Geschichte der Krankenpflege, Band 1: Die Entwicklung der Krankenpflege-Systeme von Urzeiten bis zur Gründung der ersten englischen und amerikanischen Pflegerinnenschulen 9783111448862, 9783111081724

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Geschichte der Krankenpflege, Band 1: Die Entwicklung der Krankenpflege-Systeme von Urzeiten bis zur Gründung der ersten englischen und amerikanischen Pflegerinnenschulen
 9783111448862, 9783111081724

Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
ERSTER TEIL. VOR-CHRISTLICHE ZEIT
EINLEITUNG
Kapitel I. »ERSTE HÜLFE« UNTER DEN TIEREN
Kapitel II. VERSORGUNG DER KRANKEN BEI DEN URVÖLKERN
Kapitel III. INDIEN
Kapitel IV. CEYLON
Kapitel V. ÄGYPTEN
Kapitel VI. BABYLONIEN UND ASSYRIEN
Kapitel VII. DIE JUDEN
Kapitel VIII. GRIECHENLAND
Kapitel IX. ROM
ZWEITER TEIL. VOM ERSTEN BIS ZUM SCHLUSS DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS
Kapitel I. WEIBLICHE BETÄTIGUNG ZUR ZEIT DER ERSTEN CHRISTEN
Kapitel II. DIE HOSPITÄLER DER FRÜHCHRISTLICHEN ZEIT UND DIE RÖMISCHEN MATRONEN
Kapitel III. DIE ENTWICKLUNG DES KLOSTERWESENS
Kapitel IV. DIE RITTERLICHEN KRANKENPFLEGE-ORDEN
Kapitel V. EINE GRUPPE HEILIGER
Kapitel VI. HOSPITAL- UND KRANKENPFLEGEGERÄTE
Kapitel VII. DER BEGINN DER WELTLICHEN ORDEN: DIE BÉGUINEN, SANTO SPIRITO, OBLATA VON FLORENZ
Kapitel VIII. DAS PFLEGESYSTEM ZWEIER BERÜHMTER HOSPITÄLER IN PARIS UND LYON
Kapitel IX. SPÄTERE MITTELALTERLICHE ORDEN
Kapitel Χ. FRANZÖSISCHE UND SPANISCHE HOSPITÄLER IN AMERIKA
Kapitel XI. DER H. VINCENTIUS VON PAUL UND DIE BARMHERZIGEN SCHWESTERN
Kapitel XII. DIE ANFÄNGE DER KRANKENPFLEGE IN ENGLAND
Kapitel XIII. DIE CHIRURGIE UND ÄRZTLICHE BEHANDLUNG IM MITTELALTER
Kapitel XIV. DIE DUNKLE PERIODE DER KRANKENPFLEGE
Kapitel XV. DIE PHILANTHROPISCHE UND KRANKENPFLEGE- BEWEGUNG VOR FLIEDNERS ZEIT

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Hygieia, die Göttin der

Gesundheit.

GESCHICHTE DER KRANKENPFLEGE DIE ENTWICKLUNG DER KRANKENPFLEGE-SYSTEME VON URZEITEN BIS ZUR GRÜNDUNG DER ERSTEN ENGLISCHEN UND AMERIKANISCHEN PFLEGERINNENSCHULEN VON

M. ADELAIDE NUTTING, R. N. Oberin der Pflegerinnen, Johns Hopkins Hospital-Baltimore Direktorin der Pflegerinnen-Schule des Johns Hopkins Hospital Präsidentin des amerikanischen Pflegerinnenbundes Mitglied des Pflegerinnen-Weltbundes Professor of Hospital Economy, Teachers College, Columbia University, New York UND

LAVINIA L. DOCK, R. N. Mitglied des Nurses' Settlement, New-York Sekretärin des amerikanischen Pflegerinnenbundes und des Pflegerinnen-Weltbundes Ehrenmitglied des Oberinnen-Verbandes von Großbritannien und Irland und der Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands ÜBERSETZT VON

SCHWESTER AGNES KARLL Präsidentin des Pflegerinnen - Weltbundes, Vorsitzende der Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands und Ehrenmitglied des Oberinnen-Verbandes von Großbritannien und Irland

I. BAND — MIT 59 BILDERN

DIETRICH REIMER (ERNST VOHSEN), BERLIN 1910.

DRUCK VON J . J . AUGUSTIN IN GLÜCKSTADT.

ALLEN MITGLIEDERN DES PFLEGEBERUFS GEWIDMET

VORWORT. Bei der Spärlichkeit der Geschichtsquellen für die Krankenpflege alter Zeiten, sowie dem weit verstreuten und oft in ganz abweichenden Schriften verborgenen Material, war es selbst für die große Masse der am lebhaftesten Interessierten praktisch fast unmöglich, sich mehr als einen schwachen Allgemeinumriß von der Vergangenheit der Krankenpflege und ihren Verhältnissen zu schaffen. Als Folge dieser literarischen Dürftigkeit weiß die moderne Pflegerin, so lebhaft sie sich für Gegenwart und Zukunft ihres Berufes auch interessieren mag, wenig von seiner Vergangenheit. Es entgeht ihr beides, sowohl die Begeisterung, welche geliebten Traditionen entspringt, als auch der Ausblick, welcher sich von einem Fortschritt zum andern ergibt. Nur im Licht der Geschichte kann sie klar übersehen, wie eng ihr Beruf mit dem allgemeinen Stande der Erziehung und der erlangten Freiheit verknüpft ist — wenn beide steigen, steigt er mit, und wenn sie sinken, sinkt auch er. Es ist ein längst gehegter inniger Wunsch der beiden Verfasserinnen dieses Buches, daß die rührende I*



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und oft heldenhafte Geschichte der Krankenpflege den modernen Gemeinschaften nicht unbekannt bleiben möchte. Fünfzehn Jahre lang hat die eine geduldig das Material über die Krankenpflege und ihre Geschichte gesammelt, während die andere zwei Jahre lang ihre ganze Zeit der Durchforschung der heimischen und ausländischen Bibliotheken widmete. Bei der Ausführung unserer Arbeit sind wir uns unserer Unzulänglichkeit bewußt gewesen und das um so mehr, je mehr wir uns der Vollendung dieser ersten Bände näherten. Die Hingebung, mit der wir arbeiteten, möge sowohl die Mängel, deren wir uns bewußt sind, als auch die Irrtümer, die wir möglicher Weise übersehen haben könnten, entschuldigen. Wir haben indes versucht, nur Schriftsteller anzuführen, deren Zuverlässigkeit anerkannt ist, und die Originalquellen soweit als möglich zu ergründen. Um nicht in den ersten Abschnitten zu stark kürzen und zu viele Einzelheiten fortlassen zu müssen, hielten wir es für richtiger, an der Schwelle der modernen Aera Halt zu machen, der wir unmöglich in zwei kleinen Bänden gerecht werden konnten. Sollte dieser erste Versuch eine gute Aufnahme finden, so wollen wir später die Entwicklung der modernen Krankenpflege mit ihren wichtigen und dramatischen Phasen in fast jedem Lande zu schildern suchen, um den gegenwärtigen Revolutionen in Deutschland und Frankreich, dem Erwachen Italiens und dem wunderbaren Aufsteigen Japans zu hoher Bedeutung Rechnung zu tragen. Wir schulden vielen, die uns geholfen haben,.



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den wärmsten Dank. Besonders müssen wir Dr. Robert Fletcher, vom Militärärztlichen Museum in Washington, die Schwestern von St. Joseph in Montreal und die Schwestern des Hôtel-Dieu in Quebec hervorheben. Ebenso möchten wir das herzliche, großmütige und hülfsbereite Entgegenkommen aller Ärzte betonen, deren Schriften wir benutzt haben. August 1907.

M. A . N. L. L. D.

VORWORT DER ÜBERSETZERIN. Die letzten Jahrzehnte haben durch eine ungeheure Erweiterung der ärztlichen und sozialen Arbeitsgebiete auch der Krankenpflege eine erhöhte Bedeutung als Helferin auf Beiden gegeben. In längst verflossenen Jahrhunderten, in denen sowohl die ärztliche, wie die soziale Praxis ausschließlich in den Händen religiöser Organisationen lag, konnte naturgemäß auch die Krankenpflege nur durch solche geübt werden und mag die Sachlage in vieler Beziehung damals eine sehr ähnliche gewesen sein. Deutschland hat von allen Ländern am längsten das Gepräge dieser Zeiten für die Krankenpflege behalten. Neben die alten katholischen Orden trat hier durch die Wiederbelebung der »Diakonisse« der ersten Christenzeit seit dem dritten Jahrzehnt des verflossenen Jahrhunderts eine neue mächtige kirchliche Organisation von evangelischer Seite, deren Wellen auch in die Nachbarländer und andere Weltteile übergriffen und unserm Vaterland früher wie jedem andern Kulturstaat Entwicklungsmöglichkeiten auf den Fürsorgegebieten gab, die für die Krankenpflege aller Länder von grundlegender Bedeutung waren. Wenn deutsche Krankenhäuser



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durch ihre Einrichtungen heute der ganzen Welt als Vorbild dienen, so danken wir das nicht nur dem Stand der deutschen ärztlichen Wissenschaft und Technik, sondern auch dem Wirken der Frauen, die nach einer langen Zeit traurigsten Verfalls mit dem Geist der christlichen Liebe auch Sauberkeit, Ordnung und freundliche Fürsorge in die öden, oft abschreckenden Räume trugen, die in jener Zeit als Krankenhäuser dienten. Bald danach kam im Lauf weniger Jahrzehnte der gewaltige Umschwung der weltwirtschaftlichen Verhältnisse, der Triumphzug von Wissenschaft, Technik und Handel, deren Einflüssen sich keinerlei Lebensverhältnisse entziehen konnten. Die Krankenpflege in den Ländern, in denen sie nie oder seit lange nicht mehr auf hoher Stufe stand, weil sie in religiöser Form nie in nennenswertem Umfang bestanden hatte, wie in Amerika, oder seit Jahrhunderten beseitigt war, wie in England, konnte dieser Bewegung leicht folgen und sich als etwas ganz Neues, als wirtschaftlich selbständiger Frauenberuf gesund und kräftig entwickeln. In Deutschland wurde von den religiösen Institutionen beider Konfessionen so Vorzügliches geleistet, daß der Antrieb zu neuen Schöpfungen auf dem Gebiet der Krankenpflege lange nicht so stark und dringlich sein konnte und daß naturgemäß, als er sich geltend machte, eine starke Anlehnung an das Bestehende erfolgte. So entwickelten sich eine Reihe von Bindegliedern zwischen den religiösen Krankenpflege-Institutionen und der Krankenpflege als wirtschaftlich selbständigem Frauenberuf. Aber auch für Deutschland mußten die Zeit-

χ Verhältnisse den letzteren bringen. Und da der deutsche Geist sich nicht leicht von Altgewohntem löst, hat diese Wandlung schwere Zeiten mit sich gebracht, die im Leben vieler Frauen zu Katastrophen wurden, deren meist verschwiegenes Leid im lauten Weltgetriebe zum größten Teil spurlos verschwand oder schnell wieder vergessen wurde, wenn es doch einmal nicht hatte übersehen werden können. Im letzten Jahrzehnt hat die berufliche Krankenpflege in Deutschland eine festere Gestaltung bekommen. Der Zusammenschluß in eine Körperschaft »Die Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands«, die Einführung einer staatlichen Prüfung geben ihr feste Grundlagen zur weiteren Entwicklung. Die Krankenpflege erfordert aber neben der äußeren Gestaltung einen hochwertigen inneren Gehalt, den die Religion in den alten Institutionen zugleich mit der äußeren Form gab. In den Jahrhunderten, wo die Religion der Haupt-Kulturträger war, hätte das gar nicht anders sein können. Auch heute wird wahres religiöses Empfinden noch die tiefgründigste Ethik für die Krankenpflegerin sein, aber sie kann nicht mehr als einzige Grundlage derselben gelten. Bei den vielseitigen Anforderungen des modernen Lebens, bei der Unmöglichkeit, sie wie früher nur als Glied festgefügter, religiöser Institutionen in die Öffentlichkeit zu stellen, muß die einzelne Persönlichkeit nach allen Richtungen vertieft und entwickelt werden. An den beklagenswerten Zuständen in der deutschen Krankenpflege, die nicht länger von weitesten Kreisen unbeachtet bleiben dürfen, trägt die schlechte wirt-



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schaftliche Lage dieses Berufes, welche die wertvollsten Elemente in den letzten zwei Jahrzehnten mehr und mehr fernhalten mußte, weil sie ihnen weder für sich noch für ihre häufigen Unterstützungsverpflichtungen irgend welche gesunde Grundlage bot, einen erheblichen Anteil der Schuld, aber das Übersehen der Erziehungsnotwendigkeiten einen ebenso großen. Der größte Teil der Krankenpflegerinnen tritt sehr jung und unreif in die verantwortliche Tätigkeit, meistens von einem unklaren Idealismus und Enthusiasmus erfüllt, der sich in der heutigen materialistischen Zeit an sich wohl schon von Jahr zu Jahr verringert. Die brutale Wirklichkeit unseres Berufslebens schlägt ihn indes bei allen nicht ganz starken Persönlichkeiten geradezu mit Keulen tot und als Entgelt haben die meisten nach wenigen Jahren einen überarbeiteten, erschöpften, oft völlig siechen Körper und einen gebrochenen Geist. Ihre gesammelten Erfahrungen gehen verloren, weil sie den meistens heißgeliebten, beglückenden Pflegeberuf mit anderer Tätigkeit vertauschen müssen, wenn sie nicht überhaupt zu Grunde gehen. Die äußeren Arbeits- und Lebensbedingungen der deutschen Krankenpflegerin fangen an sich zu wandeln. Der Lehrplan des Staatsexamens sichert ihr. wenn auch in seiner jetzigen Form in sehr bescheidenem Maße, die nötigen technischen und wissenschaftlichen Grundlagen für die Ausübung d e s Frauenberufes, der außer dem der Hausfrau und Mutter der Seele des Weibes im Sorgen für andere am meisten Befriedigung geben kann. Für ihre ethischen Grundlagen hat man bis jetzt gar nicht oder in dürftigster Form gesorgt und merkwürdiger Weise ist ein wich-



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tigster Faktor für dieselbe bislang völlig übersehen. Hat denn ein Beruf, der so alt ist wie das Menschengeschlecht, nicht in seiner Geschichte eine Ethik, die jedes denkende Glied dieses Berufes begeistern muß? A b e r wer kannte sie ! Man gab den jungen Schülerinnen wohl einen knappen A b r i ß von der Entwicklung der einzelnen Institutionen, in die sie meistens nicht die Überzeugung, sondern der Zufall geführt hatte. Statt ihren Blick für die ganze große Welt ihres Berufes zu öffnen, verengte man ihn gewöhnlich durch Züchtung eines traurigen Kastengeistes, indem man sie lehrte auf alle herabzusehen, die nicht gerade dem gleichen Kreis angehörten. In die herrliche Vergangenheit unseres Berufs einen flüchtigen Blick zu tun, war kaum einer von uns vergönnt, da die Geschichte unseres Berufs nicht ergründet war. Unsern praktischen, uns an gesundem, tatkräftigem Idealismus zum Teil weit überragenden amerikanischen Schwestern danken wir die Schöpfung eines von einzelnen von uns längst ersehnten Geschichtswerkes, das uns die ganze Entwicklung der Krankenpflege in knapper, plastischer F o r m a u f b a u t . Bei der Fülle verschiedenartigster Einrichtungen für die Kranken Versorgung, derer sich Deutschland zum Teil seit alter Zeit erfreut, ist es für uns besonders schwierig, einen Uberblick über dieselben zu gewinnen. In diesem Buch sieht man seit ältesten Zeiten sich eine nach der andern aus den Zeitverhältnissen organisch entwickeln, sich mit ihnen wandeln; man erfährt, warum die Gestaltung gerade so und nicht anders vor sich ging und das anscheinende Chaos wird zum übersichtlichem Bilde.

— XIII —

Noch während der umfangreichen Vorarbeit, ehe das Buch geschrieben war, hatte ich von den Verfasserinnen das Ubersetzungsrecht erbeten. Und in der vorliegenden Übersetzung der »Geschichte der Krankenpflege« hoffe ich, allen deutschen Krankenpflegerinnen einen goldenen Schatz für ihr ganzes Leben zu übermitteln, in den sie immer wieder hineingreifen können, wenn ihnen die Hände mutlos niedersinken wollen vor der Schwere des Lebens. Unsere jungen Generationen sollten aus ihm eine unerschöpfliche Begeisterung für ihren Beruf gewinnen, sollten, wenn möglich, ehe sie denselben ergreifen, sich an ihm prüfen, ob es der rechte für sie sei. An dem Leben der Frauen, die zum Teil vor langer Zeit ihr ganzes Sein in der Krankenpflege ausströmten, das Gedenken an ihre Persönlichkeit unauslöschlich in die Tafeln der Geschichte gruben, können sie die rechten Vorbilder für ein Leben der Hingebung finden, das heute durchaus nicht mehr ein Auslöschen der eignen Persönlichkeit zu bedeuten braucht, vielmehr die große Pflicht auferlegt, jede Eigenschaft aufs Höchste zu entwickeln, um der Menschheit in reichstem Maße zu dienen. Die verflossenen Jahrhunderte unseres Berufs, die Menschen, welche ihn zu allen Zeiten und in den verschiedensten Ländern zu dem machten, was auch wir in der Gegenwart und Zukunft erstreben, durch das Auge von Frauen zu sehen, die der Krankenpflege selbst ihr ganzes Leben widmeten, ist ein tiefes Erleben. Nicht nur uns Krankenpflegerinnen können diese Bände Führer werden und neue Ideale auf-

— XIV —

richten helfen, auch der ganzen deutschen Frauenwelt, besonders der »Frauenbewegung« haben sie viel Wertvolles zu sagen. Unser Beruf ist so eng mit dem ganzen Leben des Volkes, mit dem kulturellen Stand jeder Zeitphase verwachsen, daß seine Geschichte Licht in manche dunkle Zeit wirft, aus der man über das Leben der Frauen wenig genug weiß, so daß ihre Einzelheiten oft von größter Bedeutung für die Erkenntnis der allgemeinen Zustände und die Stellung der Frau zu den verschiedenen Zeiten sind. Die Überzeugung, daß die Geschichte der Krankenpflege den Krankenpflegerinnen insbesondere und allen Frauen viel wertvolles Rüstzeug für den Lebenskampf geben könne, ließ mich den Mut finden die verantwortliche Arbeit der Übersetzung auf mich zu nehmen, trotzdem ich mir neben der eignen Unzulänglichkeit sehr wohl bewußt war, daß ein durch langjährige Überanstrengung erschöpfter Mensch für eine so große Aufgabe durchaus ungeeignet und besonders nicht im Stande ist sich genügend für dieselbe vorzubereiten. Aber ein glücklicher Stern scheint über dem Unternehmen zu walten. Unser Buch fand in Deutschland einen Verleger, dessen Auffassung sich in den knappen Worten ausdrückt: »Es kommt bei einem Buch nicht in erster Linie darauf an, daß es ein gutes Geschäft bedeutet, sondern daß es nötig ist«. Daß aber ein Verlag nicht nur willig ein großes Risiko übernimmt, sondern für den Fall, daß ein Gewinn erzielt werden sollte, denselben ganz denen zur Verfügung stellt, die mit der Herausgabe der



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»Geschichte der Krankenpflege« ihrem Beruf und der Allgemeinheit dienen wollten, und das auch mit ihrem ganzen Leben zu tun suchten, danken wir der Gesinnung, die das Wirken unserer religiösen und weltlichen Berufsgenossen seit langen Zeiten für die Krankenpflege in weiten Kreisen geweckt hat. Miss Dock hat sofort in gewohnter Selbstlosigkeit erklärt, daß ihr Anteil an einem Gewinn aus der deutschen Ausgabe ihres Werkes der Unterstützungskasse der Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands zufallen solle, so daß den deutschen Krankenpflegerinnen in doppelter Weise Gutes durch dies Buch geschieht. Der Verlag tat aber noch mehr zur Ermöglichung des Erscheinens der deutschen Ausgabe der Geschichte der Krankenpflege. Er stellte auch Fräulein Estelle du Bois - Reymond als Mitarbeiterin zur Verfügung, die in sorgfältigster und verständnisvollster Weise half, der Ubersetzung die äußere Form zu geben, die für den literarisch Ungeschulten eine erhebliche Schwierigkeit bedeutet. Ihr spreche ich an dieser Stelle ebenso wie dem Verleger und den treuen Helferinnen aus dem Schwesternkreise, die durch Ausziehen der deutschen Textstellen und sonstige technische Mithülfe zu seiner Fertigstellung praktisch mit beitrugen, den wärmsten Dank aus. Möge das vorliegende Werk seinen Zweck erfüllen und an der ethischen Vertiefung des Pflegeberufs als Lehrbuch der Schwestern mithelfen und in weitesten Kreisen der Krankenpflege Verständnis und Interesse gewinnen! Schw. Agnes Karll.

INHALTSVERZEICHNIS. Seite

Vorwort Vorwort der Übersetzerin Verzeichnis der Abbildungen

V VIII XIX

ERSTER TEIL. VORCHRISTLICHE

ZEIT.

Einleitung

3

Kapitel I. »Erste Hülfe« unter den Tieren

9

Kapitel II. Versorgung der Kranken bei den Urvölkern . . .

12

Kapitel III. Indien

27

Kapitel IV. Ceylon

.43

Kapitel V, Ägypten

48

Kapitel V I . Babylon und Assyrien

57

Kapitel V I I . Die Juden

63

Kapitel V I I I . Griechenland

69

Kapitel IX. Rom

86



XVII



ZWEITER TEIL. VOM E R S T E N BIS ZUM S C H L Ü S S E D E S ACHTZEHNTEN

JAHRHUNDERTS. Seite

Kapitel I. Weibliche Betätigung in der ersten Christenheit

.

.

99

Kapitel II. Die Hospitäler der frühchristlichen Zeit und die römischen Matronen 124 Kapitel III. Die Entwicklung des Klosterwesens

151

Kapitel IV. Die ritterlichen Krankenpflege-Orden

179

Kapitel V. Eine Gruppe Heiliger

221

Kapitel VI. Hospital- und Krankenpflegegeräte

246

Kapitel V I I . Der Beginn der weltlichen Orden : Die Béguinen, Santo Spirito, Oblata von Florenz . . . . 272 Kapitel V I I I . Das Pflegesystem zweier berühmter Hospitäler in Paris und Lyon 299 Kapitel IX. Spätere mittelalterliche Orden

357

Kapitel X. Französische und spanische Hospitäler in Amerika 377 Kapitel XI. Der h. Vincentius von Paul und die barmherzigen Schwestern 427 Kapitel XII. Die Anfänge der Krankenpflege in England .

.

. 467

— XVIII

— Seite

Kapitel X I I I . Die Chirurgie und ärztliche Behandlung im Mittelalter 505 Kapitel X I V . Die dunkle Periode der Krankenpflege

526

Kapitel X V . Die philanthropische und vor Fliedners Zeit

Krankenpflegebewegung 553

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN. Seite

Hygieia, die Göttin der Gesundheit Titelbild Die Hausapotheke einer ägyptischen Königin 48 Ein ägyptischer Prinz und seine Pflegerin 56 Hygieia und Asklepios 72 Das Abaton in Epidauros 80 Die priesterlichen Jungfrauen in der Kirche des h. Apollinaris in Ravenna 104 Die sieben Werke der Barmherzigkeit 128 Das Besuchen der Kranken 152 Tracht einer Äbtissin in alter Zeit 160 Festung der Hospital-Ritter 184 Schwester des h. Johannes von Jerusalem 192 Dieselbe im Chorgewand 192 Großmeister des Johanniter-Ordens 200 Ritter vom Orden des h. Lazarus, 15. Jahrhundert . . . 200 Hospital der Ritter in Valetta 208 Franziskanerin vom Dritten Orden 224 Die heilige Elisabeth von Ungarn 232 Eine legendarische Darstellung von Aussätzigen . . . . 240 Altes Kloster-Hospital in Ravenna 248 Teil des Ospedale Maggiore, Mailand 248 Das Hôtel-Dieu in Antwerpen 248 Hof des Hospitals San Juan di Dio in Granada . . . . 256 Eingang zum Hospital in Rothenburg o. d. Tauber . . 256 Wandgemälde im Hospital zu Siena 264 Das große Béguinenkloster in Ghent 272 Eine Antwerpener Béguine 272



XX

— Seite

Hospital in Beaune Schwester der h. Martha Apotheke jn Brügge Schwester vom Orden des heiligen Geistes Hospitalbruder vom heiligen Geist, im Chorgewand . . Schwester vom Hôtel-Dieu in Paris Hospitalbruder vom Hôtel-Dieu in Paris Krankenversorgung im Hôtel-Dieu in Paris Schwestern, im Fluß waschend Ein Krankensaal im Hôtel-Dieu Nonnenprozession im Hôtel-Dieu Verteilung einer Mahlzeit im Hôtel-Dieu Saal der h. Martha im Hôtel-Dieu San Juan di Dio, Sevilla Die Brüder der Misericordia bringen einen Kranken ins Hospital Hospitalschwester in Dijon Die Frau als Arzt Damen im Krankendienst der Charité Hôtel-Dieu in Quebec, 1816 Bildnis von Jeanne Mance Statue von Jeanne Mance , . . . Jesus-Hospital in der Stadt Mexiko, gegründet von Cortes . Jesus-Hospital in Mexiko, eine andere Ansicht . . . . Der h. Vincentius von Paul Louise Le Gras Barmherzige Schwester Barmherzige Schwestern verbinden einen Kranken . . . Ein Infirmarius von St. Alban Eingangstor des St. Bartholomäus-Hospitals und Krypta der Kirche (London) Raheres Saal im St. Bartholomäus-Hospital Die heiligen Brüder Cosmos und Damian besuchen einen Kranken Anzug zum Besuche ansteckender Kranker Amalie Sieveking

280 288 288 296 296 304 304 312 320 328 336 344 352 360 360 368 376 376 392 408 408 424 424 432 440 448 456 472 480 488 512 520 576

ERSTER TEIL. VOR-CHRISTLICHE ZEIT.

N u t t i n g u. D o c k , Geschichte der Krankenpflege.

Bd. I.

I

EINLEITUNG.

Die Kunst der Pflege, zugleich die älteste Beschäftigung der Frauen und der jüngste Zweig der ärztlichen Wissenschaft, muß mit der ersten Mutter entstanden sein, welche für ihre Kleinen alle die Dienste verrichtete, die es ihnen möglich machten, zu leben und zu gedeihen. Die täglichen und stündlichen Mühen des Fütterns, Wärmens, des Behütens vor Unheil, des Bewachens in der Nacht, der rhythmische Schwung der Wiege oder des Zweiges unter dem Auge der Mutter — diese mütterlichen Sorgen, ebenso alt oder noch älter als das Menschengeschlecht, legten den Grund, aus dem sich der Krankenpflegeberuf zu seinem heutigen Stand entwickelte. Will man den Ursprung so mancher Eigenart und Gewohnheit ergründen, so muß man nicht nur die menschliche Familie in Betracht ziehen, sondern auch die viel älteren Rassen der Vögel und Säugetiere, unter denen die ersten dämmernden Spuren elterlicher Liebe, Güte und gegenseitiger Hülfe entstanden. Alle Forschungen über die Geschichte und Entwicklung des Menschen müssen unvollständig bleiben, wenn sie nicht eng mit den Studien über diese niedern, I*



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ihm verwandten Geschöpfe verknüpft sind. Die Urvölker haben stets den Vögeln den Besitz eines tiefern Wissens zugeschrieben, als den Menschen, und sicherlich wird niemand ihre Wanderungen und Flüge, ihre wunderbar gefügten Nester, die Sorge für ihre Jungen, die Reinheit und Lieblichkeit ihres Familienlebens ohne Staunen und Bewunderung betrachten können. Die hochentwickelte und intelligente A r t der Mutterliebe und Fürsorge unter den höheren Tieren ist jedem Beobachter wohlbekannt und erscheint in der T a t oft, soweit man nach ihren Handlungen urteilen kann, so lange sie währt, in keiner Weise derjenigen untergeordnet, welche die Mutter bei den Naturvölkern ihrem Sprößling widmet. Sie unterscheidet sich von ihr nur durch ihre Dauer, denn die Sorgfalt der Säugetier- oder Vogelmutter für ihr Junges hört mit dem Ausgewachsensein desselben auf. Bei der Ergründung des Ursprungs der sanfteren und menschlicheren Eigenschaften, welche die Gesellschaft als solche ermöglichen, führen die meisten Gelehrten dieselben auf die frühesten Äußerungen der mütterlichen oder väterlichen Liebe zurück. Die von John Fiske ') aufgestellte Theorie, die höhere Entwicklung der menschlichen Rasse beruhe auf dem Umstände, daß der menschliche Säugling während einer langen Zeitperiode hülflos und abhängig ist, ') » On the Part played by Infancy in the Evolution of Man'· (Der Anteil der Kindheit an der Entwicklung des Menschen) in A Century of Science and other Essays (ein Jahrhundert der Wissenschaft und andere Aufsätze) von John Fiske. Houghton, Mifflin & Co. 1899 S. 100—121.

-

5



und deshalb eine verlängerte und anhaltendere Zärtlichkeit in den Eltern wachruft, woraus die höhere Entwicklung des Charakters entspringt, wird allgemein als einer seiner wichtigsten Beiträge zum modernen Denken angesehen. Hingegen haben andere Schriftsteller den Ursprung der Güte und Sanftmut auf die früheste Geschlechtsanziehung zurückgeführt und sehen die lebenslängliche Paarung und Treue einiger Vögel und Säugetiere als Beweise dafür an, daß diese Form der Liebe eine dauerhaftere ist. Es gibt indes von altersher in der Geschichte unserer Urväter noch einen andern Trieb, der sogar dauernder und verbreiteter und weit weniger persönlich oder individualistisch ist, als irgend einer der schon erwähnten: nämlich den sozialen Instinkt, das soziale Empfinden, welches sich ganz deutlich als Grundlage dessen erweist, was wir bei der menschlichen Rasse Altruismus oder Humanitarismus nennen. Das ist der Instinkt der gegenseitigen Hülfe, sicher ein Sinn der Rasseerhaltung, welcher den Schutz der Jüngeren und Schwächeren des Stammes durch die Älteren und Stärkeren herbeiführt und ganze Herden veranlaßt, die Not des Einzelnen zu teilen oder den Versuch seiner Rettung aus Gefahr zu unternehmen. Wir verdanken Kropotkin, dessen wissenschaftliche Kenntnisse ebenso groß sind wie seine Güte gegen alle Wesen der Schöpfung, die Feststellung dieser Wahrheit, •die er äußerst anziehend in seiner » Gegenseitigen Hülfe« ') erläutert. In der Einleitung erzählt er seine Peter Kropotkin, Mtitual Aid a Factor of Evolution (Gegenseitige Hülfe als ein Faktor der Entwicklung). Wm. Heinemann, London, 1902.



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Beobachtungen über das Tierleben in den ausgedehnten Gebieten Nordasiens und legt seine Gründe dar, weshalb er die gewohnte pessimistische Anschauung über den »Kampf ums Dasein« für irrig hält. »In allen diesen Szenen des Tierlebens, welche sich vor meinen Augen abspielten«, schreibt er, »sah ich gegenseitige Hülfe und gegenseitige Unterstützung in solchem Umfange durchgeführt, daß sie sich mir als ein Zug von größter Wichtigkeit für die Erhaltung des Lebens und die Bewahrung jeder Art und ihrer weiteren Entwicklung aufdrängte.« Er zitiert einen andern russischen Gelehrten, Prof. Kessler in St. Petersburg, der 1880 über diesen Gegenstand las und nachwies, daß »neben dem Gesetz der gegenseitigen Bekämpfung in der Natur das Gesetz der gegenseitigen Hülfe besteht, welches . . . für die fortschreitende Entwicklung der Art weit wichtiger ist als das Gesetz der gegenseitigen Bekämpfung«. Kropotkins Beobachtungen überzeugten ihn, daß die Tiergattungen, deren Angehörige einander am meisten beistehen, am ausgedehntesten erhalten blieben und am besten befähigt sind sich zu erhalten ; daß die Theorie, Gegnerschaft sei das vorherrschende Gesetz des Lebens, und der »Kampf um die Existenzmittel . . . des einzelnen gegen alle ein Naturgesetz« . . . der Bestätigung durch direkte Beobachtung entbehre. Das Bestehen dieser Gewohnheit der gegenseitigen Hülfe weist er ferner bei den Urvölkern nach. Lumholtz, ein Missionar aus Nord-Queensland, sagt als Antwort auf Fragen, welche die Anthropologische Gesellschaft in Paris ihm stellt, von den Eingeborenen: »Das



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Gefühl der Freundschaft ist unter ihnen bekannt: es ist stark. Schwache Leute werden gewöhnlich unterhalten; Kranke werden sehr gut versorgt, man läßt sie nie im Stich und tötet sie nicht « '). Andere Zeugnisse, welche derselben Gesellschaft über die Papuas in Neu-Guinea zugegangen sind, beschreiben diese als »gesellig und heiter; sie lachen sehr viel. . . sie sorgen für ihre Kranken und Alten « 2). » Ihre Kämpfe «, fügt Kropotkin hinzu, »sind mehr die Folge des Aberglaubens und der Unwissenheit als der Gegnerschaft. Wenn irgend jemand erkrankt, kommen die Freunde und Verwandten zusammen und beraten über die Ursache der Krankheit. Alle möglichen Feinde werden in Betracht gezogen. Jeder bekennt seine eigenen kleinen Streitigkeiten und endlich wird die wahre Ursache entdeckt. Ein Feind aus dem nächsten Dorf ist Schuld und ein Uberfall auf dasselbe wird beschlossen«. — Von den Djaks auf Borneo sagt er: »Sie sind sehr gesellig, beweisen ihren Frauen große Achtung und lieben ihre Kinder; wenn jemand von ihnen erkrankt, pflegen die Frauen ihn abwechselnd«. »Geschichtsschreiber haben Kriege und Trübsale aufgezeichnet« sagt Kropotkin : »aber sie haben dem Leben der Massen und den zahllosen Handlungen der gegenseitigen Unterstützung und Hingebung keine Aufmerksamkeit geschenkt. « Bei dem Versuch, die Geschichte der Krankenpflege zu studieren, die in irgend einer, wenn auch ') Kropotkin, a. a. O. S. 92. ) a. a. O , S. 93·

2



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noch so unentwickelten Form stets dagewesen sein muß, finden wir lange Perioden des Stillschweigens über diesen Gegenstand, zweifellos wegen dieser Neigung der Historiker zu übersehen, was gewöhnlich und natürlich war. Während der Jahrhunderte, wo schon eine Art von Chronik über die menschlichen Fortschritte berichtete, geschieht der Krankenpflege getrennt von der empirischen Medizin keine Erwähnung. Trotzdem wir sicher sein können, daß stets Frauen an den Krankenbetten gewacht haben, führen uns unsere ersten Kapitel direkt zu den frühesten Methoden praktischer Medizin. Ohne Zweifel waren in fernen Zeitaltern Medizin und Krankenpflege vereinigt und und selbst heute beschreiben die Deutschen unter der Bezeichnung »Krankenpflege« alle möglichen Prozeduren und Behandlungen, die ebensogut unter die ärztliche Behandlung kommen könnten. In den primitiven Arten der Behandlung und Anwendung von Heilmitteln, welche man jetzt bei den Stämmen der Wilden sieht, gleichgültig ob sie von Zauberern, Priestern, Ärzten oder alten Frauen angewandt werden, finden wir Beispiele von der historischen Abstammung der modernen Krankenpflege und den frühesten Formen dieser Kunst, vor allem aber sollten wir unsere niederen »Brüder«, wie der h. Franziskus die Tiere genannt hat, betrachten.

Kapitel I.

»ERSTE HÜLFE« UNTER DEN TIEREN. »Die Naturgeschichte gibt reichliche Beweise dafür, daß die niederen Tiere sich selbst geeigneter medizinischer und chirurgischer Behandlung unterwerfen, wenn es nötig ist, daß sie nicht nur sich selbst behandeln, wenn sie verwundet oder krank sind, sondern auch einander beistehen«, sagt Berdoe. 1 ) Jedermann hat Katzen und Hunde Gras und Blätter fressen sehen, die als Brech- und Abführmittel wirken. Kröten und gewisse größere Tiere kennen Gegenmittel für die Bisse giftiger Spinnen und Schlangen. Alle Tiere zeigen zeitweise ein Verlangen nach Salz und legen weite Wege zurück, um es zu bekommen. Es wirkt abführend auf sie und Berdoe sagt, »wenn der Mensch die medizinischen Eigenschaften des Salzes nicht schon kennte, könnte er sie durch das gierige Lecken von Büffeln, Pferden und Kamelen ausfindig machen.« 1

} Edward Berdoe, The Origine and Growth of the Healing Art (Ursprung und Entwicklung der Heilkunde). Swan, Sonnenschein & Co., London 1893, S. 3.



IO



Tiere lecken ihre Wunden und diese früheste und primitivste Form antiseptischer Wundbehandlung ist auch ein natürlicher Instinkt des Menschen, der sich selbst im zivilisierten Zustand noch geltend macht. Affen verstehen Blutungen durch den Druck ihrer Finger oder mit Polstern von Blättern oder Gras zu stillen. Man weiß, daß Ratten ein Bein der Ihrigen abgenagt haben, um sie aus der Falle zu befreien. Gewisse Vögel, besonders die Schnepfe, verstehen Beinbrüche zu behandeln und es sind zahlreiche Fälle bekannt, in welchen sie Schienen angewandt haben, indem sie dieselben mit spiralförmig angelegten Gräsern banden und mit einer klebrigen Substanz oder Lehm befestigten, und daß sie Wunden mit Federn und Moos verbanden, welche durch das geronnene Blut zusammengehalten wurden. 1 ) Verwundetes Wild hat weite Strecken zurückgelegt, um Ströme oder Seen zu erreichen und sich mit der entzündeten Wunde ins Wasser legen zu können. Die in Deutschland im vorigen Jahrhundert neu belebte Behandlung gewisser Wunden mit feuchten Umschlägen soll von einem Förster veranlaßt sein, der aus dieser Gewohnheit des Wildes den Schluß zog, das Verfahren könne auch für den Menschen heilsam sein. Obgleich er Laie war, machte er den Versuch, der später von den deutschen Chirurgen unter der Bezeichnung »PrießnitzscheBehandlung« aufgenommen wurde. Bienen zeigen viel Kenntnis der sanitären und hygienischen Gesetze. Sie ventilieren ihre Körbe ]

) Berdoe, a. a. O. S. 4 und 5.

II

und umgeben die Toten, die sie nicht entfernen können, mit einer luftdichten Hülle. Wer die Forschungen in dieser Richtung fortsetzen will, kann Quellen interessanter Informationen finden, welche über die geistigen Eigenschaften der Tiere in fesselndster Weise Aufschluß geben. Ob man vorzieht, es Instinkt, Überlegung oder ererbte Erinnerung — Gedächtnis — zu nennen, ist gleichgültig, die Tatsache bleibt, daß Tiere viel praktische Kenntnis von dem haben, was ihnen gut tut. Es ist nicht weniger wahr, daß auch der Mensch eine unmittelbare Erkenntnis besitzt, welche ihn bei der Wahl natürlicher Hülfsmittel leitet, bis er diesen Instinkt durch abnorme Gewohnheiten oder Überkultur verliert oder zerstört.

Kapitel II.

V E R S O R G U N G D E R K R A N K E N BEI D E N URVÖLKERN. Die intuitive Erkenntnis von dem, was die Gesundheit fördert, die einfache Erbschaft aus dem Pflanzen- und Tierleben, muß mit der allmählich angesammelten, überlieferten Erfahrung der Vorfahren durch lange Zeitalter der einzige Ratgeber des Urmenschen in gesundheitlicher Beziehung gewesen sein. Unsere früheren Vorfahren müssen, beständig den Angriffen wilder Tiere ausgesetzt, bald Methoden zur schnellen nnd wirksamen Wundbehandlung gefunden haben, wenn dieselben auch noch so unentwickelt waren. Sie waren die ersten Wundärzte. Die Frauen müssen einige einfache ursprüngliche Prinzipien zur Versorgung ihrer Kinder gehabt haben und die Großmütter, daran ist nicht zu zweifeln, sammelten Kräuter und machten Pflanzenaufgüsse, ungefähr ebenso wie sie es heute tun. Wer kennt die alten Frauen abgelegener Berggegenden und wäre nicht sicher, daß vor Jahrtausenden die Großmütter die ersten Arzte und Pflegerinnen waren?



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Als der Urmensch in der Fähigkeit, Eindrücke aufzunehmen, weitere Fortschritte machte, beeinflußten die engen Beziehungen zu einer Natur, die er genau kannte, ohne sie zu verstehen, alle seine Ideen in einer Weise, die in Wirklichkeit höchst natürlich und logisch war, obgleich wir sie jetzt abergläubisch nennen. Wenige moderne Menschen haben genügende Einbildungskraft, um sich in die Lage unserer frühesten Vorfahren zu versetzen, die der Kälte, dem Wind und der Sonnenglut ausgesetzt waren ; den Donner und das Brüllen der Wasser hörten; die Blumen aus der Erde schießen und die Vögelchen ihre Schalen sprengen sahen, ohne die geringste Ahnung von den naturwissenschaftlichen Kenntnissen zu besitzen, welche heute jedermann sozusagen mit der Luft einátmet. Er fühlte sich selbst lebendig, wie konnte er etwas anderes denken, als daß alles lebe? Da er in andern die »Seele« (psyche, anima oder, wie man es sonst nennen mochte) sah und sie in sich fühlte, so mußten nach seiner Meinung alle Dinge beseelt sein. Im Traume handelt die Seele unabhängig vom Körper. und da er in seinen Träumen seine Waffen, seine Hunde, seine Beute sah und sie handhabte, so mußten die Seelen auch fähig sein, ihre äußere Gestalt zu verlassen. Berdoe sagt: 1 ) E s besteht kein Zweifel darüber, daß der Glaube an die Seele und das Fortbestehen der abgeschiedenen Geister in einer andern Welt aus den Träumen entstand. Da der Wilde ') Berdoe, a. a. O. S. 9.



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im Traum mit den Gestalten seiner abgeschiedenen Verwandten und Freunde zu verkehren wähnte, so entstand bei ihm die natürliche Vorstellung, der Glaube, daß diese Personen wirklich als Geister in einer andern Welt als der sichtbaren, in der er lebte, fortbestanden. Die, welche am häufigsten und lebhaftesten träumten und imstande waren, ihre Visionen am klarsten zu beschreiben, strebten natürlich darnach, deren Bedeutung zu erklären und wurden für ihre dümmeren und weniger poetisch veranlagten Brüder wichtige Persönlichkeiten, die man in engerem Zusammenhang mit der Geisterwelt glaubte als andere Menschen. Auf diese Weise entwickelte der Lauf der Zeit Seher, Propheten und Magier.

