Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Westgermanen 340602212X, 9783406022128

Unter Mitwirkung von Hans Zeiss. Unveränderter Nachdruck 1970 von "Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang

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Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Westgermanen
 340602212X,  9783406022128

Table of contents :
Die Ingwäonen
1. Die Kimbern, Teutonen, Ambronen, Haruden 3
2. Die Nerthusvölker 22
3. Die Chauken und Sachsen 33
4. Die Friesen und Amsivarier 71
Die Erminonen. Erster Abschnitt
1. Die Angrivarier und Cherusker 91
2. Die Sweben. Erster Teil 128
a) Vorgeschichte 128
b) Die Markomannen und Quaden 153
c) Die Baiern 194
d) Das spanische Swebenreich 206
Die Erminonen. Zweiter Abschnitt
1. Die Sweben. Zweiter Teil 223
a) Die Semnonen und Alamannen 223
b) Die Hermunduren und Thüringer 314
2. Die Chatten 345
3. Die Bataver und Kannanefaten 367
Die Istwäonen
1. Die Sugambrer, Marser, Kugerner 395
2. Die Usipier, Tenkterer, Tubanten, Chasuarier, Brukterer, Chattuarier, Chamaven 409
a) Die Usipier, Tenkterer, Tubanten 409
b) Die Chasuarier 419
c) Die Brukterer 420
d) Die Chattuarier, Chamaven, Salier, Twihanten 425
3. Die Ubier 429
Nachträge 439
Register 441

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GESCHICHTE DER DEUTSCHEN STÄMME BIS ZUM AUSGANG D E R V Ö L K E R W A N D E R U N G

DIE WESTGERMANEN VON

LUDWIG SCHMIDT U N T E R M IT W IR K U N G VO N

HANS ZEISS

VERLAG C.H.BECK MÜNCHEN

Unveränderter Nachdruck 1970 von Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Die Westgermanen. Von Ludwig Schmidt. Zweite, völlig neubearbeitete Auflage. Erster Teil. München 1938. U n d: Zweiter Teil. Unter Mitwirkung von Hans Zeiss. Erste Lieferung. München 1940

ISB N 340602212 X Umschlagentwurf von Rudolf Huber-WilkofF, München © C. H. Beck’ sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck) München 1938 bzw. 1940 Druck: Pera-Druck Hanns Haug, München-Gräfelfing Printed in Germany

VORWORT ZUM ERSTEN TEIL Nach der im Jahre 1934 erschienenen Neubearbeitung der Geschichte der Ostgermanen lege ich jetzt den A n f a n g der zweiten Abteilung des Gesamt­ werkes, die den Westgermanen gewidmet ist, vor. Die F o r t s e t z u n g wird behandeln die Alamannen, Hermunduren und Thüringer, Chatten, Bataver und Franken: es sind das die Völker, die als die wichtigsten von den spä­ teren Elementen des merowingischen Frankenreiches zu einer besonderen Gruppe zusammengefaßt werden dürfen und eine Darstellung ihrer Ge­ schichte für sich beanspruchen können. Ich werde bemüht sein, die ganze Arbeit in nicht zu ferner Zeit fertigzustellen. Dresden, im Dezember 1937 Ludwig Schmidt

VORW ORT

ZUR ERSTEN LIEFERUNG DES ZW EITEN TEILS

Im Jahre 1938 konnte von der zweiten Abteilung des Gesamtwerkes der erste Teil in 2. Auflage erscheinen. Nun bringt die erste Lieferung des zweiten Teiles die Darstellung der übrigen westgermanischen Völker mit Ausnahme der Franken, deren Geschichte als Schlußlieferung hoffentlich in nicht zu ferner Zeit folgen kann. In Besprechungen des Werkes ist der Wunsch nach stärkerer Beachtung der Bodenfunde ausgesprochen worden; auch haben die knappen einschlä­ gigen Bemerkungen der Einleitung gelegentlich den Eindruck hervorgeho­ ben, daß diese Quellengattung in dem vorliegenden Buch nicht genügend gewürdigt werde. Dem aufmerksamen Leser der 1. Auflage wird nicht ent­ gangen sein, daß bereits damals erstrebt wurde, die Ergebnisse der Boden­ forschung nach Möglichkeit aufzunehmen. Eine Geschichte der deutschen Stämme kann allerdings nicht eine Denkmälerkunde ersetzen; dies gilt auch für die vorliegende Auflage. Um die Bodenfunde in dem hier gegebe­ nen Rahmen genügend zu berücksichtigen, sind die entsprechenden Ab­ schnitte von Prof. H.Zeiss völlig neugestaltet worden, der mich auch bei der Bearbeitung der übrigen Teile in vielfacher Weise bereitwillig unterstützt

Vorwort

VI

und dadurch die Fortführung des Werkes recht eigentlich erst ermöglicht hat. Der Verlag und ich sind ihm dafür zu großem Dank verpflichtet. Ein Register sowie Nachträge zur zweiten Abteilung des Gesamtwerkes werden der Schlußlieferung beigegeben werden. Dresden, im Juni 1940 Ludwig Schmidt

VORW ORT ZUM NACHDRUCK 1970 Der Nachdruck faßt den 1938 erschienenen Ersten Teil des Werks (S. 3 bis 220 dieser Ausgabe) und die 1940 veröffentlichte Erste Lieferung des Zweiten Teils (S. 223-439 dieser Ausgabe) in einem Band zusammen. Der Text beider Bände wird unverändert nachgedruckt. Bis S. 220 stimmen die Seitenzahlen mit denen der Vorlage überein; ab S. 223 steht die Seiten­ zahl der Vorlage jeweils in Klammern neben der neuen Paginierung dieses Nachdrucks. Das Register zum Zweiten Teil wurde von Dr. Peter Dusek neu abgefaßt und mit dem des Ersten Teils vereinigt. Ludwig Schmidt konnte die Neuauflage der „Geschichte der Franken“ , die als Zweite Lieferung des Zweiten Teils erscheinen und das Gesamtwerk abschließen sollte, nicht mehr beenden. Sie erscheint jetzt, neu bearbeitet von Erich Zöllner, als selbständiger Band. München, Juni 1969 C. H. Beck’ sche Verlagsbuchhandlung

INHALT Die Ingwäonen 1. 2. 3. 4.

Die Die Die Die

Kimbern, Teutonen, Ambronen, H a r u d e n ............................................................ N e r t h u s v ö lk e r .................................................................................................................... Chauken und S a c h s e n ........................................................ ’ ............................................ Friesen und Amsivarier , .............................................................................................

3 22 33 71

Die Erminonen. Erster Abschnitt 1. Die Angrivarier und C h eru sker............................................................................................. 91 2. Die Sweben. Erster T e i l ................................................................................................................. 128 a) V o r g e s c h ic h te ............................................................................................................................... 128 b) Die Markomannen und Q u a d e n ..........................................................................................153 c) Die Baiern ....................................................................................................................................194 d) Das spanische S w e b e n r e ic h ................................................................................................... 206

Die Erminonen. Zweiter Abschnitt 1. Die Sweben. Zweiter T e i l ............................................................................................................223 a) Die Semnonen und A la m a n n e n .............................................................................................. 223 b) Die Hermunduren und T hüringer......................................................................................... 314 2. Die C h a t t e n ........................................................................................................................................345 3. Die Bataver und Kannanefaten .............................................................................................. 367

Die Istwäonen 1. Die Sugambrer, Marser, Kugerner ..........................................................................................395 2. Die Usipier, Tenkterer, Tubanten, Chasuarier, Brukterer, Chattuarier, C h a m a v e n .............................................................................................................................................409 a) Die Usipier, Tenkterer, Tubanten .....................................................................................409 b) Die C h asuarier...............................................................................................................................419 c) Die B r u k t e r e r ............................................................................................................................... 420 d) Die Chattuarier, Chamaven, Salier, T w ih a n te n ............................................................. 425 3. Die U b i e r .............................................................................................................................................429

N a c h t r ä g e ................................................................................................................................ 439

R e g is t e r ...................................................................................................................................................... 441

D IE I N G W Ä O N E N

1 D IE KIM BERN, TEUTONEN, AMBRONEN, HARUDEN Die genauere Kenntnis von der Lage der Wohnsitze der K i m b e r n be­ ruht erst auf den Ergebnissen der römischen Flottenfahrt des Jahres 5 n. Chr., die der Nordseeküste entlang bis zum Kap Skagen (promunturium Cimbrorum) vordrang und dort auch Erkundungen über die Geographie des Kattegat und der westlichen Ostsee einzog· In dieser Gegend trafen die Römer noch Überbleibsel des Volkes von der großen Wanderung an. Vgl. Mon. Ancyr. V 14: Classis mea per Oceanum ab ostio Rheni ad solis orientis regionem usque ad nationem Cimbrorum navigavit; Plin. hist. nat. II 167 : Germaniam classe circumvecta ad Cimbrorum promuntu­ rium et inde immenso mari prospects aut fama cognito; die eigenen Zu­ sätze Strabos V II 2, 1 zu Posidonius; Mela III 31 (die Kimbern am sinus Codanus = Kattegat nebst angrenzender Nordsee) ; Philemon bei Plin. IV 95 (Morimarusam [septentrionalem oceanum] a Cimbris vocari . . . usque ad prom. Rusbeas d. h. das Meer Morimarusa reicht von den Kimbern bis zum prom. Rusb., der Nordspitze der Shetlandsinseln); Plin. IV 96 (mons Saevo [Gebirge Norwegens] . . . ad Cimbrorum usque prom. efficit sinum qui Codanus vocatur, wie Mela a. a. O.); derselbe IV 97 (quidam . . . tra­ dunt sinum Cylipenum vocari et in ostio eius insulam Latrim [die westliche Ostsee mit der Insel Seeland ?], mox alterum sinum Lagnum conterminum Cimbris [Kattegat]. Promunt. Cimbrorum excurrens in maria longe pae­ ninsulam efficit quae Tastris appellatur [Skagens Horn]); Tac. Germ. 37 (die Kimbern Anwohner des von dem Gebiet der Chauken und der jüti­ schen Halbinsel gebildeten sinus); sodann Ptolemäus II 11, 12, wo die Kimbern nach den Haruden als nördlichste Bewohner der Κιμβρική χερσό­ νησος genannt werden. Als kimbrische Heimat erscheint also hier Jütland nördlich des Westausflusses des Limfjords (die Haruden wohnten südlich davon bis zum Ringköbingfjord, vgl. unten) und des Mariagerfjords; das heutige Himmerland (älter Himbersyssael, zwischen dem östlichen Aus­ fluß des Limfjord und dem Mariagerfjord, Hauptort Aalborg), dessen Name sicher mit Recht auf die Kimbern zurückgeführt wird, kann nur einen Teil des ursprünglichen kimbrischen Gebietes gebildet haben.1 Von Wandalen, die man nach dem späteren Landschaftsnamen Vendlesyssael als Bewohner der Nordspitze Jütlands schon in der La-Tene-Zeit angenommen hat, war 1 Vgl. zuletzt Schütte, Our forefathers II (1933) S. 319 ff.

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Di e I ng wä o n e n

damals noch keine Rede.1 — Die älteren, der Zeit der großen Wanderung nahestehenden Quellen und ihre Ableitungen (Livius bei Florus I 38; Quintilian. decl. III 4; Ammian. 31, 5, 12; Claudian. Bell. Goth. 640) wissen dagegen nicht viel mehr als allgemein von Sitzen am Nordmeer zu berichten; auch Posidonius bei Strabo = Fragm. 31 und bei Plutarch Marius 11, 9 konnte nur angeben, daß die Kimbern auf einer Halbinsel, in einem Waldgebiet, das sich landeinwärts bis zum Herkynischen Walde erstrecke, wohnten.1 2 Vgl. dazu auch weiter unten. Das germanische Volkstum der Kimbern ergibt sich von selbst aus der Lage ihrer Wohnsitze.3 Der antiken Welt ging die Erkenntnis ihrer ethno­ graphischen Abkunft erst seit dem Sklavenkriege auf. Artemidor benannte sie mit dem Verlegenheitsnamen Keltoskythen; Posidonius glich sie den homerischen Kimmeriern an und noch später, wie es scheint auch von Livius, wurden sie mehrfach als Kelten (Gallier) bezeichnet. Auch der Volksname ist sicher deutsch, wenn auch bis jetzt noch nicht befriedigend erklärt. Früher als die Kimbern wurden die T e u t o n e n bekannt, und zwar durch die berühmte Reise des Pytheas von Massalia (um 345), der ein Volk dieses Namens als Bewohner der Küste Westholsteins kennenlernte.45Es scheint aber, daß der Teutonenname damals eine größere Ausdehnung gehabt hat, daß er von Haus aus den größten Teil der Bevölkerung der Westseite der jütischen Halbinsel umfaßte, dann aber in seiner Geltung immer mehr eingeschränkt wurde, während die einzelnen Volksteile mehr nur unter Sondernamen auftraten. Ob er freilich in dem späteren Landschaftsnamen Thytesyssael nördlich vom Westausfluß des Limfjords steckt, ist mehr als zweifelhaft, da hier einfach das germanische Wort für „V olk “ got. thiuda zugrunde liegen kann6 und man jenes Gebiet wohl richtiger den Kimbern zuzuteilen haben wird. Die Ansicht, daß es Teutonen in Germanien über­ haupt nicht gegeben, daß die gleichnamigen Wandergenossen der Kim ­ bern Kelten (Helvetier) gewesen seien,6 dürfte nicht aufrechtzuerhalten sein. Wenn sie aber von den späteren Schriftstellern als Germanen be­

1 L. S c h m i d t , Gesch. d. d. St. Bd. I 2 83. 2 Die Annahme, daß schon Ephorus die Kimbern erwähnt habe, ist irrig; was dieser von den Kelten und ihrem K am pfe gegen die Meeresfluten erzählte, hatte ein vorposidonischer Autor auf die Kimbern übertragen. Vgl. J a c o b y , Die Fragmente der griechischen Historiker II C (1926) S. 7 4 ,1 8 1 . 3 Vgl. dazu L. S c h m i d t , Klio 22 (1928) S. 101 ff. 4 Vgl. L. S c h m i d t , Klio 22, 95 ff.; Gesch. d. d. St. I 2 5. 5 Vgl. S t ä h e li n , Die Schweiz in röm. Zeit2 (1931) S. 49. 0 Stähelin a. O. Vgl. dagegen L. Schmidt, K lio, S. 98. N o r d e n , Altgermanien (1934) S. 197.

D i e K i m b e r n , Te u t o n e n , A m b r o n e n , Har ude n

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zeichnet werden, so beweist das nichts, da sie gewöhnlich mit den Kimbern zusammen genannt werden.1 Unverkennbar als ein Teilvolk der Teutonen erscheinen die A m b r o n e n , deren Sitze man wegen ihres Namens auf den nordfriesischen Inseln, be­ sonders auf Amrum (älter Ambrum) zu suchen hat.1 2 Die Angabe des Festus S. 15 (Lindsay), der die Ambronen als gens Gallica bezeichnet, fällt nicht ins Gewicht. Daß auch H a r u d e n Wandergenossen der Kimbern und Teutonen ge­ wesen sind, ist wahrscheinlich wegen ihrer Beteiligung an der kimkrischen Sühnegesandtschaft an den Kaiser im Jahre 5 n. Chr. (Mon. Ancyr.; Strabo a. 0 .). Ein bestimmtes Zeugnis liegt allerdings dafür nicht vor; ob auf dem noch zu erwähnenden Toutonenstein H zu Harudes zu ergänzen ist, muß als ganz ungewiß bezeichnet werden. Ihre Sitze werden bestimmt durch die spätere Landschaft Harthesyssael zwischen dem Westeinfluß des Limfjords und dem Ringkjöbingfjord. Auch sie sind wohl als ein Teilvolk der Teutonen anzusprechen. Neben dem durch den Bernsteinhandel genährten Trieb nach den süd­ lichen Ländern waren es Naturereignisse, die die Nordleute am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. zum Verlassen ihrer Heimat nötigten. Zuerst ( ?) gab Artemidor von Ephesus (siehe Gesch. d. d. St. I 2 6) als Ursache der Abwanderung eine Meereserscheinung an, die er mit den Gezeiten in Ver­ bindung brachte. Dagegen wies Posidonius von Apamea, der das Wesen von Ebbe und Flut genau studiert hatte, nach, daß es sich nicht um einen regelmäßigen Vorgang, sondern um ein außergewöhnliches Ereignis han­ delte,' und zwar um Sturmfluten (ύπερβάλλουσα πλημμυρίς), die sich öfter wiederholten (κατά θαλάττης έφοδον ούκ άθ-ρόαν συμβάσαν) und so größere Landverluste verursachten. Daneben spielte als Grund nach Posidonius Raub- und Wanderlust eine Rolle.3 Die Anschauung, daß die Völker vom Meere vertrieben worden seien, kommt auch in der späteren römischen Überlieferung zum Ausdruck: Florus I 38, 1 nach Livius: Cimbri Teu­ toni . . . profugi, cum terras eorum inundasset Oceanus; Festus (S. 15 Lindsay) ; Ambrones . . . qui subita inundatione maris cum amisissent sedes. Es handelte sich also um eine Katastrophe, die zu vergleichen ist mit der näher bekannten Flut vom 11. Oktober 1634, die große Veränderungen in der Küstengestaltung zur Folge hatte.4 Naturgemäß wurde damals die 1 Vgl. W e i s g e r b e r , Rhein. Mus. N . F. 86 (1937) S. 112 ff. 2 Die dagegen geltend gemachten Einwände von H . A u b i n , Neue Jahrbücher für Wissenschaft u. Jugendbildung X (1934) S. 5 0 3 ,1 sind ganz unbegründet. 3 Vgl. Jacoby S. 180. 4 Vgl. zuletzt das W erk : Die nordfriesischen Inseln vor und nach der Sturmflut vom 11. Okt. 1634, bearb. in d. Landesanstalt für Gewässerkunde. Berlin 1934.

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D i e I ng wäo ne n

ganze Westküste der Halbinsel betroffen; die Teutonen und Ambronen in Schleswig-Holstein (auf diese beziehen sich die συγγενείς der Kimbern Posid. Fragm. 28, 6) werden dabei noch mehr als die Kimbern in Mitleiden­ schaft gezogen worden sein. Das spricht sich auch in den Funden aus, die im Westen der Halbinsel in jener Zeit plötzlich abbrechen, während im Osten eine Fortdauer der Besiedelung festzustellen ist.1 Zweifelhaft ist es, ob die vier Völker von Anfang an Fahrtgenossen ge­ wesen sind.1 2 Aus der unklaren und widerspruchsvollen literarischen Über­ lieferung ist keine völlige Sicherheit zu gewinnen. Insbesondere muß her­ vorgehoben werden, daß, wie schon bemerkt, Kimbern und Teutonen später immer zusammengenannt werden, „Cimbri Teutonique“ zu einer reinen Formel geworden ist, so daß der Schluß auf ein tatsächlich stattgefundenes Zusammengehen dieser Völker nicht zulässig ist. Ebensowenig beweist der Ortsname Teutoburgium in Pannonien (Ptol. II 15,3; Itin. Ant. 243, 4) etwas für eine Beteiligung der Teutonen an dem Zuge nach der Donau, da er weiter nichts bedeutet als „Volksburg“ , wie das auch offensichtlich bei der weltberühmten Teutoburg in Westfalen der Fall ist.3 Die Quellen­ angabe, die von einer Vereinigung der Kimbern mit den Teutonen erst nach dem Jahre 105 im Gebiete von Rouen spricht, kann unter Rücksicht auf die Örtlichkeit (an der Seeküste) dahin ausgelegt werden, daß das Zu­ sammentreffen überhaupt das erste gewesen ist, daß die Teutonen erst da­ mals aus der Heimat zu Schiff gekommen waren. Andererseits ist aus dem inschriftlich bezeugten Vorkommen der Namen der Kimbern und Teu­ tonen im Odenwald zu schließen, daß Abteilungen derselben auf dem Zuge nach Gallien dort sitzengeblieben sind; denn daß sich nach der Teilung der Völker vor der Schlacht bei Aquae Sextiae Teutonen den über den Rhein gegen Italien ziehenden Kimbern angeschlossen, oder daß Flücht­ linge von Aquae Sextiae sich dorthin gerettet hätten, ist recht wenig glaublich. Meinungsverschiedenheiten bestehen auch über manen eingeschlagen haben. Nach W. S c h u l z 4 und Jütland zu Schiff durch den Sund fahrend an der und dann diesen Strom aufwärts gewandert, weil

den Weg, den die Ger­ M. J a h n 5 wären sie von Odermündung gelandet sie in dem damals nur

1 V gl. K n o r r , Friedhöfe der älteren Eisenzeit im Schleswig-Holstein (1910). A . T o d e in: Nordfriesland. Ileimatbuch für die Kreise Husum und Südtondern, hsg. von Peters (1929) S. 77. 2 Dafür Ed. M e y e r , Kleine Schriften II (1924) S. 497 ff. Dagegen B o h n im Anzeiger f. Schweiz. Altertumskunde N . F. 29 (1927) S. 160. 3 Vgl. S t ä h e li n , Zeitschr. f. Schweiz. Gesch. I (1921) S. 148. Norden, Altgermanien S. 285, 1. 290. 4 Germania 13 (1929) S. 139 ff. 5 Mannus 24 (1932) S. 150 ff.

Di e K i mb er n, T e ut o ne n, A m b r o n e n , H aruden

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dünn besiedelten Odergebiete keine Widerstände durch eine feindliche Bevölkerung zu erwarten gehabt hätten. Bei dieser Anschauung bleibt aber ungeklärt, wo der Zuwachs hergekommen sein soll, den die anfänglich ge­ wiß nicht sehr zahlreichen, bald aber in ansehnlicher Stärke auftretenden Auswanderer erhalten haben müssen. Es bleibt somit die ältere Ansicht die wahrscheinlichste, daß die Völker elbaufwärts gezogen sind, wenn sich auch das dafür geltend gemachte archäologische Argument, damalige Fund­ abnahme im mittleren Elbegebiet, nicht als stichhaltig erweisen sollte. Die Abwanderung von Teilen des Volkes der K a l u k o n e n , deren Heimat nach Ptolemäus an der Elbe lag, nach den Westalpen, wo sie Plinius erwähnt,1 kann wohl mit dem Kimbernzug in Verbindung gebracht werden. Daß der Auszug zunächst zu Wasser erfolgte, um möglichst schnell zum Ziele zu kommen, darf als sehr wahrscheinlich angesehen werden; doch wird man anzunehmen haben, daß die Fahrt durch die Nordsee, entlang der West­ küste der Halbinsel, gegangen ist und die Landung in der Elbemündung stattgefunden hat. Das erste sicher bezeugte1 2 Ziel der Kimbern war das Land der Bojer, die damals Böhmen, nach Jahn a. 0 . auch Mittelschlesien beherrschten. Sind jene durch Sachsen gekommen, so werden sie das Erzgebirge auf der noch im Mittelalter vorwiegend benutzten Straße Dohna—Lauenstein-Geiers­ burg-Kulm, dem sog. Kulmer Steig, überschritten haben. Von den Bojern geschlagen, wichen sie ostwärts aus und zogen wahrscheinlich durch Schlesien und die Mährische Pforte nach der Donau und diese abwärts nach dem Lande der keltischen Skordisker (an der unteren Save bis zur Morawa im späteren Bosnien und Serbien). Vermutlich hahen sich ihnen sowohl Bojer wie Lugier-Wandalen in Schlesien angeschlossen, da unter den Kimbern später zwei Anführer namens Bojorix und Lugius erscheinen. Die schon erwähnte Teutoburg in Pannonien mag ein Lager der Kimbern gewesen sein und zu den vielbesprochenen3 ,,castra et spatia“ des Tacitus Germ. 37 gehören, ebenso wie v i e l l e i c h t der Ort Cimbrianae bei Stuhl­ weißenburg (Itin. Ant. 267, 8). Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Ein­ bruch der Germanen die für die Jahre 118 und 114 v. Chr. bezeugten Einfälle der Skordisker in Makedonien hervorgerufen hat.4 Nach dem glänzenden Siege über das römische Heer unter C. Porcius Cato (114) 1 Stähelin, Schweiz S. 17. 2 Posid. Fr. 31. 3 Vgl. zur Interpretation bes. Stähelin, Zeitschr. f. Schweiz. Gesch. I 131, 3. 4 Unzulässigerweise benutzt Z i p p e l , Die röm. Herrschaft in Illyrien (1877) S. 140 ff. die verworrene Stelle Appian Illyr. 4. 5. für seine Annahme, daß Kimbern als Verbündete der Skordisker damals bis nach Delphi gezogen seien. Appian gibt eine Darstellung der gallischen Wanderungen, in die die Kimbern hineinverflochten sind. Vgl. N i e s e , Zeitschr. f. deutsch. Altertum 42 (1898) S. 140.

Di e Ingwäonen

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gelang es den Skordiskern, die Kimbern zurückzuwerfen, die sich nun die Drau und die Mur aufwärts nach dem nördlichen Noricum, dem Lande der mit Rom befreundeten Taurisker wandten,1 um von da über den Perchauer Sattel und das Hörfeld nach Süden vorzustoßen. Die starke Festung Noreia (zwischen Hüttenberg und Neumarkt) gebot ihnen jedoch halt. Während sie hier lagerten, kam der Konsul des Jahres 113, der zuerst am Passe von Pontafel Stellung genommen, um Italien zu decken, in Eilmärschen heran und befahl den Fremdlingen, Noricum zu räumen. Diese ließen darauf durch eine Gesandtschaft sagen, daß sie von den Be­ ziehungen der Römer zu den Tauriskern nichts gewußt hätten und daß sie von Feindseligkeiten abstehen wollten. Der Konsul gab den zurückkehren­ den Gesandten Wegweiser mit, die sie auf einem Umwege nach ihrem Lager geleiten sollten, während er selbst, auf der kürzesten Linie vorrückend, die nichts ahnenden Germanen überfiel.1 2 Dieses verräterische Verhalten erfuhr die gerechte Sühne; die Römer erlitten eine Niederlage und würden voll­ ständig aufgerieben worden sein, wenn nicht ein schweres Unwetter dem Gemetzel ein Ende bereitet hätte.3 Jetzt stand den Germanen der Zugang nach Italien offen; aber sie zogen westwärts, ohne Zweifel durch das Puster­ tal, über den Brenner nach Süddeutschland zu den Helvetiern, deren Ge­ biet sich damals vom Main südwärts bis über die Nordschweiz erstreckte,4 und mit denen sie sich friedlich verständigten. Sowohl kimbrische wie teutonische Abteilungen haben sich nach wahrscheinlicher Ansicht damals in Südwestdeutschland dauernd niedergelassen; wir finden die Namen beider Völker auf mehreren Inschriften, den der Teutonen auf dem vielbe­ sprochenen Toutonenstein von Miltenberg (inter Toutonos), den der Kim­ bern in dem Götternamen Mercurius Cimbrianus oder Cimbrius von Heidel­ berg und Miltenberg (die Auflösung des C auf dem Toutonenstein in Cimbri ist ebenso unsicher wie die des A im Ambrones und H in Harudes). Der Einfluß der keltischen Umgebung ist erkennbar durch die Namensform T o u t o n i ; auch der kimbrische Mercurius kann eine übernommene galli1 Posid. a. 0 . 2 Über die Topographie der Schlacht zuletzt W . S c h m id , Mannus 24 (1932) S. 183 ff. — Die Beziehung des vielbesprochenen Helmes von Negau in Steiermark m it der Inschrift in nordetruskischen Schriftzeichen : Harigasti Teiwa (Heergast dem Ziu ?), angeblich aus dem 2. Jahrhundert v. Chr., „D a s älteste germanische Sprachdenkmal“ ( ? ) ; (vgl. u. a. S p e c h t , Zeitschr. f. vergl. Sprachforschung 60 [1932] S. 130 ff.; K . R e i c h a r d t , Runen­ kunde [1936] S. 50) auf die Kimbern ist durchaus unsicher. Der Pfriemen von Maria Saal in Kärnten mit Runen scheidet als anerkannte Fälschung überhaupt aus. (Vgl. H ist. Zeit­ schrift 156 [1937] S. 172f.) s L iv. epit. 63 (ed. Roßbach Lips. 1910). Strabo V 1, 8. Veil. Pat. II 12. Obsequens 38. Tac. Germ. 37. Plut. Mar. 16. Besonders Appian. Celt. 13. Appian nennt nur die Teutonen, Obsequens und Vellejus die Kimbern und Teutonen, die anderen Quellen nur die Kimbern. 4 Vgl. Stähelin, Schweiz S. 25 ff.

D i e K i m b e r n , T e u t o n e n , A mb r on en, H aruden

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sehe Gottheit sein, nicht der germanische Wodan.1 Abkömmlinge jener Teutonenreste waren vielleicht die laeti Teutoniciani, deren die Notitia dign. occ. 42 gedenkt. Wohl im Jahre 110 überschritten die Germanen den Rhein, wahrschein­ lich bei Mainz.1 2 Die Aussicht auf die zu gewinnende reiche Beute veran­ laßt e zwei helvetische Gaue, die Tiguriner und Tougener3 ihrem Beispiel zu folgen; doch dürfte der Aufbruch derselben erst etwas später erfolgt sein. Der Zug ging dann wohl weiter durch die Burgundische Pforte über Besançon, der Hauptstadt der Sequaner,4 nach dem Tale der Rhone. Ob auch Sequaner den Kimbern nachgezogen sind (Strabo IV 3, 2) ist zweifel­ haft.6 Im Jahre 109 erschienen sie an der Grenze des römischen Gebietes und schickten Gesandte zunächst in das Lager des Konsuls M. Junius Silanus, sodann, da dieser zu einer Entscheidung nicht befugt war, nach Rom an den Senat, mit der Bitte um Landanweisung gegen Leistung von Kriegsdienst. Der Senat wies das Begehren ab; als Silanus darauf, ohne von Rom die Ermächtigung erhalten zu haben, die Fremdlinge angriff, wurde er vollständig geschlagen.6 Aber auch diesmal nutzten die Germanen 1 Vgl. Stähelin, Zeitschr. f. Schweiz. Gesch. I 149. S c h u m a c h e r , Siedlungs- u. K u l­ turgeschichte der Rheinlande I (1921) S. 155. II (1923) S. 132. L. Schmidt, Klio 22, 99. Norden, Altgermanien S. 191 ff. D e V r i e s , Altgerman. Religionsgeschichte I (1935) S. 167 f. G u t e n b r u n n e r , Die german. Gitternamen d. antiken Inschriften (1936) S. 52 ff. K a h r s t e d t , Bonner Jahrbücher 139 (1934) S. 46 ff. liest die Toutoneninschrift: Inter Toutonos, C[ohortem], A[uderienses], H [.............. ], N[umerum] ; der Mercurius Cimbrianus beweise nichts für die damalige Zeit. Die süddeutschen Zimmern-Orte haben ebensowenig wie die oberitalienischen Orte Cembra, Cimbergo, Cimbro etwas mit den Kimbern zu tun, wie Karl H o f m a n n , Die germ. Besiedelung Nordbadens (1937) S. 7 ff., einen alten Unsinn aufwärmend, verkündet. (Vgl. B e h a g h e l , Geschichte der deutschen Sprache4 [1916] S. 16.) Ebenso, soweit Oberitalien in Betracht kom mt, O. Th. S c h u l z in seiner Schrift „Antike und Norden“ (1936) S. 37, die besser ungedruckt geblieben wäre. 2 Die Annahme E. N o r d e n s , Die germanische Urgeschichte in Tacitus Germania (1920) S. 225 ff., daß der Rheinübergang am Oberlaufe bei Zurzach erfolgt sei, ist zuletzt gründlich von Stähelin, Zeitschr. f. schw. G. I 129 ff. und Schweiz2 S. 46 zurückgewiesen worden. 3 Posid. Fr. 31, 2. Strabo IV 3, 3. IV 1, 8 (vgl. unten). Daß die Tougener (Τωυγενοί) von den Teutonen zu trennen sind, dürfte wohl trotz Stähelin u. A . nicht zu bestreiten sein, vgl. L. Schmidt, Klio 22, 98 f. Norden, Altgermanien S. 197, 1. 4 Die Sequaner bewohnten damals außer der Franche Comté und der südlichen Schweiz das Elsaß, die Pfalz und Rheinhessen; vgl. B u r c k h a r d t - B i e d e r m a n n , Zeitschrift f. d. Gesch. d. Oberrheins N . F. 24 (1909) S. 400 ff. L. S c h m i d t ebenda 51 (1937) S. 263. Stähelin, Schweiz S. 25. 6 Vgl. Müllenhoff, D . A . II 294. H e l b l i n g , Der Zug der Kimbern und Teutonen (1898) S. 54. 6 Liv. epit. 65. Florus I 38. Veil. Pat. II 12, 2. Ascon. Ped. 71 (S. 80 Clark): iniussu populi. Quintii, decl. II I 13. Eutr. IV 27. Hierher gehört wohl auch die von Plin. 35, 25 erzählte Anekdote von dem teutonischen Gesandten (der wohl ein Kimbrer war). Die Ge­ sandtschaft gehört unstreitig vor die Schlacht, nicht nachher, wie M o m m s e n , Röm . Geschichte I I 7 (1882) 175 nach Liv. epit. sagt.

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den Sieg gegen die Römer nicht aus, sondern zogen verheerend im inneren Gallien umher; die dortige Landbevölkerung flüchtete in die Städte, wo alsbald furchtbare Hungersnot eintrat.1 Im Jahre 107 erschienen die Tiguriner unter Divico, wohl vereint mit den Tougenern, im südlichen Gallien. Das von dem Konsul L. Cassius Longinus befehligte römische Heer ver­ folgte sie die Garonne hinab nach dem Meere zu, ward aber im Gebiet der Nitiobriger in der Gegend von Aginnum (Agen) umzingelt und fast ganz aufgerieben; der Konsul selbst fand nebst seinem Legaten L. Piso den Tod auf dem Schlachtfelde; die übrigen mit dem Legaten C. Popilius retteten sich nur durch einen schimpflichen Vertrag, der ihnen Abtretung der Hälfte ihres Eigentums, Stellung von Geiseln und Abzug durch das Joch aufer­ legte.1 2 In der Hoffnung auf die Beihilfe der Sieger rebellierten die Bewohner von Tolosa und legten die römische Besatzung in Fesseln; doch gelang es dem Konsul C. Servilius Caepio, alsbald wieder die Stadt in seine Gewalt zu bringen3 (106). Ob sich zu dem nun folgenden Angriff auf das römische Gebiet in Gallien die Völker vereinigt haben oder nicht, vielmehr bloß die K i m b e r n be­ teiligt gewesen sind, muß nach dem Stande der Überlieferung als ungewiß bezeichnet werden. Der drohenden Gefahr zu begegnen, stellten die Römer drei Heere an der Rhonelinie auf: am weitesten nach Norden vorgeschoben war ein Korps unter dem Legaten M. Aurelius Scaurus, etwa in der Gegend von Vienne; rhoneabwärts standen auf der Westseite des Stromes die Truppen, die der Prokonsul Caepio befehligte, auf der Ostseite die Le­ gionen des Konsuls Cn. Mallius Maximus. Aber infolge der Rivalität der Feldherren kam es auf römischer Seite zu keinem Zusammenwirken. Der Ansturm der Germanen traf zunächst das Heer des Scaurus, das, ohne Beistand zu erhalten, vollständig geschlagen wurde. Scaurus selbst geriet in Gefangenschaft und ward, als er an die Feinde die unangebrachte Mahnung richtete, ja nicht die Alpen zu überschreiten, da die Römer un­ besiegbar seien, von dem Kimbernfürsten Bojorix niedergestoßen. A uf die Nachricht von diesem Vorgänge forderte Mallius den Caepio auf, zu ihm zu stoßen; dieser zog auch auf das linke Rhoneufer hinüber und schlug 1 Caes. b. G. V II 77. 2 Caes. 1 1 2 . Appian. Celt. 1, 3. Liv. epit. 65. Oros. V 15. — Als Kriegskasse der Tiguriner, ,,in welcher die Loskaufzahlungen zusammenflossen, die bedrängte Städte beim Durchzuge des Stammes bezahlten, um vor Plünderung verschont zu bleiben“ , sieht F o r r e r , K elt. Numismatik der Rhein- und Donaulande (1908) S. 316 ff. den Goldstaterfund von Tayac an, hat jedoch mit dieser Annahme allgemein Widerspruch gefunden. Vgl. B l a n c h e t , Und théorie nouvelle relat. à l’expédition des Cimhres, S .-A . aus der Revue des études anciennes 1910. Stähelin, D. Schweiz S. 49. 3 Cass. Dio fr. 90 (Boissevain) : προς τάς των Κίμβρων έλπίδας. Hier sind unter den Kimbern die Helvetier zu verstehen.

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sein Lager neben dem des Mallius auf, behielt aber sein selbständiges Kommando bei, da er sich dem Konsul nicht unterordnen wollte. Eine von den Soldaten erzwungene persönliche Unterredung der beiden Führer ver­ lief ergebnislos; auch die Mahnungen des Senats, einander zu vertragen, fanden bei Caepio kein Gehör. Die Germanen, die von dem Zwiste nichts wußten und den vereinigten römischen Heeren sich nicht gewachsen fühl­ ten, versuchten zunächst noch mit den Römern in Unterhandlung zu treten; aber ihre Gesandten, die erneut die Bitte um Landanweisung und Gewäh­ rung von Saatkorn vortrugen, wurden von Caepio, der darüber aufgebracht war, daß sie sich zuerst an den Konsul und nicht an ihn gewendet hatten, unter gröblichen Beleidigungen abgewiesen. Hierüber mit Recht empört, schritten die verbündeten Völker zum Angriff; nacheinander wurden die Truppen des Caepio und Mallius fast vollständig vernichtet. Die Schlacht fand statt auf der Ebene zwischen der Stadt Arausio (Orange) und der Rhone am 6. Oktober 105 und soll nach einem — freilich als Ubertreiber bekannten — Gewährsmann (Valerius Antias) den Römern 80000 Soldaten und 40000 Mann vom Troß gekostet haben.1 Angeblich nur zehn Mann entkamen; doch fand Marius später noch ansehnliche Reste der geschlagegen Heere vor.1 2 Alles, was den Siegern in die Hände fiel, ward dem Unter­ gänge geweiht, anscheinend zu Ehren der Götter: die Gefangenen starben am Galgen, die Rosse wurden ertränkt, die Beutestücke ins Wasser ge­ worfen oder zerstört.3 Aber wiederum erfolgte kein Angriff auf Italien. Die Kimbern zogen durch Südfrankreich nach Spanien, um dort neue Beute zu machen. Im Frühjahr 1034 kehrten sie, von den tapferen Keltiberern zurückgeschlagen, über die Pyrenäen zurück, zogen nach Nordgallien und vereinigten sich mit den Helvetiern, Teutonen, Ambronen und Haruden ( ?) im Gebiete der Veliocasses5 an der unteren Seine. Der Schwarm wandte sich hierauf gegen das Land der Beigen. Da diese aber erfolgreich den Angriff abwehr­ ten6 und in dem übrigen ausgeplünderten Gallien nichts mehr zu holen war, beschlossen die Führer nunmehr, gemeinsam, aber der Verpflegungs­ schwierigkeiten halber auf getrennten Wegen, gegen Italien vorzugehen. 1 Hauptsächlichste Quellen Liv. epit. 67. Granius Licin. S. 11 f. (Flemisch). Cass. Dio fr. 90. 91 (Boissevain). Oros. V 16. Eutrop. V 1. Das Datum der Schlacht bei Gran. Lie. und Plutarch Lucull. 27. 2 Veget, de re mil. III 10. Darunter war Sertorius, Plutarch. Sert. 3. 3 Oros. V 16, 5. 6. 4 V gl. W e i c k e l t , Die Schlacht bei Aquae Sextiae. Diss. Leipzig 1928 S. 18 ff. 5 Liv. epit. 67. In Veliocassis nach der einwandfreien Korrektur Mommsens statt des überlieferten in bellicosis. Vgl. Weickelt S. 11. 6 Caesar b. G. II 4, 2. Danach Strabo IV 4, 3.

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Im Frühjahr 1021 setzten sich die Massen in Bewegung: die Kimbern und die Tiguriner überschritten den Rhein mit der Bestimmung, über die Ostalpen einzubrechen, während die Teutonen, Ambronen, Tougener1 2 und Haruden den Weg durch das römische Gallien und über die westlichen Alpenpässe einschlagen sollten.3 Einen Teil des Gepäcks ließen sie im nördlichen Gallien zurück unter der Obhut von 6000 Mann, die später an der Maas ( ?) Wohnsitze fanden und durch Vermischung mit den kel­ tischen Nachbarn zu dem Volke der Atuatuker erwuchsen.4 Die Römer hatten aber inzwischen die umfassendsten Maßnahmen zur Abwehr ge­ troffen. Mit der Führung des Krieges wurde der Besieger des Königs Ju­ gurtha Marius betraut, für das Jahr 104 zum Konsul gewählt und in diesem Amte fünf Jahre hintereinander bestätigt. Marius nahm mit schonungsloser Energie die Umgestaltung des verfallenen römischen Militärwesens vor und stellte in Gallien ein neues Heer auf, das er durch sorgfältige Schulung und Anwendung eiserner Disziplin schlagfertig machte.5 Unterstützt wurde er hierbei durch eine Anzahl erprobter Offiziere, wie Sertorius6 und zu­ nächst L. Sulla.7 Die Heeresstärke wird, da nach Plutarch (Mar. 24. 25) Marius bei Vercellae über 32000 Mann verfügte, auf etwa 35000 Mann zu schätzen sein. Um die Verproviantierung von der See her zu erleichtern, ließ er an der versandeten Rhonemündung einen Kanal, die fossa Mariana, graben.8 Ein zweites römisches Heer, 20300 Mann zählend, stand in Venetien, im Jahre 102 befehligt von dem Konsul Lutatius Catulus. Marius erwartete den Feind in einem festen Lager, das am Einflüsse der Isère in die Rhone errichtet war, um die Alpenübergänge über den Kleinen Bern­ hard und Mont Genèvre zu sperren.9 Drei Tage bestürmten die Teutonen 1 Weickelt S. 20. 2 Strabo IV 1, 8 : Κατά τόν πρός Άμβρωνας καί Τωυγενούς πόλεμον. Strabo hat wohl die bei Posid. noch genannten Τεύτονες für identisch gehalten mit den Tougenern und daher weggelassen. 2 Plut. Mar. 15, der allerdings die Helvetier nicht ausdrücklich nennt, sagt, die Bar­ baren hätten sich in z we i Teile gesondert, von denen die Kimbern durch Noricum gehen sollten; dagegen sagt Flor. I 38, 6 : tripertito agmine und ähnlich Oros. V 16, 9 : tribus agminibus. Es unterliegt für mich keinem Zweifel, daß die Kimbern mit den Tigurinern bis zur Ankunft in Noricum vereinigt waren: dies geht m. E. auch aus Flor. I 38, 18: Tertia Tigurinorum manus . . . quasi in s u b s i d i o (d. i. Cimbrorum) Noricos insederat tumulos deutlich hervor. Vgl. auch weiter unten. 4 Caes. II, 29: Aduatuci . . . ex Cimbris Teutonisque prognati . . . c u m i t e r i n p r o ­ v i n c i a m n o s t r a m a t q u e I t a l i a m f a c e r e n t . Aduatuca nach S p e s s a r t in der Zeitschr. ,,D ie Eifel“ 1937 S. 102 ff. = Atsch bei Stolberg, Rheinland. 6 Vgl. Delbrück, Gesch. der Kriegskunst I 3 (1920) S. 444 ff. 6 Plut. Sert. 3. 7 Plut. Sulla 4. Er trat dann (102) in das Heer des Catulus ein. 8 Vgl. darüber D e s j a r d i n s , Géographie de la Gaule I 176, 177 (pl. V ) und 196 ff. J u l l i a n , Histoire de la Gaule I II (1909) S. 75 f. 9 Oros. V 16, 9 : iuxta Isarae Rhodanique flumina. Plut. Mar. 15: an der Rhone. — Die

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und Ambronen das römische Lager; vergeblich suchten sie den Marius zu einer Schlacht zu reizen. Als alle ihre Angriffe zurückgeschlagen wurden, entschlossen sie sich, südwärts zu ziehen, um die Straße per Alpes maritimas zu gewinnen.1 Marius störte, obwohl wiederholt provoziert, ihren Vorbei­ marsch, der angeblich sechs Tage dauerte, nicht, folgte ihnen aber dann sofort in Eilmärschen auf Abkürzungswegen*1 2 und erreichte die Gegend von Aquae Sextiae, nachdem erst die Vorhut der Germanen, die Ambronen, dort eingetroffen waren. Ein Flüßchen, der Are, trennte die Gegner; die Römer hielten einen Höhenzug am linken Ufer (le Montaiguet) besetzt, die Germanen standen auf einer am rechten Ufer bei der Stadt sich hin­ ziehenden Ebene, wo die heißen Quellen entspringen,3 in denen sie sofort mit Behagen badeten. A uf diesem für ihn günstigen Terrain beschloß Marius die Entscheidung herbeizuführen. Aber schon während der Vor­ bereitungen — die Befestigung des Lagers war noch nicht beendet — kam es beim Wasserholen zu einzelnen Zusammenstößen, aus denen sich all­ mählich ein allgemeiner Kampf entwickelte. Die Ambronen, angeblich 30000 Mann stark, gerieten heim Überschreiten des Flusses in Unordnung und wurden von der Wucht der von der Höhe herabeilenden Legionen zersprengt; der Tapferkeit der germanischen Frauen, die sich, mit Schwer­ tern und Beilen bewaffnet, in der Wagenburg den Fliehenden wie den verfolgenden Römern entgegenwarfen, war es zu danken, daß die Schlacht zum Stehen kam.45Die Römer zogen sich hierauf in ihre frühere Stellung zurück, verbrachten aber die Nacht, da sie einen Überfall von den inzwischen eingetroffenen Teutonen befürchteten, in banger Sorge.6 Der erwartete Angriff blieb jedoch aus, und auch den ganzen folgenden Tag verbrachten beide Teile damit, sich für die kommende Entscheidung zu rüsten und zu Angabe des Oros. wird meist bestritten; u. a. suchen Desjardins II 317 ff. das Lager bei Saint Gabriel (Ernagium) zwischen Orgon und Arles, ähnlich C l e r c , La bataille d’A ix (1906) S. 72 f., Jullian III 79 bei Barbentane am Einfluß der Durance; aber wohl mit Unrecht. Marius mußte zunächst auf den Schutz der genannten Pässe bedacht sein in Erinnerung an Hannibals Alpenübergang ; hätte er nicht einen Einbruch auf diesen Wegen vermutet, so würde er sich gleich zu Anfang bei Aquae Sextiae verschanzt haben. Ein Lager in der Nähe der Rhonemündung wäre strategisch bedeutungslos gewesen. Vgl. ferner Weickelt S. 13 ff. 1 Plut. 15 ff. Liv. ep. 68. Flor. I 38, 5. Frontin. IV 7, 5. Oros. V 16, 9. 2 Flor. I 38, 7, anders Plut. 18. Vgl. Jullian S. 81. Da wir die damaligen Straßen­ verhältnisse Galliens nicht näher kennen, ist es unmöglich, die Marschroute der Römer und der Germanen genauer zu ermitteln. 3 Über die Lokalität des Schlachtfeldes am besten Jullian S. 81, wo auch die übrige Literatur angeführt ist. Sodann Weickelt S. 33 ff., 47 ff. Die Montagne de Ste Victoire bei A ix , die an den Sieg des Marius erinnern soll, verdankt ihren Namen einer späteren gelehrten Umdeutung. Vgl. Clerc S. 263 ff. 4 Plut. 18 f. Flor. I 38. 8. Frontin. I I 2 7 ,1 2 . Oros. V 1 6 ,1 0 . 5 Plut. a. Ο.

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stärken. Als die Dunkelheit einbrach, schickte Marius den Claudius Mar­ cellus mit 3000 Mann in die Berge, damit er den Feinden während der Schlacht in den Rücken fallen sollte.1 Am dritten Tage1 2 fiel endlich die Entscheidung. Die Teutonen schritten zum Angriff auf den von den Römern besetzten Höhenzug, wurden aber von diesen zurückgetrieben. Da griff Marcellus, wie verabredet, die durch die Mittagshitze der heißen südlichen Sonne erschlafften Feinde im Rücken an und brachte sie in gänzliche Ver­ wirrung. Die Schlacht war für die Germanen verloren. Das Gemetzel dauerte bis tief in die Nacht hinein; auch am nächsten Tage wurden noch ansehn­ liche Reste der Teutonen getötet oder gefangen.3 Unter den auf dem Schlachtfelde Gefangenen befand sich auch der „K önig“ Teutobod;4 die anderen Führer der Teutonen wurden später von den Sequanern in den Schweizer Alpen ergriffen und ausgeliefert.5 Von den tapferen Frauen, die die Wagenburg verteidigt hatten, gaben sich viele (300 ?) selbst und ihren Kindern den Tod, da Marius ihre Bitte, sie mit unverletzter Keuschheit dem Götterdienste zu weihen, nicht erfüllte.6 Als Zeit der Schlacht wird man den Spätherbst, Oktober/November, anzunehmen haben.7 Die Ver­ luste der Germanen sollen nach Posidonius 100000 an Toten und Gefan­ genen betragen haben; doch selbst diese niedrigste Schätzung ist wohl noch zu hoch gegriffen.8 Die gewaltige Kriegsbeute überließ Marius zum größten Teil, soweit sie nicht schon vorher beiseite geschafft worden war, seinen Soldaten zu einem Schleuderpreise; den Rest weihte er den Göttern.9 Inzwischen hatten die Kimbern unbehelligt die Alpen überschritten, während die Tiguriner in den Bergen zur Rückendeckung zurückblieben. (Herbst.) Streitig ist es, über welchen Paß die Germanen gegangen sind.10 Es kann aber wohl nur der Brenner in Betracht kommen; unter den 1 Plut. 20. Front. II 4, 6. 2 Oros. V 16, 11 fälschlich: quarto die. Veil. II 12, 4 : postero die. 3 Hierher gehört die Erzählung Frontins II 9, 1. 4 Flor. I 38, 10. Eutrop. V 1; Oros. V 16, 12 gibt fälschlich an, daß T. getötet wor­ den sei. 5 Plut. 24. Stähelin, Ztschr. f. Schweiz. Gesch. I, 137. 6 Oros. V 16, 13. Val. Max. V I 1 ext. Hieron. ep. 123, 8. Flor. I 38, 16, 17 (von der Schlacht bei Vercellae, vgl. unten). Vgl. Weickelt S. 8. 7 Dahin führt vor allem die wohl nicht anfechtbare Angabe Plutarchs Mar. 22, daß Marius die Nachricht von seiner fünften Konsul wähl bei der Siegesfeier erhalten habe. A u f die vorgerückte Jahreszeit weisen ferner das Baden in den heißen Quellen sowie die auf die Schlacht folgenden starken Regengüsse hin. 8 Oros.: 200000 Tote, 80000 Gefangene; V eil.: 150000 T ote; Liv. ep it.: 200000 T ote, 90000 Gefangene. Weickelt S. 25 f. 9 Dio. fr. 94. Plut. Mar. 22. Vgl. Müllenhoff S. 135. 10 Vgl. auch Jullian III 88, 1.

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IS

„Norikern“ bei Plutarch und Florus (oben S. 12, 3) sind nach Heuberger1 die Isarken im Eisacktale zu verstehen. Catulus erwartete sie in der Nähe von Verona am rechten Etschufer, wahrscheinlich auf dem Plateau von Rivoli,1 2 in einer stark befestigten Stellung, die mit einem am anderen Ufer befindlichen Kastell durch eine Brücke verbunden war. Aber es gelang ihm nicht, die Feinde aufzuhalten. Diese bewerkstelligten durch einen Dammbau den Übergang über die Etsch und den Aufstieg zum Plateau und suchten diese Maßregeln durch Zerstörung der römischen Brücke gegen einen Flan­ kenangriff zu decken. Die infolgedessen im römischen Heere ausgebrochene Panik veranlaßte den Catulus, seine Stellung aufzugeben und südwärts ab­ zuziehen. Den Rückzug deckte das erwähnte Kastell, dessen Besatzung lange den Germanen heftigen Widerstand leistete und schließlich durch Vertrag freien Abzug bewilligt erhielt.3 Ganz Italien nördlich vom Po war den Kimbern ausgeliefert, die das flache Land — die Städte scheinen sich meist gehalten zu haben — gründlich ausplünderten und allen Genüssen der Zivilisation in ausgiebigstem Maße frönten,4 ohne weitere Vorstöße nach Süden zu unternehmen. Im Frühjahr 101 traf Marius in Italien ein und vereinigte seine Truppen mit denen des Catulus. Das römische Heer, etwa 55000 Mann stark, ging alsdann im Sommer d. J. über den Po und stieß auf die Kimbern im Westen der Lombardei, wrohin sie sich begeben hatten, um die Teutonen, von deren Schicksal sie nichts wußten, zu er­ warten. Die erneute Bitte der Germanen um Landanweisung wies er höhnisch ab. In einer persönlichen Zusammenkunft zwischen Marius und Bojorix ward als Ort der Schlacht die Raudische Ebene im Gebiet von Ver­ cellae,5 als Tag der 30. Juli bestimmt. Das Heer des Catulus, in dem jetzt Sulla diente, bildete das Zentrum, das des Marius die beiden Flügel. Über den Verlauf des Kampfes vermögen wir uns kein genaues Bild zu machen, da unser hauptsächlichster Gewährsmann, Plutarch, durch den dem Marius ungünstigen Bericht Sullas beeinflußt ist.6 Die Kimbern stießen in die römische Schlachtordnung in dem Zwischenraum zwischen dem Zentrum und linken Flügel vor, kamen aber hier zum Stehen und 1 H e u b e r g e r , Klio 27 (1934) S. 311. Vgl. d e n s e l b e n in: Schiern 13 (1933) S. 105. 2 Zum folgenden vgl. S a d é e , Bonner Jahrbücher 118 (1909) S. 100 ff. M ü n z e r , Pauly-W iss. 13, 2075 ff. 3 Plut. Mar. 23. Liv. epit. 58. Flor. I 38, 11, 12. Frontin. I 5, 3. Val. Max. V 8, 4. Die Episode Plin. 22, 11 bezieht sich nicht auf die Besatzung des Kastells, sondern auf eine vorgeschobene Abteilung des Hauptheeres. 4 Plut. a. a. O. Oros. V 16, 14. Cass. Dio 27, fr. 94. 8 Plut. 25. Flor. I 38, 14. Veil. II 12, 5. Vict. de vir. ill. 67. Vgl. über die Lokalität Nissen, Ital. Landeskunde II 175. P a i s , Nuove osservazioni sulla invasione dei Teutoni e dei Cimbri (S. A . aus der Rivista di storia antica 1900) S. 12 fif. * Vgl. sonst noch besonders Oros. V 16, 14 ff. Flor. I 38, 15. Front. II 2, 8.

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Die Ingwäonen

wurden nach hartem Kampfe durch Umfassung vernichtet; erleichtert wurde der Sieg der Römer durch die gewaltige Hitze, der die Nordleute nicht gewachsen waren. Jeder der beiden Heerführer erhob für sich den Anspruch, als der eigentliche Sieger zu gelten, Catulus nicht ohne Berechti­ gung, indem er besonders auf die größere Zahl der von seinen Soldaten erbeuteten Trophäen hinwies. Die Angaben der Quellen über die gewaltigen Verluste der Germanen beruhen natürlich auch hier wieder auf ganz will­ kürlichen Schätzungen (Plut.: 120000 Tote, 60000 Gefangene; Liv. epit., Oros. Eutr.: 140000 Tote, 60000 Gefangene; Vellejus: 100000 Tote und Gefangene; Florus: 65000 Tote). Doch steht soviel fest, daß von den Kimbern, wie vorher von den Teutonen, nur wenige entkommen sind.1 Die Kimbernfürsten Bojorix und Lugius fanden den Tod auf dem Schlacht­ felde, zwei andere, Claodicus und Caesorix, wurden gefangen. Um der Skla­ verei zu entgehen, gaben sich viele den Tod ; zwei Fürsten stießen sich gegen­ seitig das Schwert in die Brust. Die Frauen, in schwarze Gewänder gekleidet, leisteten in der Wagenburg tapferen Widerstand, töteten ihre fliehenden Männer und ermordeten endlich, als alle Rettung aussichtslos erschien, ihre Kinder und dann sich selbst.1 2 A uf die Nachricht von dem Schicksal ihrer Bundesgenossen begaben sich die Tiguriner nach der südlichen Schweiz, wo sie weiterhin (in der Gegend von Aventicum) nachweisbar sind, nachdem sie die dort ansässigen Sequaner über den Jura gedrängt hat­ ten.3 Von den Tougenern verlautet nichts mehr. In Rom hielt Marius, umjubelt vom Volke, zusammen mit Catulus einen glänzenden Triumph, vgl. auch das inschriftliche Elogium, das sich auf einer Statue des Marius zu Arezzo befand (CIL I, S. 290; X I Nr. 1813 = Dessau 59): C. Ma­ rius . . . IIII. cos. Teutonorum exercitum delevit, V. cos. Cimbros fudit, ex iis et Teutonis iterum triumphavit . . . V II. cos. factus est de manuhiis Cimbric. et Teuton, aedem honori et virtuti victor fecit . . . Es ist angenom­ men worden, die Reliefs auf dem berühmten Triumphbogen von Orange hätten sich ursprünglich auf den Sieg des Marius über die Kimbern be­ zogen und seien unter Tiberius nur erneuert worden. Arausio, wo die Römer jene furchtbaren Niederlagen erlitten, würde allerdings als Stätte eines den rächenden Sieg verherrlichenden Denkmales geeignet erscheinen. 1 Von damals in Venetien zurückgebliebenen Kim bern, die noch bis in die neueste Zeit in den Bewohnern der Sette und Tredeci Communi fortgelebt haben sollen, wie uns neuerdings wieder einmal O. Th. Schulz (s. oben S. 9, 1) verkündet bat, ist keine R ede; vgl. auch L. S c h m i d t , Zeitschr. f. Schweiz. Gesch. I I I (1 9 2 3 ), 453. 2 Plut. 27. Oros. V 16, 17 ff. Flor. I 38, 16 f. (Szenen von der Schlacht bei Aquae Sextiae hier mit erzählend). 3 Flor. I 38, 18. Ob hierauf die Notiz bei Plutarch Sulla 4 von der Vertreibung των έν "Αλπεσι βαρβάρων durch Sulla zu beziehen ist, muß dahingestellt bleiben. V gl. be­ sonders Stälielin, Zeitschr. f. Schweiz. Gesch. I 152 ff.

D i e K i m b e r n , T e u t o n e n , A m b r o n e n , Har ude n

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Diese Annahme hat sich aber als hinfällig erwiesen durch ein aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. stammendes glaubhaftes Zeugnis, wonach der Triumphbogen zur Erinnerung an die Belagerung Marseilles durch Cäsars Truppen (49 v. Chr.) errichtet worden ist.1 Die in der Heimat zurückgebliebenen Teile der Kimbern haben eine nur bescheidene geschichtliche Rolle gespielt. Justin. 38, 3, 6 erzählt, der König Mithradates habe auch Kimbern für sein Heer geworben, eine An­ gabe, die allerdings recht wenig wahrscheinlich klingt und wohl auf Ver­ wechslung mit einer anderen Völkerschaft beruht; denn ein anderweitiges Zeugnis (vgl. Appian. Mithr. 15. 69) dafür liegt nicht vor. Im Jahre 5 n. Chr. segelte eine römische Flotte die Nordseeküste entlang bis zur Nord­ spitze Jütlands; der Führer des Geschwaders knüpfte mit den dortigen Germanen Unterhandlungen an, in deren Folge eine kimbrische und harudische Gesandtschaft nach Rom kam, um die Freundschaft des Kaisers nachzusuchen, unter Überreichung ihres heiligsten Opferkessels als Geschenk.1 2 Auf der damals gewonnenen geographischen Kenntnis fußen die Erwähnungen des Volkes bei Strabo, Mela, Plinius, Tacitus und Ptolemäus (s. oben). Aus späterer Zeit scheint über die Kimbern keine Kunde mehr zu den Römern gelangt zu sein. Wenn sie dann noch mehrfach in der Literatur genannt werden, so handelt es sich lediglich um gelehrte oder dichterische Reminiszenzen. So sind die Kimbern, die bei Claudian IVcons. Hon. 452 im Jahre 396 dem Stilicho huldigen, wie schon ihre Zu­ sammenstellung mit den Cheruskern dartut (vgl. Bd. I 2 574), ohne realen Hintergrund, und kein Einsichtiger wird aus der Bezeichnung der Nordsee als Cimbrica Thetys (Bell. Goth. 335) zu der Schlußfolgerung gelangen, daß zu Anfang des 5. Jahrhunderts das Volk dort noch gewohnt haben müsse. Dasselbe gilt für ihre Erwähnung auf der Weltkarte des Julius Honorius. Daß sie aber nicht ausgestorben sind, beweist das Fortleben ihres Namens bis in die heutige Zeit, wenn sie auch im 6. Jahrhundert unter die Herrschaft der Dänen gekommen sind. T e u t o n e n unter diesem Namen trafen die Römer auf der Nordseefahrt des Jahres 5 n. Chr. gewiß nicht an; diese würden sicher nicht versäumt haben, das einst so gefürchtete Volk in ihren Siegesberichten (besonders Atigustus im Monumentum Ancyranum) aufzuführen und ebenfalls zu einer 1 Vgl. E s p é r a n d i e u , Recueil général des bas-reliefs de la Gaule romaine I (1907) S . 188 if. C h â t e l a i n , Les monuments Romains d’ Orange (1908) S. 43 ff., wo aber sonderbarerweise der Aufsatz von A . B er t r a n d in der Revue archéologique 1 8 9 3 1 ,283 ff. 1894 I, 152 ff. nicht berücksichtigt ist. R e i n a c h in den Comptes rendus de l’Acad. des inscriptions 1909, S. 513 ff. Die Inschrift ist erst unter Tiberius angebracht worden. Vgl. auch M. C l e r e , Massalia II (1929) S. 154, 1. 2 Mon. Ancyr. c. 26. Strabo V I I 2, 1. Plin. II 167. Veli. II 106.

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Di e I ng wäo ne n

Sühnegesandtschaft zu veranlassen. Wenn ihr Name trotzdem noch fort­ lebte, so ist das wesentlich gegründet in der zur Gewohnheit gewordenen Verbindung mit den Kimbern.1 So erklären sich die Erwähnungen bei Mela (III 31 neben den Kimbern am sinus Codanus, vgl. oben; III 54 [in illo sinu quem Codanum diximus est Scandinavia, quam adhuc Teutoni tenent] ist nur eine entstellte Wiederholung der ersten Angabe); bei Julius Honorius u. a. (Plin. IV, 99: Ingvaeones, quorum pars Cimbri Teutoni beruht auf alter Überlieferung, vgl. Bd. I1 2 81). Wenn Tacitus sie nicht nennt, so ist zu beachten, daß dieser über die Bevölkerung der Westküste überhaupt keine Mitteilung macht. Allerdings werden die Teutonen auch noch bei Ptolemäus (II 11, 9) genannt, aber nicht aus der Quelle, die über die Flottenfahrt berichtete, und zwar zweimal in Gesell­ schaft der Warnen, unter denen jedoch nicht die schleswigschen, sondern der östliche Zweig des Volkes zu verstehen sind (Bd. I 2, 127), etwa in Mecklenburg: Τευτονόαροι καί Ούίρουνοι und: Τεύτονες καί Αύάρποι (lies Αύαρινοί). Der unmögliche Name Τευτονόαροι ist wohl entstanden aus Τεύτονες Αύαρη/οί. Ptolemäus kannte wohl den berühmten Namen aus der Geschichte, wußte ihn aber nicht unterzubringen und stellte ihn willkürlich dahin, wo gerade Platz auf seiner Karte war. Infolge der Umwälzung durch die große Wanderung waren die Namen der Einzel­ abteilungen in den Vordergrund getreten. Diese liegen uns besonders bei Ptolemäus, wenn auch in zum Teil entstellter Form und nicht ganz voll­ ständig, vor. Von Süden nach Norden fortschreitend werden genannt die Sachsen, über die später besonders zu handeln sein wird, sodann die Sigulones, Sabalingioi, Kobandoi, Chaloi, ferner „mehr im Westen“ die Phunusioi, „mehr im Osten“ die Charudes, an die sich im äußersten Norden die Kimbern anschließen. Die Sigulones werden, ob mit Recht ?, mit der Landschaft Sinlendi im südlichsten Schleswig zusammengebracht ; zweifelhaft ist es auch, ob man die Sabalingioi mit der mittelalterlichen Landschaft Salingsyssael, der heutigen, am Limfjord gelegenen Halbinsel Salling, die Chaloi mit den jütischen Hallaeharden östlich von dem süd­ lichen Teile des Salingsyssael in Beziehung bringen darf.2 Sicher sind die Sitze der Charudes, vgl. oben, unbestimmbar dagegen die Kobandoi und Phunusioi. Die letztgenannten identifiziert man zu Unrecht mit den Eudusii Cäsars oder Eudoses des Tacitus (die Lesart Phundusioi, angeblich aus einer verderbten lateinischen Vorlage Fudusii, ist weniger gut beglau­ bigt). Mit den Haruden scheinen sie sich in den Besitz des Harthesyssael geteilt zu haben. Man vermißt die Ambronen, die aber von Ptolemäus an 1 Der nochmals so berühmt gewordene Ausdruck furor Teutonicus erscheint zuerst bei Lucan. bell. civ. I 256. 2 Karsten, Die Germanen S. 226. Schütte, Forefathers II 298.

Di e Ki mb e r n , Teutonen, Amb r o n e n , Haruden

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anderer Stelle und aus anderer Quelle (III 5,8) als "C^Ppcoveçund Anwohner der oberen Weichsel (Bd. I 2 127) aufgeführt werden. Sie erscheinen auch im Widsidh 32 als Ymbre.1 Ein Teil des Volkes scheint später nach dem heutigen oldenburgischen Ammerlande (pagus Ammeri, Ambria, Ambreki u. a.) gewandert zu sein, von wo er sich an der Besiedelung Britanniens beteiligt haben mag, wenn auch die darauf hinweisenden Zeugnisse un­ sicher sind (über Ortsnamen S ie b s , Zur Geschichte der englisch-fries. Sprache I [1889] S. 15) ; die Ambrones i. e. Aldsaxones bei Nennius sind gelehrte Umdeutung der Northumbrer). Die Haruden (dies ist die ur­ sprüngliche Namensform, nicht Charuden) stammten aus Norwegen; hier finden wir später das Volk der Arochi (lies Arothi für Harothi, Jord. Get. 24, altnordisch Höröar, angelsächsisch Haereöas); bei den ebenfalls aus Skandinavien stammenden Langobarden gab es ein Geschlecht Arodus; Aruth war ein herulischer Personenname. (Die Annahme, daß die nor­ wegischen Haruden in nachchristlicher Zeit aus Jütland eingewandert seien, Karsten, Die Germanen S. 81, ist ganz unbegründet.) Eine harudische Streifschar, angeblich 24000 Köpfe stark, kämpfte im Jahre 58 v. Chr. unter Ariovist gegen Cäsar (B. G. I 31,10; 37, 2; 51, 2). Da diese zusammen mit Eudusii, Euten, auftrat, ist es deutlich, daß sie aus Jütland gekommen war, nicht, wie E. Norden, Altgermanien S. 207 will, aus Süddeutschland, wo sich Teile des Volkes zusammen mit Kimbern niedergelassen hätten. Ferner werden sie, wie schon bemerkt, anläßlich der römischen Flottenfahrt des Jahres 5 n. Chr. erwähnt, um dann ganz aus der Geschichte zu ver­ schwinden. Die Ansicht, daß die Haruden später nach dem Harz aus­ gewandert seien, beruht lediglich auf einer gelehrten, aber falschen Etymologie Rudolfs von Fulda nach einer Stelle der Annales Fuldenses zum Jahre 852, wo er unter Harudos die Harzgauer versteht; der Harzgau (Hardego) ist aber nicht nach den Haruden, sondern vom Harzgebirge (hard, Bergwald) benannt.2 Nur dürftig ist die Auskunft, die die griechisch-römischen Berichte über die inneren Verhältnisse der hier in Frage kommenden Völker geben. Ihrem Äußeren nach werden die Kimbern und Teutonen als echte Germanen geschildert: von gewaltiger Körpergröße, blauäugig (Plut. Mar. 11; Flor. I 38, 10). Wir erfahren ferner, daß bei ihnen der Ackerbau eine wichtige Rolle spielte, der auch wahrscheinlich während der deshalb häufig unter­ brochenen Wanderung betrieben wurde; wiederholt baten sie die Römer, ihnen Land und Saatkorn anzuweisen. An der Spitze stand eine Mehrzahl1 2

1 M u c h in der Zeitschr. f. d. Altertum 62 (1925) S. 135 gegen Chambers, W ids. S. 200, u. a., die die Ym bre auf Fehmarn beziehen. Schütte II 224. 2 Vgl. R . H o l t z m a n n in: Sachsen und Anhalt V (1929) S. 376.

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von Fürsten: reguli (Oros. V 16, 20), reges (ebenda; Flor. I 38,10), βασιλείς (Plut. Mar. 24). Unter diesen nahmen bei den Kimbern Bojorix (Plut. 25), bei den Teutonen Teutobod (Oros. V 16, 12; Flor. a. a. O.), wohl als Herzoge, eine hervorragende Stellung ein. Weiber, Kinder und Hausrat führten sie auf von Stieren gezogenen, mit Häuten bedeckten Wagen mit sich, die während der Schlacht zu einer Wagenburg zusammengestellt wurden (Strabo V II 2, 3; Flor. I 38, 16; Plut. 19, 27; Oros. V 16, 17; Plin. V III 143). Die Krieger setzten sich zum kleineren Teil aus Berittenen (Plut. 25), zum größeren Teile aus Fußvolk zusammen. Beritten waren namentlich auch die Anführer ; Teutobod wird als gewandter Reiter gerühmt (Flor. I 38, 10). Die Reiter hatten nach Plutarch 25 weiße Schilde, Helme mit Tierköpfen und Federbüschen, eiserne Panzer, Wurfspeere und lange Schwerter.1 Das Fußvolk ging wohl unbedeckten Hauptes und ohne Panzer, wie dies meist bei den Germanen Brauch war, nur durch Schilde gedeckt,1 2 in den Kampf ; über die Waffen verlautet nichts. Mit Schwertern, Lanzen und Beilen verteidigten die Frauen, in schwarze Gewänder gekleidet, die Wagenburg (Plut. 19. 27; Flor. I 18, 16). Die Schlachtordnung des Fuß­ volkes war abweichend von der sonst üblichen keilförmigen ein Geviert­ haufe, ebenso tief als breit ; die Männer des ersten Gliedes waren angeblich durch Ketten aneinandergebunden (Plut. 25. 27), was ganz unglaubhaft und schwer zu erklären ist. Der Angriff erfolgte mit unwiderstehlicher Gewalt und Schnelligkeit (Plut. 11). Das Gebrüll, das die Römer damals so fremdartig berührte (Plut. 16. 19 f.), war der bekannte germanische Schlachtgesang, mit dem der Kampf eröffnet wurde. Todesfurcht war un­ bekannt; der Tod auf dem Schlachtfelde galt als das einzig würdige Ende (Val. Max. II 6, 11). Feldzeichen und Trompeten der Kimbern erwähnen Plut. 27 und Eutr. V 2. — Der eherne Stier, den sie mit sich führten, war wohl ein Götterbild (Plut. 23; vgl. Müllenhofif, D. A. IV 201). Ob der aus dem Maingebiete bekannte Mercurius Cimbrianus als Wodan zu gelten hat, muß als sehr zweifelhaft bezeichnet werden (vgl. oben). Nach der Schlacht bei Arausio ward die ganze Beute nebst den Gefangenen den Göttern geopfert (Oros. V 16, 6). Grauhaarige, barfüßige Frauen in weißen, mit ehernem Gürtel umschlossenen Gewändern, mit linnenen Mänteln an­ getan, führten die bekränzten Kriegsgefangenen zu einem großen ehernen Kessel, schnitten ihnen die Kehle durch und weissagten aus dem rinnenden Blute.3 Während der Schlacht schlugen sie auf die ledernen Wagendecken; 1 Nach P h i l i p p , Mannus, ErgBd. V I (1928) S. 384 ff. waren diese W affen keltischen Ursprungs. 2 Die Schilde wurden zum Abfahren auf dem Schnee benutzt, Plut. 23. Ebenda heißt es, daß die Kimbern n a c k t die Alpen überschritten, was natürlich nicht wörtlich zu neh­ men ist, vgl. dazu Müllenhoff, D . A . IV 167 f. 3 Vgl. Philipp a. O. S. 389 f. C l e m e n , Altgerm. Religionsgesch. (1934) S. 97.

Di e K i m b e r n , T e u t o n e n , A m b r o n e n , Har ude n

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der dadurch hervorgerufene Lärm sollte wohl eine Zauberbedeutung haben (Strabo V II 2, 3; vgl. Golther, Germ. Mythologie [1895] S. 620 f.). Über die Volkszahl wissen wir gar nichts Zuverlässiges; die Angaben der Quellen (Posidonius: über 300000 streitbare Männer, das wären etwa 1 Million 500000 Köpfe) sind ganz aus der Luft gegriffen. Daß die Heere nicht gering an Zahl gewesen sein können, steht außer Zweifel. Bei Aquae Sextiae stand ein römisches Heer von etwa 35000 Mann den Teutonen, Ambronen und Tougenern gegenüber, und es liegt Grund zu der Annahme vor,1 daß diese etwa die gleiche Stärke gehabt haben, während die Kimbern bei Vercellae den 52000 Mann zählenden Römern wohl unterlegen waren. Aber der Anteil der G erm a n en wird vielleicht nicht mehr als die Hälfte betragen haben, während die übrigen fremdstämmige, besonders keltische Völker gewesen sein werden. 1 Weickelt a. O. S. 27.

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DIE NERTHUSVÖLKER Als die zum Dienste der Göttin Nerthus verbundenen Völker zählt Tacitus (Germ. 40) die Reudigni, Aviones, Anglii, Varini, Eudoses, Suarines (weniger gut beglaubigt ist die Lesart Suardones), Nuithones auf. Das Heiligtum befand sich nach demselben Gewährsmann in einem Hain auf einer Insel des Meeres. Die Göttin ward alljährlich auf einem mit Teppichen bedeckten, von Kühen gezogenen Wagen von einem Priester durch die Lande geführt. Die Sklaven, die den Wagen nach beendeter Fahrt zu reinigen hatten, wurden alsdann in einem heiligen See ertränkt.1 Aus Tacitus läßt sich über die Sitze der Nerthusvölker etwas Genaueres nicht ermitteln. Ohne Zweifel handelt es sich um Anwohner der Os t se e , da die Inseln der Nordsee baumlos sind. Aus anderen Quellen ist aber zu schließen, daß nur die k i m b r i s c h e H a l b i n s e l in Frage kommen kann, ferner, daß die Aufzählung keine regellose ist, sondern von Süden nach Norden fortschreitet. Es stimmt hierzu, wenn Tacitus es für nötig findet hervorzuheben, daß jene Völker ,,durch Flüsse oder Wälder geschützt seien44. Denn das fragliche Gebiet zeichnete sich ganz besonders durch seinen Waldreichtum aus. Schleswig war von dem heutigen Jütland durch einen von der Königsau bis etwa zu der Linie Lügumkloster-Gjennerbucht reichenden Forst geschieden. Die Wälder setzten sich dann fort jenseits der Schlei über Schwansen, den dänischen Wohld, das obere Eider- und Schwentinetal, die Probstei bis gegen Lütjenburg, von der Schlei ab unter dem Namen Isarnho. Zum Teil mit Wald bedeckt war ferner der Ödland­ streifen zwischen Eider und Schlei, das Sinlendi.1 2 Unter den Flüssen kamen in Betracht die Königsau, Eider, Trene, Trave, zu denen als nasse Grenzen die zahlreichen Föhrden der Ostküste gerechnet werden konnten. Das Eiland, auf dem das Nerthusheiligtum lag, wird gewöhnlich mit Seeland identifiziert; doch ist es wahrscheinlicher, an eine dem Fest­ lande näher gelegene Insel, Alsen3 oder auch Fünen, zu denken. Der augen­ scheinlich sehr genaue Bericht des Tacitus geht vermutlich auf dieselbe 1 Vgl. u. a. C h a d w ic k , The origin of the English nation (1907) S. 234 ff. Clemen, Altgerm. Religionsgeschichte (1934) S. 82 ff. B i c k e l , Bonner Jahrb. 139 (1934) S. 8 ff. Tacitus Germania hsg. von F ehrlc2 (1935) S. 107ff. De V r i e s , Altgermanische R e­ ligionsgeschichte I (1935) S. 182 ff. (der verkehrterweise die Nerthusinsel in der Nord­ see sucht). 2 L o r e n t z e n , Schleswig-Holstein im Mittelalter (1925) S. 17 ff. 3 Vgl. S a c h , Das Herzogtum Schleswig II (1899) S. 94 ff.

D i e Ne r t hus v ö l k e r

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Quelle zurück, der er seine Angaben über die Sweben verdankte, die im Norden an die Nerthusvölker grenzten: der Gesandtschaft des Semnoncnfürsten Masua, der unter Domitian nach Rom kam. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß man die Heimat der A n g e l n 1 im wesentlichen in dem Teile Schleswigs zu suchen hat, der nach den ältesten Zeugnissen Ongle (Widsidh), insula Oghgul ( = Ongul) (Nennius), Angulus (Beda), Angel (Alfred d. Gr.) hieß und noch heute Angeln genannt wird, in dem Gebiete zwischen Flensburger Föhrde und Schlei. Dort lag der Ursprung der anglischen Bewohner Britanniens nach Beda, hist. eccl. I 15, einem Zeugnisse, das man häufig zu Unrecht als freie Erfindung zu verdächtigen versucht hat.1 2 Ungenauer, aber wenigstens allgemein auf die kimbrische Halbinsel hinweisend, ist der Bericht Ohtheres bei A l­ fred d. Gr., Orosius, über seine Fahrt von Norwegen nach Schleswig. Der Reisende hatte zwei Tage vor seiner Ankunft zur rechten Seite Gotland, Sillende und einige Inseln: ,,aus diesen Gegenden seien die britannischen Angeln gekommen“ (ed. Bosworth [1885] § 9).3 Gotland ist nicht die Insel, sondern Jütland, Sillende nicht Seeland, sondern, wie schon Dahlmann (Forschungen auf dem Gebiete der Geschichte I [1822] S. 439) gesehen hat, die bereits erwähnte schleswigsche Landschaft Sinlendi.4 Es ist nicht zu­ lässig, aus der Bemerkung über die Herkunft der Angeln den Schluß zu ziehen, daß diese ein größeres Gebiet als die schleswigsche Landschaft, also auch die dänischen Inseln bew’ohnt hätten, wie das gewöhnlich ge­ schieht (so auch Chadwick S. 105). Auf eine Skandinavien nahegelegene Heimat weist die Sprache, die engere Verwandtschaft des Anglischen mit dem Nordischen hin;5 an der Eider soll nach dem Widsidh der Angelnkönig Offa mit den Myrgingen gekämpft haben (siehe weiter unten); wenn Dan und Angul als die Stammväter der Dänen galten, anglische Sagen­ stoffe, besonders die Offasage, auch in der dänischen Literatur behandelt sind, so läßt sich das nur daraus erklären, daß beide Völker in enger Be­ rührung gestanden, insbesondere, daß in der Heimat zurückgebliebene Angeln ihre Traditionen auf die nachkommenden Dänen vererbt haben.6 1 Vgl. H o d g k i n , A history of the Anglo-Saxons I (1935) S. 1 ff. F. T i s c h l e r , Fuhls­ büttel. Ein Beitrag zur Sachsenfrage (1937) S. 66 f. 2 So neuerdings wieder S ie b s , in den Mitteilungen der schlesischen Gesellschaft für Volkskunde 31/32 (1931) S. 40 ff. 3 Vgl. dazu u. a. Chadwick a. O. S. 104 f. 4 Vgl. Chadwick a. O. Sach I 140 u. a. 5 J o r d a n , Eigentümlichkeiten des anglischen Wortschatzes (1906) S. 122. C h a m b e r s , England before the Norman conquest (1928) S. 51. ® Nicht anglisches, sondern westsächsisches Gut ist die Sage von dem Urkönig Skeaf, die dann in England mit der dänischen Sage von den Skyldingcn verbunden wurde; wenn W ilhelm von Malmesbury den aus Skandinavien gekommenen Skeaf in Schleswig

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Di e I ng wäo ne n

Wenn Σουήβοι Άγγειλοί bei Ptolemäus als Bewohner Mitteldeutschlands erscheinen, so liegt offenbar eine der zahlreichen nachweisbaren Willkürliclikeiten des griechischen Geographen vor, der das Volk, da dessen Platz in der kimbrischen Halbinsel durch andere Namen besetzt war, an eine belie­ bige freie Stelle seiner Karte geschoben hat; er entnahm den Namen wohl der Germania des Tacitus.1 Jedenfalls ist es unstatthaft, auf Grund dieses Zeugnisses die Angeln überhaupt aus der Halbinsel zu verweisen, wie dies zuletzt wieder Siebs a. O. getan hat, der sie im Rücken der Chauken-Sach­ sen an der Elbe wohnen läßt. Da die Eudosen sicher nach Jütland gehören (vgl. unten), sind die Sitze der W a r n e n nördlich an die der Angeln angrenzend zu denken. Allerdings ist es unstatthaft, den Ortsnamen Warnitz, älter Warnaes im Liber census Daniae von 1231 (ed. 0 . Nielsen S. 15) auf die Warnen zurückzuführen. Dieser soll bedeuten Warna-naes, d. i. promunturium Varinorum, hat aber mit den Warnen nichts zu tun, da er abgeleitet ist von dem jütischen Dialektwort Varre = sandiger Küstenstrich. Wichtiger ist das Zeugnis des Ptolemäus III 5, 8. Wenn hier Αύαρινοί, Warnen, an die Weichsel­ quelle gesetzt werden, so sind diese ohne Zweifel aus der jütischen Halb­ insel dorthin verschoben wegen der neben ihnen genannten "Ομβρωνες, den bekannten Ambronen (vgl. oben: ebenda auch über den östlichen Zweig des Volkes). Nicht minder spricht für die einstige Nachbarschaft mit den Angeln die Tatsache, daß beide Völker gemeinsam an der etwa im 3. Jahr­ hundert erfolgten Besiedelung Thüringens beteiligt gewesen sind. Es ist ferner bemerkenswert, daß als Nachbarn der am Niederrhein sicher be­ zeugten warnischen Kolonie die Niederlassungen auch anderer aus der jütischen Halbinsel gekommenen Völker nachgewiesen sind: der West­ heruler (in Verbindung mit Avionen, s. unten) und Euten. Mit der An­ nahme von Sitzen in Schleswig läßt sich auch die offenbar auf dem Bericht eines Teilnehmers beruhende Erzählung Prokops B. G. II 15 von der Rückwanderung der Ostheruler, die auf ihrem Wege von der Donau nach Schweden südlich von den Dänen Warnen antrafen, am besten vereinigen.*1 2 Ein slawischer Volksname Warnawi und der Flußname Warnow in Meck­ lenburg sind wohl aus dem germanischen Volksnamen gebildet; es handelt sich aber wahrscheinlich nicht um die Urheimat, sondern um eine Kolonie, die erst nach dem Abzüge der Angeln gegründet worden ist. Aus dem Wids., regieren läßt, so ist das gelehrte Erfindung, vgl. E. H a c k e n b e r g , Die Stammtafeln der angelsächsischen Königreiche (1918) S. 48. H . S c h n e id e r , German. Heldensage I I , 2 (1934) S. 48. 1 Dagegen ganz grundlos neuerdings S t e c h e , Altgermanien im Erdkundebuch des Ptolemäus (1937) S. 91. 2 Vgl. L. S c h m i d t , Zeitschr. f. schleswig-holstein. Geschichte 63 (1935) S. 352.

D i e N er thus Völk er

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wo V . 59 Warnen (Waernas) neben Wendlas genannt werden, sind dagegen Schlüsse über die Wohnsitze des Volkes nicht zu ziehen.1 Nördlich von den Warnen im südöstlichen Jütland sind die Eudoses des Tacitus anzusetzen. Sie sind ohne Zweifel identisch mit den Sedusii (wofür nach allgemeiner Ansicht Eudusii zu lesen ist), die nach Cäsar ge­ meinsam mit ihren Nachbarn, den Haruden, dem Ariovist Zuzug stellten (s. oben). Ihr Name erscheint in späteren Formen als Eucii (Eutii), Euthiones, Eotas,1 2 Yte, Jutae, Jotar; die Identität der so genannten Völker kann jetzt wohl als gesichert gelten.3 Seit dem 3. Jahrhundert begannen sie ihre Sitze zu räumen. Ein Teil, Eudusiani genannt, schloß sich um 250 dem Zuge der Ostheruler nach dem Schwarzen Meere an (Bd. I 2 549 f .) ;4 andere Abteilungen besetzten nach einer nicht unwahrscheinlichen Ansicht Nordfriesland mit Inseln,5 um von da sich an der niederländischen Küste niederzulassen. Von hier zogen sie im 5. Jahrhundert zum großen Teile nach Südostengland. Daß die englischen Jüten (Jutae), die nach Beda hist. eccl. I 75, Kent, Wight und einen Teil von Hampshire besiedelten, aus der Nachbarschaft der Friesen stammten, beweist die nahe Verwandt­ schaft der kentischen Sprache mit der friesischen.6 A uf ihre Herkunft vom Niederrhein, wo sie zuerst in unmittelbare Berührung mit der römi­ schen Kultur traten, hat besonders Hoops (Waldbäume und Kulturpflanzen im germanischen Altertum S. 566 ff.) hingewiesen; denn dort ist die Heimat der großen Masse der kontinentalen lateinischen Lehnwörter des Angel­ sächsischen zu suchen. ,,So erklären sich einerseits die zahlreichen lateini­ schen Bezeichnungen von Gegenständen und Einrichtungen, die den Angelsachsen in ihrer schleswig-holsteinischen Heimat nicht erreichbar 1 Derselbe, ebenda S. 354, 15. 2 Im Beowulf werden die Jüten der kimbrischen Halbinsel (Eotas) von anderen Jüten (Eotan), einem friesischen oder den Friesen verbündeten Stamme unterschieden, vgl. H o o p s , Kommentar zum Beowulf (1932) S. 116. 135. Ob unter den letzteren die niederrheinischen gemeint sind ? 3 Irrigerweise hat Alfred d. Gr. in seiner Übersetzung des Beda den Namen Jüten mit Geatas wiedergegeben, unter denen sonst stets die G a u te n zu verstehen sind, vgl. z. B. Hoops a. O. S. 43. B j ö r k m a n , Englische Studien 39 (1908) S. 356 ff. und Anglia, Beibl. 28 (1917) S. 257 ff. Zu Unrecht nimmt Schütte a. Ο. II 297. 302 eine Trennung zwischen Eudosen und Jüten vor. 4 Ein Zusammenhang der Juthungen (inschriftlich Euthungen) mit den Euten (so Schütte II 297) ist kaum anzunehmen. Denkbar wäre freilich, daß jene von den Euten stammten, die im Heere Ariovists gedient hatten und in Süddeutschland sitzen geblieben waren. 6 Vgl. F o lk e r s , Zeitschr. f. schleswig-holstein. Geschichte 62 (1934) S. 74 f. nach T o d e , Nordfriesland (1929) S. 77 f. 6 Chambers, England before the Norman conquest S. 56. Siebs, M itt. d. schles. Ges. 31/32 S. 60 ff. Prokop, b. G. IV , 20 nennt als Besiedler Britanniens die Friesen, womit er wahrscheinlich die Jüten meint, aber sicher nicht wegen ihrer sprachlichen Verwandtschaft mit jenen.

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Di e Ingwäonen

waren; so andererseits die altertümliche lautliche Form und namentlich die engen Beziehungen zu den lateinischen Lehnwörtern im Deutschen, insbesondere in den niederrheinischen Mundarten, welche eine Entlehnung auf britannischem Boden ausschließen.“ 1 Zu demselben Ergebnis führen auch die archäologischen Funde.1 2 Einzelne Volksteile blieben zurück, die sich um 545 freiwillig unter die Herrschaft des Frankenkönigs Theudebert begaben, wie dieser in einem Briefe an den Kaiser Justinian bemerkt (Mon. Germ, epist. Merov. et Karolini aevi I S. 133 Nr. 20): cum Saxonibus Euciis (lies Eutiis), qui se nobis voluntate propria tradiderunt.3 Es liegt auf der Hand, daß diese Euten nicht auf der kimbrischen Halbinsel gesucht werden können, da die Macht Theudeberts sich sicher nicht bis dahin erstreckt hat. Und ebensowenig können sie in Pannonien gesucht und mit den Sachsen, die mit den Langobarden nach Italien zogen, identi­ fiziert werden.4 Später kamen sie vorübergehend unter die Herrschaft der Friesen, vgl. unten. Doch waren auch nicht unbedeutende Reste in der Urheimat verblieben. Venantius Fortunatus carm. IX 1, 73 f. nennt sie Euthiones, die er zwischen Sachsen und Dänen ansetzt, und führt sie unter den Völkern auf, die von dem Frankenkönig Chilperich I. in Begleitung seines Vaters Chlotachar (also vor 561) bezwungen worden seien: es ist an einen siegreich abgeschla­ genen Piratenzug nach der Küste Galliens zu denken. Als Yte oder Ytas erscheinen sie auch im Widsidhlied v. 26, sodann als Eotas im Beowulf. Sie gingen unter den erobernd vordringenden Dänen auf, von denen sie die nordische Sprache annahmen, während sie ihren Stammesnamen (altnordisch Jotar) auf ihre neuen Herren übertrugen. Uber die Suarines und Nuithones ist sonst nichts bekannt; ihre Sitze sind nördlich von den Eudoscs bis zum Himmerlande anzunehmen. Südlich der Angeln, von der Kieler bis zur Lübecker Bucht, werden dann die Reudigni ( = den Rondingas des Wids. ?) und Aviones anzusetzen sein. DieAviones dürften iden­ tisch sein mit den Chaibones (Mamert. pan. Max. 5; genethl. Max. 7; an letzterer Stelle erscheint der Name in verschiedenen Lesarten: Caynonum, Cauionum, Caiuonum, Caybonum), die im Jahre 287 zusammen mit Herulern an der Küste Galliens heerten (Bd. I2 558); dieser Piratenzug wird wahr­ 1 Hoops S. 586. 2 Vgl. P l e t t k e , Ursprung und Ausbreitung der Angeln und Sachsen (1921) S. 68 f. R o e d e r , Mitteilungen der schlesischen Gesellschaft für Volkskunde 27 (1926) S. 268 f. P h i l i p p s o n , Germanisches Heidentum bei den Angelsachsen (1929) S. 34 f. Hodgkin, H ist, of the Anglo-Saxons I 81 ff. (Mischung verschiedener Elemente). 3 Die seeräuberischen Nordseevölker werden vielfach unter dem Namen der Sachsen zusammengefaßt, vgl. auch Adam v. Bremen I 3. Die beiden Völkernamen durch ein K o m ­ ma oder ein et voneinander zu trennen, ist nicht statthaft. 4 Vgl. hierzu L. S c h m i d t, Ungarische Jahrbücher I X (1929) S. 318 ff. 14 (1934) S. 254 ff.

D i e Ne r t h u s v ö l k e r

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scheinlich die Eider abwärts in die Nordsee, wohl kaum um die Nordspitze Jütlands herum gegangen sein. Als Eowe erscheinen die Avionen noch im Widsidh v. 26. Wenn in der Genealogie der Könige von Mercia (Hist. Britt. 65) der Name Eowa erscheint, so ist vielleicht daraus zu schließen, daß sich Avionen gemeinsam mit den Angeln an der Besiedlung Britanniens beteiligt haben. Noch im 4. Jahrhundert muß das anglische Reich in der kimbrischen Halbinsel in voller Integrität bestanden haben: Nach dem uralten Helden­ liede auf den Angelnkönig Offa, das aus der englischen Literatur (Widsidh, Beowulf und vitae duorum Offarum; in den letzteren ist Offa nach Bri­ tannien versetzt) sowie aus dänischen Quellen (Saxo, Sven Aageson, Anna­ les Ryenses, wo Offa zu einem Dänen gemacht ist), wiederherzustellen ist.1 Offa wird nach der allgemein als geschichtlich zuverlässig anerkannten Königsreihe von Mercia1 2 am Ende des 4. Jahrhunderts gelebt haben. Im Wids. ist nach der ursprünglichen Fassung von einem Kampfe Offas um die Grenze gegen die Schwaben, nach einer anderen Überlieferung von Grenzstreitigkeiten zwischen Angeln und Myrgingen am Fifeldore die Rede.3 In den dänischen Quellen wird statt des Fifeldore die Eider genannt, und es ist wohl anzunehmen, daß auch die anglische Überlieferung tat­ sächlich diesen durch seinen gewaltigen Mündungstrichter hervorstechen­ den Fluß (Fifel = Riese) gemeint hat.4 Die Myrgingen dürften die S a c h ­ sen sein (so auch die dänischen Berichte),56und es wird dem in der Sage verherrlichten Vorgänge das historische Faktum eines Vorstoßes der Angeln nach der Eider zu dem Zwecke, einen Zugang zur Nordsee zu gewinnen, zugrunde liegen. Weitergehende historische Schlüsse für die anglische Geschichte wdrd man aber aus dem Liede nicht ziehen dürfen. Daß sich anglische Scharen, dem Beispiel der Euten, Warnen, Heruler folgend, am Niederrhein niedergelassen, ist nicht unmöglich ; es kann sich aber hier nicht um eine selbständige Staatsgründung, sondern nur um vereinzelte Volks­ splitter handeln. Die Anglevarii der Notitia dign. or. V. 59 sind wohl Angrivarii, nicht Angli Varini, ebenso wie die Angri der Veroneser \rölkertafel. Auch das Zeugnis Adams von Bremen I 3 : Saxones primo circa Renum sedes habebant [et vocati sunt Angli] etc. kommt nicht in Betracht, da Angli schon frühzeitig in lateinischen Texten als Bezeichnung der ger­ 1 Vgl. Sach II 79 ff. Hoops, Kommentar S. 209. H. Schneider, Germ. Heldensage II 2, 115 ff. 2 Chambers, England S. 58. 3 L. Schmidt, Zeitschr. f. schleswig-holstein. Gesch. 63, 354. S c h ü t t e , Gotthiod und Utgard I (1935) S. 100 ff. 4 Vgl. besonders die Darlegungen von Sach II 81 ff. Ferner H . II. H o f f , Fifeldor, Wieglesdor, Haithabu (1936) S. 1 ff. 6 Vgl. L. Schmidt, Zeitschr. f. schleswig-holstein. Gesell. 63, 355.

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manischen Besiedler Britanniens überhaupt gebraucht wird und schließ­ lich den ursprünglich herrschenden Namen Saxones ganz verdrängt hat.1 Aber vielleicht gehen die niederländischen Ortsnamen Angledura, Anglatura im Mosago, Englandi in derVeluwe bei Beekbergen u. a. auf die Angeln zurück.1 2 Sicher bezeugt ist ein warnisches Reich am r e c h t e n Ufer des Nieder­ rheins seit dem Ende des 5. Jahrhunderts. Von den Franken bedroht, wurde dasselbe durch den Westgotenkönig Eurich geschützt.3 Der Ost­ gotenkönig Theoderich forderte um 507( ?) den König der Warnen gleichwie die Herrscher der benachbarten Thüringer und Heruler auf, ihn in seinen Bemühungen um Erhaltung des Friedens zu unterstützen (Cass. var. III3 ).4 Nur an den König der niederrheinischen Warnen kann der von Mommsen zwischen den Jahren 523-26 gesetzte Brief Theoderichs (Cass. var. V 1) gerichtet sein, in dem sich dieser für ihm übermittelte Geschenke, nament­ lich schöne, glänzende Langschwerter, bedankte. Bald darauf finden wir die Warnen in engen Beziehungen zu den Franken und den germanischen Besiedlern Britanniens. Nach einer freilich von der Sage beeinflußten Erzählung Prokops (bell. Goth. IV 20) hatte der Warnenkönig5 Hermegis­ klus, der in zweiter Ehe mit der Schwester des fränkischen Königs Theude­ bert vermählt war, seinen Sohn Radiger aus erster Ehe mit der Schwester des Königs der Angeln6 verlobt. Als Hermegisklus sein Ende nahen fühlte, gab er seinem Sohne und Nachfolger aus politischen Rücksichten den Rat, seine Braut im Stiche zu lassen und seine fränkische Stiefmutter zu heiraten. Aber die verlassene anglische Königstochter rüstete eine Flotte aus, lieferte den Warnen an der Rheinmündung eine Schlacht und nahm Radiger gefangen, der nunmehr Theudeberts Schwester heimschickte und die Britin ehelichte (um 540). Wahrscheinlich ist hierdurch ein Konflikt mit den Franken herauf beschworen worden, der mit dem Untergänge des Warnenreiches endete. Ein Teil des Volkes flüchtete wohl damals nach England, doch hat er dort nur geringe Spuren hinterlassen.7 Die Zurückbleibenden kamen später vorübergehend unter friesische Herrschaft, vgl. unten. 1 Vgl. Hoops, Reallex. I, 89. Ebenso versteht auch Prokop, unter „Angeln“ Sachsen u n d Angeln. 2 Sach II 74, 2. Nomina geographica Neerlandica I II (1893) S. 96. M o lh u y s e n bei P l a t n e r , Forsch, z. deutschen Gesch. 20 (1880) S. 197. 3 Bd. I 2 494. 4 Ebenda. 5 Da von einem K ö n ig die Rede ist, kann Prokop nicht mit den W arnen die fest­ ländischen Sachsen meinen, wie R . M u c h in Hoops Reallex. IV 484, H o lw e r d a , Nederlands vroegste geschiedenis 2. dr. (1925) S. 256 wollen. 6 Ob darunter ein König der britannischen Angeln oder Sachsen zu verstehen ist, ist nicht klar, da Prokop beide Völker als Angeln bezeichnet. 7 Vgl. Sach II 75. Much bei Hoops IV 483.

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Andere Teile beider Völker haben sich auch nach Mitteldeutschland ge­ wendet, wo sie mit den Hermunduren zu dem Stamme der Thüringer er­ wuchsen. Die Angeln saßen hier in größeren Massen im Unstrutgebiete: nach ihnen ist der mittelalterliche Gau Engili oder Englehem zu beiden Seiten der mittleren Unstrut am Südabhange der Hainlaite, Schmücke und Finne mit den den Volksnamen tragenden Dörfern Kirch-, Holz-, Feld- und Westerengel und den Ortschaften Gorsleben, Treba, Cölleda, Altbeich­ lingen, Rockstedt, Hochfluren1 benannt. Die Warnen wohnten namentlich in der 805 und 806 erwähnten Landschaft Werenofeld (Werinofelda, Guerenaveldo) zwischen Saale und Mulde1 2 (zwei Ortsnamen Wernsdorf bei Teuchern und zwischen Zeitz und Gera ?). In anderen Gegenden läßt sich das Volk nicht mit Sicherheit nachweisen. Der Weringau am Main ist zu­ nächst, ebenso wie der Ort Wernfeld bei Gemünden, nach dem Flüßchen Wern benannt; ob dieses aber den Warnen seinen Namen verdankt, ist ganz ungewiß.3 Zumeist werden den Warnen, von einigen Forschern den Angeln, auch die zahlreichen Ortsnamen auf -leben zugeschrieben. Diese finden sich zunächst (auf nordischem Sprachgebiet in der Form lef, löv u. a.) vereinzelt in England, zahlreich auf den dänischen Inseln, in Hailand und Schonen und in Jütland bis über das Ufer der Schlei, überschreiten jedoch nirgends die friesischen und sächsischen Grenzen. Holstein und Lüneburg überspringend, ziehen sie sich dann links der Elbe von Brand­ leben unweit der mecklenburgischen Grenze durch Thüringen bis nach Güntersleben bei Würzburg, am häufigsten in der Gegend zwischen Magde­ burg und Helmstedt auftretend. Ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet östlich der Elbe und Saale läßt sich nicht mehr feststellen, da hier die Slawen alle Spuren der älteren deutschen Besiedelung vernichtet haben. Gegen beide Annahmen liegen aber schwerwiegende Bedenken vor. Die Zuweisung an die W a r n e n verbietet sich allein deshalb, weil jener Orts­ name auf nachweisbar nichtwarnischem Gebiete (im Gau Engili) vorkommt ; gegen die Angeln würde das nur sporadische Vorkommen desselben auf britischem Boden sprechen. Es handelt sich wohl um spätere Zuwanderer aus dem Norden, deren Namen und Geschichte aber unbekannt sind.4 Ob 1 Vgl. besonders v . R i c h t h o f e n , Zur Lex Saxonum. (1868) S. 410. S c h lü t e r , Die Siedelungen in nordöstlichem Thüringen (1903) S. 1 6 2 T. G r ö ß le r bei U l e , Heimatkunde des Saalkreises (1909) S. 352. 2 L. S c h m id t im Neuen Archiv f. sächs. Geschichte 40 (1918) S. 122. 3 Richthofen a. O. 4 Aus der zahlreichen Literatur über diese Frage sei hervorgehoben: S e e lm a n n im Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 12 (1886) S. 7 ff. Sach a. O. S. 124. S c h a t t e , Die thüring. Siedlungsnamen (1903) S. 18 ff. Schlüter a. O. S. 147 ff., 176 ff. A . M. H a n s e n , Landnam i Norge (1904) S. 43 ff. W ü t s c li k e , Beiträge zur Siedlungskunde des nördlichen subherzynischen Hügellandes (1907) S. 16. 165 ff. V o g e s im Jahrbuch des Geschichtsvereins f. Braunschweig V I (1907) S. 27 ff. L i n t z e l ,

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die anglofriesischen Elemente der Mundart von Walbeck bei Helmstedt auf Angeln zurückzuführen sind, ist ganz ungewiß und nicht mit Sicherheit zu beweisen.1 Dasselbe gilt von der Behauptung E. Schröders, daß die Sprache Thietmars von Merseburg um 1000 das Altwarnische gewesen sei. 531 wurde Thüringen fränkische Provinz. Bei einem Versuche, die poli­ tische Selbständigkeit wiederzugewinnen, wurden die Warnen besiegt und fast völlig aufgerieben (594; Fredegar IV 15).*1 2 Das Werenofeld ward als­ dann (im 7. Jahrhundert) von den Slawen in Besitz genommen.3 Die Hauptmasse der Angeln ist etwa in der zweiten Hälfte des 5. Jahr­ hunderts von der kimbrischen Halbinsel direkt nach Britannien überge­ siedelt,4 wo schon früher die Sac hs e n Fuß gefaßt, deren Niederlassungen sie zum Teil überlagerten.5 Während die anderen Ankömmlinge erst im Neulande zur Monarchie übergegangen sind, haben die Angeln ihr ange­ stammtes Königtum aus der kontinentalen Heimat mitgebracht, wie der schon erwähnte, auf geschichtlicher Grundlage beruhende Königsstamm­ baum von Mercia beweist.6 Das nach bestimmten Zielen und in kürzerer Zeit erfolgte kolonisatorische Vorgehen der Angeln, das sich von dem regel­ losen der Sachsen wesentlich unterscheidet, läßt den Einfluß eines mäch­ tigen Königtums erkennen. Der Führer der Auswanderer war vielleicht der König Icel der mercischen Genealogie. Einzelne Splitter von ihnen sind aber in der alten Heimat zurückgeblieben, wie das Fortleben des alten Volksnamens und der Sagen (s. oben) beweist. Das gleiche gilt, vielleicht in noch stärkerem Maße, von den W a r n e n ; solche trafen dort die von der Donau nach Skandinavien zurückkehrenden Heruler an (Bd. I 2 553; Zeitschr. f. schlesw.-holst. Gesch. 63,352). Aber im großen und ganzen lag das Land nach dem Abzüge beider Völker für lange Zeit öde und verlassen, wie aus dem Zeugnisse Bedas7 und aus den Funden sich ergibt (Sach Sachsen und Anhalt III (1927) S. 19. Schütte, Our forefathers I 149. E. S c h r ö d e r , Niedersächs. Jahrbuch X (1933) S. 1 ff. L. S c h m i d t , Neues Archiv für sächs. Geschichte 56 (1935) S. 216 ff. S. G u t e n b r u n n e r , Zeitschrift für Mundartforschung 11 (1935) S. 193 ff. 1 So D a m k ö h l e r , Braunschweig. Magazin 1900 S. 123; 1905 S. 93. 2 Die W arnen, die um 510 zu den Langobarden in Beziehung standen und 553 im Heere des Narses dienten, entstammten dem östlichen Zweige des Volkes, vgl. Bd. I 2 127 (was aber von L. H a u p t m a n n , Germanoslavica I I I (1935) S. 334 bestritten wird). 3 Hieraus ergibt sich, daß die Behauptung der Rechtshistoriker, die 802/03 erlassene Lex Angliorum et Verinorum h. e. Thuringorum habe nur für die Gaue Engili und Werenofeld Geltung gehabt, nicht richtig sein kann. 4 Vgl. Philippson a. O. S. 34. L. W o l f f , Zeitschrift f. deutsches Altertum 71 (1934) S. 131. 5 R o e d e r , M itt. d. schles. Ges. f. Volksk. 27 (1926) S. 268 ff. 6 B r a n d i , Abhandlungen d. Preuß. Akad. 1915 IV 18. 7 Beda I 15: illa patria, quae Angulus dicitur et ab eo tempore usque hodie manere desertus inter provincias Jutarum et Saxonum perhibetur.

