst eingeschlichen, und der Fehler einer sehr unvollkommenen Philosophie, mit der sie in Verbindung gebracht wurde. Behauptung, aktuell Unendliches sei möglich. Unterscheidung von Vernunfterkenntnissen und Erfahrungserkenntnissen 13 . Erstere alle Fälle von Kontradiktion (als solche wäre nach Leibniz also auch das principium indiscernibilium und das allgemeine Kausalitätsgesetz zu begreifen). Für das letztere ergibt sich die Frage, wie das möglich sei. Doch der Doppelsinn des Satzes der ratio sufficiens dürfte nahelegen, dieses Prinzip mit dem Satz des Daseins Gottes in Zusammenhang zu bringen, wodurch alles klar wäre. Eine Stelle in den Nouveaux Essais 14 macht die Sache zweifelhaft, daß Leibniz selbst den Gedanken so vermittelt habe. Doch injedem Fall hat er sich hier des Paralogismus schuldig gemacht. Verteidigung des Dogmas der Trinität durch Annahme einer Äquivokation des Namens »Gottes« 1s. Bemerkungen über die Bedeutung der Logik 16 . Hohe Anerkennung der Aristotelischen Logik der Notwendigkeits-

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schlüsse. Defekte der Logik, wo es sich um Wahrscheinlichkeit und um die Methode der Erfindung handelt (die Aristotelische Logik hatte aber noch bedeutende Defekte auch in ihren elementarsten Teilen, und das Verkennen dieser hat bei Leibniz selbst die größten Mißgriffe zur Folge gehabt, so z.B. seine Verirrungen in Ansehung des ontologischen Beweises). Leibniz geht so weit, es zu billigen, wenn ein gläubiger Christ verfänglichen Objektionen die Ohren schließt. Auch behauptet er an einer Stelle 17, nur der Nachweis von Widersprüchen habe den Glauben zu zerstören ein Recht; der Nachweis von Unwahrscheinlichkeiten bedeute dagegen nichts, während er allerdings an einer anderen Stelle18 zugibt, daß, wenn die Gründe gegen den Glauben an Wahrscheinlichkeit die Gründe für den Glauben überwögen, dieser nicht mehr vernünftig erscheint. Glauben an das Zeugnis der Sinne 19 . Wonach es sich bestimme, wem von zwei Disputanten 20 der Sieg zuzuschreiben sei. Besondere Bemerkungen über Fälle, wo einer Unverständliches vorbringt. Wiederholte eingehende Erörterungen über das, was von dem, der eine These gegen die Angriffe verteidigt, zu verlangen sei. Nachweis, wie das onus probandi nicht ihm, sondern dem Gegner zufalle21. Zurückweisung der Meinung, gewisse scheinbare Widersprüche im Glaubensleben könnten erst im Jenseits gelöst werden. Eigentümlicher Gebrauch der Worte: Person und Suppositum. Seele und Leib wegen ihrer innigen Verbindung werden ein Suppositum und eine Person 22 . Die hypostatische Union soll nicht anders als durch Analogie der Verbindung von Seele mit Leib zu denken sein23. (Leibniz übersieht hier, daß das Verhältnis ein ganz anderes ist; der Leib ist nicht die Seele, während der Mensch Gott sein soll. Auch ist nicht die Seele Suppositum des Leibes, noch umgekehrt, während behauptet wird, Gott in der zweiten Person sei Suppositum der MenschheitJesu). Nach Leibniz ist das Verhältnis der Seele zum Leib 24 das einer Monade zu einem Komplex von Monaden, welchen sie in

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eigentümlicher Weise vorsteht, so daß man kaum sagen kann, daß sie dieselbe beherrsche, auf sie wirke. Aber wenn sogar dieses wäre, so würde noch immer nicht begreiflich 25 sein, wie zwischen der zweiten Person der Gottheit und der MenschheitJesu ein ähnliches Verhältnis sein soll, daja die Einwirkungen Gottes auf die Welt alle den drei Personen gemeinsam sein sollen. Wenn der Sohn, wäre darum auch Vater und Heiliger Geist Mensch geworden. Was soll heißen: Seele und Leib werden wegen ihrer innigen Verbindung ein Suppositum 26 ? Ich weiß mir nichts Vernünftiges dabei zu denken, außer etwa dieses: ihre innige Verbindung hat zur Folge, daß von ihnen zusammen, von ihnen als Ganzem, sehr viele Aussagen gemacht werden, ähnlich wie von einem Reich wegen der innigen Verbindung der Volksangehörigen oder der Reichsangehörigen und der betreffenden Städte und Lande als Ganzem sehr vieles ausgesagt wird. Auf diese Art ist auch ein Ehepaar ein Suppositum, die gemeinsam etwas besitzen, ein Haus bewohnen, Tag und Nacht zusammen sind, Freude und Leid tragen, Kinder erzeugen usw. Seltsam genug aber, daß dann Gott drei Supposita sein soll. Das ließe sich aber dahin erklären, daß zwar über Gott vieles, dem Vater, Sohn und Hl. Geist Gemeinsames gesagt werden könne, aber doch vom Vater, Sohn und Hl. Geist für sich noch etwas Besonderes.

Essais sur la bonte I. Partie

7. Kontingenzbeweis aus der Indifferenz der Zeiten und Räume. Leibniz bemerkt nicht die Schwierigkeit, die sich ergeben muß, diese Indifferenz mit der Behauptung, daß Gott immer das Bessere vorziehe, in Einklang zu bringen 27 . Man vergleiche damit die Schwierigkeiten, auf die Aristoteles in dem Buch De caelo 28 bei der Frage stößt, warum die Himmelssphäre sich in dieser und nicht in der entgegengesetzten Richtung dreht.

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Das Schlechte [ist] Privation. Vacuum Jormarum. Übersternenwelt. Andere Sterne mit vernünftigen Wesen, welche keine Menschen [sind]. Metaphysisches, physisches und moralisches Übel 29 . Voluntas antecedens et consequens: jene will, daß alle Menschen selig werden. Begriff der Zulassung 30 . Die notwendigen Wahrheiten [sind] Erklärungsgrund für das Übel31. Blick auf Platon 32, welcher die Welt aus Intelligenz und Notwendigkeit erklärt. Möglichkeit einer Akkomodation dieses Gedankens an die Wahrheit. Auch Aristoteles 33 führt unter dem Gesichtspunkt der Weltrechtfertigung alles entweder auf seine Vorzüglichkeit oder auf seine absolute Notwendigkeit zurück. Leibniz, obwohl er anerkannt, daß die Mehrzahl der Menschen verdammt wird, erzählt mit Wohlgefallen von denjenigen, die diesen Gedanken und überhaupt jede ewige Verdammung ablehnen und daß der hl. Hieronymus34 geneigt ist, alle Christen wenigstens schließlich in den Himmel kommen zu lassen. 32-33. Buckingham leugnet den realen Unterschied von Substanz und Akzidens. Leibniz behauptet ihn. Die Akzidentien sind nach ihm Modifikationen der Substanz, und die Kreaturen, die keine substantiellen Unterschiede hervorbringen können, würden, wenn es nicht solche von den Substanzen reell verschiedene Modifikationen gäbe, gar nichts zu produzieren imstande sein. (Diese Argumentation ist falsch. Die Kreaturen können wohl substantielle Differenzen setzen, aber immer nur im vorgegebenen Äquivalent) 35. Leibniz sucht in Bezug auf Irrtum und sittliche Schlechtigkeit zu zeigen, daß sie nichts Positives seien36, weil jener aus Unkenntnis gewisser weiterer Wahrheiten, diese aus Nichtliebe gewisser höherer Güter entspringt. (Auch hier scheint das Argument nicht richtig). Leibniz behauptet auch, die Pein sei etwas Negatives. Ich sehe aber nicht, daß er einen nennenswerten Versuch machte, dieses zu beweisen. Sollte er der Meinung sein, sie würde aufhören, Pein zu sein und vielmehr Befriedigung werden, wenn man die Nützlichkeit und die Beziehung

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zum Weltganzen bei dem erfaßte, was einem unangenehm ist? Auch das wäre ungenügend. 34-43. Begriffe der Notwendigkeit 37 . Leibniz bestimmt sie 1) als Fälle der Kontradiktion, [2)] andererseits als etwas, was ist, ohne durch eine Wahl bestimmt zu sein. Diese beiden Bestimmungen decken sich nicht. Nach der ersten wäre Gott selbst nicht notwendig, nach der zweiten ist er es, da er nicht durch Wahl zum Sein determiniert ist. Keine von beiden deckt sich mit seinem Begriff von Notwendigkeit, welchen mangewöhnlich in der Frage nach der inneren Notwendigkeit unserer Willensentscheidungen mit dem Wort verbindet. Es dürfte aber von Nutzen sein, sich dem zweiten Begriff anzuschließen. Nur freilich könnte einer auf den Einfall kommen, zu behaupten, daß etwas dann zufällig sein könne und doch notwendig sei, wohl auch etwas ganz Zufälliges, also auch ohne durch eine Wahl bestimmt zu sein, gedacht werden könne. Leibniz spricht dann von dem Streit der Molinisten und Thomisten 38 . Diplomatisch sucht er zwischen beiden Parteien zu vermitteln. Was er selbst lehrt, ist vollkommen richtig. (Daß er aber dabei wirklich in einem wesentlichen Punkt mit den Molinisten einig sei und den Thomisten und Augustinianern widerspricht, ist kaum zuzugeben.) 44. Interessante Bemerkungen39 über das Prinzip der raison determinante! 1) sieht es aus, als ob Leibniz es auflnduktion beruhen ließe; 2) behauptet er, daß ohne es zu Hilfe zu nehmen, kein Gottesbeweis möglich sei. Dies letztere scheint jener anderen Behauptung, wonach Gottes Existenz durch das Kontradiktionsgesetz40 gesichert sein sollte, zu widersprechen. Auch bei Aristoteles 41 scheint Induktion die Basis des allgemeinen Kausalitätsgesetzes, sowohl was wirkende als Zweckursache betrifft. Bis zu einem gewissen Grade ist es ja auch richtig, daß das Kausalitätsgesetz induktiv, wenn auch auf Grund einer apriorischen Induktion einleuchtet. 45. Platon, Aristoteles und Augustin seien Deterministen 42 . (Im allgemeinen scheint dies richtig. Doch eine Stelle in De interpretatione43 ist schwer damit in Einklang zu bringen). Leibniz lehrt, daß der Wille nur auf Gutes gerichtet sein könne, insofern

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es gut ist. (Es wäre dies gegen die Analogie mit dem Urteil. Es gibt Urteile, die keinerlei Wahrheit einschließen. So sollte man meinen, könne es auch einen Willen geben, der auf nichts Gutes gerichtet sei. Daß Leibniz das Gebiet dessen, was um seiner selbst willen geliebt werden kann, zu eng faßt, dürfte sich auch daraus ergeben, daß er nichts zu dem rechnet, was für den Einzelnen gut ist, außer was zu seinem Seelenheil gehört. Er ist Eudämonist.) Zu beachten [ist] die Zusammenfassung des Wollens mit anderen Gemütsakten, wenn von antecedenter und consequenter volonte gesprochen wird. Das antecedente Wollen verdient den Namen Wollen und Wählen nicht, ist aber doch eine Art von Lieben und Bevorzugen. 47. Verwerfung des Bafi.ezschen Thomismus 44 (sehr richtig!). 48. Lächerlichkeit des molinistischen Indeterminismus 45 . 51. Nicht das Wollen ist Objekt des Wollens, sondern das Handeln 46 • 52. Die Seele ist ein geistiger Automat zu nennen 47 . 57. Unheilbare Korruption der Seele. Aristoteles48. (Offenbar im Zusammenhang mit der Höllenlehre). Vorteil unserer Ignoranz. 58. Das Prädestiniertsein von allem durch Gott hebt nicht die Pflicht auf, das Gute zu erstreben 49 . 59. Der Indeterminismus ist so verderblich wie die Lehre vomfatum mahometanum 50. Nicht bloß ein Gesetz für Erhaltung des Maßes der Kraft, sondern auch für Erhaltung der Direktion derselben besteht in der Körperwelt. Es geht nicht an, mit Descartes zu lehren, daß die Seele durch ihre Einwirkung nicht das Maß der Kraft verändern könne, wohl aber die Richtung. Beides ist gleich unmöglich51. 72. Vindikative Ordnung. Die Schönheit der Welt verlangt sie 52 . 73. Die Rechtfertigung der Strafe, da, wo absolute Notwendigkeit besteht. Sie ist keine vindikative, aber schützende exemplarische Strafe, sogar bei Tieren angebracht, usw. 53.

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Leibniz zeigt keine genügende Kenntnis des Begriffes der substantiellen Form und gerät bezüglich des Ursprungs der menschlichen Seelen 54 auf den absonderlichen Einfall, sie alle schon in Adam, aber freilich nur als bloß tierische Seelen bestehen zu lassen, um dann in ihrem Vater durch eine Transkreation in vernünftige Seelen verwandelt zu werden. Ganz antiquierte Ausführungen über Erbsünde und andere Fragen von exklusiv theologischer Bedeutungss.

II. Partie

[108.] Bayle. 7 theologische und 19 antitheologische Thesen desselben mit Gegenbemerkungen von Leibniz 56 . [118.] Leibniz sagt einmal 57 , was schlecht sei mit Beziehung auf den einzelnen Menschen, sei nicht schlecht in Bezug auf das Universum. Dies wäre ein bedauerlicher Irrtum, wenn Leibniz hier den Subjektivismus in Bezug auf das Gute lehren wollte, welcher den Satz: Gott sei das vollkommenste Wesen und Gott wolle immer das Beste, aller Bedeutung berauben würde. All das kann sein Sinn nicht sein bei einem Mann, der positives Sein und Gutes für identisch erklärt, dem das Schlechte nur Negation ist. Was Leibniz also meint, ist offenbar nur, daß, was für schlecht zu erkären wäre, wenn der Mensch isoliert gedacht würde, nicht mehr schlecht erscheint, wenn man ihn in seinem Zusammenhang mit dem Universum betrachte. [126.] So Irrtümer, Untugenden, Schmerzen und selbst die ewige Unbußfertigkeit und das ewige Leiden eines Verdammten58! (Freilich ist es eine kolossale Zumutung, welche die Moral einem Verdammten machen würde, selbst die Welt, die ohne ihn und seine Verdammnis nicht möglich wäre, als die bestmögliche über alle zu lieben!). Interessant ist die Scheidung der Todsünden und der läßlichen Sünden bei Leibniz. Die Todsünde ist eine solche, welche den Menschen in eine solche moralische Verfassung bringt, von der aus keine Wiedererhebung zur Tugend möglich ist; eine Art unheilbarer Krankheit der Seele, wie solche auch Au-

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gustin59 anerkannt hat. Daß dies der kirchliche Begriff der Todsünde sei, scheint mehr als zweifelhaft und die Kirche scheint hier teilweise im Vorteil, teilweise im Nachteil: erstens insofern, als sie keinem Leben die Möglichkeit abspricht, zur Tugend zurückzukommen; letzteres, insofern im Jenseits, wohin doch der Mensch so gelangt, wie er hier war, trotz des nach dem Gesagten an und für sich noch heilbaren Zustandes durch eine besonders weise Vorsehung Gottes die Heilung nicht mehr erfolgen wird. Warum dies? Zur Vergeltung? Nein. Diese liegt in der Strafe, nicht in der Fortdauer des unheilvollen Zustandes selbst. Und Leibniz 60 wie Thomas 61 helfen sich gegenüber dem Einwand, die unendliche Strafe sei disproportioniert, damit, daß sie trotz der Disproportion ewig sein müsse, weil der Kerl sich nicht bekehre! Leibniz läßt ihn sogar immer noch neu sündigen, was vollkommen richtig ist. Thomas 62 dagegen, weil er den Indeterminismus zum Sündigen für nötig hält, läßt ihn nicht mehr sündigen, was die Ausrede noch unannehmbarer macht. Leibniz müßte konsequent ein Fegefeuer annehmen, man hört aber davon nichts, da ja doch die Seelen, die nicht unheilbar sind, nicht alle ohne Schuld aus der Welt gehen werden. Man hat gesagt, Leibniz zeige sich unglaublich oberflächlich, indem er die Höllenlehre mit seinem Optimismus in Einklang zu bringen glaubt, allein oberflächlich kann man sein Verfahren nicht nennen; auch hier geht er bis auf das erste Prinzip aller optimistischen Verteidigung zurück. Auch würde er dem nicht widersprochen haben, der behauptet hätte, er habe nicht gezeigt, daß die Hölle ein Erfordernis der bestmöglichen Welt wäre. Nur würde er nicht zugegeben haben, es sei von dem Gegner die absolute Unvereinbarkeit erwiesen. Wer weiß, was zu einem teleologischen Beweis gehört, wird das mit einiger Indulgenz beurteilen, doch ist unverkennbar, daß Leibniz nur unter dem Zwang, den ihm das christliche Dogma hier auferlegt, dazu kam, sich mit der so widerstrebenden Annahme einer Hölle irgendwie ernstlich zu befassen. Überall müht er sich, die Sache abzuschwächen; die ungetauften Kinder werden von ihr ausgeschlossen, die outrierte Behauptung, es seien 100000 Mal mehr verdammte Menschen als

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gerettete, wird als unbegründet mißbilligt, und wenn die Zahl der verdammten Menschen als größer anzuerkennen wäre als die der geretteten, so weist Leibniz daraufhin, daß die Zahl der verdammten Engel ungleich geringer ist als die der seligen Geister usw. [134.] Leibniz betont die Mannigfaltigkeit63 in der Welt als etwas wesentlich zur Vollkommenheit des Ganzen gehöriges. Indefinite Wiederholung von Gleichem wäre nicht zu billigen und wenn es auch Gutes wäre. Es heißt freilich, in den Konsequenzen dieses Prinzips weit gehen, wenn man etwa sagen wollte, daß hierdurch auch die Hölle gerechtfertigt wäre, damit der Gegensatz zu unheilbar Korrupten und verderblich Vollendeten in der Welt nicht fiele. 146. Leibniz führt recht gut aus, wie in seinem Teil der Welt die Vollkommenheit der Ordnung erkannt wird, dies auf eine nicht minder vollkommene Ordnung dort schließen lasse, wo wir sie nicht erkennen 64. 147. Leibniz findet, daß in der Verwendung des Schlechten zum Guten der größte Beweis der Weisheit des Ordners liegt 65. 148. Leibniz behauptet, es sei in dem Leben eines jeden mehr Gutes als Schlechtes und die Zahl der Mittelguten überwiege weit über die der extrem Guten oder Schlechten. (Vereinbar mit seiner Lehre von der Mehrzahl der Verbannten?). [Er] behauptet, der vorzügliche Zweck der Geschichte wie auch der Poesie sei der moralisierende Einfluß 66 . 149. Dreifaches Prinzip ist Gott: Macht, Intelligenz, Güte 67 . Neigung, die Dreifaltigkeit damit in Beziehung zu bringen. [151.] Merkwürdig ist, daß Leibniz den Menschen selbst als letzte Quelle seiner Übel darzustellen sucht, weil die Idee des Menschen, die notwendig von Ewigkeit in Gott ist, die Idee eines vollkommenen Wesens ist 68. (Man sieht aus dieser sonderbaren Bemerkung, wohin man geführt werden kann, wenn man sie wie das Denkende auch das Gedachte im eigentlichen Sinne sein läßt.) 153. Leibniz kritisiert recht gut die nichtssagenden Erklärungsversuche nach Art der virtus soporifera (Einschläferungskraft). Das principium maliflcum, meint er, sei von dieser Art 69 .

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154. Leibniz sagt, der Wille gehe immer auf das Gute, auf das Schlechte nur, wenn es im Guten verborgen sei. Er beruft sich dabei auf das scio meliora proboque 70 . bis 165. Es kann Gott nicht zum Vorwurf gemacht werden, fehlbare Kreaturen gemacht zu haben und auch nicht, sie wirklich fehlen zu lassen in einzelnen Fällen, wenn die Ordnung des Universums eine solche Zusammenstellung von Umständen erheischt 71. 164. Erklärung der Unterscheidung von voluntas signi und voluntas beneplaciti und Mißbilligung anderer Fassungen 72 . 176. Gottes Gerechtigkeit kann nicht von der unsrigen verschieden sein 73 . 181. Hier und öfter ist von der Wesenheit, der Essenz der Dinge die Rede, die mit ihrer Möglichkeit identifiziert wird7 4 . Die Essenzen sollen ewig in Gott sein, nicht freie Produkte Gottes und dgl. Die Ideen Gottes scheinen diese Möglichkeiten. (Die Sache klärt sich wesentlich, wenn man erkennt: 1) daß die Objekte nicht eigentlich existieren; 2) daß »möglich« soviel heißt wie »nicht« unmöglich. Die sogenannten ewigen Wahrheiten, von der Existenz Gottes abgesehen, sind alle negativ). 181. WesenderTugend75. 183. Die Essenzen sind »ewig« und »notwendig«. Noch vielmehr ist es ewig und möglich, daß es etwas Widersprechendes ist 76 . Thomas von Aquin 77 behauptet, das Naturrecht bestehe unabhängig von der Exisenz Gottes. 184. Der göttliche Verstand »macht die Realität« 78 (gleich: bewirkt? macht aus?). Jede Realität also muß in etwas Existierendem gründen. (Auch die Realität der Möglichkeiten). 186. Leibniz vermutet, Descartes habe den Satz des Widerspruchs selbst nur darum für in seiner Wahrheit vom Willen Gottes abhängig gelehrt, weil er alles Urteil dem Wollen subsumiert habe. Er habe also nicht ihre schlechthinnige Wahrheit leugnen wollen(?). Er bezeichnet die Subsumption des Urteils unter das Wollen durch Descartes nur als eine von ihm erfundene Manier sich auszudrücken. Auch den Sinn des Namens

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»Freiheit« scheint ihm Descartes vollständig alteriert zu haben 79. 189. Wo vorgezogen wird, muß ein Grund der Bevorzugung sein 80 . (Dieser Satz liefert Leibniz den Beweis, daß die von Gott bevorzugte Weltordnung die vorzüglichste ist, also, daß nur eine und einzige Welt unter allen möglichen die bestmögliche war.) 192. Alle Beweisführungen sind in Gott; es gibt aber bei ihnen kein zeitliches Früher oder Später der Einsicht, sondern nur ein natürliches 81. 194. Um die Weisheit der Weltordnung zu erkennen, muß man auf gewisse annähernd komplette Teile achten 82. 195. Das Kontinuum ist ins Unendliche aktuell geteilt(?). Das Unendliche ist kein Ganzes, weder ein Kontinuum noch eine unendliche Zahl. Dies widerlegt die Meinung, die Welt oder die Seele der Welt sei Gott83. 196. Das Universum ist keine Kreatur. Kreaturen können ins Unendliche vollkommen sein, nicht aber Universa. (Wenn die Welt in einer Evolution besteht, die immer nur einem Stadium nach ist, so kann das, was Leibniz hier sagt, vielleicht gebilligt werden. Ohne Vernunftgrund handeln, heißt widervernünftig handeln 84). 200. Doch das beste Weltsystem ist vielmehr ein bestes Gott-Weltsystem, denn Gott liebt und bevorzugt sich und die Welt in einem 85 . 201. Die vollkommenste Welt ist die, welche am meisten Realität, Vollkommenheit und Erkennbarkeit enthält86. (Hält Leibniz diese drei für ein und dasselbe?). 202. Es ist möglich, daß etwas in Bezug auf das Gute und Schlechte sich spezifisch ändert, ohne besser oder schlechter zu werden87 • (Leibniz findet offenbar darin keine Objektion gegen seinen Optimismus). Die Reihenfolge in der Weltentwicklung kann die bestmögliche sein, ohne daß es je zu einem bestmöglichen Stadium komme. (Mich dünkt, daß das Stadium, als Stadium betrachtet, nach welchem jene Reihenfolge besteht, das bestmögliche genannt werden muß und daß dies gleichmäßig von jedem, wenn es eben

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ist, gesagt werden kann. Mysterium der transzendenten Zeit). 203. Malebranche, schon zum Leibnizschen Optimismus neigend. Arnauld Gegnerss. 207. Natur des Wunders 89. 208. Gott wählt unter den nicht absolut notwendigen allgemeinen Regeln die natürlichsten. Die Wege Gottes sind die einfachsten und gleichförmigsten90. Prinzip des geringsten Kraftaufwandes; teleologisch. Mauperty91. (Mauperty hat aber Unrecht gehabt, das mechanische Gesetz des geringsten Kraftaufwandes als teleologisch für den Gottesbeweis verwerten zu wollen. Das ist, wie wenn einer die schöne Gleichheit des Quadrates der Hypotenuse mit dem der beiden Katheten zum Behufe der Annahme ordnender Intelligenz geltend machte). 209. Zur Vollkommenheit der Welt gehörten außer den physischen und moralischen auch metaphysische Güter 92 . (Ob diese wohl für sich allein Güter zu nennen wären? Ich glaube nicht. Wenigstens nicht ohne Mitberücksichtigung der Intelligenz des Schöpfers; es scheint nur einen Wert als Mittel zu haben; verbunden mit Geistigem wird es aber ein Plus des in sich Guten. Chrysippus 93). 210. Malebranche. Beiträge zur Lehre von der bestmöglichen Welt 94 . 211. Einfachheit und Fruchtbarkeit [sind] Ziele der Regeln. Mannigfaltigkeit [ist] Vorzug. Der wirkliche Weltplan nicht das Kommodeste für alle Kreaturen 95. 212. Was das Beste ist im Ganzen, muß nicht das bestmögliche injedem Teile sein. Geometrische Erläuterung96. 213. Nur bei voller Einförmigkeit müßte dies allerdings gelten 97 . 217. Subjektivistischer Anflug in der Güterlehre. Ist die Welt etwas, was das Glück Gottes mehrt? Leibniz leugnet 98. (Ich möchte in gewisser Weise bejahen). 222. Die Liebe zur Tugend ist nichts als der Wille, alle Menschen glücklich zu machen und ihr Elend zu verhindern 99; (also kein egoistischer Eudämonist; aber auf die Tiere wird keine Rücksicht genommen und dem Umstand, daß wir nicht

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auf alle Menschen gleichmäßig einwirken können, keine Rechnung getragen). 223. Der Optimismus [bedeutet] keine Beschränkung der Macht Gottes 100. 230. Nicht als Mittel, sondern als conditio sine qua non101 [ist das Übel zugelassen]. 233. Die Liebe Gottes zu sich selbst ist wesentlich, die zu seinem Ruhm und dessen Erwerb aber nicht 102(?).

III. Partie 241. Es ist kein Schmerz in der Welt ohne Sünde103(?). bis 277. Es sei mehr Glück in der Welt als Unglück. Die bloße Freiheit von Schmerz sei auch zu den Gütern zu rechnen, z.B. die Gesundheit104. Die sinnliche Lust, wenn sie allzugroß ist, hemmt die geistige Entwicklung; es ist also in der Tat unser Gewinn, wenn wir von ihr relativ wenig haben 105. (Auffallend ist es, daß Leibniz nicht von dem Gedanken Gebrauch macht, daß wir, wenn keine Lust wäre, keine Hoffnung [hätten], die anzieht, wenn keine Pein wäre, keine Furcht, die fliehen läßt. Wie die Natur, wenn es anziehende und abstoßende Kräfte gibt, zur Evolution fähig ist, also wenn nur die eine Klasse bestände, so auch die physische Lebewelt). Leibniz leugnet nicht die ewige Höllenpein, aber man sieht, wieviel lieber es ihm wäre, wenn er sie leugnen dürfte 106 . Er verweilt z. B. wohlgefällig bei dem Gedanken des Augustin 107 von einer allgemeinen Milderung der Höllenpein und führt ihn aus mit dem Bilde einer Asymptote, will also die Milderung in infinitum den Schmerz mildern. Weder Schmerz noch Lust, sagt er, sei ohne Reflexion 1os. (Was meint er damit? Ohne Apperzeption? Oder meint er unter Schmerz und Lust sinnliche Qualitäten und unter der Reflexion den auf ihr Empfinden gerichteten Affekt?). Vielleicht könnte man es auch so deuten, daß Reflexion wie bei Locke t09 eine Wahrnehmung bedeutet und es liege die richtige Einsicht vor,

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daß das Objekt von Lust und Schmerzaffekt kein physisches, sondern ein psychisches Phänomen ist. Dies [ist] wohl das Wahrscheinlichste. Merkwürdige Berichte über Menschen, die den Schmerz mit einer Art Leichtigkeit ertrugen 11 0. Hervorhebung, daß dies an sich gut sei, dennoch aber, wenn es allgemein stattfinde, Gefahren mit sich brächte, da die Gesetzgeber nicht mehr imstande wären, die Strafen als Sanktion zu verwerten. Leibniz sagt, schon der sei lobenswert, der nicht zu tadeln sei. (Ich denke aber, daja doch ein Stein nicht lobenswert ist, so ist dies nur darum wahr, weil, wer Lob erwerben kann und es nicht erwirbt, schon tadelnswert ist, also wer nicht tadelnswert ist, lobenswert ist. Wie könnte auch der, der Lob verdienen kann und es nicht verdient, nach Leibniz nicht tadelnswert sein, der ja doch sagt, daß es unsere Pflicht sei, immer das Vorzüglichste vorzuziehen? Sein großer Optimismus ruht ja auf diesem Grunde). Leibniz behauptet, wer schlecht will und schlecht handelt, könne, da er dies mit Freiheit tue, sich nicht über Gott beklagen, daß er ihn das tun lasse; und nachdem er schlecht gewollt und gehandelt, auch nicht darüber, daß er gestraft würde. (Dennoch erscheint Gott wenig liebevoll, wenn er ihn sündigen läßt und verdammt werden und Sünder und verdammt sein für ihn schlechter ist als nicht sein, zumal er dies alles verfügt, ehe der Mensch ist und will. Ohne den Gedanken einer Apokatastasis scheint die Lehre unerträglich hart) 111 . 278. Jede Lust ist ein Gefühl irgendwelcher Vollkommenheit112. Daraus folge, daß die Liebe Gottes das größtmögliche Vergnügen gibt, wenn man von dem Gefühl voll durchdrungen ist. Sollte es auf das Maß der Redundanz in sinnlichen Affekten ankommen? Sicher ist die Lust, die sich an diese Liebe knüpft, die edelste Lust, wenn sie selbst nicht die größte ist. (Aristoteles 113 würde das kaum zugegeben haben, der auch eine Lust am Schlechten anerkennt). Man liebt einen Gegenstand in dem Maße, als man seine Vollkommenheit fühlt. 279. Leugnung unwiderstehlicher Reize zum Guten und zum Schlechten. Zu unterscheiden [ist] zwischen untrüglich undnotwendig114.

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288. Eingehende Kritik von Augustins Gnadenlehre11s. Leibniz nennt die Intelligenz die Seele der Freiheit. Die freie Substanz bestimmt sich durch sich selbst und das nach dem Motiv des Guten, welches sie geneigt macht, ohne sie zu nötigen. 309. (Wenn man klar erkennt, so liegtja darin schon die Zustimmung) 116 . 311. Die klare Perzeption einer Wahrheit enthält ihre Affirmation 117. Das Wesen des Wollens besteht in dem effort zu handeln. Der Wille ist nicht so notwendig verbunden der Erkenntnis des Guten, wie die Affirmation mit der evidenten Perzeption der Wahrheit. 312. Leibniz billigt die allgemeine Determination des Willens zum Guten 118. bis 316. Spuren von ethischem Subjektivismus bei Bayle und vielleicht bei Leibniz selbst119. 322. Woher kennt Leibniz das Prinzip 120? 323. Nicht positiv, nur etwa negativ 121 . 335. Sie sind ja gar nicht im eigentlichen Sinne. Möglich sein ist kein Sein, sondern ein Nichtsein 122 . bis 342. Leibniz behauptet, Thomas 123 sei für Gott und [den] menschlichen Willen Determinist. Er irrt. Thomas leugnet ja die bestmögliche Welt. Die Härte des Höllendogmas drängt zum Indeterminismus 124. Durandus 125 leugnet nach Leibniz den concursus divinus. Der Cartesianer Regis 126 sagt Bedeutendes über die guten Dienste, welche der Schmerz leistet. Neue eingehende Erörterung über den Determinismus1 27. Zurückweisung der Lehre Descartes', nach welcher die sittlichen Qualitäten ohne Übereinstimmung mit der Wirklichkeit [sind]. Dies wäre eine unerträgliche Dis-Teleologie 128 . Erwägungen über die Möglichkeit von Organismen mit Empfindung, aber ohne Schmerz. Leibniz erklärt sich dafür 129 . (Wahrscheinlich denkt er an seine Engel, die ja auch einen Leib haben sollen. Er scheint dem Vorteil, welcher in der Ausstattung mit Schmerz wie Lust, instinktiven Trieben, welche fliehen und welche suchen lassen, liegt, nicht genug Rechnung zu

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tragen. Vielleicht wäre nur ein Wesen, das keine anderen Urteile als evidente und keine anderen Gemütsbewegungen als richtig charakterisiert hätte, ohne Fähigkeit für Schmerz denkbar. Interessant bleiben aber gar manche Bemerkungen, wie z.B. die Harmonie von Schmerz, Empfindlichkeit mit Korruptibilität des Organismus). bis 351. Von den Gesetzen der Mechanik, wie Gleichheit von Wirkungen und Gegenwirkungen, Komposition der Kräfte behauptet Leibniz, sie seien nicht einleuchtend wie die der Arithmetik, Logik, Geometrie. Auch das Gesetz von der Erhaltung der Kraft nicht, welches er anders als Descartes bestimmt 130. Anders denkt Leibniz von den drei Dimensionen der Welt. Während seine mechanischen Gesetze sich nur theologisch erklären lassen sollen und Leibniz ihnen eine besondere Schönheit nachrühmt, hält er die Zahl der Dimensionen für etwas a priori Erwiesenes 131. (Leibniz ahnt nichts von der heutigen, auch vierdimensionalen Mathematik. Aus der Anschauung des Räumlichen ergibt sich freilich analytisch, daß es nur drei Dimensionen hat. Daraus folgt nicht, daß es nicht auch topoide Substanzen geben könnte, welche eine kleinere oder größere Zahl von Dimensionen hätten. Der Gedanke Bayles kehrt also als Objektion gegen den Optimismus wieder. Vergleich mit vier Phasen. Leibniz müßte aber in die größte Verlegenheit kommen, weil er ja seine Körper sozusagen aus Geistern bestehen läßt, was eine Absurdität ist. Seine ganze Auffassung des Punktes als etwas für sich, während er bloß Grenze ist, ist verfehlt). bis 361. Objektionen Bayles, die sich auf[ die] Vereinigung von Leib und Seele und die oft schädlichen Einflüsse des Leibes gründen, da doch lauter nützliche möglich gewesen wären132. Leibniz weist den Gedanken, daß hier eine Art Occasionalismus bestehe, zurück. Die bestehende Ordnung, ob sie auch für sich betrachtet nicht. die bestmögliche sei, könne doch einen Teil der bestmöglichen Weltordnung bilden. Die Eindrücke, die die Seele empfängt, spiegeln, wenn auch in alterierender Projektion, die Wirklichkeit, ja das ganze Universum. Die

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Frage, warum Gott überhaupt Gesetze gegeben, beantwortet sich damit, daß diese Grundbedingung der Schönheit [seien]1 33 . Das Grün [ist] zusammengesetzt aus Blau-Gelb in unmerklich kleinen Partikelchen. Leibniz meint, das Mikroskop liefere dafür den Beweis 134 • (Daß das Universum in den Sinneseindrücken sich spiegele, scheint eine allzu kühne Folgerung aus dem Optimismus; sie scheint nicht einmal teleologisch. Wenn die Bilder so undeutlich, daß sie zu keiner Erkenntnis des Gespiegelten führen können, wenn sie sozusagen projektivistisch entstellt sind, können sie auch nicht eigentlich wahr genannt werden. Bewegung kann uns kein Sinn zeigen. Dazu gehört ja das Hervorgehen eines örtlich Bestimmten aus dem anderen. Z.B. wird, je nachdem wir uns selbst bewegen oder ruhen, die Erscheinung eine ganz andere. Die Qualitäten scheinen gewählt vielfach in Rücksicht auf Affekte, wie z.B. die Töne merkwürdige künstliche Ordnungen zeigen, welche die Musik möglich machen. Das Gesetz der spezifischen Sinnesenergie scheint in keiner Weise den Leibnizschen Hypothesen günstig. Er vergißt, wessen er anderwärts in lobenswerter Weise eingedenk ist, daß wir, was die Teleologie des Universums anlangt, nicht a priori bis ins kleinste hinein erkennen können. Zum Glück bedarf er auch einer solchen Leistung nicht, um seine Absicht, die Angriffe gegen die bestmögliche Welt zurückzuweisen, durchzuführen. - Daß Blau und Gelb im Grün enthalten sei, ist richtig, aber die sinnlichen Qualitäten in ähnlicher Weise aus kleinen Bewegungen zusammengesetzt denken, ist geradezu absurd, ähnlich wie es absurd ist, die Körper aus Geistern bestehen zu lassen.) 369. Indeterminismus ließe zwar den vindikativen, nicht aber den besseren Zweck der Strafe bestehen 135 . 371. Entschiede sich der Wille unter denselben Umständen anders, so ergäbe sich kein Widerspruch. Mir scheint, es ergäbe sich kein Widerspruch in dem, was bewirkt würde, vielleicht aber einer oder besser ein positiver Widerstreit gegen die Natur der Seele und ihre Gesetze 136. 377. Der Konkurs Gottes bei guten und schlechten Handlungen 137 .

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387. Bayles Versuch, aus der steten Konservation durch Gott die Möglichkeit darzutun, daß eine Kreatur irgendetwas wirke 138 . 388. Leibniz antwortet mit der Unterscheidung des zeitlichen und der Natur nach früheren 139 . (Eine Schwierigkeit scheint zu bleiben, wenn Ursache und Wirkung nur in dem Sinne gleichzeitig sein können, daß sie sich in einem Zeitpunkt berühren, wie das, was bis zu einem Moment und von einem Moment an besteht). 395. Prekärer Vergleich des Akzidens mit Grenzen. Die Substanz [ist] unveränderlich, alle [Substanzen sind] von Gott geschaffen 140 . Neigung, seine eigene Lehre von der Transcreation der Seele zurückzunehmen 141. Zustimmung zu Malebranches Argument, Gott könne nicht bloß Ordner sein, denn seine Kenntnis des zu Ordnenden verlange, daß er Schöpfer sei 142. bis 404. Die Seele [ist] Ursache aller ihrer inneren Erlebnisse nicht mit Willen, sondern als ein - freilich nicht mechanischerAutomat143. Interessante Stelle betreffend des Kausalitätsgesetzes 144. Einerseits, daß Leibniz die Leugnung desselben absurd nennt, was eigentlich einschließt: Kontradiktion; andererseits sagt er, was ohne Grund wäre, hätte auch vorher werden können.

XII. Leibniz. Bemerkungen über die Theodicee

Leibniz verweilt nicht eingehend genug bei dem Beweis des Daseins Gottes 1, während dieses doch die Grundlage für seinen ganzen Optimismus bildet. Es lag dies im Geist der Zeit, meinte doch auch Locke 2 , Gottes Dasein sei durch die Vernunft so leicht erkennbar, daß der Atheist keinerlei Toleranz beanspruchen könne. Nächst seinem »Ich« könne kein anderes Wer sen von irgendjemand so sicher erkannt werden, als das seines Schöpfers. Heute hat unter den Philosophen die sententia communis hier umgeschlagen und so befriedigen die kurzen Bemerkungen von Leibniz nicht das Bedürfnis der Zeit. Ein zweiter Punkt ist die Lehre, daß das Schlechte durchwegs in einer Privation bestehe. Leibniz kann sich hier auf Augustinus3 und andere große Vorgänger berufen, und ich will nicht leugnen, daß die Lehre Wahrheit enthält. Doch wenn ich mir einen Menschen denke, der, in edler Tätigkeit begriffen, zugleich an Zahnweh leidet, so scheint mir sichtlich, daß, wenn dieses entfiele, ein Zustand herbeigeführt würde, der infolge der Beraubung vorzüglicher erscheinen würde als der vorhergehende. Der Zahnschmerz scheint als Übel doch etwas anderes als bloße Privation zu sein. Wie in diesem Punkte, wo Leibniz sich an Augustinus anlehnt, so scheint er mir (ich muß es gestehen) auch in einem dritten Punkte nicht recht zu genügen, nach dem er das Dogma von der Hölle 4 annehmen zu müssen sich gedrängt sieht. Man erkennt, daß er sich am liebsten von ihm befreit sähe, und man muß ihm auch nachrühmen, daß er das Äußerste aufbietet, sich aus der Verlegenheit zu helfen 5, aber sein Kritiker scheint im Recht zu sein, wenn er behauptet, daß ihm dies nicht genügend gelungen sei. Ein vierter schwacher Punkt ist die von Bayle gegen den Optimismus geltend gemachte Endlichkeit der Welt. Der Leibnizsche Gedanke einer Unendlichkeit, die aber von uns nicht zu einem Ganzen zusammengefaßt werden dürfe, da man sich dann

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sofort in Widersprüche6 verwickelt sähe, scheint mir nichts weniger als klar. Hier gibt es wohl nur eine Antwort: die Berufung auf die Möglichkeit eines Wachstums der Welt ins Unendliche. Ein fünfter schwacher Punkt bietet sich in den vier Grundgesetzen der Vernunft, auf welchen Leibniz, wenn man auf seinen Kritiker 7 hört, als letztem Fundament bauen würde: dem Satz des Widerspruchs, dem Satz der ratio sufficiens, dem Satz, den er principium indiscernibilium nennt, und dem Satz der Stetigkeit. In seinen Neuen Versuchen über den menschlichen Verstand 8 lehrt Leibniz, daß alle unmittelbar einleuchtenden Gesetze den Charakter des Widerspruchs tragen müssen. Gilt das aber wahrhaft von allen hier aufgeführten? Man sieht nicht leicht ein, in welcher Weise und möchte zweifeln, ob es richtig sei. Ein sechster Punkt bietet sich in Leibnizens Lehre von der prästabilierten Harmonie, die in unserer Zeit mit Recht allgemein verlassen ist und dem Übersetzer 9 auch zu sehr scheinbaren Einwänden Gelegenheit gibt. So bin ich denn keineswegs ein unbedingter Anhänger der Leibnizschen Theodicee. Allein dies hindert nicht, daß ich die Überzeugung von der tadellosen Vollkommenheit der Welt als des Werkes eines in seiner Macht, Weisheit und Güte unbeschränkten Meisters durchaus teile. Nicht in einem Abgehen von diesem Gedanken, sondern in einer vollkommeneren Benützung aller Hilfsmittel, die uns zu seiner Verteidigung zu Gebote stehen, liegt der zu erstrebende Fortschritt. Dabei wird der Gedanke von Leibniz, dem der Übersetzer so gar schlecht gerecht zu werden weiß, daß dem Angreifenden, nicht dem Verteidiger das onus probandi zufällt, von wesentlichem Belange sein. ferner der Gedanke, daß das in sich minder Gute wegen seines Nützlichkeitswertes oft als das Vorzüglichere bezeichnet werden muß. Wiederum der Gedanke, daß die Welt, wenn sie die bestmögliche ist, in einer Entwicklung bestehen muß, die jede Stufe endlicher Vollkommenheit erreicht und jede noch ins Unendliche überschreitet. Und daß wir, wie weit auch immer der Anfang hinter uns zurückliegen mag, im Vergleich mit Zeiten, die erst kommen werden, ihm sehr, sehr nahe sind. Und so hat denn vieles, ja man kann sagen alles, noch eine Art von

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embryonalem Charakter. Besser ist es, die Welt bildet sich selbst zur Vollkommenheit fort, als sie empfängt alles fertig als unmittelbares Geschenk aus der Hand Gottes, in welchem Falle ja auch ein gewisses endliches Maß statt der ins Unendliche gehenden Vervollkommnung gegeben wäre. Und so scheint mir denn auch Aristoteles 10 vollkommen recht zu haben, wenn er insbesondere auch von der Tugend sagt, sie sei zwar gewiß wenn irgendetwas - als ein Geschenk Gottes zu betrachten, aber dies schließe nicht aus, daß wir sie selbst uns zu erwerben haben; vielmehr erscheine dies als die schönste Weise, ihrer teilhaft zu werden, und Gott habe sie darum mit Recht vor jeder anderen bevorzugt. Daß es in der Zeit unausgebildeter Tugend vielfach zu unschönen Handlungen kommt, ist nicht zu verwundern; ja auch der Satz, daß es der Tugendhaften auf Erden relativ wenige gibt, darf uns nicht zum Ärgernis sein. Der Satz: »Viele sind berufen, wenige auserwählt« 11 , gilt nicht bloß auf moralischem Gebiete. Wir begegnen ihm analoger Weise, wenn wir sehen, wie der meiste zeugungskräftige Samen zu keiner Frucht und wie die meisten Früchte zu keinem neuen vollentwickelten Organismus führen, von den Menschen über die Hälfte vor dem 10. Jahre sterben usw. Wir haben es hier mit einem allgemeinen Weltgesetz zu tun und der Fortschritt, der sich in ihrer Geschichte vollzieht, zeigt sich mit ihm vereinbar, ja von ihm untrennbar. Will einer das tadeln und sagen, ich hätte den Fortschritt auf anderem Wege und ohne solche Opfer zu erzielen gewußt, so darf man, um ihn seiner kindischen Anmaßung zu überführen, ihn nur darauf aufmerksam machen, wie er ja gar nicht imstande ist, überhaupt eine Welt aufzubauen oder auch nur mit seinem Verstand einen Keim herzustellen, der sich zu einem Organismus entwickelt. Welche Prahlerei also, wenn er zu wissen behauptet, nach welchem Rezept eine Weltentwicklung besser als die wirklich gegebene eingerichtet werden würde! So wird sich denn das onus probandi, das, wie Leibniz zeigt, auf ihm lastet, als geradezu erdrückend erweisen. So bleibt es denn sicher wahr, was Platon 12 sagte: »den Gott trifft kein Vorwurf«, und der Psalmist 13 hat recht, wenn er

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den, der im Anblick des Mißfälligen in der Welt in seinem Herzen sagt, es gibt keinen Gott, einen Toren nennt. Besonders hoch muß ich es Leibniz anrechnen, daß er sich von der Verwechslung der Begriffe »Freiheit und Zufälligkeit« 14 zu wahren wußte. Unsere Theologen pflegen ihr fast ausnahmslos zu verfallen und berauben sich dadurch der Möglichkeit, die allbestimmende Macht Gottes mit der Freiheit des menschlichen Wollens in Einklang zu bringen. Wenn manche sich zu der Behauptung verstiegen, Gottes Allmacht zeige sich eben darin am glänzendsten, daß sie auch bestimmen könne, was zufällig geschehe, so machten sie sich eines handgreiflichen Widerspruchs schuldig. Und wie wenig wäre auch, wenn diese handgreifliche Absurdität nicht bestünde, zur Rettung der Heiligkeit Gottes, die man gefährdet glaubt, gewonnen! Erschiene der Gott, welcher mit Unfehlbarkeit bestimmt, daß eine böse Handlung zufällig geschieht, weniger als einer, der bestimmt, daß sie geschieht als im Falle des Entfalls der Zufälligkeit? Man braucht dies nur einen Augenblick in Erwägung zu ziehen, um zu sehen, wie undankbar dieser Ausweg noch immer bliebe und wie darum als der einzig mögliche derjenige bleibt, den Leibniz m. E. mit schönsten Erfolgen betreten hat.