Dieser einfache aber logische Glaube wurde zweifellos durch tatsächliche Krankheitserfahrungen gestärkt und bestätigt. Jeder weiß, wie verschieden ein kranker Mensch von seinem eigentlichen Ich ist. Was mag ein ungeschulter Geist von Delirium, Krämpfen oder Schüttelfrösten denken? Baas sagt in seiner Geschichte der Medizin, bei der Betrachtung der Gedankenentwicklung des Urmenschen in Bezug auf Krankheit, daß man in dem niedrigsten bekannten Entwicklungsstadium glaubte, Krankheit werde von einer andern Person verursacht — von einem Feinde, oder vielleicht von einer Hexe (einem alten Weib). In diesem Stadium der geistigen Entwicklung war weder ein Gedanke an Zauberer noch der Anfang einer medizinischen Kaste vorhanden. Die nächst höhere Stufe geistiger Fähigkeit wird durch die Theorie gekennzeichnet, daß Krankheit von Geistern verursacht wird und ein dritter noch höherer intellektueller Zustand ist der, welcher besondere Götter der Heilkunst voraussetzt mit der Ver-



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mittelung von Priestern, welche Kenntnisse der Heilmittel haben 1 ). Die zweite Stufe, welche noch in vollem Umfang unter manchen Indianer- und SüdseeInsulanerstämmen besteht, entwickelt den Medizinmann oder Zauberer (»Medizin« bedeutet unter den Indianern irgend etwas Großes, Geheimnisvolles oder Wunderbares), der behauptet eine geistige Gewalt über die Dämonen der Krankheit zu besitzen und im Stande zu sein, sie durch religiöse Gebräuche und Zaubergesänge aus dem leidenden Körper zu entfernen. Seine Methode besteht darin, daß er versucht, den Körper des Kranken zu einem unangenehmen Aufenthalt für den Geist zu machen und diesen durch Kneten, Kneifen, Schlagen und Hungern, durch fürchterlichen Lärm, schlechte Gerüche, widerwärtige Tränke auszutreiben ; oder er beredet den unwillkommenen Gast, seine Wohnung im Körper eines andern Wesens zu nehmen 2 ). Withington stellt die Vermutung auf, daß die Anwendung der Massage aus diesem Kneten hervorging und führt auch den Ursprung des noch herrschenden Glaubens an »starke« Medikamente auf diese Stufe des menschlichen Kindheitsstadiums zurück. Tylor sagt bei der Besprechung der Krankheitserscheinungen unter den Urvölkern : Grundriss der Geschichte der Medizin von Dr. Johann Hermann Baas, S. 8. Ferd. Enke, Stuttgart 1876. 2 ) Medical History from the earliest Times (Geschichte der Medizin seit den frühesten Zeitaltern) von Edward Theodore Withington, Μ. Α., Μ. Β. Oxon. Scientific Press, London 1894, S. Ii und 12.



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Derselbe Glaube, der im normalen Zustand des Menschen die Seele als die Bewohnerin seines Körpers ansieht, die ihm das Leben gibt, durch ihn denkt, spricht und handelt, erklärt auch die abnormen Zustände von Körper und Geist damit, daß die neuen Symptome von den Handlungen eines zweiten seelenartigen Wesens, einem fremden Geist, herrühren. Der Besessene, vom Fieber geschüttelt und hin- und hergeworfen, von Schmerzen gequält und verrenkt, als ob ein lebendes Wesen ihn innerlich hin- und herrisse und würfe, abgezehrt, als ob es seine Nahrung Tag für Tag verschlänge, findet naturgemäß eine eigene geistige Ursache für seine Leiden. In schrecklichen Träumen mag er sogar manchmal den Geist oder den teuflischen Alb sehen, der ihn plagt — ein solcher scheint denen, die bei ihm wachen, und auch ihm selbst das bloße Werkzeug eines Geistes geworden zu sein, der ihn ergriffen hat oder in ihn gefahren ist . . . Dieses ist bei den wilden Völkern die Theorie des vom Teufel Besessenseins, eine Theorie, welche viele Zeitalter hindurch unter den niedrigen Rassen die hauptsächlichste Lehre von Krankheit und Inspiration gewesen ist und noch heute besteht. Wenn wir einen klaren Begriff derselben in dieser ihrer ursprünglichen Heimat erlangt haben, werden wir im Stande sein, sie durch alle Grade der Zivilisation zu verfolgen, wir werden sehen, wie sie stückweise unter dem Einfluß neuer medizinischer Theorien zerbröckelt, manchmal sogar sich neubelebt und ausdehnt, und wie ihre letzten langsam verschwindenden Überreste noch mitten in unserem modernen Leben ihren Platz behaupten. — Wenn man die Ursache einer Krankheit durch Angriffe von Geistern erklärt, folgt natürlich der Versuch, sich dieser Geister zu entledigen als gegebenes Heilmittel . . . So erscheint die Praxis des Zauberers als selbstverständlich neben der Lehre von der Besessenheit, von ihrem ersten Erscheinen unter den Wilden an bis zu ihren Über-



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resten in der modernen Zivilisation. Der Begriff einer Krankheit oder einer geistigen Bedrängnis als durch ein persönliches geistiges Wesen verursacht, konnte nicht glaubwürdiger dargestellt werden als durch das Verfahren eines Zauberers, der mit ihm sprach, ihm schmeichelte oder drohte, ihm Opfer anbot, es aus dem Körper des Kranken herauslockte oder trieb und es bewog, seinen Aufenthalt in einem andern Wesen zu suchen1).

Viele medizinische Schriftsteller haben auf die oben ausgesprochene Tatsache hingewiesen, daß die frühesten religiösen Gebräuche der Menschen nicht aus abstrakten moralischen Ideen oder der Frage nach einem zukünftigen Leben erwuchsen, sondern aus der schmerzlichen Tatsache von Krankheit und Unfähigkeit, welche für unsere Vorfahren das schlimmste Unglück gewesen sein muß. Andrew Lang sagt »Ungeschulte Menschen verwechseln unfehlbarMedizin mit Zauberei «2). Das Krankenbett war die Wiege des frühesten und zähesten Aberglaubens, welcher selbst heute noch dem Licht des wahren Wissens widersteht und periodisch in den Täuschungen von »Heilkünstlern« und der Leichtgläubigkeit der Massen gegenüber allen Formen der Quacksalberei zum Ausbruch kommt. Die Beharrlichkeit der Lehre des vom Teufel Besessenseins hat in der T a t eine höchst traurige Wirkung auf die spätere Geschichte der Menschheit gehabt. Sie hatte ihre Perioden des Abnehmens und ') Primitive Culture (Primitive Kultur) von Dr. E. B. Tylor. London 1871, Bd. III. S. 113, 114. 2 ) Custom and Myth (Volksbräuche und Sagen), Andrew Lang. Longmans, Green & Co., London 1885, S. 148. N u t t i n g u. D o c k , Geschichte der Krankenpflege.

Bd. I .

2



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Wiederaufflackerns, erstere mehr unter dem Einfluß der Vielgötterei, letztere unter dem des Glaubens an Einen Gott. Im alten Griechenland und Ägypten war die Behandlung der Epileptiker und Geisteskranken nicht nur human, sondern im weitgehenden Sinne heilend, und das allgemeine Gefühl gegenüber dem »Zauberer« war das der Verehrung und Ehrfurcht, nicht des Abscheus. Das war auch der Fall bei den alten Teutonen, die ihre »weisen Frauen« verehrten. Das Mittelalter brachte eine akute Wiederbelebung des Glaubens an böse Geister, der sich hauptsächlich in Zusammenhang mit vielen Krankheitsformen äußerte. Durch diesen Einfluß wurde das schon elende Los des Aussätzigen noch entsetzlicher und die geistig Kranken, die Bedauernswertesten aller menschlichen Leidenden, wurden zu vielen Zeiten an vielen Orten für vom Teufel besessen gehalten und mit unglaublicher Grausamkeit behandelt, sogar noch bis zum Anbrach des 19. Jahrhunderts. Ihre Geschichte bildet eines der tragischsten Kapitel im ganzen Laufe des menschlichen Elends 1 ). Eine andere fast unglaubliche Folge dieses ungeheuerlichen Aberglaubens, die sich auf den Geheimnissen von Gesundheit und Krankheit aufbaute, war die Hexenverfolgung. Alexander, ein altmodischer aber freidenkender Arzt, legt bei der Besprechung des in die graue Vorzeit zurückreichen') Siehe τ·History of European Morals'- (Geschichte der europäischen Sitten) vonWilliam E. H. Lecky, M. A. D. Appleton Co., New York 1897, Bd. II. S. 86—90.

— ig — den Alters des Hexenglaubens die Tatsache fest, daß die Hexen gewöhnlich Frauen waren und noch dazu alte 1 ). Er weiß nicht recht zu sagen, weshalb, aber es scheint ihm einleuchtend, daß die alte Frau der Nomadenstämme, welche früh und spät ausging, um Kräuter zu sammeln, deren medizinische und heilende Geheimnisse sie besser kannte, als irgend jemand, das früheste Urbild der Hexe in Legenden und Sagen war. Es ist auch nicht schwer zu begreifen, wie gegen sie ein abergläubisches Gefühl erwachsen sein mag, denn während der Ausdruck eines alten Mannes gewöhnlich schwächlich und milde ist, hat das Aussehen einer alten Frau oft etwas wahrhaft Unheimliches und Erschreckendes 2 ). Man glaubte, daß Hexen die Macht hätten, zehrende Krankheiten oder anderen Schaden durch einen Blick hervorzurufen (der böse Blick, an den man noch in vielen Gegenden glaubt) oder dadurch, daß sie kleine Nachbildungen des Opfers herstellten oder sich irgend etwas, das zum Körper desselben gehört hatte, verschafften, wie Haar oder abgeschnittene Nägel etc. Mancher landläufige Aberglaube, der dieser Auffassung entspringt, findet sich noch heute. Die Epidemien von Hexenverbrennungen, welche die europäische Zivilisation und sogar unsere ') The History of Women from Earliest Antiquity to the Present Time (Geschichte der Frauen vom frühesten Altertum bis auf die jetzige Zeit) von William Alexander M. D. C. Dilly, London 1782, S. 71. 2 ) Mason sagt dies in Woman's Sitare iti Primitive Culture (Anteil der Frau an der Urkultur), S. 256. 2*



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eigene entwürdigten, sind zu wohlbekannt, um auf dieselben einzugehen. In der Grafschaft Essex in England sind allein in einem Jahr 60 Hexen verbrannt worden und Dr. Zacharias Grey erwähnt, daß er eine Liste von zwischen 3—4000 Hexen sah, die entweder durch Ertränken oder Verbrennen mit grausamen Martern getötet wurden. Es kann kein merkwürdigeres psychologisches Studium geben als das der Schriften von Increase Mather ') über die scheußliche Verrücktheit, welche eine Anzahl harmloser junger und alter Frauen 1692 in Salem als Hexen verurteilte und verbrannte. Sein Buch könnte wirklich als »Eine Studie über Verdauungsstörungen« bezeichnet werden, denn die tiefe Melancholie, welche er als Anschlag des Teufels auffaßt (balneum Diaboli, des Teufels Bad), indem er sagt 2 ): »Bekanntlich zieht der Satan großen Vorteil aus den schlechten Launen und Krankheiten, die im Körper der Menschen sind, um ihre Geister gröblich zu belästigen«, kann wohl nur durch eine anhaltende und bösartige Verdauungsstörung verursacht worden sein. »Wer es wagte, die Erscheinung von Geistern, Hexen und Kobolden, ihre Macht, die Menschen zu quälen und die Macht der Priesterschaft über diese geheimnisvollen Peiniger anzuzweifeln, wurde als ein Ungläubiger angezeigt«, schreibt Offer in seinem Vorwort zu dieser schwärzesten und ') Remarkable Providences (Merkwürdige Beispiele der göttlichen Vorsehung) von Increase Mather. Reeves & Turner, London 1890, S. 7. a. a. O. S. 186.

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schrecklichsten aller psychologischen Enthüllungen. Der Glaube an Hexen und ihre Macht, Krankheit bei Mensch oder Vieh zu erzeugen, findet sich noch in entlegenen Landstrichen und bei ungebildeten Leuten. Es ist sogar erst kürzlich in Pennsylvanien ein Antrag auf Untersuchung wegen Zauberei gestellt worden. Als sich die Kaste der Medizinmänner entwickelte, fand man überall mit ihr verbunden eine untergeordnete und empirische Klasse von Heilkundigen, welche die Behandlung vornahmen, die Eigenschaften der Medikamente prüften, geschickt in der Behandlung von Wunden, in der Pflege, selbst in der Herabsetzung von Fiebern waren '). Dies waren oft, wenn nicht immer die Frauen der Stämme mit ihrer praktischen Kenntnis von Arzneimitteln und Heilverfahren 2 ). Die Medizinmänner, die zweifellos eine große Kenntnis von Kräutern, einschließlich Giften, hatten, gaben sich den Anschein von Würde und Zurückhaltung und maßten sich eine Weisheit an, die sie nicht besaßen, indem sie in einer den Laien unverständlichen Sprache redeten. Die genaue Beziehung zwischen dem Zauberer und seinem empirischen Gehülfen ist vom Standpunkt der Krankenpflege nicht ganz klar. Wenn die alte Frau oder ein anderer Gehülfe von dem Medizinmann Otis Tufton Mason Α. M. Woman's Share in Primitive Culture. Ph. D. Appelton & Co., New York 1894, S. 150. 2 ) Die ersten praktischen Ärzte waren nicht die Zauberer, sondern die Kräuterfrauen. Sie stellten die erste »Arzneilehre« zusammen. A. a. O. S. 278.



2 2



Anweisungen für die Behandlung des Kranken erhielt, so war es das Verhältnis des Arztes zur Pflegerin. Wenn andererseits der Begleiter (Mann oder Frau) die Bäder und Kräuter verschrieb, während der Zauberer sich auf Beschwörungen beschränkte, dann kann man die beiden als Theorie und Praxis der Medizin symbolisierend ansehen, von denen die letztere das noch unspezialisierte Gebiet der Krankenpflege einschloß. Der Unterschied zwischen einem verderblichen und einem wohltätigen Gebrauch der Wissenschaft war frühzeitig bekannt und durch die Bezeichnung »schwarze« und »weiße« Magie unterschieden. Diese Unterscheidung dauerte durch das Mittelalter fort. So bezieht sich die finnische Mythologie, die sehr alt ist, auf diese zwei Klassen — es gab Leute, die »weiße Magie« durch Mittel der Gelehrsamkeit und Güte ausübten und solche, die »schwarze Magie« mit Hülfe von bösen Geistern, Giften und Übelwollen handhabten. Die Magie Finlands war überwiegend medizinisch1). Die praktische Krankenpflege unter den wilden Stämmen ist, soweit gewisse Behandlungsarten in Betracht kommen, nicht zu verachten. Viele können geschickt Wunden behandeln, Friktionen, Einreibungen und Reizmittel anwenden und Fieber durch Getränke und Wasseranwendungen lindern. Alle wilden Völker haben eine gute Kenntnis der Massage (wie ζ. B. das lomi-lomi der Sandwich') Berdoe a. a. O. S. 15.



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Insulaner), die alten F r a u e n sind vertraut mit

heißen

Umschlägen

wissen

manchen

und

ihrer

Anwendung

schweißtreibenden

und T r a n k zu bereiten.

und

und

erleichternden

D e r G e b r a u c h des S c h w i t z -

b a d e s ist ihnen w o h l b e k a n n t

u n d wichtig.

g e g e n w ä r t i g e S c h w i t z b a d der E i n g e b o r n e n Smith1) folgendermaßen

Tee

Das wird

allvon

beschrieben:

Sie werden manchmal von Wassersucht, Schwellungen, Reißen und andern derartigen Leiden geplagt; um dieselben zu heilen, errichten sie einen Ofen in der Form einer runden Hütte aus Matten, so eng, daß wenige Kohlen mit einem Topf zugedeckt den Kranken in starken Schweiß bringen. . . Ehe sie ihre Tänze begannen, fasteten die Männer oder wenigstens die Führer vierundzwanzig Stunden und betraten dann bei Sonnenaufgang das Schwitzbad, um die religiösen Riten der Reinigung vorzunehmen, ehe sie sich für ihre Tänze bemalten. Das Schwitzbad ist ein kleines rundes Flechtwerk aus Weidenzweigen, die in den Boden getrieben und am obern Ende zusammengebogen und miteinander verbunden sind, so daß, wenn man sie mit Decken oder Büffelfellen bedeckt, das Gebäude ein winziges nach oben gerundetes tipi bildet, gerade hoch genug, daß mehrere Personen in gebeugter Stellung darin stehen oder sitzen können. Der Eingang ist, wie bei allen indianischen Bauten üblich, nach Osten gerichtet. Wenige Schritte entfernt, der Tür gegenüber, erhebt sich ein kleiner Erdhügel, auf dem ein Büffelschädel so aufgestellt ist, als sähe der Kopf in die Hütte. Die Erde, welche den Hügel bildet, stammt aus einem Loch in der Mitte der Hütte. Bei dem Schwitzbad befindet sich häufig ein ') J. W. Powell, 13th Annual Report of the Bureau of Ethnology (13. Jahresbericht des ethnologischen Bureaus). Washington 1896, S. 19,



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-

großer Opferpfahl mit bunten Zeugstreifen, Tabakpaketen oder sonstigen Opfergaben für die Gottheit, welche bei irgend einer besonderen Gelegenheit von dem Gläubigen angerufen wird. Das Schwitzbad wird häufig gebraucht, sowohl als religiöser Reinigungsritus wie als hygienische Behandlung. Wie alles im Leben der Indianer, erfolgt selbst die sanitäre Anwendung des Schwitzbades mit viel Einzelheiten religiöser Zeremonien. Frische Bündel der wohlriechenden wilden Salbei werden auf den Boden des Badehauses gestreut und ein Feuer in der Nähe draußen angezündet. In diesem Feuer werden durch den Medizinmann Steine erhitzt. Wenn alles fertig ist, betritt der Kranke oder Andächtige bis zu den Hüften entkleidet die Hütte. Die Steine werden ihm durch die Priester mittels zweier gabelförmiger Stöcke, die besonders für diesen Zweck geschnitten sind, hineingereicht und mit zwei andern gabelförmigen Stöcke legt er sie in das bereits erwähnte Loch, das in der Mitte der Hütte ausgegraben ist. Darnach wird ihm Wasser hineingereicht, welches er über die heißen Steine gießt, bis das ganze Innere von Dampf erfüllt ist. Die Decken werden dicht zugezogen, um jede Öffnung zu schließen. E r sitzt in diesem primitiven türkischen Bade, bis sein nackter Körper von Schweiß trieft. Während dieser Zeit tun die Ärzte draußen ihr Teil durch Gebete zu den Göttern und Ergänzen der heißen Steine und Wasserversorgung, bis er nach ihrer Meinung geistig und körperlich genügend gereinigt ist. Dann kommt er heraus und legt seine Kleider wieder an, nachdem er manchmal zuerst dem Schweiß Einhalt getan und durch einen Sprung in den benachbarten Strom eine Reaktion herbeigeführt hat. Das Schwitzbad in der einen oder andern Form war fast allen Stämmen in den Vereinigten Staaten gemeinsam; ein Zubehör zum Geistertanz scheint es nur bei den Sioux gewesen zu sein. Das Schwitzbad für den Geistertanz der Sioux wurde häufig genügend groß gemacht um



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Platz für eine beträchtliche Anzahl von stehenden Personen zu bieten 1 ).

Das Aderlassen und Schröpfen wird beides bei wilden Stämmen zur Schmerzstillung ausgeübt. Die Indianer öffnen Abszesse mit scharfen Feuersteinen und amputieren Glieder mit Jagdmessern und stillen Blutungen mit heißen Steinen 2 ). Unter den Überbleibseln prähistorischer Menschen finden sich Schädel aus dem neolithischen Zeitalter, die trepaniert 3 ) sind und die Völker der Südsee-Inseln führen noch jetzt die Trepanation aus. Es gibt Stämme in Australien, bei denen Ovariotomien vorgenommen werden und ein englischer Reisender sah wie ein Kaiserschnitt von einem Eingebornen Zentralafrikas ausgeführt wurde 4 ). Wohl eine der interessantesten aller Entdeckungen des Urmenschen im Reich praktischer Medizin ist die Pockenimpfung, die gewissen wilden Stämmen seit undenklichen Zeiten bekannt war. Livingston und Bruce haben berichtet, daß die Hottentotten und andere Stämme Innerafrikas sie kannten und daß sie in Nubien von alten Negerinnen seit dem fernsten Altertum ausgeübt wurde. Aber so geschickt die Wilden in vieler Beziehung den Anforderungen ihrer Lebensweise nachzukommen wußten, so brauchen wir doch nur den Zustand der Kranken in den Schneehütten der Lappländer, den Steinhütten ') 14th Annual Resort of the Bureau Washington 1896, 1. Teil S. 822—82.3. 2 ) Berdoe a. a. O. S. 42. 3 ) Withington a. a. O. S. 7. 4 ) Berdoe a. a. O. S. 45.

of

Etìmology,



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der irischen Bauern und den Blockhütten der Bergbewohner zu kennen, um uns darüber klar zu sein, wie weit die Urformen der Krankenpflege und Medizin davon entfernt waren, auch nur die elementarsten Bedingungen der Behaglichkeit für die Kranken zu schaffen.

Kapitel III.

INDIEN. Wir haben gesehen, daß die frühesten Gedanken des Urmenschen alles das personifizierten, was er in der Natur sah; daß seinem einfachen und objektiven Empfinden selbst die toten Gegenstände ebenso lebendig schienen, wie er selbst; daß die Naturerscheinungen für ihn das größte Mysterium waren und daß seine ersten mystischen Riten der Behandlung und Heilung von Krankheiten und der Erhaltung der Gesundheit galten, die für ihn den größten Segen bedeutete. Es ist also eine durchaus logische Folge, daß sich die Götterlehre und die Religionen der ältesten Kultur auf der Naturanbetung aufbauten. Die vielen Götter alter Zeiten, die zahllos, verwirrend und oft widerwärtig erscheinen, wenn man sie ohne den Schlüssel zu ihrer Bedeutung betrachtet, sind einfach und begreiflich, wenn man bedenkt, daß sie alle ursprünglich Naturgötter waren, das heißt einfach symbolisierte und personifizierte äußere Naturgewalten oder Attribute des physischen und intellektuellen Menschen.



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Es gibt kein fesselnderes Studium, als das der vergleichenden Mythologie, die uns die Natursagen der verschiedenen Länder als die gleichen zu erkennen lehrt, nur mit den Unterschieden in Namen oder Einzelheiten, welche auf den Verschiedenheiten des Klimas oder der physikalischen Bedingungen der Erde beruhen. Die Sonne, frühzeitig als die Quelle aller Energie erkannt; die See mit ihrer geheimnisvollen Tiefe ; das noch unerklärlichere Innere der Mutter Erde, von der vulkanische Feuer und klare Wasserquellen ausgehen; der Wintertod und die Auferstehung des Frühlings; die in der ganzen Natur sichtbare fortpflanzende Kraft — alles war Gegenstand der Verehrung und Verkörperung. Beispiele dieser Verkörperung leben im Märchen fort. 1 ) Es ist ganz unerläßlich hieran zu denken, wenn man medizinische Mythen und die engen Beziehungen der alten Medizin zu den mythischen Gottheiten richtig erfassen will. Moderne Menschen, die ihre Religion so weit von ihrem täglichen praktischen Leben entfernt haben, können sich nicht leicht klar machen, wie eng verbunden die Naturanbetung mit jeder Handlung des Lebens gewesen sein muß. Die Beschäftigung mit dem Ackerbau entwickelte die lieblichsten und poetischsten Seiten der alten Mythen; das Studium der Krankheiten mit der daraus folgenden Dämonenlehre führte zeitweise zu den düstersten und schrecklichsten Erscheinungen. Auch in alten

Rotkäppchen, Dornröschen, alle Drachengeschichten sind Märchen von Sommer und Winter, Tag und Nacht.



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Zeiten wurzelte der Fortschritt auf dem Gebiete der Medizin genau so auf dem geduldigen Studium der Natiir wie heute und eine stetig wachsende praktische Bekanntschaft mit ihren Gesetzen und Wahrheiten trug dauernd zu der Erleuchtung der priesterlichen Ärzte bei. Die Vereinigung von Theorie und Praxis fuhr fort, sich in den Orden der Priester-Gelehrten darzustellen, von denen der eine mehr die religiösen, der andere mehr die praktischen Pflichten der Heilkunde übernahm. Die Forschungen moderner Gelehrter, die Entzifferung alter Berichte nnd die Ausgrabung lang versunkener Städte früherer Kulturen ließen Lichtfluten in die dunkeln Gebiete der Geschichte strömen und in diesem Lichte erscheinen die alten Völker dem Forscher nicht länger als Schatten oder in Fels gehauene Bilder, sondern als menschliche, natürliche, uns ganz genau bekannte Dinge. Seit sie für uns nicht mehr Fremde sind, findet man, daß die alten Hindu, Ägypter und Griechen dieselben Werke der Barmherzigkeit, dieselben Triebe der Menschlichkeit und dasselbe Streben nach verwirklichter Güte hatten, deren der moderne Mensch sich bewußt ist und die so oft den so lange unbekannten und unzählbaren, mit Vorliebe als »Heiden« bezeichneten Scharen als Charakteristikum abgesprochen wurden. Jahrtausende vor dem christlichen Zeitalter waren die weiten Gebiete Zentralasiens Stätten hochentwickelter Kultur. Indien, die Heimat architektonischer Schönheit, die Quelle von Musik und Wissenschaft, deren heilige Veden älter sind als irgend welche Schriften



3 °



in der Welt, 1 ) wo das Dezimalsystem erfunden und ungeheure Entdeckungen in der Geometrie und Trigonometrie gemacht wurden und dessen aus dem Jahre 3000 v. Chr. datierende astronomische Beobachtungen heute noch hervorragend sind, war von einer Rasse bevölkert, »wohl bewandert in Krieg und Politik, verständig, klug, barmherzig, gerecht«. Hier widmete der Mann sich »dem Schutze seiner Familie« und die Frau »nahm eine hohe soziale Stellung ein«. Hier herrschte der Glaube, »daß die Schöpfung von jemand gemacht sei, der ewig und ohne Anfang war und daß es ursprünglich keine Sünde oder Krankheit gab«. Wie leicht könnten die Worte »Sünde« und »Krankheit« für sinnverwandt gelten! Die Veden sprechen von Gott als dem »ersten göttlichen Arzt« und reden ihn an: »Ich höre, Du bist der beste unter den Ärzten«. A l s der Mensch von seiner ursprünglichen Reinheit abfiel und Krankheit sein Leben kürzte, gab ihm Brahma, aus Mitleid für seine Leiden die Ayur- Veda, die Bücher, welche von Verhinderung und Heilung der Krankheit handeln und die Zwillingsbrüder, Kinder der Sonne — die Spender von Leben und Gesundheit — waren die göttlichen Ärzte, welche zuerst Medizin und Wundbehandlung übten. Das ist der Umriß der Legende. Die Bücher der Ayur-Veda sind nicht sagenhaft, sondern tatsächlich und handeln in ihren acht Teilen von großer und kleiner Chirurgie und ') Bhagvat Sinh Jee, A short History of Aryan Medical Science (Eine kurze Geschichte der arischen Heilkunde), London und New-York 1896 S. 14—26.

— 3i — Verbandlehre, Krankheiten in allen Teilen des Kopfes (Nervenkrankheiten), inneren Krankheiten, dämonischer Besessenheit (Wahnsinn), Kinderkrankheiten, Giften und Gegengiften, Heilmittellehre und den Geschlechtsund Blasenkrankheiten. Charaka und Susruta, wirkliche Persönlichkeiten, um die sich manche Sagen bildeten, waren die ausgezeichnetsten unter den Ärzten und Wundärzten. Susruta soll 14 Jahrhunderte v. Chr. gelebt haben ; ') Charaka wahrscheinlich um 320 v. Chr.2) Man glaubte, daß die Weisheit des Schlangengottes mit den tausend Köpfen, dem Träger aller Wissenschaften und besonders der Heilkunde, in Charaka fleischgeworden sei. Die Verbindung der Schlange mit der medizinischen Wissenschaft und dem Heilen ist interessant. Von den frühesten Zeitaltern und bei allen Nationen wurde die Schlange als Symbol der Weisheit verehrt und ihr die Fähigkeit zugeschrieben, heilende Kräuter zu entdecken. Weil sie ihre Haut abstreifte, wurde sie auch als Sinnbild der Unsterblichkeit verehrt3). Nur Tylor sagt in seinem Buche »Primitive Kultur«, daß dieser letzte Gedanke späteren Ursprungs sei als die Kultur der Hindus.4) ') C. A. Gordon, Surg. General M.D., Medicine in Ancient Iiidia (Medizin im alten Indien). London 1887, S. 10. 2 ) Jee, a. a. O. S. 33. 3 ) a. a. O. S. 32. 4 ) »Von allen Formen der Tieranbetung war die der Schlange am weitesten verbreitet. Sie bestand in jedem Lande, während andere Tiere nur eine örtliche Verehrung genossen. Die Schlange war der Aufenthaltsort der Seele, in welchem die Seelen der Vorfahren (wie in Indien und Rom)



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Die alten Hindu glaubten, daß die Verhütung von Krankheit wichtiger sei, als ihre Heilung und ihre medizinischen Werke enthalten zahllose hygienische Regeln. Seit undenklichen Zeiten wurde die Impfung gegen die Pocken geübt, wie bei andern alten Völkern. Die Massage wurde beständig als gesundheitliche Maßregel angewendet und es gab weibliche Sachkundige für die Massage von Frauen. Jeder Hindu war verpflichtet, wenigstens einmal täglich zu baden und alle täglichen Pflichten waren in religiöse Vorschriften gekleidet. »Nach frühem Aufstehen, selbst vor Sonnenaufgang«, sagt die Vorschrift des Manu, »soll man sich mit bedecktem Haupt entleeren, baden, den Körper schmücken, die Zähne reinigen, die Augen mit Collyrium waschen und zu den Göttern beten«. Das Reinigen der Zähne geschah zweimal täglich mit einem von gewissen stärkenden und zusammenziehenden Pflanzen geschnittenen Hölzchen »mit Sorgfalt, um nicht das Zahnfleisch zu verletzen«. Die Zunge soll mit einem gebogenen stumpfen Schaber aus Gold, Silber oder anderem Metall gereinigt werden und viele seltsame Anweisungen werden gegeben: »Das Tragen von säubern Gewändern und Blumenkränzen, sowie die Anwendung von Wohlgerüchen ist angenehm, wohnten, oder sie hatte die heilende und wahrsagende Kraft der Weisheit (Babylon und Griechenland) oder sie war ein böser Geist, — die Weltschlange oder der Drache. Vielleicht ist die Beziehung zwischen Schlangen und Schätzen, welche sie hüten, die fundamentalste.« Internatio?iale Encyclopädie, Artikel »Nature Worship« (Naturanbetung).



33 —

schafft Ruhm und Langlebigkeit, verhindert Trübsal und Unglück, trägt zum Frohsinn bei, erhöht die Schönheit, macht würdig zum Besuch achtbarer Versammlungen und ist auch in anderer Beziehung günstig«. 1 ) Die ethische Lehre der Hindu, welche einen günstigen Einfluß auf den Menschen vor der Geburt ausüben soll, ist so rein und edel, daß wenige moderne Nationen in dieser Beziehung auf gleich hoher Stufe stehen 2 ). Das Zimmer der Wöchnerin soll rein sein, mit Ventilatoren in der Nord- oder Ostwand. Die Hebammen sollen zuverlässig und in ihrer Aufgabe wohlgeschult sein und ihre Nägel kurz schneiden. Auch die Kenntnis der Ansteckung spricht aus der Vorschrift : »Es ist gefährlich Kleider, Schuhe und Blumenkränze anzulegen, die schon von andern getragen sind«. Es sind mehr Einzelheiten über Pflege in den Berichten der Hindu zu finden, als in irgendwelchen alten Chroniken. Abschnitt IX der »Charaka-Samhita« gibt folgende interessanten Ausführungen: Der Arzt, die Medikamente, der Pflegende und der Kranke geben eine Vierzahl. Welche Tugenden jedes von ihnen besitzen sollte, um die Heilung herbeizuführen, sollte man wissen3). D e r A r z t . — Gründliche Beherrschung der heiligen ') Charaka-Samhita, übersetzt von Avinash Chandra KaviKalkutta, ohne Datum, S. 60. 2 ) Siehe Jee a. a. O. S. 78. 3 ) Anmerkung des Übersetzers: In Indien sind die erwähnten »Pflegenden« immer Männer, nur in ganz seltenen Fällen Frauen.

ratna.

N u t t i n g u. D o c k , Geschichte der Krankenpflege. Bd. I.

3



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Bücher, große Erfahrung, Klugheit und Reinheit (des Körpers und Geistes) sind die Haupteigenschaften des Arztes. D i e M e d i k a m e n t e . — Kräftige Wirkung, Geeignetheit für die zu behandelnde Krankheit, verschiedenartige Anwendbarkeit und Unzersetzbarkeit sind die Attribute der Heilmittel. D e r Ρ f l e g e r . — Kenntnis der Art, wie die Medikamente zur Verwendung zubereitet werden sollen, Klugheit, Hingebung an den Kranken und Reinheit, sowohl des Körpers wie des Geistes, sind die vier Eigenschaften des Pflegenden. D e r K r a n k e . — Erinnerungsvermögen,Gehorsam,Furchtlosigkeit und Mitteilsamkeiten Bezug auf alles, was innerlich mit ihm vorgeht und von ihm zwischen den Besuchen ausgeführt wird) sind die Eigenschaften des Kranken. ein Gefäß, das Brennmaterial

und

das Feuer die Mittel in den Händen des Kochs sind;

W i e beim Kochen

wie

das Schlachtfeld, das Heer und die Waffen die Mittel in den Händen

des Siegers

sind

um

den

Sieg

in

der

Schlacht

zu gewinnen, so sind auch der Kranke, der Pfleger und die Heilmittel als die Mittel des Arztes anzusehen, um eine Heilung herbeizuführen. W i e aus der Verbindung von Ton, Stock, und Faden

Drehscheibe

nichts entstehen kann, wenn der Töpfer fehlt,

so können die drei andern, nämlich Heilmittel, Pfleger und Patient keine Heilung in der Abwesenheit des Arztes bewerkstelligen ').

In den ursprünglichen Dorfgemeinden der alten Hindu befand sich unter den Verwaltungsbeamten stets ein Arzt oder Sanitätsbeamter und unter den diesen Dorfgemeinden gehörigen und mit ihren Mitteln unterhaltenen Einrichtungen gab es stets krankenhausartige Einrichtungen zur Aufnahme und Behandlung ') Charaka-Samhita

a. a. O. S. 102, 103.



35



k r a n k e r R e i s e n d e r u n d ihrer T i e r e . F ü r j e d e s so eing e r i c h t e t e H o s p i t a l w a r e n S p e z i a l ä r z t e angestellt 1 ). D i e s e H o s p i t ä l e r w u r d e n s p ä t e r — im d r i t t e n J a h r h u n d e r t v. Chr. — d u r c h K ö n i g A s o k a erweitert u n d entwickelt. E i n e B e s c h r e i b u n g v o n »einem g e e i g n e t e n O r t zur V e r s o r g u n g d e r K r a n k e n « a u s alten B ü c h e r n übersetzt, lautet folgendermaßen: In erster Linie muß ein Gebäude unter der Aufsicht eines in der Wissenschaft des Häuserbauens wohlgeübten Ingenieurs errichtet werden. Es muß weit und geräumig sein. Das Element der Stärke darf ihm nicht fehlen. Nicht alle Teile desselben dürfen starken Winden und Lüften ausgesetzt sein. Ein Teil wenigstens muß dem Zug des Windes zugänglich sein. Es muß so sein, daß man sich darin leicht bewegen und hindurchgehen kann. Es darf weder dem Rauch, noch der Sonne oder dem Staub, noch störendem Geräusch, Erschütterungen, üblem Geschmack oder Geruch ausgesetzt sein. Es muß Treppen, Mörser und Stößer, Klosetts, Bettstellen •und Kochräume enthalten. Darnach müssen Pfleger 2 ) bestellt werden, von gutem Betragen, ausgezeichnet durch Aufrichtigkeit und Reinheit der Sitten, anhänglich für die Person, der sie dienen sollen, voll Klugheit und Geschicklichkeit, ausgestattet mit Güte, geübt in jeder Art von Diensten, welche ein Kranker erfordern kann, "begabt mit gesundem Menschenverstand, befähigt Speisen und Curry zu kochen, geschickt im Baden und Waschen von Kranken, wohlbewandert im Reiben oder Drücken der Glieder oder dem Heben der Kranken und im Unterstützen beim Gehen und Bewegen, wohlgeschult im Machen und Reinigen der Betten, im Stande Medikamente herzustellen, bereit, ge') C. A. Gordon a. a. O. S. 3—6. 2 ) Baas, a. a. O. S. 41, sagt, daß die Vaisyas oder niedere Kaste von zwei Unterkasten der Brahminen die Pfleger waren. 3*

-

36

-

duldig und geschickt zur Bedienung des Leidenden und niemals, unwillig irgend etwas zu tun, das ihnen vom Arzt oder Kranken aufgetragen wird. E s muß auch eine Anzahl Männer bestellt werden, die geschult sind im Gesang und in der InstrumentalMusik, im Singen von Lobgesängen, geschickt und geübt im Hersagen von Liedern, scherzhaften Gesprächen, Erzählungen, Geschichten und Sagen, geübt in den Zügen zu lesen und mit Verständnis für die Wünsche des Kranken, geschickt und beliebt bei dem, den sie zu versorgen haben, vertraut mit allen Erfordernissen der Zeit und des Ortes und im Besitz einer Höflichkeit, die zum angenehmen Gesellschafter macht. . . . Eine Kuh muß auch gehalten werden, reichliche Milch gebend, von ruhiger Gemütsart, gesund, deren Kälber alle leben, wohlversorgt mit Futter und Tränke und in einem Pferch untergebracht, der sorgfältig sauber gehalten wird. E s sollten auch kleine Gefäße und Becher vorhanden sein, größere Schalen um H ä n d e und Gesicht zu waschen . . . . Tücher aus Baumwolle und Wolle, Schnüre und Seile, Betten und Sitze, Gefäße, genannt Bhringaras voll Wasser und flachere Gefäße um Auswurf und Entleerungen aufzunehmen, alles zum Gebrauch bereit stehend, gutes Bettzeug auf den Bettgestellen, mit weißen Laken bedeckt, Kissen zum Gebrauch enthaltend, wenn Schlaf notwendig i s t . . . Pflaster, Bähungen . . . und verschiedene Arten von Instrumenten, sowohl häusliche wie chirurgische. Räuchergefäße . . . Bürsten und Besen, Wagen und Gewichte, Meßgefäße und Körbe . . . Brech- und Abführmittel und solche, die beides sind, solche die zusammenziehend wirken, die den Appetit erhöhen, die Verdauung befördern, die kühlend wirken und die Gase beseitigen, müssen bereit gehalten werden. Außerdem müssen alle solche Gegenstände bereit gehalten werden, die im Hinblick auf andere vorherzusehende Unglücksfalle nötig sind. Andere Dinge wieder, welche der Erleichterung, Bequemlichkeit und Behaglichkeit des Kranken dienlich sind, sollten gleichfalls bereit gehalten werden . . . '). ') Charaka-Samhita

a. a. O. Teil VI.



37



»In Indien, wie anderwärts«, sagt Jolly 1 ), »ist der Arzt der direkte Nachkomme des Hexenmeisters und Zauberers«. Er weist ferner hin auf die Ähnlichkeit zwischen der Medizin der alten Einwohner Indiens, der nordamerikanischen Stämme, der alten Römer, Germanen und anderer primitiver und barbarischer Völker. Der Hindu-Arzt dagegen ist längst vor der christlichen Ära auf einem hohen wissenschaftlichen Standpunkt angelangt. Zur Ausübung der ärztlichen Wissenschaft bedurfte es der Erlaubnis des Königs, »weil sonst Pfuscher in seinem Reich ihr Wesen treiben und zu einer Landplage werden könnten«. Das Ideal eines Arztes war dort nicht geringer als das heutige Ideal desselben: Der Arzt soll seine Nägel und Haare kurz halten, baden, ein weißes Gewand anziehen, einen Schirm, Stock und Schuhe tragen. So soll er, bescheiden gekleidet und mit freundlicher Rede, von einem zuverlässigen Diener begleitet, auf Praxis gehen. Er soll alle seine Gedanken auf die Heilung der Kranken richten und ihnen, selbst wo sein eigenes Leben auf dem Spiel steht, keinen Schaden zufügen, auch nicht einmal in Gedanken dem Weib eines Anderen oder seiner Habe zu nahe treten.... Der Arzt soll den Patienten wie seinen eigenen Sohn behandeln.2) Zu einer Operation muß der Raum sauber und gut erleuchtet sein. Es muß ein Feuer brennen, auf dem wohlriechende Substanzen verbrannt werden, um zu verhüten, daß Teufel (wir sagen heute Bazillen) durch die Wunde in den ') Julius Jolly, Grundriß der Indo-Arischen Philologie. Bd. III, Heft 10, Straßburg 1901, Art. »Medizin«, S. 16. 2 ) a. a. O. S. 21—23.

-

3« -

Patienten eindringen1). Der Arzt muß ein schneller und starker Operateur sein und er muß weder schwitzen, zittern, noch Ausrufe tun. Der Arzt muß dazu bereit halten : stumpfe und scharfe Instrumente, Ätzmittel und Feuer, spitze Instrumente, ein Horn (zum Schröpfen) Blutegel, einen Flaschenkürbis (für Flüssigkeiten) Katheter, Baumwolle, Tuch, Faden, Blätter, Verbandzeug, Honig, zerlassene Butter, Fett, Milch, Ei, Erfrischungsmittel, abgekochte Arzneien, Salben, Teige, kaltes und heißes Wasser, Pfannen ; auch sollen ihm zuverlässige und kräftige Gehilfen zur Seite stehn. Die Operation soll unter einer glückverheißenden Konstellation stattfinden, mit einer religiösen Zeremonie eingeleitet, und von einem längeren Gebet des Arztes gefolgt werden. Der Kranke darf vorher nur wenig gegessen haben, setzt sich dem Arzt gegenüber und wird festgebunden. Nach der Operation soll der Arzt ihn mit kaltem Wasser erfrischen, die Wunde überall mit den Fingern auspressen, zusammendrücken, mit Arznei auswaschen, mit einem Tuch abwischen, [hierauf eine mit einem dick aufgetragenen Teig von Sesamsamen, vermischt mit Honig und Butter beschmierte, mit Arzneien getränkte Einlage machen,] über die dann wieder ein Teig kommt, über diesen eine Kompresse, worauf das Ganze mit einem Tuch festzubinden ist. Es folgen Räucherungen und Besprechungen. Nach drei Tagen ist der Verband zu erneuern2). Dies

erscheint

eiternde W u n d e .

als

Wenn

Behandlungsweise

für

eine

eine W u n d e g e n ä h t wurde,

w u r d e n die R ä n d e r g u t geschlossen, d e c k t und ein heilendes P u l v e r

mit L i n n e n be-

dick darauf gestreut.

D i e H i n d u s hatten fünfzehn H a u p t a r t e n v o n B a n d a g e n , und

erfanden

viele

Operationen,

welche

jetzt

als

') Wise, Hifidu Medicine S. 184, zit. von Berdoe a. a. O. S. 103. 2) Jolly, a. a. O. S. 30.