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II lff.) ; seit Ende des 6. Jahrhunderts herrschten hier die Dänen, deren Reich sich nun bis zur Eider erstreckte, weshalb es auch beim Ravennati­ schen Kosmographen heißt: Confinalis Daniae est patria quae nominatur Saxonia, quae antiquitus et ipsa ex Dania pertinere dicebatur. Für die Kenntnis der Kultur bei den Völkern der kimbrischen Halbinsel in der vorrömischen Eisenzeit und der römischen Kaiser- und Völker­ wanderungszeit versagen die schriftlichen Quellen fast ganz und geben nur die Bodenfunde genauere Auskunft.1 Der Gesamtcharakter der Gräber­ funde der erstgenannten Periode ist dürftig. Von einer hohen Kulturstufe zeugen aber einzelne Prachtfunde : so der berühmte, wahrscheinlich kulti­ schen Zwecken dienende, aus Eschenholz, Eisen und Bronze gefertigte, reich verzierte Wagen, den man zu Deibjerg bei Ringkjöbing, also im mut­ maßlichen Gebiet der H a r u d e n gefunden hat und der wohl als heimisches Erzeugnis anzusprechen ist.1 2 Ferner das 1921 zu Hjortspring auf Alsen ausgegrabene Schiff, ,,das älteste erhaltene Seeboot der Welt“ , das zahl­ reiche Waffen, Lanzen, einschneidige Schwerter, Schilde u. a. enthielt.3 Dagegen ist wohl keltischer Import von der unteren Donau der viel­ besprochene Silberkessel von Gundestrup bei Hobro (Jütland), den man früher meist als Arbeit k i m b r i s c h e r Schmiede angesehen hat.4 Zu er­ wähnen sind auch hier die spätlatenezeitlichen Funde (Keramik, Haus­ formen) von Kraghede und Vrensted im nördlichsten Jütland (Vendsyssael), die wegen ihrer Verwandtschaft mit schlesischen Funden5 Anlaß zu der Annahme von der Herkunft der Wandalen aus Nordjütland gegeben haben. Die Art der Bestattung ist durchweg die Brandbestattung in Urnen. Die Bodenfunde aus den beiden ersten nachchristlichen Jahrhunderten werden in vier Gruppen geteilt, von denen drei deutlich abzugrenzen sind : der Fuhlsbütteler Kreis (Ostholstein), die sogenannte Westgruppe (Dith­ marschen), der Oberjersdaler Kreis (Nordschleswig, Jütland sowie Fünen; also die Gebiete der Kimbern, Haruden, Euten, Ambronen[ ?] umfassend).6 Neben der Brandbestattung tritt jetzt auch die Skelettbestattung auf. 1 Die hauptsächlichste neuere Literatur bei O. B r a n d t , Geschichte Schleswig-Holsteins 3. Aufl. 1935. 2 Vgl. De Vries, Altgerm. Religionsgesch. I 183; II (1937) S. 18. 3 Genaue Beschreibung bei K o s sin n a , Altgerman. Kulturhöhe (1927) S. 41. Vgl. L a C o u r , Sönderjyllands Historie I (1930) S. 157 ff. 4 Vgl. zuletzt S c h u c h h a r d t , Vorgeschichte von Deutschland, 3. Aufl. 1935 S. 227 f. De Vries I I , 24. H . S c h n e id e r , Die Umschau, Jahrg. 41 (1937) S. 314 ff. Nach Schneider Darstellung eines Frühlingsthings, aus dänischer Zeit (500-800 n. Chr.). 5 V . R i c h t h o f e n , Altschlesien I I I (1930) S. 21. J a h n , Mannus 24 (1932) S. 150 ff. 6 Brandt a. O. S. 19. — Nach La Cour a. O. S. 139 sind in der römischen Eisenzeit Christi Geb. — 250 n. Chr. drei Kulturprovinzen zu unterscheiden: Nordjütland (Vendsyssel, Himmerland, Teil von T y), Mitteljütland (Ämter Aarhus u. Randers), Südjütland (Ämter Ribe u. Veile sowie Sönderjylland [Nordschleswig]). Vgl. ferner Tischler, Fuhls­ büttel.

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Seit dem 3. Jahrhundert kommen besonders die großen Moorfunde in Be­ tracht, von denen aus a n g l i s c h e m Gebiete die von Thorsberg (um 300) und Nydam (um 400) in erster Linie zu nennen sind.1 Es handelt sich um Massenfunde verschiedenster Gegenstände: Waffen (Helm, Ringbrünne, Schild, Lanze, Speer, Schwert usw., vielfach kunstvoll verziert), Schmuck­ sachen, Kleidungsstücke, Werkzeuge, Münzen, auch Pferdeskelette; sie sind wohl zum großen Teile als die den Göttern geweihten Beutestücke aus Kämpfen mit anderen Völkern anzusehen. In Nydam wurden auch zwei Boote ausgegraben, von denen das eine, aus Eichenholz mit 28 Rudern ge­ baute, wiederhergestellt worden ist.1 2 Ohne Zweifel sind die Angeln auf einem solchen Fahrzeug nach Britannien hinübergefahren. Von besonderer Wichtigkeit sind diese Funde wegen der auf einzelnen Gegenständen (Schwertzwinge, Pfeil) angebrachten Runeninschriften.3 Aus dem Ge­ biete der A m b r o n e n (?) stammten wohl die beiden berühmten Gold­ hörner von Gallehus bei Tondern (Anfang des 5. Jahrh.), von denen das eine ebenfalls mit Runen versehen ist. Daß es sich um einen e i n h e i m i ­ s c he n Künstler handelt, zeigt die Inschrift, die besagt, daß ein Mann namens HlewagastiR aus dem Ort Holt (Holstein ?) der Verfertiger war.4 Die hier zutage tretende hohe Entwicklung der Metalltechnik wird be­ stätigt durch ein literarisches Zeugnis: nach Cassiodor var. V 1 zeich­ neten sich auch später noch die W a r n e n durch ihre Waffenschmiedekunst aus. Die Angabe Prokops b. G. IV 20, daß die britischen Angeln und die niederrheinischen Warnen nur zu Fuße kämpften, läßt vermuten, daß diese Völker auch in der schleswigschen Heimat nicht beritten waren. Wenn da­ gegen die Moorfunde auf das Vorhandensein von Reiterei hinweisen, so kann es sich nur um fremde Eindringlinge (Nordgermanen) handeln. 1 Über die Einzelheiten s. Fr. K a u f f m a n n , Deutsche Altertumskunde II (1921) S. 603 ff. La Cour S. 167 ff. 2 Kossinna a. O. S. 38 ff. 3 Reichardt, Runenkunde S. 64 f. W . K r a u s e , Runeninschriften im älteren Futhark (1937) S. 448 ff. (ebenda S. 607 über das wohl ebenfalls hierher gehörige Diadem von Staarup). 4 Reichardt S. 63. Karsten, Die Germanen S. 160 ff. La Cour S. 196 ff. De Vries I I , 24. W . Krause S. 5 9 6 ff. A r n t z , in: Offa, Berichte und Mitteilungen aus dem Museum in Kiel I (1936) S. 152 (über Thorsberg und Gallehus).

3 DIE CHAUKEN UND SACHSEN I Die Chauken, Rauchen oder Rauken1 gehörten zu den bedeutendsten der germanischen Völker. Vellejus (II 106) rühmt ihre zahlreiche Jungmann­ schaft, Tacitus (Germ. 35) hebt ihren Reichtum an Mannschaft und Rossen hervor und nennt sie populus inter Germanos nobilissimus. Sie bewohnten nach dem übereinstimmenden Zeugnisse der noch zu erwähnenden Quellen anfangs das Gebiet östlich der unteren Ems bis zur Elbe hin; die Weser schied sie in zwei Teile, die Großen und die Rleinen Chauken.1 2 Chauken werden aber auch, nur von Plinius IV 101, als Bewohner einiger Inseln zwischen Helinium und Flevum, der Waal und Vlie, erwähnt; es handelt sich um eine Abzweigung des Volkes, von der die von Ptolemäus II 2, 8 in Irland verzeichneten Raüxot. ausgegangen sein dürften.3 Zum ersten Male treten sie im Jahre 12 v. Chr. in der Geschichte hervor. Drusus be­ suchte damals auf seiner Flottenfahrt zuerst die Friesen und fiel dann in das Land der Chauken ein; hier geriet seine Flotte in große Gefahr, aus der ihn nur die Hilfe der Friesen befreite. Er brach daher den Feldzug ab und kehrte nach Vechten zurück;4 doch hat er vielleicht an der Emsmün­ dung eine Besatzung zurückgelassen.5 A uf der damals gewonnenen Rennt nis fußt Strabo V II 1, 3, der sie als Anwohner des Ozeans nennt. Tiberius zog im Jahre 5 n. Chr. von dem Winterlager an der oberen Lippe über 1 Zusammenstellung der überlieferten Namensformen bei I h m , Pauly-Wissowa I I I , 22 0 2 ; B o is s e v a in zu Dio 54, 32. Der Name setzt nach der antiken Überlieferung einen germanischen W ortstam m *hauka — , allenfalls *hauha — voraus, und mag . . . die Hohen, d. h. etwa die auf Hügeln Wohnenden oder dergleichen bedeuten“ ; Siebs, M itt. d. schles. Ges. f. Volkskunde 31, 52. 2 V eil.: Cauchorum nationes. Plin. IV 9 9: Chaucorum gentes; 16, 2 : Chaucorum, qui maiores minoresque appellantur. Tac. ann. 11, 1 9; maiores Chauci (dagegen Germ. 3 5 : Chaucorum g e n s.). Ptol. II, 1 1 ,7 : Καϋχοι οί μικροί u. K . οί μείζους. (Nach Tac. 11, 19 gehören die großen Chauken zwischen Ems und W eser; die Ansetzung bei Ptol. ist umzukehren; doch vgl. Siebs a. O. S. 49. Hist. Aug. Did. Jul. 1, 6 : Cauchis Germaniae populis. 3 Vgl. M u c h , Wiener Sitzungsberichte 195 (1923) S. 17. Siebs S. 49. 4 Dio 54, 32. Liv. epit. 140 (gentes receptae). Vgl. dazu K l o s e , Roms Klientelstaaten (1934) S. 40. s Nach Florus II 30, 26 errichtete Drusus praesidia atque custodias per Mosam (od. Musam) flumen, per Albin (Albium , Alpium), per Visurgin. Statt Mosam wird man wohl Amisiam, statt Albin Lupiam zu lesen haben; an die Elbe ist kaum zu denken. Der aller­ dings in anderer Gegend aufgeführte Ort Amisia Ptol. I I , 11 13 ist vielleicht hierher zu ziehen. Eine damals errichtete römische Station an derWeser ist aber sehr unwahrscheinlich.

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Minden-Verden zu den Chauken, mit denen er einen Klientelvertrag ab­ schloß, ohne daß es zu Kämpfen gekommen wäre.1 Auch nach der varianischen Niederlage blieben dieselben den Römern treu.1 2 Eine römische Besatzung im Chaukenlande wird im Jahre 14. n. Chr. erwähnt.3 Die chaukischen Auxilien stießen zu Germanicus, als dieser im Jahre 15 n. Chr. an der Ems erschien, und beteiligten sich weiter im Jahre 16 an der Schlacht von Idistaviso, in der sie aber, allerdings nach einer nicht sicher verbürgten Erzählung, das Entkommen des Arminius ermög­ licht haben sollen.4 Als die römische Flotte in der Nordsee Schiffbruch er­ litt (16), hielt sich Germanicus längere Zeit am Strande der Chauken auf, wo er die unversehrt gebliebenen Schiffe wieder sammelte.5 Die Bezie­ hungen zu Rom wurden aber nach dem friesischen Aufstande 28 n. Chr. gelöst. Im Jahre 41 besiegte der Statthalter von Untergermanien Gabinius Secundus chaukische Scharen, die wahrscheinlich als Seeräuber die nieder­ rheinische Küste heimsuchten, und erhielt dafür den Ehrentitel Cauchius.6 Sechs Jahre später brandschatzten sie auf ihren leichten, aus gehöhlten Baumstämmen bestehenden Schiffen (Plin. 16, 203) unter Führung des Kanannefaten Gannascus von neuem die Ansiedelungen an der gallischen Küste. Cn. Domitius Corbulo, der damals in Untergermanien komman­ dierte, ließ sofort unter Benutzung des Drususkanals die Rheinflotte auslaufen und trieb die Piraten zurück; alsdann stellte er die römische Herr­ schaft über die Friesen wieder her und schickte Gesandte zu den Großen Chauken, um sie zur Unterwerfung aufzufordern, zugleich mit dem ge­ heimen Aufträge, den Gannascus aus dem Wege zu schaffen. Aber die Er­ mordung dieses Mannes erbitterte die Chauken so, daß ein Volkskrieg in Aussicht stand; Corbulo schickte sich eben an, in ihr Gebiet einzurücken, als ihm der Befehl des Kaisers Claudius überbracht wurde, alle Feindselig­ keiten einzustellen und die Truppen über den Rhein zurückzuziehen. Der ausführliche Bericht, den Tacitus (ann. 11, 18-20) über diese Vorgänge gibt, stammt aus dem Geschichtswerke des Plinius, der selbst als Offizier 1 Veil. a. 0 . Klose S. 41. 2 Demgemäß heißt es in der nach 9 n. Chr. entstandenen Fassung des Monumentum Aneyranum c. 26: Germaniam qua claudit oceanus a Gadibus ad ostium Albis fl. pacavi. Vgl. W i l c k e n , Berliner Sitzungsberichte 1932 X I S. 10 fl-. 3 Tac. ann. I 38. Klose S. 41. 4 Tac. ann. I 6 0 ; II, 17. 5 Tac. ann. II 24. 6 Suet. Claud. 24. Dio 60, 8 wo das überlieferte Μαυρούσιοι in Χαϋκοι zu ändern ist. Daß Gabinius den dritten Legionsadler aus der Varusschlacht nicht bei den C h a u k e n gefunden hat, daß vielmehr die Angaben über den Chaukensieg des Gabinius und der Sieg Galbas über die C h a t t e n bei Dio vermengt sind, darüber s. L. S c h m i d t , Philol. Wochenschrift 53 (1933) S. 398 und Jahrbuch des Braunschweig. Geschichtsvereins, 2. Folge Bd. V II (1935) S. 137 f.

Di e Chauken und Sachsen

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an der Expedition des Corbulo teilgenommen hat.1 Aus demselben scheint die Angabe des Ptolemäus über die Sitze des Volkes (zwischen Ems und Weser) geflossen zu sein. Von der genaueren Kenntnis, die Plinius durch Autopsie von den Nordseevölkern gewonnen hatte, zeugen auch die Mit­ teilungen in dessen Naturgeschichte (vgl. dazu auch weiter unten). Durch das damalige Verhalten der Chauken scheinen die Verse Lucans (bell. civ. I, 463-65) inspiriert zu sein: et vos (die Truppen, die mit Cäsar aus Gallien gegen Pompejus zogen) crinigeros bellis arcere Caycos |Oppositi petitis Romam Rhenique feroces |Deseritis ripas et apertum gentibus orbem.1 2 Im Jahre 58 trieben sie die Amsivarier aus ihren Sitzen an der unteren Ems.3 Von dem gleichen Schicksale müssen aller Wahrscheinlichkeit nach zu derselben Zeit die Chasuarier betroffen worden sein. Diese wohnten, wie ihr Name besagt, ursprünglich an der Hase, einem Nebenflüßchen der Em s;4 doch können sie sich hier nicht gegen den Andrang der Chauken be­ hauptet hahen. Sie scheinen sich zunächst an der oberen Lippe niederge­ lassen zu haben (hier dürfte sie Tacitus Germ. 34 [a tergo der Angrivarier und Chamaven] lokalisieren), von wo sie später noch weiter nach Süden ge­ zogen sind.5 Gegen die Römer kämpften Chauken im Bataverkriege (6970). Unter den Truppen, die Civilis führte, wird eine aus Chauken und Friesen zusammengesetzte Kohorte wegen ihrer Tapferkeit besonders ge­ rühmt; sie stand in Tolbiacum und ward von den Einwohnern in ihrem Quartier eingesperrt und verbrannt.6 Wenn Civilis in seiner Heimat noch längere Zeit hartnäckigen Widerstand zu leisten vermochte, so hatte er dies wesentlich neuem Zuzug aus dem Chaukenlande zu danken.7 In der Folgezeit breiteten sich die Chauken weseraufwärts im Binnenlande aus und ergriffen von dem Gebiete der Angrivarier Besitz, von denen wohl der größte Teil sich nunmehr im Bruktererlande festsetzte,8 während die übrigen als Hörige der Chauken im Lande verblieben.9 Der Name der 1 M ü n z e r , Bonner Jahrbücher 104 (1899) S. 73 ff. 2 Es liegt kein Grund vor, diese Verse als interpoliert zu streiehen, wie es in der Aus­ gabe von Bourgery (1926), vgl. Samse, Philol. Wochenschr. 47 (1927) S. 1242, geschieht. 3 Tac. ann. 13, 55. Vgl. Z i p p e l , Deutsche Völkerbewegungen (1896) S. 22. 4 Das wird von Steche, Ptolemäus S. 78 f. ganz ohne Grund bestritten. Die Cha­ suarier sollen hiernach im späteren Hessengau gesessen haben, Vorläufer der Hessen gewesen sein. 6 Vgl. Bremer, Ethnographie S. 175 f. Verfehlt sind die Bemerkungen K o r n e m a n n s , Klio I X (1909) S. 442 ff. 6 Tac. hist. IV 79. 7 Ebenda V 19. 8 Tac. Germ. 33. Es liegt nahe genug, den Angriff der Angrivarier auf die Brukterer auf den Druck der Chauken zurückzuführen, wenn auch innere Zwistigkeiten der Brukterer (vgl. Plin. epist. II 7) den direkten Anlaß gegeben haben werden. * Daß von den Angrivariern nur verhältnismäßig geringe Reste zurückgeblieben sind, ergibt sich aus Tac. Germ. 3 5: Immensum terrarum spatium non tenent tantuin

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Engem (Angràrii, Angarii), eines Teiles des Sachsenvolkes im Wesergebiet, dürfte aber nicht von dem der Angrivarier abzuleiten sein, sondern geht wie dieser auf den Landschaftsnamen Anger, germ. *Angra zurück. Nach Tacitus Germ. 35 grenzten die Chauken zu seiner Zeit an ,,die gegen die Cherusker siegreichen Chatten“ , eine Angabe, die neuerdings dahin ver­ standen wird, daß diese Grenze in der Linie Stolzenau-Steinhuder MeerCelle, der Südgrenze des ehemaligen, jetzt chaukischen Angrivarierlandes zu suchen sei.1 Es ist aber auch denkbar, daß die Chauken damals nach Eroberung cheruskischen Gebietes westlich der Oker einen Teil des nach­ maligen Hessengaus*1 2 um Hofgeismar zu beiden Seiten der Diemel, in dem später sächsisch gesprochen wurde, besetzt haben und hier Nachbarn der Chatten geworden sind; jedenfalls kann von einer damaligen Beherrschung des ganzen Cheruskerlandes durch die C h a t t e n keine Rede sein. Bei diesem tatsächlichen aggressiven Verhalten der Chauken ist das Lob, das Tacitus diesen spendet: sie seien ein Volk, das trotz seiner großen Macht und beständigen Kriegsbereitschaft den Frieden liebe und keine Angriffs­ kriege unternähme, sehr verwunderlich und nur aus ihrer früheren Partei­ nahme für die Römer zu erklären. — Auch die Piratenzüge nach Gallien wurden fortgesetzt; einen solchen, als dessen Ausgangspunkt die Elb­ mündung bezeichnet wird, wehrte um 170 der Legat von Belgica, der spätere Kaiser Didius Julianus, erfolgreich ab.3 Auf diesen Vorgang hat V . Domaszewski das neuerdings im Cimitero di Commodilla an der Via Ostiensis gefundene Fragment einer Inschrift [Huic senatus auctore im­ peratore . . . quod . . . rebellionem . . .]rum bello [devictarum] Germaniae gentiu[m suppressit, et aedificjata mox incredibili cel[eritate classe de­ fectores cu]m a barbaris classem habu[issent . . . subiecit . . statuam ar­ matam poni in foro divi Traiani pecunia publica censuit, bezogen, ob mit Recht, muß dahingestellt bleiben.4 Eine Erneuerung des früheren Klientelverhältnisses zu Rom scheint im Jahre 213 stattgefunden zu haben; denn mit auf die Chauken wird die An­ gabe Dios 77, 14, 3 zu beziehen sein, es hätten viele der am Ozean bei der Chauci sed et i m p le n t (das Land bis zu den Chatten). Zu Unrecht behauptet B r a n d i, Niedersächs. Jahrb. 10 (1933) S. 49 f., daß die Angrivarier selbständig geblieben und einen Hauptteil der Sachsen gebildet hätten. Dagegen sprechen auch archäologische Argumente, vgl. T a c k e n b e r g , Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte V III (1934) S. 25. 1 K a h r s t e d t u. T a c k e n b e r g , Nachrichten V I I I 9. 25. 2 Vgl. G. W o l f f , Chatten-Hessen-Franken (1919) S. 21 f. Es hat nur e in e n Hessengau gegeben, nicht einen fränkischen u. einen sächsischen. Die urkundlichen Zeugnisse für die Existenz eines letzteren beruhen auf einer Schrulle des Abdinghofer Schreibers, vgl. K . W e n c k , Zeitschr. f. hessische Geschichte N . F . 26 (1903) S. 236 ff. 3 Hist. Aug. Did. Jul. 1, 7. 4 Mitteilungen d. Deutsch, arch. Inst. Rüm. Abt. 20 (1905) S. 156 ff.

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Elbmündung wohnenden Völker Gesandte an Caracalla geschickt, mit der Bitte um seine Freundschaft und um Geld, und der Kaiser habe mit ihnen Verträge geschlossen.1 Zuletzt werden die Chauken unter diesem Namen im 4. Jahrhundert genannt. Zunächst sind die bei Zosimus III, 6 erwähnten Κούαδοι, „die einen Teil der Sachsen bildeten“ und 358 das römische Gebiet am Nieder­ rhein angreifen wollten, wahrscheinlich verlesen für Καυχοι, wie noch aus­ zuführen ist. Ebenso werden die Chaci (Haci), die die Tabula Peutingeriana im Rücken der Chamavi qui et Franci verzeichnet, der Niederschlag der durch die Feldzüge Julians gewonnenen geographischen Kenntnis sein. Ob dagegen die Cauci auf der Karte des Julius Honorius als zeitentspre­ chende Ansetzung oder als älteres Überbleibsel anzusehen sind, muß dahin­ gestellt bleiben. Und ob man berechtigt ist, der Erwähnung der Chauken bei dem Dichter Claudian zu den Jahren 395 und 398 irgendwelche Be­ deutung für die Geschichte beizumessen, muß zum mindesten als zweifel­ haft gelten.1 2 Sehr wahrscheinlich ist der Name der Chauken seit der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts verschollen; es ist aber anzunehmen, daß die sonst unbekannten Falchovarii, die nach der Notitia dign. or. VI 59 den Römern Hilfstruppen stellten, wenigstens zum Teil mit den Chauken iden­ tisch, Vorgänger der späteren Westfalen sind.3 Daß der im 6. Jahrhundert besiedelte sog. Hassegau zwischen Saale und Unstrut nicht nach den Chauken (Hohsi), wie Seelmann wollte, sondern nach der in ihm gelegenen Hochseeburg benannt ist, haben R. Holtzmann (Sachsen und Anhalt III [1927] S. 47ff.)undO. Bremer (ebenda X [1934] S. 119ff.) gezeigt. Ebenso­ wenig ist aus sprachlichen Gründen ein Zusammenhang zwischen dem Namen der Chauken und der poetischen Bezeichnung der Franken als ags. Hugas, lat. Hugones und damit ein Aufgehen jener unter den Franken anzunehmen. „D em au müßte im Altfriesischen ein ä, im Altenglischen ein éa entsprechen, also würde sich der Name Hugas damit nicht im min­ desten vereinigen lassen und darum ist auch die von J. Grimm gegebene Erklärung des schon im 8. Jahrhundert im Gebiet der Lauwers bezeugten Gaunamens Hugmerki als ,Grenzmark der Chauken4 nicht haltbar“ (Siebs, Mitt. schles. Volksk. 31/32 S. 52). Die Sac hs e n (der Name ist wohl eine Kurzform von Sahsnötas, Schwert­ genossen, Schwertleute) werden zuerst von Ptolemäus geogr. II 11, 7 ge­ 1 V gl. Klose a. O. S. 44 f. 2 V gl. L . S c h m i d t , H ist. Vierteljahrsschrift 14 (1911) S. 2 u. Sachsen u. Anhalt IV (1928) S. 347 ff. 3 Daß die Falchovarii nicht aus dem späteren Ostfalen stammen können, wie R . M u c h , Zeitschr. f. deutsch. Altertum 40 (1896) S. 295 ff., will, ist ohne weiteres klar, da die Bewohner dieser Gegend mit den Römern unmöglich in Berührung gekommen sein können.

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nannt;1 sie erscheinen auf seiner Karte als Bewohner des „Nackens“ des kimbrischen Chersonnes, d. h. des westlichen Holsteins und dreier Inseln an der Elbemündung, unter denen man vielleicht Neuwerk, Scharhörn und Böschsand zu verstehen hat. Die Angabe geht, wie schon bemerkt, sehr wahrscheinlich auf einen Bericht über die römische Flottenfahrt des Jahres 5 n. Chr. zurück. In der Folgezeit gewinnt der Sachsenname immer größere Ausdehnung, zunächst über das Land der Chauken. Ob und inwie­ weit dieses Volk aber einen Bestandteil der Sachsen gebildet hat, ist eine vielerörterte Streitfrage. Die sächsische Überlieferung1 2 führt die Ent­ stehung des Stammes zurück auf einen Einbruch der Ursachsen zur See in das Land Hadeln zwischen Unter-Elbe und Unter-Weser, wobei die Ur­ einwohner zu Hörigen gemacht wurden, und wir dürfen nicht zweifeln, daß darin ein geschichtlicher Kern enthalten ist. Es ist daraus geschlossen worden, daß die Nordalbingier zunächst das Chaukenland (dessen Be­ wohner in der Sage als Thüringer bezeichnet seien in Anknüpfung an den letzten bedeutenden sächsischen Eroberungskrieg von 531) unterworfen hätten, daß der sächsische Stammesstaat ausschließlich das Werk der er­ obernd vorgedrungenen Altsachsen gewesen sei. Dagegen ist nach den neuesten archäologischen Forschungen3 eine Abwanderung der holsteini­ schen Sachsen in das Land zwischen Elbe- und Emsmündung nicht zu erkennen: „D ie holsteinischen Gräberfelder werden weiter belegt und die dort übliche Keramik findet sich nicht zwischen Ems- und Elbemündung. Das Ausbreitungsgebiet der sächsischen Keramik des 3. Jahrhunderts ent­ spricht dem der chaukischen Keramik des 2. Jahrhunderts. Selbst im chaukisclien Neuland, im mittleren Wesergebiet, erscheinen schon sächsi­ sche Funde des 3. Jahrhunderts. Die Gräberfelder der frühen Kaiserzeit zwischen Ems- und Elbemündung werden . . . bis weit in die späte Kaiser­ zeit belegt. Ein Abbruch findet nicht statt. Die Keramik im Elbe- und Emsgebiet der chaukischen Zeit zeigt Weiterentwicklung in die sächsiche Zeit des 3. und 4. Jahrhunderts.“ Die sog. Kultur von Westerwanna be­ zeichne nicht den Gang der sächsischen Eroberung. Es würde hierzu 1 Ganz grundlos hat Kahrstedt a. O. S. 17 ff. die Sachsen bei Ptol. gestrichen. Vgl. L. Schmidt, Zeitschr. f. schlewig-holstein. Gesell. 63, 365 f. Z y l m a n n , Nachrichten aus Niedersachens Urgeschichte I X 74 ff. mit Nachwort von K a h r s t e d t ebenda S. 84 f. 2 Die Sage ist überliefert durch Rudolf von Fulda (Translatio Alexandri), Widukind und die Quedlinhurger Annalen, am ausführlichsten und reinsten durch Widukind, wie L i n t z e l , Sachsen und Anhalt III 20ff. gezeigt hat. Dagegen will K r u s c h , der neueste Hrsg, der Transi. (Nachrichten d. Gott. Ges. d. W iss. 1933 S. 405 ff.) nur die in dieser ge­ gebenen Fassung gelten lassen und erklärt mit nichtssagenden Gründen Widukinds Er­ zählung als eitel Erfindung und Lüge. 3 T a c k e n b e r g , Nachrichten aus Niedersachsens Urgescli. V I I I 21 ff. S c h r o lle r , 5000 Jahre niedersächs. Stammeskunde (1936) S. 1 39ff. Anders T is c h l e r , Germania 20 (1936) S. 119f. Derselbe, Fuhlsbüttel S. 62ff.

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stimmen, daß die Sage von der Herkunft der Eroberer aus Nordalbingien schweigt, daß später nur eine sehr lose Verbindung zwischen den nord· elbischen Sachsen, die mehr ihre eigenen Wege gegangen sind, und den Südalbingiern bestand und daß der politische Mittelpunkt des Stammes an der Weser (Marklo), also im Gebiete der den Namen Engern tragenden Chauken, lag. Es scheint, daß geschichtliche Züge nur insoweit enthalten sind, als der Ausgangspunkt der Entwicklung in das Land Hadeln, also in das Gebiet der Großen Chauken, verlegt und der Ursprung der bei den Sachsen besonders zahlreichen Hörigen auf kriegerische Unterwerfung zu­ rückgeführt wird. Die Angabe von der Ankunft der Sachsen zur See läßt eher vermuten, daß nach dem Muster anderer germanischer Ursprungs­ sagen an eine Herkunft aus Skandinavien gedacht ist. Ohne Zweifel wird man den Chauken den Hauptanteil an der Stammesbildung zusprechen müssen; denn daß diese unter den Franken aufgegangen seien, dafür fehlt jeder Anhalt (vgl. oben). Die holsteinischen Sachsen sind aber jedenfalls die ersten gewesen, die durch ihre Seefahrten ihren Namen besonders be­ rühmt und furchtbar gemacht haben; so konnte es geschehen, daß dieser von den Fremden auf die übrigen piratisierenden Nordseevölker, insbeson­ dere auf die Chauken, übertragen wurde, ohne daß eine gewaltsame Eini­ gung durch ein den Sachsennamen von Anfang an tragendes Einzelvolk die Voraussetzung bildete.1 Nach der Erwähnung durch Ptolemäus treten die Sachsen erst wieder im Jahre 286 hervor. Gemeinsam mit den Franken, d. h. den Saliern, plünderten sie an der nordfranzösischen Küste; mit der Bekämpfung dieses Unwesens wurde Carausius beauftragt, der mit seiner Flotte von Boulogne aus die Piratenschiffe abfing, die Beute aber für sich behielt und dann in Britannien sich selbständig machte (Ende 287 oder Anfang 288).1 2 Es ist mehr als wahrscheinlich, daß diese Sachsen nicht die nordalbingischen ge­ wesen sind, sondern ein Volk, das in der Nachbarschaft derFranken wohnte, d. h. die Chauken. Die Salier müssen damals infolge des Vordringens der Sachsen,3 ihre Heimat, das Salland an der Yssel, aufgegeben und sich weiter südlich in der Veluwe am Ufer des Alten Rheines niedergelassen haben, welcher Strom ihnen einen leichten Zugang zum Meere eröffnete.4 Von ihren neuen Sitzen suchten sie sich bald darauf im Bunde mit den ebenfalls 1 Vgl. dazu auch Brandi a. O. S. 48. 2 Eutrop. I X 21: per tractum Belgicae et Armorici pacandum mare accepisset, quod Franci et S a x o nes infastabant. Joh. Antioch. fr. 164: Φράγκοι τε καί Σ ά ξ ο ν ε ς . Pan.2 X I 7 : Domitis oppressa Francis bella piratica. Victor Caes. 39, 20: G e r m a n is maria infestantibus. Vgl. O. S c h ä fe r , Die beiden panegyrici des Mamertinus. Diss. 1914 S. 68fF. J u l li a n , Histoire de la Gaule V I I (1926) S. 63. 3 Zosim. III 6, 3 : έκ της οικείας χώρας υπό Σαξόνων εις ταύτην την νήσον (Bataver­ land) άπελα&έντας. 4 Pan. X 11. Vgl. Ο. Schäfer a. Ο. S. 73.

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Di e Ingwäonen

von den Sachsen gedrängten Chamaven, Friesen und Chattuariern auch des Bataverlandes zu bemächtigen, wurden aber von Constantius I. in den Jahren 288, sodann 294 oder 295,1 313 und 320(?)1 2 auch von Konstantin d. Gr. daraus vertrieben, bis es ihnen schließlich gelang, sich dauernd dort festzusetzen. Daß die Raubzüge der Franken und Sachsen zur See fort­ dauerten, ersehen wir aus dem von Diokletian und Maximian mit Carausius abgeschlossenen Vertrage (289), in dem dieser vorläufig als Mitkaiser ge­ duldet und mit der Bekämpfung der Piraterie beauftragt wurde (Victor Caes. 39, 39 : remissum insulae imperium, postquam iussis ac munimento incolarum contra gentes bellicosas opportunior habitus). Münzen mit Vic­ toria Ger. und Victoria Germa. (Cohen V II 385, 386) zeigen, daß Carausius bis zum Ende seiner Herrschaft (293) das Unwesen mit Erfolg bekämpft hat. Hierher gehören wohl auch die Anführungen der Namen Saxon und Franco bei dem Grammatiker Sacerdos, vgl. Pauly-Wiss. Reihe II Bd. 1 S. 1630 (Zeit Diokletians) und der Saxones im Laterculus Veronensis (306/15 ?). In die Zeit Diokletians fällt wohl auch die Formierung der alae Saxonum, von denen die ala prima noch in der Notitia dign. or. 32, 37 er­ scheint.3 Wahrscheinlich nach der Beseitigung des britannischen Kaiser­ tums 297 wurde der gegen die Sachsen gerichtete Küstenschutz Nord­ galliens zwischen Loire und Schelde und Südostenglands in dem Gebiet vom Wash bis zur Insel Wight, das sog. Litus Saxonicum, begründet.4 — 358 mußten die Salier aber auch das Bataverland räumen, und zwar in­ folge eines Einfalles der Chamaven und Chauken-Sachsen, und ließen sich in Toxandrien nieder. Die Chauken-Sachsen müssen damals, z. T. wohl auch schon früher, Teile von Friesland, die Landschaften Drenthe, Twente, Salland besetzt haben und auch in die Veluwe eingedrungen sein, wie be­ sonders „sächsische“ Funde aus diesen Gegenden beweisen,5 während die heutige Verbreitung des Haustypus und vor allem der Mundart kein sicheres Kriterium bildet.6 Dasselbe gilt für das Münsterland, wohin sich 1 Pan. V I 5, 6. Vgl. später unter Franken. 2 Pan. X I I 21 -2 3 . IV 17. Vgl. später unter Franken. 3 Vgl. R . G r o s s e , Römische Militärgeschichte (1926) S. 46. 4 Litus Sax., d. h. das von Sachsen bedrohte, nicht von ihnen b e s ie d e lt e Land. Vgl. P r e n t o u t , Revue hist. 107 (1911) S. 2 9 0 ff. L o t , ebenda 119 (1915) S. 4 ff., 3 7 ff. D é c h e l e t t e , Manuel d’archéologie V 1 (1931) S. 389ff. H a v e r f i e l d , Pauly-W iss. Reihe II Bd. 1, 327 ff. Diese Auffassung des Begriffs Litus Sax. wird von M a n s i o n , Bull, bibliogr. et pédag. du Musée belge 30 (1926) S. 12 ohne hinreichenden Grund bekämpft. (Der Ort Marcis bei Calais muß nicht germanisch sein.) 3 H o l w e r d a , Nederlands vroegste geschiedenis2 (1925) S. 230. 6 Vgl. O. R e c h e nach Nyèssen, The passing of the Frisians (1927) S. 261 ff.: Volk und Rasse IV (1929) S. 137. Nichts Sicheres ist aus den Rechtsverhältnissen zu entnehmen. Nach Rieh. S c h r ö d e r , Monatsschrift f. d. Geschichte Westdeutschlands V I (1880) S. 492ff. erstreckte sich die Geltung des c h a m a v is c h e n Rechtes über das Hamaland (Amore) hinaus gegen W esten über die Gaue Fclwe und Flethetti bis zum friesischen

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einst die Angrivarier geflüchtet hatten, die nunmehr wahrscheinlich auch dort zu Hörigen der Chauken gemacht worden sind. Daß die Sachsen da­ mals nicht weit von der römischen Grenze Galliens standen, geht auch daraus hervor, daß sie dem Usurpator Magnentius für seinen Krieg gegen den Kaiser Constantius Hilfstruppen stellten.1 Der Cäsar Julian bestätigte die Salier im Besitze ihres neugewonnenen Gebietes, während er die Chamaven über den Rhein in ihre alten Sitze zurücktrieb, wo sie sich weiter­ hin behaupteten ;*1 2 die Chauken scheinen sich schon vorher zurückgezogen zu haben, vielleicht nachdem sie sich verpflichtet hatten, Truppen zum römischen Heere zu stellen: Das schon erwähnte auxilium palatinum der Falchovarii geht möglicherweise auf jene Zeit zurück. Auf die damals ge­ wonnene geographische Kenntnis wird die Ansetzung der Chauken (Chaci) in der Tabula Peut, zurückzuführen sein (vgl. oben); aus einer Karte der­ selben Zeit hat vielleicht der Dichter Claudian den Namen des Volkes ab­ gelesen, um die Tätigkeit seines Helden Stilicho auf dem Gebiete der ger­ manischen Bündnispolitik zu verherrlichen. — Verfassungsrechtlich ist der Bericht des Zosimus von Wichtigkeit: wenn es heißt, daß die Chauken ,,einen Teil der Sachsen bildeten und von diesen ausgesandt waren“ , so Maasgau, ferner gegen Norden über Drenthe, Salland und Twente; nach F o c k e m a A n d r e a e , Zeitschrift der Savignystift. 30, 2 (1909) waren die Rechte von Friesland, Groningen, Drenthe und Utrecht friesischen, von Overyssel und Zutphen sächsischen, der Veluwe salfränkischen Ursprungs; nach E . M a y e r , Friesische Ständeverhältnisse (1910) S. 7 gehörte Drenthe zum Bereich des chamavischen Rechts. Die Meinungen gehen also sehr auseinander. 1 Julian, or. I S. 5 1; I I I S. 124 (Bidez). M it dem Kriegsdienste unter Magnentius scheint der berühmte Goldfund von Lengerich in Hannover (vgl. J a c o b -F r i e s e n , Ein­ führung in Niedersachsens Urgeschichte [1931] S. 157ff.) in Beziehung zu stehen. 2 Zosim. III 6. Eunap. fr. 11 .1 2 . Am m ian. 17, 8, 9. Petr. Patr. fr. 18. Julian, or. V S. 227 (Bidez). Vgl. unter Franken. Die Sachsen werden nur von Zos. genannt (auch I II 1, wo nur eine Zusammenfassung der im folgenden erzählten Ereignisse gegeben wird). Unter den von Zos. genannten Κούαδοι sind im allgemeinen nur die Chamaven zu verstehen, wie sich aus den übrigen Quellen ergibt, nicht jedoch an der Stelle zu Anfang, wo die Κούαδοι als Teil der Sachsen bezeichnet sind; hier können nur Καϋχοι gemeint sein, vgl. das Nähere bei R a p p a p o r t , Pauly- W iss. II 2 (1923) S. 314. L. S c h m i d t , Sachsen und Anhalt IV (1928) S. 354. — Ein s ä c h s is c h e s Hamaland, woraus zu schließen wäre, daß die Sachsen sich eines Teiles des chamavischen Gebietes bemächtigt hätten, gab es nicht. Die Angabe eines weit entfernt wohnenden Berichterstatters (Sigibert von Gembloux vita Deoderici c. 1) beruht auf einem Mißverständnis. In der vita Liudgeri I c. 13 ist die Yssel nicht als Grenzfluß zwischen Sachsen und Franken, sondern die Umgebung der Yssel als Grenzland bezeichnet. Die Zerstörung Deventers durch die Sachsen am Ende des 8. Jahrhunderts (vita Liudgeri I c. 14, vgl. Hauck, Kirchengesch. 1 348) beweist nur, daß die Sachsen nicht allzufern von dieser Stadt wohnten. Lex Chamav. c. 28, 29 ist nicht gesagt, daß Sachsen und Friesen in Amore wohnten; diese Stellen beziehen sich vielmehr auf Dieb­ stähle, die die (benachbarten) Sachsen und Friesen in jenem Lande verübten. „E s liegt hier ganz deutlich ein A k t der Retorsion vor: was die sächsischen und friesischen Gerichte dem bestohlenen Chamaven verweigern, das sollten auch die chamavischen Gerichte dem bestohlenen Sachsen oder Friesen nicht gewähren.“ Vgl. S c h r ö d e r a. O. (oben S. 4 0 , 6). W aitz, Verf.-Gesch. V 2 186. Brunner, R . G. I 2 474. E. Mayer a. O. (oben S. 40, 6) S. 6f.

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Die Ingwäonen

können hier die Anfänge der späteren staatlichen Einheit bezeichnet sein, indem sich einander benachbarte Völker zunächst nur zu Angriffszwecken zusammengefunden hatten. Das Bestehen einer Z e n t r a l g e w a l t läßt sich aber hieraus nicht erschließen. Das Vordringen der Sachsen gegen Gallien findet fortan überwiegend auf dem Wasserwege statt, auf dem sie durch ihre nautischen Kenntnisse und Schnelligkeit jeder anderen Macht weit überlegen waren. Von den un­ zähligen Expeditionen,1 die auch wieder die Küsten Britanniens berührten, sind uns nur einige besonders bemerkenswerte überliefert. Die Heim­ suchungen, die Britannien durch die sächsischen Seeräuber erfuhr, wurden noch verschlimmert durch innere Unruhen und durch die Einfälle der Pikten, Skoten and Atakotten.1 2 Im Herbst 367 sandte Valentinian I. als Feldherrn dorthin zunächst den Severus, bald darauf den Jovinus und endlich den comes Theodosius, dem es gelang, in zwei Feldzügen 368 und 369 den Frieden wiederherzustellen; so wurden von ihm auch die sächsi­ schen Piraten empfindlich gezüchtigt, wofür ihm der Panegyriker Pacatus den Ehrentitel Saxonicus zuspricht und er auf einem inschriftlichen Elo­ gium aus Stobi als ,,Saxoniens großer Schreck44 (μέγα διμα Σαξονείας) ge­ feiert wird.3 Damals ist es auch zu einem Zusammenstoß mit den Franken und S a c h s e n in der Bataverinsel gekommen.4 Aber schon im Jahr 370 brandschatzte wieder eine starke sächsische Raubschar die Nordküste Galliens und brachte die dort stehenden römischen Truppen unter dem comes Nannenus in große Bedrängnis. Durch das Eintreffen eines über­ legenen römischen Hilfskorps unter Severus eingeschüchtert, baten die Germanen um Frieden und freien Abzug in die Heimat, der ihnen, nach­ dem sie eine Anzahl Soldaten für das kaiserliche Heer gestellt hatten, ge­ währt wurde. A uf der Heimkehr aber wurden sie von den Römern unter Bruch des Vertrages in einem Hinterhalt nach tapferer Gegenwehr ver­ nichtet.56 Das Blutbad fand statt nach Hieron. Deusone in regione Francorum, einem Ort, um dessen Bestimmung man sich bisher vergeblich bemüht hat. Unter der regio Francorum kann wohl nur das Gebiet der reichsangehörigen salischen Franken, Toxandrien, verstanden werden; nicht ohne Wahr­ 1 Vgl. Am m ian. 28, 5, 1: Saxonum multitudo . . . saepe nostrorum funeribus pasta. 2 Am m ian. 27, 4, 5. 3 Pan. II 5 : Saxo consumptus bellis navalibus. Claudian. IV cons. Hon. 31 ff. Vgl. H e e r i n g , Kaiser Valentinian I. Diss. (1927) S. 51 f. R . E g g e r , Byzantion V (1930) S. 9 ff. 4 Pan. II 5 : Rhenus aut Vahalis. Am m ian. 27, 8, 5 : Gallicani tractus. Vgl. Hegesippus, H ist. V 15 (ed. Ussani I 319): tremit Saxonia inaccessa paludibus et inviis septa regionibus. 6 Am m ian. 28, 5, wiederholt Am m . 30, 7, 7, wo fälschlich der Kaiser selbst als Führer des römischen Heeres genannt ist. Hieron. chron. 2389 z. Jahr 373 (daraus Oros. V I I 32, 10). In der 391 geschriebenen vita Hilarionis c. 22 setzt Hieron. die Franken inter Saxoncs et Alamannos an.

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scheinlichkeit identifiziert Jullian (Hist. Y II 247, 1) Deuso mit Dispargum (Greg. Tur. hist. Franc. II 9) und dem heutigen Diest am Demer.1 Gleichwohl hörten die sächsischen Raubzüge nach dem römi­ schen Gebiete nicht auf: 388, als der Usurpator Magnus Maximus von Theodosius bekriegt wurde, plünderten wieder sächsische Piraten an der Küste Galliens;1 2 gefangene Sachsen, die in Rom bei den Gladiatoren­ spielen auftraten, werden in einem 393 geschriebenen Briefe des Sym­ machus (ep. 2, 46) erwähnt. Namentlich aber scheint der Einbruch der Wandalen 406 auch den Sachsen Veranlassung zu einem größeren Raub­ zuge nach Gallien gegeben zu haben.3 Ob von diesem verhängnisvollen Jahre die dauernde Festsetzung sächsischer Scharen an der nordfranzösi­ schen Küste datiert, ist aber nicht sicher. Vielleicht erfolgte die Nieder­ lassung erst im Zusammenhänge mit dem Aufstande der Aremoriker bald nach 446, in dessen Folge diese zum Reiche nur noch im Rechtsverhält­ nisse von Föderaten standen.4 Die Notitia dign., die ein Bild von der Neu­ organisation des Grenzschutzes in Gallien durch den Patricius Constantius um 417 ( ?) gibt,5 zeigt, daß damals jene Gegenden (litus Saxon.) noch fest in römischer Hand waren. Wohl als Föderaten haben Sachsen unter Aetius 451 gegen die Hunnen gekämpft.6 Man könnte versucht sein, auch jenen Alogius S a x o n i u s hierher zu ziehen, dessen leider undatierte Grab­ schrift in Salona in Dalmatien gefunden wurde: D(is) M(anibus) Alogio, cui et Saxxonio, qui vixit annos X X V I, posuit Urbica conjux, cum quo vixit concorditer annos sex, bene merenti posuit.7 Doch ist zu beachten, daß jener Name in ähnlicher Form auch anderwärts auf Inschriften vor­ kommt, wo es sich zweifellos nicht um Sachsen handelt, z. B. in Afrika CJL. V III, 18068 Sp. 3 Z. 4: Q. Aemilius Saxo aus Cirta vom Jahre 198 n. Chr. ; in Noricum CJL. III, 11656 (Saxxu); III, 5552 (Saxsio); III, 4864, 4909, 4966 (Saxsamus oder Saxamus).8 Seit Mitte des 5. Jahrhunderts treten Sachsen auch an der französischen Westküste, besonders an der Loiremündung, auf. Hierher gehört die von Sidonius Apollinaris carm. V II 369, 390 zum Jahre 456 erwähnte Be­ 1 Vgl. L o t , Revue hist. 119 (1915) S. 14. 2 Ambrosius ep. 40, 23. 3 Hieron. ad Ageruch. 16. 4 Stein, Gesch. d. spätröm. Reiches I 492. 5 So ist die Ansicht von Bury und Stein I 407. Doch wird diese jetzt bekämpft von L o t , Revue des études anciennes 38 (1936) S. 285ff .; P o la s c h e k hei Pauly-W iss, 17, 1087 ff., wonach die Organisation bereits um 390 anzusetzen ist. 6 Jord. Get. 191. 7 Bullettino di archeologia e storia Dalmata 23 (1900) S. 200. 8 Keine germanische Gottheit ist der Hercules Saxanus, der Patron der Steinbruch­ arbeiter, vgl. zuletzt De Vries, Altgerm. Religionsgesch. I 175f. — Dagegen dürfte die auf einem am Niederrhein gefundenen Inschriftenfragment vorkommende Gattin eines germanischen explorator Ulpia Sacsena (CIL X I I I , 8683; 4. [?] Jahrh.) den wirk­ lichen Sachsen angehören.

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drohung der Aremorica durch sächsische Seeräuber. Von der Loiremündung suchten die Sachsen den Strom aufwärts weiter ins Innere einzu­ dringen. Unter ihrem Häuptling Adovacrius erschienen sie 463 vor Angers und ließen sich nach dem Tode des Aegidius (464) von dieser Stadt und an­ deren Orten Geiseln stellen. Im Jahre 469 versuchten sie einen neuen Hand­ streich auf Angers, mußten sich aber vor den anrückenden Römern unter Paulus und dem mit diesen föderierten Frankenkönige Childerich zurück­ ziehen und wurden nach heftigen Kämpfen alsdann auch von den von ihnen besetzten Inseln (wohl an der Loiremündung) vertrieben. Gleichwohl haben sie sich in jenen Gegenden behauptet; denn Adovacrius schloß darauf mit Childerich ein Bündnis und züchtigte die von einem Raubzuge aus Italien heimkehrenden, bei Orleans als Militärkolonisten angesiedelten Alanen.1 Es waren ohne Zweifel dieselben Sachsen, welche um 475 als Seeräuber an der Küste der Gironde ihr Unwesen trieben, durch eine westgotische Flotte unter Namatius aber empfindlich gestraft und zur Ruhe verwiesen wurden.1 2 Wann und wie sie unter fränkische Herrschaft kamen, ist ganz ungewiß. Um 570 wurden sie von dem Bischof Felix von Nantes bekehrt nach Ve­ nant. Fort. carm. III 9, 103f., vgl. denselben carm. III 4, 9, wo die Sachsen den alten Cheruskern gleichgesetzt werden.3 Daß der Sachse Chil­ derich, der eine angesehene Stellung im Reiche König Guntramms ein­ nahm und von diesem zu Childebert überging (584-90), von den LoireSachsen abstammte, ist möglich, aber nicht zu erweisen.4* Die beiden sächsischen Knechte (pueri Saxones), die ihren Herrn, den Kaufmann Christoforus, auf der Reise von Tours nach Orleans 585 ermordeten,6*I werden wohl britannischer Herkunft gewesen sein, wie dies sicher der Fall ist bei der Gattin König Dagoberts Nanthilde (Liber hist. Franc. 42; Fredeg. IV 58) und der Gattin Chlodowechs II. Balthilde (Lib. hist. Franc. 43; vita Balth. 2, vgl. M. G. SS. rer. Merov. II 475), die beide ebenfalls als Sklavinnen zu den Franken gekommen waren. Von größerer und länger andauernder Bedeutung waren die sächsischen Ansiedelungen an der nordfranzösischen Küste und in Flandern.® Uber ihre 1 Greg. Tur. II 18. 19, wo die Alanen fälschlich Alamannen genannt werden. Über das Jahr 469 vgl. Bd. I 2 489. 2 Siehe die Quellen Bd. I 2 494. 3 Vgl. Lot a. O. S. 20. 4 Greg. Tur. V II 3 ; V I I I 18; X 22. 6 Greg. V I I I 46. 6 Vgl. Prentout a. O. S. 293fT. Lot a. O. S. 2 0 ff. G a m il ls c h e g , Romania Germanica III (1936) S. 207 ff. H . E h m e r , Die sächsischen Siedelungen auf dem französischen Litus Saxonicum (19 3 7 ); hiernach ist das französische Litus Sax. bei Boulogne frühe­ stens erst in der 2. Hälfte des 6. Jahrh.,und zwar von britischen Angelsachsen aus K en t, nicht von Sachsen besiedelt worden. Die Ortsnamen auf tum , ham u. a. diesseits und jenseits des Kanals führt auch P e t r i , Germ. Volkserbe in Vallonien und Nordfrankreich II (1937) S. 880 ff. eher auf Angelsachsen als auf kontinentale Sachsen zurück (hier auch weitere Literatur).

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Unterwerfung durch die Franken erfahren wir ebenfalls nichts. Die Sachsen von Bayeux (Saxones Baiocassini), die König Chilperich gegen die Bretonen aufbot, erlitten 578 eine schwere Niederlage.1 Im Jahre 590 kämpften dieselben in der Haartracht der Bretonen mit diesen auf Veranlassung der Fredegunde gegen die Franken Guntramms.2 Vielleicht stammte von ihnen der in Neustrien zu Anfang des 7. Jahrhunderts ansässige Edle Aeghyna oder Aigyna genere Saxonorum, der 636/37 einen Teil des fränkischen Heeres gegen die Basken befehligte.3 Otlinga Saxonia heißt die Gegend bei Bayeux noch im 9. Jahrhundert in einer Urkunde Ludwigs des Frommen (M. G. Leg. V, Formulae no. 34: in pago Aulinge Saxonie), in zwei Ur­ kunden Karls des Kahlen vom 13. November 843 und 1. Mai 845 (in co­ mitatu Baiocasinse in pagello qui dicitur Otlinga Saxonia und in pago Otlinga Saxonia; Lot & Halphen, Le règne de Charles le Chauve I (1909) S. 87. 144), in dem Capitulare missorum Silvacense vom November 853 (M. G. Capitularia reg. Franc, edd. Boretius et Krause [1897] II 275) : Eirardus episc. (von Lisieux), Teodericus abba, Herloinus, Hardoinus missi in Aprincato (Avranches), Constantio (Coutances), Bagisino (Bayeux), Coriliso (Cherbourg), Otlingua Saxonia et Harduini, Oxmiso (Diöz. Séez) et in Lisuino; ferner in den Gesta Aldrici ed. Charles et Froger p. 77 (Autlingua Saxoniae).4 Die Spuren der alten sächsischen Niederlassungen findet man ferner in Ortsnamen auf -tun, -kan u. a. in den Küstengebieten zwischen Boulogne und Calais sowie auch weiter landeinwärts, wie be­ sonders im Departement Aisne.5 Gleichzeitig fand eine lebhafte Ausdehnung der Sachsen auch im Osten statt. Wohl bald nach dem Abzüge der Langobarden Ende des 3. oder An­ fang des 4. Jahrhunderts haben sie die im Lüneburgischen zurückgeblie­ benen Teile dieses Volkes, die Bardi, in sich aufgenommen. Daß es sich hierbei nicht um kriegerische Unterwerfung, sondern um einen friedlichen Anschluß handelte, lehren die Weitergeltung des Volksnamens bei den in der Heimat Zurückgebliebenen auch unter der sächsischer Herrschaft und bei den nach Britannien Ausgewanderten,6 sowie die in mancher Hinsicht fest­ zustellenden freundschaftlichen Beziehungen zwischen Langobarden und Sachsen.7 Im Zusammenhang damit werden auch die F o s e n , ein nur aus 1 Greg. V 26. 2 Greg. X 9. 3 Fredeg. IV 55. 78. 4 Vgl. Prentout a. O. S. 297 ff. Lot a. O. S. 21 ff. 5 Vgl. D e s M a r e z , Le problème de la colonisation franque et du régime agraire en Belgique (1926) S. 36 f. u. Karte. Gamillscheg, Romania Germania I I I 207 f. H . Ehmer a. O. Siehe auch S. 44 Fußnote 6. 6 Vgl. B r u c k n e r , Die Sprache der Langobarden (1895) S. 32 ff. 7 Vgl. L. Schmidt, Sachsen und Anhalt IV 351. Ganz unzutreffend M. Lintzel ebenda S. 361. Es stimmt hierzu, daß die Bardengauer unter Karl d. Gr. als selbständig handelnd auftraten, vgl. Lintzel, Sachsen und Anhalt V (1929) S. 7 f.

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Tacitus bekanntes Völkchen am Wiehengebirge, vgl. S. 127, zu den Sachsen gekommen sein. — In Nordalbingien scheinen die Sachsen ihr Gebiet über die ursprünglich etwa in der Linie Pinneberg-Hohwachter Bucht verlaufende Grenze weiter nach Südosten bis etwa zur Linie Hamburg-Travemünde erweitert zu haben.1 Das Fehlen des Standes der Laten bei den Nordalbingiern (s. weiter unten) zeigt aber, daß die Angliederung der (swebischen ?) Urbevölkerung dieser Gegend nicht durch kriegerische Eroberung erfolgte. Uber die von der Sage überlieferten Kämpfe zwischen den Angeln und dem wohl sächsischen Gauvolk der Myrgingen an der Eider im 4. Jahr­ hundert ist oben gehandelt worden. Die Nordalbingier erscheinen später in drei Abteilungen : Dithmarschen, Stormarn und Holsten. Die Stormarn, Sturmarii, stammten wohl aus dem pagus Sturmi an der Aller, dem lant ze Stürmen, Sturmlant der Kudrun, waren also binnenländische Chauken, die einen durch die Übersiedelung nach Britannien bzw. Nordfrankreich leer gewordenen holsteinischen Distrikt besetzt hatten. Daß die nordalbingischen Sachsen an der Besiedelung Englands einen nicht unwesent­ lichen Anteil gehabt haben, lehrt namentlich der dort dreimal vorkommende holsteinische Flußname Stör (Sture an der Grenze von Suffolk und Essex sowie in Kent, Stour Nebenfluß des Severn in Worcestershire). Ebenso haben sich in dem aus dem gleichen Grunde entvölkerten norddeutschen Küstengebiete von Westen her bis über die Weser Friesen angesiedelt. Im Jahre 531 haben sich Sachsen an der Zerstörung des thüringischen Reiches beteiligt und von diesem als Siegesbeute das Land zwischen Ohre, Elbe, Saale, Unstrut, Helme und Oker in Besitz genommen. An dieser allerdings nur von der sagenhaften sächsischen Überlieferung, nicht von einer wirklich historischen Quelle, insbesondere nicht von dem wichtigsten Gewährsmann Gregor von Tours berichteten Tatsache wird nicht zu zweifeln sein und es geht nicht an, hier eine reine Erfindung zu sehen, wie es nach dem Vorgänge Höfers jetzt wieder E. Schröder (Niedersächs. Jahrb. 10 [1933] S. 11) und Br. Krusch (Gött. Nachr. 1933 S. 408) getan haben. Vgl. dazu auch die eingehenden Erörterungen Lintzels, Sachsen und Anhalt III 17if. und R. Holtzmann ebenda S. 62. Es stimmt ja hierzu auch, daß das fragliche Gebiet zum größten Teile nachmals zum Geltungs­ bereiche der sächsischen Sprache und des sächsischen Rechtes gehört hat. Fraglich ist nur, unter welchen Bedingungen die Besitzergreifung erfolgt ist. Die thüringischen Sachsen waren nach Gregor IV 14, kombiniert mit Fredegar IV 74 und cont. 31, den Franken seit Theuderich (j* 534)1 2 tribut­ pflichtig (500 Kühe), standen also in einer Abhängigkeit vom Frankenreich, die als demütigend empfunden wurde. Ein solches Verhältnis ist aber un1 Tackenberg, Nachrichten aus Niedersachsens Urgesch. V III 27. 2 Vgl. Lintzel, Sachsen und Anhalt IV 13f.

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denkbar, wenn die Sachsen als Bundesgenossen der Franken in den Krieg gezogen waren.1 Ganz unzutreffend ist der Versuch Lintzels (Sachsen und Anhalt IV 14), aus diesem Dilemma einen Ausweg zu finden: ,,Die ältesten, sehr späten Quellen . . . vertreten ziemlich deutlich ( ?) die Auffassung, daß es sich bei jenem Bündnis nicht um eine Abmachung zwischen zwei ganz gleichberechtigten und selbständigen Partnern gehandelt hat, sondern daß Theuderich den Sachsen gegenüber eine gewisse Oberhoheit behauptete. Die Sachsen erscheinen gewissermaßen als seine Söldner und er teilt ihnen schließlich das Land zu. Es liegt danach die Annahme sehr nahe, daß die sächsische Tributpflicht auf diese Vorgänge zurückging: die in die Dienste der Franken getretenen Sachsen zahlten für die Wohnsitze, die sie von diesen erhielten, einen Zins.“ Ich vermag aus den Quellen (bes. Widukind) mit dem besten Willen nicht das herauszulesen: hier werden vielmehr die Sachsen socii Francorum et amici genannt. Der Umstand, daß der Tribut von den Sachsen als demütigend, als Freiheitsbeschränkung empfunden wurde, läßt den Schluß zu, daß er die Folge einer gewaltsamen Unter­ werfung gewesen ist. Die Vorgänge haben sich wohl in der Weise abge­ spielt, daß die Sachsen, nachdem ihnen aus der Kriegsbeute Nordthü­ ringen als unabhängiger Besitz zugefallen war, infolge weiterer Ansprüche mit den Franken in einen Streit verwickelt wurden, bei dem sie unter­ lagen. — Die einheimische Bevölkerung, die z. T. von den alten Cheruskern abstammte, wurde auch hier zu Hörigen gemacht.1 2 Daß die thüringischen Sachsen vornehmlich aus Nordalbingien stammten, hat man aus der Ver­ breitung einer sprachlichen Eigentümlichkeit, des sog. Zetazismus ge­ folgert, ob mit Recht, muß dahingestellt bleiben: richtiger ist wohl diese Erscheinung auf spätere Volksverschiebungen zurückzuführen.3 Und daß die Saxones Eucii in dem Briefe Theudeberts nichts mit den thüringischen Sachsen zu tun haben, glaube ich hinreichend gezeigt zu haben (s. oben). Der Tod des Frankenkönigs Theudebald (Ende 555) und die Regierungs­ übernahme im austrasischen Reiche durch Chlotachar I. gab den Sachsen Anlaß, sich zu erheben und von der lästigen Abhängigkeit zu befreien. 1 Vgl. H ö f e r , Zeitschr. f. thüring. Geschichte N . F. 17 (1907) S. 36. 2 A m deutlichsten Sachsenspiegel III 44, 3 : Do irer (der Sachsen) so vele nicht newas, dat sie den acker buwen mochten, do sie die Dorinschen herren slugen unde vordreven, do lieten sie die bure sitten ungeslagen unde bestadeden in den acker to also gedaneme rechte als in noch die late hebbet; daraf quamen die late. Widukind I 14: reliquias pulsae gentis tributis condempnaverunt. Nur im Sinne der im Texte gegebenen Darstellung kann auch Rudolf, Transi. Alex. (Krusch, Gotting. Nachrichten 1933 S. 4 2 3 f.) verstanden werden: Qui (die Sachsen) partem illius (Nordthüringens) et eam quam maxime quae respicit orientem colonis tradebant, singuli pro sorte sua sub tributo exercendam. Cetera vero loca ipsi possiderunt. A meridie quidem Francos habentes et partem Thuringorum . . . et alveo fluminis Unstrotae dirimuntur. 3 Vgl. H ist. Vierteljahrsschr. 14 (1911) S. 9. Lintzel, S. u. A . I I I 22f.

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Chlotachar zog noch im Winter auf 556 gegen sie zu Felde, wurde aber nach verlustreichem Kampfe geschlagen und genötigt, um Frieden zu bitten. Es ist also die völlige Selbständigkeit der Sachsen wiederhergestellt worden. Im Laufe des Jahres 556 brach der Krieg von neuem aus, und zwar aus folgendem Anlaß. Die Thüringer suchten die Niederlage der Franken auszunutzen und ebenfalls das fremde Joch abzuschütteln, wo­ bei sie durch die benachbarten Sachsen unterstützt wurden. Aber diesmal siegten die in Thüringen eingerückten Franken; das Ergebnis für die Sach­ sen war die Wiederherstellung der Tributpflicht (Fredeg. IV 74). Vielleicht sind damals auch Kolonisten aus anderen Teilen Deutschlands, besonders Friesen, im sog. Hassegau (richtig Hochseegau) (Frisonoveld heißt der westliche Teil dieses Gaues) von Chlotachar zum Schutze der Nordgrenze Thüringens angesiedelt worden.1 Die Hauptquellen für diese Vorgänge sind Marius Avent, chron. a. 555. 556 und Greg. Tur. hist. Franc. IV 10, 14. Gregor IV 10 stimmt fast wört­ lich mit Marius 556 überein, stammt also aus derselben schriftlichen Quelle. Greg. IV 14 bezieht sich auf die von Marius zu 555 berichteten Ereignisse und beruht auf mündlicher Überlieferung. Zweifellos verdient Marius den Vorrang, besonders in der Chronologie, wenn er auch sonst durch Ver­ schleierung der fränkischen Niederlage von der Wahrheit abgewichen ist. Die Lokalität der Kämpfe kann nur an der thüringisch-sächsischen Grenze gesucht werden. Nach Venant. Fort. carm. VI 1, 74 hat Chlotachar bei oder am Nablis über die Thüringer und ein anderes Volk, sehr wahrschein­ lich die Sachsen, gesiegt; aber was unter Nablis zu verstehen ist, ein Ort oder ein Fluß, bleibt unentschieden. Die Örtlichkeit der zweiten Schlacht verlegt der Lib. hist. Franc. 27, den sonst Greg. IV 10 ausschreibt, an die W e s e r ; aber diesem eigenen Zusatz der viel späteren Quelle ist keine maß­ gebende Bedeutung beizumessen. Nach einigen Forschern1 2 sollen auch die Erwähnungen von Sachsen­ kämpfen Chlotachars bei Greg. IV 16, 17 in jene Vorgänge einzureihen sein. Bei Greg. IV 16 am Ende heißt es, daß die Sachsen, vom Vorjahre her erzürnt, angeblich von Childebert gegen Chlotachar aufgestachelt, zu den Waffen gegriffen hätten und durch das fränkische Gebiet bis nach Deutz vorgedrungen seien. Versteht man unter diesen Sachsen die thürin­ gischen, so müßte die Aktion erst in das Jahr 557 fallen, da die erwähnte feindselige Stimmung ihren Grund nur in der 556 erlittenen Niederlage gehabt haben könnte. Es ist ferner wenig glaublich, daß die Ostsachsen 1 Greg. Tur. V 15: C h lo ta r iu s et Sygiberthus Suavos et a lia s g e n te s in loco illo posuerunt. Die Nordschwaben können erst unter Sigibert hereingekommen sein, vgl. unten. 2 Zuletzt Lintzel, Sachsen und Anhalt IV 10 ff.

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den weiten Weg durch Deutschland gemacht haben sollten, um das frän­ kische Gebiet am Rhein heimzusuchen. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um einen Vorstoß von Westsachsen. Ob diese beabsichtigten, damit ihren östlichen Stammesgenossen zu helfen, läßt sich nicht entscheiden; das Motiv der Feindschaft kann auch anderswo gelegen haben, da die Sachsen im Westen damals noch im ständigen Vordringen begriffen waren. Erst nach schweren Kämpfen — es konnte das Gerücht entstehen, daß C.hlotachar hierbei den Tod gefunden — dürfte es den Franken gelungen sein, den Einfall zurückzuweisen. Doch scheint bald nach Chlotachars Tode (561) unter dessen Sohn und Nachfolger Sigibert wieder ein Aufstand der Ostsachsen vorgekommen zu sein, wenn Andeutungen in den Gedichten des Venantius Fort. VI l a, 10. 11: Saxone Thoringo resonat sua damna moventes unius ad laudem tot cecidisse viros und V II 16, 47 : tristis Saxonia cantat, hierauf zu beziehen sind. Unter diesen Umständen kam ihnen eine Aufforderung des Lango­ bardenkönigs Alboin, an der Eroberung Italiens teilzunehmen, sehr ge­ legen. Es waren vor allem die Bewohner des späteren Schwabengaues (Suevon, um Aschersleben und Ballenstedt), die mit Weib und Kind, den Viehherden und allem Hausrat unter Zustimmung Sigiberts nach dem lockenden Süden abzogen.1 Den Weg, den sie einschlugen, kennen wir ebensowenig wie den Ort, wo sie sich mit ihren Bundesgenossen ver­ einigten. Allerdings war die Freundschaft mit den Langobarden nicht von langer Dauer. Wie schon oben ausgeführt wurde (Bd. I 2 596), wollten sich die Sachsen den auf Durchführung einer strafferen Organisation des langobardischen Staates gerichteten Bestrebungen nicht fügen. Im Jahre 572 fielen sie, zunächst ihre Familien und den Troß zurücklassend, über den Mont Genèvre in Gallien ein, wurden aber von Mummolus in der Gegend von Riez unvermutet überfallen und geschlagen. Am Tage nach der Schlacht kam es zum Abschluß eines Vertrags: die Sachsen gaben die Beute und Gefangenen zurück und leisteten einen Schwur, daß sie wieder­ kommen wollten, um sich den Franken zu unterwerfen und ihnen Beistand zu leisten. Im folgenden Jahre erschienen sie auch wieder mit Sack und*1 0 1 Vgl. hierzu die Ausführungen Bd. I 2 585. W enn in dem unkontrollierbaren, auf münd­ licher Überlieferung beruhenden Zusatz Fredegars III 68 zu Gregor: Saxones quos Theudebertus in Aetalia miserat, ein geschichtlicher Kern steckt, so kann nur eine Verwechs­ lung oder Verschreibung von Theudebert für Sigibert vorliegen. Es wäre denkbar, daß unter den reichsangehörigen, nicht-fränkischen Völkern, die Theudebert 538/39 nach Italien schickte, auch Sachsen gewesen sind. Aber ihre Zahl könnte nicht bedeutend ge­ wesen sein, da Prokop nichts davon sagt; und daß sich eine Erinnerung daran noch über 100 Jahre erhalten haben sollte, ist ganz unglaubhaft. W enn Lintzel es für unwahrschein­ lich hält, daß Sachsen aus Thüringen zu den Langobarden gestoßen seien, so übersieht er, daß die Beteiligung von Thüringern direkt bezeugt ist (Bd. I 2 579).

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Pack in zwei Abteilungen auf dem Wege über Nizza und über Embrun in Gallien und vereinigten sich bei Avignon.1 Sie konnten hier der Versu­ chung nicht widerstehen, die auf den Feldern stehende Ernte zu plündern; als sie hierauf die Rhone überschreiten wollten, um in Sigiberts Reich zu gelangen, wurde ihnen der Weiterzug von Mummolus verwehrt und nur nach Zahlung einer ansehnlichen Entschädigungssumme gestattet. In ihrer früheren Heimat wieder angelangt, fanden sie aber den Grund und Boden besetzt von den Nordschwaben, einem Reste der alten Semnonen, den Sigibert 568 dort angesiedelt hatte. Die Schwaben, von der Überzahl der Sachsen eingeschüchtert, erklärten sich bereit, mit diesen das Land zu teilen; aber die Sachsen weigerten sich, darauf einzugehen, obwohl ihnen zuerst die Hälfte, dann sogar zwei Drittel der Äcker und des Viehs angeboten wurden, und rüsteten zum Kriege, nachdem sie schon im voraus die Weiber der Schwaben unter sich verteilt hatten. Es kam zu einem Zusam­ menstöße, in dem 6000 Schwaben über 26000 Sachsen einen glänzenden Sieg erfochten; von den Schwaben fielen nur 480, während von den Sachsen 20000 getötet wurden. Aber die Sachsen wollten sich trotzdem nicht fügen und schwuren, sich Haare und Bart nicht scheren zu wollen, bis ihnen Genugtuung geworden. Es kam zu einer neuen Schlacht, die wiederum mit einer Niederlage der Sachsen endete; ,,et sic a bello cessatum est“ . Die Gegner scheinen schließlich doch zu einer gütlichen Einigung gelangt zu sein. Die Sachsen nahmen jedenfalls einen Teil ihres früheren Gebietes in Besitz und übernahmen wieder die den thüringischen Stammesgenossen obliegende Tributpflicht gegen die Franken. Die Nordschwaben werden dagegen gleich ihren Nachbarn, den Hassegauern, unter unmittelbare frän­ kische Herrschaft getreten sein.1 2 1 Einzelne Scharen sind aber in Italien verblieben. Hierauf weist ein Ortsname Sassinoro = Saxonorum curtis in Benevent. Personennamen wie Saxo, Saxa, Saxulus sind mehrfach in Italien nachgewiesen, vgl. Bruckner, Die Sprache der Langobarden S. 5. Gamillscheg, Romania Germ. II (1935) S. 287. — Nach W ilh . M e y e r , Abh. d. Gött. Ges. d. W iss. Phil.-hist. K l. N . F. 4, 5 S. 90 ff. waren die Venant. Fort. V I I 20. 21, app. 4 erwähnten Sigismund und Alagislus Sachsen, von denen der letztere 568 mit nach Italien zog und 572 zurückkehrte. 2 Einzige in Betracht kommende Quelle für die Wanderung der Sachsen ist Gregor IV 4 2 ; V 15 (daraus Paul. Diac. hist. Lang. II I 5 -7 , der das Motiv des Auszuges aus Italien hinzufügt, vgl. Bd. I 2 596, 2, Fredeg. I I I 68 mit dem schon besprochenen selbständigen Zusatz; aus Greg, und Fredeg. m it willkürlichen wertlosen Auschmückungen Aimoin I II 7). Die im Text wiedergegebene Darstellung Gregors leidet an mancherlei Unklarheiten, Unwahrscheinlichkeiten und ist offenbar auch von der Sage beeinflußt. V gl. Hartmann, Gesch. Italiens II 80. Lintzel, S. u. A . IV 18. Lintzel vermutet, daß die Sachsen von M um­ molus, dem Feldherrn des m it Sigibert verbündeten Königs Guntram, gegen Chilperich verpflichtet worden seien. Ganz unglaubhaft sind die mitgeteilten Zahlen. Die Angabe, daß die Sachsen fast vernichtet worden seien, ist eine der so oft zu beobachtenden Über­ treibungen der gegnerischen Quellen.

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Das erwähnte Vordringen nach dem Rhein bei Köln legt den Schluß nahe, daß die Sachsen im 6. Jahrhundert ihre historische Grenze im süd­ lichen Westfalen erreicht hatten; es ist also damals auch der Gau Hatterun um Herbede an der mittleren Ruhr, wo ein Teil der Chattuarier zurück­ geblieben war, unter ihre Herrschaft gekommen. Demgemäß heißt es bei dem Ravennatischen Kosmographen VI 17, der den Marcomir als Quelle anführt (Anfang des 7. Jahrh. ?), daß u. a. die Flüsse Lamizon, Ipada, Lippa, Linac, d. i. Ems ( ?), Pader, Lippe, Leine auf sächsischem Gebiete liefen. Dagegen hahen die Chamaven vielleicht damals ihr ursprüngliches Gebiet, das Hamaland, im Kampfe mit den Sachsen weiter nordwärts ausgedehnt, da Drenthe später zum Geltungsbereich des chamavischen Rechtes gehört zu haben scheint (die Sprache ist hier überwiegend sächsisch, der Hausbau gemischt). Die Boruktuarier, die Bewohner der Landschaft Borahtra südlich der mittleren Lippe, haben sich zunächst noch von der Vereinigung mit den Sachsen ferngehalten. Erst zu Ende des 7. oder An­ fang des 8. Jahrhunderts, als Suidbert ( f 713) begann, ihnen das Christen­ tum zu predigen, wurden sie von den Sachsen, die in der Ausbreitung des neuen Glaubens an ihren Grenzen eine politische Gefahr erblickten, mit Waffengewalt unterworfen und die unter ihnen befindlichen Christen vertrieben.1 Auch von den nordalbingischen Sachsen ist in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts, wenn auch nur in dürftigen Andeutungen, die Rede. Denn nur auf von diesen ausgegangene Raubzüge gegen das fränkische Gebiet können sich wegen der gleichzeitigen Erwähnung der Dänen1 2 zwei Stellen des Dichters Venantius Fortunatus beziehen. Derselbe ge­ denkt carm. I X 1, 73 f. eines von Chlotachar I. unter Mitwirkung seines Sohnes Chilperich zurückgeschlagenen Angriffes von Dänen, Euten und Sachsen; ferner feiert er V II 7, 50 ff. den fränkischen dux Lupus, der zur Zeit des Königs Sigibert (561-75) die Sachsen und Dänen am Flusse Bordaa schlug und bis zum Flusse Laugona verfolgte, wo sie den Untergang fanden. Der Fluß Bordaa (Bordena) ist eine später zugedeichte Strömung, die zwischen den friesischen Gauen Westergo und Ostergo zur Nordsee führte und in sie nördlich von Leeuwarden bei der Insel Amerland mündete ; die Laugona kann also nicht die Lahn sein, wie im Register zur Monumentenausgabe des Venantius zu lesen ist, sondern nur der Laubach (Lagbeki 1 Beda H ist. eccl. V 11. Die Boructuarier (über die verschiedenen Namensformen siehe E s c h b a c h , Beiträge zur Geschichte des Niederrheins 17 (1902) S. 12 N . 1), sind nicht identisch mit den Brukterern, die schon früher das Ubierland besetzt hatten. Welcher A b ­ kunft sie waren, läßt sich nicht feststellen. 2 Das wird von Lintzel, Sachsen und Anhalt IV 12 ohne Grund bestritten. Die Ver­ bindung der Sachsen m it den Dänen scheint die Annahme veranlaßt zu haben, daß die Sachsen von den Dänen ahstammten, vgl. Anon. R av. IV 17. W iduk. I 2.

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bei Liudg. vita Gregorii c. 5, M. G. SS. X V 71), eine Strömung zwischen den späteren holländischen Provinzen Friesland und Groningen.1 Diese Gegend muß also damals unter fränkischer Herrschaft gestanden haben. Von einem 622/23 anzusetzenden Kriege Chlotachars II. und seines Sohnes Dagobert gegen die von Bertoald geführten aufständischen Sachsen bringt der Lib. hist. Franc, c. 41 eine ausführliche Erzählung, die aber den Stempel der Unglaubwürdigkeit trägt und auch durch andere zuverlässige Berichte keine Bestätigung findet. Den geschichtlichen Hintergrund der­ selben bilden Ereignisse des Jahres 603,1 2 die Kämpfe Theuderichs II. und dessen Hausmeiers Bertoald mit Chlotachar.3 Die Darstellung des Lib. hist. Franc, war die Quelle für die Gesta Dagoberti, aus denen wiederum Aimoin und Spätere schöpften, sowie zum Teil auch für die Biographie des Bischofs Faro von Meaux, die Hildegar 869 geschrieben hat (c. 71 ff.).4 Die in dieser hinzugesetzte Erzählung von einer sächsischen Gesandtschaft an Chlo­ tachar, die Faro zum Christentum bekehrte, ist ebenso wie das daselbst mitgeteilte Bruchstück eines angeblichen, jenen Stoff behandelnden alten Volksliedes nach Kruschs5 überzeugender Beweisführung freie Erfindung Hildegars. Von den Ostsachsen hören wir etwas Sicheres erst wieder aus dem Anfang des 7. Jahrhunderts. Im Jahre 612 kämpften „Sachsen, Thüringer und andere rechtsrheinische Völker“ im Heere König Theude­ berts II. gegen Theuderich II. bei Zülpich (Fredeg. IV 38) ; es handelte sich hier um angeworbene Söldner. Im Jahre 632/33 war ein Heer der Wenden unter Samo verheerend in Thüringen eingebrochen; als König Dagobert dorthin aufbrach und sich in Mainz befand, erschienen vor ihm Gesandte der thüringischen Sachsen und versprachen, die bedrohte Grenzmark zu verteidigen, wenn ihnen der schon erwähnte Tribut von 500 Kühen er­ lassen würde. Der König erklärte dazu sein Einverständnis, und die säch­ sischen Gesandten „legten nun pro universis Saxonibus ihren Schwur ab, indem sie nach heimischer Sitte an die Waffen schlugen“ . Obwohl die Sachsen wenig gegen die Wenden ausrichteten, blieb ihnen jene Abgabe auf Dagoberts Befehl weiterhin erlassen (Fredeg. IV 74). Daß die Gesand­ ten Vertreter des gesamten Sachsenvolkes zwischen der fränkischen und slawischen Grenze gewesen seien, folgt aus unserer Quelle keineswegs; es ist hier nur gesagt, daß sie den Vertrag für das Volk, von dem sie ab1 Vgl. V . R i c h t h o f e n , Untersuchungen zur fries. Rechtsgeschichte II 1 (1882) S. 100. 102. Bordine bei Fredeg. cont. 17, Bordne bei W illibald, vita Bonifacii ed. Levison S. 49 u. a. 2 Fred. IV 2 4 -2 6 . 3 S u c h ie r in der Zeitschrift für roman. Philologie 18 (1894) S. 189ff. 4 ed. Krusch, M. G. SS. rer. Merov. V (1910) S. 184ff. i Ebenda S. 173. Hier ist auch die übrige Literatur verzeichnet.

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geschickt waren, beschworen.1 Mit der Aufhebung der Tributpflichtigkeit war die Anerkennung der völligen Unabhängigkeit der sächsischen Herr­ schaft über das Land nördlich der Unstrut (mit Ausschluß des von den Nordschwaben, Friesen und Hassegauern besetzten Gebietes) ausgespro­ chen. Die nach dem Tode des Majordomus Pippin (16. Dezember 714) im Frankenreiche ausgebrochenen Wirren1 2 benutzten sowohl die Friesen wie die westlichen Sachsen zu feindlichen Unternehmungen gegen Austrasien. Zum Jahre 715 melden die fränkischen Annalen3 einen Einbruch der Sachsen in terram Chattuariorum. Es ist gemeint das Land an der unter­ sten Ruhr, das auf der rechten Rheinseite allein noch den Chattuariern gehörte; denn von einem Rheinübergang der Sachsen steht in den Quellen kein W ort.45Zur Vergeltung suchte Karl Marteil im Jahre 718 die Sachsen in ihrem eigenen Lande heim und drang verheerend bis zur Weser vor.6 Aber schon 720 sah sich Karl zu einer neuen Expedition genötigt, die den arg heimgesuchten fränkischen Grenzlanden endlich für längere Zeit Ruhe und Frieden brachte; denn wir hören, daß Karl zwar 729 einen Angriffskrieg gegen die Sachsen plante, denselben aber erst 738 zur Ausführung brachte.6 In diesem Jahre ging Karl bei der Lippemündung über den Rhein, ver­ wüstete das Land, machte „e in e n T e il des V o lk e s “ tributpflichtig und ließ sich Geiseln stellen.7 Die Bezeichnung der Sachsen als paganissimi bei Fredegar läßt vermuten, daß diese damals weniger aus Plünderungs­ sucht als aus religiösen Motiven zu den Waffen gegriffen hatten. Von den östlichen Sachsen dringt zu uns aus jener Zeit nur unsichere Kunde. Ein Teil der Thüringer, d. h. wahrscheinlich die Nordschwaben, Friesen und Hassegauer, ist um 700 infolge des gewalttätigen Regiments der Herzoge Theotbald und Heden II. von den Franken ab gefallen und hat sich unter die Herrschaft der benachbarten Sachsen gestellt;8 im Jahre 743 werden die Hassegauer, 748 die Nordschwaben zu den Sachsen gerechnet.9 Als Bonifatius seine Missionstätigkeit in Hessen begann, fand er das Land infolge der fortdauernden Einfälle der heidnischen Sachsen 1 Richtig auch Lintzel, Sachsen und Anhalt IV 20 f. 2 Vgl. M ü h lb a c h e r , Deutsche Geschichte unter den Karolingern (1896) S. 37. 3 Annales S. Amandi, Tiliani, Petaviani M. G. SS. I 6 . 4 Vgl. Eschbach a. O. S. 12 f. 15. 5 Vgl. die Quellen bei B r e y s i g , Karl Martell (1869) S. 29. e Vgl. die Quellen bei Breysig a. O. S. 35. M ü h lb a c h e r , Regesten d. Karolinger I 2 S. 13, 16. 18. A u f den Krieg von 720 dürfte auch Fredeg. cont. 11 (zu 724) zu beziehen sein (rebellare bedeutet hier wie c. 19 nur: den Krieg erneuern). 7 Breysig S. 8 6 . 8 W ilibald vita Bonifacii ed. Levison S. 32. 9 Annales regni Francorum a. 743. Annal. Mett. a. 748. Vgl. Lintzel, Sachsen und A n ­

halt IV 19.

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in einem trostlosen Zustande, die Bevölkerung dem Hungertode nahe.1 Ob der Feldzug, den Karl Marteil nach çlen Annalen im Jahre 722 ,,gegen Norden“ unternahm,1 2 der Bekämpfung dieses Unwesens diente und ob derselbe überhaupt irgendwelchen Erfolg hatte, ist nicht überliefert. Im Jahre 743 standen die Sachsen im Bündnis mit dem aufständischen Baiernherzog Odilo;3 nachdem dieser am Lech geschlagen worden war, zog Karl­ mann auch gegen die Sachsen zu Felde, deren Führer Theoderich und die Feste Hoohseoburg (Hochseeburg zwischen Halle und Eisleben) um den sogenannten Hassegau sich freiwillig unterwarfen.4 Auf dieser Expedition soll der Bischof Gewilip von Mainz das fränkische Heer begleitet und den Sachsen, der seinen Vater ermordet, inmitten der Weser getötet haben; doch ist diese Erzählung in das Reich der Fabel zu verweisen, da sie nur von einer späten, wenig zuverlässigen Quelle, der vita IV. Bonifatii auctore Moguntino (ed. Levison S. 91),5 gebracht wird und auch sonst den Stempel der Unglaubwürdigkeit trägt (das fränkische Heer ist wahrscheinlich da­ mals gar nicht zur Weser gekommen).6 Aber schon im folgenden Jahre mußte Karlmann die Heerfahrt wiederholen, da Theoderich aus der Ge­ fangenschaft entkommen war und Unruhen anzustiften suchte; nachdem dieser von neuem festgenommen worden war, ergaben sich viele „Grenz­ bewohner“ ohne Widerstand und empfingen zum Teil die Taufe7 (744). Von größerer Bedeutung war der Zug Pippins des Jüngeren im Jahre 748. Der Friedensstörer war diesmal der Sohn Karl Martells von dessen zweiter Gemahlin Swanahild, Grifo, der nach der Abdankung Karlmanns aus dem Gefängnis entlassen, sich sofort zu den Sachsen begab und diese für seine Herrschaftsansprüche zu gewinnen suchte. Mit einem ansehnlichen Heere, das durch den Zuzug der von den Sachsen abgefallenen Friesen (aus dem Friesenfeld) und linkselbischen ( ?) Wenden sich noch erheblich verstärkte, marschierte Pippin von Thüringen aus nordwärts, das Land verheerend, bis Schöningen, südlich von Helmstedt, wo er ein Lager bezog, während die Sachsen auf das rechte Ufer der Oker zurückgingen und sich dort bei Ohrum verschanzten. Zu einer entscheidenden Schlacht kam es jedoch nicht. Die Parteien verständigten sich miteinander; die Sachsen gaben den 1 Vgl. die Schilderung bei Liudg. vita Gregor, c. 2 (SS. X V 71). 2 Breysig S. 44. Mühlbacher, Regesten d. Karolinger I 2 14. 3 Annal. M ett. 743. 4 Besonders Annales regni Franc. 743, vgl. sonst Mühlbacher, Reg. S. 23. Holtzmann,

Sachsen und Anhalt I I I 47 ff. 6 Daraus Otlohus, vita Bonif. c. 41 (ed Levison) S. 155. 6 Hauck, Kirchengesch. I 3 411, 5 59f. bemüht sich vergeblich, die Erzählung als ge­

schichtlich zu erweisen. Dafür H o f m e i s t e r , Histor. Zeitschrift 118 (1917) S. 207, 2. 7 Vgl. bes. Ann. regni Franc. 744 und Fredeg. cont. 27. Die übrigen Quellen bei Mühl­ bacher, Reg. S. 24. H a h n , Jahrb. d. frank. Reichs 7 41-52 (1863) S. 64f.

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Grifo preis, der nach Baiern flüchtete, und übernahmen die Verpflichtung, den früher gezahlten Tribut wieder zu entrichten. In einem besonderen Vertrag unterwarfen sich die Nordschwaben und nahmen das Christentum an; doch galten sie auch weiterhin als eine Unterabteilung der Sachsen.1 Eines um 752 anzusetzenden Einfalles der Sachsen in Thüringen oder Hessen, wo mehr als 30 Kirchen zerstört wurden, gedenkt Bonifatius in einem 753 geschriebenen Briefe an den Papst (M. G. Epp. Merov. I, n. 108 S. 394).1 2 Zu derselben Zeit brachen auch jene westlichen Gaue, die 738 zur Geisel­ stellung und Tributzahlung verpflichtet worden waren, den Frieden. Im Jahre 753 ging Pippin mit einem starken Heere über den Rhein, schlug die Feinde bei Iburg in der Nähe von Osnabrück (hier fand der Bischof Hildegar von Köln, der den König begleitete, den Tod) und drang unter den üblichen Verwüstungen des Landes bis Rehme bei Minden an der Weser vor, worauf die Sachsen sich demütig unterwarfen, versprachen, christ­ liche Missionare bei sich aufzunehmen und noch mehr Abgaben als bisher zu entrichten.3 Auch diesmal wirkte die Lektion nicht für längere Zeit. Schon 758 mußte Pippin die Heerfahrt wiederholen; nachdem die frän­ kischen Truppen eine zur Sperrung der Lippestraße angelegte Kette von Befestigungen bei Sythen, südwestlich von Dülmen, durchbrochen hatten, kam es zum Abschlüsse eines Vertrages, in dem die Sachsen sich verpflich­ teten, jährlich 300 Pferde dem König auf der Reichsversammlung dar­ zubringen und auch sonst „alle Forderungen Pippins“ zu erfüllen.4 1 Von den Quellen kommen in erster Linie in Betracht die Annales regni Franc, a. 747, Einhardi 747, Lauriss, minores (III 8 . Neues Archiv 36, 27), ferner Fredeg. cont. 13 und die Annal. Mettenses a. 748. Die beiden letztgenannten zeigen tendenziöse Färbung zu­ ungunsten der Sachsen; sehr m it Vorsicht zu benutzen ist namentlich der ausführlich ge­ haltene Bericht der Ann. Mett, wegen der starken Übertreibungen (die Wenden stellen 100000 M ann!) und Ausschmückungen (dahin gehört die Erzählung von der Flucht der Sachsen aus ihrer Stellung bei Ohrum und von dem Verwüstungszuge Pippins durch ,,fast ganz Sachsen“ ). Aus der letzterwähnten Angabe ist also keineswegs der Schluß zu ziehen, daß der Krieg gegen das g a n z e Sachsenvolk geführt worden sei. Vgl. Lintzel, Sachsen und Anhalt IV 2 1 ; V 7. — Daß die Nordschwaben damals das Christentum annahmen, wie die Mett, angeben, dürfte wohl richtig sein; darauf ist wohl Fredegars A n ­ gabe, daß die Mehrzahl der S a c h s e n sich habe taufen lassen, zu beziehen. — Über die Chronologie (748 ist das richtige Jahr) Mühlbacher, Regesten I 30. 2 Vgl. Hauck, Kirchengesch. I 3 586, der aber irrig den Feldzug Pippins 753 als Rache­ zug wegen der Zerstörung der Kirchen auffaßt, da der Einfall in Thüringen oder Hessen nicht von den Gauen ausgegangen sein kann, die der König damals heimsuchte. 3 Fredeg. cont. 35 (wo fälschlich auf den Zug von 748 hingewiesen ist). Ann. regni Franc. 753. Ann. Einh. 753. Ann. Mett. 753. Vgl. O e ls n e r , Jahrbücher d. frank. Reichs unter K . Pippin (1871) S. 76. Mühlbacher, Regesten I 35. Lintzel, Sachsen und Anhalt IV 25 ff. 4 Ann. regni Franc. 758. Einh. 578. Mett. 758. Lauriss. min. II I 22. Vgl. Oelsner S. 322. Mühlbacher, Reg. I 45. Unklar ist der Ausdruck der Ann. regni Franc., daß die Sachsen polliciti sunt contra Pippinum omnes voluntates eius faciendum.

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Immer nur einzelne Teile des Sachsenvolkes hatten die Franken be­ zwungen und trotz aller äußeren Erfolge von diesen doch nur das unsichere Versprechen erreicht, sich weiterer Angriffe enthalten zu wollen und einen Tribut zu entrichten. Den trotzigen Stamm in seiner Gesamtheit nieder­ zuwerfen und einem dauernden Frieden und höherer Kultur zuzuführen, sollte erst Karl dem Großen gelingen. II Das sächsische Volk wird in den Quellen gens, populus, plebs omnis oder bloß Saxones genannt; das ganze Gebiet oder größere Teile desselben heißen regio, fines, terra, provincia; die Bezeichnung Saxonia erscheint bei dem Briten Agricola (5. Jahrhundert, zitiert bei Hauck, Kirchen­ geschichte I 1 2 107) und heim Ravennatischen Kosmographen.1 Eine genaue Abgrenzung des sächsischen Herrschaftsgebietes zu geben ist bei dem Mangel an ausreichenden Zeugnissen nicht möglich. Die später ersichtlichen Gren­ zen der sächsischen Sprache2 und der sächsischen Haustypen3 decken sich keineswegs überall mit den politischen, sind also für sich allein zur Ermitte­ lung dieser nicht verwendbar.4 Auch die neuerdings durch Ausgrabungen festgestellte, dem römischen Limes vergleichbare „Landwehr“ gegen Hessen und Thüringen ist zum Teil späteren Ursprungs und fällt zwar in vielen, aber durchaus nicht in allen Punkten mit der alten Grenzlinie zusammen.5 Wie Einhard vita Karoli 7 sagt, lag die sächsisch-fränkische Grenze fast überall in der Ebene mit Ausnahme weniger Stellen, wo größere Waldungen oder dazwischen liegende Bergrücken eine natürliche Grenz­ scheide bildeten, ein Übelstand, der in fortwährenden Übergriffen seinen Ausdruck fand. Die Westgrenze blieb von der Yssel und vom Rhein in einer größeren Entfernung: der untere Lauf von Lippe, Ruhr und Sieg gehörte zum fränkischen Ripuarien. Die Süd grenze lief von der oberen Sieg nach der Eder und weiter bis zur Vereinigung der Werra und Fulda, überschritt die Leine bei Friedland, ging von da in nordöstlicher Richtung nach Sachsa und Botfeld bei Elbingerode, um dann wieder eine südliche 1 Vgl. die Belege bei K e n t z l e r , Zeitschrift d. hist. Ver. f. Niedersachsen 1870 S. 173, Ferner Beda V 10 (gens, provincia), Greg. Tur. IV 16 (regio), Papst Gregor I I I . (Bonifat. ep. 2 1 ) (provincia). 2 G a l l é e , Altsächsische Grammatik 2 (1910) S. 2. Vgl. Anneliese B r e t s c h n e id e r , Die Heliandheimat, Deutsche Dialektgeographie 30 (1934) S. 160ff. 3 Hauptwerk: P e ß l e r , Das altsächsische Bauernhaus (1906). D e r s e lb e , Der niedersächsische Kulturkreis (1925), Schroller, 5000 Jahre niedersächsiche Stammeskunde

S . 152 ff. * Vgl. E. Schröder, Niedersächs. Jahrbuch 10, 20 f. 3 O p p e r m a n n u. S c h u c h h a r d t , Atlas vorgeschichtlicher Befestigungen in Nieder­ sachsen (1887 ff.) H. I I I , IV (Übersichtskarte).

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Richtung einzuschlagen und über Wallhausen bei Sangerhausen die Un­ strut bei Artern zu erreichen.1 Daß die Sachsen in politischer und kultureller Hinsicht eine Einheit gebildet haben, läßt sich nicht in Abrede stellen; die ältere Ansicht, die in ihnen ein Konglomerat von selbständigen, nur zeitweise auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarungen zusammengeschlossenen Einzelstaaten er­ blickte, kann nicht mehr aufrecht erhalten werden. Diese Einheitlichkeit des Stammescharakters beruhte nicht auf der gewaltsamen Einigung ver­ schiedener Völker durch ein Herrenvolk, sondern im wesentlichen auf dem zahlenmäßigen Übergewicht, das die Hauptträger des Stammes, die Chau­ ken, nebst den übrigen ihnen vertragsmäßig angeschlossenen Völker ingwäonischer Abkunft im staatlichen Verbände besaßen. Zu den letzteren gehörten vor allem die holsteinischen Sachsen, sodann die wenigstens ingwäonisch stark beeinflußten Barden, während die sonst noch in der Hauptsache in Betracht kommenden Angrivarier und Cherusker zwar anderer (istwäonischer ?) Abkunft waren, aber im Recht als Hörige den Siegern zu folgen hatten. Am längsten hat es gedauert, bis es auch in der Sprache zu einem Ausgleich ursprünglich etwa vorhandener, ethnisch be­ dingter Verschiedenheiten gekommen ist. Doch sind in dieser Hinsicht die Verhältnisse noch ungeklärt und umstritten. Es wird neuestens wieder von Germanisten die Ansicht vertreten, daß im ganzen sächsischen Gebiete anfänglich nur ein e Mundart, ein reines Westgermanisch, gesprochen worden ist, und daß die jetzt feststellbaren sprachlichen Unterschiede das Ergebnis einer späteren Entwicklung sind.1 2 Unterabteilungen des Stammesstaates waren die Gaue und Provinzen.3 Der Umfang der einzelnen Gaue war sehr verschieden; Beziehungen zu 1 V gl. im allgemeinen W a itz, Verf.-G esch. V 2 184ff. 2 Vgl. u. a. Edw. Schröder a. O. Ludw. W o l f f , Zeitschrift für deutsch. Altertum 71 (1934) S. 153. Anneliese Bretschneider a. O. 3 Unsere Quellen für die Kenntnis der älteren sächsischen Verfassung sind, von kleineren zerstreuten Notizen abgesehen, Beda, hist. eccl. V 10 (7. Jahrh.); die vita Lebuini antiqua c. 4, verf. zwischen 8 8 2 -9 3 0 auf Grund einer älteren, um 800 geschriebenen angelsächsi­ schen Quelle, bearbeitet im 10. Jahrhundert von H ucbald; R udolf v . Fulda, Translatio Alexandri (um 863); Nithard, H ist. IV 2 (8 4 3 ); Poeta Saxo, Annales v. 24 ff. (Ende 9. J ah rh .); W idukind v. Corvey I 14 ( 1 0 . Jahrh.); die Capitulatio de partibus Saxoniae (um 7 8 5); das Capitulare Saxonicum (28. Oktober 79 7 ); die 802/3 promulgierte Lex Saxonum, deren ersten beiden Abschnitte c. 1 -2 0 und 2 1 -3 8 jedoch wohl schon in der Zeit 7 8 0 -8 2 ent­ standen sind, vgl. v. S c h w e r in , Zeitschrift der Savignystift. 33 (1912) S. 447. Schröder, R . G. I e 273. Während das erste Gesetz schroff das Recht des Siegers zum Ausdruck bringt, nim m t das zweite mehr auf die heimischen Verhältnisse Rücksicht, vgl. L. S c h m i d t , Gelbe Hefte 12 (1936) S. 550. W ichtige Aufschlüsse sind ferner aus der altsächsischen Biheldichtung, dem Heliand, zu gewinnen. Vgl. V i l m a r , Deutsche Altertümer im H e­ liand (1845). L a g e n p u s c h , Das germanische Recht im Heliand (1894). Dieses W erk, das die Geschichte Christi im Lichte altsächsischer, nur teilweise durch fränkische Neuord-

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den späteren fränkischen Grafschaften waren nur in seltenen Fällen vor­ handen. „E s kam zwar vor, daß eine Grafschaft in mehrere Gaue zerfiel. Aber trotzdem läßt sich auch nicht sagen, daß die Gaue Unterabteilungen der Grafschaften waren ; mitunter faßte auch ein pagus mehrere Comitate zusammen. Und manchmal zeigt sich, daß keines der beiden Gebilde sich dem andern irgendwie subsumieren läßt; ihre Grenzen überschnitten sich“ (Lintzel). An der Spitze des Gaues stand ein Fürst (s a tr a p a : Beda, Vita Leb. ant.; d u x : Poeta Saxo; p r i n c e p s : Hucbald; f u r i s t o , h e r i t o g o : Heliand).1 Der sächsische Gaufürst entspricht genau dem taciteischen princeps: er war Heerführer, hatte den Vorsitz in der Volksversammlung und im Gericht,*1 2 versah priesterliche Funktionen.3 Und auch nach der fränkischen Eroberung haben sich die altsächsischen Gaue mit ihren an­ gestammten Vorständen als Verwaltungs- und Gerichtsbezirke im allgemei­ nen erhalten,45jedoch nicht in der Weise, daß der sächsische Gau der frän­ kischen Hundertschaft entsprochen hätte, wie E. Mayer und R. Schröder annahmen. Der Ausdruck satrapa zeigt, daß der Gaufürst ein von einer übergeordneten Gewalt (der Volksversammlung) eingesetzter Beamter war,6 seine Befugnisse also nicht erblich besaß (daher praepositi nach Beda, constituti nach Vita Leb.); er wurde jedenfalls aus dem herrschenden Stande, den Edelingen (s. weiter unten), gewählt. Wie in altgermanischer Zeit traten die einzelnen Gaue nicht selten politisch handelnd auf. Unter­ beamte der Fürsten waren der hunno, der Schultheiß ( ?) (s. unten) und der vilicus, Dorfvorsteher (wenn nicht grundherrlicher Beamter).6 Zwischen den Gauen und der Gesamtheit des Volkes standen nach Lintzel als eigene staatliche Organisationen die drei Provinzen (populi heim Poeta Saxo) Westfalen, Engern und Ostfalen (Nordalbingien gehörte zu Ostfalen). Es unterliegt keinem Zweifel, daß die diesen zugehörigen Stam­ mesteile mitunter eine selbständige außenpolitische Rolle gespielt haben ;7 wie das auch bei den einzelnen Gauen der Fall war. Aber die Behauptung, daß sie ihre eigene staatliche Verwaltung mit einem vielleicht jährlich nungen beeinflußter Zustände enthält, rührt von einem aus Ostfalen (Magdeburg ?) stam ­ menden Verfasser her und ist unter Ludwig d. Fr. entstanden, vgl. zuletzt A . Bretschneider a. O. m it weiterer Literatur. 1 Heritogo heißt der Fürst auch im Frieden; Lagenpusch S. 10. Von fränkischen Grafen ist im Heliand keine Spur. 2 Lagenpusch S. 10. 18. 3 Im Heliand ist der Priester Richter: Lagenpusch S. 4 3 f. 4 Vgl. Fr. P h i l i p p i , Hist. Zeitschr. 129 (1934) S. 218. 5 Die Gewalt des Pilatus stammt vom V olke: Lagenpusch S. 4 6 f. 6 Beda V 10, vgl. dazu W a itz, Verf.-Gesch. I 3 136. R . S c h r ö d e r , Zeitschr. d. Savignystift. 24 (1903) S. 355. Dopsch, Grundlagen P (1923) S. 299. 7 Vgl. besonders Annales regni Franc. 775. Einhardi 779. Lintzel, Sachsen und Anhalt V 14.