XIII. Leibniz. Beweis des Daseins Gottes im Anfang des 1. Buches der Theodicee

1. Es ist der schon von Leibniz so genannte Kontingenzbeweis 1. Vergleicht man ihn mit der Wiedergabe durch Kant 2 in der Kritik der reinen Vernunft, so erkennt man deren Inexaktheit. Denn Kant läßt ihn nichts als die Tatsache, daß etwas ist, zu Grunde legen, dann aus dieser auf die Existenz eines notwendigen Wesens schließen, dann unsere Begriffe durchmustern, um zu untersuchen, ob irgend einer derselben ein solcher sei, aus welchem a priori die Existenz des Gegenstandes einleuchtet, und hierbei zu dem Resultat kommen, daß dies nur bei dem Begriff des ens realissimum der Fall sei. Und daraufhin behauptet er, es sei erwiesen, daß das notwendige Wesen das ens realissimum, d. i. unendlich vollkommen, also Gott sei. Leibniz 3 dagegen beginnt damit, daß er sagt, Raum, Zeit und Stoff seien in sich selbst eins und gleichförmig und gegen alles gleichgiltig, weshalb sie auch ganz andere Bewegungen und Gestalten in einer ganz anderen Ordnung annehmen könnten. Hieraus schließt er, daß sie zufällig, d. h. nicht unmittelbar notwendig seien. Für jedes Ding, das begrenzt sei, und dies gelte für die Erfahrungsdinge alle, sei unmittelbare Notwendigkeit ausgeschlossen, somit auch für die ganze Erfahrungswelt, die nur aus solchen besteht. Hieraus schließt er auf eine transzendente Weltursache, die unmittelbar notwendig ist. Diese müsse eine Substanz sein, die Einsicht besitze, denn die erste in sich selbst notwendige Weltursache müsse, da neben dieser Welt auch andere möglich gewesen, auch diese berücksichtigt haben, um eine von ihnen zum Dasein zu bestimmen. Diese Rücksicht auf ~infache Möglichkeiten könne nicht anders als durch einen Verstand sein, der die Vorstellung von ihnen hat, und die Erwählung könne nichts anderes sein als die Tat eines Willens, der wählt. Dieser Wille müsse aber Macht haben. Die Macht geht auf das Sein, der Verstand auf das Wahre, der Wille auf das Gute. Ferner müsse dieser Verstand,

Leibniz. Beweis des Daseins Gottes

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dieser Wille und diese Macht unendlich sein, da sie auf alles gehen, was möglich. Wegen der Verknüpfung von allem mit allem muß diese unendliche Substanz als eine gedacht werden. Ihr Verstand ist die Quelle der wesentlichen Beschaffenheiten, ihr Wille der Ursprung der Existenzen. 2. Es ist hiernach offenbar falsch, daß der Kontingenzbeweis zum ontologischen Beweis zurückgreife. 3. Er bedarf also einer besonderen Prüfung. M. E. ist die Kontingenz der Erfahrungsdinge von Leibniz genugsam gesichert. Der Schluß auf etwas unmittelbar Notwendiges, Transzendentes stützt sich auf das principium rationis sujficientis. Dieses vereinigt zwei Behauptungen: die, daß eine erste Zweckursache und die, daß eine erste wirkende Ursache für jedes unmittelbar Notwendige verlangt werde. Daß das erstere ohne weiteres einleuchtend sei, ist sicher nicht richtig. Der Beweis dafür setzt den Nachweis, daß die erste Ursache intelligent sei, voraus, aber auch die zweite kann angezweifelt werden. So hätte der Beweis erbracht werden sollen, daß, wer Zufall, also entgegengesetzte Möglichkeiten in sensu diviso annimmt, sie auch in sensu composito annehmen muß, was dann gegen das Gesetz der Kontradiktion verstößt. Leibniz macht sich also hier eines Sprunges in der Beweisführung schuldig. Daß die Forderung einer unmittelbar notwendigen causa efficiens die Forderung ihrer Intelligenz nach sich ziehe, begründet Leibniz damit, daß mehrere, ja unzählige viele Welten berücksichtigt werden müssen, was nur durch Verstand geschehen könne 4 . Dies ist in seiner Kürze sehr dunkel. Warum soll sich nicht eine blind wirkende Ursache denken lassen, die, in sich notwendig, ohne Wahl ein mittelbar Notwendiges hervorbringt? Wenn das nicht unmittelbar Notwendige eine unmittelbar notwendige Ursache verlangt, so ist es, wenn eine solche fehlt, unmöglich und wenn die unmittelbar notwendige Ursache blind wäre, so wäre von keiner Macht, keinem Willen, keinem Verstand die Rede. Nur eines würde mittelbar notwendig und als Wirkung möglich sein. Wenn hier kein Fehlschluß vorliegt, wie viele meinen, die zwischen logischer und realer Mögkeit unterscheiden, so doch eine neue Lücke. Vielleicht wäre sie

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auszufüllen, indem man zeigte, daß das zur Hervorbringung dieser einen Welt allein geeignete, blind Wirkende im höchsten Grad paradox erschiene. Es wäre so unglaublich wie die unmittelbare Notwendigkeit dessen, was jetzt als mittelbar notwendig darauf zurückzuführen sein soll. Ist es einfach oder zusammengesetzt? Eines oder vieles? Man wird finden, daß es so vielteilig und mannigfach sein müßte, wie die zu erklärende Welt. Das würde zu einer Dreidimensionalität und schließlich zu einem Kosmomorphismus führen, der sich selbst richtete. Und wenn man früge, ob es selbst unveränderlich, unbewegt sei, so würde man nachweisen können, daß es selbst unbewegt, nicht Grund der Bewegung werden könnte. (Vgl. Trendelenburg 5). So scheint der Schluß aufVerstand, Wille, einheitlichen Verstand, schöpferischen Verstand, uns unendlich überlegenen Verstand und wohl auch der auf einen die sämtlichen möglichen Welten überblickenden Verstand gesichert. Es wäre aber sowohl hierfür als für die volle Apriorität seines Denkens und die apriorische Entschiedenheit seines Ratschlusses der eingehende Nachweis erwünscht. Um diese zu erweisen, hätte man zu zeigen, daß sein Denken und Wollen nicht akzidentell sein können. Dagegen spricht, daß dieses Denken nicht die erste Ursache, sondern selbst Wirkung einer nicht intelligenten Substanz sein würde, während Intelligenz als erster Grund verlangt wird. [4.] Ist die Apriorität dargetan, so erscheint die Superiorität gegenüber unserem Denken aufs äußerste gesteigert. Niemand wird mehr an Ignoranz und Irrtum glauben. Und wenn selbst in der Erfahrungswelt nur infolge ihrer eine schlechte Bevorzugung vorkommt, so ist damit die schlechte Güte des Wollens und Wählens der ersten Weltursache genugsam gesichert. Auch geht es nicht an, mit Hume 6 zu behaupten, daß es zwar auf dem Gebiet der Erkenntnis eine Wahrheit für alle erkennenden Wesen, aber nicht ebenso auf dem Gebiet der Liebe eine Richtigkeit des Liebens und Vorziehens für alle einer richtigen Liebe fähigen Wesen gebe. 5. Der Kontingenzbeweis, minder sprunghaft vorgeführt, nähme also folgenden Gang 7 :

Leibniz. Beweis des Daseins Gottes

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1) Charakteristik der Erfahrungserscheinungen als gleich verträglich mit unendlich mannigfachen Bestimmungen nach Zeit und Ort und Stoff und infolge davon nach Gestalt, Bewegung und Ordnung. 2) Schluß auf den Mangel unmittelbarer Notwendigkeit. 3) Nachweis, daß, wenn keine unmittelbare, doch mittelbare Notwendigkeit zukommen müsse. 4) Schluß auf eine unmittelbar notwendige, transzendente Weltursache, welche Totalursache der Welt ist. 5) Unmöglichkeit, diese als blind wirkende Ursache zu denken, da ein einfaches blind Wirkendes nur eine ebenso einfache Wirkung haben kann; die Ursache der Welt, wenn sie blind wirkte, daher nicht einfach, sondern ebenso kompliziert wie die Welt gedacht werden müßte. Sie müßte dreidimensional sein und alles, was gegen die unmittelbare Notwendigkeit der Erfahrungswelt sprach, würde auch gegen ihre unmittelbare Notwendigkeit sprechen. Daß auch ihr wie Räumlichkeit auch Zeitlichkeit und kontinuierliche Veränderung zukäme, erhellt daraus, daß, wie Trendelenburg 8 nachweist, aus Ruhe keine Bewegung erklärbar ist. So hätte man einen lächerlichen Kosmomorphismus. 6) Untunlichkeit, das Vorstellen der ersten Weltursache auf einen endlichen Teil nach Zeit, Ort und Stoff zu beschränken. 7) Ebenso untunlich ist eine solche Beschränkung in Bezug auf Gegenstände der Erkenntnis, der Bevorzugung oder des Zurücksetzens und der Macht. 8) Unmöglichkeit, das Vorstellen, Erkennen, Wollen der ersten Ursache als akzidentell zu denken. Wäre doch dann die Substanz als solche allein erstes Prinzip und dieses würde dann nicht intelligent sein. 9) Nachweis, daß es in seinem Denken und Wollen a priori entschieden [ist]. 10) Unvergleichliche Überlegenheit seines Denkens und Erkennens gegenüber dem unseren. 11) Darum irrtumslos. Irrte es, so stände es als inkorrigibel hinter uns zurück.

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Texte aus dem Nachlaß

12) Auch ohne Ignoranz. Bestände sie, so wären wir, die wir unsere Erkenntnisse erweitern können, wiederum im Vorteil. 13) Wie die Erkenntnis, so ist auch Liebe und Wollen fehllos und in Bezug aufjede denkbare Frage entschieden. 14) Wie es unmöglich ist, daß anderes für andere Wesen wahr, so auch, daß anderes für andere gut und vorzüglich ist. Darum ist, wie sein Erkennen mit unserem Erkennen, auch sein richtiges Lieben und Wollen mit unserem richtigen Lieben und Wollen im Einklang und es ist ebenso wie in seinem Denken, in seinem Lieben unendlich vollkommen. 15) Als allmächtig ist es in seiner Liebe mit der Wirklichkeit durchwegs im Einklang und darum vollkommen selig und so der Inbegriff alles Guten. 16) Es ist ein einziges. Schon in Rücksicht auf das principium indiscernibilium. 6. Grund der Bevorzugung des Kontingenzbeweises durch Leibniz. Er zieht ihn nicht vor, weil er andere, mehr oder minder theologische Beweise für minder streng hält, also wohl nur wegen der größeren Eleganz infolge geringerer Menge der Hilfsmittel. Freilich würde der ontologische Beweis 9 , wenn fehlerfrei, noch eleganter sein und daraus, daß Leibniz im Anfang der Theodicee nicht von ihm Gebrauch macht, ist darum zu ersehen, daß er ihn, wenn nicht selbst in Verdacht genommen, doch als einen solchen betrachtet hat, bezüglich dessen es ihm nicht gelungen sei, noch gelingen werde, ihn vor allem von dem Verdacht eines Fehlschlusses zu reinigen.

XIV. Leibniz. Zur Lehre von Raum und Zeit

1. Es fehlt viel daran, daß man sich dieselbe zu voller Deutlichkeit gebracht hatte. Damit dies gelinge, muß man nicht bloß auf die Äußerungen von Leibniz 1, sondern auch auf die Sache selbst 2 hinblicken; freilich mit Beachtung der Möglichkeit, daß Leibniz bei ihrer Betrachtung nicht durchwegs glücklich gewesen sem mag. 2. Wir unterscheiden reine und angewandte Arithmetik, reine und angewandte Zahlen. Doch war Aristoteles 3 der Meinung, der Begriff des Einen schließe den Begriff des Seienden in irgendeiner seiner Bedeutungen ein und der Name werde zu einem Homonym durch Analogie, wenn das darin eingeschlossene Seiende darin wechselte. Würde man im Gegensatz zu ihm Substanz und Akzidens für Seiende im selben Sinne des Wortes nehmen und eine Mehrheit von Dingen als ein Reales im selben Sinn gelten lassen, so könnte man 3 X 3 Dinge so erklären, daß [die] erste 3 auf ein Ding angewandt wäre, welches aus 3 Dingen bestehe. Doch gemeiniglich faßt man die reinen Zahlen, als abstrahierten sie von allem Inhalt dessen, wovon die Zahlen sein sollen. Und so denkt man auch von der reinen Einheit. Auch Leibniz hat so gedacht. 3. Neben den Zahlengrößen gibt es auch kontinuierliche Größen, die keine endliche Vielheiten genannt werden können, wie die Zahlen, da sie vielmehr ins unendliche Teile unterscheiden lassen. Eben darum sind sie aber doch auch Vielheiten zu nennen, und wir mögen sie als indefinite Vielheiten bezeichnen. Das hat auch Leibniz getan. 4. Gemeiniglich glaubt man aber, daß alle diese kontinuierlichen Vielheiten den angewandten Zahlen analog seien, während es Analoga der reinen Zahlen unter ihnen nicht gäbe. Helmholtz 4 hat daraufhin noch geglaubt sagen zu müssen, daß das Quadrat einer Linie ab, wenn wir es ab Quadrat nennen,

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uns sich als Beispiel einer erlaubten Multiplikation von zwei angewandten Größen miteinander zeige. 5. Im Gegensatz dazu scheint zu sagen, daß auch von einer kontinuierlichen Größe bald mehr, bald minder abstrakt gesprochen werden könne. Und so können wir von einer Größe sprechen, welche spezifisch gleich der Linie ab, der Linie cd, ja auch einer gewissen Zeit zukommend, sich wie ein Analogon einer reinen diskreten Zahl darstellt. Mit dieser können wir dann widerspruchslos jene Multiplikation ausführen, die zu dem Quadrat führt, das wir als ab Quadrat bezeichnen. Leibniz hat diese Verallgemeinerung für die kontinuierliche Größe in Analogie zu den reinen diskreten Zahlen vollzogen. 6. Allein wenn die diskrete Zahl sich als eine Vielheit von Einheiten darstellt, so fragt sich bezüglich des abstrakten Analogons der Vielheit, der reinen indefiniten Vielheit, ob auch sie eine indefinite Vielheit von Einheiten oder von einem bloßen Analogon der Einheiten sei, welches wir als Grenze von ihm, gleichviel ob äußere oder innere, unterscheiden. Meine Meinung ist hier, daß es sich um ein solches bloßes Analogon der Einheit handle, denn die Grenze ist wirklich das letzte Element der indefiniten Vielheit, und insofern verhält sie sich zu ihr wie die Einheit zur diskreten Zahl; allein sie unterscheidet sich von ihr, die etwas für sich ist und isoliert sein kann dadurch, daß sie nichts für sich ist, indem sie nur in Zugehörigkeit zu einer indefiniten Vielheit von Grenzen Bestand haben kann. Der sphärische Winkel, den ein Kreis mit seiner Tangente bildet, ist nicht ohne eine indefinit vervielfältigte Abweichung der Kreislinie von der Richtung der Tangente möglich. Und wenn diese Vervielfältigung so groß gedacht wird, wie der vierte Teil der Kreislinie, so ergibt die Multiplikation dieser indefiniten Größe mit dem Tangentenwinkel, der hier die Grenze ist, als Produkt einen rechten Winkel. 7. Leibniz hat aber hier anders gedacht 5 . Er war der Meinung, daß man es hier nicht mit einem bloßen Analogon der Einheit im gewöhnlichen Sinne zu tun habe, ja es stand ihm wie etwas selbst Einleuchtendes fest, daß jede Vielheit, die indefinite wie die definite, die Einheit in diesem ein und demselben

Leibniz. Zur Lehre von Raum und Zeit

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Sinne zum letzten Element haben müsse. Diese Überzeugung liegt seiner ganzen Monadologie zu Grunde. 8. Daraus ergeben sich für ihn Verlegenheiten. Wenn die indefinite Vielheit aus Einheiten besteht, so muß es neben der ersten eine zweite, dritte, vierte geben. Diese zusammen müssen sich als endliche Zahlen darstellen und die Addition dieser endlichen Zahlen zur indefiniten Vielheit führen, die dann wohl auch nicht eine indefinite, sondern infinite zu nennen wäre. Das alles trifft aber bei den Grenzen nicht zu, weil eben die Grenze nicht aus dem Zusammenhange zu lösen ist, ein Element, das ohne Komposition mit indefinit vielen Elementen gar nicht zu denken ist. So vermag denn Leibniz, indem er die Einheit im gewöhnlichen Sinn als das Element der indefiniten Vielheit betrachtet, die Möglichkeit davon nicht mehr deutlich zu machen, ja nur eine gewisse Konfusion kann ihn davor bewahren, daß die Unmöglichkeit derselben deutlich zu Tage tritt. Die konfuse Weise, in der er sich ausdrückt, ist nur diese, daß er sagt, die Grenze sei nicht wie die Einheit bei der diskreten Zahl ein Beitrag zur Größe der indefiniten Vielheit. Die Einheit, welche das wahre letzte Element auch der indefiniten Vielheit sei, liefere aber allerdings einen Beitrag; nur sei, damit dies geschehe und eine indefinite Vielheit daraus entstehe, nicht eine bloße Addition genügend, sondern eine gewisse Konnexion der Einheiten erforderlich. Mit diesem Ausdruck Konnexion soll das, was dem wahren letzten Element im Gegensatz zur Einheit für sich eigentümlich ist, auch dieser gegeben werden, was aber ohne Widerspruch gar nicht geschehen kann 6 . 9. Lassen wir uns aber diese Korrektur, welche, da nichts von dem früher Gesagten zurückgenommen wird, widerspruchsvoll ist, gefallen, so sehen wir daraufhin auch den reinen Begriff der indefiniten Größe durchweg mit dieser Zugabe behaftet, was ihn gewissermaßen in seiner Reinheit beeinträchtigt erscheinen lassen möchte, aber immerhin nicht so, daß er nicht in gleicher Weise auf ein kontinuierliches Nebeneinander, wie auf ein kontinuierliches Nacheinander angewandt werden könnte. Und wie wir uns diskrete Vielheiten vorstellen können, die wir nicht wirklich, sondern nur möglich denken, so

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Texte aus dem Nachlaß

können wir uns auch reine indefinite kontinuierliche Vielheiten vorstellen, die wir nicht als wirklich, sondern nur als möglich denken. 10. Sie müssen aber im Zusammenhang miteinander möglich sein und da gilt, daß ein doppelter Zusammenhang denkbar ist: der als koexistierend und der als nacheinander existierend. Der erstere ist bei dem Ausgedehnten, der letztere bei dem Dauernden, Verlaufenden gegeben. Das Ausgedehnte kann ruhig oder bewegt sein und das Verlaufende mit verschiedenen Graden der Veränderung verlaufen. Um nun aber das Ausgedehnte zu berechnen, erfinden wir uns ein vollkommen ruhendes, allseits unendliches Ausgedehntes, und wenn demselben auch in Wirklichkeit nichts entspricht, so dient es uns doch zur Berechnung der wirklich bestehenden Ausgedehnten, ähnlich wie die von uns finguierten Linien und Kreise bei der Messung der unregelmäßig gestalteten, wirklich gegebenen Linien und Figuren. Wir nennen diese Fiktion den Raum. Ähnlich erdenken wir uns einen anfangs- und endlos vollkommen einförmig fortschreitenden Verlauf und vermögen ihn, wenn ihm auch in Wirklichkeit nichts entspricht, zur Bestimmung der Verhältnisse der wirklichen, in difformer Weise dauernden oder verlaufenden Bewegungen zu verwenden. Diese von uns finguierte anfangslose und endlose einförmige Bewegung nennen wir Zeit. Raum und Zeit sind offenbar nicht mehr so ganz reine indefinite Vielheiten zu nennen, wie das Kontinuierliche als solches. Man hat es ja bei ihnen mit der Anwendung aufKoexistierendes und Wechselndes zu tun. Auch handelt es sich dort um etwas Ruhendes, hier um etwas in gleicher Richtung und in gleichem Grade Wechselndes. Leibniz bezeichnet Raum und Zeit als Ordnungen 7 . Den einen als Ordnung der koexistierenden Möglichkeiten, die andere als Ordnung der inkonstanten Möglichkeiten. Was soll mit diesem Ausdruck Ordnung gesagt werden? - Mir scheint, daß Leibniz dadurch anzeigen will, daß das Verhältnis des koexistierenden und sukzessiven Zusammenhangs in Abstraktion von der Natur dessen, was koexistierend und sukzessiv zusammenhängt, gedacht werden soll. Er sagt darum, der Raum,

Leibniz. Zur Lehre von Raum und Zeit

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so abstrakt gefaßt, sei ebensowenig Substanz als die ZeitS. Offenbar polemisch gegen Descartes. Dieser hatte auch gesagt, die Ordnung sei nichts anderes als die geordneten Dinge. Leibniz würde wohl im Gegenteil sagen, es sei zwischen den geordneten koexistierenden Möglichkeiten und der Ordnung derselben, die er als Raum bezeichnet, und ebenso zwischen den geordneten inkonstanten Möglichkeiten und der Ordnung derselben, welche wir Zeit nennen, zu unterscheiden. Er sieht beide als Fiktionen an und findet Gefallen an Hobbes9, wenn dieser den Raum ein Phantasma nennt, aber in einem Sinn, in welchem man auch die von den Geometern erdachten regelmäßigen Figuren Phantasmen nennen könnte. Sollte man nicht sagen können, Leibniz würde, wenn er Raum und Zeit als Ordnungen bezeichnet, sich deutlicher ausgedrückt haben, wenn er gesagt hätte, sie seien von uns erdachte Maßstäbe zur Bestimmung der kontinuierlichen Größen und Distanzen koexistierender und variierend verlaufender Möglichkeiten und so das, was sie zu geordneten zu machen uns ermöglicht?

XV. Leibniz - Russell. Correspondence de Leibniz et d'Amauld

»... en consultant la notion quej'ay de toute proposition veri-

table, je trouve que tout predicat necessaire ou contingent, passe, present ou futur, est compris dans la notion du sujet, etje n'en demande pas d'avantage 1 ... Ce predicat ou evenement n' est pas lie certainement avec mes autres predicats corn;us incompletement ou sub ratione generalitatis; mais il est lie certainement avec une notion individuelle complete, puisque je suppose que cette notion est fabriquee expres, en sorte qu'on en puisse deduire tout ce qui m'arrive; laquelle se trouve sans doute aparte rei, etc' est proprement la notion de moy qui me trouve sous le differents estats, puisque c' est cette notion seule, qui les peut tous comprendre. « 2 Diese Stelle gibt Russell3 den Anlaß, zu behaupten, Leibniz habe von vornherein die logische Meinung gehabt, in jedem Subjekt eines wahren Satzes sei das Prädikat beschlossen und diese Meinung habe ihn auf seine Lehre von Monaden, die sich, ohne aufeinander zu wirken, jede aus sich selbst heraus weiterentwickle, geführt. Er scheint durchaus im Irrtum, vielmehr ist es die Monadenlehre, welche Leibniz in ihrer Konsequenz zu denhier ausgesprochenen Sätzen geführt hat. Dajede ein Spiegel des Universums 4 sein soll, so könnte der, welcher sie in adäquater Weise, also mit vollkommener Deutlichkeit vorstellte, sogar das ganze Universum und mit ihm auch Gott selbst analytisch daraus erkennen. So wenig nun die Lehre von Leibniz richtig ist, welche die Einwirkung einer Substanz auf die andere leugnet, und so wenig die hier von ihm entwickelte Meinung auch darum gebilligt werden kann, weil sie das wahre Verhältnis zwischen Substanz und Akzidens verkennt, nach welchem die akzidentellen Bestimmungen nicht zur Individualität der Substanz, sondern nur die substantiellen Bestimmungen zur Individualisation der Akzidentien beitragen, ja so offenbar sich Leibniz selbst zu

Leibniz-Russell. Correspondence

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widersprechen scheint, wenn er in verschiedenen Stadien des Lebens - wo doch viele Prädikate des Ich gewechselt haben, manche, die de futuro wahr gewesen, de praesenti und manche, die de praesenti wahr gewesen, de praeterito wahr sind - von demselben Ich 5 spricht, so kann doch mit Wahrheit gesagt werden, daß, wer auch nur die geringste zur Welt gehörige Substanz vollkommen erkennte, alles erkennen müßte, denn er würde sie als durch Gott bedingt erkennen müssen und das schließt ein, daß er Gott und somit etwas Allwissendes erkennen müßte. Er müßte also aller Wahrheit teilhaft sein. Daß aber wir in unserer Selbstwahrnehmung auch nur konfus unsere Substanz nach ihren sämtlichen Bestimmungen wahrnähmen, ist falsch, und somit ist sicher nicht jede unserer wahren Aussagen eine analytische. Wir erfassen uns nur als ein Ding, eine Substanz ganz im allgemeinen 6 . Am wenigsten hat es auch nur einen Schein für sich, daß wir uns so vollkommen erfaßten, daß wir uns als von Gott schöpferisch erhalten und das Moment des göttlichen Lebens erkennen, welches uns den Charakter des gegenwärtigen Zeitmoments aufprägt, der kontinuierlich wechselnd gemeiniglich nicht zu dem gerechnet wird, was in seinem Wechsel einen Wechsel der Individualität mit sich bringt. Nachdem aber Leibniz durch seine Monadologie dazu geführt worden war, zu glauben, daß injeder individuellen Substanz alle ihr in Wahrheit zukommenden Prädikate beschlossen seien, verfiel er in einen seltsamen historischen Irrtum. Indem er auf den scholastischen Satz stieß omne praedicatum est in subiecto 7 , fand er, daß dieser in seinem Sinne sich deuten lasse undobwohl dies nur dann erlaubt gewesen wäre, wenn man schon den Scholastikern seine Monadenlehre zugeschrieben hätte, was doch die geringste Kenntnis der Geschichte verbietet - so ging er sogar soweit zu erklären, man könne dem Satz gar keinen anderen Sinn geben. Hier machte er sich einer erstaunlichen Nachlässigkeit schuldig. Hätte er die Sache mit einiger Sorgfalt überlegt, so würde er gefunden haben, daß die lateinische Präposition »in« nicht immer ein Eingeschlossensein, sondern oft auch soviel wie unser »auf« bedeutet. Dies ist hier der Fall, und die Präposition sub in dem Wort subiectum 8 deutet dar-

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Texte aus dem Nachlaß

auf hin und bildet dazu das Korrelativ. Schon dies hätte Leibniz von seiner irrigen Interpretation bewahren können und er wäre vollends außerstande gewesen, den Sinn so gröblich mißzuverstehen, wenn er auf Aristoteles zurückgegangen wäre, dessen E:v UJtoKElµEVQJ durch das in subiecto wiedergegeben wird. Aristoteles 9 unterscheidet zwischen KaW UITOKELµEvou A.Eynm und i':v VITOKELµEVQJ i':onv. Das erstere findet statt, wenn ein Gattungsbegriff oder Artbegriff vom Individuum der Art ausgesagt wird. Das letztere, wenn ein Akzidens in einer Substanz ist. Im ersteren Fall ist das Prädikat im Leibnizschen Sinn im Subjekt beschlossen, im zweiten Fall aber nicht, da vielmehr umgekehrt das konkrete Akzidens die Substanz einschließen soll. Es ist also nach Aristoteles und den Scholastikern kein akzidentelles Prädikat im substantiellen Subjekt, dagegen hat es dieses zur Voraussetzung und sozusagen zur Unterlage, »auf« der es ruht. Würde die Substanz aufgehoben, so wäre ein Fortbestehen des Akzidens nicht mehr möglich. Wenn man unter solchen Umständen sich wundern muß, wie Leibniz selbst nach Aufstellung seiner Monadologie den Satz so gröblich mißverstehen und seine monadologische Lehre hineininterpretieren konnte, so wäre es ganz unglaublich, daß er ihn schon vorher so mißdeutet hätte und, wie Russell 10 meint, indem er ihn autoritätsgläubig sich eigen gemacht, dadurch auf seine Monadologie geführt worden wäre. Kant 11 hat denjenigen, welche an eine Seelensubstanz glauben, vorgeworfen, sie verwechselten das Subjekt eines Satzes mit dem substantiellen Träger von Akzidentien. Er bringt darum den Paralogismus der reinen Vernunft, der hier begangen werden soll, mit der Relation des kategorischen Urteils in Zusammenhang. Der Vorwurf ist ganz ungerecht; allein der eben besprochene, von Leibniz begangene Verstoß macht es begreiflicher, wie Kant dazu kommen konnte. Von den Briefen Leibnizens an Arnauld ist besonders das metaphysische Konzept, das er im Anfang durch den Landgrafen 12 überschicken läßt, und der letzte Brief 13 , welcher gleichfalls eine Übersicht über die Lehre von Leibniz gibt und dabei auch Ethisches berührt, von Bedeutung.

XVI. Leibniz. Aus den Briefen an Des Bosses

1. Merkwürdig ist in theologischer Beziehung die diplomatische Haltung von Leibniz, wenn er die Lehre von der Eucharistie bespricht und sich zu zeigen bemüht, daß nicht bloß die protestantische Lehre der Confessio Augustana 1 , die er zur seinigen machte, sondern auch die katholische von der Transsubstantiation und Erhaltung der Akzidentien ohne Subjekt sich seiner Lehre von den Monaden und Kompositis aus ihm anpassen lassen 2 . 2. Ferner seine auch einem Jesuiten gegenüber ausgesprochene Mißbilligung der Beschränkung der Freiheit der Wissenschaft, die zur Verdammung der Kopernikaner geführt hatte und sich anmaßte, autoritativ bestimmen zu wollen, wieJansenius3 auszulegen sei. 3. Auch wie Leibniz selbst über Jansenius urteilt. Er hält dessen Augustinus für ein vorzügliches Werk, glaubt auch, daß er Augustinus richtig darstelle und betont sowohl die verschiedene Weise, wie dieser im Vergleich zu späteren gewisse Termini gebrauchte, wo dannJansenius sich an ihn anschließe und auch die Abweichung der späteren Lehre der Kirche von Augustinus, die in gewissen Punkten sich empfehle, die sie aber selbst nicht zugeben will 4. 4. Philosophisch ist bemerkenswert der Mangel von Kenntnis der Geschichte von Philosophie, die ihn zur der Einbildung führt, er halte selbst im wesentlichen die Aristotelische Lehre von Potenz und Energie, Materie und Form fest, indem er nur die Korruptibilität der Substanzen, sowohl der einfachen als zusammengesetzten, leugne. Er sieht nicht, daß nur der Glaube an diese Korruptibilität die ganze Lehre von Materie und Form bedingt hattes. 5. Er lehrt Akzidentien von Akzidentien 6 . 6. Er lehrt, daß alle nomina abstracta Universalien bedeuteten 7.

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Texte aus dem Nachlaß

7. Er lehrt, daß auch die Phaenomena seien. Ebenso auch Möglichkeiten 8. 8. Er lehrt Akzidentien von Akzidentien. Die Substanzen sind nur die letzten Subjekte, nicht die einzigen Subjekte 9 . 9. Er lehrt, daß die Körper nicht bloße Phaenomena seien. Sie wären es aber, wenn durch den Einfluß der herrschenden Monade nicht aus den beherrschten ein einheitliches Kompositum gebildet würde. Er nennt dieses Kompositum ein substantiatum. Gäbe es bloße Aggregate von Monaden, so wären die Körper bloße Phänomene. Dabei weigert sich Leibniz, diese Substantiation des Aggregates zum Kompositum, die er als etwas von uns nicht genugsam Begreifliches erscheinen läßt, als eine Modifikation der Monaden zu bezeichnen. Das durch Substantiation in ein Kompositum verwandelte Aggregat bleibt dasselbe, wenn es neue Monaden aufnimmt und alt aufgenommene verliert und ist so inkorruptibel. Eines wirkt mechanisch auf das andere. Es besteht auch nicht aus den Monaden wie aus Teilen, sondern aus kleineren und immer kleineren Kompositis, welche aber allerdings auf die actu unendliche Vielheit der darin enthaltenen Monaden schließen lassen 10 . Das Widerspruchsvolle der Zusammensetzung des Kontinuums aus für sich bestehenden, ausdehnungslosen Elementen soll offenbar vermieden werden, wird aber nur verschleiert. Auch tritt der Widerspruch offen hervor bei der Lehre von Raum und Zeit, wo die Kontinuität dadurch erreicht werden soll, daß zwischen je zwei Punkten immer ein anderer Punkt sich findet. 10. Diese Lehre von Raum und Zeit 11 ist überhaupt ganz widersinnig. Jedes einzelne Ding für sich genommen hat keine räumliche oder zeitliche Position. Würde es allein sein, so hätte es keine zeitliche oder räumliche Spezialisation. Sind aber mehrere, so zeigen sie eine zeitliche und räumliche Relation, kleine oder große Distanzen, eine Ordnung, der keine absoluten differenten Eigenheiten zugrunde liegen. Leibniz beruft sich darauf, daß niemand je eine solche absolute Eigenheit habe bemerken können. Ihre Leugnung sei auch geboten, da sonst das principium rationis sufficientis verletzt sein würde, wenn die Welt in

Leibniz. Aus den Briefen an Des Bosses

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dem einen Zeitpunkt und nicht in einem anderen geschaffen worden sei und an dieser, nicht an jener Stelle des Raumes. Leibniz vergißt hier auf seine gewöhnliche Ausflucht, eine ratio sufficientis könne recht wohl bestehen, ohne daß wir sie ausfindig zu machen wüßten. Und doch müßte er bezüglich des Raumes, wenn man ihm mit Aristoteles 12 die Frage vorlegte, was die bestehende Ordnung vor der ihres Spiegelbildes voraushabe, sofort zu dieser selben Ausflucht greifen. 11. Den Raum bestimmt er als Ordnung des Koexistierenden, die koexistierenden Möglichkeiten mit inbegriffen, die Zeit als Ordnung der Sukzessionen mit derselben Entschränkung 13. Beide Bestimmungen, des absoluten Bodens ermangelnd, erscheinen absurd. Es ist klar, daß bezüglich des Raumes die Gleichheit der phänomenalen Ortsbestimmungen nach Wechsel des realen Ortes ihn beirrt hat. Auch zeitlich zeigt das Gegenwärtige als solches sich jederzeit gleich. Auch nach Unterbrechung durch die längste Ohnmacht, wenn wir aber wachen und vielerlei erleben, glauben wir die Zeit in stetem Flusse. Die Gegenstände, welche gegenwärtig sind, sind andere. Wir sagen, dieselben seien vormals zukünftig gewesen, würden nachmals vergangen sein, betrachten aber dieses ihr Gegenwärtig-, Zukünftig- und Vergangensein nicht als reale Attribute, die sie miteinander vertauschen. Zu genauen positiven Bestimmungen und Verdeutlichungen der Ausdrücke sind aber die Philosophen, soviel sie auch über die Zeit gesprochen, nicht gekommen. Und doch ist nichts von Zeit, was sich bemerklich macht, als dieser Unterschied von Gegenwart und Vergangenheit und Zukunft, aus welchem die Kontinuität der Zeit besteht. Mögen immer reale Unterschiede gegeben sein, so gewiß sie nicht die von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sein können, so gewiß fallen sie gar nicht in unsere Erfahrung. So geben denn auch die ausdrücklichen Bemerkungen des Aristoteles 14 und einer ganzen Reihe von Scholastikern von Thomas 15 bis aufSuarez 16 dem, was Leibniz über die Unauffindlichkeit von realen Zeitdifferenzen sagt, Zeugnis. 12. Leibniz leugnet in der Gottheit jede Sukzession und gedenkt mit keinem Wort der Schwierigkeit, an deren Lösung

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Texte aus dem Nachlaß

Aristoteles sich abmüht, aus einem ersten wechsellosen Prinzip die Bewegung zu erklären 17. 13. Wenn Leibniz das actu Unendliche lehrt, so leugnete er doch eine actu unendliche Zahl und jenes actu unendliche Ganze. Auch das actu unendlich Kleine und actu unendlich Große fehlt darum, obwohl die Ausdehnung des erfüllten Raumes jede Grenze überschreiten und actu übertreffen soll und dasselbe von der Vielheit der Monaden gelten soll. Auch hier zeigt sich die Leibnizsche Art, welche das Widerspruchsvolle durch Worte künstlich verschleiert 18 . 14. Interessant ist, was Leibniz über die Art der Mathematiker sagt, mit absurden Fiktionen zu rechnen. Er führt als Beispiele neben den imaginären Größen auch das von ihm eingeführte unendliche Kleine an. Auch vergleicht er die Benützung dieser Fiktionen mit der Ausdrucksweie der Kopernikaner, wenn sie fortfahren von Sonnenaufgang, Sonnenwende u. dgl. zu sprechen 19 . 15. Interessant ist ferner die Bekämpfung des Solipsismus. Er erkennt, daß sie in logisch haltbarer Weise nur teleologisch stattfinden könne, weil die solipsimistische Weltanschauung unvergleichlich Unvollkommeneres an die Stelle von unvergleichlich Vollkommenerem setzen würde. Treffend begegnet er dem Einwand, daß mit der Annahme der Außenwelt jeder Anhalt zu einem teleologischen Gottesbeweis entfallen, bleibe doch der Ordnung genug bestehen, um den Schluß auf den schöpferischen Verstand zu gestatten. Auch verweist er auf seinen Kontingenz beweis in der Theodicee 20 . 16. In beachtenswerter Weise fehlt hier, wie auch in der Theodicee, jeder Hinweis auf die Möglichkeit eines ontologischen Arguments und dies scheint um so bedeutungsvoller, als am Ende seines letzten Briefes an Clarke 21 geradezu gesagt wird, daß ohne Zuhilfenahme des principium rationis sufficientis Gottes Dasein unerweisbar sein würde. Fast möchte man daraus schließen, daß Leibniz zuletzt selbst auf sein ontologisches Argument kein Vertrauen mehr gehabt habe. Daß es für andere sich nicht überzeugungskräftig erweise, mochte ihm die Erfahrung gezeigt haben 22.

Leibniz. Aus den Briefen an Des Bosses

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17. Eine Absonderlichkeit bildet die Weise, wie Leibniz den Chinesen die Schöpfung aus dem Nichts annehmbar machen will. Er scheint hier darauf vergessen zu haben, daß es verboten sein soll, das actu Unendliche als Ganzes zu fassen 23.

XVII. Leibniz. Korrespondenz mit Clarke

1. Sie enthält manches Beiläufige, was gleichwohl von Interesse ist, namentlich mit Bezug auf Newton 1 . So das ausdrücklichste Bekenntnis, daß sein Attraktionsgesetz nur die Konstatierung einer allgemeinen Tatsache sei, welche die Frage nach der Ursache derselben unerledigt läßt und über sie nicht präjudiziert2. Weiter bemüht sich Clarke, den Ausspruch, daß der Raum das sensorium 3 Gottes sei, zu rechtfertigen, aber mit wenig Glück. Eine andere chokante Meinung Newtons, daß die Planeten infolge der gegenseitigen Störung von Gott von Zeit zu Zeit in die alte Bahn zurückversetzt würden, und Newtons Verkennung des Gesetzes der Erhaltung der Kraft gaben Anlaß zu treffenden Bemerkungen von Leibniz, worunter auch eine Antizipation der Entropie sich findet; außerdem aber auch zu sehr unfruchtbaren Wortstreitigkeiten über das, was ein Wunder zu nennen sei 4. 2. Das philosophisch Wichtigste betrifft aber vor allem das principium rationis sufficientis 5 , welches Leibniz so formuliert, daß nichts sich ereignet, wenn nicht die vorgängigen Bedingungen seinen Eintritt zur unausbleiblichen Folge hätten. Zweifelhaft ist dabei, ob das »vorgängig« zeitlich zu nehmen sei. Da Leibniz die Anfanglosigkeit der Schöpfung für widerspruchslos hält, so scheint die zeitliche Vorgängigkeit nicht gemeint. Clarke 6 behauptet, daß diese Fassung des Gesetzes verfehlt sei, weil es völlig indifferente Fälle der Wahl sogar für Gott gebe, wo dann Gott ohnmächtig erscheinen würde. Bemerkenswert ist, daß Leibniz das principium rationis sufficientis nicht bloß nicht als Fall des Kontradiktionsgesetzes erweist, sondern es, scheinbar wenigstens, ihm zur Seite stellt 7 , wobei er sich auf die allgemeine Neigung, es als einleuchtend anzuerkennen, beruft und auch nicht verschmäht, einen induk-

Leibniz. Korrespondenz mit Clarke

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tiven Beweis zu Gunsten seiner Wahrheit hinzuzufügen. Allerdings spricht er auch noch von tiefergehenden Betrachtungen, die hier möglich seien, auf die er aber nicht eingehen will, und das trägt ihm von Seiten Clarkes 8 den Vorwurf der petitio principii ein. Jene tiefergehenden Betrachtungen müßten in dem Nachweis bestehen, daß das Gesetz der ratio su.fftciens ein Fall des Kontradiktionsgesetzes sei, wie es Leibniz anderwärts 9 behauptet, aber nirgend erwiesen hat. Da er sich früher für das ontologische Argument erklärt hat, könnte dies sich vielleicht dienlich erweisen, doch merkwürdigerweise spricht Leibniz hier, als ob der Gottesbeweis das principium rationis su.fftcientis zur Voraussetzung habe. Von Clarke wissen wir, daß er Anhänger des ontologischen Arguments* war, und so hätte dieser keinen Einspruch erheben können, wenn er nicht verkannt hätte, daß Gott, was er außer sich erkennt, nur darum erkennt, weil er es bewirkt. Vielleicht schwebte Leibniz der Gedanke

* Er scheint es wenigstens, wenn er in einem Briefe, von dem unten die Rede ist, behauptet, die unendliche Vollkommenheit Gottes lasse sich nicht teleologisch erweisen und Locke lehren läßt, Gottes Einheit werde a priori erkannt. Dagegen scheint er in der Schrift von Gottes Dasein und Attributen den ontologischen Beweis, wie er von Descartes und früheren versucht worden, nicht zu billigen. Er zieht vor, davon auszugehen, daß es ein Widerspruch sei, wenn man Raum und Zeit wegleugnen oder beschränken wolle. So erkenne man von vornherein die Existenz eines Attributes von Unermeßlichkeit und Ewigkeit und somit auch die Existenz von etwas, dem diese beiden Attribute zukommen, also eines ewigen, notwendigen und unermeßlichen Wesens. Durch weitere Argumentation soll dann erschlossen werden, daß dieses Wesen intelligent und frei und allmächtig und unendlich vollkommen, also Gott ist. Es scheint nicht, daß dabei rein a priori verfahren wird. Welches ist wohl die chronologische Ordnung der drei Schriften Clarkes: seiner Korrespondenz mit Leibniz, seines Briefes, worin er nur den ontologischen Beweis für genügend hält, die unendliche Vollkommenheit Gottes zu erweisen, seiner Schrift über Gottes Dasein und Attribute? Ist vielleicht diese Schrift die letzte, und hat er damals an dem ontologischen Beweis nicht mehr festgehalten?to Ähnlich wie man es von Leibniz glauben möchte, wenn er in seiner Theodicee nicht mehr von ihm Gebrauch macht).