39



Triumph der modernen Wissenschaft betrachtet werden. ') Ihre Schriften behandeln die Gynaekologie und Geburtshülfe, das Neugeborne, jede Art von Fieber und innerer Erkrankung, Phthisis, Irrsinn, Lepra und spezielle Erkrankungen des Nervensystems und der Sinne. Ihre Bücher erwähnen hundertfünfundzwanzig chirurgische Instrumente für alle Arten von Operationen. Auch Stuhlzäpfchen und Klystiere waren seit alten Zeiten bekannt, und das Gerät, welches sie zur Applikation des letzteren erfanden, blieb bis ins 18. Jahrhundert das Vorbild für alle ähnlichen Geräte. Es bestand aus einem Lederbeutel oder einer Tierblase, in welche ein kurzes Rohr aus Silber,. Gold, Kupfer oder Elfenbein eingebunden war.2) Ihre Arzneilehre war umfassend. Sie benutzten an Stelle von Betäubungsmitteln Medikamente, die Bewußtlosigkeit hervorriefen. Sie beschreiben zur Beobachtung des Pulses zwanzig Arten. Die Pockenimpfung wurde in Indien, ebenso wie in China, allgemein angewandt. Der folgende Auszug aus den Schriften von Millingen erzählt die Einzelheiten ihrer Ausführung.3) In Hindostán wird, wenn man sich auf die Tradition verlassen kann, die Impfung seit Urzeiten ausgeübt. Die Ausführung war in den Händen besonderer Brahminen-Stämme, ') Berdoe a. a. O. S. 117. ) Dr. med. S. M. Brenning, Ausländische Kranke?if>flege in Zeitschrift für Krankenpflege. Berlin 1905, Teil I. S. 57. 3 ) J. G. Millingen M. D., Curiosities of Medical Experience (Kuriosa aus der ärztlichen Praxis). London 1893 S. 14. 2



4 °



die von mehreren religiösen Schulen abgesandt wurden und zu diesem Zwecke die Provinzen durchzogen. Die Eingebornen muiiten sich während eines vorbereitenden Monats des Genusses von Milch und Butter enthalten; als die Araber und Portugiesen in diesem Lande erschienen, verhinderte man auch diese daran, tierische Nahrung zu sich zu nehmen. Gewöhnlich erfolgte die Impfung am Arm, aber die Mädchen, welche ungern ihre Arme entstellen ließen, zogen vor, sie nahe unter der Schulter vornehmen zu lassen. Welche Stelle auch gewählt wurde, immer rieb man sie sorgfältg mit einem Stück Zeug ab, das nachher zu den Sportein des Brahminen gehörte. Er ritzte dann einige Male die Haut leicht mit einem scharfen Instrument, nahm ein wenig Watte, welche im verflossenen Jahre mit variolösem Eiter getränkt worden war, befeuchtete sie mit einem oder zwei Tropfen vom heiligen Wasser des Ganges und band sie auf die Stiche. Während dieser ganzen Zeremonie bewahrte der Brahmine eine ernste Haltung und sprach die in der Attharna Veda vorgeschriebenen Gebete zur Versöhnung der Göttin, welche die Aufsicht über die Blattern führte. Der Brahmine gab dann seine Anweisungen, welche regelmäßig ausgeführt wurden. Nach sechs Stunden war der Verband abzunehmen und das Bäuschchen durfte von selbst abfallen. Früh am nächsten Morgen mußte kaltes Wasser auf Kopf und Schultern des Kranken gegossen werden und dies hatte man zu wiederholen, bis das Fieber begann. Die Abgießungen waren dann einzustellen, aber sobald der Ausschlag auftrat, mußten sie wieder aufgenommen und an jedem Morgen und Abend fortgesetzt werden, bis die Krusten abfielen. Das Haus zu hüten war durchaus verboten ; die Geimpften mußten sich offen jedem Luftzug aussetzen, aber wenn sie fieberten, durften sie zuweilen auf einer Matte vor der Tür liegen. Ihre Nahrung mußte aus den erfrischendsten Produkten des Landes bestehen, wie Pisang, Wassermelone, dünnem Schleim von Reis oder Mohnsamen, kaltem Wasser und Reis . . .

— Wenn

4i



wir den Missionaren Glauben

die von der römischen Kirche

schenken

dürfen,

gesandt

wurden

nach China

und Einblicke in die geschichtlichen Berichte

erlangten,

so

scheint die Impfung fast so alt zu sein, wie die Krankheit selbst.

Sie haben eingehende Mitteilungen aus der Geschichte

der Chinesen und über deren Kenntnisse in verschiedenen Zweigen der Wissenschaft übermittelt.

Es

gibt eine Denkschrift der

Missionare in Peking über die Blattern, deren Inhalt chinesischen

Medizinbüchern

entnommen

durch die kaiserliche Medizinschule

ist,

besonders

einem

für die Belehrung

der

Ärzte des Kaiserreichs veröffentlichten Werk. 1 )

Die Vorherrschaft des Buddhismus, einer Religion der Güte und des Mitleids, umfaßt den gleichen Zeitraum wie die Höhe der Hindukultur. Der Zustand des Volkes im 4. Jahrhundert v. Chr. wird von Gordon nach alten Historikern folgendermaßen beschrieben : Diebstahl war unbekannt; das Volk mäßig.

Falschheit

wurde als eine Sünde angesehen, das Volk erfreute sich

in

hohem Maße der Immunität gegen Krankheiten; die Reife trat früh ein und das

Leben

währte lang.

E s gab

keine

er-

zwungene oder unbezahlte Arbeit ; die Ackerbauer lebten auf ihrem Land und gaben einen Teil ihrer Erzeugnisse an den König ; Nahrung war reichlich vorhanden ; die W e g e

waren

gut und mit schützenden Bäumen bepflanzt. . . . Gasthäuser und andere Einrichtungen für Fremde gab es überall, lich Hospitäler und Apotheken.

Im

Lande

einschließ-

zerstreut

lagen

reiche Städte und Ortschaften mit großen schönen Häusern, wohlbewässerten bäumen;

Straßen,

Gärten

voll

Blumen

und

niemand war arm oder nährte sich von

Obst-

unreinen

Dingen. 2 )

Man kann in Indien noch Erlasse sehen, welche ') a. a. O. S. 1 4 — 1 5 Fußnote. ) C. A . Gordon a. a. O. S. 22.

2



42



unter der Herrschaft des Königs Asoka, der 226 v. Chr. starb, in die Felsen gehauen sind und bestimmen, daß Hospitäler an den Heerstraßen errichtet werden sollen; daß sie »wohlversorgt mit Instrumenten und Medikamenten aus dem Mineral- und Pflanzenreich, mit Wurzeln und Früchten sein sollen», und daß «wenn keine Vorräte an Arzneien, medizinischen Wurzeln und Kräutern vorhanden sind, sie beschafft werden und auf Kosten des Staates geschickte Ärzte angestellt werden sollen, um sie anzuwenden.» Die öffentlichen Hospitäler waren Medizinschulen, und die älteren Ärzte nahmen die Studenten in ihre Häuser auf. Die Glanzzeit der Hindumedizin dauerte von 250 v. Chr. bis 750 nach Chr. Als der Buddhismus sank, 750—1000 n. Chr., wurden die öffentlichen Hospitäler aufgehoben. Mit der Eroberung durch die Mohammedaner und der folgenden Überflutung des Landes durch Fremde welkte der alte Ruhm Indiens, und die unteren Volksschichten sind heute zu beklagenswertem Aberglauben, zu Armut und Unwissenheit herabgesunken. Missionsärzte und Pflegerinnen, die einen genügenden Einblick in das dortige Leben erhalten haben, um die Leiden der Kranken, besonders der Frauen, zu beobachten, berichten über Erfahrungen, welche die Erzählungen von der alten menschlichen Kultur wie Träume klingen lassen, und die das Herz aller derer zerreißen müssen, welche die Leiden der Menschheit mit Sympathie betrachten. Die Brahminen glauben, daß sie sich verunreinigen, wenn sie Blut oder Kranke berühren, und bei solchen Lehren sind Medizin und Krankenpflege zum Erlöschen verurteilt.

Kapitel IV.

CEYLON. Neben jenigen

den

aus

Geschichte besitzt.

Berichten

Ceylon, der

Auch

aus

das

Indien

eine

Wohltätigkeit dort

stehen

gleich und

bedeckte

Philanthropie

einst

eine

wickelte, glänzende K u l t u r das L a n d mit Städten, W e g e n keit

krönte

hören wir, Seen und

und T e m p e l n

daß

eine

einen R a u m v o n nur

und

die Wissenschaft.

aus

weißem

Stadt

die

Über mit

hochentprächtigen

Barmherzig-

die

Baukunst

ihren Gärten

20 Quadratmeilen Marmor

die-

rührende

gebaut

und

bedeckte

war.

Die

heiligen Bücher v o n Ceylon 1 ), welche den Ursprung, die L e h r e n

der buddhistischen Religion

Einführung in C e y l o n Heilkunst.

Eines

und

erklären, behandeln

derselben

g i b t eine

deren

auch

die

Beschreibung

von der W i r k u n g verschiedener A r t e n von A r z n e i e n ; ein anderes von gewähltesten bespricht

die

den verschiedenen A r t e n

Medikamente«. Nahrungsmittel

Wieder und

ein

ihre

der

«aus-

anderes Wirkung,

') The Sacred Books of Ceylon (Die heiligen Bücher von Ceylon) von Edw. Upham. Parbury & Allen, London 1833.

— 44 —

noch eines gibt eine Sammlung von Figuren an, die als Amulette getragen werden sollen, falls man glaubt, die Krankheit sei von einem bösen Geist verursacht. Eines heißt das »Erste Buch der Ärzte, aus welchem die ganze Arzneiwissenschaft gelernt werden kann«. Die barmherzige und schöne Sittenlehre des buddhistischen Glaubens wird ergreifend in diesen alten Schriften gezeigt und erklärt vollkommen die lange Liste der guten Werke, die im einzelnen aufgezählt werden und über welche gleich berichtet werden soll. »Die Sünde kam in die Welt durch Geiz, Habsucht und Zorn«. »Der Ort des Glücks wird durch Barmherzigkeit gewonnen, mit einem reinen Herzen«, und wieder und wieder finden sich Sätze wie »alle seine Schätze an die Armen geben« und »gleich barmherzig gegen alle Menschen sein«. Die Teufel hingegen haben die Macht, Krankheit aufzuerlegen und Guadama Buddha erhielt die Kraft, sie zu heilen. Von diesen alten Büchern führt das zweite die Geschichte der Vergangenheit bis zum Jahre 54° v - Chr., so daß das hohe Alter, welches für das erste Buch, die Mahâwansè, in Anspruch genommen wird, ihm zuerkannt werden muß 1 ). Dieses ehrwürdige Werk ist voll von Hinweisen auf Hospitäler und Pflegetätigkeit. Als König Dootoogameny von tödlicher Krankheit befallen war, befahl er den Schreibern, ihm die Aufzeichnung der von ihm vollführten guten Werke vorzulesen. Außer vielen Schenkungen ') Upham, a. a. O. III S. 201.



45



an Tempel und Priester waren auch an achtzehn verschiedenen Orten Hospitäler gebaut und Ärzte mit Gehalt vom König angestellt, um für die Kranken zu sorgen. Arzneien und Nahrungsmittel wurden ihnen nach den Vorschriften der Arzte aus den königlichen Vorratskammern überwiesen. Viele andere Barmherzigkeitswerke wurden den Bedürftigen erwiesen und als der König von diesen Wohltaten hörte, war er voll Freude und sprach: »Alles dieses, das ich während meiner Herrschaft tat, befriedigt mich nicht; aber die zwei Male, wo ich Almosen gab, als ich selbst in Not war und Hülfe leistete, ohne mein Leben zu achten, sind mir lieber als das und ich bin mit ihnen zufrieden« Ein anderer König ließ vielen Priestern große Almosen gewähren, einschließlich medizinischer Vorräte. »Buddaduwsa folgte seinem Vater«, fahrt die Chronik fort. »Er war mildtätig und sah alle mit Liebe an, wie ein Vater seine Kinder ansieht; er pflegte Krankheiten zu heilen«. »Der König Udanam errichtete mehrere Tempel und Hallen für die Kranken und erwies viel andere Mildtätigkeit«. König Parackramabahoo »baute viele große, quadratische Hallen in der Mitte der Städte und ließ jährlich viele Almosen verteilen . . . . und unterhielt Almosenhäuser an den vier Toren der Stadt, welche mit mehreren metallenen Gefäßen, Hängematten, Kissen, Betten und milchenden Kühen ausgestattet waren . . . . und große Hospitäler wurden für den Gebrauch der Kranken gebaut und mit Lebensmitteln und« (ein bestimmter und interessanter Hinweis auf

-

46

-

die Krankenpflege) »jungen Sklaven und Sklavinnen versehen zur Pflege und Ernährung der Kranken« 1 ). E r sorgte auch »für Vorratskammern, welche einen Überfluß an Arzneien und andern notwendigen Dingen enthielten und bestellte geschulte Arzte, um T a g und Nacht die Kranken zu versorgen. Der König besuchte sie in eigener Person . . . . und von den Staatsministern und andern Beamten begleitet, kam er und beriet die Ärzte, da er selbst sorgfältig in der Kunst der Physiologie ausgebildet war. Er erkundigte sich nach dem Ergehen der Kranken und versorgte die Genesenen mit Kleidern« 2 ). Diese Berichte erwähnen mehrfach Priesterinnen, deren es darnach »Tausende« gab, aber es ist nirgends ersichtlich, ob ihre Pflichten die Sorge für die Kranken einschlossen. Nichtsdestoweniger kann die Vermutung, daß sie, wie ihre Nachfolgerinnen in späteren europäischen Klöstern, die Pflege in den größern Hospitälern, wenigstens in den Frauenabteilungen, geleitet und beaufsichtigt haben, nicht ganz aus der Luft gegriffen erscheinen. Die alten Perser waren auch durch ihre Gesetze angewiesen, geeignete Häuser für die Kranken in ihren Gemeinden zu bestellen und vom König wurde erwartet, daß er für die beste kostenlose ärztliche Behandlung der Insassen sorgte. Ein Heldenlied aus frühester Zeit enthüllt vieles über die Versorgung der Kranken, was sonst über persische ') Upham, a. a. O. Bd. I S. 195—272. ) Upham, a. a. O., Bd. I, S. 195—272.

2



47



Medizin nicht in Erfahrung gebracht werden konnte 1 ). Dasselbe umfaßt die Zeit von 224—642 v. Chr., wurde aber erst später zusammengestellt. Es erwähnt drei Arten von Ärzten, solche, die durch das Messer, solche, die durch Pflanzen und solche, die durch Teufelaustreibung und Beschwörung heilen und beschreibt verschiedene chirurgische und medizinische Prozeduren, von denen manche ins Gebiet der Pflege gehören, wenn auch Pflegende als solche nicht erwähnt sind. Dr. Wylie erzählt uns, daß die modernen Parsen oder Feueranbeter noch fortfahren, Hospitäler in den Städten zu bauen, von denen mehrere wichtige im 19. Jahrhundert errichtet wurden2). ') Dr. Paul Horn, Zur Krankenpflege im alten Persien. Zeitschr. f . Krankenpflege. Berlin, Mai 1903, S. 169—173. J ) W. Gill Wylie M.D., Hospitals, their History, Organisation and Construction (Hospitäler, ihre Geschichte, Organisation und Bauart). D. Appleton & Co., New-York 1877, S. i l .

Kapitel V.

ÄGYPTEN. Die ältesten medizinischen Berichte, welche die moderne Welt besitzt, stammen aus Ägypten, von dessen wunderbarer alter Kultur heute so viel Hochinteressantes durch die Arbeit der Archäologen enthüllt wird. Wie Indien, hatte das alte Ägypten eine ausgedehnte Kenntnis der Sternkunde, der Künste und Wissenschaften und der Heilkunde. Man benannte die Planeten, deren Zahl —• die heilige Sieben —• das Symbol geheimnisvoller Kräfte geworden ist; man schuf den Kalender in der Form, in der ihn Cäsar später nach dem Westen brachte 1 ). Thoth, der Schreiber der Götter und die Verkörperung des göttlichen Geistes, der Schrift und Buchstaben erfand, die Zeit maß und der Gott des Rechts und der Wahrheit war, schnitt die ersten medizinischen Vorschriften in steinerne Säulen. Diese wurden später auf Papyrus übertragen und in einer Anzahl von heiligen ') History of All Nations, (Die Geschichte aller Nationen) herausgegeben von John Henry Wright, L L D . Philadelphia und New-York, 1902, Bd. I von Ferdinand Justi S. 115.

Die

H a u s a p o t h e k e der ägyptischen Königin M e n t u h o t e p im Berliner Museum. Sie enthält fünf Alabaster- und eine Serpentinflasche mit Arzneien. D a n e b e n liegen zwei Löffel, eine kleine Schüssel und eine Anzahl medizinischer Wurzeln. Mit g ü t i g e r E r l a u b n i s d e s H e r r n D r . v. K l e i n .



49



Büchern gesammelt. Thoth gleicht in vielen Punkten dem Hermes der Griechen und seine mystischen Schriften wurden die hermetischen Bücher genannt (von Thoth, Hermes eingegeben oder verfaßt). Isis (Mutter Erde) und Osiris (der T a g oder das Licht, das »grausamen Tod durch seinen Bruder Seth, den Gott der Finsternis, erlitt«) '), die bekanntesten ägyptischen Gottheiten, galten als Begründer des Ackerbaues und der Heilkunst. Horns, der Sonnengott, verkörpert den Sieg des Lichtes über die Finsternis oder des Guten über das Böse. Er war der Sohn von Isis und Osiris und lernte von seiner Mutter die Heilkunst sowohl, als auch die Gabe des Wahrsagens. Die Zahl der heiligen Bücher war zweiundvierzig, von denen sich sechs mit medizinischen Angelegenheiten beschäftigten. Die Ägyptologin Amelia Β. Edwards sagt: »Medizinische Werke gab es in Ägypten seit den ältesten Zeiten, und die große medizinische Bibliothek Memphis bestand noch im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, als Galen das Niltal besuchte. Die Ägypter scheinen in der Tat besondern Stolz in ihre ärztliche Geschicklichkeit gesetzt zu haben. Die Heilkunst stand in so hoher Achtung, daß selbst Könige sie zu ihrem Studium machten. Ateta, der dritte König der ersten Dynastie, ist der berühmte Verfasser eines Werkes über Anatomie. Er bedeckte sich auch mit Ruhm durch die Erfindung eines unfehlbaren Haarwaschmittels, das er, wie man sagt, als dienstbeflissener Sohn besonders zum Gebrauch ') Revidierte Bibelübersetzung, Anhang S. 19. N u t t i n g u. D o c k , Geschichte der Krankenpflege. Bd. I.

4



5 °



seiner Mutter bereitete«1). Den berühmten, jetzt im Leipziger Museum befindlichen Papyrus, den man für zu den Hermetischen Büchern gehörig hält, beschreibt Miss Edwards folgendermaßen : Nicht weniger als fünf medizinische Papyrus sind auf unsere Zeit gekommen, von denen der schönste der berühmte Ebers'sche Papyrus ist, den Dr. Ebers 1874 in Theben erwarb. Der Papyrus enthält einhundertzehn Seiten, jede Seite

aus

zweiundzwanzig Zeilen einer kühnen Priesterschrift bestehend. E r kann als eine Enzyklopädie

der bei den Ägyptern

der

18. Dynastie bekannten und geübten Medizin bezeichnet werden und

enthält

Vorschriften

für alle

Arten von

Krankheiten.

Einige sind der syrischen Medizinlehre entlehnt und einige von solch hohem Alter, daß sie den sagenhaften Zeiten zugeschrieben werden, in denen noch die Götter persönlich auf Erden herrschten. für eine Behandlung,

Unter anderm finden wir die Vorschrift durch welche Osiris bei R a das Kopf-

weh heilte 2 ).

Von Klein sagt: »Das genaue Datum der Niederschrift dieses Papyrus ist noch nicht festgestellt worden. Der Kalender auf der Außenseite bezieht sich auf die achtzehnte Dynastie, im 16. Jahrhundert v. Chr. « Der Inhalt des Papyrus ist verschieden alt ; er schwankt zwischen 1552—4688 v. Chr. Viele der unserer modernen Wissenschaft bekannten Krankheiten sind sorgfaltig klassifiziert und ihre Symptome genau beschrieben. Über 700 Substanzen aus dem Mineral-, Pflanzen- und Tierreich sind für jeden bekannten ') Amelia Β. Edwards, Pharaos, Fellahs, and Explorers (Pharaonen, Fellachen und die Forscher). S. 218. Harper & Bros. New-York 1892. 2) ibid. S. 219.



5i



physiologischen Zustand als Medikamente angegeben. Sie bestehen aus A b k o c h u n g e n , A u f g ü s s e n , Einspritzungen, Pillen, Tabletten, Plätzchen, Kapseln, Pulvern, Tränken , Einatmungen, Abwaschungen, Salben, Pflastern etc. '). Diese Sammlung von Vorschriften, wie auch die Erwähnung von Apothekern in den Büchern Moses liefern den Beweis, daß es bei den alten Ä g y p t e r n eine bestimmte Kaste der Arzneibereiter gab. Die Hebräer eigneten sich während ihres Aufenthaltes in Ä g y p t e n die dort geübte Heilkunst an, wie denn auch das alte Testament voller medizinischer Hinweise ist 2 ). Eine interessante Reliquie der ägyptischen Medizin bildet die aus dem Jahre 2500 v. Chr. stammende, im Grabe der Frau eines Pharaonen, Mentuhotep, gefundene Hausapotheke. E s ist ein K o r b aus Strohgeflecht, der sechs Flaschen aus Alabaster und Serpentin, getrocknete Überreste von Medikamenten, zwei Löffel, ein Stück Leinen und einige Wurzeln enthält 3 ). Houdart 4 )

und

andere

Schriftsteller

erklären

]

) Carl H. v. Klein, A. M., M. D., The Medical Features of the Papyrus Ebers. (Die medizinischen Darstellungen des Papyrus Ebers). Bulletin of the Amer. Acad, of Medecine, Febr. 1906. S. 314 fr. 2 ) Klein zitiert aus dem 2. Buch Moses, XXX. 25—35 ; XXXVII. 29; dem Buch der Prediger X. 1 ; 2. Buch der Chronika XVI. 14. 3 ) ibid. S. 320. 4 ) M. S. Houdart, Histoire de la médecine greque depuis Esctdape jusqu'à Hippocrate. (Geschichte der griechischen Medizin von Äskulap bis Hippokrates). Paris, 1856. S. 71, 73. 4*



52



den Ursprung der medizinischen Bücher der alten Ägypter in folgender Weise. Man vermutet, daß es dort, wie in andern Ländern, in alten Zeiten üblich war, die Kranken an die Straße zu legen, damit sie aus dem Rat der Vorübergehenden Nutzen ziehen möchten. Wer durch Erfahrung nützliche Heilmittel kennen gelernt hatte, blieb stehen und gab den Kranken Rat und Anweisung für die Behandlung. In Babylon gab es sogar ein Gesetz, das die Kundigen zwang, dies zu tun. (Heute dürfte ein solches Gesetz überflüssig sein). Diese Vorschriften wurden mit einem Bericht über die Symptome gesammelt und von den Priestern in den Tempeln autbewahrt, wohin lange Zeit jedermann kommen durfte, um sich Rat zu holen und seine eigene Behandlungsart auszuwählen. A u f diese Weise wurden vielerlei Tatsachen gesammelt, welche nach und nach einen geheiligten Charakter annahmen und als unfehlbar angesehen wurden. Berdoe sagt ') : »Die Heilkunst bestand im alten Ägypten aus zwei Klassen, der höhern, welche die wundertätige war und der niedern, der eigentlichen ärztlichen Kunst. Die Vertreter der wundertätigen Klasse widmeten sich der Magie, der Zauberkunst 2 ), indem

') a. a. O., S. 61. Es ist möglich, daß das Wort »Magie« heute nicht die Bedeutung hat, welche dem wirklichen Stand der alten Medizin entspricht. Die Ägypter kannten die Hypnose, verstanden es, Gemüt und Einbildung zu kontrollieren. Houdart führt an, daß Bacon sagt : »die ehrenvolle Bedeutung, die dem W o r t »Magie« einst im Sinne von »Untersuchung« oder »Erkenntnis« beigelegt wurde, sollte man ihm wieder geben.« 2)



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sie Zauberei durch Gebete aufhoben und den Kranken, welche Hülfe in den Tempeln suchten die Träume deuteten. Zur niedern Klasse gehörten die Sachkundigen, die einfach natürliche Mittel in ihrem Beruf anwendeten «. Wie diese alten Berichte zeigen, brachten sie die Heilkunst auf eine hohe Stufe der Gelehrsamkeit und Kultur. Man nannte sie pastophori, doch hatten die pastophori nach Ebers viele Pflichten und waren nicht sämtlich Ärzte, obgleich alle Ärzte pastophori waren, da sie zur priesterlichen Kaste gehören mußten. Es ist nicht klar, wer eigentlich die Anordnungen für die praktische Behandlung der Kranken gab — der Priester-Magier oder der PriesterArzt — und wer sie tatsächlich ausführte. Von den Vorschriften der heiligen Bücher abzuweichen, wurde als so gefährlich angesehen, daß der Arzt, der dies tat und dessen Patient starb, selbst mit dem Tode bestraft wurde. Wenn indes der Patient bei der den heiligen Büchern entsprechenden Behandlung starb, hielt man den Arzt nicht für verantwortlich. Dieses starre Festhalten am Hergebrachten, zu welchem die ägyptische Medizin schließlich gelangte, das jeden Fortschritt in der Erkenntnis verhinderte und durch das Verbot des Experiments Denken und Ehrgeiz erstickte, brachte sie endlich zu Fall. Außer der eigentlichen Behandlung der Krankheiten hatten die alten Ägypter die öffentliche Hygiene und Sanitätsaufsicht auf eine bemerkenswert hohe Stufe gebracht. Ihre bürgerlichen Gesetze enthalten so viel über die Gesundheitspflege, daß diejenigen,



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welche alles kannten und beobachteten, Doktoren genannt wurden. 1 ) Es scheint eine Körperschaft von Sanitätsinspektoren oder Gesundheitsbeamten gegeben zu haben, denn Houdart führt einen alten Schriftsteller an, der sagte: »Es hat sich in Zeiten der Pestilenz erwiesen, daß die Polizei so nützlich war wie die Ärzte«; und nach seiner Meinung war das Gebiet der Ärzte in der Behandlung deshalb so beschränkt, weil, wenn man ihnen gestattet hätte, mit neuen Heilmitteln zu experimentieren, sie die Arbeit der Sanitätsbeamten hätten hindern oder zunichte machen können. 2 ) Die alten Ägypter, wenigstens die der höhern Kasten, waren außerordentlich reinlich, badeten mehrmals am Tage, rasierten sich den Bart und übten auch aus Gründen der Sauberkeit und Hygiene die Beschneidung aus. Sie waren mit der Anwendung und Verschiedenartigkeit von Eingießungen, Salben, Einreibungen und Massage wohl vertraut. Sie wendeten Opium, Ricinus und manche andere Medikamente an, die heute im Gebrauch sind; sie waren Chirurgen und vorzügliche Zahnärzte und bandagierten wundervoll. Ihr Glaube an die Unsterblichkeit führte sie zur Einbalsamierung ihrer Toten und die Art, wie sie diese ausführten, beweist ihre große Kenntnis erhaltender Spezereien und eines gewissen Maßes von Anatomie. Andererseits machte aber gerade diese Heiligkeit des menschlichen Körpers ein gründliches Studium der Anatomie, wie es jedem ') Houdart, a. a. 0., S. 81. ) Houdart, a. a. O., S. 75.

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wissenschaftlichen Fortschritt zu gründe liegen muß, unmöglich. Pflegerinnen werden nicht erwähnt, doch ist kaum anzunehmen, daß ein Volk, welches Heilkunde, Apothekerkunst und Sanitätswissenschaft in einen so geordneten und systematischen Zustand gebracht hatte, keine pflegende Kaste gehabt hätte, oder daß Frauen keinen tätigen Anteil an den guten Werken gehabt haben sollten, besonders wenn wir in Betracht ziehen, was von der allgemeinen Humanität der Ägypter und der günstigen Stellung ihrer Frauen bekannt ist. Budge 1 ) sagt, daß die soziale Stellung der Frauen in Ägypten viel höher war, als in andern östlichen Ländern. »Die Mutter oder »Frau des Hauses« erfreute sich einer Stellung von einer Autorität und Wichtigkeit, die selten bei andern Völkern angetroffen wurde.« Über die Menschlichkeit der Ägypter schreibt Brugsch' 2 ): »Gesetze, welche ihnen befahlen, zu den Göttern zu beten, die Toten zu ehren, den Hungrigen Brot, den Durstigen Wasser und den Nackten Kleider zu geben, enthüllen uns eine der feinsten Eigenschaften der alten Ägypter — Mitleid mit den Unglücklichen.« Auch über die Hospitäler im alten Ägypten haben die modernen Forschungen noch nichts Be') Ε. A. Wallis Budge, Μ. story of Egypt (Eine Geschichte ford, 1902, Bd. II, S. 20. 2 ) Heinrich Brugsch Bey, (Ägypten unter den Pharaonen). S. 10.

Α., Litt. D., D. Lit., A HiÄgyptens). Kegan Paul, OxEgypt under the Pharaohs London und New-York 1891

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stimmtes ergeben, wenn auch vermutet wird, daß die Tempel des Saturn eine Zuflucht der Kranken gewesen sind. Daß dort Priesterinnen oder »Tempelfrauen« waren, ist sicher, worin aber ihre Pflichten bestanden, ist nicht klar. Caton 1 ) sagt: »Man hat Veranlassung zu glauben, daß Institutionen, die mit Krankenhäusern und Hospitälern eng verwandt waren, in Ägypten schon Jahrhunderte früher bestanden als das Hieron des Epidauros, aber es sind keine Spuren solcher Gebäude entdeckt worden.« Wenn es wirklich Hospitäler gegeben hat, müssen auch Pflegerinnen dagewesen sein und wir können vernünftiger Weise die Uberzeugung haben, daß ihre Pflichten gut begrenzt und festgelegt waren. Aus dem, was dem Arzte geschah, wenn er den heiligen Büchern ungehorsam war, kann man schließen, was ihr Schicksal sein mußte, wenn sie den Anordnungen des Arztes nicht nachkamen. ') Richard Caton, M. D., F. R. C. P., The Temple and Ritual of Asklefiios (Tempel und Riten des Asklepios). C. J. Clay & Sons, London 1900.

Kapitel VI. B A B Y L O N I E N UND A S S Y R I E N . Im Alter am nächsten stehen den medizinischen Berichten Alt-Ägyptens diejenigen aus Babylon, welche ans Licht kamen, als die französische Expedition in Susa in Persien den berühmten »Codex« des Hammurabi1) entdeckte. Hammurabi — eine historische, nicht sagenhafte Persönlichkeit — war der größte der babylonischen Könige und Staatsmänner. Er regierte um 2250 v. Chr. während einer ruhmvollen Periode von etwa 60 Jahren. Der berühmte »Codex« ist eine von Hammurabi zusammengestellte und einheitlich gestaltete Sammlung von Gesetzen; doch glaubt man, daß viele derselben aus andern und viel altern Quellen zusammengetragen wurden. Er enthält einige merkwürdige Vorschriften zur Regulierung der wundärztlichen und auch der tierärztlichen Kunst und beweist ') Der Stoff dieses Kapitels ist in der Hauptsache aus » Cuneiform Medecine« (Medizin der Keilschriften) von Professor Christopher Johnston entnommen einem Vortrag in der Versammlun g der Amerikanischen Orient Gesellschaft, 16. April 1903.

- 5 8 SO, daß diese zwei Spezialitäten unterschieden wurden und daß sie in den gleichen Beziehungen zueinander und zur Medizin standen, wie dies heute noch der Fall ist. E r setzte einen Zahlungstarif für Operationen fest, der von 2 Schekel für die Operation an einem Sklaven bis zu 10 Schekel für eine solche an einem freien Manne ansteigt und verhängte schwere Strafen über den Wundarzt, der das Unglück hatte, daß ihm ein Patient auf dem Operationstisch starb. War dieser ein freier Mann, so wurde des Arztes Hand abgehauen, war er ein Sklave, so hatte der Operateur dem Besitzer den Wert seines Dieners zu zahlen. Die erhaltenen Berichte, obgleich spärlich, beweisen genügend, daß seit den frühesten Zeiten Medizin getrieben und als äußerst wichtig angesehen wurde. Man glaubt, daß die Babylonier keine genaue Kenntnis der menschlichen Anatomie hatten, sondern daß sie das, was sie von den innern Organen wußten, bei den Tieropfern lernten. Sie hatten gute, auf Erfahrung beruhende Kenntnisse von den Medikamenten und der Behandlung, aber die Priester hielten diese dem gewöhnlichen Volke sorgfältig fern. Sie verstanden den Aderlaß und vorhandene Briefe eines Hofarztes, vom Jahre 680 v. Chr. datierend, sprechen vom Tamponieren der Nase bei Nasenbluten und einem ausgezeichneten Umschlag für das Gesicht bei Kopfrose. Die babylonischen Gottheiten waren Naturgötter. Die drei größten waren die Götter des Himmels, der Erde und des Meeres. A m nächsten im Rang standen ihnen der Mondgott, der Sonnengott, der Gott des Donners, des Blitzes, des Windes, des Regens und



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des Sturmes, des Planeten Venus; Marduk oder Merodak (das Licht), (der auch Bei genannt wird), der die Toten Belebende, der den Drachen oder das »Chaos« (die Dunkelheit) bekämpfte und besiegte; Nebo, der Gott der Künste und Wissenschaften u. a. ') Außerdem hatten sie unzählige lokale Gottheiten und glaubten an die Urtheorie, daß 'Krankheit durch den Zorn der Götter und böse Geister veranlaßt werde. Diese alte Idee entwickelten und arbeiteten sie sorgfältig aus und schufen ganze Hierarchien von guten und bösen Geistern, die stets im Kampf miteinander waren. Die Sicherheit lag allein im Anrufen der Hülfe von guten Engeln gegen die bösen. 2 ) Vor so langer Zeit schon wurde der Kampf zwischen Gut und Böse versinnbildlicht, der heute noch so viele Gemüter verwirrt — der weltenalte Gegensatz zwischen Gesundheit und Krankheit, ob körperlicher, geistiger oder moralischer. Die alten Assyrer gingen in der Betrachtung noch weiter und entwickelten die Theorie, daß Krankheit eine Strafe für Sünde sei und nur durch Reue geheilt werden könne. Es kann sein, daß dieser Gedanke auf einer unmittelbaren Einsicht in die Gesundheitsgesetze der Natur beruhte und daß er ') Revid. Bibelausgabe, Oxford, 1904. Anhang S. 29. ) Prof. Paul Haupt sagt: »Die babylonischen geflügelten Genien waren die Urbilder der Engel, an deren Gestalten wir gewöhnt sind. Die babylonischen Cherubim symbolisierten ursprünglich die Winde, welche den Blütenstaub der männlichen Blumen zu den weiblichen trugen. (12. Internat. Oriental. Kongreß 1901). 2



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wirklich die Dämmerung einer vernunftgemäßen Lehre der Lebensvorgänge bezeichnete. Viel hängt dabei von der Auslegung der Worte »Sünde« und »Reue« ab. Es kann sich ζ. B. sehr wohl um eine poetische Ausdrucksweise dafür handeln, daß die, welche physiologische Gesetze verletzt haben, erkranken und nur hergestellt werden können, wenn sie zum Gehorsam gegen die hygienischen Gesetze zurückkehren. Indes haben die Assyrer nach Baas1), soweit bezügliches bekannt ist, nur magische oder empirische, nicht aber wissenschaftliche Medizin, getrieben. Viele alte Gedanken der Babylonier, welche zweifellos ursprünglich eine naturalistische Grundlage hatten, bestehen heute noch als Volksaberglauben. So waren sie u. a. von dem mächtigen Einflüsse glück- und unglückbringender Zahlen überzeugt. Aller Zahlenglaube ist aus Beobachtungen der Gestirne, des Mondwechsels, der Planetenzahl etc. hergeleitet. Die Heiligkeit der Zahl Sieben wurde im alten assyrischen Gesetz dadurch dargetan, daß am siebenten Tag keine Arbeit verrichtet werden durfte. Dies war das alte Gesetz, auf das Jesus von seinen Jüngern hingewiesen wurde. — Es gab auch viele Bestimmungen über das Sammeln von medizinischen Kräutern und Pflanzen; manche mußten bei Nacht, andere bei Tagesanbruch oder zu gewissen Mondzeiten gesammelt werden. ' Diese Lehren müssen alle aus irgend einer praktischen Kenntnis der Pflanzen hervorgegangen sein. Kein Gärtner würde heute die ') a. a. O., S. 22.







Blumen für den Tisch in der heißen Mittagssonne schneiden, sondern nur früh am Morgen, ehe sie welk sind, und so waren diese alten Regeln sicherlich auf bestimmte natürliche Tatsachen gegründet, die jetzt übersehen werden oder vergessen sind. 1 ) V o n Zauber und Amuletten machte man ausgedehnten Gebrauch. Die magische Zahl 7 erscheint in Knoten, die in Seile gemacht werden, wovon noch jetzt Spuren überleben. Der Symbolismus spielt in der Medizin eine große Rolle. Das reinigende Bad und das Besprengen mit heiligem Wasser — ein natürlicher und schöner Beweis für den Wert, den alle Völker, und besonders diejenigen der heißen Länder, dem lebenspendenden Wasserquell beilegen — waren auch bei den Assyrern S y m b o l e von tiefster Bedeutung, welche alle Nationen mit ihnen teilten. Übrigens war das reinigende Bad gewiß auch eine äußerst praktische Form des Symbolismus. Krankheiten wurden ebenfalls symbolisch durch Feuer geheilt, indem man kleine Gegenstände in einem Kohlenbecken verbrannte, während der Priester die entsprechende Zauberformel sprach. Das Feuer hat, als vollkommenstes Reinigungsmittel vom sanitären Gesichtspunkte aus neben seinem W e r t als höchst praktisches sanitäres Hilfsmittel auch den eines Symbols. Zur richtigen W ü r d i g u n g all dieser Gebräuche der A l t e n ist es wichtig, sich stets der hohen poetischen Einbildungskraft und der Nei') Das Landvolk richtet vielerorts noch seine Gartenarbeit nach dem Ab- und Zunehmen des Mondes ein, weiß aber nicht, weshalb.



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gung zu bildlicher und symbolischer Sprache der Urvölker und Orientalen bewußt zu bleiben. Viele babylonische Beschwörungen sind hochpoetisch und wirkten ohne Zweifel in einer Weise beruhigend und tröstend auf die Leidenden ein, die den mehr am Buchstaben hängenden westlichen Völkern unverständlich ist.

Kapitel VII.

DIE JUDEN. Vor allen Nationen des Altertums zeichnet sich das jüdische Volk durch die Vortrefflichkeit und Vielseitigkeit seiner sanitären Vorschriften und sein reiches hygienisches Wissen aus 1 ). Seine Religion war wahrlich eine des Heils und der Gesundheit, sowohl der körperlichen wie geistigen. Wie eine edle Einfachheit die geistige und moralische Seite der jüdischen Religion kennzeichnet, so leitete eine vernünftige Intelligenz alle praktischen Angelegenheiten des Lebens von einem durch einen großen Schatz hygienischer Kenntnisse geschaffenen aufgeklärten Standpunkte aus. Die zahllosen Götter anderer Nationen und ganz besonders die bösen Genien der Babylonier und Assyrer waren den jüdischen Führern ein Greuel, sie verfolgten beständig alle aber') Mit den angeführten Ausnahmen ist das Material für dieses Kapitel The Sanitary Laws of Moses (Die sanitären Gesetze Moses) von G. M. Price, M. D., Ptiblic Health Report Bericht über das öffentliche Gesundheitswesen), Mai 1901 entnommen.

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gläubischen Gebräuche und lehrten den Glauben an einen einzigen Gott. Die alten Hebräer scheinen in hohem Grade die Fähigkeit besessen zu haben, kritisch zu vergleichen und zu urteilen, was ihnen ermöglichte, aus dem geistigen Besitz ihrer Zeitgenossen das Beste zu wählen und das Schlechte zu verwerfen. So haben die Juden einen großen Teil ihrer Hygiene von den Ägyptern übernommen, verwarfen aber deren Wunderlehre. Die ägyptischen Priester und Arzte scheinen ihre umfassenden Kenntnisse niemals den niederen Kasten zugänglich gemacht zu haben, sie hatten eine Aristokratie der Wissenschaft, während gerade die Demokratie des Wissens ein besonderer Zug der jüdischen Kultur war. Gewisse sanitäre Regeln, die bei den Ägyptern nur von den gebildeten oder priesterlichen Kasten befolgt wurden, wie ζ. B. die Beschneidung, wurden im Volke Israel dem Höchsten wie dem Geringsten zur Pflicht gemacht. Die Moses zugeschriebenen Gesetze berühren jede Einzelheit der persönlichen, häuslichen, öffentlichen und nationalen Hygiene und sind auf die Erhaltung der Gesundheit und Verlängerung des Lebens gerichtet. »Darum sollt ihr alle diese Gebote halten, damit ihr gestärket werdet und lange lebet«, sagt der Prophet (5. Mos. 1 1 . V. 8. 9.). Virchow hat Moses den »größten Arzt aller Zeiten« genannt. Die Gesetze der individuellen Hygiene beschäftigen sich mit Fragen der Arbeit, Ruhe, persönlicher Reinlichkeit (für die es unzählbare Vorschriften gibt) und Diät. Hart sind die gesundheitlichen Strafen,

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welche dem angedroht werden, der Unrecht tut. »Denn Ich will euch heimsuchen mit Schrecken und Schwulst und Fieber, daß euch die Angesichter verfallen und der L e i b verschmachte« (3. Mos. 26 V . 16). A l l e die strengen und widrig klingenden Stellen, welche sich auf die »Unreinheit« der Frauen beziehen und so unnötig demütigend erscheinen, wenn man sie bloß als Abstrakta betrachtet, sind in Wirklichkeit Zeugnisse der außergewöhnlichen Fürsorge und Sorgfalt der Juden für ihre Frauen und die Heiligkeit und Schönheit des Familienlebens. Diese Gesetze sicherten den Frauen die persönliche Absonderung und Einsamkeit, die Ruhe und Rücksicht, deren sie aus hygienischen Gründen bedürfen und machten besonders das Wochenbett zu einer Zeit der Abgeschlossenheit und Stille, der Sauberkeit des Körpers und der Kleidung und der Ruhe von Seele und Leib. A l l e Prinzipien des modernen Sanitätswesens sind von den jüdischen Gesetzgebern vorempfunden worden ; die Überwachung der Nahrungsmittel, die Erhaltung nützlicher Bäume, die Methoden für die Beseitigung der A b g ä n g e , die Wichtigkeit von Lebensstatistiken, die Feststellung der Infektionskrankheiten und ihre A n z e i g e bei den Behörden, die Notwendigkeit der Isolierung oder Quarantäne und die Ausräucherung und Desinfektion nach A n s t e c k u n g — alles findet sich im A l t e n Testament. Die mosaischen und talmudischen Bestimmungen für die Prüfung und Schlachtung der Tiere und die Untersuchung ihrer inneren Organe zur Feststellung von Krankheiten, ehe sie zur Nahrung N u t t i n g u. D o c k , Geschichte der Krankenpflege. B d . I.