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gewählten princeps an der Spitze, eine eigene Volksversammlung, eine über der der Gaue stehende Gerichtsbarkeit sowie überhaupt das Recht der selbständigen Kriegführung und des Vertragsschlusses mit fremden Mächten gehabt, ja fast die Rolle von souveränen Staaten gespielt hätten, ist in diesem Umfange nicht zu beweisen und zu kompliziert, um als wahrscheinlich gelten zu können.1 Nach Widuk. v. Corvey I 74 stand je ein princeps an der Spitze der Provinzen, der das Recht hatte, das Heer aufzubieten, und die Verwaltung im Frieden besorgte. Aber der Wert dieser Stelle wird stark beeinträchtigt durch die weitere Angabe, daß der dux des Gesamtvolkes aus den drei Provinzialvorstehern gewählt worden sei, was durch Beda widerlegt wird. Die geschichtlich bezeugten Führer Theoderich 743 bei den thüringischen Sachsen, Hassi bei den Ostfalen, Brun bei den Engern 775 werden solche für die Gesamtheit bestellte duces gewesen sein, die aber nur die gerade im Kriege befindlichen Teile des Stammes ins Feld führten. Daß es sich nicht um dauerhafte Organisationen handelte, scheint mir auch aus der Bemerkung des Poeta Saxo, daß zu seiner Zeit nur noch die Namen übrig geblieben seien, gefolgert werden zu müssen. Am engsten war der Zusammenhalt unter den westfälischen Gauen, minder fest bei den Engern, am lockersten bei den Ostfalen.1 2 Die Unterschiede kamen zum Ausdruck in gewissen Eigentümlichkeiten in Recht, Sitte und wahrscheinlich auch in Sprache;3 das Familienrecht der Westfalen war von dem der Engern und Ostfalen verschieden.4 Die Grund­ lage ist in ethnischen Verhältnissen zu suchen: die Westfalen und Engern waren Chauken, die Ostfalen Nordalbingier und Barden. Der Schwerpunkt der politischen Gewalt lag bei den Sachsen von jeher bei der Volksversammlung. Es werden fast immer nur die Sachsen all­ gemein genannt, wenn von Kämpfen oder Friedensverhandlungen der­ selben mit anderen Mächten die Rede ist. Die Führer treten ganz in den Hintergrund; sie beraten, beeinflussen das Volk, ohne selbst Befugnisse hinsichtlich der Entscheidung über Krieg und Frieden zu besitzen.56Wenn 1 Vgl. zutreffend auch Fr. Philippi, Hist. Zeitschr. 129 (1924) S. 195. 2 Vgl. Lintzel, Sachsen und Anhalt V 34f. 3 W a itz, Verf.-Gesch. I I I 2 122; V 2 163. Brunner, Rechtsgesch. I 2 465. 4 Lex. Sax. 4 7 : Dotis ratio duplex est: Ostfalai et Angarii v o lu n t. . . Apud W estfalaos: . . . 4 8 : De eo quod vir et mulier simul conquisierint mulier mediam porcionem accipiat: hoc apud W estfalaos; apud Ostfalaos et Angarios nihil accipiat. Lintzel, Sachsen und A n ­ halt V 14. 29. 35. 6 Fredeg. IV 74 schwören die Gesandten pro u n iv e r s is Saxonibus. Ann. regni Franc. 7 7 5 : Ibi o m n e s Austreleudi Saxones venientes cum Hassione et dederunt o b s i d e s ;.. . venerunt A n g ra rii. . . una cum Brunone et reliquis obtimatibus ; . . . (Carolus) praedam conquisivit super Westfalaos, et obsides dederunt. Ann. Einh. 775 : Hessi unus e primoribus Saxonum cum omnibus Ostfalais . . . Angrarii cum suis primoribus occurrerunt. 777 : . . . totum perfidae gentis senatum ac p o p u l u m . . . sibi devotum invenit (Carolus). Ann. regni Franc. 778: per s u a s io n e m W idochindi; 782: s u a d e n te Widochindo.

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der Sachsenführer Adovacrius (s. oben) im Besitze weitergehender Kompe­ tenzen erscheint, so ist zu bedenken, daß es sich hier nicht um einen Volkskrieg handelte, sondern um eine jener bekannten, von Freiwilligen unternommenen Abenteuerzüge, bei denen der Anführer naturgemäß zu größerer Macht aufsteigen mußte. Die Bedeutung der Volksversammlung erhellt daraus, daß es eine der ersten Maßregeln Karls d. Gr. war, die A b­ haltung allgemeiner Versammlungen aller Sachsen zu verbieten, wenn sie nicht von den Königsboten berufen waren.1 Ausdrücke für die Volksver­ sammlung waren nach dem Heliand hwarf oder hwerf; thiodo thing. Bei der Eröffnung wurden den Göttern Gebet und Opfer dargebracht (Vita Lebuini). Über politische Gauversammlungen ist nichts überliefert ; sicher sind von ihr die 36 Vertreter, die jeder Gau nach Marklo zu ent­ senden hatte (s. weiter unten), gewählt worden. Die von Lintzel angenom­ menen Provinzialversammlungen sind höchst zweifelhaft. Die höchste Ge­ walt ruhte in dem Landtage von Marklo, der Verkörperung der Einheit des Stammes. Er bestand nicht aus einer Versammlung a l l e r Sachsen, sondern, wie es das vergrößerte Staatsgebiet erforderte, von Abgeordneten: aus jedem Gau wurden außer dem Gauvorsteher 12 Adlige, 12 Freie und 12 Laten entsendet, die einmal im Jahre in Marklo an der Weser1 2 zusammen­ traten. Die Versammlung entschied über Krieg und Frieden, erließ das Heeresaufgebot, hörte Gesandte und schloß auswärtige Verträge, schöpfte das sächsische Recht. Gegen Lintzel ist anzunehmen, daß hier auch die Gauvorsteher gewählt worden sind. Die Vorberatung der zu erledigenden Angelegenheiten und die Leitung der Verhandlungen lag, wie es scheint, bei der Gesamtheit der Gauvorsteher, dem Fürstenrat, der wohl unter dem 777 erwähnten senatus der Sachsen zu verstehen ist.3 Der in der vita Lebuini erwähnte concionator Buto wird als der aus den Fürsten gewählte Präsident der Versammlung anzusehen sein. K r i e g s w e s e n . Die Tapferkeit der Sachsen war schon von den Römern gefürchtet. Die Waffenbereitschaft der Chauken erwähnt Tacitus Germ. 35 (vgl. denselben Hist. IV 79 von der Kriegstüchtigkeit der chaukischen Hilfstruppen des Civilis). Julian nennt die Sachsen των ύπερ τον 'Ρήνον . . . έθνών τά μαχιμώτατα (or. I S. 51, vgl. III S. 124 Bidez), ähnlich sagt Zosimus III 6: οί πάντων δή καρτερώτατοι των έκεΐσε νεμομένων βαρβάρων, θυμό) καί ρώμη καί καρτερία τή περί τάς μάχας. Bei Orosius V II 32, 10 heißt es : gentem . . . virtute atque agilitate terribilem. Der ganze Heliand 1 Cap. de part. Sax. c. 34. Vgl. dazu W i e d e m a n n , Die Sachsenbekehrung (1932) S. 18 ff. 2 Nach B r a n d i, Zeitschr. d. Harzvereins 68 (1935) S. 4 4 ff. bedeutet Marklo eine Lich­ tung im Grenzwalde bei Lohe an der Weser nördl. von Nienburg. 3 Lintzel, Sachsen und Anhalt V 30 f.

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ist von kriegerischem Geiste erfüllt, vgl. Vilmar S. 60 fl., Lagenpusch S. 16 ff. Reiche Herren pflegten sich mit einem kriegerischen Gefolge zu umgeben (thegan). Eidschwüre wurden auf die Waffen geleistet; Fredeg. V 74 : Saxones . . . sacramentis, ut eorum mos erat, super arma placata . . . firmant. Lex Sax. 8. Die sächsischen Kriegszüge fanden bekanntlich zu Wasser und zu Lande statt. Die Schiffe der Chauken waren nach Plin. hist, nat. 16, 76 ausgehöhlte Baumstämme, die 30 bis 40 Mann fassen konnten. Über die Schiffe der Sachsen im 5. und 6. Jahrhundert siehe Bd. I1 2 65 und Venant. Fort. carm. III 4, 9: myoparones (leichte Kaperschiffe). Im Heliand ist von dem „hochgehörnten, genagelten“ Schiff die Rede.1 Bei den Landtruppen spielte die Reiterei eine große Rolle. Dies hebt schon Tacitus von den Chauken hervor. Der im römischen Heere erschei­ nenden alae Saxonum wurde schon oben gedacht (S. 39). Wiederholt wur­ den den Sachsen Tribute, die in Rossen zu zahlen waren, auferlegt. Im Heliand hüten die Hirten, denen die Geburt Christi verkündet wird, Pferde.2 Die Ausrüstung eines sächsischen Kriegers schildert Widukind I 6. 9 nach alter Tradition: sagum (viereckiger, wollener Mantel),3 Lanze, kleiner Schild und besonders das lange Messer (cultellus, Langsachs) ; doch hat man auch lange breite zweischneidige Schwerter gefunden.4 Die Gau­ mannschaft war nach Hundertschaften unter dem Befehle des hunno gegliedert; dieser wird einmal im Heliand (Hauptmann von Kapernaum)56 erwähnt. Die Führung des gesamtsächsischen Aufgebotes hatte nach Beda ein dux, den das Los aus der Zahl der sächsischen Gauvorsteher bestimmte. Sehr ausgebildet war bei den Sachsen das Befestigungswesen. In den späteren Kämpfen mit den Franken vermieden sie regelmäßig ein Zusam­ mentreffen auf offenem Felde und zogen sich in den Schutz von Wällen zurück. Diese zu Verteidigungszwecken angelegten Werke sind als so­ genannte Volksburgen von den kleineren daneben gelegenen als Herrensitze dienenden Burgen zu unterscheiden. „Sie haben als Hauptstück einen großen geschlossenen Ring, der immer ohne Graben ist. Er enthält meist eine Mauer, vielfach ist er vielleicht nichts als eine Mauer, die, zusammen­ gefallen, heute als Wall erscheint. Als zweites Stück haben die Sachsen­ 1 Vilm ar S. 2 1 . 2 Derselbe S. 27. 3 Über das sagum vgl. L i n d e n s c b m i t , Handbuch der deutschen Altertumskunde I

(1880) S. 332. 4 Waffenfunde sind selten. Hauptschutzwaffe der Schild. Helm nur ausnahmsweise. Vgl. J a c o b -F r i e s e n , Einführung in Niedersachsens Urgeschichte (1931) S. 184. Vgl. auch Schroffer, 5000 Jahre niedersächs. Stammeskunde S. 146f. Über den Langsachs Lindenschmit I 210. Das Schwert (gladius) erscheint auch in der Lex. Sax. 6 . 8 . Über Feldzeichen (fliegender Adler über einem Drachen und Löwen) W iduk. I 11. Linden­ schmit I 276. 6 Lagenpusch S. 17.

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bürgen auf der gefährdeten Seite dicht vor dem Hauptring einen Schutzwall mit Außengraben. Am Tore pflegt er auszubiegen und kleine Schanzen zu bilden.“ 1 In der hier behandelten Zeit werden erwähnt die Hochseeburg bei Eisleben ( c a s t r u m quod dicitur Hoohseoburg, Ann. regni Franc. 743), Ohrum an d. Oker (Saxones . . . maximam inter se et Francos f i r m i t a t e m statuerunt, Ann. Mett. 748), Iburg s. Osnabrück (in c a s t r o quod dicitur Iuburg, Ann. regn. Franc. 753; in m o n t e qui dicitur Iuburg, Einh. 753), Sythen s. Dülmen (Saxonibus . . . m u n i t i o n e s suos tuentibus . . . per ipsum, quo patriam defendere conabantur, v a l l u m intravit [Pippin], Ann. Einh. 758; f i r m i t a t e s Saxonum . . . introivit in loco, qui dicitur Sitnia, Ann. regni Franc. 758). Doch gehören auch die meisten der später er­ wähnten Anlagen, wie die Eresburg, Sigiburg, Skidroburg, schon der äl­ teren Zeit an. G e r i c h t s w e s e n . Vorsitzender im Gericht (mahal, thing, hwarf, placi­ tum, conventus) war der Fürst. Die Rechtspflege konzentrierte sich in den Gerichten der Hundertschaften, die als persönliche Verbände (120 Familien) noch im Cap. de part. Sax. c. 15 erkennbar sind,1 2 und war für alle Stände gleichmäßig zuständig. Die Urteilsfindung erfolgte durch die Gemeinde3 unter Mitwirkung rechtskundiger Männer, der im Heliand genannten eosagon. Als Unterrichter fungierte der Hundertschaftsvorsteher, der hunno. Ob der später als Vollstreckungsbeamter erscheinende Schultheiß schon in altsächsischer Zeit vorhanden war, ist ungewiß.4 Die Sachsen gliederten sich in vier S t ä n d e : Edelinge (nobiles), Frilinge (ingenui, liberi), Laten (liti, liberti), Sklaven (servi).5 Die Edelinge bildeten die herrschende Schicht im Staate; sie lebten als Grundherren; ihnen waren ausschließlich die Ämter und die Regierung des Landes Vorbehalten. Ihre überragende Stellung kommt in ihrem Wergeide zum Ausdruck, das 1 Atlas vorgesch. Bef. H. V I I I (S. 231). S c h u c h h a r d t , Die frühgeschichtlichen Be­ festigungen in Niedersachsen (1924) S. 37 ff. ; Die Burg im W andel der Weltgeschichte (1930) S. 177fif.; Deutsche Forschung 20 (1933) S. 12flf.; Vorgeschichte von Deutschland 3 (1935) §2 4 1 ff. U e n z e und S p r o c k h o f f , Nachrichten aus Niedersachsens Urgesch. I X (1935) S. 47 ff. 2 Schröder, R . G. I 6 2 3 . 3 Cap. Sax. von 797 c. 4. 8 (vicinantes, pagenses, convicini). Heliand 5418. Vgl. Brunner,

R . G. I 2 206. Schröder, Zeitschr. d. Savignystift. 24 (1903) S. 3 6 1 ; R. G. I 183. Philippi, H ist. Zeitschr. 129, 218. 4 Schröder, R . G. I 183. Vgl. auch E. M a y e r , Hundertschaft und Zehntschaft (1916) S. 115 ff. 6 Zusammenfassend L i n t z e l , Die Stände der deutschen Volksrechte, hauptsächlich der Lex Sax. (1933). Vgl. auch H e c k , Blut und Stand im altsächs. Recht (1935). D e r ­ s e lb e , Untersuchungen zur altsächs. Standesgliederung (1 9 3 5 )= Arbeiten z. deutsch. Rechts- und Verfassungsgesch. 11. Ferner K . B e y e r le in der Zeitschr. d. Savignystift. 48 (1928) S. 491 ff. (S. 499 über das W o rt friling, nicht notwendig Verkleinerungsform).

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1440 kleine solidi betrug, während ein solches von 180 kleinen soi.1 die Liten, von 240 kl. soi. die Frilinge hatten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß dieses erst aus den Rechtsquellen der fränkischen Zeit zu erschließende Wertungsverhältnis schon in altsächsischer Zeit bestanden hat.1 2 Die Edelinge sind nicht als die Nachkommen der erobernd über die Elbe vorgedrungenen Ursachsen anzusehen; sie sind vielmehr aus dem alt­ germanischen Adel hervorgegangen, der im Laufe der Völkerwanderung die ihm von Haus aus zustehende führende Stellung weiter ausgebaut und sich durch Aufnahme von Gemeinfreien verstärkt hatte. Die Frilinge kön­ nen nicht völlig den altgermanischen Gemeinfreien gleichgesetzt werden; sie erscheinen deutlich als eine niedere Klasse von Freien, kleinen Bauern, die zwar freizügig waren, aber doch vielfach in einem, wenn auch lockeren Abhängigkeitsverhältnis zu einem Grundherrn standen.3 Die Laten waren an die Scholle gebundene Hörige, bildeten aber einen Teil des Volkes und nahmen an Heerespflicht, Dingpflicht und den übrigen öffentlichen Lasten neben den anderen Ständen teil;4 sie stammten zum großen Teil aus der Unterwerfung der Angrivarier und Nordthüringer. Die gegenüber den an­ deren germanischen Völkern gehobene Stellung der Laten war ein vom Adel angewandtes Mittel, seine Stellung gegenüber denFrilingen zufestigen. Derselben Tendenz lag die kastenartige Absonderung der einzelnen Stände zugrunde; nach Rudolf v. Fulda wurde der Mann, der eine Frau höheren Standes heiratete, mit dem Tode bestraft. Haben sich so die südelbischen Sachsen weit von den altgermanischen Zuständen entfernt, so sind bei diesen die Nordalbingier im wesentlichen stehen geblieben. Es gab hier nur zwei freie, aber nicht so streng voneinander geschiedene Stände, die Hovelude (Großbauern) und die Huslude, von denen die ersteren zum Roßdienst verpflichtet, aber bedefrei waren, die letzteren Bede und Fuß­ dienste zu leisten hatten; der Stan,d der Laten ist bis in späte Zeit in der Hauptsache unbekannt geblieben.5 Von den wirtschaftlichen Verhältnissen der Chauken hat Plinius hist, nat. 16, 2 nach eigener Anschauung ein lebendiges Bild entworfen.6 1 So nach Lintzel. Die 120 der Lex Sax. beziehen sich auf große soi., die l 1/ 2facli des kleinen soi. betrugen. 2 Lintzel S. 40. 3 Nach Herbert M e y e r , Das Handgemal (1934) waren die Edelinge die Geschlechts­ ältesten derselben Sippen, deren übrige Mitglieder den Stand der Frilinge bildeten. Sehr unwahrscheinlich! Vgl. auch Lintzel, Zeitschr. d. Savignystift. 56 (1936) S. 524. 4 Cap. de part. Sax. 15. 17. Cap. Sax. 5. 5 Vgl. L. S c h m i d t , Zeitschr. f. schlesw.-holst. Gesch. 64 (1936) S. 397ff. Allgemein V i n c k e , Hist. Jahrbuch 56 (1936) S. 9 7 flF. 6 Vgl. dazu u. a. E. Norden, Germ. Urgesch. S. 2 95flF. V a n G i f f e n , Bericht über die Hundertjahrfeier d. Archäol. Instituts des Deutschen Reiches (1930) S. 322£F. D e r s e lb e , 2. Nordisches Thing (1934) S. 46ff. und Germania 20 (1936) S. 41. Jacob-Friesen, Ein-

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,,Dort (am Ozean) wohnt ein elendes Volk auf hohen Erdhügeln wie auf Bühnen, die von Menschenhand aufgeworfen sind nach den Erfahrungen von der Erhebung der höchsten Flut; darauf sind ihre Hütten gesetzt. Schiffahrern gleichen sie, wenn die Wasser die Umgebung bedecken, Schiffbrüchigen, wenn Ebbe eingetreten ist, und um ihre Hütten machen sie Jagd auf die mit dem Meere entfliehenden Fische. Sie besitzen kein Vieh, auch kennen sie keine Milch als Nahrung, wie ihre Nachbarn, ja sie kennen nicht einmal den Kampf mit wilden Tieren, da es dort nicht einmal einen Strauch gibt. Aus Schilf und Moorbinsen flechten sie sich Stricke zu Netzen für den Fischfang, und indem sie den mit Händen aufgefangenen Schlamm mehr an der Luft als an der Sonne trocknen, kochen sie ihre Speisen mit Erde (Torf), um sich ihre vom Nordwind erkalteten Glieder zu erwärmen. Zu trinken haben sie nichts als Regenwasser, das in Gruben im Innern des Hauses aufbewahrt wird.“ Diese Schilderung trifft aber allein für die Bewohner der Marschen und auch für diese nur mit Einschränkungen zu. Die Wohnstätten befanden sich auf künstlichen Erdaufwürfen, den sogenannten Warfen, Werften, Wurten, holländisch Terpen, die noch heute zahlreiche Spuren vorgeschichtlichen Lebens enthalten. „Aber die Warfen, die Plinius im Auge hat, entsprechen nicht dem Befunde derjenigen, die bisher der Forschung erschlossen worden sind. Es muß sich bei ihnen um solche handeln, die vorwiegend von Fischern besiedelt waren und vielleicht als Rückzugsposten gegen das vordringende Meer anzusehen sind“ .1 Die ursprünglichen und normalen Verhältnisse der Warfengebiete zeigen ein anderes Bild. Es wurde in den Marschen nicht bloß Viehzucht (Pferd, Rind, Schaf), sondern auch, wenn schon in bescheidenem Maße, Ackerbau getrieben, der freilich infolge des Vordringens des Meeres immer mehr zurückging und erst nach Jahrhunderten durch Eindeichung wieder auf­ lebte. Über die Lebensweise der Bewohner des Binnenlandes berichtet der Römer nichts. Die Siedelungen zerfielen in Einzelhöfe und Dörfer, an­ gepaßt den verschiedenen natürlichen Bedingungen des Bodens.*1 2 Auch die Warfen enthalten teils nur einzelne Gehöfte, teils ganze Dörfer. Meitzen wollte die für W e s t f a l e n charakteristischen Einzelhöfe auf die Kelten zu­ rückführen, die dann von den Germanen im wesentlichen unverändert übernommen worden seien. Doch ist seine Theorie allgemein abgelehnt wor­ den; vielfach sind die Einzelhöfe als jüngere Absplitterungen aufgelöster führung S. 149. B. E. S ie b s , Grundlagen und Aufbau der altfriesiscben Verfassung (1933) S. 13ff. Z y l m a n n , Ostfriesische Urgeschichte (1933) S. 1 1 0 ff. G u m m e l in : 5000 Jahre niedersächs. Stammeskunde (1936) S. 90 ff. 1 Zylmann a. O. S. 142. 2 Vgl. besonders D o p s c h , Wirtschaftliche und soziale Grundlagen der europäischen Kulturentwicklung I (1923) S. 289fiF. W ü h r e r , Beiträge zur ältesten Agrargeschichte des germanischen Nordens (1935) S. 35. 76.

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älterer Dorfsiedelung nachgewiesen. Spuren sächsischer Dörfer sind bei Sievern unweit der sogenannten Pippinsburg n. Geestemünde, bei Lehrte und sonst gefunden worden.1 Im Heliand wird die Burg, der umwallte Herrschersitz, von dem Weiler (wik), dem offenen, vom Volke bewohnten Dorfe unterschieden. Eines sächsischen Dorfes (vicus) gedenkt Beda an der schon besprochenen Stelle V 10; hier wird ein Dorfvorsteher ( ?) (vilicus, vgl. oben) genannt. Die Dörfer der Freien gingen auch hier auf sippenweise Siedelungen zurück; doch ist in der Zeit, in der wir die Ver­ hältnisse genauer übersehen können, von der Geschlechterverfassung keine sichere Spur mehr vorhanden. Eine große Rolle spielten die Grundherr­ schaften, die Güter, auf denen die Edelinge saßen. Diese lebten hauptsäch­ lich von den Abgaben der hier ansässigen Laten, wenn auch, wenigstens auf den kleineren Besitzungen, auch Eigenwirtschaft anzunehmen ist. Die Adelsgüter müssen im Durchschnitt sehr ansehnliche gewesen sein und reiche Renten abgeworfen haben: sie waren im Südosten und Süden Sachsens größer als im Norden; die Herzoge Widukind und Hassi besaßen ungeheure Reichtümer.1 2 Die Frage, inwieweit man aus den Ortsnamen auf die Gründungszeit der Siedelungen schließen darf, wird noch immer verschieden beantwortet. Der ältesten Zeit darf man wohl zusprechen die auf dorf ausgehenden (Dopsch I2 293), ferner die auf stedt, teilweise auch auf ing oder ingen, während die auf borstel, büttel, hagen, heim, rode der späteren Zeit angehören.3 Als Urform des Niedersachsen- und Friesen­ hauses ergibt sich aus der Erforschung der Werfen ein dreischiffiges Hallen­ haus mit Reisigwänden und einem laubenartig vorspringenden Dach, das allseitig abgewalmt war, wobei die Abteilungen für Menschen und Vieh durch Querwände voneinander getrennt waren.45 Das heutige niedersäch­ sische Haus mit seinen Eigentümlichkeiten: „Konzentrierte Einheitlich­ keit unter ei n e m Dache, konstruktiv hervorragende Bedeutung der Ständer mit nur angeklappten Längswänden, eine Feuerstelle als Mittel­ punkt des ganzen Anwesens, dreischiffiger Grundriß mit hoher Mitteldiele445 knüpft also an diesen Urtypus an. Die Hauseinrichtung scheint nach dem Heliand sehr primitiv gewesen zu sein. Zum Sitzen diente hauptsächlich eine Bank; Stühle waren in den gewöhnlichen Haushaltungen nicht in Gebrauch. Ferner werden Tische erwähnt. Die Nachtruhe wurde auf den Bänken abgehalten.6 Die Hauptnahrung des Volkes lieferte die Viehzucht. 1 Dopsch I 292. 2 Vgl. Lintzel, Stände S. 69 ff. ; Stammesstaat S. 2 1 . 3 Vgl. u. a. F ie s e l, Teuthonista Beih. I X (1934). F o lk e r s in Nordalbingien I X 3 (1933) S. 309. Dagegen Wührer a. O. S. 37 ff. 4 Vgl. Van Giffen, Zweites nordisches Thing (1934) S. 50. 5 Peßler, Bauernhaus S. 115. Schütte, Our forefathers II 2 0 9 ff. 6 Vgl. S t e p h a n i , Der ältere deutsche Wohnbau I (1902) S. 3 3 4 ff.

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Fehu bezeichnet noch im Heliand das Vermögen überhaupt.1 In Kühen (und Rossen) zahlten die Sachsen Tribut an die Franken. Auf Schafzucht weist Lex Sax. 66 hin. Die Bienenzucht wurde wie noch heute in der Lüneburger Heide betrieben; ihre Bedeutung erhellt aus Cap. Sax. c. 11 und Lex Sax. 30. Von Getreide wurden gebaut Roggen, Hafer und Gerste; Weizen war unbekannt (Cap. Sax. 11). Als Zahlungsmittel dienten hauptsächlich Na­ turalien; der Wertunsicherheit dieser Tauschmittel suchte Karl d. Gr. in den Kapitularien durch Festsetzung des Geldwertes der wichtigsten Er­ zeugnisse für die Gesetzesstrafen zu regeln. Die älteren Rechtsaufzeich­ nungen kennen nur den fränkischen solidus zu 3 Tremissen oder 12 De­ naren, die Lex Sax. auch den kleinen sächsischen solidus zu 2 Tremissen oder 8 Denaren.1 2 Ein lebhafter Handelsverkehr zu Wasser und zu Lande ist aus der Lex Sax. zu erkennen.3 Unfreie waren es wohl in der Hauptsache, denen die Herstellung der verschiedenen, dem Gebrauch des täglichen Lebens dienenden Gerätschaften oblag, soweit dieselben nicht durch Ein­ fuhr beschafft wurden. Die sächsische45Keramik ist in der Hauptsache ohne Töpferscheibe her­ gestellt. In der ältesten Periode (3. Jahrhundert) noch einfache Formen, ohne wesentliche Verzierungen, aufweisend, ist sie im 5. und 6. Jahrhundert zu hoher Schönheit und Vollendung gelangt: „Stempel und Buckel und aufgelegte Zierleisten bilden ein hervorstechendes Merkmal dieser sogenann­ ten Buckelkeramik.“ Es ist die Kulturstufe, die nach dem großen Gräber­ feld von Westerwanna benannt wird und das Gebiet von Buxtehude in südwestlicher Richtung auf Verden zu, von da längs der Weser bis Stolzen­ au, wo es seinen südlichsten Punkt erreicht, und in nordwestlicher Rich­ tung weiter über Vechta nach Leer, dann nach Holland in der Richtung auf Deventer, Amersfoort und nördlich nach dem Zuidersee, umfaßt. Nicht minder entwickelt war die Schmiedekunst, von der besonders die eigenartigen Fibeln (Schalenfibeln, gleicharmige Fibeln) Zeugnis ahlegen.5. 1 Lagenpusch S. 33. 2 Vgl. Brunner I 2 318, 468 u. A . Die auf sächsischem Gebiete gefundenen Brakteaten (s. unten) waren Schmuckgegenstände, nicht Zahlungsmittel. 3 Vgl. Dopsch II 463. Handel m it Webwaren I n a m a -S t e r n e g g , Deutsche W ir t­ schaftsgeschichte I 2 (1909) S. 187. Der Import nach Sachsen erfolgte durch römische, später wohl hauptsächlich durch friesische Kaufleute, vgl. unten. Sächsische Kaufleute werden seit dem Jahre 710 auf fremden Märkten erwähnt, doch sind hierunter wohl Briten, nicht binnenländische Sachsen zu verstehen. Über den römischen Handel nach der Nordseeküste und die damit in Beziehung stehenden Münzfunde W i l l e r s , Die röm. Bronzeeimer von Hannover (1901) S. 191 ff. 4 Über die den Chauken insbesondere zugeschriebenen Bodenfunde Gummel, 5000 Jahre S. 85 ff. 5 Schroffer ebenda S . 139 ff.

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Konservativer Sinn, Schwerfälligkeit, Zähigkeit im Festhalten an den hergebrachten Ordnungen und Anschauungen, Nüchternheit, ausgepräg­ ter Individualismus sind von jeher die Eigentümlichkeit des sächsischen Stammes gewesen.1 Während die Deutschen, die sich auf dem Boden des römischen Reiches niederließen, unter der unmittelbaren Einwir­ kung des römischen Wesens eine lebhafte Entwicklung durchmachten, konnte das Sachsenvolk seine deutsche Art ungestört entfalten. Als Vorzug dieser Abgeschlossenheit ergab sich die Bewahrung der Rasse­ reinheit, ein gesteigertes völkisches Bewußtsein, die Erhaltung der sitt­ lichen Tüchtigkeit. Wenn Rudolf von Fulda die bekannten Worte des Tacitus über das Volkstum der Germanen auf die Sachsen anwendet, so liegt in diesem Falle wohl kaum ein bloßes gedankenloses Abschreiben vor. Wiederholt wird die Keuschheit der Sachsen gerühmt.1 2 In einem Briefe an den König von Mercien (746/47; ep. 73) verweist Bonifatius auf die Bestrafung gefallener Mädchen und ehebrecherischer Frauen, die von D orf zu Dorf mit Geißeln verfolgt und zuletzt getötet oder genötigt wurden, sich selbst den Tod durch den Strang zu gehen. Aber diesen guten Eigen­ schaften standen nicht wenige schlimme zur Seite : Gewalttätigkeit, Grau­ samkeit,3Treulosigkeit.4 Härter als bei anderen deutschen Stämmen wurden Vergehen geahndet; die Todesstrafe spielte im sächsischen Recht eine große Rolle.5 War aber hier der Götterdienst mit Grausamkeiten verbun­ den — man pflegte jeden zehnten Kriegsgefangenen den Göttern zu opfern6 — , so kam dies auch bei anderen germanischen Völkern vor.7 Als Hauptgottheiten sind bezeugt Wodan (Mercurius), Donar (Jupiter) und Saxnöt (Ziu); ob die vielbesprochene Irminsul, ein aus einem Baum­ stamme gefertigte Säule, auf einen Gott Irmin zu beziehen ist, dürfte sehr zweifelhaft sein.8 Die spärlich fließenden Quellen9 lassen erkennen, daß der 1 Vgl. W . D i b e l i u s , England I 5 (1929) S. 1 1; jetzt auch B a n s e , Niedersachsen. Mensch, Landschaft, Kultur und W irtschaft (1937). 2 Salvian de gub. dei V II 64. Rudolf c. 2 3 Salvian IV 6 7: gens Saxonum fera. V I I 6 4 : Saxones crudelitate efferi. Ennod. vita Anton. S. 386 (Hartei): Saxones multiplices crudelitatum species beluarum more per­ agebant. Venant. Fort. carm. I II 9, 103: aspera gens Saxo vivens quasi more ferino. Ein­ hard vita Karoli 7 : natura feroces (danach Rudolf c. 3). 4 Vgl. Fredeg. cont. 31 : Saxones more consueto fidem . . . mentire conati sunt. Einhard vita Karoli 7 : Saxonum perfidia (daraus Rudolf c. 3). 5 Vgl. V . Richthofen, Zur Lex Sax. S. 218 ff. Lintzel, Stammesstaat S. 23. 6 Vgl. Bd. I 2 494. 7 Vgl. u. a. H e r t e , Die Begegnung des Germanentums mit dem Christentum (1935) S.55ff. 8 Vgl. Clemen, Altgerman. Religionsgesch. S. 34f. Herte a. O. S. 17. R. M e iß n e r , Bonner Jahrbücher 139 (1934) S. 34ff. Edw. S c h r ö d e r , Zeitschr. f. deutsch. Altertum 72 (1935) S. 292. D e V r i e s , Altgermanische Religionsgesch. I (1935) S. 2 3 7 ff. Die Irminsul war nach De Vries eine Darstellung der Himmelsachse. C lo ß , Wiener Beiträge zur K u l­ turgeschichte und Linguistik IV (1936) S. 590 ff. 9 Es kommen wesentlich in Betracht das Taufgelöbnis in deutscher Sprache (De Vries

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heidnische Glaube der Sachsen bis zur Einführung des Christentums der­ selbe gewesen ist wie in altgermanischer Zeit. Aber man darf daraus nicht auf eine engere Verbundenheit des Volkes mit seinen Göttern, auf eine tiefere Religiosität schließen. Auch hier hatte das Heidentum längst ab­ gewirtschaftet;1 hielt es sich länger als bei den anderen Germanen, so lag dies teils an dem konservativen Volkscharakter, teils an politischen Grün­ den. Und es war auch nicht das ganze Volk, sondern nur die untere Schicht, die sich zunächst der neuen Lehre verschloß, während der größte Teil des Adels sogleich sich keineswegs ablehnend verhielt. Wie dieser das Christen­ tum und die Organisation der Kirche als Mittel betrachtete, um seine Macht innerhalb des sächsischen Staatswesens zu festigen, so lehnten die anderen Klassen sich gegen die ihnen dadurch drohende Minderung ihrer Stellung auf. Die ersten Versuche, die Sachsen zu bekehren, gingen von den Angelsachsen aus.I2 Zwei angelsächsische Mönche, die beiden Ewalde (Eadwalde) überschritten 693 im Gebiete der unteren Lippe die sächsische Grenze, wandten sich an den nächsten Dorfvorsteher ( ?, vilicus ; vgl. dazu oben) und baten um sein Geleit zum Fürsten des Gaues. Aber noch bevor sie dorthin gelangten und ihre Tätigkeit beginnen konnten, wurden sie von der mißtrauischen Bevölkerung grausam ermordet. Trotzdem haben die Angelsachsen ihre Bemühungen auf diesem Gebiete fortgesetzt ; sie fanden dabei Unterstützung im Lande selbst, besonders beim Adel. Mit Namen werden genannt zunächst die Priester Vira und Suidbert. Suidbert hatte, wie schon erwähnt, bei den Boruktuariern missioniert; die Erfolge, die er dort erzielte, gaben den Sachsen Anlaß, über das Volk herzufallen und dasselbe sich anzugliedern. Sehr lebhaft setzte sich auch Bonifatius für die Christiani­ sierung der Sachsen ein - 722 ließ er sich eine päpstliche Vollmacht zur Predigt unter ihnen erteilen; 738 reiste er nach Rom, um von seinem Bischofsamt in Thüringen und Hessen entbunden zu werden und die I 237), der Indiculus superstitionum et paganiarum (gedr. z. B. bei Cie m e n , Fontes re­ ligionis Germ. [1928] S. 42 f.) sowie einzelne Stellen in den Gesetzen Karls d. Gr. (Clemen, Font. S. 45). Von geringerer Bedeutung ist das, was Rudolf v. Fulda, Transi, c. 2 . 3 bringt, der bekanntlich die Angaben des Tacitus in der Germania über die Germanen im allge­ meinen fast wörtlich übernommen hat. Daß diese in der Tat zumeist auch für die Sachsen Geltung haben, wird durch die anderen Quellen bestätigt. Aber es bestehen nicht geringe Zweifel, ob Rudolf wirklich selbst umfassendere Kenntnis auf diesem Gebiete gehabt hat. So weiß er nichts davon, daß außer Wodan-Mercurius auch noch Donar und Saxnot ver­ ehrt und daß die Götter auch bildlich dargestellt worden sind. Ebenso ist es nicht richtig, wenn er den Sachsen nach Tacitus Tempel abspricht; es sind tatsächlich solche oder wenigstens tempelartige Gebäude vorhanden gewesen, vgl. Wiedemann, Die Sachsenbe­ kehrung S. 13. Eigenes Wissen zeigt allein die selbständige Angabe c. 3 über die Verehrung von Bäumen und Quellen sowie über die Irminsul. 1 Vgl. Herte S. 58 ff. 2 Vgl. Lintzel, Stammesstaat S. 2 8 ff. Wiedemann a. O. S. 2 2 ff. S c h u é , Zeitschrift d.

Aachener Geschäftsvereins 55 (1935) S. 143 ff. Hier weitere Literatur.

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Mission in Sachsen selbst auszuüben, wozu er aber nicht gekommen ist. Nach ihm sind Willehad und der durch seine Anwesenheit auf dem Land­ tage von Marklo bekannte Lebuin als Sachsenmissionare bekannt; wurde der erstere aus seinem Wirkungsgebiet Drenthe verjagt, so hatte Lebuin nach anfänglicher Zurückweisung Anhänger und volle Betätigungsfreiheit im Lande gewonnen. Später als die angelsächsische Mission setzte diè fränkische ein; erfolgte jene auf friedlichem Wege, so trat diese in Verbindung mit den kriegerischen Zusammenstößen zwischen den Franken und Sachsen auf. 744, 748, 753 werden Taufen und Zulassung christlicher Missionare in einzelnen Teilen des Landes erwähnt (s. oben S. 53); doch kann von Bekehrungen größeren Umfanges keine Rede sein. Auch weiterhin waren die Träger des Wider­ standes und damit Verfechter der Stammesfreiheit die unteren Stände; der Adel kämpfte nur für seine eigenen Interessen und suchte durch An­ lehnung an den Staatsfeind seine alten Rechte zu behaupten. Als aber der Sieg der Franken außer Zweifel war, haben alle Sachsen sich rasch der neuen Lehre zugewandt, ein Beweis, daß das Heidentum innerlich völ­ lig zermürbt war. Erst durch die fränkische Eroberung erlangte auch die lateinische Sprache und Schrift Eingang bei den Sachsen. In älterer Zeit bediente man sich der Runenschrift; doch hat diese zu Aufzeichnungen größeren Umfanges nicht gedient. Die mit Runen und bildlichen Darstel­ lungen (Schiffsbild) in der Unterweser gefundenen Knochen1 sind wohl als unecht anzusehen. Alle Überlieferung erfolgte wesentlich auf mündlichem W ege; so beim Recht, das erst unter Karl d. Gr. schriftlich in lateinischer Sprache fixiert wurde, so bei den Liedern und Erzählungen, in denen das Volk die Taten der Helden feierte. Wie Paulus Diaconus hist. Lang. I 27 bezeugt, ward noch zu seiner Zeit der Ruhm, die Freigebigkeit, das Kriegs­ glück und die Tapferkeit des befreundeten Langobardenkönigs Alboin von den Sachsen besungen. Spuren davon liegen noch im Widsidhliede vor, in dem die Freigebigkeit Alboins ganz besonders gerühmt wird und die uralten Beziehungen zwischen den Myrgingen-Sachsen und den Lango­ barden hervortreten. Eine Schöpfung der Sachsen (Westfalen) war ein Heldenlied auf Wieland deni Schmied, das in nordischer Umgestaltung in der Edda vorliegt.1 2 Auffallend ist es, daß das Andenken an weiter zurück­ 1 Vgl. Arntz, Runenkunde S. 149f. 207. De Vries, Religionsgesch. I 237. R e i c h a r d t , Runenkunde (1936) S. 5 9 ff. (für Echtheit). W . K r a u s e , Anzeiger für deutsches Altertum 55 (1936) S. 147 (unecht). — Ob die m it Runen (Namen der Künstler?) versehenen, in Nebenstedt bei Dannenberg gefundenen Brakteaten ( 6 .—7. Jahrh. ?) sächsische Arbeit sind, ist ungewiß. Vgl. Jacob-Friesen, Einführung S. 185ff. D e r s e lb e : Odalrunen (Be­ griffs- nicht Lautzeichen) auf einer altsächsischen Buckelurne: Forschungen und Fort­ schritte 13 (1937) S. 217 ff. 2 Vgl. Ludw. W o l f f , Helden der Völkerwanderung (1928) S. 201 ff. E r b t in: Rasse I I I (1936) S. 180 ff.

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liegende Zeiten bei den Sachsen sich nicht in dem Maße erhalten hat wie bei anderen germanischen Völkern, insbesondere bei den Langobarden. In der Überlieferung über die Anfänge des Stammes sind, wie schon oben bemerkt, nur wenige wahrhaft historische Züge festgehalten. Von der soviel später fallenden Kolonisation Britanniens wußte man überhaupt nichts mehr, da Widukind dafür als einzige Quelle Beda anführt und R udolf von Fulda den sonst wohl bekannten ethnischen Zusammenhang zwischen den deutschen Sachsen und den Angelsachsen verkehrterweise so zu erklären versucht, daß die Heimat der Sachsen in England gelegen habe. Die Er­ zählung von der Eroberung Thüringens —nach H. Schneider kein Nachklang von Heldendichtung, sondern Anekdote —ist zwar nicht ganz unhisto­ risch, aber doch stark entstellt. Die körperlichen Verhältnisse unterschieden sich nicht wesentlich von den heutigen, vgl. dazu u. a. Peßler, Der niedersächsische Kulturkreis S. 18 ff. ; Jakob-Friesen, Einführung S. 187 ff. Die Art der Kleidung ist zu ersehen aus den zahlreichen Funden von Moorleichen; sie stimmt für das Gebiet Ostfriesland bis an die Elbe und weiter Schleswig-Holstein, Jütland und die westlichen dänischen Inseln in der Hauptsache überein: Kittel, Hose, Mantel, Kapuze, Fußbinden, kurzer Pelzmantel, Ledergurt, Lederschuhe.1 Die Sachsen trugen langes über die Schultern wallendes Haar (crinigeri bei Lucan, oben S. 35; Widuk. I 9), das am Vorderkopf geschoren war, so daß die Stirne höher erschien (Sid. Apoll, epist. V III 9, 5 V . 21 f f . , vgl. H o l t z m a n n , Germanische Altertümer (1873) S. 249 f.); Der Bart wrar kurzgeschnitten Widuk. II 36. Die große Volkszahl wrird schon von Vellejus Paterculus II 106 und Tac. Germ. 35 bezeugt. Eben dahin führen die späteren Angaben: die Hinrichtung der 4500 zu Verden, mag die Zahl auch übertrieben sein,1 2 die Verschickung zahlreicher (10000) Sachsen nach verschiedenen Gegenden Deutschlands. Für die Schätzung des Gesamtvolkes im 8. Jahrhundert auf rund 650000 Seelen3 fehlt freilich jeder sichere Anhalt. Die übliche Art der Bestattung war die Leichenverbrennung und Bei­ setzung in Urnen; doch hat es auch an Körperbestattungen nicht gefehlt. Eine Trennung nach Alter und Geschlecht fand auf den Friedhöfen nicht statt, ebensowenig eine Gruppierung nach Sippen und Familien.4 1 Vgl. Joh. M e s t o r f im 42. und 44. Bericht des Schlesw.-holst. Museums Kiel 1900. 1907. H a h n e , Mannus III (1911) S. 160. Jacob-Friesen a. O. S. 168ff. Zylmann, Ost­ fries. Urgesch. S. 169 ff. 2 Herte, Die Begegnung des Germanentums usw. S. 22 ff. 3 Wiedemann, Die Sachsenbekehrung S. 3. 4 Schroller, 5000 Jahre S. 146 ff.

4 DIE FRIESEN END AM SIVARIER Die F r i e s e n hatten in historischer Zeit zunächst das Küstengebiet nördlich vom Zuidersee bis zur Ems hin inne. Ihr Ursprung ist streitig. Da die älteste friesische Keramik verwandt ist mit der batavischen und diese wieder mit dem Kulturgut der Chatten, so ist es denkbar, daß die Friesen wenigstens zum Teil von den Batavern oder Chatten abstammten.1 Eine andere von 0 . Bremer verfochtene Ansicht sucht die Urheimat der Friesen an der schleswig-holsteinischen Küste; von dort sei einst ein Teil nach dem holländischen Friesland abgezogen, um in der späteren Ost­ wanderung mit der Spitze wieder in den Ursitzen einzutreffen. Die heutigen Nordfriesen beständen somit aus den sitzengebliebenen Urfriesen und den Rückwanderern. Die für und wider die letztere Ansicht sprechenden Gründe hat Zylmann, Ostfriesische Urgeschichte S. 175 erörtert.1 2 Dagegen läßt der Umstand, daß das friesische Recht ostgermanische Elemente ent­ hält, die Möglichkeit zu, daß die Urfriesen im skandinavischen Norden beheimatet waren. Sehr wahrscheinlich sind die Friesen nach der hollän­ disch-deutschen Küste zur See gekommen und haben demgemäß zuerst das Marschland besiedelt, von wo sie erst später in die Geest vorgedrungen sind; die Annahme des umgekehrten Ganges der Besiedelung ist nicht haltbar.3 Ob sie dort schon Bewohner anderen Stammes angetroffen und sich angegliedert haben, ist ungewiß ; vielleicht ist die Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß es Bataver gewesen sind. Nachbarn der Friesen gegen Südwesten waren die Kannanefaten, deren Sitze sich wesentlich mit dem späteren Gau Kinnem zwischen Alkmar und Haarlem deckten; im Osten grenzten sie an die Angrivarier. Wahrscheinlich das Vlie schied sie in Große und Kleine Friesen (Frisii maiores und minores), von denen die ersteren im Osten anzusetzen sind. Die Kleinen Friesen werden gewöhn­ lich mit den Frisiavonen (Frisiavones, auch Frisaevones [C. I. L. V I 3260, 32850], Frisiae[v]ones [ebenda 4343], Frisia[v]i [C. I. L. V II 68]) identi­ fiziert, aber sicher mit Unrecht. Denn diese werden von Plin. hist. nat. IV 106 als Bewohner Belgiens in der Nachbarschaft der Tungri, Sunuci, Baetasi genannt, eine Angabe, die eine Stütze findet in dem Militärdiplom C. I. L. 16, 70, wo die Kohorte der Frisiavonen neben den Truppenteilen 1 Vgl. B o e le s , Friesland tot de elfde zeuw (1927) S. 8 3 f. 2 Dafür auch B. E. Siebs, Altfries. Verfassung S. 139. 3 Dopsch, Grundlagen I 2 303.

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der Baetasier, Tungrer, Sunucer u. a. aufgeführt wird.1 Demnach müssen die Frisiavones, die Plinius an einer anderen Stelle (IV 101) auf den Inseln zwischen Waal und Vlie wohnen läßt, dort interpoliert sein. Die Frisiavonen waren ohne Zweifel eine Abzweigung der Friesen, haben sich aber schon früh von diesen getrennt und sind, wie ihre germanischen Nachbarn, der Keltisierung erlegen. Die von ihnen gestellten Truppen dienten fort­ dauernd in Britannien: die cohors I Frisiavonum wird zuerst im Jahre 105 (C. I. L. 16, 51), zuletzt im 4. Jahrhundert (Not. dign. occ. 40, 36) erwähnt.1 2 Als Schutzgottheiten der frisiavonischen Civitas (C. I. L. V II 69, 427) erscheinen inschriftlich matres (C. I. L. 13, 8633 : Matribus Frisavis paternis).3 Mit den Römern kamen die Friesen zuerst im Jahre 12 v. Chr. in Be­ rührung.45Drusus schloß mit ihnen einen Vertrag, demzufolge sie in ein Klientelverhältnis zu Rom eintraten und als äußeres Zeichen der A b­ hängigkeit einen jährlichen Zins in Gestalt von Ochsenhäuten abzuliefem und Hilfstruppen zu stellen hatten. Friesische Auxilien begleiteten die Fahrt der römischen Flotte von der Ausmündung des Flevosees zu Lande und leisteten sachkundigen Beistand, als die Schiffe einmal bei Ebbe auf dem Trockenen sitzen blieben.6 Die guten Beziehungen wurden in der nächsten Zeit nicht gestört. Ob Tiberius bei seiner germanischen Expe­ dition im Jahre 4 n. Chr. durch friesisches Gebiet gezogen ist, wissen wir nicht. K o r n e m a n n 6 glaubt dies annehmen zu können ; er neigt zu der An­ sicht, daß Tiberius ,,νοη den Kannanefaten nicht ostwärts am alten Rhein entlang, dann durch das Militärterritorium und das Chamaverland etwa auf den pontes longi des Domitius Ahenobarbus, sondern nordwärts auf dem alten Küstenlimes des Drusus, der durch das Gebiet der Marsacer in das Friesenland fortgesetzt war, weiter vorgedrungen ist und daß die Friesen nur deshalb (bei Vellejus) nicht erwähnt werden, weil sie den Römern noch treu waren, also eine Neuunterwerfung nicht stattzufinden brauchte“ . Die Existenz einer Küstenstraße nördlich vom Zuidersee ist aber weder erweislich noch wahrscheinlich. Dieser See (oder richtiger ge­ sagt Seenkomplex) war auch damals kein vollständiger Binnensee, sondern durch mehrere Strömungen, deren bedeutendste das Vlie (noch jetzt er­ kennbar zwischen Vlieland und Terschelling) war, mit dem Meere ver­ 1 B u n te im Jahrbuch d. Gesellschaft f. bildende Kunst usw. zu Emden 13 (1899) S. 19f. 2 Pauly-Wissowa, R . E. IV 286. Bang, Die Germanen im röm. Dienst S. 40. Außer in den Kohorten dienten Frisiavonen unter den equites singulares, vgl. Bang S. 99. 8 Vgl. G u te n b r u n n e r , Die germanischen Götternamen auf antiken Inschriften S. 151 (1936). 4 Vgl. zum folgenden K l o s e , Roms Klientel-Randstaaten (1935) S. 2 8 ff. 5 Tac. ann. IV 72. Dio 54, 32. « Klio I X (1909) S. 439f.

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bunden, weshalb Plinius hist. nat. IV 101 die Völker zwischen Waal und Vlie auf „Inseln“ wohnen läßt.1 Jene Straße würde also zur Überschrei­ tung der Wasserläufe den Bau zahlreicher und großer Brücken er­ fordert haben (vgl. dazu auch weiter unten). Auch ein vom Vlie (Kastell Flevum) ostwärts zum Chaukenlande laufender Küstenlimes ist nicht nach­ weisbar.1 2 — Auch während der Feldzüge des Germanicus (15. 16. n. Chr.) hielten die Friesen fest zu Rom. Durch ihr Gebiet führte der Präfekt Pedo im Jahre 15 die römische Reiterei nach der Ems.3 Die auf friesischem Boden stationierten römischen Truppen — wahrscheinlich Germanicus hat auf einer in oder vor dem Vlie geelgenen Insel ( ?) das Kastell Flevum erbaut4 — sorgten schon dafür, daß Unabhängigkeitsgelüste nicht aufkommen konnten. In diese Zeit, nicht, wie früher angenommen wurde, ins Jahr 116 n. Chr. setzt neuerdings Klose a. O. S. 36ff. im Anschluß an R o o s den bei Franekerin Nordholland aufgefundenen Kaufvertrag, in dem als Verkäufer ein Germane, als Zeugen und Käufer Römer erscheinen. Es war lediglich die Schuld der Römer, die die Abgabe unter unerträg­ lichen Schikanen erhoben — der im Friesenlande kommandierende Of­ fizier Olennius verlangte, daß die als Tribut zu entrichtenden Rindshäute gleich denen der Auerochsen sein sollten, obwohl die germanische Vieh­ zucht nur kleine Tiere hervorzubringen vermochte5— , daß das friedliche Volk sich zum Aufstande erhob (28 n. Chr.). Die die Abgaben eintreibenden römischen Soldaten wurden hingerichtet; Olennius rettete sich durch die Flucht nach Flevum, wo er eine längere Belagerung aushalten mußte. Die Gefahr erschien so groß, daß die Heere der beiden germanischen Pro­ vinzen unter dem Befehle des Apronius aufgeboten wurden. Als die rö­ mische Flotte herannahte, gaben die Friesen die Belagerung von Flevum auf und zogen sich in das Innere des Landes zurück. Apronius ließ über die zunächst liegenden, den Überschwemmungen ausgesetzten Gegenden Dämme und Brücken erbauen, um den schweren Truppenteilen den Vor­ marsch zu ermöglichen, und schritt dann zum Angriff. Aber die Auxilien erlitten eine Niederlage und wurden nur durch das Eingreifen der 5. Legion vor völliger Vernichtung gerettet; auf Vergeltung mußte der Feldherr ver­ zichten, ja sogar die Leichen der gefallenen Römer in der Gewalt der Feinde 1 Vgl. dazu jetzt H e t t e m a , Bijdrogen voor vaderlandsche geschiedenis Reeks V I I , Deel V I (1935) S. 151 ff. 2 V gl. F r a n k e bei Pauly-W iss. 17, 949. 3 Tac. ann. I 60. Plin. hist. nat. 25, 20. 21 (Frisi gens tum fida, in qua castra erant). 4 Die Lage des Kastells ist unsicher. Vgl. Kornemann a. O. S. 436. Klose S. 31. Eine römische Niederlassung bestand vor 28 n. Chr. wohl auch zu W insum sw. von Leeuwarden vgl. B o e le s , Catalogus der . . . schilderijen in het Friesch Museum te Leeuwarden 1908 S. 2 5 f .; Friesland f. 6 3 ff. Röm .-germ . Korrespondenzbl. 1911 S. 62. 5 Vgl. dazu M ü n z e r in den Bonner Jahrbüchern 104 (1899) S. 76.

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belassen. Zu derselben Zeit fanden 900 Römer bei dem heiligen Haine der Baduhenna durch das Schwert der Friesen und eine andere Schar von 400 Mann bei dem Landhause des Cruptorix, der früher in römischen Diensten gestanden hatte, durch eigene Hand den Tod. Der Sieg der Friesen ward allenthalben bei den Germanen gepriesen; der Kaiser Ti­ berius aber ließ die Schmach ungerächt und zog die Truppen zurück.1 Fast zwei Jahrzehnte blieben die Friesen im unbestrittenen Besitze ihrer Frei­ heit. Erst die unter der Regierung des Claudius überhandnehmende Pi­ raterie der benachbarten Chauken gab den Römern Anlaß, sich wieder mit den Nordseevölkern zu beschäftigen. Der Statthalter von Nieder­ germanien Corbulo trieb die Seeräuber zu Paaren und brachte darauf die Friesen zur bedingungslosen Unterwerfung: der Grund und Boden ihres Gebietes ging in das Eigentum des römischen Staates über; eine Neuord­ nung der Verfassung ward durchgeführt und das Kastell Flevum neu er­ baut (47).1 2 Allerdings wurden trotz diesen Erfolgen in Konsequenz der von Augustus nach der Varusschlacht inaugurierten Politik die römischen Truppen auf das linke Rheinufer (d. h. des A l t e n Rheins, vgl. Zangemeister Westdeutsche Zeitschr. Korr.-Bl. 1889 Sp. 12) zurückgezogen; aber die Reichsuntertänigkeit der Friesen blieb wohl in Form eines Klientelverhält­ nisses bestehen. Im Jahr 57 ergriffen die Friesen auf Veranlassung ihrer Könige Verritus und Malorix infolge Landmangels von dem römischen Militärterritorium am rechten Rheinufer,3 d. h. dem zum Schutze des Drususkanals (der Vecht) von germanischen Siedlern frei gehaltenen Ge­ biete zwischen Vecht und Yssel Besitz, indem ihre Jungmannschaft dort­ hin den Weg zu Lande durch die Wälder und Sümpfe, die Weiber, Kinder und Greise den Wasserweg über die „Seen“ (den Zuidersee) einschlugen. Schon hatten sie dort feste Häuser erbaut und die Felder mit Saatkorn bestellt, als ihnen der Statthalter von Untergermanien Duvius Avitus (seit 57) gebot, in ihre Heimat zurückzukehren. Verritus und Malorix begaben sich nach Rom, um die Entscheidung des Kaisers Nero anzurufen. Dieser nahm sie zwar freundlich auf und zeichnete sie durch Verleihung des Bürgerrechtes aus, ein Beweis, daß man den Stamm fortdauernd als reichs­ angehörig ansah, gab ihnen aber abschlägigen Bescheid. Und als die Friesen trotzdem keine Anstalten machten, das Land zu räumen, wurde eine A b­ 1 Tac. ann. IV 7 2 -7 4 . — In dieser Zeit wird auf einer Inschrift ein Friese Bassus als corpore custos des Nero, des Sohnes des Germanicus, genannt. C. I. L. V I 4342, vgl. Bang S. 65. 68 N. 2 Tac. ann. 11, 19: natio Frisiorum . . . consedit apud agros a Corbulone descriptos. In diesen Worten ist die Dedition des Friesen ausgedrückt. Von der Verpflanzung eines Teiles des Volkes auf ein anderes Gebiet ist hier keine Rede. Vgl. zur Sache Münzer a. O. S. 74f. 3 V gl. über die Lage desselben Kornemann a. O. S. 438 N . 3.

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teilung Reiter ausgeschickt, die sie mit Gewalt vertrieb oder niedermetzelte.1 Der Bataveraufstand veranlaßte auch die Friesen, ihre Waffen gegen Rom zu wenden. Vereint mit den Kannanefaten überfielen sie unter Führung des Brinno zur See kommend das ihrem Gebiete zunächst liegende Winterlager zweier Kohorten in Untergermanien. Weiterhin kämpften sie unter dem Kommando des Julius Civilis mit großer Auszeichnung. Im Friesenlande wurde der Rivale des Civilis, Claudius Labeo, interniert. Infolge der Hinter­ list der Agrippinenser fand aber die friesische Truppe einen schrecklichen Untergang (69-70).1 2 Nach Beendigung des Aufstandes kehrte das Volk wieder in das frühere Verhältnis zu Rom zurück.3 Die Zugehörigkeit Fries­ lands zum römischen Reiche am Ende des ersten nachchristlichen Jahr­ hundert s(?) erhellt aus einer zu Beetgum bei Leeuwarden gefundenen, an die Göttin Hludana gerichteten Weihinschrift, deren Datierung allerdings nicht ganz sicher ist (C. 1. L. 13, 8830) : hiernach war die Fischerei an der friesischen Küste an eine römische Gesellschaft verpachtet, deren Ge­ schäftsführer Q. Valerius Secundus hieß, ,,wohl mag einmal eine ihrer E x­ peditionen in Not geraten sein, in der sie dann die deutsche Göttin des sicheren Heims, des Herdes anrief und das Gelübde tat, infolgedessen nach glücklicher Rettung dieses Denkmal errichtet wurde“ .4 Friesen sind bis in das dritte Jahrhundert hinein im römischen Militärdienst bezeugt. Mehr­ fach erscheint inschriftlich der cuneus Frisiorum, der in Britannien sta­ tioniert war, und dem auch Tuihanten angehörten (Bang S. 54. 100; vgl. O x é , Bonner Jahrbücher 135 [1930] S. 69); ein friesischer Reiter diente im rätischen Heere, aus dem er unter Hadrian ( ?) entlassen wurde (Bang S. 49). Eine im Jahre 83 aus Usipiern formierte Kohorte, die nach ihrer Ankunft in Britannien meuterte und auf ihren eigenen Transportschiffen die Flucht ergriff, wurde von den Friesen aufgehoben.5*8 Die aus dem Jahre 98 stammende Angabe des Tacitus Germ. c. 34 über die Sitze der Friesen: sie seien in zwei Gruppen, Größere und Kleinere Friesen, geschie­ den, würden vom Rheine umsäumt bis an den Ozean und wohnten außer­ dem um große, von den Römern befahrene Seen herum, ist wenigstens, insoweit die Zweiteilung des Volkes in Frage kommt, nicht aus Plinius 1 Tac. ann. 13, 54, vgl. Suet. Claud. 25. R i t t e r l i n g , Fasti des röm. Deutschland (1932) S. 50f. Nach M a y n ia l in der Revue archéologique 1901. II 170 wäre die dritte impera­ torische Akklamation Neros (Frühjahr 57, auf die Vertreibung der Friesen zu beziehen. 2 Tac. hist. IV 15. 16. 18. 79. Vgl. oben S. 35. 3 Dies wird von Klose S. 35 ohne hinreichenden Grund als unsicher hingestellt. 4 Deae Hludanae conductores piscatus mancipe Q(uinto) Valerio Secundo v(otum ) s(olverunt) l(ibentes) m(erito). Vgl. Z a n g e m e i s t e r Korr. Bl. d. W estd. Ztsch. 1889 S . 2 ff. W i l l e r s , Neue Untersuchungen über die röm. Bronzeindustrie (1907) S .4 6 . Boeles, Friesland S. 67ff. De Vries, Religionsgesch. I 205. Klose S. 38. Gutenbrunner, Die germ. Götternamen S. 83. 8 Tac. Agric. 28. Vgl. Bang S. 44.

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geschöpft, der Tacitus sonst meist als Quelle gedient hat. Welchem Ge­ währsmanne Ptolemäus gefolgt ist, der geogr. I I 11,11 die Friesen als Anwohner der Nordsee bis zur Ems nennt, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Mindestens seit Ende des 3. Jahrhunderts erscheint das Volk selb­ ständig. Im Jahre 294 oder 295 schlug Constantius I. einen Einfall der Chamaven und Friesen in das Bataverland zurück und siedelte Teile dieser Völkerschaften in Gallien an;1 auf die Friesen dürfte der urkundlich im Jahre 798 erscheinende Ortsname Frisionecurtis in pago Ambianense, wohl das heutige Fricourt bei Albert nordöstlich von Amiens, zurückgehen.1 2 Dieser Einfall ist ohne Zweifel mit dem oben geschilderten Vordringen der Sachsen in Verbindung zu bringen, die Teile des friesischen Gebietes be­ setzten. Ferner ist zu vermuten, daß die Friesen damals das Gebiet der Kannanefaten, die sich zum Teil mit ihnen vermischten, zum Teil nach Westen auswandert en,3 eingenommen haben und damit bis in die Nähe des Bataverlandes vorgerückt sind. Seitdem sind sie aus dem Gesichts­ kreis der Römer verschwunden. Das Vorkommen ihres Namens (Frusiones) auf der durch Julius Honorius überlieferten Redaktion der römischen Reichskarte dürfte Reminiszenz aus älterer Zeit sein.4 Ganz unsicher ist es auch, ob unter den in der Mulomedicina des Vegetius (Ende 4. Jahrh.) gerühmten Frigisci equi f r i e s i s c h e zu verstehen sind. Der friesische Machtbereich erstreckte sich in späterer Zeit über die Küstengebiete östlich der Ems bis zur Weser; von diesem Lande, das durch die Abwanderung der Sachsen nach Britannien56frei geworden war, müssen 1 Paneg . 2 V I I I , c. 5. 7. 9. 2 1 . Vgl. S c h r ö d e r , H ist. Zeitschr. 43 (1880) S. 32f. 2 Schröder a. O. S. 33 N . 1. K u r t h , La frontière linguistique I (1896) S. 391 weist noch einige m it dem friesischen Volksnamen gebildete Ortsnamen in Brabant und Flan­ dern nach ; ob diese auf die Ansiedelung unter Constantius oder auf spätere Einwanderung zurückgehen, muß dahingestellt bleiben. Dasselbe gilt von den Friesen im Dep. Aube, Gamillscheg, Romania Germanico I 1 2 2 . 3 Die Kannanefaten werden zum letzten Male im 3. Jahrhundert genannt, vgl. Bang S. 83. 99. Das Vorkommen des Namens bei Julius Honorius ist nicht beweisend, da hier zahlreiche Überbleibsel aus älterer Zeit sich finden. Falsch Schröder a. O. S. 15. 35. Spuren des Namens in Flandern siehe S c h r ö d e r , Zeitschr. d. Savignystift. II (1881) S. 12 N . 5. Doch vgl. Bunte a. O. S. 10. Die Sprache im Kennemerlande ist gemischt, während der Hausbau bis gegen Amsterdam rein friesischen Charakter trägt. 4 Die Crinsiani der Veroneser Völkertafel sind schwerlich auf die Friesen oder Frisiavonen zu beziehen, ebensowenig wie die rätselhaften Hrepstini der Tab. Peuting. 6 D aß sich auch Friesen an der Besiedelung Britanniens beteiligt haben, ist an sich wahrscheinlich und wird durch einige an ihren Namen anklingende Ortsnamen (Zu­ sammenstellung bei Philippson, Germ. Heidentum bei den Angelsachsen S. 36) bestätigt. Doch handelt es sich nur um einzelne Volkssplitter; wir finden in England keine Spur friesischer Sprache. Vgl. Siebs, M itt. d. schles. Ges. f. Volkskunde 31, 67. Uber das Zeug­ nis Prokop b. G. IV 20, der als Bewohner der Insel die Angeln, F r ie s e n und Briten nennt, s. oben S. 25, 6 .

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die Friesen seit dem 5. oder 6. Jahrhundert Besitz ergriffen haben.1 Be­ stimmte Zeugnisse liegen hierüber nicht vor; auch über ihre Ausbreitung nach Süden über die niederländischen Provinzen Zuid-Holland, Utrecht, Zeeland bis zum Sinkfal, einem Arme der Schelde, der nördlich von Sluis ins Meer fällt, haben wir nur dürftige Kunde.1 2 Wie oben bemerkt wurde, sind die niederländischen Reiche der Warnen und Eut en unter Theudebert von den Franken unterworfen worden, so daß deren Gebiet um die Mitte des 6. Jahrhunderts sich in den Niederlanden bis gegen Haarlem erstreckte. Eine weitere Ausdehnung der fränkischen Macht in diesen Gegenden unter Theudeberts Nachfolgern ergibt sich aus folgenden Tatsachen. Nach Venantius Fortunatus carm. IX 1, 75f. brachte Chlotachar I. (also zwischen 555 und 561), ohne auf Widerstand zu stoßen, die Friesen (zum Teil) unter seine Botmäßigkeit: Terror extremis Fresonibus atque Suebis, qui neque bella parant, sed tua frena rogant. Ohne Zweifel steht damit die Ansiede­ lung von Friesen in Nordthüringen (oben S. 48) in engem Zusammen­ hänge. Um 570 erstreckte sich die fränkische Herrschaft bis mindestens zum Laubach, da Sigibert damals die Sachsen und Dänen an der Bordena schlug und bis zum Laubach verfolgte (oben S. 51). Unter Theudebert II. (595-612), Chlotachar II. (612-623), Dagobert I. (bis 633 König von Austrasien) gehörte Utrecht den Franken.3 Der Niedergang des fränkischen Reiches unter Dagoberts Nachfolgern führte zu einep. Emporsteigen der friesischen Macht. In der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts wird A u d u l f u s als König über die Friesen geherrscht haben, von dessen Existenz und von dessen Siegen (über die Franken) nur eine nach fränkischem Vorbilde ge­ prägte Goldmünze mit den Umschriften Audulfus Frisia und Victuria Audulfo Kunde gibt.4 Der Ravennatische Geograph, dessen (allerdings zweifelhafte) Gewährsmänner Markomir und Aithanarid um 650 angsetzt werden,5 nennt 1 Außer Betracht kommt hier die Besetzung der nordfriesischen Inseln, die wahrschein­ lich nicht vor das 9. Jahrhundert fällt. Vgl. Bremer, Ethnogr. S. 114 f. Siebs in Pauls Grundriß I 2 1166. Oben S. 77. 2 Vgl. Lex Fris. add. 3 c. 58. 7 3 : apud occidentales Frisiones inter Flehi et Sincfalam; Lex 14, c. 2 : inter Flehum et Sincfalam fluvium u. a. Richthofen, Unters. II 95. E. Mayer, Friesische Ständeverhältnisse. S. 6 . Siebs, M itt. S. 73 ff. 3 Bonifat. ep. 109: quod ab antiquo rege Francorum Dagobercto castellum Traiectum . . . ad Coloniensem parrochiam donatum . . . fuisset. Urk. Pippins v. 23. Mai 753, M. G. Dipl. Karol. I , n. 5, worin die von C h lo ta c h a r und T h e u d e b e r t der Martins­ kirche zu Utrecht verliehene Immunität bestätigt wird. Vgl. dazu bes. G o s s e s in Bijdragen voor vaderlandsche geschiedenis IV . reeks, I X . deel (1910) S. 213. Hauck I 3 322.439. H o lw e r d a , 16. Bericht der röm.-germ. Kommission (1925/26) S. 138. 4 Engel et Serrure, Traité de numismatique I 188. J ä k e l, Die Grafen von Mittelfries­ land (1895). S. 79 ff. Aus dem Anfang des 7. Jahrhunderts stammt der Schatzfund von Wieuwerd (bei Sneek), der einem Friesen gehörte, der ihn wiederum wahrscheinlich auf fränkischem Gebiete geraubt hat, vgl. J a n s s e n in den Bonner Jahrbüchern 43 (1867) S. 57 ff. 5 Miller a. O. S. 44f.

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Dorostate (W ijk bij Duursteede) eine friesische Stadt (I 11. IV 23, 24), währender das linksrheinische Gebiet noch zu den Franken rechnet. Wenn Eligius Bischof von Tournai, um 645 in Flandern ansässige Friesen bekehrte (vita Eligii I I 8; Mon. Germ. SS. rer. Merov. IV 696), so wird es sich um eine früher von den Friesen ausgegangene, in jenen Gegenden sitzengebliebene Abenteurerschar handeln.1 Der König A l d g i l d oder A l d g i s l scheint keine Gebietserweiterung auf Kosten der Franken vorgenommen zu haben, denn er nahm 678 den mit dem fränkischen König Dagobert II. (gest. 23. De­ zember 679)1 2 befreundeten Erzbischof Wilfried von York bei sich auf, ge­ stattete ihm, das Christentum zu predigen, und nahm ihn gegen die Nach­ stellungen des neustrischen Hausmeiers Ebroin in Schutz.3 Erst Aldgilds kriegerischer Nachfolger R e d b a d (so ist die friesische Namensform, während die Franken R a d b o d sagten) dürfte, die von Pippin den Mittlern gegen Ebroin und dessen Nachfolger geführten Kämpfe benutzend, seine Herrschaft über das Rheindelta bis zur Schelde ausgedehnt haben. Nach­ dem aber Pippin 687 zur Alleinherrschaft gelangt war, richtete er sein Augenmerk auf die Wiedergewinnung des verlorenen Gebietes. Als damals Wictberct als Missionar in Friesland erschien, fand er kein Entgegenkom­ men; der König sah in ihm nur einen Vorkämpfer der fränkischen Herr­ schaft.4 Im Jahre 689 kam es bei Dorostate zu einer Schlacht, in der die Friesen geschlagen Wurden;5 Redbad mußte das Land südlich des Rheins abtreten.6 Der hierdurch hervorgerufene Groll des Königs äußerte sich in gewaltsamen Maßregeln gegen seine christlichen Untertanen. In diese Zeit fällt die Zerstörung der unter Dagobert I. erbauten Kirche zu Ut­ recht.7 Willibrord, der 690 von Britannien nach Utrecht kam, um W ictbercts Tätigkeit wieder aufzunehmen, mußte unverrichteter Sache um· 1 Flanderenses atque Andoverpenses, Fresiones quoque et Suevi et barbari quique circa maris litora degentes. Daß der Vorgänger des Eligius Amandus auf der Insel Chanelaus an der Scheldemündung F r ie s e n angetroffen habe, wie Hauck I 315 N . sagt, be­ stätigt sich nicht; vgl. die vita Amandi SS. rer. Merov. V 4 4 3 .— P i o t , Les Frisons en Flandre: Bulletins de l ’acad. royale de Belgique I I I 35 (1898) S. 78ff. sagt, ganz Nordund ein Teil Ost-Flanderns seien von Friesen besiedelt gewesen. Die Stelle Prokops b. G. I 12, 7. 8 , von den Franken, deren Name die gleiche Bedeutung wie der der Friesen habe, sei auf diese zu beziehen. Es ist überflüssig, auf diese grundlosen Aufstellungen näher einzugehen. 2 Vgl. dazu L e v is o n im Neuen Archiv 35 (1909) S. 37. 3 Eddius, vita Wilfridi c. 25. 26. Beda V 19. V gl. R e t t b e r g , Kirchengeschichte Deutschlands II (1848) S. 512. Richthofen, Unters. II 349 ff. Hauck I 432. 4 Beda V , 9. 5 Lib. hist. Franc. 49. Fredeg. cont. 6 . Annal. M ett. 692. 697 (zweimal dasselbe E r­ eignis erzählend). Ann. X a n t. a. 694. Die Schlacht fällt vor 690, der Ankunft W illi­ brords, vgl. Hauck I 435 N . 4. Mühlbacher, Reg. I S. 9 . * Beda V , 10 : quia (Pippinus) nuper c i t e r i o r u m F r e s i a m expulso inde R athbodo rege ceperat (690). Utrecht war damals noch friesisch, Alcuin, vita Wilibrordi c. 5. 7 Bonifat. ep. 109.

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kehren.1 Ein vornehmer, wegen seiner strengen Gerechtigkeit gerühmter Friese Wurssing, der wohl persönliche Beziehungen zur Pippinischen Familie hatte und daher dem König verdächtig erschien, obwohl er Heide war, sah sich genötigt, um den gegen seine Person gerichteten Nachstel­ lungen zu entgehen, zu entfliehen; er fand bei Pippins Sohne Grimoald Aufnahme und Schutz.1 2 Die Spannung führte zu neuen Kämpfen, die aber ebenfalls zuungunsten der Friesen ausfielen und eine weitere Ausdehnung der fränkischen Herrschaft bis zum Ylie (?) zur Folge hatten; im Winter 695/96 wies Pippin dem Willibrord Utrecht als bischöflichen Sitz an.3 Wie es scheint erst nach geraumer Zeit fand eine Annäherung der beiden feind­ lichen Völker statt; Redbad gab seine Tochter Theudesinda dem Sohne Pippins Grimoald zur Ehe,4 gestattete dem Willibrord, seine Missions­ tätigkeit unter den freien Friesen wieder aufzunehmen, und rief auch den Wurssing wieder zurück.56 Freilich war es Willibrord nicht beschieden, irgendwelche Erfolge zu erzielen; König und Volk hielten hartnäckig am Heidentum fest. Er versuchte nun sein Heil bei den Dänen, aber ebenfalls ohne Glück. Auf der Rückfahrt nach Utrecht mußte er, durch Unwetter gezwungen, an einer Insel des freien Frieslands, in Fosetesland, anlegen.0 Als er hier es wagte, einige Personen aus dem Wasser eines heiligen Quells zu taufen und die dem Gotte geweihten Rinder zu schlachten, wurde er wegen Heiligtumsschändung ergriffen und vor Redbad gebracht. Dieser ließ je dreimal an drei Tagen das Los über ihn werfen, schenkte ihm aber, da es ihn nicht traf, die Freiheit, während einer seiner Gefährten, auf den das Los fiel, den Göttern geopfert wurde.7 Naturgemäß wurde dadurch der nur mühsam unterdrückte Haß der Friesen gegen die Franken von neuem entfacht. Ein Heide, d. h. Friese, Rantgar stieß den Grimoald, der zum Besuche seines kranken Vaters gekommen war, in der Lambertuskirche zu Lüttich nieder (April 714).8 Am 16. Dezember 714 starb Pippin; seine Ge­ mahlin Plektrud übernahm das Regiment und setzte Pippins Sohn Karl Martell gefangen. Gegen Plektrud erhoben sich die Neustrier und schlossen mit Redbad ein Bündnis. Dieser fuhr den Rhein aufwärts bis Köln, wo er 1 Alcuin a. Ο. 2 Altfrid. vita Liudg. I c. 1. 3 Beda V 11. Bonif. ep. 109. V gl. Hauck I 438. 4 Lib. hist. Franc. 50. 6 Vita Liudg. c. 3 (sechs Jahre vor Redbads Tode, also 713). 6 Daß Fosetesland nicht Helgoland ist, wie früher allgemein angenommen wurde, hat S ie b s , Beiträge zur Gesch. d. deutsch. Sprache 35 (1909) S. 5 3 5 ff. ausführlich nachge­ wiesen, der aber irrt, wenn er jenes mit dem Kennemerland oder der Insel Texel identi­ fiziert, da es sich deutlich um ein den Franken nicht botmäßiges Land handelt. Vgl. De Vries, Religionsgesch. I 241 f. 7 Alcuin, c. 9 ff. 8 Lib. hist. Franc. 50. Vgl. Mühlbacher, Reg. I S. 12.

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Die Ingwäonen

über Karl, der inzwischen seiner Haft entflohen war und in Austrasien einen großen Anhang gewonnen hatte, einen glänzenden Sieg erfocht (März 716).1 Redbad ergriff nun von dem an die Franken verlorenen Ge­ biete wieder Besitz, verjagte die christlichen Priester, zerstörte die Kir­ chen und stellte allenthalben die heidnischen Heiligtümer her.1 2 Winfried (Bonifatius), der noch im Jahre 716 in Friesland eintraf und auch vom Könige empfangen wurde, mußte sich sehr bald von der Aussichtslosigkeit einer Missionstätigkeit überzeugen.3 Aber schon 718 gewann Karl nach einem Siege über Redbad das Land zurück.4 Von wesentlicher Bedeutung für die Sicherung der fränkischen Eroberung war der Tod Redbads (719).5 Willibrord zog wieder in Utrecht ein und gewann das fränkische Friesland unter der Mitwirkung des Bonifatius dem Christentum zurück.6 A uf Red­ bad folgte dessen Sohn Poppo (Bobb = H rod bad ).7 Dieser verhielt sich, soviel wir hören, zunächst längere Zeit ruhig. Erst im Jahre 733 kam es zu Feindseligkeiten, die Karl zu einer Expedition nach Wistrachia, dem Westergo zwischen Ylie und Bordena, veranlaßten.8 Die Entscheidung er­ folgte aber erst im folgenden Jahre. Karl brachte eine ansehnliche Flotte zusammen, schlug das friesische Heer an der Bordena, wobei Poppo fiel, und machte das Land zwischen Vlie und Laubach zur fränkischen Provinz,9 indem er den Friesen einen Tribut auferlegte, ihnen sonst aber ihre herge­ brachte Verfassung beließ.101 Ostfriesland blieb dagegen selbständig und ward erst durch Karl den Großen dem Frankenreiche einverleibt.11 Das Land heißt Frisia (auf der Münze Audulfs und sonst), Fresia, Fresonia, Frisionum (Frigonum) patria (Anon. Rav.), regnum Fresonum (Ann. 1 Lib. hist. Franc. 51. 52. Fred. cont. 9. Ann. Petav. Tilian. s. Amandi Gesta abb. Font, c. 3. V gl. Mühlbacher I S. 12. Breysig, Karl Marteil S. 21 ff. Richthofen I I 354. 2 W illibald , vita Bonif. c. 4 S. 16. 3 W illib . ebenda. 4 Alcuin, c. 13. Vgl. Hauck S. 433 N . 5 gegen Breysig S. 29. 5 Ann. s. Am andi, T il. Petav. Nazar. Alam ann. Lauresham. X a n t. W illibald, c. 5. S. 23.

® Bonifat. ep. 109. Vgl. Hauck S. 444. 7 Jäkel a. O. S. 78. Der vermeintliche Nachfolger Rèdbads, Aldgild I I ., wird erst von späten Chronisten erwähnt; seine Existenz ist daher durchaus problematisch. Vgl. W i a r d a , Ostfriesische Geschichte I (Aurich 1791) S. 6 8 . E m m i u s , Res Frisicae (Lugd. 1616) S. 55. 8 Ann. Tiliani, Petav., s. Amandi a. 733. 9 Ann. Petav. Nazar. s. Amandi 734. Fredeg. cont. 17. Liudg. vita Greg. Traiect. c. 5 : in ripam occidentalem fluminis, qui dicitur Lagbeki, ubi confinium erat Christianorum (d. h. fränkischen) et paganorum (d. h. unabhängigen) cunctis diebus Pippini regis. V ita Willibrordi II 9 (M . G. Poetae aevi Carol. I 2 1 1 ). Vgl. Mühlbacher I S. 17. Breysig S. 73. Richthofen, Unters. I I 357 ff. und Mon. Germ. Leg. I I I 643. 10 Jäkel, Grafen von Mittelfriesland S. 101 und in der Zeitschr. d. Savignystift. 27 (1906) S. 125; 46 (1926) S. 115. 11 Vgl. Richthofen, Unters. II 392 ff.

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Yedast. M. G. SS. II 199). Zur Zeit der größten Ausdehnung erstreckte sich die friesische Herrschaft über die Küstenländer von der Weser- bis zur Scheldemündung. Die Lex Frisionum (aus dem Anfang des 9. Jahr­ hunderts) unterscheidet Friesland vom Sinkfal bis zum Vlie, vom Vlie bis zum Laubach und vom Laubach bis zur Weser, vgl. die Stellen bei Richt­ hofen, Untersuch. II 95. Über die einzelnen Landesteile siehe Richthofen II 1289f. und die Karte. Die Weser, der kleine jetzt in die Jade gehende Nebenfluß Wapel und eine Linie, welche von ihm westlich gegen die Ems lief, trennten Friesland von den Sachsen, vgl. die Stellen bei Waitz V 1 2 188. Der Gau Drenthe gehörte trotz Fockema Andreae (Zeitschr. d. Savignystift. 30 [1909] S. lff.) nicht zu Friesland, sondern zu Franken, vgl. oben S.40, 6. Im Süden des Zuidersees waren fränkisch die Gaue Flethetti, Felwe (Veluwe), Batua (Betuwe) und Testerbant (ganz oder zum Teil).1 Die frie­ sische Sprache hat sich nur in der holländischen Provinz Friesland und im Saterlande erhalten und ist in den übrigen Gebieten ausgestorben. Spuren friesischer Sprache westlich vom Vlie sind nur dürftig und unsicher.2 Über die Verbreitung des friesischen Haustypus in Holland, wo er in Groningen, Friesland, auf den Inseln von Schiermonnikoog bis Texel, Noord-Holland und in der Gegend um Dordrecht vorkommt, siehe G allée, Das nieder­ ländische Bauernhaus, Tafel L X II. Wahrscheinlich haben die Friesen das Land westlich vom Vlie nur zum Teil kolonisiert und sind hier ansehnliche Reste einer älteren Bevölkerung zurückgeblieben. Friesland bildete schon seit früher Zeit einen einheitlichen Staat mit monarchischer Spitze. Zur Zeit des Kaisers Nero herrschten zwei Könige (Verritus und Malorix) gleichzeitig; später wird das Königtum nur durch eine Person vertreten. Tacitus hebt die Beschränkung der Kompetenz der Monarchie durch die Volksgewalt hervor, ann. 13,54: in quantum Ger­ mani regnantur, und auch später ist es zu keiner erheblichen Steigerung der königlichen Macht gekommen. Heerführerschaft und Oberpriestertum bildeten im wesentlichen den Inbegriff der Gewalt des Königs. Als Ober­ priester, als Hüter der heidnischen Heiligtümer, erscheint Redbad in dem Verfahren gegen Willibrord in Fosetesland.3 Als Heerführer tritt der König mehrfach in den Berichten über die mit den Franken geführten Kriege hervor; in diesem Sinne ist es wohl zu verstehen, wenn er häufig d u x statt r e x genannt wird.4 Außerdem hatte der König den Staat nach außen zu 1 Über Testerbant, das nach Richthofen friesisch war, vgl. Schröder, Hist. Zeitschr. 43 S. 50. Zeitschr. d. Savignystift. II 1 2 . 2 Vgl. Siebs in Pauls Grundriß I 2 1153. 3 Vita Willibrordi c. 10: regis animum, qui violatores sacrorum illius atrocissima morte damnare solebat, c. 11: Qui (R adbod). . . suorum injurias deorum ulcisci cogitabat. Vgl. R ichthofenII 401. Brunner, Rechtsgesch. I 2 173 (wo fälschlich die vita Liudgeri genannt ist). 4 D u x : Lib. hist. Franc. 50 -5 2 . Fredeg. cont. 6 -9 . 17 und sonst in den fränkischen An-

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D i e I n g wä o n e n

vertreten: Yerritus und Malorix reisen nach Rom, um mit dem Kaiser zu verhandeln, Aldgild empfängt die Gesandten Ebroins, die die Auslieferung Wilfrieds an York fordern; die Neustrier schließen mit Redbad ein Bünd· nis (Lib. hist. Franc. 51) u. a. ; doch war er hier durchaus an den Willen des Volkes gebunden. Wichtig ist in dieser Beziehung das Zeugnis des gleich­ zeitigen Fortsetzers des Fredegar 17, wo es heißt, Karl Martell habe den Poppo ducem illorum (Frisionum) f r a o d o l e n t u m c o n s i l i a r i u m getötet (734); der Herrscher besaß also wie z. B. der Sachsenführer Widukind (vgl. oben) nur eine b e r a t e n d e Stimme bei der Entscheidung über Krieg und Frieden. Ebenso wird an derselben Stelle nicht der König, sondern die gens Frigionum als kriegführender Faktor bezeichnet.1 Ohne Zweifel wurde der König jedesmal durch das Volk eingesetzt, jedoch unter Be­ rücksichtigung des Erbrechts, so daß wohl in der Regel der Sohn dem Vater folgte.*1 2 Über die Abzeichen des Königtums verlautet nichts. Das Münzbild, das den Audulfus mit Diadem und Paludamentum zeigt, kann auf fremdem Vorbilde beruhen. Einmal wird das palatium des Königs er­ wähnt (vita Wilfr. 26).3 Consiliarii regis kommen in der vita Liudg. I 1 vor, ohne daß sich etwas Näheres über ihre Stellung ergäbe. Das Land zerfiel in Gaue (pagi, altfries. gö und gä), deren Umfang aber wesentlich kleiner war als der der karolingischen Grafschaften. Vorsteher war der abba (praefectus pagi, kok, hôdere), der, vom Volke gewählt, die gesamte militärische, richterliche und Polizeigewalt in seiner Hand ver­ einigte, also genau dem taciteischen princeps entsprach.4 Stellvertreter des Grafen war der fräna.5 Die Urteilfindung im Gericht, die ohne Zweifel an­ fänglich der Gerichtsgemeinde zustand, ist später an den Asega übergegan­ gen, dessen Amt wahrscheinlich mit dem priesterlichen zusammenfällt.6 Dem Gaufürsten standen als Berater zur Seite die Rêdjeven, Vertrauens­ männer der Hundertschaftsgemeinde.7 Daß nachmals von den friesischen nalen. R e x : Vita W ilfridi 25. 26. Beda V 9. 10. Vita Liudg. I 1. Chron. Lauriss, breve II 1. Den Unterschied der Stellung Karl Martells und Redbads bebt scharf hervor W illibald, vit. Bonif. c. 4 S. 16: dissensio unter Carlum . . . d u c e m Francorum et Redbadum r e g e m Fresonum. 1 Vgl. dazu H . Edler v. Hoffmann, Entscheidung über Krieg und Frieden S. 6 6 . 2 Vgl. Jäkel, Grafen v. Mittelfriesland S. 79 ff. 3 Über die curtis ducis der Lex Fris. X V I I 2 vgl. Richthofen z. d. St. Brunner, R . G. I 2 1479. 4 W illibald, vita Bonif. c. 9 S. 57. Siehe Jäkel, Zeitschr. d. Savignystift. 27 (1906) S. 114 ff. P a u ls , Ältere Geschichte Ostfrieslands (1909) S. 13. 82. Doch vgl. Schröder, R . G. I e 610. Die Stellung eines abba bekleidete wohl der schon erwähnte W urssing, den der König, da er ihn nicht absetzen konnte, heimlich aus dem W ege zu räumen suchte, vgl. vita Liudg. I 1 (in iudicio iustus; iuberet illum callide interficere etc.). 6 Vgl. Jäkel in d. Zeitschr. d. Savignystift. 28 (1907) S. 205 ff. 8 Jäkel, Zeitschr. d. Savignystift. 27 (1906) 130 ff. 7 Jäkel ebenda S. 145 ff. v. S c h w e r in , Die altgermanische Hundertschaft (1907) S .159ff.

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Gauen mehrere zu einer fränkischen Grafschaft zusammengefaßt worden seien, deren Unterbezirke sie bildeten nach Art der fränkischen Hundert­ schaften (so R. Schröder, E. Mayer), ist unerwiesen. Über das K r i e g s w e s e n erfahren wir nur wenig. Daß die Friesen nicht minder kriegstüchtig waren als die anderen germanischen Völker, bezeugt schon Tacitus (hist. IV 79 von der auf der Seite des Batavers Civilis stehenden Truppe). Naturgemäß waren sie auf dem Wasser besonders heimisch: eine friesische Flotte, die rheinaufwärts bis Köln vordrang, wird zum Jahre 716 erwähnt. Von Waffen verzeichnet die Lex Fris. Pfeile (sagitta), Spieße, Messer (telum, ferrum), Schwerter (gladius), Schilde (scutum).1 Die Ausgrabungen förderten zutage Speerspitzen, Pfeilspitzen, Wurfbeile (francisca), Wurfmesser, zweischneidige Schwerter (spatha), Sporen, Steigbügel aus Eisen; Pfeile, Speere, Beile, Keulen aus Horn, vgl. Boeles, Catalogus etc. S. 39ff. Auch die Friesen kannten drei freie S t ä n d e , Ethelinge (nobiles), Frimen, Frilinge (liberi), Liten (liti). Das Wergeid derselben betrug nach der Lex Fris, in Mittelfriesland 80-531/3-3 5 1/3, in Ostfriesland 1062/3—53x/3— 262/3, in Westfriesland 100 (1062/3)-50 (53x/3)-25 (262/3) Schillinge. Die Ethelinge, Großbauern, bildeten die Schicht, aus der vorzugsweise die Volksbeamten gewählt wurden. Die Freien setzten sich in erster Linie aus der altgermanischen, gemeinfreien Bevölkerung zusammen, während die Liten zumeist die Überreste der vorfriesischen, unterworfenen Bewohner waren.2 Die w i r t s c h a f t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e waren wohlentwickelt.3 Den Ackerbau der Friesen erwähnt schon Tacitus anläßlich ihres Versuches, sich im römischen Militärterritorium festzusetzen (ann. 13, 54) : iamque fixerant domos, semina arvis intulerant utque patrium solum exercebant. Die Hauptrolle spielte natürlich die Viehzucht: in Ochsenhäuten war der von den Römern auferlegte Tribut zu entrichten; außer Rindern wurden nach der Lex Fris, gehalten Pferde, Schafe, Ziegen, Schweine. Daß die Fischerei einen wesentlichen Teil der Nahrung lieferte, versteht sich von selbst, vgl. vita Wilfr. 25: erat . . . eo tempore solito amplius in piscatione et in omnibus frugifer annus. Die Siedelungen zerfielen überwiegend in Dörfer, die sich auf die Geschlechterverfassung gründeten, und in Einzel­ höfe. Sie lagen in den Marschen auf den schon oben besprochenen Warfen. Bei der Namengebung waren die Formen auf -um bevorzugt. Über den 1 Vgl. W illibald vita Bonif. 8 (S. 4 9 ): hostium (Fresonum) ingens in castra, bibrantibus armis, astata ac scutata inruerat multitudo. (S. 5 0): cum gladiis cunctaque militiae arma­ tura inruit. a Vgl. zuletzt B. E . S ie b s , Altfries. Verfassung mit weiterer Literatur. 8 Vgl. u. a. S w a r t , Zur friesischen Agrargeschichte (1910) Dopsch, Grundlagen I 2 303 ff., II 462. Boeles, Friesland S. 85 ff.

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friesischen Haustypus siehe Gallée, Das niederländische Bauernhaus, Text S. 18 ff. Zahlreiche Angehörige des Volkes waren wohl schon früh als Han­ delsleute tätig, wenn auch die darüber erhaltenen Zeugnisse meist einer späteren Zeit angehören.1 Sie vertrieben hauptsächlich britische und hei­ matliche Gewebe. Friesische Kaufleute waren es wohl auch, die den Ver­ kehr zwischen den binnenländischen Sachsen und dem Auslande ver­ mittelten. Die Funde römischer Gebrauchs- und Schmuckgegenstände sind daher auf friesischem Gebiete außerordentlich zahlreich,1 2 was nicht allein mit der länger andauernden Reichsangehörigkeit zusammenhängt. Der lebhafte Handel setzt ein ausgebildetes Münzsystem voraus. Doch besteht über dieses noch keine völlige Klarheit.3 In einem bestimmten Ver­ hältnis zu dem Metallgeld stand das in Tuchstücken bestehende Zeuggeld (wêde).45Dem allgemeinen Gebrauch zufolge wurden Goldmünzen anfäng­ lich nur mit dem Porträt und Namen des Kaisers geprägt: so die Münze, die auf der Vorderseite die Umschrift DN. Anastasius Fris, auf der Rück­ seite die Umschrift Victoria Aucctorumi zeigt. Dagegen trägt die schon er­ wähnte Münze des Audulfus, die wahrscheinlich auf erobertem fränkischen Gebiete von einem fränkischen Münzmeister hergestellt ist, den Namen des friesischen Königs.6 Die einheimische Warenproduktion lag auch hier zum Teil in den Händen von Unfreien. Besonderes Ansehen genossen die (meist freien) Goldschmiede und die Frauen, die fresum herstellten, d. h. Fransen zur Verzierung von Kleidern6 (Lex Fris. Jud. Wulemari). Sehr bedeutend war die schon in alter Zeit bestehende, zum großen Teile Aus­ fuhrzwecken dienende Wollweberei.7 Ein reines Bauernvolk sind die Ger­ manen überhaupt niemals gewesen. Wie ihre Nachbarn, die Sachsen, so zeichneten sich auch die Friesen durch zähes Festhalten an ihrem Volkstum aus. Von fremden Beeinflus­ sungen ist daher nur wenig zu bemerken: Sprache, Sitte und Recht sind durchaus germanisch geblieben, trotz den langjährigen Beziehungen zu Rom. Wenn nach Tacitus ann. 11, 19 Corbulo eine Neuordnung der friesi1 Vgl. K lu m k e r im Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst zu Emden 13 (1899) S. 49 ff. Erste sichere Erwähnung friesischer Händler in einer Urk. von 753, M. G. Dipl. Karol. I n. 6 . Über den römischen Handel nach Friesland und die Münzfunde W illers, Bronzeeimer von Hannover S. 191 ff. Boeles, Friesland S. 85 ff. 2 Vgl. P l e y t e , Nederlandsche oudheden. Friesland (1877). Boeles, Catalogus S. 22 ff.; Friesland S. 91 ff. 3 Vgl. z. B. L u s c h in v. E b e n g r e u t h in Hoops Reallex. III 265 f. Brunner, R . G. I 2 319 f. Schröder, R . G. I® 203. Boeles, Friesland S. 157 ff. 4 Jäkel, Zeitschr. d. Savignystift. 28, 159. Brunner I 230. 321. 5 Jäkel, Grafen v. Mittelfriesland S. 79 setzt dieselbe m it Unrecht um 550. Vgl. da­ gegen auch Engel und Serrure I 189. Boeles, Friesland S. 158. ® Klumker S. 67. K a r c h e r , Das deutsche Goldschmiedehandwerk (1910) S. 23. 7 Klumker a. O. Dopsch I I 2 463. V g l. die Funde bei Boeles Cat. S. 41 ff. Friesl. S. 114.

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sehen Verfassung durchführte, senatum, magistratus, leges imposuit (nach keltischem Muster ?), so kann es sich nur um Maßnahmen gehandelt haben, die nicht von Dauer gewesen sind. Ebenso setzten die Friesen der Ein­ führung des Christentums hartnäckigen Widerstand entgegen; sie hingen fest an ihrem heidnischen Glauben. Haine, Quellen, Hügel, ganze Inseln, ferner (seit späterer Zeit) hölzerne Tempelbauten,1 in denen Bilder (idola, simulacra),1 2 auch Kostbarkeiten (thesaurus)3 aufbewahrt wurden, waren den Göttern geweiht. Die Verletzung der Heiligtümer ward mit dem Tode bestraft.45Ein Hain der Baduhenna wird von Tacitus erwähnt (ann. IV, 73); über diese Göttin ist ebensowenig etwas bekannt wie über den Gott Fosete, dem eine Insel (nicht Helgoland) geweiht war.6 Niemand durfte Tiere, die dort weideten, oder sonst welche Gegenstände berühren, auch aus einer dort sprudelnden Quelle nicht anders als schweigend trinken (Alcuin, c. 10). Nur unter dem Drucke der fränkischen Herrschaft konnte das Christen­ tum Boden gewinnen. Der erste Missionar, der im f r e i e n Friesland wirkte, war Wilfried von York, der, vom König Aldgild begünstigt, große Erfolge erzielt haben soll, die aber von keiner nachhaltigen Bedeutung waren. Ganz vergeblich waren die Bemühungen seiner Nachfolger Wictberct, Willibrord und Bonifatius,6 die unter den veränderten politischen Ver­ hältnissen zu leiden hatten. Selbst in dem von Karl Marteil endgültig dem Frankenreiche einverleibten Gebiete zwischen Vlie und Laubach, obwohl hier die Franken nach der Schlacht an der Bordena alle heidnischen Heilig­ tümer zerstört hatten (Fred. cont. 17), überwog das Heidentum noch in der Mitte des 8. Jahrhunderts völlig: im Jahre 754 ward hier Bonifatius erschlagen, und Pippin wagte keinen Schritt zu tun, um die Untat zu sühnen. Nur Friesland westlich von Vlie konnte wenigstens in der Haupt­ sache als christianisiert gelten. 1 fana: Fredeg. cont. 17. Alcuin, vita W illibr. 10. Vita Liudg. I 14. Lex Fris. V 1, add. sap. 11 u. ö. D aß die Tempel aus Holz erbaut waren, beweisen die Angaben über ihre Ver­ brennung Fredeg. a. O. Vgl. T h ü m m e l, Beiträge z. Gesch. d. deutsch. Sprache 35 (1909) 116. 2 Vgl. bes. Vita Willebrordi c. 3 : ut relicta supersticione id o lo r u m unius veri Dei notitiam susciperent . . . dicens insanum esse et vanum a la p id ib u s auxilia petere et a s im u la c r is m u t is e t s u r d is subsidii sperare solatium.3 Vita Liudg. I 16. 4 Lex Fris. a. O. Vgl. die Erzählungen von Willibrord und W illehad, Hauck I 441, II 352. 5 Vgl. oben S. 74. Über die Göttin Hludana, die auch außerhalb Frieslands verehrt wurde, s. oben S. 75, und die dort zitierte Abhandlung Zangemeisters sowie De Vries I 203. 205 f. Gutenbrunncr a. O. S. 83 ff. und oben S. 72 (matres Frisavae). * Über Amandus und Eligius s. oben. W as von einer Missionstätigkeit W ulfram s, Bischofs von Sens, erzählt wird (etwa 700) (vita Vulframmi ed. Levison, M. G. SS. Merov. V 661 ff.), ist gänzlich wertlos, vgl. Rettberg II 514 ff. Levison S. 658. (Aus der vita Vulfr. schöpften indirekt die ann. X a n t.)