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vor, daß, wenn für Entgegengesetztes die Bedingungen dieselben seien, die entgegengesetzten Folgen zusammen eintreten könnten, da keine in der Lage ist, der anderen entgegenzuwirken. Vielleicht mochten ihm auch die Widersprüche nicht entgangen sein, in welche bei Annahme des Zufalls die Betrachtung der Wahrscheinlichkeiten geführt wird. Clarke protestiert, wie es heute noch zu geschehen pflegt, gegen den Ausdruck »Zufall« 11. 3. So sehr Leibniz mit seinem principium rationis su.fficientis im Rechte ist, so gerät er bei seiner Verteidigung doch in die mißlichste Lage und dies infolge der Fehler seiner Lehre von Raum und Zeit 12 , welche in ihnen Ordnungen ohne absolute Differenzen im einzelnen anerkennt. Indem er sagt, nur auf diese Weise lasse sich das principium rationis su.fficientis aufrecht erhalten, stellt er eine Behauptung auf, die geradezu die Widerlegung dieses Prinzips ad hominem zur Folge haben könnte. Man vergleiche die Aristotelische Aporie mit dem Spiegelbilde13. 4. Fragt man, was Leibniz zu dieser Verkennung der absoluten Raum- und Zeitdifferenzen geführt hat, so erkennt man als Grund, was den Raum anbetrifft, die Unterschiedslosigkeit der räumlichen Bestimmungen des Sinnesfeldes nach realem Wechsel des Orts und was die Zeit betrifft, daß die Gegenwart sich als solche jederzeit gleichförmig darbietet, heute wie gestern und vor einem Jahre 14. Interessant ist, daß auch Clarke, welcher an absolute Raumund Zeitdifferenzen glaubt, sie doch als absolut einander gleich behandelt, so zwar, daß selbst für Gott kein Motiv bestehen konnte, die eine vor der anderen zu bevorzugen 1s. 5. Die Ansicht von Clarke über Raum und Zeit kann vielleicht auch als die von Newton gelten, nur daß dieser sich vielleicht nicht so eingehend darüber ausgesprochen hat. Dadurch hätte er sich dann auch manche anstößige Bemerkung erspart. Clarke spricht von einer »immensity« und »eternity« Gottes 16 . Die eine soll ihm in Bezug auf den Raum, die andere in Bezug auf die Zeit zukommen. Raum und Zeit sollen nicht Gott, aber notwendige Folgen Gottes sein, nicht aus seinem Willen, son-

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dern seiner Existenz stammen. Clarke nennt sie aber auch »properties« 17, was Leibniz begreiflicherweise dazu führt, zu glauben, Clarke halte sie für Attribute Gottes. Fast scheint es aber, als denke Clarke an eine »property«, wie beim Besitzer eines Hauses, der darin wohnt*. 6. Leibniz protestiert dagegen, daß die Ausdehnung eines Körpers sein Raum sei, weil er bei gleicher Ausdehnung verschieden lokal sein könne. Ebenso soll die Dauer nicht mit der Zeit identifiziert werden l8. Er irrt, indem er hier übersieht, daß nach Wechsel des Ortes die gleiche Ausdehnung nicht dieselbe ist. Analoges gilt bei Gleichheit der Dauer zu verschiedenen Zeiten. 7. Er verkennt, daß ein Körper ohne Lokalisation nicht sein kann, was doch wenigstens bei der Fassung des Raumes als Ordnung in Rücksicht auf die Teile sicher ist. Und so sieht er nicht, daß die Lokalisation zu dem gehört, was den Körper differenziert, und daraufhin ist er außerstande zu begreifen, daß vollkommen unterschiedslose Körper nicht an zwei verschiedenen Orten zugleich bestehen können und muß statt auf das Kontradiktionsgesetz auf teleologische Gründe sich berufen. Dadurch wird seine ganze Lehre kompromittiert19. 8. Mit Recht erklärt Leibniz einen unerfüllten Raum und eine völlig leere Zeit für ein Nichts von Wirklichkeit20. 9. Bei der Zeit macht er für ihren bloß idealen Charakter geltend, daß selbst von der Dauer eines Dinges nicht mehr als eine Grenze wirklich sei. Wie also könne man an das Ganze einer wirklichen Zeit an sich glauben? Er sagt auch, der Bestand eines Dinges von Anfang bis zum Ende sei eigentlich nicht eine Dauer, sondern in jedem Moment komme ihm eine andere Dauerzu 21 . 10. Merkwürdig ist, daß weder bei Clarke noch bei Leibniz etwas darüber gesagt wird, ob man, wenn man von etwas sagt,

* In der Schrift Vom Dasein und den Attributen Gottes werden Raum und Zeit, in ihrer Unendlichkeit genommen, unzweideutig für die Unermeßlichkeit und Ewigkeit Gottes erklärt. Er erscheint als die notwendige Substanz, der sie als Attribute zukommen.

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Texte aus dem Nachlaß

es sei gewesen oder es werde sein 22, eine Bejahung oder Verneinung ausspricht und ob dem Ding das »gewesen« oder »zukünftig« als Prädikat beigelegt wird. Vielleicht hätte Leibniz, da er die Existenz als Prädikat ansah, es bejahen müssen, wäre aber dann genötigt gewesen, noch mancherlei auszuklügeln, um seine Lehre mit einigem Scheine haltbar darzustellen. 11. Auf die Frage, ob man etwas als vergangen oder zukünftig vorstellen könne, ohne zugleich etwas als gegenwärtig vorzustellen, kommt er auch nicht zu sprechen. Konsequent hätte er sie verneinen müssen; ja daß man etwas als gegenwärtig denken könne, ohne anderes in anderem Tempus vorzustellen, hätte er eigentlich leugnen müssen, wenn die Grenze nicht ohne Begrenztes möglich ist. Doch hätte er die Frage vielleicht bejaht, denn wie käme es sonst zur isolierten Betrachtung eines Moments, die ihn jedem anderen ganz gleich erscheinen ließe 23 ? 12. Er sagt, alles was von der Zeit und der Dauer existiere, geht kontinuierlich unter. Was fortbesteht, tut es nur, indem es immer eine neue Dauer gewinnt24. 13. Daß Gott die Welt anfangen ließ, geschah, damit sie einen Fortschritt vom Minderguten zum Besseren zeige. Leibniz zeigt hier aber nicht, wie dies nicht auch bei anfanglosem Bestand denkbar wäre 25 • 14. Von Clarkes Raum und Zeit sagt Leibniz, sie erschienen subsistierend und so wie Substanzen oder noch mehr subsistierend als diese 26 . 15. Obwohl Clarke Raum und Zeit nur als notwendige Folgen von Gottes Existenz darstellt, so genügt das Leibniz, ihm den Vorwurf zu machen, daß er sie für etwas für Gott Notwendiges erscheinen lasse, was der Vollkommenheit Gottes widerstreitet27. Freilich sind sie auch nach Leibniz Folgen der göttlichen Existenz, allein nur wie Möglichkeiten, während nach Clarke Raum und Zeit Wirklichkeiten sein sollen. 16. Leibniz nimmt in Gott selbst keinerlei Sukzession an28. Er bemerkt nicht, wie schwierig, ja unmöglich es ist, aus einem ersten Prinzip, das keine Sukzessionen hat und in gar keiner Weise variiert, die Sukzession und Veränderung in den Wir-

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kungen zu erklären. Auch erwägt er nicht, daß zu Gottes Allwissenheit auch die Erkenntnis solcher Wahrheiten gehört, die nicht ewig sind und daß es nicht genügen würde, wenn Gott die Ordnung des Verlaufes der Weltgeschichte kennte, ohne zu wissen, bei welchem Stadium der Entwicklung sie angekommen ist.

XVIII. Clarke. Über das Dasein und die Attribute Gottes

1. Grün ist eine Mischung aus Blau und Gelb. Es besteht aus einem Nebeneinander kleiner blauer und gelber Teile 1. 2. Die Bewegung der Materie [ist] nicht durch sich selbst notwendig, auch wenn [sie als] ewig gedacht [wird]. Sie verlangt eine andersartige Ursache. Diese kann die Materie nicht sein, insofern sie ohne Bewegung gedacht wird. Was also kann sie sein, wenn nicht ein denkendes Wesen 2 ? (Wesentlich der Aristotelische Beweis3). ad 2. Würde einer sagen, die ursprünglich ruhende, an bestimmten von einander entfernten Punkten befindliche Materie könne durch Anziehung die Bewegung hervorgebracht haben, so ist zu erwidern, angenommen eine unmittelbare Anziehung aus der Feme sei möglich, was vielleicht in Abrede zu stellen ist: a) daß die Bewegung von allen Punkten in gerader Richtung nach demselben Zentrum sich richtend, doch bei mangelnder Elastizität nicht zur Erklärung der Bewegungen, wie sie jetzt in der Welt sind, ausreicht. Man hätte im Grunde nur zentripedale, aber keine zentrifugale Kräfte; b) daß die Orte, welche zum Ausgang der Erklärung angenommen würden, ganz zufällig erscheinen und ob etwas da ruht oder sich bewegte, [doch] eine Ursache verlangen würde, die sie notwendig machte. Somit weist wirklich die Bewegung, ja man kann sagen die Körperwelt, in Ruhe oder in Bewegung gedacht, auf eine heterogene erste Ursache hin, und diese muß, da die Körper ohne Ruhe oder Bewegung nicht sein können, eine schöpferische sein. 3. Den Satz, daß jedes Werdende eine Ursache hat, und zwar eine, die vorbestand, hält Clarke für einen Fall des Satzes der Kontradiktion. Ebenso ist nach ihm die Annahme einer zufälligen Existenz von Ewigkeit eine Kontradiktion 4 . In beidem mit Leibniz 5 einig, geht er mehr als dieser darauf

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ein, die Kontradiktion nachzuweisen, doch ohne daß ihm ein deutlicher Nach weis gelänge. 4. Wenn Clarke von göttlicher Freiheit spricht, so meint er die Freiheit des actus imperatus 6 . 5. Clarke hebt hervor, daß eine blind wirkende Ursache nur einerlei Wirkung haben könne. So zeuge die Vielfältigkeit der Erfahrungsgegenstände für den Ursprung aus Intelligenz und Willen 7 . 6. Ebenso betont er, daß eine unendliche Ursache keine anderen als unendliche Wirkungen haben könne, wenn sie blind wirke. Jedes Erfahrungsding aber sei endlich 8 . 7. Clarke zeigt, ähnlich wie Aristoteles 9 , daß, wenn ein Körper denken würde, er jedem Punkte nach denken würde, was zu einer unendlichen Vervielfältigung führen müßte 10 • 8. Wie die göttliche ist auch die menschliche Freiheit nach Clarke eine Freiheit im actus imperatus 11 . 9. Clarke widerlegt jene, die, wie in neuer Zeit Haeckel 12 , dem Stoff durchwegs psychische Tätigkeit zuschreiben wollen, aber keine so hohe wie den Organismen, damit, daß sie Teile dieser höheren Tätigkeiten den kleinsten Teilen zuzuschreiben hätten, was sie als absurd erweist 13. Wie kann ein Schluß als Zusammensetzung von einfachen Empfindungen oder von noch Niedrigerem betrachtet werden? Ausführlich löst er den Einwand, daß sich ja auch die Gestalt der Kugel nicht aus Gestalten von Teilen zusammensetze. 10. Clarke schreibt der Materie Ausdehnung, Gestalt und Bewegung und Ruhe zu 14 • Sie unterliegt dem Gesetz der Trägheit, hat keine qualitativen Differenzen. Alle anderen Veränderungen, außer der Ortsveränderung nach dem Gesetz der Trägheit, kommen ihr von außen zu. Die Gravitation erkärt sich durch Einwirkung Gottes, welcher sich an die betreffende Regel hält, natürlich, [die aber,] wie im Falle von JosualS, ebenso leicht davon abweichen konnte. So ist überhaupt von vornherein jedes Wunder ebenso leicht möglich als ein Naturereignis !6. 11. Begriff des Wunders 17 . Er verlangt keineswegs, daß es sich um etwas handelt, was nur unmittelbar von Gott gesche-

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hen kann. Ein Stillstand der Sonne würde als ein Wunder betrachtet. Die Erhaltung der Welt ist kein Wunder. 12. Absurdes kann Gott nicht. Ebensowenig solches, was seiner unwürdig ist, wie das, was auf moralisches Verderben abzielt 18 . Der Wille ist dem Menschen zum Gutes tun gegeben, aber der Mensch mißbraucht ihn. (Hier große Unklarheit). Keine Lehre kann durch Wunder glaubhaft gemacht werden, welche absurd oder unmoralisch wäre. Wunder und Weissagungen können aber eine Lehre als göttlich erweisen, wenn sie von beiden Fehlern frei ist. Ein Zirkelschluß liegt hier nicht vor 19 . 13. Clarke trägt schon den Schwierigkeiten Rechnung, die für die Bedeutung von Weissagungen in der Schrift daraus entstehen, daß die Abfassungszeit später sein könnte als das betreffende Ereignis. Er weist auf Fälle hin, wo ein solches Bedenken ganz unmöglich sei 20, wie z.B. der Fortbestand des Judenvolkes als Nation in der Zerstreuung unter die anderen Völker und bei allem ihren nationalen Wechsel; ferner die Ausbreitung des Christentums über die ganze Erde; ferner das Eintreten der Prophezeihungen Daniels und der Apokalypse, in welcher er, ähnlich wie Newton 21 , die katholische Kirche mit der B. H. identifiziert 22 . Die Einführung des Zölibats wird gebrandmarkt usw. (Man sieht, was alles bei diesen Deutungen herausgebracht werden kann). Die gleichzeitige Doppelsinnigkeit einer Prophetie gibt ihm keinen Anstoß. 14. In der Trinität23 ist er Arianer, ähnlich wie Newton 24 und Locke 25 . Durch das Wort ist die Welt geschaffen. Über den Heiligen Geist verliert er wenig Worte. Er läßt ihn vom Vater ausgehen. Sakramente gibt es nur zwei. Die Taufe hat die Bedeutung der Aufnahme in die Kirche. Von dem character indelebilis hört man nichts, noch auch von der Sonderbarkeit, daß Nichtchristen giltig taufen können. Das Altarsakrament ist nichts anderes als eine Gedenkfeier des stellvertretenden Leidens Christi. Von der wirklichen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi

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hört man nichts. Vom Verlust des Paradieses wird gesprochen, aber das Wort Erbsünde kommt nicht vor. An Arche und Babylonischem Turm nimmt er keinen Anstand. Auch nicht am universellen Weltgericht durch einen Menschen. Die Inkarnation des Wortes wird in ihrer Unverständlichkeit mit der Vereinigung von Seele und Leib verglichen; auf keine nähere dogmatische Erörterung eingegangen. Durchwegs sucht er sich die Verteidigung gegen Absurditäten zu erleichtern, indem er nur das anfänglich Gegebene als verbindlich betrachtet. Als eine der bedeutendsten Schwierigkeiten behandelt er eingehend die Vereinbarkeit der Auferstehung des Fleisches mit der Menschenfresserei 26. Er behauptet, die Weltanschauung des Christentums erscheine gotteswürdig, übertreffe an Klarheit und Konsequenz die aller Philosophen, von welchen auch die, welche etwas Wahres gefunden, nicht imstande gewesen seien, andere zu überzeugen und noch weniger, sie in weitem Umfange zur Besserung zu führen. Er staunt über die Deisten, welche unter solchen Umständen den Anschluß ans Christentum verweigern27. 15. Clarke erscheint im Ganzen aufrichtig. Doch man hat den Eindruck, als ob er gewisse Punkte absichtlich verschleiere oder gar nicht berühre. Die ewigen Höllenstrafen in ihrer Disproportion zur endlichen Schuld werden, was ihre Ewigkeit anlangt, nicht geleugnet, aber ihrer Qualität nach im Dunklen gelassen, was sie durch die allgemeine Bemerkung, daß sie der Gerechtigkeit vollkommen proportioniert sein müssen, in unendlich gemildertem Lichte erscheinen läßt 28. Man könnte Clarke als den Vorläufer des Modernismus29 betrachten, und wie die neuen Modernisten ist er in einer unhaltbaren Mitte. Trotz unleugbaren Scharfsinns wüßte ich nicht, daß er irgend einen neuen fruchtbringenden Gedanken ausgesprochen hätte. Höchst unklar ist die Weise, wie er das Wollen nicht als Leiden, sondern als Tun auffassen will. Daraus soll sich der Unterschied zwischen physischer und moralischer Notwendigkeit und die Verteidigung Gottes gegenüber dem Vorwurf, der Ur-

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heber des Bösen zu sein, ergeben. Das Vorwissen Gottes vereinigt er mit der Freiheit durch eine seltsame Unterscheidung von vorgängiger Gewißheit und vorgängiger Notwendigkeit. Diese Gewißheit soll ebenso wie die Notwendigkeit von dem Wissen Gottes abstrakt zu denken sein. Eine unzweifelhaft sinnlose Disjunktion. Die Schuldlosigkeit Gottes ergibt sich aus ganz anderen Erwägungen, nämlich daraus, daß er selbst immer das Bessere vorzieht, auch wenn er es in seiner Weltregierung so fügt, daß wir dem minder Guten den Vorzug geben30. 16. Die Frage Humes 31 , ob je ein Wunder glaubhaft gemacht werden könne, wird nicht berührt und ebensowenig die, ob es nicht mit der Heiligkeit Gottes vereinbar sei, wie durch natürliche Ereignisse, auch durch übernatürliche zum Irrtum zu führen. 17. Sehr merkwürdig ist ein der Abhandlung über das Dasein und die Attribute Gottes angehängter Brief Clarkes über die Möglichkeit eines apriorischen Gottesbeweises 32 . Clarke erklärt sich hier nicht bloß mit Entschiedenheit für die Möglichkeit desselben, indem er 1) sagt, daß auch in der Mathematik manches unmittelbar a priori einleuchte; 2) daß die Annahme eines ewigen Nichts eine Kontradiktion enthalte und daraufhin auch die Annahme, daß ein Ding notwendig sei, a priori einleuchten müsse, sondern er behauptet auch, daß die Unendlichkeit, Allgegenwart, ja auch Einheit Gottes nie a posteriori bewiesen werden könnten. Sie müßten aus dem Begriff des notwendigen Wesens a priori einleuchten. Merkwürdig sind ferner gewisse Bemerkungen über die Existenz, Ewigkeit und Unermeßlichkeit, welche ganz andere Attribute seien als andere. Man könne von der Substanz und von den Eigenschaften gleichmäßig Existenz aussagen, nicht aber von der Weisheit sagen, sie sei Allmacht u. dgl. Es scheint, als habe Clarke sowohl Hume als Kant beeinflußt. Auch Hume läßt die aposteriorischen [Beweise] nur zu einem endlichen Verstand gelangen und die Vielheit nicht ausschließen und Kant, ähnlich wie Clarke, die aposteriorischen zum ontologischen Beweis abspringen.

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Von Locke erzählt Clarke 33 , daß er in einem Briefe an Limborch zugab, daß sich die Einheit Gottes nur a priori erweisen lasse. Descartes habe sie nirgends dargetan. Kann das wahr sein? Die Stelle, die Clarke aus dem Briefe von Locke an Limborch mitteilt, sagt: 1) daß nach Locke kein Theologe oder Philosoph, Descartes selbst inbegriffen, jemals die Einheit Gottes bewiesen habe (was schon in Hinblick auf Aristoteles der historischen Wahrheit widerspricht) und 2) daß Locke selbst in einem Brief einen Versuch gemacht habe, diese Einheit Gottes zu beweisen, ein Versuch, von dem er dann sagt, daß er aus der Existenz eines unmittelbar notwendigen Wesens a priori seine Einheit erwiesen zu haben glaubt. Es ist offenbar, daß hiermit nicht gesagt ist, daß die Existenz eines notwendigen Wesens nicht vorher a posteriori erwiesen worden sei und daß man darum kein Recht hat, zu sagen, Locke habe an die Giltigkeit des ontologischen Argumentes geglaubt. 18. Charakteristisch für Clarke ist es, daß er unter den christlichen Dogmen solche unterschied, die von geringerer und die von größerer und größter Bedeutung sind und daß die letzteren sich mit dem decken, was nach ihm schon durch bloße Vernunft festgestellt werden kann: die unendliche Vollkommenheit Gottes, seine Providenz, die gerechte Vergeltung, die Unsterblichkeit, die Lehren der natürlichen Moral. Selbst die Logoslehre, die Inkarnation, die stellvertretende Genugtuung und die Lehre vom Paradies und Sündenfall sollen dahinter zurückstehen und ebenso die von Kirche und Sakramenten, während vieles andere, was jetzt gelehrt wird, entweder als gleichgiltig oder als zweifelhaft von ihm gar keine Erwähnung wert gefunden wird. Man sieht, so sehr er die Deisten zur Annahme der christlichen Religion auffordert, ist er selbst dem Deismus schon sehr nahe gekommen. Die natürlichen Erkenntnisse geben die genügende Grundlage für ein Leben ab, welches menschlich vollkommen und des Heiles sicher ist34. Er hat offenbar viel mehr Abscheu vor den Katholiken als vor den Deisten. Platner35 , in einem Dialoge, den er seiner Übersetzung von Humes »Gesprächen über natürliche Religion« anhangsweise

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beifügt, berichtet über Clarke, daß er einen Fortgang in Gott selbst gelehrt habe. In seiner Schrift »Über das Dasein und die Attribute Gottes« 36 ist aber nichts davon zu finden. vielmehr wird ausdrücklich Gottes Unveränderlichkeit ausgesprochen.

XIX. Hume. Über partikuläre Providenz und jenseitiges Leben

Interessant ist, daß gelegentlich Philosophie und Religion gleichgestellt werden 1. Das Ganze aber läuft darauf hinaus, daß man kein Recht habe, auf Grund der Erfahrungen im Diesseits für das Jenseits eine von der des Diesseits verschiedene Ordnung anzunehmen und daß darum für den Vernünftigen es in Bezug auf die jenseitigen Erwartungen ganz gleichgiltig sei, ob man eine Providenz als Ursache der Ereignisse annehme oder nicht. Anders vielleicht für den Unvernünftigen, der aus der Annahme der Providenz vielleicht auf eine gerechte Vergeltung im Jenseits schließe 2 • Hume fällt hier in denselben Fehler wie anderwärts, indem er nicht begreift, daß etwas anderes als die inductio per enumerationem simplicem maßgebend wird und in die Berechnung der Wahrscheinlichkeit nicht eingeht. Sobald man dies tut, widerlegt sich seine Behauptung, daß der Vergleich mit dem unvollendeten Bau nur passend sein würde, wenn man die Erfahrung vollendeter Bauten anderer Welten zur Verfügung hätte3. Ähnlich oberflächlich ist sein Versuch über die Wunder4. Er übersieht ganz, daß für die Annahme des Wunders die Denkbarkeit einer besonderen Hypothese spricht, welche ein sonst nicht gegebenes Motiv einführt. Sein Schluß ist geradeso verkehrt, wie wenn einer, dem heute von den Aeroplanen berichtet wird, die Unglaubhaftigkeit der Berichte behauptete, indem er die ausnahmslos entgegenstehende Erfahrung, daß man nicht durch die Luft schiffen könne, als die überwiegende geltend machte. Es gibt einen Schluß, der sich nicht auf Gleiches, sondern [auf] Ähnliches beruft. Allgemein gilt bei Unternehmungen, daß das dem Zweck nach Erste, der Zeit nach das Letzte [ist]. Hume macht sich auch noch den Einwand 5, die Leugnung der Providenz könne doch nachteilig werden, weil die Unver-

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nunft unbegründete Schlüsse für die Zukunft ziehe, wo dann die Furcht vor jenseitiger Vergeltung schrecke. Doch er verlangt trotzdem Toleranz für die Epikureer, weil die Unvernunft nicht auf die Lehren der Philosophen achte. All das ist frivole Pikanterie.

XX. Hume. The Natural History ofReligion

Einleitung. Wichtigkeit zu zeigen, wie die Religion in der Vernunft und in der Natur gründet. Ersteres zum Glück ganz leicht. Um so schwieriger das letztere. Wie allgemein auch bei den Völkern Religion [anzutreffen ist], hegen sie doch die widersprechendsten Meinungen. Es folgt daraus, daß die ersten religiösen Prinzipien sekundäre sind. Wir wollen zeigen, welche Prinzipien zum ursprünglichen Glauben führten und welche Umstände und Ursachen seine Tätigkeit leiten 1. 1. Die erste Religion war Polytheismus oder Götzendienst. Beweise: Vor 1700 Jahren war die ganze Menschheit polytheistisch. Daß sie früher theistisch gewesen, [ist] im allerhöchsten Maß unwahrscheinlich. Dem Gedanken eines unendlich vollkommenen reinen Geistes ging der niedere Anthropomorphismus naturgemäß vorher. Sagt man, die einheitliche Ordnung verrate sofort den vollkommenen ordnenden Geist, so widerlegt sich dies daraus, daß die Erkenntnis davon nie hätte verloren gehen können 2 • 2. Wie entstand der Polytheismus? Nicht durch Reflexion auf [die] Ordnung des Weltalls und nicht aus Streben nach Erkenntnis, sondern aus niederen Leidenschaften von Hoffnung und Furcht. Kampf in der Natur, Wechsel von Nützlichkeit und Schädlichkeit derselben Kraft, Gegensatz der Interessen von Einzelnen und von Gemeinschaften 3. 3. Fortsetzung. Unsere Unbekanntschaft mit den wahren Ursachen; vermenschlichende Erklärungen; Hinweis auf poetische Metaphern. Das Leiden und die Furcht begünstigen ganz besonders religiöse Regungen. Hinweis auf Zeiten der Not und auf die religiösen Neigungen des weiblichen Geschlechtes 4.

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Texte aus dem Nachlaß

4. Die älteren Religionen betrachten nicht Götter als Schöpfer oder Bildner der Welt. Genau besehen, verdienen sie nicht Religionen genannt zu werden s. 5. Verschiedene Formen des Polytheismus. Allegorie und Heldenverehrung 6. 6. Ursprung von Theismus und Polytheismus. Die Gründe, welche die Vernunft zur Erkenntnis des einen Gottes führten, waren nicht für die Mehrzahl bei ihrem monotheistischen Glauben maßgebend. Schmeichlerische Lobeserhebungen. Rücksicht auf Ungewöhnliches 7 . 7. Bestätigungs. 8. Hin und her zwischen Theismus und Polytheismus. Übergang vom Monotheismus zur Annahme einer Vielheit höherer Wesen und schließlich zu Götzen und umgekehrt. Wieder und wieder 9 . 9. Vergleich dieser Religionen in Bezug auf Toleranz. Theismus ist intoleranter als Polytheismus, weil eifernd für ein höheres Wesen und weil der Polytheismus leicht neben seinen auch fremde Gottheiten gelten läßt 10. 10. In Bezug auf Er- und Entmutigung. Hume meint, der Polytheismus sei dem Mut günstiger. Beim Monotheismus erscheine sich der Mensch zu gering. Beim Polytheismus mag er selbst mit den Göttern rivalisieren 11 (?). (Nicht die Lehre vom unendlich vollkommenen Gott, sondern die Verlegung der Tugend von der Mitte ins Extrem ist beim Christentum von Nachteil. Gewissermaßen auch die von dem Einen, das not tut.) 11. In Bezug auf Vernünftigkeit und Absurdität. Der Polytheismus, indem er menschliche Analogien benützt, gerät nicht so tief ins Absurde als der Theismus es tut, der 1) wegen größerer Verwandtschaft mit der Philosophie in Kontakt kommt, ein Kontakt, der dann aber zu Konflikten führt und zu Verfolgung der Forscher; 2) sich als der Philosophie überlegen erweisen will und durch die Behauptung von Unvereinbarem Staunen erregen und die Philosophie, die es als unbegreiflich bezeichnet, als unvergleichlich niederer dartun will. In der Dogmengeschichte

Hume. The Natural History ofReligion

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siegen bei den Streitigkeiten gerade die absurdesten unfaßlichen Behauptungen 12. 12. In Bezug auf Zweifel und Überzeugung. Der absurdeste Aberglaube kann so überzeugt sein wie der Glaube der Theisten. Nachweis in der Geschichte 13 . 13. Unheilige Vorstellungen [sind] mit beiden Arten Religion verbunden. Furcht führt zur Religion und diese geht auf Übles. Schmeichelei führt zur Beilegung von Gutem. So kommt es zu Widersprüchen. Schon für Fürsten nimmt man eine andere Moral an, um so mehr für Wesen höherer Ordnung. So sehen wir Theismus wie Polytheismus dem Göttlichen zuschreiben, was bei uns als ungerecht, parteilich, grausam etc. getadelt würde 14. 14. Schlechter Einfluß von populären Religionen. Man denkt fast niemals daran, durch bürgerliche Pflichterfüllung die Gunst der Götter zu erwerben. Solches erscheint selbstverständlich. Vielmehr durch absonderliche Gebräuche zu ihren Ehren. Aberglaube hemmt oft ein sonst gelungenes Unternehmen 15. 15. Allgemeine Schlußbetrachtungen. Lob des Theismus. Unabweisliche Zeugnisse für ihn in der Ordnung der Natur. Ein Volk ohne Religion steht schier auf der Stufe eines Tieres. Die erhabensten moralischen Sätze sind in theologischen Systemen beschlossen. (Das Kapitel kontrastiert seltsam gegen frühere Ausführungen. Sollte das Ironie oder sollte das eine Art Deckmantel sein? Nicht bloß der Vernunftreligion, auch der Volksreligion scheint hier Lob gespendet 16.)

XXI. Hume. Gespräche über die natürliche Religion

1. Von den Überzeugungen auf dem Gebiet der Theologie.

Demea hält dafür, sie seien nicht in der Art wie die wissenschaftlichen zu erwerben, wohl aber durch Eingebungen des Gemüts. Philo stimmt ihm insbesondere, was das erstere betrifft, bei. Er zeigt sich skeptisch, auch auf dem Erfahrungsgebiet, glaubt aber hier die vernünftig begründeten, skeptischen Bedenken durch den natürlichen Drang der Gewohnheit aufgewogen. Auf theologischem Gebiet fehlt aber dieses Gegengewicht. Beiden entgegen meint Kleanth, dieselbe Weise der Forschung, die wir auf den niederen Gebieten üben, führe auch auf theologischem Gebiet zu sicheren Ergebnissen 1. 2. Demea behauptet, das Dasein Gottes sei unmittelbar einleuchtend. Seine Natur [sei] gänzlich unbekannt, allem, was in die Erfahrung fällt, unähnlich. Philo stimmt zu. Kleanth widerspricht. Nicht unmittelbar leuchte Gottes Dasein ein, dagegen sei er, als vernünftiges Wesen und also als unserem Geiste ähnlich, durch die Ähnlichkeit der Welt mit unseren Kunstwerken erweisbar. Demea ist damit unzufrieden. Auf Erfahrungen gegründete Mutmaßungen seien ein schlechter Ersatz für die Kraft apriorischer Vernunfterkenntnis. Philo bekämpft Kleanth aus anderem Grund. Er bestreitet jede tiefer gehende Ähnlichkeit zwischen Welt und Kunstwerk. Nichts hindert anzunehmen, daß die Natur der Materie ebenso zu einer Art Ordnung führe wie der Geist. Der Geist sei ein verschwindender Teil der Welt. Aus Vorgängen in einem so kleinen Teil dürfe man nicht auf den gleichen Charakter derjenigen in allen anderen schließen. Zudem sei unsere Erkenntnis der Natur durchwegs äußerst unvollkommen. Die Entstehung des Weltganzen sei ein Faktum ohne Präzedenz in der Erfahrung.

Hume. Gespräche über die natürliche Religion

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Daher könnten wir durch diese nicht darüber belehrt werden. Abweis der Objektion, daß Ähnliches auch hinsichtlich der Kopernikanischen Meinung über die Erde gelte. Hume begreift nichts von der Rolle der Wahrscheinlichkeitsrechnung bei dem Vertrauen auf die Induktion. Er behandelt alles, als ob nur die inductio per enumerationem simplicem und die Gewohnheit maßgebend seien. Bemerkenswert ist das gelegentliche Zugeständnis der Tatsache, daß der gemeine Mann auf die geringste Ähnlichkeit hin eine Gleichheit der Ursache annehme. Es steht dies im Widerspruch mit der Behauptung seines Versuchs über den menschlichen Verstand, der Schluß auf das Dasein Gottes sei nicht bloß unvernünftig, sondern auch unnatürlich 2 . 3. Kleanth sagt: 1) Auch bei sehr veränderten Verhältnissen, wie einer Stimme, die aus den Wolken Mitteilungen macht oder Büchern, die sich selbst fortpflanzen, würde der Charakter des Kunstwerkes nicht verkannt werden. Um so mehr gilt dies für die Organismen, weil sie den Gedanken unvergleichlich höherer Kunstwerke nahelegen. Jedem denkenden Kopf drängt er sich mit unwiderstehlicher Gewalt auf, nur Dummköpfe machen Ausnahmen, weil sie in ihren Fragen nicht über die nächsten Ursachen hinausgehen. 2) Demea weist dementgegen darauf hin, daß die tatsächlichen Werke der Natur [den] Produktionen des menschlichen Verstandes ferner stehen als Worte und Bücher und daß der Weltursache weder unsere Leidenschaften, noch unser Gedankenwechsel zuzuschreiben sei und sie folglich als ganz andersartig und in ihrem Wesen unerforschlich gedacht werden müsse 3 . 4. 1) [Nach] Kleanth scheint Demeas Mystizismus sich vom Atheismus nicht mehr zu unterscheiden, nachdem die Gottheit allen Begriffsinhalt verloren hat. 2) Philo sucht aber zu zeigen, daß der Anthropomorphismus ebenso unbefriedigend sei. Eine Seele erscheine, ähnlich wie die Natur, als eine Ordnung. Die Weltordnung im göttlichen Geiste des Kleanth würde ebenso eine Erklärung verlangen wie die Ordnung in der Natur. Ihr Ursprung aus dem Wesen des Geistes wäre ebenso geheimnisvoll wie der aus dem

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Texte aus dem Nachlaß

Wesen der Natur. So würde man gedrängt, einen Geist als Ursache des Geistes u. s. f. ins unendliche anzunehmen. Da das zu nichts führt, so sei es besser, bei der Natur als Ursache der Ordnung stehenzubleiben. Wenn in der Natur auch Unordnung sich finde, wie Fäulnis, so analog im Geist Raserei. So werde unsere Unfähigkeit [einer] weiter und tiefer gehenden Erklärung deutlich. 3) Kleanth gesteht zu, daß er mit der Annahme der Gottheit nur die nächste, nicht die letzte Ursache angegeben habe. Ähnliches tue aber auch die übrige Wissenschaft. Doch Philo antwortet: der Fall sei nicht der gleiche; denn da die angenommene Ideenwelt in Gott eine ebenso komplizierte Ordnung sei, so leiste sie nicht die mindesten Dienste 4 . 5. 1) Philo weist hin auf den gewaltigen Unterschied der Welt von den menschlichen Werken. Es sei bei einem Abstand wie Endlichkeit und Unendlichkeit kein sicherer Analogieschluß mehr möglich. 2) Fange man an zu anthropomorphisieren, so biete sich die Hypothese, daß der Bildung dieser Welt viele Fehlversuche vorausgegangen seien. 3) [Es] lasse sich statt einer [Ursache] eine Vielheit von göttlichen Ursachen annehmen. Vieles spreche dafür, auch viele Menschen wirken zu einem Werk zusammen. Das Argument, die Ursachen seien nicht grundlos zu vervielfältigen, sei hier nicht am Platze. 4) Noch weiter anthropomorphisierend komme man zu Göttern, die körperlich seien, männlichen und weiblichen Göttern, Theogonien. Es bildet sich die Möglichkeit, die Welt, wo sie unvollkommen scheint, als wirklich verfehlt zu betrachten, als das Werk eines jugendlich unreifen oder altersschwachen Gottes, und indem so tausenderlei Möglichkeiten sich böten, verliere sich für den Anthropomorphisten ebenso jede bestimmte Vorstellung wie für den Mystiker. 5) Kleanth bezeichnet diese Bemerkungen als ausschweifend, freut sich aber, daß dabei doch das Bestehen einer gewissen göttlichen Absicht als das Gemeinsame bleibt und meint, dieses Zugeständnis verwerten zu können 5 .

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6. 1) Philo bemerkt, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit die Welt als ein beseelter Organismus aufzufassen sei. Die Gottheit sei nach dieser Hypothese die Weltseele. Das stimme zu der Erfahrung, die keinen Geist ohne Leib uns finden lasse. 2) Dieser Organismus könne von Ewigkeit gewesen sein, denn die angeblichen Gründe gegen die Ewigkeit der Welt seien nicht zwingend. 3) Kein Philosoph leugne, daß eine Ursache der bestehenden Ordnung vorhanden gewesen; welcherlei aber, sei nicht auszumachen 6. 7. 1) Die Welt hat mehr Ähnlichkeit mit einem Organismus als mit einem Kunstwerk. Der Organismus entsteht aber nicht durch Verstand, sondern durch Zeugung, also mit größerer Wahrscheinlichkeit auch die Welt. Vergleich des Kometen mit einem Ei. 2) Sagt man, der Bau der Organismen verlangt wegen seiner Künstlichkeit selbst zu seiner Erklärung in letzter Instanz Rückführung auf [einen] Verstand, so ist zu erwidern, daß die Wirkung des Verstandes ebenso unerklärlich ist als die Zeugung. Beide verlangen für uns unbegreiflich feine Strukturen. 3) Die Erfahrung zeigt, daß Zeugung zur Entstehung von Vernunft, nicht aber daß Kunst zur Entstehung eines Organismus führt. 4) Wie Kleanth zugegeben [hat], können wir nicht bis zu den letzten Ursachen gelangen; so ist der Umstand, wenn wir Zeugung als Ursache der Welt annehmen, nicht uns zum Vorwurf zu machen, daß keine Zeugung die letzte Erklärung sein kann. (Die Erde war einmal ohne Organismen, also [eine] erste [Ursache], welche nicht von Organismen [her erschlossen werden kann]). 5) Die Erfahrung zeigt vielerlei, was zur Ordnung führt: Zeugung, Instinkt, Verstand usw. Was hindert anzunehmen, daß, wo so verschiedenerlei Ursachen der Ordnung in der Erfahrung vorliegen, außerhalb ihrer noch anderes sie bewirkt, was uns gänzlich unbekannt ist? Und so zeigt sich, daß die Ursache der Weltordnung unerforschlich ist 7 .

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Texte aus dem Nachlaß

8. 1) Auch eine der Epikureischen Erklärung ähnliche ist denkbar. Man nehme an, die Welt sei endlich und in stetem Wechsel. Alle möglichen Lagerungen und daher auch die geordneten werden dann von Zeit zu Zeit eintreten. 2) Fragt man, woher die Bewegung, so ist nicht abzusehen, warum ihr Anfang mehr auf eine verständige als auf eine unverständige Ursache zurückzuführen sein soll. Auch können wir sie anfangslos gegeben denken, wie denn tatsächlich überall in der Welt Bewegung ist. 3) Labile Zustände werden mit relativ stabilen, d. h. solchen, welche sich beim Wechsel in einer gewissen Gleichmäßigkeit erhalten und erneuern, abwechseln und diese den Charakter von zweckmäßiger Selbsterhaltung tragen. Hinweis auf die Unentbehrlichkeit der Organe für die Erhaltung des Orgamsmus. 4) Verweist man auf manches, was bei den Organismen schön und zweckgeordnet scheint, ohne zur Erhaltung notwendig zu sein, so ist diese Objektion nicht schwerer wiegend als andere, die andere Erklärungsweisen treffen. Wo es sich um entfernt Ähnliches handelt, kann nicht alles genau zutreffen. Jedes theologische System ist gegenüber dem anderen im Angriff stark, in der Verteidigung schwach. Der Skeptiker, der nur angreift und aufjede positive Erklärung verzichtet, ist darum vor allem siegreich s. 9. 1) Demea empfiehlt von den aposteriorischen Beweisen zu lassen. Weder die Unendlichkeit noch Einheit Gottes ergäben sich aus den Erfahrungstatsachen der endlich vollkommenen Welt mit Sicherheit. 2) Er zieht vor, sich darauf zu berufen, daß ein notwendiges Wesen sein müsse, da ohne ein solches alles zufällig sein würde, Zufall aber unzulässig sei. Bei einer anfangslosen Kette von Ursachen habe jedes einzelne Glied, aber nicht die ganze Kette einen Grund. 3) Kleanth bekämpft ihn. Vor allem sei ein notwendiges Wesen undenkbar. Wenn man es wegdenke, so liegt darin kein Widerspruch. Ferner, wenn dem nicht so wäre, so könnte auch die materielle Welt selbst dieses notwendige Wesen sein.

Hume. Gespräche über die natürliche Religion

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4) Philo fügt hinzu, daß die Einführung des Begriffes der Notwendigkeit in die Untersuchung der theologischen Beweisführung eher nachteilig sei; denn der Blick auf gewisse Regelmäßigkeiten bei Zahlen (z.B. den Produkten von 9), die ein oberflächlicher Beobachter als Folgen künstlicher Ordnung betrachten könne, erwiesen sich, genauer besehen, als von vornherein notwendig. Und so könne die Natur der Dinge selbst das, was man aus einer künstlichen Auswahl erkläre, als notwendige Folge von vornherein einschließen. 5) Endlich verweist Philo darauf, daß solche abstrakte Vernunftschlüsse von den Frommen selbst mit wenig Vertrauen aufgenommen würden. Jeder habe den Verdacht, daß doch irgendein Paralogismus sich eingeschlichen haben möge 9 . 10. 1) Demea meint, das Gefühl des eigenen Elends, der eigenen Ohnmacht treibe zut Annahme eines Gottes, der uns Zuflucht werden könne. 2) Es folgt der Nachweis dieses Elends. 3) Leibniz ist schon dadurch, daß er als Einziger gegen alle steht, widerlegt. 4) Das Elend zeigt sich im Tierreich allgemein und im Reich der Menschen im besonderen. 5) Die Tiere sind von Natur vielfach darauf angewiesen, einander zu quälen, und so auch die Menschen zum Kampf gegen sie und gegeneinander getrieben. 6) Nicht auf unser Glück, sondern nur auf die Erhaltung von Individuum und Art und so der Ordnung des Ganzen scheint die Natur auszugehen. 7) Kommt manchmal ein Vergnügen vor, das keine solche Beziehung zu haben scheint, so andere Male ähnlich Schmerz und Elend in ganz überwiegendem Maße. 8) Wenn es uns drängt, eine künstliche Ordnung in der Welt anzunehmen, [so] doch durchaus nicht eine gütige. 9) Selbst wenn nicht das Leiden überwöge, so würde sein Bestand überhaupt unter der Annahme eines allmächtigen, allgütigen Wesens höchst rätselhaft sein. 10) Manche bedienen sich hier der Ausflucht, daß die Glückseligkeit nicht diesseits, sondern jenseits zu finden sei.