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verwendet werden durften, stehen auf gleicher Stufe mit den fortgeschrittensten Sanitätsvorschriften der Jetztzeit. Die moderne Medizin hat erst kürzlieh die Schalen der Auster als Träger krankeitserregender Bazillen erkannt, während den Juden der Genuß von Schalentieren von jeher aus sanitären Gründen verboten war. Es waren vier Hauptpunkte in Bezug auf die tierische Nahrung zu beobachten. Erstens war das Blut immer und unter allen Umständen als Nahrungsmittel verboten. Aus diesem Grunde muß alles Fleisch vor dem Kochen ausbluten, und kein strenggläubiger Jude kauft ein geschlachtetes Huhn. Er kauft nur lebendige Tiere, die er selbst schlachtet und kunstgerecht ausbluten läßt. Ferner durfte kein von Raubtieren zerrissenes oder sonstwie durch Unfall getötetes oder von selbst gestorbenes Tier gegessen werden, (ein Brauch, der übrigens allgemein üblich ist) und endlich war das Schwein als unrein verboten. Alle orientalischen Völker haben diese Abneigung gegen das Schwein geteilt. Die Hindu betrachten es als unrein und die alten Ägypter waren derselben Meinung, zweifelsohne, weil das Schwein in heißen Ländern in besonders hohem Maße allen möglichen Krankheiten ausgesetzt ist. Vom Standpunkt der Humanität und der Sorge für die Unglücklichen aus betrachtet, ist die Geschichte der Juden durchweg herrlich. Eine alte Verordnung, die auch in dem alten Athenischen Menschlichkeitsgesetz vorkommt und die der entsprechenden ägyptischen Vorschrift überraschend gleicht, bestimmt den Begriff der Nachbarlichkeit folgendermaßen : »Niemandem Feuer zu versagen, der darum bittet;

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den Wasserzufluß nicht abzuschneiden; Bettlern und Krüppeln Nahrung zu geben; freundlose Tote anständig zu begraben; denen, die im Unglück sind, kein neues Leid zuzufügen; nicht grausam gegen Tiere zu sein«.. »Die Kranken zu besuchen, um ihnen Teilnahme zu beweisen, sie in ihren Leiden aufzuheitern, ihnen Hülfe und Erleichterung zu bringen«, wird von den Rabbinern als eine jedem Juden obliegende Pflicht erklärt, selbst wenn der Kranke ein Heide wäre. Das A l t e Testament enthält kein ausdrückliches Gebot dieser Art, aber die Rabbiner finden in mehreren Stellen des Pentateuch Hinweisungen darauf. Die Haberim oder hasidische Gesellschaft machte die Erfüllung dieser Pflicht zu ihrer besonderen A u f g a b e und das Besuchen von Kranken ist in Matth. X X V . v. 36 unter den verschiedenen Formen der Wohltätigkeit aufgezählt. Im Shulhan A r u k Yoreh De'ah ist ein ganzes Kapitel den diese Besuche betreffenden Geboten gewidmet 1 ). Diese bekannten Hasid-Werke der Wohltätigkeit wurden als von Anbeginn der Welt ausgeübt angesehen. E s bestanden von alters her und bestehen noch Bikkur Hokin-Yereme, deren besonderer Zweck es ist, die Kranken zu besuchen und für sie zu sorgen. Die alten Hasidim. waren in Gruppen geteilt, eine für jeden der sieben Zweige der Liebeswerke, die in der rabbinischen Literatur erwähnt werden und zu denen eben auch das Besuchen von Kranken gehörte. Die alten Juden hatten außerdem das S. Jüdische »Wohltätigkeit«.

Enzyklopädie,

Artikel

»Kranke« 5*

und



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Xenodochium oder Pandok zur Aufnahme von Reisenden oder Hülflosen, dem das Ptochotropheum oder Krankenhaus angeschlossen war1). Diese Einrichtung war, wie der h. Hieronymus sagt, als »ein Zweig von Abrahams Terebinthe« vom Osten nach dem Westen verpflanzt worden. Die Juden hatten die Gewohnheit, ein Zehntel ihres Besitzes der Wohltätigkeit zu opfern und — entgegen der Gepflogenheit der Essäer und ersten Christen, alles herzugeben, was sie besaßen — bestimmten die Rabbiner, daß keiner mehr als ein Fünftel fortgeben solle, damit er jederzeit imstande wäre, sich und seine Familie zu erhalten. Bei den Essäern, deren reine Sittenlehre dahin führte, daß sie jeder tierischen Nahrung entsagten, sich weigerten, Sklaven zu halten und eigenhändige Arbeit als ehrenhaft ansahen, war die Sorge für die Kranken eine beständige Pflicht. So sagt Philo 2 ) von ihnen: »Sie vernachlässigen auch die Kranken nicht, welche unfähig sind, ihren Teil beizutragen, denn sie haben in ihrer Schatzkammer genügende Mittel, um denen zu helfen, die in Not sind«. Und ferner: »Wenn jemand krank ist, wird er mit Arzneien aus dem allgemeinen Vorrat geheilt und empfängt die Fürsorge aller«. ') Die Krankenhäuser in der früheren jüdischen Periode wurden Beth Holem genannt. ' Das im Neuen Testament erwähnte Beth Saida war eine solche Einrichtung. Sie waren wahrscheinlich Vorläufer unserer herrlichen modernen Krankenhäuser, wenn auch bescheiden genug, da man annimmt, daß sie Holzhütten oder Zelte waren. (Internationale Enzyklopädie, Art. »Hospitäler«.) 2 ) In der Jüdischen Enzyklopädie, Art. »Essäer«, erwähnt.

Kapitel Vili.

GRIECHENLAND. In einem Teil der griechischen Halbinsel, den die Natur mit der besondern und bezaubernden Schönheit einer ruhevollen, von fichtenbedeckten Hügeln umgebenen Ebene ausgestattet hat, liegen die Marmorruinen und ausgegrabenen Fundamente von Epidauros, dem berühmtesten der Kurorte des Altertums. Dort stand einst der glänzende Tempel des Asklepios, umgeben von blendend weißen Marmorgebäuden : Gasthöfe, Hallen für Kranke, Badehäuser, Gymnasien, Wohnungen für Diener und Priester, Freilichttheater, Bibliotheken und Tempel für die Opferbräuche — das Ganze inmitten grüner Gärten und Wiesen von idyllischer Schönheit. Das alte Griechenland besaß viele dem Asklepios geweihte Tempel, aber dies war der prächtigste und berühmteste. Viele, wenn auch nicht alle, hatten Vorkehrungen, um Kranke aufzunehmen und in der Einrichtung waren sie den heutigen Heilstätten sehr ähnlich, wenn man auch nicht sicher weiß, ob Unbemittelte in ihnen behandelt wurden.







Wie Ägypten und andere, noch ältere, Länder, führt Griechenland seine ärztliche Kunst auf eine sagenhafte Vergangenheit von göttlichem Ursprung zurück. Apollo, der Sonnengott, war der Gott der Gesundheit und der Heilkunst. Asklepios, der wunderbare Arzt, war sein Sohn und wurde später zum Gott gemacht und angebetet. Es fällt nicht schwer, zu glauben, daß es in den dunklen Zeiten verflossener Jahrhunderte 1 ) einen Sterblichen von mehr als gewöhnlicher Geschicklichkeit und Klugheit gab, dessen Ruhm als Arzt mit der Zeit immer mehr wuchs, bis er schließlich als übernatürlich verherrlicht wurde und daß die Taten dieses sterblichen Mannes in den Asklepiossagen verewigt sind. Die beiden Söhne des Asklepios, Machaon und Podaleirios, waren wirklich Sterbliche, denn sie begleiteten das griechische Heer als Wundärzte in den trojanischen Krieg. Sollten nicht vielleicht die kleinen Klemmen und Verbandpinzetten, die von Schliemann in den Ruinen von Troja ausgegraben worden sind und sich jetzt im Museum von Konstantinopel befinden, zu ihrer Ausrüstung gehört haben? Homer erwähnt ihren Vater Asklepios in der Ilias und spricht von ihm als dem »untadeligen Arzt«. Das Traumorakel war, nach allen Autoritäten, das allgemeine Charakteristikum des Asklepioskultes. In den Träumen der Kranken kam die erhabene Gestalt des Gottes mit dem gütigen und väterlichen ') E s wird angenommen, daß Asklepios um das 13. Jahrh. v. Chr. gelebt habe. Baas, a. a. O., S. 55.



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Antlitz zu ihnen und sagte, was sie tun müßten, um gesund zu werden. In den frühesten Zeiten dieses Kults gab es keine Ärzte 1 ), aber als der Ruhm der Heilungen wuchs, erlangten die Priester mehr und mehr praktische Kenntnisse und teilten sich in zwei Hauptgruppen, von denen die eine die rein priesterlichen, die andere die ärztlichen Funktionen ausübte. Endlich entwickelte sich eine Schule von Ärzten, die Asklepiaden genannt. Unter ihrer Leitung wurden Zentren für ärztliche Belehrung gegründet, meist, aber nicht immer, mit den Tempeln verbunden. Die ärztliche Behandlung wurde systematisiert und weiter entwickelt, sie umschloß nun große und kleine Chirurgie, Hydrotherapie, Massage, Einreibungen, gymnastische Behandlung, Bäder und Hypnose. Von den Heilungen des Asklepios war die Anbetung der Schlange unzertrennlich und selbst heute noch ist die Schlange das Sinnbild der Weisheit der Ärzte 2 ). Alice Walton erörtert in interessanter Weise 3 ) die Sagen, welche von der Macht der Schlange über die Krankheiten handeln, wie beispielsweise die Geschichte von Moses und der ehernen Schlange in der Wüste. Der wesentliche Gedanke war der, daß die Geister der Toten, die den Menschen oft im Traum erschienen, die Unterwelt bewohnten. Daher war die ') Alice Walton, The Cult of Asklepios (Der AsklepiosKultus). Ph. D. Cornell, 1894, S. 67. 2 ) Ζ. Β. der Äskulapstab unserer Militärärzte. (Die Übersetzerin). 3 ) a. a. O., S. I i — 1 6 .



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Erde — der Wohnort der Toten — die Mutter der Träume. Die Schlange lebt auch in der Unterwelt und wurde mit den die Seele betreffenden Ideen verbunden und identifiziert. Je nach der Entwicklungsstufe, auf der sich die Gedankenwelt jener primitiven Menschen befand, wurde die Schlange als das Symbol der Seele, als die Seele selbst oder als Wohnsitz der Seele angesehen1). Niemand weiß, wann in Griechenland hospitalähnliche Institutionen entstanden, aber es heißt, daß 1 1 3 4 v. Chr. Asklepios - Tempel in Titanus im Peloponnes existierten. Es ist wohlbekannt, daß die Gastfreundschaft eine heilige Pflicht der Alten war und von ihnen gegenüber Fremden, Kranken und Bedürftigen in einem Umfange geübt wurde, der viele unserer heutigen öffentlichen Wohlfahrtseinrichtungen überflüssig gemacht haben würde. Das xenodochion gehörte zu den Einrichtungen Athen's und anderer griechischer Städte und gab den spätem Einrichtungen der christlichen Väter sowohl seinen Namen als seine hauptsächlichsten Umrisse. Es war ein GemeindeGast- oder -Wirtshaus für Fremde jeder Art und jeden Standes, besonders für Kranke und Arme. Es gab auch Privatverbandräume, das iatrion der griechischen Ärzte, eine Art Apotheke, wo Rat erteilt, Operationen ausgeführt und Medikamente hergestellt wurden. Hier nahmen Privatärzte oft Kranke zur Behandlung auf, aber diese kleinen Institutionen ') Über Tieranbetung s. Lang's Customs and Myths (Gebräuche und Sagen), Kap. »Fetischglaube und das Unendliche«.

Hygieia und Asklepios Aus dem Vatikan.



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hatten häufig einen schlechten Ruf. Jede große Stadt hatte außerdem ihr öffentliches iatrion, welches in manchen Fällen durch eine besondere Steuer erhalten wurde. Es ist indes kein Beweis dafür vorhanden, daß Kranke dort zur Behandlung und Pflege bleiben konnten1). Galen beschreibt sie als große Häuser mit hohen Türen, um dem Lichte soviel Eingang als möglich zu verschaffen2). Eine furchtbare Inkonsequenz befleckte indes die Gastfreundschaft der alten Griechen : nur heilbare Patienten wurden aufgenommen, die Unheilbaren ließ man auf der Straße sterben. Man glaubte, daß Geburt und Tod einen Raum verunreinigten und so durften diese zwei Ereignisse nicht in dem heiligen Bereich der AsklepiosTempel vor sich gehen. In Epidauros wurden Frauen, deren Entbindung herannahte und Patienten, mit denen es zu Ende ging, aus den Toren getragen und dort niedergelegt. Man kann nur hoffen, daß die Freundlichkeit Einzelner Wege suchte und fand, um ihnen zu helfen. Bestimmte Vorkehrungen wurden für diese Hülflosen bis zur Zeit der Antonine 138 n. Chr. nicht getroffen; erst dann wurde ein Heim für Sterbende und eine Entbindungsanstalt außerhalb des Tempelbezirks gegründet. Caton gibt in seinem Buch »Tempel und Riten des Asklepios« 3 ) einen fesselnden Bericht über die alte Behandlungsweise in Epidauros. Das abaton, eine ') Withington, a. a. O., S. 78. ) Dr. Heinrich Haeser, Geschichte Christlicher Krankeniflege u?id Pflegerschaften. Berlin,-1857, S. 96, Anm. 3 ) a. a. O., S. 9. 2



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lange jonische Säulenhalle mit zwei Abteilungen, einer für Männer und einer für Frauen, und einem doppelten, nach Süden offenen Säulengang, wie eine lange Piazza, war der Schlafraum oder Saal für die Kranken nach ihrer Ankunft, wo sie ihre wunderbaren Träume erwarteten. »Die Ruinen, welche jetzt die L a g e dieses Gebäudes bezeichnen, sind hochinteressant, denn sie stellen das früheste bekannte Muster eines Hospitalraumes dar. E r war mit Bettgestellen, Lampen, Tischen, Altären und wahrscheinlich mit Vorhängen ausgestattet ; die Patienten sorgten selbst für ihr Bettzeug 1 )« (dies ist in orientalischen Krankenhäusern jetzt noch üblich). Das abaton faßte etwa 120 Betten, und Dr. Caton vermutet, daß die großen quadratischen Baulichkeiten, die viele kleine Einzelräume (gerade von der richtigen Größe für einen Kranken) enthalten und deren Fundamente noch deutlich erkennbar sind, für verlegte Kranke oder für Genesende bestimmt waren. Die Reste dieser Gebäude weisen genug Räume auf, um 4 — 5 0 0 Kranke unterzubringen. A n den großen religiösen Festen versammelten sich Tausende, aber der größere T e i l derselben kann nicht aus Kranken bestanden haben und mag wohl in Zelten, provisorischen Gebäuden und benachbarten Dörfern untergebracht gewesen sein. Die Liste der Angestellten, welche Caton gibt, zeigt viel Ähnlichkeit mit der eines modernen Hospitals. Der Hauptbeamte (der Direktor?) war ') i b i d .



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der hiereus oder hierophant. Er war manchmal, aber nicht immer, ein Arzt. Er leitete das Ganze und nahm auch Teil an der finanziellen Verwaltung des Tempels. Dann gab es dadouchoi — Fackelträger — welche wahrscheinlich untergeordnete Priester waren ; Feuerträger, — pyrophoroi, Schlüsselträger — kleidonchoi, die später priesterliche Funktionen hatten ; weltliche Beamte, die hioromnemonen, welche für die Rezepte und Zahlungen Sorge zu tragen hatten (Schreiber und Buchhalter). Die nakoroi oder zakoroi waren eine etwas unbestimmte Klasse, über deren Pflichten wenig bekannt ist; manchmal waren sie auch Arzte. Endlich gab es Priesterinnen — die kanephoroi oder Korbträger und die arrephoroi oder Träger der Mysterien und heiligen Geräte. Alle waren unter dem Befehl des boule (Staatsrat) von Epidauros (Krankenhauskommission?). In bezug auf die Priesterinnen sagt Caton: »Fungierten diese Frauen in irgendwelcher Weise als Pflegerinnen ? Es ist möglich, aber wir haben darüber keine bestimmten Angaben.« Die Inschriften sprechen von Badewärtern und von Dienern, welche den Kranken beistanden und die zum Gehen Unfähigen trugen. Er gibt auch ein hübsches Bild von den Vorgängen in den Krankensälen. Bei der Ankunft hatte der Patient wahrscheinlich eine Besprechung mit dem Priester oder Beamten und traf Abmachungen über seine Unterkunft. Er verrichtete bestimmte religiöse Bräuche, badete in der heiligen Quelle und brachte unter der Leitung des Priesters Opfer dar. Die Armen gaben nur einen Kuchen, die Reichen fügten

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ein Schaf, ein Schwein oder eine Ziege, oder andere Geschenke hinzu. Ein kleiner Knabe bringt sein Steinchenspiel.1) Abends bringt der Patient sein Bettzeug ins abaton und geht zur Ruhe, nachdem er eine kleine Gabe auf den Tisch oder Altar niedergelegt hat. (Das Reinigungsbad, sagt Alice Walton, war von höchster Wichtigkeit, und weiße Kleider waren sowohl für Patienten wie für Priester vorgeschrieben, da einem alten Glauben zufolge weiße Kleider günstige Träume herbeiführen. Es konnten auch andere für den Kranken träumen — Freunde oder der Priester selbst.) Die nakoroi kommen, um die heiligen Lampen zu entzünden. Der Priester tritt ein und sendet das Abendgebet zu den Göttern hinauf, Hülfe für alle versammelten Kranken erflehend. Er sammelt dann die Gaben; die nakoroi kommen zurück und löschen die Lichter und befehlen Stille an, gebieten jedem, einzuschlafen und sprechen ihm die Hoffnung auf das Erscheinen des Gottes aus, der sie leiten möge. Den Inschriften nach erschien der Gott persönlich oder in Gesichten und sprach mit den Kranken über ihre Leiden. Ob diese Gesichte Halluzinationen, das Werk der Einbildung, oder ein Priester im Dämmerlicht, oder durch Opium oder sonstige traumbringende Medikamente veranlaßte Träume oder auch ein akustischer Trick waren, ist nicht festzustellen.2) Die Gegend von Epidauros war in alten Zeiten ') Walton, a. a. O. ) Caton, a. a. O., S. 28 u. 29.

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die Heimat einer A r t harmloser, jetzt verschwundener, gelber Schlangen, welche von den Menschen als Fleischwerdung des Gottes selbst angebetet wurden. Diese Reptile waren ganz zahm und gewöhnt, von den Kranken angefaßt'und mit Kuchen gefüttert zu werden. Diese sahen es als günstiges Zeichen an, wenn sich eine der Schlangen ihnen näherte. ') Die Schlangen waren abgerichtet, die kranken Teile mit ihren Zungen zu lecken, wie auch die dem Asklepios heiligen Hunde angehalten wurden, die wunden oder verletzten Glieder der Kranken zu belecken. Die Geschichte von Epidauros, wie von andern Tempeln des Asklepios ist in zahlreichen Inschriften und Tafeln erzählt, die man gefunden und übersetzt hat. Die frühesten enthalten törichte Erzählungen von Wunderkuren, später zeigt sich weniger Aberglauben und mehr Wissenschaft. S o wurde Apelles, der an schwerer Verdauungsschwäche litt, auf eine Diät von Brot und geronnener Milch, Petersilie und Salat und in Wasser gekochten Zitronen gesetzt. Ferner wurde ihm verordnet, Anfälle heftigen Zornes zu vermeiden. A l s die wissenschaftlichen Kenntnisse und vernunftgemäße Behandlung Fortschritte machten, unterhielten die Asklepiaden, schon um 770 v. Chr., eine Anzahl ärztlicher Schulen. Die Asklepiostempel mit Freistätten für die Kranken waren sehr zahlreich. Drei der berühmtesten Schulen waren die in Knidos, ') E s g a b

auch einen

Schlangenhandel,

und

der Pestilenz \vurden sie in andere L ä n d e r verkauft.

in Zeiten

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Rhodos und Kos. In K o s wurde der große Hippokrates, der Vater der Medizin, 460 Jahre v. Chr geboren. 1 ) E r gehörte zur Familie oder dem Orden der Asklepiaden und soll ein direkter Nachkomme des großen Asklepios in der sechszehnten Generation gewesen sein. Das goldene Zeitalter der Griechen, das Zeitalter des Perikles, brachte das Erscheinen eines der größten Ärzte, der jemals gelebt hat, dessen Kenntnisse in der Medizin würdig waren, neben den Errungenschaften dieser Periode in Kunst, Poesie und Staatswissenschaft genannt zu werden. Hippokrates erkannte offen die Natur und lehrte, daß Krankheit nicht das Werk von Dämonen, Geistern oder Göttern sei, sondern aus Ungehorsam gegen die Gesetze der Natur hervorgehe. E r nannte die Natur »die Gerechte« und zeigte, daß die wahre Kunst des Arztes darin bestehe, ihr bei der Vollbringung der Heilung beizustehen. Trotz seines überlegenen Geistes und einer unvergleichlichen Beobachtungsgabe und Geisteskraft blieb er doch stets bescheiden. E r hatte keine Geheimnisse und lehrte offen alles, was bis dahin eifersüchtig geheim gehalten worden war; er gestand medizinische Irrtümer ebenso offen ein, wie er die Wahrheit lehrte. ». . . E r lehnte Aberglauben und Hypothese in gleicher Weise ab und setzte die Ergebnisse tatsächlicher Beobachtung an deren Stelle.« ') S. Hippocrates and the Newly Discovered Health Temple at Cos (Hyppokrates und der neuentdeckte Gesundheitstempel in Kos) von Richard Caton, M. D. William Clowes & Sons, London 1906.



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Er besaß sehr ausgedehnte und genaue Kenntnisse auf dem gesamten Gebiet der Medizin und war Verfasser vieler Abhandlungen, sowohl medizinischer wie chirurgischer, die noch heute für klassisch gelten. Sein Hauptbegriff von der Mission der Medizin ist die Ernährung des Kranken. Die ärztliche Kunst wäre von vorn herein weder entdeckt, noch wäre nach ihr geforscht worden — denn es bedürfte ihrer durchaus nicht — wenn den kranken Menschen dieselbe Lebensweise, welche die Gesunden führen, und dieselben Lebensmittel, welche sie essen und trinken, zuträglich wären und es nichts anderes gäbe, das besser wäre als diese.1)

Seine berühmte Beschreibung des Antlitzes vor dem Tode ist zu wohlbekannt, um einer Wiederholung zu bedürfen, aber wenige Pflegende dürften wissen, wie richtig und genau er das alles geschildert hat, was sie von den Symptomen, dem Wechsel des Gesichtsausdrucks, der Veränderung der Lage, der Beobachtung der Sinnesäußerungen, der Atmung, dem Schlaf und jeder Krankheitsphase gelernt haben, oder wie sorgfaltig und modern seine Anweisungen für trockene, feuchte und heiße Packungen und alle Arten von Umschlägen sind. Über die Bäder sagt er: Wenn man nicht in jeder Beziehung richtig badet, wird man nicht geringen Schaden davon haben. . . Ferner verhalte sich der Badende ruhig, schweige still und lege nicht persönlich Hand an, sondern lasse durch dritte Personen die Güsse und ebenso das Abreiben vornehmen. Es stehe auch viel lauwarmes Wasser zur Verfügung und das Übergießen gehe rasch vor sich. An Stelle des Striegels bediene man sich der ') Aus Hippokrates, Alte Medicin, Kap. III.

übersetzt von Dr. Robert Fuchs.



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Schwämme und salbe den Körper, ehe er gar zu trocken geworden ist. Der Kopf dagegen muß möglichst trocken gemacht werden, indem er mit einem Schwämme abgerieben wird. Man erkälte sich weder die Extremitäten noch den Kopf noch sonst den Körper. 1 )

Uber Verbände sagt er: E s gibt zwei Arten von Verbänden, den angelegten und den anzulegenden. Den anzulegenden (lege man) rasch, schmerzlos, leicht und gefällig an, rasch, das betrifft die Ausführung der Verrichtungen, schmerzlos, d. h. es mühelos machen, leicht, d. h. zu allem bereit, gefällig, d. h. so, daß es dem Auge einen schönen Anblick bietet. Der angelegte Verband hingegen (sei) gut und schön (angelegt); die Verbandstücke müssen rein, leicht, weich und fein sein. 2 )

Eines der vollkommensten Beispiele seiner Lehren findet sich in folgendem Ratschlag, welcher leider oft vernachlässigt wird: Den höchsten Wert aber muß man in der ganzen Kunst darauf legen, daß man den Kranken gesund macht. Kann man ihn auf viele Arten gesund machen, so muß man die am wenigsten umständliche wählen. 3 )

Es ist an dieser Stelle unmöglich, auch nur einen Umriß von dem Leben und den Werken dieses großen ärztlichen Lehrers zu geben. Der Zweck unseres Buches erlaubt nur, wenige Einzelheiten seiner Lehren anzuführen, die mit der praktischen Krankenpflege in engstem Zusammenhang stehen. Er stellte die Regel auf, daß bei Fieber nur flüssige Nahrung gereicht werden sollte und riet für hohe Temperaturen kalte Waschungen an. Er erlaubte seinen Fieber') a. a. O. Die Diät bei akuten Krankheiten, Kap. LXV. ) a. a. O. Die ärztliche Werkstätte, Kap. V I I u. X. 3 ) a. a. O. Die Einrichtung der Gelenke, Kap. L X X V I I I . 2

E i n e W i e d e r h e r s t e l l u n g des I n n e r n vom A b a t o n in E p i d a u r o s . Ein opfernder Kranker, dessen verletztes Bein von der heiligen S c h l a n g e geleckt wird. Aus The

Temple

and

KituiiÎ

f Asklepios.

Mit K r l a u b n i s von R i c h a r d C a t o n , M. D .







kranken reichlich Gerstenwasser und kalte, säuerliche Getränke. Für akute Mandelentzündung verordnete er heiße Bähungen und heißes Gurgeln, Abführmittel und kühle Getränke. Für Kolik gab er warme Einläufe und warme'Bäder, heiße Packungen, Abführmittel und schmerzstillende Arzneien. Seine mitfühlende Natur zeigt sich in seinen Anweisungen, die Kranken bei Untersuchungen und Operationen niemals unnötig zu entblößen. Es ist sehr schade, daß in den Schriften dieses Meisters der ärztlichen Kunst kein direkter Hinweis auf Pflegende und ihre Tätigkeit gegeben ist. Er sagt allerdings, daß der Gehülfe der Mitarbeiter des Arztes sei, aber eine Abhandlung von ihm über die Pflege als solche ist nicht überliefert. Daß er indes alle ihre Grundlagen gelehrt haben muß, ist aus seinen eigenen Schriften und denen späterer Ärzte ersichtlich, die vor 2000 und mehr Jahren augenscheinlich mit jeder Einzelheit guter Pflege vertraut waren. Ein deutscher Schriftsteller hat kürzlich alle Lehren griechischer Ärzte über die Krankenpflege gesammelt 1 ). So spricht Aretaeus, ein kappadokischer Arzt, der sich um 100 v. Chr. eines guten Rufes erfreute, von der Notwendigkeit peinlicher Sauberkeit. Die Bettücher müßten immer rein sein, da sie in unsauberem Zustande Wundwerden verursachen. Für feuchte Haut sei Puder anzuwenden uud der Mund müsse beständig gespült ') Dr. med. M. Brenning: Ausländische Krankenpflege. Zeitschr. für Krcmkenfiflege, Berlin 1905, in zwei Teilen, S. 53—57, 102—107, der wir unsere Mitteilungen entnehmen, geht auf diese Einzelheiten ein. N u t t i n g u. D o c k , Geschichte der Krankenpflegej B d . I.

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werden, sowohl, um ihn sauber zu halten als um die Kranken, die nicht trinken dürfen, zu erfrischen. Aretaeus verwandte viel Nachdenken auf das Bett : »Die A r t des Bettes und seine Stellung sind sehr wichtig. E s muß fest sein, nicht zu groß und breit. Für Patienten mit Lungenblutungen darf es nicht zu weich und warm sein, während es für Tetanus und Nierenleiden weich, warm und durchaus faltenlos sein muß. Der Kranke, der nicht viel sprechen darf, muß hoch liegen. Die Decken müssen leicht und aus altem, weichem Stoff gemacht sein. Erregbare Kranke müssen ungemusterte Decken haben, da sie durch Flecken und Zeichnungen beunruhigt werden. Das Licht muß der Krankheit entsprechend geregelt werden; lethargische Kranke müssen helles Licht haben.« Celsus (geb. 50 v. Chr.) spricht auch viel über die richtige Bekleidung. Fieberpatienten sind leicht zu bedecken; ebenso die mit Herzleiden oder Atembeschwerden. Nierenkranke sollen warm gekleidet sein. Alle alten Schriftsteller hatten viel über das Krankenzimmer zu sagen. Für Fieber mußte der Raum groß und luftig sein, mit reichlich frischer Luft. Herzkranke und solche mit Atembeschwerden sollen in kühlem Räume mit offenen Fenstern behandelt werden. Für erregbare Kranke empfiehlt sich ein ziemlich kleiner Raum, kühl und feucht im Sommer, warm im Winter, mit glatten einfarbigen Wänden. Malereien oder Bilder sind nicht erlaubt, weil die Kranken im Delirium erregt werden, aus dem Bett springen und nach ihnen greifen. Der Nahrungsfrage wird große Aufmerksamkeit geschenkt.

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Besonders eingehend spricht Celsus über diesen Gegenstand. Fieberkranke durften zuerst nichts Festes bekommen und mußten genug trinken, um nicht durstig zu sein, jedoch nicht zu viel. Er gibt genaue Vorschriften für Kinder und alte Leute und bestimmt den Zeitpunkt nach dem Fieber, von dem an wieder feste Nahrung angeraten werden kann. Auch die Verteilung der Mahlzeiten ist wichtig. Während und nach der Essenszeit muß vollkommene Ruhe herrschen und der Kranke soll keine beunruhigenden Neuigkeiten hören. Wenn es nötig ist, daß ihm etwas Unangenehmes mitgeteilt wird, muß er es nach einem auf die Mahlzeit folgenden Schlummer hören. Fieberkranke dürfen nur eine Art Speise auf einmal haben, da sie diese leichter verdauen als mehrere Arten. Herzkranke müssen nur die leichtesten Speisen in kleinen Mengen regelmäßig T a g und Nacht erhalten. Schwindsüchtige müssen viel Milch trinken. Kranke mit Verdauungsschwäche müssen Wein und gewürzte Speisen meiden. Bei Nierenleiden muß der Kranke viel trinken, darf aber keine kalten oder gewürzten Speisen oder Getränke genießen. Viele Ärzte beschränken die Nierenleidenden auf Milchkost. Aretaeus gibt viele Anweisungen für das Füttern Geisteskranker und Gelähmter. Für die letzteren rät er, einen langen Löffel über die Epiglottis zu legen. Geisteskranke, welche die Nahrungsaufnahme verweigerten, wurden oft zwischen zwei Genesende gesetzt, welche aßen, und so zum Essen angeregt. Neben Anweisungen über die Art und Menge der Speisen, ihre Temperatur und die geeigneten Tageszeiten rät er, auf das zu 6*

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achten, was der Kranke selbst bevorzugt. Rufus 1 ) ist der Meinung, daß der Arzt stets sorgfältig den Geschmack der Kranken beachten solle, weil ungewohnte Speisen mehr schaden wie solche, an die der Kranke gewöhnt ist und diejenigen, die in einer dem Kranken angenehmen Weise zubereitet sind, besser verdaut werden als diejenigen, welche er nicht mag. Für die Linderung von Schmerzen waren warme Bäder, Bähungen, Blasen mit heißem Wasser, Breiumschläge, leichte Massage und viele Pflaster und Salben in Gebrauch. Um die Nervösen zu beruhigen, wurde das Bett wie eine Wiege aufgehängt und geschaukelt oder die Kranken wurden in die Nähe einer Quelle gebracht. Wohlriechende Essenzen wurden dem Patienten auf Gesicht und Füße gerieben, sein Kopf wurde gestrichen, oder er wurde sanft an den Schläfen und um die Ohren gekraut. Musik wurde auch zum Besänftigen und Einlullen angewendet. Musik und sanftes Schaukeln wurden für nervöse und reizbare Kranke sehr geschätzt. Melancholische ließ man Musik und heitere, unterhaltende Erzählungen anhören. Geisteskranke wurden beschäftigt, ihre Arbeit anerkannt und oft gelobt. Nach gründlichem Abführen erhielten sie eine leichte Diät und wurden oft massiert. Wechsel der Umgebung und Reisen wurden ihnen empfohlen und ihre Freunde durften in ihrer Gegenwart nicht von etwas Unangenehmem sprechen. F ü r Epileptische wurden laftge Spaziergänge auf waldigen Pfaden verordnet und für Herzkranke wurde geraten,. ') Von 98—117 v. Chr.

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sie auf grüne Felder blicken zu lassen oder durch Blumen, Gemälde und den Anblick von Wasser zu erheitern. Diese Lehren zeigen uns, daß neben der Verabreichung von Arzneien die Pflege und Sorge für die Kranken' von den alten Griechen in einer Weise verstanden wurde, die heute kaum vervollkommnet werden kann '). Nach Whitington übten die Frauen in der Helden zeit Griechenlands förmlich eine kleine ärztliche Praxis unter ihrem eignen Geschlecht aus und Baas sagt: »Die Frauen taten zweifellos in Griechenland wie in allen andern Ländern viel edle, wenn auch unbeachtete, Werke als Pflegerinnen« 2 ). Die Ilias enthält gelegentliche Hinweise, welche Licht auf die medizinischen Kenntnisse der Frauen werfen, so ζ. B. die Zeilen über Agamedea, die Blondhaarige, » die alle Heilmittel kannte, so viele auch die Erde nährt«. In den klassischen Tagen Griechenlands war das Reich der Frau eng auf den Haushalt beschränkt, wobei auch die Pflege der kranken Sklaven zu den Pflichten der Herrin des Hauses gehörte. ') Alles dem vorgenannten Artikel von Brenning entnommen. 2 ) a. a. 0., S. 80.

Kapitel IX.

ROM. Das alte Rom ist im Vergleich zum klassischen Griechenland und dem ehrwürdigen Ägypten und Indien jung und modern. Seine früheste bekannte Geschichte begann erst zu der Zeit, als die Asklepiaden schon Medizin-Schulen gegründet hatten und als Kurorte über ganz Griechenland eingerichtet waren. Die Römer entwickelten weder eine Religion, ein medizinisches System noch eine Kunst aus sich selbst, sondern entlehnten in starkem Maße von andern Völkern und am reichlichsten von den Griechen. Griechische Arzte führten die medizinische Wissenschaft in Rom ein, bauten Tempel und waren lange Zeit die einzigen Sachkundigen dort. Obgleich gemutmaßt wird, daß dieEtrusker in ferner Vergangenheit medizinische Kenntnisse und Hospitäler besaßen, ist zu wenig Bestimmtes von · diesem sagenhaften Volke bekannt, als daß wir in dieser Beziehung zu einer Gewißheit gelangen könnten. Die frühesten Kenntnisse von dem Gebrauch der Kräuter und dem Brauen von Heiltränken kamen nach Rom durch die Männer

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aus den Abbruzzen und von den Ufern des Fucinosees '), die ohne Zweifel diese einfachen Künste von ihren Großmüttern gelernt hatten. Die Herrschaft der Malaria, sagt Lanciani, begann mit dem Aufhören der vulkanischen Tätigkeit im alten Latium und die Römer bauten Altäre für die Göttin des Fiebers und des bösen Blicks; für Cloacina (die Göttin des Typhus?) und Verumnus, den Gott der Mikroben· Nach den Vorschriften des Numa waren Friede und Wohlwollen der Götter die einzigen Heilund Hülfsmittel, durch welche verlorne Gesundheit wieder erlangt werden konnte. In Zeiten der Pestilenz wurden dem Apollo Tempel gebaut, von denen einer in der Nähe des Marcellustheaters und ein anderer nahe dem Palast Barberini gelegen war. Die Einführung der medizinischen Wissenschaft bei den Römern durch die Griechen erfolgte zu irgend einer Zeit im dritten Jahrhundert v. Chr., als eine schreckliche Pestilenz die Stadt verheerte. In der Verzweiflung befragten die Römer die sybillinischen Bücher, die einzige ihnen bekannte Quelle der Weisheit, und das Orakel antwortete, daß Asklepios von Griechenland nach Rom gebracht werden müsse. Die Sage geht, daß sofort eine Galeere abgesandt und eine der heiligen Schlangen zurückgebracht wurde. Als die Galeere den Tiber herauffuhr, schlüpfte die Schlange heraus auf das kleine Eiland im Fluß, das im Herzen ') Rodolfo Lanciani, Ancient Rome in the Light of Recent Excavations (Das alte Rom im Lichte der neuesten Ausgrabungen). Houghton, Mifflin, Co., Boston 1889. Kapitel » Sanitary Conditions of Ancient Rome « (Sanitäre Verhältnisse des alten Rom). S. 49—73.



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der Stadt liegt. Es wurde als der göttlich auserwählte Ort angesehen und dem Asklepios, oder wie die Römer ihn nannten, Äskulapius dort ein Tempel errichtet. Da die griechischen Ärzte zu dieser Zeit die erleuchteten medizinischen Vorschriften des Hippokrates und seiner Nachfolger lehrten, müssen wir hoffen, daß ein Stab von Ärzten die Schlange begleitete; es erscheint möglich, daß dies der Fall war und daß dort ein Lehrzentrum entstand, denn Lanciani sagt: »Die Insel wurde die größte sanitäre Institution der Hauptstadt und ist stets seitdem Hospitalzwecken gewidmet gewesen. Das jetzige Hospital San Giovanni di Calabita steht nahe bei dem Platz des alten Äskulap-Tempels «. Vielleicht besänftigte die Anmut des griechischen Geistes ein wenig den strengen und praktischen Charakter der alten Römer. Jedenfalls ist das Bild, welches Walter Pater in »Marius the Epicurean» (Marius der Epikuräer) von dem Einfluß des neuen Kultes gibt, ein bezauberndes. Marius wurde als junger Mann in den Tempel des Äskulapius gebracht, der zwischen den Hügeln von Etrurien lag, um, wie es damals üblich war, dort von einer Krankheit des Knabenalters geheilt zu werden. Die Religion des Äskulapius war zwar von den Griechen entlehnt, aber im alten republikanischen Rom eingebürgert und hatte unter den Antoninen die Höhe ihrer Popularität in der ganzen römischen Welt erlangt . . . Salus, die Erlösung, hatte für die Römer die Bedeutung von körperlicher Gesundheit erlangt. · Fast wäre damals die Religion des Gottes der körperlichen Gesundheit, Salvator, wie er ausschließlich genannt wurde, die herrschende Religion geworden, denn dieser milde und menschenfreundlicher Sohn

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des Apollo schien alle andern heidnischen Gottheiten überlebt oder, in sich vereinigt zu haben.

Der Apparat der medi-

zinischen Kunst, die heilsamen Mineralien und Kräuter, Diät und Enthaltsamkeit

und alle die verschiedenartigen

hatten allmählich eine Art

sakramentalen Charakters

Bäder ange-

nommen ; so stark lebte in den ernsteren Gemütern das Gefühl für den durch körperliche Gesundheit bedingten

mora-

lischen und geistigen Gewinn, ganz abgesehen von dem offensichtlichen physischen Vorteil, den sie gewährte ; in diesem Falle wurde dann der Körper wahrlich nur eine stille Dienerin der Seele.

Die Priesterschaft oder »Familie« des Äskulapius,

ein großes Kollegium, das man im Besitze gewisser kostbarer medizinischer Geheimnisse glaubte, kam vielleicht von allen Institutionen der heidnischen Welt schaft am nächsten.

der christlichen Priester-

Manche Tempel des Gottes waren auch,

durch die während Jahrhunderten von feinfühligen Gläubigen dargebrachten

Dankopfer

Art Krankenhaus,

reich

geworden,

tatsächlich

eine

und wurden aus der Überzeugung heraus

verwaltet, daß ein der Linderung fremder Leiden gewidmetes Leben fromm, heilig und glückselig sei.

Als Marius auf die Aufforderung eines der »weißgekleideten Brüder« hin im Tempelgarten wandelt, zeigt ihm sein Führer in der Entfernung die »Häuser für Geburt und Tod, errichtet zur Aufnahme von Frauen, die bald Mütter werden sollten und von Menschen, welche dem Tode nahe waren, da den damaligen Anschauungen gemäß keines dieser Vorkommnisse den eigentlichen Bereich des Heiligtums beflecken durfte«1). Später, als er den Tempel selbst besuchte, r) Marius the Epicurean (Marius, der Epikuräer) von Walter Pater. Macmillan Co., New York und London, 1896. S. 24. 25.



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klopfte ihm das Herz, als sich die verfeinerte, geschmackvolle

Pracht

des Ortes

plötzlich

vor

ihm

auftat, von

der

Morgensonne umflutet, mit hier und da brennenden heiligen Lichtern und mit einem eigenen Gepräge heiliger Ordnung, einer überraschenden

Sauberkeit und Einfachheit.

Priester,

Männer, deren Antlitz das deutliche Gepräge geistiger Bildung trug, glitten, jeder von seiner kleinen Gruppe von Gehülfen begleitet, umher . . . wie ihr heiliger Dienst es verlangte. . . Im Mittelpunkt . . . .

stand das Bild

des Äskulapius

selbst,

nicht das eines alten und verschlagenen Arztes, sondern das eines ernsten und starken Jünglings, der in der einen Hand eine Ampulla oder Flasche, in der andern einen Pilgerstab trug, ein Pilger unter pilgernden Verehrern.

Einer der Priester er-

klärte Marius diese Pilgertracht: eine Hauptquelle der Heilkunde des Meisters war die Beobachtung der Heilmittel, zu welchen die Tiere in Krankheit und Schmerzen ihre Zuflucht nehmen — welche Blätter oder Beeren ζ. B. die Eidechse oder Haselmaus ihren verwundeten Gefährten auflegten; zu diesem Zwecke hatte er lange Jahre hindurch ein Wanderleben in der Wüste geführt ').

Von ungeheurer Bedeutung für die Verhütung von Fiebern und für die allgemeine Beeinflussung des öffentlichen Gesundheitszustandes waren, wie Lanciani nachweist, die Wunderwerke der römischen Ingenieure, nämlich Abzüge, Aquaedukte, gute Wege, die Entwässerung und Bebauung der Campagna und nicht zuletzt ordentliche Begräbnisplätze, denn die alten waren über alle Begriffe schrecklich gewesen. Schließlich wurde die ärztliche Hilfe systematisch organisiert. Julius Cäsar war der erste Staatsmann, der das Studium der Hygiene ehrte, indem er die Lehrer derselben als Professoren der freien Künste ])

ibid. S. 27 und 28.

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anerkannte und ihnen das Bürgerrecht verlieh. Nero ordnete den medizinischen Dienst der Stadt Rom und ernannte einen Oberaufseherder Hofärzte. Medizinschulen wurden errichtet und die Studenten schlossen sich zu Korporationen zusammen '). Die praktische Kenntnis der Medizin und Chirurgie wurde auch unter den Sklaven der reichen Patrizierfamilien gepflegt, von denen sich manche große Geschicklichkeit erwarben und oft aus Dankbarkeit und in Anerkennung ihrer Dienste freigelassen wurden. Es wird erwähnt, daß Augustinus durch seinen Freigelassenen mit Bähungen und kalten Umschlägen geheilt wurde. Massage und Bäder erreichten bei den Römern einen hohen Grad der Vervollkommnung, wie dies schon unter den Griechen in Verbindung mit einer athletischen Ausbildung des Körpers der Fall gewesen war, und auch die Sorge für den erkrankten Körper wurde ebenso hoch entwickelt wie in Griechenland. Abreibungen und Waschungen, warme und kalte Bäder aus Gründen der Reinlichkeit und zu therapeutischen Zwecken, Dampf, Öl, heißer Sand, Dampfkästen und Sitzbäder waren gebräuchlich 2 ) und es gab einen Stand beruflicher Masseure, die iatraleptae3). Den Soldaten wurde die beste Fürsorge und Pflege, die man damals kannte, zu teil. Haeser erzählt, daß zu Fabius' Zeiten die verwundeten Soldaten in Privat') Lanciarli, a. a. O., S. 64—72. ) Brenning, a. a. O., S. 102. 3 ) Anna Emilie Hamilton, M. D., Conside'rations sur les Infirmieres des Hôpitaux (Betrachtungen über die Hospitalpflegerinnen). Montpellier 1900. 2



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häusern untergebracht wurden. Später wurden sie in Krankheitsfallen in Zelten oder besondern Gebäuden versorgt und »von Frauen und alten Männern von makellosem Charakter« gepflegt '). Noch später gab es militärische Hospitäler, valetudinaria genannt und eine Klasse von Ordonnanzen als Pfleger, die nosocomi. Privatpersonen unterhielten gleichfalls ähnliche Einrichtungen für ihre Sklaven, wo diese oft von den Herren selbst behandelt wurden. Sehr interessante Uberreste eines solchen (militärischen?) Hospitals sind kürzlich durch Ausgrabungen in der Nähe von Baden in der Schweiz zu Tage gekommen. Es war in vierzehn Räume eingeteilt und die Zahl und Art der gefundenen Geräte zeigen, daß die Technik der Krankenpflege viel entwickelter gewesen sein muß, als man bisher vermutete 2 ). Es waren Einnehmeschalen, Maßgefaße für Arzneien, Salbentöpfe, Injektionsspritzen, Becken, Badewannen, Schröpfköpfe und sogar Metallkatheter in Gebrauch 3 ). Eine ebenso interessante Entdeckung wurde in Pompeji gemacht und 1880 von Dr. Dake 4 ) beschrieben, der folgendes von seinem Besuch erzählt: Während ich das große Museum in Neapel besichtigte, wurde meine Aufmerksamkeit durch eine Sammlung von ') ibid. Dr. Paul Jacobsohn, Beiträge zur Geschichte des Krankencomforts. Deutsche Krankenpflege-Zeitung. 1898, S. 141. 3) Brenning, a. a. O. 4) Remains of a Hospital in Pompeji (Uberreste eines Hospitals in Pompeji) von J. P. Dake, M. D. In The Medical Counsellor (der ärztliche Ratgeber), Mai 1880. 2)



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chirurgischen Instrumenten gefesselt, welche aus Seziermessern, Schabeisen, Hebern, Zangen, Bohrern und einem gut gearbeiteten Vaginal-Speculum bestand. Die angehängte Karte besagte, daß dies alles aus Pompeji stamme. Später, als ich die freigelegten Gebäude der alten Stadt durchforschte, fragte ich den Führer, ob er mir den Platz zeigen könne, wo die Instrumente gefunden wurden. E r antwortete sofort, daß sie alle aus einem Gebäude stammten. Wir hatten manche vielbegangene Straßen durchschritten und viele interessante Gegenstände gesehen, als unser Führer uns durch einen weiten Torweg in einen großen Raum wies und sagte: »Ich will Ihnen jetzt den Platz zeigen, wo die Instrumente gefunden wurden«. Der große Raum erstreckte sich von der Straße aus über die ganze Tiefe des Gebäudes ; auf der rechten Seite, etwa in der Mitte zwischen E i n g a n g und Hintergrund, zweigte sich im rechten Winkel eine Halle ab, die auf jeder Seite eine Anzahl kleiner Räume enthielt. Im ersten Räume auf der linken Seite des Ganges wurden die Instrumente alle an einer Stelle gefunden. Das Betrachten der Örtlichkeit machte es mir ganz klar, daß wir in einem wirklichen Hospital waren, aber es waren keine Anzeichen vorhanden, die erkennen ließen, ob es sich um ein öffentliches oder privates Krankenhaus handle — ob es durch die Wohltätigkeit vieler errichtet oder eine private taberna war.