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D i e I ng wäo ne n

Auch die lateinische Sprache und Schrift fand erst unter der fränkischen Herrschaft Eingang. Die ältesten Aufzeichnungen geschahen in Runen. Erhalten sind solche u. a. auf dem Holzschwertchen von Arum, südwest­ lich von Franeker, mit dem die Bewohner eines bestimmten Gerichts­ bezirkes zum Bodthing aufgeboten wurden (Inschrift: Edae bodae), sowie auf der Nachbildung einer als Schmuckstück dienenden Münze Theodo­ sius’ I. oder II. (Inschrift: hada). Uber weitere Runenfunde berichten Boeles, Friesl. S. 190 ff., 256 ff. ; Amtz, Runenkunde S. 206 f. Eine Auf­ zeichnung des friesischen Rechtes in lateinischer Sprache liegt uns vor in der sog. Lex Frisionum, einer wüsten Kompilation, „die man nur als un­ fertigen Entwurf eines nie zur Gesetzeskraft gelangten Werkes betrachten kann“ .1 Sicher ist, daß die Friesen von alters her das Andenken ihrer Vor­ fahren im Heldenlied feierten; doch stammen die Zeugnisse hierfür erst aus späterer Zeit. Eines blinden friesischen Sängers Bem lef (um 790) tut die vita Liudgeri I 25 Erwähnung : quod esset affabilis et antiquorum actus regumque certamina bene noverat psallendo promere; eines harpator ge­ denkt die Lex Frisionum Judic. Wulemari 10. Zu den epischen Stoffen, die den Friesen eigen waren, gehört vor allem die Sage von dem friesischen König Finn Folcvalding und seinen Kämpfen mit den Hocingen, die wir aber nur aus der angelsächsischen Dichtung kennen. Ob irgendein und welches historisches Faktum zugrunde liegt, läßt sich nicht sagen. Der Name jenes Königs dürfte jedenfalls nicht der Geschichte angehören.1 2 Für die T r a c h t der Friesen gilt das oben S. 70 Gesagte. Das sagum wird auch in der Lex Fris. 14, 5 erwähnt. Zur A n t h r o p o l o g i e ist das grundlegende Werk von N y è s s e n , The passing of the Frisians (1927) zu vergleichen. Der Name des A m s i v a r i e r bedeutet Leute von der Ems; ihre Sitze sind also zunächst an diesem Flusse, und zwar am Unterlaufe, zu suchen. Wie die Friesen und Chauken, so hat Drusus wohl auch die Amsivarier im Jahre 12 v. Chr. unter römische Oberhoheit gestellt. Den damals geschlos­ senen Vertrag hat Tiberius wahrscheinlich im Jahre 5 n. Chr. erneuert.3 Auch während des Cheruskeraufstandes 9n.Chr. hielten sie an dem Bünd­ nis mit Rom fest; ihren Anführer Bojocalus ließ daher Arminius, der ihn in der Umgebung des Varus traf, in Fesseln legen.4 Ebenso unterstützten 1 E c k h a r d t , Germanenrechte II (1934) S. V I I I . Vgl. auch Brunner, R. G. I 475 ff. H i s , Zeitschr. d. Savignystift. 57 (1937) S. 58 ff. Die mehrfach ausgesprochene Ansicht von Heck, daß die Lex ein einheitliches, zu Aachen 802 aufgezeichnetes W erk sei, ist ent­ schieden ahzuweisen. 2 Vgl. H o o p s , Kom m . z. Beowulf (1932) S. 132 ff. H. Schneider, German. Heldensage II 2, 52 ff. 3 Vgl. Kornemann, K lio I X 441 N . 3. 4 Tac. ann. 13, 55. Vgl. Vellej. II 119, 2.

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sie den Germanicus.1 Die gewöhnliche Annahme, daß sie im Jahre 16 von den Römern abgefallen, dann aber wieder unterworfen worden seien, be­ ruht lediglich auf einer Konjektur; an den in Frage kommenden Stellen des Tacitus ann. II 9. 22. 24 ist von den A n g r i v a r i e r n die Rede, und es liegt kein Grund vor, diesen durch die Handschriften überlieferten Volks­ namen durch einen anderen ähnlich klingenden zu ersetzen. Ein Abfall der Amsivarier ist nicht wahrscheinlich angesichts des römerfreundlichen Verhaltens der ihnen benachbarten Friesen und Chauken; ferner werden die Angrivarier ausdrücklich unter den Völkern genannt, über die Ger­ manicus triumphierte (Tac. ann. II, 41), während es von den Καμψ(ι)ανοι oder Αμψ((.)ανοι bei Strabo V I I 1, 3. 4 sehr zweifelhaft ist, ob man in ihnen die Amsivarier zu erkennen hat.1 2 Von den westwärts drängenden Chauken vertrieben, suchten sich die Amsivarier im Jahre 58 in dem römischen Militärterritorium am Niederrhein (vgl. oben S. 74) festzusetzen. Der Statthalter Avitus versagte aber ihnen, wie vorher den Friesen, die Auf­ nahme und erklärte sich nur bereit, dem Bojocalus für seine Person Land anzuweisen, was dieser, der sich mit seinem Volke solidarisch fühlte, ab­ lehnte.3 Sie versuchten hierauf ihr Vorhaben mit Gewalt durchzusetzen und riefen die Brukterer, Tenkterer und andere Völker aus dem inneren Deutschland zum Beistand auf. Da diese, von Avitus mit Krieg bedroht, sich zurückhielten, suchten sie zunächst bei den Usipiern und Tubanten, weiterhin bei den Chatten und Cheruskern Schutz und Aufnahme, wurden aber überall zurückgewiesen. Angeblich wurden sie auf ihrer langen Wan­ derung nach und nach ganz aufgerieben;4 doch ist bekannt, daß alle der­ artigen Angaben der Römer fast durchweg stark übertrieben sind. In der Tat treten Amsivarier auch später in der Geschichte hervor, und es ist ausgeschlossen, daß sich ansehnliche Teile des Volkes in den alten Sitzen an der Ems gegen die übermächtigen Chauken hätten behaupten können. Nicht fern vom Rhein, etwa an der oberen Wupper, werden sie nach ihren Irrfahrten wohl endlich eine Heimat gefunden haben. Von hier aus beun­ ruhigten sie die Grenzgebiete Galliens. Maximian stellte den Frieden wieder her und verpflichtete sie zur Stellung von Soldaten; denn das in der Notitia dign. aufgeführte auxilium palatinum der Amsivarier geht wahrscheinlich auf die transrhenanischen Feldzüge dieses Kaisers zurück 1 Tac. ann. 13, 55. 2 Vgl. die zutreffenden Ausführungen von K n o k e , Die Kriegszüge des Germanicus. 2. Aufl. (1922) S. 363 f. 3 Hieraus ergibt sich die Irrigkeit der z. B. von Z a n g e m e is t e r , Westdeutsche Zcitschr. V I 251 ausgesprochenen Ansicht, daß Bojocalus zur Zeit des Cheruskeraufstandes nur Führer einer römerfreundlichen Partei wie Segest gewesen sei. 4 Tac. ann. 13, 55. 56. Nach Maynial, Revue arch. 1901 S. 172 ff. ist die fünfte impe­ ratorische Akklamation (58) auf die Zurückweisung der Amsivarier zu beziehen.

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Di e I n g wä o n e n

(siehe Bd. I2 558). Ferner erscheinen sie im Laterculus Veronensis unter den „gentes barbarae quae pullulaverunt sub imperatoribus“ , sowie auf der Karte des Julius Honorius, ohne daß sich etwas Näheres über ihre Sitze ergäbe. Am Ende des 4. Jahrhunderts sind sie als ein Teilvolk der Franken bezeugt (Sulpicius Alexander bei Greg. Tur. hist. Franc. II 9), denen sie ohne Zweifel schon früher sich angeschlossen hatten, vgl. dazu weiter unten. Über die inneren Zustände erfahren wir nur wenig. Tacitus (ann. 13, 55) bezeugt, daß die Kopfzahl der Amsivarier eine ansehnliche gewesen sei. Aus derselben Quelle erfahren wir, daß Ackerbau und Viehzucht wohl entwickelt waren und daß Sonne und Sterne verehrt wurden.1 1 Y gl. Clemen, Altgermanische Religionsgeschichte S. 29 f.

D IE E R M IN O N E N ERSTER ABSCHNITT

1 DIE A N G R IV A R IE R UND CHERUSKER Die engere ethnische Zugehörigkeit der Angrivarier ist zweifelhaft. Aus archäologischen Gründen (als Träger der sog. Nienburger Kultur) rechnet man sie neuerdinge gleich den Cheruskern (die aber Plinius als Teil der Erminonen bezeichnet) zu den Istwäonen. Sie wohnten in ältester bekann­ ter Zeit zu beiden Seiten der mittleren Weser. Zuerst werden sie bei dem Feldzuge des Germanicus im Jahre 16 n. Chr. erwähnt. Als dieser die Weser aufwärts gefahren war und auf dem linken Ufer des Stromes, etwa bei Minden, ein Lager aufgeschlagen hatte (vgl. weiter unten), wurde ihm der Abfall des Volkes im R ü c k e n des römischen Heeres gemeldet (Tac. ann. II, 9) ; nach der Schlacht von Idistaviso fand ein zweites Zusammentreffen zwischen Römern und Germanen statt: lato aggere, quo (Angrivarii) a Cheruscis dirimerentur (Tac. II, 19). Spuren dieses Grenzwalls glaubt man jetzt bei Leese zwischen den Loccumer Sümpfen und der Weser festgestellt zu haben,1 so daß die Südgrenze der Angrivarier in der Linie StolzenauSteinhuder Meer-Celle lief. Nach Ptolemäus II 11,9 wären die Angrivarier als Nachbarn der Großen Chauken vorwiegend auf dem rechten Weserufer zu denken. Uber ihre Stellung zu den Römern erfahren wir aus älterer Zeit nichts. Daß sie in dem bedeutungsvollen Jahre 9 n. Chr. zur Partei Armins gehörten, dürfte aus ihrem nachmaligen Verhalten sich ergeben. Vielleicht waren sie das nicht namentlich genannte Volk, das zuerst sich empörte. Dem im Jahre 16 ihr Gebiet passierenden Heere des Germanicus wagten sie keinen Widerstand entgegenzusetzen und zeigten ihre Unter­ werfung an; aber sogleich nach Beendigung des Durchzuges der Römer fielen sie wieder von diesen ab.1 2 Ihre aktive Beteiligung an den nachfol­ genden Kämpfen wurde aber durch ein römisches Streifkorps unter Ster­ tinius, das in ihrem Lande mit Mord und Brand wütete und sie zwang, um Frieden zu bitten, verhindert.3 Im Bestreben, den Römern gefällig zu sein, kauften sie die bei dem nachfolgenden Schiffbruch der römischen Flotte in Kriegsgefangenschaft geratenen, ins Binnenland verhandelten Soldaten 1 H e i m b s , Prähist. Zeitschrift 16 (1925) S. 59 ff.; 17 (1926) S. 100 ff. Mannus 19 (1927) S. 188 ff. K n o k e , Mannus 20 (1928) S. 202 ff. T a c k e n b e r g , Die Kultur der frühen Eisenzeit in Mittel- und Westhannover (1934) S. 116. 2 Tac. II 8 : Caesari Angrivariorum defectio a tergo nuntiatur. 3 Tac. II 8. 22. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die zweimalige Heimsuchung der Angrivarier bei Tac. Dublette ist, eine solche nur einmal zu Anfang des Feldzuges statt­ gefunden hat. Über andere Dubletten in der Geschichte des Krieges siehe unten.

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Di e E r mi n o n e n

los und stellten sie dem Germanicus wieder zu.1 In Rom angelangt, trium­ phierte Germanicus auch über die Angrivarier1 2 (17). Dem um die Mitte des 1. Jahrhunderts erwachten Ausbreitungstrieb der Chauken vermochten die Angrivarier nicht standzuhalten. Um 97 räumten sie zum größten Teile ihr Gebiet und setzten sich im Lande der Brukterer fest, nachdem sie diesen im Bunde mit den Chamaven eine schwere Niederlage beigebracht hatten.3 Die nunmehrigen Wohnsitze der Angrivarier sind somit im Mün­ sterlande zu suchen4 (worauf der westfälische Gauname Angeron hinzu­ weisen scheint), während die Chamaven das Land zwischen Yssel und un­ terer Lippe, den späteren fränkischen Gau Hamaland, in Besitz nahmen. Die Angrivarier werden noch in der Veroneser Völkertafel genannt; auch das Not. dign. or. V 59 genannte auxilium palatinum der Anglevarii, das wohl unter Julian formiert worden ist, dürfte auf die Angrivarier zu be­ ziehen sein. Seit Ende des 4. Jahrhunderts sind sie unter den Sachsen auf­ gegangen. Die erste Nachricht über die C h e r u s k e r verdanken wir Cäsar (bell. Gail. V I 10). Die Sweben hatten im Jahre 53 v. Chr. den Treverern Hilfs­ truppen gesandt. Um sie dafür zu strafen, beschloß der Römer, sie in ihrem eigenen Lande heimzusuchen, und ging auf einer Brücke im Neuwieder Becken über den Rhein. Durch Kundschafter der Ubier erfuhr er, „daß sie sich an die äußerste Grenze ihres Gebietes zurückgezogen und daselbst eine feste Stellung eingenommen hätten. Dort sei der Anfang eines Waldes, Bacenis genannt, der sich weit landeinwärts erstreckte und wie eine natür­ liche Mauer die Cherusker und Sweben vor gegenseitigen Angriffen sicher­ stellte“ . Da die Kundschafter schon nach wenigen Tagen, nachdem sie ausgeschickt waren, zu Cäsar zurückkehrten, darf die Stellung der Sweben nicht allzuweit im Innern Deutschland gesucht werden; sicher befand sich dieselbe nicht an der äußersten Grenze des Swebenlandes, da die Ger­ manen ja keineswegs den Römern auszuweichen, sondern vielmehr, wie auch Cäsar selbst angibt, ihnen die Spitze zu bieten und ihr Gebiet zu schützen beabsichtigten.5 Man wird also anzunehmen haben, daß der Heer­ bann der Sweben einige Tagereisen von der Ostgrenze des Landes der Ubier, die damals zwischen Rhein, Main und Westerwald wohnten, etwa 1 Tac. II 24. 2 Tac. II 41. Da Strabo V II 1, 4 die Angrivarier bei der Schilderung des Triumphes nicht erwähnt, liegt die Annahme nahe, daß sich unter den von ihm erwähnten Άμψιανοί die Angrivarier verstecken. An die Amsivarier darf nicht gedacht werden, vgl. oben. 3 Tac. Germ. 33. 35 (von der Ausdehnung der Chauken). Die Brukterer erscheinen noch um 97 im Besitz ihres alten Gebietes, vgl. Plin. epist. II 7. M o m m s e n in Hermes I I I (1869) S. 39 f. A s b a c h in den Bonner Jahrbüchern 69 (1880) S. 1 ff. 4 Vgl. oben S. 35. i Vgl. v. G ö le r , Cäsars Gallischer Krieg I 2 (1880) S. 216.

D i e A ngri var ier und Cher us ke r

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am Yogelsberg, sich versammelt hatte.1 Uber die Ausdehnung der hier an­ geblich beginnenden silva Bacenis erfuhr Cäsar nichts. Der Name bedeutet augenscheinlich nichts anderes als Buchenwald (so auch Hoops, W ald­ bäume S. 137ff.), läßt sich also nicht auf engeres Gebiet beschränken; denn Buchenwälder waren in Westdeutschland weitverbreitet, vgl. die zahl­ reichen mit Buch zusammengesetzten Ortsnamen bei Förstemann, Na­ menbuch II3 287 ff. Den Namen Buchonia trug die Gegend um Fulda, ferner der Wald gegenüber von Köln (Greg. Tur. hist. Franc. II 40); Buconica hieß die uralte Niederlassung bei Nierstein (Altertümer unserer heid­ nischen Vorzeit V 175). Verfehlt ist es, aus dem Ausdruck ,,wie eine na­ türliche Mauer“ auf ein Kammgebirge zu schließen und danach die Hohe Rhön als Grenze zwischen den Sweben und Cheruskern anzunehmen, wie das D e v r i e n t getan hat.1 2 Die Angaben Cäsars reichen nicht hin, die W ohn­ sitze der Cherusker auch nur annähernd zu bestimmen; dies ist erst durch die Berichte über die römischen Feldzüge nach Innerdeutschland möglich. Ebenso ist es durchaus unberechtigt, aus Cäsars Worten einen Gegensatz zwischen Cheruskern und Sweben zu konstruieren ;3 denn es heißt, daß eben durch die Natur Feindseligkeiten zwischen beiden Völkern ausgeschlossen würden. Im Jahre 12 v. Chr. hatte Drusus die Sugambrer in ihrem eigenen Lande zwischen Lippe und Westerwald überfallen, um sie für ihre Einfälle nach Gallien zu strafen. Unter Führung dieses Volkes bildete sich nun zur gemeinsamen Abwehr der Römer eine Koalition mitteldeutscher Stämme, der besonders die Sweben und die Cherusker angehörten, während die Chat­ ten sich zunächst fernhielten;4 als Bundesopfer wurden 20 in sugambrische Gefangenschaft geratene römische Zenturionen ans Kreuz geschlagen.56In Anbetracht dieser Verhältnisse ging Drusus bei seiner zweiten germani­ schen Expedition 11 v. Chr. mit größter Vorsicht zu Werke. Die Sugambrer waren gegen die Chatten zu Felde gezogen und hatten ihr Gebiet von allen Streitkräften entblößt; die hierdurch gebotene Gelegenheit benutzend, ging Drusus über die Lippe und verwüstete die Dörfer seines gefährlichsten Gegners. Alsdann wandte sich das römische Herr gegen die Cherusker und 1 Vgl. Much, Beitr. z. Gesch. der deutschen Sprache 17, 21 f. 2 Neue Jahrb. für das klass. Altertum V (1900) S. 519. Über die silva Bacenis auch B e c k m a n n , Geographie und Ethnographie in Cäsars Bellum Gallicum (1930) S. 185. 3 H e lm k e , Wohnsitze der Cherusker (1903) S. 6. 14. 4 Dio 54, 33, 2 : δτι οί Σύγαμβροι τούς Χάττους, μόνους των προσοίκων μή έθελήσαντάς σφισι συμμαχησαι (vor Einmarsch des Drusus). Florus I I , 30, 24. Es erscheint im Hinblick auf Dio nicht angängig, nach Florus den Abschluß des Bündnisses zwischen Sugambrern, Sweben und Cheruskern erst unter dem Eindruck der Expedition des Drusus erfolgen zu lassen. 6 Florus a. O. Pseudacro zu Horat. carm. IV 2, 34.

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Di e Er mi nonen

drang in ihrem Lande bis zur „W eser“ vor. Devrient1 meint, unter dem Visurgis Dios sei die Werra zu verstehen, das Werratal also cheruskischer Besitz gewesen. Es ist nun allerdings richtig, daß vor dem 11. Jahrhundert dieser Fluß ebenfalls den Namen Weser führte. Aber Devrients Annahme wird dadurch hinfällig, daß Drusus auf dem Wege nach der Werra das Gebiet der Chatten hätte berühren müssen, in dem sich, wie bemerkt, damals der Heerbann der Sugambrer aufhielt, und daß er gerade ein Zu­ sammentreffen mit diesem vermeiden wollte.1 2 Die Cherusker müssen also nördlich von Münden gewohnt haben; der Wald Bacenis umfaßte auch den Meißner, die Weserberge und den Harz und konnte insofern als Grenze gegen die (Chatten und) Sweben gelten, welche wahrscheinlich im heu­ tigen Oberhessen und weiter nördlich bis an den Fuß des Meißners saßen. Die Cherusker scheinen keinen Widerstand versucht und sich auf das rechte Weserufer zurückgezogen zu haben; wenigstens verlautet von Kämpfen mit ihnen nichts. Die Richtung des Weges, den die Römer eingeschlagen haben, vermögen wir nicht näher zu bestimmen. Die Stelle, wo die Römer die Weser erreichten, dürfte bei Hameln3 zu suchen sein. Die Nachricht, daß die Verbündeten ihre Mannschaften zusammenzögen, ferner drohen­ der Proviantmangel, die Nähe des Winters und unheilverkündende Vor­ zeichen — ein Bienenschwarm setzte sich auf die Lanze des Lagerkomman­ danten Hostilius Rutilius — veranlaßten den Drusus, von einem weiteren Vordringen abzustehen. Auf dem Rückwege, den er wohl nach dem Tale der Lippe einschlug, ward er bei Arbalo in einer engen Talschlucht (Dören­ schlucht ?)4 umzingelt ; seine Lage schien so verzweifelt, daß die Germanen schon im voraus die römische Beute unter sich verteilten: die Cherusker sollten die Pferde, die Sweben das Gold und Silber, die Sugambrer die Ge­ fangenen erhalten. Aber trotz der gefährlichen Lage behielten die Römer dank ihrer Manneszucht kaltes Blut und schlugen die ordnungslos und un­ gestüm andringenden Germanen, wenn auch unter schweren Verlusten, in die Flucht; fortan unbehelligt erreichten sie wieder den Rhein.5 Zur Siche­ rung der errungenen Erfolge legte Drusus das Lager Oberaden, etwa 30 km oberhalb Haltern auf dem Südufer der Lippe, und eine bis dahin die Lippe entlang führende Militärstraße, ferner ein Kastell am Taunusgebirge (Friedberg oder wahrscheinlicher Höchst) an.6 1 a. O. S. 520 f. 2 Vgl. Helmke S. 9. 3 Nach 0 . K r a m e r , Jahrb. der Braunschweig.

Geschichtsver. II 5 (1933) S. 39 bei

Herstelle. 4 Nach K ü t h m a n n , Zur Schlacht im Teutoburger W alde (1932) in der Schlucht bei Kohlstädt. 5 Dio, Flor. a. 0 . Plin. hist. nat. 11, 17, 55. Obsequens 72. Liv. epit. 140. 0 Dio 54, 33. Flor. II 30, 26 (dazu oben S. 33, 5). Daß Oberaden nicht Aliso, aber höchst

D i e A n g r i v a r i e r und Cher us ke r

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Nachdem Drusus im Jahre 10 v. Chr. die Sugambrer und Chatten ge­ züchtigt, wandte er sich im folgenden Jahre von dem neu erbauten Taunus­ kastell zunächst gegen die Sweben (nördlich vom Main) und die Marko­ mannen (südlich vom Main)1 und zog alsdann gegen die Cherusker, in deren Lande er die Weser überschritt und bis zur Elbe vordrang·*2 Die Cherusker verzichteten auch diesmal auf Widerstand und zogen sich auf das rechte Elbufer zurück.3 Man darf annehmen, daß der Anmarsch auf derselben Route erfolgte, wie sie später Karl d. Gr. zweimal gegen die Sachsen eingeschlagen hat : vom unteren Main auf der sog. Weinstraße nach der Lippequelle, von da über Horn nach Hameln (Weserübergang) und weiter ostwärts über Elze, Hildesheim gegen Magdeburg.4 Auf Hameln als Weserübergang weist die Angabe, daß Tiberius, um nach dem Sommerlager zu gelangen, in dem Drusus starb (siehe weiter unten), einen Weg von 200 römischen M eilen=etwa 290 km zurückgelegt habe; denn jener hat doch wohl bei Mainz, der Italien am nächsten gelegenen Einbruchsstelle, den Boden Germaniens betreten; in der Luftlinie beträgt die Entfernung Mainz-Hameln etwa 250 km. Sicher hat Drusus an dem wichtigen Weser­ übergang zur Deckung des Rückzuges Truppen in einem befestigten Lager zurückgelassen. Von dem Überschreiten der Elbe soll Drusus durch das Entgegentreten eines Germanenweibes von übermenschlicher Größe, d. h. einer weisen Frau, die ihm ein Halt zurief, abgehalten worden sein; der wahre Grund war wohl die Erkenntnis, daß das Passieren des Stromes blutige Opfer fordern würde. Nachdem er am linken Ufer ein tropaeum er­ richtet, trat er den Rückmarsch an, und zwar wahrscheinlich nach der Saale bei Halle und von da auf der südlich vom Harz über Nordhausen, Einbeck, Holzminden laufenden Straße, da Strabo Y II 1, 3 sagt, er habe „zwischen Saale und Rhein kriegführend“ den Tod gefunden. Noch befand er sich tief im Germanenlande, als er mit dem Pferde stürzte und den Schenkel brach. Die Verletzung erwies sich als so schwer, daß es notwendig erschien, in dem Sommerlager haltzumachen. Der Kaiser, von dem Un­ fall benachrichtigt, sandte sofort den Tiberius von Italien dahin, der den Bruder zwar noch lebend, aber bereits dem Ende nahe fand. 30 Tage nach dem Sturze, am 14. September 9 v. Chr., wurde Drusus von seinem Leiden wahrscheinlich mit dem Elisonkastell Dios identisch ist, hat K r o p a t s c h e c k in den Deutschen Geschichtsblättern 12 (1911/12) S. 1 ff., 149 ff., Bonner Jahrb. 120 (1911) S. 19 ff. dargelegt. (K r. begeht in dem letzteren Aufsatz leider wieder den alten Fehler, die Sweben des Florus einfach mit den Chatten zu identifizieren, was zu ganz schiefen Ergebnissen führt.) * Florus II 30, 23. Oros. V I 21, 15. 2 Dio 55, 1. Diese Angabe ist nicht in Zweifel zu ziehen, wenn auch die anderen Quellen nichts davon sagen. 3 Eutrop V II 9. Suet. Aug. 21. 1 Vgl. besonders H . K r ü g e r , Korrespondenzblatt des Gesamtvereins 80 (1932) S. 223 ff.

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Die Erminonen

erlöst. Das Lager ward darauf abgebrochen, die Stätte verflucht (scele­ rata).1 Die gewöhnliche Annahme, daß die später erwähnte ara Drusi an dem Sterbeorte errichtet worden sei, ist unhaltbar, da Germanicus, als er den von den Germanen zerstörten Altar wiederherstellte (16 n. Chr.), nicht 60 weit ins Innere vorgedrungen sein kann. Dieser ist vielmehr bei Ober­ aden oder Haltern zu suchen, wo die ersten Anlagen auf Drusus zurück­ gehen. Der Leichnam des von den Soldaten vergötterten Feldherrn ward von den Offizieren nach dem nächsten Winterlager am Rhein, wohl Mainz, wo ihm ein Denkmal errichtet worden ist,1 2*und dann weiter nach Rom ge­ tragen. — Über die Wohnsitze der Cherusker macht Strabo keine näheren Angaben; er zählt sie zu den kleineren Völkern Innerdeutschlands. Tiberius, der an der Stelle des Drusus den Oberbefehl übernahm, führte die Okkupation Germaniens in zwei Feldzügen, 8 und 7 v. Chr. fort; die Sugambrer, die das Lager von Oberaden zerstört hatten, wurden auf das linke Rheinufer verpflanzt; an Stelle Oberadens ward Haltern weiter aus­ gebaut. Aber infolge seines vorzeitigen Rücktrittes (6 v. Chr.) kamen die Operationen der Römer zum Stillstand, und die Germanen begannen als­ dann wieder unruhig zu werden. Im Jahre 3 v. Chr. ( ?) ging der Legat von Illyricum L. Domitius Ahenobarbus über die Donau und sie­ delte einen heimatlos umherirrenden Schwarm Hermunduren im ehemali­ gen Markomannenlande südlich vom mittleren Main an. Als Befehlshaber der Rheintruppen drang derselbe im Jahre 1 n. Chr. wohl von Mainz aus über Höxter, Holzminden, Nordhausen an die Elbe vor, die er als erster Römer überschritt, schloß mit den dort wohnenden Germanen Verträge und errichtete am jenseitigen Ufer des Stromes einen Altar. Die Rückkehr erfolgte westwärts nach dem Rheine durch cheruskisches Gebiet, wahr­ scheinlich auf der Straße über Minden—Rheine an der Ems. Zwar wurde er hier nicht ausgesprochen feindlich behandelt, aber seine Bemühungen, einige vornehme Cherusker, die wahrscheinlich als Führer einer römerfreundlichen Partei des Landes verwiesen worden waren, wieder in ihre Rechte einzusetzen, stießen auf hartnäckigen Widerstand. Der Weg von der Ems nach Xanten führte ihn durch ein Sumpfgebiet, das er durch 1 Suet. Claud. 1. Val. M ax. V 5, 3. Plin. hist. nat. V I I 84. 2 Suet. Claud. 1 : Exercitus honorarium ei tum ulum excitavit etc. Dio 55, 2, 3 : τιμάς . . . κενοταφίου τε πρδς αύτω τω 'Ρήνω λαβών. Eutrop. V I I 1 3: Drusi qui apud Mogon­ tiacum monumentum habuit. Es ist sehr wahrscheinlich der heutige Eichelstein, „der Gußwerkkern eines monumentalen Grab- oder Siegesdenkmals“ . Verschieden davon ist das Tropaeum, das von Drusus nach seinem Siege über die Markomannen errichtet wurde nach Florus II 30, 23. Vgl. C. I. L. 13, 2 S. 297 f. Pauly-W iss. R E . I I I 2715 f. Germania Romana2 I (1924) S. 17 m it Literatur. S ie b o u r g , Bonner Jahrb. 135 (1930) S. 101. Über Münzen auf die Germanensiege des Drusus s. Cohen I 2, 221 S a l l e t - R e g l i n g , Die antiken Münzen (1909) S. 91 f. S c h u m a c h e r , Germanendarstellungen 4I (1935) S. 43, 168.

Di e A n g r i v a r ier und Cherus ker

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Knüppeldämme, die vielbesprochenen pontes longi, gangbar machen mußte. Diese wird man auf der Linie Rheine-Münster-Haltern bei Dülmen zu suchen haben, nicht, wie cs gewöhnlich geschieht, bei Stadtlohn. Denn dieselbe Strecke wurde im Jahre 15 n. Chr. von dem nach dem Rheine zurückkehrenden Legaten Caecina benutzt, der sie verfallen vorfand; es kann sich also nicht um dessen Anmarschweg über Bocholt handeln.1 Die geringen Erfolge des Domitius haben vielleicht Anlaß gegeben zu dem Ver­ bot des Kaisers Augustus, die Elbe zu überschreiten.1 2 Erst als Tiberius wieder den Oberbefehl am Rhein übernahm, wurden durchgreifende Maß­ nahmen zur Unterwerfung Deutschlands getroffen. Im Jahre 4 n. Chr. unterwarf derselbe die Kannanefaten, (Chamaven ?), Chattuarier, Brukterer und schloß mit den Cheruskern einen Föderationsvertrag ab.3 Dieses bedeutende Volk wurde also damit den anderen Stämmen gegenüber her­ ausgehoben, um als Stütze der römischen Herrschaft zu dienen. Von dieser Zeit datiert ohne Zweifel der Eintritt des Arminius und seines Bruders Flavus in den römischen Dienst als Befehlshaber germanischer Hilfsvölker,4 die Verleihung des römischen Bürgerrechts an diese und Segestes, wozu bei Armin noch kam als besondere Auszeichnung die Auf­ nahme in den Ritterstand.5 Nach Überschreitung der Weser und einem Vorstoß in das jenseitige Land bezog das römische Heer an der oberen Lippe das Winterquartier.6 1 Dio 55, 10 a. Tac. ann. IV 44. L. S c h m i d t , Jahrbuch d. Braunschweig. Geschichts­ vereins II 8 (1936) S. 28. Über Domitius siehe jetzt R i t t e r l i n g - S t e i n , Fasti des röm. Deutschland unter dem Prinzipat (1932) S. 8. 2 Strabo V II 1, 4. 3 Veil. II 105: s u b a c t i Canninefates, Attuarii, Bructeri, r e c e p ti Cherusci. Vgl. dazu Klose S. 49. S c h e n k v o n S t a u ff e n b e r g in : W elt als Geschichte II (1936) S. 156 ff. 4 Tac. ann. II 9. II 10 (ductor popularium). δ Tac. ann. 1 5 8 . Vell. 118, 2. 6 Veil. II 105. Kornemann, Klio I X 422 ff. nimmt auf Grund einer neu gefundenen Inschrift als Ausgangspunkt dieser Expedition Bononia (Boulogne-sur-Mer) an. Von da sei Tiberius auf einer von Drusus angelegten Küstenstraße nach dem Rhein und zu den Kannanefaten, von diesen im Norden des Zuidersees durch das Land der Friesen nach der Em s, diese aufwärts zu den Chattuariern und Brukterern und weiter ostwärts zu den Cheruskern gezogen. Zunächst hat H o lw e r d a , R öm .-Germ . K orr.-Bl. III (1910) S. 29 ff. dagegen mit Recht bemerkt, daß jene angebliche von Boulogne ausgehende Küstenstraße der breiten, zu überschreitenden Flußmündungen wegen eine Unmöglichkeit ist. Vgl. auch R ie s e in derselben Zeitschrift IV (1911) S. 4 5 ; K orr.-Bl. des Gesamtvereins 59 (1911) Sp. 395 ff. Ebenso unterliegt die Annahme eines Marsches nördlich vom Zuidersee zu den Friesen gewichtigen Bedenken, vgl. oben S. 72. Welchen W eg Tib. eingeschlagen hat, läßt sich aus der Reihenfolge der von Veil, genannten Völker überhaupt nicht erschließen. Der ganze Ton der Darstellung zeigt, daß derselbe weniger beabsichtigt, die Geschichte des Feldzuges zu erzählen, als die Feldherrngröße seines Herrn zu verherrlichen. Ferner ist zu beachten, daß Veil, die besiegten Germanenstämme in zwei Gruppen zusammenfaßt, um den Unterschied der Rechtsstellung hervorzuheben, der ihnen nach ihrer Niederwerfung zuteil wurde ; die Kannanefaten, Chattuarier, Brukterer wurden nach Kriegsrecht behan­ delt, während die Cherusker in ein Vertragsverhältnis eintraten. ( E s c lib a c h , Beitr. zur

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Di e Er mi nonen

Der Feldzug des folgenden Jahres1 fand statt unter Mitwirkung der römischen Flotte. Von der Lippe aus ging Tiberius zu den Chauken, mit denen er einen Vertrag abschloß, und weiter ostwärts zu den Langobarden, die sich durch Flucht auf das rechte Elbufer der Unterwerfung unterzogen. Etwa bei Lauenburg erreichte er die Elbe, wo er mit der in den Strom eingelaufenen Flotte zusammentraf. Auf dem Rückwege nach dem Winter­ quartiere*1 2 muß er das Gebiet der Cherusker berührt haben, wenn diese auch in der Überlieferung nicht erwähnt werden. Ein mit großen Mitteln unternommener Heereszug gegen das Marko­ mannenreich in Böhmen sollte die Unterwerfung Germaniens krönen. Da brach im Jahre 6 n. Chr. ein furchtbarer Aufstand in Pannonien aus, der die Römer zwang, den größten Teil der für jene Expedition bestimmten Streitkräfte in dieser Provinz zu verwenden. Als Nachfolger des Sentius Saturninus wurde P. Quinctilius Varus, bisher Statthalter von Syrien, zum Legaten der rheinischen Truppen ernannt (7 n. Chr.). Varus fand bei seinem Amtsantritt in dem ihm zugewiesenen germanischen Verwaltungsbezirke3 durchaus friedliche Zustände vor. ,,Römische Soldaten lagen dort in den Winterquartieren, Städte wurden gegründet und die Barbaren durch römische Sitte wie umgewandelt; Märkte wurden eröffnet und friedlicher Verkehr mit ihnen unterhalten44 (Dio 56, 18). ,,So tiefer Friede herrschte in Germanien, daß die Menschen umgewandelt, die Erde eine andere, der Himmel selbst sanfter und milder schienen als gewöhnlich44 (Florus II 30). Die Stärke des damals noch ungeteilten rheinischen Heeres betrug 5 Legionen, die ihre Winterquartiere in den Rheinfestungen hatten; dazu kamen die zahlreichen Auxiliartruppen, die über die Operationsbasis am Rheine weit in das Vorland der Militärstraßen vorgeschoben waren.4 Mag Gesch. des Niederrheins 17 [1902] S. 2, mit nichtigen Gründen von Kornemann bekäm pft.) Daß Veil, keine so vorzügliche Quelle ist, wie K . behauptet, lehrt die Tatsache, daß er den Tiberius als den ersten röm. Feldherrn preist, der zur Elbe gekommen sei, obwohl bereits vorher Drusus und Domitius das gleiche Ziel erreicht hatten. Solange nicht etwas anderes nachgewiesen wird, gehören die Chattuarier an die Ruhr, wo wir sie später vorfinden (Gau Hatterun). Tib. wird vermutlich von den Kannanefaten durch das römische Militär­ territorium im Süden des Zuidersees (richtig bestimmt von K . S. 438 f f ) und das Land der Chamaven östlich der Yssel zu den Brukterern, dann südwärts zu den Chattuariern und hierauf zu den Cheruskern gezogen sein. Der Sammelpunkt der Truppen war wahrscheinlich Fectio (Vechten), von wo aus auch die römische Flotte im Jahre 5 in die Nordsee aus­ gefahren ist. 1 Veil. II 106. 107. Dio 55, 28. 2 Veli. II 107, 3 in hiberna reduxit. Unter diesen hiberna sind wohl die des Vorjahres, an der Lippequelle zu verstehen, da die Einrichtung der Provinz zunächst noch die A n ­ wesenheit römischer Truppen im Lande über das ganze Jahr erforderte. 3 Zur Streitfrage, ob Germanien zwischen Rhein und Elbe damals römische Provinz geworden ist, siehe Klose a. O. S. 11 ff. mit Übersicht über die Literatur. 4 Vgl. V . D o m a s z e w s k i, Westdeutsche Zeitschrift 21 (1902) S. 187. A u f diese zer­ streuten Lager der Auxilien beziehen sich wohl die έρύματα, die die Germanen nach der Varusschlacht eroberten, Zonaras 10, 37.

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nun Varus aus eigenem Antrieb oder lediglich nach kaiserlicher Anweisung gehandelt haben, jedenfalls war die jetzt mit größerer Schärfe und in be­ schleunigtem Zeitmaße einsetzende Durchführung der römischen Verwal­ tungspraxis durchaus verfehlt. Als eine drückende Last wurde die Steuer­ pflicht empfunden, der ja auch in späteren Zeiten die Germanen den hart­ näckigsten Widerstand entgegenzusetzen pflegten. Nicht minder erregte es die Gemüter, daß Fehde und Blutrache aufhören und an ihrer Stelle ein geregelter Rechtsgang eintreten sollte, daß ferner Streitigkeiten nicht nach dem heimischen, sondern nach römischem Rechte entschieden wurden.1 Endlich mußte der in Köln, der Hauptstadt des römischen Germaniens, dem Augustus errichtete Altar als Sinnbild der Knechtschaft den Stolz des deutschen Adels aufs tiefste berühren.1 2Die den Cheruskern in dem Bünd­ nisvertrag von 4n. Chr. zugestandenen Rechte mögen dabei verletzt worden sein. Trotz der herrschenden Erbitterung würde es aber nicht zum Auf­ stande gekommen sein, wäre den Deutschen nicht ein Führer in der Person des Cheruskerfürsten Arminius erstanden, der die Lage mit genialem Blick zu überschauen und die in Anbetracht des deutschen Nationalcharakters nicht leichte Aufgabe, ein einheitliches Zusammenwirken der Beteiligten herbeizuführen, glänzend zu lösen vermochte. Der Name des Arminius ist uns durchaus nicht übereinstimmend über­ liefert. Er lautet Αρμένιος bei Strabo; Άρμήνιος bei D io; Armenius bei Florus, Tacitus, Frontin; Armenus bei Florus, Frontin; Arminius bei Vellejus und Tacitus.3 Doch dürften die Formen Armenius und Arminius nicht zu unterscheiden sein, da im Lateinischen vielfach i mit e ver­ tauscht worden ist.4 (Der Form auf us kommt, weil nur zweimal auftretend, keine Bedeutung zu.) Viel umstritten ist die Frage, ob der Name deutsch oder römisch sei. Armin besaß wie erwähnt das römische Bürgerrecht und hat mit diesem die üblichen drei römischen Namen Pränomen, Gentile und Cognomen erhalten, von denen die beiden ersten höchstwahrscheinlich Gaius oder Tiberius Julius gelautet haben, da nur der Kaiser oder der kaiserliche Prinz Tiberius als Namengeber in Betracht kommen. Denn die neuderdings von E. B i c k e l 5 wieder vorgetragene ältere Ansicht, daß jener einem Angehörigen der nur wenig hervortret enden römischen gens 1 Dio 56, 18. Veli. II 117. Flor. II 30. Tac. ann. I 59. 2 N is s e n in den Bonner Jahrb. 98 (1895) S. 152. Klose S. 14. Die Priester des Altars wechselten unter den Vertretern der zum röm. Germanien gehörenden Völkerschaften. Vgl. Nissen S. 154. Den ersten Priester werden die Ubier gestellt haben; im Jahre 9 n. Chr. war es der Cherusker Segimund, vgl. unten. 3 Zusammenstellung der Zeugnisse bei S c h ö n f e ld , Wörterbuch der altgermanischcn Personen- und Völkernamen (1911) S. 29. 4 Vgl. D i t t e n b e r g e r im Hermes V I (1872) S. 144. So gebraucht Sueton, Claud. 25, 4 : Chresto, Nero 16, 2 : Christiani. 5 Rhein. Mus. für Philol. N . F. 84 (1935) S. 1 ff.

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Die Erminonen

Arminia das Bürgerrecht verdankte, dürfte kaum aufrecht zu erhalten sein. Arminius kann also nur als cognomen gefaßt werden. Wäre dieses römisch, so könnte man analog dem Worte Flavus die Bezeichnung einer besonderen Körpereigenschaft erwarten; aber eine solche Erklärung ist wie jede andere aus dem Lateinischen unmöglich. In Arminius muß also wie bei Segestes der einheimische Name des Trägers vorliegen, obwohl die fast allgemein angenommene Deutung als Ermino, Erminmer, wegen des anlautenden a auf Schwierigkeiten stößt.1 Ist der Name aber deutsch, so entfällt von vornherein jeder Grund, den Cheruskerfürsten mit dem Sieg­ fried der Sage gleichzusetzen. Allerdings ist wohl der Kern der Siegfried­ sage historisch: die Hauptfigur ist der fränkische König Sigebert II. (561-75). (Sigebert konnte im niederfränkischen Dialekt leicht zu Sigevert werden; ein niederdeutscher Sigevert ergab dann gleichsam durch Rück­ übersetzung hochdeutsch Sigevrit, Sivrit), die der Dichter mit einzelnen märchenhaften Zügen ausgestattet hat. Auch eine Episode aus der Ge­ schichte der letzten Jahre des italienischen Ostgotenreiches — der von Prokop erzählte Streit der Gattinnen des Fürsten Uraja und des Königs Hildebad und die Ermordung des Uraja durch Hildebad — scheint ver­ wertet zu sein. Die Entstehung der Sage ist also erst in das sechste Jahr­ hundert zu setzen.1 2 Armin wurde als Sohn des Fürsten (princeps) Segimer3 im Jahre 16 V . Chr.4*geboren. Sein Vater ist zu unterscheiden von dem gleichnamigen Bruder des Segestes (Strabo V II 1, 4 ; Tac. ann. I 71),6 dagegen nicht, wie manche wollen, von dem bei Dio 56, 19, 2 als Mitverschworenen Armins genannten Σηγίμερος; er lebte also noch im Jahre 9 n. Chr., war dagegen im Jahre 16 gestorben, da in dem Gespräch zwischen Armin und Flavus bei Tac. ann. II 9 ersterer seinen Bruder „a n die betrübte Mutter“ er­ innert, des Vaters aber nicht gedenkt. Der Name der Mutter ist uns nicht überliefert. Die sonstige Verwandtschaft iet aus nachstehender Tafel er­ sichtlich. 1 Das Nähere bei L. S c h m i d t , Niedersächs. Jahrbuch 13 (1936) S. 235 ff. 2 Vgl. zuletzt H . Schneider, Germ. Heldensage 1 157 ff., 186 ff. Schütte, Our forefathers II 213; Siegfried und Brünhild (1915); Forschungen und Fortschritte 11 (1935) S. 111 ff.; hier auch weitere Literatur. F. R . S c h r ö d e r , German. Heldendichtung (1935) S. 15 ff. Die Hunnenschlacht und die Offasage sind die ältesten erhaltenen Zeugnisse germanischer epischer Liedkunst (H . Schneider a. Ο. I I 2, S. 1). 1 Veil. II 118, 2. 4 Nach Tacitus starb er 37 Jahre alt, nachdem er zwölf Jahre im Besitze seiner Macht­ stellung gewesen war, die füglich nur von der Varusschlacht ab gerechnet werden kann. 6 Denn Segithank, der Sohn dieses Segimer, wird nirgends als Bruder des Arminius und Flavus bezeichnet; es ist immer nur von e in e m Sohne des Bruders des Segestes die Rede. Vgl. H e y c k , Neue Heidelberger Jahrbücher V (1895) S. 139. M u c h , Zeitschr. für deutsches Altertum 35 (1891) S. 361.

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Nach Velejus, der ihn persönlich gekannt zu haben scheint, war Armin ein Jüngling, aus dessen Antlitz und Augen geistiges Feuer leuchtete, von tapferer Hand, schnellem Sinn und geistiger Gewandtheit, mehr aie sonst Barbaren es sind (II 118). Ebenso wie sein Bruder Flavus diente Armin als Führer germanischer Hilfsvölker längere Zeit im römischen Heere (Veil. a. a. O., Tac. ann. II 10), sicher in den Jahren 4-6 n. Chr. unter dem Befehle des Tiberius. Während dieser Zeit erhielt erdas römische Bürgerrecht und den Ritterrang (Veil. vgl. oben). Ferner erlernte er damals die lateinische Sprache (Tac. II 10) und erwarb sich die genaue Kenntnis

der römischen Militärtechnik, die ihn, in Verbindung mit natürlicher stra­ tegischer Begabung, zu seiner nachmaligen bedeutsamen Rolle in so hohem Maße befähigte. Während seinBruder sich ganz demRömertumhingab und unter den kaiserlichen Fahnen weiterdiente, kehrte Armin, wohl durch die Vorstellungen seines Vaters beeinflußt, iudie Heimat zurückund übernahm mit Umsicht und Energie die Leitung der zur Abschüttelung der Fremd­ herrschaft sich bildenden Verschwörung. Diese griff von den Cheruskern alsbald auch auf die benachbarten Fosen, Brukterer, Angrivarier, Marser, Chatten, Chattuarier, Usipier, Tubanten, Kalukonen, Chasuarier ( ?) über.1*4 1 Chattenfürst, Strabo V I I 1, 4, nach Much S. 366 identisch mit dem von Toc. ann. I I 7 genannten Arpus. * Chattenfürst, Tac. X I 16. Die Lesart Actumcru» ist mit Much S. 363 zu verwerfen. Derselbe war nach Much S. 366 identisch mit dem Tac. ann. II 88 erwähnten Chattenfürsten Adgandestrius. 8 Bei Strabo steht der Name in der Form Σεσίθαγκος. Die Verbesserung Σεγίθαγκος habe ich gleichzeitig mit Riese (Rhein. Mus. 39 S. 466 f.) in dem Aufsatz in der Germania 29, (1884) 417 gegeben. 4 Über die Beteiligung der Brukterer und Marser Tac. ann. I 60. II 25, wonach sich bei diesen später je ein Adler der in der Varusschlacht umgekommenen Legionen befand. Über die Fosen Tac. Germ. 36. Es dürften die Völker, die Germanicus später bekriegte, zum größten Teile wenigstens schon im Jahre 9 gegen die Römer gestanden haben. Als solche werden außer den Cheruskern genannt die Marser, Brukterer, Tubanten, Usipier, Chatten, Angrivarier (Tac. I 50 ff., II 41), außerdem die Kalukonen, Chattuarier (Strabo V I I 1 ,4 ). Zur Beteiligung der Chatten auch Tac. ann. 12, 27 (varianische Kriegsgefangene); der letzte der drei Legionsadler wurde im Jahre 41 wahrscheinlich denselben abgenommen, vgl. L. S c h m i d t , Jahrbuch des Braunschweig. Geschichtsvereins II 7 (1935) S. 137.

Di e E r m i n o n e n

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Dagegen blieben die Friesen, Chauken, Amsivarier1 und die an den Rhein angrenzenden Stämme den Römern treu, wie auch Marbod an dem von ihm im Jahre 6 n. Chr. mit Tiberius abgeschlossenen Vertrag festhielt. Ablehnend gegen eine Erhebung verhielten sich auch die Cheruskerfürsten Inguiomer*1 2 und Segestes,3 nicht eigentlich aus Hinneigung zum römischen Wesen, sondern aus Eifersucht, weil sie durch den wachsenden politischen Einfluß Armins eine Schmälerung ihres Ansehens befürchteten. Anderer­ seits schloß sich des Segestes Sohn Segimund, Priester am Augustusaltar in Köln, den Patrioten an, zerriß die priesterliche Binde und begab sich eilends in die Heimat. Varus verfügte, ob von Anfang an wissen wir nicht, über 5 Legionen und eine größere Zahl von Auxiliartruppen. Die Legionen lagen im Winter in den Rheinfestungen, die Auxilien weiter im Innern, in Aliso, an der Emsmündung (Amisia ?), an der Wesermündung (Tekelia bei Ptolemäus ?) und anderen festen Plätzen. Für den Sommer war es zur Regel geworden, daß auch einige Legionen im Innern Deutschlands lagerten. Im Jahre 9 weilte Varus im Sommerlager aui cheruskischem Gebiete am linken Ufer der Weser4 mit 3 Legionen, der 17., 18. und 19.,5 während 2 in Mainz unter dem Legaten Asprenas standen. Die Stärke der Auxilien ist nicht bekannt. Die im Teutoburger Walde vernichteten drei Alen und sechs Kohorten6 machten nur einen kleinen Teil derselben aus, da die Haupt­ masse zur Zeit der Schlacht bereits nach ihren gewöhnlichen Standlagern Die große Ausdehnung der Konspiration erhellt auch daraus, daß das Heer des Varus auf dem Rückmarsch etwa 20000 Mann zählte, und daß die Germanen sicher nur in großer numerischer Überlegenheit den Angriff gewagt haben werden. 1 Über die Friesen, Chauken, Amsivarier s. oben. 2 Tac. ann. I 60. 3 Strabo V II 1, 4. Tac. I 55. 4 Veil. II 117: mediam ingressus Germaniam . . . trahebat aestiva. Dio 56, 18, 5 : προήγαγον αύτόν πόρρω άπό του ‘ Ρήνου ές τε την Χερουσκίδα καί πρός τόν Ούίσουργον. Daß Varus auf Veranlassung der Verschworenen sich nach der Weser begeben habe, ist ein Irrtum Dios. Sagt Dio auch πρός, nicht μέχρι, so hindert dieser Ausdruck doch nicht, das Lager direkt an das Weserufer zu verlegen, wie es strategische Rücksichten verlangen. Vgl. dazu auch A. K l o t z in der Festschrift für Poland (1932) S. 204. O. K r a m e r im Jahrb. des Braunschw. Geschichtsvereins II 5 (1933) S. 34. Darüber, daß kaum eine andere Gegend als die der Porta Westfalica (Minden) in Betracht kommt, siehe L. Schmidt, Jahrbuch des Braunschw. Geschichtsvereins II 8 (1936) S. 28. 5 Die 17. Legion hatte ihr Winterquartier in Neuß oder Köln, die 18. und 19. in Vetera. Die von Vellejus genannten Präfekten Eggius und Ceionius waren die Präfekten dieser Winterlager; sie waren dem Varus in das Sommerlager gefolgt. Aliso war nicht Legions­ winterlager; der hier als Kommandant genannte Präfekt L. Caedicius war nicht wirklicher Lagerpräfekt, sondern hatte nur den Titel. Vgl. E. S t e in , Die kaiserlichen Beamten und Truppenkörper im röm. Deutschland (1932) S. 89 gegen S y me in: Germania 16 (1932) S. 109 ff. 6 Veil. II 117. 1: trucidatarum legionum trium totidemque alarum et sex cohortium.

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abgezogen oder zu verschiedenen Zwecken detachiert worden war.1 Zu dem Heere gesellte sich eine große Zahl von Nichtkämpfern, Sklaven und Freigelassenen der Offiziere und Unteroffiziere, Marketendern, Weibern und Kindern.1 2 Nichts deutete auf eine bevorstehende Erhebung der Germanen hin. Armin und die übrigen Führer der Verschwörung stellten sich im römischen Lager ein und verstanden es, den Statthalter, an dessen Tafel sie häufig speisten, in vollständige Sicherheit zu wiegen, obwohl der zu seiner Vernichtung geschmiedete Plan bereits in allen Einzelheiten fertiggestellt war. Varus kannte die Rivalität zwischen Armin und Segest und verschloß daher den wiederholten Warnungen, die dieser ihm zukom­ men ließ, sein Gehör und wies selbst den ihm in letzter Stunde gemachten Vorschlag, alle anwesenden deutschen Fürsten, Segest selbst eingeschlos­ sen, bis zur Beendigung einer vorzunehmenden Untersuchung in Haft zu nehmen, hartnäckig von der Hand.3 Der Herbst ging zu Ende,4*und es war die Zeit gekommen, in die Winterquartiere zurückzukehren. Zunächst wurden die Auxilien in ihre zerstreut im Okkupationsgebiet gelegenen Standlager entlassen; alsdann begab sich der Statthalter mit den übrigen Truppen — drei Legionen, drei Alen, sechs Kohorten der Auxilien — etwa 20000 Mann im ganzen, auf den Marsch. Der Abzug der Hauptmasse der leichten Truppen mußte für das Gelingen des Planes Armins von besonderer Bedeutung sein, da das Heer des Varus diese Waffe in dem schwierigen Gelände nicht leicht entbehren konnte. Das nächste Ziel war ein nicht genanntes „entfernt wohnendes“ Volk, das der Verabredung gemäß die Fahne der Empörung erhoben hatte. Armin und seine Genossen gaben dem Statthalter zunächst das Geleite, verließen ihn aber bald unter dem Vorwände, daß sie ihre Mannschaften zusammenziehen und dann sofort zum römischen Heere stoßen wollten. Sogleich nach dem Aufbruch der Legionen loderte allenthalben der Auf­ stand in hellen Flammen auf. Die schon längst in Bereitschaft stehenden Mannschaften der einzelnen Gaue eilten zum festgesetzten Versammlungs­ punkt. Der Krieg gegen Rom wurde zur Volkssache erklärt,6 Armin zum gemeinsamen Anführer (Herzog) ausgerufen.6 Durch diesen Beschluß waren auch Segest und Inguiomer trotz ihrem Widerstreben verpflichtet, sich an dem Kampfe zu beteiligen.7 Den Fürsten der römerfreundlichen 1 Dio 56, 19, 1. V . D a m a s z e w s k i, Westdeutsche Zeitschrift 21, 187. 2 Vgl. hierzu M o m m s e n , Ges. Schriften IV 207 f. Die Anwesenheit der Weiber und Kinder ist ungewöhnlich, aber von Dio 56, 20, ausdrücklich bezeugt. 3 Veil. II 118. Dio 56, 19. Tac. ann. I 55, 58. Flor. II 30. 4 Über die Jahreszeit des Aufbruchs vgl. unten. 6 Consensu gentis in bellum tractus (von Segest), Tac. ann. I , 55. 6 Vgl. Tac. ann. I 59. 61. X I I I 55. 7 Tac. ann. I 55.

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Amsivarier, Bojocalus, der bis dahin im Lager des Varus geweilt hatte, ließ Armin abfangen und in Gewahrsam bringen (s. oben S. 86). Die in den Gauen der Verbündeten stehenden römischen Militärposten wurden niedergemetzelt. — Da man sich zunächst in Freundesland zu befinden glaubte, zog das römische Heer mit seinem zahlreichen Troß und Gepäck nicht in geschlossenen kriegsmäßigen Verbänden, sondern in ziemlicher Auflösung dahin. Wohl erst nach einem mehrtägigen ungestörten Marsche,1 als die Römer in eine waldige Gebirgsgegend gelangten und schlechtes Wetter eintrat, setzten die feindlichen, zunächst nur zögernden Angriffe ein, denen anscheinend der Plan zugrunde lag, die einzelnen Ver­ bände des Heeres voneinander zu trennen. In richtiger Erkenntnis der Verhältnisse hat Varus den Legionären aufs strengste verboten, gegen die Angreifer vorzugehen und durch eigenmächtiges Handeln die Rettung des ganzen Heeres aufs Spiel zu setzen. Am Abend dieses ersten „Kampftages“ wurde ein befestigtes Lager errichtet (es ist wohl identisch mit dem ersten Varuslager, das Germanicus sah), der Troß und das überflüssige Gepäck zurückgelassen oder verbrannt, das Heer auf Kriegsfuß umgestellt. Trotz­ dem und obwohl die Römer am zweiten Tage auf freieres Gelände kamen, erlitten sie durch die jetzt mit großer Gewalt ausgeführten Angriffe der Germanen schwere Verluste. Das Lager, das am Abend aufgeschlagen wurde, führte mit seiner mangelhaften Konstruktion noch sechs Jahre später deutlich vor Augen, wie die erschöpften und stark zusammengeschmolzenen Truppen nicht mehr die Kraft gehabt hatten, die für den Lagerbau bestehenden Vorschriften ordnungsmäßig auszuführen. Als am nächsten Morgen, also am dritten Tage, die Reste der Legionen sich auf den Weg machten, der sie wieder durch hohen Wald führte, setzte der vom Sturm begleitete Regen von neuem ein und machte das Fortkommen fast unmöglich, erschwerte auch den Gebrauch der Waffen. In das Brausen des Sturmes mischte sich der Schlachtgesang der Germanen, die inzwischen ansehnlichen, durch die sichere Aussicht auf Beute angelocktcn Zuzug erhalten hatten. Um das Unglück voll zu machen, ließ die Reiterei unter Numonius Vala verräterischerweise das Fußvolk im Stich und suchte in der Richtung auf den Rhein zu entkommen, freilich vergebens, da sie von *S . 1 Im Gegensatz zu J u d e ic h , Rhein. Museum N. F. 80 (1931) S. 299 f f .; Klio 26 (1932) S. 6 ff. u. a. wird man m it S t ie r , Hist. Zeitschr. 147 (1933) S. 489 ff. einen mehrtägigen „Friedensmarsch“ vor Beginn der Feindseligkeiten annehmen müssen, so daß die Tages­ zählung bei Dio sich nur auf die eigentlichen „K am pftage“ bezieht. Denn es galt ja, die Römer möglichst weit von ihren Stützpunkten zu entfernen. Varus muß also schon ein ansehnliches Stück Weges gegen Westen zurückgelegt haben, wozu stimmt, daß Ger­ manicus im Jahre 15 bei seinem Besuche des Schlachtfeldes und dem darauffolgenden Zusammenstoß mit Arm in noch ziemlich weit von der Weser entfernt gewesen zu sein scheint (vgl. weiter unten).

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den nachsetzenden Deutschen eingeholt und bis auf den letzten Mann niedergemacht wurde.1 Für die übrigen gab es nun keine Rettung mehr. An das Aufschlagen eines Lagers war nicht mehr zu denken. Yarus, der schon vorher verwundet worden war,1 2 stürzte sich in sein Schwert.3 Nicht alle aber fanden den Mut, dem Beispiele ihres Feldherrn zu folgen oder den Tod im Kampfe mit dem Feinde zu suchen. Der Lagerpräfekt Ceionius schloß mit Armin eine Kapitulation auf Gnade und Ungnade ab, in der Hoffnung, wenigstens das Leben zu fristen.4 Dagegen wird das ehren­ volle Verhalten des Lagerpräfekten L. Eggius rühmend erwähnt. Ein Bei­ spiel soldatischer Pflichttreue gaben auch einige Legionäre, die den Leich­ nam des Yarus durch Verbrennen vor der Verunglimpfung durch die Ger­ manen zu schützen sich bemühten, ohne jedoch ihr Vorhaben ganz in Ausführung bringen zu können.56 Die einzige vorhandene zusammenhängende Darstellung dieser Vor­ gänge liegt bei Dio Cassius vor, die man mit Recht auf die Erzählung eines überlebenden Kriegsteilnehmers zurückgeführt hat und daher zu­ grunde zu legen ist, wenn auch einzelne Punkte unklar bleiben.® A uf eine gleiche, zwischen 9-16 n. Chr. niedergeschriebenen Quelle geht die Dar­ stellung des Florus zurück, da es hier heißt, daß von den verlorenen Legionsadlern zwei noch im Besitze der Germanen seien, während Ger­ manicus in den Jahren 15 und 16 zwei der Adler wiedergewann. Florus bietet „eine dramatisch und rhetorisch zusammengedrängte Fassung der Katastrophe“ und besitzt daher nur bedingten W ert; er ist die Haupt­ stütze für die offensichtlich falsche Ansicht, daß Varus bereits im Sommer­ lager überfallen worden sei.7 Nur einzelne aber wichtige Ergänzungen bringen der Zeitgenosse Vellejus und Tacitus (nach Aufidius Bassus ?) über den Besuch des Schlachtfeldes durch Germanicus im Jahre 15. Ober die 1 Veil. II 119, 4. ~ a Tac. I 61. Dio 56, 21, 5. s Dio a. 0 . Veli. II 119, 3. Tac. a. 0 . 4 Veli. II 119, 4. 5 Veli. II 119, 5. Nach Florus II 30 hätten die Soldaten ihn begraben. Nicht angängig ist es, Veil, und Florus dahin zu kombinieren, daß der Leichnam, nachdem er halb verbrannt, der Erde übergeben worden sei. 6 Die vielerörterte Streitfrage, ob hiernach drei oder vier Kampftage anzunehmen seien, dürfte in ersterem Sinne zu entscheiden sein. Das erste Nachtlager ist ausdrücklich ge­ nannt (έστρατοπεδεύσαντο), das zweite angedeutet durch die Worte εντεύθεν (von einem ψιλόν χωρίονί άραντες, die zugleich den Beginn des 3. Marschtages bezeichnen. Die konjizierte Zahlenangabe τρίτη oder τετάρτη ήμέρα schwebt ganz in der Luft, vgl. dazu jetzt besonders O. Kramer, Jalirb. des Braunschw. Geschichtsvereins II 5, 23 ff. 7 Vgl. dazu Stier a. 0 . S. 498. Die Angabe, daß Varus im Lager von den Germanen überfallen worden sei, während er sie vor seinen Richterstuhl zitierte, kann vernünftiger­ weise weder auf eine Vorladung der germanischen Häuptlinge noch auf ein Verfahren gegen die disziplinwidrig handelnden Legionäre im ersten Kampflager bezogen werden. — Über Florus jetzt auch G. L e n i c k e , Die Varusschlacht. Diss. 1936.

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Lokalitäten geben alle die Quellen aber leider keine genauere Auskunft. Daß Varus auf seinem Todeszuge nicht den normalen vom Sommerlager nach dem Rheine führenden, als Militärstraße ausgebauten und durch Kastelle geschützten Weg im Laufe der Lippe benutzt haben kann, unter­ liegt keinem Zweifel ; denn auf diesem war die Möglichkeit eines feindlichen Überfalles sehr gering. Daher wurde, wie Dio berichtet, Varus durch die Nachricht von der Erhebung in abgelegener Gegend wohnender Germanen zur Benutzung einer anderen Route veranlaßt. Er hat aber die Richtung auf die Winterquartiere, von denen in erster Linie Vetera in Betracht kam, beibehalten; denn zu einer bloßen Strafexpedition, von der die Rückkehr in das Sommerlager geplant war, würde er nicht den ganzen Troß, ins­ besondere auch nicht die von Florus erwähnten Juristen, mit sich geführt haben. Es kam da nur die Straße in Betracht, die von der Porta teils über Bramsche teils über Osnabrück nach der Ems bei Rheine führte und von da über Bocholt nach Vetera sich fortsetzte, also dieselbe, die wenige Jahre später Germanicus in umgekehrter Richtung von Rheine gegen Minden und der Legat Caecina auf dem Marsche von Vetera nach dem Sammel­ punkte des römischen Heeres eingeschlagen haben und die sodann auch Karl d. Gr. benutzt hat. Das Gebiet der Aufständischen lag an einem von dieser Straße nach Norden abzweigenden Wege; man wird an die Angrivarier oder Chasuarier zu denken haben. Wenn Varus vor der dreitägigen Katastrophe schon einen mehrtägigen Marsch zurückgclegt hatte, wird die Abzweigungsstelle wenigstens 50 Kilometer westlich von der Weser zu suchen sein. Es handelte sich um Wege, die bereits vorhanden aber für Militärtransporte wenig geeignet waren, so daß sie erst durch Fällen von Bäumen, Bau von Knüppeldämmen usw. passierbar gemacht werden mußten; der Abzweigungsweg führte durch besonders schwieriges Terrain und war schon sechs Jahre später wieder verfallen; auf diesen bezieht sich vornehmlich die Angabe des Tacitus, daß Caecina vorausgeschickt wurde, ut occulta saltuum scrutaretur pontesque et aggeres umido paludum et fallacibus campis imponeret.1 Die Feindseligkeiten begannen erst, nach­ dem das Heer die Hauptstraße verlassen hatte. So erklärt es sich, daß Ger­ manicus bei seinem von West und Ost gerichteten Marsche1 2 und dem A b­ stecher nach dem Schlachtfelde zuerst das ordnungsmäßig ausgerichtete, dann das mangelhaft ausgeführte Lager antraf. Die Beschreibungen des Geländes in den Quellen lassen keine sicheren Schlüsse auf die Lage des Schlachtfeldes zu. Der Ausdruck des Tacitus s alt us (Teutoburgiensis) kann allerdings auch Waldland in der Ebene bezeichnen; daß es sich aber 1 Ann. I 61. 2 Vgl. dazu weiter unten und Jahrbuch des Braunschweig. Geschichtsvereins II 8 (1936) S. 28 ff.

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tatsächlich um ein (bewaldetes) G e b i r g e handelte, zeigen die Ausdrücke bei D io: τά δρη καί φαραγγώδη καί ανώμαλα καί τά δένδρα usw., εν δρει ύλώδει; ganz mit Unrecht behauptet Kornemann,1 daß Dio das Wort saltus seiner lateinischen Vorlage mit δρη übersetzt habe; in dieser kann vielmehr nur das Wort montes gestanden haben. Bemerkenswert ist es, daß Dio nichts von S ü m p f e n sagt, die sowohl bei Vellejus und Florus als auch bei Tacitus1 2 eine Rolle spielen; an ein ausgedehntes Sumpfgebiet ist also nicht zu denken. Als Schauplatz käme also wohl nur das Wiehengebirge in Betracht.3 Varus wird zunächst die Straße nach Osnabrück4 ein­ geschlagen haben, um dann nordwärts dieses Gebirge zu überschreiten. Die heute übliche Beziehung des taciteischen saltus Teutoburgiensis auf den Osning ist gelehrten Ursprungs. Teutoburgen, nach denen das Gebirge benannt ist, gab es viele in jener Gegend und wir sind durchaus nicht genötigt, mit Schuchhardt u. a. allein an die Grotenburg, wo jetzt das Hermannsdenkmal steht, zu denken. Die Lage von Aliso (s. dazu weiter unten) spielt für die Entscheidung der Streitfrage keine Rolle. Es steht durchaus nicht fest, wie gewöhnlich behauptet wird, daß Versprengte des varianischen Heeres sich dorthin gerettet hätten.5 Aus den Worten Frontins III 15, 4 : reliqui ex clade Variana, die auf die in Aliso Eingeschlossenen zu beziehen sind, folgt dies nicht, da clades auch allgemein als Unheil, Katastrophe gefaßt werden kann: die Stelle besagt wahrscheinlich nur so viel, daß die Besatzung Alisos die einzige Truppe war, die nach der Varus­ schlacht sich auf germanischem Boden behauptete. Und daß der Münzfund von Barenau, der angeblich von geflüchteten varianischen Legionssoldaten herrührt, überhaupt nicht in Betracht kommt, darüber besteht jetzt wohl allgemein Einigkeit,6 da er ja auch Münzen von Tiberius enthält. Ebenso streitig wie die Örtlichkeit ist das genauere Datum der Schlacht. Gewichtige Gründe sprechen aber für den Herbst. Da Armin das Unter­ nehmen sorgfältig vorbereitet hatte, wird er auch die Witterungsverhält­ nisse in den Kreis seiner Überlegungen gezogen haben. Natürlich kommen 1 Das Erbe der Alten II Heft 24 (1932) S. 117 ff. 2 Veil. II 119, 2 : inclusus silvis paludibus. Florus II 30: per paludes perque silvas. Tac. ann. I 6 1 ; I 65 : Varum . . . paludibus emersum I 68: non hic silvas nec paludes. 3 Nach der neuesten Untersuchung von S tie r in: W elt als Geschichte II (1936) S. 368 ff. wäre der Überfall zwischen Elbrinxen-Rischenau, das Sommerlager bei Hameln oder Herstelle zu suchen. 4 Uber Münzfunde bei Osnabrück s. B o lin im 19. Bericht der röm.-germ. Komm. (1929) S. 116. 5 Vgl. dazu auch die treffenden Bemerkungen von K n o k e , Gegenwärtiger Stand der Forschungen über die Römerkriege im nordwestl. Deutschland (1903) S. 9 und in M it­ teilungen des Vereins für Geschichte von Osnabrück 35 (1910) S. 105 ff. 6 Vgl. dazu W i l i s c h , Der K am p f um das Schlachtfeld im Teutoburger W ald (1909) S.22 ff. Zuletzt A . Klotz in der Festschrift für Poland S. 201. H e i m b s im Hannoverschen Magazin I X (1933) S. 38.

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Unwetter auch im Sommer vor, doch war auf solche in dieser Jahreszeit nicht mit Bestimmtheit zu rechnen. Das Gelingen hing ab von dem Ein­ treten dauernder Niederschläge, die die Wege ungangbar machten. In dieser Erkenntnis haben die Germanen mit Erfolg versucht, den Varus möglichst lange im Sommerlager festzuhalten, indem sie ihn bei seiner schwachen Seite, der Sucht Recht zu sprechen, anfaßten (Vellejus I I 117, 4: trahebat aestiva).1 Die Unglücksbotschaft gelangte nach Vellejus fünf Tage nach Beendigung des dalmatisch-pannonischen Krieges zu Tiberius; aber es steht keineswegs fest, daß der in den Fasten zum 3. August aufgeführte Sieg der Römer das Ende der Feindseligkeiten bezeichnete.1 2 Nur wenige Römer hatten aus dem furchtbaren Gemetzel Leben und Freiheit zu retten vermocht;3 die Hauptmasse war entweder getötet wor­ den oder in Gefangenschaft geraten. Als Armin, von einer Bodenerhöhung aus sprechend, die Seinen zu dem Erfolge beglückwünschte, kannte der Jubel der Germanen keine Grenzen. Freilich war der Sieg nicht in offener Feldschlacht, sondern durch einen hinterlistigen Überfall gewonnen worden. Aber die Deutschen hatten den Römern doch nur mit gleicher Münze ge­ zahlt, die selbst mit Treulosigkeit und Bruch des Völkerrechts ihnen vorangegangen waren. Als erste Pflicht betrachteten es die Sieger, den Göttern ein Dankesopfer darzubringen. Die höheren Offiziere wurden an den in den nahen Hainen befindlichen Altären hingeschlachtet, von den übrigen Römern zahlreiche dem Galgen überliefert oder auf andere Weise vom Leben zum Tode befördert.45 6Vielleicht gehörte zu diesen Unglücklichen der Centurio der 18. Legion Marcus Caelius, dessen Andenken ein in X an­ ten gefundener, jetzt in Bonn aufbewahrter Leichenetein bewahrt : cecidit bello Variano, ossa inferre licebit.® Auch von der Beute ward ein Teil den Göttern geweiht.® Daß die Germanen neben den durch sakrale Momente bestimmten Bluttaten auch noch andere Grausamkeiten gegen Lebende begangen hätten, ist nicht wahrscheinlich ; was Florus von den Marterun­ gen der römischen Advokaten erzählt, trägt deutlich den Stempel der Erfindung. Dagegen war der Leichnam des verhaßten Statthalters, dessen Verbrennung nicht hatte zu Ende geführt werden können, der Gegenstand der Verspottung und Verunglimpfung, wobei sich besonders Segests Neffe Segithank hervorgetan haben soll.7 Den meisten der Gefangenen aber ward 1 Judeich, Klio 26 (1932) S. 63. 3 Vgl. H i r s c h f e l d , Hermes 25 (1890) S. 362. 3 Tac. I 61: Cladis superstites, pugnam . . . elapsi. Dio 56, 24. 4 Tac. ami. I 61: adiacebant . . . truncis arborum antefixa ora, bezieht sich wohl auf die Schädel von Pferden nicht von Menschen, vgl. M u c h , bei Pauly-Wiss. Suppl. III 583. 5 Vgl. zuletzt S ie b o u r g , Bonner Jahrbücher 135 (1930) S. 184 ff. 6 Hierauf ist zu beziehen Tac. a. 0 . : adiacebant fragmina telorum equorumque artus. 7 Veli. II 119, 5. Tac. I 71.

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das Leben geschenkt; sie wurden unter die Verbündeten als Sklaven ver­ teilt. Manchen gelang es, durch Flucht sich der Knechtschaft zu entziehen; andere wurden von ihren Angehörigen losgekauft oder bei späteren Streif­ zügen der Römer befreit. Doch galten die überlebenden Zeugen der furcht­ baren Schmach in Rom als tot ; es war ihnen untersagt, wieder den Boden Italiens zu betreten.1 Besonders willkommen waren den Germanen die Waffen des varianischen Heeres, mit denen sie ihre Ausrüstung vervoll­ ständigten und ihre späteren Schlachten schlugen.1 2 Die drei Legionsadler — der eine kam in den Besitz der Brukterer, der andere zu den Marsern, der dritte, der anfangs mit seinem Träger in einen Sumpf gefallen war, zu den Chatten — wurden nachmals von den Römern zurückgewonnen. Ob zur Kriegsbeute auch der berühmte Hildesheimer Silberschatz gehört hat, ist durchaus zweifelhaft.3 Die Botschaft von dem Untergänge des stolzen Heeres unterbrach in Rom jäh die Freude über die in Illyrien von Tiberius errungenen Erfolge und die Vorbereitungen, die man zu dem Triumphe des ruhmgekrönten Feldherrn traf. Ein panischer Schrecken bemächtigte sich aller Bewohner Italiens und nicht zum letzten des Kaisers selbst. Die Hauptstadt wurde in Belagerungszustand versetzt, die germanische Leibwache aus der Umgebung des Augustus entfernt, das Heer durch Aushebung der bis dahin vom Militärdienst befreiten Bewohner Roms, durch Einberufung der entlassenen Veteranen und Einstellung von Freigelassenen ergänzt, da man schon im Geiste die siegreichen Germanen die Alpen und den Rhein überschreiten sah.4 Doch erwiesen sich diese Befürchtungen bald als grundlos, und allmählich kehrte die Besonnenheit wieder zurück. In der Tat scheint Armin einen Angriffskrieg großen Stils geplant zu haben. Aber seine Bemühungen, die zur Zeit bestehende Konföderation deutscher Stämme zu erweitern, schlugen fehl. Der mächtige Markomannenkönig Marbod, dem er das Haupt des Varus zusandte, verhielt sich ablehnend;5 ebenso blieben die Völker an der Nordseeküste den Römern treu. Dazu kam, daß die Lippefestung Aliso den belagernden Deutschen Trotz bot und dadurch größere Heeresmassen festhielt, während die übrigen im Gebiet der Verbündeten gelegenen römischen Kastelle sofort erobert wur­ 1 Über das Schicksal der Gefangenen Veli. II 120, 6. Seneca ep. 47, 10. Tac. I 61. X I I 27. Dio 56, 22. 8 Diese durch Tacitus ann. I I 45 wohl bezeugte Tatsache ist nicht aus der W elt zu schaffen, wenn sie auch den heutigen Archäologen nicht paßt, vgl. auch G a r d t h a u s e n , Augustus I I , 3 (1904) S. 806 8 Vgl. Gardthausen a. 0 . Zuletzt Jacob-Friesen, Einführung in Niedersachsens Ur­ geschichte S. 147. Schuchhardt, Vorgeschichte von Deutschland S. 254 f. 4 Dio 56, 23. Suet. Aug. 49. 6 Veil. II 119, 6.

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den.1 Erst nach einigen Monaten fiel dieser letzte Stützpunkt in die Gewalt der Feinde, indem die von L. Caedicius kommandierte Besatzung aus Mangel an Lebensmitteln die schützenden Wälle verließ und sich, wenn auch unter erheblichen Verlusten, nach dem Rheine durchschlug.1 2 Nicht wenig zur Abschreckung der Germanen und zur Befestigung der ins Wanken geratenen römischen Autorität am Rheine trug auch das ent­ schlossene Verhalten des Legaten Asprenas bei, der auf die Nachricht von der Katastrophe mit den beiden rheinischen Legionen sofort nach Vetera eilte, das zunächst bedroht erschien, wo er die Besatzung Alisos aufnahm.3 Als nun vollends im Frühjahr 10 n. Chr. Tiberius am Rhein eintraf4 und den Oberbefehl über das auf acht Legionen verstärkte Grenz­ heer übernahm,5 mußte den Germanen jeder Versuch als aussichtslos er­ scheinen, den Krieg weiter auf das römische Gebiet zu tragen. Daß sie dies nicht vermochten, war für die deutsche Sache ohne Zweifel ein großes Glück. Denn wenn die germanische Erhehung sich zu einer unmittel­ baren Gefahr für Italien ausgestaltet hätte, wie dies bei dem illyrischen Aufstand der Fall war, so würde der alternde Kaiser sich aufgerafft und die völlige Niederwerfung der Deutschen versucht und schließlich wohl auch angesichts der ihm zu Gebote stehenden überlegenen Mittel erreicht haben.6 Unter den obwaltenden Verhältnissen aber glaubte derselbe auf eine Wiedergewinnung der verlorenen Provinz verzichten zu können und begnügte sich damit, die übriggebliebenen Reste der Römerherrschaft zu sichern. Dieser Verzicht ist in der nach 9 n. Chr. entstandenen Fassung des Mon. Ancyr. : Germaniam . . . ad ostium Albis fl. pacavi deutlich aus­ gesprochen, wie auch der Rat, den der Kaiser seinen Nachfolgern hinter­ ließ, sie sollten sich mit dem Vorhandenen begnügen und das Reich nicht zu erweitern versuchen, nicht wohl auf die Elbe-, sondern nur auf die Rheingrenze bezogen werden kann.7 1 Zonaras X 37. 2 A u f die Belagerung von Aliso, das man wohl an der unteren Lippe aber nicht in Haltern zu suchen hat, sind zu beziehen außer Veil. II 1 2 0 ,4 , der allein den Namen Aliso nennt, Dio 5 6 ,2 2 . Zonaras X 37. Frontin. strat. I I I 1 5 ,4 ; IV 7, 8. Vgl. zuletzt P r e h n in : Mannus 27 (1935) S. 111 f. L. Schmidt im Jahrbuch des Braunschweig. Geschichts­ vereins II 8 (1936) S. 30. 3 Veil. I I 120, 3. Dio 56, 22. 4 Nach K o l b e , Klio 23 (1932) S. 159, dem Judeich ebenda 26 (1932) S. 62 sich an­ schließt, soll Tiberius noch im Jahre 9 an den Rhein gereist (woraus Kolbe schließt, daß die Varusschlacht nicht erst im Herbst, sondern schon im Sommer stattgefunden habe), aber schon im Januar 10 wieder in Rom eingetroffen sein (Einweihung des Concordiatempels). Aber als Aliso fiel, was erst einige Zeit nach der Schlacht geschehen sein kann (nach Gardthausen, Augustus II 3, 828 im Januar 10), führte Asprenas noch den Ober­ befehl am Rhein. — Veil. II 121, 1. Dio 56, 23. Suet. Tib. 18. 5 E. S t e in , Die kaiserlichen Beamten (1932) S. 91 f. 6 Vgl. Gardthausen II 829. 7 V g l.o b e n S . 3 4 ; H ir s c h fe ld in den Commentationes in hon. Mommseni (1 877) S. 434.

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Das Verhalten des Tiberius im ersten Jahre seiner Anwesenheit am Rheine stand noch völlig unter dem Einflüsse der durch die varianische Niederlage hervorgerufenen Nervosität. Sorgfältig ließ er die Übergänge bewachen und verbot den Seinigen, um die Germanen nicht zu reizen, den Strom zu überschreiten. Einen Legionskommandanten, der einem seiner Freigelassenen gestattet hatte, in Begleitung einiger Soldaten auf dem rechten Rheinufer zu jagen, belegte er mit harten Strafen.1 Erst im folgen­ den Jahre1 2 entschloß er sich, in Begleitung seines Neflfen Germanicus das Heer in das Feindesland zu führen, tat aber diesen Schritt nur unter Anwendung der größten Vorsicht. Das Unternehmen richtete sich gegen die Brukterer im Münsterlande und verfolgte wahrscheinlich wesentlich den Zweck, den von diesen erbeuteten Legionsadler zurückzugewinnen. Nicht ohne Kam pf — Tiberius selbst wäre beinahe dem Mordanschlage eines Brukterers erlegen und Armins Bruder Flavus büßte damals ein Auge ein — ward das Land verheert und dann der Rückzug angetreten. Der Legionsadler verblieb aber vorläufig noch in den Händen der Ger­ manen.3 In der übrigen Zeit des Jahres begann Tiberius4*mit der Anlage eines limes, d. h. eines Durchhaues durch die Wälder zwischen Ruhr und Lippe, zur Vorbereitung eines Einfalles in das Gebiet derMarser, die sich, wie erwähnt, ebenfalls im Besitze eines varianischen Legionsadlers be­ fanden. Die Legionen verweilten in Deutschland, vermutlich in dem jetzt wiederhergestellten Aliso,6 bis zum Herbst, freilich immer noch nicht ganz frei von Furcht vor den schrecklichen Barbaren,6 und kehrten dann in die linksrheinischen Winterquartiere zurück. Im Jahre 12 scheint Ti­ berius den Rhein nochmals überschritten zu haben, ohne daß es zu Feind­ seligkeiten gekommen wäre.7 Es wäre falsch, diesen Vorstößen den Ge­ danken einer Wiedereroberung der verlorenen Provinz unterzuschieben; es lag denselben vielmehr nur die Absicht zugrunde, die Germanen ein­ zuschüchtern und den gesunkenen Mut der römischen Soldaten aufs neue zu beleben. Im Jahre 13 löste Germanicus den Tiberius, der am 16. Januar über die Pannonier und Germanen triumphierte,8 im Kommando über das rhei­ 1 Dio 56, 24, 6 (Zon. X 37). Suet. Tib. 18. 19. 2 Suet. a. 0 . Veil. II 120. Dio 56, 25. 3 D aß es nicht ohne Käm pfe abging, bezeugt Vellejus, während Dio offenbar in m iß­ günstiger Absicht solche ganz in Abrede stellt. Hierbei verlor Flavus das eine Auge, Tac. ann. I I 9. 4 Veli. II 120, 2 : aperit limites. Tac. I 50 : limitem a Tiberio coeptum. Vgl. O x é , Bonner Jahrb. 114 (1906) S. 122 ff. 6 D io : ού πάνυ πόρρω τοϋ ’ Ρήνου. « Dio 56, 24, 4. 5. 7 Dio 56, 26, 2 : έπΐ τη τοϋ Κέλτικου πολέμου προφάσει. Vgl. S c h r ä d e r , Neue Jahrb. für klass. Philologie 139 (1889) S. 220. 8 Die sog. gemma Augustea, auf der auch gefangene Germanen dargestellt sind, wird

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nische Heer ab.1 Durch die Instruktion des Kaisers gebunden, ließ er zu­ nächst in der von seinem Vorgänger den Germanen gegenüber eingeschla­ genen zurückhaltenden Politik keine wesentliche Änderung eintreten. Daß es gleichwohl zu einem siegreichen Kampfe mit einem germanischen Volke gekommen ist, dürfte sich daraus ergeben, daß damals Augustus zum 21. Male, Tiberius zum 7. Male den Imperatortitel annahm.*1 2 Da starb am 19. August 14 Kaiser Augustus. Der Thronwechsel war begleitet von einer gefährlichen Meuterei der pannonischen und rheinischen Legionen, die durch Mißstände in den dienstlichen Verhältnissen veranlaßt war, keines­ wegs aber sich gegen die Person des neuen Kaisers richtete.3 Nachdem die Ruhe teils durch Gewähren von Zugeständnissen, teils durch Verhän­ gung blutiger Strafen wiederhergestellt war, entschloß sich Germanicus, gegen die Deutschen zu Felde zu ziehen. Tacitus sagt, der Feldherr habe lediglich dem Verlangen des Heeres nachgegeben, das den Krieg als Sühne für den Aufstand betrachtete (I 49); doch ist diese Angabe wegen der gesuchten, den Soldaten allzu große Vornehmheit der Gesinnung zuspre­ chenden Motivierung nicht glaubhaft und auch damit nicht zu retten, daß man als wirklichen Grund Mord- und Beutelust substituiert. Daß die Legionen zu einem germanischen Feldzug gedrängt hätten, ist angesichts der noch wenige Jahre zuvor offen zutage getretenen Angst vor den schreck­ lichen Barbaren und des Umstandes, daß bei diesen nicht viel zu holen war, wenig wahrscheinlich. Dagegen ist des Germanicus Tatendrang und Dürsten nach kriegerischen Lorberen hinreichend bezeugt, und so werden wir in der Annahme nicht fehlgehen, daß die Initiative lediglich diesem zuzuschreiben ist. Die Absicht des Geschichtschreibers,4 die Verantwor­ tung für die späteren Mißerfolge seines Lieblingshelden auf andere Schultern abzuwälzen, ist leicht erkennbar. Dem Kaiser aber mochte Germanicus vorgestellt haben, daß es ratsam sei, dem Ausbruch einer neuen Meuterei durch Beschäftigung der Soldaten gegen einen äußeren Feind vor­ zubeugen. Noch im Herbst desselben Jahres rückte das römische Heer (12000 Legio­ näre aus den vier niederrheinischen Legionen) auf der Lippestraße in gewöhnlich auf diesen Triumph, von anderen aber auf das Jahr 7 v. Chr. bezogen. Vgl. S c h u m a c h e r , Germanendarstellungen 4I S. 39, 40. Über das sog. Schwert des Tiberius, das wahrscheinlich auf die Besiegung der Vindeliker 15 v. Chr. zu beziehen ist, Schu­ macher4 S. 48. 1 Suet. Calig. 8 : Germanicum exacto consulatu in Galliam missum. 2 Vgl. K e ß l e r , Die Tradition über Germanicus (1905) S. 14. 3 Vgl. S p e n g e l, Zur Geschichte des Kaisers Tiberius: Sitzungsberichte der Münchener Akadem ie 1903 S. 1 ff. 4 Das von Tacitus überlieferte Tiberiusbild geht im wesentlichen auf Aufidius Bassus zurück, vgl. M a r x , K lio 26 (1933) S. 323 ff.; 29 (1936) S. 94 ff.

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Deutschland ein,1 verwüstete die Dörfer der Marscr und zerstörte das istwäonische Bundesheiligtum der Tamfana.1 2 Dieser Zug leitete eine neue Art der Kriegführung ein, die den Zweck verfolgte, die feindlichen An­ siedelungen völlig zu zerstören und damit die Bevölkerung, wenn sie sich in die unzugänglichen Wälder zurückzog, dem Hungertode zu überliefern. Tiberius bewilligte dem Feldherrn für die unrühmliche Tat einen Triumph und gab damit zu erkennen, daß er die Feindseligkeiten nunmehr als be­ endet anzusehen wünsche ; Germanicus aber betrachtete die Auszeichnung als Ansporn zu weiterem Vorgehen in derselben Richtung. So geschah es sicher nicht mit Zustimmung des Kaisers, als das römische Heer im Jahre 15 wieder über den Rhein ging. Zu Beginn des Frühlings3 brach Germanicus, von Mainz ausgehend, mit vier Legionen und 10000 Mann Auxiliartruppen, nachdem er das von seinem Vater erbaute Taunuskastell wiederhergestellt, verheerend in das Gebiet der Chatten ein, während gleichzeitig Caecina mit den vier niederrheinischen Legionen, 5000 Mann Auxilien und den Milizen der linksrheinischen Germanen,4*die Lippe aufwärts zog und von da aus die Marser und Cherusker in Schach hielt und an einer Unterstützung der Chatten verhinderte. An den Rhein zurückgekehrt,6 empfing Germanicus eine Botschaft von Segestes, die ihm willkommene Gelegenheit bot, den verhaßten Armin persönlich zu treffen und ihn seine Rache fühlen zu lassen. Etwa im Jahre 14 hatte Armin Segests Tochter Thusnelda, die einem anderen versprochen war, entführt und geheiratet.® Segest hatte dem Räuber seines Kindes Fehde angesagt, und es war zwischen den beider­ seitigen Sippen zu heftigen Kämpfen gekommen,7 in deren Verlauf einmal Armin von Segest und dann dieser wieder von von jenem gefangen ge­ nommen wurde.8 Im Jahre 15 aber gelang es Segest, Thusnelda in seine Gewalt zu bringen und in seine Burg zu führen, wo er nun von Armin 1 Der Übergang über den Rhein erfolgte nicht bei Köln, wie häufig angenommen wird, sondern bei Xanten, vgl. L. S c h m i d t , Philolog. Wochenschrift 56 (1936) S. 8. 2 Tac. ann. I 4 9 -5 1 . Vgl. de Vries, Religionsgesch. I 207 f. Stein, D . kaiserl. Beamten S. 92. 3 Tac. I 55. 56. 4 Tac. I 56: tumultuarias catervas Germanorum cis Rhenum. Vgl. über diesen Aus­ druck B a n g , Die Germanen im röm. Dienst I (1906) S. 56. 6 Tac. I 56 Ende: Caesar vertit ad Rhenum . . . I 57 : Germanico pretium fuit con­ vertere agmen, d. h. nicht „umwenden“ , sondern „hinwenden“ . Vgl. zur Bedeutung dieser Worte K n o k e , Die Feldzüge des Germanicus2 (1922) S. 53. * Tac. I 55. Vgl. dazu Schröder, R. G. I® 76 A . 66. Brunner R . G. I 2 95. 7 Nur die Sippen und Gefolgschaften waren an diesen Kämpfen beteiligt, vgl. auch Tac. I 57 : magna cum p r o p in q u o r u m et c li e n t iu m manu (Segest); 58 : a fa c t io n e eius (Arminii). Das Volk in seiner Gesamtheit ging die Sache nichts an, vgl. Brunner, Rechtsgesch. I 2 224. Allerdings muß zuletzt Arm in gegen Segest eine größere Streitmacht, wohl Freiwillige, zur Verfügung gehabt haben, da er es sonst kaum hätte wagen können, dem Germanicus eine Schlacht zu liefern. 8 Tac. I 58.

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belagert wurde. Segest rief durch eine Gesandtschaft, die sein Sohn Segimund begleitete, den Beistand des Germanicus an und dieser zögerte nicht, dem Rufe Folge zu leisten und mit einer Heeresabteilung noch einmal in das Innere Deutschlands vorzudringen. Wo die Burg Segests zu suchen sei, läßt sich nicht ermitteln; daß sie an der chattisch-cheruskischen Grenze gelegen habe und, wie Schuchhardt will, mit der Eresburg an der Diemel1 zu identifizieren sei, beruht lediglich auf der unzweifelhaft irrigen Annahme, daß die Gesandten Segests den Germanicus noch im Chatten­ lande angetroffen hätten. Nur soviel läßt sich sagen, daß sie nicht weit im Innern des Cheruskerlandes gesucht werden darf.* — Ein Interesse, den Segest zu retten, hatte Germanicus freilich nicht; denn jener hatte ja, einem Vtflksbeschluß sich fügend, an der Varusschlacht auf seiten der Cherusker teilgenommen, durch sein zweideutiges Verhalten das Ver­ trauen der Römer schwer erschüttert. Wohl aber war es für Germanicus von Wichtigkeit, bei dieser Gelegenheit nicht bloß seinen größten Feind Armin mit überlegener Macht zu stellen, sondern vor allem dessen Gattin als wertvolles Pfand in seine Gewalt zu bringen. So kam es zu einer Schlacht mit den Belagerern, die geschlagen wurden, während Armin entkam. Se­ gest lieferte sich und seinen Anhang auf Gnade und Ungnade dem Ger­ manicus aus, der ihn aber freundlich aufnahm und ihm sowie seinen Kindern und Verwandten Straffreiheit zusicherte. Er und sein Anhang begaben sich mit dem römischen Heere an den Rhein und erhielten W ohn­ sitze auf gallischem Boden, während Segimund sogleich zurückbehalten worden war.1 3 Es ergibt sich hieraus, daß auch Thusnelda ihre persönliche 2 Freiheit behielt, nicht als Sklavin behandelt wurde, wenn sie auch nicht das Recht der Freizügigkeit besaß; wahrscheinlich ist sie ebenfalls in einem Orte Galliens interniert worden. Hier gebar sie bald darauf nach Taci­ tus einen Sohn (Thumelicus nach Strabo genannt). Wenn Strabo angibt, daß dieser im Mai 17 drei Jahre alt gewesen, also schon im Jahre 14 geboren sei, so liegt ohne Zweifel eine Ungenauigkeit vor. Thumelicus ist somit wie seine Mutter persönlich frei gewesen. Die Einmischung des Germanicus hätte nur dann für Rom einen prak­ tischen Nutzen gehabt, wenn es möglich gewesen wäre, die Stellung Segests in seiner Heimat zu stärken und dadurch die Parteigegensätze und die Rivalität der Volksfübrer zu verewigen. Germanicus aber ebnete selbst, 1 Nach H e im b s , Hannoversches Magazin I X (1933) S. 16 bei Siesterkamp am W est- oder Südabhang der Egge. 2 Vgl. Knoke, Feldzüge S. 52 f. Es wird nur ein Detachement des oberrheinischen Heeres zu dem Entsatz abgegangen sein, da die Zahl der Belagerer nicht groß gewesen sein kann und ein Eingreifen der übrigen Cherusker durch Caecina leicht verhindert werden konnte. 3 Tac. I 57. 58.

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durch kleinliche Rachsucht verführt, dem gefährlichsten Römerfeinde die Wege. Leicht gelang es Armin, der, auf das tiefste erbittert über den Ver­ lust des geliebtenWeibes, zur Rache aufrufend von Gau zu Gau eilte, seinen Einfluß geltend zu machen und die Cherusker sowie die Nachbarvölker zu bewegen, sich unter seiner Führung zum Kampfe gegen den Erbfeind zusammenzuschließen. Selbst Inguiomer verfocht jetzt eifrig die Sache der Nationalpartei, während Segests Bruder Segimer sich nur widerwillig dem zur Teilnahme aller Volksgenossen am Kriege verpflichtenden Beschlüsse der Landesgemeinde gefügt zu haben scheint.1Auf die Nachricht von diesen Vorgängen schritt Germanicus sofort zum Angriff. Diesmal sollten die Brukterer und die Cherusker niedergeworfen werden.1 2 Um die Verpflegung zu erleichtern und die Aufmerksamkeit der Gegner abzulenken, erfolgte der Vormarsch in drei Teilen. Caecina ging mit seinen vier Legionen und zahlreichen Hilfstruppen ,,per Bructeros“ , d. h. lä ngs des Landes der damals noch nicht unterworfenen Brukterer (im Münsterlande) auf der Straße Xanten-Bocholt-Rheine heran, während die Reiterei unter Pedo durch das Friesenland zog und Germanicus mit den oberrheinischen Regi­ mentern den Weg zur See nahm und durch den Drususkanal in die Nordsee und dann in die Ems einfuhr. Die Truppen des Germanicus sind weiterhin zu Lande emsaufwärts auf der rechten Seite des Flusses3 marschiert, be­ gleitet von flachgebauten Transportschiffen, die den Proviant und das Kriegsmaterial beförderten, da die großen Seeschiffe höchstens bis Meppen fahren konnten.4 Die Vereinigung der Kolonnen erfolgte wohl bei Rheine.5 Von hier ward Stertinius mit den leichten Truppen gegen die Brukterer gesandt, deren Ge­ biet er weit und breit verheerte, wobei er einen der varianischen Legions­ adler wieder auffand. Nach des Stertinius Rückkehr begab sich Germanicus 1 Tac. I 60. 71. Segimer muß, da Stertinius seine d e d itio entgegennahm, den Römern zunächst feindlich gegenübergestanden haben; daß dies nur widerwillig geschehen war, zeigt die Angabe, daß ihm ,,leicht Verzeihung gewährt wurde“ — Sind die Worte des Tacitus I 68: diversis ducum sententiis Arminio . . . Inguiomero genau zu verstehen, so wäre Inguiomer neben Arm in zum Herzog gewählt worden. 2 Tac. I 6 0 -7 1 . 3 Vgl. hierzu Knoke, Feldzüge S. 352 f. 4 W as Tacitus II 8 zum Jahre 16 über die Landung des Germ, an der Ems erzählt, ist m. E. nichts weiter als eine ausführliche Wiederholung der Vorgänge des Jahres 15. Die Ems hatte in jener Zeit zwei Mündungsarme, die eine große, zum ersten Male im Jahre 12 V . Chr. bei der Drususexpedition erwähnte Insel Byrchanis umschlossen. Überreste derselben sind die heutigen Inseln Borkum, Juist und Norderney. Die röm. Flotte landete laevo amne d. h. im linken Mündungsarm aus Unkenntnis, so daß es nötig war, die Truppen auf einer Brücke über den rechten Mündungsarm zu befördern. Nachdem die Römer im Jahre 15 die Ems kennen gelernt, war es ausgeschlossen, daß sie im folgenden Jahre jenen Fehler machten. Germanicus ist vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach im Jahre 16 in die W e s e r eingefahren. Vgl. weiter unten und Mannus 28 (1936) S. 495 ff. 5 Vgl. Knoke, Feldzüge S. 64 f.

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mit dem gesamten Heere auf der gegen Minden laufenden Hauptstraße auf den Marsch, unterwegs einen Abstecher unternehmend nach dem vorher von Caecina erkundeten varianischen Schlachtfelde, w o er, eine Pflicht der Pietät erfüllend, die unbestattet umherliegenden Gebeine der römischen Soldaten sammeln und in einem Grabhügel bestatten ließ, und wandte sich dann gegen seinen Hauptfeind Armin.1 Während des Vor­ marsches traf bei Germanicus eine Botschaft von Segimer ein, der seine und seines Sohnes Unterwerfung anzeigte; um diese entgegenzunehmen, ward wiederum Stertinius detachiert.1 2 Armin hatte sich, der Übermacht weichend, vorsichtig zurückgezogen; als die Römer aber auf schwieriges Terrain gerieten, griff er unerwartet an und brachte die Reiterei sowie die ihr zu Hilfe eilenden Kohorten in große Bedrängnis, aus der sie nur mit großer Mühe durch das Eingreifen der Legionen gerettet werden konnten. W o der Zusammenstoß erfolgte, läßt sich aus der Ortsbeschreibung des Tacitus nicht entnehmen. Wahrscheinlich hat man an die Gegend von Bramsche zu denken, und es ist nicht unmöglich, daß der vielbesprochene, Stücke bis Tiberius enthaltende Münzfund von Barenau damit in Zusam­ menhang steht. Unverrichteter Sache kehrte Germanicus an die Ems zurück. Er selbst wählte wieder mit der Hälfte der Legionen in Begleitung der Reiterei den Wasserweg, um nach dem Rhein zu gelangen. Zwei von Vitellius befehligte Legionen, die er, um die Schiffe zu entlasten, an der Nordseeküste an Land setzte, gerieten in eine Springflut, aus der sie nur das nackte Leben retteten; doch wurden sie an der Einmündung eines unbekannten Flusses — der im Text des Tacitus stehende Name Visurgis ist ohne Zweifel Randglosse eines unkundigen Abschreibers — von der Flotte wieder aufgenommen. Noch größere Gefahren hatte die von Caecina befehligte Heeresabteilung zu bestehen, die von der Ems zu Lande direkt nach Vetera über die pontes longi dirigiert worden war. Es fehlte nicht viel, so wäre dieser das Schicksal der varianischen Legionen bereitet worden. Die Germanen waren auf Richtwegen vorausgeeilt und hatten die an die Straße angrenzenden Wälder besetzt. Von hier aus fielen sie über die sich nur mühsam durch das Sumpfgebiet hindurcharbeitenden Truppen her, ließen sich aber durch ihre Beutelust, die durch das stecken gebliebene Gepäck gereizt wurde, von einer Fortsetzung des Kampfes abhalten, so daß Caecina wieder ein festes Lager aufschlagen konnte. Gegen den wohl­ erwogenen Rat Armins, der die Römer erst herauslassen wollte, ließen sich 1 Tac. I 60. Daß Germ, nicht, wie es nach dem überlieferten Texte scheinen könnte, zusammen mit Stertinius nach dem Lande zwischen oberer Ems und Lippe gezogen ist, daß vielmehr eine Umstellung in dem taciteischen Texte vorgenommen werden m uß, habe ich zuletzt Jahrb. des Braunschweig. Geschichtsvereins II 8 S. 28 flf. darzulegen versucht. 2 Tac. I 71.