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Texte aus dem Nachlaß

Allein aller Wahrscheinlichkeit nach ist sein Charakter dem des Diesseits analog zu denken; denn, was wir erfahren, ist für das zu Erwartende der Anhalt. Jedenfalls gibt nichts auch nur die geringste Sicherheit. 11) Im Gegensatz zu dem, was von wahr und falsch gilt, ist in Bezug auf das, was für gut und schlecht gilt, zu sagen, daß es mit der Konstitution wechselt. Man hätte also nicht den mindesten Grund zu glauben, daß das etwa anzunehmende göttliche Wesen nach menschlichem Begriffe gütig sei, wozu dann allerdings die besprochenen, uns peinlich berührenden Zustände stimmen würden, aber der religiöse Trost, den wir in unserem Elend in dem Gottesgedanken finden, wäre dahin 10 . 11. 1) Kleanthes meint, man müsse den Gedanken der Unendlichkeit des göttlichen Wesens aufgeben. 2) Philo gesteht zu, daß, wenn die unendliche Vollkommenheit Gottes von vornherein erwiesen wäre, die scheinbare Unvollkommenheit der Welt auf die Beschränktheit unseres Verstandes zurückführbar, nicht damit in Widerspruch erschiene. Dagegen, wenn es nicht der Fall sei, spreche alles gegen eine Tadellosigkeit des Werkes und gegen die unendliche Vollkommenheit des Werkmeisters. 3) Philo meint, alles in der Welt Mißfällige führe sich hauptsächlich auf vier Gründe zurück: 1) daß nicht bloß Lust, sondern auch Schmerz das Tier in Bewegung setze; 2) daß alles nach allgemeinen Gesetzen vor sich gehe; 3) daß die Natur alles aufs Sparsamste einrichte; 4) daß die richtige Mitte bald durch ein Zuviel, bald durch ein Zuwenig verletzt werde. Für uns sei kein rechtfertigender Grund zu erkennen, und wir hätten kein Recht, mit Wahrscheinlichkeit zu vermuten, daß er bestehe. 4) Eine vierfache Annahme hinsichtlich der ersten Weltursache erscheine denkbar: 1) daß sie ein gutes Prinzip sei; 2) daß sie ein böses Prinzip sei; 3) daß sowohl ein gutes als böses Prinzip vorhanden sei und 4) daß sie für gut und böse gleichgültig sei. Wie die Tatsachen lägen, sei diese Annahme die wahrscheinlichste. 5) Kleanthes meint, Irrtümer wie die Philos seien durch die Verkehrtheit der gemeinen Theologie veranlaßt, welche teils

Hume. Gespräche über die natürliche Religion

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den Gottesbegriff des Inhaltes berauben und ins besondere durch die Annahme der Unendlichkeit extravagant werden, teils sich in der krassen Ausmalung der Übel dieses Lebens gefallen. 6) Philo meint dagegen, daß die Theologen, je nachdem [sie] ihren Standpunkt wechselten, einmal das übergroße Elend schilderten, ein anderes Mal es beschönigten, um aus der Vollkommenheit der Welteinrichtung auf die Vollkommenheit des Weltbaumeisters zu schließen. 7) Demea fühlt sich mehr und mehr unbehaglich und zieht sich vom Gespräch zurück 11. 12. 1) Philo sucht zum Abschluß darzutun, daß die Frage über Theismus oder Atheismus ein bloßer Wortstreit sei; denn Theisten wie Atheisten kämen darin überein, daß eine Ursache der Weltordnung angenommen werden müsse, welche für sie ausreiche und daß dieselbe eben darum eine gewisse, aber nur außerordentlich entfernte Ähnlichkeit mit einem Geiste, der künstlerisch wirke, haben müsse, wie solche ja auch aus demselben Grund der Ursache der Erzeugung zukomme. 2) Da es sich um einen bloßen Wortstreit handelt, hat die Entscheidung der Frage keinen Wert. Und so denn auch nicht die natürliche Religion. 3) Die positiven Religionen hätten dagegen einen geradezu negativen Wert, schüfen dem Staat die größten Verlegenheiten, erzeugten Unfrieden und demoralisierten. Nichts schlimmer als Pfaffenherrschaft, nichts notwendiger als Einschränkung der Zahl und Macht der Priester. 4) Kleanth meint dagegen, die positive Religion habe doch wegen ihrer Übereinstimmung mit gewissen Momenten der natürlichen Religion einen positiven Wert. 5) Philo nimmt für den Skeptizismus in Anspruch, daß er in seiner Betonung der Unwissenheit in Bezug auf göttliche Dinge die Sehnsucht nach übernatürlicher Offenbarung wecke, um so mehr, als alles andere der Aufnahme des Christentums günstig sei. 6) Pamphilus äußert schließlich seine hohe Anerkennung für Philo und Kleanth, welcher letztere ihm aber doch noch etwas voraus zu haben scheint 12 .

XXII. Bemerkungen zu Humes Gesprächen über die natürliche Religion

1. Gespräche über die natürliche Religion

1. Philo. Das Erfahrungswissen bietet überhaupt keine Sicherheit und wenn in anderen Fällen wir doch, von der natürlichen Neigung getrieben, gewohnheitsmäßig vertrauen, so findet sich für diese [Sicherheit] da, wo es sich um Gott handelt, keine Stelle. Also ist aus Erfahrungstatsachen nicht auf das Dasein Gottes zu schließen 1. 2. Demea. Weil Gottes Natur unbekannt, kann sie aus der uns bekannten Natur der Dinge nicht erkannt werden. Gottes Existenz kann nicht anders als unmittelbar einleuchten 2. Kleanthes behauptet umgekehrt, das Dasein Gottes könne nicht anders als durch Analogieschluß mit wirklich menschlicher Vernunft erschlossen werden, da es sicher nicht unmittelbar einleuchtet3. Aus beiden folgt die Unmöglichkeit sicherer Gotteserkenntnis. 3. Philo. Aus der Ordnung der Natur kann Gott nicht erschlossen werden, denn die Natur kann ebenso wie der Geist zur Ordnung führen, ja sie führt in ungleich mehr Fällen zur Ordnung als der Geist. Und nirgends sehen wir, wo ein Geist zur Ordnung führt, im besonderen ein Weltall entstehen 4 • 4. Demea erklärt, der Analogieschluß von wahrer menschlicher Vernunft sei aus doppeltem Grund nicht zureichend: 1) wegen des großen Abstands der Wirkung; 2) wegen des großen Abstands der Ursachen, da eine Vernunft angenommen werden müßte, welche von Begierden frei und ohne Gedankenwechsel sein müßte5. Kleanthes dagegen sagt, daß, wenn Gott nicht unter irgendwelchen unserer Begriffe falle, sich Theismus nicht mehr vom Atheismus unterscheide6. So zeige sich denn immer wieder, daß keiner der beiden Wege zu etwas führt.

Bemerkungen zu Humes Gesprächen

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5. Wer die Ordnung der Welt auf den denkenden Geist zurückführt, muß in diesem die Ordnung als vorherbestehend annehmen; so gewinnt man nichts, wird vielmehr zu einem regressus in infinitum geführt 7 . Wie in der Natur kann auch im Geist ebensogut Unordnung als Ordnung bestehen. Vergleich der Raserei mit der Fäulnis 8 . 6. Philo. Der teleologische Beweis sei unstatthafter Anthropomorphismus: 1) wegen des Abstands von Endlich und Unendlich; 2) weil man, wenn man einmal zu anthropomorphisieren beginne, zu noch anderen Hypothesen geführt werden könne, wie die eines Werkmeisters, der erst nach mancherlei Fehlversuchen zum Aufbau dieser Welt gelangt sei, oder die einer Vielheit von Werkmeistern, oder die eines noch unreifen oder schon altersschwachen Werkmeisters; könnten doch nach menschlicher Analogie körperliche Götter und männliche und weibliche [Götter] und Theogonien angenommen werden. Die scheinbaren Fehler der Welt wären nach diesen Hypothesen als wirkliche zu begreifen. Bei solcher Mannigfaltigkeit möglicher Hypothesen verliere sich jede Bestimmtheit der Folgerung. Dies um so mehr als der Geist auch als Weltseele gedacht werden könnte, wo dann die Analogie mit dem Verhältnis unseres Geistes zu unserem Körper gewahrt sei. Hindere doch auch nichts, die Weltanfangslos zu denken. Eine Ursache wird der Welt, wie sie jetzt ist, jeder Philosoph zuschreiben, nur bestreiten, daß man wissen könne, was diese Ursache sei 9 . 7. Philo. Die Welt hat mehr Ähnlichkeit mit einem Organismus als mit einem Kunstwerk, also ist sie wahrscheinlich so wie jene durch etwas ihr Ähnliches erzeugt 10 • 8. Philo. Zeugung führt zur Entstehung von Vernunft, nicht umgekehrt 11. 9. Die Erfahrung zeigt vielerlei, was zur Ordnung führt: Zeugung, Instinkt, Verstand usw. Was hindert anzunehmen, daß auch noch anderes [wirksam ist]? Also [bleibt] die Frage unlöslich 12 . Insbesondere könnte auch Epikurs Zufallhypothese angenommen werden. Bewegung vielleicht von Ewigkeit. Es kommt dann und wann zu scheinbarer Ordnung und zu stabi-

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Texte aus dem Nachlaß

len Zuständen. Solche Stabilität erscheint dann wie ein Zweck. Nur weniges wird sich finden, was nicht für diesen Zweck hingeordnet erscheinen kann und bildet so keinen ernstlichen Einwand 13. 10. Demea. Weder Unendlichkeit noch Einheit Gottes läßt sich aus der endlich vollkommenen Welt erschließen 14 . 11. Kleanthes. Ein notwendiges Wesen ist undenkbar, denn denkt man es weg, so ergibt sich kein Widerspruch 15 . ' 12. Kleanthes. Könnte ein notwendiges Wesen sein, so auch die materielle Welt 16. 13. Philo. Die scheinbare Teleologie läßt sich auch, wenn man an notwendige Wesen glaubt, als aus Notwendigkeit entsprungen begreifen, wie die Regelmäßigkeit bei Zahlenverhältnissen 17 . 14. Philo. Hinweis auf das Mißtrauen der Frommen selbst 18 (Pascal 19 ?). 15. [Philo]. Aus der Ordnung kann man nicht auf einen wirklichen Werkmeister der Welt schließen; erscheint sie doch nicht sowohl auf das Glück als auf die Erhaltung des Individuums und der Art berechnet. So [entspringen] auch die meisten Antriebe durch Lust, welchen sich auch noch solche durch Schmerz zugesellen. Es ist nicht selbstverständlich, daß allen Arten von Wesen dasselbe für gut gilt, so könnte einer mit mehr Wahrscheinlichkeit die Leiden in der Welt auf eine Differenz dieser Art als auf die Beziehung zu einem gerecht vergeltenden Jenseits zurückführen, und der Gedanke an den Gott böte dann weder Stütze noch Trost 20. 16. Philo gesteht zu, daß, wenn ein unendlich vollkommener Urgrund der Welt erwiesen, die scheinbaren Übel keine Objektion [darstellen], andernfalls aber eine starke 21 . 17. Philo. Alles Mißfällige in der Welt [hat] vier Gründe: 1) daß außer Lust auch Schmerz das Tier in Bewegung setzt; 2) allgemeine Gesetze; 3) Sparsamkeit; 4) bald zu viel, bald zu wenig22. 18. Philo. Wahrscheinlicher als die Hypothese, daß ein gutes Prinzip oder daß ein böses Prinzip oder daß ein gutes und ein böses sei, [ist] die [Hypothese], daß ein für beides gleichgiltiges Prinzip23 [sei].

Bemerkungen zu Humes Gesprächen

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2. Bemerkungen zu Humes Gesprächen über die natürliche Religion 1. Unter natürlicher Religion versteht Hume eine auf Vernunftgründen ruhende Überzeugung vom Dasein Gottes, welche tröstend und sittlich schützend den Menschen beeinflußt24. 2. Ist eine solche Erkenntnis zu gewinnen? Nach Hume ist die Frage zu verneinen 25. 3. Vor allem liegt in der Leugnung Gottes kein Widerspruch. Liegt doch darin keine Anerkennung, also auch keine Vereinigung von Anerkennen und Verneinen, welche sich auf dasselbe beziehen26. 4. Wenn man sagt, es müsse ein unmittelbar notwendiges Wesen geben, da sonst selbst unter Annahme [eines] durchgängigen, relativ notwendigen Zusammenhangs des Späteren mit dem Früheren die ganze Kette noch immer als zufällig erschiene, während doch Zufall unstatthaft sei, so leugnet Hume die Unstatthaftigkeit solchen Zufalls, behauptet vielmehr die Unstatthaftigkeit absoluter Notwendigkeit, denn, meint er, Notwendigkeit sei nur da vorhanden, wo die Leugnung einen Widerspruch enthalten würde, ein Widerspruch sei aber niemals in einer bloßen Leugnung gegeben 27 . 5. Erlaube man sich trotzdem zu behaupten, daß etwas unmittelbar notwendig sei, so sei aber nicht abzusehen, warum man nicht ebensogut der Welt selbst als irgend etwas anderem Notwendigkeit zuschreibt28. 6. Und wiederum, wenn man behauptet, ein unmittelbar notwendiges Wesen müsse sein, könne aber nicht die Welt und überhaupt irgend etwas in unsere Erfahrung Fallendes sein, da davon augenscheinlich das Gegenteil gelte, es müßte vielmehr als eine von allem Empirischen verschiedene Ursache desselben gedacht werden, welche ihrem Wesen nach gänzlich unvorstellbar sei, so sei nicht abzusehen, wie man berechtigt sein soll, diesem Wesen irgendwelche Eigenschaften zuzuschreiben, und insbesondere von ihm zu sagen, daß es unendlich, daß es eines, daß es allmächtig, daß es allwissend, daß es allgültig sei. Es sei vielmehr geboten, sich aller näheren Bestimmungen

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Texte aus dem Nachlaß

darüber zu enthalten und nur zu sagen, daß es eine Ursache der Welt sei, die auch die Atheisten für den Fall, als die Welt einen Anfang habe, zugestehen, so daß jeder Unterschied zwischen Theismus und Atheismus verschwinde29. 7. Sieht man recht zu, so findet sich hier nicht ein rein apriorisches Argument für das Dasein Gottes, sondern der Kontingenzbeweis, den Hume hier richtiger als Kant, [der ihn J in dem von ihm so genannten kosmologischen Beweis vorführt, verworfen 30 [hat]. 8. Außerdem berücksichtigt Hume auch noch den teleologischen Beweis und will zeigen: 1) daß er nicht zur Erkenntnis einer ersten, unendlich vollkommenen Ursache führe und 2) daß er nicht einmal hinreiche, einen endlich vollkommenen Geist als nächste Ursache der Welt zu erweisen 31 . 9. In ersterer Beziehung macht er geltend, daß der Analogieschluß mit der Abnahme der Ähnlichkeit an Kraft verliere. Hier aber sei wegen des Abstandes von Endlich und Unendlich das äußerste Maß der Unähnlichkeit erreicht. Ebenso zeige sie sich, wenn man sehe, wie jener ersten Ursache jeder Affekt und jeder Gedankenwechsel, wie er beim Menschen vorkommt, abgesprochen werden müßte. Es sei ein Anthropomorphismus, der wegen der übergroßen Unähnlichkeit gar nicht mehr den Namen verdiene, auch gar nicht mehr als Analogieschluß sich geltend machen könne3 2. 10. Und wenn darum die Möglichkeit des teleologischen Arguments, wenn es eine erste, unendlich vollkommene Ursache der Welt nachweisen wollte, entfallt, so machen die Erscheinungen in der Welt, die so viel Übel enthält, die Annahme, zu der er führen will, sogar in höchstem Grad unwahrscheinlich; nur in dem Fall, daß ein unendlich vollkommenes Wesen einmal durch strenge Beweise erwiesen wäre, könnten diese so scheinbaren Mißstände keine ernste Objektion mehr bilden. Es bliebe auch dann wahrscheinlicher, daß die Erklärung der scheinbaren Mißstände daraus zu begreifen sei, daß jenes Wesen anders als wir über gut und schlecht dächte, als durch den Hinweis auf ein Jenseits, und dann entfalle aller religiöse Trost. Bei unserer Schätzung des Guten komme in letzter

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Instanz das höchste Maß der Glückseligkeit in Betracht. Die scheinbare Ordnung in der Welt sei aber auf anderes gerichtet, auf die Erhaltung in Individuum und Art. Zur Erziehung liebe sie Schmerz wie Lust als Motive zu verwenden, allgemeine Gesetze durchzuführen, mit äußerster Sparsamkeit zu verfahren und hier ein Zuviel, dort ein Zuwenig zuzulassen 33 . 11. Aber wie der teleologische Beweis nicht zur Sicherung eines göttlichen Verstandes als erste Ursache der Welt genüge, so auch nicht zum Erweis eines Geistes nicht-unendlicher Vollkommenheit als nächste Ursache; denn Ordnung könne auf vielfache Weise erfahrungsmäßig zustande kommen: 1) durch Zeugung, 2) durch Instinkt, 3) durch Verstand und so noch durch anderes (wie z.B. Kristallisation u. dgl., wie Demokrits Ansammlung von Muscheln und Körnern beim Würfeln des Getreides). So könnten denn auch andere, uns unbekannte Ursachen zur Ordnung führen, und der Schluß auf einen Verstand werde ganz unsicher. Auch bei Zahlen, wo die Verhältnisse doch alle nicht durch Verstand bestimmt, sondern absolut notwendig seien, finden sich Regelmäßigkeiten (z.B. bei den Multiplikationen von 9), welche mancher wie aus künstlerischer Absicht entsprungen zu deuten geneigt sein könnte3 4 • 12. Ferner zeigt sich das Weltganze mehr einem Organismus als einem menschlichen Kunstwerk ähnlich, jener aber entsteht blind durch Zeugung, so denn auch mit großer Wahrscheinlichkeit die Ordnung der Welt35. 13. Ferner sei der Fälle der Ordnung durch Verstand in der Welt ungleich weniger als der der Ordnung durch Zeugung, und insbesondere sei zu sagen, daß auch der Verstand Strukturen verlange, die Ordnung zeigen und kein Verstand zu einem Organismus, wohl aber die zeugende Kraft der Organismen zum Verstand führe36. 14. Sagt man, die blinde Zeugung könne nicht letzter Grund zur Erklärung einer Ordnung sein, und so müsse man vielmehr auf einen Verstand rekurrieren, so sei zu erwidern, daß dieser Einwand entfalle, weil es sich ja nicht um eine Rückführung auf einen letzten Grund handle. Eine solche sei ja als für uns Unmögliches erwiesen und lasse sich durch die Hypothese eines

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Texte aus dem Nachlaß

Verstandes um so weniger gewinnen, als er die zu erklärende Ordnung mit nicht geringerer Kompensation in sich tragen und so nötigen würde, auf einen anderen Verstand als seinen Grund und so ins unendliche zurückzugehen37 • 15. Die Welt, so wie sie sich zeige, mit unzähligen Mißständen behaftet, könne in vierfacher Weise gedacht werden: 1) als verursacht durch ein rein gutes Prinzip, dessen Motiv wir nicht verstehen; 2) durch ein böses Prinzip (bös wenigstens, weil etwas ihm als gut gilt, dem, was uns als gut gilt, widerspricht); 3) als Produkt eines guten und eines bösen Prinzips; 4) als Produkt eines für gut und böse gleichgiltigen Prinzips. Die letzte Epikureische Ansicht hat die größte Wahrscheinlichkeit. Bewegung von Ewigkeit, zufällige Kombinationen, die zu relativ stabilen Verhältnissen führen, welche dann den Schein von absichtlicher Fürsorge für die Erhaltung erwecken. Schier alles, was wir von Lust sehen, zeigt sich solcher Erhaltung dienlich 38 . 16. Gibt man aber der anthropomorphistischen Deutung den Vorzug, so liege es nahe: die scheinbaren Fehler der Welt als wirkliche Fehler zu fassen, daja auch wir Menschen wirkliche Fehler begehen; ferner die Götter nicht unkörperlich zu denken; ferner als viele, als männliche und weibliche, mit Theogonien, bei welchen es zu Kindesalter und Greisenalter kommt, zu Betätigungen in unreifem und schon geschwächtem Alter, zu Fehlversuchen, die man durch neue zu übertreffen sucht u. dgl. Bei der Mannigfaltigkeit des Denkbaren verliert sich die Phantasie ins unendliche39. 17. So ist denn nicht bloß der apriorische, sondern auch der aposteriorische Gottesbeweis und von letzterem nicht bloß der Kontingenzbeweis, sondern auch der teleologische und dieser nicht bloß, wenn er einen unendlich vollkommenen Gott als erste Ursache aller Dinge, sondern auch wenn er nur irgend einen Geist anthropomorphistisch als nächste Ursache der Welt erweisen will, vollständig zu verwerfen 40 . Die verschiedensten Annahmen bleiben möglich, auch die Annahme einer Weltseele und eines ewigen Bestandes der Welt, und jedenfalls hätte der Gedanke einer Weltseele noch mehr Stütze durch die Analogie zu unserem Verstand, als der eines reinen göttlichen Geistes

Bemerkungen zu Humes Gesprächen

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Nicht zu übersehen ist, welch geringes Vertrauen die bedeutendsten Theisten selbst auf ihre komplizierten Beweisversuche haben. Man denke hier an Pascal 41 , der sagt, die Beweise seien von der Art, daß sie, wenn man sie nicht augenblicklich vor sich habe, nicht im geringsten auf das Gemüt noch eine Nachwirkung zu üben vermögen. So halte er sich ganz an die Lehre der sogenannten übernatürlichen Offenbarung. 18. Zu allem gegen die aposteriorischen Gottesbeweise hier Gesagten kommt dann noch das allgemeine Bedenken gegen die Möglichkeit irgendeines logisch giltigen Erfahrungsbeweises. Und wenn andererseits der Gewohnheitsdrang 42 die Vernunft ersetzt, so entfällt hier eine solche Möglichkeit, wo es sich um die Behauptung einer Ursache handelt, für welche kein Präzedenz in unserer Erfahrung vorliegt.

XXIII. Platner. Ein Gespräch über den Atheismus mit Beziehung aufHumes »Gespräche über natürliche Religion« 1. Platner verwirft alle ontologischen und apriorischen Beweise 1. 2. Er gibt dem kosmologischen Beweis eine andere Fassung als Demea bei Hume. Es gilt ihm als abgeschmackt zu argumentieren: Die Welt ist endlich und zufällig, also nicht Grund des eigenen Daseins. Also besteht außer ihr ein unendliches notwendiges Wesen, welches alle gedenklichen Vollkommenheiten in unendlicher Weise besitzt 2 . 3. Auch den teleologischen [Beweis J faßt er anders. Es soll sich nicht um eine bloße Analogie handeln, vielmehr um die unendliche Unwahrscheinlichkeit, daß eine Vielheit, welche eine »Idee« darstellt, d. h. wohl einen Schein von ausgewählter Regelmäßigkeit hat, bestehe, ohne einen zwecktätigen Verstand zur Ursache zu haben 3 . 4. Die unendliche Wahrscheinlichkeit steht dann hinter geometrischer Notwendigkeit in Ansehung der Gewißheit nicht zurück 4 . 5. Daß bei der Zeugung eines Organismus ein Werk, das so kompliziert ist wie die Kunstwerke, blind produziert wird, bildet keine Instanz. Sie verlangt ein vorbestehendes Kunstwerk. Omne vivum ex ovo. Die nächsten Ursachen enthalten hier, wie in vielen anderen Fällen, nicht die ganze Erklärung. Um sie zu gewinnen, muß eine verständige Ursache angenommen werden5. 6. Auch ein noch so häufiger zufälliger Wechsel bei noch so weiter Ausdehnung in Raum und Zeit könnte nicht zu einer so exquisiten Ordnung, wie der Organismus sie zeigt, führen. Ja, ohne eine dazu geeignete, exquisit dazu vorbereitete Natur der Elemente könnte es sogar mit geometrischer Notwendigkeit gar nicht dazu kommen 6. 7. Wenn Hume einwendet, auch die Erklärung durch einen Verstand verlange eine Ordnung vor der Ordnung, denn der

Platner. Ein Gespräch über den Atheismus

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Plan sei etwas, was aus ebensovielen Teilen besteht wie das ihm entsprechend ausgeführte Werk, so fehlt er, indem er die Gedanken wie wirkliche selbständige Dinge behandelt, die sich zu einem Kollektiv zusammensetzen. Er verkennt die einheitliche denkende Seele 7 . (Man könnte auch sagen die einheitliche Tätigkeit, in welcher die Vielheit gedacht wird.) 8. Es bleibt die Frage nach der moralischen Vollkommenheit des göttlichen Urwesens. Platner glaubt sie schon durch den Nachweis verständiger Ordnung geführt, da alle Ordnung auf ein Gut, näher gesagt, auf Glückseligkeit abziele. Er glaubt ferner nachweisen zu können, daß weder das metaphysische noch moralische noch physische Übel in der Welt hindere, sie als die bestmögliche Welt zu betrachten. Das erste nicht, weil es bei dem Werk schlechterdings notwendig sei, in der Natur seines Begriffs selbst liegt. Das zweite werde stark übertrieben; die Bußprediger schilderten die Menschheit schlechter als sie sei. Das übertriebene Gefühl dafür, wie auch für die Bemessung des Leidens, sei daher eine heilsame Täuschung, erscheine aber auch nur schlecht in seiner Hinordnung zum dritten [Übel]. Und so reduziere sich die Aufgabe auf die Erklärung des physischen Übels, des Schmerzes. Von ihm will er beweisen, daß er so wenig als die Lust ganz auszuschließen sei, zumal schon das Bewußtsein mangelnder höherer Lust ein Mißvergnügen erzeuge. Daß aber die Lust in der Welt nicht entschieden überwiege, ist nach ihm durch die Erfahrung widerlegt. Von seinem Vorhandensein in dem Umfang, in dem es sich vorfindet, kann wohl niemand die genaue Erklärung geben, aber auch niemand ein Zuviel nachweisen 8 . 9. Interessant ist es, daß die Ewigkeit Gottes als eine anfangs- und endlose Zeit gefaßt und ein steter Wechsel in ihrem Zustand angenommen wird. Schon Clarke habe ihn gelehrt9. 10. Ja nicht bloß ihn, sondern ein allmähliches Sichauswirken göttlicher Gedanken und Entschlüsse 10 . 11. Die Begriffe der Endlichkeit und Unendlichkeit, Notwendigkeit und Zufälligkeit 11 werden besprochen und die Meinung von früheren zu berichtigen gesucht. Notwendigkeit, wie sie einem Axiom zukomme, kann nicht einem Ding

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Texte aus dem Nachlaß

zukommen, das ja, eben weil es ein Ding ist, keine Wahrheit ist und keine Verknüpfung von Begriffen enthält. Die Unendlichkeit bezeichnet etwas zu unseren Erfahrungsdingen Relatives. Gewiß enthält die Abhandlung Gutes, z.B. die Leugnung, daß die Kraft des teleologischen Argumentes bloß in der Analogie 12 bestehe. Zur vollen Klarheit wird aber seine Beweiskraft nicht gebracht. Dazu wäre der Vergleich der vorgängigen Wahrscheinlichkeiten nötig gewesen. Die Behauptung, daß jede verstandesmäßige Tätigkeit auf Glückseligkeit 13 abzielen müsse, ist vielleicht zu bestreiten. Ebenso ist die Behauptung, daß die Erfahrung ein Übergewicht von Lust 14 zeige, nicht so sicher erwiesen, als der Verfasser glaubt. Der Nachweis scheint aber auch nicht gefordert. Der Verfasser gibtja zu, daß partial ein Übergewicht von Leid gefunden werde und daß unserem Blick nur ein verschwindend kleiner Teil der Welt vorliegt. Wäre die Erfahrung eines Übergewichtes von Lust gefordert, so wäre ihre Erfüllung nicht genügend. Denn wie das partielle Übergewicht des Schmerzes nichts gegen, so kann ein partielles Übergewicht der Lust nichts für die bestmögliche Welt beweisen, und unser Blick ist ja auf einen verschwindend kleinen Teil der Welt beschränkt. So muß denn die bestmögliche Welt unabhängig von solcher Erfahrung und auch die unendliche moralische Vollkommenheit Gottes unabhängig von ihr erwiesen werden. Platner geht zu weit, wenn er geometrische und moralische Gewißheit einander gleichstellt t5. Ebenso, wenn er mit Clarke a~ ein zeitlich verlaufendes Leben der Gottheit 16 glaubt, bei welchem jeder frühere Zustand den späteren verursacht. Jeder muß vielmehr gleich mittelbar notwendig sein. So verdienstlich die Betonung des Unterschieds zwischen einem verwickelten Weltplan und der wirklichen Weltordnung 17 [ist], so scheint derselbe doch nicht genügend richtig verstanden und ausgenützt. Es hätte gezeigt werden müssen, daß in der Selbsterkenntnis eines unendlich vollkommenen Wesens in untrennbarer Einheit die unendliche Vielheit von Erkenntnis-

Platner. Ein Gespräch über den Atheismus

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sen, Vorstellungen, Gemütsbeziehungen, Wollungen gegeben ist, so daß eines ohne das andere ohne Absurdität gar nicht angenommen werden kann. Die Frage von der Einheit Gottes scheint nicht behandelt. Hinsichtlich der Frage, ob die Gottheit Weltseele 18 zu nennen [sei], scheint Platner die Entscheidung indifferent. Auch die Ewigkeit 19, d. h. Anfangslosigkeit der Welt, betrachtet er als nicht ausgeschlossen. Platner will nicht die Finalursache neben die wirkenden [Ursachen] gestellt sehen, er ordnet sie ihnen unter 20 . Besser vielleicht würde man sagen, die sogenannten Finalursachen seien keine Ursachen, weil bloße Gedankendinge. Nur das Denkende sei dann Ursache und dies allerdings als causa efficiens. Platner widerlegt, daß Unendliches mit Endlichem keine Ähnlichkeit haben könne21. Platner hebt hervor, man räsonniere über die Zustände, indem man sich dabei angenehm unterhalte und sich noch einbilde, mißvergnügt zu sein22. Platner verwahrt den Gedanken allgemeiner Gesetze gegen Mißverständnisse, die sie als Übel erscheinen lassen würden23. Er hebt aber nicht genugsam hervor, wie gerade sie durch die Vollkommenheit der Welt bedingt sind. Platner erscheint der Skeptizismus nicht als ein System, nicht als das Werk des Denkens, sondern des Affekts 24. Am Schluß ein Ausfall gegen die die Vernunft herabwürdigenden Theologen ala Luther2s.

XXIV. Royer-Collard. Fragmente

1. Royer-Collard erscheint im allgemeinen als ein treuer Schüler von Reitl. 2. Wenn aber bei Reitl die vornehmste Absicht in der Bekämpfung von Humes Skeptizismus besteht, so scheint RoyerCollard vornehmlich auf die von Condillac 1 bedacht, dessen Ansehen seit Dezennien in Frankreich ein außerordentliches war, wie denn kein geringerer als Lavoisier 2 erklärte, daß er bei seinen so erfolgreichen Forschungen sich ganz und gar an die von Condillac empfohlene Methode gehalten habe. 3. Wenn Reitl bei seiner Polemik nie die Freundlichkeit gegen die Person des Gegners außer acht läßt, so kann man Royer-Collard nicht das Gleiche nachrühmen. Er spricht von Hochmut und spart diesen Vorwurf nicht bloß nicht Condillac, sondern gar manchmal auch nicht der gesamten früheren Philosophie. 4. Seine Fragmente betreffen nur einen kleinen Teil der von Reitl behandelten Fragen. 5. Dazu gehört die [Frage] nach dem Ursprung unserer Begriffe, von welcher die nach ihrem wahren Inhalte untrennbar ist, und die über die uns unmittelbar einleuchtenden Wahrheiten 3. 6. Hinsichtlich der ersten zeigt er sich mit Reitl als Gegner der Lehre, daß unsere Begriffe alle im letzten Grunde der Sensation und der Reflexion oder [dem] inneren Bewußtsein entstammen 4. Die Lehre Reids von der Suggestion infolge der Konstitution der menschlichen Natur kehrt wiederS und die von Locke und anderen bei der Analyse begangenen Fehler macht er als Argumente für sich geltend, statt zu erwägen, ob sie nicht verbessert werden können. Hierin gleicht er Reitl und gleicht ihm auch darin, daß er ihre wahre Meinung oft nicht versteht 6 • 7. So schreibt er Aristoteles 7 Ansichten zu, die diesem ganz fremd waren, und auch Descartes8, Locke9 und-ich vermute

Royer-Collard. Fragmente

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auch - Condillac 10 werden hinsichtlich ihrer Lehre über die Ideen völlig mißdeutet. Dies Mißverständnis wurde dadurch begünstigt, daß von diesen Autoren in dreifachem Sinne von Ideen 11 gesprochen wird: 1) im Sinn von etwas, was nicht wirklich, sondern gegenständlich (objektive) in dem Denkenden besteht; 2) von der darauf gerichteten vorstellenden Tätigkeit und 3) (was namentlich seitens Descartes 12 geschehen ist) von einem Zustand des Gehirns, welcher durch die Erregung der Sinnesorgane erzeugt wird und selbst die Sensation in unserer Seele bewirkt, wodurch das sensible Objekt uns zur Erscheinung kommt. Es ist so einem Bilde vergleichbar, das, so sehr es seiner Natur nach von dem, dessen Bild es ist, verschieden sein mag, doch auf den Schauenden so wirkt, daß dieses ihm zur Erscheinung kommt. Indem sowohl Reid als Royer-Collard die dreifache Bedeutung konfundiert, kommt er dazu, seinen Gegnern zuzumuten, woran diese nimmermehr gedacht hatten. Und in dieser tollen Ideenlehre, die aber eine reine Fabel ist, soll dann einer der Hauptgründe der skeptischen Verirrung 13 der früheren Philosophie liegen. Hat doch Reid 14 selbst in der Bekämpfung dieser Ideenlehre, die der von Don Quichote gegen die Windmühlen gleicht, geradezu sein Hauptverdienst erblikken wollen. 8. Als unterscheidend von Reid 15 läßt sich in der Lehre von Royer-Collard bezüglich des Ursprungs der Begriffe namhaft machen: 1) daß er die sogenannten primären Qualitäten auf eine kleinere Zahl von Elementen reduziert: Ausdehnung und Undurchdringlichkeit 16; 2) daß er auch diese nicht durch den Gesichtssinn, sondern ausschließlich durch den Tastsinn uns ursprünglich suggerieren läßt 17 ; 3) daß er aus der Lehre, daß nur der Wille wirkendes Prinzip sei, die Konsequenz zieht, daß der von der Sensation suggerierte Gedanke eines sie verursachenden fremden Etwas die Vorstellung des Wollens voraussetze, die aus dem inneren Bewußtsein entnommen, dann auf anderes übertragen werde 18 .

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Texte aus dem Nachlaß

4) Ähnlich scheint auch der Begriff der Substanz zunächst

als Subjekt der Sensation perzipiert und dann auf äußere Qualitäten übertragen zu werden 19. 5) Und auch eine Übertragung des Begriffs der Dauer vom inneren auf das äußere Gebiet scheint nach Royer-Collard in der Annahme äußerer Qualitäten impliziert, denn die Vorstellung der Dauer wird nur aus dem Gedächtnis gewonnen, welches unmittelbar nur Psychisches zur Erscheinung bringt, und die Verursachung ist ohne zeitliche Aufeinanderfolge undenkbar20. 6) Über den Ursprung der Vorstellung der Dauer ergeht sich Royer-Collard in weitläufigen Erörterungen. Nicht die Sukzession unserer Vorstellung, sondern wir selbst sind, was als dauernd erfaßt wird, und dieses selbst soll unsere Aktivität und die Erfassung der Dauer, die Erfassung unserer Identität sein. Von großer Unklarheit kann man die Darstellung nicht freisprechen. Schon das aber ist falsch, daß nichts als Psychisches und als zeitlich vergangen erscheint. Wer eine Melodie oder eine Rede hört oder etwas sich bewegen oder ruhen, sich erhellen oder verdunkeln sieht, dem erscheinen Töne und Farben als vergangen. Aber Royer-Collard folgt Reid 21 in der Irrlehre, daß es keinen phänomenalen Ton und keine phänomenale Farbe gebe, wenn man nicht Ton und Ton-hören, Farbe und Farbe-sehen in gleichem Sinne gebrauchen wolle. [9.] Was die Lehre von den unmittelbar evidenten Wahrheiten anlangt, so zeigt Royer-Collard, daß er so wenig als Reid imstande ist, den Unterschied zwischen Evidenz und subjektivem Drang, namentlich wenn er unwiderstehlich ist, sich klar zu machen 22 . So spricht nach ihm für die Wahrheit eines Axioms und die des inneren Bewußtseins nichts anderes als ein natürlicher Drang, ähnlich dem zur Annahme einer Außenwelt. Wer den einen nicht als vollwiegendes Zeugnis gelten läßt, der ist nur inkonsequent, wenn er den anderen für berechtigt erklärt. In all dem folgt Royer-Collard Reid 23 und scheint sich auch wie dieser nicht zu scheuen bei dem Gedächtnis, je nachdem es frisch ist, einem größeren und geringeren Grad unmittelbarer Evidenz anzunehmen, wodurch Meinongs24 Ver-

Royer-Collard. Fragmente

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mutungsevidenz antizipiert erscheint. Auch noch andere Unterschiede der Evidenz scheint er mit Reid zu statuieren, so insbesondere wenn einiges uns unmittelbar als tatsächlich, anderes als notwendig einleuchtet. Zu dem letzteren gehören bei ihm wie bei Reid25 außer der Wahrheit der Axiome auch die Existenz eines unendlichen dreidimensionalen Raums und einer unendlichen anfangs-und e.ndlosen Zeit. 10. Bezüglich des Raums und der Zeit 26 untersucht er die Frage, ob sie etwas Absolutes oder Relatives seien. Jouffroy27 meint, daß er hier das im Auge habe, was einst einen Gegenstand der Kontroverse zwischen Leibniz und Clarke bildete. Allein das ist nicht der Fall. Royer-Collard fragt vielmehr, ob Condillac 28 recht habe, wenn er meint, daß [etwas] für den einen [Betrachter] einen, für den anderen. einen anderen zeitlichen und räumlichen Abstand haben könnne. Das aber würde Leibniz ganz ebenso wie Clarke verneint haben. Mit mehr Recht könnte man sagen, daß die von Royer-Collard behandelte Frage an die erinnere, welche durch die von Einstein 29 ersonnene Relativitätslehre angeregt worden ist. Doch waren die Argumente, auf welche sich Condillac gestützt hatte, ganz andere als die von Einstein erbrachten. 11. Den Gedanken von Newton und Clarke, Zeit und Raum als Attribute der göttlichen Substanz 30 zu fassen, lehnt Royer-Collard noch entschiedener als Reid ab mit der eben nicht triftigen Begründung, daß dann, ähnlich wie von der Sensation die Perzeption unserer Substanz, auch von dem Begriff von Raum und Zeit die Perzeption der göttlichen Substanz uns suggeriert werden müßte. Man könnte diesen Analogieschluß vielleicht überhaupt als nicht bündig abweisen oder geltend machen, daß auch unsere Substanz nur ganz im allgemeinen perzipiert werde. Geschehe solches bei Raum und Zeit bezüglich der göttlichen, so würde diese uns eben nur ganz allgemein als Substanz vorstellig werden. Royer-Collard bemerkt gar nicht, was für ein Widerspruch darin liegt, Raum und Zeit für notwendig existierend zu erklären, ohne sie in dieser ihrer Notwendigkeit von Gott abhängen zu lassen. RoyerCollard entfernt sich auch darin nicht von Reid, daß er die Zeit

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Texte aus dem Nachlaß

als etwas Verfließendes betrachtet. Völlig unklar bleibt dabei, wie der Gedanke, daß die Gegenwart uns [als] solche immer gleich erscheint, mit diesem Verfließen vereinigt werden soll, zumal die Perzeption der Zeit, also auch ihrer Gegenwart, völlig wahr sein soll 31. Daß Zeit und Raum für uns etwas Geheimnisvolles haben, bekennt Royer-Collard mit Nachdruck. Beim Raum geht er so weit, daß er an die Möglichkeit glaubt, daß er vielleicht noch mehr als drei Dimensionen habe und nur infolge unvollkommenerer Perzeption dem Tastsinn als dreidimensional ausgedehnt erscheint, ähnlich wie mit der Gesichtsvorstellung in noch unvollkommenerer Perzeption das Ausgedehnte nur als dreidimensional ausgedehnt verbunden wäre. Fast möchte man sich wundern, warum Royer-Collard es nicht auch ausdrücklich für denkbar erklärt, daß auch der Zeit noch eine zweite, ja vielleicht noch viele weitere Dimensionen zukommen 32. 12. Reid und Royer-Collard haben gewiß an der Lehre ihrer Vorgänger manche richtige Ausstellung gemacht, aber alles in allem erscheint ihre Lehre von dem Ursprung der Vorstellungen und von den Prinzipien der Erkenntnis an noch größeren Fehlern zu leiden. Von der alten Aristotelischen Lehre 33 über den Ursprung der Begriffe aus der äußeren und inneren Wahrnehmung sind sie ganz abgekommen, ähnlich wie Kant3 4 in seiner Lehre von apriorischen Anschauungen und Begriffen. Ja, der Unterschied von äußerer und innerer Wahrnehmung besteht nach ihnen gar nicht mehr, und es erscheint als ganz inkonsequent, wenn sie die Sensation, die nichts anderes als sich selbst zum Objekt hat, nicht geradezu eine conscience nennen, die auf nichts anderes als sich selber gehe3 5 . Dadurch freilich erscheint sie als eine besondere Klasse derselben: dennjede andere hat ein primäres und sekundäres Objekt36 , z.B. die [Wahrnehmung], vermöge deren ich mir bewußt bin, mich zu erinnern und das Bewußtsein von diesem Bewußtsein zu haben und auch die [Wahrnehmung], vermöge deren ich mir bewußt bin, den Raum oder ein Axiom als notwendig zu erkennen. Diese falsche Auffassung der Sensation stellt Reid und Royer-Collard

Royer-Collard. Fragmente

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Kant gegenüber in Nachteil, während sie ihm insofern überlegen sind, als sie nicht in die Absurdität verfallen, unser Erkennen durchwegs auf phänomenale Wahrheit zu beschränken. Mit der Annahme [von] suggerierten Vorstellungselementen ist aller Willkür Tür und Tor geöffnet. Bezüglich der Evidenz zeigt sich auch Kant 37 insofern im Vorteil, als er zwischen der Evidenz analytischer Urteile und dem bloßen Drang zu gewissen synthetischen unterscheidet, doch fehlt er dann um so mehr, wenn er auch diese zum sicheren Fundament machen will und [den] groben Verstoß dann durch einen Zirkelschluß gutmachen zu können glaubt. Alles in allem sind Reid und Royer-Collard weniger zu tadeln als Kant und haben auch nicht so verderblich als dieser nachgewirkt.

XXV. Kant. Über die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft

1. Was Kant sich unter Religion 1 denkt, stimmt schlecht zu den religiösen Erscheinungen, wie die Geschichte sie uns bietet. Daß diese auch für die höchsten theoretischen Interessen der Menschheit Zeugnis geben, wird ganz und gar verkannt, und der enge Kontakt, in welchen die Religion wieder und wieder mit der Kunst getreten, die ja durch sie die höchsten Anregungen empfangen hat, wäre nach der Auffassung von Kant unbegreiflich. Einmal erklärt er geradezu, was Gott an und für sich sei, interessiere uns wenig; uns komme es darauf an, was er in Rücksicht auf unsere Sittlichkeit bedeute*. Kants Definition der Religion ist: Religion ist (subjektiv betrachtet) das Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote 3 . Daß die Anhänger des Christentums diese Definition nicht als genügend gelten lassen können, ist offenbar, und auf den Buddhismus paßt sie augenscheinlich noch weniger. Ebenso entspricht sie in gar keiner Weise dem, was Comte 4 unter Religion denkt. Auf das Judentum scheint sie zumindesten so gut wie auf das Christentum zu passen, und doch will gerade dieses Kant nicht des Namens Religion würdigen 5 • Es erklärt sich dies daraus, daß er unter Pflicht das versteht, was sich auf Grund des kategorischen Imperativs als solche erkennen lassen soll. 2. Kant unterscheidet statutarische Religionen von der Vernunftreligion. Und von vornherein steht es ihm fest, daß keine statutarische Religion eine Erkenntnis über die der natürlichen Erkenntniskraft des Menschen ohne Hilfe einer Offenbarung entspringenden geben kann. Die positive Religion erscheint als eine unter Herablassung zur niederen Fähigkeit des Volkes zeitweilig empfehlenswerte Fiktion 6 . 3. Die Rechtfertigung 7 durch den Glauben an die Verdienste Christi ist für ihn reiner Aberglauben und ebenso die ganze

* III. Stück, Anmerkungen2.