Die von den Griechen eingeführten tabernae oder Kliniken glichen mehr Apotheken als Hospitälern, aber bei der Ausdehnung dieses Gebäudes drängt sich die Wahrscheinlichkeit auf, daß hier operiert und Kranke wenigstens zeitweise aufgenommen wurden. Lanciani schreibt dem Einflüsse des Christentums die Organisation des ersten öffentlichen Hilfsdienstes unter Antonius Pius zu, der die zwangsweise und unentgeltliche ärztliche Fürsorge für Arme vorsah. Sie wurde in jeder Stadt durch vom Stadtrate ge-

— 94 — wählte und von den Familienhäuptern bestätigte ärztliche Leiter geordnet. Aber freie oder allgemeine Hospitäler waren, selbst in rudimentärer Form, nicht viel vor dem 3. Jahrhundert der christlichen Ä r a in Rom bekannt '). Die alten Römer waren nicht weichherzig wie die Buddhisten, nicht heiter und gütig wie die Griechen oder gewissenhaft wohltätig wie die Juden. Eine kriegerische Zivilisation zeichnet sich nie durch den Kultus der Menschlichkeit aus und im militärischen, kaiserlichen R o m fehlte das Mitleid oder wenigstens die Einbildungskraft, die das Mitleid erweckt. L e c k y erinnert indes daran, wie ungerecht es ist, die heidnische Gesellschaft nur nach einem Vergleich mit der christlichen und gar nur nach einem bloßen Nebeneinanderstellen der beiderseitigen Wohlfahrtseinrichtungen zu beurteilen, da viele Schriftsteller die Neigung hatten, nur die scheußlichsten Tatsachen aus dem Heidentum zu berichten und die milderen Züge zu übersehen 2 ). E r weist auf die Tatsache hin, daß sowohl das alte Griechenland, wie Rom von dem Aberglauben der dämonischen Besessenheit frei waren, welcher für die Kranken und Irren in andern Perioden der Weltgeschichte so viel Elend umschloß. »Ein Dämon war in der Philosophie des Plato, wenn auch von untergeordneter Bedeutung im Vergleich mit einer Gottheit, doch kein böser Geist« und es ist »außerordentlich zweifelhaft, ob die Existenz von bösen ') Lanciani, a. a. O., S. 68. ) Lecky, a. a. O., Bd. I, S. 73.

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Geistern den Griechen oder Römern bis etwa um die Zeit Christi überhaupt bekannt war« '). Der Glaube an böse Geister kam tatsächlich aus Assyrien und Babylonien. Lecky erwähnt ferner, daß die Unterstützung der Armèn aus öffentlichen Mitteln im alten Griechenland und Rom immer als eine wichtige Pflicht des Staates betrachtet wurde und führt viele römische Wohltätigkeitspflichten an, nämlich die Versorgung armer Kinder und bedürftiger junger Mädchen und die Verteilung von Arzneien an arme Kranke. Er nennt Epaminondas, der Gefangene loskaufte und mittellose Mädchen ausstattete, und Cimon, der die Hungrigen nährte und die Nackten bekleidete und erinnert daran, einen wie unzulänglichen Begriff von moderner Menschenliebe und Wohltätigkeit man erhalten würde, wenn man ihn lediglich aus modernen Memoiren und Gedichten schöpfen wollte. Die erleuchtetsten Prinzipien echter, auf Gerechtigkeit basierender Hülfsbereitschaft wurden von Cicero ausgesprochen, der sagt: »Wir müssen dafür Sorge tragen, daß unsere Freigiebigkeit ein wirklicher Segen für die wird, denen wir helfen ; daß sie nicht unsere Mittel übersteigt; daß sie nicht aus der Beraubung anderer herrührt; daß sie dem Herzen und nicht der Prahlerei entspringt; daß wir die Ansprüche der Dankbarkeit und Gerechtigkeit eher berücksichtigen als die des bloßen Mitleids und daß dem Charakter und den Bedürfnissen des Empfängers die gehörige

') ibid. Bd. I., S. 380.

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Beachtung geschenkt wird « '). Nichtsdestoweniger fallt der Ruf des alten Rom, das auf Sklaverei und Militarismus gegründet war, gegen andere vorchristliche Völker ab, was Medizin, Krankenpflege und Menschlichkeit im allgemeinen betrifft. ') Lecky, a. a. O., Bd. I., S. 79.

ZWEITER TEIL. VOM ERSTEN BIS ZUM SCHLUSS DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS.

N u t t i n g u. D o c k , Geschichte der Krankenpflege. Bd. I.

7

Kapitel I.

W E I B L I C H E B E T Ä T I G U N G ZUR ZEIT ERSTEN

DER

CHRISTEN.

Die historischen Bindeglieder zwischen den Pflegenden der vorchristlichen Kultur und denen unserer eigenen fehlen zwar, aber seit den Tagen der ersten christlichen Betätigung gibt es bis auf heute, also durch nahezu 2000 Jahre, eine ununterbrochene Folge von Berichten. Die wunderbare Regsamkeit der ersten Christengemeinden in der Ausübung von Werken der Liebe und Barmherzigkeit zog Tausende von Frauen und Männern in ihren Strom, die voller Eifer dem Rufe eines der größten Lehrer folgten und fürderhin den Zweck ihres Lebens nur darin erblickten, in ihrem ganzen Tun die Liebe zu beweisen, die das Antlitz der Erde für sie völlig verändert hatte. Der große Anteil der Frauen an dieser Bewegung war ebenso auffällig wie bedeutungsvoll. Es ist jedoch ein Irrtum anzunehmen, wie dies viele evangelische Schriftsteller tun, daß das Christentum die Stellung der Frau in auffallendem Maße oder gar für alle Zeiten gehoben habe. Manche dieser Historiker gehen zu weit mit ihrer Lobpreisung der Vorteile, die das Christentum 7*



ΙΟΟ —

den Frauen verliehen habe. Sie sahen beim Heidentum nur die schlimmsten und entwürdigendsten Zustände und verglichen nur diese mit den gerechten und erhabenen Lehren Christi. Tatsächlich war die gesetzliche und gesellschaftliche Stellung der Frau unter den alten Religionen nicht immer eine tiefe und unter der neuen nicht immer eine hohe. Sie hat ihren Kreislauf gehabt wie alle andern gesellschaftlichen Erscheinungen. Während sie heutzutage bei den Völkern des Ostens eine dienstbare ist, war das doch augenscheinlich nicht immer, wenigstens nicht in Ägypten und Indien, der Fall. Man kann sich auch die edlen Frauensgestalten des Alten und Neuen Testaments nicht vorstellen, ohne sich zugleich die Hochachtung zu vergegenwärtigen, welche die Juden ihren Frauen zollten. Ebenso war die Stellung der Frau bekanntlich bei den alten nördlichen und westlichen Völkern bemerkenswert günstig. Sie wurden wirklich mit Verehrung angesehen und nahmen an den Versammlungen und Beratungen der Männer teil. »In den Gesängen der Edda werden nicht nur die Göttinnen als gleichberechtigt mit den Göttern in einem Saal sitzend dargestellt, sondern sie nehmen auch an den Ratssitzungen teil und sprechen ihre Meinung aus, der man mit Achtung lauscht. Die Gallier und Germanen glaubten, daß die Frauen etwas Göttliches ili ihrem Charakter besäßen und daß sie mit den Göttern leichter in Verbindung träten wie die Männer« '). ') Thomas Wright, Womankind of All Ages in Eurofie (Die Frauen aller Zeitalter in Westeuropa). 1869, S. 27—37.

Western London

ΙΟΙ

Der Rat der Frauen wurde hochgeehrt, weil man glaubte, daß in ihnen etwas Göttliches und Prophetisches wohne. »Dieselben Germanen, die das Weltreich zertrümmerten und kaum wußten, was Gehorsam sei, beugten willig den stolzen Nacken vor dem Weibe. Das Weib stand bei den Germanen als etwas geheiligtes vor dem Manne; es war das geheiligte Geschlecht, von dem man glaubte, daß es in näherer Verbindung zu der Gottheit stehe« Diese nordischen Frauen, deren Stellung eine so hohe war, sind sowohl die Arzte und Wundärzte ihrer Stämme, wie auch deren Pflegerinnen gewesen. Fort sagt, daß in alten Zeiten die weiblichen Druiden und die Frauen nordischer Fürsten einen verdienten Ruf wegen ihres ärztlichen Geschicks genossen 2). Die dem mystischen Dienst der nordischen Gottheiten geweihten Priesterinnen standen im Rufe, ärztliche Kenntnisse zur Heilung von sonst hoffnungslosen Krankheiten zu besitzen. Man wallfahrtete zu den Gräbern skandinavischer Frauen, die ihrer Heilkunst wegen berühmt waren, wie man später zu den Gräbern von ärztlichen und pflegenden Heiligen wanderte. Die Frauen der alten Germanen zeichneten Th. Schäfer, Die iveibliche Diakonie, in ihrem ganzen Umfang dargestellt. 3 Bde. Stuttgart 1887. Bd. I S. 271. Aus ältern Quellen zitiert, wie auch : »Das alte deutsche Wort für Frau, das jetzt abgekommen ist, lebt nur noch in einer undeutlichen Form in dem englischen »queen« (Königin) fort. 2 ) Geo. F. Fort, M. D., History of Medical Economy during the Middle Ages, (Geschichte der ärztlichen Wirtschaftslehre im Mittelalter). Quaritch, London, 1883, Kap. IV.



I02



sich durch ärztliches Geschick und Erfahrung in der Geburtshülfe und Tierarzneikunde aus. Die Erzählung des Tacitus von der Hülfe, welche die germanischen Frauen beim Verbinden verwundeter Krieger leisteten, wird in jeder Geschichte der Medizin erwähnt. Die Ansicht einiger moderner medizinischer Schriftsteller, daß die A u s ü b u n g der Heilkunst den Frauen überlassen wurde, weil man sie für der Männer unwürdig ansah, scheint nicht sehr stichhaltig in Anbetracht der großen Bedeutung, welche man der Gesundheit beimaß. Ohne Zweifel wurden im klassischen Griechenland die Frauen von der Öffentlichkeit ausgeschlossen und wie Kinder behandelt. Dies scheint zur Zeit Homers nicht der Fall gewesen zu sein und in Rom nahmen die Frauen der Patrizierfamilien eine außerordentlich hohe gesellschaftliche Stellung ein. W e n n auch das strenge römische Gesetzbuch die verheiratete Frau zum absoluten Eigentum ihres Gatten stempelte, m u ß man gerechter Weise doch bedenken, daß ähnliche Bestimmungen auch die modernen Gesetzbücher noch entstellen, und daß die römische Dame seit den punischen Kriegen infolge des allmählichen Fallenlassens deraltenväterlichenGewaltund des ausgedehnten Gebrauchs des freien Ehevertrages, welche der Matrone ihren eigenen Namen, ihre gesetzliche Unabhängigkeit und die V e r f ü g u n g über ihr eigenes Vermögen ließ, wirklich eine Stellung von großer Freiheit und W ü r d e inne hatte. »Der römischen Matrone war seit der ältesten Zeit durch die Familien-Religion eine würdige und geachtete Stellung gesichert . . . In den ersten

— I03 — Zeiten des römischen Kaiserreiches wurde sowohl ihre gesetzliche wie ihre tatsächliche Stellung gehoben. Sie trat mehr und mehr neben ihren Gatten und wurde seine Genossin, und ihr Einfluß machte sich auch in den öffentlichen Angelegenheiten geltend« 1 ). Unter dem alten Ehegesetz ging die höchste Gewalt des Vaters über das Kind vom Vater auf den Gatten über. Aber das römische Reich erkannte in seinem Rechte zwei verschiedene Heiratsformen an : die strenge, welche in der Republik als die ehrenhafteste angesehen wurde und dieFrau zum Eigentum des Gatten machte und die des persönlichen Kontraktes, oder die freie Ehe, welche eine gleichberechtigende Genossenschaft war und der Frau eine Stellung von gesellschaftlicher Bedeutung und gesetzlicher Unabhängigkeit inbezug auf die Verfügung über ihr persönliches Eigentum sicherte 2 ). Lecky sagt: »In der ganzen feudalen Gesetzgebung wurden die Frauen in eine viel niedrigere gesetzliche Stellung gerückt als unter der des heidnischen Reiches. Überall wo das Erbrecht die Grundlage der Gesetzgebung war, haben die Bestimmungen über die Erbfolge das Interesse der Frauen und Töchter geopfert« 3 ). Man kann daher unmöglich den allgemeinen Anspruch erheben, daß die Kirche die Stellung der ') Samuel Dill, Roman Society in the Last Century of the Western Empire (Die römische Gesellschaft im letzten Jahrhundert des weströmischen Reiches). London 1898. Buch II. S. 137—138. 2 ) Lecky, a. a O. Bd. II. S. 304—306. 3 ) ibid. Bd II. S. 339.

— I04 — Frauen wesentlich verbessert habe; aber der erhebliche und unschätzbare Dienst, welchen sie ihnen leistete, bestand darin, daß sie die Möglichkeit zu nützlicher sozialer Betätigung namentlich für die unverheiratete Frau in ungeheurer Weise vermehrte. Bis dahin bestand die allgemeine Ansicht, daß es, mit Ausnahme einiger anerkannter begrenzter Kasten, wie die der Priesterinnen und Tempelfrauen oder der vestalischen Jungfrauen, für die Frau keine anständige Stellung oder Würde außerhalb der Ehe gäbe. Der Beginn unserer Ära zerstörte diese Auffassung und begründete das Recht der ledigen Frau auf eine nützliche und verantwortliche Stellung, ein Fortschritt, dessen folgenschwere Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Es ist ein Teil von der Lehre der Brüderlichkeit, welche die Wurzeln der Sklaverei durchschnitt, indem sie die höchste Individualität in jedem menschlichen Wesen anerkannte. Aus diesem neuen, gottseligen Ideal entsprang eine frische Tätigkeit und ein Streben für die Menschheit, an dem die Frau einen hervorragenden Anteil nahm. Die frühesten Gemeinschaften weiblicher Mitarbeiter der Kirche und gerade die, welche besonders mit der Krankenpflege in Zusammenhang stehen, waren die Diakonissen und Witwen. Später kamen die Jungfrauen, die Presbyterinnen, die Stiftsdamen und die Nonnen '). 1

Für erklärende und interessante Einzelheiten über jede dieser Klassen siehe: * Handbook to Christian and Ecclesiastical Rome« (Handbuch des christlichen und kirchlichen Rom) von M. A. R. Tuker und Hope Malleson. London und New York, Macmillan & Co., 1900. 3 Bde.



ι

θ

5



Von diesen spielten nur die beiden ersten und die letzteren eine Rolle in der Krankenpflege. Die andern hatten kirchliche Pflichten. Die Stiftsdame diente im Chor, bei Begräbnissen und andern Zeremonien und war nicht durch Gelübde an ein genossenschaftliches Leben gebunden. Die Chronik der christlichen Krankenpflege beginnt mit dem Diakonat '). Dieses umfaßte sowohl Männer wie Frauen, welche gleiche Dienstleistungen verrichteten, deren hauptsächlichste die Sorge für die Armen und Kranken betraf. Von den frühesten apostolischen Zeiten an wurden die Diakonissen auf die gleiche Stufe mit den Diakonen gestellt und der Titel »Diakonus«, wie Paulus ihn auf Phoebe von Kenchrea anwendet, wurde in gleicher Weise für Männer und Frauen gebraucht.; Das wird von vielen Schriftstellern betont und mindestens zwei haben vermutet, daß die Bezeichnung »Diakonus« im Neuen Testament in ihrer Anwendung auf Phoebe mit »Dienerin« •übersetzt wurde, was an keiner andern Stelle geschehen ist, weil der Übersetzer wahrscheinlich Bedenken trug, die Gleichheit von Mann und Frau ') Der wahrscheinliche Ursprung des Wortes »Diakonat« wird in der Apostelgeschichte, Kap. 6, erklärt. Das Verb diakonein, dienen, bezog sich auf das »Bereiten des Tisches« oder Almosenverteilen ; das Nennwort aber wurde, nach einigen Schriftstellern von Christus und den Aposteln im Sinne von »Geistlicher« gebraucht. Diakonen, sagte Haeser (a. a. O. S. 9) waren eine christliche Form der Tempeldiener der Juden und Heiden.



ιο6



in der frühen Kirche zuzugeben 1 ). Die Krankenpflege war auch durchaus nicht das alleinige Gebiet der Frauen. Im Gegenteil, wie in alten Zeiten, wurde ein großer Teil dieser Pflichten vom Manne beansprucht, sei es als Arzt, sei es als Nachbar oder Priester. In der ersten christlichen Zeit wie in den ersten Jahrhunderten derselben überhaupt sind es Männer, welche in priesterlichen oder ritterlichen und und religiösen Orden für mindestens die Hälfte des Pflegedienstes verantwortlich waren und so blieb es durch das ganze Mittelalter hindurch bis vor gar nicht langer Zeit. Phoebe (6ο η. Chr.), die Freundin des Apostel Paulus, welche sich der Ehre erfreut, die erste Diakonisse gewesen zu sein, soll eine hohe gesellschaftliche Stellung eingenommen haben und bemittelt gewesen sein. Ihre Reise nach Rom und Pauli Bericht »denn sie hat euch vielen Beistand getan, auch mir selbst« 2 ), sowie andere geschichtliche Daten weisen darauf hin, daß sie eine Frau von Bedeutung und Würde war. ') Siehe » Deaconesses in Europei- (Die Diakonissen in Europa) von Jane M. Bancroft, Ph. D. New York, Hunt & Eaton, 1890, S. 14; ebenso Deaconesses Ancient and Modern (Antike und moderne Diakonissen) von Rev. Henry Wheeler. New York, Hunt & Eaton 1889. S. 45/46. 2 ) Rom. i6, 2. Luther übersetzt in 16, 1 übrigens »Diakonus« nicht mit Dienerin, wie die engl. Bibel, sondern sagt: »welche ist am Dienst der Gemeine zu Kenchrea«, so daß die obige Vermutung auf ihn nicht zutrifft. Die Elberfelder Übersetzung hat allerdings das Wort Dienerin angewendet. (D. Übers.)



107



Die Diakonisse stand im gleichen Rang mit der Geistlichkeit und wurde vom Bischof unter Zustimmung der Gemeinde durch Handauflegen eingesegnet. Ihre Pflichten waren sowohl weltliche wie geistliche, gleich denen des Diakonus. Sie war die erste Gemeindehelferin, sowohl freundschaftliche Besucherin wie Pflegerin, und seif ihrer Zeit ist die Arbeit der Gemeindepflegerin nie ganz erloschen. Obgleich alle Bekehrten der frühen Kirche und ganz besonders die Frauen, deren Zeit es gestattete, es als heilige Pflicht ansahen, die Heimgesuchten zu trösten, so war es doch die besondere Aufgabe der Diakonisse, die Kranken in ihren eigenen Häusern zu pflegen. Sie besuchte auch die Gefangenen, unterstützte die Bedürftigen aus dem Kirchenschatz, beriet die Bekümmerten und überbrachte die Botschaften der Geistlichen. Ihre religiösen Pflichten waren sehr wichtig und von größerem Umfange als die ihrer Schwester, der modernen protestantischen Diakonisse. Sie lehrte, katechisierte und führte die weiblichen Bekehrten zur Taufe oder taufte sie selbst. Sie stand an der Tür der Frauen in der Kirche und wies ihnen ihre Plätze an. Sie führte sie zum h. Abendmahl und assistierte am Altar während des Sakramentes. Tuker und Malleson, die ausführlichere Einzelheiten mitteilen, als andere Schriftsteller, sagen: »Die Bedingungen für die Ordinierung des männlichen und weiblichen Klerus waren ganz gleich. Beide wurden mit Handauflegen eingesegnet. Die neue Diakonisse sang das Glaubensbekenntnis. Der Bischof legte ihr die Stola um, worauf sie den Schleier oder



ιο8 —

das Pallium vom Altar nahm und sich selbst damit bekleidete. Sie erhielt ebenfalls Armbinde, Ring und Krone. Sie erteilte den Bekennern im Gefängnis die Sakramente und reichte den Frauen in der Messe den Kelch, während die Diakone ihn den Männern reichten. A n manchen Orten las sie die Predigt und in manchen alten Kollektenbüchern sind Diakonissen erwähnt« 1 ). Der Orden der Diakonissen breitete sich überall in den Provinzen Kleinasiens, in Syrien, Rom, über ganz Italien, nach Spanien, Gallien und Irland aus. E r war besonders in der östlichen Kirche tätig, wo die orientalischen Anschauungen weibliche Missionare besonders nötig machten, jedoch weniger in Rom, wo die Orden der Witwen und Jungfrauen mehr Boden fanden. A m allergeehrtesten war er vielleicht in Gallien und der alten irischen Kirche, wo die Stellung der Frau im allgemeinen eine hohe war und die Diakonisse bis zu einer späten Zeit eine weit wichtigere Rolle spielte als außerhalb kleiner Gemeinden der östlichen und westlichen Kirche üblich, und bei allen Verrichtungen am Altar beteiligt war. Neben den Diakonissen werden in den Berichten aus dem 3. Jahrhundert noch Subdiakonissen erwähnt. Sie wurden nicht durch Handauflegen eingesegnet und zählten in ihrer Gesamtheit nicht als heiliger Orden, aber sie wurden vom Bischof mit Zustimmung der Geistlichkeit gewählt 2 ). E s gab auch Erz-

2

Tuker & Malleson, Teil IV S. 526—527. ) ibid. Teil IV. S. 522—524.



I09 —

diakonissen. St. Gregor von Nyssa spricht von seiner Schwester Macrina als einer solchen. Die ersten Diakonissen durften sowohl verheiratet, wie auch Witwen oder Jungfrauen sein. Erst im 2. Jahrhundert begann man die ' Ehelosigkeit ausgesprochen zu bevorzugen und von nun ab verlangte man, daß die Diakonisse »eine reine Jungfrau oder wenigstens eine Witwe sei, die nur einmal verheiratet gewesen war.« Sie durfte, wie auch die andern weiblichen arbeitenden Orden im eigenen Hause wohnen und es ist nicht erwiesen, daß sie von Anfang an ein besonderes Gewand trug. Das vierte Konzilium von Carthago erwähnt eine besondere Kleidung für die Diakonissen, die »ihre Laienkleider abgelegt haben«, und ein Freskogemälde aus der Katakombe Hermetis, welches zwei Witwen und Diakonissen am Bett eines Kranken darstellt, zeigt sie in einem weiten Uberwurf mit einer steifen Kopfbekleidung, die das Gesicht umschließt. Das liturgische Gewand war das diakonale Chorhemd, die Armbinde und Stola 1 ). Die Diakonissen behielten zunächst auch die Verfügung über ihr Vermögen und ein Staatsgesetz verbot ihnen Kirchen und Anstalten zu bereichern auf Kosten derer, welche berechtigte Ansprüche an sie hatten 2 ). Die Briefe des Chrysostomus, der von 398—407 Bischof von Konstantinopel war, berichten viel Interessantes über die bemerkenswerten Frauen, welche ') ibid. Teil I V . S. 526—527. ) Bancroft a. a. O. entnimmt das alten Schriften.

2



I IO



mit der Kirche verbunden waren : Amprucla, deren »Männlichkeit« — männliche Tugenden, Beherrschung der Sprache und Kühnheit — er bewundert ; Pentadia, die Witwe des römischen Konsuls ; Procia, Sabiniana, Olympia ; Praxides und Pudentiana, die Töchter eines römischen Senators ; Nicarete, eine edle Jungfrau, die er vergebens zu bewegen suchte, Diakonisse zu werden, die sich aber freiwillig dem Besuchen der Kranken widmete und Macrina, die als junges Mädchen eingesegnet wurde. Die berühmteste von diesen war Olympia, die außer einem edlen und erhabenen Charakter, großer Lieblichkeit und der Fähigkeit zu organisieren und andere zu leiten, über die weltlichen Vorteile großen Reichtums und einer überlegenen gesellschaftlichen Stellung verfügte. Sie war das Weib des Präfekten von Konstantinopel, wurde mit 18 Jahren Witwe und mit 20 Jahren als Diakonisse eingesegnet. Die Sage geht, daß Kaiser Theodosius sie nach dem Tode ihres Gatten mit einem seiner Verwandten zu vermählen wünschte und ihr auf ihre Weigerung mit Einziehung ihres Vermögens (das er wohl in Wirklichkeit in seine Gewalt bringen wollte) drohte. Ihre Bereitwilligkeit ihren Reichtum aufzugeben und der Geist völliger Selbstlosigkeit, den sie bewies, rührten ihn indes so sehr, daß er ihr alles zurückgab, und sie verwendete es ihr Leben lang zu den verschwenderischsten Almosen. Olympia zeichnete sich während der Amtsdauer dreier Bischöfe aus : Gregor Nazianzen, der sie durch Lehre und Tat förderte, Nectarius, der sie als Diakonisse einsegnete und Chrysostomus. Die Zeit ihrer Tätigkeit in

111

Konstantinopel galt als der Höhepunkt und die Blütezeit der Arbeit und des Einflusses der Diakonissen in der östlichen Kirche und die Geistlichkeit sprach von den Diakonissen jener T a g e als der Freude der Kirche. Der Orden war jetzt ausgesprochen kirchlich ; die Wahl und Leitung der Diakonissen lag gänzlich in den Händen der Bischöfe und reiche und edle Frauen waren dankbar für die Erlaubnis in diesen Beruf eintreten zu können. E s scheint als ob der Stab der Diakonissen und die andern weiblichen Arbeiterinnen, welche unter Chrysostomus Leitung standen, deren es vierzig gab, ein genossenschaftliches Leben unter Olympias unmittelbarer Führung geführt hätten1). Leider verwies Chrysostomus, wie aus seinen Briefen hervorgeht, seine Herde dauernd auf die weniger bewundernswerten Beweggründe, wie körperliche Kasteiung und Unsauberkeit, das Bewußtsein der Heiligkeit und die Hoffnung auf Belohnung. Selbst wenn man den orientalischen Redestil in Betracht zieht, muß das Lob, mit dem er die Frauen seiner Gemeinde überschüttete, einen ungesunden Einfluß auf sie gehabt haben, sofern es sie nicht anwiderte. Er erinnert Olympia in der feurigsten Weise an ihre vielen guten Taten und ihre Tugenden, sagt ihr, »sie solle stolz sein und sich in der Hoffnung auf Kronen und Belohnungen freuen«; er preist ihre Askese, durch die sie ihren Körper in einen solchen ') K . Götz in Zimmers Handbibliog. der Theologie. Der Diakonissenberuf. Gotha, JSQO.

praktischen



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Zustand gebracht, daß er ihn folgendermaßen beschreibt: »er ist wie zerschlagen und Du hast eine solche Fülle von Krankheiten über Dich gebracht, daß sie der Geschicklichkeit des Arztes und der Macht ihrer Heilmittel spotten«. Fürsorglicher für andere als für sich selbst, sandte sie Chrysostomus Arzneien für seinen Gebrauch, als er leidend war. Es ist nicht ganz leicht, die ersten Bilder Olympias, des schönen jungen Weibes eines römischen Präfekten mit der späteren Beschreibung ihrer Erscheinung in einem der Briefe des enthusiastischen alten Mannes in Einklang zu bringen : »Ich bewundere die unaussprechliche Rauheit Deines Gewandes, die selbst jene der Bettler übertrifft; und ganz besonders die Formlosigkeit, die Nachlässigkeit Deiner Kleider, Deiner Schuhe, Deines Ganges; das alles ist die Standarte der Tugend«. Und Palladius, einer ihrer Zeitgenossen, erzählt: »Sie entsagte aller Fleischnahrung und ging meistens ungewaschen einher« 1 ). Die Witwen und Jungfrauen, über welche die Diakonissen zu gewissen Zeiten eine Art Aufsicht ausübten, galten auch als kirchliche Orden 2 ), wenn auch von minder hohem Rang als die Diakonissen, mit denen sie durch ihre Pflichten immerhin eng verbunden waren, da sie die Arbeit der Armenfürsorge und des Pflegens in ausgedehntem Maße mit jenen geteilt zu haben scheinen. Ernennungen für das Diakonat erfolgten übrigens häufig aus der Zahl der ') Wheeler, a. a. O. S. 122. ) Siehe Tuker u. Malleson a. a. O. Teil IV. Die kirchlichen Orden. 2



113



Witwen und Jungfrauen. In I. Tim. 5 werden die Eigenschaften erwähnt, welche die von der Kirche zu unterstützenden Witwen besitzen mußten. Von Anbeginn führte die Kirche ein Verzeichnis von Personen, die ein Recht auf ein festes Einkommen aus den Kirchengütern besaßen. Dieses Verzeichnis wurde die Matrikel genannt und umfaßte die Geistlichen beider Geschlechter, die eingesegneten Jungfrauen, die Alten, die Verwitweten und Armen. 1 ) Unter den so unterhaltenen Witwen bildeten einige eine besondere kirchliche Klasse oder einen Orden, der eingetragen und eingesegnet war, den Ordo Viduarum oder die Viduaten. Diese Klasse gelangte zu großem Ansehen, obwohl sie in jeder Gemeinde zeitweilig nur klein war. Die priesterlichen Witwen führten den Vorsitz in den christlichen Versammlungen, beriefen einen Rat von weiblichen Ältesten und unterrichteten.2) Zu einer anderen und größeren Klasse von Witwen gehörten die, welche den Gedanken an eine zweite Heirat verwarfen und ein Gelübde ablegten, Witwe bleiben zu wollen. Sie legten gewöhnlich ein bestimmtes Gewand an, wenn sie auch fortfuhren in ihren eigenen Häusern zu leben. Nachdem jene Gelübde zuerst privatim abgelegt worden waren, geschah dies später zwar nicht vor der Gemeinde, aber doch vor einem Bischof. In einer noch späteren Zeit wurde eine öffentliche Feier daraus und der Orden ging in dem der monastriae oder Nonnen auf. Die ') ibid. Teil III. S. 203. ) Tuker u. Malleson a. a. O. Teil IV. S. 517, 519.

2

N u t t i n g u. D o c k , Geschichte der Krankenpflege. Bd. I.

8



114



Witwen waren in guten Werken sehr eifrig und nahmen später, wie wir noch sehen werden, hervorragenden Anteil an der Entwicklung der Hospitäler. Haeser sagt von ihnen : »Die Witwen hatten eine ausgedehnte, höchst gesegnete Tätigkeit in dem innern Leben der Gemeinschaft«. In den Wandmosaiken der alten Kirchen in Ravenna stehen in weißen Kleidern Prozessionen von ernsten und reizenden Fräulein, die priesterlichen Jungfrauen, die typisch für die jugendliche Frische und den Ernst jener Zeit sind. Philipps vier Töchter, »wahrsagende Jungfrauen«, waren vielleicht unter den ersten der frühchristlichen Jungfrauen. Nach Tuker und Malleson »war der Kultus der Jungfräulichkeit eine der verblüffendsten aller Verschiedenheiten zwischen der neuen christlichen und der alten heidnischen Gesellschaft«. 1 ) Nur mit Mühe hatte man die Zahl der sechs vestalischen Jungfrauen in Rom aufrecht erhalten können, aber jetzt schlossen sich freiwillig Gruppen von Jungfrauen in Gemeinschaften zusammen, zuerst in Afrika und im Orient und später auch im Westen. Die ersten geweihten Jungfrauen lebten zu Hause und hatten volle Bewegungsfreiheit. Man findet anfangs keine Andeutung davon, daß die Witwen oder Mädchen, welche Enthaltsamkeit gelobt hatten, auch abgeschlossen und einsam leben mußten 2 ). Helyot sagt: »Wenn die ') ibid. a. a. O. Teil III. S. 15. 2 ) Lina Eckenstein, Women under Monasticism (Die Frau unter der Klosterherrschaft). Cambridge, Universitätsdruckerei 1896, S. 14.



us



Kirche auch stets heilige Jungfrauen gehabt hat, so führten sie doch nicht immer ein genossenschaftliches Leben« und Tuker und Malleson berichten: »Die Klausur bildete keinen Teil des Lebens der kanonischen Jungfrauen der frühen Kirche« 1 ). Gegen das Ende des 3. Jahrhunderts gab es aber zahlreiche Gemeinschaften und Gibbon spricht von der »stattlichen und volkreichen Stadt Oxyrinchus, welche die Tempel, die öffentlichen Gebäude und selbst die Wälle zu frommen und barmherzigen Werken hergegeben hatte und wo der Bischof von zwölf Kirchen 10,000 weibliche Mitglieder . . . im klösterlichen Beruf zählen konnte« 2 ). Aber wenn dies auch in Rom eine neue Erscheinung war, so war sie das durchaus nicht für die alte Welt, da nach den Hindu-Legenden sowohl Brahma wie Buddha auf lange Reihen von Mönchen und Nonnen hinweisen können 3 ). Die heiligen Bücher von Ceylon sprechen häufig von Priesterinnen, die nach tausenden zählten und es scheint auch, als wäre dieser Beruf manchmal wenigstens ein freiwilliger gewesen und hätte keine unlöslichen Gelübde gefordert, da sich ein Hinweis auf eine Priesterin findet, die heiratete und »sich nicht so weit abgetötet hatte, um der Welt zu entsagen« 4 ). Bei den Ägyptern gab es viele Priesterinnen a. a. O. Teil III! S. 41. ) Gibbon, The Decline and Fall of the Roman Εηιφίτε (Der Niedergang und Zusammenbruch des römischen Reiches). Bd. IV. S. 308. 3 ) Monks and Monasteries (Mönche und Klöster) von Alfred Wesley Wishart, Trenton, 1902, S. 92. 4 ) Upham a. a. O. Bd. 2 S. 1 2 1 . 2

8*



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oder Tempelfrauen; »die ehelosen Gemeinschaften, welche den ägyptischen Tempeln angegliedert waren, bestanden aus Personen beider Geschlechter« 1 ). Obgleich der Zahl nach wenige, genossen die vestalischen Jungfrauen ein seltenes Ansehen; in der westlichen Welt dürften die Sonnenjungfrauen in Peru bis zu einem gewissen Grade als mit andern religiösen Frauengemeinschaften verwandt gelten 2 ). Die priesterliche oder kanonische Jungfrau hatte den gleichen Rang wie die Geistlichkeit. Ungleich der Diakonisse ward die Jungfrau nicht ordiniert, sondern eingesegnet. »Der Ritus der Einsegnung einer Jungfrau ist einer der ältesten in der frühen Kirche, da er einer der wichtigsten war« 3 ). Sie war durch einen weißen Schleier kenntlich, aber in Rom war das früheste Unterscheidungszeichen ihrer Kleider eine goldene Binde, das Symbol der Jungfräulichkeit. Viel später wurde ein Ring und ein Armband hinzugefügt 4 ). Der Stand der geistlichen Keuschheit, dem ursprünglich sowohl Männer wie Frauen angehörten besteht heute nur noch in der Nonne fort, welche das Gelübde abgelegt hat, und jenen direkt fortsetzt 5 ). Nicht die Diakonisse, sondern die Witwe und Jungfrau gingen in der Nonne auf.6) Der Orden der Dia') Tuker und Malleson, a. a. O. Teil III. S. 15. ) Siehe Prescott, Conquest of Peru (Die Eroberung von Peru). Bd. I, S. 113. 3 ) Tuker u. Malleson a. a. O. Teil III. S. 129. 4 ) ibid. Teil III. S. 34. 5 ) ibid. Teil III. S. 16. 6 ) Tuker und Malleson teilen mit, (Teil III. S. 108), daß die Karthäuser Nonnen noch, in der Form der Einsegnung nach vier2

— 117 — konissen wurde nicht klösterlich, sondern ging ein und das Kloster trat an seinen Platz. Syncletia, die Schwester des Pachomius, die als erste die Klosterregeln einführte, wird manchmal die Mutter der Nonnen genannt. Sie stand in dem Ruf reich, edel und schön gewesen zu sein ; von sehr frommen Eltern erzogen, wohnte sie jahrelang mit ihrer Schwester in einem Grabe bei Alexandrien, wo sie die »vielen Witwen und Jungfrauen« unterrichtete, die kamen, um von ihr zu lernen und mit der Zeit eine Gemeinschaft um sie bildeten. Die Bezeichnungen Diakonisse, Witwe und Jungfrau sind in manchen alten Schriften mit verwirrender Unbestimmtheit angewendet ; offenbar lag der Unterschied jedesmal einzig in der Form der Ordination oder Einsegnung. So konnten Witwen und Jungfrauen Diakonissen werden. Da ferner der römische Titel Witwe nicht etwa wirkliche Witwenschaft bedeutete, sondern die allgemeine Bezeichnung für eine Frau von gewissem Alter und Stand war, so wurden junge Witwen und selbst junge Mädchen zum Viduat zugelassen. Nach Tuker und Malleson war im 6. und 7. Jahrhundert der angewandte Ritus eine Verbindung der Einsegnung einer Witwe-Nonne mit der Ordination der Diakonisse ; die fränkischen und sächsischen Witwen oder Nonnen-Diakonissen wurden auf diese Weise einjährigem Profeß, den alten christlichen Ritus der Diakonissenordination beibehalten haben, in Verbindung mit dem Ritus der Einsegnung einer Jungfrau, einem Überrest ihrer ersten Regeln — der des heiligen Cäsarius von Arles. Dies sind die einzigen Nonnen, die ihn behalten haben.



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gesegnet und der Titel erhielt sich so noch lange, nachdem das kirchliche A m t aufgehört hatte. Die Tätigkeitsgebiete sowohl der Diakonissen als der Witwen wurden' allmählich beschränkt und eingeengt, durch das stete wachsame Widerstreben der Männer dagegen, den Frauen angesehene Stellungen einzuräumen. Die Witwen waren die ersten, welche den Druck fühlten. Schäfer 1 ) sagt darüber: Die Witwen wurden zuerst ein Altar Gottes genannt, sie lehrten und erklärten

die Schrift.

Gegen E n d e

des dritten

Jahrhunderts wird den Witwen mit großem E i f e r und

aller

Beflissenheit das öffentliche Lehren, überhaupt jeder Übergriff ins Priesteramt des Mannes verboten.

Die apostolische Kon-

stitution schafft das Lehramt der Witwen ab, sie bestimmt, daß die rechte Witwe frei von Stolz sein müsse, mäßig, sanft, still, bedächtig,

schamhaft,

häuslich;

sie

singe, bete,

lese,

wache, faste und spinne Wolle, um lieber anderen geben zu können.

Schäfer fährt fort: Die Entwickelung Witweninstitut

des

ungünstig.

dritten Jahrhunderts An

die

erwählten

war

dem

Witwen

des

älteren Witweninstituts, welche wie Ältestinnen an der Spitze der Frauen standen und Lehrerinnen der jungen Frauen sein sollten, knüpfte sich eine Unsicherheit in der Stellung zu den priesterlichen

Funktionen.

Schon

Tertullian

und

Orígenes

hielten es für notwendig, den Witwen gegenüber an die den Frauen in dieser Beziehung gesetzten Schranken zu erinnern. Die Diakonissen ordneten Ordnung

viel

besser

sich dagegen

ein.

Die

in die hierarchische

Diakonissen

stehen

wie Ältestinnen an der Spitze der Frauen ; sie sind rinnen.

Die

stitutionen

Wahl der

ganz

in

der

Diakonissen liegt Hand

') a. a. O. Bd. I. S. 41—44.

nach

des Bischofs,

nicht Diene-

den

während

Kondie

— Wahl der Witwen, nen Bedingungen

119



welche den vom Apostel entsprachen,

vorgeschriebe-

nicht wohl zu umgehen war.

Der Diakonissin ist ihr Geschäftskreis in strenger Unterordnung unter den Bischof und die höheren Kleriker angewiesen. ')

Aus alledem geht hervor, daß die Witwen manchmal in Bezug auf die Einzelheiten und die praktische Ausführung ihrer Arbeit die priesterlichen Pfade kreuzten—infolge ihrer oft überlegenen Kenntnisse und Erfahrungen, mußten sie wahrscheinlich häufig den erhaltenen Anweisungen widersprechen oder sogar deren Ausführung verweigern. Die demokratische Verfassung der frühchristlichen Kirche hatte übrigens auch den Diakonissen einen zu weiten Wirkungskreis eingeräumt. Die hervorragende Stellung der Frauen bei den Montanisten, einer Sekte, welche Frauen zu Bischöfen und Kirchenältesten machte, und die ungewöhnlichen Ansprüche, die einige dieser Frauen erhoben, welche sich für Prophetinnen ausgaben und sich einen Platz in der Kirche anmaßten, der durchaus dem des Mannes gleichkam, führten natürlich zu starkem Widerspruch bei der Geistlichkeit, namentlich in Hinsicht auf die Erteilung des Sakramentes, und das weibliche Diakonat kam dadurch etwas in Verruf. In der westlichen Kirche (Rom) wurden die Diakonissen so früh abgeschafft, daß ums Jahr 2 ζ1 die römischen Pfarrbezirke keine weibliche Geistlichkeit mehr hatten. Die Witwen, welche nach dieser Zeit erwähnt werden, wurden von der Kirche unterstützt und mit Krankenbesuchen beschäftigt. Ambrosius erklärt es als einen ') a. a. O. Bd. I. S. 47.