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die Germanen unter dem Einflüsse Inguiomers verleiten, bei Anbruch des dritten Marschtages einen Sturm auf das Lager zu versuchen, der völlig mißglückte und ihnen erhebliche Verluste brachte; Inguiomer erlitt dabei eine schwere Verwundung. Fortan unbehelligt, erreichten die Legionen den Rhein, wo man sie bereits verloren gehalten hatte.1 Einen Gewinn hatte auch der Hauptfeldzug des Jahres 15 den Römern nicht gebracht. Die Verbündeten der Cherusker waren trotz der barbari­ schen Heimsuchung ihrer Ansiedelungen nicht dauernd geschwächt, die Cherusker selbst aber überhaupt nicht getroffen worden. Dagegen war Ar­ mins Ansehen wesentlich gestiegen, seine Führerstellung eine noch ein­ flußreichere geworden, nachdem sich seine Kriegsleitung als die einzig richtige, die Inguiomers aber als eine gänzlich verfehlte erwiesen hatte, dieser ja auch durch seine Verwundung für die nächste Zeit an jeder Be­ tätigung behindert war. So kam es, daß jetzt die Germanen wieder kühner das Haupt erhoben und in die Offensive eintraten. Wir hören, daß sie ein Kastell an der Lippe (Aliso) einschlossen, daß sie ferner den dem Drusus geweihten Altar (bei Oberaden oder Haltern) und den kürzlich auf dem Teutoburger Schlachtfeld errichteten Leichenhügel zerstörten. Den Be­ lagerten Entsatz zu bringen, ging Germanicus mit sechs Legionen über den Rhein, während gleichzeitig der Legat Silius einen Einfall ins Chattenland machte. Bei dem Herannahen der Legionen gaben die Germanen die Ein­ schließung des Kastells auf und zogen sich zurück. Germanicus stellte den Altar wieder her und führte den Ausbau der Lippestraße bis Aliso durch ; auf diesem Wege weiter bis zu der abgelegenen Stätte der varianischen Katastrophe vorzudringen, lag von vornherein nicht in seiner A b­ sicht.1 2 Der entscheidende Schlag gegen die Cherusker sollte vielmehr auf einem anderen Wege geführt werden. Die Grundgedanken des Feldzugs­ planes faßt Tacitus II 5 folgendermaßen zusammen. Die Truppen hätten sich den Anstrengungen der langen Fußmärsche durch die vielen Wälder und Sümpfe nicht gewachsen gezeigt, der Nachschub des Proviants auf dem Landwege stoße auf große Schwierigkeiten, der Feind sei dagegen durch die Kenntnis und Benutzung der TerrainVerhältnisse im Vorteil. Daher solle die Bewegung zu Lande möglichst abgekürzt und das ge­ samte Heer nebst Kriegsmaterial von der See her durch die Flüsse mitten in das Feindesland geschafft werden. Dieser Idee entsprach es aber nicht, wenn wieder der Weg über die Ems gewählt wurde; es kam nur die Einfahrt 1 Die lebendige Schilderung dieses Ereignisses bei Tac. I 6 3 -6 8 dürfte im letzten Grunde auf einen Augenzeugen zurückgehen. 2 Tac. II 7 . Dieser sagt lakonisch, der Altar sei wiederhergestellt worden, tumulum iterare haud visum. Daß der Altar und der tumulus nicht weit voneinander gelegen hätten, folgt aus dieser Stelle keineswegs. Vgl. auch Mommsen, H ist. Schriften I 241 Anm.

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in die W e s e r in Betracht, auf der man direkt in das Herz des cheruskischen Gebietes gelangen konnte. Wenn Tacitus zu diesem Jahre die Schilderung von einer Fahrt in die Ems bringt, so ist das, wie schon bemerkt, eine Dublette, die Wiederholung eines aus anderer Quelle stammenden, aus­ führlicheren Berichtes über die Flottenfahrt des Jahres 15. Daß in seiner Hauptquelle, der er II 9 ff. vorwiegend folgt, von einem Zuge des Germani­ cus durch das W e s e r g e b i e t die Rede war, geht daraus hervor, daß dieser, als er an der mittleren Weser haltmachte, die Nachricht von dem A b f a l l der Angrivarier in seinem Rücken erhielt; er muß also ihr Gebiet vorher durchzogen und dabei ihre Unterwerfung entgegengenommen haben. Die großen Seeschiffe sind wohl bis zur Mündung der Aller hinaufgefahren; von da setzten die Truppen, begleitet von einer eigens für diesen Feldzug hergestellten Transportflotte, den Weg zu Lande am linken Ufer bis zur Porta Westfalica fort. Hier legte Germanicus ein festes Lager an, während die Germanen — die Cherusker und ihre Bundesgenossen1 — kampfbereit auf der anderen Stromseite standen. Von hier wurde Stertinius zur Nieder­ werfung der abtrünnigen Angrivarier abgesandt. Die eingefügte Episode von der Unterredung zwischen Armin und Flavus ist wegen ihrer tatsäch­ lichen Unmöglichkeit — über den breiten Strom konnte kein Gespräch geführt werden1 2 — sicher eine freie Erfindung des Tacitus oder seines Gewährsmannes. Nach der Rückkehr des Stertinius ließ Germanicus eine Brücke über die Weser herstellen; um die Aufmerksamkeit der Gegner von dem Bau abzulenken, sandte er die Reiterei an verschiedenen Stellen unmittelbar über den Fluß. Die Bataver aber unter Chariovalda ließen sich hier in einen Hinterhalt locken und erlitten schwere Verluste; ihr Führer selbst und viele des Adels kamen um. Nachdem die Römer die Weser über­ schritten, schlugen sie auf dem rechten Ufer wieder ein Lager auf.3 Wenn Tacitus weiter erzählt, Germanicus habe seine Soldaten am Abend un­ erkannt belauscht und aus ihren Gesprächen sein Lob vernommen, so haben wir sicher nur eine zur Belebung der Darstellung eingefügte, frei erfundene Anekdote vor uns, wie Spengel a. O. S. 30 f. mit Recht betont. Zweifellos erfunden ist auch die Geschichte von dem Germanen, der nachts vor den Wällen die Römer zum Überlaufen aufgefordert haben soll. Wir erkennen aber so viel, daß die Soldaten sich in großer Auf­ regung befanden. Der gefürchtete nächtliche Überfall fand nicht statt; die Germanen schlichen sich wohl bis an die Wälle heran, zogen sich aber, da sie die Wachen auf ihren Posten sahen, wieder zurück. Alsdann begaben sich die Legionen auf den Marsch und gelangten nach einer Ebene, den 1 Tac. II 12: convenisse et alias nationes in silvam Herculi sacram. 2 Vgl. Spengel a. O. S. 29. 3 Tac. II 12: Caesar transgressus Visurgim.

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campus Idistaviso.1 Hier kam es mit den Germanen zu einem Zusammen­ treffen, das mit dem Durchbruch der Römer endete; Armin wurde hierbei verwundet, konnte aber, sich unkenntlich machend, enkommen. Diese kurze Tatsache ist das einzige sichere Ergebnis, das sich aus der verwor­ renen Darstellung des Tacitus gewinnen läßt. Als Örtlichkeit der Schlacht glaubt man jetzt die Gegend von Lerbeck und Nammen, 3 Kilo­ meter östlich der Porta angeben zu können.1 2 Nachdem die Legionen auf dem Kampfplatz ein Siegesdenkmal errichtet und den Kaiser als Imperator begrüßt hatten, erfolgte der Weitermarsch, und zwar in nördlicher Richtung, um die Germanen, die sich wieder gesammelt und am „Angrivarierwall“ (s. oben) aufgestellt hatten, anzugreifen. Germanicus erstürmte den Damm, vermochte aber nicht, die Germanen aus den angrenzenden Wäldern hinauszutreiben. Auch die römische Reiterei, die gleichzeitig mit der der Cherusker ein Gefecht hatte, kämpfte ohne Glück. Außerstande, weiter im Cheruskerlande vorzudringen, sah sich Germanicus genötigt, den Rück­ zug anzutreten; gleichwohl ward wieder eine Trophäe errichtet, deren In­ schrift den angeblichen Sieg der Römer verkündete. Wenn Tacitus sagt, die Umkehr sei durch die vorgeschrittene Jahreszeit veranlaßt worden, so ist dies nur eine Beschönigung der wirklichen Tatsachen. Ein Teil der Truppen zog zu Lande nach dem Rhein, anscheinend nicht ohne Kampf mit den sie verfolgenden Germanen.3 Die übrigen unter Germanicus fuhren die Weser ( ?) abwärts in die Nordsee, wo ein Sturm die Flotte vernichtete oder zerstreute. Um den großen Mißerfolg wenigstens etwas wieder aus­ zugleichen, wurden noch in demselben Jahre zwei Expeditionen nach Germanien unternommen, die einen leichten Sieg in Aussicht stellten; während der Legat Silius die Chatten heimsuchte, fiel Germanicus in das Land der Marser ein, wo er einen der varianischen Legionsadler erbeutete. Damit aber war die Tätigkeit des Germanicus am Rhein überhaupt be­ endet; Tiberius, der nicht noch mehr Opfer der Ruhmsucht des Prinzen bringen wollte, rief ihn von seinem Posten ab, indem er betonte, es sei ratsamer, die Germanen nicht durch Waffengewalt bezwingen zu wollen, sondern durch eine die innere Zwietracht fördernde Politik unschädlich zu machen. Am 26. Mai 17 hielt Germanicus einen glänzenden Triumph „über die Cherusker, Chatten, Angrivarier und was sonst für Stämme bis an die Elbe hin wohnen“ . In dem Zug schritten u. a. einher Segests Sohn Segimund, Thusnelda und Thumelicus, Segithank und sein Weib Ramis, 1 Die von Grimm gegebene Erklärung des überlieferten Namens Idistaviso als Idisiaviso, Elfenwiese, wird von K o s s in n a , Mannus, Ergänzungsbd. I S. 90 f. verworfen. K . hält an der Überlieferung fest und deutet das W ort als Bezeichnung einer Örtlichkeit, auf der eine Stauung, Abdämmung des Flusses vorgenommen war. 2 Vgl. zuletzt Schuchhardt, Vorgeschichte von Deutschland S. 246 ff. 3 Dies darf man wohl aus Tac. I 56 Anf. herauslesen, vgl. Spengel S. 34.

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Di e Ermi nonen

während Segest den Zuschauer spielte.1 Zu des Germanicus Ehren ließ der Senat eine Münze schlagen, deren Revers die Inschrift trägt: Signis recept(is) devictis German(is) SC.1 2 Dagegen wird jetzt die sogenannte Gemma Tiberiana nicht wie früher auf Germanicus, sondern auf Caligula bezogen und ins Jahr 37 gesetzt.3 — Über das uns so nahe berührende Schicksal von Armins Gattin und Sohn wissen wir so gut wie nichts.45 Daß letzterer in Ravenna erzogen wurde, bezeugt Tacitus I 58, der zugleich von dem „ludibrium“ , das an dem Knaben begangen worden sei, für später einen leider verlorenen Bericht in Aussicht stellt. Wie schon be­ merkt, hat er seine persönliche Freiheit behalten, ist also nicht unwürdig, als Sklave behandelt worden; das von Tacitus gebrauchte Wort ludibrium ist nicht als „Schande“ , sondern als „Ironie des Schicksals“ zu deuten, insofern „er als Sohn eines so berühmten Vaters ein besseres Los verdient hatte“ (Knoke); sein Name ist sehr wahrscheinlich deutsch und nicht mit dem römischen, auch als Sklavennamen bezeugten Namen Thymelicus6 zusammenzubringen. Als Römer erzogen, sollte er vielleicht dazu helfen, den verlorengegangenen römischen Einfluß auf das cheruskische Volk wiederherzustellen. Er ist aber schon frühzeitig gestorben, sicher vor dem Jahre 47 (Tac. X I 16). Von seiner Mutter war er wohl sogleich nach dem Triumphzuge getrennt worden; diese kehrte vermutlich nach dem ihr zugewiesenen gallischen Aufenthaltsorte zurück; die Zeit ihres Todes ist unbekannt. Marbod hatte dem großartigen Befreiungskämpfe untätig zugesehen und den Patrioten jede Unterstützung versagt, ohne freilich auch den Römern irgendwelche Hilfe zuteil werden zu lassen. Dieses zweideutige Verhalten wurde ihm jetzt zum Verhängnis. Die Semnonen und Langobarden fielen von ihm ab und gingen zu Armin über, der als der Vorkämpfer der nationa­ len Sache und zugleich der Erhaltung freiheitlicher Verfassungsformen er­ schien. Marbod wandte sich wahrscheinlich zunächst gegen die abtrünnigen Semnonen, um sie wieder unter seine Herrschaft zu bringen. Eine unerwar­ tete Hilfe kam ihm von den Cheruskern selbst, indem Inguiomer, weil er nicht weiter unter seinem berühmten Neffen eine untergeordnete Stellung einnehmen wollte, mit der Gefolgschaft auf seine Seite trat. Armin rückt ihm mit dem gesamten Aufgebot der Konföderierten entgegen, und es kam vermutlich auf sächsischem Boden zu einem Zusammenstöße. Beide Heere fochten, wie Tacitus erzählt, gegeneinander in nach römischer Weise ge­ 1 Strabo V II 1, 4. - Cohen I 223 Nr. 7. Sallet-Regling S. 92. Schumacher, Germanendarstellungen S. 40, Taf. 40. 4 Vgl. das Nähere bei L. S c h m i d t , Niedersächsisches Jahrbuch 13 (1936) S. 237 ff. 5 Vgl. B a u m g a r t , Die römischen Sklavennamen. Breslauer Diss. 1936 S. 52.

Di e A n g r i v a r i e r und Che r us ke r

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ordneten Schlachtreihen, eine Angabe, deren Richtigkeit zu bezweifeln kein Grund vorliegt. Der Kam pf blieb unentschieden; doch fühlte sich Marbod so geschwächt, daß er den Rückzug antrat und den Kaiser um Hilfe bat, die ihm aber in Rücksicht auf sein früheres Verhalten verweigert wurde (Jahr 17).1 Auf welches Ziel Armins weitere Absichten gerichtet waren, vermögen wir nicht zu erkennen. Ob der Cheruskerfürst in Wirklichkeit danach ge­ strebt hat, die angesehene einflußreiche Stellung, die er durch seine Groß­ taten errungen, zur Monarchie auszugestalten, steht dahin. Jedenfalls sind aber diese vermeintlichen Herrschaftspläne von seinen Widersachern nicht ohne Erfolg vorgeschoben worden, um ihn zu stürzen. An der Spitze der gegen ihn gerichteten Bewegung stand wohl Inguiomer, der nach Beseiti­ gung seines Neffen wieder in den Besitz seines früheren Ansehens zu ge­ langen hoffte; Unterstützung fand dieselbe bei den Chatten, die die Ver­ drängung der Cherusker aus ihrer führenden Stellung anstrebten, und bei den Römern. Es kam zum Bürgerkriege, in dessen Verlauf Armin „durch die Tücke seiner Verwandten“ den Tod fand (21).1 2 Beleuchtet werden diese Vorgänge durch die Erzählung des Tacitus (a. O.), der Chattenfürst Adgandestrius habe dem Kaiser geschrieben, er möge ihm Gift zur Be­ seitigung des Cheruskerfürsten zusenden. Diesem Ansuchen ist zwar offiziell ein abschlägiger Bescheid erteilt, im geheimen aber sicher mit den nötigen Anweisungen entsprochen worden.3 Dann würde Adgandestrius, der nach Much der Schwiegervater des Flavus und so ein Verwandter Armins war, dessen Mörder gewesen sein. Mit Armin ist einer der größten Helden unserer Nation dahingegangen. Wir Deutschen dürfen und werden nicht vergessen, daß wir ihm die Er­ haltung unseres Volkstums zu verdanken haben. Ohne sein Auftreten wären die germanischen Stämme westlich der Elbe der Romanisierung verfallen, hätten also dasselbe Schicksal erlitten, wie ihre in den römischen Provinzen Ober- und Niedergermanien ansässigen Volksgenossen, und es muß als durchaus zweifelhaft gelten, ob die Ostgermanen befähigt gewesen wären, die Rolle als Hüter und Bewahrer der deutschen Nationalität zu spielen. Armin tritt uns als die erste entschiedene Verkörperung des na­ tionalen Gedankens entgegen in einer Zeit, wo von einem Gefühl völkischer Zusammengehörigkeit bei den Germanen kaum noch eine Spur vorhanden war. Die Erfolge, die er errungen, waren wesentlich auf seine angeborene Genialität gegründet. Wie er durch die zwingende Gewalt seiner Persön­ lichkeit, durch die Macht seiner Rede die auseinanderstrebenden Elemente 1 Tac. ami. II 26. 4 4 -4 6 . - Tac. II 88. 3 Vgl. Spcngel a. O. S. 39.

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Die Erminonen

seines Volkes zusammenzufassen verstand, so war es seine Kriegskunst, die ihm mit seinen undisziplinierten, nicht genügend ausgerüsteten Kriegern den Sieg über die weit überlegenen Heere des auf dem Gipfel seiner Macht stehenden römischen Weltreiches verschaffte. Daß die Bildung und Schu­ lung, die er durch die Römer selbst im kaiserlichen Dienste genossen, dabei von einigem Einfluß gewesen sind, soll nicht in Abrede gestellt werden. War schon die Organisation der Verschwörung gegen Varus und die Ver­ nichtung der Legionen im Teutoburger Walde eine große Tat, wenngleich sie unter dem Bruch des Völkerrechtes geschah, so strahlt Armins Ruhm im höchsten Glanze in den Kämpfen, die er zur Verteidigung der errungenen Freiheit mit Germanicus führte. Wie kümmerlich erscheint neben der Licht gestalt des Cheruskerfürsten das Bild des Markomannenkönigs Marbod, der, obzwar durch seine Macht berufen, nicht den Mut finden konnte, die Befreiung Deutschlands in die Hand zu nehmen, und den deswegen das Schicksal durch Bereitung eines unrühmlichen Endes hart, aber gerecht gestraft hat. Noch lange ist Armins Gedächtnis in Liedern der Germanen gefeiert worden; aber diese Gesänge sind nicht auf uns gekommen.1 Was wir über ihn wissen, verdanken wir den Berichten der Römer, die selbst ihrem gefährlichen Feinde die Anerkennung nicht versagt und ihm ein würdiges Denkmal gesetzt haben in den Worten ihres großen Geschichts­ schreibers Tacitus: liberator haut dubie Germaniae, et qui non primordia populi Romani, sicut alii reges ducesque, sed florentissimum imperium lacessierit, proeliis ambiguus, bello non victus. Der einmal entfesselte Bürgerkrieg fand auch nach Armins Tode kein Ende. Der Adel der Cherusker fuhr fort, sich gegenseitig zu zerfleischen.1 2 Im Jahre 47 lebte von den führenden Geschlechtern nur noch einer, des Flavus Sohn, fern von der Heimat in Rom, wo er aufgewachsen und erzogen worden war. Die Anschauung, daß die Fürstenwahl auf die Mitglieder be­ stimmter Familien beschränkt sei, war so fest ge wurzelt, daß die Cherusker jetzt nicht zur Erhebung gemeinfreier Männer an die Spitze ihrer Gaue schritten, sondern sich jenen als den letzten Vertreter fürstlichen Stammes vom Kaiser zur Leitung des gesamten Staatswesens erbaten.3 Die römische Regierung zeigte sich gern bereit, diesem Wunsche zu willfahren; bot sich doch damit für sie eine günstige Gelegenheit, durch den in römischen An­ schauungen aufgewachsenen Fürsten den verloren gegangenen Einfluß bei 1 Diese Lieder behandelten wahrscheinlich sein persönliches tragisches Schicksal, den Konflikt mit seinen Verwandten, aber nicht sein Befreiungswerk. Vgl. u. a. H e u s le r in Hoops Reallcx. I 454. N e c k e l, Altgerm . Kultur (1925) S. 130 f. Streitig ist es, ob das adhuc bei Tacitus auf dessen Zeit oder nicht vielmehr auf dessen Quelle (Plinius?) zu beziehen ist. 2 Tac. X I 16. 3 V gl. dazu V . Syhel, Entstehung des deutschen Königtums 2 145.

Di c A n g r i var i cr und Cher us ke r

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dem Volke wieder zu gewinnen, nachdem der vielleicht für die gleiche Auf­ gabe ausersehene Sohn Armins ein frühzeitiges Ende gefunden hatte. Italicus gelangte rasch zu allgemeinem Ansehen, da er der heimischen Art noch nicht völlig entfremdet war und sich bemühte, die Herrschaft un­ parteiisch und gerecht zu führen. Mit den so geschaffenen geordneten Zu­ ständen waren freilich diejenigen nicht einverstanden, die aus der bisher herrschenden Anarchie für sich Gewinn zu ziehen verstanden und daher an ihrem Fortbestehen ein lebhaftes Interesse hatten.1 Diese unlauteren Elemente wurden aber genötigt, die Heimat zu verlassen; sie fanden Auf­ nahme bei den Nachbarvölkern, d. h. wahrscheinlich besonders bei den Chatten, die sie durch den Hinweis auf die Gefährdung des nationalen Ge­ dankens für sich leicht zu gewinnen wußten. Als sie mit deren Hilfe die Rückkehr zu erzwingen suchten, wurden sie in einer Schlacht geschlagen. Als dann Italicus, durch diesen Erfolg kühn gemacht, die Zügel der Herr­ schaft etwas straffer anzuziehen begann, stieß er bei seinem Volke auf heftigen Widerstand ; er mußte flüchten und vermochte nur durch die Unter­ stützung der Langobarden seine frühere Stellung wiederzugewinnen.1 2 Der Gegensatz zwischen den Chatten und Cheruskern bestand weiter fort ; im Jahre 50 fürchteten jene, als sie von den Römern bekriegt wurden, daß ihnen die Cherusker in den Rücken fallen würden.3 Auch des Italicus Sohn ( ?) und Nachfolger ( ?) Chariomerus lebte wegen seiner Hinneigung zu den Römern mit den Chatten in Feindschaft. Er wurde von ihnen ver­ trieben, kehrte dann mit einer Schar seiner Anhänger zurück und gewann die Herrschaft wieder, geriet aber von neuem in Bedrängnis und erbat sich Hilfe vom Kaiser Domitian, der ihm indes nur Geld, keine Truppen schickte4 (zwischen· 85-87). Ob Chariomer sich dadurch zu behaupten ver­ mochte, erfahren wir nicht, wie überhaupt die spätere Geschichte des Volkes ganz im Dunkeln liegt. Durch diese beständigen verlustreichen Kämpfe erlitt die Macht der Cherusker die empfindlichste Einbuße. Ta­ citus schildert sie in der Germania c. 36 als ein heruntergekommenes Volk, schreibt aber ihren Niedergang sonderbarerweise dem andauernden Frie­ denszustand zu. Sie vermochten daher dem Andringen der Chauken nicht standzuhalten und büßen an diese das Gebiet westlich der Oker ein.5 Ta­ citus ist der letzte, der von ihnen sichere Kunde gibt; alle späteren Er­ wähnungen des Volkes fußen wahrscheinlich lediglich auf älteren Berichten und haben für ihre Zeit keine Bedeutung. Dies gilt zunächst für Ptolemäus, 1 Tac. a. O. : qui factionibus floruerant. 2 Tac. II 17. 3 Tac. X I I 28 4 Dio 67, 5. Vgl. dazu Klose a. O. S. 53. 5 Oben S. 36.

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Die Er mi n o n e n

der die Cherusker östlich der Elbe am Meliboeus ansetzt (II 11, 10). Unter dem Meliboeus können nur der Harz und die sich im Westen anschließenden Weserberge verstanden werden, nicht, wie Devrient wollte, der Thüringer Wald.1 Allerdings läßt Ptolemäus die Weser am Meliboeus entspringen; aber wie bei Tacitus die Quelle der Elbe in das sächsisch-böhmische Grenz­ gebirge verlegt wird, so ist hier der Ursprung der Weser mit dem Austritt derselben aus dem Wesergebirge identifiziert. Über die Cherusker im Panegyricus des Nazarius, auf der Tabula Peutingeriana, bei Julius H o­ norius und Claudian ist schon Bd. I1 2 574 gehandelt worden. Aus welcher Quelle die Angabe in dem den Namen des Yibius Sequester tragenden Ver­ zeichnis der in den gelesensten Dichtern vorkommenden Ortsnamen (aus dem 4.-5. Jahrh.): Albis Germaniae Suevos a Cheruscis dividit, stammt, ist unbekannt; doch besteht darüber kein Zweifel, daß sie einer weit früheren Zeit angehört. Über die Cherusker-Sachsen bei Venantius Fort, siehe oben S. 44. Der Rest der Cherusker wurde von den Thüringern unter­ worfen, die in unbekannter Zeit das Land nördlich vom Harz ihrem Reiche angliederten, und kam alsdann unter die Herrschaft der Sachsen (oben S. 46ff.). Von einer Auswanderung des Volkes nach dem Niederrhein kann gar keine Rede sein.2 Daß das Gebiet der Cherusker (Χερουςκίς Dio 54, 33. 55, 1. 56, 18) zur Zeit seiner größten Ausdehnung gegen Westen bis an den Teutoburger Wald, gegen Osten bis nahe an die Elbe, gegen Süden bis an die Diemel und den Harz, gegen Norden bis zu einer Linie, deren einer Punkt das Steinhuder Meer war, sich erstreckte, hat sich aus den obigen Ausführungen er­ geben. (Nach S t e c h e , Ptolemäus S. 87,94 beherrschten die Cherusker auch Thüringen, das ihnen allein zur Zeit des Ptolemäus noch verblieben sei, während die Hermunduren niemals dort gesessen hätten, sondern in Nordböhmen und an der Donau wohnten. Denn Tiberius, der im Jahre 5 n. Chr. nach Vellejus II, 106 ad flumen Albim, qui Semnonum Hermundurorumque fines praeterfluit vordrang, ist nur an den Mittellauf der Elbe gelangt, und Vellejus hätte gar keinen Grund gehalt, die Hermun­ duren in diesem Zusammenhänge zu erwähnen, wenn sie in Nordböhmen saßen.) Der Staat war in Gaue gegliedert, an deren Spitze principes standen,3 die von der Landesgemeinde aus bestimmten Geschlechtern gewählt wurden. In den über die Römerkriege vorliegenden Berichten, die allein auch über die inneren Verhältnisse einige Kunde geben, tritt das Vor­ handensein einer Gauverfassung freilich nicht deutlich hervor; aber es wäre verfehlt, deswegen eine politische Unterorganisation bei den Cherus­ 1 Ähnlich Steche, Ptolemäus (Thüringer W eid und Erzgebirge). 2 W ie H ö f e r , Göttinger Gel. Anzeiger 1909 S. 865 behauptet. 3 Griechisch ήγεμόνες (Strabo).

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kern überhaupt in Abrede zu stellen und die hervorragende Stellung, die die principes im öffentlichen Leben einnahmen, nicht auf eine Hausmacht, sondern lediglich auf ihren Geburtsstand zu gründen, wie dies H e y ck, Die Staatsverfassung der Cherusker (Neue Heidelberger Jahrbücher V), getan hat. Wir erkennen die cheruskischen Gaufürsten als die Befehlshaber der Mannschaften ihrer Bezirke unter den principes, deren Verhaftung Segest dem Varus anempfahl, um das Volk seiner Führer zu berauben (Tac. I 55) ; ferner unter den ceteri primores oder proceres, die im Jahre 16 dem Germa­ nicus gegenüber standen (Tac. II 9. 15), wenn auch hier nicht bloß von den Cheruskern, sondern mit von ihren Verbündeten die Rede ist. Im Kriegsfälle trat an die Spitze der ganzen Völkerschaft ein aus den Adligen gewählter Oberbefehlshaber, Herzog (dux). Armin hat dieses Amt in den Kämpfen mit Varus, Germanicus und Marbod bekleidet; im Jahre 15 scheint er dasselbe mit Inguiomer geteilt zu haben (vgl. oben). Doch war Armin zugleich Herzog der mit den Cheruskern verbündeten Völkerschaften, was Heyck, ohne entscheidende Gründe anzugeben, leugnet. Auch nachdem das Her­ zogsamt erloschen war, hat Armin durch die Gewalt seiner Persönlichkeit eine führende Stellung bei den Cheruskern behauptet (potentia nennt sie Tacitus II 88), ähnlich wie später u. a. Athanarich bei den Westgoten. Zur Einführung der Monarchie kam es nach Armins Tode, als sämtliche Adlige, die Angehörigen der stirps regia, wie Tacitus sagt, bis auf ein en den Tod gefunden hatten: das Volk berief diesen einzig Überlebenden an die Spitze aller Gaue. Unter der Königsherrschaft muß sich ein neuer Adel, ein Dienst­ adel, gebildet haben, da der König die Regierung nicht allein, ohne alle Beamte geführt haben kann; doch wissen wir über diese Verhältnisse nichts. Die Fürsten waren Inhaber von Gefolgschaften (clientes), wie sie wenigstens für Segest und Inguiomer bezeugt sind. Besondere Abzeichen scheinen die Fürsten nicht gehabt zu haben. Darauf würde die Erzählung Tac. II 17, Armin habe, um nicht erkannt zu werden, in der Schlacht von Idistaviso sein Gesicht mit Blut beschmiert, hindeuten, wenn dieselbe nicht einfach erfunden ist. Die Entscheidung über alle öffentlichen Angelegenheiten lag durchaus bei der Volks- bzw. Heeres Versammlung; die Führer besaßen nur beratende Stimme. Consensu gentis erfolgt die Erhebung gegen Varus; diesem Be­ schlüsse hatten sich alle anfänglich widerstrebenden Volksgenossen zu fügen (Tac. I 55).* 1 Durch Ü b e r r e d u n g gewinnt Armin die Seinen für den Krieg gegen die Römer (Veil. II 118, 3 : persuadet; Tac. I 57. 59); auf E m p 1 Daß Inguiomers Gau sich anfänglich neutral verhalten habe (Brunner, Rechtsgesch. I 158) folgt aus Tac. I 60 keineswegs. Segest ist überhaupt nicht als Volksfeind behandelt worden, wozu auch keine Veranlassung vorlag, da er im Jahre 9 gegen Varus gestanden hat. Die Kämpfe zwischen ihm und Arm in waren reine Privatsache, vgl. oben.

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Di e E r m i n o n e n

f e h l u n g Inguiomers entscheidet sich das Heer für den Angriff auf das Lager Caecinas,während Armin dies w i d e r r ä t (Tac. 168). Das versammelte Volk gibt lärmend (durch Zusammenschlagen der Waffen) seine Zustim­ mung zum Kampfe gegen die Widersacher des Italicus (Tac. 11, 17 : adstrepebat huic alacre vulgus). Die Archäologie der Cherusker ist erst in neuerer Zeit genauer bekannt geworden.1 Die Gräber sind Brandgruben : Die Knochen sind vom Scheiter­ haufen zusammen mit Holzkohle entnommen und ohne Urne in einem Tuch oder Beutel eingegraben. Mehrfach sind Spuren von Häusern in ver­ schiedenen Formen, besonders als sog. Bohlenständerhaus und Grubenhaus, aufgedeckt worden. Wallburgen wurden ermittelt auf dem Gehrdener Burg­ berg bei Hannover und vor allem auf der Yogelsburg bei Salzderhelden, während von der berühmten Grotenburg bei Detmold nur wenig erhalten und es überhaupt zweifelhaft ist, ob sie schon in eine so frühe Zeit zurück­ reicht. Es fehlen nicht Hinweise auf handwerkliche Tätigkeit: die Aus­ übung der Zimmermanns- und Schmiedekunst (erhalten besonders Augen­ fibeln in Bronze), Töpferei, Weberei. Die archäologischen Ergebnisse erfahren durch die literarischen Zeug­ nisse eine nur dürftige Ergänzung. Die Cherusker waren hiernach wie alle Germanen von gewaltiger Körpergröße (Tac. ann. I 58; II 14). Ihre Be­ waffnung bestand aus langen Stoß- und kurzen Wurflanzen (Tac. I 64; II 14. 21), Pfeilen (Tac. II 11), großen Schilden aus Weidengeflecht oder schwachen Brettern; Panzer und Helme waren unbekannt (Tac. II 14). Die Lanzen waren zum Teil nur Holzstangen, deren Spitzen im Feuer ge­ härtet waren (Tac. II 14). Die Erbeutung römischer Waffen war den Ger­ manen sehr willkommen (Tac. II 45). Die Reiterei scheint eine nicht un­ bedeutende Rolle gespielt zu haben. Bei der voreiligen Beuteverteilung, die vor der Schlacht von Arbalo vorgenommen wurde (11 v. Chr.), sollten die Cherusker die Pferde der Römer erhalten (Flor. II 30, 25, oben S. 94). Das Schnauben der Pferde im germanischen Lager hörten die Römer vor der Schlacht von Idistaviso (Tac. II 12). Uber die Reiterei in der Schlacht am Angrivarierwalle s. Tac. II 19. Natürlich waren die Führer beritten (Tac. II 17. 45). Unter den Göttern, die die Cherusker verehrten, wird Hercules, d. i. Donar (?), genannt (Tac. II 12) ;1 2 ihm wurden wohl auch die in der Varusschlacht gefangenen Römer als Opfer dargebracht (Tac. I 61). In enger Verbindung mit den Cheruskern erscheinen die F o s e n , die nach Tac. Germ. 36, der einzigen Stelle, die von ihnen Kunde gibt, in den 1 Vgl. Schuclihardt, Vorgesch. von Deutschland S. 254. Schroller, 5000 Jahre S. 116 ff. 2 Vgl. De Vries, Religionsgeschiehtc I 175 ff.

D i e A ngrivar ier und Cher us ke r

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Niedergang jener mit hineingezogen wurden. Diese Angabe bezieht sich auf die Besetzung des westlichen Teiles des Cheruskerlandes durch die Chauken; man wird daher das Völkchen nicht, wie ich früher annahm, in der Altmark, sondern etwa am Nordfuß des Wiehengebirges anzusetzen haben. Daß sein Name mit dem des Flüßchens Fuse nichts zu tun hat, ist von Much, Deutsche Stammeskunde3 S. 88 gezeigt worden. Ganz unsicher ist die ethnische Zugehörigkeit der K a l u k o n e n und D u l g u b n i e r . Die Kalukonen werden von Ptolemäus II 11, 10 zwischen Semnonen und Cheruskern zu beiden Seiten der Elbe, also etwa zwischen Ohre und Havel aufgeführt. Ob sie identisch sind mit den von Strabo (VII 1, 3. 4) genannten ΚαοΟλκοί, oder Καθύλκοι, von denen Germanicus im Jahre 17 Gefangene in Rom auffijhrte, ist etwas zweifelhaft.1 Wenn uns Kalukonen auch im westlichen Rätien bei Plinius III 136 begegnen, so sind diese als eine bei der kimbrischen Wanderung aus ihrer Heimat fort­ gerissene Abteilung des mitteldeutschen Volkes anzusprechen. Weitere Nachrichten besitzen wir über sie nicht. Ihr Gebiet wurde jedenfalls später von den Sachsen eingenommen. Die Dulgubnier wohnten nach Tac. Germ. 34 neben den Chasuariern im Rücken der Angrivarier, die hier be­ reits im Besitze des Bruktererlandes zu denken sind (an der mittleren Aller?). Die Ansetzung bei Ptolemäus II 11, 9 ist unbrauchbar, weil ledig­ lich auf Tacitus beruhend. Auch über sie ist sonst nichts bekannt. Die An­ nahme, daß sie später an die Donau gezogen seien, ist unbegründet, da die hierfür angezogene Inschrift aus Brigetio den Namen des Volkes nicht enthält (vgl. Bd. I2 572). 1 Vgl. Stähelin, Die Schweiz2 S. 17, 6 .

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DIE SW EBEN ERSTER TEIL

a) V o r g e s c h ic h t e Die Sweben erscheinen in historischer Zeit als eine durch gemeinsamen Kultus eines von Tacitus regnator omnium deus genannten Gottes (siehe dazu weiter unten) verbundene Gruppe verschiedener Völker, haben aber einst eine politische Einheit, einen Stamm gebildet. Die Heimat dieses swebischen Urvolkes fällt im wesentlichen mit dem Gebiete der S em n o n e n zusammen, das sich im 1. Jahrhundert n. Chr. über den nördlichen Teil der Mark Brandenburg sowie über Mecklenburg-Strelitz erstreckte.1 Tacitus (Germ. c. 39) bezeugt, daß die Semnonen als das älteste und edelste Volk der Sweben galten, daß in dem swebischen Nationalheiligtum, dessen Hüter sie waren, die Wiege des Stammes gesucht wurde. Ob die swebischen Sitze sich einst weiter nach Nordwesten erstreckten, ist zweifelhaft; dar­ auf hinweisende archäologische Momente2 können auch auf bloßer Kultur­ übertragung beruhen. Jedenfalls dürfen das Auftreten der „Swaefe“ als Nachbarn der Angeln im Widsidh und der heutige Ort Schwabstedt an der Eider nicht als Stützen dafür verwertet werden.3 Über die Zugehörigkeit zu den Sweben gehen die Angaben der griechischrömischen Schriftsteller weit auseinander, so daß es schwer ist, zur Klarheit zu gelangen.4 Nach einer älteren vorcäsarischen Ethnographie, die auf der Tatsache der einstigen Swebenherrschaft in Westdeutschland zur Zeit 1 Über die Sitze der Semnonen Mon. Ancyr. c. 26 : Cimbri et Charydes et Semnones et eiusdem tractus alii Germanorum populi . . . amicitiam meam petierunt. Darnach ist an­ zunehmen, daß dieselben ziemlich weit nach Norden hinauf sich erstreckten. Veil. Pat. II 106, 2 : ad flumen Albim , qui Semnonum Hermundurorumque fines praeterfluit, Romanus perductus exercitus kann nur in dem Sinne verstanden werden, daß die Semnonen (und vorübergehend auch die Hermunduren) rechts der Elbe wohnten, vgl. u. a. W i l i s c h in den Mitteilungen des Vereins für Zittauer Geschichte V II (1911) S. 17. Ebendorthin setzt sie auch Ptolemäus, vgl. G. H o l z , Beiträge zur deutschen Altertumskunde I (1894) S. 34. Steche a .O . S. 91. Aus Tac. läßt sich etwas Bestimmteres über die Lage des semnonischen Gebietes nicht gewinnen. Zur Archäologie vgl. u. a. B e l t z , Vorgeschichte von Mecklen­ burg (1899) S. 146. W . M a t t h e s , Die nördlichen Elbgermanen in spätrömischer Zeit (Mannusbibl. 48, 1931) (Ostholstein, Mecklenburg, Brandenburg, Altm ark, Osthannover). G u t j a h r , Die Semnonen im Havelland zur frühen Kaiserzeit, Dies. 1934. Tischler, Fuhlsbüttel S. 66 f. (Ostholstein nicht swebisch.) 2 Vgl. Plettke, Ursprung und Ausbreitung der Angeln und Sachsen S. 53. 59. 3 L. Schmidt, Zeitschr. d. Ges. f. schlewig-holstein. Geschichte 63, 355. 4 Vgl. dazu F r a h m , Klio 23 (1929) S. 206 ff. S c h ö n f e l d , bei Pauly-W iss. Reihe II Bd. 4 S. 567.

Di e Sweben: Vorgeschi cht e

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Ariovists fußte, läßt Strabo IV 3, 4 und V II 1, 3 die Sweben von der Elbe bis zum Rheine reichen. Dagegen kennt Cäsar unter diesem Namen nur ein bestimmtes Einzelvolk (siehe weiter unten). Es ist eine ganz unbe­ rechtigte Ansicht, daß in dem Völkerkatalog bell. Gail. I 51 Suebi der zu­ sammenfassende Begriff für alle hier genannten Stämme sein soll, wie Frahm a. O. S. 201 behauptet. Am weitesten geht Tacitus in der Germania, wo außer den Erminonen (von Chauken und Cheruskern abgesehen) auch alle ingwäonischen Völker sowie die Nord- und Ostgermanen dazu ge­ rechnet werden, d. h. alle vor der Erhebung Armins freien Germanen, während in den anderen Werken der Swebenbegriff wesentlich einge­ schränkt ist. Als wirkliche Sweben können insbesondere aus sprachgeschichtlichen und archäologischen Gründen außer den Semnonen nur die Hermunduren, Markomannen, Quaden, Naristen oder Waristen, Mar­ singen,1 Wangionen, Triboker, Nemeter, Juthungen angesprochen werden. Während bei den meisten Swebenstämmen die Sondernamen ausschließ­ lich Geltung erlangten, sind die Semnonen und Quaden später allein die Träger des alten Bundesnamens geworden. Die allmähliche Ausbreitung der Sweben und die damit verbundene Ent­ stehung der Einzelstämme läßt sich noch mit ziemlicher Genauigkeit ver­ folgen. Von dem Stammlande aus haben sie zunächst die Westhälfte der Niederlausitz, die Provinz Sachsen um Halle, Thüringen und das ehemalige Königreich Sachsen besiedelt. Das Volk, das aus den Bewohnern dieser Gegend erwuchs, nahm wahrscheinlich den Namen Markomannen, d. h. Grenzmannen (gegen die Kelten), an. Die Niederlausitz und Kgr. Sachsen wurden aber schon um 120 v. Chr. von den Sweben, die sich den Kimbern und Teutonen anschlossen, zum größten Teile geräumt und sind seitdem bis zur Einwanderung der Slawen nur noch schwach bevölkert gewesen. Von Thüringen aus erfolgten um 100 v. Chr. weitere Vorstöße gegen Hessen, das Maingebiet und die bisher von den Helvetiern und anderen keltischen Stämmen bewohnten, jetzt aber zum größten Teile von diesen geräumten Distrikte Süddeutschlands auf den uralten Völkerstraßen, die in der Richtung Eisenach-Hersfeld-Gießen-Lahntal nach Ehrenbreitstein bzw. Eisenach-Fulda-Kinzigtal nach Hanau und über den Frankenwald führ­ ten. Auch in Böhmen sind damals swebische Kolonien gegründet worden, die in neuester Zeit bei Bodenbach, Aussig, Leipa, Kobil bei Turnau durch Ausgrabungen nachgewiesen worden sind1 2 und deren Kultur bis etwa in die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. reicht. Markomannen hießen fortan die an die Kelten Vindeliciens grenzenden Abteilungen, während die thü­ 1 Tac. Germ. 43 : Marsigni et Buri sermone cultuque Suebos referunt. Doch vgl. über die Buren Bd. I 2 101. 2 Vgl. L. F r a n z , Sudeta I X (1933) S. 73 ff.

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Di e Ermi nonen

ringischen Sweben sich Hermunduren nannten; außer den Markomannen bildeten sich hier die Einzelvölker der Quaden, Wangionen, Nemeter, Triboker. Die Sitze der Markomannen lassen sich in großen Umrissen fol­ gendermaßen angeben: südlich des Mains, westlich des Böhmerwaldes, im Süden bis gegen die Donau. Diese Begrenzung gründet sich u. a. darauf, daß Domitius Ahenobarbus später „in einem Teile des Markomannen­ landes“ Hermunduren ansiedelte, die dann als in der Nähe der rätischen Donaustrecke um die Mündung des Lechs wohnend bezeugt sind.1 Daß die Markomannen im Westen wenigstens an einer Stelle und zeitweilig den Rhein erreicht haben, würde sich ergeben, wenn die auf archäologische Momente gestützte Annahme richtig ist, daß die später genannten Suebi Nicretes um Heidelberg-Ladenburg als ein in der Heimat zurückgebliebener Rest der Markomannen anzusehen sind.1 2 Der Schwerpunkt der markomannischen Macht scheint im Maingebiet gelegen zu haben, da Drusus gegen sie von Mainz bzw. Höchst a. Main aus operierte. Auf die Besitz­ nahme des süddeutschen Gebietes, die nach Vertreibung der dort an­ sässigen, vielleicht unter der Oberhoheit der Bojer stehenden Kelten er­ folgte, nicht Böhmens, das erst später eingenommen wurde, bezieht sich wohl die oft behandelte Stelle Tac. Germ. 42: Marcomannorum gloria . . . atque ipsa etiam sedes pulsis olim Boiis virtute paria.3 Hier wurden die Markomannen durch Drusus im Jahre 9 v. Chr. besiegt (Flor. II 30, 23). Die Q u a d e n erscheinen unter diesem Namen erst später, sind aber höchst­ wahrscheinlich mit dem von Cäsar Suebi genannten Volke identisch. Daß darunter nicht die Swreben im weiteren Sinne verstanden werden können, beweisen die Zeugnisse des Florus a. 0 ., wo die Sweben neben den Mar­ komannen genannt werden, und Cäsars b. G. I 51, der in der Schlacht­ ordnung Ariovists die Sweben nicht allein von den Eudosen und Haruden, sondern auch von den Markomannen, Wangionen, Nemetern und Tribokern unterscheidet.4 Ihre Sitze sind aus den römischen Feldzugsberichten von Cäsar bis Drusus genügend zu ersehen : sie sind nördlich vom unteren und mittleren Main in der Wetterau, um Vogelsberg, Spessart, Rhön und weiter nordwärts bis gegen die silva Bacenis d. h. Meißner, Weserberge, Harz, die sie von den Cheruskern trennten, zu suchen. Vom Rheine waren sie durch die Ubier (zwischen Main und Westerwrald) geschieden. Oberhessen haben sie im Jahre 58 besetzt und die dort wohnenden Usipier und Tenkterer nach längeren Kämpfen daraus vertrieben (Caes. b. G. IV 1 Oben S. 96. Klose S. 63. 2 P r e i d e l, Die Germanen in Böhmen II (1930) S. 129 ff. 3 Vgl. R e in e c k e im 23. Bericht der röm.-germ. Kommission (1934) S. 135. F r a n k e hei Pauly-W iss. 14, 1611. 4 Vgl. M u c h , Beiträge zur Gesch. der deutschen Sprache 17 (1893) S. 1 9 ; 20 (1896)

S. 24.

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1. 4). Daß die Triboker, Nemeter und Wangionen Germanen waren, be­ zeugen Cäsar I 51, 2 (danach Strabo IV 3 , 4 : Γερμανικόν εθ-νος . . . Τρίβοκχοι); Plin. hist. nat. IV 106: Germaniae gentium . . . Nemetes Triboci Vangiones; Tac. Germ. 28: haud dubie Germanorum populi . . . Vangiones Triboci Nemetes, sowie die Bodenfunde und die überlieferten Personen­ namen (vgl. O x é , Bonner Jahrbücher 135 [1930] S. 62ff.). Daß die Namen der Triboker und Nemeter keltisches Gepräge tragen,1 beweist nichts da­ gegen, da die Völker- und Personennamen bei den Kelten und Germanen auch sonst vielfach Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten untereinander aufweisen.1 2 Entweder sind derartige Namen keltisch-germanisches Ge­ meingut, oder sie sind von den Kelten den benachbarten Germanen bei­ gelegt, während diese selbst sich anders nannten, oder es liegen uns spe­ zifisch germanische Benennungen vor, die durch keltische Übermittelung eine keltisierte Form angenommen haben. Daß die Triboker Sweben waren, darf aus einer von Plinius hist. nat. II 170 und Mela III 45 ausge­ schriebenen Stelle des Cornelius Nepos geschlossen werden, wo Ariovist wahrscheinlich als rex Tribocorum Sueborum bezeichnet war.3 Da nun die Triboker, Nemeter und Wangionen von Anfang an in enger Verbin­ dung erscheinen, ist die Schlußfolgerung berechtigt, daß alle drei Völker gleicher Abstammung, also Sweben waren. A uf ostgermanische Herkunft der Wangionen könnte allerdings die Angabe des Dichters Lucan (bell. civ. I 431) hinweisen, wonach diese die bei den Sarmaten übliche weite Hose trugen: qui te laxis imitantur, Sarmata, bracis Vangiones;4 aber es fragt sich doch sehr, ob hieraus auf eine ursprüngliche Nachbarschaft der Wan­ gionen und Sarmaten geschlossen werden muß. Ebensowenig läßt sich be­ haupten, daß die Slawen nach einem ihnen benachbarten, in den Weichsel­ gegenden wohnenden germanischen (Schachmatov will: keltischen) Volke Nemetes die Deutschen Nemes benannt hätten. Diese slawische Gesamt­ bezeichnung der Germanen ist wohl von neim. — fremd abzuleiten.5 In der Tat haben sich erst später den Scharen Ariovists auch Nichtsweben, die Haruden und Eudosen aus Jütland zugesellt. Die keltischen Namen der Triboker und Nemeter machen es wahrscheinlich, daß diese Völker vor 1 Vgl. z. B. H o ld e r , Altkeltischer Sprachschatz s. v. H o w o r t h in der English Historical Review 23 (1908) S. 627 ff. Much, Stammeskunde 3 S. 48. K a h r s t e d t , Nachrichten der Göttinger Ges. der W iss. 1930 S. 381. 2 Die durch solche Übereinstimmungen begünstigte Keltomanie hat in einem A u f­ satz von S c h a c h m a t o w , Zu den ältesten slawisch-keltischen Beziehungen: Archiv für slawische Philologie 33 (1911) S. 51 ff. seltsame Blüten getrieben. 3 Vgl. Hermes 42 (1907) S. 509 f. 4 Vgl. K a u f f m a n n in der Zeitschr. f. Deutsche Philologie 40 (1908) S. 401. S c h u ­ m a c h e r , Mainzer Zeitschr. IV (1909) S. 10; Germanendarstellungen 4 S. 65 u. a. Vgl. auch weiter unten. 5 Vgl. dazu J a n k o , Wörter und Sachen 1 108. v. K e u ß l e r , Deutsche Erde 1911 S. 182.

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Die Erminonen

ihrer Übersiedelung in das linksrheinische Land Nachbarn der (süddeut­ schen) Kelten gewesen sind J Die T r i b o k e r scheinen damals in der Gegend von Stuttgart gewohnt zu haben; denn die Triboci, die nach einer In­ schrift des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts bei Marbach als Kund­ schafter standen,1 2 entstammten wohl, dem in der Regel geübten Brauche gemäß, der dort ansässigen Bevölkerung und dürften somit als ein in den früheren Sitzen zurückgebliebener Yolksteil angesehen werden (die Boden­ funde lassen diese Frage noch unentschieden).3 Rechtsrheinische N e ­ in et e r, die man im nördlichen Baden vermuten darf, sind weder archäo­ logisch noch literarisch mit Sicherheit nachzuweisen. Die Stelle Caesar bell. Gail. V I 25, 2 : oritur (Hercynia silva) ab Helvetiorum et Nemetum et Rauricorum finibus ist nicht auf solche zu beziehen. Dagegen ist die rechts­ rheinische Heimat der W a n g i o n e n in der südlichen Wetterau und in Hessen-Starkenburg in den Bodenfunden erkennbar, während das Zeugnis des Ptolemäus, der südlich vom Main ein Volk namens Wargiones ver­ zeichnet, wohl wegfällt (es liegt wahrscheinlich hier eine Dublette der linksrheinischen Wangionen vor). Zu Beginn des 1. Jahrhunderts v. Chr. hatten die keltischen Sequaner außer der Franche Comté, wo ihre Hauptstadt Vesontio (Besançon) lag, das Elsaß, die Pfalz und Rheinhessen inne. Zwischen den Sequanern und Arvernern einerseits, den Häduern und ihrer Klientel andrerseits bestand seit langem ein scharfer Gegensatz, da jene der Hegemonie der Häduer sich nicht fügen wollten. Zum Ausbruch der Feindseligkeiten kam es um das Jahr 72 v. Chr. wegen der Zölle auf der Saône, die die Grenze zwischen den Sequanern und Häduern bildete.4 Da sich die Sequaner ihren Gegnern nicht gewachsen fühlten, nahmen sie den deutschen Fürsten Ariovist gegen Sold in ihre Dienste.56Dieser war Fürst der Triboker (vgl. oben) seit ca. 1 CIL. 13, 6448. Ganz unsicher ist die Beziehung der Inschr. 6482 von W im pfen und 6553 von Jagsthausen auf die Triboker. 2 Vgl. zum folgenden L. S c h m id t in der Zeitschrift für die Gesch. des Oberrheins 51 (1937) S. 259. 3 Doch scheint die Existenz rechtsrheinischer Triboker durch den Friedhof elbgermani­ scher Art von Diersheim bei Kehl ( W a h l e , Vorzeit am Oberrhein 1937 S. 67) angedeutet zu sein. « Strabo IV 3, 2. 6 Unsere Quelle für die Geschichte Ariovists ist einzig und allein Caesar b. G. I 30 ff. V I 12, der sich für die vor seiner Ankunft in Gallien liegenden Ereignisse auf die M it­ teilungen des Häduers Diviciacus stützt. Er liegt auch der im Original verlorenen Dar­ stellung des Livius zugrunde, die am ausführlichsten bei Cassius Dio (38, 3 4 ff.), sodann in der Livius-Epitome 104, bei Florus I 45 und (gemischt m it Cäsar) bei Orosius V I 7 er­ halten ist. Sie steht insofern im Gegensatz zu Cäsar, als sie von der Tendenz geleitet ist, „die gallischen Kämpfe als reinen Eroberungskrieg zu charakterisieren“ (Norden, Die ger­ manische Urgeschichte S. 362). Ob hier noch andere Quellen benutzt sind, ist sehr zweifel­ h a ft; schwerlich darf man die Schilderung der Entscheidungsschlacht auf einen M it-

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80 V . Chr., keineswegs aber König aller süddeutschen Germanen; die an­ deren Völker, die nachmals in seinem Heere erscheinen, haben sich erst später angeschlossen. Daß er anfänglich in Böhmen geherrscht habe und von da mainabwärts nach dem Rheine gezogen sei, ist eine Behauptung, die jeder Begründung entbehrt; denn die Angabe des Tacitus (Germ. c. 42), daß die Bojer durch die Markomannen vertrieben worden seien, kann nicht auf Ariovist bezogen werden.1 Mit 15000 seines Volkes überschritt Ariovist den Rhein*1 2 und begab sich nach dem Lande der Sequaner. Es kann zu lang­ wierigen Kämpfen, die aber im ganzen zuungunsten der Häduer ausfielen.3 Die Entscheidung fiel im Jahre 61 (Anfang ?) bei Magetobriga.4 Die Häduer unter der Führung des Eporedorix wurden von Ariovist, der, durch Zuzug rechtsrheinischer Germanen verstärkt, sich längere Zeit in einer unangreif­ baren Stellung gehalten hatte, plötzlich überfallen und gänzlich geschlagen, wobei der größte Teil ihres Adels den Tod fand.5 In einem darauf geschlos­ senen Friedensvertrag wurden die Häduer verpflichtet, die Vorherrschaft der Sequaner anzuerkennen, diesen Geiseln aus den Angehörigen der vor­ nehmsten Familien zu stellen und Tribut zu zahlen, sowie zu versprechen, niemals die Intervention der Römer anzurufen.6 Ariovists Mission war damit erfüllt ; der König aber war nicht gesonnen, über den Rhein zurück­ zukehren. Er verlangte von den Sequanern für seine Scharen, die bis dahin wahrscheinlich in den Städten ihrer Bundesgenossen in Quartier gelegen hatten,7 ein Drittel ihrer Mark zur dauernden Niederlassung, und jene muß­ ten notgedrungen seine Forderung bewilligen, da sie ganz in seine Hände gegeben waren und nicht die Macht besaßen, die einmal gerufenen Gäste wieder loszuwerden.8 Bei dieser Landabtretung kann es sich nicht um kämpfer zurückführen (so C a p e l l e , Das alte Germanien [1929] S. 67). Auch Plutarch. Cäs. 19 und Appian Celt. 1. 16. 17 gehen durch unbekannte Mittelquellen auf Cäsar zurück; hier werden einige Ergänzungen geboten (Plutarch: über die aus den Gewässern weissagenden Frauen, Appian: über den Auferstehungsglauben der Germanen, beide Schriftsteller übereinstimmend über die Zahl der Gefallenen), die wohl z. T. aus einer ethnographischen Schablone stammen. Aus Dio und Plutarch schöpfte Zonaras X 6 . Über die dichterische Behandlung des Stoffes durch P. Terentius Varrs s. Bd. I 2 9. 1 Dies ist die Ansicht Bremers, Ethnogr. S. 59 f. Ebenso Schumacher, Mainzer Zeitschr. V I (1911) S. 14; Prähist Zeitschr. V I (1914) S. 273. Vgl. oben S. 130· 2 Caes. I 31, 5. H o lm e s , Caesars conquest of Gaule2 (1911) S. 844f. 3 Caes. I 31, 7. V I 12, 3 (proeliis compluribus). 4 Über die Richtigkeit dieser Namensform zuletzt Sch n e t z , Zeitschr. f. Ortsnamen­ forschung X (1934) S. 25 ff. Die Lage des Ortes ist nicht mehr zu bestimmen, siehe Jullian, Hist, de la Gaule III 157, 4. 5 Caes. I 31, 12. 44, 3. Das Jahr der Schlacht ergibt sich aus Cic. ad A tt. I 19, 2 vom 15. März 6 0: Aedui fratres nostri pugnam nuper malam pugnarunt und Caes. 1 3 5 , 4: Senatsbeschluß M. Messala, M. Pisone consulibus. Über Eporedorix Caes. V II 67, 7. 6 Caes. 1 3 1 , 6ff. 12; 3 6 ; 4 4 ,2 . 7 Caes. 1 3 1 ,1 0 ; 3 2 ,5 . 8 Diviciacus bei Caes. I 32, 5 sagt, daß die Germanen alle Städte der Sequaner in Be­ sitz hätten. Das kann nur für eine frühere, nicht für die Zeit, als Cäsar angriff, richtig sein.

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Di e E r m i n o n e n

Güter, die zwischen denen der Sequaner zerstreut lagen, sondern nur um ein zusammenhängendes Gebiet handeln, wie aus Cäsar I 38, 1 erhellt, wo es heißt, daß Ariovist a suis f i n i b u s aufgehrochen sei. Welche Germanen nun durch Ariovist dort zur Ansiedelung gelangten, kann nicht zweifelhaft sein; es waren Triboker, Nemeter und Wangionen, die uns nachmals in den Stadtgebieten von Straßburg (Brumath), Speyer und Worms be­ gegnen, und die offenbar von Cäsar, der sie selbst dort aufführt (b. G. IV 10; VI 25), in ihren damals eingenommenen Sitzen belassen worden sind; denn wir wüßten sonst nicht, wie die drei Völker auf das linke Rheinufer gelangt sein sollten. Daß die Haruden nicht in Betracht kommen, ersehen wir aus Cäsar I 31, 10, da für diese Ariovist ein zweites Drittel verlangte, eine Forderung, deren Ausführung durch das Eingreifen Cäsars verhindert wurde. Von den Sweben aber heißt es bei Cäsar IV 4, daß sie alljährlich, also nach Beendigung des Sommers, in ihre Heimat zurückkehrten. Die Südgrenze des germanischen Siedelungsgebietes, dessen Umfang auch in den Funden erkennbar ist, lag in der Nähe von Schlettstadt, am sog. Land­ graben, der später auch die Bistumsgrenze zwischen Straßburg und Basel darstellte. Die Westgrenze bildeten der Kamm der Vogesen und das Pfälzer Bergland, die Ostgrenze der Rhein. Die Triboker waren von den Nemetern durch den Bienwald, die Nemeter von den Wangionen durch die Isenach geschieden; das Gebiet der Wangionen erstreckte sich nordwärts bis an den Rhein mit Ausschluß des Territoriums von Mainz. Indem Ariovist nun auch den von den Häduern zu entrichtenden Tribut sowie die Geiseln derselben für sich in Anspruch nahm, ja auch von den Sequanern sich Geiseln stellen ließ,1 war er der Beherrscher eines ansehn­ lichen Teiles von Gallien geworden. Aber er gedachte sich nicht damit zu begnügen, sondern strebte nach weiterer Ausdehnung seiner Macht. Zu­ nächst sollten auch die Helvetier in der Schweiz ihm botmäßig werden. In dieser Zeit trat er mit dem König der Kelten von Noricum Voccio in Verbindung, dessen Schwester er als zweite Frau zur Ehe nahm, anschei­ nend um zu verhindern, daß die nach dem Untergange ihres Reiches in Böhmen heimatlos gewordenen Bojer auf dem Wege über Noricum zu den befreundeten Helvetiern abwanderten und deren Macht verstärkten. Diese vermochten zwar zunächst sich der germanischen Angriffe siegreich zu erwehren,1 2 gelangten aber bald zur Erkenntnis, daß sie ihre Unabhängig­ keit auf die Dauer nicht würden behaupten können. Obwohl die Bojer, die inzwischen siegreich in Noricum eingedrungen waren, zu ihnen stießen, entschlossen sie sich, ihr Gebiet vollständig zu räumen und bei einem verwandten Stamme, den Santonen an der unteren Garonne, neue Sitze zu 1 Caes. I 31, 12; 3 6 ; 44, 2 . 2 Caes. I 1, 4. 40, 7.

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suchen.1 Der Helvetierfürst Orgetorix gedachte diesen Zug zur Verwirk­ lichung seiner ehrgeizigen Pläne, für die er auch den Dumnorix, den Führer der Nationalpartei bei den Häduern, und den Sequanerfürsten Casticus gewonnen hatte, zu benutzen. Die Vorbereitungen der Helvetier zum Auf­ bruch, der auch nach dem vorzeitigen Tode des Orgetorix nicht aufgegeben wurde, machten sich bereits gegen Ende des Jahres 61 durch Beunruhigung der römischen Provinz Narbonensis bemerkbar.1 2 Inzwischen war Diviciacus das Haupt der römerfreundlichen Partei bei den Häduern, der jenen nach der Schlacht bei Magetobriga geschlossenen Friedens vertrag nicht mit be­ schworen und daher freie Hand behalten hatte, nach Italien gereist, um den Beistand der Römer gegen Ariovist zu erlangen. Der Senat faßte auch den Beschluß, die gallischen Statthalter anzuweisen, den Häduern Hdfe zu bringen, ließ ihn aber nicht zur Ausführung kommen,3 da es zunächst galt, den Auszug der Helvetier, der das römische Gebiet Galliens direkt bedrohte, zu verhindern. Demgemäß wurden Gesandte an die einzelnen keltischen Gaue abgeschickt, um einer Verbindung derselben mit den Hel­ vetiern entgegenzuwirken, auch Aushebungen von Truppen angeordnet, die über die Alpen zum Schutze der Grenze abgehen sollten.45Mit Ariovist aber suchte die römische Regierung einstweilen sich gut zu stellen. Wir hören von einer Gesandtschaft des Königs, die im Jahre 59 dem in Rom weilenden Prokonsul des narbonensischen Galliens Q. Caecilius Metellus Celer einige an die deutsche Küste verschlagene Inder ( ?) als Geschenk überbrachte.6 1 Daß die germanische Gefahr das Motiv der helvetischen Auswanderung war, deutet Cäsar durch den Mund des Diviciacus an: I 31, 14: sedes remotas a Germanis. Vgl. auch Stähelin, Die Schweiz in röm. Zeit2 S. 59 ff. Die Bedrohung durch einen äußeren Feind wird auch dadurch nahegelegt, daß das ganze Volk sein Gebiet aufgab, vgl. F r ö h lic h , Die Glaubwürdigkeit Cäsars in seinem Bericht über den Feldzug gegen die Helvetier. Aarau 1903, S. 4f. Hätte Übervölkerung Vorgelegen, so würde ein Teil des Volkes zurück­ geblieben sein; von einer solchen ist aber auch bei Cäsar nicht die Rede, wie man wohl gemeint hat (Fröhlich S. 6). Das vermeintliche Streben nach der Hegemonie in Gallien ist nicht Cäsars Ansicht, sondern der Gedanke des Orgetorix und eine Behauptung der gallischen Häuptlinge, die nach der Schlacht von Bibracte zu Cäsar kamen (Fröhlich ebenda). Daß das Gebiet der Santonen als Ziel der Wanderung in Aussicht genommen wurde, erklärt sich aus der engeren Verwandtschaft der Helvetier mit diesem Volke, vgl. H ir s c h fe ld in den Sitzungsberichten der Berliner Akad. 1896 I 453. 2 Cic. ad A tt. I 19, 2: et [Helvetii] sine dubio sunt in armis excursionesque in provin­ ciam faciunt. 3 Caes. I 35, 4. V I 12, 5: Diviciacus . . . infecta re redierat. 4 Cic. a. 0 . 5 Cornelius Nepos bei Plinius II 170 und Mela III 45. Diese Gesandtschaft wird ge­ wöhnlich (siehe zuletzt Bang S. 2) ins Jahr 62 gesetzt, aber sicher mit Unrecht, da Ariovists Machtstellung in Gallien damals noch nicht gefestigt war. Metellus war allerdings damals Prokonsul (Cid. ad. fam. V 1. 2), aber von Gallia cisalpina; Prokonsul von Gail. Narb, wurde er erst im Jahre 59. Doch ist er dorthin nicht gekommen und noch in dem­ selben Jahre in Rom gestorben, vgl. Pauly-Wissowa III 1209f. Richtig auch Jullian, Hist, de la Gaule III 163. Cäsar sucht die Sache so darzustellen, als habe Ariovist sich um die

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Der Senat verlieh ihm darauf die Ehrentitel rex und amicus und sprach damit die offizielle Anerkennung seiner Stellung aus.1 Von dem engen Verkehr, der sich in der Folge zwischen Rom und Ariovist entwickelte, zeugt der Umstand, daß im Jahre 58 zahlreiche römische Adlige sich an letzteren wandten mit dem Ersuchen, womöglich den verhaßten Cäsar aus der Welt zu schaffen,*1 2 sowie die Erwähnung eines M. Metius als Gastfreund des Königs.3 Nachdem aber die Helvetier in der großen Schlacht bei Bibracte (Autun) entscheidend geschlagen und in ihre Heimat zurückgetrieben worden waren, hielt es Cäsar an der Zeit, auch seinen germanischen Rivalen um die Herrschaft über Gallien zu beseitigen (58). A uf seine Veranlassung erschie­ nen Abgeordnete der keltischen Gaue in seinem Lager bei Bibracte und baten, sie von Ariovist zu befreien. Dieser hatte kurz vorher an die Sequaner das Ansinnen gestellt, ihm für die neu angekommenen Haruden ein zweites Drittel ihres Gebietes, das obere Elsaß, zur festen Nieder­ lassung abzutreten. Cäsar ersuchte nun den König, zu einer Besprechung an einem Orte zu erscheinen, der halbwegs zwischen ihnen beiden gelegen sei, was Ariovist mit dem Bemerken ablehnte, wenn der Prokonsul etwas von ihm wolle, möge er zu ihm kommen. Cäsar stellte nun die bestimmte Forderung, der König solle keine neuen Scharen über den Rhein hinüber­ führen und die Geiseln der Häduer zurückgeben, anderenfalls er sich ge­ nötigt sehen würde, zugunsten der mit Rom befreundeten Gallier mit den Waffen einzuschreiten. Ariovist erwiderte unter Berufung auf das Recht des Siegers, daß er sich keinerlei Vorschriften machen lasse, und stellte dem Römer anheim, sich mit ihm im Kampfe zu messen. Als die Antwort eintraf, erschienen im römischen Lager Gesandte der Häduer und der Treverer. Die ersteren beklagten sich über Verheerungen ihres Gebietes durch die Haruden; die letzteren berichteten, daß eine Freundschaft der Römer bemüht (I 40, 2 ) ; doch läßt sich dies mit dem sonstigen selbstbewußtenVerhalten des Königs nicht vereinbaren. — Nach Rieh. H e n n ig und P o k o r n y (vgl. M u c h in: Wörter und Sachen 12 [1929) S. 348f.] sollen die , , Inder“ Eskimos ge­ wesen sein. Sicher ist nur, daß es fremdartig ausschauende Menschen waren; Indien war im Altertum der Sammelname für alles, was man sich nicht deuten konnte. Vermutlich sind diese Leute an die Küste der Haruden verschlagen worden, die damals mit Ariovist über ihre Beteiligung an der Heerfahrt verhandelt haben mögen. 1 Caes. I 35, 2 ; 40, 2 ; 43, 4 ; 44, 5. Appian. Celt. 16 gibt an, daß die Ernennung auf Empfehlung Cäsars erfolgt sei, was aus den W orten Casars I 35, 2 : tanto su o populique Romani beneficio adfectus, gefolgert werden darf. Der Titel rex wurde ohne Zusatz ver­ liehen, vgl. H ir s c h f e ld in der Festschrift für Kiepert (Berlin 1898) S. 270. Bang S. 3. Rex Germanorum heißt Ariovist nur im Munde des Diviciacus Cäsar I 3 1 ,1 0 (danach Appian). 2 Caes. I 4 4 ,1 2 . 3 Caes. I 47, 4.

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Schar Sweben unter Masua1 und Cimberius sich an der Mündung der Lahn versammle, um den Rhein zu überschreiten· Dies veranlaßte Cäsar, sofort ins Feld zu rücken (Ende Juli oder Anfang August 58). Nach drei­ tägigem Marsch erhielt er die Nachricht, daß Ariovist mit seinem aus Tribokern, Nemetern, Wangionen, Haruden, Eudosen, Markomannen und Sweben zusammengesetzten Heere seit drei Tagen unterwegs sei, um sich Vesontios zu bemächtigen. Es gelang ihm aber, den Germanen zuvorzukom­ men und die wichtige Stadt zu besetzen. Als er hier einige Tage verweilte, um sich zu verproviantieren, brach im Heere infolge des übertreibenden Geschwätzes der Einwohner von der angeblichen Furchtbarkeit der Germanen eine solche Panik aus, daß eine Fortsetzung des Feldzuges ernstlich in Frage gestellt zu sein schien. Durch Ruhe und energisches Auftreten gelang es aber Cäsar, die beginnende Meuterei im Keime zu ersticken und die Soldaten wieder zum Gehorsam zurückzuführen. Seinen Aufenthalt vorzeitig abbrechend, zog er von Vesontio, der Terrainverhältnisse wegen einen Umweg von über 50 röm. Meilen (72 km) machend,1 2 nach dem oberen Rheintale zu. Nach sieben­ tägigem Marsche kam er mit den Germanen in Fühlung, die nach Meldung von Kundschaftern noch 24 röm. Meilen (35 km) entfernt standen.3 Als Ariovist von der Ankunft Cäsars hörte, lud er ihn zu einer Unterredung ein; die Zusammenkunft ward auf den fünften Tag festgesetzt. Der König stellte dabei die Bedingung, daß sie beide nur von Reitern begleitet er­ scheinen dürften. „E s war eine große Ebene und auf derselben eine ziemlich große Erhebung. Dieser Ort war etwa gleich weit von Ariovists und Cäsars Lager entfernt/4Hier fand die Unterredung statt. Cäsar ließ seine Legionäre, die er auf Pferde gesetzt hatte, 200 Schritt von dem Hügel haltmachen; in gleichem Abstand hielten die germanischen Reiter. Beide nahmen zur Zusammenkunft nur je zehn Reiter mit. Wie zu erwarten, verlief die Be­ sprechung ergebnislos, da jeder auf seinem Standpunkte beharrte. Auf den Vorschlag Ariovists, Cäsar sollte ihm in Gallien freie Hand lassen und dafür 1 Der Name lautet bei Cäsar Nasua, ist aber offenbar identisch mit dem des späteren Semnonenfürsten Masyos Dio 67, 5, 3. 2 Caes. I 41, 4. F a b r ic iu s in der Zeitschrift f. d. Gesch. des Oberrheins N . F. 24 (1909) S. 13 ff. bezieht mit Recht die 50 Meilen auf den U m w e g , nicht auf die Gesamtlänge des siebentägigen Vormarsches. 3 Ariovist muß eine erhebliche Strecke im Sequanerlande vorgedrungen sein, da er schon vor der Ankunft Cäsars in Vesontio drei Tagemärsche a finibus suis gegen diese Stadt vorgerückt war (Caes. I 38, 1). Er befand sich also längst nicht mehr in seinem Gebiete. W enn Ariovist Caesar I 3 4 ,4 fragt, quid in sua G a llia Caesari negotii esset oder 44, 8 : cur in suas possessiones veniret, so ist selbstverständlich nicht das an ihn ab­ getretene Land, sondern nur seine Interessensphäre gemeint. Die Angabe Caes. I 54 : nach der Schlacht in hiberna in Sequanos exercitum deduxit beweist ebenfalls nicht im min­ desten, daß er bisher im Tribokerlande gestanden hatte.

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Die E r mi no n en

jederzeit auf germanische Kriegshilfe zu rechnen haben, konnte letzterer nicht eingehen. Cäsar brach die Verhandlungen ab, als er die Nachricht erhielt, daß Ariovists Reiter gegen die seinigen anrückten und Steine und Pfeile gegen sie zu schleudern begannen. Zwei Tage später schlug der König eine Fortsetzung der Besprechung vor; Cäsar lehnte sie als zwecklos ab, sandte aber den C. Valerius Procillus und den schon erwähnten M. Metius als Unterhändler zu Ariovist, der sie, ohne sie zu Worte kommen zu lassen, als Spione in Ketten werfen ließ. Der König verließ nun seine bisherige Stellung und nahm am Fuß eines Berges oder Gebirges (sub monte) eine neue ein, gab aber diese schon am nächsten Tage wieder auf und besetzte, das römische Lager umgehend, einen Punkt, von dem aus er den Römern die Zufuhren abschneiden konnte. Cäsar bot, dadurch zum Schlagen gezw'ungen, Ariovist fünf Tage lang eine Schlacht an; dieser verweigerte sie und ließ sich nur auf vereinzelte Gefechte ein, an denen allein die Doppel­ kämpfer mit Erfolg beteiligt waren. Cäsar mußte nun vor allem suchen, die Zufuhrstraße wieder in seine Gewalt zu bekommen. Er umging seiner­ seits die feindliche Stellung und ließ in 600 Schritt Entfernung, während die beiden vorderen Treffen des Heeres in Schlachtordnung sich aufstellten, in deren Rücken durch das dritte Treffen ein befestigtes Lager für zwei Legionen und einen Teil der Auxilien errichten. Nachdem diese Arbeit trotz den feindlichen Bemühungen, sie zu stören, beendet war, kehrte er mit den anderen vier Legionen nach dem alten Lager zurück. Wiederum bot Cäsar am folgenden Tage eine Schlacht an; sie ward nicht angenommen, weil die weisen Frauen gesagt hatten, vor dem Eintritt des Neumondes könnten die Germanen nicht siegen. Erst am Abend versuchte Ariovist, mit einem Teile seiner Leute das kleinere römische Lager zu erstürmen; aber die Römer blieben Sieger und hatten nun wieder die unterbrochene Verbin­ dung mit den Zufuhrländern gewonnen. Am nächsten Tage rückte Cäsar, die Auxilien bei dem kleineren Lager zurücklassend, mit allen sechs Legio­ nen gegen die von einer Wagenburg umgebene feindliche Stellung heran. Jetzt konnte Ariovist der Entscheidung nicht mehr ausweichen. Sein Heer, völkerschaftsweise (generatim) geordnet, war nach germanischer Sitte keilförmig aufgestellt, in der Weise, daß die einzelnen Verbände hinter­ einander in einer nach vorn sich verjüngenden Linie standen.1 Über die An­ zahl besitzen wir keine unbedingt zuverlässigen Angaben. Wie anderwärts ausgeführt wurde, wird die Mitteilung des Diviciacus, daß zuletzt 120000 Germanen auf den Boden Galliens gestanden hätten, was einer Zahl von 20-25000 Kriegern entsprechen würde, der Wahrheit am nächsten kommen.*S . 1 Vgl. L. S c h m i d t , Vierteljahrsschrift f. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 21 (1928) S. 235.

Di e S we b e n : Vo r ge s c hi c ht e

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In dem sich nun entwickelnden Kampfe siegten zunächst auf jeder Seite die rechten Flügel. Indem aber P. Crassus das dritte Treffen des römischen Heeres dem bedrängten linken Flügel rechtzeitig zur Hilfe heranführte, gewannen die Römer die Oberhand.1 In wilder Hast eilten die geschlagenen Germanen dem 5 (50 ?) Meilen1 2 entfernten Rheine zu.3 Die meisten sollen unterwegs durch die römische Reiterei gefallen und es nur wenigen gelungen sein, sich über dem Strom zu retten.45Unter den letzteren befand sich Ariovist selbst, während seine beiden Frauen, von denen die eine eine Swebin, die andere erst nach der Besetzung Galliens geheiratete eine Schwester des Königs der Noriker war (vgl. oben), und eine seiner Töchter den Tod fanden (Mitte Sept. 58).5 Es sprechen aber alle Umstände dafür, daß das Blutbad nicht so furchtbar gewesen ist, daß vielmehr ein großer Teil der Germanen am Leben blieb und, soweit er zu denen gehörte, die zur festen Ansiedelung gelangt waren, auch weiterhin in seinen Sitzen unter römischer Oberhoheit belassen wurde, wie ja auch früher Cäsar sich Ariovist gegenüber bereit erklärt hatte, die bereits in Gallien ansässigen Deutschen dort zu dulden. Daß Cäsar davon nichts sagt, nimmt nicht wunder, da er über alle in Gallien von ihm getrof­ fenen Organisationen grundsätzlich Stillschweigen beobachtet. Die Örtlichkeit der Ariovistschlacht ist ebenso heiß umstritten wie die des Unterganges der varianischen Legionen. In beiden Fällen können nur archäo­ logische Funde des Rätsels Lösung bringen, da die literarischen Quellen sich nur in unsicheren Andeutungen bewegen. Bis jetzt aber haben die Aus­ grabungen noch kein entsprechendes Ergebnis zutage gefördert. Es steht nur soviel fest, daß das Zusammentreffen stattfand zwischen Besançon und Schlettstadt (vgl. oben), also im oberen Elsaß. Ebenso scheint es sicher zu sein, daß Ariovist bei seiner letzten Aufstellung den Rhein im Rücken oder in der rechten Flanke hatte, da er sonst nicht hätte nach diesem Strome flüchten können. Die Ansicht derer, die die Germanen mit der 1 Ein völlig einwandfreies Bild von dem wirklichen Hergang der Schlacht ist nicht zu gewinnen. Einige besonders von Dio-Livius gebrachte selbständige Angaben sind wohl nur rhetorische Ausschmückungen und daher wertlos. 2 Die uns vorliegenden Cäsar-Handschriften lesen 5, diejenigen, die Plutarch und Orosius benutzten, 50. Von diesen Angaben ist wohl keine richtig, die erstere zu klein, die andere zu groß, vgl. K a li n k a im Bursians Jahresbericht über die Fortschritte der klass. Altertum s.W iss. Suppl. 224 (1929) S. 216. 3 Zweifelhaft ist, ob Frontin 1 1 6 ,3 : C. Caesar Germanos inclusos, ex desperatione fortius pugnantes emitti iussit fugièntesque adgressus est, hierher zu beziehen ist und überhaupt geschichtlichen W ert besitzt. Es bleibt sehr auffallend, daß Cäsar davon nichts sagt. 4 Caes. I 53. Die Angaben Plutarchs und Appians (danach Zonaras) von 80000 Toten sind sicher aus der Luft gegriffen. 5 Über das Datum vgl. Jullian S. 239.

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Front nach Osten fechten lassen, ist nur durch die an sich sehr unwahrschein­ liche und durch die erwähnte Notiz Frontins nicht gesicherte Annahme zu retten, Cäsar habe die Besiegten absichtlich entkommen lassen, um sie auf der Flucht desto leichter niederzumachen. Zur Übersicht über die Kontro­ verse genügt es, auf die Übersicht bei Kalinka a. O. S. 213 ff. zu verweisen. A uf die Nachricht von dem Siege Cäsars kehrten die am Mittelrhein erschienenen Sweben des Masua und Cimberius wieder ins Innere Deutsch­ lands zurück.1 Ariovist begab sich wahrscheinlich zu dem auf der rechten Rheinseite verbliebenen Teile des Tribokervolkes und lebte hier in hohem Ansehen bis zu seinem Tode, der wenige Jahre später erfolgte. Denn im Jahre 54 wurde der Schmerz der Germanen über sein Hinscheiden und die erlittene Niederlage als Grund der allgemeinen Erregung der deutschen Stämme angegeben.1 2 Die Ariovistschlacht war ein Ereignis von großer weltgeschichtlicher Be­ deutung. Die keltische Nation hatte sich als unfähig erwiesen, sich selbst zu regieren und aus sich selbst heraus zu einer höheren staatlichen Entwicklung durchzudringen. Sie bedurfte einer fremden Führung, die über die ihr fehlenden staatenbildenden Kräfte verfügte. Der Sieg Cäsars entschied die Frage, welcher der benachbarten Nationen die Leitung anheimfallen sollte, zugunsten der Römer. Daß es so gekommen ist, wird man auch vom deutschen Standpunkte aus kaum zu beklagen haben. Noch waren die Germanen politisch nicht reif genug, um eine solche Mission zu erfüllen. Sie mußten erst eine langjährige Entwicklung, nicht zum wenigsten in der Schule der Römer, durchmachen, um staatsschöpferisch für die Zu­ kunft zu wirken. Ihre Kräfte, der Heimat entzogen, hätten sich damals zer­ splittert, wären nutzlos zugrunde gegangen. Und wenn wir heute noch von den Errungenschaften der antiken Kultur zehren, so haben wir es wesent­ lich dieser Fügung des Schicksals zu verdanken. Die griechisch-römische Zivilisation hätte ihre Wirkungen nicht bis auf die Nachwelt auszuüben vermocht, wären ihr nicht neue Gebiete erschlossen worden, und gerade Gallien hat sich von allen Provinzen des römischen Reiches als der fruchtbarste Boden erwiesen, auf dem sie sich weiterentwickeln und die reichsten Blüten entfalten konnte. Zunächst war freilich erst die Grenze am Oberrhein festgelegt, während am Mittel- und Unterrhein die Gefahr eines germanischen Einbruches noch fortbestand. Den Tribokern, Nemetern und Wangionen ward der Grenz­ schutz gegen ihre Landsleute übertragen, in gleicher Weise, wie dies wenig später bei den Ubiern geschah, die im Jahre 38 v. Ohr. auf das linke Rhein­ 1 Caes. I 54, 1. Der folgende Satz, daß sie durch die Anwohner des Rheines verfolgt worden seien, ist wohl mit Meusel als Interpolation zu streichen. 2 Caes. V 29, 3.

D i e Sweben: Vor geschieh te

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ufer verpflanzt wurden, ut arcerent, non ut custodirentur (Tac. Germ. 28). Daß Cäsar auch die rechtsrheinische Ebene südlich des Mains unter römische Oberhoheit gestellte habe, ist unerweislich und unwahrscheinlich; dies ist vielmehr sicher nicht vor Caligula geschehen (vgl. unten). In der nachcäsarischen Zeit werden die drei Völker nur selten erwähnt.1 In ihren neuen Sitzen erscheinen sie bei Plinius und Tacitus Germania (oben S. 131) sowie bei Ptolemäus II 9, 17. 18. Sie unterstanden dem Statthalter von Germania superior und bildeten jedes für sich eine Ge­ meinde (civitas), anfänglich peregrinen, später (mit Ausnahme der Triboker?) römischen Rechts (Dekurionen, wie offiziell die Mitglieder der Ge­ meinderäte der Städte römischen Rechts heißen, werden einige Male in­ schriftlich bei den Nemetern und Wangionen erwähnt). Vorort der Triboker war Brumath (Urocomagus, Brocomagus), der Nemeter Noviomagus (Speyer), der Wangionen Borbetomagus (Worms). Die von ihnen zum Reichsheere gestellten Truppenkörper trugen die Volksnamen und waren wohl von einheimischen Offizieren befehligt. Die Auxiliarkohorten der Wangionen und Nemeter werden in der Literatur im Jahre 50 erwähnt, als sie gegen die Chatten ins Feld geschickt wurden (Tac. ann. 12, 27). Die cohors I Vangionum ist als eine Abteilung des britannischen Heeres später vielfach bezeugt.1 2 Doch sind Angehörige der drei Völker auch in anderen Auxiliartruppen sowie in den Legionen und bei den equites singulares nachweisbar.3 Triboker und Wangionen, wahrscheinlich aber auch Nemeter stellten im Jahre 70 dem aufständischen Treverer Tutor Zuzug, ließen diesen aber bald wieder im Stich und kehrten zu den Römern zurück (Tac. hist. IV 70).4 Während des Chattenkrieges Domitians im Jahre 83 hielten die linksrheinischen Germanen dem Kaiser die Treue und wurden dafür durch eine Stiftung, die der Konsul A. Didius Gallus Fabricius Veiento dem Tempel der Nemetona bei Klein-Winternheim (s. unten) machte, belohnt.5 Seit dem Ende des dritten Jahrhunderts hatten sie wiederholt unter den Einfällen der Alamannen zu leiden, die sich um 350 sogar für längere Zeit 1 Vgl. die Zusammenstellung der Zeugnisse im CIL 13 und bei R i e s e , Das rheini­ sche Germanien in den antiken Inschriften (1914) S. 232 f. (Triboker), 233 f. (Nemeter), 234f. (Wangionen). Holder, Sprachschatz s. v. O x é , Bonner Jahrbücher 135, 62ff. (Tri­ boker), 71 (Nemeter), S p r a t e r , Die Pfalz unter den Römern (1929) S. 9ff. (Nemeter). Pauly-W iss. 16 (1935) S. 2382ff. (Nemeter), B e h r e n s , Denkmäler des Wangionengebietes (1923) S. 1 ff". (Wangionen). 2 Pauly-W iss. IV 346f. Bang S. 43. Behrens a. O. Inschr. Revue arch. sér. V . vol. 20 (1924) S. 377, 4. 3 Bang passim. 4 Vgl. Schumacher, Mainzer Zeitschrift V I 15 ff. Damit hängt wahrscheinlich zu­ sammen die damals erfolgte Vergrabung eines Münzenschatzes bei Rheingönheim, Sprater a. Ο. I 82. 5 Altertümer uns. heidn. Vorzeit V 113.

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in ihrem Gebiete festsetzten,1 bis sie 357 durch Julian vertrieben wurden. Gegen Ende des 4. Jahrhunderts bildete man aus dem Tribokerlande einen neuen Militärbezirk, den tractus Argentoratentis, unter dem Befehle eines comes, während die Gebiete der Nemeter und Wangionen zum trac­ tus Mogontiacensis unter einem dux geschlagen wurden.1 2 Um 455 ging das Elsaß, die Pfalz und Rheinhessen dauernd an die Alamannen und Franken verloren; die längst mehr oder weniger der Romanisierung verfallenen Triboker, Nemeter und Wangionen sind durch diese teils vernichtet, teils regermanisiert worden. Wie nötig es für den Bestand der römischen Herrschaft in Gallien war, die im Jahre 58 am Oberrhein geschaffenen sicheren Verhältnisse auch am Mittel- und Unterrhein durchzuführen, lehrte der Einbruch der Usipier und Tenkterer, die im Jahre 55 im Gebiet der Menapier den Strom überschritten und die Cäsar nur durch eine schnöde Hinterlist an der Maas vernichten konnte. Sie waren, wie schon erwähnt, im Jahre 58 von den mächtig um sich greifenden Quaden vertrieben worden, die sich alsdann auch gegen die benachbarten Ubier, vermutlich auch gegen die Chatten wendeten und sie zur Tributzahlung und Stellung von Hilfs­ truppen verpflichteten.3 Die Ubier hatten schon damals, im Jahre 57, den Besieger Ariovists ersucht, sie von dem drückenden germanischen Joch zu befreien,4 und erneuerten, als Cäsar nach der Niederwerfung der Usipier und Tenkterer dem ubischen Gebiete gegenüber lagerte, ihre Bitte. Cäsar war auch jetzt nicht in der Lage, ihnen in dem Maße, wie sie es wünschten, zu willfahren, um so weniger, als er seine Anschauung dahin festgelegt hatte, daß der Rhein die Grenze Galliens und des römischen Reiches bilden solle.5 Wenn er sich trotzdem entschloß, über den Strom zu gehen, so sollte dieser Vorstoß nur eine militärische Demonstration sein, um den feindlichen Germanenstämmen den imponierenden Anblick eines starken römischen Heeres zu gewähren und ihnen die Lust zur Überschreitung der Grenze zu benehmen. Den Anlaß gab ihm die Aufnahme, die die dem Blutbade entronnenen Usipier und Tenkterer bei den Sugambrern gefunden hatten. Wahrscheinlich im Neuwieder Becken bei Urmitz ließ er eine Pfahlbrücke erbauen und führte die Legionen in das Land der Sugambrer, die aber der überlegenen römischen Kriegsmacht nicht standhielten und sich schleunigst 1 Amm ian. X V I 2, 12. 2 Not. dign. occ. V 130. X X V I I . X L I . 3 Caes. IV 3. 8. 16. V I 10. Daß auch die Chatten botmäßig waren, darf man aus V I 10, 1 : iis n a t i o n i b u s , quae sub eorum sint imperio, folgern. 4 Caes. II 35. 5 Vgl. die den Sugambrern in den Mund gelegten W orte IV 16, 4 : populi Romani im­ perium Rhenum finire.

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ins Innere zurückzogen. Cäsar verheerte ihre erreichbaren Dörfer und Ge­ treidefelder und begab sich dann zu den Ubiern, von denen er erfuhr, daß auch die Quaden ihre Ortschaften verlassen, Weiber, Kinder und Habe in den Wäldern versteckt, die gesamte waffenfähige Mannschaft aber auf einen bestimmten Punkt in der Mitte ihres Gebietes, wahrscheinlich wie später am Yogelsberg, konzentriert hätten, um dort den Angriff der Römer zu erwarten. Cäsar hatte aber keine Neigung, ihnen in das un­ bekannte Terrain zu folgen; er trat nach achtzehntägigem Aufenthalt auf der rechten Rheinseite den Rückzug an und brach die Brücke hinter ab (55).1 Der Hauptzweck des Unternehmens, die Einschüchterung der Germanen, war erreicht; die im Jahre 54 unternommenen Versuche der Treverer, sie zur Hilfeleistung gegen die Römer zu gewinnen, schlugen fehl (Caes. V 55). Als aber durch den furchtbaren Aufstand der Eburonen das römische An­ sehen in Gallien eine empfindliche Einbuße erlitten hatte und sich allent­ halben der Geist des Widerstandes bei den Kelten regte (53), erklärten sich die Quaden bereit, Truppen gegen die Römer zu schicken, während die Ubier sich ablehnend verhielten.1 2 Nach der Niederwerfung der keltischen Erhebung ging Cäsar zum zw eiten Male auf einer etwas oberhalb der ersten angelegten Brücke über den Rhein, um die Quaden für ihre Beteiligung zu züchtigen. Aber da diese wiederum sich ins Innere zurückzogen (an den An­ fang des Waldes Bacenis, vgl. oben S. 92,130) und dort eine Verteidigungs­ stellung einnahmen, kehrte er sogleich um, ließ aber die Brücke bis auf ein abgebrochenes Stück am rechten Ufer stehen und sicherte sie nach der feindlichen Seite durch einen offenbar auf einer Insel errichteten Turm, während er den linksrheinischen Brückenkopf mit einer starken Besatzung belegte.3 Diese Besatzung hat dort bis zum Herbst 53 oder Winter 52 gelegen; wahrscheinlich ist die römische dann durch eine ubische ersetzt 1 Caes. IV 16 ff. 2 V I 2. 9. 3 V I 9. 10. 29. Die Frage, wo die beiden Rheinbrücken Casars gestanden haben, ist noch nicht entschieden. Das Beste, was darüber geschrieben worden ist, bietet der Artikel von N is s e n und K o e n e n in den Bonner Jahrb. 104 (1899) S. lf f ., wo die Gründe, die für das Neuwieder Becken sprechen, ausführlich dargelegt sind. Diese Argumente behalten ihr Gewicht auch, nachdem die dort ausgegrabenen Befestigungsanlagen, die man auf Cäsar zurückführen wollte, sich als vorgeschichtlich erwiesen haben (vgl. Westdeutsche Zeitschr. 1900. Korr.-Bl. Nr. 32 ; Bonner Jahrb. 110 [1903] S. 110ff.). Sicher ist, daß wenigstens die zweite Brücke auf ubischem Gebiete ausmündete (Caes. V I 29) und daß der rechtsrheinische K op f der ersten Brücke, die etwas unterhalb der zweiten sich befand, außerhalb, aber unweit des Landes der Sugambrer lag (IV 18). Die aus strategischen Gründen allein noch in Frage kommende Gegend von Köln fällt aus. Zur Literatur vgl. außer Nissen Holmes, Caesars conquest of Gaule 2. ed. S. 706 ff. Jullian, Hist, de la Gaule III 3 3 0 ff. Kalinka in Bursians Jahresbericht Suppl. 224, 2 2 0 ff. Déchelette-Grenier, Manuel V 225 ff.

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worden.* Im Jahre 51 standen die Treverer von neuem auf, unterstützt durch Germanen, d. h. Quaden; Labienus lieferte ihnen ein Treffen, in dem mehrere Treverer und Germanen fielen.1 2 Solange der gefürchtete Cäsar lebte, verhielten sich die Quaden ruhig; erst im Jahre 38 gerieten sie, durch einen Aufstand der Gallier veranlaßt, in Bewegung und bedräng­ ten wieder die Ubier. Diesen Hilfe zu bringen, überschritt Agrippa auf der jetzt erneuerten Cäsarischen Brücke den Rhein, vermochte aber seinen Zweck nicht zu erreichen, so daß er sich entschloß, die Ubier auf die linke Stromseite zu verpflanzen.3 Ihr Gebiet nahmen aber nicht die Quaden, sondern auf Grund eines Vertrages mit den Römern die Chatten ein. Doch waren auch diese nicht imstande, die Quaden vom Rheine abzusperren. Im Jahre 30 v. Chr. unterwarf C. Carrinas die Moriner und trieb die „Sweben“ über den Rhein zurück.4* Bei den im August 29 in Rom ab­ gehaltenen Triumphfestspielen mußten dakische und swebische Gefangene miteinander kämpfen.6 In demselben Jahre riefen die abtrünnigen Treverer wieder Germanen, d. h. wohl Quaden, zu Hilfe, wurden aber von Nonius Gallus besiegt.6 Im Jahre 25 überschritt der prätorische Legat in Gallia comata M.Vinicius den Rhein, um „Kelten“ , d.h. wohl Quaden, zu züch­ tigen, die in ihrem Gebiete römische Kaufleute ermordet hatten; der Kaiser Augustus nahm darauf die 8. imperatorische Akklamation an.7 Unsicher ist es, ob die Germanen (Κελτοί), die im Jahre 19 v. Chr. Gallien beunruhigten, Sugambrer oder Quaden waren.8 Die Angriffskriege der Römer unter Drusus führten dann eine Auflösung der Swebenherrschaft in Hessen und den Maingegenden herbei. Das Bündnis, das die Sugambrer mit den Cheruskern und Sweben (Quaden) im Jahre 11 v. Chr. abschlossen, ward durch den Sieg der Römer bei Arbalo zersprengt (oben S. 94). Im Jahre 9 v. Chr. zog Drusus durch das Chattenland gegen die Sweben (Quaden) und Markomannen, die er mit Glück bekämpfte ; zum Gedächtnis 1 Nissen a. a. O. S. 27. 2 Caes. V III 45. 3 Dio 48, 49. Strabo IV 3, 4. Tac. Germ. 28, ann. 12, 27. Strabo gedenkt

der Über­ siedelung der Ubier in zwei voneinander getrennten Sätzen; die οί έξελαυνόμενοι (von den Sweben) sind auf die Ubier zu beziehen, vgl. D ü n t z e r , Bonner Jahrb. 73 (1882) S. 14. M it Recht wird der Vorgang gewöhnlich m it der gallischen Expedition Agrippas vom Jahre 38, nicht mit der des Jahres 19, in Verbindung gebracht, vgl. Nissen S. 28 f. W a r auch die Verpflanzung der Ubier ein Rückzug der Römer, so konnte doch Agrippa wegen seiner Siege über die Gallier einen Triumph feiern. 4 Dio 51, 21. Hierauf bezieht sich wohl auch Propert. I I I 3, 4 5: Suevo perfusos san­ guine Rhenus. 6 Dio 51, 22. e Dio 51, 20. 7 Dio 53. 2 6 ,4 . Vgl. v. P r e m e r s t e i n , Jahreshefte des österr. archäol. Instituts 28 (1933) S. 148. 8 Dio 54, 11.

Di e Sweben: Vorge s c hi c ht e

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des über sie errungenen, anscheinend nicht leichten Sieges ward aus den erbeuteten Waffen und Feldzeichen ein Tropäum errichtet.1 Die drohende gänzliche Unterwerfung abzuwenden, führte Marbod, ein markomannischer Edler, der vorher im römischen Heeresdienst wegen seiner kraftvollen Persönlichkeit die Aufmerksamkeit des Kaisers erregt hatte, und nach seiner Heimkehr, vielleicht mit römischer Unterstützung, an die Spitze seines Volkes getreten war, dieses nach dem von der Natur geschützten Lande Böhmen.1 2 Nicht alle Markomannen waren es freilich, die dem Rufe Marbods folgten: ein kleiner Teil unter Führung eines dem Namen nach nicht bekannten Fürsten sonderte sich ab, trat auf römisches Gebiet über3 und wurde wahrscheinlich an der flandrischen Küste angesiedelt. Diese reichsuntertänig gewordene markomannische Abteilung dürfte mit den Suebi identisch sein, die nach Tac. Agric. 28 die im Jahre 83 aus Britannien entflohenen Kohorten der Usipier aufnahm.45(Ob noch spätere Erwähnungen von Sweben in jenen Gegenden hierher zu ziehen sind, erscheint zum mindesten zweifelhaft: so bei Venantius Fort. carm. IX 1, 75 [zwischen 555 und 561 siehe oben S. 77], Vita Eligii II 3 [ebenda S. 78], Annal. Vedast. a. 880 usw.).6 Fraglich ist es, ob die N a r i s t e n oder W a r i s t e n (beide Namensformen sind zu gleicher Zeit durch Schriftsteller und Inschriften belegt), die sich später auch Armalausen (Lat. Veron. und Julius Honorius. Armilausini; Tab. Peut. : Armalausi) nannten und deren Sitze in den Tälern der unteren 1 Dio 55, 1. Flor. II 30, 23. Oros. V I 21, 15. Viet. epit. I 7. Consol. ad Liv. 17. Vgl. oben S. 96. 2 Veli. II 108, 2. Strabo V II 1 , 3. Die Abwanderung erfolgte vor dem Jahre 3 v. Chr., da damals Domitius Ahenobarbus eine hermundurische Abteilung έν μέρει τής Μαρκομαννίδος ansiedelte, vgl. oben S. 96. Vgl. Klose a. O. S. 6 8 . Als W eg kommt nur die aus dem oberen Maingebiet zur oberen Eger laufende Straße in Betracht, vgl. R e in e c k e , Sudeta V II (1931) S. 33f. 3 Suet. Aug. 21 : Suebos . . . traduxit in Galliam. Vgl. Suet. Tib. 9 (40000 einschließlich der Sugambrer). Mon. Ancyr. 6 , 3 : ad me supplices confugerunt reges — Sugambrorum Maelo, Marcomanorum Sueboru . . . rus. Die Ergänzung des Namens ist zweifelhaft. Der vorhandene Raum erfordert einen längeren Namen, als es der konjizierte T u d r u s ist. R o b in s o n , The deeds of Augustus as recorded on the Monumentum Antiochenum (1926) S. 18 vermutet T u d me rus. Vgl. auch Monumentum Antiochenum, hsg. von Ramsay und Premerstein, Klio Beih. 19 (1927) S. 94. — Sueborum ist Appellativ zu Marcomanorum, bezeichnet nicht ein anderes Volk (die Quaden). — Königtum hat damals bei den Mar­ komannen schwerlich bestanden, vgl. auch weiter unten; eine Monarchie ist erst durch Marbod begründet worden. 4 Vgl. R i e s e , Rhein. Mus. 44 (1889) S. 343. 5 Vgl. über die Frage Zeuß, Die Deutschen S. 57. P l a t n e r in den Forschungen z. deutsch. Gesch. 20 (1880) S. 186. K r u s c h zu der Stelle der Vita Eligii Mon. Germ. SS. rer. Merov. IV 696. W a u t e r s , Bull, de l’acad. roy. de Belgique X I I (1886) Nr. 8 . V a n d e r k i n d e r e , Choix d’études hist. (1909) S. 70f. Dazu D e s M a r e z , Le problème de la colonisation franque (1926) S. 3f. Die swebischen Laeten in Nordfrankreich der Not. dign. waren alamannischer Herkunft, vgl. Mommsen, Hermes 24,251. Vgl. auch Petri a. Ο. I I , 880.

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Nab und des Regens zu suchen sind (Ptol. II 11, 23; Tac. Germ. c. 42 und weiter unten) als in der alten Heimat zurückgebliebene markomannische Gaue anzusprechen sind. Dagegen werden als solche, wie schon erwähnt, wohl die Suebi Nicretes zu gelten haben. Zu derselben Zeit, wie der Zug der Markomannen, erfolgte die A b­ wanderung der Quaden unter der Führung des Tudrus.1 Diese fanden in Mähren eine neue Heimat. Wahrscheinlich sind damals auch in Böhmen eingezogen die geschichtslosen Marsingen, die nach Tacitus (Germ. c. 43) im Nordosten des Landes anzusetzen sind,1 2 ferner die nur von Ptolemäus erwähnten Bateinoi, Sudinoi, Korkontoi, die v i e l l e i c h t ebenfalls dahin ge­ hören.3 Böhmen und Mähren waren damals, nachdem die Bojer dieses Gebiet geräumt hatten (um 60 v. Chr.), menschenarm, so daß die An­ siedelung der Germanen ohne Kampf erfolgen konnte. Aber noch lange Zeit ist die Erinnerung an die früheren Gebietsverhält­ nisse bei den Römern bewahrt worden. A uf die älteren Zustände weist hin die Angabe Eutrops Y II 12 von dem Rheinfeldzug Caligulas: bellum contra Germanos suscepit et ingressus Suebiam nihil strenue fecit. A u f der Peutingerschen Tafel erscheint der Name Suevia als Bezeichnung des rechtsrheinischen Gebietes zwischen Straßburg und Mainz. (Ähn­ lich auf den von Julius Honorius, Orosius, Isidor von Sevilla be­ nutzten Karten.) Auch Lucans Verse: fundat ab extremo flavos Aquilone Suebos Albis et indomitum Rheni caput (bell. civ. II 51) gehören wohl hierher. Für die Kenntnis der Kulturzustände der Sweben während ihrer Herr­ schaft in West- und Süddeutschland sowie links vom Rhein im 1. Jahrhun­ dert v. Chr. bieten die zahlreichen der Spât-La-Tène-Stufe zugehörenden archäologischen Funde, die sich deutlich durch den Leichenbrand von den keltischen unterscheiden, ein wertvolles, ausgiebiges Material. Vgl. be­ sonders die Übersichten von S c h u m a c h e r , Altertümer der heidn. Vor­ zeit V ; Prähist. Zeitschr. VI (1914) S. 269 ff. ; Siedelungs- und Kultur­ 1 Marcomannis Quadisque . . . reges manserunt ex gente ipsorum, nobile Marobodui et Tudri genus, Tac. Germ. 42. — Die Ostgrenze der Quaden bildete die March oder viel­ mehr der Zug der Kleinen Karpathen. Vgl. Plin. hist. nat. IV 81 : a Maro sive Duria est a Suebis regnoque Vanniano dirimens eos (Iazyges). Die Suebi sind hier die Quaden. Vgl. über die Interpretation dieser Stelle auch weiter unten. In der Inschrift Fiebiger-Schmidt Nr. 8 , nach der schon im Jahre 14 v. Chr. Quaden in Mähren ansässig gewesen sein sollen* sind statt der vermuteten ,Quaden 4 die Daker einzusetzen, vgl. v. Premerstein, Österr. Jahreshefte 28 S. 150. 2 In den Marsingen sind vielleicht, wenigstens zum Teil aufgegangen die den Sweben angehörenden Träger der sog. Bodenbacher Kultur, die man nicht mit Hermunduren gleichsetzen darf, oben S. 129. 3 Strabo spricht von mehreren Völkern, die Marbod außer den Markomannen in Böhmen ansiedelte.