Kant. Über die Religion

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Lehre von stellvertretender Genugtuung. Dasselbe gilt natürlich um so mehr von der Erbsünde. Und um damit doch einen Schein von Übereinstimmung mit der christlichen Lehre bestehen zu lassen, wird, was von ihr erzählt wird, durch allegorische Deutung seinem wahren Sinn entfremdet. 4. Energisch wird betont, daß das Christentum viele Dezennien hindurch nur ungebildetes Volk zu Anhängern gehabt habe. Daraus folgt, daß die Tradition eine unsichere ist und daß von Jesus angenommen werden kann, er habe nichts als die reine Vernunftreligion gepredigt. Wäre doch alles darüber hinaus nur von Übel gewesen 8 . Nun folgt freilich daraus, daß es nur die Schuld der Menschen war, wenn sie, was nach der Sage Gott durch ihn offenbart hat, nicht schon von selbst erkannt hatten. Aber es ist eine fromme Meinung, wenn man annimmt, Gottes Barmherzigkeit habe so den Fehler gut gemacht. 5. Wie man nach dem allen sagen kann, Kant sei der Philosoph des Protestantismus, erscheint nur begreiflich, wenn man bedenkt, was aus diesem seit Luther geworden ist. Harnack 9 erklärt ihnja für eine Religion ohne Boden, d. h. ohne allen positiven Charakter. Und wenn Sabtier 10 etwas mystischer ist als Harnack, so soll doch auch nach ihm die christliche religion de l'esprit allen Religionen, die auf Autorität sich stützen, entgegengesetzt sein. Diese Herren sind offenbar in ihrer Behandlung der Geschichte so willkürlich als Kant selbst. 6. Läßt man aber die Frage nach dem Verhältnis der christlichen Religion, wie Kant sie darstellt, zu dem wahren Christentum der Geschichte ganz beiseite und fragt man einzig nach dem Wert der Kantischen Religionslehre, so finden wir sie auch an vielfachen schweren philosophischen Gebrechen krankend. Der kategorische Imperativ, der allem zugrunde liegt, ist eine leere äquivoke und geradezu lächerliche Fiktion 11 • Der Indeterminismus, welcher unerläßliche Bedingung für die moralische Verantwortlichkeit sein soll, [ist] eine Absurdität und mit dem Theismus nicht ohne Widerspruch vereinbar 12 . 7. Die Konstruktion einer Kirche auf dem Boden bloßer Vernunft ist der auf dem Boden der positiven Offenbarung

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Texte aus dem Nachlaß

erwachsenden unmöglich homogen. Der Klerus entbehrt aller wahren Autorität, die jeder genugsam Gebildete vielmehr in seiner eigenen Einsicht zu suchen hat. Und eine aus dieser hervorgehende Lehre steht in nichts der finguierten, auf Offenbarung gegründeten nach. Dann kann aber jeder Einsichtige zum Zentrum einer Schule werden, die wesentlich dasselbe wie die offenbarte Kirche bietet, und mit der Einheit der Kirche ist es zu Ende, indem höchstens eine Gleichheit der einen mit der anderen bestehen kann 13. 8. Die vier Charakteristica der Kirche werden in der gewohnten Kantischen Manier nach der Schablone von Quantität, Qualität, Relation, Modalität festgestellt 14 . 9. Sehr bezeichnend ist, daß Kant, nachdem er seine Definition der Kirche gegeben, rühmend von ihr hervorhebt, daß sie die intolerante Forderung einer theoretischen Überzeugung vom Dasein Gottes ausschließe*. Danach scheint Kant unter der Überzeugung vom Dasein Gottes, welche er fordert, denn doch etwas zu verstehen, was gar nicht wahrhaft den Namen Überzeugung verdient. Es muß wohl ein bloßes praktisches Verhalten sein, welches das Leben ganz so führen läßt, als wenn man von dem Dasein Gottes überzeugt wäre. 10. Daß die ganze Deduktion einer Pflicht an das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit zu glauben auf Grund des kategorischen Imperativs 16 eine halsbrecherische ist, ist unschwer nachzuweisen. 11. Auch das scheint die Konsequenz zu verlangen, daß, wenn eine statutarische Religion mit einer einigermaßen entsprechenden historischen Beglaubigung vorhanden ist, es ungleich vernünftiger ist, sich an ihre Autorität als an die sogenannten Postulate der praktischen Vernunft zu halten, denn die historischen Zeugnisse bewegen sich auf phänomenalem Gebiet, auf welchem die Anwendung der synthetischen Prinzipien berechtigt ist, so daß man eine Art theoretische Überzeu-

* Vgl. 4. Stück, 1. [Teil], Anmerkung Nr. 1, wo geradezu von einer nur problematischen Erkenntnis Gottes gesprochen wird, die allein zu fordern seits.

Kant. Über die Religion

235

gung von der offenbarten Lehre gewinnen kann, während die auf das Postulat der praktischen Vernunft hin frei angenommenen sogenannten Überzeugungen eigentlich ganz in der Luft schweben. 12. Sehr richtig macht Kant geltend, daß von besonderen Pflichten gegen Gott nicht gesprochen werden könne und warnt vor dem Verfahren derjenigen, welche, indem sie die Pflichten gegen den Nächsten vernachlässigen, durch besondere Ehrenbezeichnungen und Ehrengeschenke für Gott dafür Ersatz zu leisten wähnen 17 • Hier, wie so vielfach, ein Anklang anHume 18.

XXVI. Kant. Ontologischer, kosmologischer und teleologischer Beweis

1. Kant 1 nennt es unnatürlich, wenn einer aus der Idee eines Dinges seine Existenz erkennen will; allein von vornherein ist es nicht ausgeschlossen, daß das möglich sei, und so trifft ein gerechter Vorwurf nur die Weise, wie die Frage in Untersuchung gezogen worden ist. Kein Zweifel sogar, daß, wer eine entsprechende Vorstellung Gottes hätte, aus ihr sein notwendiges Sein a priori erkennen würde. 2. Kant spricht von einem Bedürfnis der Vernunft, ein erstes Notwendiges anzunehmen; zugleich aber bezweifelt er, ob die Annahme richtig sei. Ist dies zweifelhaft, so ist sie auch nicht wahrhaft Vernunftbedürfnis; unser Denken erscheint vernünftig, wenn es sich eines solchen Urteils enthält, und wir verwikkeln uns in keinen Widerspruch, wenn wir die entgegengesetzte Annahme machen. Nun ist aber die Annahme wirklich Vernunftbedürfnis, sobald der Beweis erbracht wird, daß nichts absolut Zufälliges bestehen kann. Dies aber ergibt sich leicht auf mehrfachen Wegen, von denen aber Kant keinen betreten hat, und so zeigt sich von vornherein, daß er dem Kontingenzbeweis nicht gerecht wird 2 • 3. Kant sagt, der kosmologische Beweis behalte den Gedanken der Verknüpfung der Notwendigkeit mit der höchsten Realität bei. Affirmativ sie zu verknüpfen, nimmt er sich von vornherein nicht heraus; die Untrennbarkeit beider ist aber selbstverständlich. Richtig ist, daß er auf die unendliche Vollkommenheit eines zuerst als notwendig erkannten Wesens schließt; allein erst dann, nachdem er ein solches Wesen als Ursache von Kontingentem, als bewußte Ursache desselben und als eine, deren Bewußtsein unendlich vieles umfaßt und in Hinblick darauf seine Wahl trifft, dargetan hat3. 4. Kant sagt, Leibniz habe den kosmologischen Beweis den Beweis a contingentia mundi genannt. Hätte er diesen Nachweis

Kant. Ontologischer ... Beweis

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besser in Erwägung gezogen, so würde ihn dies vor einer verfehlten Darstellung bewahrt haben 4 . 5. Es ist nicht war, daß er von allen Eigenschaften der gegenständlichen Erfahrung abstrahiert. Im Gegenteil verweilt er dabei zu zeigen, daß kein Erfahrungsgegenstand durch sich selbst notwendig ist und wieder dabei, daß unzähliges andere ebensogut wie er ohne Widerspruch denkbar wäre 5 . 6. Der Abschluß des Beweises, wie Kant ihn gibt, ist ebensowenig historisch treu (vgl. oben). Nach Kant endet er mit einem wahren salto mortale, nach Leibniz gelangt er, Schritt für Schritt, zur Annahme eines bewußten Wesens von unendlichem Umfang der Erkenntnis und so zu einer unendlichen Vollkommenheit, für welche dann noch weitere Erfahrungstatsachen erbracht werden können 6 . 7. Die Behauptung, der Kontingenzbeweis falle mit dem ontologischen zusammen, ist Folge seiner Entstellung 7 . 8. Es ist falsch, daß der kosmologische Beweis sich nur zum Nachweis eines notwendigen Wesens der Erfahrung bedient, vielmehr erweist er ein notwendiges Wesen, welches Ursache von kontingenten Wesen ist und zwar bewußte, unendlich intelligente, schöpferische Ursache usw. 8 . 9. Kant läßt den Kontingenzbeweis sagen, unser Begriff des ens realissimum sei ein solcher, aus welchem seine Notwendigkeit von vornherein einleuchte. Das ist falsch 9 . 10. Kant sagt mit Unrecht, der kosmologische Beweis verlange, daß wir unter unseren Begriffen einen suchen, aus welchem sich a priori die Existenz erkennen lasse. Unter denen, die sich des Kontingenzbeweises bedienen, haben viele und gerade die bedeutendsten geleugnet, daß sich aus irgend einem unserer Begriffe die Existenz von vornherein erkennen lasse. Vgl. z.B. Thomas von Aquin 10. 11. Wäre die Möglichkeit eines allerrealsten notwendigen Wesens dargetan, so wäre allerdings zugleich seine Wirklichkeit gesichert. Allein der Kontingenzbeweis verlangt nicht, daß man a priori auch nur die Möglichkeit zugestehe. Das will vielmehr nur der ontologische von vornherein dartun. - Die Konversion des sogenannten allgemein bejahenden Urteils in

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Texte aus dem Nachlaß

ein partikulär bejahendes ist nicht richtig, obwohl die alte Logik diese gelehrt hat. Kant selbst hat, wo er den ontologischen Beweis kritisiert, einmal daran gerührt, daß der sogenannte allgemein bejahende Satz das Prädikat nur bedingt mit dem Subjekt verbindet. Da das partikulär bejahende Urteil dies nicht tut, so wäre für Kant daraufhin die betreffende Konversionsregel als falsch erkennbar gewesen 11 . 12. Kant sagt, man schließe, gestützt auf den Grundsatz, daß jedes Zufällige ein Notwendiges als Ursache verlange. Mir scheint »zufällig« hier gleich »nicht unmittelbar notwendig«. Was nicht unmittelbar notwendig ist, muß mittelbar notwendig sein; was aber mittelbar notwendig ist, muß in unmittelbar Notwendigem seine erste Ursache haben. Der Gedanke läuft darauf hinaus, daß alles, was ist, unmittelbar oder mittelbar notwendig ist. Dies wird aber nicht als Grundsatz ausgesprochen, sondern es wird gezeigt, daß, wer es leugnet, einen Verstoß gegen das Gesetz des Widerspruchs begeht. Wer in sensu diviso Entgegengesetztes unter denselben Umständen für möglich hält, der muß es auch in sensu composito für möglich halten. Wenn Kant beifügt, daß der Grundsatz außerhalb der Sinneswelt gar keinen Sinn habe, so hängt dies mit seiner irrigen Lehre von der Kausalität zusammen, welche nur für Phänomene Geltung haben soll 12. 13. Kant scheint nicht zu erkennen, daß, wenn einmal erwiesen ist, daß alles mittelbar oder unmittelbar notwendig ist, die gesamte Kette von bloß mittelbar Notwendigem, wenn sie sogar anfanglos gedacht wird, nicht als Voraussetzung für die einzelnen Glieder unmittelbar notwendig genannt werden kann 13 . 14. Kant meint, der Begriff der Notwendigkeit schließe den einer Bedingung ein, allein das unmittelbar Notwendige ist ein unbedingt Notwendiges. Wer es vorstellt, mag auf Grund des Vorstellens zu dem evidenten Urteil, daß es sei, gelangen und so sein Urteil durch sein Vorstellen bedingt sein; aber sein Urteil, daß etwas unmittelbar notwendig sei, ist nicht selbst etwas unmittelbar Notwendiges, vielmehr von Voraussetzungen abhängig 14. 15. Kant hat Recht, wenn er bestreitet, daß der Begriff eines

Kant. Ontologischer ... Beweis

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Allrealen von Leibniz als möglich erwiesen sei. Ich möchte weiter gehen und behaupten, daß er sich als unmöglich dartun lasse. Allein ich leugne sowohl, daß er mit dem eigentlichen Gottesbegriffe sich decke, als auch dazu nötig sei, um den Kontingenz beweis zum Abschluß zu bringen 15. 16. Wenn es sich träfe, daß von vornherein einleuchtete, es könne nur ein Wesen unmittelbar notwendig sein, so wäre, nachdem die Existenz eines notwendigen Wesens erwiesen, der Schluß daraus, daß es gerade dieses Wesen sei, voll berechtigt. Das ist nun aber gar nicht der Fall. Ebensowenig ist aber von vornherein ausgemacht, daß wir, wenn es ein notwendiges Wesen geben sollte, im Besitz seines Begriffes sein müssen. Das Gegenteil wird vielmehr von alters her von den größten Theisten gelehrt 16 . 17. Auch ich protestiere dagegen, daß man unbegründete Annahmen mache, aber der Kontingenzbeweis, richtig geführt, macht sich dieses Fehlers nirgends schuldig 17 . 18. Ich kann a posteriori erkennen, daß es etwas gibt, was einer, der seinen Begriff hat, aus diesem Begriff a priori erkennen könnte. Damit ist aber dann nicht gesagt, daß ich selbst diesen Begriffhabe und diese Erkenntnis a priori aus ihm gewinne 18 . 19. Es ist falsch, daß der kosmologische Beweis keine empirische Basis hat und wieder, daß er aufkein anderes empirisches Faktum als das, daß etwas sei, sich stütze. Wie könnte er sonst Kontingenzbeweis oder auch kosmologischer genannt werden 19 ? 20. Es ist richtig, daß nichts, was ich denken kann, aus meinem Begriff von ihm als unmittelbar notwendig einleuchtet, ja ich kann zeigen, daß es nicht unmittelbar notwendig ist. Aber ich kann erkennen, daß es, wenn es ist, das Dasein von etwas anderem als unmittelbar notwendig verlangt und durch weitere Schlüsse feststellen, daß dasselbe unendlich vollkommen und die Ursache von allem außer ihm sein müsse20. 21. Kant behauptet, daß Notwendigkeit und Zufälligkeit die Dinge selbst nicht treffen können, weil keine bloße Leugnung einen Widerspruch enthalte. Dies enthält die Behauptung, daß nur eine Unmöglichkeit unmittelbar konstatiert

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Texte aus dem Nachlaß

werden könne, nicht aber eine Notwendigkeit ebenso unmittelbar, was zwar im Bereich unserer Erfahrung gilt, keineswegs aber darum über den Bereich unserer Erfahrung hinaus von vornherein gesichert ist. Sonst wäre das Dasein Gottes nicht bloß nicht erwiesen, sondern von vornherein ausgeschlossen, was Kant selbst nicht für wahr hält. Notwendig heißt nicht so viel als etwas, dessen Leugnung einen Widerspruch einschließt21. 22. Zwischen bedingt notwendig und absolut notwendig und zwischen relativ notwendig und absolut notwendig besteht nicht derselbe Gegensatz. Das bedingt notwendig steht dem unbedingt notwendig gegenüber, wie eine negative Erkenntnis einer affirmativen. Das relativ Notwendige, aber nicht absolut Notwendige, wäre dagegen etwas, was, indem es ist, in der Existenz eines anderen seine Ursache hat, während dieses ebensogut sein als nicht sein könnte 22 . 23. Was Kant hier über die Philosophen des Altertums sagt, ist falsch. Als unmittelbar notwendig galt Aristoteles einzig die Gottheit, alles übrige aber nur als kontingent und in dem Sinn eines nicht unmittelbar Notwendigen 23 . 24. Ausdehnung und Undurchdringlichkeit machen bei den Alten den Begriff der Materie nicht aus 24 . 25. Die regulativen Prinzipien, die Kant neben seine konstitutiven stellt, sind als methodischer Unfug zu verwerfen. Berechtigt ist nur die Bildung von Hypothesen, die man dann auf ihre Wahrheit prüft. Damit sie wissenschaftliche Hypothesen seien, muß die Prüfung nicht von vornherein als aussichtslos erkannt werden. Berechtigt ist ferner, wenn einer sagt, es verliefen die Ereignisse, als ob etwas von der und der Art bestehe, mit anderen Worten eine Charakteristik derselben durch Analogie. Diese ist aber dann selbst eine konstitutive Wahrheit. Die Charakteristik muß in Wahrheit zutreffen, wenn sie auch durch ihre Bildlichkeit etwas von Bestimmtheit vermissen läßt. Kants regulatives Prinzip ist etwas wesentlich anderes 25 . 26. Was heißt Erfahrung? Etwas mit Sicherheit aus Wahrnehmungen Erschlossenes? Dann ist es keineswegs nötig, daß dieses der Erfahrung kongruent sei, sondern nur daß die Erfahrung

Kant. Ontologischer ... Beweis

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eine der Prämissen sei, welche zu ihm als Konklusion führe 26 . 27. Was Kant hier sagt, ist unerwiesen und hängt mit seiner irrigen Erkenntnistheorie zusammen 27 . 28. Ich antworte, was uns zunächst behindert, ist, daß zwischen Beweis und Mangel eines Beweises für das Gegenteil zu unterscheiden ist. Manche glauben aber auch, daß das Übel in der Welt dagegen spricht, aber dieses zunächst braucht kein zuletzt sein 28. 29. Diese unwiderstehliche Überzeugung besitzt Kant offenbar nicht, und auf was anderes geht er aus, als das Ansehen des Beweises, das er für unerschütterlich hält, zu untergraben 29 ? 30. Was ist unter der fremden Unterstützung gemeint? Wohl die des Willens. Aber worauf geht der Wille, auf Überzeugung oder auf praktisches Verhalten, welchem etwas, wovon man nicht überzeugt ist, zum Regulativ dienen sollte30? 31. Worüber sollen wir hier beruhigt werden? Man sollte meinen über die Besorgnis, welche an den Zweifel an einer göttlichen Providenz sich knüpft. Wie aber soll diese behoben werden, wenn nicht wenigstens eine ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit zu gewinnen ist? Erkennt Kant eine solche an 31 ? 32. Keineswegs behauptet der teleologische Beweis, daß den Dingen die Ordnung nur als etwas Fremdes anhange, vielmehr das Gegenteil. Doch auch dann verlangen sie einen Ordner32. 33. Die Aufzählung der Momente ist ungenügend. Auf negative Bestimmungen über die Weise des Erkennens und Wirkens wird nicht eingegangen. Ebenso fehlt das, was zur Annahme unbeschränkter Macht und Intelligenz die [Annahme] unbeschränkter Güte zu fügen gebietet33_ 34. Nicht um einen Analogieschluß handelt es sich, sondern um einen unendlichen Wahrscheinlichkeitsschluß auf Grund des Vergleichs der vorgängigen Wahrscheinlichkeit denkbarer Wesen 34 . 35. Kant scheint unter dem transzendentalen Argument das ontologische zu verstehen, auf welches man hier aber keineswegs rekurrieren muß35. 36. Kant verlangt mit Recht den Nachweis der vollen Voll-

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Texte aus dem Nachlaß

kommenheit, Allmacht usw., er irrt aber, indem er meint, dieser sei nicht zu erbringen. Was er für einen Versuch hält, der jedem als überkühn erscheinen müsse, ist von alters her und nicht ohne Erfolg von den größten Denkern angestellt worden 36. 37. Gewiß tut der teleologische Beweis gut, sich nicht von dem Kontingenzbeweis zu trennen; dieser selbst aber ist mit dem kosmologischen Beweis, wie Kant ihn faßt, nicht identisch, da er mehr als die Tatsache, daß etwas ist, zum Ausgang nimmt 37 . 38. Auffallende Besonderheit in der Begriffsbestimmung von Deist und Theist38. 39. Um Kants Kritik des Gottesbeweises zu würdigen, muß man nicht bloß Hume 39 , dem er vieles entnimmt, sondern auch Clarke 40 vergleichen; ohne diesen wäre Kant wohl nicht auf den Einfall gekommen zu behaupten, daß der teleologische Beweis auf den kosmologischen und der kosmologische auf den ontologischen überspringe. Clarke macht nicht bloß von dem Satz, daß es nichts absolut Zufälliges geben könne - den er für einen Teil des Kontradiktionsgesetzes 41 hält - Gebrauch, sondern er erklärt auch ausdrücklich, daß die Vollkommenheit Gottes sich nur a priori erweisen 42 lasse. So falsch dies ist, so läßt sich doch a priori erkennen, daß Gott, das heißt ein unendlich vollkommenes Wesen, wenn er sei, unmittelbar notwendig ist und wenn möglich, wirklich sei; ferner daß seine Existenz vorgängig die Wahrscheinlichkeit 1/2 habe, was für den folgenden empirischen Beweis von außerordentlicher Wichtigkeit ist. In unserem Begriff des unendlich vollkommenen Wesens muß die Bestimmung des unmittelbar Notwendigen aufgenommen werden, will man keinem Widerspruch verfallen. In den Begriff eines unendlich Schlechten ebenfalls, doch ohne ihn von den ihm bereits anhaftenden Widersprüchen befreien zu können. Von dem Begriff eines Dinges, das schlechterdings weder in sich gut, noch in sich schlecht sein kann, kann man von vornherein nicht sagen, daß er unmittelbare Notwendigkeit einschließe, noch daß er sie ausschließe. Das gibt dem Begriff des unendlich Vollkommenen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit eine einzigartige günstige Stellung a priori.

XXVII. Kant. Über die Zeit

1. Kant spricht über die Zeit in ganz unverständlichen Ausdrücken. Er nennt sie die Form des inneren Sinnes 1 . Das will doch wohl sagen eine Form, welche alle Phänomene des inneren Sinnes an sich tragen; weil die Zeit eine Form von ihnen ist, so erscheinen sie alle zeitlich. Dies würde die Zeit der Farbe oder der Figur ähnlich erscheinen lassen. Alles farbige ist farbig durch die Farbe, die Aristoteles die Form des farbigen nannte. Alles Gestaltete ist gestaltet durch die Gestalt, die ebenso von Aristoteles 2 als Form des Gestalteten bezeichnet wird. Wenn aber dies, so folgt, daß es ähnlich wie die Farben mit der Zahl der farbigen und die Gestalten mit der Zahl der Gestalteten auch die Zeit mit der Zahl der Zeitlichen sich vervielfältigen, während die Zeit nach Kant in individueller Einheit bestehen soll3. Dies lehre uns die Zeit doch als Form aller Erscheinungen des inneren Sinnes bezeichnen, heißt sie mehr den hypostasierten Ideen Platons als den Formen des Aristoteles ähnlich denken. Nur dadurch würde sie sich auch von jenen unterscheiden, daß sie keine eigentliche, sondern nur eine phänomenale Existenz hätte. Aber eben dadurch kommt dann nochmals ihre Einheit in eine unhaltbare Stellung. Hat doch jeder von uns seine ihm eigenen Phänomene. Wenn nun die Zeit keine andere als phänomenale Existenz 4 hat, so kommt ihr keine Existenz zu als eine solche, die sich mit der Zahl derer, welche Phänomene haben, vervielfältigt. Kant nennt sie eine Anschauung, und offenbar bedeutet das bei ihm so viel als ein Angeschautes. Aber dieses Angeschaute ist von jedem von uns angeschaut. Behauptet doch Kant, daß keiner von uns, wenn er auch alles Zeitliche wegdenke, die Zeit selbst wegzudenken vermöge. Also jeder schaut sie und muß sie schauen. Und so besteht sie denn als geschaut, wie ich schon sagte, nicht als Einheit, sondern als Vielheit 5 . Will also einer der Zeit Kants trotzdem eine einheitliche Existenz wahren, so kann es keine phäno-

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menale, sondern muß eine Existenz an sich sein. Aber an sich hat sie ja nach Kant keine Existenz und ist somit als an sich bestehend oder auch nur als an sich möglich nicht eine, sondern keine, als phänomenal bestehend aber nicht eine, sondern viele, entsprechend der Zahl derer, welche die Zeitanschauung haben. 2. Kant sagt, die Zeit sei eine Form des inneren Sinnes und nicht ebenso des äußeren. Sieht man näher zu, warum, so erkennt man, daß er es darum tut, weil er die Erscheinungen des Gedächtnisses samt und sonders zu den Erscheinungen des inneren Sinnes gerechnet hat. Allein wenn wir eine Melodie hören, so erscheinen die Töne in einem zeitlichen Nacheinander. Töne aber sind sinnliche Qualitäten, die, wenn irgend etwas, zu den Erscheinungen des äußeren Sinnes zu rechnen sind; und auch die Bewegung hat deutlich den Charakter des Räumlichen, der Raum aber wird von Kant ausschließlich Form des äußeren Sinnes genannt6. Daß aber die Bewegung ein zeitliches Vor und Nach einschließt, wer könnte es leugnen? Es scheint, daß Kant hier dadurch getäuscht worden ist, daß, wer etwas als vergangen oder zukünftig an einem Ort gegeben denkt, nicht annimmt, daß man es dort finden könne. So besteht es denn nicht außerhalb, also meinte er innerhalb des Geistes. Allein auch dort glaubt er nicht, daß es bestehe, wie ein gegenwärtiges Denken dort besteht, ja nicht einmal, daß es so dort bestanden habe, sonst würde ja der Raum auch als Form des inneren Sinnes anerkannt werden müssen. Vom Räumlichen denkt man, daß es nur als Erscheinung des äußeren Sinnes ist und war und sein wird. 3. Wenn Kant sagt, die Zeit sei notwendig, denkt er sie da allen ihren Teilen nach notwendig? Oder nur einem Momente nach? Wenn jenes, wie kann dann von einem Vergehen der Zeit geredet werden? Leugnet also Kant dieses Vergehen der Zeit und setzt sich so mit dem, was alle sagen, in Widerspruch oder behauptet er es? Wie soll dies denkbar sein ohne einen Wechsel der Anschauung der Zeit, die doch notwendig als ein und dieselbe und Form für alle Erscheinungen des inneren Sinnes ist 7? 4. Was die Einheit betrifft 8 , so spricht wohl auch die Laienwelt von der Zeit wie von einer Einheit und auch Philosophen

Kant. Über die Zeit

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wie Aristoteles9 und Leibniz 10 haben die Einheit der Zeit gelehrt, aber nichts wäre unberechtigter, als wenn sich Kant auf diese Übereinstimmung mit seiner Lehre berufen wollte, die nur eine ganz äquivoke ist. Hat doch Aristoteles, wenn er von der Einheit der Zeit sprach, an die Einheit der obersten Himmelsphären und ihrer Bewegung und Leibniz an die Einheit der Weltordnung nach allem, was in ihr wirklich und möglich ist, in Bezug auf das Früher und Später gedacht. So mag denn auch der Laie nur in viel unklarerer Weise, wenn er von Einheit der Zeit spricht, an etwas ganz anderes als an Kants apriorische einheitliche Anschauung und Form des inneren Sinnes denken. 5. Daß von der Zeit mit etwas mehr Recht als vom Raum zu sagen ist, sie sei nicht wegzudenken, ist zuzugeben, aber warum? Einmal, ist die innere Wahrnehmung allein evident, dann sind Temporalmodi, nicht aber Lokalmodi bei allem Vorstellen vorhanden. Dennoch kann man nicht sagen, es sei a priori einleuchtend, daß etwas Zeitliches sei, wie ja überhaupt nicht, daß etwas sei, sondern nur etwa, daß, wenn etwas sei, es zeitlich sei 11.

XXVIII. Auguste Comte und die positive Philosophie

1. Zweck des Cours

1. Was ist positive Philosophie? Comte erklärt uns in der Vorrede 1, er gebrauche das Wort »Philosophie« in dem Sinn, welchen es bei den Alten und besonders bei Aristoteles gehabt, des allgemeinen Systems der menschlichen Gedanken, und durch Beifügung des Wortes »positiv« deute er an, daß er jene besondere Weise von Philosophie meine, die darin bestehe, als das Objekt der Theorien, auf welchem Gebiete der Ideen es auch sei, die Koordination der beobachteten Tatsachen anzusehen. Im Gegensatz zu den positiven Wissenschaften verstehe er unter positiver Philosophie bloß das eigentümliche Studium des Allgemeinsten 2 der verschiedenen Wissenschaften, aufgefaßt als einer einzigen Methode unterworfen und die verschiedenen Teile eines allgemeinen Plans 3 von Forschungen bildend4. 2. Aber Comte erkennt, daß diese kurze Bestimmung wenig genügend [ist), um einen klaren Begriff von der Natur und Bedeutung dessen, was er positive Philosophie nennt, zu geben. Er hat darum daraus den besonderen Gegenstand der ersten Vorlesung gemacht, worin er den Zweck des ganzen Werkes ausführlich darlegt. 3. Um 5 die wahre Natur und den eigentümlichen Charakter der positiven Philosophie entsprechend zu erklären, ist es notwendig, zuvor einen Gesamtblick auf den ganzen Gang der Entwicklung des menschlichen Geistes zu werfen. Hier glaube ich ein großes Grundgesetz6 entdeckt zu haben, dem [der menschliche Geist) mit einer unabänderlichen Notwendigkeit unterworfen ist (durch Organisation und Geschichte gleichmäßig bestätigt).

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Es besteht darin, daß jeder unserer (hauptsächlichen) Gedankenkreise sukzessive drei verschiedene theoretische Stadien 7 durchschreitet: 1) das theologische oder fiktive Stadium, 2) das metaphysische oder abstrakte Stadium, 3) das wissenschaftliche oder positive Stadium. Mit anderen Worten: dem menschlichen Geist ist es natürlich, sukzessive auf jedem Gebiete seiner Forschung drei Methoden des PhilosophierensB anzuwenden, deren Charakter wesentlich verschieden, ja sogar radikal entgegengesetzt ist: zuerst die theologische, dann die metaphysische, endlich die positive Methode. Daher [finden wir] drei Arten von Philosophie oder von allgemeinen Gedankensystemen über das Ganze der Phänomene, die sich gegenseitig ausschließen 9 . Das erste [Stadium ist] der notwendige Ausgangspunkt des menschlichen Verstandes, das letzte sein fixer und definitiver Zustand, das zweite bloß bestimmt, zum Übergang zu dienen 10. 4. Im theologischen Stadium stellt sich der menschliche Geist, in seinen Forschungen vornehmlich auf die innere Natur der Dinge, auf die wirkenden und Zweckursachen aller ihm auffallenden Vorgänge, kurz auf die absoluten Erkenntnisse gerichtet, das, was er wahrnimmt, als Produkt der unmittelbaren 11 und fortgesetzten Tätigkeit einer größeren oder kleineren Zahl von übernatürlichen, Kräften 12 vor, deren willkürliches Eingreifen alle scheinbaren Anomalien des Universums erklärt13. 5. Das metaphysische Stadium ist im Grunde eine bloße allgemeine Modifikation des ersten. In ihm treten an die Stelle jener übernatürlichen Wesen abstrakte Kräfte, wahrhafte Entitäten, hypostasierte Abstraktionen, die den verschiedenen Dingen in der Welt anhaften 14 und denen die Fähigkeit zugeschrieben wird, durch sich selbst alle beobachteten Phänomene zu erzeugen. In der Bezeichnung der jedem von ihnen entsprechenden Entität besteht dann die Erklärung 15 . 6. Endlich, im positiven Stadium, erkennt der menschliche Geist die Unmöglichkeit, zu absoluten Erkenntnissenzugelan-

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gen, entsagt der Forschung nach dem Ursprung und Ziele der Welt und der Erkenntnis der inneren Ursachen der Phänomene, um sich mit den vereinten Mitteln von Vernunft und Beobachtung ausschließlich auf die Entdeckung ihrer wirklichen 16 Gesetze, d. i. ihrer unveränderlichen Relationen von Aufeinanderfolge und Ähnlichkeit zu verlegen. Die Erklärung der Tatsachen, zurückgeführt aufihre wirkliche Bedeutung, ist von da an nichts mehr als die Herstellung der Verbindung zu den verschiedenen besonderen Phänomenen und einigen allgemeinen Tatsachen, deren Zahl der Fortschritt der Wissenschaft immer mehr zu verringern strebt17. 7. Das theologische System gelangt zur höchstmöglichen Vollkommenheit, wenn es die providentielle Tätigkeit eines einzigen Wesens dem wechselnden Spiel der zuvor ersonnenen zahlreichen unabhängigen Gottheiten substituiert hat. Das metaphysische, wenn es statt der verschiedenen besonderen Entitäten eine einzige, große allgemeine Identität treten läßt, die Natur, betrachtet als einzige Quelle alles dessen, was erscheint. So würde es auch die höchste Vollkommenheit des positiven [Stadiums] sein, immer anzustreben, obwohl wahrscheinlich nie zu erreichen, die ganze Menge der beobachteten 18 Tatsachen als die besonderen Fälle einer einzigen allgemeinen Tatsache begreifen zu können, wie z.B. der Gravitation 19 . Jetzt zum mindesten einen solchen Versuch machen, wäre verfrüht 20 . Comte verwahrt sich feierlichst dagegen. Wir gehen keineswegs darauf aus, die natürlichen Phänomene als im Grund identisch darzustellen. Die positive Philosophie wäre dann wohl vollkommen, wenn dies möglich [wird). Aber dies [ist] keine notwendige Vorbedingung ihrer systematischen Bildung und der Erfüllung ihres großen Zweckes. Nur eine Einheit ist dazu nötig, die Einheit der Methode, verbunden mit der Homogeneität der Doktrin. 8. Später, wenn von den sozialen Phänomenen [gehandelt wird], werden wir mit aller Ausführlichkeit von diesem Grundgesetze der Entwicklung des menschlichen Geistes sprechen und Konsequenzen von der größten Wichtigkeit daraus ableiten 21 .

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Jetzt genüge als vorläufige Begründung eine rasche Angabe der augenfälligsten allgemeinen Motive, welche seine Richtigkeit außer Zweifel setzen22: a) direkte Beobachtung, b) theoretische Betrachtungen. ad a) [Direkte Beobachtung] 1) Unmittelbare Verifikation 23 für jeden, der eine gründliche Kenntnis der allgemeinen Geschichte der Wissenschaften hat. Keine einzige [Wissenschaft finden wir], die jetzt ins positive Stadium gekommen und die nicht jeder leicht in der Vergangenheit als wesentlich aus metaphysischen Abstraktionen bestehend sich vergegenwärtigen kann und-noch weiter zurückgehend- [als Jgänzlich beherrscht von theologischen Ideen. Wir werden leider in den verschiedenen Teilen des Cours mehr als eine Gelegenheit haben, zu sehen, wie die am meisten vervollkommneten Wissenschaften noch heute einige sehr merkliche Spuren jener primitiven Zustände tragen (z.B. Astronomie, Planetenengeltheorie). 2) [Dieses Gesetz ist J täglich zu konstatieren durch die Entwicklung des individuellen Verstandes. Da der Ausgangspunkt notwendig derselbe bei der Erziehung des Individuums und der Species [ist], so müssen die verschiedenen Hauptphasen der ersten die Grundepochen der zweiten bestimmen. Blicke jeder auf seine Geschichte! In Bezug auf seine vornehmsten Begriffe [ist er] Theologin seiner Kindheit, Metaphysiker in seiner Jugend, Physiker im Alter männlicher Reife. Jeder, der auf der Höhe seines Jahrhunderts [steht], verifiziert [dies J leicht. (Kind, das sich am Tisch stößt. Phrasen als Gründe in der Jugend. Politik). ad b) [Theoretische Betrachtungen J 1. Ursprüngliche Notwendigkeit der Theologie24. 1) [Wir finden eine] primitive Neigung, die eigene innere Eigentümlichkeit auf die allgemeine Natur zu übertragen. Einwand: Schwierigkeit der Selbstbeobachtung, aber dies [erst] bei feinerer Beobachtung. In sich selbst glaubt der Mensch die Produktionsweise unmittelbar wahrnehmen zu können beim

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Eingreifen seines Willens. Danach denkt er die Natur. In diesem Sinn [ist] das theologische Stadium zu fassen. 2) In jeder Epoche 25 ist eine Theorie Bedürfnis, um die Tatsachen zu verbinden, auch in der ersten. Dabei aber [stieß man auf die] augenscheinliche Unmöglichkeit, sich Theorien nach der Beobachtung zu bilden. Hierauf ruht alle reale Erkenntnis. Aber die erste Zeit konnte und durfte nicht so denken. Denn wie zu einer positiven Theorie Beobachtung [gehört], so [ist] zur Hingabe an die Beobachtung eine Theorie notwendig. Ohne unmittelbare Anknüpfung der Phänomene an gewisse Prinzipien wäre es uns unmöglich, diese isolierten Beobachtungen zu verbinden und folglich daraus Frucht zu ziehen. Nicht einmal behalten wir sie, und in den meisten Fällen würden wir die Tatsachen gar nicht bemerken. Circulus vitiosus, aus dem kein Entkommen außer auf dem glücklicherweise durch die Natur gegebenen Ausweg der theologischen Ideen. Sie boten das Band seiner Anstrengungen und nährten seine Aktivität26. 3) a) Die theologische Philosophie stimmte zur eigentümlichen Natur der Untersuchungen, aufweiche der menschliche Geist ursprünglich so eifrig seine ganze Aktivität konzentrierte: die unnahbarsten Probleme, [die] innere Natur der Dinge, Ursprung und Ziel aller Phänomene. Die wahrhaft lösbaren Probleme [wurden] fast ernsten Nachdenkens unwürdig angesehen. Die Erfahrung allein konnte aber das Maß der Kräfte kennen lehren. Ohne übertriebene Vorstellung davon würden wir nie zu der erreichbaren Entwicklung gelangt sein. Wie würde man da die positive Philosophie aufgenommen haben, die als höchste die Entdeckung der Gesetze der Phänomene anstrebt und deren erste Eigentümlichkeit ist, alle diese erhabenen Geheimnisse als unerforschlich anzusehen? Und um so mehr, da sie der Gegenwart nichts versprechen konnte, nur für die Zukunft arbeiten und andere ernten lassen. b) Dasselbe zeigt sich, wenn man die Forschungen, die ursprünglich den menschlichen Geist beschäftigten, unter dem praktischen Gesichtspunkt betrachtet.

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a) Anziehend [ist) die Hoffnung auf eine unbeschränkte Herrschaft über die Welt. Er kann hoffen, das Ganze der Natur, wie er wünscht, zu modifizieren, nicht mit seinen persönlichen Kräften, aber in Kraft 27 der unbeschränkten Macht, welche er jenen idealen Gewalten28 beilegt, wenn er nur ihre Liebe gewinnen und sich so die Hilfe ihrer willkürlichen Eingriffe sichern kann. Ohne diese Entmutigung, die ihn hindern würde, je aus der ursprünglichen Apathie herauszutreten. Ein damals unentbehrlicher Antrieb, bei allen Unternehmungen in der bleibenden Möglichkeit eines unwiderstehlichen Beistandes [zu stehen). ß) Jetzt so entfernt, daß bei den meisten Phänomenen [es] schwer denkbar [ist), die Macht und Notwendigkeit solcher Betrachtungen [abzuschätzen]. Aber man denke, wo wir wären ohne die Chimären der Astrologie und die Träume der Alchimie. Schon Kepler [hatte) längst die Bemerkung gemacht für die Astronomie und in neuerer Zeit Berthollet für die Chemie. Man sieht also, sowohl als Methode (1 und 2) als auch als provisorische Doktrin (a und b) war die theologische Philosophie ursprünglich notwendig, sie ist allein zuerst möglich als die, welche in spontaner Weise entsteht und die zugleich allein ein hinreichendes Interesse einflößen konnte 29. 2. Bedürfnis der metaphysischen Lehren als Übergang. Unser Verstand geht nur unmerklich Schritt für Schritt. Er konnte nicht gewaltsam unmittelbar von der theologischen zur positiven Anschauungsweise 30 übergehen. Theologie und Physik [sind) so unverträglich und entgegengesetzt, daß intermediäre Ideen nötig, von einem Bastardcharakter, dadurch selbst zur allmählichen Bewerkstellung des Übergangs geeignet. Dies [ist) die natürliche Bestimmung der metaphysischen Ideen. Sie haben sonst keinen wirklichen Nutzen. Indem sie beim Studium der Phänomene der leitenden übernatürlichen Tätigkeit eine entsprechende und untrennbare Entität substituieren, obwohl diese anfänglich nur wie ein Aus-

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fluß der ersten [erschien], gewöhnte sich der Mensch allein daran, nur die Tatsachen selbst zu betrachten, indem die Begriffe dieser metaphysischen Agentien mehr und mehr verfeinert und verflüchtigt wurden 31, bis sie zuletzt in den Augen aller Männer von gesundem Urteil nichts mehr als die abstrakten Namen der Phänomene waren. Wenn man erfinden wollte, wäre es nicht möglich, eine andere Weise des Übergangs von geradezu übernatürlichen zu rein natürlichen Betrachtungen, von der Herrschaft der Theologie zu der des positiven Geistes auch nur zu fingieren. [9.] Nach diesem kurzen Blick auf das Gesetz der Entwicklung des menschlichen Geistes [ist] leicht mit Exaktheit die Natur der positiven Philosophie zu bestimmen 32 • 1) Wir sehen aus dem Gesagten, daß der Grundcharakter der positiven Philosophie der ist, daß sie alle Phänomene als unveränderlichen natürlichen Gesetzen unterworfen betrachtet. 2) Ihre genaue Auffindung und ihre Reduktion auf eine möglichst geringe Zahl sind nach ihr das Ziel aller unserer Anstrengungen. 3) Als völlig unerreichbar und sinnlos erscheint ihr dagegen die Forschung nach dem, was man Ursachen nennt, seien es wirkende oder Endursachen. [10.] Nutzlos wäre es, lange bei einem Prinzip zu verweilen, welches jetzt so vertraut geworden allen denen, welche ein etwas gründlicheres Studium den beobachtenden Wissenschaften gewidmet haben33. Jeder in der Tat weiß, daß wir bei unseren positiven Erklärungen, auch den vollkommensten, niemals den Anspruch machen, die erzeugenden Ursachen der Phänomene darzulegen, indem wir dann nie etwas anderes als die Schwierigkeit hinausschieben würden, sondern nur mit Genauigkeit die Umstände ihrer Hervorbringung zu analysieren und die einen mit den andern durch regelmäßige Beziehungen von Aufeinanderfolge und Ähnlichkeit zu verknüpfen [haben]. Beispiele. Wir sagen, die allgemeinen Phänomene des Universums seien, so weit als möglich, erklärt durch das Gravitationsgesetz von Newton.