I20



Fehler der Montanisten, daß sie Frauen kirchliche Funktionen ausüben ließen ; obwohl der Orden der Diakonissen in der östlichen Kirche fortbestand und obwohl die Diakonissen unter den Priszillianern eine wichtige Rolle spielten, erschienen fortgesetzt neue priesterliche Vorschriften und Verordnungen, um ihre kirchlichen Funktionen einzuschränken und zu unterdrücken *). Mit der geistlichen Unterdrückung kam auch die wirtschaftliche. Im sechsten Jahrhundert erschienen Verordnungen, welche den Diakonissen bei Todesstrafe verboten, zu heiraten, oder auch nur eine andere Lebensweise zu wählen ; geschah es dennoch, so wurde ihr Besitztum zu Gunsten der Kirche oder des Klosters, zu welchem sie gehörten, eingezogen.2) Das weibliche Diakonat bestand im Osten als Institution bis zum achten Jahrhundert, aber Schäfer meint, daß es vom Ende des vierten Jahrhunderts an beständig an Bedeutung verlor. Es wurde seines geistlichen Charakters durch die von den gallischen Konzilien des 5. und 6. Jahrhunderts gefaßten Beschlüsse entkleidet und 533 endgültig durch einen Kirchenerlaß der Synode von Orleans beseitigt, der für die Zukunft die Einsegnung von Frauen als Diakonissen verbot. In Wirklichkeit blieb diese Verordnung oft unbeachtet, und es gab in manchen Kirchensprengeln, sogar in Frankreich auch ferner Diakonissen. 1 ) Real-Enzyklofiädie für protestantische Kirche. (Herzog und Hauck, Leipzig 1898). nissen« von Hans Achelis. 2 ) Siehe Wheeler, a. a. O. S. 86.

Theologie und Art.: »Diako-

121

Um das Jahr 600 baute der Patriarch von Konstantinopel, der Pate des Kaisers Mauritius, für seine Schwester, die eine Diakonisse war, eine Kirche, welche Jahrhunderte lang die Diakonissenkirche genannt wurde. 670 verbot das Konzilium von A u t u n den Frauen, den Altar zu betreten. Im 12. Jahrhundert gab es noch Diakonissen in Konstantinopel; der Patriarch von Antiochien sagt von ihnen »Jungfrauen . . . Gott geweiht, nur daß sie das Laiengewand trugen . . . und mit 40 Jahren empfingen sie die Ordination als Diakonissen«. Man darf wohl den Diakonissenorden der frühchristlichen Kirche mit liebevoller A c h t u n g als diejenige Institution betrachten, welche den Grundstein zum Krankenpflegeberuf und zu aller modernen Wohltätigkeitsarbeit überhaupt gelegt hat. E s gibt schwerlich in der ganzen W e l t lieblichere Beispiele eines freiwillig im Dienst der L i e b e geopferten Lebens, als diejenigen, welche wir in der frühchristlichen Kirche finden, als die reine Glut der Lehre des Meisters noch ungedämpft loderte und weltlicher Ehrgeiz und Selbstsucht sich noch nicht eingeschlichen hatten. Nach ihrem Verschwinden sahen viele in den ersten Diakonissen den T y p u s und das Muster aller Vorzüglichkeit in guten Werken. Bei allen späteren Bemühungen zu schlichteren Glaubensformen zurückzukehren, wie sie von den verschiedensten Sekten ausgingen, wurde stets der Versuch gemacht, ihre Tätigkeit wieder zu beleben. S o hielt der aufrichtige und hingebende Vincentius von Paul den barmherzigen Schwestern die Frauen



1 2 2



der apostolischen Kirche als Muster vor. Die Autoritäten sind verschiedener Meinung darüber· ob Luther einer solchen Wiederbelebung günstig gesinnt war, indessen scheint es doch endgültig festzustehen, daß er solcher Frauenarbeit zwar wohlgeneigt war, aber nicht zu ihr drängte 1 ). Zu seiner Zeit bestand ein großes Vorurteil gegen kirchliche Orden. Aber ein Jahrhundert nach Luther kehrten andere Sekten zu dem alten Diakonissenorden zurück, wie wir später sehen werden, und das gleiche Sehnen führte in Kaiserswerth zu der Wiederbelebung der Diakonissenarbeit, welche durch Miss Nightingale so unmittelbar und auffallend die Entwicklung der modernen weltlichen Krankenpflege beeinflußt hat. Für die Kontroversen gelehrter Pastoren gab es keinen anziehenderen Gegenstand als die Diakonisse. Schränke voll Bücher sind über sie geschrieben worden, um nachzuweisen, was sie war und was sie nicht war; was sie sein sollte und was sie sein könnte; was sie tat und was sie nicht tat; ob sie predigte, oder nicht predigte; ob sie am Altar amtierte oder ob sie nicht amtierte; daß sie nur eine armselige Nachahmung der Nonne war und daß beide so weit voneinander entfernt waren wie die Pole. Keine Frau ist mehr gelobt und gepriesen worden. Pastor Wilhelm Löhe schreibt folgendes über sie : ') Da er selbst die üblen Folgen des ausartenden klösterlichen Genossenschaftslebens kennen gelernt hatte, erscheint diese Stellungnahme in Anbetracht der damaligen schwierigen Verhältnisse begreiflich. (D. Übers.)



123



Ich bin weder ein Maler, noch ein Sänger, wenn ich's aber wäre, so malte ich die Diakonissin, wie sie sein soll in ihren verschiedenen Lebenslagen und Arbeiten. ganze Reihe von Bildern

E s g ä b e eine

und ebenso viele Lieder.

Malen

würde ich die Jungfrau im Stall — und a m Altare, in der Wäscherei — und wie sie die N a c k e n d e n der

Barmherzigkeit

kleidet,



in der

in reines Leinen

Küche



und

im

Krankensaale, auf dem F e l d e — und beim Dreimalheilig im Chor und wenn sie ganz allein den Kommunikanten

Nunc

dimittis

vom

singt, — ich

würde

Diakonissenberufe m a l e n :

alle

möglichen

in allen aber eine Jungfrau, nicht

immer im Schleier, aber immer eine Person. denn? 's ist ganz poetisch ohne Lieder singst«. und das

Bilder »Und

warum

daß du zu den Bildern die

Warum?

Weil eine Diakonissin das geringste

größte können

und tun, sich des geringsten nicht

schämen, das höchste Frauenwerk nicht verderben soll.

Die

Füße im Kot und Staub niedriger Arbeit — die H ä n d e an der

Harfe —

das H a u p t im Sonnenlicht der Andacht und

Erkenntnis Jesu, — so würde ich sie aufs Titelkupfer ganzen Bildersammlung malen.

der

Drunter würde ich schreiben :

»Alles v e r m a g sie — arbeiten — spielen — lobsingen«.

Fügen wir diesem charakteristischen Bilde desjenigen, was sich ein Mann als die Arbeitsmöglichkeiten der Frau denkt, den krönenden Vorzug hinzu, — daß diese vielseitig nützliche Frau ganz unter männlicher Aufsicht stand und fast ohne eigene Wünsche und Ziele war, — so werden diese Lobeserhebungen und Lobpreisungen allerdings begreiflich.

Kapitel II.

DIE HOSPITÄLER DER

FRÜHCHRISTLICHEN

Z E I T U N D DIE RÖMISCHEN M A T R O N E N . Die ersten Christen, bei denen sich zu der alten heiligen Sitte der Gastfreundschaft der neue Beweggrund der dienenden Liebe gesellte, betrachteten ihren Besitz als Gemeingut und öffneten ihre Häuser willig den Kranken und Hilflosen. Die Diakone und Diakonissen waren besonders eifrig darin, die Notleidenden aufzusuchen und pflegten nicht nur die Kranken bei regelmäßigen Besuchen, sondern brachten sie auch, wenn es nötig war, in ihr eigenes Heim, um für sie zu sorgen. Die Bischöfe, welche natürliche Mittelpunkte bildeten, zu denen die Bekümmerten hinstrebten, hielten offenes Haus und reiche oder auch nur wohlhabende Mitglieder ihres Sprengeis folgten diesem Beispiel. Das war die einfache Urform des modernen Hospitals und aller andern Arten von Wohltätigkeitseinrichtungen. Die Diakonate, wie diese organisierten Krankenheime bald genannt wurden, verbanden das Amt der Diakonen so eng mit der Krankenpflege, daß die Bezeichnung Diakonus gleich-



125



bedeutend wurde mit Hospital- oder Krankenpflegeleiter. Noch bis zum neunten Jahrhundert hatte R o m vierundzwanzig solcher Diakonate und viele derselben behielten bis in die moderne Zeit den Namen der Kirche, mit der sie verbunden waren '). Mit dem Wachsen der Gemeinden scharten sich die Armen um sie und die allmähliche Beseitigung der Sklaverei, der Beginn der Verfolgung, des Märtyrertums und der äußern Feindschaft schuf eine Fülle von Elend, das bei weitem alles überstieg, was Einzelbemühungen hätten überwinden können, und das daher die vereinigte Hilfe aller erforderte. A l s die Heime der Bischöfe zu klein wurden, um den Anforderungen der Gastfreundschaft entsprechen zu können, wurden ihnen neue Gemächer, Flügel und Klöster angefügt. S o erwuchs einfach, und natürlich das christliche xenodochium oder Fremdenheim, der Ausdruck brüderlicher Liebe und der Abkömmling des alten Instituts, das der Ausdruck bürgerlicher Gastfreundschaft gewesen war. Haeser erwähnt ein interessantes Beispiel dieser Erweiterung des Predigerhauses in Würzburg, wo die Wohnung der Geistlichen mit dem Dom verbunden ist und noch heute die alte Einteilung in das domus hospitum und das domus hospitalis zeigt: gesonderte Räume für die gewöhnlichen Reisenden und für solche, die krank oder mittellos waren 2 ). Die Entwicklung der frühesten christlichen Krankenversorgung war also : erst das ') Haeser, a. a. O., S. 9. ) ibid. S. 14.

2

— 126 — Diakonat oder Räume im Privathaus ; dann die xenodochien, die Erweiterung der Diakonate ; und endlich die Hospitäler. Die Formen der frühesten Krankenpflegeorganisationen waren dagegen das Diakonat, die Schwesternschaft der Witwen und die parabolani, die sich zu den Mönchen und Nonnen entwickelten. Eines der frühesten bekannten Beispiele von Krankenpflege in dem edlen Kampf, den die ersten Christen gegen das Elend führten, ist uns aus der Zeit einer heftigen Pestilenz in Alexandrien aus den Jahren 249—263 erhalten worden. Dies war, wie Hecker berichtet, die letzte ausgedehnte Epidemie der alten oder Thucydidianischen Pest, welche eine Gruppe von Symptomen umfaßt, die sich in spätem Epidemien nicht wiederholten. (Er erwähnt, wenn auch ohne Einzelheiten in Bezug auf die Pflege, eine ähnliche frühere in Karthago) '). Während dieser Zeit öffentlicher Not besuchten, versorgten und pflegten die Christen die Kranken und trösteten die Sterbenden ohne Rücksicht auf die Gefahr für ihr eigenes Leben. St. Dyonisius erzählt: »So haben die Besten unserer Brüder ihr Leben gelassen : einige der Wertvollsten sowohl der Priester und Diakonen, als auch derLaien« 2 ). Ein anderes bemerkenswertes Beispiel war mit einer schrecklichen Epidemie in Edessa ums Jahr 350 verknüpft. Die Bewohner waren verzweifelt und obwohl ') Zeitung 2 ) Bd. II.

Der Ursprung christlicher Kranke?ipflege. Medizin. Berlin, Mai 1834 S. 97. Butler's Lives of the Saints (Das Leben der Heiligen). S. 274.

•—

127



die wohlhabenden Bürger bereit waren reichlich aus ihren Mitteln beizusteuern, um die Pest zum Stillstand zu bringen und die Not zu lindern, so wußten sie doch keinen ehrlichen und fähigen Mann, der die Hilfs-Arbeit hätte in die Hand nehmen können. In diesem Elend tratEphrem aus seiner Zurückgezogenheit hervor — ein Diakonus von Edessa, der, obgleich der größte Redner und Dichter der syrischen Kirche doch als »Einsiedler« in die Wüste gegangen war — und bot seine Dienste an. Mit dem Geld, das ihm von den reichen Bürgern zufloß, kaufte er 300 Betten und stellte sie in den öffentlichen Säulenhallen und Galerien auf. Die Kranken wurden dorthin gebracht und Ephrem »besuchte sie jeden T a g und diente ihnen mit eigenen Händen« verwaltete die Gelder und überwachte das Ganze, bis die Pest vorüber war. Dieser Bericht ist von besonderem Interesse, denn St. Ephrem gründete hier offenbar einfach ein Hospital ; jedenfalls eines der ersten, wenn nicht das erste im eigentlichen Sinne des Wortes, wie es heute gebraucht wird ; denn wie wir sehen werden, wurde das Hospital als ein Gebäude oder eine Gruppe von Gebäuden, welche ganz der Pflege Kranker gewidmet waren, erst gegen das 12. Jahrhundert ein getrennter Begriff, vielmehr blieb es noch lange eine der vielen Abteilungen des alles umfassenden xenodochiums. Selbst die frühesten Hospitäler nahmen nicht nur Kranke und Arme auf, sondern sorgten oft auch noch für Findlinge. St. Ephrems Gründung aber hatte Bestand ') ibid. V I I . S. 98.



128



und wurde mit einigen Unterbrechungen als Hospital fortgesetzt. Im 5. Jahrhundert wurde sie vom Bischof Rabboula wiederhergestellt, nachdem sie verfallen war. Der Bischof errichtete auch ein großes Hospital für Frauen, nachdem er vier heidnische Tempel für diesen Zweck niedergerissen hatte und diese beiden Hospitäler bildeten die Kliniken für eine berühmte Medizinschule, welche lange in Edessa blühte '). Das xenodochttint1) in seiner Vollendung stellte das Ideal der Gastfreundschaft im weitesten und erstaunlichsten Umfange dar. Wie das Werk der Diakonisse in sich alle Elemente der modernen Krankenpflege, Hilfsvereine und Wohltätigkeitsorganisationen umschloß, so bildete das xenodochium in seinem freundlichen Bereich das Frühstadium des modernen Gasthauses, des Hospitals und jeder Form von besonderer Institution für jede Art Hilfsbedürftiger. Es bot Unterkunft für den Pilger und für den reichen Kaufmann. Es war ein Heim für die Heimatlosen; es schützte Findlinge, kleine Kinder, Witwen und alte Leute beiderlei Geschlechts. Es hatte getrennte Säle oder Gebäude für Kranke jeder Art, besonders für Aussätzige und Geisteskranke. Die Armen der ') Withington a. a. O. S. 120—125. ) Die Namen der verschiedenen Unterabteilungen, von denen mehrere oder alle in den großen Wohltätigkeitsinstitutionen der ersten Jahrhunderte der christlichen Ära bestanden, waren: Das xenodochium, Gasthaus für Fremde und Reisende; nosocomium, Krankenräume; brephotroßhium, Findelhaus; orfihanotrophium, Waisenhaus ; gerontokomimn, Altersasyl für Männer ; cherotrofihium, Heim für Witwen; fitochotrofihium, Almosenhaus für die Armen. 2



129

—·

Umgegend kamen täglich, um sich Spenden und Almosen zu holen und jeder, der in irgend welcher Not war, kam um sich Rat zu erbitten. Als ein Beispiel der Leistungen des xenodochiums wissen wir durch Chrysostomus, daß im Jahre 347 die Kirchen in Konstantinopel täglich 3000 Arme beköstigten, außer der Fürsorge für Gefangene, Wanderer, Bedürftige und Heimgesuchte aller Art. Solche Zufluchts- oder Schutzstätten, die sich aus der Gastfreundschaft der Bischöfe und Diakonen entwickelten, waren schon in der Mitte des dritten Jahrhunderts ziemlich gut organisiert und Diakonen und Diakonissen anvertraut. Die berühmteste aller dieser frühen Einrichtungen war das merkwürdige Hospital (wie wir es nennen wollen, wenn es auch manchmal als xenodochium und dann wieder als ptochotrophium bezeichnet wurde), welches Basilius, der Bischof von Cäsarea, im Jahre 370 in seiner Diözese einrichtete und das nach ihm die Basilias genannt wurde. Die dringende Not der zahlreichen Aussätzigen in Kleinasien hatte ihn zum Bau desselben veranlaßt und die große Hungersnot von 368 mit dem daraus entstandenen Elend, die Ausführung beschleunigt. Gregor Nazianzen, Basilius' Freund, sagt von der Basilias: »Sie könnte unter die Weltwunder gerechnet werden, so zahlreich waren die Armen und Kranken, welche hierher kamen und so bewunderungswürdig war die Fürsorge und Ordnung, mit der man ihnen diente«.1) »Vor den Toren von Cäsarea«, schreibt er ') Butlers Lives,

Bd. VI, S. 207.

N u t t i n g u. D o c k , Geschichte der Krankenpflege. Bd. I.

9



13°



weiter, »erhob sich, von Basilius aus dem Nichts hervorgerufen, eine neue, den Werken der Barmherzigkeit und Krankenpflege gewidmete Stadt. Gutgebaute und eingerichtete Häuser standen an beiden Seiten der symmetrisch um die Kirche angeordneten Straßen. Sie enthielten die Räume für die Kranken und Schwachen jeder Art, welche der Sorge von Ärzten und Pflegepersonal anvertraut waren«. Dort befanden sich getrennte Gebäude für die Fremden, Armen und Kranken und bequeme Wohnungen für die Ärzte und das Pflegepersonal. Eine große und bedeutende Abteilung war für die Aussätzigen bestimmt, deren Versorgung ein Hauptzug in Basilius Arbeit war. »Basilius, dereiner edlen Familie angehörte und in seiner Jugend niemals Ungemach kennen gelernt hatte, gab den Aussätzigen die Hand, umarmte sie, versicherte sie durch den Bruderkuß seiner Hilfe und pflegte sie selbst.« Die Angestellten zerfielen in Pflegende (nosocomi), Ärzte (bajuli), Träger (ductores), und Handwerker (artifices). Die ductores (später parabolani genannt) gingen aus, um die Kranken aufzusuchen und sie ins Krankenhaus zu tragen. Unter den Handwerkern waren alle Gewerbe vertreten, denn in diesen Zeiten wurde fast alles Nötige für die ganze ausgedehnte Haushaltung auf dem eigenen Grund und Boden angefertigt. 1 ) Dieses xenodochium. wurde das Vorbild für viele wohltätige Personen und Kaiser und Bischöfe eilten weitere zu errichten. Schon Kon') Siehe Hecker a. a. O. S. 97—98; auch Schäfer a. a. O Bd. II, S. 134—135; ebenso Haeser a. a. O. S. 15—16.



131



stantin (272—337) und seine Mutter Helena hatten Schutzhäuser für Fremde und Pilger gebaut und unter Justinian (527 —567) war der Eifer für den Bau von xenodochien auf der Höhe. Die Sorge für die Aussätzigen wurde in Basilius' Hospitalstadt zur Spezialität gemacht und es wird sogar für möglich gehalten, daß der früheste ritterliche Pflegeorden, der des h. Lazarus, aus dem Dienst in der Basilias hervorging. Basilius übte offenbar eine ernstliche ärztliche Tätigkeit aus, denn Gregor Nazianzen spricht davon, daß Krankheiten »erforscht« und »Symptome geprüft« wurden. Durch seine wunderbaren Leistungen in dieser Anstalt erregte Basilius die Eifersucht seiner Feinde und wurde vom Präfekten von Cäsarea beschuldigt, daß er sich ungebührliche Macht zu verschaffen suche. Zu seiner Verteidigung sagt er; »Wen schädigen wir, wenn wir Häuser bauen, um die Fremden unterzubringen, welche auf der Wanderung durch das Land bei uns bleiben und für die sorgen, welche infolge ihrer Schwächlichkeit dessen bedürfen? Ist es ein Verbrechen für die Bequemlichkeit dieser Personen zu sorgen; für Pflegepersonal, ärztliche Angestellte, Beförderungsmittel und Personen, welche sie bei ihrer W e g schaffung überwachen? Diese Dinge erfordern notwendigerweise Handwerker und die brauchen wiederum Werkstätten«. 2 ) Basilius' Beredtsamkeit und Mildtätigkeit überwand die Gegnerschaft eifersüchtiger Beamter und er ermunterte zur Erbauung ähnlicher

2)

Diet. Christiati Antiquities (Dikt. christlicher Altertümer). Art: »Hospitäler« cit. Basilius' Briefe. 9*

— Institute

in jeder

sichtigung

132



Diözese,

mit

der A u s s ä t z i g e n .

besonderer Berück-

E r empfahl

der Geist-

lichkeit die V e r s o r g u n g der K r a n k e n , versäumte aber auch

keine

Gelegenheit,

arbeit der weltlichen

die

Sympathie

Beamten

und

zu gewinnen,

Mitda

er

wohl wußte, wie wichtig die Unterstützung der Laien war.

E s g e l a n g ihm,

die bürgerlichen Behörden zu

überreden, den Hospitälern

die Steuern zu erlassen,

nachdem sie sich persönlich

durch den A u g e n s c h e i n

überzeugt hatten, wieviel Gutes dort geleistet wurde. ') Basilius, einer der vier griechischen Kirchenväter, g e b o r e n um 329, gehörte einer vornehmen Familie an. Seine

Großmutter

Macrina,

Bildung,

gab

ihm seine

studierte

er in A t h e n

eine

Frau

von

erste Erziehung.

hoher

Nachher

und soll dort neben

allgemeiner Gelehrsamkeit

eine allgemeine

der griechischen

erworben

Medizin

großer

Kenntnis

haben.

Hecker

sagt v o n ihm, er habe eine eingehende Kenntnis der griechischen

Naturwissenschaft

hypokratische und

ärztliche L e h r e

Barmherzigkeit

Schwester

Macrina

verbunden 2 ). war

g r o ß e r Sorgfalt von einer und

früh

verlobt,

ihres V e r l o b t e n Als

begabte

Geschwistern, ') Welt. Leipzig, 2)

besessen

Olympias frommen

veranlaßte

sie, sich Alteste verwaltete

dem einer sie

und

die

mit christlicher L i e b e

der

Seine Mutter

Mit erzogen

frühzeitige

Himmel Schar nach

schöne

Freundin.

dem

zu

Tod

weihen.

von Tod

neun ihres

Die Bürgerliche Gesellschaft in der alten Römischen C. Schmidt aus dem Franz. von Α. V. Richard. 1857. a. a. O. S. 95.



133



Vaters dessen große Güter, half bei der Erziehung ihrer Geschwister und gründete endlich auf ihren eigenen Besitzungen Klöster, in deren einem sie lebte. Sie war es, die Basilius einem religiösen Leben geneigt machte '), Macrina wird von protestantischen Schriftstellern den Diakonissen zugezählt, Helyot aber stellt sie unter die Klosterfrauen. Sie war beides; denn frühzeitig als Diakonisse eingesegnet, zog sie sich später in ein Kloster zurück, das sie mit ihrem eigenen Vermögen am Fluß Iris gegründet hatte und wo sie eine Gemeinschaft um sich sammelte. Basilius entwarf die Regeln desselben, welche den Klosterfrauen erlaubten, ihre Angehörigen in Krankheitszeiten zu besuchen und Besuche von Frauen zu empfangen. Sie pflegten ihre eigenen Angehörigen oder nahmen Kranke im Kloster auf, oder taten beides; denn Helyot bemerkt, daß, obgleich ihre Regeln ihnen nur einmal im Monat zu baden erlaubten, die Patienten doch so oft gebadet wurden, wie der Arzt es verordnete. Macrinas Charakter war so edel, ihr Verstand so außergewöhnlich und scharf, und ihr Leben so rein, daß Autoren der verschiedensten religiösen Richtungen sich mit ihr beschäftigten. Schäfer stellt sie in Bezug auf ihre Bedeutung Olympia am nächsten und bemerkt, daß sie, obwohl entschieden klösterlich in ihrer Lebensführung, doch das klösterliche Leben in seiner reinsten Form lebte 2 ). *) Tuker und Malleson, a. a. O. Teil I I I . S. 64. ) Schäfer, Bd. I, S. 280—282, zit. Kölling, der Macrina neben Maria stellt, da ihre geistige Natur einen beispiellosen 2



134



Ein zweites Hospital aus dieser frühen Zeit war das 398 in Konstantinopel von Sankt Johann Chrysostomus gegründete, von dem Palladius berichtet. E s war groß und geräumig, bestand aus vielen Gebäuden und besaß Ärzte, K ö c h e und Pflegepersonal. Von allen späteren xenodochien des Orients war das bemerkenswerteste ein im 11. Jahrhundert ebenfalls in Konstantinopel von Kaiser A l e x i u s errichtetes, welches das Waisenhaus genannt wurde. Der Name bezeichnet indes nur seine besondere Spezialität, denn wie in den früheren Anstalten wurde auch hier jede Form von Hilfe geleistet. E s hatte die Ausdehnung einer kleinen Stadt, konnte IOOOO Personen beherbergen 1 ) und war mit Kranken und Bedürftigen jeden Alters, jeder A r t , Religion und Nationalität gefüllt. Hier lag die Versorgung der Kranken gänzlich in den Eindruck auf das Leben der Welt hinterließ. E r führt besonders den intellektuellen und religiösen Einfluß an, den sie auf ihren glänzend begabten und hochgelehrten Bruder ausübte. Böhringer nennt sie ausdrücklich »das geistige Haupt ihrer Familie«. Rolling meint, ihr Gemeinschaftsleben stelle ein Urbild von Kaiserswerth dar, und seine Stärke habein der Tatsache gelegen, daß während ihr Kreis von Jungfrauen ein völlig unweltliches Leben führte, doch die Wurzeln, die sie mit den Wirklichkeiten des Lebens verbanden, nicht durchschnitten waren. Schäfer glaubt indes, daß jener bei diesem Vergleich die Tatsache übersieht, daß sie die praktische Tätigkeit in den Hintergrund schoben. Études historiques sur l'influence de la charité durant les premiers Siècles Chrétiens (Geschichtliche Studien über den Einfluß der Wohltätigkeit während der ersten christlichen Jahrhunderte). Etienne Chastel, Paris 1853.



135

-

Händen der Geistlichkeit und der religiösen Orden. Ärzte werden gar nicht erwähnt, sondern die Brüder und Schwestern benutzten Rezepte von griechischen Ärzten, von denen die Sammlung des Arztes Nikitas die wichtigste war1). Um diese Zeit besaß Konstantinopel im Ganzen siebenunddreißig verschiedene Anstalten, von denen die Mehrzahl aus den ersten Jahrhunderten herstammten. Eine Gruppe von Personen, die mit der frühesten Krankenversorgung in Beziehung standen, gerieten bald in Verruf und hatten eine stürmische Geschichte. Das waren die ductores oder Träger, später parabolani genannt. Sie waren Mitglieder eines Mönchsordens, der in untergeordneter Eigenschaft zur Geistlichkeit gehörte. Der parabolanus gehörte zum Personal aller alten xenodochien als Führer oder Begleiter der Kranken. Unter den Sachverständigen besteht einige Meinungsverschiedenheit über die genaue Ableitung dieses Titels. Einige glauben, er bedeute »sich in Gefahr begeben, etwa durch Ansteckung«. Andere und darunter Heusinger, dessen Schlüsse auf gründlichen Studien beruhen, meinen das Wort sei abzuleiten von »bringen oder tragen«. Die Hauptpflicht dieser Leute war, herumzugehen, sich nach bedürftigen Kranken umzuschauen und sie ins Hospital zu bringen 2 ), etwa mittels irgend eines primitiven Fuhrwerks, einer Bahre oder ') Haeser a. a. O. S. 18 u. Anm. S. 103. Die Parabolanen oder Parapemponten der alten Xenodochien von C. F . Heusinger in Janus: Zeitschr.f. d. Geschichte der Litteratur der Mediziti. Breslau 1847, II. S. 500—525. 2)

-

136

-

in ihren Armen; kurzum ihre Pflicht verband die eines Ambulanzfahrers mit der eines Boten zur »ersten Hilfeleistung«. Die parabolani werden gegen Ende des Pontifikates des Basilius zuerst erwähnt. In einem Schreiben an Hilias spricht Basilius von »Pflegern, Doktoren, Lasttieren und Führern, die unter das Volk ausgesandt wurden«. Dem Charakter nach scheinen sie durchweg Raufbolde gewesen zu sein, die sich aus den Horden syrischer und ägyptischer Mönche von rohem und gesetzlosem Schlage rekrutierten, welche damals das Land überfluteten. Eine Horde dieser brutalen Mönche mordete Hypatia'). Sie waren der Schrecken von Alexandrien zu der Zeit, als das Christentum im Jahre 391 zur Staatsreligion gemacht wurde und entarteten mehr und mehr. Gibbon spricht von »600 parabolani'« oder »Abenteurern«, welche »die Kranken in Alexandrien besuchten«2). Eine Reihe von Maßnahmen wurden getroffen, um sie zu unterdrücken. Das Theodosianische Gesetz sagt von ihnen: »Was die zum Dienst der Kranken bestimmten Pfleger (parabolani) anbelangt, so befehlen wir, daß ihrei nicht mehr als 600 sein sollen. Sie sollen auí denen ausgewählt werden, die am meisten Erfahrung in dieser Art des Dienstes besitzen. Sie sollen voir Bischof von Alexandrien gewählt werden, seinerr Befehl unterstellt sein und sich den von ihn getroffenen Anordnungen fügen«. Diese Beschränkung ') Siehe Hypatia von Charles Kingsley. ) a. a. O. Bd. V I I I . S. 32.

2

— 137 — ihrer Zahl sollte eine Genossenschaft im Zaume halten, die sie unter sich gebildet hatten, und sie unter Aufsicht stellen. Es war ihnen verboten ins Theater zu gehen oder sich an öffentlichen Orten aufzuhalten, wo ihr schamloses Betragen, ihre Roheit und Gewalttätigkeit sie berüchtigt gemacht hatten. Es wurde versucht, die Bestechlichkeit unter ihnen zu unterdrücken und zu verhindern, daß sie ihre Stellungen verkauften. Ihre Dienstwege, die sie in die schlimmsten Teile der Stadt führten, machten sie mit dem Abschaum der Menschheit bekannt; und da sie überdies einige Kenntnisse in den ersten Hilfeleistungen hatten, wurden sie Quacksalber und benutzten ihre Stellung, um Erpressungen zu verüben. Trotz aller Gegenmaßregeln wurden sie immer verderbter und Diascuros in Alexandrien benutzte sie, um einen seiner Gegner im Rat von Ephesus 1 ) zu ermorden. Um die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts verlor man sie aus den Augen. Alexandrien besaß viele Hospitäler und Anstalten, wie man aus der großen Zahl der parabolani schließen kann. Wahrscheinlich war es damals nicht leichter als heute das Geld zu ihrem Unterhalt zu erlangen. In diesem Zusammenhange erzählt Chastel eine hübsche Anekdote von Makarius, dem Haupt eines alexandrinischen Hospitals. Er bewog eine sehr reiche juwelenliebende und geizige Dame dazu, ihm 500 Goldstücke zu geben, indem er ihr dafür einige wundervolle Juwelen zu beschaffen versprach. Sie Heusinger a. a. O.

-

138

-

sollte an einem bestimmten Tage zu ihm kommen und sie in Empfang nehmen. Als der Tag herankam und die Dame erschien, zeigte ihr der würdige Makarius mit Stolz einen langen Hospitalsaal, wo ihre »Juwelen«, behaglich in ihre Betten gehüllt lagen. Die Dame war gnädig genug, den Scherz gut aufzunehmen. In kurzen Zügen einen richtigen Uberblick über die sozialen Zustände des kaiserlichen Rom zu geben zu der Zeit, wo uns die Geschichte der Krankenpflege dorthin führt, wäre vielleicht noch unmöglicher als der Versuch, einen knappen aber wahren Bericht über irgend eine moderne Riesenstadt zu entwerfen. Das Schauspiel der Verderbtheit des alten Rom, die fürchterliche Grausamkeit der öffentlichen Vergnügungen, die Orgien der Reichen und das Elend der Sklaven sind oft genug als Einleitung zur Beschreibung von Hospitälern und Pflegeeinrichtungen der ersten Christen geschildert worden. Und immer, wenn diese Geschichte kurz erzählt wird, stehen diese empörenden Einzelheiten im Vordergrunde. Es ist aber nur gerecht, daran zu erinnern, daß auch andere Elemente und Strömungen in der römischen Welt vorhanden waren. Außerdem bedarf das Licht der Lehren Christi in keiner Weise des Hintergrundes einer übertriebenen heidnischen Finsternis, den, wie es scheint, viele Schriftsteller als Gegensatz für nötig hielten. Lecky 1 ) zeigt, wie die größere Menschlichkeit der Griechen in gewisser Hinsicht die ') a. a. O. Bd. I. S. 227—228.



139



Härte des römischen Wesens änderte und milderte ; er erinnert daran, daß die Sklaven ihre Freiheit erkaufen konnten und daß viele sie auf diesem Wege erlangten ; er verweist auf die edle Ethik der stoischen Philosophie, welche auch menschliche Brüderlichkeit lehrte, wie das Leben und die Schriften der großen Stoiker beweisen. »Der Mensch wird um des Menschen willen geboren«, schreibt Cicero, »damit einer dem andern beistehen soll«. Dill sagt: »Wenn die (römische) Gesellschaft nur halb so verderbt war, wie Juvenal sie schildert, müßte sie schleunigst aus reiner Fäulnis zugrunde gegangen sein. Dennoch begann für Rom, als Juvenal starb, eine Zeit ehrenhafter Verwaltung und hoher öffentlicher Tugend«. Gibbon zählt die Zeit zwischen der Regierung Nervas (96 n. Chr.) und Konstantins bis zum Ende der letztern (337) zu den wahrscheinlich glücklichsten Perioden der römischen Geschichte, wenn nicht gar der Welt. Aber die edleren Ausblicke des menschlichen Geistes waren den Massen des Volkes verschlossen. Wissen und Aufklärung waren ausschließliche Genüsse einer nur kleinen Minderheit und dem Volke in seiner Allgemeinheit nicht zugänglich. In Rom selbst konnte die Kultur Weniger nicht der allmählichen Verwilderung der Massen Widerstand leisten; und der moralische Zusammenbruch mußte folgen, wie im ganzen Reiche der Zusammenbruch der Landwirtschaft und die Vernichtung des Mittelstandes aus der Verbindung von Aristokratie und Sklaverei folgte 1 ). Tuker und Malleson schreiben: ') Siehe hierüber Villari; ebenso L e c k y a. a. O. Bd. I. S. 256—268.



I40



Das System des Kaiserreichs ließ dem einzelnen Bürger keinen Spielraum, so daß dieser dem Fluch der Untätigkeit Preis gegeben war. . . . Die Fähigkeiten der Menschen wurden nicht ausgenützt, konnten sich nicht glücklich und harmonisch entwickeln ; die menschliche Natur wurde vergewaltigt

und

daher verkrüppelt 1 ).

In diese Gesellschaft hinein kamen die

christlichen

[die allerdings

Lehren

noch heute,

nach

Jahren, nicht allgemein angenommen sind], um die

2000

Sklaverei

in jeder F o r m zu untergraben und die Wahrheit, welche die Menschen frei macht, zu lehren. Gefühl

persönlicher

Die Selbständigkeit und das

Verantwortlichkeit,

Eigenschaften,

für

welche das alte römische System keinen Platz hatte, waren für den Christen hervorragende Tatsachen geworden : mit ihm war eine neue Kunst in die Welt geboren,

»die Kunst der

Selbstbestimmung«, und das führte ihn unvermeidlich zu einem weiteren Schritte : der Erkenntnis seiner selbst als Einzelwesen 2 ).

. . . Hat Phoebe das Werk der Diakonissen in R o m begonnen, als sie dort mit Pauli Brief an seine Freunde eintraf? Nichts ist wahrscheinlicher, obgleich keinerlei Beweise dafür vorliegen. Aber es wäre ebenso undenkbar, daß sie bei ihrer Hingebung an die Werke der Barmherzigkeit Rom besuchte und mit den Gläubigen dort in Beziehungen trat, ohne das Diakonat zu entwickeln und zu fördern, als daß Mrs. F r y 1800 Jahre später Paris und Brüssel besuchte ohne die humanen Bestrebungen zu fördern, welche ihrem Herzen am nächsten standen. Wir dürfen an nehmen, daß die Diakone, Diakonissen und Witwer der Kirche in Rom sich in derselben Weise derr Besuch und der Pflege der Kranken widmeten une ') a. a. O. Teil I I I . S. 3. -) a. a. O. S. 5 6.

— 141 — kleine Hospitäler in Privathäusern gründeten, wie es im Osten geschah. Doch ist uns kein Name derselben erhalten geblieben und erst gegen Mitte des 4. Jahrhunderts begegnen wir jenen edlen römischen Matronen, deren hervorragende Stellung als Nachkommen der ältesten und dem Vaterland ergebensten römischen Familien, deren Wissen und Charaktereigenschaften, nebst den Großtaten, die sie bei der Einführung des Christentums durch Gründung von Hospitälern und Klöstern und Förderung der Erziehung verrichteten, ihnen einen ersten Platz in der Reihe großer Frauen aller Zeiten sichern. Die Namen und Geschichte einer Marcella, einer Paula und ihrer Töchter Eustochia und Blesilla, Proba und ihrer Tochter Laeta, einer Lucina, Fabiola, Principia, Asella, Lea, Melania, Albina und anderer, ungefähr fünfzehn im Ganzen, sind in den Schriften des Hieronymus aufbewahrt. Chastel erwähnt außer Fabiola die Jungfrau Demetriada, Eupraxia und eine zweite Melania, welche ihr ganzes Vermögen unter die Armen verteilten. Schon im zweiten Jahrhundert hatten römische Bekehrte ihre Häuser in Hospitäler und Mittelpunkte der Almosenverteilung verwandelt. Gibbon spricht von den Senatoren, aber ganz besonders von den Matronen, die ihre Paläste und Landhäuser zu solchen hergegeben hatten 1 ). Die Beweggründe, welche in jenen alten Zeiten den Einzelnen dem Pflegeberuf zuführten, waren vielleicht verschiedenartiger, als die, welche uns heute ') a. a. O. Bd. IV. S. 308.



142



leiten, wo die sozialen Zustände prosaischer und der Durchschnittsmensch unbedeutender ist. Mit dem Beginn des Christentums nahm die Krankenpflege als Sühne für begangene Sünden und Trost im Unglück einen hohen Rang ein. Chastel spricht in seinem »Einfluß der Mildtätigkeit« von den »Freiwilligen, manchmal glücklichen, aber oft auch unglücklichen Menschen, die neben den Diakonissen und Witwen sich der Pflege in den Hospitälern zuwandten.« Er erzählt von einem jungen Mädchen, das grausam verführt, zur Buße und Sühne den Kranken dreißig Jahre lang diente und berichtet, daß St. Antonius einem Bruder, der zur Melancholie neigte, den Rat gab, sich der Krankenpflege zu widmen. Die römischen Patrizier, welche sich an dieser Bewegung beteiligten, behielten ihre bürgerlichen Stellungen bei, 1 ) denn der Ruf und gelegentliche Anblick der ungewaschenen und vernachlässigten Mönche des Orients, die aus dem Schmutz einen Kultus machten, erfüllte die peinlich säubern Römer, deren Kultus bisher körperliche Reinlichkeit war, mit Widerwillen und man sah in Rom auf die religiösen Orden herab. Anders war es mit einigen Mitgliedern jener bereits erwähnten Gruppe vornehmer Matronen. Sie setzten ihre unabhängige Stellung und ihren großen Reichtum (sie gehörten zu denen, welche unter dem freien Ehekontrakt ihre persönliche und gesetzliche Unabhängigkeit bewahrten) gänzlich für das Gemein') Les Gardes-Malades Congréganistes, Mercénaires, Amateurs, Professionelles (Das kösterliche, gedungene, dilettantische und berufliche Pflegepersonal), Mlle. Dr. Hamilton und Dr. Felix Regnault. Paris, Vigot Frères, 1901 S. 6.



143



schaftsieben und die Organisation großer mildtätiger Stiftungen ein. Marcella war das Haupt und die Führerin dieser Gruppe bedeutender Frauen. Ihr Palast lag am Aventinum, dem vornehmsten Teile Roms; vor kurzem stand Lanciani auf dem soeben ausgegrabenen Garten, der ihn einst umgab und ihre tragische Geschichte wieder ins Gedächtnis rief.1) Die Berichte, welche Marcella über das klösterliche Leben hörte, weit davon entfernt, sie abzustoßen, zogen sie vielmehr mächtig an. Voll Eifer verwandelte sie ihren Palast in ein Kloster und führte so als erste das Klosterleben in Rom ein. Sie war hochgelehrt und als sie mit Hieronymus bekannt wurde, schreibt dieser: »Alles, was ich mit großer Mühe und langem Nachdenken gelernt habe, lernte sie auch, aber mit größter Leichtigkeit und ohne eine ihrer andern Beschäftigungen aufzugeben oder eine ihrer Bestrebungen zu vernachläsigen«. Hieronymus beschreibt in einem seiner Briefe ihr Leben, ihre geistige Befähigung und ihren Tod. »Wie viele Tugenden und Fähigkeiten, wie viel Heiligkeit und Reinheit ich in ihr fand, fürchte ich mich auszusprechen«. 2 ) Sie wurde oft von Priestern und Bischöfen über dunkle Stellen in der ') The Destruction of Ancie?it Rome (die Zerstörung des alten Rom) von Rodolfo Lanciani. London 1903, S. 58—60. 2 ) Letter to Principia (Brief an Principia). Siehe A Select Library of Nicene and Post-Nicene Fathers of the Christian Church (Ausgewählte Bibliothek der Kirchenväter aus der Zeit vor und nach dem Concil von Nicäa). Schaff und Wace, Zweite Serie. 1893, New York, Oxford und London. Bd. VI. Letters of St. J'erome (Briefe des h. Hieronymus).



144



heiligen Schrift um Rat gefragt und erregte deren Bewunderung durch den Scharfsinn ihres Urteils. Während der Plünderung Roms wurde Marcellas Haus von Barbaren erstürmt und sie selbst grausam mißhandelt und verwundet. Man glaubt, daß sie in die Paulskirche außerhalb der Stadtmauern flüchtete, wo sie ihren Verletzungen erlag. Eine der reizendsten und in ihrer Jugend vielleicht weltlichsten Frauen dieser Gruppe war Fabiola. Sie gehörte der Patrizier-Familie der Fabianer an ; heiratete einen lasterhaften Gatten, wurde von ihm geschieden und heiratete dann zum zweitenmal, wieder unglücklich. Marcellas Einfluß, die Lehren des Christentums und vielleicht auch ihre eigenen traurigen Erfahrungen veranlaßten Fabiola, sich mit dem ganzen Eifer einer lebhaften, ungestümen und ruhelosen Natur in ein Leben der Selbstverleugnung und der Nächstenliebe zu stürzen. Sie wurde Christin und als Sühne für ihr früheres Leben und die zweite Heirat, die sie jetzt als Sünde betrachtete, legte sie nach der leidenschaftlichen und dramatischen Art jener Zeit ein öffentliches Bekenntnis ab. A m Vorabend des Osterfestes pflegten Verbrecher aller Art und der niedrigsten Klasse an die Pforte des Lateran zu kommen, um öffentlich ihre Sünden zu bekennen. Unter diesen befand sich zur allgemeinen Verwunderung auch Fabiola, die hochgeborene und reiche Patrizierin, in einem schlichten dunkeln Gewand mit aufgelöstem Haar, das Haupt mit Asche bestreut und das Antlitz von Tränen überflutet. Seit jenem Tage verschwendete sie ihren fürstlichen Reichtum und ihre unbegrenzte

— Energie

an

die A r m e n

145



und Kranken.

Fabiola

war

es, die im J a h r e 390 d a s e r s t e a l l g e m e i n e ö f f e n t l i c h e Hospital

in

Rom

nosocomium im

Gegensatz

Hieronymus' zählt

nach

baute,

bezeichnet, zu

einfachen

berühmter ihrem

das

Tode

Hieronymus

d. h. ein

die

ihre R e u e ,

als

für

auf

Fabiola

ganze Geschichte

ihre T ä t i g k e i t

beschreibt

ihre

erihres

ihre u r s p r ü n g l i c h e im

Hospital,

w o sie s e l b s t als P f l e g e r i n u n t e r ihren K r a n k e n Hieronymus

ein

Kranke,

Almosenempfängern.