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geschichte I (1921) S. 146 ff. II 215 ff. mit weiterer Literatur. Dazu auch Kahrstedt, Göttinger Nachr. 1930 S. 381 ff. 1933 S. 261 ff. Die Dörfer der Wangionen, Nemeter und Triboker liegen meist an den Hängen von Wiesenbächen, die die Viehzucht und den Weidegang begünstigten; der Ackerbau trat demgemäß etwas in den Hintergrund. Bei vielen Ansiede­ lungen ist eine Fortsetzung der gallischen Stätten zu beobachten, ja häufig gehen die beiderseitigen Kulturen ineinander über, so daß eine Trennung schwer fällt. Die wangionische Siedelung bei Weisenau hatte wesentlich nur militärischen Charakter, diente der Sicherung des Rheinüberganges. Die Kultur der Sweben in der Wetterau, die dann in dem Mischvolke der Taunenses aufgingen, ist besonders gut bekannt durch das große, bis in den Anfang des ersten nachchristlichen Jahrhunderts reichende Gräber­ feld von Bad Nauheim, vgl. die Monographie von Qu il li n g 1903. Der­ selben Periode gehört an die Kultur der Leute von Groß-Gerau und Nau­ heim (Starkenburg), vgl. B e h n , Urgeschichte von Starkenburg2 (1936) S. 2 ff. und Schumacherfestschrift (1930) S. 178 ff. Über die spät-la-tenezeitliche Hinterlassenschaft der Germanen am Neckar, der später sogenann­ ten Suebi Nicretes s. Schumacher, Siedelungs- und Kulturgeschichte 1136f. Altertümer V 375. 414. Ergänzend treten hinzu die Zeugnisse der literarischen Überlieferung, die wesentlich durch Cäsar (bell. Gail. I passim, IV 1-3, VI 21 ff.) repräsen­ tiert wird (was dieser im VI. Buche von den Germanen im allgemeinen erzählt, ist nur eine Wiederholung und Erweiterung der Schilderung von den Zuständen der Sweben im engeren Sinne, d. h. der Quaden). Die be­ kannte Darstellung der agrarischen Verhältnisse hier nochmals zu erörtern, liegt keine Veranlassung vor. Wir erfahren, daß Ackerbau getrieben wurde, der aber als Ernährungsfaktor gegenüber der Viehzucht und Jagd zurück­ stand. Die Dörfer (oppida) der rechtsrheinischen Sweben werden erwähnt Caes. IV 19, 2. Bei Kriegsgefahr zog man sich mit der Fahrhabe und dem Vieh in die Wälder oder in die Gauburgen zurück, Ringwälle, die, meist schon von der keltischen Vorbevölkerung erbaut, auch als Ding- und Kult­ stätten dienten. Solche waren nach Schumacher a. Ο. I 133. 147 bei den Wangionen der Ringwall auf dem Donnersberg (Kult des Donar), die ,,Ringmauer“ bei Dürkheim bei den Nemetern, der Odilienberg bei Straß­ burg bei den Tribokern; doch ist die Benutzung der beiden letztgenannten durch die Germanen streitig, vgl. Kahrstedt, Gött. Nachr. 1930 S. 304 f. Rechtsrheinisch gehört hierher u. a. der Heiligenberg bei Heidelberg (Neckarsweben). Die Völkerschaft zerfiel in Gaue (pagi); wenn Cäsar IV 1, 4 von 100 pagi spricht, so ist das wohl nur der Ausdruck für die große Ausdehnung des Stammes. Die öffentliche Gewalt ruhte ganz bei der Volksversammlung (concilium;

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Di e Ermi nonen

IV 19, 2; VI 23, 7), Die Leitung der civitas (VI 23) lag in den Händen der Gaufürsten (principes VI 22, 2. 23, 5 ff.), die nur im Kriegsfälle sich einem Herzog unterstellten (VI 23, 4). Auch Ariovist war in der Heimat seines Volkes nur Fürst eines Gaues. Er trat dann als Führer einer jener kriege­ rischen Unternehmungen auf, wie sie Cäsar VI 23, 6. 7 schildert: auf Räubereien steht keine Schande, wenn sie außerhalb des Gebietes der be­ treffenden Gemeinde vorfallen, und man spricht es offen aus, daß sie unternommen werden, um die Jugend zu üben und die Trägheit zu mindern. Und hat einer der Fürsten in der Landesversammlung erklärt: er wolle Führer sein, wer folgen wolle, möge sich melden, so stehen die auf, welche die Sache und den Mann gutheißen, versprechen ihren Beistand und werden von der Menge gelobt. Die Heerfahrt Ariovists hat, wie so manche andere, zu einer staatlichen Gründung mit monarchischer Spitze geführt. Daß Ariovist König der in Gallien zu fester Ansiedelung gelangten Völker war, unterliegt wohl keinem Zweifel;1 von seinen Befugnissen ist nur das Feldhermamt und die Vertretung nach außen aus der Überlieferung er­ sichtlich. Nicht als Volksherzoge, sondern als Führer einer Unternehmung in dem obigen Sinne sind die Brüder Masua und Cimberius aufzufassen (I 37, 3). Bei den Markomannen ist die Monarchie erst durch Marbod, bei den Quaden durch Tudrus begründet worden; die Grundlage bildete das germanische Herzogtum, während die weitere Ausgestaltung unter dem Einflüsse und Beispiele Roms erfolgte. Der markomannische rex, der nach dem Mon. Ancyr. zu den Römern übertrat, ist sicher nur ein Gaufürst gewesen. Die kriegerische Tüchtigkeit der Sweben wird außerordentlich gerühmt; die staatlichen Einrichtungen und das ganze Volksleben waren zu ihrer Erhaltung und Stärkung in Dienst gestellt (I 39; IV 1; VI 21-23). Ariovist muß als ein hervorragender Stratege angesehen werden, der nur an den überlegenen Mitteln der Römer scheiterte. Die beste Truppengattung waren die Doppelkämpfer, die nach Tacitus aus der Jungmannschaft gewählte Elitetruppe, die den Römern in der Ariovistschlacht schwer zu schaffen machte.1 2 Nach dem Siege Cäsars traten germanische Reiter auch in dessen Heer ein; zuerst werden 400 Mann erwähnt, die wohl von den Nemetern, Wangionen und Tribokern gestellt, dann aber durch Doppel­ kämpfer aus dem rechtsrheinischen Gebiete, also wohl hauptsächlich aus dem Quadenlande, verstärkt wurden. Diese nahmen an den folgenden schweren Kämpfen in Gallien teil und trugen nicht wenig zum Siege der 1 Die Auffassung v. Sybels, Entstehung des deutschen Königtums 2 S. 143, daß Ariovist den Königstitel nur durch römische Ernennung geführt habe, muß als irrige bezeichnet werden. 2 Caes. 1 42. 4 8 ; IV 2.

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römischen Waffen bei. Auch im Bürgerkrieg gegen Pompejus kämpften sie im Heere Cäsars, freilich auch auf der Gegenseite.1 Ob die Erwähnung der Wangionen unter den Hilfstruppen Cäsars bei dem Dichter Lucan, bell, civ. I 431 einen realen Hintergrund hat, ist sehr zu bezweifeln; sicher ist von einer Beteiligung der gleichzeitig genannten Bataver keine Rede, vgl. Beckmann, Geographie und Ethnographie in Cäsars bell. Gail. (1930) S. 23. Frauen und Kinder begleiteten die Krieger auf Karren, die während der Schlacht zu einer Wagenburg zusammengestellt wurden (I 51). Von Waffen erwähnt Cäsar Steinschleudern und Wurfspieße (tela; I 46), Langschwerter Dio 38, 49; dem Schutze dienten große Schilde (scuta: Caes. I 52). Überden Götterkultus der Sweben sagt Cäsar V I 21, daß diese Sol, Yulcanus und Luna verehrten. Wie diese Angabe zu erklären sei, ist um­ stritten. Auf einen germanischen Sonnenkult weist allerdings der berühmte Fund des Trundholmer Sonnenwagens hin.1 2 Aber von einer Verehrung des Mondes und des Feuers als Gottheiten kann keine Rede sein. Cäsar ist da wahr­ scheinlich einer ethnologischen Theorie, nach der die Anbetung der Him­ melskörper und Elemente als das Merkmal einer primitiven Religion galt, zum Opfer gefallen.3 Daß der Mond im Glauben der Germanen eine Rolle spielte, ist hinreichend bekannt. Weissagende Frauen verkündeten nach Befragen des Loses (nach Plutarch aus den Strudeln der Wasserläufe) dem Ariovist, daß er vor Eintritt des Neumondes nicht siegen werde (Caes. I 50) (Zur Bedeutung des Loswerfens auch Caes. I 53 : Dreimaliges Loswerfen über das Schicksal des zum Feuertode bestimmten römischen Gesandten). Ob der Angabe Appian. Celt. 1, daß die Germanen den Tod in Hoffnung eines Wiederauflebens verachteten, als Zeugnis für den Seelenglauben zu bewerten sei, ist zweifelhaft.4 Im Gebiete der Triboker, Nemeter, Wangio­ nen wurde später nach den Inschriften vielfach der Mercurius verehrt, unter dem man aber wohl meist nicht den sonst mit diesem Namen bezeichneten germanischen Wodan (de Vries I 167), sondern teils den römi­ schen Gott teils eine keltische Gottheit, wie die Beinamen Cissionius, Visucius u. a. beweisen, zu verstehen hat. Eine keltische Gottheit war auch die Nemetona, deren Kult bei den Nemetern, Wangionen und Treverern bezeugt ist.5 Verehrung des Donar durch die Wangionen beweist der Donnersberg in der Hart (vgl. oben; Schumacher, Sied. I 147). Im wangionischen Gebiet bei Klein-Winterheim in Rheinhessen sind die Spuren einer 1 Vgl. die Zusammenstellung der Zeugnisse bei R i e s e , Dasrhein. Germanien in der antiken Literatur (1892) S. 34ff. 2 Vgl. De Vries, Altgerm. Religionsgesch. 1 132 ff. 3 Vgl. H elm , Altgerm. Religionsgesch. I 257 ff. De Vries I 164. 4 H elm I , 254 f. De Vries I 274. 5 V g l. Pauly-W iss. R . E . 16, 2385.

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Di e E r mi no n en

ansehnlichen bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. zurückreichenden Kultstätte (ursprünglich wohl ein heiliger Hain, später ein hölzerner, dann ein steinerner Tempel) gefunden worden, die nach den Inschriften mehreren Gottheiten, außer der Victoria und Nemetona auch dem Mars Leucetius, geweiht war.1 Die schon erwähnte, in Britannien stehende cohors Vangionum verehrte einen Gott Antenociticus, der auch sonst in der Namensform Anociticus bezeugt ist (CIL. V II 503. 504). Über noch andere bei jenen drei Völkern verehrte einheimische Gottheiten siehe R ie s e , Westdeutsche Zeitschr. 17 (1898) S. 25 f f . und Altertümer unserer heidn. Vorzeit V 339 f f . 12 Die Sweben Cäsars bedeckten den Oberkörper mit Fellen, die häufig besonders während der Schlacht abgelegt wurden (so ist Caes. IV 1; VI 21 zu verstehen), während die Beine, wie wir sonst von den Germanen wissen, in engen Hosen steckten.3 Die Wangionen trugen davon abweichend später weite Bein­ kleider.4 Der von Tac. Germ. 38 als swebische Eigentümlichkeit gekenn­ zeichnete Haarknoten findet sich auch bei anderen Germanen.5 Einzelne swebische Abteilungen blieben jedoch rechts des Rheines zurück: so die Sweben der Wetterau, die Triboker bei Marbach, die Leute von Groß-Gerau, die Neckarsweben. Die Sweben, die Strabo IV 6, 9 an der Donau quelle aufführt, sind Überreste der alten Ethnographie (oben S. 128) und in Wirklichkeit nicht vorhanden; die Sweben, die nach Tac. ann. I 44 im Jahre 14 n. Chr. Rätien bedrohten, waren gewiß nichts anderes als Hermunduren oder Naristen. Die Wetterauer Sweben kamen bereits durch Drusus unter römische Herrschaft; die eigentliche Einverleibung des südmainischen Gebietes erfolgte erst durch Vespasian und seine Nach­ folger, nachdem schon unter Caligula und Claudius dort römische Stütz­ punkte (Groß-Gerau, Hochstetten, Baden-Baden, Riegel usw.) angelegt worden waren.6 Sie war besonders das Werk des obergermanischen Statt­ halters Cn. Pinarius Cornelius Clemens, der mit dem auf fünf Legionen und durch fremde Auxiliartruppen verstärkten obergermanischen Heere in den Jahren 73-74 gegen die dortigen „Germanen“ einen Feldzug unter­ nahm und die Triumphalinsignien erwarb. Wir haben von diesen Operatio­ nen nur Kenntnis durch eine Anzahl von Inschriften, besonders Dessau 997 : 1 Schumacher, Sied. II 181. 2 Über Matronensteine im Gebiet der Nemeter und Wangionen W estd. Zeitschr. 25 (1906) S .2 3 9 ff. Vgl. Helm I 395. Zu weit geht Z a n g e m e i s t e r , Neue Heidelberger Jahr­ bücher V (1895) S. 4 6 fl., der in den meisten im rheinischen Germanien verehrten Göttern m it römischen Namen rein germanische erkennt. Vgl. auch H a u g im Korrespondenz­ blatt des Gesamtvereins 1906 Sp. 6 4 f. 3 Mainzer Zeitschr. IV 8. 4 Oben S. 131. Mainzer Zeitschr. IV 10. 5 Mainzer Zeitschr. IV 11. H . F is c h e r , Zeitschrift für deutsches Altertum 53 (1911) S. 183 ff. 6 Vgl. zuletzt Schumacher, Germaneudarst.4 (1935) S. 68 mit Literatur.

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Cn. Pinarius L .f. Pap. Cornelius Clemens . . . legat, pro pr. exercitus, qui est in Germania sup., cur. aedium sacrarum locorum publicorum . . . triumphalibus . . . ornamentis . . . ob res in Germania prospere gestas. 990: Cn. Domitio . . . Afro . . . praef. auxiliorum omnium adversus Ger­ manos, donato ab imp. Vespasiano et Tito Caesare . . . coronis . . . 991 : Cn. Domitio . . . Tullo . ... praef. auxiliorum omnium adversus Germanos. . . Vgl. die übrigen Zeugnisse bei Zangemeister, Neue Heidelberger Jahrbücher III 9 ff.1 Das okkupierte Land bestand aus kaiserlichem Domanialland (im Süden) und peregrinen Gaugemeinden.1 2 Zu den letzteren gehörte die durch Inschriften näher bekannte civitas Ulpia Sueborum Nicretum, deren Einrichtung, wie ihr Name besagt, durch den Kaiser Trajan erfolgt ist.3 Daß es noch andere Swebengemeinden in diesen Gegenden gab, wird durch die Bezeichnung Nicretes wahrscheinlich, die doch wohl als das Distinktiv eines Gaues von anderen, Angehörige desselben Stammes umfassenden, zu gelten hat. In der Tat ist eine der civitas Alisinensis (Wimpfen) benach­ barte civitas S. T. durch die Inschrift CIL. 13, 6482 bezeugt, in der nach dem Vorgänge der auf die Neckarsweben bezüglichen Inschriften S. wohl in Sueborum aufzulösen ist, während die Ergänzung des T. (Tribocorum ?) unsicher bleibt. Der civitas der Neckarsweben gehören die durch Aus­ grabungen festgestellten Wohnstätten von Feudenheim bei Mannheim, Wallstatt bei Mannheim, Heidelberg-Neuenheim, Ladenburg, Bürstadt zu, während die Starkenburger Sweben vielleicht der nicht näher abzugrenzen­ den civitas Auderiensium (Vorort Dieburg ?), die Wetterauer Sweben der civitas Taunensium (Vorort Heddernheim) eingegliedert waren.4 Gegen W e­ sten reichte die civitas der Neckarsweben bis an den Rhein; im Osten grenzte sie an die civitas Alisinensis; die Nord- und Südgrenze sind nicht näher bekannt. Die Erwähnung von Dekurionen bei den Neckarsweben und bei der soeben erwähnten civitas S. T. (CIL. 13, 6404. 6482 ) lehrt, daß dieselben Gemeinden römischen Rechtes waren. Wie natürlich, wurden die süddeutschen reichsangehörigen Sweben stark zum römischen Heer­ 1 Vgl. ferner H ü b n e r , Bonner Jahrbücher 102 (1898) S. 89ff. W o l k o , Beitr. zur Geschichte der legio X I Claudia (1908) S. 38ff. R i t t e r l i n g , Röm .-Germ . Korr.-Bl. IV (1911) S. 3 9 f. Stähelin, Die Schweiz2 S. 2 0 3 ff. 2 Vgl. H e r z o g , Bonner Jahrbücher 102 (1898) S. 8 3 ff. S c h u lt e n , ebenda 103 (1898) S. 35 f. 3 Vollständig ist der Name überliefert nur CIL. 13, 2633: cives Sueba Nicreti; sonst nur abgekürzt. Aus der reichen Literatur über diese Gemeinde seien hervor­ gehoben: Z a n g e m e is t e r , Neue Heidelberger Jahrbücher I II (1893) S. lff. Derselbe CIL. 13 S. 2 2 9 ff. S c h u m a c h e r , Mannheimer Geschichtsblätter 1900 S. 9 2 ; 1909 S. 3 2 f .; Mainzer Zeitschr. IV 7. 10 ; Altertümer uns. heidn. Vorzeit V 370ff. ; Siedel. II 218. S c h ö n f e ld , Pauly-W iss. Reihe II Bd. 4 (1931) S. 577f. Klose, Klientel-Randstaaten S. 58. V gl. Riese, Inschr. Nr. 2199 ff. 4 Schumacher, Sied. II 217. Behn, Urgeschichte von Starkenburg2 S. 32 ff.

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Di e Er mi n o n e n

dienst herangezogen. Sie dienten als Lokalmiliz (exploratores: Neckar­ sweben, Altertümer unserer heidn. Vorzeit V. 375; Triboker CIL. 13, 6448 vom Ende des 2. Jahrhunderts),1 ferner in den Legionen, bei den equites singulares, corpore custodes; aus ihnen war eine den Volksnamen tragende vexillatio formiert, die in Britannien stand.1 2 Die letzte zeitlich bestimm­ bare Erwähnung der Neckarsweben stammt aus der Regierungszeit der Kaiser Valerian und Gallien, wenn die Nictrenses der Veronesei* Völkertafel in Nicerenses zu ändern sind. Kurz darauf ist das rechtsrheinische Gebiet dauernd den Römern verloren gegangen, die die eingedrungenen Germanen in der Folgezeit nur vorübergehend daraus zu verdrängen vermochten (vgl. unten bei der Geschichte der Alamannen). Die Sweben sind durch den germanischen Einbruch dem Deutschtum, das sie unter dem römischen und keltischen Einflüsse zum großen Teile eingebüßt hatten, wiedergewonnen worden. Dieser Wandlungsprozeß läßt sich an der Hand der Funde, die für die Zeit vom 1. bis Anfang des 5. Jahrhunderts ein vollständiges Kultur­ bild uns vor Augen führen, noch deutlich verfolgen. Der Charakter der germanischen Ansiedelungen ist besonders durch die Ausgrabungen bei Ladenburg ersichtlich, wo „mehrere von einem kreisförmigen (Palisaden —?) Graben umgebene Rundhütten von etwa 8 m Durchmesser festgestellt worden sind, die in einiger Entfernung durch einen Palisadenzaun in Rechteckform umschlossen waren“ .3 Das Gräberinventar der Sweben vom 1. Jahrhundert n. Chr. zeigt eine merkwürdige Mischung römischer und germanischer Kultur. „D er Zeitraum4 eines halben Jahrhunderts hat ge­ nügt, um die Sweben an den Errungenschaften der römischen Kultur des linken Rheinufers in hervorragender Weise teilnehmen zu lassen, wobei allerdings auch zu bedenken ist, daß in ihren neuen Sitzen mehrere römische Garnisonen lagen. Alle feineren Tongefäße stammen aus rein römischen oder „belgischen“ Fabriken des linken Rheinufers ; nur die gröberen Gefäße, wie die mit Besenstrich verzierten, sind einheimischen Ursprungs. Für die Metallsachen gilt dies in noch viel weiterem Umfange. Dagegen verraten die Grabgebräuche, Urnen mit Deckelschalen, Beigabe von Waffen, Scheren, Trinkhörnern, Bronzeeimerchen usw. deutlich die germanische Nationalität, und auch an manchen Metallsachen (Augenfibeln, Schild­ buckel, Schildgriff usw.) ist die Berücksichtigung germanischen Ge­ schmacks nicht zu verkennen. Von besonderem Interesse ist der Inhalt von fünf Töpferöfen etwa aus trajanischer Zeit von einer Swebenansiede­ lung bei Seckenheim. Neben alteinheimischen Formen begegnen Nach­ 1 2 3 4

Fabricius, Besitznahme Badens S. 19. Bang S. 52. Bang S. 54. 101. Mainzer Zeitschr. IV 7. Altertümer V 4 1 4f.

Die Sweben: Di e M a r k o m a n n e n und Quaden

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bildungen römischer Gefäße, Urnen, Kumpen, Teller in plumper Form aus grobem graubraunen oder grauschwarzen Ton.“ 1 Vom 2. Jahrhundert ab ist, wie namentlich das Gräberfeld vom Atzelberg hei Wallstatt er­ kennen läßt, der Prozeß der Romanisierung bereits so weit vorgeschritten, daß sich der ursprüngliche germanische Charakter meist nur noch gelegent­ lich aus gewissen Grabgebräuchen feststellen läßt. Die Beigaben sind mit einigen Ausnahmen allgemein römischer Art, die Waffen verschwinden fast ganz aus den Gräbern. Im 4. und Anfang des 5. Jahrhunderts ist dann wieder namentlich in der Keramik ein stärkeres Hervortreten einheimischer Formen zu bemerken, das durch die Herrschaft der Alamannen erklärlich wird. Wie bei den linksrheinischen Stämmesgenossen wurde besonders der Mercurius verehrt. Heiligtümer desselben, der hier durch den Beinamen Cimbri(an)us als germanische Gottheit sich kundgibt, befanden sich auf dem Heiligenberg bei Heidelberg und auf dem Greinberg bei Miltenberg (Altertümer V 341. 375). Keltischen Ursprungs war der Kultus des Mer­ curius Cissonius, des Mercurius Visucius, des Mercurius Alaunus, der Casses u. a. (Altertümer Y 341), germanisch dagegen der der dea Garmangahis (Gutenbrunner, Götternamen S. 90 ff., 214).1 2 Natürlich hatten auch rein römische Gottheiten Eingang gefunden. Die Mischkultur zeigt sich auch bei den Personennamen, die teils römisch, teils germanisch sind (Pacu, Berus, Masvetince, Mattio, Ungario, vgl. Altertümer Y 375). b) D ie M a r k o m a n n e n un d Q u a d e n Marbod hatte während seines Aufenthaltes in Rom die Grundlagen kennen gelernt, auf denen sich die Macht des römischen Staatswesens aufbaute ; nachdem er an die Spitze der Markomannen getreten war, gelang es ihm, die geringen Machtbefugnisse, die einem germanischen Könige von Haus aus zustanden, zu erweitern und eine Monarchie zu begründen, die durch ihre straffere Leitung sich vorteilhaft von der nationaleigenen locke­ ren Volksverfassung unterschied. Denn nur in Anlehnung an das römische Vorbild, nicht von sich aus konnten die Germanen damals wie noch später ein dauerhaftes Staatswesen gründen. Maroboduus . . . non tumultuarium neque fortuitum neque mobilem et ex voluntate parentium constantem inter suos occupavit principatum sed certum imperium vimque regiam complexus, sagt sein Zeitgenosse Vellejus II 108, 2. Einzelne Häuptlinge, wie Katwalda, wurden von ihm vertrieben, andere in ihren Rechten ge­ 1 Vgl. in den Einzelheiten Altertümer V 3 7 0 ff. 2 Ob die matres Germanae Suebae und matres Suebae aus K öln bzw. Deutz (Guten­ brunner S. 215. 225) auf die Suebi Nier, zu beziehen sind, ist zweifelhaft.

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Di e E r m i n o n e n

schmälert, wie wir daraus ersehen, daß Katwalda, als er Marbod zu stürzen unternahm, bei dem Adel Unterstützung fand.1 Man darf annehmen, daß der König das Ernennungsrecht der militärischen Führer für sich in An­ spruch nahm, während die Gaufürsten wesentlich nur im Besitze ihrer richterlichen Funktionen blieben. Seine Herrschaft erstreckte sich außer über die Markomannen über eine größere Anzahl deutscher Völker, die entweder, durch Waffengewalt bezwungen, ihm unmittelbar untertänig waren, oder die freiwillig, um der drohenden Unterwerfung unter die Römer zu entgehen, zu ihm in ein Klientelverhältnis sich begeben hatten:1 2 Es werden genannt die Langobarden und Semnonen (Tac. ann. II 45, Strabo V II 1, 3), ferner die Lugier und eine Anzahl Völker, deren Namen offenbar verderbt überliefert sind, dieZoϋμoι. Βούτωνες, Μουγίλωνες Σίβιν S. 15 f. 4 E g g e r S. 1 6; H e e r in g a. O. S. 39.

Valenlinian I. und Makrian ( 371—374)

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zu Wiesbaden war. In aller Stille ließ der Kaiser eine Schiffbrücke über den Rhein bei Mainz (hier erließ er am 6. September ein Gesetz) schlagen und rückte in das feindliche Gebiet ein. Aber der Fürst, auf dessen Gefangennahme es hauptsächlich abgesehen war, entkam infolge der Disziplinlosigkeit der römischen Soldaten in das unzugängliche Gebirge; Yalentinian mußte sich damit begnügen, das Land „bis zum 50. Meilen­ steine“ gründlich zu verwüsten, und kehrte dann mißvergnügt nach Trier zurück. An Stelle Makrians setzte der Kaiser den Fraomar als Häuptling ein, der sich aber nicht halten konnte und eine Offiziersstelle bei dem in Britannien stehenden alamannischen numerus annahm. Auch die Fürsten Bitherid und Hortar traten damals in römische Kriegsdienste; letzterer wurde nachmals beschuldigt, mit Makrian konspiriert zu hahen, und zum Feuertode verurteilt.1 In den Jahren 372 und 373 scheinen nach Ausweis der Quellen keine Kampfhandlungen gegen die Alamannen stattgefunden zu haben. Die Orte, an denen der Kaiser damals Gesetze erließ, lassen keinen Schluß auf solche zu. Der streitige Ort Nasonacum, wo er von Mai bis August 372 weilte, ist nicht am Rheine zu suchen, sondern wohl Nassogne in BelgischLuxemburg.1 2 Die Anwesenheit in Alzey am 4. April 373 kann mit den Be­ festigungsarbeiten an der Rheinlinie Zusammenhängen. Am 10. Juli 374 ist Valentinian durch die Verordnung Cod. Theod. V III 5, 33 in Robur nachweisbar,3 von wo er einige angrenzende alamannische Gaue heimsuchte. Alsdann begab er sich rheinabwärts nach Mainz, wo er am 7. September ein Gesetz erließ, um Makrian von neuem mit Krieg zu überziehen. Die Rücksicht auf die vorgeschrittene Jahreszeit veranlaßte ihn aber, von einem Feldzuge abzustehen und Friedensverhandlungen an­ zuknüpfen. Diese wurden von den beiden Herrschern persönlich geführt, und zwar auf dem rechten Rheinufer, da der Germane nicht zu bewegen war, römisches Gebiet zu betreten, und gelangten zu einem befriedigenden Ergebnis. Makrian hat sich dann bis zu seinem Tode als ein treuer Bundes­ genosse der Römer erwiesen.4 Die nunmehr eingetretene Ruhe an der römisch-alamannischen Grenze dauerte auch nach Valentinians I. Tode (375) einige Jahre an. Erst die Nachricht, die ein in seine Heimat zurückgekehrter alamannischer Leib­ wächterverbreitethatte, der junge Kaiser G r a t i a n beabsichtige, noch im Winter 377/78 mit dem größten Teile seines Heeres nach dem Orient zu ziehen, rief die Alamannen wieder zu den Waffen. Im Februar 378 über­ 1 2 3 4

Am m . 30, 4, 2 -7 . J u l li a n V II S. 245, 1. Vgl. S e e c k , Regesten S. 244 (überliefert ist das Jahr 375). Am m . 30, 3.

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Die Al a ma n ne n : Schlacht bei Horburg. Ei n f ä l l e 379-383

schritt eine Schar der Lentienser den zugefrorenen Oberrhein und brach in Rätien ein, wurde aber von zwei dort stehenden römischen Auxilien zurückgetrieben. Der Kaiser, hierdurch gewarnt, blieb in Gallien und rief die bereits nach dem Osten abmarschierten Truppen zurück. Inzwischen hatte Priarius, der Häuptling der Lentienser, die anderen alamannischen Gaue aufgerufen, sich ihm anzuschließen, und ein ansehnliches Heer - man sprach von 40000, ja 70000 Mann - zusammengebracht. Dieses durchbrach bei Altbreisach die römische Grenzlinie und ging gegen Hor­ burg (Argentaria) vor, erlitt aber bei diesem Ort eine schwere Niederlage; nur 5000 sollen dem Schwert der Römer entronnen sein, während Priarius selbst den Tod auf dem Schlachtfeld fand. Statt, wie es klug gewesen wäre, sofort den Zug nach Thrakien anzutreten, wo die Gefahr am größten war, entschloß sich der Kaiser, den Rhein zu überschreiten und die Lentien­ ser in ihrem eigenen Lande heimzusuchen. Diese aber zogen sich in die Berge zurück1 und nahmen dort eine feste Stellung ein, die die Römer vergeblich zu erstürmen versuchten. Erst als Gratian Anstalten traf, die Zugänge abzusperren und die Übergabe durch Aushungern zu erzwungen, zeigten die Alamannen ihre Unterwerfung an und versprachen, für das römische Heer Hilfstruppen zu stellen. Dieses Unternehmen Gratians war das letzte, das einen römischen Kaiser auf deutsches Gebiet geführt hat.1 2 Wie wenig nachhaltig aber die Wirkung des römischen Sieges war, er­ gibt sich daraus, daß Gratian schon im folgenden Jahre von Sirmium wieder nach Gallien zurückkehren mußte, weil dort die Alamannen von neuem die Grenze überschritten hatten.3 Daß Gratian dem limes Raeticus seine besondere Aufmerksamkeit widmete, ersehen wir aus dem Edikt Cod. Theod. X I 16, 15 vom 9. Dezember 382, wonach die Befreiung der höheren Beamten von der Verpflichtung, Pferde für den öffentlichen Dienst zu stellen, für jenen Grenzbezirk keine Gültigkeit haben sollte. Zu Beginn des Jahres 383 ließ sich M a x i mus in Britannien zum Kaiser ausrufen; auf sein Anstiften fielen die Juthungen in Rätien ein. Gratian zog sofort gegen diese zu Felde, begab sich aber noch vor Beendigung des Krieges nach Gallien, um dort den Usurpator zu bekämpfen. Von seinen Truppen ver­ lassen, ward er in Lyon ergriffen und getötet (25. August 383). Valenti­ niens II. Feldherr Bauto bewog eine Schar von Hunnen und Alanen, in 1 Über die Lokalität J u llia n V I I S. 277, 1. H e r t l e i n I S. 186 (im Gebiet des Randen oder des Hegaus). 2 Am m ian 31, 10. Hieron. chron. Olymp. 289, X I I I f. (H elm ). Jord. R om . 312. Oros. V I I 33, 8. Epit. de Caes. 47, 2. Auson. grat. act. ad Gratianum 2. 82. Alamannische Hilfstruppen (Laeten) im Heere Gratians Auson. precatio consulis 29 f. 3 Socrates V 6, 2. Sozom. V I I 2, 1. 4, 1. Über den W e g , den Gratian damals ein­ geschlagen, S t e in b e r g e r , Deutsche Geschichtsblätt. 16 (1915) S. 248 ff. mit weiterer Lit. S e e c k , Regesten S. 252.

E i n f a l l in I t a l i e n (392). D i e R h e i n g r e n z e um 400

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Alamannien einzufallen, um die Juthungen zur Rückkehr zu veranlassen. Da aber Maximus dagegen Einspruch erhob, sah sich Valentinian ver­ anlaßt, jene wieder zurückzuberufen.1 An Grenzüberschreitungen durch die Alamannen scheint es auch in der Folgezeit nicht gefehlt zu haben. An Alamannen hat man aller W ahr­ scheinlichkeit nach bei den „Barbaren“ zu denken, die nicht lange vor dem Tode Valentinians (15. Mai 392) Mailand bedrohten, aus unbekannten Gründen aber freiwillig wieder umkehrten und die von ihnen gemachten Gefangenen Zurückgaben.1 2 Durch Aufstellung einer imponierenden Heeres­ macht verstand e s E u g e n i u s , der von Arbogast erhobene Gegenkaiser, die Franken und Alamannen in Schach zu halten, so daß sich diese bereit­ finden ließen, in den Abschluß von Bündnissen zu willigen3 (392). Stilicho hat dann in den Jahren 396, als er die Rheingrenze bereiste,4 und 398 diese Verträge erneuert.5 Noch gegen Ende des 4. Jahrhunderts müssen die Alamannen den nörd­ lichen Teil ihres Gebietes eingebüßt haben, und zwar das Land zwischen Taunus und Neckar an die Burgunder.6 Dieser Verlust wird damit Z u ­ sammenhängen, daß die Macht der Bukinobanten durch einen unglück­ lichen Feldzug Makrians gegen den Frankenkönig Mallobaudes stark ge­ schwächt worden war.7 - Im Vertrauen auf jene Verträge konnte Stilicho es wagen, die Besatzungen aus den am Oberrhein, Bodensee, an der Argen, Iller und Donau gelegenen Grenzkastelle zurückzuziehen. Die Bodenfunde lehren, daß diese planmäßig in Ruhe und Ordnung geräumt worden sind, wie das Fehlen von irgendwie belangreichen Gegenständen, seien es Waffen oder Geräte und das Aufhören der römischen Münzen in den meisten Orten mit der Zeit des Kaisers Arcadius beweisen.8 Das Bild, das die Notitia 1 Socrates V 11, 2. Ambrosius epist. 18, 21 (geschr. 384); 24, 4. 8 (gescbr. 387). V gl. S e e c k , Untergang V S. 498. S t e in , Spätröm. Reich I S. 311. Irrig S t e c h e , Mannus 31 (1939) S. 437. - A u f diese Alanen dürften einige Fundstücke aus dem rätischen Grenz­ kastell Gundremmingen zurückgehen; zu diesen zuletzt Z e i ß , Germania 17 (1933) S .2 7 5 ff. 2 Ambrosius de obitu Valentiniani c. 2. 4. 22. 23. Die hier gegebenen dunklen A n ­ deutungen lassen keine sicheren Schlußfolgerungen zu. Vgl. R a u s c h e n , Jahrbücher der christlichen Kirche unter Theodosius d. Gr. (1897) S. 361. S e e c k , Untergang V S. 240. Vielleicht ist bei dieser Gelegenheit die Stadt Chur in Flammen aufgegangen, vgl. S t ä h e lin S. 566. - Zur spätrömischen Alpenverteidigung Z e i ß , Germania 12 (1928) S. 26 ff. 3 Sulpicius Alexander bei Greg. Tur. hist. Franc. II 9. 4 Claudian. IV . cons. Hon. 439 ff. ; laud. Stilich. I 20. 189 ff. 216 ff; I I 186 ff; vgl. K o c h , Rhein. Museum 44 (1889) S. 592 f. B i r t zu Claudian S. X X I X . 5 Claud. in Eutrop. I 3 7 9 ff-; vgl. B i r t S. X X X I I I . « V gl. Bd. I 2 S. 133 f. 7 Am m ian. 3 0 ,3 , 7. Vgl. W o l f f , Chatten, Hessen, Franken (1919) S. 15. G u n d l a c h , Die Stammesgrenzen der Chatten = Hessen bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. (1929) S. 54 ff., zum Teil nicht zutreffend. 8 S t ä h e l i n , Schweiz S. 304 ff. H e u b e r g e r , Rätien I (1932) S. 121 ff. 250 ff.; K lio 30 (1937) S. 86. N e s s e l h a u f , A bh . d. Preuß. Akad. 1938, 2 S. 70 ff.

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Di e A la m a n n e n : Verteidigung der Pr ovi nz Rätien (401-430)

dignitatum von der Grenzverteidigung darbietet, trifft nachweislich nicht für das mutmaßliche Jahr der Schlußredaktion (425) zu, sondern hat zum größten Teil nur für eine weiter zurückliegende Zeit (um 390) Geltung. Mit jener Räumung war aber ein Verzicht der kaiserlichen Regierung auf die Reichsangehörigkeit der Provinzen nicht ausgesprochen. Daß wenig­ stens in Rätien die römische Autorität noch aufrechterhalten wurde, zeigen folgende Vorgänge: 401 kämpfte Stilicho erfolgreich gegen die dort ein­ gedrungenen Wandalen, Alanen und Sweben;1 409 wird ein Heermeister Generidus als Befehlshaber von in Rätien, Noricum und Oberpannonien stehenden Truppen erwähnt;1 2 430 warf Aetius die Juthungen aus Rätien hinaus, und es muß sich bei diesen Kämpfen um eine Aktion von nicht geringer Bedeutung gehandelt haben, da wenigstens drei voneinander un­ abhängige Quellen davon berichten.3 Daß damals schon, wie H e u b e r g e r annimmt, Alamannen in größerer Zahl über die Grenze gegangen seien, läßt sich m. E. nicht beweisen. Solche könnten nach Lage der Dinge nur als Militärkolonisten Aufnahme gefunden haben; doch fehlt darüber eine entsprechende Nachricht für Rätien und die Schweiz, während wir über Ufernoricum und Oberpannonien erfahren, daß damals dort Markomannen als Grenztruppen angesiedelt worden sind.4 Unter dem anonymen Bar­ barenvolk (gens), das nach der Notitia dign. oc. 35, 31 in Rätien unter dem Befehle eines zu Teriolis (Zirl) residierenden Tribunen stand, sind Kriegs­ leute verschiedener Herkunft, nicht, wie angenommen worden ist, eine ge­ schlossene Schar von Alamannen zu verstehen.5 Ebenso ist damals von einer dauernden Besetzung linksrheinischen g a l l i s c h e n Gebietes noch keine Rede. Wenn im Elsaß in den archäologi­ schen Funden ein Rückgang des römischen Einflusses seit Anfang des 5. Jahrhunderts bemerkbar ist, so wird das zurückzuführen sein teils auf die Abwanderung der sich bedroht fühlenden römischen Einwohner, teils auf die schon früher hier ansässig gewordenen, durch natürliche Ver­ mehrung erstarkten Germanen.6 Im Jahre 401 hatte Stilicho auch hier die römischen Truppen abkommandiert, um sie in Italien einzusetzen, und nur wenige derselben mögen in ihre Standquartiere zurückgekehrt sein. Diese Umstände veranlaßten die Alamannen, dem Beispiele der Bur­ 1 Bd. I 2 S. 103. 2 Zosim. V 46. 3 H ydat. c. 93. Chron. Gail. c. 106. Sid. Apoll, carm. V II 233. Vielleicht gehört hier­ her auch Jordanes Get. 176: qui (Aetius) superbam S u a v o r u m Francorumque bar­ bariem immensis caedibus servire Romano imperio coegisset. H e u b e r g e r , Rätien I S. 121 sucht ohne hinreichenden Grund die Bedeutung des Vorganges herabzusetzen; von panegyrischem Gepräge kann bei den beiden erstgenannten Stellen keine Rede sein. 4 Bd. I I 2 1 S. 185; Ztschr. f. Schweiz. Gesch. 18 (1938) S. 372 ff. 5 H e u b e r g e r , Rätien I S. 238 f. 6 Vgl. B e c k , Ztschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins N . F. 50 (1936/37) S. 261, 1.

E i n f a l l (406) und Landnahme (455) links des Rheins

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gunder, Wandalen, Alanen und Sweben zu folgen und das römische Gebiet heimzusuchen (406). Wie es scheint, war das Ziel der alamannischen An·* griffe wesentlich das Elsaß und die Pfalz. Unter den nach Hieronymus (ad Ageruchiam ep. 123, 16; geschr. 409) von den Germanen eingenommenen Städten dürften insbesondere Speyer und Straßburg auf die Rechnung der Alamannen zu setzen sein.1 Diese scheinen aber bald wieder, spätestens 409, auf Grund eines mit dem Gegenkaiser Konstantin III. geschlossenen Ver­ trags auf das rechte Ufer zurückgegangen zu sein; im Jahre 410 sandte Konstantin seinen Feldherrn Edobech „über den Rhein“ , um von den Alamannen und Franken Hilfe zu holen.1 2 Als 411 ein neuer Gegenkaiser in der Person des Jovinus erhoben wurde, gingen sie zu diesem über. Ala­ mannen, Burgunder, Franken und Alanen werden unter den Truppen auf­ geführt, die Jovinus nach Südgallien führte, wohin er das Schwergewicht seiner Herrschaft verlegte. 413 wurde er durch den Westgotenkönig Athaulf beseitigt; von den germanischen Hilfsvölkern, die er unter sich gehabt, blieben aber nur die Burgunder als römische Föderaten auf dem Boden Galliens, während die Alamannen, die man wohl nicht für zuver­ lässig hielt, in ihre rechtsrheinische Heimat zurückgeschickt wurden. Zweifellos gegen zu befürchtende Angriffe der Alamannen war die An­ siedelung ihrer Erbfeinde, der Burgunder, bei Worms gerichtet. Wenn wir für längere Zeit von Einfällen der Alamannen in das linksrheinische Gebiet nichts hören, so war das wohl zunächst der burgundischen Wacht am Rhein zu danken. Späterhin genügte der gefürchtete Name des Heermeisters Aetius, um etwaige Angriffsgelüste im Keime zu ersticken. Als Attila seinen berühmten Zug nach Gallien unternahm, scheinen die Alamannen eine den Römern wohlwollende Neutralität bewahrt zu haben, so daß der Hunnen­ könig gezwungen war, einen großen Umweg zu machen, um an den Rhein gelangen zu können.3 Erst nach dem Tode des Aetius (454) setzte die Aus­ breitung der Alamannen ein, aber jetzt in der umfassendsten und energisch­ sten Weise. Leider lassen uns die Quellen über die Einzelheiten fast ganz im Stich. Das erste Zeugnis für die Niederlassung am linken Rheinufer ist eine Stelle des Dichters Sidonius Apollinaris (carm. V II 372 ff., auf Avitus vom 1. Januar 456). Es heißt hier: Der Franke verheerte die Provinzen 1 Quidquid inter Alpes et Pyrenaeum est . . . Alamanni vastarunt. Moguntiacum . . . civitas capta . . . Vangiones . . . deleti . . . Nemetae, Argentoratus translatae in Ger­ maniam . . . Vgl. zum richtigen Verständnis dieser Stelle F o r r e r , Alsace S. 196. 2 Sozom. I X 13. Frigerid. bei Greg. Tur. hist. Franc. II 9. Vgl. hierzu und zum fol­ genden Bd. I 2 S. 134 f. und Germania 21 (1931) S. 265. - S t e c h e , Mannus 31 (1939) S. 437 f. behauptet ohne hinlänglichen Grund, daß die Alamannen auf dem linken Rhein­ ufer verblieben seien. 3 Alamannische Mannschaften sind weder im römischen noch im hunnischen Heere nachweisbar. Vgl. dazu Bd. I 2 S. 473.

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Di e A l a m a n n e n : Au s br eitu ng nach W e s t e n , Süden und Osten

Germania prima und Belgica secunda; du wilder Alamanne trankest aus dem Rhein auf dem römischen Ufer, und im Gebiet zu beiden Seiten des Stromes warst du Übermütiger entweder Bürger oder Sieger. Als der Kaiser Maximus diese Länder verloren sah, ernannte er dich, Avitus, zum magister utriusque militiae (455). Es heißt nun zwar weiter, die Ala­ mannen hätten auf die Nachricht von der Berufung des Avitus sofort durch Gesandte um Frieden gebeten; aber es ist nach Lage der Dinge kaum glaublich, daß sie wieder über den Rhein zurückgekehrt sind; zum minde­ sten hat sie Avitus in Gallien als Föderaten belassen müssen. Zunächst wurde das Elsaß (Alisaz, Sitz auf fremdem Boden)1 bis an die Vogesen über­ flutet; von da breiteten sich die Alamannen über die Pfalz und den süd­ lichen Teil von Rheinhessen aus.1 2 Nach dem Ravennatischen Geographen (IV 26), der hier die politischen Verhältnisse vor dem Jahre 496/97 wieder­ gibt, gehörte das Stadtgebiet von Worms den Alamannen. Weiter nord­ wärts war das linksrheinische Land seit 455 dauernd im Besitze der Fran­ ken. (Fränkisch waren nach dem Ravennaten die Städte Mainz, Bingen, Oberwesel, Boppard, Trier, Neumagen, Andernach, Remagen, Bonn, Köln usw.) Ganz unsicher ist es dagegen, ob die Alamannen auf dem rechten Rheinufer ihr Gebiet wieder nordwärts über den Neckar bis ins Main­ gebiet ausgedehnt haben. Die Deutung der beim Ravennaten als alamannisch bezeichneten Orte Ascapha als Aschaffenburg, Uburzis als Würzburg, Solist als Sulz an der Fränkischen Saale ist mehr als zweifelhaft; man hat vielmehr dieselben ebenso wie die anderen damit in Zusammenhang ge­ nannten auf schweizerischem Boden zu suchen (s. weiter unten). Vom Elsaß ferner in südwestlicher Richtung vordringend haben die Alamannen, ebenfalls nach dem Ravennaten, die Gegend um Langres, Besançon, Mandeure gewonnen, jedoch bald wieder, um 480, an die Burgunder verloren (vgl. Bd. I 2 S. 144). In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts sind Alamannen ( Juthungen ?) auch in das Flachland der Provinz Raetia II vorgestoßen. Zur Zeit des heil. Severinus suchten sie in wiederholten Kriegszügen die Grenzorte Quintanis (Künzing) und Batavis (Passau) heim und bedrohten sogar Lauriacum (Lorch bei Enns). Als ihr König wird Gibuld genannt, der 1 Diese herkömmliche Deutung des Namens Elsaß wird von H e r r in der Ztschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins N . F. 29 (1914) S. 1 ff. in Zweifel gezogen; die Bezeichnung des Landes sei vielmehr vorgermanischen Ursprungs. — Nach M e n t z , Jahrbuch f. Gesch. Elsaß-Lothringens 32 (1916) S. 2 ff. Fremdsitz, so von den fr ä n k is c h e n Beamten und Bauern genannt. Zuletzt B i n z , Ztschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins N . F. 46 (1932) S. 109 ff. M e n tz a. O. N . F. 48 (1934) S. 117 und N . F. 50 (1936) S. 705. 2 Nach S t e c h e , Saarpfälz. Abhdl. z. Land- u. Volksforsch. II (1938) S. 24 u. 34, wäre sogar Trier zwischen 475 und 486 von Alamannen erobert worden. Indessen ist die Voraussetzung dafür, der comes Treverorum Arbogast sei ein römischer Beamter gewesen, nicht zutreffend. Vgl. auch C h r i s t m a n n , Saarpfälz. Abhdl. I I I (1939) S. 149.

B es ied l un g der Nordschwei z

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einen förmlichen Königshof bewohnte - daß dieser in Regensburg zu suchen sei, ist eine ganz unbegründete Annahme - , Beamte unter sich hatte, des Lesens und Schreibens kundig und wenn auch wohl nicht Christ doch christenfreundlich war.1 Aber zu einer alamannischen Landnahme in größerem Umfang ist es östlich der Iller nicht gekommen, wenn auch einzelne Trupps im Lande geblieben sein mögen. In der Zeit bis zur Ein­ wanderung der Baiera (vgl. Bd. II l 1 2 S. 196) haben die Alamannen den Strich zwischen Iller und Lech besiedelt und späterhin behauptet. Eine schwächere Ausbreitung östlich des Lechs, welche aus Bodenfunden und mundartlichen Eigentümlichkeiten erschlossen worden ist,2 hat auf die Festlegung der historischen Lechgrenze im 6. Jahrhundert keinen Einfluß gehabt. Streitig ist es, wann die Alamannen in den Besitz der Nordschweiz ge­ langt sind. Daß dies schon um 443 der Fall gewesen, darf aus der Ansied­ lung der Burgunder in der Sapaudia nicht geschlossen werden, wie Bd. I 2 S. 139 bemerkt wurde. Im Jahre 457 beherrschten sie die Straße, die von Bregenz über Chur und den Splügen nach Italien führte. Wir erfahren davon aus dem Ende 458 verfaßten Panegyrikus des Sidonius auf den Kaiser Majorian (carm. Y 373ff.): Der trotzige Alamanne hatte die Alpen auf einem Passe der Räter überschritten und 900 Mann nach der nach dem Namen des Canus benannten Ebene (die schon früher erwähnten campi Canini bei Bellinzona) wohl über den San Bernardino entsandt. Du schicktest dorthin den Burco mit geringer Mannschaft; aber das ge­ nügt : wenn du zu kämpfen befiehlst, ist uns der Sieg sicher. Da der Dichter nur von einem Erfolge der Römer über das kleine Detachement der Ala­ mannen berichtet, ist es wahrscheinlich, daß die Hauptmasse derselben unbehelligt mit ihrer Beute wieder heimgekehrt ist. Handelte es sich auch hier nur um einen Kriegszug, der keine Seßhaftmachung in der Umgebung jener Straße zur Folge hatte, so darf man doch den Beginn der alamanni­ schen Besiedlung der Schweiz überhaupt ungefähr in dieselbe Zeit setzen.3 Die archäologische Forschung hat freilich bis jetzt keine ein­ 1 Vita Sev. c. 19. 25. 27. 31. Die Interpretation bei H e lb o k , Grundlagen S. 306 f. u. 578 ist zum Teil fehlerhaft. - Der Alamannenkönig Gebavult in der vita Lupi Trecensis (M. G. SS. Merov. III 123 c. 10) ist Erfindung, hat mit diesem Gibuld nichts zu tun. 2 Vgl. oben Bd. II l 2 S. 195. R i e z l e r , Gesch.Baierns I 2 S. 88 ff. 132 ff. Z e iß , Bayer. Vorgeschichtsblätter 15 (1938) S. 49. Daß der Swebenkönig Hunimund, der 469 mit den Ostgoten in Ungarn kämpfte, kein Alamanne war, wurde früher (Bd. I 2 S. 274ff.) aus­ führlich dargelegt. Der Germanenführer Hunumund, der nach vita Sev. c. 22 Passau überfiel, ist mit jenem nicht identisch. 3 Unverständlich ist, wie man die Angabe des am Ende des 4. Jahrhunderts lebenden Virgilkommentators Servius, Georg. IV 278 (Mella fluvius Galliae . . . unde et Amello dicitur; sicut etiam populi habitantes iuxta Lemannum fluvium Alemanni dicuntur) für die Ausdehnung alamannischer Siedelungen bis nach Savoyen hinein verwenden kann

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Die A l a m a n n e n : Der Geograph von Ravenna

deutigen Ergebnisse für die Entscheidung dieser Frage zu liefern ver­ mocht.1 Und es steht zwar fest, daß das von den Alamannen zuerst be­ siedelte Gebiet sich mit demjenigen deckt, dessen Orts- und Flußnamen durch die vollzogene Lautverschiebung gekennzeichnet sind, "wie Solo­ thurn (Salodurum), Zihl (Tela), Thun (Dunum), Zürich*1 2 (Turicum), Eschenz (Tasgaetium), Winterthur (Yitudurum), Thur (Dura), während die An­ siedelung in den Gegenden mit unverschobenem Lautstand erst später er­ folgte; doch ist es auch sicher, daß dieser sprachliche Vorgang sich auf den großen Zeitraum von der Mitte des 5. Jahrhunderts bis zum Anfang des 7. Jahrhunderts erstreckte. Genau datiert ist allein die 506 erfolgte Niederlassung von Alamannen in der rätischen Schweiz, worüber weiter unten zu sprechen ist.3 Eine vielumstrittene Quelle für den Umfang des alamannischen Ge­ bietes in älterer Zeit ist das auf einer Straßenkarte beruhende Werk des anonymen Ravennater Geographen. Unter Benutzung eines „gotischen“ , d. h. wohl westgotischen, im 7. Jahrhundert lebenden Schriftstellers (Philo­ sophen) Aithanarit (Anarid), der aber wiederum ältere Quellen benutzt hat, gibt es folgende Beschreibung:4 Die patria Suavorum quae et Ala­ mannorum patria grenzte hiernach im Süden an Italien (d. h. an den Hauptkamm der Alpen), im Osxen (durch die um Nürnberg ansässigen Juthungen) an Thüringen (das nach dem Rav. noch das Land um Nab und Regen umfaßte), im Norden und Westen an Franken, im Südwesten an Burgund. Folgende Städte werden als in Alamannien gelegen auf­ geführt: 1. An einer unmittelbar am linken Rheinufer und Südufer des Bodensees laufenden Straße: Gormetia (Worms), Altripe (Altrip), Sphira (Speyer), Porza (Pforz), Argentaria-Stratisburgo, Brezecha (Breisach; vgl. oben S. 47), Bazela (Basel), Augusta (Basel-Augst), Caistena (Kaisten), (H o o p s , Waldbäume S. 436 f.). Servius hat doch offenbar nur wegen der Namensähnlich­ keit die Alamannen mit dem Lemannus zusammengebracht. (Ob er wirklich den Genfer See gemeint hat, ist überdies fraglich, da er von einem fluvius spricht.) Möglich ist es, daß kriegsgefangene Alamannen in jener Gegend durch Julian angesiedelt worden sind, aber es liegen dafür nicht die geringsten Beweise vor, vgl. auch S t ä h e l i n , Schweiz S. 309. 1 T a t a r i n o f f , Jahrbuch für Solothurnische Geschichte V I I (1934) S. 11 ff. Vgl. H e u b e r g e r , Klio 30 (1937) S. 86. S c h u m a c h e r , Siedel. III S. 37. - Immerhin ist be­ achtenswert, daß alamannische Gräber mit Funden aus der Zeit um 500 nur am Ober­ rhein, nicht weiter südlich auftreten. Vgl. W e r n e r , Münzdatierte austrasische Grabfunde (1939) S. 3 3 ,1 (Basel-Golterbarmweg, Kleinhüningen). 2 Vgl. B r u c k n e r in : V ox Romanica I (1936) S. 235 ff. Ebenda S. 246: Die Z-Formen Zürich, Ziehl, Cherzers sind die Eckpfeiler im Osten und W esten des Gebietes, das die Alamannen besetzt haben. 3 Vgl. zum folgenden L. S c h m i d t , Ztschr. f. Schweiz. Geschichte 18 (1938) S. 369ff. mit weiterer Literatur. 4 IV 26. Neue Ausgabe von S c h n e tz in: Itineraria Romana II (1940) S. 61.

Der Geograph von Rave nna

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Cassangita ( ? ) , Wrzacha (Zurzach), Constantia (Konstanz), Rugium ( ? ) , Bodungo (Bodm an?), Arbore felix (Arbon), Bracantia (Bregenz). 2. An einer in der Umgebung von Straßburg beginnenden, landeinwärts laufen­ den Straße (item supra scriptam civitatem Stratisburgo) : Alaia (Ehl), Chorust (Horburg?), Ziaberna (Zabern), Frincina (Napoleonsinsel bei 111zach ?),* Aon ( ?), Laguirion ( ?), Brara ( ?), Albisi ( ?), Ziurichi, Duebon ( ?), Crino ( ? ) , Stafulon ( ? ) , Cariolon ( ? ) , Thedoricopolis, Yermegaton. 3. An einer Straße anderwärts (ad aliam partem) : Augusta nova, Rizinis, Turigoberga, Ascis, Ascapha, Uburzis, Solist. Bei Str. 2, soweit außerhalb des Elsasses gelegenes Gebiet in Betracht kommt, kann es sich wohl nur um eine ausgebaute Römerstraße, die in westöstlicher Richtung durch die Nordschweiz ging, den von Basel aus­ gehenden, über Windisch—Winterthur—Pfin—Arbon nach Bregenz laufen­ den Heerweg handeln. Da Zürich nicht an einer großen Straße lag,1 2 kann Ziurichi, womit anscheinend die schweizerischen Orte beginnen, nicht, wie es an sich nahe läge, mit Zürich gleichgesetzt werden; es wird Zurzach ge­ meint sein, der Ausgangspunkt der die Straßen 1 und 2 verbindenden, in Windisch einmündenden nordsüdlichen Route. Duebon könnte entstanden sein aus (Vitu) Durum. Der Endpunkt Vermegaton ist am wahrscheinlich­ sten als eine Verstümmelung des Namens Brigantium der Vorlage zu er­ klären. The[o]doricopolis wäre dann nicht, wie angenommen worden ist, Chur oder Vindonissa, sondern im Bodenseegebiet zu suchen, vgl. weiter unten. Von den Orten der Straße 3 ist sicher nur Augusta nova, d. i. Kaiser­ augst, nicht Augsburg;3 die anderen Namen spotten jeder Lokalisierung; sie werden sowohl in der Schweiz (Solist = Solothurn ?) wie in Süddeutsch­ land (die Gleichsetzung von Ascapha, Uburzis mit Aschaffenburg und Würzburg ist abzulehnen) gesucht.4 Während die Ansetzung der Nord­ grenze gegen die Franken zwischen Worms und Mainz auf eine Quelle aus der Zeit vor 496/97 hinweist, kann der Name Theodoricopolis nur einer Aufzeichnung entstammen, die nach 505 (aber vor 537) fällt, vgl. weiter unten. - Dagegen gehört die von Cassiodor bei Jordanes Get. 280 gegebene Beschreibung der geographischen Lage des Alamannenlandes der Zeit zwi­ schen 496/97 und 526/33 an, wie schon Bd. II l 2 S. 195 bemerkt wurde. Und auf noch spätere Verhältnisse, die des 8. Jahrhunderts, bezieht sich die Angabe des Paulus Diaconus hist. Lang. II 15, wonach Suavia h. e. Alamannorum patria im Norden der beiden rätischen Provinzen gelegen 1 Vgl. C u n t z , Ztschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins N . F. 12 (1897) S. 445 ff. 2 S t ä h e li n , Schweiz2 S. 353. 3 Schon 1913 nachgewiesen von L. S c h m i d t , Westdeutsche Ztschr. 32 S. 375. 4 Übersicht einer Reihe von älteren Deutungen bei S c h u m a c h e r , Siedel. III S. 78 f. P a r e t , Die frühschwäbischen Gräberfelder von Groß-Stuttgart und ihre Zeit (1937) S. 117, wiederholt nur frühere Vorschläge. L. S c h m i d t , Ztschr. f. Schweiz. Gesch. 18, 379.

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Di e A la m a n n e n : Z u s a m m e n s t o ß mit den Franke n

habe; ein Zeugnis für die Ausdehnung der alamannischen Herrschaft über die schwäbisch-bairische Hochebene im 5. Jahrhundert liegt hier nicht vor.1 Wertlos ist, was Prokop bell. Goth. I 12, 11 von den „Schwaben un d Ala­ mannen“ sagt, die er als a u t o n o m e Völker bezeichnet und ü b e r den Thoringern wohnen läßt ; eine vor 496 verfaßte Quelle liegt hier schwerlich zugrunde.1 2 Daß in den letzten Jahren des 5. Jahrhunderts die Alamannen auf der linken Rheinseite noch über Worms hinaus nach Norden vordrängten, er­ fahren wir aus der Tatsache, daß zwischen ihnen und den Ripuariern unter Sigibert bei Zülpich eine Schlacht geschlagen wurde. Die näheren Um­ stände, unter welchen der Zusammenstoß stattfand, hat uns der einzige Gewährsmann,^ Gregor von Tours II 37, leider nicht überliefert. Es wird sich dabei nur um einen vorübergehenden kriegerischen Vorstoß, nicht um ein Vorschieben von Siedelungen handeln; aus den Ortsnamen läßt sich jedenfalls ein zwingender Beweis für das letztere nicht erbringen. Ebenso­ wenig ist eine damals erfolgte kolonisatorische Tätigkeit der Alamannen größeren Stiles westwärts über die Vogesen hinaus nachzuweisen.3 Die Besiedelung Lothringens ist wesentlich ein Werk der Franken gewesen.4 Andere Alamannenniederlassungen im Inneren Galliens gehen in der Hauptsache auf die Ansiedelung von Kriegsgefangenen durch die römischen Kaiser zurück.5 Selbst im Oberelsaß, im Sundgau, ist das germanische Element erst sehr spät vorgedrungen.6 Wie es scheint nicht lange nach der Begegnung mit den Ripuariern, wurde die Macht der Alamannen durch die unter Chlodowechs Führung vereinigten Franken für immer gebrochen und damit die Frage entschieden, welchem der beiden großen Stämme die Herrschaft über Gallien zufallen sollte. Wir besitzen im wesentlichen hierüber nur die dürftigen Angaben in drei Quellen: Ennodius, Panegyrikus auf Theoderich c. 15; Theoderichs Brief an Chlodowech in Cassiodors Varien 1141; Gregor von Tours hist. Franc. II 30, die aber verschiedene Deutungen zulassen und den Anlaß zu zahlreichen, in ihren Ergebnissen stark voneinander abweichenden Unter­ suchungen gegeben haben. In dem wohl 506 verfaßten Panegyrikus des Ennodius heißt es, Theoderich habe Alamanniens Gesamtheit innerhalb 1 Vgl. L. S c h m i d t , Ztschr. f. bayer. Landesgesch. 10 (1937) S. 14. H e u b e r g e r , Klio 30, 91. 2 Vgl. L o t , Revue historique 165 (1930) S. 243. 3 Vgl. B ü t t n e r , Ztschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins N . F. 50 (1936) S. 371. 4 Ganz verfehlt sind die Ausführungen von W o l f r a m , Zur Geschichte der Einfüh­ rung des Christentums in Lothringen: Historische Aufsätze A . Schulte zum 70. Geburts­ tag (1927) S. 6 ff. 6 G a m i l l s c h e g , Romania Germanica I S. 121. 130. 6 B r u c k n e r , Germanisch-romanische Monatsschrift 1924 S. 13. R i s c h , Beiträge zur romanischen Ortsnamenkunde des Oberelsaß (1932) S. 73.

Die Quellen f ü r Chlodowechs A l a ma n ne n s i e g (497)

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der Grenzen Italiens eingeschlossen ohne Beeinträchtigung des römischen Besitzstandes; es sei ihr jetzt wieder ein König zuteil geworden, nachdem sie den ihrigen verdientermaßen verloren. Sie, die immer als Verwüsterin des römischen Reiches aufgetreten, sei jetzt dessen Hüterin geworden. Die Flucht aus ihrer Heimat sei ihr zum Heile geworden, sie habe jetzt den reichen römischen Boden zur Bebauung erhalten. Das bisher in Sumpf­ gegenden ohne feste Wohnstätten hausende Alamannenvolk sei nunmehr in den Besitz dauernder Ansiedelungen gelangt. Sein Schreiben an Chlodowech beginnt der Ostgotenkönig mit dem Ausdruck der Freude über die ruhmreiche Verwandtschaft, „weil Ihr das bisher friedfertige Volk der Franken zu neuen Kämpfen geführt und die Alamannici populi überwunden habt“ . Aber Chlodowech möge sich mit der Bestrafung der Urheber des Treubruchs (auctores perfidiae; primarii) begnügen und seinen Zorn gegen die erschöpften Reste der an dem Treubruch Beteiligten, „die sich unter den Schutz Eurer Verwandten gestellt haben“ , mäßigen. Er möge ferner milde sein gegenüber denen, „die sich innerhalb der Grenzen des ostgotischen Reiches erschreckt verbergen“ . Er solle sich damit zu­ frieden geben, daß der Alamannenkönig mit der Blüte des Volkes den Untergang gefunden habe und daß der zahlreiche Stamm teils getötet, teils unterworfen worden sei. „Denn wenn Du auch noch mit den übrigen kämpfest, wird man Dir nicht glauben, daß Du die Gesamtheit über­ wunden hast.“ Chlodowech möge ihm gewähren, was selbst das Heidentum (gentilitas)1 sich zuzugestehen pflege; zeige er sich bereit, auf Theoderichs Wünsche einzugehen, so werde dieser ihm nicht entgegentreten (nec sitis solliciti ex illa parte quam ad nos cognoscitis pertinere). Der Ostgoten­ könig schlug weiterhin vor, die Angelegenheit auf diplomatischem Wege ins reine zu bringen. Das Schreiben fällt vor den westgotisch-fränkischen Krieg 507, aber nach den 1. September 506, den frühesten möglichen Ter­ min für die Ansetzung der Quästur Cassiodors, vgl. v a n de V y v e r , Revue belge de philologie et d’histoire 16 (1937) S. 70, vgl. d e n s e l b e n 17 (1938) S. 793 ff., also ins Jahr 506. - Nach Gregor kam es irgendwo mit den Ala­ mannen zu einem Zusammenstoß, der anfänglich zuungunsten der Franken auszufallen schien. Als aber Chlodowech gelobte, zum Christentum über­ zutreten, wichen die Alamannen zurück und zeigten, über den Tod ihres Königs bestürzt, ihre Unterwerfung an. Als Zeit der Schlacht wird das 15. Jahr Chlodowechs (496/97) angegeben. Dieses Datum fehlt in wichtigen Handschriften und scheint ein späterer, aber von Gregor selbst herrühren­ der, aus unbekannter Quelle stammender Zusatz zu sein; vgl. K r u s c h , Neues Archiv 49 (1930) S. 465 und zu seiner Gregorausgabe S. 76. Von 1 Vgl. hierzu H a s e n s t a b , Studien zu Ennodius (1880) S. 57. R u p p e r s b e r g , Bonn. Jahrb. 101 (1897) S. 57.

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Di e Al a ma n ne n : Di e Quellen f. Chlodowechs A l a m an n e n s i eg

den Ausschreibem Gregors enthält Fredegar III 21 (geschr. nach 624) den selbständigen aus mündlicher Tradition stammenden Zusatz, die Ala­ mannen seien nach ihrer Niederlage neun Jahre heimatlos und hilfesuchend umhergeirrt, bis sie sich den Franken unterwarfen. In der Biographie des heiligen Yedastes, die nach Krusch von Jonas von Susa oder einem seiner Nachahmer um 640 verfaßt ist, wird abweichend von Gregor berichtet, daß der Alamannenkönig mit seinem Volke sich den Franken unterworfen habe; selbständig ist eingefügt, daß die Gegner sich auf beiden Seiten des Rheins gegenüberstanden und daß Chlodowech sich nach errungenem Siege nach Toul begab.1 Es liegt nicht der geringste Grund zu der An­ nahme vor, daß dem Biographen nehen Gregor noch gute andere Quellen zu Gebote gestanden hätten. Die ersterwähnte Abweichung erklärt sich hinreichend aus flüchtiger Benutzung der Vorlage; die Schilderung der Schlacht ist völlig verworren und spottet jeder vernünftigen Auslegung;das Itinerar Chlodowechs nach dem Siege ist aus den Örtlichkeiten er­ schlossen, zu denen der Heilige Beziehungen hatte.1 2 Man wird also mit Krusch auch dieser Darstellung jedes Gewicht absprechen müssen. — Es treten noch hinzu Agathias I 6, wo es heißt, der Ostgotenkönig Theoderich habe, als er ganz Italien beherrschte, das Alamannenvolk sich tribut­ pflichtig gemacht, sowie der Erlaß Theoderichs an die Noriker, worin diese aufgefordert werden, ihre Ochsen mit den durch langen Marsch erschöpften Zugtieren der Alamannen zu vertauschen (Cass. var. III 50). (Eine Stelle in dem Briefe des Avitus 46, wo Chlodowechs Mitleid gegen ein erst neu­ lich von ihm aus der Gefangenschaft befreites Volk gepriesen wird, ist nicht auf die Alamannen zu beziehen; es ist der Loskauf von katholischrömischen Kriegsgefangenen gemeint.)3 Deutlich ist nur von ein er entscheidenden Schlacht die Rede; die An­ nahme, daß der von Gregor erwähnten eine zweite zu Anfang des 6. Jahr­ hunderts gefolgt sei, ist völlig unbegründet; Gregors und Cassiodors Worte beziehen sich auf den nämlichen Zusammenstoß, wie die Erwähnung des Todes des Königs bei beiden lehrt. Ferner ist die ältere Annahme, daß Chlodowech nur mit einem Teile der Alamannen gekämpft habe, nicht aufrechtzuerhalten; die Niederlage hat vielmehr den ganzen Stamm be­ troffen. Als Jahr ist 496/97 oder genauer 497 festzuhalten;4 die Angabe 1 Mon. Germ. SS. rerum Meroving. I I I S. 406 f. 2 Quo cum venisset ab utroque acies et nisi obvium hostem habuisset, Reni alveum transire vellit, cumque ergo utrumque hostium chunei adstarent, et tam Franci quam Alamanni ad mutuam caedem inhierent, commisso proelio ita vehemens terror Chlodovci animum obrepserat, ut in ea pugna seviendi finem horrenda anxietate trucinaret. 3 V gl. V . d. S t e i n e n , Mitteilungen des österr. Instituts f. Geschichtsforschung, E rg.Bd. 12 (1932) S. 488. Derselbe, Histor. Jahrb. 53 (1933) S. 58. 4 V . d. S t e in e n , M itt. S. 465. Jahrb. 53 (1933) S. 64. Es liegt kein Grund vor, daran zu zweifeln, daß der Sieg Chlodowechs über die Alamannen der Anlaß zur Bekehrung ge­

Die Folgen des Sieges

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Gregors: ,,im 15. Jahre Chlodowechs“ , braucht nicht willkürlich errechnet zu sein, wie ja auch die gleichzeitige Datierung der Schlacht von Vouglé II 37 das Richtige trifft. Eine Stütze für jenes Jahr darf man finden in der erwähnten Notiz Fredegars, daß die Alamannen neun Jahre nach der Niederlage bei den Franken (vielmehr bei den Ostgoten) Aufnahme fan­ den, was im Jahre 505 geschah (vgl. weiter unten). Den Schauplatz der Schlacht nennt keine Quelle, und es ist aussichtslos, ihn zu ermitteln. Neuerdings ist wieder v a n de V y v e r a. O. S. 85 nach dem Vorgänge von R u p p e r s b e r g (Bonner Jahrbücher 101 [1897] S. 51 ff.) für die Identität mit der oben erwähnten Schlacht bei Zülpich eingetreten, ohne jedoch ent­ scheidende Argumente beibringen zu können; man wird richtiger beide Schlachten auseinanderzuhalten haben. Beteiligt waren nicht bloß die unter Chlodowechs Herrschaft stehenden Franken, sondern vor allem die den Alamannen benachbarten Rhein- und Moselfranken; wenn in der Überlieferung der Salierkönig als alleiniger Kriegführender erscheint, so erklärt sich dies aus seiner überragenden Persönlichkeit und wohl auch daraus, daß er tatsächlich die oberste Leitung in seine Hand genommen hatte. Daß derselbe auf seiten der übrigen Franken stand, ist angesichts der engen Beziehungen, die von jeher zwischen den verschiedenen, den Frankennamen tragenden Völkerschaften bestanden, leicht begreiflich. Über den direkten Anlaß zu dem Feldzuge sind wir völlig im Dunkeln. Man darf vermuten, daß die Franken die Angreifer waren; hätten die Ala­ mannen die Schuld an dem Ausbruche der Feindseligkeiten gehabt, so würde wohl Gregor von Tours nicht unterlassen haben, dies hervorzuheben. Aus den Worten des Ennodius, daß der Alamannenkönig sein Schicksal verdient habe (cui evenit habere regem, postquam meruit perdidisse), läßt sich kein sicherer Schluß ziehen. Das Ergebnis der Schlacht war, daß das gesamte Alamannenland unter fränkische Herrschaft kam. Ein Teil des­ selben mußte von den bisherigen Bewohnern geräumt und fränkischen Siedlern überlassen werden, so daß fränkische Sprache und Eigenart zur alleinigen Geltung gelangten.1 Es handelt sich um den Landstrich jenseits der Nordgrenze des fränkischen Herzogtums Alamannien: diese lief vom Hesselberg bei Wassertrüdingen im Osten über den Hohenberg bei Ellwesen is t; e9 würde das der religiösen Einstellung der Germanen entsprechen. Zur Zeit­ bestimmung der Bekehrung kommen aber folgende Erwägungen in Betracht. Chrodehilde hatte v o r d e r s e lb e n zwei Söhne von Chlodowech: 1. Ingomer, der früh nach der Taufe starb, 2. Chlodomer, der 524 gegen die Burgunden fiel (Greg. Tur. II 29. III 6). Chlodomer hinterließ drei Kinder, wird also sehr wahrscheinlich vor 500 geboren sein, so daß die Heirat Chrodehildes in die neunziger Jahre des 5. Jahrhunderts zu setzen ist, keinesfalls, wie van de Vyver will, eret etwa 503. 1 M it einem gewissen Zurückbleiben alamannischer Reste rechnet G u n d la c h , Die Stammesgrenzen der Chatten-Hessen bis zum 8. Jahrhundert (1929) S. 67 f.

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Die Al amanne n : E i n g r e i f e n Theoderichs

wangen nach dem Lemberg bei Affalterbach und dem Hohenasperg, von da mit einer südlichen Ausbuchtung, die den nördlichen Schwarzwald noch den Franken zuwies, in die Gegend der Hornisgrinde, von hier die Oos entlang über den Rhein und von da den Selzbach aufwärts nördlich vom Hagenauer Forst bis zum Kamme der Vogesen.1 So ist die herrschende An­ sicht, die an sich viel Wahrscheinlichkeit für sich hat, aber auf einer keines­ wegs sehr festen Grundlage beruht. Wenn es auch keinem Zweifel unter­ liegt, daß in jenem Gebiet vorher Alamannen gesiedelt haben,1 2 wie sich aus den Bodenfunden3 sowie aus dem Zeugnis des Ravennater Geographen ergibt, so ist es doch nicht sicher, ob die Räumung als die Folge der Schlacht von 497 anzusehen und nicht vielmehr zu einer anderen Zeit und unter anderen Verhältnissen erfolgt ist. Dagegen würde die ungewöhnliche Härte jener Maßregel sprechen.4 Daß die Katastrophe noch ein Nachspiel hatte, dürfen wir aus dem Schreiben Theoderichs an Chlodowech entnehmen.5 Der Anlaß hierzu kann nur in Vorgängen gesucht werden, die nicht lange vorher stattge­ funden hatten, also etwa im Jahre 505. Die Erwähnung einer perfidia, die die Alamannen gegenüber den Franken sich hatten zuschulden kommen lassen, deutet darauf hin, daß neun Jahre nach der großen Schlacht ein Versuch unternommen worden ist, die fränkische Herrschaft abzuschütteln. Derselbe wurde blutig unterdrückt; die Überlebenden riefen teils die Ver­ mittlung des Ostgotenkönigs an, teils traten sie sogleich auf ostgotisches Gebiet über. Chlodowech scheint die Absicht gehabt zu haben, die Flüch­ tigen dorthin zu verfolgen; Theoderich aber deutete an, daß jener dann auf bewaffneten Widerstand stoßen werde. A u f nichts anderes als auf die 1 V gl. über die sich m it der politischen im wesentlichen deckenden alamannischfränkischen Sprachgrenze B e h a g h e l, Gesch. d. deutsch. Sprache4 (1916) S. 5 3 ff. nebst K arte, sowie B r e m e r in der H ist. Vierteljahrsschr. V (1902) S. 34 3 : ,,D ie Sprachgrenze läuft von dem schwäbischen Dinkelsbühl zwischen W ildenstein und Deufstetten, Stim pfach und Jagstzell, Obersontheim und Bühlerthann, Fischbach und Geifertshofen, Unterroth und Sulzbach hindurch, dann nördlich von Murrhardt, Rietenau und Mundelsheim, westlich des Neckars nördlich von Bissingen und östlich und südlich von Calw zur Hornis­ grinde und über Baden-Baden zur Nordgrenze des Elsaß.“ W e l l e r , Besiedelungsgesch. S. 146. 2 W as H e l b o k , Grundlagen der Volksgeschichte Deutschlands und Frankreichs (1937) S. 290, für eine starke alamannische Landnahme in diesem Gebiet während des 4. Jahrhunderts anführt, beweist die These ebensowenig wie die Vermutung S. 296, daß hier der im K a m p f getötete Alamannenkönig geherrscht habe. 3 V g l.V e e c k , Die Alamannen in W ürttem berg (1931) S. 116, und in : W ürttem bergs Vergangenheit (1932) S. 80 (Alamannische Keramikfunde in der Rheinpfalz und Rhein­ hessen). Die aus der fränkischen Zeit bekannte Abgabe der Ostarstuofa in den Main­ gegenden hat mit der Unterwerfung der Alamannen nichts zu tun, vgl. u. a. D a h n , Könige I X 1 (1902) S. 581. B r u n n e r , Rechtsgeschichte I I 2 S. 318 ff. 4 Vgl. G ra d m a n n , Süddeutschland I (1930) S. 95. 5 L. S c h m i d t , Ztschr. f. Schweiz. Gesch. 18, 375 ff.

Die ostgotische Nordgrenz e

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Aufnahme der flüchtigen Alamannen innerhalb der gotischen Grenzen ist auch bei Ennodius Bezug genommen; weder bei diesem noch bei Cassiodor ist von der Angliederung alamannischen Yolksgebietes an das ostgotische Reich die Rede. Dasselbe gilt für die Angabe des Agathias. Der Ausdruck des Ennodius Alamanniae generalitas ist natürlich rhetorische Über­ treibung. Die neuerdings wieder vertretene ältere Ansicht, Theoderich habe das ganze Alamannenland südlich der fränkisch-alamannischen Sprachgrenze einschließlich des Elsasses (so E be r l) oder wenigstens das frühere Dekumatland (so H e l b o k ) seinem Reiche einverleibt bzw. seiner Schutzherrschaft unterstellt, läßt sich nicht aufrechterhalten.1 Sicher gehörte zum ostgotischen Gebiete seit etwa 490 der alpine Teil der beiden rätischen Provinzen. Die Westgrenze von Raetia I lief vom Westende des Bodensees, vielleicht noch Winterthur einschließend, zwi­ schen Zürich- und Wallensee nach Süden. Da Theoderich sich zunächst mit der Wiederherstellung der alten italischen Präfektur befaßte, zu der jene Provinzen gehört hatten, ist es nicht wahrscheinlich, daß er seine Herrschaft noch weiter westlich über den östlichsten Teil der Provinz Maxima Sequanorum, die zur gallischen Präfektur gehörte, ausgedehnt hat, um so weniger, als die Verfügung über die schweizerische Oberrhein­ linie für die Sicherheit Italiens gegen Einfälle von Norden her keine un­ bedingte Notwendigkeit darstellte. Dann wird auch unter dem von Cassio­ dor var. 12, 4 als i n l ä n d i s c h e s Gericht der königlich ostgotischen Tafel erwähnten, vielbesprochenen anchorago die im A l p e n r h e i n vorkommende Rheinanke, nicht wie auch möglich der Lachs, der nicht über Schaffhausen hinaufgeht, zu verstehen sein. Jedenfalls war Windisch nicht gotisch; denn Theoderich würde nicht die Teilnahme des dort residierenden Bischofs Bubulcus am burgundischen Konzil von Epao 517 zugelassen haben, angesichts des gespannten Verhältnisses, das gerade zu dieser Zeit zwischen den Ostgoten und Burgundern bestand. Der Gotenkönig nahm die flüchtigen Alamannen mit Freuden auf, nicht aus Humanität oder aus besonderer Freundschaft für den Stamm überhaupt, sondern aus eigenem Staatsinteresse; denn er brauchte Kolonisten und Soldaten, wie auch Ennodius hervorhebt, um die entvölkerten Grenzländer seines Reiches zu bebauen und gegen äußere Feinde zu schützen. Mit den Vorbereitungen für den westgotischen Krieg beschäftigt, gab Chlodowech nach und ließ wenigstens die ostgotischen Alamannen unbehelligt. Aber vielleicht als Gegenzug gegen jenen Schritt Theoderichs hat der Frankenkönig damals den Teil des alamannischen Gebietes von Windisch bis zur rätisch-gotischen Grenze seinem neugewonnenen burgundischen Bundesgenossen ab­ 1 D aß die vielbesprochenen Augustanae elusurae nicht in Augsburg zu suchen sind, darüber ist sich wohl die ernsthafte Forschung einig.

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Die A l a m a n n e n : A n s i e d l u n g im Ostgotenreich

getreten; daß im Jahre 517 Windisch zum burgundischen Reiche gehörte, wird man nicht bestreiten dürfen. Das Ansiedelungsgebiet jener Alamannen kann man nur in dem zur Provinz Raetia I gehörigen Teile der Schweiz um den Bodensee suchen, wie denn auch Ennodius sagt, daß sie innerhalb der Grenzen Italiens, d. h. der italischen Präfektur, eingeschlossen worden seien und daß ihre Ansiedelung erfolgte ohne Beeinträchtigung des römi­ schen Besitzstandes, d. h. ohne Enteignung der ansässigen romanischen Bevölkerung, die sich dort noch lange gehalten hat.1 In dieser Gegend lag nach dem Ravennaten der Ort Theodoricopolis,1 2 wohl der Hauptort der alamannischen Siedelungen, der gemäß seiner Namensform nur nach dem Ostgotenkönig Theoderich benannt sein kann. Es waren ohne Zweifel die­ selben Alamannen, von denen Theoderich um 507 einen Teil nach Pan­ nonien zum Schutze dieser neugewonnenen Provinz abkommandierte, wie wir aus dem Erlaß Cassiod. var. III 50 entnahmen, wonach die Provin­ zialen von Noricum die wegemüden Rinder durchziehender Alamannen mit den eigenen auswechseln sollten.3 Die Rechtsstellung der alamannischen Angehörigen des gotischen Reiches ist aus der Überlieferung nicht klar ersichtlich. Die Steuer (φόρος), die nach Agathias von ihnen erhoben wurde, kann wohl nur die gewöhn­ liche (römische), von allen Reichsangehörigen erhobene Grundsteuer sein, falls dieser Angabe überhaupt ein Gewicht zukommt.4 Sie unterstanden in militärischer und ziviler ( ? ) Hinsicht dem gotischen dux der beiden Rätien, als welcher zu Theoderichs Zeit ein gewisser Ser­ vatus genannt wird (Cass. var. 111), der der einheimischen Bevölkerung angehörte. Während aber die Rätoromanen nur als Milizen fungierten und ihre Verpflichtungen auf den militärischen Schutz des eigenen Landes beschränkt waren,56scheinen die von den Alamannen gestellten Truppen einen Teil des regulären gotischen Aufgebotes gebildet zu haben, da sie auch außerhalb ihres Ansiedelungsgebietes, in Pannonien, eingesetzt wur­ den. Standen die Alamannen somit in einem engeren Verhältnis zum 1 Über die Erhaltung des Romanentums in diesen Gegenden s. u. a. S t ä h e li n , Schweiz S. 314 f. B e c k , Ztschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins 50, 272. Geograph. Lexikon der Schweiz V (1908) S. 60 ff. 2 Vgl. oben S. 57. 3 Ennodius sagt in bezug auf die Aufnahme der Alamannen pan. c. 17 : rex meus sit iure Alamannicus, dicatur alienus, d. h. in W ahrheit verdiente Theoderich den Sieges­ titel Alamannicus, den aber ein anderer, d. h. der Kaiser Anastasius, führte. Anastasius heißt so (Alamannicus inclitus) in dem Schreiben vom Jahre 516 coli. Avellana 113 (ed. Günther S. 506). (Nach Anastasius erscheint der Titel bei Justinian, Justin, Mauri­ cius; vgl. die Zusammenstellung der Quellenzeugnisse im Thesaurus ling. Lat. [Lips. 1900] Bd. I S. 1478.) * Vgl. D a h n , Könige I X 1 S. 581. 6 Vgl. ausführlich dazu L. S c h m i d t , Ztschr. f. Schweiz. Gesch. 14 (1934) S. 4 5 2 ff.

A u s b r e i t u n g s p o l i t i k Theudeberts

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gotischen Staate, so haben sie doch gewiß im übrigen ihre nationalen Ein­ richtungen behalten. Zur vollen Auswirkung sind diese Verhältnisse freilich nicht gelangt, denn schon 5371 sah sich der König Witigis genötigt, einige Provinzen seines Reiches an den Frankenkönig Theudebert abzutreten, um dessen Hilfe gegen die Byzantiner zu gewinnen. Während Prokop nur die Pro­ vence nennt, spricht Agathias (I 4. 6) allein von den ,,Alamannen und einigen benachbarten Völkern“ . Es kann sich in letzterem Falle nur um die Provinz Raetia I handeln;1 2 unter den Nachbarn der Alamannen sind nicht, wie früher angenommen, die Baiern u n d die romanisierten Alpen­ völker, sondern allein die letzteren zu verstehen. Da kurz vorher durch die Eroberung Burgunds auch die Alamannen um Windisch unter frän­ kische Herrschaft gekommen waren, gehörten nunmehr alle Angehörigen des Stammes dem merowingischen Reiche an. Dieser Machtzuwachs der Franken machte sich bald, aber zuungunsten der Goten geltend. Wohl hatten sich die Könige Childebert, Theudebert und Chlotachar bereit er­ klärt, den Goten Truppen zu Hilfe zu schicken, zwar nicht Franken selbst, aber ihnen untertänige Völker, damit es so aussähe, als kämen diese auf eigene Faust; mehr erklärten sie in Rücksicht auf ein kürzlich mit dem Kaiser abgeschlossenes Bündnis nicht tun zu können.3 Im Ernste aber dachte Theudebert nur an die Förderung seiner eigenen Interessen; er wollte durch abwechselnde Unterstützung der beiden kriegführenden Par­ teien diese aufreiben und sich dann selbst in den Besitz Italiens setzen. So fiel auf sein Geheiß bald nachher eine alamannische Schar, wohl auf der nunmehr im fränkischen Besitz befindlichen Straße über den Splügen, in Venetien ein, wo sie große Verheerungen anrichtete, bis sie von den ost­ gotischen Truppen aus dem Lande geschlagen wurde. Der Zweck dieser Expedition war offenkundig der, die Streitkräfte des Witigis zu zersplittern und zu schwächen.4 Andererseits schickte er dem vor Mailand stehenden gotischen Belagerungskorps 10000 Burgunder zu Hilfe.5 Seine wahren A b­ sichten enthüllte Theudebert, als er im Jahre 539 selbst über die Alpen ging und zunächst die Goten, dann die Byzantiner in die Flucht schlug.6 1 Nicht schon 536, wie meist angegeben. Nach Prokop b. G. I 13 nach dem Tode Theodahads (Anfang Dezember 536) und vor dem Beginn der Belagerung Roms 21. Fe­ bruar 537, also wahrscheinlich im Januar 537. 2 Vgl. auch H e u b e r g e r , Klio 30, 109. 3 Prokop b. G. I 13. 4 Cass. var. 12, 7. 28. W enn die Eindringlinge an ersterer Stelle Suebi genannt wer­ den, so sind darunter nicht Baiern oder gar Bewohner der Provinz Savia zu verstehen, wie H e u b e r g e r , Klio 30, 93, will. Vgl. dazu L ö h le i n , Die Alpen- und Italienpolitik der Merowinger (1932) S. 30 f. 3 Prok. II 12. « Prok. II 25.

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Die Nordschwaben

Sein Heer bestand wohl zum Teil wenigstens aus Alamannen, da der Heer­ führer Butilin, der damals mit Aming zur Verteidigung der neu gewonne­ nen fränkischen Besitzungen in Norditalien zurückgelassen wurde,1 diesem Stamme angehörte. — Die Rechtsstellung, die die Alamannen innerhalb des fränkischen Reiches einnahmen, bleibt für die erste Zeit dunkel; je nach der Persönlichkeit der merowingischen Könige ist ihre Abhängigkeit bald fester, bald lockerer gewesen. Daß sie ihr angestammtes Straf- und Privatrecht behielten, ersehen wir aus der späteren Gesetzgebung. Dem­ gemäß heißt es bei Agathias I 7, daß die Alamannen nur im öffentlichen Recht den Franken folgten: νόμιμα δέ αύτοϊς είσί μέν που καί πάτρια, το δέ γε έν κοινω έπικρατουν τε καί άρχον τη Φραγγικη επονται πολιτεία. Wann das H e r z o g t u m Alamannien eingerichtet worden ist, steht nicht ganz fest. Der erste sicher nachweisbare Herzog ist Leudefred 587 (Fredegar IV 8). Agathias I 6 nennt als von Theudebert eingesetzte einheimische Führer des Volkes die Brüder Leuthari und Butilin; aber es ist zweifelhaft, ob diese als Inhaber der herzoglichen Gewalt im späteren Sinne aufgefaßt werden dürfen.2 Auffallend und ungewöhnlich wäre die Doppelbesetzung des Amtes. Vielleicht war Leuthari allein Herzog, während sein Bruder als Kommandant der in Norditalien stehenden alamannischen Truppen fun­ gierte. Später bei den Alamannen vorkommende Abgaben, die an den König zu entrichten waren, haben schwerlich etwas mit der Unterwerfung unter die Franken zu tun. Das Zeugnis einer späten Quelle, des Liber hist. Franc, c. 15 (Chlodowech) Alamannos coepit, ipsos vel terra eorum sub i u g o t r i b u t a r i o constituit, besitzt keinen maßgebenden Wert und dürfte allgemein als Ausdruck des Verlustes der politischen Selbständigkeit zu fassen sein.3 Zu derselben Zeit kamen auch die N o r d s c h w a b e n , ein in der alten Heimat zurückgebliebener Teil der Semnonen,4 unter fränkische Bot­ mäßigkeit, wie wir aus dem um 545 verfaßten Schreiben König Theudeberts an den Kaiser Justinian erfahren, M. G. Epist. Austras. 20: Norsavorum gentem nobis placata maiestate etc.5 Die Spuren dieses Volkes sind in der Mark Brandenburg bis ins 6. Jahrhundert auch in den archäologischen Funden nachweisbar, welche engere Beziehungen zu den Thüringern an­ nehmen lassen (vgl. unten S. 121).6 Im Jahre 568 siedelten dieselben nach 1 Paul. Diac. hist. Lang. I I 2. 2 D a h n , Könige I X 1 S. 698. 3 Vgl. u. a. M a r t i n , Études critiques sur la Suisse à l’époque Méroving. (1910) S. 391. 4 H o l t z m a n n , Sachsen und Anhalt I I I (1927) S. 64 läßt offen, ob auch Alamannen in Frage kommen. S c h u lz , V or- und Frühgeschichte Mitteldeutschlands (1939) S .220, denkt an Sweben aus H olstein; dies ist unwahrscheinlich, vgl. Bd. II l 2 S. 128, 1. 6 Vgl. dazu L. S c h m i d t , Ungar. Jahrb. 9 (1929) S. 318 ff., 14 (1934) S. 255. 6 Vgl. M a t t h e s , Die nördlichen Elbgermanen in spätrömischer Zeit (1931) S. 49. 62. W . S c h u l z , Volk und Rasse V I I I (1933) S. 78.

Die S e m n o n e n : V e rf a s s u ng , Re ligion

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dem von den Sachsen verlassenen Gebiete zwischen Bode und Harz1 über und wußten das Land wenigstens zum Teil gegen die 573 zurückkehrenden Sachsen siegreich zu behaupten, wie oben Bd. II l 1 2 S. 50 ausgeführt wor­ den ist. Die schwäbische Herkunft der Bevölkerung dieser Gegenden war später noch erkennbar. Eine Erinnerung daran bewahrt auch die Schrift De Suevorum origine, in der der Anteil der Sachsen an der Eroberung Thüringens den Schwaben zugeschrieben wird.2 II Uber die inneren Zustände der S e m n o n e n erfahren wir aus den lite­ rarischen Quellen nur wenig. Wie sich namentlich aus Tacitus ergibt, stand das Volk nicht unter monarchischer Herrschaft, sondern ward von Gau­ fürsten regiert. Ein solcher, kenntlich durch seinen Schmuck oder Anzug, war der Greis, der im Jahre 5 n. Chr. auf einem Einbaum sich über die Elbe rudern ließ, um das römische Lager zu sehen,3 sowie der „K ön ig“ Masua, der unter Domitian als Gesandter nach Rom kam.4 Die religiösen Verhält­ nisse werden beleuchtet durch Tac. Germ. c. 39. Die Semnonen waren hiernach das führende Volk der swebischen Kultgenossenschaft. In ihrem Gebiete lag ein heiliger Hain, in dem die Abgesandten der einzelnen Bundesvölker zu einer bestimmten Jahreszeit, wahrscheinlich im Herbst, zusammenkamen, um der am höchsten verehrten Gottheit, dem regnator omnium deus (Ziu?), Menschenopfer darzubringen. Die Festteilnehmer durften den Hain nur gefesselt betreten; wer hier zu Falle kam, durfte sich nicht erheben, sondern mußte sich auf dem Boden hinauswälzen: ein Ausdruck des Gedankens von der absoluten Herrschaft des Gottes im Bereich des ihm geweihten Bezirkes.5 Es ist möglich, daß der Name der Semnonen ein kultischer ist und auf diese Fesselung sich bezieht. Ferner wird eine weise Frau, Ganna, erwähnt, die sich in Begleitung des Fürsten Masua befand. Eine andere weise Frau namens Walburg (Βαλουβουργ Σηνονί, σίβυλλα) aus dem 2. Jahrhundert ist neuerdings durch die Inschrift eines Ostrakons von der Insel Elephantine bekannt geworden; vgl. E. S c h r ö ­ der, Archiv für Religionswissenschaft 19 (1918) S. 196 ff. 1 Eine Ausdehnung der Nordschwaben bis zur W eser vermutet ohne hinlängliche Gründe C r o m e , Nachrichtenblatt f. Niedersachsens Vorgesch. N . F. II (1925) S. 37 ff. 2 Vgl. H ö f e r , Ztschr. f. thür. Gesch. N . F. 17 (1907) S. 21 ff. W a t t e n b a c h - H o l t z m a n n , Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Deutsche Kaiserzeit I 1 (1938) S. 33. 3 Veil. Pat. II 107. 4 Dio 67, 5, 3. 5 Vgl. d e V r i e s , Religionsgesch. I S. 180 f. mit weiterer Literatur. C l o ß , Wiener Bei­ träge zur Kulturgeschichte und Linguistik IV (1936) S. 551 ff. v. d. L e y e n , Die Götter der Germanen (1938) S. 110 ff. T r a t h n ig g im Archiv für Religionswissenschaft 34 (1937) S. 226 ff.

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D ie S e mnon en: D i e Grabfunde

An die Nachrichten über den Kult seien die Grabfunde1 angeschlossen. Bei den Semnonen war Verbrennung üblich, was die Germania (c. 27) be­ kanntlich als allgemeinen germanischen Brauch bezeichnet. Neben Urnen­ gräbern erscheinen in gewisser Zahl Brandgruben, welche gern auf ost­ germanischen Einfluß gedeutet werden;1 2 indessen ist nunmehr diese Sitte auch in Westdeutschland schon in vorgeschichtlicher Zeit nachgewiesen3 und damit das Problem neu aufgerollt. Vereinzelte unverbrannte Bestat­ tungen seit dem Ende des 2. Jahrhunderts sind Vorläufer eines weithin in der germanischen Welt einsetzenden Wandels (vgl. S. 90 f.) ; zu einem ge­ mischten Friedhof bei Ketzin mit Urnengräbern, Brandgruben und un­ verbrannten Bestattungen4 sei an die merkwürdig ähnliche Zusammen­ setzung des Grabfeldes des 4. Jahrhunderts bei Lampertheim, gegenüber von Worms,5 erinnert. Die bisher bekannten semnonischen Grabfelder sind leider meist durch ältere Grabungen und wohl unvollständig erschlossen, so daß wesentliche Fragen noch offen bleiben. Namentlich reichen die Unterlagen für Folgerungen auf die Größe der Siedelungen nicht aus; dazu sei bemerkt, daß die Grabfelder der Prignitz6 allgemein nicht den Sem­ nonen zugeschrieben werden und deshalb hier außer Betracht bleiben. Die Beigaben halten sich im Rahmen dessen, was innerhalb der großen elb­ germanischen Gruppe geläufig ist; für Einzelheiten sei auf das oben an­ geführte Schrifttum verwiesen. Wenn sich auch gelegentlich soziale Unter­ schiede bemerkbar machen,7 so sind doch bisher keine besonders reichen Bestattungen (sogenannte Fürstengräber) bekannt geworden; die an­ gesehene Stellung des Volkes kommt anscheinend deshalb nicht in den Beigaben zum Ausdruck, weil der Ritus nur einfache Ausstattung vor­ schrieb. Merkwürdig dabei ist, daß im gleichen Gebiet während des letzten vorchristlichen Jahrhunderts gelegentlich reichere Beigaben Vorkommen.8 Daß jedenfalls die Grabfunde kein hinlängliches Urteil über den Stand der Wohlhabenheit ermöglichen, bezeugen schon die nicht seltenen Funde an römischen Münzen,9 unter denen ein Schatz von 74 Denaren mit Schluß­ 1 V o ß und S t im m in g , Vorgesch. Altertümer aus der Mark Brandenburg (1887) A bt. 5 und 6 ; F e l s b e r g , Mannus ErgBd. V I I (1929) S. 123 ff; M a t t h e s , Die nördlichen E lb­ germanen in spätrömischer Zeit (1931); G u t ja h r , Die Semnonen im Havelland zurfrühen Kaiserzeit (1934). 2 So von G u t ja h r a. O. S. 13. 3 S t a m p f u ß , Das Hügelgräberfeld Rheinberg (1939) S. 21 f. 4 G u t ja h r a. O. S. 13. 5 B e h n , Mainz. Ztschr. 30 (1935) S. 56 ff. 6 Vgl. M a t t h e s , Die Germanen in der Prignitz zur Zeit der Völkerwanderung (1931). 7 G u t ja h r a. O. S. 89. 8 Vgl. H u n d t , Germania 19 (1935) S. 239 ff. 9 Zusammenstellung: B o l i n , Fynden av romerska mynt i detfria Germanien (1926), Beil. S. 64 ff.

Handwerk. Si ed el ung en

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münze von Hadrian1 hervorgehoben sei. Für einen Handel dieses Ge­ bietes, der sich vor allem im Umkreis der um die Semnonen zusammen­ geschlossenen Kultgemeinschaft bewegt haben dürfte, sind Zeugnisse in dem zu erwartenden Umfang bisher nicht nachzuweisen. Die Grabfunde beschränken sich in der Regel auf mehr oder minder sorgfältig gefertigte Tonware, Schmucksachen aus Bronze und Eisen (selten Edelmetall), Ge­ rätschaften für Körperpflege und Handgebrauch, Spinnwirtel u. a. m. Be­ sonders für den Grabbrauch gefertigt scheinen die im weiteren elbgerma­ nischen Kreis heliebten Mäanderurnen, zu deren beliebtem Schmuck das Hakenkreuz gehört; dem Sinngehalt anderer Zeichen versucht die For­ schung nachzugehen.1 2 Es ist eine große Ausnahme, wenn neben diesem ausgesprochen geometrischen Ornament einmal ein gezäumtes Pferd er­ scheint;3 das germanische Kunsthandwerk hleibt im allgemeinen in diesen Jahrhunderten jener vorgeschichtlichen Tradition treu, welche keine A b­ sicht auf Darstellung kennt. Waffen4 sind nicht allzu häufig, Schwerter nur vereinzelt, zahlreicher Schildheschläge und besonders Lanzenspitzen. Der Grund dafür wird wieder im Brauchtum zu sehen sein; andere Folge­ rungen sind nicht angebracht, da Waflenbeigaben auch bei besonders kriegerischen Stämmen oft genug ausbleihen. Die Annahme einheimischer Herstellung von Waffen, Gerät und Schmuck wird durch den Nachweis von Eisenschmelzen5 gestützt. Über die Siedelungsverhältnisse versprechen neue, noch unveröffent­ lichte Grabungen wertvolle Aufschlüsse. Von den älteren Untersuchungen6 hat das ‘Vorhallenhaus’ von Paulinenaue, Kr. Westhavelland,7 besondere Beachtung gefunden; es schien die Annahme zu stützen, daß dieser Typ seit vorgermanischer Zeit bodenständig geblieben sei und sich selbst über die slawische Besetzung forterhalten habe.8 Die in den letzten Jahren er­ schlossenen Siedelungen werden neue Feststellungen über Getreidearten, Haustiere und Jagdtiere9 ermöglichen. Fischfang hat nach den Funden eine

1 Niemegk (Kreis Zauch-Belzig): B o lin a. O. S. (69) sowie 19. Ber. R öm .-G erm .K om m . 1929 (1 930) S. 102. 2 Z. B. J a c o b -F r i e s e n , Mecklenburg 34 (1939) S. 140 ff. 3 Hohenferchesar Grab 111: G u t ja h r a. 0 . Taf. 4 und 5 a. 4 Grundlegend J a h n , Die Bewaffnung der Germanen in der älteren Eisenzeit (1916). 6 G u t ja h r a. O. S. 84 f. * Übersicht: S c h u lz , Das germanische Haus in vorgeschichtlicher Z eit2 (1923) S .3 6 f. 39. 127 ; zum Vorhallenhaus S. 103. Ders. in : Haus und H o f im nordischen Raum I (1937) S. 105 f. 7 Vgl. K i e k e b u s c h , Prähist. Ztschr. IV (1912) S. 152 ff. 8 D o p p e l f e l d , P. Z. 28/29 (1939) S. 306 zweifelt auf Grund der Ergebnisse der Gra­ bung zu Nauen daran, daß zu Paulinenaue ein Vorhallenhaus gefunden wurde. 9 Bisher erm ittelt: Pferd, Rind, Ziege, Schwein und Hund sowie Hirsch, Reh und Wildschwein, G u t ja h r a. O. S. 90.