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1) Von der einen Seite zeigt [es] uns die unermeßliche Mannigfaltigkeit astronomischer Tatsachen als eine unter verschiedenen Gesichtspunkten: das Streben der Körper zu einander im direkten Verhältnis ihrer Massen und im umgekehrten Verhältnis der Quadrate ihrer Entfernung. 2) Von der anderen Seite stellt diese allgemeine Tatsache sich [als] eine einfache Erweiterung eines Phänomens dar, mit dem wir außerordentlich vertraut sind, der Schwere des Körpers auf der Erdoberfläche. Bestimmen, was diese Attraktion und diese Schwere in sich selbst sind, welche die Ursachen davon sind, das sind Fragen, die wir als unlöslich betrachten und die nicht mehr zum Gebiet der positiven Philosophie gehören. Wir überlassen sie mit Recht der Einbildungskraft der Theologen oder den Subtilitäten der Metaphysiker. Beweis: Nur gegenseitige Erklärung von Schwere und Anziehung. Leicht wären die Beispiele zu vervielfältigen 34 . [11.] Halten wir inne, damit uns Comte nicht über den Kopf wächst3 5 • a) Rückblick auf das, was er positive Philosophie nennt und als die richtige Weise des Philosophierens empfiehlt; b) [Rückblick) auf die drei Phasen der Wissenschaft und ihre Aufeinanderfolge.

a) [Richtige Weise des PhilosophierensJ Comte scheint Skeptiker. 1) Einmal scheint dahin [zu deuten] der wiederholte Ausdrück Phänomene. Das positive Stadium, sagt erz. B., entsage der Erkenntnis der inneren Ursachen der Phänomene; dies und ähnliches öfter. Das klingt ganz Kantisch. Nur phänomenale, nicht reale Wahrheit scheint nach ihm möglich. 2) Dann erinnert er an Hume, wenn er behauptet, daß wir keine Erkenntnis der Ursachen erlangen könnten. Was wir wahrnehmen, sagt auch dieser extreme Skeptiker, seien Verhältnisse der Sukzession. Wir machten daraus unbedingt Ver-

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hältnisse der Kausalität. Ganz ähnlich schien Comte zu sprechen. Aber nein, in beiden Fällen würden wir ihn mißdeuten, wenn wir seine Erklärungen im eigentlich skeptischen Sinne nähmen. ad 1) Vor allem, was den Ausdruck Phdnomen betrifft, so ist er bei ihm nicht wie bei Kant zu verstehen als eine Erscheinung, hinter der sich in einer unserer Erkenntnis unnahbaren Weise das voouµEvov, das Ding an sich verbergen soll. Comte will keineswegs sagen, daß wir in keiner Weise zu einer realen Erkenntnis gelangen könnten. Statt phenomene gebraucht er häufig geradezu als gleichbedeutend den Ausdruck faits. Wie z.B. wenn er sagte, die Erklärung der Tatsachen sei für den positiven Denker nichts als die Herstellung der Verbindung zwischen den verschiedenen besonderen Phänomenen und einigen allgemeinen Tatsachen. Die Existenz von Dingen und zwar von einer Vielheit von Dingen ist ihm gewiß. Auch daß ihnen Größe und Gestalt, Ort, Zeit, Bewegung u. dgl. zukommen, bestreitet [er] nicht. Es ist wahr, daß er uns die absolute Erkenntnis in Bezug auf diese Bestimmungen im Speziellen abspricht, aber hierin liegt nichts Skeptisches, im Gegenteil Wahrheit. In diesem Punkte müssen wir alle zu den Skeptikern stehen. Aber wir unterscheiden uns von ihnen, indem wir daran festhalten, daß wir mit Sicherheit örtliche und zeitliche Verhältnisse der Dinge und ebenso andere wirkliche Relationen zwischen ihnen zu erkennen imstande sind. Und dies tut auch Comte. Hierin aber [ist] nicht etwas Geringfügiges, sondern überwiegend Wichtiges erkannt, z.B. [ist es] gleichgiltig, ob die ganze Geschichte 100 oder Millionen oder Billionen Jahre früher oder später spielt; ob die ganze Welt in Ruhe gleichmäßiger, geradlinig fortschreitender Bewegung und ob sie 1000 Meilen weiter oben oder unten im Raume ist, ob alles doppelt oder halb so groß [ist] usw. Die relativen örtlichen Bestimmtheiten, die Unterschiede des Beisammen- und Auseinander-

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seins, die Größenverhältnisse usw. sind von ganz anderer Bedeutung. Comte ist also hier nicht skeptischer als jeder Philosoph sein muß. ad 2) Wie steht es aber mit dem, was er von der Ursache und ihrer Unerkennbarkeit lehrt? Tritt er nicht hierdurch in die Fußstapfen von Hume und verfällt dem Skeptizismus? Bei näherer Betrachtung müssen wir auch dies verneinen. a) Vor allem hat Comte nicht wie Hume die Existenz von Ursachen geleugnet. Im Gegenteil, die ganze Art, wie er bisher sprach und wie er später sprechen wird, beweist, daß er in keiner Weise an ihrem Vorhandensein zweifelt. Nur sollen wir selbst sie zu erkennen nicht fähig sein. b) Aber auch dies ist zweideutig und wird nicht in jedem Sinne von Comte behauptet. 1) Vor allem sagte ich schon, daß er die Ursachen nicht leugne. Er hält nicht minder als andere daran fest, daß nichts, was geschieht, der wirkenden Ursache entbehre. In etwas, in irgendeinem Ding liegt immer das wirkende Prinzip. Hiermit ist schon eine, wenn auch nur ganz allgemeine Erkenntnis der wirkenden Ursache zugegeben. 2) Aber auch die Möglichkeit der Erkenntnis, daß in diesem oder jenem Dinge der Grund des Werdenden liege, will er, scheint es, nicht leugnen, wenn er sagt, daß die Erforschung der Ursache erfolglos sei. Unmöglich könnte er sich sonst mit solcher Bestimmtheit auf das Zeugnis der Naturwissenschaften in allen ihren Teilen und auf das einmütige Bekenntnis aller darin Eingeweihten berufen, die allerdings, in solcher Weise zur Erklärung aufgefordert, hier wohl einmütig zusammenstimmen würden, aber nur um ihm gemeinsam zu widersprechen. Und noch deutlicher ist es, wenn er als erläuterndes Beispiel die Gravitation der Körper anführt, für die Newton das Gesetz festgestellt habe (die Körper streben einander zu im direkten Verhältnisse ihrer Massen und im umgekehrten Verhältnis der Quadrate ihrer Entfernungen), für die aber kein Naturforscher sich einbilde, die wirkliche Ursache angeben zu können. Was

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die Attraktion der Körper sei, worin sie ihren Grund habe, darüber lasse sich absolut nichts feststellen 36• Hier will Comte offenbar nicht sagen, daß es nicht erkennbar sei, daß in den einander anziehenden Körpern und ihrer besonderen Stellung zu einander der Grund ihres Strebens zu einander liege; so wenig als er wird leugnen wollen, daß, wenn ein bewegter Körper an einen ruhenden stößt und dieser hierdurch in Bewegung kommt, der andere aber nach dem mechanischen Gesetz der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung eine Verlangsamung, unter Umständen auch ein Ablenken erfahrt oder zum Stillstand gebracht wird, diese Erscheinungen in den. Körpern, in ihren vorhergehenden Zuständen ihre Ursache hätten. Vielmehr will er etwas ganz anderes sagen und etwas, was keineswegs verwerflich ist. - Und was denn? Er leugnet, daß wir von den Körpern (und ihren Eigenschaften), in welchen wir die Ursache jener Bewegungen zu suchen haben, eine so vollkommene Erkenntnis erlangen können, daß wir einsehen, warum sie in dieser Weise sich wirksam zeigen und zeigen müssen, so etwa wie wir aus dem Begriffe zweier Zahlen, z.B. 2 und 4 erkennen, daß die eine die Hälfte der anderen ist und sein muß. Hier bleibt keine Frage: Wie kommt es? Warum ist dies so und nicht anders?, die nicht zu beantworten wäre. Der Grund ihres gegenseitigen Größenverhältnisses liegt uns deutlich in den Begriffen selbst vor. Wir verwundern uns nicht, daß dies gleichmäßig in allen Fällen zutrifft, wir bedürfen nicht der Erfahrung und einer langen Reihe von Induktionen, um uns von seiner Allgemeinheit zu überzeugen, es leuchtet uns a priori, aus den Begriffen selbst [ein]. Anders ist es in dem Fall der Attraktion. Mögen wir erkennen, daß die Ursache in den Körpern liegt, so haben wir doch nur a posteriori dieses Wissen erlangt; wir sind nicht so ins Innere gedrungen und haben das, was Ursache ist, so in seinem Wesen erfaßt, daß wir unabhängig von der Erfahrung aus den Begriffen selbst die Erscheinung der Attraktion als Folge vorhersagen konnten.

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Auch jetzt, nachdem wir dies, gestützt auf eine gewissenhafte Induktion, zu tun imstande sind, bleibt uns darum doch immer die innere Weise des ursächlichen Prinzips verborgen. Wenn wir sagen: die Erde37 strebt der Sonne zu, weil sie schwer ist; die Sonne zieht die Erde durch ihre Schwerkraft an (und umgekehrt), so liegt hierin keine Enthüllung einer verborgenen Eigenschaft, in welcher wir das Prinzip der Anziehung zu erkennen haben; die Weise der Verursachung und überhaupt der ganze Vorgang bleibt so dunkel wie vorher. Vielmehr liegt darin nur die Zurückführung des speziellen Falles auf ein allgemeines Gesetz, die Herstellung der Verbindung eines besonderen Phänomens mit einer allgemeineren Tatsache. Die Sonne zieht die Erde an, weil sie alle Körper anzieht, wie dies auch jeder andere Körper gegenüber jedem anderen tut. Sie sehen also, in welcher Weise wir hier die Ursache erkennen und in welcher nicht. Wir erkennen, daß eine Ursache vorhanden ist, wir erkennen auch, daß in dem und jenem die U rsache liegt, ohne aber das Wie und Warum eigentlich zu verstehen und zu ergründen. In diesem Sinne leugnet auch Comte, daß die Erkenntnis der Ursachen uns zugänglich sei; in diesem Sinne ruft er mit Recht jede exakte Wissenschaft zum Zeugen und wir selbst können kein Bedenken tragen, ihm beizustimmen.

b) [Die drei PhasenJ

Allein seine zweideutige und ungewöhnliche Redeweise verdient vielleicht weniger unseren Beifall. Es liegt in solchen Abweichungen38 immer das Bedenkliche, daß die Zweideutigkeit besonders bei einer entgegenstehenden Gewohnheit eines andren Verständnisses teils andere, teils sogar uns selber täuscht und in Fehlschlüsse verwickelt. Auch an Comte hat sich dies und in der schlimmsten Weise bewährt.

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1) Wir hören, wie Comte die Forschung nach der ersten Ursache der Dinge von vornherein als etwas dem positiven Geiste Fremdes von sich wies39. Wir müssen fragen, in welchem Sinne? Will er nur sagen, es sei unmöglich, das, was die erste Ursache ist, in seiner Ursächlichkeit zu begreifen und einen solchen Einblick in sein Wesen (dieser primären Ursache) zu gewinnen, der alle seine Wirkungen uns a priori erkennen lasse-dann ohne Zweifel müssen wir ihm beistimmen. Dann ist seine Zurückweisung vollkommen berechtigt, indem sie nichts anderes als eine notwendige Konsequenz der von ihm aufgestellten und von uns rückhaltlos anerkannten Prinzipien ist. Aber unbemerkt verkehrt sich ihm der Begriff in den eigenen Händen. Er will offenbar viel mehr sagen, sonst würde er nicht von vornherein die positive Forschung in unversönlichen Gegensatz zu jeder Spekulation bringen, die in einem göttlichen Verstand das Prinzip der Welt erblickt. Wer sagt, daß ein vernünftiges Wesen das Prinzip der Welt [sei], hat dadurch keineswegs behauptet, daß er in Bezug auf die Hervorbringung der Welt jene Einsicht erlangt habe, die uns sogar bei näherliegenden Wirkungen versagt ist. Wer kann sich anmaßen, Gottes Natur und den freien Schöpfungsakt im eigentlichen Sinne zu begreifen, da es vielmehr deutlich ist, daß sich unsere Erkenntnis hier in nichts anderem als in negativen Umschreibungen und Analogien bewegt? Aber daß es einen Gott gebe und daß dieser frei die Welt hervorgebracht habe, das sind Wahrheiten40, die vielleicht trotzdem und mit aller Strenge zu erweisen sind. Das eine und andere ist gänzlich verschieden. 2) Betrachten wir, um uns die Sache recht deutlich zu machen, einmal uns selbst und den Einfluß, den wir durch unser vernünftiges Wollen auf unseren eigenen Körper üben. Daß mein Wille die Ursache von der Bewegung meiner Hand und meines Mundes ist, steht uns wohl allen außer Zweifel. Wie er es aber tue, das wissen Sie nicht und ich selbst weiß es ebensowenig. Ich nehme es wahr a posteriori; in die höchst wunderbare Weise der Verursachung blicke ich nicht ein, sie ist

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mir ein unerforschliches Rätsel und bliebe es auch, wenn ich physiologisch das Zentralorgan des Leibes, welches zunächst den Einfluß erfahrt, gefunden hätte. Wir sehen, daß ich hier sage und erkenne, daß ein vernünftiges Prinzip die Ursache einer gewissen Wirkung ist, ändert nichts daran, daß die Weise der Ursächlichkeit mir unbegreiflich bleibt. Der allgemeine Schleier, der [für] uns über jeder Verursachung liegt, wird auch hier nicht gehoben. Ähnliches also würde auch in dem Falle gelten, wenn ein vernünftiges Wesen als die erste und ausschließliche und vollkommene, d. i. als die schöpferische Ursache der Entstehung der Welt erwiesen würde. Aus diesem Grunde also kann die positive Philosophie sich nicht von vornherein gegenjede theologische Forschung erklären, obwohl ich fürchte, daß Comte durch die Zweideutigkeit der eigenen Terminologie getäuscht, sich durch ihn vorzüglich hat bestimmen lassen. 3) Aber vielleicht ist das gegen die Exaktheit des positiven Stadiums und verträgt sich bloß mit dem kindlichen, primitiven Standpunkt, daß hier etwas uns Äußeres in gewisser Weise in Analogie zu uns selbst und unserem Innern erklärt wird? Nicht doch! Ist ja nicht jede Analogie verwerflich, und warum sollte da gerade allein die Analogie zu unseren eigenen Akten niemals und nirgends berechtigt sein? In der Tat käme man dann notwendig zu jenem törichten Zweifel einzelner Philosophen an der Empfindungsfähigkeit, den Affekten und willkürlichen Bewegungen der Tiere. Descartes 41 hatte sich dahin verirrt. Aber Comte ist so weit entfernt, ihn hier wegen seiner exakten Forschungsweise zu preisen, daß er sagt la memorable aberration de Descartes42. Ich brauche für ihn also nicht mehr beizufügen, daß er dann konsequent auch an dem Denken und Wollen seiner Mitmenschen zweifeln müßte. 4) Wenn nun aber auch dieser Umstand nicht von vornherein die positive Philosophie berechtigt, über jeden Versuch eines Beweises des Daseins Gottes den Stab zu brechen, so ist überhaupt nicht mehr einzusehen, welcher andere dazu berech-

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tigen könnte, wenn nicht etwa der, daß die Annahme eines göttlichen Wesens unvereinbar mit der Erforschung der Naturgesetze wäre, welche die positive Philosophie beobachtend zu ermitteln strebt. Dies wäre der Fall, wenn, wie allerdings manche Gegner des Theismus sagten, fortwährende, alle Regelmäßigkeit und Ordnung aufhebende willkürliche Eingriffe die notwendige Folge der Existenz eines göttlichen Wesens wären. Aber dies [ist] keineswegs richtig. Allerdings [wurden] solche Fehler zu aller Zeit gemacht. Aber welcher der großen theistischen Denker, sei es im Altertum ein Aristoteles, sei es ein Descartes, Locke, Leibniz in der neueren Zeit hat dies für notwendig gehalten? Sie haben eben die Gottheit nicht bloß frei und mächtig, sondern auch weise gedacht. Und auch das Christentum, wenn es die Möglichkeit und Wirklichkeit einzelner Wunder behauptet, ist weit davon entfernt, es für möglich und mit der Weisheit Gottes verträglich zu halten, daß er durch fortwährende willkürliche und regellose Eingriffe die ganze natürliche Ordnung der Dinge aufhebe und unkenntlich mache. Es sieht in der natürlichen Ordnung wie im Wunder eine Offenbarung Gottes, was in einem solchen Falle weder die eine noch das andere sein würde: die natürliche Ordnung nicht, denn sie wäre zerstört, das Wunder nicht, denn es fehlte das Maß, woran es zu messen. Comte selbst ist auch nicht so töricht, aus einem solchen Grunde die Annahme einer göttlichen Macht [als] mit der Wissenschaft unvereinbar zu halten. In einem späteren Werke, seinem Systeme de politique positive 43, tritt dies namentlich deutlich hervor. Nicht erkennbar, ob ein Gott [sei] oder nicht. Aber weit entfernt, ihn zu leugnen, erklärt er sogar sein Dasein für wahrscheinlicher, indem dann die Ordnung der Welt besser 44 begreiflich wäre. Ja obwohl er sich weigert, Gott- als etwas nicht wissenschaftlich Erweis bares - zur Basis seiner Moral und Politik zu machen, so argumentiert er doch da, wo er die ersten Prinzipien des Handelns bespricht, nicht ohne Rücksicht auf

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ihn, indem er zeigt, wie auch unter der Annahme einer göttlichen Providenz der, welcher der von ihm bezeichneten Richtschnur des Handelns folge, am vernünftigsten handle, indem es sicher sei, ihr Wohlgefallen zu erwerben. Doch davon später45. Wir sehen also, wie die Annahme eines Gottes nicht unvereinbar mit der Erforschung der Naturgesetze ist und wie darum Comte selbst nicht das Dasein Gottes, sondern nur seine Erkennbarkeit leugnet. 5) Nun bleibt nur noch eine einzige Weise übrig, in welcher der Theismus ein Feind der positiven Naturerklärung werden könnte: Wenn nämlich einer mit der Entdeckung, daß alles von Gott herrühre, sich aller Erforschung der sekundären Ursachen und ihrer Gesetze entbunden glaubte, wenn einer mit Überspringung aller sekundären wirkenden Prinzipien immer gleich auf Gott rekurrieren wollte. Warum beschreiben [die Planeten] diese Bahn? Weil Gottes will usw. usw. Auch hier gilt, daß manchmal solche Fehler gemacht [wurden]. Theologische Politik mit einem unklaren, outrierten »von Gottes Gnaden«. Man nimmt manchmal zu unmittelbar vom Tische des Herrn die Krone. (Warum wachsen die Weiden gut an feuchten Plätzen? Um die Ufer der Flüsse gegen Wegschwemmung schützen zu können. Abgesehen davon, daß das eine sehr sonderbare Teleologie, [ist dies] ein allzu unmittelbarer Rekurs auf den Verstand Gottes und die Zusammenordnung mitanderenDingenzueinem Weltganzen). Anaxagoras 46 . Aber der Theismus involviert nicht notwendig solche Ungereimtheiten. Wenn wir wissen, daß unser Wille die Hand bewegt, bleibt die physiologische Forschung müßig, welche die vermittelnden Glieder zu entdecken strebt? Der größte Theist des Altertums, Aristoteles, nach dem Himmel und Erde von der Kraft des einen göttlichen Verstandes47 getragen werden, stellt nichtsdestoweniger die Regel auf, wenn man nach der Ursache einer Erscheinung gefragt werde, so müsse man ihre nächsten Prinzipien angeben, die nächste Materie und das nächste wirkende Prinzip und so in Betreff der übrigen 48 .

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Fassen wir das Gesagte zusammen! Wir sehen, daß die positive Betrachtungs- und Forschungsweise nicht von vornherein sich gegen den Theismus abzuschließen berechtigt ist. Weder darum, weil sie die Erforschung der Ursachen überhaupt für unmöglich hält, denn dies tut sie nicht injedem Sinn, sondern nur, insofern sie sich nicht Hoffnung macht, eine solche Einsicht in das Wesen der Ursache zu erlangen, daß ihr daraus die Wirkung selbst begreiflich wird, noch darum, weil sie sich auf die Analogie mit dem eigenen Wirken stützt, noch darum, weil die theistische Anschauung die Erforschung der Naturgesetze unmöglich macht, sei es weil sie die Ordnung der Natur selbst aufhebt, sei es weil sie ihre Erforschung als unnütz verwirft, indem sie in Gott den Erklärungsgrund von allem gefunden habe. 6) Wie also kann allein von einem theologischen Stadium 49 gesprochen werden, welches im Gegensatz zum positiven steht? Nur so, daß man darunter ein Verfahren versteht, welches vorschnell und ohne exakte 50 Begründung den Vorgängen in der äußeren Natur Analoga unserer Seelentätigkeiten, unseres Denkens, Empfindens und Wollens als Prinzipien substituiert; oder auch [daß man] - mit Vernachlässigung der Erforschung der nächsten Ursachen-mit einem Hinweis auf den Willen und die Macht einer Gottheit alles getan zu haben glaubt. Sie sehen, daß dies und namentlich das erste im wesentlichen nichts anderes ist als das, als was uns Comte selbst im Anfang [als] das theologische Stadium 51 schilderte. Wir bleiben ihm getreuer, wenn wir an dem so gefaßten Begriff festhalten 52 . Er entspricht auch allein dem Namen fiktiv 53 , dessen sich Comte zur Bezeichnung dieser Weise bedient. Ob der Name theologisch dann glücklich gewählt sei, [ist] freilich kaum zu bejahen. J. St. Mill 54 in seiner durch viele Vorzüge ausgezeichneten Monographie über Comte bemerkt, daß er lieber des Ausdrucks personnel oder volitionnel sich bedient haben würde. In der Tat ist es das personifizierende Stadium. Ähnlich ist der Ausdruck Metaphysik zu tadeln. Sie haben sich gewiß bereits hinreichend davon überzeugt, daß das, was

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Comte Metaphysik5 5 nennt, nicht mit der ersten Philosophie des Aristoteles zusammenfällt, die als allgemeinste Wissenschaft das Seiende als Seiendes 56 betrachtet und wie sie nicht im Gegensatz zur Theologie steht - hat sie doch Aristoteles geradezu Theologie57 genannt-, auch nicht zur positiven Philosophie einen Gegensatz bildet. Comte selbst ist weit entfernt, diese Metaphysik verdammen zu wollen, obwohl der Irrtum, der ihm alle theologische Spekulation von vornherein verwerflich erscheinen läßt, natürlich der Metaphysik großen Eintrag tut; die Forschung nach den ersten Gründen der Dinge ist ihm verschlossen. In dem schon mehrfach genannten spätem Werke Systeme de politique positive 58 hat er sogar selbst eine erste Philosophie aufgestellt, welche jene allgemeinsten Gesetze umfaßt, die auf allen Gebieten der Erscheinungen gleichmäßig gelten und deren Studium dem der besonderen Wissenschaften vorangehen soll. Was Comte Metaphysik nennt, ist etwas ganz anderes. Er hat es uns deutlich genug erklärt; es ist die Manier, die Abstraktionen unseres Verstandes wie reale, den konkreten Dingen innewohnende Entitäten anzusehen, fähig eine Kraft zu äußern und eine Erscheinung hervorzurufen, deren Bezeichnung dann als eine Theorie oder als Erklärung der Tatsachen gelten soll 59 . Etwas besser bezeichnet daher der andere Ausdruck »abstraktes Stadium« 60 seinen Gedanken. Am wenigsten zweideutig wäre es, wenn man es das »Entitäten fingierende Stadium« nennen würde. Entitas, Abstraktum von ens, [wurde] im Mittelalter (realitas,formalitas) genugsam in dem hier bezeichneten Sinne verwendet61. Wir bleiben übrigens bei seinen Ausdrücken. Dies [sei] ein für allemal zur Vermeidung von Mißverständnissen bemerkt. [7)] Wenn man nun aber so den Begriff, den Comte mit Metaphysik verbindet und der ihm nur durch eine Selbsttäuschung sich über die naturgemäßen Grenzen hinaus erweitert, sich klar macht, so kann man nicht leugnen, daß die drei Phasen, die er unterscheidet, in ihrer Aufeinanderfolge im allgemeinen viel Wahres enthalten62.

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a) Doch bedarf es auch hier einiger Restriktionen im einzelnen, die wir nicht gegen Comte, sondern mit Comte und in seinem Sinne machen müssen. Wenn Comte uns sagt, daß das Ganze unseres Wissens und jedes seiner hauptsächlichsten Teile die drei Stadien, das theologische, das metaphysische und das positive, der Ordnung nach durchschreite, so ist doch von der Mathematik z.B. schwer zu denken, daß sie sich jemals in einem theologischen Stadium befunden habe. Wohl kaum haben die ersten Mathematiker geglaubt, daß der Wille eines Gottes die Parallellinien hindere sich zu vereinigen oder mache, daß 2 + 2 = 4; und gewiß hat nie einer zu einem Gott gebetet, daß er das Quadrat der Hypotenuse gleich den Quadraten der Katheten mache. Es leuchtet auch ein, warum; war ja in der Mathematik überhaupt kein Anlaß zur Annahme einer wirkenden Ursache vorhanden, weil es sich hier eigentlich um nichts als um Größenverhältnisse handelt, die offenbar mit den Größen 63 selbst gegeben sind. Nur ganz späte Verirrungen infolge einer raffinierten Methode allgemeinen Zweifels, dieja gegen einen verkommenen Dogmatismus reagierten, konnten einen der größten Mathematiker und Philosophen64 dahin führen, diese einfache Wahrheit verkennend auch die mathematischen Sätze der Allmacht Gottes zu unterstellen. Zum Glück für ihn und die mathematische Wissenschaft hat er bei der Erfindung der analytischen Geometrie, die eine großartige Schöpfung ist, keinen Gebrauch von dieser neuen Hilfslinie gemacht. Wenn im Altertum die Pythagoreer 65 eine Zahlenspekulation ausbildeten, so war dies nicht eigentlich ein Hereinziehen von theologischen Kräften in die Mathematik, sondern eine Einmischung von mathematischen Elementen in die Forschung nach dem Ursprung der Dinge 66 , worin sie dann allerdings mysteriös genug eine Art von göttlicher Bedeutung 67 gewmnen. Comte selbst war gewiß weit entfernt, dies zu verkennen. Wenn er trotzdem ausnahmslos für alle Wissenschaften, also

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auch für die Mathematik, ein theologisches Stadium behauptet, so konnte er dies nur tun, insofern er das Gebiet der rationellen Mechanik noch zu den mathematischen Wissenschaften rechnete6B (ob mit Recht, ist hier nicht zu untersuchen). Vor der Entdeckung ihrer drei Grundgesetze: des Gesetzes der Trägheit, des Gesetzes der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung und der Gesetze der Zusammensetzung der Kräfte fanden ganz gewiß viele der betreffenden Erscheinungen bei vielen eine theologische Erklärung. Auch ist es deutlich, daß hier der zuvor angegebene Grund wegfällt. Auch ein metaphysisches Stadium hat 69 sie durchschritten, und Comte weiß noch gar manche Spuren desselben sogar in der heutigen Behandlung der Mechanik zu finden, ja sogar in den andern beiden Zweigen der Mathematik, in Arithmetik und Geometrie, will er solche bemerken. Sie zeigen sich in der Annahme von allerhand imaginären Entitäten, nicht zwar als wirkende Prinzipien, denn, wie gesagt, um ein Wirken kann es sich nicht handeln, aber doch als etwas, was innerlich die Größen konstituiert. Dahin rechnet Comte z.B. das unendlich Kleine 70 , welches als den endlichen Größen innewohnend gedacht wird, zwar nicht als eine Kraft, aber ein Analogon (negative Zeichen, imaginäre Quantitäten, unendlich Kleines, [C. F.] Gauß (a + b · -y=rj, bei vielen noch jetzt keine wahrhaft positive Interpretation 71). b) Auch die Gebiete der übrigen Wissenschaften [waren] niemals ganz theologisch, und Comte hat dies nicht verkannt. a) Die einfachsten und gemeinsten Tatsachen wurden immer als wesentlich natürlichen Gesetzen unterworfen angesehen, statt der Willkür übernatürlicher Agentien zugeschrieben zu werden. Adam Smith 72 z.B. bemerkt mit Recht, daß man zu keiner Zeit und an keinem Ort einen Gott für die Schwere fand. ß) Ebenso ist es bei komplizierteren Dingen bezüglich aller Phänomene, die genugsam elementar und vertraut waren, um die vollkommene Unveränderlichkeit ihrer wirklichen Beziehungen selbst auch den wenigst unterrichteten Beobachter erkennen zu lassen.

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y) Ebenso bei moralischen und sozialen Akten. Der spontane Anfang, [die] gefundenen Naturgesetze, die den individuellen oder sozialen Akten eignen, auf alle äußeren Phänomene [zu] übertragen, hat ja das wahre Grundprinzip der theoretischen Philosophie bestimmt. Gerade dies ein Hinweis auf die alleinige Richtigkeit der positiven Anschauung, weil sie allein ursprünglich durchführbar fist] im vollendeten Sinne.

2. Notwendiger Sieg des Positivismus

1. Aus den Ergebnissen 1 der bisherigen Betrachtungen folgt mit Sicherheit der endliche notwendige Sieg des positiven Geistes auf allen Gebieten des Wissens. Er allein ist ja der Natur und Kraft des Menschen angemessen sowohl in den Fragen, die er stellt, als in der Forschungsweise, die er anwendet. Wie lange auch immer verkannt, hört die Natur doch nicht auf, sich geltend zu machen. Die Wahrheit ist unerschütterlich, der Irrtum, noch so fest, muß beim unvermeidlichen wiederholten Anprall an diesem Felsen scheitern. Jeder Irrtum birgt einen Teil Wahrheit und dieser wendet sich gegen ihn selbst, und wenn auch zunächst nur Irrtum aufirrtum folgt, so mehrt sich doch dadurch zugleich das, was von Wahrheit eingeschlossen in ihnen liegt, bis es sich endlich ganz herausgeschält hat. 2. Dasselbe bestätigt sich, wenn wir auf die Geschichte der Wissenschaften blicken. Wir finden da, wie ihre große Mehrzahl, obwohl lange Zeit in theologischen und metaphysischen Theorien befangen, sich nach und nach durchgerungen hat und positiv geworden ist oder doch angefangen hat, positiv zu werden und immer mehr in diesem Sinne sich umbildet 2 . 3. Das genaue Datum für den Beginn der Revolution ist nicht zu bestimmen. Sie hat sich wie alle großen Ereignisse in der Geschichte der Menschheit allmählich und mehr und mehr

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vollzogen 3, besonders seit den Arbeiten des Aristoteles und der Alexandrinischen Schule und dann seit der Einführung der Naturwissenschaften im Abendland durch die Araber. Will man aber eine Epoche fixieren, so ist die jener großen geistigen Bewegung, die vor zwei Jahrhunderten durch das Zusammenwirken der Vorschriften Bacons, der Ideen Descartes' und der Entdeckungen Galileis. hervorgerufen wurde, als der Moment zu bezeichnen, in welchem der Geist der positiven Philosophie anfing sich in der Welt geltend zu machen in deutlichem Gegensatz zu der theologischen und metaphysischen Betrachtungsweise4. Seit jenem denkwürdigen Augenblick zeigt sich der Aufschwung der positiven und der Verfall der theologischen und metaphysischen Philosophie in ausgeprägter Weise, so daß heutzutage jeder, der sein Jahrhundert zu beobachten weiß, unmöglich die schließliche Bestimmung des menschlichen Geistes für die positiven Forschungen und seine unwiderrufliche Abwendung von jenen eitlen Lehren und provisorischen Methoden verkennen kann. So wird sich diese fundamentale Revolution notwendig in ihrer ganzen Ausdehnung vollenden s. 4. Wo immer aber noch ein Hauptzweig des intellektuellen Gebietes ist, in welchem der positive Geist noch nicht eingedrungen ist, da ist es doch gewiß, daß er auch diese Eroberung noch machen, daß auch hier die Umbildung wie bei allen anderen nicht aus bleiben wird. Denn es wäre offenbar widersprechend anzunehmen, daß der menschliche Geist, der so sehr zur Einheit der Methode neigt, in Bezug auf eine einzige Klasse von Tatsachen seine primitive Weise zu philosophieren beibehalten werde, wenn er einmal dahin gekommen, für alles Übrige einen neuen Weg des Philosophierens von geradezu entgegengesetztem Charakter einzuschlagen 6. 5. Doch wie? - Gibt es denn wirklich ein Gebiet, in welches der positive Geist noch keinen Eingang gefunden? Mußte er nicht, da er erwachte, zugleich auf allen Gebieten erwachen? Wie Auge und Ohr? Mußte er nicht überall in seinem Sinne die

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Fragestellung ändern und die Methoden umbilden? Nein, vielmehr zeigt die Geschichte sehr bedeutende Differenzen, und der philosophische Geist, wenn er darauf reflektiert, findet auch den Grund. Die verschiedenen Zweige unserer Erkenntnis können unmöglich mit einer gleichen Geschwindigkeit die eben bezeichneten drei großen Phasen ihrer Entwicklung durchlaufen und darum auch nicht zugleich zum positiven Stadium gelangen. Es besteht in dieser Hinsicht eine unveränderliche und notwendige Ordnung, der die verschiedenen Klassen unserer Gedanken in ihrem Fortschritte folgen und folgen mußten. Später eingehender davon, denn diese Ordnung [ist] die unentbehrliche Ergänzung des bereits ausgesprochenen fundamentalen Gesetzes der Entwicklung. Hier genüge die Bemerkung, daß diese Ordnung der verschiedenen Natur der Phänomene entsprechend ist, bestimmt durch ihren Grad der Allgemeinheit, Einfachheit und gegenseitigen Unabhängigkeit voneinander. So wurden die astronomischen Tatsachen zuerst auf positive Theorien zurückgeführt, als die allgemeinsten, einfachsten und von allen anderen unabhängigsten [bekannt waren], dann nacheinander aus denselben Gründen die Tatsachen der irdischen Physik im engeren Sinne, dann die der Chemie und endlich die Tatsachen der Physiologie 7 . 6. So ist es denn keineswegs zu verwundern, wenn noch nicht alle positiv geworden; und nur das eine [ist] notwendig, daß die, welche etwa noch nicht positiv geworden sind, verwickelter als die sind, die bereits der Umwandlung unterlagen. So ist es in der Tat. Durchmustern wir die Reihe der Wissenschaften, die bereits positiv, so finden wir nur eine Lücke. Ein Glied fehlt, und gerade die komplizierteste Wissenschaft ist dies. Es ist die, welche sich auf die sozialen Phänomene bezieht. Ihre Begriffe [sind] die partikulärsten, verwickeltsten und abhängigsten gegenüber allen anderen. Abgesehen von anderen speziellen Hindernissen, die später zu beleuchten, [ist die Soziologie] schon darum am langsamsten. Es ist evident, sie ist noch nicht positiv.

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Die theologischen und metaphysischen Methoden, die in Bezug auf alle anderen Gattungen von Phänomenen bereits von niemandem mehr angewendet werden, weder zur Untersuchung noch zum Beweise, sind dagegen noch ausschließlich in besonderen Bereichen bei allem, was die sozialen Phänomene angeht, [gebraucht], obwohl ihre Unzulänglichkeit allen verständigen Denkern einleuchtet, die dieses eitle und endlose Gezänke zwischen dem göttlichen Rechte und der Volkssouveränität anwidert. Das also [ist] die große, aber einzige Lücke, die auszufüllen, um die Grundlegung der positiven Weltanschauung zu vollenden. [Wenn] die himmlische Physik, die irdische Physik (Mechanik-Chemie), die organische Physik (vegetative und animalische) gegründet, bleibt dem positiven Geiste die Vollendung des Systems der beobachtenden Wissenschaften übrig durch Gründung der sozialen Physik. Dies [ist] unter mehreren Gesichtspunkten der erste Zweck dieses Cours, sein spezieller Zweck 8 . 7. Nicht natürlich hoffe ich, der sozialen Physik denselben Grad der Vollkommenheit zu geben wie den älteren Zweigen. Dies [wäre eine] Chimäre. Aber dieser letzten Klasse den positiven Charakter aufzudrücken, den schon die anderen [haben, ist das Ziel]. Dann [erst ist] das positive System gegründet in seiner Gesamtheit. Denn jedes Phänomen [ist] in eine der fünf großen Klassen [einzuordnen]. Alle unsere fundamentalen Anschauungen [sind] homogen geworden. Definitiv konstituiert im positiven Zustand, ohne je den Charakter wechseln zu können, bleibt dem System des Wissens nur noch eine endlose Entwicklung durch immer wachsenden Erwerb. Hat die positive Wissenschaft diesen Charakter der Universalität erlangt, der ihr noch fehlt, so wird sie imstande sein, mit ihrer ganzen natürlichen Überlegenheit vollständig in die Stelle der theologischen und metaphysischen Spekulationen einzutreten, die heutzutage in Wahrheit nur diese einzige Eigenschaft - die Universalität - voraushaben und die, wenn sie diesen

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Vorzug einbüßen, für unsere Nachkommen 9 nur noch einen Platz in der Geschichte haben werden 10 . 8. Hieraus [wird] der zweite Zweck des Cours, sein allgemeiner, leicht verständlich, der macht, daß er ein Cours von positiver Philosophie und nicht bloß ein Cours von sozialer Physik [ist]. Indem die soziale Physik das System der natürlichen Wissenschaften vollendet, wird es möglich, ja notwendig, die verschiedenen erworbenen Kenntnisse zusammenzufassen und sie so zusammenzuordnen, daß sie sich als ebensoviele Äste eines einzigen Stammes darstellen, statt wie bisher als ebensoviele isolierte Körper angesehen zu werden. Zu dem Ende werde ich, ehe ich zum Studium der sozialen Phänomene übergehe, der Reihe nach die bereits gebildeten positiven Wissenschaften durchlaufen. Keine Rede natürlich von einer Reihe von speziellen Kursen über die verschiedenen Zweige der natürlichen Wissenschaften. Ein Cours de philosophie positive, nicht ein Cours de sciences positives ist es, den ich geben will 11. Es handelt sich einzig darum, jede fundamentale Wissenschaft in ihren Wechselbeziehungen mit dem gesamten positiven System und in Bezug auf den Geist, der sie charakterisiert, d. h. unter dem doppelten Gesichtspunkt ihrer wesentlichen Methoden und ihrer vornehmlichen Ergebnisse, zu betrachten. Die beiden Aufgaben, die spezielle und die allgemeine, [sind] untrennbar. Denn von der einen Seite [ist] kein Cours der positiven Philosophie möglich ohne Gründung der sozialen Physik, würde ja ein wesentliches Element fehlen und schon hierdurch jener Charakter der Allgemeinheit, der ihr eigentümlich; von der andern [Seite], wie soll man mit Sicherheit das positive Studium der sozialen Phänomene beginnen, wenn der Geist nicht dafür vorbereitet ist durch eine gründliche Betrachtung der bereits gesicherten positiven Methoden für die minder verwickelten Phänomene und wenn er nicht außerdem ausgestattet ist mit der Erkenntnis der vornehmsten Gesetze der früheren Phäno-

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mene, die alle mehr oder minder direkt auf die sozialen Tatsachen von Einfluß sind? 9. So also [ist] wohl auch der allgemeine Zweck klar. Doch damit sein allgemeiner Begriff noch klarer und damit unser Unternehmen nicht mit einem unwissenschaftlichen enzyklopädischen Treiben eines Vielwissers verwechselt werde, wollen wir ihn noch unter einem anderen Gesichtspunkt betrachten. Im ursprünglichen Zustand unserer Erkenntnisse besteht für unsere intellektuelle Arbeit keine regelmäßige Teilung. Dies ändert sich mehr und mehr in dem Maße, in welchem die verschiedenen Klassen unserer Ideen sich entwickeln. Nach einem Gesetz, dessen Notwendigkeit einleuchtet, trennt sich jeder Zweig des wissenschaftlichen Systems unmerklich von dem Stamm, sobald er hinreichend gewachsen, um isoliert angebaut zu werden und gewisse Geister ausschließlich in Anspruch nehmen zu können. Dieser Teilung der intellektuellen Arbeit verdanken wir den merkwürdigen Aufschwung jeder einzelnen Klasse des Wissens in unseren Tagen, und sie macht die Universalität spezieller Forschungen, die bei den Alten [noch bestand], unmöglich. Sie ist einer der wichtigsten 12 Charaktere der positiven Philosophie. Aber so sehr ihre Resultate anzuerkennen [sind], so ist es doch von einer anderen Seite unmöglich, die großen Nachteile13 zu verkennen, die sie gegenwärtig erzeugt durch die übertriebene Partikularität der Ideen, die jeden einzelnen Geist ausschließlich beschäftigen. Diese ärgerliche Wirkung ist ohne Zweifel bis an einen gewissen Punkt unvermeidlich, indem sie in dem Prinzip der Teilung der Arbeit selbst gelegen ist; d. h. durch kein Mittel werden wir je dahin kommen, unter diesem Gesichtspunkt den Alten gleichzukommen, bei denen eine solche Superiorität auch nur wegen des wenig entwickelten Zustandes unserer Kenntnisse möglich war. Nichtsdestoweniger können wir aber, glaube ich, den verderblichen Folgen einer übertriebenen Spezialität vorbeugen, ohne dem belebenden Einfluß der Teilung der Untersuchungen zu schaden.

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Es ist dringendes Bedürfnis, sich damit zu befassen, denn die Mißstände, die ihrer Natur nach ohne Unterlaß im Wachstum begriffen sind, fangen an sehr merklich zu werden. Alle Abgrenzungen von besonderen Wissenschaften sind schließlich künstlich, noch mehr die Scheidung der Teile 14 einer Wissenschaft. Die bei weitem größte Zahl der Gelehrten ist aber bereits nicht mehr imstande, auch nur eine einzige Wissenschaft zu umfassen. Nur auf eine größere oder kleinere Sektion beschränkt sich ihre Betrachtung, ohne auf die übrigen oder gar auf die Beziehungen zwischen diesen partikulären Arbeiten und dem Gesamtsystem der positiven Kenntnisse zu achten. Der menschliche Geist droht sich in diesen Detailarbeiten zuletzt zu verlieren. Verhehlen wir es uns nicht, hier ist die schwache Seite, von der die Anhänger der theologischen und der metaphysischen Philosophie noch mit einiger Hoffnung auf Erfolg die positive Philosophie angreifen können. Eilen wir ein Heilmittel zu ergreifen. Aber welches? Gewiß nicht die Rückkehr zur alten Konfusion der Arbeiten, die auf den Rückschritt des menschlichen Geistes abzielen würde, der zum Glück heute unmöglich geworden. Vielmehr in einer Vervollkommnung der Teilung der Arbeit selbst [ist das Heilmittel zu suchen]. Man braucht in der Tat nur aus dem Studium der wissenschaftlichen Allgemeinheiten eine neue besondere, große Spezialität zu machen. Eine neue Klasse von Gelehrten, vorbereitet durch entsprechende Erziehung, muß sich nur, ohne sich der speziellen Pflege irgendeines partikularen Zweiges der natürlichen Philosophie zu widmen, einzig damit beschäftigen, die verschiedenen positiven Wissenschaften in ihrem gegenwärtigen Zustande zu betrachten, den Geist einer jeden von ihnen genau zu bestimmen, ihre Beziehungen und ihre Verkettungen aufzusuchen, ihre eigentümlichen Prinzipien auf eine womöglich kleinere Zahl von allgemeinen Prinzipien zurückzuführen, indem sie sich dabei ohne Unterlaß von den fundamentalen Grundsätzen der positiven Methode leiten lassen. Zu gleicher Zeit müssen dann die ande-

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ren Gelehrten, ehe sie sich ihren besonderen Spezialitäten hingeben, durch eine Bildung 15 , die sich auf das gesamte Gebiet der positiven Erkenntnisse erstreckt, instand gesetzt werden, unmittelbar aus dem Lichte Nutzen zu ziehen, welches aus den Forschungen jener dem Studium der Allgemeinheiten gewidmeten Gelehrten ihrem besonderen Gebiete zufließt und umgekehrt ihrerseits die Ergebnisse von ihnen zu berichtigen - ein Stand der Dinge, dem die gegenwärtigen Gelehrten sich sichtlich von Tag zu Tag nähern. Diese beiden großen Bedingungen einmal gegeben - und es ist evident, daß sie erfüllt werden können -, wird die Teilung der Arbeit ohne irgendwelche Gefahr so weit getrieben werden können, als die Entwicklung der verschiedenen Klassen der Erkenntnisse es verlangen wird. Hat einmal eine besondere Klasse, die fort und fort von allen andere kontrolliert wird, als besondere und beständige Aufgabe die Verknüpfung jeder neuen Entdeckung mit dem allgemeinen System, so ist nicht mehr zu fürchten, daß eine allzu große Aufmerksamkeit auf das Detail 16 hindern werde, das Ganze wahrzunehmen. Mit einem Worte, die moderne Organisation der gelehrten Welt wird von da an vollständig gegründet sein und sich nur noch endlos zu entwickeln haben mit steter Beibehaltung des gleichen Charakters. In solcher Weise aus dem Studium der Allgemeinheiten eine besondere Sektion der großen intellektuellen Arbeit machen, heißt einfach nichts anderes, als demselben Prinzip der Teilung, welches Schritt für Schritt l 7 die verschiedenen Spezialitäten getrennt hat, Anwendung geben. Denn solange die verschiedenen positiven Wissenschaften wenig entwickelt waren, konnten ihre wechselseitigen Beziehungen nicht genug Bedeutung gewinnen, um für beständig wenigstens einer besonderen Klasse von Arbeiten eine Stelle zu sichern 18, und zugleich war die Notwendigkeit dieses neuen Studiums viel weniger dringend. Aber heutzutage hat jede der Wissenschaften für sich allein Ausdehnung genug gewonnen, auf daß die Erforschung ihrer Wechselbeziehungen fortgesetzten Arbeiten eine Stelle geben könne, während zugleich diese neue Klasse von Studien

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unentbehrlich wird, um die Zerstreuung 19 der menschlichen Ideen zu verhüten. Das ist die Bestimmung der positiven Philosophie in dem allgemeinen System der eigentlich so genannten positiven Wissenschaften, wie ich sie mir denke. Das ist wenigstens der Zweck, den dieser Cours anstrebt20.

3. {Plan derfundamentalen Wissenschaften J

In der vorigen Stunde [haben wir untersucht], was der Zweck des großen Werkes [ist]. Die Antwort [ist] nicht bloß von individueller, sondern von allgemeiner Bedeutung: Ergänzung des Begriffes der positiven Philosophie, Stellung innerhalb des Systems der positiven Wissenschaft. Heute wollen wir den Plan 1 seiner Anlage betrachten. Hier möchte einer im ersten Augenblick noch mehr glauben, daß das Interesse ein untergeordnetes und bei der Kürze der uns zugemessenen Zeit die Frage zu umgehen [sei]. Aber wenn dies bei anderen Büchern [sich empfiehlt], bei diesem nicht, sondern weit entfernt [davon ist es] von fundamentaler Wichtigkeit. Leicht begreiflich, wenn Sie den Zweck ins Auge fassen. Nicht bloß die Gründung einer sozialen Physik - spezieller Zweck-, sondern auch ein allgemeiner: die Gründung einer positiven Philosophie, d. h. einer Wissenschaft, deren Aufgabe die Betrachtung der wissenschaftlichen Allgemeinheiten ist, die Gründung des allgemeinen Systems der menschlichen Gedanken, wie es die wissenschaftliche Arbeitsteilung fordert. Und von ihm den Namen. Darum, sagtComte, werdeer, eheerzumStudiumdersozialen Physik übergehe, der Reihe nach die bereits übrigen gebildeten positiven Wissenschaften durchlaufen, um jede fundamentale Wissenschaft in ihren Wechselbeziehungen mit dem gesamten positiven System und in Bezug aufden Geist, der sie charakterisiere, d. h. unter dem doppelten Gesichtspunkt ihrer wesentlichen Methoden und ihrer vornehmsten Ergebnisse, betrachten 2.