Lobgesang

L e b e n s u n d ihrer W i r k s a m k e i t 1 ) — Weltlichkeit,

Asyl

Arbeit

wirkte.

wie

folgt :

Dort sammelte sie alle Kranken von den Landstraßen und pflegte selber die unglücklichen, abgezehrten Opfer von Hunger

und

Krankheit.

Kann

ich hier

alle die

schildern, welche menschliche Wesen befallen? — stellten, erblindeten Angesichter,

Plagen die ent-

die teilweise verstümmelten

Glieder, die blauen Hände, geschwollenen Körper und abgezehrten Hände und Füße? . . .

Wie oft habe ich sie ge-

sehen, wie sie diese beklagenswerten, schmutzigen und ekelerregenden Opfer schrecklicher Krankheiten in ihren Armen trug!

Wie oft habe ich gesehen, wie sie Wunden

wusch,

deren Gestank jeden andern veranlaßt hätte, sich abzuwenden! Sie fütterte die Kranken mit eigener Hand und belebte die Sterbenden mit kleinen und häufigen Mahlzeiten.

Ich weiß,

daß viele reiche Leute den Widerwillen nicht zu überwinden vermögen, den solche Werke der Barmherzigkeit verursachen; . . . ich verurteile dieselben nicht, . . . aber wenn ich hundert Zungen hätte und die Stimme einer Trompete, so könnte ich die Zahl der Kranken nicht nennen, denen Fabiola Trost und Hilfe brachte.

Die Armen, welche gesund waren, beneideten

die Kranken. a. a. O. Brief L X X V I I »an Oceanus«. N u t t i n g u. D o c k , Geschichte der Krankenpflege. Bd. I.

IO



146



Fabiolas Freundin Paula und Pammachius, Paulas Schwiegersohn, nahmen warmen Anteil an der Arbeit im Hospital und beteiligten sich mitfühlend an seiner Gründung und Entwicklung, denn Paula selbst war schon früher an ähnlichen Unternehmungen im Ostreich beteiligt gewesen. Fabiola und Pammachius gründeten zusammen ein riesiges Zufluchtshaus für Pilger und Fremde in Portus (Ostia), von dem Hieronymus an Pammachius schreibt: »Ich höre, daß ihr in Portus ein Hospiz für Fremde errichtet und daß ihr einen Zweig von dem Baume Abrahams am ausonischen Ufer gepflanzt habt«1). In seinem Lobgesang berichtet er von dem freundschaftlichen Wetteifer zwischen Pammachius und Fabiola, wer am meisten für dieses Hospiz tun könne und schreibt : »Ein Haus wurde gekauft um als Obdach zu dienen und Scharen fluteten hinein . . . Was Publius einst auf der Insel Malta für einen Apostel tat, haben Fabiola und Pammachius wieder und wieder für eine große Menge getan . . . Die ganze Welt weiß, daß ein Heim für Fremde in Portus errichtet ist. Britannien erfahrt im Sommer, was Ägypten und Parthien im Lenz wußten«.2) Einige Autoren bezeichnen dieses Hospiz als ein Heim für Genesende, eine Annahme, die Haeser daraus erklärt, daß in lateinischen Übersetzungen der Ausdruck villa languentium. dafür gebraucht wurde 3 ). Paula, geboren 347, war eine der höchstgeborenen, begabtesten und gelehrtesten Frauen ihrer Zeit. ') Nicene and Post-Nicene Fathers. ibid. Brief L X X V I I . 3) a. a. 0 . Anmerk. S. 107. 2)

Brief L X V I , S. 138.



147



Sie leitete ihre Herkunft ab von Agamemnon, Scipio und den Grachen, und war ungeheuer reich, da die ganze Stadt Nekropolis ihr Eigentum war. Sie verstand das Hebräische und half Hieronymus bei seiner Übersetzung der Propheten. Marcellas Ermahnungen gewannen Paula dem Christentum und nach dem Tode ihres Gatten trat sie in Marcellas Haus ein, das damals ein Kloster war, und verband sich a u f s innigste mit Fabiola und andern »vornehmen Frauen« des Hieronymus. Nach dem Tode zweier Töchter verließ Paula, von einer noch übrig gebliebenen, unverheirateten Tochter begleitet, in Erfüllung eines lang gehegten heißen Wunsches beider um das Jahr 385 Rom und schiffte sich nach Palästina ein, wo sie sich in Bethlehem niederließen. Gibbon bemerkt bei der Erzählung dieser Geschichte spöttisch, daß sie zu diesem Behuf ihren, noch im Säuglingsalter stehenden Sohn verlassen habe. In Wirklichkeit war dieser indes kein Säugling mehr, sondern ein Knabe von zehn Jahren, den sie in der Fürsorge liebevoller Verwandter zurückließ ; und obgleich diese Handlungsweise uns heute unnatürlich erscheinen mag, dürfen wir nicht vergessen, daß man damals in dem Uberschwang der Selbstaufopferung eine edle Tat sah und Hieronymus ausdrücklich zur Lösung der zärtlichsten Familienbande ermutigte. Paula, eine tiefe, ernste, hochherzige Natur kann einen solchen Schritt nicht leichtsinnig getan haben. Sie und ihre Tochter gründeten in Bethlehem ein Kloster, in dem sie einen Kreis frommer Frauen um sich versammelten. Auf dem Wege nach Bethlehem baute Paula Zufluchtshäuser für Pilger und 10*



148



Hospitäler für Kranke, in denen sie und ihre Gehilfinnen unermüdlich tätig waren. Lecky sagt, daß sie auch in Jerusalem ein Hospital erbaut habe. Die Gebäude, die sie errichtete, waren niedrig und schmucklos, da sie es für vernünftiger hielt, das Geld den Armen zu geben, als es auf großartige Bauten zu verwenden. In dem oben erwähnten Briefe an Pammachius entwirft Hieronymus ein lebensvolles Bild von den groben Verrichtungen dieser einst im Luxus lebenden römischen Damen. »Und, wenn Du alles, was ich erwähnte, getan hast«, schreibt er, »wirst Du doch sowohl von Deiner Schwester Eustochia, als von Paula übertroffen werden . . . Ich habe gehört, daß sie (in früherer Zeit in Rom) zu verwöhnt waren, um durch die schmutzigen Straßen zu gehen, daß sie sich von Eunuchen auf dem Arm tragen ließen, daß sie ungern über unebenen Boden schritten, daß ihnen ein seidenes Gewand zu schwer und die Sonne zu heiß schien. Aber jetzt tragen sie düstere und unsaubere Kleider, . . . putzen die Lampen, zünden Feuer an, kehren die Fußböden, reinigen das Gemüse, tun Kohlköpfe in den Kochtopf, decken den Tisch, reichen die Becher, helfen das Geschirr waschen und laufen hin und her, um andern zu dienen«. Sie alle arbeiteten als Pflegerinnen und Dienerinnen in den Hospitälern. Mrs. Jameson zitiert eine alte englische Übersetzung der Lebensbeschreibung Paulas : » Sie war erstaunlich leutselig und mitleidig mit denen, die krank waren, tröstete sie und diente ihnen recht demütig, gab ihnen reichlich zu essen und alles, was sie sich wünschten. . . . Sie ging oft zu denen, die krank waren

— 149 — und legte ihnen die Kissen zurecht; sie rieb ihre Füße und kochte Wasser um sie zu waschen ; sie glaubte, je weniger sie für die Kranken tue, desto weniger diene sie Gott, und desto weniger verdiene sie seine Gnade. Daher war sie mitleidig mit ihnen und nicht mit sich« 1 ). W i e die andern Jünger der alten Kirchenväter, denen die Sorge für ihren K ö r p e r unvereinbar mit wahrer Güte schien, teilte auch Paula deren uns heute unbegreifliche Auffassung, daß es verdienstvoll sei, den eigenen Körper zu vernachlässigen, und tadelt gewissenhaft eine absichtliche Sauberkeit in der Kleidung, die sie »eine Unsauberkeit des Geistes« nennt. Hieronymus, der mit Paula nach Palästina zurückgekehrt war, leitete ein Männerkloster, das jene erbaut und ausgestattet hatte. V o n dort schrieb er 3 8 6 2 ) an Marcella um sie zu bitten, ins Heilige L a n d zu kommen. Sie entsprach dem nicht, dagegen kam Fabiola einige Jahre später und der gute, alte Vater war ein wenig in Verlegenheit, wie er eine so vornehme Dame unterbringen solle. Ein drohender Einfall der Hunnen kürzte den Besuch ab und Paula sah sie nie wieder. Hieronymus überlebte alle diese berühmten römischen Pflegerinnen aus den Geschlechtern der Patrizier. Noch 399, nach Fabiolas Tode, schrieb er ihren L o b g e s a n g : »Gab es ein Kloster, das nicht durch Fabiolas Reichtum unterstützt wurde ? Gab es einen Unbekleideten oder einen Bettlägerigen, der nicht in Gewänder gehüllt wurde, ') Sisters of Charity (Barmherzige Schwestern), Mrs. Jameson. London 1855, S. 18. 2 ) Nicene and Post-Nicene Fathers etc. Brief XLVI S. 60.



ISO



die sie gegeben? Gab es jemals einen Notleidenden, dem sie versäumte zu helfen ?« A l s sie starb, geleitete ganz Rom sie zu Grabe. »Welch ein Wunder Fabiola für ganz Rom gewesen ist, während sie lebte, das erkannte man an dem Benehmen des Volkes nach ihrem Tode. . . . Ich glaube noch heute die Schritte der Massen zu hören, die zu tausenden herbeiströmten, um ihrem Begräbnis beizuwohnen» '). Und im Jahre 404, nach Paulas Tode, schreibt er einen langen, beredten Trostbrief an Eustochia 2 ), in dem er der Milde und Güte Paulas einen erhebenden Tribut zollte. Diese ausgezeichneten Frauen waren Zeugen davon gewesen wie über die Gesellschaft, der sie früher angehört hatten, eine gründliche Wandlung kam — wie ein altes Reich wankte, eine neue Religion tagte. Diejenige Gemeinschaftsform, die wir Kloster nennen und die durch Marcellas Beispiel zuerst in Rom eingeführt worden war, stand im Begriff, die allgemeine Organisationsform zu werden, in der Männer und Frauen eine Betätigung ihres Wesens außerhalb der Familienbande finden konnten. ') ibid., Brief an Oceanus. ) ibid., Brief C V I I I S. 195—212.

2

Kapitel III.

DIE E N T W I C K L U N G D E S

KLOSTERWESENS.

Für die Verwaltung der klösterlichen Orden erkannte die Kirche vier »Regeln« an —• die des Basilius, des Augustinus, des Benediktus und des Franziskus. Diese »Regeln«, die man zum besseren Verständnis etwa mit unveränderlichen Verfassungen vergleichen könnte, ordneten die allgemeinen Formen und die Hauptentwicklung der klösterlichen Krankenpflege-Orden. Wollten wir versuchen, die tiefen geistigen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen darzustellen, welche dem Klosterwesen, besonders dem des Westens zugrunde lagen, das schnell einen kräftigen sozialen, industriellen und intellektuellen Charakter annahm, so würde das weit über die uns gesteckten Grenzen führen. Wer diesen an sich so fesselnden und wichtigen Gegenstand weiter verfolgen will, möge sich in die besonderen Schriftsteller vertiefen, welche Licht in denselben gebracht haben. Wir wollen hier nur vom praktischen Standpunkt aus bemerken, wie außerordentlich wichtig es war, daß die ersten Hospitäler und Anstalten brüderlicher Liebe unter einem starken



152



schützenden Einfluß standen, wie ihn die Kirche bald gewährte, um sie gegen Plünderung und Gewalt zu sichern. Von der Zeit Konstantins an haben sich die Staatsgesetze häufig auf die organisierte Fürsorge für Kranke und Hilflose bezogen. Dem Konzil von Chalcedon im Jahre 451 entsprechend, war das Hospital ganz allgemein der Kirche oder dem heiligen Orte beigeordnet. Unter der Regierung Justinians von 527—565 waren die Bischöfe mit einer Vollmacht über die Hospitäler ausgestattet und dies war eine Zeit beispiellosen Eifers und großer Tatkraft mit Bezug auf die Errichtung von Zufluchtshäusern, Hospizen, Findelhäusern und nosocomien. Uhlhorn ') weist darauf hin, daß es keinen logischeren und verständlicheren Grund für die Entstehung und schnelle Ausdehnung der religiösen Orden und ihre Behütung der Hospitäler und Wohltätigkeitsanstalten geben könne, als die Notwendigkeit, die für solche Einrichtungen gestifteten Gelder und Besitzungen gegen unverantwortliche oder gar gesetzwidrige Angriffe zu schützen. Aus diesem Grunde bestimmte Gregor der Große, welcher die Unterordnung der zeitlichen unter die geistigen Mächte verlangte, ausdrücklich, daß nur die religiosi oder Geistlichen für die Hospitäler verantwortlich sein sollten nicht als direkte Verwalter derselben, sondern vielmehr durch Anstellung geeigneter Leiter, weil sie vor der Belästigung durch Laientribunale sicher waren; und 817 erklärte das Konzil von A i x die Sorge für die 'J Die christliche Liebestätigkeit in der alten Kirche von Dr. Gerhard Uhlhorn, Abt von Lockum. Stuttgart 1890 u. 1896.

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C ni ri T5 gehört zu haben.

A b e r zu dieser Zeit war den Frauen

d a s ihnen im elften und zwölften Jahrhundert anvertraute Gebiet wieder g e n o m m e n

worden,

wie auch die B e s t i m m u n g e n

der

dänischen Feldhospitäler in Holstein im Jahre 1758 zeigen, die nach den französischen Vorschriften abgefaßt sind.

N a c h diesen

B e s t i m m u n g e n übten die Medizin-Studenten die P f l e g e mit Hülfe von Ordonnanzen aus und Frauen wurden nur für die Scheuerarbeit gemietet; die Vorschriften bestimmen nämlich, daß die Haushälterin

so viele kräftige,

gesunde

verheiratete

Frauen

anstellen soll, wie der Oberarzt für nötig hält, um die W o h n u n g e n der K r a n k e n Weitere

sauber zu halten und die W ä s c h e zu besorgen.

Einzelheiten

über

die

Arbeit

dieser

Frauen

lauten

folgendermaßen : »An j e d e m M o r g e n müssen die F r a u e n eine Stunde

vor d e m R u n d g a n g des Arztes alle Nachtstühle, Bett-

geräte und S p u c k n ä p f e entfernen und sorgfältig reinigen.« — »Wenn

ein sehr

schwacher

Kranker

oder

ein

schwer

Ver-

wundeter U n g e z i e f e r b e k o m m e n sollte, müssen die Frauen ihm oft das H a a r k ä m m e n und ihn säubern.« geht

des W e i t e r e n

hervor,

K r a n k e n p f l e g e ausübten. wart

des

daß

die

A u s den Vorschriften Medizin-Studenten

die

Sie hatten die Arzneien in Gegen-

Oberarztes zu verabfolgen,

damit er die

Wirkung

besser übersehen könne und um zu verhindern, daß sie nicht für andere Zwecke, als für das W o h l der K r a n k e n verbraucht würden.

»Wenn

ein

Mann

schwer

verwundet

ist,

soll

der

C h i r u r g ihn einmal in der N a c h t besuchen, um seine Schmerzen zu lindern und zu überwachen, daß der diensttuende chirurgische

— 541 — Student da ist, ebenso die Ordonnanz und dafür zu sorgen, daß er seine Pflicht tut.« Die Wundärzte bereiteten alles Verbandmaterial und verbanden die Wunden, sie wechselten die Breiumschläge, katheterisierten, gaben Einlaufe und hatten die Nachtwache. 1 )

In einigen Ländern des Kontinents dauert diese dunkle Periode, allen äußeren Einflüssen zum Trotz, bis in die heutige Zeit fort, wie das Studium der großen Krankenhäuser in Rom und Wien nur zu gut beweist. Da wir auf diese Länder nicht so bald zurückkommen werden, wollen wir in diesem Zusammenhang, der auch der nächstliegende ist, einen knappen Überblick über die noch bestehenden Verhältnisse ihres Pflegepersonals geben. 1901 hat Frau Angelo Celli 2 ) in allen italienischen Krankenhäusern eine Erhebung über die Dienststunden und allgemeinen Lebensverhältnisse des männlichen und weiblichen Dienstbotenpflegepersonals angestellt. Solche scheinen in den letzten Jahrhunderten in weit größerem Umfang verwendet worden zu sein als früher, vielleicht wegen der zunehmenden Größe der Hospitäler, der schwindenden Zahl der Laienschwestern, Oblata und Tertiarinnen, oder wegen der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse. Während die in den Krankensälen die Aufsicht führenden Nonnen unter der Obhut eines Mutterhauses sind, unterstehen diese Dienstboten, welche eigentlich ') Nursing in Denmark (Krankenpflege in Dänemark), Charlotte Norrie. American Journal of Nursing, Dez. 1900, S. 183. 2 ) Die frühere Schwester Anna Fraentzel des HamburgEppendorfer Krankenhauses. Die Übersetzerin.



542

.i 11 Krankenpflege leisten, der Laienverwaltung des Hospitals. Von 45 Hospitälern hatte in 6 das Dienstbotenpflegepersonal 12 aufeinanderfolgende Arbeitsstunden. In einigen hatten sie von 1 0 — 1 4 Stunden. Ein besonders beliebter Arbeitsplan bestand in einer wechselnden Stundenzahl, wie: A m ersten T a g 19 aufeinanderfolgende Stunden, am zweiten T a g 1 1 Stunden, am dritten T a g 1 1 Stunden. Dann wiederholte sich der Kreislauf. Ein anderes Beispiel dieser A r t war: erster T a g 17 aufeinanderfolgende Stunden, zweiter T a g 17 Stunden, dritter T a g 8 Stunden, vierter T a g 5 Stunden. Ein weiteres: erster T a g 13 Stunden, zweiter T a g 1 1 Stunden, dritter T a g 10 Stunden, vierter T a g 17 Stunden. Darauf folgte ein dienstfreier T a g für die Pflegerin. Ein Hospital verlangte tatsächlich an jedem dritten Arbeitstag 37 ununterbrochene Arbeitsstunden ; zwei andere hatten zwischen 24 und 48 ununterbrochene Arbeitsstunden und eines verlangte abwechselnd 30 und 48 Dienststunden, ehe eine längere Ruhepause gegeben wurde. Schlafgelegenheiten gab es in einigen Hospitälern überhaupt nicht und in anderen »niedrige, enge« Schlafsäle, in denen sich bis zu 40 Betten befanden. Nicht alle sorgten für die Mahlzeiten des Pflegepersonals und einige gaben nur einen Teil der für eine erwachsene, arbeitende Person erforderlichen Nahrung. Was sie erhielten, wurde gewöhnlich nach dem Gewicht ausgeteilt. Wenn man fragt: »Woher fanden sich Leute, die bereit waren, solche Stellungen zu übernehmen?«, so kommt die traurige Wahrheit ans Licht, daß die Findelhäuser den größten Teil des bedauernswerten



543



Menschenmaterials für diese Lohnsklaverei lieferten, und daß die Unglücklichen dazu erzogen waren, nichts anderes zu erwarten. 1 ) In Osterreich bestanden die gleichen unmenschlichen Bedingungen und bestehen noch heute. Man kann in keinem Lande ein unterdrückteres und mehr mit Füßen getretenes Pflegepersonal finden. Das berühmte Allgemeine Krankenhaus in Wien, dessen R u f als ärztliche Lehranstalt lange sehr bedeutend war, hatte und hat noch einen 24 stündigen Dienst, der mit einem T a g der sogenannten Dienstbereitschaft abwechselt, an dem von 8 — 1 0 , von 1 2 — 1 und von 4 — 5 bestimmte Arbeiten zu verrichten sind. In der Nacht wird geschlafen und dann beginnt wieder die 24 stündige Arbeitsperiode. Das Pflegepersonal der Männer- und Frauensäle, eine Person auf jeden Saal mit 40 Kranken, besteht fast ausschließlich aus Frauen. Sie werden den Reihen ungebildeter, bedürftiger, schüchterner und unterwürfiger Arbeitsfrauen entnommen und es wäre ein großes Unrecht, wollte man in ihnen etwas anderes als die Opfer eines schlechten Systems sehen. Es gibt keine Oberin oder sonstige weibliche Leitung. Sie werden von dem Direktor des Hospitals angestellt, beaufsichtigt, bezahlt und entlassen. Ihre Schlafgelegenheit besteht in Verschlagen in den Sälen — nicht außerhalb der Säle, sondern in den Sälen — in der gleichen Reihe mit den Betten der Kranken. In ') La Dotma Infermiera (Die Krankenpflegerinnen) von Anna Celli, in der Unione Femminile (Frauen-Union) No. 3, 4, 7, 8. Mailand 1901.



544



diesen V e r s c h l a g e n essen sie ihre Mahlzeiten, die sie sich mitbringen ; ihre L ö h n e monatlich ') und französischen

Pflegerinnen,

A n g e h ö r i g e n der K r a n k e n In diesem durch

die

betragen

etwa

72

M.

sie sind, wie die italienischen und

Hospital

gibt

Anmaßung das

auf Trinkgelder v o n den angewiesen. es keine

einer

Pflegerinnen

oder

regelmäßige

Ruhestunden

Oberin,

Autorität

Bestehen

auf

über

die

Unterweisung,

oder Rücksichtnahme

dieselben, Ärgernis erregen könnte.

die

Es

gibt

auf keine

Frauen-Kommission, um den Direktoren dreinzureden und

den Ä r z t e n V o r s c h l ä g e

kein religiöses Mutterhaus,

zu

um

machen. den T a d e l

was schief geht, auf sich zu nehmen.

Es

gibt

für alles,

E s gibt nur die

alleinige, unbeeinflußte und unbeschränkte männliche A u f s i c h t , ein S y s t e m welches demnach als Muster dessen gelten

muß,

was

die

männlichen

Autoritäten

für

befriedigend und wünschenswert ansehen. V o n diesem S y s t e m , (das keineswegs beschränkt

ist)

schrieb

auf dies eine K r a n k e n h a u s Florence

Nightingale

1863:

Das Pflegepersonal beider Geschlechter ist unter dem alleinigen Befehl männlicher Hospital-Beamter; in diesem Fall erscheinen die Einrichtungen betreffs Dienststunden, Schicklichkeit und allgemeinen sanitären Vorschriften gradezu verrückt. So gibt es Vorschriften, nach denen die Pflegerinnen 24 Stunden in einem Saal Dienst tun müssen ; nach denen sie bei den Kranken schlafen müssen, was darin gipfelt, daß eine weibliche Pflegerin im Männersaal schlafen muß etc. Auf diese Weise werden die Pflegerinnen körperlich und moralisch zu Grunde gerichtet.2) ') Ohne Beköstigung! Die Übersetzerin. Siehe Band II, Miss Nightingale's Writings.

2)



545



Den kräftigsten Anstoß zur Verbesserung der öffentlichen Anstalten, den das 18. Jahrhundert aufweist, gaben zweifellos die verschiedenen Erhebungen von John Howard über die darin herrschenden Zustände. In der ganzen Geschichte geduldigen menschenfreundlichen Strebens hat niemand das Wohl seiner Mitmenschen auf grauenvolleren Pfaden verfolgt als er. Seine Erhebungen über Gefängnisse, Kerker, Asyle, Pesthäuser und Hospitäler stehen beispiellos in den Annalen humaner Wirksamkeit da, und nur Dorothea Dix' Bemühungen zu Gunsten der Geisteskranken in den Vereinigten Staaten über hundert Jahre später lassen sich damit vergleichen. Den Gefängnissen und Lazaretten galt sein Hauptaugenmerk. Hospitäler besuchte er nur gelegentlich, seine Anmerkungen darüber sind aber so anschaulich, daß wir sie weiterhin als Berichte eines Augenzeugen heranziehen werden. So schlimm es auch in manchen Hospitälern stand, sie bildeten noch die Lichtseite von Howards Arbeit. Der Zustand der Gefängnisse war so unfaßbar fürchterlich, daß Geist und Auge gleich stark vor den kalten Druckseiten zurückschaudern, auf denen er so bündig und mit so selbstverständlicher Mäßigung die Tatsachen darstellt. Das war die Zeit, wo auf das belangloseste Vergehen gegen das Eigentum Todesstrafe stand — wo ein Taschentuch, ein paar Rüben, ein paar aus der Tasche gestohlene Silber') Siehe Life of John Howard, von James Baldwin Brown, London, 1823. N u t t i n g u. D o c k , Geschichte der Krankenpflege. B d . 1.

35

— 546 — münzen heiliger gehalten wurden, als das Leben eines menschlichen Wesens. Und doch war der Tod, abgesehen von der hülflos zurückgelassenen Familie, gnädiger als das Schicksal, das einen Gefangenen erwartete. John Howard war 1 7 2 7 geboren und begann seine Gefangniserhebungen, als er etwa 43 Jahre alt war. A u f einer Reise nach Lissabon wurde sein Schiff an der französischen Küste gekapert, während Frankreich mit Spanien im Krieg lag. Reisende und Mannschaft wurden in ein französisches Gefängnis geworfen. Dasselbe war so schrecklich und was ihm seine Leidensgefährten vom Gefängnisleben erzählten, machte einen so tiefen Eindruck auf ihn, daß er beschloß, sein Leben der Verbesserung dieser Zustände zu widmen. Glücklicherweise hatte dieser außergewöhnliche Mann Zeit und Geld und begann nun eine Reihe von Gefängnisbesuchen in seinem eigenen Lande und auf dem Festland. E r machte im Ganzen bis zu seinem Tode sieben Reisen durch den Kontinent, in deren Verlauf er mit 30000 Pfund (er. 600000 M.) Unkosten 6 0 0 0 0 [engl.] Meilen zurücklegte. A u f diesen Reisen besichtigte er alle Gefängnisse Europas und stieg in Kerker und unterirdische Verließe lebendig Begrabener hinab, die außer den Opfern und deren Kerkermeistern nie ein menschliches Wesen gesehen hatte. Wenig Menschen wären im Stande gewesen, nicht bloß den Anblick des Elends, sondern den unbeschreiblichen Schmutz, die verdorbene Luft und den schrecklichen Gestank zu ertragen, der so überwältigend war, daß



547



er zu Pferde reisen mußte, weil er den Geruch seiner eigenen Kleider im Wagen nicht ertragen konnte. E r war gewöhnt, um 2 Uhr morgens aufzustehen, um seine Aufzeichnungen zu machen, gönnte sich höchstens sechs Stunden Schlaf, nahm täglich ein kaltes Bad und lebte von vegetarischer Kost. Im Laufe seiner Arbeit fand er Gelegenheit, vielen gekrönten Häuptern und Regenten Berichte zu erstatten und in jedem Lande folgte seinen Besuchen und Berichten eine Linderung der Schrecken. E r selbst sagte von sich: »Ich bin das Lasttier, das umherzieht und Material sammelt, damit andere Menschen es benutzen.« E r hoffte dadurch, daß er Nachrichten und Statistiken über die Pest sammelte, zur Bekämpfung derselben beizutragen, und mit diesem Ziel vor Augen wandte er sich mit seinen Erhebungen den Lazaretten und Quarantäne-Hospitälern zu, die er in allen europäischen Häfen emsig studierte.

S e i n e B e m e r k u n g e n über die H o s p i t ä l e r . In Italien erzählt er von der Hingebung der Mönche und Nonnen für die Kranken, erwähnt ein großes Hospital in Rom als überfüllt und schlecht gelüftet, doch sei in jedem Bett nur ein Kranker. E r bemerkt, daß die italienischen Ärzte von der ansteckenden Natur der Phtisis überzeugt seien, daß es besondere Abteilungen für diese Krankheit gäbe und daß die gleichen Vorsichtsmaßregeln gegen die Ansteckung durch dieselbe befolgt würden, wie bei der Pest. In Privathäusern würden die Zimmer nach 35*

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548

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dem Vorkommen von Phtisis gescheuert, ausgeräuchert und die Einrichtung derselben vernichtet. '} Das Hospital der Ben Fratelli in Neapel sei sauber und schön, mit hohen, kapellenartigen Sälen. Das große Hospital in Genua sei eines der besten und am wenigsten übelriechenden von allen öffentlichen Krankenhäusern in Italien, aber die Räume für die Geisteskranken seien eng und schmutzig und ruhige und tobende Kranke wären darin durcheinander untergebracht. 2 ) In München seien die Hospitäler der Barmherzigen Brüder und Schwestern »nett und sauber, still und ruhig«. Er bemerkt, daß der Aderlaß von den Nonnen »mit großer Geschicklichkeit und Zartheit« ausgeführt werde. 3 ) Im Hospital des h. Johannes in Brüssel seien die Krankenräume eng und die Luft nachts »über alle Beschreibung abscheulich«. Hier sei auch ein »gastfreundliches Haus«, wo die Nonnen mit »einer Zartheit, die mir kein geringes Vergnügen machte«, 4 } Geisteskranke pflegten. »Die große Sorgfalt der Nonnen zeichnet die Hospitäler der katholischen Länder aus.« (Howard war ein strenger Calvinist, hatte aber große Achtung vor den Nonnen, die sie erwidert zu haben scheinen). Er erwähnt ihr »bleiches Aussehen«. In Madrid bemerkt er: »Man nimmt an, daß das ') ) 3 ) 4 ) 2

Prisons ibid. S. ibid. S. ibid. S.

and Hospitals S. n 6 , Auflage von 1784. 129. 130. 145.



549



Schwindsuchtsgift nicht nur Kleider, Betten und Möbel, sondern auch Wände und Decken infiziert. « Er fand die Madrider Hospitäler ganz gut, die Gefangnisse dagegen schrecklich. ') In Spanien gäbe es keine Nonnen in den Männersälen, dieselben wären eng und widerwärtig, die Kranken schnupften und spuckten; man habe ein Vorurteil gegen frische Luft und auch gegen das Aufwaschen der Räume. Der Brauch, den Kranken vor dem Zubettlegen die Hände und Füße zu waschen, werde hier nicht beobachtet. »Ich bin jedoch überzeugt«, schreibt er, »daß ein solcher Brauch, nebst Luft, Sauberkeit und mäßiger Kost in Hospitälern nötiger und wichtiger ist, als die Verabreichung von Arzneien.« 2 ) Lille besitze zwei ganz musterhafte Krankenhäuser, La Comtesse und St. Sauveur. Die Kranken seien nach Gruppen geordnet und jede Krankheit habe einen eigenen Saal, während jeder Kranke ein eigenes Bett habe. Wenn ein Kranker in einem dieser Hospitäler ankommt, wird ihm sofort sein Bett angewiesen, daraufbringt die Schwester ihm warmes Wasser, wäscht seine Füße, trocknet sie ab und küßt einen derselben. und Handtücher.

E i n e andere bringt saubere Bettlaken

Ein Hausdiener macht und wärmt das Bett

und der Kranke legt sich hinein. lich für alle Kranken,

Die Nonnen sorgen freund-

aber die durch ihre

abgeschlossene

Lebensweise entstehenden Vorurteile geben Anlaß zu manchen Ubelständen ; so vernachlässigen sie das Aufwaschen der Räume ') ibid. S. 158. ) ibid. S. 163.

2



55° —

und das Öffnen der Fenster, wodurch die Säle besonders nachts sehr widerwärtig nnd ungesund werden. ')

In dem großen Salpétrière-Hospital in Paris befanden sich 5000 arme und geisteskranke Frauen und Mädchen in drei Krankenabteilungen. Das Hospital des h. Ludwig und das Hôtel-Dieu sind die zwei schlimmsten, die ich je besucht habe. Sie waren so überfüllt, daß ich oft fünf bis sechs Kranke in einem Bett sah, wovon manche im Sterben lagen. Das Hospital des h. Ludwig steht außerhalb der Stadt . . . Die Säle sind schmutzig und geräuschvoll und in vielen Betten liegen drei Kranke. 2 ) Die Charité ist eines der besten Pariser Krankenhäuser. E s gibt nur Einzelbetten: es »macht dem Orden des h. Johannes von Gott Ehre.«

Im Hôpital des Petites Maisons gewährten eine Anzahl kleiner, den Hof umgebenden Häuser Alten und Gebrechlichen beiderlei Geschlechts Zuflucht und für Geisteskranke seien Einzelräume vorgesehen. »Die guten Schwestern pflegen freundlich . . . Die Ordnung und Sauberkeit hier hat mich angezogen, so daß ich meinen Besuch oft wiederholte.« »Ich riet die Säle der Männer aufzuwaschen, aber man befolgte meinen Rat nicht.«3) Das beste Hospital, das Howard in Frankreich sah, war das Hôtel-Dieu in Lyon. Die Säle waren 32 Fuß breit und 25 Fuß lang mit zwei Reihen von Fenstern. Jeder Saal hatte drei Reihen eiserner ') ibid. S. 165. ) ibid. S. 176, 177. 3 ) ibid. S. 177, 178. J



551



Betten. Die verschiedenen Krankheiten waren in Gruppen eingeteilt und wurden in getrennten Sälen behandelt, die alle luftig und freundlich waren, und die Genesenden wurden in besonders große, freundliche Räume verlegt. Die in eine sehr adrette Tracht gekleideten Schwestern eines religiösen Ordens bereiteten und verteilten alle Arzneien selbst. Die Apotheke ist die »ordentlichste und am hübschesten ausgestattete, die man sich vorstellen kann.« 1 ) Von der Royal Infirmary in Edinburg sagt er : Wenige englische Hospitäler übertreffen sie an Luftigkeit und Sauberkeit.

Die Wände werden regelmäßig getüncht.

In Italien spricht er wieder von der »schmutzigen Gewohnheit auf den Boden zu spucken. Kranke, die husten, sollten mit kleinen Kästen oder Becken versehen werden, wie man sie in Holland gebraucht«. In Konstantinopel hätten die Türken wenig Hospitäler, nur »eine A r t Herbergen, in denen kranke und sterbende Geschöpfe auf schmutzigen Matten auf dem Boden liegen«. Die Hospitäler für Geisteskranke seien gut gebaut, aber man kümmere sich weder um die Sauberkeit noch um die Kranken. Das jüdische Hospital sei das beste in Konstantinopel. 2 ) In Irland in der Maryborough Infirmary lag

in einem, der Turm genannten Raum, der zwei

Kranke beherbergte, etwas schmutziges Heu auf dem Boden ; dort, sagte man mir, liege die Pflegerin . . . Keine Bettücher im Hause und die Decken sehr schmutzig ; — keine Senkgrube, kein Wasser. ] J

Der Operationsraum war eine Kammer von

) ibid. S. 180. ) Lazarettos and Hospitals, S. 64.



552



etwa i o Fuß 6 Zoll, die Ausstattung bestand aus 10 Fläschchen, zum Teil ohne Korken, ein wenig Salbe, die auf einem Brett klebte und etwas Werg. 1 )

In einem andern Grafschafts-Krankenhaus sei die Behausung der Pflegerin unter der Treppe untergebracht. 2 ) Ich bin überzeugt [schreibt er], daß viel davon abhängt, daß die Kranken in frischen, reinen Betten liegen ; . . . . wenn man die in manchen Hospitälern jährlich für die Vernichtung von Wanzen ausgegebenen Summen für Lüften, Klopfen und Bürsten der Betten ausgäbe, würde das Ziel viel besser erreicht.

Er hatte gesehen, daß dies in Schweden geschah. ') ibid. S. 86. ) ibid. S. 93-

J

Kapitel X V . DIE PHILANTHROPISCHE UND KRANKENPFLEGE-BEWEGUNG VOR

FLIEDNERS

ZEIT.

Es ist allgemein bekannt, daß die Reform der Krankenpflege im vorigen Jahrhundert mit der Gründung des Diakonissen-Mutterhauses in Kaiserswerth am Rhein begann, wo Friederike und Theodor Fliedner die in ihren Folgen so reiche Früchte tragende Wiederbelebung des alten Diakonissenordens in modernem Rahmen bewirkten. Aber ehe Fliedners ihr Werk begannen, hatte es eine lange Reihe von Bestrebungen gegeben, die ihnen den Weg bereiteten. Es ist im Laufe der menschlichen Kulturentwicklung eben ganz unvermeidlich, daß viele Versuche scheitern oder nur teilweise gelingen, als ein Präludium für den endgültigen Erfolg eines begabten Menschen oder einer Gruppe von Individuen. Andere, die ihnen unmittelbar vorausgingen, hatten sich schon mit den Gedanken beschäftigt, die Fliedners ausführten, erlebten aber deren Verwirklichung nicht. Die Quelle des Stromes muß sogar noch weiter rückwärts gesucht werden. Der alte Diakonissenorden war nie ganz ausgestorben.



554



W i r sahen, d a ß er in der K i r c h e der östlichen L ä n d e r bis zum 12. Jahrhundert und in den Kirchen Galliens und Irlands noch

lange nach seinem V e r s c h w i n d e n

aus R o m erhalten blieb.

D i e Waldenser,

deren Ge-

schichte bis auf I i 7 0 zurückreicht, hatten, wenn nicht in der genauen F o r m ,

so doch wenigstens im Geist

und in den W e r k e n bis zu einem gewissen Grade die Diakonisse alter Zeit wieder belebt und Frauen

ge-

wählt, die sich den W e r k e n der Barmherzigkeit und K r a n k e n p f l e g e widmeten. geborenen Dienst

Johann

A u c h A n h ä n g e r des

Huß

eingerichtet.

hatten

beschloß

1369

ähnlichen

Schäfer führt eine A n z a h l Ge-

meinschaften an, in denen ähnlich

einen

es nach der Reformation

organisierte Frauenarbeit die K i r c h e 1530,

meindepflegerinnen

gab. ')

In

Minden

d a ß ein Orden v o n Ge-

und Armenbesucherinnen

richtet werden sollte. N a m e n Diakonissen.

einge-

Man g a b ihnen aber nicht den In K e p p e l war von etwa

bis 1594 eine Wohltätigkeitsanstalt,

1567

in der eine der

Diakonissentätigkeit ähnliche Wirksamkeit, einschließlich

der

Walsdorf

Krankenpflege, bestand

einer A e b t i s s i n

eine

ausgeübt ähnliche

an der Spitze.

wurde;

auch

Gemeinschaft Die

Mitglieder

in mit der

Schwesternschaft wurden nach dem 18. L e b e n s j a h r zu einem Probejahr zugelassen, wenn sie eine gute F ü h r u n g nachweisen konnten.

D e r Eintritt erfolgte g a n z frei-

willig, ohne Z w a n g von Seiten der Ä l t e s t e n oder Verwandten, und die Schwestern konnten jederzeit austreten

') Die Geschichte der weiblichen Diakonie, Theodor Schäfer. 2. Auflage, Stuttgart, 1887. Siehe Kapitel IV.



555 —

oder heiraten. Nach der Aufnahme wurden sie mit einer religiösen Feier eingesegnet. Sie hatten verschiedene Aufgaben: unterrichten, besuchen usw.; aber einer unter ihnen waren die Armen und Kranken übergeben, sowohl die im Asyl, wie diejenigen außerhalb desselben, und diese wurde die »Diakonisse« genannt. Die deutsche Stadt Wesel hatte von 1 5 7 5 bis 1 6 1 0 Diakonissen, die nach demBrauch der alten Kirche von der Gemeinde gewählt wurden. Die reformierte Gemeinde in Wesel bestand aus holländischen und sonstigen Réfugiés, und eine ihrer ersten Handlungen war die Verfügung, daß Frauen, die man »Diakonissen« nannte, amtlich vom Presbyterium bestellt werden sollten, um den Armen zu dienen und die Kranken zu pflegen. Diese Wiederherstellung des alten Brauchs war allerdings nur von kurzer Dauer. Die allgemeine Synode von 1 5 8 1 entschied sich gegen sie, als man bei ihr um Bestätigung des Gemeindebeschlusses einkam, um verschiedener stehen k ö n n t e n .

Inkonvenienzen willen, die daraus ent-

A b e r in Zeiten von Pestilenz und andern

Krankheiten, so dann einiger Dienst bei kranken Frauen zu tun ist, den Diakonen nicht ziemlich, so sollen sie die versorgen durch ihre Hausfrauen oder andere, die ihnen bequem sind 1 ).

E s ist durchaus möglich, daß die Ablehnung der Synode allein den Orden nicht entmutigt hätte, denn wir haben gesehen, daß ähnliche und nachdrücklichere Erlasse zu verschiedenen Zeiten unbeachtet blieben, aber andere Gründe, darunter die Einführung staat-

·) Schäfer, a. a. O., Bd. I. S. 75.

-

556 -

licher Armenunterstützung, wirkten gleichfalls dahin, ihn zu unterdrücken. ') In den Niederlanden waren Diakonissen schon in früher Zeit eingeführt; die Stadt Amsterdam hatte solche seit 1566, als »einige alte, tugendhafte Schwestern zu Diakonissen gewählt wurden«, und gewisse Hülfskräfte der dortigen Wohltätigkeitsanstalten werden noch jetzt als Diakonissen bezeichnet. 2 ) Für die Gemeindepflege der Diakonissen war die Stadt in vier Bezirke eingeteilt. Die Arbeit war anstrengend, und die Diakonisse übernahm sie nicht auf Lebenszeit, sondern nur für bestimmte Zeitabschnitte. Jedes Jahr wurden einige von ihnen abgelöst und ihnen der Dank der Kirchenältesten ausgesprochen, während andere neu eingesegnet wurden. Sie lebten dauernd in ihren eigenen Wohnungen; selbst die, welche Anstalten leiteten, brauchten nicht darin zu wohnen. Eine bekannte Diakonisse war die Schwester von Pastor Calkoen, dessen zahlreiche Predigten über die apostolische Diakonisse noch erhalten sind. Die Chroniken der Pilgrimväter entwerfen ein drolliges Bild der Amsterdamer Diakonisse : »Zu Amsterdam hatten sie . . . . vier ehrwürdige Männer zu Diakonen,

eine bejahrte Witwe zur Diakonissin, welche

ihnen viele Jahre diente, obgleich sie 60 Jahre alt war, als sie gewählt wurde.

Sie füllte ihre Stelle würdig aus und war eine

Zierde der Gemeinde.

Sie saß gewöhnlich an einem passenden

') Deaconesses, Ancie?it and Modern (Diakonissen alter und neuer Zeit) von Reverend Henry Wheeler. New York, Hunt and Eaton 1889, S. 168, 169. 2 ) Schäfer, Bd. I., S. 77.



557



Platz in der Kirche, mit einer kleinen Birkenrute in ihrer Hand und hielt die kleinen Kinder in großem Respekt, daß sie nicht die Versammlung störten. Sie besuchte fleißig die Kranken und Schwachen, besonders die weiblichen und auch wo es not tat unsre Mädchen und junge Frauen, zu wachen und andre Hilfe zu leisten, wie das Bedürfnis von jenen es erforderte, und wenn sie arm waren, so sammelte sie Unterstützungen für sie bei denen, welche dazu im Stande waren, oder benachrichtigte die Diakonen davon.