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Die A l a m an n e n: Quellenbezeichnungen. Ve rf as sung

verhältnismäßig geringe Rolle gespielt, obgleich die Wasserläufe für den Verkehr zwischen den Siedelungen ausgenutzt worden zu sein scheinen.1 Das von den A l a m a n n e n 2 1 bewohnte Land heißt in der hier behandel­ ten Epoche Alamannia oder Suavia: Hist. Aug. trig. tyr. 8 ,1 1 ; Tab. Peut.; paneg. III (X I) 4. 6. V III (V) 2; Symmach. or. I 17.18; Ammian. 20,4.1 . 30, 3. 1 ; Claudian. IV cons. Hon. 449. laud. Stil. 1 234; Münzen des 4. Jahr­ hunderts; Triumphalornament aus Nicaea; Alamannorum solum, terrae (Amm. 17, 1, 11. 10, 1); solum barbaricum (Hist. Aug. Prob. 13, 7); barbari­ cum (Amm. 18, 2,14). Über die mehrfach wechselnden Gebietsgrenzen siehe oben passim. Das Volk selbst heißt gens, natio oder bloß Alamanni (Suebi). Trotz dem gemeinsamen Namen bildeten die Alamannen zunächst keine politische Einheit. Sie bestanden in der älteren Zeit aus einer Anzahl selb­ ständiger Gaue, die sich nur zeitweilig und auch niemals in ihrer Gesamt­ heit, nicht nach Beschluß eines höchsten gemeinsamen Organs, sondern nach eigener Willensbestimmung auf Grund völkerrechtlicher Verein­ barungen zu politischen Aktionen zusammenschlossen.3 Das Gefühl eth­ nischer Zusammengehörigkeit, die Erinnerung an die gleiche Abstammung war das einzige dauernde Band, das sie miteinander vereinigte. Die völlige Selbständigkeit der einzelnen Stammesteile, das Fehlen einer Zentral­ gewalt ist aus zahlreichen Beispielen ersichtlich. Unter Kaiser Probus be­ gegnen uns neun reguli, die jeder für sich ihre gens, nicht das Gesamtvolk vertreten (Hist. Aug. Prob. 14, 1). Im Jahre 354 führen Wadomar und Gundomad allein mit Constantius Krieg und schließen für sich Verträge ab. Ihre Leute treten dann aus freier Entschließung dem zum Kampfe gegen Julian geschlossenen Bunde bei. Von dem an der Schlacht bei Straß­ burg beteiligten Heere heißt es, daß es ex variis nationibus partim mercede, partim pacto vicissitudinis reddendae quaesita war, wo unter den variae nationes nur die verschiedenen Stammesteile verstanden werden können (vgl. oben S. 36, 3). Nach der Schlacht schließen die Gaue einzeln mit den Römern Frieden. Chnodomar heißt turbinis totius incentor, Priarius exitalium concitator pugnarum (Ammian 16, 12. 24; 31, 10. 10); „beide Ausdrücke passen viel mehr auf den Urheber eines Bündnisses 1 Vgl. G a n d e r t , Brandenburg. Jahrb. 12 (1938) S. 74 ff. Dagegen M a r s c h a lle c k , Prähist. Ztschr. 28/29 S. 429. 2 Entsprechend der Anlage dieses Buches werden auch in der Folge die Quellenzeug­ nisse im Mittelpunkt stehen. W er dagegen, wie H e lb o k , Grundlagen der Volksgeschichte Deutschlands und Frankreichs (1937), zu weitreichenden Kombinationen schreitet, ohne übrigens die Unterlagen für diese hinlänglich zugänglich zu machen, erliegt nur zu leicht der Gefahr, über einer vermeintlich großzügigen Schau den sicheren Blick für die Be­ urteilung dieses schwierigen Zeitabschnittes zu verlieren. Vgl. auch Bd. II l 2 S. 195. 3 Vgl. S y b e l, Entstehung des deutschen Königtum s2 S. 152 ff. H o f f m a n n , E nt­ scheidung über Krieg und Frieden S. 49 ff. B u s c h , Chlodwigs Alamannenschlacht II (1895) S. 24 ff.

Stellung der Gauf ürst en (K ö n i g e )

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zwischen Gleichberechtigten als auf einen Oberherrn, der durch bloßes Ge­ bot seine Vasallen zu den Waffen ruft“ (Sybel); usf. Diese Verhältnisse, wie sie namentlich für das 4. Jahrhundert zu belegen sind, haben in späterer Zeit eine wesentliche Änderung erfahren; es ist im Zusammenhang mit der gewaltigen Expansion in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts eine stärkere politische Konzentration der Alamannen anzunehmen. Zu Julians Zeit sind noch mindestens 15 Gaukönige nachweisbar; der Alamannorum rex Crocus und der zur Zeit des heiligen Severinus auftretende „K ön ig“ Gibuld waren nur Teilfürsten neben anderen, deren Namen nicht überliefert sind; dagegen erscheint um 497 ein an der Spitze des ganzen Stammes stehender König, dessen Untergang in den Quellen als für den Verlust der Selbständigkeit der Alamannen entscheidend angedeutet wird. Uber den Umfang der königlichen Gewalt wissen wir nichts; sie scheint sich im wesentlichen auf das Heerführertum beschränkt zu haben. Daß es noch nicht zur Bildung eines festen, einheitlichen Staatswesens gekommen war, scheint aus dem Schreiben Theoderichs an Chlodowech hervorzugehen, wo von Alamannici populi im Gegensatz zur gens Francorum die Rede ist.1 Die einzelnen Herrschaftsgebiete heißen pagus, regnum, regio; ihre Be­ wohner plebs, populus, auch gens. Vgl. pan. III (X I) 6: ferarum gentium regna. Hist. Aug. Probus 14, 1 : reguli novem ex diversis gentibus. Ammian 14, 10. 14: Alamannorum populi; 15,4. 1: [Raetovariis?] et Lentiensibus Alamannicis pagis; 16, 12. 17: plebs Wadomars; 17,10. 5: pagus Hortars; 17, 10. 9: regio Suomars; 18, 2, 8: pagi Suomars; 18, 2. 14: populi, regna Hortars; 20, 4. 1 : Alamanniae regna; 21, 3. 1 : pagus Wadomars; 29, 4. 7: Bucinobantibus, quae gens est Alamanna; 31, 10. 2: Lentienses Alamannicus populus. An der Spitze derselben stehen reges und reguli. Diese Unter­ scheidung zeigt die verschiedene Größe der einzelnen Teile an Fläche und Bevölkerungszahl auf. Vgl. Hist. Aug. Probus 14, 1: reguli; Ammian 18, 2, 13: reges omnes et regales et regulos. Reguli sind zum Teil wenigstens die regales decem, die an der Schlacht bei Straßburg teilnahmen, vgl. oben. Von Chnodomar und Serapio sagt Ammian, daß sie potestate excelsiores ante alios reges waren (16,12.23; vgl. ebenda § 26: potestate proximi reges). Diese Verschiedenheiten haben sich, soweit sie nicht schon aus der Urzeit herrührten, zum Teil wohl durch freiwilligen oder erzwungenen Zu­ sammenschluß mehrerer Einheiten herausgebildet. Aus Ammians Bezeich­ nung der Herrschaften Suomars und Hortars als pagi bzw. regna darf dies freilich nicht ohne weiteres gefolgert werden, da einmal nur von einem pagus Hortars die Rede ist; man wird vielleicht richtiger in jenen Aus­ drücken nur den Hinweis auf einen größeren Gebietsumfang zu erblicken 1 Gar nichts beweisen die Ausdrücke Alamanniae generalitas bei Ennodius (rhetorische Übertreibung) und innumerabilis natio bei Cassiodor var. II 41, trotz D a h n I X 1 S. 51.

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Di e A l a m a n n e n : Stellung der Gauf ürst en ( K ö n i g e )

haben. In späterer Zeit kommt namentlich die Erwerbung von Neuland in Frage. Die Besiedelung des linksrheinischen Gebietes ist wesentlich durch die an den Strom angrenzenden benachbarten Teile des Stammes erfolgt, deren Macht dadurch eine Erweiterung erfahren hat, während die weiter im Inneren gelegenen Gaue sich auf ihrem ursprünglichen Bestände er* hielten. Dem Umstande gemäß, daß die Römer zu keiner Zeit mit dem G e s a m t v o l k e in Berührung gekommen sind, läßt sich aus den Berichten nicht feststellen, in wieviel Teile der Stamm zerfiel; ebensowenig können wir erfnitteln, wie sich diese gegeneinander abgrenzten und wie ihr Ver­ hältnis zu den späteren fränkischen Gauen war.1 - Über die Kompetenzen des Gaufürsten erfahren wir nur wenig. Er ist Anführer im Kriege und vertritt das Volk im Verkehr mit anderen Mächten. Die Belege dafür sind zahlreich und aus der obigen Darstellung zu entnehmen. Im Besitze herzog­ licher Gewalt, als Befehlshaber verbündeter Gaue erscheinen Chnodomar und Serapio gemeinschaftlich in der Schlacht bei Straßburg (ductabant populos omnes, Ammian 16,12.23)1 2 und später Priarius.3 Die Entscheidung über alle politischen Angelegenheiten lag aber durchaus beim Volke. Dieses zwingt die Fürsten, bei Beginn der Straßburger Schlacht von den Pferden zu steigen, eine Angabe, die allerdings nicht ohne Bedenken ist, da Chnodo­ mar auf der Flucht beritten war (Ammian 16,12. 34). Die Leute W ado­ mars treten gegen dessen Willen (ipso invito) dem Bunde gegen Julian bei (Ammian 16, 12. 17). A uf Volksbeschlüsse weisen ferner hin Ammian 14, 10, 9: barbari . . . optimates misere delictorum veniam petituros et pacem. 17, 1, 12: (Alamanni) volucriter c o n g r e g a t i precibus . . . petiere missis oratoribus pacem. 18, 2, 8: Alamanni om n es quos petebat exercitus . . . Suomarium regem . . . monuerunt. . . ut a transitu Romanos arceret. Ohne Zweifel wurden die Fürsten vom Volke eingesetzt, wenn man sich auch in der Regel an die Angehörigen eines bestimmten Geschlechtes gebunden er­ achtete. Serapio war der Sohn Mederichs, der wohl als regierender Fürst aufzufassen ist, Withikap der Nachfolger seines Vaters Wadomar. Daß Chnodomar und Mederich, Gundomad und Wadomar, Makrian und Hariobaudus4 Brüder waren, beweist nichts gegen ein Wahlrecht des Volkes.56 Die nicht regierenden Mitglieder der Dynastie heißen regales, vgl. Ammian 18, 2, 13; 27, 10. 1. - Im Gegensatz zu der sonst zu konstatierenden Be­ schränkung der fürstlichen Gewalt scheint Gundomad eine wesentlich 1 V gl. dazu W e l l e r , W ürttem b. Vierteljahrshefte N . F. V I I (1898) 310, 345 ff. 2 Fälschlich behauptet S y b e l S. 153, daß Chnodomar und Serapio nur das erste Treffen befehligt hätten. 3 Ammian 3 1 ,1 0 , 4 : pagorum omnium incolis in unum conlectis. 4 Makrian und Hariobaudus scheinen gemeinschaftlich über die_ Bukinobanten ge­ herrscht zu haben; nach des letzteren Tode führte Makrian allein die Regierung. 6 Vgl. B u s c h , Chlodwigs Alamannenschlacht II (1895) S. 25 ff. D a h n I X 1 S. 45.

Ständische Gliederung

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mächtigere Stellung eingenommen zu haben. Denn dieser hält persönlich an dem Vertrage mit den Römern fest, im Gegensatz zu seinem Volke, das ihn gewaltsam aus dem Wege räumen muß, um seinen Willen durch­ zusetzen (Ammian 16, 12, 17). Als ein besonderes A b z e i c h e n der Fürsten ist wohl der flammeus torulus, ein feuerroter Wulst, den Chnodomar in der Straßburger Schlacht auf dem Scheitel trug (Ammian 16, 12, 24), aufzufassen.1 Ringbrünne und Helm als Auszeichnung der Vornehmsten erscheinen erst seit dem 5. oder 6. Jahrhundert (vgl. unten). Zu den Vorzügen der fürstlichen Stel­ lung gehörte das Gefolge, das erwähnt wird bei Hortar (quattuor comites, Ammian 17, 10, 8), bei Chnodomar (comites ducenti und tres amici iunctissimi, die mit ihrem Herrn in die römische Gefangenschaft gingen, ebenda 16, 12, 60) und bei Makrian (satellites), ebenda 29, 4, 5. Ein zum Hausgesinde gehörender Sklave war wohl der minister Withikaps (Am­ mian 27, 10, 4). Die unterste Gemeinde des öffentlichen Rechts war die Hundertschaft, deren Entstehung als territorialer Bezirk aber wohl erst einer späteren Zeit angehört. S tä nde . Nach der ältesten alamannischen Rechtsaufzeichnung, dem der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts (? ) angehörenden Pactus Alaman­ norum,1 2 zerfielen die Freien (ingenui) in drei Klassen: minofledi oder minoflidi, mediani, primi oder meliorissimi mit einem Wergeid von 160, 200, 240 solidi. Nach der älteren Ansicht sind die minofledi oder barones mino­ fledi die Gemeinfreien, die das normale Maß des Grundbesitzes hatten; die primi sind alter Volksadel, der auch unter der fränkischen Herrschaft seine politische Stellung im wesentlichen behauptet hatte, die optimates oder primates, wie sie bei Epit. de Caes. 42, Ammian 14, 10, 9; 16, 12, 26. 49; 28, 2, 6. 8; 29, 4, 7 genannt werden; die Klasse der mediani erscheint als das Ergebnis einer späteren Entwicklung: auch sie setzte sich wesentlich aus alten Adelsgeschjechtern zusammen, aber aus solchen, die durch die fränkische Eroberung ihre politische Stellung eingebüßt hatten.3 Doch ist nach S t u t z 4 u. a. hier nicht sowohl an durch Blut und Abkunft geschiedene 1 Vgl. R. H e n n i n g , Der Helm von Baldenheim (1907) S. 82. Lily W e i s e r , Altgerma­ nische Jünglingsweihen (1927) S. 34. - v. S a lis , Bonner Jahrbücher 118 (1909) S. 70 meint, wohl mit Unrecht, daß darunter ein gedrehter Haarschopf zu verstehen sei. 2 Die Zeitansetzung des Pactus in das 7. Jahrhundert ist umstritten, vgl. C la u s s e n , Ztschr. d. Savignystift. 56 (1936) S. 352 ff., und O t t o , Adel und Freiheit im deutschen Staat des frühen Mittelalters (1937) S. 150. 3 Vgl. B r u n n e r I S. 343 ff. 4 Zum Ursprung und Wesen des niederen Adels (1937) S. 13. Vgl. auch D o p s c h , Grundlagen I 2 S. 265. Verfehlt W e l l e r , Besiedelungsgesch. Württembergs vom 3. bis 13. Jahrhundert n. Chr. (1938) S. 130 (nach V. E r n s t). Allzusehr im Banne eigener K on ­ struktionen steht O tt o a. O. S. 151, wenn er ,,in den mediani die Schicht der erobernden alten Alamannen“ vermutet.

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Di e Al a ma n ne n: Das K r i e g s w e s e n

Geburtsstände als vielmehr an bloße (Grund-) Besitzklassen, an einen Dreiklassenzensus zu denken und unter medianus ein freier Mittel- (Grund-) Besitzer im Sinne von freiem Yolksangehörigen mittleren Besitzes zu ver­ stehen. Zahlreich waren auch hier die Knechte (servi). Diese bestanden zum großen Teile aus Römern, die, wie oben erzählt, in Masse aus ihrer Heimat fortgeschleppt worden waren. Wir sehen, daß sie als Arbeitskräfte sich großer Wertschätzung erfreuten und deshalb nur ungern und zögernd aus­ geliefert wurden. Vgl. Ammian 17, 10, 7 : Hortarius . . . restituere universos promisit; id enim cura agebatur inpensiore; detentisque plurimis reddidit paucos, ebenda § 8: Julianus . . . non ante absolvit, dum omnes rediere captivi. Ferner Ammian 18, 2, 19; Eunap. fr. 19; Vita Severini c. 19 u. a. Sklaven der von Hortar zum Gastmahle geladenen Fürsten erwähnt Am ­ mian 18, 2, 13. Mit dem Rückkauf von Freien und Knechten, die von den Alamannen aus burgundischem Gebiete geraubt worden waren, beschäftigt sich eine Verordnung der Lex Burg. tit. 56 : Si quis servum alienum in Alamannia redemerit, aut pretium dominus reddat, aut servum habeat qui redemit; quod tamen a praesenti tempore praecipimus custodiri. - Ceterum si ingenuus rogans redemptus fuerit, pretium suum emptori reddat. Eine Zwischenstufe zwischen den Freien und Knechten nahmen die Halbfreien ein, deren einheimischer Name nach Brunner1 parones war. Hierzu ge­ hörten die Freigelassenen und die römischen Kolonen, die sich von alters her im Lande behauptet hatten.1 2 Neuerdings sind Versuche gemacht wor­ den, aus den Unterschieden in der Grabausstattung Folgerungen auf die soziale Stellung der Toten zu ziehen (s. S. 77). - Undeutlich ist die Rechts­ stellung, die die freien, unter alamannischer Herrschaft zurückgebliebenen Römer eingenommen haben. Diese durften weiter nach römischem Rechte leben, das aber als ein geringeres angesehen wurde; anscheinend waren sie auch einer Zinspflicht unterworfen.3 K r i e g s w e s e n . Das Heer war nach Gauen und Sippschaften gegliedert. Die Freilassung vor dem versammelten Heere erfolgte nach dem Pactus Alam. (II 45) in heris generationis.4 Wie bei den anderen Germanen war auch hier die keilförmige Aufstellung5 üblich, vgl. Ammian 16,12,20: quos (Germanos) iam prope densantes semet in c u n eos . Vgl. auch die Schilde­ rung der Schlachtordnung bei Agathias II 8. Von hervorragender Bedeu­ 1 I S. 357. 2 Pactus 11 4 5 . Lex Alam . V I I I ( I X ) u. a. Vgl, I n a m a -S t e r n e g g , Deutsche W ir t­ schaftsgeschichte I 2 (1909) S. 165. 3 W e l l e r , W ürtt. Vierteljahres!». S. 334. B a u m a n n , Forsch, z. schwäb. Gesch. S .4 8 lf. 4 Vgl. B r u n n e r I 118. 183. 5 Vgl. G u n d e l, Untersuchungen zur Taktik und Strategie der Germanen nach den antiken Quellen (1937) S. 12 ff., sowie in: Das Gymnasium 57 (1939) S. 154 ff. K ü s t e r s , Cuneus, Phalanx und Legio (1939) S. 133 ff. 147.

Di e Grabfunde

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tung war die Reiterei, vgl. Herodian VIII 1, 3; Vict. Caes. 21, 2 (Alaman­ nos gentem populosam, ex equo mirifice pugnantem); Ammian 15,4, 12 (multi cum equis interfecti iacentes etiam tum eorum dorsis videbantur innexi); die Schilderung der Straßburger Schlacht Ammian 16, 12, 21 ff.; Dexippus fr. 6 (von den Juthungen ών πολύς έφ’ ιππομαχία λόγος). Bei Straßburg kämpften Reiter und leichtbewaffnete Fußgänger gemischt (Ammian 16, 12, 21: [equitibus] sparsim pedites miscuere discursatores et leves). Später trat die Reiterei ganz zurück; das in Italien eingefallene Heer Butilins bestand fast ausschließlich aus Fußtruppen (Agath. II 5). Seit dem 6. Jahrhundert sind Reitergräber, kenntlich etwa an Sporen und Trensen,1 nachzuweisen. Zum Verständnis dieser Funde seien einige all­ gemeine Angaben über die Beigabensitte eingeschaltet. Bis zum Ende des 5. Jahrhunderts sind Grabfunde im Alamannen­ gebiet1 2verhältnismäßig selten;· um diese Zeit beginnen die ältesten Reihen­ gräberfelder, während die Mehrzahl von ihnen erst etwas später einsetzt. Da es nur ausnahmsweise möglich ist, große Friedhöfe mit 600 und mehr Gräbern wie Hailfingen (Landkreis Rottenburg), Mengen (Landkreis Frei­ burg i. Br.) und Schretzheim (Landkreis Dillingen)3umfassend auszugraben, ist die Belegungsdauer in der Regel nur annähernd festzustellen. Uber die Datierung der Funde gehen die Meinungen der Forscher heute noch etwas auseinander; S. L i n d q v i s t 4 und W. V e e c k rechnen einen größerenTeil der Reihengräbertypen dem 5. Jahrhundert zu gegen N. A b e r g , 5 J. W e r n e r 6 und H. Z e i ß . 7 Eine Hauptrolle spielen bei dieser Frage die Gräber mit Münzen sowie das Inventar der Langobardengräber in Italien, das zum großen Teil erst der Zeit eines beginnenden Ausgleichs zwischen den 1 Beispiele bei Y e e c k , Alamannen S. 75 ff. Selten sind Pferdegräber; vgl. Z e n e t t i , Vor- und Frühgeschichte des Kreises Dillingen (1939) S. 121. 2 Nach der Zusammenfassung von V e e c k , Die Alamannen in Württemberg (1931) sind für dieses Land außer den , , Fundberichten aus Schwaben“* zu nennen: P a r e t , Die frühschwäbischen Gräberfelder von Groß-Stuttgart (1937); S t o l l , Die Alamannen­ gräber von Hailfingen (1939). Baden: W a g n e r , Funde und Fundstätten im Großherzog­ tum B. I, II (1908 und 1911); Badische Fundberichte (seit 1925); K r a f t , Mein Heimat­ land 20 (1933) S. 150 ff. Elsaß: Anz. f. Elsäss. Altertumskunde, bes. 25 (1934) S. 221 ff. (F o r r e r ). Schweiz: Regelmäßige Berichterstattung seit 1909 in den Jahresberichten der Schweizerischen Gesellschaft für Urgeschichte. Zusammenfassend für Kanton Solothurn: T a t a r i n o f f , Jahrb. für Solothurn. Geschichte V II (1934) S. 49 ff. - Bei K o s s in n a , Germanische Kultur im 1. Jahrtausend n. Chr. (1932) S. 293 ff. ist lediglich das Grabfeld Oberflacht und die Tonware kurz behandelt. 3 Vgl. Z e n e t t i a. O. S. 111 ff. sowie den unten Anm. 7 genannten Beitrag. 4 Vendelkulturens aider och Ursprung. Kgl. V itt., Hist, och Antikv. Akad. handl. 36/1 (1926). 5 Vorgeschichtliche Kulturkreise in Europa (1936); dort die älteren Schriften Abergs verzeichnet. 6 Münzdatierte austrasische Grabfunde (1935). 7 Bayer. Vorgeschichtsblätt. 14 (1937) S. 12 ff.

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Die A l a m a n n e n : Bes tattungsbrauch

Langobarden und der einheimischen Bevölkerung angehören kann. Aus den langobardischen Beziehungen1 ergibt sich, daß sehr geläufige Fund­ gattungen um und nach 600 anzusetzen sind, während andererseits eine kleinere Gruppe an das Childerichgrab anzuschließender Bestattungen der Zeit um 500 und die Mehrzahl der Gräber mit ostgotischen oder Exarchatssilbermünzen dem späteren 6. Jahrhundert zugewiesen werden können. Es ist zu erwarten, daß sich im Laufe der Zeit diese Ergebnisse verbessern lassen, wenn auch stets zu bedenken ist, daß mit Rücksicht auf den un­ bestimmten Unterschied zwischen Anfertigungs- und Vergrabungszeit eine allzu scharfe Eingrenzung vermieden werden muß. Wenn vor der Zeit der Reihengräberfunde, d. h. bis mehr oder minder weit in das 5. Jahrhundert hinein, in dem Gebiet eines kräftigen Stammes nur wenige Gräber1 2 festzustellen sind, so wird man dies nicht etwa aus der Annahme erklären dürfen, daß die Siedelungsstellen damals noch häufigem Wechsel unterlegen hätten. Dagegen sprechen schon die römischen Nach­ richten über die Siedelungsverhältnisse.3 Daß Brandgräber, wie sie für diese Zeit in der Regel zu erwarten sind (vgl. S. 68), leichter unbeachtet zerstört werden, ist zuzugeben; der eigentliche Grund muß aber in einem abweichenden Bestattungsbrauch gesucht werden, der offenbar reichere Ausstattung und insbesondere Waffenbeigaben nicht erforderte. Daß dies den Anschauungen in weiten germanischen Gebieten entsprach, ist aus den gleichartigen Fundverhältnissen zu schließen. Die geringe Zahl und Aus­ stattung der Gräber östlich des Rheins erschwert auch die Stammes­ zuweisung. Wenn F. B e h n 4 mit anderen Forschern das kleine Grabfeld des 4. Jahrhunderts von Lampertheim bei Worms den Burgunden zu­ schreibt, während nach den historischen Quellen dort nur alamannische Besiedelung anzunehmen ist, so möchte man die von Behn aufgewiesenen Beziehungen in diesem Falle lieber auf Kultureinfluß als auf Einwanderung deuten. Der gleiche Forscher5 betont übrigens selbst die Schwierigkeit, Funde des 5. Jahrhunderts im Untermaingebiet stammesmäßig fest­ zulegen; dies gilt auch für das prächtige Kriegergrab von Altlußheim bei Mannheim,6 dessen almandingeschmücktes Schwert aus Südrußland 1 V gl. auch B o t t , Germania 23 (1939) S. 43 ff. Vgl. G o e ß le r , W ü rtt. Vierteljahrsh. f. Landesgesch. N . F. 30 (1921) S. 12 ff. S c h u ­ m a c h e r , K ultur- und Siedlungsgeschichte der Rheinlande III (1925) S. 21 ff. Einzelnes bei R e in e c k e , 23. Ber. Röm .-G erm . Kom m . (1933/34) S. 144 ff. Ferner u. a. Beiträge von W e r n e r , Germania 22 (1938) S. 114 ff., und W a h l e , Abhdl. z. Saarpfälz. Landes- u. Volksforsch. I (1937) S. 37 ff. 3 Vgl. unten S. 82. 4 Mainz. Ztschr. 30 (1935) S. 56 ff. Vgl. oben S. 68. 5 Germania 22 (1938) S. 180. Bestimmtere, aber noch zu überprüfende Zuweisungen bei K o c h , Vor- und Frühgeschichte Starkenburgs (1937) S. 70 ff. 6 Germania 20 (1936) S. 191 ff. (F . G a r s c h a ).

2

Bewaffnung

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stammt. Altlußheim ist auf (damals) alamannischem Boden das älteste Beispiel für reiche Waffenbeigabe, die nach H. Z e i ß 1 zunächst bei den germanischen Fürsten (Childerich) und über die Gefolgschaften allgemeiner üblich geworden ist. Im vorstehenden ist bereits angedeutet, daß für das 3. bis 5. Jahr­ hundert die Funde keine hinlängliche Auskunft über die durchschnittliche Bewaffnung geben. In den Berichten Ammians werden gelegentlich Schwerter (15, 4, 9: strictis mucronibus; 16, 12, 46: mucro contra mucro­ nem; 28, 2, 8: gladii), Lanzen (16, 22, 24: iaculum formidandae vastitatis; 16,12,36: tela dexteris explicantes u. a.) und Schilde (3 0, 3, 4: sonitu scutorum intonante) genannt. Im 6. Jahrhundert bezeugt Agathias (II 5) als Waffen den Ango, eine wohl dem Pilum nachgebildete Wurflanze mit langem Eisenschaft, und das Beil, d. h. die Franziska, welche beide, wenn auch nicht häufig, in Alamannengräbern erscheinen;1 2 weit geläufiger sind das zweischneidige Langschwert (Spatha), das einschneidige Hiebschwert (Skramasax),3 die Lanze, Pfeil und Bogen4 sowie der Schild. Nach Agathias kämpften die Alamannen mit nacktem Oberkörper und barhäuptig; dazu stimmt die Seltenheit von Helmen oder Brünnen in Gräbern. Die Spangen­ helme von Baldenheim bei Schlettstadt,5 Gammertingen6 und Gültlingen7 gehören zu einer etwa ein Dutzend Stücke umfassenden Gruppe, für welche die ältere Forschung Herstellung in pontischen Werkstätten8 annahm, die neuere an Italien9 oder an Ägypten101denkt. Die Bestattungen mit Hel­ men werden wohl zutreffend als Fürstengräber angesehen. Der ansprechende Gedanke W. V e e c k s , nach der Art der Waffenbeigaben soziale Unter­ schiede zu erschließen, bedarf noch der Überprüfung an einem größeren Material.11 Für die Einzelfragen der Reihengräberforschung (z. B. zeitliche 1 Forsch, u. Fortschr. 12 (1936) S .3 0 2 f. 2 Z. B. V e e c k , Alamannen S. 82 f. 3 V e e c k , Alamannen S. 80, nimmt geradezu eine Verdrängung der Spatha durch den Sax im 7. Jahrhundert an; vgl. dagegen Z e i ß , Bayer. Vorgesch.-Blatt. 14 (1937) S. 17 f. 4 Bogen aus Eibenholz sind dank ungewöhnlich günstiger Bodenverhältnisse in Ober­ flacht (Landkreis Tuttlingen) gefunden worden: V e e c k , Alamannen S. 20 f. In das 7. Jahrhundert gehören im Alamannengebiet bisher vereinzelte beinerne Bogenendver­ steifungen avarischer Art, auf welche W e r n e r , Münzdat. Grabfunde, S. 56, 5, hinweist. 5 H e n n i n g , Der Helm von Baldenheim (1907). 6 G r ö b b e ls , Der Reihengräberfund von Gammertingen (1905). Im Helmgrab auch eine Ringbrünne, so vereinzelt wie der Plattenpanzer von Schretzheim; vgl. Z e n e t t i a. O. S. 121. 7 V e e c k , Alamannen S. 85 f. 8 E b e r t , Prähist. Ztschr. I (1909) S. 65 ff. 9 W e r n e r , Münzdat. Grabfunde S. 65 ff. 10 H o l m q v i s t , Kunstprobleme der Merowingerzeit (1939) S. 128 ff. Vgl. D i t t m a n n , Germania 24 (1940) S. 54 ff. 11 Vgl. S t o l l , Hailfingen S. 40 ff. K u h n in: Das Markgräflerland I X (1938) S. 358 ff. (beides nach H e lb o k , Grundlagen S. 447 ff. erschienen).

298 [78]

D i e Al amanne n : B efestigungen. Landnahme

Abfolge von Waffentypen; inländische Herstellung oder Einfuhr; Zu­ sammensetzung der Regelausrüstung u. a.m.) ist auf das angeführte Schrift­ tum zu verweisen. Den römischen Heeren, die in ihr Gebiet einbrachen, pflegten die Ala­ mannen sich nicht auf offenem Felde entgegenzustellen; vielmehr zogen sie sich mit Weib und Kind und der Fahrhabe in die Wälder oder auf Berge zurück, wo sie sich verschanzten und den Angreifern viel zu schaffen machten. Vgl. die Kämpfe Maximins Herodian V II 2 (Jahr 236), Arbetios Ammian 15, 4, 7ff. (Jahr 354), Julians Ammian 17, 1, 6; 10, 6 (Jahr 357. 358), Valentinians I. Ammian 27, 10, 9 (Jahr 368), Gratians Ammian 31, 10, 12 (Jahr 378). Die gelegentliche Benützung vorrömischer Höhen­ befestigungen wird nach G o e ß l e r 1 durch Funde wie jene vom Lochen­ stein1 2 bezeugt. Ein Beispiel dieser Art ist auch der Glauberg bei Büdingen, der gegen 400, wohl von Alamannen, neu besetzt worden ist.3 A n s i e d e l u n g , W i r t s c h a f t s l e b e n . Die Landnahme erfolgte nach den Grundsätzen des Eroberungsrechts. Die Alamannen nahmen so viel vom Grund und Boden in Beschlag, als sie zu ihrer Ernährung bedurften, ohne Rücksicht auf die Rechte der früheren Besitzer. Allerdings waren die Ge­ biete, in die sie einrückten, wahrscheinlich schon längst infolge der lang­ andauernden Kriegsnot von der römischen Bevölkerung zum großen Teile verlassen, so daß sich vielfach eine Auseinandersetzung mit den Grund­ eigentümern überhaupt verüberflüssigte. Namentlich die Einfälle unter Constantius II. um 350 müssen in der verderblichsten Weise gewirkt haben. Die militärische Neubesetzung der Rhein- und Donaugrenze durch Julian und Valentinian I. sowie die wesentlich auf Verträgen mit den an­ wohnenden Germanen beruhenden Grenzsicherungsmaßnahmen Stilichos und seiner Nachfolger haben eine Rückkehr geflüchteter Provinzialen in größerem Umfange nicht zur Folge gehabt. Wie natürlich haben die Ala­ mannen zunächst die fruchtbaren Gebiete,4 mit Ausschluß der Städte, besetzt. In diesen frühesten Ansiedelungsgebieten ist das germanische Wesen zur fast ausschließlichen Herrschaft gelangt: in den länger und in größerem Maße den Einfällen ausgesetzt gewesenen rechtsrheinischen Ländern begreiflicherweise noch mehr als auf der linken Seite des Stromes. 1 W ü rtt. Viertelj.-H efte f. Landesgesch. N . F . 30 (1921) S. 16. 2 Vgl. V e e c k a. O. S. 287. 372. 3 Vgl. R i c h t e r , Volk und Scholle 12 (1934) S. 289 ff. 4 In gewissem Maße können die S. 75 erörterten Reihengräberfriedhöfe zur A b ­ grenzung des ältesten Siedelungsgebietes herangezogen werden. Dabei ist zu beachten, daß diese in manchen Gebieten erhebliche Zeit nach der Landnahme beginnen. Karten der Friedhöfe bei V e e c k , Die Alamannen in Württemberg (1 9 31); Elsaß-Lothringischer Atlas (1931) Karte 6 ( G u t m a n n ) ; Elsäss. Anz. f. Altertumskunde 25 (1934) Taf. 42 (F o r r e r ).

Die Städte. Erhaltung der Romanen

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Wohl sind hier an einzelnen Stellen Teile der vorgermanischen Land­ bevölkerung1 zurückgeblieben; wir erkennen ihre Spuren in dem Fortleben alteinheimischer geographischer Namen (besonders Flußnamen wie Rhein, Neckar, Kinzig, Enz, Argen, Iller, Lech u. a.; seltener sind Siedelungs­ namen)1 2 sowie an dem Fortbestand der römischen Kultur, namentlich in den Acker- und Handwerksgeräten.3 Es waren vornehmlich abhängige Bauern, die aus Mangel an Mitteln an der allgemeinen Auswanderung sich nicht beteiligt hatten oder von der neuen Herrschaft eine Besserung ihrer gedrückten Lage erhofften, und die als schätzenswerte Arbeitskräfte von den Germanen in der Stellung von Hörigen oder Knechten im Lande be­ lassen wurden. Aber diese Elemente, die übrigens vielfach germanischer A b­ kunft waren, sind von den massenhaft einströmenden Ansiedlern schnell auf­ gesogen worden.4 Von einer besonders gewalttätigen alamannischen Koloni­ sation, einer rücksichtslosen Ausrottung alles Römertums, wie in manchen neueren einschlägigen Arbeiten5 zu lesen ist, kann somit keine Rede sein. Anders liegen die Verhältnisse bei den Römerstädten, da die Alamannen diese nach dem Zeugnisse Ammians 16, 2, 12 zunächst gemieden haben ,,wie mit Netzen umgebene Gräber“ und grundsätzlich nur außerhalb der­ selben ihre Niederlassungen anlegten. Hier haben nicht unansehnliche Reste der Einwohnerschaft die Stürme der Völkerwanderung überdauert. So haben Worms, Altrip, Zabern, Pfortz, Selz, Brumath, Breisach, Colmar, Basel, Windisch, Zürich, Günzburg, Augsburg u. a. m. ihre keltischen bzw. römischen Namen weitergeführt (die Orte des ostgotischen Alamanniens kommen hier außer Betracht); der Bestand der Christengemeinden in Basel, Windisch, Augsburg und wahrscheinlich auch in Worms und Speyer ist nicht unterbrochen worden.6 Die Städte haben sich also als ein wirk­ 1 Diese bestand in manchen Gegenden aus romanisierten Germanen (Suebi Nicretes). Versuche, aus Kultdenkmälern der Römerzeit ein Weiterleben germanischer Überlieferung zu erweisen, sind oben S. 21, 2 erwähnt. - Allgemein P a r e t in: Die Römer in W ürttem ­ berg III (1932) S. 216 ff. 2 Beispiele aus dem Elsaß: G l e y , Die Entwicklung der Kulturlandschaft im Elsaß bis zur Einflußnahme Frankreichs (1932) S. 99. 3 Vgl. D o p s c h , Grundlagen 1 2 S. 106 ff. 259 ff. 4 Vgl. dazu G. W o l f f , Quartalblätter d. H ist. Vereins f. d. Großh. Hessen N . F. I (1899) S. 602 ff. S c h u m a c h e r , Mainz. Ztschr. II (1907) S. 14 ff. Ob es aber zulässig ist, den somatischen Typus der heutigen Bevölkerung jener Gegenden, „w o außerordentlich viele Menschen von brünetter Hautfarbe und mit dunklen Augen und Haaren wohnen“ , auf romanischen Einschlag zurückzuführen, scheint mir sehr zweifelhaft. — Eine beachtens­ werte K ritik der bekannten Kontinuationstheorie von Dopsch gibt für Württemberg G o e ß l e r , W ü rtt. Viertelj.-H efte f. Landesgesch. N . F. 30 (1921) S. 1 ff .; für die Rhein­ lande hat A u b i n , 13. Ber. R öm .-G erm . K om m . 1921 (1922) S. 46 ff., Stellung genommen. 5 So z. B. bei P a u l, Rassen- und Raumgeschichte S. 214. 6 Vgl. W e l l e r , W ü rtt. Vierteljahreshefte f. Landesgeschichte N . F. V I I (1898) S .3 3 3 f. S c h u m a c h e r a. O. H a u c k , Kirchengesch. I 36. O e c h s li , Jahrb. f. Schweiz. Gesch. 33, 249 f. D o p s c h , Grundlagen I 2 S. 166 ff.

300 [SO]

Die A l a m a n n e n : Bedeutung der Ortsnamen

samer Hort des Römertums erwiesen. Ebenso haben sich die Romanen auf den Höhen und in den Gebirgstälern, also in Gegenden, die durch die Natur gegen feindliche Zugriffe größeren Schutz genossen, länger behaupten können. Die Annahme, es handle sich hier vorwiegend um Kriegsflücht­ linge, ist abzulehnen; wie G r a d m a n n 1 mit Recht bemerkt, wären diese, ohne Zusammenhang mit benachbartem Kulturland, verhungert. Sind Romanen im Gebirge, besonders in der Schweiz,1 2 nachweisbar, so sind sie zum großen Teil von Anfang an dort gewesen. Daß die Ortsnamen auf weder (altalamannisch wilari), wil u. ä. nicht notwendig auf römische Gründungen hinweisen, darüber besteht jetzt wohl fast allgemein Einig­ keit; es handelt sich um ein aus dem Lateinischen (villare) stammendes Lehnwort, das erst seit dem 7. Jahrhundert zunächst bei den Franken er­ scheint, also der späteren Landnahmezeit angehört.3 Wichtiger sind jene Ortsnamen, die lehren, daß hier eine Zeitlang Deutsche und Welsche nebeneinander wohnten,4 sowie andere Zeugnisse (romanische Namen von Stiftern frühmittelalterlicher Klosterschenkungen u. a. im Schwarzwald, in Oberschwaben usw.).5Auch diese Elemente sind schließlich dem Deutsch­ tum erlegen, aber erst spät und auch nur teilweise, da die germanische Landnahme erst nach vollständiger Besetzung der Ebenen und in ge­ ringem Maße auf diese Gegenden Übergriff. Von Ortsnamen germanischer Herkunft6 begegnen uns auf alamannischem Ansiedelungsgebiet am häufigsten die Formen auf -ingen, -inghofen (-ikon) und -heim. Die -heim-Orte sind vorherrschend in der elsässischen Ebene vertreten.7 Die ältere Ansicht, daß diese f r ä n k i s c h e H e r r e n ­ g ü t e r bezeichneten, die nach dem Siege Chlodowechs an Stelle der frühe1 Ztschr. f. bayer. Landesgeschichte I (1928) S. 344 ff. 2 Vgl. über die Vogesen Lotte R i s c h , Beiträge zur romanischen Ortsnamenkunde des Oberelsaß (1932) S. 67 ff. 3 V g l. zuletzt besonders S t ä h e li n , Die Schweiz S. 391 ff. G a m il ls c h e g , Romania Germ. I 84f. B r u c k n e r , V ox Romanica I 255ff. R is c h a. 0 . H e l b o k , Grundlagen S. 381 ff. V . W a r t b u r g , Die Entstehung der roman. Völker (1939) S. 107. 4 S t ä h e lin S. 314 ff. B r u c k n e r S. 251 ff. mit weiterer Literatur. H e l b o k , Grund­ lagen Karte 63 (Das , , mengenmäßige Vorkommen46 der ,,W alch en -, Flur- und Ortsnamen64 in Baden, wo kein A m t mehr als 6 Belege aufweist!) und Karte 67 (romanische Ortsnamen und Walchenorte in Süddeutschland; zur Belegliste S. 692 ff. Z e i ß , D L Z . 60, 1939, Sp. 1034). 5 S c h u m a c h e r a. O. S. 15. S c h u lt e in der Ztschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins 43 (1897) S. 300 ff. B a u m a n n , Forsch, z. schwäb. Gesch. S. 479 ff. M ie d e l, Ztschr. d. Gesellsch. z. Beförderung d. Geschichts-, Altertum s- u. Volkskunde von Freiburg 22 (1906) S. 303 ff. B e h a g h e l, Geschichte d. deutsch. Sprache (1911) S. 7 ff. W i r t h , Alamannia 3. Folge V (1913) S. 113 ff. 6 Für Württemberg gibt W e l l e r , Besiedelungsgeschichte W .s vom 3. bis 13. Jahr­ hundert n. Chr. (Stuttgart 1938), eine ausführliche, landschaftlich geordnete Aufzählung der Urdörfer und der Ausbausiedelungen. 7 Vgl. G le y a. O. S. 94 ff.

S i e d el u n gs w e i se

[ 8 1 ] 301

ren durch „ingen“ kenntlichen Sippensiedelungen angelegt und in „heim “ umgetauft worden seien, kann als abgetan betrachtet werden. Eine der­ artige Massenumtaufe würde ein einzigartiger Vorgang sein. Daß die heimOrte überhaupt nicht ausschließlich den Franken eigentümlich sind, ebenso­ wenig wie ingen als spezifisch alamannisch angesprochen werden darf, läßt sich auch archäologisch beweisen, indem verschiedene heim-Orte in Würt­ temberg in einer Zeit gegründet worden sein müssen, als die Franken noch nicht im Lande saßen.1 Ferner ist darauf hinzuweisen, daß weder -heim noch -stadt, -hofen, -hausen u. a. notwendig auf den grundherrlichen Cha­ rakter einer Siedelung deuten. Es muß vielmehr an dem Grundsatz fest­ gehalten werden, daß die verschiedenen Ortsnamentypen lediglich als charakteristische Merkmale einer bestimmten Zeit gelten können. Ohne Zweifel bezeichnen die -ingen und -heim im allgemeinen die ältesten Siede­ lungen, während die übrigen Formen einer späteren Periode angehören. Es ist gewiß kein Zufall, daß V e e c k unter 526 Orten Württembergs mit Reihengräbern allein 188 Namen auf -ingen und 80 auf -heim aufweist, gegenüber 32 auf -hausen usw. Die Alamannen wohnten in Dörfern und Einzelhöfen. Bei der ersten Besitznahme, die, wie wir sahen, sich auf die fruchtbaren Gebiete er­ streckte, erfolgte die Besiedelung unter den alten nationalen, aus der Heimat hergebrachten Ideen. Diese beruhten wesentlich auf genossen­ schaftlicher Grundlage, auf der Niederlassung der einzelnen Sippen gleicher und freier Bauern. Die Sippe siedelte aber auf der von ihr be­ setzten Feldmark zunächst nicht in geschlossenem Verband, sondern, wie sich aus der Anlage der Reihengräber ergibt, nach Familien getrennt in einzelnen Gehöftgruppen, geschieden durch Bach, Weg, Feld oder Wald, meist sogar mit eigener Gewannflur, woraus erst allmählich das spätere Haufendorf erwuchs.1 2 Daß daneben frühzeitig Dorfsiedelungen Vorkom­ men, lassen die großen Friedhöfe mit über 600 Gräbern vermuten.3 Die römische auf dem Prinzip der Grundherrschaft beruhende Wirtschafts­ organisation ward beseitigt. Übernommen wurden nur das Ackerland und die Weiden, während man die römischen Gutshöfe, soweit sie der Zer­ störung in früherer Zeit entgangen waren, zumeist verfallen ließ. Noch später fehlte es nicht an Erinnerungen an den einstigen genossenschaft­ 1 Vgl. V e e c k , Alamannen S. 115. v . W a r t b u r g a. O. 2 Vgl. V . E r n s t , Die Entstehung des deutschen Grundeigentums (1926) S. 14 ff. V e e c k , Alam . S. 117 ff. S t u t z , Niederer Adel S. 20. O t t o , Adel und Freiheit S. 159 ff. D a n n e n b a u e r , Festgabe für K . Bohnenberger (1938) S. 66. Abzulehnen ist H e lb o k , Grundlagen S. 566 ff., der die „Sippenm ark“ m it der Hundertschaft gleichsetzt. 3 Vermutungen über Einwohnerzahlen bei H e lb o k , Grundlagen S. 44 ff. (D orf etwa 60 E .) und S t o l l , Hailängen S. 42 f. (auf der Gemarkung zu Anfang des 7. Jahrhunderts etwa 120, am Ende etwa 250 E .).

302 [82J

Die A l a ma n ne n : Landwi r tscha f t

liehen Charakter der Dörfer. Vgl. Lex Alam. tit. 81: Si quis contentio orta fuerit inter duas genealogias de termino terrae eorum etc. Die Dorfflur er­ scheint hier im Besitze einer genealogia, d. h. einer Sippe.1 Neben den Sippendörfern standen die zahlreichen g r u n d h e r r l i c h e n , im Besitze der Adligen und ihrer Gefolgsleute befindlichen, aus einem Herrengut und Ge­ höften abhängiger Bauern (meist Kriegsgefangenen und zurückgebliebe­ nen Römern) bestehenden Siedelungen. Hier werden die römischen Wirt­ schaftsverhältnisse unmittelbar übernommen worden sein.1 2 Das gleiche gilt wenigstens zum Teil von den Einzelsiedelungen der Gemeinfreien. Die Gründung derselben gehört einer späteren Zeit an und war wesentlich auf das minder fruchtbare und unebene Terrain beschränkt, wo die Bodenbeschaffenheit die Anlage genossenschaftlicher Dörfer unmöglich machte. Die Dörfer der Alamannen und die von diesen betriebene, in hoher Blüte stehende Landwirtschaft werden in den literarischen Quellen häufig er­ wähnt. Maximin verwüstet die alamannischen Saaten und Dörfer (Herodian V II 2, 3); dieses Zeugnis gilt für das Gebiet außerhalb des Limes. Probus legte eine Abgabe von „frumentum, vaccas atque oves“ auf (Hist. Aug. Probus 14, 3). Über den Ackerbau der um 350 auf das linke Rheinufer übergetretenen Alamannen Liban, εις Ίουλ. c.44 (ed. Förster Bd. II S. 24 Z, 3.4), epitaph. c. 42 ( I I 255 Z. 5), 52 ( I I 259 Z. 6), Ammian 16,11,11 ; 12,19. Julian verheert opulentas pecore villas et frugibus Ammian 17, 1, 7. Zur Unterhaltung des munimentum Traiani werden ex barbarorum visceribus alimenta herbeigeschafft Ammian 17, 1, 11. Die très inmanissimi reges ver­ pflichten sich, für das Kastell fruges zu liefern Ammian 17, 1, 13. Suomar muß militibus alimenta praebere Ammian 17, 10, 4. Julian urebat agros, pecora diripiebat (Hortars) Ammian 17, 10, 4. Valentinian verwüstet cuncta satorum et tectorum . . . praeter alimenta Ammian 27, 10, 7. Unter den angebauten Feldfrüchten3 spielte der Dinkel (Spelz) eine Hauptrolle, den aber die Alamannen nicht aus ihrer Urheimat mitgebracht, sondern in Süddeutschland und der Schweiz vorgefunden haben.4 Zur Fleischnahrung stellte das Schwein, dessen in den alamannischen Gesetzen häufig Erwäh­ 1 Dieses Zeugnis sucht D a n n e n b a u e r a. 0 . ohne Grund als bedeutungslos herab­ zusetzen. Y gl. auch D o p s c h , Grundlagen I 2 S. 263 f. 2 Das von D o p s c h a. O. angeführte angebliche Zeugnis des Libanius von dem Be­ stehen grundherrlicher Dörfer gehört nicht hierher, sondern bezieht sich auf den Orient; vgl. W . G ö z , Klio 17 (1921) S. 240. Es hätte also nicht bei H e lb o k a. O. S. 445 wieder erscheinen sollen. 3 Untersuchungen von Speiseresten aus Grabgefäßen, die in den letzten Jahren von G r ü ß und v . S t o k a r durchgeführt worden sind, versprechen eine bessere Kenntnis der Einzelheiten zu ergeben. Dies gilt auch für die Fleischnahrung; z. B . ein Brathuhn: R i e t h , Mannus 31 (1939) S. 130 (nach v . S t o k a r ) . 4 Vgl. zuletzt N e t o l i t z k y , 20. Bericht der röm.-germ. Kommission (1931) S. 36. B e r t s c h , Mannus 31 (1939) S. 191 ff.

Lehngut . Hausbau

[83] 303

nung getan wird, wohl schon in früher Zeit ein wesentliches Kontingent,1 wenn es auch bei den Lieferungen, die der Kaiser Probus sich ausbedang, nicht genannt ist. Mit der Bedeutung der Viehzucht mag es Zusammen­ hängen, daß sich die Alamannen mit besonderer Vorliebe an Bächen und Flüssen ansiedelten.1 2 Von ausgezeichneter Rasse waren die von den Ala­ mannen gezüchteten Rinder; Theoderich weist die Noriker an, ihre boves minores quidem membris sed idoneos ad laborem mit den pretiosores prop­ ter corporis granditatem sed itineris longinquitate defecti der durch­ marschierenden Alamannen zu vertauschen (Cass. var. III 50). Bienenzucht wird durch die Wachskerzen aus den Gräbern von Oberflacht3 bezeugt. Einen großen Teil der Kenntnis der höheren Bodenkultur verdankten die Alamannen aber den Romanen. Die alamannischen Ausdrücke der Milchwirtschaft sind meist von diesen entlehnt.4 Zahlreiche Ausdrücke des Feld- und Gartenbaues stammen aus dem Lateinischen: so Gebäude­ bezeichnungen wie Speicher, Werkzeuge wie Striegel, Sichel, Stiel, Flegel, Wanne, Korb, Nutzpflanzen wie Erve, Wicke, Kohl, Rettig, Zwiebel, eben­ so alle Obstsorten außer A pfel.5 Die Häuser waren überwiegend Holz­ bauten (Blockhäuser oder Fachwerkbauten) mit Strohdächern.6Vgl. Herodian V II 2, 4: Λίθων μέν γάρ παρ’ αύτοΐς ή πλίνθων οπτών σπάνις, ύλαι δ5 ευδενδροι, οθεν ξύλων ουσης έκτενείας συμπηγνύντες αύτά καί άρμόζοντες σκηνοποιοΰνται. Ammian 18,2, 15: saepimenta fragilium penatium. Sym­ machus or. II 10: vilibus culmis contecta gurgustia; II 14: ignaram (regio­ nem) vetustatis urbium ac virgeis domibus et tectis herbidis indecoram. Ein­ mal ist auch von Zelten die Rede (Ammian 27, 2, 9: tentoria Alamannica). Die Häuser, die Julian 357 links vom unteren Main antraf, waren dagegen curatius ritu Romano constructa; man hat hierunter wohl stehengebliebene, von den Alamannen bezogene römische Bauerngüter zu verstehen.7 Daß 1 Vom Schwein stammt die Mehrzahl der Tierknochen (d. h. Speisebeigaben) in dem gut untersuchten Grabfeld Hailfingen; vgl. St o ll a. O. S. 37. Zu Schretzheim Z e n e t t i (vgl. S. 75, 1) S. 120. 2 Vgl. P a r e t , W ü rtt. Vergangenheit (1932) S. 75 f. sowie unten S. 143, 1. 3 Vgl. V e e c k , Alamannen S. 18. Honigreste aus einem Gefäß von Oberflacht weist G r ü ß , Mannus 27 (1935) S. 239 fl*, nach. Vgl. auch unten S. 89. 4 Vgl. H u b s c h m ie d in V ox Romanica I (1936) S. 97. 5 Vgl. S t ä h e li n , Schweiz S. 311. V e e c k , Alamannen S. 125. 6 Vgl. S c h u m a c h e r , Siedel. I I I S. 212. P a r e t in : Die Römer in Württemberg I II (1932) S. 219. 7 W enn V e e c k a. O. S. 125 mit der Ausübung des Steinmörtelbaues bei einem Teil der Alamannen rechnet, der diesen von zurückgebliebenen römischen Handwerkern gelernt habe, so bleibt zum mindesten die Tragweite dieser Annahme unklar; bei den gemörtelten Gräbern scheint es sich zudem um verhältnismäßig späte Bestattungen (7. Jahrhundert) zu handeln. Vgl. P a r e t a. O. S. 218. - Den Unterschied der Mauertechnik alamannischer Anbauten an römische Häuser bei Frankfurt a. M. betont W o e lc k e in: Das Museum für heimische Vor- und Frühgeschichte [Frankfurt a. Μ .] I (1937) S. 61.

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Di e A l e m a n n e n : H and w er ke r und Handwerk

die Alamannen im Bauwesen nicht unerfahren waren, zeigt die ihnen von Julian auferlegte Verpflichtung, zur Wiederherstellung der zerstörten Römerstädte carpenta et materias ex opibus suis suorumque praebere, Ammian 17, 10, 9. Die Gestalt der Hofanlagen der merowingisch-karolingischen Zeit ist aus den Leges Alamannorum ersichtlich; eine Nach­ prüfung durch Ausgrabungen ist bisher nicht möglich gewesen. Den Mittel­ punkt des Gehöftes bildete das einräumige Herrenhaus; gesondert von diesem standen die Wohnungen der Unfreien und die Frauenhäuser. Da­ neben gab es Stallungen für das Vieh, Scheunen, Speicher und Keller.1 Ob und inwieweit dieser Typ schon in die Frühzeit zurückreicht, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Das ‘ altalamannische’ Haus der neueren Zeit hat damit keinen Zusammenhang. Die hohe Blüte der Landwirtschaft war wesentlich bedingt durch die Mitarbeit von Knechten und Hörigen. Menschenraub spielte daher, wie wir sahen, eine große Rolle und war ein Hauptzweck der Kriegszüge in das römische Gebiet. Ebenso lag auch die Ausübung des H a n d w e r k e s zum großen Teile den Unfreien ob. Von diesen hat im Pactus Alam. III 27. 28 der faver ferrarius (Grobschmied) ein Wergeid von 40, der aurifex (Schmied in edlen Metallen)1 2 ein solches von 50 sol., Lex Alam. 74 der faber, aurifex aut spatarius ein solches von 40 soi., während der kein Handwerk aus­ übende Unfreie auf 15 soi. geschätzt wurde. Vielleicht ist bezeichnend, daß unter der Fülle von Schmucksachen im alamannischen Gebiet nur zweimal ein Meistername3 vorkommt; Buchstaben auf einem Schwert sind nicht sicher gedeutet.4 Von den Erzeugnissen des Gewerbes ist uns ein Teil durch die Funde aus den Reihengräberfeldern bekannt, über welche bereits oben S. 75 f. im Zusammenhang mit der Bewaffnung einige Angaben gemacht worden sind. A uf das dort angeführte Schrifttum sei allgemein verwiesen. Gerät erscheint in den Grabfunden, abgesehen von Messern, nur ge­ legentlich, darunter Arbeitsäxte, Scheren, Webeschwerter, Häkelnadeln (vgl. Veeck a. 0 .). Einheimische Herstellung ist anzunehmen, ebenso für ein­ fache Beinkämme, während manche Schnitzereien, so ein mit dem Christus­ monogramm geziertes Kästchen aus Heilbronn,5 aus einer Werkstatt im christlichen Rheinland, eine Elfenbeinbüchse mit Runen von Gammertin1 Vgl. S t e p h a n i , Der älteste deutsche W ohnbau I (1902) S. 125 ff., 330 ff. S c h u ­ m a c h e r , Siedel. III S. 213. 2 H a m p e bei Hoops, Reallexikon II S. 284. Vgl. K a r c h e r , Das deutsche Gold­ schmiedehandwerk (1911) S. 15 f. 3 Zur Fibel von W ittislingen zuletzt H o f i n g e r , Bayer. Vorgeschichtsblätter 12 (1934) S. 94 f. Das Stück ist keine alamannische Arbeit, ebensowenig die Alocchis-Riemenzunge von Offingen, Ldkr. Saulgau (V e e c k , Alamannen S. 72. 126. 337). 4 F r ic k h in g e r , Germania IV (1920) S. 86 f. 5 G o e ß le r , Germania 16 (1932) S. 294 ff. Vgl. S. 92.

A l a ma n n i s che s H anduerk und E i n f u h r

[85 J 305

gen (vgl. S. 92) aus Italien stammen mögen. Stiele und Griffe aus Holz sind wie alles aus diesem Stoff Gefertigte in der Regel verloren; den gün­ stigen Bodenverhältnissen zu Oberflacht (Landkreis Tuttlingen)1 ist die Erhaltung u. a. von kunstvoll gedrechselten Totenbettstellen, Gefäßen, Leuchtern,1 2 Schuhleisten und selbst Lauten (vgl. S. 93) zu verdanken. Eine figürliche Einritzung zeigt allein ein Kästchenrest von Pfahlheim;3 Kerbschnittornament tragen die sogenannten Totenschuhe in Oberflacht (Veeck S. 18 f.), die heute wohl richtiger als Zierfüße von Möbeln gedeutet werden. Während also von dieser Seite nur selten ein Streiflicht auf die künstlerische Entwicklung fällt, ist der Schmuck weit aufschlußreicher. Trotzdem die deutsche Forschung seit L. L i n d e n s c h m i t , 4 dem ver­ dienten Begründer des Römisch-Germanischen Zentralmuseums5 in Mainz, umfangreichen einschlägigen Fundstoff erschlossen und eingehende Unter­ suchungen6 durchgeführt hat, stehen wichtige Fragen noch offen. Ins­ besondere ist die Feststellung der Herkunftsgebiete sehr schwierig, zumal Werkstättenreste bisher nicht beobachtet worden sind. Sie werden in der Regel unter heutigen Siedlungen liegen, wie ja auch die zu den zahlreichen Grabfeldern gehörigen Höfe infolge ununterbrochener Bewohnung bis zur Gegenwart der Untersuchung entzogen sind. Verbreitungskarten von Fundtypen sind in diesem Zusammenhang nur mit Vorsicht zu benützen; am ehesten vermögen sie zu bezeugen, daß vereinzelte Stücke abseits vom Dichtigkeitszentrum wie z. B. aus dem Westen kommende Flügelpferd­ schnallen7 oder aus Italien eingeführte (bzw. nachgeahmte) Goldblech­ kreuze8 im Alamamiengebiet Fremdgut sind. Der lebhafte Verkehr der germanischen Stämme untereinander hat insbesondere innerhalb des 1 Über neuere Funde V e e c k , Altschlesien V (1934) S. 302 ff. 2 Nicht in die Alamannenzeit gehören dagegen die vielfach falsch datierten Lichtstöcke aus T on ; vgl. Z e i ß , Germania 16 (1932) S. 138 ff. 3 Für die Herleitung ist die Gegenüberstellung mit einem Brett vom Sarge St. Cuthberts zu beachten: B a u m , La Sculpture figurale en Europe à l’époque mérovingienne (1937) Taf. 31. 4 Der Vorlage umfangreichen Materials in den , , Altertümer unserer heidnischen Vor­ zeit“ (seit 1860) folgte das , , Handbuch der deutschen Altertumskunde“ (1 8 8 0 -8 9 ), das heute noch nicht ersetzt und als Stoffsammlung wertvoll, wenngleich in manchen Fragen, wie z. B. hinsichtlich der genaueren Chronologie, unzureichend ist. 5 Seit 1939: Zentralmuseum für Deutsche Vor- und Frühgeschichte. 6 Besonders ist neben den in den Anmerkungen genannten Werken B r e n n e r , V I I . Ber. Röm .-Germ . Kom m . 1912 (1915) S. 253 ff. zu nennen. Die wichtigsten ausländischen W erke, welche für die süddeutsche Reihengräberforschung in Frage kommen, nennt Ä b e r g , Die Franken und Westgoten in der Völkerwanderungszeit (1922) S. V i f . sowie Vorgeschichtliche Kulturkreise in Europa (1936) S. 77 f. 7 Vgl. die Karte J P E K I X (1934) S. 84 A bb. 1 (K ü h n ). Zu der Gruppe Z e i ß , SB. d. Bayer. Akad. 1938, 7 S. 54 ff. 8 Dazu W 'e r n e r , Münzdat. Grabfunde (1935) S. 42 f. 77 f. Karte 3 (Taf. 38). Neue Be­ lege bringt B o t t , Germania 23 (1939) S. 23 ff.

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Die A l a ma n ne n : Wichtige Schmuckarten

Merowingerreiches zu einer weitgehenden Vereinheitlichung des Kunst­ handwerks geführt; dies erschwert die Bemühungen, z. B. Fränkisches und Alamannisches überzeugend zu scheiden.1 Ganz anders liegen die Verhält­ nisse an den Grenzen von Völkern mit grundverschiedener Ausrüstung; so hat P. Reinecke,1 2 der in der Stammeszuweisung gewiß zurückhaltend ist, das Awarengebiet nach den charakteristischen Grabfunden dieses Reitervolkes scharf umreißen können. Mit gleicher Deutlichkeit werden Alamannen, Franken und Bajuwaren kaum voneinander zu scheiden sein, auch wenn der stattliche Fundstoff noch eine bedeutende Vermehrung er­ fahren wird. Wenn also im folgenden von alamannischer Kunst gesprochen wird, so geschieht das in der Auffassung, daß diese nur ein Teil eines großen festländischen, d. h. fränkisch-langobardischen Kreises3 ist, an dessen allgemeiner Entwicklung sie teilnimmt. Was hier also darzulegen ist, gilt in gewissem Maße auch für andere Teile des genannten Kreises, ins­ besondere für den gesamten Ostteil des Frankenreiches. Mit dem Einsetzen der Reihengräberfelder wird ein aufblühendes Kunst­ handwerk faßbar, dessen Entwicklung nicht aus dem geringen alamannischen Grabgut des 3./4. Jahrhunderts4 hergeleitet werden kann; wohl er­ scheinen unter diesem bereits Varianten der weitverbreiteten Fibel mit umgeschlagenem Fuß, von welcher die Bügelfibeln der Reihengräberzeit herstammen, aber keine unmittelbaren Vorläufer der entscheidenden Um­ gestaltung, der Ausbildung von Schmuckplatten mit Kerbschnittornament.5 Wahrscheinlich ist der geläufigste alamannische Bügelfibeltyp mit halb­ runder Kopfplatte und geradem Fußende6 im östlichen Gallien entstanden, in einem Gebiet, das nachweisbar Zierformen gallorömischer Werkstatt­ überlieferung dem merowingischen Kunsthandwerk vermittelt hat.7 Die ge­ schmiedete gotische Blechfibel ist höchstens gelegentlich durch eine der Wellen der Wanderung zu den Alamannen verschlagen worden,8 wie ja auch hunnische Stücke nach dem Elsaß gelangten.9 Ebenfalls vereinzelt und östlicher Herkunft ist das älteste Beispiel für die manchmal als Goten1 Dies versucht insbesondere V e e c k , Alamannen S. 88 ff ., sowie in : W ü rtt. Vergangen­ heit (1932) S. 79 ff. 2 Germania 12 (1928) S. 87 ff. Die Notwendigkeit von Ergänzungen betont A l f ö l d i , Eurasia Sept. A nt. I X (193) S. 303, 8. 3 Allgemein Umrissen von Z e i ß , Vergangenheit und Gegenwart 27 (1937) S. 374 ff. 4 Vgl. das S. 75, 2 sowie S. 76, 2 genannte Schrifttum. 5 Dieser Übergang ist am besten im mittleren Donaugebiet zu erfassen; vgl. Z e i ß , Germania 21 (1937) S. 35 ff. Er kann auch in anderen Gegenden selbständig vollzogen worden sein. 6 Zur Statistik A b e r g , Franken und W estgoten Germania 11 (1927) S. 134, 4. 7 Beispiele bei Z e i ß , SB. München 1938, 7 S. 33. 8 Â b e r g a. O. S. 48 A bb. 69. 9 Z e i ß , Germania 17 (1933) S. 127 f.

S. 72 ff. 246 ff. Karte

4 ; Z e iß ,

Wichtige Schmuckarten . Glas

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Stil schlechthin bezeichnete Zellenarbeit aus dem S. 76 f. erwähnten Grabe von Altlußheim. Auch andere Stücke, z. B. ein Teil der Funde von Gültlingen,1 mögen aus dem gotischen Bereich stammen, von dem die Vorliebe für Almandineinlagen (als Ersatz bisweilen rotes Glas) zu den westlichen Germanenstämmen gedrungen ist. Kerbschnitt (ursprünglich Spiralmotive antiker A rt; später lineare Muster) und Steinverzierung gehören zu den wichtigsten Kunstmitteln des 6. Jahrhunderts. Während die gleichzeitige germanische Tierornamentik älterer Art, Stil I nach S a li n ,1 2 in Süddeutsch­ land nur mit den Ausläufern eines ursprünglich in Skandinavien beheimate­ ten Typs3 vertreten ist, erlebt Stil II hier eine kräftige Entwicklung, wie vor allem Beschlägplatten und Riemenzungen erkennen lassen. Der Anteil übernommener Vorbilder (langobardischer Stil II4) und einheimischer Erfindungsgabe bedarf noch weiterer Klärung; für eine weit verbreitete, in Eisen und Silbertauschierung wie in Bronze, seltener in massivem Silber gearbeitete Gruppe ist der Zusammenhang mit den reich entwickelten Mustern der Plattierung und Tauschierung in Burgund deutlich.5 An den „Gotenstil“ knüpfen u. a. die Fibeln mit rautenförmigem Fuß6 und präch­ tige Rundfibeln in Zellenarbeit7 an, während solche aus Goldblech auf eine italisch-langobardische Gruppe zurückgehen.8 Wenn auch die genauere Aufzählung und Erörterung der Schmuckgattungen der beschreibenden Altertumskunde überlassen werden muß, so sei doch wenigstens noch her­ vorgehoben, daß die figürliche Darstellung der germanischen Kunst dieser Zeit im Grunde fremd ist. Das zeigen vereinzelte Zierscheiben mit Reitern (ohne Grund auf Wodan gedeutet)9 und Menschenpaaren unter einer Fülle weit gelungenerer geometrischer und Tierstilmuster ebenso deutlich wie die Nachbildung von Münzen und Medaillonen auf Brakteaten, die mit den bekannten nordischen Brakteaten nicht unmittelbar Zusammenhängen. Die erwähnten Zierscheiben, die auf Gürteltaschen getragen wurden, scheinen eine Besonderheit des Ostens des Merowingerreiches zu sein. Zu dem verbreitetsten Frauenschmuck gehören bunte oder einfarbige Perlen aus Glas, deren Herstellungsland bisher unbekannt ist, während

1 Bei V e e c k , Alamannen an zahlreichen Stellen erwähnt; vgl. das Register S. 371. 2 Die altgermanische Tierornamentik (1904), ein unveraltetes Werk. 3 Â b e r g a. O. S. 91 ff. 249 ff. Karte 5. - W e r n e r , Münzdat. Grabfunde S. 47 f. 4 Gegen die Herleitung von Stil II aus dem Langobardengebiet (Werner) wendet sich H o l m q v i s t , Kunstprobleme der Merowingerzeit (1939) S. 284 ff. 5 Z e i ß , SB. München 1938, 7 S. 7 5 -7 7 . 6 Schrifttum zu diesem Typ bei Z e iß a. O. S. 16; vgl. auch S. 50 f. 7 Die besten Beispiele aus einem neuen Fund: V e e c k , Germania 23 (1939) S. 40 ff. 8 Bei V e e c k , Alamannen S. 41 f ., fehlt ein entsprechender Hinweis; vgl. Z e i ß , Ger­ mania 15 (1931) S. 182 f. 0 Vgl. H o lm q v i s t a. O. S. 120 ff.

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D i e A l a m a n n e n : Geschirr. Verkehr. Geistige K u l t u r

die selteneren Amethystperlen vielleicht aus Italien stammen.1 Für Perlen­ herstellung in den fränkischen Hütten, aus denen die nicht allzu häufigen Gläser der alamannischen Gräber in der Regel1 2 herrühren dürften, spricht kein Anzeichen; vielleicht ist doch an das Mittelmeergebiet zu denken, über welches mit anderem Einfuhrgut die in Frauengräbern vorkommen­ den Tigerschnecken (Amulette ?) bezogen worden sind. Das „koptische“ , vielleicht in Italien gefertigte Bronzegeschirr3 macht einen ansehnlichen Teil des vorkommenden aus. Dagegen überwiegt bei der Tonware einheimische Herstellung, wenn auch im 3./4. Jahrhundert vereinzelt spätrömisches Geschirr und im 6./7. Jahrhundert fränkisches, besonders der doppelkonische Topf, eingeführt worden ist, wobei sich in beiden Fällen einheimische Nachbildungen anschließen. Als altalamannisch, d. h. aus der norddeutschen Heimat mitgebracht, sieht W . V e e c k die Gefäße mit Rippenverzierung4 an. Seltener ist Drehscheibenware mit eingeglätteter Verzierung,5 deren Vorstufen im 4. Jahrhundert W . S c h u l z 6 an thüringische Funde angeknüpft hat. Als Verkehrs- bzw. Transportmittel dienten Wagen, die wohl teils mit Ochsen, teils mit Pferden bespannt waren. Vgl. die carpenta, mit denen die Alamannen Baumaterialien herbeischafften, Ammian 17, 10, 9, das carpen­ tum velox, auf dem Makrian das Weite suchte, Ammian 29, 4, 5. Später­ hin fehlen Nachrichten. Ein lebhafter Verkehr innerhalb des Alamannen­ gebietes wie mit den Nachbarstämmen ist jedoch durch zahlreiche Reihen­ gräberfunde gesichert, die aus Frankreich oder Italien7 eingeführt oder einheimische Arbeiten nach fremden Vorbildern sind. Über die g e i s t i g e K u l t u r wissen wir nur wenig. Den römischen Ein­ flüssen auf diesem Gebiete standen die Alamannen, wenn auch nicht aus­ gesprochen feindlich, so doch zurückhaltend gegenüber. Es war ein ver­ einzelter und besonderer Fall, wenn ein Alamannenfürst mit den Serapismysterien sich vertraut gemacht hatte, die er als Geisel in Gallien kennen­ gelernt hatte (Ammian 16, 12, 25). Daß die fremden Quellen nichts über die einheimischen Überlieferungen melden können, liegt auf der Hand; aber auch die Funde verraten wenig von alamannischem Glauben und Brauch-

1 W e r n e r Münzdat. Grabfunde S. 50 f. 2 Eine Ausnahme ist das italische Stengelglas aus Grab 18 von Bülach, K an t. Zürich ( Z e i ß , SB. München 1938, 7 S. 35). 3 Zusammenfassend W e r n e r , Mnemosynon Th. Wiegand (1938) S. 74 ff. H o l m q v i s t a. O. S. 102 ff. 4 Der Typ lebt länger fort als Veeck annahm ; vgl. Z e i ß , Bayer. Vorgeschichtsblätter 14 (1937) S. 25. 5 Hier ist die jüngere W are vom Typ V e e c k , Alamannen Taf. 17, 38, gemeint. 6 Schumacher-Festschrift (1930) S. 320 f. Vgl. unten S. 118. 7 Zur Bedeutung der Bündner Pässe vgl. W e r n e r a. O. S. 13 f. 26 ff.

Brauch und Sitte. Götterglaube

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tum. Von den mindestens z. T. als segenskräftig geltenden Runeninschriften (s. S. 92) abgesehen, kommt vielleicht die eigenartige Schwertscheide von Gutenstein (Landkreis Stockach) in Betracht, deren tierköpfige Krie­ ger schon lange mit nordischen Darstellungen verglichen werden.1 In den Berichten der Feinde, die freilich nicht unparteiisch sind,1 2 er­ scheinen die Alamannen als rauh an Sitten, gewalttätig und raublustig.3 Mehrfach wurde gegen sie der Vorwurf der Unzuverlässigkeit erhoben, vgl. Dio 77, 20, 2: άπιστίαν; Ammian 27, 1 0 ,3: reparabilis gentis motus time­ bantur infidi: . . . ob suspectos eorum mores nunc infirmorum et supplicum, paulo post ultima minitantium. Das Laster der Trunksucht war bei ihnen stark verbreitet. Als Getränk diente hauptsächlich das aus Gerste gebraute mit Honig gesüßte Bier, wovon noch Spuren in den Gräbern von Oberflacht gefunden worden sind.4 Vgl. das Gedicht des Kaisers Julian in der Anthologia palatina IX 368. Columban traf die Alamannen in der Bodenseegegend um eine mächtige Kufe mit Bier versammelt, die sie zu Ehren Wodans leerten (vita Columb. I 27, SS. rer. Merov. IV S. 102). Jovinus überrascht eine Schar Alamannen beim Trinkgelage (potantes), Ammian 27,2, 2. Valentinian überfällt ein Dorf, dessen Bewohner vix desudata in diem c ra p u la flüchten, Symmach. or. II 10. Die ebrietas der Alamannen hebt Salvian gub. Dei IV 68 besonders hervor. Die Gastmähler dehnten sich gentili more bis spät in die Nacht hinein aus, Ammian 18, 2, 13. Solange die Alamannen politisch selbständig waren, ja sogar noch lange unter fränkischer Herrschaft, sind sie Heiden gewesen. Der Hauptgott, den sie verehrten, war wohl Z iu , der Himmels- und Kriegsgott; nach dem Ziu hieß der dritte Wochentag Ciesdac.5 Die Runenschrift der größeren Bügelfibel von Nordendorf (vgl. S. 92, 2) nennt eine Götterdreiheit (Loga})ore, Wodan, WigiJjonar), welcher im Norden LojDurr, Oöinn und Ving|)orr entsprechen; sie gehört in den Anfang des 7. Jahrhunderts. Wodan ist bei den Alamannen auch durch die vita Columbani (vgl. oben) bezeugt, und 1 L it.: V . J e n n y und V o lb a c h , Germanischer Schmuck des frühen Mittelalters (1933) S. 5 2; B a u m , La Sculpture figurale en Europe a l’ époque mérovingienne (1937) S. 76. H ö f l e r , Kultische Geheimbünde der Germanen I (1934) S. 56, nennt das Stück unter den Beispielen für kultische Tierverkleidung. H o lm q v i s t a. O. S. 154 ff. sucht ein ägyp­ tisches Vorbild nachzuweisen. Vgl. auch L iu n g m a n , Folklore Fellows Commun. 119 (1938) S. 1052 ff. 2 Vgl. zu Ammian N e u s c h e le r , Festgabe für Bohnenberger (1938) S. 81 f. 3 Vgl. Dio a. Ο. θρασύτητα. Amm ian 28, 5, 9 : immanis natio. Sid. Apoll, carm. V 375: trux Alamannus. 4 Vgl. P a r e t , Das frühschwäb. Gräberfeld von Stuttgart (1937) S. 83. 5 Die Glosse, die die Schwaben noch später Cyuuari nannte, und der angebliche Name für Augsburg Ciesburc sind anfechtbar, beruhen vielleicht auf falscher Lesung, vgl. de V rie s I S. 181. Mit der Ziuverehrung mag Zusammenhängen der Eid auf die Waffen Lex Alam. 86 A . 89 B , der wohl auch zu verstehen ist Ammian 17, 1, 13 : iurantes conceptis ritu patrio verbis.

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Di e Al a ma n ne n : Götterglaube. Bes t at t ung ss it t en

Donars Verehrung schon für die älteste Zeit anzunehmen, während der dritte Gott nur hier erscheint. Den Kultus von Wald- und Wasser­ geistern bezeugt Agathias I 7 : die Alamannen verehren gewisse Bäume, Flüsse, Hügel und Schluchten, denen sie Pferde, Stiere und unzählige an­ dere Tiere opfern. Heilig waren insbesondere die Salzquellen, um deren Besitz die Alamannen mit den Burgundern, so wie einst die Chatten mit den Hermunduren, im Kampfe lagen (Ammian 28, 5,11). Wenn Gallus in Bregenz très imagines aereas et deauratas vorfand, die superstitiosa gen­ tilitas ibi colebat (Wettinus, vita Galli c. 6, vgl. Walafr. Strabo I 4), so könnte es sich eher um antike als um alamannische Götterbilder handeln, falls nicht der Zug aus der konventionellen Bekehrungslegende stammt. Das gleiche gilt für die von Gallus angeblich zerstörten gentilium fana diisque consecrata in Tuggen (Wett. c. 4, vgl. Walafr. I 4; Ratpert. casus s. Galli c. 2). Weihegaben aus edlem Metall waren vielleicht die ιερά, die der Kaiser Maximinus aus Germanien fortschleppte (Zonaras 12, 16). Der Wille der Götter wurde durch Seher geoffenbart. Ammian 14, 1 0 ,9 : diri­ mentibus forte auspicibus vel congredi prohibente auctoritate sacrorum; Agathias II 6 : Die Seher prophezeien die Niederlage bei Capua für einen bestimmten Tag. Noch im 9. Jahrhundert nennen die Fuldischen Annalen eine Seherin Thiota (Ann. Fuld. ed. Kurze S. 36 f.). Außer den erwähnten Tieropfern waren auch Menschenopfer üblich; denn es werden im fränki­ schen Heere dienende Alamannen gewesen sein, die nach Prokop b. G. II 25, 9 gotische Weiber und Kinder im Jahre 539 als Erstlingsopfer des Krieges in den Pofluß warfen. — Auch bei den Alamannen läßt sich das Weiterleben heidnischer Überlieferung in christlicher Zeit in mancherlei Gestalt nachweisen.1 Mit den religiösen Anschauungen hingen wohl die Bestattungsformen zusammen. Die älteste Art der Beerdigung war die aus der swebischen Heimat mitgebrachte Brandbestattung, von der im Alamannenland nur wenige sichere Spuren vorliegen. Einen bedeutsamen Wechsel bezeichnete der Übergang zur Körperbestattung mit zahlreichen Beigaben, die auf einen Unsterblichkeitsglauben1 2 hinweist. Doch ist die Behauptung, daß die Anlage der Reihengräber auf christlichen Einfluß zurückzuführen sei,

1 Y gl. G o e ß le r , Arch. f. Religionswiss. 35 (1938) S .65 ff. — J u n g , Germanische Götter und Helden in christlicher Z eit2 (1939), hat das Verdienst, das Augenmerk auf zahlreiche Fragen gerichtet zu haben, läßt aber häufig an Sachkenntnis wie an klarer Darlegung des Befundes zu wünschen übrig. 2 Nach einer andern Auffassung kannten die Germanen eine e ig e n t lic h e Unsterblich­ keit nicht. Ihre Unsterblichkeitshoffnung erstreckte sich auf das ir d is c h e Dasein: auf Fortleben oder Wiederaufleben in der Sippe. Vgl. dazu K . A . E c k h a r d t , Irdische U n ­ sterblichkeit und germanischer Glaube an die Wiederverkörperung in der Sippe (1937).

Berührung mit dem Christentum

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unbegründet;1 dies geht schon aus der gleichzeitig aufblühenden Beigaben­ sitte hervor, die eine Jenseitsvorstellung nach dem Abbild des irdischen Lebens erschließen läßt. Die Waffenbeigaben wären am verständlichsten bei einer Art von Walhallglauben, der freilich für die Südgermanen dieser Zeit nicht bezeugt ist. Die religionsgeschichtliche Forschung bietet keine be­ friedigende Erklärung;1 2 ihr gegenüber sei ausdrücklich betont, daß kein hinreichender Grund vorhanden ist, die Aufgabe der Brandbestattung mit dem entsprechenden Wechsel im provinzialrömischen Brauchtum zusam­ menzubringen, wo sie zweifellos mit dem Vordringen orientalischer Kulte in Verbindung steht.3 Im freien Germanien ist unverbrannte Beisetzung auch vorher zu belegen.4Vollends die Waffenbeigaben stehen zum römischen Brauch in Gegensatz.5 Die Art der Grablegung6 wird gleich der Ausstattung auch von sozialen Unterschieden bestimmt sein. Särge und Einbauten in Holz sind freilich meist vergangen; zu den gelegentlich erhaltenen Baum­ särgen7 ist darauf hinzuweisen, daß noch heute Wendungen der Mundart8 an diesen Brauch erinnern. Wenn auch zäh am Heidentum festhaltend, haben die Alamannen sich doch im allgemeinen dem Christentum gegenüber tolerant verhalten. Von Verfolgungen der Christen um ihres Glaubens willen ist keine Rede. Wenn die Scharen Leutharis und Butilins die Kirchen in Italien zerstörten und beraubten (Agath. II 1), so ist dies nicht aus religiösem Haß, sondern aus bloßer Raublust geschehen. Daß sie die Missionare, die ihre Heiligtümer zu vernichten strebten, töten wollten, wird ihnen niemand verargen. Unter den im alamannischen Okkupationsgebiet zurückgebliebenen und aus den verschiedenen Provinzen als Gefangene fortgeschleppten Römern be­ fanden sich sicher zahlreiche Christen, die auch unter der germanischen Herrschaft an ihrem Glauben festhielten. Das oft angeführte Zeugnis des Arnobius adv. nationes I 16, daß zu dessen Zeit (um 310) Christen unter den Alamannen gelebt hätten, ist allerdings wertlos, wie die Zusammen­ stellung der Alamannen mit den Persern und Skythen dartut.9 Es läßt sich

1 2 3 4

Vgl. G o e ß le r , Blatt, f. württ. Kirchengesch. N . F. 36 (1932) S. 168 f. de V rie s I S. 272 ff. Vgl. L e h n e r , Bonn. Jahrb. 129 (1924) S. 64. Vgl. P e s c h e c k , Die frühwandalische Kultur in Mittelschlesien (1939) S. 13 ff.

6 Darauf sowie auf das Gesamtproblem der Reihengräbersitte wird bei der Behandlung der Franken zurückzukommen sein. 6 Übersicht bei V e e c k , Alamannen S. 12 ff., und S t o l l , Hailfingen S. 10 ff. Zu den Speisebeigaben oben S. 82, 3 und 83, 1. 7 Vgl. auch F r ic k h in g e r , 20. Jahrb. d. Ries. Heimatver. (1937) S. 19 ff. R i e t h , Germanen-Erbe II (1937) S. 202 ff. 8 Vgl. F i s c h e r , Schwab. W örterbuch I Sp. 713 f. II Sp. 292. 9 Vgl. M e y e r v. K n o n a u , Alamannendenkmäler der Schweiz II S. 14.

312 [9 2 ]

Die A la m a n n e n : Sprache. Schrift (Runen)

nachweisen, daß der Bestand der in römischer Zeit gegründeten Christen­ gemeinden und Bistümer von Augsburg, Windisch, Basel, Worms, Speyer u. a. durch die alamannische Eroberung nicht zerstört worden ist. Das Nebeneinanderleben von Christen und Heiden hat dann den Übertritt ein­ zelner Alamannen zum Christentum zur Folge gehabt. Germanische Na­ men erscheinen auf christlichen Inschriften von Augst und Windisch, die einer sehr frühen Zeit angehören. Dagegen beweisen die in alamannischen Reihengräbern gemachten Funde von mit christlichen Emblemen ver­ sehenen Gegenständen wie eines Beinkästchens von Heilbronn nichts, soweit diese wahrscheinlich von linksrheinischen Gegenden durch Handel oder als Beute ins Alamannenland gelangt sind.1 Der. Fürst Gibuld, der Zeitgenosse des heiligen Severinus, soll nach Hauck, Veeck u. a. (arianischer) Christ gewesen sein; doch bietet für eine solche Annahme die angezogene Quelle, vita Severini c. 19, nicht den geringsten Anhalt. Kein sicheres Er­ gebnis ist aus der ältesten Aufzeichnung des alamannischen Rechtes zu ge­ winnen, wo Christliches und Heidnisches nebeneinander stehen; denn wie schon bemerkt, ist die bisher übliche Zeitbestimmung derselben (Anfang des 7. Jahrhunderts) zweifelhaft. Auch die lateinische Sprache und Schrift hat erst spät Eingang ge­ funden. Die Verhandlungen mit den Römern wurden durch Dolmetscher geführt, vgl. Dexippus fr. 6 von den Juthungen: διά τίνος έρμηνέως. Gen­ tili prece bittet Chnodomar um Gnade, Ammian 16, 12, 65. Ein römischer Tribun Hariobaudes, der sermonis barbarici perquam gnarus war, wird Ammian 18, 2, 2 erwähnt. Runeninschriften sind bei den Alamannen erst in der zweiten Hälfte des 6. und im 7. Jahrhundert durch Reihengräberfunde bezeugt. Am wichtig­ sten ist die (größere) Bügelfibel A von Nordendorf (Landkreis Donauwörth) mit drei Götternamen (vgl. oben S. 89); die Inschriften der Bügelfibeln von Herbrechtingen (Ldkr. Heidenheim) und Nordendorf B, der Scheiben­ fibeln von Balingen und Bülach (Kanton Zürich) und der Kapseln von Gammertingen (Hohenzollern) und Schretzheim (Landkreis Dillingen) werden auf Zauber, Segenswunsch oder Besitzbezeichnung gedeutet. Die Saxe von Hailfingen (Landkreis Tübingen) und Steindorf (Landkreis Fürsten­ feldbruck) scheinen durch die Runen zu kultischem Brauch geweiht wor­ den zu sein.1 2 1 Vgl. G o e ß l e r , Germania 16 (1932) S. 2 9 9 ; Blätter für württemb. Kirchengeschichte 1932 S. 149 ff. T a t a r i n o f f a. O. S. 148. Doch ist auch Goeßler geneigt, gewisse Grab­ funde als Zeichen eines um sich greifenden christlichen Einflusses anzusehen. - Zu den Goldblechkreuzen vgl. oben S. 85, 8. 2 Ausführliche Behandlung der Inschriften wie der Fundstücke nach Herkunftsgebiet (z. B. der Sax von Steindorf trotz des Fundortes alamannisch) und Nachweis des ältern

Di chtu ng . Tracht . R a s s e n ve r hä l tn is se

[93] 313

Lieder, die die „Barbaren“ jenseits des Rheines, wahrscheinlich von den Taten ihrer Helden sangen (άγρια μέλη), und die den Römern wie das Krächzen wilder Vögel klangen, erwähnt Julian in seinem Misopogon (S. 434 Hertlein). Die Laute eines Sängers ist in zwei Gräbern von Ober­ flacht (Ldkr. Tuttlingen) beobachtet worden.1 T r a c h t. Die männlichen Alamannen trugen bis zum Knie reichende Hosen aus Leinwand oder Leder (Agath. II 5), Hemd, Leibrock mit Gürtel, darüber einen bei den Edlen mit Silber durchwirkten Mantel, wie ihn Caracalla nachahmte (Herodian IV 7; vgl. Dio 78, 3, 3); die Frauen nach der Lex Alam. lange Röcke aus Wolle und eine Kopfbedeckung. Die W eb­ kunst stand auf hoher Stufe.*1 2 Die Füße waren bekleidet mit Lederschuhen oder Sandalen. Wie bei allen Germanen war das lang herabwallende Haar, auf dessen Pflege große Sorgfalt verwendet wurde, Kennzeichen der Freien; vgl. Ammian 16, 12, 36: comae fluentes horrebant; ebenda 27, 2, 2: comas rutilantes ex more; Claudian. IV. cons. Hon. 655: Suebus crinitus. Zeugnis dafür legen auch die Grabfunde ab, unter denen sich zahlreiche Kämme (vgl. S. 84) befinden. Für die Kenntnis der K ö r p e r b e s c h a f f e n h e i t bieten ebenfalls die Bodenfunde reichliches Material. Die Bestatteten weisen zu mindestens 70% den nordischen Typus a u f;3 die mittlere Körperhöhe der Männer be­ trug nach mehreren Untersuchungen im Durchschnitt 172 cm, was als Durchschnittswert bei vorwiegend nordischer Rasse gilt, während z. B. die Toten von Elgg (Kanton Zürich) bei einer durchschnittlichen Höhe von 168 cm auf einen gewissen Einschlag von Ostrasse schließen lassen, was die am gleichen Ort beobachtete Neigung zur Kurzköpfigkeit bestätigt.4 In solchen Fällen wird man auf eine Beimischung bodenständiger Bevölke­ rung schließen dürfen. —Ansehnliche Größe und kräftigen Körperbau be­ zeugt auch Ammian 16, 12, 47 : robusti et celsiores. Das von Ausonius be­ sungene Schwabenmädchen Bissula war blond und blauäugig wie die meisten ihrer Stammesgenossen (vgl. Suebus flavus, Claudian. in Eutrop. I 380). Schrifttums bei A r n t z und Z e i ß , Die einheimischen Runendenkmäler des Festlandes (1939). Vgl. S ie r k e , Kannten die vorchristlichen Germanen Runenzauber? (1939) S. 82. 1 V e e c k , Die Alamannen S. 20. 130. Vgl. K o s s i n n a , Mannusbibl. 50, 298 ff. 2 Vgl. V e e c k S. 21 f. P a r e t S. 84 f. T a t a r i n o f f a. O. S. 47 f. Webeschwerter aus Grabfunden: Z e n e t t i a. O. S. 123. 3 Vgl. u. a. G ü n t h e r , Herkunft und Rassengeschichte der Germanen (1935) S. 84. 94 f. 103. G r a d m a n n , Süddeutschland I 107ff. und Ztschr. f. württ. Landesgeschichte I (1938) S. 1 ff. M e r k , Ztschr. d. Savignystift. 58 (1938) S. 22. W e l l e r , Besiedelungs­ geschichte W ürttembergs vom 3. bis 13. Jahrhundert (1938) S. 17 f. 4 Zusammenfassend m it Nachweis der Untersuchungen K r a m p , Der Biologe V I I I (1939) S. 306 f. Vgl. R i e t h , Mannus 31 (1939) S. 140.

314 [94]

Di e H e r mu n du r en : Herk un ft

Uber die V o l k s z a h l besitzen wir nur unzuverlässige Quellenangaben. Nicht viel besagen will es, wenn der Stamm als gens populosa (Viet. Caes. 21, 1), innumerabilis natio (Cass. var. II 41) bezeichnet und die unerschöpf­ liche Volkskraft (Ammian 28, 5, 9: inmanis natio, iam inde ab incunabulis primis varietate casuum inminuta, ita saepius adulescit, ut fuisse longis saeculis aestimetur intacta) hervorgehoben wird. Offensichtliche Über­ treibung ist es, wenn die Juthungen ihre Streitkräfte auf 120000 Mann be­ zifferten. Dasselbe gilt von den 300000 Alamannen, die 260 bei Mailand geschlagen wurden, von den 400000 Germanen, die der Kaiser Probus ge­ tötet haben soll. Aus dem Schwanken der Zeugnisse über die Stärke des bei Argentaria kämpfenden Heeres (40000 oder 70000 Mann) ergibt sich ohne weiteres, daß den Römern keinerlei positive Unterlagen zu Gebote standen. Zu besserem Ergebnis führt eine Betrachtung der Zahlenverhält­ nisse in der Schlacht bei Straßburg. Die Alamannen waren hier, wie schon bemerkt, 20—25000 Mann stark. Da sie den größeren Teil des Gesamt­ aufgebots des Stammes bildeten, wird dieses 30-35000 Mann, kaum mehr, betragen haben.

b) D ie H e r m u n d u r e n u n d T h ü r i n g e r I Über die Entstehung der H e r m u n d u r e n versagen die schriftlichen Quellen. Plinius hist. nat. IV 99 zählt sie zur Gruppe der Erminonen und stellt sie neben die Suebi, die Semnonen, von denen sie ohne Zweifel sich abgezweigt haben. Vgl.dazu B d . I I l 2 S. 129. Nach Ansicht von W. S c h u l z 1 ist in einer in der zweiten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts aus der Altmark und dem Harzvorland nach Süden vorstoßenden Gruppe der Kern der Hermunduren zu erkennen. Reste germanischer wie keltischer Vorbewohner Mitteldeutschlands dürften mit den Einwanderern ver­ schmolzen sein. Der vielfach angenommene enge verwandtschaftliche Zu­ sammenhang zwischen der sächsisch-thüringischen Bevölkerung und den Trägern der sog. Bodenbacher Kultur,2 deren zeitlicher Beginn wohl in das 2. Jahrhundert v. Chr., nicht schon früher, zu setzen ist und die in der1 2 1 Jahresschrift f. d. Yorgesch. d. sächs.-thür. Länder 16 (1928) sowie Vor- und Früh­ geschichte Mitteldeutschlands (1938) S. 158 ff. 2 Dafür F r a n z , Kelten und Germanen in Böhmen (In : Das Sudetendeutschtum, 1937) S. 18 ff., der allerdings sogar die Grabfelder im böhmischen Kessel (behandelt in Bd. I I 1 2 S. 154 f. und S. 191 f., wo Dobrichov statt Nobrichov zu lesen ist) irrig als hermundurisch erklärt.

A Iteste Sitze. Rückzug über die Elbe

[95] 315

augusteischen Zeit erlischt, wird bestritten, so daß es unberechtigt er­ scheint, von einer h e r m u n d u r i s c h e n Bevölkerung in Nordböhmen als germanischen Vorläufern der Markomannen zu sprechen; wohl aber wird man jene als Sweben ansprechen dürfen.1 Die früheste Erwähnung der Hermunduren verdanken wir Strabo V II 1, 3 : μέγιστον το των Σοήβων εθ-νος. διήκει γάρ άπο του 'Ρήνου μέχρι του ’Άλβιος. μέρος δέ τι αύτών και πέραν του ’Άλβιος νέμεται, καθ-άπερ Έρμόνδοροι και Λαγκοβάρδοι. Diese Worte gehören der ältesten, noch vor Christi Geburt (29-7 v. Chr.) entstandenen Fassung des Werkes an und besagen, daß wie die Langobarden auch die Hermunduren damals zu b e i d e n Se i t e n der Elbe wohnten (die Worte μέγιστον —’Άλβιος stammen aus einer älteren Ethnographie, die, auf der Tatsache der einstigen Swebenherrschaft in Westdeutschland zur Zeit Ariovists fußend, die Sweben zwischen Rhein und Elbe wohnen ließ). Diese Auffassung wird noch deutlicher durch den darauffolgenden Satz : νυνί δε καί τ ε λ έ ω ς εις τήν περαίαν ούτοί γε (die Hermunduren und Langobarden) έκπεπτώκασι φεύγοντες, der sich auf die weiterhin zu erwähnenden Vorgänge des Jahres 5 n. Chr. bezieht und eine später in den Text aufgenommene Randbemerkung darstellt. In wel­ cher Gegend Strabo sich das Volk wohnend gedacht hat, ist aus dieser An­ gabe nicht zu ersehen; das ist erst durch Verbindung mit anderen Nach­ richten festzustellen möglich. Die nächste Erwähnung der Hermunduren stammt aus der Zeit um 3 v. Chr. Damals ging der Legat von Illyricum L. Domitius Ahenobarbus über die Donau und siedelte einen heimatlos umherziehenden Schwarm Hermunduren im ehemaligen Markomannen­ lande, dem heutigen Franken, an (Bd. II l 2 S.96 f.). W o das Stammvolk ge­ sessen hat, ist auch in diesem Falle nicht überliefert. Erst durch den Feldzug des Tiberius im Jahre 5 n. Chr. werden wir darüber einigermaßen aufgeklärt. Die Römer erreichten damals die Elbe in der Gegend von Magdeburg; am rechten Ufer war, wie Velleius erzählt, das Aufgebot der Semnonen und Hermunduren bereit zur Abwehr des Feindes aufgestellt (Bd. II l 2 S. 236). Zu diesem Zeugnis gehört die jener Stelle Strabos angefügte, oben zitierte Notiz, daß die Hermunduren und Langobarden jetzt sich v ö l l i g auf das rechte Elbufer zurückgezogen hätten. Die linkselbischen Hermunduren hatten hiernach beim Anrücken der Römer ihre Sitze aufgegeben, bei ihren rechtselbischen Stammes­ genossen sich niedergelassen und dann ihre Truppen zu dem Heerbann der Semnonen stoßen lassen. Der vielerörterte Ausdruck des Velleius: praeter­ fluit kann wohl nur dahin verstanden werden, daß im Jahre 5 die Elbe die 1 Dies ist mit den Erwägungen von P r e i d e l, Die germanischen Kulturen in Böhmen und ihre Träger II (1930) S. 126 gut vereinbar.

316 [9 6 ]

Die H ermu nd ur en : Rückzug über die Elbe

W e s t g r e n z e der Semnonen und der Hermunduren bildete. Die Hermun­ duren waren Südnachbarn der Semnonen, deren Sitze in der Mark Bran­ denburg als sicher bezeichnet werden können (Bd. II l 2 S. 128), wohnten also südlich vom Fläming. Das vorübergehend geräumte linkselbische hermundurische Gebiet erstreckte sich, wie auch von den Archäologen angenom­ men wird, gegen Westen, in der Hauptsache zunächst bis zur Saale.1 Daß die Hermunduren, mit denen Tiberius zu tun hatte, in Böhmen zu suchen seien, ist eine völlig irrige Annahme; denn die Römer sind damals gar nicht in dieses Land gekommen. Mit dem von Domitius Ahenobarbus an­ gesiedelten Volksteile können die Hermunduren des Stammlandes keine po­ litische Einheit gebildet haben. Dagegen sprechen sowohl der Umstand, daß die Auswanderung anscheinend durch innere Zwistigkeiten (Differenzen zwischen einer römerfreundlichen und einer Patriotenpartei ?) veranlaßt worden war, teils der sich ergebende übergroße Umfang des Gesamt­ gebietes, bei dem angesichts des lockeren Gefüges der germanischen Ver­ fassung überhaupt ein Zusammenhalt der einzelnen Teile kaum möglich war. - Bei den Drususfeldzügen, besonders dem des Jahres 9 v. Chr., wer­ den die Hermunduren nicht genannt. Das kann an unserer sehr dürftigen Überlieferung liegen; es ist aber auch wahrscheinlich, daß damals hermundurisches Gebiet nicht berührt oder höchstens gestreift worden ist. Nach dem Jahre 5 n. Chr. haben römische Truppen nicht wieder das mitteldeutsche Hermundurengebiet betreten. Aber auch römische Händler scheinen in größerer Zahl weder von Westen noch von Süden in diese Ge­ gend gekommen zu sein. Was von römischen Waren2 dorthin gelangte, wird zumeist durch die süddeutschen Hermunduren befördert worden sein, deren rege Handelstätigkeit durch das vielbesprochene Zeugnis des Tacitus Germ. 41 bekannt ist. Sonst kam für den römischen Import im wesent­ lichen die uralte Straße von Böhmen: Kulm—Dohna-Dresden-Meißen— Leipzig-Halle in Betracht.3 Nun hat ja Ptolemäus zweifellos Itinerarien römischer Kaufleute durch Deutschland verarbeitet, und es wäre für die Handelsgeschichte von größter Wichtigkeit, wenn es gelänge, den Lauf derselben nach ihren einzelnen Nationen zu ermitteln. Aber jeder bisher unternommene Versuch muß als mißglückt bezeichnet werden. Das gilt1 2 1 Vgl. W . S c h u lz , Vor- und Frühgeschichte Mitteldeutschlands (1939) S. 167. - Zur Besiedelungsgrenze nördlich des Thüringer- und Frankenwaldes und des Erzgebirges vgl. R e in e c k e , Sudeta III (1931) S. 34. Älter, aber noch brauchbar, S c h l ü t e r , Die Siede­ lungen im nordöstlichen Thüringen (1903) S. 153 ff. G o e t z e - H ö f e r - Z s c h i e s c h e , Die vor- und frühgeschichtlichen Altertümer Thüringens (1909). Karten der Bodenfunde und Ortsnamentypen in: Mitteldeutscher Heimatatlas (1935). 2 Vgl. L. S c h m i d t , Neues Archiv f. sächs. Geschichte 40 (1918) S. 119. ? Vgl. R a d i g , Sachsens Vorzeit (1936) S. 6, sowie R i c h t e r in: Grundriß der Vor­ geschichte Sachsens (1934) S. 273.