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Aus dieser zweiten Aufgabe folgt, daß der Plan des Werkes von einer ganz anderen Bedeutung als in anderen Fällen [ist]. Ich würde wünschen, ihm in allen Teilen folgen zu können. Die Kürze der Zeit wird uns nötigen, dem Wichtigeren Rechnung tragend, allein den sozialen Teil eingehender [zu behandeln]. Aber vorher [müssen wir] den Plan aufmerksam studieren, nicht bloß um eine Übersicht über das Ganze des Werkes, sondern [um] in ihm eine Übersicht über das Ganze der Wissenschaft, ja über das Ganze der Welt und ihrer Erscheinungen [zu erlangen]. Dann [wird] klar, [daß] die Einteilung des Buches und die Ordnung seiner Teile [mit] der Klassifikation der verschiedenen fundamentalen positiven Wissenschaften und ihrer natürlichen Aufeinanderfolge [übereinstimmt], und durch die Weise, wie Comte diese Klassifikation unternimmt, wird sie nicht bloß eine großartige logische Bedeutung haben, sondern auch über das objektive Verhältnis der Erscheinungen uns Aufschluß geben3. Jeder, der einen Versuch macht, der schon von anderen und von vielen und bedeutenden [Denkern] gemacht worden, pflegt auf sie zuerst einen kritischen Blick zu werfen. Dies hier [ist] seit Bacon zahllos und von sehr bedeutenden Denkern [versucht worden]. Aber Comte enthält sich wenigstens einer eingehenden Kritik, die leider nur allzu leicht, aber eben darum entbehrlich ist 4 . Alle enzyklopädischen Klassifikationen wie die von Bacon und d' Alembert, die auf eine Unterscheidung der verschiedenen Geisteskräfte gegründet sind, sind schon dadurch allein verfehlt, denn in jeder Sphäre seiner Betätigung macht unser Verstand von allen seinen hauptsächlichen Fähigkeiten Anwendung. In Betreff der anderen [Klassifikationen] genügt die Bemerkung, daß die darüber sich entspinnenden Diskussionen dabei endeten, in jeder fundamentale Fehler nachzuweisen, so daß keine sich allgemeine Zustimmung erwerben konnte und fast ebensoviele Meinungen als Individuen bestehen. Ja so vollstän-

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dig mißglückt waren gewöhnlich die Versuche, daß bei den meisten Männern von Verstand sich sogar einjedem Unternehmen der Art ungünstiges Vorurteil gebildet hat. Wesentlich ist es, den Grund des Mißlingens nachzuweisen 5. 1) Seit dem allgemeinen Mißkredit, worin diese Forschungen gekommen, versuchen solche Klassifikationen am öftesten nur Leute, die fast gänzlich der Erkenntnis der zu klassifizierenden Gegenstände fremd sind. 2) Dieser Grund [ist] persönlich; bedeutender ein anderer, der aus der Natur des Gegenstandes selbst geschöpft ist. Er besteht in dem Mangel an Homogenität, der fast immer bis auf die allerletzte Zeit zwischen den verschiedenen Teilen des intellektuellen Systems bestanden hat, indem die einen allmählich positiv geworden, während die anderen theologisch oder metaphysisch geblieben. Wie sollte man Anschauungen in einem System zusammenordnen, die so im tiefsten Grunde sich widersprechen? Das war 6 eine Schwierigkeit, an welcher notwendig alle Klassifikationen scheiterten, ohne daß einer es deutlich erkannt hätte. Nichtsdestoweniger mußte es jedem einleuchten, der die wahre Lage des menschlichen Geistes wohl gekannt hätte, daß ein solches Unternehmen verfrüht sei und daß es erst dann mit Erfolg versucht werden könne, wenn alle unsere hauptsächlichen Gedankenkreise 7 positiv geworden sein werden. Da diese Bedingung nach dem früher Bemerkten als erfüllt angesehen werden kann, so ist es von jetzt an möglich, eine wahrhaft vernünftige und standhaltige Disposition eines Systems, wovon endlich alle Teile homogen geworden sind, zu treffen 8 . Auch von einer anderen Seite sind wir gegenüber dem Früheren im Vorteil. Die klassifikatorischen Arbeiten der Botaniker und Zoologen geben uns eine allgemeine Theorie der Klassifikationen, geben uns einen sicheren Führer durch das wahre fundamentale Prinzip der Kunst des Klassifizierens, das bis dahin nie deutlich erkannt worden war9.

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Es ist dies eine notwendige Konsequenz der bloßen unmittelbaren Anwendung der positiven Methode auf die Frage der Klassifikationen selbst, die wie jede andere auf Beobachtung ruhen muß, statt durch apriorische Betrachtungen gelöst zu werden. Es besteht darin, daß die Klassifikation aus dem Studium der zu klassifizierenden Objekte selbst hervorgehen muß und durch die realen Verwandtschaften und die natürliche Verkettung, die sich in ihnen darstellt, bestimmt sein muß, so zwar, daß diese Klassifikation selbst der Ausdruck der allgemeinen Tatsache sein muß, die sich bei gründlicher Vergleichung der Objekte, welche sie umfaßt, offenbart. Wenden wir diese fundamentale Regel der Klassifikation auf unseren Fall an, so ist es demnach die wechselseitige Abhängigkeit, die tatsächlich in den verschiedenen positiven Wissenschaften besteht, nach welcher wir sie klassifizieren müssen, und diese Abhängigkeit, um real zu sein, kann nur aus der der entsprechenden Phänomene hervorgehen 10 . Sie sehen meine obige Bemerkung bestätigt. Allein ehe Comte in einem solchen Geist der Beobachtung die bedeutende enzyklopädische Arbeit in Angriff nimmt, trägt er Sorge, um sich nicht in einem allzu weiten Felde zu verlieren, den eigentümlichen Gegenstand der Klassifikation genauer zu umschreiben 11 . Er tut dies, indem er eine doppelte Scheidung und Ausscheidung trifft: 1) Scheidung in theoretische 12 oder eigentliche und in praktische Wissenschaften. 2) [Scheidung] der theoretischen [Wissenschaften] in abstrakte und konkrete 13 . Die praktischen und konkreten schließt er aus und zeigt sowohl die Notwendigkeit als die Unschädlichkeit. Die Untersuchungen sind zu interessant und lehrreich, als daß wir ihm nicht in seinen besonderen Erörterungen darüber folgen müßten. Vor allem also: Alle menschlichen Arbeiten sind Arbeiten der Spekulation oder der Aktivität.

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So besteht denn die allgemeinste Einteilung unserer realen Erkenntnisse darin, daß wir sie in theoretische und praktische unterscheiden. [a)] Es ist evident, daß wir bei einer Betrachtung der Wissenschaften wie der unseren nur von den theoretischen zu handeln haben. Handelt es sich ja nicht darum, die ganze Summe menschlicher Gedanken aufzuführen 14 , sondern allein die fundamentalen Anschauungen bezüglich der verschiedenen Ordnungen von Phänomenen, welche allein unseren übrigen mannigfachen Kombinationen als feste Basis dienen und die ihrerseits aufkeinem früheren Gedankensystem gründen. Aber bei einer solchen Arbeit ist es offenbar die Spekulation, auf die man achten muß und nicht [auf] die praktische Verwertung ihrer Ergebnisse lS. Betrachtet man das Ganze menschlicher Leistungen, so ist ohne Zweifel das Studium der Natur bestimmt, als wahre rationelle Basis der Aktivität auf die Natur zu dienen. Nur die Erkenntnis der Gesetze der Natur gestattet uns die Herbeiführung von Bedingungen, welche zu dem von uns erwünschten Erfolg führen 16 . Science, d'ou prevoyance; prevoyance, d'ou action 17 : das ist die Formel, die mit Genauigkeit das allgemeine Verhältnis von Wissenschaft und Kunst bezeichnet, beide Ausdrücke in ihrer Gesamtbedeutung genommen. Aber wie? Folgt nicht gerade hieraus., daß wir wenigstens von dem vornehmeren und wissenswerteren Teile des Wissens den Blick abkehren, wenn wir nur die theoretischen, nicht die praktischen Disziplinen berücksichtigen; Sie sind bloße Mittel zum Zweck. Aber sie sind weit entfernt, nur deshalb begehrenswert zu sein. Es ist wahr, daß die wissenschaftlichen Theorien der Industrie und allen Künsten immense Dienste leisten. Bacon hat recht, wenn er sagt, die Macht des Menschen über die Natur stehe notwendig im Verhältnis zu seiner Erkenntnis; allein darüber dürfen wir nicht vergessen, daß die Wissenschaften vor allem eine unmittelbare und höhere Bestimmung haben, nämlich dem tiefinnersten Bedürfnis unseres Verstandes nach Er-

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kenntnis der Gesetze der Phänomene zu genügen. Um zu fühlen, wie tief und gebieterisch 18 dieses Bedürfnis ist, genügt es einen Augenblick an die Wirkungen zu denken, die das Staunen 19 in unserer Seele hervorruft, und zu bedenken, daß die furchtbarste Empfindung, die wir erfahren 20 können, die ist, welche wir jedesmal erfahren, sobald ein Phänomen im Widerspruch mit den uns vertrauten natürlichen Gesetzen sich zu ereignen scheint. Das Bedürfnis, die Tatsachen in eine Ordnung zu bringen, die wir mit Leichtigkeit fassen können - und dies ist nichts anderes als der Gegenstand aller unserer wissenschaftlichen Theorien-, wurzelt so in unserer innerscen Natur, daß, wenn wir nicht dazu gelangten, ihm durch positive Anschauungen zu genügen, wir unvermeidlich zu den theologischen und metaphysischen Erklärungen uns zurückwenden würden, deren Entstehen es ursprünglich veranlaßt hat, wie früher gezeigt. Leider sind die gegenwärtigen Gewohnheiten nur allzusehr von Einfluß, welche die Bildung wichciger und edler Ideen über die Bedeutung und die Bestimmung der Wissenschaften verhindern. Würde nicht die überwiegende Macht unserer N aturanlage 21 selbst wider Willen in dem Geiste der Gelehrten das berichtigen, was in dieser Beziehung allzu Unvollständiges 22 und Enges in der allgemeinen Richtung unseres Zeitalters liegt, so würde der menschliche Verstand, auf die Beschäftigung mit unmittelbar praktischen Untersuchungen beschränkt, sich eben dadurch, wie Condorcet 23 sehr richtig bemerkt hat, gänzlich in seinem Fortschritt gehemmt finden und dies selbst in Bezug auf die praktischen Tätigkeiten, denen man töricht 24 die rein spekulativen Arbeiten geopfert hätte. Denn die bedeutendsten praktischen Leistungen leiten sich fort und fort 25 von Theorien her, die in einer einfachen wissenschaftlichen Absicht gebildet wurden und oft Jahrhunderte lang gepflegt wurden, ohne ein praktisches Ergebnis zu liefern. Man kann sich dafür auf die schönen Betrachtungen der griechischen Geometer über die Kegelschnitte berufen, die nach einer langen Reihe von

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Generationen, indem sie zur Erneuerung der Astronomie führten, schließlich dazu dienten, die Schiffahrt auf den Grad der Vollkommenheit zu bringen, welche sie in unseren Tagen erreicht hat und an welche sie nicht gelangt sein würde, ohne die so rein theoretischen Arbeiten des Archimedes und Apollonius. So konnte Condorcet 26 in dieser Beziehung mit Grund sagen: »Der Matrose, welchen eine genaue Beobachtung der geographischen Lage vor dem Schiffbruch bewahrt, verdankt sein Leben einer Theorie, die 2000 Jahre zuvor durch geniale Männer ersonnen wurde, die einfache geometrische Forschungen im Auge hatten.« So ist es denn evident, daß der menschliche Geist, nachdem er in allgemeiner Weise das Studium der Natur als die vernünftige Basis der Tätigkeit auf die Natur erkannt hat, zu den theoretischen Untersuchungen27 sich wenden muß, indem er vollständig von allen praktischen Interessen 28 absieht; denn unsere Mittel, die Wahrheit zu entdecken, sind so schwach, daß, wenn wir sie nicht ausschließlich auf dieses Zi.el hin konzentrierten und wenn wir beim Erforschen der Wahrheit uns zugleich die ihm fremde Bedingung auferlegten, eine unmittelbare praktische Nutzbarkeit darin zu finden, es uns fast immer unmöglich sein würde, sie zu erreichen. b) Heutzutage29 scheint [der theoretische Teil] nur der einzige sein zu müssen30. So weit sind wir entfernt, jetzt einen Cours der Wissenschaft zu bilden, der das Allgemeine der praktischen wie theoretischen Wissenschaften umfaßt, daß vorher noch eine sehr umfangreiche vorbereitende Spezialarbeit nötig sein würde, nämlich die Bildung 31 einer mittleren Klasse von Doktrinen zwischen den theoretischen Wissenschaften und den Künsten, die auf den theoretischen wissenschaftlichen Theorien gründend die Bestimmung hätten, den allgemeinen praktischen Untersuchungen als Basis zu dienen32. Die Wissenschaften lassen sich nicht unmittelbar anwenden. Eine Klasse von Ingenieuren33 wäre notwendig, mit dem speziellen Beruf, die Beziehungen von Theorie zu Praxis zu orgams1eren.

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Das bedeutendste Beispiel [ist] der schöne Gedanke Monges34 bezüglich der deskriptiven Geometrie, die in Wahrheit nichts anderes als eine allgemeine Theorie der Kunst der Konstruktion ist. Auch von diesen intermediären Doktrinen kann ein rationeller Cours jetzt nicht handeln. Sind sie doch, bis auf wenige, jetzt noch gar nicht gebildet35. Daß diese mittleren und die eigentlichen praktischen Wissenschaften im Verhältnis zu den theoretischen noch so zurück [sind], ist nicht bloß Folge ihrer Abhängigkeit von theoretischen Resultaten, sondern besonders auch davon, daß sie gleichzeitig von vielen, wenn nicht allen theoretischen Wissenschaften abhängen; z.B. die Agrikultur, Physiologie, Chemie, Physik, ja Astronomie und Mathematik. Ebenso die schönen Künste 36 • Hieraus [wird] begreiflich, daß ihre Bildung vor der Entwicklung aller fundamentalen Zweige des theoretischen Wissens unmöglich [war]. c) Hieraus aber [ergibt sich] auch zugleich ein neuer Beweggrund, sie nicht in einen Cours de philosophie positive einzuschließen, denn weit entfernt zur systematischen Bildung dieser Philosophie beitragen zu können, müssen die allgemeinsten Theorien, die den verschiedenen vornehmlichen Künsten eigen sind, im Gegenteil nach aller Wahrscheinlichkeit eine der nützlichsten Folgen ihrer Gündung37 sein. Denn ein solches Zusammenwirken [ist] nur dann recht vollkommen möglich, wenn man sie zuvor zusammen betrachtet und ihre Beziehungen verstanden hat. d) Doch wie dem auch sei, gewiß ist, daß eigentliche Wissenschaft und Kunst zwei in sich selbst wesentlich verschiedene Systeme des Wissens [enthält]. Ferner, daß das erste Basis des zweiten [ist]. Würde daher auch einer sich vornehmen, beide in einem Cours38 zu umfassen, so müßte doch das methodische Studium von dem ersten [System] ausgehen. Es würde der erste Teil eines solchen Cours sein. Resultat39: Fassen wir das Ergebnis kurz zusammen. Ein Cours der Philosophie hat bloß mit den wissenschaftlichen

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Theorien, in keiner Weise aber mit ihren Anwendungen sich zu befassen. Ehe wir aber zur methodischen Klassifikation ihrer verschiedenen Teile schreiten, bleibt uns noch übrig, eine zweite wichtige Unterscheidung bezüglich der eigentlich so genannten Wissenschaften zu machen, die dazu dienen wird, die genaue Umschreibung des eigentlichen Gegenstandes der von uns unternommenen Forschung zu vollenden. Bezüglich jeder Ordnung von Phänomenen muß man zwei Gattungen von Naturwissenschaften unterscheiden 40 . Die einen sind abstrakt, allgemein und haben zum Gegenstand die Entdeckung der Gesetze, welche die verschiedenen Klassen von Phänomenen beherrschen, indem sie ihre Betrachtung auf alle denkbaren Fälle ausdehnen. Die anderen sind konkret, partikulär, deskriptiv 41 und bestehen in der Anwendung dieser Gesetze auf die wirkliche Geschichte der existierenden Dinge. Die Unterscheidung ist nahezu dieselbe wie die, welche man gewöhnlich fast in allen wissenschaftlichen Werken findet, wo die dogmatische Physik und die Naturgeschichte im engeren Sinne einander gegenübergestellt werden. Beispiele: Allgemeine Physiologie - die eigentlich so genannte Zoologie und Botanik. Die eine erfaßt im allgemeinen die Gesetze des Lebens, die andere bestimmt die Weise der Existenz jedes lebenden Körpers im besonderen. Ebenso Chemie - Mineralogie. Die Chemie betrachtet alle möglichen Verbindungen der Moleküle unter allen denkbaren Umständen. Die Mineralogie bloß diejenigen, welche sich in der tatsächlichen Konstitution des Erdballs und unter dem Einfluß der alleinigen Umstände, die ihm eigen sind, verwirklicht vorfinden. Die Mehrzahl der Tatsachen, welche die Chemie betrachtet, haben nur eine künstliche Existenz, so zwar, daß ein Körper wie Chlor oder Pottasche eine außerordentliche Bedeutung in der Chemie haben kann vermöge der Ausdehnung und Stärke ihrer Verwandtschaft, während sie fast gar keine hat in der Mineralogie. Umgekehrt wird eine Komposition wie die des

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Quarz oder Granits, auf welche der größere Teil der mineralogischen Betrachtungen sich beziehen, unter dem chemischen Gesichtspunkte nur ein sehr untergeordnetes Interesse darbieten. Ähnlich könnte man von einer abstrakten und einer konkreten Astronomie reden (unser Sonnensystem u. dgl.). Von diesen zwei Gattungen von Wissenschaften hat dieser Cours nur die der abstrakten, allgemeinen zu berücksichtigen. Und es ergibt sich dies aus ähnlichen Gründen wie in Betreff der spekulativen und praktischen [Wissenschaften]. a) Vor allem ist klar, daß die abstrakten [Wissenschaften] fundamental [sind], die konkreten, wie sie auch immer von Wichtigkeit sein mögen, nur sekundär, da sie ja, wie gesagt, nur die Anwendung der von den abstrakten gefundenen Gesetze auf die tatsächlichen Verhältnisse (Geschichte 42) der verschiedenen bestehenden Dinge [sind]. So ist denn das Studium der Zoologie und Botanik notwendig auf die Physiologie gegründet, und die Chemie ist offenbar die rationelle Basis der Mineralogie. Somit gilt das früher Gesagte. b) Wollte einer einen Cours bilden, der konkrete und abstrakte [Wissenschaften] gemeinsam [behandelt, so wäre dies] doch nicht heutzutage möglich. Die konkreten sind in ihrer Ausbildung noch zu weit zurück. Als sekundär und abhängig von dem entsprechenden Teil der abstrakten [Wissenschaften] sind sie notwendig langsamer in ihrer Entwicklung. Noch mehr. Jeder einzelne Teil der konkreten Wissenschaft verlangt nicht bloß den vorhergehenden Anbau des entsprechenden Teiles der abstrakten, sondern sogar die Kenntnis der allgemeinen Gesetze bezüglich aller Ordnungen von Phänomenen; z.B. die spezielle Erforschung der Erde, betrachtet unter den Gesichtspunkten, die sich tatsächlich darbieten kann, verlangt die vorgängige Kenntnis der Physik und der Chemie, aber außerdem, um wie es sich gehört unternommen zu werden, auch einerseits die astronomischen, andererseits die physiologischen Kenntnisse, so daß sie in der Tat das ganze System der fundamentalen Wissenschaften in Anspruch nimmt. Wäl-

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der. Korallen. Dasselbe gilt von jeder anderen konkreten [Wissenschaft]. Hieraus ist klar, warum die konkrete Physik bis heute so wenig wirkliche Fortschritte gemacht hat, konnte manja ihr Studium in einer wahrhaft rationellen Weise gar nicht beginnen, ehe die sämtlichen verschiedenen Hauptzweige ihren definitiven Charakter erlangt hatten, was erst in unseren Tagen geschehen ist. Bis dahin konnte man für sie nur mehr oder minder zusammenhanglose Materialien sammeln, die selbst noch sehr unvollständig sind. Nicht einmal die Methode, die Notwendigkeit der Gründung der konkreten Untersuchungen auf eine gründliche Kenntnis der sämtlichen abstrakten [Wissenschaften], wurde und wird noch heute von den meisten eingesehen43. c) Hieraus aber [ergibt sich] wieder, ähnlich wie in Betreff der praktischen Wissenschaften, ein neuer Beweggrund, die konkreten Wissenschaften nicht in einen Cours der positiven Philosophie einzuschließen. Statt beitragen zu können zur systematischen Bildung dieser Philosophie, ist vielmehr sie die Vorbedingung für ihre Bildung und gibt die rationelle Basis einer wahrhaft systematischen konkreten Physik. Es wäre eine Verkehrung der Ordnung und ein Widerspruch, umgekehrt die Philosophie auf sie gründen zu wollen44. d) Endlich gilt auch der vierte Grund, den wir für die Unschädlichkeit der Ausschließung der praktischen Wissenschaften geltend machen hörten. Wie spekulative und praktische so sind auch abstrakte und konkrete Wissenschaften [als] zwei voneinander wesentlich verschiedene Gattungen die Basis der anderen. Somit müßte selbst, wenn einer sich vornehmen wollte, beide in einem Cours der Philosophie 45 zu berücksichtigen und wenn ein solches Unternehmen durch einen fortgeschritteneren Zustand der konkreten Disziplinen möglich wäre, doch immer das methodische Studium von den abstrakten ausgehen. Es würde der erste Teil eines solchen Cours sein 46 . Somit ist die Beschränkung der Betrachtung völlig unschädlich und darum für den Anfang von allen Regeln der Forschung

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geboten, zumal das Studium der Allgemeinheiten der fundamentalen Wissenschaften an und für sich weit genug ist, um dringend den Ausschluß aller nicht unumgänglich notwendigen Betrachtungen zu verlangen. Die Hauptsache aber ist, daß die abstrakten allein fundamental [sind], also bleibend die vollständige Grundlage aller menschlichen Spekulationen [abgeben]. Gesamtergebnis 47: 1) Da die menschliche Wissenschaft in ihrer Gesamtheit sich aus spekulativen Erkenntnissen und Erkenntnissen praktischer Anwendung zusammensetzt, so sind es nur die ersteren, mit denen wir uns hier zu beschäftigen haben. 2) Da die theoretischen Kenntnisse oder die Wissenschaften im eigentlichen Sinne sich in allgemeine Wissenschaften und partikuläre Wissenschaften scheiden, so haben wir hier nur die erste Ordnung zu betrachten und uns auf die abstrakte Physik zu beschränken, welches Interesse auch immer uns die konkrete Physik bieten möge. Comte geht nun zur Klassifikation der fundamentalen Wissenschaften über. Ehe [wir ihm hierin folgen,] ein Blick auf Aristoteles48; an ihm [ist Comte] zu messen. 1. Auch er: objektives Prinzip der Einteilung und aus dem Studium der Objekte hervorgehend. Eine Wissenschaft, die von einer Gattung ist, verschiedene, die auf verschiedenen Prinzipien beruhen. Analytica Posteriora 49 . Diese und das, was aus ihnen bewiesen wird, muß von einer Gattung und homogen sein. Hieraus [ist] über Einheit und Vielheit zu entscheiden (und umgekehrt). 2. Auch er: erste Scheidung in theoretische und praktische (die dann manchmal in faktive und aktive). 3. Auch er: mehr und minder praktische [Wissenschaften] nach Stufen der Allgemeinheit SO. Architektonische Wissenschaften, die anderen leitend, wie Baumeister den Handlangern gebieten; die ersteren auch an wissenschaftlichem Wert den theoretischen näher.

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4. Auch er hebt die unendliche KreuzungSl hervor und sieht hierin den Grund und das Maß der Unvollkommenheit der praktischen. 5. Auch er: die eigentlichen Wissenschaften sind die theoretischen. 6. Auch er: den unabhängigen und höheren Wert der theoretischen [hervorhebend]. 7. Auch er: das Staunen als Ursprung, die Natürlichkeit und Notwendigkeit des theoretischen Interesses. 8. Auch er scheidet abstrakte und konkrete Betrachtungen und schließt die konkreten von den Wissenschaften aus52. Bei Comte der Unterschied mehr relativ, bei Aristoteles mehr absolut. Aber dabei erkennt er für die anderen ein mehr und minder Erkennbar, ein Früher und Später nach dem Grade der Allgemeinheit und Abstraktion. 9. Auch er: die Einteilung der Wissenschaften nach einem Prinzip für die abstrakt theoretischen allein: Metaphysik, Mathematik, Physik. 10. Dies und die Untereinteilungen werden uns vielfach später an Comte erinnern. 11. Doch kein Plagiat. Comte [ist] zu originell in seiner Entwicklung, zu sehr in seiner Art, [so] daß er, wo er nur kann, einen Vorläufer [nennt]. So auch in der Politik [behandelt er] das, was schon Aristoteles [lehrte], daß Mill 53 [daher sagt, er habe »nichts Neues« vorgelegt]. Die Metaphysik und Logik des Aristoteles [hat er] kaum gekannt. 12. Günstiges Kriterium dieses Zusammenstimmens für die Theorien. Günstiges Kriterium für unsere Zeit. Neu anbrechende Periode. Wie auch anders, wenn rein theoretisches Interesse? Und naturwissenschaftliche Methode?

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4. Klassifikation der fundamentalen Wissenschaften

1) Vorbemerkungen 1. Jede 1 , auch die natürlichste Klassifikation der Wissenschaften hat, wenn nicht etwas Willkürliches, so doch etwas Künstliches. Eine ganz vollkommene [Klassifikation ist] daher unmöglich2. In der Tat, der Hauptzweck ist die Zusammenstellung der Wissenschaften in der Ordnung ihrer natürlichen Verkettung gemäß ihrer wechselseitigen Abhängigkeit, so zwar, daß man sie der Reihe nach darstellen kann, ohne je in den gerinsten circulus vitiosus sich zu verwickeln 3 . Dies [ist] in ganz strenger Weise unerreichbar. Oder nur unter einer Bedingung: historischer Weg. Zwei wesentlich verschiedene Wege4, eine Wissenschaft darzustellen: 1) der historische, 2) der dogmatische [Weg]; [bei] 1) nach der tatsächlichen Ordnung, nach welcher der menschliche Geist sie wirklich erhalten hat, indem man möglichst denselben Gang einhält; [bei] 2) wie ein einziger Geist, auf den entsprechenden Gesichtspunkt gestellt und mit hinreichenden Kenntnissen ausgestattet, wenn er sich es zur Aufgabe machte, die Wissenschaft in ihrer Gesamtheit zu rekonstruieren. Die erste Weise [ist] notwendig die, mit welcher das Studium jeder entstehenden Wissenschaft beginnt. Keine neue Arbeit [ist] nötig. Die einzelnen, einander folgenden Originalwerke [werden] der Reihe nach [untersucht]. Die zweite [Weise ist] nur anwendbar auf eine bis zu einem gewissen Grade entwickelte Wissenschaft. Und je fortgeschrittener die Wissenschaft, um so mehr [ist es] notwendig [, der historischen Ordnung die dogmatische zu substituieren]5. Der historische Weg [ist] immer unpraktischer. Zu zahlreiche Zwischenglieder. Neue Entdeckungen gestatten, die alten Entdeckungen unter einem direkteren Gesichtspunkt darzustellen.

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Das allgemeine Problem der Erziehung: in wenigen Jahren einen meist mittelmäßigen Verstand auf denselben Punkt der Entwicklung gelangen zu lassen, der während einer langen Reihe von Jahrhunderten durch eine große Schar überlegener Genies erreicht worden ist, die, das eine nach dem anderen, ihr ganzes Leben alle ihre Kräfte dem Studium desselben Gegenstandes gewidmet. Hiermit [wird] klar, daß, obwohl man unendlich leichter und schneller lernt als erfindet, doch unmöglich auf dem Wege durch dieselben Mittelglieder zu einem solchen Ziele [gelangt]. So ist es die beständige Tendenz des menschlichen Geistes, der historischen die dogmatische Ordnung zu substituieren, die kaum noch eine Spur der tatsächlichen Abstammung ihrer Einzelheiten zeigt. Nichtsdestoweniger [ist] immer [eine] gewisse Beimischung nötig bezüglich der neuesten Entdeckungen 6 . Hier [bestehen] auch nicht jene Inkonvenienzen. Einwand: Auf diese Art bliebe die Weise der Entdeckung unbekannt, was, obwohl etwas von der Erlangung der Kenntnisse Verschiedenes, doch von höchstem Interesse [ist]. Aber nur eine scheinbare Beziehung [besteht] zwischen der historischen Weise, eine Wissenschaft zu studieren, und der wahren Erkenntnis der tatsächlichen Geschichte dieser Wissenschaft. Nicht bloß die verschiedenen Teile einer Wissenschaft, die sich bei dogmatischer Ordnung folgen, sondern auch die verschiedenen Wissenschaften haben sich gleichzeitig und unter gegenseitigem Einfluß entwickelt. Ja, selbst Wissenschaften und Künste sind in ihrer Geschichte so verkettet, und auch soziale Verhältnisse. So folgt, daß man die wahre Geschichte jeder Wissenschaft nur erkennen kann, indem man in einer allgemeinen und direkten Weise die Geschichte der Menschheit erforscht 7 . Was bisher [vorliegt, ist] bloß als Material anzusehen. Die angebliche historische Ordnung der Darstellung, wenn sogar in aller Stringenz für die Einzelheiten einer Wissenschaft möglich, wäre doch bereits rein hypothetisch und abstrakt in der wesentlichsten Beziehung, insofern sie die Entwicklung dieser

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Wissenschaft isoliert betrachtete. Falsche Ansicht von ihrer Geschichte. Sonst [würde man] alle Wissenschaften in ihrer Darstellung vermengen, was niemand [wi11]8. Wissenschaft und ihre Geschichte [sind] getrennte Studien. Die letztere betrachten wir im letzten Teil des Cours 9 , wo von der allgemeinen Entwicklung der Menschheit [gehandelt wird]. Was vorher [als] Historisches bei der Betrachtung der einzelnen Wissenschaften berührt wird, wird einen ganz anderen Charakter haben (und dem dogmatischen Weg keinen Eintrag tun). Hieraus [ergibt sich] für unsere Frage die klare Bestimmung dessen, was man bei der Konstruktion einer enzyklopädischen Leiter der verschiedenen fundamentalen Wissenschaften anstreben und verlangen darf. Diese Klassifikation wird nie der historischen Verkettung der Wissenschaften ganz entsprechend sein 1O. Wie man es auch anstellt, die früher gestellte Wissenschaft wird immer nötig haben, der später gestellten Begriffe zu entlehnen. Man muß nur danach streben, daß dies nicht bezüglich der charakteristischen Begriffe jeder Wissenschaft geschieht. Denn dann [wird] die Klassifikation fehlerhaft, z.B. AstronomiePhysik und namentlich Optik 11 ; solche sekundäre Mängel [sind] k[eine] Widerlegung, wenn die sonstigen Bedingungen erfüllt, [denn] sie sind auf Rechnung dessen zu setzen, was notwendig von Künstlichem in unserer Teilung der intellektuellen Arbeiten [liegt]. Nichtsdestoweniger, obwohl nach den vorausgegangenen Erörterungen die historische Ordnung nicht die Basis unserer Klassifikation sein kann, so wird sie doch im allgemeinen dem Ganzen der Geschichte konform sein in dem Sinn, daß trotz der realen und fortgesetzten Gleichzeitigkeit der Entwicklung der verschiedenen Wissenschaften diejenigen, welche früher stehen, älter und immer fortgeschrittener sind 12. Dies [ist] unvermeidlich, wenn wir, wie es sein soll, die natürliche logische Verkettung der verschiedenen Wissenschaf-

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ten zum Prinzip der Klassifikation machen. Ist doch der Ausgangspunkt der Species notwendig derselbe wie der des Individuums. Soviel als Protest gegen [eine] übertriebene, der Natur der Sache nach unmögliche Anforderung. 2. Auch die naturgemäßen und möglichen [Anforderungen J zu befriedigen, [ist] sehr schwer. Wir werden sehen: nicht weniger als 6 fundamentale Wissenschaften. Die meisten Gelehrten [nehmen] wohl mehr [an]. 720 verschiedene Dispositionen, also [ebenso viele] Klassifikationen möglich 13 . Man sieht, trotz der vielen Versuche [ist] die Zahl der möglichen [KlassifikationenJ noch lange nicht wirklich versucht und geprüft. Prüft man sie, so ist keine, zu deren Gunsten nicht etwas zu sagen [wäre J. In der Tat, betrachtet man die gemachten Versuche, [so findet man] extreme Differenzen. Was der eine an die Spitze, [setzt] der andere ans Ende. In der Auswahl einer einzig wahrhaft rationellen Ordnung aus einer so bedeutenden Zahl möglicher Systeme besteht also die genaue Schwierigkeit der Frage, die wir uns gestellt.

2) Versuch der Klassifikation 1. Wiederholung des früher ausgesprochenen Grundsatzes: Um eine natürliche und positive Klassifikation der fundamentalen Wissenschaften zu erhalten, müssen wir in der Vergleichung der verschiedenen Ordnungen von Phänomenen, deren Gesetze sie zu entdecken haben, das Prinzip suchen. Was wir bestimmen wollen, ist die reelle Abhängigkeit der verschiedenen wissenschaftlichen Studien. Wohl! Diese Abhängigkeit kann nur aus der der entsprechenden Phänomene resultieren 14 . 2. Indem wir unter dem Gesichtspunkte alle zu beobachtenden Phänomene betrachten, werden wir sehen, daß es möglich ist, sie in eine kleine Zahl von natürlichen Klassen zu bringen,

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die in einer solchen Weise zusammengestellt sind, daß das rationelle Studium jeder Klasse auf die Kenntnis der hauptsächlichen Gesetze der vorhergehenden sich gründet und die Grundlage für das Studium der folgenden wird 1s. 3. Fundamentalregel: Diese Ordnung ist bestimmt durch den Grad der Einfachheit oder, was auf dasselbe hinausläuft, durch den Grad der Allgemeinheit des Phänomens, woraus ihre sukzessive Abhängigkeit folgt, die größere oder geringere Leichtigkeit ihres Studiums resultiert. Begründung: a priori klar 16 . 1) Die einfachsten Phänomene (diejenigen, welche sich durch die anderen am wenigsten verwickeln,) sind notwendig die allgemeinsten, denn was sich in der größten Zahl der Fälle beobachten läßt, ist eben dadurch möglichst frei von denjedem besonderen Fall eigentümlichen Umständen. Diese Ordnung der Allgemeinheit oder Einfachheit bestimmt notwendig die rationelle Verkettung der verschiedenen fundamentalen Wissenschaften durch die sukzessive Abhängigkeit ihrer Phänomene und stellt so ihren Grad der Leichtigkeit fest 17 . 2) Zum logischen [kommt] ein ethischer Grund. Die einfachsten und allgemeinsten Phänomene, da sie notwendig den besonderen Interessen des Menschen am fremdesten, müssen in einer ruhigeren, rationelleren Geistesdisposition studiert werden. Auch daher rascherer Fortschritt 18. 4. Anwendung der Regel. Konstruktion der Enzyklopädischen Leiter 19. Einteilung: 2 große Klassen von Phänomenen. Ph[änomene] der unorganischen, Ph[änomene] der organischen Körper 20. Begründung: diese [sind] komplizierter, partikulärer, abhängig von den anderen, während jene in keiner Weise von ihnen [abhängen]. Daher [ist es] notwendig, sie später zu studieren. In den lebenden Körpern [finden sich] alle anderen und spezielle Phänomene. Unabhängigkeit dieser Bestimmung von der Frage, ob Organismen und leblose Körper von derselben Natur [sind]. (Die Frage unlösbar) 21. Denn wenn auch die lebenden Körper nicht von einer wesentlich verschiedenen Natur [sind] - angenommen, was kaum

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denkbar, daß man beweisen könne, die physiologischen Phänomene seien immer einfache mechanische, elektrische, chemische, modifiziert durch die Struktur und Zusammensetzung der Organismen-, die fundamentale Scheidung bliebe. Es bliebe immer wahr, daß die allgemeinen Phänomene studiert werden müssen vor der Untersuchung der speziellen Modifikationen in gewissen Wesen in Folge der Disposition der Moleküle. Es bleiben immer die Phänomene subordiniert und folglich die Studien, trotz aller zu erreichender Annäherung 22 . Genug also: logische Notwendigkeit, 2 Wissenschaften zu statuieren. Das Studium der organischen Physik (ist] später [als das der unorganischen Körper]. 1) Hauptsächliche Untereinteilung 23 der ersten großen Klasse: a) allgemeine Phänomene des Universums, Physik der Himmelskörper oder Astronomie; b) besondere [Phänomene] der irdischen Körper [oder] irdische Physik. Begründung ähnlich 24 . Die astronomischen Phänomene [sind] die allgemeinsten, einfachsten abstraktesten von allen. Ihre Gesetze [sind] von Einfluß auf die der anderen Phänomene, wovon sie im Gegenteil wesentlich unabhängig [sind]. Daher [erweisen sich auch] die irdischen [Phänomene als] komplizierter. Ein unorganisches Phänomen, (etwa] die einfache Bewegung eines schweren irdischen Körpers, auch wenn (er nur] fest (ist, ist] komplizierter [als die schwierigste astronomische Frage zu klären], wenn man allen Umständen Rechnung tragen will. Daher (ist eine] Trennung nötig 25 . Subdivision des zweiten Gliedes der ersten Subdivision. Die irdische Physik betrachtet entweder a) die Körper unter dem mechanischen oder b) unter dem chemischen Gesichtspunkt. Physik im engeren Sinne. Chemie. Diese setzt die Kenntnis jener voraus, denn alle chemischen Phänomene sind notwendig komplizierter als die physikalischen; (sie sind] abhängig, ohne sie zu beeinflussen (Schwere,

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Wärme, Elektrizität etc.), und außerdem [besitzen sie] etwas Eigentümliches, was die anderen modifiziert. Offensichtlich [sind Physik und Chemie] zwei Wissenschaften. Was man auch über die chemische Verwandtschaft denkt, selbst wenn [man sie] bloß wie [eine] Modifikation der Gravitation [betrachtet], hervorgebracht durch die Figur und gegenseitige Disposition der Atome, [die Unterschiedenheit bliebe bestehen]. Stete Rücksicht auf die speziellen Bedingungen, weshalb die Chemie kein einfacher Appendix [der Physik ist]. 2) Subdivision der zweiten großen Klasse 26. Ähnliche Einteilung bei den organischen Körpern: a) Phänomene, die der einzelne [Körper], b) die die Spezies darbietet, namentlich wenn sie soziabel [ist], was besonders beim Menschen [der Fall ist]. Physiologie. Soziale Physik. Begründung: Bei dieser [finden wir einen] Einfluß der physiologischen Gesetze und etwas Besonderes, was die Wirkungen modifiziert, was aus der Einwirkung der Individuen aufeinander resultiert. In besonderer Weise kompliziert beim Menschen 27 . Frühere und spätere Generationen. [Auch hier finden wir] zwei Wissenschaften. Unmöglichkeit, die kollektive Forschung als bloße Deduktion des Studiums des Einzelnen zu behandeln. Die sozialen Bedingungen, die modifizieren, sind gerade hier die Hauptsache. Die soziale Physik [ist] auf eine Gruppe eigentümlich direkter Beobachtungen zu gründen. Verwerfung der Subdivision des ersten Gliedes 28 . Die Physiologie im eigentlichen Sinn [ist] vegetabilisch [und] animalisch. Leicht unter das allgemeine Prinzip zu bringen. Aber kindisch, genaue Symmetrie zu verlangen. Diese Distinktion [ist] in der konkreten Physik von großer, in der abstrakten fast gar keiner Bedeutung. Die Erkenntnis der allgemeinen Gesetze des Lebens verlangt gleichzeitige Betrachtung der ganzen organischen Reihe, ohne Unterschied von Pflanzen und Tieren. Resultat 29. Fünf fundamentale Wissenschaften: Astronomie, Physik, Chemie, Physiologie, Soziale Physik.

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Aber eine sechste Wissenschaft [ist] noch zuzufügen, ohne die eine unermeßliche Lücke [bliebe]. Die Mathematik30. Wegen ihrer Bedeutung [wird sie] erst jetzt [erwähnt]. Jetzt [ist] sie weniger wie ein Teil der Naturphilosophie, [sondern] als die wahre fundamentale Basis dieser ganzen Philosophie, [als] Organon3 1 [verstanden]. Obwohl [sie] in Wahrheit eines und das andere [ist]. Sie zerfällt eigentlich in zwei große Wissenschaften von wesentlich verschiedenem Charakter32 : die abstrakte Mathematik oder das Kalkül im weitesten Sinne; die konkrete [Mathematik], welche a) Geometrie, b) rationelle Mechanik [ist]. Die konkrete [Mathematik] ist auf der abstrakten gegründet und selbst Basis für die ganze Naturphilosophie. Die abstrakte Mathematik allein [ist] bloß instrumental, eigentlich nur eine immense Ausdehnung der Logik nach einer gewissen Seite hin 33. Die Geometrie und Mechanik34 [sind] wahre Naturwissenschaften; nur wegen des äußersten Grades der Einfachheit [sind sie] eines unendlich höheren Grades von Systematisation fähig, der dazu geführt hat, manchmal ihren wahren Charakter zu verkennen. Doch diesen beiden physischen Wissenschaften [ist] gemein, daß wir sie heute und neuerlich mehr als Methode, weniger als direkte Doktrin verwenden 35. Begründung ihrer Stellung an der Spitze der positiven Philosophie36. Sie ist Anwendung desselben Klassifikationsprinzips, gegründet auf die gegenseitige Abhängigkeit, die aus dem relativen Grade der Abstraktion der Phänomene [deutlich wird]. [Die geometrischen und mechanischen Phänomene sind durch] Allgemeinheit, Einfachheit, Unabhängigkeit [ausgezeichnet und für alle anderen] basierend. Der Name zeugt, wie [die Mathematik] einst die einzige [Wissenschaft war]37 • Aus demselben Prinzip [folgt] die Distribution der inneren Teile einer Wissenschaft. Synoptische Tafel 38. So sechs [Wissenschaften: Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie, Physiologie, Soziologie]39.

XXIX. Renan. Souvenird'enfance

... c' est-a-dire ce cartesianisme 1 mitige qui fut adopte en general pour l'enseignement ecclesiastique au XVIII 0 siede et fixe dans les trois volumes connus sous le nom de Philosophie de Lyon. Le nom vient de ce que le livre fit partie d'un cours complet d'etudes ecclesiastiques redige il y a une centaine d'annees par l'ordre de M. de Montazet, l'archeveque janseniste de Lyon. La partie theologique de l'ouvrage, entachee d'heresie, est maintenant oubliee; mais la partie philosophique, empreinte d'un rationalisme fort respectable, etait encore vers 1840 la base de l'einseignement dans les seminaires, au grande scandale de l'ecole nfo-catholique, qui trouvait le livre dangereux et inepte . . . 11 2 devait a la frequentation de Thomas Reid une grande aversion pour la metaphysique et une confiance absolue dans le bon sens. Posuit in vesceribus hominis sapientiam etait son texte favori; il ne songeait pas que, si, pour trouver le vrai et le bien, l'homne n'a qu'a rentrer dans le plus profond de son coeur, le Catechisme de M. Olier 3 croulait par la base ... Cousin,Jouffroy, Pierre Leroux, Dugald Stewart4.

XXX. Newman

Frage, ob unmittelbare Eingriffe oder uranfängliche providentielle Ordnung 1 . - Leibniz2. Frage, ob solches nur zur Garantierung der Wahrheit einer Lehre annehmbar ist. Frage, ob sie nicht ganz unabhängig von religiösen Lehren gefunden werden. Frage, ob sie nicht die Ausbreitung verschiedener, sich in wesentlicher Beziehung widersprechender Lehren begünstigt haben können. Frage, ob die providentielle Fürsorge solche Ereignisse setzen und durch Unterlassung der allergewöhnlichsten Verifikationsmittel ihre Wirkung wieder entkräftigen könne. Frage, ob sie dem Gesetz, daß die Wahrscheinlichkeit eines Berichtes durch die vorgängige innere Unwahrscheinlichkeit geschwächt werde, in der Art Rechnung tragen müsse, daß sie den Nachteil durch besondere Stärke der Verifikationsmittel ausgleicht. Frage, ob es nicht als ein Widerspruch zu betrachten sei, wenn das von natürlichen Mitteln zu Gebote stehende in der Art vernachlässigt erschien, daß diese Vernachlässigung durch die angeblich übernatürlichen Mittel nicht einmal ausgeglichen erschien, so daß ganz unwichtige Ereignisse ungleich besser beglaubigt uns überliefert werden als die für die ganze Menschheit wichtigsten, für deren Eintreten Wunder 3 und für deren Überlieferung die Aufrichtung eines unfehlbaren Lehrstuhls mit übernatürlichem Schutze geordnet wäre 4 . Glaube im Kantischen Sinn 5 .