E s wurde ihr gehorcht als einer Mutter in

Israel und als einer Dienerin Christi.« ')

Später, im Jahre 1745, segnete Graf Zinzendorf, der Gründer der Brüdergemeinde, eine Gruppe von Diakonissen durch Handauflegen ein. Ihre Stellung und Tätigkeit entsprach genau jener der Diakonissen in der apostolischen Zeit. Die Brüdergemeinde wählte Frauen, genau wie die Diakonissen, um Werke der Barmherzigkeit auszuführen, ohne sie indes so zu nennen. 2 ) Die Mennoniten, deren Sekte im ersten *) Zitiert von Schäfer, a. a. O., Bd. I, S. 80. ) Die »Schwesternhäuser« und Witwenhäuser entsprechen nicht unseren heutigen Diakonissenhäusern, als vielmehr den Gerhard Groot'schen Schwesternhäusern. In Häusern beiderlei Art wohnen zusammen diejenigen Jungfrauen und Witwen, welche keinen eignen Familienhalt haben und diese Hausgemeinschaft wünschen. D a auch jüngere Mädchen (z. B. Missionarstöchter u. a.) im Hause leben, ist jetzt fast überall auch eine Pension für auswärtige Mädchen damit verbunden, welchen teils Unterricht in Schulgegenständen, teils Anleitung zu weiblichen Arbeiten gegeben wird. Die Leitung des Hauses beruht in der Regel auf zwei Personen: der »Pflegerin« für das geistliche Gebiet, bezw. die Schultätigkeit, und der »Vorsteherin« für das leibliche und äußere Gebiet (Maria und Marta). Schäfer, B d . I, S. 292, 293, der eine briefliche Auskunft von Herrn Pastor H . Plitt in Niesky zitiert. 2

-

558

-

Teil des 16. Jahrhunderts entstand, hatten auch Kirchenbeamte, welche den Diakonissen entsprachen. Sie fanden sich in ganz Holland und ihr Beispiel war später für den jungen Pastor Fliedner eine große Erleuchtung. ') Diese Frauen lebten in ihren eigenen ') Bei Schäfer finden sich mancherlei Angaben über diese alten Einrichtungen, denen wir folgendes entnehmen : Bezüglich des Instituts der Diakonissen bei den Taufgesinnten bestehen keine besonderen Bestimmungen (Beschlußfassungen) oder Quellen, auf welche ich Sie verweisen kann. Ihre Spuren müssen hier und dort und aus allerlei Büchern zusammengesucht werden. Soviel ist indessen gewiß, daß diese Einrichtung von A n f a n g an bei den Mennoniten bestanden hat, so daß wir die Beweise dafür schon in unseren Märtyrerbüchern finden, ζ. B . bei Elisabeth Dirks, die den 15. Januar 1549 zu Leeuwarden durch die Inquisition gefangen genommen und am 27. März desselben Jahres ertränkt wurde. . . . Als Robert Browne, der Vater der Brownisten, um 1580 eine TaufgesinntenGemeinde zu Norwich in E n g l a n d kennen lernte und ihre Einrichtung teilweise zum Vorbild nahm, entnahm er derselben auch das Institut der Diakonissen, so daß seine Gemeinde von da an zu Diakonissen wählte »Witwen, 60 Jahre alt, begierig nach guten Werken und geeignet zum Warten von Kranken«. (Schäfer, B a n d I. S. 290, zitiert Prof. Dr. J . G. de Hoop-Scheffer aus Amsterdam.) In einem ihrer Bekenntnisse (von Dortrecht 1632) heißt es Art. 9: »Daß man auch ehrbare alte Witwen zu Diakonissen ordinieren und erwählen muß, um neben den Diakonen die armen, schwachen, kranken, betrübten und notleidenden Menschen, wie auch Witwen und Waisen zu besuchen, zu trösten und zu versorgen«, etc. (Schäfer, B a n d I. S. 290.) Auch auf Seiten des weiblichen Geschlechts, berichtet ein Bischof der Brüdergemeinde, Kolbing, wurden ehrbare, verständige Matronen zu Ältestinnen (Presbyterae) erwählt, welche als Hausmütter im Hause Gottes die Aufsicht über die Witwen, Frauen und Jungfrauen führten, diese an



559



Wohnungen und stellten ihre Dienste freiwillig zur Verfügung. Ferner darf nicht vergessen werden, daß die Barmherzigen Schwestern entschieden apostolisch waren, und daß der h. Vincentius von Paul sie ausdrücklich darauf hinweist, sie seien wie die Frauen der ersten christlichen Kirche. In den letzten Jahrzehnten, ehe die Fliedners ihr Werk begannen, gab es ein mächtiges Erwachen des humanitären Geistes und eine ungeheure Wiederbelebung des Strebens nach besseren Lebensbedingungen und größerem Glück für das menschliche Geschlecht, eine Wiederbelebung, deren gewaltigster Ausdruck der Ausbruch der französischen Revolution war. Auf den Gebieten des Gedankenlebens, an denen man den Frauen willig einen Anteil gewährte, nämlich denen der Wohltätigkeit und Menschlichkeit, entstand eine lebhafte Wechselwirkung zwischen Deutschland und England, und eifrige Gemüter im einen Land regten verwandte Geister im anderen an. Hannah More's langes Leben ständiger Opferwilligkeit für die Armen, Bedürftigen und Ungebildeten, war einer der ersten Meilensteine auf dem Wege der Wiederbefreiung der Frauen aus ihre Pflicht erinnerten etc. Sie besuchten auch die kranken Schwestern, trösteten die Traurigen und halfen den Dürftigen, so gut sie konnten. Manche erwählten den ledigen Stand, nicht etwa, um hierdurch einen besonderen Grad von Heiligkeit zu gewinnen, sondern um besser für Kranke und Kinder sorgen zu können. (»Geschichte der bibelgläubigen Ketzer« [des Mittelalters] von Dr. C. U. Hahn, Stuttgart, 1847. Zitiert von Schäfer, Band I, S. 291).

— 56ο — dem Leben der Unwissenheit und selbstsüchtigen Oberflächlichkeit, in welchem der Anbrach des 18. Jahrhunderts sie fand. Ihre Schriften wurden in den weitesten Kreisen Deutschlands und Englands gelesen und riefen in beiden Ländern eine große Begeisterung hervor. Die fortschrittlichen und freien Anschauungen der »Gesellschaft der Freunde« (die Quäker) begünstigten die Entwicklung von Charakteren, die eifrig Reformen anstrebten, und hervorragende Dissidenten, wie John Wesley, gestatteten den Frauen eine Erweiterung ihres Wirkungskreises innerhalb der evangelischen Anschauungen, so daß dadurch die konservativeren Kreise der herrschenden Kirche indirekt zu ähnlichen Äußerungen angeregt wurden. Wir erwähnten bereits den Einfluß der Erhebungen John Howard's auf die Hospitalverhältnisse, und es zeigt sich dann, daß zwei hervorragende Frauen : Amalie Sieveking in Deutschland und Elisabeth Fry in England sowohl durch ihre eigenen Bestrebungen, wie durch den Anteil, den jede von ihnen an der Entwicklung von Pastor Fliedner's Laufbahn hatte, dauernd aufs engste mit den frühesten Anfängen der Krankenpflegerreform verbunden waren. Sucht man die verschiedenen Faktoren zu ergründen, welche zu den Fliedner'schen Reformen auf dem Gebiet der Krankenpflege führten, so darf der Anteil, den weitschauende Arzte daran hatten, nicht übersehen werden. Freilich bestand derselbe hauptsächlich darin, ihre rückständigen Kollegen aufzurütteln; denn wie die Dinge lagen, konnten die Arzte, wenn sie auch die bestehenden Mißstände

-

5 6I

-

erkannten, wenig oder nichts zu ihrer praktischen Beseitigung tun. Sie waren weder imstande, den Hospitälern ein besseres Personal zuzuführen, noch dasselbe gehörig zu disziplinieren und ihm den richtigen Platz anzuweisen. Infolge dieses Unvermögens hat nicht einer von ihnen, wenn er auch noch so sehr von der Notwendigkeit der Reformen überzeugt war und sie ersehnte, jemals die einzige praktische Lösung des Problems erreicht, welche Miss Nightingale später fand und durchführte. Trotzdem leistete eine Gruppe ausgezeichneter Arzte jener Zeit wertvolle und wichtige Arbeit für dieses Ziel, weil sie Kritik übten, Grundsätze formulierten und Stimmung dafür machten. Ein Bericht der Pariser Akademie aus dem Jahre 1777 über die erschreckend hohe Sterblichkeit war es, der zuerst bei der ärztlichen Fakultät das Gefühl wachrief, daß etwas nicht in Ordnung sei, und dieser Bericht zog fürchterliche Zustände in den Hospitälern ans Licht und brachte viele Reform-Vorschläge. In Deutschland begannen gegen das Ende des 18. Jahrhunderts die Universitäts - Professoren der Medizin für die Reform der Krankenpflege einzutreten. Professor Carl Strack in München hielt eine öffentliche Ansprache, in der er nicht nur die Aufgaben der Krankenpflege, wie sie sein sollte, schilderte, sondern den Arztekreisen ihre Verantwortung und Versäumnisse vor Augen führte und einen besseren Dienst forderte. Hierdurch gab er bestimmten Anlaß zu vielen Verbesserungen, und der Zustand der Hospitalbauten, die den Bedürfnissen der Kranken entsprechende BequemN u t t i n g u. D o c k , Geschichte der K r a n k e n p f l e g e .

Bd. I.

36



562



lichkeit und Umgebung wurde zum Gegenstand eines wachsenden Interesses. Salzwedel sagt: Während

die

einzige

Triebfeder

der

mittelalterlichen

Krankenpflege die christliche Barmherzigkeit, der Wunsch, die Leiden der Kranken

zu lindern, gewesen war, trat jetzt zum

ersten Mal der Gedanke hervor, daß die Krankenpflege ein H e i l m i t t e l sei, ein Heilmittel von demselben Werte wie die Arzneien, welche man Eingriffen bis dahin gegen

abgesehen von wenigen als das

die Krankheiten

betrachtet hatte.

war die Folge wichtiger

chirurgischen

einzige Hilfsmittel des Arztes

Fortschritte

Diese

Erkenntnis

in den Methoden

der

Krankenuntersuchung und Behandlung, die als die Grundlage der modernen ärztlichen Wissenschaft angesehen werden. ')

Die französischen Kreise der Intellektuellen hatten diesem Gegenstand seit einiger Zeit viel Nachdenken gewidmet, denn ein 1764 geschriebener Artikel sagt über die Krankenpflege : Diese Beschäftigung ist so wichtig für die

Menschheit,

wie ihre Verrichtungen niedrig und widerwärtig sind. alle Menschen

Nicht

eignen sich für dieselbe, und die Leiter der

Krankenhäuser sollten nicht leicht zu befriedigen sein, kann doch das Leben ihrer Kranken von ihrer Auswahl unter den Bewerbern

abhängen.

und mitleidig sein.

Eine

Pflegerin muß geduldig,

gütig

Sie muß die Kranken trösten, ihre Be-

dürfnisse voraussehen

und ihre Langeweile

häuslichen Pflichten der

Pflegerin sind:

erleichtern.

das

Feuer

Die

in

den

Sälen anzuzünden und zu unterhalten; die Mahlzeiten zu holen und zu verteilen;

die Wundärzte und Doktoren

bei

ihren

Rundgängen zu begleiten und nachher alle Verbände etc. zu beseitigen; die Hallen und Säle zu kehren und den Kranken selbst wie seine Umgebung

sauber zu halten ; alle Geschirre

zu leeren und die Wäsche der Kranken zu wechseln; ') Handbuch der Krankenpflege, 1904, S. 18.

Lärm,

-

563

-

Zank und Störungen zu verhindern und dem Verwalter alles Ungehörige zu melden, das sie beobachten; die Toten hinauszutragen und zu begraben; abends die Lampen anzuzünden und während der Nacht nach den Kranken zu sehen; sie dauernd zu überwachen und ihnen jede Hilfe zu leisten, die ihr Zustand erfordert und sie mit Güte und Rücksicht zu behandeln. ') D a s ist sicherlich eine H ä u f u n g von A u f g a b e n , die

es nur w e n i g e n

Pflegerinnen

m ö g l i c h wäre,

be-

friedigend zu erfüllen. Eine schien

ganze

während

Anzahl der

von

dunkeln

Pflegehandbüchern P e r i o d e der

er-

Kranken-

p f l e g e am E n d e d e s 18. und zu A n f a n g d e s 19. Jahrhunderts. aus

dem

S c h o n im Jahre 1709 w u r d e Französischen

öffentlicht, u n d Lausanne Handbuch

in W i e n

Lehrbuch

ein ver-

eine spätere A u f l a g e w u r d e 1788 in

gedruckt.2) für

übersetztes 1728

wurde

die Pflegerinnen

des

in M a d r i d dortigen

ein allge-

meinen H o s p i t a l s veröffentlicht. 3) E i n deutsches H a n d b u c h erschien 1 7 6 9 4) u n d ein weiteres 1784. 5 )

Eine

') I! Encyclopédie de Diderot et cC Alembert, Art. Infirmier. von Murray veröffentlicht. 2) Unterricht für Personen, welche die Kranken warten. Aus dem Französ. übersetzt. Wien 170g. (Instructionischen pour les personnes qui garde?it les Malades. Lausanne 1788.) 3) Instrucción de enfermeros y mode aplicar los remedios etc. Compuesto por los hijos de la congregación del venerabile Padre Bernardino deObregon. (Anweisungen für die Krankenpflege und die Anwendung von Mitteln etc. Zusammengestellt für die Brüder der Gemeinschaft des ehrwürdigen Paters Bernardino de Obregon.) Madrid 1728. 4) Von der Wartung der Kranken. Unzer 1769. Unterricht für Krankenwärter. Franz May, Mannheim 1784. N u t t i n g u. D o c k , Geschichte der Krankenpflege. B d . I .

37



564



spätere französische Auflage erschien 1787, ') und ein weiteres, von einem Professor in Moskau deutsch geschriebenes 1793. 2 ) Es ist nicht leicht, aller dieser alten Bücher habhaft zu werden ; aber zwei davon, die sich jetzt in der Kgl. Bibliothek in Berlin und in der Bibliothek des Surgeon General's in Washington befinden, verdienen Beachtung. Es sind die Werke von Dr. May und Dr. Pfáhler. Das letztere ist von einem echt wissenschaftlichen Geist durchdrungen und mit bewundernswerter Klarheit und Einfachheit abgefaßt. Man meint, auch der stumpfste Verstand müsse daraus etwas Erleuchtung empfangen. In seinen klaren, bestimmten Einzelheiten, von denen nicht die kleinste oder alltäglichste übersehen ist, verträgt es in Bezug auf Einfachheit des Stils den Vergleich mit Miss Nightingale's unvergleichlichen Notes. Seine Beschreibung der Eigenschaften der idealen Pflegerin stehen über jeder Kritik ; da er aber seine Bemerkungen mit dem Hinweis einleitet, sie dürfe keine Diebin oder Trinkerin sein, ist es wahrscheinlich, daß er sein Ideal niemals verkörpert gefunden hat. Seine Anweisungen für die Einrichtung und Versorgung des Schlafzimmers, die Betonung der Notwendigkeit geschriebener Berichte und die Angaben, wie sie zu machen seien, das Verfahren bei all den verschiedenen Behandlungen, der Gebrauch aller Geräte, — das alles deckt sich mit den höchsten modernen Forde') Manuel four les Gardes - Malades (Handbuch für Krankenpflegerinnen). Carrère, Straßburg 1787. 2) Unterricht für Personen, welche Kranke warten. J. G. Pfáhler, Riga 1793.

-

565

-

rungen. Er betont die psychische Seite der Krankenpflege und schildert sehr eindrucksvoll die üble Wirkung von Ärger, Reizbarkeit, Traurigkeit und Schwermut auf den Kranken. Dr. May's Buch ist gleichfalls interessant und praktisch, verallgemeinert aber mehr und gibt nicht soviel genaue Einzelheiten. Eine Pflegerin würde daraus nicht so viel lernen wie aus dem Vorgenannten; ein sehr ungewöhnlicher und rühmenswerter Zug desselben ist jedoch, daß Dr. May für gute Behandlung der Pflegerinnen eintritt. Er erkennt die Tatsache an, daß dieselben allzu oft als Sklaven oder faule Tagelöhner behandelt werden, daß solche Behandlung notwendig verbittern muß, und er versichert, daß man die besten Erfolge erziele, wenn man das Interesse des Pflegepersonals erwecke und sich seiner loyalen Mitwirkung versichere. Er gibt dem Personal auch Anweisungen zur Erhaltung der eigenen Gesundheit. Neben medizinischer und chirurgischer Pflege behandelt er auch Wochenpflege und gibt für verschiedene Krankheiten geeignete Diätverzeichnisse, die den heute gültigen überraschend ähnlich sind. Beide ausgezeichneten Lehrbücher beklagen die Neigung des Pflegepersonals zu Quacksalberei und Aberglauben. Diese beiden Bücher über die Krankenpflege wurden von den ärztlichen Kollegen viel gelesen und machten großen Eindruck. Dr. May richtete selbst einen Lehrkurs für Hospitalwartepersonal in Mannheim ein, (der von deutschen Geschichtsschreibern der Krankenpflege etwas zu enthusiastisch als »Schule« bezeichnet wird), und andere Hospital-Oberärzte 37*

— 566 — folgten seinem Beispiel in Karlsruhe, Heidelberg und Luzern. Da sie aber der Krankenpflege kein besseres Menschenmaterial zuführten, auch das Pflegesystem an sich nicht umgestalteten, und da schließlich die Chefärzte nur Vorträge halten, aber abgesehen von gewissen Behandlungsweisen und bestimmten Prozeduren, dem Pflegepersonal keine praktischen Arbeitsmethoden beibringen konnten, so ist man nicht berechtigt, diese Pionierversuche als gleichwertig mit der Einrichtung von Krankenpflegeschulen anzusehen. Sie sorgten für theoretische Unterrichtskurse, wo man die Grundsätze der Krankenpflege, aber nicht die Krankenpflege selbst lernen konnte. Da Salzwedel von »vielseitigem Widerstand« gegen Dr. May's Unternehmen spricht, sieht man, daß schon dieser höchst elementare Unterricht seinerzeit als eine gefährliche Neuerung angesehen wurde. Die Geschichte erwähnt keine Chefärzte, die mehr Bewunderung verdienten oder anziehender wären, als diese beiden gelehrten Professoren. Ihr geistvolles Wesen und ihre Fähigkeit, gute Arbeit zu schätzen, erweisen sich klar in ihren Schriften, und ihre Bestrebungen im Interesse einer besseren Krankenpflege sollten nie vergessen werden. A m Ende des 18. Jahrhunderts wurde auf Anregung des Ärzte-Kollegiums der preußischen Stadt Magdeburg in dieser Stadt eine Anstalt zur Ausbildung von Krankenwärtern gegründet und merkwürdigerweise dem Leiter der Hebammenanstalt unterstellt. 1 ) Ein ähnliches Unternehmen wurde 1800 ') Aus der Potsdam 1818.

Kgl.

Preußischen

Medizinal-¡Verfassung,



567



für die Charité in Berlin in A u s s i c h t g e n o m m e n ; aber

keine

passenden

es

meldeten

sich

Bewerber.

1812 wurde in W i e n von der österreichischen

männlichen

R e g i e r u n g ein Institut zur A u s b i l d u n g von Hospitalwartepersonal gegründet und durch die B e m ü h u n g e n eines Professors der Fakultät, es

stand,

der

Universität

unter dessen L e i t u n g

angegliedert.

Straßburg

machte 1 8 1 4 einen ähnlichen offiziellen Versuch. 1 ) D e r neuen A e r a ging unmittelbar die Veröffentlichung eines Pflegehandbuchs von Dr. Dieffenbach, einem

berühmten

Chirurgen

der

Charité,

voraus. 2 )

Dieses Buch zeigt einen großen Fortschrittjin B e z u g auf die Geräte

und

die Behandlung

sorgfältigeres V e r f a h r e n ;

aber

und

buch nicht so g u t wie die beiden älteren Bücher und belangt,

hinter

den

Lehren

der

A r z t e von vor 2000 Jahren zurück. kläglicher

Stufe

viel

erwähnten

bleibt, was Bäder und frische L u f t

weit

auf welch

ein

es ist als Pflegelehr-

sich

an-

griechischen

E s zeigt deutlich, die

Krankenpflege

in den Hospitälern befand, und wirft nebenbei einige Streiflichter auf die Ursachen dieser Minderwertigkeit. Die Abhandlung frischen L u f t . Vorsicht

lehrt geradezu

die F u r c h t v o r

der

D i e Fenster seien nur mit der größten

einmal

morgens

und

einmal

nachmittags

z u öffnen, außer im Sommer, w o man sie den ganzen T a g offen lassen könne, wenn es nicht zu h e i ß Sie zu

seien

niemals

öffnen, da

des A b e n d s

die Nachtluft

oder in der

noch

sei.

Nacht

gefährlicher

sei,

') Salzwedel, Handbuch der Krankenpflege, S. 18. Anleitung ztir Krankemvartung, Dr. Z. F. Dieffenbach Berlin, 1832. 2)



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als der Zug. Die Lüftung müsse durch das anstoßende Zimmer, wo die Fenster zeitweise geöffnet werden könnten, oder durch Ventilation in den Wänden erfolgen. Hierauf folgen viele Anweisungen, um den Übeln Geruch in den Krankenzimmern zu verbessern. Nachdem der Verfasser festgestellt hat, daß es am besten sei, wenn das Krankenzimmer überhaupt nicht rieche, erkennt er die.Tatsache an, daß es doch immer viele schlechte Gerüche gäbe, und man daher am besten täte, dem entgegenzuwirken, indem man Essig, Kräuter oder Kalk in dem Zimmer verbrenne. Daß man einen Kranken im Bett baden könne, scheint eine unbekannte Kunst gewesen zu sein. Ein Bad bedeutete, daß man ihn in eine Wanne setzte, und den Kranken, die nicht aufstehen konnten, wurden nur Hände und Gesicht gewaschen und der Mund gespült. Die Anweisungen für die Pflegerin zur Vorbereitung einer großen Operation nehmen nicht mehr als eine kleine Seite ein. Viele Prozeduren sind in einer nur für Studenten der Medizin geeigneten Weise beschrieben, und der Verfasser hatte augenscheinlich keine Ahnung, wie man Pflegepersonal unterrichtet. Er füllt viele Seiten mit bittern Klagen über die Taugenichtse im Hospitaldienst, ihre Unwissenheit, Unfolgsamkeit und allgemeine Unzuverlässigkeit, und ergießt seinen besonderen Zorn über »die alten Frauen«, 1 ) von denen ') »Alte Frauen« werden auch heute noch zu Nachtwachen und anderen Hülfsdiensten in der Krankenpflege in manchen städtischen Krankenhäusern und sogar Universitätskliniken in Deutschland benutzt. Die Übersetzerin.



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er nicht genug Vernichtendes sagen kann. (Es ist bedeutsam, daß alle diese Schriftsteller nicht das Wort »Pfleger«, sondern »Wärter« gebrauchen). Durch die Bemühungen Dr. Dießenbachs wurde die wichtigste weltliche Krankenwartschule (sie wurde nicht Krankenpflegeschule genannt) in Deutschland 1832 in der Charité eröffnet. Dieser Versuch das männliche und weibliche »Wartepersonal« (»Wärter und Wärterinnen«) zu heben, schrieb einen zwei- oder dreimonatlichen, von Ärzten erteilten Lehrkursus vor, nach welchem ein Zeugnis ausgestellt wurde. Da es ein altes preußisches Gesetz über die Erteilung dieser Zeugnisse oder Ausweise gab, kann man dies, wenigstens in modernen Staaten, als erstes Beispiel der Anerkennung eines gesetzlichen Maßstabes für das Pflegepersonal ansehen. ') Angesichts der Tatsache, daß die Aufsicht ganz in den Händen von Subalternbeamten lag (alles Männer, — Verwalter, Bureauschreiber etc.), die das Pflegepersonal gern einschüchterten; daß es keine weibliche Leitung zu dessen Schutz und keinen Lehrplan für die praktische Handhabung der Kranken gab; daß die Schlafräume jämmerlich, die Ernährung kraftlos, die Arbeitszeit unmenschlich, der Lohn gering war und keine Gelegenheit zum Vorwärtskommen bestand, gelang es diesen Laienkursen in staatlichen Hospitälern durchaus nicht, eine höhere Klasse von Männern ') Neben den in der Anstalt lebenden Schülern wurden zu den Kursen auch auswärts Wohnende gegen Zahlung einer kleinen Gebühr zugelassen, und diese Externen wurden gewöhnlich vorgemerkt für den Fall, daß unter dem Pflegepersonal Plätze frei wurden.



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oder Frauen anzuziehen, während es den Diakonissenschulen, deren Eröffnung bevorstand, glückte, Hunderte derselben zu gewinnen. Den ursprünglichen Ansporn zur KrankenpflegeReform des 19. Jahrhunderts gab das praktische Beispiel jener glänzenden Betätigung der Frauenkreise Deutschlands im Freiheitskrieg gegen Napoleon im Jahre 1 8 1 3 . Die Tätigkeit der damals zur Unterstützung, Pflege und Hülfe der Soldatenfamilien gegründeten Frauen-Vereine machte auf Johann Klönne, einen jungen Pastor in Bislich, einen so tiefen Eindruck, daß er 1820 in Form einer Flugschrift einen dringlichen Aufruf erließ, unter dem Titel : »Ein Antrag auf Wiederbelebung der alten Diakonissen in unseren Frauen-Vereinen«. Er war begeistert von den Möglichkeiten, die er in der Verwertung dieser Macht für den Dienst der Kirche sah, und versuchte mit aller Kraft, Unterstützung für seinen Gedanken zu erlangen. Er sandte seine Flugschrift an den preußischen Premier-Minister und an die Prinzessin Marianne, die zur Kriegszeit einen tatkräftigen und hervorragenden Anteil an den Frauenvereinen genommen hatte. Er übergab sie 1824 auch dem Bischof Eylert; aber obgleich ihm Sympathie bewiesen wurde, so fand sich doch niemand, um seine Ideen auszuführen. Prinzessin Marianne hielt die freie und freiwillige Arbeit für aussichtsreicher, als die genossenschaftliche Tätigkeit; auch hielt sie es für unmöglich, die Diakonissenarbeit mit der Ehe zu vereinigen. Pastor Klönne's Gedanken über die Ausführung seiner Anschauungen waren außerordentlich unpraktisch. Er hatte keinen

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Begriff von der Wichtigkeit einer Ausbildung, dachte auch nicht an einen Lebensberuf, sondern glaubte, die Frauen der Gemeinde könnten abwechselnd Kinderheime leiten, in Hospitälern pflegen etc. Der Minister von Stein sagt in einem Schreiben über Pastor Klönne's Vorschlag : Bei dem Besuch beiderlei Anstalten [der barmherzigen Schwestern des h. Carol. Borromäus und der des h. Vincenz von

Paula]

war

mir

höchst

auffallend der

innerem Frieden, Ruhe, Selbstverleugnung, keit der Schwestern, die

liebevolle

anbefohlenen

ihre stille,

geräuschlose

segenbringende Behandlung Kranken.

Mit

Ausdruck

allen

von

frommer HeiterWirksamkeit,

der ihrer

diesen

Pflege

Erscheinungen

machten einen beleidigenden Kontrast der Ausdruck von Unbehaglichkeit aufgereizter, wegen nicht befriedigter Eitelkeit über Vernachlässigung gekränkter, Jungfrauen aus den

unverheirateter, alternder

oberen und mittleren, zum

Broterwerb

durch Handarbeit nicht berufenen Ständen, die wegen ihrer auf tausendfache Art gestörten Ansprüche, wegen ihres Müßiggangs eine Leerheit, eine Bitterkeit fühlten, die sie unglücklich und andern lästig machte.

Klönne's Schreiben erzielten keinerlei Erfolg, und der nächste Versuch — den Graf Adelbert von der Recke-Volmerstein machte, 1 ) — war nicht glücklicher.

Graf von der Recke, der ein Rettungshaus für Mädchen gegründet hatte, unternahm tatsächlich die ersten Schritte in der Diakonissenbewegung. E i n Düsseldorfer Jahres-Bericht über das J a h r 1835 lautet: »Wir konnten dem Wunsch nicht widerstehn, in unserer Rettungsanstalt ein Diakonissenstift zur Ausbildung von Diakonissinnen nach unserem Plan anzulegen und diese höchst

— 572 — 1835 schrieb er: »Vor zwanzig Jahren empfand ich die Not um Diakonissinnen in unserer Kirche und sprach häufig darüber«. Im selben Jahr (1835) gründete er eine Zeitschrift: »Die Diakonissin oder Leben und Wirken der Dienerinnen der Kirche für Lehre, Erziehung und Krankenpflege«. Sie erlebte nur eine A u f l a g e , und es ist nicht ausgeschlossen, daß ihr Titel sie umbrachte, wenn zu jener Zeit auch lange Titel beliebt waren. Seine Gedanken neigten zu einem Übermaß von Organisation, wie die Klönne's zu einem Mangel an derselben. Sein Plan war streng kirchlich gehalten und sah Äbtissinnen, Erzdiakonissen und Diakonissen vor. Ein evangelisches Krankenhaus, das sich mit der Ausbildung von Krankenpflegerinnen beschäftigte, wurde tatsächlich vor der Kaiserswerther Anstalt eröffnet, wenn es auch keine Diakonissen hatte. Johannes Goßner, der Pastor einer Berliner Gemeinde, hatte 1 8 3 3 einen Frauenverein für Krankenpflege gegründet, nachdem er vorher schon einen ähnlichen für Männer eingerichtet hatte. Da sich das Bedürfnis nach einem Krankenhaus zur Versorgung ihrer Kranken wichtige Wirksamkeit hier in's Leben zu rufen. Die erste Diakonissin, welche unser Stift bezog, hat der Herr mit irdischen Gütern und zugleich mit Liebe und mit einem willigen und fröhlichen Herzen zu geben, gesegnet.« E s folgten ihr drei andere, zwei Jungfrauen und eine Witwe ; aber eine lebensgefährliche Krankheit befiel Graf R e c k e und setzte seinem Werk ein Ende. Auch der inzwischen bereits in Kaiserswerth gemachte Anfang mochte ihn von einer späteren Wiederaufnahme abhalten. Die Sache war j a bei Fliedner in den besten Händen. (Schäfer, Band I, S. 299, aus Privatmitteilungen.)



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herausstellte, mieteten sie am 9. Juli 1836 ein Haus zu diesem Zweck. Später wurde ein richtiges Hospital gebaut und nach der Königin Elisabeth von Preußen benannt. Der Verein übernahm die Pflege in dem Krankenhaus und in Privathäusern ; seine Dienste wurden ganz unentgeltlich geleistet und an 1 0 — 1 5 0 0 0 Kranke wurde jährlich Suppe verteilt. Pastor Goßner 1 ) liebte den Titel Diakonisse nicht, sondern zog das Wort »Pflegerin« vor. A l s Vorbild für seine Ausbildung diente ihm diejenige der Barmherzigen Schwestern, und er schrieb eine Abhandlung unter dem Titel : » Wie müssen christliche Krankenpflegerinnen oder evangelische barmherzige Schwester beschaffen sein?« Seine Pflegerinnen trugen eine Tracht; aber die Organisation war nicht von Bestand, und nach seinem Tode wurde ein Mutterhaus für Diakonissen im Elisabeth-Krankenhaus eingerichtet. Wir begegnen nun in dem Leben und der Wirksamkeit Amalie Sieveking's, dieser hervorragénden Frau, einer der kraftvollsten und verständigsten Persönlichkeiten ihrer Zeit. 1794 in Hamburg geboren, 1

) Goßner war ein groß angelegter Charakter und viele seiner Freunde, die ihn herzlich liebten, behaupteten, daß er und nicht Fliedner der Vater des Diakonissenwesens sei, da er von 1835 ab ausgebildete Pflegerinnen in Berlin selbst und nach entfernteren Gegenden aussandte; er habe sich nie auf weitere Ausdehnung und Organisation seines Werkes eingelassen, weil er nicht verheiratet war, aber seine Ideen und seine Pläne seien fertig gewesen. Den Namen Diakonisse konnte Goßner, da er ausländisch sei, nie leiden. (Schäfer, B d . ι, S. 307, aus lokalen Berichten).



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entstammte sie einer guten Familie, war vermögend '), hatte eine sehr gute Erziehung genossen, traf in ihrem Gesellschaftskreis alle geistig bedeutenden Leute ihrer Zeit und bedachte und besprach alle möglichen Gegenstände. Schon als junges Mädchen bewies sie auffallendes Talent und große Tatkraft in der Ausübung einer praktischen Hilfstätigkeit und eine ausgesprochene Fähigkeit andere zu beeinflussen. Aus reiner Freude am Unterrichten fing sie schon als junges Mädchen an, andere junge Mädchen umsonst zu unterrichten und setzte dies während ihres ganzen außerordentlich tätigen Lebens fort. Eine ihrer Schülerinnen spielt im Verlaufe unserer Geschichte eine Hauptrolle. Amalie hatte einen starken Sinn für Humor, ausgeprägten Menschenverstand, Scharfblick und unbegrenzten Mut im Vertreten ihrer Ansichten und Handlungen. Die Lektüre des Buches »Campe's väterlicher Rat an seine Tochter«, das ihren schärfsten Widerspruch herausforderte, hatte sie früh zum Nachdenken angeregt, und sie lehnte sich gegen die Ansicht auf, daß Heirat die einzige Bestimmung der Frau sei. Sie schrieb in ihrer Jugend zwei Bändchen »Betrachtungen über einzelne Abschnitte der h. Schrift«, welche bei allen konservativen Naturen großes Mißfallen erregten; in ihren Briefen beschreibt sie in sehr lebhafter und scharfer Weise die strengen Zurechtweisungen, die sie deswegen ') Hier liegt ein Irrtum der Verfasserinnen vor, Amalie Sieveking hatte kein nennenswertes Vermögen, lebte aber nach dem Tode ihres Vaters (die Mutter hatte sie ganz früh verloren) bei einer wohlhabenden Freundin ihrer Familie, die ihr später anbot sie »Mutter« zu nennen. Die Übersetzerin.



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von verschiedenen Theologen erhielt. Sie empfand den ernsten Wunsch, einen Orden protestantischer barmherziger Schwestern zu gründen und sich ihm selbst anzuschließen, und dieser Wunsch beschäftigte ihren Geist während vieler Jahre. Sie war von starker, echter Frömmigkeit und verabscheute allen Schein und alles oberflächlich Herkömmliche. Ihre erste wirklich öffentliche Arbeit erfolgte im Jahre 1831, als sie sich während einer Cholera-Epidemie anbot, im Krankenhaus Dienst zu tun. Ihre Mutter '), die einzige lebende Verwandte, welche sie besaß, war ganz damit einverstanden ; aber alle ihre Freunde fanden es anstößig, eine »Pose« als Märtyrerin, unschicklich oder geschmacklos. Trotz dieser Kritik ging sie ins Krankenhaus und arbeitete dort zwei Monate lang, bis die Epidemie nachließ. Ihre aus dem Krankenhaus an ihre Mutter gerichteten Briefe bilden einen lebendigen, aber höchst sachlichen und verständigen Bericht ihrer Erlebnisse. Es gab nur Dienstboten zur Hilfe in der Pflege, und sie arbeitete T a g und Nacht, hatte zuerst die Leitung der Frauenabteilung, übernahm aber bald auf Wunsch der Arzte auch die Aufsicht über die Männerabteilung. Anfangs war sie etwas besorgt, daß das Personal der Männerabteilung sich ihr nicht fügen würde, aber die Ärzte ermutigten sie und gaben strengste Anweisung, daß man ihr unbedingt zu gehorchen habe. Sie schreibt in einem Brief an ihre Mutter: ') Pflegemutter, ihr einziger noch lebender Bruder in England ansässig. Die Übersetzerin.

war



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Meine Beschäftigungen sind von mancherlei Art und haben großes Interesse für mich. Doch läßt sich nicht alles so leicht herzählen. 11 Uhr abends. In die Nachtwachen teile ich mich mit den beiden Wärterinnen und empfinde wenig Beschwerde dabei. Wenn ich mich angegriffen fühle, lege ich mich auch wohl am Tage ein Stündchen nieder, welches immer besser ist, als eine ganze Nacht durch zu schlafen, da ich als Oberaufseherin der männlichen Krankensäle verpflichtet bin, alle paar Stunden, auch des Nachts, die Runde zu machen. Dienstag. Morgens früh habe ich dafür zu sorgen, daß vor dem Besuch des Arztes die Krankensäle gereinigt, die Betten aufgemacht sind und alles in seiner bestimmt vorgeschriebenen Ordnung sich befinde. Dreimal täglich, morgens, nachmittags und abends besuche ich die Kranken gemeinschaftlich mit dem Arzte, dem Chirurgen und dem Apotheker, wo Dr. Siemssen dann einem jeden von uns die betreffenden Anweisungen gibt. Im weiblichen Krankensaal habe ich mir natürlich alle ärztlichen Vorschriften genau zu merken, da ich hier zunächst für pünktliche Besorgung derselben einstehen muß. In den Sälen der Männer merke ich mir besonders nur, was an Speise und Getränk für die Kranken verordnet wird, wonach ich dann der Ökonomin den Küchenzettel entwerfe. Auch gibt es sonst zuweilen noch etwas für mich zu schreiben, um nämlich den Angehörigen die nötige Anzeige zu machen, da die Kranken uns zuweilen ohne Wissen derselben gebracht werden. Auch die Sorge für die in den Krankensälen gebrauchte Wäsche ist mir übertragen.

Die Arzte, die sie zuerst mit Zweifeln, wenn auch nicht mit Widerstand empfangen hatten, waren bald voller Dank und Wertschätzung für ihre Leistungen. Durch ihre einfache Offenheit und ihren Takt vermied sie alle Reibungen, die mit den Untergebenen hätten entstehen können und verließ, von

Amalie

Sieveking.



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allen geliebt, das Haus, nachdem sich bei ihrem Abschied der ganze ärztliche Stab versammelt hatte, um ihr zu danken und eine Anerkennung der SanitätsKommission zu verlesen. Diese Krankenhauserfahrung entwickelte in ihr den Plan zur Gründung eines Frauen-Vereins für Armen- und Krankenpflege, und diesen führte sie mit Energie, gesundem, praktischem Sinn und gründlicher Kenntnis der menschlichen Natur durch. Ihre Absicht war, daß bestimmte Damen es übernehmen sollten, regelmäßig wenigstens einmal in der Woche oder öfter arme Familien zu besuchen, wo Krankheit oder Not herrschte, um ihnen in jeder Beziehung zu helfen ; doch sollte kein bares Geld gegeben werden. Sie fand es schwierig, die rechte Art Frauen dafür zu finden. Diejenigen ihrer eigenen Gesellschaftsklasse hielten sich zurück, und sie versuchte es nun mit Frauen des Mittelstandes, sagte aber über ihre Erfahrungen mit denselben : »Ich dachte zuerst, daß sie die Bedürfnisse der Armen besser verstehen würden, bin nun aber sicher, daß eine höhere geistige Kultur viel dazu tut, die Sicherheit des Urteils zu fördern«. Sie sagte ferner: Was im Anfang schwierig fiel, das war die Stellung zu den Ärzten. Ich hatte dieselben im Hospital recht kennen gelernt und es kam nur darauf an, daß sie uns ihre Armen empfahlen. Mehrere sagten es mir freundlich zu. Dr. M. aber schlug es mir entschieden ab, und zwar aus dem Grunde, weil unsere Tätigkeit seiner Meinung nach das einzig Gute und Schöne, was sich noch bei den Armen fände, die Hülfe der Nachbarn untereinander, zerstören würde. Später empfing ich dennoch indirekt Empfehlungen von ihm, erkundigte mich aber, um der Sache auf den Grund zu kommen, bei ihm

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selber, ob solche Zusendung wirklich mit seinem Willen und Wissen geschehe. E r bejahte das und ist seitdem unser treuer Freund und Helfer geblieben. Doch zürnte er einmal sehr, weil eine unserer D a m e n seinem Patienten homöopathische Mittel angeraten, und sich also in ein Gebiet gewagt habe, von dem sie nichts verstände. Wieder ging ich zu ihm und erklärte mich bereit, seinen ganzen Zorn auf mich zu nehmen, versprach auch, wir würden uns in Dinge, die uns nicht zuständen, nie wieder mischen, und rügte das Geschehene in der nächsten Versammlung.

Einen weiteren Zwischenfall Folgenden :

berichtet

sie im

Einen anderen kleinen Strauß hatte ich mit dem Dr. R. zu bestehen. Wir besuchten einen Mann, der von den Blattern fast genesen war, und dessen noch weit kränkere Frau. Ihm lieh ich einige Bücher, die er mit D a n k entgegennahm, und versprach, wenn er sie ausgelesen, ihm andere zu schicken. Die Wärterin kam richtig zu mir, doch ohne die Bücher; sie war damit beim Arzt vorgewesen, der sie mit der Äußerung weggenommen, das sei nichts für den Kranken. Ich ging zu ihm und sah meine Bücher auf dem Tisch liegen, redete aber erst von anderen Dingen, bis er mich fragte, was ich dem Kranken da für Bücher gegeben. D a erwiderte ich, sie seien für den Genesenden bestimmt, welcher sie der Frau j a nicht vorzulesen brauche ; ob er aber nun wirklich glaube, der Inhalt könne dem Manne schaden? Gelesen habe er sie nicht, lautete die Antwort, wisse aber nur, daß diese blauen Heftchen selten etwas Rechtes enthielten. Dann pries er mir ein höchst langweiliges Buch, ich meine »Sittenlehre« betitelt, für solchen Zweck und ich versprach, es dem Kranken zu bringen; gern wollte ich nachgeben in diesem Fall, um nur in hundert anderen freie H a n d zu behalten.

Sie führte dieses Werk während ihres übrigen

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Lebens mit unermüdlicher Tatkraftund Geschicklichkeit durch. E s erweiterte sich und die Arzte wurden alle ihre Freunde. Die Mitglieder des Vereins sorgten in Krankheitsfallen für Nahrung, Geräte,Stühle,Betten etc., suchten Arbeit für die Erwerbsfähigen, sorgten oft für Beschäftigung für Personen aus bedürftigen Familien, indem sie dieselben in einer ebenso bedürftigen Familie zum Waschen, zu Hülfeleistungen etc. einstellten. Sie sahen sich nach neuen Arbeitsmöglichkeiten für Krüppel um ; so lernte ein Tischler, der durch einen Abszeß den Gebrauch des linken Arms verloren hatte, Pantoffeln aus Schnur machen, worin er so geschickt wurde, daß er seinen Lebensunterhalt verdiente. Chronisch kranke Kinder wurden unterrichtet und unterhalten, und als weiterer Fortschritt wurde ein Kinderkrankenhaus gebaut. Chronisch Kranke wurden spazieren gefahren, in die Kirche geführt, ihnen vorgelesen, etc. E s waren wirklich »freundschaftliche Besuche« höchst praktischer Art, von dem Gesichtspunkt aus, daß man den Leuten dazu verhalf, sich selbst zu helfen. Diese Arbeit nahm sie so in Anspruch, daß, als Pastor Fliedner Weihnachten 1836 zuerst mit der Bitte an sie herantrat, die Leitung des damals gerade gegründeten Kaiserwerther Diakonissenhauses zu übernehmen, sie ablehnte. Pastor Fliedners erste Frau leitete dasselbe zunächst. Überdies war Amalie zu dieser Zeit mit Plänen zur Verbesserung der Wohnungen für Arme beschäftigt. Etwa 1839 wurde ihr der leitende Posten auf der Frauen-Abteilung des großen städtischen Krankenhauses in Hamburg angeboten. Auch diesen lehnte



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sie ab, besetzte ihn aber durch Karoline Berteau, die eine ihrer liebsten Schülerinnen gewesen war, und die später Fliedners zweite Frau wurde. Ihre Wohnungspläne wurden in einer Häusergruppe, die ein Krankenhaus umgab, verwirklicht und nach ihr das Amalienstift genannt. A l s Fliedner später zum zweiten Mal kam, um bei ihr wegen Übernahme der Leitung des neuen Berliner Diakonissenhauses anzufragen, wies sie ihn an Karoline, die noch im Krankenhause pflegte, und die, statt diese Stellung zu übernehmen, seine zweite Frau wurde. Den Rest ihres Lebens verwendete Amalie Sieveking dazu, ihre verschiedenen Unternehmungen im Einzelnen zu vervollkommnen, zu unterrichten, und mit hervorragenden Philanthropen Deutschlands und der benachbarten Länder, denen ihr W e r k eine'Erleuchtung war, ausgedehnte und ununterbrochene Beziehungen und Briefwechsel zu unterhalten. Sie starb 1 8 5 9 1 ) ') Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, Hamburg i860. Authentische Erinnerungen mit Auszügen aus ihrem Tagebuch und ihren Briefen, von einer ihrer Freundinnen, mit einem Vorwort von Dr. Wichern.

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