Tacitus und Ptolemäus

[ 9 7 ] 317

auch von den neuerlichen Bemühungen Th. S t e c h e s , 1 der zu den gewalt­ samsten Mitteln greifen muß, um Ordnung in dem Wirrwarr der Nach­ richten zu schaffen. Zur Charakteristik seiner Arbeitsweise sei hier nur an­ geführt, daß er die viel erörterte Station Lupfurdum am Durchbruch der Elbe durch das Elbsandsteingebirge lokalisiert, obwohl dort in älterer Zeit niemals eine Straße von Böhmen nach Sachsen gelaufen ist. Was wir in der Folgezeit von den mitteldeutschen Hermunduren er­ fahren, beschränkt sich auf Nachrichten von einzelnen gegen andere Völker erfolgten kriegerischen Vorstößen, die den Römern nicht unbekannt bleiben konnten, worüber weiter unten zu handeln ist. Die mangelhafte Kenntnis der Römer von der Geographie Deutschlands ist bei Tacitus ausgesprochen, der Germania c. 41 sagt, daß man zu seiner Zeit (Jahr 98) die Elbe, die einst ein vielgenannter Strom gewesen sei, nur noch von Hörensagen kenne. Demgemäß weiß er von den Hermunduren nichts weiter zu berichten, als daß bei ihnen die Elbe entspringe. Es handelt sich bei dieser Angabe nicht um den in demselben Kapitel behandelten süddeutschen Zweig des Volkes und nicht um die Moldau, ferner auch nicht um angeblich in Nordböhmen ansässige Hermunduren und die jetzige Oberelbe. Vielmehr galt damals als Ursprung des Stromes der Austritt desselben aus den „Sudeten“ , wie es auch auf der von Ptolemäus benutzten Karte A dargestellt war.1 2 Unter den Sudeten ist die große West-Ost-Achse der mitteldeutschen Gebirge Thüringer Wald, Erzgebirge, Elbsandsteingebirge, Lausitzer Bergland, also hier im besonderen das Elbsandsteingebirge zu verstehen. Das Rich­ tige findet sich später auf der Ptolemäischen Karte B : die Elbe entspringt in Südböhmen, fällt also mit der Moldau zusammen und erhält einen namenlosen Zufluß aus dem Askiburgischen Gebirge, den heute sogenannten Sudeten,3 die Oberelbe. Bald nach der Zeit des Ptolemäus ist die jetzt ge­ bräuchliche Namengebung des böhmischen Flußsystems erfolgt: Cassius Dio läßt auf Grund der durch den Markomannenkrieg gewonnenen geo­ graphischen Kenntnisse die Elbe in den „wandalischen Bergen“ , dem Riesengebirge entspringen. Auch hieraus ergibt sich, daß von einer Be­ ziehung der t a c i t e i s c h e n Nachricht vom Ursprung der Elbe auf böh­ 1 Altgermanien im Erdkundebuch des Ptolemäus (1937) S. 175 ff. und in : GermanenErbe (1938) S . 118. 2 Über die der Darstellung des Ptolemäus zugrunde liegenden beiden Karten A und B , von denen die eine das westliche, die andere, in kleinerem Maßstabe gehaltene, das öst­ liche Deutschland enthielt und deren Kontaminierung zur doppelten Ansetzung Böhmens geführt hat, s. L. S c h m i d t , Hist. Vierteljahrsschr. V (1902) S. 80 f ; Germania 23 (1939) S. 265. 3 Nicht bloß das Gesenke, wie K a h r s t e d t , M itt. d. prähist. Kom m . d. W ien. Akad. I I I 4 (1938) S. 166, 1, angibt. Vgl. P a r t s c h , Schlesien I (1896) S. 332. N o r d e n , Die germ. Urgeschichte in Tac. Germania3 (1923) S. 489.

318 [98] Die H e rm u nd ur e n: K a m p f gegen K a twal da und Va n ni us

mische Hermunduren keine Rede sein kann. - Statt der Hermunduren nördlich der Sudeten erscheint bei Ptolemäus das angebliche Volk der Teuriochaimai, worunter ein Landschaftsname Teurioheim zu verstehen ist, die (ehemalige) Heimat eines wahrscheinlich keltischen Volkes Teurier, dessen Name, wie ich annehmen zu dürfen glaube, sich in dem der Thüringer fortgesetzt hat, ebenso wie der Name der Bojer in dem der Bajuvaren weiterlebte. Auch hierin spiegelt sich nur die Tatsache wider, daß die nördlichen Hermunduren dem Gesichtskreis der antiken Welt entschwunden waren, ohne daß das Volk deswegen untergegangen oder noch gar nicht entstanden zu sein brauchte. Wenn noch in späteren Chorographien der Hermundurenname auftritt, so handelt es sich zumeist um die den Römern nähergerückten bairischen Gaue: so in der Chronik des Hippolytus (c. 221 ed. Bauer = Barbarus Seal. c. 193: Μαρκόμανοι, Βάρδουλοι, Κουαδροι, Έρμόνδουλοι) (um 235) oder in der Veroneser Völkertafel (um 310). Das mitteldeutsche Volk ist allerdings wohl gemeint, wenn auf der von Cassiodor-Jordanes Get. 114 benutzten Karte aus dem 2. Jahrhundert ( ? ) Her­ munduren nördlich von den Wandalen aufgeführt sind; doch wird hier wahrscheinlich ein Überbleibsel aus älterer Zeit vorliegen. Wie die mitteldeutschen Hermunduren nach dem Zusammentreffen mit Tiberius im Jahre 5 sich zu den Römern gestellt haben, bleibt ungewiß. Wahrscheinlich sind sie alsdann der großen von Marbod geleiteten Völker­ vereinigung beigetreten und nach der vermutlich auf ihrem Gebiete zwi­ schen Armin und dem Markomannenkönige geschlagenen Schlacht von diesem abgefallen. Im Jahre 19 wurde Marbod von Katwalda gestürzt und zur Flucht auf römisches Territorium gezwungen, dieser aber wiederum nach kurzem Regiment unter Beihilfe einer von Vibilius geführten Schar Hermunduren1 vertrieben; Katwaldas und Marbods Anhänger wurden nun von den Römern am linken Donauufer zwischen March und Waag an­ gesiedelt und ihnen in der Person des Quaden Vannius ein König gegeben. Als dieser aber durch zahlreiche Raubfahrten die Nachbarvölker in Un­ ruhe versetzte, schritten die Lugier und Hermunduren unter Vibilius,1 2 unterstützt von den eigenen Verwandten des Vannius, mit Waffengewalt ein. Vannius wurde geschlagen und mußte mit seinem Gefolge auf römi­ sches Gebiet flüchten (Tac. ann. 12, 29). Die wiederholt ausgesprochene Behauptung, daß Vibilius im Aufträge Roms gegen Katwalda und Van­ nius vorgegangen sei, läßt sich m. E. nicht aufrechterhalten. Wie bei den

1 Hermundurorum opibus ac Vibilio duce: Tac. ann. II 63. Nach K a h r s t e d t a. 0 . S. 177 ist Marbod von Katwalda und Vibilius vertrieben worden. Das ist nicht richtig. 2 Dieser ist keineswegs m it K l o s e , Roms Klientelstaaten am Rhein und an der Donau (1934) S. 65 f., lediglich als König der Donau-Hermunduren zu betrachten.

Chattenkrieg (58)

[99] 319

meisten germanischen Stämmen standen sich auch bei den Markomannen zwei Parteien, eine römisch gesinnte und eine Nationalpartei gegenüber; daß es sich um eine romfeindliche Erhebung handelte, ist aus den Worten des Tacitus II 63 zu entnehmen, wo es heißt, die Römer hätten, si q u a n d o i n s o l e s c e r e n t S ue bi , diesen mit der Rückkehr Marbods gedroht.1 Eben­ sowenig kann das Vorgehen gegen Vannius als eine Aktion zugunsten der Römer aufgefaßt werden, da deren Interessen kaum berührt waren und es sich um einen Rachezug der in Mitleidenschaft gezogenen Nachbarvölker handelte, an der Hermunduren, obwohl anscheinend nicht selbst unmit­ telbar betroffen, aus Abenteuer- und Beutelust sich beteiligt hatten. Die großen Reichtümer, die Vannius zusammengeraubt hatte, forderten ja ge­ radezu zu einem Eingreifen heraus. Daraus, daß es Tac. II 63 heißt Vibilio d u c e , X II 29 aber Vibilius Hermundurorum rex, darf keinesfalls ge­ schlossen werden, daß Rom den Königstitel verliehen habe. Vibilio duce besagt nur „unter Führung des Vibilius“ und schließt nicht aus, daß dieser schon damals g e r m a n i s c h e r König gewesen ist. Aus der Beteiligung der Hermunduren an dem Unternehmen gegen das Vannianische Reich ist ge­ schlossen worden, daß jene nicht allzu weit davon gewohnt hätten, also mit dem bairischen Zweig zusammenfallen müßten. Diese Folgerung ist nicht zwingend. Die Kriegszüge germanischer Völker haben sich oft weit über die Heimat hinaus erstreckt. Es sei hier erinnert an die jütländischen Haruden, die dem Ariovist nach Süddeutschland Zuzug stellten, oder an die langobardische Streifschar, die von der Unterelbe kommend zu Beginn des Markomannenkrieges an der Donau erschien. Andererseits wohnten die mitteldeutschen Hermunduren in der nächsten Nachbarschaft des böhmi­ schen Markomannenreiches und waren an dessen Stand stark interessiert. — Weiterhin hören wir nur noch von einem im Jahre 58 erfolgten Zu­ sammenstoß der Hermunduren mit den Chatten, bei dem die ersteren siegten, um den Besitz von Salzquellen in der Nähe eines Flusses. Bei diesem wird am meisten und am wahrscheinlichsten an die Werra (Salzun­ gen) gedacht.1 2 Ist das richtig, so wird damals eine Grenze zwischen den beiden Völkern festgelegt worden sein, die sich mit der historischen hessisch-thüringischen deckte.3 Im Osten lassen einzelne Grabfelder eine Ausdehnung der Hermunduren bis mindestens in die Gegend von Meißen 1 Vgl. auch Bd. II l 2 S. 157. 2 Tac. ann. 13, 57 (aus Plinius, vgl. M ü n z e r , Bonn. Jahrb. 104 [1899] S. 83). Vgl. H e r t e l , Schrift, d. Ver. f. Sachsen-Mein. Gesch. H . 46 (1903) S. 69 ff. K a h r s t e d t a. 0 . S. 182. W . S c h u lz a. O. S. 167. 3 Eine ungefähre Übereinstimmung mit der Grenze zwischen hessischer (chattischer) und thüringischer (hermundurischer) Tonware hebt v . U s l a r , Westgerman. Boden­ funde des 1 .-3 . Jahrhunderts n. Chr. aus Mittel- und Westdeutschland (1938) S. 181 f., hervor.

320 [100/

Die H ermu nd ur en : D ie Südhermunduren (Juthungen ?)

annehmen;1 allerdings hat Sachsen bisher nur wenige Funde aus dieser Zeit aufzuweisen.1 2 Nicht viel mehr erfahren wir über die Geschichte der süddeutschen Hermunduren.3 Vermutlich sind sie mit den „Sweben“ gemeint, die im Jahre 14 n. Chr. Rätien bedrohten (Tac. ann. I 44). Aber nachher sind sie zu Rom in ein enges Klientelverhältnis getreten. Tacitus schildert sie Germ, c. 41 als ein friedliches, römerfreundliches Volk, dem die Grenze geöffnet war und das mit den Bewohnern Rätiens bis nach Augsburg hin Handel trieb. Es steht jetzt fest, daß der freie Grenzverkehr an der Donau nicht mehr für die Zeit des Tacitus paßt, sondern nur für eine ältere Epoche Gültigkeit hatte, als die Kastellkette an der Donau noch nicht vollendet war, also vor Vespasian. Es fragt sich aber, wo die von dem Gewährsmann des Tacitus genannte freie Strecke begonnen hat, an die die Hermunduren grenzten. Nach Kahrstedt war das unterhalb Ingolstadt der Fall, aber der Umstand, daß der hermundurische Handelsverkehr mit Augsburg hervor­ gehoben wird, läßt doch vermuten, daß man donauaufwärts mindestens bis zur Mündung des Lech hinaufgehen muß. Wie weit sich das hermun­ durische Gebiet nach Osten erstreckte, bleibt unklar. Nach Kahrstedt wäre dies bis an das Linzer Becken heran noch etwa 50 km unterhalb Passau der Fall. Bestimmend für diese Annahme war die schon erwähnte Angabe des Tacitus vom Ursprung der Elbe (Moldau), die aber, wie schon bemerkt, anders zu deuten ist. Es wäre auch sehr unwahrscheinlich, daß die Her­ munduren über das Gebirge, das eine natürliche Grenze bildete, hinaus­ gegriffen hätten. Ebensowenig ist bekannt, wie weit sich das Hermunduren­ land gegen Norden erstreckte. Der Mittelpunkt desselben mag in der Gegend um Nürnberg gelegen haben.4 Das Verhältnis zu den Römern hat sich wohl im Laufe der Zeit verschlechtert; die mehrfache Vorverlegung des Limes hat eine Sicherung auch gegenüber den Hermunduren bedeutet. Die Bodenfunde sind, wie die Zusammenstellung von Reinecke erkennen läßt, für weitergehende Schlüsse nicht zahlreich genug; am wichtigsten ist die Feststellung einer noch weiter zu untersuchenden Hermundurensiedelung bei Baldersheim (Landkreis Ochsenfurt).5

1 Vgl. M ir t s c h in , Germanen in Sachsen (1933) S. 21 f. 152 ff. 190. F r e n z e l - R a d i g R e c h e , Grundriß der Vorgeschichte Sachsens (1934) S. 153 ff. 338 f. 2 Vgl. T a c k e n b e r g in: Von Land und Kultur (1937) S. 33 f. 3 Die Erwägungen von K lo s e a. O. S. 62 ff. bringen über das Feststehende hinaus kein sicheres Ergebnis. 4 P. R e in e c k e , 23. Ber. Röm .-Germ . Kom m . 1933 (1934) S. 153 ff., läßt die Süd­ gruppe erst am mittleren und oberen Main siedeln und rechnet mit allmählicher Aus­ dehnung bis zur Donau. 5 Vgl.

V.

U s la r a. O. S. 182 u. ö.

Die Thüringer: H e r k u n f t

[101] 321

Die Donauhermunduren sowie ihre Ostnachbarn, die Naristen(Waristen),1 werden zuletzt unter diesem Namen während des Markomannenkrieges als Feinde Roms erwähnt, Hist. Aug. vita Marci 22, 1 (vgl. Bd. II l 1 2 S. 163); wahrscheinlich sind sie sogleich zu Beginn des Krieges in Rätien eingefallen (II l 2 S. 165). Vielleicht ist damals der nachher freigelassene Sklave Vibius Cn. 1. Logus . . . natione Ermundurus, dessen Grabschrift aus Carnuntum noch erhalten ist (CIL. III 143594), in römische Gefangenschaft geraten. Im Jahre 172 scheint mit den beiden Völkern Friede geschlossen worden zu sein; damals wurden 3000 Naristen in Pannonien angesiedelt. Die Donauhermunduren verschwinden fortan aus der Geschichte. Ob das A uf­ treten in den oben erwähnten Chorographien auf jene Zeit oder auf ein späteres feindseliges Verhalten zurückgeht, läßt sich nicht sagen. Aber sicher ist auch dieses Volk nicht untergegangen; es ist zu vermuten, daß es alsdann unter dem Namen J u t h u n g e n als Teilvolk der Alamannen erscheint. Daß die mitteldeutschen Hermunduren einen wesentlichen Anteil an der Bildung des t h ü r i n g i s c h e n Stammes2 gehabt haben, wird nicht zu be­ streiten sein. Das ist schon deswegen wahrscheinlich, weil dieser in der Hauptsache in denselben Wohnsitzen auftritt, die wir jenen zuweisen müssen. Ob freilich der Name der Thüringer etwas mit den (Hermun) Duren zu tun hat, wird auch von Germanisten als zweifelhaft hingestellt; er ist, wie schon bemerkt, wohl eher mit dem der keltischen Vorbewohner des Landes, der Teurier, in Zusammenhang zu bringen.3Diese Namengebung spiegelt die Verschiedenheit der Elemente wider, aus denen der Stamm sich zusammensetzte. Nachdem die Wanderung der Goten von der Weichsel­ mündung nach dem Schwarzen Meere um die Mitte des 2. Jahrhunderts die ganze germanische Welt in Aufruhr versetzt hatte, wurde Thüringen wieder­ holt von germanischen, von Ost nach West ziehenden Scharen berührt, die sich dort für längere oder kürzere Zeit häuslich einrichteten. So werden z. B. Niederlassungen von Germanen, die vielleicht aus den Donauländern kamen, z. B. bei Leuna (Landkreis Merseburg) und Haßleben (Landkreis Weimar) auf Grund reichhaltiger Gräberfunde aus dem Ende des 3. Jahr­ hunderts angenommen.4 Bei den Stammeszuweisungen der Bodenfunde, deren Erschließung und Bearbeitung in der Hauptsache das Verdienst der 1 Nach R e in e c k e a. O. S. 154 am Nordufer der Donau etwa von der unteren Naab bis gegen Passau. 2 Unbrauchbar ist P r i e t z e , Zur Stammesgeschichte der Tboringi, Maimus 28 (1936) S. 65 ff.; vgl. a. O. S. 233 f. 3 L. S c h m i d t , Neues Archiv f. sächs. Gesch. 56 (1935) S. 215 ff. 4 W . S c h u lz a. O. S. 187 ff. - Eine Beteiligung von Germanen aus Thüringen an den Einfällen des 3. Jahrhunderts erwägt W e r n e r , Marburger Studien (1938) S. 263 ff.; vgl. auch S. 119, 1.

322 [102J

Die Thüringer: Herkunf t

Landesanstalt für Volkheitskunde in Halle ist, erscheint allerdings un­ befriedigend, daß der im Lande verbliebenen Hermundurenbevölkerung keine der feststellbaren Gräbergruppen angehören soll. Es ist deshalb wichtig, daß Siedelungsfunde auf eine Kontinuität der Bevölkerung bis ins 3. bzw. 4. Jahrhundert schließen lassen.1 Hauptsächlich kommen neben den Hermunduren A n g e l n und W a r n e n aus Schleswig sowie das dem Namen nach unbekannte, ebenfalls aus dem Norden stammende Volk, dem die zahlreichen Ortsnamen auf -leben1 2 zu­ zusprechen sind, für die Stammesbildung in Betracht (s. Bd. II l 2 S. 29f.). Die Warnen sind allerdings schon am Ende des 6. Jahrhunderts wieder ausgeschieden, nachdem sie durch die Franken fast völlig aufgerieben oder umgesiedelt worden waren. Aber die Erinnerung an die einstigen ethnischen Verhältnisse war noch zu Anfang des 9. Jahrhunderts lebendig, wie aus der Überschrift des thüringischen Gesetzes, der 802/3 erlassenen ,,Lex Angliorum et Werinorum hoc est Thuringorum“ ersichtlich ist. Die Lex enthält neben niederdeutschen Wörtern auch zweifellos althochdeutsche Wortformen.3 Das deutet darauf hin, daß sie sowohl für die Angeln wie für die ehemaligen Hermunduren gegolten hat, daß aber zur Zeit ihrer Abfassung ein völliger sprachlicher Ausgleich noch nicht eingetreten war4 (die ältere Annahme, daß sie für die niederrheinischen Thüringer gegolten habe, kann als ab­ getan angesehen werden). Die Bemühungen, die Zeit der Zuwanderung zu bestimmen, werden wohl immer wieder von neuem aufgenommen werden; K. Z i e g l e r glaubt z. B. nunmehr, aus Bodenfunden die Niederlassung der Warnen in das 5. Jahrhundert setzen zu können,5 also in eine Zeit, vor der bereits der neue Stamm der Thüringer durch schriftliche Überlieferung bezeugt ist. Angelngräber sind bisher nicht mit Sicherheit nachgewiesen.6 1 Vgl.

V.

U s l a r , W estgerm . Bodenfunde S. 177.

2 Verbreitung: Mitteldeutscher Heimatatlas (1935) Karte 9. Vgl. Bd. I I I 2 S. 29 f. sowie S c h w a r z , Ztschr. f. slav. Philol. II (1925) S. 112 f. („anglo-warnisch“ ); F ie s e l, Theutonista, Beih. I X (1933) S. 20 f . ; E m m e r i c h , Ztschr. d. Ver. f. thür. Gesch. u. Alter­ tumskunde N . F. 33 (1939) S. 323 ff. L. S c h m i d t , Neues Archiv f. sächs. Gesch. 56 (1935) S. 217. - Anhäufung manchenorts mit ON. auf -ingen und -stedt: K ö t z s c h k e , Festschr. A . Tille (1930) S. 11. - Das angeführte Schrifttum erörtert auch die Stammeszuweisung anderer ON. 3 Vgl. R . S c h r ö d e r , Ztschr. der Savignystiftung V II (1887) S. 19 ff. B a e s e c k e , Beitr. z. Gesch. d. deutsch. Sprache 59 (1935) S. 67. 4 Oh man deshalb mit Z e i ß , Germania 15 (1931) S. 275 auf eine späte Ansetzung der Angeln und Warnen durch die Merowinger schließen darf, sei dahingestellt. 5 Sächs.-Thür. Jahresschrift 31 (1939) S. 69 ff. — Anders S c h u lz , Vor- u. Frühgesch. Mitteldeutschlands S. 199 f., der auch auf elbgermanischen Zuzug hinweist. 6 Die Zuweisung einzelner Gräber bei G ö t z e , Anhalt. Geschichtsblätter II (1926) S. 93 f., an die Angeln ist ebenso unbegründet wie der Versuch, die Fibel vom Turmberg bei Kasendorf (Landkreis Kulm bach) den Warnen zuzuweisen: E m m e r i c h , Ztschr. Ver. f. thür. Gesch. N. F. 33 (1939) S. 324. Abbildung bei H u n d t , Mannus 31 (1939) S. 354.

A u s b r e i t u n g im 5. Jahrhundert

[103J 323

Die erste Erwähnung des Namens in der Form Toringi finden wir in der Mulomedicina des Vegetius, eines Zeitgenossen des Kaisers Theodosius I., Buch III 6, 3 (ed. Lommatzsch, Lips. 1903). Im 5. Jahrhundert sehen wir die Thüringer in lebhafter Ausbreitung sowohl gegen Süden wie gegen Nor­ den begriffen; daß sie damals in so enger Kulturgemeinschaft mit Böhmen gestanden hätten, daß dieses geradezu als thüringisch zu bezeichnen sei, ist indessen ohne hinlängliche Gründe behauptet worden. Im Süden setzten sie sich an der Naab und am Regen fest un,d verdrängten die bisherigen Be­ wohner dieser Gegenden, die Naristen, die an den Abhängen des Jura, in Burgund, als Warasci eine neue Heimat fanden. Die hier ansässigen Thü­ ringer waren es, die 451 unter den Hilfsvölkern Attilas erscheinen,1 und die um 480 Passau plünderten und Lorch bedrohten.1 2 Dazu stimmt die leider mehrfach angezweifelte Angabe des Ravennatischen Geographen, daß die in die Donau mündenden Flüsse Bac (wohl die Nab) und Reganum (Regen) durch thüringisches Gebiet flössen.3 Der Ravennate beruft sich hierfür auf den Goten Aithanarit oder Anarid, den wir bei der Geschichte der Alamannen als nicht zu unterschätzende Quelle für die Kenntnis der Verhältnisse des 5. Jahrhunderts kennengelernt haben. A uf die Dauer konnte sich die südliche Thüringer Gruppe, die in keinem Zusammenhang mit dem Stammlande stand (die heutige Oberpfalz war weithin mit Ur­ wald bedeckt),4 nicht behaupten.5 Im Norden breiteten sie sich über den Harz bis zur Oker und Ohre aus und nahmen die Reste der Cherusker in sich auf, die späteren Gaue Nordthuringo, Derlingo, Hardago, Suevon, Frisonoveld (der Hassago6 zwischen Helme, Wipper, Saale und Unstrut gehörte von Anfang an zum thüringischen Besitz). Trotz mehrfachem Widerspruch wird man in dem Namen Nordthuringo, der anfänglich ein weit größeres Gebiet als den späteren, auf das Land zwischen Ohre und Bode beschränkten Gau umfaßt zu haben scheint,7 eine Erinnerung an die einstige Herrschaft der Thüringer in jenen Gegenden zu erblicken haben; an eine spätere Einwanderung thüringischer Kolonisten ist schwerlich zu denken. 1 Sid. Apoll, carm. V I I 323. 2 Eugipp. vita Sev. c. 27. 31. 3 R av. IV 25 erwähnt aliquanta castella; die Namen sind ausgefallen. 4 Vgl. R e in e c k e , Bayer. Vorgeschichtsfreund I X (1930) S. 3 f f .; Karte S. 5. 6 Es fällt auf, daß sichere Bodenzeugnisse für diese Ausbreitung bisher fehlen; Dis­ kussion bei P r e i d e l, Die germanischen Kulturen in Böhmen und ihre Träger II (1930) S. 169 ff. 174 Anm . 276. Dies spricht gegen längere Besetzung. 6 Der Name ist nicht von den Hessen, sondern von der Hochseeburg abgeleitet; vgl. H o l t z m a n n , Sachsen und Anhalt I I I (1927) S. 47 ff. Anscheinend unabhängig hat G u n d l a c h , Die Stammesgrenzen der Chatten-Hessen bis zum 8. Jahrhundert (1929) S. 77, das gleiche festgestellt. 7 Vgl. die Urkunde vom 26. Januar 877, M ü h lb a c h e r , Regesten Nr. 1552. P e lk a , Studien zur Geschichte des Untergangs des thür. Königreichs (1903) S. 45 ff. v . R i c h t ­ h o f e n , Zur Lex Saxonum (1868) S. 394 ff.

324 [104]

Die Thüri nger: Das Reich B i s i n s (um 500)

Zur Zeit seiner höchsten Machtfülle (Ende des 5. Jahrhunderts) umfaßte das thüringische Reich außer dem erwähnten Gebiet an der Donau das Land zwischen Werra, Thüringer Wald, Mulde, Elbe, Ohre, Aller, Oker, Kaufunger- und Seulingswald; das Maingebiet gehörte nicht dazu1 und ebensowenig Böhmen, das wegen gewisser Fundbeziehungen als thü­ ringisch erklärt worden ist.1 2 Damals herrschte über die Thüringer als alleiniger König B i s i n u s , von dem wir aber leider sonst nur sehr wenig wissen.3 Seine Existenz ist bezeugt durch den wegen seiner persönlichen Beziehungen zu Mitgliedern des Königshauses wohlunterrichteten Venantius Fortunatus, vita Radegundis c. 2 : Beatissima Radegundis natione bar­ bara de regione Thoringa avo rege Bessino, patruo Hermenfredo, patre rege Bertechario sowie durch langobardische Quellen, die Origo gentis Langob. c. 4 und die Hist. Langob. cod. Gothani c. 4. 5, aus denen wir erfahren, daß Bisins Gattin Menia hieß, daß beider Tochter Radegunde (Raicunda, Ranigunda) den Langobardenkönig Wacho (etwa 508-540) heiratete, während Menia später, wohl nach Bisins Tode, den Vater des nachmaligen Lango­ bardenkönigs Audoin ehelichte (vgl. oben Bd. I2 S. 439). Die familiären Be­ ziehungen zwischen den thüringischen und langobardischen Herrscher­ geschlechtern lassen erkennen, daß zu Anfang des 6. Jahrhunderts ein poli­ tisches Bündnis zwischen den beiden Völkern bestand, die nach der Be­ setzung Böhmens durch Wacho einander benachbart waren. Dagegen liegen über Beziehungen zwischen den Thüringern und salischen Franken aus damaliger Zeit keine zuverlässigen Nachrichten vor. Allerdings erzählt die fränkische Überlieferung (Gregor v. Tours II 12, Fredegar III 11. 12, Liber hist. Franc. II 7), der Frankenkönig Childerich sei, wegen seines un­ sittlichen Lebenswandels vertrieben, zu dem Thüringerkönig Bisinus ge­ flohen; als sich später die Stimmung der Franken änderte, habe ein Ver­ trauter Childerichs diesen zur Rückkehr aufgefordert, indem er ihm als Zeichen die Hälfte eines Goldstücks übersandte, dessen andere Hälfte Childerich einst mitgenommen; wieder in seine Herrschaft eingesetzt, hahe sich Childerich mit der Gattin des Thüringerkönigs, Basina, vermählt, mit der er während seines Exils Ehebruch getrieben hatte, und die ihm nach­ 1 V g l. D e v r i e n t , Neue Jahrb. f. d. klass. Altertum V I I (1901) S. 429. 2 Vgl. P r e id e l a. Ο. I I S. 169 ff. Die als Stütze angeführten Fundzusammenhänge be­ zeugen nicht mehr als Kulturbeziehungen zwischen Nachbar Stämmen. 3 Gar nichts hat mit dem Thüringerkönig zu tun der sanctus Basinus rex et martyr, der Stifter des Klosters Truncinium bei Gent, von dem eine wahrscheinlich im 12. oder 13. Jahrhundert verfaßte vita vorliegt. Aus welchem Grunde derselbe den Titel rex führt, ist nicht ersichtlich; doch dürfte schwerlich eine übel angebrachte Reminiszenz an den thüringischen König anzunehmen sein. Vgl. die Ausführungen von L i p p e r t , Ztschr. f. thür. Gesch. N . F. I I I (1883) S. 292 ff., IV (1884) S. 91 ff.; L . van der E s s e n , Étude critique et littéraire sur les vitae des saints Mérovingiens de l ’ancienne Belgique (1907) S . 388 ff.

Der Feldzug Chlodowechs gegen die JVestthüringer

[105] 325

gefolgt war; aus der Ehe sei der berühmte Chlodowech entsprossen. Es ist aber schon von anderer Seite nachgewiesen worden,1 daß die Erzählung durchaus sagenhaften Charakter trägt und für die Geschichte unbrauchbar ist; historisch ist an ihr wahrscheinlich nur das eine, daß Chlodowechs Mutter Basina hieß. Die Ähnlichkeit ihres Namens1 2 mit dem des bekannten Thüringerkönigs gab den Anlaß, sie zu dessen Gattin zu machen; um andererseits ihre Ehe mit Childerich zu erklären, ward dessen Flucht an den thüringischen H of erfunden. Die Geschichte kennt nur Menia als Ge­ mahlin Bisins; die Existenz einer thüringischen Königin Basina wird durch den neuerdings in Weimar gefundenen Löffel mit ,,Basenae“ nicht be­ wiesen, welcher gleich dem Heilbronner Löffel mit der Inschrift Posenna vivas3 zu einer Gruppe spätantiker, gerne mit christlichen Aufschriften versehener Silberlöffel4 gehört. - II 27 bringt dann Gregor die knappe Notiz, Chlodowech habe im zehnten Jahre seiner Herrschaft die Thüringer mit Krieg überzogen und seiner Herrschaft unterworfen (491/92). Diese Stelle hat einen lebhaften Meinungsaustausch hervorgerufen, ohne daß bis jetzt eine Einigung erzielt worden wäre. Es versteht sich von selbst, daß jener Krieg nur ein Kam pf zwischen Nachbarn gewesen sein kann. S c h r ö ­ d e r 5 nimmt an, Chlodowech habe schon am Ende des 5. Jahrhunderts in Hessen geherrscht, während umgekehrt P l a t h 6 die Ansicht verficht, das Thüringerreich habe die Chatten mit umfaßt; auf diese Weise seien die Thüringer und Franken Nachbarn gewesen. Aber beide Hypothesen sind völlig unbegründet, am allermeisten die letztere, die keiner besonderen Widerlegung bedarf. Die mitteldeutschen Thüringer sind erst im Jahre 531 unterworfen worden; es fehlt jede Nachricht darüber, daß sie in der Zwischenzeit sich wieder selbständig gemacht hatten. Wenn Schröder die bestimmten Worte Gregors: (Thoringos) suis diccionibus subiugavit dahin abschwächen will, es sei die Auferlegung einer bloßen Tributpflicht gemeint, so ist dies ein durchaus unkritisches Verfahren. Es können also nur die zu Unrecht verdächtigten niederrheinischen Thüringer gemeint sein. Schwer­ lich geschichtlich ist der Hinweis auf einen noch ins 5. Jahrhundert zu setzenden Zusammenstoß zwischen Thüringern und Franken in der Rede, 1 Zur Literatur v g l.L . S c h m i d t , Allgemeine Geschichte der germ. Völker(1909) S.221 und K u r t h , H ist, poétique des Mérovingiens (1893) S. 179 ff. 2 Die Namen Bisinus und Basinus (a) sind durchaus verschieden. Der König heißt imm er Bisinus, worauf auch die Form Bessinus bei Venantius (m it dem bekannten Laut­ wechsel zwischen e und i) hinweist. 3 Vgl. S c h l i z i m 7 . Bericht des H ist. Vereins Heilbronn S. 24. G o e ß le r , Blatt, f.w ürtt. Kirchengesch. N . F. 36 (1932) S. 172 f. 4 Vgl. L e c l e r c q , A rt. cuiller, Dict. d’Archéol. Chrét. et de Lit. I I I 2 (1914) Sp. 3 1 7 2 ff. 5 H ist. Ztschr. 43 (1880) S. 3 9 ; Ztschr. d. Savignystift. II (1881) S. 28. « Bonn. Jahrb. 95 (1894) S. 121 ff.

326 [106]

Die Thüringer: Die Söhne B i s i n s

die nach Gregor III 7 Theuderich L, als er 531 zum Kriege gegen jene rü­ stete, an sein Heer gerichtet haben soll: ,,Erinnert euch daran, wie die Thü­ ringer einst über unsere V ä t e r mit Gewalt hereinbrachen und ihnen viel Leid zufügten usw.“ ; denn Gregor schöpft hier nicht aus einer schriftlichen Quelle, sondern aus der sagenhaft entstellten mündlichen Überlieferung.1 Es ist möglich und auch nicht unwahrscheinlich, daß die Thüringer damals mit den Chatten (die aber erst um 508 dem Salierreich einverleibt worden sind) in Fehde gelegen haben; ein sicherer Beweis läßt sich jedoch dafür nicht erbringen. - Unter Bisin scheint Beesenstedt, älter Bisinstidi, mit der zugehörigen Wallburg, der Bösenburg (Bisinesburg) im Mansfelder Seekreis, der Wohnsitz des thüringischen Königs gewesen zu sein.1 2 Der König wird nicht lange vor 510 gestorben sein, wenn man der wahrschein­ lichsten Annahme folgt, daß die Ehe zwischen seiner Tochter und Wacho noch zu seinen Lebzeiten abgeschlossen worden ist. Nach Gregor III 4 herrschten zur Zeit der Söhne Chlodowechs über die Thüringer die drei Brüder Baderich, Herminafried und Berthachar. Daß diese Bisins Söhne waren, bezeugt Venantius (vita Radeg. c. 2, vgl. oben), der allerdings hier wie auch sonst nur Herminafrid und Berthachar nennt;3 doch dürfte an der Existenz Baderichs nicht zu zweifeln sein. Es ist hier noch zu erwähnen das Schreiben Theoderichs Cass. var. IV 1, wo die königliche Abkunft Herminafrids (ut qui de regia stirpe descenditis) bezeugt ist. Daß die Brüder das Reich unter sich zu gleichem Rechte wie ein Privatgut geteilt hätten, ist nicht wahrscheinlich;4 man hat wohl ähnliche staatsrechtliche Verhältnisse anzunehmen, wie wir sie bei den Burgundern (oben Bd. I 2 S. 179 f.) kennengelernt haben. Das eigentliche Staatsoberhaupt wird H e r m i n a f r i d gewesen sein, weshalb denn auch der Ostgotenkönig Theoderich zu ihm in Beziehung trat; Baderich und Berthachar, die poli­ tisch gar nicht hervortreten, dürften als Unterkönige zu fassen sein, die zwar bestimmt abgegrenzte Gebiete verwalteten, aber in Angelegenheiten, die das Gesamtvolk betrafen, durchaus abhängig waren.5 Auch die Geschichte der Söhne Bisins ist in ein Dunkel gehüllt, aus dem wir nur wenige feststehende Tatsachen erkennen können. 1 Vgl. K u r t h , H ist, poétique S. 363. 2 Vgl. G r ö ß le r bei Ule, Heimatkunde des Saalkreises(1909) S. 258. 273. H ö f e r , Ztschr. f. thür. Gesch. N . F. 17 (1907) S. 52. 3 Die übrigen Stellen aus Venantius, die Herminafrid und Berthachar als Brüder be­ zeichnen, sind zusammengestellt bei L i p p e r t , Ztschr. f. thür. Gesch. N . F. I I I (1883) S. 278 N. 4 So nach D a h n , Könige 10 S. 38. 5 Die gleichzeitige Herrschaft mehrerer Könige ist auch bezeugt durch das bekannte Schreiben Theudeberts an Justinian (M. G. Epist. Merov. I no. 20): subactis Thoringiis . . . extinctis ipsorum tunc tempore regibus. Ein Beweis g e g e n das Bestehen getrennter Hofhaltungen läßt sich aus Venantius nicht erbringen; aus diesem ergibt sich nur, daß Radegunde nach Berthachars Tode am Hofe Herminafrids lebte, vgl. weiter unten.

Quellenverhältnisse f ü r 531. Fränki sche Tendenzberichte

[107] 327

Nicht lange nach der Schlacht bei Vouglé hatte Chlodowech das R i­ puarierreich und dann auch die Chatten seiner Herrschaft angegliedert. Die Thüringer waren damit unmittelbare Nachbarn der Franken geworden. Die fränkische Gefahr war es, die jene und die Ostgoten jetzt zusammen­ führte : Theoderich schloß mit Herminafried ein Bündnis und gab ihm seine Nichte Amalaberga zur Ehe1 (etwa 510). Aus dieser Zeit stammt die Karte, die Cassiodor in seiner Gotengeschichte benutzte und auf der die Thüringer nördlich von den Schwaben angesetzt waren ( Jord. Get. 280).1 2 Was die fränkische Überlieferung über angebliche Familienfrevel unter den thürin­ gischen Königen erzählt, erweist sich bei näherer Prüfung als erfunden. Nach Gregor von Tours (III 4) soll Herminafrid zuerst seinen Bruder Berthachar ermordet und darauf auf Anstiften der Amalaberga mit Hilfe des Frankenkönigs Theuderich, dem er die Hälfte des zu erobernden Lan­ des versprach, auch den Baderich beseitigt haben; Herminafrid habe aber sein Wort nicht gehalten und dadurch die Feindschaft der Franken herauf­ beschworen, die alsdann zum Kriege führte. Besonders G l o ë l 3 und nach ihm W. L i p p e r t haben ausführlich nachgewiesen, daß von einer Ermordung Berthachars durch Herminafrid keine Rede sein kann, da Berthachars Tochter Radegunde bei Venantius den Tod Herminafrids ebenso schmerz­ lich beklagt wie den ihrer Eltern, vgl. die Zusammenstellung der fraglichen Stellen bei Lippert, Zeitschrift für thür. Geschichte N. F. III 278. Es ergibt sich vielmehr, ebenfalls aus Venantius, daß Berthachar durch Feindeshand gegen die Franken gefallen ist, vgl. Venant, carm. app. I 147-150: Quae semel excessi patriam etc. und III 7. 8: nam pater ante cadens et avun­ culus inde secutus etc. Bestätigt wird dies durch den schon zitierten Brief Theudeberts, wonach reges der Thüringer bei der fränkischen Eroberung gefallen sind, sowie durch folgende Erwägung. Um 550 trennte sich Bertha­ chars Tochter Radegunde von dem Frankenkönig Chlotachar, kurz nach­ dem ihr Bruder, ,,dem der erste Flaum um das Kinn spielte“ (Venant, app. I 133), getötet worden war. Dieser kann hiernach erst um 530 geboren, sein Vater nicht vor dem Ende der zwanziger Jahre des 6. Jahrhunderts ge­ storben sein.4 Man hat hiernach allen Grund, auch die angebliche Er­ mordung Baderichs in das Reich der Fabel zu verweisen. Ganz sagenhaft 1 Anon. Vales. 69. Jord. Get. 299. Prok. b. G. I 12. Cass. var. IV 1. M o m m s e n , praef. zu Cass. p. X X X V , zeigt, daß das Schreiben Theoderichs in die Zeit zwischen 507-11 ge­ hört, nicht ins Jahr 500 oder 501, wie L i p p e r t , Ztschr. für thür. Gesch. N . F J V (1884) S. 88 zu erweisen suchte. 2 Über eine Stelle Prokops s. weiter unten. Über die fränk. Völkertafel oben Bd. II 1 2 S. 195. 3 Forschungen zur deutschen Geschichte IV (1864) S. 208 ff. 4 Vgl. die Berechnungen von W ilh. M e y e r , Der Gelegenheitsdichter Venantius Fortu­ natus, Abhandl. der Göttinger Gesellsch. der W iss. N . F. IV Nr. 5 (1901) S. 96.

328 [108] D ie Thüri nger: T hü r in g i s c h - s ä c h s i s c h e Quellen f ü r 531

ist die Erzählung von der Intrige Amalabergas und dem halbgedeckten Tisch, wodurch die Königin den Herminafrid zur Beseitigung seines Bru­ ders aufgereizt haben soll.1 Man erkennt weiter die Tendenz, den nach­ maligen Angriffskrieg Theuderichs in einem für die Franken günstigen Sinne zu motivieren und die Thüringer ins Unrecht zu setzen. Der Verdacht gegen die Verlässigkeit der fränkischen Überlieferung im ganzen wird verstärkt durch die Ähnlichkeit, die zwischen den angeblich im burgundischen Königshause vorgefallenen Greueln (Bd. I 1 2 S. 148) und den Vorgängen bei den Thüringern obwaltet; man darf geradezu an eine Übertragung der burgundischen Verhältnisse auf die thüringischen denken.2 Der Geschichte dürfte nur das eine angehören, daß Baderich nicht lange nach seinem Re­ gierungsantritt eines natürlichen Todes gestorben ist (was durch das Schweigen des Venantius von Baderichs Persönlichkeit bestätigt zu wer­ den scheint) und daß Herminafrid als Oberkönig (wie bei den Burgundern, Bd. I 2 S. 179) in dessen Reichsteil sukzedierte. Die Ausbildung eines Gegensatzes zwischen den Thüringern und Franken ist in dem gewaltigen Ausdehnungstrieb der letzteren hinreichend begründet. Die Geschichte des Unterganges des thüringischen Reiches ist ganz in Dunkel gehüllt, hat aber gerade deshalb von jeher einen Anziehungspunkt für zahlreiche berufene und unberufene Forscher gebildet, die sich freilich bis jetzt vergeblich bemüht haben, eine allgemein befriedigende Lösung der Schwierigkeiten zu finden.3 Die Quellen zerfallen in zwei große Grup­ pen: A in fränkische, B in thüringisch-sächsische. Zu A gehören der öfter zitierte Brief König Theudeberts an Justinian, Venantius Fortunatus (be­ sonders die Gedichte de excidio Thoringiae und ad Artachim = carm. app. I. III), Gregor von Tours. Gregor schöpft aus mündlichen Erzählungen, die schon zum Teil sagenhaften Charakter tragen.4 Die späteren fränkischen Chroniken, Fredegar, der Liber hist. Franc, und vor allem der berüchtigte Aimoin fußen auf Gregor, dessen Darstellung sie mehrfach auf Grund der weitergebildeten Tradition verändern und ausschmücken, und besitzen nicht den geringsten geschichtlichen Wert. Zur zweiten Gruppe zählen Rudolfs translatio Alexandri, Widukinds res gestae Saxonicae, die Quedlinburger Annalen und der Anonymus de origine Suevorum. Nach Pelkas ansprechender Vermutung haben die drei letztgenannten aus einem zwi1 Vgl. K u r t h a. O. S. 359 ff. 2 So auch L i p p e r t , der aber inkonsequenterweise den Konflikt zwischen Baderich und Herminafrid für historisch hält. 3 Über die Literatur vgl. L. S c h m i d t , Allg. Gesch. d. germ. Völker S. 182. Es kommt noch hinzu L ie b m a n n , Der Untergang des thür. Königreichs (Neue Beiträge zur Gesch. des deutsch. Altertums 24, 1911). 4 Vgl. K u r t h a. O. S. 365 ff.

D ie f rä n ki s ch e Eroberung (531)

[109] 329

sehen 919 und 967 entstandenen Heldenliede geschöpft,1 während Rudolf, der zwischen 851 und 865 schrieb, eine davon unabhängige, aber ebenfalls stark sagenhafte Überlieferung wiedergibt. A uf Widukind gehen mittelbar die thüringischen Chronisten: die Historia de landgraviis Thuringiae bei Pistorius, Scriptores Germ. I 1298,1 2 Johann Rothe u. a. zurück; eine ein­ heimische thüringische Tradition enthalten diese nicht. - Ganz abseits stehen die dürftigen Angaben des Zeitgenossen Prok. bell. Goth. I 13. Es versteht sich von selbst, daß den thüringisch-sächsischen Quellen eine geringere Bedeutung beizumessen ist; aber es geht nicht an, ihnen überhaupt jeden geschichtlichen Wert abzusprechen. Wenigstens das eine, die allein von ihnen berichtete Bundeshilfe der Sachsen und die Abtretung des nördlichen Teiles des thüringischen Reiches an diese, muß als historische Tatsache angesehen werden; denn die spätere Geltung des sächsischen Na­ mens, des sächsischen Rechtes und der sächsischen Sprache nördlich der Unstrut findet so am besten ihre Erklärung. Daß Gregor die Sachsenhilfe nicht erwähnt, ist kein Beweis dagegen; es läßt sich an mehreren Beispielen nachweisen, daß derselbe für die Franken unbequeme, unrühmliche Vor­ gänge wissentlich verschwiegen oder beschönigt hat, wie ich Hist. Viertel­ jahrsschrift 14 (1911) S. 4 f. dargelegt habe. Und wenn der Dichter Venantius es vermied oder vermeiden mußte, die Franken als die grausamen Er­ oberer zu nennen, so konnte er auch der Sachsen nicht gedenken, die doch nur im Gefolge und auf Veranlassung jener in das Land eingebrochen waren. Der Feldzug gegen die Thüringer ward von Theuderich unternommen. Für den Anmarsch der Franken kommt, wie Höfer richtig bemerkt, nur die direkt nach Thüringen führende uralte Heerstraße in Betracht, die von Frankfurt durch das Tal der Kinzig über Hanau, Gelnhausen, Steinau, Fulda, Heinfeld, Vacha, Marksuhl bzw. Salzungen nach Eisenach lief, nicht der einen großen Umweg darstellende und meist sächsisches Gebiet berüh­ rende Weg über Ronneberg und Ohrum, wie er in dem sächsischen Helden­ liede angegeben ist. In der Gegend von Eisenach wird das thüringische Aufgebot die Franken erwartet haben. Hier kam es zu einer Schlacht, die nur zu schweren Verlusten auf beiden Seiten - aus Venantius entnehmen wir, daß Berthachar damals den Tod gefunden hat - , aber zu keiner Ent­ scheidung führte. Denn Berthachars Tochter Radegunde hat, wie wir durch Venantius wissen, nach dem Tode ihres Vaters einige Zeit ruhig am Hofe Herminafrids gelebt, vgl. carm. app. I 59-62, besonders 63.64: anxia vexabar, si non domus una tegebat; egrediente foris rebar abisse procul; 1 Vgl. auch K ö g e l , Geschichte der deutschen Literatur I 1 (1894) S. 124 ff. H e u s le r bei Hoops, Reallex. II Sp. 599 ff. S c h n e id e r , Germanische Heldensage II 2 (1934) S. 138 ff. sowie unten S. 122. 2 Vgl. Monumenta Erphesfurtensia ed. Holder-Egger (1899) S. 741 ff.

330 [1 1 0 ]

D i e Thü ringer: Di e f r ä n k i s c h e Eroberung

51 : quod pater extinctus poterat haberi . . . tu (Amalafrid) mihi solus eras, und dazu W . Meyer S. 94. Bestätigend treten hinzu die sächsischen Quel­ len, insbesondere Rudolf, wo allerdings von z we i ergebnislosen Schlachten die Rede ist. Weil die Franken unverrichteter Sache nach Hause zurück­ kehrten, hat Gregor das Zusammentreffen verschwiegen. Man wird das­ selbe etwa ins Jahr 529 zu setzen haben, da der Entscheidungskampf 531 stattfand. Die Zeitbestimmung des zweiten thüringischen Feldzuges ergibt sich daraus, daß Childebert nach einem vergeblichen Versuche, einen in der Auvergne, während Theuderichs Abwesenheit in Thüringen, ausgebroche­ nen Aufstand für sich auszunutzen, gegen den Westgotenkönig Amalrich zu Felde zog, was nach den Chron. Caesaraugust. (Mommsen Chron. min. II 223) noch 531 geschah. Außer den Hilfstruppen, die Chlotachar stellte und persönlich führte, nahmen diesmal Sachsen in größerer Anzahl teil, die Theuderich durch das Versprechen, ihnen die nördliche Hälfte des thüringi­ schen Reiches abzutreten, gewonnen hatte; im Gefolge Theuderichs befand sich dessen Sohn Theudebert. Die Thüringer vermochten der Übermacht nicht zu widerstehen; sie wurden in einer Gegend auf der linken Seite der Unstrut geschlagen und beim Rückzug über den Fluß fast aufgerieben.1 Der König entkam aus dem Gemetzel, wie es scheint durch die aufopfernde Tapferkeit seiner Gefolgsleute.1 2 Alle Versuche, den Ort der Entscheidungs­ schlacht näher zu bestimmen,3 müssen ergebnislos bleiben; Burgscheidun­ gen, das im sächsischen Heldenliede als letzter Kampfplatz erscheint, kommt, wie Höfer gezeigt hat, nicht in Frage. Man könnte vermuten, daß die Franken diesmal das thüringische Gebiet umgangen haben, um von Nordwesten, von der sächsischen Grenze her, wo sie sich mit den Sachsen vereinigten, vorzustoßen. Das unglückliche Land war der Verwüstung und Plünderung preisgegeben, wie sie Venantius anschaulich geschildert hat. Die Königshalle wurde durch Feuer zerstört4 und die dort weilende Rade­ gunde nebst ihrem Bruder gefangen,5 während sich Amalaberga mit ihren Kindern in Sicherheit brachte. Doch war Thüringen im Jahre 531 noch keineswegs im ganzen Umfange in der Gewalt der Franken. Herminafrid sammelte die Reste seines Heeres um sich und nahm in einem entlegenen Teile des Landes eine Verteidigungsstellung ein. Daß er mit Theuderich Frieden geschlossen habe und in das Verhältnis eines Vasallenkönigs ein­ getreten sei, wie Höfer behauptet, ist ganz unerweislich und unwahrschein­ 1 Vgl. Ven. app. II I 3 : infausto certamine bello peracta. 2 Ven. app. I 13. 3 Mit P r e i d e l, Präh. Ztschr. 19 (1928) S. 262, den bei Ven. Carni. V I 1, 75 genannten Fluß Nablis auf die Naab zu beziehen, ist verfehlt. Eher könnte dieser Name in dem des späteren Nabelgaues stecken, wie K ö t z s c h k e , Festschr. Armin Tille (1930) S. 10, an­ nimmt. 4 Ven. app. I 5f. 5 Ven. vita Radeg. c. 2. 12. app. I I I 9. Gregor I I I 7.

Das Ende der K ö n i g s f a m i l i e . T ei l ung Thüri ngens

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lieh. Wenn er vorläufig seine Unabhängigkeit, obzwar nur auf einem be­ schränkten Gebiete, bewahrte, so hatte er dies dem Zwiste zu verdanken, der zwischen Theuderich und Chlotachar um die Verteilung der Beute, ins­ besondere um den Besitz der Radegunde ausgebrochen war und beinahe zum Bürgerkrieg geführt hätte,1 sowie dem schon erwähnten Aufstand in der Auvergne. Noch im selben Jahre 531 kehrten die fränkischen Könige heim, ließen aber ohne Zweifel Truppen zur Behauptung der errungenen Erfolge zurück. Begreiflicherweise scheute Theuderich einen dritten Feld­ zug, der neue erhebliche Opfer gekostet hätte; er versuchte daher durch Tücke und Hinterlist sein Ziel, die Vernichtung des Königs, zu erreichen. Herminafrid ward unter Verbürgung der Sicherheit nach Zülpich gelockt und dort bei einem Spaziergang auf der Stadtmauer von angeblich un­ bekannter Hand (die spätere Überlieferung bei Fredegar III 32 bezichtigte Theuderichs Sohn Theudebert) in die Tiefe gestoßen und so getötet (534).1 2 Der Tod des Königs bedeutete auch das Ende des Thüringerreiches; die bis dahin unabhängig gebliebenen Teile des Volkes, ihres Führers beraubt, werden sich freiwillig unterworfen haben. Amalaberga floh mit ihren Kin­ dern nach Italien zu ihrem Bruder Theodahad, der damals bereits König der Ostgoten war (also zwischen 534 und 536).3 Die Familie wurde 540 in Ravenna mit Witigis von Beiisar gefangen und nach Byzanz ab geführt; Herminafrids Sohn Amalafrid trat dann in kaiserliche Kriegsdienste und brachte es zu einer hervorragenden Stellung ("j* nach 561).4 Radegunde und ihr Bruder wurden nach Neustrien gebracht. Chlotachar machte später Radegunde zu seiner Gemahlin; sie trennte sich aber um 550 von ihm, um in ein Kloster zu gehen. Radegundens Bruder ward zu derselben Zeit auf Befehl Chlotachars ermordet, vermutlich weil er entfliehen und einen Versuch machen wollte, das thüringische Reich wieder auf­ zurichten.5 Thüringen südlich von Harz und Unstrut nebst dem ,,Werenofeld“ auf der Ostseite der Saale ward als fränkische Provinz6 unter der Verwaltung 1 Ven. vita Rad. c. 2. Greg. I I I 7. 2 Greg. III 8. Die gegen Zülpich erhobenen Bedenken sind unbegründet. Die Erwäh­ nung der Stadtmauer zeigt, daß es sich um eine ehemalige Römerstadt handelt. Rechts des Rheins gab es damals keine ummauerten Städte. 3 Prokop I 13. 4 Prokop IV 25. Vgl. L i p p e r t , Thür. Ztschr. N. F. IV (1885) S. 80 ff. 5 V gl. W . M e y e r S. 94. 6 Vgl. Greg. I I I 7 : in suam redigunt potestatem. Brief Theudeberts an Justinian: eorum provinciis acquisitis. Prokop I 13: Θορίγγους . . . άπαντας υποχειρίους ποιησάμενοι εσχον. Daß bei Gregor die Angabe der Einverleibung schon vor Herminafrids Tode steht, ist ganz ohne Bedeutung. Zufällig haben die richtige Reihenfolge die Ausschreiber Gregors Fredegar und Aimoin, ohne daß jedoch der geschichtliche W ert dieser Chronisten dadurch im geringsten erhöht würde.

332 [112]

Die T hü ri ng e r: Das Reich der Westthüri nger

von Herzogen, wohl einheimischen Geschlechts,1 eingerichtet, während Nordthüringen an die Sachsen fiel.1 2 Ein Zeichen der Abhängigkeit war der Schweinezins, von dem jüngere sächsische Quellen berichten; er wurde erst im Jahre 1002 aufgehoben.3 Daß aber die Thüringer unter der fränki­ schen Herrschaft eine weitgehende politische und kulturelle Selbständig­ keitbewahrten, daß ihre Siedelungen nicht von fränkischen Kolonien durch­ setzt wurden,lassen die Funde4 annehmen ; auch wurde ihnen ihr angestamm­ tes Straf- und Privatrecht (aufgezeichnet in der Lex Angliorum et Werinorum hoc est Thuringorum) belassen. Aus bestimmten Ortsnamen, z. B. solchen auf -hausen, ist wohl auf eine fränkische Ansiedlung geschlossen worden;5 wenn man diese Bildungen nicht überhaupt aus kulturellen Strö­ mungen innerhalb des Frankenreiches erklären will, so ist eher noch an karolingische als an merowingische Zeit zu denken.6 Gewaltsamer als die Franken sind nach 531 die Sachsen in dem ihnen überlassenen Reichsteile verfahren. Hier ist sächsisches Recht und, mit Ausnahme des Hohseegaues, wo die thüringische Mundart Geltung behalten hat, auch die sächsische Sprache zur Herrschaft gelangt.7 Das Schicksal der mitteldeutschen Thüringer hatten nicht lange vorher ihre links vom Niederrhein wohnenden Stammesgenossen geteilt. Wohl noch im 4. Jahrhundert waren Thüringer, vielleicht im Verein mit einer Schar Sachsen, nach den Niederlanden gezogen, wo sie, zunächst unter römischer Oberhoheit, eine Niederlassung gründeten. Die Existenz eines Thüringerreiches (zwischen Waal und Schelde?) ist mehrfach bezeugt und wird zu Unrecht von einigen Forschern8 bestritten. Zunächst ist das angel­ 1 Vgl. D a h n , Könige 10 (1907) S. 51 ff. 2 Vgl. H o lt z m a n n , Sachsen u. Anhalt I I I (1927) S. 62 f. 3 Vgl. H ir s c h , Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Heinrich I I . Bd. I S. 221. W a i t z , Verfassungsgeschichte II S. 253. W ir ersehen hieraus, daß die Schweinezucht bei den Thüringern eine große Rolle spielte. 4 Die Funde des 6. Jahrhunderts aus Grabfeldern wie Obermöllern und W eimar (s. unten S. 120) lassen keine fränkische Einwanderung erkennen; die im 7. Jahrhundert belegten rheinischen Fundbeziehungen (vgl. S c h u lz a. O. S. 221 ff.) sind ebensowenig in dieser Richtung auszulegen. 5 So z. B. K ö t z s c h k e , Festschr. A . Tille (1930) S. 6. E b e r h a r d t , Die Anfänge des Territorialfürstentums in Nordthüringen (1932) S. 3 f. - Zu den -heim-Orten F i e s e l, Theutonista, Beih. I X (1934) S. 11, welche von K r e t s c h m a n n in: Aus hansischem Raum V (1938) S. 13 f. 60 ff. abgelehnt wird. 6 Vgl. zur Frage des fränkischen Einflusses D o p s c h , Grundlagen I 2 S. 286 f. E m m e ­ r ic h , Ztschr. d. Ver. f. thür. Gesch. u. Alt. N. F. 33 (1939) S. 326 f. 7 Über das Recht s. R i c h t h o f e n , Zur Lex Saxonum S .400 ff. Über die Sprache H e r ­ t e l , Thüringer Sprachschatz (1895) S. 8 ff. (vgl. B r e m e r , Hist. Vierteljahrsschr. V [1902] S. 342). B a e s e c k e , Beitr. z. Gesch. d. dtsch. Sprache 59 (1935) S. 57 f. Das Recht der Nordschwaben wies nur geringfügige Abweichungen vom sächsischen auf, vgl. R i e h t · h o fe n S. 405. Falsch H ö f e r , Ztschr. f. thür. Gesch. N. F. 17 (1907) S. 22. 8 Z. B. von F r ie s e n , Upps. Univ. Ärsskr. 1 9 2 4 ,4 S. 54 f. Auch S c h ü t t e , Gotthiod (1939) scheint nicht mit ihm zu rechnen.

Di e Westthüringer. Quellenfragen

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sächsische Widsidhlied zu nennen, das Syringas (v. 30. 64) von EastJ)yringas (v. 86) unterscheidet. Aus der fränkischen Ursprungssage bei Gregor von Tours II 9 ergibt sich, wie selbst R. Schröder zugibt, daß es eine Landschaft Thoringia bzw. ein Land der Thoringer auf der linken Rheinseite gegeben hat: es heißt hier, die Salier seien aus Pannonien gekommen, hätten sich zuerst auf dem rechten Rheinufer niedergelassen, seien dann über den Rhein gegangen und durch Thoringia gezogen, wo sie nach Bezirken und Gauen gelockte Könige über sich gesetzt hätten; einer von diesen, Chlogio, habe zu Dispargum, quod est in terminum Thoringorum,1 residiert. Chlogio sei von da weiter nach Cambrai und bis zur Somme vorgedrungen. Die zweite Anführung eines Thüringer Landes schließt die an sich nahe­ liegende Annahme einer Verwechslung von Thoringia mit Toxandria aus. Daß die ebenfalls von Gregor (II 27) zum zehnten Jahre Chlodowechs be­ richtete Unterwerfung der Thoringer sich nicht auf das mitteldeutsche Volk beziehen kann, wurde schon oben ausgeführt. Von besonderer Wich­ tigkeit sind die Schreiben, die Theoderich in gleichlautender Form an die Könige der Heruler, Warnen und Thoringer richtete (Cass. var. III 3). Der geringschätzige Ton, den der Ostgotenkönig diesen Fürsten gegenüber an­ schlägt (vgl. Lippert, Thür. Ztschr. N. F. III S. 268), verbietet von vorn­ herein die Annahme, daß das mächtige mitteldeutsche Reich gemeint sei, für das ja auch, wie wir sahen, eine von den Franken drohende Gefahr zu Anfang des 6. Jahrhunderts nicht bestand. Man hat die drei Völker ein­ ander benachbart zu denken; daß es aber Niederlassungen von Herulern und Warnen in den Niederlanden gegeben hat, wurde bereits früher (B d .I1 2 S. 558 ff.) nachgewiesen. Daß die niederländischen Thüringer an das Meer grenzten, darf vielleicht aus der Nachricht geschlossen werden, daß der Westgotenkönig Eurich ihnen Hilfe gegen die Franken zuteil werden ließ (vgl. unten). Daß die im Mittelalter so genannte Stadt Thuringehem, jetzt Tournehem zwischen Calais und St. Omer, ihren Namen von unseren Thüringern erhalten habe, ist ausgeschlossen, da dieselbe vielmehr, wie andere gleichnamige Orte, von Personen namens Thuring abzuleiten ist.2 Dagegen hat die Annahme, daß Dispargum identisch sei mit Duysburg östlich Brüssel,3 manches für sich. - Einige andere Zeugnisse sind zu streichen. Hierzu gehört die schon oben besprochene Stelle Gregors von der Flucht des Frankenkönigs Childerich; es ist bemerkenswert, daß man die Worte Basinas: in transmarinis partibus, sowohl für wie gegen die 1 Terminus bezeichnet bei Gregor das Land selbst oder bloß die Grenze, vgl. P la t h S. 146 f. Welche Bedeutung das W ort an dieser Stelle hat, läßt sich nicht entscheiden. 2 Z. B. Thuringheim in pago Wormaciense, M. G. Dipl. Otto I No. 330 vom Jahre 9 6 6 ; Dürkheim in der Pfalz u. a. 3 Dafür G i lis s e n , Rev. beige de Philol. et d’Hist. 17 (1938) S. 94 ff.

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Di e Thüringer: Stellung zu Franken und Westgoten

niederrheinischen Thüringer verwertet hat. Das gleiche gilt von der an­ scheinend dem 5. Jahrhundert angehörenden geographischen Quelle, die Prokop im Gotenkrieg I 12 benutzt hat. Es werden hier § 8 ff. die Franken an der Rheinmündung und deren Nachbarn, die Arborycher (Aremoriker), genannt, östlich von ihnen, d. h. von den Franken, wohnen die Thoringer, die ihre Sitze durch Augustus, den ersten Kaiser, erhalten hatten, südlich die Burgunder, über den Thoringern die Suaben und Alamannen. Daß es sich um Zustände, die vor dem Jahre 497 liegen, handelt, zeigt die Bemer­ kung, daß alle diese Völker politisch selbständig seien. Es unterliegt für mich keinem Zweifel, daß nur das mitteldeutsche Volk gemeint sein kann. Denn es ist deutlich, daß hier nach der Lage der Sitze der F r a n k e n die Sitze der übrigen Völker bestimmt sind, die Worte μετά αύτούς § 10 und και αύτών § 11 sich also nicht auf die vorher genannten Arborycher bzw. Thüringer, sondern auf die Franken beziehen. Es wäre auch auffallend, daß Prokop jenes zweifellos unbedeutende Völkchen in einer Reihe mit den hervorragendsten germanischen Stämmen genannt haben sollte. Die An­ gabe, daß die Thüringer ihre Sitze durch den Kaiser Augustus erhalten hätten, dürfte eine Reminiszenz an die Ansiedelung der Mainhermunduren durch Domitius Ahenobarbus sein. Ein Irrtum, vielleicht bloßer Schreib­ fehler (υπέρ statt ύπο) ist es, wenn die Schwaben-Alamannen ü b e r (also nördlich) den Thüringern angesetzt werden; gerade das Umgekehrte ist richtig. - Der Frankenfürst Chlogio scheint um 425 den Rheinthüringern einen Teil ihres Landes mit Dispargum abgenommen zu haben; so wird man die besprochene schwierige Stelle Gregors über den Zug der Salier durch Thoringia zu verstehen haben. Der Westgotenkönig Eurich schritt zu ihren Gunsten ein, als die Franken den völligen Untergang ihrer Herrschaft vorbereiteten; der Sieg, den nach Sidonius Apollinaris die Westgoten, d.h. wohl die westgotische Flotte, über die Salier davongetragen hat (das Nähere oben Bd. I 2 S. 494), dürfte in diesen Zusammenhang zu stellen sein. Um 506 richtete der Ostgote Theoderich die bekannte Aufforderung an die Könige der Heruler, Warnen und Thüringer, ihn in seiner gegen die Über­ griffe Chlodowechs gerichteten Politik zu unterstützen.1 Aber das drohende Verhängnis war nicht aufzuhalten; nicht lange nachher wurden die Thü­ ringer eine Beute der übermächtigen Franken. Daß Gregor das Ereignis schon in das Jahr 491/92 statt etwa fünfzehn Jahre später setzt, fällt nicht ins Gewicht (vgl. Bd. I 2 S. 494, 5). 1 Zur Datierung dieses u. a. Schreiben s. oben S. 59. Danach ist Bd. I 2 S. 342. 498 zu berichtigen.

D i e H e r m u n d u r e n u n d T h ü r i n g e r : V e r f a s s u n g . S t ä n d e [115/335

II Nicht minder dürftig als über die politische Geschichte fließen die Quel­ len über die i n n e r e n Z u s t ä n d e der Hermunduren bzw. Thüringer. Das Volk steht bei seinem Eintritt in die Geschichte unter monarchischer Herrschaft. Der erste bekannte König ist V i b i l i u s (etwa 20-50 n. Chr.), der nächste Bi s i nus um 500 n. Chr. In welcher Weise sich der Hinzutritt der Angeln und Warnen auf die Gestaltung der Verfassung geltend ge­ macht hat, vermögen wir nicht zu sagen; ohne Zweifel gehörte das Geschlecht Bisins einem der beiden herrschenden Völker an. Soviel wir sehen, war das Königtum in seinen Befugnissen beschränkt. Die Verhältnisse, wie sie uns bei den Nachfolgern Bisins entgegentreten, ein Oberkönigtum und mehrere Unterkönige (vgl. oben), nötigen zu dem Schlüsse, daß eine Einsetzung durch das Volk bzw. die Großen erfolgte. Ebendahin führt uns die Tat­ sache, daß der alte Volksadel sich erhalten hat, nicht zu einem Dienstadel herabgesunken ist (vgl. weiter unten). Daß die Entscheidung über Krieg undFrieden demKönige allein zugestanden habe,darf aus den von v. H o f f ­ m a n n 1 angezogenen Stellen Gregors von Tours1 2 nicht gefolgert werden, da diese, wie wir sahen, auf Erfindung beruhen. Der Sitz des Königs war unter Bisin vielleicht Beesenstedt mit der Bösenburg (s. oben S. 106). Wenn das sächsische Heldenlied für Herminafried Burgscheidungen angibt, so ist dies spätere Erdichtung. Auch der Versuch, aus Bodenfunden Weimar als den letzten Mittelpunkt des Reiches zu erschließen, ist nicht haltbar (vgl. unten S. 120). Auf ein militärisches Gefolge weist Venantius app. I 13: clara ministrorum corona hin. Die ständischen Verhältnisse sind aus der Lex Thur, ersichtlich. Diese nennt Adlige (adalingi; c. 1 u. ö.), Gemeinfreie (liberi; c. 2 u. ö.), Frei­ gelassene (c. 45) und Knechte (c. 3 u. ö.). Die Adalinge sind alter Volksadel, der das dreifache Wergeid des Gemeinfreien genießt. Man erkennt in ihnen die Geschlechter der Gaufürsten, der taciteischen principes, die dem König­ tum gegenüber einen großen Teil ihrer angestammten Rechte behauptet hatten. Das Wergeid des Gemeinfreien betrug ohne das Friedensgeld von 40 solidi 160 sol., das des Freigelassenen 80 soi., das des Knechtes 30 soi. Hörige kennt das Volksrecht nicht, doch kommen Liten später auch in Thüringen urkundlich vor, so daß man nicht berechtigt ist, ihr Vorkommen für die ältere Zeit zu leugnen.3 Aus den bisher veröffentlichten Grabfunden, die im folgenden erörtert werden, sind keine wesentlichen Ergebnisse für die Standesgliederung zu 1 Die Entscheidung über Krieg und Frieden nach german. Recht S. 59. 2 I I I 4, vgl. dazu oben S. 107. 3 Vgl. besonders B r u n n e r , Rechtsgeschichte I 2 S. 346. 472, wo auch weitere Literatur. O t t o , Adel und Freiheit im deutschen Staat des frühen Mittelalters (1937) S. 195.

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Siedelungsweise. H ermu nd ur i s che F u nd e

gewinnen. In der Hermundurenzeit sind die Waffengräber ziemlich gleich­ mäßig ausgestattet, was einem aus gleichberechtigten Freien bestehenden Volk entsprechen könnte; wenn sich die Gräber der Königs- und Gau­ fürstengeschlechter von der Masse unterscheiden, so sind sie bisher der Beobachtung entgangen. Daß die Tote im ,,Fürstengrab“ von Haßleben (um 300 n. Chr.) der Oberschicht angehörte, ist wegen der reichen Bei­ gaben seit langem vermutet worden. Es ist schwer zu sagen, ob dem un­ zweifelhaften Vermögensunterschied in einem solchen Fall ein ständischer Vorrang entspricht. Wenn zur selben Zeit östlich der Saale keine der west­ lichen Gruppe vergleichbare Ausstattung üblich ist, so kann dies Aus­ wirkung einer Grabsitte sein, der arm wie reich folgten. Die thüringischen Reihengräberfelder weisen ähnliche Schwankungen in der Ausstattung auf wie die alamannischen, deren ständische Ausdeutung oben S. 77 berührt worden ist; doch stehen sie einstweilen an Zahl und Umfang weit hinter diesen zurück, so daß erst eine Vermehrung des Fundstoffes derartige Er­ wägungen gestatten wird. - Ähnliches gilt für die S. 81 erörterte Möglich­ keit, aus der Gräberverteilung auf Einzelhof- oder Dorfsiedlung Schlüsse zu ziehen; immerhin ist es wahrscheinlich, daß z. B. innerhalb der Gemarkung Weimar gleichzeitig mehrere aus den Sonderfriedhöfen zu erschließende Einzelhöfe bestanden haben. Für die K u l t u r v e r h ä l t n i s s e des Hermunduren- und Thüringer­ gebietes steht in den Bodenfunden1 eine reiche, wenn auch ungleichmäßig fließende Erkenntnisquelle zur Verfügung. Die älteste hermundurische Gruppe hat W. S c h ul z unter gleichzeitiger Behandlung der sonstigen germanischen und der spätkeltischen Besiedelung bis an den Anfang unserer Zeitrechnung herausgearbeitet1 2 und eine übersichtliche Zusammen­ fassung in größerem Rahmen3 gegeben. Kennzeichnend sind Männerfried­ höfe mit Brandbestattung und Waffenbeigaben4 (ein- und zweischneidiges Schwert, Lanze, Schild) ;5 eine Seltenheit ist Schmiedegerät,6 das auf freie Handwerker schließen läßt. Die Tonsitulen und die etwas später auf­ kommenden Mäanderurnen sind Merkmale der Zugehörigkeit zu der 1 Erste Stoffsammlung für den südlichen T eil: G ö t z e - H ö f e r - Z s c h i e s c h e , Die vorund frühgeschichtlichen Altertümer Thüringens (1909). Hauptzeitschrift: Jahresschrift für die Vorgeschichte der sächs.-thür. Länder (seit 1902). Laufende Berichte im Nachrichten­ blatt für deutsche Vorzeit (seit 1925). — Sachsen: F r e n z e l - R a d i g - R e c h e , Grundriß der Vorgeschichte Sachsens (1934) S. 152 ff. 338 ff. Gebiet der Südhermunduren: m it­ behandelt bei R e in e c k e , 23. Ber. Röm .-G erm . Kom m . 1933 (1934) S. 144 ff. 2 Sächs.-thür. Jahresschrift 16 (1928). 3 Vor- und Frühgeschichte Mitteldeutschlands (1939) S. 152 ff. 4 Z. B. Großromstedt( Kreis W eim ar); veröffentlicht von E i c h h o r n , Mannus-Bibl. 40 (1927), Anzeige von S c h u lz , Mannus 20 (1928) S. 256 f. 6 Vgl. J a h n , Die Bewaffnung der Germanen in der älteren Eisenzeit (1916). 8 Vgl. O h lh a v e r , Der germanische Schmied und sein Werkzeug (1939) S. 134.

Funde. Hausbau. Verhältnis zur Gruppe H aß leben - Leuna

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großen, mit den Erminonen gleichzusetzenden Elbgermanengruppe; da­ gegen ordnet sich die Hauptmasse der jüngeren hermundurischen Ton­ ware westlich der Saale einem großen von R. v. U s l a r 1 umgrenzten „w est­ germanischen“ Kreis ein, was wohl mit Recht als ein Anzeichen einer all­ mählichen Lösung von der Erminonen-Sweben-Gruppe aufgefaßt wird. Münzen1 2 und anderes mindestens zum Teil über Böhmen (s. oben S. 96) kommendes Einfuhrgut zeugen von einem Handel, in dem das Salz aus den seit alters her genützten Lagern des Saalegebietes eine Rolle gespielt haben dürfte.3 Die Eisengewinnung, von der Schmelzöfen und Eisen­ schlacken zeugen,4 wird für den Hausbedarf bestimmt gewesen sein. Reste der hölzernen Wohnbauten konnten bisher verhältnismäßig selten unter­ sucht werden;5 über die Planung und Größe der Siedelungen liegen bisher Ergebnisse noch nicht vor. Für die Einzelheiten von Tracht und Ausrüstung muß auf das altertumskundliche Schrifttum verwiesen werden; hier sei nur festgestellt, daß neben dem im 1./2. Jahrhundert besonders regen Kunstgewerbe der Marko­ mannen6 auch das der Hermunduren eine wesentliche Rolle bei der Aus­ bildung von Schmuckformen spielt.7 Die einheimische Entwicklung ver­ läuft nach dem Urteil der Bodenforschung ungestört bis zum Ende des 2. Jahrhunderts, während sich größere Grabfelder anscheinend nicht über dieses fortsetzen. Nach der herrschenden Meinung besteht höchstens ein schwacher Zusammenhang mit der sogleich zu erörternden Gruppe Haß­ leben-Leuna, die um 300 einsetzt. Indessen ist bereits S. 102 darauf hin­ gewiesen worden, daß Siedlungsfunde auf Fortdauer der älteren Bevölke­ rung schließen lassen; solche Zeugnisse dürften sich mit dem Fortschreiten der Forschung vermehren. Abbrechen von Grabfeldern läßt sich auch in Fällen beobachten, in denen die Bodenforschung nicht mit Bevölkerungs­ wechsel rechnet, was z. B. im 1. Jahrhundert für hermundurische Fried­ höfe vom Typ Großromstedt gilt. 1 Westgerman. Bodenfunde, bes. S. 88 f. 181 f. 2 Zusammenstellung bei B o l i n , Fynden av romerska m ynt i det fria Germanien (1926) Beil. S. 48 ff. Vgl. H a u p t in : Grundriß der Vorgeschichte Sachsens (1934) S. 278 ff. 3 Dagegen sind die S. 99 erwähnten Käm pfe um Salzquellen nicht notwendigerweise aus wirtschaftlichen Gründen zu erklären. 4 V gl. S c h u lz , Sächs.-thür. Jahresschrift 16 (1928) S. 67 ff.; M i r t s c h i n , Germanen in Sachsen (1933) S. 164 ff.; W e i e r s h a u s e n , Mannus-Bücherei 65 (1939) S. 134 ff. 5 Bei S c h u lz , Das germanische Haus in vorgeschichtlicher Zeit ( 2 1923) S. 33 ff. Sied­ lungsstellen ohne Hausgrundrisse; neuere Beispiele: G r im m , Sächs.-thür. Jahresschrift 19 (1931) S. 10 ff. und N achr.-B latt f. dtsch. Vorz. X (1934) S. 114; N i q u e t a. O. 13 (1937) S. 293. * Bahnbrechend A l m g r e n , Mannus V (1913) S. 265 ff. 7 Verwiesen sei auf die Erörterungen über die Entwicklung der sog. Augenfibel; Lite­ ratur bei P r e i d e l, Die germanischen Kulturen in Böhmen und ihre Träger I (1930) S .2 4 .

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D i e Gruppe H a ß leb e n - L e u na

Während sich in einem Streifen zwischen Elbe und Mulde die Verbren­ nung etwas länger hält, treten Ende des 3. Jahrhunderts eine unverbrannt bestattende Gruppe mit einfacher Ausstattung östlich der Saale1 und eine reichere, Haßleben1 2 einschließende westlich des Flusses auf. In manchen Zügen stimmt der Grabbefund mit weitverbreitetem zeitgenössischem Brauch überein, so z. B. in der Armut an Waffen (vgl. S. 76). Dagegen weist auf Einfluß aus dem Südosten im besonderen die neu auftretende Drehscheibenware und die Verzierung des Schmuckes, z. B. der nun auf­ kommenden Fibeln ,,mit umgeschlagenem Fuß“ mit Filigran, Granulation und farbigen Einlagen (noch nicht den später so beliebten Almandinen); doch dürfte dieser Teil des Grabgutes in Mitteldeutschland selbst gefertigt sein. Die Grabkammer des ungewöhnlich reichen „Fürstengrabes“ von Haßleben kann mit der Bestattungsweise Südrußlands in Verbindung stehen. Auch wer die von W. S c h u l z aus den Kulturbeziehungen ge­ zogenen Schlüsse auf eine südöstliche Zuwanderung nicht als zwingend betrachtet, wird zugeben, daß die Gruppe westlich der Saale mit Haßleben und Leuna dank ihrer reichen Ausstattung eine hervorragende Stelle unter den gleichzeitigen germanischen Funden einnimmt. S c h u l z hat auch Be­ ziehungen nach Südwestdeutschland verfolgt und auf eine Abwanderung in dieser Richtung gedeutet. Dies mag für kleinere Teile gelten, wird aber kaum als allgemeine Erklärung standhalten. Wichtiger noch ist der Nach­ weis eng verwandter Tonware von Eßleben (Landkreis Schweinfurt),3 die anzeigen könnte, daß Abkömmlinge einer südhermundurischen Gruppe im Maingebiet die gleichen Kulturströmungen aufnehmen, wie dies im Bereich von Haßleben und Leuna der Fall war. Die weitere Entwicklung der Dreh­ scheibenware in Thüringen (s. unten S. 120) spricht für einen Zusammen­ hang der Bevölkerung des 4. Jahrhunderts mit den Thüringern der Reihen­ gräberzeit, trotzdem eine Fortdauer der Grabplätze bisher nicht beobachtet worden ist und die ältere Beisetzungsart Nord-Süd-Lage, die jüngere OstWest-Lage innehält. Es ist in diesem Zusammenhang bislang nicht in Er­ wägung gezogen worden, daß das mitteldeutsche Handwerk um 300 eine besondere Neigung zur Weiterbildung fremder Vorlagen erkennen läßt. Dies zeigen z. B. die Nachahmungen provinzialrömischer Faltenbecher oder die prächtige Scheibenfibel des „Fürstengrabes“ , die eine römische Zier­ form in selbständiger Weise abwandelt. Man wird deswegen gewiß nicht auf eine Einwanderung von Provinzialen schließen, vielmehr eher fragen, 1 In einer grundlegenden Bearbeitung (R öm .-G erm . Forschungen V I I , 1933) hat S c h u lz das Grabfeld und seine Kulturbeziehungen eingehend erörtert und namentlich die verwandten mitteldeutschen Gräber umfassend herangezogen. 2 Zu dieser zuletzt Z i e g le r , Sächs.-thür. Jahresschrift 31 (1939) S. 66 ff. 3 Vgl. H o c k , Bayer. Vorgeschichtsblätter 14 (1937) S. 90 ff.

D ie Thüringer: B ewaffnung. Geschirr

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ob denn für die „Beziehungen“ nach Südosten die bisher bevorzugte Er­ klärung die nächstliegende ist. In einer Landschaft, deren lebhafte Handels­ beziehungen sowohl durch zahlreiche Münzfunde1 wie durch Einfuhrgut, namentlich Geschirr aus Metall, Ton und Glas,1 2 deutlich gemacht werden, können sich Neuerungen im #Handwerk rascher als anderswo durchsetzen, ohne daß deswegen eine Einwanderung angenommen werden müßte. - Als ein Beispiel eines seltener nachweisbaren Gewerbes sei die Kammacherei von Quenstedt (Mansf. Geb.-Kr.)3 erwähnt, deren Erzeugnisse freilich mit den Arbeiten der „Haßlebener“ Goldschmiede nicht wetteifern können. Nach den bisherigen Ergebnissen der Bodenforschung unterscheidet sich das Kulturgut der R e i h e n g r ä b e r f e l d e r Thüringens,4 die gleich denen der Alamannen (oben S. 75 ff.) Ende des 5. Jahrhunderts beginnen, in we­ sentlichen Zügen von dem früher üblichen. Wie bei den Alamannen (vgl. S. 90 f.) nimmt der Brauch der Waffenbeigabe, den man mit einem Wandel der Jenseitsvorstellungen in Verbindung bringen möchte, einen kräftigen Aufschwung; auch bei den Thüringern sind Spatha, Sax, Lanze, Schild, Bogen und Pfeil üblich und die Franziska, wie die Streitaxt überhaupt, eine Ausnahme. Der Spangenhelm von Stößen (Kreis Weißenfels)5 ist bis­ her ebenso vereinzelt wie die verwandten Stücke aus Alamannengräbern (s. oben S. 77). Ein Rest einer Ringbrünne ist in einem der Weimarer Gräber beobachtet worden. Funde von Reiterausrüstung und Pferde­ bestattungen6 (diese selten bei den Alamannen) fügen sich gut zu den Nach­ richten, die eine blühende Pferdezucht bezeugen; vgl. Veget, mulomed. III 6, 3 (nach Erwähnung der hunnischen Pferde): Toringos dehinc et Bur­ gundiones iniuriae tolerantes . . . asseverant; Jord. Get. 21: gens Suehans, quae velud Thyringi equis utuntur eximiis; Cass. var. III 1, wo Theoderich die Trefflichkeit der ihm übersandten silberweißen Rosse preist. Ein Zusammenhang mit dem älteren Grabgut läßt sich vor allem inner­ halb der Tonware beobachten,7 und zwar finden sich insbesondere Gefäße, 1 Vgl. B o l i n , 19. Ber. Röm .-G erm . K om m . 1929 (1930) S. 119 ff. u. 142 ff. W e r n e r sieht Goldmünzen wie Bronzegeschirr u. a. als Beutegut an; vgl. Marburger Studien (1938) S. 263 ff. sowie oben S. 101, 4. 2 Zum Teil wird auch Beutegut in Frage kom men, doch kaum z. B. für Glas. Zur Ein­ fuhrfrage ist neben S c h u lz , Haßleben die bei v. U s l a r , W estgerm. Bodenfunde zu den Fundgattungen wie im Abschnitt , , Handel“ genannte Literatur heranzuziehen. - Zum östlichsten Beleg für spätrömische Rädchensigillata W e r n e r , Germania 20 (1936) S. 203. 3 G r im m , Sächs.-thür. Jahresschrift 18 (1930) S. 104 f. u. 169. 4 Schriftennachweis bei Z ie g le r a. O. S. 112 ff. Hervorgehoben seien G ö t z e , Die altthüringischen Funde von W eim ar (1912); B r e n n e r , 7. Ber. R öm .-G erm . K om m . 1912 (1915) S. 327 ff.; H o l t e r , Das Gräberfeld bei Obermöllern (1925). 5 Zuletzt Z ie g le r a. O. S. 55 Taf. 16. 6 Vgl. G ö t z e , W eim ar S. 9 u. 61. Z i e g l e r , N achr.-B l. f. dtsch. Vorz. 12 (1936) S. 295f. S c h u lz , Germanen-Erbe I (1936) S. 108 f. 7 Grundlegend S c h u lz , Mannus 18 (1925) S. 287 ff.

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Di e Thüri nger: Schmuck. E i n f u h r fr ag e

welche als Abkömmlinge der oben erwähnten Drehscheibenware der Gruppe Haßleben-Leuna aufzufassen sind.1 In der handgemachten Ware lebt alte elbgermanische Tradition weiter; aus solcher gemeinsamen Abstammung erklären sich manche Berührungen mit der alamannischen Keramik. Henkelkrüge von spätrömischem Typ sind der größeren Entfernung ent­ sprechend bei den Thüringern vereinzelt;1 2 ähnlich mag die Seltenheit des am Rhein und in Süddeutschland so geläufigen doppelkonischen Topfes (s. oben S. 88) zu erklären sein. Es sei dazu bemerkt, daß der Fundstoff östlich der Saale bereits vollständig gesammelt ist, während westlich der Saale zahlreiche Einzelarbeiten und insbesondere die Veröffentlichungen des Grabfeldes von Obermöllern (Kreis Weißenfels) wie eines Teiles der Weimarer Gräber einen weitgehenden, wenn auch noch nicht abschließen­ den Überblick ermöglichen. Besonders nötig wäre die vollständige Vorlage von Weimar, zumal die Deutung der Funde in der verdienstvollen Arbeit von A. G ö t z e der Überprüfung bedarf. Dies gilt insbesondere für die Meinung, daß das Grabinventar einen deutlichen ostgotischen Einfluß erkennen lasse, der auf die verwandtschaft­ lichen Beziehungen zwischen den ostgotischen und thüringischen Königs­ familien (s. S. 107) zurückgehe; darauf allein beruht aber die Mutmaßung, daß Weimar der letzte Mittelpunkt des Thüringerreiches gewesen sei.3 Es fehlen indessen in Weimar gerade jene Schmuckformen, die gotische Ver­ bindungen am bestimmtesten bezeugen würden.4 Ein Kunstmittel wie die Almandineinlage geht wohl ursprünglich vom gotischen Bereich aus, ist aber um 500 so weit verbreitet, daß darauf allein keine Schlüsse auf engere Beziehungen aufgebaut werden können. Die Fibeln von Weimar und an­ deren Grabfeldern ordnen sich durchaus den am Rhein und in Süddeutsch­ land üblichen Gruppen ein und sind im Zusammenhang dieser, nicht etwa aus einheimischen oder gotischen Vorstufen, zu erklären5 und nach den Ergebnissen zu datieren, die für die Alamannen oben S. 75 f. zusammen­ gestellt sind.6 Was für die Stilentwicklung im alamannischen Gebiet gesagt wurde, gilt weithin auch für das thüringische, für dessen Randlage in­ dessen das Ausbleiben oder geringe Auftreten in Süddeutschland geläufiger 1 Dazu Z ie g le r a. 0 . S. 31 ff. 2 G ö t z e , Weimar S. 20 f. Z ie g le r a. 0 . S. 39 f. 3 Übernommen z. B. bei K o s s i n n a , German. Kultur im 1. Jabrb.n. Cbr. (1932) S. 160. Die Annahme eines Mosaikes in W eim ar (1. A ufl. S. 346 nach G ö t z e , a. O. S. 30) ist nicht genügend begründet. 4 Vgl. A r n t z und Z e i ß , Die einheimischen Runendenkmäler des Festlandes (1939) S. 361. 5 Eine Übersicht vermittelt A b e r g , Die Franken und Westgoten in der Völkerwande­ rungszeit (1922); im einzelnen ist auch das jüngere Schrifttum heranzuziehen. 6 Da dies Z ie g le r a. O. nicht berücksichtigt, gelangt er meist zu unberechtigten Früh­ datierungen.

Fernbeziehungen . Steine von Hornhause n. Runen

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Typen (so der durchbrochenen Zierscheiben, Goldblechfibeln, Tauschie­ rungen) bezeichnend erscheint, während vereinzeltes nordisches Fundgut (z. B. Brakteaten) Fernverbindungen andeutet. Solche geben sich auch in der weiten Verbreitung einer anscheinend in Thüringen ausgebildeten A b­ art der gegossenen, mit Kerbschnitt verzierten Bügelfibeln1 zu erkennen, deren vereinzeltes Auftreten auf märkischem Boden als Zeugnis für Ger­ manenreste nach den großen Wanderungen bemerkenswert ist.1 2 Wenn auch ein Reitergrab von Berlin-Neukölln mit Pferdebestattung3 ein weiteres Anzeichen für Beziehungen mit Thüringen darstellt, so wird man deshalb in der Mark ebensowenig wie in Böhmen (s. oben S. 104) von thüringischer Siedelung sprechen dürfen. Ein Handelsweg vom Mittelrhein nach dem Bernsteinland Ostpreußen hat auch in Weimar eine Spur hinterlassen,4 doch ist rheinisches Gut, wie der gläserne Rüsselbecher von Stössen, nicht allzuhäufig und langobardisch-italisches wohl noch seltener.5 Unter den wenigen Münzen der Gräber ist keine nach Zeno (474-91); insbesondere fehlen merowingische Prägungen. Soweit die vorher erwähnten Fundgruppen als einheimische Erzeugnisse aufzufassen sind, liegen sie selten über dem Durchschnitt des zeitgenössischen Kunsthandwerks; insbesondere hat die Tierornamentik in Thüringen anscheinend eine geringe Rolle gespielt. Die bekannten Reitersteine von Hornhausen,6 die zu den bemerkenswertesten frühen Versuchen der deutschen Steinbildkunst gehören, sind frühestens um 700 anzusetzen, liegen also bereits wesentlich jenseits der hier inne­ gehaltenen Zeitgrenze. Die vier bisher bekannten R u n e n i n s c h r i f t e n stammen aus zwei Wei­ marer Gräbern des 6. Jahrhunderts. Nach der letzten Bearbeitung7 lauten die Inschriften auf den Fibeln: Haribrig - Hiba Liubi leob - Hiba - Bubo, auf der Schiebeschnalle Ida - Bugina - Hahwar - Awimund - is dir leob Idun, auf der Bernsteinperle JdîxiJ) - Ida - leob - Ida - Hahwar. Es handelt sich demnach um Segenswünsche für die Trägerin des Schmucks, wobei umstritten ist, ob sie aus einer heidnischen oder (wenigstens oberflächlich) 1 Die Zusammenstellung von K ü h n , Schumacher-Festschrift (1930) S. 343 ff. bedarf noch schärferer Sichtung. Ergänzungen gibt P r e id e l, Mannus 27 (1935) S. 330 ff. 2 Vgl. P e t e r s e n , Der ostelbische Raum als germanisches Kraftfeld im Lichte der Bodenfunde des 6 .-8 . Jahrhunderts (1939) S. 101 f. (Berlin-Rosenthal); ein anderer nach Thüringen weisender Fund S. 100 (Berlin-Britz). Dazu nunmehr Phöben, Kreis ZauchBelzig: H o f f m a n n , Mannus 31 (1939) S. 295 ff. Vgl. auch S. 66 und S. 124, 1. 3 Vgl. K i e k e b u s c h , Präh. Ztschr. IV (1912) S. 395 ff. 4 Vgl. W e r n e r , Germania 17 (1933) S. 277 ff. 5 Immerhin sind Beziehungen, wie die von Z e i ß , Forsch, u. Fortschr. 11 (1935) S. 17f. sowie 15 (1939) S. 370 aufgewiesenen, beachtenswert. 6 Literatur: B a u m , La sculpture figurale en Europe à l’ époque mérovingienne S. 102. 7 A r n t z und Z e iß a. O. S. 360 ff. Vgl. S ie r k e , Kannten die vorchristlichen Germanen Runenzauber? (1939) S. 76. 80 f.

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Di e T hü r i n g e r : D i c h t u n g . Götter glaube der H e r m u nd ur e n

christlichen Umwelt stammen. Daß diesen ältesten thüringischen Sprach­ denkmälern die Löffelinschrift Basenae nicht zuzuzählen ist, geht aus dem oben S. 105 Gesagten hervor. Ob Runenbrauch in Thüringen schon früher üblich gewesen ist, läßt sich nicht entscheiden; das Fehlen von Anzeichen in den reichen Gräbern von Haßleben fällt auf, aber auch andere „Fürsten­ gräber“ dieser Zeit haben keine Runen enthalten. Der einzige nachweisbare Beitrag der Thüringer zur germanischen Heldendichtung, das Lied von Irminfrid (Hermanafrid) und Iring, ist uns nur aus der Erzählung Widukinds von Corvey (I 9-13) und der von diesem abgeleiteten Quellen bekannt. Es hat das Ende des letzten Thüringerkönigs sagenhaft umgestaltet wie die Nibelungennot den Untergang der Bur­ gundern Das Lied mag etwa zu Ende des 6. Jahrhunderts entstanden sein; wenn der ungetreue Dienstmann Iring am Ende den verratenen Herrn an dem Frankenkönig rächt, so ist dies der dichterische Ausdruck für die Stimmung, welche die Ermordung Herminafrids (vgl. oben S. 111) im Lande hinterlassen hat.1 Uber die r e l i g i ö s e n A n s c h a u u n g e n der Hermunduren besitzen wir einen Bericht des Tacitus, ann. 13, 57, wo es anläßlich des zwischen jenen und den Chatten um den Besitz von Salzquellen geführten Krieges heißt: Die Stätte der Quellen sei dem Himmel vorzüglich nahe und das Gebet der Sterblichen werde von den Göttern nirgends so aus der Nähe vernommen. Deshalb lasse die Huld der Gottheiten in jenem Flusse, in jenen Wäldern das Salz entstehen: nicht bilde es sich wie bei anderen Völkern, indem aus­ getretenes Meerwasser verdunste, sondern, da das Wasser über einen Hau­ fen brennender Baumstämme gegossen werde, erwachse es aus den ent­ gegengesetzten Elementen, Feuer und Wasser. Wir erfahren weiter, daß die Hermunduren ihre Feinde dem Mars (Ziu) und Mercurius (Wodan) als Opfer gelobten.1 2 Mit der Wodan Verehrung kann nach W. S c h u l z 3 viel­ leicht das Aufkommen der Waffenbeigaben bei den Hermunduren und an­ deren Stämmen im letzten Jahrhundert v. Chr. in Zusammenhang gebracht werden; die Anlage gesonderter Männerfriedhöfe (s. oben S. 116) wird da­ bei aus einer Art Walhallvorstellung erklärt. In den Kreis der Frucht­ barkeitskulte gehört ein gleichzeitiger Opferplatz im Possendorfer Torf1 Vgl. oben S. 109 mit Anm . 1. Eine Wiederherstellung des Liedes unternimmt G e n z m e r , Deutsches Volkstum (1935) S. 881 ff. 2 Vgl. H e l m , Altgermanische Religionsgeschichte I S. 267. 306. de V r i e s , Altgerm a­ nische Religionsgeschichte I S. 167. 170. 251. W enn B e c k e r , W örter u. Sachen N . F. II (1939) S. 215 ff., aber W odan zum Schutzgott der Salzquellen machen will, so geht diese Auslegung der Tacitusstelle zu weit. 3 W ien. Prähist. Ztschr. 19 (1932) S. 168. Allerdings bedarf die Frage der Trennung der Friedhöfe nach Geschlechtern weiterer K lärung; vgl. K ö r n e r , Der Urnenfriedhof von Rebenstorf (1939) S. 175 ff.

Christentum. Wallburgen. Rassenverhältnis se

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moor (Weimar); hier befand sich ein jetzt leider verschollenes, etwa drei Fuß hohes hermenartiges Götterbild aus Eichenholz, in dessen Umkreis ein großer Bronzekessel und mehrere Tongefäße standen. Die Ebergefäße von Greußen (Kreis Sondershausen)1 sind mit dem Freyrkult in Verbindung gesetzt worden; es scheint sich hier indessen nicht um eine Weihestätte, sondern um einen Grabfund zu handeln.1 2 Vereinzelt hat das Christentum schon um 500 bei den Thüringern Ein­ gang gefunden, so insbesondere bei dem Königshaus: denn die heilige Radegunde ist sicher nicht erst nach ihrer Gefangennahme oder Vermäh­ lung katholische Christin geworden.3 Ob das gleiche für Radegundens Vater Berthachar zutrifft, ist keineswegs sicher; ebensowenig läßt sich er­ weisen, daß Herminafrid trotz seiner Ehe mit Amalaberga Arianer gewesen ist, wie H a u c k behauptet.4 Die Bekehrung des Volkes selbst erfolgte erst im 7. und 8. Jahrhundert. Auch in Thüringen lebt die Erinnerung an die alten Götter in einzelnen Ortsnamen weiter.5 Sehr häufig sind in Thüringen die Überreste von W a l l b u r g e n , die zum Teil schon von den Kelten angelegt und bis ins Mittelalter hinein benutzt worden sind. Sie dienten militärischen Zwecken, zum Schutze wichtiger Verkehrsstraßen, zumeist aber als Zufluchtsstätten, in die sich die Bevölke­ rung mit Hab und Gut bei drohender Gefahr zurückzog.6 Über die R a s s e n v e r h ä l t n i s s e liegen bisher wenige Angaben v o r.7 Für die Zeit der vorherrschenden Brandbestattung mangelt es an Skelettfunden, die erst mit Haßleben-Leuna zur Regel werden. Aus dem nicht sehr um­ fangreichen Beobachtungsmaterial wird auf eine dem sogenannten Reihen­ gräbertypus verwandte Bevölkerung geschlossen, doch bei der „Fürstin“ ein Einschlag südöstlicher Herkunft angenommen.8 In Obermöllern weisen neben der eigenartigen Schädeldeformierung auch andere Merkmale von zwei

1 Vgl. zu den Holzidolen H e lm , Altgerm. Religionsgesch. I (1913) S. 214 ff. 2 Vgl. V. U s la r , Westgerm. Bodenfunde S. 138 f. u. 199 f. 3 Vgl. H a u c k , Kirchengeschichte I 4 S. 384. 4 Vgl. D a h n , Könige 10 (1907) S. 153. 5 Guthmannshausen (Landkreis W eim ar): im 8. Jahrhundert W otaneshusen; Gutenswegen (Kreis W olm irstedt): im 10. Jahrhundert Wodeneswege; W üstung Gudensberg (Kreis Gotha): im 12. Jahrhundert Wodenesberg. Belege bei F o e r s t e m a n n , Namenbuch II 23 (1916) Sp. 1417 f. 6 Vgl. die Zusammenstellungen bei R e g e l, Thüringen II (Jena 1895) S. 484 ff.; Z s c h ie s c h e , Mitt. d. Ver. f. Gesch. von Erfurt H . 23 (1902) S. 65 ff.; G ö t z e - H ö f e r Z s c h i e s c h e a. O. S. X X X I I I . 7 G ü n t h e r , Herkunft und Rassengeschichte der Germanen (1935), hat auch diese nicht herangezogen. P a u l, Die räumlichen und rassischen Gestaltungskräfte der Großdeutschen Geschichte (1938) S. 178 ff., verzeichnet eine Menge ungleichwertigen Schrift­ tum s; der Tatsachenbestand ist nicht klar herausgearbeitet. 8 Vgl. W e id e n r e ic h , Röm .-Germ . Forsch. V II (1933) S. 53 ff.

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Di e T hü ri ng er : R a s s e nv e rh ä lt ni s se

gut ausgestatteten Frauen auf fremde Herkunft,1 während die Mehrzahl (sechs Frauen) und alle (fünf) Männer nach Wuchs und Schädelbildung der nordischen Rasse angehören.1 2 Es besteht also von dieser Seite kein Bedenken anzunehmen, daß die Haßlebener Gruppe in den Thüringern des 5./6. Jahrhunderts aufgegangen ist; doch wäre eine umfassende Unter­ suchung zahlreicher Skelettfunde sehr wünschenswert. 1 Vgl. S c h u lz , Volk und Rasse I I I (1928) S. 206 ff., der auf die politisch bedingten Fremdheiraten der germanischen Oberschicht hinweist. Schädeldeformierung auch in Phöben, Kreis Zauch-Belzig: H o f f m a n n , Mannus 31 (1939) S. 3 0 8 ; vgl. S. 121, 2. 2 Vgl. H o l t e r , Obermöllern S. 16 ff. — G ö t z e , W eimar, gibt Maße nur für drei Skelette wohl nordischer Rasse (Grab 19, 26 und 31).

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DIE CHATTEN I Die C h a t t e n 1 sind nach der bei Plinius (hist. nat. IV 99) festgehaltenen Überlieferung den Erminonen zuzurechnen.2 Da diese Gruppe der germani­ schen Stämme zum Beginn unserer Zeitrechnung teils noch in ihrem Heimatgebiet an der mittleren Elbe sitzt, teils nach Westen und Süden Land gewonnen hat, möchte man auch für die Chatten eine Einwanderung aus östlicher Richtung vermuten.3 Eine bodenständige Entwicklung des Stammes in seinem historischen Kerngebiet zwischen Diemel, Fulda, Schwalm und oberer Lahn,4 also im Umkreis der Eder (Adrana, Tac. Ann. I 56) ist nicht wahrscheinlich; aus der „Kontinuität“ der Besiedlung be­ sonders geeigneter Landstriche5 läßt sich höchstens die Annahme be­ gründen, daß ein gewisser Teil einer älteren Bevölkerung in der geschicht­ lich bezeugten weiterlebt. Während im Anschluß an G. W o l f f bisweilen noch von Germanen der jüngeren Steinzeit in Hessen gesprochen wird,6 bewahrt die neuere Vorgeschichtsforschung selbst gegenüber wesentlich jüngeren Funden in der Stammesfrage starke Zurückhaltung.7 In der La-Tene-Zeit ist aus Unterschieden der Grabausstattung Oberhessen als Be­ rührungsgebiet von Kelten und Germanen zu erkennen;8 Brandbestattung 1 Zu den Formen des Namens vgl. S c h ö n f e ld , Wörterbuch der altgerm. Personenu. Völkernamen (1911) S. 130 f. 2 S c h u m a c h e r , Siedelungs- u. Kulturgesch. d. Rheinlande I (1921) S. 152; vgl. III (1925) S. 38 ff. G u n d la c h , Die Stammesgrenzen der Chatten-Hessen bis zum 8. Jahr­ hundert n. Chr. (1929) S. 36 ff. An dieser Zuteilung festzuhalten, liegt näher als mit S c h ü t t e , Gotthiod (1939) die Chatten von den Erminonen zu trennen und mit Ubiern und Brukterern dem ,,Marsischen Zweig“ anzuschließen. 3 Weniger wahrscheinlich ist die Heimat der Chatten im Chattuarierland an der m itt­ leren Ruhr zu suchen (1. Aufl. II S. 347); die Chatten und die Chattuarier verhalten sich zueinander wie die Bojer und die Bajuwaren, deren spätere Wohnsitze keinen Schluß auf die Heimat der Bojer gestatten würden. Anderer Auffassung ist S c h r ö d e r , Deutsche Namenkunde (1938) S. 146. 4 V gl. G u n d la c h a. O. S. 32 ff. B e c k m a n n , Geographie und Ethnographie in Cäsars Bellum Gallicum (1930) S. 186. 5 Zum Edergebiet B e h r e n s , Ztschr. Ver. f. hess. Gesch. u. Landeskunde 59/60 (1934) S. 35 ff. 6 Ba