XXXI. Nietzsche

Nietzsche 1 ist ein mißratener Philologe und ein philosophischer Dilettant, der nur bei Lehrern der Verfallszeit, bei Afterweisen sich als Hörer eingefunden und sich daraufhin sagt, kein Lehrer der Weisheit ist jemals aufgetreten, dem ich mich nicht zur Seite zu stellen, ja auf den ich von oben herabzublicken ein Recht habe. So ist sein Kopf voll Größenwahn und sein Mund voll Lästerreden. Wenn Einseitigkeit sein Fehler nicht ist, so nur, weil er in den schlimmeren Fehler fällt, daß er sich selbst fort und fort widerspricht. So preist er denn wohl auch manchmal die alten Hellenen vor allem, was die Geschichte kennt und betrachtet alles Modeme als Decadence, verachtet aber die Männer unter den Hellenen, welche diesen selbst als ihre größten galten und entfernt sich in seiner Denkweise nicht bloß, sondern auch in seiner Art zu schreiben, weit von ihnen. Seine Einbildung macht ihn glauben, daß er besser als jeder andere die Sprache meistere, aber niemand ist gesuchter in seinen Ausdrücken und weiß weniger als er, dem Inhalt die entsprechende Form zu geben. Ohne Glauben an einen Gott kann er nicht einer göttlichen Inspiration sich rühmen und sich einen Propheten und Gottgesandten nennen, und doch spricht er im Toneeiner unmittelbar gottentstammten Weisheit 2 und Macht und erborgt seinen bilderreichen Stil den hochtönenden Reden eines lsaias; nur daß beim Vergleiche beider der Unterschied von echtem und falschem Golde sich sofort fühlbar macht. Die Krähe hat sich mit fremden Federn geschmückt und je mehr sie es getan, um so mehr macht sich die Unnatur merklich. Und so ist denn sein Zarathustra, in welchem er sein stilistisches Meisterstück geliefert zu haben glaubt, am allermeisten im Gegensatz zu dem, was eine Schrift stilistisch sein soll. Man hat lange Zeiten hindurch Cicero 3 als den größten Meister der Beredsamkeit gefeiert und noch der große Arnauld 4 glaubte zur Erwerbung eines guten Stils, gleichviel in welcher Sprache, kei-

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Texte aus dem Nachlaß

nen besseren Rat erteilen zu können, als Cicero zu lesen. Doch dies hielt den wahrhaft geschmackvollen Pascal nicht ab, von dem fausses beautes de Ciceron 5 zu sprechen. Und sicherlich würde er über die von so vielen gepriesenen stilistischen Blüten eines Nietzsche heute kein milderes Urteil fallen. Nietzsche ist ein entarteter Philologe und als Philosoph von Anfang an in eine schlechte Schule gegangen.

ANMERKUNGEN DES HERAUSGEBERS

Im Text der Anmerkungen verwendete Abkürzungen: ALU AN AW DG DPs GÄ GAE GGPh GMPh K LJ

LRU LWÖ MBS

PsA Ps 1, II, III RPh RZK VE VPhPh WE

Aristoteles Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes, Hamburg 1980. Die Abkehr vom Nichtrealen, Bern 1966 (Hamburg). Aristoteles und seine Weltanschauung, Hamburg 1977. Vom Dasein Gottes, Hamburg 1980. Deskriptive Psychologie, Hamburg 1982. Grundzüge der Ästhetik, Bern 1959 (Hamburg). Grundlegung und Aufbau der Ethik, Bern 1952 (Hamburg 1978). Geschichte der griechischen Philosophie, Bern 1963 (Hamburg). Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, Hamburg 1980. Kategorienlehre, Hamburg 1985. Die Lehre Jesu und ihre bleibende Bedeutung, Leipzig 1922. Die Lehre vom richtigen Urteil, Bern 1956 (Hamburg). Meine letzten Wünsche für Österreich, Stuttgart 1895. Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles, Freiburg 1862 (Nachdruck: Darmstadt 1960). Die Psychologie des Aristoteles, Mainz 1867 (Nachdruck: Darmstadt 1967). Psychologie vom empirischen Standpunkt, Hamburg 1973, 1971, 1974. Religion und Philosophie, Bern 1954 (Hamburg). Philosophische Untersuchungen zu Raum, Zeit und Kontinuum, Hamburg 1976. Versuch über die Erkenntnis, Hamburg 1970. Die vier Phasen der Philosophie, Hamburg 1968. Wahrheit und Evidenz, Hamburg 1974.

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Anmerkungen des Herausgebers

WRL

Was an Reid zu loben. Über die Philosophie von Thomas Reid. Hg. v. R. Chisholm und R. Fabian, in: Grazer philosophische Studien 1(1975)1-18. Untersuchungen zur Sinnespsychologie, Hamburg 1979. Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis, Hamburg 1969. Über die Zukunft der Philosophie, Hamburg 1968. Briefe Franz Brentanos an H. Bergmann, in: PhPhR 7 (1946/47) 83-158. J. Hasenfuß (Hg.), Herman Schell, Paderborn 1978 (Briefwechsel: 34-100).

US USE ZPh Br. Bergmann Br. Schell

Erdmann II Schwegler Ueberweg III Weigelt

1-2

J. E. Erdmann, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Bd. II, Berlin 1866. A. Schwegler, Geschichte der Philosophie im Umriß, Stuttgart 51863. F. Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Bd. III, Berlin 1866. C. Weigelt, Zur Geschichte der neueren Philosophie, Hamburg 1864.

Einleitung. Vom Begriff der Geschichte der Philosophie Archiv-Signatur: Ms. orig. H 45: >Geschichte der Philosophie. Einleitung< (n. 25285ff.). Ohne Datierung. [Um 1870). 1 Textauszug: Ms. H 45 (n. 25285-25287); vgl. zum Ms.-Bestand die Hinweise im Abschnitt >Zur Textgestaltung der AusgabeVorwortVorwortEinleitung< (Ms. H 47, n. 25942) führt Brentano den Vergleich weiter aus: »Alles, was wir sinnlich wahrnehmen, ist uns dadurch wahrnehmbar, daß es an einer sensiblen Qualität, an Farbe, Ton, Geruch und dgl. partizipiert. Hätten die Körper keine solchen sensiblen Qualitäten, so würden wir nichts von ihnen wahrnehmen, auch nicht ihre Größe und Gestalt, ihre Bewegung oder Ruhe usw. Daher sind es denn auch die sensiblen Qualitäten, welche die Art und Gattung der sinnlichen Wahrheiten bestimmen. - Zu einer Gattung gehört, was z.B. dieselbe Farbe oder denselben Geruch hat, zu verschiedenen [Gattungen], was verschiedene Farben hat und dgl. In einem allgemeineren Sinn gehört dann weiter alles, was überhaupt Farbe hat, insofern es Farbe hat oder was tönend ist, insofern es tönend ist, kurzum alles, was an einer Gattung der sensiblen Qualität teilhat, insofern es an ihr teilhat, zu einer Gattung des Sensiblen, und wird darum von einem Sinn wahrgenommen. - So sind alle Körper, insofern sie farbig sind, von einer Gattung des Sensiblen; umgekehrt gehört ein und derselbe Körper, insofern er zugleich farbig und tönend ist, zu verschiedenen Gattungen des Sensiblen. Etwas Ähnliches gilt nun in betreff der intelligiblen Wahrheiten. Wie die Dinge für die Sinne erkennbar sind, weil ihnen sensible Qualitäten zukommen, so sind sie es für den Verstand, weil ihnen Begriffe zukommen. Der Verstand erkenntja die Dinge durch Begriffe, die er erfaßt. Zunächst ist es also klar, daß alle Dinge, die an einem gemeinsamen Begriff teilhaben, insofern sie dies tun, zu derselben Gattung des.Intelligiblen gehören und daher auch Gegenstand einer und derselben Wissenschaft sind. Pflanzen und Tiere sind lebende Wesen, und insofern ihnen dieser Begriff gemeinsam ist, gehören sie zu einer Art des Intelligiblen, also zu einer Wissenschaft; die Untersuchungen, welche die Eigentümlichkeiten des lebenden Wesens als solchen erörtern, haben für beide in gleicher Weise Gültigkeit. Umgekehrt wird ein und dasselbe Ding, insofern es unter verschiedene Begriffe fällt wenn wir von den Arten des Intelligiblen im speziellsten Sinne sprechen - zu verschiedenen Arten des Intelligiblen gehören und also in diesem speziellsten Sinne Gegenstand verschiedener Wissenschaften

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Anmerkungen des Herausgebers

3-7

sein. Jedes Tier z.B. ist nicht bloß Tier, es gehört einer besonderen Spezies der Tiere an, es ist Pferd oder Löwe oder dgl„ und ebenso kommen ihm allgemeinere Begriffe zu, es ist ein lebendes Wesen, ein Körper, eine Substanz. Insofern es nun unter diese verschiedenen Begriff fällt, an deren jeden sich besondere Eigentümlichkeiten knüpfen, gehört es, wenn wir die Einheit der Wissenschaft im engsten und speziellsten Sinne fassen, verschiedenen Wissenschaften an«; vgl. >Vorwortstrittig< und >falsch< so unzulänglich wie auf dem Gebiete der Philosophie.« In Brentanos Handexemplar unterstrichen. 16 Die erste Fassung der >Einleitung< (H 47, n. 25962ff.) gibt eine ausführliche Darstellung des Beweises; vgl. auch DG, 214ff.; 300ff.; 370ff. 17Metaph.11, 981 b20ff. 1s Vgl. Ms. H45: >Gesch. d. Phil. Einleitung< (n. 25294): »Es kann keine Methode geben, eine Philosophie zu bilden, außer einer solchen, die in der einen oder anderen der genannten Weisen eine Ansicht zu gewinnen ihren Grund und ihre Überzeugungskraft hat, sei es, daß sie in ihrem Verfahren wirklich ihr entspricht, oder doch den Schein erweckt. - Man hat von jeder dieser Weisen Gebrauch zu machen versucht. - Daher [sind] sechs oder vielmehr, da die Weise der rhetorischen Überredung und des poetischen Gewinnens eine mehrfache ist, noch mehr als sechs Methoden zu unterscheiden: 1. Die intuitive Methode, zu der als eine besondere Weise auch die mystische gehört. Durch die Kraft des Genies, durch einen Lichtblick des Geistes, durch einen Blitz des Gedankens, der plötzlich das Dunkel der Nacht durchzuckt, wie man es auch genannt hat, will die intuitive Methode unmittelbar die verborgensten philosophischen Wahrheiten erfassen. Zu ihr bekannte sich Schelling auf einer gewissen Stufe seines Philosophierens. Intellektuelle Anschauung, eine schlechthin absolute Erkenntnisart. Sie kann nicht gelehrt werden. Warum aber auch soll die Philosophie zu besonderer Rücksicht auf das Unvermögen verpflichtet sein? Es ziemt sich vielmehr, den Zugang zur Philosophie nach allen Seiten hin vom gemeinen Wissen zu

7

Einleitung

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isolieren, [so] daß kein Weg oder Fußsteig von ihm aus zu ihr führen kann. Hochmut kurz vor seinem Fall. Noch andere [sind] aus dieser Zeit zu nennen. Überhaupt [finden wir] damals fabelhafte Begriffe von Genie, intuitiver Konzeption. Intuitiver Geist [gegenüber] demonstrierendem Verstand. Tiefsinn im Gegensatz zu Scharfsinn und (beinah) wie unvereinbar, als ob nicht wessen Spaten am schärfsten, am meisten in die Tiefe [dringe], wer am schärfsten, am tiefsten blickte. Das Genie [wird] nicht wie eine höhere Stufe der Begabung, ein gesteigertes, ausgezeichnetes Talent, sondern wie ein besonderes Vermögen [betrachtet]. (Goethe über Calderon: dasjenige Genie, welches zugleich am meisten Verstand hatte. Ein geistreicher Franzose [ähnlich] über Cuvier). Die mystische Methode ist ihr verwandt, zu ihr gehörig. Sie will durch Anwendung besonderer Mittel in einen Zustand höherer Erkenntnisweise gelangen, in welchem sie der Intuition in die höchsten philosophischen Wahrheiten teilhaft wird. Plotin durch Askese. Die höchste Einheit mit dem Zentrum seiner Seele berührend. Jakob Böhme durch Zinnschüssel Visionen, die ihn in den innersten Grund der geheimen Natur entführten. - Die Intuition [ist] eigentlich nur bloß angeblich Intuition, in der Tat subjektive Phantasterein. - Als besondere Art intuitiver Methode ist auch die dialektische Methode von Hegel zu nennen. Indem man sein Denken rein sich selbst überläßt, soll nach ihr der staunende Beobachter das ganze System der Begriffe, sowie die natürlichen und geistigen Phänomene in einer bestimmten, immer sich wiederholenden Ordnung, Glied für Glied sich auseinander entwickeln sehen. Indessen hatte die Macht der Lehre andere Quellen. Wir werden darauf zurückkommen. 2. Die mathematische Methode (Intuition und Deduktion). Spinoza. Definitionen. Axiome (und Postulate), und aus ihnen [werden] Lehrsätze und Corrolarien [gewonnen], zum Teil auch Herbart und seine Schule. Wolff. 3. Die naturwissenschaftliche Methode. Intuition, Deduktion und Induktion. In den aufsteigenden Perioden die herrschende; schon erwähnt, daß Plato, Aristoteles, Albert, Thomas, auch aus der neueren Zeit Bacon, Hobbes, Descartes, Locke, zum Teil Leibniz [ihr folgen]. 4. Die Methoden der rhetorischen Argumentation [sind] mannigfach: 1) Methode der Autorität: a) eines Mannes. Pythagoräer: auto~ Eqia Averroes: [Avicenna] erravit quia incoepit quasi a se. Thomisten usw. b) historische [Autorität]: a) des Proklos, die Gesamtmasse der Traditionen (Gegenstück zur kirchlichen), so daß nur Timaeus und die Göttersprüche (Myta xaMaLKa), die allegorisch erklärt [wurden]. ß) von Doell[inger] mir empfohlen: das Gemeinsame, Bleibende.

304

Anmerkungen des Herausgebers

7

Aber freilich was? (Zudem nicht stringent). 2) Populäre Methode. Französischer Materialismus. Epikur und viele andere, [die] auf die Strenge in Grundsätzen und Ableitung verzichteten. Parmenideische Scheinlehre (auch die neuen Akademiker mit ihrer Probalitätslehre). 5. Die Methoden durch poetisches Gewinnen [sind] ebenfalls vielfach. Der hl. Thomas: pulchritudo requirit tria: scilicet integritatem, proportionem debitam et claritatem. Auch Einzelnes wirksam. Abendrot, Zeichnung, Torso. -Äußere, innere Schönheit der Darstellung, des Dargestellten, des Gedankens. 1) Äußere Schönheit, z.B. Voltaire, Macht des Lächerlichen. Viele Platoniker, wegen der Schönheit der Dialoge, obwohl gewiß Platon solche Bewegungsgründe nicht gebilligt hätte; 2) Innere Schönheit: a) eklektische Methode (claritas). Cicero; b) konstruierende Methode (claritas et proportio); während dort Schönheit des Einzelnen maßgebend, hier des Ganzen. Was der Weltanschauung. eine gewisse Regelmäßigkeit gibt, wird für wahr angenommen. Uberall [wird] Analogie und Proportionalität aufgesucht. Pythagoräer. Erfindung der Gegenerde. Schelling. In seinem >System des transzendentalen Idealismus< [findet sich ein] Parallelismus zwischen der Stufenfolge in der Entwicklung des Bewußtseins [... vgl. >VorwortVorwortVorwortVorwortVorwortVorwortVorwortGeschichte der Philosophie. Neuzeit< (n. 25853-25922). Ohne Datierung. [Um 1870). 1 Handexemplar: F. Bacon, Letters, London 1702. Vgl. Ueberweg III, 33ff.; Schwegler, 106ff.; VPhPh, 18ff. 2 Im Ms. (n. 25853) ist das voraufgehende Wort nicht lesbar. 3 Novum Organon, I, 3; 158 (W orks l). 4 Ebd. I, 39; 163ff. s Ebd. I, 104-106; 204ff. 6 Ebd. 1, 19; 159; 1, 105; 205; vgl. VE, 75 f. 7 Ebd. II, 16; 257. 8 J. St. Mill, System der deductiven und inductiven Logik, 53; vgl. auch S. F. Lacroix, Traite elementaire de calcul differentiel et de calcul integral, Paris 1837. 9 Nov. Org., I, 104; 205. 10 Ebd. 1, 105; 206. 11 De dignitate et augmentis scientiarum, II, 1; 494 ff. 12 Ebd. IX, 1;829ff.; vgl. UeberwegIII, 37. 13 Ebd. IX, 1; 832ff. 14 Handexemplare: R. Descartes, Epistolae, Amsterdam 1668; Principia philosophiae, Amsterdam 1685; Observationes de passionibus animae, Hannover 1707 (zahlreiche Eintragungen); Meditationes de prima philosophia, Wien 1866 (Handexemplar Brentanos). Vgl. Ueberweg III, 42ff.; Erdmann II, 12ff.; Schwegler, 110ff. 15 Brentano gibt im Ms. H 3 (>Descartes' MeditationenMeditationes< die Seitenzahlen der Erstausgabe (1641) und in Klammern dazu die Band- und Seitenangaben der Edition von Adam-Tannery; vgl. zur Paginierung AT, VII, S. XV ff. 11 Disc. IV, lff. (VI, 31ff.);Med. 1, 8(VII, 17ff.);Princ. I,2(VIII. 1, 3ff.). 1s Med. III, 34 (VII, 36). 19 Vgl. De meth. IV, 1 (VI, 558) als lateinische Übersetzung des je pense, doncje suis (Disc. IV, 1); vgl. Ps III, 6; VE, 158.

308

Anmerkungen des Herausgebers

15-16

Vgl. den Einwand Mersennes (IIae obi., VII, 124) und die Antwort des Descartes (IIae resp. auct., VII, 140). Brentano hat diese Texte eingehend studiert; vgl. Correspondance, 16. 4. 1648 (V, 147). 21 Med. II, 23 (VII, 28): »Sed quid igitur sum? res cogitans; quid est hoc? nemque dubitans, intelligens, affirmans, negans, volens, nolens, imaginans quoque, et sentiens«. Text von Brentano unterstrichen; vgl. die ebenfalls von Brentano gekennzeichneten Passagen in Med. II, 18; II, 21; IIae resp. auct. (VII, 129ff. ); Corresp. (V, 147). 22 Vgl. die Einwände Gassendis (Vae obi., VII, 258ff. und Vae resp. auct., VII, 352) mit Bezug aufMed. II, 22. Die Texte sind von Brentano detailliert durchgearbeitet worden. 23 Brentano bezieht sich offensichtlich auf Stöckl (Geschichte der Philosophie des Mittelalters, II, 1031), der einen Text des Sentenzenkommentars anführt: »lmpossibile est, viatorem aliquid extrinsecum ab eo sensibile evidenter cognoscere evidentia simpliciter et absoluta, sed bene evidentia secundum quid et conditionata« (In 1 Sent. qu. 1, art. 1 F). 24 Med. III, 33 (VII, 35). Das Zitat wurde von Brentano umformuliert; vgl. auch Disc. IV, 3 (VI, 33); Princ. 1, 45 (VIII.1, 21 ff.). 2s Med. III, 33ff. (VII, 35ff.); III, 54 (VII, 47): »ideam quandam Dei in me habens, ... illam etiam esse rem cogitantem. « In einer Randbemerkung verweist Brentano auf »Locke« (S. 30, Z. 25. Ed. Barach). 26 Med. III, 45ff. (VII, 40ff.). Randbemerkung: »Aristoteles' Gesetz der Synonymie. Lockes Prinzip für Gott als Schöpfer wegen des Denkenden« (S. 23, Z. 22); vgl. ebd. III, 48; 54 (VII, 45, 49 ff.). 27 Med. II, 49 (VII, 45). Brentano setzt mehrere Fragezeichen an den Rand des Textes zu Med. III, 48: »percipere infinitum per ... negationem finiti «; vgl. auch II, 46: »siquidem verum sit frigus nihil aliud esse quam privationem caloris ... «. Randbemerkung: »Wenn das Sein Ursache des Seins, ist das Nichtsein Ursache des Nichtseins« (S. 26, Z. 9). 28 Med. III, 57ff. (VII, 51 ff.). Text von Brentano unterstrichen. 29 Med. III, 53 (VII, 49). Rb.: »N.B. Ohne Widerspruch könnte das eine ohne das andere sein« (S. 30, Z. 3). Brentano hat die Passagen zum regressus in infinitum (Med. III, 43ff.) detailliert durchgearbeitet; vgl. auch RPh, 137. 30 Med. V, 81 ff. (VII, 66ff.). Brentano bemerkt zu Med. V, 84 (summum ens esse ... ad cuius solius essentiam existentia pertinet): »N.B. Ontologisches Argument« (S. 46, Z. 1); vgl. DG, 21; RPh, 108; 172. 31 Vgl. Brief an Mersenne, Dez. 1640 (III, 261); Jae obi. de Caterus (VII, 95 ff.); Jae resp. auct. (VII, 115ff.); vgl. GMPh, 11. 20

16-20 32 33 34

Hauptteil

309

Med. III, 34 (VII, 36); Disc. IV, 5 (VI, 36 ff.). Med. III, 59; IV, 60 (VII, 52; 53); vgl. auch Ps III, 22ff. Princ. I, 48 (VIII, 1, 22). Textpassage von Brentano unterstri-

chen. 35 Princ. I, 48f. (VIII, 1, 22f.); vgl. auch Disc. IV, 7 (VI, 38); Med. III, 45; VI, 68 (VII, 43; 80). Brentano notiert zu Med. III, 37 (res extra me existentes): »Existentialsatz?« (S. 21, Z. 22). 36 Princ. I, 51(VIII,1, 24). VonBrentanounterstrichen. 37 Princ. I, 52 (VIII, 1, 25). Von Brentano unterstrichen. 38 Princ. I, 53ff. (VIII, 1, 25ff.); vgl. DG, 433; RPh, 237; 240. 39 Princ. I, 53 (VIII, 1, 25). VonBrentano unterstrichen. 40 Princ. I, 48; 53 (VIII, 1, 23; 25); vgl. RPh, 207. 41 Princ. I, 53 (VIII, 1, 25). 42 Princ. II, 4ff. (VIII, 1, 41 ff.); Tract. delumine, c. 6 (XI, 31 ff.). 43 Disc. V, 9 (VI, 55). Brentanos Interesse an der Tierpsychologie (vgl. auch Ps I, 57) geht auf seine frühen Aristoteles-Studien zurück (Von der Zeugung und Entwicklung der Thiere, Leipzig 1860). Im Archiv befindet sich die Arbeit von M. Perty, Über das Seelenleben der Thiere, Leipzig 1863. Auch später hat sich Brentano in mehreren Mss. (Ps 2; 17; 18; 22) und Briefen (Br. Bergmann, 109ff.) mit diesem Thema befaßt; vgl. DG, 483f.;RPh, 131. 44 De pass. an. I, 31 ff. (XI, 351 ff.); ebd. I, 48, 50. Randbemerkung Brentanos: »Determinismus involviert« (S. 25, Z. 7. Ed. Amsterdam 1685). 45 De pass. an. I, 31 (XI, 351); vgl. Br. Bergmann, 155 (27. 3. 1914). 46 Disc. II, 6 (VI, 18ff.); vgl. die in der Korrespondenz mit Beeckman vom 29. 4. 1619 (Oeuvres X, 165) angeführten Belege. 47 Disc. II, 6 (VI, 18ff.). 48 Das Handexemplar Brentanos (Arnauld et Nicole, Logica sive ars cogitandi, Basel 1747) weist zahlreiche Unterstreichungen und Eintragungen auf; vgl. vor allem De utilitate definitionis nominum, deque differentia inter definitionem rei et definitionem nominum (65ff.). 49 Brentano hat diesen Abschnitt des Textes (Pensees de Blaise Pascal, Berlin 1836, I, 111 ff.) genau durchgearbeitet. 50 In der Aufzählung der Mängel folgt Brentano weitgehend Schwegler, 115ff. 51 Vgl. V•e obi.: De rerum materialium existentia et reali mentis a corpore distinctione (VII, 328 ff.); V•e resp. auct. (VII, 387 ff.). 52 Zur Verwendung des Terminus substantia (Princ. I, 51; VIII, 1, 24) bemerkt Brentano wiederholt: »Nota Bene« (S. 13, Z. 36. Ed. Amsterdam 1685).

310

Anmerkungen des Herausgebers

20-22

53 Handexemplar: Elementa philosophica de cive, Basel 1782. Vgl. Ueberweg III, 39ff. u. Schwegler, 125ff. - Randbemerkung: »Üb [Hobbes] zur neu ansteigenden Linie zu rechnen? Nur aus Furcht, zu sehr abzuweichen«. 54 Elements ofPhilosophy: Logica, I, 2, 4; 16ff. (Works I). 55 Ebd. I, 3, 2; 30. 56 Ebd. I, 3, 7; 35. 57 Ebd. I, 3, 9; 36 ff. 58 De cive, I, 1, 12; 11 (Works II). 59 Ebd.V,1;63ff. 60 Ebd. VII, 1; 92ff. 6t Ebd. VIII, 1; 108 ff. 62 Ebd. XVI, 1; 226ff. 63 Ebd. XVII, 20; 271 ff.; XVIII, 13; 314 ff. 64 Vgl. Leviathan, II, 31; 343 ff. (Works III). 65 Metaphysica vera, I, 5ff. (Opera philosophica, 150ff.); vgl. auch die Belege bei Erdmann II, 28ff.; Schwegler, 118ff. und Ueberweg III, 44ff. 66 Brentano gibt in RPh, 201 ff. eine Skizze der ParallelismusTheorie. 67 Vgl. RPh, 202 zum Occasionalismus. 68 Vgl. Anm. 33. 69 Vgl. die Belege bei Schwegler, 117 ff.; Ueberweg III, 45. 70 Recherche de Ja verite, III, II, I, §II; 417 ff. (Oeuvres I). Vgl. auch Erdmann II, 40ff.; Schwegler, 117. 71 Recherche, III, II, VI, 437; 447. n Vgl. GMPh, 39. 73 Recherche: Eclaircissement VI, 64 (Oeuvres III): »Certainement il n'y a que Ja Foi qui puisse nous convaincre qu'il y a effectivement des corps«. Im Ms. (n. 25863) fügt Brentano hinzu: »Celui qui voit

... «.

Handexemplare: B. Spinoza, Opera. Leipzig 1843; Theologisch-politische Abhandlungen, München 1826; Z wey Abhandlungen über die Kultur des menschlichen Verstandes und über die Aristokratie und Demokratie, Leipzig 1785. Vgl. Erdmann II, 47 ff., Schwegler, 118ff. u. Ueberweg III, 56 ff. Brentano hat im SS 1881 eine Übung zu Spinozas Ethik angekündigt. Im Archiv befinden sich die Arbeiten von R. Willis, Benedict de Spinoza, London 1870. J. Freudenthal, Spinoza und die Scholastik (1891) und A. Trendelenburg, Über Spinozas Grundgedanken, in: Hist. Beiträge, II, 31-111. 75 Ethica. Ordine geometrica demonstrata, 84 (Opera II). 76 Vgl. Anm. 357. Brentano bezieht sich auf Schwegler, 178 u. Erdmann II, 51. 74

22-25

Hauptteil

311

Ethica, 1, ax. 3 (II, 88). Eth. 1, ax. 1 (II, 88). 79 Eth. I, def. 3--5 (II, 86); vgl. 309, Anm. 52. so Eth. 1, def. 5 (II, 86); vgl. Descartes, Princ. I, 51(VIII,1, 24). 81 Vgl. RPh, 201; vgl. Schwegler, 118. 82 Vgl. RPh, 202; vgl. Schwegler, 118. 83 Ethica, II, prop. 1-2; 7 (II, 160ff.; 168); vgl. RPh, 206f. 84 Brentano bezieht sich auf die Angabe bei Schwegler, 120; vgl. auch den BriefSpinozas vom 2. 6. 1674 (Opera IV, 240). - Der späte Brentano optiert für einen »Determinismus«, der Spinoza nähersteht. 85 Ethica, I, def. 4 (II, 86); vgl. RPh 206ff. 86 Eth. I, def. 5 (II, 86). 87 Eth. I, prop. 18 (II, 120). 88 Eth. I, prop. 10, schol. (II, 98); II, prop. 1-2; II, prop. 6, dem. (II, 164ff.; 168). 89 Eth. II, prop. 4 (II, 166). 90 Eth. II, prop. 7, schol. (II, 168). 91 Eth. II, prop. 7, schol. (II, 170). 92 Eth. II, prop. 13, schal. (II, 182). 93 Eth. II, prop. 13, schal. (II, 180). 94 Eth. II, prop. 13, schal. (II, 182). 95 Eth. II, prop. 48; I, 32 (II, 238; 134). % Eth. V, prop. 17; I, 32, corr. II (II, 526; 136). 97 Eth. I, prop. 36, app. (II, 144ff.). 98 Es handelt sich um eine der frühen, überaus kritischen Äußerungen über Spinoza; vgl. den Briefwechsel zwischen Leibniz und Thomasius (1, 39) und die Texte, die Spinoza betreffen (1, 115f.). Vgl. zur »Glückseligkeit« Eth. V, prop. 15ff.;42(11, 526ff.). 99 Eth. III, praef.; III, def. 3ff. (II, 256ff.; 260). 100 S. th. I/Il, 22-26; vgl. auch GMPh 59. 101 Handexemplare: G. W. Leibniz: Essais de Theodicee, Amsterdam 1747. Oeuvres philosophiques, Ed. P. Janet, 2 Bde., Paris 1866 (Zahlreiche Eintragungen. Handexemplar Brentanos); Kleinere philosophische Schriften, Hg. v. R. Habs, Leipzig 1883 (Zahlreiche Unterstreichungen). Die von Brentano erwähnte Edition der Theodicee (Hg. v. R. Habs, Leipzig 1884) scheint verloren. Die Leibniz-Lektüre läßt sich bis in Brentanos Spätwerk belegen. Im Archiv befinden sich folgende Arbeiten zu Leibniz: Fr. Kirchner, G. W. Leibniz: Sein Leben und Denken, Berlin 1876; 0. Klapp, Zur Ehrenrettung von Leibniz, Berlin 1878; B. Urbach, Leibnizens Rechtfertigung des Übels in der besten Welt, Prag 1901. Der frühe Brentano folgt weitgehend Erdmann II, 145 ff., Schwegler, 136 ff. u. Ueberweg III, 88 ff. 77

78

312

Anmerkungen des Herausgebers

25-27

De prima philosophiae emendatione et de notione substantiae (IV, 469); vgl. auch Deipsanatura (IV, 504ff.); Principes delanature, 4(VI, 599). 103 Systeme nouveau de la nature (IV, 482); Principes, 2 (VI, 598); Nouveaux essais de l'entendement humain, II, 21, 72 (V, 196). 104 Monad. 7 (VI, 607). Brentano bemerkt in Monad. 19 zum Begriff der »Seele« (dme): »Äquivokationen. cf. 14 und 15« (Bd. II, S. 597, Z. 11. Ed. Janet); vgl. auch die Bemerkung in der Leibniz-Arnauld Korrespondenz v. 9. Okt. 1687 (II, 121) zur Wendung taute substance corporelle doit avoirune dme: »nicht avoir, sondern etre« (Bd. I, S. 677, z. 6). 105 Principes, 3 (VI, 598); vgl. Monad. 13 (VI, 608). 106 Vgl. Anm. 40. 107 Principes, 4 (VI, 599); Monad. 14 (VI, 608). 108 Principes, 4 (VI, 599). Randbemerkung: »Die These der Apperzeption?« (Bd. II, S. 610, Z. 38). 109 Monad. 60 (VI, 616). Randbemerkung zu Monad. 52: »Wie kann dann etwas konfus werden, was distinkt war? cf. 20« (Bd. II, S. 602, z. 6). 110 Monad. 47 (VI, 614); Principes, 9; 13 (VI, 602; 604). 111 Monad. 83 (VI, 621); Principes, 5 (VI, 600. 112 Monad. 63 (VI, 617); Principes, 4; 12 (VI, 599; 603); vgl. DG, 484. 113 Monad. 64 (VI, 618); Principes, 4 (VI, 599). 114 Monad. 56 (VI, 616); Principes, 12 (VI, 603). 115 Vgl. Systeme nouveau, 5 (IV, 471); Monad. 83 (VI, 621); Thfodicee, 147 (VI, 197). Brentano bezieht sich aufSchwegler, 139. 116 Monad. 78 (VI, 620); Principes, 3 (VI, 598); vgl. RPh, 204ff.; 215, 240. 117 Monad. 78; 70 (VI, 620; 619); Systeme, 14 (IV, 484). 118 Monad. 81 (VI, 621). Randbemerkung: »Warum denn überhaupt eine Körperwelt?« (Bd. II, S. 606, Z. 32). Vgl. auch die Leibniz-Amauld Korrespondenz v. 9. Okt. 1687 (II, 112ff.) zur Affektion des Körpers: »Üb er aber nicht bei verschiedenen Zuständen der Welt gleich affiziert sein könnte?« (Bd. II, S. 669, Z. 17). 119 Monad. 80 (VI, 620); vgl. auch Nouveaux essais, IJ, 1, 15 (V, 106). 120 Systemenouveau, 13 (IV, 483). 121 Brentano bezieht sich auf Schwegler, 141. Vgl. zum Uhrengleichnis Eclaircissement du nouveau systeme (IV, 493) und Extrait d'une lettre, 12. Sept. 1696 (IV, 500). 122 Theodicee, I, 8 (VI, 107). 123 Ebd. 1, 21ff.(VI,115ff.); vgl. RPh, 154; 161 ff. 102

27-30

Hauptteil

313

Ebd. 12s Ebd. I, 35 (VI, 122); vgl. Nouveaux essais, IV, 17, 23 (V, 478). Randbemerkung: »Ist denn das bon plaisir de Dieu nicht selbst necessite metaphysique?« (Bd. I, S. 534, Z. 26). 126 Theodicee, I, 17 (VI, 111); vgl. auch Principes, 4 (VI, 599); Monad. 14 (VI, 608). 127 Nouveaux essais, Preface (V, 45). Brentano hat die Abhandlung detailliert durchgearbeitet; vgl. auch Br. Bergmann, 155 (27. 3. 1914). 12s Ebd. 129 Ebd. 130 Handexemplare: J. Locke, Über die Erziehung der Jugend, Wien 1787; Über den menschlichen Verstand, Leipzig 1897; Essai philosophique concernant l'entendement humain, Trad. M. Coste, Amsterdam 1735 (Zahlreiche Randbemerkungen, Unterstreichungen und Einlagen. Handexemplar Brentanos). Vgl. auch Erdmann II, 88ff., Schwegler, 125ff. u. UeberwegIII, 77ff. 131 Text im Ms. istnichtlesbar. 132 An Essay Concerning Human Understanding, Introd. § 3; 8 (I, 28; 32). 133 Ebd. § 3 (I, 28). 134 Ebd. In einer Einlage am Ende des Bandes hat Brentano die Übersicht, die dem Vorlesungstext zugrunde liegt, skizziert. 135 Essay, Bk. I, eh. 1, § 2ff. (I, 38ff.). 136 Ebd. Bk. I, eh. 3, § 8-10 (I, 95ff.). 137 Ebd. Bk. II, eh. 1, § 2 (I, 221). 138 Ebd. Bk. II, ch.1, §3ff. (I, 122ff.). RandbemerkungzuBk. II, eh. 1, § 17: »scharfsinnig gegen die, welche das Wesen der Seele ins Denken setzen« (S. 70, Z. 9). 139 Ebd. Bk. II, eh. 2, § 1(I,144ff.). 140 Ebd. Bk. II, eh. 3, § 1 ff. (I, 150ff.). Randbemerkung zur Farbmischung: »N. B. Grün Mischung von Gelb und Blau« (S. 78, Z. 2); vgl. auch US, 5ff., 44ff. Bemerkung zur Solidität (eh. 4, § 4): »also schließt sie die Raumvorstellung ein« (S. 80, Z. 43). 141 Ebd. Bk. II, eh. 5 (I, 158). Hinweis Brentanos auf Vorstellungen, die durch mehrere Sinne gewonnen werden: »Nach Aristoteles auch der Zufall und Einheit, siehe cap. VIII Anfang« (S. 83, Z. 3). 142 Ebd. Bk. II, eh. 6 (I, 159). 143 Ebd. Bk. II, eh. 7, § lff. (I, 160ff.). 144 Ebd. Bk. II, eh. 12, § 5ff. (I, 215 ff.). l45 Ebd. Bk. II, eh. 23, § 1 ff. (I, 390ff. ); vgl. auch K, 137, 182). 146 Ebd. Bk. II, eh. 25, § 1 ff. (I, 426ff.). Brentano bemerkt zu Bk. II, eh. 26, § 1: »Hume. vgl. aber de la Puissance« (S. 255, Z. 1). 124

314

Anmerkungen des Herausgebers

30-33

147 Vgl. zu den simple modes Essay, Bk. II, eh. 13, § 1 ff. (I, 218ff.). Randbemerkung zum Maß der Bewegung (Bk. II, eh. 14, § 22): »in Bezug auf früher und später« (S. 141, Z. 23); Randbemerkung zum Maß der Dauer (Bk. II, eh. 15, § 31): »existiert etwas in der Vergangenheit?« (S. 145, Z. 39); Randbemerkung zur Zunahme von Raum, Dauer und Zahl (Bk. II, eh. 17, § 6): »also nach Locke keine Intensität ins Unendliche« (S. 161, Z. 24; vgl. zu den mixed modes Bk. II, eh. 22, § 1ff.(I,381 ff.). 148 Essay, Bk. II, eh. 23, § 1 ff. (I, 390ff.); vgl. auch Bk. II, eh. 24, § lff. (I, 424ff.). Brentano verweist für Bk. II, eh. 23, § 34 ausdrücklich auf» Kant« (S. 247, Z. 8). 149 Ebd. Bk. II, eh. 29, § 1 (I, 86ff.). 150 Ebd. Bk. III, eh. 1ff.(II,3ff.); vgl. Anm. 189ff. 151 Ebd. Bk. III, eh. 3, § 1 ff. (II, 14ff.). 1s2 Ebd. Bk. III, eh. 3, § 12 (II, 22). 153 Ebd. Bk. III, eh. 3, § 15 (II, 25 ff.). 154 Ebd. 155 Ebd. 156 Ebd. Bk. III, eh. 6, § 7 ff. (II, 63 ff.). 157 Ebd. Bk. III, eh. 4, § 3; III, 6, lff. (II, 32; 56 ff.). 1ss Ebd. Bk. III, eh. 4, § 42 (II, 32). 159 Ebd. Bk. II, eh. 11, § 9ff. (I, 206). Randbemerkung: »Nicht aus dem III. Buch«. 160 Ebd. § 10 (I, 207). 161 Ebd. Bk. IV, eh. 1, § 1(II,167). 162 Ebd. § 3 (II, 168). 163 Ebd. § 7 (II, 171). 164 Ebd. § 8 (II, 172). 16 5 Ebd. Bk. IV, eh. 2, § 1; § 14 (II, 176; 185). Randbemerkung zu Bk. IV, eh. 2, § 9: »N. B. Locke führt im folgenden lauter intuitive Wahrheiten aus der Klasse der Identitäten oder der Unterschiede an« (S. 435, Z. 33). 166 Ebd. Bk. IV, eh. 3, § 6 (II, 196). Randbemerkung: »Kommt uns nicht die Idee der Existenz nach Locke ebenso auf dem Weg der Reflexion als Sensation? Woher also die Schwierigkeit, Existenz ohne Ausdehnung anzunehmen? Ferner erkennt Locke nicht an, daß Gott ohne Ausdehnung existiert? S. 445 oben« (S. 446, Z. 3). 167 Ebd. Bk. IV, eh. 7, § 4ff. (II, 269ff.); vgl. Br. Bergmann, 117. 168 Ebd. Bk. II, eh. 8, § 1 ff. (I, 166 ff.). Brentano hat dieses Kapitel (>Some further considerations concerning our simple ideas of sensationSurvival of the fittestAnhang: Texte aus dem NachlaßAnhang (Texte aus dem Nachlaß)Gesch. d. Phil. Einteilung der Wissenschaften< (n. 25253-25254); vgl. den Text im >VorwortHauptteilPensees morales detachees< (1, 8, 1 ff.) durchgearbeitet; vgl. auchLJ, 108. 19 Pensees, II, 3, 5 u. ö.; vgl. auch LJ, 107. 20 Ab Oktober 1646 beschäftigten sich Pascal und Petit mit Toricellis Experimenten; vgl. Le vide, !' equilibre des liqueurs et la pensateur de l' air, in: Oeuvres completes, 359ff. 2 1 Pascals Vater (Etienne Pascal) und Roberval hatten bereits 1636/ 37 in einer wissenschaftlichen Kontroverse für Fermat und gegen Descartes (Discours de la methode) votiert. 22 Brentanos Handexemplar (Lettres provinciales, Leiden 1761) weist nur geringe Lesespuren auf. 23 De!' art de persuader, 1, 2, 3 ff.

115-119

Texte aus dem Nachlaß, VIII

335

24 Vgl. die weitaus vorsichtigere, wahrscheinlich spätere Bewertung dieses Zitats in LJ, 116; RPR, 50. 2s Fast durchgehend setzt Brentano Fragezeichen zu Formulierungen wie: »... qui choque plus notre raison« (II, 5, 4).

VII. Pascal. Pensees sur les miracles Archiv-Signatur: Ms. transcr. H 28: >Pascal: Sur !es miraclesBemerkungen zu Leibniz' Monadologie und Aporien des Verständnisses seiner Lehren vom Raum, von der Seele und gegen den SolipsismusDie Tatsachen der Wahrnehmung< abgehalten.

340

Anmerkungen des Herausgebers

144-151

Thfodicee, III, 356 (VI, 326); vgl. auch ZRK, 202. Vgl. ZRK, 68. 21 Thfodicee, III, 351 (VI, 322). 22 Vgl. die posthum veröffentlichte Übersicht >Esigenza critica e immortalid dell'animaLeibniz: ThfodiceeHauptteilLeibniz. Zur Lehre von Raum und ZeitVorwortHume. Über partikuläre Providenz und jenseitiges LebenHume. The Natural History of ReligionHume. Gespräche über die natürliche ReligionHume. Gespräche über die natürli-

che Religion. Bemerkungen zu Humes Gesprächen über die natürliche ReligionHume. Gespräche über die natürli-

che Religion. Platner. Ein Gespräch über Atheismus mit Beziehung auf Humes Gespräche über die natürliche ReligionÜber Royer-Collards vonJouff-

roy mit der Übersetzung von Reid veröffentlichte FragmenteHauptteilVonderNaturderVorstellung< (1903). 12 Descartes, Med. VI, 110 (VII, 86) ; vgl. Fragments, Oeuvres III, 330: »La sensation et Ja perception sont precedees de certains impressions sur !es organes, sur !es nerfs et sur Je cerveau. « 13 Fragments, Oeuvres III, 340: »... qu'elle conduit necessairement au scepticisme sur la realite du monde exterieur. « 14 Reid, Inquiry, 97f.; 103. 1s Reid, On the Intellectual Power ofMan, II, 17; 313. 16 Fragments, Oeuvres III, 426 ff.; 439 ff. 17 Ebd. 439: »Le toucher et Ja vue aidee des lec;ons du touchernous mettent seulement en etat de remarquer que certains corps sont presents, quand certaines sensations on lieu ... La connaissance des qualites premieres nous est immediatement donne par Je sens du toucher. « 18 Ebd. 448: »II ne reste donc que la troisieme, savoir, que nous concevons dans !es objets la cause des sensations que nous eprouvons en nous-memes, ou que nous rapportons nos sensations comme effects aux objets comme causes ... Toutes leurs tentatives pour faire sortir le dehors du dedans, avant que nous sachions qu'il y a un dehor, roulent dans ce cercle vicieux. Le dehors ne veut venir que du dehors. « 19 Ebd. Oeuvres IV, 300ff.;305ff.;320ff.;327ff. 20 Ebd. 347 ff. 21 Reid. Inquiry, 137ff.; vgl. WRL, 4f. 22 Fragments, Oeuvres IV, 450: »Ce qui nous determine a croire, nous appelons evidence«; vgl. Reid, Inquiry, 326ff.; vgl.WRL, llff. 23 Reid, lnquiry, 329; vgl. WRL, 11. 24 Vgl. Brentanos Kritikin WE, 69; VE, 251. 25 Reid, Inquiry, 328; vgl. WRL, 12. 26 Fragments, Oeuvres IV, 338ff. 27 Ebd. 345. 28 Condillac, Cours d' etude, Bd. V: L' art de penser, 16 ff. 29 Vgl. RUK, 29f. Vgl. Ms. N 5: >Einstein< (2 S). Die Kritik der Relativitätstheorie ist in der engeren Brentano-Schule weitergeführt worden. 9

356

Anmerkungen des Herausgebers

229-233

Fragments, Oeuvres IV, 346; vgl. auch 347, Anm. 3. Ebd. 399. 32 Ebd. 349ff. 33 Ebd. III, 340; vgl. auch PsA, 79ff. 34 Brentano hat in der Kr V vor allem die transzendentale Ästhetik (B 59 / 41 ff.) und die Deduktion der Kategorien (B 92 / A 67ff.) studiert. 35 Fragments, Oeuvres I, 360: »La sensation qui n'a point d'objet distinct d'elle-meme est aussi objet relativement ala conscience et ala 30

31

memoire.« 36 37

Vgl. PsIII, 37;PsII, 133ff. Kant, KrV, A 7IB10; vgl. LRU, 165ff.

XXV. Kant. Über die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft Archiv-Signatur: Ms. transcr. H 13: >Kant. Über die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen VernunftVorwortVorwortAnmerkungen des Herausgebers